Hybride Gestaltungen nach der ATAD II 9783504388270

Aufgrund nicht abgestimmter Steuerrechtsordnungen konnten sich multinationale Unternehmen in der Vergangenheit hybrider

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Table of contents :
Geleitwort
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Einleitung
Gang der Untersuchung
Kapitel 1 Die Arbeiten der OECD
A. Chronologischer Überblick
B. Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2
C. Ergebnis des ersten Kapitels
Kapitel 2 Sekundäres Unionsrecht
A. Chronologischer Überblick
B. Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II
C. Ergebnis des zweiten Kapitels
Kapitel 3 Analyse normenhierarchischer Strukturen
A. Verhältnis nationaler Vorschriften zum höherrangigen Recht
B. Verhältnis der ATAD zum Primärrecht
C. Ergebnis des dritten Kapitels
Kapitel 4 Primäres Unionsrecht
A. Einleitung
B. Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV
C. Europäische Grundfreiheiten
D. Ergebnis des vierten Kapitels
Kapitel 5 Nationale Umsetzung der ATAD II
A. Einleitung
B. Vor Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft getretene Vorschriften
C. Das ATAD-Umsetzungsgesetz
D. Ergebnis des fünften Kapitels
Kapitel 6 Thesenförmige Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
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Hybride Gestaltungen nach der ATAD II
 9783504388270

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Surmann Hybride Gestaltungen nach der ATAD II

Rechtsordnung und Steuerwesen Band 58 Schriftenreihe begründet von Brigitte Knobbe-Keuk herausgegeben von Wolfgang Schön und Rainer Hüttemann

Hybride Gestaltungen nach der ATAD II Umgang mit harmonisierten Korrespondenzregeln im Ertragsteuerrecht

von

Dr. iur. Markus Surmann

2022

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-64257-0 ©2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Stückle, Ettenheim Printed in Germany

Meinen Eltern

.

Geleitwort Zu dieser Schriftenreihe Seit Brigitte Knobbe-Keuk im Jahre 1986 diese Schriftenreihe in der Nachfolge von Werner Flume begründet hat, sind mehr als 40 Bände er­ schienen, in deren thematischen Mittelpunkt die Frage nach dem Ver­ hältnis zwischen dem Steuerrecht und der allgemeinen Rechtsordnung gestellt ist. Die Entwicklung der Reihe hat gezeigt, dass die vielfältigen Verflechtungen des Steuerrechts mit anderen Rechtsgebieten den ge­ wählten Zuschnitt eindrucksvoll gerechtfertigt haben. Die publizierten Arbeiten nehmen Bezüge zum allgemeinen Zivilrecht, zum Gesellschafts­ recht, zum Bilanzrecht und zu den Wirtschaftswissenschaften ebenso in den Blick wie die Rahmenbedingungen des Verfassungsrechts, des Euro­ parechts und des Internationalen Rechts. Strafrechtliche Zusammenhän­ ge unserer Steuerrechtsordnung werden ebenso beleuchtet wie verfah­ rensrechtliche Implikationen der Besteuerungspraxis. Der Erkenntnis der Begründerin der Schriftenreihe, dass in den juristi­ schen Fragestellungen aus dem Bereich des Steuerwesens Fragestellun­ gen aus den Teilgebieten der allgemeinen Rechtsordnung zusammentref­ fen, muss besonders Nachdruck in einer Zeit verliehen werden, in der die innere Stabilität unserer Besteuerungsordnung in hohem Maße gefährdet ist und der Wunsch, aus der eigenen Systematik des Steuerrechts heraus feste Leitlinien für Rechtspolitik und Rechtsanwendung zu gewinnen, hinter den fiskalischen Zwängen der öffentlichen Hand und dem Ge­ staltungswillen der Steuerpolitik immer weiter zurücktritt. Die Veran­ kerung des Steuerrechts in der allgemeinen Rechtsordnung dient daher auch den Anliegen der Rechtssicherheit und Rationalität unseres Steuer­ rechts. Darüber hinaus kann durch die Anlehnung an die der Privatauto­ nomie verpflichtete Zivilrechtsordnung sowie durch die Verwirklichung verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Freiheitsgewährungen dem Steuerwesen ein Stück rechtsstaatlicher Liberalität zurückgegeben wer­ den. Die Herausgeber wünschen daher, dass die Schriftenreihe in ihrer Gesamtheit einen Beitrag zur Kultur unserer Steuerrechtsordnung zu leisten vermag. München und Bonn, im Oktober 2011 Wolfgang Schön

Rainer Hüttemann

VII

Geleitwort

Zu dieser Schrift Die Besteuerung grenzüberschreitender Unternehmenstätigkeit gehört zu den Problemfeldern, in denen sich der Zugriff des nationalen Steuer­ rechts in besonderer Weise im Schnittfeld unterschiedlicher Rechtskrei­ se befindet. Das allgemeine Völkerrecht sowie das Doppelbesteuerungs­ recht und seine Entwicklung auf Ebene der OECD beanspruchen hier ebenso Berücksichtigung wie das Recht der EU und das nationale Verfas­ sungsrecht. Wissenschaftliches Arbeiten steht hier exemplarisch für den methodischen Ansatz dieser Schriftenreihe: eine Würdigung des steuerli­ chen Normenbestandes im Kontext der allgemeinen Rechtsordnung. Die von Joachim Hennrichs betreute Arbeit „Hybride Gestaltungen nach der ATAD II“ ist dafür ein markantes Beispiel. Die im BEPS-Aktionsplan empfohlenen Linking Rules sollen bei grenzüberschreitenden Leistungen innerhalb von multinationalen Unternehmensgruppen eine „Einmalbe­ steuerung“ durch korrespondierende Abzugsverbote und Besteuerungs­ pflichten in den beteiligten Staaten sicherstellen. Der zugrunde liegende Konsens der im Inclusive Framework der OECD zusammengefassten Staatengemeinschaft wurde für das Gebiet der EU mit der ATAD II-Richt­ linie in zwingendes Recht überführt und anschließend in den nationalen Steuerordnungen der Mitgliedstaaten implementiert. Vor dem Hintergrund dieses „Mehrebenensystems“ unternimmt der Verf. es, die innere Systematik der Linking Rules zu erläutern und kritisch zu würdigen. Den Kern der Arbeit bildet aber ein weitgespannter Versuch, die Vereinbarkeit der getroffenen Regeln – immerhin Spezialnormen zum Nachteil grenzüberschreitenden Wirtschaftens – mit höherrangigem Recht, namentlich den Kompetenznormen und Grundfreiheiten des eu­ ropäischen Binnenmarkts sowie dem Verfassungsrecht zu prüfen. Dies gelingt dem Verf. eindrucksvoll. Mit differenzierten Überlegungen bejaht er einerseits die Zuständigkeit der Europäischen Institutionen für die Umsetzung der BEPS-Regeln, betont jedoch andererseits die Bindung des Unionsgesetzgebers an die Grundfreiheiten des AEUV. Überzeugend er­ scheint vor allem seine These, dass das EU-Sekundärrecht Gemeinwohl­ ziele – hier: die Kohärenz des internationalen Steuersystems – durchaus effektiver verfolgen kann als das nationale Recht und damit auch Recht­ fertigungen möglich erscheinen, die dem mitgliedstaatlichen Gesetzge­ ber versagt bleiben. Damit leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag zu einer grundlegenden institutionellen Fragestellung des europäischen Steuerrechts, die über die Linking Rules hinaus in vielen Zusammenhän­ gen schon jetzt virulent ist oder noch werden wird. München und Bonn, im November 2022 Wolfgang Schön VIII

Rainer Hüttemann

Vorwort Die vorliegende Dissertation wurde im Sommersemester 2022 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln angenom­ men. Sie entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mit­ arbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Bilanz- und Steuerrecht an der Universität zu Köln. Für die Drucklegung konnten Rechtsprechung und Literatur bis Juli 2022 berücksichtigt werden. Danken möchte ich in erster Linie meinem verehrten Doktorvater Herrn Prof. Dr. Joachim Hennrichs. Er hat mir nicht nur die Freiheit gegeben, mein Wunschthema zu bearbeiten und mich hierbei mit wertvollen fach­ lichen Hinweisen unterstützt. Auch durfte ich mehrere Jahre als wissen­ schaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl tätig sein. Diese Zeit habe ich in bester Erinnerung behalten, was vor allem am großartigen Lehr­ stuhlteam liegt. Frau Prof. Dr. Johanna Hey danke ich für die zügige Er­ stellung des Zweitgutachtens. Den Herren Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Schön und Prof. Dr. Rainer Hüttemann möchte ich für die Aufnahme in die vorliegende Schriftenreihe danken. Für die großzügige Bezuschus­ sung der Druckkosten danke ich der Kanzlei Streck Mack Schwedhelm sowie der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung, Hamburg. Für die fachliche Durchsicht meines Manuskripts sowie zahlreiche ge­ winnbringende Diskussionen danke ich Herrn Dr. Sven Härtwig sowie Herrn Florian Kitzig. Auch meine ehemaligen Bürokollegen Herr Dr. Martin Grabmann und Herr Dr. Florian Wilbrink waren stets bereit, sich in meine Ideen hineinzudenken und mir wertvolle Anmerkungen zu ge­ ben. Für das gewissenhafte Korrekturlesen des Manuskripts danke ich außerdem Herrn Benjamin Kramm, Herrn Marcel Mosler, Frau Anna-So­ phie Pues sowie Herrn Sven Schölzel. Zu guter Letzt möchte ich denjenigen Personen danken, welche mich durch alle Höhen und Tiefen meines Großprojekts aus nächster Nähe begleitet haben. Das ist zunächst meine Verlobte Frau Anna Gernemann. Während des unruhigen Pandemiebeginns, in welcher diese Arbeit größ­ tenteils entstanden ist, war sie stets mein Vorbild für Ruhe und Struktur. Schließlich haben meine Eltern Frau Jutta Surmann und Herr Jürgen Sur­ mann mich in der Entscheidung für ein Studium der Rechtswissenschaf­ ten bestärkt. Seit dem ersten Tag dieses langen Weges haben sie mich in jeder erdenklichen Hinsicht unterstützt. Ihnen ist diese Arbeit gewid­ met. Köln, September 2022

Dr. Markus Surmann

IX

Inhaltsübersicht Seite

Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 A. Chronologischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 B. Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 C. Ergebnis des ersten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 A. Chronologischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 B. Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 C. Ergebnis des zweiten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen . . . . . . 141 A. Verhältnis nationaler Vorschriften zum höherrangigen Recht . . . 141 B. Verhältnis der ATAD zum Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 C. Ergebnis des dritten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 XI

Inhaltsübersicht

Kapitel 4  Primäres Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 B. Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . 166 C. Europäische Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 D. Ergebnis des vierten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD II . . . . . . . . . . . . . 271 A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 B. Vor Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft getretene Vorschriften . 272 C. Das ATAD-Umsetzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 D. Ergebnis des fünften Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

Kapitel 6  Thesenförmige Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . 363 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409

XII

Inhaltsverzeichnis Seite

Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 A. Chronologischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 B. Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 I. Allgemeine Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1. Formen der Besteuerungsinkongruenzen . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Ursachen der Besteuerungsinkongruenzen . . . . . . . . . . . . 10 a) Hybride Finanzinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 aa) Begriffsannäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 bb) Objektiver Qualifikationskonflikt i.w.S. . . . . . . . . . 13 cc) Zurechnungskonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 dd) Qualifikationskonflikte i.e.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 b) Hybride Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 aa) Unterschiedliche Steuersysteme . . . . . . . . . . . . . . . 16 bb) Subjektive Qualifikationskonflikte i.w.S. . . . . . . . . 17 cc) Objektive Qualifikationskonflikte i.w.S. . . . . . . . . 18 dd) Qualifikationskonflikte i.e.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 c) Betriebsstättenkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 aa) Inbound-Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 bb) Outbound-Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 cc) Potential für Besteuerungsinkongruenzen . . . . . . . 21 (1) Qualifikationskonflikt i.w.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 XIII

Inhaltsverzeichnis

(2) Einkünftezuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 d) Inkongruenzen bei der Steueransässigkeit . . . . . . . . . . . 23 3. Neutralisierung der Besteuerungsinkongruenzen . . . . . . . 24 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Empfehlungen zur Neutralisierung der Effekte hybrider ­Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Deduction/No Inclusion-Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 a) Hybride Finanzinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 aa) Allgemeine Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 (1) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 27 (a) Zahlung im Rahmen eines hybriden ­Finanzinstruments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 (b) Hybride Übertragungen . . . . . . . . . . . . . . . . 31 (aa) Repo-Geschäfte und grenzüberschreitende ­Wertpapierleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 (bb) Sonderfall der Substitutionszahlung . . . . . . 34 (2) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . 35 (3) Neutralisierung des Effekts . . . . . . . . . . . . . . . . 36 bb) Spezifische Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (1) Zahlungen im Rahmen eines hybriden Finanz­ instruments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (2) Hybride Übertragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 b) Nicht berücksichtigte hybride Zahlungen . . . . . . . . . . 39 aa) Allgemeine Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (1) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 40 (2) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . 42 (3) Neutralisierung des Effekts . . . . . . . . . . . . . . . . 43 bb) Vergleichbare Betriebsstättenkonstellation: Deemed Branch Payments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 c) Umgekehrt hybride Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 aa) Allgemeine Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 (1) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 47 (2) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . 48 (3) Neutralisierung des Effekts . . . . . . . . . . . . . . . . 48 bb) Spezifische Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 cc) Vergleichbare Betriebsstättenkonstellationen: Disregarded Branch Structures, Diverted Branch Payments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 d) Importierte Besteuerungsinkongruenzen . . . . . . . . . . . 51 aa) Allgemeine Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (1) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 53 (2) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . 55 (3) Neutralisierung des Effekts . . . . . . . . . . . . . . . . 56

XIV

Inhaltsverzeichnis

(a) Rückverfolgungsmethode für strukturiert ­importierte ­Besteuerungsinkongruenzen . . 56 (b) Proportionalitätsmethode für direkt importierte Besteuerungs­inkongruenzen . . 57 (c) Wasserfallmodell für indirekt importierte Besteuerungs­inkongruenzen . . . . . . . . . . . . 58 bb) Vergleichbare Betriebsstättenkonstellation: Imported Branch Payments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Double Deduction-Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Abzugsfähige hybride Zahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 aa) Allgemeine Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (1) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 62 (2) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . 64 bb) Neutralisierung des Effekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 cc) Vergleichbare Betriebsstättenkonstellation: Double Deduction Branch Payments . . . . . . . . . . . 65 b) Doppelt ansässige Steuerpflichtige . . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 bb) Neutralisierung des Effekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 III. Zusammenfassende Gesamtschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Korrespondierende Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2. Aufbau und Anwendungshierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Zuweisung von Steuersubstrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4. Methodischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 5. Besonderheiten bei spezifischen Empfehlungen . . . . . . . . 76 6. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 7. Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 8. Eingeschränkter persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . 78 9. Ziel der Linking Rules . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 C. Ergebnis des ersten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 A. Chronologischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 B. Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Allgemeine Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Verpflichtende Vorgabe von Mindeststandards . . . . . . . . . 85 2. Auslegung im Sinne der OECD-Empfehlungen . . . . . . . . . 87 3. Anwendungsbereich der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4. Definition hybrider Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Sachliche Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 XV

Inhaltsverzeichnis

aa) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) ATAD . . . . . . . . . . . 89 bb) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. b) ATAD . . . . . . . . . . . 91 cc) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. c) ATAD . . . . . . . . . . . 92 dd) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. d) ATAD . . . . . . . . . . . 93 ee) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. e) ATAD . . . . . . . . . . . 94 ff) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. f) ATAD . . . . . . . . . . . 94 gg) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. g) ATAD . . . . . . . . . . . 95 b) Persönliche Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 aa) Verbundene Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 bb) Betriebsstättenkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . 97 cc) Strukturierte Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. Richtlinienvorgaben zur Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Regel für umgekehrt hybride Gestaltungen, Art. 9a ATAD 99 a) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 aa) (Umgekehrt) Hybrides Unternehmen . . . . . . . . . . . 99 bb) Beteiligungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 cc) Nichtbesteuerung der Einkünfte . . . . . . . . . . . . . . . 101 dd) Ausnahme für „Organismen für gemeinsame Anlagen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Regel für Inkongruenzen bei Steueransässigkeit, Art. 9b ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Steuerpflichtiger, der in zwei oder mehr Steuergebieten ansässig ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb) Doppelter Abzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Verrechnung mit nicht doppelt berücksichtigten Einkünften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (1) Nicht ausgleichsfähige Verluste („Stranded Losses“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 (2) Keine intertemporale Verrechnung . . . . . . . . . . 106 b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3. Regel für importierte Inkongruenzen, Art. 9 Abs. 3 ATAD 109 a) Intertemporale Übertragung hybrider Betriebsausgabenabzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 c) Schwacher Nexus zwischen hybrider Gestaltung und Zahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 d) Durchleitungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 XVI

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4. Regel für unberücksichtigte Betriebsstätten, Art. 9 Abs. 5 ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Kein Bezug auf allgemeine Definition . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Ausnahme nach Art. 9 Abs. 5 S. 2 ATAD . . . . . . . . . . . 115 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5. Regel für hybride Übertragungen, Art. 9 Abs. 6 ATAD . . . 116 a) Kein Bezug auf allgemeine Definition . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Kein subjektives Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . 118 c) Beschränkung der Quellensteueranrechnung . . . . . . . . 118 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 6. Allgemeine Regel für DD-Ergebnisse, Art. 9 Abs. 1 ATAD 119 a) Erfasste Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Dual Inclusion Income . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 7. Allgemeine Regel für D/NI-Ergebnisse, Art. 9 Abs. 2 ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Erfasste Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Verhältnis zur Mutter-Tochter-Richtlinie . . . . . . . . . . . 121 c) Verhältnis zur Zinsen- und Lizenzgebühren-Richtlinie 123 d) Verhältnis zu Art. 9 Abs. 5 ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 e) Verhältnis zu Art. 9a ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 f) Dual Inclusion Income . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 g) Art. 9 Abs. 4 lit. a) ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 h) Art. 9 Abs. 4 lit. b) ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 i) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 III. Zusammenfassende Gesamtschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Korrespondierende Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Aufbau und Anwendungshierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Zuweisung von Steuersubstrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4. Methodischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 5. Besonderheiten bei spezifischen Empfehlungen . . . . . . . . 135 6. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 7. Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 8. Eingeschränkter persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . 138 9. Ziel der Linking Rules . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 C. Ergebnis des zweiten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen . . . . . . 141 A. Verhältnis nationaler Vorschriften zum höherrangigen Recht . . 141 I. Umsetzungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Verhältnis zum Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Solange-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 XVII

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b) Zeitliche Vorwirkung der ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Verhältnis zum Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 aa) Immunisierungswirkung der ATAD II . . . . . . . . . . . 146 bb) Abschließende Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . 147 (1) Regelungsdichte der ATAD II . . . . . . . . . . . . . . . 148 (2) Auswirkung des Mindestschutzkonzepts . . . . . 149 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 II. Überschießende Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Verhältnis zum Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Verhältnis zum Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 aa) Kein Konflikt mit der ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 bb) „Richtlinienorientierte“ Auslegung . . . . . . . . . . . . 153 b) Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 B. Verhältnis der ATAD zum Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 I. Materiellrechtliche Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Verfahrensrechtliche Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Nichtigkeitsklage, Art. 263 ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Vorabentscheidungsverfahren, Art. 267 AEUV . . . . . . . . . 160 C. Ergebnis des dritten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

Kapitel 4  Primäres Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 B. Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . 166 I. Unmittelbare Auswirkung auf das Funktionieren des ­Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Erwägungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Nationale Fiskalinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Bekämpfung schädlichen Steuerwettbewerbs . . . . . . . . . . 168 a) Neutralität des Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Autonomie der Steuerrechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . 169 c) Einordnung hybrider Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . 170 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Subsidiaritätsprinzip, Art. 5 Abs. 3 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . 172 III. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Art. 5 Abs. 4 EUV . . . . . . . . 174 XVIII

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1. Mindestschutzkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Mittelbare Regulierung von Steuerwettbewerb . . . . . . . . . 175 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 C. Europäische Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Verhältnis zwischen den Europäischen Grundfreiheiten und den Europäischen Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Ausrichtung der Prüfung an den Grundfreiheiten . . . . . . . 180 3. Aufbau der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Einschlägige Grundfreiheit und Schutzbereich . . . . . . . . . . . 183 1. Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Betriebsstättenkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Verbundene Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 63 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Verbundene Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Strukturierte Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Verhältnis von Art. 49 zu Art. 63 AEUV . . . . . . . . . . . . . . 188 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 III. Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Offene Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Verdeckte Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Beschränkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 3. Keine Nachteilskompensation auf Tatbestandsebene . . . . 197 4. Gleichheitsrechtliche Betrachtung im Falle schrittweiser ­Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 IV. Rechtfertigungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Objektive Vergleichbarkeit der Situationen . . . . . . . . . . . . 202 a) Vergleichbarkeit von unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen (Diskriminierungsverbot) . . . . . . . . . 202 b) Vergleichbarkeit von grenzüberschreitenden und ­innerstaatlichen Sachverhalten (Verbot diskriminierender ­Beschränkungen) . . . . . . . . . . . . . . . 204 aa) Induktiver Ansatz: Korrespondenzregeln und die ­objektive ­Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (1) Rechtssache Schempp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (2) Rechtssache SIAT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 XIX

Inhaltsverzeichnis

(3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 bb) Deduktiver Ansatz: Dogmatische Strukturen der ­Vergleichbarkeitsprüfung am Beispiel der Recht­ sprechung zu sog. finalen Verlusten . . . . . . . . . . . . 206 (1) Hintergrund (Rs. Marks & Spencer, Lidl Belgium) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (2) Anerkennungsgrundsatz (Rs. Nordea Bank) . . . 208 (3) Ausübung von Besteuerungshoheit ( Rs. Timac Agro) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (4) Normzielbetrachtung (Rs. Bevola) . . . . . . . . . . . 213 (5) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (6) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (7) Anwendung auf die Korrespondenzregeln der ATAD II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (8) Dogmatische Fundierung durch ein Europäisches Leistungsfähigkeits­prinzip? . . . . . . . . . 221 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 2. Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 aa) In Verbindung mit der Vermeidung doppelter Verlustberück­sichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (1) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (2) Anwendung auf die Linking Rules . . . . . . . . . . . 228 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 bb) In Verbindung mit der Missbrauchsabwehr . . . . . . 230 (1) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 (2) Anwendung auf die Linking Rules . . . . . . . . . . . 234 (a) Keine zulässige Typisierung . . . . . . . . . . . . 234 (b) Keine Möglichkeit des Gegenbeweises . . . . 235 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 b) Vermeidung der Vorteilskumulation als neuer Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 aa) Klare Absage durch Rs. Philips-Electronics . . . . . . . 236 bb) Öffnung durch Rs. NN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 c) Kohärenz des Steuersystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 aa) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 bb) Anwendung auf die Linking Rules . . . . . . . . . . . . . . 241 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 d) Weiterführende Überlegungen zur Rechtfertigung internationaler, interpersonaler Korrespondenz . . . . . . 245 aa) „Materielle Immunisierung“ von Sekundärrecht . . 246 (1) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 XX

Inhaltsverzeichnis

(2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 bb) Lösung über Rechtfertigungsdogmatik . . . . . . . . . . 250 (1) Internationale Koordination als neuer Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (2) Internationale Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (a) Kohärenzgedanke als geeignete Basis . . . . . 252 (b) Legitimation jedenfalls bei Maßnahmen des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (c) Erstreckung auf Maßnahmen der Mitgliedstaaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (d) Verbleibende Problembereiche . . . . . . . . . . 258 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 V. Wahrung der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 2. Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Mittelbare Regulierung schädlichen Steuerwettbewerbs 263 b) Möglichkeit des Nachweises wirtschaftlicher Gründe irrelevant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 3. Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i.e.S.) . . . . . . . . . . 266 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 D. Ergebnis des vierten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD II . . . . . . . . . . . . . 271 A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 B. Vor Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft getretene Vorschriften 272 I. § 4i EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 a) § 4i S. 1 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 b) § 4i S. 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Abgleich mit Art. 9 Abs. 1 ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 a) Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 aa) Einfachrechtliche Folgewirkungen . . . . . . . . . . . . . 277 bb) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht . . . . . . . . . 279 cc) Unionsweite Folgewirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 b) Abgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 aa) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . 280 bb) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . 281 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 XXI

Inhaltsverzeichnis

3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 a) Einfachrechtliche Folgewirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . 283 b) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht . . . . . . . . . . . . 283 c) Unionsweite Folgewirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 II. § 8b Abs. 1 S. 2 KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Abgleich mit Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD und Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 III. § 50d Abs. 9 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 2. Abgleich mit Art. 9 Abs. 5 ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a) § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 b) § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 IV. § 26 Abs. 2 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG . . . . . . . . 294 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 2. Abgleich mit Art. 9 Abs. 6 ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 V. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 2. Abgleich mit Art. 9b ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 C. Das ATAD-Umsetzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 I. § 4k EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 1. § 4k Abs. 6 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 a) Nahestehende Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG . . . . . . . 307 b) Betriebsstättenkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 c) Strukturierte Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 d) Folgerungen aus der systematischen Stellung . . . . . . . . 308 e) Betrachtung im Lichte höherrangigen Rechts . . . . . . . . 309 2. § 4k Abs. 1 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 a) Sekundärrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 b) Analyse der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 aa) Aufwendungen für die Nutzung oder im Zusammenhang mit der Übertragung von Kapitalvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 XXII

Inhaltsverzeichnis

bb) Vom deutschen Recht abweichende Qualifikation oder Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 cc) Kausalitätserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 dd) Nicht- oder Niedrigbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . 314 (1) Niedrigbesteuerung unproblematisch . . . . . . . . 315 (2) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 ee) Frage nach einem Steuerfestsetzungserfordernis . . 316 ff) Ausnahme in S. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 gg) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 c) Anwendungshierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 3. § 4k Abs. 2 S. 1 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 a) Sekundärrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 b) Analyse der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 aa) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 bb) Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 cc) Abweichende Behandlung des Steuerpflichtigen oder Beurteilung von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 dd) Keine tatsächliche Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . 323 ee) Kausalitätserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 ff) Ausnahme für Dual Inclusion Income (S. 3) . . . . . . 324 (1) Intertemporale Verrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . 325 (2) Verfahrensrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . 326 gg) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 c) Anwendungshierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 4. § 4k Abs. 2 S. 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 a) Sekundärrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 b) Analyse der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 c) Anwendungshierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 5. § 4k Abs. 3 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 a) Sekundärrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 b) Analyse der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 c) Anwendungshierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 6. § 4k Abs. 4 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 a) Sekundärrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 b) Analyse der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 aa) Tatbestand und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 bb) Anwendungshierarchie in S. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 cc) Ausnahme für Dual Inclusion Income in S. 3 . . . . 335 dd) Ausnahme in Anrechnungsfällen in S. 4 . . . . . . . . . 335 7. § 4k Abs. 5 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 a) Sekundärrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 b) Analyse der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 XXIII

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8. Zusammenfassende Betrachtung des § 4k EStG . . . . . . . . 339 II. § 8b Abs. 1 S. 3 KStG, § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG . . . . . . 341 1. Sekundärrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 2. Analyse der Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 a) Bezüge im Sinne des S. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 b) Zurechnungskonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 c) „Niedrigeres Einkommen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 aa) Vorteile auf Tarifebene umfasst . . . . . . . . . . . . . . . . 344 bb) Steuerfestsetzung nicht erforderlich . . . . . . . . . . . . 346 d) Kein persönliches Abhängigkeitserfordernis . . . . . . . . . 346 e) Anwendungshierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 3. Zusammenfassende Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . 347 III. § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 1. Sekundärrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 2. Analyse der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 a) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 aa) Umgekehrt hybrides Unternehmen . . . . . . . . . . . . . 348 bb) Keine Besteuerung der Einkünfte . . . . . . . . . . . . . . . 348 cc) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 dd) Persönliche Einschränkung (S. 2) . . . . . . . . . . . . . . . 350 ee) Keine Anwendung auf Altersvorsorgevermögensfonds (S. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 ff) Kausalitätserfordernis (S. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 gg) Treaty Override (S. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 3. Anwendungshierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 IV. § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 3 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 2. Analyse der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 a) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 c) Anwendungshierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 3. Zusammenfassende Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . 360 D. Ergebnis des fünften Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

Kapitel 6  Thesenförmige Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . 363 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 XXIV

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26: Abbildung 27: Abbildung 28: Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31:

Eingangsbeispiel (Zahlung im Rahmen eines hybriden Finanzinstruments) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Zahlung im Rahmen eines hybriden Finanzinstruments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Zinszahlung an eine steuerbefreite Betriebsstätte . . 30 Repo-Geschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Grenzüberschreitende Wertpapierleihe . . . . . . . . . . 33 Substitutionszahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Hybride Übertragung mit TC/TC-Ergebnis . . . . . . . 38 Nicht berücksichtigte hybride Zahlung . . . . . . . . . . 40 Deemed Branch Payment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Umgekehrt hybride Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . 46 Disregarded Branch Structures . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Diverted Branch Payments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Importierte Besteuerungsinkongruenz . . . . . . . . . . . 52 Direkt importierte Besteuerungsinkongruenz . . . . . 53 Indirekt importierte Besteuerungsinkongruenz . . . . 55 Wasserfallmodell für indirekt importierte Besteuerungsinkongruenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Imported Branch Mismatch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Abzugsfähige hybride Zahlungen . . . . . . . . . . . . . . . 62 Double Deduction Branch Payments . . . . . . . . . . . . 66 Doppelt ansässige Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Zahlung einer hybriden Betriebsstätte an das Stammhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Basiskonstellation im Sinne des Art. 9a ATAD . . . . 99 Basiskonstellation im Sinne des Art. 9b ATAD . . . . 104 Art. 9 Abs. 3 ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Durchleitungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Unberücksichtigte Betriebsstätte (NI/NT-Ergebnis) 114 Hybride Übertragung mit TC/TC-Ergebnis . . . . . . . 116 Unberücksichtigte Betriebsstätte (D/NI-Ergebnis) . . 124 Vorrang des Art. 9a ATAD gegenüber Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Umgekehrt hybride Gestaltung (Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Rs. Marks & Spencer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 XXV

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Abbildung 32: Abbildung 33: Abbildung 34: Abbildung 35: Abbildung 36: Abbildung 37: Abbildung 38: Abbildung 39: Abbildung 40: Abbildung 41: Abbildung 42: Abbildung 43: Abbildung 44: Abbildung 45: Abbildung 46: Abbildung 47: Abbildung 48: Abbildung 49: Abbildung 50: Abbildung 51: Abbildung 52: Abbildung 53: Abbildung 54: Abbildung 55: Abbildung 56: Abbildung 57:

Abbildung 58:

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Rs. Nordea Bank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Rs. Timac Agro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Rs. Bevola . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Rs. Philips Electronics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Rs. NN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 § 4i EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Unberücksichtigte Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . 291 § 26 Abs. 2 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG 298 Hybride Finanzinstrumente (§ 4k Abs. 1 EStG) . . . . 312 Repo-Geschäfte (§ 4k Abs. 1 EStG) . . . . . . . . . . . . . . 313 Wertpapierleihen (§ 4k Abs. 1 EStG) . . . . . . . . . . . . . 313 Nicht berücksichtigte hybride Zahlungen (§ 4k Abs. 2 S. 1 EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Deemed Branch Payments (§ 4k Abs. 2 S. 1 EStG) . . 323 Nicht berücksichtigte hybride Zahlungen (§ 4k Abs. 2 S. 2 EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Umgekehrt hybride Rechtsträger (§ 4k Abs. 3 EStG) 330 Disregarded Branch Structure (§ 4k Abs. 3 EStG) . . 331 Verhältnis von § 4k Abs. 3 EStG zu § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Abzugsfähige hybride Zahlungen (§ 4k Abs. 4 S. 2 HS 1 EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Abzugsfähige hybride Zahlungen (§ 4k Abs. 4 S. 2 HS 2 EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 § 4k Abs. 4 S. 4 EStG nicht einschlägig . . . . . . . . . . 336 Direkt importierte Besteuerungsinkongruenz (§ 4k Abs. 5 EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Grenzüberschreitende Wertpapierleihe (§ 8b Abs. 1 S. 3 KStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Repo-Geschäft (§ 8b Abs. 1 S. 3 KStG) . . . . . . . . . . . 343 Umsetzung des Art. 9a ATAD – Beispiel . . . . . . . . . 352 Verhältnis des § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG zu § 4k Abs. 3 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Verhältnis des § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG zu mit § 4k Abs. 3 EStG vergleichbaren Abzugsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Anwendungshierarchie bei § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 3 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

Tabellenverzeichnis Tabelle 1:  OECD-Empfehlungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Tabelle 2:  ATAD-Vorgaben im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

XXVII

Einleitung In einer globalisierten Welt gehört die grenzüberschreitende Wirtschaft­ stätigkeit zur Tagesordnung. In steuerlicher Hinsicht können sich multi­ nationale Unternehmen dabei zu Nutze machen, dass die Rechtsordnun­ gen der Staaten nicht aufeinander abgestimmt sind. In Übereinstimmung mit den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften können sie deshalb Steuervorteile erlangen, die bei rein nationaler Tätigkeit nicht zur Verfü­ gung stehen. Das lässt sich als „internationale Steuerarbitrage“ bezeich­ nen.1 Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 rückte die Besteuerung multinationaler Unternehmen in das Zentrum der öffentlichen Wahr­ nehmung. Befeuert wurde die Diskussion durch die Enthüllungen der Luxemburg-Leaks in 2014, der Swiss-Leaks in 2015, der Panama-Papers in 2016 und neuerdings auch der Pandora-Papers in 2021. In diesem poli­ tischen Klima veröffentlichte die OECD ihre insgesamt 15 Abschlussbe­ richte des Projekts „Base Erosion and Profit Shifting“ und markierte da­ mit einen Meilenstein in der internationalen Steuerpolitik.2 Mit an vorderster Stelle – in Aktionspunkt 2 von 15 – widmet sich das BEPS-Projekt der Neutralisierung der Effekte sog. hybrider Gestaltungen. Sie sind eines der komplexesten und zugleich bedeutsamsten Themen des Internationalen Steuerrechts.3 Hybride Gestaltungen nutzen die Disparitäten der Steuerrechtssysteme, um eine doppelte Nichtbesteue­ rung zu erreichen. Beispiel 1:4 Die im Staat A ansässige A-Co hat ein Genussrecht an ihre in Staat B ansässige Tochtergesellschaft B-Co ausgegeben. Beide Gesellschaften werden von den Staa­ ten A und B steuerlich intransparent behandelt. Das Genussrecht wird im Staat A als Eigenkapital, in Staat B jedoch als Fremdkapital qualifiziert.5 Grundsätzlich sind damit von der B-Co an die A-Co ausgezahlte Vergütungen auf das Genussrecht bei der B-Co steuerlich als Betriebsausgabe abziehbar. Bei der A-Co erfolgt auf­ grund des Eigenkapitalcharakters eine Freistellung des Ertrags.6 Im Ergebnis min­ dert die Zahlung der B-Co dessen Gewinn, während die korrespondierende Ein­ nahme der A-Co den Gewinn dort nicht erhöht.7 1 Kofler/Kofler, in: FS Djanani, S. 381, 382. 2 Vgl. Hofmann/Wenzl/Zehetmayer, in: BEPS, S. 1, 2. 3 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 27. 4 Das Beispiel entspricht jenem in Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(1)(a) und wird dort näher er­ läutert. Zu den Hintergründen siehe auch Kapitel 1 - B.I.2.a). 5 Zu den Ursachen Kapitel 1 - B.I.2.a)bb). 6 Vgl. etwa § 8b Abs. 1 S. 1 KStG. Auch eine nur teilweise Freistellung des Ertrages würde insoweit zu einer Besteuerungsinkongruenz im Sinne der OECD führen, OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 192 ff. Beispiel 1.2. 7 Vorbehaltlich einer dem § 8b Abs. 1 S. 2 KStG entsprechenden Regelung.

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Einleitung

Abbildung 1:  Eingangsbeispiel (Zahlung im Rahmen eines hybriden Finanzinstru­ ments)

Die Antwort der OECD darauf lautet, sog. Korrespondenzregeln (Linking Rules) in die nationalen Steuersysteme zu implementieren. Wie es die Bezeichnung bereits anklingen lässt, wird auf ihrer Basis die steuerliche Behandlung verschiedener Steuerpflichtiger in verschiedenen Staaten miteinander verknüpft.8 Die Technik einer korrespondierenden Besteue­ rung wird ihrerseits als derzeitiger „Megatrend“ des Internationalen Steuerrechts ausgemacht.9 In Rekordtempo erreichte das Thema BEPS auch die Europäische Union. Nur wenige Monate nach Veröffentlichung des letzten Abschlussbe­ richts erging im Jahr 2016 die sog. Anti Tax Avoidance Directive (ATAD). Eigens für die umfassende Neutralisierung der Effekte hybrider Gestal­ tungen wurde die ursprüngliche Richtlinie 2017 noch einmal geändert. Die gemeinhin als Anti Tax Avoidance Directive II (ATAD II) bezeichne­ te Änderungsrichtlinie orientiert sich ganz wesentlich an den Empfeh­ lungen der OECD und überführt diese in Europäisches Sekundärrecht. Der nationale Gesetzgeber hat sich bei der Umsetzung der Richtlinien­ vorgaben lange Zeit gelassen, was die Einleitung eines Vertragsverlet­ zungsverfahrens nach sich zog. Mittlerweile hat er den Vorgaben in Ge­ stalt des ATAD-Umsetzungsgesetzes Rechnung getragen. Die vorliegende Arbeit beleuchtet aus deutscher Perspektive umfassend die rechtlichen Fragestellungen, welche sich im Zusammenhang mit der Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen im Sinne der sog. ATAD II ergeben.

8 Mechtler, Hybrid Mismachtes im Ertragsteuerrecht, S. 3. 9 Blumenberg/Oertel, in: StbJb. 2017/2018, S. 453, 454.

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Gang der Untersuchung In Kapitel 1 werden dazu zunächst die Arbeiten der OECD in den Blick genommen. Der Abschlussbericht zu Aktionspunkt 2 des BEPS-Projek­ tes bildet die Grundlage für die später ergangene ATAD II und soll ihren Erwägungsgründen zufolge als Referenz zur Auslegung herangezogen werden. Eine Auseinandersetzung mit den Empfehlungen der OECD ist daher unerlässlich. Zunächst wird die allgemeine Konzeption der Emp­ fehlungen erörtert. In diesem Zuge werden auch die relevanten Rahmen­ bedingungen des Internationalen Steuerrechts beleuchtet. Zentral wer­ den die Empfehlungen der OECD herausgearbeitet. Abschließend werden die Empfehlungen im Zuge einer Gesamtbetrachtung systematisiert. Die Ergebnisse des ersten Kapitels bilden die Grundlage für die weitere Un­ tersuchung. In Kapitel 2 wird das sekundäre Unionsrecht betrachtet. Im Zentrum der Erwägungen steht die ATAD II. Zunächst wird das Konzept der Richtli­ nie erörtert, um sodann die Vorgaben im Einzelnen herauszuarbeiten. Dabei wird maßgeblich auf die Empfehlungen der OECD zurückgegrif­ fen. Besondere Beachtung finden Fragestellungen, welche sich speziell im Hinblick auf die Richtlinie ergeben. Auch das zweite Kapitel schließt mit einer Gesamtbetrachtung. Diese folgt den in Kapitel 1 herausgearbei­ teten Leitgedanken, um so einen Abgleich der OECD-Empfehlungen und der Richtlinienvorgaben zu ermöglichen. In Kapitel 3 werden die sich durch die ATAD II ergebenden normenhier­ archischen Strukturen analysiert. Die Richtlinie wird dazu in einen Ge­ samtkontext gestellt und zunächst ihr Einfluss auf nationale Rechtsvor­ schriften erarbeitet. Insbesondere wird dabei auf die Auslegung und das Verhältnis zum höherrangigen Recht eingegangen. Im Anschluss daran wird das Verhältnis der Richtlinie zum primären Unionsrecht geklärt. Kapitel 4 trägt den Ergebnissen des dritten Kapitels Rechnung und wid­ met sich der Vereinbarkeit der ATAD II mit dem primären Unionsrecht. Die ATAD signalisiert einen Paradigmenwechsel in der Europäischen Steuerpolitik. Als erste Richtlinie schreibt sie ausschließlich Eingriff­ statbestände zu Lasten der Steuerpflichtigen vor. Besonders dieser As­ pekt wird von Relevanz sein, wenn die Voraussetzungen des Art. 115 AEUV erörtert werden. Im Anschluss an die kompetenzielle Prüfung wird die ATAD II im Lichte der Europäischen Grundfreiheiten betrach­ tet. Insoweit wird besonders der den Regelungen zugrundeliegende Kor­ respondenzgedanke eine zentrale Rolle einnehmen. In Kapitel 5 wird der Stand der nationalen Umsetzung der ATAD II be­ trachtet. Die Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel finden dabei inso­ 3

Gang der Untersuchung

weit besondere Berücksichtigung, als dass die nationalen Vorschriften stets im Lichte des höherrangigen Rechts betrachtet werden. Der daraus resultierende Erkenntnisgewinn wird in Kapitel 5 fokussiert. Im Einzel­ nen werden zunächst diejenigen Vorschriften herausgearbeitet, die be­ reits vor dem Erlass der Richtlinie den späteren Vorgaben entsprechen. Später werden die relevanten Vorschriften des ATAD-Umsetzungsgeset­ zes gewürdigt. Schließlich werden in Kapitel 7 die Ergebnisse der vorliegenden Untersu­ chung thesenartig zusammengefasst.

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Kapitel 1 Die Arbeiten der OECD Das Projekt der OECD und G20-Staaten zu Gewinnverkürzung und Ge­ winnverlagerung (Base Erosion and Profit Shifting) markiert einen Mei­ lenstein für die internationale Steuerpolitik. Als eine der zentralen Maß­ nahmen widmet sich Aktionspunkt 2 der Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen. Nach einem kurzen chronologischen Abriss der bisherigen Arbeiten der OECD zum Thema der hybriden Gestaltungen werden die Empfehlungen des Abschlussberichts umfassend beleuchtet. Abschließend werden die Empfehlungen im Rahmen einer zusammen­ fassenden Gesamtbetrachtung systematisiert.

A. Chronologischer Überblick Über die Jahre hinweg hat das Thema der hybriden Gestaltungen sukzes­ sive seinen Eingang in die Arbeiten der OECD gefunden. Erstmalig enthielt der sog. Partnership Report aus dem Jahr 1999 Beispiele zu Ge­ staltungen, in denen Personengesellschaften eingesetzt werden, um dop­ pelte Abkommensvorteile zu erlangen.10 Vor allem in der US-amerikani­ schen Literatur entwickelte sich in diesem Zeitraum allmählich eine fundamentale Debatte über internationale Steuerarbitrage.11 Im Bericht Adressing Tax Risks Involving Bank Losses aus dem Jahr 2010 machte die OECD darauf aufmerksam, dass im internationalen Bankgeschäft mitunter ein und derselbe Verlust dazu genutzt werden kann, um Ge­ winne in mehreren Staaten zu mindern.12 Erstmals wurde hier die Be­ grifflichkeit der hybriden Gestaltung verwendet und darauf hingewiesen, dass zu diesem Zeitpunkt bereits einige Länder den bestehenden Arbi­ tragemöglichkeiten mit „rules based on a linking principle“ begeg­ neten.13 So wurde im Bericht Corporate Loss Utilisation through Aggressive Tax Planning aus dem Jahr 2011 den betroffenen Staaten geraten, entsprechende Verlustabzugsbeschränkungen in Betracht zu ziehen.14 Weitere Arbeiten führten zum Bericht über Hybrid Mismatch Arrangements: Tax Policy and Compliance Issues aus dem Jahre 2012, in wel­ chem die wesentlichen Merkmale von hybriden Gestaltungen ausgear­

10 OECD, Partnership Report, S. 29 ff. 11 Vgl. Avi-Yonah, TLR 2000, 167, 170 ff.; Rosenbloom, TLR 1999-2000, 137, 141 ff.; Avi-Yonah, BIT 2007, 130, 130 ff. 12 OECD, Adressing Tax Risks Involving Bank Losses, S. 64. 13 OECD, Adressing Tax Risks Involving Bank Losses, S. 57. 14 OECD, Corporate Loss Utilisation through Aggressive Tax Planning, S. 71 f. und S. 79.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

beitet wurden.15 Schon in diesem Bericht kam man zu dem Ergebnis, dass die Einführung von internationalen Korrespondenzregeln erstrebenswert sei, um dem Problem zu begegnen.16 Im November 2012 beauftragten die G20-Mitgliedstaaten die OECD da­ mit, Maßnahmen gegen die Aushöhlung der Steuerbasis und die Ge­ winnverlagerung zu erarbeiten – der Startschuss für das BEPS-Projekt. Einer der Gründe hierfür war die Erkenntnis, dass das nationale Steuer­ recht der jeweiligen Staaten nicht mit der internationalen wirtschaftli­ chen Entwicklung von grenzüberschreitenden Aktivitäten Schritt gehal­ ten hat.17 Wie in einem ersten Aktionsplan angekündigt18, ergingen sukzessive und unter ständiger Einbindung der Europäischen Kommissi­ on Abschlussberichte zu insgesamt 15 Themenkomplexen, welche man als Ursache für internationale Gewinnverkürzung und -verlagerung aus­ gemacht hat, darunter beispielsweise die Besteuerung der digitalen Wirt­ schaft (Aktionspunkt 1)19, die Gewinnkürzung durch Zinsaufwendungen (Aktionspunkt 4)20 oder der Einsatz schädlicher Steuerpraktiken (Akti­ onspunkt 5)21. Allen Berichten gemeinsam ist die übergeordnete Zielset­ zung, dass Gewinne dort besteuert werden sollen, wo die entsprechende wirtschaftliche Aktivität und damit auch die Wertschöpfung stattgefun­ den hat.22 Ebenfalls ist ihnen gemein, dass sie allenfalls eine politische, nicht jedoch eine rechtliche Bindungswirkung für die involvierten Staa­ ten entfalten.23 Es steht für die Bedeutung der Thematik, dass sich Aktionspunkt 2 mit dem Titel „Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen“ mit an

15 OECD, Hybrid Mismatch Arrangements: Tax Policy and Compliance Issues, S. 7 ff.; de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 17. 16 OECD, Hybrid Mismatch Arrangements: Tax Policy and Compliance Issues, S. 14 ff. In Betracht gezogen wurden auch eine Harmonisierung des Sachrechts und generelle wie spezielle Missbrauchsabwehrgeneralklauseln, dazu Staats, IStR 2014, 749, 750; de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 16. 17 Vgl. de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 16. 18 OECD, Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting; siehe dazu Bärsch/Quilitzsch/Schulz, ISR 2013, 358. 19 OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1 - 2015 Fi­ nal Report. 20 OECD, Limiting Base Erosion Involving Interest Deductions and Other Financial Payments, Action 4 - 2015 Final Report. 21 OECD, Countering Harmful Tax Practices More Effectively, Taking into Account Transparency and Substance, Action 5 - 2015 Final Report. 22 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 3; siehe dazu auch das G20 Leaders’ Communiqué Brisbane Summit, 15-16 November 2014, http:// www.consilium.europa.eu/media/23866/g20-leaders-communiqué-brisbane-summit-​ 15-16-november-2014.pdf (zuletzt abgerufen am 12.11.2021), Rn. 13. 23 Fehling, FR 2015, 817, 819 f.; Piltz, IStR 2015, 529, 530 f., der zudem eine „morali­ sche Bindungswirkung“ diskutiert.

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A.  Chronologischer Überblick

vorderster Stelle des BEPS-Projektes findet.24 Auch zeitlich wurde er als einer der ersten Punkte abgehandelt, was zunächst zur Veröffentlichung eines zweiteiligen Public Discussion Drafts25 und schließlich in einem Final Report mündete. Dieser wurde 2015 in englischer26 und 2017 in deutscher27 Sprachfassung veröffentlicht. Mit 486 Seiten übersteigt der Umfang den der anderen Aktionspunkte bei weitem und indiziert auf diese Weise die Komplexität der Thematik.28 Der Bericht teilt sich in Empfehlungen für innerstaatliches Recht und Empfehlungen zu Abkom­ mensfragen, welche die mehrfache Inanspruchnahme von Vorteilen aus Doppelbesteuerungsabkommen verhindern sollen29. Der erste der beiden Teile widmet sich dem innerstaatlichen Recht. Er bildet sowohl den Kern des Berichts als auch die Grundlage für die späte­ re ATAD II. Die Empfehlungen für das innerstaatliche Recht beziehen sich hauptsächlich auf Gestaltungen, welche durch den Einsatz von hy­ briden Finanzinstrumenten oder von hybriden Rechtsträgern ermöglicht werden.30 Da man die Gefahr der Umgehung dieser Empfehlungen durch den Einsatz von hybriden Betriebsstätten (statt hybriden Rechtsträgern) als Investitionsvehikel befürchtete, wurde der besagte Final Report im Jahr 2017 um einen weiteren, knapp einhundertseitigen Bericht ergänzt, welcher sich speziell mit sog. Branch Mismatches auseinandersetzt.31 Der zweite Teil des Berichts enthält Regelungsempfehlungen für das Ab­ kommensrecht und ergänzt deshalb Aktionspunkt 6 des BEPS-Projekts.32 Die Empfehlungen betreffen doppelt ansässige Rechtsträger (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA 2017)33 und hybride Rechtsträger (Art. 1 Abs. 2 OECD-MA 24 Kahlenberg, NWB 2015, 490, 490; Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 71. 25 OECD, Neutralise the Effects of Hybrid Mismatch Arrangements (Recommenda­ tions for Domestic Laws), BEPS Action 2 - Public Discussion Draft; hierzu Kahlenberg, Ubg 2014, 553; Schnitger/Weiss, IStR 2014, 508; OECD, Neutralise the Ef­ fects of Hybrid Mismatch Arrangements (Treaty Issues), BEPS Action 2 - Public Discussion Draft; hierzu Kahlenberg, Ubg 2014, 623; Schnitger/Oskamp, IStR 2014, 385. Zu beiden Diskussionsentwürfen Valta, ISR 2014, 249. 26 OECD, Neutralising the Effects of Hybrid Mismatch Arrangements, Action 2 - 2015 Final Report. 27 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen; hierzu Benz/Eilers, IS­ tR-Beih 2016, 1. 28 Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 253. 29 Der zweite Teil wird mangels Relevanz für die Auslegung der ATAD II nicht darge­ stellt. Weiterführend dazu Schnitger/Oskamp, IStR 2014, 385; siehe auch Kahlenberg, NWB 2015, 490, 495 ff.; Kahlenberg, Ubg 2014, 623; Kahlenberg/Kudert, SWI 2015, 52, 57 ff.; Valta, ISR 2014, 249, 253 ff. 30 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 20 Rn. 13. 31 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements. Hierzu Kahlenberg, IStR 2018, 93; Niemann, IStR 2018, 52 32 OECD, Verhinderung der Gewährung von Abkommensvergünstigungen in unange­ messenen Fällen, Aktionspunkt 6 – Abschlussbericht 2015. 33 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 153 f.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

2017)34. Um den Staaten eine Neuverhandlung ihrer Doppelbesteue­ rungsabkommen hinsichtlich der Ergebnisse des BEPS-Projektes zu er­ sparen, wurde das sog. Multilateral Instrument entwickelt.35 Deutsch­ land hat dieses unterzeichnet36, indes beide genannten Bestimmungen dabei für unanwendbar erklärt.37 Über diesen kursorischen Überblick hinaus geht die vorliegende Untersuchung nur insoweit auf die Abkom­ mensebene ein, wie sie für die Maßnahmen des innerstaatlichen Rechts, mithin den ersten Teil des Berichts und die spätere ATAD II, von Bedeu­ tung ist.38 Im Grundsatz stellt der zweite Teil des Berichts fest, dass die Maßnahmen auf Abkommensebene nicht mit denjenigen im innerstaat­ lichen Recht konfligieren.39

B. Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2 Es konnte gezeigt werden, dass der finale Bericht zu Aktionspunkt 2 des BEPS-Projektes die zentrale Publikation der OECD zum Themenkom­ plex der hybriden Gestaltungen darstellt. Er eignet sich daher nicht nur als Leitfaden für eine Darstellung der Funktionsweise von hybriden Ge­ staltungen. Auch bildet er die Basis der noch zu untersuchenden ATAD II der Europäischen Union. Er ist nach Erwägungsgrund 28 der ATAD II als Referenz zur Auslegung heranzuziehen. Für die Interpretation der späte­ ren Richtlinie ist eine Untersuchung der OECD-Empfehlungen deshalb unerlässlich.

I. Allgemeine Konzeption Im Folgenden werden zunächst die Grundgedanken des Berichts darge­ stellt und – wo erforderlich – diese anhand des Internationalen Steuer­ rechts kontextualisiert.

34 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 155 ff. 35 Dazu Glenk/Reif/Collet, BB 2017, 2649, 2649 ff.; Gradl/Kiesewetter, IStR 2018, 1, 1 ff.; Lehner, IStR 2019, 277, 279 ff.; Oppel, SteuerStud 2019, 518 Polatzky/Balliet/ Steinau, IStR 2017, 226, 226 ff.; Schön, IStR 2017, 681, 681 ff. 36 Der aktuelle Stand der Unterzeichner ist einsehbar unter https://www.oecd.org/ tax/treaties/beps-mli-signatories-and-parties.pdf (zuletzt abgerufen am 20. Septem­ ber 2020). 37 Schön, IStR 2017, 681, 685. 38 Vgl. etwa Kapitel 2 - B.II.2.b). 39 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 161 ff. insb. Rn. 438 und 445.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

1. Formen der Besteuerungsinkongruenzen Den Empfehlungen der OECD liegt ein ergebnisorientierter Ansatz zu­ grunde. Dies schlägt sich bereits im Titel des Berichts wieder: Es sollen die Effekte hybrider Gestaltungen neutralisiert werden. Ausgangspunkt ist deshalb immer das Ergebnis der jeweiligen Gestaltung. Dieses erweist sich als problematisch, wenn es sich als sog. Besteuerungsinkongruenz darstellt. Generell lassen sich hierunter Abweichungen vom Regelfall verstehen, bei dem eine Zahlung einmal steuermindernd beim Zahlungs­ leister und einmal steuererhöhend beim Zahlungsempfänger berücksich­ tigt wird oder, bezogen auf Einkünfte, diese einmal von einem Staat be­ steuert werden.40 Diese Abweichungen sind möglich, weil jeder Staat in seiner Steuergesetzgebung autonom ist.41 Der OECD-Bericht konkretisiert den Begriff der Besteuerungsinkongru­ enz weiter und fasst darunter zuvorderst sog. D/NI- sowie DD-Ergebnis­ se. Bei einem D/NI-Ergebnis wird die Zahlung in Staat A zwar als steuer­ lich abzugsfähige Betriebsausgabe behandelt (Deduction), jedoch beim Empfänger in Staat B nicht als ordentliche Einnahme erfasst (No Inclu­ sion). Dagegen liegt ein DD-Ergebnis vor, wenn ein Staat eine Zahlung als Betriebsausgabe anerkennt, die bereits in einem anderen Staat als sol­ che berücksichtigt wurde (Double Deduction)42. Bei genauerem Hinse­ hen sind auch Konstellationen erfasst, die zu einer doppelten Quellen­ steueranrechnung (Tax Credit/Tax Credit, kurz: TC/TC-Ergebnis), zu einer importierten Besteuerungsinkongruenz (indirektes D/NI-Ergebnis) oder auch zu einer Freistellung bei gleichzeitiger Nichtberücksichtigung (No Inclusion/No Taxation, kurz: NI/NT-Ergebnis43) führen. Die aufge­ griffenen Unterfälle einer Besteuerungsinkongruenz lassen sich unter dem Begriff einer doppelten Nichtbesteuerung zusammenfassen.44 Spiegelbildlich dazu stellt sich auch die sog. Doppelbesteuerung als eine Besteuerungsinkongruenz dar.45 Im Gegensatz zur doppelten Nichtbe­ steuerung führt diese zu einer höheren Steuerbelastung.46 Dabei spricht man von einer rechtlichen Doppelbesteuerung, wenn dasselbe Steuer­ subjekt mit seinen Einkünften in mehreren Staaten mit gleichartigen

40 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 20 Rn. 13 ff. 41 Vgl. Kofler, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 1, 2 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 5.5; Schön, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 109, 129. 42 Das Ergebnis wird gemeinhin auch als „Double Dip“ bezeichnet. 43 Hierfür könnte man auch den Begriff der „weißen Einkünfte“ verwenden. 44 Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 253. Zum Begriff Jankowiak, Doppelte Nichtbesteue­ rung im Internationalen Steuerrecht, S. 32 ff. 45 Beck, Qualifikationskonflikte im Internationalen Steuerrecht, S. 14. 46 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

Steuern belastet wird.47 Zu einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung kommt es dann, wenn zwar nicht dasselbe Steuersubjekt, immerhin je­ doch dasselbe Steuerobjekt von mehreren Staaten mit vergleichbaren Steuern belastet wird.48 Obwohl sich Doppelbesteuerung als ökonomisch nachteilhaft darstellt49 und von hybriden Gestaltungen hervorgerufen werden kann50, wird sie von den Empfehlungen nicht aufgegriffen. Sie wird, wie noch herauszuarbeiten sein wird, lediglich insoweit berück­ sichtigt, als dass sie durch die Anwendung der Empfehlungen nicht erst hervorgerufen werden soll.51 2. Ursachen der Besteuerungsinkongruenzen Besteuerungsinkongruenzen können vielfältige Ursachen haben.52 Oft­ mals lassen sich jedoch auf sog. Qualifikationskonflikte zurückführen.53 Trotz zahlreicher Systematisierungsversuche hat sich bislang kein ein­ heitliches Begriffsverständnis herausgebildet.54 Wohl auch deshalb formulieren die OECD-Empfehlungen den Begriff des Qualifikationskonflikts nie explizit als Anwendungsvoraussetzung. Vielmehr findet sich die allgemeine Ausführung, dass der Bericht nur solche Inkongruenzen behandelt, die auf einem „hybriden Element“ zur Erzielung des Ergebnisses beruhen.55 Die Empfehlungen werden diesbe­ züglich nicht sonderlich konkret. So wird bezüglich hybrider Finanzins­ trumente konstatiert, dass es sich als unmöglich erwiesen habe, diese abschließend zu definieren.56 Deshalb wird sich mit der Mindestanforde­ rung begnügt, dass die Besteuerungsinkongruenz „den Konditionen des Instruments zuzuschreiben ist“.57 Hinsichtlich Gestaltungen mit hybri­ den Rechtsträgern stellen die Empfehlungen immerhin auf die transpa­

47 Keuthen, Die Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung im EG-Binnen­ markt, S. 26 f. 48 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 3 f.; Schaumburg, Internatio­ nales Steuerrecht, Rn. 15.2 ff. 49 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 4 f. 50 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 63. 51 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 21 Rn. 15. 52 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 20 Rn. 13; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1259 (,,so vielfältig wie die zu­ grundeliegenden Steuerrechtsordnungen”). 53 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1258; Kaminskiy, Korrespon­ denzregelungen, S. 36 f. 54 Beck, Qualifikationskonflikte im Internationalen Steuerrecht, S. 214 ff.; Hannes, Qualifikationskonflikte im internationalen Steuerrecht, S. 37 ff.; Mössner, in: FS Frotscher, S. 461, 469 ff.; Schaden/Franz, Ubg 2008, 452, 452. 55 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 20 Rn. 13. 56 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 20 f. Rn. 14. 57 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 47 Rn. 91.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

rente oder intransparente Behandlung zu steuerlichen Zwecken ab.58 Auf weitere Hintergründe wird gleichwohl nicht eingegangen. Neben seiner fehlenden Relevanz als Anwendungsvoraussetzung erweist sich der Begriff des Qualifikationskonflikts ferner als ungeeignet, alle aufgegriffenen Gestaltungen zu systematisieren, da Inkongruenzen im Zusammenhang mit doppelt ansässigen Steuerpflichtigen unabhängig von einem Qualifikationskonflikt auftreten.59 Die folgende Darstellung der Ursachen von Besteuerungsinkongruenzen folgt deshalb den vier übergeordneten Themenbereichen, die von der OECD aufgegriffen wer­ den. Das sind zuvorderst hybride Finanzinstrumente und hybride Rechtsträger.60 Parallel zu den hybriden Rechtsträgern werden auch Be­ triebsstättenkonstellationen adressiert.61 Schließlich werden darüber hi­ naus Inkongruenzen bei der Steueransässigkeit aufgegriffen.62 Auch weil die OECD-Arbeiten bezüglich der Hintergründe nicht weiter in die Tiefe gehen, werden diese im Folgenden in ihren Grundzügen dargestellt. Der Begriff des Qualifikationskonflikts wird dabei eine zentrale Rolle einnehmen. Für Zwecke dieser Arbeit kann unter einem Qualifikations­ konflikt im weiteren Sinne verstanden werden, dass ein und derselbe Sachverhalt von verschiedenen Staaten eine unterschiedliche steuerliche Behandlung erfährt.63 Unter einem Qualifikationskonflikt im engeren Sinne versteht sich die unterschiedliche Subsumption eines steuerlichen Sachverhalts unter Verteilungsnormen eines Doppelbesteuerungsab­ kommens.64 Da in dieser Arbeit nationale Maßnahmen zur Bekämpfung von Besteuerungsinkongruenzen fokussiert werden, wird auf Qualifika­ tionskonflikte auf Abkommensebene nur insoweit hingewiesen, als sich in diesen Qualifikationskonflikte auf nationaler Ebene fortsetzen (sog. derivative Qualifikationskonflikte im engeren Sinne65).66 58 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 20 Rn. 13 sowie S. 65 Empfehlung 4.2. 59 Hier kommt es nicht zu einer abweichenden Einordnung der Gesellschaft in zwei verschiedenen Staaten. Vielmehr gehen beide Staaten davon aus, dass die Gesell­ schaft jeweils im Inland ansässig ist. Dabei wird die Gesellschaft von beiden Staa­ ten als Kapitalgesellschaft qualifiziert. Streng genommen handelt es sich deshalb auch nicht um eine „hybride Gestaltung“, vgl. Kahlenberg/Oppel, IStR 2017, 205, 213. 60 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 19 und 22. 61 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 30 Rn. 30 f. 62 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 89 ff. 63 Vgl. Mössner, in: FS Frotscher, S. 461, 469 ff. 64 Vgl. Lehner, in: Vogel/Lehner, DBA, Grundlagen des Abkommensrechts Rn. 96e; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 19.82. 65 Beck, Qualifikationskonflikte im Internationalen Steuerrecht, S. 239. 66 Deshalb nur der Hinweis darauf, dass sich auch originäre Qualifikationskonflikte im engeren Sinne ergeben können, vgl. Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 56 f.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

a) Hybride Finanzinstrumente Werden im Rahmen einer Gestaltung Finanzinstrumente eingesetzt, so können sich Besteuerungsinkongruenzen vor allem aufgrund unter­ schiedlicher Einordnung als Eigen- oder Fremdkapital ergeben. Überdies sind Zurechnungskonflikte möglich. aa) Begriffsannäherung Für hybride Finanzinstrumente existiert keine allgemeingültige Definiti­ on.67 Einigkeit besteht insoweit, als dass sich hierbei um Finanzierungs­ formen handelt, die idealtypische Züge sowohl von Eigen- als auch von Fremdkapital aufweisen.68 Bildlich wird mitunter von „mezzaninen“ Fi­ nanzinstrumenten gesprochen, da „il mezzanino“ im Italienischen das „Zwischenstockwerk“ bezeichnet.69 Bereits im deutschen Rechtsraum fehlt es mangels einer positivrechtli­ chen Definition an einem einheitlichen Verständnis für den Begriff des Eigenkapitals.70 Infolgedessen bereitet die Abgrenzung zum Fremdkapi­ tal mitunter Schwierigkeiten. Als typische Merkmale von Finanzinstru­ menten mit Eigenkapitalcharakter haben sich die Nachrangigkeit des überlassenen Kapitals, die Längerfristigkeit der Kapitalüberlassung71, eine gewinnabhängige Vergütung, Herrschaftsrechte des Kapitalgebers sowie – wohl entscheidend72 – die Teilnahme am Verlust herausgebil­ det.73 Spiegelbildlich sind für ein Finanzinstrument mit Fremdkapital­ charakter die Vor- oder Gleichrangigkeit gegenüber anderen Finanzinst­ rumenten, ein fester Rückzahlungszeitpunkt sowie eine feste Vergütung kennzeichnend.74 Finanzinstrumente können verschiedene dieser eigen- und fremdkapital­ typischen Merkmale auf sich vereinen (sog. strukturell hybride Finanzin­ strumente).75 Als Beispiele können hier qualifizierte Genussrechte, stille

67 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1269; Kahlenberg, IStR 2019, 636, 636. 68 Clemens, in: IFRS-Handbuch, 5. Aufl. 2016, § 12 Rn. 11; Jacobs, Internationale Un­ ternehmensbesteuerung, S. 1269; Kahlenberg, IStR 2019, 636, 636; Kuhn/Kubicki, in: Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. 12.124; Schrecker, Mezza­ nine-Kapital, S. 18 ff. 69 Schrecker, Mezzanine-Kapital, S. 18 70 Vgl. Hennrichs/Pöschke, in: HdJ, Bd. 2, Abt. III.1 Rn. 8; Schrecker, Mezzanine-Kapi­ tal, S. 39 ff. 71 Kritisch zu diesem Kriterium Schrecker, Mezzanine-Kapital, S. 59 ff. m.w.N. 72 Hennrichs/Pöschke, in: HdJ, Bd. 2, Abt. III.1 Rn. 20. 73 Ausführlich Thiele, Eigenkapital im handelsrechtlichen Jahresabschluß, S. 81 ff. Ferner Bogenschütz, Ubg 2008, 533, 535; IDW HFA 1/1994. 74 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1270. 75 Clemens, in: IFRS-Handbuch, 5. Aufl. 2016, § 12 Rn. 11 u. 13.

