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German Pages 308 Year 2021
Hans-Joachim Vogler Der hybride pädagogische Raum
Pädagogik
Hans-Joachim Vogler (Dr. phil.) ist Leiter des 1. Allgemeinen Schulpraktischen Seminars in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg, leitet das Arbeitsbündnis Medienbildung und die Arbeitsgemeinschaft Medienbildung der Seminarleitungen in Berlin, arbeitete an der Freien Universität zu Berlin, der Technischen Universität Dresden und der Universität Potsdam im Bereich der Schul- und Unterrichtsforschung.
Hans-Joachim Vogler
Der hybride pädagogische Raum Zur Veränderung von Unterricht und Schule in der Digitalität
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Inhalt
Einleitung – Schule in der Digitalität...................................................... 7 1.
Glokalität .......................................................................... 27
2.
Der pädagogische Raum ........................................................... 35
3. 3.1 3.2 3.3
Leitideen der Schule in der Digitalität.............................................. Das Medienkonzept als Herausforderung der Schule ................................. Leitziele für eine Schule in der Digitalität............................................ Die vernetzte Schule und der hybride pädagogische Raum jenseits des Territoriums..
4. 4.1 4.2 4.3 4.4
Übergreifende Kompetenzen ...................................................... 105 Kompetenzorientierung ist Problemorientierung .................................... 105 Selbstregulation ................................................................... 108 Kritisches Denken .................................................................. 114 Ethisches Handeln ................................................................. 125
5. 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht ........... 137 Die Medialität des Unterrichts...................................................... 140 Lernen ist bei den Dingen sein ..................................................... 153 Die Akteure des Unterrichts........................................................ 168 Der Unterrichtsgegenstand in hybriden pädagogischen Umgebungen ................ 191 Sozial- und Kooperationsformen .................................................... 217 5.5.1 Flipped pedagogical Environment ........................................... 224 5.5.2 Agilität und digitale Umgebungen ........................................... 238 5.5.3 Actionbound................................................................ 247 5.5.4 Applikationen, Lernplattformen und digitale Texte ........................... 255
73 75 84 89
Schlusswort ............................................................................ 275 Literatur ............................................................................... 287
Einleitung – Schule in der Digitalität
99 % der Jugendlichen, so die JIM-Studie 2019, besitzen ein Smartphone, das aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist, um beispielsweise nach Informationen zu suchen, in sozialen Netzwerken zu kommunizieren, Filme zu sehen oder Spiele zu spielen. Die analoge und die digitale Umgebung sind eng zusammengewachsen und beeinflussen sich gegenseitig, indem man an jedem Ort und zu jeder Zeit von der analogen zur digitalen Ebene problemlos »switchen« kann. Das Smartphone ist prädestiniert, ein Teil der Federtasche zu werden. Doch nur zögerlich öffnet sich die Schule einer solchen dynamischen, digitalen Umgebung. Wenn überhaupt, werden digitale Medien als Werkzeug eingesetzt wie ein Lineal, Zirkel oder Geodreieck und es wird danach gefragt, was es denn »bringe«, digitale Medien einzubeziehen. Solche »Vorstellungen reduzieren digitale Bildung auf etwas Planbares und Regulierbares, das in den Schulen und Hochschulen stattfinden soll, als Instrument zur Optimierung des Bestehenden.« (Allert/Asmussen 2017, S. 29) Die Einführung »neuer« Medien in eine bestehende Mediengesellschaft schafft Irritationen, Missverständnisse, Krisen und eine Idealisierung der zurückliegenden Medien. Baecker (2018) macht vier Mediengesellschaften aus, die jeweils einen Paradigmenwechsel durchmachten (S. 27ff.). So war der Wechsel von der tribalen bzw. oralen Gesellschaft (Medien 01) zur Schriftlichkeit (Medien 02) von einer Loslösung alter Vorstellungen von Gegenwart und Abwesenheit begleitet und Platon fürchtete die »Vergessenheit« durch die »fremden Zeichen« (Phaidros 274E-275D), was heute vielleicht als Warnung vor einer »Schriftdemenz« bezeichnet würde. Die Buchgesellschaft (Medien 03) löste die unhintergehbaren Wahrheitsmonopole auf, indem den einzelnen Personen Kritik und Diversität von Positionen zugemutet wurden, die in der Beliebigkeit der Meinungen zu versinken drohte; die ausgemachte »Lesesucht« (Hoche 1794) wurde mit dem ansteckenden gelben Fieber verglichen. Die digitale Mediengesellschaft (Medien 04) ist noch undeutlich, besitzt vielleicht die Struktur eines Netzwerkes (Latour 2010), mit Ungewissheiten, ständigen Entscheidungen und dem Gespenst der »digitalen Demenz« (Spitzer 2014). Die Schule bzw. der Unterricht sind zentrale Orte, in denen Bildung schon immer
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medial vermittelt wurde (vgl. Jörissen/Marotzki 2015) und die folglich auch Spiegel solcher Entwicklungen sind. Die Auswirkungen der Digitalität für die Schule werden in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Und das Thema Lernen in digitalen Umgebungen ist zu einem zentralen Thema der Pädagogik geworden, um den Unterricht besonders unter dem Paradigma der Digitalität zu betrachten. Schlagzeilen wie »Bring your own device« (BYOD) sind mittlerweile zum geflügelten Wort geworden. Schaut man sich die JIM-Studien (2017, 2018, 2019) an, besitzen 98 % der Lernenden ein Smartphone. D.h. nicht, dass wir wissen, inwieweit sie auch eine Flatrate besitzen. Verwiesen wird darauf, dass mit einer solchen Orientierung Tür und Tor zu Plagiaten, Konzentrationsverlust, Ablenkung, Mobbing usw. geöffnet wird. Deutlich muss man der Stelle sagen, dass genau damit ein Auftrag formuliert wird, dem sich die Schule und der Unterricht in der täglichen Arbeit stellen müssen, und der nicht durch Verbote einem unberechenbaren und unprofessionellen außenpädagogischen Raum überlassen werden sollte. Die damit einhergehende Irritation, die eigentlich darunter liegt, ist das Misstrauen gegenüber der außerschulischen Kontingenz, der Zurechnung und Abrechnung von Leistung unter den jeweils gegebenen Ausgangsbedingungen, wie sie lange Gültigkeit besitzen. Es ist auch die Frage danach, wie man Aufgaben stellen kann, um dennoch ein professionelles Lernen im Rahmen der Vergabe von Zugangsrechten und unter den Bedingungen der Kontingenz zu gestalten. Entgegen den programmatischen Reden von einer Öffnung der Schule dominiert eine schulformübergreifende Bemühung um die Schließung des schulischen Raums (vgl. Böhme/Hermann 2011) nach außen. Die mediale getragene Kommunikation des hybriden pädagogischen Raums ist eine Reterritorialisierung in Form eines Knotenpunktes, den die Akteure, Schüler*innen untereinander und mit Lehrkräften in einer nicht immer pädagogischen Umgebung bilden, was in Planung im Vorfeld erfolgen kann, jedoch auch immer wieder dynamisch in der spezifischen pädagogischen Situation. Die Akteure verständigen sich über die Absicht im pädagogischen Setting. Der hybride pädagogische Raum ist durch zweierlei gekennzeichnet: Die unübersichtliche Umgebung des Netzes wird zu einer temporären Bestimmten des institutionellen fachlichen Lehrens und Lernens. Dazu tritt eine selektive und interessengeleitete Wahrnehmung ein, die die Dinge auf eine Distanz bringt. Multimodale Texte beispielsweise erscheinen als multimodale Texte, die zum Gegenstand einer Problemlösung rezipiert werden. Unmittelbar verbunden ist damit, dass Lernen selbst immer bei den Dingen ist. Es ist schlicht gesagt gar nicht anders möglich, die verschiedenen Gegenstände eines Sinnfeldes auszuschließen, ohne eine Entkontextualisierung desjenigen Wissens vorzunehmen, das von der Intention anzueignen ist.
Einleitung – Schule in der Digitalität
Der hybride pädagogische Raum ist temporär und fluide wie das Netz. Dementsprechend muss sich dieser pädagogische Raum immer auch wieder selbst vergewissern und gepflegt werden. Letzteres ist eine neue Routine, sich im hybriden Raum zu bewegen. Oft steht im Zentrum, dass die Infrastruktur der Schulen veraltet ist, der zusätzliche Aufwand oder gar der Mehrwert von Tools und Werkzeugen wird infrage gestellt. Konkret haben die Reaktionen eine Spannbreite vom Verbot von digitalen Geräten in der Schule und im Unterricht bis hin zu den bereits berühmt gewordenen Tablet-Klassen, also solchen Klassen, die Tablets durchgehend in den analogen Unterricht einbeziehen. Hier steht einer Skepsis gegenüber digitalen Umgebungen eine reflexartige Digitalisierung vormals analog hergestellter Arbeitsbögen gegenüber. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat 2016 folgerichtig die neuen medialen Entwicklungen reflektiert, indem sie auf den Umgang mit digitalen Medien als eine »neue Kulturtechnik« neben Lesen, Schreiben und Rechnen verweist. »Die sinnvolle Einbindung digitaler Lernumgebungen erfordert eine neue Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse. Dadurch verändern sich das Lehren und Lernen, aber auch die Spannbreite der Gestaltungsmöglichkeiten im Unterricht. Durch die Digitalisierung entwickelt sich eine neue Kulturtechnik – der kompetente Umgang mit digitalen Medien –, die ihrerseits die traditionellen Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen ergänzt und verändert. Die sich ständig erweiternde Verfügbarkeit von digitalen Bildungsinhalten ermöglicht zunehmend auch die Übernahme von Verantwortung zur Planung und Gestaltung der persönlichen Lernziele und Lernwege durch die Lernenden.« (KMK 2016, S. 12) Einer solchen eher additiven Vorstellung, dass die digitalen Geräte lediglich eine weitere Kulturtechnik und in den bestehenden Unterricht einzugliedern seien, wurde schon früh kritisiert. Digitalität ist ein Paradigma, das alle anderen bestehenden Medien konnotiert, den Habitus berührt, indem die Routinen unterlaufen werden und das Schreiben und Rechnen in seinem didaktisch-fachlichen Verständnis verändert. Schule und Unterricht werden grundlegend verändert und es werden andere als die bisherige Kompetenzausrichtung vorgeschlagen (vgl. Fadel/Chi/Bialik/Trilling 2017). Jede Mediengesellschaft wird auf eine genuine Weise durch die Nutzung ihrer Medien geprägt, weil wir nicht nur »mit« Medien agieren oder »über« sie reden, sondern uns »in« ihnen bewegen. Sie sind keine passiven, geschaffenen Artefakte, sondern entfalten eine spezifische soziale Praktik, die deren Erzeuger*innen prägt. Heidegger (2000) verweist darauf, dass das Wesen der Technik »ganz und gar nichts Technisches« (S. 7) sei, sondern eine Weise der Wirklichkeit.
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Hier soll dargestellt werden, dass das Schulehalten im traditionellen Verständnis nicht unberührt bleiben kann und der institutionelle pädagogische Handlungsrahmen wie auch die methodische und didaktische Ausrichtung neu vermessen werden muss. In diesem Sinn muss neben einem breiten Fortbildungsangebot für Lehrkräfte auch die Ausbildung von Lehrkräften darauf reagieren und auf den Ablösungsprozess des bestehenden Leitmediums Buch reagieren. Die Belehrungsdynamik der Schule (Rumpf 1996, S. 478) und das Schulehalten in »abgeschotteten Zonen« (Rumpf 1996, S. 478) kommt unter kritische Betrachtung. Bourdieu spricht von einer kulturellen Willkür, wenn das zugerichtete Wissen aus dem Kontext gerissen wird. Es wird der Eindruck verwischt, dass es sich um kontingente Ereignisse von Wissen handele, das kulturellen und geschichtlichen Diskursen unterliegt. Hier soll dargestellt werden, dass das Schulehalten im traditionellen Verständnis nicht unberührt bleiben kann und der institutionelle pädagogische Handlungsrahmen wie auch die methodische und didaktische Ausrichtung neu vermessen werden müssen. In diesem Sinn muss neben einem breiten Fortbildungsangebot für Lehrkräfte auch die Ausbildung von Lehrkräften darauf reagieren und auf den Ablösungsprozess des bestehenden Leitmediums Buch reagieren. Soll die Schule ihren Schutzraum öffnen, um das Netz in die Schule zu lassen? Sicherlich kann eine erste Reaktion der Einwände sein, dass die Schüler*innen solchen Gefahren, wie sie im Netz lauern, nicht ausgesetzt werden dürfen. Solchen Einsprüchen folgen dann in der Regel dunkle Dystopien über Verführung, Manipulation und Missbrauch. Momentan ist es so, dass diese Welt nicht inhaltlicher Gegenstand der Schule ist, sondern ein Gegenstand der Ordnungsmaßnahmen, wenn man verbotenerweise ins Netz geht. Das ruft andere Akteure auf, die diesen Job übernehmen, indem Apps angeboten und Tipps gegeben werden, wie man sich gegen Manipulationen wehren kann usw. Doch es muss ein Schritt weiter gegangen werden. Das Pädagogische wird zu einem hybriden Phänomen, indem es nicht durch die Territorialität gekennzeichnet wird, sondern durch die Kommunikation. Insoweit wird es fluid wie das Netz. Schulehalten ist nicht mehr die vier Wände, das Portal, die einen verschluckt, sondern die Konnektivität, die diversen Räume, die eine spezifische pädagogische Umgebung erzeugen und immer wieder als pädagogische Umgebung begründet werden, indem Schüler*innen und Lehrkräfte ein Angebot erzeugen. Angebot war gestern, heute steht die Subjektposition der Weltaneignung im Sinne von Klaus Holzkamp im Zentrum der Aufmerksamkeit. In den folgenden Ausführungen sollen die Konsequenzen der Digitalität für die schulische und unterrichtliche Ebene aufgezeigt werden. Mit der Digitalität als ein Leitmedium wird die Schule aus ihrem territorialen Selbstverständnis gerissen und in die globale Welt gezogen. Digitalität ist nach der KMK eine
Einleitung – Schule in der Digitalität
»Herausforderung, weil sowohl die bisher praktizierten Lehr- und Lernformen sowie die Struktur von Lernumgebungen überdacht und neu gestaltet als auch die Bildungsziele kritisch überprüft und erweitert werden müssen. Herausforderung aber auch, weil dafür infrastrukturelle, rechtliche und personelle Rahmenbedingungen zu schaffen sind.« (KMK 2016, S. 3) In dem hier vorliegenden Buch soll der Frage nachgegangen werden, was es eigentlich heißt, sich den neuen Herausforderungen für Schule und Unterricht zu nähern. Wir sind immer körperliche Wesen, die irgendwo sind. Unsere Leiblichkeit ist ein untrennbarer Bestandteil des »Lernens« und »Lehrens«, der auch dann nicht verschwindet, wenn wir ihn nicht mehr erwähnen. Schule und Unterricht sind zugleich global vernetzt und lokal verortet. Der Begriff der »Glokalität« soll diese hybride Positionierung beschreiben. Die Vernetzung als eine Verzeitlichung und eine Delinearität, wie sie von Han (2005, S. 19f.) beschrieben wird, mündet darin, dass der pädagogische Raum immer wieder neu konstituiert werden muss. Er wird nicht mehr selbstständig vorgefunden, indem wir die Schule betreten, sondern wird punktuell unsituativ durch Kommunikation, die das Netz ist, gegründet. Die Fluidität des pädagogischen Raums entspricht der Fluidität des Netzes. In »glokalen« Umgebungen zu handeln heißt, eine spezifische Praxis aufzubauen, die im Sinne der Praxistheorie immer wieder geschaffen und verändert wird. Es ist eine spezifische Praxis vor Ort in einer glokalen Rahmung. Die Institution der Schule muss in dem kollektiven Selbstverständnis eigene Leitlinien aufstellen, die die Rhythmisierung der Schule, einen digitalen Campus usw. umfassen, um der Digitalität gerecht zu werden. Die Kompetenzen, die fachübergreifend zu erwerben sind, umfassen die Selbstregulation, das kritische Denken und die Metareflexion. Selbstregulation ist die Fähigkeit, sich in fluide Umgebungen mit einem Informationsüberangebot, einer Aufmerksamkeitsökonomie der Konkurrenz zurecht zu finden und selbstzentriert handeln zu können. Kritisches Denken ist die Befähigung, mit seiner Umgebung distanziert und kriteriengeleitet umgehen zu können, Manipulationen und Beeinflussung aufzuspüren. Letztlich ist die Metareflexion die Fähigkeit, sich zum Gegenstand der Betrachtung zu machen, sich im eigenen Lernen zu vergewissern, indem man sich »auf die Schliche« kommt. Sollte man verwundert sein, dass die Kreativität nicht erscheint, so ist das durchaus beabsichtigt. Das aus der Wirtschaft übertragene Paradigma der Kreativität ist Teil des Lernens selbst. Lernen ist selbst kreativ. Wenn wir also über das Lernen sprechen, das in seine Umgebung eingebettet ist, dann würde ein Verweis auf die Kreativität in einem pädagogischen Zusammenhang eine Verdoppelung darstellen.
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Der Unterricht hat nicht mehr den Akteur, sondern die Akteure, die durch die pädagogischen und nicht pädagogischen Artefakte gemeinsam den Unterricht planen und bearbeiten. Die Lehrkraft besitzt die fachliche und pädagogische Expertise, ohne jedoch die didaktische und methodische Teilhabe der Lernenden im Sinne von Klingberg zu ignorieren. Die Akteure kommen zusammen, um gemeinsam eine Unterrichtspraxis zu konstituieren. Das Zentrum ist das Medium. Unterricht ist medial. Die Medien sind der entscheidende Faktor, die Struktur des Unterrichts zu ermöglichen. Medien sind in dem Sinn nicht neutral, sondern konstitutiv. So sind die Medien in einer Relation zu den Methoden, den Inhalten anzulegen, die den Unterricht strukturieren.
Abbildung 1: Kompetenzmodell des hybriden pädagogischen Raums
Das ist dem »Klassenzimmerunterricht« geschuldet, der in einer Art fordistischer Logik immer seriell einheitliche Produkte anstrebt. Das fällt besonders in den geisteswissenschaftlichen Fächern auf, die eine Pluralität möglicher Wege geradezu ausschließen. Wie sollen die Schüler*innen mit der kontingenten Welt umgehen? Wer kennt nicht die Forderung: »Wir lernen nicht für die Schule, sondern für das Leben«?
Einleitung – Schule in der Digitalität
Das wurde von den Schüler*innen immer als ein Versprechen auf die Zukunft hin verstanden, als ein Aufschub auf den nächsten Tag. Nun ist das Leben schon da. Die neue Durchlässigkeit erzwingt eine Kompetenz, um als zukünftige Nutzer*innen von digitalen Umgebungen den Zugriff auf die Welt, die unzähligen möglichen Dinge, die Identifizierung des Geeigneten zu erlangen. Welche Modelle werden im Netz angeboten und welche Prüfung muss ich vornehmen, um ein Modell und die damit verbundenen Selektionskonsequenzen auszuwählen usw. Vor Ort handeln meint, dass zwischen den determinierenden Rahmenbedingungen des Schulehaltens (Struktur) und dem scheinbar autonomen und in sich ruhenden Subjekt (Intention) vermittelt wird (vgl. Latour 2016, S. 334ff.). Das Zeigen als pädagogischer Akt wird nun auch durch andere Akteure vorgenommen, die keine rein pädagogischen Absichten verfolgen. »Unter Praktiken verstehe ich fortlaufende, eingespielte, alltägliche Handlungsmuster und Gepflogenheiten« (Hahn 2015, S. 169). Zum theoretischen Ansatz. Mit Verweis auf Heidegger hebt der Phänomenologe van Manen (2007) hervor, dass die »calculative rationality« (als losgelöste Kognition) zurückgenommen werden muss, denn die Praktik »involves a different way of knowing the world« (S. 20). Das in seiner Leiblichkeit agierende Subjekt (im Sinne von Merleau-Ponty 1974) ist in einer Triangulation mit den anderen und den artifiziellen Dingen involviert und nimmt die Umwelt vor dem Hintergrund der bestehenden Erfahrung wahr (vgl. auch Gentzel 2015, 30ff.). »Akteure werden der Praxis nicht ursächlich vorausgestellt, sie sind als sozialisierte Körper Komponenten der durch die Praxis selbst hervorgebrachten Bedingungsstrukturen der Entstehung und Verkettung von Praktiken.« (Hirschauer 2016, S. 79) Heidegger (2001) drückt das so aus, dass das »Da«, also das Dasein, als in einer bereits vorhandenen Welt des »Man« zu verstehen sei (§ 18 und § 27; vgl. auch Gentzel 2019, S. 101ff.). Die konkrete Umgebung ist zum einen das »Zuhandene«, das dem Subjekt innerweltlich begegnet und eine eingeschriebene Praxis an den Akteur heranträgt, sie so zu nutzen, wie »man« es erwartet. Zum anderen sind es die anderen, die immer schon ein Verständnis von der Welt durch ihre Praxis und im Umgang mit den Dingen zeigen (vgl. auch Gentzel2019, S. 106ff.). Doch wie kann man sich ein solches Zusammenspiel vorstellen? Die anderen sind nach Heidegger ein Existenzial, eine Grundbedingung, das zum Dasein gehört und jeder einzelnen Person die Aufgabe stellt, ein Selbst im Rahmen der Botmäßigkeit zu werden. »Zunächst ›bin‹ nicht ›ich‹ im Sinne des eigenen Selbst, sondern die Anderen in der Weise des Man. Aus diesem her und als dieses werde ich mir ›selbst‹ zunächst
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›gegeben‹. Zunächst ist das Dasein Man und zumeist bleibt es so… Das eigentliche Selbstsein beruht nicht auf einem vom Man abgelösten Ausnahmezustand des Subjekts, sondern ist eine existentielle Modifikation des Man als eines wesenhaften Existentials.« (Heidegger 2001, S. 129ff. Hervorhebungen im Text) Es lässt sich so vorstellen, dass wir in der Schule wissen, wie die Räume ausgestattet sind (mit Tischen und Stühlen), welche Größe sie haben und wie sie zu nutzen sind. Bekannt sind die Erwartungen, wie Lehren und Lernen auszusehen haben, wie es auszusehen hat, wenn man unterrichtet. Der Ort bietet eine (oftmals serielle) Struktur an (vgl. Reckwitz 2018, S. 39ff.) ein algorithmisches System, das diese Schule ausmacht und die Praxis gründet. Das Wahrnehmen ist keine isolierte Tätigkeit, in der etwas gewahr wird, sondern die eines geistigen Wesens, das in einer konkreten Wirklichkeit ist. Das hat bereits Aristoteles herausgestellt, wenn er darauf verweist, dass »wir die Wahrnehmungen nicht dadurch erworben [haben, HJV], daß wir viel gesehen und viel gehört haben, sondern weil wir die Wahrnehmung zuerst besaßen, haben wir sie bestätigt und sie uns nicht erst durch die Bestätigung angeeignet« (Nikomachische Ethik, 1103 a 14). Was wir sehen, gehört einem Sinnfeld an, von denen es viele gibt. Der hybride pädagogische Raum und der analoge territoriale Raum der Schule sind wirklich und stellen ein Sinnfeld mit einer eigenen Praxis dar (vgl. ähnlich auch Allert/Asmussen/Richter 2017, S. 13). Die Akteure und Artefakte im analogen territorialen Raum der Schule und der hybride pädagogische Raum resultieren aus einem praktischen Handeln, das auch in einem Regelsystem in Erscheinung tritt, das das Sinnfeld ausmacht. Hinter dieser Praxis gibt es keine weiteren Vorbedingungen. Dabei sind alle Akteure als körperliche und sensorische Wesen zu verstehen, die sich immer leiblich an einem Ort befinden. In dem Sinn ist der hybride pädagogische Raum immer ein Teil des analogen artifiziellen Raums und nie getrennt. Die Artefakte des analogen und hybriden Raums sind für Regeln erzeugt worden und eine Vorstellung von Handlungen mit ihnen. Zugleich ist jedoch die Wirklichkeit des Menschen so kontingent, dass sie lediglich Möglichkeiten besitzt, keine abschließende Gewissheit. Den hier so vorliegenden Überlegungen liegen drei theoretische Ansätze zugrunde: die Sinnontologie nach Markus Gabriel, die Praxistheorie nach Andreas Reckwitz und die Phänomenologie nach Bernhard Waldenfels. Vor dem Hintergrund des Anliegens des Buches ist es nicht möglich, eine ausführliche Diskussion darüber zu führen, wo die theoretischen Anschlüsse im Detail liegen. Dennoch ist es notwendig, zu erläutern, wie die Existenz des hybriden pädagogischen Raums, die Rolle der Akteure und Artefakte zu beschreiben ist und inwieweit die Akteure leibliche Wesen sind, die sich an einem Ort befinden und als Lebewesen nicht der Digitalisierung unterliegen, aber dennoch als Akteure in der Digitalität aufzufassen sind. Schon im Vorhinein sollte an dieser Stelle darauf hingewiesen werden,
Einleitung – Schule in der Digitalität
dass die Gedanken nicht in angemessener Tiefe ausgeleuchtet werden und so etwaige Fragen offenbleiben. Da ist zunächst der Neue Realismus, wie er insbesondere durch Markus Gabriel vertreten wird (Gabriel 2016, S. 179). Seine Bereichsontologie (Gabriel 2013, S. 68ff.; 2014, S. 177) dient in dem hier stehenden Zusammenhang dazu, darzustellen, dass der hybride pädagogische Raum als ein genauso wirklicher Raum existiert bzw. eine soziale Tatsache darstellt, die als Wirklichkeit beschrieben werden kann,1 wie es auch für die territoriale Schule der Fall ist. Das Subjekt wird im Sinne einer »humanistischen Unhintergehbarkeits-These« (Gabriel 2020, S. 21) verstanden, das den »Mensch[en] als geistiges Lebewesen« versteht und sich einer Unterscheidung, einem Dualismus von Subjekt und Objekt, Geist und Natur verweigert. Der Mensch steht mit seiner objektiven Wahrnehmung, die immer einen Ort hat, mit anderem Wirklichen in Kontakt, weil der Mensch ein körperliches Wesen ist (siehe weiter unten Phänomenologie).2 Waldenfels spricht ähnlich davon, dass die Wahrnehmung »ihre Maßstäbe mit produziert« (Waldenfels 206b, S. 67) und spricht etwas missverständlich von der »schöpferischen Tätigkeit«. Die Wahrnehmung ist das, was in einem Sinnfeld der Fall ist und hinter ihr gibt es keine weitere Repräsentation. Die sensorisch erlebte Umgebung, also der Ort, tritt unter Relevanzbedingungen der Wahrnehmungen in Erscheinung und ist wirklich (Gabriel 2020, S. 24). In dem Sinn gibt es keinen wirklicheren Raum wie beispielsweise den analogen oder den digitalen Raum. Die »stabilen Gegenstände« in einem Sinnfeld sind sinnesspezifisch gegeben (Gabriel 2020, S. 24), besitzen jedoch einen Überschuss, da wir keine isolierten Wahrnehmungsepisoden haben, sondern sie in eine Autobiografie eingebettet sind (Gabriel 2020, S. 27), die im Kreis der anderen in einem Sinnfeld erzeugt wird und die mit den dort befindlichen Dingen bzw. Zeug (Heidegger) ausgerüstet ist. Die Autobiografie ist selbst Teil eines Sinnfeldes, das die existierenden und nicht existierenden Gegenstände durch ein Regelsystem in Erscheinung bringt und einbettet (Gabriel 2020, S. 30). Im Handeln werden Selbstbilder erzeugt: »Das Selbst-Sein ist der schon im Suchen liegende Fund«, wie Gabriel (2020, S. 32) Heidegger zitiert. Handeln benötigt einen »wirklichen sozialen Kontext«, der nicht in seiner Gänze zur Kenntnis genommen werden muss und kann (Gabriel 2010, S. 430) und dennoch eine soziale Tatsache darstellt. Die sozialen Praktiken werden nicht erzeugt, sondern sind wirklich als Praktiken der Akteure (Gabriel 2020, S. 431).
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Zum Begriff Gabriel 2016, S. 184, S. 194, S. 285, S. 369; Gabriel 2014, S. 174ff.; Gabriel 2018, S. 267ff.; Gabriel 2013, S. 35; Benoist 2014, S. 141 Problematisch ist ein Begriff wie »hybrides Subjekt« (Reckwitz 2020), weil er suggeriert, dass das Subjekt etwas anderes sei als seine Erscheinung in einem Sinnfeld.
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Insoweit ist der Geist, also die mentale und körperlich-sinnliche Ausstattung, ein historisch Gegebener, es gibt keinen historischen Geist (Gabriel 2020, S. 40). Wenn insoweit die Wahrnehmung als Ursache für das Erkennen eines Sinnfeldes verstanden wird, ist diese immer schon bei den Dingen, die sie objektiv wahrnehmen. Die körperlich-geistigen Lebewesen, also die Menschen, kommen durch »menschliche Handlungskoordination« zustande (Gabriel 2020, S. 43). Durch die »Anerkennung« wird der Mensch u.a. sozialisiert. Das Soziale lässt sich nicht bis in die letzte Ecke des Menschen ausbuchstabieren und ist insoweit immer intransparent, weil sich das Soziale in die Sphären Privatheit und Öffentlichkeit aufgliedert. Die Menschen, die Akteure verändern das soziale Feld ständig, weil, so Gabriel, der Mensch der Korrektur bedarf. Die erzeugte Einigkeit des Sozialen vereinzelt, weil andere aus dem Feld ausgeschlossen werden und die Akteure in einem sozialen Feld nie ganz darin aufgehen. Das Soziale selbst ist nicht sozial, sondern Teil des Lebewesens (Gabriel 2020, S. 498ff.). Der hybride pädagogische Raum ist ein Sinnfeld mit spezifischen Anordnungsregeln in Abgrenzung zu anderen Sinnfeldern. Die dort gültigen Regeln, die selbst immer wieder auch verändert werden, zur Disposition stehen, sind der Sinn, der als die Relation zwischen den Gegenständen in dem Sinnfeld in Erscheinung tritt (Gabriel 2016, S. 194). Insoweit grenzt sich der hybride pädagogische Raum zu möglichen anderen pädagogischen Räumen und anderen nicht pädagogischen ab, weil dort spezielle Regeln gelten, um sich in dem Sinnfeld zu bewegen und die Dinge wahrzunehmen, die als pädagogische Dinge erscheinen. Sinnfelder sind wirklich, weil es einen Anlass gibt, die Gegenstände wahrzunehmen. Das gilt für materielle als auch immaterielle Dinge. »Das Internet ist kein virtuelles Eigenreich, sondern Teil desselben Wirklichkeitsbereichs, den wir als Lebewesen bewohnen.« (Gabriel 2018, S. 2018; vgl. aus ders. 2016, S. 195) Nicht gemeint ist damit, dass die Lebenswelt selbst digitalisiert werden kann. Dies kann schon allein deshalb nicht sein, weil es eine Standortverhaftetheit der Modelle und Programme und deren Programmier*innen gibt, die keinen allumfassenden Einblick in die Wirklichkeit haben, die sich in indefinite Sinnfelder erstreckt. Gabriel spricht in dem Zusammenhang davon, dass es die Welt nicht gebe. Aus dem Grund seien digitalisierte Gegenstände lediglich als eine Simulation zu verstehen (vgl. auch Gabriel 2018, S. 174). So verstanden ist der hybride pädagogische Raum mit seinen spezifischen Gegenständen ein Sinnfeld, der neben der territorialen Schule in Erscheinung tritt und gleichermaßen wirklich ist. Beide Formen von Sinnfeldern haben unterschiedliche und gemeinsame Gegenstände, die einen je unterschiedlichen Sinn besitzen. Durchaus möglich ist dabei, dass ein Gegenstand eine Identität über verschiedene Sinnfelder besitzt (Gabriel 2016, S. 373), je-
Einleitung – Schule in der Digitalität
doch eine kontextspezifische Prägung hat. Insoweit können wir über institutionell angeleitete Pädagogik in der Breite ihrer Ausprägungen sprechen. Von der Sinnontologie und der Praxistheorie wird ein strukturelles als auch konstruktivistisches Verständnis der Beschreibung von »Welt« gleichermaßen zurückgewiesen. Nicht Strukturen oder ideale Konstrukte schaffen die Wirklichkeit, sondern diese ist immer schon anzutreffen und besitzt keine dahinter liegende Repräsentation der Repräsentation. Sie liegt als artifizielle Umwelt vor Ort und tritt in einem Sinnfeld in Erscheinung. Eine solche Überlegung kann auch bei Waldenfels gefunden werden, der davon spricht, dass die auftretenden Strukturphänomene, die wahrgenommen werden können, die »Erscheinung[en] der Welt« (Waldenfels 2016, S. 66) sind und keine Vorbedingung. Ein Sinnfeld erscheint durch die dort ausgemachten Gegenstände und deren Relationen zueinander als Regelsystem und haben den Status von ontischen Wahrheiten (Gabriel 2020, S. 473). Tatsachen sind Gegenstände, über die man wahre Aussagen tätigen kann. Die Aussagen selbst beruhen auf einem Führwahrhalten, das sich durch die anderen im Konsens oder Dissens als Tatsache erweist. Der Konsens und der Dissens sind wirklich: Eine Vergemeinschaftung, so Gabriel, setzt eine Übereinstimmung in den Urteilen voraus (2020, S. 481). Gleiche Gegenstände können in unterschiedlichen Sinnfeldern erscheinen; je nach Sinnfeld können Gegenstände anders erscheinen (Gabriel 2016, S. 163ff.; 2018, S. 37). Nur so ist es möglich, dass man von Pädagogik sprechen kann, die in verschiedenen Sinnfeldern jeweils anders in Erscheinung tritt. Unter den Gegenständen in einem Sinnfeld können artifizielle Gegenstände wie auch Akteure ausgemacht werden, die sich in dem Sinnfeld befinden. Zur Beschreibung eines solchen Sinnfelds bietet die Praxistheorie ein widerspruchsfreies Vokabular an, ohne nachhaltig mit der Sinnfeldontologie in Konflikt zu geraten. Mit der Praxistheorie werden insbesondere die Rolle der Artefakte und deren Zusammenspiel mit den Akteuren als Praxis begriffen. Der hybride pädagogische Raum kann so in seiner besonderen Form von der territorialen Schule abgegrenzt und deren Zusammenspiel so beschrieben werden. Wo die Sinnontologie – entsprechend dem Ansatz – die Grundlage für die Beschreibung von Wirklichkeit bietet, kann mit der Praxistheorie die Handlungsebene in dem hier stehenden Zusammenhang differenzierter ausgemacht werden. Die hier verwendete Praxistheorie3 , die sich an den Ansätzen von Latour und Reckwitz orientiert, kann dort ins Spiel kommen, wo die Ausbildung des Regelsystems in einem Sinnfeld beschrieben wird. Zunächst wird in der Praxistheorie hervorgehoben, dass die Praxis sich aus dem Zusammenspiel von Akteuren und artifiziellen Dingen erzeugt: »Der Einzel3
Wenn hier von der Praxistheorie gesprochen wird, dann liegt damit eine Vereinfachung vor, da der Theorieansatz unterschiedliche Zugriffsweisen besitzt. Wie gesagt, orientiere ich mich vorzugsweise an den theoretischen Ausführungen von Andreas Reckwitz.
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ne als ein vorkultureller Körper wird zum Subjekt durch die Partizipation an Praktiken« (Reckwitz 2020, S. 55, Hervorhebung im Text). Gabriel spricht ähnlich davon, dass soziale Tatsachen deswegen existieren, weil der Mensch sozial ist (2020, S. 498). Körper und Geist werden nicht zugerechnet, sondern sind eingebunden in die sozialen Praktiken, die das Subjekt als soziale Subjekte hervorbringen und in diesem Prozess genauso wirklich sind wie die Gegenstände, die in einem Sinnfeld aufgrund der schon bestehenden Regeln erscheinen. Gabriel spricht vom sozialisierten Organismus und meint damit, dass sich die nicht soziale Natur immer schon in einem Habitualisierungsprozess befindet, der sich bei und mit den anderen vollzieht, da wer »einer Regel folgt, folgt zunächst einem Vorbild« (Gabriel 2020, S. 465). Schatkzi (2016) beschreibt die Praxistheorie als »flache Ontologie«. Gemeint ist damit, dass sich das Soziale nur auf einer Ebene abspielt und eine einzige Realitätsebene voraussetzt (S. 30ff.). Die Praxistheorie rehabilitiert, ähnlich wie die Sinnfeldontologie, den Körper und die artifiziellen Dinge, die als Konstituenten von sozialer Praxis in einem Sinnfeld beschrieben werden. Sie bilden eine unhintergehbare Wirklichkeit: »Das Wirkliche lässt sich nicht falsifizieren, denn es falsifiziert« (Gabriel 2020, S. 455; Hervorhebungen im Text). Es kann keine wie auch immer geartete, vorgelagerte Ebene, eine wirkliche Wirklichkeit als Ganzes beschrieben werden. Vielmehr zeigt sich Wirklichkeit in der Praxis, im Sinnfeld. Insoweit wird auch von Reckwitz eine Metaphysik zurückgewiesen (vgl. Reckwitz 2003, S. 291). Gabriel spricht vom »objektiven Geist« – im Sinne eines Lebewesens, das sich selbst zum Gegenstand machen kann – als sozial produzierte Tatsache durch die menschlichen Lebensformen (Gabriel 2020, S. 431ff.). Dissens besteht darin, dass etwas anderes anders gesehen wird und ist ontologisch als »menschliche Vergesellschaftung« anzusehen (Gabriel 2020, S. 432). Eine soziale Tatsache besteht dann, wenn die Mitglieder dies annehmen (Gabriel 2020, S. 435). Anerkennung und Dissens sind bei Gabriel der Motor, der soziale Tatsachen produziert. Dabei sind die diskursiven Praktiken wie auch das Fürwahrhalten wirklich und unterliegen keinen weiteren Vorausbedingungen wie »geistige[n] Phänomene[n]«, die sich nicht auf etwas anderes reduzieren lassen« (Searl 1987, S. 325). »Das Bestehen und das Deklariert-worden-Sein einer sozialen Tasche koinzidieren ontologisch.« (Gabriel 2020, S. 467) Wenn Gabriel von der realen Sozialisation spricht, ist er der Praxistheorie dort nahe, wo sie ein Subjekt ansetzt, das ebenso als ein körperlich-sensorisches, intentionales Wesen angesehen wird. Die Praktiken besitzen eine »Realität als Erregungszustand« (Reckwitz 2016, S. 171) und sind materiell und kulturell zugleich (Reckwitz 2016, S. 165). Jede soziale Ordnung ist auch eine affektive Ordnung (Reckwitz 2016, S. 169) und immer »sinnhaft gerichtet, im phänomenologischen Sinne intentional« (Reckwitz 2016, S. 173).
Einleitung – Schule in der Digitalität
Die Aktanten, wie sie bezeichnet werden, werden als Entitäten verstanden, die andere Entitäten mit der eigenen Identität beschreiben und so ein spezifisches Verständnis aus der Praxis erzeugen. In unterschiedlichen Praxen können gleiche Entitäten mit unterschiedlichen Praxen bzw. in einem Sinnfeld gültigen Regeln beschrieben werden. Sie bilden die kleinste Einheit (Reckwitz 2020, S. 50; 2018, S. 37) in einem Sinnfeld. Die Artefakte wie Computer, Räume oder digitale Räume sind Teilnehmer von sozialen Praktiken und haben »narrativ-hermeneutische, ästhetische, gestalterische, ethische und/oder ludische Eigenschaften.« (Reckwitz 2018, S. 121) Beispielsweise wird das Design als eingeschriebene soziale Absicht betrachtet, die Möglichkeiten eröffnet, andere verbirgt oder ausschließt. Gegenstände werden sinniert, gebraucht und im Gebrauch eingeübt. Die Akteure sind durch das Selbstbewusstsein in der Lage, »sich des Umstandes bewusst [zu] werden, dass sie sich auf alles Mögliche beziehen können« (Gabriel 2016, S. 289). Wenn sich der Mensch, so Gabriel (2020), auf Dinge bezieht, dann erfolgt dies über das Wahrnehmen. Gemeinhin wird die Wahrnehmung mit Repräsentationen in Verbindung gebracht, also der Repräsentation des Dinges X als Y. Wie die Diskussionen in den Kognitionswissenschaften zeigen (Fingerhut/Hufendiek/Wild 2017; vgl. auch Latour 2017, S. 365), ist nicht deutlich, was diese Repräsentation der Repräsentation eigentlich ist, ohne selbst wiederum ein artifizielles (Zeichen-)System zu erzeugen. Sinnesdaten besitzen keine Privatsprache. Die Sinnontologie verweist darauf, dass Wahrnehmen und Dinge Teil des Denkens sind: Wir nehmen wirklich Dinge wahr, »weil die Gegenstände, die wir wahrnehmen, faktisch nicht kausal von unserem Geist unabhängig sind« (Gabriel 2020, S. 349). Aus diesem Grund umfasst das Denken die Dinge, ist von ihnen nicht zu trennen, weil es »keinen reinen Fall des Sehens« (Gabriel 2020, S. 351) gibt. Wie die Sinnfeldontologie wird in der Praxistheorie davon ausgegangen, dass die Subjekte keine psychisch-mentalen Systeme mit einem »inneren Kern sind«, »the ghost in the machine« (Reckwitz 2020, S. 46). Das Subjekt ist eine »körperlich-mentale Entität« (Reckwitz 2020, S. 47; Latour2017, S. 359ff.), umgeben von symbolischen Ordnungen. Die »Akteure sind nicht isoliert, sondern gehören immer auch einem Set »organisierter Aktivitäten« an (Schatzki 2016, S. 34). Wenn man vom Handeln der Akteure in einem Sinnfeld spricht, dann sind diese nicht von dem Sinnfeld abgeschnitten, sondern als »routinierter Strom der Reproduktion typisierter Praktiken« (Reckwitz 2003, S. 294) im Sinnfeld zu verstehen, was dadurch erst überhaupt in Erscheinung tritt, weil jedes Ding den Unterschied zu einem anderen Feld macht (Latour 2017, S. 123). Die Akteure sind neben den Artefakten eine Komponente (Hillebrandt 2016, S. 79), die die Wirklichkeit ausmacht. Da die Dinge in einem Sinnfeld erscheinen, sind sie spezifisch und gehören einem Zusammenhang an. Die Praxistheorie thematisiert diese spezielle Ausgestaltung auf der analytischen Ebene, indem sie die Machart als das Spezifische des Sinn-
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felds, des Praxisfelds hervorhebt (vgl. ähnlich Latour 2017, S. 130). Dinge, die in einem Sinnfeld erscheinen, zeigen ein prozessuales Wissen als Praktik auf, das ein soziales Verständnis zeigen. Dinge besitzen eine Selbstverständlichkeit durch ihr Erscheinen. Doch sie determinieren die Handhabung nicht, sondern eröffnen selbst immer wieder auch eine Möglichkeit, anders mit ihnen umzugehen. Das Befolgen von Regeln ist konstitutiv für das Soziale (Gabriel 2020, S. 555), weil ein Dissens über Abweichung erfolgen kann, der erfolgt, weil der Mensch ein Lebewesen ist (Gabriel 2020, S. 499) und immer einen Handlungsspielraum (S. 459) und einen freien Willen hat (S. 446): »Menschen sind soziale Denker« (Gabriel 2020, S. 433). Handlung ist mehr als bloßes Regelbefolgen (Waldenfels 2016b, S. 86). Waldenfels spricht von der Sinnkonstanz, die nicht abgeschlossen ist und hergestellt wird (Waldenfels 2016b, S. 47ff., S. 87). Latour spricht von dem »Irreduktionsprinzip«, und meint damit, dass die Nutzung und das Handeln der Menschen offen sind (vgl. Latour 2017, S. 186, S. 370ff.). Die Offenheit einer solchen Praxis ist nicht allein dem Subjekt zuzuschreiben, sondern liegt in der Praxis selbst, in der Unberechenbarkeit der Umstände, der Zeitlichkeit des Vollzugs, den sozialen Feldern, in denen Praktiken zusammenhängen und mit anderen Feldern in Berührung kommen. »Praktiken sind in einem kollektiven Besitz« (Schmidt/Volberg 2011, S. 31). Menschen besitzen einen Sinn für Normen, die mit den anderen als solche erscheinen (Gabriel 2020, S. 461). Betont wird in der Praxistheorie und der Sinnfeldontologie, dass das Subjekt jeweils eine Eigenlogik besitzt. Es muss immer das eigenwillige Subjekt (Holzkamp 1993) in Rechnung gestellt werden, das anders entscheiden kann und keinem zwingenden Determinismus unterworfen ist (vgl. auch Gabriel 2020, S. 446); sondern menschliche Praxis besitzt immer auch den »Spielraum« (Waldenfels 1980, S. 265). »Die Praxis ist […] unvollkommen im Sinn von ›ergänzungsbedürftig und anschlussfordernd‹, insofern ihre Vollzugswirklichkeit in Gesellschaftlichkeit gegründet ist.« (Bertau 2015, S. 89) Eine »Praktik« beinhaltet insoweit eine Erwartungshaltung, die sich aus der Erfahrung speist und als eine historisch gewordene Praktik verstanden werden kann. Dies hat bereits der Pragmatismus gezeigt, wie ihn Dewey ausformuliert hat. Die Erfahrung ist demnach das Hintergrundrauschen jeder Praxis, da diese aus einer Erfahrung kommt. Das Soziale ist ein »Netzwerk«, im Sinne von Latour die Vernetzung von unterschiedlichen Akteuren und Artefakten. Zurückgewiesen werden sowohl objektivistische wie auch subjektivistische Annahmen, vorauseilende Annahmen des Sozialen werden abgewiesen. Gefragt wird nach einem dritten Weg, wie soziale Praktiken aufrecht erhalten bleiben und verändert werden können (vgl. Alkemeyer/Buschmann 2016, S. 116). Es wird keine absolute Abgrenzung von Subjekt und Objekt vorgenommen, ohne zugleich zu behaupten, dass die artifiziellen und
Einleitung – Schule in der Digitalität
natürlichen Dinge ein Eigenleben besitzen. Vielmehr wird darauf aufmerksam gemacht, dass der »Kontext« selbst eine erzeugte Wirklichkeit darstellt, da wir uns immer schon in einer artifiziellen Umgebung wiederfinden: »Die nicht-menschlichen Aktanten sind aktive Bestandteile jeder Praxis« (Hillebrandt 2016, S. 85). Für den hybriden pädagogischen Raum ist das wichtig, da dieser immer auch bei den Dingen ist, weil Digitalität eine materielle Grundlage besitzt, so, wie die Bildung auch zuvor immer auch medial zu verstehen ist. Praxis ist ein interaktives Vollzugsgeschehen (Alkemeyer/Buschmann 2016, S. 124), das auf Abstimmung beruht. Hier sind deutliche Anschlüsse zu Gabriels Verständnis von Konsens und Dissens als Motor sozialer Veränderung zu sehen. Hervorzuheben ist, dass sowohl die Dynamik der Veränderung als auch die Praktik als Routine zugleich betrachtet werden müssen. In Anlehnung an Waldenfels und der Phänomenologie verweist er auf die Tatsache, dass bereits die Wiederholung zu einer Differenz führt, da sie nicht aus der Erfahrung und der Situiertheit des noch nicht Geschehenen ausbrechen kann (vgl. auch Schäfer 2016, S. 140ff.). Gabriel spricht von Regeln, die das Sinnfeld in Erscheinung bringten (vgl. auch Allert/Asmussen 2017, S. 47), die als Konventionen beschrieben werden können und präskriptiv sind (Waldenfels 2016b, S. 83ff.). Unterschieden wird zwischen Praxis als ein zufälliges Geschehen, das im Rückblick als Praktik beschrieben werden kann, und Praktik. Die Praktik selbst ist ein typisiertes Bündel von sprachlichen und nicht sprachlichen Aktivitäten. Unter Heranziehung der Sinnfeldontologie gibt es nicht nur die eine Praxis und die eine Praktik, sondern diese sind selbst wieder in Sinnfeldern, die selbst erst durch die Praxis und Praktik in Erscheinung treten. Insoweit kann eine Praxis und Praktik auch von anderen Sinnfeldern selbst wieder beobachtet werden, weil eine Distanz und ein anderes Feld bestehen, die aus dem eigenen Feld heraus beobachtet werden können. Subjekte werden, wie auch ähnlich in der Sinnontologie von Gabriel, als dialogisch ausgerichtet und als auf den anderen (siehe auch weiter unten Phänomenologie) bezogene Wesen verstanden – als »positioniert-positionierend« (Bertau 2015, S. 94; ähnlich Gabriel 2020, S. 451). »Alterität wird vom Selbst (aus der Begegnung mit dem anderen, HJV) in nicht sprachlichen und sprachlichen Tätigkeiten erfahren, sie nimmt dabei spezifische Formen an« (Bertau 2015, S. 95). Wie Gabriel ähnlich hervorhebt, ist die Anerkennung als diskursive Praktik (2020, S. 466) und der Dissens als ein Denken mit anderen (Gabriel 2020, S. 451) ein Vorgang, der Normativität in Erscheinung treten lässt: »Am Anderen führt kein Weg vorbei.« (S. 451). Der Konsens der Gruppe produziert das andere (ähnlich Gabriel 2020, S. 45; Waldenfels 2016b, S. 174). Die Anwesenheit an einem Ort besitzt schon die Möglichkeit der Veränderung der Praxis, da es keine deckungsgleiche Wiederholung geben kann. Latour spricht davon, dass Handeln »dislokal«, immer verschoben und so nur ähnlich ist (2017, S. 82). Praktiken bekommen durch Wiederholung eine ei-
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gene Identität (Shove und Panzer 2016, S. 108), ohne dass sie abgeschlossen sind. Sie sind immer auch offen für eine Veränderung. Stabilität und Veränderung sind ein wesentliches Kennzeichen über den Konsens, dass es eine Praktik gibt. Der »Habitus« (Gabriel 2020, S. 465, Waldenfels 2016b, S. 136ff.) kann als Objektivierung des Sozialen aufgefasst werden, der den Vollzug der Praxis anzeigt (vgl. Hillebrandt 2016, S. 77). Er ist, so Hillebrandt, als eine körperliche Verstrickung zu verstehen, die die Praxis selbst ausmacht und wirklich ist. Es liegt also keine wie auch immer geartete Vorbedingung zugrunde, sondern es handelt sich um die Wirklichkeit selbst, die keine weitere Hinterbühne besitzt. Anders als teilweise behauptet, schreiben sich die Diskurse nicht in die Körper ein, da dies eine doppelte Wirklichkeit von einem wirklichen Körper (vor der Praxis) bedeuten würde. Die Körper und die Diskurse in einen Sinnfeld sind wirklich und erzeugen die Praxis. Das steht auch nicht im Widerspruch dazu, dass es auch nicht soziale Tatsachen gibt. Mit dem Körper sind die Akteure und die artifiziellen Dinge auch »verortet«. Die Orte sind im Sinne der Praxistheorie singuläre Räume, in denen sich Objekte und Subjekte befinden und arrangieren, eine Eigenkomplexität ausbilden. Orte sind in dem Sinn »eigenlogische Orte«, die durch die spezifischen Regeln als Praktik, als Sinnfeld in Erscheinung treten (Reckwitz 2018, S, 61).4 Die dort bestehenden Praktiken sind wirklich und bestehen aus den Akteuren, deren Tun und Sprechen und dem gemeinsamen Verständnis: »[D]er Ort des Sozialen ist eine Menge verbundener Praktiken und Arrangements« (Schatzki 2016, S. 33). Wie Heidegger aufzeigt, kommen wir immer irgendwohin, wo es andere und Zeug gibt, wo ein »Man« existiert. Das gilt auch für das Globale, das immer einen spezifischen Ort benötigt, um in Erscheinung zu treten und sich lokalisieren lässt (vgl. auch Hillebrandt 2016, S. 87). Die soziale Welt existiert aus verschiedenen sozialen Feldern, wobei die Institution der Schule eines davon darstellt. Dort gibt es unterschiedliche Praktiken wie intersubjektive Formen des Gesprächs, interobjektive Praktiken im Umgang mit Objekten und Artefakten (siehe auch Gabriel 2018, S. 58) und letztlich selbstreferenzielle Praktiken wie den Umgang mit sich selbst. Die in den sozialen Feldern erzeugten Selbstverständlichkeiten sind einem ständigen Wandel unterworfen, da die vorhandenen Praktiken nicht determinieren, sondern als Angebote, als eine Möglichkeit verstanden werden müssen, die durch die Performance und Ausgestaltung durch die Akteure immer auch etwas anders ist und so einem stetigen Wandel unterliegen. Letzterer darf aber nicht so verstanden werden, dass dieser konfliktfrei verläuft. Der phänomenologische Ansatz, der Anleihen vorzugsweise bei Waldenfels vornimmt, ist anschlussfähig zur Sinnfeldontologie und zur Praxistheorie. Wie bereits 4
Von »space« wird hier im Sinn einer sozialen Logik des Allgemeinen gesprochen (vgl. auch Lefebvre 1991).
Einleitung – Schule in der Digitalität
weiter oben anklingt, sind der Körper und der Leib der Faktor, der den Menschen, die Akteure eine Position in einer Praxis, in einem Sinnfeld einnehmen lässt, der immer einen Standort benötigt. In den zuvor dargestellten Ansätzen ist dieses Thema durchgehend präsent, ohne selbst eingehend diskutiert zu werden. Doch wenn man über die Glokalität spricht, muss berücksichtigt werden, wie der Ort selbst bewohnt wird. Die Glokalität, durch die die Schule ausgewiesen wird, ist ein Knotenpunkt zwischen dem Ort und dem abstrakten Globalen. Die Menschen sind an unterschiedlichen Orten, die sie als körperliche und leibliche Wesen bewohnen. Auch der Begriff Intention muss in diesem Zusammenhang genannt werden. Aus der zuvor geführten Darstellung sollte klar sein, dass hier keine Innerlichkeit in Abgrenzung zu einer Äußerlichkeit verfolgt wird bzw. eine »innere Repräsentation«, die die äußere Repräsentation repräsentiert, die zu Plausibilitätsproblemen führt. Das Soziale und das Denken im Sinne der Sinnontologie weist aus, dass es eine falsifizierbare Handlungskoordination gibt, die auch das eigene Handeln bewertet (Gabriel 2020, S. 501, S. 547), was wiederum einer Intention bedarf. Im Rahmen der Praxistheorie existiert eine Diskussion, inwieweit der Begriff der Intention für den theoretischen Zugriff tragfähig ist, ohne eine neue Metaphysik einzuführen. Der hier vertretene Ansatz sieht hierin kein Problem. Intentionalität zeigt zunächst auf, warum jemand etwas tut (Gabriel 2015, S. 61, ders. 2018, S. 100): »Intentionalität besteht […] aus einem Selbst, einem Inhalt und einem Gegenstand« (Gabriel 2018, S. 219). Die Bewusstseinsinhalte sind objektive Gedanken (Gabriel 2018, S. 295, S. 312). Ein intentionales Handeln der Akteure plausibilisiert das Handeln, ohne dass man Gefahr läuft, eine Isolation anzunehmen, die das Subjekt auf sich selbst bezieht und von der Umgebung abtrennt (vgl. Reckwitz 2003, S. 291). Ansonsten wird das Handeln von der Praxis abgetrennt, die dann »intentionales Produkt« eines Handelnden ist (Reckwitz 2020, S. 51). Das Handeln ist primär immer schon mit dem Sinnfeld bzw. dem Praxisfeld verbunden, weil wir immer schon bei den Dingen sind, wie Heidegger (2001) es ausdrückt. Denn Intention setzt Wissen voraus, um Codes und Regeln zu verstehen. Die Intention beruht zugleich auf den habitualisierten Routinen, den prozessualen Abläufen, die die Intention tragen. Intention beruht auf dem sozialisierten Denken, das zugleich der denkende Körper ist. Intersubjektive Praktiken beziehen sich auf Artefakte, interobjektive Praktiken auf Objekte und den geregelten Umgang mit ihnen, die durch die Machart, das Design der Artefakte »sich ausdrücken und von Feld zu Feld variieren können. Letztlich die (intersubjektiven) Praktiken, die sich auf die selbstreferenziellen Praktiken wie die biografische Selbstverortung beziehen. Bröckling spricht in Anlehnung an Foucault von der »Faltung«: »Das Innere ist nichts anderes als ein sich selbst zurückgewendetes Äußeres – und umgekehrt« (Bröckling 2019, S. 34). Handeln kann, laut Waldenfels »als Auseinandersetzung mit etwas, was dem Handelnden aus der physischen Welt, der sozialen Welt oder der Eigenwelt begegnet« (Waldenfels 2016b, S. 132) beschrieben werden.
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Das Sinnfeld, die Praxis oder das »Zeugganze« (Heidegger) sind Verweise, dass die Sinnontologie, Praxistheorie und die Phänomenologie den Ort und seine Ausgestaltung als Ort bzw. als Ausgangspunkt nehmen, um die Wirklichkeit zu beschreiben. Die Praxistheorie spricht davon, dass das Globale lokalisiert wird (Latour 2017, S. 299). Das meint, dass die Akteure das Lokale, den besonderen Ort, das Sinnfeld dort ausmachen, von wo sie es wahrnehmen. Das Makro, das Ganze beschreibt nicht mehr die lokale Stätte (Latour 2017, S. 304; Gabriel 2013, S. 96ff.), weil diese Beschreibung keinen Standpunkt besitzt. Menschen sind insoweit intentional auf wirkliche Orte bezogen. Wahrnehmung, Aktivität, Wissen usw. sind ein Bündel von Dispositionen (Reckwitz 2020, S. 52), die das Handlungsfeld, das Sinnfeld bedeutsam machen und eine Differenz zu anderen Orten erzeugen: Wissen um etwas bedarf eines anderen, das nicht dieses ist. Waldenfels (2016b) spricht von »Handlungsfeldern«, die sich von anderen abheben (S. 134). In Verbindung mit Gabriel befinden sich die Akteure in einem Sinnfeld (Gabriel 2013, S. 222ff.), an einem Ort, der den Ort zum Ort macht, von dem man auf andere Sinnfelder schaut. Die mit den Orten existieren, weil wir uns täuschen können, sie falsifizieren können und die Wirklichkeit der Hintergrund der Falsifikation ist. Die Situation ist eine Form der Wahrnehmung des Kontextes, was eine reflexive Distanzierung und den Ort voraussetzt, die Situation zugleich selbst wiederum verändert (vgl. auch Albers 2015, S. 208ff.). Nur so kann der Ort zu einer »Umwelt« werden (Waldenfels 2016b, S. 186). Doch das Hier schimmert, wird ungenau, da man in verschiedenen Räumen zugleich sein kann. Es handelt sich um eine »gestaffelte Welt«: hier und anderswo, ich bin mehr oder weniger hier, es gibt Übergänge von Hiersein und Dortsein, Hier und Anderswo können in einen Konflikt treten (Waldenfels 2016b, S. 207ff.). Doch sie können nur deshalb in einen Konflikt treten, weil sie einer gleichen Wirklichkeit angehören, deren Regelsystem im Sinne von Gabriel falsifiziert wird: Was heißt es, an einem Ort zu sein? Man kommt immer in eine Praxis und die Menschen wachsen nicht an Bäumen (Gabriel 2020, S. 43). An solchen Orten sind die anderen und die Gegenstände, mit denen man umgeht. Letztere treten nicht allein auf, sondern sind immer in ein »Zeugganzes« (Heidegger 2001, S. 68) eingebettet. Praxis ist auch für Waldenfels mehr als eine Anwendung von Normen und Regeln, sondern ein »immer auch gemeinsames […] Schaffen von Kontexten und Situationen im Anknüpfen in vorgegebenen Kontexten und Situationen« (S. 305; Hervorhebung im Text). Erst mit dieser Einbettung mit den anderen Gegenständen erhalten die Dinge soziale Bedeutung, da eine »Um-zu-Bedeutung« im Sinnfeld entsteht, die die Praxis erst ist: »Welt ist in allem Zuhandenen immer schon ,da‹« (Heidegger 2001, S. 83). Dabei ist die Wirklichkeit auch hier abhängig von den realen Bedingungen (Waldenfels 1980, S. 119).
Einleitung – Schule in der Digitalität
Die Praxistheorie wie auch die Sinnfeldontologie verweist auf den Körper, der einen Standpunkt besitzt, denn das Soziale ist ein körperlicher Vollzug, von dem der Geist nicht zu trennen ist (Gabriel 2020, S. 446): Der »Geist« umfasst den gesamten Menschen. Wenn man hingegen vom substanzhaften Körper ausgeht, dann ist dieser auf eine Natürlichkeit reduziert, die selbst wieder kulturell überformt wäre (vgl. Bedorf 2015, S. 136). Praktiken schließen den gesamten Körper ein, der zu einer Zeit und an einen Ort gebunden ist und eine wirkliche Wahrnehmung besitzt (Waldenfels 2016, S. 45). Wie wir oben gesehen haben, ist der Ort selbst spezifisch in dem Sinn, dass er so erscheint wie er ist und als Differenz zu anderen Orten wahrgenommenen wird, weil diese wirkliche andere Orte sind. Die Pädagogik ist lokal, weil sie es mit Menschen zu tun hat, die an einem Ort sind. Wenn sich der Ort verändert, muss sich auch die Pädagogik verändern, ohne jedoch das Axiom aufzugeben, dass sie es mit leiblichen Menschen zu tun hat, die immer verortet werden können. Der hybride pädagogische Raum ist einer der Orte. Der Körper, der beherrscht wird, und der Leib, der mich beherrscht als quasi natürliche Leiberfahrung (Plessner 1982), werden sowohl von der Sinnfeldontologie als auch der Praxistheorie dahingehend bestritten, dass es keine vorgelagerte Natürlichkeit gibt. Natürlichkeit selbst setzt immer schon ein Verständnis voraus. Das scheint zunächst problematisch im Rahmen der Phänomenologie. Die Sinnontologie bestreitet nicht – wie dies auch für die Praxistheorie der Fall ist –, dass es nicht soziale Tatsachen gibt, die man »Natur« nennt und dass in speziellen Sinnfeldern gearbeitet wird. »Der menschliche Organismus [aber] ist sozial produziert« (Gabriel 2020, S. 464), der leiblich in der »Welt« ist, die die anderen nicht unberücksichtigt lassen kann (vgl. Bedorf 2015, S. 140) und selbst als sozialisiert aufgefasst werden müsste (Bedorf 2015, S. 145), weil der menschliche Organismus mit der Fremdheit durchsetzt ist (Waldenfels 2002, S. 413). Der Leib gibt in dem Sinne keine ursprüngliche natürliche Leiberfahrung, die sich auf eine vor-soziale Tatsache bezieht: »Der Leib gehört dem zu, was er selbst erst ermöglicht« (Waldenfels 2016c, S. 313), er »ist immer mit da« (Waldenfels 1980, S. 34) und stellt als »Medium« ein »Urskript« (Waldenfels 2002, S. 36) dar, das dem Denken angehört und ihm einen Ort im Raum gibt. Das heißt umgekehrt nicht, dass der Leib als eine exklusive wirkliche Ebene nicht existiert, die nicht bis ins Letzte ausbuchstabiert oder in einen Binärcode übersetzt werden kann. Alle drei Theorieansätze verweisen mehr oder weniger auf die körperliche und leibliche Verortung der Subjekte (Waldenfels 1980, S. 34). Sie ist die Voraussetzung, um die Wirklichkeit wahrzunehmen. Die körperliche Anwesenheit ist auch die Bestimmung dafür, wie sich die Lokalität und die Globalität im glokalen Ort ausdrücken. Zugleich ist es auch die Grundlage für die Differenz zwischen dem Digitalen und der physischen Anwesenheit, die nie in dem Binärcode aufgehen kann. In dem Sinn ist der hybride pädagogische Raum immer beides: die Anwesenheit
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als körperliche und leibliche Subjekte und die Konnektivität über den Ort in einer spezifischen Form von Medialität. Die Sinnontologie spricht vom Denken, das den ganzen Menschen in Anspruch nimmt. Die Praxistheorie vom Akteur, der als körperlich-mentale Einheit gesehen wird, die in sozialen Praktiken Routinen, typische Tätigkeiten und Erwartungen ausbildet, die die Praxis des Sinnfeldes ausmachen. Die Welt besitzt natürliche, artifizielle und soziale Arten (vgl. Ferraris 2014, S. 100ff.). Der Gebrauch von Regeln, wie Gabriel aufzeigt (die Praxistheorie wird von Praktiken sprechen), »generiert ein Sinnfeld« und ist nur mit den Dingen zusammen zu erhalten (Gabriel 2016, S. 364, S. 466ff.; Reckwitz 2018, S. 37). Ein solches soziales Feld besteht nicht nur aus den Subjekten, also den Akteuren, sondern auch aus den Artefakten, also hergestellten Dingen und Räumen, die »für etwas« konzipiert und hergestellt wurden, die Bewegungen anbieten oder ausschließen. Es gibt keine nicht wirklichen Gegenstände. Sie sind da, weil sie eine »Aufmerksamkeit« besitzen (Gabriel 2020, S. 392). Denn sie sind in einer sozialen Tatsache eingebettet, die das Sinnfeld ausmacht. Gegenstände werden durch das Sinnfeld »individuiert« (Gabriel 2020, S. 398) und sind insoweit keine abstrakten Gegenstände, die quasi in einem luftleeren Raum erscheinen. Der Leib hat einen bestimmten Bezug zum Raum, weil die Bewegung des Leibes den Raum erzeugt und nicht einen leeren Raum voraussetzt (vgl. Waldenfels 2016, S. 110ff.): »Das Hier ist nicht einfach eine Raumstelle unter anderen, sondern gleichsam der ›Nullpunkt‹, von dem aus der Raum sich erschließt« (Waldenfels 2016, S. 123) und selbst bildet, indem ein Netz zu anderen Menschen erzeugt wird. Das Territorium ist ein Gegenstand in einem Sinnfeld, der die eine Möglichkeit darstellt, die zunehmend infrage steht, weil sich die Praxis ändert. Das hat auch Auswirkungen auf die Akteure. Die Akteure und Aktanten zusammen bilden ein Sinnfeld und besitzen eine Erfahrung beinhaltende Praxis (wie Waldenfels hervorhebt), die wiederum etwas als etwas erscheinen lässt. (Waldenfels 2002, S. 379). Jeder körperliche Akt basiert auch auf einem von anderen geteilten Verständnis, auch dann, wenn es nicht erfüllt wird, da das Andere die Gruppe bildet; eine Erwartung wird erfüllt oder nicht und irritiert im letzteren Fall, weil die Erwartung nicht erfüllt wird. Wenn der Leib immer gesehen wird (Waldenfels 2016, S. 121), kann jede Handlung falsifiziert werden.
1. Glokalität
Wir leben in einer Welt, die als »global« beschrieben wird. Die Welt, der »Globus«, hat sich nicht verändert, jedoch sind die Transport- und Kommunikationswege unter dem Aspekt der Zeit massiv gesenkt worden. In diesem Sinn ist die Welt »geschrumpft«. Auf welchen Zeitpunkt die Globalisierung datiert werden kann, ist nicht ganz klar: Ob 1492 mit der Landung von Kolumbus auf Guanahani (San Salvador) oder um 1415 mit der portugiesischen Eroberung der marokkanischen Karawanserei Ceuta. Auf jeden Fall handelt es sich bei den Beispielen zumindest um Etappen der Globalisierung. Lange Zeit war das Problem, wie schnell der Raum überbrückt werden kann, um von Punkt A nach Punkt B zu gelangen. Mit der physischen Expansion setzt auch eine schnellere Kommunikation über den Raum hinweg ein. Neben dem Buchdruck im Jahr 1442 stellt die Erfindung des Telegrafen im Jahr 1837 eine erste kommunikative Beschleunigung dar, die seitdem ununterbrochen anhält und in der Echtzeitkommunikation in Bild und Ton mündet. Zugleich ist die Kostensenkung ein wichtiges Kennzeichen der Globalisierung, wie Stiglitzer (2002) herausstellt. Noch nie war es so kostengünstig, jemanden in der Welt zu kontaktieren, Informationen zu speichern und in Echtzeit Daten zu teilen. Nur so war es möglich, dass die Globalisierung nicht nur auf der wirtschaftlichen Ebene verblieb, sondern alltäglich wurde. Globalisierung ist eine umfassende Verflechtung von Ländern, Wirtschaften und Menschen. Spätestens seit Entwicklung und Nutzung des Internets ist die Globalisierung nicht nur eine Veranstaltung, der aus der Ferne zugesehen wird und die eine Notiz in der Zeitung darstellt. Nunmehr ist jeder Einzelne Teil der globalen Bewegung. Mobile Geräte wie das Smartphone ermöglichen, dass wir an mehreren Orten zugleich sind. »Das Just-in-time-Denken, das ursprünglich aus den Bereichen Militär und Logistik stammt und auf der Logik der Kontrolle basiert, prägt zunehmend auch unseren Alltag. […] ›Sofortness‹ und ›gogitale Ungeduld‹ sind die neuen Zauberworte« (Weyer 2019, S. 14). Neben dem »Schrumpfen« der Welt werden auch die Entfernungen (siehe Raumbegriff, Kap. 2) selbst neu vermessen. Ging es am Anfang um eine enorme
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Der hybride pädagogische Raum
Abbildung 2: Glokalität
Beschleunigung der Datenübertragung, gerät mehr und mehr die Aufhebung traditioneller Räume in den Fokus der Öffentlichkeit. Es gibt nicht nur den physischen Raum, sondern auch den sozialen Raum, der im Netz zu finden ist. Ständig bewegen wir uns zur gleichen Zeit in verschiedenen anwesenden Räumen. Die einfache Gliederung des Hier und Jetzt gehört einer anderen Zeit an. Nunmehr sind wir immer in ein globales Feld verstrickt, das an uns genauso wichtige soziale Anforderungen stellt, wie die vormals im haptischen/physischen Raum stattgefundenen sozialen Begegnungen. Prominentestes Beispiel ist die Privatsphäre, die als Bereich immer opaker wird, da die traditionellen Rückzugsräume durch Ortungssysteme, Kommunikationsangebote und Beobachtungsmöglichkeiten immer ungewisser werden. Das Digitale macht vor der physischen Haustür – dem Klassenraum – keinen Halt. Das spürt so dann auch die Schule (Abbildung 2). Die Lernenden einer »Klasse«, die wir unterrichten, werden von unzähligen Unternehmen zur gleichen Zeit beobachtet, die Schüler*innen sind in soziale Netze eingebunden, Nachrichten und Informationen stehen ständig bereit und die Anfragen an die einzelnen Personen hören nicht auf.
1. Glokalität
Auch die Lehrkräfte einer Schule sind gleichermaßen mit der Welt und anderen Kollegen vernetzt; sie twittern, mailen usw. Diese ständige Präsenz mögen einige bedauern. Doch die Medienschelte ist da ein falscher Weg, da die Mediengeschichte zeigt, dass diese Reaktionen geradezu ein Indikator diesbezüglich sind, dass ein gewohntes mediales Handeln sich verändert. Doch die Globalisierung darf nicht so missverstanden werden, dass wir als Menschen diese Globalisierung auch gleichermaßen ungebrochen leben. Wenn wir von der Globalisierung sprechen, dann sind wir immer noch leibliche Wesen, die sich an einem physischen Ort befinden. Wir als Pädagogen sind nicht global, sondern erleben die Globalität aus einer spezifischen beruflichen und pädagogischen Perspektive. Wir schauen von einem spezifischen Ort aus in die Welt und nehmen sowohl den konkreten Ort als auch die Welt aus einer sehr eigenen Perspektive wahr. Wenn die Lehrkräfte und Lernenden sich der globalen Welt zuwenden, sich ständig mit anderen Menschen austauschen, die nicht der Schule angehören, dann geschieht das aus der Perspektive, dass sich ein Akteur an einer konkreten Schule befindet. Ich vergleiche mich, ich frage in die Welt, weil die Frage vor Ort entstanden ist; ich erhalte den Impuls, mich an die Welt zu richten, weil ich an einem Ort bin, der diese Frage aufwirft. Vor Ort sein heißt, in der Praxis der Schule und im Netz zu sein. Dabei ist das Internet kein neutraler Raum, sondern wird, wie sonst auch, durch eine bedeutungsrelevante Wahrnehmung betrachtet. Vielmehr bestehen Perspektiven, Motive, Absichten, die das Handeln im Netz leiten. Doch es wäre naiv, die sozialisierende Wirkung des Netzes für die analoge Welt nicht gleichermaßen zu berücksichtigen. Wir sind in bestimmten analogen Räumen unterwegs, stehen mit Menschen in Kontakt, die unser Denken anregen und mit denen wir uns auseinandersetzen. Wir sind dort in eine Praktik eingebunden, die uns die Dinge im Netz in eine Perspektive rücken lässtn, die Bewegung im Netz mitzubestimmen usw. Vor Ort sein heißt, an zwei Orten zugleich zu sein, die durch die eigene Person vermittelt werden, die ausgehandelt werden müssen und potenziell auch in einem Konflikt zueinander stehen. Ein geeigneter Begriff, der dieses Phänomen beschreibt, ist die »Glokalität«. Unter »Glokalität« wird das Zusammenspiel von globalen Einflüssen und lokalem Wissen, Erfahrungen, Werten, liebgewonnenen Gewohnheiten und Lebensleistungen verstanden. »Der Begriff GLOKAL bebildert hier das ZUSAMMENLEBEN von Menschen LOKALER und GLOBALER Herkunft, als unumkehrbare NORMALITÄT des beginnenden 21. Jahrhunderts – für die Entwicklung von POTENTIALEN und ERFOLG, Projekten und SPIELREGELN, unabhängig von Herkunft.« (Seibert, ohne Zeitangabe; Hervorhebungen im Text, HJV)
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Der hybride pädagogische Raum
Das Globale und das Lokale sind in einer Wechselbeziehung, indem der Einzelne aus der konkreten Umwelt heraus immer auch globalen Einflüssen ausgesetzt ist und diese selbst wieder mitgestaltet. Unter der hier stehenden Frage der Digitalität und der Schule bedeutet das, dass die Schule, die Lehrkräfte und die Lernenden konkret an einem Ort miteinander agieren und Sinn produzieren und zugleich auf Schritt und Tritt mit der Welt außerhalb der Schule in Verbindung stehen sowie mit deren Ideen, kulturellen Vorstellungen, Ansprüchen usw.
Abbildung 3: Das veränderte Interface
Das Schulhaus wird zu einem »globalen Dorf » – um einen Begriff von McLuhan aus seinem gleichnamigen letzten Buch »The Global Village« zu benutzen –, das mit der Welt vernetzt ist. Die Schulwände, das Gebäude, das sich als der besondere Lernort im Industriezeitalter und der Moderne auszeichnete und auch so organisiert wird, wird zu einem Knoten innerhalb der vernetzten Welt. Was es beispielsweise heißt, einen guten Unterricht zu machen, kann jede Lehrkraft mithilfe von Suchmaschinen herausfinden. Sie kann auch sehen, wie die unspezifischen Merkmale, die einem sogleich mitgeliefert werden, in der näheren und weiteren Umgebung umgesetzt werden. Es ist möglich, seine Schule mit anderen Schulen zu vergleichen und zu vernetzen oder gemeinsam Unterrichtskonzepte zu entwickeln usw. Auch die Lernenden sind in einer Schulgemeinschaft vor Ort, zugleich sind sie mit vielen anderen jungen Menschen, die auch eine Schule besuchen, vernetzt.
1. Glokalität
Auch sie tauschen Informationen aus, bilden sich gemeinsam eine Meinung über eine Schule, den guten Unterricht oder bewerten Lehrkräfte. Der gute Unterricht vor Ort hat eine ganz spezifische Ausprägung, die sich nach den spezifischen Bedingungen der Lernenden, Lehrenden und den institutionellen Gegebenheiten, dem lokalen Umfeld usw. richtet und nicht zum Abziehbild einer globalen anonymen Diskurskraft verkommt. Auf der anderen Seite ist es nicht möglich, sich aus dieser Welt herauszuziehen, sondern der globale Diskurs stellt eine Herausforderung dar, die ganz konkret vor Ort über das Smartphone und den Laptop in die Schule kommt und eine Antwort verlangt. Vor Ort muss eine Entscheidung getroffen werden, die wieder das Spezifische dieser Schule ausmacht. Insoweit wird die »Schule«, der Ort der üblichen Verortung, nicht entwertet. Die Vernetzung nach außen hat immer einen Standpunkt, einen konkreten leiblichen Ausgangspunkt, von dem aus die Akteure mit den anderen vernetzt sind. Das, was von außen kommt bzw. eingebracht wird, wird in der spezifischen Praktik vor Ort erneut ausgehandelt. Es wäre naiv, dem Internet einen ungebrochenen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zu unterstellen. Genauso naiv wäre es anzunehmen, dass die Abschottung der Schule von der Welt wie zuvor fortbestehen würde. Latour (2017) spricht im Rahmen seiner Akteur-Netzwerk-Theorie von einer horizontalen kommunikativen Vernetzung, in der das Lokale und Globale miteinander verbunden sind (siehe dazu Praktiken vor Ort). Er wendet sich damit gegen die Vorstellung, dass anonyme Strukturen oder Systeme die Praktik der Akteure vor Ort bestimmen. Latour betont, dass in den Praktiken vor Ort Bedeutungen erzeugt werden, indem die Akteure im gemeinsamen Agieren eine Bedeutung erzeugen. Die Akteure in diesem glokalen Kommunikations- und Handlungsraum werden zum Handeln gebracht, indem die Lernenden und Lehrenden, also die Akteure, in einer konkreten Umgebung, dem Lokalen, agieren. So werden die pädagogische Praxis einer Schule in der Praktik zwischen den Akteuren und Aktanten (Dinge) und eine spezifische Kultur von Unterricht und Lernen vor Ort erzeugt (siehe dazu Kap. 2 unten). »Schulehalten«, »Unterrichten«, »Lernen« sind in ihrer Abstraktion Globalbegriffe, die erst vor Ort ausbuchstabiert und mit Leben gefüllt werden müssen. Viele sind sicherlich mit den vielfältigen Meinungen, Irritation und Diskussionen bei Gesprächen mit den Kollegen über den Unterricht, die Methoden usw. vertraut. Die Lehrkräfte haben eine recht einheitliche und eindeutige Diagnose über die Lernenden (die anders sind als an anderen Schulen), über die Möglichkeiten durch die räumlichen Gegebenheiten, die Infrastruktur der Schule usw. Zugleich ist es ebenso erstaunlich, wie homogen die Vorstellungen über die Möglichkeiten vor Ort sind, guten Unterricht durchzuführen, wie die Lernenden eingeschätzt werden, wie digitale Medien einzusetzen sind usw. Im Schulraum werden an unterschiedlichen Orten unterschiedliche Themen bearbeitet und aus-
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Der hybride pädagogische Raum
gehandelt, indem eine Handlung ausgeführt und miteinander umgegangen wird. In dem Sinn ist auch die Schule ein hoch fragmentierter Sozialraum, der unterschiedliche Akteure zusammenbringt. Das Schulgebäude, in das die Akteure tagtäglich hineingehen, ist das vereinende Element. Was in der einen Schule passiert, passiert nicht in der anderen. Der spezifische Ort und deren Akteure erzeugen jeweils andere Vorstellungen und Selbstverständlichkeiten über die schulische Umgebung. Keine administrative Ebene kann dies leisten, außer die Akteure und Aktanten vor Ort. Der erzeugte »Kontext« bleibt unhinterfragt, wird als »normal« hingenommen und als selbstverständlicher Hintergrund angesehen. Der konkrete Aushandlungsprozess vor Ort lässt den konkreten Ort überhaupt erst als Schule entstehen, in dem jenseits des offiziellen und administrativen Labels ein Verständnis existiert. Der solchermaßen erzeugende Kontext ist die Perspektive, mit der aus der Schule auf die Umwelt geschaut wird. Für die Akteure vor Ort ist es der spezifische pädagogische Raum, »ihre« Schule, die sich von den anderen unterscheidet. Glokalität ist die unmittelbare sozialkulturelle Umwelt, die Menschen mit der Schule räumlich durch Wege und Absichten verbindet. Es sind die Lernenden, die Elternhäuser, die Einstellungen zur Schule. Glokalität ist dort anzutreffen, wo die Schule mit der Nahwelt vernetzt wird. Ein wichtiger Umstand für die Vernetzung sind die Leitmedien für die Kommunikation. Das Leitmedium (siehe auch Kap. 3) einer Gesellschaft besitzt nicht nur eine technische Seite, sondern verändert auch die spezifische Wahrnehmung der Buchschule, das soziale Zusammentreffen (Communities), die Kommunikation, das Hervorbringen von Informationen und Wissen, die Art der Systematisierung usw. und bestimmt maßgeblich das »In-der-Welt-sein«, die Beziehung zu »Man« (Heidegger), also zu den anderen, die nicht leiblich vor Ort sind (siehe zur Leiblichkeit Kap. 2). Alle anderen medialen Vermittlungen werden durch das Leitmedium gerahmt und interpretiert und besitzen eine neue Bedeutung für die Kommunikation und Interaktion der Aktanten. Die Digitalität fordert den Begriff der Anwesenheit heraus, indem der physische Raum der Schule verändert wird. Das alte Display der Schule, das sich an den Wänden und den Fenstern des Schulbaus manifestiert (siehe dazu Kap. 2), rückt nun unmittelbar an den Körper heran, indem das Display des Smartphones den schulischen Raum determiniert. Grundsätzlich missachten Medien den physischen Ort. Solange die Medien materiell vorliegen, sind damit auch die kommunikativen Wege unter der Aufsicht derjenigen, die den Ort beherrschen. Insoweit ist es in dieser Logik verständlich, dass die Smartphones eingesammelt werden, um den Umgang zu kontrollieren, da die Schule von jeher ein großes Misstrauen gegen unkontrollierte Handlungen besitzt. Doch mit den digitalen Medien wird nun auch der soziale Raum neu vermessen. Das Soziale war bisher immer mit einem sehr engen Begriff des scheinbar
1. Glokalität
objektiven newtonschen Raums verbunden (siehe dazu Kapitel 2). So viel sei hier gesagt, dass diese Räume durch die Akteure selbst erst erzeugt werden und insoweit sozial determiniert sind. Der entleerte Raum ist eine Idealisierung, die so nicht in der sozialen Wirklichkeit existiert. Wir sind immer in einem Raum, der durch die konkreten Dinge und den konkreten Anderen bestimmt ist. Wir sind »in« einer Welt. Die kommunikative Welt durchzieht den klassischen Schulraum. Wenn Smartphones eingezogen werden, werden reale soziale Räume entzogen. Es kann jetzt gesagt werden, dass dies immer schon der Fall war. Diese Restriktionen funktionieren jedoch anders als die alten, wo die Schultür geschlossen und die Welt ausschlossen wird, um sie dann wieder in didaktischer Form reduziert in Erscheinung zu bringen. Zuvor mussten die Akteure in die Welt hinausgehen, nunmehr ist ein Teil der sozialen Welt immer da. »Always on« meint auch, dass die soziale Welt sowohl synchron als auch diachron immer vor Ort ist. Mit dem Smartphone sind wir so an zwei Orten, wie wir zuvor an einem Ort waren: Algorithmen orten uns, leiten Anfragen an uns, stellen Informationen zur Verfügung, sortieren Daten auf Anfrage usw. Sich in der Wirklichkeit der Digitalität zu bewegen bedeutet, auf Schritt und Tritt zu reagieren, wobei ein registriertes Nichtreagieren ein Reagieren bedeutet und bewertet wird. Die Schulwände trennen uns von der analogen Welt und dies scheint uns auch plausibel. Die Idee ist, dass die betörende Reichhaltigkeit der Wirklichkeit gebaut werden muss, und dass wir diese dosiert verstehen. Erst danach sind wir bereit, diese Wirklichkeit in der Fülle überhaupt erst würdigen zu können. Doch die analoge Welt funktioniert nun im Paradigma des neuen Leitmediums nicht mehr wie die alte Buchwelt, indem wir uns in zwei Sphären bewegen, die die Wirklichkeit bedeuten. Sie ist von der digitalen Welt nicht einfach durch eine Subtraktion zu vermessen. Der Grad der Verbreitung, die Reaktionen wie Gegenreaktionen, die Entwicklung spezifischer soziokultureller Bedürfnisse, eine Demokratisierung von Wissen durch Teilhabe und Mitwirkung sind Beschreibungen, wie die analoge Welt immer auch in die digitale Welt übergeht. Der Begriff der Glokalität ist insoweit eng mit dem Leitmedium verbunden, als er auf Kommunikation beruht und somit medial ist. Die Glokalität wird insbesondere in der Zeit der Kultur der Digitalität von Bedeutung (vgl. Stalder 2016). Die Digitalität ist durch eine hybride Verwobenheit von menschlichen und artifiziellen Netzwerken gekennzeichnet, in der Informationen zu einer Ressource werden, die nicht mehr durch die traditionellen Gatekeeper (Bibliotheken, Fachwissenschaften usw.) bewacht werden, sondern durch Referenzialität und Klickraten der Communities generiert werden (vgl. Floridi 2014, S. 5). Letztlich wird die Digitalität durch die Algorithmizität von Stalder beschrieben, die die Unmengen von Daten (mehr als 2,5 Quintillionen pro Tag werden erzeugt; vgl. Data Never Sleeps 6.0 2019) ko-
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Der hybride pädagogische Raum
ordiniert und selektiert. Die sozialen Prozesse vollziehen sich in und durch technische(n) Strukturen, die technischen Prozesse erzeugen soziale Strukturen. Die bestehenden Ressourcen schreiben sich in die Ziele und Bedürfnisse ein. Der DatenBehaviorismus, der sich durch die Klickraten ergibt, Aufmerksamkeiten initiiert und generiert wird, wird mit wirtschaftlichen, politischen und sozialen Interessen vermengt. Die Digitalität beruht auf Communities, Kollaboration, Wissensgenerierung und -pluralität, Kommunikation sowie auf einer hybriden (Selbst-)Referenzialität wie auch Ortslosigkeit, die jedoch immer einen Ort der konkreten Nutzung voraussetzt. Die Digitalität ist nie nur digital, sondern auch immer analog. Die Computer sind Teilnehmer der Kommunikation, indem sie untereinander kommunizieren (vgl. Floridi 2014). Das Buch im Regal ist lokal, Algorithmen registrieren, adressieren und listen auf Vorrat. Jede mögliche Handlung wird als Problem formuliert. Doch es gibt keine Probleme an und für sich, sondern immer »hinsichtlich für…«. Algorithmen haben immer Absichten, ein kulturelles Setting. Dem kann sich der Unterricht nicht entziehen. Die Tür zum Klassenraum zu schließen, um zu unterrichten, ist nicht mehr möglich. Das setzt die Trägheit des Informationsflusses voraus, wie beispielsweise das Buch, das in den Klassenraum getragen wird und dort verbleibt. Das Buch hat eine Interaktion, die ein Zuhören abverlangt, indem der*die Autor*in einen langen Monolog hält. Konzentration, sich auf etwas einlassen und nicht unterbrechen sind die Tugenden der Leser*innen von Büchern. Mit den Smartphones sitzt die ganze Welt im Raum, kommt durch die Wände und Fenster, liegt oftmals versteckt in den Taschen. Sie will zu jeder Zeit mitreden, andere Gesichtspunkte einbringen usw. (vgl. Der pädagogische Raum). Zukünftige Lehrkräfte müssen verstehen, wie das Zusammenspiel von globalen und lokalen Einflüssen für den Unterricht nutzbringend berücksichtigt werden muss. Sie müssen den Spagat zwischen dem Netz und dem Zusammenkommen vor Ort begleiten. Sie sind dabei nicht nur Coach, sondern Pädagogen, die im Sinne von Klaus Prange etwas im Netz »zeigen«.
2. Der pädagogische Raum
Der territoriale Schulraum. Das Territorium ist das Gegenteil des Hybriden. Das Hybride, so sei schon an dieser Stelle gesagt, ist keine Transformation des Einen in das Andere im Sinne eines »Zwischen«. Das Hybride ist an dem von Deleuz/Guattari (1977) eingeführten Begriff »Rhizom« angelehnt. Zunächst kann das Hybride als fluid beschrieben werden, das kein Zentrum besitzt, sondern dort erscheint, wo es vorhanden ist, ohne ein expliziter dauerhafter Platz zu sein. Das Hybride ist an den Begriff der Hyphen angelehnt. Die Hyphen sind ein Geflecht, ein Gewebe und verweisen in dem hier stehenden Zusammenhang auf das Netz und die Vernetzung. Latour (2017) spricht im gleichen Sinn vom Netzwerk (S. 20ff.), das den Dualismus von außen und innen auf der analogen Ebene unterläuft. Der Ort löst sich in dem Sinne auf, dass er sich überall konstituiert, verschwindet, um sich an anderer Stelle neu zu gründen. Die Gründer*innen sind die Akteure (und beteiligten Aktanten) des konkreten Orts, den das Digitale in der analogen Welt benötigt. Die Akteure sind immer irgendwo, nie ortlos, jedoch ohne »den einen« Ort, die Schule, die nun ein Knoten unter vielen ist. Doch eins nach dem anderen. Das Globale tritt im Lokalen in Erscheinung. Es gibt auch keinen natürlichen Raum, dafür aber einen »signifikanten Raum« (Waldenfels 2016, S. 209). In Zeiten der Digitalität ist das Lokale mit dem Globalen nicht nur verbunden, sondern bildet eine vor Ort eigene Praxis in der Glokalität aus. Das Globale wirkt nicht nur auf einen Ort ein, sondern ist der Ort selbst, weil wir immer von einem Ort aus handeln. Insoweit bewegen wir uns in hybriden Räumen. Die Glokalität beschreibt die Bindung von Weltwissen in Form einer Praxis vor Ort, die das lokale (Kontext-)Wissen erzeugt. Die Institution Schule ist ein ausgezeichneter Ort, an dem nicht nur Wissen vermittelt, sondern selbst ein Wissen über Wissen erzeugt wird. Dieses Wissen ist nicht beliebig, sondern wird zu einem selektiven Wissen unter den Bedingungen der Institution Schule vor Ort. Die Gleichzeitigkeit der Glokalität als globale und lokale Anwesenheit, die vor Ort unter den besonderen Bedingungen der Akteure und Artefakte in einem Aushandlungsprozess entsteht, entfaltet ein eigenes und sehr spezifisches Verständnis der »eigenen« Schule und des Pädagogischen.
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Der hybride pädagogische Raum
Abbildung 4: Der pädagogische Raum
Daraus erfolgte eine Deregulierung des pädagogischen Raums: das »Hier« des institutionell angeleiteten, formalen Lernens in der Schule, im institutionellen Raum, und das »Dort« des informellen Lernens außerhalb der Schule – in der Umwelt der Schule, zu Hause, unter Freunden und im »digitalen Raum«. »Lernen ermöglichen« setzt pädagogisches Handeln voraus, das durch »Partikularität« erfolgt (Giesecke 1987, S. 31f.). Insoweit stellt die »pädagogische Raumrepräsentation« einen spezifischen Begegnungsraum des Lernens dar. Für den analogen Unterricht ist die »Anwesenheit« kennzeichnend. Das »Interface« der Präsenz ist der Leib. Der »Leib« ist der Mittler der Kommunikation, weil er die Umwelt bewohnt: »Er wohnt Raum und Zeit ein« (Merleau-Ponty 1974, S. 169) und ist »meinerseits« (Merleau-Ponty 1974, S. 115), weil er situiert ist. Sartre versteht das ähnlich, wenn er die erste Dimension des Körpers als »Ich existiere meinen Körper« beschreibt, dass das »Da-sein […] genau der Körper« (Sartre 1952/2003, S. 619) sei. Das Thema des Außen und Innen der Schule ist konstitutiv für die Schule. Das Lernumfeld wurde bisher immer in Form der Abschottung vorgestellt, um im pädagogischen Raum die Welt zu verhandeln, indem sie reduziert, simuliert und in Ruhe betrachtet wurde. Das Interface zwischen Innen und Außen der Schule ist
2. Der pädagogische Raum
mit den digitalen Medien unmittelbar an die Lernenden und Lehrenden herangerückt, die mit einem Klick miteinander verbunden werden. Die Metapher des »digitalen Raums« ist die im Jahr 2016 von der KMK (Kultusministerkonferenz) bezeichnete »digitale Welt«, die sich anscheinend von der analogen abhebt und eher additiv als ineinandergreifend verstanden wird. Dieses scheinbar andere wird als ein gesonderter Raum angenommen, in dem sich Menschen hineinbegeben und dort abseits der »realen Welt« handeln. Sesink (2007) verweist darauf, dass es im Englischen die Begriffe »room« und »space« gibt. Während der Begriff »room« auf den geordneten und hergerichteten Raum verweist, ist der »space« ungestaltet (S. 1ff.). Wie die »Lebenswelt« der Schüler*innen außerhalb der Schule ist auch der »Cyberspace« zufällig und kontingent und dadurch zunächst nicht pädagogisch. Insoweit verhält sich der Cyberspace wie die gesellschaftliche Praxis zur pädagogischen: er ist das Außen. Das von Luhmann und Schorr (1990, S. 90ff.) diskutierte Problem der Kontingenzreduktion und der Homogenisierung als Voraussetzung für ein institutionelles, angeleitetes Lernen stellt sich auf eine neue Art und Weise: Die Kontingenz wird zum Regelfall, indem sich die Differenz zwischen Innen und Außen als eine Unmöglichkeit darstellt. Nicht nur, dass das Innen und Außen fragwürdig werden, es gibt auch keine Antwort mehr auf die Differenz, die mit den Begriffen angestrebt wird: Warum muss sich die Schule von der Welt absetzen, die sie lehrt? Nicht das »Virtuelle« ist das Problem, sondern die unkontrollierte (digitale) gesellschaftliche Praxis, die einen anderen Zugang des Lernens erfordert. Die »digitale Welt« kennt sowohl Nutzer*innen als auch Produzenten. Die »digitale Welt« ist sozial, informativ, manipulativ und vieles mehr. Insoweit ist die »digitale Welt« unmittelbar mit der gesellschaftlichen Praxis gleichzusetzen und mit Wissen, Informationen wie auch Daten ausgestattet, die vorhanden sind und nicht erst beschafft werden müssen, sondern die eine Ressource darstellen, mit der umgegangen werden muss. Mit der absoluten Individualisierung durch das Smartphone ist die »digitale Welt« (KMK 2016) flexibel mit dem »analogen Raum« verbunden, parallel vernetzt, die sich ergänzen und verschränkt sind. Nach wie vor werden, um den Unterricht als einen pädagogisch geleiteten Handlungsraum zu bewahren, unbeherrschbare Einflüsse ausgeschlossen: Das Handyverbot und der Computerraum haben gemein, dass sie die alte Kontingenzbewältigung, wie sie Luhmann/Schorr aufzeigen, aufrechterhalten, um die Differenz von Innen und Außen zu wahren, ohne die Differenz als solche zu thematisieren. So soll beispielsweise das Handyverbot die unkontrollierte Nutzung von Wissen, Daten und Informationen im Unterricht ausschließen, damit die Regelung der Wissensrationierung in Form von zugeteilten Texten, Bildern, Tabellen usw. gewährleistet wird. Daneben existiert die Sorge, dass der Unterricht heimlich mitgeschnitten wird, Bilder angefertigt werden usw. Der Computerraum
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Der hybride pädagogische Raum
verfolgt die gleiche Logik, indem er die Nutzung kanalisiert und reguliert: Die Räume sind wie eine offene Wunde, die den Raum durchschneiden und die Welt offenlegen, um für eine kurze Zeit hinauszublicken. Zu fragen ist, mit welchen Räumen die Institution Schule es unter dem Paradigma der Digitalität zu tun hat. Dazu sollten zwei Themen geklärt werden: Zum einen ist danach zu fragen, was eigentlich einen Raum ausmacht und zum anderen, was einen pädagogischen Raum ausmacht. Was ist ein Raum? Zunächst gibt es keinen Raum. Räume sind gemachte Umwelten, die ein Teil der dort bestehenden sozialen Praktiken ist. Ein »Raum« kann allgemein als ein Evolutionsfaktor für die anthropologische Entwicklung (vgl. A. Leroi-Gourhan 1988/1965) beschrieben werden, der eingerichtet wird und als gemachte Umwelt selbst wieder auf die Bedingungen der Entwicklungsmöglichkeiten zurückwirkt und ein Ergebnis einer technischen und sprachlichen Strukturierung darstellt (vgl. auch Donald 1991; Varela/Thompson/Rosch 2016). Der schon gemachte Raum wirkt zugleich wieder auf diejenigen zurück, die ihn hergestellt haben. Damit ist die Evolution eine Kombination von nicht menschlichen und menschlichen Faktoren, die ineinander verwoben sind und die Evolution ausmachen. Ein »Raum« als solcher ist nicht gegeben, sondern er ist erzeugt, gemacht und mit Intentionen unterlegt und verändert sich ständig. Die uns umgebene Architektur ist sozial geronnene Bedeutung. Heidegger beschreibt das Da-sein als »Inder-Welt-sein«, indem wir immer schon in ein »Da« eintreten mit »Zeugganzes« (Heidegger 2001, S. 68) und einem »Um-zu-Angebot«. Dieses »Da« ist nicht bedingungsleer, sondern bedeutungsvoll. In der Regel wissen wir, dass wir in einen bestimmten Raum kommen und wir kennen die konkreten Räume, in denen wir uns tagtäglich bewegen; die Ecken und Nischen, die Türen und Perspektiven – es sind unsere kognitiven und leiblichen Landkarten, die unsere Wahrnehmung, das »Da-sein« als »In-einem-Raum-sein« im Hintergrund mitlaufen lassen. Wir haben eine unbestimmte Gewissheit, irgendwo in einem Raum zu sein, die uns in eine Stimmung versetzt. Der Schulraum ist zunächst der institutionelle Raum. Doch diese Beschreibung sagt nichts über den Raum der Schule aus, da dieser erst deutlich wird, indem er die anderen Räume als Nicht-Schule voraussetzt. Der institutionelle Raum ist zudem zwiespältig. Mit der »Schule« wird der nicht schulische Raum ausgeschlossen. Die Materialisierung erfolgt durch Mauern und Fenster und thematisiert zumeist unbewusst auf Schritt und Tritt die Absichten und Möglichkeiten der architektonischen Vorstellungen einer Schule: Gänge, abgehende Türen und Raumgrößen (in der Regel 60 qm pro Klassenraum), Stühle und Tische usw. Es ist eine manifeste Vorstellung von »Schule halten«, eine Vorstellung von Positionen, Körperhaltung, Blickrichtung usw. Es sind materialisierte Bewegungsräume, die eine Vorstellung sozialen Handelns repräsentieren. Die steingewordenen sozialen Praktiken sind
2. Der pädagogische Raum
nicht immer up to date. Oftmals sind es wilhelminische Bauten, die zurückliegenden Praktiken Ausdruck verleihen und nun immer noch ein Mitspracherecht erheben, indem sie Wege und Raumgrößen vorgeben, eine Logik der Raumanordnung als sinnvoll diktieren. Der »Raum« als solcher spielt in der gegenwärtigen Diskussion um die Institution Schule lediglich eine untergeordnete Rolle (Hackl 2015, S. 131). Dennoch kann momentan das institutionell angeleitete Lernen nur so gedacht werden, dass es an einem distinkten Ort stattfindet, an dem sich Menschen oder Dinge versammeln. Die gemachten sozialen Räume und das eigenwillige Handeln der Akteure bilden einen relationalen Raum, der nicht neutral ist, sondern gesellschaftlich-kulturell vor Ort figuriert wird. So wie der Raum im Alltag als Hintergrund immer vorhanden ist und fast natürlich erscheint, muss er als gemachter Raum bewusst hervorgehoben werden, da dieser Raum die Akteure in eine Beziehung setzen will, die wiederum diese Beziehung durch das Agieren im Raum thematisieren. Der Raum kann als materiell-physische Form verstanden werden, zugleich als eine Form der Praktik, die durch die Akteure vor »Ort« als Raum angesehen werden. Der Raum als solcher hat nach Cassirer (vgl. Bohr 2007) eine symbolische Funktion, die gesellschaftlich, kulturell und politisch aufbereitet ist. Nicht alle Akteure besitzen eine Möglichkeit, über den Raum zu bestimmen, ihren Raum zu erzeugen, da insbesondere hegemoniale Räume andere Raumvorstellungen ausschließen. Oftmals wird von einem absolutistischen Raum ausgegangen, der sich in den euklidischen drei Dimensionen erstreckt. Eine solche Vorstellung unterscheidet sich von einem relationalen Raum, wie er weiter oben bereits kurz angesprochen wurde. Während Ersterer eine absolute Vorstellung des Raums a priori versteht, indem eine Art Container sich vorgestellt wird, der alle Wahrnehmung und Erkenntnis leitet und am eindrucksvollsten bei Kant ausgeprägt wurde, ist der relationale Raum eine durch gesellschaftliche Praktiken hergestellte Vorstellung, indem die Akteure und Aktanten einen Raum jeweils auf der materialen und sozialen Ebene überhaupt erst erzeugen. Insoweit sind Räume umkämpfte »Orte«, die kontraintuitiv nicht einfach da sind, sondern geschaffen werden, um eine Vorstellung von der Art und Weise, sich vor »Ort« zu verhalten, auszudrücken. So gibt die materiale Gestaltung in Form des Schulgebäudes in seinem Grundriss verschiedene Wege frei, bietet Abzweigungen an, bildet Knotenpunkte, um in andere Stockwerke zu gelangen, begrenzt andere Wege, grenzt sich von der Umwelt mehr oder weniger radikal ab, indem Tore, Zäune die Differenz thematisieren. Die Räume haben eine Durchschnittsgröße von 60 qm oder lassen Platz, um den Raum offener zu nutzen. Darunter fällt auch das Mobiliar, die Tische, die Anordnung im Raum usw. Alle diese Dinge sind materiell gewordene soziale Praxis, die wir kennen und inkorporiert haben: Wir wissen in der Regel, wenn wir zur Schule kommen, wie wir einen Stuhl zu nutzen haben. Es
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Der hybride pädagogische Raum
ist selbstverständlich, obwohl das Verständnis erst mühsam erlernt werden musste. Die Didaktik des 19. Jahrhunderts (vgl. Oelkers 2009, S. 32) drückt sich beispielsweise in den vielen wilhelminischen Schulbauten Berlins unmittelbar aus, wenn die militärisch anmutende strukturierte Parzellierung (Rieger-Ladich/Ricken 2009, S. 211) bewusst in Augenschein genommen wird, die die Schulräume von langen Fluren abgehen lassen, die wie Schläuche angeordnet sind und die Massen der Lernenden von einer Klausur zur anderen schleusen und jedes Ausbrechen nach links und rechts verbieten; wo ein Verweilen zu einem Hindernis wird, das den Ablauf verhindert und nur als ein Durchgangsort zu verstehen sind. Die Höfe als große quadratische Appellplätze, die keine Nischen, keine Rückzugsorte anbieten. Doch die Architektur lässt immer auch Spielräume. Foucault spricht von »Heterotopien«, es sind Grauzonen des Dispositivs, in denen sich auch Abweichungen abspielen können. Stühle können anders genutzt werden, indem man sich auf die Lehne setzt und die Füße auf die Sitzfläche abstellt, man auf Tischen sitzt usw. Man gruppiert sich in den Räumen, obwohl diese eine andere Nutzung der Struktur vorsehen usw. Der Raum bietet eine Möglichkeit an und determiniert nicht das Handeln. Denn das Subjekt kann sich in den Räumen subversiv verhalten, indem es den Raum zweckentfremdet. Doch ebenso besteht die Möglichkeit, die Raumangebote anzunehmen. Oftmals haben wir keinen anderen Weg als durch ein Portal zu gehen, die steilen Treppen emporzusteigen und eine übergroße Klinke zu drücken, um in das Schulgebäude zu gelangen. Mit dem Zufallen der schweren, beschlagenen Tür sind wir dann in der Schule und die Welt ist außen vor. Mit dem Bau wird auch die territoriale Vorstellung zum Umfeld definiert. Der Zaun um eine Schule schützt und grenzt die Umwelt aus. Der Zugang wird autorisiert, es dürfen nur schulinterne Mitglieder eintreten, andere benötigen dafür eine Erlaubnis durch die Schulleitung. Doch manchmal ist auch die Schule noch vor der Schule. Die materiale Gestaltung der Schule ist fraktal (Buddensiek 2009, S. 320). Obwohl die Schule als Institution vor der Tür endet, kann es im Sinn der Akteure auch vor der Schule einen Raum geben, der für sie zur Schule gehört. Dort treffen sich die Schüler*innen (und Lehrkräfte), dort sind sie unter sich. Und doch sind sie zugleich in der Schule. Die Akteure haben in der Schule selbst wieder Räume, die sie aufsuchen, um dort etwas zu tun. Als Aufsicht führende Lehrkraft sind es insbesondere die schwer einsehbaren Ecken einer Schule, die von den Lernenden ausgesucht werden, um sich den Blicken zu entziehen. Die architektonische materiale Gestaltung der Institution Schule und die schulspezifischen Praktiken der Akteure definieren den Schulraum (vgl. Löw 2017, S. 229). Es kann gesagt werden, dass die materiale architektonische Gestaltung des
2. Der pädagogische Raum
Schulgebäudes – also der imaginierte Raum der sich materialisiert hat – und die Klassenräume das Interface darstellen.« Der geleitete Körper kommuniziert mit der Materialität der Umgebung. Angebote werden angenommen oder abgelehnt, materiale Strukturen werden dekonstruiert, umgedeutet und eigensinnig benutzt. Es werden Übergänge zur Umwelt gestaltet, Übergänge zwischen drinnen und draußen. Dirk Baecker fragt als Systemtheoretiker danach, wie die »Einheit der Differenz von Innen und Außen« zu denken sei (Baecker 1990, S. 70). Das Lernen in den vier Wänden der Schule wird durch die Ausrichtung des Körpers und den Ausschluss der Außenwelt thematisiert. Die Unbestimmtheit und die Kontingenz der Wirklichkeit werden als dem Lernen abträglich angesehen. Es wird eine Raumtechnik erschaffen, um Lernen zu ermöglichen. Dabei gilt nach wie vor, dass wir für das Leben lernen und nicht für die Schule. Das Lernen ist auf die Zeit nach der Schule ausgerichtet (siehe dazu auch Paternalismus Kap. 4), um für die Welt bereit zu sein. Das vor der Schule anbrandende Leben wird ausgeschlossen, um es didaktisch aufzuarbeiten. Zugleich muss die »Lebensnähe« gewahrt bleiben, um die Sinnhaftigkeit des Tuns dort zu orten, wo die Schüler*innen einen Lebenssinn sehen. Die Differenz zwischen Innen und Außen wird zu einem Dauerzustand, der nur scheinbar vor den Mauern der Schule einen Halt findet. Vor-Ort-sein und die Praktiken. Räume sind Bewegungsräume, in denen die Akteure praktizieren. Eine solche Praxis ist ein soziales Phänomen (siehe auch Aßmann/Herzig 2009, S. 66; Kellermann/Wulf 2009, S. 183; Böhme/Herrmann 2009, S. 205; Bilstein 2009, S. 223; Zische/Ciupka 2012, S. 108), das sich nicht im Raum ereignet, sondern an einem Ort. Orte sind Diskontinuitäten, die durch ihr »Dasein« eine Differenz zum Gesamtraum ausmachen, in dem sie sind. Orte setzen Räume voraus, die geordnet sind, und werden vor Ort von den Akteuren unterschieden. Die »Unterscheidung« fällt mit der Praxis vor Ort zusammen (vgl. Harte 2006, S. 151f.). Orte erzeugen eine spezifische Kultur, indem sie sich aus der zugrunde liegenden Kultur bedienen. Die Leiblichkeit des Menschen setzt voraus, dass wir die Umwelt von einem bestimmten Punkt aus beobachten und eine Unterscheidung konstituieren (vgl. De Boer/Reh 2012, S. 17ff.), um uns in einem Ort zu »verorten« und andere Orte auszuschließen. Löw zufolge sind Orte Platzierungen im Raum, die sich durch eine eigene Logik der Praxis unterscheiden. In ihnen findet eine symbolische Praxis statt, die durch das »Spacing« überhaupt erst möglich wird. An den Orten der einzelnen Schule findet in dem Sinn eine Bedeutungsverdichtung statt, die sich in Form von Repräsentationen unter anderem durch die Leitlinien, das interne Curriculum auszeichnen, durch das pädagogische Selbstverständnis, den Konsens über Schulehalten – dass die Schule vor Ort so ist, wie sie ist. Zugleich muss die Schule vor Ort noch »Schule« sein, wie sie gesellschaftlich vorgestellt wird. Durch die Glokalität ist jede Schule immer auch in einem gesamt-
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gesellschaftlichen Diskurs, was es bedeutet, eine »Schule« zu sein. Insoweit werden die Grenzen definiert und jeder Ort in seine Grenzen verwiesen – doch nur so weit, wie er selbst wieder als Ort aus einer anderen Perspektive in Erscheinung treten kann. Orte schaffen Differenzen, indem sie Bedeutungen und zugleich eine Differenz im Raum erzeugen. Die Räume selbst sind Bewegungsräume, Umfassungen, die die Orte als Orte erscheinen lassen. Heidegger verweist darauf, dass wir als »einräumende Wesen« (Heidegger 1996, S. 13, zit.n. Hartle 2006, S. 154) die Leere ausfüllen, die kurz beim Einrichten in der Welt aufscheint. Sartre spricht in diesem Sinn vom »Nichten«, indem wir uns immer für ein »Da-sein« entscheiden und anderes ausschließen. In der Konsequenz sind Räume im Fluss, wie es auch die Orte sind. »Während Orte dementsprechend ein sedimentiertes System von Regeln markieren […], in denen sich dominante Bedeutungen verdichten, so erscheint ›Raum‹ als ein bewegliches Gefüge, das in je konkreter Praxis […] verschoben und potentiell auch neu erzeugt werden kann.« (Hartle 2006, S. 156) Orte haben auch eine Atmosphäre. Atmosphären entstehen nach Löw (2017, S. 204ff.) durch die Wahrnehmung realisierter Außenwirkungen, sozialer Güter und Menschen. Es sind die relationalen Anordnungen der von Menschenhand sozial determinierten Dinge vor Ort und stellen die unsichtbare Seite des Ortes da. Nach Böhme (1995, S. 34, zit.n. Löw 2017, S. 206) ist es eine »gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen«. Es ist keine Projektion des Subjekts – einem von der Umwelt abgeschnittenen Subjekts –, sondern ein eingebettetes Phänomen, das aus einer Wechselseitigkeit heraus erscheint. Die Schule ist auch ein Machtraum, in dem die Körper symbolisch angeordnet werden. Diese Positionen können nicht einfach abgetan werden, sondern werden habitualisiert und bestimmen das leibliche Selbstverständnis. Foucault zeigt wie kein anderer Autor auf, wie der Raum die Körper anordnet, den Raum für die Beobachtung und Bewertung organisiert (vgl. Foucault 1977, S. 268ff.). Das Parzellieren der Individuen meint: »Jedem Individuum seinen Platz und auf jedem Platz ein Individuum« (Foucault 1977, S. 183). Vermieden werden soll, dass Individuen verschwinden, indem sie nicht erfasst werden. Foucault spricht jedoch auch von Heterotopien (vgl. Löw 2017, S. 165). Während die Hegemonie die Erfassung beschreibt, den herrschenden Diskurs, der sich aus einem Netz von Diskursen zusammensetzt, meint die Heterotopie einen negativen Widersinn zu den herrschenden Vorstellungen (Hartle 2006, S. 6), die den gewohnten Raum in Frage stellen und selbst wieder zu einer Routine aufsteigen können (vgl. Löw 2017, S. 227).