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Einlagen oder partiarische Darlehen angeführt werden.76 Auch können für sich genommen als Eigen- oder Fremdkapital einzuordnende Finanzinst­ rumente miteinander kombiniert werden (sog. zusammengesetzte Finan­ zinstrumente).77 Das sind beispielsweise Wandel- oder Optionsanleihen.78 Infolgedessen kann es bereits im deutschen Rechtsraum zu einer unter­ schiedlichen Einordnung in verschiedenen Rechtsgebieten kommen.79 Etwa können Finanzinstrumente nach den IFRS als Fremdkapital, im Handelsrecht jedoch als Eigenkapital einzuordnen sein.80 Auch im Steuer­ recht gilt über den Maßgeblichkeitsgrundsatz in § 5 Abs. 1 S. 1 HS 1 EStG zwar grundsätzlich die handelsrechtliche Einordnung des Finanzinstru­ ments.81 Durch steuerliche Sondervorschriften wie beispielsweise § 8 Abs. 3 S. 2 HS 2 KStG (sog. Genussrechts-Test) kann es gleichwohl zu ei­ ner abweichenden Behandlung kommen.82 Besonders qualifizierte Ge­ nussrechte und stille Einlagen erfreuten sich in der Vergangenheit nicht zuletzt deshalb großer Beliebtheit, weil die Kapitalnehmer bei handels­ rechtlichem Ausweis als Eigenkapital gleichzeitig steuerrechtlich die Ver­ gütungen für die Fremdkapitalüberlassung als Betriebsausgaben in Abzug bringen konnten.83 Gerade aus steuerlichen Gesichtspunkten nahmen in der Vergangenheit etwa Großbanken und Versicherungen ihre benötigten aufsichtsrechtlichen Eigenmittel durch solches Hybridkapital auf.84 Es verwundert nicht, dass gerade die steuerliche Einordnung dieser Finanzin­ strumente Gegengestand langjähriger Meinungsverschiedenheiten ist.85 bb) Objektiver Qualifikationskonflikt i.w.S. Ist eine unterschiedliche Einordnung von hybriden Finanzinstrumenten bereits in verschiedenen Rechtsgebieten des nationalen Rechts möglich, 76 Clemens, in: IFRS-Handbuch, 5. Aufl. 2016, § 12 Rn. 13; Jacobs, Internationale Un­ ternehmensbesteuerung, S. 1270. 77 Clemens, in: IFRS-Handbuch, 5. Aufl. 2016, § 12 Rn. 11 u. 14. Weiterführend Wiese/Dammer, DStR 1999, 867, 867 ff. 78 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1270; Schrecker, Mezza­nineKapital, S. 35 f. sowie S. 178 f. 79 Schrecker, Mezzanine-Kapital, S. 20 f. 80 Clemens, in: IFRS-Handbuch, 5. Aufl. 2016, § 12 Rn. 13. 81 BFH, Urt. v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532. 82 Fischer/Lohbeck, IStR 2012, 678, 679. 83 Vgl. Hennrichs/Schlotter, DB 2016, 2072; Schrecker, Mezzanine-Kapital, S. 25; Wolf, StuB 2017, 276. 84 Bogenschütz, Ubg 2008, 533, 536. 85 Zu qualifizierten Genussrechten siehe Hennrichs/Schlotter, DB 2016, 2072, 2073 ff.; Kleinmanns, BB 2016, 2543; Richter, DStR 2016, 2058; Stegemann, DStR 2016, 2151. Ferner FinMin NRW v. 18.7.2018, S 2133-000036-V B 1, FMNR2c​ 1400018. Vgl. vormals noch OFD Rheinland v. 14.12.2011, DStR 2012, 189; OFD NRW v. 12.5.2016, DB 2016, 1407. Zu stillen Einlagen siehe Hennrichs/Pöschke, in: HdJ, Bd. 2, Abt. III.1 Rn. 220 ff.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

so gilt dies erst Recht hinsichtlich verschiedener Rechtsordnungen im internationalen Kontext.86 Die Abgrenzung zwischen Eigen- und Fremd­ kapital folgt je nach Staat unterschiedlichen Kriterien.87 Damit sind hy­ bride Finanzinstrumente besonders aus steuerplanerischer Sicht von Re­ levanz.88 Angestrebt werden hier solche Konstellationen, in denen das Instrument im Staat des Kapitalnehmers als Fremdkapital und im Staat des Kapitalgebers als Eigenkapital qualifiziert werden. Auf diese Weise ist es grundsätzlich möglich, dass die Vergütungen für die Kapitalüber­ lassung beim Kapitalnehmer die Steuerbemessungsgrundlage mindern, während die korrespondierenden Einnahmen beim Kapitalgeber steuer­ begünstigt werden.89 In solchen Fällen handelt es sich um einen Qualifikationskonflikt im weiteren Sinne und in Bezug auf das Steuerobjekt. Er spielt sich zunächst bei der Einordnung des Sachverhalts ab: Das Finanzinstrument wird hier als Eigen- und dort als Fremdkapital eingeordnet. Dies zieht dann eine unterschiedliche materiell-rechtliche Behandlung nach sich: Fremdkapi­ talvergütungen mindern im Gegensatz zu Eigenkapitalvergütungen in der Regel die Bemessungsgrundlage des Schuldners. Nimmt man den Gläubiger in den Blick, so sind die empfangenen Eigenkapitalvergütun­ gen im Vergleich zu Fremdkapitalvergütungen in der Regel steuerbe­ günstigt. Beispiel 2:90 Eine in Deutschland ansässige GmbH gewährt ihrer niederländischen Tochterge­ sellschaft ein Darlehen, welches eine gewinnabhängige Vergütung sowie eine Laufzeit von 40 Jahren vorsieht. Die Kapitalrückzahlung ist von den stillen Reser­ ven der Tochtergesellschaft abhängig. Nach niederländischem Recht ist das Darlehen als Fremdkapital einzuordnen, da weder Gesellschaftsanteile vorliegen91 noch die Laufzeit mehr als 50 Jahre be­ trägt92. Nach deutschem Recht liegt hier Eigenkapital vor, da die Vergütung ge­ 86 Vgl. Herzig, IStR 2000, 482, 484 f.; Schanz/Maier, Ubg 2015, 282, 282. 87 Siehe etwa den Vergleich der Kriterien in Australien, Deutschland, Italien sowie Niederlanden in Bärsch/Spengel, Ubg 2013, 377, 378 ff. Zu Unterschieden zwi­ schen Luxemburg und Deutschland Kaltenberg, IStR 2012, 837, 838 ff. Weiterfüh­ rend Lühn, Bilanzierung und Besteuerung von Genussrechten, S. 251 ff.; Duncan, in: Tax treatment of hybrid financial instruments in cross-border transactions, CDFI 85a, S. 51, 60 f.; Schön/et.al., BTR 2014, 146, 146 ff. 88 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1271. 89 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1271 f.; Kuhn/Kubicki, in: Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. 12.124; Schanz/Maier, Ubg 2015, 282, 282. 90 Bärsch/Spengel, Ubg 2013, 377, 380 (dort Beispiel 1). 91 Vgl. Hoge Raad, Urt. v. 27.1.1988, Nr. 23919, BNB 1988, S. 217; Hoge Raad, Urt. v. 8.9.2006, Nr. 42015, BNB 2007, S. 104. 92 Vgl. Hoge Raad v. 11.3.1998, Nr. 32240, BNB 1998, S. 208; Hoge Raad, Urt. v. 25.11.2005, Nr. 40989, 40990, 40991, 40992, BNB 2006, S. 82.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2 winnabhängig ist, eine Beteiligung an den stillen Reserven vorliegt sowie die Lauf­ zeit mehr als 30 Jahre beträgt.93

cc) Zurechnungskonflikt Im internationalen Kontext können Finanzinstrumente nicht nur abwei­ chend eingeordnet, sondern auch abweichend zugeordnet werden. Es lie­ ße sich dann auch von einem Zurechnungskonflikt sprechen.94 Die Zurechnung von Wirtschaftsgütern folgt von Staat zu Staat mitunter verschiedenen Kriterien.95 Im deutschen Steuerrecht werden Wirtschafts­ güter grundsätzlich gem. § 39 AO dem zivilrechtlichen und ausnahms­ weise dem wirtschaftlichen Eigentümer zugerechnet. Im Ausland könn­ te derweil eine streng formale Betrachtung vorgenommen und deshalb ausschließlich auf das zivilrechtliche Eigentum abgestellt werden. Über­ dies sind unterschiedliche Kriterien denkbar, nach denen sich der Begriff des wirtschaftlichen Eigentums richtet.96 Die auftretenden Besteue­ rungsinkongruenzen können beispielsweise im Rahmen sog. Repo-Ge­ schäfte nutzbar gemacht werden.97 dd) Qualifikationskonflikte i.e.S. Schließlich können sich eben genannte Qualifikationskonflikte bei der Anwendung eines Doppelbesteuerungsabkommens fortsetzen.98 Dort entstehen dann Qualifikationskonflikte im engeren Sinne. Vorausset­ zung hierfür ist, dass die Staaten einer anwenderstaatsorientierten99 (und nicht etwa einer abkommensorientierten100) Auslegung der Doppelbe­ steuerungsabkommen folgen.101 Die Divergenz auf nationaler Ebene wird dann gleichsam in die Abkommensauslegung hineingetragen (sog. Inter­ nationalisierungseffekt).102 Wird eine Zahlung im Zusammenhang mit einem Finanzinstrument etwa in Staat A als Dividende und in Staat B als 93 Vgl. Bärsch/Spengel, Ubg 2013, 377, 378 f.; BMF, Schr. v. 8.12.1986, IV B 7 - S 2742 - 26/86, BB 1987, 667. Ferner Briesemeister, Hybride Finanzinstrumente im Er­ tragsteuerrecht, S. 126 ff. und S. 135 f. 94 Vgl. Lehner, in: Vogel/Lehner, DBA, Grundlagen des Abkommensrechts Rn. 181. 95 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1267. 96 Vgl. dazu BMF, Schr. v. 11.11.2016 – IV C 6 – S 2134/10/10003-02, BStBl. I 2016, 1324; BFH, Urt. v. 18.8.2015 – I R 88/13, BStBl. II 2016, 961. Siehe auch Haarmann, BB 2018, 1623. 97 Dazu noch Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(1)(b)(aa). Weiterführend Bogenschütz, Ubg 2008, 533, 542. 98 Vgl. Lehner, in: Vogel/Lehner, DBA, Grundlagen des Abkommensrechts Rn. 181c. 99 Kopec/Rothe, IStR 2015, 372, 377. 100 Gah/Wangler, IStR 2018, 817, 818. 101 Instruktiv zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen Anger/Wagemann, IStR 2014, 611. Im Bereich hybrider Finanzinstrumente eine Tendenz zur anwen­ derstaatsorientierten Auslegung feststellend, Herzig, IStR 2000, 482, 485. 102 Beck, Qualifikationskonflikte im Internationalen Steuerrecht, S. 237.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

Zinszahlung eingeordnet, so könnte deshalb in Staat A der Verteilungsar­ tikel für Dividenden (Art. 10 OECD-MA) und in Staat B der Verteilungs­ artikel für Zinsen (Art. 11 OECD-MA) zur Anwendung gelangen.103 b) Hybride Rechtsträger Hybride Rechtsträger werden dadurch charakterisiert, dass sie für steuer­ liche Zwecke unterschiedlich behandelt werden: Ein Staat behandelt den Rechtsträger transparent, während ihn ein anderer Staat intransparent behandelt.104 Das heißt, dass in einem Staat letztlich die Gesellschafter besteuert werden105, während im anderen Staat die Gesellschaft selbst besteuert wird106. aa) Unterschiedliche Steuersysteme Der Grund für eine unterschiedliche Behandlung der Gesellschaft kann zunächst allein in der Ausgestaltung der jeweiligen Steuersysteme lie­ gen. So können beide Staaten eine Gesellschaft als Personengesellschaft qualifizieren, daran jedoch unterschiedliche Folgen knüpfen.107 So wird in manchen Staaten ausschließlich eine zivilrechtliche Betrachtung vor­ genommen und davon ausgehend Kapitalgesellschaften intransparent, Personengesellschaften jedoch transparent besteuert.108 In anderen Rechts­ kreisen werden Personengesellschaften den juristischen Personen gleich­ gestellt und in der Folge ebenfalls intransparent behandelt.109 Wiederum andere Staaten gestehen der Gesellschaft ein Wahlrecht darüber zu, ob sie intransparent oder transparent behandelt wird (sog. „Elective Approach“110). Als klassisches Beispiel können hier das US-amerikanische „check the box“-Verfahren und seit 2021 § 1a KStG angeführt werden.111 In der Folge

103 Vgl. Herzig, IStR 2000, 482, 485 und das Beispiel bei Kaminskiy, Korrespondenzre­ gelungen, S. 57 f. 104 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 20 Rn. 13, S. 66 Rn. 140; Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 240; Marquardsen, StuW 2019, 374, 374. 105 Vgl. Hennrichs, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rn. 10.10 ff. 106 Vgl. Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rn. 11.1. 107 Prinz, FR 2018, 973, 974. 108 Dies trifft auf Großbritannien, Irland, Italien, Österreich und die Schweiz zu (sog. „Fixed Approach“), Hey/Bauersfeld, IStR 2005, 649, 654 ff. 109 Dies trifft auf Belgien, Portugal, Spanien und Griechenland zu, Hey/Bauersfeld, IStR 2005, 649, 656 ff.; Lüdicke, IStR 2011, 91; Spengel/Schaden/Wehrße, StuW 2010, 44, 46 ff. 110 Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 239 m.w.N. 111 Hey/Bauersfeld, IStR 2005, 649, 656 ff.; Müller-Gatermann/Strüder/Ludwig, FR 2020, 303, 303; Schildgen, in: US-Steuerreform - Der Tax Cuts and Jobs Act 2017, S. 137, 140 f.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

kann sich eine von Staat zu Staat unterschiedliche Behandlung der Ge­ sellschaft ergeben.112 bb) Subjektive Qualifikationskonflikte i.w.S. Darüber hinaus ist es möglich, dass die beteiligten Staaten die Gesell­ schaft abweichend qualifizieren (sog. subjektiver Qualifikationskonflikt) und es deshalb eine unterschiedliche steuerliche Behandlung erfährt.113 Wird eine Gesellschaft nach dem Rechtsstatut eines Staates gegründet und weist ihre Tätigkeit einen steuerlichen Bezug zu einem anderen Staat auf, so muss der andere Staat entscheiden, wie er diese Gesellschaft steuerlich behandelt. Im Zentrum steht dabei die Frage, ob die Gesell­ schaft ein eigenständiges Steuersubjekt darstellt (intransparente Besteu­ erung) oder nicht (transparente Besteuerung).114 Die Antwort auf diese Frage wird in verschiedenen Rechtssystemen auf verschiedene Art und Weise gefunden. So wird etwa in Deutschland ein zweistufiger Typenvergleich angestellt (sog. „Similarity Approach“115)116: Auf einer ersten Stufe wird an die zi­ vilrechtliche Wertung angeknüpft und die nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaft auf Ähnlichkeiten zu Organisationsformen des deutschen Zivilrechts überprüft.117 Liefert die zivilrechtliche Betrach­ tung keine klare Antwort, so gibt eine steuerrechtliche Betrachtung den Ausschlag118: Auf der zweiten Stufe wird das Gebilde dann einer steuer­ rechtlichen Bewertung unterzogen und auf dieser Basis schließlich ent­ schieden, ob es nach Personen- oder Kapitalgesellschaftsgrundsätzen zu besteuern ist. Der „Similarity Approach“ kann dazu führen, dass eine ausländische Gesellschaft nach deutschem Recht anders behandelt wird

112 Vgl. auch BMF, Schr. v. 29.9.2014 – IV B 5 – S 1300/09/10003, BStBl. I 2014, 1258. 113 Nach den US-Treasury Regulations Sec. 301.7701-1 ff. kann etwa eine LLC als sog. Eligible Entity wählen, ob sie intransparent oder transparent besteuert wird. Fer­ ner Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1274; Kempf/Loose/Oskamp, IStR 2017, 735, 735; Müller-Gatermann/Strüder/Ludwig, FR 2020, 303, 304 f. 114 Neu, in: Beck’sches Handbuch der Personengesellschaften, § 29 Rn. 33. 115 Kahlenberg, ET 2014, 152, 153; Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 239 m.w.N. 116 Siehe bereits RFH, Urt. v. 12.2.1930 – VI A 899/27, RStBl., 444. Ferner BFH, Urt. v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; BFH, Urt. v. 6.11.1980 – IV R 182/77, BStBl. II 1981, 220; BFH, Urt. v. 23.6.1992 – IX R 182/87, BStBl. II 1992, 972; BFH, Urt. v. 16.12.1992 – I R 32/92, BStBl. II 1993, 399. Zur Vorgehensweise in den Niederlanden Engelen/Schröder, Intertax 1998, 178, 178 ff. Zur Vorgehens­ weise im United Kingdom Popa, ET 2013, 299, 299 f. 117 Vgl. die Kriterien in BMF, Schr. v. 19.3.2004 – IV B 4 – S 1301 USA – 22/04, BStBl. I 2004, 411. 118 Neu, in: Beck’sches Handbuch der Personengesellschaften, § 29 Rn. 34.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

als nach dem Recht ihres Errichtungsstaats.119 Ein solcher „subjektiver Qualifikationskonflikt“ kann zu oben beschriebenen D/NI- oder DD-Er­ gebnissen führen. Solche Konstellationen werden vom OECD-Bericht aufgegriffen und später noch dargestellt. cc) Objektive Qualifikationskonflikte i.w.S. Darüber hinaus kann es bei der Besteuerung von Personengesellschaften zu weiteren Verwerfungen kommen, die letztlich eine Minder- oder Dop­ pelbesteuerung bewirken können. Die Besteuerung von Personengesell­ schaften zählt zu den komplexesten Materien des Internationalen Steu­ errechts.120 Die folgenden Probleme werden nicht vom Bericht der OECD aufgegriffen. Zunächst setzen sich subjektive Qualifikationskonflikte auch in der ob­ jektiven Qualifikation der Einkünfte fort. So kann der Steuersubjektkon­ flikt weiter dazu führen, dass ein Staat von einer Dividende einer Kapi­ talgesellschaft ausgeht, während der andere Staat denselben Vorgang als eine Entnahme aus einer Personengesellschaft betrachtet und deshalb nicht besteuert.121 Selbst ohne vorgelagerten Steuersubjektkonflikt, mithin einheitlicher Einordnung der Gesellschaft als Personengesellschaft, können sich noch Steuerobjektkonflikte ergeben. Verantwortlich hierfür ist aus deutscher Sicht vor allem das Konzept der Mitunternehmerschaft bzw. des Sonder­ betriebsvermögens.122 So kann Deutschland Zinsen, die ein Gesellschaf­ ter von seiner Gesellschaft für ein ihr überlassenes Darlehen erhält, als Sondervergütung nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 1 HS 2 EStG behandeln. Kennt das Ausland ein solches Konzept nicht, so erfolgt keine Umquali­ fizierung von Zinseinkünften in gewerbliche Einkünfte.123

119 Beispielsweise kann sich dies im Einzelfall für eine nach US-amerikanischen Recht gegründete Limited Liability Company (LLC) ergeben, Jacobs, Internatio­ nale Unternehmensbesteuerung, S. 1275 f.; Jacobsen, DStZ 2020, 201, 211. Wei­ terführend zur deutschen Einordnung einer UK Limited Liability Partnership Hoozemans, ET 2002, 72, 75 f. 120 Lang, IStR 2000, 129, 129 („Die literarische Behandlung der damit im Zusammenhang stehenden Probleme füllt mittlerweile fast Bibliotheken“); Lüdicke, IStR 2011, 91, 91; Prinz, FR 2018, 973, 973 ff.; Prinz, FR 2019, 597, 597 f.; Wacker, DStR 2019, 836. 121 Vgl. BMF, Schr. v. 26.9.2014 – IV B 5 – S 1300/09/10003, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 4.1.4; Müller-Gatermann/Strüder/Ludwig, FR 2020, 303, 304 f. 122 Hick, in: HHR, § 4i EStG Rn. 4; Kahlenberg, IStR 2018, 93, 97; Prinz, FR 2019, 597, 597 f. 123 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 55.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

dd) Qualifikationskonflikte i.e.S. Die unterschiedliche Behandlung von Einkünften schlägt ferner auf die Abkommensebene durch, wenn die Staaten einer anwenderstaatsorien­ tierten124 (und nicht etwa einer abkommensorientierten125) Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen folgen.126 Eine anwenderstaatsorien­ tierte Auslegung hat sich etwa in Deutschland durchgesetzt.127 Beispiels­ weise können deshalb erhaltene Zinsen als gewerbliche Einkünfte des Mitunternehmers qualifiziert und deshalb dem Anwendungsbereich von Art. 7 OECD-MA zugeordnet werden.128 Kennt der andere Staat das Kon­ zept des Sonderbetriebsvermögens nicht, so verlieren sie nicht ihren Charakter als Zinsen im Sinne von Art. 11 OECD-MA.129 c) Betriebsstättenkonstellationen Nicht nur Gesellschaftsformen, sondern auch Betriebsstätten können von Staat zu Staat unterschiedlich behandelt werden. Damit die OECD-Empfehlungen nicht schlicht durch die Wahl eines anderen Inves­ titionsvehikels umgangen werden können, wurde der Bericht zu Ak­ tionspunkt 2 um einen weiteren Bericht ergänzt, welcher sich exklu­ siv sog. Branch Mismatches widmet.130 Das (Nicht-)Bestehen einer Betriebsstätte entscheidet im Internationalen Steuerrecht über das Beste­ hen und die Aufteilung von Besteuerungsrechten.131 Dabei ist zwischen dem Betriebsstättenbegriff im nationalen Recht und demjenigen in Dop­ pelbesteuerungsabkommen zu unterscheiden.132 Der deutsche und der abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff unterscheiden sich etwa hinsichtlich Warenlagern, Ein- und Verkaufsstellen, Bauausführungen und Montagen sowie Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten.133

124 Kopec/Rothe, IStR 2015, 372, 377. 125 Gah/Wangler, IStR 2018, 817, 818. 126 Müller-Gatermann/Strüder/Ludwig, FR 2020, 303, 304. 127 BFH, Urt. v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760 – Rn. 16 bb); BFH, Urt. v. 21.1.2016 – I R 49/14, BStBl. II 2017, 107 – Rn. 29; BFH, Urt. v. 11.7.2018 – I R 44/16, BFH/NV 2019, 149 – Rn. 13, 16 u. 28; BMF, Schr. v. 26.9.2014 – IV B 5 – S 1300/09/10003, BStBl. I 2014, 1258, Tz. 4.1.4; Müller-Gatermann/Strüder/Ludwig, FR 2020, 303, 304; 128 Vgl. für Deutschland § 50d Abs. 10 EStG als Reaktion auf BFH, Urt. v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356 sowie BFH, Urt. v. 8.9.2010 – I R 74/09, BStBl. II 2014, 788. 129 Vgl. Müller-Gatermann/Strüder/Ludwig, FR 2020, 303, 306. 130 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements; Kahlenberg, IStR 2018, 93, 94.  131 Vgl. Becker, DB 1989, 10, 10; Bendlinger, IStR 2009, 521, 521; Reimer, IStR 2009, 378, 378. 132 Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, S. 6 f. 133 Vgl. § 12 AO und Art. 5 OECD-MA.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

Hinsichtlich der Relevanz einer Betriebsstätte kann zwischen sog. In­ bound-Konstellationen (inländische Betriebsstätte eines ausländischen Stammhauses) und sog. Outbound-Konstellationen (ausländische Be­ triebsstätte eines inländischen Stammhauses) unterschieden werden. aa) Inbound-Konstellation Entfaltet eine im Ausland ansässige Gesellschaft eine gewerbliche Tätig­ keit im Inland, so ist die Betriebsstätte das Anknüpfungsmerkmal der inländischen Besteuerung.134 Liegt sie vor, so ist die ausländische Gesell­ schaft im Inland beschränkt steuerpflichtig.135 Die Frage nach dem Beste­ hen einer Betriebsstätte ist zunächst allein nach nationalem Recht zu beurteilen.136 Im deutschen Recht ist die Betriebsstätte in § 12 AO gere­ gelt.137 Ferner ist danach zu fragen, ob das Abkommensrecht einer Wahrneh­ mung des Besteuerungsrechts entgegensteht.138 Nach Art. 7 Abs. 1 OECD-MA kann der Gewinn eines Unternehmens eines anderen Ver­ tragsstaates nur dann im Inland besteuert werden, wenn dort eine Be­ triebsstätte vorliegt. Diese Frage richtet sich nach dem abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriff in Art. 5 OECD-MA.139 Da dieser Begriff dort eigenständig und ohne Verweis auf das nationale Recht de­ finiert ist, ist er stets allein im Sinnzusammenhang des Abkommens auszulegen (sog. autonome oder auch abkommensorientierte Ausle­ gung).140 bb) Outbound-Konstellation Entfaltet eine im Inland ansässige Gesellschaft eine gewerbliche Tätig­ keit im Ausland, so gilt aus Sicht des Auslands zunächst das oben Gesag­ te. Dort ist der nationale und sodann der abkommensrechtliche Betriebs­ stättenbegriff zu prüfen. Aus Sicht des Inlands gilt Folgendes: Handelt es sich beim Stammhaus etwa um eine Körperschaft, so ist diese im Inland unbeschränkt steuer­ pflichtig.141 Nach dem Welteinkommensprinzip unterfallen deshalb auch 134 Gersch, in: Klein, AO, § 12 AO Rn. 1; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 6.1 ff. 135 Vgl. im deutschen Recht § 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) EStG sowie § 2 Nr. 1 KStG. 136 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 458. Vgl. Gersch, in: Klein, AO, § 12 AO Rn. 19. 137 Gersch, in: Klein, AO, § 12 AO Rn. 1. 138 Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 17.40. 139 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 459. 140 Lehner, in: Vogel/Lehner, DBA, Grundlagen des Abkommensrechts Rn. 113c ff. 141 Vgl. im deutschen Recht § 1 Abs. 1 KStG.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

im Ausland erwirtschaftete Einkünfte grundsätzlich der inländischen Besteuerung, ohne dass es einer anderweitigen Anknüpfung bedarf.142 Der nationale Betriebsstättenbegriff im Sinne des § 12 AO ist deshalb insoweit irrelevant. Wohl aber bleibt der abkommensrechtliche Betriebs­ stättenbegriff von Relevanz, um eine drohende Doppelbesteuerung der Einkünfte zu verhindern.143 Liegt nach Abkommensrecht eine Betriebs­ stätte vor, so sind bezüglich der ihr zuzuordnenden Einkünfte je nach DBA die Freistellungs- oder Anrechnungsmethode anzuwenden (vgl. Art. 23A u. 23B OECD-MA).144 Existiert dagegen kein Doppelbesteue­ rungsabkommen mit dem anderen Staat, so wird die Doppelbesteuerung unilateral vermieden (vgl. §§ 34c, 34d EStG sowie § 26 KStG).145 Zur Er­ mittlung der Entlastung stellen die Vorschriften auf den nationalen Be­ triebsstättenbegriff ab (vgl. § 34d Nr. 2 lit. a) EStG).146 cc) Potential für Besteuerungsinkongruenzen Besteuerungsinkongruenzen können sich nun etwa unter den folgenden zwei Gesichtspunkten ergeben. (1) Qualifikationskonflikt i.w.S. Erstens kann im grenzüberschreitenden Kontext die Frage, ob eine Be­ triebsstätte besteht, nach nationalem Recht unterschiedlich beantwortet werden.147 Zwar basiert der Betriebsstättenbegriff allgemein auf dem Leitbild einer nachhaltigen, standortbezogenen gewerblichen Betäti­ gung.148 Im Detail ergeben sich jedoch von Staat zu Staat Unterschiede. Beispielsweise können bestimmte Tätigkeiten in manchen Staaten zur Annahme einer sog. „Dienstleistungsbetriebsstätte“149 führen, während eine solche Möglichkeit im deutschen Steuerrecht nicht besteht.150 All­ gemein lässt sich formulieren, dass der Betriebsstättenbegriff in Indus­ 142 Vgl. Hummel, in: Gosch, KStG, § 1 Rn. 124. Zum sog. genuine link siehe Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 2.5.­ 143 Dazu kann es kommen, wenn im Ausland der dortige nationale Betriebsstätten­ begriff erfüllt ist und deshalb eine beschränkte Steuerpflicht entsteht. Dann kol­ lidieren Ansprüche aufgrund der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland und ­beschränkten Steuerpflicht im Ausland. Vgl. Schaumburg, Internationales Steuer­ recht, Rn. 2.3 ff. 144 Rombach, FR 2019, 167, 167. Weiterführend Keuthen, Die Vermeidung der juristi­ schen Doppelbesteuerung im EG-Binnenmarkt, S. 46 ff. 145 Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 17.40. Weiterführend Keuthen, Die Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung im EG-Binnenmarkt, S. 29 ff. 146 Wagner, in: Brandis/Heuermann, § 34d EStG Rn. 26. 147 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 458. 148 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 458. 149 Hierzu Bendlinger, IStR 2009, 521, 522 ff.; Reimer, IStR 2009, 378, 378 ff. 150 Ditz/Quilitzsch, FR 2012, 493, 494 ff.; Kahlenberg, IStR 2018, 93, 96 f. Vgl. FG München, Urt. v. 31.5.2017 – 9 K 3041/15, IStR 2017, 749; FG Düsseldorf,

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

trieländern vergleichsweise eng gefasst ist, während er vom Steuerrecht sog. Entwicklungsländer tendenziell weit verstanden wird, um so eine umfassende Quellenbesteuerung zu erreichen.151 Mitunter wird erst gar nicht dem Betriebsstättenkonzept gefolgt. Prominentes Beispiel und eine Ausnahme unter den Industriestaaten hierfür sind die USA, welche statt­ dessen sog. „Doing-business-Konzepte“ anwenden.152 (2) Einkünftezuordnung Zweitens können, auch wenn einheitlich von einer Betriebsstätte ausge­ gangen wird, Aufwendungen wie auch Erträge abweichend zugeordnet werden. So kann ein Staat eine Zahlung dem Stammhaus, ein anderer Staat dieselbe Zahlung der Betriebsstätte zuordnen. Solche Konflikte er­ geben sich auf Ebene des nationalen Rechts und setzen sich in der Ab­ kommensanwendung fort.153 Doppelbesteuerungsabkommen enthalten nämlich keine konstitutiven Zurechnungsentscheidungen, sondern mo­ difizieren allenfalls solche des nationalen Rechts.154 Auf internationaler Ebene wurden beträchtliche Bemühungen angestellt, um die Abgren­ zung des Gewinns zwischen Betriebsstätte und Stammhaus zu verein­ heitlichen.155 Diese resultierten schließlich im sog. Authorized OECD Approach (AOA).156 Der AOA beruht maßgeblich auf dem Gedanken ­eines Fremdvergleichs und fingiert zu diesem Zwecke die Selbständig­ keit der (zivilrechtlich eigentlich unselbständigen) Betriebsstätte, sog. Functionally Separate Entity Approach.157 Er wurde einerseits (noch) nicht in alle DBA übernommen158 und andererseits uneinheitlich in die Urt. v. 19.1.2016 – 13 K 952/14 E, BeckRS 2016, 94318; BFH, Urt. v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922. 151 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 458 f. 152 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 458 (dort Fn. 2). 153 Kahlenberg, IStR 2018, 93, 97; Lang, IStR 2012, 857, 858 f. Vgl. auch OECD, Neu­ tralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 16 Rn. 9. 154 Lehner, in: Vogel/Lehner, DBA, Grundlagen des Abkommensrechts Rn. 181b. Vgl. auch BFH, Urt. v. 8.7.1998 – I R 57/97, BStBl. II 1998, 672, 674 („Diese Möglichkeit der autonomen Abkommensauslegung versagt jedoch in Bereichen, zu denen die Abkommen regelmäßig schweigen, wie namentlich im Hinblick auf die Fragen nach Steuersubjekt und Steuerzurechnung, nach der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, aber auch der Art und Weise, in der der Steueranspruch durchzusetzen ist […]“) 155 OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 17 July 2008; OECD, Bericht über die Zurechnung von Gewinnen zu Betriebsstätten von 2010. 156 Vgl. Art. 7 OECD-MA. Dazu Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, S. 38 ff. 157 Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, S. 16 ff. sowie S. 39 ff. 158 In die DBA Japan und Australien wurde der AOA etwa bewusst nicht aufgenom­ men. Nürnberg, in: Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Authorized OECD Approach (AOA) Rn. 10 und 25. 

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

jeweiligen nationalen Rechtssysteme überführt.159 Nach wie vor kann deshalb etwa ein unterschiedliches Verständnis der wirtschaftlichen Ver­ anlassung zu einer unterschiedlichen Zuordnung von Aufwendungen und Erträgen führen.160 Ebenso kann auf Basis des AOA uneinheitlich eine Ausgleichszahlung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte fingiert werden, um so eine fremdvergleichskonforme Behandlung sicherzustel­ len.161 d) Inkongruenzen bei der Steueransässigkeit Auslöser für Besteuerungsinkongruenzen können schließlich die Kriteri­ en zweier Staaten für die steuerliche Ansässigkeit von Gesellschaften sein.162 So kann etwa Staat A die Rechtsverhältnisse einer Gesellschaft nach dem Recht, nach welchem sie errichtet ist (sog. Gründungstheorie) und Staat B nach dem Recht am Ort des effektiven Verwaltungssitzes (sog. Sitztheorie) bestimmen.163 Veranschaulichen lässt sich dies am Bei­ spiel Deutschland und Österreich. So stellt § 1 Abs. 1 KStG für die unbe­ schränkte Steuerpflicht alternativ darauf ab, ob die Körperschaft „[…] ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland […]“ hat. Ebenso sind in Österreich gem. § 1 Abs. 2 öKStG solche Körperschaften unbeschränkt steuerpflichtig, „[…] die im Inland ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz […] haben“. Fallen nun der Ort des Gesellschaftssitzes und der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung auseinander, wird die Körperschaft so­ wohl in Deutschland als auch in Österreich zur unbeschränkten Steuer­ pflicht herangezogen.164

159 Vgl. die deutsche Umsetzung in § 1 Abs. 5 und Abs. 6 AStG, die Betriebsstättenge­ winnaufteilungsverordnung sowie BMF, Schr. v. 22.12.2016 – IV B 5 – S 1341/12/10001 – 03, BStBl. I 2017, 182 („Verwaltungsgrundsätze Betriebsstätten­ gewinnaufteilung“). Hierzu Dombrowski/Sommer/Dahle, IStR 2016, 109, 110 ff.; Nientimp/Schwarz/Stein, IStR 2016, 487, 488 ff.; Schoppe, IStR 2016, 615, 617 f.; Leonhardt, IStR 2019, 677, 678 ff. 160 Kahlenberg, IStR 2018, 93, 97. Instruktiv zur wirtschaftlichen Veranlassung ­Wacker, BB 2018, 2519. 161 Vgl. die sog. „Dealings“ in § 16 BsGaV. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 16 f. Rn. 10 ff. Kahlenberg, IStR 2018, 93, 98 f.; Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9b Rn. 49 f. 162 Das historische Beispiel für Inkongruenzen bei der Steueransässigkeit stellt die sog. „Delaware link company“ dar, Niemann, Doppelte Verlustberücksichtigung, S. 22 f. 163 Vgl. Grotherr, BB 2017, 1367, 1377; Kahlenberg, NWB 2015, 490, 494; Kofler/Kofler, in: FS Djanani, S. 381, 388; Rust, BTR 2015, 308, 321; Seibold, IStR 2003, 45, 45 f. 164 Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9b Rn. 49 f.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

3. Neutralisierung der Besteuerungsinkongruenzen Die Antwort der OECD auf die auftretenden Besteuerungsinkongruen­ zen stellt die flächendeckende Einführung von Korrespondenzregeln (sog. Linking Rules) dar. Mittels dieser Regeln wird die steuerliche Be­ handlung eines Steuerpflichtigen im einen Staat von der steuerlichen Be­ handlung des anderen Steuerpflichtigen im anderen Staat abhängig ge­ macht. Vereinfacht soll durch ihren Einsatz ein Steuervorteil in Staat A nur gewährt werden, wenn diesem ein Nachteil in Staat B korrespon­ diert. Auf diese Weise sollen die Effekte von hybriden Gestaltungen neu­ tralisiert werden, ohne dass sich weitere Auswirkungen auf das jeweilige Steuersystem ergeben.165 Teilweise findet sich neben der allgemeinen auch eine spezifische Emp­ fehlung. Ihr Zweck geht weiter als der der allgemeinen Empfehlung: Statt erst bei den Besteuerungskonsequenzen anzusetzen, wird hier schon beim nationalen Steuersystem angesetzt. Dabei wird versucht, die Behandlung der Gestaltung mit den steuerpolitischen Zielsetzungen in Einklang zu bringen, welche allgemein im rein innerstaatlichen Kontext gelten. Mit anderen Worten soll hier dafür gesorgt werden, dass Besteue­ rungsinkongruenzen bei Anwendung der allgemein gültigen Normen in einem Staat erst gar nicht auftreten. Aus diesem Motiv ergibt sich der Anwendungsvorrang der spezifischen Empfehlungen gegenüber den allgemeinen Regeln.166 Es wird spezifisch an das bereits bestehende Steu­ ersystem, beispielsweise an Dividendenfreistellungen oder die transpa­ rente Besteuerung bestimmter Rechtsformen, angeknüpft und seine Mo­ difizierung vorgeschlagen.167 4. Zwischenergebnis Den Empfehlungen der OECD liegt ein ergebnisorientierter Ansatz zu­ grunde. Aufgegriffen werden Besteuerungsinkongruenzen, vornehmlich in Gestalt von D/NI- und DD-Ergebnissen. Ferner lässt sich ursachenbe­ zogen zwischen hybriden Finanzinstrumenten, hybriden Rechtsträgern, Betriebsstättenkonstellationen sowie Inkongruenzen bei der Steueran­ sässigkeit unterscheiden. Zur Neutralisierung der Besteuerungsinkon­ gruenzen werden sog. Linking Rules vorgeschlagen. Soweit vorhanden, gehen ihnen die spezifischen Empfehlungen vor.

165 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 18 Rn. 4. 166 So auch Kahlenberg, NWB 2015, 490, 491, welcher die spezifische Empfehlung als „vorgelagerte Maßnahme“ beschreibt; Staats, IStR 2014, 749, 752. 167 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 53 ff. insb. Rn. 104 sowie S. 75 Rn. 174 f.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

II. Empfehlungen zur Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen Nachfolgend werden die gängigen Konstellationen hybrider Gestaltun­ gen dargestellt. Dabei wird die durch die OECD vorgenommene Katego­ risierung nach D/NI- und DD-Ergebnissen beibehalten. Im Mittelpunkt steht dabei jeweils die allgemeine Regel. Den Ausführungen wird stets ein Beispiel vorangestellt, anhand dessen der Anwendungsbereich der Empfehlung sowie die vorgeschlagene Maßnahme zur Neutralisierung erläutert wird. Bei den spezifischen Empfehlungen handelt es sich streng genommen nicht um Maßnahmen zur Neutralisierung, sondern um solche Vermei­ dung von Besteuerungsinkongruenzen. Wo vorhanden, werden sie daher gesondert und im Anschluss an die allgemeine Empfehlung dargestellt. Schließlich haben Gestaltungen mit hybriden Rechtsträgern stets auch ein „Betriebsstättenpendant“, welches sich aus dem später erschienen Bericht zu den sog. Branch Mismatches ergibt.168 Die diesbezüglichen Empfehlungen gleichen jenen aus dem ursprünglichen Bericht zu Ak­ tionspunkt 2. Wo auf eine Betriebsstättenkonstellation einzugehen ist, erfolgt die Darstellung deshalb in gestraffter Form und im Anschluss an die gerade genannten allgemeinen wie spezifischen Empfehlungen. 1. Deduction/No Inclusion-Ergebnisse Ein D/NI­ Ergebnis entsteht, wenn eine Zahlung nach den Rechtsvor­ schriften eines Staats als vollständig oder teilweise steuerlich abzugsfä­ hig behandelt wird, ohne dass der Betrag des Abzugs in einem anderen Staat als ordentliche Einnahme erfasst wird.169 Sowohl für die Abzugsfähigkeit als auch für die Berücksichtigung als or­ dentliche Einnahme ist dabei auf die abstrakte Behandlung des Vorgangs nach den Rechtsvorschriften des jeweils anderen Staats abzustellen.170 Es kommt auf die zu erwartende steuerliche Behandlung an.171 Die tatsächliche Behandlung im Rahmen der Veranlagung ist dagegen irrelevant. Dies passt zu der Zielsetzung, die Rechtsvorschriften der Staaten (und nicht etwa die Veranlagungsverfahren) aufeinander abzustimmen.172 Von der Vorgehensweise erhofft sich die OECD geringeren Aufwand für den Steuerpflichtigen und die Steuerverwaltung, welche dann nicht den ge­

168 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 30 Rn. 30 f. 169 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 20 Rn. 10. 170 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 72 Rn. 165. 171 Etwa OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 30 Rn. 29. 172 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 18 Rn. 4.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

nauen Steuerstatus des Kontrahenten kennen müssen.173 Überdies ist diese abstrakte Ermittlung der steuerlichen Behandlung wichtig für die Anwendungsreihenfolge der vorrangigen Maßnahme und der Abwehrre­ gel. Stellt man nämlich auf die tatsächliche Behandlung des Vorgangs ab, so führte eine Besteuerungsinkongruenz zu einer Art „first come, first serve“-Situation, in welcher die Abwehrregel noch vor der vorrangigen Maßnahme Anwendung finden könnte: Führt der Staat des Zahlungsleis­ ters die Veranlagung erst spät durch, so könnte inzwischen der Staat des Zahlungsempfängers zu der Auffassung gelangen, dass der Staat des Zah­ lungsleisters die Inkongruenz nicht neutralisiere und deshalb die Ab­ wehrregel anzuwenden sei. Wird danach noch zusätzlich die vorrangige Maßnahme angewendet, droht gar eine Doppelbesteuerung.174 Eine ab­ strakte rechtliche Betrachtung auf beiden Seiten verhindert Konfusion bei der Anwendung der Linking Rules und ist daher zu begrüßen. Als ordentliche Einnahmen werden grundsätzlich nur solche angesehen, welche dem vollen Grenzsteuersatz des Steuerpflichtigen unterliegen und dabei für keinerlei Steuererleichterung in Frage kommen.175 Deshalb begründet eine Zahlung auch dann eine Inkongruenz, wenn der Staat des Zahlungsempfängers die Zahlung mit einem Steuersatz besteuert, der niedriger ist als der auf die ordentlichen Einnahmen erhobene volle Grenzsteuersatz.176 Dies steht freilich unter der Bedingung, dass die übri­ gen Voraussetzungen der jeweiligen Empfehlung vorliegen. Insbesondere muss sich das hybride Element als ursächlich für die Niedrigbesteuerung erweisen.177 Eine generell niedrige Besteuerung, welche schlicht durch die Unabgestimmtheit der Steuersätze entsteht, vermögen die Linking Rules deshalb nicht zu erfassen.178 Für einen Abzug muss die Zahlung als gesonderter abzugsfähiger Posten behandelt werden.179 Der Begriff der „Zahlung“ impliziert bereits eine Liquiditätswirksamkeit des Vorgangs. Deshalb werden im Falle von D/NI-­ Ergebnissen die durch Anschaffung von Investitionsgütern entstandene Kosten und Abschreibungen auf materielle oder immaterielle Vermö­

173 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 31 Rn. 33. 174 Vgl. die Erwägungen bei Schnitger, IStR 2017, 214, 216. 175 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 30 f. Rn. 32. 176 Dies soll unabhängig davon gelten, in welcher Form die Steuererleichterung (z.B. Nichtberücksichtigung, Steuerbefreiung, ermäßigte Steuersätze oder Steueran­ rechnung) gewährt wird, OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltun­ gen, S. 34 Rn. 41 und S. 145 Rn. 414. 177 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 36 f. Rn. 51 f. 178 Zu pauschal ist jedoch die Feststellung, dass die Anwendung der Linking Rules stets ausscheidet, sobald die Einkünfte in die Steuerbemessungsgrundlage einbe­ zogen werden, Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 256. 179 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 30 Rn. 30.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

gensgegenstände nicht als Abzug erfasst.180 Anders als etwa DD-Er­ gebnisse, welche auch aus nicht liquiditätswirksamen Aufwandsposten wie insbesondere Abschreibungen resultieren können, drohen D/NI-Er­ gebnisse regelmäßig nur, wenn eine tatsächliche Wertübertragung vor­ liegt.181 Eine Zahlung gilt als in einem anderen Staat erfasst, wenn es zu einer Anpassung im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung gekommen ist.182 Die Regeln zur Neutralisierung hybrider Gestaltungen erweisen sich damit insoweit als nachrangig.183 a) Hybride Finanzinstrumente Zu den relevantesten Gruppen hybrider Gestaltungen sind solche zu zäh­ len, welche mittels hybrider Finanzinstrumente errichtet werden.184 Ent­ sprechend werden diese im OECD-Bericht an vorderster Stelle behan­ delt. aa) Allgemeine Regel Zunächst erfolgt eine Darstellung der allgemeinen Regel für hybride Fi­ nanzinstrumente. (1) Sachlicher Anwendungsbereich In die Fallgruppe der hybriden Finanzinstrumente fallen zunächst „Zah­ lungen im Rahmen eines hybriden Finanzinstruments“. Neu im Ver­ gleich zum Public Discussion Draft sind die Ausführungen zu den sog. „hybriden Übertragungen“. (a) Zahlung im Rahmen eines hybriden Finanzinstruments Zahlungen im Rahmen eines hybriden Finanzinstruments lassen sich anhand des folgenden Beispiels veranschaulichen. Im Anschluss werden die einzelnen Voraussetzungen erläutert. 180 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 59 Rn. 121. 181 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 124; Mechtler, Hybrid Mismachtes im Ertragsteuerrecht, S. 432. 182 Siehe dazu das Beispiel in Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 214. 183 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 32 Rn. 37 ff. sowie S. 68 f. Rn. 150 f. Dazu Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 46 f. 184 Vgl. Rosembuj, Intertax 2011, 234; de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 19 ff.; Kahlenberg, NWB 2015, 490, 491; Kahlenberg/Kudert, SWI 2015, 52, 53 f.; Rust, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 89, 90 f.; Staats, IStR 2014, 749, 752; Valta, ISR 2014, 249, 251.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD Beispiel 3a: Die im Staat A ansässige A-Co hat ein Genussrecht an ihre in Staat B ansässige Tochtergesellschaft B-Co ausgegeben. Beide Gesellschaften werden von den Staa­ ten A und B steuerlich intransparent behandelt. Das Genussrecht wird im Staat A als Eigenkapital, in Staat B jedoch als Fremdkapital qualifiziert.185 Grundsätzlich sind damit von der B-Co an die A-Co ausgezahlte Vergütungen auf das Genussrecht bei der B-Co steuerlich als Betriebsausgabe abziehbar. Bei der A-Co erfolgt auf­ grund des Eigenkapitalcharakters eine Freistellung des Ertrags.186 Im Ergebnis mindert die Zahlung der B-Co dessen Gewinn (Deduction), während die korres­ pondierende Einnahme der A-Co den Gewinn dort nicht erhöht (No Inclusion)187.

Abbildung 2:  Zahlung im Rahmen eines hybriden Finanzinstruments

In sachlicher Hinsicht soll die Regel für hybride Finanzinstrumente dann zur Anwendung gelangen, wenn eine Zahlung im Rahmen eines Finanz­ instruments getätigt wird.188 Als Finanzinstrumente erachtet die OECD „Gestaltungen, die sowohl nach den Rechtsvorschriften des Staats des Zahlungsempfängers als auch nach den Rechtsvorschriften des Staats des Zahlungsleisters gemäß den Regeln für die Besteuerung von Fremdkapital, Eigenkapital oder Derivaten besteuert werden […]“.189 Wodurch ein Finanzinstrument aber nun hybrid wird, geht aus dem Bericht nicht hervor. Geschuldet ist dies der großen Vielzahl an Finanzinstrumenten und den Möglichkeiten ihrer steuerrechtlichen Qualifizierung. Ange­ sichts dessen scheine es unmöglich, vorab alle Finanzinstrumente zu identifizieren, welche sich zur Herbeiführung von hybriden Besteue­ 185 Zu den Ursachen Kapitel 1 - B.I.2.a)bb). 186 Vgl. etwa § 8b Abs. 1 S. 1 KStG. Auch eine nur teilweise Freistellung des Ertrages würde insoweit zu einer Besteuerungsinkongruenz im Sinne der OECD führen, OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 192 ff. Beispiel 1.2. 187 Vorbehaltlich einer dem § 8b Abs. 1 S. 2 KStG entsprechenden Regelung. 188 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 147 Rn. 423 f. 189 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 25.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

rungsinkongruenzen eignen.190 Statt deshalb ein hybrides Finanzinstru­ ment abschließend zu definieren, stellt die OECD darauf ab, ob zu erwar­ ten ist, dass der Einsatz des Finanzinstruments ein D/NI-Ergebnis herbeiführt.191 Der bereits angesprochene ergebnisorientierte Ansatz der OECD-Empfehlungen kommt hier klar zum Ausdruck.192 Doch soll keinesfalls jede Besteuerungsinkongruenz in Form eines D/NI-­ Ergebnisses neutralisiert werden. Vielmehr muss es sich auch um eine hybride Besteuerungsinkongruenz handeln; die Inkongruenz muss auf die Konditionen des Finanzinstruments zurückzuführen sein.193 Positiv formuliert ist dies insbesondere dann der Fall, wenn das Finanzinstru­ ment idealtypische Züge sowohl von Eigen- als auch von Fremdkapital aufweist.194 Negativ formuliert darf das Ergebnis nicht aus dem besonde­ ren Status des Zahlungsleisters oder -empfängers resultieren. Dies lässt sich am Beispiel der Zahlung an eine steuerbefreite Betriebsstätte ver­ deutlichen. Beispiel 3b:195 Hier vergibt die im Staat A ansässige A-Co über eine Betriebsstätte in Staat B ein Darlehen an die C-Co, welche im Staat C ansässig ist. Die Zinszahlungen der C-Co werden im Staat C steuermindernd als Betriebsausgaben berücksichtigt. Im Staat A werden die Einnahmen der A-Co, welche über eine ausländische Betriebs­ stätte bezogen werden, aufgrund einer abkommensrechtlichen Freistellungsver­ pflichtung nicht berücksichtigt.196 Auch in Staat B wird die Zahlung letztlich nicht erfasst, da sie dort als Dividende eingeordnet wird und infolgedessen von der Steuer freigestellt wird. Damit liegt sowohl aus Sicht des Staates A als auch des Staates B eine Besteuerungsinkongruenz vor (Deduction in Staat C/No Inclusion in Staat A und B). Jedoch fragt sich, aus wessen Sicht eine hybride Besteuerungs­ inkongruenz vorliegt, welche in den Anwendungsbereich der Regel für hybride Finanzinstrumente fällt. Aus Sicht des Staates B liegt eine solche vor, denn dort wird die Einnahme der Betriebsstätte deshalb nicht berücksichtigt, weil die Zin­ sen auf das Darlehen als steuerbefreite Dividende (also als Eigenkapitalinstru­ ment) behandelt werden. Die Inkongruenz resultiert dann aus der unterschiedli­ chen Behandlung des Finanzinstruments in Staat B (steuerfreie Dividende) und Staat C (abzugsfähige Betriebsausgaben). Dagegen ist eine hybride Besteuerungsin­ kongruenz aus Sicht des Staates A zu verneinen, denn es träte keine Inkongruenz auf, wenn die A-Co die Zahlung direkt und nicht über den Umweg der Betriebs­ stätte in Staat B beziehen würde. Die Inkongruenz ist dann auf die Umstände zu­ rückzuführen, unter welchen das Finanzinstrument gehalten wird und nicht auf

190 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 28 Rn. 20. 191 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 28 Rn. 20. 192 Siehe bereits Kapitel 1 - B.I.1. 193 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 36 f. Rn. 51 f. 194 Siehe bereits Kapitel 1 - B.I.2.a)bb). Weiterführend Bärsch/Spengel, Ubg 2013, 377, 377; Bogenschütz, Ubg 2008, 533, 533; Rosembuj, Intertax 2011, 234, 234. 195 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 213 ff. Beispiel 1.8. 196 Vgl. Art. 23A OECD-MA.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD das Finanzinstrument selbst.197 Obgleich es sich aus Sicht des Staates A sowohl um ein Finanzinstrument als auch eine Besteuerungsinkongruenz handelt, findet die Regel für hybride Finanzinstrumente dort keine Anwendung.

Abbildung 3:  Zinszahlung an eine steuerbefreite Betriebsstätte

Die Besteuerungsinkongruenz muss folglich stets auf die unterschiedli­ che steuerliche Behandlung, daher auf die abweichende Qualifikation des Finanzinstruments nach den Rechtsvorschiften verschiedener Staa­ ten zurückzuführen sein. Dem folgend ist ein D/NI-Ergebnis etwa unbe­ achtlich, wenn der Zahlungsempfänger eine steuerbefreite Person ist198 oder er in einem Staat (i) mit einem rein territorialen199 oder (ii) ohne Steuersystem200 ansässig ist, sodass dort im Ergebnis Einkünfte aus einer ausländischen Quelle nicht besteuert werden. Ebenso unbeachtlich ist es im Grundsatz, wenn Einkünfte aus einem Finanzinstrument im Staat des Zahlungsempfängers in einer gesonderten Schedule zu einem niedri­ geren Steuersatz besteuert werden.201 Dann käme nämlich jedes Finan­ 197 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 214 Rn. 4. 198 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 207 ff. Beispiel 1.5.  199 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 211 f. Beispiel 1.7. 200 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 210 Beispiel 1.6. 201 Vgl. hierzu sog. Patentboxen, Englisch, StuW 2017, 331, 332 f.; Evers/Miller/Spengel, ZEW Discussion Paper No. 13-070, abrufbar unter http://ftp.zew.de/pub/zewdocs/dp/dp13070.pdf (zuletzt abgerufen am 12.11.2021); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 152.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

zinstrument in den Genuss des Steuervorteils.202 Anders liegt der Fall jedoch dann, wenn die Einnahmen aus einem Finanzinstrument nur aufgrund der abweichenden Qualifikation dem günstigeren Steuersatz un­ terliegen, etwa wenn im Eingangsbeispiel die Zahlung im Staat A nicht gänzlich steuerfrei gestellt, sondern lediglich ermäßigt besteuert wird.203 Schließlich begründen rein zeitliche Abweichungen bei der Erfassung der Zahlung kein D/NI-Ergebnis, wenn davon auszugehen ist, dass die Zah­ lung voraussichtlich innerhalb eines vertretbaren Zeitraums als Einnah­ me berücksichtigt werden wird.204 Ein zeitlicher Korridor von 12 Mona­ ten wird insoweit als unschädlich erachtet.205 (b) Hybride Übertragungen Auch sog. hybride Übertragungen werden vom Bericht als Finanzinstru­ mente behandelt.206 Hybride Gestaltungen sind solche zur Übertragung eines Finanzinstruments, die in mehreren Staaten zu unterschiedlichen Auffassungen darüber führen, wem die im Rahmen der Übertragung ge­ tätigten Zahlungen zuzurechnen sind.207 Besonders im Bankengeschäft sind diese von großer praktischer Bedeutung.208 (aa) Repo-Geschäfte und grenzüberschreitende Wertpapierleihen Bei der Aufnahme dieser Fallgruppe in den finalen Bericht wurde haupt­ sächlich auf sog. Repo-Geschäfte abgezielt.209 Diese funktionieren grund­ sätzlich wie im folgenden Beispiel. Beispiel 3c:210 Die im Staat A ansässige A-Co möchte sich einen Betrag in Höhe von 2.000 GE von der im Staat B ansässigen B-Co leihen. Das Darlehen wird als Repo-Geschäft ausgestaltet.211 Das bedeutet, dass die B-Co, statt einfach Geld an die A-Co zu überweisen, von der A-Co eine Beteiligung der B-Co-Sub in Gestalt von Aktien

202 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 34 Rn. 42. 203 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 34 Rn. 41 und S. 145 Rn. 414. 204 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 38 Rn. 55. 205 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 38 ff. Rn. 55 ff. so­ wie S. 137. 206 Siehe schon die Definition in OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestal­ tungen, S. 25 Empfehlung 1.2.(a). 207 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 43 Rn. 72. Siehe dazu bereits Kapitel 1 - B.I.2.a)cc). 208 Staats, IStR 2014, 749, 752. 209 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 43 Rn. 73. 210 Das Beispiel ist angelehnt an OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestal­ tungen, S. 274 ff. Beispiel 1.31. 211 Kurz für „Repurchase Operation“. Weiterführend Bogenschütz, Ubg 2008, 533, 542 f.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD erwirbt und dafür 2.000 GE (i.e. „die Darlehenssumme“) an die A-Co zahlt. Hier­ mit verbunden ist die Vereinbarung, dass die A-Co diese Aktien zu einem späteren Zeitpunkt zurückkaufen wird. Sie hat dafür die ursprünglichen 2.000 GE zuzüg­ lich einer Verzinsung von 3,5 % (das ergibt 70 GE) und abzüglich der während der Laufzeit an die B-Co ausgeschütteten Dividenden zu zahlen. Eine solche Vereinba­ rung hat zweierlei Vorteile. Zum einen erlangt die B-Co Sicherheiten für die Dar­ lehenssumme in Gestalt der Aktien an der B-Co-Sub. Zum anderen führt diese Gestaltung zu einem Steuervorteil durch die unterschiedliche Behandlung des Sachverhalts durch die Staaten A und B. Staat B legt nämlich eine formale Be­ trachtungsweise an und rechnet die ausgeschütteten Dividenden (angenommen 70 GE) der Eigentümerin B-Co zu. Diese kann eine Dividendenfreistellung in An­ spruch nehmen. Staat A legt dagegen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise an und rechnet die Dividenden der A-Co zu, da diese sich ja bereits verpflichtet hat, die Beteiligung zurückzuerwerben.212 Die A-Co kann daher die von B-Co-Sub ent­ richteten Steuern auf den ausgeschütteten Gewinn im Wege der Anrechnungsme­ thode geltend machen. Die eigentlich der A-Co zustehende Dividende erhält nach den vertraglichen Vereinbarungen jedoch die B-Co. Staat A qualifiziert diesen Vor­ gang als Finanzierungsaufwand der A-Co für das Darlehen, mithin als eine Art Zinszahlung. Mit dieser „Zinszahlung“ kommt die A-Co der eingangs des Bei­ spiels erwähnten Verzinsung i.H.v. 3,5 % der Darlehenssumme (das sind 70 GE) nach. Am Ende ergibt sich nach Rückerwerb der Aktien bei der A-Co damit ein Finanzierungsaufwand in Höhe von 70 GE (Deduction) und bei der B-Co ein Fi­ nanzierungsertrag, welcher als Dividende jedoch freigestellt ist (No Inclusion). Weil der Rückkaufpreis mit 2.000 GE dem ursprünglichen Kaufpreis entspricht, entsteht bei der B-Co kein Veräußerungsgewinn.

Abbildung 4:  Repo-Geschäft

212 So sähe die Behandlung des Vorgangs nach deutschem Recht aus, vgl. BMF, Schr. v. 11.11.2016 – IV C 6 – S 2134/10/10003-02, BStBl. I 2016, 1324; BFH, Urt. v. 18.8.2015 – I R 88/13, BStBl. II 2016, 961. Siehe auch Haarmann, BB 2018, 1623.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

Ganz ähnlich gelagert, gleichwohl leicht anders nuanciert, sind Fälle sog. grenzüberschreitender Wertpapierleihen.213 Hier dienen die Wertpapiere nicht als Sicherheit für die Darlehenssumme. Sie sind vielmehr selbst Gegenstand des Darlehensvertrages. Deshalb handelt es sich hier um ei­ nen Sachdarlehensvertrag.214 Beispiel 3d:215 Die A-Co („Verleiherin“) überträgt das zivilrechtliche Eigentum für die Laufzeit des Vertrages an die B-Co („Entleiherin“). Diese bezieht dann die Dividende in Höhe von 70 GE und kann dafür in ihrem Staat eine Beteiligungsertragsbefreiung in Anspruch nehmen. Dafür leistet sie eine Kompensationszahlung in Höhe von 70 GE an die Verleiherin. Unter Umständen rechnet der Staat der Verleiherin die Wertpapiere weiterhin der Verleiherin als wirtschaftlicher Eigentümerin zu, wes­ halb die Kompensationszahlung dort als Beteiligungsertrag behandelt wird. Auch die Verleiherin kann deshalb eine Beteiligungsertragsbefreiung in Anspruch neh­ men. Am Ende ist bei der Entleiherin A-Co folglich die Dividende steuerfrei und die Kompensationszahlung als Zinsen abzugsfähig (Deduction), während bei der Verleiherin die Kompensationszahlung steuerfrei ist (No Inclusion).216 Vom oben dargestellten Repo-Geschäft unterscheidet sich diese Gestaltung vor allem in dem Punkte, dass hier die Darlehensnehmerin zivilrechtliche Eigentü­ merin der Wertpapiere wird, während beim Repo-Geschäft die Darlehensgeberin zivilrechtliche Eigentümerin der als Sicherheit dienenden Wertpapiere wird.

Abbildung 5:  Grenzüberschreitende Wertpapierleihe

213 Auch als „Wertpapierdarlehen“ oder „Wertpapierpensionsgeschäft“ bezeichnet. Zu Pensionsgeschäften vgl. für Deutschland § 340b HGB. Weiterführend Bogenschütz, Ubg 2008, 533, 542 f. 214 Rüsch, IStR 2020, 371, 372. 215 Das Beispiel ist angelehnt an OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestal­ tungen, S. 279 ff. Beispiel 1.32 216 Zum Ganzen auch Rüsch, IStR 2020, 371, 372.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

Hybride Übertragungen im Stile der dargestellten Repo-Geschäfte oder grenzüberschreitenden Wertpapierleihen sollen ebenfalls nach den Re­ geln für hybride Finanzinstrumente behandelt werden. Grund dafür ist, dass sie formal zwar Vermögensübertragungen, substanziell aber eher Finanzinstrumente darstellen.217 Für die Entscheidung, ob eine hybride Besteuerungsinkongruenz vorliegt, gelten damit die obigen Kriterien, da­ her die Inkongruenz muss auf die unterschiedliche Behandlung nach den Rechtsvorschriften beider Staaten zurückzuführen sein.218 (bb) Sonderfall der Substitutionszahlung Die bislang dargestellten Fälle von hybriden Übertragungen basieren maßgeblich darauf, dass die Wertpapiere zwei Personen gleichzeitig zu­ gerechnet werden. Ist dieses Kriterium nicht erfüllt, so handelt es sich nicht um eine hybride Übertragung.219 Zunächst einmal läuft die Emp­ fehlung für hybride Finanzinstrumente deshalb ins Leere, wenn beide Staaten die Wertpapiere übereinstimmend dem Verleiher zurechnen.220 Nutzbar machen ließe sich dies durch sog. Substitutionszahlungen.221 Beispiel 3e:222 B-Co leiht sich Aktien von A-Co, welche demselben Konzern angehört. Sowohl Staat A als auch Staat B rechnen die Aktien weiterhin der A-Co zu. B-Co verkauft die Aktien weiter. Da es sich bei B-Co nicht um die Eigentümerin der Aktien handelt, spricht man hier von einem sog. „Leerverkauf“. Während der Laufzeit der Aktienleihe ist B-Co verpflichtet, eine Substitutionszahlung an A-Co zu leisten. Zum Ende der Laufzeit erwirbt B-Co dann die gleichen Aktien auf dem Markt und

Abbildung 6:  Substitutionszahlung

217 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 44 Rn. 77. 218 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 29 Rn. 24. 219 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 25 Empfehlung 1.2.(b). 220 Siehe auch Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 120 ff. 221 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 29 Rn. 25 f. 222 Das Beispiel basiert auf OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltun­ gen, S. 288 ff. Beispiel 1.34 und Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 120 ff.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2 gibt diese an A-Co zurück, um ihre Verpflichtungen aus der Aktienleihvereinba­ rung zu erfüllen.223 Die Substitutionszahlung ist bei der B-Co abzugsfähig (Deduction). Von Staat A wird die Zahlung so behandelt, als handelte es sich bei ihr um eine steuerfreie Dividende (No Inclusion).

Um die Integrität der Regel für hybride Finanzinstrumente zu wahren, wird ihr Anwendungsbereich auf eben solche Substitutionszahlungen er­ weitert.224 (2) Persönlicher Anwendungsbereich Auch in persönlicher Hinsicht wird der Anwendungsbereich der Empfeh­ lung eingeschränkt. So muss es sich etwa bei der A-Co und der B-Co im Eingangsbeispiel entweder um nahestehende Personen oder Beteiligte an einer strukturierten Gestaltung handeln.225 Als nahestehend werden Personen in drei Fällen betrachtet, nämlich dann, wenn sie demselben Konzern angehören226, die eine Person eine Beteiligung von 25 % an der anderen Person hält oder eine dritte Person eine Beteiligung von mindestens 25 % an beiden anderen Personen hält.227 Hier fällt auf, dass die Beteiligungshöhe im Vergleich zum Public Discussion Draft von zunächst 10 % auf nunmehr 25 % angehoben wur­ de, was als Reaktion auf die Kritik der Literatur an der niedrigen Beteili­ gungsquote verstanden werden kann.228 Durch den Begriff der strukturierten Gestaltung soll Umgehungsgestal­ tungen entgegengewirkt werden. So werden auch solche Steuerpflichtige erfasst, die sich nach obiger Definition nicht nahestehen, jedoch hybride Gestaltungen in der Absicht einrichten, die damit verbundenen Besteue­ rungsinkongruenzen auszunutzen.229 Um dies zu ermitteln, wird eine objektive Betrachtung angestellt. Im Rahmen dieser wird entweder die Vereinbarung zwischen den Parteien darauf überprüft, ob die Auswirkun­ gen der Besteuerungsinkongruenz eingerechnet wurden.230 Dies ist etwa 223 Vorteilhaft für B-Co ist ein solches Geschäft im Falle einer negativen Entwicklung des Aktienkurses. 224 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 26 Empfehlung 1.2.(e) 225 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 50 Rn. 99; einge­ hend zu den persönlichen Anwendungsvoraussetzungen Mechtler, Hybrid Mis­ machtes im Ertragsteuerrecht, S. 241 ff. 226 Zur Konzernzugehörigkeit siehe OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Ge­ staltungen, S. 132 f. Rn. 362 ff. 227 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 131 Rn. 354. 228 Kritisch etwa Schnitger/Weiss, IStR 2014, 508, 509. 229 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 120 Rn. 318. 230 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 121 Rn. 323.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

dann der Fall, wenn die Zinsen für das hybride Finanzinstrument unter dem Marktzinssatz liegen.231 Ergänzend wird danach gefragt, ob die Gege­ benheiten und Umstände der Vereinbarung darauf schließen lassen, dass die Gestaltung mit der Absicht entwickelt wurde, eine hybride Besteue­ rungsinkongruenz herbeizuführen.232 Wohl der Funktion als eine Art Auffangklausel geschuldet ist eine gewisse Unschärfe der Kriterien.233 Eine „Beteiligung“ an der strukturierten Gestaltung wird schließlich dann verneint, wenn sich entweder der Steuerpflichtige der Gestaltung nicht bewusst war und/oder er nicht davon profitiert hat. Ob diese Vo­ raussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen oder ob eine der beiden Voraussetzungen erfüllt ist, lässt sich dem Bericht nicht eindeutig ent­ nehmen.234 Ein Blick auf den Beispielskatalog des Berichts vermittelt den Eindruck, dass dieses Auffangkriterium besonders mit Blick auf Gestaltungen un­ ter Einsatz von hybriden Finanzinstrumenten aufgenommen wurde. Je­ denfalls beschäftigt sich die überwiegende Zahl der Beispiele mit Kon­ stellationen, in denen solche Finanzinstrumente eingesetzt werden, ohne dass sich die Beteiligten jedoch „nahe“ im Sinne obiger Definition stehen.235 Wohl aber wird die Besteuerungsinkongruenz eingerechnet, in­ dem sie etwa bei der Zins- bzw. Dividendenzahlung berücksichtigt wird.236 (3) Neutralisierung des Effekts Als allgemeine Regel findet sich zunächst ein zweistufiges Konzept, be­ stehend aus einer vorrangigen Maßnahme (Primary Response) und einer Abwehrregel (Defensive Rule). Vorrangig soll der Staat des Zahlungsleis­ ters tätig werden und den Abzug der Zahlung versagen, soweit diese zu einem D/NI-Ergebnis führt.237 Bleibt dieser untätig, so liegt es am Staat des Zahlungsempfängers, die Zahlung ausnahmsweise als Einnahme zu berücksichtigen.238 Auch diese Anpassung beschränkt sich auf jenen Be­ 231 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 461 f. Beispiel 10.1. 232 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 121 Rn. 326. 233 Kritisch hierzu Valta, ISR 2014, 249, 251; Schnitger/Weiss, IStR 2014, 508, 510. Vgl. ferner Löprick/Meger, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 314 ff. 234 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 119 Empfeh­ lung 10.3 („und“) und S. 125 Rn. 342 („oder“). 235 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 461 ff. Beispie­ le 10.1, 10.2, 10.3 und 10.4. Mit einer hybriden Übertragung im Rahmen einer strukturierten Gestaltung beschäftigt sich Beispiel 1.31 auf S. 274 ff. Zu einer strukturierten Gestaltung unter Einsatz eines umgekehrt hybriden Rechtsträgers siehe Beispiel 4.2 auf S. 322 ff. 236 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 461 Beispiel 10.1. 237 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 25 Empfehlung 1.(a). 238 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 25 Empfehlung 1.(b).

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

trag, welcher zur Neutralisierung der Inkongruenz erforderlich ist, mit­ hin auf den Umfang des D/NI-Ergebnisses auf Ebene der Bemessungs­ grundlage.239 Mithilfe dieses Kriteriums soll ein verhältnismäßiges Ergebnis erreicht und Doppelbesteuerung vermieden werden.240 Auf die grundlegende Qualifikation des Finanzinstruments nach dem Recht des jeweiligen Staates wirkt sich die allgemeine Regel für hybride Finanzins­ trumente nicht aus.241 bb) Spezifische Empfehlungen Neben der allgemeinen Regel finden sich auch spezifische Empfehlungen für die Behandlung von Finanzinstrumenten. (1) Zahlungen im Rahmen eines hybriden Finanzinstruments Ohne Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs242 empfiehlt die OECD bezüglich Zahlungen im Rahmen eines Finanzinstruments, dass eine Dividendenfreistellung, die der Entlastung von wirtschaftlicher Doppelbesteuerung dient, nicht gewährt werden sollte, soweit die Divi­ dendenzahlung beim Zahlungsleister abzugsfähig ist.243 Da der Zweck von Dividendenfreistellungen in der Regel darin bestehe, eine doppelte Besteuerung zu vermeiden, sei es besonders naheliegend, diese von der tatsächlichen Besteuerung auf Ebene des Emittenten abhängig zu ma­ chen.244 Kommt sie zur Anwendung, so entsteht erst gar keine Besteuerungsin­ kongruenz, welche nach der allgemeinen Regel zu neutralisieren wäre. Im Eingangsbeispiel entspräche es der spezifischen Empfehlung, dass Staat A seine Dividendenfreistellung davon abhängig macht, dass die Zahlung das Einkommen der B-Co nicht gemindert hat. Wird die spezifi­ sche Empfehlung umgesetzt, beschränkt sich der Anwendungsbereich der allgemeinen Regel für hybride Finanzinstrumente in nicht unerheb­ lichem Maße. Erfasst sind dann nur noch andere Arten der Nichtberück­ sichtigung als eine Dividendenfreistellung.245 Darüber hinaus bleibt die allgemeine Regel vor allem für hybride Übertragungen relevant. 239 Vgl. Kapitel 4 - C.V.3. 240 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 36 Rn. 49 a.E. 241 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 28 Rn. 22 sowie S. 36 Rn. 50. 242 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 53 Empfehlung 2.3. 243 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 53 Empfehlung 2.2. 244 Vgl. § 8b Abs. 1 S. 2 KStG; OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltun­ gen, S. 54 Rn. 104. 245 Die allgemeine Regel soll beispielsweise auf fiktive Abschläge auf ein zinsloses Darlehen Anwendung finden, siehe dazu OECD, Neutralisierung der Effekte hy­ brider Gestaltungen, S. 230 ff. Beispiel 1.13.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

(2) Hybride Übertragungen Auch für hybride Übertragungen findet sich eine spezifische Empfeh­ lung. Diese betrifft indes nur solche hybriden Übertragungen, die nicht zu einem D/NI-Ergebnis, sondern zu einer doppelten Quellensteueran­ rechnung führen. Streng genommen fallen solche Gestaltungen deshalb aus dem Raster der D/NI- und DD-Ergebnisse und könnten eher als ein TC/TC-Ergebnis (Tax Credit/Tax Credit-Ergebnis) bezeichnet werden.246 Der Übersichtlichkeit halber und der Einordnung der OECD folgend, wird diese Sonderkonstellation jedoch unter den D/NI-Ergebnissen ver­ ortet, da jedenfalls die Grundkonstellation der hybriden Übertragung zu einem D/NI-Ergebnis führt. Beispiel 3f:247 Im Rahmen einer Wertpapierleihe überlässt die A-Co der B-Co Anleihen248. Die B-Co-Sub könnte dann eine Zinszahlung in Höhe von 100 GE an die B-Co leisten, wovon 10 GE Quellensteuer einbehalten werden. Die 90 GE, die bei der B-Co an­ kommen, leistet die B-Co als Zinsausgleichszahlung für die Überlassung der Wert­ papiere an die A-Co. Die B-Co hätte die erhaltene Zinszahlung in Höhe von 100 GE (brutto) in Staat B zu versteuern, kann davon jedoch die Zahlung in Höhe von 90 GE an die A-Co zum Abzug bringen. Letztlich unterliegen also 10 GE der Steuer in Höhe von angenommen 20 %. Die Steuerlast beträgt damit 2 GE, ange­ rechnet werden jedoch 10 GE Quellensteuer, sodass ein Anrechnungsüberhang

Abbildung 7: Hybride Übertragung mit TC/TC-Ergebnis 246 Diese Begrifflichkeit verwendet Grotherr, BB 2017, 1367, 1375 f. 247 Das Beispiel ist angelehnt an OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestal­ tungen, S. 301 ff. Beispiel 2.2. 248 Zum Begriff der Anleihe Schubert, in: BeBiKo, § 266 HGB Rn. 212 ff.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2 von 8 GE entsteht. Währenddessen geht Staat A aufgrund der dortigen wirtschaft­ lichen Betrachtungsweise davon aus, dass die A-Co (direkt von der B-Co-Sub bezo­ gene) Zinseinnahmen in Höhe von 100 GE (brutto) etwa zu 30 % zu versteuern hat. Auf die Steuer in Höhe von 30 GE kann die A-Co ebenfalls die Quellensteuer in Höhe von 10 GE anrechnen. Den sich aus der Gestaltung ergebenden Steuervor­ teil stellt also der Anrechnungsüberhang der B-Co in Höhe von 8 GE dar.

Nur für diesen Fall sieht die Empfehlung 2.2 vor, dass jeweils die Quel­ lensteueranrechnung „im Verhältnis zu den steuerpflichtigen Nettoein­ nahmen“ des Steuerpflichtigen beschränkt werden soll.249 Dies wirft zu­ nächst Fragen auf: Man könnte die Formulierung so deuten, dass Staat B im obigen Beispiel demnach die Quellensteuer i.H.v. 10 GE im Verhält­ nis der „Nettoeinnahmen“ i.H.v. 10 GE zu den „Bruttoeinnahmen“ i.H.v. 100 GE, mithin zu 10/100 anrechnen muss. Dies entspräche einer Anrechnung von 1 GE. Aus den Beispielen im Anhang wird jedoch deut­ lich, dass schlicht kein Anrechnungsüberhang entstehen soll. Die An­ rechnung soll „auf“ die im Inland entstehende Steuer beschränkt wer­ den.250 Dies entspricht im Beispiel einer Anrechnung von 2 GE. b) Nicht berücksichtigte hybride Zahlungen Eine weitere Möglichkeit, hybride Besteuerungsinkongruenzen herbei­ zuführen, stellt der Einsatz sog. hybrider Rechtsträger dar.251 Solche wer­ den in einem Staat intransparent, in einem anderen Staat hingegen trans­ parent behandelt. In einem Staat stellen folglich nicht die Gesellschaft, sondern vielmehr ihre jeweiligen Gesellschafter die Steuersubjekte dar (Transparenzprinzip), während im anderen Staat die Gesellschaft selbst das Steuersubjekt darstellt (Trennungsprinzip).252 Tätigt ein hybrider Rechtsträger Zahlungen an einen nicht hybriden Rechtsträger, so han­ delt es sich nach der Kategorisierung der OECD um sog. „nicht berück­ sichtigte hybride Zahlungen“.253 aa) Allgemeine Regel Im Gegensatz zu den hybriden Finanzinstrumenten enthält der Bericht hierzu keine spezifische Empfehlung. Es findet sich lediglich eine allge­ meine Regel, welche sich anhand des folgenden Beispiels erläutern lässt. 249 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 53 Empfehlung 2.2 sowie S. 56 Rn. 112 f. 250 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 301 ff. Beispiel 2.2, dort Rn. 9 ff. 251 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1274 ff. 252 Ausführlich zu den Ursachen hybrider Gesellschaften Kapitel 1 - B.I.2.b). 253 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 57 ff.; de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 24 ff.; Kahlenberg, NWB 2015, 490, 492; Kahlenberg/Kudert, SWI 2015, 52, 55; Rust, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 89, 91; Staats, IStR 2014, 749, 752 f.; Valta, ISR 2014, 249, 252.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD Beispiel 4a:254 Die im Staat A ansässige A-Co gründet in Staat B die B-Co, an welcher sie zu 100 % beteiligt ist. Diese fungiert wiederum als Holdinggesellschaft für die opera­ tiv tätige C-Co. Die B-Co ist ein hybrider Rechtsträger, da sie von Staat B intrans­ parent und von Staat A transparent behandelt wird. B-Co nimmt bei A-Co ein Darlehen auf, für welches sie 100 GE Zinsen an die A-Co zahlt. Da Staat A die B-Co intransparent behandelt, stellt die Zinszahlung der B-Co an ihre Gesellschaf­ terin A-Co einen steuerlich unbeachtlichen Innentransfer dar (No Inclusion).255 Staat B behandelt die B-Co hingegen intransparent, weshalb dort die Zinszahlung zu Betriebsausgaben führt (Deduction). Die Betriebsausgaben der B-Co können im Rahmen eines Gruppenbesteuerungssystems mit positiven Einkünften der opera­ tiv tätigen C-Co verrechnet werden.256

Abbildung 8:  Nicht berücksichtigte hybride Zahlung

(1) Sachlicher Anwendungsbereich In sachlicher Hinsicht hängt die Anwendung der allgemeinen Regel von drei Voraussetzungen ab. Erstens muss es sich um eine nicht berücksich­ tigte Zahlung handeln, welche zweitens von einem hybriden Zahlungs­ leister getätigt wurde. Diese Zahlung muss drittens zu einer hybriden 254 Teils vereinfachte, teils ergänzte Darstellung von OECD, Neutralisierung der Ef­ fekte hybrider Gestaltungen, S. 308 ff. Beispiel 3.1. 255 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 309 Beispiel 1.3 Rn. 3; vgl. auch Schnitger/Weiss, IStR 2014, 508, 511; Staats, IStR 2014, 749, 753. 256 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 63 Rn. 136.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

Besteuerungsinkongruenz führen. Die Kriterien sind unglücklich be­ zeichnet, da sie inhaltlich teils schon bekannte Begrifflichkeiten um­ schreiben. So handelt es sich definitionsgemäß um „nicht berücksichtigte Zahlun­ gen“, wenn sie nach den Rechtsvorschriften des Staats des Zahlungsleis­ ters abzugsfähig sind und nach den Rechtsvorschriften des Staats des Zahlungsempfängers nicht berücksichtigt werden. Die Definition be­ schreibt damit nichts anderes als ein D/NI-Ergebnis.257 Ferner muss ein „hybrider Zahlungsleister“ die Zahlung tätigen.258 Von einem solchen ist im Bericht dann die Rede, „[…] wenn die steuerliche Behandlung des Zahlungsleisters durch die Rechtsvorschriften des Staats des Zahlungsempfängers dazu führt, dass die Zahlung eine nicht berücksichtigte Zahlung ist“.259 Hinter der Definition verbergen sich zwei Voraussetzungen. Einmal bewirkt die steuerliche Behandlung durch die Rechtsvorschriften des Staats des Zahlungsempfängers nur dann ein D/NI-Ergebnis, wenn diese den Zahlungsleister – wie im Beispiel – trans­ parent behandeln, während ihn die Rechtsvorschriften im anderen Staat intransparent behandeln. Erforderlich ist deshalb ein in diesem Sinne hy­ brider Rechtsträger.260 Darüber hinaus muss die beschriebene steuerliche Behandlung dazu „führen“, dass die Zahlung eine nicht berücksichtigte hybride Zahlung ist. Ebenso wie bei der Regel für Finanzinstrumente wird hier folglich ein Kausalitätserfordernis formuliert. Im Beispiel ist die unterschiedliche steuerliche Behandlung der B-Co in den beiden be­ teiligten Staaten letztlich ursächlich für das D/NI-Ergebnis. Ist das Er­ gebnis etwa auf den Einsatz eines hybriden Finanzinstruments zurück­ zuführen, so sind konsequenterweise die Empfehlungen für hybride Finanzinstrumente anzuwenden.261 Schließlich muss in sachlicher Hinsicht eine „hybride Besteuerungsin­ kongruenz“ vorliegen, was dann der Fall ist, wenn die abzugsfähige Zah­ lung (im obigen Beispiel die Zahlung der B-Co in Staat B) auf nicht dop­ pelt berücksichtigte Einnahmen (sog. Non Dual Inclusion Income) in Abzug gebracht wird.262 Hiermit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein hybrider Rechtsträger zwar Konstellationen wie die obige ermöglicht, spiegelbild­ lich jedoch auch Risiken mit sich bringt: Erwirtschaftete die B-Co im 257 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 57 Empfehlung 3.2. sowie 3.3. 258 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 57 Empfehlung 3.2.(a). 259 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 57 Empfehlung 3.2.(b). 260 Vgl. hierzu sog. umgekehrt hybride Rechtsträger, dazu Kapitel 1 - B.II.1.c). 261 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 59 Rn. 122. 262 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 57 Empfehlung 3.3.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

Beispiel nämlich selbst operative Einkünfte, so unterlägen diese sowohl in Staat A als auch in Staat B der Besteuerung. In Staat B aufgrund der dortigen intransparenten Besteuerung und in Staat A in Gestalt des An­ teilseigners A-Co, auf welchen im Rahmen der transparenten Besteue­ rung „durchgegriffen“ wird. Der oben beschriebene Steuervorteil würde dann durch die doppelte Erfassung der operativen Einkünfte eliminiert. Jedenfalls insoweit fände die Regel keine Anwendung, da die doppelt ab­ zugsfähigen Betriebsausgaben nur mit solchen Einnahmen verrechnet werden, die ihrerseits doppelt berücksichtigt werden. Im Eingangsbeispiel konnte die B-Co ihre Ausgaben mit den Einnahmen der C-Co im Rahmen eines Gruppenbesteuerungsregimes verrechnen.263 Da es sich bei der C-Co nicht um einen hybriden Rechtsträger handelt, werden ihre Einnahmen aus dem operativen Geschäft auch nicht doppelt berücksichtigt. (2) Persönlicher Anwendungsbereich In persönlicher Hinsicht finden sich zweierlei alternative Voraussetzun­ gen, mittels welcher der Anwendungsbereich der Empfehlung beschränkt wird.264 Zum einen findet sie Anwendung, wenn die Zahlung im Rahmen einer strukturierten Gestaltung erfolgt, an welcher der Steuerpflichtige betei­ ligt ist. Diese Voraussetzung deckt sich mit der Empfehlung für die hy­ briden Finanzinstrumente.265 Zum anderen ist der persönliche Anwendungsbereich eröffnet, wenn die beteiligten Personen zum selben Konzern gehören. Hiervon ist vor allem dann auszugehen, wenn eine Person mittelbar oder unmittelbar266 eine Beteiligung von mindestens 50 % an der zweiten Person hält.267 Hier­ durch wird der Anwendungsbereich enger gezogen als bei der Regel für hybride Finanzinstrumente. Diese setzt nämlich lediglich einander na­ hestehende Personen voraus, wozu bereits eine Beteiligungsquote von mindestens 25 % ausreichend ist.268

263 Die Verrechnung in einem Organschaftskreis stellt den gängigsten Mechanismus dar, um den doppelten Betriebsausgabenabzug mit nicht doppelt berücksichtigen Einnahmen zu verrechnen. Für andere Möglichkeiten siehe OECD, Neutralisie­ rung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 87 Rn. 214. 264 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 58 Empfehlung 3.4. 265 Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(2). 266 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 129 Empfehlung 11.1.a.(c). 267 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 129 Empfehlung 11.1.a.(b).(iii). I.Ü. vgl. Empfehlung 11.1.a.(b).(i), (ii) und (iv). 268 Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(2).

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

Über die Beteiligungsquote hinaus werden die Kriterien für die Konzern­ zugehörigkeit noch erweitert. So reicht es aus, wenn die Personen für Zwecke der Rechnungslegung konsolidiert werden269 oder die Beteili­ gung unabhängig von der konkreten Quote einen beherrschenden Ein­ fluss vermittelt270. Die Beteiligungen von mehreren gemeinsam handeln­ den Personen werden ferner zusammengenommen betrachtet.271 (3) Neutralisierung des Effekts Zur Neutralisierung des Effekts wird auch hier ein zweistufiges Konzept, bestehend aus einer vorrangigen Maßnahme (Primary Response) und ei­ ner Abwehrregel (Defensive Rule) vorgeschlagen. Vorrangig liegt es am Staat des Zahlungsleisters, den Abzug der Betriebsausgabe insoweit zu versagen, als sie zu einem D/NI-Ergebnis führt.272 Das ist im Eingangs­ beispiel der Staat B. Erst, wenn dies nicht erfolgt, soll der Staat des Zah­ lungsempfängers eine Berücksichtigung der Zahlung als ordentliche Ein­ nahme vorschreiben.273 Das ist im Eingangsbeispiel der Staat A. Die Struktur deckt sich also mit der der allgemeinen Regel für hybride Finan­ zinstrumente. Vorrangig handelt der Staat des Zahlungsleisters, nachran­ gig der des -empfängers. Wieder ist der Anpassungsbetrag auf die Höhe des D/NI-Ergebnisses beschränkt, welches sich anhand der Betrachtung der Rechtsvorschriften des anderen Staates ermittelt.274 Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit werden lediglich diejenigen Vor­ teile neutralisiert, welche sich bei einer veranlagungszeitraumübergrei­ fenden Betrachtung ergeben. Erreicht wird dies durch eine intertempora­ le Verrechnungsmöglichkeit275: Übersteigen die doppelt berücksichtigten Betriebsausgaben die doppelt berücksichtigten Einnahmen, so wird die 269 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 129 Empfehlung 11.1.a.(b).(i). 270 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 129 Empfehlung 11.1.a.(b).(ii). 271 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 129 Empfehlung 11.2, der Begriff „Gemeinsamens Handeln“ ist definiert in 11.3. 272 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 57 Empfehlung 1.(a). 273 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 57 Empfehlung 3.1.(b). In Betriebsstättenkonstellationen (Deemed Branch Payments) ist eine sol­ che Abwehrmaßnahme jedoch nicht vorgesehen, vgl. OECD, Neutralising the ­Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 35 ff. 274 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 59 Rn. 122, wonach dabei auch der Status des Kontrahenten sowie der Kontext berücksichtigt werden soll. 275 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 57 Empfehlung 3.1.(c). Hiermit soll etwaigen zeitlichen Abweichungen bei der Erfassung von Zah­ lungen von Staat zu Staat Rechnung getragen werden, welche nach dem Konzept der OECD keinen Einfluss auf das Vorliegen von Besteuerungsinkongruenzen ha­ ben sollten, siehe OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 58 Rn. 118 und S. 59 Rn. 120.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

Inkongruenz zunächst neutralisiert. Jedoch können die überschießenden Betriebsausgaben in einen anderen Veranlagungszeitraum vorgetragen werden, um gegebenenfalls dort mit doppelt berücksichtigen Einnahmen verrechnet zu werden.276 Die Empfehlung sieht vor, dass die gewöhn­ lichen nationalen Regeln für die Verlustnutzung auch für derartige ­Betriebsausgabenabzüge gelten sollten. Gewähren diese Regeln neben einem Verlustvortrag auch einen Verlustrücktrag, so soll eine Rücktrags­ möglichkeit auch für überschießende Betriebsausgaben in Betracht kom­ men.277 bb) Vergleichbare Betriebsstättenkonstellation: Deemed Branch Payments Ähnliche Ergebnisse lassen sich durch Gestaltungen mit Betriebsstätten erreichen. Vergleichbar mit abzugsfähigen hybriden Zahlungen sind Fäl­ le sog. Deemed Branch Payments.278 Hierunter wird die folgende Fallge­ staltung verstanden: Beispiel 4b:279 Die im Staat A ansässige A-Co unterhält eine Betriebsstätte in Staat B, welche nach dortigem Recht besteuert wird. Die Betriebsstätte führt Leistungen an die unverbundene C-Co (fremde Dritte) aus, welche auf ein immaterielles Wirt­ schaftsgut (etwa ein Namensnutzungsrecht) zurückzuführen sind.280 Nun könnte

Abbildung 9:  Deemed Branch Payment 276 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 59 Rn. 120. 277 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 61 f. Rn. 129. 278 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 17 Rn. 13. 279 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 16 f. Rn. 10 ff. Siehe auch Kahlenberg, IStR 2018, 93, 98 f. 280 Vgl. Kahlenberg/Rein, SWI 2020, 189, 194.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2 Staat B davon ausgehen, dass das Wirtschaftsgut der A-Co zuzuordnen sei und deshalb – dem Fremdvergleichsgrundsatz des AOA folgend – eine fiktive Aus­ gleichszahlung der Betriebsstätte an ihr Stammhaus zu berücksichtigen sei (Deduction).281 In Staat A wird diese Ausgleichszahlung jedoch nicht erfasst (No Inclusion), da der Staat A das immaterielle Wirtschafsgut nicht dem Stammhaus, sondern der Betriebsstätte zuordnet.282 In Staat A werden bei der A-Co die Ein­ künfte ihrer Betriebsstätte freigestellt. So ist es ihrer Betriebsstätte möglich, die Zahlung mit nicht doppelt, sondern nur in Staat B berücksichtigten Einnahmen (Non Dual Inclusion Income) zu verrechnen.

Für die Neutralisierung des so entstandenen D/NI-Ergebnisses finden sich eine spezifische und eine allgemeine Empfehlung. Nach ersterer soll der Staat des Stammhauses die Freistellung für Be­ triebsstätteneinkünfte modifizieren und dabei den Effekt der Ausgleichs­ zahlung berücksichtigen.283 Im Ergebnis soll Staat A die Einkünfte der A-Co um die durch die Betriebsstätte in Staat B geleistete Zahlung erhö­ hen.284 Die Bezeichnung „Modifizierung der Freistellung“ spricht dafür, dass dies im Wege der Nichtfreistellung eines entsprechenden Teils der Betriebsstätteneinkünfte in Staat A geschehen soll.285 Die spezifische Empfehlung unterliegt keinerlei Einschränkungen des persönlichen An­ wendungsbereichs. Dem nachrangig soll nach der allgemeinen Empfehlung der Betriebsstät­ te der Abzug der Ausgleichszahlung versagt werden. Die Empfehlung soll nur insoweit Anwendung finden, als dass es der Betriebsstätte möglich ist, die Abzug für die Zahlung mit nicht doppelt berücksichtigten Ein­ nahmen (Non Dual Inclusion Income) zu verrechnen.286 Da das D/NI-Er­ gebnis zwischen der A-Co und ihrer Betriebsstätte entsteht, sind an die C-Co im Beispiel keinerlei persönliche Anforderungen zu stellen. c) Umgekehrt hybride Rechtsträger Auch in der Konstellation der „umgekehrt hybriden Rechtsträger“ wird sich zu Nutze gemacht, dass Gesellschaften von Staat zu Staat mal als

281 Siehe Kapitel 1 - B.I.2.c)cc)(2). 282 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 16 Rn. 11; Kahlenberg, IStR 2018, 93, 98 f. 283 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 23 und S. 24 Rn. 32 f. 284 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 69 Beispiel 4 Rn. 9 (s. dort das ,,Adjustment” in Tabelle B.4.2.) und Rn. 10 (“The mismatch in tax outcomes is eliminated by the head office recognising the amount of the deemed branch payment in income.”). 285 Kahlenberg, IStR 2018, 93, 99. 286 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 35 und S. 70 ff. Rn. 12 ff.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

transparent, mal als intransparent behandelt werden.287 Anders als bei den „nicht berücksichtigen Zahlungen“ wird die Zahlung hier jedoch nicht von einem, sondern an einen hybriden Rechtsträger geleistet. Inso­ weit handelt es sich eben um die „Umkehrung“ der eben beschriebenen Fallgruppe.288 aa) Allgemeine Regel Zur Illustration der allgemeinen Regel eignet sich das folgende Beispiel. Beispiel 5a:289 Die Muttergesellschaft A in Staat A möchte sich als Investor zu 100 % an der in Staat C ansässigen C-Co beteiligen. Dazu setzt sie die B-Co in Staat B als Interme­ diär ein, an welchem sie zu 100 % beteiligt ist. Die B-Co beteiligt sich dann wie­ derum an der C-Co. Sowohl die A-Co als auch die C-Co werden von ihren Ansäs­ sigkeitsstaaten A und C intransparent besteuert, mithin als eigenständiges Steuersubjekt behandelt. Die B-Co ist dagegen ein hybrider Rechtsträger. Sie wird von Staat B transparent und von Staat A als eigenständiger Rechtsträger behan­

Abbildung 10:  Umgekehrt hybride Rechtsträger 287 Vgl. de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 26 f.; Kahlenberg, NWB 2015, 490, 492 f.; Kahlenberg/Kudert, SWI 2015, 52, 56 f.; Rust, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 89, 91; Staats, IStR 2014, 749, 753 f.; Valta, ISR 2014, 249, 252 f. 288 Valta, ISR 2014, 249, 252. 289 Vereinfachte Darstellung von OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestal­ tungen, S. 322 ff. Beispiel 4.2; zur vorgelagerten DBA-Problematik siehe Schnitger/Oskamp, IStR 2014, 385, 387.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2 delt. Leistet die C-Co nun eine Zinszahlung an die B-Co, so wird diese weder im Errichtungsstaat B noch im Investorenstaat A als Einnahme berücksichtigt (No Inclusion): Staat A betrachtet die B-Co als eigenständiges Steuersubjekt, welches sich jedoch nicht auf seinem Staatsgebiet befindet. Staat B besteuert nur die Ge­ sellschafter der B-Co. Der Gesellschafter A-Co befindet sich jedoch nicht auf sei­ nem Staatsgebiet. Auch qualifiziert die B-Co nicht als inländische Betriebsstätte einer ggf. in Staat B beschränkt steuerpflichtigen A-Co.290 Sowohl Staat A als auch B behandeln die Einnahme mithin so, als stehe sie dem jeweils anderen Staat zu. Die korrespondierende Betriebsausgabe kann von der C-Co in Staat C zum Abzug gebracht werden (Deduction). Am Ende steht folglich ein D/NI-Ergebnis.

(1) Sachlicher Anwendungsbereich Damit die Regel für umgekehrt hybride Rechtsträger Anwendung findet, muss in sachlicher Hinsicht zunächst eine Zahlung an einen umgekehrt hybriden Rechtsträger vorliegen. Um einen solchen handelt es sich bei einer Person, die nach den Rechtsvorschriften des Investorenstaats – im Beispiel Staat A – als eigenständiges Steuersubjekt, dagegen nach den Rechtsvorschriften des Errichtungsstaats – im Beispiel Staat B – steuer­ lich transparent behandelt wird.291 Bei einem „nur“ hybriden Rechtsträ­ ger liegen die Dinge genau andersherum.292 Im Beispiel stellt die B-Co den umgekehrt hybriden Rechtsträger dar. Die Zahlung muss zu einer Besteuerungsinkongruenz in Gestalt eines D/ NI-Ergebnisses führen. Sie muss folglich im Staat des Zahlungsleisters als abzugsfähig behandelt und im Staat des Zahlungsempfängers nicht als ordentliche Einnahme berücksichtigt werden.293 Im Beispiel kommen als Staat des Zahlungsempfängers sowohl Staat A (Investorenstaat) als auch Staat B (Errichtungsstaat) in Betracht. In keinem der beiden Staaten wird die Zahlung als Einnahme berücksichtigt. Gleichwohl wird in Staat C (Staat des Zahlungsleisters) eine Betriebsausgabe bei der C-Co berück­ sichtigt.294 Wieder wird die Besteuerungsinkongruenz nur dann als hybrid betrach­ tet, wenn sie auf der abweichenden Qualifikation beruht. Nicht in den Anwendungsbereich der Regel fällt es damit, wenn die Inkongruenz auch entstanden wäre, wenn die Zahlung direkt an den Investor geleistet wor­ den wäre.295 Wäre beispielsweise die A-Co in Staat A von der Steuer be­ 290 Das wäre aus deutscher Sicht insbesondere bei einer vermögensverwaltenden Per­ sonengesellschaft der Fall, vgl. Mechtler, Hybrid Mismachtes im Ertragsteuer­ recht, S. 435; Staats, IStR 2014, 749, 753. 291 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 65 Empfehlung 4.2. Zu möglichen Ursachen hierfür siehe Kapitel 1 - B.I.2.b). 292 Kapitel 1 - B.II.1.b)aa)(1). 293 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 67 Rn. 147. 294 Vgl. Kahlenberg, Intertax 2016, 316, 318 f. 295 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen65, Empfehlung 4.3.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

freit und tätigte die C-Co die Zahlung direkt an die A-Co, so würde die entsprechende Einnahme auch dann nicht berücksichtigt werden. Man­ gels hybrider Besteuerungsinkongruenz käme die Regel für umgekehrt hybride Rechtsträger nicht zur Anwendung.296 (2) Persönlicher Anwendungsbereich In persönlicher Hinsicht müssen entweder der Investor, der umgekehrt hybride Rechtsträger und der Zahlungsleister zum selben Konzern gehö­ ren297 oder es muss sich um eine strukturierte Gestaltung handeln, an welcher der Zahlungsleister beteiligt ist.298 (3) Neutralisierung des Effekts Anders als die bisher vorgestellten Maßnahmen erschöpft sich die allge­ meine Regel für umgekehrt hybride Rechtsträger in lediglich einer Emp­ fehlung. Diese richtet sich an den Staat des Zahlungsleisters und legt ihm nahe, den Abzug der Zahlung insoweit zu versagen, als sie zu einem D/NI-Ergebnis führt.299 Eine Abwehrregel, welche den Staat des Zah­ lungsempfängers adressiert, findet sich dagegen nicht. Dies begründet die OECD damit, dass es angesichts der spezifischen Empfehlungen – welche sogleich erläutert werden – keiner Abwehrregel mehr bedürfe.300 Die Neutralisierung soll den Umfang der Besteuerungsinkongruenz nicht übersteigen und selbst dann erfolgen, wenn der Investor – im Bei­ spiel die A-Co – hinsichtlich der durch den umgekehrt hybriden Rechtsträger – im Beispiel die B-Co – erfolgten Ausschüttungen der Be­ steuerung unterliegt. Solche erfolgten nämlich im Allgemeinen in zu großem Abstand gegenüber der Inkongruenz und könnte daher nicht mehr berücksichtigt werden.301 Anders als bei den „nicht berücksichtigten hybriden Zahlungen“ droht bei „umgekehrt hybriden Gestaltungen“ keine Doppelerfassung von Be­ triebseinnahmen oder -ausgaben. Dementsprechend sucht man hier das Ausschlusskriterium der doppelt berücksichtigten Einnahmen verge­ 296 Siehe dazu OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 319 ff. Beispiel 4.1. 297 Die Voraussetzung ist deckungsgleich mit der Empfehlung 3 bezüglich nicht be­ rücksichtigter hybrider Zahlungen, dazu Kapitel 1 - B.II.1.b)aa)(2). 298 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 65 Empfehlung 4.4. Die Voraussetzung deckt sich mit der Empfehlung 1 zu hybriden Finanzinstru­ menten und der Empfehlung 3 zu nicht berücksichtigten hybriden Zahlungen, Ka­ pitel 1 - B.II.1.a)aa)(2). 299 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 65 Empfehlung 4.1; OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 27. 300 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 67 Rn. 144. 301 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 70 Rn. 156.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

bens. Auch ein Vor- oder Rücktrag von überschießenden Betriebsausga­ ben in andere Veranlagungszeiträume ist konsequenterweise nicht vor­ gesehen. bb) Spezifische Empfehlungen Neben der allgemeinen Regel finden sich gleich mehrere spezifische Empfehlungen für die steuerliche Behandlung von Reverse Hybrids; eine richtet sich an den Staat des Investors und eine an den Errichtungsstaat des umgekehrt hybriden Rechtsträgers. Zunächst wird vorgeschlagen, dass der Staat des Investors seine Regeln zur Hinzurechnungsbesteuerung verbessert. Dies soll dergestalt gesche­ hen, dass die Zahlungen, welche der umgekehrt hybride Intermediär be­ zieht, in voller Höhe als ordentliche Einnahmen beim Investor berück­ sichtigt werden.302 Außerdem wird der Errichtungsstaat des umgekehrt hybriden Rechtsträ­ gers dazu angehalten, ausnahmsweise seine Transparenzregeln für den hybriden Rechtsträger auszusetzen. Voraussetzung dafür ist, dass der transparente Rechtsträger keiner Besteuerung in seinem Errichtungs­ staat unterliegt, weil seine Einkünfte einem gebietsfremden Investor zu­ gerechnet werden, welcher demselben Konzern angehört.303 Die beiden Maßnahmen können vom Staat des Investors und dem Er­ richtungsstaat des hybriden Rechtsträgers parallel angewendet werden. In diesem Falle sollte jedoch der Staat des Investors eine Steueranrech­ nung für die im Errichtungsstaat gezahlten Steuern gewähren.304 Letzt­ lich wird das Steuersubstrat deshalb vorrangig dem Errichtungsstaat zu­ gewiesen, in welchem der hybride Rechtsträger ansässig ist. Begleitend zu diesen Empfehlungen sollen den Intermediären erhöhte Dokumenta­ tionsanforderungen auferlegt werden, damit die Steuerverwaltungen die Regeln ordnungsgemäß anwenden können.305 cc) Vergleichbare Betriebsstättenkonstellationen: Disregarded Branch Structures, Diverted Branch Payments Zu gleich gelagerten Fällen kann es sowohl durch sog. Disregarded Branch Structures als auch durch sog. Diverted Branch Payments kommen.306

302 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 74 Rn. 171. 303 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 75 Rn. 175. 304 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 75 Rn. 175. 305 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 73 Empfehlung 5.3. 306 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 14 f. Rn. 6 ff.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

Erstere entstehen zwischen mindestens drei Beteiligten, wie das folgende Beispiel zeigt. Beispiel 5b:307 Die im Staat A ansässige A-Co unterhält eine Zweigniederlassung im Staat B. Durch diese wird ein Darlehen an die im Staat C ansässige C-Co gewährt. A-Co ist an der C-Co zu 100 % beteiligt. Die aus der Überlassung des Darlehens resultie­ renden Zinszahlungen sind bei der C-Co als Aufwand abzugsfähig (Deduction). Jedoch wird die Niederlassung nur von Staat A, nicht jedoch von Staat B als Be­ triebsstätte qualifiziert.308 Dies hat zur Folge, dass Staat B davon ausgeht, dass die Einnahmen bei der A-Co in Staat A berücksichtigt werden. Staat A wiederrum rechnet die Einnahmen der Betriebsstätte in Staat B zu und zählt diese – etwa aufgrund einer abkommensrechtlichen Freistellungsverpflichtung – nicht zu den steuerbaren Einkünften der A-Co. Die Einnahme wird damit insgesamt nicht be­ rücksichtigt (No Inclusion).309

Abbildung 11:  Disregarded Branch Structures

Ganz ähnlich, wenn nicht teils identisch gelagert, sind die Fälle der Diverted Branch Payments.310 Hier wird die von der C-Co getätigte Zah­ lung aus anderen Gründen als dem (Nicht-)Bestehen einer Betriebsstätte wechselseitig zugeordnet.311 Staat A geht davon aus, dass die Zahlung in Staat B bei der Betriebsstätte erfasst wird, während Staat B davon aus­ 307 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 14 Rn. 4 f. 308 Zu den möglichen Gründen siehe Kapitel 1 - B.I.2.c)cc)(1) sowie Kahlenberg, IStR 2018, 93, 96. Siehe auch OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Ar­ rangements, S. 14 f. Rn. 6. 309 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 14 Rn. 4 f. 310 Kahlenberg, IStR 2018, 93, 97. 311 Zu den Ursachen Kapitel 1 - B.I.2.c)cc)(2).

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

geht, dass die Zahlung beim Stammhaus in Staat A erfasst wird. Beide Staaten gehen jedoch übereinstimmend vom Bestehen einer Betriebsstät­ te in Staat B aus.312

Abbildung 12:  Diverted Branch Payments

Jeweils finden sich – wie auch bei den Deemed Branch Payments – eine spezifische und eine allgemeine Empfehlung. Vorrangig soll der Staat des Stammhauses seine Freistellung modifizie­ ren, was im Ergebnis auf eine Berücksichtigung der Einnahme beim Stammhaus hinausläuft.313 Die spezifische Empfehlung unterliegt kei­ nerlei Einschränkungen des persönlichen Anwendungsbereichs. Nach der allgemeinen Empfehlung soll jeweils dem Zahlungsleister der Abzug der Zinszahlung versagt werden314; in den beiden Beispielen ist dies je­ weils die C-Co. Persönliche Voraussetzung ist dabei, dass die C-Co eine mit der A-Co verbundene Gesellschaft darstellt oder beide an einer struk­ turierten Gestaltung beteiligt sind.315 d) Importierte Besteuerungsinkongruenzen Selbst dann, wenn ein Staat die OECD-Empfehlungen umgesetzt hat, können D/NI-Ergebnisse dort noch nutzbar gemacht werden. Dies ist 312 Kahlenberg, IStR 2018, 93, 97. 313 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 23 und S. 58 f. Beispiel 1 Rn. 8 ff. Siehe auch Kapitel 1 - B.II.1.b)bb). 314 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 27 Empfeh­ lung 2.a. und 2.b. und S. 60 f. Beispiel 1 Rn. 14 ff. 315 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 27 Empfeh­ lung 1.3.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

möglich, indem in mehreren Drittstaaten eine hybride Gestaltung ins­ talliert wird und ihr Effekt mittels eines nicht hybriden Instruments in den jeweiligen Staat verlagert wird. Es handelt sich dann um eine „im­ portierte Besteuerungsinkongruenz“.316 aa) Allgemeine Regel Zur Erläuterung der allgemeinen Regel für importierte Besteuerungsin­ kongruenzen bietet sich das folgende Beispiel an. Beispiel 6a:317 Die in Staat A ansässige A-Co ist an der im Staat B ansässigen B-Co zu 100 % be­ teiligt. Diese ist wiederum an der im Staat C ansässigen C-Co zu 100 % beteiligt. Nur Staat C hat die Empfehlungen der OECD zur Neutralisierung der Effekte hy­ brider Gestaltungen umgesetzt. Die A-Co gibt an die B-Co ein hybrides Finanzin­ strument aus.318 Für die Mittelüberlassung zahlt die B-Co 120 GE Zinsen an ihre Muttergesellschaft A-Co, welche aufgrund des hybriden Charakters des Finanzin­ struments zwar in Staat B als Betriebsausgaben abzugsfähig sind, jedoch in Staat A nicht der Besteuerung unterliegen. Die ihr überlassenen Mittel gibt die B-Co in

Abbildung 13:  Importierte Besteuerungsinkongruenz 316 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 95 Empfehlung 8. Dazu de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 29 ff.; Kahlenberg, NWB 2015, 490, 494 f.; Staats, IStR 2014, 749, 752 f.; Valta, ISR 2014, 249, 252. 317 Vereinfachte Darstellung von OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestal­ tungen, S. 362 ff. Beispiel 8.1 und S. 370 ff. Beispiel 8.3. 318 Kapitel 1 - B.I.2.a) sowie Kapitel 1 - B.II.1.a).

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2 Gestalt eines regulären, nicht hybriden Darlehens an die C-Co weiter, für welches letztere 80 GE Zinsen zahlt. Die Zinsaufwendungen kann die C-Co mit ihren ope­ rativen Einkünften in Höhe von 80 GE verrechnen. Insgesamt muss die C-Co in Staat C damit 0 GE (80 GE Betriebseinnahmen aus operativem Geschäft ./. 80 GE Betriebsausgaben), die B-Co in Staat B ./. 40 GE (80 GE Zinsertrag ./. 120 GE Zins­ aufwand) und die A-Co in Staat A ebenfalls 0 GE (120 GE Zinsertrag, die aufgrund des Eigenkapitalcharakters des Finanzinstruments jedoch steuerfrei gestellt wer­ den) versteuern. Insgesamt beträgt die Steuerlast damit 0 GE und es können sogar 40 GE als Verlust vorgetragen werden, obwohl bei rein wirtschaftlicher Betrach­ tung bei der C-Co ein Gewinn aus dem operativen Geschäft in Höhe von 80 GE erzielt wurde.

Obwohl es sich im Beispiel im Verhältnis zwischen der B-Co (Staat B) und der C-Co (Staat C) um ein reguläres Darlehen und nicht etwa um ein hybrides Finanzinstrument handelt, findet die Empfehlung 8 des Berichts zur Maßnahme 2 der OECD für importierte Besteuerungsinkongruenzen Anwendung.319 (1) Sachlicher Anwendungsbereich In sachlicher Hinsicht bedarf es einer „Zahlung, die zu einer importier­ ten Besteuerungsinkongruenz führt“. Ferner ist ein „hybrider Abzug“ erforderlich. Den Nexus zwischen diesen zwei Kriterien bildet das Krite­ rium der „Verrechnung“. Bei einer direkt importierten Besteuerungsin­ kongruenz lassen sich die Begrifflichkeiten wie folgt veranschaulichen.

Abbildung 14:  Direkt importierte Besteuerungsinkongruenz 319 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 95.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

Im Eingangsbeispiel führt die Zahlung der B-Co an die A-Co eine hybride Besteuerungsinkongruenz herbei. Bei der B-Co entsteht somit ein „direk­ ter hybrider Abzug“.320 Dazu wurde ein hybrides Finanzinstrument ein­ gesetzt.321 Ebenso kann der hybride Abzug auch durch die übrigen im Bericht aufgeführten Gestaltungen entstehen: In Betracht kommen die bereits dargestellten D/NI-Gestaltungen der nicht berücksichtigten hy­ bride Zahlungen322 sowie umgekehrt hybride Rechtsträger323. Darüber hinaus eignen sich auch die noch darzustellenden DD-Gestaltungen zur Herbeiführung eines entsprechenden Abzugs.324 Die Höhe des hybriden Abzugs ist auf Basis der jeweils einschlägigen Empfehlung zu ermitteln. Das bedeutet bei Konstellationen mit hybriden Rechtsträgern und Be­ triebsstätten, dass doppelt berücksichtigte Einnahmen die Höhe des hy­ briden Abzugs mindern.325 Wird der hybride Betriebsausgabenabzug noch nicht verrechnet, so ist er in das nächste Jahr zu übertragen.326 Ferner bedarf es einer „Zahlung, die zu einer importierten Besteuerungs­ inkongruenz führt“. Definitionsgemäß ist dies eine abzugsfähige Zah­ lung an einen Zahlungsempfänger, welche nicht den Hybrid Mismatch-­ Regeln unterfällt.327 Im Beispiel ist die Zinszahlung der C-Co an die B-Co bei der C-Co abzugsfähig, während sie bei der B-Co der Besteuerung un­ terliegt. Da es sich um ein reguläres Darlehen handelt, greifen die Hybrid Mismatch-Regeln der OECD insoweit nicht Platz. Den erforderlichen Nexus zwischen dem hybriden Betriebsausgabenab­ zug und der Zahlung, die zu einer importierten Besteuerungsinkongru­ enz führt, bildet das Kriterium der Verrechnung des Abzugs- mit dem Einnahmeposten.328 Im hier gebildeten Beispiel werden die Betriebsein­ nahmen der B-Co i.H.v. 80 GE, die aus der Zahlung der C-Co resultieren, in voller Höhe mit den hybriden Betriebsausgaben in Höhe von 120 GE verrechnet, welche aus der Gestaltung mit der A-Co resultieren. Man spricht hier von einer direkt importierten Besteuerungsinkongruenz, da die B-Co sowohl Empfänger der Zahlung ist, die zu einer importierten Besteuerungsinkongruenz führt, als auch die Person, die den hybriden Betriebsausgabenabzug geltend machen kann.

320 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 98. 321 Siehe oben Kapitel 1 - B.II.1.a). 322 Siehe oben Kapitel 1 - B.II.1.b). 323 Siehe oben Kapitel 1 - B.II.1.c). 324 Dazu Kapitel 1 - B.II.2. 325 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 407 ff. Beispiel 8.11 Rn. 15; Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 164 f. 326 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 104 Rn. 263. Siehe dazu das Beispiel bei Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 166 f. 327 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 95 Empfehlung 8.3. 328 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 99 Rn. 244.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

Wird mindestens eine weitere Person zwischengeschaltet, so handelt es sich um eine indirekt importierte Besteuerungsinkongruenz. Eine solche läge etwa dann vor, wenn im Eingangsbeispiel die C-Co die Darlehens­ summe nochmals an die im Staat D ansässige D-Co weitergegeben und nur der Staat D die OECD-Empfehlungen umgesetzt hätte. Dann führte die Zahlung der D-Co an die C-Co zu einer indirekt importierten Besteu­ erungsinkongruenz. Die Zahlung zur „Durchleitung“ von der C-Co an die B-Co wird mit einer neuen Begrifflichkeit versehen: Es handelt sich insoweit um eine „finanzierte steuerpflichtige Zahlung“, wie sie aus den zu einer importierten Besteuerungsinkongruenz führenden Zahlungen anderer Konzerneinheiten finanziert wird.329

Abbildung 15:  Indirekt importierte Besteuerungsinkongruenz

(2) Persönlicher Anwendungsbereich In persönlicher Hinsicht findet die Empfehlung 8 in zwei Konstellatio­ nen Anwendung. Entweder muss die Zahlung, die zu einer importierten Besteuerungsinkongruenz führt, im Rahmen einer strukturierten Gestal­ tung getätigt werden, an welcher der Steuerpflichtige beteiligt ist, oder der Steuerpflichtige muss demselben Konzern wie die übrigen an der Ge­ staltung beteiligten Personen angehören.330 Je nachdem, ob man von ei­ ner strukturierten Gestaltung oder der Konzernzugehörigkeit ausgeht, 329 Siehe dazu ausführlich OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 377 Beispiel 8.5. 330 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 95 Empfehlung 8.4.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

kommen verschiedene – noch zu besprechende – Methoden zur Neutra­ lisierung zur Anwendung. Vorrangig ist eine strukturierte Gestaltung zu prüfen, da sie einen breiteren Geltungsbereich hat; sie vermag sowohl konzerninterne Gestaltungen zu erfassen als auch solche, die zwischen fremden Dritten eingerichtet wurden.331 Zu den bereits besprochenen Vo­ raussetzungen einer strukturierten Gestaltung kommt ein weiteres, zeitliches Kriterium hinzu. So handelt es sich im Eingangsbeispiel nur dann um eine strukturierte Gestaltung, wenn zunächst die hybride Gestal­ tung eingerichtet und dann der Betrag, welchen die B-Co durch das hy­ bride Finanzinstrument erlangt hat, aufgrund einer konzerninternen Fi­ nanzierungsgestaltung an die C-Co weiterverliehen wurde.332 Wurde umgekehrt der Darlehensvertrag zwischen der B-Co und der C-Co vor Einrichtung der hybriden Finanzierungsgestaltung abgeschlossen, so wäre die Empfehlung immer noch aufgrund der Konzernzugehörigkeit anzuwenden. Dann fände im Eingangsbeispiel die Regel für direkt impor­ tierte Besteuerungsinkongruenzen Anwendung.333 (3) Neutralisierung des Effekts Um den importierten Effekt der hybriden Gestaltung zu neutralisieren, setzt die OECD bei demjenigen Staat an, in welchem die Zahlung, die zu der importierten Besteuerungsinkongruenz führt, geleistet wird. Dieser Staat soll den Abzug insoweit versagen, wie der Zahlungsempfänger die Zahlung so behandelt, als sei sie mit einem hybriden Abzug im Staat des Zahlungsempfängers verrechnet worden.334 In welcher Höhe die Zahlung verrechnet wurde, wird je nach Art der importierten Besteuerungsinkon­ gruenz (strukturierte, direkt oder indirekt importierte Besteuerungsin­ kongruenz) auf verschiedenem Wege bestimmt. Mit zunehmender Kom­ plexität der Gestaltung gestaltet sich auch die Anwendung der jeweiligen Methoden komplizierter. Hier wird sich auf die Vermittlung der jeweili­ gen Grundgedanken beschränkt. (a) Rückverfolgungsmethode für strukturiert importierte ­Besteuerungsinkongruenzen Handelt es sich um eine strukturiert importierte Besteuerungsinkongru­ enz, so wird eine Rückverfolgungsmethode angewendet.335 Beginnend bei der Zahlung, die zu der importierten Besteuerungsinkongruenz führt, wird der Verlauf der im Rahmen der strukturierten Gestaltung getätigten 331 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 366 ff. Beispiel 8.2 332 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 100 f. Rn. 248 sowie S. 367 Rn. 8. 333 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 101 f. Rn. 252 f. 334 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 95 Empfehlung 8.1. 335 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 100 f. Rn. 249.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

Zahlungen verfolgt. So wird festgestellt, ob die ursprüngliche Zahlung am Ende zu einer hybriden Gestaltung führt und deren hybriden Betriebs­ ausgabenabzug direkt oder indirekt „mitfinanziert“, sprich mit diesem verrechnet wird. Dazu sind alle Transaktionen der strukturierten Gestal­ tung zu identifizieren. Basierte das Eingangsbeispiel auf einer im Vorhin­ ein abgesprochenen konzerninternen Finanzierungsgestaltung, so gestal­ tete sich die Rückverfolgung vergleichsweise einfach. Die Zahlung der C-Co führt direkt beim Zahlungsempfänger B-Co zu der hybriden Gestal­ tung, welche in Form des von A-Co ausgegebenen hybriden Finanzie­ rungsinstruments besteht. Die Zahlung der C-Co in Höhe von 80 GE wird also direkt beim Zahlungsempfänger B-Co in voller Höhe mit dem hybriden Betriebsausgabenabzug in Höhe von 120 GE verrechnet. In der Folge sollte Staat B den Betriebsausgabenabzug der B-Co in Höhe von 80 GE versagen. (b) Proportionalitätsmethode für direkt importierte Besteuerungs­ inkongruenzen Auch bei einer direkt importierten Besteuerungsinkongruenz wird beim Zahlungsleister derjenigen Zahlung angesetzt, welche zu einer impor­ tierten Besteuerungsinkongruenz führt (im Beispiel bei der C-Co), und der Betriebsausgabenabzug durch den Ansässigkeitsstaat (im Beispiel Staat C) versagt. Zur Vermeidung überschießender Rechtsfolgen in Form der Doppelbesteuerung, findet die sog. Proportionalitätsmethode An­ wendung.336 Um die konkrete Höhe des zu versagenden Abzugs zu ermit­ teln, wird der Blick wiederum auf diejenige Person gerichtet, welche den hybriden Betriebsausgabenabzug geltend machen kann (im Beispiel die B-Co). Hier wird der Gesamtbetrag der angefallenen (und noch nicht neu­ tralisierten) hybriden Betriebsausgabenabzüge ermittelt und ins Verhält­ nis zu allen erhaltenen Zahlungen gesetzt, die zu einer hybriden Besteu­ erungsinkongruenz führen. Dieses Verhältnis bestimmt die Höhe des Abzugsverbots beim Zahlungsleister der Zahlung, die zu einer importier­ ten Besteuerungsinkongruenz führt.