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Die Dinge vor Ort. Der Ort des Lehrens und Lernens besitzt demnach eine unhintergehbare eigene Dignität. Es ist der Ort, die »Einrichtung«, die Art und Weise, wie sich die konkrete Schule vor Ort repräsentiert und einen spezifischen Sinn erzeugt. Die sich in der Schule befindenden Artefakte besitzen ein »Wozu« und bieten eine Praktik an, die sich im Benutzen realisiert und habituiert (vgl. Nohl 2011) und sind Teil der vom Menschen gemachten Umwelt. Wir treten in den Schulraum, der, wie gesagt, nach spezifischen Gesichtspunkten eingerichtet wurde. Die Dinge sind für die darin eingebettete, menschliche Praxis konstitutiv, da »nämlich seine (des Menschen, HJV) Bewegungen in Auseinandersetzung mit den Dingen selbst aufzubauen und zu entwickeln, diese dabei in seine Tätigkeiten zu verwickeln, und zu einer durchgearbeiteten und ›erledigten‹ Bekanntschaft mit ihnen fortzuschreiten« (Gehlen, 2004, S. 175; Hervorhebungen im Text) Später werden die Lehrkräfte und Lernenden eine Routine ihres Schulalltags entwickeln, die in der Regel als sinnvoll und quasi natürlich erscheint, weil aus der Umgebung selbst Sinn zurückkommt, indem die Dinge so arrangiert sind, wie sie es sind und dieses Arrangement explizit und implizit gelesen bzw. erfahren wird – ohne Alternative. Die Schulräume sind bekannte Strukturen des Alltags, die im leiblichen Kennen und Bewältigen im Hintergrund mitlaufen. Insbesondere Heidegger hat das »Da-sein« in einer Welt von artifiziellen Gegenständen herausgearbeitet. »Das Da-Sein des Zuhandenen hat die Struktur der Verweisung – heißt: es hat an ihm selbst den Charakter der Verwiesenheit. Seiendes ist daraufhin entdeckt, dass es als dieses Seiende, das es ist, auf etwas verwiesen ist.« (83ff.; Hervorhebungen im Text). Es ist der allgegenwärtige Handlungshintergrund, über den wir nicht weiter nachdenken, es ist der Subtext, in dem jede einzelne Aneignung eingebettet ist. Wir greifen zum Stift und wissen ihn zu handhaben, weil wir es mühsam erlernt haben; wir besitzen eine haptische Landkarte für unser Smartphone, um unsere Kontakte aufzurufen, Notizen zu schreiben usw. Im Gegensatz dazu machen uns die fremden Dinge darauf aufmerksam, dass die Dingwelt nicht selbstverständlich ist, sondern von uns im Tun verstanden werden muss. Die Dingwelt will gelernt sein, um zum Alltag dazuzugehören. Ansonsten stoßen wir uns im wahrsten Sinne des Wortes an den Dingen und verlassen wir die alltägliche Gewissheit. »Fremde Dinge sind Dinge, die von außen kommen, die nicht dazu gehören, bisher unbekannt, eben nicht von hier, sondern von fremder Art (sind, HJV).« (Hahn 2015, S. 165) Ein Stuhl beispielsweise ist nicht nur zum Sitzen da, sondern drückt darüber hinaus auch eine Art zu sitzen aus (vgl. auch Nohl 2011; Hahn 2015, S. 40ff.). Es gibt
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nicht nur den Stuhl, sondern die Stühle werden für eine bestimmte Räumlichkeit und Umgebung geschaffen, um situationsadäquat zu sitzen. Wir liegen nicht im Klassenraum, weil Lernen in der Schule als seriell verstanden wurde und ein Kind des Industriezeitalters ist. Wir liegen nicht, weil dann vielleicht die Räume viel größer sein müssten, um die gleiche Anzahl von Lernenden aufzunehmen, wir eine Vorstellung von Lernen haben, indem wir den Körper ruhigstellen, es eine Choreografie der Lernhaltung gibt usw. (vgl. Foucault 1977). Wir liegen nicht, da es das Arbeiten mit Buch, Stift und Tinte erschwert. Es stehen beispielsweise keine 32 Throne in einem Klassenraum, obwohl Politiker immer wieder beteuern, dass unsere Kinder das Wichtigste auf der Welt seien. In der Regel sitzen sie auf einheitlich genormten Stahlgerüsten mit abwaschbaren Sitzflächen und Rückenstützen aus lasiertem Holz. Solche Stühle sind praktisch, sie halten lange und sind leicht zu säubern, sie sind allerdings auch weniger bequem. Auf einem Thron sitze ich jedoch anders als auf einem Schulstuhl, der vielleicht nicht meiner Körpergröße entspricht, indem meinem Körper eine Haltung angeboten wird, die mit der Zeit zur Selbstverständlichkeit und scheinbare natürlichen Art und Weise wird. Ohne Aufforderung sitzt man irgendwann auf dem Stuhl, so wie es konzeptionell vorgesehen ist und arrangiert sich: Der Stuhl ist inkorporiert. Insoweit kann gesagt werden, dass die Artefakte uns auf den »Leib zugeschnitten« (Heidegger 2001, S. 117) sind. In den Dingen stecken ein soziales Wissen und eine Absicht, die in den Dingen ausgedrückt, dargestellt und erfahren wird. Habitualisierung meint, dass sie nicht nur rein äußerlich angeeignet werden, sondern zum Teil des Denkens, des eigenen Selbstverständnisses werden, indem wir die Dinge sehen, sie verstehen und es uns »normal« vorkommt, ihren Aufforderungen nachzukommen, die eingerichtete Welt als die eigene anzusehen. Das Wahrgenommene, so zeigt Prange (2012) auf, wird »als Botschaft und als Zeichen für etwas gelesen« (S. 97). Wir besitzen einen hinreichenden Erfahrungsschatz, um die Alltags- und Arbeitswelt zu »meistern«. Denn die uns umgebende Welt ist eine zugerichtete und bearbeitete Welt und besitzt damit Bedeutung. »Wenn eine Praktik einen Nexus von wissensabhängigen Verhaltensroutinen darstellt, dann setzen diese nicht nur als Träger entsprechende menschliche Akteure mit einem spezifischen, in ihren Körpern mobilisierbaren praktischen Wissen voraus, sondern regelmäßig auch ganz bestimmte Artefakte, die vorhanden sein müssen, damit eine Praktik entstehen konnte und damit sie vollzogen und reproduziert werden kann.« (Reckwitz 2003, S. 291) Orte zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich erzeugen. In der Regel sind Orte eingerichtet: Wir kommen von einem Ort und bewegen uns in einen anderen. Unsere Orte sind diejenigen, in denen wir uns auskennen, die wie selbstverständlich funktionieren. Kritisch wird ein Ort, wenn er fremd ist und keine Umgangsform
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vorhanden ist, um sich dort zu bewegen. Es ist so, dass sich die Orte immer auch verändern, wenn neue Menschen hinzukommen, da die Orte aus den Menschen und den Dingen bestehen. Dass Menschen einen Einfluss auf Orte haben, erscheint uns fast banal. Doch auch die Dinge sind unweigerlich an unserem Denken und Handeln beteiligt. Sie sind aktiv, indem sie ständig offerieren, anbieten und aufdrängen. Deshalb sind wir an einem Ort angekommen, wenn uns alles vor Ort vertraut erscheint, wir damit rechnen, dass dies an dem Ort so eingerichtet ist. Die Bedeutung der Orte geht jedoch nicht von einem isoliert zu verstehenden Subjekt aus, sondern geht mit der »Um-Welt« und den sich darin befindlichen zugerichteten »Artefakten« und den »Dingen«. Artefakte können nicht denken, das können nur Lebewesen – bzw. in dem hier stehenden Zusammenhang Menschen, die die Artefakte (semantisch) »begreifen« (siehe dazu weiter unten). »Legte das Denken nicht selbst in die Dinge hinein, was es je in ihnen zu finden vermag, es wäre ohne Zugang zu den Dingen […]« (Merlau-Ponty 1966, S. 423) Unter »Dinge« können die nicht von menschlicher Hand erzeugten Gegenstände wie die unberührte Natur verstanden werden, die oftmals eine Projektionsfläche für unterschiedlichste Bedeutungen sind, wie »Natürlichkeit«, Unberührtheit usw. Es sind nicht-intentionale Umgebungen. »Die nicht-menschlichen Aktanten sind aktive Bestandteile jeder Praxis, sie können nicht als Objekte, die durch Subjekte geformt und verwendet werden, verstanden werden, weil sie aktiv Einfluss auf die Formationen der Praxis nehmen.« (Hirschauer 2016, S. 85) Polanyi (2016) spricht von proximalem und dentalem Wissen, also nahem und weitem Wissen. Das dentale Wissen ist wie das bereits erwähnte Hintergrundwissen anzusehen. Jedes Wissen ist in einen Kontext eingebunden und wenn wir etwas als etwas verstehen, dann im Sinne unseres Hintergrundwissens. Wir müssen die Artefakte nicht erst kognitiv verstehen, sondern mit der Wahrnehmung wissen wir, für was die Gegenstände stehen, was für Anforderungen ablaufen. Es ist die zugerichtete Welt, in der sich ein situatives Ereignis abspielt und diese Ereignisse einbettet. Das Ereignis ist nicht isoliert, sondern immer in einem spezifischen Kontext, der durch seine »artifizielle Zugerichtetheit« einen Wissensspeicher darstellt, indem die Dinge »für etwas« gemacht sind. Der Stift bietet mir die Form an, um auf einem Stück Papier zu schreiben, der Stuhl besitzt eine materielle Vorstellung vom adäquaten Sitzen, die Tastatur des Computers, auf dem ich diese Zeilen schreibe, bietet mir eine Anordnung der Tasten an usw. Das trifft auch auf unsere gemachte Umgebung zu, mit der wir denkend verbunden sind. Das kann so vorstellt werden, dass die Artefakte eine Botschaft haben, die wir annehmen und mit einer eigenen Performance unterlegen. So werden die Dinge zu unseren Dingen, obwohl sie zugleich eine abstrakte Botschaft haben,
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die für alle gilt. Ich will einen Weg wiederfinden, kenne jedoch lediglich einen Teil des Weges. Wenn ich dann den Weg gehe, sehe ich Geschäfte, Graffitis oder andere Dinge, die mir die Richtigkeit des Weges durch die Bekanntheit bestätigen. Dann komme ich an eine Stelle, an der mir plötzlich einfällt, dass ich links abbiegen muss, ohne genau zu sagen, warum ich das weiß, vermute oder annehme. Meine Orientierung ist in die Umgebung eingebettet und erzeugt meine Erinnerung. Hackl (2018) spricht in ähnlicher Weise, wenn er über das Lernen nachdenkt und darauf verweist, dass Lernen eine grobe Erinnerung an Erfahrung sei, die mit der Situation, den Artefakten erinnert wird. Wir lernen einen Rahmen, der dann in der konkreten Situation mit den anderen oder den Artefakten erinnert wird. Hohe Bedeutung besitzen die Artefakte. »In-der-Welt« gibt es das »Zuhandene« (artifizielle Dinge wie Tische, Stifte, Bücher, Smartphones etc.) mit seinen Verweisungen auf den sozialen Gebrauch und Sinn (Heidegger 201, § 18), das auffordert in Besitz genommen zu werden und sich durch das Benutzen in den Körper im Sinne der »Hand-Habung« einschreibt Artefakte werden für etwas geschaffen und wirken als Geschaffene auf die aneignenden Subjekte prägend zurück.1 »… the tools and culture are indeed as much determiners of our nature as products of it.« (Clark 2003, S. 86) Die Artefakte sind kein Beiwerk, sondern haben einen eigenständigen, konstitutiven Charakter. Die Akteure sind nicht in einer Schule, sondern in »ihrer« Schule. Das ist kein mentales Erzeugnis, sondern es ist konkret und besitzt ein Gefühl und ein Bild, eine kognitive Landkarte, den Platz, den ein Akteur einnimmt, die Räume, die die Akteure aufsuchen usw. Es ist der Kontext, der die Praktik umschließt. Ein Akteur ist nicht in der Welt, sondern in einem Sinnfeld, einem konkreten Platz, der im weitesten Sinne möbliert ist (vgl. auch Lefebvre 1991, S. 173ff.). Ein Sinnfeld ist eine »Anordnung von Gegenständen, in der diese auf eine bestimmte Weise zusammenhängen« (Gabriel 2018, S. 37 und 360ff.). »Praktiken sind in kollektivem Besitz. Ihr Ausdruck ist die Selbstauskunft, Teilnehmer handeln so, wie man eben handelt, wenn dieses oder jenes getan werden soll. Eine Praktik erhebt somit immer zugleich einen Anspruch auf Öffentlichkeit. Dieser Anspruch muss nicht immer realisiert werden; er ist aber enthalten in den Artefakten, Symbolen sowie in den Interaktionen und Bezügen auf andere, die sich in und durch eine Praktik manifestieren.« (Schmidt/Volbers 2011, S. 31) Wie Hahn (2015) betont, muss auch die Evokation der Gegenstände in Betracht gezogen werden. In der Praktik vor Ort werden die Artefakte für uns zu »etwas«, indem sie in einem Umfeld erscheinen. Die Schule ist ein Ensemble von Dingen. 1
Heideggers Subjekt erwächst aus der Beziehung zur Umwelt und den Mitmenschen. Wie Gentzel (2019, S. 102f.) richtig anmerkt, ist das Dasein ein Akteur-Netzwerk.
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Beschriebe man eine Schule, dann würde gesagt werden, sie sei ein Gebäude, in dem viele separate Räume über mehrere Stockwerke hinweg angelegt sind, die von einem Flur abgehen (sogenannte Flurschule) und in denen jeweils Tischreihen und -anordnungen vorzufinden sind, die nach einem »Vorne« ausgerichtet sind, das durch eine Tafel gekennzeichnet ist. Diese Vorstellung ist insoweit global, wenn die Industriestaaten in den Fokus gerückt werden – und wenn es einmal nicht so sein sollte, dann erscheint uns das zumindest als etwas »anderes« zum uns sonst »normalen« Bekannten. Die eigene Schule, in der gelehrt und gelernt wird, entspricht diesem Bild und zugleich auch nicht. Wenn die Akteure an ihre eigene Schule denken, dann sind die konkreten Räume, die Atmosphäre, die Spuren des Konkreten, die Nuancen, die nicht in der globalen Beschreibung aufgehen. Dennoch die Schule als Schule zu erkennen beruht auf der Ähnlichkeit, die sie zur allgemeinen Beschreibung einer Schule besitzt. Die sich dort befindlichen Artefakte ermöglichen und begrenzen. Die Ermöglichung liegt darin, dass wir Wissen in den Dingen vermittelt bekommen, eine Absicht zu deren Gebrauch. Artefakte entfalten, wie es Nohl (2011) akribisch herausarbeitete, quasi eine erzieherische Kraft, indem sie sich in den Körper, in die Bewegung einschreiben. Eine solche Habitualisierung wird erlernt und in die Routine des Leibes eingeschrieben und als natürlich erlebt. Die Gabel, der Becher, der Stuhl, das Buch und der Stift sind Dinge, die sich in der Handhabung und Körperhaltung – also in der Habitualisierung – einschreiben. Norbert Elias (1982) hat diesen Prozess als Zivilisation unübertroffen beschrieben. Die Artefakte wie das Mobiliar der Räume, die schematische Darstellung von Pflanzen, Landkarten, Tabellen über unregelmäßige Verben usw. werden zu Lerngegenständen, indem sie in einer Praxis erscheinen. Sie haben eine Absicht, wie beispielsweise eine Lernhaltung einzunehmen, den Aufriss einer Pflanze reduziert darzustellen, um die zu diesem Zeitpunkt relevanten Aspekte zu repräsentieren, eine Orientierung in der Welt zu geben, die wichtigsten unregelmäßigen Verben in der Konjugationsfolge exemplarisch zu zeigen usw. Es ist ein haptisches und mentales Angebot, die Artefakte so zu benutzen. Es liegt ein pädagogisches Konzept dahinter, indem angenommen wird, dass eine körperliche Haltung zu bevorzugen ist, um zu lernen, dass die Visualisierung durch einen Querschnitt einer Pflanze die analytische Auseinandersetzung und eine Allgegenwart solcher Darstellungen unterstützt, das Lernen erleichtert usw. Doch Artefakte setzen uns auch in eine Struktur, aus der wir nur schwer ausbrechen können und begrenzen uns. Die Welt ist eingerichtet, wenn wir zur Welt kommen. Die Möglichkeiten der eingerichteten Welt haben Folgen, die uns als natürlich erscheinen und den Hintergrund bilden, wie wir die Welt wahrnehmen. Die vielen Artefakte zeugen davon, dass unsere Praktiken erworbene Dispositionen sind (Ryl 2015, S. 157), die Möglichkeiten eröffnen.
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»Eine dispositionelle Eigenschaft besitzen heißt nicht: in einem bestimmten Zustand sein oder eine bestimmte Veränderung durchmachen; es heißt vielmehr: sicherlich oder wahrscheinlich in einem bestimmten Zustand sein oder eine bestimmte Veränderung durchmachen, wenn eine bestimmte Bedingung erfüllt ist […] Daß ich ein Gewohnheitsraucher bin, besagt nicht, daß ich zu diesem oder jenem Zeitpunkt tatsächlich rauche; es besagt, daß ich einen ständigen Hang zum Rauchen habe, wenn ich nicht gerade esse, schlafe, vortrage oder an einer Beerdigung teilnehme und wenn ich nicht eben erst geraucht habe.« (Ryl 2015, S. 52) Die Disposition ist auch ein Produkt unserer Umgebung, die wir uns geschaffen haben und an der wir mitwirken. Varela, Thompson und Rosch haben in einem aufsehenerregenden Buch dargestellt, dass die Evolution nicht nur als ein distanzierter Vorgang einer Eigenlogik besitzenden Natur ist, sondern dass es eine »CoEvolution« gibt, indem der Mensch seine Umwelt schon immer auch zugerichtet hat und diese Zurichtung zugleich in abstrakte Gesetze übersetzt, die dann als »Natur« beschrieben wird. »Using logic and mathematics, we create an abstract and formal representation of certain invariant and structural features of what we expirience under rigorously controlled conditions that we impose, and this formal model becomes an object of consensus and the basis for an objective description.« (Varela, Thompson und Rosch 1991/2016, S. XXVII; vgl. auch ähnlich Gabriel 2018) Das ist so zu verstehen, dass die »Natur«, die »Gegenstände« schon immer auch gestaltete »Natur« und »Gegenstände« waren. Die gestaltenden Eingriffe sind selbst wiederum sich manifestierende Absichten, die auf uns zurückwirken. Zwischenresümee. Löw (2017) unterscheidet nach Giddens das diskursive und das praktische Bewusstsein (S. 161). In der Regel nutzen die Menschen die gleichen Räume immer wieder und entwickeln Routinen. Die iterativ immer wieder aufgesuchten Räume gehören dem praktischen Bewusstsein an und laufen im Hintergrund ab (Polanyi 2016 spricht von proximalem Wissen). Räume sind sich ähnlich und wiederholen sich. So ist es durchaus möglich, auch von den Routinen abzuweichen und andere Räume zu benutzen, die einem vertraut und dennoch unbekannt sind. Wir kommen beispielsweise in eine Schule und erkennen eine ähnliche Struktur wie an anderen Schulen, weil sie einem gesellschaftlich-architektonischen Verständnis folgen, finden so das Zimmer der Schulleitung, die Klassenräume usw. Insoweit nehmen wir die Räume als eine Ordnung an, die wir mehr oder weniger bewusst abrufen: Sie erscheinen als normal und in »regelmäßigen sozialen Praktiken werden diese institutionalisierten (An-)Ordnungen im Handeln reproduziert« (Löw 2017, S. 163).
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Institutionalisierte Räume sind genormte Spacing- und Syntheseleistungen, die über das spontane Handeln hinaus stabil sind (Löw 2017, S. 164). Klingberg (1990) schreibt: »Zu den objektiven Faktoren gehören historisch tradierte Organisationsformen – etwa das Klassenunterrichtssystem und die Unterrichtsstunde – didaktisch relevante ›Spielregeln‹, Verhaltensmuster und Kommunikationsrituale, der Lehrplan und schließlich auch materiell-gegenständliche Faktoren wie Unterrichtsräume und Unterrichtsmittel.« (Klingberg 1990, S. 59) Beispielsweise gibt es in der Regel einen klaren Raum für die Lernenden, die Lehrkraft in der Schule und die Schulleitung. Die Räume haben ein »Vorne« (»XY, schau bitte nach vorne«), eine Anordnung der Tische oder die gleichzusetzenden Schultische (keine privaten Tische, die in Farbe und Form variieren). Strukturen sind auf Dauer gestellte Regelmäßigkeiten sozialen Handelns (Löw 2017, S. 169). Die Tische und deren Anordnung, die Tafel, der Tisch die Lehrkraft usw. werden in Routinen reproduziert. Das Internet als Raum und Ort. Bücher, die wie kein anderes Medium für die schulische Bildung stehen, heben Raum und die Zeit auf und lassen durch ihre symbolisch-sinnhafte Vermittlung einen »Raum« entstehen, in dem wir anderen Menschen begegnen, zumindest dem Autor. Dirk Baecker (2007) hat sehr plastisch dargelegt, dass das uns so normal Vorkommende einst eine enorme Herausforderung darstellte. Mit der Erfindung des Buchdrucks 1442 mit bewegten Lettern wurde eine quasinatürliche Struktur der oralen Tradition aufgehoben. Es war nun möglich, zu beliebiger Zeit mit beliebig vielen Menschen in Kommunikation zu treten. Es war möglich, langsam oder schneller zu lesen. In kürzester Zeit gab es eine Unmenge an Büchern und Wissen, das ein Mensch allein gar nicht mehr bewältigen konnte. Das Wissen selbst wurde vergleichbar und die Definitionsmächte über das (alte) Weltwissen, wie die Kirche und der Adel, mussten sich neu arrangieren. Das wurde nicht nur begrüßt. Bereits Platon hatte ein gutes Gespür dafür und äußerte solche Befürchtungen. Im »Phaidros« verweist er darauf: »Denn Vergessenheit wird dieses in den Seelen derer, die es kennenlernen, herbeiführen durch Vernachlässigung des Erinnerns, sofern sie […] im Vertrauen auf die Schrift von außen her mittelst fremder Zeichen, nicht von innen her aus sich selbst, das Erinnert schöpfen.« (Platon/Phaidros 274e275d) Wahrscheinlich spricht niemand von der »analogen Demenz« wie Spitzer von der »digitalen Demenz« (2014), doch letztlich ist es genau das. Schaut man sich die »Brockhaus-Generation« an, dann wurde Wissen in Büchern gespeichert, nach bestimmten Kriterien sortiert, um es bei Bedarf zu finden – nicht immer war der Al-
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gorithmus glücklich gewählt. Für Weinberg (2015) ist die »Brockhaus-Generation« eine Metapher »für die Art und Weise, in der wir seit Jahrhunderten erfolgreich versuchen, unsere Wirklichkeit zu verstehen, zu organisieren, zu strukturieren, zu vermitteln. Wir sortieren, wir unterteilen, wir trennen […] in kleinere Sektionen, wir strukturieren, bauen Raster, Schubladen und verstauen dort die Wirklichkeit.« (S. 19) Bildung ist immer schon medial vermittelt. Die typische Bewegung der »BrockhausGeneration« ist nicht das »Wischen« (Spitzer 2018) über einen Screen, sondern das »Blättern« von Seiten. Es ging immer auch um die »wirkliche Wirklichkeit«. »We know that reading changes the way we think. Among other things, it helps us formulate thoughts that are abstract, categorical, and logical.« (Thomson 2013, S. 51) Virtualität ist demnach nicht allein dem digitalen Zeitalter vorbehalten, sondern gehört einem Sinnfeld der Wirklichkeit an. Es handelt sich, ganz im Gegenteil, um einen sehr alten Begriff. Virtualität ist »Potenzial« (Aristoteles), noch nicht realisiertes (Leibniz), das Andere zur materialen Welt (Kant) oder das spezifisch Eigene, das den Zugang zur Welt beeinflusst (Bergson). Realität ist das Außen (Descartes), das Unbekannte (Kant), das Artifizielle der symbolisch-sinnhaften Zeichen (Wittgenstein/Roty) oder schlicht die Konstruktion und die Sinnfelder (Gabriel). »Virtuelle Realität« ist ein Begriff, der unterschiedliche Räume kennzeichnet, die je einen spezifischen Einfluss auf ihr Gegenüber besitzen. »Realität« wird als »OrthoWirklichkeit« (Schmidt 2002) von der »virtuellen Realität« unterschieden. »One is the natural environment and consists of things like air, trees, rivers, and caterpillars. The other is the media environment, which consists of language, numbers, images, holograms, and all of the other symbols, techniques, and machinery that make us what we are.« (Postman 2000, S. 11) Wer eine »Derealisierungs-These« in Bezug auf das Internet vertritt, geht naiv mit der eigenen Standortgebundenheit um (vgl. Jörissen 2007). Der analoge Unterrichtsraum hatte schon immer einen »virtuellen Raum«. Die Schnittstellen sind der Text, das Bild, der Ton. Kommunikation als Prinzip von Unterricht ist medial. Sprache, Bücher, die Tafel, das Bild sind symbolisch-sinnhafte Zeichen, die die Welt vermitteln. In der pädagogischen Praxis werden die gesellschaftlichen Teilbereiche in den pädagogischen Kontext einbezogen und bearbeitet. Mit dem Internet wird der analoge (Schul-)Raum verändert, verändert, indem ein paralleler Raum ausgebildet wird, der den materialen Schulraum überlagert, sich mit ihm verwickelt und ergänzt. Wechselseitig haben beide Räume einen Einfluss auf den jeweils anderen Raum. Anhand der materialen und digitalen Ausgestaltung einer Schule wird analysiert, wie die Schule ihren materialen Raum mit
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einem digitalen Raum verbindet und wie sich diese Räume selbst wieder bedingen, indem beispielsweise die Buchschule ihre materiale Verfasstheit nach außen überdenkt. Darunter ist zu verstehen, welche Räume die Lernenden aufsuchen, wenn sie lernen (siehe weiter unten), ob sie sich in Klassenzimmern aufhalten, andere Räume in der Schule aufsuchen oder außerhalb der Schule agieren. Hinzu kommt, inwieweit diese Räume parallel besucht werden und welche Praktiken dazu existieren (siehe raumbezogene Praktiken). Es handelt sich dabei um die physischen, erfahrbaren Raummanifestationen der materialen Schule (Böhme 2009, S. 207) als auch die digitale Ausgestaltung von Lernplattformen, von dezentralen Lernarrangements. Der materiale und symbolische Raum treten, wie gezeigt, immer gemeinsam auf. Wird beispielsweise von Anordnungen im Raum gesprochen, stehen die materiellen Dinge im Vordergrund. Zugleich ist den materialen Dingen immer auch eine symbolische Ebene zur Seite gestellt, die sich dem Leib, der Wahrnehmung und dem Selbstverständnis den Akteuren aufdrängt. Der symbolische Raum schreibt sich in den Raum ein (vgl. Hartle 2006, S. 218ff.): »Räumlich manifestierte Bedeutung bleibt dabei nicht auf der Ebene bloß intelligenter Deutung, sondern tritt in strukturierter Praxis her. Sie wird eben auch zum Zeichen für ein bestimmtes Verhalten, das durch Ordnung der Körper und der Blicke konditioniert und habitualisiert wird.« (Hartle 2006, S. 221) Der durch die Praxis der Akteure manifestierte symbolische Raum wird zum Erfahrungsraum, der seine Zeichenhaftigkeit verschleiert. Der Ort organisiert die interne Praxis, indem der gedeutete Raum selbst wieder eine Deutung erhält und als Habitus auf die Deutenden zurückwirkt. Der interne Raum thematisiert immer auch den externen Raum als den nicht gemeinten Raum. So kann die Institution der Schule den äußeren Raum als nicht schulischen Raum diskriminieren und als unprofessionell titulieren. Mit dem »Internet« wird der quasi als natürlich empfundene Raum düpiert und verändert. Ihm wird ein »Cyberspace« zur Seite gestellt, der als nicht natürlich und als Fremdkörper angesehen wird. Das »Netz« wird wie ein euklidischer dreidimensionaler Raum vorgestellt. Die sich darin befindlichen Knotenpunkte sind Orte, an denen verschiedene Verbindungen zusammenlaufen. Dieses dreidimensionale Netz kümmert sich nicht um die materiell gewordenen Orte, sondern bietet Orte eigener Provenienz an. Das »Internet« bietet zu jeder Zeit und unmittelbar Verknüpfungen an. Relationale Räume entstehen durch die symbolische und soziale Anordnung von Akteuren und Artefakten. Löw schreibt: »Raum ist eine »relationale (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gebilden […] Raum wird konstituiert durch zwei analytisch zu unterscheidende Prozesse,
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das Spacing und die Syntheseleistung. Letzteres ermöglicht es, Ensembles von Gütern und Menschen zu einem Element zusammenzufassen. (Löw 2017, S. 159ff.) Der »Cyberspace«, das »Internet«, wird als Begegnungsraum, als ein wirklicher sozialer Raum erfahren, der aus einer kommunikativen und bildlichen Begegnung und symbolischen Anordnungen konstituiert wird. Das »Netz« ist ein symbolischer und relationaler Raum, in dem wir uns in Umgebungen bewegen, die exklusiv oder inklusiv gestaltet sind, die ein Design besitzen und darin ein gesellschaftliches (sub-)kulturelles Verständnis ausdrücken. Räume entstehen, weil Menschen Dinge auch als soziale Güter aktiv verknüpfen (vgl. Löw 2017, S. 158). Löw unterscheidet »Spacing« und »Syntheseleistung« als zwei Komponenten, um Raum entstehen zu lassen. Ersteres beschreibt die Anordnung der Menschen und das Bestehen von Architektur, Letzteres die Erinnerungsleistungen, die die Menschen vollziehen, um die Räume wiederzuerkennen. »Spacing« als auch Syntheseleistung treten gleichzeitig auf und sind nicht voneinander zu trennen (Löw 2017, S. 158). Wenn die Lehrkräfte und die Schüler*innen in die Schule hineintreten und pathetisch die schwere Schultür schließt und sich die Akteure in der Schule und die äußere Welt hinter sich gelassen haben, so ist das mit dem digitalen Raum nicht der Fall. Dieser ist nach wie vor anwesend, da dieser Raum jenseits der materiellen Räumlichkeit existiert. Das »Spacing« ist die Vernetzung der einzelnen Akteure, die Syntheseleistungen werden von den einzelnen Akteuren erzeugt, indem die Vernetzungen als relevant angesehen werden. Wie in der Grafik dargestellt, sind der institutionelle Schulraum und der jeweils individuelle Netzraum – um eine solche Metapher zu benutzen – gleichermaßen relevant und parallel geschaltet. Anders als Bücher ist dieser Raum durch »Producer« gekennzeichnet, durch synchrone und diachrone kommunikative Möglichkeiten. Aufgesucht werden die Räume in Räumen (siehe dazu weiter unten), indem wir irgendwo leiblich präsent sind. Das Netz bekommt uns quasi nur zum Teil. Ein solcher Umstand ist wichtig zu berücksichtigen, weil wir die Umwelt immer von einem leiblichen Standpunkt wahrnehmen. Dabei ist die Wahrnehmung ganzheitlich-leiblich zu verstehen. Der Ort, an dem wir uns befinden, hat eine Strahlkraft in dem Sinn, dass wir leiblich verortet sind und diesen Ort mit ins Netz nehmen. Der Leib und der digitale Raum. Wenn das Internet als ein relationaler Raum dargestellt wird, dann fragt sich, wo die Akteure zu verorten sind. Der relationale Raum ist flüchtig. Zunächst kann gesagt werden, dass der Raum dort ist, wo sich mein Leib befindet und mein Körper für andere sichtbar erscheint. Im relativen Ort verorte ich mich immer auch selbst zum eingerichteten Raum, in dem ich mich befinde.
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Die körperliche Repräsentation ist eine von jeher wichtige Form der Raumbesetzung, wie sie Norbert Elias (1982) eindrucksvoll beschreibt. Wenn der Körper erkannt wird, dann ist das ein Zeichen von Machtfülle. In welcher Umgebung sich ein Körper positionieren und aufhalten kann, ist privilegiert, indem Räume mit Zugangsberechtigungen verbunden sind. So wird beispielsweise Sigfried im Nibelungenlied von Weitem schon erkannt, ohne dass er je von jemandem zuvor gesehen wurde. Das ist für neuzeitliches Verständnis unvorstellbar, in der Logik des Liedes kein Problem. In dem Moment, in dem der Status von Sigfried als freier Ritter infrage gestellt wird, muss er die »Straße« verlassen und kann nur noch »Wege« benutzen, weil die Orte keine beliebigen sind, sondern etwas mit dem Status derjenigen zu tun hat, die sich dort bewegen. Auch die Orte sind immer auch Orte für jemanden, der sich darin aufhalten kann. Das fängt ganz banal damit an, dass wir immer wieder Eintrittskarten benötigen, hört dort auf, dass bestimmte Orte mit Ämtern unmittelbar verbunden sind, wie beispielsweise das »Schloss Bellevue« mit dem Bundespräsidenten. Neben der körperlichen Anwesenheit gibt es die leibliche. Der Leib wird nach Schmitz (2019/zuerst 1965) dadurch gekennzeichnet, dass der Körper als das Wahrnehmbare beschrieben wird und der Leib als ein unmittelbar sinnlich Gespürtes zu verstehen ist (Schmitz 2019/zuerst 1965, S. 5). »Leiblich ist das, dessen Örtlichkeit absolut ist. Körperlich ist das, dessen Örtlichkeit relativ ist […]« (S. 6) Mein Leib hat eine Doppelempfindung, indem er ein »affektiver Ort« (Waldenfels 1980, S. 34) ist und zugleich den Körper als ein Objekt wahrnimmt, indem ich beispielsweise mich selbst berühre: Ich nehme meinen Körper als ein Objekt wahr, zugleich habe ich eine Empfindung der Berührung. Es ist ein Dualismus innerhalb der leiblichen Existenz und der Veröffentlichung durch den Körper als ein wahrnehmbares Objekt (vgl. Waldenfels 1980, S. 51). Diese Zweiheit ist für die Verortung der eigenen Person wichtig, wenn danach gefragt wird, wo wir eigentlich sind, wenn wir mit Medien umgehen. Der Leib ist »in« dem flächigen Ortsraum. Mit der Fläche beginnt die Trennung von Raum und Leib – eine Entfremdung (Schmitz 2015, S. 66). Die Entfremdung hat zwei Seiten: die des eigenen Standpunkts im Raum und die Wirkung des Raums als nicht zu mir Gehöriges. Mit der Trennung vom Raum wird der material gefaltete Raum verfügbar. Die Widerstände und die Angebote des Raums ermöglichen eine Entfremdung durch die Leibdynamik, die durch den Raum stimuliert wird: Ich muss mich vorsichtig durch den Raum bewegen, weil es dort Widerstände gibt. Das beinhaltet, dass ich zuvor immer schon in meiner Leiblichkeit präsent bin, um genau diese Widerstände überhaupt wahrnehmen zu können (Waldenfels 1980, S. 40). Die Leiblichkeit ist die Voraussetzung für die Welt und ihre räumliche Ausdehnung.
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Wir sind »vertieft« oder »versunken« beim Lesen, »vertieft« oder »versunken« in ein Gespräch. Was bedeutet eine solche Raummetapher? »Vertieft« meint zunächst, dass wir von einer Oberfläche absteigen. Vertieft ist ein Raum unterhalb einer solchen Oberfläche. Wir sind manchmal auch ins Smartphone vertieft. Wenn wir in einen Text vertieft sind, dann sind wir bei den Figuren, in deren erschaffener Welt, deren beschriebenen Gefühlen und Ängsten. Wir sitzen in einem Raum und sind doch ganz woanders. Die Worte erzeugen in uns die entsprechende Imagination. Ein solches Lesen ist nicht natürlich, sondern unterliegt gesellschaftlichen Konventionen. Lesen wir zu wenig, dann sind wir als Kulturwesen gefährdet (vgl. Wolf 2019), lesen wir zu viel, sind wir vielleicht ein Bücherwurm. Letzteres ist schon eine positive Konnotation einer Einseitigkeit, die nicht immer so rezipiert wurde. In einen Text zu versinken meint, dass wir irgendwo sind, damit wir in den Text versinken können. In dem Sinn meint es eine spezifische Form der Anwesenheit. Das Oben ist dann die Präsenz in der Anwesenheit, die wir mit anderen teilen, die sich im gleichen Raum befinden. Es ist die »Gegenwart«, die aktuelle Zeit, eine Gerichtetheit (Germ. gagin, auf jemanden warten) auf jemanden. Wir sind versunken, indem wir Raum und Zeit um uns vergessen. Die Tiefe und Versunkenheit scheiden sich von einer gedachten Oberfläche, die die eigentliche Anwesenheit ist, das »Da« des Leibes und des Körpers. Wir werden unserer Umgebung gewahr und erkennen im Nachhinein, dass wir nicht da waren. Sicherlich wissen wir, dass wir da wares. Doch es war ein anderes »Da«. Wenn wir »vertieft« in einem Buch lesen, dann werden wir im öffentlichen Raum zugleich von Menschen gesehen, die anwesend sind und wir haben ein Hintergrundgefühl der Präsenz, ein »Anwesend-Sein« von anderen, das uns nicht bewusst verfügbar ist, sondern latent nur vorhanden, da wir »vertieft« sind. »Vertieft« meint, dass wir irgendwo sind und doch nicht da sind: ein Paradox. Es gibt auf der einen Seite eine Gewissheit der Anwesenheit, beispielsweise weiß ich, dass ich das Buch jederzeit beiseitelegen kann, um wieder in die Orthowirklichkeit (Schmidt 1994) zurückzukehren. Auch mit anderen können wir gemeinsam »versunken« sein. Sind wir beispielsweise in ein Gespräch vertieft, dann ist uns die Umgebung nicht gewahr, obwohl sie zugleich »da« ist. Wir sind von den Worten des anderen absorbiert und hören nichts mehr um uns herum. Sollte es dabei vorkommen, dass wir abgelenkt sind, den Blick schweifen lassen und nicht mehr direkt bei unserem Gesprächspartner sind, dann wird das als unhöflich angesehen. Wir lernen schon von Kindesbeinen an, dass wir unserem Gegenüber eine gewisse Aufmerksamkeit schulden. Präsent zu sein bedeutet, dass wir mit anderen auf der gleichen Ebene der Präsenz sind. Sind wir dabei in etwas anderes vertieft, dann sind wir zwar körperlich zugegen, jedoch nicht mit unserer Aufmerksamkeit bei dem anderen.
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Wir können auf sehr unterschiedliche Art und Weise vertieft sein. Das ist an sich kein Problem, sondern wird es erst, wenn wir mit anderen Menschen stattdessen kommunizieren sollen. In solchen Fällen ist es problematisch. Sicherlich gibt es daneben noch viele andere Gründe, wie wir oben gesehen haben, wie beispielsweise gesundheitliche Gesichtspunkte, Vorstellungen einer normalen Entwicklung usw. Dass wir manchmal abwesend sind, ist dabei kein neues Problem, sondern eher bekannt. Wir lernen, angemessen mit anderen zu kommunizieren, einzuschätzen, wann es schicklich ist, ein Buch zu lesen usw. Der Umgang mit den Medien muss grundsätzlich erlernt werden. Wir lernen nicht nur lesen, sondern wir erfahren zugleich etwas über die gesellschaftliche Relevanz, die soziale Rahmung, »wie«, »wann« und »wo« gelesen wird. So wissen wir beispielsweise, dass das Lesen in der Gegenwart eines anderen nicht schicklich ist, sondern dass wir dem Gegenüber seine Aufmerksamkeit schuldig sind. Es kann gesagt werden, dass in einem solchen Fall die direkte soziale Interaktion wichtiger ist, als in solchen Momenten zu lesen. Liest man »Reader come home« von Maryanne Wolf (2018), erfahren wir dort, wie das Lesen in seiner Wichtigkeit aufgewertet werden kann. Das »Versunkensein«, »Vertieftsein« ist eine Form, den material gestalteten Raum zu verlassen und in einen anderen Raum zu wechseln. Und dennoch ist unser Körper anwesend und wir fühlen die Atmosphäre des Raums, in dem wir uns leiblich aufhalten. Auch beim Lesen abwenden wir uns ab, wir gehen aus einen Raum und sind anwesend in der Abwesenheit. Wir kommunizieren mit jemand anderen in der Anwesenheit (vgl. beispielsweise die Darstellung von Pierre Antoine Baudouin – La Lecture – ca 1760). Daneben gibt es den körperlichen Raumwechsel in der material gestalteten Umwelt. Wenn wir beispielsweise sagen, wir gehen »ins« Badezimmer, dann verlassen wir bewusst den gegenwärtigen material gestalteten Raum und bewegen uns »in« einen anderen. In solchen Fällen sind wir körperlich und leiblich abwesend. Wir sind uns des Wechsels gewahr, weil beispielsweise das Schlafzimmer ganz anders eingerichtet ist als das Wohnzimmer. Beide Räume bieten andere Möglichkeiten an, dort zu verweilen. Im Alltag wird mit »›in‹ einen Raum gehen« gemeint, dass wir einen Raum für einen anderen Raum wechseln. Wir erfahren den Wechsel körperlich, indem wir unseren Standpunkt verändern. Wichtig ist, dass die Anwesen- und Abwesenheit kein neues Phänomen sind. Die uns zur Verfügung stehenden Medien haben diese Möglichkeit. Der Fernseher hat diese Bedeutung bereits im Wort, indem die Anleihe an ein Fernrohr, an eine Fernsicht vorgenommen wird, die nichts anderes besagt, dass der Anwesende in seiner Anschauung an einem anderen räumlichen Punkt ist. Wir gehen »ins« Netz oder wir sind »im« Internet. Wenn wir so etwas sagen, dann meinen wir, dass wir jetzt nicht ansprechbar sind, weil wir nicht »hier« sind
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– wir sind eben »im« Internet und wechseln zwar den Raum, doch so, dass wir für die anderen anwesend sind. Das ist so selbstverständlich, dass es auch wieder angesprochen werden muss. Wir nehmen den Raum wahr, in dem wir sitzen, er ist im Hintergrund präsent. Doch wir »sehen« Fernsehen und gehen nicht »ins« Fernsehen, wir »lesen« ein Buch und gehen nicht »ins« Buch. Wir »vertiefen« uns zwar in ein Medium, aber gehen nicht »hinein«. Das Medium Buch »macht uns nicht vor«, dass wir in einen Raum gehen, sondern bleibt durch seine Konzeption, in seinem Design ein Gegenstand, ein Objekt, das ich zur Hand nehme. Wir halten das Buch in der Hand, haben ein taktiles Gefühl. Der Fernseher ist wie eine Guckbühne, ein Fernrohr, mit dem ich in die Ferne sehe. Er ist quasi ein Loch in dem mich umgebenen Raum. Beide Medien vermögen es, meine Aufmerksamkeit zu absorbieren. »Insein« heißt involviert sein« (Böhme 2009, S. 55). Das meint, dass wir dort eine Praxis haben, die den Raum entstehen lässt. »In« einem Raum sein bedeutet, dass wir eingebettet sind, mit den Artefakten und den anderen verbunden sind und diese Vernetzung den Raum zum Raum macht. Das Buch ist ein Medium, das etwas vorführt, indem es etwas erzählt, indem ein Autor eine Ansprache an unbekannte Leser hält. Wir können uns in die Figuren (nicht in Menschen) hineinversetzen (Außer-uns-sein), die Charaktere beurteilen. Mit den digitalen Medien wird mit anderen ein relativer Raum durch die Praxis erzeugt. Was heißt das? Zum einen wird ein artifizieller relativer Raum »gebaut« (programmiert), der metaphorisch als »Plattform« beschrieben wird. »Auf« der Plattform befinden sich »Räume«, zu denen der »Zugang« gewährt wird oder nicht. Diese Architektur bietet Möglichkeiten an, indem sie Restriktionen auferlegt. Diese algorithmischen Räume werden erst durch die anderen in einer spezifischen Praxis als sozialer Raum realisiert. »Insein« bedeutet insoweit sozial bedeutsam und sinnstiftend zu sein (Vgl. dazu ähnlich für den analogen Raum Lefebvre 1991, S. 193f.). Das »Netz« ist der Raum, in dem wir uns auch aufhalten. Es ist ein sehr dynamischer und amorpher Raum, der aus Knoten (Schaltungen) und Verbindungen besteht, durch eine Software animiert wird und durch Algorithmen geschrieben ist. Auch »dort« gibt es besondere Orte, zu denen wir uns hinwenden und an denen wir uns aufhalten. Und wenn wir uns die Verlaufsergebnisse von Suchmaschinen ansehen, können wir unsere digitalen Trampelpfade betrachten oder die digitalen Datenspuren im Raum betrachten (siehe Tracking als Kunst). Wenn wir »ins« Internet gehen, dann gehen wir in der Regel zu einer Adresse. So sind wir beispielsweise dann auch »auf« Facebook, oder sind »in« unserem Mailaccount; wir »gehen« irgendwo hin und haben einen »Zugang« zu etwas usw. Die berühmte Frage von Boris Becker, »Bin ich schon drin?«, meint, dass ich einen anderen Raum betrete, der sich von dem leiblichen Raum unterscheidet.
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Anders als der hergerichtete analoge Raum ist der durch Algorithmen designte Raum eingelagert, verläuft quer zu den uns geläufigen, alltäglichen, gemachten und gestalteten Räumen (vgl. weiter oben), in denen wir uns leiblich und körperlich befinden. Die dort zu findenden Artefakte, das konzipierte Design der digitalen, geschaffenen Räume orientieren sich architektonisch an dem sich uns darbietenden euklidischen Raum, den uns bekannten Räumen, um ein Raumgefühl zu erhalten; auch dann, wenn sie uns eine alternative (Fantasie)Weltsicht anbieten. Die Architekten solcher Umgebungen wollen uns nicht überfordern, sondern uns einladen, dass wir uns »dort« wohlfühlen. Der digitale Raum hat auch immer eine Perspektive: Wir gucken in den Raum hinein, damit wird der Absolutheit des Leibes in seiner Örtlichkeit Rechnung tragen (vgl. Böhme 2019, S. 28ff.). Der Körper ist durch eine Lage zu den Artefakten und zu anderen Akteuren bestimmt. Wir sind vor dem Display und schauen hinein und sind in dem Sinn »drin«. Aus diesem Grund können wir Boris Becker weiterhin sehen, wenn er seine bekannte Feststellung formuliert. »Qua Leib ist der Menschen je in einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort, und er ist von seiner Unausweichlichkeit seines Daseins, das er in der radikalen Besonderen als diesen Leib erfährt, unausweichlich betroffen.« (Böhme 2009, S. 29) Der egozentrische Richtungsraum (von meinem Leib ausgehend) überformt den Weiteraum (den zufälligen kontingenten »Raum«) (Schmitz 2015, S. 50). »Der motorische Richtungsraum wird vom motorischen Körperschema einschließlich des Blicks organisiert […]« (S. 50) Die Organisation des Richtungsraums ist jedoch nur zum Teil egozentrisch zu verstehen, weil »der eigene Leib im Netz der ›Einleibung‹ ebenso Empfänger wie Sender leiblicher Richtungen ist und seine Motorik auch von solchem Empfangen gesteuert ist » (Schmitz 2015, S. 52). Der Leib ist also keine isolierte Erscheinung, sondern ist mit seiner Umgebung, den Artefakten eng verbundene Praxis. Böhme (2019) hebt hervor, dass eine leibliche Weitung angenommen werden kann, indem der Leib mit den Dingen seiner Umgebung verschmilzt (S. 52). Eine solche Form des »Embodiments« (siehe dazu Kap. 5.2) bedeutet, dass der leibliche Raum in der Umgebung »aufgespannt« wird. Insoweit sind wir dann in diesem Raum, obwohl wir körperlich weiterhin an einem Ort sind und auch der Leib in dem Hier und Jetzt zu verorten ist. Der Ortsraum ist in seiner Erscheinung immer ein artifizieller Raum. Der Leib ist immer durch Bewegungssuggestionen, durch ein übergreifendes Netz von Angeboten, die in die »Dinge« eingeschrieben sind, angesprochen (vgl. ähnlich Schmitz 2015, S. 53; Böhme 2009, S. 53f.); auch die »Halbdinge« – beispielsweise Stimmen und Geräusche – haben einen solchen Einfluss (vgl. 54f.) auf den Leib als
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Kulturprodukt (vgl. Duttweiler 2011, S. 163ff.). Die »Dinge« haben eine »konstante Dauer und eine kausale Mittelbarkeit« (S. 54), wohingegen die »Halbdinge« flüchtig sind. Sie sind die artifizielle Umgebung, ein Vorhandensein, in dem sich der Leib befindet: »Die Welt ist gänzlich innen, ich bin gänzlich außer mir« (Merleau-Ponty 1966, S. 464). Das ist der Fall, indem sich die Welt als ein Bild darstellt und so eine Distanz geschaffen wird, die zugleich jedoch nicht in einer Trennung von Außen und Innen aufgeht. Das Innen und Außen umfassen sich beide gegenseitig. Der durch die Medien repräsentierte Raum der Welt bietet eine Wahrnehmung an, indem ich diese Welt als »Etwas« wahrnehme, das die Welt dieses Mediums ist und beispielsweise nicht die Welt, in der ich leiblich situiert bin. Übertrüge ich die eine Welt in die andere, würde die jeweilige Welt ihre Ansprüche stellen. Das kann dann so weit gehen, dass mir beispielsweise eine pathologische Haltung attestiert würde usw. Doch indem ich sage, ich gehe »ins« Netz, werde ich immer von dieser Differenz ausgehen. Es handelt sich dabei nie um eine natürliche Wahrnehmung, diese ist immer kulturell überformt. Der Verweis auf eine sogenannte natürliche Wahrnehmung muss sich die Frage gefallen lassen, von welcher Warte aus eine solche Bezeichnung erfolgt. Wenn ich mich in einen durch ein Medium repräsentierten Raum begebe, bin ich mit mehr Leiblichkeit immer vor dem Medium. Das Sitzen vor dem PC, die Nutzung einer Maus, das Folgen des Cursors – als das motorische Tasten – erfolgt vor dem Hintergrund meiner leiblichen Verortung. Wie die Zentralperspektive mir eine ganz neue Erfahrung mit dem Raum gibt, ein Gemälde mir eine Sichtweise anbietet, sie mir selbst wieder vorhält, indem sie sie nicht erfüllt, so ist auch der Gebrauch beispielsweise von VR-Brillen eine vollkommen neue Raumerfahrung. Doch sobald ich mich beispielsweise mit einer solchen VR-Brille bewege, bewege ich mich in zwei parallelen Räumen, wobei der Raum mit meiner Leiblichkeit immer dominanter wirkt. Ich bin in dem Raum, wo sich mein Leib befindet. Das »Verschmelzen«, wie es meist hinsichtlich einer kritischen MenschMaschine-Relation thematisiert wird, hat selbst immer eine Perspektive, einen Standpunkt: Man verschmilzt von irgendwo mit Etwas als ein zuvor schon selbstverstandenes Etwas, das einem anderen Etwas separiert gegenüber steht. Das Wort »Verschmelzen« thematisiert diese Differenz. Ansonsten würden wir darüber nicht mehr sprechen, dann würde die Position vielleicht ontologisch verstanden werden, wie beispielsweise der Leib. Die Imagination, die verschiedenen Perspektiven, die mir in Animationen angeboten werden, finden vor der latenten Gewissheit statt, dass ich mich in einem Ortsraum befinde, vom Deich in den Raum sehe. Vor meinem Display nehme ich den Raum wahr, als würde ich mich im Raum befinden. Diese Imagination hat
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dort seine Grenzen, wo meine Finger die Ränder meines Displays (latent und im Hintergrund und das Interface berühren und meinen Ort anzeigen. Mit der Form des »Inseins«, der leiblichen Ausdehnung und der leiblichen Anwesenheit (Böhme 2019, S. 53) bin ich auch bei anderen. Das Netz hat eine eigene soziale Praxis und eine dafür konzipierte Netzgestaltung mit einer eigenen Architektur, bietet Räume an, um zu »chatten« sowie Handlungen, um uns zu »treffen«. Es sind Angebote, denen ich nachkommen kann oder nicht. Das Netz ist ein Teil der sozialen Welt, mit Orten, die nicht vor Ort sind, und sich entsprechend seiner spezifischen Form der Medialität präsentieren, in die ich mich »vertiefe« und »versinke«. Wenn wir beispielsweise die aus den Comic-Büchern bekannten »Sprechblasen« einer WhatsApp- »Nachricht« sehen, dann suggeriert uns das nicht nur, dass wir mit jemandem sprechen, sondern wir tun es: Die Möglichkeit der synchronen und diachronen Interaktion ändert an dieser Vorstellung nichts, sondern differiert von der uns natürlich erscheinenden und kulturell etablierten Form der analogen Kommunikation. Erst aufgrund der Differenz können wir diese Form überhaupt erst als eine andere Form erkennen, die uns irritiert und als etwas anderes in Erscheinung tritt. Und in der Tat tun wir das, indem wir eine ganz eigene Art der Kommunikation entwickeln, die zwischen der uns bekannten mündlichen und schriftlichen Kommunikation besteht. Storrer (2013) zeigt auf, dass es eine neue Form der Kommunikation aus der konzeptionellen Mündlichkeit und Schriftlichkeit gibt, die nicht die jeweilige Kompetenz unterläuft, sondern eine eigene konzipierte schriftliche Mündlichkeit darstellt. »Die Opposition zwischen mündlicher und schriftlicher Konzeption wird als Kontinuum zwischen zwei Polen modelliert; dabei wird der Pol der konzeptionellen Mündlichkeit mit dem Konzept der Nähe assoziiert, der Pol der konzeptionellen Schriftlichkeit mit dem Konzept der Distanz.« (Storrer 2013, S. 3) Diese »interaktionsorientierte Schreibhaltung« ist keine Verfallserscheinung, sondern eine genuine Form, die aus der »Nahe-Distanz« erwächst, weil wir sowohl »Da« als auch »Dort« sind (vgl. Storrer 2013). Der digitale Raum ist ein Raum, in dem ich nicht leiblich anwesend bin. In der Digitalität »bin ich von irgendwo«. Ich bin in einem artifiziellen Raum, um irgendwo »in« einen anderen artifiziellen Raum hineinzugehen. Es ist eine Gleichzeitigkeit von Räumen, ein Raum. Wie das »Vertieftsein« »in« ein Buch oder »in« ein Gespräch kann es den Fall geben, dass wir abwesend in der Anwesenheit sind, wenn wir »ins« Netz gehen. Die »Anwesenheit« ist reflexiv in dem Sinn, dass mein Körper im material gestalteten Raum durchgehnd »verortet« werden kann und ich meine Leiblichkeit wahrnehme. Eine vorgestellte Leiblichkeit würde in einem »Ich« aufgehen und es
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gäbe keine innere und äußere Differenz (vgl. Waldenfels 1980, S. 48). Da aber der Leib immer schon faktisch »da« ist, unterliegt er den Bedingungen des »Außen«, indem er als Grundmodus die äußere Bürde wie Schwere, Wärme usw. erfährt. Der Leib ist so ein mal mehr oder weniger präsenter Hintergrund, der uns in der Welt hält, ohne dass wir ihn dominant wahrnehmen. Erst wenn der »normale« Grundmodus verändert wird, tritt die Leiblichkeit hervor, ein Schmerz vielleicht, eine wahrgenommene Lichtquelle, die uns blendet, Außengeräusche, die uns den materialen Raum präsent werden lassen usw. Eine solche Vergegenwärtigung ist der Reflexion durchaus zugänglich. Leiblichkeit ist dann mehr als ein physisches Phänomen, wenn ich meinen Leib bewege, ich bestimmte Dinge ansehe, andere nicht wahrnehme usw. Ich kann meinen Leib reflektieren, ihn für mich selbst zum Gegenstand erheben (vgl. auch Böhle u. Porschen 2011, S. 56ff.). Waldenfels hebt hervor, dass es sich beim Leib um eine Dualität einer wirklichen Struktur handelt, die nicht die cartesianische Dualität von Geist und Materie wiederholt, sondern deren Einheit hervorhebt und zeigt. »Innere Distanz bedeutet also, daß ich nicht in meiner Leiblichkeit aufgehe, sondern als Person einen Leib zu übernehmen habe, der ich als natürliches Ich schon bin.« (Waldenfels 1980, S. 50) Das ist wichtig zu berücksichtigen, wenn wir über das »In« sprechen. Wenn wir »ins« Netz gehen, dann sind wir zugleich in zwei Räumen, die uns gegeben sind und jederzeit zugänglich sind. Wir können unseren Leib nicht zurücklassen, weil der Leib selbst die Bedingung unseres Standpunktes ausmacht und das »In« überhaupt plausibel macht. Wir verbleiben in unseren Leib »vor Ort«. Der lokale Ort ist weiterhin präsent und wird eben nicht verlassen. Der Leib ist eine »Welthabe« (Waldenfels 1980, S. 38) und in dem Fall die Bindung zwischen dem Globalen und dem Ort. Der im Medium dargestellte Raum ist eine medienspezifische Repräsentation eines Raums. Oftmals macht die Repräsentation Anleihen bei den ureigensten Raumerfahrungen, indem ein Ortsraum repräsentiert wird. Auch dort wird eine Praxis abverlangt, die ebenso spezifisch ausbuchstabiert wird, wie dies für den analogen Raum der Fall ist. »In meinemTun befinde ich mich immer irgendwo und irgendwie.« (Waldenfels 1980, S. 39, Hervorhebung im Text). Das »Netz« setzt immer voraus, dass ich einen Leib besitze, der irgendwo außerhalb des Netzes »verortet« ist. Das Netz mit seinen sozialen Vernetzungen ist also kein abgetrenntes »Etwas«, sondern »etwas« Bekanntes, aus dem heraus ich handle. Es ist der »Ort«, der mir die Sichtweise verschafft. Die »Netzwelt« ist ebenso wenig artifiziell wie die uns umgebenen Räume und verlangt eine Haltung, die immer mit einer Verortung verbunden ist. Diese Besonderheit der körperlichen »Verortung« und der sozialen »Vernetzung«, die hier als »Glokalität« gemeint ist, ist eine spezifische Form der Praxis, die andere Praxen miteinander »verknüpft«.
2. Der pädagogische Raum
Anwesenheit. Es gibt keinen natürlichen Ort, sondern nur signifikant andere Räume (Waldenfels 2016, S. 209). Es gibt nur den gelebten relativen Raum, der seinen Ausgangspunkt in der Leiblichkeit vor Ort hat. Um die Glokalität auf der Ebene des (pädagogischen) Raums aufzuzeigen, spricht Waldenfels (2016) von einer »Interregionalität« (S. 206ff.). Latour (2017b) spricht im Rahmen seiner Akteur-NetzwerkTheorie von einer horizontalen kommunikativen Vernetzung, die das Lokale und das Globale miteinander verbindet (siehe auch Kap. 1). Er wendet sich damit gegen die Vorstellung, dass anonyme Strukturen oder Systeme die Praktik der Akteure vor Ort bestimmen. Er betont vielmehr, dass die Praktiken vor Ort Bedeutung überhaupt erst erzeugen, indem die Akteure und die besonderen Dinge zusammen in einer Praktik Bedeutung hervorbringen. Die Bedeutung des Handelns vor Ort ist in der Digitalität immer auch »woanders«, je nach der gestuften Aufmerksamkeit des Subjekts, das sich in der Leiblichkeit verortet und in der Welt ist: »Die Welt ist gänzlich innen, ich bin gänzlich außer mir« (Merleau-Ponty 1966, S. 464). Die Akteure in diesem glokalen Kommunikations- und Handlungsraum handeln, indem die Lernenden und Lehrenden in einer konkreten Umgebung agieren und zugleich mit der Umwelt je vernetzt sind und so einen kommunikativen, dynamischen Aufmerksamkeitsraum bilden. So wird die pädagogische Praxis einer Schule in der Praktik zwischen den vernetzten Akteuren und Aktanten (Schulraum und Internet) erzeugt und eine spezifische Kultur von Unterricht und Lernen erzeugt. Vorstellungen wie von der »wirklichen Wirklichkeit« verstellen den Blick auf die Tatsache, dass wir immer situiert sind, körperlich anwesend, responsiv auf unsere Umgebung reagierend, wenn wir »online sind«. Vorschnell wird angenommen, dass wir uns woanders befinden. Doch das ist nicht der Fall. Wenn ich »online bin«, dann bin ich mir meiner Umgebung immer latent bewusst: Meine Routinen der Benutzung des Device, die Funktion der einzelnen Apps, die Handhabung des Smartphones usw. sind Routinen, die sich in meinen Körper eingeschrieben haben. Auch die bewusste Steuerung meiner Aufmerksamkeit ist nicht anders, als wenn ich vor Ort mit verschiedenen Aufgaben gleichzeitig zu tun habe, wie es beispielsweise für das Multitasking beschrieben wird. Dass an die Aufmerksamkeit in der Digitalität andere Anforderungen gestellt werden als in einer analogen Welt, ist nicht verwunderlich oder gar ein Anzeichen des Verfalls. Es ist vielmehr zu erwarten. Eher ist zu fragen, was denn die Indikatoren eines Verfalls sind. In der Regel stellen »Gewohnheiten« einen quasi unhistorischen Status dar, werden als »natürliches« Verhalten usw. angesehen. Doch ein Blick auf die Sozialgeschichte, wie sie von Elias vorgenommen wird, zeigt, dass die friedliche Begegnung von Menschen usw. einen hohen Sozialisationsdruck erforderte, um nicht in Destruktion zu enden. Die Courtoisie, Benimmregeln sind ein Gut, das sich in der Geschichte der Zivilisation erst herausgebildet hat und alles andere als natürlich oder gar logisch
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ist. Desaströse Zusammenkünfte wie am Hunnenhof im Nibelungenlied, die vorsichtige Annäherung zwischen Menschen wie im Minnesang beschrieben usw. sind nur einige literarische Denkmäler, die von dieser Anstrengung erzählen. Wenn von der Anwesenheit gesprochen wird, wird der sensomotorische Leib gemeint, der von dem konkreten Ort umschlossen ist und mit ihm kommuniziert, indem wir wissen, wo wir sind, wie es sich anfühlt, an dem Ort zu sein oder eine unhintergehbare Perspektive einnehmen. Gemeinhin wird von einer Atmosphäre gesprochen (vgl. Hahn 2015) und es entsteht der Eindruck, als würde die Atmosphäre für sich als Tatsache existieren. Sie ist jedoch der Ausdruck einer Erfahrung und Widerfahrnis (Waldenfels 2002, S. 278) eines Subjekts, das diese Atmosphäre mit seiner Anwesenheit vor Ort erzeugt und kein Nacheinander ist, sondern ein Zugleich. Das Nervensystem besitzt keine im Voraus existierenden Informationen, bzw. das Subjekt ist kein ehemaliges und abgelöstes Aktionszentrum, das natürliche Prädispositionen besitzt, sondern es wird zu einem Selbst (im Sinne Heideggers 2001, § 27) aus dem Zusammenspiel zwischen Körper und Umgebung bzw. Kontext (die Anderen und die Artefakte) aufgrund der Fähigkeit, responsiv zu sein. »Wahrnehmung bedeutet, sich etwas mit Hilfe des Leibes zu vergegenwärtigen. Dabei hat das Ding immer seinen Ort in einem Welthorizont, und die Entzifferung besteht darin, jeder Einzelheit in die geeigneten Wahrnehmungshorizonte einzufügen.« (Merleau-Ponty 2003, S. 83) Veränderungen der Routinen werden ausgelöst, wenn die routinierte Vernetzung mit der Welt gestört ist (vgl. auch Alkemeyer/Buschmann/Michaeler 2015, S. 38) und dem Subjekt etwas widerfährt, was der Erfahrung (Waldenfels 2002, S. 278) widerspricht. »In Wahrheit ist jede Gewohnheit in eins motorische und perzeptive, da sie […] zwischen expliziter Wahrnehmung und tatsächlicher Bewegung in jener Grundfunktion wurzelt, die in eins unser Gesichtsfeld und das Feld unseres Handelns umgrenzt.« (Merleau-Ponty 1966, S. 182) Es ist der »Möglichkeitsraum«, der eine Kontinuität aufrechterhält. Das hört sich widersprüchlich an, da es sich doch eher um Diskontinuität handelt. Doch sollten wir bedenken, dass wir nicht von einer Situation in eine andere springen, sondern es macht für uns Sinn, so zu handeln, wie wir handeln, auch dann, wenn es für Außenstehende nicht der Fall ist. Wir haben das Gefühl eines Übergangs. Sartre spricht vom »Nichten«, wenn er von einer nicht determinierten Zukunft spricht, in die wir ständig blind hineintreten. Damit meint er, dass eine Entscheidung als existenzielle Entscheidung zu verstehen ist, indem ich etwas nicht zulasse, das mir für immer verborgen bleibt. Entscheidungen schreiben immer etwas fort, indem sie das nicht Dazugehörige scheiden und nicht von einem möglichen
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alternativen Leben wissen und somit eigentlich auch nicht bedauern können. Der Möglichkeitsraum ist insoweit historisch zu verstehen, dass er der Ausgang für die weitere Entscheidung und nicht offen für alle denkbaren Lösungen ist. Denn wir befinden uns nicht an einer beliebigen Stelle, sondern an einem konkreten Ort, an dem wir angelangt sind. Das ist wichtig zu verstehen, da wir nicht beliebig sind, sondern geworden. Gerade Referendare sind in einer expliziten Lernsituation. Sie müssen erst »ihre« Erfahrung machen. Wie Meyer-Draw überzeugend herausarbeitet, ist »Lernen« ein Verlernen, indem etwas zugunsten für etwas anderes verabschiedet wird. Die Verabschiedung selbst hat jedoch eine Affinität zum Zurückgelassenen und hält die persönliche Narration aufrecht: Wir erklären uns die Dinge in einer Metareflexion, wie es dazu kommen konnte und können möglicherweise darüber spekulieren, wie ein anderes Leben ausgesehen hätte – sicherlich dann nicht mit uns, die wir gerade das sind, was wir sind und dann jemand anderes mit anderen Gedanken wären usw. »In keinem Augenblick einer Bewegung ist der vorangegangene Augenblick unbekannt, stets aber ist er in die Gegenwart gleichsam eingeschlossen […]« (MerleauPonty 1966, S. 169) Die im Gegensatz zur Stabilität stehenden Mobilität zeigt auf, dass die Subjekte sich in einer Zwischenebene der »An-Wesenheit« befinden, die sich in dem digitalen und analogen Raum als reale Gleichzeitigkeit darstellen Es ist kein »Zwischen«, sondern eine ständige Aufmerksamkeit. Als Kulturtechnik verweilt die Aufmerksamkeit auf dem »Dazwischen« als eine andere Form der Teilhabe und Aufmerksamkeit, die nun nach beiden Seiten zugleich ausgerichtet wird. Waldenfels verweist darauf, dass das »Hören« wie auch die »Antwort« auf eine »leibhaftige und leibliche Gegenwart und Nichtgegenwart« (2016, S. 312) hinweist. Die Sprache wie auch der Leib sind »alles« (S. 313), da dem Gesagten »die leibliche Situiertheit des Agens« zu entnehmen ist. Wenn wir von Face-to-Face-Situationen sprechen, meinen wir nicht das Angesicht des Anderen, auf den wir reagieren, sondern die Antwort. »Das Angesicht oder Antlitz steht für jemanden, der sich uns zuwendet, so wie auf analoge Weise die Fassade des Hauses als die Seite gilt, die das Haus uns zukehrt […] Indem ich mich angesprochen und angeblickt weiß, kommt mir die fremde Stimme und der fremde Blick zuvor. Zwischen Anruf und Anblick […] spannt sich ein Raumnetz, das aus den Fäden des Dialogs selbst gesponnen wird.« (Waldenfels 2016c, S. 314ff.) Insoweit ist zu erklären, dass die analoge und digitale Kommunikation nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Die Gleichzeitigkeit der Gegenwart ist keine Degeneration, sondern eine Ergänzung unseres sozialen Lebens.
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Die »Zwischenräume« sind Vernetzungen für den analogen Raum, (S. 207), die sich als Muster zeigen, um in mehreren Räumen gleichzeitig zugegen zu sein, auf die Ansprache zu antworten. Die von Walter Benjamin beschriebenen »Passagen« (1991) sind nun die Netzknoten und Schaltungen, die den Kommunikationsfaden des analogen und digitalen Raums weben und einen je eigenen praktischen Raum entstehen lassen. Die Übergänge des Innen und Außen lösen sich insoweit auf und sind keine Gegensätze mehr, wenn die materielle artifizielle Welt mit den Wegen, Ecken, Eingängen und Räumen usw. allein als »natürlich« betrachtet wird. Inklusiv werden die Räume, wenn sie aufeinander abgestimmt sind. Das WLAN ist eine Form der Raumbildung, die unsichtbare Öffnungen bietet, um neue Räume miteinander zu verknüpfen. Es entsteht eine Glokalität, indem der Leib vor Ort ist, als ein Hier und dennoch ein Anderswo vorhanden ist. Waldenfels spricht in einem anderen Zusammenhang von einer »gestaffelten Gegenwart« (2016, S. 208). »(a) Ich bin zugleich hier und anderswo. (b) Ich bin mehr oder weniger hier. Der Grad der Abwesenheit hängt ab vom Lebensgewicht, von der Bedeutsamkeit dessen, womit ich beschäftigt bin (…) (c) Es gibt Übergänge von Hiersein und Dortsein […] (d) Schließlich können Hier und Anderswo in Konflikt treten miteinander und zu einer zerrissenen oder gespaltenen Gegenwart.« (Waldenfels 2016b, S, 208ff.) Aus der Gewohnheit betrachtet, verändert sich die bekannte Gegenwart, es wird eine neue »Warte« eröffnet, die erst mit den neuen technischen Möglichkeiten auftritt. Bereits mit dem Brief, Telegraf und Telefon hat sich die »Gegenwart« sowie die Bedeutung der körperlichen Anwesenheit verändert. Das leibliche Hier und das »Lebensgewicht« wurden in der persönlichen Ansprache neu gewichtet und zu einer Kulturtechnik. Eine solche aus der Globalität resultierende »Polyzentrik« (Waldenfels 2016, S. 209ff.) erzeugt eine neue Praxis, in der sich andere habituelle Zentren herausbilden. Es gibt nicht den natürlichen Ort, sondern den signifikanten Ort, der sich situativ aufdrängt. Die Horizonte verändern sich. Unter einem Horizont versteht Waldenfels ein Mitgemeintes, etwas, das sich im Bereich des Gesagten beweist, ein Randthema ist, ein thematisches Themenfeld, dass sich an das Thema anschließt. Was nicht dazu gehört, bleibt am Rand, die Ränder kommen ins Zentrum, wenn der Horizont neu ausgemessen wird. Es ist ein Prozess der Zentrierung. Die Linien der Themenfelder sind gesellschaftlich-historische Ergebnisse, die sich immer wieder verschieben. Der hybride pädagogische Raum. Soll die obige Diskussion zusammengefasst werden, dann kann der pädagogischen »Raum« wie nachstehend beschrieben werden: Unter einen hybriden pädagogischen Raum fallen alle Praktiken und Artefakte im Rahmen eines institutionell angeleiteten Lernens. »Institutionen« im weitesten
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Sinn sollen hier als auf Dauer gestellte Regelmäßigkeit sozialer Praxis verstanden werden, im engeren Sinn sind Institutionen durch die Gesellschaft beauftragte Akteure, die ein Ziel stellvertretend umzusetzen (sollen). Die institutionelle pädagogische Praxis ist nicht durch die architektonische Gestaltung eines Schulgebäudes allein gekennzeichnet. Der durch die Praxis gestaltete, relationale pädagogische Raum erstreckt sich über den analogen und digitalen Raum. Wie der traditionelle Schulbau der äußeren Abschottung folgt, weil die Akteure immer »in« die Schule gehen und die »Lebenswelt« zurücklassen, um in diese »gerüstet« zurückzukehren, wird nun die durch die Digitalität veränderte äußere Raumstruktur als ein Knotenpunkt aufgefasst. Der herkömmliche, verortete pädagogische Raum wird nun herausgefordert, indem die Institutionalisierung der Schule als ein gesellschaftlich-historisches Phänomen in seinem genormten Verständnis dereguliert wird. Der analoge Ort wird zu einem Knoten unter anderen Knoten und in den digitalen Raum eingebettet. Der pädagogische Raum wird in dem Sinn mit der digitalen (Um-)Welt vernetzt. In Anlehnung an Deleuze/Guattari (1977) und Han (2005) möchte ich den hybriden pädagogischen Raum als »zentrierte Vielheit« (Han 2005, S. 32) beschreiben, der keine übergreifende Ordnung und Territorialisierung besitzt, sondern eine fluide kommunikative Konstituierung, die unterschiedliche Orte und Akteure vereinigt. Die Zentrierung ist die kommunikative Begegnung unter dem Vorzeichen der Pädagogik. Der rhizomatische Raum im Sinne von Deleuze/Guattari (1977, S. 16f.) ist eine Vernetzung, in der jeder Punkt mit jedem vernetzt sein kann. Er ist ein »Sowohl-als-auch«, indem das Pädagogische sich nicht auf die Reduktion beschränkt, sondern das Nicht-Pädagogische einbezieht, das formelle und informelle Lernen. Wie der materielle relationale Raum vor Ort Möglichkeiten eröffnet, weil sich die Akteure dafür oder dagegen entscheiden können, so entsteht mit dem »digitalen Raum« eine besondere Herausforderung, indem das Außen undeutlich, hybrid wird und die Möglichkeiten nicht mehr durch den relationalen architektonischen Raum gespiegelt werden. Das Pädagogische lässt sich nicht auf die Mauern, das architektonische Interface begrenzen, das den institutionellen materiell-relationalen Raum umschließt. Es entsteht eine Verflechtung, die den konkreten Raum auflöst und je an der Stelle öffnet, an der sich eine pädagogische Situation konstituiert. Es wird ein Raum »eröffnet«, der nicht explizit ein pädagogischer Raum ist, sondern erst durch die besondere Praxis der Akteure dazu wird. Metaphorisch gesprochen wird das pädagogische Handeln durch die »Vernetzung« gekennzeichnet, das Rhizom, das Gewebe, das Netz. Mit dem aus der Raumwissenschaft stammenden Begriff »Spacing« werden sowohl der materielle Raum als auch das Internet, der Cyberspace, beschrieben (vgl. auch Löw 2017, S. 159). Das Spacing ist ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess,
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Der hybride pädagogische Raum
ein gesellschaftlicher Konsens, dass beispielsweise Schulen so auszusehen haben, wie sie aussehen. Böhme (2009) spricht in einem ähnlichen Zusammenhang von der materialen Gestaltung der Architektur und meint damit die physisch erfahrbaren Raummanifestationen (S. 207) und Hartle verweist in Anlehnung an Foucault darauf, dass sich die Techniken des Sichtbaren in einer Technik der Verräumlichung niederschlagen (2006, S. 93).
Abbildung 5: Serielle Anordnung im Raum
So sind Klassenzimmer Orte, in denen sich ein pädagogisches Verständnis materialisiert und mögliche Prozesse antizipiert werden. Beispielsweise die Montage der Tafel, die Raumgröße in Relation zur Lerngruppengröße, die zugrunde gelegten Maße für Tischgrößen und deren Anordnungsmöglichkeit in Relation zur Raumgröße, benötigter Bewegungsraum im Unterricht (Sitzschule oder Bewegungsschule) und vieles mehr (vgl. Abbildung 4). Im Cyberspace tritt dann die besondere, einzelne Schule als ein Knotenpunkt auf, als ein Schalter in der »Glokalität«, der mit anderen pädagogischen und außerpädagogischen Räumen verbunden ist. Damit ist das Außen und Innen in doppelter Weise thematisiert: zum einen auf der analogen Ebene hinsichtlich der Umwelt, der Lebenswelt, zum anderen innerhalb dieses analogen Raums in Bezug auf pädagogische und nicht pädagogische Knotenpunkte. Mit dem Spacing kann im Sinne von Löw (2017, S. 158, S. 225) das Bauen von Räumen (z.B. Schulen) und das Platzieren von sozialen Gütern und Menschen verstanden werden (S. 158). Es ist eine (An-)Ordnung von materiellen Dingen und Akteuren, die den relativen Raum ausmachen (vgl. Foucault 1977). Im Spacing-Prozess treten Akteure bestimmten Räumen bei, kreieren eine soziale Praxis »im« algorithmisch designten Raum und treffen »dort« auf andere Nutzer*innen, die pädagogische Absichten verfolgen oder nicht. In Anlehnung an die heuristische Analyse der Schulkulturforschung von Böhme/Herrmann (2009) kann der Cyberspace als pädagogischer Raum durch eine
2. Der pädagogische Raum
Trialektik (S. 207ff.) beschrieben werden, die sich aus der digitalen Gestaltung, den raumbezogenen Handlungsmustern und den raumbezogenen Deutungsmustern zusammensetzt. Es besteht eine wechselseitige Beziehung zwischen der digitalen Gestaltung von pädagogischen Räumen und den Handlungs- und Deutungsmustern. Die soziale Praxis erzeugt in einer Triade zwischen Artefakten (digitales Design), Akteuren (Lehrkraft/Lernende) und Praktik (konkreter Umgang »vor Ort«) Deutungen. Der digitale Raum bietet Handlungsmöglichkeiten an, die eine soziale Konvention entstehen lassen, wie sich die Akteure in dem Raum zu verhalten haben. Dabei werden die Handlungsstrategien, die Interaktionsmodalitäten wie auch die Wahrnehmung durch das Design und die Möglichkeiten der individuellen Raumgestaltung beeinflusst. Der so durch die Akteure geschaffene pädagogische Raum wird durch die sozialen Güter (Löw 2017) beschrieben. Darunter fallen zunächst materielle »Körper« wie Türen, Wände, aber auch Tische, Stühle usw. (S. 153). »Körper« sind notwendig, um Raum zu schaffen, und sind gesellschaftliche Artefakte, indem die Dinge immer als »Etwas« gemeint sind. Gestaltete Räume sind geronnene gesellschaftliche Vorstellungen zu einem historischen Zeitpunkt mit einem symbolischen Gehalt, indem sie auffordern, Möglichkeiten anbieten und auch anderes ausschließen (vgl. auch Hackl 2015, S. 152). Sie fordern beispielsweise zum Sitzen auf, etwas festzuhalten, eine Blickrichtung einzunehmen usw. Das ist auch für digitale Räume der Fall, indem sie selbst eine repräsentative Wirklichkeit aufbauen und Möglichkeiten anbieten, wenn sie eine spezifische Umgebungsarchitektur aufbauen, in die Akteure jeweils mit einem Klick eintreten können. Die Realisierung von analogen und digitalen Räumen in der Schule verfolgt pädagogische Zwecke und Vorstellungen, wie Lernen auszusehen hat und versucht, das aktuelle Handeln der Akteure zu beeinflussen, ohne es zu determinieren, indem Angebote gemacht werden, andere aber eben nicht. Die pädagogischen Räume stellen eine handlungsentlastende Rahmung dar, sind sogenannte müßig-produktive Räume (Hackl 2015, S. 152), die eine »Schule-Welt-Abgrenzung« (siehe auch Lebensweltbezug, Kap. 5.2) thematisieren. Daneben gibt es auch primär symbolische soziale Güter wie Vorschriften, Embleme usw., die einen Raum definieren (siehe dazu Kap. 3). Beide Arten der sozialen Güter treten zusammen auf, indem das eine oder andere mehr in den Vordergrund tritt, da auch materielle Körper eine symbolische Kraft besitzen (Löw 2017, S. 224). Letztlich sind es die Akteure, die in der Praxis eine Position zueinander einnehmen und so den Raum konstituieren. Die sich in den digitalen und analogen Räumen bewegenden Akteure erzeugen eine je spezifische Praxis, die als »raumbezogene Handlungsmuster« beschrieben werden kann. Konkrete raumbezogene Handlungsmuster bilden sich in der Praxis aus, indem die Akteure von einem analogen und digitalen Ort aus mit anderen agieren. Sie
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Der hybride pädagogische Raum
entwickeln eine Praxis aufgrund einer vorstrukturierten Architektur. Diese Handlungsmuster sind nicht starr zu verstehen, weil sich immer wieder neue Handlungskonzepte ausbilden können. Die »vorstrukturierten Kommunikations- und Bewegungsspielräume« (vgl. Böhme/Herrmann 2009, S. 208) befinden sich nicht nur mehr auf der analogen, sondern ebenso auf der digitalen Ebene. Wir werden noch sehen, dass durch die jeweilige Strukturierung der institutionellen Vorstellung des schulischen Bildungsraums verschiedene Praxisfelder einen innenpädagogischen und außenpädagogischen Raum beschreiben, der nicht mehr durch die »Schulpforte« eindeutig beschrieben werden kann. Die Lernenden und die Lehrenden werden ihre pädagogischen Räume in sehr unterschiedlichen Abgrenzungen ausgestalten. Sie werden unterschiedliche Räume innerhalb der Schule aufsuchen, sie werden in außerschulischen Umgebungen in pädagogischen Räumen agieren, indem sie zu Hause, in Bibliotheken oder Institutionen vor Ort arbeiten können. Das Wissen wird nicht nur in Schulbüchern aufgesucht, sondern auch in nicht pädagogischen Umgebungen. Parallel dazu werden aus anderen Zusammenhängen Anfragen gestellt, die je nach Arbeitszusammenhang zurückgewiesen oder angenommen werden. Jeweils wird der pädagogische Raum in analogen und digitalen pädagogischen Umgebungen gegen andere nicht pädagogische Umgebungen abgegrenzt. Die analogen und digitalen Räume werden durch einen einzelnen Akteur vereinigt, indem, wie gesagt, der Leib immer schon vor Ort ist (»da sein«) und zugleich an einem anderen Ort (»dort sein«). Die dadurch erzeugte, gestaffelte Anwesenheit (siehe weiter oben) verdoppelt die sozialen Güter. Wenn wir im pädagogischen Raum sind, müssen wir nicht zwingend in der Schule sein (vgl. Leitideen der Schule, Kap. 3). Damit wird der traditionelle pädagogische Raum dereguliert und es entstehen vermehrt diverse raumbezogene Handlungsmuster. Sie werden durch die Lokalisierung des Leibes und die analoge Raumgestaltung definiert. So werden durch die jeweilige dominante Anwesenheit verschiedene Handlungsanforderungen notwendig (siehe Selbstregulierung, Kap. 4). Letztlich entstehen raumbezogene Deutungsmuster. Löw (2017) verweist darauf, dass im Alltag die Räume routiniert werden (S. 226). Die Praxis der erlaubten und heimlichen Nutzung von analogen und digitalen Räumen bringt ein Selbstverständnis hervor, dass einen Habitus ausbildet, der eine selbstverständliche Wahrnehmung, Denk- und Handlungsformen hervorbringt. Sie sind der Rahmen, in dem die Inhalte und Methoden gelernt werden. Es ist ein Selbstverständnis, wie mit den digitalen Medien umzugehen ist, um Probleme zu lösen. Diese Routinen sind nicht festgeschrieben. Zwar trete ich im Sinne von Heidegger immer in eine bewohnte Welt ein, doch die dort vorgefundenen Routinen variieren von Ort zu Ort und können durch neue Gewohnheiten ersetzt werden (Löw 2017, S. 227).
2. Der pädagogische Raum
Durch die Syntheseleistung werden die Räume, in denen sich die Menschen und die sozialen Güter befinden, rekonstruiert. Damit ist gemeint, dass wir wissen, in welchen Räumen wir uns bewegen und welche Erwartungen berechtigt sind. Wir haben gelernt, was es bedeutet, in die Schule zu gehen: »Das heißt, Räume werden als historische vorfindliche Gebilde erlebt, die im Handlungsverlauf routiniert reproduziert werden« (Löw 2017, S. 229). Die Architekten von Schulen als auch die Designer von Lernumgebungen besitzen eine gesellschaftlich rückgebundene Vorstellung von Schule und reproduzieren ihre Erfahrung aus der eigenen Schulzeit. Auch im Raum des Internets existiert eine Alltagsroutine, wenn beispielsweise die Akteure zu »ihren Räumen« gehen, Nachrichten in ihrem Account abfragen, die eigenen digitalen Lernumgebungen gestalten usw. Dort gibt es in den verschiedenen Räumen wiederum soziale Güter und die Akteure nehmen eine Position ein, indem sie beispielsweise eine Zugangsberechtigung besitzen, eine Zugehörigkeit in exklusiven Gruppen haben, dort aktiv oder passiv sind usw. Der digitale Raum existiert neben den institutionellen Territorialansprüchen. Die institutionelle Definition wird vor Ort jeweils durch die Praxis der Akteure interpretiert, indem die Angebote des Spacing angenommen oder neu interpretiert werden. Löw zeigt beispielsweise auf, wie die Straße vor der Schule zum Bereich der Schule wird, indem die Schüler*innen ihn so nutzen und so auch verstehen. Auch die Lehrkräfte akzeptieren diesen Ort oder versuchen, den offiziellen territorialen Ort durchzusetzen. Unterm Strich ist wichtig, festzuhalten, dass der pädagogische Raum nicht mit dem territorialen Raum der Schule identisch ist. Für den zukünftigen Unterricht in der Schule gibt es das Phänomen der Gleichzeitigkeit des analogen und digitalen Raums. Flusser hat drauf hingewiesen, dass die zukünftigen »topologischen Räume« sich durch das Überschneiden und Überdecken charakterisieren (Flusser 1991, S. 284f.). Im analogen Unterrichtsraum ersetzt das Smartphone die Federtasche. Für unsere Lernenden gehört es zum Alltag, den sie gar nicht anders kennen (vgl. Kerres 2017, S. 22). Ein Szenarium sieht so aus, dass sich Internetrecherche und Präsenzphasen abwechseln. Die Lernenden werden nach Bedarf zwischen dem analogen und dem digitalen Raum hin und her wechseln. Im analogen Raum gibt es keine effektivere Kommunikation als den Face-to-Face-Austausch. Jedes digitale Medium dazwischen wäre eher hinderlich. Dort können die Ergebnisse der Recherche bearbeitet und bewertet werden. Eine andere Variante ist, dass die Lernenden je nach Bedarf synchron zur Faceto-Face-Situation ins Netz eintreten. Dabei ist es charakteristisch, dass die Lernenden beispielsweise gemeinsam auf den Screen des Smartphones schauen und die Quellen begutachten, sich Tutorials ansehen usw. Wichtig hierbei ist, dass die Lernenden erfahren, wie dieser Wechsel zwischen analogem und digitalem Raum im Sinne einer effektiven und verantwortungsvollen Nutzung zu bewerkstelligen ist.
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Der hybride pädagogische Raum
Die Erweiterung des Unterrichtsraums erfolgt durch die »pädagogische Repräsentation« und die »pädagogische Raumpräsentation« (in Anlehnung an Lefebvre 1974). Die pädagogische Repräsentation kann als eine Raumkategorie betrachtet werden, die die körperliche Präsenz der Lehrkraft im Raum »virtuell« darstellt. Zusammenfassung des Kapitels. Der Kontext kann als eine sich selbst generierende Bedingungsstruktur angesehen werden, die durch die Aktanten, also das Ego, das Alter und die Dinge/Artefakte, erzeugt wird. Man bezieht sich im Sinnfeld in gleicher Weise, im gleichen Verständnis auf die Artefakte (vgl. Schmidt 2011, S. 31). In-der-Welt-Sein bedeutet auch, in ein vorbereitetes Sinnfeld einzutreten bzw. in einem zu sein. Die sich dort befindlichen Artefakte werden nicht nur vom Körper stumpf inkorporiert, sondern sie sind Träger von Sinn, der auf die Benutzer zurückwirkt, ohne die andere Nutzung kategorisch auszuschließen. »Die Kontextualität, die Situativität des Vollzugs von Praktiken […] kann zwar unter vielen Umständen routinisiert bewältigt werden; sie kann unter anderen Umständen aber auch mit Ereignissen, Personen, Handlungen, Objekten und selbst Reaktionen konfrontieren, für deren Behandlung die routinisierten Verstehensmuster, das methodische Wissen und die konventionalisierten Motiv-/EmotionsKomplexe keine oder keine eindeutigen ›tools’an die Hand geben. Die Überraschungen des Kontextes können dazu führen, dass die Praktik misslingt oder zu misslingen droht, dass sie modifiziert oder gewechselt werden kann oder muss etc., und die Routine verbietet auf die Art den Charakter der unendlichen Wiederholung.« (Reckwitz 2003, S. 294ff.) Wir können keinen Blick von nirgendwo aus einnehmen, sondern sind vor Ort, von wo wir etwas als etwas ansehen. Mit diesem Verweis auf Nagel spricht Gabriel (2018) von einer Sinnfeldontologie (2016). Den Zusammenhang von den Gegenständen nennt Gabriel »Sinn«. Sinnfelder sind keine natürlichen Gebilde, sondern das Ergebnis von menschlichen Praktiken. Darunter ist gemeint, dass wir durch die Dinge und Artefakte als auch die anderen eine bereichsspezifische Wahrnehmung entstehen lassen, die individuiert wird (vgl. Gabriel 2016, S. 179). Dabei verweist Gabriel darauf, dass die Art der Erscheinung, also wie wir etwas sehen, im Sinne des Neuen Realismus keine »menschliche Erscheinungsbedingung« sei (2016, S. 191). Vielmehr sind »Erscheinungen […] so deutlich, wie sie sein sollten« (2016, S. 195): Die Welt ist so, wie sie erscheint, und besitzt letztendlich nicht nur eine »echte« Erscheinung. Da es keine Art »Sinnfeldblaupause« für alle Sinnfelder gibt (Gabriel 2016, S. 274, vgl. auch S. 185), ist der lokale Ort und seine spezifische Weise auf die Welt zu sehen, real. Neben dieser Sichtweise gibt es keine »Orthowirklichkeit«, wie sie Schmidt (1994) nennt. Das Verhältnis (relationship) zwischen der Lehrkraft, den Lernenden und den Artefakten erzeugt ein Bedingungsgefüge, das den spezifischen pädagogischen
2. Der pädagogische Raum
Kontext des Ortes und der Zeit ausmacht. Ego und Alter als auch die Dinge bzw. Artefakte bilden eine Triangulation. Die sich dort abspielende (lokale) »soziale Praktik« in Form einer »Mikrologik« des Verhaltens ist sowohl eine körperlich-leibliche Form von Wissen(-saneignung), die gleichermaßen explizit als auch implizit in »sozialen Feldern« erworben wird (Reckwitz 2003, S. 292) als auch Erzeugung einer kognitiven Struktur, die als »a nexus of doings and sayings« (Schatzki 2012, S. 15) zu verstehen ist. Praktiken sind als sprachliche und nicht sprachliche, lokale Aktivitäten aufzufassen und werden von allen Akteuren im sozialen Feld verstanden. Die Artefakte und die Anderen, die eine Praktik ausbilden, eröffnen einen Möglichkeitsraum vor Ort. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er an die Erwartungen rückgebunden ist, ohne von ihnen determiniert zu werden. Der Begriff des Möglichkeitsraums stellt in Rechnung, dass die Wirklichkeit kontingent ist, weil die pädagogische Situation als Ereignis die Erwartung infrage stellt, weil eine Kontinuität des Handelns unterbrochen wird. Zugleich fällt das eigene Handeln nicht aus der Wirklichkeit, weil wir im Handeln rückgebunden sind auf unser Hiersein. Die bestehende Praktik ist der Hintergrund der Veränderung in der besonderen pädagogischen Situation. Beispielsweise tritt im Unterricht eine Störung auf, so kennen wir die Lernenden, wissen, wie die Akteure in der Schule über Störungen denken, besitzen selbst einen konkreten Erfahrungshintergrund. Insgesamt besteht ein Hintergrund, vor dem wir in der »pädagogischen Situation« handeln. Die Akteure entwickeln eine routinierte Praxis, raumbezogene Praktiken, im analogen wie digitalen Raum. In beiden Fällen gibt es eine gewisse konservative Routine, die eine Erwartung aufbaut und sie bestätigt. Unter die raumbezogenen Praktiken fallen auch die globalen hyperkulturellen Handlungsmuster (Han 2005) des Internets, das nicht mehr auf die unmittelbare Umgebung reduzierbar ist und die Umwelt der Schule als »Glokalität« (siehe Kap. 1) versteht.