Im obigen Eingangsbeispiel kann die B-Co insgesamt hybride Betrieb­ sausgabenabzüge in Höhe von 120 GE geltend machen und hat eine Zah­ lung von der C-Co in Höhe von 80 GE erhalten. Bei letzterer Zahlung 336 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 101 Rn. 252; siehe dazu auch das Beispiel 8.2 auf den Seiten 366 ff., welches zugleich das Zusammen­ spiel zwischen der Regel für strukturierte und direkte importierte Besteuerungsin­ kongruenzen illustriert.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

handelt es sich um die Zahlung, die zu einer hybriden Besteuerungsin­ kongruenz führt. Somit kann der Staat C der C-Co den Betriebsausgaben­ abzug für die 80 GE in voller Höhe versagen (80 GE x 120/80). Hätte die B-Co jedoch Zahlungen in Höhe von mehr als 120 GE (also der Höhe des hybriden Betriebsausgabenabzugs) aus mehreren Staaten erhal­ ten, die allesamt die Regel für importierte Besteuerungsinkongruenzen anwenden wollen, so könnten die jeweiligen Staaten den Betriebsausga­ benabzug jeweils nur anteilig versagen. Auf diese Weise wird eine Dop­ pelbesteuerung vermieden. (c) Wasserfallmodell für indirekt importierte Besteuerungs­ inkongruenzen Zuletzt findet bei indirekt importierten Besteuerungsinkongruenzen eine Kombination aus Rückverfolgungs- und Proportionalitätsmethode Anwendung. Mittels dieses sog. „Wasserfallmodells“337 wird bestimmt, in welcher Höhe die geleistete Zahlung, die zu einer importierten Be­ steuerungsinkongruenz führt, indirekt mit einem hybriden Betriebsaus­ gabenabzug verrechnet wurde. Beispiel 6b: Wie das Beispiel 6a, mit dem Zusatz, dass die C-Co die Darlehenssumme wieder­ um an die im Staat D ansässige D-Co weitergegeben hat und hierfür eine Zinszah­ lung in Höhe von 40 GE erhält. Nur die D-Co erzielt Einkünfte aus operativem

Abbildung 16:  Wasserfallmodell für indirekt importierte Besteuerungsinkongru­ enzen 337 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 102 ff. Rn. 255 ff.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2 Geschäft i.H.v. 80 GE. Nur der Staat D hat in dieser Abwandlung die Empfehlun­ gen der OECD umgesetzt.338

Die Fallkante des Wasserfalls stellt die B-Co dar, welche „überschießen­ de“ (daher noch nicht neutralisierte), direkte hybride Betriebsausgaben­ abzüge in Höhe von 120 GE aufweist. Die Zahlung der C-Co an die B-Co in Höhe von 80 GE stellt insoweit eine „finanzierte steuerpflichtige Zah­ lung“ dar, als sie direkt aus den zu einer importierten Besteuerungsin­ kongruenz führenden Zahlungen anderer Konzerneinheiten finanziert wird.339 Um eine solche handelt es sich wiederrum bei der Zahlung der D-Co an die C-Co in Höhe von 40 GE, weshalb die Zahlung der C-Co zur Hälfte (40/80 GE) als finanzierte steuerpflichtige Zahlung behandelt wird. Diese 40 GE werden bei der B-Co voll mit dem hybriden Betriebs­ ausgabenabzug verrechnet. Dies bedeutet weiter unten für die C-Co ei­ nen indirekten hybriden Betriebsausgabenabzug in Höhe von 40 GE, wel­ cher mit der zu einer importierten Besteuerungsinkongruenz führenden Zahlung der D-Co in Höhe von 40 GE voll verrechnet wird. Unten ange­ kommen wird bei der D-Co der Betriebsausgabenabzug versagt. Hier fin­ det wieder die Proportionalitätsmethode Anwendung.340 Der Anteil der nicht abzugsfähigen Zahlung bei der D-Co bestimmt sich nach dem Ver­ hältnis der Höhe des indirekten hybriden Betriebsausgabenabzugs bei der C-Co (hier 40 GE) zu allen von der C-Co erhaltenen Zahlungen, die zu einer importierten Besteuerungsinkongruenz führen (hier 40 GE). Im Bei­ spiel versagt Staat D der D-Co also in voller Höhe den Betriebsausgaben­ abzug in Höhe von 40 GE. bb) Vergleichbare Betriebsstättenkonstellation: Imported Branch Payments Wie jede andere hybride Besteuerungsinkongruenz auch, können auch durch Betriebsstättenkonstellationen hervorgerufene Besteuerungsin­ kongruenzen „importiert“ werden.341

338 Vereinfachte Darstellung von OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestal­ tungen, S. 377 ff. Beispiel 8.5. 339 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 103 Rn. 259, wo­ nach im Falle, dass die „finanzierten steuerpflichtigen Zahlungen“ eines Zah­ lungsempfängers den Betrag der überschießenden hybriden Betriebsausgabenab­ züge des Empfängers überschreiten, die hybriden Betriebsausgabenabzüge des Zahlungsempfängers so behandelt werden sollen, als seien sie proportional mit den finanzierten steuerpflichtigen Zahlungen verrechnet worden. Siehe dazu auch das Beispiel bei Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 161 ff. 340 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 379 Rn. 12. 341 Kahlenberg, IStR 2018, 93, 100 f.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD Beispiel 6c: Etwa kann in den Staaten A und B, welche beide nicht die OECD-Empfehlungen umgesetzt haben, ein sog. Deemed Branch Payment installiert werden.342 Im Ge­ gensatz zum obigen Beispiel führt die Betriebsstätte in Staat B nun ihre Leistun­ gen nicht an einen fremden Dritten, sondern an das in Staat C ansässige, mit der A-Co in Staat A verbundene Unternehmen C-Co aus. Die von der C-Co an die Betriebsstätte gezahlte Vergütung kann in Staat C abgezogen werden, während sie in Staat B mit der fiktiven Ausgleichszahlung verrechnet werden kann.343

Abbildung 17:  Imported Branch Mismatch

Der Effekt soll auch hier neutralisiert werden, indem der C-Co der Abzug der Zahlung insoweit versagt wird, als die entsprechende Einnahme in Staat B (direkt oder indirekt) mit einem hybriden Abzug verrechnet wird.344 Persönliche Voraussetzung bleibt dabei, dass die A-Co und die C-Co an einer strukturierten Gestaltung beteiligt oder miteinander ver­ bunden sind.345

342 Kapitel 1 - B.II.1.b)bb). 343 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 18 f. Rn. 21 ff. 344 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 49 Empfeh­ lung 5.1. 345 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 49 Empfeh­ lung 5.3.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

2. Double Deduction-Ergebnisse Nach der Definition der OECD handelt es sich um ein DD-Ergebnis, wenn eine Zahlung nach den Rechtsvorschriften von mehr als einem Staat abzugsfähig ist.346 Ein „Abzug“ ist grundsätzlich ebenso zu verste­ hen wie bei einem D/NI-Ergebnis.347 Eine Besonderheit liegt hier jedoch darin, dass auch liquiditätsunwirksame Vorgänge wie etwa Abzüge durch Abschreibungen erfasst werden.348 a) Abzugsfähige hybride Zahlungen Die von Staat zu Staat unterschiedliche Einstufung einer Gesellschaft als transparent oder intransparent kann nicht nur zu D/NI-Ergebnissen, sondern auch zu DD-Ergebnissen führen. Hier werden die Zahlungen so­ wohl vom Quellenstaat als auch vom Ansässigkeitsstaat der Mutter­ gesellschaft berücksichtigt. Im Bericht der OECD werden diese Konstel­ lationen als „abzugsfähige hybride Zahlungen“ bezeichnet.349 aa) Allgemeine Regel Zur Erläuterung der allgemeinen Regel für abzugsfähige hybride Zahlun­ gen eignet sich das folgende Beispiel. Beispiel 7a:350 Die im Staat A ansässige Muttergesellschaft A-Co ist an der im Staat B ansässigen Tochtergesellschaft B-Co zu 100 % beteiligt. Letztere nimmt ein Darlehen auf und zahlt dafür Zinsen an die darlehensgewährende Bank. Die B-Co ist ein hybrider Rechtsträger; sie wird in Staat A transparent und in Staat B intransparent behan­ delt. Deshalb kann die B-Co in ihrem Errichtungsstaat B die auf das Darlehen entfallenden Zinsen in voller Höhe als Betriebsausgaben abziehen (Deduction). Dort wird die B-Co mit der C-Co im Rahmen einer Gruppenbesteuerung konsoli­ diert, daher die Betriebsausgaben der B-Co können mit den operativen Betriebsein­ nahmen der C-Co verrechnet werden. In Staat A, welcher die B-Co transparent behandelt und deshalb die Einkünfte bei den Gesellschaftern versteuert, kann ein

346 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 138. In Bezug auf den „Abzug“ kann auf die obigen Ausführungen zum D/NI-Ergebnis verwiesen werden, Kapitel 1 - B.II.1. 347 Siehe Kapitel 1 - B.II.1. 348 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 81 Rn. 192 sowie S. 330 ff. Beispiel 6.1. 349 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 77 ff. Vgl. dazu de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 27 f.; Kahlenberg, NWB 2015, 490, 493 f.; Kahlenberg/Kudert, SWI 2015, 52, 55 f.; Rust, in: Grundfragen des Europäischen Steuer­ rechts, S. 89, 102 ff.; Staats, IStR 2014, 749, 754. 350 Vereinfachte Darstellung von OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestal­ tungen, S. 353 ff. Beispiel 6.5. Ein ähnliches Beispiel findet sich etwa bei Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1281; Popa, ET 2014, 408, 409.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD der Beteiligungshöhe entsprechender Anteil der Zinszahlungen bei der A-Co als Betriebsausgabe berücksichtigt werden (Deduction).

Abbildung 18:  Abzugsfähige hybride Zahlungen

(1) Sachlicher Anwendungsbereich Für die Anwendung der allgemeinen Regel muss eine abzugsfähige Zah­ lung von einem hybriden Zahlungsleister getätigt werden. Einen solchen hybriden Zahlungsleister stellt im Eingangsbeispiel die B-Co dar, da ihre Zahlung an die Bank sowohl im Staat des Zahlungsleisters (Staat B) als auch im Staat der Muttergesellschaft A einen Abzug auslöst.351 Es handelt sich aber erst dann um eine hybride Besteuerungsinkongru­ enz, wenn der Abzug nach den Rechtsvorschriften des Staats des Zah­ lungsleisters mit Einnahmen verrechnet werden kann, bei denen es sich nicht um doppelt berücksichtigte Einnahmen handelt (Non Dual In­ clusion Income).352 Diese einschränkende Voraussetzung findet sich de­ ckungsgleich auch bei den nicht berücksichtigten hybriden Zahlungen.353 Auch hier liegt dies darin begründet, dass nicht eine Doppelberücksich­ tigung der Betriebsausgaben möglich ist. Spiegelbildlich kann es auch 351 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 77 Empfehlung 6.2.(b). Die entsprechende Definition für Betriebsstättenkonstellationen beinhaltet Emp­ fehlung 6.2.(a). 352 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 77 Empfehlung 6.3. 353 Kapitel 1 - B.II.1.b)aa)(1).

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

zur Doppelberücksichtigung von Betriebseinnahmen kommen. Erwirt­ schaftete die B-Co im Eingangsbeispiel etwa selbst operative Einkünfte, so würden diese sowohl in Staat B als auch in Staat A berücksichtigt. Soweit die Betriebsausgaben der B-Co nur mit diesen Einnahmen ver­ rechnet werden, findet die Regel keine Anwendung.354 Im Eingangsbeispiel konnte die B-Co ihre Ausgaben mit den Einnahmen der C-Co im Rahmen eines Gruppenbesteuerungssystems verrechnen.355 Da es sich bei der C-Co nicht um einen hybriden Rechtsträger handelt, werden ihre Einnahmen aus dem operativen Geschäft auch nicht dop­ pelt – etwa zusätzlich bei der A-Co – berücksichtigt. Nimmt man die Einschränkung beim Wort, so findet die Regel nur dann Anwendung, wenn eine Verrechnung mit Non Dual Inclusion Income auch tatsächlich stattfindet. Im Umkehrschluss hieße das, dass eine An­ passung unterbleibt, wenn im Ausland keinerlei Verrechnung stattfindet und der Betrag dort nicht nutzbar gemacht werden kann. Das wäre im Eingangsbeispiel der Fall, wenn die B-Co ihre Betriebsausgaben nicht mit den operativen Einnahmen der C-Co verrechnen könnte. Ein solches Ver­ ständnis des Kriteriums bedeutete jedoch, dass ein Nachweis darüber er­ forderlich ist, wie der Betriebsausgabenabzug im anderen Staat eingesetzt wurde. Das möchte man der Steuerverwaltung jedoch ersparen. Sie muss deshalb nicht wissen, ob der Betriebsausgabenabzug in dem anderen Staat effektiv mit nicht doppelt berücksichtigten Einnahmen verrechnet worden ist.356 Deshalb genügt für die Anwendung der Regel bereits die Annahme, dass eine Verrechnungsmöglichkeit im anderen Staat dem Grunde nach besteht.357 Das verdeutlicht die Ausnahme für sog. „nicht ausgleichsfähige Verlus­ te“ („Stranded Losses“). Damit ist eine Situation gemeint, in welcher Staat A die Inkongruenz neutralisieren möchte, obwohl es in Staat B zu keiner schädlichen Verrechnung gekommen ist. Um das zu vermeiden, kann der Betriebsausgabenabzug zugelassen werden, wenn der Steuer­ pflichtige die entsprechende Situation nachweist.358 Aus den Beispielen im Anhang lässt sich darüber hinaus folgern, dass die Verluste endgültig nicht mehr ausgleichsfähig sein müssen. Deshalb muss im Ansässig­ keitsstaat überzeugend dargelegt werden, dass der Steuerpflichtige im 354 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 77 Empfehlung 6.1.(c). 355 Die Verrechnung in einem Organschaftskreis stellt den gängigsten Mechanismus dar, um den doppelten Betriebsausgabenabzug mit nicht doppelt berücksichtigen Einnahmen zu verrechnen. Für andere Möglichkeiten siehe OECD, Neutralisie­ rung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 87 Rn. 214. 356 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 239 Beispiel 6.2 Rn. 6 ff. 357 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 196. 358 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 77 Empfehlung 6.1.(c).

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

anderen Staat nicht länger von etwaigen Vortragsverlusten profitieren kann.359 Spätestens hier wird deutlich, dass der OECD die Rechtspre­ chung des EuGH zu den sog. finalen Verlusten vor Augen gestanden hat.360 (2) Persönlicher Anwendungsbereich In persönlicher Hinsicht unterscheidet sich der Anwendungsbereich der Primary Response von dem der Defensive Rule. So unterliegt die Primary Response keinerlei Einschränkungen. Die Defensive Rule soll hin­ gegen nur dann greifen, wenn (i) die beteiligten Personen zum selben Konzern361 gehören oder (ii) wenn es sich um eine strukturierte Gestal­ tung362 handelt, an welcher der Steuerpflichtige beteiligt ist.363 bb) Neutralisierung des Effekts Zur Neutralisierung der hybriden Besteuerungsinkongruenz schlägt die OECD auch bei abzugsfähigen hybriden Zahlungen ein zweistufiges Konzept, bestehend aus einer Primary Response und einer Defensive Rule, vor. Löst eine Zahlung, die im Staat des Zahlungsleisters abzugsfähig ist, ei­ nen nochmaligen Abzug im Staat der Muttergesellschaft aus, so erlegt es die vorrangige Maßnahme dem Staat der Muttergesellschaft auf, den nochmaligen Abzug zu versagen. Der persönliche Geltungsbereich die­ ser Regel wird – wie oben festgehalten – nicht beschränkt. Handelt der Staat der Muttergesellschaft nicht, so findet die Abwehrregel Anwen­ dung. Hiernach soll der Staat des Zahlungsleisters den Abzug der Zah­ lung versagen, soweit sie zu einem DD-Ergebnis führt.364 Der Anwen­ dungsbereich dieser Regel ist in persönlicher Hinsicht auf konzernzu­ gehörige Personen und Beteiligte an einer strukturierten Gestaltung beschränkt.365 Wie auch bei den nicht berücksichtigten hybriden Zahlungen wird dem Steuerpflichtigen hinsichtlich des Dual Inclusion Income eine intertem­ porale Verrechnungsmöglichkeit gewährt. Die zeitliche Einordnung von 359 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 84 Rn. 202 sowie S. 357 ff. Beispiel 7.1 Rn. 13. 360 Kahlenberg/Kudert, SWI 2015, 52, 56; Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 104. 361 Kapitel 1 - B.II.1.b)aa)(2). 362 Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(2). 363 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 87 Rn. 215. 364 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 77 Empfehlung 6.1.(b). 365 Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(2) sowie Kapitel 1 - B.II.1.b)aa)(2).

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

Ausgaben und Einnahmen soll keinen Einfluss auf das Vorliegen von Be­ steuerungsinkongruenzen haben.366 Können deshalb doppelte Betrieb­ sausgabenabzüge im aktuellen Veranlagungszeitraum nicht mit doppelt berücksichtigten Einnahmen verrechnet werden, so können sie in einen anderen Veranlagungszeitraum vorgetragen werden, um sie dann mit doppelt berücksichtigen Einnahmen zu verrechnen. Sieht das nationale Steuersystem eine Rücktragsmöglichkeit für Verluste vor, so soll ein Rücktrag auch für doppelt berücksichtigte Betriebsausgaben gewährt werden.367 Hinsichtlich der Zuweisung des Steuersubstrats bleibt festzuhalten, dass es vorrangig dem Staat der Muttergesellschaft (im Beispiel Staat A) und nicht dem Staat des Zahlungsleisters (im Beispiel Staat B) zugewiesen wird. Dahinter steht die Erwägung, dass die Zahlung im Staat des Zah­ lungsleisters „tatsächlich geleistet“ wird, während im Staat der Mutter­ gesellschaft lediglich eine nochmalige – gewissermaßen fiktionale – Be­ rücksichtigung erfolgt.368 cc) Vergleichbare Betriebsstättenkonstellation: Double Deduction Branch Payments Ein gleich gelagertes Szenario stellen die sog. Double Deduction Branch Payments dar.369 Um eine solche Konstellation handelt es sich, wenn man im Ausgangsbeispiel zu den abzugsfähigen hybriden Zahlungen370 den hybriden Rechtsträger in Staat B durch eine Betriebsstätte ersetzt. Beispiel 7b:371 Besteht etwa zwischen Staat A und Staat B kein Doppelbesteuerungsabkom­ men372, so sind die durch die Betriebsstätte geleisteten Zahlungen u.U. sowohl im Stammhausstaat A, als auch im Betriebsstättenstaat B abzugsfähig. Dies kann der Fall sein, wenn beide Staaten unterschiedliche Auffassungen über das Bestehen einer Betriebsstätte oder die Zuordnung der Zahlung haben.373 Der Abzug in Staat B kann dann ebenfalls im Rahmen eines Gruppenbesteuerungsregimes, z.B. mit den positiven Einkünften einer operativ tätigen C-Co, verrechnet werden.374

366 Kapitel 1 - B.II.1.b)aa)(3). 367 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 84 Rn. 201. 368 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 90 Rn. 217. 369 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 17 f. Rn. 15 ff. 370 Kapitel 1 - B.II.2.a)aa). 371 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 330 ff. Bei­ spiel 6.1; Allram/Hörtenhuber, in: Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie, S. 131, 139. 372 Kahlenberg, IStR 2018, 93, 100. 373 Kahlenberg, IStR 2018, 93, 99 f. 374 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 18 Rn. 19.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

Abbildung 19:  Double Deduction Branch Payments

Die Empfehlungen zu den sog. Double Deduction Branch Payments ­decken sich mit denen zu den abzugsfähigen hybriden Zahlungen.375 Vor­ rangig soll dem „Investor“, hier also dem Stammhaus A-Co, der Abzug der Zahlung versagt werden.376 Nachrangig soll dem „Zahlenden“, hier also der Betriebsstätte in Staat B, der Abzug der Zahlung versagt wer­ den.377 Jeweils soll dies nur insoweit geschehen, als der Abzug mit nicht doppelt berücksichtigten Einnahmen (Non Dual Inclusion Income) ver­ rechnet werden kann.378 b) Doppelt ansässige Steuerpflichtige Schließlich können DD-Ergebnisse durch den Einsatz von doppelt ansäs­ sigen Steuerpflichtigen, sog. Dual Residents, erzielt werden. Das histori­ sche Beispiel für derartige Gestaltungen stellt die sog. Delaware Link Company dar.379 Die diesbezüglichen Empfehlungen ähneln stark jenen für abzugsfähige hybride Zahlungen.380 375 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 43 ff.; dazu Kahlenberg, IStR 2018, 93, 99 f. 376 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 43 Empfeh­ lung 4.1.a. 377 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 43 Empfeh­ lung 4.1.b. 378 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 43 Empfeh­ lung 4.3. 379 Dazu Niemann, Doppelte Verlustberücksichtigung, S. 22 f. 380 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 89 ff. Vgl. de Boer/ Marres, Intertax 2015, 14, 28 f.; Kahlenberg, NWB 2015, 490, 495; Rust, in: Grund­

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2 Beispiel 8:381 Die im Staat A ansässige A-Co erwirtschaftet operative Einkünfte in Höhe von 300 GE ist zu 100 % an der AB-Co beteiligt, welche sowohl von Staat A als auch von Staat B als dort ansässig behandelt wird. Nach den Rechtsvorschriften von Staat A werden A-Co und AB-Co im Rahmen eines Gruppenbesteuerungssystems konsolidiert.382 Ferner ist die AB-Co zu 100 % an der in Staat B ansässigen B-Co beteiligt. Die B-Co erwirtschaftet operative Einkünfte in Höhe von 350 GE und wird von Staat B als transparent, von Staat A hingegen als eigenständiges Steuer­ subjekt behandelt. Sie stellt folglich einen sog. umgekehrt hybriden Rechtsträger dar. Die AB-Co nimmt bei einer Bank ein Darlehen auf, für welches sie 150 GE Zinsen zahlt. Aufgrund der doppelten Ansässigkeit der AB-Co sind die Zinszah­ lungen sowohl in Staat A (Deduction) als auch in Staat B (Deduction) abzugsfähig.

Abbildung 20:  Doppelt ansässige Rechtsträger

fragen des Europäischen Steuerrechts, S. 89, 102 ff.; Staats, IStR 2014, 749, 755; Valta, ISR 2014, 249, 253 f. 381 Das Beispiel basiert auf OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltun­ gen, S. 357 ff. Beispiel 7.1. 382 Im Falle der „Delaware link company“ wurde die amerikanische Gruppenbesteue­ rung („consolidated return“) und die britische Gruppenbesteuerung („group relief“) genutzt.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

aa) Anwendungsbereich Für die Anwendung der Regel bedarf es zunächst eines doppelt ansässi­ gen Steuerpflichtigen.383 Im Beispiel ist dies die AB-Co, welche sowohl im Staat A als auch im Staat B ansässig ist.384 Weiter besteht nur insoweit eine hybride Besteuerungsinkongruenz, als die doppelten Ausgaben mit nicht doppelt berücksichtigten Einnahmen verrechnet werden.385 Diese Voraussetzung deckt sich mit der bei den abzugsfähigen hybriden Zahlungen und dient ebenfalls dazu, einer Dop­ pelbesteuerung entgegenzuwirken. Es kann deshalb auch auf die Ausfüh­ rungen bezüglich der sog. Stranded Losses verwiesen werden.386 Das Ausgangsbeispiel zeigt zwei Möglichkeiten, um die doppelt berück­ sichtigten Betriebsausgaben nutzbar zu machen, ohne dass gleichzeitig doppelt berücksichtigte Betriebseinnahmen entstehen. So wird im Beispiel die AB-Co im Staat A mit der A-Co konsolidiert. Die Betriebsausgaben für die Zinsen in Höhe von 150 GE können folglich mit den operativen Einnahmen der A-Co in Höhe von 350 GE verrechnet werden, sodass am Ende nur 200 GE besteuert werden. Die Einnahmen der A-Co werden nicht zusätzlich in Staat B besteuert, weshalb die Aus­ nahme insoweit keine Anwendung findet. Ebenso werden auch die Einnahmen der B-Co nur in Staat B besteuert: Von Staat B wird die B-Co steuerlich transparent behandelt. In der Folge können die operativen Einnahmen in Höhe von 350 GE bei der AB-Co als Gesellschafterin mit den Betriebsausgaben für die Zinsen verrechnet werden. In Staat A werden die Einnahmen der B-Co jedoch nicht berück­ sichtigt, da die B-Co aus seiner Sicht ein eigenständiges Steuerrecht­ subjekt darstellt und ihre Einkünfte daher nicht bei der (auch) dort ansäs­ sigen Anteilseignerin AB-Co besteuert werden. Hier zeigt sich die Bewandtnis von B-Co als umgekehrt hybriden Rechtsträger. Qualifizier­ te Staat A diese ebenfalls als transparent, so würden die operativen Ein­ nahmen der B-Co auch dort bei der AB-Co, also doppelt berücksichtigt werden. Mit der Gestaltung wäre insoweit kein steuerlicher Vorteil ver­ bunden und die Regel für doppelt ansässige Steuerpflichtige fände dem­ entsprechend keine Anwendung.

383 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 89 Empfehlung 7.2. 384 Zu den Ursachen Kapitel 1 - B.I.2.d). 385 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 89 Empfehlung 7.3. 386 Kapitel 1 - B.II.2.a)aa)(1). Vgl. auch OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 357 ff. Beispiel 7.1

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

In persönlicher Hinsicht bestehen hier keinerlei qualifizierte Vorausset­ zungen für die Anwendung der Regel; ihr Geltungsbereich unterliegt kei­ nerlei Einschränkungen.387 bb) Neutralisierung des Effekts Zur Neutralisierung des Effekts der hybriden Gestaltung schlägt die OECD lediglich eine vorrangige Maßnahme vor, die jedoch von beiden beteiligten Staaten anzuwenden ist. Jeder Ansässigkeitsstaat soll den Be­ triebsausgabenabzug insoweit versagen, als es zu einem DD-Ergebnis kommt.388 Eine von beiden Staaten gleichermaßen anzuwendende Regel bricht mit der sonst überwiegend vorherrschenden Systematik einer vor­ rangigen Maßnahme und einer Abwehrregel. Die OECD begründet diese Entscheidung damit, dass bei Gestaltungen mit doppelt ansässigen Steu­ erpflichtigen nicht einfach festgelegt werden kann, wo eine Zahlung „tatsächlich“ getätigt wurde und wo es lediglich zu einer „nochmaligen Berücksichtigung“ gekommen ist.389 Vielmehr herrscht hier eine Pattsi­ tuation. Im Beispiel sehen sowohl die Rechtsvorschriften von Staat A als auch die von Staat B die AB-Co als jeweils im eigenen Staat ansässig an. Kriterien, nach welchen einem bestimmten der beiden Staaten das vor­ rangige Besteuerungsrecht zukommen und die Pflicht zur vorrangigen Neutralisierung auferlegt werden soll, lassen sich nicht ausmachen. Ins­ besondere helfen hier die Verteilungsnormen eines Doppelbesteuerungs­ abkommens nicht weiter, da die Gesellschaft eben in beiden Staaten ­unbeschränkt steuerpflichtig ist. Deshalb wird die Maßnahme zur Neu­ tralisierung beiden beteiligten Staaten gleichermaßen empfohlen. Die bereits oft angesprochene Gefahr der Doppelbesteuerung ist in diesem Fall augenscheinlich. Diesbezüglich sieht die OECD die einzige Lösung darin, dass der betroffene Steuerpflichtige selbst die Initiative ergreift und sich aus der misslichen Lage gewissermaßen „herausgestaltet“.390 Hierzu zeigt die OECD verschiedene gangbare Wege auf, die allesamt darauf hinauslaufen, dass der Steuerpflichtige doppelt berücksichtigte Einnahmen generiert und es so zu keiner hybriden Besteuerungsinkon­ gruenz kommen lässt. Als Beispiel sei hier lediglich genannt, dass die AB-Co die von der Bank erlangten Mittel auch an die A-Co weitergeben und dafür einen ebenso hohen Zinssatz verlangen könnte. Die erhalte­ nen Zinserträge würden ebenso wie die Zinsaufwendungen in Staat A und B berücksichtigt und es ergäbe sich keine hybride Besteuerungsin­ kongruenz.391 387 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 89 Empfehlung 7.4. 388 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 89 Empfehlung 7.1.(a). 389 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 90 Rn. 217. 390 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 92 Rn. 227. 391 Siehe zu den Gestaltungsvarianten OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 360 f. Beispiel 7.1 Rn. 9 ff.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

Im Übrigen finden sich dieselben Instrumente zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung wie auch bei den abzugsfähigen hybriden Zahlungen. Doppelte Betriebsausgabenabzüge können in andere Veranlagungszeit­ räume vor- oder zurückgetragen werden, um sie gegebenenfalls dort mit doppelt berücksichtigten Einnahmen zu verrechnen.392 Können doppelte Betriebsausgabenabzüge in einem Staat nicht genutzt (also mit nicht doppelt berücksichtigen Einnahmen verrechnet) werden, so kann der an­ dere Staat auf den Nachweis des Steuerpflichtigen hin ausnahmsweise die Verrechnung mit nicht doppelt berücksichtigen Einnahmen zulas­ sen.393

III. Zusammenfassende Gesamtschau Durch Unterschiede in den nationalen Steuerrechtsordnungen kann ein und derselbe Sachverhalt in mehreren Staaten jeweils steuerlich günstig behandelt werden. Diesen Umstand können sich Unternehmen mittels hybrider Gestaltungen zunutze machen, was mitunter als „internationa­ le Steuerarbitrage“ oder „aggressive Steuerplanung“ beschrieben wird.394 Die Inkongruenzen können sich in zweierlei Gestalt niederschlagen, nämlich (i) in einem Betriebsausgabenabzug und der Nichterfassung der korrespondierenden Einnahme und (ii) in einer doppelten Erfassung einer Betriebsausgabe. Da die Empfehlungen der OECD entscheidend auf das Vorliegen solcher sog. D/NI- und DD-Ergebnisse abstellen, bilden sie das zentrale Kriterium zur Kategorisierung hybrider Gestaltungen. Herbei­ führen lassen sie sich durch hybride Finanzinstrumente und hybride Ge­ sellschaften (respektive hybride Betriebsstättenstrukturen). Die Antwort der OECD ist die möglichst flächendeckende Einführung einer kor­ respondierenden Besteuerung. Neben wenigen spezifischen Empfehlun­ gen zur Änderung des nationalen Rechts finden sich vor allem allgemei­ ne Empfehlungen in Gestalt sog. Linking Rules, mittels welcher die steuerliche Behandlung der Steuerpflichtigen miteinander verknüpft wird. Meist setzen sich diese aus einer vorrangigen Maßnahme (Primary Response) und einer nachrangigen Abwehrregel (Defensive Rule) zusam­ men. Zusammenfassend können die erfassten hybriden Gestaltungen in folgender Tabelle dargestellt werden.

392 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 93 Rn. 228. 393 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 93 Rn. 229. 394 Kofler/Kofler, in: FS Djanani, S. 381, 381 ff.; Rosembuj, Intertax 2011, 158, 159.

70

B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2 Tabelle 1:  OECD-Empfehlungen im Überblick

Bezeichnung der Konstellation

Spezifische Empfehlung

Staat des Zahlungs­ leisters neutrali­ siert

Staat des Zahlungs­ empfän­ gers neu­ tralisiert

(+)

Nicht Deemed berück­ Branch Paysichtigte ments hybride Zahlungen

Staat des Zahlungs­ leisters neutrali­ siert

Staat des Zahlungs­ empfän­ gers neut­ ralisiert (nur hybri­ de Rechts­ träger)395

(–) hinsicht­ lich nicht be­ rücksichtigter hybri­der Zah­ lungen; (+) hinsicht­ lich Deemed Branch ­Payments

Umge­ kehrt ­hybride Rechts­ träger

Disre­garded Branch Payments, Diverted Branch Payments

Staat des Zahlungs­ leisters neutrali­ siert

(–)

(+)

Importier­ Imported te Besteu­ Branch Miserungsin­ matches kongruen­ zen

Staat des Zahlungs­ leisters neutrali­ siert

(–)

(–)

Double ­Deduction Branch Pay­ ments

Staat der Mutterge­ sellschaft neutrali­ siert

Staat des Zahlungs­ leisters neutrali­ siert

(–)

D/NI-­ Hybride Ergeb­ Finanz­ instru­ nisse mente

DDErgeb­ nisse

Vergleichba- Allgemeine Regel re Betriebs­ stättenkon­ stellation Primary Defensive ­Response Rule

Abzugsfä­ hige hybri­ de Zah­ lungen

(–)

(–) Doppelt ansässige Rechtsträ­ ger

Beide Staa­ (–) ten neutra­ lisieren

(–)

395 Für die Betriebsstättenkonstellation der sog. Deemed Branch Payments findet sich indes keine Abwehrregel, vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mis­ match Arrangements, S. 35.

71

Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

Im Folgenden werden die Empfehlungen einer zusammenfassenden Ge­ samtschau unterzogen und dabei die zugrundeliegenden Leitgedanken herausgearbeitet. 1. Korrespondierende Besteuerung Die vom OECD-Bericht vorgeschlagenen Rechtsvorschriften verstehen sich selbst als Korrespondenzregeln bzw. Linking Rules.396 Der Begriff der Korrespondenz hat sich bereits seit langer Zeit im steuerrechtlichen Sprachgebrauch etabliert. Im Bereich des Internationalen Steuerrechts wird die Technik einer korrespondierenden Besteuerung gar als „Mega­ trend“ ausgemacht.397 Dennoch hat der Begriff bislang keine einheitliche Definition erfahren.398 Den Versuch einer allgemeingültigen Definition möchte diese Arbeit nicht unternehmen. Dennoch sollen an dieser Stelle die wesentlichen Grundzüge des dem OECD-Bericht zugrundeliegenden „Korrespondenzbegriffs“ herausgearbeitet werden. Die in diesem Sinne verstandene Korrespondenz wird der weiteren Bearbeitung zugrunde ge­ legt.399 Schaut man zunächst in den OECD-Bericht, so handelt es sich bei den Korrespondenzregeln ganz allgemein um solche, welche die „[…] steuerliche Behandlung von Rechtsträgern, Instrumenten oder Übertragungen an deren steuerliche Behandlung in einem anderen Staat knüpfen“.400 Hieraus lässt sich destillieren, dass den Empfehlungen jeweils eine internationale, also staatenübergreifende Betrachtung zugrunde liegt.401 In der bisherigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit hybriden Gestaltungen wurde außerdem herausgearbeitet, dass den Korrespon­ denzregeln der OECD auch eine interpersonale Betrachtung zugrunde liegt.402 Demnach ist die Korrespondenz als eine Verknüpfung der steuer­ lichen Behandlung zweier Steuerrechtssubjekte zu verstehen. Selbst wenn nämlich ein Finanzinstrument unterschiedlich behandelt wird, treten die damit verbundenen steuerlichen Folgen bei jeweils einer ande­ ren Person ein.403 396 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 17 Rn. 2. 397 Blumenberg/Oertel, in: StbJb. 2017/2018, S. 453, 454. 398 Rüsch, FR 2019, 759, 765. 399 Insbesondere der grundfreiheitlichen Prüfung in Kapitel 4 - C. 400 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 17 Rn. 2. 401 Vgl. auch Valta, ISR 2014, 249, 250. 402 Mechtler, Hybrid Mismachtes im Ertragsteuerrecht, S. 31. 403 Vom Grundsatz der interpersonalen Korrespondenz lassen sich bei genauerer Be­ trachtung zwei Ausnahmen ausmachen. So betreffen die Empfehlungen für Deemed Branch Payments (Kapitel 1 - B.II.1.b)bb)) und Double Deduction Branch Payments (Kapitel 1 - B.II.2.a)cc)) jeweils die steuerliche Behandlung eines Steuer­ pflichtigen. Dort wird die Besteuerung der Betriebsstätte von der Besteuerung des Stammhauses abhängig gemacht (und umgekehrt). Der weiteren Untersuchung

72

B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

Auf dieser Basis lassen sich zwei Ausprägungen des dem Bericht zugrun­ deliegenden Korrespondenzgedankens ausmachen, die sich jeweils in zwei weitere Aspekte unterteilen.404 Zuvorderst ist dies das Abzugsverbot beim Leistenden. Damit sind einer­ seits solche Rechtsvorschriften gemeint, die einer Zahlung die Abzugsfä­ higkeit als Betriebsausgaben beim Leistenden in einem Staat insoweit versagen, als die Zahlung beim Empfänger in einem anderen Staat keiner oder lediglich einer geringen Besteuerung unterliegt (D/NI-Ergebnisse)405. Andererseits fallen hierunter auch solche Rechtsvorschriften, welche die Abzugsfähigkeit als Betriebsausgabe in einem Staat insoweit versagen, wie bereits bei einem anderen Steuerpflichtigen in einem anderen Staat als abzugsfähig behandelt wird (DD-Ergebnisse).406 Seltener ist die Besteuerung beim Empfänger anzutreffen (D/NI-Ergeb­ nisse).407 Genau genommen kann sie auf zwei Wegen erreicht werden. Einerseits kann die eigentlich bestehende Steuerbefreiung beim Empfän­ ger in Staat A im Ausmaß der Abzugsfähigkeit beim Leistenden in Staat B versagt werden.408 Wenn man so will, wird eine bislang steuerfreie Ein­ nahme damit steuerpflichtig. Es handelt sich dabei um eine Rückausnah­ me (Regelfall: steuerbar und steuerpflichtig; Ausnahme: steuerbar und steuerfrei; Rückausnahme: steuerbar und wieder steuerpflichtig).409 An­ dererseits kann eine Einnahme auch ausnahmsweise erst erfasst werden. Anders formuliert wird eine bislang nicht steuerbare Einnahme dadurch steuerbar. Hierbei handelt es sich um eine Ausnahme (Regelfall: nicht steuerbar; Ausnahme: steuerbar).410

wird – soweit nicht anders gekennzeichnet – gleichwohl der interpersonale Korres­ pondenzgedanke zugrunde gelegt. 404 Dazu Mechtler, Hybrid Mismachtes im Ertragsteuerrecht, S. 32. 405 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 25 Empfehlung 1.1.(a). 406 Mechtler, Hybrid Mismachtes im Ertragsteuerrecht, S. 32. 407 Mechtler, Hybrid Mismachtes im Ertragsteuerrecht, S. 32. 408 Vgl. Mechtler, Hybrid Mismachtes im Ertragsteuerrecht, S. 32. 409 Vgl. dazu etwa OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 25 Empfehlung 1.1.(b). sowie S. 54 Empfehlung 2.1. 410 Vgl. etwa OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 57 Emp­ fehlung 3.1.(b). Diese „Spielart“ des Korrespondenzgedankens bricht mit dem jüngsten Versuch einer Definition von Rüsch, FR 2019, 759, 765, wonach eine kor­ respondierende Besteuerung verwirklich wird, „[…] wenn eine eigentlich vorgesehene Minderung der Bemessungsgrundlage unter einem Besteuerungsvorbehalt steht, wie der zugrunde liegende Sachverhalt steuerlich anderweitig behandelt wird.“ Hier mangelt es nämlich an einer „eigentlich vorgesehenen Minderung“. Eigentlich vorgesehen ist hier schlicht die Nichtberücksichtigung der Einnahme.

73

Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

2. Aufbau und Anwendungshierarchie Betrachtet man zunächst die allgemeinen Linking Rules, findet sich grundsätzlich ein zweistufiger Aufbau, bestehend aus einer vorrangigen Maßnahme (Primary Response) und einer Abwehrregel (Defensive Rule). Nicht selten wird dieser Grundsatz jedoch durchbrochen. So sieht die Empfehlung für umgekehrt hybride Rechtsträger keine Abwehrregel vor, wohl weil davon ausgegangen wird, dass sie angesichts der spezifischen Empfehlung nicht erforderlich ist. Selbiges gilt für die Betriebsstätten­ konstellationen der Disregarded Branch Structures, Diverted Branch Payments sowie Deemed Branch Payments. Hinsichtlich der doppelt ansässigen Rechtsträger finden sich zwar Empfehlungen an beide betei­ ligten Staaten, jedoch unterliegen sie keiner Anwendungshierarchie. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass sich in beiden Staaten die exakt gleiche Situation vorfindet; der Rechtsträger ist eben in beiden Staaten ansässig. Schließlich findet sich bei den importierten Besteuerungsin­ kongruenzen lediglich eine Empfehlung an den Staat des Zahlungsleis­ ters. Eine Abwehrregel, welche dem Staat des Zahlungsempfängers eine Berücksichtigung als Einnahme vorschreibt, ist hier jedoch auch nicht erforderlich, da die entsprechende Zahlung dort (i) ohnehin als Einnahme erfasst wird und (ii) davon ausgegangen wird, dass es sich im einen Dritt­ staat handelt, welcher die OECD-Empfehlungen daher ohnehin nicht umsetzen wird. 3. Zuweisung von Steuersubstrat Eine hybride Besteuerungsinkongruenz bewirkt die steuerlich vorteilhaf­ te Behandlung411 eines Sachverhalts durch jeweils beide beteiligten Staa­ ten. Neutralisiert man nun diese Inkongruenz, indem man die steuerlich vorteilhafte Behandlung in einem Staat versagt, weist man damit unwei­ gerlich zugleich einem der beteiligten Staaten Steuersubstrat zu.412 Bei den Empfehlungen handelt es sich um durchaus folgenreiche Grund­ satzentscheidungen darüber, wem vorrangig der metaphorische „first

411 Streng genommen stellt die Berücksichtigung von Betriebsausgaben keinen Vor­ teil (im Sinne einer Bevorzugung gegenüber anderen Steuerpflichtigen) dar, son­ dern ist durch das objektive Nettoprinzip gerade geboten. Für Zwecke dieser Arbeit wird ein „Steuervorteil“ im Sinne des EuGH verstanden, vgl. EuGH, ­ Urt. v. 17.7.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:2014: 2087 – Nordea Bank, Rn. 20. Der Be­ griff beschreibt eine von zwei möglichen Alternativen zur steuerlichen Behand­ lung eines Geschäftsvorfalls, welche zur niedrigeren Bemessungsgrundlage als die jeweils andere Alternative führt. Vorteilhaft ist demnach der Abzug einer Betriebs­ ausgabe sowie die Nichterfassung einer Einnahme, nachteilhaft die Versagung des Abzugs einer Betriebsausgabe sowie die Erfassung einer Einnahme. 412 Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 255; Schnitger/Weiss, IStR 2014, 508, 509.

74

B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

bite of the apple“413 zustehen soll. Zumindest explizit enthält der Bericht zum Aktionspunkt 2 keine Ausführungen dazu, welche Erwägungen konkret hinter der Zuweisung des Steuersubstrates stehen.414 Hier fragt sich, ob den Entscheidungen ein Prinzip zugrunde liegt. Naheliegend ist es, die Suche bei der Zielsetzung des BEPS-Projektes zu beginnen. Hier findet sich die Aussage, dass Gewinne dort besteuert wer­ den sollen, wo die wirtschaftlichen Aktivitäten stattfinden und die Wert­ schöpfung erfolgt. Sie zieht sich durch alle Aktionspunkte des BEPS-Pro­ jektes und steht dabei stets programmatisch an vorderster Stelle.415 Die Frage nach objektiven Maßstäben für die Aufteilung des Steuersubstrats dürfte so alt sein wie das internationale Steuerrecht selbst.416 Aktuell ist der Ort der Wertschöpfung besonders wegen der Besteuerung der sog. Digital Economy wieder in aller Munde.417 Sind die Linking Rules folglich Ausdruck einer Entscheidung darüber, in welchem der beteiligten Staa­ ten die tatsächliche Wertschöpfung stattgefunden hat? Weist die Primary Response eben diesem Staate das vorrangige Besteuerungsrecht zu? Die Antwort lautet: Nein.418 Es geht bei der Neutralisierung von Effekten hybrider Gestaltungen nicht darum, eine bestimmte wirtschaftliche Ak­ tivität in den Blick zu nehmen und den erwirtschafteten Gewinn einem Fiskus zuzuteilen.419 Überhaupt kann bei den Linking Rules ein allge­ meines Prinzip, welchem die Zuweisung von Steuersubstrat folgt, kaum ausgemacht werden.420 Eher scheint hier die sich jeweils ergebende Kon­ stellation isoliert bewertet zu werden: Beispielsweise wird bei einem D/ NI-Ergebnis das Steuersubstrat dem Staat zugewiesen, dessen Bemes­ sungsgrundlage gemindert wurde. Nur nachrangig wird es dem Staat zu­ gewiesen, in welchem die Erhöhung der Bemessungsgrundlage „verhindert“ wurde. Schon bei DD-Ergebnissen hilft diese Differenzierung nicht mehr weiter, da in gleich zwei Staaten die Bemessungsgrundlage gemin­ dert wurde. Im Zusammenhang mit hybriden Rechtsträgern scheint man davon auszugehen, dass eine Zahlung im Errichtungsstaat „tatsächlich“ und im Investorenstaat „zusätzlich“ berücksichtigt wird. Mit anderen 413 de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 17. 414 Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 255. 415 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 3. 416 Vgl. Härtwig, in: US-Steuerreform - Der Tax Cuts and Jobs Act 2017, S. 105, 108 f.; Piltz, IStR 2015, 529, 531; Rödder, in: FS Lang, S. 1147, 1150 ff.; Schön, StuW 2012, 213, 213 f.; Schön, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 109, 116 f. 417 Vgl. Hentschel/Hörnicke/Kraft, Ubg 2019, 673, 673 ff.; Bußmann/Reusch/Ma­ jewski, DB 2020, 584, 586 f.; Mammen/Jansen, Ubg 2018, 344, 344 ff. Diesem Thema widmet sich Aktionspunkt 1 des BEPS-Projekts. 418 Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 259. 419 Vgl. Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 259. 420 Vgl. Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 259.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

Worten wird die Berücksichtigung beim Gesellschafter einer Gesell­ schaft auf Basis einer Transparenzbetrachtung als vergleichsweise artifizi­ ell erachtet. Folglich sollte die Minderung der Bemessungsgrundlage in diesem Staat nicht eintreten, sondern dort, wo der Rechtsträger steuerlich intransparent behandelt wird. Schließlich versagt diese Differenzierung wiederum bei DD-Ergebnissen mit doppelt ansässigen Rechtsträgern. We­ gen der spiegelbildlichen Situation scheinen sich Differenzierungskriteri­ en hier schlicht nicht zu ergeben. Das einzig verbleibende „Muster“ kann nach alledem nur darin erblickt werden, dass vorrangig stets die Erodierung (im Sinne einer Minderung) der Steuerbemessungsgrundlage verhindert wird. Derart allgemein for­ muliert ist man wieder bei der Bezeichnung des gesamten, 15 Ak­ tionspunkte umfassenden, Projekts angelangt: Base Erosion and Profit Shifting. Eine Entscheidung über die Zuweisung von Steuersubstrat kann auf dieser Basis nicht getroffen werden, wie sich etwa an den DD-Ergeb­ nissen zeigt. Der Zuweisung von Steuersubstrat liegt damit kein Prinzip zugrunde. Anders formuliert: Es geht den Linking Rules weniger darum, wer besteuert. Es geht ihnen vor allen Dingen darum, dass besteuert wird.421 4. Methodischer Ansatz Den Linking Rules ist gemein, dass sie lediglich auf ein vorgefundenes D/NI- oder DD-Ergebnis reagieren und die Besteuerungskonsequenzen entsprechend der Zielsetzung des BEPS-Projektes anpassen. Nicht jedoch soll die grundlegende Qualifikation eines wirtschaftlichen Sachverhalts durch die Rechtsvorschriften des jeweiligen Staates beeinflusst wer­ den.422 Die Steuerrechtssysteme sollen weitestgehend unberührt bleiben. Angesetzt wird folglich beim Symptom statt bei der Ursache. So verstan­ den könnte man die Linking Rules als den Versuch einer „mittelbaren Harmonisierung“ erachten.423 5. Besonderheiten bei spezifischen Empfehlungen Spezifische Empfehlungen finden sich bezüglich hybride Finanzinstru­ mente (einschließlich hybrider Übertragungen mit TC/TC-Ergebnis), umgekehrt hybrider Rechtsträger sowie der zu D/NI-Ergebnissen führen­ den Betriebsstättenkonstellationen424. Wichtig ist hier zunächst die Fest­ 421 Vgl. Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 259. 422 Vgl. etwa OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 36 Rn. 50; Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288, 290 f. 423 Vgl. Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 261. 424 Gemeint sind Deemed Branch Payments, Disregarded Branch Structures und Diverted Branch Payments.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

stellung, dass die spezifischen Empfehlungen ebenso Ausdruck einer korrespondierenden Besteuerung sind wie die allgemeinen Linking Rules. Sie nehmen lediglich insofern eine Sonderstellung ein, als dass sie nicht nur auf das bestehende nationale Steuersystem „aufsetzen“, son­ dern die Modifizierung bestehender Steuerrechtsnormen bezwecken.425 So sollen etwa Dividendenfreistellungen oder Regelungen, die Ausdruck einer transparenten Besteuerung sind, in bestimmten Fällen nicht zur Anwendung gelangen.426 Dasselbe gilt für die Freistellung von Betriebs­ stätteneinkünften.427 Durch die spezifischen Empfehlungen soll eine möglichst einfache und systemwahrende Implementierung der Empfeh­ lungen im Einklang mit den jeweiligen steuerpolitischen Zielen ermög­ licht werden.428 Anders als die allgemeinen Linking Rules bewirken sie allesamt, dass die Inkongruenz vorrangig beim Zahlungsempfänger (statt beim Zahlungsleister) neutralisiert wird.429 Einmal mehr zeigt sich da­ mit, dass die Zuweisung des Steuersubstrats keinem festen Prinzip folgt. 6. Verhältnismäßigkeit An vielen Stellen zeigt sich die Intention, die Anpassungen auf den not­ wendigen Umfang zu begrenzen.430 So findet sich durchweg die Formulie­ rung, dass die Anpassung nur vorgenommen werden soll, „soweit“ eine hybride Besteuerungsinkongruenz vorliegt.431 Weiter ist nach dem vorgeschlagenen Konzept ein doppelter Betriebsaus­ gabenabzug nur dann schädlich, wenn er mit nicht doppelt berücksich­ tigten Einnahmen verrechnet wird. Der Steuerpflichtige soll der Anwen­ dung der Linking Rules entgehen können, wenn er nachweist, dass die doppelt berücksichtigten Betriebsausgaben nur mit doppelt berücksich­ tigten Betriebseinnahmen verrechnet werden können. Durch die Mög­ lichkeit eines Betriebsausgabenvor- und ggf. -rücktrags können in diese Betrachtung gar doppelt berücksichtigte Einnahmen aus anderen Veran­ lagungszeiträumen mit einbezogen werden („intertemporale Verrech­ nungsmöglichkeit“).432 Die Möglichkeit eines Rücktrags wird dabei von den jeweiligen nationalen Steuersystemen abhängig gemacht. Die Vor­ 425 Vgl. Cooper, BIT 2015, 334, 337. 426 Vgl. Kapitel 1 - B.II.1.a)bb)(1) sowie Kapitel 1 - B.II.1.c)bb). 427 Vgl. Kapitel 1 - B.II.1.b)bb). 428 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 74 Rn. 170 und S. 54 Rn. 104.  429 Vgl. de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 17, welche die Empfehlungen in ihrer Ge­ samtheit deshalb eher als einen „Three-Step-Approach“ ansehen. 430 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 83 Rn. 200. 431 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 29, 59, 67, 79, 90 und 97. 432 Kapitel 1 - B.II.1.b)aa)(1) sowie Kapitel 1 - B.II.2.a)aa)(1). Lüdicke, BIT 2014, 309, 311.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

tragsmöglichkeit bewirkt im Ergebnis, dass der Betriebsausgabenabzug nur temporär versagt und unter Umständen später noch zugelassen wird. 7. Doppelbesteuerung Mit dem Bericht zur Maßnahme 2 des BEPS-Projektes reagiert die OECD auf grenzüberschreitende Sachverhalte, die in mehreren Staaten eine steuerlich günstige Behandlung erfahren. Doch können sich „hybride ­Besteuerungsinkongruenzen“ sich nicht nur in Gestalt einer doppelten Begünstigung, sondern auch in der einer doppelten Besteuerung nieder­ schlagen. Dieser Problematik nimmt sich der Bericht der OECD bemer­ kenswerterweise nicht an, was zu Recht auf Kritik gestoßen ist.433 Bei­ spielsweise können doppelt berücksichtigte Einnahmen dazu führen, dass ausnahmsweise auch doppelt berücksichtigte Ausgaben zum Abzug zugelassen werden. Es werden jedoch keine Vorkehrungen für die Situa­ tion getroffen, in der die doppelt berücksichtigten Einnahmen die Ausga­ ben übersteigen. Darüber hinaus bergen die Empfehlungen ganz neue Gefahren der Dop­ pelbesteuerung. Betrachtet man das Konzept bestehend aus vorrangigen Maßnahmen, nachrangigen Abwehrregeln und spezifischen Empfehlun­ gen, so ist die Koordinationsbedürftigkeit sowohl der internationalen Im­ plementierung als auch der Anwendung der Regeln augenscheinlich. So wurde die Befürchtung geäußert, dass sich die Staaten der bei der Umset­ zung der Regeln nicht an die vorgeschlagene Anwendungshierarchie hal­ ten werden434 und es so zu einem „Race to the top an gesetzgeberischen Vorhaben“435 kommen könnte. Setzt etwa Staat A die vorrangige Maß­ nahme und Staat B die Abwehrregel um und missachtet letztere Vor­ schrift den Vorrang der ersten, so wird die einstige doppelte Nichtbesteu­ erung letztlich in eine doppelte Besteuerung verkehrt. Freilich wird durch die Einhaltung der vorgesehenen Anwendungshierarchie eine Doppelbesteuerung prinzipiell vermieden. Das ist angesichts der fehlen­ den rechtlichen Bindungswirkung der Empfehlungen jedoch nicht zwin­ gend. 8. Eingeschränkter persönlicher Anwendungsbereich Nahezu alle Empfehlungen unterliegen hinsichtlich ihres persönlichen Anwendungsbereichs Beschränkungen. Meist ist für ihre Anwendung ein irgendwie gelagertes Näheverhältnis der beteiligten Personen erforder­ lich. Im strengsten Falle müssen die Beteiligten demselben Konzern an­ 433 de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 39; Rust, BTR 2015, 308, 324; Rust, in: Grund­ fragen des Europäischen Steuerrechts, S. 89, 106. 434 Neumann-Tomm, IStR 2015, 436, 436; Schnitger/Weiss, IStR 2014, 508, 515. 435 Benz/Eilers, IStR-Beih 2016, 1, 3.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch BEPS-Aktionspunkt 2

gehören, was etwa dann der Fall ist, wenn die eine Person eine Beteili­ gung von mindestens 50 % an der anderen hält.436 Wenn der persönliche Anwendungsbereich eingeschränkt wird, dann nahezu immer anhand dieses Kriteriums. Einzig die allgemeine Regel betreffend hybrider Fi­ nanzinstrumente setzt einander nahestehende Personen voraus. Hier ist bereits eine Beteiligung von 25 % ausreichend.437 Stets aber dient die strukturierte Gestaltung als eine Art Auffangkriterium, um Umgehungs­ gestaltungen in den Anwendungsbereich einzubeziehen.438 Es liegt daher in der Natur der Sache, dass sich bei der hier anzustellenden Gesamtbe­ trachtung der „Gegebenheiten und Umstände“ eine gewisse Rechtsunsi­ cherheit einstellen wird.439 Dass der Anwendungsbereich der Empfeh­ lung betreffend doppelt ansässige Rechtsträger keinerlei persönlichen Einschränkungen unterliegt, ergibt sich aus dem simplen Umstand, dass es hier nicht um das Verhältnis zweier Steuerpflichtiger zueinander ge­ hen kann. Vielmehr wird ein und derselbe Steuerpflichtige in zwei Staa­ ten als ansässig betrachtet. Der Grund für die Einengung des Anwendungsbereichs ist vor allem in Praktikabilitätserwägungen zu erblicken.440 Die OECD ist sich des durchaus großen Befolgungsaufwands sowohl für die Steuerpflichtigen als auch für die Verwaltung gewahr.441 In vielen Fällen wird es Steuer­ pflichtigen gar nicht möglich sein, herauszufinden, wie eine Zahlung bei der jeweils anderen Person steuerlich behandelt wird. Etwa wäre bei Ak­ tien im Streubesitz die Ermittlung der steuerlichen Behandlung jedes Be­ teiligten für den Emittenten undenkbar.442 So wird auch im Public Discussion Draft hinsichtlich des Kriteriums der Konzernzugehörigkeit ausgeführt, dass es ab einer Beteiligungsquote von 50 % relativ einfach sei, die steuerliche Behandlung der jeweils anderen Person zu ermit­ teln.443 Auch aus Sicht der Verwaltung macht es Sinn, die aufwändige Anwendung der Regelungen auf ein Minimum zu beschränken. Sind die „Beteiligten“ in den verschiedenen Staaten ohnehin in keiner Weise mit­ einander verbunden, können sie sich die Inkongruenz auch nicht zunut­ ze machen: Dem Zahlungsleister kann es zunächst egal sein, ob das Fi­ nanzinstrument im anderen Staat als Eigen- oder Fremdkapital behandelt 436 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 129 Empfehlung 11.1.(b).(iii). 437 Vgl. etwa OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 129 Emp­ fehlung 11.1.(a). 438 So auch de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 19. 439 Kritisch deshalb Schnitger/Weiss, IStR 2014, 508, 510; Valta, ISR 2014, 249, 251. 440 Staats, IStR 2014, 749, 752. 441 Siehe nur etwa OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 35 Rn. 48, S. 58 Rn. 117 und S. 85 Rn. 204; vgl. Rust, BTR 2015, 308, 311. 442 Vgl. de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 19.­ 443 OECD, Neutralise the Effects of Hybrid Mismatch Arrangements (Recommen­ dations for Domestic Laws), BEPS Action 2 - Public Discussion Draft, S. 65 Rn. 233.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

wird, solange es sich beim Zahlungsempfänger um einen fremden Drit­ ten handelt und eine etwaige „Hybridität“ keinen Einfluss auf die Höhe des Zinssatzes hat.444 Es fehlt dann ohnehin an einem Anreiz zur Errich­ tung hybrider Gestaltungen. 9. Ziel der Linking Rules Es wurde bereits herausgearbeitet, dass es den Empfehlungen anschei­ nend kaum darauf ankommt, wer eigentlich besteuert. Die Zuweisung des Steuersubstrats folgt keinem festen Prinzip. Wichtig ist jedoch, dass besteuert wird. Lässt sich zumindest diese Grundentscheidung prinzipi­ ell begründen? An dieser Stelle wird im Schrifttum auf ein Prinzip der Einmalbesteuerung rekurriert.445 Dies liegt zunächst nahe: Am einen Ende des Spektrums findet sich die „Doppelbesteuerung“446, am anderen Ende führen hybride Gestaltungen zu einer „doppelten Nichtbesteue­ rung“447 – die Korrespondenzregeln wollen hier im Grundsatz die goldene Mitte treffen. Sie verfolgen damit das Ziel einer Einmalbesteuerung.448 Dieses Ziel wird jedoch nicht konsequent verfolgt. Schon die oben be­ schriebenen persönlichen Einschränkungen im Anwendungsbereich füh­ ren nur zu einer punktuellen Anwendung der Empfehlungen. Auch wir­ ken die Korrespondenzregeln nur einseitig, indem sie die doppelte Nichtbesteuerung einer Einmalbesteuerung zuführen. Umgekehrt wer­ den Situationen, in denen die unterschiedliche steuerliche Behandlung zweier Staaten zur Doppelbesteuerung führt, nicht aufgegriffen.449 Allen­ falls wird ein Vorteil nicht neutralisiert, soweit er durch den Nachteil in Gestalt von Dual Inclusion Income aufgewogen wird. Übersteigt der Nachteil jedoch den Vorteil, greift keine der Korrespondenzregeln. Das ist nicht konsequent.450

444 Anderenfalls könnte von einer strukturierten Gestaltung auszugehen sein. 445 Kofler/Schnitger, in: BEPS-Handbuch, Kapitel A Rn. 3; Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 258 ff. In diese Richtung auch Kahlenberg, IStR 2018, 93, 95. 446 Zur Differenzierung zwischen rechtlicher und wirtschaftlicher Doppelbesteue­ rung, Kapitel 1 - B.I.1. 447 Die möglichen Begrifflichkeiten sind hier mannigfaltig und im Detail verschieden nuanciert. In eine ähnliche Richtung zeigen etwa „weiße Einkünfte“, „Keinmal­ besteuerung“, „Nullbesteuerung“ oder „double dips“, vgl. Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, S. 32. 448 Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 259 f. 449 Hierzu bereits im Zusammenhang mit Doppelbesteuerungsabkommen, Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, S. 92 („Im Übrigen würden sich solche Gegenmaßnahmen ohnehin dem Vorwurf der Unausgewogenheit aussetzen, wenn sie nicht mit gleicher Stringenz auch die internationale Doppelbesteuerung flächendeckend verhinderten.”); dem folgend Gosch, IStR 2008, 413, 419. 450 Rust, BTR 2015, 308, 324.

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C.  Ergebnis des ersten Kapitels

C. Ergebnis des ersten Kapitels Das Projekt der OECD und G20 zur Bekämpfung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (Base Erosion and Profit Shifting – BEPS) ist als Anstrengung für eine international koordinierte Steuerpolitik in den ver­ gangenen Jahrzehnten beispiellos. Wurde im Zeitalter ante BEPS noch stark bezweifelt, dass generelle Lösungen gefunden werden und die Staa­ ten gemeinsam vorgehen451, kann die Bedeutung der OECD-Arbeiten nicht hoch genug eingeschätzt werden. Hybride Gestaltungen bewirken Besteuerungsinkongruenzen, vorwie­ gend in Gestalt von sog. D/NI- und DD-Ergebnissen. Dazu nutzen sie die steuerlich unterschiedliche (und in diesem Sinne hybride) Behandlung von Finanzinstrumenten, Rechtsträgern und Betriebsstätten. Außerdem können DD-Ergebnisse durch doppelt ansässige Rechtsträger herbeige­ führt werden.452 Die Rahmenbedingungen des Internationalen Steuer­ rechts wurden insoweit aufgezeigt. Die einzelnen Fallgruppen wurden, geordnet nach D/NI- sowie DD-Ergebnissen dargestellt. Auf die verwen­ deten Bezeichnungen wird im späteren Verlauf der Untersuchung rekur­ riert.453 Den Empfehlungen der OECD liegt im Grundsatz ein internationaler so­ wie gleichzeitig interpersonaler Korrespondenzgedanke zugrunde, wel­ cher sich in Gestalt eines Abzugsverbots beim Leistenden sowie eines Besteuerungsgebots beim Empfänger äußert. Grundsätzlich wird einem zweistufigen Aufbau, bestehend aus einer vorrangigen Maßnahme (Primary Response) und einer Abwehrregel (Defensive Rule), gefolgt. Bis auf die spezifischen Empfehlungen, welche die Anpassung bestehender nati­ onaler Steuervorschriften bezwecken, lassen die Korrespondenzregeln die nationalen Steuersysteme unangetastet. Sie setzen lediglich auf diese auf und bezwecken eine indirekte Harmonisierung von Rechtsfolgen. Die damit unweigerlich verbundene Zuweisung von Steuersubstrat folgt gleichwohl keinem erkennbaren Prinzip. Von Interesse ist lediglich, dass besteuert wird. Möchte man dies als den Ausfluss eines „Prinzips der Einmalbesteuerung“ betrachten, so kann gleichwohl nicht unerwähnt bleiben, dass dieses nicht konsequent verfolgt wird. Hybride „Gestaltun­ 451 de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 15; Kofler/Kofler, in: FS Djanani, S. 381, 388. 452 Streng genommen handelt es sich dabei nicht um hybride Gestaltungen, da die Rechtsträger durch die verschiedenen Staaten nicht unterschiedlich, sondern gleich behandelt werden. 453 Dargestellt wurden die Fallgruppen der Zahlung im Rahmen eines hybriden Fi­ nanzinstruments, hybriden Übertragungen, abzugsfähigen hybriden Zahlungen, Deemed Branch Payments, umgekehrt hybride Rechtsträger, Disregarded Branch Structures, Diverted Branch Payments, importierte Besteuerungsinkongruen­ zen, Imported Branch Mismatches, abzugsfähige hybride Zahlungen, Double Deduction Branch Payments sowie doppelt ansässige Rechtsträger.

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Kapitel 1  Die Arbeiten der OECD

gen“, die zur Doppelbesteuerung führen, greifen die Empfehlungen näm­ lich nicht auf. Gleichwohl zeigen sich Bemühungen, dass es durch die Anwendung der Empfehlungen nicht erst zu einer Doppelbesteuerung kommt. Eine verhältnismäßige Anwendung wird, insbesondere durch in­ tertemporale Verrechnungsmöglichkeiten, offenbar intendiert. Auch wird stets eine Anwendungshierarchie vorgegeben, die mangels rechtli­ cher Verbindlichkeit der Empfehlungen, theoretisch auch missachtet werden könnte. Weniger aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, sondern eher aus Gründen der Praktikabilität erklären sich die Einschränkungen des persönlichen Anwendungsbereichs der Empfehlungen.

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Kapitel 2 Sekundäres Unionsrecht Die Europäische Union nahm die Vorarbeit des BEPS-Projektes zum An­ lass, um neues Sekundärrecht zu erlassen. Gleichwohl wurden auch schon vorher – wenn auch in vergleichsweise geringem Umfang – An­ strengungen in diese Richtung unternommen. Diese werden überblick­ sartig dargestellt. Der Hauptteil konzentriert sich auf die ATAD II. Zu­ nächst wird ihre allgemeine Konzeption herausgearbeitet, um sodann ihre Vorgaben zu beleuchten. Ebenso wie Kapitel 1 schließt auch Kapi­ tel 2 mit einer zusammenfassenden Gesamtschau.

A. Chronologischer Überblick Die ATAD stellt die bislang umfassendste, jedoch nicht die erste Maß­ nahme der EU zur Neutralisierung von hybriden Gestaltungen dar. Be­ reits die Richtlinie über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (sog. Mutter-Toch­ ter-Richtlinie, kurz MTRL)454 beinhaltet mit Art. 4 Abs. 1 lit. a) in der 2014 geänderten Fassung455 eine Bestimmung, mit der Dividendenzah­ lungen begegnet werden sollte, die beim Zahlungsleister abzugsfähig wa­ ren und gleichwohl beim Zahlungsempfänger aufgrund ihres Eigenkapi­ talcharakters steuerfrei gestellt wurden. Eine ähnliche Regelung enthält auch die seit dem 1. Januar 2004 in Kraft getretene Zinsen- und Lizenz­ gebühren-Richtlinie.456 Am 28. Januar 2016 und damit nur kurze Zeit nach Veröffentlichung der OECD-Abschlussberichte stellte die Europäische Kommission dann ihr Paket zur Bekämpfung der Steuervermeidung vor.457 Infolgedessen wurde die Richtlinie 2016/1164 des Rates vom 12. Juli 2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes erlassen, wel­ 454 Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuer­ system der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 1990 Nr. 225/6. 455 Richtlinie 2014/86/EU des Rates vom 8. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/96/EU über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesell­ schaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2014 Nr. 219/40. 456 Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3. Juni 2003 über eine gemeinsame Steuer­ regelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2003 Nr. L 157/49. 457 Sog. Anti Tax Avoidance Package – ATAP, dazu Eilers/Oppel, IStR 2016, 312; Haug, DStZ 2016, 446; Kahlenberg, SWI 2016, 206. Zum vorangegangenen Akti­ onsplan siehe Krauß, IStR 2016, 59.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

che gemeinhin als ATAD (kurz für Anti Tax Avoidance Directive) be­ zeichnet wird.458 Darin finden sich Vorgaben etwa zur Wegzugsbesteue­ rung459, Hinzurechnungsbesteuerung460 oder zur Abzugsfähigkeit von Zinszahlungen461. Darüber hinaus werden auch hybride Gestaltungen adressiert. Neben einer allgemeinen Definition in Art. 2 Abs. 9 ATAD finden sich jedoch nur zwei allgemeine Regelungen, welche sich gegen DD-Ergebnisse (Art. 9 Abs. 1 ATAD) und D/NI-Ergebnisse (Art. 9 Abs. 2 ATAD) wenden. Im Ergebnis entsprechen sie einer Primary Response. Da man zunächst nur auf hybride Gestaltungen auf dem Gebiet von Mit­ gliedstaaten abzielte, wurden sie nicht um eine Defensive Rule ergänzt.462 Offenbar war man sich gewahr, dass damit den umfassenden OECD-Emp­ fehlungen nur unzureichend Rechnung getragen wird. In den Erwägungs­ gründen findet sich der Hinweis, dass es entscheidend auf weitere Arbei­ ten zu hybriden Gestaltungen ankomme.463 Diese Arbeiten fanden ihren Niederschlag in der Richtlinie 2017/952 des Rates vom 29. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2016/1164 bezüg­ lich hybrider Gestaltungen mit Drittländern.464 Die gemeinhin auch als ATAD II bezeichnete Richtlinie widmet sich umfassend und ausschließ­ lich der Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen. Sie ersetzt das Gros der diesbezüglich noch sehr vagen Bestimmungen der ATAD I.465 Waren die Empfehlungen der OECD in rechtlicher Hinsicht noch als un­ verbindliche, politische Absichtserklärungen zu sehen, so ist die Umset­ zung von Richtlinienvorgaben für die betroffenen Mitgliedstaaten dage­ gen gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV rechtsverbindlich.466 Damit erfahren die Bemühungen um die Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD eine neue Rechtsqualität.467

458 Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12. Juli 2016 mit Vorschriften zur Be­ kämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes, ABl. EU 2016 Nr. L 193/1. 459 Art. 5 ATAD. 460 Art. 7 und 8 ATAD. 461 Art. 4 ATAD. 462 Oppel, IStR 2016, 797, 802 f. 463 Erwägungsgrund 13 der ATAD I. 464 Richtlinie (EU) 2017/952 des Rates vom 29. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/1164 bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern, ABl. EU 2017 Nr. L 144/1. 465 Wenn von nun an von der „ATAD“ gesprochen wird, ist damit die durch die ATAD II geänderte, konsolidierte Fassung der Richtlinie gemeint. 466 Dazu noch Kapitel 2 - B.I.1. 467 Vgl. Allram/Hörtenhuber, in: Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie, S. 131, 147.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

B. Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II Im Folgenden wird zunächst die allgemeine Konzeption der ATAD erläu­ tert, um sodann auf die einzelnen Bestimmungen zur Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen einzugehen. Wo erforderlich, wird das Verhältnis zu anderen sekundärrechtlichen Bestimmungen erörtert. Ab­ schließend werden sie anhand selbiger Kriterien wie die OECD-Empfeh­ lungen systematisiert und mit diesen abgeglichen.

I. Allgemeine Konzeption Zuerst erfolgen einige Ausführungen zur allgemeinen Konzeption der Richtlinie. Diese sind für alle in der ATAD vorgesehenen Regelungen relevant. 1. Verpflichtende Vorgabe von Mindeststandards Während es sich bei den OECD-Empfehlungen noch um rechtlich unver­ bindliche, politische Absichtserklärungen handelte, trifft die Mitglied­ staaten nunmehr eine Verpflichtung, die Bestimmungen der ATAD in nationales Recht zu überführen.468 Diese ergibt sich aus Art. 288 Abs. 3 AEUV. Hiernach ist eine Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, über­ lässt ihm jedoch die Wahl der Form und der Mittel. Das Ziel der Richtli­ nie ist allgemein, die Besteuerung an dem Ort der Gewinnerwirtschaf­ tung und der Wertschöpfung zu gewährleisten und dadurch das Vertrauen in die Fairness der Steuersysteme wiederherzustellen.469 Die „Resilienz des Binnenmarktes“ soll insgesamt gegenüber grenzüberschreitenden Steuervermeidungspraktiken gestärkt werden.470 Speziell sollen dazu un­ ter anderem die Effekte hybrider Gestaltungen möglichst umfassend neutralisiert werden.471 Nach Art. 3 ATAD verhindert die Richtlinie nicht die Anwendung nati­ onaler oder vertraglicher Bestimmungen zur Wahrung eines höheren Ma­ ßes an Schutz der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundla­ gen. Die ATAD gibt damit nur die Umsetzung gewisser Mindeststandards vor; die Staaten sind nicht am Erlass strengerer Vorschriften gehindert.472 Das Konzept einer Mindestharmonisierung ist dem Unionsrecht keines­ 468 Oppel, IStR 2016, 797, 798 ff. 469 Erwägungsgrund 1 der ATAD sowie Erwägungsgrund 1 ATAD II. 470 Erwägungsgrund 16 der ATAD. 471 Erwägungsgrund 5 der ATAD II. 472 Kritisch dazu Oppel, IStR 2016, 797, 798; Haug, DStZ 2016, 446, 448. 

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

falls fremd und wurde so bereits in den Bereichen des Umwelt-, Verbrau­ cher- und Arbeitnehmerschutzes verwendet.473 Abzugrenzen ist es vom Konzept der Vollharmonisierung, welches den Mitgliedstaaten jeglichen Erlass von Regelungen verwehrt, die von den unionsrechtlichen Vor­ gaben abweichen.474 Ein solches findet sich etwa in der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrau­ chern.475 Diese schreibt mit Artikel 4 ausdrücklich vor, dass keine strengeren Maßnahmen erlassen werden dürfen als die, die in der Richt­ linie festgelegt sind – selbst dann nicht, wenn sie ein höheres Verbrau­ cherschutzniveau bezwecken. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten auch im Falle eines Vollharmoni­ sierungskonzepts tätig werden und Regelungen einführen476; eine „über­ schließende Umsetzung“ ist unabhängig vom Harmonisierungskonzept möglich.477 Der Unterschied zwischen Mindest- und Vollharmonisierung liegt folglich darin, dass den Mitgliedstaaten innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie abweichende Regelungen erlaubt sind (Mindest­ harmonisierung) oder nicht erlaubt nicht (Vollharmonisierung). Bezogen auf hybride Gestaltungen könnten nationale Regelungen, die ­einen „höheren Schutz der Bemessungsgrundlage“ als die Richtlinien­ vorgaben gewährleisten, jedoch schnell in eine Doppelbesteuerung der Steuerpflichtigen münden. Ein solches Ergebnis steht seinerseits im Wi­ derspruch zu den Zielsetzungen der ATAD.478 Damit stellt sich die Frage, inwieweit sich das Mindestschutzkonzept bei der ATAD II überhaupt auswirkt. Auf diese Frage wird einzugehen sein, wenn es auf die Frage nach ihrem Harmonisierungspotential ankommt.479 Während die ATAD noch eine allgemeine Umsetzungsfrist bis zum 31. Dezember 2018 bestimmte, die auch für Vorschriften betreffend hy­

473 Oppel, in: ATAD-Kommentar, Art. 3 Rn. 36 ff. Siehe zum Beispiel Art. 8 der Richtlinie 85/577/EWG betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen. 474 Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 46. 475 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsver­ kehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinie 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. Nr. L 149/22. Dazu EuGH, Urt. v. 10.7.2014, C-421/12, ECLI:EU:C:2014:2064 – Kommission/Belgien, Rn. 55. 476 Siehe etwa Erwägungsgründe 9 und 10 der vollharmonisierenden Verbraucherkre­ ditrichtlinie (RL 2008/48/EG vom 23. April 2008). 477 Kuhn, EuR 2015, 216, 219 f. 478 Erwägungsgrund 5 ATAD. 479 Von einer „Scheinharmonisierung“ spricht etwa Oppel, IStR 2016, 797, 798. Nä­ heres dazu in Kapitel 3 - A.I.2.b).

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

bride Gestaltungen galt480, wurde durch die Änderungsrichtlinie eine län­ gere Frist bis zum 31. Dezember 2019 eingeräumt.481 Für die Umsetzung von Art. 9a ATAD läuft die Frist gar bis zum 31. Dezember 2021.482 2. Auslegung im Sinne der OECD-Empfehlungen Für die Auslegung von sekundärem Unionsrecht sind grundsätzlich die gleichen Methoden von Relevanz, wie sie aus dem nationalen Recht ver­ traut sind.483 Im Ausgangspunkt ist folglich auf den Wortlaut, die Histo­ rie, die Systematik sowie auf das Telos einer Regelung abzustellen.484 Besonderheiten ergeben sich jedoch bei der Gewichtung der Methoden untereinander. Durch unterschiedliche Sprachfassungen existiert näm­ lich kein einheitlicher Wortlaut.485 Besonderes Gewicht haben daher eine Auslegung anhand der Systematik sowie des Telos.486 Letzteres kann im Falle einer Richtlinie den Erwägungsgründen entnommen werden.487 An dieser Stelle ergibt sich ein Konnex zwischen der ATAD und den OECD-Empfehlungen. So heißt es in den Erwägungsgründen zunächst noch allgemein, dass durch die ATAD Vorschriften geschaffen werden sollen, die mit den OECD-Empfehlung in Einklang stehen und nicht we­ niger wirksam sein sollen als diese.488 In Bezug auf Auslegungsfragen werden die Erwägungsgründe noch konkreter: So sollten bei der Umset­ zung der Richtlinie „[…] als Referenz oder zur Auslegung […]“ die jewei­ ligen Erläuterungen und Beispiele im BEPS-Bericht der OECD zu Akti­ onspunkt 2 herangezogen werden, soweit sie mit den Bestimmungen dieser Richtlinie und dem Unionsrecht vereinbar sind.489 Soweit sich folglich keine Widersprüche zu den Richtlinienvorgaben ergeben, strah­ len die Empfehlungen unmittelbar in die Zielsetzung des Richtlinienge­ bers ein. Wenn man so will, kommt es zu einer „teleologischen Induk­ tion“490 der ATAD durch den BEPS-Aktionspunkt 2. Bei der Auslegung der ATAD spielen die oben dargestellten Empfehlungen damit eine tra­ gende Rolle.491

480 Art. 11 Abs. 1 ATAD. 481 Art. 11 Abs. 5a ATAD I und Art. 2 Abs. 1 ATAD II. 482 Art. 2 Abs. 3 ATAD II. 483 Hennrichs, WPg 2018, 1057, 1059. 484 Kofler, ISR 2014, 126, 127 f. 485 Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 EUV Rn. 28. 486 Hennrichs, WPg 2018, 1057, 1059 m.w.N. Schön, Die Auslegung des europäischen Steuerrechts, S. 52 f. 487 Kahlenberg/Prusko, IStR 2017, 304, 305; Kofler, ISR 2014, 126, 127. 488 Erwägungsgrund 5 der ATAD II. 489 Erwägungsgrund 28 der ATAD II. 490 Den Begriff verwendet Weiss, EuZW 2012, 733, 734. 491 So auch Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 85.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

Darauf hinzuweisen ist an dieser Stelle, dass der Bericht zu den „Branch Mismatches“ zeitlich nach der ATAD II erschienen ist.492 Gegen seine Berücksichtigung bei der Auslegung bestehen im Ausgangspunkt je­ doch keine Bedenken. Die Erwägungsgründe stellen die Auslegung im Sinne des BEPS-Berichts gerade unter den Vorbehalt, dass er mit den Be­ stimmungen der Richtlinie vereinbar ist. Grundsätzlich kann der Bericht zu den „Branch Mismatches“ deshalb als eine Konkretisierung der ATAD-Bestimmungen verstanden werden.493 Deutet jedoch etwa eine systematische Auslegung der ATAD in eine andere Richtung, so sollte der OECD-Bericht kein anderes Auslegungsergebnis begründen. 3. Anwendungsbereich der Richtlinie Die ATAD gilt für alle Steuerpflichtigen, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten körperschaftsteuerpflichtig sind, einschließlich der in einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegenen Betriebsstätten von Un­ ternehmen, die steuerlich in einem Drittland ansässig sind (Art. 1 Abs. 1 ATAD). Damit werden unbeschränkt wie auch beschränkt Körperschaft­ steuerpflichtige erfasst.494 Für steuerliche Zwecke transparente Rechtsträger sind damit grundsätz­ lich nicht erfasst.495 Nach Art. 1 Abs. 2 ATAD werden sie einzig im Rah­ men von Art. 9a ATAD berücksichtigt, um die Effekte von umgekehrt hybriden Gestaltungen zu neutralisieren.496 Aufgrund des eben beschrie­ benen Mindestschutzcharakters der Richtlinie497 sind die Mitgliedstaa­ ten jedoch nicht daran gehindert, gleichlautende Regeln auch im Bereich der Einkommensteuer einzuführen.498 4. Definition hybrider Gestaltungen In der ATAD findet sich eine allgemeine Definition hybrider Gestaltun­ gen. Diese ist Grundlage für die Anwendung der allgemeinen Regelungen in Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 ATAD. Wie noch zu zeigen sein wird, stellen die übrigen Regelungen eigenständige Anwendungs-voraussetzungen auf.499 492 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements wurde erst im Juli 2017 veröffentlicht. 493 So auch Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 87. 494 Dies ergibt sich bereits aus Art. 1 Abs. 1 HS 1 ATAD und nicht erst aus HS 2. So richtig Rüsch, in: ATAD-Kommentar, Art. 1 Rn. 9 sowie Rn. 16 f. m.w.N. zur Ge­ genauffassung. Der Streit wirkt sich praktisch nicht aus. 495 Mechtler, Hybrid Mismachtes im Ertragsteuerrecht, S. 401. 496 Ausführlich Rüsch, in: ATAD-Kommentar, Art. 1 Rn. 26 ff. 497 Kapitel 2 - B.I.1. 498 Grotherr, BB 2017, 1367, 1367. 499 Kapitel 2 - B.II.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

In ihrer Ursprungsfassung beinhaltete die ATAD noch eine vergleichs­ weise knappe, abstrakte Definition von hybriden Gestaltungen. Hier­ nach konnten als solche nur grenzüberschreitende Gestaltungen zwi­ schen zwei Mitgliedstaaten erachtet werden.500 Diese abstrakte Definition wurde in der ATAD II gänzlich ersetzt. Die neue Definition enthält kein einschränkendes Kriterium dergestalt mehr, dass sich die Gestaltung auf dem Gebiet zweier Mitgliedstaaten abspielen muss. Sie zieht den Kreis der hybriden Gestaltungen im Sinne der Richtlinie insofern weiter, als nunmehr auch Konstellationen zwischen Mitglied- und Drittstaaten um­ fasst sind.501 Nunmehr werden in sachlicher Hinsicht konkret sieben Fallgruppen adressiert502, die bereits als OECD-Empfehlung in Kapitel 1 dargestellt wurden. Im Dienste der Übersichtlichkeit werden die Kons­ tellationen deshalb weiterhin unter ihrer OECD-Bezeichnung aufgeführt und kategorisiert. Auch in persönlicher Hinsicht werden einschränkende Voraussetzungen aufgestellt, die im Folgenden beleuchtet werden. a) Sachliche Komponente Folgend werden zunächst in sachlicher Hinsicht die sieben Fallgruppen dargestellt und den OECD-Empfehlungen zugeordnet. aa) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) ATAD Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) ATAD sieht eine hybride Gestaltung als gegeben, wenn eine Zahlung im Rahmen eines Finanzinstruments zu ei­ nem Abzug bei gleichzeitiger Nichtberücksichtigung führt. Unter einem Finanzinstrument versteht die Richtlinie jedes Instrument, soweit es zu einem Finanzierungs- oder Eigenkapitalertrag führt, der gemäß den Vor­ schriften für die Besteuerung von Schulden, Kapital oder Finanzderivaten nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets entweder des Zahlungs­ empfängers oder des Zahlenden besteuert wird.503 Auch hybride Übertra­ gungen werden als Finanzinstrumente behandelt.504 Zeitliche Unterschiede bei der Erfassung von Zahlungen begründen grundsätzlich keine Inkongruenz505: Von einer Nichtberücksichtigung 500 Vgl. insoweit Art. 2 Abs. 9 ATAD I; Oppel, IStR 2016, 797, 802.  501 Allram/Hörtenhuber, in: Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie, S. 131, 137; Niedling/Rautenstrauch, BB 2017, 1500, 1501. 502 Die Definition verfolgt damit einen „Bottom up“-Approach, vgl. Kahlenberg, Ubg 2014, 553, 557. 503 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. j) ATAD. Die Definition entspricht OECD, Neutrali­ sierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 25 Empfehlung 1.2.(a) sowie S. 27 f. Rn. 19 ff. 504 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. j) ATAD. Dies entspricht OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 25 Empfehlung 1.2.(a). Vgl. Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 205 f. 505 Erwägungsgrund 22 der ATAD II.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

wird nur dann ausgegangen, wenn die Zahlung nicht innerhalb eines an­ gemessenen Zeitraums berücksichtigt wird.506 Wenn sie dagegen beim Zahlungsempfänger innerhalb von 12 Monaten nach Ende des Steuer­ zeitraums des Zahlers berücksichtigt wird oder vernünftigerweise davon auszugehen ist, dass die Zahlung in einem künftigen Steuerzeitraum beim Empfänger berücksichtigt werden wird und die Zahlungsbedingun­ gen fremdüblich sind, so handelt es sich um keine hybride Gestaltung.507 Auch im Rahmen der Richtlinie findet sich ein Kausalitätserfordernis, wonach die Inkongruenz auf Unterschiede bei der Einordnung des Instru­ ments oder der Einordnung der im Rahmen des Instruments geleisteten Zahlung zurückzuführen sein muss.508 Solange dies der Fall ist, können D/NI-Ergebnisse auch durch Steuerbefreiungen, eine Verringerung des Steuersatzes oder eine Steuergutschrift zustande kommen.509 Wurden bis hierhin die OECD-Empfehlungen eins zu eins übernom­ men510, so lässt sich dennoch eine Abweichung ausmachen. Vergebens sucht man die sog. Substitutionszahlungen.511 Wie in Kapitel 1 herausge­ arbeitet, werden diese gerade nicht als hybride Übertragung erfasst und wurden deshalb eigens in den Anwendungsbereich der allgemeinen Re­ gel aufgenommen.512 Auch nach der Definition der ATAD qualifizieren diese nicht als hybride Übertragung, da der zugrunde liegende Ertrag nicht so behandelt wird, als sei er mehr als einer der an der Gestaltung beteiligten Parteien zugeflossen.513 Vielmehr wird er nach übereinstim­ mender Auffassung beider Staaten beim Verleiher erfasst.514 Da die Defi­ nition für eine hybride Übertragung insoweit eindeutig formuliert ist und sich über die programmatischen Formulierungen in den Erwägungs­ gründen515 hinaus keine konkreten Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass die Gestaltung von der Richtlinie erfasst werden soll, wird hier wohl 506 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) Unterabs. 1 lit. i) ATAD. Dies entspricht OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 38 f. Rn. 55 ff. 507 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) Unterabs. 2 ATAD. Dies entspricht OECD, Neutra­ lisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 39 Rn. 56 ff. Vgl. Grotherr, BB 2017, 1367, 1372; Kahlenberg/Oppel, IStR 2017, 205, 209; Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 223 f. 508 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) Unterabs. 1 lit. ii) ATAD. Richtig verstanden stellt die Ausnahme für bestimmte Zahlungen eines Wertpapierhändlers in Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. a) ATAD eine Klarstellung des Kausalitätserfordernisses dar, siehe dazu Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 218 ff. 509 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. e), f) ATAD. 510 Es kann deshalb auf die obigen Ausführungen verwiesen werden, siehe Kapitel 1 B.II.1.a). Zu den Ursachen für D/NI-Ergebnisse durch Zahlungen im Rahmen eines hybriden Finanzinstruments, siehe Kapitel 1 - B.I.2.a). 511 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 122 f. 512 Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(1)(b)(bb). 513 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. j) ATAD. 514 Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(1)(b)(bb). 515 Vgl. Erwägungsgrund 7 der ATAD II.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

davon auszugehen sein, dass die Gestaltung bewusst nicht in die Richtli­ nie aufgenommen wurde.516 bb) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. b) ATAD Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. b) ATAD sieht eine Situation als hybride Gestaltung an, in der eine Zahlung an ein hybrides Unternehmen zu ei­ nem Abzug bei gleichzeitiger steuerlicher Nichtberücksichtigung führt. Voraussetzung dafür ist, dass die Inkongruenz auf Unterschiede bei der Zuordnung von Zahlungen zu dem hybriden Unternehmen nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets, in dem das hybride Unternehmen seinen Sitz hat oder registriert ist, und des Steuergebiets einer Person mit einer Beteiligung an diesem hybriden Unternehmen zurückzuführen ist. Hier wird an die Konstellation des „umgekehrt hybriden Rechtsträgers“ aus dem Bericht zur Maßnahme 2 angeknüpft.517 Im Gegensatz zu den OECD-Empfehlungen wird hier eine Zahlung an ein hybrides Unternehmen gefordert. Von einer umgekehrt hybriden Gestal­ tung ist erst im Rahmen von Art. 9a ATAD die Rede. Art. 2 Abs. 9 Unter­ abs. 3 lit. i) ATAD definiert ein hybrides Unternehmen als jedes Unter­ nehmen oder jede Gestaltung, die nach den Rechtsvorschriften eines Steuergebiets als Steuerpflichtiger gilt und dessen bzw. deren Einkünfte oder Aufwendungen nach den Rechtsvorschriften eines anderen Steuerge­ biets als Einkünfte oder Aufwendungen einer oder mehrerer anderer Per­ sonen behandelt werden. Es wird nicht vorgegeben, welcher der beiden Staaten die Gesellschaft wie behandeln muss. Damit ist die De­finition generell gehalten und funktioniert deshalb sowohl für die OECD-Fall­ gruppen der nicht berücksichtigten hybriden Zahlungen (mithin hybride Rechtsträger) als auch für umgekehrt hybride Rechtsträger. Dass mit Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. b) ATAD gleichwohl letztere Fallgruppe an­ gesprochen ist, ergibt sich aus dem Kontext: Hier wird die Zahlung an ein hybrides Unternehmen, nicht von einem hybriden Unternehmen getätigt. Damit in einer solchen Konstellation eine hybride Besteuerungsinkongru­ enz entsteht, muss der Errichtungsstaat des Rechts­trägers ihn als transpa­ rent, der Investorenstaat ihn dagegen als intransparent behandeln.518 Im Übrigen entsprechen die Voraussetzungen jenen der OECD. Erforder­ lich ist eine Zahlung, welche zu einem D/NI-Ergebnis führt.519 Dieses 516 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 122 f. 517 Kapitel 1 - B.II.1.c). Vgl. zum einschränkenden Kriterium, dass die Inkongruenz auf Zuordnungsunterschiede zurückzuführen sein muss OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 72 Rn. 166. 518 Kapitel 1 - B.II.1.c)aa)(1). Siehe auch Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommen­ tar, Art. 2 Rn. 240; Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 55. 519 Vgl. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. c), d), e) ATAD sowie OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 67 Rn. 147. Ferner Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 232 ff.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

muss wiederum auf Unterschiede bei der Zuordnung der Zahlung zu­ rückzuführen sein.520 cc) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. c) ATAD Nach Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. c) ATAD liegt eine hybride Gestaltung vor, wenn eine Zahlung an ein Unternehmen mit einer oder mehreren Betriebsstätten zu einem Abzug bei gleichzeitiger steuerlicher Nichtbe­ rücksichtigung führt und diese Inkongruenz auf Unterschiede bei der Zu­ ordnung von Zahlungen zwischen dem Hauptsitz und einer Betriebsstät­ te oder zwischen zwei oder mehr Betriebsstätten desselben Unternehmens nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets, in dem das genannte Un­ ternehmen tätig ist, zurückzuführen ist. Nach Ansicht von Grotherr von wird hier auf die folgende Konstellation abgezielt521: Das in Staat A ansässige Stammhaus A-Co unterhält eine „hybride Betriebsstätte“ in Staat B, daher Staat B erkennt die dortige ­Zweigniederlassung als Betriebsstätte an, Staat A hingegen nicht. Leistet nun die „hybride Betriebsstätte“ eine Zinszahlung an die A-Co, so ist diese Zahlung in Staat B als Betriebsausgabe abziehbar (Deduction), wo­ hingegen Staat A von einem nicht steuerbaren innerbetrieblichen Trans­ fer ausgeht (No inclusion). Es handelt sich im Prinzip um eine „nicht berücksichtigte hybride Zahlung“, nur nicht um die eines hybriden Rechtsträgers, sondern um die einer hybriden Betriebsstätte.522

Abbildung 21:  Zahlung einer hybriden Betriebsstätte an das Stammhaus

520 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 65 Empfehlung 4.3. 521 Grotherr, BB 2017, 1367, 1372. 522 Die Terminologie der „Zahlung einer hybriden Betriebsstätte“ verwendet Grot­ herr, BB 2017, 1367, 1372.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. c) ATAD erfasst jedoch die sog. Diverted Branch Payments, bei denen der Stammhausstaat eine von einem anderen Unternehmen geleistete Zahlung der Betriebsstätte zuordnet und umgekehrt der Betriebsstättenstaat die Zahlung dem Stammhaus zuord­ net.523 Die gerade skizzierte Konstellation wird hingegen nicht von der ATAD erfasst.524 Entgegen dem Wortlaut der ATAD geht es in der von Grotherr geschilderten Konstellation nicht um die Zuordnung von Zah­ lungen, sondern um unterschiedliche Auffassungen über das Bestehen einer Betriebsstätte. Überdies ist diese Konstellation auch nicht im OECD-Bericht zu den sog. Branch Mismatches enthalten525, wohingegen die im Bericht enthaltenen Diverted Branch Payments sonst nicht von der ATAD erfasst würden. Die Interpretation von Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. c) ATAD wirkt sich auf die spätere Anwendung der Hybrid-Regeln aus. Versagt der – im Fol­ genden noch eingehend erläuterte – Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD den Abzug beim „Zahlenden“, so ist damit weder die Betriebsstätte noch das Stammhaus, sondern die zahlende (Kapital-)Gesellschaft betroffen.526 dd) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. d) ATAD Buchstabe d) derselben Vorschrift schließt eine Situation ein, in der eine Zahlung an eine unberücksichtigte Betriebsstätte zu einem Abzug bei gleichzeitiger steuerlicher Nichtberücksichtigung führt.527 Eine unbe­ rücksichtigte Betriebsstätte definiert Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. n) ATAD als jede Gestaltung, die so behandelt wird, als führe sie zu einer Betriebsstätte nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets des Haupt­ sitzes, und die nach den Rechtsvorschriften des anderen Steuergebiets nicht als Betriebsstätte behandelt wird. Erfasst sind hiermit die aus dem Bericht zu den sog. Branch Mismatches bekannten „Disregarded Branch Structures“, welche auch als das Be­ triebsstätten-Pendant zu den umgekehrt hybriden Rechtsträgern be­ zeichnet werden können.528

523 Kapitel 1 - B.II.1.c)cc). 524 Eine Schutzlücke sieht darin Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 142 f. 525 Als einzigen parallel gelagerten Fall zu den „nicht berücksichtigten hybriden Zah­ lungen“ von hybriden Rechtsträgern werden dort die sog. „Deemed Branch Payments“ aufgeführt, OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrange­ ments, S. 16 f. Rn. 10 ff. 526 Vgl. dazu OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 58 ff. Beispiel 1 (dort insbesondere Rn. 16 f.). I.E. ebenso Kahlenberg, IStR 2018, 93, 97; Niemann, IStR 2018, 52, 56 f. 527 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. d) ATAD. 528 Kapitel 1 - B.II.1.c)cc). OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arran­ gements, S. 14 f. Rn. 4 ff.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

ee) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. e) ATAD Auch die aus Kapitel 1 bekannten nicht berücksichtigten hybriden Zah­ lungen529 finden sich als hybride Gestaltung im Sinne der ATAD wieder, wenn Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. e) ATAD von einer Zahlung eines hy­ briden Unternehmens spricht, die zu einem Abzug bei gleichzeitiger steuerlicher Nichtberücksichtigung führt und diese Inkongruenz auf den Umstand zurückzuführen ist, dass die Zahlung nach den Rechtsvor­ schriften des Steuergebiets des Zahlungsempfängers nicht berücksichtigt wird. Getreu den Empfehlungen der OECD handelt es sich jedoch nur insoweit um eine hybride Gestaltung, als der Abzug im Gebiet des Zahlenden mit nicht doppelt berücksichtigten Einnahmen verrechnet werden kann.530 Mit anderen Worten handelt es sich insoweit nicht um eine hybride Ge­ staltung, als der in Rede stehende Betrag entweder gar nicht oder nur mit ebenfalls doppelt berücksichtigten Einnahmen verrechnet wird.531 Die von der OECD intendierte Beweiserleichterung geht aus der Richtlinie nicht hervor.532 Grundsätzlich kommt es deshalb darauf an, dass eine Verrechnung mit Non Dual Inclusion Income stattgefunden hat. Die blo­ ße Möglichkeit genügt nicht. Eine dahingehende strengere Ausgestal­ tung wäre bei der nationalen Umsetzung gleichwohl von Art. 3 ATAD gedeckt. ff) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. f) ATAD Die in Kapitel 1 als „Deemed Branch Payments“ beschriebenen Situati­ onen finden sich in Art. 2 Abs. 9 lit. f) ATAD wieder.533 Hiernach handelt es sich dann um eine hybride Gestaltung, wenn eine fiktive Zahlung zwischen dem Hauptsitz und einer Betriebsstätte oder zwischen zwei oder mehr Betriebsstätten zu einem Abzug bei gleichzeitiger steuerlicher Nichtberücksichtigung führt und diese Inkongruenz auf den Umstand zurückzuführen ist, dass die Zahlung nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets des Zahlungsempfängers nicht berücksichtigt wird. Auch hier entsteht die hybride Gestaltung nach Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. b) ATAD nur insoweit, als eine Verrechnung mit nicht doppelt be­ rücksichtigten Einnahmen stattfindet.534

529 Kapitel 1 - B.II.1.b). 530 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. b) ATAD. Siehe oben Kapitel 1 - B.II.1.b)aa)(1). 531 Vgl. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. g) ATAD. 532 Kapitel 1 - B.II.2.a)aa)(1). 533 Kapitel 1 - B.II.2.a). 534 Vgl. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. g) ATAD.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

gg) Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. g) ATAD Schließlich handelt es sich nach Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. g) ATAD dann um eine hybride Gestaltung, wenn schlicht „[…] ein doppelter Abzug erfolgt.“. Angesichts dessen, dass doppelt ansässige Rechtsträger ge­ sondert in Art. 9b ATAD aufgegriffen wurden, ohne dabei aber begrifflich an eine „hybride Gestaltung“ anzuknüpfen, umfasst dieser Teil der De­ finition lediglich die „abzugsfähigen hybriden Zahlungen“ und die paral­ lele Betriebsstättenkonstellation der „Double Deduction Branch Payments“ aus den OECD-Berichten.535 Die gerade beschriebene Einschränkung des Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. b) ATAD findet auch hier Anwendung.536 Auch hier handelt es sich damit nicht um eine hybride Gestaltung, soweit der in Rede stehende Betrag entweder gar nicht oder nur mit ebenfalls doppelt berücksichtig­ ten Einnahmen verrechnet wird.537 Damit wird den Empfehlungen zu den sog. Stranded Losses implizit Rechnung getragen: Können die Abzü­ ge nicht nutzbar gemacht werden, liegt auch keine hybride Gestaltung vor.538 b) Persönliche Komponente Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. c) ATAD nimmt solche Inkongruenzen aus der Definition aus, die bestimmte persönliche Anforderungen nicht er­ füllen. Im Ergebnis werden danach nur solche Inkongruenzen erfasst, die sich (i) zwischen verbundenen Unternehmen bzw. zwischen einem Steuerpflichtigen und einem verbundenen Unternehmen, (ii) zwischen dem Hauptsitz und einer Betriebsstätte bzw. zwischen zwei oder mehr Betriebsstätten desselben Unternehmens oder (iii) im Rahmen einer strukturierten Gestaltung ergeben. Unterteilt werden kann folglich in Konstellationen zwischen verbundenen Unternehmen, Betriebsstätten­ konstellationen und strukturierten Gestaltungen. aa) Verbundene Unternehmen Ein verbundenes Unternehmen wird in Art. 2 Abs. 4 ATAD definiert. Verbunden sind demnach grundsätzlich Unternehmen, an dem der Steu­ erpflichtige unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 25 % beteiligt ist539 oder – vice versa – um Unternehmen, die an einem Steuerpflichti­

535 Kapitel 1 - B.II.2.a); Allram/Hörtenhuber, in: Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie, S. 131, 140. 536 Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 280 ff. 537 Vgl. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. g) ATAD. 538 Siehe dazu ausführlich Kapitel 1 - B.II.2.a)aa)(1). 539 Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. a) ATAD.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

gen zu mindestens 25 % beteiligt sind540. Diese Definition wird um drei Aspekte ergänzt. Erstens wird bezüglich bestimmter Gestaltungen die erforderliche Betei­ ligungsquote von 25 % auf 50 % erhöht.541 Abgezielt wird hier vor allem auf diejenigen Konstellationen, in welchen die Inkongruenz durch den Einsatz hybrider Rechtsträger herbeigeführt wird.542 Hier soll gewährleis­ tet sein, dass nur solche Steuerpflichtige erfasst werden, welche kraft ihrer Beteiligung die tatsächliche Kontrolle über die anderen verbunde­ nen Unternehmen ausüben.543 Was regelungstechnisch als Ausnahme formuliert ist, stellt damit faktisch die Regel dar: Die 25-prozentige Be­ teiligungsquote bleibt lediglich für hybride Finanzinstrumente maßge­ bend.544 Alle übrigen in Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 ATAD aufgeführten Gestaltungen setzen insoweit eine mindestens 50-prozentige Quote vor­ aus. Zweitens werden – wie auch im OECD-Bericht545 – die von einer anderen Person gehaltenen Anteile bei der Ermittlung der Beteiligungshöhe be­ rücksichtigt, wenn diese Person gemeinsam mit der in Rede stehenden Person handelt.546 Drittens werden ebenfalls solche Unternehmen erfasst, die zu Rech­ nungslegungszwecken konsolidiert werden547 sowie solche, in denen der Steuerpflichtige maßgeblich Einfluss auf die Unternehmensleitung nimmt bzw. das Unternehmen maßgeblichen Einfluss auf die Leitung des Steuerpflichtigen.548 Hier zeigen sich deutliche Parallelen zum Krite­ rium der „Konzernzugehörigkeit“ aus dem OECD-Bericht.549 Letztlich sollen über die Ergänzung dieser Kriterien auch solche Fälle erfasst werden, in denen zwar die oben genannten Quoten formal nicht erreicht werden, ein maßgeblicher Einfluss jedoch aus anderen, tatsäch­

540 Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. b) ATAD. 541 Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 3 lit. a) ATAD. 542 Das sind die gem. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. b), c), d), e) und g). 543 Erwägungsgrund 13 der ATAD II. 544 Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 67; Köhler, ISR 2018, 250, 253. 545 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 129 f. Empfehlung 11.2 und 11.3 sowie S. 134 ff. 546 Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 3 lit. b) ATAD. 547 Siehe dazu Art. 2 Abs. 10 ATAD. Diese kann sich aus IFRS 10.4 ff. oder am Bei­ spiel des deutschen Rechts nach § 290 Abs. 1 HGB ergeben. Ausführlich dazu Löprick/Meger, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 294 ff. 548 Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 3 lit. c) ATAD. 549 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 129 Empfeh­ lung 11.1.(b).(i) - (iii).

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

lichen Gründen ausgeübt werden kann. Die Schnittmengen dürften gleichwohl groß sein.550 bb) Betriebsstättenkonstellationen Die ATAD erfasst auch Konstellationen im Zusammenhang mit Be­ triebsstätten. Dabei ist es einerlei, ob die Gestaltung zwischen dem Hauptsitz und einer Betriebsstätte eingerichtet wurde oder sich der Sach­ verhalt etwa zwischen zwei oder mehr Betriebsstätten desselben Unter­ nehmens abspielt.551 cc) Strukturierte Gestaltungen Die persönliche Komponente wird schließlich durch eine strukturierte Gestaltung erfüllt. Nach Art. 2 Abs. 11 ATAD handelt es sich hierbei um eine Gestaltung, „[…] die eine hybride Gestaltung umfasst, bei der die Inkongruenz in die Bedingungen der Gestaltung eingerechnet ist, oder eine Gestaltung, die mit der Absicht entwickelt wurde, eine hybride Besteuerungsinkongruenz herbeizuführen […]“. Eine Ausnahme wird für solche Fälle vorgesehen, bei denen vernünftigerweise nicht davon ausge­ gangen werden kann, dass sich die in Rede stehende Person der hybriden Gestaltung bewusst war und auch nicht an dem Steuervorteil beteiligt wurde, der sich aus der Gestaltung ergibt. Das bereits von der OECD vorgeschlagene Auffangkriterium wird hier also nur noch in Richtlinien­ form gegossen.552 Die erheblichen Unschärfen der Kriterien bleiben auch im Hinblick auf die ATAD bestehen.553 c) Zwischenergebnis Die Definition der hybriden Gestaltung im Sinne der ATAD umfasst mit­ hin eine sachliche und eine persönliche Komponente. In sachlicher ­Hinsicht werden insgesamt sieben Fallgruppen enumerativ und abschlie­ ßend aufgezählt, die sich allesamt in den Berichten der OECD wieder­ finden. Zum Aufbau der Gestaltungen können deshalb die entsprechen­ den Passagen des Kapitels 1 herangezogen werden.

550 Löprick/Meger, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 297 und 301. Für hybride Ge­ staltungen, welche die hybride Natur von Unternehmen betreffen, sollte das Kri­ terium des „maßgeblichen Einflusses“ im Lichte der Erwägungsgründe ausgelegt und im Sinne einer „tatsächlichen Kontrolle“ verstanden werden. Anderenfalls würde der oben beschriebene Zweck der Anhebung der notwendigen Beteiligungs­ quote von 25 % auf 50 % unterlaufen werden. 551 Vgl. Grotherr, BB 2017, 1367, 1368 552 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 119 Empfeh­ lung 10. 553 Siehe ausführlich Löprick/Meger, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 314 ff.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

In persönlicher Hinsicht finden sich drei einschränkende Kriterien, näm­ lich das des „verbundenen Unternehmens“, der „Betriebsstättenkonstel­ lation“554 und der „strukturierten Gestaltung“. Auch in persönlicher Hinsicht entsprechen die Vorgaben jenen Empfehlungen der OECD. 5. Zwischenergebnis Durch die ATAD werden rechtsverbindlich Mindeststandards für die Neutralisierung von Effekten hybrider Gestaltungen vorgegeben, welche sich eng an den Empfehlungen der OECD orientieren. Vom Anwen­ dungsbereich sind sowohl unbeschränkt als auch beschränkt Körper­ schaftsteuerpflichtige erfasst. Schon aus Art. 1 Abs. 1 ATAD lässt sich damit folgern, dass auch Konstellationen zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat erfasst werden. Hybride Gestaltungen werden durch die ATAD allgemein definiert. Die Definition teilt sich in eine fallgruppenbezogene sachliche Komponente und eine persönliche Kom­ ponente. Sie bildet die Grundlage für die nachfolgend dargestellten mate­ riellen Regelungen der ATAD, welche sich teils hierauf beziehen.

II. Richtlinienvorgaben zur Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen Die materiellen Regelungen der ATAD finden sich verteilt auf drei Arti­ kel. Innerhalb des Art. 9 ATAD sehen zunächst Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 ATAD allgemeine Regeln für DD-Ergebnisse einerseits und D/NI-Ergeb­ nisse andererseits vor. Weiter findet sich jeweils eine Regel für importier­ te Besteuerungsinkongruenzen (Art. 9 Abs. 3 ATAD), unberücksichtigte Betriebsstätten (Art. 9 Abs. 5 ATAD) und hybride Übertragungen (Art. 9 Abs. 6 ATAD). In Gestalt von Art. 9a ATAD findet sich eine spezifische Regel für umgekehrt hybride Rechtsträger. Doppelt ansässige Rechtsträ­ ger wurden mit einem eigenen Art. 9b ATAD bedacht. Anders als den Vorschriften in Art. 9 ATAD liegt weder Art. 9a noch Art. 9b ATAD die allgemeine Definition hybrider Gestaltungen zugrunde. Dies ergibt sich einerseits aus ihrem Wortlaut, welcher „hybride Gestaltungen“ nicht ex­ plizit in Bezug nimmt, als auch aus der systematischen Trennung der Vorschriften. Im Folgenden werden jeweils der Anwendungsbereich und die sich erge­ benden Auslegungsfragen der Vorschriften erörtert. Da letztere beson­ ders die ergänzende Anwendung der allgemeinen Regel für D/NI-Ergeb­ nisse (Art. 9 Abs. 2 ATAD) betreffen, beginnt die Darstellung mit den speziellen und mündet in die allgemeinen Vorschriften. 554 Inkongruenz zwischen Hauptsitz und Betriebsstätte bzw. zwischen mehreren Be­ triebsstätten desselben Unternehmens.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

1. Regel für umgekehrt hybride Gestaltungen, Art. 9a ATAD Umgekehrt hybride Gestaltungen werden in Art. 9a ATAD geregelt. Der etwas umständlich formulierte Absatz 1 lautet wie folgt: „Wenn einer oder mehrere verbundene nichtansässige Unternehmen, die zusammengenommen eine direkte oder indirekte Beteiligung an mindestens 50 % der Stimmrechte, des Kapitals oder der Rechte auf Gewinnbeteiligung in einem hybriden Unternehmen halten, das in einem Mitgliedstaat eingetragen oder niedergelassen ist, in einem Steuergebiet oder in Steuergebieten angesiedelt ist/sind, das/die das hybride Unternehmen als Steuerpflichtigen betrachtet/betrachten, wird das hybride Unternehmen als in dem genannten Mitgliedstaat ansässig betrachtet und werden seine Einkünfte insoweit besteuert, wie diese Einkünfte nicht anderweitig nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats oder eines anderen Steuergebiets besteuert werden.“ a) Tatbestand Art. 9a ATAD stellt einen eigenständigen Tatbestand auf, welcher grund­ sätzlich unabhängig von der allgemeinen Definition hybrider Gestaltun­ gen ist. Gleichwohl hier offenbar die spezifische Empfehlung der OECD hinsichtlich umgekehrt hybrider Rechtsträger umgesetzt wurde555, be­ darf der Tatbestand der Erläuterung.

Abbildung 22:  Basiskonstellation im Sinne des Art. 9a ATAD

aa) (Umgekehrt) Hybrides Unternehmen Auf Tatbestandsseite setzt die Regelung zunächst ein „hybrides Unter­ nehmen“ voraus. Dieser Begriff wird in Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. i) ATAD legaldefiniert als jedes Unternehmen oder jede Gestaltung, die 555 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 73 Empfehlung 5.2.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

nach den Rechtsvorschriften eines Steuergebiets als Steuerpflichtiger gilt und dessen bzw. deren Einkünfte oder Aufwendungen nach den Rechts­ vorschriften eines anderen Steuergebiets als Einkünfte oder Aufwendun­ gen einer oder mehrerer anderer Personen behandelt werden. Gemeint ist folglich ein Rechtsträger, der in mehreren Staaten unterschiedlich – mal intransparent, mal transparent – eingeordnet wird.556 Aus Art. 9a Abs.1 ATAD selbst geht überdies hervor, welcher Staat den hybriden Rechtsträ­ ger wie behandeln muss: So verlangt die Regelung, dass der Rechtsträger im Staat des Anteilseigners als Steuerpflichtiger, damit intransparent betrachtet wird. Wenn die Rechtsfolge eine ausnahmsweise Besteuerung der Einkünfte im Staat der Eintragung bzw. Niederlassung (im Folgen­ den: Errichtungsstaat557) des hybriden Rechtsträgers vorschreibt, folgt daraus, dass der Rechtsträger dort bislang transparent behandelt wur­ de.558 Genau diese Konstellation beschreibt eine „umgekehrt hybride Ge­ staltung“, wie sie in der Überschrift zu Art. 9a ATAD adressiert wird und auch bereits in den OECD-Berichten enthalten war559. Der Rechtsträger muss in einem Mitgliedstaat eingetragen560 oder nieder­ gelassen561 sein. Hinzuweisen ist hier darauf, dass ein transparent besteu­ erter Rechtsträger aus Sicht des regelnden Staates grundsätzlich nicht vom Anwendungsbereich der ATAD erfasst ist. Art. 1 Abs. 1 ATAD stellt nämlich entscheidend auf die Körperschaftsteuerpflicht, mithin intrans­ parente Behandlung von Unternehmen ab. Für Zwecke des Art. 9a ATAD erweitert der Art. 1 Abs. 2 ATAD den Anwendungsbereich der Richtlinie auf Unternehmen, die von einem Mitgliedstaat als steuerlich transparent behandelt werden.562 bb) Beteiligungsverhältnisse Zudem stellt Art. 9a ATAD besondere Anforderungen an die Beteili­ gungsverhältnisse am hybriden Rechtsträger. Die Grundidee lautet, dass in demjenigen Staat, der den hybriden Rechtsträger als intransparent er­ achtet, mindestens 50 % seiner Stimmrechte, des Kapitals oder der Rech­ te auf Gewinnbeteiligung gehalten werden müssen.563 Diese Grundidee wird umfassend ausdifferenziert. 556 Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 52 ff. 557 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 73 Empfehlung 5.2. 558 Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 54. 559 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 65 ff. 560 Vgl. etwa §§ 106 ff. HGB. 561 Der Ort der Niederlassung kann sich nach dem statutarischen Sitz oder dem Ort der Geschäftsleitung richten, vgl. Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 61. 562 Vgl. Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 58 f., der Art. 1 Abs. 2 ATAD nur für Drittstaatenkonstellationen als notwendig erachtet. 563 Dazu näher Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 65.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

So ist es zunächst einerlei, ob diese Beteiligung direkt oder indirekt ge­ halten wird. Es macht folglich keinen Unterschied, ob eine oder mehrere Gesellschaften zwischengeschaltet werden. Art. 9a Abs. 1 ATAD unter­ scheidet überdies nicht nach dem Sitz oder der Rechtsform dieser Gesell­ schaften.564 Ferner kann die 50 %-Beteiligung von einem Unternehmen allein565 oder aber von mehreren verbundenen Unternehmen zusammengenommen gehalten werden. Diese Unternehmen müssen dann jeweils in einem Staat ansässig sein, welcher den hybriden Rechtsträger intransparent be­ handelt. Für die Frage, wann es sich um verbundene Unternehmen han­ delt, kann auf Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 3 ATAD zurückgegriffen werden, der den Begriff ausdrücklich auch für Zwecke des Art. 9a ATAD definiert. Generell kann daher auf die obigen Ausführungen verwiesen werden566, wobei hervorzuheben bleibt, dass die grundsätzliche Beteiligungsquote von 25 % auch hier auf 50 % angehoben wird (Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 3 lit. a) ATAD). Dies überrascht insofern nicht, als dass es sich hier um eine Gestaltung handelt, welche die hybride Natur von Unternehmen betrifft. Die Erwägungsgründe der ATAD II gehen insoweit nur dann von einem Gestaltungspotential aus, wenn ein Unternehmen mindestens die tatsächliche Kontrolle über das andere ausübt.567 cc) Nichtbesteuerung der Einkünfte Auf eine weitere Voraussetzung lässt die Rechtsfolgenanordnung des Art. 9a Abs. 1 ATAD schließen. Hiernach besteuert der Errichtungsstaat des hybriden Rechtsträgers die Einkünfte nur insoweit, „[…] wie diese Einkünfte nicht anderweitig nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats oder eines anderen Steuergebiets besteuert werden“. Vorausset­ zung für die Anwendung der Regelung ist folglich, dass der Qualifikati­ onskonflikt in Bezug auf das hybride Unternehmen dazu führt568, dass seine Einkünfte nicht besteuert werden. Aus dem insoweit klaren Wort­ laut („nicht […] besteuert“) folgt, dass bereits eine niedrige Besteuerung schädlich ist.569 564 Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 70. 565 Trotz der offenen Formulierung („einer“) muss es sich bei der Person des Anteil­ sinhabers um ein Unternehmen, mithin eine Gesellschaft handeln. So richtig Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 74; Mayer/Spies, StAW 2017, 227, 250. 566 Kapitel 2 - B.I.4.b)aa). 567 Erwägungsgrund 13 der ATAD II. 568 Der Qualifikationskonflikt muss kausal für die Nichtbesteuerung der Einkünfte sein. Vgl. der generalisierbare Rechtsgedanke der OECD-Empfehlungen im Kon­ text der hybriden Finanzinstrumente OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 36 f. Rn. 51 f. Gl.A. Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 100 ff. 569 Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 91.

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Die Nichtbesteuerung ist sowohl im Hinblick auf den Staat des hybriden Rechtsträgers als auch den- oder diejenigen der Anteilsinhaber nach den jeweils dort geltenden Vorschriften zu prüfen.570 Im Grundsatz ergibt sich die jeweilige Nichtbesteuerung schon aus der hybriden Natur des Rechtsträgers: Betrachtet der Ansässigkeitsstaat des hybriden Rechtsträ­ gers ihn als transparent, werden die Einkünfte grundsätzlich bei den An­ teilsinhabern, mithin nicht im Inland besteuert. Betrachtet die Staaten der Anteilsinhaber den hybriden Rechtsträgers als intransparent, so wer­ den die Einkünfte im Staat des hybriden Rechtsträgers, nicht jedoch im Inland besteuert. Gleichwohl dürfte dies nur für vermögensverwaltende, nicht jedoch ge­ werbliche Einkünfte gelten.571 In letzterem Falle könnte der Ansässig­ keitsstaat des hybriden Rechtsträgers nämlich zu der Auffassung gelan­ gen, dass die aus seiner Sicht ausländischen Anteilsinhaber im Inland eine Betriebsstätte unterhalten.572 Mit den Einkünften der Betriebsstätte wären die Anteilsinhaber im Inland beschränkt steuerpflichtig.573 Regel­ mäßig wird das jeweilige Doppelbesteuerungsabkommen dem Ansässig­ keitsstaat des hybriden Rechtsträgers insoweit das Besteuerungsrecht zuweisen.574 Die Voraussetzung, dass die Einkünfte „nicht anderweitig nach den Vorschriften des Mitgliedstaats […] besteuert werden“, wäre dann nicht erfüllt. Art. 9a ATAD dürfte deshalb aus deutscher Sicht vor allem bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften zur Anwen­ dung gelangen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass neben der Nichtbesteuerung der Einkünfte keine zusätzlichen Voraussetzungen gestellt werden. Der Vor­ schrift liegt nicht die allgemeine Definition der hybriden Gestaltung aus Art. 2 Abs. 4 und Abs. 9 ATAD zugrunde, weshalb keine Anforderungen an den Zahlenden zu stellen sind. Es muss sich daher weder um ein ver­ bundenes Unternehmen handeln, noch muss die Zahlung bei ihm ab­ zugsfähig sein. Art. 9a ATAD soll kein D/NI-Ergebnis neutralisieren, sondern dieses erst gar nicht entstehen lassen.575 dd) Ausnahme für „Organismen für gemeinsame Anlagen“ Schließlich findet sich im Absatz 2 eine Ausnahme für „Organismen für gemeinsame Anlagen“. Hierunter ist nach dessen Satz 2 jeweils ein An­ 570 Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 85. 571 Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 86 sowie Rn. 96 f.; Mayer/Spies, StAW 2017, 225, 249 f.; Niedling/Rautenstrauch, BB 2017, 1500, 1506 f. 572 Vgl. Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Anhang 3.1. 573 Vgl. für Deutschland § 2 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) EStG i.V.m. § 12 AO. 574 Vgl. Art. 7 Abs. 1 S. 2 OECD-MA. 575 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 74 Rn. 170.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

lagefonds oder Anlageinstrument zu verstehen, „[…] das sich in Streubesitz befindet, einen diversifizierten Wertpapierbestand aufweist und in dem Land seiner Niederlassung der Regulierung für den Anlegerschutz unterliegt“. Die Definition weist deutliche Parallelen zur regulatori­ schen OGAW-Richtlinie auf.576 b) Rechtsfolge Die Rechtsfolge des Art. 9a Abs. 1 ATAD besteht aus zwei Teilen. Ers­ tens werden die Einkünfte des hybriden Unternehmens im Mitgliedstaat, in dem es eingetragen bzw. niedergelassen ist, insoweit besteuert, wie diese Einkünfte nicht anderweitig nach den Rechtsvorschriften des Mit­ gliedstaats oder eines anderen Steuergebiets besteuert werden. Zweitens wird zu diesem Zwecke „[…] das hybride Unternehmen als in dem genannten Mitgliedstaat [i.e. dem Errichtungsstaat] ansässig betrachtet […]“. Bereits dem Wortlaut nach dürfte dem Richtliniengeber vor Augen ge­ standen haben, dass der Errichtungsstaat das hybride Unternehmen aus­ nahmsweise intransparent behandelt.577 Das bedeutet, dass die Ge­ sellschaft zum Zwecke der Besteuerung bislang unberücksichtigter Einkünfte als unbeschränkt steuerpflichtiges Körperschaftsteuersubjekt fingiert wird.578 Hierfür spricht auch die OECD-Empfehlung 5.2 bei, wel­ che Art. 9a ATAD als Vorbild dient.579 Die Empfehlung „[…] hält die Staaten effektiv dazu an, ihre Transparenzregeln auszusetzen […]“.580 Wird die Transparenzbetrachtung ausgesetzt, so bedeutet dies, dass nun nicht mehr der jeweilige Beteiligte, sondern die Gesellschaft das Steuer­ subjekt darstellt. 2. Regel für Inkongruenzen bei Steueransässigkeit, Art. 9b ATAD Art. 9b ATAD regelt Inkongruenzen bei der Steueransässigkeit. Satz 1 der Regelung lautet wie folgt: „Soweit ein Abzug für eine Zahlung bzw. für Aufwendungen oder Verluste eines Steuerpflichtigen, der in zwei oder 576 Vgl. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschrif­ ten betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), ABl. EU, L 302/32. Vergleichend Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 106 ff. 577 Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 117; Kaminskiy, Korrespondenzrege­ lungen, S. 186; Köhler, ISR 2018, 250, 258 f.; Mayer/Spies, StAW 2017, 225, 259; Niedling/Rautenstrauch, BB 2017, 1500, 1507; Zinowsky/Jochimsen, ISR 2017, 325, 328. 578 So auch Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 119 ff. 579 Vgl. Erwägungsgrund 28 der ATAD II. 580 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 75 Rn. 175.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

mehr Steuergebieten steuerlich ansässig ist, in beiden Steuergebieten von der Steuerbemessungsgrundlage abzugsfähig ist, verweigert der Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen den Abzug insoweit, als in dem anderen Steuergebiet gestattet ist, den zweiten Abzug mit den Einkünften zu verrechnen, die steuerlich nicht doppelt berücksichtigt werden.“ a) Tatbestand Ebenso wie Art. 9a ATAD beinhaltet auch Art. 9b ATAD einen eigen­ ständigen Tatbestand, welchem nicht die allgemeine Definition für hy­ bride Gestaltungen zugrunde liegt.581 Dieser wird im Folgenden erläutert.

Abbildung 23:  Basiskonstellation im Sinne des Art. 9b ATAD

aa) Steuerpflichtiger, der in zwei oder mehr Steuergebieten ansässig ist Der Tatbestand setzt zunächst einen Steuerpflichtigen voraus, wobei hier aufgrund des in Art. 1 Abs. 1 ATAD geregelten allgemeinen Anwen­ dungsbereichs der Richtlinie ein Körperschaftsteuerpflichtiger gemeint ist.582 Dieser muss in zwei oder mehr Steuergebieten steuerlich ansässig sein. Die Ansässigkeit ist nach den jeweils einschlägigen nationalen Vorschrif­ ten zu bestimmen583; etwaige Ansässigkeitsregelungen in Doppelbesteu­ erungsabkommen sind insoweit unbeachtlich und wirken grundsätzlich nicht auf Ansässigkeit nach nationalem Recht zurück584. Dass ein Steu­ erpflichtiger in mehreren Staaten steuerlich ansässig ist, kommt vor al­ lem in solchen Konstellationen in Betracht, in denen eine Gesellschaft

581 Zwar erfasst diese auch hybride Gestaltungen, die zu einem „doppelten Abzug“ führen (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. g) ATAD). Hierunter sind jedoch nur solche Konstellationen zu fassen, welchen ein hybrides Unternehmen oder eine Betriebs­ stätte zugrunde liegt, Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. b) ATAD. Das sind lediglich abzugsfähige hybride Zahlungen und Double Deduction Branch Payments, Kapi­ tel 1 - B.II.2.a). 582 Rüsch, in: ATAD-Kommentar, Art. 1 Rn. 7 f. 583 Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9b Rn. 49. 584 Lehner, in: Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 4 OECD-MA 2014 Rn. 31.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

ihren Sitz in einem anderen Staat als ihre Geschäftsleitung innehat.585 An die Staaten, in denen der Steuerpflichtige ansässig ist, werden zu­ nächst keine Anforderungen gestellt. Erfasst sind damit auch solche Konstellationen, in denen es sich bei einem der beiden Staaten um einen Drittstaat handelt. Aus Art. 1 Abs. 1 ATAD folgt gleichwohl, dass es sich mindestens bei einem der Staaten um einen Mitgliedstaat handeln muss.586 bb) Doppelter Abzug Weiter setzt die Regelung voraus, dass „[…] ein Abzug für eine Zahlung bzw. für Aufwendungen oder Verluste […] in beiden Steuergebieten von der Steuerbemessungsgrundlage abzugsfähig ist […]“. Die Formulierung ist unglücklich gewählt, da hier letztlich ein „abzugsfähiger Abzug“ ge­ fordert wird. Entscheidend ist hier darauf abzustellen, dass ein Betrag von der Steuerbemessungsgrundlage abzugsfähig ist.587 Die Regelung wollte augenscheinlich möglichst umfassend die Möglichkeiten hierfür dafür abdecken: Die Steuerbemessungsgrundlage kann einerseits durch Betriebsaufwand gemindert werden, der wiederum liquiditätswirksam, etwa durch eine Zahlung, oder nicht liquiditätswirksam, etwa durch Ab­ schreibungen, entstehen kann.588 Anderseits kann die Steuerbemessungs­ grundlage durch aus dem Vorjahr vorgetragene Verluste gemindert wer­ den.589 Jedenfalls muss der Betrag in beiden Staaten abzugsfähig sein, in denen der Steuerpflichtige ansässig ist. cc) Verrechnung mit nicht doppelt berücksichtigten Einkünften Eine weitere Voraussetzung ergibt sich schließlich aus der Rechtsfolge der Regelung. So soll der Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen den Abzug insoweit versagen, als in dem anderen Steuergebiet gestattet ist, den zweiten Abzug mit den Einkünften zu verrechnen, die steuerlich nicht doppelt berücksichtigt werden. Wie bereits zu den OECD-Empfehlungen herausgearbeitet590, kann es bei doppelt ansässigen Rechtsträgern natur­ gemäß nicht nur zur doppelten Erfassung von Betriebsaufwendungen und Verlusten, sondern spiegelbildlich auch zur doppelten Erfassung von Betriebseinnahmen und Gewinnen kommen. Dem trug bereits die OECD 585 Vgl. § 1 Abs. 1 KStG, der für die unbeschränkte Steuerpflicht alternativ darauf ab­ stellt, dass die Körperschaft „[…] ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland […]“ hat. Siehe auch schon Kapitel 1 - B.I.2.d). 586 Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9b Rn. 52. 587 Vgl. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. d) ATAD sowie OECD, Neutralisierung der Ef­ fekte hybrider Gestaltungen, S. 137 Empfehlung 12.1 (,,Abzug”). 588 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 192. 589 Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9b Rn. 61 ff. 590 Kapitel 1 - B.II.1.b)aa)(1).