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3. Leitideen der Schule in der Digitalität
Abbildung 6: Leitideen
Die Schule formuliert kollektive Leitideen und ein pädagogisches Profil zu den pädagogischen Zielen und Vorstellungen vor Ort und schafft so einen eigenen schulischen Bildungsraum (vgl. Böhme 2009, S. 208ff.). Das geografisch und rechtlich abgesteckte Territorium der Schule bildet dafür die materielle Abgrenzung zur Umwelt und bildet das Innen zum Außen. Obwohl die Buchschule die Illusion der Trennung von Innen und Außen rein äußerlich erhalten kann, indem die Face-to-Face-Kommunikation und die körperliche Präsenz von Schüler*innen und Lehrkräften dies suggeriert, ist auch dort bereits ein
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Der hybride pädagogische Raum
virtueller Raum vorhanden: Schriftsteller*innen und Autoren*innen wie auch die Lehrkräfte kommunizieren mit ihren Texten und sprechen die Schüler*innen an, obwohl sie nicht vor Ort sind und keine Face-to-Face-Kommunikation praktizieren. Die Kontrolle über die Medien ist jedoch unlängst leichter, indem die Bücher, Artikel und Arbeitsbögen ausgegeben, entzogen und eingeteilt werden können. Mit den digitalen Medien wird nun eine Echtzeit eingeschoben, die die unmittelbare Kommunikation vor Ort tangiert. Mit den technischen Möglichkeiten und Geräten ist eine Kontrolle der Texte nicht mehr möglich. Der einzige Ausweg ist das Verbot der Geräte oder die Bevormundung in der Nutzung. Dem steht jedoch die Forderung nach einer Medienbildung entgegen. Zu fragen ist, wie die jeweils einzelne Schule und die darin agierenden Lehrkräfte und Schüler*innen mit der Trennung von Innen und Außen umgehen. Böhme (2009) benutzt den Begriff der »schulkulturellen Entwurfsebene«. Darin wird der pädagogische Raum ausbuchstabiert. Begriffe wie »Lebensnähe« oder »Authentizität« trennen den Innen- vom Außenraum, indem sie auf die Verbindung trotz Trennung verweisen. Allgemein wird eine Form der »Jenseitstopographie« (Bilstein 1997, S. 22, zit.n. Böhme/Herrmann 2009, S. 209) benutzt, die den Bildungsraum gegen die unberechenbare und kontingente Außenwelt abriegelt. Die Schule wird traditionell als pädagogischer Raum gegen das Außen abgeschlossen und wird in der so geschaffenen Isolierung als pädagogischer Freiraum beschrieben, in dem die Schüler*innen auf das Draußen vorbereitet werden. Interessant ist hierbei, wie die Schule sich als Institution nach dem Außen präsentiert (vgl. Böhme/Herrmann 2009, S. 209f.). Das pädagogische Praxisverständnis einer Schule in der Digitalität zeigt sich darin, inwieweit mit der zunehmenden Kontingenz in der Glokalität umgegangen wird. Böhme (2012) zeigt auf, wie die pädagogische Vermittlungspraxis als eine Technologie interpretiert wird, indem die Handlungsresultate des Lehrens und Lernens einer ständigen Kontrolle unterzogen werden. Der Begriff »Technologie« wird in dem Sinn verstanden, dass ein klarer »Zweck-Mittel-Zusammenhang« aufgezeigt wird, um »beliebige konkrete Ziele durch die geeigneten Mittel zu erreichen« (S. 228). Im Rahmen eines solchen pädagogischen Verständnisses bildet sich ein räumliches Verständnis aus, das die Platzierung, die Verortung der Schüler*innen und deren disziplinierende Kontrolle nach dem Input-Output-Verständnis verfolgt. Effizienz und Mehrwert, die sich abrechnen lassen und Maßnahmen zuzuordnen sind, rechtfertigen die erfolgreiche pädagogische Arbeit. Wie oben aufgezeigt wurde, wird hier der Schulraum in einer Art »Jenseitsidylle« dargestellt, indem ein klares Innen und Außen aufgezeigt wird. Die Schule schließt sich gegenüber der Unübersichtlichkeit und versucht in der tradierten Art und Weise das Phänomen der Digitalität so zu reduzieren, dass es selbst wieder zu einem kontrollierten Gegenstand wird und setzt dafür eine »zeitgemäße Didaktik«
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
(S. 17) ein, damit sich die Schüler*innen über ihre Position klar werden. Es kann gesagt werden, dass hier eine Didaktisierung der Digitalität stattfindet. Die eingerichtete Welt der Schule mit ihren Strukturen ist insoweit nicht neutral, sondern hegemonial ausgerichtet, als sich solche pädagogischen Konzepte in Schulbauten, pädagogisches Material, die Anordnung im Raum der Schüler*innen und Lehrkräfte einschreiben. Die räumliche Struktur unterstellt die pädagogische Machbarkeit, indem die Architektur und Raumgestaltung eine Konzeption der Positionierung und der Raster aufstellen, die den Körper in einem pädagogischen materiellen Raum verortet und ansprechen kann. Die Digitalität ist in einem solchen Zusammenhang eine Herausforderung, da, wie gezeigt, die vormaligen territorialen Grenzen aufgelöst und der pädagogische Raum neu ausgerichtet werden muss. Damit werden andere Möglichkeiten zugelassen, die auch in den Leitlinien einer Schule ausformuliert werden müssen. Das pädagogische Selbstverständnis (siehe dazu auch Paternalismus Kap. 4) wird nun in das Außen eingebettet, ohne die professionelle Lehrtätigkeit aufzugeben. Die Veränderung des herkömmlichen Territoriums der Schule kann als eine gegenkulturelle Bewegung verstanden werden, indem die Begrenzung der Schule neu verhandelt wird. Hinzu kommen raumbezogene Handlungsmuster, die nicht unbedingt mit den traditionellen, territorialen Vorstellungen der Schule übereinstimmen. Sie gehen über den Bereich der Schule hinaus. Löw (2017) spricht von einer Veränderung von Routinen, die durch neue Routinen ersetzt werden müssen (vgl. auch Waldenfels 1980), um den hybriden pädagogischen Raum (siehe auch Kap. 2) erzeugen zu können. Unter dem Paradigma der Digitalität ist es nicht sinnvoll, die herkömmlichen Muster des pädagogischen Selbstverständnisses anzuwenden. Mit der Digitalisierung entstehen andere Anforderungen an die Institution Schule, die sich nicht einfach auf das schulische Territorium, seine räumlich-materielle Ausgestaltung übertragen lassen. Es erfordert einen bewussten Umgang in der Transformation von der analogen zur digitalen Schule, die insbesondere in den Köpfen beginnt. Gerade in einer Schule bedarf es eines gemeinsamen Verständnisses darüber, was es heißt, unter den Bedingungen der Digitalität zu unterrichten. Zugleich ist klar, dass die Schule nicht aufgelöst wird, da alle Digitalität einen analogen Raum benötigt. Doch diese in der Transformation noch getrennten Räume werden unweigerlich ein hybrider pädagogischer Raum.
3.1
Das Medienkonzept als Herausforderung der Schule
Das Medienkonzept einer Schule formuliert einen temporären Stand eines solchen Verständnisses. Aufgrund der dynamischen Entwicklung der Digitalität für den pädagogischen Bereich sollte es keine starre, normierende Wirkkraft bilden. Ver-
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einfacht ausgedrückt, ist ein Medienkonzept einer Schule ein Mehrheitskonsens einer hierarchisch gegliederten Institution. Das Medienkonzept ist Teil der konkreten Schule – also keine Vision einer sich in der Zukunft bewegenden Schule – und ist selbst wieder auch in einem globalen Diskurs eingebettet. Denn die Deregulierung der autonomen Einzelschule spiegelt sich auch in der Glokalität als Absetzungswünsche wider, um die Besonderheit der jeweiligen Schule hinsichtlich der anderen Schulen gegenüber den Eltern und Schüler*innen deutlich zu machen, die oftmals nun als »Kund*innen« beschrieben werden. Sie zeigt sich im pädagogischen Profil, in den Erziehungszielen, in dem schulinternen Curriculum usw. Was meint eine Schule, wenn sie sich in der Digitalität verortet? Das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB, 2017) schlägt unter anderem folgende Formulierung für eine Zielbestimmung der Medienbildung für eine Schule vor: »Unsere Schule begleitet die Lernenden pädagogisch durch eine von Medien geformte Umgebung« (Anhang, S. 17). Der Text und das Buch werden als selbstverständlich dazugehörig betrachtet (siehe auch Kap. 5.1). Der Bildungsraum einer Schule drückt sich im pädagogischen Profil, im Medienkonzept oder im Leitbild der Schule aus. Repräsentationen in Form von Tafeln an der Außenfassade einer Schule, wie beispielsweise »Schule gegen Rassismus«, das Schullogo, das die Schule im Verhältnis zur Welt grafisch ausdrückt (vgl. Böhme/Hermann 2011) oder die Internetauftritte auf den Websites, sind Darstellungsformen, um einen pädagogischen Schwerpunkt einer Schule zu zeigen. Wenn über Medienkonzepte einer Schule gesprochen wird, dann werden organisatorische Konzepte berührt. So fragt im Rahmen des »DigitalPakt Schule 2019-2024« beispielsweise der Leitfaden für allgemeinbildende Berliner Schulen danach, ob es »Freiräume bzw. Rahmenbedingungen« für neue »produktorientierte Arbeitsformen« gibt, also inwieweit von den üblichen Rahmenbedingungen abgerückt wird. Auch wird beispielsweise auf die »Zusammenarbeit mit Schüler-/Elternvertretungen« abgezielt, inwieweit hier im Rahmen der Digitalisierung neue Wege beschritten werden usw. Für den konkreten Unterricht wird danach gefragt, welche »Projekte/AGs/Auszeichnungen mit Medienbezug […] sowie Kooperationen« vorliegen (DigitalPakt Schule 2019-2024). Im Rahmenlehrplan Teil B werden Medienkompetenzen ausgewiesen, die für alle Fächer gültig sind und einen integralen Bestandteil für das Unterrichten darstellen. Folgerichtig wird danach gefragt, inwieweit es zwischen dem Schulprogramm und dem schulinternen Curriculum (SchiC) eine medienspezifische unterrichtliche und schulorganisatorische Ausrichtung gibt, die das Schulprofil, das im ersten Teil des »DigitalPakt Schule 2019-2024« abgefragt wird, ausmacht. Festzuhalten ist, dass das Schulprofil (Kapitel I des »DigitalPakt Schule 2019-2024«), das Schulprogramm/SchiC und das spezifische Medienkonzept einen Dreiklang bilden, um den Unterricht in der Digitalität zu beschreiben.
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
Der pädagogische Raum steht in einem unmittelbaren Bedingungszusammenhang mit der technischen Infrastruktur und dem pädagogischen Medienkonzept einer Schule. Im günstigsten Fall stützen sich die drei Bedingungsfelder, im ungünstigsten Fall blockieren sie sich gegenseitig. So kann beispielsweise das Leitbild eine großzügige Vernetzung vorsehen, zugleich ist die schulische Infrastruktur eher so ausgerichtet, sich gegen die Umwelt abzudichten, indem die Fluidität des Netzes unterbunden und »das Netz« misstrauisch kanalisiert wird, indem ein riesiges bürokratisches Regelsystem entsteht, das den Akteuren (Schüler*innen und Lehrkräfte) wenig situativen (offiziellen) Spielraum lässt und Devianz produziert. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu haben, sollen nachfolgend auf der Grundlage von Veröffentlichungen von Schulen im Internet Strategien herausgearbeitet werden, wie im analogen pädagogischen Raum mit digitalen Medien umzugehen ist. Nicht pädagogisch aufbereitetes Wissen aus dem Netz. Schaut man sich im Internet um, ist eine sehr unterschiedliche Bandbreite von Konzepten vorzufinden. Die nachstehenden Aspekte sind nicht repräsentativ, sondern sollen die Spannbreite darstellen, um die Raumstruktur von Schule und Umwelt zu beschreiben. Insoweit wird in der hier stehenden Diskussion kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben, sondern es sollen Varianten der Trias »Praktik vor Ort«, »hybrider pädagogischer Raum« und »Leitvorstellungen von Schule in der Digitalität« thematisiert werden. »Medien« werden zum Thema des Unterrichts, indem über sie gesprochen wird. Das zeigt sich beispielsweise in dem Konzept des Carl-Friedrich-vonSiemens-Gymnasiums (Berlin), wo »Medien« zum Gegenstand des Unterrichts werden. Mit dem Verweis auf Weinerts Kompetenzbegriff wird das Thema »Medien« wie folgt behandelt: »Medien- und Methodenkompetenz sind nicht mehr Mittel zum Zweck – sie sind nun eines der zentralen Ziele kompetenzorientierten Unterrichts. In einer Informationsgesellschaft, in der sich ,Wissen‹ exponentiell vermehrt, steht – so der Grundgedanke kompetenzorientierten Unterrichts – neben dem Inhalt die Fähigkeit im Vordergrund, sich in bestimmten Situationen unter bestimmten Bedingungen das für die Situation notwendige Wissen zu erarbeiten.« (Carl-Friedrichvon-Siemens-Gymnasium Berlin 2013, S. 2) Abgewiesen wird die Vorstellung, dass Medien ein »Mittel zum Zweck« sind, wie es bei der Vorstellung der Mittelbeschreibung bei Wygotski der Fall ist. In dem Sinn wird aufgezeigt, dass die Medien nicht nur die Inhalte effektiv darstellen sollen, wie dies exemplarisch im Hamburger Modell von Schulz zu sehen ist (1981), sondern nun selbst zu einem inhaltlichen Faktor werden, indem sich Wissen angeeignet wird. Was die besonderen Bedingungen sind, wird nicht weiter thematisiert.
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Der hybride pädagogische Raum
Anzunehmen ist, dass die Schule Aufgaben erzeugt, die die Wissensaneignung in die Hände der Schüler*innen legt. Im Rahmen des kompetenzorientierten Unterrichts wird die Recherche zu einem integralen Bestandteil des Unterrichts vor Ort. In dem Sinn wird das »Innen-Außen-Konzept« der Schule teilweise tangiert, indem nicht pädagogisches Wissen in den schulischen pädagogischen Raum eingelassen wird. Lerneffizienz steigern. Die Schüler*innen werden didaktisch und methodisch angeleitet, einen kompetenten und effizienten Umgang mit Medien zu erwerben, um den Unterrichtsstoff auf andere Art und Weise zu bearbeiten. Dabei wird das Konzept des Unterrichts auf die digitale Ebene übertragen, indem in der Schule die digitale Welt simuliert wird. Medienbildung beginnt dort, wo digitale Medien im Unterricht benutzt werden. Folgende Unterrichtspraktiken sollen angestrebt werden: • • • • • • • • • • • •
Informationen sammeln, auswerten und weiterverarbeiten, Erstellen und Analysieren von Diagrammen, multimedialer interaktiver Einsatz von digitalen Medien, schulübergreifendes Projektarbeiten ermöglichen, Texte als Arbeitsgrundlagen nutzen, Korrespondenz mit anderen Schüler*innen, Schulen und Expert*innen, fächerübergreifendes bzw. fächerverbindendes Arbeiten, Präsentation von Unterrichtsergebnissen im Internet, Entwicklung verschiedenster digitaler Produkte, Nutzung von Schülerlernsoftware, Nutzung von Lernarrangements aus dem Sinus-Transfer-Projekt, Kleingruppenarbeit, individualisiertes Lernen, Binnendifferenzierung (vgl. Sek. I- Verordnung).« (Medienkonzept Schiller-Gymnasium 2014, S. 3ff.)
Individualisierung, Gruppenarbeit, fachverbindendes Lernen usw. sind die Topthemen der Didaktik, die aufgegriffen werden. Damit wird die Fallhöhe der Digitalität hoch, wenn das nicht eingelöst wird. Das Prinzip des Unterrichts wird hier nicht infrage gestellt, sondern lediglich durch neue Medien ergänzt. Zugleich soll jedoch gezeigt werden, dass diese Form des Lernens in der bestehenden Schule zu einer Effizienzsteigerung führt. Dazu werden die gängigen Themen der Unterrichtspädagogik herangezogen, die nun durch die Digitalität gelöst werden. »Für die Steuerung des Medieneinsatzes gelten folgende Grundsätze: Für den Lehrer soll der Medieneinsatz möglichst mit geringem Zeitaufwand, einsatzsicher und ohne zusätzlichen Arbeitsaufwand geschehen. Im Klartext: Ein Lehrer soll
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
sich auf seine Schüler konzentrieren können und nicht mit der aufwendigen Bedienung von Technik beschäftigt sein. Es müssen die Möglichkeiten geschaffen werden, dass jeder Lehrer von seinem bevorzugten Vorbereitungsarbeitsplatz den Medieneinsatz planen und vorbereiten kann.« (Hufeland Schule; Website, zuletzt 24.01.2020) Sollte dies nicht zutreffen, dann ist anzunehmen, dass die Medien nicht geeignet sind. Wie Krommer (2019) richtig beschreibt, wird das Effizienzdenken gerade auf die digitalen Medien unter den Rahmenbedingungen der analogen Schule betrachtet und bewertet. Effizient sind die digitalen Medien dann, wenn sie effizient unter den Bedingungen der Buch-, Fernseh- und Videokultur gleichermaßen oder besser funktionieren. Das Carl-Friedrich-von-Siemens-Gymnasium (2013, S. 2ff.) beispielsweise verweist auf eine Steigerung der Lerneffektivität, wobei die »Effektivitätsabwägung […] Vorrang vor kritikloser Multimediahörigkeit« hat. Der Werkzeug-Gedanke. Der Computer als Werkzeug ist ein beliebtes Verständnis. Computer und Laptop werden als Universalmedium angesehen, die nun im Unterricht benutzt werden können. Dabei wird in der Regel die Multifunktionalität hervorgehoben. Indirekt wird darauf verwiesen, dass didaktisch gesehen keine explizite Inhalt-Medien-Relation in Bezug zu den digitalen Geräten vorhanden ist. Da es sich um Allzweckgeräte handelt, sind sie in didaktischer Hinsicht ohne Konsequenzen und benötigen keinen spezifischen Einsatz, sondern werden ebenso wie »Bücher, Buntstifte oder Papier in großen und kleinen Unterrichtsprojekten zum Lernen und zur Herstellung eigener Produkte eingesetzt« (Lindgren Schule). Ziel ist es, so das Goethe-Gymnasium, Computer und interaktive Tafeln zu einem leicht bedien- und verfügbaren Arbeitsmittel zu machen. Nach dem Immanuel-Kant-Gymnasium gehören zu den grundlegenden Merkmalen des Arbeitens mit digitalen Medien, Informationen zu gewinnen und den Unterricht anschaulich zu gestalten und soziale Aspekte und Gefahren in einer sich zunehmenden vernetzten Gesellschaft zu reflektieren (Immanuel-KantGymnasium). Das Internet als Fenster nach draußen. Im Sinne eines Werkzeuges wird das Internet als Ressource gesehen, die zuvor von Lexika erfüllt wurde. Das Internet soll für eine qualifizierte Recherche in allen Klassenstufen genutzt und in Foren diskutiert werden. Begleitend wird eine Sensibilisierung für den Datenschutz angestrebt (Schiller-Gymnasium Berlin 2014, S. 4). Das Außen wird von innen beobachtet. Die Schüler*innen gehen ins Netz, um Recherchen vorzunehmen und um dort zu diskutieren. Doch zugleich sind sie in der Schule. Dennoch ist hier eine Veränderung zu sehen, indem die Kontingenz hingenommen wird. Während beispielsweise die Einträge des Brockhaus antizi-
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piert werden können, da die Information kontingentiert und antizipert werden können, ist das im Netz nun nicht mehr der Fall. Wer mit wem wie kommuniziert, ist nicht klar. Dennoch werden nun in den fachlichen Foren nicht pädagogische Akteure angesprochen, die nun Teil des Unterrichts sind. Welche Relevanz eine solche Kommunikation besitzt, wird nicht weiter ausgeführt. Gesellschaftliche Partizipation. Die gesellschaftliche Teilhabe wird in vielen Programmen hervorgehoben. Hier wird zum einen auf die zukünftige Arbeitswelt verwiesen, um als autonome und eigenständige Bürger*innen und Arbeitnehmer*innen agieren zu können. Zum anderen wird die Lebenswelt der Schüler*innen thematisiert. »In zunehmendem Maße wird die Lebenswelt der Schülerinnen Schüler durch digitale Medien, insbesondere bei der Benutzung sozialer Netzwerke bestimmt. Eine Aufgabe der Schule muss es sein, sich dieser multimedialen Technologie zu öffnen.« (Ellen-Key-Schule, Medienkonzept 2019, S. 4) Insoweit wird das Außen zur Betrachtungsebene, auf die die Schule zugeht. So will beispielsweise die Peter-Lenné-Schule (OSZ Natur und Umwelt) »auf ein Leben in der digitalisierten Lebens- und Arbeitswelt vorbereiten«. Berufsbezogener Unterricht zeichnet sich dadurch aus, dass »die Arbeit an konkreten Aufgabenstellungen von der Planung bis zu ihrer Realisierung auch unter Einsatz digitaler Medien« erfolgt (Peter-Lenné-Schule, S. 2f.). Eine für alle Fächer gleichermaßen gültige Formulierung wird hier speziell für die gesellschaftliche Partizipation im Bereich der digitalen Medien formuliert, um insbesondere das neue Handlungsfeld hervorzuheben. Als notwendig wird herausgestellt, dass der digitale Raum als ein spezifisches Handlungsfeld angesehen wird, in dem sich auch die Schule selbst befindet. Um eine Brücke zur Außenwelt der Schüler*innen zu bauen, wird sich den digitalen Medien zugewendet. Dennoch wird das spezifische Verhältnis einer Schule in der Digitalität selbst nicht ausgeführt oder erwähnt. Der digitale Raum – zwischen Schließung und Öffnung. Der schulische Raum steht dem digitalen Raum gegenüber, den man besuchen kann, der aber keinen primären Bestandteil der Schule darstellt. Vielmehr wird das bestehende System der Schule in den digitalen Raum übertragen. So verweist beispielweise die Peter-Lenné-Schule darauf, dass ein schuleigner YouTube-Kanal erstellt werden sollte, die Schüler*innen mit mobilen Endgeräten auszustatten seien und das Prinzip »Bring Your Own Divice (BYOD)« zu verfolgen sei. Ziel ist das mobile und digitale Klassenzimmer (Peter-Lenné-Schule, S. 14). Die Bemühung liegt darin, den Schulbetrieb auch im digitalen Umfeld zu territorialisieren, indem ein Innen und ein Außen konstruiert wird. Die Ambivalenz
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
zwischen dem territorialen Prinzip der Schule und einer Entgrenzung durch digitale Räume wird beispielsweise so gelöst, dass Lernplattformen eher als Ablagesystem angesehen werden, wo Lernergebnisse exemplarisch ausgewiesen werden. »Nutzung der Lernplattform Lernraum Berlin in ausgewählten Lerngruppen als virtuelles Klassenzimmer für Arbeitsergebnisse (Plakate, gelungene Hausaufgaben, Werkstücke, Versuchsanordnungen), zum Bereitstellen, Austauschen und gemeinsam Editieren von Informationen.« (Schiller-Gymnasium Berlin 2014, S. 3-4; Hervorhebungen HJV) Es wird ein eigenes, digitales Raumsystem aufgebaut. Der Lernraum Berlin wird als ein geschützter »anderer« Raum genutzt, jedoch aus dem Territorium der Schule heraus. Das Klassen- und Fachsystem wird weiter aufrechterhalten, indem nun auf der digitalen Ebene das analoge System adaptiert wird. Digitale Räume werden so in die bestehende Architektur integriert, indem »Computerräume« eingerichtet werden, die den Gedanken des Lehrens und Lernens des 19. und 21. Jahrhunderts quasi zu vereinen versuchen. Das Friedrich-Ebert-Gymnasium Berlin schreibt zu ihrem Projekt Lernraum: »Die Lerngruppen der FEO nutzen im ,lernraum-berlin‹ mit über 170 Kursen die berlinweit höchste Zahl an kollaborativen Plattformen. Da die Schülerinnen und Schüler dort i.d.R. gruppenweise individuell arbeiten, werden hierbei gerne die vorhandenen drei Computer-Fachräume intensiv genutzt. Die Schüler erstellen Internetseiten zu Rahmenplaninhalten (z.B. Globalisierung) oder zur vertieften Arbeit mit dem Lehrbuch (E-zines), nutzen Materialien, die zu bestimmten Themen zusammengestellt wurden (z.B. zum Abitur in Englisch und Französisch) und arbeiten mit Lehrern in Lernräumen für den spezifischen Kurs/die Klasse, über die z.B. gemeinsam Korrekturen an einem Text/Hausaufgaben vorgenommen werden können.« (Friedrich-Ebert-Gymnasium Berlin, S. 3; zuletzt 24.01.2020) Transformation. Der Lernraum erlaubt es, den Unterrichtsstoff dort einzustellen. Dort arbeiten die Lernenden in der analogen Umgebung der Schule. Die Schüler*innen sind im analogen Raum, innerhalb des Territoriums der Schule, bewegen sich im digitalen Klassenraum, der durch Zugangsrechte geregelt und verriegelt wird. Anwesende kommunizieren miteinander, indem sie über das Netz miteinander reden. In solchen Konstellationen wird das digitale Medium zwischen die direkten Begegnungen der Akteure geschaltet, obwohl dies keinen Sinn macht. Zugleich wird ein doppelter Raum geschaffen: die analoge und digitale Schule. In beiden Fällen wird die Logik der Territorialisierung der Schule gewahrt und zugleich nach außen signalisiert, dass die digitale Umgebung simuliert wird. Ein weiterer wichtiger Territorialisierungsmechanismus einer Schule ist die restriktive Aufsicht über die Smartphones. Sie sind das unmittelbare Interface zum
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Außen der Schule. In diesem Zusammenhang werden oftmals aufgeladene ethische Positionen herangezogen, um ein solches Verbot zu formulieren. So zeigt die Nelson-Mandela-Schule für die Medienbildung im Bereich »Kommunizieren« folgende Kompetenzen auf (Website Januar 2020): »Kommunizieren Regeln für Internetsicherheit thematisieren Einloggen mit Klassenpasswort, an- und abmelden im Intranet der Schule Kommunikationsregeln in der Schule und Familie besprechen« Für den zuletzt genannten Punkt gibt es in der Schule ein ausführliches Regelsystem, in das auch die Eltern einbezogen werden. Die »Handys« (sic!) sollen im Klassenraum nicht sichtbar sein, wobei die Lehrkraft die Möglichkeit hat, individuelle Ausnahmen zu ermöglichen, wenn »aus nachvollziehbaren berechtigten Gründen« das Smartphone gebraucht wird. In den Pausen können die Smartphones genutzt werden. Verbote werden dann ausgesprochen, wenn »übermäßig auf dem Handy [ge]spiel[t]« wird. Sollten die Smartphones eingesammelt werden, ist jeder Klassenraum mit einer durchsichtigen Kiste ausgestattet, in der die Lehrkraft die Geräte bei Bedarf aufbewahren kann. Wird gegen die Handy-Regel verstoßen, tritt ein mehrfacher Mechanismus ein: »Verstöße werden in diesem Schuljahr im Schüler-Logbook unter dem jeweiligen Tag des Verstoßes vermerkt. Ab dem nächsten Schuljahr wird es hierfür einen Vordruck im Schülerkalender geben. Jeder Vermerk muss von einem Erziehungsberechtigten der Schüler*innen und den Klassenlehrer*innen unterschrieben werden. Bei mehrfachen Verstößen werden die betroffenen Erziehungsberechtigten zu einem pädagogischen Gespräch geladen, eine schriftliche Verwarnung wird erteilt.« (Nelson-Mandela-Schule) Exemplarisch zeigt sich hier, wie der schulische Raum über Verbote abgeriegelt wird, um Aufmerksamkeit nach innen zu erzeugen. Die soziale Kommunikation wird lediglich auf den analogen Raum der Schule begrenzt. Die Regeln enteignen die Nutzer*innen und entmündigen die Schüler*innen, um das Lernen zu gewährleisten. Spielen mit dem Smartphone oder der nicht sachgerechte Gebrauch der Smartphones sind die Gegenbilder, die das unerwünschte soziale Handeln der Schüler*innen anzeigen. Alles, was nicht dem Lernen im engeren Sinn dient, wird durch Verbote ausgeschlossen. Der selbstständige und reflektierte Umgang mit den Smartphones hingegen wird als pädagogischer Auftrag teilweise ausgeblendet bzw. relativiert. Maschinen bieten Möglichkeiten der Nutzung an und sind in dieser Hinsicht aktiv. Doch sie determinieren nicht die Handhabung. Wichtig an solchen Stellen ist der bewusste Umgang mit ihnen. Die Benutzung kann nur mit den Geräten funktionieren, nicht, indem sie aus dem Territorium der Schule verbannt werden.
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
Nun könnte eingewandt werden, dass gerade das Arrangement der Smartphones so ist, dass es ständig dazu verführt, aus dem Unterricht auszusteigen. Das Problem wird so in einen außerschulischen Bereich und zu Akteuren verschoben, die keine pädagogischen Absichten verfolgen. Die vernetzte Schule. Die Schule wird zu einem Knotenpunkt und bildet als ein Netzwerk selbst wieder einen pädagogischen Raum. Die Schule wird nicht mehr auf das Territorium und den materiellen Raum allein bezogen, sondern sucht nun Kooperationen mit anderen Schulen. Das Carl-Friedrich-von-SiemensGymnasium zeigt nachstehende Unterrichtsziele auf: • • • • • • • • • • • •
Informationen sammeln, auswerten und weiterverarbeiten, Erstellen und Analysieren von Diagrammen, multimedialer interaktiver Einsatz von digitalen Medien, schulübergreifendes Projektarbeiten ermöglichen, Texte als Arbeitsgrundlagen nutzen, Korrespondenz mit anderen Schülern, Schulen und Experten, fächerübergreifendes bzw. fächerverbindendes Arbeiten, Präsentation von Unterrichtsergebnissen im Internet, Entwicklung verschiedenster digitaler Produkte, Nutzung von Schülerlernsoftware, Nutzung von Lernarrangements aus dem Sinus-Transfer-Projekt, Kleingruppenarbeit, individualisiertes Lernen, Binnendifferenzierung (vgl. Sek. I- Verordnung). (Carl-Friedrich-von-Siemens-Gymnasium 2018, S. 3-4; Hervorhebungen HJV)
Die Schule wird als ein Netzverband gesehen, in dem verschiedene Schulen zusammenarbeiten. So wird die Schule zu einem »digitalen Campus«, in dem die verschiedenen Akteure über den traditionellen territorialen Schul- und Unterrichtsraum miteinander interagieren. Der »digitale Campus« erstreckt sich über die eigene Schule, indem nun über das Territorium hinaus Lern- und Arbeitsräume entstehen. Neben der Erweiterung der Lerngruppen wird es auch Zusammenschlüsse in Kollegien geben, die miteinander arbeiten. Interessant wird sein, wie sich eine solche Entwicklung entfaltet. Zu fragen ist, ob eine Integration oder Segregation in dem Sinn stattfindet, dass ähnliche Schulen zusammengehen und unterschiedliche Schultypen eher keinen Kontakt untereinander haben werden. Zudem ist zu fragen, ob gleiche Schultypen mit unterschiedlicher Zusammensetzung der Schülerschaft eher keinen Kontakt haben, hingegen Schulen mit einer ähnlichen Schülerpopulation eine höhere Bereitschaft besitzen, sich in einem digitalen Verbund zusammenzufinden. Der jeweilige Fluchtpunkt für solche Verbindungen wird wahrscheinlich eine ähnliche Praxis vor Ort
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sein, die auch eine ähnliche pädagogische Orientierung generiert. Hier zeigt sich die Glokalität deutlich, indem hier übergeordnete Praxen generiert werden. Was sollte ein zukünftiges Medienkonzept leisten? Insgesamt zeigt sich eine Spannung zwischen Schließung und Öffnung der traditionellen Schule. Teilweise wird die Digitalität in der Schule zugelassen und es wird nicht deutlich, welche Dynamik aus einer solchen Öffnung resultiert. Die Schule in der Digitalität bedarf eines anderen pädagogischen Verständnisses als es für die rein analoge Schule der Fall ist. Wenn man von dem Medienkonzept einer Schule spricht, ist das kein herkömmliches pädagogisches Verfahren, sondern greift tief in die Schul- und Unterrichtsstruktur ein. Zu fragen ist, was auf die Schule und die Akteure zukommt. Nachstehend wird eine Tendenz aufgezeigt, indem danach gefragt wird, wie sich der pädagogische Raum verändert, wenn die Schule nicht mehr allein durch das Schulgebäude geklammert wird. Die Praxis der Schule – also die habitualisierte und kommunizierte Erfahrung vor Ort und die Praktik –, die sich in der Begegnung ausbildet und verändert, schlägt sich in einem pädagogischen Selbstverständnis nieder. »In dem Maße, wie die (Selbst-)Verantwortung der Beschäftigten für ihre Arbeitsplätze und Arbeitsergebnisse zunimmt und auch gewünscht ist, braucht das weitgehend voneinander isolierte Einzelhandeln der Beschäftigten eine orientierende Richtschnur. Dies trifft in besonderem Maße auf die Organisation Schule zu, in der das wesentliche Organisationshandeln durch einzelne Lehrerinnen und Lehrer in getrennten Unterrichtssegmenten ausgeführt wird.« (ZECH o.J.) Momentan werden die Medien in Anlehnung an Wygotski (1930/1979, S. 40ff.) als »Mittler« verstanden, die die vormals analogen Medien nun digitalisieren. So wird vermieden, gravierende Einschnitte vornehmen zu müssen. »Diejenigen Fähigkeiten, die am einfachsten zu unterrichten und zu prüfen sind, sind identisch mit den Fähigkeiten, die am einfachsten zu digitalisieren, zu automatisieren […] sind.« (Schleicher 2017, S. 2)
3.2
Leitziele für eine Schule in der Digitalität
Im Medienkonzept sollte sich die Praxis einer Schule im Rahmen der Glokalität ausdrücken. Wir haben es mit einem Leitmedium zu tun, das den »alten« Mediengebrauch rahmt, indem die Schule direkt oder indirekt danach fragt, welche Auswirkungen die Digitalität auf die Unterrichtshalte besitzt, auf die Zeittaktung, die Online- und Offline-Anwesenheit, die Raumzuteilung einer Schule usw. Mit der Digitalität wird der alte pädagogische Raum zusehends dereguliert und bedarf
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
nachdrücklicher eines anderen pädagogischen Rahmens. Die Digitalität schreibt sich in alle schulischen Ebenen ein: den Rhythmus der Stundenfolge, den Fächerkanon, die Inhalte und Methoden wie auch in die Didaktik. Wenn Digitalität nicht bedeutet, dass die vormals analogen Medien digitalisiert werden, dann ist danach zu fragen, welche anderen Maßnahmen und Grundsätze zu verfolgen sind. Nachstehend sollen einige Eckpunkte für eine schulische Organisation und ein verändertes Unterrichtsverständnis dargestellt werden. Dabei ist es wichtig, dass gerade in der Ausbildung darauf Wert gelegt wird, dass zukünftige Lehramtsanwärter*innen ein anderes Verständnis des Klassenunterrichts gewinnen, der von der bisherigen seriellen Darbietung abweicht. Schlagwortartig sind nachstehend Gesichtspunkte aufgegliedert: #Bildung wurde von jeher medial vermittelt. Die Digitalität verändert die bestehende Bildungsvermittlung. Das Smartphone, der Laptop usw. sollten im Unterricht so normal sein wie eine Federtasche. Der Einwand, dass eine solche Erlaubnis lediglich Unruhe brächte, sollte kritisch hinterfragt werden. Sowohl im Elternhaus als auch in der Schule sollte der bewusste Umgang mit Medien erzogen werden, indem auch das Elternhaus einbezogen wird. Besonders ist dabei zu betonen, dass dies nicht über Verbote geht, sondern so ein bewusster Umgang entsteht. Die Schüler*innen sind dabei nicht Objekt von erzieherischen Maßnahmen, sondern Mitgestalter*innen, die eine Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen (siehe auch Selbstregulation Kap. 4). Momentan sieht es so aus, dass diese Aufgabe Akteure übernehmen, die keinen pädagogischen Auftrag besitzen. Bereits jetzt gibt es viele Apps, die auf der Basis eines Algorithmus – der eine Vorstellung einer sinnvollen Nutzung einschreibt und einen Normalitätsstandard proklamiert – »Bäumchen«, »Herzchen« usw. senden, wenn die Bildschirmzeit unterschritten wird. Die Geschäftsbasis solcher Anbieter sind die Nutzer*innen, die mit ihren Daten bezahlen. Doch abgesehen davon, sollte der Erziehungsauftrag der Schule nicht anonymen Algorithmen und deren Verfassern mit einer obskuren behavioristischen Lernvorstellung überlassen werden. Es ist eine Aufgabe der Schule, den Umgang mit Medien in der Digitalität zu reflektieren. #Der territoriale Raum wird durch den hybriden pädagogischen Raum ersetzt, indem Lernen dort konstituiert wird, wo sich Lehrende und Lernende versammeln. Das kann die Schule sein (siehe weiter unten), aber auch ein gesellschaftlicher Raum in der Alltagsumgebung. Die Schule findet in formellen und informellen Räumen, mit Expert*innen, Pädagog*innen, Laien, Wissenden statt, indem vor Ort ein expliziter pädagogischer Raum geschaffen wird.
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#So selbstverständlich es ist, digitale Medien im formativen Leistungsbereich zu nutzen, so selbstverständlich sollte dies auch im summativen Leistungsraum sein. Ich möchte an dieser Stelle nicht zu viel sagen, da es dazu eine gesonderte Betrachtung gibt (Kap. 5.4), dennoch sollte darauf hingewiesen werden, dass es einer anderen Aufgabenkultur bedarf, die die Digitalität zur Kenntnis nimmt. Beispielsweise ist der AFB (Aufgabenbereich I) dann nicht mehr möglich, sondern es muss eine Aufgabenkultur entwickelt werden, die den AFB II und III in den Vordergrund stellt. Zudem sollten sowieso alternative Verfahren gesucht werden, um Kompetenzen abzufragen bzw. zu bewerten. #Wenn die Schüler*innen und Lehrkräfte zusammenkommen, hat die Face-to-FaceBegegnung Vorrang. Das war schon immer der Fall, auch in der Buchgesellschaft. Dennoch ist die Begegnung in der Digitalität eine andere, weil es in einer »digitalen Glokalität« eine Gleichzeitigkeit der Kommunikation gibt. Vorstellbar ist, dass die zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an unterschiedlichen Orten vollzogenen Kommunikationsbeiträge eine Präsenz für diejenigen besitzen, die diesen Communities angehören. Es gibt eine gleichzeitige Ungleichzeitigkeit der Allgegenwart von Kommunikation. In der Face-to-Face-Kommunikation gibt es auch eine parallele Kommunikation, die zum einen aus meiner Präsenz, dem »Dasein«, im Zusammensein mit anderen Menschen besteht, zum anderen aus der Präsenz der anderen, mit denen ich über verschiedene Anbieter kommuniziere. Es ist eine Gleichzeitigkeit von kommunikativen Ansprüchen an alle, die angesprochen werden und von denen eine Antwort erwartet wird. Die erste spontane Positionierung kann sein, dass die körperliche Gegenwart Vorrang vor anderen Kommunikationsformen besitzt. Viele Smartphone-Verbote in den Schulen beruhen auf diesem Standpunkt: Es sollte angestrebt werden, sich auf die Sozialbeziehungen vor Ort einzulassen. Das ist im Grunde auch richtig – doch wer gehört gerade dazu? Ein solches Verständnis geht von dem analogen Ort aus, der als natürlich angesehen wird. Doch wie gezeigt, ist der Ort der Zusammenkunft hochgradig artifiziell gestaltet, in dem Kommunikation arrangiert wird. Oftmals ist zu beobachten, dass Gruppen mit anderen via Smartphone kommunizieren, in Face-to-Face-Gesprächen auch auf das Smartphone schauen usw. Hier scheint sich eine vormals selbstverständliche Art der Kommunikation zu verändern, die die »Schnittstellen« nicht mehr als Schnittstellen ausmacht, sondern als einen umfassenden sozialen Raum versteht. Der erste Reflex des Verbots verändert diese Praxis nicht, sondern verdrängt sie aus dem pädagogischen Raum. Sinnvoller ist es, diese Praxis bewusst in den Erziehungsauftrag der Schule zu integrieren, indem diese Praxis zum reflexiven Gegenstand der Selbstregulation der Schüler*innen wird. Es muss eine Sensibilisierung dafür bei einzelnen Personen erzeugt werden, wie viel Aufmerksamkeit eine Situation erfordert, um entsprechend Entscheidungen treffen zu können
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
#Die sich durch digitale Medien ergebenden Möglichkeiten werden begrüßt und kritisch begleitet. Digitalität ist kein abgeschlossener Prozess, sondern offen und zeigt ein Phänomen auf, ohne die Zukunft vorwegnehmen zu können. Zukunftsszenarien sind immer spekulativ, umso mehr, wenn die Innovationsfreude eher zu- als abnimmt. Aus diesem Grund sollte eine Haltung der Offenheit bei den Akteuren vorhanden sein, die eine gewisse Neugierde besitzen und nicht eine reflexartige Bewahrungskultur vor dem Hintergrund der bestehenden Routinen und Selbstverständlichkeiten verteidigen. Eine kritische Begleitung sollte sich so verstehen, dass das »Neue« an sich keinen Wert besitzt, dass das »Unbekannte« und »Irritierende« eine Differenz aufzeigt, die in sich keine Minderwertigkeit besitzt. Wichtiger ist es, zu reflektieren, welche pädagogischen oder fachlichen Konsequenzen bewirkt werden, welche Gegenwartsbedeutung die Phänomene besitzen, welche Zukunftsbedeutung darin liegt – und zwar mit den Schüler*innen. Medien sind nicht an sich schlecht oder gut, sondern wichtig wäre es, die didaktischen und methodischen Möglichkeiten zu erkunden. Eine Anthropomorphisierung der Medien, die diesen eine böse Absicht unterstellt, übersieht, dass sie für eine antizipierte Problemlösung bzw. ein Bedürfnis angefertigt werden. Die Profession von Lehrkräften sollte darin bestehen, die offenkundigen oder latenten pädagogischen, didaktischen und methodischen Möglichkeiten zu reflektieren und daraufhin eine professionelle Entscheidung zu treffen. Letztlich ist immer zu beurteilen, ob es im Rahmen der pädagogischen Arbeit sinnvoll ist. #Die Raumanordnung und die serielle Beschulung der analogen Schule werden aufgebrochen, indem der pädagogische Raum die analogen und digitalen Sozialräume verbindet (siehe auch ausführlich Kap. 2). Der Lernraum sollte nicht mit dem Schulgebäude und den analogen Klassenräumen gleichgesetzt werden, sondern dereguliert. Dafür müsste auch ein anderes Konzept der Beaufsichtigung der Schüler*innen etabliert werden. D.h., dass sich beispielsweise die Präsenzphasen neben den Online-Phasen abwechseln können, wenn es die problemorientierten Aufgabenstellungen nahelegen. Insoweit gibt es neben den üblichen Klassenraumstrukturen alternative Angebote der Begegnung in digitalen Umgebungen, um fachliche und fachübergreifende Themen in selbst gewählten Gruppen zu bearbeiten. Der Verweis darauf, dass es Blended Learning eigentlich auch schon in der Buchgesellschaft gab (beispielsweise Giesecke 2007, S. 493ff.; vgl. auch Krommer in gleicher Weise 2019), betonen lediglich die phänomenale Erscheinung. Wird das einzelne Phänomen isoliert angeschaut, dann kann schnell geschlussfolgert werden, dass es dieses Phänomen schon lange gibt. Dennoch ändert sich im Gesamtbild eine Menge, indem beispielsweise nicht mehr zur gleichen Zeit am gleichen Ort gelernt wird, die Selbstregulation eine ganz neue Bedeutung bekommt, die Institution Schule nicht mehr nur als »Einzelschule« verstanden werden kann, son-
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dern nun als ein virtueller, digitaler Campus, auf dem verschiedene Schulen längere oder kürzere Zeit zusammenarbeiten usw. In der Schule verändert sich die Aufgabenkultur, die Kommunikation wird explizit geplant und teilweise auch situativ entschieden und nicht durch den vorgegebenen Raum initiiert usw. #Die Lehrkraft konkurriert nicht mit dem Netz, sondern nutzt es mit den Lernenden, um fachbezogene Probleme zu bearbeiten. Die Machart pädagogischen Materials wird durch »unpädagogisches Material« aus dem Netz ergänzt und gerahmt. Als »unpädagogisches Material« können all die Texte angesehen und Bilder, Filme usw. bezeichnet werden, die keinem expliziten pädagogischen Impetus folgen. Es ist das Sammelsurium der kommunikativen Beiträge aus dem Netz, der außerschulischen Umwelt, dem Außen, das aus Positionen, Gegnerschaften, den vielen Stimmen, die um Aufmerksamkeit im Netz ringen, den Zuspitzern usw. besteht. Die Lehrkraft steht insoweit in einer Konkurrenz zu anderen kommunikativen Beiträgen aus dem Netz. Mit einer solchen »Echtzeitintervention« verändert sich die didaktische Arbeit, indem konkurrierende Meinungen aus dem Netz im Unterricht unmittelbar erscheinen können und nun vermittelt werden. Es ist etwas anderes, mit einer konkurrierenden Meinung aus einem Lehrwerk umzugehen, die im Vorfeld rezipiert werden und auf die sich die Lehrkraft vorbereiten kann, als mit einer Echtzeitintervention, die das gesprochene Wort in eine Konkurrenz mit anderen Autor*innen stellt, die nicht unter Zeitdruck oder den Besonderheiten der didaktisch-methodischen Situation usw. agieren. Das erfordert eine andere Praktik des Unterrichtens, indem die Schüler*innen die Möglichkeit besitzen, konkurrierende Ansichten ins Spiel zu bringen, und die Lehrkraft andere Strategien der Plausibilität aufbauen muss, um andere Ansichten zu integrieren, zu prüfen oder zu entkräften. Letztlich wird die Wissensvermittlung selbst zu einem Prozess der Vergewisserung. Die »Zeigestruktur« (Prange) als pädagogische Grundhaltung des Unterrichtens erweitert sich zur gemeinsamen Erkundung und kritischen Prüfung. #Die Selbstständigkeit und Selbstregulation der Lernenden wird je nach diagnostizierter Ausgangslage gefördert, um das individuelle Lernen in der Digitalität zu ermöglichen. Ein zentrales Anliegen sollte die Selbstständigkeit, die Selbstregulation und eine positive Selbstwirksamkeitsannahme der Schüler*innen sein. Dieses Thema existiert mit jeweils unterschiedlichen Konjunkturen schon lange Zeit und ist nun eine der zentralen Kompetenzen, die anzustreben sind (siehe auch Kap. 4). An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Selbstregulation gerade durch eine zunehmende Dezentralisierung von Lernen eine wichtige Rolle besitzt, indem die direkte Aufsicht verschwindet. Die Schüler*innen müssen eine verstärkte Selbstverantwortung für das eigene Handeln übernehmen. Dazu ist es wichtig, dass die Selbstwirksam-
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keitsannahmen kontinuierlich gestärkt werden, um beispielsweise auch bei Hindernissen nicht gleich aufzugeben. #Das beinhaltet auch, dass eine erhöhte Partizipation im Unterricht angebahnt wird, die zunehmend von den Lernenden im Rahmen ihrer Lebenswelterschließung übernommen wird. Ziel ist es, dass die Lernenden mehr Verantwortung für ihr Lernen übernehmen. Schon lange wird diskutiert, wie die Schüler*innen mehr Mitspracherecht für die Unterrichtsplanung und die Benotung bekommen können und wie die Aufgabenstellungen personalisiert werden können. Hier gibt es viele Möglichkeiten, die Vorstellung, dass Aufgaben immer auch einheitlich sein müssen, aufzubrechen. Der Begriff der »egalitären Differenz« meint in dem Zusammenhang, dass es vergleichbare Aufgaben gibt, die zum Lernenden passen. Auch hier wird von der seriellen Vorstellung Abstand genommen. Hinterfragt wird im Rahmen des weiten Inklusionsbegriffs, inwieweit gleiche Aufgaben ein Garant für eine Chancengerechtigkeit sind. PISA steht in Deutschland auch dafür, dass sich die soziokulturellen Unterschiede gerade in der Gleichbehandlung negativ auswirken.
3.3
Die vernetzte Schule und der hybride pädagogische Raum jenseits des Territoriums
Aus den vorgestellten Konzepten wurde klar, dass die bisherige Konzeption von Schule nicht mehr zu halten ist. Mit den neuen Forderungen der Digitalität stellt sich ganz konkret die Frage, wie sich der pädagogische Raum verändern wird. Fest steht, dass der Schul- und Unterrichtsraum umgebaut werden muss. »Lernen ermöglichen« setzt in einem professionellen Rahmen, ein pädagogisches Handeln voraus, das durch »Partikularität« gekennzeichnet ist (Giesecke 1987, S. 31f.), indem eine konkrete und individuelle Beziehung zwischen den Akteuren entsteht und besteht. Doch wie ist der pädagogische Raum unter eine solche Prämisse in der Digitalität zu beschreiben? Die bisherige Schule hat noch eine kollektive Schnittstelle zwischen der Welt da draußen und der Lernwelt dort drinnen. Für den analogen Unterricht ist die körperliche Anwesenheit in der Begegnung charakteristisch. Das »Interface« ist der Leib, die Face-to-Face-Begegnung findet im Schulraum statt. Wird der Begriff der Digitalität als »Distinktion«, als das Zergliedern von Dingen definiert, ist die Raumstruktur in einer Schule digital organisiert: Die Räume sind nach Alter, Entwicklungs- oder Leistungsstand gegliedert usw. Die »kasernenförmigen Bauten aus der wilhelminischen Ära« (Böhme/Herrmann 2009, S. 211ff.) digitalisieren den Raum, indem sie im Sinne von Foucault (1977) klare Platzierungen zuweisen, Zuordnungen nach Räumen, Plätzen usw. vornehmen (Abbildung 7). Der Raum ist mit dem organisatorischen Rahmen einer Schule unmittelbar verbunden, um den
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Ablauf aufrecht zu erhalten. Der Stundenplan arrangiert die Akteure nach Raum und Zeit, eine Klingel signalisiert in der Regel den nächsten Takt, sich von den Plätzen zu erheben, die Räume zu verlassen, andere Räume aufzusuchen, sich neu zu gruppieren usw. – jeder Akteur der Schule kann nach Zeit und Ort aufgefunden werden (Abbildung 8).
Abbildung 7: Die Flurschule
Die Kunst einer Unterrichtsstunde besteht darin, in der Zeittaktung der Schule »guten Unterricht« zu gestalten, dass die Inhalte im Fach im Sinne der zehn Merkmale nach Meyer (2007) sinnvoll gelehrt werden. In der Digitalität wird das herrschende Raum- und Zeitregime infrage gestellt. Die »Exkursion« wird in der Digitalität zum Normalfall – so könnte die Kurzformel für das neue Phänomen lauten, mit dem die Schule und der Unterricht umzugehen haben.
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
Abbildung 8: Serielle Anordnung der Klasse
Unter »Lernen am anderen Ort« wird gemeinhin verstanden, dass die Akteure den Schulraum verlassen und nach außen gehen. Verlassen wird der geschützte Unterrichtsraum, der für einen unstrukturierten Außenraum ausgetauscht wird, der wiederum sogleich wieder pädagogisch strukturiert wird. Die Akteure bewegen sich aus dem schulischen Rahmen und begeben sich in einen Raum, in dem informelles und angeleitetes Lernen erfolgt, das also keine explizit gesetzte Zeittaktung, keine Strukturierung und keine ausgewiesene Progression besitzt. Das erfolgt so, dass die Lernenden Erkundungsaufgaben erhalten, der Außenraum partiell vorbereitet wird, indem pädagogische Aufgaben für die Schüler*innen mit der Begegnung der Außenwelt erkennbar werden und so eine Selektion der Wahrnehmung erfolgen soll, um die Kontingenz zu begrenzen. Das Ziel ist eine sogenannte Realbegegnung. Diese etwas abschreckende Bezeichnung meint im Grunde, dass die pädagogische Umgebung nicht mehr existiert. Ungefiltert setzen sich die Schüler*innen der Lebensumwelt aus, wenn die Perspektive der Schule eingenommen wird. In der Regel wird der Raum zuvor sondiert und durch eine pädagogische Intervention zu einem strukturierten Raum gewandelt – soweit es eben geht. Es handelt sich dabei um eine »pädagogische Repräsentation«, einen »pädagogischen Raum« in einem ansonsten nicht pädagogischen Außenraum. Typische pädagogische Strategien sind Aufgaben für das Handeln vor Ort oder die pädagogische Moderation mit den Akteuren in der »echten« Wirklichkeit. Außerschulische Lernorte sollen kognitive und affektive Zugänge durch den unmittelbaren Zugang zum »Original« fördern. Hinzu kommen instrumentelle Fähigkeiten wie Beobachten, Recherchieren oder sozial-kommunikative Kompetenzen wie die Zusammenkunft mit den Menschen vor Ort, die gefördert werden sollen. Unterschieden werden didaktisch vorstrukturierte (passgenaue und gestufte Räume) und unstrukturierte Räume (of-
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fener Bezug). Die Lernenden erfahren den Raum ganzheitlich, indem sie ihn quasi riechen, schmecken und ergreifen können. Die Raumstruktur des pädagogischen Feldes wird sich wesentlich verändern. Die architektonische Prämisse des Außen und Innen ist nicht mehr aufrecht zu halten und wird durchlässig. Die digitalen Medien können zwar verboten werden, um das pädagogische Innen zu schützen, dies jedoch um den Preis, dass die Lebensnähe und eine zukünftige autonome Teilhabe in der Gesellschaft der Schüler*innen kein primäres Anliegen mehr sein können. Es ist nicht mehr durchgehend plausibel, dass sich die Akteure zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort treffen müssen. Der pädagogische Raum ist nicht auf das Territorium der Schule beschränkt, sondern wird in der Begegnung immer wieder neu konstituiert. Partikularität wird aktiv geschaffen, indem man sich an einem hybriden pädagogischen Ort versammelt. Da der analoge und digitale Raum ein sozialer Raum ist, ist der Ort nicht mehr durch das Territorium bestimmt, sondern durch die Absicht der Akteure. Ohne Problem ist es vorstellbar, dass Tätigkeiten auch zu Hause oder an einem anderen Ort erfolgen können, wenn die Inhalte und die Anliegen dafür geeignet sind. Damit kann auf der schulischen Ebene sogleich begonnen werden. Es stellt sich dabei die Frage, wie mit den bestehenden Räumen einer Flurschule umzugehen ist, wie diese Räume dekonstruiert werden können, um sie für das Lernen in der Digitalität zu nutzen. Lernen kann dort stattfinden, wo es eine Vernetzung gibt. Voraussetzung ist eine technische Infrastruktur in der Schule, eine Grundausrüstung der Schüler*innen mit einem netzfähigen Gerät. Das vorausgesetzt, kann die gewohnte Organisationsstruktur der Schule dekonstruiert werden. Zunächst sind die Präsenzphasen anders zu definieren. So ist es denkbar, dass die Schüler*innen selbst entscheiden, ob sie in digitalen oder analogen Umgebungen arbeiten wollen, also ob sie in die Schule gehen, um dort verschiedene Face-to-Face-Begegnungen zu haben, verschiedene Arbeitszusammenhänge wahrzunehmen (siehe dazu auch Selbstregulation Kap. 4), oder ob sie von zu Hause oder einem anderen Arbeitsplatz aus lernen wollen. Neben den bereitgestellten Foren wie beispielsweise einer Lernplattform gibt es die Möglichkeit, auch zu Arbeitsgemeinschaften in die Schule zu kommen, wo fachspezifische Themenräume angeboten werden. In der Schule sind auch Diskussionsräume zu finden, wo je nach Planung Themen beurteilt und reflektiert vorgestellt werden. Aber es gibt auch Räume, in denen sich Teams treffen können, um nach einer Online-Phase zu arbeiten. Es gibt aber auch temporäre Klassenräume, in denen sich die Akteure zu einer vereinbarten Zeit treffen, um beispielsweise den Zwischenstand (beispielsweise im Sinne des agilen Lernens; siehe Kap. 5.5) zu besprechen.
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
Für die Lehrkräfte gibt es neue Einsatzszenarien. Grundsätzlich wird die beratende und begleitende Expertise in den Vordergrund gerückt: Die Lehrkräfte sind Professionelle des Lehrens und der Pädagogik. Die bisher bekannten Unterrichtsstunden werden in der Form nur noch sporadisch und auf der Grundlage von Nachfrage oder Notwendigkeit stattfinden. Unterrichtsstunden haben dann eine Berechtigung, wenn die Zusammenkunft eine kommunikative Situation erzeugt, in der angeeignetes Wissen und eigene Überlegungen ausgetauscht und vertieft werden. In der Regel werden die Lehrkräfte fachspezifische Themen anbieten, die auf Lernplattformen in einer Art Vorlesungsverzeichnis ausgewiesen werden. Darüber hinaus werden auch immer wieder Kurse angeboten, in denen grundsätzliche Themen individuell und nach Bedarf angeboten werden (siehe hier auch Flipped Classroom Kap. 5.5). Weiterhin bieten Lehrkräfte in Sprechstunden Lernberatungen an, die fachspezifische Themen beinhalten. Eine solche Beratung muss nicht immer analog stattfinden, sondern kann auch online erfolgen. Insoweit ergeben sich neue Einsatzszenarien, die den Schulbetrieb verändern, die Klingelzeichen überflüssig machen und womöglich auch die Gruppenzusammensetzung nach Alter.
Abbildung 9: Kurzfristige Möglichkeit der Neustrukturierung
Langfristig ist darüber nachzudenken, inwieweit der Fachunterricht in Themenwochen integriert werden kann. Solche Konzepte sind bereits bekannt und werden in der Schule schon praktiziert. Eine Themenwoche kann entweder für einen Doppeljahrgang oder für alle Jahrgänge der Sekundarstufe I stattfinden, spezifisch dann auch für die Sekundarstufe II. Themenwochen können von allen Fächern bedient oder von zwei oder mehr Fächern geplant werden. Auch der pädagogische Raum verändert sich. Die Raumstruktur der Schule muss dekonstruiert werden. Die Klassenräume der Flurschule werden zu einzelnen Themenräumen, die von mehreren Lehrkräften geleitet werden. Sie sind die
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Expert*innen, die den Schüler*innen helfen, erklären, etwas zum Lesen empfehlen, gemeinsam mit ihnen nachdenken, üben usw. So könnten beispielsweise in einem Raum verschiedene kooperative und kollaborativ arbeitende Gruppen zu einem Thema zusammenkommen (Abbildung 9), um gemeinsam in einer Face-to-Face-Sitzung zu arbeiten, da eine solche Zusammenarbeit als notwendig angesehen wird. Dafür müssen die Lernenden in der Lage sein, über die notwendigen Formen der Zusammenkunft entscheiden zu können (siehe dazu Metareflexion Kap. 5). In einem anderen Raum werden zur gleichen oder anderen Zeit ein Inputvortrag, ein zentrales Experiment usw. angeboten, zu denen die Schüler*innen bedarfsorientiert kommen. Wenn ein Bedarf nicht in der Breite besteht, dann werden individuelle Beratungen angeboten. Ebenso kann es den Unterricht zu einem Thema geben, in dem ein Thema durch eine Lehrkraft geplant wird, wobei insbesondere AFB II und III im Fokus stehen (siehe dazu Flipped Classroom Kap. 5.5; Abbildung 10) .Der Unterricht ist in der Form modularisiert, indem zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Aktivitäten und Themen angeboten werden, für die sich Lehrteams verantwortlich fühlen. Dafür müssen sich die Schüler*innen einen Stundenplan zusammenstellen. Die Lernenden müssen ein Fundamentum absolvieren, können ein Additum aussuchen usw. Die Themen sind in der Regel fachübergreifend, werden jedoch auch durch fachliche Expertise vertieft angeboten. Die Themen, die sich aus dem schulinternen Curriculum ergeben, können beispielsweise in einem Logbuch ausgewiesen und entsprechend nach Jahrgang belegt werden, die dann die Tutor*innen abzeichnen. Daneben wird es auch immer den Klassenunterricht geben, wenn er als sinnvoll angesehen wird. Insgesamt wird sich aber der pädagogische Raum außerhalb des Territoriums der Schule erstrecken und die Differenz zwischen Innen und Außen aufheben. Der pädagogische Raum erstreckt sich zunächst auf die verschiedenen analogen und digitalen Räume der Schule. Der so verstandene hybride pädagogische Raum muss sich immer hinsichtlich eines Gegenstandes konstituieren und nicht, weil es ein Plan vorsieht. Das Arbeiten an unterschiedlichen Orten zu einem Thema heißt nicht, dass wir es mit einem körperlosen Ungetüm zu tun haben. Im Gegenteil ist es ein körperliches Erleben, das andere leibliche Reaktionen freisetzt. »The body moves freely in cyberspace but is also settled in a location. The interface negotiates between different worlds, but always within the body-self-world context.« (Løvlie 2005, S. 129) Die Vernetzung verschiedener Schulen zu einem digitalen Campus (Abbildung 11) wurde bereits weiter oben diskutiert. Die Schule ist ein Knoten im Netz. Vernet-
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
Abbildung 10: Der hybride pädagogische Raum
zung heißt, dass die Schule sich mit anderen Schulen vernetzt. Lehrkräfte als auch Schüler*innen sollen miteinander kooperieren als auch kollaborieren, indem die traditionellen schulischen Grenzen überschritten werden. Auch diese Phänomene gibt es vereinzelt: Wenn beispielsweise Kurse an einer Schule nicht zustande kommen, gehen die Schüler*innen dann in eine in der Nähe liegenden Schule, um dort einen Kurs zu besuchen. Solche Ausnahmen werden zur Regel. Die jeweiligen Schulen werden auf Lernplattformen gemeinsame Kurse und Arbeitsbereiche anbieten, die bearbeitet werden, laden zu Diskussionen ein usw. Möglich ist es, dass die Schulen unterschiedliche Angebote zur Verfügung stellen, die die Schüler*innen wählen können. Beispielsweise können unterschiedliche Inputreferate an den Schulen angeboten, Räume für die Face-to-Face-Begegnung zur Verfügung gestellt werden – beratende Lehrkräfte wären nicht nur online ansprechbar, sondern hätten auch an den Schulen Sprechstunden. Der Campus als ein hybrider pädagogischer Raum entsteht durch die konkrete Praxis der Lehrkräfte und Schüler*innen. Interessant wird es sein, welche Schulen sich zu Netzwerken vereinigen und einen pädagogischen Campus bilden. Zu befürchten ist zunächst, dass sich Schulen ähnlichen Typs miteinander verbinden, was zu einer langfristigen Segregation von einzelnen Schulen führen wird. Es scheint so zu sein, dass das herkömmliche Konzept der Schule als ein analoger abgeschlossener Raum zunehmend unter Druck gerät.
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Abbildung 11: Der digitale Campus
Die Mobilität zwischen den analogen und digitalen Räumen wird zum Normalfall. Das Smartphone und das Tablet sind Ressourcen, um den pädagogischen Raum zu erweitern und in einen hybriden zu überführen, die analogen Schulwände zu durchdringen, ein anderes Verständnis der pädagogischen »Orthowirklichkeit« zu erzeugen. Ein solcher Umbau der Schule muss nicht auf die lange Bank geschoben werden. Doch wo anfangen? Viele Ressourcen existieren bereits an den Schulen, die »lediglich« eines mutigen Umbaus bedürfen. Die Medien im Unterricht können bereits jetzt demokratisiert werden. Momentan gibt es eine potenzielle Enteignung der Medien durch eine limitierte Zugangsberechtigung, die in der Regel bei der Lehrkraft liegt. Verbote wie auch Zugangsbeschränkungen suspendieren die Anbahnung von Eigenverantwortung bei den Schüler*innen. Der generelle Einsatz von Medien, der Zeitpunkt, auf ein Medium zuzugreifen und die Dauer der Nutzung sind im Unterrichtsplan festgeschrieben. Sinnvoll ist, eine Mitverantwortung durch die Schüler*innen bereits früh anzubahnen und sie für die sinnvolle Nutzung zu sensibilisieren. Nicht nur wird dabei die Subjektposition im Sinne von Holzkamp gestärkt, sondern auch die Partizipation im Unterricht gefördert. Besondere Bedeutung für die Entwicklung von Eigenverantwortung ist die selbstbestimmte Nutzung. Oftmals wird in dem Zusammenhang eingewendet, dass die Schüler*innen in der Folge reflexartig zum Smartphone oder zum Tablett greifen, selbst nicht mehr nachdenken und nur noch Plagiate abliefern würden. Doch stimmt das? Grundsätzlich ist die Frage zu stellen, ob eine Ressourcenenteignung – wie beispielsweise das gängige Verbot, einen Hefter in Leistungssituationen zu nutzen – zu einem besseren Lernen führt. Vielmehr sollte es begrüßt werden, wenn die Schüler*innen
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
die Art und den Umfang des notwendigen Ressourceneinsatzes abschätzen können, um Aufgaben und Problemstellungen zu lösen. Meist rühren solche scheinbar reflexartigen Handlungen daher, dass Aufgabenformate benutzt werden, die vielleicht der Buchschule, jedoch nicht den veränderten Lernumgebungen in der Digitalität gerecht werden. In dem Sinn ist zu fragen, ob nicht die althergebrachten Aufgaben der Auslöser sind und eine andere Aufgabenkultur notwendig ist. Aufgabentypen beispielsweise, die vorzugsweise Wissen abfragen, sind in solchen Umgebungen nicht mehr sinnvoll. Um Medien wie Papier, Stift, Bücher, Hefter oder das Smartphone zu nutzen, sind entsprechende veränderte Aufgabenformate notwendig, die das ermöglichen. Die Ausgestaltung eines schuleigenen Spiralcurriculums sollte eine zunehmende Selbstständigkeit der Schüler*innen gezielt anbahnen. Mittlerweile liegen schon viele Mediencurricula vor. Oftmals sind sie eher additiv konzipiert und haben keine Entwicklungsvision, die angestrebt wird. Hier kann eine qualitative Überarbeitung einsetzen. Vermieden werden sollte, dass die Umsetzungshinweise im Spiralcurriculum lediglich schlagwortartig und nur allgemein beschrieben werden. Oftmals ist in solchen Curricula zu lesen, dass präsentiert, recherchiert oder sich Informationen angeeignet werden sollen usw. Von besonderer Bedeutung ist die qualitative Anbahnung von Kompetenzen innerhalb dieser Teilkompetenzen. So sollte darin ausgezeichnet werden, welches Fach zu welchem Zeitpunkt für welche Medienkompetenz schwerpunktgemäß verantwortlich ist, welche Kompetenzen konkret gefördert werden und welcher Selbstständigkeitsgrad angestrebt wird. Beispielsweise sollte aufgezeigt werden, welche Aspekte bei der Recherche schwerpunktmäßig im Mittelpunkt stehen: der Vergleich von Suchmaschinen, Suchkombinationen, Qualitätsprüfung von Quellen, Thematisierung der Stopping Points bei Informationssättigung usw. Für solche Anforderungen sollten Methoden eingeführt und Strategien reflektiert werden, um über eine Verstetigung solcher Verfahren eine zunehmende Selbstverantwortung durch Schüler*innen zu erreichen. Einher damit geht der sukzessive Aufbau der Handlungsfähigkeit im hybriden pädagogischen Raum. Auch hier kann sogleich begonnen werden, da die Bedingungen schon vorliegen. Von den unteren Klassen aufwärts sollten die Schüler*innen die Fertigkeit erlangen, in unterschiedlichen Szenarien zusammenzukommen, miteinander in Kommunikation zu treten, analoge und digitale Umgebungen aufzusuchen. Das kann in den unteren Lerngruppen vor Ort etabliert und sukzessiv für höhere Klassenstufen durch flexiblere Präsenzphasen ausgebaut werden. Auch für den hybriden pädagogischen Raum müssen unterschiedliche Routinen aufgebaut und eine spezifische Praxis ausgebildet werden. Ermöglicht werden kann das durch Projektarbeit oder regelmäßige Projektwochen, die an einer Schule in regelmäßigen
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Abständen stattfinden. Ebenso sinnvoll ist ein fach- und themenübergreifender Unterricht, der ein Thema aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Sukzessiv sollte parallel durch regelmäßige Metareflexionen ein Biewusstsein für den hybriden pädagogischen Raum aufgebaut werden, um eine aktive Verantwortung und Selbstregulation bei den Schüler*innen aufzubauen. Sie sollten beispielsweise in die Lage versetzt werden, ob sie in einer Teilgruppe oder als ganze Gruppe bzw. in einer Mischvariante – also analog und digital – zusammenarbeiten wollen. In der Metareflexion sollte darüber nachgedacht werden, in welchen Lernabschnitten sie besser in dezentralen Formen arbeiten, wann eine Face-to-Face-Begegnung produktiver als ein dezentrales Arrangement ist oder welche Orte für welche Themen hilfreicher sind – beispielsweise Schule, Bibliothek oder Museum. Kompetenzraster helfen, um gleiche Anforderungen im hybriden pädagogischen Raum zu etablieren. Wer immer schon in seiner Schule mit Kolleg*innen ein Kompetenzraster erstellt hat, wird die Auseinandersetzung um Anforderungen und Gewichtungen als einen riesigen Verständigungsdiskurs erlebt haben. Doch solche teilweise langwierigen Klärungsprozesse sind fruchtbar, da am Ende solcher Prozesse ein gemeinsames Verständnis steht, welche Qualitätsanforderungen gemeinsam aufgestellt werden. Das gilt auch für einen zu etablierenden hybriden pädagogischen Raum. Für die Schüler*innen wird es ein gleichermaßen wichtiges Instrument sein, um zu wissen, welche Anforderungen an sie herangetragen werden und sich selbst zu verorten. Beispielsweise ist zu fragen, welche Anforderungen im allgemeinen Teil zur Benotung der Mitarbeit im Rahmen des Arbeitens im hybriden pädagogischen Raum in den Blick zu nehmen sind, wie sich die Schüler*innen zu präparieren haben, wenn sie einer Online-Sitzung beitreten, welche kommunikativen Anforderungen in solchen Sitzungen bestehen, welche technischen und fachlich-methodischen Kenntnisse vorliegen müssen usw. Fremd- und Selbsteinschätzung durch Kompetenzraster unterstützen das selbstverantwortliche Lernen und schaffen die notwendige Transparenz für die Akteure und welche Erwartungen an sie gerichtet werden. Von der Einzelschule zum digitalen Campus anbahnen. Die Schule ist schon jetzt ein zentraler digitaler Knotenpunkt für die Schüler*innen im Rahmen des hybriden pädagogischen Raums: Homepage, Repräsentation der Schule im Netz, Chaträume der Schule usw. Darüber hinaus kann sie auch ein Knotenpunkt innerhalb eins Netzwerks mit anderen Schulen werden, die fachthematisch oder projektbezogen miteinander kooperieren und kollaborieren. Solche Vernetzungen sind jetzt bereits möglich, wenn beispielsweise verschiedene Lernräume miteinander vernetzt und als gemeinsame Räume genutzt werden.
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
Ein solcher Campus kann auch in organisatorischer Hinsicht Synergieeffekte zeitigen. Wenn an einer Schule ein Fach nicht angeboten wird, gehen bereits heute Schüler*innen dafür an eine andere Schule, um sie dort zu belegen. Durch die digitale Vernetzung der Schulen untereinander ergeben sich darüber hinaus auch Synergieeffekte hinsichtlich eines breiteren Fachangebots für die Einzelschule, die so den Schüler*innen eine größere Auswahl ermöglichen. Gerade in Zeiten des großen Lehrkräftemangels ist es nicht mehr zwingend, jedes Fach an jeder Schule mit teilweise niedrigen Schülerzahlen anzubieten. Denkbar ist, dass temporäre Lerngruppen neben den von der Schule administrierten Lerngruppen entstehen, die für eine Zeit auch im hybriden pädagogischen Raum zusammenarbeiten und die Räume der Schulen nutzen. Der Digitale Campus lebt davon, dass der analoge Raum, wie weiter oben gezeigt, dekonstruiert wird. Die serielle Bestuhlung und die Einrichtung können bereits jetzt verändert werden. Dafür sind unterschiedliche Raumkonzepte für je unterschiedliche Lehr-Lern-Anliegen notwendig. Da gibt es die Räume, in denen sich die Schüler*innen aufhalten können, wo es Arbeitsbereiche und -tische gibt, die mit einem PC ausgestattet sind. Sowieso befinden sich in der ganzen Schule an diversen Orten Arbeitsnischen mit einem PC und es gibt nicht mehr nur die Computerräume. Gerade die Schüler*innen, die zu Hause eine nicht so gute Infrastruktur vorfinden, können hier ohne große Probleme zu jeder Zeit in der Schule arbeiten. Daneben gibt es die bekannten Klassenräume, wenn eine Sequenz seriell angeboten werden soll. Hier können zentrale Veranstaltungen durchgeführt werden, bei denen eine Gleichzeitigkeit des Lernens als sinnvoll angesehen wird. Letztlich gibt es variable Räume, die beispielsweise für die Präsentation von Arbeitsergebnissen, Diskussionen und Gruppenaktivitäten geeignet sind. Solche Räume sollten variabel sein, um sie bedarfsgerecht nutzen zu können. Grundsätzlich gilt dabei: Wie für die Arbeit in digitalen Umgebungen muss es auch einen pädagogischen und didaktisch-methodischen Grund für die Arbeit in analogen Umgebungen geben. Momentan ist es so, dass die »Regelschule« sich allein durch die Gewohnheit rechtfertigt (oftmals werden die Probleme der sogenannten Regelschule gar nicht mehr in Betracht gezogen). Reichen denn die Lehrkräfte dafür aus? In der Abbildung 12 ist grob dargestellt, dass die Betreuung durch die Lehrkräfte bereits jetzt anders aufgeteilt werden kann. Bei vier Jahrgangslerngruppen können beispielsweise zwei Lerngruppen in der Präsenzphase durch drei Lehrkräfte betreut werden, während eine Lehrkraft für Fragen im Bereich des Online-Lernens zur Verfügung steht. Voraussetzung ist, dass die verschiedenen Angebote und Projekte bereits auf einer Lernplattform zur Verfügung stehen. Selbst wenn noch nicht viele Materialien auf einer Lernplattform für eine Jahrgangsstufe durch einen Fachbereich angelegt sind, können die ersten Schritte gemacht werden. Nehmen wir beispielsweise auch hier eine vierzügige Schule an, die
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im Fach Deutsch in der 8. Klasse eine Ganzschrift wie den »Schimmelreiter« von Theodor Storm liest. Die Materialien, die für die eigene oder kollaborative Bearbeitung vorgesehen sind, werden kollaborativ durch die Lehrkräfte auf der Lernplattform angelegt. Die Schüler*innen finden einen Link in ihrem jeweiligen Klassenraum auf der Lernplattform, um zu den Lernaufgaben zu gelangen. Zur Bearbeitung gibt es verschiedene Stichtage, bis zu denen sie die Aufgaben bearbeitet sollen. Somit kommen alle Schüler*innen nicht zugleich in die Schule, sondern in unterschiedlichen Gruppen. In den Gruppen sind die Schüler*innen sichtlich unterschiedlich weit gekommen. Nun kann mit den anwesenden Gruppen vor Ort gearbeitet werden. Zuvor wurden sie auch schon auf der Plattform betreut. Möglich ist es auch, dass sich einzelne Schüler*innen oder Gruppen aktiv für eine Präsenzphase anmelden – sei es zwischendurch oder für einen Stichtag. Eine mögliche Aufteilung könnte dann, wie in der Grafik dargestellt, vor Ort und nach den Bedürfnissen vorgenommen werden. Denn die drei Lehrkräfte vor Ort bieten unterschiedliche Formen des Unterrichts an. So beispielsweise eine serielle Form für die, die eine nochmalige Bearbeitung benötigen, ein Peer-to-Peer-Austausch, der dann in eine Plenumsphase münden kann. Solche Unterrichtsphasen in der Schule sind beispielsweise in Blöcke eingeteilt, sodass mindestens 90 Minuten zur Verfügung stehen. Die anderen Lerngruppen arbeiten auch in dieser Variante online und werden durch eine Lehrkraft (L4) betreut, die nicht vor Ort mit der Gruppe arbeitet. Hier werden Fragen beantwortet, ein Scaffolding zur Verfügung gestellt, Recherchen zusammen überprüft. Durch Rhythmisierung den hybriden pädagogischen Raum eine Praxis erzeugen lassen. In der Pandemie 2020 gab es in dieser Hinsicht keine Routinen und Ressourcen, auf die die Akteure zurückgreifen konnten. Zudem handelt es sich um Distanzunterricht, der dem Prinzip des hybriden pädagogischen Raums widerspricht. Das haben insbesondere die Schüler*innen gemerkt. In der Regel lag eine Vielfachbelastung vor: Alle Akteure mussten sich das technische Wissen aneignen, die Materialien mussten erstellt werden, die Aufgaben waren nicht zwischen den Fächern und in einer Lerngruppe abgestimmt und summierten sich zu hohen Arbeitsbelastungen der Lernenden. Zugleich sollten die Lehrkräfte dann auch noch die Lerngruppen »normal« im »Regelbetrieb« unterrichten. Durch die fehlende Routine waren die periodischen Umstellungen eher Unterbrechungen. Mit der Deterritorialisierung der Schule sind insoweit nicht mehr alle Lerngruppen notwendigerweise vor Ort. Einzelne Schüler*innen nutzen in einem sehr personalisierten Sinn die Räume vor Ort, wenn sie beispielsweise die PCs nutzen, sich mit anderen präsent treffen usw. Daneben gibt es für einige Gruppen verbindliche Anwesenheitsphasen, weil beispielsweise eine Lernaufgabe abgeschlossen, ein Wochenplan bearbeitet oder ein Portfolio abgeschlossen werden muss. Al-
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
Abbildung 12: Kollaboration und Rhythmisierung
le diesen Phasen benötigen eine neue Routine, die langfristig angebahnt werden muss. Gerade in der Pandemie 2020 hat sich gezeigt, dass die Schüler*innen nicht nur keine Routinen besaßen, mit Lernangeboten in digitalen Umgebungen umzugehen, sondern auch, dass keine Ressourcen für solche Situationen vorlagen, um die neuen und unbekannten Abläufe arbeitsökonomisch anzubahnen. Irritationen waren die Regel, da die einseitige Basisroutine des Präsenzunterrichts außer Kraft gesetzt wurde. Irritationen sind zwar ein notwendiger Ausgangspunkt für ein Umdenken, müssen aber selbst auch gelernt und verstetigt werden, um wieder in eine Routine zu münden. Das zeigte sich zumindest in der zweiten Pandemiewelle, als die Schulen abermals in den Shutdown gehen mussten. Nun lagen erste Erfahrungen vor. Routinen hingegen sind nicht irritierende Handlungen. Gemeint ist damit, dass es eine Kompetenz in einer Praxis gibt, die Variationen zulässt und somit ein kompetentes Handeln ermöglicht. So sollte den Schüler*innen bereits bekannt sein, welche Medien wie, wann und in welchem Zusammenhang genutzt werden. Routinen sind nicht starr. Sie haben eine konkrete Praxis vor Ort, die sinnvoll ist, und haben einen Habitus, der in einer Metareflexion thematisiert werden kann. Zugleich haben sie auch eine nicht repräsentative Ebene. Neuweg (2000, 2011, 2016,
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2017) spricht von der Sprachlosigkeit der Praktiker. Es kann als ein intuitives Wissen beschrieben werden, in halb offenen Umgebungen handeln zu können und mit unvorhersehbaren Vorfällen umzugehen. Solche Formen der Habitualisierung von Abläufen sind eine wichtige Entlastung, um in den digitalen Lernumgebungen handlungsfähig zu sein. Kollaboration und Kooperation als Basiskompetenz in einer vernetzten Schule. Kooperation und Kollaboration sind nach einer Untersuchung von Forsa im Auftrag der Deutschen Schulakademie von 20181 jedoch noch kein Hauptanliegen der Lehrkräfte. Prozentual wollen dies immerhin bereits 57 %, davon wiederum weniger Kolleg*innen aus dem Gymnasium als von anderen Schularten. Oftmals ist der Zeitfaktor ausschlaggebend (vgl. Thun, Pädagogik 12/20, S. 6ff.). Auf Letzteres muss schulorganisatorisch in der Transformationsphase von der sogenannten Regelschule zu einem hybriden pädagogischen Raum reagiert werden. Die Offenheit des Netzes jedoch lädt geradezu zur Kollaboration ein. Nicht nur, dass sie eine wesentliche Lehrkraft-Kompetenz darstellt, sie ist auch notwendig, um Schule anders zu denken. Thematisch interessierte Lehrkräfte können schulüberreifend oder schulintern miteinander kollaborieren und dezentral an gemeinsamen Aufgaben arbeiten. Bereits jetzt schon sind ausreichende Plattformen und mediale Infrastrukturen Vorhaben, um damit zu beginnen. Wenn Schulen und Kolleg*innen kollaborieren wollen, müssen sie nicht, wie gesagt, zwingend an einer Schule sein. Sie benötigen lediglich eine gemeinsame Plattform, um miteinander arbeiten zu können. Möglich ist, dass Fachbereiche für ausgewählte Themen gemeinsam einen Lernraum erstellen, der dann mit den Räumen der Lerngruppe verlinkt wird. Es können fachübergreifende oder partielle, fachverbindende Themenwochen oder -tage gemeinsam mit Aufgaben und Materialien erstellt werden, auf die Lehrkräfte und Schüler*innen zugreifen können. Fachverbindende und fachübergreifende Themen mehr in den Fokus nehmen. Schon lange wird die Separierung der Fächer, die Themenkoordinierung durch die Rahmenlehrpläne kritisiert. Der fachverbindende und fachübergreifende Unterricht ist von daher nicht allein ein Anliegen, das sich aus der Digitalität ergibt. Dennoch muss unter dem Paradigma der Digitalität nun darüber nachgedacht werden, wie Lernlandschaften entstehen, in denen unterschiedliche Gesichtspunkte zu einem gleichen Themenbereich bearbeitet werden. Es ist nicht sinnvoll, auf einer Lernplattform den Stundenplan abzubilden, den die Schüler*innen dann abarbeiten. Auf Lernplattformen können Themenräume angelegt und Lernaufgaben bereitgestellt werden, auf die die Lernenden dann von allen Stellen einen Zugriff haben, 1
https://www.deutsche-schulakademie.de/media/537/download; zuletzt 11.12.2020.
3. Leitideen der Schule in der Digitalität
wenn sie den entsprechenden Zugang erhalten. Diese Themenräume selbst können mit den Klassenräumen verlinkt sein, sodass ein unproblematischer Zugriff möglich ist. Durch Mikrofortbildungen die schulische Expertise verstetigen. Oftmals sind die Ressourcen vor Ort zu finden. Teilweise wird die Expertise von außen herangeholt und bemerkt gar nicht, dass die Ressourcen im Haus schlummern. Nicht nur, dass ein direkter und unmittelbarer Kontakt besteht, das Wissen kann quasi sofort abgerufen werden. Mikrofortbildungen beispielsweise können recht kurzfristig in den Pausen zu einem nachgefragten Aspekt angeboten werden. Um das zu realisieren, werden zuvor die Bedürfnisse ermittelt und geschaut, ob sie durch die Ressourcen aus dem eigenen Kollegium befriedigt werden können. Günstig ist, dass so ein Wissen weitergegeben wird, das aus der unmittelbaren Praxis stammt und oftmals auf die Schüler*innen übertragen werden kann. Die Eltern sind ein entscheidender Entwicklungsfaktor. Allenthalben wird über die Medienbildung der Schüler*innen gesprochen. Übersehen wird, dass die Elternhäuser gleichermaßen abgeholt werden müssen. Mediale Bildung hört nicht am Schultor oder auf der Lernplattform auf und kann nicht auf die technische Frage reduziert werden, ob genügend Tablets zur Verfügung stehen. Die Schultore und Lernplattformen müssen sich den Eltern öffnen. Die Einbindung der Mütter und Väter ist eine wichtige Aufgabe, um zukünftige Partizipationschancen deren Kinder zu erhöhen. Dabei liegen auch hier oftmals wichtige Ressourcen verborgen, die dort in die Schule eingebracht werden können. Zugleich ist es wichtig, dass die Elternhäuser wissen, was es heißt, in digitalen Umgebungen zu lernen. Hier sind die Schulen die Profis. Das kann in sehr unterschiedlichen Formen geschehen. Je nach Bedarf können beispielsweise die Eltern in die genutzte Lernplattform für die Lerngruppe eingebunden werden. So ist es denkbar, dass sie dort einen eigenen Raum haben, um sich untereinander zu vernetzen. Vernetzte Eltern bauen eine stärkere Verantwortung für das Gesamtgeschehen auf, stellen sich gegenseitig Ressourcen zur Verfügung. Die Überwindung, sich Hilfe zu suchen, ist deutlich niedrigschwelliger, als wenn die Lehrkraft angefragt werden muss. Zudem liegen bereits vertraute Kommunikationskanäle zur Verfügung. Auf solchen Plattformen könnten auch spezifische Tutorials für die Eltern zur Verfügung gestellt werden. Solche Meetings oder Videos betreffen beispielsweise die Handhabung von zentralen Tools, die die Schüler*innen nutzen und reagieren auch auf angemeldete Bedürfnisse. Solche Themenräume können auch die kulturelle Diversität der Eltern berücksichtigen wie beispielsweise die jeweilige Sprache der Eltern usw. Möglich ist auch, dass die Eltern bei Bedarf einen Einblick in die
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Aufgaben haben. Solche Überlegungen sind dann vielleicht wichtig, wenn einige Kinder eine höhere Unterstützung benötigen. Die Mediensozialisation der Kinder und Jugendlichen besitzt markante Konjunkturen. Große Themen wie beispielsweise das »Spielen im Netz«, mit denen die Eltern konfrontiert sind, haben eine große Bedeutung, aber auch das Agieren in sozialen Medien, der Umgang mit der eigenen Privatheit, Cyberbullying, Sexualität im Netz sind gleichermaßen von Relevanz. Dafür ist auch eine Medienbildung der Eltern notwendig, damit Elternhaus und Schule konstruktiv miteinander umgehen können. So ist es sinnvoll, dass die spezielle Schule vor Ort solche Themen aufgreift und dazu Online-Termine oder Gesprächsveranstaltungen anbietet.
4. Übergreifende Kompetenzen
Die Schule ist ein Knotenpunkt, der mit anderen Schulen einen digitalen Campus bildet, mit den Netzwelten und -räumen in Echtzeit verbunden ist und unter den lokalen Bedingungen spezifisch pädagogische hybride Räume ausbildet. Der territoriale Raum der Schule wird zu einem hybriden pädagogischen Raum, der durch eine Praxis situativ immer wieder gegründet wird. Das schon immer thematisierte Draußen der Schule, die Lebenswelt, wird zur unmittelbaren Umgebung des hybriden pädagogischen Raums. Die Organisation ist fluide geworden, indem die Akteure den hybriden pädagogischen Raum immer wieder anlassbezogen konstituieren, der lokal und spezifisch ist und individuelle Strukturen besitzt. Die Serialität der Schule wird durch eine massive Individualisierung und Personalisierung ersetzt. In einem solchen hybriden pädagogischen Raum handeln zu können, bedarf eines kompetenten Umgangs mit der hybriden Umwelt. Die Disziplin und das Classroom Management der Industrieschule des 19. Jahrhunderts werden durch die Selbstregulation, das kritische Denken und ethisch verantwortungsvolles Handeln der Einzelnen modifiziert. Es handelt sich dabei um fachübergreifende Kompetenzen, die die Schüler*innen in dem Sinn benötigen, um in der Digitalität autonom handlungsfähig zu sein und um eine kritische und selbstbestimmte Teilhabe zu ermöglichen. Sie werden in den hybriden pädagogischen Umgebungen angebahnt.
4.1
Kompetenzorientierung ist Problemorientierung
Kompetenzen werden hier so verstanden, dass es ein bewusstes und intuitives Können gibt, das mit der Zeit angeeignet wird. Kompetenzen sind die »bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.« (Weinert 2001, S. 27)
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Der hybride pädagogische Raum
Abbildung13: Zentrale fachübergreifende Kompetenzen
Wie Jörissen/Marotzki richtig feststellen, kann »Orientierungswissen […] nicht durch eine Steigerung des Verfügungswissens« (Marotzki/Jörissen 2009, S. 29) hergestellt werden. Um mit variablen nicht seriellen Situationen umgehen zu können, benötigen Akteure nicht nur abstraktes entkontextualisiertes Wissen, sondern Erfahrung, in Situationen bestehen zu können. Die Erfahrung ist dafür ein wichtiges Moment, um Kompetenz zu erlangen. Die hybriden pädagogischen Räume sind immer variable und zugleich spezifische Situationen, in denen eine Praxis erzeugt und bewusst mitgestaltet wird. Wenn vom kompetenzorientierten Unterricht gesprochen wird, wird vom problemorientierten Unterricht gesprochen. Das Problem ist ein Scharnier zwischen den Akteuren des Unterrichts und der fachlichen Systematik sowie der Erschließung der Welt. Ziel ist, sich in der Welt autonom zu bewegen. Autonomie ist »Freiheit der Selbstbestimmung« (Volbers 2018, S. 320), indem eine Möglichkeit, auf die Welt zu reagieren, zwar in der Erfahrung angelegt ist, darin jedoch die Freiheit liegt, auch anders zu handeln. Holzkamp (1993) verweist in diesem Zusammenhang auf den »aktiven Weltbezug« (S. 23) des Subjekts, um über seine Welt zu verfügen (S. 217), die eigenen individuellen und relevanten gesellschaftlichen Le-
4. Übergreifende Kompetenzen
bensbedingungen (S. 23, S. 169) mitzugestalten und in dieser Hinsicht eine Subjektposition einzunehmen. Autonomie beinhaltet eine Selbstzuversicht, aktiv in einer dynamischen Welt zu agieren, die auf keinem sicheren Wissen aufbaut, und selbstgestärkt und zuversichtlich in einer Welt hervorzugehen, in der angeeignetes Wissen schnell wieder an Wertigkeit verliert. Der Unterricht als »sozialer Prozess« (Klafki 1996, S. 125) findet im hybriden pädagogischen Raum statt, in dem ein »Beziehungs- und Handlungshorizont« vor dem Hintergrund der sozialen Erfahrungen entsteht (Klafki 1996, S. 126ff.). »Lernen im Sinne kritisch-konstruktiver Didaktik muß in seinem Kern entdeckendes bzw. nachdenkendes und sinnhaftes, verstehendes Lernen anhand exemplarischer Themen sein, ein Lernen, dem die reproduktive Übernahme von Kenntnissen und alles Trainieren, Üben, Wiederholen von Fertigkeiten eindeutig nachgeordnet oder besser: eingeordnet werden muss, als zwar notwendig, aber nur vom entdeckenden und/oder verstehenden Lernen her pädagogisch begründbare Momente.« (Klafki 1996, S. 129; Hervorhebungen im Text; alte Rechtschreibung) Ein problemorientierter Unterricht muss ein welterschließender Unterricht sein, in dem die Schüler*innen eine erweiterte Verfügung über die Welt erhalten und somit den Unterricht immer auch mitplanen (siehe weiter unten). Probleme sind in dem Sinn lebensweltbezogen, weil eine Handlungsproblematik als Lernproblematik, als eine personale Grenzerfahrung oder Grenzerfahrung für die Gruppe besteht (Holzkamp 1993, S. 268), die den Zugriff auf die Welt verhindert. Eine darauf bezogene Ausgliederung in Form eines Lerngegenstandes (Holzkamp 1993, S. 212) und einer Lernschleife (Holzkamp 1993, S. 445) hat für das Lernsubjekt den Sinn, die Verfügung über die Welt wieder oder neu herzustellen. »Derartige Prämissen sind nicht eindeutig von außen determiniert, sondern vom Subjekt im Kontext seiner Handlungen aktiv selegiert bzw. hergestellt, mithin sowohl Voraussetzung wie Resultat des Handlungsverlaufs. Die äußeren Bedingungen, die zu Begründungsprämissen gemacht werden können, sind Aspekte eben jener sachlich-sozial bedeutungsvollen Welt.« (Holzkamp 1993, S. 24; Hervorhebungen im Text) Probleme düpieren die bisher gemachten Erfahrungen und verhindern temporär oder partiell den Weltaufschluss. In dem Sinn ist eine Problemorientierung sinnstiftend. Probleme sind insofern sozial, als sie für das Leben als relevant angesehen werden. Sie zu lösen, verlangt nach einer Haltung. Volition und Motivation sind in dem Zusammenhang von großer Wichtigkeit, weil eine Problembearbeitung eine Lernauslagerung in einer prekären Situation bedeutet. Eine Lernschleife, um die Welt zu erschließen (Holzkamp), geschieht im Rahmen einer großen Ungewissheit, indem die alten Gewissheiten als dysfunktional erfahren und aufgegeben werden. Zugleich stehen jedoch noch keine neuen Gewissheiten zur Verfügung, um in der
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Welt zu agieren, woraus eine Irritation, ein Zögern resultieren kann. Lernen ist an sich prekär und abenteuerlich. Probleme können insoweit keine Routinen sein, ganz im Gegenteil werden erworbene Erfahrungen und Erwartungen aufgehoben. Die Unsicherheit, das Problem zu lösen, erfordert eine Selbstzuversicht und eine Selbstregulation, sich nicht abbringen zu lassen, dranzubleiben und nicht zu resignieren. Eine Problemlösung besitzt eine ethische Dimension. Nicht jede Lösung, auch wenn sie funktional und ökonomisch oder pragmatisch daherkommt, ist den anderen in der sozialen (Um-)Welt zuzumuten. Probleme sind immer sozial-moralisch gerahmt und die Lösungen sind selbst wieder ein Beitrag des sozialen Zusammenseins und müssen kritisch geprüft werden. Aus dem so verstandenen Kompetenzbegriff resultieren übergreifende Kompetenzfelder, die jeweils in unterschiedlichen Erscheinungsformen den Unterricht in digitalen Lernumgebungen beeinflussen.
4.2
Selbstregulation
Die Selbstregulation, das selbstgesteuerte, selbstinitiierte oder autonome Lernen wird in zunehmend deregulierten Lernumgebungen immer bedeutsamer. Digitale Umgebungen bieten viele Wege. Im Netz zu handeln verlangt eine enorme Anstrengung an sich selbst, die von keinem anderen Menschen abgenommen werden kann. Gerade das Netz als Bildungsressource zu nutzen, bedarf einer Anleitung. Schon jetzt zeigt sich zunehmend, dass diejenigen einen höheren Nutzen aus dem Netz ziehen, die einen bewussten bildungsorientierten Umgang besitzen (Schaumburg 2015, Monitor Digitale Bildung 2017, Bildung in Deutschland 2020). Die Selbstregulation hat bisher in der Schule ein marginales Dasein, da den Schüler*innen durchweg die Verantwortung abgenommen wird. Das Scheitern ist nicht Gegenstand des Unterrichts, sondern der von Sanktionen, schlechten Noten usw. In der Regel übernehmen die Lehrkräfte die Verantwortung für das Lernen und ratifizieren die zu erreichenden Ziele durch entsprechende Methoden. So zeigen Ophardt und Thiel (2013, S. 108) im Zusammenhang mit dem Classroom Management auf, dass die Selbststeuerung der Lernenden in schülerzentrierten Lernumgebungen Lernkompetenzen wie Selbstregulation benötigen. In diesem Sinn muss für die Selbstregulation ein Skript, ein Handlungsverständnis angebahnt werden, um in offenen Lernsettings zu arbeiten. Selbstregulation in der Schule ist oftmals partiell. In der Regel stellen die Lehrkräfte die Regeln auf, erlauben und verbieten, gewähren und rügen. Selbstgesteuerte und partizipative Lernphasen (Scheiter 2017) werden in digitalen Lernumgebungen immer bedeutsamer. Die üblichen Zeit- und Raumvorgaben verändern sich und werden durch die Schüler*innen in Eigenregie übernommen. Die Selbstregu-
4. Übergreifende Kompetenzen
lation verschiebt dabei die Verantwortung für das Lernen von der Lehrkraft auf die Schüler*innen, indem sie das Lernen in variablen Umgebungen und Gruppierungen selbst organisieren. Jerusalem (2011) hebt hervor, dass insbesondere durch die schnelle Entwertung von Wissen die Selbstregulierung im Kontext der Digitalität von erheblicher Bedeutung ist. Durch ein dezentrales Lernen kommt es zwangsweise zu Prioritätsdilemmata, indem zwischen gleichrangigen, wichtigen und unwichtigen Zielen unterschieden werden muss. Auch müssen die Zeit, die Methoden und die richtigen Lernumgebungen bestimmt und eingerichtet werden, um seine eigenen Ziele zu realisieren. Das ist für die Schüler*innen eine Herausforderung. Selbstreguliertes Lernen grenzt sich von einem fremdgesteuerten Lernarrangement ab, indem das Subjekt enteignet wird (vgl. auch Holzkamp 1993). Der Begriff »Selbstregulation« ist nicht einheitlich definiert (vgl. Elzen-Rup/Leutner 2007, S. 252). Zimmermann (2000) verweist auf die Person, die Situation und das Verhalten, indem das Subjekt »refers to self-generated thoughts, feelings, and actions that are planned and cyclically adapted to personal goals« (Zimmermann, S. 16, vgl. auch Baumert et al. o.J., S. 2). Damit einher geht eine Selbstwirksamkeitserwartung, die als eine Zuversicht beschrieben werden kann, auch schwere Aufgaben zu bewältigen und Probleme bei der Bearbeitung auszuhalten, ohne die »Flinte ins Korn« zu schmeißen (vgl. auch Drössler/Röder/Jerusalem 2007, S. 208ff.). Selbstreguliertes Lernen kann beschrieben werden, wenn der »Handelnde die wesentlichen Entscheidungen, ob, was, wann, wie und woraufhin er lernt, gravierend und erfolgreich beeinflussen kann.« (Weinert 1982, S. 102). Von Nöten sind folgende Eigenschaften, die im Zusammenhang mit dem Begriff der Selbstregulation genannt werden: eine eigenverantwortliche Gestaltung von Planung, Ausführung und Kontrolle. •
• •
das Lernen wird einer megakognitiven Überwachung unterzogen, indem die einzelnen Prozessschritte beobachtet, kontrolliert und ressourcenorientiert adaptiert werden. die selbst gesetzten Ziele sind realistisch. die Person besitzt ein Wissen über Lern- und Arbeitsstrategien, die situationsspezifisch eingesetzt werden. (vgl. Elzen-Rup/Leutner 2007, S. 252ff.)
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Abbildung 14: Das Drei-Schichten-Modell des selbstregulierten Lernens nach Boekaerts (1999, S. 449).