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Rechnung, indem sie eine hybride Besteuerungsinkongruenz nur inso­ weit als gegeben ansah, wie die Zahlung im anderen Staat mit nicht dop­ pelt berücksichtigten Einkünften (Non Dual Inclusion Income) verrech­ net werden konnte.591 In diesem Sinne ist die genannte Einschränkung des Art. 9b ATAD zu verstehen. Wie eine Verrechnung mit nicht doppelt berücksichtigten Einkünften gestalterisch erreicht werden kann, wurde ebenfalls bereits im Rahmen der Darstellung der OECD-Empfehlungen herausgearbeitet.592 Im Umkehrschluss findet Art. 9b ATAD keine  An­ wendung, soweit der Abzug mit doppelt berücksichtigten Einkünften verrechnet werden kann. Auf diese Weise wird eine juristische Doppelbe­ steuerung des doppelt ansässigen Steuerpflichtigen zumindest teilweise vermieden.593 (1) Nicht ausgleichsfähige Verluste („Stranded Losses“) Es ist zu begrüßen, dass lediglich auf die Verrechnung mit nicht doppelt berücksichtigten Einkünften abgestellt wird.594 Aus dem Umkehrschluss folgt nämlich, dass die Regelung nicht zur Anwendung gelangt, wenn etwaige negative Einkünfte des doppelt ansässigen Steuerpflichtigen im anderen Staat ungenutzt bleiben. Die erhöhten Voraussetzungen bezüg­ lich der nicht ausgleichsfähigen Verluste wurden dagegen nicht aufgegrif­ fen. Damit wird insbesondere bei Anlaufverlusten eine verhältnismäßige Anwendung sichergestellt.595 (2) Keine intertemporale Verrechnung In einem Punkt bleibt Art. 9b ATAD jedoch hinter den OECD-Empfeh­ lungen596 zurück. Empfehlung 7.1.(c) der OECD sah vor, dass ein Abzug, der den Betrag der doppelt berücksichtigten Einnahmen übersteigt, mit doppelt berücksichtigten Einnahmen eines anderen Zeitraums verrech­ net werden kann. Abweichungen bei der zeitlichen Einordnung der Ein­ künfte sollten sich auf diese Weise nicht auswirken. 597 Art. 9b ATAD schreibt den Mitgliedstaaten jedoch weder eine Vor- noch eine Rücktragsmöglichkeit vor. Zwar sind die ATAD-Vorschriften grund­ sätzlich im Lichte der OECD-Empfehlungen auszulegen.598 Es ergibt sich 591 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 89 Empfehlung 7.3. 592 Siehe das Beispiel in Kapitel 1 - B.II.2.b). 593 Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9b Rn. 74. 594 Vgl. in Bezug auf den insoweit gleichlautenden Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. b) ATAD Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 284. 595 Kapitel 1 - B.II.2.a)aa)(1). 596 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 89 Empfehlung 7.1.(c) sowie S. 93 Rn. 229. 597 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 89 Empfehlung 7. 598 Erwägungsgrund 28 ATAD II.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

jedoch ein deutlicher systematischer Umkehrschluss aus Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 ATAD, welcher eine intertemporale Verrechnungsmöglich­ keit ausdrücklich regelt.599 Auch die Erwägungsgründe ziehen die Mög­ lichkeit einer intertemporalen Verrechnung nicht in Betracht.600 So wird diese in Bezug auf Art. 9 Abs. 2 ATAD zumindest angesprochen und vom jeweiligen nationalen Verrechnungssystem abhängig gemacht.601 Im Ge­ gensatz dazu finden sich in Bezug auf Art. 9b ATAD keinerlei Ausführun­ gen zu einer solchen Möglichkeit.602 b) Rechtsfolge Liegen die genannten Voraussetzungen vor, verweigert der Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen den Abzug insoweit, als in dem anderen Steuerge­ biet gestattet ist, den zweiten Abzug mit den Einkünften zu verrechnen, die steuerlich nicht doppelt berücksichtigt werden. Die Einschränkung, dass die Neutralisierung nicht im Ausmaß der Verrechnung mit Dual Inclusion Income greifen soll, wurde inhaltlich bereits als Tatbestands­ voraussetzung besprochen.603 Darüber hinaus folgt aus der Formulierung eine grundsätzliche Subsidiarität von Art. 9b ATAD: Die Rechtsfolge der Vorschrift wird von der steuerlichen Behandlung im anderen Steuerge­ biet abhängig gemacht und soll nur dann eintreten, wenn die Verrech­ nung im anderen Staat gestattet ist. Eine Verrechnung ist jedoch dann nicht gestattet, wenn der andere Staat eine dem Art. 9b ATAD gleichlau­ tende Anpassung vornimmt.604 Diese grundsätzliche Subsidiarität von Art. 9b ATAD bezieht sich auf Konstellationen, bei denen es sich beim anderen Staat um einen Drittstaat handelt. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus Art. 9b S. 2 ATAD. Dieser regelt nämlich den Fall, dass es sich bei beiden Staaten um Mitgliedstaaten handelt. Nach Art. 9b S. 2 ATAD verweigert der Mitgliedstaat, in dem der Steuer­ pflichtige nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den bei­ den betroffenen Mitgliedstaaten nicht als ansässig betrachtet wird, den Abzug. Welcher Mitgliedstaat auf den Sachverhalt zugreift, richtet sich nach der Tie-Breaker-Regelung des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA. Die alte Fas­ sung dieser Regelung räumte dem Staat der tatsächlichen Geschäftslei­ tung den Vorrang gegenüber dem Sitzstaat ein.605 Aus den Arbeiten der OECD zu Aktionspunkt 6 des BEPS-Projektes ergibt sich jedoch eine Än­ 599 Siehe dazu Kapitel 2 - B.II.6.b). 600 A.A. Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9b Rn. 77 unter Rekurs auf Erwägungs­ grund 22 der ATAD II. Dieser betrifft jedoch Art. 2 Abs. 9 lit. a) Unterabs. 2 ATAD. 601 Erwägungsgrund 20 der ATAD II. 602 Erwägungsgrund 26 der ATAD II. 603 Kapitel 2 - B.II.2.a)cc). 604 So auch Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9b Rn. 89. 605 Art. 4 Abs. 3 OECD-MA 2014.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

derung dieser Regelung.606 Nunmehr sollen die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten im gegenseitigen Einvernehmen versuchen, den Ver­ tragsstaat zu bestimmen. Dabei sollen der Ort der tatsächlichen Ge­ schäftsleitung, der Ort des Sitzes sowie sonstige relevante Faktoren be­ rücksichtigt werden. Gelangen die Behörden zu keiner Einigung, so hat der Steuerpflichtige keinen Anspruch auf eine Steuererleichterung. Die­ se Regelung soll nach Art. 4 Abs. 1 des Mehrseitigen Übereinkommens zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinde­ rung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (sog. „Multilateral Instrument“)607 in viele Doppelbesteuerungsabkommen übertragen wer­ den.608 Bei der letztlichen Anwendung der auf Art. 9b ATAD basierenden nationalen Vorschriften wird es in Konstellationen zwischen zwei Mit­ gliedstaaten folglich schwerfallen, Prognosen darüber zu treffen, wo es letztlich zu einem Abzugsverbot kommen wird.609 Daraus resultiert aus Unternehmenssicht eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit.610 Im­ merhin wurde aber ein Versuch unternommen, einem der beteiligten (Mitglied-)Staaten den Vorzug einzuräumen. Der OECD-Bericht empfahl noch eine parallele Neutralisierung durch beide beteiligten Staaten und sah es am Steuerpflichtigen, eine solche Situation überhaupt erst zu ver­ meiden.611 Mit Art. 9b S. 2 ATAD wird in Konstellationen zwischen Mit­ gliedstaaten trotz unvorhersehbarerer Rechtsfolge ein Schritt in die rich­ tige Richtung, daher in Richtung einer verhältnismäßigen Anwendung der Norm, unternommen. c) Zwischenergebnis Mit Art. 9b ATAD wurde die Empfehlung 7 der OECD-Arbeiten betref­ fend Dual Residents umgesetzt. Die Regelung bleibt insoweit hinter den OECD-Vorgaben zurück, als dass sie keine intertemporale Verrechnungs­ möglichkeit mit Dual Inclusion Income vorsieht. Die Rechtsfolge unter­ liegt nunmehr einer Anwendungshierarchie, welche von den beteiligten Staaten abhängig ist. Handelt es sich beim anderen Staat um einen Dritt­ staat, so kommt Art. 9b ATAD nur nachrangig zur Anwendung. Handelt es sich dagegen um einen (weiteren) Mitgliedstaat, so richtet sich die 606 OECD, Verhinderung der Gewährung von Abkommensvergünstigungen in unan­ gemessenen Fällen, Aktionspunkt 6 – Abschlussbericht 2015, S. 76 f. Rn. 48; OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 153 Rn. 431; dazu Kahlenberg, Ubg 2014, 623, 624 f.; Schnitger/Oskamp, IStR 2014, 385, 385 ff. 607 Dazu Gradl/Kiesewetter, IStR 2018, 1. 608 Siehe dazu Grotherr, BB 2017, 1367, 1377. 609 So auch Grotherr, BB 2017, 1367, 1377. 610 Die Kritik am neuen Art. 4 Abs. 3 OECD-MA schlägt auch auf Art. 9b S. 2 ATAD durch, siehe dazu Kahlenberg, Ubg 2014, 623, 624; Schnitger/Oskamp, IStR 2014, 385, 386 f. 611 Siehe oben Kapitel 1 - B.II.1.d).

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

Ansässigkeit nach dem jeweils einschlägigen Abkommensrecht. Meist wird es deshalb vom Einvernehmen der Mitgliedstaaten abhängig sein, wo die Besteuerungsinkongruenz neutralisiert wird (vgl. Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). 3. Regel für importierte Inkongruenzen, Art. 9 Abs. 3 ATAD Art. 9 Abs. 3 ATAD soll verhindern, dass die Effekte von zwischen Dritt­ staaten eingerichteten hybriden Gestaltungen durch abzugsfähige Zah­ lungen letztlich in die EU „importiert“ werden.612 Hiernach soll ein Mit­ gliedstaat den Abzug für eine Zahlung eines Steuerpflichtigen insoweit verweigern, als diese Zahlung direkt oder indirekt in abzugsfähige Auf­ wendungen fließt, die zu einer hybriden Gestaltung durch eine Trans­ aktion oder eine Reihe von Transaktionen zwischen verbundenen Unter­ nehmen oder als Teil einer strukturierten Gestaltung führen. Eine Ausnahme wird für solche Fälle zugelassen, in denen eines der beteilig­ ten Steuergebiete bereits eine gleichwertige Anpassung in Bezug auf die hybriden Gestaltungen vorgenommen hat.613 Dann besteht für die An­ passung nach Art. 9 Abs. 3 ATAD kein Bedarf mehr. Die Vorschrift ist mithin einstufig im Sinne einer Abwehrmaßnahme ausgestaltet, was angesichts der die Mitgliedstaaten treffenden Umsetzungsverpflichtung einleuchtet. Nur wenn eine hybride Gestaltung zwischen zwei Drittstaa­ ten nicht neutralisiert und der so entstandene Effekt in die EU importiert wird, bedarf es des Eingreifens eines Mitgliedstaats.614 Art. 9 Abs. 3 ATAD orientiert sich terminologisch eng an den OECD-Emp­ fehlungen und setzt diese vorgabengetreu um.615 Zu den Voraussetzun­ gen kann deshalb auf die obige Darstellung in Kapitel 1 verwiesen wer­ den.616 Nach wie vor bedarf es einer „Zahlung, die zu einer hybriden Besteuerungsinkongruenz führt“. Der daraus resultierende und noch nicht neutralisierte „hybride Abzug“ muss mit einer „Zahlung, die zu einer importierten Besteuerungsinkongruenz führt“ verrechnet werden. Das Ausmaß der Verrechnung ist je nachdem, ob von einer strukturiert, direkt oder indirekt importierten Inkongruenz auszugehen ist, auf unter­ schiedlichem Wege zu berechnen.617

612 Erwägungsgrund 25 der ATAD II. 613 Art. 9 Abs. 3 a.E. ATAD. Zur weiterführenden Frage, ob eine Korrektur im Rah­ men der Hinzurechnungsbesteuerung als gleichwertige Anpassung angesehen werden kann, Zinowsky/Jochimsen, ISR 2017, 325 614 Vgl. Erwägungsgrund 25 der ATAD II; Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kom­ mentar, Art. 9 Rn. 149. 615 Vgl. auch Erwägungsgrund 25 der ATAD II. 616 Kapitel 1 - B.II.1.d). 617 Kapitel 1 - B.II.1.d)aa)(3).

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

Abbildung 24:  Art. 9 Abs. 3 ATAD

Im Folgenden werden Zweifelsfragen besprochen, welche sich im Hin­ blick auf die Richtlinienvorgabe ergeben haben. a) Intertemporale Übertragung hybrider Betriebsausgabenabzüge Entstehen in einem Jahr bereits hybride Abzüge, die noch nicht mit einer Zahlung verrechnet werden, die zu einer importierten Besteuerungsin­ kongruenz führt, so fragt sich, ob diese Abzüge im nächsten Jahr berück­ sichtigt werden können. Angesprochen ist hier die Frage nach der inter­ temporalen Übertragungsmöglichkeit hybrider Betriebsausgabenabzüge.618 In der Entwurfsfassung der Richtlinie war noch von der Verrechnung von Zahlungen mit Verlusten die Rede. Verluste können ebenso aus Vorjah­ ren stammen. In der endgültigen Fassung der Richtlinie finden sich dage­ gen nur Zahlungen wieder, die in abzugsfähige Aufwendungen (und eben nicht Verluste) fließen. Auf dieser Basis wird teilweise von einer bewuss­ ten Entscheidung gegen eine intertemporale Übertragungsmöglichkeit ausgegangen.619 Zwingend ist dies jedoch nicht. Eine historisch-teleologische Auslegung spricht für eine Übertragung der hybriden Abzüge, da eine solche im OECD-Bericht ausdrücklich vorgesehen ist.620 Dies trägt auch der Wort­ laut des Art. 9 Abs. 3 ATAD. Die einschlägige Empfehlung des OECD-Be­ 618 Vgl. Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 165 f. 619 Kahlenberg/Oppel, IStR 2017, 205, 212. 620 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 104 Rn. 263.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

richts verwendet mit dem Begriff des „Abzugs“ ebenso wenig eine Saldo­ größe wie der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 ATAD mit dem Begriff der „Aufwendungen“. Mit der Wahl des Wortlauts kann deshalb nicht von einer bewussten Entscheidung gegen die OECD-Empfehlungen ausge­ gangen werden. Vielmehr überwiegt hier der ausdrückliche Hinweis in Erwägungsgrund 28 der ATAD II, wonach die Richtlinie im Sinne dieser Vorarbeiten auszulegen ist.621 Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass sich die ohnehin bereits komplexe Anwendung der Vorschrift nochmals erhöhen wird. Vorgeschlagen wird deshalb, weiter in der Vergangenheit liegende Betriebsausgabenabzüge nicht zu berücksichtigen.622 b) Doppelbesteuerung Teilweise wird vertreten, dass eine Doppelbesteuerung außerdem in sol­ chen Fällen drohe, in denen die Gesellschaft im Drittstaat Empfänger von mehreren Zahlungen von verbundenen Unternehmen aus unter­ schiedlichen Mitgliedstaaten ist. Dann könnten mehrere Mitgliedstaa­ ten den Tatbestand der Neutralisierungsvorschrift als erfüllt erachten und parallel den Abzug verweigern.623 Zumindest konzeptionell ist diese Befürchtung jedoch unbegründet. Im als Referenz heranzuziehenden OECD-Bericht624 bestimmt sich der Um­ fang der vorzunehmenden Anpassung in komplexeren Fällen nach der Proportionalitätsmethode (direkt importierte Inkongruenzen) bzw. nach dem Wasserfallmodell (indirekt importierte Inkongruenzen)625. Eine überproportionale Versagung des Betriebsausgabenabzugs wird dadurch in der Theorie vermieden.626 Bei der Umsetzung der insoweit knappen Richtlinienvorgaben ist das OECD-Konzept folglich unbedingt zu beach­ ten. Eine mögliche Doppelbesteuerung wird auf diese Weise vermieden. c) Schwacher Nexus zwischen hybrider Gestaltung und Zahlung Der sehr umfassende Tatbestand des Art. 9 Abs. 3 ATAD stößt auf Kritik, da der Nexus zwischen der Zahlung, die zu einer hybriden Besteuerungs­ inkongruenz führt, und der Zahlung, die zu einer importierten Besteue­ 621 Gl.A. Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 165 ff. 622 Das heißt konkret, erst nach dem 31. Dezember 2016 entstehende Verlustvorträge zu berücksichtigen, OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 104 Rn. 263; Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 167. 623 Kahlenberg/Oppel, IStR 2017, 205, 212. 624 Erwägungsgrund 28 der ATAD II. 625 Siehe oben Kapitel 1 - B.II.1.d)aa)(3). 626 Vgl. Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 158, die wohl zu­ sätzlich auf einen zeitlichen und betragsmäßigen Zusammenhang der zugrunde­ liegenden Rechtsverhältnisse abstellen. Dies geht über die OECD-Empfehlungen hinaus.

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rungsinkongruenz führt, zu schwach ausgeprägt sei. Von der erforderli­ chen Verrechnung dürfte nämlich bereits dann auszugehen sein, wenn die Zahlung, die zu einer importierten Inkongruenz führt, beim Empfän­ ger in die Bemessungsgrundlage einbezogen wird. Ein darüber hinausge­ hender wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Zahlungsflüssen wird nicht ausdrücklich gefordert.627 Deshalb wird ergänzend gefordert, dass die der Gestaltung und der Zahlung zugrundeliegenden Rechtsver­ hältnisse in zeitlicher Nähe zueinander abgeschlossen wurden und „be­ tragsmäßig verkettet“ sind.628 Während mit der „betragsmäßigen Verket­ tung“ bloß die Verrechnung im Sinne der OECD-Vorgaben angesprochen sein dürfte, ergibt sich jedenfalls der zeitliche Zusammenhang der Trans­ aktionen weder aus dem Wortlaut, noch aus den Erwägungsgründen. Im Wege der Auslegung lässt sich dieses zusätzliche Erfordernis nicht herlei­ ten. Der weite Anwendungsbereich der Vorschrift wird noch im Lichte der Grundfreiheiten zu hinterfragen sein.629 d) Durchleitungsfälle Die Bedenken mehren sich vor dem Hintergrund sog. Durchleitungsfälle. Art. 9 Abs. 3 ATAD findet ebenso Anwendung, wenn der eigentliche Nachteil der Minderung der Steuerbemessungsgrundlage in einem ande­ ren Staat eintritt. Dies lässt sich anhand folgender Abbildung veran­ schaulichen, in der es sich bei den Staaten A, B und D um Drittstaaten handelt. Bei Staat C handelt es sich um einen EU-Mitgliedstaat.

Abbildung 25:  Durchleitungsfall 627 Kahlenberg/Oppel, IStR 2017, 205, 211. 628 Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 155 und 158. 629 Dazu Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb)(3)(d).

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

Der eigentliche Verlust von Steuersubstrat tritt hier in Staat D ein. Gleichwohl enthält Art. 9 Abs. 3 ATAD keinerlei Einschränkung im Hinblick auf solche Fälle und kommt deshalb in Staat C zur Anwen­ dung.630 Das könnte zur Folge haben, dass multinationale Konzerne ihre Finanzierungsstrukturen entsprechend umleiten und Staat C damit die Marge der Umleitungsgesellschaft entgeht.631 Die Anwendung von Art. 9 Abs. 3 ATAD ohne eigentlichen Nachteil im Mitgliedstaat wird noch im Hinblick auf die Grundfreiheitskonformität zu überprüfen sein.632 e) Zwischenergebnis Mit Art. 9 Abs. 3 ATAD wird die allgemeine Empfehlung der OECD hin­ sichtlich importierter hybrider Besteuerungsinkongruenzen umgesetzt. Eine Auslegung im Sinne der OECD-Empfehlungen hat zur Folge, dass hybride Betriebsausgabenabzüge in den nächsten Veranlagungszeitraum übertragen werden können. Bei Anwendung der Rückverfolgungsmetho­ de, Proportionalitätsmethode und des Wasserfallmodells wird eine Dop­ pelbesteuerung jedenfalls in der Theorie vermieden. Gleichwohl wird sich die Sachverhaltsermittlung über mehrere Staaten hinweg praktisch schwierig gestalten. Es ist zu erwarten, dass die Vorschrift kaum admi­ nistrierbar sein wird.633 Der Anwendungsbereich ist zudem sehr weit ge­ fasst, da ein über das Verrechnungskriterium hinausgehender wirtschaft­ licher Zusammenhang nicht gefordert wird und die Vorschrift sogar dann Anwendung findet, wenn der eigentliche Nachteil an einen Drittstaat weitergereicht wird. Diese Problembereiche sind noch im Lichte des Pri­ märrechts zu beurteilen.634 4. Regel für unberücksichtigte Betriebsstätten, Art. 9 Abs. 5 ATAD Der Tatbestand des Art. 9 Abs. 5 ATAD ist erfüllt, wenn eine hybride Ge­ staltung zu Einkünften einer unberücksichtigten Betriebsstätte führt, die in dem Mitgliedstaat, in dem der Steuerpflichtige steuerlich ansässig ist, nicht der Steuer unterliegen. Eine unberücksichtigte Betriebsstätte wird als jede Gestaltung definiert, die so behandelt wird, als führe sie zu einer Betriebsstätte nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets des Haupt­ sitzes, und die nach den Rechtsvorschriften des anderen Steuer­gebiets 630 Dazu Kapitel 1 – B.1.d)aa)(1). Vgl. Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 168. 631 Zinowsky/Jochimsen, ISR 2017, 325, 336. 632 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 169. 633 Vgl. Kahlenberg/Oppel, IStR 2017, 205, 211, die es für den Steuerpflichtigen als unmöglich erachten, in solchen Fällen zu beweisen, dass es zu keiner hybriden Gestaltung gekommen ist. Ferner Niedling/Rautenstrauch, BB 2017, 1500, 1504. Weiterführend zum grenzüberschreitenden Steuervollzug aus nationaler Sicht Eisgruber/Oertel, in: FS BFH, S. 1113. 634 Dazu noch Kapitel 4 – C.2.d)bb)(3)(d).

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nicht als Betriebsstätte behandelt wird.635 Liegen die Voraussetzungen vor, so sind nach Art. 9 Abs. 5 S. 1 ATAD die anderenfalls der unberück­ sichtigten Betriebsstätte zugeordneten Einkünfte beim Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Mit der Regelung wird offenbar auf die aus dem OECD-Bericht bekannten Disregarded Branch Structures abgezielt.636 a) Kein Bezug auf allgemeine Definition Die Regelung wirft die Frage auf, ob an den Zahlenden qualifizierte An­ forderungen dahingehend zu stellen sind, dass es sich dabei um ein ver­ bundenes oder an einer strukturierten Gestaltung beteiligtes Unterneh­ men handeln muss.

Abbildung 26:  Unberücksichtigte Betriebsstätte (NI/NT-Ergebnis)

In diese Richtung deutet jedenfalls der Wortlaut, welcher ausdrücklich eine „hybride Gestaltung“ in Bezug nimmt. Damit könnte man davon ausgehen, dass der Regelung die persönliche Komponente der Definition zugrunde liegt.637 Das scheint sich zu bestätigen, wenn man den Blick auf die sachliche Komponente der Definition richtet: Die Fallgruppe der Disregarded Branch Structures ist ausdrücklich in Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. d) ATAD erfasst. Insoweit ist von einem „Abzug bei gleichzeitiger Nichtberücksichtigung“ die Rede. Für den „Abzug“ muss der Zahlungs­ leister Teil der hybriden Gestaltung sein. Trotz des starken Wortlautar­ guments und der Regelungssystematik spricht dennoch mehr dafür, von einer unglücklichen Formulierung auszugehen und keine qualifizierten Anforderungen an den Zahlenden zu stellen. Mit Art. 9 Abs. 5 S. 1 ATAD 635 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. n) ATAD. 636 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 14 f. Rn. 4 f. 637 Zur persönlichen Komponente der Definition „hybride Gestaltung“ Kapitel 2 B.I.4.b).

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

sollte nämlich die spezifische Empfehlung bezüglich Disregarded Branch Structures der OECD umgesetzt werden.638 Diese enthält – im Gegensatz zur allgemeinen Regel – keinerlei persönliche Einschränkungen.639 Dem entsprach auch noch der Richtlinienentwurf.640 Durch die Anwendung spezifischer Empfehlungen soll eine hybride Besteuerungsinkongruenz gar nicht erst entstehen.641 Es wird folglich nicht an eine bestimmte Zah­ lung angeknüpft und das Gesamtergebnis korrigiert, sondern a priori eine Anpassung des nationalen Steuersystems vorgeschrieben. Dies spiegelt sich auch im Wortlaut der Regelung wider, der von „Einkünften“ einer unberücksichtigten Betriebsstätte spricht.642 Auch das systematische Ar­ gument, dass eine unberücksichtigte Betriebsstätte eindeutig in der sach­ lichen Komponente der Definition (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. d) ATAD) aufgenommen wurde, lässt sich entkräften: Dies erklärt sich nämlich vor dem Hintergrund, dass die allgemeine Empfehlung der OECD subsidiär mit Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD aufgenommen wurde. Dieser Regelung liegt zweifelsohne die allgemeine Definition der hybriden Gestaltung zugrun­ de.643 Mithin ist die Bezugnahme auf eine „hybride Gestaltung“ schlicht unglücklich formuliert.644 Die Regelung unterliegt in persönlicher Hin­ sicht keinerlei Einschränkungen.645 Da somit lediglich Stammhaus und Betriebsstätte im Fokus stehen, lässt sich die Art. 9 Abs. 5 ATAD zu­ grundliegende Gestaltung auch als „NT/NI-Ergebnis“ beschreiben646: Die Einkünfte werden im Stammhausstaat nicht besteuert („No Taxation“) und im Betriebsstättenstaat nicht berücksichtigt („No Inclusion“).647 b) Ausnahme nach Art. 9 Abs. 5 S. 2 ATAD Die Grundlage für die von Art. 9 Abs. 5 ATAD aufgegriffenen Gestaltun­ gen ist stets eine Freistellung der Betriebsstätteneinkünfte im Stamm­ 638 Vgl. Erwägungsgrund 29 der ATAD II. A.A. Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 177 f. 639 Vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 53. 640 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktio­ nieren des Binnenmarkts vom 28.1.2016, COM(2016) 26 final, 2016/0011 (CNS), S. 11 Beispiel 5. 641 Erwägungsgrund 29 der ATAD II. 642 Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 198. 643 Zum Verhältnis beider Regelungen Kapitel 2 - B.II.7.d). 644 Zinowsky/Jochimsen, ISR 2017, 325, 334. 645 Wohl a.A. Köhler, ISR 2018, 250, 259. Gl.A. implizit Grotherr, BB 2017, 1367, 1375, ausdrücklich Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 198; Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 172 f.; Zinowsky/Jochimsen, ISR 2017, 325, 334.  646 Grotherr, BB 2017, 1367, 1375. 647 Vgl. den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funk­ tionieren des Binnenmarkts vom 28.1.2016, COM(2016) 26 final, 2016/0011 (CNS), S. 11.

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hausstaat. Vor diesem Hintergrund ist die Ausnahme des Art. 9 Abs. 5 S. 2 ATAD zu lesen. Hiernach soll grundsätzlich die Anpassung nach Art. 9 Abs. 5 S. 1 ATAD vorgenommen werden, „[…] es sei denn, der Mitgliedstaat muss die Einkünfte gemäß einem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen dem Mitgliedstaat und einem Drittland von der Steuer befreien“. Die Betonung liegt hier auf dem Drittland. Es soll folg­ lich nur zu einer Anpassung kommen, wenn sich die Freistellung aus einem Doppelbesteuerungsabkommen mit einem anderen Mitgliedstaat ergibt. Die sich aus einem Drittstaaten-DBA ergebende Freistellung wird hingegen respektiert.648 c) Zwischenergebnis Nach Art. 9 Abs. 5 S. 1 ATAD werden eigentlich freigestellte Betriebs­ stätteneinkünfte ausnahmsweise im Staat des Stammhauses besteuert, wenn sie im Betriebsstättenstaat nicht berücksichtigt werden. Voraus­ setzung dafür ist nicht, dass auch der Zahlende an der hybriden Gestal­ tung beteiligt ist. Ergibt sich die Freistellung aus einem DBA, welches mit einem Drittstaat abgeschlossen wurde, wird die Besteuerungsinkon­ gruenz nicht neutralisiert. 5. Regel für hybride Übertragungen, Art. 9 Abs. 6 ATAD Soweit eine hybride Übertragung mit der Absicht entwickelt wurde, bei mehr als einer der beteiligten Parteien eine Ermäßigung der Quellensteu­

Abbildung 27:  Hybride Übertragung mit TC/TC-Ergebnis 648 Dazu Kahlenberg, IStR 2018, 93, 98.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

er auf eine Zahlung aus einem übertragenen Finanzinstrument herbeizu­ führen, begrenzt nach Art. 9 Abs. 6 ATAD der Mitgliedstaat des Steuer­ pflichtigen den sich aus der Ermäßigung ergebenden Vorteil im Verhältnis zu den steuerpflichtigen Nettoeinkünften im Zusammenhang mit der Zahlung. Mit Art. 9 Abs. 6 ATAD wurde die spezifische Empfehlung der OECD hinsichtlich hybrider Übertragungen in die Richtlinie aufgenom­ men. Es kann deshalb auf die obigen Ausführungen samt dem dazugehö­ rigen Beispiel verwiesen werden.649 Dem Beispiel wurde die folgende Ab­ bildung beigefügt. Wie bereits für die OECD-Empfehlungen herausgearbeitet, bestehen bei hybriden Übertragungen zweierlei Gestaltungsmöglichkeiten. Die erste führt zu einem D/NI-Ergebnis, die zweite zu einer doppelten Quellen­ steueranrechnung, welches man auch als TC/TC-Ergebnis (Tax Credit/ Tax Credit-Ergebnis) bezeichnen kann.650 Eben jene Gestaltungen, die zu einer doppelten Quellensteueranrechnung führen, nimmt Art. 9 Abs. 6 ATAD in den Blick. Führen hybride Übertragungen zu D/NI-Ergebnissen, so fällt dies unter Art. 9 Abs. 2 ATAD.651 a) Kein Bezug auf allgemeine Definition Eben weil es sich hier um die Umsetzung der spezifischen und nicht der allgemeinen Empfehlung handelt, liegt dem Tatbestand auch nicht die allgemeine Definition der hybriden Gestaltung von Art. 2 Abs. 9 Unter­ abs. 3 ATAD zugrunde.652 Diese umfasst zwar grundsätzlich hybride Übertragungen.653 Gleichwohl sind damit nur solche hybriden Übertra­ gungen angesprochen, die zu einem D/NI-Ergebnis führen und damit Art. 9 Abs. 2 ATAD unterfallen. Betrachtete man die auf ein D/NI-Ergeb­ nis zugeschnittene Definition als „Vorfilter“ für die Anwendung von Art. 9 Abs. 6 ATAD, so liefe die Regelung leer: Die angesprochenen Ge­ staltungen mit TC/TC-Ergebnis erfüllen nämlich nicht die Voraussetzun­ gen der allgemeinen Definition, welche ausdrücklich einen Abzug bei gleichzeitiger Nichtberücksichtigung fordert.654 Zwar ließe sich grund­ sätzlich noch vertreten, dass eine „Nichtberücksichtigung“ auch im Falle einer „Steuerermäßigung“ wie einer Quellensteueranrechnung in Frage kommt.655 Die Richtlinie regelt jedoch ausdrücklich, dass Gutschriften 649 Kapitel 1 - B.II.1.a)bb)(2). 650 Grotherr, BB 2017, 1367, 1375 f. 651 Erwägungsgrund 23 der ATAD II; Allram/Hörtenhuber, in: Die Anti-Tax-Avoidance-­ Richtlinie, S. 131, 144. 652 Vgl. zu Art. 9 Abs. 5 ATAD Kapitel 2 - B.II.4.a). A.A. Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 213. 653 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) i.V.m. Unterabs. 3 lit. j) ATAD. 654 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) ATAD. 655 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. e) ATAD; i.E. ebenso Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 213.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

für eine an der Quelle einbehaltene Steuer gerade nicht als Steuerermäßi­ gung qualifizieren.656 Mithin ist entscheidend auf die OECD-­Empfehlungen statt auf die allgemeine Definition zurückzugreifen.657 Insbesondere erge­ ben sich deshalb keine Einschränkungen in persönlicher Hinsicht.658 b) Kein subjektives Tatbestandsmerkmal Da entscheidend auf die OECD-Empfehlungen zurückzugreifen ist, setzt die Regelung auch keinen Vorsatz voraus.659 Zwar deutet der deutsche Wortlaut deutlich in diese Richtung („mit der Absicht entwickelt wurde“).660 Gleichwohl geht diese Voraussetzung nicht aus dem OECD-Be­ richt hervor.661 Dementsprechend zeigt sich die englische Sprachfassung diesbezüglich weniger eindeutig.662 Es liefe den Erwägungsgründen der Richtlinie zuwider, wenn die Regeln der ATAD weniger effektiv als ihre Vorbilder der OECD wären.663 Der Wortlaut betont deshalb eher den Zweck der Gestaltung.664 c) Beschränkung der Quellensteueranrechnung Bewirkt die hybride Übertragung, dass mehr als eine Partei eine Quellen­ steueranrechnung in Anspruch nehmen kann, so hat sie stets derjenige Staat zu beschränken, in welchem ein Anrechnungsüberhang entsteht. Das ist regelmäßig der Staat desjenigen Steuerpflichtigen, der die Aus­ gleichszahlung leistet.665 Die nicht ganz eindeutige Rechtsfolge, dass die Begrenzung des Vorteils „[…] im Verhältnis zu den steuerpflichtigen Nettoeinkünften im Zusammenhang mit der Zahlung […]“ erfolgen soll, fand sich bereits bei den OECD-Empfehlungen. Dazu wurde herausgear­ beitet, dass die Quellensteueranrechnung „auf“ die Höhe der Steuer zu beschränken ist, welche im Inland auf die Einkünfte im Zusammenhang mit der Zahlung entsteht. Beispielsweise wird die Quellensteueranrech­ nung von grundsätzlich 10 GE „auf“ 2 GE beschränkt, wenn auf die er­ haltene Zahlung abzüglich der Ausgleichszahlung im Inland 2 GE Steu­ ern entstehen.666 Nicht jedoch ist die Quellensteueranrechnung im Verhältnis „Netto zu Brutto“ zu reduzieren. Insoweit ist der Wortlaut der Regelung missverständlich.667 656 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. m) ATAD. 657 Erwägungsgrund 28 der ATAD II. 658 Vgl. Kapitel 2 - B.I.4.b). 659 Gl.A. Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 215 ff. 660 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 119. 661 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 53. 662 Der englische Wortlaut lautet: „[…] hybrid transfer is designed to produce […]“. 663 Erwägungsgrund 7 der ATAD II. 664 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 183. 665 Siehe das Beispiel in Kapitel 1 - B.II.1.a)bb)(2). 666 So i.E. auch Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 181. 667 Kapitel 1 - B.II.1.a)bb)(2).

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

d) Zwischenergebnis Mit Art. 9 Abs. 6 ATAD wurde die spezifische Empfehlung der OECD hinsichtlich hybrider Übertragungen umgesetzt. Ihr Anwendungsbereich wird nicht durch die allgemeine Definition der hybriden Gestaltung ein­ schränkt. Die Regelung erfordert keine Absicht der Beteiligten. Letztlich hat der Mitgliedstaat desjenigen Steuerpflichtigen die Anrechnung zu beschränken, welcher die Ausgleichszahlung tätigt. Die Anrechnung ist auf die Höhe der Steuer zu beschränken, welche unter Berücksichtigung der Ausgleichszahlung im Inland entsteht. 6. Allgemeine Regel für DD-Ergebnisse, Art. 9 Abs. 1 ATAD Art. 9 Abs. 1 ATAD zielt auf hybride Gestaltungen ab, die zu einem dop­ pelten Abzug führen. Um ihre Effekte zu neutralisieren, ist hier zunächst vorgesehen, dass der Mitgliedstaat den Abzug der Zahlung verweigert, der das Steuergebiet des Investors ist (Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a) ATAD). Erst wenn dies nicht geschieht, soll der Abzug im Mitgliedstaat verweigert werden, der das Steuergebiet des Zahlenden ist (Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD). Es findet sich also die bereits bekannte Staffe­ lung einer vorrangigen Maßnahme (Primary Response) und einer Ab­ wehrmaßnahme (Defensive Rule), womit die Regelung dem OECD-Kon­ zept entspricht.668 Die Anwendung der Abwehrmaßnahme ist aufgrund der Umsetzungsverpflichtung für die Mitgliedstaaten nur in Drittstaa­ tenkonstellationen denkbar.669 a) Erfasste Konstellationen In den Anwendungsbereich der Regelung fallen Gestaltungen, die zu DD-­ Ergebnissen führen, mithin jene im Sinne von Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. g) ATAD. Das sind abzugsfähige hybride Zahlungen670 und Double Deduction Branch Payments671. Nicht erfasst sind insbesondere Diver­ ted Branch Payments672; diese Gestaltungen führen zu D/NI-Ergebnissen und werden daher allenfalls von Art. 9 Abs. 2 ATAD erfasst.673 b) Dual Inclusion Income Nach Unterabsatz 2 kommt der Abzug jedoch für eine Verrechnung mit Einkünften infrage, die steuerlich doppelt berücksichtigt werden. Dies 668 Noch in Bezug auf den Richtlinienvorschlag Kahlenberg/Oppel, IStR 2017, 205, 208. 669 Allram/Hörtenhuber, in: Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie, S. 131, 140. 670 Kapitel 1 - B.II.2.a). 671 Kapitel 1 - B.II.2.a)cc). 672 Kapitel 1 - B.II.1.c)cc). 673 A.A. offenbar Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 74.

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sogar unabhängig davon, ob sie im laufenden oder in einem späteren Steuerzeitraum anfallen. Das hier angesprochene Dual Inclusion Income wurde bereits im Rah­ men der Definition berücksichtigt. Wird der doppelte Abzug mit einem ebenfalls doppelt berücksichtigten Betrag verrechnet, so liegt bereits per definitionem keine hybride Gestaltung vor (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. b) ATAD). Insoweit bedarf es eigentlich nicht der Klarstellung, dass der Abzug in solchen Fällen nicht verweigert werden soll.674 Im Gegenteil führt die Formulierung in Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 ATAD sogar in die Irre: Wenn die Vorschrift ausnahmsweise nur dann nicht angewandt wird, wenn der Abzug mit doppelt berücksichtigten Einnahmen verrech­ net wird, so wird kommt sie auch dann zur Anwendung, wenn der Abzug im Staat des Zahlenden mangels Einkünfte gar nicht verrechnet werden kann. Dies widerspräche Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. b) ATAD, wonach eine hybride Gestaltung nur insoweit entsteht, als es im Steuergebiet des Zahlenden gestattet ist, den Abzug mit einem Betrag zu verrechnen, der steuerlich nicht doppelt berücksichtigt wird. Denn mangels Verrech­ nung entstünde hiernach schon keine hybride Gestaltung. Statt auf die Negativformulierung des Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 ATAD sollte folglich auf die Positivformulierung des Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. b) ATAD zurückgegriffen werden. Der eigenständige Regelungsgehalt von Unterabsatz 2 besteht deshalb allein darin, eine intertemporale Verrechnungsmöglichkeit zu gewähren, um die Abzüge gegebenenfalls später mit Dual Inclusion Income zu ver­ rechnen.675 Das hieße, dass der Abzug von Betriebsausgaben, die mit nicht doppelt berücksichtigen Einnahmen verrechnet werden, zunächst versagt werden müsste. Gleichwohl wird der Betrag, zusammen mit bis­ lang nicht verrechneten Betriebsausgaben, einem eigenen Verrechnungs­ kreis zugeführt und in folgende Steuerzeiträume vorgetragen. Bemer­ kenswert ist hier, dass die OECD-Empfehlungen darüber hinaus eine Rücktragsmöglichkeit vorsahen.676 Da in Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 ATAD jedoch ausdrücklich nur vom laufenden oder einem späteren Steuerzeit­ raum die Rede ist, liegt der Umkehrschluss nahe, dass die der Rücktrag hier bewusst nicht aufgenommen wurde.677 c) Zwischenergebnis Mit Art. 9 Abs. 1 ATAD findet sich eine allgemeine Regelung für DD-Er­ gebnisse. In den Anwendungsbereich fallen abzugsfähige hybride Zah­ 674 So auch Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 98; Zinowsky/​ Jochimsen, ISR 2017, 325, 330. 675 Grotherr, BB 2017, 1367, 1370. 676 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 84 Rn. 201.  677 A.A. Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 99.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

lungen und Double Deduction Branch Payments. Die Berücksichtigung von Dual Inclusion Income wird bereits mit Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. b) ATAD abschließend geregelt; es bedarf dabei keines Rückgriffs auf Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 ATAD. Dieser schreibt lediglich eine intertem­ porale Verrechnungsmöglichkeit mit Dual Inclusion Income für den ak­ tuellen Steuerzeitraum sowie künftige Steuerzeiträume, nicht jedoch für vergangene Steuerzeiträume vor. Insoweit bleibt die Vorschrift hinter den OECD-Empfehlungen zurück. 7. Allgemeine Regel für D/NI-Ergebnisse, Art. 9 Abs. 2 ATAD Art. 9 Abs. 2 ATAD beinhaltet eine zweistufige, allgemeine Regel für hybride Gestaltungen, die zu einem Abzug bei gleichzeitiger steuerlicher Nichtberücksichtigung (D/NI-Ergebnis) führen. Um diese zu neutralisie­ ren, soll vorrangig der Mitgliedstaat, der das Steuergebiet des Zahlenden ist, den Abzug verweigern (Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD). Erst, wenn dies nicht geschieht, ist „[…] der Betrag der Zahlung, der andernfalls zu einer Inkongruenz führen würde, bei Einkünften in dem Mitgliedstaat, der das Steuergebiet des Zahlungsempfängers ist, zu berücksichtigen“ (Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD). Letztere Abwehrmaßnahme ist für Drittstaa­ tenkonstellationen von Relevanz.678 a) Erfasste Konstellationen Unzweifelhaft sind vom Anwendungsbereich dieser Regel zunächst hy­ bride Finanzinstrumente einschließlich hybrider Übertragungen679 sowie nicht berücksichtigte hybride Zahlungen680 erfasst. Der Erläuterung be­ darf zunächst die Anwendung der Regelung auf Betriebsstättenkonstella­ tionen, das heißt auf Diverted Branch Payments681, Deemed Branch Payments682 sowie insbesondere auf Disregarded Branch Payments683. Des Weiteren ist eine ergänzende Anwendung der Vorschrift auf umgekehrt hybride Rechtsträger684 zu diskutieren. b) Verhältnis zur Mutter-Tochter-Richtlinie Die Mutter-Tochter-Richtlinie wurde eingeführt, damit Gewinne von grenzüberschreitend tätigen Unternehmen nicht doppelt besteuert wer­ 678 Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 9, 102; Mechtler, Hy­ brid Mismachtes im Ertragsteuerrecht, S. 407. 679 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) ATAD. Zum Verhältnis zur MTRL Kapitel 2 B.II.7.b). 680 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. b) ATAD. 681 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. c) ATAD. 682 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. f) ATAD. 683 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. d) ATAD. 684 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. b) ATAD.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

den. So sah die Ursprungsfassung von Art. 4 Abs. 1 MTRL vor, dass wenn eine Muttergesellschaft als Teilhaberin einer Tochtergesellschaft Gewin­ ne bezieht, der Staat der Muttergesellschaft diese entweder nicht be­ steuern darf oder die von der Tochtergesellschaft bereits entrichtete Steuer anrechnen muss. Im Jahr 2014 wurde die Richtlinie unter dem Gesichtspunkt der Missbrauchsvermeidung geändert.685 Nunmehr heißt es in Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTRL, dass die Gewinne vom Staat der Mutter­ gesellschaft nur insoweit nicht besteuert werden sollen, als die Tochter­ gesellschaft die Zahlungen nicht abziehen kann. Mit anderen Worten soll eine Besteuerung bei der Muttergesellschaft erfolgen, soweit die Tochtergesellschaft die Zahlung von ihrer steuerlichen Bemessungs­ grundlage in Abzug bringen kann. Angesprochen sind hier also hybride Finanzinstrumente, die zu einem D/NI-Ergebnis führen. Hier stellt sich die Frage nach dem Verhältnis dieser Regelung zu Art. 9 Abs. 2 ATAD, mit welcher allgemein D/NI-Ergebnisse und speziell auch solche unter Einsatz hybrider Finanzinstrumente neutralisiert werden sollen. Anders als die Mutter-Tochter-Richtlinie setzt die ATAD nämlich (vorrangig) beim Staat des Zahlungsleisters, also dem Staat der Tochter­ gesellschaft an und nicht beim Staat der Muttergesellschaft. Aufschluss geben hier die Erwägungsgründe der ATAD II.686 Hier heißt es, dass es keinen Spielraum für die Anwendung der Regeln der ATAD gibt, soweit Inkongruenzen bereits durch die Vorschriften einer anderen Richtlinie neutralisiert werden. Explizit wird hier die Mutter-Toch­ ter-Richtlinie als Beispiel angeführt. Es liegt somit nahe, dass der Richt­ liniengeber unter anderem das hier beschriebene Spannungsverhältnis vor Augen gehabt hat und es zugunsten der Mutter-Tochter-Richtlinie auflösen wollte. Mithin kommt es durch die Anwendung einer Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTRL entsprechenden nationalen Vorschrift gar nicht erst zu einem D/NI-Ergebnis, welches es nach der ATAD zu neutralisieren gälte.687 Im Übrigen entspricht dies auch dem Konzept der OECD: Ohne sich explizit auf die Mutter-Tochter-Richtlinie zu beziehen, sieht dieses eine Einschränkung der Dividendenfreistellung im Fall der Abzugsfähig­ keit der Zahlung bei der Tochtergesellschaft vor, was in der Sache genau Art. 4 Abs. 1 lit. a) ATAD entspricht. Diese spezifische Empfehlung soll­

685 Richtlinie 2014/86/EU des Rates vom 8. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/96/EU über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesell­ schaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2014 Nr. L 219/40; dazu Haase, IStR 2014, 650; Hagemann/Kahlenberg, IStR 2014, 840. 686 Erwägungsgrund 30 ATAD II. 687 Ausführlich dazu Allram/Hörtenhuber, in: Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie, S. 131, 149 ff.; vgl. ferner Rust, BTR 2015, 308, 319; Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 39 ff.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

te der allgemeinen Regel betreffend hybride Finanzinstrumente vorge­ hen.688 c) Verhältnis zur Zinsen- und Lizenzgebühren-Richtlinie Auch die Zinsen- und Lizenzgebühren-Richtlinie (ZLRL)689 dient dazu, Doppelbesteuerung im Binnenraum von verbundenen Unternehmen zu verhindern.690 Leistet ein Unternehmen eine Zins- oder Lizenzzahlung an ein verbundenes Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat, so soll diese Zahlung einzig und allein im Staat des Zahlungsempfängers besteuert werden. Um dies zu erreichen, verbietet Art. 1 Abs. 1 ZLRL es dem Staat des Zahlungsleisters, die Zahlung – insbesondere durch die Erhebung von Quellensteuer – zu besteuern. Hier fragt sich, ob Art. 9 Abs. 2 ATAD mit dieser Bestimmung zu verein­ baren ist. Erfasst hiervon sind nämlich auch Zahlungen, die zumindest im Staat des Zahlungsleisters als Fremdkapital, speziell als Zinszahlun­ gen qualifiziert und wiederrum im Empfängerstaat als Eigenkapital ein­ geordnet werden. Die vorrangige Maßnahme versagt den Abzug der Zah­ lung im Staat des Zahlungsleisters, was dort zur Besteuerung führt. Dies stellt allerdings keinen Verstoß gegen die Zinsen- und Lizenzgebüh­ ren-Richtlinie dar. Zum einen handelt es sich hier nicht um die Er­hebung einer Quellensteuer, durch welche der Zahlungsempfänger zusätzlich belastet wird.691 Stattdessen wird durch die Versagung der Abzugsfähig­ keit der Zahlung der Zahlenden besteuert. Nach Rechtsprechung des EuGH zielt Art. 1 Abs. 1 ZLRL jedoch nur auf die Situation beim Gläubi­ ger der Zahlung ab und möchte verhindern, dass dieser durch die Erhe­ bung einer Quellensteuer zusätzlich belastet wird.692 Zum anderen führt es auch nicht zur Doppelbesteuerung, wenn ein D/NI-Ergebnis durch die Versagung des Abzugs beim Zahlungsleister neutralisiert wird, denn beim Empfänger wird sie in solchen Gestaltungen als Eigenkapital quali­ fiziert und deshalb als steuerfrei behandelt. Im Ergebnis findet also nur eine einmalige Besteuerung statt.693

688 Allram/Hörtenhuber, in: Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie, S. 131, 151; siehe oben Kapitel 1 - B.II.1.a)bb). 689 Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3. Juni 2003 über eine gemeinsame Steuer­ regelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU Nr. L 157/49. 690 Erwägungsgrund 3 der ZLRL. 691 Allram/Hörtenhuber, in: Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie, S. 131, 149; Fehling/ Schmid, IStR 2015, 493, 499; Hey, BIT 2014, 332, 339; Neumann-Tomm, IStR 2015, 436, 439.  692 EuGH, Urt. v. 21.7.2011, C-397/09, ECLI:EU:C:2011:499 – Scheuten Solar, Rn. 28. 693 Ähnlich Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 37.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

Damit steht Art. 9 Abs. 2 ATAD mit den Zielsetzungen der Zinsen- und Lizenzgebühren-Richtlinie, speziell dessen Art. 1 Abs. 1 in Einklang.694 d) Verhältnis zu Art. 9 Abs. 5 ATAD Art. 9 Abs. 5 ATAD richtet seine Rechtsfolge an das Stammhaus einer Betriebsstätte und kann folglich nur zur Anwendung gelangen, wenn sich dieses Stammhaus in einem Mitgliedstaat befindet. Nun sind eben­ falls Konstellationen denkbar, in denen sich zwar nicht das Stammhaus und die Betriebsstätte, wohl aber der Zahlungsleister in einem Mitglied­ staat befinden. Wird das D/NI-Ergebnis nicht durch den Drittstaat, in dem das Stammhaus ansässig ist, neutralisiert, so könnte immer noch der Mitgliedstaat des Zahlungsleisters tätig werden. Als mögliche Grund­ lage hierfür könnte Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD herangezogen werden, denn auch dieser Regelung liegt die allgemeine Definition hybrider Gestaltun­ gen zugrunde. Damit können auch Zahlungen an eine unberücksichtigte Betriebsstätte, welche zu einem D/NI-Ergebnis führen, erfasst werden (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. d) ATAD). Demnach wäre, soweit es zu ei­ nem D/NI-Ergebnis kommt, der Abzug beim Zahlungsleister zu be­ schränken. Im Gegensatz zu Art. 9 Abs. 5 ATAD setzt dies zusätzlich voraus, dass der Zahlungsleister die persönliche Komponente der Defini­ tion hybrider Gestaltungen erfüllt.695

Abbildung 28:  Unberücksichtigte Betriebsstätte (D/NI-Ergebnis)

Es stellt sich daher die Frage, in welchem Verhältnis Art. 9 Abs. 5 ATAD zur allgemeinen Regel für D/NI-Ergebnisse, Art. 9 Abs. 2 ATAD, steht. 694 Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 36 f.; Rust, BTR 2015, 308, 312. 695 So auch Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 176.

124

B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

Insoweit könnte man Art. 9 Abs. 5 ATAD als eine abschließende Sonder­ regelung betrachten oder aber eine ergänzende Anwendung von Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD zulassen. Eine Auslegung im Sinne der OECD-Emp­ fehlungen ist hier am naheliegendsten.696 Art. 9 Abs. 5 ATAD lässt sich nämlich als eine Umsetzung der spezifischen Empfehlung zur Neutrali­ sierung von Disregarded Branch Structures verstehen, da hierdurch die Freistellung der Betriebsstätteneinkünfte im Stammhausstaat aufgeho­ ben wird.697 Dem wurde im Bericht zu den Branch Mismatches eine (ein­ stufige) allgemeine Empfehlung zur Seite gestellt, nach welcher der Ab­ zug beim Zahlungsleister versagt werden soll.698 Dies spricht für eine ergänzende Anwendung von Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD. Bedenken ergeben sich jedoch aufgrund der in Art. 9 Abs. 5 S. 2 ATAD enthaltenen Wertung. Wenn die Richtlinie ein zwischen einem Mitglied­ staat und einem Drittstaat abgeschlossenes DBA respektiert und deshalb keine Anpassung vorschreibt, so könnte erst recht ein zwischen zwei Drittstaaten geschlossenes DBA zu respektieren sein, dessen Freistel­ lungsverpflichtung ein D/NI-Ergebnis verursacht. Versagt man jedoch den Abzug beim Zahlungsleister, so bleibt die Freistellungsverpflichtung im Drittstaat unangetastet. Dessen steuerpolitische Entscheidung wird respektiert, während im Inland eine neue, eigenständige steuerpolitische Entscheidung getroffen wird. Nach alledem ist eine ergänzende Anwendung von Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD geboten.699 Ein Rückgriff auf Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD bedarf es wegen Art. 9 Abs. 5 ATAD nicht mehr. Entsprechend sollte vom Wahl­ recht des Art. 9 Abs. 4 lit. a) ATAD Gebrauch gemacht und Disregarded Branch Structures aus dem Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD ausgenommen werden.700 e) Verhältnis zu Art. 9a ATAD Schließlich fragt sich, in welchem Verhältnis Art. 9a ATAD zur allgemei­ nen Regel für D/NI-Ergebnisse, Art. 9 Abs. 2 ATAD, steht. Erfüllt der Zahlende nämlich die persönliche Komponente der Definition hybrider Gestaltungen, so entstünde zwischen ihm, dem Zahlungsempfänger und dem Investor ein D/NI-Ergebnis. Zumindest in solchen Fällen könnte 696 Erwägungsgrund 28 der ATAD II. Gl.A. Fibbe/Stevens, EC Tax Review 2017, 153, 164; Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 60. 697 Vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 23 Empfehlung 1. Siehe auch Kapitel 1 - B.II.1.c)cc). 698 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 27 Empfeh­ lung 2.1.b. 699 So i.E. auch Grotherr, BB 2017, 1367, 1372 f.; Kaminskiy, Korrespondenzregelun­ gen, S. 176 f. 700 Auch in den OECD-Empfehlungen findet sich keine allgemeine Defensive Rule, OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 53.

125

Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

auch Art. 9 Abs. 2 ATAD Anwendung finden.701 Art. 9a ATAD ist (nur) für solche Konstellationen als abschließende Sonderregelung zu betrach­ ten, die in seinen Anwendungsbereich fallen.702 Das heißt, dass wenn der umgekehrt hybride Rechtsträger in einem EU-Mitgliedstaat ansässig ist, einzig Art. 9a ATAD zur Anwendung kommt und nicht etwa (ggf. paral­ lel) Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD. Dies ergibt sich aus dem OECD-Bericht, der als Referenz für die Auslegung der ATAD dient.703 In Gestalt von Art. 9a ATAD findet sich nämlich die Umsetzung der spezifischen Emp­ fehlung 5.2 (Beschränkung der steuerlichen Transparenz für gebietsfrem­ de Investoren) bezüglich umgekehrt hybrider Rechtsträger.704 Wie bereits in Kapitel 1 herausgearbeitet, genießen die spezifischen Empfehlungen Anwendungsvorrang vor den allgemeinen Regeln.705 So geht auch der Richtliniengeber davon aus, dass sich keine Inkongruenz im Sinne von Art. 9 Abs. 2 ATAD ergibt, wenn die Gestaltung bereits nach Art. 9a ATAD angepasst wird.706

Abbildung 29:  Vorrang des Art. 9a ATAD gegenüber Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD 701 Vgl. auch OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 322 ff. Beispiel 4.2. 702 A.A. Niedling/Rautenstrauch, BB 2017, 1500, 1507. Gl.A. Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 56. 703 Erwägungsgrund 28 der ATAD II. 704 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 73 Empfehlung 5.2.  705 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 75 Rn. 175 a.E. 706 Erwägungsgrund 29 der ATAD II.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

Für Art. 9 Abs. 2 ATAD verbleiben damit nur noch solche Sachverhalte, in denen der hybride Rechtsträger in einem Drittstaat ansässig ist. Dieser kann nämlich nicht qua europäischem Sekundärrecht verpflichtet wer­ den, seine Transparenzregeln aufzuheben. Ist immerhin der Zahlende in einem Mitgliedstaat ansässig und erfüllt er die persönliche Komponente für eine hybride Gestaltung707, so kann ihm der Abzug der Zahlung nach Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD versagt werden.708 Dies entspräche auch der allgemeinen Regel für umgekehrt hybride Rechtsträger im OECD-Be­ richt709 und steht im Einklang mit dem oben herausgearbeiteten Verhält­ nis von Art. 9 Abs. 5 ATAD (lex specialis) zu Art. 9 Abs. 2 ATAD (lex generalis).710

Abbildung 30:  Umgekehrt hybride Gestaltung (Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD)

707 Dies ist dann der Fall, wenn es sich um ein verbundenes Unternehmen oder einen Beteiligten an einer strukturierten Gestaltung handelt, Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. c) ATAD. 708 Eine Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD wäre dagegen obsolet, wenn der speziellere und im Prinzip gleichlautende Art. 9a ATAD umgesetzt wird. Beide schreiben nämlich die Erfassung der Einkünfte beim Empfänger vor. Entsprechend eröffnet Art. 9 Abs. 4 lit. a) ATAD den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht, umgekehrt hybride Rechtsträger aus dem Geltungsbereich von Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD aus­ zuschließen. Es wäre nur sinnig, davon Gebrauch zu machen. 709 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 65 Empfehlung 4.1 und S. 322 ff. Beispiel 4.2. 710 Kapitel 2 - B.II.7.d).

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

Damit gestaltet sich die Neutralisierung von hybriden Gestaltungen mit umgekehrt hybriden Rechtsträgern durchaus komplex. Sie ist von zwei Faktoren abhängig, nämlich zuvorderst davon, ob der hybride Rechtsträ­ ger in einem Mitgliedstaat ansässig ist (dann jedenfalls Art. 9a ATAD) und – falls nicht – davon, ob der Zahlungsleister für eine hybride Gestal­ tung qualifiziert (dann Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD).711 f) Dual Inclusion Income Es wurde bereits herausgearbeitet, dass auch bei nicht berücksichtigten hybriden Zahlungen eine Doppelberücksichtigung positiver Einkünfte droht.712 Dem trägt Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. b) ATAD Rechnung, wonach eine hybride Gestaltung gemäß Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. e) ATAD, also bei nicht berücksichtigten hybriden Zahlungen, nur ent­ steht, soweit der Abzug mit einem nicht doppelt berücksichtigten Betrag verrechnet werden kann.713 Im Gegensatz zu Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 ATAD wird jedoch nicht vor­ geschrieben, dass der Abzug auch mit Beträgen verrechnet werden kann, die in anderen Steuerzeiträumen anfallen. Insoweit bleibt Art. 9 Abs. 2 ATAD hinter der OECD-Empfehlungen zurück.714 Die Erwägungsgründe knüpfen diese Möglichkeit vielmehr an die bestehenden Verrechnungs­ systeme in den jeweiligen Mitgliedstaaten.715 g) Art. 9 Abs. 4 lit. a) ATAD Nach Art. 9 Abs. 4 lit. a) ATAD kann ein Mitgliedstaat bestimmte Ge­ staltungen aus dem Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD ausschließen. Bezüglich Disregarded Branch Structures sowie umge­ kehrt hybride Gestaltungen wurde bereits herausgearbeitet, dass Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD aufgrund des Vorrangs der spezielleren Art. 9 Abs. 5 ATAD sowie Art. 9a ATAD faktisch leerläuft.716 Es liegt daher nahe, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen und diese aus dem Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD auszunehmen. Ein gleichlautendes Wahlrecht eröffnet Art. 9 Abs. 4 lit. a) ATAD den Mitgliedstaaten außerdem in Bezug auf Diverted Branch Payments717 so­ 711 Vgl. Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 21; Kaminskiy, Korrespondenzre­ gelungen, S. 130 f.; Mechtler, Hybrid Mismachtes im Ertragsteuerrecht, S. 483. 712 Kapitel 1 - B.II.1.b)aa)(1). 713 Siehe auch Erwägungsgrund 21 der ATAD II; Grotherr, BB 2017, 1367, 1371. 714 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 57 Empfehlung 3.1.(d) sowie S. 61 f. Rn. 129. 715 Erwägungsgrund 20 der ATAD II. 716 Kapitel 2 - B.II.7.d) sowie Kapitel 2 - B.II.7.e). 717 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. c) ATAD.

128

B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

wie auf Deemed Branch Payments718. Hinsichtlich beider Konstellatio­ nen erscheint eine Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD grundsätz­ lich denkbar.719 Aus mehrerlei Hinsicht wäre es zu begrüßen, wenn von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht wird. Erstens sorgte dies für einen Gleichklang mit den OECD-Empfehlungen: Erfasste man die Fälle nämlich über Art. 9 Abs. 2 ATAD, so gelangte man zu dem Ergebnis, dass vorrangig der Abzug beim Zahlenden720 zu versa­ gen ist (lit. a) und nachrangig der Betrag der Zahlung beim Empfänger, also dem Stammhaus, zu berücksichtigen ist (lit. b). Aus den Vorarbeiten der OECD ergibt sich jedoch eine genau umgekehrte Reihenfolge: Jeweils ist nach der spezifischen und damit vorrangigen Maßnahme der Betrag ausnahmsweise beim Stammhaus (also dem Empfänger) zu berücksichti­ gen. Dem nachrangig sieht eine einstufige, allgemeine Empfehlung vor, den Abzug beim Zahlenden zu versagen.721 Zweitens drohten ansonsten Wertungswidersprüche. Mit Art. 9 Abs. 5 ATAD wurde die spezifische Empfehlung der OECD jedenfalls in Bezug auf Disregarded Branch Payments in die Richtlinie aufgenommen. Die Regelung soll dann keine Anwendung finden, wenn sich die Freistellung der Einkünfte aus einem mit einem Drittstaat abgeschlossenen DBA er­ gibt, Art. 9 Abs. 5 S. 2 ATAD.722 Ebenso wie den Art. 9 Abs. 5 ATAD zu­ grundeliegenden Diverted Branch Payments, ist auch bei den Diverted und Deemed Branch Payments eine Freistellung der Betriebsstättenein­ künfte aufgrund eines DBAs ursächlich für die Besteuerungsinkongru­ enz. Es leuchtet nicht ein, weshalb ein Drittstaaten-DBA im Falle von Art. 9 Abs. 5 ATAD respektiert, jedoch im Falle von Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD möglicherweise übergangen werden sollte. Da bereits ohne das Wahlrecht in Art. 9 Abs. 4 lit. a) ATAD die besseren Gründe für eine teleologische Reduktion des Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD gesprochen hätten, wäre es zu begrüßen, wenn vom Wahlrecht Gebrauch gemacht und von einer Umsetzung insoweit abgesehen wird. h) Art. 9 Abs. 4 lit. b) ATAD Mit Art. 9 Abs. 4 lit. b) ATAD wird den Mitgliedstaaten das Wahlrecht zugestanden, bestimmte hybride aufsichtsrechtliche Eigenmittel, die auf den Bankensektor zugeschnitten sind, aus dem Anwendungsbereich von 718 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. f) ATAD. 719 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 144 f. 720 Das ist im Falle der Diverted Branch Payments eine andere Gesellschaft, welche die persönlichen Voraussetzungen erfüllt (vgl. Kapitel 1 - B.II.1.c)cc)) und im Falle der Deemed Branch Payments die Betriebsstätte (vgl. Kapitel 1 - B.II.1.b)bb)). 721 Kapitel 1 - B.II.1.c)cc) sowie Kapitel 1 - B.II.1.b)bb). 722 Kapitel 2 - B.II.4.b).