Eng damit verbunden ist eine Selbstwirksamkeitserwartung. Sie ist die subjektive Überzeugung einer Person, ein bestimmtes Verhalten erfolgreich ausführen zu können (vgl. Jerusalem 2002, S. 37; Frey/Ire 2002, S. 285). »Selbstwirksamkeitserwartung beschreibt die Erwartung, dass man gegenüber den Herausforderungen der Welt im Allgemeinen oder in spezifischen Kontexten (z.B. Unterricht oder Prüfung) wirksam ist, diese also erfolgreich bewältigen kann.« (Nolle 2019, S. 23; vgl. auch Jerusalem 2002, S. 35) Die Selbstwirksamkeit unterliegt (wie im Bereich der Bezugsnormenorientierung) der Lernmotivation, dem Sozialklima, der Angst, dem Stress usw. Ein positives und auf Erfahrung beruhendes Selbstverständnis ist die Grundlage, um ein selbstgesteuertes Handeln zu ermöglichen und in verschiedenen hybriden pädagogischen Räumen handlungsfähig zu sein. Gerade dort ist es notwendig, ständig Entscheidungen für die eigenen Ziele zu treffen. Das Handeln in hybriden pädagogischen und außerpädagogischen Umgebungen benötigt eine ständige Selbstvergewisserung, um mit der Fülle an Anforderungen, Informationen und Wissen umgehen zu können. Der Selbststeuerung unterliegt die Annahme, dass die Schüler*innen selbstbestimmt eine Lernanstrengung verfolgen und überwachen, ohne immer durch die Lehrkraft beobachtet und bevormundet zu werden. Dafür ist es notwendig, dass sich die Schüler*innen bewusst ein Ziel stecken, die Etappen einschätzen und den Prozess überwachen (Monitoring) sowie im Verlauf Korrekturen im eigenen Handeln vornehmen (siehe Abbildung 14). Insbesondere Letzteres ist eine hohe willentliche Anstrengung, weil konkurrierende Intentionen, Ungewissheit, Orientie-
4. Übergreifende Kompetenzen
rungslosigkeit usw. ausgehalten werden müssen. Das ist eine ungemein wichtige Fähigkeit, wenn sich die Akteure in einer digitalen Umgebung bewegen, die immer auch andere Optionen anbietet. Weil Lernen eine Anstrengung ist, liegt die Verlockung nahe, anderes zu tun. Der Erfolg und ein positives Feedback beeinflussen die Selbstwirksamkeit positiv. Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung wiederum erzeugt eine hohe Motivation und eine positive volitionale Einstellung, die eigenen Ressourcen einzusetzen (vgl. Wigfield/Klauda/Cambria 2011, S. 36). »Selbstwirksamkeit bzw. optimistische Selbstüberzeugung stellt einen Schlüssel zur kompetenten Selbstregulation dar, indem sie allgemein das Denken, Fühlen und Handeln sowie – in motivationaler und volitionaler Hinsicht – Zielsetzung, Anstrengung und Ausdauer beeinflusst.« (Jerusalem 2002, S. 37) Der zielorientierte Prozess in der Selbstregulation wird durch Boekaerts (1999) als Drei-Schichten-Modell dargestellt. Das Subjekt wählt bewusst seine Ziele, dazugehörige Strategien (Methoden der Aneignung) und besitzt ein Wissen, eine Erfahrung in der Steuerung (Selbstbeeinflussung beispielsweise bei Ablenkungen, produktive Lernumgebungen aufsuchen/herstellen). In der Forethought-Phase setzen sich die Lernenden eigene kurz- und langfristige Ziele, die in der PerformancePhase durch eine Selbstbeobachtung begleitet werden, um den Istzustand mit dem Ziel durchgehend abzugleichen (Wigfield/Klauda/Cambria 2011, S. 40 sprechen von »Persistence«), die die eigenen Strategien kontrollieren und in Relation zur eigenen Zielsetzung reflektieren. Die Umweltfaktoren sind dabei wichtige Faktoren. Hierbei ist es auch wichtig, dass die Schüler*innen aktive Unterstützung holen, wenn sie unüberbrückbaren Schwierigkeiten begegnen. Letztlich ist es die SelfReflection-Phase, die die Widerfahrnis in der Performance-Phase in die eigene Erfahrung überführt (vgl. Bandura 1991, S. 249ff.; Bembenutty et al. 2015, S. 17). Signifikant sind dabei die Volition der Subjekte, also der Willensakt, eine Aufgabe auch wirklich lösen zu wollen, »eine Handlungsausführung trotz innerer oder äußerer Widerstände bis zur Zielerreichung aufrecht zu erhalten.« (Rheinberg/Vollmeyer 2012, S. 178). Die Selbstregulation ruht auf einer optimistischen Selbstwirksamkeit, die durch eine Selbstmotivation, -reflexibilität und -responsivität getragen wird. Wie Boekaerts hervorhebt, ist es notwendig, dass die Lernenden ihr eigenes Ziel mitbestimmen (vgl. Schulz/Hamburger Modell), um dieses zu erreichen. In dem Sinn geht es bei der Selbstregulation um die Emanzipation des Akteurs im Lernprozess, indem er diesen bewusst steuert und sich bewusst zu sich selbst und seiner Umgebung verhält. Sie ist die Grundlage dafür, in einer zunehmend ungewissen Umwelt handlungsfähig zu bleiben und das eigene Vorgehen bewusst zu steuern. Im weitesten Sinn geht es bei der Selbstregulation um eine zunehmende Autonomie und Emanzipation der Schüler*innen (vgl. auch das Unterkapitel zum
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Paternalismus weiter unten). Die die Befähigung zur Selbstregulation beschreibt, dass das eigene Verhalten und Handeln selbst beeinflusst werden kann, also keine von außen kommenden regulativen Einwirkungen notwendig ist wie beispielsweise im fremdgesteuerten Lernen. Es bedeutet, dass innerhalb des hybriden pädagogischen Raums die Selbstregulation angebahnt wird. Sie stellt sich also nicht ein, sondern muss sukzessiv aufgebaut werden. Auf der pädagogischen Ebene müssen in digitalen Lernumgebungen aus diesem Grund verschiedene Dimensionen berücksichtigt werden. Da ist beispielsweise der Grad der Schwierigkeit von Aufgaben. Zu fragen ist beispielsweise, mit wie vielen Wissenseinheiten die Schüler*innen umgehen müssen, wie offen die Antworten sind, welche Modelle, Methoden usw. angewendet werden usw. Es ist also wichtig, dass komplexe Aufgaben untergliedert werden, um das Selbstvertrauen durch Nahziele zu steigern (vgl. Jerusalem 2002, S. 46). Das ist besonders wichtig für sehr heterogene Lerngruppen. Pauschal kann gesagt werden, dass diejenigen gut in offenen Lernumgebungen arbeiten können, die bereits eine gute Selbstregulation und eine hohe Zuversicht besitzen. Für einen großen Teil der Schüler*innen ist das nicht der Fall. Aus diesem Grund ist eine langfristige und konsequente individuelle Anbahnung notwendig, die durch eine gezielte Metareflexion begleitet werden muss. Diagnostik, Rhythmisierung von Online- und Offline-Begegnungen wie auch Beratung sind ständige Anforderungen an eine sinnvolle Begleitung durch die Lehrkraft. In dem Sammelband von Landmann/Schmitz (2007) wird gezeigt, wie solche Trainingsprogramme für die Selbstregulation schon jetzt im Fachunterricht eingebunden werden können und auch für hybride pädagogische Räume sinnvoll sind. So zeigen Stöger und Ziegler (2007, S. 89-110), wie die Schüler*innen lernen, bewusst mit der häuslichen Lernumgebung umzugehen, indem sie ein positives Lernarrangement herstellen. Gleiches gilt für Trainingsprogramme zur Anfertigung von Hausaufgaben, wie sie Peres darstellt (2007, S. 33-51), indem zunächst langfristige Hausaufgaben durch die Schüler*innen in Eigenregie angefertigt werden. Den verschiedenen Trainingsprogrammen ist gemeinsam, dass die Lernenden Strategien kennenlernen, wie sie mit kritischen Situationen umgehen, die gewöhnlich zu einem Lernabbruch führen. So ist es wichtig, dass die Schüler*innen über lernökologische Strategien verfügen, um konzentriert ein Lernziel zu verfolgen. Darunter wird verstanden, dass die Schüler*innen bewusst mit der Gestaltung des Arbeitsplatzes umgehen, Ablenkungen bewusst wahrnehmen und bewerten, Arbeits- und Pausenphasen planen und Strategien kennen, um das eigene Arbeiten zu schützen. Möglich wäre, dass die Schüler*innen mit Eintritt in die Schule eine Einführung in die lernökonomischen Strategien erhalten (vgl. Stöger/Ziegler 2007, S. 96ff.), um das Arbeiten in hybriden pädagogischen Räumen anzubahnen und zu begleiten. Daneben führen die einzelnen Fächer inhaltsbezogene Selbstregu-
4. Übergreifende Kompetenzen
lationen für beispielsweise Lesestrategien, Textstrategien oder Rechenstrategien ein. Von Jahrgang zu Jahrgang werden die zu vermittelnden Strategien komplexer. Im Sinne eines Spiralcurriculums können die bereits erworbenen Strategien reflektiert, ggf. verändert und neu eingeführt werden. Das Training von Selbstregulation kann so erfolgen, dass die Lernenden Optionen kennenlernen und eigene Erfahrungen reflektieren, wenn sie in dezentralen Umgebungen arbeiten. So sollen die Schüler*innen im Sinne des Handlungsmodells von Jerusalem (2011) die eigene Situation und die Aufgabe bewusst reflektieren (präaktionale Phase) und die eigenen Ziele formulieren. In der aktionalen Phase, also der Prozessphase, sollen sie lernen, das eigene Verhalten zu beobachten. Sie besitzen Strategien, sich zu korrigieren, um das Ziel zu erreichen. In einer nachfolgenden, sogenannten postaktionalen Phase wird der zurückliegende Prozess nochmals bewertet und eigene Schlüsse daraus gezogen, welche Strategien sinnvoll waren (vgl. Schmitz 2007, S. 12). Jerusalem hat für die einzelnen Phasen Fragen formuliert, die die Schüler*innen anwenden können. In der präaktionalen Phase fragen sie sich: »Was ist das Problem?« (Lageeinschätzung), »Was würde helfen?« (Lösungsmöglichkeiten) oder »Was kann ich selbst tun?« (eigene Kompetenzen). Die daran anschließende Planungsphase fragt danach, was (Zielsetzung), wann (konkrete Vorbereitung), wie und wo (Initiative) getan werden muss (siehe Abbildung 15). In der aktionalen Phase fragen sich die Schüler*innen, wie sie es umsetzen sollen und wie sie mit Schwierigkeiten und Unwegsamkeiten umgehen können (Aufrechterhaltung). Letztlich ist die postaktionale Phase durch die Reflexion gekennzeichnet: Die Schüler*innen reflektieren, ob sie ihr Ziel erreicht haben (Ergebnisbewertung). Dazu muss es einen Input geben, wie die Schüler*innen mit der eigenen Selbstregulation umgehen können. Möglich ist folgendes Modell: •
• •
Demonstration durch die Lehrkraft und lautes Denken, indem die Selbstinstruktionen formuliert werden; Nachahmung der Strategien durch die Schüler*innen Formalisierung durch einen Strategieplan: gemeinsam mit den Schüler*innen fremdkontrollierte Strategieanwendung Selbstkontrollierte Strategieanwendung (vgl. Stöger/Ziegler 2007, S. 81)
Der Zyklus des selbstregulierten Lernens (Stöger/Ziegler 2007, S. 92) geht vom Istzustand der Schüler*innen aus, indem sie reflektieren, welche eigenen Probleme sie mit dem eigenen Lernen besitzen. Dem schließt sich ein eigenes Lernziel an, also ein Sollzustand, der zu erreichen ist. Wichtig ist zu betonen, dass dieser Zustand jeweils verändert wird, wenn neue Erfahrungen gemacht wurden. Um vom Ist- zum Sollzustand zu kommen, planen die Schüler*innen, die für sich wichtigen Schritte, die auf der Grundlage der gezeigten Strategien als geeignet erscheinen.
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Der hybride pädagogische Raum
Bei der Strategieanwendung findet eine zunehmende Adaption an die Situation und der eigenen Person statt, indem die Strategien immer mehr angepasst werden. Wenn keine weiteren Veränderungen stattfinden, wird dieser Anwendungsbereich abgeschlossen, indem die Strategie als solche bewertet und die eigene Selbsteinschätzung neu vorgenommen wird.
Abbildung 15: Zyklische Selbstregulation des Lernens
4.3
Kritisches Denken
Die Digitalität zeichnet sich durch eine gesteigerte und unmittelbare Unübersichtlichkeit, eine enorme Datenfülle, Fülle an Informationen und Wissen aus. Seit 2002 gibt es mehr digitale als analoge Daten und seit 2004 mehr vernetzte Dinge als Menschen auf der Welt (vgl. Gapski 2019). Diese Daten fallen in einem unvorstellbaren Volumen an, in einer gleichfalls unermesslichen Varianz (Texte, Bilder, Videos, Musik…) und werden in einer hohen Geschwindigkeit nacheinander und paral-
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lel verbreitet. Thomson (2013) fasst das in dem prägnanten Satz zusammen: »Our ancestors learned how to remember; we’ll learn how to forget« (S. 44). Die Daten selbst stellen mittlerweile einen Rohstoff dar, indem sie neu systematisiert, gruppiert und kombiniert werden, um neues Wissen zu generieren, sodass sie selbst wieder ein Betrag für Big Data sind. Remix, Mashup usw., die von Stalder (2016) als eine Form der Referenzialität im Rahmen der Digitalität ausgemacht werden, sind dann bereichernd, wenn sie von einem kritischen Denken begleitet werden. Denn Daten sind nicht neutral, sondern artifiziell, mit Interessen unterlegt. Kommunikation und Interaktion sind die wesentlichen Treiber des Internets, indem wir mit anderen Menschen kommunizieren; Bilder, Profile, Zeichen sehen, mit Leuten sprechen, Beiträge lesen, reagieren, schließen usw. Gewöhnlich verlangt eine gute Kommunikationskultur ein Maß an Vertrauen, das im Vorfeld vorgestreckt wird, sozusagen als ein Blankokredit vergeben wird. Im Netz sollte eine solche vertrauensvolle Kommunikation immer auch unter dem Verdict des möglichen Scheiterns betrachtet werden. Traditionelle Gatekeeper, die die Meinungsbildung im öffentlichen (digitalen) Raum durch Expertise moderieren, werden durch Crowd Knowledge, Collaborative Filtering, das Peer-Review-Prinzip usw. ersetzt. Die Klickraten stehen in Konkurrenz zur Expertise, Fake News beeinflussen das Denken, Filterblasen und Echoräume verstellen eine weitere Sichtweise. Die Unübersichtlichkeit, die schnelle Entwertung von Wissen und der Umgang mit anonymen Mächten im Netz kann bei unbedachten Akteuren schnell zu einem Ohnmachtsgefühl führen. Sie suchen dann entweder bei sogenannten KoOrientierungen eine Kompensation, um eine Sicherheit zu erreichen, oder sie verfallen in Passivität bzw. resignieren. Menschen ergreifen dann eine Initiative im Netz, wenn sie meinen, die entsprechenden Ressourcen dafür zu besitzen. Kritisches Denken wird in der Regel im Unterricht angebahnt, wenn der Unterrichtsgegenstand so von der Lehrkraft geplant wird, dass er in der angemessenen Kontroversität behandelt wird (Beutelsbacher Konsens). Solche Forderungen haben sich an die Lehrkraft gewandt. Zugleich beruht der Unterricht auf unhinterfragter Glaubwürdigkeit, Wahrheit und Richtigkeit – es ist ein Vertrauensvorschuss. Das, was gelehrt wird, ist relevant und richtig und kann als eine Grundprämisse pädagogischen Handelns angesehen werden. In hybriden pädagogischen Umgebungen stellen sich neue Anforderungen an den Unterricht, da pädagogische und nicht pädagogische Akteure gemeinsam auftreten, weil sich die Schule in und nicht vor der Digitalität befindet. Die Daten, Informationen und das Wissen im Netz sind nicht unproblematisch und nicht pädagogisch. Dafür ist es notwendig, dass die Lernenden an diese Anforderung herangeführt werden. Kritisches Denken ist eine Grundvoraussetzung zum Handeln im Netz. Das können sich die Schüler*innen nicht in einem dekontextualisierten bzw. abge-
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schotteten Raum aneignen, indem sie Kriterien auswendig lernen, die irgendwann anzuwenden sind. Kritisches Denken ist kontextspezifisch, konkret und situativ. Kritisches Denken ist ein Aufruf, der in der Situation eingelöst werden muss. Eine kritische Grundhaltung zu besitzen, bedeutet, dass die Dinge befragt und nicht hingenommen werden. Sie beinhaltet die Analyse und die kritische Reflexion gleichermaßen. Es ist eine intellektuelle Redlichkeit, sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen. Sie ist konkret (analog und digital) und auf konkrete Gegenstände und Sachverhalte gerichtet. Der Begriff »Reflexion« kommt eigentlich aus der Physik, der aus »re« (zurück) und »flectere« (biegen) besteht und als eine denkende Zurückwendung beschrieben werden kann (Häcker 2017, S. 24). Die Reflexion – anders als die Intuition – ist eine distanzierte Haltung, die im Nachhinein erfolgt. Reflexion ist ein »gezielte[r], aktive[r] Prozess einer Untersuchung (Exploration) von pädagogischer Praxis und eigener pädagogischer Erfahrung. Der Reflexionsprozess befasst sich mit der Generierung von Bedeutung sowie kritischer Untersuchung von Annahmen oder Wissen mit dem Ziel der nachhaltigen Förderung professioneller Entwicklung. Er enthält auch emotionale und motivationale Dimensionen.« (Gutzwiller-Helfenfinger u.a. 2013, zit.n. Gutzwiller-Helfenfinger/Aeppli/Lötscher 2017, S. 134) »Reflexion ist ein gezieltes Nachdenken über bestimmte Handlungen oder Geschehnisse im Berufsalltag. Individuell oder im Austausch mit anderen Personen werden die Handlungen oder Geschehnisse systematisch und kriteriengeleitet erkundet und geklärt. Dies geschieht unter Einbezug von: (1) erweitertem Blickwinkel, (2) eigenen Werten, Erfahrungen, Überzeugungen, (3) größerem Kontext (theoretische, ethisch-moralische, gesellschaftliche Aspekte). Aus diesem Prozess werden begründete Konsequenzen für das weitere Handeln abgeleitet und in der Praxis umgesetzt.« (Wyss 2013, S. 55) Die kritische Haltung reagiert responsiv auf die Umgebung und stellt eine Praxis dar, die nicht selbstverständlich ist. Dazu bringen die Schüler*innen den (Lern-)Gegenstand immer wieder in eine Distanz zu sich selbst, um ihn zum Gegenstand des Nachdenkens zu machen. Es bedarf gewissermaßen einer Grundtechnik, die routinehaft aus der Situation führt, um sich in der Situation zu betrachten. Erstaunlich ist, dass es für die Reflexionsfähigkeit kein Maß an und für sich gibt, also den Grad der Tiefe einer Reflexion, für den Punkt, an dem sie anfängt und wie sie sich zu entwickeln hat, um als Reflexion bezeichnet werden zu können. Auch wissen die Akteure eigentlich nicht, wann sie aufhören und inwieweit sie sich in der Praxis, in der Situation selbst bemerkbar macht usw. Beginnt die Reflexion schon dann, wenn wir etwas als etwas zum Thema machen? Undeutlich ist in
4. Übergreifende Kompetenzen
dem Zusammenhang auch, was das Denken im Gegensatz zur Reflexion eigentlich ist, wann das eine beginnt, das andere aufhört, oder ob beide eigentlich das gleiche bedeuten. Vielleicht kann gesagt werden, dass das Denken den ganzen Körper umfasst. Bei der Reflexion tritt hingegen ein Paradox auf: Wir betrachten uns von außen, obwohl wir nicht aus unserer Haut herauskönnen. Wir sind in dem einen Körper und werden zu einem zweiten, der ihn betrachtet. Wir nehmen uns als »etwas« wahr, betrachten uns und sind zugleich der Betrachtete. Die Reflexion reißt uns aus der Unmittelbarkeit heraus, wir sind nicht bei den Sachen, sondern vor ihnen. Die Reflexion kann als ein »Etwas« beschrieben werden, das keinen besonderen Ort des Räsonierens besitzt, also irgendwo lokalisiert werden kann. Weil wir nicht so einfach aus unserer Haut können, sind wir immer auch ein Stück in uns gefangen, wenn wir über uns nachdenken (vgl. auch Münte-Goussar 2017, S. 75ff.). Kritisches Denken ist ein Innehalten, indem die Umwelt unter einer gezielten Problemfrage betrachtet und kriteriengeleitet befragt wird. Es ist die Selbstverpflichtung, dass das eigene Denken selbst immer auch einer Revision unterzogen wird. Das muss gelernt werden. In hybriden pädagogischen Räumen kommen die Schüler*innen mit der sozialen, kulturellen und politischen Welt ohne pädagogischen Puffer zusammen. »A focus on expanding access to new technology carries us only so far if we do also foster the skills and cultural knowledge necessary to deploy those tools toward our own ends.« (Jenkins 2009, S. 8) Bisher werden Aufgaben gestellt, das Material ausgesucht, Texte und Bilder sondiert usw. Das kritische Denken wird im Unterricht angeleitet, indem kriteriengeleitete Urteile formuliert werden. Die Isolierung in digitalen Umgebungen ist nicht mehr vorhanden. Das kritische Denken erkennt die Offenheit des hybriden pädagogischen Raums an, ohne dabei zu resignieren. Die Schule hat in dem Zusammenhang die Aufgabe, durch ein ausreichendes Feedback eine Unterstützung zu geben, ohne zu entmutigen. Kritische Selbstkontrolle ist neben der Selbstregulation das bewusste Umgehen mit uns in den digitalen Umgebungen. Kritisches Denken meint, weder in eine euphorische noch in eine pessimistische Attitüde zu verfallen. Zur Selbstthematisierung der eigenen Praxis und zu möglichen individuellen Rückschlüssen für ein zukünftiges Handeln (Mastery-Erfahrungen) gehört in diesem Zusammenhang auch die Fertigkeit, die Widerfahrnis als Erfahrung zu reformulieren, die durch die hybriden pädagogischen Räume eröffnet werden. Sich zu jedem Zeitpunkt im Netz als Producer wahrzunehmen, über die eigenen Routinen nachzudenken, muss darin münden, die eigene Praxis kriteriengeleitet anzubahnen. Auch hier haben wir es mit einem problematischen Begriff zu tun, da die Anfangsgründe für eine »Veränderung« solange unbestimmt bleiben, wie die Veränderung sich überhaupt erst ereignet. Sie können lediglich nach-
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träglich festgestellt werden. Darauf hat bereits Aristoteles aufmerksam gemacht: »Möglich ist, was durch uns geschehen kann« (1112 b 10, 1991, S. 157). Erfahrung tritt erst auf, wenn etwas tatsächlich stattgefunden hat (Mead 1993, S. 240). Erst nach dem Handeln wissen wir, was wir getan haben, so Mead. Die Reflexion ist die Harmonisierung der bestehenden Erfahrung mit den neu gemachten Erfahrungen. Sie kann als eine Handlungsexpansion verstanden werden, eine veränderte Erwartung aufzubauen, die durch die Schule begleitet wird. Die Schüler*innen sollten Machträume kritisch wahrnehmen. Kritisches Denken ist notwendig, die eigenen Freiheitsräume in der Digitalität zu wahren. Die kritische Haltung verweist auf eine Praxis, die sich eigene Möglichkeitsräume schafft. Es wird der Gedanke zurückgewiesen, dass die Subjekte, die Schüler*innen per se im Netz totalitären Strukturen ausgeliefert sind, die keine anderen Handlungsoptionen zulassen. Kritisches Denken hat insoweit immer auch mit Machträumen zu tun. Machträume sind nicht total, sondern haben Brüche, wie Foucault in »Überwachen und Strafen« (1976) darstellt. Die Anordnung der Körper in den (hybriden) Räumen wird bei Foucault nicht so verstanden, dass es möglich ist, eine allumfassende Totalität oder Hegemonie zu erzeugen. Die Praxis hat immer auch einen Spielraum (vgl. Waldenfels 1980, 216). Das Verhältnis der konkreten Praxis zu einem übergeordneten hegemonialen Diskurs darf nicht die Illusion erzeugen, dass es zwischen entstandenen Praxen, in die die Akteure eintreten, einen UrsacheWirkungs-Zusammenhang gibt, der die Praktik determiniert. Vielmehr wird die Praxis durch jeden neuen Beitritt selbst wieder verändert und verschoben. Foucaults Konzept der »Biomacht« besitzt eine Praxis unterhalb des hegemonialen Dispositivs, der alternative Handlungsoptionen eröffnet bzw. vorstellen lässt. Unter dem Begriff »Dispositiv« wird bei Foucault eine Verschärfung zwischen symbolischer Repräsentation (Organisation des Sagbaren), also einem Wissensfeld, wie es Foucault in »Überwachen und Strafen« (1976) beschreibt, und der Anordnung der Körper im Raum verstanden. Dispositive zeigen eine Möglichkeit auf, sich in definierten und mit einer Praxis belegten Räumen zu bewegen. Zugleich verweist er darauf, dass die Anordnung und das erzeugte Wissen nicht determinierend wirken, sondern Alternativen zulassen. Foucault verweist darauf, dass es »Orte« gibt, die als Orte außerhalb aller Orte liegen (Foucault 1992, S. 39). Die von Foucault in diesem Sinn bezeichnete »Heterotopie« beschreibt, dass das einzelne Subjekt seinen Platz an einem Ort durchaus hinterfragen kann, indem er bewusst entfremdet wird (Spiegelbeispiel bei Foucault 1992, S. 39). Nach Hartle (2006) ist die »Heterotopie« als ein »negativer Widersinn« gegenüber dem herrschenden Dispositiv zu verstehen. Es sind Orte, die in der Praxis selbst wieder nicht bis zum letzten Moment determiniert werden können, da die hegemonialen Diskurse hinsichtlich ihrer allgemeinen Regelhaftigkeit nicht sagen können (vgl.
4. Übergreifende Kompetenzen
Waldenfels 1980, 2016), wie sie vor Ort situativ auszusehen haben und so prekäre Orte (Hartle 2006, S. 101) hervorbringen. Im Sinne von Waldenfels ist die Praxis vor Ort eine Regelhaftigkeit, die durch keinen Determinismus vorausbestimmt werden kann. Kritisches Denken ist eine Distanzierung von Routinen, indem sie bewusst und methodisch aufgerufen werden, um sie zu befragen. An solchen Orten finden Diskurse statt, die zwar die Macht über die Körper und ihrer Anordnung an sich ziehen wollen, indem Wissensproduktion und Macht keine Gegensätze sind, sondern Bedingungen, um Wissen zu erzeugen, die jedoch immer auch Gegendiskursen ausgesetzt sind. Daraus folgt, dass der Diskurs, wie ihn Foucault in »Der Wille zum Wissen« darstellt, nicht als alternativlos gedacht wird, da »er unterlaufen« werden kann, er Machteffekt und Hindernis sein kann, letztlich »zerbrechlich und aufhaltsam« (1983, S. 122; vgl. S. 80ff.) ist. Der Möglichkeitsraum ist der Graubereich der Gegenwart und einer möglichen anderen Handlungsweise, eine leichte Irritation, indem die Akteure schon »Etwas« nicht mehr ganz als das Gemeinte ansieht. Das kritische Denken befragt den Möglichkeitsraum und weiß um den Konservatismus der Gewohnheit, ohne das Festgeschriebene, die Routine, die Praxis per se als defizitär zu verstehen. Indikatoren für ein kritisches Denken können sein, dass jemand Fragen klar stellen kann, zusätzliche Informationen zu einem Thema sammelt, abweichendem Denken offen gegenüber steht, Schlussfolgerungen nachvollziehbar ziehen kann und transparent kommuniziert. Die Schüler*innen zum kritischen Handeln im Netz befähigen. Kritisches Denken heißt, sich darüber klar zu sein, wie wir ins Netz gehen. Wenn wir ins Netz gehen, benötigen wir (Such-)Maschinen, um Informationen in den unendlichen Weiten des Netzes zu finden. Zugleich sind sie es, die uns ein Profil geben, uns in eine Matrix von Vorlieben, Interessen usw. einordnen. Weigend (2017) spricht in diesem Zusammenhang von »Raffinerien«, die soziale Daten sammeln, die unsere Bewegungen, unser Verhalten, unsere Interessen und Beziehungen registrieren (S. 16). Doch ohne die Suchmaschinen können wir zugleich nicht die Massen der Daten bearbeiten, Daten finden usw. Gemeinhin werden solche Situationen als Dilemma bezeichnet: Auf der einen Seite müssen wir Daten von uns preisgeben, zugleich benötigen wird diese Suchmaschinen, um Daten – auch über uns selbst – aufzufinden. Kritisches Denken zeichnet sich dadurch aus, dass wir beispielsweise darüber nachdenken, welche Suchmaschine welche Renditen bietet, indem die Nutzer*innen darüber nachdenken, wie die Preisgabe ihrer Daten in einem Verhältnis zum Informationsgewinn steht. Die Information wird kritisch danach befragt, ob sie individualisiert wurde, also das eigene Profil die Information auslöst. Der kritische User muss sich aber auch fragen, ob er eine Suche startet, weil er eine bestimmte Information erhalten hat, also eine doppelte Rückkopplung vorliegt.
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»Wenn die erste Rückkopplung darin besteht, einen weiteren Mosaikstein in ihrem Persönlichkeitsprofil liefern zu lassen, so ist die Pointe der zweiten Rückkopplung, jedem Persönlichkeitsprofil selbst die Suche nach den Informationen zu übertragen, die zu Ihnen ›passen‹.« (Türcke 2019, S. 34; Hervorhebungen im Text) Zum kritischen Denken gehört schließlich auch, dass sich die Nutzer*innen, die Schüler*innen nicht einfach irgendeiner Suchmaschine verschreiben, sondern diese bewusst aussuchen und verschiedene Suchmaschinen kombinieren und vergleichen. Es gehört auch dazu, dass sie unterschiedliche Profile im Netz anlegen, um die Suchalgorithmen bewusst zu nutzen, um ihnen nicht ausgeliefert zu sein. Kritisches Denken berücksichtigt, dass sich die Datensammlung hinter den Oberflächen abspielt. Kritisches Denken hat ein Bewusstsein dafür, welche Bedeutung freie und unabhängige Medien für eine politische und kulturelle Öffentlichkeit haben (vgl. auch Reinemann/Fawzi/Obermaier 2017, S. 93). Welche Auswirkung hat es, wenn die Nachrichten zunehmend über Informationsintermediäre vermittelt werden, indem Suchmaschinen wie GMX, Google News, Facebook usw. Nachrichten verbreiten. Die Motive der Nutzer*innen sind zumeist andere als bei den Nachrichtenportalen, die über die Suchmaschinen aufgerufen werden. Dort sind beispielsweise soziale Motive oder Identitätsarbeit ein Motiv, eine Nachricht zu berücksichtigen (vgl. Kleinen-von Königslöw 2017, S. 100ff.). Kritisches Denken meint hier auch, dass im Zusammenhang mit der Medienkompetenz darüber nachgedacht wird, ob es sich um Informationen, Propaganda und Hetze oder um Clickbaits handelt. Mit der Möglichkeit als Producer zu agieren, ist auch die Qualifikation des verantwortungsvollen Datenumgangs verbunden. Da die alten Gatekeeper zumindest nicht mehr uneingeschränkt für die Meinungsbildung mit den selbstauferlegten Qualitätsstandards im öffentlichen Raum stehen (siehe auch die immer noch sehr wichtige Analyse von Habermas), muss diese Leistung von allen Akteuren übernommen werden. Vormals akademische Anforderungen der Quellenprüfung, des Quellenvergleichs und der Quellensichtung usw. sind nunmehr zu einer alltäglichen Anforderung und einer Voraussetzung geworden, um im Netz selbstbestimmt und autonom zu handeln. Die oftmals in dem Zusammenhang genannten »Fake News« sind absichtsvolle Verfälschungen. Dabei geht es nicht darum, dass es eine absolute Wahrheit gibt. Es geht darum, dass Informationen erfunden werden, weggelassen werden, andere diffamiert werden. Der Skandal ist dabei die unmoralische Handlung, indem die Leser*innen in ihrem Recht auf Achtung verletzt werden. Fake News verletzen die Achtung gegenüber einem Menschen, weil die Autonomie und Selbstbestimmung darin angegriffen werden, eine freie Entscheidung zu treffen. Das Gegenüber wird
4. Übergreifende Kompetenzen
manipuliert, indem die Würde infrage gestellt und nicht ernst genommen wird (vgl. Schmetkamp 2012, S. 78ff.). »Echokammern« sind Räume, in denen wir unsere Meinung immer wieder bestätigt finden. Das gab es auch vor der Digitalität, wenn man beispielsweise immer die Zeitung kaufte, die der eigenen Meinung entsprach. Heute gibt es im Netz eine Art »Nuding« (vgl. Thaler/Sunstein 2009). Seiten wie Google prognostizieren, was uns vielleicht gefallen könnte, da wir in diesem Bereich des Netzes unterwegs sind. Das betrifft auch Streaming-Dienste wie »Prime« oder »Spotify«, die ständig Angebote liefern, sich doch mit diesem Aspekt, jenem Artikel usw. zu beschäftigen. Dazu gehören auch die »Communities«. Obwohl die Community ein Votum zu bestimmten Themen, Ereignissen usw. gibt, müssen die Akteure solchen Voten kritisch gegenüberstehen. Seiten werden »paid by click« (Ball 2017, S. 114). Das betrifft sowohl kommerzielle, soziale als auch politische Seiten. Die Aufmerksamkeitsideologie des Netzes verlangt hohe Klickraten. Sie sind ein Zeichen dafür, dass viele Menschen sie gesehen haben. Das hat nicht viel mit Qualität zu tun, sondern viel mit Sensation. Verkehrt würde jedoch sein, nun vorschnell zu sagen, dass Fake News ja nun ein Zeichen des Verfalls seien. Fake News hat es auch vor der Digitalität gegeben (vgl. Ball 2017, S. 1; vgl. auch die Darstellung bei Lilienthal/Neverla [Hg.] 2017). Ohne solche Intermediäre werden wir mit den Mengen an Informationen nicht fertig. Das ist die eine Seite. Zugleich ist deren Selektionsmechanismus selbst einer, der besondere Anforderungen erforderlich macht, die früher eher den akademischen Berufen vorbehalten waren. Wir sind aufgerufen, Quellen zu prüfen, indem wir andere Quellen zum Vergleich aufrufen, indem wir nach Reputation der Autor*innen Ausschau halten usw. Das wird unabdingbar, wenn sich angeschaut wird, wie zunehmend einfach professionelle Seiten mit wenigen Klicks herzustellen sind. Waren früher noch Hinweise bezüglich der Machart hilfreich, indem das Layout, die Rechtschreibung usw. geprüft wurde, sind solche äußerlichen Dinge schon längst nicht mehr ausreichend (z.B. Morphen). Kritisches Denken und Teilhabe. Medienbildung ist nicht nur Lernen mit und über Medien. Hinzu kommt im Sinne von Jenkins (2009) ein partizipatorisches Verständnis, worunter eine gegenwärtige und zukünftige Teilhabe verstanden wird. »Empowerment of people through information and media literacy is an important prerequisite for fostering equitable access to information and knowledge, and building inclusive knowledge societies. Information and media literacy enables people to interpret and make informed judgments as users of information and media, as well as to become skillful creators and producers of information and media messages in their own right. » (Council of Europe 2005, zitiert nach Livingstone/Lunt 2011, S. 11)
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Der hybride pädagogische Raum
Kritisches Denken ist eine Grundvoraussetzung, um in den prekären Daten-, Informations- und Wissensumgebungen autonom und selbstbestimmt handeln zu können. Der Autonomieanspruch (siehe weiter unten) an jeden Einzelnen im Netz ist zugleich auch mit einer »Totalindividualisierung« gekoppelt, indem es keine stellvertretende Handlungsentlastung gibt.« Teilhabe bedeutet in dem Sinn, dass wir via Internet kommunizieren, dabei sein können. Je bedeutsamer das Internet wird, desto mehr ist die dortige Teilnahme einem Menschenrecht gleich (vgl. Nida-Rümelin 2018, S. 142). Das heißt nicht, dass dieser Raum solche Rechte selbst vertritt. Wie in jedem sozialen Raum prallen auch hier sehr heterogene Kräfte aufeinander. Das Netz ist der Ort, an dem demokratische Teilhabe stattfindet. »a participatory culture is a culture with relatively low barriers to artistic expression and civic engagement, strong support for creating and sharing creations, and some type of informal mentorship whereby experienced participants pass along knowledge to novices.« (Jenkins 2009, S. XI, S. 5ff.) Auf der einen Seite haben wir die Erfahrung vom »arabischen Frühling«, »#metoo« oder von »Fridays for Future«. Diese sozialen Ereignisse wären ohne das Internet nicht möglich. Auf der anderen Seite haben wir Ereignisse wie in China, wo das »Planning Outline for the Construction of a Social Credit System« (2014-2020) am 14. Juni 2014 vom Staatsrat beschlossen wurde, das »Predictive Policing«, bei dem es nach wie vor zu Diskriminierungen und falschen Beschuldigungen kommt, oder die Einführung von Gesichtserkennung, die jede*n Bürger*in erfasst. Die Liste ließe sich ohne Probleme nach beiden Gesichtspunkten fortschreiben. Dazu gehört, sich Gruppen anzuschließen und sich auszutauschen, durch »Sampling«, »Skinning«, »Modding«, »Remix« oder »Mashup« neue Dinge zu kreieren, kollaborativ Probleme zu bearbeiten und zu lösen und ungehindert Informationen, Medien usw. zur Verfügung zu stellen. Voraussetzung ist die Fähigkeit eines jeden Einzelnen, verantwortlich zu handeln. Eine Voraussetzung ist die Fähigkeit, sich als Producer an diesem Prozess zu beteiligen und nicht ein Objekt von Interessen zu werden. Bereits heute zeigt sich jedoch, dass die Teilhabechancen hochgradig durch die sozioökonomische Herkunft beeinflusst wird (vgl. Schaumburg 2015, Monitor Digitale Bildung 2017, Bildung in Deutschland 2020). »The unequal acces to the opportunities experiences, skills, and knowledge that will prepare youths for full participation in the world of tomorrow.« (Jenkins 2009, S. XII). Partizipation ist Mitgliedschaft in formellen und informellen Plattformen, die angemessene Ausdrucksfähigkeit, die Zusammenarbeit mit anderen, das Teilen und das Suchen von Daten, Informationen und Wissen. Das erfordert eine Mündigkeit
4. Übergreifende Kompetenzen
von allen Teilnehmer*innen im Netz. Mündig sein bedeutet, wacher zu sein, sich aus den Gewohnheiten immer wieder zurückrufen (vgl. auch Bieri 2012, S. 17). Sich eine Meinung zu bilden, indem verschiedene Meinungen eingeholt werden, die von ihrem Standpunkt her rekonstruiert werden können, um sich selbst eine Meinung zu bilden. Denn Mündigkeit bedeutet auch, dass sich eine Sache verändern kann, weil wir sie besprechen, mit anderen nochmals durchdenken (Bieri 2012, S. 18). Nida-Rümelin/Weidenfeld sprechen von Orientierungswissen, das die Lebenswelt (2018, S. 153) der Jugendlichen darstellt als auch das der Fachwissenschaften (2018, S. 155). Schwellenangst gibt es nicht nur im analogen Leben, sondern auch im digitalen, wenn beispielsweise die Schüler*innen keine Erfahrung darin haben, sich in Fachforen zu bewegen, einen Kommentar abzugeben oder einen eigenen Beitrag beizusteuern. Dafür benötigen sie ein Orientierungswissen, wie sie mit der eigenen Position umgehen, welchen grundsätzlichen Positionen sie sich anschließen können usw. Es ist ein Verständnis darüber, eine Verantwortung für solche Foren zu besitzen und auch darüber, dass diese als Kommunikationsplattformen auch zukünftig existieren. Schutzansprüche artikulieren zu können, ist sicherlich ein wichtiger Bestandteil der Teilhabe im Netz. Es ist der Wunsch, diese Teilhabe selbst zu schützen, indem die Freiräume, die »Heterotopien« bewahrt bzw. erzeugt werden. Solche Räume sind nicht nur für die Privatheit (siehe weiter unten), sondern sicherlich auch für die intellektuelle Kultur eine Voraussetzung von sozialer, politischer und kultureller Teilhabe. Eine Position einzunehmen ist nicht die Summe von Informationen, sondern selektiv und exklusiv (vgl. auch Han 2017, S. 56f.). Es ist das Selbstverständnis der politischen Teilhabe im Netz, für das eigene Handeln in digitalen Umgebungen die Verantwortung zu übernehmen. Widersprüche müssen deutlich formuliert und ausgehalten werden können, ohne dass der Diskurs als solcher abgebrochen wird. Zugleich muss eine Verantwortung dafür übernommen werden, welche Grenzen als nicht mehr akzeptabel anzusehen sind. Toleranz ist sicherlich eine neue Qualität, die die Kommunikation in der Glokalität durchwirkt. Toleranz umfasst den Umstand, dass wir uns bezüglich der eigenen Produkte, die ins Netz gestellt werden, einer anonymen Kritik aussetzen, die aus unterschiedlichen Gründen erfolgt. Der Aufbau einer Ambiguitätstoleranz ist sowohl bei den Produzent*innen wie auch den Rezipient*innen eine wichtige Fähigkeit, um konstruktiv in digitalen Umgebungen miteinander im Kontakt zu bleiben. Da wir uns nicht nur in Communities begeben, sondern wir auch über Intermediäre aufzufinden sind, die unsere Beiträge anderen anbieten bzw. wir Beiträge aus unterschiedlichen Spektren – auch wenn diese algorithmisch gewichtet werden – angeboten bekommen, ist die Begegnung mit dem anderen eher der Normalzustand als die Ausnahme.
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Teilhabe meint, über die Frustration, den Durchhaltewillen zu reflektieren, einem Thema im Netz zu folgen, zu recherchieren, ohne den Ausgang der Recherche genau zu kennen, mit der Frustration umzugehen, wenn Artikel zwar eine hohe Klickrate besitzen, jedoch der inhaltlichen Prüfung durch andere Quellen nicht standhalten und dazu zwingt, erneut in die Recherche aufzunehmen. Kritisches Denken hat dabei die Aufgabe, einzuschätzen, wann eine Recherche als beendet angesehen wird und wann eine Sättigung der Informationen vorhanden ist, um sein Ziel zu erreichen. Die Schüler*innen sollten lernen, mit solchen Ungewissheiten konstruktiv umzugehen. Es ist der Umgang mit der Ungewissheit, weil theoretisch die Recherche in die Unendlichkeit fortgeführt werden kann, da Links und Hypertexte immer wieder indirekt auffordern, in eine andere Richtung weiterzugehen. Recherche im Netz heißt, ständig Entscheidungen zu treffen und nicht aus Bequemlichkeit stehen zu bleiben. Es ist die Akzeptanz, dass die Quantität nicht die Qualität ausmacht (Han 2017, S. 79). Letztlich ist es die Kompetenz, zu entscheiden, wann ein vorläufiger Endpunkt erreicht ist (Stopping Point). Sicherlich gab es diese Informationsflut schon zuvor. Es war nicht möglich, die Literatur der verschiedenen Spezialgebiete zu beherrschen. Doch nun werden sie immer leichter zugänglich. Die Aufsätze werden zunehmend im Netz veröffentlicht und stehen einer breiten Bevölkerung zur Verfügung. Doch der Segen kann auch zu einem Fluch werden. Waren früher beispielsweise Ausleihe oder Zugänglichkeit der Publikation usw. quasi eine natürliche Barriere, sind diese nun zugunsten einer unüberschaubaren Masse an Informationen gefallen. Heutzutage fallen solche Marker weg und die Möglichkeit unterschiedlichster Suchkombinationen laden ein, Information um Information zu generieren. Das kann Angst machen und schon zu Beginn resignieren lassen. Angst und Pflichterfüllung unterlaufen die Selbstbestimmung (Han 2017, S. 78f.). Das Fatigue-Syndrom (IFS) ist ein Phänomen, das durch ein Übermaß an Informationen ausgelöst wird. Durch die Nutzung von Intermediären kann eine solche Erscheinung abgefedert werden, wenn beispielsweise eine Vorauswahl – wie beispielsweise durch PageRank nach Google – getroffen wird. Solche Werkzeuge sind nicht zu verteufeln, sondern teilweise auch notwendig. Wichtig ist jedoch, dass sie bewusst getroffen werden und eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgestellt wird, die die Vor- und Nachteile in Kauf nimmt. Teilhabe heißt weiterhin, dass die Jugendlichen lernen, sich neue Techniken anzueignen. Digitalität bedarf keinem »Tool-Wissen«, einem einfachen Benutzerwissen, sondern der Kompetenz, sich immer wieder neue Tools, Apps usw. anzueignen. Es bedarf einer Aneignungskompetenz, die damit verbunden ist, einzuschätzen, ob solche Werkzeuge für die eigene Teilhabe im Netz von Wert sind. Es muss eine Kosten-Nutzen-Rechnung für die eigene Situation aufgestellt werden, um zu sagen, ob die zu investierende Lebenszeit gerechtfertigt ist. Zu dynamisch und zu schnell ist die Entwicklung im Netz und der Verfallswert verschiedener
4. Übergreifende Kompetenzen
Applikationen, um sie zum Lerngegenstand zu machen. Anhand von Tools sollen vielmehr die Aneignung reflektiert, Strategien formuliert und die oftmals frustrierenden Prozesse der Aneignung reflektiert werden. Teilhabe ist auch die Frage danach, wann wir uns Face-to-Face treffen. Digitale Medien sind Präsenzmedien. Sie sind immer »on« und die Intermediatoren senden uns rund um die Uhr Informationen, die »uns auch interessieren könnten«. Präsent zu sein heißt auch, sich mit anderen zu treffen, um die Informationsflut anzuhalten und einen Selektionsprozess anzufangen, indem wir intersubjektive Aushandlungsprozesse starten.
4.4
Ethisches Handeln
Die Ethik wird als der philosophische Bereich angesehen, der sich mit der Moralphilosophie, dem reflexiven und begründeten Handeln beschäftigt, um ein gutes Leben zu ermöglichen. Die Moral wird auf der Alltagsebene angesiedelt, die das situationsspezifische Handeln, die Einstellungen und Gewohnheiten beschreibt, die in einer Gemeinschaft ausgesprochen oder unausgesprochen gelten (vgl. auch Anzenbacher 2002). Gemeinhin sind es Merkmale wie Normen, Allgemeingültigkeit, Unparteilichkeit und Unbedingtheit, Kontextabhängigkeit usw. (vgl. Misselhorn 2018, S. 49ff.), die die Moral kennzeichnen. Mit der Glokalität (Kap. 1) treten unterschiedliche Ansprüche an die Akteure heran. Die Spannbreite betrifft das Handeln auf der globalen Ebene, das über alle kulturellen Differenzen hinweg erfolgt, und das Handeln auf der lokalen Ebene, die einen spezifischen gesellschaftlich-kulturellen, oftmals selbst heterogenen Hintergrund besitzt. Neben dem autonomen Handeln des Einzelnen sind die Communities in Betracht zu ziehen, die im Netz handeln und eine moralische Praxis etablieren. In der Gemeinschaft, die sich kommunikativ gründet, ist der*die Einzelne als Teilnehmer*in, Zaungast, Rezipient*in und Akteur aktiv. Im Zuge der Individualisierung vormals kollektiver Lebenswege wird der*die Einzelne für alle Lebensentscheidungen selbst zur Verantwortung gezogen, was einen hohen Entscheidungsdruck verursacht, der durch eine hohe Unsicherheit gekennzeichnet ist (vgl. Beck 1986), das Richtige zu tun. Ethisches Denken. Ethisches Handeln im Netz benötigt unterschiedliche Anforderungen, die in der analogen Welt eine andere Praxis, eine andere Habitualisierung besitzen. Sicherlich ist ein wesentlicher Bereich im Zuge des Aufkommens der Künstlichen Intelligenz (KI), was wir über uns als Menschen denken und inwieweit wir unser Menschsein verstehen. Nicht weil sie zögern, etwas infrage stellen oder Fehler machen, sind die Menschen den Maschinen überlegen. Bereits die
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Bereitschaft eines Vergleichs relativiert das Eigene des Menschseins in Bezug zu Maschinen, die das Menschsein simulieren und Routinen fehlerlos realisieren. Was bedeutet es, dass wir defizitär sind und was ist der Maßstab, der ein Defizit ausmachen kann? Warum werden überhaupt Maschinen mit Menschen verglichen? In einer engen Verbindung steht die Frage der Verantwortung. Wer trägt eine Verantwortung, wenn wir mit immer mehr selbstständigeren Maschinen umgehen, mit Algorithmen, die sich im Sinne des »Deep Learning« selbst trainieren? Müssen wir uns ergänzen lassen, weil wir uns einer Optimierung verschrieben haben, und können wir diejenigen haftbar machen, die die Maschinen nicht eingesetzt haben, wenn es zu einem Fehler kam? Die Digitalität stellt eine hohe Herausforderung für die Privatsphäre dar. Privatheit im öffentlichen Raum und die Notwendigkeit eines intimen Bereichs, der uns keiner Beurteilung aussetzt, indem wir so sein können, wie wir glauben zu sein, sind wichtige Voraussetzungen für ein »gutes Leben«. Nicht, weil wir etwas zu verbergen haben, sondern weil wir keinen indirekten Rechtfertigungsdiskurs wünschen, weil wir nicht befürchten wollen, dass die Gesten, Handlungen in einen anderen Kontext gerückt und unsere Daten für ein zukünftiges Interesse figuriert werden, um uns zu motivieren, zu manipulieren, uns zu verstärken, unsere scheinbar »wahren Absichten« vorhalten. Es sind der intime Raum, die Rückzugsmöglichkeiten aus dem öffentlichen Raum als auch das Handeln im Verborgenen, die uns vom Zivilisationsdruck entlasten, sodass kein unmittelbarer Rollendruck vorhanden ist. Letztlich ist es die Möglichkeit, sich in einem sozialen Raum zu bewegen, um uns gesellschaftspolitisch zu betätigen: Es ist der Umgang mit Anonymität aus dem Netz, der Kritik, die aus einem anderen Kontext kommt und in die eigene Praxis eingreift. Es ist eine »glokale« Herausforderung, mit der Fremdheit aus dem Netz und zugleich mit der lokalen Vertrautheit umzugehen, ohne das Eine gegen das Andere auszuspielen. Die sozialen Räume der Glokalität, das Nahe und das Ferne, bestehen parallel, gleichzeitig und sind nicht durch Territorien, Grenzen, Überschreitungen von kulturellen Räumen getrennt, sondern unmittelbar »vor Ort«. Moralisches Handeln im Netz kann nicht auf einen Katalog reduziert werden, es ist kein Stoff, der auswendig gelernt wird. Die Akteure benötigen eine hybride Praxis, einen hybriden pädagogischen Raum, der Fehler begleitet und es benötigt die »detailgenaue Wahrnehmung von Situationen […] und trägt der Tatsache Rechnung, dass moralische wichtige Situationen sehr dichte Situationen sind » (Bieri 2013, S. 267; Hervorhebung im Text). Das Menschliche und das Maschinelle. Mit der zunehmenden Relevanz von KI ist es wichtig, dass die Schüler*innen ein eigenes Verständnis von menschlichem und algorithmischem Denken entwickeln. Das Aufkommen von KI zwingt uns, ein
4. Übergreifende Kompetenzen
Verständnis des Menschlichen in Abgrenzung zu technischen Simulationen des Menschlichen zu entwickeln. Durch die scheinbare Plausibilität der Neurowissenschaften entsteht der Eindruck, dass die im Gehirn ausgemachten neuronalen Verbindungen durch digitale Verschaltungen und Vernetzung nachgebaut werden und mit dem menschlichen Denken und Lernen konkurrieren können. Der Mensch scheint nachmachbar, vergleichbar. Was ist der spezifische Wert menschlichen Denkens in Abgrenzung zu »selbstlernenden«, computergestützten Apparaten? Dass neuronale Netze (besser: Strukturanordnungen) gleichgesetzt werden mit Denken, ist jedoch kein zwingender Rückschluss, da die dort verorteten und durch Messungen identifizierten Strukturen nicht das Denken selbst sind, sondern die Spuren von Denken. Neuronale Strukturen sind nicht die Ursache, die das Denken realisieren (vgl. auch Falkenburg 2012, Ravenscroft 2008, 177ff.), sondern deren Resultat. Stellt man sich beispielsweise einen Läufer vor, der mehrmals in der Woche zehn Kilometer läuft, würde die Behauptung als problematisch erscheinen, würde gesagt werden, dass allein die Oberschenkel dafür verantwortlich seien, obwohl muskuläre Veränderungen in dem Zusammenhang zu beobachten wären. Vielmehr würde gesagt werden, dass der Muskelaufbau das Resultat einer ganzheitlichen Anstrengung sei, die den gesamten Körper sowie das Durchhaltevermögen umfasst und auch u.a. eine neuronale Veränderung im Gehirn beinhaltet. Laufen ist ein ganzheitliches Phänomen. Für neuronale Netze scheint eine solche ganzheitliche Sichtweise nicht gültig zu sein. »Neuronale Netze« sind wissenschaftliche, artifizielle Konstrukte. Deren Funktionsweisen sind noch vollkommen unklar wie auch die Frage, wie der GeistKörper-Dualismus plausibilisiert werden kann. Darunter wird verstanden, wie es möglich ist, dass mentale Prozesse durch chemische Abläufe entstehen können. Oftmals werden in der Argumentation der Neurowissenschaften als auch der Informatik an metaphorische Anleihen vorgenommen. So »speichern« wir, »rufen« Informationen »ab«, »registrieren«, »verknüpfen« usw. Bei genauerem Hinsehen ist dann unklar, was gerade beschrieben wird und es kann ausgemacht werden, dass solche metaphorischen Verwendungen über Erklärungslücken hinweghelfen. Der Versuch, den Geist zu naturalisieren, zu vermessen und nachzubauen, ist als eine Simulation menschlichen Denkens aufzufassen, deren algorithmische Formulierung selbst wiederum Annahmen über menschliches Denken besitzt. Computer erkennen und manipulieren Symbole auf der Grundlage deren syntaktischer Eigenschaften. Es sind jedoch nicht deren semantischen Eigenschaften, die Computer selbst nicht verstehen, da sie sich nicht reflektieren können. Sie interessieren sich nicht für den Kontext, sondern führen aus. Sie wissen nicht, wenn sie das Wort »Heidegger« schreiben, wer das ist. Sie wissen nicht, was das Wort »vorsichtig« bedeutet. Es ist der Maschine egal, ob vor einem Blumentopf gewarnt wird, der von einem Balkon fällt, oder ob jemand beispielsweise behutsam eine
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volle Tasse niederstellt. Semantische Eigenschaften können nur durch die syntaktische Anordnung berücksichtigt werden. Die semantischen Eigenschaften können nicht wider den Wahrheitswert berücksichtigt werden (vgl. Ravenscroft 2008, S. 153ff.). Das bedeutet, dass zwar formal Wahrheit produziert wird, diese jedoch nicht hinsichtlich der kritischen Prüfung von Prämissen begleitet und entschieden werden kann, um Aussagen nicht zu akzeptieren. Solange die syntaktische Anordnung eingehalten wird, steht die Maschine den semantischen Inhalten unkritisch gegenüber. Auch jede programmbasierte Kritik würde ihrerseits eine Kritik verlangen. Ein solcher epistemischer Regress muss entschieden werden, doch dafür gibt es keinen Algorithmus – außer den Abbruch? Optimierungsziele. Zunehmend greift ein Optimierungskalkül um sich, indem eine Vorstellung von Perfektion erzeugt wird. Das betrifft auch die Pädagogik, die sich durch die möglichen technischen Mittel optimieren will und sich immer »effizienter« zur Kritik ausrichtet (vgl. Jörissen 2020, Höhne/Karcher/Voss 2020). Die Unvollkommenheit des Menschen wird auf sehr unterschiedlichen Ebenen thematisiert. Da ist beispielsweise die Unvollkommenheit des Menschen, wenn es um Fehler geht. Solche Verweise auf die Fehlerhaftigkeit menschlichen Handelns reduzieren die Komplexität von Wirklichkeit auf Entscheidungen, die den konkreten Ort, die Praxis vor Ort ausblenden. Richtiges Handeln ist jedoch immer situativ. Die moralische Allgemeingültigkeit ist immer bezogen auf das Besondere. Es lässt sich nicht in einen Algorithmus zwängen. Gehen wir davon aus, dass unsere Orientierung in die Lebenswelt eingebettet ist, dann ist sie zu jeder Zeit ein Teil der Entscheidung und kein äußerer Gegenstand des Verfahrens. Wir können auf die Umwelt reagieren und unsere Erfahrung kommunizieren. Zugleich ist die Erfahrung immer offen zu dem Ort, der Situation, in der sich ein Akteur bewegt. Dazu gehören die anderen und die artifizielle Umwelt mit ihren Bedeutungen. So ist der Stuhl immer auch eine kulturelle Vorstellung davon, dass wir überhaupt Stühle benutzen und eine Vorstellung von der Art und Weise zu sitzen. So sitzt man in der Lounge anders als im Klassenraum, der König thront, die Untertanen stehen oder knien usw. Zugleich wissen wir auch, dass wir die Stühle und Sessel immer auch anders verwenden können. So mahnen die Eltern, sich richtig hinzusetzen, wenn man beispielsweise die Beine über die Lehne legt, oder es soll »nicht gekippelt werden«, weil dies den Vorstellungen vom Sitzen widerspricht und eine Unfallgefahr birgt. Dennoch haben die Artefakte eine Wirkkraft, indem wir uns zu ihnen verhalten, sei es, dass wir sie demonstrieren oder uns nach dem Angebot, richten. Neben diesen Wahlmöglichkeiten besitzen wir intuitives Wissen. Wenn wir in einer Welt sind (Heidegger), dann meint die Welt zweierlei: Sie ist die Welt, die wir in repräsentativen Zeichen darstellen können, wie wir das in der Regel mit der Sprache tun. Daneben gibt es aber ein Weltwissen, über das wir nicht unbedingt
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sprachlich verfügen und das wir lediglich intuitiv zur Verfügung haben und erst in einem Reflexionsprozess in ein Repräsentationssystem überführen müssen. Im ersten Fall kann laut Searle (2002) gesagt werden, dass wir Zeichen immer nutzen, indem wir sie auch interpretieren. Sie bekommen ihre Bedeutung im Kontext ihrer Nutzung. Sein Gedankenexperiment mit dem chinesischen Zimmer läuft auf die Pointe hinaus, dass der Gebrauch von Zeichen ein Verständnis von ihnen voraussetzt. Wenn jemand hingegen lediglich Zeichen anwendet, indem er nach einem Plan, den er versteht (in dem Fall der geschriebene Algorithmus), die Zeichen anordnet, dann würden wir sagen, dass die Sprache nicht verstanden wird. Computer haben kein Verständnis von Sprache, sondern wenden diese nach einem algorithmischen Muster an. Diese perfekte Anwendung hat den großen Nachteil, dass der jeweilige Kontext der Sprache nicht verstanden wird und alles andere als perfekt ist. Donald Schön (1983) hat aufgezeigt, dass wir neben dem repräsentativen Wissen (Knowing that) ein intuitives Wissen besitzen, ein »Knowing How«. Es ist ein Wissen, das nicht in die Sprache umgesetzt werden kann, wie beispielsweise einen Ball zu fangen, der uns zugeworfen wird. Wir können das nicht von Beginn an. Wer beispielsweise schon mal mit einem kleinen Kind gespielt hat, weiß, dass das Fangen alles andere als selbstverständlich ist. Erst mit der Zeit und mit der Erfahrung geht es in Fleisch und Blut über. Solches Wissen können Menschen vor dem Hintergrund gemachter Erfahrung situativ abrufen, indem sie auf die Anforderungen der Situationen reagieren und auf die situativen Lösungsangebote reagieren. »In Notsituationen handeln wir nach moralischer Intuition und nicht nach einem Optimierungskalkül.« (Nida-Rümelin/Weidenfeld 2018, S. 97) Dreyfuss verweist darauf, dass die menschliche Intelligenz in die Umwelt eingebettet ist und Wissen letztlich auf praktischem Wissen beruht. Es soll an dieser Stelle diese These nicht weiter diskutiert werden, da sie für den hier dargelegten Gedanken nicht weiter relevant ist (vgl. dazu Misselhorn 2018, S. 27ff.). Dennoch soll auf das intuitive Wissen verwiesen werden, wie es Polanyi (2016) beschreibt. Oftmals wissen wir etwas, wenn wir es sehen. Beispielsweise erkennen wir eine Straße spontan, die wir kennen und in die wir einbiegen müssen, weil die holistische Erscheinung, unsere körperliche Präsenz und die Erinnerung zusammenwirken. Wenn jemand hingegen nach dem Weg zu dieser Straße fragen würde, könnten wir dazu keine Auskunft geben. Wie ist das zu erklären? Wir gehen die Straße entlang und dann besitzen wir ein Bild, einen selektiven Eindruck, der Gewissheit gibt, nun abbiegen zu müssen. Ein solches Wissen ist fehlerhaft und funktioniert nicht immer. Doch es ist sinnvoll, wenn es in solchen Situationen eingesetzt wird und eine Entscheidung getroffen werden muss. KI kann das nicht. Eine mögliche Lösung ist, den Maschinen im Rahmen von »Deep Learning« den Rahmen zu geben, in dem diese algorithmisch berechnet werden. Sie werden durch eine größtmögliche An-
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zahl von Beispielen trainiert bzw. trainieren sich aufgrund von Feedback-Schleifen. Doch wie soll das Ziel algorithmisch formuliert werden, welcher Rahmen wird algorithmisch gegeben, wie werden die verschiedenen Schichten angeordnet usw.? Alles zu berücksichtigen hieße, eine Theorie der Welt zu haben. Letztlich können wir nicht aus dieser Welt aussteigen, indem wir eine Welttheorie aufstellen, da wir diesen Standpunkt nicht einnehmen können (vgl. auch Gabriel 2016). Es gibt Axiome, auch in der Mathematik (Kurt Gödel), die nicht bewiesen werden können. Insoweit sind wir nicht optimal, im besten Falle gut stoisch vorbereitet, umsichtig und gegenwärtig. Es gibt keinen Algorithmus, der das gesamte menschliche Denken repräsentieren kann (Nida-Rümelin/Weidenfeld 2018, S. 110). Künstliche Intelligenz ist artifiziell und nicht menschlich. Weder wissen wir, was menschliche Intelligenz ist, noch wissen wir, wie das menschliche Denken im Sinne der Naturwissenschaften verlässlich beschrieben werden kann. Die konkurrierenden Annahmen, die es dazu gibt, sind jedoch die Grundlage für die Formulierung von Algorithmen, die eine Annahme im Hintergrund besitzen. Sie sind hochgradig ethisch aufgeladen. Autonom fahrende Autos entscheiden nicht situativ, so Nida-Rümelin/Weidenfeld (2018, S. 92), sondern diese Entscheidungen sind schon im Vorfeld bei der Programmierung getroffen worden, indem beispielsweise ein utilitaristischer oder deontologischer Ansatz zugrunde gelegt wird. Insoweit ist die rechnergestützte Abfolge von Handlungen einer Maschine effizient, indem ein programmierter Rechenprozess abgearbeitet wird und die Maschine das tut, wozu sie gebaut ist. Doch ob die Entscheidungen optimal und kontextangemessen sind, ist damit an keinem Punkt ausgewiesen. Wie Popper aufzeigt, sind wir keine Wahrsager, indem wir annehmen, dass ein Ausgangspunkt eine nachfolgende Handlung sicher folgen lässt. Wir können die Zukunft nicht vorwegnehmen, da wir von ihr nichts wissen; würden wir von ihr wissen, so Popper, wären sie Bestandteil des jetzigen Wissens und somit keine Zukunft mehr. Insoweit benötigen wir die Situation, den Kontext, um Entscheidungen zu treffen, da die Komplexität und Kontingenz der Realität nicht vorweg angenommen werden kann. Entscheidungsfreiheit. Ein »digitaler Humanismus«, wie ihn Nida-Rümelin/Weidenfeld (2018, S. 60) ausweisen, beschreibt eine »menschliche Autorschaft« (Bieri 2012, S. 11), die durch die technischen Möglichkeiten erweitert wird. Dabei handelt es sich nicht um einen »Transhumanismus« oder einen »technologischen Posthumanismus« (vgl. dazu Loh 2018). Gerade Julian Nida-Rümelin vertritt eine humanistische Anthropologie, in deren Mitte Verantwortung, Freiheit und Vernunft stehen. Letztlich ist es der Mensch, der eine Verantwortung übernimmt, der in seiner freien und autonomen Entscheidung handelt und keinem (harten) Determinismus unterliegt (vgl. Keil 2009). Der »Libertarismus« spricht in dem Sinn von einer Un-
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bedingtheit des menschlichen Willens. Zu keinem Zeitpunkt einer menschlichen Handlung stehe fest, wie im nächsten Moment zu handeln sei. Es kann auch immer anders geschehen. Die Umwelt ist in einem solchen Fall vollkommen außen vor und ist ein Gegenstand des willentlichen Handelns, jedoch nicht Teil des Willens. Doch was heißt eine solche Annahme? Kann überhaupt über Freiheit nachgedacht werden, ohne eine Vorstellung von Zwang mitzudenken? Ist es denn wirklich der Fall, dass wir unabhängig von der Situation immer die gleichen Entscheidungen treffen? Sind Entscheidungen dekontextualisiert, in die keine Art von Erfahrung eingeht, die die Biografie der zurückliegenden Zeit darstellen und schon von daher nicht die gleichen Voraussetzungen mitbringen? Die Kompatibilisten behaupten das zumindest. Wir handeln immer unter bestimmten Umständen, in Situationen, die als Situationen entstehen und von daher eine Bedingungskonstellation darstellen. Das Handeln entsteht in solchen Situationen, indem wir Möglichkeiten aufgreifen, andere verwerfen und eine Entscheidung treffen, weil wir einen Entscheidungsdruck verspüren. Die Möglichkeit ist keine absolute Möglichkeit, sondern eine aus der Gegenwart in die Zukunft gerichtete, indem Signifikanz von der Gegenwart in die Zukunft projektiert wird. Wir sind irgendwo, sind irgendwer und haben ein Motiv, weil jede Motivation ein Motiv voraussetzt. Aber es gibt auch den Zufall. Denn nicht alles passiert planmäßig. Es handelt sich dabei um kontingente Ereignisse, die eine »teleologische Signifikanz« (Reiter 2012, S. 29) besitzen, indem sie unsere Motive aufgreifen und so den Zufall als Zufall erkennen lassen. Der Zufall ist ein materiales Ereignis (Reiter 2012, S. 123), indem er aus der Umgebung kommt und unsere Absicht durchkreuzt, verzögert. Irritation und Überraschung reißen uns aus der Routine heraus. Wir nehmen nicht alles wahr, sondern das, wofür wir die Verantwortung übernehmen. Wir würden schier verrückt werden, nähmen wir alle die kleinen Angebote des Alltags wahr. Der Zufall ist wichtig, weil er eine Bedeutung besitzt. Er verändert eine Situation, eine Sache und stellt die Autonomie immer wieder infrage und zeigt, dass wir immer auch mit anderen entscheiden, ohne dies bewusst zu wollen. Reiter zeigt auf, dass der Zufall ein Teil des »guten Lebens« ist und dessen Qualität überhaupt wahrt, indem wir nicht einem übergeordneten (harten) Determinismus folgen, der von Anbeginn unsere Wege lenkt. Kontingenz ist der Garant für die Offenheit und die Relevanz einer Entscheidung, die wir treffen und für die wir Verantwortung besitzen. Der Zufall hat keine Ursache, sondern sie wird erst im Nachhinein hergeleitet, um den Zufall zu verstehen. Doch mit dem Zufall übernehmen wir Verantwortung, indem wir uns dazu verhalten müssen, als wäre es eine Absicht. Im Netz sind wir teilweise ein Flaneur, der sich von Seite zu Seite treiben lässt, Anfragen und Angebote annimmt, tiefer in Foren einsteigt, einem Hyperlink nach dem anderen folgt oder auf YouTube den algorithmisch errechneten Vorlieben folgt
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und den nächsten Film annimmt. Wir halten an, verweilen und verwickeln uns. Der von Reiter (2012) ausgewiesene Flaneur bewegt sich durch den Raum und wird durch ihn affiziert, indem dort unterschiedliche Zielverfolgungen aufeinandertreffen und sich gegenseitig beeinflussen. Es ist geradezu das Ziel des Flaneurs, sich treiben zu lassen. Metaphorisch begibt sich der Flaneur in die artifiziellen Gewalten der Stadt. Wir haben Verantwortung für unsere Lebenszeit, für die Dinge, die wir anklicken und sehen. Der Klick, das zufällige Irgendwo-Hinkommen und das IrgendwoNicht-Hinkommen liegt in unserer Verantwortung in einer Umgebung, die um die Aufmerksamkeit buhlt und sich einem Wettkampf der Superlative des Bemerkbarmachens übergibt. Bieri (2011) verweist darauf, dass wir die Freiheit des Willens erarbeiten müssen. Es handelt sich dabei um ein Ideal, dass nicht irgendwann erreicht ist. Wir verändern uns von Entscheidung zu Entscheidung und legen uns andere Fragen zur Wahl vor. Den anzueignenden Willen beschreibt Bieri durch drei Dimensionen: 1. die Artikulation – was will ich; 2. die Anstrengung, den eigenen Willen zu verstehen – eine Fremdheit in Bezug unseres Selbstverständnisses zu überwinden und in ein neues Verständnis zu überführen; 3. die Bewertung des eigenen Willens – ihn zu einem Gegenstand des eigenen Denkens zu machen und ihn als zu mir passend anzusehen (S. 384f.). Frankfurt (2001) spricht von Wünschen zweiter Ordnung, dem Wunsch, einen anderen Wunsch zu besitzen. Anerkennung und Verantwortung. Sich scheinbar anonym im Netz zu bewegen, benötigt eine wertschätzende Haltung zu einer anonymen Masse an Akteuren, die eigentlich nicht vorgestellt werden kann. Die soziale Kontrolle des moralisch angemessenen Handelns verändert sich, da auf der subjektiven Ebene angenommen wird, unbeobachtet zu handeln. Die weitverbreitete Frage der deontologischen Ethik Kants nach der Universalisierbarkeit des eigenen Handelns tritt mit der eigenen Praktik im Netz mit aller Deutlichkeit hervor. Neu ist, dass die erlebte Anonymität im Netz eine ethische Haltung jenseits der kollektiven Kontrolle erfordert. Wir sind im Netz unterwegs und teilen einen sozialen Raum, der immer analog, im leiblichen Hier und Jetzt, verortet wird, das zugleich ein Anderswo besitzt, weil wir mit anderen kommunizieren und interagieren, die nicht vor Ort sind. Als Producer benötigen wir ein Verständnis für eine Anerkennungs- und Verantwortungskultur. Die unkontrollierte Verbreitung von Nachrichten, Meinungen und Spekulationen bis hin zu Verschwörungstheorien ist ein Phänomen, das nicht mehr verschwinden wird. Das Verbot wird immer erst im Nachhinein erfolgen. Wichtig ist, dass die Nutzer*innen eine Anerkennungsund Verantwortungskultur entwickeln, auch wenn sie sich nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, eine unmittelbare soziale Kontrolle vorhanden ist.
4. Übergreifende Kompetenzen
Gemeinhin wird in diesem Zusammenhang von Respekt gesprochen. Respekt ist nicht etwas, dessen man sich erst verdient machen muss. Respekt beziehungsweise Achtung ist im philosophischen Sinn ein grundlegendes Prinzip des moralischen Handelns: Verhalten sich Akteure gegenüber anderen moralisch richtig, beruht dies auf der Überzeugung, dass es dazu eine Verpflichtung gibt, sie als Entitäten mit einem moralischen Status anzuerkennen. Dies impliziert, deren moralischen Ansprüche und deren Würde zu achten. Wir können Verantwortung übernehmen, weil wir die Urheber*innen unserer Tätigkeit sind und eine freie Entscheidung treffen können. Dabei sind wir in einer Praxis, die sich »irgendwo« und mit »irgendwem« ereignet. Der Rahmen, der Kontext ist nichts Determinierendes, sondern ein Erzeugtes, den jeder Akteur gleichermaßen mitgestalten kann. Wir sind mit dem Ort, mit der dort vorherrschenden Praxis verwoben und daraus erklärt sich die Verantwortung den anderen gegenüber. Vor Ort ist jede*r Urheber*in und besitzt die Möglichkeit, anders zu handeln. »Die Erfahrung eines unbedingten freien Willens wäre […] in vielen Hinsichten überhaupt nicht das, was wir uns als Erfahrung von Freiheit vorstellen« (Bieri 2011, S. 237). Eine solche Freiheit löst den Willen auf, da er keine*n Autor*in mehr besitzt. Freiheit und Unfreiheit sind in einem Bedingungsfeld bzw. in einem Kontext zu sehen; die »Bedingtheit ist gegenüber den Ideen der Freiheit und der Unfreiheit vorgeordnet« (vgl. auch Bieri 2011, S. 243). Weil wir die Urheber*innen unserer Entscheidungen sind, ist es sinnvoll zu sagen, dass wir eine Verantwortung besitzen. Wir können uns wünschen, anders zu handeln, den Wunsch haben, einen Gedanken nicht zu haben, einem Verlangen nicht nachzugeben (vgl. Frankfurt 2001). Zugleich ist damit ausgedrückt, dass nicht alle Wünsche auch realisiert werden. Dafür tragen wir dann die Verantwortung. Das ist die eine Seite der Anerkennung. Doch die Anerkennung hat auch etwas mit der eigenen Person zu tun. Anerkennung ist ein »Zwang zur Reziprozität« (Honneth 1992, S. 64). Ausgedrückt wird damit, dass Sozialität und Identität wechselseitig verschränkt und konstitutiv für die zwischenmenschliche Begegnung sind. Mit der Anerkennung konstituiert sich das Subjekt, indem es sich vom anderen unterscheidet und damit sich selbst anerkennt. Wir sind immer mit anderen, wir benötigen sie, um selbst eine soziale Grundlage zu besitzen. »Der Begriff der Anerkennung richtet sich einerseits gegen einen rücksichtslosen Autismus und einen intoleranten Egoismus. Er schließt andererseits Konflikte und Antagonismen unter den Menschen nicht aus. Im Gegenteil. Er stellt sie in Rechnung und versucht sie sozialverträglich auszubalancieren. Der Begriff hat also nur wenig mit einer allgemeinen Harmonie, mit ungefragter Gefolgschaft, Ideologie oder mit gefühlsbetonter Hingabe des Einzelnen an die anderen, an die ›Gemeinschaft‹, zu tun.« (Himmelmann 2013, S. 64)
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Mit der Unterscheidung sind eine Selbstvergewisserung und die Entwicklung von Selbstvertrauen verbunden, um als autonomes Subjekt neben den anderen und für sich zu existieren. »Person x anerkennt Person y aufgrund von p oder als p oder für p. P ist das verknüpfende Element des Anerkennens und des anzuerkennenden Subjekts.« (Schmetkamp 2012, S. 120) Privatheit. Das Web 2.0 hat die Grenzen zwischen Konsument*in und Produzent*in endgültig niedergerissen. Sicherlich gab es bereits eine Producer-Szene, die beispielsweise mit einem Camcorder ausgestattet die eigene Biografie dokumentierte. Bekannt sind die Szenen in dem Dokumentarfilm »Deutschland privat« (van Ackeren 2007). Doch sie haben nie eine solche Verbreitung gefunden. Intimität und Privatheit sind ein wichtiges Gut, wie Habermas bereits in seiner Arbeit zum Strukturwandel der Öffentlichkeit aufgezeigt hat (1984). Die Intimität und Privatheit sind ein öffentliches Gut, indem die Privatheit gesetzlich geschützt wird. Insoweit ist sie ein politischer Gegenstand. Daneben ist sie jedoch auch ein soziales und psychisches Gut. »Doch für das Bedürfnis nach einem privaten, intimen Bezirk unseres Lebens, zu dem die anderen keinen Zutritt haben, gibt es noch einen ganz anderen Beweggrund. […] Es ist das Bedürfnis, sich gegen die anderen abzugrenzen. Um uns als selbständige Individuen erfahren zu können, muss es Dinge geben, von denen die anderen nichts wissen. Wir möchten nicht wie ein Glas sein: in unseren Regungen jederzeit und für jeden erkennbar. […] Wir wollen das Zentrum eines Erlebens sein, wo wir mit unseren Erfahrungen allein sind. Wir wollen unsere Innenwelt nach außen hin versiegeln können.« (Bieri 2013, S. 157; Hervorhebungen im Text) Es ist notwendig, dass wir Bereiche besitzen, die nicht bewertet werden, die keine verwertbaren Erkenntnisse produzieren. Ohne unter einer Beobachtung zu sein, bedeutet, etwas zeigen zu können, das auch zu uns gehört, jedoch nicht an die Öffentlichkeit. Wir sind nicht nur auf Rollen zu reduzieren, sondern besitzen auch einen Bereich, der nicht durch die verschiedenen Kategorien wie »normal« angemessen abgedeckt wird. Es ist ein Bereich, in dem jemand so genommen wird, wie der- oder diejenige ist, ohne eine zwingende Rechtfertigung. Ohne einen freien Raum, der nicht von außen bewertet und taxiert wird, könnten wir uns eine Existenz nicht vorstellen. Er ist die Voraussetzung, dass wir als Subjekte eine moralische Entscheidung treffen (vgl. Nussbaum 1999, S. 105). »Ein Mensch hat zum Zeitpunkt t dann und nur dann die E-Fähigkeit (Entscheidungsfähigkeit, HJV), die Tätigkeit A auszuüben, wenn der Mensch um Zeitpunkt
4. Übergreifende Kompetenzen
t die E-Fähigkeit zu A hat und keine äußeren Umstände ihn daran hindern, A auszuüben.« (Nussbaum 1999, S. 106) Ohne einen privaten Raum kann kein Mensch existieren. Autonomie heißt, sich auch der Kontrolle entziehen zu können (vgl. Weyer 2019, S. 51). In der Digitalität wird dieser Raum immer undeutlicher, da die digitalen Communities in die intimsten Räume vorgelassen werden. Ortungsmöglichkeiten, Bilder, Nachrichten oder Selbstoptimierung bewirken, dass die einzelne Person ständig in einen öffentlichen Fokus gerät. Sich daran nicht zu beteiligen setzt einen großen Mut voraus. Es setzt aber auch die Erkenntnis voraus, dass die Dauerpräsenz nicht der Normalfall ist. Zugleich werden durch ein solches Handeln auch andere Menschen involviert, die beispielsweise auf Bildern zu erkennen sind und per Gesichtserkennung registriert werden. Auch mit dem Privatbereich anderer muss bewusst und verantwortlich umgegangen werden, indem klar wird, dass mein Handeln in einer digitalen Umgebung auch immer Konsequenzen für andere Handelnde besitzt. Die im Netz erhobenen Daten sind keine Privatsache, da sie einer Registrierung zugeführt werden, die bei Weitem nicht vom Einzelnen beherrscht wird. Wir können nicht mehr wissen, in welchem Kontext diese Daten (gegen uns) verwendet werden können. Es gibt keine Souveränität über die Kontextverwendung. Auf der einen Seite existieren hohe staatliche und rechtliche Hürden, die die Privat- und Intimsphäre vor Ausspähung schützen. Auf der anderen Seite geben wir ohne Not den privaten Raum preis, wenn wir Bilder, Messages und Filme von uns in den digitalen Raum posten. Beide Seiten haben einen Preis. Verschwindet jemand aus seiner digitalen Lebenswelt, verliert der- oder diejenige seine sozialen Kontakte, seine schützende und stützende soziale Umgebung. Sich im Netz zu bewegen, benötigt ein Bewusstsein für den eigenen Spielraum, um die eigene Zukunft offen zu halten. Daten spielen dabei eine wichtige Rolle, da die Nutzer*innen uns rekonstruieren wollen und Informationen aus der Vergangenheit sammeln, um die Zukunft zu schließen. Solche Kollektionen können eine Person nach außen in eine Rolle drängen und sie in Entscheidungssituationen führen, die die Person nicht will. Moralische Entscheidungen benötigen aber den Freiraum. Ansonsten wären solche Entscheidungen »Gehorsam«, die Erfüllung von Erwartungen und keine persönlichen Entscheidungen. Die Manipulation ist hingegen ein planvoller Einfluss, die die einzelne Person der Autonomie beraubt und verhindert, eine Entscheidung zu treffen. Bieri beschreibt das Selbst als eine »erzählerische Schwerkraft« (2011, S. 21ff.), die eine Erzählung von sich besitzt und eine Persistenz, eine Kohärenz erzeugt, die nicht mit einem objektiven Maßstab verwechselt werden darf. Manipulationen kapern die Erzählung. Gemeint ist damit, dass die Kontrolle durch das Selbstbild nicht mehr zugänglich ist und eine Zerrissenheit an die Stelle der Authentizität tritt.
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»Die Aufgabe des eigenen Raums zum Experimentieren bedeutet die Aufgabe jeder Ambition, das eigene Leben selbst zu bestimmen – also die stillschweigende Akzeptanz des Status quo.« (Morozov 2015, S. 3) Ein solches Selbst zu werden benötigt einen Raum, in dem es sich ungestraft ausprobieren kann. Es ist ein Raum, in den nur die hineindürfen, die unsere Experimente begleiten. Die eigene Privatheit zu schützen, muss jeder für sich entscheiden. Wie groß der Radius ist, der einen Einblick in die Intimsphäre erlaubt, gehört zur Autonomie und zum guten Leben. Sie setzt jedoch eine Bewusstheit voraus, die eigene Verletzbarkeit zu kennen, die Möglichkeiten der Datenverarbeitung und der Erpressbarkeit abzuschätzen. Floridi (2014) wie auch Hagendorff (2017) verweisen zurecht darauf, dass die Privatheit sich selbst verändern wird. Die Vorstellung, dass eine Privatheit, wie es sie im 19. Jahrhundert gab, eins zu eins ins Netz übertragen werden kann, verkennt, dass dies schon aufgrund der Technologie nicht funktioniert (S. 106f.). Das Netz ist fluide und jede Barriere widerspricht der Vernetzung. Sich darüber aufzuregen, bedeutet, dass vergessen wird, dass auch zuvor bereits Daten erhoben wurden: Kontoauszüge, verbindungsgenaue Telefonabrechnungen, Abheben von Geld, Personalausweis usw. Insoweit heißt das, dass wir unterschiedliche Grade der Privatheit in unterschiedlichen sozialen Räumen bewusst zulassen oder ausschließen. Wir zeigen uns anders im Netz als im geschützten Raum. Wir kommunizieren als Privatpersonen im Netz, schützen aber unsere Intimität durch den analogen Raum. Im digitalen öffentlichen Raum sind Maschinen und Menschen vernetzt. Wenn wir im Netz sind, sind wir in einer hybriden Umgebung, in der autonome Technologie und Menschen kommunizieren. Einzig der Mensch kann autonom entscheiden. Dafür ist es notwendig, dass sich die Schüler*innen im hybriden pädagogischen Raum die drei übergreifenden Kompetenzen bewusst und reflexiv aneignen, ohne ein Objekt von anonymen Algorithmen zu werden.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Das Schulgebäude, der Klassenraum sind das Interface zwischen der »wirklichen Wirklichkeit« bzw. der »Orthowirklichkeit« (vgl. Schmidt 1994) und der »vermittelten Wirklichkeit«. »In institutionentheoretischer Hinsicht zeichnet sich […] Unterricht dadurch aus, dass er weder dem Modell eines unmittelbaren Erfahrungs- und Umgangslernen noch demjenigen eines bloßen Aufstiegs zum Wissen folgt, sondern Unterricht als eine Erweiterung von Erfahrung und Umgang konzipiert, welche Heranwachsende auf die Mitwirkung an den ausdifferenzierten Formen der menschlichen Gesamtpraxis und einen problembewussten und reflexiven Eintritt ins gesellschaftliche Leben vorzubereiten sucht.« (Benner 2001, S. 251) Entgegen dem programmatischen Reden von einer Öffnung der Schule, dominiert eine schulformübergreifende Bemühung um die Schließung des schulischen Raums (vgl. Böhme/Hermann 2011) nach außen hin. Ein »Raum« in der herkömmlichen Schule ist, wie aufgezeigt, zunächst unspezifisch. Mit seiner Ausstattung ist er relativ starr und unflexibel (vgl. Kerres 2017, S. 21ff.). Der Unterrichtsraum ist ein spezifischer Raum, in dem gelernt wird. Er befindet sich in einer übergeordneten Raumstruktur, der Schule, in der viele solcher Räume nebeneinander seriell angeordnet und voneinander isoliert sind. Die Schüler*innen gehen in die Schule und in ihre Klassen, um dort über das Draußen zu lernen. Es muss wohl immer wieder Seneca an solchen Stellen zitiert werden, der seinem »Schüler« Lucilius auf die paradox anmutende Situation extra hinweisen muss, weil sie ansonsten gar nicht verständlich ist: Non vitae sed scholae discimus (»Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir«). Wenn über »Unterricht« gesprochen wird, dann wird von einem Ort gesprochen, an dem die Schüler*innen zu einer vereinbarten bzw. festgelegten Zeit zusammentreffen. Die Lernenden und die Lehrkraft sitzen bzw. stehen in diesem Raum; auch hier gibt es eine Ordnung. Die architektonische Abgrenzung findet seinen Widerhall in der Metapher des »pädagogischen Raums«. Das »gesellschaftliche Außen« des pädagogischen Raums
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Der hybride pädagogische Raum
Abbildung 16: Unterricht
wird professionell in den pädagogischen Raum als das »zu Zeigende« übersetzt. Die pädagogische Praxis schließt sich von der gesellschaftlichen Praxis ab (Benner 2001). Die Stärke sieht Benner darin, dass sich die pädagogische Praxis vor gesellschaftlichen Überforderungen schützt, jedoch um den Preis, die Anforderung der Selbsttätigkeit der Schüler*innen stark zu begrenzen. Der Unterricht zeichnet sich durch ein didaktisch-methodisches Arrangement aus, das in der Hand der Lehrkräfte liegt. Versucht wird, im Rahmen des institutionellen Lernens ungewollte Nebeneffekte auszugrenzen, zumindest zu begrenzen. Der Eigenwilligkeit des Lernsubjekts wird seit Holzkamp (1993, S. 182ff.) und Helmke (2012, S. 71) insoweit Rechnung getragen, indem nicht mehr Lernziele vorgegeben, sondern Lernangebote gemacht werden. Lernen in der Schule unterscheidet sich von informellem bzw. inzidentellem Lernen, das spontan, zufällig und nebenbei erfolgt. Grundsätzlich findet Lernen selbstverständlich immer statt und es kann mit Prange (2005) gesagt werden, dass es eine anthropologische Grundausstattung des Menschen darstellt. Die analoge Schule ist ein pädagogischer Raum, in dem konzeptionelle Hilfe für das absichtsvolle Lernen angeboten wird. Die Schule ist auch ein Ort, in dem Zugangsberechti-
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
gungen ausgesprochen werden, um in weiterführenden Institutionen eine aufbauende Qualifikation zu erlangen. Landläufig wird unter einem initiierten Lernen ein pädagogisches Arrangement verstanden, eine Rahmung, ein geplantes oder intendiertes Vorgehen, das im institutionellen Setting einen Anfang und ein Ende besitzt: Irgendwann haben »es« die Akteure gelernt oder eben nicht. Lehrkräfte wie auch Schüler*innen wissen, wann der »Unterricht« beginnt und wann es eine Pause gibt. In diesem Arrangement gibt es weiterhin eine Person, die eine Expertise besitzt, die das Lehr-Lern-Arrangement plant oder gemeinsam mit den Lernenden entwickelt, Materialien zur Verfügung stellt oder suchen lässt, hinsichtlich des Niveaus beurteilt, den Prozess begleitet, berät – und bewertet. Es ist die Person, die die Antwort immer weiß. Das wissen wiederum alle. Im pädagogischen Raum ist das Lehr-Lern-Arrangement auf Zeit angelegt, also begrenzt, indem es, wie gesagt, einen Anfang und ein Ende besitzt und die Schüler*innen irgendwann die Schule verlassen. Das Telos liegt darin, dass sich die Lehrkraft selbst überflüssig macht. Das institutionelle Lernen hat es mit dem Widerspruch von Abgrenzung und Integration zu tun. Es ist ein »Außen« im »Inneren« des Unterrichts. Der hybride pädagogische Raum« ist kein Dazwischen im Sinne einer Transformation, sondern in einem »Darin-Sein«, indem das Innen und Außen immer wieder konstituiert wird durch die Akteure und das Problem. Dort bewegen sich die Akteure selbstregulierend, kritisch distanziert und ethisch verantwortlich. Die Schule in der Digitalität verliert den eindeutigen Ort des Lehrens und Lernens, ohne dadurch unpädagogisch zu werden. Das Lernen findet in einem hybriden pädagogischen Raum statt. Das absichtsvolle Lernen findet an dem Ort statt, an dem Lehrende und Lernende zusammenkommen, um zu lehren und zu lernen. In der Weise findet Lernen in einem anderen Kontext statt als das inzidentelle Lernen außerhalb der Schule. Die Akteure vor Ort bilden den hybriden pädagogischen Raum, der in der Lebenswelt eingebettet ist, ohne das pädagogisch-schulische Angebot des Lernens abzulegen. Dennoch sind auch andere Akteure unterwegs, die nun nicht ausgegrenzt, sondern einbezogen werden. Schule benötigt in dem Sinn nicht zwingend die Wände der Schule, sondern nimmt das Interface der Smartphones oder Laptops als Innen im Außen. Die Mobilität der Lebenswelt wird in dem Sinn zu einem Konzept des Lernens, indem sich die Akteure treffen, aufeinander zukommen, Orte anbieten usw. Institutionell angeleitetes Lernen in der Digitalität fällt nicht vom Himmel und erscheint nicht als eine Application auf dem Display, ist keine App, die man downloaden kann. Sie muss gelernt werden, an sie muss herangeführt werden, die dort erforderlichen Kompetenzen müssen immer wieder thematisiert werden. Wie die Schüler*innen heute lernen müssen, 45 Minuten ruhig zu sitzen, nicht zu essen oder sich für einen Toilettengang abzumelden, so ist es für ein dezentrales Lernen notwendig, andere Praktiken zu beherrschen, wie sich beispielsweise der eigenen Verantwortung gewahr zu werden.
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Der hybride pädagogische Raum
Nachfolgend soll zunächst auf die Medien eingegangen werden. Der Unterricht ist medial organisiert. Insoweit muss gefragt werden, wie sich die Bedeutung der Medialität des Unterrichts unter dem Paradigma der Digitalität verändert. Dem schließt sich die Betrachtung der Akteure des Unterrichts an, die sich nicht mehr in der klassischen Dichotomie von Lehrkraft und Schüler*in aufsplittert. Im Sinn der Praxistheorie muss deren Handeln konstitutiv für den guten Unterricht angesehen werden. Der Inhalt, der Unterrichtsgegenstand konstituiert sich dort, wo das pädagogische und nicht pädagogische in hybriden Formen erscheint. Die Akteure sind gleichermaßen als Didaktiker gefragt, ohne jedoch die Expertise infrage zu stellen. Der Lehrkraft wird immer noch der Vertrauensvorschuss gegeben, dass sie nicht strategisch die Wahrheit nach bestem Wissen und Gewissen sagt. Die Sozialformen des Unterrichts werden als eine Praxis verstanden, die sich durch die Dezentralisierung charakterisiert und die Selbstorganisation durch die Akteure motiviert. Nicht mehr steht das isolierte Individuum im Zentrum, sondern nun das kollaborierende Subjekt. Schließlich wird Lernen an und für sich als ein kreativer Akt verstanden. Nicht die viel beschworene »Kreativität« ist zu fördern, sondern das Lernen in der Subjektposition im Sinne von Holzkamp. Lernen wird als ein schöpferischer Akt verstanden, das nicht auf den isoliert interpretierten Genius begrenzt wird, sondern zu den anderen hin orientiert geöffnet wird, sich zum Ort öffnet, von wo aus immer Digitalität seinen leiblichen Ausgang nimmt.
5.1
Die Medialität des Unterrichts
Medien können metaphorisch als Fenster (»Windows«) beschrieben werden, »mit« denen »in« die Welt geschaut werden kann. Die architektonische, gestaltete Territorialisierung der Schule (Kap. 2) findet in Metaphern wie »Window« oder »Interface« seinen Widerhall, wenn das Interface des Lehr-Lern-Raums aus Mauern und Fenstern durch digitale Medien ersetzt wird. Der selbstverständliche und unhinterfragte Kontext des Lernraums, indem etwas gezeigt wird (Prange), muss nun erst »geklärt« werden, um Lernen zu ermöglichen. Digitale Medien missachten die alten Architekturen des Lernens – ob man es will oder nicht. Das misstrauische Beobachten der Umwelt im Allgemeinen (vgl. auch Baecker 2018, S. 169) und speziell der Medien jeglicher Art hat eine lange und andauernde Geschichte. Der Text, das geschriebene Wort, ist so selbstverständlich in Alltag und Kultur, dass es einen Status der Natürlichkeit besitzt. Gibt es eine Welt jenseits des geschriebenen Wortes? Sicherlich. Die menschliche Fähigkeit, sich expressiv auszudrücken, bedient sich der Mimik und Gestik, des Körpers, der Intonation, der Sprache, der Schrift, des Bildes, des Tons usw., um sich über das eigene Verhältnis zur ausgemachten Welt zu verständigen. Das Primärmedium ist die Stimme, der Körper und die leibliche Erfahrung in der unmittelbaren Begegnung. Sie ha-
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
ben eine eigene Art des Umgangs, der Reaktion. Grundlage dafür ist die Wahrnehmung des Gegenübers als den anderen, der durch Stimme, Mimik und Gestik manipuliert werden soll. Das lateinische »medium« bedeutet übersetzt »Mittelpunkt« und meint, dass ein »Medium« etwas als Etwas vermittelt. Zwischen A und B tritt ein »Mittel«, um diese beiden miteinander zu verbinden und einen Inhalt zu vermitteln. Problematisch daran ist, dass das »Mittel« als neutral beschrieben wird. Unschlagbar ist die Formulierung von McLuhan, dass das Medium die Botschaft (1964) sei. Primäre (menschlich-körperliche Äußerungen) als auch sekundäre (Rauchsignale, Schrift) und tertiäre (Telefon, digitale Medien) Medien unterliegen einer Intention, einem gemeinsamen Verständnis der Nutzer*innen und Routinen des Gebrauchs als Habitus. Wenn Medien selbstverständlich werden, dann verschwinden sie. Denn Medien sind in der Regel unterhalb unseres Bewusstseins, sie laufen im Hintergrund ab. Beispielsweise wird das Buch beim Lesen eines Buches, unsichtbar, weil das Medium so selbstverständlich ist, so leicht zugänglich. Wer lesen lernt, sieht das Buch, die schier unüberwindbar scheinende Anzahl an Seiten usw. Wächst eine Generation in ein Medienzeitalter hinein, sind die bestehenden Medien quasi natürlich und wirken wie magische Mittler, die nicht weiter hinterfragt werden. Erst wenn ein Medium in den Fokus der Aufmerksamkeit des Einzelnen gerückt wird, wird es als artifizielles Medium wahrgenommen und in seiner gesellschaftlich-kulturellen Bedeutung sichtbar. »A memorable article, song, or movie does not leave one think about (Web). Pages on which is appears or the radio or screen on which it is played. The success of these media – print, the Web, radio, and video – is based precisely on their becoming invisible as a medium while conjuring the illusion of the immediacy of the content being delivered.« (Friesen 2017, S. 71) So haben verschiedene Medien zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Selbstverständlichkeiten. Es soll und kann an dieser Stelle nicht abermals eine Mediengeschichte aufgeschrieben werden, die nun mittlerweile in ausreichendem Maße vorhanden ist (vgl. beispielsweise Giesecke 2002, 2007; Jörissen/Marotzki 2015; Friesen 2017; Frederking/Krommer/Maiwald 2018). Der Buchdruck hat die Kalligrafie durch die Typografie abgelöst, die wiederum das zurückliegende Leitmedium der Oralität verdrängte. Der individuelle Schriftzug der Kalligrafie wurde durch die diskreten Zeichen des Buchdrucks ersetzt. Letztlich ist das Alphabet der Code, ein begrenztes System, eine Ansammlung von an sich bedeutungslosen, jedoch klar zu unterscheidenden Zeichen, die eine enorme Variabilität und Produktivität besitzen. »Die alphabetische Schrift ist eine Form der Codierung sprachlicher Informationen mittels diskreter, in sich bedeutungsloser Zeichen.« (Stalder 2016, S. 102)
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Der Inhalt wird durch die Zeichen, die ihn repräsentieren, zum Inhalt. Man versteht den Inhalt, weil man die Zeichen decodieren kann. Vergessen wird, dass beim Lesen und Schreiben eine Codierung, eine spezifische kulturelle Praxis beherrscht werden muss. Lesen, Schreiben und Rechnen sind die unhinterfragten Kulturtechniken, die ein jeder sich anzueignen hat, um eine wie auch immer geartete Teilhabechance zu besitzen. Es gibt auch nicht nur Bücher, sondern es gibt verschiedene Bücher. Junge Kinder erhalten andere Bücher als ältere und in der Schule werden pädagogisch aufbereitete. didaktische Schulbücher benutzt, während man in der Buchhandlung keine didaktisch aufbereiteten Romane mit Aufgabenstellungen kauft. Teilhabe beginnt bereits bei der Sprache, die die Stimme als sogenanntes Primärmedium benutzt (vgl. Frederking/Krommer/Maiwald 2018, S. 26ff.). Die dabei genutzten Zeichen, die Phonetik usw. dienen als ein Speichermedium, das wiederum gesellschaftlich rückgebunden und artifiziell ist, eine Norm besitzt, damit der Inhalt verstanden wird: »Denn, bedarf ich einer Berechtigung dafür, ein Wort zu gebrauchen, dann muss es eine auch für den Anderen sein.« (Wittgenstein 2006, S. 399, Paragraf 378) Die aus Zeichen bestehende Sprache ist nicht etwas rein Äußerliches, sondern sie sozialisiert uns. Wir sind das, was wir über uns sagen können. Zugleich wissen wir, dass wir durchaus mehr sind als die Zeichen, die uns zur Verfügung stehen. Wir sind mehr als Worte sagen können. Scheinbar paradox erklingt eine solche Aussage, die sich selbst Lügen straft. Nachdrücklich hat darauf u.a. Butler (2007) aufmerksam gemacht, indem sie herausarbeitet, dass das »Ich« ein perspektivisches Ich ist, das nicht die Geschichte des Ichs vollständig erzählen kann: »Der Grund dafür ist folgender: Das ,Ich‹ hat gar keine Geschichte von sich selbst, die nicht zugleich die Geschichte seiner Beziehung – oder seiner Beziehungen – zu bestimmten Normen ist […] In gewissem Maße ist das ,Ich‹ sich immer durch seine gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen enteignet.« (S. 15) »Jedes Mal, wenn es (das Ich, HJV) zu sprechen versucht, tritt das narrative ›Ich‹ zu der Geschichte hinzu, weil es als Erzählperspektive wiederkehrt, und diese Hinzufügung kann in dem Moment, wo sie die fragliche Erzählung perspektivisch verankert, nicht vollständig erzählt werden.« (2007, S. 56ff.) Denn Sprache hat eine leibliche und körperliche Grundlage, die in jeder Sprache mitschwingt (vgl. beispielsweise Rosa 2019; Waldenfels 1980, 2002, 2016, 2016b; Merleau-Ponty 1965,1974). Auch die Sprache ist nicht neutral. Informationen haben einen medialen Träger. Digitale informationstechnische Systeme als Träger von Informationen haben jeweils ein logisches System, das digitale Daten benutzt. Sie können als semiotische Artefakte angesehen werden, weil sie Träger der Unterscheidung von 0 und 1 sind. Sie sind in dem Sinn eine Vorstufe von Informationen.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Diese Träger können die sprachlichen, akustischen und grafischen Artefakte nicht direkt übersetzen. Als maschinenlesbare Inskriptionen, als Differenzen von hoher und niedriger Spannung (vgl. Hagendorff 2017, S. 16), können sie keinen semantischen Gehalt befördern. Informationen selektieren und gestalten die Welt damit, indem Informationen eine Selektionsfunktion übernehmen. Eine Information ist eindeutig, abgrenzbar und für den Empfänger neu, ansonsten wäre sie redundant. Informationen sind Mitteilungen und müssen soweit auch verstanden werden. »Informationen, die mitgeteilt und verstanden werden, verändern demnach die Relation zwischen Wissen und Nichtwissen einer Person.« (Hagendorff 2017, S. 15) Sie bestimmen, inwieweit etwas als Information angesehen wird oder nicht. Die Dinge, für die wir keine Worte besitzen, sind keine relevanten Informationen und treten in der Mediengesellschaft nicht in die Öffentlichkeit, in den Diskursraum. Eine solche Diskriminierungsfunktion von Informationen hat wiederum Auswirkungen auf die Repräsentation der Welt. Jede Gesellschaft besitzt unterschiedliche Medienepochen (Giesecke 2002, 2007) und hat ein Leitmedium. Das Leitmedium verändert die Anordnung und das Verständnis der anderen Medien (vgl. Giesecke 2007). Das Buch und die Schule sind heutzutage quasi Synonyme für die Bildungsvermittlung, ein Medienideal, das scheinbar natürlich ist. Bücher und Arbeitsbögen, Bilder(-Bücher) und Texte sind die Speichermedien. Die Selbstverständlichkeit von Leitmedien wird in Umbrüchen sichtbar, wenn neue Medien einen anderen Blick auf die gewohnten Medien freigeben. Die Schule in der Zeit der Digitalität unterliegt deshalb verschiedenen Herausforderungen. Eine wesentliche ist die Veränderung des bisherigen Mediengebrauchs. Indem das Internet zum Leitmedium wird, werden alle anderen Medien wie Schrift und Bild, Radio und Fernseher in eine neue Konstellation zum Leitmedium gerückt. Schreiben, Rechnen und Lesen erhalten keine weitere Kulturtechnik, wie es die KMK (2016) suggeriert, sondern die alten Kulturtechniken werden durch die Digitalität verändert, neu gerahmt. Leitlinien besitzen nach Erdmann/Rückriem (2010) folgende Merkmale: • • • •
komplex, d.h. sie bilden Ketten oder Systeme von Medien aus, verschachtelt (McLuhan) bzw. integrativ, d.h. sie lösen einander nicht einfach historisch ab, sondern überformen einander, umfassend, d.h. sie betreffen das Ganze, die Totalität, der Kommunikationsmöglichkeiten, allgemein, d.h. sie betreffen alle Sinndimensionen, also die sachliche, soziale, räumliche und zeitliche Dimension,
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• • •
irreversibel, d.h. sie sind nach ihrer realen gesellschaftlichen Durchsetzung faktisch nicht mehr umkehrbar, sie eröffnen neue und andersartige soziale Kommunikationsräume, sie ermöglichen und erfordern neue und andersartige Lernformen (neue Qualität des Lernens). (Erdmann/Rückriem 2010, S. 4)
Das Leitmedium bestimmt so nachhaltig die Art und Weise, wie Schule gehalten wird. In der Schule zu sein, bedeutet, an einem anderen Ort zu sein und dort immer wieder den hybriden pädagogischen Ort zu begründen. Die Inhalte des Unterrichts stehen in einem engen Verhältnis zum Mediengebrauch. Die Medien ihrerseits ermöglichen, die Inhalte an einem anderen Ort auszusuchen. Zu betonen ist jedoch, dass Digitalität nicht ohne den Ort, die leibliche Verortung auskommt. Medien sind keine bloßen Werkzeuge. Medien sind in dem Sinn •
•
• •
substantialistisch: Sie können nicht auf die materielle Substanz begrenzt werden, sondern bestimmen das Mensch-Welt-Verhältnis. In-der-Welt-Sein ist ein Bei- und In-den-Dingen-Sin, das das Weltverhältnis prägt. deterministisch: Medien ermöglichen etwas und sind nicht deterministisch im Sinne eines Wirkungs-Ursache-Modus. Vielmehr wird ein Möglichkeitsraum aufgeschlossen, der in einem wechselseitigen Austauschverhältnis von Möglichkeit und Negierung einen Eigensinn zulässt. unhistorisch: Medien sind für spezifische historische Gesellschaften spezifisch. moralisch: Moralische Entscheidungen von Praktiken finden in Medien statt. Medien hingegen sind an sich weder moralisch noch anthropologisch. Die in den Medien angelegten Praktiken unterliegen dann selbst der Praktik der Anwendung und der subversiven Nutzung dieser Anwendungen, die dann moralisch reflektiert werden können. (vgl. Erdmann/Rückriem 2010)
Bücher sind das Medium der Schule und strukturieren deren Selbstverständnis. Bücher sind träge und müssen vor Ort sein, können in Kontingenten angeboten werden, sind so von der Inhaltsseite kontrollierbar und beherrschbar. Rein äußerlich sind Texte optimal, um in serieller Form angeboten, gelesen und gelernt zu werden. Alle Schüler*innen erhalten zur gleichen Zeit den gleichen Text und lesen diesen in einer angemessenen Zeit. Mit der Individualisierung und Differenzierung ist diese Sichtweise trügerisch und es wird versucht, diesen seriellen Text nun so zu gliedern, dass er individuell angeeignet werden kann: in unterschiedlichen Quanten an Textfülle, Qualitäten der Tiefe, Sprachniveau, Konzentrationsfähigkeit usw. Ein neues Leitmedium wird nicht einfach übernommen, sondern man möchte es in das bestehende Gesamtgefüge integrieren. Das zeigt sich in den Routinen, im Habitus des Gebrauchs, in die das neue Leitmedium in der Art und Weise des
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
zurückliegenden Leitmediums umgedeutet wird. Unwillkürlich werden die alten liebgewonnenen Erwartungen auf das neue Medium übertragen und die spezifische Andersartigkeit übersehen. Am besten drückt das der Begriff der »Digitalisierung« aus. Die Medien werden lediglich ausgewechselt und die vormals analogen Verfahren digitalisiert. Solche Transfers werden dann von einem »MehrwertDiskurs« begleitet, der nach der Effizienz und Effektivität fragt. Der Trick ist, dass die Rahmenbedingungen beibehalten werden und dann gefragt wird, ob sich der Mehraufwand zum Mehrgewinn lohne. Der bisherige Unterricht und alle damit verbundenen Praxen werden unter dem Begriff des »Mediums« gefasst. Methoden sind spezifische kommunikative Konstellationen des Lehrens und Lernens. Die Methodik ist ein fachspezifischer kommunikativer Zugriff auf ein Objekt und die fachspezifische Praxis (vgl. Terhard 2000). In der Tradition der Buchschule werden die sekundären und tertiären Medien im Unterricht als eine mediale Sonderform des Unterrichts diskutiert, für die spezifische didaktisch-methodische Überlegungen formuliert werden. So werden beispielsweise in der Berliner Didaktik von Wolfgang Schulz (1981) die Medien als ein Bestimmungsfaktor berücksichtigt und als struktureller Bestandteil des Unterrichts ausgewiesen. Auch das Hamburger Modell verweist auf die Medien als wichtigen Strukturfaktor, verschiebt sie nun in die Vermittlungsvariablen, worunter auch die Methoden fallen. Die Medien dienen als Objektivation von Lehrerfunktionen, indem sie Inhalte auf eine medienspezifische Art und Weise darbieten, die sonst die Lehrkraft übernimmt. Darunter ist zu verstehen, dass die Rolle der Darbietung von Informationen und des Wissenstransfers durch die spezifische, artifizielle Funktionsweise des Mediums erfolgt, das den Inhalt in der Eigenart des Mediums repräsentiert. In dem Sinn ist das Medium eine Variante der Lehrkraft. Der Inhalt und die Attitüde des Mediums liegen in der Verfügungsgewalt der Lehrkraft. Wenn ein Medium erzeugt wird, dann liegt eine medial vermittelte Ansprache an die Schüler*innen vor. Das spezifische Medium transportiert das pädagogische Anliegen der Lehrkraft. Zugespitzt kann man sagen, dass ein medienspezifischer Frontalunterricht (Lehrkraftvortrag) erfolgt. Klafki (1996) beklagt, dass Medien oftmals lediglich als Hilfsmittel angesehen werden, dass man dabei jedoch übersehe, dass sie zugleich Ziel- und Thementräger seien und in diesem Sinn eine Eigenlogik besitzen, die nicht lediglich als Objektivation des Lehrerhandelns angesehen werden dürfe. Darunter wird verstanden, dass sie eine eigene Selektionskraft besitzen, eine genuine, artifizielle Perspektive anbieten, eine latente pädagogische, verlegerische usw. Auswahl hinsichtlich der zu beschreibenden Wirklichkeit vornehmen, dass sie für ein Themenspektrum verschiedene Aspekte einbeziehen, andere hingegen ausschließen oder ignorieren. Unter einer solchen Sichtweise wird das Medium zu einem für den Inhalt zu berücksichtigenden Faktor, den man in einer Ziel-Inhalt-Methodenentscheidung berücksichtigen und für die Planung reflektieren muss (S. 130ff.).