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD auszuschließen. Von diesem Wahlrecht kann ein Mitgliedstaat nur bis zum 31. Dezember 2022 Gebrauch machen.723 i) Zwischenergebnis Mit Art. 9 Abs. 2 ATAD findet sich eine allgemeine Regelung für D/NI-​ Ergebnisse. In ihren Anwendungsbereich fallen hybride Finanzinstru­ mente einschließlich hybrider Übertragungen sowie nicht berücksichtig­ te hybride Zahlungen. Im Hinblick auf Disregarded Branch Structures ergänzt Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD den insoweit vorrangigen Art. 9 Abs. 5 ATAD. Für Diverted Branch Payments und Deemed Branch Payments sollte vom „Ausnah­ mewahlrecht“ des Art. 9 Abs. 4 lit. a) ATAD Gebrauch gemacht werden. Hinsichtlich umgekehrt hybrider Rechtsträger findet Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD ergänzende Anwendung zum vorrangigen Art. 9a ATAD. Bei ab­ zugsfähigen hybriden Zahlungen wird Dual Inclusion Income zwar grundsätzlich berücksichtigt. Anders als die OECD-Empfehlungen sieht Art. 9 Abs. 2 ATAD jedoch keine intertemporale Verrechnungsmöglich­ keit vor. Schließlich steht es den Mitgliedstaaten frei, bestimmte auf­ sichtsrechtliche Eigenmittel aus dem Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD auszuschließen.

III. Zusammenfassende Gesamtschau In der ATAD finden sich insgesamt sieben Vorschriften zur Neutralisie­ rung hybrider Gestaltungen. Hierunter findet sich zunächst eine allge­ meine Regel jeweils für DD- und D/NI-Ergebnisse, welche wiederrum in eine vorrangige Maßnahme und eine Abwehrmaßnahme unterteilt ist. Des Weiteren wurden importierte Besteuerungsinkongruenzen in Art. 9 Abs. 3 ATAD sowie Sonderfälle von unberücksichtigten Betriebsstätten in Art. 9 Abs. 5 ATAD und von hybriden Übertragungen in Art. 9 Abs. 6 ATAD geregelt. Umgekehrt hybride Gestaltungen und Inkongruenzen bei der Steueransässigkeit wurden in den Art. 9a und 9b ATAD aufgegrif­ fen. Tabellarisch können die Richtlinienvorgaben wie folgt zusammen­ gefasst werden.

723 Siehe auch Grotherr, BB 2017, 1367, 1369; Allram/Hörtenhuber, in: Die Anti-­TaxAvoidance-Richtlinie, S. 131, 144.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II Tabelle 2:  ATAD-Vorgaben im Überblick

Erfasste Konstellationen

OECD-Äquivalent Neutra­ lisiertes ­Ergebnis

Art. 9 Abs. 1 ATAD

Doppelter Abzug (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. g) ATAD)

DD Abzugsfähige hy­ bride Zahlungen, Double Deduction Branch Payments

Art. 9 Abs. 2 ATAD

Zahlungen im Zahlungen im Rahmen eines ­Finanzinstruments (Art. 2 Abs. 9 Rahmen eines ­hybriden Finanz­ Unterabs. 1 lit. a) ATAD) instruments (­einschließlich ­hybrider Übertra­ gungen) Nachrangig zu Art. 9a ATAD: Zahlungen an ein hybrides Un­ ternehmen (Art. 2 Abs. 9 Unter­ abs. 1 lit. b) ATAD) Beachte Wahlrecht des Art. 9 Abs. 4 lit. a) ATAD

Umgekehrt hybri­ de Rechtsträger

Zahlung an ein Unternehmen mit einer oder mehreren Be­ triebsstätten (Zuordnungs­ konflikt) (Art. 2 Abs. 9 Unter­ abs. 1 lit. c) ATAD) Beachte Wahlrecht des Art. 9 Abs. 4 lit. a) ATAD

Diverted Branch Payments

D/NI

Disregarded Nachrangig zu Art. 9 Abs. 5 Branch Payment ATAD: Zahlung an eine unberücksichtig­ te Betriebsstätte (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. d) ATAD) Beachte Wahlrecht des Art. 9 Abs. 4 lit. a) ATAD Zahlung eines hybriden ­Unternehmens (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. e) ATAD)

Nicht berück­ sichtigte hybride Zahlung

Fiktive Zahlung zwischen Hauptsitz und Betriebsstätte (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. f) ATAD) Beachte Wahlrecht des Art. 9 Abs. 4 lit. a) ATAD

Deemed Branch Payments

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

Erfasste Konstellationen

OECD-Äquivalent Neutra­ lisiertes ­Ergebnis

Art. 9 Abs. 3 ATAD

Importierte Besteuerungsinkon­ gruenzen

Importierte Besteuerungs­ inkongruenzen, Imported Branch Mismatches

Importier­ te Besteu­ erungsin­ kongruenz

Art. 9 Abs. 5 ATAD

Zahlung an eine unberücksich­ tigte Betriebsstätte

Disregarded Branch Payment (Spezifische Emp­ fehlung)

NI/NT

Art. 9 Abs. 6 ATAD

Hybride Übertragungen

Hybride Übertra­ gungen (Spezifi­ sche Empfehlung)

TC/TC

Art. 9a Umgekehrt hybride Gestaltun­ ATAD gen

Umgekehrt hybri­ de Rechtsträger (Spezifische Emp­ fehlung)

NI/NT

Art. 9b Inkongruenzen bei der Steueran­ ATAD sässigkeit

Doppelt ansässige Rechtsträger

DD

1. Korrespondierende Besteuerung Ebenso wie den OECD-Empfehlungen liegt auch den Regelungen der ATAD grundsätzlich ein internationaler, interpersonaler Korrespondenz­ gedanke zugrunde; die Besteuerung des Steuerpflichtigen in einem Staat bestimmt die des Steuerpflichtigen im anderen Staat. Überwiegend schlägt sich das in einem Abzugsverbot beim Zahlenden nieder, welches davon abhängt, wie die Zahlung bei diesem behandelt wird (D/NI-Ergeb­ nis), oder davon, ob der Abzug ebenfalls bei einem anderen Steuerpflich­ tigen berücksichtigt wird (DD-Ergebnis).724 2. Aufbau und Anwendungshierarchie Der grundsätzlich zweistufige Aufbau, bestehend aus einer vorrangigen Maßnahme (Primary Response) und einer Abwehrregel (Defensive Rule), findet sich bei den beiden allgemeinen Regelungen Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 ATAD wieder. Vor dem Hintergrund der Umsetzungsverpflich­

724 Kapitel 1 - B.III.1.

132

B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

tung aller Mitgliedstaaten ergibt sich die Besonderheit, dass die Abwehr­ regel nur in Drittstaatenkonstellationen zur Anwendung kommen wird. Eine Anwendungshierarchie findet sich nunmehr auch in Bezug auf In­ kongruenzen bei der Steueransässigkeit. Während nach der Vorstellung der OECD hier noch zwei Staaten parallel die Inkongruenz neutralisieren sollten, kommt Art. 9b S. 1 ATAD in Drittstaatenkonstellationen nur nachrangig zur Anwendung. In Konstellationen zwischen zwei Mitglied­ staaten wird durch das Abstellen auf die abkommensrechtliche Ansässig­ keit eine Anwendungshierarchie hergestellt, die der OECD-Empfehlung so noch nicht zugrunde lag.725 3. Zuweisung von Steuersubstrat Die Beobachtung, dass die Zuweisung von Steuersubstrat keinem er­ kennbaren Prinzip folgt, gilt im Hinblick auf die ATAD unverändert.726 Das lässt sich am Beispiel der parallelen Konstellationen der umgekehrt hybriden Rechtsträger einerseits und Disregarded Branch Structures („umgekehrt hybrider Betriebsstätten“) andererseits verdeutlichen. Wäh­ rend einerseits die Einnahme im Staat des umgekehrt hybriden Rechtsträ­ gers berücksichtigt wird (Art. 9a ATAD), wird andererseits eben nicht der Staat der umgekehrt hybriden Betriebsstätte, sondern der des Stammhau­ ses (vergleichbar mit dem Staat des Investors) adressiert. Zu erklären ist dies wohl mit Praktikabilitätserwägungen. Während eine Personenge­ sellschaft eine unbestimmte Anzahl an Gesellschaftern haben kann, sind die Einkünfte einer Betriebsstätte einem Stammhaus zuzuordnen. Dies lässt einen „Durchgriff“ nur in letzterem Falle als gangbaren Weg er­ scheinen. 4. Methodischer Ansatz Die Vorschriften der ATAD reagieren lediglich auf eine vorgefundene In­ kongruenz und neutralisieren sie. Mit anderen Worten haben Vorschrif­ ten keine Auswirkungen auf die allgemeinen Merkmale des jeweiligen Steuersystems.727 Damit entsprechen die durch die ATAD vorgeschriebenen Linking Rules den OECD-Empfehlungen, unterscheiden sich jedoch gleichzeitig von den noch im Richtlinienentwurf vorgesehenen Qualifikationsverket­ tungen. Hiernach sollte bei allen Inkongruenzen jeweils die rechtliche Einordnung des Mitgliedstaats, aus dem die Zahlung stammt, für den 725 Vgl. Kapitel 2 - B.III.2. 726 Ausführlich dazu Kapitel 1 - B.III.3. 727 Erwägungsgründe 9 und 24 der ATAD II. Ferner OECD, Neutralisierung der Effek­ te hybrider Gestaltungen, S. 36 Rn. 50.

133

Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

anderen Mitgliedstaat ausschlaggebend sein.728 Der Gedanke einer Quali­ fikationsverkettung wurde bereits vor dem Erlass der ATAD in Bezug auf die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen diskutiert.729 Dort konnte er sich ebenfalls nicht durchsetzen.730 5. Besonderheiten bei spezifischen Empfehlungen Es finden sich drei spezifische Empfehlungen der OECD, welche ihren Eingang in die ATAD gefunden haben. Getreu ihrem OECD-Vorbild be­ zwecken Art. 9 Abs. 5 und Abs. 6 ATAD sowie Art. 9a ATAD eine Anpas­ sung bereits bestehender nationaler Vorschriften, um hybride Gestaltun­ gen erst gar nicht entstehen zu lassen.731 Sie brechen insoweit mit der Idee, das nationale Steuersystem unberührt zu lassen und lediglich vor­ gefundene Inkongruenzen zu neutralisieren. Besonders die Umsetzung von Art. 9a ATAD, wonach eine Personengesellschaft ausnahmsweise in die Körperschaftsteuer einzubeziehen ist, wird den nationalen Gesetzge­ ber vor Herausforderungen stellen.732 Hingegen wurde die spezifische Empfehlung hinsichtlich hybrider Finan­ zinstrumente nicht in die ATAD aufgenommen. Dies liegt darin begrün­ det, dass die Versagung der Dividendenfreistellung in Fällen der Abzugs­ fähigkeit bei der leistenden Körperschaft bereits in Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTRL geregelt ist. Diese Richtlinienbestimmung ist lex specialis gegen­ über Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD. Das ergibt sich auch aus den Erwägungs­ gründen der ATAD II.733 Auch die spezifischen Empfehlungen hin­ sichtlich Deemed Branch Payments und Diverted Branch Payments wurden nicht in die Richtlinie aufgenommen. Einzig Disregarded Branch Structures werden mit Art. 9 Abs. 5 ATAD adressiert. Für die genannten zwei Konstellation bleibt nur die Anwendung der allgemeinen Regel nach Art. 9 Abs. 2 ATAD. Das führt aber wiederum zu Verwerfungen mit der Anwendungshierarchie, wie sie von der OECD intendiert ist. Wohl auch deshalb räumt Art. 9 Abs. 4 lit. a) ATAD den Mitgliedstaaten die 728 Beispielsweise müsste bei einem hybriden Finanzinstrument der Staat des Zah­ lungsempfängers sich am Staat des Zahlenden orientieren und das Instrument ebenfalls als Fremdkapital behandeln. Siehe Vorschlag für eine Richtlinie des Ra­ tes mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts vom ­ 28.1.2016, COM(2016) 26 final, 2016/0011 (CNS), S. 24. Siehe Allram/Hörtenhuber, in: Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie, S. 131, 135; Haug, DStZ 2016, 446, 458; Jochimsen/Zinowsky, ISR 2016, 106, 115; Schlager, in: Anti-BEPS-Richtlinie: Konzernsteuerrecht im Umbruch?, S. 121, 126.  729 Vgl. Gosch, ISR 2013, 87, 93. 730 BFH, Urt. v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760. 731 Siehe oben Kapitel 1 Gliederungspunkt C.III. 732 Dazu noch Kapitel 5 – C.III. 733 Erwägungsgrund 30 ATAD II. Ausführlich Kapitel 2 - B.II.7.b).

134

B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

Möglichkeit ein, in den genannten Betriebsstättenkonstellationen von der Umsetzung des Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD abzusehen. Es wurde aufge­ zeigt, dass es zu begrüßen wäre, wenn davon Gebrauch gemacht wird.734 6. Verhältnismäßigkeit Wie auch die OECD-Empfehlungen lassen die Vorgaben der ATAD die Intention erkennen, die Anpassungen auf den notwendigen Umfang zu begrenzen und überschießende Rechtsfolgen möglichst zu vermeiden. In allen Regelungen findet sich die Formulierung, dass die Anpassung vor­ genommen werden soll, „insoweit“ der Tatbestand erfüllt ist und es sich um eine hybride Gestaltung handelt. Auch liegt bereits keine hybride Besteuerungsinkongruenz vor, wenn es bereits zu einer Anpassung im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung gekommen ist.735 Dort, wo eine hybride Gestaltung nicht nur Vor-, sondern auch Nachtei­ le in Form von doppelt berücksichtigten Einnahmen mit sich bringen kann, werden hybride Abzüge nur insoweit als schädlich betrachtet, als sie im Gebiet des Zahlenden mit nicht doppelt berücksichtigten Einnah­ men verrechnet werden können. Auch diesbezüglich stehen die ATAD-­ Regeln ihren OECD-Vorbildern in nichts nach. Indes zeigen sie sich zu­ rückhaltend bei der Möglichkeit, die doppelten Abzüge gegebenenfalls in anderen Steuerzeiträumen mit doppelten Einnahmen zu verrechnen („intertemporale Verrechnung“). Art. 9 Abs. 1 ATAD schreibt nur eine Vor-, nicht jedoch eine Rücktragsmöglichkeit vor. Letztere machten be­ reits die OECD-Empfehlungen vom jeweiligen nationalen Steuersystem abhängig.736 Art. 9 Abs. 2 ATAD und Art. 9b ATAD schreiben hingegen keine intertemporale Verrechnungsmöglichkeit vor. Gleichwohl ma­ chen die Erwägungsgründe der Richtlinie deutlich, dass die Mitgliedstaa­ ten, je nachdem wie ihre nationalen Steuersysteme ausgestaltet sind, eine solche Möglichkeit einführen dürfen.737 Damit wird jedenfalls nicht verbindlich vorgegeben, dass die Abzugsbeschränkung nur temporär wirkt. Insoweit bleiben die Richtlinienvorgaben hinter den OECD-Emp­ fehlungen zurück. 7. Doppelbesteuerung Hybride Gestaltungen können in zwei verschiedenen Staaten nicht nur jeweils zu einem Vorteil, sondern spiegelbildlich auch jeweils zu einem

734 Kapitel 2 - B.II.7.g). 735 Erwägungsgrund 28 der ATAD II i.V.m. OECD, Neutralisierung der Effekte hybri­ der Gestaltungen, S. 32 Rn. 37 ff. sowie S. 68 f. Rn. 150 f. 736 Kapitel 2 - B.III.6. 737 Vgl. Erwägungsgründe 20 und 21 der ATAD II.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

Nachteil führen. Die Gefahr möglicher Doppelbesteuerung ist der The­ matik immanent. Die zu den OECD-Empfehlungen getroffene Feststellung gilt zunächst unverändert: Wirken sich hybride Besteuerungsinkongruenzen zuguns­ ten des Steuerpflichtigen aus, so werden sie durch die ATAD neutrali­ siert. Keine Vorschriften existieren jedoch für den Fall, dass sich die In­ kongruenzen zulasten des Steuerpflichtigen auswirken. Dies lässt sich am Beispiel des Art. 9 Abs. 1 ATAD veranschaulichen. Freilich wird beim Vorliegen von doppelt berücksichtigten Einnahmen ausnahmsweise eine Verrechnung mit den Betriebsausgaben gewährt, die sonst dem Abzugs­ verbot unterfielen. Übersteigen diese doppelt berücksichtigten Einnah­ men jedoch die in Rede stehenden Ausgaben – überwiegt also der Nach­ teil den Vorteil – so existiert für diesen Fall keine Vorschrift, welche diese Inkongruenz „neutralisiert“. 738 Der Problematik der unkoordinierten Umsetzung und einer daraus resul­ tierenden Doppelbesteuerung739 kann die ATAD gleichwohl begegnen. Handelte es sich bei den Empfehlungen der OECD noch um rechtlich unverbindliche politische Absichtserklärungen, sind die Mitgliedstaaten nunmehr gleichermaßen zur Umsetzung verpflichtet, Art. 288 Abs. 3 AEUV. Eine einheitliche Umsetzung der Maßnahmen unter Einhaltung der Anwendungshierarchie ist damit gewährleistet. Nichtsdestotrotz wurden im Zuge der Veröffentlichung der ATAD dies­ bezüglich Bedenken laut und allgemein eine „Zunahme von Doppelbe­ steuerungskonflikten“ angekündigt.740 Ein Grund hierfür könnte darin gesehen werden, dass es sich bei den Vorgaben der ATAD lediglich um verpflichtende Mindeststandards handelt.741 Rechtlich sind die Staaten also durch die Vorgaben der ATAD nicht daran gehindert, umfassendere und strengere Maßnahmen zu ergreifen. In Bezug auf hybride Gestaltun­ gen sei es beispielsweise zulässig, dass in einem Mitgliedstaat selbst für solche Fälle die Defensive Rule des Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD angewandt wird, in denen der Abzug bereits im Drittstaat des Investors versagt wurde.742 Gerade eine Missachtung der Anwendungshierarchie verstößt jedoch gegen die Vorgaben der ATAD und kann insbesondere nicht auf Art. 3 ATAD gestützt werden, weil sie sich explizit aus dem

738 Kapitel 1 - B.III.7. 739 Benz/Eilers, IStR-Beih 2016, 1, 3; Schnitger/Weiss, IStR 2014, 508, 515. 740 Eilers/Oppel, IStR 2016, 312, 319. 741 Eilers/Oppel, IStR 2016, 312, 313; Kahlenberg/Oppel, IStR 2017, 205, 208; Oppel, IStR 2016, 797, 798, der insoweit von einer „Scheinharmonisierung“ durch die ATAD spricht. Zum Mindestharmonisierungskonzept Kapitel 2 - B.I.1. 742 Kahlenberg/Oppel, IStR 2017, 205, 208, welche die Aussage sogleich mit Hinweis auf die Erwägungsgründe relativieren.

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B.  Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen durch die ATAD II

Wortlaut der einschlägigen Artikel der ATAD ergibt.743 Noch von größe­ rer Relevanz als der – aufgrund von verschiedenen Sprachfassungen zwangsläufig leicht differierende – Wortlaut der Richtlinie ist jedoch der Sinn und Zweck sowie der Normenkontext.744 Hier machen bereits die Erwägungsgründe der ATAD deutlich, dass eine sich ergebende Dop­ pelbesteuerung den Zielen der Richtlinie zuwiderläuft.745 Auch in den Erwägungsgründen der ATAD II deutet sich an, wie der in Art. 3 ATAD angesprochene Mindeststandard mit Blick auf hybride Gestaltungen ver­ standen werden könnte. Hiernach sollen durch die ATAD Vorschriften geschaffen werden, die mit den OECD-Empfehlungen in Einklang stehen und nicht weniger wirksam sind als diese.746 Eine parallele Neutralisie­ rung in beiden Staaten wäre zwar gewiss nicht weniger wirksam als die vorgeschlagenen Maßnahmen im Abschlussbericht zu Aktionspunkt 2, stünde jedoch nicht mehr im Einklang mit den Empfehlungen.747 Folgen die Mitgliedstaaten also den Vorgaben der ATAD, so droht durch die An­ wendung dieser Vorschriften keine neue Doppelbesteuerung. 8. Eingeschränkter persönlicher Anwendungsbereich Die Richtlinie möchte nur solche hybriden Gestaltungen neutralisieren, die bewusst zur Steuervermeidung eingesetzt werden.748 Das trifft nur auf solche Besteuerungsinkongruenzen zu, die im Rahmen eines irgend­ wie gelagerten Näheverhältnisses zwischen den Beteiligten auftreten. Die Einschränkungen des persönlichen Anwendungsbereichs der OECD-­ Empfehlungen wurden vorgabengetreu übernommen.749 Adressiert wer­ den Konstellationen zwischen verbundenen Unternehmen, Betriebsstät­ tenkonstellationen sowie strukturierte Gestaltungen.750 Lediglich bei abzugsfähigen hybriden Zahlungen ergibt sich im Detail eine Abweichung. In den Arbeiten der OECD unterliegt nur die Abwehr­ regel Einschränkungen bezüglich des persönlichen Geltungsbereichs.751 Die vorrangige Maßnahme soll dagegen uneingeschränkt gelten. Dieser Fallgruppe entspricht Art. 9 Abs. 1 ATAD, dessen Anwendung sowohl hinsichtlich der vorrangigen Maßnahme (Unterabs. 1 lit. a)) als auch der Abwehrmaßnahme (Unterabs. 1 lit. b)) durch die persönliche Komponen­ 743 Siehe Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD „[…] wenn der Abzug im Steuergebiet des Investors nicht verweigert wird […]“ und Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD „[…] wenn der Abzug im Steuergebiet des Zahlenden nicht verweigert wird […]“. 744 Kofler, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Kapitel 13 Rn. 13.11 ff. 745 Erwägungsgrund 5 der ATAD. 746 Erwägungsgrund 5 der ATAD II. 747 Vgl. oben Kapitel 1 Gliederungspunkt C.VI. 748 Erwägungsgrund 12 der ATAD II. 749 Vgl. Kapitel 1 - B.III.8. 750 Kapitel 2 - B.I.4.b). 751 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 78 Empfehlung 6.4.

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Kapitel 2  Sekundäres Unionsrecht

te der Definition hybrider Gestaltungen eingeschränkt wird, (vgl. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. c) ATAD). Hier ist der Anwendungsbereich folglich etwas straffer als der der OECD-Empfehlung. Ebenso wie schon bei den Einschränkungen der OECD-Empfehlungen kann man dies in Praktika­ bilitätserwägungen begründet sehen.752 9. Ziel der Linking Rules Die Regeln der ATAD lassen das Motiv erkennen, in den erfassten Kon­ stellationen eine Einmalbesteuerung herbeizuführen.753 Aus denselben Gründen wie bei den OECD-Empfehlungen können sie dennoch nicht als konsequente Umsetzung eines Prinzips der Einmalbesteuerung ver­ standen werden. Spiegelbildliche Konstellationen, in denen es zu einer Doppelbesteuerung kommt, werden nicht aufgegriffen. Insoweit erweist sich auch die ATAD als inkonsistent.754

C. Ergebnis des zweiten Kapitels Die ATAD II stellt den zentralen Sekundärrechtsakt zur Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen dar. Handelte es sich bei den OECD-­ Empfehlungen noch um unverbindliches „soft law“, so trifft die EU-­ Mitgliedstaaten nunmehr eine Pflicht zur Umsetzung der Richtlinien­ vorgaben in ihre Körperschaftsteuersysteme. Bemerkenswert ist dabei zunächst das Konzept der Mindestharmonisierung (Art. 3 ATAD). Wenn­ gleich es eine Zunahme von Doppelbesteuerung zwar nicht befürchten lässt, so wird seine Auswirkung auf das „Harmonisierungspotential“ der ATAD noch genauer zu beleuchten sein.755 Da die Vorarbeiten der OECD ausdrücklich von der ATAD in Bezug genommen und als Referenz er­ klärt werden, können die Vorgaben genau bestimmt werden. Insgesamt lässt sich resümieren, dass die OECD-Empfehlungen ganz überwiegend nur noch in Richtlinienform gegossen wurden. Die weni­ gen Abweichungen wurden im Detail herausgearbeitet. Sie führen insge­ samt eher zu einer Straffung des Anwendungsbereichs der Richtlinie ge­ genüber dem der OECD-Empfehlungen. Die Leitgedanken bleiben jedoch dieselben. Den Regelungen liegt grundsätzlich ein internationaler wie auch interpersonaler Korrespondenzgedanke zugrunde. Durch die vorge­ sehene Anwendungshierarchie, die nunmehr verbindlich einzuhalten ist, wird eine durch die Anwendung der Linking Rules entstehende Dop­ 752 Kapitel 1 - B.III.8. 753 Eilers/Oppel, IStR 2016, 312, 313; Kahlenberg/Oppel, IStR 2017, 205, 208; Oppel, IStR 2016, 797, 798 ff. 754 Vgl. Kapitel 1 - B.III.9. 755 Dazu noch Kapitel 3 - A.I.2.b)bb)(2).

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C.  Ergebnis des zweiten Kapitels

pelbesteuerung nunmehr verhindert. Das stellt einen großen Mehrwert der Richtlinie gegenüber den OECD-Empfehlungen dar. Gleichwohl wird eine bereits entstandene und deshalb so vorgefundene Situation der Dop­ pelbesteuerung nicht neutralisiert. Generell lässt sich deshalb zwar nach wie vor das Ziel der Einmalbesteuerung erkennen, es wird aber nicht konsequent verfolgt.

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Kapitel 3 Analyse normenhierarchischer Strukturen Aus der Perspektive Deutschlands ist die ATAD II zunächst aufgrund der von ihr ausgehenden Umsetzungsverpflichtung relevant. Darüber hinaus beeinflusst die Richtlinie sowohl die Auslegung nationaler Vorschriften als auch ihr Verhältnis zum höherrangigen Recht. Dabei ist zu beachten, dass gegebenenfalls die Richtlinie ihrerseits im Lichte höherrangigen Rechts zu betrachten ist. Für den Umgang mit dem nationalen Recht ist eine Analyse der normhierarchischen Strukturen unerlässlich. Diese wird im Folgenden vorgenommen. Zunächst wird sich dabei auf das Ver­ hältnis nationaler Rechtsvorschriften zum höherrangigen Recht konzen­ triert, um in einem zweiten Schritt noch einmal die ATAD gesondert in den Blick zu nehmen.

A. Verhältnis nationaler Vorschriften zum höherrangigen Recht In den Erwägungsgründen der ATAD findet sich lediglich die Aussage, die Richtlinie solle Gewähr dafür bieten, dass nationale Durchführungs­ maßnahmen mit dem Unionsrecht in Einklang stehen.756 Das sich hier andeutende Verhältnis nationaler Vorschriften zum höherrangigen Recht wird im Folgenden näher beleuchtet. Maßgeblich wird es davon beein­ flusst, ob sich die nationalen Vorschriften als eine Umsetzung der Richt­ linie oder als eine sog. überschießende Richtlinienumsetzung einordnen lassen.

I. Umsetzungsmaßnahmen Zunächst wird das Verhältnis nationaler Umsetzungsmaßnahmen zum höherrangigen Recht erörtert. Von Interesse ist dabei das nationale Ver­ fassungsrecht sowie das Unionsrecht. 1. Verhältnis zum Verfassungsrecht Nach Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG ist die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, insbesondere an die Grundrechte gebun­ den. Materiale Rechtsstaatlichkeit wird im Steuerrecht verwirklicht, in­ dem die Steuern gerecht im Sinne der grundrechtlichen Werteordnung

756 Erwägungsgrund 2 der ATAD I.

141

Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen

ausgestaltet werden.757 Insoweit ist der Gleichheitsgrundsatz für die Ge­ währleistung materialer Gerechtigkeit von zentraler Bedeutung758 und prägt dementsprechend noch vor dem Sozialstaatsprinzip und den Frei­ heitsgrundrechten das Steuerrecht.759 In der Verfassung ist er in Art. 3 Abs. 1 GG verankert, der es dem Gesetzgeber gebietet, wesentlich Glei­ ches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln.760 Steuer­ spezifischer Vergleichsmaßstab ist hierbei das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.761 Hiernach darf der jewei­ lige Steuerpflichtige nur nach seiner individuellen wirtschaftlichen Leis­ tungsfähigkeit belastet werden.762 Ferner gebietet es das Prinzip der Be­ steuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, Steuerpflichtige gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch (horizontale Steuergerechtigkeit) und Steuerpflichtige unterschiedlicher Leistungsfähigkeit angemessen differenziert zu besteuern (vertikale Steuergerechtigkeit).763 Bei der Wahl des Steuergegenstandes und der Bestimmung des Steuersat­ zes hat der Steuergesetzgeber zunächst einen weiten Gestaltungsspiel­ raum.764 Die einmal getroffene Belastungsentscheidung des Gesetzgebers hat er sodann folgerichtig umzusetzen, sog. Gebot der Folgerichtigkeit.765 Hiernach müssen sich Abweichungen von der erst einmal getroffenen Belastungsentscheidung am Gleichheitssatz messen lassen; sie bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, welcher die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag.766 Dies impliziert eine strenge Verhältnismäßig­ keitsprüfung.767 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den sog. Jubiläumsrückstellungen fügt dieser zweistufigen Prüfung eine wei­ 757 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rn. 3.95. Daneben hat formale Rechtsstaatlich­ keit im Bereich des Steuerrechts zum Ziel, Rechtssicherheit für den Bürger zu ge­ währleisten, Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rn. 3.93. 758 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, S. 284 f. 759 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, S. 290 f. 760 BVerfG, Urt. v. 17.12.1953 – 1 BvR 147/52, BVerfGE 3, 58, 135; BVerfG, Beschl. v. 14.4.1959 – 1 BvL 23/57, BVerfGE 9, 237, 244; BVerfG, Beschl. v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082, 1094. 761 BVerfG, Beschl. v. 17.1.1957 – 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55, 67; BVerfG, Urt. v. 24.6.1958 – BvF 1/57, BVerfGE 8, 51, 68 f.; BVerfG, Beschl. v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082, 1094 f. Eingehend zum Leistungsfähigkeitsprinzip Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, S. 479 ff. 762 BVerfG, Urt. v. 3.11.1982 – 1 BvR 620/78, BVerfGE 61, 319, 351; BVerfG, Beschl. v. 22.2.1984 – 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, 223. 763 BVerfG, Beschl. v. 22.2.1984 – 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, 223.; BVerfG, Beschl. v. 29.5.1990 – 1 BvL 20/84, BVerfGE 82, 60, 89 764 BVerfG, Beschl. v. 6.12.1982 – 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325, 354; BVerfG, Be­ schl. v. 4.12.2002 –BvR 400/98, BVerfGE 107, 27, 47; BVerfG, Beschl. v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1, 30. 765 Kirchhof, in: Handbuch des Staatsrechts, § 181 Rn. 222 ff. 766 Drüen, StuW 2019, 205, 207 ff. 767 Weiterführend Hey, in: FS BFH, S. 451, 467 ff.; Eichberger, in: FS BFH, S. 501, 512 f.

142

A.  Verhältnis nationaler Vorschriften zum höherrangigen Recht

tere Stufe hinzu: Handelt es sich bei der „Ausnahmevorschrift“ um eine „nicht ohne Weiteres verfassungsrechtlich erhebliche Einzelregelung“, so soll sich die Prüfung wieder auf eine bloße Willkürkontrolle beschrän­ ken.768 Hiernach reicht dem Gesetzgeber jeder sachliche Grund, um von seiner grundsätzlichen Belastungsentscheidung abzuweichen.769 Es sei nämlich nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die „Richtigkeit“ von Lösungen komplexer dogmatischer Streitfragen zu kontrollieren und zu gewährleisten.770 Entschieden wurde dies für die Passivierung von Rückstellungen. Insoweit sei lediglich das „Wann“, nicht aber das „Ob“ der Besteuerung betroffen.771 Damit bleibt der Gesetzgeber lediglich bei „zentralen Fragen gerechter Belastungsverteilung“ an das Gebot der Fol­ gerichtigkeit gebunden.772 a) Solange-Rechtsprechung Hat das Bundesverfassungsgericht über die Grundrechtskonformität ei­ ner nationalen Steuernorm zu entscheiden, so wirkt sich die ATAD auf diese Entscheidung aus. Nach seiner sog. Solange-II-Rechtsprechung übt das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit nach Maßgabe der nationalen Grundrechte über abgeleitetes Gemeinschaftsrecht nicht mehr aus, solange auf Unionsebene ein mit dem Wesensgehalt der Grundrech­ te vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährleistet ist.773 Hiervon geht es in ständiger Rechtsprechung aus.774 Nach neuerer Rechtsprechung kon­ trolliert das Bundesverfassungsgericht bei der Anwendung unionsrecht­ lich vollständig vereinheitlichter Regelungen dessen Anwendung durch deutsche Stellen am Maßstab der Unionsgrundrechte, wobei es die Vor­ lagepflicht an den EuGH als letztentscheidende Instanz beachtet.775 Uni­ onsrechtlich nicht vollständig determiniertes innerstaatliches Recht prüft das Bundesverfassungsgericht primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, auch wenn das innerstaatliche Recht der Durchfüh­ rung des Unionsrechts dient.776

768 BVerfG, Beschl. v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, 123. 769 BVerfG, Beschl. v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, 122 ff. 770 BVerfG, Beschl. v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, 123. 771 BVerfG, Beschl. v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, 125. 772 BVerfG, Beschl. v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, 123; kritisch hierzu Hey, DStR 2009, 2561, 2563 ff.; Hennrichs, in: FS J. Lang, S. 237, 247 ff.; Hüttemann, in: FS Spindler, S. 627, 633; Schulze-Osterloh, in: FS J. Lang, S. 255, 257 ff. 773 BVerfG, Beschl. v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339. 774 BVerfG, Beschl. v. 22.10.1986 – 2 BvR 1977/83, BVerfGE 73, 339; BVerfG, Urt. v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, BVerfGE 89, 115; BVerfG, Beschl. v 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147. Aktuell BVerfG, Urt. v. 21.6.2016 – 2 BvE 13/13, BVerfGE 142, 123. 775 BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 – 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 216. 776 BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13, BVerfGE 152, 152.

143

Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen

Nach derzeitigem Stand der Rechtsprechung tritt der nationale Grund­ rechtsschutz im Anwendungsbereich der ATAD-Richtlinie deshalb zu­ rück.777 Hinsichtlich nationaler Umsetzungsmaßnahmen kommt es da­ mit zu einer erheblichen Kompetenzverschiebung in Richtung des EuGH.778 Als Umsetzungsmaßnahmen kommen dabei nicht nur solche nationalen Vorschriften in Betracht, die nach dem Inkrafttreten der ATAD ergehen. Ebenfalls kann es sich dabei um solche Vorschriften han­ deln, die bereits vor dem Inkrafttreten der ATAD ergangen sind und den späteren Richtlinienvorgaben bereits entsprechen.779 In beiden Fällen tritt die Kompetenzverschiebung zum Ablauf der in der Richtlinie be­ stimmten Umsetzungsfristen ein.780 b) Zeitliche Vorwirkung der ATAD Lediglich dann, wenn das Verfahren, in dem die Verfassungswidrigkeit einer Norm vorgebracht wird, Sachverhalte betrifft, die zeitlich vor dem Ablauf der Umsetzungsfristen verwirklicht wurden, stellt sich die Frage nach der zeitlichen Vorwirkung der ATAD.781 Eine solche „Einstrah­ lungswirkung“ des sekundären Unionsrechts auf die Vergangenheit wird derzeit im Hinblick auf die deutsche Zinsschranke (§ 4h EStG) disku­ tiert.782 Danach wäre das Richtlinienrecht bei der Beurteilung der Verfas­ sungsmäßigkeit einer nationalen Norm jedenfalls dann zu berücksichti­ gen, wenn es zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung bereits endgültig verabschiedet ist und damit geltendes Recht darstellt. Das Bundesverfas­

777 Hey, StuW 2017, 248, 255; Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 31; Musil, FR 2018, 933, 938; Schaumburg, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 4.22; Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 254. 778 Drüen, in: FS BFH, S. 1317, 1347 f.; Hey, StuW 2017, 248, 255;Drüen, in: FS BFH, S. 1317. Die Kompetenzverschiebung steht unter dem Vorbehalt, dass die Richtli­ nie von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV gedeckt ist, siehe Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 29. 779 Vgl. die Diskussion um § 4h EStG, Glahe, ISR 2015, 86; Mitschke, FR 2016, 412; Glahe, FR 2016, 829; Mitschke, FR 2016, 834. Ferner Hey, StuW 2017, 248, 255; Jabrayil, IStR 2019, 321, 321 ff. Dazu sogleich Kapitel 3 - A.I.1.b). 780 Glahe, FR 2016, 829, 834; Hey, StuW 2017, 248, 255. 781 Hey, StuW 2017, 248, 255. 782 § 4h EStG wurde bereits im Jahr 2008 eingeführt und entspricht im Wesentlichen den späteren Richtlinienvorgaben des Art. 4 ATAD. Die Frage nach der Verfas­ sungsmäßigkeit dieser Norm wurde vom BFH in seinem Vorlagebeschluss vom 14.10.2015 (I R 20/15) aufgeworfen. Streitig sind in dem Verfahren Zinsaufwen­ dungen aus den Jahren 2008 und 2009, deren Abzug durch die Anwendung des § 4h EStG versagt wurde. Die zugrundliegenden Sachverhalte wurden mithin be­ reits lange Zeit vor dem Inkrafttreten der ATAD verwirklicht. Der Frage der Vor­ wirkung der ATAD auf diese Zeiträume widmen sich Glahe, ISR 2015, 86; Mitschke, FR 2016, 412; Glahe, FR 2016, 829; Mitschke, FR 2016, 834. Ferner Hey, StuW 2017, 248, 255; Jabrayil, IStR 2019, 321, 321 ff.

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A.  Verhältnis nationaler Vorschriften zum höherrangigen Recht

sungsgericht könnte eine nationale Norm, die den späteren Vorgaben der ATAD entspricht, dann nicht für verfassungswidrig erklären.783 Indes sind Verfahren, welche die Verfassungsmäßigkeit von Anti-Hy­bridNormen betreffen und denen vor Ablauf der Umsetzungsfrist verwirk­ lichte Sachverhalte zugrunde liegen, derzeit nicht bekannt. Dennoch wäre es u.U. möglich, dass sie sich etwa anlässlich einer Betriebsprüfung noch ergeben. In einem solchen Fall könnte auf die parallel geführte Dis­ kussion zur Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke (§ 4h EStG) zurück­ gegriffen werden.784 c) Zwischenergebnis Nationale Steuerrechtsvorschriften müssen sich im Grundsatz an Art. 3 Abs. 1 GG messen lassen. Setzen die Vorschriften jedoch die Vorgaben der ATAD um, so ist nach den Grundsätzen der Solange-Rechtsprechung des BVerfG nur noch der EuGH für ihre Überprüfung zuständig. Jeden­ falls mit dem Ablauf der in der Richtlinie bestimmten Umsetzungsfris­ ten ist nicht mehr danach zu fragen, ob die Vorschriften mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind. Auch im Hinblick auf die ATAD II könnte noch eine zeitliche Vorwirkung der Richtlinie zu diskutieren sein. Gleichwohl fehlt hierfür derzeit der Anlass. 2. Verhältnis zum Unionsrecht Bislang wurde herausgearbeitet, dass aufgrund der Solange-Rechtspre­ chung das Unionsrecht in das Zentrum der Erwägungen rückt. Insoweit gilt der Grundsatz, dass nationales Recht nicht gegen Unionsrecht ver­ stoßen darf. Der Vorranganspruch des Unionsrechts gilt unbedingt und vor jeder Norm des staatlichen Rechts.785 Er liegt vor allem in der Auto­ nomie und der unmittelbaren Wirksamkeit der Unionsrechtsordnung begründet.786 Kollidiert eine nationale Norm mit dem Unionsrecht, sei es mit dem Sekundär- oder dem Primärrecht, so darf sie nicht angewandt werden.787 783 Dahingehend Mitschke, FR 2016, 412, 415; Mitschke, FR 2016, 834, 836. 784 Glahe, ISR 2015, 86; Mitschke, FR 2016, 412; Glahe, FR 2016, 829; Mitschke, FR 2016, 834. Ferner Hey, StuW 2017, 248, 255; Jabrayil, IStR 2019, 321, 321 ff.; Schwenke, in: FS BFH, S. 815, 821 ff. 785 EuGH, Urt. v. 13.2.1969, C-14/68, ECLI:EU:C:1969:4 – Walt Wilhelm, Rn. 6; EuGH, Urt. v. 17.12.1970, C-11/70, ECLI:EU:C:1970:114 – Internationale Han­ delsgesellschaft, Rn. 3; EuGH, Urt. v. 10.10.1973, ECLI:EU:C:1973:101 – Fratelli Variola Spa, Rn. 15; EuGH, Urt. v. 28.10.1975, C-36/75, ECLI:EU:C:1975:137 – Ru­ tili, Rn. 16; EuGH, Urt. v. 9.3.1978, C-106/77, ECLI:EU:C:1978:49 – Simmenthal, Rn. 17; EuGH, Urt. v. 11.1.2000, C-285/98, ECLI:EU:C:2000:2 – Kreil, Rn. 15 f. 786 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 288 AEUV Rn. 49. 787 EuGH, Urt. v. 9.3.1978, C-106/77, ECLI:EU:C:1978:49 – Simmenthal, Rn. 21; EuGH, Urt. v. 13.3.1997, C-358/95, ECLI:EU:C:1997:149 – Morellato, Rn. 18;

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Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen

Im Folgenden werden weitere Einzelheiten erörtert. Bezüglich des Ver­ hältnisses des nationalen Rechts zum Sekundärrecht ist auf das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung einzugehen. Bezüglich des Verhält­ nisses zum Primärrecht ist zu erörtern, ob von der ATAD eine Immuni­ sierungswirkung dahingehend ausgeht, dass die nationalen Vorschriften eventuell nicht mehr unmittelbar auf ihre Vereinbarkeit mit dem Pri­ märrecht zu überprüfen sind. a) Sekundärrecht Für nationale Vorschriften, die den Vorgaben der ATAD entsprechen, gilt nach dem Gedanken des Art. 4 Abs. 3 EUV i.V.m. Art. 288 Abs. 3 AEUV das Gebot, sie richtlinienkonform auszulegen.788 Das bedeutet, dass wenn das nationale Recht mehrere Interpretationen zulässt, von denen jedoch eine mit den Richtlinienbestimmungen unvereinbar wäre, die richtlini­ enwidrige Interpretation ausscheidet.789 Eine eigenständige Auslegungs­ methode stellt die richtlinienkonforme Auslegung hingegen nicht dar.790 Sie schließt lediglich zuvor im Wege der mitgliedstaatlichen Methoden­ lehre ergründete Entscheidungsoptionen aus.791 Sie kann dagegen keine Ergebnisse außerhalb der allgemeinen Methodik ergründen und deshalb letztlich eine Auslegung contra legem bewirken.792 b) Primärrecht Grundsätzlich muss sich nationales Recht am primären Unionsrecht messen lassen.793 Das bedeutet eine Prüfung anhand der Europäischen Grundfreiheiten, der Europäischen Grundrechte und der einschlägigen Kompetenzgrundlagen.794 aa) Immunisierungswirkung der ATAD II Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist jede nationale Regelung in einem auf Unionsebene abschließend harmonisierten Bereich anhand EuGH, Urt. v. 22.10.1998, C-10/97, ECLI:EU:C:1998:498 – IN.CO.GE.’90 u.a., Rn. 21. Dazu Cordewener, in: FS BFH, S. 895, 911 ff. 788 Gänswein, Der Grundsatz unionsrechtskonformer Auslegung nationalen Rechts, S. 219 ff.; Heuermann, StuW 2018, 123, 126; Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europä­ ische Methodenlehre, § 13; Rust, in: FS BFH, S. 801, 802 ff.; Schön, Die Auslegung des europäischen Steuerrechts, S. 35 ff. 789 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 288 AEUV Rn. 135. 790 Rust, in: FS BFH, S. 801, 809 f. 791 Vgl. Greiner, EuZA 2011, 74, 82. 792 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.6.2010, C-98/09, ECLI:EU:C:2010:369 – Sorge, Rn. 52 f.; EuGH, Urt. v. 4.7.2006, C-212/04, ECLI:EU:C:2006:443 – Adeneler, Rn. 110 f. A.A. Grundmann, ZEuP 1996, 399, 419 ff. 793 Schaumburg, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 4.18 ff. 794 Musil, FR 2018, 933, 938.

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A.  Verhältnis nationaler Vorschriften zum höherrangigen Recht

der Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand des Primärrechts zu beurteilen.795 Bewirkt demnach die ATAD als unionsrechtliche Harmo­ nisierungsmaßnahme eine abschließende Harmonisierung, so entfaltet sie jedenfalls eine „verfahrensrechtliche Immunisierungswirkung“.796 Zweifelt ein mitgliedstaatliches Gericht etwa an der Grundfreiheitskon­ formität einer nationalen Vorschrift, so müsste es diese Bedenken nun gegen die ATAD als zugrundeliegenden Sekundärrechtsakt statt gegen die nationale Vorschrift vorbringen.797 Aus Perspektive der Mitgliedstaa­ ten heißt dies, dass sie bei der Umsetzung keinen über das Sekundärrecht hinausgehenden Anforderungen ausgesetzt sind.798 Andersherum können sie sich ihrer sekundärrechtlichen Verpflichtung nicht unter Berufung auf dessen Primärrechtswidrigkeit entziehen.799 Das Sekundärrecht selbst kann also primärrechtswidrig sein800, es müsste trotzdem zunächst umgesetzt und befolgt werden. Gleichwohl kann gegen den Sekundär­ rechtsakt selbst vorgegangen werden.801 bb) Abschließende Harmonisierung Damit bleibt zu klären, ob die Vorschriften der ATAD betreffend hybride Gestaltungen eine „abschließende Harmonisierung“ bewirken. In Bezug auf die Art. 9, 9a sowie 9b ATAD wurde diese Frage bislang noch nicht vertieft behandelt. Für die Beantwortung ist entscheidend auf die Rege­ lungsdichte dieser Vorschriften abzustellen.802 Wie groß ist der Entschei­ dungs- und Auslegungsspielraum, den das Sekundärrecht den Mitglied­ staaten hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“ der Richtlinienumsetzung

795 EuGH, Urt. v. 5.10.1977, C-5/77, ECLI:EU:C:1977:144 – Tedeschi/Denkavit, Rn. 33/35; EuGH, Urt. v. 12.10.1993, C-37/92, ECLI:EU:C:1993:836 – Vanacker und Lesage, Rn. 9; EuGH, Urt. v. 11.12.2003, C-322/01, ECLI:EU:C:2003:664 – Deutscher Apothekerverband, Rn. 64; EuGH, Urt. v. 16.12.2008, C-205/07, ECLI:EU:C:2008:730 – Gysbrechts, Rn. 33; EuGH, Urt. v. 16.7.2015, C-95/14, ECLI:EU:C:2015:492 – UNIC, Rn. 33; EuGH, Urt. v. 10.7.2014, C-421/12, ECLI:EU:C:2014:2064 – Kommission/Belgien, Rn. 63; EuGH, Urt. v. 12.11.2015, C-198/14, ECLI:EU:C:2015:751 – Visnapuu, Rn. 40; EuGH, Urt. v. 8.3.2017, C-14/16, ECLI:EU:C:2017:177 – Euro Park Service, Rn. 19; EuGH, Urt. v. 20.12.2017, C-504/16 und C-613/16, ECLI:EU:C:2017:1009 – Deister Holding und Juhler Hol­ ding, Rn. 45. 796 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 255. Zur Frage einer materiellen Immuni­ sierungswirkung Kapitel 4 - C.IV.2.d)aa). 797 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 264. 798 Martini, in: ATAD-Kommentar, Einführung B. Rn. 11 unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 30.9.2003, C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 – Inspire Art, Rn. 58. 799 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 255. 800 Dazu Kapitel 4. 801 Vgl. Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 255. Dazu Kapitel 3 - B.II. 802 EuGH, Urt. v. 8.3.2017, C-14/16, ECLI:EU:C:2017:177 – Euro Park Service, Rn. 24

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Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen

lässt?803 Welche Spielräume finden sich innerhalb des Anwendungsbe­ reichs der Richtlinie?804 (1) Regelungsdichte der ATAD II Vieles spricht dafür, dass die ATAD die relevanten Modalitäten für die Neutralisierung von hybriden Gestaltungen hinreichend detailliert vor­ gibt. Es wurde herausgearbeitet, dass die Art. 9, 9a und 9b ATAD für die nationalen Umsetzungsmaßnahmen sowohl einen subsumierbaren Tat­ bestand als auch konkrete Rechtsfolgen vorschreiben.805 Insbesondere Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 ATAD weisen eine hohe Regelungsdichte auf, indem sie den Fallgruppenkatalog des Art. 2 Abs. 9 ATAD in Bezug neh­ men und auch die gebotene Anwendungshierarchie zwischen zwei betei­ ligten Mitgliedstaaten zwingend vorschreiben.806 Eine gleichzeitige An­ wendung von Primary Response und Defensive Rule widerspräche auch den Erwägungsgründen der ATAD, wonach eine doppelte Besteuerung als Markthemmnis zu qualifizieren ist und deshalb verhindert werden soll.807 Auch sonst besteht auf Rechtsfolgenseite kein Spielraum für die Mitgliedstaaten: Die ATAD gibt stets verbindlich vor, ob und in wel­ chem Umfang eine Inkongruenz zu neutralisieren ist. Nur „soweit“ die Gestaltung zu einer Besteuerungsinkongruenz führt, „wird“ diese neut­ ralisiert.808 Überdies orientieren sich die Vorgaben der ATAD maßgeblich an den Vorarbeiten der OECD. Diese sollen laut den Erwägungsgründen der Richtlinie „als Referenz oder zur Auslegung“ herangezogen werden, was stark zu einem einheitlichen Verständnis der Richtlinienvorgaben bei­ trägt.809 Innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie kann jeden­ falls begründet von einer vergleichsweise einheitlichen Umsetzung ­ausgegangen werden.810 Freilich ist eine EU-weit völlig einheitliche Um­ setzung nicht zu erwarten. Beispielsweise soll es den Staaten im Rahmen von Art. 9b ATAD freistehen, ein intertemporales Verrechnungssystem, wie es von der OECD vorgezeichnet wurde, einzuführen. Eine gleichsam „mechanische Umsetzung“ kann und will die ATAD aufgrund der unter­ 803 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 259. 804 Vgl. Gsell/Schellhase, JZ 2009, 20, 23; Riehm, in: Vollharmonisierung im Privat­ recht, S. 83, 100. 805 Vgl. Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 259. 806 Art. 9 Abs. 1 Unterabs. lit. b) ATAD: „wenn der Abzug im Steuergebiet des Investors nicht verweigert wird […]“ sowie Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD: „wenn der Abzug im Steuergebiet des Zahlenden nicht verweigert wird […]“. Kapitel 2 - B.II.6 sowie Kapitel 2 - B.II.7. 807 Erwägungsgrund 21 der ATAD I. 808 Siehe den Wortlaut von Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 ATAD. 809 Erwägungsgrund 28 der ATAD II. 810 Vgl. Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 259.

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A.  Verhältnis nationaler Vorschriften zum höherrangigen Recht

schiedlichen Steuersysteme der Mitgliedstaaten jedoch auch nicht ge­ währleisten. Alle wesentlichen Themenkomplexe des umfangreichen Berichts zur BEPS-Aktionspunkt 2 wurden in die Richtlinie aufgenom­ men811, sodass keine offenkundigen, eklatanten Regelungslücken beste­ hen, welche noch von den Mitgliedstaaten auszufüllen wären812. (2) Auswirkung des Mindestschutzkonzepts Zweifel an einer abschließenden Harmonisierung lässt jedoch das Min­ destschutzkonzept der ATAD aufkommen. Nach Art. 3 ATAD verhin­ dert die Richtlinie nicht die Anwendung nationaler Bestimmungen zur Wahrung eines höheren Maßes an Schutz der inländischen Körperschaft­ steuerbemessungsgrundlagen.813 Vor diesem Hintergrund könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass die ATAD eine Fragmentierung des Binnenmarktes gerade nicht ver­ hindert und lediglich eine „Scheinharmonisierung“ bewirkt.814 Dem wird wiederum entgegenhalten, dass bereits eine nur partielle Rechts­ angleichung zu einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für die grenz­ überschreitende Tätigkeit im Binnenmarkt führt.815 Nach h.M. steht das Mindestschutzkonzept der abschließenden Harmonisierung nicht entgegen.816 Speziell im Hinblick auf die ATAD II lohnt es sich, konkret danach zu fragen, wie ein höherer Schutz der Körperschaftsteuerbemessungsgrund­ lage überhaupt erreicht werden könnte. Die in Betracht kommenden Verschärfungen sind darauf zu untersuchen, ob sie noch in den An­ ­ wendungsbereich der Richtlinie fallen oder ihn verlassen.817 Das Harmo­ nisierungspotential der ATAD kann nämlich nicht dadurch in Frage ge­ stellt werden, dass nationale Maßnahmen in Regelungsbereichen ergehen, für welche die Richtlinie keine Geltung beansprucht. Bei sol­ chen Vorschriften außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie handelt es sich um eine sog. „überschießende Richtlinienumsetzung“.818 Diese ist unabhängig davon möglich, ob der Richtlinie ein Mindest- oder 811 Vgl. Kapitel 2 - B.III. 812 Vgl. für die Fusionsrichtlinie etwa EuGH, Urt. v. 23.11.2017, C-292/16, ECLI:EU:C:2017:888 – A Oy, Rn. 21 f. 813 Dazu Kapitel 2 - B.I.1. 814 So Oppel, IStR 2016, 797, 798. Vgl. auch Haug, DStZ 2016, 447, 448. 815 Fehling, DB 2016, 2862, 2864. 816 Gl.A. Fehling, DB 2016, 2862, 2864; Martini, in: ATAD-Kommentar, Einführung B. Rn. 26; Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 202 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 259; wohl Wacker, in: FS BFH, S. 781, 797 ff. A.A. Eilers/Oppel, IStR 2016, 312, 313 und 319; Oppel, IStR 2016, 797, 798; ähnlich Lüdicke/Oppel, DB 2016, 549, 550. 817 Vgl. Gsell/Schellhase, JZ 2009, 20, 22; Riehm, JZ 2006, 1035, 1035 ff. 818 Grundlegend Habersack/Mayer, JZ 1999, 913.

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Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen

Vollharmonisierungskonzept zugrunde liegt.819 Der Unterschied ist le­ diglich folgender: Anders als bei sog. vollharmonisierenden Richtlinien ist es bei der mindestharmonisierenden ATAD möglich, innerhalb ihres Anwendungsbereichs etwas Abweichendes zu regeln. Das jedoch nur in eine Richtung, nämlich zugunsten eines höheren Maßes an Schutz der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage.820 Es ist folglich zu untersuchen, wie groß eben diese Spielräume sind. Je größer sie sind, desto geringer ist das Harmonisierungspotential der ATAD II. Als mögliche Verschärfungen kommen solche in sachlicher wie auch in persönlicher Hinsicht in Betracht. In sachlicher Hinsicht ist zunächst festzustellen, dass die erfassten hy­ briden Besteuerungsinkongruenzen ihrem Umfang nach bereits vollstän­ dig neutralisiert werden. Einer darüber hinausgehenden „Neutralisie­ rung“ – sofern dann noch von einer solchen gesprochen werden kann – steht der eindeutige Wortlaut der Art. 9, 9a und 9b ATAD entge­ gen: Nur „soweit“ eine Besteuerungsinkongruenz vorliegt, wird aus­ nahmsweise eine Betriebseinnahme erfasst oder der Betriebsausgabenab­ zug versagt. Auch stehen die Erwägungsgründe solchen nationalen Vorschriften entgegen, die über das Ziel der bloßen Neutralisierung hin­ ausschießen.821 Ein höheres Maß an Schutz im Sinne des Art. 3 ATAD kann insoweit nicht verwirklicht werden. Denkbar wäre es gleichwohl, andere als die von der Richtlinie erfassten hybriden Gestaltungen aufzugreifen. Dahingehende mitgliedstaatliche Vorschriften verließen jedoch den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie.822 Es handelte sich dann um eine überschießende Umset­ zung.823 Dies änderte dann nichts an dem Umstand, dass die ATAD für die von ihr erfassten Gestaltungen abschließend regelt, wie diese behan­ delt werden sollen.824 Mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG liegt es schließlich nahe, gleichlautende Neutralisierungsregeln auch für Personenunternehmen im Bereich der Einkommensteuer einzuführen.825 Die ATAD beschränkt ihren Anwen­

819 Siehe etwa Erwägungsgründe 9 und 10 der vollharmonisierenden Verbraucherkre­ ditrichtlinie (RL 2008/48/EG vom 23. April 2008); Kuhn, EuR 2015, 216, 219 f. Siehe bereits Kapitel 2 - B.I.1. 820 Vgl. Kuhn, EuR 2015, 216, 220. 821 Vgl. auch Erwägungsgrund 21 der ATAD. 822 Dahingehend Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 259. 823 Vgl. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 288 AEUV Rn. 131. 824 Zur Frage, ob Konstellationen im Sinne des § 4i EStG in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, Kapitel 5 - B.I.2. 825 Hey, StuW 2017, 248, 257; Wacker, in: FS BFH, S. 781, 800. Bei Personengesell­ schaften sind die Gesellschafter jeweils das Steuersubjekt. Die Personengesell­

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A.  Verhältnis nationaler Vorschriften zum höherrangigen Recht

dungsbereich nämlich grundsätzlich auf Körperschaftsteuersubjekte.826 Auch in diesem Falle dient die nationale Vorschrift nicht der Umsetzung von Unionsrecht, sondern stellt vielmehr eine überschießende Richt­ linienumsetzung dar. Schließlich erscheint es denkbar, dass in persönlicher Hinsicht die An­ forderungen der Richtlinie gelockert werden.827 Etwa könnten geringere Voraussetzungen an die Verbundenheit von Unternehmen gestellt wer­ den, indem die maßgebliche Beteiligungsquote abgesenkt wird. Ob es sich in einem derartigen Fall ebenfalls um eine „überschießende Richtli­ nienumsetzung“ handelt, ist zweifelhaft.828 Eine dahingehende nationale Vorschrift wäre jedenfalls „strenger“ als die Richtlinie es vorgibt; die Hürde für ihre Anwendung würde gesenkt, weshalb sie mehr Konstella­ tionen erfasste. Jedenfalls ist damit das Mindestschutzniveau der Richt­ linie im Sinne des Art. 3 ATAD überschritten. Ihr Anwendungsbereich ist damit jedoch nicht zwingend verlassen. Eher sollte danach gefragt werden, ob sich der nationale Rechtszustand auf Sachverhalte erstreckt, für welche die Richtlinie selbst keine Anwendung beansprucht.829 Han­ delt es sich um eine hybride Gestaltung im Sinne des Art. 2 Abs. 9 Un­ terabs. 1 ATAD zwischen zwei verbundenen Körperschaftsteuersubjek­ ten, so verliert die ATAD jedoch kaum ihren Anwendungsanspruch, nur weil ein Teilaspekt wie die Beteiligungsquote strenger umgesetzt wurde. Eher wird innerhalb des Anwendungsbereichs etwas Abweichendes an­ geordnet.830 Insoweit unterscheidet sich die hier skizzierte Konstellation von den gerade genannten, in denen der sachliche Anwendungsbereich oder etwa der Bereich der Körperschaftsteuer verlassen wird.831 Zusammenfassend erscheinen innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie lediglich leichte Straffungen in persönlicher Hinsicht denk­ bar. Diese allein vermögen das Harmonisierungspotential der ATAD je­ doch nicht in Frage zu stellen. Der Charakter der erfassten Sachverhalte wird damit nicht verändert. Insbesondere sind keine Verwerfungen in Fragen der Anwendungshierarchie zu erwarten. Es handelt sich immer noch um Fragestellungen, die ganz wesentlich durch das Unionsrecht schaft stellt lediglich das Einkünfteermittlungssubjekt dar, Hennrichs, in: Tipke/ Lang, Steuerrecht, Rn. 10.10 ff.; Hennrichs, FR 2010, 721, 721 f. 826 Art. 1 Abs. 1 ATAD. Nur Art. 9a ATAD gilt auch für Personengesellschaften, Art. 1 Abs. 2 ATAD. 827 Siehe später noch Kapitel 5 - C.I.1.a). 828 Die Frage, ab wann der Anwendungsbereich einer Richtlinie verlassen wird, berei­ tet generell Schwierigkeiten, vgl. Kuhn, EuR 2015, 216, 220. 829 Vgl. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 288 AEUV Rn. 131. 830 Vgl. Kuhn, EuR 2015, 216, 219 f. 831 Wohl als überschießende Umsetzung wäre es zu erachten, wenn das Verbunden­ heitskriterium gänzlich gestrichen wird. Diese Frage ist mit Blick auf die derzeiti­ ge nationale Umsetzung der ATAD II gleichwohl nicht von Relevanz.

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Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen

vorgezeichnet werden. Damit ist es auch angezeigt, statt der nationalen Umsetzungsmaßnahmen vielmehr die Richtlinie auf ihre Primärrechts­ konformität hin zu überprüfen. Nach hier vertretener Auffassung wird durch die ATAD II ein Teil des direkten Steuerrechts harmonisiert („Teil­ harmonisierung“). Innerhalb ihres Anwendungsbereichs die Regelungs­ dichte trotz des Art. 3 ATAD so hoch, dass sie eine abschließende Har­ monisierung bewirkt.832 c) Zwischenergebnis Im Ergebnis kommen damit nationale Vorschriften, welche die Art. 9, 9a und 9b ATAD umsetzen, in den Genuss einer von der Richtlinie aus­ gehenden „verfahrensrechtlichen Immunisierungswirkung“. Sie sind ­daher nicht mehr am Maßstab des Primärrechts zu überprüfen. Sie sind allenfalls darauf zu überprüfen, ob sie der Richtlinie widersprechen. Ge­ gebenenfalls ist eine richtlinienkonforme Auslegung geboten.

II. Überschießende Vorschriften Schließlich sind neben nationalen Vorschriften, welche die Richtlinien­ vorgaben umsetzen, auch solche denkbar, welche über den Anwen­ dungsbereich der Richtlinie hinausgehen. Eine sog. „überschießende Richtlinienumsetzung“833 zieht im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht andere Konsequenzen als die gerade genannten nach sich. Sie ist zunächst in zweierlei Hinsicht denkbar. Die Möglich­ keiten einer überschießenden Richtlinienumsetzung wurden bereits her­ ausgearbeitet. Zum einen könnten andere als die in der Richtlinie enthal­ tenen hybriden Gestaltungen aufgegriffen werden. Zum anderen könnten gleichlautende Regelungen im Bereich der Einkommensteuer implemen­ tiert werden. Keine überschießende Umsetzung stellen Straffungen im persönlichen Anwendungsbereich einzelner Regelungen dar.834 1. Verhältnis zum Verfassungsrecht Setzt der nationale Gesetzgeber die Richtlinienvorgaben überschießend um, so gerät die Kompetenzdelegation an den EuGH wieder auf den Prüf­ 832 I.E. gl.A. Fehling, DB 2016, 2862, 2864; Martini, in: ATAD-Kommentar, Einfüh­ rung B. Rn. 26; Musil, FR 2018, 933; 938; Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 202 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 259; wohl Wacker, in: FS BFH, S. 781, 797 ff. A.A. Eilers/Oppel, IStR 2016, 312, 313 und 319; Oppel, IStR 2016, 797, 798; ähnlich Lüdicke/Oppel, DB 2016, 549, 550. Wohl auch Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 30. 833 Grundlegend Habersack/Mayer, JZ 1999, 913. Ferner Nettesheim, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 288 AEUV Rn. 131. 834 Kapitel 3 - A.I.2.b)bb)(2).