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»Entscheidend ist also die Erkenntnis, daß die unterschiedlichen Medien innerhalb gleicher Sinngebiete nicht nur Zugangsweisen auf einen in ihnen repräsentierten, vermeintlich jeweils identischen Ziel-Inhalt-Zusammenhang sind […], sondern daß den Lernenden jeweils unterschiedliche Ziel-Inhalt-Perspektiven eröffnet werden.« (Klafki 1996, S. 130ff.; Hervorhebung im Text) Die von Klafki aufgeführten Schulbücher, Filme, Tonträger usw. besitzen eine eigene Repräsentation von Wirklichkeit im pädagogischen Raum. Die im Unterricht verwendeten Medien werden hergestellt und sind insoweit pädagogische Medien. Sie reduzieren, fokussieren und selektieren den Inhalt bezüglich der Lehrintention. Klafki leitet daraus ab, dass die Medien einen relevanten Teil der Ziel-InhaltMethodenentscheidung darstellen. Hier besitzen die Medien eine spezifische Wirkkraft, eine eigene didaktisch-methodische Wirkung im Rahmen der analogen Schule. Die beiden Beispiele zeigen, dass die vorhandenen Medien den Unterricht mehr oder weniger tangieren. Klafkis Überlegungen verweisen darauf, dass die vorhandenen Medien hinsichtlich deren spezifischer Möglichkeiten zu berücksichtigen sind. Da es um »User«-Medien geht (Ich gehe hier nicht darauf ein, dass jede Rezeption aktiv ist und selbst wiederum selektiv vorgeht), können sie unproblematisch und in der »Anwesenheitsschule« eingesetzt werden. Bücher, Filme, Tonträger usw. können ohne Probleme ausgesucht und kontrolliert eingesetzt werden. Insoweit tragen sie die Buchschule. Medien in der analogen Schule. Die wohl dominanteste Form des Präsenzunterrichts ist die Oralität, die vor Ort eine Face-to-Face-Situation voraussetzt, indem das Primärmedium »Stimme« eingesetzt wird. Doch die Stimme ist immer eingebettet in die artifizielle Überformung der körperlichen Kommunikation, die parallel, überbrückend und unterstreichend wirkt. Erst beide Ebenen beschreiben die Oralität vollständig. Miteinander vor Ort zu interagieren setzt Praktiken voraus und bestätigt oder variiert sie mit jeder einsetzenden Kommunikation. Mit den digitalen Medien ist die »Face-to-Face-Situation nicht mehr eindeutig dem analogen Raum zuzurechnen, da es mittlerweile möglich ist, sich auch über Videokonferenzen in eine Face-to-Face-Situation zu begeben. Ausschlaggebend für die verschiedenen Formen der Face-to-Face-Situation ist die leibliche Anwesenheit und die ganzkörperliche Kommunikation vor Ort, die nur bedingt oder gar nicht durch eine Videokonferenz dargestellt werden kann. Vor Ort zu sein meint, dass man körperlich anwesend ist und sich eine umfassende kommunikative Situation vorstellt. Videokonferenzen sind dann als Face-to-Face-Situation sinnvoll, wenn eine gewisse Entfernung im Verhältnis zum konkreten Anliegen abgewägt und als sinnvoll angesehen wird. In solchen Fällen wird die durch das Medium bedingte
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Darstellungsform benutzt und hinsichtlich der Kosten bewertet, die das Medium an Möglichkeiten bietet. Neben der Oralität sind wohl die Schulbücher charakteristisch für die mediale Kommunikation im Unterricht. Schulbücher haben eine Didaktik und Methode, indem die Autor*innen ihre Erfahrung verallgemeinern und entkontextualisieren. Sie gehen nicht auf eine spezifische Klasse ein, sondern imaginieren aus ihren Erfahrungen heraus, was guter Unterricht zu einem bestimmten Thema ist. Mit einer solchen Entkontextualisierung soll nun der Inhalt der Schulbücher in verschiedenen Lernkontexten einsetzbar werden. Dabei wird eine grobkörnige Granularität vorgenommen, um die Begrifflichkeit von Kucklick (2016) zu übernehmen, indem die Schulbücher für Bildungsgänge nach Alters- und Niveaustufen konzipiert werden. So gibt es Bücher für die Gesamtschule oder das Gymnasium, die wiederum auf die verschiedenen Jahrgänge eingeschränkt werden. In Schulbüchern sind Texte und Bilder als multimodularer Text vorzufinden. In der Regel kann man thematische Doppelseiten bzw. thematische Sequenzen zu einem Thema in einem Schulbuch anordnen. Die ausgesuchten Bilder sozialisieren den Blick, indem typische Bilder oder eben auch außergewöhnliche Sichtweisen angeboten werden. Beiden Formen ist gemeinsam, dass sie etwas als normal erscheinen lassen. Oftmals ist dabei interessant, was nicht in Erscheinung tritt, welche Kulturen, Moden, Geschlechter usw. nicht sichtbar werden. Diese Medien haben so eine enorme sozialisierende Wirkung auf die Art und Weise, wie die Welt behandelt wird. Allerdings haben Schulbücher oftmals auch eine Wirkmacht auf die Systematik der Unterrichtsinhalte: Die internen Curricula, die sie mitschreiben. Am deutlichsten wird eine solche Wirkkraft in den Sprachen, in denen der Aufbau der Schulbücher und deren Systematik die Lehrsystematik der Schule beschreibt. Das wohl bekannteste Medium ist wohl der »Arbeitsbogen«. Dabei handelt es sich in der Regel um einen für die Lerngruppe angefertigten Lehrgegenstand. Der Arbeitsbogen (AB) ist ein Instrument, mit dem die Lehrkraft die Schüler*innen direkt anspricht. Es ist ein Monolog der Lehrperson an die Schüler*innen, ein schriftlicher Lehrervortrag, ein gelenktes Unterrichtsgespräch auf schriftlicher Ebene. Der AB vereinigt in der Regel unterschiedliche Text- und Bildquellen, die selbst wiederum oftmals aus unterschiedlichen Schulbüchern stammen. Die Lehrkraft formuliert einen spezifischen Lernweg, indem die Lerngegenstände niveauspezifisch an die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schüler*innen angepasst werden. Dabei sind insbesondere die Adaption des Lernniveaus, die Antizipation möglicher Hindernisse, die Konzentrationsspanne der Schüler*innen, sich mit dem Lerngegenstand zu beschäftigen, die Zeittaktung der Unterrichtsstunden usw. die Faktoren, wie die Aufgabe untergliedert wird. Der AB soll die Schüler*innen zu einem aktiven Arbeiten animieren. Um das zu erreichen, werden mit dem AB auch Sozialformen vorgegeben, um den AB zu bearbeiten.
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Im Sinne des »relativen Raums« werden durch die Medien kommunikative Räume erzeugt. Da die Schüler*innen nicht ohne Weiteres einen Zugang zum Material für ein Thema haben, wird das Material in Form des Buches oder des Abs zur Verfügung gestellt. Da die Materialien schon aufbereitet sind, müssen die Schüler*innen nicht den Raum verlassen, um beispielsweise in Bibliotheken zu gehen. Schulbücher und Abs bieten einen begrenzten Materialfundus an. Mit der Kontrolle über das Material kann es im Sinne der Phrasierung effizient und zeitökonomisch eingesetzt werden. Die Länge der Materialien wird dem Zeitbudget der Unterrichtsstunde zeitökonomisch angepasst. Insoweit ist das Konzept sinnvoll. Digitale Umgebungen fordern die alten Praktiken vor Ort heraus. Diese werden oftmals so verstanden, dass das Neue in das Alte übersetzt werden soll. Ein solches Verständnis unterliegt dem SAMR-Modell (Substitution, Augmentation, Modification, Redefinition), obwohl die Rahmenbedingungen sich fundamental verändert haben. Es geht um Integration und nicht um Umstrukturierung. Das SAMR-Modell suggeriert, dass die digitalen Medien die alten Medien lediglich ersetzen, ansonsten jedoch die pädagogischen Rahmenbedingungen beibehalten werden können. Es handelt sich dann lediglich um ein Problem der Integration neuer technischer Möglichkeiten in den Unterricht, im Sinne einer »Redefinition«. In dem SAMR-Modell (Abbildung 17) wird auf der Umsetzungsebene darüber nachgedacht, dass es neuartige Möglichkeiten der Aufgabenerstellung gibt. Weniger wird darüber nachgedacht, welche Funktion die digitalen Medien im Unterricht übernehmen. Auch hier wird auf die Bedeutung der Medien hingewiesen, jedoch nicht in der Tiefe, wie es bei Schultz und Klafki erfolgt. So wird in der letzten Phase (dargestellt durch das U-Boot in der Abbildung) oftmals nachfolgendes Beispiel angeführt: »Die Neudefinition (Redefinition) umfasst, dass die digitalen Medien ermöglichen, neuartige Aufgaben erstellen zu können, die zuvor unvorstellbar waren. Dabei wäre es beispielsweise möglich, anstelle von dem Schreiben eines Essays das digitale Storytelling zu nutzen.« (Gesellschaft für digitale Bildung, 01.05.2019; Hervorhebung im Text) In dem Beispiel liegt das Missverständnis darin, dass es nicht um die technische Verbesserung oder die Erweiterung des Methodenrepertoires bzw. um das Ersetzen von herkömmlichen Medien durch neue geht. Vielmehr geht es darum, darüber nachzudenken, welche strukturellen Veränderungen durch die sogenannten »neuen« Medien für den Unterricht erzwungen werden und daraus folgend andere konzeptionelle Ziele entstehen. Ein Missverständnis liegt in der Regel darin, dass sogenannte »neue« Medien im Rahmen der bestehenden Buchkultur reflektiert werden, die das unhinterfragte Hintergrundwissen im Sinne von Polanyi (siehe dazu den Lernbegriff in Kap. 5.2) darstellt. In dem Sinn werden die Medien als Mittler (vgl. Vygovski) verstanden.
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Abbildung 17: Sylvia Duckworth
Quelle: https://twitter.com/sylviaduckworth/status/583778319235031041/photo/1 (29.02.2020).
Das Medium tritt in das Zentrum des Unterrichts, der Planung, der Art und Weise, wie die Akteure untereinander und mit dem Problemgegenstand in einer neuen Form der Verantwortung umgehen. Mit der Wahl der medialen Umgebung wird der hybride pädagogische Raum konstituiert. Der Raum, die Zeit, die Inhalte werden durch den hybriden pädagogischen Raum bedingt, indem nun die Trägheit der Bücher von der Dynamik des Netzes abgelöst wird. Die schon immer vorhandene Medialität erhält nun einen konstitutiven Charakter. Die Medialität des »Zeigens« (Prange 2012) als Ausdruck pädagogischen Handelns wird nun nicht mehr auf das Territorium der Schule, den Unterrichtsraum begrenzt. Digitale Medien zeichnen sich durch die Fluidität, die Durchlässigkeit aus. Zeit und Raum werden nun synchron und diachron organisiert. Es macht nicht mehr durchgehend Sinn, dass sich am gleichen Ort zur gleichen Zeit zu treffen, zu kommunizieren, zusammenzuarbeiten usw. Chaträume, Foren, kollaborative Medien machen erst Sinn, wenn die Akteure nicht mehr beieinandersitzen. Es macht jedoch Sinn, beieinander zu sein, wenn keine Medien zwischen die interagierenden Akteure treten.
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Die Materialien für den Unterricht werden nicht ausgeteilt, sondern die Suche wird begleitet. Mit der Problemfrage gehen die Schüler*innen ins Netz, suchen als kritische Mediennutzer*innen nach Quellen, kommunizieren in Foren, um Hinweise zu erhalten, prüfen Funde, verwerfen. Die Schüler*innen müssen dazu nicht in eine Schule gehen, sondern Orte aufsuchen, die geeignet sind. So können sie zu den Akteuren gehen, sie befragen und sich zugleich im Rahmen des pädagogischen Raums bewegen. Die Lehrkraft arbeitet neben und mit den Schüler*innen, kommentiert nicht pädagogische Akteure, die mit ihren Sichtweisen die Inhalte im Netz bevölkern. Die Lehrkräfte besitzen für ein Thema nicht die alleinige Expertise, doch sie sind die Expert*innen für die pädagogische Arbeit. Die Schüler*innen und Lehrkräfte stimmen den Arbeitsrhythmus ab, die Wahl der Medien und den sich daraus ergebenen pädagogischen Raum. Die Digitalität benötigt den analogen Raum, weil beide zur Welt gehören. Jeder Mensch ist immer irgendwo, um in digitale Umgebungen zu gehen. Niemand kann den Leib übergehen (vgl. auch Koch 2019, S. 5ff.). »Ein nichtleiblicher Weltbezug ist nicht denkbar, weil auch die ›rein geistige‹ oder reflexive Internationalität letztlich nur als verkörperte Internationalität denkbar ist.« (Rosa 2019, S. 146) Wenn von digitalen Umgebungen gesprochen wird, muss auch von der leiblichen Verortung gesprochen werden. Digitalität meint also immer, dass die Umgebung eine Relevanz besitzt. Es macht einen Unterschied, ob ich allein in meinem Zimmer sitze, zusammen mit anderen in einem Raum bin, in einer Bibliothek, einem Museum usw. Der Raum besitzt immer auch eine Relevanz für den Zugang in digitale Umgebungen. Die Konstituierung des hybriden pädagogischen Raums berücksichtigt das. Die Akteure müssen wissen, dass sie sich in einer Lehr-Lern-Situation befinden. In einer Lernsituation im Museum werden sich die Schüler*innen anders bewegen als mit ihrem Alltagshabitus. Die pädagogische Angebotsstruktur verändert sich, da die digitalen Medien keine Begrenzung mehr kennen. Manche Pädagog*innen werden das bedauern, da so Tür und Tor für Ungewissheit und Kontingent geöffnet sein werden. Doch nun ist die Selbstregulation, das kritische Denken und die ethische Positionierung zur Welt gefragt. Die Lernenden wählen aus, suchen und verwerfen. Im digitalen Raum werden die Angebote durch die dort agierenden Akteure erzeugt. Die Lehrkraft begleitet sie dabei. »Das Ziel des Lernprozesses ist gerade nicht, dass die Lernenden eine gleiche Beziehung zum Gegenstand entwickeln wie die Lehrperson, sondern einen eigenen, individuellen Zugang. Zudem ist offensichtlich und erwünscht, dass die Lernenden sich dem Gegenstand nähern ohne die Lehrperson als Mittelsperson. Sie ist also gerade nicht Vermittler*in im Sinne von »Medium«, von »dazwischen«, sondern
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eher »Verkuppler*in«. Einmal miteinander in Kontakt gebracht sollen Lernende und Lerngegenstand durchaus Eigendynamik miteinander entwickeln, auch unabhängig von der Lehrperson.« (Arn 2020) Die Rezeptionsanforderungen. Die vormals vorhandene Symmedialität von Text und Bild wurde mit der Einführung des Buches als Massenmedium zunehmend aufgehoben und zugunsten des Textes entschieden. Damit einher ging, dass die Informationsverbreitung den Ort und die Zeit aufhob. Die Rezeption wird zu einer Angelegenheit, die alle je für sich leisten müssen. Mit den digitalen Medien erleben die Multimodalität und die Symmedialität eine Renaissance. Text, Bild und Musik treten zusammen auf und verweisen in der je eigenen Sprache aufeinander. Zwischen der Oralität und der Schriftlichkeit entsteht eine andersartige Multimodalität, die die schriftliche und mündliche Kultur vereinigt. In den 1990er Jahren entwickelt Shigetaka Kurita digitale Emojis für einen großen japanischen Mobilfunkanbieter. Die sehr einfachen Emojis von 12 x 12 Pixel Kantenlänge waren sehr einfach ausgeführt, unterlagen keinem Copyright und verbreiteten sich sehr schnell. Diese Kleinstbilder drückten eine emotionale Lage durch eine eindeutige und konventionalisierte Bildsprache aus und ersetzen teilweise eine weit ausholende Beschreibung. Das geht so weit, dass 2002 der chinesische Künstler Xu Bing das Buch »Book from the ground« herausbrachte, das eine Geschichte unter alleiniger Verwendung von Emojis erzählt. Auch das Mobiltelefon (oder Handy) erzeugte eine spezifische Sprache der Knappheit (SMS mit 160 Zeichen), die von den »alten« Medien (Buch) aufgegriffen wird, die nicht unter der Knappheit leiden. Auch die Sujets verändern sich, indem die Digitalität zum Gegenstand von Erzählungen und Filmen wird. Die Producer. Die neuen Anforderungen an die Teilnehmer*innen der Mediengesellschaft werden mit Alvin Tofflers (1983) Wortschöpfung des »Prosumers« thematisiert. Obwohl bereits mit dem Fotoapparat oder dem Camcorder jede*r zum Produzent*innen werden konnte (vgl. »Deutschland privat«, ein Filmprojekt von Robert van Ackeren aus dem Jahr 1980, der die mediale Selbstdarstellung der Deutschen dokumentiert), war die gesellschaftliche Teilhabe auf diesem Gebiet exklusiv. Erst mit den sozialen Medien, den Möglichkeiten der Publizität im Netz kann jede*r Produzent*in und Konsument*in sein und an die Öffentlichkeit treten. Beispiele wie Wikipedia, Blogs wie WordPress, Vlogs wie YouTube oder Open Source Software zeigen die Wirkungsmöglichkeit. Daraus erwächst auch ein Bildungsauftrag, der die Teilhabe in der Digitalität zu ermöglichen hat. Die digitalen Medien treten mit dem Diktum der Außenorientierung in den pädagogischen Raum ein und öffnen den Raum zu einem hybriden pädagogischen Raum.
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Medien haben eine Didaktik. Es wäre ein Missverständnis, wenn Medien so verstanden werden, dass sie das Handeln der Menschen determinieren. Besser ist von einer Ko-Evolution zu sprechen, ohne darunter einen Determinismus zu vermuten. Medien besitzen eine Absicht, die durch den bzw. die Autor*in der Software formuliert wird. Es ist eine Möglichkeit, die Welt zu erfahren. Zugleich gibt es auch die Dekonstruktion, die Medien auf eine ganz spezielle Art zu gebrauchen, wie es als sinnvoller angesehen wird. Das hat sicherlich seine Grenzen. Letztendlich steht immer noch die Wahl zur Verfügung, das Angebot nicht anzunehmen. Entgegen der weit verbreiteten Annahme bei der Unterrichtsplanung, dass es eine Inhalt-Medien-Relation, also das passende Medium für den Transport eines Inhalts gibt, modelliert das Medium den Inhalt selbst. So kann in einer Mail beispielsweise mehr gesagt werden als bei einer Twitter-Nachricht, der Chat hingegen eröffnet die Möglichkeit von Rede und Widerrede usw. Medien ziehen eine Sozialform nach sich. Die pädagogische Praxis im digitalen Umfeld ist in dem Sinn hybrid, dass sich die Gruppen anlassbezogen treffen. Das pädagogische Zeigen wird durch die pädagogische Begleitung erweitert. Der relative pädagogische Raum entsteht durch die Lernsituationen. Das pädagogische Verhältnis ist nicht über den unmittelbaren Raum konstituiert, sondern über die Relation der Begegnung mit den Schüler*innen. Die Kommunikation und Interaktion sind »vagabundierend« und zugleich verbindlich. »Vagabundierend« ist sie zu nennen, weil die Akteure sich nicht mehr zur gleichen Zeit und am selben Ort treffen müssen, um gemeinsam etwas zu schaffen. Es ist eine soziale Parallelität. Die Abwesenheit wird nun durch eine allgegenwärtige Präsenz ausgetauscht, bei der die Abwesenheit keine Rolle mehr spielt, weil An- und Abwesenheit immer mit Körperlichkeit verbunden waren. Das hat aufgehört. Das Netz arbeitet ausschließlich unter der Prämisse der Anwesenheit. Wir können zu jeder Zeit ins Netz gehen und direkt interagieren, egal zu welcher Zeit und an welchem Ort wir uns befinden. Die Schule und der Unterricht sind ein Knotenpunkt. Mit dem hybriden pädagogischen Raum wird der Raum nicht pauschal, sondern besonders. Zu berücksichtigen ist, dass sich über den Körper die Welt einschreibt, mit dem Körper bringt sich das Subjekt in die Welt ein (Rosa 2019, S. 146). Die partikulare pädagogische Situation im Sinne von Benner wird zu einer besonderen, wenn sie aus dem plakativen Territorium der Schule in der Besonderheit des Hier und Jetzt begründet wird. Der hybride pädagogische Raum gründet sich durch die Lehrkraft und die Schüler*innen, indem der zunächst unpädagogische Raum durch das Einverständnis der Akteure konstituiert wird. Digitale Umgebungen sind in dem Sinn nicht körperlos. Im Gegenteil, die Digitalität hat den analogen Raum zur Voraussetzung. Übersehen wird schnell, dass ein Akteur immer irgendwo ist. Dieses Irgendwo macht den plakativen Raum zum besonderen Raum. Ein solcher relativer Raum bezieht die
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umgebenen Artefakte ein und erzeugt den pädagogischen Raum durch die hybride Form des zugleich Hier- und Dortseins. So sind wir nie nur online, existieren nie nur über den Bildschirm. Solche pessimistisch zugespitzten Sichtweisen (vgl. Rosa S. 156ff.) haben eine heimliche Vorstellung von Natürlichkeit, die die artifizielle Zurichtung der Welt (vgl. Latour 2017), der Praxis vor Ort, der Habitualisierung des Körpers übersehen. Das »riechende Papier« (Rosa 2019, S. 156) ist ein Massenprodukt, das plötzlich eine romantische Reminiszenz an eine scheinbar natürlichere Zeit darstellt, die den »flimmernden Bildschirmen« (Rosa 2019, S. 156) entgegengehalten wird. Wenn im Territorium die Medien das Innen kommunizieren, werden nun die Medien die Basis, den hybriden Raum zu konstruieren. Medien bilden den kommunikativen Raum, der unter dem Vorzeichen der Pädagogik eine Differenz zur Umgebung erzeugt, ohne die Umgebung auszuschließen. Die Pädagogik kommt in die Lebenswelt und bezieht sich nicht mehr allein auf sie.
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Lernen ist bei den Dingen sein
Lernen passiert, es wird nicht gesehen und nicht bemerkt. Lernen kann beabsichtigt, doch nur im Nachhinein festgestellt werden. »Lernen« erfolgt, wenn zwischen den Zeitpunkten t1 und t2 eine Veränderung sichtbar wird. Wenn beispielsweise das Gelernte anschließend ohne fremde Hilfe wiedergeben bzw. angewendet werden kann. Schlägt das fehl, dann hat die Person nicht »gelernt«, sondern es lediglich versucht. Insofern ist Lernen auch ungewiss. Lernen ist der selbstverständlichste Begriff, wenn über Schule gesprochen wird: »Man geht zur Schule, um zu lernen.« Niemand würde eine solche Aussage ernsthaft infrage stellen. »Lernen« ist die Legitimations- und Rechtfertigungsgrundlage für das pädagogische Handeln in der Schule. Prange (2012) spricht von der »Betriebsprämisse« (S. 88) für das pädagogische Handeln. In der Schule, im Unterricht, findet ein professionell angeleitetes und zurechenbares Lernen durch spezifische didaktische sowie methodische Handlungen statt, die exemplarisch die Erfahrung der Lernenden auf künstliche Weise erweitern (vgl. Benner 2001, S. 232). Während in außerschulischen Medien das Lernen im Alltag spontan beginnt oder aufhört, wird Lernen in der pädagogischen Praxis planvoll begonnen und beendet und der »Erfolg mit Hilfe von Prüfungen [kontrolliert]« (Benner 2001, S. 232). In solchen Testphasen erhalten die Schüler*innen Materialien und Aufgaben, um den Lernerfolg zu zeigen. Werden die Diskussionen um das Themenfeld »Lernen in digitalen Umgebungen« angeschaut, kann schnell festgestellt werden, dass das Wort »Lernen« mal strategisch, manchmal gedankenverloren, teilweise selbstverständlich usw. benutzt wird.
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»Die gegenwärtige Diskussion über den Einsatz der neuen elektronischen Medien im Unterricht verkennt diese Zusammenhänge, wenn sie weiterhin mit dem Wissens- und Lernbegriff operiert, den die Buchkultur zu ihrer Selbstvergewisserung entwickelte.« (Giesecke 2007, S. 485) Mal wird behauptet, dass in digitalen Umgebungen besser gelernt wird, mal wird das bestritten – hinter solchen Positionen stehen oftmals implizite Annahmen über das (angeleitete) Lernen. Hier soll zweierlei versucht werden, einerseits einen hinreichenden Lernbegriff aufzuzeigen, andererseits den Anschluss zum hybriden pädagogischen Raum zu beschreiben, der Kennzeichen für das Lernen in digitalen Umgebungen ist. Lernen als kognitive Verarbeitung. Eng verzahnt ist der Begriff des Lernens mit der Kognition. Allgemein stellt sich die Kognitionswissenschaft das Lernen metaphorisch als »Informationsverarbeitung« vor, die »in« der Person stattfindet. Im Subtext wird behauptet, dass das »Angeeignete« dann »Eigentum« der Person sei, da es nun »in« ihr sei und der Person zugerechnet werden kann. »Jemand hat etwas gelernt, meint, dass es nun ein Teil der Person sei. Das »geistige Eigentum« gibt davon beredet Zeugnis ab. Der Geist (»Mind«) wird in dem Zusammenhang oftmals dem Organ »Gehirn« zugeordnet. Lernen findet »im Gehirn«, manchmal auch »durch« das Gehirn mit neuronalen Vernetzungen statt (Veränderung der Netzstruktur). Doch wie plausibel ist eine solche Beschreibung? Zunächst kann entgegnet werden, dass »Daten« erst durch vorgeschaltete Ordnungsregeln zu Daten werden, »Informationen« eine Bedeutung besitzen und nicht neutral sind, und »Wissen« als eine zweckdienliche Verbindung von Informationen in einem spezifischen Kontext beschrieben werden kann. Es handelt sich also um artifizielle semantische Gehalte in einem Zeichensystem (Sprache), die nicht ohne Weiteres in neuronalen Strukturen aufgehen. Das kann an einem Gedankenexperiment von Putnam (1999, S. 72ff.) verdeutlicht werden, das nachweisen soll, dass die Wortbedeutungen nicht a priori bekannt sind, sondern weitere externe Faktoren hinzukommen (semantischer Externalismus). Für das Gedankenexperiment hat er eine Zwillingserde erfunden, die mit unserer Erde identisch ist, außer, dass es dort statt Wasser (H2O) den Stoff H2O2 gibt. In beiden Fällen sprechen die Bewohner*innen jedoch von »Wasser«. Für den hier stehenden Zusammenhang ist das daraus abgeleitete Gedankenexperiment von Kreiz (2008, S. 170ff.) interessant, um das »Lernen« als neuronalen Prozess zu problematisieren. Es wird angenommen, dass sowohl eine Person A auf der Erde das Wort »Wasser« als auch eine Person B auf der Zwillingserde das Wort »Wasser« lernt. Beide haben eine identische neuronale Struktur, nachdem sie die Begriffe gelernt haben. Doch während Person A das uns bekannte Wasser meint, meint Person B das Wasser in der Zusammensetzung von H2O2. Obwohl also die neuronale Struktur gleich ist, liegt ein unterschiedlicher semanti-
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scher Gehalt vor. Die Schlussfolgerung ist, dass es nicht plausibel ist, anzunehmen, dass die neuronale Struktur mit »Denken« gleichzusetzen ist. Insoweit werden wir nicht »gedacht« (passiv), sondern wir denken. Denken passiert wie Sehen, Hören und Riechen, weil Denken ein Sinn ist. Denken ist unmittelbar und nicht beobachtbar. Entweder wir haben einen Gedanken oder nicht. Ein Gedanke ist der Inhalt des Denkens. Die Phänomenologie spricht hier davon, etwas als Etwas wahrzunehmen, zu denken. Das Lernen wird durch eine Außen-Innen-Differenz angezeigt, ohne das Außen selbst zu einem Faktor des Lernens zu machen. Die anderen und die Dinge sind Anlässe, Faktoren, doch am Lernen selbst nicht beteiligt. Doch der Verweis auf die »Kognition« ist problematisch. Zunächst kann gesagt werden, dass kein eindeutiger Begriff der Kognition vorliegt (vgl. Walter 2014). Wenn von Kognition gesprochen wird, dann wird darunter verstanden, Probleme zu lösen, die Umgebung wahrzunehmen und dass aus Fehlern gelernt werden kann, Relevantes von Irrelevantem zu unterscheiden, aus Erfahrungen seine Schlüsse zu ziehen usw. (vgl. Stephan/Walter 2013). Im weiten Sinn wird unter Kognition auch das Denken subsumiert. Bei näherem Hinsehen ist unklar, was darunter zu verstehen ist. Wenn jemand denkt, zu sich selbst spricht, wenn jemandem »plötzlich« etwas einfällt (das Außen fällt ins Innere hinein), dann werden Worte benutzt. Wie Wittgenstein aufzeigt, ist die Sprache keine Privatsache, sondern die Nutzung eines allgemeinen Zeichensystems, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass es situations- und personenungebunden benutzt werden kann. Die Worte selbst sind artifiziell, eine Erfindung, um »die Welt« durch Zeichen repräsentieren zu können. Beispielsweise wird ein Gegenstand, auf dem wir sitzen können, als »Stuhl« bezeichnet. Die Bezeichnung aus Buchstaben ergibt das Wort »Stuhl«, der nach der herrschenden Konvention so bezeichnet wird. Das Wort ist die Repräsentation des Gegenstands, ohne der Gegenstand selbst zu sein. Die Repräsentation, das Wort ist nicht die Kognition, die ja etwas anderes sein muss, um diese Repräsentation zu realisieren. Doch was ist dann die Kognition als Differenz, als Träger für diese Repräsentation? Die Kognition muss scheinbar selbst eine Sprache besitzen, um eine »Repräsentation« der Repräsentation zu erzeugen. Überlegungen solcher Art gehen davon aus, dass die Kognition eine Form von »nicht abgeleiteter Repräsentation« darstellt, dass es neben den artifiziellen symbolischen Repräsentationen der Welt – also beispielsweise unsere Sprache und deren Zeichensystem, den Bildern und deren spezifische Codierung usw. – eine »Sprache der Kognition« gibt, die quasi nicht kulturell überformt und quasi »natürlich« ist (vgl. Adams/Aizawa 2017, S. 241). Fodor hat diese Position bezogen, indem er folgende Behauptung aufstellt, wobei »O« einen Organismus bezeichnet.
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»O ist genau dann in einem intentionalen Zustand des Typs A mit dem Inhalt p, wenn sich O in der Relation R zu einer mentalen Repräsentation m befindet und m die Bedeutung p hat.« (zit.n. Beckermann 1997, S. 2) Die Kognition an sich kann nicht zugleich der Vorgang und die Repräsentation selbst sein. Einige Autor*innen wie Adams und Aizawa (2017) verweisen auf Fodors Begriff des »Mentalesischen«, um die spezifische »Sprache des Geistes«, der Kognition zu benennen. Doch selbst dann benötigt das »Gehirn« (als Subjekt?) Informationen, die selbst wiederum eine Repräsentation darstellen und selektiv bzw. diskriminierend sind. Zugleich wird ausgeschlossen, dass es nicht die elektrischen Impulse und chemischen Prozesse zwischen den Synapsen von neuronalen Systemen sein können, denn diese Annahme hätte als Folgeproblem, die Relation zwischen Materie und Geist zu lösen – ein Problem, mit dem man sich seit den Meditationen von Descartes herumschlägt. Letztlich kann die Frage nicht beantwortet werden, wie physische Ursachen nicht materielle, mentale Ereignisse erzeugen (zum Stand der Hirnforschung vgl. Falkenburg 2012, S. 107ff.). Nicht überzeugend ist, dass die Außen-Innen-Differenz aufrechterhalten wird. Eine solche Vorstellung geht auch mit dem hybriden pädagogischen Raum einher, der von einem vernetzten Lernen ausgeht, bei dem das Subjekt mit seiner Umgebung, der Praxis und den Aktanten aktiv verbunden ist. Deshalb soll nun geschaut werden, welche Wirkkraft die Umgebung auf das Denken und Lernen besitzt. Die Überlegungen zum hybriden pädagogischen Raum gehen davon aus, dass die Umgebung selbst der Anlass ist, um zu lernen. In einem ersten allgemeinen Zugriff kann laut Prange gesagt werden, dass Lernen menschlich ist (vgl. Prange 2012, S. 58). Gemeint ist damit, dass Lernen immer stattfindet und kein besonderer Zustand ist. Wir lernen ständig und wissen es dabei eigentlich nicht. Wir können gar nicht anders existieren als in dem Dauermodus des Lernens zu sein. Dabei eröffnet die Umgebung Möglichkeiten des Lernens. In dem Sinn ist Lernen kontextualisiert (Batson 1985, S. 372ff.). Das Gelernte selbst ist in einem doppelten Sinn verortet. Einerseits lernen wir etwas als Etwas immer irgendwo, weil wir leiblich und körperlich geerdet sind und befinden uns in artifiziellen Umgebungen. Das Verständnis über »Lernen« besitzt immer auch einen historischen und technischen, letztlich medialen Hintergrund, der durch das Leitmedium charakterisiert wird. Weiterhin wird der Lerngegenstand selbst in einem bestimmten Zusammenhang (Kontext) angeeignet. Das Gelernte soll dann in einem anderen Kontext angewandt werden. Wenn also Lernen immer auch Veränderung bedeutet, dann betritt es auch den Lernkontext. Das Gelernte anzuwenden bedeutet, dass zunächst ähnliche Kontexte erkannt werden, um das Gelernte dann anwenden zu können. Mit dem Lernen wird das Signifikante, das Verallgemeinerbare des Kontextes mitgelernt, um es später als »ähnlich« für die Anwendung zu erkennen.
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Gleichwohl ist das Lernen nicht auf die Kognition zu reduzieren, denn das Lernen ist nicht körperlos (vgl. exemplarisch Jörissen/Kröner/Unterberg 2019). Die kognitiven Ressourcen sind nicht nur im Inneren des Subjekts zu suchen, sondern auch im Kontext des Handelns als eine »entire interacting situation, including mind, body and environment« (Wilson 2002, S. 630). Lernen ist in dem Sinn, bei den Dingen vor Ort zu sein, weil sich Lernen auf eine Welt richtet, wie wir sie verstehen – und nicht, wie sie an und für sich ist. In der heute noch bestehenden Tradition des Geniegedankens besteht die Vorstellung, dass das Individuum ein Container sei, in den das Wissen einfließe, in dem es aufbewahrt werde und durch das Subjekt anlassbezogen wieder in Erscheinung trete. Das »Gelernte« wird kontextlos verstanden, um es in jedem Kontext anzuwenden. Die Orte und artifiziellen Dinge der Welt verschwinden durch eine Entkontextualisierung, weil das Wissen davon vollkommen losgelöst vorgestellt wird. Angenommen wird, dass der aktuelle Kontext, wenn er nicht exakt gleich ist, in dem das Lernen sich vollzog, zumindest ähnlich sei. Vergessen wird jedoch darüber, dass die Anwendung selbst ein Lernprozess ist, der den spezifischen Ort, den Kontext realisieren muss, um das »Gelernte« anzuwenden. Unthematisiert bleibt somit in dem Zusammenhang die Tatsache, dass diese Anwendung selbst eine Strategie besitzt, die »gelernt« wird. Ableiten ließe sich, dass beim Lernen gelernt wird, mit der Summe von Alternativen und der Auswahl der Möglichkeiten umzugehen (vgl. dazu Bateson 1985, S. 379ff.). So ist der Körper im Lernprozess die Schnittstelle, der Ort eines interaktiven Kontakts (Hagendorff 2017, S. 112) zur konkreten (Um-)Welt. Alle Praktiken setzen den Körper explizit oder implizit voraus, da Praktiken auch nicht abstrakt sind, sondern konkret vor Ort passieren und in Erscheinung treten. »Legte das Denken nicht selbst in die Dinge hinein, was es je in ihnen zu finden vermag, es wäre ohne Zugang zu den Dingen.« (Merleau-Ponty 1966, S. 423) »In-der-Welt« gibt es auch das »Zuhandene« (artifizielle Dinge wie Tische, Stifte, Bücher, Smartphones usw.; vgl. dazu Latour 2007, 2017; Reckwitz 2018, Vareila/Thomson/Rosch 2016) mit seinen Verweisungen auf den sozialen Gebrauch und Sinn (Heidegger 2001, §18), die auffordern, in Besitz genommen zu werden und sich durch das Benutzen in den Körper im Sinne der »Hand-Habung« einschreiben: Artefakte werden für etwas geschaffen und wirken als Geschaffene auf die aneignenden Subjekte prägend zurück: »The tools and culture are indeed as much determiners of our nature as products ft h« (Clark 2003, S. 86). Die sich in der Aneignung der Dinge zeigenden »sozialen Praktiken« bilden mit den anderen eine »Öffentlichkeit« im Sinne von Hannah Ahrend (1987, S. 52), in der durch die Begegnungen zwischen Alter, Ego und Dingen (Triangulation) ein Verständnis über die Welt geschaffen wird. Die sich dort abspielende (lokale) »soziale Praktik« in Form einer »Mikrologik« des Verhaltens ist sowohl eine körperlich-leibliche Form von Wissen(-saneignung), die sowohl explizit als auch implizit
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in »sozialen Feldern« erworben wird (Reckwitz 2003, S. 292) als auch Erzeugung einer kognitiven Struktur, die als »a nexus of doings and sayings« (Schatzki 2012, S. 15) zu verstehen sind. Ein »Lernen« kann einsetzen, weil das Subjekt ein sinnlich-körperliches Wesen (vgl. Merleau-Ponty 1974; Meyer-Drawe 2012), ein »Urmedium« (Waldenfels 2002, S. 36) ist und responsiv auf die Umgebung reagiert und »heterogene Dispositionen« (also nicht festgeschrieben ist) besitzt (vgl. Alkemeyer/Buschmann/Michaeler 2015, S. 37). Resonanz ist nach Rosa (2019) eine Weltbeziehung, bei der sich Subjekt und Welt gegenseitig berühren, eine Antwortbeziehung besitzen (S. 298). Es ist ein Modus des »In-der-Welt-Seins« (S. 285), der in einem Wechselverhältnis steht. Wenn von der Anwesenheit gesprochen wird, dann ist der sensomotorische Leib gemeint. Das Nervensystem besitzt keine im Voraus existierenden Informationen, bzw. das Subjekt ist kein vorgängiges Aktionszentrum, indem es natürliche Prädispositionen besitzt, sondern es wird ein Selbst (im Sinne Heideggers 2001, §27) aus dem Zusammenspiel zwischen Körper, Kognition und Umgebung bzw. Kontext (die anderen und die Dinge) aufgrund der Fähigkeit, responsiv zu sein. Der hybride pädagogische Raum entsteht dort, wo sich die Subjekte befinden. Der Kontext ist nicht neutral, sondern konstitutiv und bestimmt darüber, wie der hybride pädagogische Raum ausgestaltet wird. So ist es ein Unterschied, ob sich die Schüler*innen in der Schule treffen, um beispielsweise verschiedene Themen in einer Face-to-Face-Situation vertiefend zu diskutieren, sich entscheiden, einer Übung beizuwohnen, die in der Schule angeboten wird, sich in einem Fach-Forum von zu Hause zu bewegen, ein Tutorial oder eine Präsentation von der Lehrkraft anzusehen oder einen Text online zu lesen bzw. mit anderen zu schreiben. In solchen Umgebungen ist der Körper nicht ausgeschlossen, sondern in einer anderen Form mit der Welt verbunden. In der Face-to-Face-Situation entsteht eine Wechselwirkung zu den Akteuren, eine asynchronen Online-Phase kann punktuell unterbrochen werden (um sich zu bewegen, Seitengespräche führen, die nicht die Kommunikation stören), in einer synchronen Online-Phase werden der Augenkontakt und die Mimik und Gestik in den Vordergrund gehoben. Pausen- und Lernzeiten, individuelle (vertiefende) Lernschleifen, Nachdenken, der Ort des Lernens usw. sind kein Problem der Synchronisation einer 45-Minuten-Stunde, sondern werden in die Selbstregulation der Schüler*innen übergeben und zum Gegenstand des Nachdenkens über das eigene Lernen. Der hybride pädagogische Raum ist in sehr unterschiedlichen Formen mit der körperlichen Präsenz verbunden. Allein die Tatsache, dass sich Schüler*innen in einem Klassenraum treffen, ist kein Garant für eine intensive Begegnung. Werden die üblichen Tischreihen angeschaut, dann kann jeder sich daran erinnern, dass viele Gesichter über den ganzen Tag gar nicht gesehen werden, da die Reihung der Tische nur den Blick auf den Hinterkopf frei gibt. Die Schüler*innen existieren über den Schultag in der Regel nur bis zum Brustkorb, da der Tisch lediglich diesen
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Sichtbereich frei gibt. Das rein auf die Kognition verkürzte Lernen zentriert den Oberleib und richtet den Kopf nach vorne aus. Das Lernen ist in die Welt eingebettet. Wenn wir über den Körper sprechen, dann sprechen wir darüber, dass wir in der Welt sind und auf die Welt lernend reagieren. Das Lernen in der analogen Schule ist künstlich und muss sich immer wieder hinsichtlich der Relevanz für das »Leben« rechtfertigen (Klingberg 1990, S. 60), weil, wie gesagt, der pädagogische Diskurs immer auch das Außen als Subtext besitzt. Insoweit ist die Schule immer mit seinem Außen kommunikativ rückgekoppelt, indem behauptet wird, dass das, was gelernt wird, bedeutsam ist. Das Thema der Lebensnähe, die der Unterricht zu berücksichtigen hat, von Problemen und Aufgaben, die die Lebensnähe als Grundlage besitzen sollen, ist beredtes Zeugnis dafür. Sinnvolles, sinnstiftendes Lernen muss in dem Sinn als in die Umwelt eingebettet verstanden werden und die Umwelt als ein integraler Bestandteil jedes Lerngangs berücksichtigt werden. Nicht das isolierte Individuum lernt, sondern es ist mit seiner Umwelt vernetzt, steht in einer Praxis darin. Lernen ist insoweit nicht »weltfremd« oder aus dem Raum gefallen, es befindet sich im Raum. Das trifft auch für das Lernen und Denken zu, die ebenfalls kein abstraktes Geschenk sind, sondern mit dem Kontext unmittelbar verbunden sind. Auch Merleau-Ponty verweist darauf, dass das »Denken […] nichts ›Innerliches‹ [ist], das außerhalb der Welt und außerhalb der Worte existiere« (1974, S. 217). Das Denken ist sinnlich und gehört zum sensorischen System des Menschen (Gabriel 2018, S. 19). Das Lernen als angeborene Eigenart des Menschen (vgl. Pagel 2012) kann ohne ein »In-der-Welt-Sein« gar nicht vorgestellt werden. Die Verbindung zur Welt ist der Körper. Die »geistige Welt – der Geist – die Welt der Informationsverarbeitung – ist nicht durch die Haut begrenzt« (Batson 1985, S. 583). Lernen ist eine Auswahl von möglichen Wegen, die durch die Umgebung angeboten, stimuliert wird und das Individuum verwickelt. Insoweit kann mit Peschl/Fundneider (2012) von einem »Enabling Space« gesprochen werden, also Rahmenbedingungen für ein Lernen durch physische oder technologische, kognitive, soziale und kulturelle Rahmungen. Der Raum und das Subjekt werden nicht getrennt (Deinet 2012, S. 44). Hackl (2015, S. 147) spricht von der instrumentellen Bedeutungsanordnung der Umgebung, die etwas »bedeutet«, anleitet, anbietet und eine Vorstellung der Angemessenheit besitzt, die, wenn sie nicht erfüllt wird, zu einer Irritation und zu einer Krise führt. Die Umwelt ist durch die artifiziellen Dinge immer auch ein kommunikativer Raum, der die Kognition einbezieht. Doch wie ist das vorstellbar? Zwischen dem geplanten Raum und den darin befindlichen Artefakten besteht eine Verbindung, Vernetzung, die Wissen direkt und indirekt »zur Verfügung stellt«, das dem Akteur Möglichkeiten eröffnet, andere verschließt, weil sie nicht angeboten oder verhindert werden. Andy Clark (2008, S. 28) spricht in diesem
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Sinn von »embedded cognition«. Auch hier wird die Kognition nicht als ein geschlossenes System vorgestellt (siehe weiter oben), sondern als Vernetzung mit der Umgebung. Die Kognition wird als mit der Umwelt vernetzt verstanden: »as sens-makingft he exercise of skillful know-how in situated and embodied action« (Vareila/Thomson/Rosch 1991, 2016, S. XXVI). Der Grundgedanke ist, dass die traditionelle Vorstellung der Begrenzung des Geistes auf das Organ »Gehirn« zugunsten eines weiteren Verständnisses geistiger Ressourcen ausgetauscht wird. Zurückgewiesen wird ein »Organzentrismus« (Fingerhut/Hufendiek/Wild 2017, S. 71), um geistige Prozesse zu erklären. Stattdessen wird behauptet, dass es eine Koppelung zwischen Organismus und extraorganismischen Elementen gibt, die zusammen eine kognitive Struktur bilden. Folgerichtig wird der materiale Prozess als ein intrinsisches Geschehen der Kognition angesehen. Wir gucken nicht von einer Wirklichkeit (Subjekt) in eine andere (Objekt). Wir sind »in« der Wirklichkeit, und zwar »in« einem Sinnfeld und den dazugehörigen Praktiken. Es ist der Ort, an dem Denken bzw. Kognition stattfindet bzw. passiert (die Kognition kann zunächst im weitesten Sinn als Denken bezeichnet werden). Stattdessen wird behauptet, dass es eine Koppelung zwischen Organismus und extraorganismischen Elementen gibt. Das meint zunächst, dass der reflexive Prozess nicht auf das Gehirn beschränkt ist, sondern »in« der Praxis stattfindet. Reflexive Prozesse a) sind verkörpert, d.h. sie sind an die physischen Bedingungen gekoppelt. b) sind situativ eingebettet, d.h. in eine spezifische Umwelt eingebunden, die den Reflexionsprozess mitleiten. c) sind aktiv, d.h. sie werden immer mit einer Praktik verbunden, indem eine aktive Interaktion mit der Umwelt eingegangen wird. d) sind verteilt, d.h. die Reflexionsprozesse verteilen sich auf verschiedene Medien.
Das soll mit aller gebotenen Kürze ausgeführt werden. Wenn Benner (2001) vom autonomen und selbstständigen Subjekt spricht, dann darf es nicht im kantischen Sinne als nach außen isoliertes Subjekt verabsolutiert werden (vgl. Meyer-Draw 2012, S. 24ff.). Vielmehr ist das Subjekt von Beginn an »in-der-Welt« mit den anderen (Heidegger 2001 § 27), somit mit den Artefakten der Außenwelt eng verbunden und vernetzt. Lernen findet in einem Kontext statt, erzeugt den Kontext und ist nicht ortlos. Das Denken ermöglicht dem Menschen Begriffe zu bilden, Inhalte in einen Zusammenhang zu überführen, die Umwelt zu ordnen und letztlich Probleme zu lösen. Denken und Lernen verweisen aufeinander und sind nicht voneinander zu trennen. Die medial vermittelten Inhalte besitzen eine sprachliche Repräsentation. Wenn hier vom Wissen gesprochen wird, dann auch in dem Sinn, dass wir an einem konkreten Ort als körperliches Wesen anwesend sind und nicht
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als ein »Gehirn im Tank«, wie ein berühmtes Gedankenexperiment von Putman es darstellt (1990, S. 21ff.). Wir wissen, wo wir sind, weil wir es fühlen, sehen und riechen. Lernen und Denken ist ein Teil dieses »Gewahrwerdens« (mhd. Gewar, »beachtend«). »Was und wie wir denken, geht nicht darin auf, dass wir uns etwas darüber denken. Denke ich irgendeinen bestimmten Gegenstand G, kann ich nicht sichergehen, dass ich G denke, ohne mir zu G hinzuzudenken, dass es G und nicht G* ist, was ich denke. Deswegen können wir unser eigenes Denken als etwas Fremdes erleben, das uns einfällt. Unser Denken ist Teil des Geschehens und kein von der Wirklichkeit entfernter luftiger Vorgang, so eine Art geistiges Atmen.« (Gabriel 2018, S. 301) Auf das Lernen übertragen heißt Nicht-G, dass der Lerngegenstand G von nicht G* unterschieden sein muss, während er zugleich lernend erschlossen wird. Vor Ort entsteht eine spezifische, konkrete Lernsituation, die in einem globalen Diskurs vernetzt ist (Latour 2017), und zwar nicht in einem determinierenden Sinn, sondern in einem dynamischen Austausch, der den »glokalen« Rahmen kennzeichnet. Polanyi (2016) spricht von proximalem und dentalem Wissen, von nahem und weitem Wissen, das das Lernen rahmt. Das dentale Wissen ist wie ein Hintergrundwissen anzusehen. Jedes Wissen und Lernen ist in einen Kontext eingebunden (vgl. auch Batson 1985) – der betreten und aktiv mitgestaltet wird –, und wenn wir etwas als Etwas verstehen, dann im Sinne unseres Hintergrundwissens. Dafür muss zwischen dem Subjekt und der »Welt« eine Verbindung bestehen. Die Umwelt insgesamt und die artifiziellen digitalen Medien hier im Besonderen, in denen sich die anderen, die Akteure bewegen, stellen eine kognitive Struktur dar, in die das Subjekt eingebettet ist. Die (Um-)Welt« im Sinne der »embedded cognition« ist keine kognitiv vorstrukturierte Welt, sondern sie wird in der sozialen Praktik hervorgebracht und gestaltet (vgl. Thompson u.a. 1991, 2016, S. XXVII). »The body is, on the face ft h, bounded by ist surroundings, which ft he the resources of a person’s action.« (Løvlie 2005, S. 125) Clark (2007) zeigt auf, dass »non-biological informational resources« für die Problembearbeitung kurz- oder langfristig eingebunden werden: »Such a field includes biological resources, environmental structure, and cognitive artifacts such as notebooks and laptops« (Clark 2007, S. 275). »We engineer our own learning environments so as to create artificial developmental cocoons that impact our acquired capacities of thought and reason. Those enhanced minds then design new cognitive niches that train new generations of minds and so on, in an empowering spiral of co-evolving complexity.« (Clark 2007, S. 278)
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Die mediale (digitale) »Umgebung«, die in der Bildung immer schon eingebettet ist, initiiert eine Praktik, indem die artifizielle Gestaltung der Medien (wie Bücher, Bilder, Smartphones usw.) gleichsam gestaltend auf das Subjekt zurückwirken. Bücher, Diagramme oder Taschenrechner (vgl. Clark/Chalmers 1989, S. 8, S. 11) sind Medien, die Informationen, Wissen usw. bereitstellen. Die Universalmaschine Smartphone stellt ständig Wissen zur Verfügung und stellt nach Clark eine kognitive Struktur im Sinne jener Triangulation dar: »[K]nowledge lives not in books or in heads but in the network itself« (Weinberger 2011, S. 45). Es geht weiterhin nicht darum, mit Medien besser oder effektiver zu lernen, sondern es geht um das Lernen »in Medien« als eine spezifische Praktik, die zu lernen ist. Das Lernen von der »Umgebung« zu isolieren, unterläuft das Lernen selbst, weil Lernen nicht Isolierung bedeutet, sondern Einbettung. Die zur Verfügung stehenden Artefakte wie das Smartphone besitzen eine eigene Logik der sozialen Praktik, die nur in der Praktik selbst gelernt werden kann. »Die Arten und Weisen, wie diese gesehen, behandelt, verstanden und gebraucht werden können, sind somit konstitutive Bestandteile der durch Lernprozesse möglich werdenden Praktiken.« (Schmidt/Volbers 2011, S. 31) Lernen als Zurechnung von individueller Anstrengung. Es hat bereits keinen Sinn gemacht, die Mitschriften aus dem zurückliegenden Unterricht während Tests und Klassenarbeiten nicht zuzulassen. In solchen Fällen hätten die Aufzeichnungen einen direkten und lebensnahen Gebrauchswert. Die gleiche Logik wird nun auf Smartphones übertragen. Doch das Smartphone ist eine Universalmaschine, die eine nicht mehr wegzudenkende kognitive Ressource zur Verfügung stellt und eine genuine soziale Praktik besitzt. Der Zugriff auf die mediale und kognitive Ressource besitzt selbst ein spezifisches Wissen, eine Praktik, wie sie auch die Buchgesellschaft kennt: ausgelagertes Wissen sinnvoll abzurufen, Wissen abzulegen (»speichern«), neu zusammenzustellen, abzurufen, wenn die Ressource gebraucht wird. Zusammenfassend kann gesagt werden: Das Subjekt ist, so wurde gesagt, Teil einer Triangulation aus Ego, Alter und Dingen, in der sich lokale Möglichkeitsräume öffnen (können), die durch sich dort abspielenden Brüche, Entscheidungen oder Ausschließungen durch die Akteure (vgl. Alkemeyer/Buschmann/Michaeler 2015, S. 32) immer wieder neu gestaltet werden. Lernen ist ein »in-der-Welt« eingebetteter und medial vermittelter Prozess, um die Verfügbarkeit über die Welt zu erhalten bzw. zu erweitern, weil die bestehende und erworbene Erfahrung problematisch geworden ist. Die »in-der-Welt« vorfindbaren Dinge erzeugen im Zusammenspiel mit den anderen eine lokale soziale Praktik, in der Sinn erzeugt wird. Das agierende reflexive Lernsubjekt ist mit der Umwelt verbunden, indem eine kognitive Struktur mit der umgebenden Umwelt besteht, in der das reflexive Subjekt einge-
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bettet ist. Wie die artifizielle Umwelt durch die soziale Praktik erzeugt ist, wirken die dort vorfindbaren artifiziellen Dinge sozialisierend auf die Subjekte zurück. Lernen ist bedeutsam für das Subjekt, weil es in der Welt ist. Wenn von »Welt« gesprochen wird, dann von dieser als ein Sinnfeld. Die Akteure und Aktanten bilden ein solches Sinnfeld, in dem ein Gegenstand als etwas erscheint. Die soziale Praktik selbst, wie bereits gesagt, eröffnet eine Möglichkeit, was Gabriel (2016) als den Leitsinn eines Sinnfeldes beschreibt (S. 369, S. 378), da das Wissen in einem sozialen Feld offen ist und die etablierten Routinen ein solches Wissen nur so lange tragen, bis es zu einem »besseren Wissen« kommt. Das Lernen wird ausgelöst, wenn die routinierte Vernetzung mit der Welt gestört ist (vgl. auch Alkemeyer/Buschmann/Michaeler 2015, S. 38) und dem Subjekt etwas widerfährt, was der Erfahrung (Waldenfels 2002, S. 278) widerspricht. In der Schule ist die »Widerfahrnis« ein »künstlich erzeugtes Geschehen«, eine Simulation (im Sinne von Benner), um eine »exemplarische Wirkung« zu erzeugen. Die antizipierte Erwartung der Lernenden wird nicht erfüllt (vgl. ähnlich Waldenfels 2002, S. 99ff.) und zum Lernanlass genommen. Lernen erzeugt eine Krise, eine Irritation in der pädagogischen Umwelt. Das Problem wird an die Schüler*innen herangetragen. Eine andere Herangehensweise zeigt sich im hybriden pädagogischen Raum. Dort werden die Probleme, die Themen von den Akteuren gegründet (siehe dazu ausführlich Kap. 2) und als besonderer Raum gekennzeichnet, um Irritationen, eine Lernkrise zu bearbeiten. Der hybride pädagogische Raum kann nur entstehen, weil eine solche Problemstellung von den Akteuren ausgemacht wird. »Die Überraschungen des Kontextes können dazu führen, dass die Praktik misslingt oder zu misslingen droht, dass sie modifiziert oder gewechselt werden kann oder muss etc., und die Routine verbietet auf die Art den Charakter der unendlichen Wiederholung«. (Reckwitz 2003, S. 294ff.) Mit dem von Lehrkräften und Schüler*innen ausgemachten Lerngegenstand wird der hybride pädagogische Raum gegründet und als ein Gegenstand der Problembearbeitung in eine Lernschleife (Holzkamp) überführt. Insoweit wird der Lernanlass zum Gründungsanlass für den hybriden pädagogischen Raum. Der Grundgedanke kann auch schon bei Holzkamp (1993) gefunden werden, der Lernen als Praktik des Subjekts versteht, sich die Welt im Rahmen der eigenen Lebensinteressen (S. 21) zu erschließen (S. 268) und dabei eine Diskrepanz zwischen Erwartung und Zugangsmöglichkeit erfährt (S. 212). Es ist, um mit Holzkamp zu sprechen, ein aktives Verfügbarmachen der Umwelt, die vom Subjekt als bedeutungsvoll verstanden wird (S. 22). »Die […] äußeren Bedingungen, die zu Begründungsprämissen (für das Lernen, HJV) gemacht werden […], sind Aspekte […] jener sachlich-sozial bedeutungsvollen Welt.« (Holzkamp 1993, S. 24)
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Die Handlungsmöglichkeiten bzw. die Relevanz der eigenen Lebensbedingungen (Holzkamp 1993, S. 23, S. 169) stammen unmittelbar aus der Welt und sind der Lernanlass. Das Subjekt ist in die so verstandene bedeutungsvolle Welt (Holzkamp 1993, S. 21ff.) konkret eingebettet. Die Sinnhaftigkeit des Lernens bezeichnet Holzkamp als expansives Lernen, worunter die Erweiterung des Weltzugriffs verstanden wird. Damit ist Lernen nicht nur Veränderung, sondern bedeutsam für das weiteres Lernen, wenn sich darauf weitere Lernschritte zur Welterschließung aufbauen (vgl. Holzkamp 1993, S. 147). Lernen in hybriden pädagogischen Räumen ist Entschleunigung in der dynamischen Umgebung des Internets. Metaphorisch beschreibt Holzkamp (1993) das Lernen als eine Lernschleife (Holzkamp 1993, S. 444ff.), wenn das Lernsubjekt daran gehindert wird, auf die Welt zuzugreifen. Lernen in einem solchen Zusammenhang kann als Entschleunigung interpretiert werden. Kennzeichnend ist zum einen auch hier die Krise, ein erfahrenes Defizit in der Welterschließung und zum anderen eine fokussierte Umweltinteraktion, indem ein Problem als ein Etwas ausgemacht wird, als das ausgemachte Problem, das zu lösen ist. Eine Schleife, die sich wie ein Einkreisen vorgestellt werden kann, hebt bildlich gesprochen die Linearität des Zeitflusses auf, um sie durch eine einkreisende Bewegung zu ersetzen. Mit der Einigung der Akteure, den Gegenstand zu einem Gegenstand des Unterrichts zu machen, wird der hybride pädagogische Raum gegründet: Die Akteure gehen in den intendierten Lernprozess. Entscheidend ist, dass das Lernen den konkreten Kontext, in dem sich die Akteure befinden, maßgeblich für das Problem ist, da Probleme ohne einen Kontext nicht existieren – es gibt keine Probleme an und für sich (vgl. auch Baecker 2007, S. 108ff.). Im Unterschied zum herkömmlichen Unterricht entsteht im hybriden pädagogischen Raum das Problem nicht allein durch die Lehrkraft, sondern in der hybriden Umgebung des Internets, in dem auch andere Akteure Deutungs- und Lernangebote machen. Das Gewahrwerden der eigenen Krise, einen ungehinderten Weltzugriff zu haben, resultiert in dem Entschluss zu einer Lernschleife, die den hybriden pädagogischen Raum konstituiert. Der Entschluss zur Lernschleife fällt in eins mit der Entschleunigung der fluiden Umgebung des Netzes. Verbunden ist damit eine Deregulierung und Desynchronisierung von Lernen, die schon im herkömmlichen institutionell getakteten Unterricht angelegt sind und diesen an seine zeitökonomische Grenze bringt. Wie gesagt, ist der hybride pädagogische Raum durch seine fluide Umgebung gekennzeichnet, der nicht mehr allein durch das Territorium auszumachen ist, sondern durch den Entschluss für einen Lerngegenstand und eine Entschleunigung. Im Unterschied zum hybriden pädagogischen Raum besitzt der territoriale pädagogische Raum eine eigene institutionelle Zeitzone der Entschleunigung, um die gesellschaftliche Erfahrung zu simulieren (Benner). Die Schule fungiert dabei als eine Zone, die als Ganzes außerhalb des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses liegt und einen Teil der
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Akteure zeitlich freistellt. Zugleich ist dieser institutionelle Raum selbst wieder einem Zeitdruck und einer Zeitökonomie ausgesetzt. Die dort herrschende Beschleunigung wird in einer Inhalts-Zeit-Relation gemessen: Wie viel Stoff kann in einem Schuljahr, einer Unterrichtsstunde effektiv unterrichtet werden? Dazu wird eine Zeitökonomie eingeführt, die zwei Dinge zu erfüllen hat: dass ein allgemeiner institutioneller Stundentakt erfüllt wird, innerhalb dessen die individuelle Lerngeschwindigkeit zu berücksichtigen ist. In der Gleichzeitigkeit beider Ansprüche kommt der Unterricht an seine eigene Grenze. Wie ist sich das vorzustellen? Das Exemplarische, also der herausgehobene Inhalt, der stellvertretend für gleiche bzw. ähnliche Sachverhalte steht, besitzt aus dieser Perspektive auch einen zeitökonomischen Aspekt, um Lernen effektiv zu gestalten. Das Exemplarische selbst wiederum gerät jedoch zunehmend auf eine »schiefe Ebene« (slipping slope) im Sinne von Rosa (2016, S. 219), weil der traditionelle Bildungskanon immer undeutlicher wird. Im Kern ist das kein wirklich neues Phänomen, da der Bildungskanon schon lange Zeit unter Druck steht, der nicht erst mit der Wissensgesellschaft einsetzt, sondern für die Moderne insgesamt ein Kennzeichen ist (Rosa 2016). So sagt Eduard beispielgebend in Goethes Wahlverwandtschaften: »Es ist schlimm genug […], dass man jetzt nichts mehr für sein ganzes Leben lernen kann. Unsere Vorfahren hielten sich an den Unterricht, den sie in ihrer Jugend empfangen; wir aber müssen jetzt alle fünf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen.« (Goethe 1956, S. 31) Die Halbwertzeit von Bildung bzw. Wissen erodiert heutzutage in einem unvorstellbaren Tempo (Rosa 2016, S. 245). Nicht mehr wird das Wissen lediglich intergenerativ erneuert, so wie es im Beispiel der Wahlverwandtschaften zu sehen ist, sondern nun auch intragenerativ (Rosa 2016, S. 187). Die jüngere Generation wächst in anderen technisch-wissenschaftlichen Selbstverständlichkeiten auf als die Elterngeneration – die Fernseh-Generation steht der Screening-Generation gegenüber. Bemerkenswert an Eduards Geständnis ist, dass nun jede/r Einzelne selbst dafür verantwortlich ist, sich das nötige Wissen anzueignen. Das Thema des lebenslangen Lernens ist als Reflexionsfigur schon deutlich zu erkennen. Individualisierung kann laut Rosa als die Selbstverantwortung für »Handlungs- und Lebensalternativen, die einher geh[en] mit einer »Verflüssigung traditioneller Vorgaben« (Rosa 2016, S. 357), interpretiert werden. Sie ist ein Kennzeichen der Moderne und greift in alle gesellschaftlichen Bereiche ein. Nicht von ungefähr ist die Individualisierung mittlerweile auch zur Legitimationsbasis des Unterrichts geworden. Das merkt auch das herkömmliche System von Unterricht, das einer paradoxen Forderung ausgesetzt ist. Dem zunehmenden externen gesellschaftlichökonomischen Druck durch Wissensproduktion wird mit einer zunehmenden Zeitökonomie im Unterricht begegnet, indem nach Effektivität und Funktionalität gefragt wird. In dem Sinn entsteht eine Legitimationsbasis für das institutionelle
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Zeitregime der territorialen Schule. Zugleich wird die zur Verfügung gestellte Zeit selbst wiederum vorzeitlich, indem individuelle Zeitregime berücksichtigt werden müssen. Effektivität und Individualisierung des Unterrichts tendieren dazu, den Unterricht selbst zu verflüssigen, da die organisatorisch-tradierte Form des Zeitregimes an sein Ende kommt (Die Grenze der Institution der Schule wird schon lange diskutiert; vgl. beispielsweise Bernfeld 1973, Illich 2017, Röhrs 1991). Weil das Lernen immer ein Subjekt voraussetzt, das in seiner individuellen Art und Weise zu berücksichtigen ist, kollidiert das System an den institutionellen Vorgaben des Zeitregimes (Vielleicht ist es auch ein Kennzeichen, dass das Zeitregime zunehmend an seine Grenzen kommt, dass an vielen Schulen die Schulklingel abgeschafft ist. Sie ist das sichtbarste Zeichen für das Zeitregime in der territorialen Schule). Der hybride pädagogische Raum entsteht im Kontext der Heterogenität des Netzes. Der Begriff des »Rhizoms« (Deluze 1972) verweist auf die Deterritorialisierung (S. 17) und die unkontrollierten Aktionen. Das Netz hat an sich keine institutionellen Lernthemen, sondern die dort sich befindlichen Akteure formulieren Deutungsangebote, die zu konfligierenden Ansichten führen. Das Netz und der hybride pädagogische Raum »machen Rhizom« (S. 17) aufgrund der Heterogenität der diffusen Netzintention, wenn überhaupt davon gesprochen werden kann, und der sich daraus ergebenen Lernintention der Akteure. »Die Umwelt, die Dinge appellieren an das Subjekt und es muss reagieren und kann nicht nicht damit umgehen.« (vgl. Hackl 2015, S. 146; Röhl 2015, S. 242) Mit dem hybriden pädagogischen Raum wird das Netz an der Stelle entschleunigt, weil eine Lernschleife eingezogen wird. Die Entschleunigung kann nur aufgrund der hoch dynamischen Umgebung vollzogen werden, des fluiden Raums des Netzes, der auch durch die Kontingenz und Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist. Der hybride pädagogische Raum ist in dem Sinn der entschleunigte Raum, weil er für die Problembearbeitung konstituiert wird und eine Unterbrechung darstellt. So ist auch das Außen beschrieben, um den hybriden pädagogischen Raum zu erkennen. Die »Deterritorialisierung« der Schule durch den hybriden pädagogischen Raum ist im Sinne eines digitalen Campus zu verstehen. Die Schüler*innen besitzen im Territorium »Schule« Räume zum Arbeiten, es werden Diskussionsräume angeboten, der normale Unterricht, wie wir ihn kennen, wird dereguliert. Doch die Zusammenkunft ist anlassbezogen und in die Verantwortung der Selbstregulation des Einzelnen gelegt. Unschwer zu sehen, ist Lernen mit der Selbstregulation verbunden. Lernen ist ein bewusster Akt, der auch hinsichtlich der Lernerfahrung reflektiert wird. Zusammenfassend kann gesagt werden. Unter Heranziehung materialistischer, phänomenologischer, praxistheoretischer Ansätze und dem Konzept der »embedded cognition« ist Lernen eine Praktik »in-der-Welt«, in der sich das Sub-
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jekt befindet, die sie miterzeugt und mitgestaltet. Die mediale Umwelt des Lernens erzeugt eine nicht zu umgehende Praktik des Lernens und eine spezifische Erfahrung. Sicherlich machte es in zurückliegenden Mediengesellschaften Sinn, Wissen »auswendig« – mhd. »ûzwendig«, ohne Buch – zu lernen. Mit den nunmehr ständig zur Verfügung stehenden digitalen Medien und Wissensressourcen ist eine kognitive Vernetzung, Auslagerung und Entlastung vorhanden, die zugunsten anderer Aufgaben (vgl. Clark 1998, S. 8) eingesetzt werden kann, wie das vertiefte und kompetente Umgehen mit der Fülle von Wissen, der Analyse, Reflexion und ethischen Beurteilung, der quellenkritischen Prüfung kommunikativer Beiträge usw. Weil die digitalen Medien die innere und abgeschottete Organisation des Unterrichts nach außen stülpen und jeder Kontakt einen Außenkontakt darstellt (vgl. auch Baecker 2018, S. 176ff.), muss parallel auch eine neue und andere Aufgabenkultur etabliert werden, die die Vorstellung des abgeschotteten Lern- und Leistungsraums verändert. Lernen und Denken haben etwas mit dem ganzen Subjekt zu tun und können nicht auf den Kopf beschränkt werden. Wo sie sich befinden, mit wem sie etwas gemeinsam machen, welche Zugangsmöglichkeiten des Weltzugriffs es gibt, sind Aspekte, die über die Qualität des Lernens entscheiden. Lernen ist in dem Sinn gar nicht anders als individuelles Lernen zu verstehen. Die Individualität selbst kommt im traditionellen Klassenraum an seine Grenzen und »verflüssigt« den Unterricht. Der hybride pädagogische Raum ist eine Antwort darauf, die unterschiedlichen Lernstrategien zur Entfaltung zu bringen, die in der Forderung nach einer Individualisierung des Unterrichts angelegt sind. Der hybride pädagogische Raum besitzt nicht den einen Lernkontext »Klassenraum«, sondern ist dort, wo Lernen stattfindet. Lernen kann dort stattfinden, wo das Problem verortet wird, es kann jedoch auch in den verschiedenen Räumen der Schule erfolgen; allein, in Gruppen usw. Entscheidend ist, dass die Akteure den hybriden pädagogischen Raum gründen, wenn sie einen Lerngegenstand identifizieren. Lernen findet insoweit nicht in einem luftleeren Raum statt, sondern durch die Praxis der Akteure und die Artefakte, die dem Lernen zur Verfügung stehen. Das verlangt eine andere Aufgabenkultur, ein anderes Verständnis der Problembearbeitung. Nicht seit heute wird gefordert, dass Lernen sinnstiftend und sinnvoll sein soll. In einem solchen Zusammenhang wird für den Unterricht immer wieder die Lebensnähe eingefordert, die die Sinnhaftigkeit, die die Verortung des Lernsubjekts in seinem Lebensumfeld ermöglichen soll. Der hybride pädagogische Raum ist in der Lebenswelt. Der Lerngegenstand wird aufgefunden, wird von den Akteuren aktiv gesucht. In digitalen Lernumgebungen werden die Problemstellungen jedoch nicht allein durch die Lehrkraft angeboten, stimuliert und angebahnt, sondern die Problemlagen werden im Netz gefunden und zum Gründungsanlass des hybriden pädagogischen Raums, der dies bearbeitet.
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Der hybride pädagogische Raum
Das Lernen ist ein stetiger Vorgang des Menschen. Es findet dort angeleitet statt, wo die Akteure einen Gegenstand bewusst ausgesucht haben. Mit der Einigung wird gemeinsam eine Lernschleife eingezogen. Dabei wird die Welt nicht entzogen, sondern alle Hilfsmittel, die es gibt, werden für den formativen und summativen Bereich des Lernens zugelassen. Mit der Lernschleife wird das fluide und dynamische digitale Umfeld im hybriden pädagogischen Raum entschleunigt. Lernen wird als ein Innehalten verstanden, das in der Welt stattfindet. Das Lernen als eine Vernetzung, als ein Eingebettet-Sein in die Welt meint, dass die vorhandenen Ressourcen zu nutzen sind. Das Lernsubjekt formuliert für sich selbst sinnvolle Problemstellungen, um eine erweiterte Weltaufschließung (Holzkamp 1993) zu initiieren. Ziel des Lernens in der Schule ist aber die Autonomie bzw. Selbstständigkeit der Schüler*innen. Lernen hat durchgehend den Subtext seines Endes. Proportional zur sich sukzessiv entfaltenden Selbstständigkeit der Schüler*innen folgt daraus, dass die pädagogische Repräsentation zurücktritt und sich nach und nach selbst überflüssig macht (vgl. auch Benner 2001, S. 91; siehe zum Paternalismus Kap. 4). Mit dem Verweis auf das »lebenslange Lernen« ist ein solches Ende nun in unabsehbare Ferne gerückt. Lernen in der Schule muss berücksichtigen, dass die Teilhabe nicht nur zukünftig gedacht wird, sondern aktuell immer auch einzulösen ist. Dafür steht der hybride pädagogische Raum: Mit der jeweiligen Konstituierung, der damit verbundenen Entschleunigung bildet er ein Außen, das sich jedoch nicht mehr gegen die Kontingenz wehrt, sondern sie als Ausgangspunkt nimmt für das »Zeigen« als Bild pädagogischen Handelns.
5.3
Die Akteure des Unterrichts
Der hybride pädagogische Raum konstituiert sich mit der Zusammenkunft und der vor Ort entwickelnden, bestehenden und sich verändernden Praxis. Der hybride pädagogische Ort wird durch die Digitalität (die Fluidtechnik des Internets), das neue Leitmedium begründet, das alle anderen Medien verändert. Nicht verwunderlich ist, dass sich auch der »Unterricht« verändert und die Akteure eine andere didaktische Position zugewiesen bekommen. Glücklicherweise kann dafür an unterschiedliche didaktische Konzepte angeschlossen werden, die die Akteure vor Ort jenseits üblicher didaktischer Dreieckskonzepte aus Lehrer-Schüler-Inhalt betrachten. Der hybride pädagogische Raum verändert das Selbstverständnis durch die Digitalität der Akteure. Sie stehen sich nicht mehr in einem didaktischen Dreieck gegenüber, sondern werden als Akteure aufgefasst, die in der Glokalität eine eigene Praxis entwickeln. Der Unterricht ist dort, wo sich die Akteure treffen, ist der besondere pädagogische Ort und nicht der plakative Ort der Schule. Schon jetzt
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
soll betont werden, dass die Expertise der Lehrkräfte nicht infrage gestellt wird. Sie wird jedoch anders verstanden, indem die Lehrkräfte nicht die Anbieter*innen, die arrangieren, sind, sondern die Begleiter*innen, die ihr fachliches Wissen moderierend in nicht pädagogischen Umgebungen zur Verfügung stellen, die korrigieren und ein Feedback geben, die eine professionelle Arbeitsbeziehung aufbauen, die auf Glaubwürdigkeit und Wertschätzung abgestellt ist. Die Digitalisierung kann nicht dort weitermachen, wo die analoge Schule versagt hat. In der Regel wird die Planung des Unterrichts den Lehrenden zugerechnet. Die Lehrkräfte müssen auf der Grundlage einer genauen Diagnose zum Lernstand, der Ausgangslage der Schüler*innen eine Planung erstellen, die als Präskription beschrieben wird. Im Unterricht wird im Sinne von Shulman ein »Tailoring« vorgenommen, indem die tatsächliche Entwicklung der Planung angepasst wird (vgl. Shulman 1986,1987). Doch eine solche Planung kommt an die Grenzen des Systems. Was momentan gesehen werden kann, ist, dass die analoge Schule das Lernen zunehmend dereguliert, zugleich jedoch die Rahmenbedingungen bewahrt. Aus Platzgründen kann das Thema an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert werden. Dennoch sollen einige Anmerkungen gemacht werden. Die Schulen werden zu spezifischen Schulen vor Ort, indem die sogenannten Kernthemen des Rahmenlehrplans durch ein schulinternes Curriculum spezifiziert und den Bedingungen vor Ort angepasst werden. Die Schulen selbst sind Institutionen mit einem spezifischen pädagogischen Profil und die pädagogischen Leitlinien sollen im Unterricht ihre Umsetzung finden, indem die Akteure ihre spezifische Praktik ausbilden.1 Parallel gibt es das Thema der heterogenen Zusammensetzung der Schüler*innen in einer Lerngruppe, die in einer Schule vor Ort vorgefunden wird, die vor dem Hintergrund eines normativen homogenen Verständnisses von einheitlichen Zielmargen ausgemacht wird. Folgerichtig verweist Luhmann (1990) darauf, dass eine ausgewiesene Heterogenität am Beginn homogenisiert wird, um sie dann abermals zum Schluss in heterogenen Leistungsniveaus beurteilen und bewerten zu können. Die Individualisierung und Differenzierung sind unterschiedliche diagnostische Sichtweisen, um die Zielerreichung in den gegebenen Rahmenbedingungen erreichen zu können. Die Personalisierung des Lernens geht noch einen Schritt weiter, indem hervorgehoben wird, dass lebensweltliches Wissen die Voraussetzung der Möglichkeit darstellt, Lernen überhaupt möglich zu machen.
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Ich gehe an dieser Stelle nicht darauf ein, dass die Dezentralisierung durch eine Zentralisierung wieder zurückgenommen wird, die beispielsweise durch eine einheitliche Prüfungsordnung, Schulinspektionen und den empirischen Mittelwerten und Rankings der Pisa-Studien erfolgt.
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»Im Gegensatz zur Individualisierung nimmt Personalisierung die soziale Verfasstheit der Lernenden ernst und trägt ihrer vielfältigen Verwicklung mit der Welt Rechnung, die sich in jedem Klassenzimmer zeigt. Lernen ist die persönlichste Sache der Welt, sodass sie die damit in Zusammenhang stehenden Erfahrungen, die Bedeutung, die die Einzelnen damit verknüpfen, niemals vorwegnehmen können.« (Schratz 2018, S. 7) Letztlich ist die Personalisierung von Aufgaben eine weitere Steigerung, um auf die individuell-(lern-)biografischen Bedingungen der Lernenden einzugehen. Der Unterricht in der analogen Schule – die vier Wände des Klassenraums – ist insgesamt hochgradig unter Druck geraten. Die Deregulierung unter den bestehenden Rahmenbedingungen ist ein Kennzeichen dafür. Das serielle Lernen ist gescheitert und es wird gefordert, die Differenzierung und Individualisierung voranzutreiben. Das zeigt sich auch in der Konjunktur von Unterrichtsmethoden, die die Deregulierung im Klassenraum bedienen, wie beispielsweise die Rhythmisierung der Zeit durch Formen wie das Leseduett für unterschiedliche Lesegeschwindigkeiten, die Passung von Anforderungen an die Schüler*innen im Bereich der Individualisierung von Aufgaben, indem unterschiedliche Aufgaben »angeboten« werden oder durch das Angebot von Wahlaufgaben mit unterschiedlichen Leistungsniveaus für die Differenzierung usw. Alle diese Maßnahmen haben wiederum Auswirkungen auf den Unterricht, der nach wie vor am gleichen Ort zur gleichen Zeit stattfindet. Die Aufgabe für die Lehrkräfte besteht darin, die zur Verfügung stehenden 45 Minuten so zu gestalten, dass jede/r diese Zeit individuell und inhaltlich nutzt, alle jedoch zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem vergleichbaren Ergebnis kommen. Es ist nicht verwunderlich, dass ein solches System schnell an die eigenen Grenzen stößt, da die schulische Taktung didaktische und pädagogische Entscheidungen bestimmen. Der gute Unterricht ist der, der eine zeitliche und inhaltliche Deregulierung in Form einer individuellen Passung für den einzelnen Lernenden (Individualisierung) bzw. Gruppen (Differenzierung) verfolgt. Zunehmend problematisch wird die parallel angesetzte institutionelle Taktung von Zeit und Raum, Themen und Inhalten, Förderung und Individualisierung usw. In einem 45-Minuten-Takt sollen individuelle und differenzierte Gesichtspunkte in einer normativen einheitlichen Raum- und Zeitstrecke umgesetzt werden. Im hybriden pädagogischen Raum wird eine solche Taktung nicht mehr zwingend. Die Lernenden sollen in für sie sinnvollen Zeitmargen, an Orten, an denen sie gut lernen, und mit Materialien, mit denen sie gut umgehen können, lernen. Dazu benötigen sie die übergeordneten Kompetenzen und Räume in der analogen Schule, die unterschiedliche Angebote und Ruhe bzw. Lernräume zur Verfügung stellen. Die Kontingenz ist der Regelfall, die Planung als kontrolliertes Angebot
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
muss einem anderen Verständnis folgen, individuelle Hilfe mit dem Ziel der Homogenisierung muss neu diskutiert werden. Lehrende und Lernende im hybriden pädagogischen Raum. Die Lehrer*innen und Schüler*innen müssen eine neue Rolle finden sowie Lernen und Lehren in einer kooperativen Bewegung verstehen. Die Didaktik als Theorie und Praxisanleitung des Lehrens und Lernens (vgl. Jank/Meyer 1996, S. 16ff., S. 92ff.) plant das Handeln der Akteure, also der Schüler*innen und Lehrer*innen in schulischen und nicht schulischen Feldern. Klingberg verweist auf die verschiedenen didaktischen Grundrelationen, indem die Position der Lehrenden und Lernenden in Korrelation von Lehr/Lernprozessen an »definierten Unterrichtshinhalten im Medium der Methode« beschrieben wird (vgl. Klingberg 1990, S. 26). Mit der Digitalität ist zu fragen, ob bzw. wie sich die Grundrelationen zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen verändern, wenn der klare institutionelle Rahmen jeweils im aktuell sich konstituierenden pädagogischen Raum vollzieht. Didaktische Modelle denken über den Unterricht nach, indem sie vor dem Hintergrund der angenommenen Rahmenbedingungen Unterricht analysieren und beschreiben. In der Regel wird das vorhandene analoge Unterrichtssystem als zunächst gegeben gesetzt, um daraus dann Planungsanforderungen zu formulieren. Zugleich ist eine solche Analyse auch durch normative Sitzungen und/oder die jeweilige Wissenschaftsposition rückgebunden. Daraus resultieren dann Annahmen, wie Konstellationen zwischen Lehrer*innen, Schüler*innen, den Inhalten, Methoden und »Medien« zu verstehen sind und wie sie unter den gegebenen Rahmenbedingungen guten Unterricht realisieren können. Die Planung ist eine Form der Präskription, die dann im Unterrichtsprozess situativ angepasst wird. Die Positionen der Lehrkraft und der Lernenden im Rahmen des traditionellen analogen Unterrichts erodieren im wissenschaftlichen Diskurs bereits geraume Zeit, ohne jedoch in der Wirklichkeit des Schulehaltens angekommen zu sein. Alternativ wird der Unterricht nun als ein Angebot verstanden. Schon längere Zeit ist die Unterrichtsplanung beispielsweise davon abgerückt, den vielbesagten Lehr-Lern-Fehlschluss zu bedienen, der besagt, dass das gelernt wird, was gelehrt wird. Lernziele und deren Untergliederung in kognitive, emotionale usw. Ziele werden zugunsten des Kompetenzbegriffs revidiert. Helmke (2012) spricht beispielsweise im Anschluss an Weinert von einem »Angebots-Nutzen-Modell«. »Der Unterricht repräsentiert in seiner Gesamtheit ein Angebot. Diese Sichtweise betont das konstruktivistische Element des Lehr-Lern-Prozesses: Das unterrichtliche Angebot führt nicht notwendigerweise direkt zur Wirkung.« (Helmke 2012, S. 71; Hervorhebung im Text)
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Helmke verweist darauf, dass der Unterricht ein Angebot sei und lehnt sich an ein konstruktivistisches Verständnis des Lehr-Lern-Prozesses an (Helmke 2012, S. 71). Ob dieses Angebot letztlich angenommen wird und welche motivationalen, emotionalen und volitionalen Prozesse freigesetzt werden, hängt von der Wahrnehmung der Schüler*innen ab. Die Lehrkraft macht ein Angebot und die eigenwilligen Lernsubjekte (Holzkamp) entscheiden darüber, ob das Angebot als eine Lernchance aufzufassen ist und sie einen Sinn erkennen, also ob die Schüler*innen zu einem sinnstiftenden Handeln kommen. Die Qualität des Materials ist letztlich davon abhängig, wie es vom Lernsubjekt wahrgenommen wird. Zentraler Akteur ist nach wie vor die Lehrkraft, die den Lernprozess mit einem Angebot initiiert. Die Lehrkraft kommt in den Raum und macht ein Angebot, das dann genutzt wird oder eben nicht. Die Lebenswelt (vgl. dazu Gentzel 2015, 91ff.) der Lernenden ist die Voraussetzung für ein sinnhaftes Lernen. Gemeint ist damit, dass ein Unterrichtsthema bzw. -problematik so aufgebaut wird, dass die Lebenswelt der Schüler*innen darin verankert ist (vgl. Schatz 2018, S. 18, S. 30ff., S. 42). »Personalisierung tritt nicht vorwegnehmend an die Lernenden heran, sondern nimmt den Aufforderungscharakter von Dingen und Situationen für die unterschiedlichen Schüler ernst.« (Schratz 2018, S. 55) Die Lebensnähe des Unterrichts thematisiert auf der didaktischen und methodischen Ebene das Außen der Schule und die Lebensnähe wird als Legitimationsbasis eines guten Unterrichts herangezogen. Bis zu welchem Grad nimmt der Unterricht die Lebenswelt der Schüler*innen zur Kenntnis und berücksichtigt sie – und mit welchen Konsequenzen? Hier deutet sich der hybride pädagogische Raum von seiner anderen Seite an, indem der Lebensraum isoliert und exemplarisch wird. Damit verliert der Lebensraum seinen Kontext, wird pauschal und ist nicht besonders. Die Lebenswelt ist die psychophysische Allgemeinheit des Menschen, die ihn raumzeitlich, letztlich geschichtlich umschließt. Nach Waldenfels ist die Lebenswelt ein Netz von Sonderwelten (1980, S. 26), die sich überschneiden und überlagern und sich einer hierarchischen Anordnung widersetzen oder einer funktionalen Strukturierung entziehen. Die relativen Sonderwelten sind beispielsweise die Welt als Lernender, die neben anderen Lebenswelten als Familienmitglied usw. existiert. In den verschiedenen Lebenswelten ist sie immer konkret und auf die jeweilige Lebenswelt bezogen und insoweit für alle Lebenswelten universell. Die Lebenswelt ist selbstverständlich und wird zunächst unhinterfragt als »normal« hingenommen. Sie ist ein »allgemeines Fundament für die Sinnbildung« (Waldenfels 2016, S. 17). Die Lebensnähe von Handlungen im pädagogischen Raum verfolgt verschiedene Ziele:
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Die Lebensnähe verweist auf sinnvoll erlebte Handlungsfelder im außerpädagogischen Raum. Die Handlungsfelder werden pädagogisch reduziert. Insoweit haben sie eine doppelte Struktur: Sie verweisen auf den außerschulischen Raum, ohne darüber hinwegzutäuschen, sich im pädagogischen Raum zu bewegen. Der außerunterrichtliche Bereich wird als relevant anerkannt und ermöglicht ein sinnhaftes Lernen. Umgekehrt ist Lernen rein deklarativ, wenn es die Lebenszusammenhänge der Lernenden nicht berücksichtigt. Die Lernenden werden sukzessiv in die Selbstständigkeit entlassen, um partizipativ am außerschulischen Leben teilzunehmen.
Insoweit ist der Lebensweltbezug eine Anknüpfung an die jeweilige Sinnbildung des einzelnen Individuums. Daraus ergibt sich, dass die Beziehung auf die Lebenswelt, wenn sie nicht zur Floskel verkommen oder rein technisch-methodischen Charakter haben soll, immer eine Personalisierung darstellt. Es ist das Besondere der einzelnen Person und kein Abziehbild, das man plakativ anbieten kann. Die Schule in der Digitalität wird die bereits bestehenden Forderungen einer konsequenten Partizipation zunehmend in den Mittelpunkt rücken müssen, da das serielle und aus der eigenen lebensweltlichen Praxis herausgerückte Lernen zunehmend keinen Sinn macht. Mit der Digitalität haben wir es mit einer Interregionalität (vgl. Waldenfels 2016, S. 206ff.) zu tun, die verschiedene Räume verbindet, die die Mobilität selbst zum Raum macht, indem analoge und digitale Strukturen genutzt werden, um einzelne Räume zu überwinden. Das Netz zieht sich von der Familie über die Peers in die Schule. Wenn wir im Rahmen der Schule vom Lebensraum sprechen, dann ist es dieser universale Raum, der die Polyzentrik, das »Mehr« oder das »Weniger« der Gegenwart in der Lebenswelt ausmacht. Der geforderte Lebensweltbezug in der Schule entfremdet den Lebensweltbezug, indem er zum exemplarischen Beiwerk wird. Weder die Schüler*innen noch die Lehrenden denken, dass es sich um das »Außen« handelt, das nun Gegenstand der Reflexion ist, indem die Erfahrungswelt auf einen »Nenner« gebracht und in einer Problemstellung bearbeitet wird. »Ein Alltagswissen, das sich selbst befragt, durchleuchtet und rechtfertigt, ist kein Alltagswissen.« (Waldenfels 2016, S. 40) Der hybride pädagogische Ort, der weiter oben beschrieben wurde (Kap. 2), ist die konkrete Planungsebene, die spezifische Praxis der Akteure und Aktanten. Dabei kann nicht mehr von der Geschlossenheit des pädagogischen Raums ausgegangen werden, sondern wir sind in der Lebenswelt der Schüler*innen und deren Expandieren in andere Lebensräume.
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»Mit Praxis werden […] typisierte und soziale intelligible Bündel nicht sprachlicher und sprachlicher Aktivitäten bezeichnet, die in ›sites ft he social‹ (Schatzki) lokalisiert sind.« (Alkemeyer, Buschmann 2016, S. 119) »Unter Praktiken verstehe ich eine offene, raum-zeitlich verteilte Menge des Tuns und Sprechens, die durch gemeinsame Verständnisse, Teleoaffektivität (Zwecke, Ziele, Emotionen) und Regeln organisiert ist.« (Schatzki 2016, S. 33) Die Praktik einer speziellen Schule entsteht durch die Akteure, die Lernenden und Lehrenden aufgrund der spezifischen Bedingungen vor Ort. Dies entspricht der Überlegung von Klingberg, dass die Lehrenden und Lernenden gleichermaßen eine Subjekt- und Objektstellung einnehmen und so die Praxis realisieren. Die Praxis selbst ist, weil der Ort nicht determiniert, sondern erst überhaupt hervorgebracht wird. Solche hybriden pädagogischen Orte sind immer unvollkommen (vgl. Bertau 2015, S. 89) und müssen immer wieder aufs Neue bestätigt werden (vgl. (Alkemeyer/Buschmann/Michaeler 2015, S. 36). Bereits Wolfgang Schulz spricht in seiner »Unterrichtsplanung« (1981) von einer »interaktionistischen Planung (S. 81) und versteht darunter, dass die Planung mit den Schüler*innen gemeinsam vorgenommen werden und vor dem Hintergrund der geltenden Lehrpläne gemeinsam geplant werden soll. Sowohl die Lehrkräfte als auch die Schüler*innen sind gemeinsam für den Unterricht verantwortlich. Zentral ist der kommunikative Akt, der die Interessen der Schüler*innen nicht nur berücksichtigt, indem sie Objekt einer Diagnose sind, sondern eine Subjektstellung einnehmen, indem sie partizipativ eine Praxis des Unterrichtens bilden. Die Akteure im Unterricht werden eher als »Planungspartner« (Schulz 1981, S. 81ff.) angesehen, die gemeinsam den Unterricht gestalten, um ein sinnstiftendes Handeln zu erzeugen. Dabei werden die Unterschiede durchaus berücksichtigt. Die Heterogenität der Lerngruppe wird durch eine Form der Selbstevaluation der jeweiligen Ausgangsniveaus berücksichtigt. Sie werden bei Schulz in dem Sinn reflektiert, indem die verschiedenen Ausgangslagen berücksichtigt werden, die von den Akteuren gemeinsam evaluiert werden (Schulz 1981, S. 83). Die Konzeption von Schulz hebt die Lernenden als Partner*innen hervor. Der Planungsprozess des Unterrichts kann als ein gemeinsamer Akt verstanden werden, um einen pädagogischen Raum zu erzeugen. Der Prozess der gemeinsamen Planung wird als ein Beitrag für den Emanzipationsprozess der Lernenden angesehen und als ein Beitrag zum solidarischen Handeln aufgefasst, um die »Fähigkeit zu fördern, eigene Interessen zu erkennen und wahrzunehmen« (Schulz 1981, S. 23). Letztlich gehört das gemeinsame Planen selbst zum Lernprozess und ist dem nicht vorgelagert (Schulz 1981, S 31). Vor Ort sollen die amtlichen Vorgaben in Form
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des Rahmenlehrplans interpretiert werden, um eine Einbettung in die gegebenen Bedingungen der Lebenssituation der Schüler*innen und Lehrkräfte zu ermöglichen. Ziel ist es, eine zunehmende Selbstbestimmung anzubahnen, eine zunehmende Autonomie zu erlangen und in einem solidarischen Sinn zu handeln. Dazu gehört für Schulz die Selbstregulation, um beispielsweise auch ein gewisses Maß an Entsagung und Frustration zu ertragen (Schulz 1981, S. 41). So kann ein Zusammenspiel von Sachanspruch, Personenanspruch und Gruppenanspruch als ständiger Aushandlungsprozess ermöglicht werden, der durch Selbstregulation, durch kritisches Denken und eine ethische Positionierung beschrieben werden kann. Mit der Digitalität wird die solchermaßen verstandene Planung zu einem Konstituierungsprozess des pädagogischen Raums, der nicht mehr selbstverständlich rahmt, sondern sich dort auffindet, wo die Akteure lernend und lehrend miteinander agieren. Mit dem Planen entsteht der hybride pädagogische Raum als Weltausschnitt, als Perspektive auf die Welt. Zugleich erzeugt die kognitive Landkarte, die durch die Planung erzeugt wird, auch eine spezifische Art und Weise »in der Welt zu sein«. Man kann die Handlungsproblematik als Lernproblematik für eine gelingende Welterschließung im Sinne von Holzkamp (1993, S. 183) an dieser Stelle mit der »moralischen Landkarte« im Sinne von Rosa (2019) verbinden. Jeder Weltzugang geht mit einer schwachen oder starken ethischen Wertung einher, indem sich das Subjekt in eine Position zu den Dingen bringt. Die Schüler*innen und Lehrkräfte bewerten, inwieweit der zu bearbeitende Weltausschnitt, der durch Lehr-LernPlanung konkretisiert wird, die Akteure etwas angeht (vgl. Rosa 2019, S. 227ff.). Für die Schüler*innen hat der hybride pädagogische Raum eine Bedeutung, weil sie aktiv bei der Konstituierung mitreden. Eine »Bewertungslandkarte der Welt« im Sinne von Rosa formuliert, »wie wichtig etwas ist«, »worauf es ankommt« (Rosa 2019, S. 227). Die Selbstregulation und die eigene wertende Positionierung zum Prozess der Welterschließung sind so im hybriden pädagogischen Raum eingebettet. Auch Lothar Klingberg (1990) hebt die Mitgestaltung und Mitentscheidung hervor (Klingberg 1990, S. 46). Zentral ist die Subjektstellung der Schüler*innen im Verhältnis zu den Lehrkräften, die als dialektische Position in den Korrelationen (Klingberg 1990, S. 70) von Lehrkräften/Schüler*innen und Inhalt/Methode (Klingberg 1990, S. 26) beschrieben wird. Mit den Grundrelationen wird ein Wechselverhältnis beschrieben, das aus den Feldern Lehren, Lernen, Inhalt und Methode entsteht. Lehren und Lernen stehen in einem dialektischen Verhältnis, das nicht ausreichend durch die Rollen der Lehrkraft und Schüler*innen beschrieben wird. Hier bilden die Akteure in den verschiedenen didaktischen Feldern eine je eigene Praxis aus, die Klingberg als eine dialektische Beziehung beschreibt. Lernen ist immer auch »Sich-selbst-Lehren (oder Belehren)«, wie Klingberg hervorhebt (S. 41)
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und verweist dabei auf eine Tradition, die bis zu Diesterweg zurückgeht, der von »Selbsterziehung« spricht. Die Schüler*innen nehmen partiell und langfristig als Subjekte des Lernprozesses die Position der Lehrtätigkeit ein, indem sie sich selbst lehren zu lernen (vgl. Klingberg 1990, S. 41ff.). Die Relation kann so interpretiert werden, dass sie das Arbeitsbündnis als Grundlage selbst mitformulieren und Verantwortung übernehmen und so eine Subjektposition einnehmen. Es handelt es sich um eine pädagogische Beziehungsstruktur, die mehr ist als ein Thema des Classroom Managements. Die Relation als gegenseitige Bezogenheit der Akteure aufeinander wird als Selbstbestimmung formuliert, um eine Praxis miteinander zu teilen.
Abbildung 18: Klingberg (1990), S. 26
Interessant ist in dem Zusammenhang, dass Klingberg den Schüler*innen eine eigene didaktische Vorstellung zuschreibt. Die einseitige Lehrerdominanz wird in eine kooperierende Relation umgedeutet. »Wir sprechen bewusst von didaktischen Kompetenzen, um von vornherein zu unterstreichen, dass die Lernenden nicht schlechthin Kompetenzen haben […], sondern dass ihre Kompetenzen auch didaktischer Art sein können, wenn sie sich auf die Planung und Gestaltung des Unterrichts beziehen.« (Klingberg 1990, S. 69; Hervorhebungen im Text; neue Rechtschreibung angepasst) In letzter Instanz gilt die Kompetenz der Lehrkraft (Klingberg 1990, S. 71), da es sich um einen gesellschaftlich legitimierten Auftrag handelt. Zugleich ist die didaktische Kompetenz der Schüler*innen Mittel als auch Zweck der Erziehung (Klingberg 1990, S. 78). Erst die gemeinsame Planung von Unterricht ermöglicht es, sich Freiräume und Entscheidungsspielräume zu schaffen, die den organisatorischen Rahmen im Hintergrund haben.
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Mit den »neuen Medien« verändert sich die Rolle der Lehrkräfte. Die traditionelle Position des Informationsvorsprungs der Lehrenden wird relativiert und nunmehr können auch die Schüler*innen diesen Bildungsvorsprung einnehmen (Klingberg 1990, S. 43). Das Wissensmonopol der traditionellen Schule ist nicht mehr selbstverständlich. Die Grundrelation »Lehren und Lernen« wird im hybriden pädagogischen Raum nicht schon durch den institutionellen Ort der Schule gesetzt, sondern gründet sich durch die gegenseitige Anerkennung in der besonderen Situation als Lehr-Lern-Situation. Aus den didaktischen Feldern »Lehren und Lernen« erzeugen die Akteure vor dem Hintergrund der spezifischen Problemlage und der Anforderungen durch den Rahmenlehrplan einen hybriden pädagogischen Raum. Die Akteure des Unterrichts gestalten, entscheiden, beurteilen und verändern den Unterricht und erzeugen so eine Praxis (vgl. Klingberg 1990, S. 91), die in der Tradition des »mündigen Bürgers« (Klingberg 1990, S. 33) steht. Klingberg verweist darauf, dass die Lernerfahrung und das Interesse der Schüler*innen gleichermaßen den pädagogischen Prozess bestimmen und als Expert*innen ihrer selbst aufgefasst werden müssen. Für die Selbstregulation, das kritische und ethische Denken als Metareflexion besitzen die Schüler*innen zu Beginn noch keine Sprache und Technik. Sukzessiv müssen die Schüler*innen von Beginn an erfahren, reflektieren und schlussfolgern, wie sie mit sich selbst in den hybriden Räumen umgehen. Die Aufgabe des pädagogischen Prozesses besteht neben seiner fachlichen Orientierung darin, zwischen Autonomie und Führen (Litt) zu vermitteln. Die Dialektik besteht im Sinne von Klingberg darin, dass der institutionell geführte Aushandlungsprozess immer den Horizont der Reflexion bildet und immer wieder neu vermessen wird. Die Begründung der Kompetenz der Lernenden wird auf der gesellschaftlichen Ebene durch die demokratische Mitbestimmung legitimiert, auf der ethischen Ebene durch die unhintergehbare Subjektstellung der Schüler*innen, die im Unterricht durch die kommunikative Ebene des Unterrichts immer wieder aktualisiert wird. In den hybriden pädagogischen Umgebungen sind es die Schüler*innen und Lehrkräfte, die eine gemeinsame Praxis erzeugen. Aufgrund der konkreten Mitverantwortung für den Unterricht wird zunehmend die Selbsttätigkeit der Schüler*innen betont und gestärkt (vgl. auch Klingberg 1990, S. 71, auch S. 80f.; siehe auch dazu Paternalismus Kap. 5.3.1). Die Mitgestaltung und Gestaltung des Unterrichts durch die Schüler*innen wird von Klingberg als Mittel und Ziel des pädagogischen Prozesses ausgewiesen. Wenn das Lernen als ein unabdingbarer Faktor des Unterrichts angesehen wird, dann muss es die Aufgabe von Erziehung und Unterricht sein, dass diese Kompetenz bewusst zum Gegenstand des Unterrichts wird und zugleich bei der Planung als Faktor miteinbezogen wird: bei der Planung, der Unterrichtsgestaltung und Reflexion des didaktischen Prozesses (vgl. Klingberg 1990, S. 78). Die von Klingberg
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bezeichnete »Pädagogik von unten« verweist auf die Mitbestimmung bei den Unterrichtszielen, dem Inhalt, der Gestaltung des Prozesses, den Ergebnissen und der Mitverantwortung für den Unterricht (S. 92f.). Auch Klafki (1996) geht von einer Planung aus, die die Schüler*innen in die Verantwortung der Planung einbezieht. Vor dem Hintergrund der von Klafki ausgemachten Schlüsselprobleme sollen die Lernenden verschiedene Fähigkeiten wie Kritikfähigkeit, Argumentationsfähigkeit, Empathie und vernetztes Denken erlangen. Gerade Letzteres verlangt seiner Ansicht nach, dass die den Schüler*innen zur Verfügung stehenden eigenen Ressourcen beachtet werden, da es nicht vordergründig nur um Wissensaneignung geht. Der Unterricht insgesamt soll zur Selbstbestimmung und Solidarität sowie zur Mitbestimmungsfähigkeit der Schüler*innen führen. »Soll Lehren Hilfe zu einem so verstandenen Lernprozeß sein, so muß es selbst für Lernende und in zunehmenden Maß mit ihnen zusammen – eben im Sinn des Selbstbestimmungs- und Solidaritätsprinzips – diskursiv gerechtfertigt und geplant werden.« (Klafki 1996, S. 257; Hervorhebungen im Text) Dabei ist der Unterricht als ein Interaktionsprozess zu verstehen, innerhalb dessen die Schüler*innen zunehmend in eine Selbstständigkeit geführt werden, um selbstreguliert und eigenverantwortlich lernen zu können. Das Lernen selbst wird als ein entdeckendes, nachentdeckendes und sinnhaftes Lernen verstanden. Auch hier verändert sich die Rolle der Lehrkraft, die ein Wissensmonopol besitzt. Schlussbetrachtung. Die Digitalität verstärkt eine Konjunktur, die sich gegen die Vorstellung wendet, dass der Unterricht allein aus der Perspektive der Lehrkraft verstanden wird. Lehrkräfte und Schüler*innen befinden sich in einem glokalen Umfeld, das durch Offenheit und Deregulierung gekennzeichnet ist. Nicht der Mangel an Informationen ist das Problem, sondern mit der schier anwachsenden Informationsflut umzugehen, stellt die Herausforderung dar. Da das Interface an den Körper gerückt ist und nicht mehr anhand der Eingangspforte der Schule ausgemacht werden kann, sind wir in der Schule immer schon auch außerhalb der Schule bzw. im Sinne des hybriden pädagogischen Raums ist die Schule dort, vor sich pädagogische Settings gründen. In der Schule sein heißt, sich immer wieder der Schnittstelle der Institution zu vergewissern, die nicht eindeutig ist. Außerhalb der Schule meint, gemeinsam ein Lernsetting zu gründen. Das »Zeigen« ist die Grundform des pädagogischen Habitus, die nach Prange (2012) etwas aus der Masse herausstellt. Das »Zeigen« wird von Prange als der Grundmodus des pädagogischen Handelns verstanden. Das Zeigen hat ein Verständnis im Hintergrund, da jemand, um etwas zu zeigen, bereits etwas identifiziert, etwas als wertvoll genug ansehen haben muss, um es aus der Masse mög-
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licher Dinge auszusuchen (vgl. auch Knoblauch 2019, S. 48ff.). Dahinter steht eine erzieherische und (be-)lehrende Intention. Interessanterweise hat Prange das »Zeigen« in dieser Hinsicht in zweifacher Weise charakterisiert. Zum einen ist das Zeigen etwas Vergegenwärtigendes (vgl. Prange 2012, S. 66), indem etwas aus dem Möglichkeitsbereich hervorgehoben wird. Es ist der Gegenstand, das Thema, das gezeigt wird, indem es überhaupt erschaffen, zu einem »Gegenstand« gefertigt wird. Zum anderen ist es auch ein Verbergen indem Dinge weggelassen werden, unthematisiert, unintendiert bleiben. Das Verbergen hat wiederum die Intention, dass die Kinder und Jugendlichen nicht alles hören und sehen sollen, das nicht der Intention entspricht (Prange 2012, S. 6ff.). In der Digitalität zeigt nicht mehr die Lehrkraft in einem isolierten Raum etwas als Etwas, wenn sie Dinge hervorhebt oder verbirgt. Im Netz ringt das Zeigen im Rahmen der Aufmerksamkeitsökonomie, da die Producer an Zeit und Aufmerksamkeit begrenzt sind. Im Netz wird die Auswahl, die Konzentration, die Selbstregulation zum Rahmen des Lernens. Die Auswahl meint, dass Lehren und Lernen das Zeigen zum Gegensatz des hybriden pädagogischen Raums machen. Die Akteure haben eine Praxis des gegenseitigen Zeigens. Das Zeigen nach Pagel wird zu einem gemeinsamen Zeigen, ein »DorthinZeigen«, eine Identifizierung von einem Weltproblem, einem Lebensweltproblem. Schüler*innen und Lehrkräfte zeigen gemeinsam auf einen Gegenstand und heben ihn aus der Masse möglicher Problemkonstellationen. Es handelt sich um einen Annäherungsprozess, bei dem die Lehrkräfte nicht die Antwort im Vorhinein kennen. Viele Akteure zeigen Lösungen auf, die abgewägt, miteinander verbunden usw. werden. Das Zeigen der Lehrkraft basiert auf der Wahrheit, nicht auf manipulativer Absicht. Die Schüler*innen übernehmen Verantwortung für ihr Lernen und formulieren Wünsche an die Lehrkräfte. Lehrkräfte und Schüler*innen entwickeln daraufhin unterschiedliche Konzepte, die im bzw. jenseits des Territoriums der Schule angeboten werden. Unter dem Gesichtspunkt der Selbstregulation ist eine solche Lehr-Lern-Dialektik ein Beitrag, der eine zunehmende Autonomie und Selbstständigkeit erlaubt. Die Expertise ist in dem hybriden pädagogischen Raum das Resonanzverhältnis, die Fachlichkeit unter dem Gebot der Professionalität des Bildungsauftrags. Gerade Letzteres unterscheidet die Lehrkraft von anderen Akteuren im Netz, die mit Expertise, jedoch ohne pädagogischen Auftrag unterwegs sind. Die Lehrkräfte sind die Gatekeeper, wenn es um Kontroversität und Wahrung der Subjektposition unter dem Gebot des Überwältigungsverbots geht. Das grundsätzliche Misstrauensvotum gegenüber jeder Heterogenität und die Homogenisierung um jeden Preis müssen einem Verständnis der »egalitären Differenz« weichen, die den Unterschied positiv annimmt. Verschiedenheit im außerschulischen Raum ist der Normalfall und nicht die Ausnahme. Im Netz sein, und das sind wir eigentlich ständig, heißt, mit der Vielfalt leben. Das kann nicht
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mehr durch die Lehrkraft geleistet werden, wenn Unterricht nicht in die Restriktion zurückfallen soll, die schon immer problematisch war und nun gar nicht mehr nachvollziehbar ist. Die Schüler*innen bedürfen einer anderen Lernkultur, indem sie selbst die Lerngegenstände mitbestimmen und in die Planung einbezogen werden. Dazu gehen sie ins Netz und suchen sich Unterrichtsgegenstände selbst heraus und stimmen sie mit den Lehrkräften ab. Der Unterricht ist dort, wo sich der Lehr- LernProzess realisiert. Dabei sind die Akteure gemeinsam in einem pädagogischen Raum, der sich durch die Kommunikation auszeichnet, das Zeigen, das von den Schüler*innen und Lehrer*innen gleichermaßen erfolgt. Die Akteure erzeugen mit je unterschiedlichen Aufgaben diesen Raum. Lehrende und Lernende besitzen im Sinne von Klingberg eine didaktische Kompetenz. Zum einen in dem normalen kommunikativen Kontext, der sich aus dem analogen und digitalen Raum ergibt. Zum anderen sind sie auch organisatorisch eingelagert in der Kooperation, in der Kollaboration und den Präsenzphasen (Leitung von Arbeitsgruppen) (vgl. Klingberg 1990, S. 42). Der traditionelle Informationsvorsprung durch die Lehrkräfte wird durch das Internet verändert (vgl. Klingberg 1990, S. 43). »Auf vielen Gebieten der Bildung und in wachsendem Maße auch des Unterrichtsinhalts wird ein Informationsvorsprung von Schülern zu einer noch unreflektierten dadaistischen Realität.« (Klingberg 1990, S. 43) Wenn Unterricht lediglich als Vermittlung von Wissen aufgefasst wird, dann wird dieser Unterricht sehr schnell zu digitalisieren sein, indem Abfragetools und Tutorials die Lehrkraft billig und fehlerfrei ersetzen. Ein Unterricht, der auf Kompetenz setzt, wird sich einem solchen Schicksal nicht aussetzen. Wichtig ist, auf die verschiedenen Kompetenzen zu verweisen, die die Lehrenden und Lernenden für den Unterricht haben. Klingberg (1990) verweist darauf, dass die Lehrkräfte eine wichtige Kompetenz in der Planung, der Analyse des Unterrichts und hinsichtlich der pädagogischen Entscheidungen besitzen. Die Lernenden besitzen jedoch ebenfalls eine didaktische Kompetenz, indem sie mitgestaltende, mitplanende und mitverantwortliche Akteure sind. Dabei sind nicht alle pädagogischen Phänomene pädagogisch qualifiziert (Klingberg 1990, S. 76). Die anzustrebende Selbsttätigkeit, die die didaktische Kompetenz sicherlich darstellt, kann nicht vorausgesetzt werden, sondern muss selbst vermittelt und angebahnt werden. Damit wird die didaktische Kompetenz der Lehrkräfte berührt, die die Selbstständigkeit fördern und zunehmend mit den Lernenden formulieren. Eine dermaßen zunehmende Selbstständigkeit hat dann auf den Prozess selbst wieder Auswirkungen, indem der Unterricht nicht mehr in einem alten und herkömmlichen Sinn von einem Akteur geplant werden kann. Solche Effekte
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erscheinen, indem die Subjektstellung der Lernenden im Sinn von Holzkamp in den Mittelpunkt treten. »Der didaktische Charakter des Unterrichts schließt auch das Gespräch von Lehrenden und Lernenden über Inhalte, Methoden, Organisationsfragen und Resultate des Unterrichts ein.« (Klingberg 1990, S. 78) Die pädagogische Expertise der Lehrkraft steht in einem antinomischen Verhältnis zur zunehmenden Selbsttätigkeit der Lernenden, das Klingberg als ein »dialektisches Widerspruchsverhältnis« (Klingberg 1990, S. 80) beschreibt (siehe dazu Paternalismus Kap. 5.3.1). Auch Schulz (1981) spricht von völliger Entmündigung (S. 16). Unter emanzipatorischen Gesichtspunkten müssen die Lernenden ihre eigenen Interessen einbringen können (S. 23): Es muss die Chance bestehen, die eigenen Möglichkeiten in einem Thema zu verfolgen. »Jedes Kind sollte, erst in kleineren Gruppen, dann im Plenum, seine persönlichen Verhältnisse zum Thema artikulieren, seine Vorerfahrungen, seine Hoffnungen und Wünsche, ebenso der Lehrer. Seine eigenen Bedürfnisse kennt jeder am besten, sollte jeder selbst einzubringen lernen.« (Schulz 1981, S. 32) Jeder Entwurf bleibt in der Gegenwart desjenigen, der plant (Litt 1949, S. 24). Insoweit müssen diejenigen, deren Zukunft und Autonomie und Selbstbestimmung betroffen ist, immer auch wesentlich beteiligt werden. Die Akteure treten in der hybriden pädagogischen Umgebung in eine Kollaboration ein, indem die Akteure den Unterricht gemeinsam planen. Hier wird nicht nur die Kollaboration als eine Methode für den Unterricht verstanden, sondern ist konstruierend für den hybriden pädagogischen Raum. Die Lehrkräfte sind ohne Zweifel die Expert*innen, die den fachlichen und pädagogischen Prozess überblicken. Diese Übersicht ist jedoch nicht voraussetzungslos. Die Lernenden besitzen ein Wissen über ihre Motivlage, die eigenen Interessen. Die Forderung der Lebensnähe des Unterrichts(-Stoffes) thematisiert eine Domäne, für die die Adressaten alleinige Kompetenz besitzen. Kritisches Denken entsteht, wenn die Schüler*innen ihre Erfahrung einer kritischen Prüfung unterziehen und nach Lösungen suchen. Mit dieser Position übernehmen die Jugendlichen eine eigene Verantwortung für den Unterricht, denn nun ist auch ihr Unterricht. Selbstregulation und Verantwortung fallen nicht vom Himmel, sondern unterliegen einem Entwicklungsprozess, der nicht zu jeder Zeit gleich abläuft. Vielmehr wird er in einem Metaprozess zu begleiten sein. Die Lehrenden und Lernenden müssen selbst immer wieder herausfinden und klarstellen, wo momentane Grenzen verlaufen, um den eigenen Lernprozess zu steuern.
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Paternalismus und hybrider pädagogischer Raum. Der hybride pädagogische Raum fordert alte und auf Dauer gestellte Gewohnheiten heraus. Die Schule funktioniert doch. Sicherlich wird eine solche Formulierung nicht rundweg auf Zustimmung stoßen. Angenommen es wäre so, was folgt daraus? »Zu ›funktionieren‹ bedeutet immer, mehr oder weniger gut zu funktionieren. Es gibt kein ›Funktionieren pur‹, ohne Bezug auf die einer Praxis immanenten Kriterien des Gutseins, genauso wenig wie es in Bezug auf menschliche Lebensformen so etwas wie ›rohe Fakten‹ oder ›reines Überleben‹ gibt. Was eine Praxis überhaupt zu einer bestimmten Praxis macht, scheint sich an den Qualifikationen zu orientieren, die sich auf das gute Ausüben einer Praxis richten.« (Jaeggi, 2014, S. 175f.; Hervorhebung im Original) Für die Antizipation einer anderen Praxis erwächst ein zweifaches Problem: die Praktiken des Handelns in hybriden pädagogischen Umgebungen zu antizipieren und zugleich einen Begriff der Praktik zu entwickeln, der diese Praktik selbst kritisch reflektieren kann. Derjenige, der erzogen wird, wird als defizitär angesehen, während derjenige, der erzieht, dieses Defizit nicht besitzt. Z. B. ist es nicht angemessen, Erwachsene zu erziehen, wohingegen kleine Kinder durchaus erzogen werden können. Einem Erwachsenen das Rauchen zu verbieten, wird allgemein als unangemessen zurückgewiesen, wohingegen es bei Kindern angebracht erscheint, da sie die langfristigen Konsequenzen nicht abschätzen können. Erwachsene müssen schließlich selbst wissen, was für sie gut ist, auch dann, wenn es allgemein als eine falsche Sichtweise angesehen wird. Die erwachsene Person hat einen autonomen Status erreicht, der zunächst nicht von anderen in Frage gestellt werden kann, solange nicht eklatante gesellschaftliche Erwartungen verletzt werden. Insofern unterliegt der Autonomiebegriff auch einer Grenze. »Als autonom gelten Personen, die sich nicht von bloßen Impulsen oder Wünschen treiben lassen, sondern fähig sind, von diesen Impulsen zurückzutreten, um nach Gründen zu fragen, die ihr Handeln leiten sollen.« (Giesinger 2006, S. 267; Hervorhebungen im Text) Die Frage ist nun, ob man jemanden zu einer solchen Form der Autonomie zwingen kann, wenn diese/r gar nicht will? Eine erhöhte Autonomie und Freiheit wie auch das Fehlen einer inneren Autonomie sind zumeist die Begründung, dass die Kinder bevormundet werden dürfen. Paternalismus liegt (in der Pädagogik) vor, wenn eine Person in die Freiheit und Autonomie einer anderen Person eingreift, um dessen Wohl zu fördern oder etwas Schlechtes abzuwenden. »Def. pure paternalism: ›The class of persons whose freedom is restricted is identical with the class of persons whose benefit is intended to be promoted by such restrictions.‹
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Def. impure paternalism: ›in trying to protect the welfare of a class of persons, we find that the only way to do so will involve restricting the freedom of other persons besides those who are benefitted.‹«2 Der konsequentialistische Ansatz rechtfertigt eine Intervention beispielsweise durch eine Lehrkraft vor dem Hintergrund der Annahme, dass ein gezeigtes Verhalten von Kindern oder Jugendlichen eine in die Zukunft angenommene negative Folge bzw. Konsequenz habe, die es abzuwenden gilt. Die Pädagog*innen sind aufgrund der Einschätzung aufgerufen, zu intervenieren, um eine bessere Zukunftsaussicht zu schaffen. Auf den ersten Blick scheint das eine durchaus plausible Begründung. Wird genauer hingeschaut, ist zu fragen, mit welcher Legitimation in einen aktuellen Zustand zugunsten eines angenommenen besseren interveniert werden kann: »Darf man einen Moment einem anderen aufopfern?« fragt beispielsweise bereits Schleiermacher (1826, S. 428). Doch sind nicht mit einer Annahme Tür und Tor geöffnet, eigene Interessen vor denen der Kinder und Jugendlichen zu kaschieren? Das Rauchen führt nicht unweigerlich zum Tod, jeder statistische Mittelwert kann keine individuelle Lebenserwartung vorwegnehmen. Es ist wahrscheinlich, jedoch nicht sicher. Es wird auf ein zukünftiges Gutes verwiesen. Das gegenwärtige Wohl wird aber vernachlässigt. Das Verbot und seine Konsequenzen werden zugunsten des anderen Guts verrechnet und als weiter relevant eingestuft. Das Interesse der Kinder und Jugendlichen soll optimal geschützt werden. Es ist eine gute Rechtfertigung für paternalistisches Handeln. Doch solche Schutzvorstellung besitzt normative Ausrichtungen. Kleine Kinder wissen nicht, was für sie gut ist. Aber ab wann wissen sie das? Wie bereits gesehen, spricht Klingberg (1990) von dem dialektischen Verhältnis von Lehren und Lernen. Ausbuchstabiert wird die dialektische Grundkonstruktion durch eine beidseitige didaktische Kompetenz von Lehrenden und Lernenden (siehe dazu Kap. 5.2). Beide Seiten lernen für sich und voneinander. Die reflexive Profession der Lehrkraft kann sich jedoch am Schluss nicht entziehen und muss ihren Part in dem dialektischen Wechselspiel erfüllen: »In erster und letzter Instanz gilt die didaktische Kompetenz des Lehrers« (Klingberg 1990, S. 71). Eine Legitimationsbasis für eine Intervention, die die aktuelle Situation für eine angenommene Zukunft »aufopfert«, die einen aktuellen Wunsch zugunsten eines zukünftigen Zustandes zurückweist, ist die Annahme, dass die Kinder zu einem späteren Zeitpunkt der Maßnahme zustimmen würden. Doch auch hier kommen wir nicht viel weiter. Denn zu fragen ist, inwieweit die Interventionen
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Quelle: http://ocw.mit.edu/courses/linguistics-and-philosophy/24-235j-philosophy-of-law-spr ing-2012/reading-notes/MIT24_235JS12_Session20.pdf; Hervorhebung im Text.
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nicht auch die Entwicklung verändert und damit das Denken über die Intervention selbst. Die Zustimmung der Kinder kann letztlich nicht ausreichen, da sie selbst unter der Suggestion der Intervention stehen und manipuliert werden. Zu fürchten ist vielmehr, dass damit jede Bevormundung gerechtfertigt würde. Der Manipulation sind auch hier Tür und Tor geöffnet, da die Handlung als richtig suggeriert und von den Kindern und Jugendlichen übernommen wird (im Sinne der Überwältigung). Zudem ist zu bedenken, dass wenn jemand nicht autonom ist, er oder sie keine Zustimmung erteilen kann. Wenn jedoch eine fehlende Autonomie angenommen werden muss, kann man als Lehrkraft nicht davon ausgehen, dass der andere weiß, wovon er spricht. Insoweit kann auch keine Zustimmung vorgenommen werden. Angenommen ein (Entwicklungs/Erziehungs-)Ziel würde ausreichend gerechtfertigt und die Intervention damit auch. Dem schließt sich die nächste Frage der Zweck-Mittel-Relation an. Denn welche Mittel sind zum Erreichen des Ziels zumutbar, welche nicht. Wenn wir von »schwarzer Pädagogik« sprechen, sind darunter Mittel gemeint, die keine Legitimation besitzen, obwohl dem Ziel vielleicht zugestimmt wird. Auch diese Frage rückt den Paternalismus in eine prekäre Perspektive. Das Wohlergehen des zu Erziehenden ist nicht immer das eigentliche Motiv. Wenn ein Kind moralisch oder politisch erzogen wird, dann ist nicht das unmittelbare Wohl gemeint, sondern die gesellschaftliche Verfasstheit, die einen Konsens dazu besitzt, wie das im Raum stehende Wohl ausbuchstabiert wird. Die Schüler*innen sollen das tun, was ihnen gesagt wird, und das glauben, was ihnen beigebracht wird. Sie werden dazu erzogen, dass in der Schule wahre Dinge beigebracht werden und es ein System gibt, dass diese zu diesem Zeitpunkt bestehenden Gewissheiten überprüft. Gemeint ist, dass die Institution Schule sich selbst immer wieder im gesellschaftlich-politischen und wissenschaftlichen Diskurs rechtfertigen muss. Die Schule kann nicht aus der Abhängigkeit der Schule befreien (vgl. Schulz 1981, S. 23) und hat dennoch zugleich das Ziel, die Subjektposition zu stärken und Autonomie und Selbstbewusstsein zu fördern und zu stützen. Das paternalistische Prinzip ist dadurch gekennzeichnet, dass zwischen Abhängigkeit und Autonomie ein grundsätzliches Spannungsverhältnis akzeptiert wird. Wenn der hybride pädagogische Raum nicht mehr durch die vier Wände des Klassenraums identifizierbar wird, kommt oft die Idee auf, dass sich dann die Schule auflöse. Die einen verkünden das Ende der Schule, die anderen verkünden den Bildungsnotstand, in dem vermeintlich keiner mehr lernt. Schon weiter oben wurde immer wieder die Position der Lehrkraft als professionelle Position beschrieben. Profession und Erfahrung stellen einen Vorsprung dar, der auf Wissen und Praxis basiert. Lehren und Lernen stehen in dem Spannungsverhältnis eines vorläufigen Vorsprungs, welches als ein Grundverständnis interpretiert werden kann. Das kann nicht aufgelöst werden, ohne zugleich die Schule aufzulösen.
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Hier wird hingegen gefragt, wie die Schule sich als Schule in der Digitalität verändert. Es soll nicht die Auflösung diskutiert werden. Wie es auch gedreht und gewendet wird, kommt die Frage auf, was es denn bedeutet, dass den Schüler*innen eine didaktische Kompetenz zukommt. Wird damit die bevormundende Position der Lehrkraft, die in der Regel nur das Beste für die Schüler*innen will, zurückgenommen? Vorweg sei gesagt, dass das paternalistische Muster des institutionell-professionalisierten Lehrens nicht verschwindet. Dennoch muss das paternalistische Selbstverständnis relativiert werden. Doch wie sieht der Paternalismus in hybriden pädagogischen Räumen aus? Innerhalb eines institutionellen Systems ent- und bestehen Praktiken, die das soziale System für einen spezifischen Ort leiten und regeln. In eine solche Praxis fließt, wie bereits ausgeführt, die vorgegebene institutionelle Rahmung mit ein, weil der Ort selbst ein Aktant der sozialen Praxis ist. Das kann sich so vorgestellt werden, dass die Institution durch die eigensinnigen Lehrenden und Lernenden in die eigene Praxis übersetzt wird. Beispielsweise die institutionelle Verwaltung von Zeit und Räumen, Rahmenlehrpläne, Anwesenheitspflichten, Bewertung und Benotung treffen auf die Interessen der Akteure im pädagogischen Raum: unterschiedliche Lerntempi und Entwicklungsschritte, Lernrhythmen, Konzentrationsspannen, Sprach- und Wissensstände usw. Mit der Öffnung zum nicht pädagogischen Raum, mit der Verbindung des hybriden pädagogischen Raums inmitten von nicht pädagogisch intendierten Feldern verändert sich das paternalistische Prinzip. Das »Zeigen« reiht sich in den Reigen der vielen Akteure des Netzes ein, die alle etwas zeigen sollen, wollen oder müssen. Das »Zeigen« im hybriden pädagogischen Raum muss sich selbst immer wieder kennzeichnen, rechtfertigen, korrigieren und sich selbst reflektieren. Erziehung als Form des Adressierens, als kommunikativer Akt ist durch die institutionelle Rahmung der Schule asymmetrisch gestaltet, auch dann, wenn die Akteure gleichermaßen konstitutiv im Sinne Klingbergs für den hybriden pädagogischen Raum mitverantwortlich sind. Jemandem, der etwas noch nicht kann oder weiß, wird unter der Prämisse eines zukünftigen guten Lebens, einer zukünftigen gesellschaftlichen Teilhabe und Autonomie etwas als Etwas gezeigt. Dem liegen zwei Voraussetzungen zugrunde. Zum einen wird davon ausgegangen, dass die ausgewählten Unterrichtsgegenstände bedeutsam und richtig sind in dem Sinn, dass sie den momentanen Stand der Objektivität und Relevanz zum Themengebiet darstellen – auch wenn es kontrovers diskutiert wird. Den Lehrenden wird im Vorfeld unterstellt, dass sie die Schüler*innen bei der Planung des Unterrichts wahrhaftig begleiten und beraten und die gemeinsame Findung des Unterrichtsgegenstandes relevant für das Fach oder Thema ist. Aus dieser Perspektive betrachtet, erhalten die Lehrkräfte einen Vertrauensvorschuss in dem Sinn, dass der Inhalt nicht in manipulativer Absicht unterstützt wird. Zum anderen geht mit der Prämisse einher, dass die Welt nicht eins zu eins abgebildet werden kann. Viel-
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mehr wird die Welt beispielhaft und exemplarisch repräsentiert: Das Etwas steht für ein Ganzes und zwischen dem Etwas und dem Ganzen gibt es eine Ableitung, die gerechtfertigt werden kann. Es wird unterstellt, dass lernökonomisch gesehen, der Gegenstand viele Aspekte besitzt, die in ähnlichen Fällen auch vorliegen (können). Mit dieser Anerkennung unterscheidet sich der hybride pädagogische Raum vom territorialen Raum der Schule: Innerhalb des hybriden pädagogischen Raums wird die Konstituierung des Unterrichtsgegenstands offen reflektiert wie auch die Expertise der Lehrkraft selbst, wenn sie sich beispielsweise gegenüber anderen Akteuren des Netzes argumentativ behaupten muss. Neben dem inhaltlichen Vorsprung, den die Lehrkraft immer besitzt, gibt es also auch den pädagogischen, der die individuelle Entwicklung des Einzelnen vor Augen hat. So gesehen ist der Pädagogik an sich ein Paternalismus eingeschrieben, der auch nicht im hybriden pädagogischen Raum hintergangen werden kann: Er macht den Konstituierungsprozess selbst aus. Fürsorgliches Handeln orientiert sich am Wohl des Gegenübers und ist asymmetrisch angelegt. Es wird davon ausgegangen, dass die (langfristigen) Interessen und Wünsche der Kinder und Jugendlichen verfolgt werden, wenn ihnen eine Mitsprache, eine Selbstständigkeit gegeben wird. Gravierend ist jedoch, was dann Autonomie eigentlich bedeutet. Obwohl die pädagogische Zurückhaltung oder Intervention selbst eine reflexive Distanzierung darstellt, die selbst wieder als eine Ungleichheit auszumachen ist, weil sich die Lehrkraft als professioneller Akteur zurücknimmt, wird dieser Prozess zugleich in einer Metareflexion zum Gegensand des pädagogischen Prozesses. Erziehung ist die Aufforderung zur Selbsttätigkeit, wie es Benner (2001) formuliert. Doch auch hier wird unterstellt, dass Schüler*innen keine Selbsttätigkeit besäßen, da sie dazu erst aufgefordert werden. Das kann durchaus infrage stellt werden, wenn gesehen wird, was Schüler*innen alles tun, ohne dazu gezwungen zu werden. Haben Kinder ein Recht, ihre Persönlichkeitserziehung selbst zu bestimmen? Wenn nicht, wird nicht in die Souveränitätssphäre eingegriffen und damit die Selbsttätigkeit beschnitten? Zu fragen ist in dem Zusammenhang, wie die Intervention selbst gerechtfertigt werden kann, die eine gegebene Handlung anhält, die Selbsttätigkeit unterbricht. Welche Gewissheit gibt es in der Gegenwart, um eine Zukunft zu antizipieren, die selbst nur spekulativ ist und angenommen wird? Dies bis zum Extrem weitergesponnen, würde die Allmacht der Erziehung begründen. Zudem wird auch angenommen, dass eine solche Steuerung der Schüler*innen auch möglich sei. Das ist die Allmachtsfantasie der Erziehung. Es würde daraus folgen, dass man aus jedem Menschen alles machen könne, was man wolle (Schleiermacher 1826, Anfang 17. April, S. 15). Erziehung zur Autonomie und Selbstverantwortung kann nicht ohne Autonomie und Selbstverantwortung funktionieren. Niemand kann in einem leeren Schwimmbassin schwimmen lernen. Der hybride pädagogische Raum ist ein Schutzraum, weil er durch die Akteure konstituiert und eine Praxis etabliert
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wird. Autonomie und Selbsttätigkeit sind keine abstrakten Themen, die simuliert werden können. Der hybride pädagogische Raum wird an den Rändern zu anderen Räumen thematisiert. Die Ränder sind notwendig, um den hybriden pädagogischen Raum für die Akteure überhaupt kenntlich zu machen. Einher damit gehen eine Thematisierung, ein Umgang und eine Auseinandersetzung mit den Rändern. Das eine Mal ist jemand weiter weg, das andere Mal geht jemand in ein »echtes«, also nicht pädagogisches Umfeld, um langsam eigene Erfahrungen zu machen. Die Begleitung und die Berücksichtigung der Autonomie müssen immer wieder in Hinblick des sich aus der Praxis herausbildenden Kontextes entschieden werden. Bereits Theodor Litt hat die Spannung zwischen Autonomie und institutionellem Lehren und Lernen in die Frage von »führen oder wachsen lassen« übersetzt. Er kommt zu dem Schluss, dass eine Begleitung nicht eine mögliche andere Zukunft verschließen darf. »Denn der Erzieher ist nur so lange das, was sein Name besagt, wie er nichts weiter ist, nichts weiter sein will als Pfleger und Anwalt der in dem jungen Geschlecht selbst schlummernden Möglichkeiten – solcher Möglichkeiten also, deren Gestaltwerden nicht dem planenden Vorgriff der älteren Generation unterliegt, sondern der prägenden Gewalt noch ungewollter Entscheidungen, noch ungeborener Schicksale vorbehalten ist.« (Litt 1949, S. 25) Das Problem liegt darin, wie Litt aufzeigt, dass das eigene Bildungsverständnis der Lehrkraft (der Gesellschaft in Form seiner Bildungspläne) aus der Vergangenheit kommt und/oder in der Gegenwart eine bestimmt Form annimmt. Hingegen sind zukünftige »Schöpfungen des Geistes« der »Zukunft vorbehalten […], eben deshalb dem Zugriff dieser Gegenwart entzogen und für keine Form und Richtung ihres Tuns verfügbar.« (Litt 1949, S. 67). Es kann nicht im Vorhinein gewusst werden, was gut ist, sondern man kann nur gemeinsam testen, abwägen, aufmerksam machen. Die sich darin ausdrückende »Zurückhaltung« steht in einem Spannungsverhältnis zum Bildungsauftrag. Klafki spricht deshalb auch von der sich »abzeichnenden Zukunft«. »Allgemeinbildung muss verstanden werden als Aneignung der die Menschen gemeinsam angehenden Frage- und Problemstellungen ihrer geschichtlich gewordenen Gegenwart und der sich abzeichnenden Zukunft und als Auseinandersetzung mit diesen gemeinsamen Aufgaben, Problemen, Gefahren.« (Klafki 1996, S. 53) Der von Giesecke eingeforderte »pädagogische Respekt« liegt darin, dass die zu verfolgenden Ziele nicht demütigend und herabsetzend sind. Weiterhin sollte die Asymmetrie immer als Metathema vorhanden sein und hinter dem Rücken« und nicht technische Manipulation stattfinden die als Lehrkunst verkauft wird. Und letztlich sollten die Schüler*innen in ihrer Einstellung respektiert werden.
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»Pädagogische Kommunikation sollte darauf ausgerichtet sein, die Artikulation und Fortentwicklung authentischer Wünsche und Sichtweisen zu ermöglichen, anstatt sie zu unterdrücken.« (Giesinger 2019, S. 261) Damit ist die Lebenswelt der Schüler*innen angesprochen (siehe auch Kap. 1), die für die Schüler*innen sinnstiftende Welterschließung (Holzkamp). Da sich die Schule eher als ein Knotenpunkt denn als eine territorial abgesonderte Institution verstehen muss, da sie ein pädagogisches glokales Feld darstellt, ist die Lebenswelt der Schüler*innen anwesend. Damit werden die Schüler*innen in der momentanen Situation angesprochen und in dem »So-Sein« anerkannt. Was sich ändern wird, ist, dass das paternalistische System in der Digitalität immer wieder konkret durch andere Geltungsansprüche herausgefordert wird, indem der pädagogische Raum nicht mehr hinter dem Interface der architektonischen Ausgestaltung der Schule eingefangen werden kann. Im Netz muss der pädagogische Raum immer wieder aufs Neue entstehen, indem auf eine Praxis zurückgegriffen wird. Die Schule in der Digitalität sieht nicht vom Mandat der Lehrkraft im Rahmen der institutionellen Beauftragung ab. Im hybriden pädagogischen Raum sind die Akteure im Rahmen der schulischen Bildung nicht gleich und können nicht das paternalistische Prinzip des institutionell organisierten Unterrichts unterlaufen. Daran ändert auch nicht, dass sich der hybride pädagogische Raum von seiner traditionellen territorialen Rahmung löst. Das »Zeigen« (Prange) oder die Selbsttätigkeit des Subjekts zur Autonomie (Benner) als kommunikativer Akt in einem hybriden pädagogischen Raum wird nun mit nicht pädagogischen Akteuren geteilt, die ambivalent sind und teilweise kommerzielle, politische oder ideologische Interessen verfolgen und nicht das Wohl ins Zentrum der Praxis stellen. Die nicht pädagogischen Akteure sind nicht ausgeschlossen, sondern ein Teil des pädagogischen Prozesses, indem immer wieder der hybride pädagogische Raum geprüft werden muss. Das läuft nicht ohne Spannungen ab. Meinungen, Behauptungen und Kontroversen zwischen unterschiedlichen Informationen und Wissensangeboten fordern das kritische Denken, die Selbstregulation und eine ethische Verortung heraus. Letztlich beruht der hybride pädagogische Raum auf der Anerkennung als Lehr-Lern-Raum. In einer solchen Anerkennung steckt ein Entwicklungsgedanke. Es ist ein »Zwang zur Reziprozität« (Honneth 1992, S. 64). Ausgedrückt wird damit, dass das Soziale und die Identität wechselseitig verschränkt und konstitutiv für die zwischenmenschliche Begegnung sind. Mit der Anerkennung konstituiert sich das Subjekt, indem es sich vom anderen unterscheidet. Mit der Unterscheidung sind eine Selbstvergewisserung und die Entwicklung von Selbstvertrauen verbunden, um als autonomes Subjekt neben den anderen und für sich zu existieren.
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»Person x anerkennt Person y auf Grund von p oder als p oder für p. P ist das verknüpfende Element des anerkennenden und des anzuerkennenden Subjekts.« (Schmetkamp 2012, S. 120) Im hybriden pädagogischen Raum übernehmen die Akteure mit dem Akt der Gründung eine Verantwortung, diesen Raum in gegenseitiger Anerkennung zu gestalten. Sie erkennen die Lehr-Lern-Relation als Situation an, in der die Akteure wechselseitig ihre Verantwortung besitzen. In der Transparenz paternalistischer Strukturen sind sie für alle Akteure nicht opak, sondern offensichtlich. Anerkennung und Zurückweisung bilden immer wieder den Spannungsbogen für die Gründung des hybriden pädagogischen Raums. Anerkennung heißt im konkreten Fall, dass das asymmetrische System des pädagogischen Raums bewusst zur Kenntnis genommen wird. Die Wertschätzung ist ein Teil der Anerkennung. Wertschätzung sollte jedoch nicht so weit gehen, dass sie zum »Einfühlen« führt (Bovet/Frommer 2015, S. 44). Wertschätzung sollte auf der professionellen Ebene der Begegnung stattfinden. Es sollte zu einer klaren Kommunikation und nicht zu einer quasitherapeutischen Kommunikation ermuntert werden. Der Zeigegestus im Sinne von Prange ist nicht mehr exklusiv, sondern wird durch den kommunikativen Charakter des Netzes viral. Das mag bedauerlich sein, ist jedoch nicht zu hintergehen, indem sich die Akteure brüsk vom Netz abwenden. Auch sollte zur Kenntnis genommen werden, dass die Lehrer*innen mit den Schüler*innen in diesem Feld stehen. Erst mit dem Einverständnis und dem Wissen der Akteure wird der hybride pädagogische Raum konstituiert und die nicht pädagogischen Akteure als solche identifizierbar. Giesinger fordert ein »Respektmodell« (2019, S. 267), das die Kinder und Jugendlichen als Heranwachsende und Person sieht. Holzkamp spricht von der Eigenwilligkeit des Lernsubjekts, das die Welt will und einen eigenen Sinnhorizont im Hier und Jetzt besitzt. Das institutionelle Mandat und die fachliche Expertise der Lehrkräfte zeichnet aus und legitimiert deren quasipaternalistische Position (vgl. auch Giesinger 2019, S. 264). Dennoch fordert Giesinger Einhalt. a) Es darf nicht zu Demütigung oder Herabsetzung kommen, denn beides fördert nicht Autonomie. b) Die Heranwachsenden sollten nicht hinter ihrem Rücken beeinflusst werden. Es soll keine Umgehung von deren rationalen Fähigkeiten erfolgen. c) Die bereits vorhandenen Einstellungen sollten akzeptiert werden. Authentische Einstellungen sollten gefördert werden.
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In Anlehnung an Schickhardt (2012) können folgende Gesichtspunkte für ein quasipaternalistisches Handeln formuliert werden: •
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Pädagogische Eingriffe sollten vermieden werden, wenn die Schüler*innen im Netz unter gleichen Umständen (Ceteris paribus) eine höhere Autonomie erlangen können. Die institutionelle Logik tritt zugunsten sinnstiftenden Lernens zurück, ohne sich zu verleugnen. Aufgaben und didaktisch-methodische Planungen sollten zunächst das niedrigste Niveau quasipaternalistischen Handelns besitzen. Interventionen sollten transparent kommuniziert werden, damit die Schüler*innen das Spannungsverhältnis zwischen Autonomie und Autonomieanbahnung durch die Institution nachvollziehen können. Die gemeinsam geplanten Lernumgebungen sind so zu gestalten, dass sie dem Grad der Autonomie angemessen sind, ohne eine weitere Entwicklung zu behindern. Mit der Steigerung der Unsicherheit der Netzumgebung müssen die Planung und die Hilfesysteme umsichtiger sein und gemeinsam mit den Schüler*innen etabliert werden. Die Selbstregulation der Schüler*innen hat dort ihre Grenze, wo Schaden im Sinne des Bildungsgangs abgewendet werden muss.
Das Pädagogische hat als Grundgestus nach Pages das »Zeigen«. Das Zeigen nimmt sich zurück, ohne den Paternalismus, der dem Pädagogischen unterliegt, abzuwerfen. Der Zeigende ermächtigt sich, setzt sich über diejenigen, denen etwas gezeigt wird. Autonomie und Selbstständigkeit stehen dem gegenüber. Lernen bedarf der Anerkennung der Subjektstellung, um sinnstiftendes Lernen zu erzeugen, das situativ und mit den anderen am spezifischen Ort entsteht. Das »Angebot« im Sinne von Helmke (2013) thematisiert das, ohne den Dualismus auszutragen. Das »Angebot« kann immer auch abgelehnt werden. Die Subjektstellung wird dort berücksichtigt, wo das Angebot gemeinsam geplant wird als Suchbewegung, als Problemstellung. Dem Zeigen ist ein Paternalismus eingeschrieben, weil jemand jemandem etwas zeigt. Doch es kann zu einem Wechselspiel werden, wo jeder im Sinne von Klingberg seinen methodischen und didaktischen Zugang besitzt. Das Rhizom benötigt einen solchen Dualismus, um durch ihn zu gehen. Es ist »das Mobiliar, das wir pausenlos verschieben« (Deleuze/Guattari 1974). In der Digitalität wird das System von Pädagogik und Bürokratie in die »despotische Formationen« des Rhizoms eingebunden (S. 33), das mit dem »Zeigen« spielt. Verschiedene Akteure »zeigen« unaufhörlich. Im Internet ist das Zeigen der Grundmodus. Der universelle Zeigemodus bringt unterschiedliche Akteure zusam-
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
men, die nicht dem professionellen Pädagogischen folgen und um Aufmerksamkeit buhlen. Das Zeigen im hybriden pädagogischen Raum besitzt deshalb ein konstituierendes Verständnis: ein auf Selbstregulation und Selbständigkeit beruhendes, gegenseitiges Zeigen, das zu jeder Zeit transparent ist. Auffinden und Verwerfen, Vermitteln und Kollaborieren haben ihre Rückbindung bei der Lehrkraft, die die Expertise nach bestem Wissen und mit der Offenheit des Nichtwissens besitzt. Es werden »Plateaus« Deleuze/Guattari 1974, S. 35) gebildet, die zugleich mit den anderen verbunden sind und als Netz gedacht werden können. Es gibt nicht die Maßeinheit, sondern Dimensionen, eine egalitäre Differenz. Wissen wird nicht als »das Wissen« verstanden, sondern ein Plateau wird erreicht, weil die Akteure (Schüler*innen und Lehrkräfte) übereinkommen, dass das Problem vorläufig gelöst ist. Solche Plateaus stehen nicht allein, sondern es können Brücken gebaut werden, weil auch die Fächer und Themen nur analytisch voneinander getrennt werden und so zugleich viele gemeinsame Themen besitzen. Im Sinne des Rhizoms wird das Pädagogische immer Gegenstand der Metareflexion und des Umgangs mit dem Zeigen sein. Das Pädagogische wird konstituiert, indem das Zeigen bewusst von den Akteuren angewendet, eingefordert oder aufgesucht wird. Das Mobiliar wird umgestellt, variiert. Es ist die eigene despotische Dimension des Rhizoms (Deleuze/Guattari 1974, S. 33), eine Zirkulation der Zustände (Deleuze/Guattari 1974, S. 35).
5.4
Der Unterrichtsgegenstand in hybriden pädagogischen Umgebungen
Wie gezeigt, sind die Akteure an der Konstituierung des hybriden pädagogischen Raums gleichermaßen beteiligt. Erst mit der Beteiligung der Akteure kann überhaupt der hybride pädagogische Raum entstehen, weil er nicht als Ort routiniert aufgesucht, sondern je bewusst mit der Sinnhaftigkeit einer Problemstellung erzeugt wird. Neben der inhaltlichen Thematisierung muss danach gefragt werden, wie der Lerngegenstand in digitalen Lernumgebungen erzeugt wird, um ein aktives Lernen zu erzeugen. Wie bereits aus der Diskussion um das paternalistische Prinzip der Erziehung deutlich wurde, ist die Intervention ein wichtiges Kennzeichen des schulischen Lernens, um Prozesse, Entwicklungen zu korrigieren, zu verlangsamen oder zu beschleunigen usw. und abrechenbare Effekte zu erzeugen, ohne die Autonomie und Subjektstellung der Schüler*innen zu verhindern. Das Internet als neues Leitmedium hat seinen genuinen Sinn in der Fluidität, der Durchlässigkeit. Es ist der ungebremste Fluss der Daten, Informationen und des Wissens, der Veränderung, des Remix, des Mashups, der Meinungen usw. Alle Beschränkungen, Barrieren und Verhüllungen widersprechen dem Konzept des Internets. Die bestehende pädagogische Praxis steht dem uneingeschränkten und
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Der hybride pädagogische Raum
unkontrollierbaren Zugang durch die (digitalen) Medien misstrauisch gegenüber. Der offene Zugang ins Netz und zu den Daten, Informationen und Wissensangeboten, die Dauerpräsenz der dort agierenden Akteure werden als Einmischung in die pädagogische Praxis rezipiert. Es ist die bereits angesprochene Kontrolle. Es widerspräche dem hybriden Raum, wenn von einer Begrenzung oder Kontingentierung des Materials ausgegangen würde. Der hybride pädagogische Raum wäre verkürzt verstanden, wenn er als Blended Learning oder hybrides Lernarrangement verstanden würde (Kerres 2013, S. 412), vielmehr ist es ein Prozess, der Lernen überhaupt erst konstituiert, sich als lokalisiert und subjektorientiert im Sinne Holzkamps versteht. Dieser konstituiert sich an den Orten und ist nicht der Ort. Weil wichtige Lernimpulse und -lösungen auch aus dem Netz kommen können, ist das Netz in die Inszenierung von Unterrichtsgegenständen einzubeziehen. Das Netz ist ein Teil der »Welt«: »Jede menschliche Tätigkeit spielt in seiner Umgebung von Dingen und Menschen; in ihr ist sie lokalisiert und ohne sie verlöre sie jeden Sinn« (Arendt 1981, S. 27). Bisher wurde über die Beschränkung nachgedacht, nunmehr wird über den konstruktiven Umgang mit Unübersichtlichkeit gesprochen. Solche Übergänge, Schnittstellen sind Irritationsorte, die die bestehenden Selbstverständlichkeiten infrage stellen. Institutionen wie die Schule reagieren zumeist konservativ auf Irritationen, indem sie die bestehende Ordnung verteidigen, die sich durch ihre Vergangenheit legitimiert und auf das »Immer-schon-so-Sein« verweist. Digitale Lernumgebungen stellen eine solche Irritation dar. Wer aber auf eine »Derealisierungsthese« in Bezug auf das Internet verweist, geht naiv mit der eigenen Standortgebundenheit um (vgl. Jörissen 2007). Der analoge Unterrichtsraum hatte schon immer einen »virtuellen Raum«, einen parallelen Raum zu Seite. Die Schnittstellen sind der Text, das Bild, der Ton. Kommunikation als Prinzip von Unterricht ist medial. Sprache, Bücher, die Tafel, das Bild sind symbolisch-sinnhafte Zeichensysteme, die die Welt vermitteln. In der pädagogischen Praxis werden die gesellschaftlichen Teilbereiche in den pädagogischen Kontext einbezogen und bearbeitet. Die pädagogische Praxis steht deshalb den (digitalen) Medien misstrauisch gegenüber, weil sie die pädagogische Praxis zu einem nicht pädagogischen Raum öffnen, indem sie die Welt unkontrolliert zugänglich machen. Aufgaben, die den Unterrichtsgegenstand mit in Szene setzen, müssen so erzeugt werden, dass sie das Netz und die dort befindlichen Möglichkeiten einschließen und nicht ausschließen. Für den Unterrichtsgegenstand sind der Rahmenlehrplan, die Akteure und die anderen von Relevanz. Die Qualität des Materials hat eine inhaltliche und eine Verfügbarkeitsebene. Material bzw. Lernmaterial muss dann zur Verfügung stehen, wenn die Schüler*innen darüber verfügen wollen. Dazu muss ein ungehinderter Zugriff bestehen. Sie müssen zu dem Zeitpunkt darauf zugreifen können, wenn es für sie relevant ist, also zu jedem Zeitpunkt. Letztlich
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
ist ein unkonventioneller Gebrauch möglich und zu akzeptieren (vgl. auch Girmes 2004, S. 181). Für den hybriden pädagogischen Raum ist die Lernumgebung dort, wo sie durch die Akteure definiert wird und Bedeutsamkeit besitzt. Im Rahmen des schulischen Lernens, dem der hybride pädagogische Raum zuzuordnen ist, und der damit einhergehenden kritischen Reflexion des Paternalismus, kann bedeutsames Lernen im Sinne von Holzkamp (1993) auf unterschiedliche Art und Weise inszeniert werden. Die Lehrkräfte als Expert*innen können bestehende Selbstverständlichkeiten der Schüler*innen durchaus auch irritieren, indem sie auf Sachverhalte verweisen oder durch Fragen provozieren (Zeigen). Insoweit ist gegen eine Inszenierung von Problemstellungen nichts zu sagen. Die Messlatte ist, dass die Schüler*innen Mitautor*innen sind. Der Unterrichtsgegenstand entsteht durch die gemeinsame Erzeugung durch Lehrkräfte und Schüler*innen. Irritationen müssen eigene Irritationen sein. Wenn von Personalisierung (vgl. Agostini/Schratz/Risse 2018) des Lernens gesprochen wird, dann doch in der Annahme, dass der Einzelne mit seinem Weltzugang als Orientierung dient. Beides, Irritation und Zuversicht, das Problem zu lösen, ist gleichermaßen zu berücksichtigen. Denken beginnt dort, wo ein Problem verortet wird, »something going on« (Dewey 1966, S. 146): »To fill our heads, like a scrapbook, with this and that item as finished and done-for thing, is not to think.« (Dewey 1966, S. 147). Sich selbst Aufgaben zu stellen, ist das Ziel. Sich selbst Aufgaben zu stellen ist eine Fähigkeit, die selbst erlernt werden muss. Am Schluss muss stehen, dass sich die Schüler*innen selbst eigene Problemstellungen formulieren, um wichtige Themen zu bearbeiten. Die Dosierung der Stoffmenge, die Reduktion der Quantität und Qualität von Fachinhalten, die Planung der Lernphasen und -zeiträume, von Hilfen, die zur Verfügung gestellt werden usw. sind in der Anfangsphase sicherlich die wichtigen Handlungsfelder von Lehrkräften in Hinblick auf den aktuellen Lernstand und auf einen zukünftig zu erreichenden Standard. Zugleich, so wurde aufgezeigt, muss sich die Lehrkraft selbst überflüssig machen. Lernumgebungen. Der pädagogische Reflexionshintergrund ist nach Benner, wie die Lernenden für die Ernstsituation des Lebens vorbereitet werden können (Benner 2001, S. 251), indem sie gleichzeitig von der Ernstsituation selbst entlastet werden. Wenn Helmke (2012) vom Lernangebot spricht, hebt er die intentionale Handlung einer Lehrkraft hervor, die einen pädagogischen Raum als einen Raum der Lernpraktik eröffnet. Für den hybriden pädagogischen Raum gilt, dass der Raum der Lernpraktik zugleich mit der Konstituierung des hybriden pädagogischen Raums zusammenfällt. Der Lerngegenstand und seine Bearbeitung wird durch die Aufgaben und Aufgabenformate konstituiert. Die Aufgaben selbst sind in Lernumgebungen eingebunden, die den Kontext beschreiben, der durch
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Der hybride pädagogische Raum
die Bearbeitung zugleich auch wieder verändert wird. Insofern eröffnet eine Aufgabenstellung eine Praxis. Nun gibt es auf der einen Seite die didaktisch aufbereiteten Materialien des Unterrichts und auf der anderen Seite die nicht didaktischen Materialien, wie sie in der außerpädagogischen Umgebung anzutreffen sind und erst mit dem Zugriff, einer Fragestellung und den Rahmenbedingungen schulischer Praxis zu einem Material des pädagogischen Raums werden. Die Lernenden lernen, mithilfe der Lehrkräfte Materialien auszusuchen, sie zu prüfen und einzusetzen (vgl. auch Zirfas 2017, S. 29ff.). Die Schule in der Digitalität kennt nicht mehr die strikte Trennung von pädagogischem und nicht pädagogischem Material. Die didaktische und methodische Aufmerksamkeit der Lehrkraft muss weggehen von der alleinigen Fokussierung auf die Reduktion von Materialien. Notwendig ist eine Hinwendung zum Umgang mit Kontingenz, mit der Schnittstelle zwischen Außen und Innen. Die didaktische Profession des »Anbieters« (im Sinne von Helmke) verlagert sich auf die professionelle Begleitung von Prozessen selbstregulierten Lernens, ohne die Expert*innenstellung zu verleugnen. Die Lehrkräfte nehmen die Schüler*innen als Akteure ernst, thematisieren im Rahmen eines zurückgenommenen Paternalismus didaktische und methodische Entscheidungen als integralen Bestandteil des Fachlernens, legen beispielsweise das Fundamentum (als Ausgangspool) fest, überlegen Zeitmargen, Sozialformen usw. »Der Schüler steht im Zentrum didaktischer Konzepte, weil Erziehung und Bildung nicht gegen, sondern nur mit ihm möglich ist.« (Klingberg 1990, S. 79) Auf der Grundlage einer gemeinsamen Problemformulierung werden mögliche Akteure und deren Publikationsorte ausgemacht, deren Produkte kritisch geprüft usw. Es wird also keine Problemstellung hinsichtlich des Materials formuliert, dass die Lehrkraft in ausreichenden Kopien mitgebracht hat, sondern es werden nun im Vorfeld Recherchen vorgenommen, die Quellen gesammelt, gesichtet und daraus eine Problemstellung abgeleitet sowie der hybride pädagogische Raum aufgespannt, der im Idealfall auch nicht pädagogische Akteure umfasst. Die Beurteilung der Qualität von Lernaktivitäten durch Aufgaben. In hybriden pädagogischen Räumen ist darauf zu achten, wie der Unterrichtsgegenstand in eine Lernaktivität mündet, die von den Akteuren beobachtet werden kann. Die Aktivitäten selbst sind dann wiederum hinsichtlich der Inhaltsqualität und des Kontextes bzw. der Lernumgebung und der dort existierenden Praxis zu reflektieren und zu beurteilen. Die letzten beiden Faktoren sind individuell in Hinblick auf den konkreten Unterrichtsgegenstand und die Aufgabenstellung unter Berücksichtigung der »Lernschleife« abzusprechen.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Multimodale Texte bzw. Medien verbinden den Text mit visuellen Erscheinungen wie Bildern oder Grafiken. Damit wird die reine Vermittlung durch die Schrift von einem anderen Prinzip der Repräsentation abgelöst (vgl. Mayer 2014, S. 44f.). Der Unterrichtsgegenstand wird durch die Lernumgebungen moduliert. Die Lernumgebung beschreibt die Rahmenbedingung des Lernens in digitalen Umgebungen. »Der Begriff der Lernumgebung zielt vor allem auf die äußeren Bedingungen des Lernens ab: Es geht um Lernmaterialien, Lernaufgaben, sowie deren Gestaltung und Sequenzierung in einem Lehr-Lernmodell.« (Fischer/Mandl/Todorova 2010, S. 753ff.) Unter digitalen Medien werden im Rahmen der ICAP-Taxonomie im Sinne von Stehmann (2019) »Computer basierte Technologien verstanden, die fachliche und überfachliche Inhalte präsentieren oder eine Interaktion mit und/oder über die Inhalte ermöglichen« (S. 175). In dem hier stehenden Sinn des hybriden pädagogischen Raums ist die Fluidität zu außerschulischen Akteuren einbezogen, die als ein Teil der Lernumgebung unter digitalen Bedingungen zu berücksichtigen sind und nicht restriktiv ausgeschlossen werden. Unbesehen davon war schon immer jede Lernumgebung grundsätzlich medial konstituiert, sei es durch Bücher, Arbeitsbögen, Bilder, Sprache usw. Jeder Einsatz von Medien besitzt dabei eine Vorstellung von Lernen, sei es implizit oder explizit. Folgerichtig muss die didaktische und methodische Analyse die eingeschriebene Intention (die selbst eine Art von Didaktik darstellt) in den konkret genutzten Technologien berücksichtigen, die nicht lediglich Transporter (Clark 1994) oder Werkzeuge (Vigotsky 1979) sind, sondern Absichten verfolgen, seien sie pädagogisch oder nicht pädagogisch (vgl. Loh 2019). In letzter Zeit wird einem Taxonomie-Modell, das aus dem Kognitivismus stammt, größere Aufmerksamkeit geschenkt, das auch mit anderen Ansätzen durchaus kompatibel ist. Für die Beurteilung von Lernaktivität im Rahmen der Nutzung von multimodularen Medien richtet sich die Aufmerksamkeit auf die beobachtbare Praxis der Akteure, um die Qualität von Lernarrangements einzuschätzen. Mayer (2014) hat eines der ersten kognitiven Modelle geliefert, das explizit auf den kognitiven Verarbeitungsprozess verweist und mit einem Speichermodell arbeitet. Neben den grundsätzlichen Schwächen des Kognitivismus wird in der bestehenden Diskussion auf das Problem hingewiesen, dass bei Mayer eine starke Fokussierung auf den Lernmaterialien liegt und die Tätigkeit der Lernenden selbst nicht im Mittelpunkt steht (vgl. Stegmann 2020, S. 175). Eine weitere Kritik zielte auf das Instruktionsmodell ab. Die frühen Instruktionsmodelle, die von einer Input-Output-Relation ausgehen, unterstellen, dass durch die Lehrtätigkeit und die angeleiteten Handlungen der Schüler*innen spezifische kognitive Muster ausbildet werden. Verwiesen wurde auf die Laborbedingungen, die die
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reale Lernbedingung selbst gar nicht berücksichtigen und so das Wirkungsmodell entwerten. Hervorgehoben wird, dass Lernen situativ erfolgt. Das »situative Lernen« betont, dass Lernen nicht, wie bereits oben vorgestellt, in einem luftleeren Raum stattfindet, sondern einen Kontext, eine Praxis vorfindet, die durch die Lernhandlung selbst wieder verändert wird. »Learning is a situative process. Knowledge contains both situative and contextual references; knowledge acquisition is tied to a specific context or situation. Therefore, learning always takes place within the context of a specific learning environment that ist crucial to the acquisition of central competencies.« (Mandl/Kopp 2005, S. 16; Hervorhebungen im Text) Gerade unter dem Gesichtspunkt des hybriden pädagogischen Raums wird der Gedanke betont, dass die Akteure vor Ort durch die gemeinsame Praxis in Hinblick einer gemeinsamen Lernproblematik eine Lernumgebung gründen. Nicht die umgebenen Medien sind dabei Mittel, sondern die Umgebung selbst, egal, in welchen Lernumgebungen sich die Akteure befinden. Das Situative besitzt eine Praxis. Die Aktanten und Akteure gründen den hybriden pädagogischen Raum im Sinne des »Situative Learning«. Lernen als ein aktives und selbstbestimmtes Vorgehen in einem sozialen Umfeld ist nicht nur die Voraussetzung für ein Lernumfeld, sondern gründet es überhaupt. In Anlehnung an Mandl/Kopp (2005) können für solche Lernumfelder folgende Gesichtspunkte aufgezeigt werden: a) Ein Lernumfeld sollte den Schüler*innen ein aktives Handeln ermöglichen und anregen, reale Probleme zu bearbeiten und in einer authentischen Umgebung zu agieren. b) Die Probleme sollten unterschiedliche perspektivische Zugänge und Situationen bieten. Die verschiedenen Situationen fordern heraus, dass das Wissen in unterschiedlichen Kontexten jeweils situationsspezifisch angewendet wird.
In solchen Lernumgebungen ist es notwendig, sich über die Qualität der Aufgaben bewusst Gedanken zu machen. Hierfür eignet sich die Beschreibung der Lernaktivitäten. Ohne zwingend den Konsequenzen des kognitiven Ansatzes folgen zu müssen, kann hier rein äußerlich eine qualitative Aussage zur Qualität gemacht werden. »Engagement« ist kein neues Thema für die Schule. Chi hat das aktive Lernen, die Auseinandersetzung mit Problemen auf die Online-Arbeit übertragen und eine Taxonomie entwickelt, um Lernaktivitäten zu beschreiben (Chi et al. 2018, S. 1778). »In the educational technology literature, active learning often means requiring students to look at and pay attention to the instructional materials, and interac-
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tive learning often refers to engaging with systems that require students to make a response to a system’s actions.« (Chi et al. 2018, S. 1782) Im Folgenden soll nun beschrieben werden, wie verschiedene Formen aktiven Lernens nicht durch die technischen Mittel erzeugt werden, sondern durch das situative Lernen und die Aktivität der Schüler*innen unter den spezifischen Lernumgebungen. Chi (2009) hat dazu eine Lerntaxonomie entwickelt, mit der Aufgabenstellungen für die Konstitution des Unterrichtsgegenstandes hinsichtlich der damit verbundenen offenen Lernaktivitäten beurteilt werden können. Ausdrücklich wird dabei weder auf den Inhalt der Lernprodukte abgezielt, die selbst wiederum einer Analyse hinsichtlich ihrer Qualität unterzogen werden müssen, noch wird das Lernen als sinnhaftes Handeln thematisiert. »First, our taxonomy classifies only overt learning activities because we can only tell that students are undertaking them if they are visible.« »In short, these activities per se cannot be classified correctly unless some analysis of the content of the activities are undertaken.« (Chi 2009, S. 84) Das ICAP-Modell (Interactive, Constructive, Active, and Passive; siehe Abbildung 19), das erstmals 2009 eingeführt wurde, ist eine Taxonomie, die sich darauf beschränkt, die Lernaktivitäten rein äußerlich zu beschreiben. »ICAP encompasses three components: a taxonomy of four engagement modes and the operational definition of each mode, a metric that can define the degree of engagement based on the cognitive processes corresponding to the four behavioral modes, and a hypothesis that can predict the hierarchical levels of student learning as a function of the mode of engagement.« (Chi et al. 2018, S. 1784) Die verschiedenen Lernaktivitäten werden unter der Annahme charakterisiert, dass eine höhere Lernaktivität eine höhere Lernqualität fördert. Immer jedoch unter dem Vorbehalt, dass die inhaltliche Ebene des Lernprodukts in einer zweiten Beurteilung einbezogen werden muss. Denn zu beachten gilt, dass jemand Aktivität auch vortäuschen kann. Hier liegen dann auch die Grenzen der äußeren Beobachtung. Doch das ist auch aus dem herkömmlichen Unterricht bekannt. An solchen Stellen kann gesehen werden, dass hier ein breiter Konsens besteht (vgl. Kap. 5.2). Die Aktivitäten werden der Passivität gegenübergestellt »Being active can be characterized as doing something (often involving physical movement) while learning.« (Chi 2009, S. 74) Angenommen wird, dass das Lernen umso effektiver erfolgt, je mehr die Schüler*innen aktiv sind. Unter passivem Lernen wird verstanden, dass die Schüler*innen alleine einen Vortrag anhören, einen Text lesen usw. Obwohl das in der Studie nicht explizit ausgeführt wird, kann gesagt werden,
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dass es kein »Woraufhin« gibt, das aber für ein sinnstiftendes Lernen unabdingbar ist. Der Begriff der »Passivität« geht aber nicht so weit, zu behaupten, dass Lernen keine Aktivität benötigt. Passives Lernen ist ein aktiver Lernvorgang, der keine sichtbare Lernaktivität, keine Aktivität durch die Aufgabenstellung auslöst. Eine Lernaktivität wird allgemein durch die Tätigkeit beschrieben, wie sich die Schüler*innen mit einem Lerngegenstand auseinandersetzen: Es wird physisch etwas gemacht, das beobachtet werden kann. »Passivität« wird in Abgrenzung dazu als eine Nichttätigkeit verstanden. Nicht intendiert ist die Behauptung, dass es eine Lernform gebe, die passiv vorzustellen ist. (Hier wäre eher die Unterscheidung intendiert und nicht intendiertes Lernen; Lernen als eine anthropologische Größe.) Es wird also nicht bestritten, dass Lernen mehr ist als eine physische Tätigkeit. Lernen ist immer aktiv. Unter passivem Lernen wird lediglich verstanden, dass die Schüler*innen in der Aufgabenstellung zu keiner Lerntätigkeit aufgefordert werden. Beispielsweise wird einem Lehrervortrag zugehört, soll ein Text durchgelesen werden usw. Unterstellt wird, dass durch den Grad und die Art und Weise der Aktivität ein Tätigkeitsraum ermöglicht wird (vgl. Chi 2009, S. 76). »Active activities are those that basically engage the learners’ attention, such as focusing or gazing upon some aspects of the learning material, repeating the materials, or manually manipulating the presented learning materials. Constructive activities are those that require learners to produce some outputs, which may contain some new ideas, such as in self-explaining, drawing a concept map, or inducing hypotheses, and reflecting. Interactive activities involve participating in two kinds of dialogue patterns, either with experts (instructional dialogues) or with peers (joint dialogues). Within instructional dialogues, learners could be participating in guided-construction activities (e.g., respond to scaffoldings & hints, revise errors from corrective feedback); and within joint dialoguest, learners could be participating in sequential-construction or coconstruction activities (e.g., build and elaborate on a partner’s contributions, argue and defend a position, criticize partner’s contribution).« (Chi 2009, S. 84) Chi arbeitet drei unterschiedliche Graduierungen innerhalb der Aktivität heraus, die jeweils in der Wirkung unterschieden werden. Das kann so darstellt werden (Interactive, Constructive, Active, and Passive): A ist kleiner als C, was wiederum kleiner ist als I. »A recent comprehensive meta-analysis of 225 studies in science domains [Freeman et al., 2014] has shown unambiguously that active learning has the potential to enhance student learning, compared to passive learning.« (Chi et al. 2018, S. 1781) Aktiv zu sein, meint eine offene Aktivität. Die Schüler*innen werden auf bestimmte Textpassagen, Grafiken, Bilder hingewiesen, die farblich hervorgehoben sind. Für
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die Problemstellung werden wichtige Passagen in einem Text hervorgehoben. Es werden Links angeboten, um in ein Thema vertieft einzutreten. »For example, in order to make students focus their gaze on some aspects of the learning materials, one can bold the font or put the important information inside a box if the learning materials are presented in a text or animate the important information if it is presented online.« (Chi 2009, S. 77)
Abbildung 19: Aktivierende Aufgabenformate; Chi 2009, S. 77.
Solche Arrangements sind Hinweise dafür, dass die Schüler*innen sich aktiv mit dem Material auseinandersetzen sollen. Einschränkend ist nochmals darauf hinzuweisen, dass diese Aktivität kein Hinweis dafür ist, wie vertieft die Lernenden sich mit dem Gegenstand auseinandersetzen. Offene Aktivitäten können auch als konstruktive Aktivitäten beschrieben werden, wenn die Schüler*innen durch die Aufgabenstellungen und/oder das Materialarrangement angeregt werden, etwas zu erzeugen, das zuvor noch nicht da war, wenn ein Output am Schluss vorhanden ist. Auch hier gilt, dass der Inhalt nicht beschrieben wird, sondern lediglich die Möglichkeit, dass der Output eine inhaltliche Erweiterung zum Ausgangsmaterial darstellt. Chi unterscheidet zwei verschiedene Arten des konstruktiven TätigkeitsOutputs: Zum einen sind das offene Ergebnisse. Die Schüler*innen sollen auf der Grundlage des Textes eine Concept-Map zeichnen, ihre Notizen sortieren, Vorhersagen formulieren usw. Zum anderen gibt es Aufgaben, die dazu auffordern, über den Inhalt des Textes hinauszugehen, der selbst im Material nicht angelegt ist. Beispielsweise
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»asking students to selfexplain what a sentence means to them obviously is requiring them to infer new information about that sentence that was not explicitly presented.« (Chi 2009 S. 79) Diese Art des Konstruierens ist durch den Output höher zu setzen als die offene Aktivität, der Umgang mit Material, weil nun über das Material hinaus etwas produziert wird. Mit der Einschränkung, dass die inhaltliche Seite damit noch nicht bewertet werden kann und ergänzend hinzugezogen werden muss. Wenn Schüler*innen interaktiv miteinander umgehen, ist dies die höchste Form der Aktivierung durch Aufgaben. »Being interactive can refer to several types of overt activities, such as a learner talking with another person [who can be a peer, a teacher, a tutor, a parent], responding to a system (such as an intelligent tutoring system, an animated agent), or interacting in some other physical way involving motor movements.« (Chi 2009, S. 80) Gemeint sind alle Formen der Kooperation und Kollaboration zwischen den Schüler*innen. Das kann sein, dass sie zusammen etwas bauen, zusammen einen Text erstellen, Grafiken erzeugen, sich gegenseitig helfen, indem sie die Maus führen, um etwas zu zeigen usw. Dialogisches Handeln kann beispielsweise die Interaktion mit Expert*innen beinhalten, die online befragt werden. Mit der Selbstreflexion und der Inkorporierung der Informationen kann selbst ein Konzept erzeugt werden. Es kann jedoch auch zu einer Ko-Konstruktion kommen, indem Lernende mit dem anderen zu einer Lösung, einer Position kommen. Insgesamt kann gesagt werden: »active [is] better than passive, constructive is better than active, and interactive is better than constructive« (Chi 2009, S. 88), wenn es um offene Aufgabenformate geht. Die Aktivitäten sind in der Qualität sehr unterschiedlich. Konstruktive Aktivitäten meinen, dass die Akteure mit dem Material umgehen, es verändern, mit anderen Materialien konfrontieren usw. Hervorzuheben ist, dass für die Qualität des Lernens der Zugang und der Zugriff auf Material die Voraussetzung sind. Obwohl nicht explizit darauf verwiesen wird, ist der unbegrenzte Zugriff auf Material zu begrüßen, um die Aktivität aufrecht zu erhalten. Die Zusammenarbeit mit anderen besitzt die höchste Qualität einer Lernaktivität. Auch hier ist die Vereinzelung, die Reduktion auf sich selbst eine Minderung der Lernqualität, wenn der Austausch, die Rückversicherung usw. nicht möglich ist. Natürlich bedeutet das nicht, dass nicht auch eine Arbeitsphase allein bestritten wird. Wichtig ist, dass die Kollaboration zur Selbstverständlichkeit wird und sich nach den Bedürfnissen der Schüler*innen orientiert (Abbildung 19). Für die Konzeption von Aufgaben, um den Unterrichtsgegenstand zu konstituieren, können folgende Gesichtspunkte benutzt werden:
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Ist für die Akteure deutlich zu erkennen, dass eine Bearbeitung verschiedene Materialien beinhaltet, die eine aktive Auseinandersetzung anregen hinsichtlich der ausgemachten Lernproblematik? Besitzt die Lernumgebung eine Lernumgebung, die eine Interaktion zwischen Akteuren unterstützt und motiviert? Aufgaben sollten sowohl zur Interaktion und Konzeption von Materialien herausfordern. Die Inhalte bedürfen der Expertise und einer guten Feedback-Kultur, um die Selbstregulation und die Selbstzuversicht anzuregen.
Der hybride pädagogische Raum kennt nicht Einschränkung und Entzug im Lernund Leistungsraum, sondern Reichhaltigkeit an Material, jede Form von Hilfe und dem kritischen, reflektierten Umgang mit sich selbst und den anderen. Aufgaben konstituieren das sinnhafte Lernen, ermöglichen die Selbstregulation und Erfolgszuversicht, den kritischen Umgang mit der Fülle von Daten, Informationen und Wissenskonstruktionen, die im Netz zu finden sind. Benötigt wird parallel dazu ein reflexiver Umgang mit der eigenen Erfahrung als Reflexion »in« und »on« Action, wie es Schön (1983) ausdrückt (vgl. auch Girmes 2004, S. 185ff.). Das Netz muss nicht abgeriegelt werden, sondern als hybrider pädagogischer Raum konstituiert werden. »Der Übergang von pädagogischen in außenpädagogische gesellschaftliche Situationen kann nur gelingen, wenn die pädagogische Praxis mit den anderen gesellschaftlichen Praxisformen so verbunden wird, dass Übergänge von pädagogischen in gesellschaftliche und von diesen in pädagogische Situationen auch real möglich sind.« (Benner 2001, S. 290) Insbesondere die Schnittstellen zwischen schulischem Lernen und außerschulischer Rahmung müssen immer wieder von den Akteuren neu überdacht und justiert werden. Insoweit sind sicherlich Überlegungen – wie sie beispielsweise von der Cognitive Load Theory formuliert wird –, dass eine Überforderung durch das Lernmaterial (Intrinsic Cognitive Load oder Extraneous Cognitive Load) durch ablenkenden Detailreichtum zu berücksichtigen ist (vgl. Nerdel/von Kotzebue 2020). Der hybride pädagogische Raum steht im Kontrast zum Prinzip von etablierten Schulbüchern, die das diffuse Draußen rauszuhalten, zu kanalisieren versuchen, um die Kontingenz zu reduzieren. Schulisches Material wird angefertigt, um den schulischen Prozess zu unterstützen, indem dessen Texte didaktisch und methodisch aufbereitet werden. Während durch außerschulische Medien, also nicht pädagogische Medien das Lernen im Alltag spontan beginnt, unterbrochen wird oder aufhört usw., wird Lernen in der pädagogischen Praxis planvoll begonnen, durchgeführt und beendet und der »Erfolg mit Hilfe von Prüfungen [kontrolliert]« (Benner 2001, S. 232) bzw. evaluiert. Die Prüfungskriterien besitzen oftmals globale An-
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nahmen, die in der Regel nicht mit den Lernsubjekten abgestimmt werden, die keine Alternativen zulassen. Oftmals fällt das Argument, dass die Schüler*innen überfordert seien. Das stimmt, jedoch nicht aufgrund der Tatsache, dass sie das nicht vermögen, sondern weil sie es nicht erlernen. Die pädagogische Praxis »vermittelt über spezielle didaktische Handlungen, in denen sich die unterrichtliche Dimension […] gegenüber anderen Tätigkeiten verbesondert.« (Benner 2001, S. 232) Das erfolgt, wie gesagt, durch die Akteure. Das pädagogisch angeleitete und intendierte didaktisch-methodische Handeln schafft so eine Differenz zum informellen Lernen (vgl. Vogler 2018). Mit dem hybriden pädagogischen Raum ist die Lehrkraft inmitten von Kommunikation, Texten, Informationen und Daten, die von allen Seiten durch die im Netz agierenden Akteure um Aufmerksamkeit buhlen. Das Internet ist kein gesellschaftliches Außen, sondern ist integraler Bestandteil der sozialen, kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Räume. Es bildet hybride Räume, die keine Territorien kennen.3 Mit dem Internet wird der pädagogische Raum zu einem hybriden pädagogischen Raum. Das unkontrollierbare Außen ist Kennzeichen des hybriden pädagogischen Raums. Daten, Informationen und Wissen sind jederzeit verfügbar. Permanent ist das Außen anwesend. Der Einsatz von digitalen Medien fordert den altgewohnten pädagogischen Prozess heraus, indem die Grenzziehung zwischen »Innen« und »Außen« durch »Universalmaschine[n]« (Richter/Allert 2017, S. 255) wie Smartphone, Tablet und Computer nicht mehr aufrecht erhalten werden kann.4 Das misstrauische Beäugen der Umwelt im Allgemeinen (vgl. auch Baecker 2018, S. 169) wird nun nach innen gerichtet, wenn in der Transformation zur Digitalität alle »Fremdkörper« misstrauisch beobachtet und hinsichtlich deren Effizienz hinsichtlich der Logik der alten Schule befragt werden. Unklar ist, ob MOOCs (Massive Open Online Courses), Tutorials oder OERs (Open Educational Resources) die pädagogische Profession ergänzen, erweitern, oder gar zu ersetzen drohen (vgl. kritisch Allert/Asmussen 2017, S. 32ff.). »Inwiefern die Schule im weiteren Fortgang der heutigen Entwicklung zu einer neuen […] Art ›Wissensgesellschaft‹ noch als Wissenvermittlungseinrichtung herkömmlichen Sinnes nachgefragt wird, ist fraglich.« (Göhlich/Zirfas 2007, S 182) Zu beobachten ist, dass das »Vor-Ort-Sein« der Lehrkräfte und der Schüler*innen in der Schule und die Öffnung zum »digitalen Raum« als tendenzielle Negierung der bisherigen »pädagogischen Praxis« rezipiert wird (vgl. auch Vogler 2018). Der Entzug von Hilfsmitteln war schon immer kontraproduktiv.
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Wie ich an anderer Stelle schon betont habe, besitzt das Netz immer einen Ort, der durch die territoriale Aufgliederung der Welt, Gesetze und Eigentumsansprüche gekennzeichnet ist. Sicherlich sind Verbote gang und gäbe.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Es gibt keine neutralen Aufgaben. Jede Aufgabe hat den zurückliegenden Kontext zu berücksichtigen. Folgerichtig gibt es gar nicht »die« Hilfe, die von außen geholt wird. Jede nicht kontextualisierte Hilfe muss in den zurückliegenden hybriden pädagogischen Kontext rückübersetzt werden – was wiederum einen Lernprozess darstellt. Wie ist das zu verstehen? Reh (2018) zeigt auf, dass es die »Sache« als einen Unterrichtsgegenstand nicht ohne den dazugehörigen Unterricht gibt. Im Unterricht wird ein Verständnishorizont aufgebaut, der mit der fachlichen »Sache« nicht deckungsgleich ist, weil es die Aushandlungsprozesse zu berücksichtigen gilt. Auch Winter (2014) erinnert daran, dass »die Aufgaben« einen Unterrichtsbezug besitzen (S. 174; Sacher 2009, S. 133; Metz/Hoppe 2016, S. 25) und die daraus resultierende Lernbedeutsamkeit in Rechnung zu stellen ist (Grunder/Bohl 2001, S. 362; Sacher 2009, S. 136ff.). »Nach dem Prinzip der Proportionalität muß auch das Anforderungsniveau der einzelnen Aufgaben mit dem Arbeitsniveau im Unterricht übereinstimmen« (Sacher 2009, S. 68; Hervorhebungen im Text) So wie Pädagogik partikular ist, indem eine unmittelbare verbindliche Begegnung darunter zu verstehen ist, so wandelt sich »das pädagogische Umfeld« in eine spezifische Erwartung und dazugehörige Praktiken. Von außen wahrgenommene unspezifische »Aufgaben« werden im Kontext zu spezifischen, weil es eine gegenseitige konkrete Erwartung der Akteure gibt. Erst der Kontext erlaubt es, Störungen, Probleme oder Krisen wahrzunehmen, weil erzeugte Erwartungen nicht erfüllt werden (s.o.). Batson (1981) spricht in einem ähnlichen Zusammenhang von einer »Kontext-Markierung«. Gemeint ist, dass die Akteure in einem Kontext hinreichende Informationen darüber besitzen, »unter welcher Menge von Alternativen [sie ihre] nächste Wahl treffen«, um kontextadäquat zu handeln (Batson 1981, S. 374; Hervorhebung im Text). Ohne entsprechende Umgebungsinformationen würden pädagogische Handlungen ins Leere laufen. Gleiches gilt für sogenannte »Sachgegenstände« in Aufgabenformaten, die durch den zurückliegenden Unterricht gerahmt werden (vgl. ähnlich Benner 2001, S. 233). Es gibt ein gemeinsames Verständnis über die Aufgaben zwischen Lehrenden und Lernenden, ansonsten gäbe es keinen »Erwartungs-Horizont«. Der bestehende pädagogische Kontext besitzt in der Regel eine Lernumgebung, die alle Mittel zulässt. Das Verbot von Lernmitteln in Leistungsumgebungen bewirkt eine Entkontextualisierung. Wie ist das zu verstehen? Eine Entkontextualisierung liegt vor, wenn nach Winter (2014) die Schüler*innen unter besonderen und beschränkten Bedingungen ihren Leistungsstand zeigen sollen« (S. 34). Eine solche Diskontinuität mit dem Unterricht ist eine Entkontextualisierung von Aufgaben. Für die digitale Medienbildung zeigt sich das darin, dass Smartphones vor einer Leistungsüberprüfung eingesammelt werden, obwohl sie, in dem hier angenommenen Fall, im Unterricht zugelassen wurden. Für
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»die Auswahl der Aufgabenformen gilt das Prinzip der proportionalen Abbildung des Unterrichts: Die Aufgabenformen müssen mit den im Unterricht verwendeten Lern- und Arbeitsformen übereinstimmen.« (Sacher 2009, S. 68; Hervorhebung im Text) Der Kontext ist der hybride pädagogische Raum, innerhalb dessen sich der »LernGegenstand« entfaltet und das Problem im Rahmen einer »Lernschleife« auf ein noch nicht Gegebenes bearbeitet wird, indem der zurückliegende Unterricht das andere präfiguriert und auf mögliche (neue) Wahrnehmung hindeutet: Es »ist ein Bewußtseinshorizont, der selbst den Grundcharakter des Bewußtseins als Bewußtsein von etwas hat« (vgl. Husserl 2002b; S. 57). Die Zurechenbarkeit von Lernen durch Aufgabenstellungen verändert sich. Während wir normalerweise im Alltag keine Rechenschaft darüber ablegen, wann und durch wen, mit wem und zu welchen Fremd- und Eigenanteilen wir etwas gelernt haben, ist das in der Schule ganz anders. Die pädagogische Repräsentation materialisiert sich im pädagogischen, aufbereiteten Arbeitsmaterial und den dazugehörigen Aufgabenstellungen. Es handelt sich dabei – neben dem Unterrichtsprozess – um die nachweisbare (kausale) »Ursache« für die »Folge« des Lernens. Gerade die Isolierung von anderen Faktoren wird als Lernnachweis angesehen. Es wird eine Output- und Outcome-Rechnung aufgestellt, die den Einzelnen in den Fokus stellt. Das ist die Aufgabe der Schule, wie sie sich in der gesellschaftlichen Erwartung spiegelt. Institutionen müssen im Allgemeinen, so Baecker (2018), nach innen Ordnungsvorstellungen gegen potenzielle Unordnung durchzusetzen. Umgekehrt wird das Außen als Unordnung angesehen, als spontan und nicht geplant, weil es das Andere der Institution gibt. Der schulische pädagogische Raum versteht sich als ein geordneter Raum. Die Lehrkraft ist angehalten, dem Lernen eine Struktur zu geben. »Wenn die Realität eine Funktion dessen ist, was wir erwarten, dann produziert die Organisation eine doppelte Wirklichkeit, die eigene Wirklichkeit, der sie misstraut, und die sich in ihrer Umwelt durchsetzende Wirklichkeit, an der sie arbeitet.« (Baecker 2018, S. 168) Folgerichtig müssen Hilfsmittel und Aufzeichnungen kontrolliert werden, um eine Ursache für den »Leistungsnachweis« des Einzelnen zu erbringen. Die solchermaßen individuelle Form des Lernens im typografischen Paradigma der Buchkultur, wie sie Giesecke (2001) aufzeigt, ist monokausal, auf das einzelne Individuum abgestellt: »Die Gleichschaltung der Köpfe ist die konsequente Verwirklichung des Verständigungsmodells des typographischen Zeitalters. Diese lautet: Wechselseitiges Verstehen wird durch Angleichung der Wahrnehmungs-, Verarbeitungs- und Darstellungsprogramme erreicht. Verständigung setzt eine gemeinsame Wissensba-
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
sis und ähnliche Denkprozesse voraus. Und diese Gemeinsamkeiten sollen vorab in den allgemeinbildenden Schulen erzeugt und abgeprüft werden. Dasselbe Buch in der Hand jedes Schülers einer Klasse, dasselbe Buch in den gleichen Klassen möglichst aller Schulen. Vielfältige Normierungsprozesse: Kodifizierung der Sprache, Kanonisierung des Wissens, Linearisierung des Denkens, Geometrisierung der visuellen Wahrnehmung usf. ermöglicht erst eine gleichsinnige Deutung des Textes durch Personen, die sich weder kennen noch die Möglichkeit zur Rückfrage haben. Diese Zurichtung der Menschen in den Schulen und andernorts gehört zur Buchkultur.« (Giesecke 2001, 237ff.) Das Internet ist zunächst auf Kommunikation ausgelegt und nicht auf Isolation. Die Aufgaben werden im Idealfall in Kooperation und Kollaboration geleistet. Das Arbeiten ist bedarfsorientiert und schließt grundsätzlich auch nicht den temporären Rückzug aus. Es ist das außerpädagogische Phänomen, das nicht ignoriert werden kann. Das Lernen am anderen Ort wird zum Normalfall und die eindeutige Zurechnung von Lernen muss sich verändern.5 Jederzeit ist eine Interaktion nach außen vorhanden, weil das Interface (Außen/Innen) an den Körper gerückt ist. Das Zusammenspiel mit dem außer-institutionellen Raum, der Bestandteil des hybriden pädagogischen Raums ist, ist der Normalfall. Im Grunde ist das nichts Neues, da auch in der analogen Schule außenpädagogische Akteure in den Unterricht einbezogen werden. Beispielsweise werden Expert*innen für bestimmte Themenbereiche eingeladen, Politiker*innen kommen zu einer Podiumsdiskussion in die Schule oder es findet ein Lernen an einem anderen Ort statt, indem bestimmte Arbeits- und Lebensbereiche aufgesucht und mit den Expert*innen vor Ort besprochen werden. Gemeinsam ist den Aktivitäten, dass die vermittelten Informationen nicht pädagogisch aufbereitet werden, die Sprache nicht entlastet wird und die Artefakte des Praxisfeldes ungefiltert präsent sind. Das Außen wird durch die pädagogische Präsenz zu einer pädagogischen Veranstaltung und ist in dem hier bestehen Verständnis hybride. Nun wird die Offenheit des pädagogischen Raums auf Dauer gestellt und ist der Normalfall. Mit dem Interface sind die anderen Kommunikationsteilnehmer*innen mit ihren Informationen, Texten, Bildern usw. unmittelbar präsent. Natürlich hat das auch Auswirkungen auf die Aufgaben, das Zulassen von Material und letztlich auf Beurteilung und Bewertung. Die Lernschleife konstituiert den Lerngegenstand durch eine Frage, eine Irritation oder Behinderung. Die Lernschleife ist an diesem Ort eine Entschleunigung, um das Problem zu lösen. Das
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Sicherlich ist diese Diskussion nicht neu, da schon in der herkömmlichen Schule die Aufgabenmodelle heftig diktiert werden. Portfolio, Wochenplanarbeit sind hier beispielgebende Stichworte.
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Außen ist der Grund und kein Hinderungsgrund. Die Diskussion über offene Aufgabenformate ist in der Didaktik nicht wirklich neu. Die Offenheit wurde jedoch unter der Prämisse der Steuerung durch die Lehrkraft betrachtet und im Kontext der territorialen Schule. Die sich dabei ergebenen Probleme können zugespitzt so beschrieben werden, dass danach gefragt wird, wie die Offenheit der Aufgabe in eine Einheit des Stundenergebnisses überführt und dabei das räumlich-zeitliche Regime berücksichtigt werden kann. Die Vielfalt der Ergebnisse soll in ein für alle verbindliches Stundenergebnis überführt werden. Heute ist die Masse der Informationen ein Steinbruch, um neues Wissen zu produzieren, neues Wissen zu generieren (siehe dazu auch Kreativität Kap. 5.2). Daten sind Informationen über die Welt. Sie machen eine Unterscheidung, eine Differenz. Daten benötigen die klare Abgrenzung zu anderen Daten und sind insoweit immer semiotische Artefakte. Die Informationen sind der Rohstoff für neues Wissen und für das soziale Leben. »Der Umstand, dass einerseits Informationen integraler Bestandteil sozialen Handelns sind und das andererseits elektronische Informations- und Kommunikationstechnologien in fundamentaler Weise auf die Organisation der Verfügbarkeit und Verteilung von Informationen Einfluss nehmen, bewirkt, dass es in immer mehr Bereichen der Gesellschaft zu einer untrennbaren Verknüpfung von sozialer Welt und Informationstechnologie kommt.« (Hagendorf 2017, S. 17) Didaktische Darstellungsformen schulischer Artefakte wie die phänotypische Reduktion von Dingen der außerschulischen Welt, Typisierungen von empirischen Erscheinungsformen oder Reduktion auf das didaktische Besondere werden so nicht mehr funktionieren. Schulisches Lernen heißt, dass die Daten, Informationen und das Wissen im Netz zu einer Problemstellung, zu einer Lernplanung überhaupt erschlossen werden müssen. Das wird sicherlich zunächst ergänzend und eng begleitend erfolgen müssen und wird darin münden, dass sich die Akteure zu jeder Zeit in offenen Informations- und Wissensumgebungen bewegen, die innerhalb des hybriden pädagogischen Raums bearbeitet werden. Das Erschließen solcher Daten und Informationen bedarf einer spezifischen und auszubildenden Kompetenz, um beispielsweise die Qualität einschätzen zu können, die Fähigkeit, sinn- und absichtsvoll Daten und Informationen zu finden, sie zu ordnen und für das eigene Vorhaben zu arrangieren usw. Da das Wissen rasant wächst und schnell veraltet oder revidiert wird, ist die Kompetenz der Aneignung von immer größerer Bedeutsamkeit. War die Quellenkritik vormals eine eher akademischen Berufen vorbehaltene Kompetenz, ist sie nun eine allgemeine Kompetenz, die die Voraussetzung für eine konstruktive und aktive gesellschaftliche Teilhabe ist. Dem Auswendiglernen steht die Aneignungskompetenz gegenüber. Mit der Aneignungskompetenz, also sich Wissen anzueignen, wächst die Autonomie der Lernenden, die sich für die Art und Weise der Aneignung entscheiden müssen. Darunter ist
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
zu verstehen, dass die Schüler*innen unter den Bedingungen der dynamischen Wissensgesellschaft lernen, selbstständig im Netz nach Informationen zu suchen. Neben der Fähigkeit der Quellenkritik ist eine wichtige Kompetenz, dass auch gewusst wird, wann eine Sättigung vorhanden ist. Schnell kann es passieren, dass sich die Schüler*innen in der Menge der Informationen im Netz verlieren. Mit jeder Suchanfrage werden weitere mögliche Fundstellen angezeigt, weitere Aspekte eröffnet, Meinungen offeriert. Schnell kann es dabei passieren, dass sie sich darin verlieren und in einen Suchregress geraten, der in einem Nirgendwo endet, oftmals in der Erschöpfung, der Ratlosigkeit und weniger in einem Ergebnis, um das es eigentlich ging. Der Leistungsnachweis des Lernens. Oftmals kommt recht schnell die Frage auf, wie denn die Schule als Institution des organisierten Lernens und der Vergabe von Zugangsberechtigungen Lernen zurechnen kann, wenn im Sinne von Baecker (2018) die Logik solcher Organisation betrachtet wird. Durch den »Output« bzw. das »Outcome« wird der Erfolg des zurückliegenden »Lernens« ausgewiesen und das pädagogische Handeln im Nachhinein nach außen legitimiert, wenn die Lernaktivitäten ratifiziert werden. Das wird nun durch die digitalen Medien infrage gestellt, die die Akteure unmittelbar mit der Lebenswelt in einen Dauerkontakt bringen, wenn man weiß, wie man sie zu bedienen hat. »Prüfungen, welche digitale Medien ausschließen, werden […] immer weltfremder und prüfen nicht mehr das in der Realität notwendige Wissen und Können ab. Umgekehrt gehört die kompetente Nutzung digitaler Werkzeuge heute zur Allgemeinbildung und muss darum geprüft werden.« (Honegger 2017, S. 53) Das herkömmliche Prinzip der Leistungszuweisung durch die Schule ist bekannt. Zu diesem Zweck werden die Schüler*innen untereinander isoliert, um die Leistung jeweils jedem/jeder Einzelnen zurechnen zu können. Die Lernenden sollen bei beschränkten Bedingungen ihre Leistungsfähigkeit zeigen (Winter 2011, S. 34ff.), die sie im zurückliegenden Unterricht erworben haben. Dafür wird das Arbeitsmaterial definiert und die erlaubten Hilfsmittel ausgewiesen. Ein Kennzeichen solcher Evaluationen ist, dass die Lernbedingungen auf das Gedächtnis und das »Schöpfertum« der Schüler*innen reduziert werden. Die These dahinter ist, dass in solchen Momenten die erworbene Lernleistung gezeigt und präzise auf die Personen rückbezogen werden können. Doch inwieweit eine solches Arrangement sinnvoll ist, wird seit Längerem kritisch diskutiert. »Man sollte in der Prüfung genau jene Hilfsmittel zulassen, die auch im Unterricht verwendet werden, oder schon im Unterricht darauf hin arbeiten, allmählich mit den in der Prüfung verfügbaren Hilfsmittel auszukommen.« (Sacher 2009, S. 74)
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Da Bildung medial ist, spielen eben auch – insbesondere digitale Medien – in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle, um den Einfluss von außen zu unterbinden, die den pädagogischen Prozess vermeintlich unterlaufen und die Zurechnung gefährden könnten. Auf Seiten der Schüler*innen gibt es eine lange Geschichte der Deviants in Form des Spickzettels, der auf der Schultoilette versteckten Bücher, des Abschreibens oder des heimlichen Vorsagens.6 Das setzt sich insbesondere auch für den Laptop bzw. das Smartphone fort, die als Universalmaschinen so scheinbar spielerisch den Zugang zur digitalen Welt öffnen und den Lernenden die Informationen zur Verfügung stellen, um Plagiate zu produzieren.7 Sie stehen unter einem Generalverdacht. Auf der einen Seite des Klassenraums liegen die Handys fein säuberlich auf einem Tisch aufgereiht, auf der anderen Seite sitzen die Schüler*innen vor ihrem Aufgabenblatt – so zeigt sich momentan die Leistungsüberprüfung in den Schulen. In der Regel wird die Zurückweisung von Smartphones in Test- bzw. Leistungssituationen mit zwei Argumenten begründet: a) Das Lernargument: Ein Argument ist, dass die Schüler nicht mehr lernen, weil sie alle Antworten im Netz finden und demnach keine Anstrengung notwendig sei. Das populäre Stichwort ist die bereits erwähnte »digitale Demenz« (Spitzer 2014). b) Leistungsüberprüfungsargument: Es soll eine eigenständige Leistung im Rahmen der drei Anforderungsbereiche (AFB) erbracht werden, die durch den Einsatz von Smartphones nicht mehr klar zu erkennen wäre. Zudem würde mit den digitalen Medien dem »Betrug« bzw. der unlauteren Absicht Tür und Tor geöffnet werden.
Nachfolgend soll in einem ersten Schritt die Stichhaltigkeit der zweiten Behauptung (zur ersten Behauptung siehe Kap. 5.2 zum Lernverständnis) überprüft werden, um dann ausgehend von dem erweiterten Lernbegriff (siehe 5.2) anschließend Aufgabenformate zu skizzieren, die den Einsatz von Smartphones auch für Klassenarbeiten oder Klausuren im Rahmen der AFB ermöglichen. Anforderungsbereiche (AFB) als Qualitätssteuerung von Aufgaben im Leistungsraum. Wenden wir uns dem Argument zu, dass die Leistungszurechnung ausgehöhlt würde, wenn Smartphones bei Klausuren oder Klassenarbeiten zugelassen würden. Unterstellt wird, dass die Aufgabenanforderungen, wie sie beispielsweise
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Oftmals werden die alten Formen der Deviants in der aktuellen Diskussion um digitale Medien ganz vergessen. Ausnahmen sind in Berlin beispielsweise Klausurersatzleistungen, die Präsentationsprüfung im MSA (Mittlerer Schulabschluss) und die 5. Prüfungskomponente im Abitur, in denen digitale Medien eingesetzt werden können.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
in den Berliner AV Prüfungen ausgewiesen sind, nicht erfüllt würden, wenn man Smartphones zuließe. Dahinter steht die Annahme, dass der Transfer von »Innen« nach »Außen« durch äußere Einflüsse verfälscht werde bzw. dass das »Geernte« nicht angemessen durch Aufgaben abgefragt werden könne. Zugleich sei die Aufgaben im Leistungsbereich so zu konzipieren, dass unterschiedliche Aufgabenbereiche abgedeckt werden, die unterschiedliche Anforderungsniveaus beschreiben, um die zu evaluierende Lernleistung zu beurteilen. Zweierlei ist an dieser Stelle anzumerken: Die medialen Rahmenbedingungen der typografischen Tradition sind so, dass nicht alle möglichen Medien beigebracht werden konnten. Das Medium Buch gab das nicht her, denn wie sollten alle möglichen Bücher mitgebracht werden, wenn die Aufgabe unbekannt war. Insoweit war das plausibel. Unklar ist jedoch, dass die Hefter, die über den Lernprozess geführt wurden und als Nachschlageinstrument dienten, nicht zugelassen wurden, die doch so zumindest im Rahmen der Testlogik der Schule einen konkreten Gebrauchswert erhalten hätten. Der zweite Gesichtspunkt ist der, dass die einzelnen Lernenden aus sich schöpfen sollten. Das ist ein sehr romantischer Lernbegriff, der noch Anklänge an die orale Traktion besitzt, sich die Welt in seinem Gehirn »abspeichern« zu können. Lernen wird als ein Prozess jenseits der Umwelt gedacht, in die die Medien auch gehören. Besonders fällt das auf, wenn die Hefter als Speichermedium verstanden werden. Die Mitschriften haben allein den Sinn, die gemeinsamen Gedanken aufzuschreiben. Auch hier ist dann die Logik nicht klar, dass man den Hefter dann auswendig lernen soll und diese Lernkapazitäten nicht für andere Tätigkeiten nutzen könnte (siehe zum Lernbegriff Kap. 5.2). Die Anforderungsbereiche (AFB) werden durch Operatoren gekennzeichnet, die die verschiedenen Leistungsebenen abgrenzen sollen. Sie dienen den Lehrkräften und Schüler*innen als Orientierungsrahmen, um das »Lernen« zu präsentieren. Doch diese Operatoren sind nicht durchsichtig. Nachfolgend soll zunächst gefragt werden, wie klar die Operatoren der Anforderungsbereiche überhaupt den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden. Die folgenden Punkte, entnommen aus den AV Prüfungen (24. Juli 2017, Berlin) zeigen auf, dass bei der Erstellung und Bewertung von Prüfungsaufgaben drei Anforderungsbereiche zu berücksichtigen sind. Der Anforderungsbereich I umfasst das Wiedergeben von Sachverhalten und Kenntnissen im gelernten Zusammenhang, die Verständnissicherung und das Anwenden und Beschreiben von Arbeitstechniken und Verfahren. Der Anforderungsbereich II hebt das selbstständige Auswählen, Anordnen, Verarbeiten, Erklären und Darstellen bekannter Sachverhalte unter einer vorgegebenen Problemstellung und das selbständige Anwenden vom Gelernten hervor. Der Anforderungsbereich III schließlich erfordert das Verarbeiten komplexer Sachverhalte, eine selbstständige Lösung, Gestaltung und Deutung usw. Auch hier sollen selbstständig geeignete Arbeitstechniken und Verfahren angewendet werden, um eine unbekannte Problemstellung zu bearbeiten und zu lösen.
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Ziel der Anforderungsbereiche (AFB) ist es, ein Analyseinstrument zur Verfügung zu stellen, um bei der Aufgabenerstellung ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Anforderungsbereichen sowie eine Bewertungstransparenz herzustellen und um Leistung kommunizieren zu können, indem kriteriengeleitet beurteilt wird. Werden die Anforderungsbereiche angeschaut, kann erkennt werden, dass sie an die Taxonomie von Bloom (1972) angelehnt sind, die selbst jedoch keine Lerntheorie besitzt. Die Aufgabenbereiche besitzen eine Hierarchie der Komplexitätssteigerung, indem das Erinnern an Wissen (AFB I) am geringsten eingestuft, die Beurteilung von Gegenständen und Sachverhalten (AFB III) als bedeutsam hervorgehoben und die jeweils niedrigwertige Ebene als Voraussetzung der übergeordneten Ebene angesehen wird: Der Aufgabenbereich III wird »schwieriger« als Aufgabenbereich 1 eingeschätzt. Problematisch ist zunächst, dass der Indikator »Schwierigkeit« keine pädagogische Größe darstellt, da sie keine Auskunft über den Stellenwert der Aufgabe im Unterricht gibt (Sacher 2009, S. 79). »Allein die Bedeutsamkeit eines Inhalts ist maßgeblich für den Raum, welchen wir ihm im Unterricht und in der Leistungsüberprüfung geben. Gewichtungen nach der Schwierigkeit sind unsinnig. In unseren Schulen muss endlich eine ›Perestroika‹ von Denken in Schwierigkeiten zum Denken in Bedeutsamkeiten vollzogen werden.« (Sacher 2009, S. 81; Hervorhebungen im Text) Die Aufgabenbereiche I bis III müssen jedoch in Bezug auf ihre Begrifflichkeit kritisch betrachtet werden, da diese teilweise ungenau ist. So wird Wissen hauptsächlich als ein »Sich-Erinnern«, ein Wiedererkennen oder Reproduzieren verstanden. Doch dahinter verbergen sich unterschiedliche Komplexitätsgrade wie Einzelheiten (Begriffe, Daten oder Fakten), Methoden, fachspezifische Konventionen (wie grammatische Regeln) oder Verallgemeinerungen im Sinne von Abstraktionen (wie Wissen um Modelle). Dahinter steht die Idee, dass wir das Wissen aus uns selbst schöpfen müssen. Dabei wird kein Unterschied gemacht. Die bereits mit der Buchpresse ansetzende Wissensexplosion hat bis heute deutlich gemacht, dass das Wissen nicht auswendig gelernt werden sollte, sondern gesucht, intelligent gefunden und hinsichtlich der Problemlage selektiert werden muss. Sinnvoll ist, höhere mentale Prozesse zu schulen und nicht das Auswendiglernen von Fakten (Göldi 2011, S. 33). »Our skills and our institutions are simply not big enough to contain knowledge« (Weinberger 2011, S. XIII). Dennoch ist es immer noch so, dass das deklarative Wissen im Gegensatz zu anderen kognitiven Leistungen überdeutlich viel in der Schule und in Testsituationen abgefragt wird.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
»Der Prüfungscharakter vieler Leistungssituationen hat offensichtlich eine enge Beziehung zur Monokultur und eine Zentrierung auf den Erwerb von propositionalem Wissen.« (Höfer 2011, zit.n. Winter 2014, S. 69) Der zweite Aufgabenbereich umfasst Indikatoren wie »Verstehen«, »Analyse« oder »Anwenden«. Mit »Verstehen« ist gemeint, dass der wörtliche Inhalt eines Sachverhaltes (beispielsweise einer Quelle) in schriftlicher, grafischer oder bildlicher Form für einen gewissen Zweck, also beispielsweise für eine Aufgabenstellung, erfasst wird. Dazu gehört, dass sich dieses Erfassen in einer Repräsentation manifestiert, also in die »eigene« Sprache der Lernenden übersetzt wird. Die Schüler*innen interagieren mit dem Lerngegenstand und nehmen eine Übersetzung der Quelle in bekannte Begriffe vor, wobei die Quelle nicht nur verstanden, sondern auch so übersetzt werden muss, dass sie nahe an der zugrundeliegenden Aufgabenstellung ist (vgl. Göldi 2011, S. 37ff.). Eine Unterscheidung zwischen »Lernen« und einer Testsituationen, die Gelerntes evaluiert, ist undeutlich. Unter »Anwenden« wird ein Lerntransfer verstanden, um ein neues Problem unter Heranziehung von »Wissen« zu bearbeiten. Für den Leistungsraum werden ähnliche Aufgaben wie im Unterricht formuliert, um das Gelernte zu evaluieren. Die Frage ist dabei, wie weit eine Transferaufgabe vom gelernten Gegenstand im Unterricht entfernt sein kann/soll/muss, um noch als »ähnlich« zu gelten. Grundsätzlich ist »Ähnlichkeit« schwer einzuschätzen und unterliegt einer Interpretation durch die Aufgabenersteller. Hinzu kommt, wie Göldi (2011) aufzeigt, dass ein Wissenstransfer auf einen unbekannten Bereich als eine »Lernhandlung« anzusehen ist. Das Problem besteht darin, dass das Wissen-Anwenden-Modell nicht zwingend greift, da die Lernenden durch die Problembearbeitung explizit neues Wissen generieren. Dem Wissen, das in der Übertragungssituation erworben wird, wird mehr Transferpotenzial zugerechnet als dem angeeigneten Wissen aus dem Unterricht (Göldi 2011, S. 45) und es ist unklar, was evaluiert wird. Die »Analyse« verlangt, dass das Material aufgelöst wird (vgl. kritisch Gruschka 1999, S. 166), um für die Problembearbeitung die Beziehung zwischen den Teilen des Materials hinsichtlich der Lösung der Aufgabenstellung zu entdecken. Die Dekonstruktion des Materials in Hinblick auf die Problemstellung ist ein eigensinniger – ohne an der Stelle den Begriff »kreativ« zu benutzen – Prozess, der vor dem Hintergrund ähnlicher Handlungen im vorausliegenden Unterricht gerahmt ist. Die »Synthese« (Aufgabenbereich 3) beschreibt das Zusammenfügen von Elementen zu einem konsistenten Ganzen und beschreibt einen schlussfolgernden Prozess (vgl. Göldi 2011, S. 49). Unter Berücksichtigung der evaluativen Absicht ist die Kategorie problematisch (vgl. Göldi 2011, S. 51), weil die Lehrkräfte an dieser Stelle konzeptionelle Ideen bewerten, jedoch kein Wissen aus dem Unterricht. Kurzes Zwischenresümee. Aus der obigen Diskussion kann festgehalten werden, dass die Konzeption von Aufgaben unter Heranziehung der Anforde-
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rungsbereiche (AFB), insbesondere der AFB II und III, keine klare Differenzierung zwischen Evaluation und Lernen zulässt. Undeutlich ist, welche Fähigkeiten, Fertigkeiten oder kognitiven Prozesse jeweils zum Tragen kommen (vgl. Ingelkamp/Lissmann 2008, S. 201). Zunächst sollen Aufgaben angesehen werden, die im Leistungsraum liegen, da hier oftmals viele Bedenken vorliegen, dass das Internet nicht eingesetzt werden kann. Obwohl das gar nicht so stimmt. Beispielsweise gibt es für den Mittleren Schulabschluss (MSA) und das Abitur verschiedene Prüfungsformate, die durchaus die Nutzung des Internets zulassen. In solchen Fällen genügt die Versicherung, dass das Produkt eigenständig hergestellt wurde. Aufgaben im Leistungsraum. Diskussionen um die Aufgaben im Leistungsraum thematisieren u.a. die Relation zum Gelernten, die Hilfsmittel und die Zueignung zum jeweiligen Lernenden. Anderson hat eine Neuanordnung der Bloomschen Taxonomie vorgenommen, indem er zwischen den kognitiven Dimensionen und den kognitiven Prozessanforderungen unterscheidet (Anderson 2014, S. 5; siehe Tabellen 19 und 20), um das Zusammenwirken (Interrelationship) zwischen den verschiedenen kognitiven Dimensionen und den kognitiven Anforderungen auf der Prozessebene zu beschreiben (vgl. die Kritik bei Baumgärtner 2011, S. 36ff.; siehe auch die Tabellen 19 und 20). »The categories of the cognitive process dimension are intended to provide a comprehensive set of classification of those student cognitive processes that are included in objects.« (Anderson 2014, S. 30) Auf der Ebene der kognitiven Dimension wird in Anlehnung an Bloom eine Komplexitätssteigerung beispielsweise wie folgt beschrieben: »Factual knowledge contains the basic elements students must know if they are to be acquainted with the discipline or solve any of the problems. […] For the most part, factual knowledge exists at a relatively low level of abstraction […] »Conceptual knowledge includes knowledge of categories and classifications and the relationships between and among them – more complex, organized knowledge forms.« (Anderson 2014, S. 45 und 48; Hervorhebungen im Text) Die Komplexitätssteigerung beschreibt jedoch keine Reihenfolge von Aufgabenformaten in dem Sinn, dass die jeweils zuvor niedrigere Anforderung die Voraussetzung für die nächsthöhere Komplexitätsstufe beschreibt (vgl. auch Göldi 2011, S. 86), sondern um eine bessere Bestimmung kognitiver Anforderungen im Lernund Leistungsbereich für die folgenden Bereiche vorzunehmen: • • •
»identfying the intended cognitive outcomes«, »guiding the selection of effective instructional activities« und »selecting or designing appropriate assessments« (vgl. Anderson 2014, S. 12).
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Anderson hat die Taxonomie von Bloom dazu auf eine XY-Achse aufgegliedert, um deklaratives Wissen und prozessuales Wissen differenzierter zu beschreiben (siehe weiter unten die Tabellen 19 und 20). Aus Platzgründen sind die X- und Y-Achsen hier tabellarisch skizziert. Auf der Prozessebene zeigen sich die kognitiven Anforderungen wie folgt: Tabelle 1: prozessuales Wissen nach Anderson (2014) Remember: retention of presented material – Verb: retrieving; identifying Understand: when they are able to construct meaning from instructional messages, including oral, written, and graphic communications... during lectures, in books, or on computer monitors – Verb: interpreting, exemplifying, classifying, summarizing, inferring, comparing, explaining Apply: involves using procedures to perform exercises or solve problems. Nähe zu: procedural knowledge; executing if familiar task, implementing if unfamiliar task – Verb: carrying out, using Analyze: breaking material into its constituent parts and determining how the parts are related to one another – Verb: differentiating; organizing; attributing (point of view, biases, values, intention underlying communication) Evaluate: making judgments based on criteria – Verb: checking (testing, monitoring), critiquing (judging) Create: putting elements together or form a coherent or functional whole – Verb: generating, planing, producing... Quelle: nach Anderson 2014, S. 63 ff.
Für die Dimensionen des Wissens werden folgende Bestimmungen vorgenommen: Tabelle 2: deklaratives Wissen nach Anderson (2014) The Knowledge Dimension A. Factual Knowledge
bits of information terminology knowledge of specific details…
B. Conceptual Knowledge
more complex, organized knowledge forms classification principles generalization theories, models, structures
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Der hybride pädagogische Raum
C. Procedual Knowledge
knowledge of how to do something techniques methods criteria used to determine and/or justify
D. Meta-cognitive Knowledge
knowledge of cognition in general as well as awareness and knowledge about one’s own cognition cognitive tasks self-knowledge
Ein Aufgabenbeispiel. Wenn Smartphones bei Klassenarbeiten, Klausuren usw. zugelassen würden, hat das vor allem Folgen bei der Leistungserwartung in der Dimension »Factual Knowledge«, weil die Informationen in der (multi-)medialen Umgebung zur Verfügung stünden. Was zuvor auswendig gelernt werden musste, steht im Sinne der Embedded Cognition nun als kognitive Struktur beispielsweise in Form von Mitschriften, Verlinkung, Linksammlung usw. online oder offline zur Verfügung. Aufgewertet werden hingegen die Prozessebene »remember« und die Dimension »Procedural Knowledge«, um mit den Daten im Rahmen der Aufgabenstellung sinnvoll umzugehen. Notwendig ist, das benötigte Wissen zu finden, zu beurteilen und konstruktiv zu gebrauchen, wie es im zurückliegenden Unterricht der Fall war. Nachfolgend sollen an einem Beispiel drei Varianten für eine Aufgabenstellung dargestellt werden. Bewusst wird hier eine Aufgabe ausgewählt, die ein spezifisches lokales (brandenburgisches) Problem behandelt wie beispielsweise für den Geschichtsunterricht die Siedlungspolitik Friedrichs II. im Spreewald 1766, um »Ausländer« – in dem Fall Sachsen – anzuwerben. Der Vorteil solcher spezifischer Aufgaben ist, dass »Plagiatsversuche« weniger wahrscheinlich sind. Doch auch für globale Aufgaben ist es möglich, »Lernen« im Rahmen der Aufgabenbereiche zu bestimmen. Die nachstehenden Aufgaben werden mit dem Modell von Anderson reflektiert, um eine Vorhersage der Leistungsanforderungen möglich zu machen. Die in Klammern gesetzten Zahlen können in Verbindung mit dem Buchstaben der Aufgabenvariante in der weiter unten stehenden Tabelle 21 nachvollzogen werden. Die Skizze hat nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll lediglich die Machbarkeit demonstrieren (vgl. auch Tabelle 3). Variante A: >Diskutieren Sie (1) die Aussage, dass die EU (2) kein demokratisches Gebilde (3) seiDiskutieren Sie (1) die Aussage, dass die EU (2) kein demokratisches Gebilde (3) sei. Recherchieren Sie zu dem vorliegenden Material mindestens… B1/eine seriöse Quelle (4), die die Aussage vertritt. Variante: B2 ein Demokratiemo-
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dell (4), um eine Diskussion durchzuführenPrüfen (1) und diskutieren (2) Sie die Position (3) in der Quelle XY (4) hinsichtlich der Frage, ob die EU (5) ein demokratisches Gebilde (6) sei.< In diesem Beispiel wird die Quelle vorgegeben, die in Papierform vorliegen kann. Im Rahmen einer kritischen Medienbildung ist die Lehrkraft als »Gatekeeper« nicht die letzte Instanz. Auch im Unterricht haben die Lernenden im Rahmen eines partizipativen Unterrichts die Möglichkeit, die verwendeten Quellen zu prüfen C/(4). Eine solche lebensnahe Umgangsweise ist möglich, weil es auf der technischen Seite keine Probleme gibt (WLAN vorausgesetzt). Demzufolge kann eine solche Prüfung auch zum Gegenstand einer Leistungsüberprüfung werden. Wird C/(5) angeschaut, so kann auch hier gesehen werden, dass »remember/Factual Knowledge« oder »remember/Procedural Knowledge« notwendig ist. Beide Formen können gleichermaßen bewertet werden, ohne eine Vorgehensweise als wertvoller anzusehen. Grundsätzlich kann für alle Aufgabenvarianten gesagt werden, dass Strategien der Recherche, der Prüfung als auch die Kriterien einer Prüfung »gewusst« werden müssen (»remember«). Unter Heranziehung materialistischer, phänomenologischer, praxistheoretischer Ansätze und dem Konzept der Embedded Cognition ist Lernen eine Praktik »in-der-Welt«, in der das Subjekt sich befindet, erzeugt und mitgestaltet. Die mediale Umwelt des Lernens erzeugt eine nicht zu umgehende Praktik des Lernens und eine spezifische Erfahrung. Sicherlich machte es in zurückliegenden Mediengesellschaften Sinn, Wissen »auswendig« – mhd. »ûzwendig«, ohne Buch – zu lernen. Mit den nunmehr ständig zur Verfügung stehenden digitalen Medien und Wissensressourcen sind eine kognitive Vernetzung, Auslagerung und Entlastung vorhanden, die zugunsten anderer Aufgaben (vgl. Clark 1998, S. 8) wie dem
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Tabelle 3: Kennzeichnung der Anforderung
vertieften und kompetenten Umgang mit Wissen ins Zentrum gerückt werden können. Weil die digitalen Medien die innere und abgeschottete Organisation des Unterrichts nach außen stülpen und jeder Kontakt einen Außenkontakt darstellt (vgl. auch Baecker 2018, S. 176ff.), muss eine neue und andere Aufgabenkultur etabliert werden, die die Vorstellung des abgeschotteten Lern- und Leistungsraums verändert. Wie gezeigt wurde, ist die Zurechnung von Leistung möglich, wenn das Smartphone explizit oder implizit in Leistungssituationen zugelassen wird. Voraussetzung ist eine sinnvolle Kontextualisierung der Aufgaben durch den vorausliegenden Unterricht, in der die Praktik eine Erfahrung anbahnt. Solche Aufgabenformate verlangen eine andere Unterrichtskultur, die eine entsprechende Praktik etabliert. Dazu gehört auch, dass die Lernenden einen kritischen Umgang mit der Informationssuche erlernen und ein Selbstverständnis für das geistige Eigentum als auch ein Verständnis für die »Open-Source-Bewegung« entwickeln.
5.5
Sozial- und Kooperationsformen
Wenn zuvor von der Fluidität des Internets gesprochen wurde, dann im Sinn von Kommunikation, Interaktion, Kooperation, Kollaboration usw. In dem Sinn hat das Netz selbst eine Sozialform, ohne dass diese von jedem Akteur selbst intendiert
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Der hybride pädagogische Raum
sein muss. Im Sinne des Rhizoms gibt es nicht den Ort, sondern Orte.8 Floridis Informationszyklus (2014, S. 5) beschreibt das Sammeln, Speichern, Bearbeiten, Verteilen und die Wiederverwertung von Informationen im Netz und ist eine Form der Kontribution durch die Masse der Akteure. Obwohl sich vielleicht schnell die Metapher zur »invisible hand« von Adam Smith aufdrängt, liegt darin keine Wertung zu einem Besseren hin vor, dass das Rhizom keine definierte Gemeinschaft der Begünstigten kennt. Auch der Begriff der Globalität ist dafür nicht sinnvoll, da es sich um ein Phänomen handelt, das kein Ganzes darstellt, weil es kein Außen mehr besitzt.9 Die Beteiligung seit dem Web 2.0 beruht auf Kommunikation und Fluidität des Netzes und versteht darunter den uneingeschränkten Zugang ins Netz, den uneingeschränkten Zugang zu Informationen, wie es im Manifest von Barlow (A Declaration of the Independence of Cyberspace 1996) und 2009 vom Journalistenverband beschrieben wird. Zieht man die Annahmen von Floridi (2014) zur weiteren Entwicklung des Internets heran, dann wird nach dem Web 3.0 (Semantic Web10 ) das Web 4.0 (Bridging Web: »citizen of the information society«) folgen, welches durch das Web 5.0 (cloud computing; eine Auflösung der Relation von global und lokal) abgelöst wird, um schließlich im Web 6.0 (Onlife – Verschmelzung von Online und Offline Worlds) (vgl. 163ff.) zu münden. Diese Entwicklung beruht auf den Prinzipien der kollaborativen Partizipation, die auf Kommunikation und Fluidität basiert. Die grundsätzliche Medialität des Unterrichts findet hier seine Entsprechung zum Netz und im hybriden pädagogischen Raum seine konkrete Realisierung. Grundlage der bewussten Gründung des hybriden pädagogischen Raums durch die Akteure ist ein kommunikativer Akt, bei dem die Akteure eine für die Zukunft formulierte, gemeinsame Problembearbeitung eingehen. In dem Sinn stellt der hybride pädagogische Raum bereits eine Sozialform dar, die nicht durch den konkreten Ort determiniert wird, sondern durch die Orte und die kommunikative und kooperative Praxis der Akteure. Die Sozialformen in einem engeren Sinn können zunächst zwischen den lehrzentrierten und lernzentrierten Formen unterschieden werden. Erstere zeichnen sich beispielsweise durch einen sogenannten Lehrervortrag aus, das gelenkte Unterrichtsgespräch, also eine Form, bei der die Lehrkraft durch eine offene bis enge »Impulsgebung« ein Gespräch mit der gesamten Lerngruppe führt. Doch unter
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Ohne die »Durchmachtungstendenzen« des Netzes im Sinne von Foucault zu ignorieren, wurde bereits weiter oben herausgearbeitet, dass es durchaus Heterotopien gibt (vgl. Kap. 2). Auch der Begriff »Interesse« wäre problematisch, da die Akteure nicht eindeutig zugewiesen werden könnten. Daten werden durch semantische Felder näher beschrieben, damit sie durch Rechner schneller gefunden werden können (beispielsweise RDF – Resource Description Framework)
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
dem Gesichtspunkt der Medienbildung ist auch der Arbeitsbogen dazuzuzählen, durch den, wenn er von Lehrkräften erstellt wird, die Lehrer*innen mit den Schüler*innen kommunizieren. Dem stehen kooperative und kollaborative Sozialformen gegenüber, die von der Einzel-, Partner- über die Gruppen- bis hin zur Projektarbeit reichen, bei der die Lernenden mehr oder weniger das Tempo, die Art und Weise der konkreten Umsetzung von Arbeitsaufträgen selbst bestimmen. Weiter oben wurde dargestellt, dass der architektonische Raum als Bedingungsfaktor pädagogischer Praxis oftmals nicht oder nur implizit vorkommt (vgl. Kap. 2). Problematisch daran ist, dass die architektonischen Raumstrukturen eine sich körperlich bemerkbar machende Vorstellung von Pädagogik besitzen, beispielsweise wenn die Raumgröße spezifische Sozialformen unterstützt oder eher verhindert. Vier Wände und nur eine Tür sprechen beispielsweise für eine Separierung der einzelnen Lerngruppen und verhindern eine dynamisch situationsgebundene Varianz von Räumen und Zusammenkommen, wenn sie nicht nach Bedarf erweitert oder verkleinert werden können usw. Der hybride pädagogische Raum favorisiert keine konkrete soziale Form der pädagogischen Arbeit, sondern verweist darauf, dass jede Beschränkung vermieden werden muss. Das beinhaltet auch, dass es nicht schon vorab gesetzt ist, wo und wie sich die Sozialformen konstituieren. Mit Verweis auf die phänomenologischen Ansätze besitzt der hybride pädagogische Raum immer einen analogen Raum, der jedoch nicht zwingend der gemeinsame sein muss. Die Akteure sollen jeweils im pädagogischen Prozess entscheiden, wie sie miteinander arbeiten. Grundsätzlich gilt aber, dass wenn die Schüler*innen im analogen Raum zusammenkommen, dann soll es kein Gerät zwischen der Face-to-Face-Kommunikation geben. Kein (digitales) Medium ist so effektiv, wie die Face-to-Face-Begegnung, der spontane Gedankenaustausch, die Mimik, das Zeigen, die Hinwendung, die körperliche und leibliche Gegenwart. Das heißt jedoch nicht im Umkehrschluss, dass Medien ausgeschlossen sind. Medien sind dann sinnvoll, wenn sich die Schüler*innen beispielsweise gemeinsam im glokalen Raum der Schule bewegen, wenn gemeinsam Informationen, Daten usw. gesucht oder andere Akteure einbezogen werden. Medien sind in die Hand zu nehmen, wenn man sie benötigt. Schüler*innen sollen Medien ohne Restriktion selbstbestimmt nutzen. Medien sind also dann sinnvoll, wenn sie die Kommunikation in Relation zum gegebenen Kontext erweitern und ergänzen. Sie sollen die globale Lebenswelt nutzen und nicht ausschließen. Was heißt das dann für den Unterricht? Zunächst einmal, dass das kollaborative Lernen am gleichen Ort nicht sinnvoll ist, wenn man digitale Medien einsetzt. Wenn man also beispielsweise in der Schule auf einer digitalen Lernplattform gemeinsam arbeitet, obwohl man am gleichen Ort nebeneinandersitzt. Der analoge und digitale Raum, wenn man diese Differenz aufmachen möchte, schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich.
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Der hybride pädagogische Raum
Aus einer solchen Grundhaltung resultiert durch die Aktanten ein spezifischer Unterrichtskontext, indem die Akteure ihre Möglichkeiten mit den Medien nutzen. Das geschieht beispielsweise in der Form, dass spezifische Seiten aufgesucht, Hilfen zur Verfügung gestellt und spezielle Lernräume etabliert werden, die auf spezifische Bedingungen wie Konzentration, Grad der Vertiefung, sprachliche Fähigkeiten usw. abgestimmt sind. Das hat Konsequenzen. Wenn Tablet-Klassen genauso seriell angeordnet sitzen wie bereits in der Buchschule, dann werden die Geräte gegen ihre Intention eingesetzt. Sicherlich ist das auf eigene Weise subversiv, doch mit Digitalität hat das nichts zu tun, wenn Tablets wie Bücher eingesetzt werden. Es ist eine Wiederholung der Sprachlabore, eine rückwärtsgewandte Simulation der Buchgesellschaft. Natürlich sind Medien nicht wertfrei. In Anlehnung an Moor (2006) kann man von Maschinen mit implizitem ethischem Einfluss sprechen, indem die Software und das Design eine bestimmte Vorstellung von Unterricht besitzen. »The machine acts ethically because its internal functions implicitly promote ethical behavior — or at least avoid unethical behavior. Ethical behavior is the machine’s nature.« (Moor 2006, S. 19) Beispielsweise ist es ein Unterschied, wenn ich in einem Schreibprogramm schreibe, dass eine Kollaboration zulässt oder nicht. Oder beliebte Programme wie Kahoot! müssen daraufhin befragt werden, ob sie Kooperation und Kollaboration unterstützen oder eher das Verständnis der Konkurrenz, der Abschottung direkt motivieren und mit dem bestehenden Notensystem und der Bewertung eine Struktur der Konkurrenz fördern. Das geht bis dahin, dass pädagogische Handlungsspielräume durch eine Top-Down-Programmierung unterlaufen werden, wenn beispielsweise eine Fehlertoleranz nicht vorhanden ist, wenn Maschinen, Programme Varianzen von Antworten nicht erkannt werden können bzw. nicht anerkennen usw. Viel wurde schon zu den verschiedenen Sozialformen geschrieben, sodass es an dieser Stelle nicht abermals wiederholt werden soll. Sozialformen sind nicht per se gut oder schlecht, sondern haben im Rahmen des angeleiteten Lernens eine Funktion. Sie sind also nicht an und für sich gut. Das würde Beliebigkeit nach sich ziehen. Das heißt also auch, dass es nicht eine Form gibt, sondern die jeweils sinnvolle Form. Dennoch ist zu bemerken, dass alle Sozialformen, die über eine Einzelarbeit als Sozialform hinausgehen, hinsichtlich der Leistungsmessung einen größeren Legitimationsbedarf besitzen. Obwohl die Sozialform grundsätzlich positiv gesehen wird, ist der Leistungsnachweis zumeist in Form der Einzelarbeit zu leisten. In einer solchen Hinsicht kann man sagen, dass die anderen Sozialformen in dieser Hinsicht einen geringen Gebrauchswert besitzen, da sie im »Ernstfall« nicht eingesetzt werden.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Vom Einzelkämpfer zur Kollaboration. Das Genie, das als Einzelner aus der Masse der Vielen herausragt und in idealer Weise eine Synthese des aktuellen kulturellen Standes darstellt, wird durch das Crowd Thinking erweitert, wenn nicht vielleicht ersetzt. Die Vernetzung der Science Community war schon immer die ideale Vorstellung des Crowd Thinking, die trotz geografischer Hindernisse mit einer Lingua franca (zuerst Latein, nun Englisch) kommuniziert und interagiert, indem Bücher und Aufsätze geschrieben werden, Kongresse zu Themen veranstaltet werden usw. Zugleich wird das System durch ein latentes Wettbewerbssystem unterlaufen, wenn man Formen wie das Forschungsgeheimnis oder das geistige Eigentum heranzieht, die Thematisierungen des Eigentums sind und wiederum auf der Vorstellung des idealisierten, schöpferischen und kreativen Subjekts ruhen (siehe dazu Kap. 5.2). Mit dem Internet wird die Vernetzung mit der Lingua franca Englisch zu einem Alltag der Akteure im Netz. Immer mehr Menschen tun sich zusammen, um gemeinsam über ein Problem nachzudenken, Informationen auszutauschen, Interessen zu vertreten usw. Menschen kooperieren, wenn sie sich gegenseitig helfen, um ein Ziel zu erreichen, Informationen und Wissen werden weitergegeben usw. Wie im echten Leben sind dabei nicht nur Menschen mit lauteren Interessen unterwegs, sondern Akteure, die manipulieren wollen usw. Das ist keine Anomalie des Netzes, sondern die Grundlage der Teilhabe, die auch in der Schule als eine neue Bildungsanforderung verstanden werden muss. Das Netz gleicht einem Rhizom, wodurch Sichtweisen auf die Welt angeboten werden. Das Wissen entsteht zwischen den Köpfen, nicht in dem einen isolierten Kopf, ohne den Einzelnen als eine wichtige Einheit auszuschließen. Für Deleuze (1977) ist bereits das Buch eine Form des Rhizoms, weil die Gebrauchsweisen eines Buches ihm nicht inhärent sind, »sondern [sie] hängen von seinen Verbindungen mit diesem oder jenem Außen ab.« (S. 40). Im Sinne der Glokalität ist »das Netz« als eine groß angelegte Interaktion und Kommunikation zu verstehen, das selbst nicht in einem luftleeren Raum existiert, sondern in einer Praxis vor Ort lokalisiert ist und durch die Praxis der Akteure erst Sinn und Relevanz erhält. Die Akteure vor Ort haben dabei immer eine Wahl und sind dem Netz nicht ausgeliefert. Die vielen User werden zu einer Vielheit, die verschiedene Brillen prüfen, die Welt zu sehen. Das ist die nicht mehr zu hintergehende, kulturelle Anforderung, auf die die nachfolgenden Generationen vorzubereiten sind, um darin nicht zu Spielbällen zu werden, sondern zu Teilnehmer*innen, die ein Recht auf Teilhabe besitzen. Wahlweise kommen die Menschen synchron oder diachron zusammen. Im Sinne der hybriden pädagogischen Räume werden die Art und Weise der Zusammenkunft jeweils bedarfsorientiert von den Akteuren entschieden und finden nicht aus Gewohnheit und Routine zu einer Zeit an einem Ort statt. Die Vielheit der Formen ist das Ideal, nicht die Beschränkung, Zuteilung und die Abrechnung. Wie Giesecke eindrucksvoll darlegt, hat die skriptografische Kultur der Buchgesellschaft den*die einzelne Autor*in hervorgebracht und heroisiert, der*die individuell überzeitliche
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Der hybride pädagogische Raum
und räumliche Wahrheiten anstrebt (vgl. zur Buchkultur Giesecke 2001, 2007). In der Digitalität werden die Autor*innen zu Mitgliedern der Gruppe, in der sie agieren. Wie das Netz insgesamt aus Fragmenten besteht, die keine Einheiten bilden, ist es auch sowohl synchron als auch diachron organisiert. Das Grundprinzip ist die Fluidität. In dem Sinn soll hier der Gedanke von Weinberg (2015) aufgegriffen werden, dass eine Verlagerung vom IQ zum WeQ erfolgt. »In einer Welt, in der sich immer mehr Menschen vernetzen, werden WirQualitäten, die Wir-Intelligenz, das Miteinander gestärkt.« (S. 176) Das Prinzip der »Communities of Practice« ist ein Phänomen des Netzes, die dieses Prinzip quasi auf Dauer gestellt hat. Kennzeichnend für die Gruppen ist, dass sie »more loosely connected«, »self-managed« sind und sowohl auf Interesse als auch Expertise beruhen, wenn sie sich hinsichtlich eines Ziels oder Vorhabens temporär vereinigen (Wenger/McDermott/Snyder 2002, S. 41ff.). Kollaboration ist in dieser Hinsicht eine soziale Konstellation. Eine solche Kommunikation, Kooperation, Kollaboration und letztlich Kontribution kann nur gelingen, wenn es keine Restriktionen gibt. Das gilt selbstredend auch für das Lernen in der Schule: • •
•
• • •
weg von der Einzelorientierung mit Einzelbewertung, dem IQ-Modus, hin zur Teamorientierung ohne Bewertung, dem WeQ-Modus. weg von linearen Problemlösungswegen/Methoden hin zu nicht linearen, interaktiven Prozessen, geprägt durch intensive Recherche und extensive Prototypen. weg von starren, den kompetitiven Einzelmodus unterstützenden räumlichen Umgebungen hin zu flexiblen, die Zusammenarbeit unterstützenden Räumen, die Teams atmen lassen. (vgl. hier auch Weinberg 2015, S. 70) weg von einer Misstrauens- und Kontrollkultur von Materialien und Medien und hin zu einer Ressourcenkultur. weg von einem Innen-Außen-Paradigma und hin zu hybriden Lern-Umgebungen. weg von einer Angebotskultur und hin zu einer Produktionskultur, in der Probleme aktiv gefunden, in Kontexte eingeordnet, abgestimmt, umformuliert usw. werden.
Kollaboration beinhaltet das Ziel, gemeinsam Ziele anzustreben und am Ende ein gemeinsames Produkt zu erzeugen. Die Kollaboration erweitert das Prinzip der Kooperation, das das Paradigma des typografischen Zeitalters ist. Ohne die Kooperation zu diskreditieren, ist sie ein Prinzip von einzelnen Akteuren, die etwas beisteuern, ohne prinzipiell die Autor*innenschaft infrage zu stellen. Am Ende steht nicht die Verantwortung für ein Endprodukt. Zudem wird eine »kollektive Selbstwirksamkeitsüberzeugung« erzeugt:
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
»In Form des gemeinsamen Handelns machen Individuen nicht nur die Erfahrung sozialer Resonanzbeziehungen, indessen sich wechselseitig erreichen, antworten und verstärken, sondern sie erleben auch ihre Fähigkeit, weltwirksam zu sein.« (Rosa 2019, S. 275; Hervorhebungen im Text) Kollaboration ist ein »non-routine interactive skill«. Sie erfordert neben der Distribution von deklarativem und prozessualem Wissen zwingend die Interaktion, die für das Lernen in digitalen Umgebungen hochgradig nachhaltig ist. Formen wie »putting ideas on the table«, »posing questions«, »paraphrasing« (Thinking Collaborative 2017, S. 9) oder auch das richtige Zuhören und Nachfragen (vgl. Fadel/Biali/Trilling 2017, S. 140) initiieren solche kollaborative Ausgangssituationen. Es sind die Erweiterung der individuellen Perspektive, die Praktik der Akteure, das gemeinsame Erzeugen von Daten, Informationen zu neuem Wissen usw. Durchaus gibt es auch Gefahren der Kollaboration wie das Groupthink-Phänomen, das sich darin zeigt, dass das Potenzial des Crowd Thinking nicht zur Entfaltung kommt, weil es zu Hierarchisierung, zu Denkdoktrinen oder Fraktionierung kommt. Doch damit ist nicht das Prinzip beschädigt, sondern es handelt sich um eine unproduktive Praxis, die durch die Akteure erkannt werden muss, um produktive Teilhabe zu schaffen. Notwendig ist eine ethische Positionierung, die das Produkt über den Weg dorthin stellt. Durchaus wichtig ist das Wissen darum, dass mit dem Weg auch das Produkt anders wird. Ein »Besser« oder »Schlechter« kann nicht eingeholt werden, da der Prozess nicht zweimal durchlaufen werden kann, ohne dass grundsätzlich andere Ausgangsbedingungen vorliegen. Was hingegen gesagt werden kann, ist, dass die Akzeptanz höher ausfällt und in einem Nachgang weniger Korrekturen vorgenommen werden müssen. Kollaboration wird hier auch so verstanden, dass die Akteure des Unterrichts (siehe Kap. 5.3) in den Lernprozess und in die Planung des Unterrichts eingebunden sind und diese kollaborativ und kooperativ stattfindet. Unterricht wird nicht nur durch die Lehrkraft angeboten, sondern auch durch die Schüler*innen geplant und gesteuert. Die Kollaboration ist in hybriden pädagogischen Umgebungen nicht zwingend synchron. Zeitliche und räumliche Aspekte treten zugunsten der Produkterstellung in den Hintergrund. Es gibt die Tag- und Nachtarbeiter. Oftmals staunt man darüber, wann sich die Schüler*innen zum Arbeiten hinsetzen. Davon abgesehen sind die Selbstverantwortung wie auch die Selbstregulation, seinen Part zu erledigen, von größerer Bedeutung. Der hybride pädagogische Raum kann in der Schule sein, auf dem digitalen Campus, in einer Bibliothek, Zuhause usw. Die Schüler*innen treffen sich dann, wenn sie es für den Austausch relevant finden. Die verschiedenen Orte und Zeitpunkte stimulieren die Akteure, die körperliche Zusammenkunft wird sinnvoll und wichtig und ist keine Routine. Anwesend zu sein ist eine Entscheidung, die die Schüler*innen treffen. Insoweit setzt die Kollaboration eine hohe soziale Selbst-
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Der hybride pädagogische Raum
einschätzung und Selbstregulation voraus, um eine sinnvolle synchrone als auch asynchrone Praxis zu erzeugen. Wichtig ist jedoch zu begreifen, dass die Kollaboration eine spezifische soziale Kompetenz abverlangt, die pädagogisch begleitet werden muss. Doch der hybride pädagogische Raum oder die dort stattfindende Kollaboration kommt nicht ohne zwischenmenschliche Begegnung aus. Im Gegenteil kann gesagt werden, dass in dem hybriden pädagogischen Raum ein erhöhtes Sensibilisieren für das Zusammenkommen von Menschen entsteht: Es kann gesagt werden, dass der »›Körper‹ als Inbegriff der Sinnesvielfalt […] neu entdeckt« (Giesecke 2001, S. 318) wird. Wenn die Menschen zusammenkommen, dann wenden sie sich nicht ab, um Arbeitsblätter auszufüllen, Texte zu lesen usw. Wenn Menschen analog zusammenkommen, dann sind sie zugewendet. Wie Weinberg (2015) plausibel darlegt, ist die situative Einbettung der Begegnung ein wesentlicher Faktor für eine sinnstiftende Arbeit. Im analogen Bereich meint Kollaboration, dass die Faceto-Face-Begegnung schneller, kreativer und intuitiver funktioniert als zwischengeschaltete Werkzeuge wie Schreibaufträge, Lesephasen usw. Die Begegnung wird aufgewertet, wenn sie eine ganzheitliche Begegnung ist, die sich durch Selbstbestimmung und ein sinnstiftendes Lernen auszeichnet. Letztlich sei darauf hingewiesen, dass die Kollaboration nicht vom Himmel fällt und nicht voraussetzungslos ist. Insbesondere muss darauf geachtet werden, dass keine Bildungsbenachteiligung tradiert wird, da Kollaboration immer auch Bildungsvoraussetzungen besitzt. Zu fragen ist, wer miteinander kollaboriert, welche Hilfen erforderlich sind, wie das Monitoring aussieht. Wie aufgezeigt, ist die Selbstregulation eine wesentliche Bedingungsgrundlage, um erfolgreich in solchen Umgebungen an einer Praxis teilzunehmen. Nachfolgend sollen ausgewählte Formen der Kollaborationen dargestellt werden, wie sie insbesondere für den hybriden pädagogischen Raum von Bedeutung sind. Die Formen haben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sind so ausgesucht, dass an ihnen Prinzipien exemplarisch dargestellt werden.
5.5.1
Flipped pedagogical Environment
In der Digitalität werden die Schüler*innen langfristig als »Prosumer« angesprochen, die aktiv, konstruktiv und kommunikativ in der Perspektive einer aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Teilhabe zusammenarbeiten. Dabei sind Monitor und Maus eine Schnittstelle, die die Bewegung im digitalen Raum koordinieren und eine Art »Transzendierung des Körpers« ermöglichen (vgl. Jörissen 2007, S. 230ff.) und mit anderen einen hybriden sozialen Raum erzeugen. Ein Bereich ist der hybride pädagogische Raum, der sich im Gegensatz zum klassischen territorialen pädagogischen Raum zu nicht pädagogischen Akteuren öffnet, ohne die Schüler*innen dabei allein zu lassen.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Wie gezeigt, ist der hybride pädagogische Raum durch die Vernetzung und durch das Lernen mit und unter anderen gekennzeichnet. »Flipped Classroom« ist ein Unterrichtsverfahren, das diese Vernetzung zum Prinzip hat. Aus diesem Grund wird nachstehend exemplarisch dieses Verfahren vorgestellt, um die Schnittstelle von Außen und Innen des hybriden pädagogischen Handelns zu thematisieren (vgl. zu den verschiedenen möglichen Varianten Heusinger 2020). Langfristig werden die Schüler*innen sukzessiv an die selbstverantwortete Arbeit im Netz herangeführt und müssen lernen, mit Quellen kritisch umzugehen, Informationen zu suchen, Kooperationen und Kollaborationen einzugehen und selbstregulierend mit den eigenen Ressourcen umzugehen, um eine gemeinsam formulierte und geplante Problemstellung zu bearbeiten. Schaut man sich die gewöhnliche Planung von Unterricht an, dann folgt nach einer Einstiegsphase eine mehr oder weniger lange Erarbeitungsphase, die dann nach einer Präsentation der Lernprodukte in die Überführung in ein Lernergebnis mündet, die sich wiederum einer Transferphase anschließt, um das exemplarische Ergebnis in einem größeren Rahmen zu betrachten. Das ist die Idealvorstellung von Unterricht auf dem Papier. Im Alltag sieht in der Regel der Phasenablauf so aus, dass die Vertiefung oft abgebrochen wird oder nicht stattfindet, die Lehrkraft in der Präsentationsphase hängen bleibt, das Stundenergebnis noch schnell an die Tafel geschrieben wird. Der Erarbeitungsprozess wird in der Regel gar nicht thematisiert, obwohl dieser doch langfristig die Eigenständigkeit des Einzelnen (Individualisierung) und die Partizipation in der Gesellschaft (Kooperation und Kollaboration) zum wesentlichen Teil trägt. Das klassische »Flipped-Classroom-Modell«11 ist ein niedrigschwelliges Verfahren, um die inhaltliche Aneignungsphase bzw. Informationsphase aus dem Unterricht nach Hause zu verlagern. Zentral sind dabei Videos bzw. Tutorials, die den Input übernehmen. Beim Flipped Classroom handelt es sich insoweit um eine Variante des »Blended Learning«. Übersetzt ist der »Blender« der »Mixer«, womit die Abwechslung von dezentralen Online-Phasen mit analogen bzw. Face-toFace-Begegnungen beschrieben wird (vgl. auch Kerres 2013, S. 9 und 410ff.).12 Das Prinzip »Flipped Classroom« hat Auswirkungen auf den Präsenzraum und definiert den Unterrichtsprozess anders. Das Zusammenkommen hat einen Grund wie auch Sinn, um aufgrund des angeeigneten Wissens und nicht routinemäßig
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Kerres spricht von hybriden Lernangeboten (2013, S. 413). Das »Blended Learning« ist jedoch in der Grundstruktur bereits mit dem Buchdruck angelegt (Giesecke 2007, S. 493), weil die Hausaufgaben, in Form des Schulbuchs, des Arbeitsbogens eine mediale Repräsentation des pädagogischen Raums außerhalb des Territoriums der Schule darstellt und mixt (vgl. auch die Darstellung von Friesen 2017, S. 102ff.). Denn jede Struktur, die auch außerschulische mediale Formen mit Präsenzphasen mixt, kann unter dem Begriff subsumiert werden.
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Der hybride pädagogische Raum
und ungewiss weiterzuarbeiten, was wohl »in der Stunde dran ist«. So ist es nicht zwingend, immer in einem Klassenverband zusammenzukommen, sondern es ist durchaus möglich, dass sich Schüler*innen thematisch und problemorientiert treffen im Sinne des »Flexible Grouping« (vgl. Valentino 2000). Sie bestimmen bei solchen Treffen die Themen und die Bearbeitung, sie »control the group dynamics and maintain a voice in setting the agenda for the group to follow.« (Valentino 2000, S. P2). »Unlike traditional ability groups, performance-based groups form for a short time and respond to the dynamic nature of learning. Performancebased groups are most effective when formed on the basis of a particular need rather than in response to predetermined performance levels.« (Valentino 2000, S. P3) Unter einem Präsenzraum soll hier verstanden werden, dass die Schüler*innen und Lehrkräfte in eine Kommunikation treten, die nicht zwingend analog oder digital charakterisiert werden muss. Wichtig ist, dass ein Face-to-Face-Austausch stattfindet. In analogen Situationen sollen keine Geräte zwischen den Akteuren für die Kommunikation treten, was jedoch nicht heißen soll, dass digitale Geräte verboten werden. Die Schüler*innen kommen dann nach einer Online-Phase zusammen und arbeiten mit dem angeeigneten Wissen, um eine übergeordnete Problemstellung zu untersuchen. Abstrakter kann gesagt werden, dass ein Grundwissen als Fundamentum durch Tutorials selbstständig angeeignet wird, um in einer zweiten und dritten Phase bearbeitet und angewendet zu werden, um daraus für die Fragestellung Rückschlüsse zu ziehen (Aufgabenbereiche II und III). Sollte es der Fall sein, dass einige Schüler*innen in der selbstständigen Aneignungsphase auf Schwierigkeiten gestoßen sind, können in den Präsenzphasen je nach Stand der Aneignung verschiedene Phasen der Bearbeitung parallel laufen. So gehen eventuell einige Schüler*innen in den Präsenzphasen noch vorhandenen Problemen aus der Aneignungsphase nach. An solchen Stellen kann entweder ein Peer Teaching erfolgen oder die Lehrkraft hilft direkt, währenddessen die anderen Schüler*innen schon in die Vertiefungsphase gehen und das angeeignete Wissen hinsichtlich der gemeinsam zuvor erarbeiteten Problemstellung anwenden. Wie weiter oben beschrieben wurde, ist es möglich, dass sich die Gruppen dort treffen, wo sie weiterarbeiten wollen oder die gewünschte Hilfe erhalten. Wie in Kapitel 2 dargelegt wurde, kann die räumliche Umgebung sehr unterschiedlich sein. Die Schule sollte dazu unterschiedliche Räume und Angebote zur Verfügung stellen, sodass die Schüler*innen unterschiedliche Umgebungen wählen können. Es kann das Tutorium der Lehrkraft sein, eines/einer anderen Expert*in, das Angebot in der Schule in Form des bekannten Unterrichts, die Face-to-FaceAuseinandersetzung mit der Gruppe in einem in der Schule zur Verfügung gestellten Raum, die Präsentation eines Zwischenstandes, die Verabredung/Anmeldung
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
zu einer Beratung usw. Denkt man die Schule als ein hybrides Netzwerk, können die Schüler*innen sich auch an anderen Schulen treffen, mit anderen Schüler*innen übergreifende Gruppen zur Bearbeitung von Problemstellungen gründen. Mit der Deregulation des traditionellen Rahmens der Schule werden die Schüler*innen an die Rolle der bewussten Planer*innen herangeführt, die eine zuvor mit der Lehrkraft formulierte Problemstellung verfolgen und dazu auf alle Ressourcen zugreifen, um sie zu lösen. Am Ende steht die selbstständige, kritische und dezentrale Aneignung von Informationen und Wissen, die Kooperation mit anderen für die Bearbeitung einer selbstgewählten oder gemeinsam formulierten Fragestellung. Sowohl die Bearbeitung des Themas als auch die vertiefende kritische Prüfung der Ergebnisse erfolgen in Online- und Offline-Phasen. Ziel ist es, dass die Schüler*innen langfristig in die Lage versetzt werden, für sich selbst Hausarbeiten zu formulieren, die für sie geeignet scheinen, sich mit einer Problemstellung auseinanderzusetzen, die zuvor gemeinsam geplant wurde. Sie werden in die Lage versetzt, selbst eine Fragestellung zu formulieren, sie mit dem RLP13 abzugleichen oder sich aktiv bei Problemen mit der Lehrkraft zu beraten usw. Die didaktische und methodische Herangehensweise. In der Regel sind die Schüler*innen Konsument*innen, Ausführende, Zuhörende, die Aufgaben zu erledigen haben. Flipped Classroom hat zum Ziel, die Schüler*innen zu Producern zu machen. Mit der Formulierung einer Problemstellung gehen die Schüler*innen in unterschiedlichen Konstellationen auf die Suche, sich die Informationen und Materialien zu suchen.14 Damit wird die Glokalität beim Wort genommen und die Fluidität des Netzes genutzt und nicht verschlossen. Die Schüler*innen erfahren, sich in einem nicht pädagogischen Raum unter Begleitung von Lehrkräften zu bewegen. Wie nicht pädagogische Akteure und Materialien einbezogen werden, so wird es zu einer permanenten Aufgabe von Lehrkräften, die Handlungen der Schüler*innen im Netz mit dem hybriden pädagogischen Raum zu verschränken. Die digitale Exkursion ist der Normalfall, nicht die Ausnahme. Ein*e Expert*in zeigt jemandem etwas. Prange (2005) hat das »Zeigen« als eine Urform erzieherischen Handelns ausgewiesen (S. 63; vgl. auch Kap. 5.2). Nach Prange ist die »Form« des »Zeigens« dem didaktischen Dreieck – also der Inhalt-Lehrkraft-Lerner-Relation – eingeschrieben, die den Erziehungs- und Lernprozess in der Schule sichtbar macht und die darin ausgewiesenen Rollen und Inhalte voraussetzungslos setzt. »Form ist dasjenige, wodurch Themen zu Lernaufgaben, andere Menschen zu Lernenden und wir selbst zu Erziehern werden« (Prange 2005, S. 55). 13 14
Erinnert sei an die schon lange bestehende Forderung, dass es notwendig ist, dass die RLP so formuliert werden sollten, dass sowohl Schüler*innen als auch Eltern ihn verstehen. Am Rande sei erwähnt, dass sie natürlich auch Bücher nutzen.
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Der hybride pädagogische Raum
Abbildung 21: Die Schule als Knotenpunkt im hybriden pädagogischen Raum
Die »Form« wird, so wurde gesagt, durch die Akteure erzeugt. Erst dann entsteht der hybride Raum. Wer zu einem Lernenden wird, hängt wesentlich vom Zeigen ab, das nicht zwingend durch eine Lehrkraft erfolgen muss. Die Lehrkraft als Expert*in für das Fach ist gesetzt, indem sie immer einen Vertrauensvorschuss besitzt und der unterstellt wird, dass sie die Wahrheit sagt. Für das Netz gilt hingegen, wie gesagt, dass die Expert*innen durch deren Referenzen und die kritische Gegenprüfung immer auch kritisch reflektiert werden müssen. Weil gerade die Emanzipationen das autonome Handeln der Schüler*innen und ein Grundanliegen von Bildung und Erziehung darstellt, ist die kritische Einbindung der »Anderen« ein wesentlicher Faktor, sich zukünftig umsichtig im Netz zu bewegen. Das ist im Wesen nicht neu, da in der Schule Texte gelesen werden, in denen von Expert*innen ausgesuchte und anerkannte Expert*innen zu Wort kommen, wenn sie in Schulbüchern zitiert, auf Arbeitsbögen abgedruckt werden. Im Netz findet keine kritische Sondierung im Vorfeld, sondern mit den Schüler*innen im Feld statt. Die Lehrkraft begleitet die hermeneutische Bearbeitung, und bringt die eigene Expertise ein.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Tabelle 4: Unterschiedliche Anforderungen von analogen und multimodalen Texten Analoge Texte
Multimodale Texte
ausschließlich pädagogische Anbieter*innen
auch nicht pädagogische Anbieter*innen
Texte sind nicht mit anderen Umgebungen verlinkt
Texte sind mit anderen Medien verlinkt
lineare Abfolge (Sukzession)
nicht lineare Abfolge; Entscheidungsanforderung an die Rezipient*innen, Angeboten zu folgen.
Texte schließen andere sinnliche Rezeptionsangebote aus
auditive, visuell-holistische Zugangsweisen erzeugen einen eigenen Rezeptionskomplexität
Schule: didaktische Vor-Selektion
Schule: didaktische Prozessbegleitung
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Lebensweltbezug. (siehe auch weiter oben) Im Rahmen des Flipped Classroom steht das Video, wie schon erwähnt, im Zentrum der Aufmerksamkeit15 , das verschiedene Funktionen im Unterricht übernehmen kann wie beispielsweise Informationen vermitteln, Demonstration, Handlungsanleitung, direkte Instruktion usw. Videos können angesehen werden, der Fehlschluss wäre, anzunehmen, dies führe automatisch zu einer konstruktiven Auseinandersetzung. »Die Jugendlichen aus ›bildungsfernen‹ Milieus geben an, dass sie die Nachrichten im Fernsehen oftmals nicht verstehen.« (2006, Chancen und Grenzen medienvermittelter politischer Bildung für bildungsbenachteiligte Jugendliche, Claudia Töpper/Lothar Mikos) Gesellschaftliche Teilhabe im Netz bedeutet, sich den medialen Bedingungen entsprechend bewegen zu können. Die wohl niedrigschwelligste Teilhabe ist der Konsum von Tutorials, die direkt an die Lebenswelt der jungen Menschen anschließen, wenn beispielsweise der DIF-Studie »Bildung in Deutschland 2020« geglaubt werden darf. Dennoch liegt hier bereits eine große Anforderung vor, indem das Medium mit einer Lehr-Lern-Intention gerahmt wird. Die Lernenden sollen lernen, aus dem Medium Informationen zu gewinnen, um ein Problem zu lösen. Da die Vernetzung der Schüler*innen nicht territorial, sondern digital ist, hat das auch Auswirkungen auf die Aneignung von Informationen, die Kommunikation wie auch die Repräsentation von Wirklichkeit. Die digitale mediale Sozialisation der Kinder und Jugendlichen (vgl. KIM-Studien 2019, Jim-Studien 2020) verändert
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Flipped Classroom muss nicht zwingend mit Videos durchgeführt werden. Bedenkt man jedoch die zunehmende Relevanz dieses Kommunikationsmittels, dann wird die Instruktion durch ein Video zunehmend bedeutsam.
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Der hybride pädagogische Raum
die Rezeptionsgewohnheiten. Doch leider ist die Schule bisher außen vor. Tutorials sind ein immer wichtiger werdendes Medium, das nicht nur von Jugendlichen, sondern auch von Berufstätigen genutzt wird, um Probleme durch Expertisenrat zu lösen. Videos sind ein wichtiges Medium, um effizient und schnell. Informationen und Wissen zu vermitteln: Der Lehrvortrag oder die praktische Schritt-für-Schritt-Anleitung können bedarfsorientiert aus dem Netz abgerufen werden. Die Kombination von Bild und Text gibt dabei einen multimodularen Zugang zum Gegenstand, der in der Aneignungsgeschwindigkeit, der eigenen Lernzeit usw. individuell gesteuert werden kann. Ein Video beispielsweise, das im Rahmen des Flipped Classrooms gezeigt bzw. angeboten wird, ist nicht zwingend von einer Lehrkraft angefertigt, sondern von Expert*innen, die anderen den Sachgegenstand näherbringen wollen, etwas davon verstehen oder zumindest vorgeben, etwas davon zu verstehen.16 Doch ebenso ist es möglich und wichtig, dass auch eine Lehrkraft und Schüler*innen Videos anfertigen können, um einen Sachgegenstand darzubieten. Daraus ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen für die pädagogische Tätigkeit. Wenn ein Video von der Lehrkraft ausgewählt wird, dann wird es in einen pädagogischen Rahmen überführt, indem es im schulischen Kontext selektiv wahrgenommen wird. Das ergibt sich in der Regel durch die Aufgabenstellung, die dem Video zur Seite gestellt wird, oder durch die Problemstellung, unter der das Video angesehenen wird. Dennoch geht die Schule eine Vernetzung ein, die durch andere Anbieter*innen zu dem Thema flankiert wird (siehe Abbildung 27), indem es zu den Videos immer auch Alternativen gibt. Die Pluralität des Angebots steigert sich, wenn die Lernenden sich selbst Material suchen. Wie weiter oben aufgezeigt, ist das Ziel des Flipped Classroom, dass eine selbstständige Recherche nach Material vorgenommen wird. Die Schule ist außerhalb des institutionellen Rahmens in einem Netzwerk eingebunden. Videos, wie auch alle Texte, die im Netz veröffentlicht werden, sind verlinkt und insoweit hybride Medien. Damit gliedert sich auch die Schule in ein Netz ein. Mit der Vorgabe von Videos aus dem Netz durch die Schule werden somit auch andere Angebote thematisiert und müssen in das »pädagogische Kalkül« einbezogen werden. Das Informationsmonopol der Schule wird durch das Netzsystem des Internets erweitert (vgl. Kap. 2). Was sehen Schüler*innen als einen Vorteil an, wenn sie sich u.a. Wissen durch Videos aneignen können? Die Studie von Werner/Ebel/Spannagel/Bayer (2018) zeigt auf, dass, wie zu erwarten, die selbstbestimmte Wiederholung, die
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Ich gehe hier nicht auf die möglichen kommerziellen Gesichtspunkte ein, die mit den Erklärvideos bestehen.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Zeiteinteilung das hervorstechendste Merkmal ist, warum Tutorials und Videos als Aneignungsinstrument als positiv erlebt werden. Auch wird die Konzentrationsfähigkeit als deutlich besser bewertet, wenn die Schüler*innen nicht im Klassenverband zusammensitzen und sich Informationen aneignen. Viele Aussagen von Schüler*innen verwiesen darauf, dass sie nun mehr Ruhe haben oder nicht mehr so stark durch andere abgelenkt werden usw. Werden die Ergebnisse insgesamt angesehen, ist die Selbstregulation der Aneignung von Informationen ein deutlicher Vorteil. Dabei spielt auch eine Rolle, dass die Schüler*innen anlassbezogen weitere Informationen schnell suchen können, um den vorliegenden Gegenstand optimaler zu kontextualisieren. Im Rahmen der gemeinsamen Planung von Unterricht ist es positiv, dass die Schüler*innen und die Lehrkraft nun gezielt das Material sichten und bewerten können, das in einem zweiten Aneignungsschritt herangezogen wird. Ein solches Verfahren steht in Kontrast zum oft zu beobachteten Alltag, wenn die Schüler*innen eine Problemfrage formulieren sollen, die durch eine geschickte Impulsgebung der Lehrkraft mit dem mitgebrachten Material übereinstimmt. In solchen Ritualen wissen alle Akteure, dass es nur die eine Problemstellung zum Material gibt. Mit der Einführung in den Flipped Classroom entwickeln die Schüler*innen sukzessiv Kriterien der Qualitätskontrolle, die integraler Teil der Eigenrecherche werden. Immer wieder wird geklärt, unter welchen Rahmenbedingungen ein Video als vertrauenswürdig angesehen werden kann, indem der Misstrauens-Imperativ gegenüber den Medien im Sinne einer kritischen Mediennutzung immer wieder im Vordergrund steht. Die Arbeit mit Videos. Von daher ist es wichtig, in der Schule Videos im ersten Schritt auszusuchen, die dem Rezeptions- und dem Bildungsniveau der Kinder und Jugendlichen entsprechen. Sowohl die Rezeption als auch die Produktion (Producer) stellen Formen der Teilhabe im Netz dar. Es wird jedoch niemanden verwundern, dass die verschiedenen Formen der Nutzung einer Anleitung und Hinführung bedürfen, um die Selbstbestimmung und Selbstregulation und letztlich die Teilhabe der Schüler*innen zu fördern. Notwendig ist es weiterhin, dass die eigenen Erfahrungen immer wieder in einer Metareflexion aufgegriffen und an die Bedürfnisse der Lernenden angepasst werden. Der Vorteil eines solchen Vorgehens ist, dass die Lernenden über das eigene Handeln im Netz nachdenken und Schlüsse ziehen. Das ist kein Transfer von Erfahrung, sondern ein Schritt, um selbständig im Netz zu handeln. Die Metareflexion ist eine Methode, um das eigene Handeln im Netz immer wieder zu überprüfen. Im Folgenden soll nun komprimiert eine mögliche Herangehensweise dargestellt werden. 1) Die Rezeption und Konzeption von Videos. Videos stellen Informationen zur Verfügung, zeigen in einer Narration Sachverhalte auf. Einen wichtigen Faktor
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bildet die Rezeption von Videos, die Reflexion von Bild, Sprache und ggf. Audio, um Informationen darzustellen. Solche multimodularen Texte werden am Beginn durch die Lehrkraft passgenau ausgesucht. Die Schüler*innen sollen in die Lage versetzt werden, zu einer zuvor entwickelten Fragestellung Informationen aus einem multimodularen Text heraussuchen. Die reflexive Herausforderung besteht darin, den Text und seine Machart hinsichtlich der Fragestellung zu kontextualisieren und Informationen zu entnehmen. Die Informationen sollen die Lernenden beispielsweise selbstorganisiert mit bereits eingeführten Schreibtools festhalten. Ein niedrigschwelliges Vorgehen kann so aussehen, dass die Schüler*innen ein zu dem Video ausgearbeitetes Arbeitsblatt erhalten und für die Informationsentnahme und die Darstellungsform des Videos angeleitet werden. Elaboriertere Herangehensweisen sind beispielsweise Arbeitsformen, bei denen die Schüler*innen einen Link zu einer kollaborativen Textseite erhalten und eine Gruppe von Schüler*innen ihre Aufzeichnungen ergänzend festhalten. 2) In einem zweiten Schritt reflektieren die Schüler*innen darüber, wie man fachlich geeignete Videos findet und wie die Informationen herausgesucht werden können. Die Schüler*innen benötigen zunächst eine Erfahrung mit den Videos, um selbst sinnvolle von weniger sinnvollen Videos zu unterscheiden. Die Erfahrung wird nun verbalisiert und es werden Kriterien für ein »gutes Video« aufgestellt. Im Zentrum stehen zunächst die Machart und die Informationsweitergabe unter dem Gesichtspunkt multimodularer Texte. Weiterhin ist es wichtig, die Selbstregulation der Schüler*innen zu stützen und anzubahnen, um mit Unwägbarkeiten beim Sehen von Videos zurechtzukommen. Gute Möglichkeiten bieten Videos, die Interventionen zulassen, indem Fragen, Hinweise, sprachliche Hilfen gegeben werden. Tools wie H5P können dafür eine sinnvolle Basis bieten. Beispielsweise können Fragen zur Bildsprache eingeblendet werden, über die die Schüler*innen nachdenken sollen, oder es können Fremdwörter erläutert werden. Mit solchen Maßnahmen steht die Filmrezeption zunächst im Zentrum. 3) Ein Video soll von den Schüler*innen selbst gesucht werden. Nach den ersten Erfahrungen mit Videos und den erstellten Kriterien für ein gutes Video (vgl. Werner/Ebel/Spannagel/Bayer 2018, S. 46), sollen die Schüler*innen nun selbst Videos zu einer Problemstellung suchen. Auch hier soll die gemachte Erfahrung reflektiert werden. Gerade unerfahrene oder schwächere Schüler*innen sind sich unsicher, wie eine solche Suche gestartet wird. Aus diesem Grund ist es grundsätzlich sinnvoll, für alle Phasen ein geeignetes Scaffolding zu eta-
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
blieren, um einen größtmöglichen Grad an Selbstständigkeit zu ermöglichen. Selbstverständlich kann es unterschiedliche Videos geben, die im Rahmen der Kriterien zur Qualität und hinsichtlich der Problemstellung als sinnvoll erachtet werden können. Auch das kann zunächst einen Grad der Verunsicherung erzeugen, da es nicht die Lösung, sondern die als geeignet empfundene und begründbare Lösung gibt. Im Vorfeld sollten die Schüler*innen entsprechende Suchstrategien reflektieren und Basisstrategien beispielsweise zur Nutzung von Suchmaschinen kennen, um ein entsprechendes Video zu finden und zu prüfen. Im Nachgang werden auch hier die Erfahrungen reflektiert, verbalisiert und »Best-Practice«-Strategien etabliert. Ein wichtiges Thema ist der »Stopping Point« bei der Recherche. Es ist die Frage, wann eine sinnvolle Sättigung erreicht ist. Hier sollten die Lehrkräfte mit den Schüler*innen über die Vorläufigkeit von Informationssättigung sprechen, die keinen endgültigen Abschluss, sondern eine begründete Entscheidung besitzt. 4) Videos inhaltlich prüfen. Die Schüler*innen reflektieren, wie in einem Video vermittelte Inhalte durch andere Quellen überprüft werden kann. Wurde die Quellenkritik zuvor eher dem Handlungsfeld von Akademiker*innen zugeschrieben, ist es nun eine Basisvoraussetzung, sich souverän im Internet zu bewegen. Hierzu muss beispielsweise der Quellenort ausgemacht werden, der Inhalt durch eine weitere Quelle gesichert werden usw. Auch hier müssen die Schüler*innen zunächst selbst ihre Erfahrungen machen, um dann alternative Strategien kennenzulernen. 5) Die Bildsprache sollte nochmals separiert betrachtet werden, obwohl sie schon in der Phase 2 thematisiert wurde. Weil Videos und Filme so allgegenwärtig sind, verschwinden sie als Medium. Man sieht sich Filme an und versteht intuitiv die Filmsprache. Wichtig ist also, dass die Bildsprache nun reflektiert wird, um sie als Text wieder sichtbar zu machen. Die Schüler*innen sollen erfahren, dass die Bildsprache den Inhalt konnotiert, manipuliert usw. 6) Ein eigenes Video erstellen. Mit der Problemstellung und der Klärung der Adressaten muss die Filmsprache, die inhaltliche Darbietung ausgesucht und begründet werden. Die zuvor angeeigneten Kompetenzen müssen nun parallel angewendet werden, um ein Produkt zu erstellen (Abbildung 22). Zentral ist hier nun die Planung zur Erstellung von Videos. Hierzu sollten zunächst niedrigschwellige Verfahren gesucht werden, indem man solche Filme zunächst mit dem Smartphone in einem Durchlauf dreht. Erst später
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sollten elaboriertere Formen erfolgen. Aber auch hier sollte auf die technische und technisch-pädagogische Passung geachtet werden, da es teilweise unterschiedliche Fertigkeiten gibt.
Abbildung 22: Erstellung von einem Tutorial in der Lehramtsausbildung
Das erstellte Video hat eine andere Funktion im Unterricht. Es ist nun nicht der Lerngegenstand, sondern das Lernprodukt, das präsentiert und hinsichtlich des Lernergebnisses nochmals gesondert in der Lerngruppe veröffentlicht und diskutiert wird. Oftmals scheint es ein Missverständnis zu sein, dass bereits das Video auch zugleich das Stundenergebnis sei. Es ist zunächst ein Produkt, das die spezifischen Zugangsüberlegungen der Lernenden besitzt. Wie alle Lernprodukte muss auch dieses hinsichtlich der Problemstellung und der Lösung reflektiert werden. Grundlage sind die Strategien der Narration und der sachlichen Richtigkeit. Daneben sind es aber auch Kenntnisse über Schnitt, Kameraeinstellung usw. Ein Tutorial ist nicht einfach ein Video, sondern das Video und seine Machart sind immer auch eine Rahmung der dort verbreiteten Informationen und des Wissens.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Abbildung 23: Kompetenzentwicklung Flipped Classroom
Sicherlich spielt hier auch die Frage des Veröffentlichungsortes eine Rolle. Auch hier sollte eine Entwicklung erzeugt werden. Werden die Videos zunächst sicherlich auf dem Stick gespeichert und in der Klasse präsentiert, sind in einem nächsten Schritt andere Veröffentlichungsorte denkbar, von beispielsweise Schülerforen auf der Schulebene bis hin zu Fachforen im Netz. Parallel muss hier mit den Schüler*innen die rechtliche Prüfung von Quellen, Bildrechten, der Persönlichkeitsrechte der Schüler*innen vorgenommen werden, um den Rechtsrahmen des Netzes sichtbar zu machen. Auch dieser ist für die Schüler*innen in der Regel nicht per se deutlich, sondern muss detailliert untersucht werden. Am Ende stehen zwei Formen der Erarbeitung: 1. Die Suche nach qualitativ guten Videos zu einem Themenbereich, 2. Die Erstellung von eigenen Beiträgen zu einem Themenbereich. Beide Formen sind ein Beitrag zum kompetenten Handeln im Rahmen der Digitalität. Die intendierte langfristige Kompetenzgewinnung liegt hier von der Rezeption zur Produktion, vom User zum Producer. Das heißt nicht, dass in jeder Stunde ein Video zu produzieren ist. Die Kompetenzentwicklung kann über einen langen Zeitraum erfolgen, mit Unterbrechungen usw. Sie muss auch nicht allein durch ein einzelnes Fach erfolgen. Im Gegenteil ist es auch nicht sinnvoll, dass alle Fächer zur gleichen Zeit mit Videos arbeiten. Das macht höchstens Sinn, wenn fachübergreifende Projekte gestartet werden. Auch hier wird deutlich, dass das alleinige Denken in Fächern der Fluidität des Wissens und nicht nur des Netzes widerspricht. Die Einführung des Flipped Classroom als Unterrichtsverfahren (Abbildung 23). Das didaktische Konzept des Flipped Classroom besteht darin, dass der Präsenzunterricht die Vertiefung mit dem Inhalt sucht. Weil die Schüler*innen die Problemfrage selbst formulieren, an der Planung des Unterrichts beteiligt sind, erhält das Konzept des Flipped Classrooms eine andere Funktion. Die Schüler*innen sollen langfristig die Informationen für die Präsenzphasen selbst suchen, um sie dann gemeinsam nochmals kritisch zu prüfen und hinsichtlich der Problemstellung zu nutzen. Damit ist der Flipped Classroom mehr als eine andere Form der Hausar-
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beit, wie wir sie auch aus der analogen Schule kennen. Letztlich sollen die Schüler*innen im Rahmen des Flipped Classrooms das Material selbst heben, prüfen und zur Bearbeitung nutzen. Eine andere Frage ist es, wie der Flipped Classroom durch eine Lehrkraft in eine Lerngruppe einführt wird (Abbildung 24). Mit Videos zu arbeiten, muss, wie auch die Arbeit mit anderen Medien wie Arbeitsbögen, gelernt werden. Ein Missverständnis läge darin, dass die Lernenden einen intuitiven Zugang besäßen, nur weil sie Tutorials kennen und nutzen. Ebenso kann man nicht von einer durchgehenden Motivation aufgrund von Videobearbeitung ausgehen. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch solche Medien nach kurzer Zeit einer Gewöhnung unterliegen und der Neuheitseffekt durch Routinen abgelöst wird. Auch hier gilt, dass eine sinnstiftende Lernumgebung vorliegen muss, wenn mit Videos gearbeitet wird. 1) In einem ersten Zugriff steht eine nicht hedonistische Nutzung von Videos für eine Problembearbeitung. Wie geht man mit der Stop- und Forward-Taste um, wie extrahiert man eine Information unter der Berücksichtigung der spezifischen Präsentation des Mediums (z.B. Bild, Text, Ton). Auf der reinen planerischen Ebene ist es sinnvoll, dass die ersten Schritte gemeinsam gemacht werden, um eine »Arbeits«-Erfahrung im Umgang mit Videos anzubahnen. Der Flipped Classroom sollte dazu zunächst als »In-Class-Flip« eingeführt werden. Zunächst werden Informationen aus einem exemplarischen Video zu einem Thema herausgesucht, um eine Technik der Informationsextrahierung einzuführen. Parallel sollten die Schüler*innen darüber nachdenken, wie die Informationen festgehalten werden, um sie später für die Problembearbeitung auch nutzen zu können. 2) Nachdem die Lernenden für sich und in der Gruppe eigene Aneignungsstrategien entwickelt und in der Gesamtgruppe reflektiert haben, kann nun daran gegangen werden, neue Formen des Arbeitens in der Vertiefungsphase zu erproben. In der zweiten Phase, also der In-Class-Flip-2-Phase, werden nun beispielsweise verschiedene Videos durch QR-Codes an einer Lerntheke zu einem Thema angeboten, um die Informationsgenerierung mit einer Problembearbeitung zu verbinden. Die Schüler*innen müssen die verschiedenen Videos sichten und beurteilen, den Inhalt hinsichtlich der zuvor gemeinsam formulierten Problemstellung extrahieren. 3) In der dritten Phase bewegt sich die Lerngruppe dann zum ersten Mal im Flipped-Classroom-Modell, indem ein Video zur Erarbeitung als Hausaufgabe aufgegeben wird. Nun müssen die Schüler*innen die Informationen in Bezug auf eine Problemstellung allein heraussuchen. Sie sollen lernen, dass sie
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
ihre möglichen Schwierigkeiten aufschreiben, Fragen formulieren. Das ist ein wichtiger Schritt, um in der Präsenzphase fehlende Informationen zu erhalten. Dabei kann es durchaus sinnvoll sein, dass dafür eine einzelne Unterrichtsstunde entfällt, damit es eine Zeitentlastung für die Schüler*innen gibt bzw. die Schüler*innen in den Räumen der Schule arbeiten, die für Wochenarbeitsphasen vorgesehen sind. Wie schon erwähnt, können Videos angeboten werden, die den Inhalt kommentieren, durch Fragen sichern usw., um den noch unsicheren Schüler*innen eine Sicherheit zu geben. So können in den Videos Zwischensicherungen eingebaut, Sprachhilfen zur Hand gegeben oder Bearbeitungspausen angeboten werden, um die Selbstregulation zu begleiten usw. In der Face-to-Face-Phase muss die Lehrkraft mit den Schüler*innen verschiedene Szenarien planen. Beispielsweise sind da die Lernenden, die die Hausaufgabe nicht erledigt haben. Diese müssen einen Raum erhalten, wo sie die Videos erstmalig anschauen können (Kopfhörer, vielleicht auch mit Weichen ausgestattet, dass zwei Lernende sich zusammen ein Video ansehen können). Dann gibt es die Gruppe, die Fragen zum Video hat und ein gemeinsames Gespräch auf der Basis des Videos führen will. Letztlich gibt es die Gruppe, die gleich weiterarbeiten möchte und entsprechendes Material erhält oder sich dieses im Netz sucht, um in die Vertiefungsphase zu gehen. Insoweit gibt es drei Gruppen, die von einer Lehrkraft in der Präsenzphase zu betreuen sind. Diese Präsenzphase ist aufgrund des Zugriffs zunächst dereguliert. Die erste und zweite Gruppe benötigt eine Bearbeitungsphase im Anforderungsbereich I bzw. II, der je nach Umfang den ersten Teil der Stunde einnimmt. Die letzte Gruppe arbeitet selbstständig im Anforderungsbereich II und III. Eine mögliche dritte Gruppe, die die Informationen ohne Probleme entnehmen konnte, kann in der ersten Phase der Unterrichtsstunde bereits mit der Problembearbeitung anfangen und wird dann später dahingehend gefördert, diese Vertiefung noch auszubauen. Dafür muss entsprechendes Material zur Verfügung gestellt werden. Da die Problemstellung gemeinsam abgesprochen wurde, kann dieses Material entweder durch die Lehrkraft mitgebracht werden, oder es werden geeignete Seiten als Additum zur Verfügung gestellt. Denkbar ist auch, dass die dritte Gruppe mit der zweiten Gruppe in eine Peerto-Peer-Teaching-Phase eintritt. Die Schüler*innen setzen sich mit den Fragen oder Ungereimtheiten auseinander, während sich die Lehrkraft um die erste Gruppe kümmert, wenn sie mit den Videos Probleme hat. Aus der Erfahrung muss man nicht ständig bei dieser Gruppe sein und kann dann zu Gruppe zwei wechseln, die noch Fragen hat, um dann beispielsweise die schnellen Schüler*innen für die weitere Vertiefung freizustellen.
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Der hybride pädagogische Raum
Abbildung 24: Einführung des Flipped Classroom
5.5.2
Agilität und digitale Umgebungen
Flipped Classroom und agile Lernformen haben gemeinsam, dass sich die verschiedenen Akteure in einem hybriden pädagogischen Raum bewegen, um ein Problem zu lösen. Das Netz ist dabei integraler Bestandteil des Unterrichts, nicht Gegenstand des Misstrauens. Der hybride pädagogische Raum ist nicht mehr nur der Klassenraum, in dem sich die Schüler*innen nach einem bestimmten Zeitplan treffen. Der hybride pädagogische Raum ist dort, wo institutionell organisiertes und intendiertes Lernen stattfindet, dort, wo sich das Lernen ereignet: zu Hause, in vernetzten Gruppen in der Schule, in den von der Schule zur Verfügung gestellten Räumen, in den von der Lehrkraft angebotenen Veranstaltungen usw. (vgl. Kap. 2). Die Schule sickert in die Lebenswelt ein, der hybride pädagogische Raum kennzeichnet sich zugleich durch seine spezifische pädagogische und fachspezifische Kommunikation. Die nicht pädagogischen Expert*innen sind nicht ausgeschlossen, sondern können als Ressource für die Problemstellung genutzt werden, um vor dem Hintergrund einer quellenkritischen Prüfung begründet in die Problemlösung integriert zu werden. Die Recherche, die kritische Reflexion des Wissensbestandes usw. sind nicht ausgeschlossen, sondern Teil des Problemlösungsprozesses. Agiles Lernen geht davon aus, dass die digitalen Ressourcen einen unabdingbaren Pool darstellen, um auf Probleme reagieren zu können und die vorhandenen Antworten zu finden, zu prüfen und in der Kombination neu auszurichten, um sie für die eigene Problemlösung zu nutzen.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Bereits weiter oben wurde hervorgehoben, dass der hybride pädagogische Raum durch die Akteure konstituiert wird. In dem Zusammenhang tritt die Lehrkraft in einer Doppelrolle auf, die zum einen durch die Rolle als Pädagog*in und zum anderen als Expert*in für das Fach beschrieben wird. Zu fragen ist nun, wie die Rolle als Expert*in so gestaltet werden kann, dass das Expert*innentum für die Akteure transparent wird. Das agile Lernen interessiert neben dem hohen flexiblen Handeln der Akteure hinsichtlich der Problembearbeitung insbesondere in der Hinsicht, dass die Lehrkraft in der Rolle als »Auftraggeber*in« die Rolle des*der Expert*in einnehmen kann, die die Lösung der Problemstellung in der je spezifischen Lösungsform begleitet, kommentiert und beurteilt. Die Lehrkraft kommuniziert als Expert*in direkt mit den einzelnen Lerngruppen bzw. -teams, um deren Problemlösungsverfahren im Prozess zu begutachten. Sie versteht sich in einem weiteren Sinn als Auftraggeber*in, um für ein Problem eine Lösung zu erhalten. In dieser Rolle kann die Lehrkraft auch Lösungsangebote oder Nuancierungen der Aufgabenstellung zurückweisen, wenn sie die Lösungen, Zwischenergebnisse und Auftragsveränderungen als fachlich nicht evident ansieht. Ein Team ist so gut, wie sein Produkt für die Problemlösung (siehe dazu Brichzin/Kastl/Romeike 2019, S. 15ff.). Die Problemlösungen sind offen und die Akteure wissen, dass die Lösungen variieren können. Selbst die Problemfrage kann im Rahmen des Problemhorizonts perspektivisch im Laufe der Arbeit und nach Rücksprache mit dem*der »Expert*in« (Rolle) verändert werden. Mit dem Expert*innenstatus wird der hybride pädagogische Raum rückgebunden an die pädagogische Arbeit, zugleich können andere Expert*innen hinzugezogen werden, um das Problem zu bearbeiten. Das agile Lernen wird hier exemplarisch dargestellt, um die Kollaboration in einem Team unter Bedingungen der Digitalität zu beschreiben und zugleich ein Beispiel für eine transparente Position der Expert*innenfunktion der Lehrkraft darzulegen. Agilität als Form der Wissensaneignung und -anwendung. Agilität ist eine Methode, der das Prinzip der Selbstregulation und Selbstorganisation der Schüler*innen zugrunde liegt (vgl. Brichzin/Kastl/Romeike 2019; Heusinger 2020). Von der Problemstellung über die Rückbindung zum Rahmenlehrplan bis hin zur Problemlösung stehen die Schüler*innen mit im Zentrum der planerischen und prozessualen Umsetzung, um ein Problem zu lösen. Das Grundverständnis ist die ständige dynamische Verbindung zwischen Auftrag und Stand der Lösung, die sich aufgrund des dynamischen Prozesses bei der Problembearbeitung verändern kann. Nicht die formalen Rahmenbedingungen von vergebenen Arbeitsschritten stehen im Zentrum, sondern die Ergebnisse und die gruppenspezifischen Wege, ein solches zu finden. Wie im Manifest von Softwareentwickler*innen aus dem Jahr 2001 aufgezeigt wird, zählen die Akteure und die Interaktion mehr als die Prozesse und die Werkzeuge,
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ist eine funktionierende Software wichtiger als eine umfassende Dokumentation des Handlungsverlaufs, zählt die Zusammenarbeit mit den Abnehmer*innen mehr als eine abschließende Produktdefinition und ist das flexible Reagieren und Anpassen auf veränderte Rahmenbedingungen bedeutsamer als das Befolgen eines einmal festgelegten Plans (vgl. Manifest für Agile Softwareentwicklung 2001). Ursprünglich stehen sich in der agilen Praxis Kund*in und Dienstleister*in gegenüber, letzterer in der Regel in Form eines Teams. Agil meint in dem Zusammenhang, dass eine sehr intensive Kommunikation zwischen Kund*in und Team besteht, die in dem Sinn dynamisch ist, dass die (Zwischen-)Ergebnisse immer wieder mit dem*der Kund*in kommuniziert werden, um die Zufriedenheit hinsichtlich des Auftrages abzufragen. Das Team ist dabei autonom, organisiert sein Handeln selbst und besitzt eine eigene Praxis, um ein Problem zu bearbeiten. Die Heterogenität von solchen Teams ist dabei kein Problem, sondern gehört zum Konzept und wird weniger als Problem (wie in der Schule) denn als Teil des Erfolgs angesehen, weil die unterschiedlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten das Lösungsspektrum erweitern. Wichtig sind die Teamzusammenarbeit und die Orientierung auf das Produkt. Die spezifischen Fähigkeiten der Mitglieder eines Teams sollen erhalten bleiben, sie sollen sich jedoch je nach Auftrag zusätzliche Fähigkeiten aneignen, um diese im Team einzubringen (T-shaped-skill-sets). Dabei sollen sich durchaus verschiedene Fähigkeiten überlappen, damit es nicht zu Bottleneck-Situationen kommt, in der plötzlich eine Expertise fehlt und das Gesamtvorhaben warten muss, um weiter zu arbeiten. Darunter werden solche Situationen verstanden, dass beispielsweise eine bestimmte Aufgabe lediglich durch eine Person aus dem Team erledigt werden kann und andere Teammitglieder aufgrund der daraus resultierenden Überlastung des Teammitglieds nicht weiterarbeiten können. Insoweit ist es notwendig, dass die Mitglieder sich selbstständig Expertise aneignen, um ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, um im Arbeitsfluss zu bleiben. Übersetzt in den pädagogischen Raum kann gesagt werden, dass die Schüler*innen und die Lehrkraft eine Problemstellung formulieren, die zu lösen ist. Die Schüler*innen formen daraufhin verschiedene Gruppen (Flexible Grouping), um das Problem zu lösen. Die Lehrkraft nimmt die Position des*der Kund*in ein. Ziel ist es, dass die Teams dem*der Kund*in eine Problemlösung anbieten, mit der er/sie zufrieden ist. Dabei nimmt die Lehrkraft die Position als Expert*in ein. Die Zwischenergebnisse und der Lösungsvorschlag werden im Rahmen der Expertise, der fachlichen Konsistenz reflektiert. Die Teammitglieder können sich nicht mit ihrem Wissensstand zufriedengeben und sind angehalten, sich im Rahmen der Problembearbeitung Expertise anzueignen. Diese Hilfe können sie dann beispielsweise selbst wieder in Form von Tutorials im Netz finden. Möglich ist aber auch, dass die Lehrkraft kleine Sequenzen (auf Nachfrage) anbietet, die von Teammitgliedern besucht werden. Auch hier muss nicht eine Schule eine solche Sequenz
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anbieten, sondern so etwas kann auch durch ein Online-Angebot schulübergreifend angeboten werden. Dem agilen Lernen liegt eine Consensus-Decision-Making-Überlegung zugrunde: Kommunikation und gemeinsames Reflektieren über eine Problemstellung. Die Teammitglieder sind keine Einzelkämpfer*innen, sondern verstehen das Team als eine kollaborative Kommunikationseinheit, die durch Crowd Sourcing und Peer Reviewing eine optimale Problemlösung anstrebt. Dafür ist die individuelle Kommunikation ein zentraler Punkt. Wenn die Teams Face-to-Face zusammentreffen, steht die direkte Kommunikation im Vordergrund, um eine »osmotische Kommunikation« (Manifest für Agile Softwareentwicklung 2001) zu gewährleisten. Dabei ist jedoch jede Ressource willkommen, also auch das Internet. Das heißt, dass der ungehörte Zugang zu allen notwendigen Ressourcen offensteht und es keine abstrakten Regeln gibt. Dies würde dem Prinzip der effizienten Problemlösung im Wege stehen. Die Dokumentation der Problembearbeitung steht nicht im Vordergrund, was man vielleicht in der Schule bedauert, da ja die Dokumentation oftmals als eine Legitimationsbasis zum Nachweis des Lehr-Lern-Prozesses angesehen wird. Im Sinne des agilen Lernens steht das fertige Produkt für die Problemfrage im Vordergrund. Dennoch ist es sinnvoll, im Prozess der Anbahnung solche Dokumentationen vorzunehmen: Die Teams können die Schritte kurz dokumentieren, Entscheidungen erläutern und hinsichtlich der Problemlösungseffizienz prognostizierend beurteilen. Die Zusammenarbeit mit dem*der Kund*in, also der Lehrkraft, ist wichtig. Die Lehrkraft kommt also nicht sporadisch vorbei und »sieht mal nach«, was die Schüler*innen gerade machen, sondern sie wird systematisch eingeladen und über den Stand der Problembearbeitung informiert, um die Zustimmung für die weitere Arbeit zu geben. Damit ist dem Team immer klar, dass es auf einem akzeptablen Weg ist. Zugleich kann die Lehrkraft auch ein Feedback und ein Feedforward geben, da sie, wie gesagt, in der doppelten Rolle als Expert*in und Pädagog*in fungiert. Daraus ergibt sich, dass das Reagieren auf Sackgassen, Ablehnungen oder Einwände den Plan immer wieder verändert. Agilität heißt hier, dass eine ständige parallel laufende Planänderung vorgenommen werden muss. Strikte Planbefolgung wird hier als negativ angesehen, da in solchen Fällen erst am Schluss klar wird, ob das Produkt dem*der »Kund*in« bei seinem/ihrem Problem hilft und im Nachgang viele Veränderungen hinsichtlich der Einwände vorgenommen werden müssen, die eigentlich im Vorfeld hätten berücksichtigt werden können. Daraus ergeben sich einige (Wert-)Einstellungen, die dem agilen Lernen zugrunde liegen: a) Nach schnellen Problemlösungen suchen. b) Anforderungsänderungen werden gewünscht und nicht als Hinderungsgrund angesehen.
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Der hybride pädagogische Raum c) Regelmäßige Zusammenkunft mit dem*der »Kund*in« wird geplant. d) Teamfähigkeit und -zusammenhalt sind wichtige Eckpfeiler für die Zusammenarbeit. e) Die effektivste Methode der Informationsvermittlung ist die beste. f) Alle sollen dem gleichen Tempo folgen. g) Die Teams arbeiten selbstorganisiert und selbstverantwortlich (siehe dazu Brichzin/Kastl/Romeike 2019, S. 23ff.)
Exkurs Aufgabenstellung. Agiles Lernen steht nicht zwingend in einer Opposition zur Planung von Unterricht. Für Letzteres werden traditionell die Lehrkräfte verantwortlich gemacht. Die Lehrkraft muss in der Regel dafür sorgen, dass die Umsetzung realisiert wird. Die Schüler*innen sollen »mitmachen«, sich »beteiligen« usw. Agiles Lernen verweist auf die Variabilität der Aufgabe, die sich mit dem Stand der Entwicklung selbst immer wieder verändert. Agil zu sein heißt, sich den Anforderungen immer wieder anzupassen und in dem Sinn die Aufgaben gegebenenfalls zu verändern. Mit der gemeinsamen Formulierung der Problemstellung wird die didaktische und methodische Kompetenz der Schüler*innen geschult, die oftmals einseitig allein der Profession der Lehrkraft zugesprochen wird. Dass die Institution erzieht, ist seit Bernfeld (1973, S. 28; erstmals 1923) kein Geheimnis. Sie erzieht auch, dass es Aufgaben gibt, die von der Lehrkraft erstellt werden und die zu erfüllen sind. Im Rahmen der demokratischen Schule ist es jedoch notwendig, dass die Spannung zwischen Bildungsvorgaben durch den Rahmenlehrplan und der Konkretisierung von Problemstellungen selbst transparent wird. In dieser Hinsicht kann zwar nicht das paternalistische Prinzip verändert werden (siehe Kap. 5.3), dennoch wird es nun als Teil des Unterrichts greifbar. Um das agile Lernen näher zu betrachten, müssen wir einen Schritt zurückgehen. Wie bereits dargelegt, ist die gemeinsame Planung von Unterricht durch die Lehrkraft und die Schüler*innen die Ausgangssituation für die weitere Arbeit (siehe 5.3). Mit der Problemstellung gründen sich die Gruppen, um miteinander zu arbeiten. Sie erzeugen im Laufe der Bearbeitung eine eigene Praxis der Bearbeitung und kommunizieren ein gemeinsames Verständnis über ihre Kollaboration. Die Gruppen sind dabei Teil eines digitalen Netzes, weil sie zum einen nicht immer zwingend vor Ort sein müssen und zum anderen selbst wiederum mit anderen Gruppen vernetzt sein können, um möglichst ressourcenorientiert das Problem zu lösen. Sie nutzen bewusst die digitale Umgebung als Ressource. Umgekehrt wird das Netz nicht als Quelle zur Produktion von Plagiaten angesehen, sondern ist integraler Bestandteil des unterrichtlichen Handelns. In dem Zusammenhang gilt die Formel, dass je spezifischer die Problemstellung ist, desto weniger die Lösung im Netz gefunden werden kann. In der Regel ist es so, dass gerade entkontextuali-
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sierte Aufgaben viral werden, da sie von einer breiten Masse gleichermaßen ohne konzeptuelle Passung genutzt werden, um Lernen zu initiieren. Möglich ist auch, dass ein Thema durch die Lehrkraft formuliert wird und die Schüler*innen aufgrund einer Vorabrecherche selbst eine Problemstellung oder mehrere Problemstellungen formulieren. Die Lehrkraft als Expert*in bestätigt die Aufgabenstellung und berät die verschiedenen Gruppen, die sich thematisch zusammenfinden. In der Schule wird immer wieder gelernt, dass Aufgaben sakrosankt sind, um sie zu erfüllen. Warum eigentlich? Ist es nicht sinnvoll, die Aufgaben so zu formulieren, dass sie besser zu einer Person, einem Team, einer Gruppe passen? In diesem Sinn kann es auch im Verlauf zu einer Umorientierung kommen, einer Nuancierung aufgrund der zunehmenden Kenntnisse über den Gegenstand. Auch hier gilt, dass die Lehrkraft zuvor als Expert*in herangezogen wird, um die neue Ausrichtung zu besprechen. Sofort wird eingewendet, dass dann ja der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet seien und Willkür herrsche. Können denn Schüler*innen wissen, was ihre Aufgabe ist, wenn sie den Gegenstand noch gar nicht kennen? Doch ein Verweis auf Willkür, Beliebigkeit und Inkompetenz hat immer eine Vorstellung von Ordnung im Horizont, der meist nicht zur Diskussion steht. In der Regel haben Aufgaben einen indirekten Abschlusshorizont, in dem die Aufgabe einen Endzustand beschreibt, den die Schüler*innen dann rekonstruieren und dokumentieren sollen. Beispielsweise: »Diskutieren Sie die Unterschiede und Ähnlichkeiten der Brüder Karl und Franz im Drama ›Die Räuber‹ von Friedrich Schiller. Da werden schon Prämissen mitgeliefert, das Endprodukt ist schon definiert usw. Sicherlich ist das sinnvoll und auch die Herausforderung. Doch möglich ist auch, dass die Aufgabe im Lauf der Bearbeitung anders nuanciert werden kann: »Diskutieren Sie das Phänomen, dass im Drama ›Die Räuber‹ zwei Brüder die Hauptprotagonisten sind«. Die Agilität stellt den Prozess in den Mittelpunkt, die Anpassung durch die Akteure, die die Aufgabe hinsichtlich ihres Entwicklungsstandes nuancieren können. Wie im echten Leben kann sich eine Aufgabe im Laufe der Bearbeitung verändern, denn sie besitzt als echtes Problem eine Ungewissheit, die durch das zunehmende Wissen verändert wird, dass auch das Lösungsziel tangiert. Das heißt nicht, dass der Gedanke des Exemplarischen verschwindet und ein additives Lernen stattfindet. Das Lernen »als die Vermittlung des Allgemeinen an je besondere Subjekte in je besonderen Situationen […]; in der Weise, daß im Lernen sich jenes Sinnallgemeine zeigt, auf das sich das Lehren beziehen kann.« (Prange 1989, S. 32) wird durch die Lehrkraft gewahrt. Das Sinnallgemeine verschwindet nicht, sondern wird in einer anschließenden Metakognition und -reflexion zur Rekonstruktionsaufgabe. Während der Beratung ist das Sinnallgemeine selbst immer Thema, da die Lehrkraft als »Auftraggeber*in« ihr Interesse deutlich formulieren darf. Der
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Auftrag ist der Rahmenlehrplan, der zu erfüllen ist, und im Rahmen dessen die Schüler*innen ein Produkt abzuliefern haben. Scrum als Prinzip für agiles Lernen. »Scrum« ist keine Technik, sondern ein Prinzip, bei dem die Unübersichtlichkeit von offenen Problemstellungen akzeptiert wird. Zu Beginn ist das Ziel unbekannt, lediglich ein nicht wünschenswerter Zustand ist bekannt. Erst im Prozess klären sich die Gruppen auf. Die dynamische Selbstorganisation der Schüler*innen hat darin seinen Grund. Ziel ist es, Wissen anzuwenden, fehlendes Wissen anzueignen und aus der Erfahrung selbst wiederum prozessuales Wissen abzuleiten. Die Erfahrung, die gemacht wird, ist, dass auf der Grundlage des bestehenden Wissens vorläufige Entscheidungen getroffen werden müssen, in der Gewissheit, dass sie sich im Verlauf verändern. Hinsichtlich der Selbstregulation, der Autonomie und zukünftigen gesellschaftlichen Teilhabe, nicht nur für die Arbeitswelt, sind das grundsätzliche Kompetenzen (siehe Kap. 4). Das Verfahren selbst kennt unterschiedliche Rollen, die nun kurz dargestellt werden sollen. Zum einen gibt es den Product Owner. Er legt mit den Schüler*innen die Problemfrage zu einem (über-)fachlichen Thema fest und reflektiert mit den Schüler*innen, welche Rahmenplanstandards berührt werden. Als Expert*in hat die Lehrkraft, der Owner, eine fachlich basierende Expertise darüber, welche Kompetenzen und entsprechende Standards dem Problembereich zuzuordnen sind und wie die einzelnen Teams diese erfüllen. Insoweit gibt es für Kunden (Owner) Akzeptanzkriterien, die je nach Lösungsweg angewendet werden müssen. Die Aufgabe der Lehrkraft ist es nun, die jeweiligen Wege hinsichtlich der spezifischen Problemlösungsstrategie zu begleiten. Sie ist es, die entscheidet, wann sie mit der Problemlösung einverstanden ist und das Projekt abgeschlossen werden kann. Der Owner fertigt ein »Product Backlog« an, in dem der Idealzustand beschrieben wird, der nach der Problemlösung zu erreichen ist. Es ist die Beschreibung, wie zukünftig das Handlungsfeld nach der Lösung des Problems aussehen wird. Hier können die Standards des Rahmenlehrplans ausformuliert werden. Dabei ist es wichtig, dass sie so formuliert werden, dass die Schüler*innen sie inhaltlich und sprachlich nachvollziehen können. Oftmals kann es sich auch um eine Fallgeschichte handeln (User Stories), die ein exemplarisches Benutzerszenarium beschreibt, in dem das Problem dargestellt wird. Ziel ist es, ein gemeinsames Verständnis zu erzielen, was eigentlich das Problem ist. Es soll aus einer entkontextualisierten und abstrakten Ebene in die Lebenswelt der Schüler*innen zurückgeholt werden. Die Arbeit der Teams. Die Teams setzen sich so zusammen, dass unterschiedliche Fähigkeiten zusammenkommen. Das wird insbesondere in fachübergreifenden Themen relevant, da unterschiedliche Perspektiven im Team eröffnet werden können. Die Teams müssen sicherstellen, dass sie ein gleiches Verständnis des »Falls«, des Problems besitzen. Die Problemlösung erfolgt in wiederholenden Wegen der
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Problembearbeitung. Die Iteration, die »Sprints« heißen, haben einen Durchgang von 45 bis 90 Minuten. Die Zeitdifferenz variiert je nach dem Zeitbudget, das zur Verfügung steht. Für jeden Sprint gibt es einen Plan. Aus dem »Backlog« werden die wichtigsten Gesichtspunkte nach der Wichtigkeit herausgesucht. Was wichtig ist, richtet sich danach, was das Team meint, umsetzen zu können. Das Team legt fest, welche und wie viele User Stories in der ersten Iteration umgesetzt werden. Dazu wird ein Plan erstellt, der mit dem zugrunde liegenden Backlog den »Sprint-Backlog« bilden. Das Team formuliert zusammen, was ein Sprint als Ziel hat (Forecast). Das Team trifft sich zu Beginn einer Unterrichtsstunde zum »Daily Scrum«, um die anstehenden Arbeitsschritte zu besprechen und die Aufgabe für die Unterrichtsstunde im Team zu vergeben. Zugleich wird auch ein Review zur zurückliegenden Unterrichtsstunde vorgenommen, indem geklärt wird, ob die Ziele erreicht wurden und welchen Fortschritt es in den festgelegten Phasen gibt. Der Owner muss nicht bei jeden Daily Scrum dabei sein. Sinnvoll ist es, bei solchen Gruppen zu sein, die Probleme gemeldet haben, immer mehr in Rückstände geraten usw. In jedem Team gibt es einen »Scrum Master«. Er hat die Aufgabe, dem Owner »Scrum« zu erklären und Arbeitshindernisse zu beseitigen, wenn beispielsweise Materialen, technische Geräte usw. benötigt werden. Diese Rolle kann in der Schule immer wieder nach Bedarf routieren, sodass alle Teammitglieder einmal diese Rolle übernehmen. Schüler*innen-Teams • • • • •
organisieren ihre Arbeit selbst allernotwendigen Fähigkeiten sind in einem Team vorhanden Gesamtverantwortung liegt beim Team die Mitglieder können ihre Spezialität vertiefen, neue Gebiete erschließen oder die alten Spezialitäten vertiefen Protokollierung des eigenen Prozesses und des Qualitätslevels auf der Grundlage der Akzeptanzkriterien
eduScrum Master • • • • •
Servant Leader (dienender Leiter) keine Leitung bildet das Team, wird vom Owner bestimmt oder von der Klasse gewählt verantwortlich für das Flip: Flipchart-Papier, das für jeden zugänglich und ständig aktuell ist er dient dem Product Owner
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Der hybride pädagogische Raum
• •
verantwortlich für die richtige Durchführung teamübergreifende Zusammenarbeit wird unterstützt
Nach Lean Kanban (2019), eine Variation von Scrum, ist die Visualisierung wichtig. Der Arbeitsgang wird ständig visualisiert. Dies kann beispielsweise mit Tools wie »Padlet« oder einem »Pin Up« erfolgen, die dem Prinzip von Klebezetteln wie »Postit« folgen, die dann selbst wiederum kommentiert werden können. Am »Projektboard« werden Rubriken mit einzelnen Feldern wie »Ziele«, »in Bearbeitung« und »erledigt« eingeteilt. So ist es möglich, zu jedem Zeitpunkt einen schnellen Überblick zum Stand der Arbeit zu erhalten. Zudem kann gesehen werden, wo es zu einem möglichen Bottleneck kommen kann und welche Aufgaben zu priorisieren sind. In der Regel sinkt die Durchlaufzeit eines Sprints, wenn der Bereich »in Bearbeitung« gesenkt wird. Ziel eines integrativen Sprints ist ein Produkt, eine Lösung, die dem Owner vorgestellt werden kann: das »Produktinkrement«. Die Lösung, das Lernprodukt, darf dabei nicht rudimentär und skizzenhaft vorgestellt werden, sondern es müssen produkt- und präsentationsreife Produkte präsentiert werden, die danach sofort veröffentlichungsfähig sind (im Plenum, auf der Lernplattform usw.) Ob die angebotenen Lösungen wirklich als eine Lösung angesehen werden, entscheidet der Owner als Kund*in, also die Lehrkraft. Dabei kann es durchaus sein, dass das Produkt nicht angenommen wird und erneut überarbeitet werden muss. Die Lehrkraft besitzt an dieser Stelle zwei Aufgaben: Sie ist der*die Expert*in für das Themenfeld (Fachlehrkraft) und hat zu entscheiden, ob das Ergebnis im Rahmen der Fachwissenschaft Bestand haben kann (fachliche Richtigkeit). Er entscheidet nicht über den Weg, die genutzten Ressourcen usw. In der Plenumsphase, dem »Sprint Review«, wird zum Produkt ein Feedback gegeben. Dabei können Fragen erörtert werden, wie beispielsweise, ob das Produkt noch effektiver gestaltet werden könnte, ob die Lösung für die Beantwortung der (übergeordneten) Problemstellung hilfreich ist, was für weitere, neue Probleme eventuell mit der Lösung anstehen usw. Das Review ist der Abschluss. Der Owner nimmt die verschiedenen Feedback-Äußerungen entgegen. Er gibt seinerseits ein Feedback, wie zufrieden er mit dem Produkt und dem Feedback ist. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das agile Lernen die kollaborative Praxis der Zusammenarbeit ins Zentrum stellt und fördert. Die Akteure arbeiten selbstregulierend zu einem Problem, dass sie selbst formuliert haben. Die Praxis ist nicht zentral durch einen übergeordneten Plan bestimmt, der abgearbeitet werden muss, sondern durch ein flexibles Reagieren auf Umsetzungsprobleme. Die möglichen Ressourcen werden den Akteuren nicht entzogen, sondern die Öffnung erlaubt es, durch eine sinnvolle Ressourcennutzung Probleme zu lösen. An der Stelle entsteht der hybride pädagogische Raum, wenn die verschiedenen Res-
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
sourcen für die Problembearbeitung im institutionell organisierten Rahmen bearbeitet werden.
5.5.3
Actionbound
Ein weiteres konkretes Beispiel eines hybriden pädagogischen Raums stellt das Konzept von Actionbound dar, wobei hier das Prinzip des Lernens am anderen Ort (siehe dazu Kap. 2) und die individuelle Mobilität einzelner Akteure oder kleiner Gruppen im Mittelpunkt stehen. Actionbound startete 2012 als medienpädagogisches Abschlussprojekt, mit dem Ziel, das Interesse von Kindern und Jugendlichen an neuen Medien zu nutzen und sie von ihrer oftmals passiven Konsumentenrolle in Richtung »Inhaltsersteller*in« zu motivieren. Actionbound ist ein Tool, das das erlebnispädagogische Konzept des »City-Bound« weiterentwickelte, das Geocaching um multimediale Inhalte und Interaktivitäten ergänzt und Nutzer*innen das Spielen interaktiver Erlebnisrallyes (sog. Bounds) ermöglicht. Dabei sollen die Schüler*innen… … einen Ort erkunden. … Sachaufgaben lösen. … selbst konzeptionell tätig werden. … selbstständig lernen. … den Ablauf interaktiv lernen. Was Actionbound auszeichnet, ist es, die Schule territorial zu öffnen, ohne die Schule als institutionelles Lernen aufzugeben. Es wird eine Umstrukturierung vorgenommen, weil die Lehrkraft im Hintergrund agiert. Sie hat entweder den »Bound« konzipiert und die Lernpfade im Territorium abgesteckt oder lässt das Territorium daraufhin untersuchen, welche Lerngelegenheiten der »Bound« für eine Problemlösung anbietet. Die Smartphones, die zu 98 % vorhanden sind (vgl. JIM-Studie 2019), können als mobile Computer angesehen und entsprechend eingesetzt werden, um eine individuelle Bewegung im hybriden pädagogischen Raum zu ermöglichen.17 Die Attraktivität beruht auf einem hohen fachlichen Lebensweltbezug, der durch den unmittelbaren Kontakt mit dem Feld entsteht, das durch den Unterricht thematisiert wird. Allein oder in (Klein-)Gruppen kann das Themenfeld erkundet und verschiedene Aufgaben gelöst werden. Die Aufgaben können wahlweise von
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An dieser Stelle wird nicht auf die rechtlichen Bedingungen eingegangen. Soviel sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Lernenden selbst nicht erfasst werden und keine Daten preisgeben.
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der Lehrkraft und den Lernenden erstellt werden, wenn zuvor der Raum erkundet wird. Bereits mit dem Prinzip des Flipped Classroom wird das Lernen am anderen Ort zum Regelfall und nicht zur Ausnahme, indem die Verknüpfung, die Fluidität des Netzes angenommen und nicht ausgebremst wird. Actionbound ist ein browserbasierter Editor, der im Rahmen institutionellen Lernens eine fachlich bezogene Narration erzeugt, um fachspezifische Räume und Umgebungen außerhalb des Territoriums der Schule angeleitet oder selbstständig zu erkunden. In der Regel wird Actionbound im Bereich gamifizierten Lernens verortet, um verschiedene Gruppen oder Einzelpersonen schnellstmöglich einen zuvor geplanten Parcours durchlaufen und Aufgaben lösen zu lassen. Spielerisch erkunden die Schüler*innen einen außerschulischen Raum. Aufgrund unterschiedlicher Fragen kann die Lehrkraft die Wahrnehmung lenken und fachliche Informationen für die Erkundung bereitstellen. Nicht immer ist es jedoch sinnvoll, dass Lernen mit einem Wettkampf zu verbinden. Insoweit kann Actionbound auch als ein einfaches Erkundungsinstrument eingesetzt werden. Das implizite didaktische und methodische Konzept besteht zunächst darin, dass die fachliche und pädagogische Exkursion dereguliert wird, die Schüler*innen unter der Berücksichtigung des jeweiligen Selbstständigkeits- und Selbstregulationsgrad enger oder offener begleitet werden. Wie wir es bereits weiter oben gesehen haben, ist das Ziel, dass sich die Schüler*innen autonom und selbstverantwortlich im außerschulischen Raum bewegen können.18 Ziel ist es letztlich, dass das Werkzeug Actionbound durch andere Werkzeuge wie digitale Karten, Informationen aus dem Netz usw. ersetzt wird, um einen Raum zu erkunden (siehe Abbildung 25). Doch dazu weiter unten. Interessant an Actionbound ist, dass die Gleichzeitigkeit von analoger und digitaler Umgebung unmittelbar erfahrbar wird und den Unterricht in der »Glokalität« verortet. So werden die Schüler*innen beispielsweise durch die Lehrkraft in den außerschulischen Raum begleitet, um dort mögliche Expert*innen zu treffen, mit denen sie zuvor ausformulierte Problemstellungen erörtern können. Der Ort wird so zum pädagogischen Ort, zu einem Anschauungsort, um den Schüler*innen die Lösung ein Stück weit näher zu bringen. Sicherlich wird die Selbstregulation der Schüler*innen herausgefordert. Sie müssen mit der fehlenden Ortskunde umgehen, lernen, Orte aus der Perspektive des Faches zu sehen, erfahren die Eigenverantwortung des Handelns, weil sie nun
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Nur angemerkt sei, dass die selbstständige Erkundung nicht zwingend als Kompetenz bei den Jugendlichen vorhanden ist. Oftmals bleiben die Schüler*innen in ihrem »Kiez«, indem sie sich auskennen. Aus dem Kiez zu gehen bedeutet zugleich eine gewisse Orientierungslosigkeit, neue und unbekannte Räume zu erkunden.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Abbildung 25: Einführung eines Bounds in den hybriden pädagogischen Raum
nicht mehr mitlaufen, sondern durchgehend zum Handeln, zu Kooperation und Kollaboration usw. aufgefordert werden. Ebenso wie beim Flipped Classroom werden die Partizipation und das kritische Denken gefördert, weil die Schüler*innen zum Schluss zu Produzent*innen von »Bounds« werden bzw. sukzessiv erfahren, wie Räume erkundet werden können. 1) Einen Bound für einen außerschulischen Raum erstellen. In der ersten Phase kann der hybride pädagogische Raum für ein begrenztes Territorium geplant werden. Günstig sind dafür Museen und dort bestimmte Abteilungen. Vorausgehend sollte die Lehrkraft eine Sondierung des Raums vornehmen, um das Potenzial eines Museums, eines Labors, eines Naturraums usw. zu erkennen, um einen sinnstiftenden hybriden pädagogischen Raum durch einen Bound zu erzeugen (Abbildung 26). Notwendig ist dafür beispielsweise eine didaktische Analyse, um die Exemplarizität, das Modellhafte usw. im Bound herauszustellen und einen sinnvollen methodischen Ablauf zu konzipieren. Unterschiedliche Fragen müssen im Hinblick auf die Schüler*innen, den Kontext und die spezifische Praxis vor Ort beantwortet werden:
• •
Selbstregulation; z.B.: Wie lange können sich die Schüler*innen konzentrieren? Selbstkonzept der Lernenden; wie z.B.: Sind die Schüler*innen aufgeschlossen, mit schulfremden Personen in Kontakt zu treten und ein fachorientiertes Gespräch zu führen?
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Der hybride pädagogische Raum
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technische Fertigkeiten; wie z.B.: Können die Schüler*innen die Aufgaben technisch so lösen, dass am Schluss Lernprodukte für eine später zu erfolgende, vertiefende Analyse vorliegen (z.B. Videos, Bilder, Audios aufnehmen)? Fachlichkeit; wie z.B.: Welche fachlichen Potenziale besitzt dieser außerschulische Raum und wie kann dieses Potenzial – hier am Beispiel von Actionbound – mit den technischen Möglichkeiten bearbeitet und ein hybrider Raum erzeugt werden? didaktisches Konzept des »Tools«; wie z.B.: Welche expliziten oder impliziten Vorstellungen liegen dem Werkzeug zugrunde und wie kann es eventuell auch gegen die Idee der Macher*innen dekonstruierend genutzt werden (beispielsweise als ein Dokumentationstool und nicht im Rahmen eines Spiels)? technische Ausstattung der Schüler*innen; wie z.B.: Haben alle Schüler*innen eine Gerätegrundlage – beispielsweise mindestens ein Smartphone? Grad der Differenzierung; wie z.B.: unterschiedliche fachliche Niveaustufen und fachlicher Anspruch, sprachsensible sowie inklusive fachliche Zugangsweisen. Abbildung 26: Lehramtsanwärter bei der Erprobung
Die Durchführung eines Bounds ist eine Kombination von analoger Kollaboration vor Ort und hybrider pädagogischer Begleitung durch die Aufgaben, Kommentierungen, Bilder, Verlinkungen usw. (siehe Abbildung 27).
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Abbildung 27: Actionbound bei der Anwendung in einem Museum.
In der Spielvariante kommen auch die Punktevergabe und die Lösungspräsentation von zumeist geschlossenen Fragen. Eine Face-to-Face-Kommunikation findet unmittelbar im Feld statt, wenn die dort agierenden Schüler*innen untereinander diskutieren, sich beraten und Kontakt zu Akteuren aufnehmen. Mit Actionbound besteht die Möglichkeit, die Abfolge der Stationen, die zu besuchen sind, mehr oder weniger stark zu kontrollieren, indem QR-Codes im Vorfeld an den Stationen hinterlegt werden, um den Zugang zur nächsten Station zu eröffnen. Schaut man sich den hybriden pädagogischen Raum an, dann tritt er beispielsweise durch ein einführendes Video oder einen Einführungstext in Erscheinung, der in den Kontext, in dem sich die Schüler*innen dann befinden, einführt und die Wahrnehmung der Schüler*innen lenkt. Der hinführende Text eröffnet den pädagogisch intendierten Kontext und strukturiert die unstrukturierte, nicht pädagogische Umwelt hinsichtlich der fachlichen Schwerpunktsetzung. Die Lernenden werden für die Umgebung geöffnet, weil eine Sensibilisierung erzeugt wird, die wiederum zu einer selektiven, fachorientierten Wahrnehmung der Umgebung führt. »Öffnen« meint in diesem Zusammenhang eine selektive Öffnung zum Feld hin, die nicht beliebig ist, weil andere Möglichkeiten ausgeschlossen werden.
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Der hybride pädagogische Raum 2) Ein größeres Territorium erkunden. Oftmals wird jedoch Selektivität der Wahrnehmung mit kurzatmigen und einengenden Fragen verwechselt. Es wird ein gelenktes Unterrichtsgespräch simuliert – nun auf einem digitalen Gerät. Kennzeichen sind geschlossene bis halboffene Fragen, die keine Antwortvarianz zulassen und scheinbar Plausibilität versprechen. Schaut man sich verschiedene Bounds an, dann findet man eine Reihe von Wissensfragen, die auf ein deklaratives Wissen abzielen und die Welt auf eine Ja-Nein-Option verengen. Im Hintergrund steht hier eher die Tradition der Digitalisierung, die momentan im Aufgabenbereich I gang und gäbe ist. Die Schüler*innen haben dann die Aufgabe, vor Ort zu recherchieren und Fakten zu sammeln oder Gegenstände rein phänomenologisch zu beschreiben. Am Rande sei an der Stelle erwähnt, dass die Entwickler*innen von Actionbound auch solche Aufgabenformate bereitstellen, die auch nach wie vor in der analogen Schule bevorzugt werden: Abfragen von Wissen. In dieser Hinsicht ähnliche Werkzeuge wie Kahoot!, Quizlet oder Learning Snacks beruhen in der Regel darauf, das geschlossene Aufgaben durch eindeutige Antworten goutiert werden. Sicherlich sind solche Formate nicht grundsätzlich zu verteufeln. Dennoch ist die überproportionale Nutzung problematisch und sollte auf jeden Fall dazu führen, dass mit offenen Formaten die Selbstständigkeit und Selbstregulation der Schüler*innen und eine komplexere Auseinandersetzung mit dem Fachgegenstand gefördert werden. In einer ersten Phase der Einführung von Actionbound kann das Verwenden geschlossener Formate sicherlich zunächst helfen. In einer nächsten Phase sollten nun das Gebiet und die Aufgabenstellung eine qualitative Vertiefung anstreben. Actionbound unterstützt zum Glück auch eine freie Recherche und Erkundung der (Lern-)Umgebung. Bei einer mehr angeleiteten Aufgabenstellung werden die Lernenden durch das Lernfeld geführt, indem verschiedene Lernorte durch Text, Ortsmarkierungen oder Bilder vorgegeben werden. Offene Aufgaben lassen eine größere Freiheit zu, um eine Lernumgebung interessengeleitet zu untersuchen. Sei es beispielsweise die Untersuchung zum Eutrophierungsgrad eines Sees, die Dokumentation eines Ensembles von Denkmälern um die Siegessäule im Hinblick auf eine Gesamtaussage oder die Anleitung zu einem literarischen Spaziergang durch einen Stadtteil usw.; die Aufgaben können jeweils mehr oder weniger offen gestellt werden. Die Ergebnisse werden dann dokumentiert. Die Produkte des Bounds können dann in der nächsten Unterrichtsphase aufgegriffen und je nach Problemstellung eingesetzt werden. Beispielsweise ist es sinnvoll, dass die Schüler*innen exemplarische Dinge vom Ort mitbringen sollen. Möglich ist, dass eine Verlinkung zu einem »Etherpad« vorgenommen wird, um beispielsweise die verschiedenen Gruppen, die zu einem Thema in einem beispielsweise historischen Feld arbeiten, Beiträge zu
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
einer übergeordneten Fragestellung schreiben lässt. Oder es werden kleine Filme zu dem Thema vor Ort angesehen, eine zuvor angefertigte Präsentation eingespielt usw. Möglich ist auch, ein archäologisches Projekt vor Ort zu planen. Die vor Ort gesammelten Materialien werden dann zu einem späteren Zeitpunkt den anderen Mitschüler*innen präsentiert, indem beispielsweise deren historische Herkunft aufgezeigt, eine Pflanze biologisch bestimmt, eine Wasserprobe hinsichtlich des Eutrophierungsgrades analysiert wird usw. Hier wird in einer analogen Phase eine sinnstiftende Präsentation geplant, um die Ergebnisse präsentieren zu lassen. Das soll allerdings nicht dazu führen, dass Gegenstände entwendet oder Pflanzen entfernt werden. Aussagekräftige Fotos oder kleine Videosequenzen mit einem Kommentarstimme aus dem Off sind sinnvolle Alternativen. 3) Bound als ein Dokumentationswerkzeug einsetzen. Actionbound kann jedoch in dem Sinn eingesetzt werden, dass ein Gelände, ein Museum usw. von den Schüler*innen sondiert wird, um für ein Thema eine Fragestellung zu erarbeiten. Zwar ist Actionbound von den Entwickler*innen als ein Spiel konzipiert, dennoch kann man solche Werkzeuge dekonstruieren, wenn die Dokumentation nicht als Grundlage für ein Spiel genutzt wird, sondern zur Dokumentation eines Feldes. In dem Sinn kann ein Bound als ein Erkundungstool eingesetzt werden, das ein Thema, eine Fragestellung und einen Ort zusammenbringt. Alle Akteure des hybriden pädagogischen Raums wissen von Beginn an, dass die Nutzung, die Dokumentation usw. im Rahmen einer Themenstellung steht, die zuvor gemeinsam beschlossen wurde. Die verschiedenen Gruppen treffen dann zum ersten Mal mit dem Feld vor Ort zusammen, mit den Akteuren, die dort arbeiten, den Regeln, den Routinen usw. Mit dem Kontext können nun unterschiedliche Fragestellungen an den Ort entstehen und dokumentiert werden. Es gibt dann nicht nur die eine Problemstellung für die Lerngruppe, sondern eine breite Palette verschiedener Perspektiven auf das Themenfeld. Denkbar ist ebenso, dass es nicht nur einen Ort gibt, sondern verschiedene Orte zu einem Themenfeld aufgesucht werden. Beispielsweise können in einem Stadtteil literarische Spuren aus einer Literaturepoche untersucht, ein Museum, ein naturwissenschaftlicher Gegenstand hinsichtlich eines Themenfeldes konkretisiert werden. Nun können die Schüler*innen mithilfe des Werkzeugs dokumentieren, indem Fotos zum konkreten Gegenstand aufgenommen werden, ihre Exponate, Untersuchungsbereiche durch Bilder, Videos, Audionotizen usw. festgehalten werden, Interviewpartner*innen vorgestellt werden, bereits vor Ort wichtige Links angefertigt werden usw. 4) Einen Bound planen. Wie bereits weiter oben gezeigt, steht am Schluss die autonome und selbstverantwortliche Herangehensweise mit einem Werkzeug. So
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Der hybride pädagogische Raum
steht hier eine gemeinsame Planung und Konzeptionalisierung eines Bounds. Gerade wenn unterschiedliche Bereiche und Institutionen für einen Themenbereich untersucht wurden, ist es im Rahmen des Peer Teaching möglich, unterschiedliche Bounds dann spielen zu lassen. In dem Zusammenhang sind die Bounds dann Unterrichtsprodukte, wenn die Lehrkraft als Expert*in den Inhalt als richtig beurteilt hat. 5) QR-Erkundungen mit Karten. Actionbound als Konzept kann nach den ersten Erfahrungen durch andere Werkzeuge ersetzt werden. Nun werden verschiedene Werkzeuge genutzt, um einen Raum zu erkunden. Möglich ist zum einen, dass die Lehrkraft einen Raum mit QR-Codes bestückt, die Erklärungen beispielsweise zu Denkmälern oder zu Pflanzen geben. Ein QR-Code (englisch: Quick Response, »schnelle Antwort«, als Markenbegriff »QR Code«) ist ein zweidimensionaler Code, der von der japanischen Firma »Denso Wave« im Jahr 1994 entwickelt wurde und Informationen unmittelbar abrufbar macht. Die Erläuterungen können dann wieder sehr unterschiedlich kombiniert werden durch Texte, Audios, Videos usw. Hinzugezogen werden dann interaktive Landkarten, um sich im Gelände zu verorten und sich zu orientieren. Sicherlich können auch analoge Karten herangezogen werden, um einen anderen Suchalgorithmus auszuprobieren. Die Gelände selbst können dann auch durch die Schüler*innen präpariert werden. Wie weiter oben bereits erwähnt, ist das dann das Produkt einer zuvor von in der Gruppe geleisteten Erkundung, die nun einer anderen Gruppe im Rahmen das Peer Teaching zur Verfügung gestellt wird. Zur Bearbeitung der Aspekte, die dargestellt werden, wird nun beispielsweise ein Etherpad eingesetzt oder andere interaktive und kollaborative Werkzeuge, die man beispielsweise auf einer Lernplattform findet. 6) Freie Erkundung. Am Schluss steht die freie Erkundung. Im Idealfall können die Schüler*innen nun mit Karten umgehen, haben eine erste Erfahrung gemacht, wie man einen Raum sondiert. Letzteres haben sie zum einen als Produzent*innen eines Bounds gemacht, zum anderen durch das Spielen eines Bounds und dessen thematischer Plausibilität.
Zusammenfassend kann gesagt werden: •
•
Exemplarische Orte werden geschichtlich, ästhetisch, naturwissenschaftlich erkundet, indem ein hybrider pädagogischer Raum mithilfe eines digitalen Werkzeuges erzeugt wird. Der pädagogische Zugang öffnet sich der Besonderheit des Ortes.
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Durch die Art der Aufgabenstellung kann der Grad der pädagogischen Anleitung bestimmt werden: Die Schüler*innen können sich selbst eine eigene Fragestellung formulieren oder sie erhalten eine mehr oder weniger offene Problemstellung durch die Lehrkraft. Die räumliche und zeitliche Bearbeitung kann durch die Akteure bestimmt werden. Der Raum wird aufbereitet, ohne schon verwaltet zu werden; die eigene Aneignung des Raums wird so ermöglicht: Mögliche Themen können übersprungen werden, wenn sie die Lerngruppe nicht für sinnvoll erachtet. Möglich ist es aber auch, dass der Erkundungspfad eng vorgegeben wird, indem QR-Codes im Vorfeld ausgelegt werden. Es werden frageorientierte Medien gestaltet, die dann später vertiefend weiterbearbeitet werden (Flipped Classroom). Es können verschiedene Gruppen in einem Erkundungsfeld dezentral zusammenarbeiten und ein gemeinsames Produkt erstellen. Fotos, Videos oder Audioaufnahmen können für eine Präsentation aufbereitet werden.
5.5.4
Applikationen, Lernplattformen und digitale Texte
Digitale Werkzeuge besitzen ein direktes und/oder indirektes didaktisches und methodisches Konzept und sind mitverantwortlich, eine spezifische Praxis der Akteure zu motivieren bzw. zu erzeugen. Im gleichen Atemzug ist nochmals zu betonen, dass eine solche Praxis immer auch einen Handlungsspielraum lässt, dass also die digitalen Werkzeuge bis zu einem gewissen Grad auch gegen die Programmiererintention genutzt werden können. Erst im und aus dem Umgang mit den Artefakten (hier Apps) entsteht eine spezifische Praxis. Es liegt kein UrsacheWirkungs-Determinismus zugrunde. Zugleich – auch das sei an dieser Stelle nochmals betont – muss diese Praxis selbst immer wieder kritisch begleitet werden. Denn, wie weiter oben schon diskutiert wurde (Kap. 4), ist der nicht neutrale Prozess der Nutzung von digitalen Werkzeugen im Sinne des foucaultschen Begriffs »Gouvernementalität« (Foucault 2006, S. 14) kritisch zu berücksichtigen. Darunter wird die Selbstführung als Moment der Übernahme von äußeren Disziplinartechniken und Machtkontrollen u.a. durch diverse Interventionstechniken verstanden. Welche Möglichkeiten eine Applikation, eine Lernplattform zur Verfügung stellt ist gleichermaßen relevant wie direkte Sanktionen für einen andersartigen Gebrauch, Zugangsrechte, Observationsmöglichkeiten, Abrechnungssysteme usw. und haben immer auch den Charakter der Disziplinierung, die auf der Vorstellung eines richtigen oder angemessenen Gebrauchs, eines Endzustandes beruht. Parallel zur Nutzung solcher Werkzeuge muss eine Distanzierungstechnik erlernt werden, die eine kritische Reflexion er-
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laubt, eine »Kosten-Nutzen-Relation« aufstellt (wie viel gebe ich preis in Relation zum Nutzen, den ich erreichen kann) und alle Akteure (Lehrkräfte und Schüler*innen) einem Rechtfertigungsdiskurs aussetzt. Wenn nur nachstehend einige ausgesuchte Werkzeuge oder Lernplattformen diskutiert werden, können auch hier nur exemplarische Beispiele angeführt werden, weil zum einen die Entwicklung und das Veralten von Applikationen zu schnell erfolgen und zum anderen immer nur eine Momentaufnahme aufgezeigt wird, die im nächsten Augenblick durch bessere Alternativen ersetzt werden kann.19 Für den Unterricht ist das auch zu berücksichtigen. Es gibt zu viele Werkzeuge, als dass eine Lehrkraft über alle die Übersicht behalten könnte. Die Applikationen sind zumeist kurzlebig, sind erst frei zugänglich, werden dann kommerziell genutzt usw. Vor solch einem Hintergrund ist es nicht sinnvoll, dass die Schüler*innen nun Werkzeuge lernen wie Vokabeln. Über allem steht, dass die Schüler*innen lernen, sich neue Werkzeuge kritisch selbst anzueignen. Insoweit steht die Aneignungskompetenz im Zentrum und nicht die Vorgabe durch die Lehrkraft, die jedoch zu jedem Zeitpunkt darüber informiert sein sollte, welche technischen Kompetenzen vorliegen. Die Aneignungsstrategien müssen an ausgewählten Beispielen immer wieder in einer Metareflexion regelmäßig thematisiert werden, damit sich die Schüler*innen zunehmend autonom und anlassbezogen Werkzeuge aneignen, um Probleme zu lösen. Kollaborative Textwerkzeuge. Mittlerweile Klassiker der Kollaboration sind Etherpads und Wikis. Unabhängig von zeitlichen Vorgaben und der Verortung im Raum können hybride pädagogische Räume eröffnet werden, in denen Lernen ermöglicht wird. Beide Werkzeuge erlauben eine enge synchrone und diachrone Zusammenarbeit zwischen den Akteuren. Werden solche Werkzeuge im Unterricht eingesetzt, sollte immer bedacht werden, dass die Schüler*innen die Art und Weise einer solchen Zusammenarbeit am Beginn nicht kennen. Aus diesem Grund hat sich eine Einführung in die Kollaboration an einem Textdokument durch das Etherpad (z.B. https://yopad.eu/) bewährt, da hier den Schreiber*innen automatisch eine Farbe zugeordnet wird. Mit einer solchen optischen Unterstützung können die verschiedenen Aktivitäten der einzelnen Akteure für alle Nutzer*innen besser nachvollzogen werden. Erleichternd kommt hinzu, dass ein Chat parallel möglich ist. Dort können Diskussionen beispielsweise zur Gliederung des Textes, zu der Formulierung und Positionierung usw. geführt werden. So wird eine synchrone und diachrone Bearbeitung erleichtert. Dies alles findet man bei Wikis nicht, was für Anfänger*innen eine hohe Barriere für die Kollaboration bedeutet. Hier müssen die Schüler*innen in der Regel schon über einen Erfahrungsfundus verfügen, um die 19
Zudem existieren bereits viele Listen und Empfehlungen im Netz, die nach kurzer Recherche aufzufinden sind. So sollen an dieser Stelle lediglich Schlaglichter aufgezeigt werden.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
verschiedenen Beiträge nachvollziehen zu können und andere Kommunikationsmedien hinzuzuziehen, um vielleicht in eine direkte Kommunikation zu treten. Daneben existieren verschiedene Anbieter, die das gemeinsame Arbeiten an Dokumenten mit den gängigen Formaten wie DOC, XLS, PPT, ODT und RTF unterstützen. Oftmals sind in Schreibsystemen keine Chats eingebunden. Dann kann man sich in solchen Fällen beispielsweise über die Kommentarfunktion mit den Teilnehmer*innen zu Textpassagen, Bildern, Grafiken usw. austauschen. So ist es auch möglich, über nonverbale Gesten usw. noch spontaner mit den anderen Gruppenmitgliedern zu kollaborieren. Videoplattformen. Ein sehr effektives Werkzeug zur Kollaboration und Kooperation ist die Videokonferenz. Kleinen oder größeren Gruppen ermöglicht sie, einen direkten Kontakt für eine synchrone Zusammenarbeit zu erstellen, die relativ schnell und anlassbezogen einberufen werden kann. Vorteilhaft ist weiterhin, dass neben einem Chat, der zur Videokonferenz parallel möglich ist, ein direkter visueller Zugang geboten wird, der eine flexible verbale und nonverbale Kommunikation unterstützt. Gerade für ungeübte Akteure ist es wichtig, einen flexiblen und unmittelbaren und selbstbestimmten Kontakt zu besitzen (vgl. beispielsweise »wonder me«). Solche synchronen Zusammenkünfte können die Kollaboration mit verschiedenen digitalen Werkzeugen begleiten, wenn parallel zur Videokonferenz mit einem digitalen Werkzeug gearbeitet wird. Möglich ist, dass der Bildschirm auf ein digitales Werkzeug zugelassen wird und dort alle Teilnehmer*innen gleichzeitig an einem Produkt arbeiten. So wird jedes Werkzeug zu einem kollaborativen Werkzeug. Eine so vorgenommene Dekonstruktion von Werkzeugen hat seine Grenzen, wenn die Lerngruppe auch zeitlich dereguliert arbeiten möchte. Dann ist es wichtig, ein gut funktionierendes, parallel laufendes Chat-Tool einzusetzen, auf das zurückgegriffen werden kann. Möglich ist dann, dass jemand die Beschlüsse der Teilnehmer*innen ausführt, Änderungen vornimmt usw. Komfortabler ist es, wenn alle Teilnehmer*innen gleichzeitig mit einem Tool arbeiten, auf das alle gleichzeitig eine Zugriffsmöglichkeit haben. Lernplattformen. Nicht zu vergessen sind die Lernplattformen im Rahmen der Content-Management-Systeme, um gemeinsam Produkte zu erstellen, zu bearbeiten oder die Zusammenarbeit zu organisieren. Schüler*innen und Lehrkräfte können auf einer solchen Plattform auf sehr unterschiedliche Art und Weise gemeinsam arbeiten. Wie eine solche Lernplattform wie Moodle konzipiert ist und welche Praxis in der Zusammenarbeit dort etabliert wird, ist sehr unterschiedlich. Insbesondere den Lehrkräften obliegt hier eine wichtige pädagogische Verantwortung, um solche Plattformen nicht zu »Lernmaschinen« werden zu lassen, die althergebrachte behavioristische Muster bedienen.
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Der hybride pädagogische Raum
Grundsätzlich können Lernplattformen sehr unterschiedlich genutzt werden, weil diverse Angebote zur Verfügung gestellt werden. Zunächst ist es wichtig, dass sich die Lernplattformen nicht zum Netz abriegeln und einen Klassenraum auf digitaler Ebene simulieren. Wie mehrfach schon betont wurde, ist es nicht wichtig, die Schüler*innen von der (digitalen) Welt fernzuhalten, sondern verantwortungsbewusst zu begleiten. Ersteres ist immer einfacher. Besonders problematisch ist, wenn die Lernplattformen mit Personendaten verbunden werden und daraus wiederum abgeleitet wird, dass sie sich vom Netz abschließen müssen, um dem Datenschutz zu gehorchen. Weiterhin ist es besonders verlockend, dass diverse, scheinbar effiziente Abfragewerkzeuge eingesetzt werden, um den Lerneffekt zu evaluieren oder zu dokumentieren wie Multiple-Choice-Systeme, Kartenabfragen, Lückentexte usw. Sicherlich können solche Werkzeuge eingesetzt werden, wenn pädagogische Gründe dafürsprechen. Doch sie sind nie Endzweck, dürfen nie hinsichtlich des dahintersteckenden Konzepts unthematisiert bleiben und sind nur temporär – wenn überhaupt – einzusetzen. Kritisch muss gesehen werden, dass die Lernplattformen einen althergebrachten Frontalunterricht wieder etablieren und dem deklarativen Wissen zu neuen Ehren verhelfen können (vgl. Kabaum/Andersen 2020, S. 313, siehe auch Höhne/Karscher/Voss 2020), um Effizienz und Effektivität im Rahmen hoher Output-Raten in der Nach-Pisa-Zeit zu erzeugen (vgl. auch Kerres 1996, S. 73ff.). Der Begriff der »Effizienz, in dem sich verschiedene Aspekte ökonomischer Rationalität auskristallisieren, wie Wirksamkeit, Standardisierung, Kontrolle, Messung, Rechenschaftslegung (accountability) u.a. […] Die Elemente einer Unterrichtsmaschine sind das Ausgangsverhalten (entry behavior) eines Lernenden, das Zielverhalten (desired outcomes) und ein teaching program, das den Ausgangs- in den Endzustand überführt.« (Herzog 2012, S. 176, S. 185) Problematisiert wird eine Reaktion auf Information und Daten als Wissen. Dem steht ein Wissensbegriff gegenüber, der das Wissen als eine Narration von Informationen in einer konkreten Praxis beschreibt. Während Informationen keinen Kontext haben, besitzt Wissen immer einen Kontext, ein »Worauf«. Insofern kann die Information den Kontext verändern und das Wissen um diesen, ist aber selbst kein Wissen (vgl. auch Batson 1985, S. 373). Daneben sind die Datenerhebung und die Datenverfolgung von Schüler*innen problematisch. Hier besteht die Gefahr, dass die Schüler*innen mit den von ihnen erhobenen Daten gleichgesetzt werden und selbst zu »Trivialmaschinen« (Höhne/Karscher/Voss 2020, S. 333) werden. Problematisch ist, dass das pädagogisch Sinnvolle einer technischen Machbarkeit unterworfen wird, die den technischen »Logos« zum Normalfall macht und als »Selbstwahrnehmung« akzeptiert wird (vgl. dazu Jörissen 2020). Das Regime des Komputablen ist das digital Zählbare (S. 347). Mit dem Begriff des Solutionismus verweist Jörissen auf den Umstand, dass Pro-
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bleme so formuliert werden, dass sie unter den Bedingungen des Komputablen gelöst werden können. Sie erscheinen als selbstevidente Herangehensweise, die dem Common Sense entspricht. Das hat zur Folge, dass das als normal im Selbstverständnis angesehen wird, was durch die Problemdefinition und die Lösung akzeptiert wird und akzeptabel erscheint (S. 348). Oftmals wird in den Lösungskategorien von einer Software gedacht. Das hat auch Auswirkungen auf die pädagogische Arbeit, wenn Werkzeuge und die in sie eingeschriebenen Didaktiken gedankenlos und unkritisch genutzt werden. Mit der sich so etablierenden Praxis entsteht eine Ausblendung nicht kompatibler didaktisch-methodischer Herangehensweisen. Die Expert*innen werden zu Nutzer*innen, zu Kennern von Apps und verschieben ihre Expertise weg von genuinen pädagogischen Fragestellungen. Letztlich muss auch erwähnt werden, dass der Bildungsmarkt zunehmend kommerzialisiert wird, indem Schulen Verträge mit diversen Plattformen schließen. Die Anbieter offerieren Angebote, dass die Plattformen zunächst für einen Zeitraum kostenlos genutzt werden. Es ist jedoch dann hochgradig unwahrscheinlich, dass die Schulen anschließend die Cloud-Lösungen wieder kündigen, wenn erst die ganze Organisation organisiert ist und die Nutzer*innen sich in die Logik der Plattform eingearbeitet haben. So ist zu sehen, dass eine sukzessive Privatisierung der Bildung stattfindet. Nicht nur, dass in der Regel private Geräte der Lehrkräfte und der Schüler*innen eingesetzt werden, sondern dass nun auch private Anbieter direkt die Organisation und Selektion von Angebot und Machbarkeit übernehmen. Gerechtfertigt wird das Handeln über die Figur der Effizienz, um das Lernen wieder ins Zentrum zu rücken. Weniger reflektiert wird, dass das Lernen und das technische Angebot hochgradig zusammen gedacht werden müssen. Jenseits der digitalen Police – also eine Registrierung durch das Netz – gibt es jedoch kein Reich der Freiheit (Jörissen 2020, S. 352). Insofern ist eine schnelle Abwendung, ein »Einfach-nicht-Mitmachen« nicht die Lösung. Die Digitalität ist als solche gesetzt. Jörissen verweist (2020; vgl. auch zum Begriff der Heterotopie Kap. 4) auf die Digitalität, die nicht dem »Solutionismus« folgt, in der ein emanzipatorisches Potenzial eingeschrieben ist, das durch eine kritische Begleitung durch die Lehrkräfte erfolgt. Entscheidend bleibt der subjektive Faktor, der jenseits des »Solutionismus« handelt (vgl. S. 352). Die Frage ist, wie man Lernplattformen nutzt. Lernplattformen bieten vielfältige Möglichkeiten. Sie sind zunächst der Ort, an dem man gemeinsam eine Problemfrage formuliert, sie bieten im besten Fall kollaborative Werkzeuge, Videoplattformen usw. an. Zugleich lassen sie es zu, dass Seiten, digitale Werkzeuge usw. aus dem Netz eingebunden werden können, um von der dynamischen Entwicklung zu profitieren. In den Einstellungen sollte die Hierarchisierung zwischen Schüler*innen und Lehrkraft nicht vorgenommen werden, um von Beginn an den verantwortlichen Umgang zu erleben. Auch sollte offen über die möglichen Be-
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obachtungsinstrumente gesprochen werden, die angeboten werden und vor Missbrauch der Plattform schützen. So kann man z.B. die Login- und Bewegungsdaten und die Bewegungsdaten für eine Gruppe und die einzelnen Nutzer*innen abrufen. Multimodale Texte. In der analogen Schule sind die Sozialformen durch die Anordnung der Akteure im Raum gekennzeichnet. Vom Lehrervortrag, über die Einzelund Partnerarbeit bis hin zur Gruppenarbeit erstrecken sich die verschiedenen Formen, wie die Akteure zusammenkommen. Quer zu den Sozialformen sind die kooperativen Lernformen wie Kooperation und Kollaboration zu sehen, die die verschiedenen Sozialformen einschließen. Ohne Medien sind Bildung und Unterricht, so wurde gesagt, nicht realisierbar. Doch die Medien selbst besitzen didaktische Konzepte, die Sozial- und Kooperationsformen favorisieren, nahelegen oder nicht intendieren. Mit den Medien treten Akteure auf, die ihre Ideen, Sichtweisen und Positionen darstellen. Das war schon in der analogen Schule der Fall, in der Digitalität ist es die Regel. Diese Seite wurde wenig diskutiert, da die Medien in der Alltagsroutine, im selbstverständlichen Gebrauch unsichtbar wurden, weil sie zu selbstverständlich sind. Doch von Beginn an ist in den Texten und Bildern ein kommunikativer und interaktiver Gebrauch eingeschrieben, der in der Regel mit den Schüler*innen nicht thematisiert wurde. Mit den digitalen Texten werden die alten analogen Medien entfremdet und lassen wieder einen kritischen Blick zu. An dieser Stelle ist es nicht die Aufgabe, die zurückliegenden Medienkonzepte zu gebrauchen. Lediglich ist festzustellen, dass deren Einsatz nie Teil des Unterrichts ist. Mit der Abschottung nach außen geht der Unterricht und die Profession davon aus, dass die Lehrkraft für die fachliche Richtigkeit, die korrekte und nicht manipulative Aufbereitung der Unterrichtsmedien verantwortlich ist. Mit der Digitalität ist diese Prämisse nicht mehr aufrecht zu erhalten, weil die Schule nicht mehr nach außen abzuschließen ist. Multimodale Texte. Zu den Sozialformen zählen hier auch die digitalen Texte, die im Netz zu finden sind, die durch die Lehrkräfte angeboten und letztlich auch von den Schüler*innen reflexiv selbst erstellt werden. Solche digitalen Texte sind Kommunikationsbeiträge, eine Interaktion zwischen Rezipient*innen und Produzent*innen (im Netz). Im althergebrachten schulischen Raum waren die Interaktionsbeiträge durch Schulbücher überschaubar. Die Texte, wie gezeigt wurde, sind kalkulierbar, ein Misstrauen besteht zu nicht autorisierten Texten, die der Kanon nicht vorsieht. Anders verhält es sich in der Digitalität, in der die digitalen Texte selbst Links zu anderen Seiten oder Themen ausweisen, alternative Rezeptionswege anbieten, sie durch Vorankündigungen, Hervorhebungen etc. anpreisen usw. Digitale Texte heben die Entscheidung einer alleinigen Rezeption über ein einziges Zeichensystem auf – wie es für die Buchgesellschaft typisch ist –, um durch
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
die intendierte Zusammenfügung von Tönen, Bildern, Videos und Texten zu einem multiplakativen Text zu werden, um eine Repräsentation zu erzeugen. Mit dem Internet wird in der Regel vom »Pictorial Turn«, der »visuellen Wende« gesprochen, weil zunehmend Bilder und andere Medien in kommunikativen Zusammenhängen genutzt werden. Die kompetente Rezeption und Produktion ist ein Teil der digitalen Textkompetenz, die zu einer immer wichtigeren Kompetenz in der Digitalität wird. In der deutschsprachigen Linguistik hat sich eine Unterscheidung zwischen »Medien« und »Kommunikationsformen« herausgebildet. Medien sind in dem Sinn technische Werkzeuge, mit denen Zeichen hergestellt, gespeichert und übertragen werden. Sprache wird hingegen als ein artifizielles Zeichensystem angesehen, das kein Medium ist, wie es beispielsweise durch einen instrumentalistisch-textpragmatischen Ansatz dargestellt wird. Eine solche Begrenzung ist jedoch nicht allgemein verbindlich. So sieht der semiotisch-textlinguistische Ansatz die Sprache durchaus als ein Medium an, als Ressource für die Textproduktion wie Geräusche, Töne, Buchstaben usw. Der transkriptionstheoretische Ansatz verweist mit seinem weiten Medienbegriff darauf, dass es Überschneidungen zwischen Zeichen und Medien gibt, die relevant für eine Gesamtaussage sind. Ohne hier eine abschließende Position einzunehmen kann festgehalten werden, dass die verschiedenen Ansätze (vgl. auch Schneider/Stöckl 2011) von einem signifikanten Zusammenspiel von Zeichen und Medium ausgehen, das für die Gesamtaussage nicht ignoriert werden kann. Schaut man sich das Phänomen an, dann sieht man sehr schnell, dass es eher um eine komplexe Nutzung von unterschiedlichen medialen Trägern wie Schrift, Bild, Grafik, Ton usw. geht (vgl. Holly 2013). »Sprache und Schrift sind in einer neuen Weise manipulierbar und kommunizierbar, die noch kaum begriffen werden kann« (Holly 2013, S. 58). Schaut man sich beispielsweise die Entwicklung der Zeitung an, dann kann man sehen, dass deren Entwicklung von einer buchähnlichen Konzeption, die allein auf die Schrift setzt, hin zu einem multimodalen Medium zu beobachten ist, bei dem Text, Bild, Grafik usw. einen umfassenden kommunikativen Beitrag darstellen. In Zusammenhang mit multimedialen Lernarrangements wird gefordert, dass unterschiedliche mediale Ressourcen gemeinsam auftreten, um das Lernen zu unterstützen. So zeigen beispielsweise Fischer/Mandl/Todorova (2010) auf, dass Text und Bild räumlich nahe beieinander statt weit entfernt voneinander und gleichzeitig statt nacheinander präsentiert werden (Contiguity Principles) oder Text und korrespondierende Bilder gemeinsam auftreten sollen (S. 757f.). In solchen Ansätzen wird eher von den jeweiligen Kapazitäten der medialen Systeme aus argumentiert, die das Lernen stützen sollen. Indirekt ist hier ein komplementärer Ansatz herauszuhören, der durch Ansätze der multimodalen Textanalyse verfolgt wird.
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Das Zusammenspiel verschiedener Medien ist dabei nicht additiv zu verstehen, sondern als ein kommunikativer Gesamtbeitrag. Solche multimodularen Kommunikationsformen (Schneider/Stöckl 2011, S. 22) dringen in die Alltags- wie auch Bildungswirklichkeit ein und sind für die Digitalität charakteristisch. Die technischen Apparate, die selbst einen codierten Quelltext besitzen, bilden die materielle Grundlage für die semiotisch-semantisch kodierte Textebene. Doch die materielle Seite besitzt auch eine dynamische Seite für die Kommunikation, weil eine spezifische Form der Kommunikation zugelassen wird. Der Begriff der Medialität zeigt auf, dass es unterschiedliche Repräsentationsformen gibt. Insoweit sind Schreiben und Sprechen verschiedene Medialitäten, wie auch die Repräsentation auf einer Website, einem Blog, in einem Chat usw. Es sind verschiedene Weisen einer Repräsentation: »Medien sind Verfahren der Zeichenprozessierung« (Schneider/Stöckl 2011, S. 24). Was sind multimodale Texte? Abgesehen von der Frage, ob der Text ein Medium oder ein Zeichensystem ist, das mediatisiert wird, kann man festhalten, dass Letzteres Spuren hinterlässt und eine semiotische Relevanz besitzt. Der Begriff der Modalität, die spezifische kulturelle Art und Weise der Repräsentation, hebt die Wahrnehmung und die damit verbundene Sinnproduktion hervor. Jedes »Modes« hat drei Aufgaben: etwas soll repräsentiert werden, weiterhin soll eine Interaktion zwischen Produzent*innen und Rezipient*innen erzeugt werden und letztlich sollen die verschiedenen Texte und Zeichenarten in ein Sinnganzes als Kommunikationsbeitrag dienen. Mit der Medialität können unterschiedliche mediale Formen wie Schrift, Bild, Ton und Film miteinander auftreten (Symmedialität) und ein Sinnganzes erzeugen (komplexes Zeichensystem als Synästhetik). Die Produzent*innen und Rezipient*innen nehmen dabei immer eine doppelte Rolle ein, die jeweils eine unterschiedliche Aktivität abverlangt. Bezeichnungen wie »Wreader« (Reader und Writer) oder »Schreser« (Leser und Schreiber), Producer (User und Producer), Prosumer (Producer und Consumer) usw. verweisen darauf, dass hier immer doppelte Kompetenzen verlangt werden, (digitale) Texte zu lesen und zu erzeugen (Rezeption und Produktion), um angemessen in einer analog-digitalen Welt teilzuhaben. Insbesondere in der Digitalität ist die Schriftkommunikation durch die Verbindung von Text, Bild, Grafik, Musik, Typografie und Design gekennzeichnet. »The point is that specific choices and combinations of choices e.g. movement, colour, and so on realise or express meanings (e.g. actions, evaluations) in multimodal texts.« (Baldry, Thibault 2010, S. XV) Ziel ist es, nicht die verschiedenen Formen der Informationen additiv darzustellen, sondern sie im Funktionieren im multiplikatorischen Sinn zu berücksichtigen, sodass die verschiedenen Kommunikationsträger hinsichtlich der von ihnen zur Verfügung gestellten Ressourcen für die Kommunikationsintention dargestellt
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werden. Baldry/Thibault (2010, S. 17) sprechen in diesem Zusammenhang von dem »ressource integration principle«. »Multimodal texts integrate selections from different semiotic resources to their principles of organisation. For example, the printed page makes use of the resources of depiction, written language, lexicogrammar, spatial positioning and arrangement of items, among other things. These resources are not simply juxtaposed as separate modes of meaning making but are combined and integrated to form a complex whole which cannot be reduced to,or explained in terms of the mere sum of its separate parts. The organisational principles of the whole e. g. the page as a visual unit cannot be understood in terms of the different resources used, taken separately. The resource integration principle refers to the ways in which the selections from the different semiotic resource systems in multimodal texts relate to, and affect each other, in many complex ways across many different levels of organisation. Multimodal texts are composite products of the combined effects of all the resources used to create and interpret them.« (Baldry/Thibault 2010, S. 18) Texte sind in dem Sinn noch nie separiert aufgetreten, sondern sie wurden separiert mit dem Ziel, eine spezifische klassische »Textanalyse« vorzunehmen (vgl. Siefkest 2015, S. 114). In der Regel sind Texte immer multimodular zu verstehen, wie Baldry und Thibault (2010) hervorheben: »Monomodality is the result of a certain way of thinking of separate, distinct semiotic resources, abstracted from use, as existing in their own right« (S. 19). Daneben gibt es auch die semiotisch-kommunikativen Besonderheiten zu berücksichtigen, die insbesondere in der Digitalität von Bedeutung sind. Emojis, GIFs oder Hashtags begleiten Texte, sind in sie eingebunden usw. und entfalten eine eigene semantische Wirkung. Solche »Steganografien« (verborgene Informationen in einem Trägermedium) sind selbst wieder ein kommunikatives Phänomen, das insbesondere in den sozialen Medien eine Bedeutung entfaltet. Zu erwähnen ist auch das interaktionsorientierte Schreiben. Dieses Phänomen ist eine Mischung aus Schriftsprache und mündlicher Übermittlung, die ebenfalls insbesondere in den sozialen Medien vorzufinden ist. Sie ist, wie Storrer (2018) nachweist, keine Aufweichung der Schriftsprache (S. 238), sondern eine spezifische – eine schriftliche – Mündlichkeit, die sich durch Chats, Mails usw. entwickelt hat. Auch diese Formen der internetbasierten Kommunikation werden mit anderen Formen und Arten von Texten kombiniert und bilden ein semiotisch-kommunikatives Sprachphänomen.20 Parallel zu einer solchen »Kookkurenz«, also der semantischen, gegenseitigen Abhängigkeit zweier oder mehrerer semantischer Ressourcen eines Textes im Sin20
Wichtig ist gerade, dass die Schüler*innen um solche Formen der spezifischen Form der Kommunikation wissen, um auf situationsadäquate Kommunikationsformen zurückzugreifen.
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ne einer Gesamtaussage, tritt eine Delinearisierung von Texten auf, die keine einheitliche Lesart besitzen, sondern Angebote durch Links, Seitenverweise, Empfehlungen usw. anbieten, um einer Frage, einer Narration, einem Interesse usw. zu folgen. Multimodalisierung und Delinearisierung treten zusammen auf und erzeugen semantische Räume, die von Seiten der Rezeption entsprechende hermeneutische und analytische Kompetenzen verlangen. Nicht unerwähnt sollte sein, dass solche Angebote stets mit Interessen verbunden sind, die selbst wieder kritisch reflektiert werden müssen (vgl. Frederking/Krommer 2019, S. 9). Einhergehend mit einer solchen Rezeptionsfreiheit können aber auch Irritationen entstehen, weil es beispielsweise zu einer Orientierungslosigkeit hinsichtlich »der richtigen« Narration kommt. Die alten Rezeptionstechniken greifen nicht mehr, um den holistischen Gesamtsinn eines multimodalen Textes zu verstehen. Auf der Seite der Produzent*innen muss realisiert werden, welche einzelnen Komponenten mit welcher Wirkmacht für den intendierten Gesamtsinn wichtig sind und wie sie anzuordnen sind. Beispielsweise muss entschieden werden, wie der Text neben einem Bild kommentierend konkretisiert, situiert oder kontextualisiert wird. »Das Bild unterhält also einen zweifachen Bezug zur Sprache: Zum einen benennt eine Art Titel oder Kernbegriff (Lemma) den Bildinhalt und stellt ihn so in einen semantischen Kontext, zum anderen ermöglicht ein längerer, erklärender Begleittext (Epigramm) vielfache und komplexere Verknüpfungen bzw. Zusammenhänge zwischen Teilen des Bildes und Aussagen des Sprachtexts.«21 Gerade im Bereich der Schule, der Verfertigung und Nutzung von Arbeitsblättern ist darauf zu achten, wie die Bilder in ihrer eigenen Rhetorik mit dem Text verbunden sind, ohne ihn zu wiederholen. So ist es beispielsweise möglich, eine grüne Wasseroberfläche mit einem Text zum Thema Eutrophierung zu verbinden. Erst wenn Text und Bild zusammen auftreten, erzeugen sie zusammen eine Aussage: Die Aufmerksamkeit wird auf die farbliche Erscheinung gelenkt, die Situierung wird durch den Text gegeben, die im Horizont leicht sichtbaren Schornsteine werden nun signifikant für das Thema usw. Das Bild oder der Text verweisen exemplarisch auf das Phänomen, konkretisieren, expandieren und konzeptualisieren das Thema. Das Design organisiert das Zusammenspiel der verschiedenen semantischen Ressourcen, die Typografie wird hervorgehoben, setzt in Relation zur grafischen Umgebung zurück usw. Auf der Seite ist der*die Rezipient*in aufgefordert, die einzelnen Komponenten auf der Angebotsseite zu einem Gesamtsinn zusammenzufügen. Der Text, das
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https://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Sprach-Bild-Bez üge&oldid=21795
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Bild usw. sind entweder: redundant, komplementär (verschiedene Aussagen), ergänzend (allgemeine Aussage), synthetisch oder rahmend. Bucher (2011) verweist darauf, dass eine solche hermeneutische Vorgehensweise voraussetzt, dass die einzelnen Komponenten verstanden werden. Die Zuordnung zu einer Gesamtaussage setzt die Analyse der einzelnen Elemente voraus. »Verstehen« ist kein Prozessverb, sondern ein Erfolgsverb (S. 135). »Meaning making is the process, the activity of making and construing such patterned relations among different classes of such elements« (Baldry/Thibault 2010, S. 21). Dynamisch-pragmatische Ansätze, die den Rezeptionsprozess gezielt analysieren, verweisen darauf, dass auf der Seite des*der Rezipient*in unterschiedliche Teilprozesse für die Erzeugung eines Gesamtverständnisses involviert sind. So gibt es während der Rezeption Teilverständnisse, ein vorläufiges, partielles Gesamtverständnis, eine Umdeutung insgesamt oder von Teilen und eine Neudeutung. Die verschiedenen Handlungen werden als ein dynamisches Geschehen verstanden, um einen multimodalen Text zu erfassen. Daneben ist es aus rezeptionstheoretischer Sichtweise wichtig, dass der Kontext, in dem ein multimodaler Text steht, bekannt ist. Oft ist es wichtig, den Verwendungszusammenhang zu kennen (Bucher 2011, S. 137), um ein Design, eine Bildauswahl und den Duktus eines Textes zu verstehen. So gehört es dazu, dass man den*die Autor*in, den Namen des*der Publizist*in usw. kennt, um die Intention auch in diesem Kontext zu realisieren. »Bedeutungsvolles Lernen hängt […] davon ab, inwieweit dem Individuum die Integration von visuellem und verbalem Material sowie die Integration neuer Information mit dem Vorwissen durch Prozesse der Selektion und der Organisation gelingt.« (Fischer/Mandl/Todorova 2010, S. 757) Bucher (2011) vertritt die interaktionstheoretische Position, dass die Rezeption von multimodalen Texten durch die bestehende Intention zu verstehen ist. Dabei ist der Wissenstand über den Gegenstand bedeutend. Neben den Vorannahmen sind es weiterhin die Erwartungen oder Absichten, die man als Rezipient*in verfolgt. Für den Unterricht sind es beispielsweise die sprachliche Kompetenz, die spezifische Aufgaben- und Problemstellung, die Passung zum Vorwissen usw. Erst vor diesem Hintergrund können Annahmen zum Selektionsverhalten für die Rezeption gemacht werden, um eine Gesamtaussage des multimodalen Textes zu erzeugen. Untersuchungen haben gezeigt (Bucher 2011), dass unspezifische Intentionen eine Orientierungslosigkeit auslösen, multimodale Texte zu verstehen, da die Intention wichtig ist für die Selektion der Informationen (S. 143). Auf Seiten der Schüler*innen sind auch verschiedene Kompetenzanforderungen zu berücksichtigen. In Anlehnung an Bucher (2011) sollten nachstehende Kompetenzen bestehen bzw. unterstützt werden:
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Der hybride pädagogische Raum a) Identifizierung des*der Autor*in, des*der Kommunikationspartner*in, um die Intention zu rekonstruieren. Gibt es offene und verdeckte Intentionen? b) Gibt es zu dem Beitrag bereits weitere Beiträge, auf dem im aktuellen Text aufgebaut wird? Muss ein übergeordneter Diskussionsrahmen angenommen werden und an welcher Stelle der Kommunikation trete ich gerade ein? Hier müssen sich die Schüler*innen orientieren, um den Beitrag richtig einzuschätzen. c) Wie ist der Beitrag gegliedert, welche Argumentationsstruktur existiert, welche Platzierung hat der Text bzw. haben die Texte im übergeordneten Rahmen usw. und deren Gesamtaussage? d) Welche möglichen Anschlüsse gibt es zum gleichen Thema? Wie finde ich weitere Beiträge? Welche Beiträge werden mir angeboten? e) Bewusst muss mit dem eigenen Rezeptionsverhalten umgegangen werden, um eine eigene Narration aufzubauen, ohne die Intention des Textes zu ignorieren bei gleichzeitiger kritisch-reflexiver Begleitung von offerierten Rezeptionsangeboten. f) Was gehört in einem übergeordneten Rahmen zusammen und welchen Stellenwert hat der Beitrag? g) In welchem kommunikativen Rahmen bewege ich mich und welche Erwartungen bestehen an mich als Rezipient*in und potenzielle*n Produzent*in hinsichtlich der Art und Weise einer angemessenen Kommunikation (kommunikative Kontextualisierung)? h) Was muss getan werden, um die fakturale und nicht fakturale Beschaffenheit des Textes zu prüfen?
Für Lehrkräfte besteht die didaktische Aufgabe, diese Texte selbst so zu organisieren, dass deren Gesamtaussage der Rezeptionskompetenz der Schüler*innen angepasst ist. Zugleich ist die Kompetenzentwicklung dahingehend anzubahnen, dass sich die Schüler*innen sowohl als Rezipient*innen als auch als Produzent*innen im Netz bewegen können. In dem Sinn müssen die Lehrkräfte die Potenziale multimodaler Texte verstehen und auch selbst für die pädagogische Arbeit nutzen. a) Sie entwickeln multimodale Arbeitsblätter. b) Es findet eine regelmäßige Metareflexion zur Umgangsweise mit multimedialen Texten statt. c) Es werden Strategien entwickelt, selbst multimodale Texte für Adressatengruppen zu erzeugen.
Arbeiten auf Lernplattformen. Das Arbeiten auf Lernplattformen wird zum Normalfall. Wichtig ist dabei, dass die bereits jetzt vorliegenden Untersuchungen (wie von Chi 2009) zur Gestaltung von Aufgaben berücksichtigt werden. Aufgaben sollen
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aktiv, konstruktiv und interaktiv gestaltet werden, wobei die höchsten Lernsteigerungen vorliegen, wenn eine Interaktion zwischen den Akteuren in den Aufgaben angelegt ist. Die durch empirische Studien belegte Hypothese lautet »that overall, active is better than passive, constructive is better than active, and interactive is better than constructive. In all cases, the classification of passive, active, constructive, and interactive is based on the overt activities undertaken by the participants, and not the underlying cognitive processes which one cannot ascertain accurately unless a study analyzes the content of the outputs, whether they are the underlined sentences, concept maps, self-explanations, dialogues etc.« (Chi 2008, S. 88) Nachfolgend sollen exemplarisch sechs Modelle vorgestellt werden, wie mit Schüler*innen auf einer Lernplattform aktiv gearbeitet werden kann. Wichtig ist anzumerken, dass diese Modelle eine Anbahnung benötigen, die wiederum im analogen als auch digitalen Raum erfolgt. Der Präsenzunterricht benötigt genauso eine Begründung wie der Online-Unterricht. Das Arbeiten auf einer Lernplattform in einer Moodle-Umgebung benötigt Methoden und eine didaktische Ausgestaltung. Die hier dargestellten Modelle sind eine kleine Auswahl möglicher Arrangements und können in der Ausbildung selbst angesetzt werden. Die hier für den Unterricht ausgewiesenen Modelle werden entsprechend je nach dem Grad der Erfahrung eingeführt und in einer Metareflexion reflektiert und im Hinblick auf die Praxistauglichkeit für die verschiedenen Schultypen beurteilt und variiert. Modell 1 (Abbildung 28) zeigt einen klassischen Aufbau einer Themenbearbeitung. Ziel ist es, dass die Schüler*innen über die Lernplattform miteinander kooperieren. Mit einem kurzen Einführungstext oder einer Videosequenz wird die Problemstellung durch die Lehrkraft oder eine*n Schüler*in eröffnet. Am Beginn ist es sinnvoll, dass ungeübte Schüler*innen vorab in Gruppen eingeteilt und einem kollaborativen Werkzeug zugeteilt werden, mit dem die Aufgabe bearbeitet werden soll. Ebenso ist es für ungeübte Schüler*innen sinnvoll, mit einem Etherpad zu schreiben und nicht beispielsweise sogleich mit einem Wiki-Werkzeug. Denn mit Ersterem wird den Akteuren automatisch eine Autorenfarbe zugewiesen, womit sie so für die anderen Akteure erkennbar sind, um beispielsweise Textpassagen zuzuordnen. Zudem gibt es parallel zur Schreiboberfläche eine Chatfunktion, mit der die Akteure direkt in Kontakt treten können. Eine Zusammenarbeit ist in Echtzeit möglich. Die Ergebnisse der Gruppen werden anschließend durch die anderen Gruppen kommentiert. Dazu besuchen die Akteure die anderen Etherpads und geben ein Feedback.
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Abbildung 28: Modell 1
Modell 2 (Abbildung 29) zeigt, wie zu einem Themenfeld mithilfe einer eingebetteten Wordcloud gemeinsam der Unterricht unter einer entwickelten Problemstellung geplant wird. Als erstes Produkt entsteht ein Advance Organizer, der die nachfolgenden Arbeitssequenzen aufzeigt. Mit der Recherche zu einem Problemaspekt werden mit den Schüler*innen Kriterien entwickelt, wie eine Recherche durchzuführen ist und wie eine Quellenkritik auszusehen hat. Auch hier findet dann abschließend ein gegenseitiger Besuch statt. Zum Schluss trifft sich die Gruppe in einer gemeinsamen Videokonferenz, um ausgesuchte bzw. exemplarische Ergebnisse zu besprechen.
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Abbildung 29: Modell 2
Modell 3 (Abbildung 30) hat zum Schwerpunkt, die Schüler*innen selbstorganisiert auf zwei Ebenen miteinander kollaborieren zu lassen. Ein Padlet wird im Lernraum eingebettet (möglich ist auch ein Link), sodass der Inhalt von allen Schüler*innen gesehen wird. Parallel dazu agieren die Schüler*innen auf einer Videoplattform. Beide Ebenen werden zusammengeführt, wenn ein*e Schüler*in ihren oder seinen Bildschirm auf dem Desktop freigibt, sodass eine gemeinsame Draufsicht auf das Padlet besteht. Parallel dazu befinden sich die Schüler*innen auf dem Padlet, können dort schreiben und zugleich miteinander interagieren. Auf diese Weise kann eine Face-to-Face-Kommunikation stattfinden und in Echtzeit miteinander gearbeitet werden. Nach Abschluss der Bearbeitung wählen dann die Schüler*innen
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Abbildung 30: Modell 3
mit einem Abstimmungswerkzeug ein Lernprodukt aus, das dann bei der gemeinsamen Videokonferenz besprochen werden soll. Modell 4 (Abbildung 31) setzt multimodale Texte in den Mittelpunkt. Zuvor wurde bereits die Besonderheit von multimodalen Texten im Unterricht besprochen. Die Schüler*innen sollen für die Analyse und die Herstellung von solchen Texten sensibilisiert werden, um Bilder, Videos, Musik, Geräusch und Design als Gesamttext zu verstehen. Die Videokonferenz zu Beginn der Arbeitsphase findet in verkleinerten Gruppen statt, die jeweils für sich eine Problemstellung zu einem Themenfeld formulieren und bearbeiten. Die Sozialform können die Akteure selbst bestimmen und die verschiedenen Ergebnisse werden dann in einer gemeinsamen Sitzung vorgestellt. Die Produkte werden entweder online in einer Videokonferenz oder in einer anschließenden Präsenzphase präsentiert und besprochen. Modell 5 (Abbildung 32) setzt auf verschiedene Lernprodukte, die in Form von Bildern, multimodalen Texten, Audios oder Videos erstellt werden können. Die Bearbeitung erstreckt sich über mehrere Stunden und wird durch kleine Videokonferenzen begleitet, damit die Lehrkraft bei Problemen helfen kann. Daneben können die Schüler*innen aus der Lernplattformen heraus durchgehend Fragen stellen
5. Unterricht in der Digitalität – Die Behandlung des Außen im Unterricht
Abbildung 31: Modell 4
oder um einen Input durch die Lehrkraft bitten. Abgeschlossen wird die Bearbeitung durch eine Präsenzphase, in der die verschiedenen Lernprodukte in einem »Markt der Möglichkeiten« vorgestellt werden. Modell 6 zeigt ein arbeitsteiliges Bearbeiten eines Themas im Rahmen des Formats »Think-Pair-Share«. Aus diesem Grund findet eine Zwischensicherung statt, um mit dem Material aus der Phase weiterzuarbeiten. In der Zwischensicherung werden die Lernprodukte in ein Lernergebnis umgewandelt. In der sich anschließenden zweiten Phase arbeiten die Schüler*innen mit dem Material aus der ersten Phase weiter und erzeugen ein erneutes Lernprodukt. Zum Schluss werden die Schüler*innen aufgefordert, ein Lernprodukt auszuwählen, das dann in einer Videokonferenz oder in einer Präsenzphase besprochen wird. Fragen und Themen
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Der hybride pädagogische Raum
Abbildung 32: Modell 5
dazu werden im Vorfeld gemeinsam gesammelt. Lehren und Lernen sind nach Pagel (2012) ein Akt des Zeigens und ein gleichzeitiges Verbergen. Die territoriale Schule ist für ein solches didaktisches und methodisches Vorgehen der perfekte Ort, da dort über die äußerlichen Bedingungen des »Schulehaltens« verfügt wird, um die »Umwelt« auf Prinzipien, Modelle und Wesentliches zu begrenzen. Die territoriale Schule lässt nur das in ihr Inneres, was in Erscheinung treten soll. Mit der Digitalität fällt das Verbergen fort und das Zeigen wird zur begründeten Wahl, um ein Thema zu bearbeiten. Im gleichen Atemzug muss betont werden, dass damit mitnichten das institutionelle Lernen aufgehoben wird, obwohl vereinzelte Stimmen im Rahmen der Aufmerksamkeitsökonomie des Netzes gerne solche »Aufreger« formulieren. Der hybride pädagogische Raum ist im Sinne des neuen Realismus (vgl. Gabriel) gleichermaßen wirklich wie der architektonisch gestaltete Raum der territorialen Schule. Die Applikationen, das Design, die Typografie, die multimodalen Texte und viele andere Aktanten im Netz sind die Umwelt des hybriden pädagogischen Raums. Das Hervorheben und Zurücksetzen des Zeigens durch pädagogische und nicht pädagogische Akteure im Netz zwingt zu einer begründeten Wahl, die selbst wiederum beurteilt werden kann, da sie verifiziert und falsifiziert werden kann. Notwendig ist dazu, dass die Akteure den hybriden pädagogischen Raum im Rahmen der Konnektivität des Netzes begründen. Der hybride pädagogische Raum stellt ein Sinnfeld dar und ist genauso wirklich wie die territoriale Schule: Es besitzt eine Anordnung der Akteure und Artefakte, unterscheidet zwischen pädagogischen und nicht pädagogischen Gegenständen und besitzt ei-
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Abbildung 33: Modell 6
ne Praxis. Sinnfelder beruhen letztlich auch auf einer gemeinsamen Planung der Akteure für die Auseinandersetzung mit Problemstellungen.
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Schlusswort
Die Digitalität bedeutet für die Schule keine Addition von analogen und digitalen Räumen, sondern die Digitalität verändert den pädagogischen Raum an sich, da ein spezifisches Sinnfeld bzw. eine Wirklichkeit ausbuchstabiert wird. Der hybride pädagogische Raum stellt keine Transformation dar. »Hyphen« heißen Gewebe und Netz. Deleuze/Guattari (1977) nehmen diese Metaphorik auf, um das »Rhizom« als einen Zustand zu beschreiben, der das Hybride nicht als eine Transformation beschreibt, als einen Übergang, sondern als einen Zustand ohne Ende. Ein »Rhizom« ist ein Zustand des ständigen Werdens und Vergehens, in dem es keinen festen Zustand gibt. »Die Orchidee deterritorialisiert sich, indem sie ein Bild formt, eine getreue Nachahmung der Wespe; die Wespe aber reterritorialisiert sich auf diesem Bild; dennoch deterritorialisiert sie sich, indem sie ein Stück im Reproduktionsapparat der Orchidee wird, aber sie reterritorialisiert die Orchidee, indem sie deren Blütenstaub transportiert.« (Deleuze/Guattari 1977, S. 17) Die Schule in der Digitalität hat die eindeutige Differenz zwischen Außen und Innen insoweit verloren, weil sie nicht mehr eindeutig zu verorten ist. Das territoriale Innen, also das »In-der-Schule-Sein«, ist eine Beschreibung der Schule in der Buchgesellschaft, die analog, synchron und örtlich ist. In der Digitalität bildet sich der Lehr- und Lernraum als hybrider pädagogischer Raum anlassbezogen aus: Die Akteure müssen sich dazu verständigen und bewusst das institutionelle Lernen und Lehren eingehen. Der »Übergang« zwischen Analogem und Digitalem wird auf Dauer infrage gestellt. Ohne Frage besitzt der hybride pädagogische Raum weiterhin seine Differenz zwischen institutionell angeleitetem sowie formellem und inzidentiellem Lernen, grenzt sich von den Sphären der Alltagswelt ab. Solche auf Dauer gestellten Sinnfelder sind genauso wirklich wie die geschlossene Tür des Klassenzimmers, wenn der Unterricht beginnt. Zugrunde liegt dem ein anderes Verständnis von Raum, Zeit, Routinen, Anwesenheit und Abwesenheit, dem jeweiligen Kontext, in dem sich Unterricht ereignet.
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Latours (2016, 2017, 2017b) Akteur-Netzwerk-Theorie versteht unter dem »Sozialen« eine Aktivität (Latour 2016, S. 288), die zwischen Akteuren sowie den Artefakten entsteht und Lokales und Globales auf einer Ebene horizontal miteinander vernetzt (vgl. auch Gentzel 2019, S. 94ff.). Aus einer solchen Verbindung entsteht unter dem spezifischen Kontext von »Schulehalten« ein spezifisches Sinnfeld (Gabriel), das eine relevanzorientierte Wahrnehmung als auch eine Praxis hervorbringt. Der pädagogische Ort wird durch die Akteure und ihre körperliche Situiertheit in der Wirklichkeit (vgl. Gabriel) zu einem konkreten Ort, von dem aus man mit den anderen agiert. Der traditionelle territoriale Raum der Schule wird zunächst als »spatial practice, representation of space und representational« (Lefebvre 1991, S. 33) verstanden. Wenn man vom Kontext, dem sozialen Umfeld einer territorialen Schule spricht, in dem die Lehrkräfte und Schüler*innen handeln, dann in dem Sinn, dass das Handeln in einem Erwartungshorizont der dort bestehenden Praxis eingebunden ist. Es ist das Tun, Sprechen, Fühlen und Denken, das wir notwendig mit anderen teilen. (vgl. Schäfer 2016, S. 12). Die Aneignung der Dinge und die »sozialen Praktiken« bilden eine (Schul-)«Öffentlichkeit« im Sinne von Hannah Ahrend (1987, S. 52) aus, in der durch die Begegnungen zwischen Alter, Ego und Artefakten (Triangulation) ein Verständnis über das Sinnfeld geschaffen wird. Es ist eine alltägliche innerschulische Öffentlichkeit. Das dort »sozial geteilte« Wissen bildet einen Denkstil aus, wie an einer konkreten Schule guter Unterricht aussieht, der dann diese konkrete Schule in ihrem pädagogischen Selbstverständnis ausmacht. Eine solche Praxis ist dabei selbst jedoch nicht starr und determiniert das Handeln der Menschen vor Ort, sondern bietet Möglichkeiten an, die auch ausgeschlagen werden können. Die Anwesenheit jedes Akteurs stellt bereits eine Variante der vor Ort herrschenden Erwartungen dar. Die Bezeichnung »eigenverantwortliche Schule« anerkennt die Tatsache, dass man es jeweils mit einer Schule eigenen Typs zu tun hat und nicht nur mit einer Verwaltungseinheit. Doch Schulen sind keine isolierten Einheiten und waren schon immer in das soziale Umfeld eingebunden. Nun ist es die Globalität in einem spezifischen Umfeld. Die je spezifische Schule bildet einen spezifischen Resonanzraum, in dem die globalen Einflüsse der Welt in eine besondere Form des glokalen Verständnisses der in einer Schule tätigen Akteure mündet. Die Glokalität stellt eine wichtige Schnittstelle dar, die die traditionelle Differenz von Innen und Außen des Pädagogischen, des Schulehaltens anders konstituiert, weil sich das Territorium entgrenzt und keine ausreichende Orientierung für das institutionelle Lernen bietet. Die Glokalität verändert die Regeln vor Ort, das Sinnfeld. »Wir müssen kontinuierliche Verbindungen erstellen, die von einer lokalen Interaktion zu jenen anderen Orten, Zeiten und Aktanten führen, durch die eine lokale
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Stätte dazu gebracht wird, etwas zu tun.« (Latour 2016, S. 299; Hervorhebung im Text) Lehrkraft an einer Schule zu sein bedeutet, sich mit anderen Kolleg*innen im Netz auszutauschen. Der Denkstil bildet sich nicht nur vor Ort aus, sondern über die Grenzen vor Ort, auf digitalen Plattformen, durch Kooperationen, Kollaborationen usw. Die Schule als territoriales Konstrukt mit den Mauern und Zäunen wird zu einem globalen Schulhof. Die Praxis des »klugen Handelns« vor Ort ist zugleich auch in einem globalen Diskurs eingebettet. Sie ist nicht auf die Einzelschule begrenzt, sondern reflektiert den »globalen Diskurs« und ist in der Summe ein glokales Verständnis, das vor Ort in der einzelnen Schule als pädagogische Praxis in Erscheinung tritt, als Erfahrung ausbuchstabiert wird und sich u.a. in den Leitlinien, dem schulinternen Curriculum (SchiC) ausdrückt und ein Sinnfeld bildet, in dem Regeln herrschen. Die Wahrnehmung des »globalen Diskurses« darf man wiederum nicht idealisieren. Er wird durch eine relevanzorientierte Wahrnehmung getragen, die selbst ein Sinnfeld besitzt. Getragen wird ein solches Sinnfeld von der technischen Infrastruktur einer Schule, der Örtlichkeit vor Ort, die körperlich und leiblich erfahren wird, weil die Akteure immer irgendwo sind. Man ist nicht »im« Internet, obwohl dies sprachlich suggeriert wird. Die Glokalität zeichnet sich darin aus, dass sie den analogen und digitalen Ort als Gesamtheit beschreibt, weil sich eine spezifische Praxis ausbildet, die eine relevanzorientierte Wahrnehmung besitzt. Der Grad der Fluidität, der Gruppierung im digitalen und analogen Raum und die Konnektivität bilden eine spezifische Praxis aus, die das Territorium überhaupt zu einem spezifischen Ort macht. Denn verbunden mit der Glokalität ist die bewusste Wahl des Ortes und der spezifischen Wahrnehmung der anderen Sinnfelder, die ein aktiver Prozess ist. Die Möglichkeit, ins Netz zu gehen, hat bedeutende Auswirkungen auf die Bedürfnisse der materiellen Ausstattung der Klassenräume, die Organisation von Schulehalten. Die Schule ist nun ein Knoten, nicht mehr ein Territorium. Die Pädagogik, die partikular und situativ ausgerichtet ist, erscheint in unterschiedlichen Sinnfeldern und unterliegt dort unterschiedlichen Regeln. Der hybride pädagogische Raum ist im Gegensatz zur territorialen Schule ein sich ständig neu etablierender Ort. Doch auch diese Räume besitzen eine Routine wie die Selbstvergewisserung der Lehr-Lern-Situation, die Konnektivität mit anderen, das Ritual des Dort- und Hierseins. Es gibt eine Praxis der Vernetzung, der Differenz von pädagogischem und nicht pädagogischem Raum, der Kommunikation wie auch ein Arbeitsbündnis zwischen Lehrkraft und Schüler*innen. Um ein Missverständnis zu vermeiden, ist zu betonen, dass der hybride pädagogische Raum und seine Praktiken kein Ersatz für den analogen Raum sind. Der Mensch ist nicht digital darzustellen, da jedes Modell, das einer Programmierung zugrunde liegt, eine
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wie auch immer geartete theoretische Annahme besitzt, wie die Wirklichkeit und Spontanität des Menschen zu verstehen ist und somit reduktionistisch ist. Jede Fantasie von Vollkommenheit ist in sich reduktionistisch und so nicht wirklich. Vor Ort zu sein heißt, dass Körperlichkeit und Leiblichkeit, die die Person ausmacht, das Denken, Handeln und Kommunizieren tragen und nicht auf ein Kommunikationswerkzeug reduziert werden können. Der hybride pädagogische Raum gründet sich qua Kommunikation, nicht mehr durch das Betreten der Schule. Der hybride pädagogische Raum ist ein Kommunikationspunkt, der den außerschulischen Raum nicht als Abgrenzung versteht, sondern als einen integralen Bestandteil. Der hybride pädagogische Raum ist ein Innen im Außen. Umgekehrt folgt daraus aber keine Defizitthese hinsichtlich des hybriden pädagogischen Raums, der auch die örtliche und zeitliche Abwesenheit beinhaltet. Vielmehr muss die Andersartigkeit des hybriden pädagogischen Raums in Anschlag gebracht werden, wenn man über Pädagogik in der Digitalität spricht. Wie Bildung und Unterricht immer medial ist, so verändert sich die Schule mit neuen medialen Leitmedien. Das Netz ist Kommunikation und insoweit immer auch sozial. Es ist aber kein Ersatz für das Soziale (Gabriel 2020), sondern eine andere Form von sozialer Wirklichkeit, die schon immer Medien wie das Buch, den Film usw. umfasste. Der hybride pädagogische Raum ist deterritorial und punktuell, nicht wie das Bild flächig und das Buch linear (vgl. Han 2015, 2017). Er ist sowohl hier als dort, dynamisch und fluid und besitzt ein körperliches und leibliches Gegenüber an einem Ort. Aufgrund der Fluidität des Netzes müssen die Akteure durch einen kommunikativen Akt den hybriden pädagogischen Raum erzeugen. Mit der Aufnahme einer Praxis erzeugt sich der hybride pädagogische Raum. Dieser hat einen Einfluss auf den analogen Raum, da dieser zur Wirklichkeit der sozialen Praktiken gehört (Glokalität). Eine solche Differenz auszumachen ist selbst wieder ein Anliegen der Medienbildung. Der pädagogische Raum ist hybride in dem Sinn, dass unpädagogische Umgebungen zu pädagogischen werden, ohne den Ort selbst zu verändern. Es ist dem »Lernen am anderen Ort« der territorialen Schule darin ähnlich, dass der Ort selbst nicht verändert, sondern unter dem Gesichtspunkt des Lehrens und Lernens wahrgenommen wird, ein Sinnfeld bildet (Gabriel), das durch die Lehr-Lern-Praxis erzeugt wird, die genauso wirklich ist wie das Bild des Overheadprojektors an der Wand. Und der hybride pädagogische Raum ist amorph, er vernetzt den analogen und digitalen Raum. Er ist immer in einer doppelten Weise vorhanden, zum einen beispielsweise in Form einer materiellen Grundlage durch einen Server, der irgendwo steht. Zum anderen durch die Akteure, die sich an einem analogen Ort befinden, in einem pädagogischen Raum des Lernens und Lehrens und beides bezieht sich aufeinander (Glokalität). Lernen ist in dem Sinn in unmittelbarer, offener Nachbarschaft zu anderen nicht pädagogischen Räumen. Ein so verstandener Raum ist nicht entkontextualisiert. Der hybride pädagogische Raum macht sich
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sichtbar, wenn er von den Akteuren kommunikativ erzeugt wird – auf einer Lernplattform, in einem dazu eingerichteten Chat, in der gemeinsamen Erkundung von fachbezogenen Foren usw. Im hybriden pädagogischen Raum wird eine Distanzierung von der analogen und digitalen Umgebung unterstützt, um ein kritisches Nachzudenken zu unterstützen, ein kritisches Prüfen, Abwägen. Die »Lernhaltung« kann als ein kritisches und bewusstes Verweilen beschrieben werden, weil auf etwas gezeigt, gedeutet wird. Das Zeigen, die Betrachtung ist eine Haltung der Distanz, um den Gegenstand zu einem gezeigten zu machen. Denn das ist dem Pädagogischen sozusagen eingeschrieben, weil es sich zum Gegenstand distanziert, um sich ihm reflexiv wieder zu nähern. Ohne Frage führt eine solche Veränderung des traditionellen Lehrens und Lernens zu einer Territorialisierungskrise, wenn Routinen unterlaufen werden und die eingeschriebenen Orientierungen ins Rutschen kommen. Das geht nicht ohne Irritationen, denn in die »Stabilisierung [muss man] laufend investieren« (Allert/Asmussen 2017, S. 37). Und so ist es der Fall, dass die bestehende Praxis zur Disposition steht. Praktiken sind keine starren Konstrukte, sondern fragile Arrangements zwischen Akteuren und Aktanten, die immer wieder bestätigt werden (müssen). Lehren und Unterrichten ist nach Pagel ein Akt des Zeigens und Verbergens. Ein solches didaktisches und methodisches Vorgehen verbindet sich unproblematisch mit dem territorialen Konzept von Schule in Form der Abgrenzung zur »Umwelt« hin. Die pädagogische Praxis »verbesondert« (Benner 2001, S. 232) sich gegenüber anderen Praxen. Erst so können die »Welt« und die »Lebenswelt« der Schüler*innen mit dem fachlichen Gegenstand im kontrollierten schulischen territorialen Raum in Erscheinung treten: Die »Welt« wird didaktisch reduziert und methodisch aufbereitet, um etwas Exemplarisches, Modellhaftes, Prinzipielles – auf jeden Fall Bedeutsames zu zeigen. Im Unterricht findet ein professionell angeleitetes und zurechenbares Lernen statt, das exemplarisch Erfahrungen der Lernenden auf besondere Weise erweitert (vgl. Benner 2001, S. 232). In einer solchen Tradition sind die Lehrkräfte für das Zeigen zentral, da diese auswählen, anpassen und anbieten (im Verständnis von Helmke). Eine solche deklarative Seite der Schule verweist die Schüler*innen auf einen reaktiven Part, die ausgesuchte und aufbereitete Aufgaben, Materialien usw. entgegennehmen, um sie zu bearbeiten. Im gleichen Atemzug muss man darauf hinweisen, dass es ernstzunehmende Bemühungen gibt, solche Strukturen aufzubrechen und eine breite Beteiligung der Schüler*innen im Unterricht zu integrieren. Schaut man sich jedoch die verschiedenen Unternehmungen an, dann sind sie immer noch im Bereich der Ausnahme zu finden und kranken an den organisatorischen Rahmenbedingungen der Territorialschule. Das Exemplarische, das Modellhafte, das Prinzipielle wird im hybriden pädagogischen Raum zum einen durch eine gemeinsame Planung mit den Schüler*in-
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nen erzeugt, zum anderen wird auch rückblickend rekonstruiert. Denn dort wird die Kontingenz in Rechnung gestellt, da die Daten, Informationen und das Wissen nicht mehr im herkömmlichen Sinn kontrolliert werden können. Besonders an solchen Stellen ist die Expertise der Lehrkraft gefragt, die den Lernprozess mit den Schüler*innen reflektiert. Alles, was in der Schule gezeigt wird, hat einen Vorschuss auf Richtigkeit und Wahrheit. Insoweit ist das pädagogische Zeigen immer auch »richtiges« Zeigen und begründetes Verbergen ohne Manipulationsabsicht. Das im Rahmen des Beutelsbacher Konsens gesetzte Kontroversitätsgebot ist dort inbegriffen: Was in der Gesellschaft kontrovers diskutiert wird, hat so auch im Unterricht zu erscheinen. Zugleich muss man kritisch darauf hinweisen, dass eine solche »Anbietermentalität« seine systemische Funktion in der territorialen Zeigeschule besitzt, die sich separiert, um die Welt zu zeigen. Eine solche Innen-Außen-Differenz der Schule wird auch damit gerechtfertigt, dass die Schüler*innen vor der manipulierenden Welt zu bewahren seien, um sie das Richtige lernen zu lassen. Sofern etwas Falsches in der Schule auftaucht, ist es allenfalls ein methodischer Trick, um das Richtige umso deutlicher hervorzuheben. In einem solchen Verfahren machen die Schüler*innen die Erfahrung, dass jede Provokation ein methodischer Trick ist, in der Regel harmonisch aufgelöst wird und am Ende zumindest das Spektrum des Richtigen sicher festgestellt werden kann. Mit der Digitalität stehen die Gatekeeper methodischer und didaktischer Positionen stark unter Druck. In der Digitalität können die Medien in der Schule nicht mehr in dem Sinn kontrolliert werden, wie es für die territoriale Schule der Fall ist, wo es Eingangskontrollen am Klassenraum dafür gibt, welches Buch die Schwelle der Schule übertreten darf. Das misstrauische Beobachten der Umwelt im Allgemeinen (vgl. auch Baecker 2018, S. 169) und speziell der Medien jeglicher Art hat eine lange und andauernde Geschichte. Gerade die digitalen Medien tendieren dazu, den pädagogischen Raum an den Rändern unkenntlich und kontingent zu machen, indem durch sie unkontrollierte Einflüsse in den pädagogischen Raum schwappen. Der Einsatz von digitalen Medien scheint den pädagogischen Prozess herauszufordern, wenn die Grenzziehung zwischen »Innen« und »Außen« durch die »Universalmaschine« (Richter/Allert 2017, S. 255) Smartphone fließender und durchlässiger wird, wenn beispielsweise MOOCs (Massive Open Online Courses), Tutorials oder OERs (Open Educational Resources) die pädagogische Profession ergänzen, erweitern, oder gar zu ersetzen drohen (vgl. kritisch Allert/Asmussen 2017, S. 32ff.). Mit dem Smartphone als »Allroundmaschine« sind alle möglichen Quellen unmittelbar präsent, die unterschiedliche Intentionen verfolgen. Das kann man nur um den Preis verhindern, dass man solche Geräte verbietet, durch Ge- und Verbote sanktioniert und Zugangsrechte restriktiv reguliert. Als Quittung für ein solches Vorgehen erhält man eine Schulwirklichkeit, die konträr zur Lebensumwelt der Schüler*innen steht.
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Der verlorengegangene und -gehende Vertrauensvorschuss an die Gatekeeper, die Autoritäten des öffentlichen Diskurses, muss stets im Unterricht präsent sein, thematisiert werden und ihm muss mit einer Praxis des kritisch-konstruktiven Misstrauens begegnet werden. Aufgrund der Schwächung der Gatekeeper in der Öffentlichkeit ist nun jeder einzelne Akteur aufgerufen, sich selbst ein vorläufiges Bild zu machen. »Wir leben in Zeiten von Big Data: Seit 2002 gibt es auf der Erde mehr digitale als analog gespeicherte Daten und seit 2009 mehr digital vernetzte Dinge als Menschen. Bis 2015 werden laut Prognosen 150 Milliarden Geräte zum Internet der Dinge gehören, und das digitale Datenuniversum, die Gesamtheit aller digitalen Daten wird eine Größe von 175 Zettabytes erreichen. Würde man diese Datenmenge auf DVDs brennen und sie aufeinander stammen, dann reicht dieser Stapel von der Erde bis zum Mond – und zwar 23 Mal.« (Gapski 2019, S. 24) Eine solche Kompetenz fällt nicht vom Himmel, sondern muss mühsam erlernt werden, damit man eine Position in der Flut der Daten und Informationen einnehmen kann. Da der hybride pädagogische Raum immer Tür an Tür mit nicht pädagogischen Akteuren ist, werden auch eine ethische Kompetenz und ein kritisches Denken zu einer fachübergreifenden Orientierung. Die Schüler*innen müssen die Daten, Informationen und das angebotene Wissen aus dem Netz immer auf ihre Richtigkeit hin prüfen, bevor sie sie für die ausgemachte Problemstellung nutzen können. Ein solches Vorgehen ist keine Fahrlässigkeit oder Unverantwortlichkeit, sondern eine angeleitete Befähigung der Schüler*innen für eine zukünftige, kompetente, gesellschaftliche Teilhabe im Netz. Solche Kompetenzen, die durch den hybriden pädagogischen Raum virulent sind, bedeuten keinen Zusatz, sondern in der Digitalität einen Wert an sich. Der hybride pädagogische Raum verändert auch das Lernen. Der Mensch kann aus anthropologischer Sicht gar nicht anders als zu lernen – willentlich oder unwillentlich. Schlagworte wie »Lernziele« oder »Lernangebote« zeigen die Spannweite des veränderten Selbstverständnisses institutionell angeleiteten Lernens auf, das die eigenwillige Subjektposition (Holzkamp) der Lernenden anerkennt. Der traditionelle pädagogische Raum grenzt sich nach außen von anderen Erscheinungsformen des Lernens ab und formuliert ein professionelles Selbstverständnis nach innen, um Lernen zu initiieren. Das institutionell angeleitete pädagogische Handeln hat sein Ende dort, wo das spezifische, intendierte didaktischmethodische Handeln in ein informelles Lernen übergeht (vgl. Vogler 2018). Das trifft auch für den hybriden pädagogischen Raum zu, der durch seine kommunikative Gründung eine Differenz zu einem nicht pädagogischen Raum aufbaut und so als ein Sinnfeld in Erscheinung tritt. In der Konsequenz besteht, wie gezeigt wurde, auch dort ein paternalistisches Prinzip, das selbst immer wieder Thema
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gemeinsamen Handelns zwischen Schüler*innen und Lehrkräften ist. Der hybride pädagogische Raum intendiert nicht, das institutionelle Lernen aufzuheben. Entscheidend ist auch der Grad des Paternalismus, der durch die Schule in seinem Leitbild und dem pädagogischen Programm ausformuliert wird und durch die Lehrkraft als Zeigenden besteht. Wie wird beispielsweise das Verhältnis zwischen Selbstverantwortung oder Nudging, Selbstregulation oder Bevormundung bestimmt? Eine technische Infrastruktur einer Schule ist immer so gut, wie sie durch ein adäquates pädagogisches Programm begleitet wird. Es erfordert ein Verständnis von Verantwortung, um mit den Möglichkeiten umzugehen. Nicht idealisiert werden darf, dass dadurch eine uneingeschränkte Freiheit bestünde. Der hybride pädagogische Raum ist ein nach wie vor institutioneller Raum, der Lernabsichten verfolgt und Grenzen besitzt. Wie jede Form von Gemeinschaftlichkeit, kann die eigene Auflösung durchaus festgestellt werden. Darin sind die Positionen der Akteure durchaus deutlich. Schon lange wird die Diskussion geführt, welchen Stellenwert das »deklarative Wissen« im Rahmen des Kompetenzbegriffs besitzt. Recht schnell hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass Daten, Informationen und anderes deklaratives Wissen unproblematisch mithilfe eines Binärcodes im schulischen wie auch außerschulischen Raum in »digitale Arbeitsblätter«, Quizformate und Lückentexte überführt werden können, um sie darzustellen und effektiv als Wissen abzufragen. So werden die Schulbücher digitalisiert, digitale Testbatterien ersonnen, die in FidgetSpinner-Manier sogleich die Fehler anzeigen. Ein solches Vorgehen hat das Ziel, die Rahmenbedingungen der territorialen Schule nicht zu verändern. Begriffe wie »Effizienz« und »Mehrwert« sind Wasser auf die Mühlen derjenigen Vertretenden, die Unterrichten und Erziehen als Technik verstehen (vgl. auch Prange 2012, S. 51ff.). Abgesehen von dem verkürzten Verständnis von Lehren und Lernen liegt das Missverständnis darin, dass die Digitalität die Rahmenbedingungen verändert, einen Wert an sich bildet und nicht einen weiteren Baustein der territorialen Schule darstellt. Vielmehr sind andere Prüfverfahren, Aufgaben- und Zeitformate mit veränderten Kompetenzen gefordert, die die Digitalität berücksichtigen und nicht ignorieren. Hinzuzuzählen ist dazu auch, was es heißt, eine Leistung zuzuschreiben. Nach wie vor ist es der einzelne Akteur, der bewertet wird. Schon lange ist bekannt, dass eine solche Pädagogik auch ein Leistungsdenken dahin motiviert, den anderen zu übertrumpfen. In der Digitalität steht jedoch zunehmend die Kollaboration, die selbst eine Kompetenz und eine Leistung darstellt. Der hybride pädagogische Raum akzeptiert und nutzt die Kontingenz im Übergangsbereich zwischen pädagogischer und außerpädagogischer Praxis. Das Lernen findet immer in einem Kontext statt. Im Fall des hybriden pädagogischen Raums ist es das institutionalisierte Lernen. Das bedeutet, dass der hybride pädagogische Raum die verschiedenen Sinnfelder berücksichtigen muss, von denen
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er umgeben ist, bedrängt wird und die im Rahmen der Kompetenzorientierung einbezogen werden müssen. Lernen ist auch immer »bei den Dingen«, den Gegenständen eines Sinnfeldes, den Akteuren und Artefakten sein. Isoliert man die Schüler*innen von den Gegenständen, muss man fragen, welche Wirklichkeit erscheint. Momentan denkt man sich immer smartere Verfahren aus, um die »eigene« Leistung abzubilden. In Anlehnung an ein solches romantisches Verständnis von Lernen, entzieht man Ressourcen wie Bücher, Stundenmitschriften oder das Internet, um so das »Eigene« in einem Text abzubilden. Insbesondere diese Schnittstellen müssen immer wieder neu bearbeitet werden. Die Isolierung der Schüler*innen von Ressourcen, um Probleme zu lösen, wie es insbesondere in Überprüfungsphasen (Lernnachweis) üblich ist, verkennt den veränderten Kontext der Digitalität. Nicht die territoriale Schule muss wiederhergestellt werden, sondern eine andere Didaktik und Methodik muss geschaffen werden. Die Irritation ist der Konnektivität wie auch dem hybriden pädagogischen Raum eingeschrieben. Konnektivität besitzt immer eine Mehrdeutigkeit, die sich an einen Begriff, eine Darstellung, eine Position oder wissenschaftliche Kontroverse hängt. Konnotationen sind mehr oder weniger konsistente Felder, Bedeutungen, Mehrdeutungen und Intentionen, die unter Bezug auf eine Fragestellung eine prüfbare Auslegung verlangen, eine Vergewisserung, da sie ansonsten eindeutig wären. Der Umgang damit muss als ein schulischer Auftrag angesehen und nicht durch Verbote verbannt werden. Eindeutigkeit herzustellen und diskursiv zu vertreten, ist eine Kompetenz. Die Rolle der Lehrkräfte ist nicht mehr »the sage on the stage«, sondern sie sind Zeigende unter Zeigenden. Die Lehrkraft arbeitet an der Schnittstelle zwischen institutioneller Rahmung und den anderen, dem Außerpädagogischen. Es ist eine hybride Position, die nicht mehr die Tür des Klassenraums besitzt, die man schließen kann, um unter sich zu sein. Zugleich sind sie durch ihre Rolle im hybriden pädagogischen Raum (Stichwort Paternalismus) und durch ihre Profession herausgehoben. Mit der Gründung des hybriden pädagogischen Raums entsteht ein Arbeitsbündnis mit den Schüler*innen, ein der Schule eingeschriebener Vertrauensvorschuss dahingehend, dass wahre Aussagen zu erwarten sind. Das Lehren besitzt in dem Sinn ein »Wahrheitsversprechen«, dass die Gegenstände, die am Ende eines Prozesses stehen, einer Wahrheitskontrolle unterliegen, für die die Lehrkräfte stehen. Letzteres ist nicht so zu verstehen, dass »die« Wahrheit zur Geltung kommt, sondern unter dem Gesichtspunkt der Kontroversität die verschiedenen Wahrheiten aus den verschiedenen Sinnfeldern. Tatsachen sind wahr, weil sie immer als nicht wahr an die Wirklichkeit überführt werden können. Zugleich sind fachliche Gegenstände, die infrage stehen, nicht immer in das gleiche Sinnfeld eingebettet, sodass es unterschiedliche Kontextualisierungen und Perspektiven auf Gegenstände in Sinnfeldern geben muss (vgl. Gabriel 2020, S. 142ff.). Die Lehrkraft muss in dem Sinn immer auch ih-
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re Expertise einbringen, um die Kontexte zu berücksichtigen bzw. Sichtweisen der Schüler*innen »richtig« oder »falsch« im Rahmen der gegebenen Problemstellung durch ein Feedback zu beurteilen. Zunehmend besteht die Aufgabe der Schüler*innen darin, die Kontroversität, die Pluralität von Informationen und Wissenskonstruktionen prüfen zu müssen. Die Quellenprüfung, die vormals eine Kompetenz von akademischen Berufen war, ist nun eine Anforderung, die alle Akteure im Netz beherrschen müssen, um eine gesellschaftliche Teilhabe zu realisieren und ein autonomes Handeln zu ermöglichen. Die Konsumhaltung der Schule, dass die Lehrkräfte Probleme kennzeichnen, Fragen stellen, die Wahrheit sagen usw. ist mit dem Netz nicht mehr gegeben. Ungehinderten Zugang ins Netz zu haben, Wissen aus dem Netz zu nutzen, in Foren zu kommunizieren, bedeutet, dass eine kritische Haltung eingenommen werden muss, um die autonome Teilhabe zu besitzen. Es ist die aktive Auseinandersetzung mit dem Material, das nicht mehr nur von der Lehrkraft vorsortiert und mit einem Arbeitsauftrag versehen wird. Im Netz sind die Beiträge in der Regel nicht mit einem Arbeitsauftrag versehen und die Schüler*innen müssen lernen, sich eigene Fragen zu stellen, Strategien zu entwickeln, um Probleme zu bearbeiten. Mit der Parallelität von analogen und digitalen Arrangements, die den hybriden pädagogischen Raum kennzeichnen, werden auch übergreifende Kompetenzen notwendig, um die Öffnung der Schule zu ermöglichen. Selbstregulation, kritisches Denken und ethisches Handeln sind fachübergreifende Kompetenzen, die für das Handeln im hybriden pädagogischen Raum anzubahnen sind. Zugleich sind sie selbst wiederum im Spannungsverhältnis zwischen paternalistischer Vorgabe und anzustrebender Emanzipation, die unter dem Verdikt der »Freiheit bei dem Zwange« stehen, wie es schon Kant angesprochen hat (Kant A32, 33) und dem institutionell angeleiteten Lehren und Lernen eingeschrieben ist. Mit den anderen im Netz und der Öffnung zum Netz ist auch der Gegenstand des Lehrens und Lernens tangiert. Die Öffnung zu den Daten, Informationen und zu Wissen berührt die Art und Weise schulischer Praxis, weil das Lernen glokal wird. Es muss eine Praxis vor Ort unter den Bedingungen des globalen Zugriffs geben, die selbst immer wieder in einer Metareflexion in eine versprachlichte Erfahrung überführt wird. Auch die Art der Aufgabenstellung, deren Beurteilung und Bewertung müssen sich verändern. Wie hervorgehoben wird, ist das Lernen selbst ein kreativer Prozess, der nicht selbst wieder unter der Kompetenz der Kreativität zu betrachten ist. Lernen ist bei den Dingen sein und nicht der Entzug von ihnen. Lernen als Wissensanhäufung ist schon lange in der Kritik, obwohl diese Form des Lehrens und Lernens immer noch den Normalfall darstellt. Insoweit sind eine andere Aufgabenkultur und eine andere Pädagogik gefragt, die die Öffnung nicht verbieten, sondern kritisch und konstruktiv begleiten. Die exemplarisch gezeigten Beispiele, wie man den Klassenraum unter der Bedingung der territorialen Schule bereits jetzt ohne weitere Probleme öffnen kann,
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sind nicht vollständig, sondern eine mehr oder weniger willkürliche Auswahl aus der Breite möglicher Vorgehensweisen. Sie sollen verdeutlichen, wie die Öffnung im Klassenraum der territorialen Schule, wie mögliche andere Formen des Lernens vollzogen werden, wie man selbst die außerterritorialen Räume erschließen kann. Alle Bereiche sind Foren des hybriden pädagogischen Raums, die den analogen und digitalen Raum verschränken. Der Flipped Classroom zeigt exemplarisch ein didaktisches Konzept auf, wie der hybride pädagogische Raum über das Innen des schulischen Territoriums hinaus erweitert wird und wie das Außen, die anderen Akteure, kritisch-konstruktiv einbezogen werden. Die Lehrkraft tritt als »the sage on the stage« ab und lässt auch andere Akteure zu.1 Für die Schüler*innen und Lehrkräfte ist dabei zu jeder Zeit transparent, dass sie sich in einem pädagogischen Prozess bewegen, auch dann, wenn sie andere Akteure einbeziehen, die etwas »zeigen«. Das agile Lernen steht exemplarisch für eine Sozialform des eigenverantwortlichen, selbstorganisierten und kollaborativen Lernens unter den Bedingungen der Digitalität. Agile Formen des Lernens können in unterschiedlichen Gruppengrößen und -konstellationen durchgeführt werden, die zeit- und ortsunabhängig sind. Es sind »Lernteams«, die von den Akteuren gebildet werden, in denen sie eine Praxis der Problembearbeitung ausbilden, bei der die Heterogenität der Gruppe nicht als ein Problem erlebt wird, sondern als eine Bereicherung. Solidarisches Handeln, wertschätzender Umgang, kritisches Denken usw. stehen im Mittelpunkt. Der hybride pädagogische Raum verbindet die verschiedenen Lernbereiche und -teams, indem dort Werkzeuge genutzt werden, die eine situative und flexible Kommunikation ermöglichen. Hilfsquellen, Informationen, Daten usw. werden herangezogen und nicht verboten, um eine gemeinsam formulierte Problemfrage zu bearbeiten. Die Lehrkraft sind die Expert*innen in dem Sinn, dass sie aufgrund ihrer Expertise ja nach Lernprodukt und Zeitpunkt bestimmt, wann eine angemessene Lösung vorliegt. Dabei geht es nicht um Effektivität und Effizienz, sondern um selbstorganisiertes Handeln, bei dem das Spannungsverhältnis von Autonomie und pädagogischen Rahmenbedingungen institutionellen Lernens integraler Bestandteil von Lernen ist und einer Metareflexion unterliegt. Der hybride pädagogische Raum, so wurde gesagt, ist überall. Das schließt auch die physische Anwesenheit ein. Weil nun ein solch selbstständiges Handeln im analogen Raum nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, muss es angebahnt werden. Ausgangspunkt ist die (spielerische) Form eines Lernens an
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Es ist im Grunde kein wirklich neues Konzept, da es ja auch Bücher gibt. Neu ist jedoch, dass die anderen immer präsent sind und Lehren zu einem öffentlichen Geschäft wird. Was jedoch unhintergehbar ist, ist der Wahrheitsanspruch, den die Lehrkraft verbürgt und ihn zum Anwalt der Schüler*innen macht. Insoweit ist der Expert*innenstatus mit diesem Vertrauensstatus untrennbar verbunden.
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einem anderen Ort, wie man sie schon vom »Lernen am anderen Ort« kennt. Ziel ist es, den Schüler*innen eine Handlungssicherheit zur fachlichen und problemorientierten Erkundung von analogen Räumen zu geben. Sukzessiv wird dabei die Kompetenz verfolgt, sich selbstständig einen Raum themenbezogen zu »erobern«. Applikationen wie Actionbound werden dabei zunehmend überflüssig und durch unterschiedliche, je nach Situation sinnvolle Werkzeuge in Eigenregie ersetzt werden. Kurz gesagt, es soll nicht der Gebrauch eines Werkzeuges gelernt werden, sondern ausgehend von solchen Tools sinnstiftende Strategien der Raumeroberung entwickelt werden, um dort Akteure zu treffen und Artefakte, Informationen, Wissen usw. zu heben. Weiter oben wurde bereits aufgezeigt, wie sich der analoge Schulraum anders gliedern kann – in der Schule selbst, über die Schule hinaus mit anderen Schulen und mit den diversen Akteuren im Netz –, damit sich die Schüler*innen im Rahmen von »Flexible Grouping« situativ und anlassbezogen sowie interessengeleitet in Gruppen zusammenschließen. Jeweils steht der Gedanke dahinter, dass es einen sinnvollen transparenten und mitgestalteten Anlass gibt, sich zu treffen, mit Themen auseinanderzusetzen und ein Lernprodukt zu erzeugen. Das »Zeigen« als pädagogische Geste (Prange) erweitert sich zu einem Begleiten, einem Anbieten und einem Beraten – ein gemeinsames »Gerichtet-Sein«. Die im Netz offerierten Repräsentationen werden kritisch analysiert, diskutiert, angenommen oder verworfen. Alle diese Formen können nach einer hinreichenden Einführung und sicherer Handhabung in einer Kombination auftreten. Der übliche, sich als territorial verstehende Schulraum wird zeitlich und räumlich dereguliert und Lernen findet dort statt, wo sich die Akteure vernetzen, um ein Problem zu bearbeiten und wo sie auf den hybriden pädagogischen Raum bewusst eingehen.
Literatur
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