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A.  Verhältnis nationaler Vorschriften zum höherrangigen Recht

stand. Das, was letztlich in nationale Gesetzesform gegossen wurde, ist nämlich nicht mehr konkret vom Unionsrecht vorgezeichnet. Das Bun­ desverfassungsgericht führt dazu aus, dass eine Norm des deutschen Rechts, durch die der Gesetzgeber die Vorgaben einer Richtlinie in eige­ ner Regelungskompetenz konkretisiert hat oder über solche Vorgaben hinausgegangen ist, zulässigerweise mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kann.835 Mithin handelt es sich bei einer überschie­ ßenden Richtlinienumsetzung nicht um „abgeleitetes Gemeinschafts­ recht“ im Sinne der Solange II-Entscheidung.836 2. Verhältnis zum Unionsrecht Auch für überschießende Vorschriften bleibt das Unionsrecht von Bedeu­ tung. Die relevanten Aspekte werden im Folgenden sowohl in sekundär­ rechtlicher als auch primärrechtlicher Hinsicht herausgearbeitet. a) Sekundärrecht In sekundärrechtlicher Hinsicht ist die Zulässigkeit des Erlasses über­ schießender Vorschriften sowie ihre Auslegung zu klären. aa) Kein Konflikt mit der ATAD Dem Erlass überschießender Vorschriften steht die ATAD jedenfalls nicht entgegen. Dies ergibt sich nicht erst aus Art. 3 ATAD, da eine über­ schießende Umsetzung ebenso bei Richtlinien in Betracht kommt, de­ nen ein Vollharmonisierungskonzept zugrunde liegt.837 Wenn man für solche Fälle überhaupt Art. 3 ATAD bemühen möchte, so handelt es sich insoweit um einen deklaratorischen Verweis auf die fehlende positive Integration der direkten Steuern und die deshalb weiterhin bestehende Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten.838 bb) „Richtlinienorientierte“ Auslegung Ferner fragt sich, inwiefern die Richtlinie für die Auslegung überschie­ ßender Normen relevant ist. Durch das Mindestschutzkonzept wird die weiterhin bestehende Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten betont und somit dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung getragen.839 Dem entspricht

835 BVerfG, Beschl. v. 11.3.2008 – 1 BvR 256/08, BVerfGE 121, 1, 15. 836 BVerfG, Beschl. v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339. 837 Kuhn, EuR 2015, 216, 219 f. m.w.N. 838 Martini, in: ATAD-Kommentar, Einführung B. Rn. 22. Vgl. tendenziell a.A. Fehling, DB 2016, 2862, 2862. 839 Vgl. Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rn. 4.68 f.

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Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen

es, den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten außerhalb der europa­ rechtlich geprägten, harmonisierten Regelungsfragen offen zu halten.840 Das bedeutet gleichwohl nicht zwingend, dass die Richtlinienvorgaben gänzlich an Relevanz verlieren. Werden die Linking Rules auch im Be­ reich der Einkommensteuer eingeführt, so können durch den Verweis des § 8 Abs. 1 KStG sog. Hybridnormen entstehen. Das bedeutet in die­ sem Kontext nicht, dass sie hybride Gestaltungen erfassen. Vielmehr ist ein Teil dieser Normen durch das Sekundärrecht vorgegeben (hier der Bereich der Körperschaftsteuer), während der andere Teil die Vorgaben des Sekundärrechts im Sinne einer überschießenden Richtlinienum­ setzung überschreitet (hier der Bereich der Einkommensteuer). Bei sol­ cherart „hybriden“ Normen stellt sich die Frage, ob sie einheitlich oder gespalten auszulegen sind.841 Wohl am intensivsten wurde diese metho­ dische Frage im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung diskutiert.842 Dort hat sich der Gesetzgeber oftmals dazu entschieden, keine besonderen Verbraucherschutzvorschriften zu schaffen, sondern das Kaufrecht allge­ mein zu regeln und dabei die Wertungen der Verbrauchsgüterkaufrichtli­ nie zu berücksichtigen.843 Eine solche Situation ergab sich beispielsweise für den kaufrechtlichen Nacherfüllungsanspruch in § 439 Abs. 1 und Abs. 3 S. 3 BGB a.F.844 Insoweit gab es durchaus Stimmen, welche in Richtung einer gemein­ schaftsrechtlichen Pflicht zur einheitlichen richtlinienkonformen Aus­ legung hybrider Rechtsnormen argumentierten. Aus unionsrechtlicher Sicht wurde vorgebracht, dass eine Spaltung des nationalen Rechts mit­ telbar auch das europäische Recht beeinträchtigen könne. Vor dem ­Hintergrund der Dzodzi-Rechtsprechung sei dies mit Art. 4 Abs. 3 EUV unvereinbar.845 Dort heißt es, dass „[…] jede Bestimmung des Gemeinschaftsrechts unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden soll, eine einheitliche Auslegung [erhalten soll], damit künftige, unterschiedliche Auslegungen verhindert werden“.846 Der 840 Greiner, EuZA 2011, 74, 80. 841 Dazu auch Hennrichs, ZGR 1997, 66; Hennrichs, in: FS BFH, S. 1411. 842 Vgl. Augenhofer/Appenzeller/Holm, JuS 2011, 680, 681; Drexl, in: FS Heldrich, S. 67, 67 ff.; Hoffmann, ZIP 2002, 145, 150; Staudinger, NJW 2002, 653, 655 ff.; Weiss, EuZW 2012, 733, 733 ff. jeweils m.w.N. 843 Weiss, EuZW 2012, 733, 733. Ähnliche Fragestellungen ergaben sich im Zuge der Umsetzung der vierten Bilanzrechtsrichtlinie, welche die §§ 238 ff. HGB rechts­ formneutral auch für Personenunternehmen umsetzte, dazu Meilicke, BB 1999, 890, 892 f. Auch hinsichtlich des Teilbetriebsbegriffs in § 20 UmwStG wird eine einheitliche oder gespaltene Auslegung diskutiert, zum Streitstand Schmitt, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 20 UmwStG Rn. 80 ff. 844 Augenhofer/Appenzeller/Holm, JuS 2011, 680, 681. 845 Drexl, in: FS Heldrich, S. 67, 84 ff. 846 EuGH, Urt. v. 18.10.1990, C-297/88 u. C-197/89, ECLI:EU:C:1990:360 - Dzodzi, Rn. 37.

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A.  Verhältnis nationaler Vorschriften zum höherrangigen Recht

Gedanke lässt sich auf die ATAD-Situation übertragen, wenn man da­ durch ihr Harmonisierungsziel beeinträchtigt sieht.847 Gleichwohl kann dies nicht darüber hinweghelfen, dass sich überschießende Normen gera­ de außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie bewegen.848 Dass das Unionsrecht grundsätzlich keine Wirkung im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten entfaltet, betont an anderer Stelle auch die genannte Entscheidung des EuGH.849 Hat sich ein Mitgliedstaat für einen strenge­ ren Weg entschieden und überschreitet er den Anwendungsbereich der Richtlinie, lässt sich eine unionsrechtliche Verpflichtung zur richtlinien­ konformen Auslegung weder mittelbar noch unmittelbar begründen.850 Aus nationaler Sicht wurde ganz überwiegend mit dem Willen des Ge­ setzgebers argumentiert. Schaffe dieser eine einheitliche Norm, so sei auch davon auszugehen, dass diese einheitlich auszulegen sei. Ohne dass weitere Umstände dazu treten, könne an einer Rechtszersplitterung kein Interesse bestehen.851 In diesem Zuge ist auch von einer richtlinienorientierten Auslegung die Rede.852 Ein solcher Ansatz ist auf die Auslegung der ATAD II-Umsetzungsnormen übertragbar. Selbst, wenn sich keine expliziten Ausführungen zum Richtlinienhintergrund in der Gesetzesbe­ gründung finden, sich jedoch weitgehende Übereinstimmungen zu den Richtlinienvorgaben feststellen lassen, spricht zunächst nichts dagegen, im Grundsatz von einem Willen zur Einheitlichkeit auszugehen. Die Norm dient dann immer noch dem Ziel der Richtlinie; es kommt zu ei­ ner „teleologischen Induktion des nationalen Rechts“.853 Im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung wurde diese „Einheitlichkeits­ vermutung“ kritisiert, da sich außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie eine völlig andere Situation ergeben könne.854 Ein zwischen zwei Unternehmern geschlossener Vertrag ist unter Verbraucherschutz­ gesichtspunkten in der Tat kaum mit einem Vertrag zwischen einem Un­ ternehmer und einem Verbraucher vergleichbar. Für die ATAD II-Umset­ zung kann hieraus gefolgert werden, dass jedenfalls nach sachlichen Differenzierungskriterien Ausschau gehalten werden muss. Prima facie ist eine überschießende Richtlinienumsetzung jedoch zunächst nur in Bereichen zu erwarten, in denen sich ähnliche Probleme stellen und sich 847 Vgl. Kapitel 2 - B.I.1. 848 Vgl. Weiss, EuZW 2012, 733, 734. 849 EuGH, Urt. v. 18.10.1990, C-297/88 u. C-197/89, ECLI:EU:C:1990:360 - Dzodzi, Rn. 41 f. 850 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 85. 851 Hoffmann, ZIP 2002, 145, 150 f.; Staudinger, NJW 2002, 653, 655; Augenhofer/ Appenzeller/Holm, JuS 2011, 680, 681 jeweils m.w.N. Tendenziell auch BGH, Urt. v. 9.4.2002 – XI ZR 91/99, BGHZ 150, 248, 261. 852 Weiss, EuZW 2012, 733, 734 m.w.N. 853 Diesen Begriff verwendet Weiss, EuZW 2012, 733, 734. 854 Weiss, EuZW 2012, 733, 734.

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Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen

deshalb die Zielsetzung der Richtlinie weiterhin als einschlägig erweist. Sollen die Linking Rules beispielsweise auch auf Personengesellschaften Anwendung finden, so unterscheiden sich diese besonders unter dem im Steuerrecht maßgeblichen Kriterium der Leistungsfähigkeit nicht von Kapitalgesellschaften.855 Hier wären folglich keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, Besteuerungsinkongruenzen auf andere Art und Weise zu neutralisieren als im Anwendungsbereich der Richtlinie. Es kann somit Folgendes festgehalten werden: Auch überschießende Vor­ schriften sind so weit wie möglich im Sinne der ATAD II auszulegen. Führt der Gesetzgeber nach dem Erlass der Richtlinie eine einheitliche Vorschrift ein, so lässt sich bereits deshalb sein Wille zu einer einheitli­ chen Auslegung vermuten. Im Einzelfall ist nach sachlichen Gründen für eine von der Richtlinie entkoppelte Auslegung zu fragen. Prinzipiell sind diese im Bereich der hybriden Gestaltungen jedoch nicht ersichtlich. Deshalb sollte auch dann eine einheitliche Auslegung in Betracht gezo­ gen werden, wenn zwei identische Vorschriften separat in das EStG und das KStG aufgenommen werden.856 Umso mehr gilt dies, wenn sich ein solcher Wille zur Einheitlichkeit explizit aus der Gesetzesbegründung ergibt. Grundsätzlich strahlt das Unionsrecht damit auch auf den Teil der Norm aus, welcher allein in der mitgliedstaatlichen Kompetenz für die direkten Steuern wurzelt. Die methodische Grundlage für eine sol­ cherart „richtlinienorientierte“ Auslegung bleibt die teleologisch-histo­ rische Auslegung nach nationalem Recht.857 b) Primärrecht Nach einhelliger Ansicht wird bei überschießenden Umsetzungsmaß­ nahmen der Blick auf das Primärrecht wieder frei. Sie sind deshalb un­ mittelbar daran zu messen.858 Da das Sekundärrecht diese Regelungen nicht konkret vorgibt oder zumindest im Sinne eines Wahlrechtes vor­ schlägt, entfaltet es für diese auch keine verfahrensrechtliche Immuni­ sierungswirkung.859

855 Überzeugend Hennrichs, FR 2010, 721, 726 f.; Hennrichs, in: Tipke/Lang, Steuer­ recht, Rn. 10.5. 856 Vgl. etwa § 8b Abs. 1 S. 2 KStG und § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 2 EStG. 857 Siehe auch Hennrichs, in: FS BFH, S. 1411, 1417 f.; Hey, StuW 2017, 248, 257; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 288 AEUV Rn. 131; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 85. 858 Hey, StuW 2017, 248, 253; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 92; Martini, in: ATAD-Kommentar, Einführung B. Rn. 22 und 30; Musil, FR 2018, 933, 938; Wacker, in: FS BFH, S. 781, 789. 859 Vgl. Martini, in: ATAD-Kommentar, Einführung B. Rn. 22; Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 259.

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B.  Verhältnis der ATAD zum Primärrecht

c) Zwischenergebnis Sind nationale Vorschriften auf die ATAD zurückzuführen und über­ schreiten sie den Anwendungsbereich der Richtlinie, so handelt es sich um eine sog. überschießende Richtlinienumsetzung. Solche Vorschriften sind anhand des nationalen Verfassungsrechts überprüfbar, da sich die Solange-Rechtsprechung hier nicht als einschlägig erweist. Die ATAD steht dem Erlass solcher Vorschriften nicht entgegen. Ergeben sich kei­ ne anderweitigen Anhaltspunkte, so sind die Richtlinienvorgaben im Wege einer „richtlinienorientierten“ Auslegung zu berücksichtigen. Überschießende Vorschriften sind unmittelbar anhand des Unionspri­ märrechts überprüfbar.

B. Verhältnis der ATAD zum Primärrecht Hinsichtlich derjenigen nationalen Vorschriften, welche sich als Umset­ zung der ATAD qualifizieren lassen, wurde bislang eine überragende Be­ deutung des Unionsprimärrechts herausgearbeitet. Die Solange-Recht­ sprechung des BVerfG bewirkt eine Kompetenzverschiebung hin zum EuGH; eine verfassungsrechtliche Überprüfung ist nicht angezeigt. Ent­ sprechen die nationalen Vorschriften der ATAD, so werden sie durch die Richtlinie geschützt. Zweifel an der Rechtmäßigkeit müssten zunächst gegen die Richtlinie vorgebracht werden („verfahrensrechtliche Immuni­ sierungswirkung“). In das Zentrum der Erwägungen muss deshalb die Frage rücken, welchen Rechtmäßigkeitsanforderungen die ATAD ihrer­ seits unterliegt und wie ihnen zur Geltung verholfen werden kann.

I. Materiellrechtliche Betrachtung Sekundäres Unionsrecht darf seinerseits nicht gegen primäres Unions­ recht verstoßen.860 Das heißt, dass die ATAD selbst im Einklang mit den

860 Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rn. 4.10; Hey, StuW 2017, 248, 253 f. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 13.7.2017, C-292/16, ECLI:EU:C:​ 2017:555 – A Oy, Rn. 20; Martini, in: ATAD-Kommentar, Einführung B. Rn. 1, 3; Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung Rn. 70; Musil, FR 2018, 933, 938; Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuer­ recht, Rn. 7.19; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 9; Wacker, in: FS BFH, S. 781, 792. Siehe ferner EuGH, Urt. v. 2.9.2015, C-386/14, ECLI:EU:C:2015:524 – Groupe Steria, Rn. 39; EuGH, Urt. v. 18.9.2003, C-168/01, ECLI:EU:C:2003:479 – Bosal, Rn. 25 f.; EuGH, Urt. v. 23.2.2006, C-471/04, ECLI:EU:C:2006:143 – Keller Holding, Rn. 45; EuGH, Urt. v. 12.12.2006, C-446/04, ECLI:EU:C:2006:774 – Test Claimants in the FII Group Litigation, Rn. 46, EuGH, Urt. v. 29.2.1984, C-37/83, ECLI:EU:C:1984:89 – REWE-Zentrale, Rn. 18; EuGH, Urt. v. 26.10.2010, C-97/09, ECLI:EU:C:2010:632 – Schmelz, Rn. 50.

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Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen

Europäischen Grundfreiheiten861 und den Europäischen Grundrechten862 stehen sowie von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV ge­ deckt sein muss863. Gegebenenfalls muss es primärrechtskonform ausge­ legt werden.864 Der Vorrang des Primärrechts wird nicht zuletzt anhand des Art. 263 Abs. 2 i.V.m. Art. 264 AEUV deutlich, wonach Sekundär­ recht wegen der Verletzung der Verträge für nichtig erklärt werden kann.865 Bislang hat der EuGH erst wenige Sekundärrechtsakte als unver­ einbar mit dem Primärrecht angesehen.866 In Bezug auf eine Richtlinie wurde ein solcher Verstoß bislang noch nicht festgestellt.867 Gleichwohl erscheint ein Verstoß der ATAD gegen Primärrecht keinesfalls ausge­ schlossen.868 Während nämlich die bislang erlassenen Richtlinien auf dem Gebiet des (direkten) Steuerrechts allesamt den Abbau von Hemm­ nissen für die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit von Unterneh­ men bezweckten, verpflichtet die ATAD erstmals die Mitgliedstaaten zur Schaffung eigenständiger Eingriffstatbestände.869 Sie stellt insoweit ein „neues Kapitel“ der Harmonisierung des direkten Steuerrechts dar.870 Während Konsens darüber besteht, dass die ATAD einer primärrechtli­ chen Überprüfung standhalten muss, wird die Frage nach dem anzule­ genden Prüfungsmaßstab kontrovers diskutiert. Vor allem geht es dabei um die Frage, ob der Unionsgesetzgeber mit Blick auf die Europäischen Grundfreiheiten die Einführung von Regelungen vorgeben darf, die ein 861 Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, S. 213 f.; Desens, IStR 2014, 825; Dittert, Europarecht, S. 203; Ehlers, in: Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 239, 244; Frenz, Handbuch Europarecht, S. 129; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 45 AEUV Rn. 351; Helminen, BTR 2015, 325, 327; Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 29 f.; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 92; Scheffer, Die Marktfreiheiten des EG-Vertrages als Ermessensgrenze des Gemeinschaftsgesetzgebers, S. 39 - 43; Walter, in: Euro­ päische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 1, 18; Zazoff, Der Unionsgesetzge­ ber als Adressat der Grundfreiheiten, S. 70 ff. 862 Hermanns, in: FS BFH, S. 763, 765 ff.; Schaumburg, in: Schaumburg/Englisch, Eu­ ropäisches Steuerrecht, Rn. 4.26. 863 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 29. 864 EuGH, Urt. v. 10.10.1989, C-374/87, EU:C1989:387 – Orkem, Rn. 28 ff.; EuGH, Urt. v. 17.5.2001, C-322/99, ECLI:EU:C:2001:280 – Fischer, Rz. 75; EuGH, Urt. v. 26.6.2007, C-305/05, ECLI:EU:C:2007:383 – Ordre des barreaux francopho­ nes und germanophones, Rz. 28; Bleckmann, NJW 1982, 1177, 1181 f.; Hennrichs, WPg 2018, 1057, 1060; Herresthal, ZEuP 2014, 238, 259 f.; Kahlenberg/Prusko, IStR 2017, 304, 305 f. Nettesheim, EuR 2006, 736, 751 ff.; Schiff, EuZW 2015, 899, 901 f. 865 Wacker, in: FS BFH, S. 781, 792 866 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 30. 867 Desens, IStR 2014, 825, 829. 868 Vgl. etwa Cordewener, ECTR 2017, 60; Kühbacher, SWI 2017, 362; van Os, ECTR 2016, 184, 194 ff. 869 Musil, FR 2018, 933, 933 f.; Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Euro­ päischen Binnenmarkt, S. 69. 870 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 28. 

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B.  Verhältnis der ATAD zum Primärrecht

allein handelnder Mitgliedstaat so nicht einführen dürfte.871 Falls ja, so ist von Interesse, nach welchen Kriterien die Prüfung von Sekundärrecht erfolgen muss.872 Diese Frage wird im Zuge der unten vorgenommenen Prüfung der ATAD-Vorschriften anhand der Europäischen Grundfreihei­ ten erörtert.873 An dieser Stelle sei jedoch bereits darauf hingewiesen, dass ein milderer Prüfungsmaßstab für das Sekundärrecht mittelbar auch den nationalen Umsetzungsgesetzen zugutekäme. Jene müssen lediglich in Einklang mit der ATAD stehen; die ATAD ihrerseits wäre dann in ei­ nem erhöhten Maße gegenüber dem Primärrecht, insbesondere den Grundfreiheiten, „immunisiert“874. Aus nationaler Perspektive ginge in diesem Fall von der ATAD neben der „verfahrensrechtlichen Immunisie­ rungswirkung“ auch eine „materielle Immunisierungswirkung“ aus.875

II. Verfahrensrechtliche Betrachtung Nationale Umsetzungsmaßnahmen sind solange mit höherrangigem Recht vereinbar, wie die ATAD in Kraft ist und die Umsetzungsmaßnah­ men ihren Vorgaben entsprechen.876 Außer Kraft setzen kann eine Richt­ linie nur der Europäische Gerichtshof; er allein verfügt insoweit über das Verwerfungsmonopol.877 Daraus resultiert die Frage, wie eine Entschei­ dung über die Vereinbarkeit der ATAD mit dem Unionsprimärrecht her­ beigeführt werden kann. In Betracht kommen hierfür die Nichtigkeits­ klage nach Art. 263 AEUV und das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV. 1. Nichtigkeitsklage, Art. 263 ATAD Nach Art. 263 Abs. 1 AEUV überwacht der Gerichtshof der Europäischen Union unter anderem die Rechtmäßigkeit der Handlungen des Rates – damit auch die von EU-Richtlinien.878 Eine Nichtigkeitsklage könnte beispielsweise von Mitgliedstaaten (Abs. 2) oder unter zusätzlichen Vor­ aussetzungen von natürlichen und juristischen Personen (Abs. 4) erho­ ben werden.

871 Einen Überblick geben Heber, Enhanced Cooperation and European Tax Law, S. 218 ff.; Höpner/Haas, MPIfG Discussion Paper 21/2, S. 6 ff. 872 Vgl. Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 30. 873 Kapitel 4 - C.IV.2.d). 874 Von einer „materiellen Immunisierung des Sekundärrechts vor dem Primärrecht“ sprechen Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 261. 875 Vgl. Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 256. 876 Kapitel 3 - A.I.2.b)aa). 877 Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 278. 878 Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 263 AEUV Rn. 49 f.

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Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen

Ungeachtet der Fragen, weshalb ein Mitgliedstaat sich gegen die einstim­ mig im Rat beschlossene ATAD richten sollte879 und ob Individualperso­ nen, wie von Art. 263 Abs. 4 AEUV gefordert, unmittelbar und individu­ ell von der ATAD betroffen sein können880, steht einer Erhebung der Nichtigkeitsklage jedenfalls der Ablauf der Klagefrist entgegen. Art. 263 Abs. 6 AEUV sieht insoweit eine zwingende Ausschlussfrist von zwei Monaten vor, welche jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der betreffenden Handlung zu laufen beginnt.881 Die ATAD wurde in der für hybride Gestaltungen relevanten zweiten Fassung am 7. Juni 2017 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Dies ist als Bekannt­ gabe im Sinne von Art. 263 AEUV zu werten.882 Innerhalb von zwei Mo­ naten ab diesem Zeitpunkt wurde jedoch keine Nichtigkeitsklage betref­ fend die Hybrid-Regeln der ATAD erhoben. 2. Vorabentscheidungsverfahren, Art. 267 AEUV Nach Art. 267 Abs. 1 lit. b) ATAD entscheidet der Gerichtshof der Euro­ päischen Union im Wege der Vorabentscheidung nicht nur über die Aus­ legung, sondern auch über die Gültigkeit der Handlungen der Organe der Union, mithin auch über die von Richtlinien.883 Das Vorabentschei­ dungsverfahren fungiert als objektives Zwischenverfahren im Rahmen eines vor den nationalen Gerichten anhängigen Verfahrens.884 Das heißt, dass sich zunächst ein Steuerpflichtiger gerichtlich gegen einen ihn be­ lastenden Steuerbescheid wenden müsste.885 Im Zuge dieses Verfahrens kann das Finanzgericht grundsätzlich den EuGH anrufen, wenn es seine Entscheidung für den Erlass eines Urteils für erforderlich hält (Art. 267 Abs. 2 AEUV). Ist es jedoch von der Primärrechtswidrigkeit eines Sekun­ därrechtsakts überzeugt, wird aus der bloßen Berechtigung zur Vorlage jedoch eine Pflicht.886 Der BFH ist als letztinstanzliches Gericht sowohl bei Auslegungs- als auch bei Gültigkeitsfragen zur Vorlage verpflichtet (Art. 267 Abs. 3 AEUV). Kommt ein Gericht seiner Vorlageverpflichtung nicht nach, so kann das Recht des Steuerpflichtigen auf den gesetzlichen 879 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 29. 880 Dazu Kapitel 3 - B.II.2. 881 Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 263 AEUV Rn. 119; zu den üb­ rigen Möglichkeiten für den Fristbeginn Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 263 AEUV Rn. 84. 882 Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 263 AEUV Rn. 119. 883 Vgl. Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 263 AEUV Rn. 46 und Rn. 49 f.; Valta/ Gebracht, StuW 2019, 118, 128. 884 Lange, in: FS BFH, S. 865, 867 ff.; Schaumburg, in: Schaumburg/Englisch, Europä­ isches Steuerrecht, Rn. 5.8. Weiterführend von Danwitz, StuW 2018, 323, 324 ff. 885 Möglichkeiten, sich direkt an den EuGH zu wenden, bestehen für den Steuer­ pflichtigen im Übrigen nicht, Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 11 Rn. 1. 886 Schaumburg, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 5.16.

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B.  Verhältnis der ATAD zum Primärrecht

Richter gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verletzt sein.887 Dem Wesen eines objektiven Zwischenverfahrens ist es schließlich geschuldet, dass der EuGH lediglich über die unionsrechtliche Auslegungs- oder Gültigkeits­ frage, nicht aber über den eigentlichen Streitfall entscheidet.888 Das Vorabentscheidungsverfahren birgt in bestimmten Konstellationen die Gefahr, dass die Präklusionswirkung des Art. 263 Abs. 6 AEUV um­ gangen wird. Hat nämlich ein individueller Kläger die Frist für die Nich­ tigkeitsklage verstreichen lassen, so könnte er sein Versäumnis nachho­ len, indem er ein nationales Gerichtsverfahren anstrengt und innerhalb dessen die Gültigkeit des Sekundärrechtsakts in Frage stellt. Kommt es daraufhin zum Vorabentscheidungsverfahren, so könnte ein Unions­ rechtsakt entgegen der Ratio von Art. 263 Abs. 4 und Abs. 6 AEUV prak­ tisch unbegrenzte Zeit in Frage gestellt werden.889 Zu erwägen ist hier deshalb, ob insoweit einem Vorabentscheidungsverfahren die Präklusi­ onswirkung des Art. 263 Abs. 6 AEUV entgegensteht.890 Dessen Umge­ hung droht jedoch nur, wenn die Individualperson ursprünglich zur Erhe­ bung einer Nichtigkeitsklage befugt gewesen war. Art. 263 Abs. 4 AEUV verlangt dazu, dass die Person unmittelbar und individuell von dem je­ weiligen Rechtsakt betroffen ist. Gerade ersteres Unmittelbarkeitserfor­ dernis scheint bei einer Richtlinie nicht erfüllt. Sie richtet sich an die Mitgliedstaaten und verpflichtet diese zur Umsetzung der Vorgaben. Sind aber Umsetzungsakte erforderlich, kann der Individualkläger nicht unmittelbar betroffen sein.891 Zwar können Richtlinien ausnahmsweise unmittelbare Wirkung entfalten, wenn ihre Umsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt jedoch nur für solche Richtlinienvorgaben, die dem Unions­ bürger zugutekommen, nicht jedoch für solche, die ihn – wie die ATAD-­ Vorgaben – belasten.892

887 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 11 Rn. 1. 888 Lange, in: FS BFH, S. 865, 867 ff.; Schaumburg, in: Schaumburg/Englisch, Europä­ isches Steuerrecht, Rn. 5.8; Valta/Gebracht, StuW 2019, 118, 128. 889 Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 Rn. 16 890 EuGH, Urt. v. 9.3.1994 – C-188/92, ECLI:EU:C:1994:90 – Textilwerke Deggendorf, Rn. 17; EuGH, Urt. v. 22.10.2002 – C-241/02, EU:C:2002:604, National Farmers‘ Union, Rn. 34 ff.; EuGH, Urt. v. 18.7.2007 – C-119/05, ECLI:EU:C:2007:434 – Mi­ nistero dell‘Industria, del Commercio e dell‘ Artigianato/Lucchini SpA – Rn. 53 – 56. Zustimmend Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 Rn. 16; Pache, EuZW 1994, 615, 619 f.; Schwarze, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 267 AEUV Rn. 25; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, EU-Recht, Art. 276 AEUV Rn. 38. Gegen eine solche Möglichkeit Karpenstein, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 267 AEUV Rn. 49; Ehricke, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 26. Zum Meinungsstand ferner Thomy, Individual­ rechtsschutz durch das Vorabentscheidungsverfahren, S. 85 ff. 891 Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 263 AEUV Rn. 50. 892 Schwenke, in: FS BFH, S. 815, 820.

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Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen

Dennoch verbleibt eine Möglichkeit, dass sich die ATAD ausnahmswei­ se unmittelbar auf einzelne Individuen auswirkt. Nach Rechtsprechung des EuGH wirkt sich eine Maßnahme der Gemeinschaft dann unmittel­ bar auf die Rechtsstellung des Einzelnen aus, wenn sie den Mitgliedstaa­ ten keinerlei Ermessenspielraum eröffnet und die Durchführung damit gleichsam „rein automatisch erfolgt“.893 Auf Basis dieser rechtlichen De­ terminierung wird dann von einer materiellen Unmittelbarkeit gespro­ chen.894 Auf eine Richtlinie wandte der EuGH diese Rechtsprechung erst­ mals an, als eine solche die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln abschließend regelte. Vereinfacht durften gemäß der Richtlinie solche Schutzmittel nicht auf den Markt gelangen, die einen festgelegten Höchstwert für einen bestimmten chemischen Wirkstoff überschritten.895 Da dieser genau festgelegt war und den Mit­ gliedstaaten keinerlei Wertungsspielraum ließ, hatten die späteren Hand­ lungen der Mitgliedstaaten in den Augen des Gerichts lediglich „rein automatischen Charakter“.896 Gleichwohl sind diese Grundsätze der materiellen Unmittelbarkeit nicht auf die ATAD übertragbar, wenngleich sie die wesentlichen Krite­ rien für die Neutralisierung hybrider Gestaltungen vorgibt. Auf dieser Basis wurde eine „abschließende Harmonisierung“ zwar bejaht.897 Eine „automatische Umsetzung“ stellt jedoch ein qualitatives Mehr dar. Das Kriterium impliziert keinerlei (und nicht nur einen geringen) Spielraum des nationalen Gesetzgebers. Es ist bereits deshalb nicht erfüllt, weil die Linking Rules erst noch in teils völlig unterschiedliche Körperschaft­ steuersysteme inkorporiert werden müssen.898 Dass es hierbei zu Unter­ schieden im Detail kommen kann, liegt in der Natur der Sache. Davon gehen auch die Erwägungsgründe der ATAD II aus.899 So wurde etwa be­ reits die Möglichkeit punktueller Straffungen im persönlichen An­ wendungsbereich der Regelungen herausgearbeitet.900 Anders als ein auf bestimmte Produkte konkretisiertes Verbot kann eine Körperschaftsteu­ errichtlinie eben nicht gleichsam gedankenlos in nationales Recht über­ führt werden.901 893 Grundlegend EuGH, Urt. v. 5.5.1998, C-386/96 P, ECLI:EU:C:1998:193 – Dreyfus/ Kommission Rn. 43. 894 Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 263 AEUV Rn. 66. 895 EUG, Urt. v. 7.10.2009, T-420/05, ECLI:EU:T:2009:391 – Vischim/Kommission, Rn. 75 - 78 896 EUG, Urt. v. 7.10.2009, T-420/05, ECLI:EU:T:2009:391 – Vischim/Kommission, Rn. 77. 897 Kapitel 3 – A.I.2.b)bb). 898 Siehe nur die im Hinblick auf die OECD-Vorgaben geäußerten Bedenken von Valta, ISR 2014, 249, 250. 899 Vgl. Erwägungsgründe 2, 4 und 24 der ATAD II. 900 Kapitel 3 - A.I.2.b)bb)(2). 901 Vgl. auch Erwägungsgrund 9 der ATAD II.

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C.  Ergebnis des dritten Kapitels

Nach alledem kann von einer materiellen Unmittelbarkeit in Bezug auf einzelne Individuen im Sinne der skizzierten Rechtsprechung nicht die Rede sein. Damit bestand für nicht privilegierte Kläger zu keiner Zeit die Möglichkeit, im Wege der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV gegen die ATAD vorzugehen. Durch ein Vorabentscheidungsverfah­ ren, welches anlässlich eines nationalen Klageverfahrens gegen eine Durchführungsmaßnahme eingeleitet wird, wird die Ausschlussfrist des Art. 263 Abs. 6 AEUV deshalb nicht umgangen. Damit kann festgehalten werden, dass Rechtsschutz gegen die ATAD im Wege des Vorabentschei­ dungsverfahrens erlangt werden kann.

C. Ergebnis des dritten Kapitels Die Mitgliedstaaten haben die ATAD II umzusetzen. Das Verhältnis der nationalen Vorschriften zum höherrangigen Recht hängt maßgeblich da­ von ab, ob sie sich als Umsetzungsmaßnahmen oder als überschießende Richtlinienumsetzung einordnen lassen. Besonders hinsichtlich nationaler Umsetzungsmaßnahmen ist eine überragende Bedeutung des Unionsrechts zu konstatieren. Dies liegt zu­ nächst in der Solange-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründet. Sie bewirkt eine umfassende Kompetenzverschiebung hin zum Europäischen Gerichtshof. Eine Überprüfung der Vorschriften an­ hand des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 1 GG ist deshalb nicht angezeigt. Bemerkenswert ist weiter, dass auch das Unionsprimär­ recht für nationale Umsetzungsmaßnahmen nicht unmittelbar relevant ist. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit müssen nämlich zunächst ein­ mal gegen die ATAD selbst, statt gegen die nationalen Vorschriften vor­ gebracht werden. Die Basis hierfür bildet die Rechtsprechungslinie der „verfahrensrechtlichen Immunisierung“ des EuGH. Diese erweist sich als einschlägig, da die ATAD hinsichtlich der Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen nach hier vertretener Auffassung eine abschlie­ ßende Harmonisierung bewirkt. Bis hierhin sind nationale Umsetzungs­ maßnahmen also zunächst an der Richtlinie zu messen und gegebenen­ falls richtlinienkonform auszulegen. Umso bedeutsamer ist folglich die Frage nach der Rechtmäßigkeit der ATAD selbst. Insoweit wurde herausgearbeitet, dass sich die Richtlinie am Unionsprimärrecht messen lassen muss. Noch herauszuarbeiten ist dabei der anzulegende Prüfungsmaßstab. Die Vereinbarkeit mit dem Unionsprimärrecht kann im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV überprüft werden, wohingegen die Erhebung einer Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV) aufgrund des Ablaufs der in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehenen Klagefrist mittlerweile unzulässig ist. 163

Kapitel 3  Analyse normenhierarchischer Strukturen

Schließlich kann die Richtlinie auch überschießend umgesetzt werden. In einem solchen Falle sind die nationalen Vorschriften sowohl am nati­ onalen Verfassungsrecht als auch am primären Unionsrecht zu messen. Die Richtlinienvorgaben können im Wege einer „richtlinienorientier­ ten“ und solcherart „einheitlichen“ Auslegung von Hybridnormen zu berücksichtigen sein.

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Kapitel 4 Primäres Unionsrecht

A. Einleitung Das in Kapitel 3 entwickelte Normengefüge rückt die Frage nach der Pri­ märrechtskonformität der ATAD in den Mittelpunkt der Überlegungen. Wenn nationale Vorschriften ausschließlich an der Richtlinie zu messen sind, erweist es sich als umso bedeutsamer, danach zu fragen, ob die Richtlinie selbst rechtmäßig ist. Obgleich sich das Schrifttum bereits frühzeitig der Frage nach der Unionsrechtskonformität der OECD-Emp­ fehlungen angenommen hat902, geht der Bericht zum Aktionspunkt 2 an keiner Stelle darauf ein. Die Erwägungsgründe der ATAD enthalten zwar einige kompetenzielle Erwägungen, begnügen sich im Übrigen jedoch mit dem allgemeinen Hinweis darauf, dass die Richtlinie den Mitglied­ staaten die Gewähr dafür bieten soll, dass ihre nationalen Durchfüh­ rungsmaßnahmen mit dem Unionsrecht in Einklang stehen.903 Die ATAD II ist deshalb genauer darauf zu überprüfen, ob sie primär­ rechtlichen Vorgaben entspricht. Als problematisch erweist sie sich hin­ sichtlich zweier Aspekte: Zum einen muss der Rat zu ihrem Erlass er­ mächtigt gewesen sein (Art. 113 ff. AEUV). Da sie Eingriffstatbestände zu Lasten grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit enthält, ist sie zum anderen auf ihre Grundfreiheitskonformität zu überprüfen (vgl. Art. 26 Abs. 2 AEUV). Während sich die Europäischen Grundfreiheiten über die Jahre zum „Funktionszentrum des Europäischen Steuerrechts“ entwickelt haben904, sind die Europäischen Grundrechte im Steuerrecht noch vergleichsweise unterentwickelt.905 Es fehlt an Rechtsprechung des EuGH, welche die Unionsgrundrechte steuerverfassungsrechtlich erschließt.906 Durch die bereits angesprochene Kompetenzdelegation an den EuGH besteht die Möglichkeit, dass sich die Rechtsprechung in dieser Hinsicht fortentwi­ ckeln wird.907 Derzeit erweist sich der unionsrechtliche allgemeine Gleichheitssatz im Bereich des Steuerrechts noch als konturlos.908 Es er­ 902 Dourado, Intertax 2015, 42, 44; Helminen, BTR 2015, 325; Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288; Panayi, BIT 2016, 95; Rust, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 89, 94 ff.; Rust, BTR 2015, 308, 313 ff. 903 Erwägungsgrund 2 der ATAD. 904 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.1. 905 Englisch, in: Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 84. 906 Hey, StuW 2017, 248, 254 f. 907 Hey, StuW 2017, 248, 255. 908 Vgl. Kokott/Dobratz, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 25, 25 f.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

scheint deshalb nicht zielführend, die Linking Rules auf ihre Vereinbar­ keit mit ihm hin zu untersuchen. Schließlich bleibt das Beihilferecht für die ATAD II ohne Relevanz. Die Neutralisierung hybrider Gestaltungen fällt nicht unter den Beihilfebe­ griff.909 Darüber hinaus sind etwaige staatliche Umsetzungsmaßnahmen auf die ATAD zurückzuführen. Insofern läge deshalb auch keine Maß­ nahme vor, die dem einzelnen Mitgliedstaat individuell zugerechnet werden kann.910

B. Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV Die ATAD II wird auf die Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV gestützt.911 Hiernach kann der Rat einstimmig Richtlinien für die Anglei­ chung derjenigen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten erlassen, wel­ che sich „unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken“. Neben den im Wortlaut angelegten Voraus­ setzungen sind ferner die Kompetenzausübungsgrenzen in Form des Sub­ sidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 3 EUV) und des Verhältnismäßigkeits­ grundsatzes (Art. 5 Abs. 4 AEUV) zu beachten.912 Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, ob die Vorschriften der ATAD II sich auf die Er­ mächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV stützen lassen.

I. Unmittelbare Auswirkung auf das Funktionieren des ­Binnenmarktes Orientiert man sich strikt am Wortlaut von Art. 115 AEUV, so ist der Rat zum Erlass von Richtlinien berechtigt, die bestimmte nationale Vor­ schriften aneinander angleichen. Bei diesen nationalen Vorschriften muss es sich um solche handeln, welche sich unmittelbar auf die Errich­ tung oder das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken. In der Rechts­ sache Rewe-Zentralfinanz deutet der EuGH insoweit ein weites Begriffs­ verständnis an: Hiernach sind dies solche nationalen Vorschriften, die, 909 Hey, StuW 2015, 331, 342 f.; Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288, 289. 910 Vogel, in: ATAD-Kommentar, Einführung C. Rn. 14. Eine unzulässige Beihilfe könnte dagegen vorliegen, wenn der Mitgliedstaat dem Steuerpflichtigen die „­hybride Behandlung“ eine Gestaltung durch Steuervorbescheide zusichert, siehe Pressemitteilung EU-Kommission, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-­ release_IP-18-4228_de.htm (zuletzt abgerufen am 12. November 2021). Dazu Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 34. 911 Siehe gleich die einführenden Worte in Richtlinie (EU) 2017/952 des Rates vom 29. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/1164 bezüglich hybrider Ge­ staltungen mit Drittländern, ABl. EU 2017 Nr. L 144/1 „gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 115“. 912 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 115 AEUV Rn. 20 f.

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B.  Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV

wenn sie sich von Staat zu Staat unterscheiden, geeignet sind, Verzerrun­ gen hervorzurufen oder das Funktionieren des Binnenmarktes zu beein­ trächtigen.913 Eine solche Eignung wird unterschiedlichen Missbrauchs­ vermeidungsvorschriften attestiert.914 Für manche liegt damit bereits „auf der Hand“, dass die Richtlinie von der Ermächtigungsgrundlage getragen wird.915 Jedoch erscheint es verkürzt, die unmittelbare Auswirkung auf das Funk­ tionieren des Binnenmarktes ohne Weiteres zu bejahen.916 Der von Art. 115 AEUV geforderte Binnenmarktbezug ist nämlich auch im Lichte von Art. 26 AEUV zu sehen.917 Hiernach erlässt die Union die erforderli­ chen Maßnahmen, um nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen der Verträge den Binnenmarkt zu verwirklichen beziehungsweise dessen Funktionieren zu gewährleisten (Art. 26 Abs. 1 AEUV). Es ist folglich danach zu fragen, ob die ATAD selbst der Errichtung und dem Funktio­ nieren des Binnenmarktes dient.918 Der Binnenmarkt wird in Art. 26 Abs. 2 AEUV definiert als ein „Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist“.919 Nun enthält die ATAD jedoch als erste Richtlinie ausschließlich Eingriffstatbestände.920 Prima facie hat sie damit eher marktbeschränkenden als -öffnenden Cha­ rakter.921 Folglich ist es angebracht, genauer danach zu fragen, welche Ziele eigentlich mit der Richtlinie verfolgt werden und ob sich auf ihrer Basis eine Kompetenz zum Erlass einer Richtlinie ergibt. 1. Erwägungsgründe Den Erwägungsgründen lässt sich entnehmen, dass die Mitgliedstaaten ihre BEPS-Verpflichtungen erfüllen müssen, „damit der Binnenmarkt gut funktionieren kann“.922 Ferner sei es ein wesentliches Ziel der Richt­ 913 EuGH, Urt. v. 16.12.1976, C-33/76, ECLI:EU:C:1976:188 – Rewe-Zentralfinanz, Rn. 5. 914 Oppel, IStR 2016, 797, 798. 915 Wacker, in: FS BFH, S. 781, 797. 916 Vgl. Drüen, in: FS BFH, S. 1317, 1347; Oppel, IStR 2016, 797, 798. 917 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 115 AEUV Rn. 6 f.; Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 262.  918 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 35. 919 Vgl. Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 26 AEUV Rn. 20; van Vormi­ zeele, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, EU-Recht, Art. 26 AEUV Rn. 7; Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 26 AEUV Rn. 12; Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 26 AEUV Rn. 19 f. 920 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 28; Musil, FR 2018, 933, 933 f.; Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Europäischen Binnenmarkt, S. 69. 921 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 115 AEUV Rn. 12; Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 261. 922 Erwägungsgrund 2 der ATAD.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

linie, „die Resilienz des Binnenmarktes insgesamt gegenüber grenzüberschreitenden Steuervermeidungspraktiken zu stärken“.923 Im Hinblick auf den Binnenmarktbezug stellen sich diese Bekundungen jedoch als Leerformeln heraus. Weshalb funktioniert der Binnenmarkt gut bzw. besser, wenn den Verpflichtungen nachgekommen wird? Weshalb muss seine Resilienz gegenüber den betroffenen Praktiken gestärkt werden? Antworten auf diese Fragen bleiben die Erwägungsgründe der Richtlinie schuldig.924 2. Nationale Fiskalinteressen Weiter ist augenscheinlich, dass die ATAD zumindest auch den Fiskalin­ teressen der Mitgliedstaaten dient. Deutlich wird dies spätestens, wenn man Artikel 3 der Richtlinie betrachtet. Demnach steht sie strengeren nationalen Vorschriften zum Schutz der inländischen Körperschaftsteu­ erbemessungsgrundlagen nicht entgegen. Der Fiskalzweck kommt hier deutlich zum Vorschein.925 Voraussetzung für die Ermächtigung nach Art. 115 i.V.m. Art. 26 AEUV ist jedoch gerade ein Beitrag zur Förderung des Binnenmarktideals, wie es in Art. 26 Abs. 2 AEUV zum Ausdruck kommt. Auf Basis nationaler Fiskalinteressen allein lässt sich eine Kom­ petenz dagegen nicht begründen.926 Im Gegenteil konfligieren sie tenden­ ziell eher mit den Freizügigkeitsgarantien.927 3. Bekämpfung schädlichen Steuerwettbewerbs Überwiegend wird der Binnenmarktbezug der ATAD bejaht, soweit die Richtlinie sog. schädlichen (oder auch unfairen) Steuerwettbewerb be­ kämpft.928 Im Ausgangspunkt ist der Begriff eher politischer denn recht­ licher Natur.929 An einer eindeutigen Definition des Begriffs im Rechts­ sinne fehlt es nach wie vor.930 Einigkeit besteht jedenfalls insoweit, als dass schädlicher Steuerwettbewerb – so er denn vorliegt – das Funktio­ nieren des Binnenmarktes behindert und damit ein Einschreiten des EU-Gesetzgebers legitimiert.931 Im Folgenden wird sich dem Begriff spe­ 923 Erwägungsgrund 16 der ATAD. 924 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 260. 925 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 260. 926 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 260 ff. 927 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 36 f. 928 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 39; Musil, FR 2018, 933, 938; Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 260; Staringer, in: Anti-BEPS-Richtlinie, S. 1, 15 f. 929 Essers, BIT 2014, 54, 55 f.; Kokott, ISR 2017, 395, 398. 930 Kokott, ISR 2017, 395, 396. 931 Fuest, in: Die Rechtsprechung des EuGH in ihrer Bedeutung für das nationale und internationale Recht der direkten Steuern, S. 167, 169 ff.; Halsch, in: Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 1, 7 f.; Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 39; Korte, Standortfaktor öffentliches Recht, S. 314; Musil, FR 2018, 933, 938;

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B.  Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV

zifisch im Lichte des AEUV genähert, um auf dieser Basis zu erörtern, ob die Vorschriften der ATAD II den erforderlichen Binnenmarktbezug auf­ weisen. a) Neutralität des Binnenmarktes Einerseits ist der Binnenmarkt auf Neutralität angelegt.932 Dies zeigt sich etwa an Art. 26 Abs. 2 AEUV, welcher den Binnenmarkt als einen „Raum ohne Binnengrenzen“ definiert. Ferner handeln nach Art. 120 S. 2 AEUV die Mitgliedstaaten und die Union im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird. Die Effizienz unverzerrter Ent­ scheidungsfindung ist mit den Worten Wolfgang Schöns „materiell in der DNA des Binnenmarktes festgeschrieben“933. Unter diesem Gesichts­ punkt würde ein optimales Steuersystem die vom Markt bewirkte ­Ressourcenallokation nicht beeinträchtigen. Ein solches Steuersystem existiert freilich nicht.934 Ebenso wie etwa die Infrastruktur oder die Ver­ fügbarkeit bestimmter öffentlicher Güter ist immer auch die Steuerbe­ lastung im jeweiligen Staat ein maßgeblicher Entscheidungsfaktor.935 Das Ziel der Staaten kann deshalb allenfalls darauf lauten, dem Idealbild der Neutralität möglichst nahe zu kommen.936 b) Autonomie der Steuerrechtsordnungen Auf der anderen Seite ist internationale Steuerneutralität keineswegs das einzige Ziel des Europäischen Steuerrechts, sondern vielmehr mit ande­ ren Zielen in Einklang zu bringen.937 Hierzu zählt insbesondere die Be­ wahrung der Steuersouveränität der Mitgliedstaaten.938 Diese ist – wieder mit den Worten Wolfgang Schöns – „[…] kein atavistisches Überbleibsel alter Nationalstaaten, das allmählich im Zuge einer ,immer enger‘ zu­ sammenwachsenden Union und eines sich immer mehr ausbreitenden Binnenmarktes verschwindet. Sie ist im Gerüst der Europäischen Verträ­ Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 260 f. Siehe auch Mitteilung der Kommis­ sion an das Europäische Parlament und den Rat v. 17.6.2015, COM (2015), 302 fi­ nal, S. 3 f. 932 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 38. 933 Schön, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 109, 112. 934 Vgl. Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, S. 107. 935 Vgl. Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 41 f. 936 Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, S. 107. 937 Schön, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 109, 120. 938 Zur Autonomie der Rechtsordnungen siehe Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 12.5.2016, C-593/14, ECLI:EU:C:2016:336 – Masco Denmark, Rn. 19 ff.; EuGH, Urt. v. 12.2.2009, C-67/08, ECLI:EU:C:2009:92 – Block, Rn. 31; EuGH, Urt. v. 1.12.2011, C-253/09, ECLI:EU:C:2011:795 – Kommission/Ungarn, Rn. 83.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

ge fest verankert, an vorderster Stelle […] im Einstimmigkeitserfordernis für Steuerharmonisierung nach Art. 113, 114 Abs. 2, 115 AEUV.“939 c) Einordnung hybrider Gestaltungen Ein gewisses Maß an Steuerwettbewerb ergibt sich damit ebenso aus den Verträgen der Union wie das Neutralitätsgebot. Wann führt aber der Steuerwettbewerb zu so großen „Verzerrungen“, dass man das Neutrali­ tätsgebot als verletzt ansehen muss?940 Wo verläuft die Grenze zwischen schädlichem und unschädlichem Steuerwettbewerb?941 Hierauf gibt es bislang keine eindeutige Antwort.942 Gerade die Betonung des Prinzips der „Fairness“ ist bezeichnend für die derzeitige Umbruchsphase, in wel­ cher das positive Recht noch keine genauen Antworten auf die statt­ findenden Prozesse gefunden hat.943 Anhaltspunkte lassen sich dem Ver­ haltenskodex zur Bekämpfung des unfairen Steuerwettbewerbs bei der Unternehmensbesteuerung944 sowie bisherigen Arbeiten der OECD945 entnehmen. Im Wesentlichen wird hier auf sog. Steueroasen und Präfe­ renzregime abgezielt.946 Diese ermöglichen es den Steuerpflichtigen an­ derer Staaten gezielt, der dortigen Besteuerung zu entgehen, obwohl sie die steuerfinanzierte Infrastruktur jener Staaten nutzen.947 In solchen Fällen kann man die Allokationsentscheidung der Steuerpflichtigen als in unzulässiger Weise beeinträchtigt ansehen. Hybride Gestaltungen lassen sich zunächst jedoch nicht unter den Be­ griff des schädlichen Steuerwettbewerbs fassen, da die doppelte Nichtbe­ steuerung in diesem Fall nicht gezielt durch die Staaten herbeigeführt wird. Sie ist weniger das Resultat des Wettbewerbs zwischen zwei Staa­ ten, die wechselseitig aufeinander reagieren. Sie entsteht vielmehr durch das Zusammentreffen der verschiedenen Steuerrechtsordnungen.948 Da­ 939 Schön, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 109, 120. 940 Vgl. Erwägungsgrund 27 der ATAD II. 941 Nach Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 37 handelt es sich hier um die „klassische Frage jeder Föderation – die Ausrichtung zwischen Zentralisierung und Wettbewerbsföderalismus“. 942 Kokott, ISR 2017, 395, 395 f., welche als Orientierungshilfen auf den Verhaltens­ kodex für Unternehmensbesteuerung von 1997 und den allgemeinen Rechts­ grundsatz der Unbeachtlichkeit missbräuchlicher Konstruktionen hinweist. 943 Kokott, ISR 2017, 395, 395. 944 Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 1. Dezember 1997 über einen Verhaltenskodex für die Unter­ nehmensbesteuerung, ABl. Nr. C 002 v. 6.1.1998, S. 2 - 5. 945 OECD, Harmful Tax Competition - An Emerging Global Issue; OECD, Countering Harmful Tax Practices More Effectively, Taking into Account Transparency and Substance, Action 5 - 2015 Final Report. 946 Vgl. Hey, DB 2018, 2951, 2952. 947 Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, S. 115. 948 Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, S. 116.

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B.  Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV

mit passt die vordergründig diskutierte Legitimationsbasis für den Erlass der ATAD II nicht auf die Vorschriften betreffend hybride Gestaltungen. Gleichwohl muss man sich an dieser Stelle vergegenwärtigen, dass der schädliche Steuerwettbewerb nur den hinreichenden Binnenmarktbezug herstellt, um den es für Zwecke des Art. 115 AEUV ja letztlich geht. Die Allokationseffizienz wird durch die doppelte Nichtbesteuerung bei hy­ briden Gestaltungen nicht weniger beeinträchtigt als etwa durch besagte „schädliche Präferenzregime“.949 Hybride Gestaltungen begünstigen aus­ schließlich die grenzüberschreitende Tätigkeit und veranlassen die Steu­ erpflichtigen dazu, ihr Verhalten primär danach auszurichten, Wett­ bewerbsvorteile gegenüber ihren national agierenden Konkurrenten zu gewinnen.950 Das Ausmaß der von hybriden Gestaltungen ausgehenden Wettbewerbsverzerrungen lässt sich auch daran verdeutlichen, dass es als unzulässige Beihilfe gewertet werden kann, wenn ein Staat einem Steuerpflichtigen weiterhin die „hybride Behandlung“ der Gestaltung zusichert.951 Überdies wiegt der Gesichtspunkt der Autonomie der Steuerrechtsord­ nungen (und das daraus resultierende Mindestmaß an Wettbewerb) hier nicht schwer genug, um die Beeinträchtigung aufzuwiegen. Denn es ist ja gerade nicht so, dass ein Mitgliedstaat den Verlust seines Steuersubstrats zugunsten eines anderen Mitgliedstaats erdulden müsste, weil er schlicht den Wettbewerb um die besseren Bedingungen verloren hat. Vielmehr „verlieren“ hier beide beteiligten Fisci, ohne das Gesamtergebnis über­ haupt zu beabsichtigen.952 Versteht man den schädlichen Steuerwettbe­ werb als eine Art „race to the bottom“ hinsichtlich des Steuersub­ strats953, in welchem sich die beteiligten Staaten stetig unterbieten, so müsste man bezüglich hybrider Gestaltungen feststellen, dass der „Bo­ den“ von Anfang an bereits erreicht ist. Vorteilhafter als etwa ein D/ NI-Ergebnis kann ein wirtschaftlicher Vorgang in steuerlicher Hin­ 949 Vgl. de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 37; Helminen, BTR 2015, 325, 326 ff.; Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 39; OECD, Hybrid Mismatch Arrangements: Tax Policy and Compliance Issues, S. 11; Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Eu­ ropäischen Binnenmarkt, S. 179 f.; Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, S. 224. 950 Vgl. Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, S. 110 f.; Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Europäischen Binnen­ markt, S. 179; Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerech­ tigkeit und Entwicklungshilfe, S. 224. 951 Pressemitteilung EU-Kommission, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-­ release_IP-18-4228_de.htm (zuletzt abgerufen am 12. November 2021). Dazu Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 34. 952 Vgl. Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Europäischen Binnenmarkt, S. 179. 953 Vgl. Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, S. 114.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

sicht kaum behandelt werden. Kommt es global betrachtet zu einem Rückgang der Steuereinnahmen, ist dies außerdem längerfristig wieder­ um von anderen Steuerpflichtigen zu kompensieren.954 4. Zwischenergebnis Nach alledem ist der hinreichende Binnenmarktbezug auch hinsichtlich der Vorschriften der ATAD II zu bejahen. Dazu könnte man entweder die Disparitäten der Steuersysteme, auf deren Basis hybride Gestaltungen möglich sind, in einer sich ständig wandelnden Debatte über den Begriff des „schädlichen Steuerwettbewerbs“ nunmehr als solchen erachten.955 Jedenfalls im Hinblick auf den Binnenmarktbezug scheint eine Differen­ zierung nach der Intention der Mitgliedstaaten insoweit nicht angezeigt. Andererseits könnte man auch schlicht davon ausgehen, dass wenn schon bisherige Praktiken des schädlichen Steuerwettbewerbs einen hin­ reichenden Binnenmarkbezug begründen, dies „erst recht“ auf hybride Gestaltungen zutrifft, ob sie nun unter den Begriff fallen oder nicht.956 Art. 115 AEUV stellt jedenfalls nicht darauf ab. Obwohl die ATAD II aus­ schließlich Eingriffstatbestände vorschreibt, welche negative steuerliche Folgen an grenzüberschreitende Tätigkeit knüpft, weist sie den nach Art. 115 AEUV i.V.m. Art. 26 AEUV erforderlichen Binnenmarktbezug auf.

II. Subsidiaritätsprinzip, Art. 5 Abs. 3 EUV Laut Art. 5 Abs. 3 EUV wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. Hieraus lassen sich zwei Voraussetzungen destillieren: Der Unions­ rechtsakt muss erforderlich und auch effizienter als eine mitgliedstaatli­ che Maßnahme („besser“) sein.957 954 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 35; Valta, Das Internationale Steuer­ recht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, S. 224. 955 Vgl. Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 37 ff.; Kokott, ISR 2017, 395, 395 f. 956 I.E. schädliche Auswirkungen auf den Binnenmarkt bejahend Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 39; Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Europäischen Bin­ nenmarkt, S. 179 f. 957 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 40 f.; Bast, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 5 EUV Rn. 54 ff.; Streinz, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 5 EUV Rn. 26; Kadelbach, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, EURecht, Art. 5 Rn. 33 ff.; Wilbrink, Europäische Regulierung der Abschlussprüfung, S. 101 ff.

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B.  Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV

Die Erwägungsgründe der ATAD führen dazu aus: „Ein wesentliches Ziel der Richtlinie ist es, die Resilienz des Binnenmarktes insgesamt gegenüber grenzüberschreitenden Steuervermeidungspraktiken zu stärken, was nicht ausreichend erreicht werden kann, wenn die Mitgliedstaaten einzeln tätig werden. Die nationalen Körperschaftsteuersysteme sind unterschiedlich, und ein eigenständiges Tätigwerden der Mitgliedstaaten würde nur die bestehende Fragmentierung des Binnenmarkts im Bereich der direkten Steuern reproduzieren. Ineffizienz und Verzerrungen in der Wechselwirkung unterschiedlicher nationaler Maßnahmen würden so fortgeschrieben. Die Folge wäre ein Mangel an Koordination. Stattdessen sollten in Anbetracht der Tatsache, dass Ineffizienz im Binnenmarkt vor allem zu grenzüberschreitenden Problemen führt, Abhilfemaßnahmen auf Unionsebene ergriffen werden. Also müssen Lösungen gefunden werden, die für den Binnenmarkt insgesamt tauglich sind, was sich besser auf Unionsebene verwirklichen lässt. Die Union kann daher im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden.“958 Vom Schrifttum werden diese Erwägungen des Unionsgesetzgebers je­ denfalls hinsichtlich des Erforderlichkeitskriteriums nicht in Frage ­gestellt. Aufgrund ihres grenzüberschreitenden Bezugs können die Steu­ ervermeidungspraktiken nicht zufriedenstellend durch einzelne Mit­ gliedstaaten bekämpft werden. Im Vergleich zum Unionsrechtsakt sind mitgliedstaatliche Maßnahmen nicht gleich geeignet und die ATAD in diesem Sinne „erforderlich“.959 Zweifel werden jedoch an der Erfüllung des Effizienzkriteriums angemel­ det. Hinter diesem verbirgt sich ein Test des „Mehrwerts“ des Handelns der Union.960 Dieser wird der ATAD teilweise abgesprochen, da bereits vor ihrem Erlass die detaillierten Vorschläge der OECD existierten. Da sich die Mitgliedstaaten bereits an diesen orientieren könnten, sei der durch die ATAD erreichte Integrationsgewinn im Vergleich zum Eingriff in die Zuständigkeitsbereiche der Mitgliedstaaten zu gering.961 In der Tat entspricht die ATAD II über weite Teile dem Bericht der OECD zu Aktionspunkt 2.962 Gleichwohl handelt es sich bei den OECD-Emp­ fehlungen lediglich um politische Absichtserklärungen, welche die Mit­ gliedstaaten rechtlich nicht zu binden vermögen.963 Der Mehrwert der ATAD liegt genau darin, dass sie eine Umsetzungspflicht begründet (vgl. 958 Erwägungsgrund 16 der ATAD. 959 Musil, FR 2018, 933, 939; Oertel, in: ATAD-Kommentar, Teil 1: Einführung A Rn. 31 f.; Oppel, in: ATAD-Kommentar, Art. 3 Rn. 29. 960 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 40. 961 Oppel, in: ATAD-Kommentar, Art. 3 Rn. 30. 962 Kapitel 2 - B.III. 963 Kapitel 1 - A.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

Art. 288 Abs. 3 AEUV). So liegt es nicht im Ermessen der Mitgliedstaa­ ten, ob oder wie sie die Empfehlungen umsetzen. Gerade die Empfehlun­ gen zu Aktionspunkt 2 sehen an vielen Stellen eine abgestufte An­ wendungshierarchie zwischen einer vorrangigen Maßnahme und einer Abwehrregel vor. Wird sich nicht an diese gehalten, greifen beide Staaten auf den Sachverhalt zu.964 Wirtschaftliche Doppelbesteuerung schadet dem Binnenmarkt mindestens im selben Maße wie die doppelte Nicht­ besteuerung des Sachverhalts.965 Innerhalb des Anwendungsbereichs der ATAD scheint diese Möglichkeit nunmehr ausgeräumt.966 Damit ist das Handeln auf Unionsebene in Gestalt der ATAD II sowohl erforderlich als auch effizient; es wird nicht gegen das Subsidiaritätsprin­ zip nach Art. 5 Abs. 3 EUV verstoßen.967

III. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Art. 5 Abs. 4 EUV Nach dem in Art. 5 Abs. 4 EUV niedergelegten Verhältnismäßigkeits­ grundsatz gehen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus. Das Schutzgut von Art. 5 Abs. 4 AEUV ist die mitgliedstaatliche Autono­ mie, welche durch das Handeln der Union nicht unverhältnismäßig be­ einträchtigt werden soll.968 1. Mindestschutzkonzept Hierzu führen die Erwägungsgründe aus: „Entsprechend dem in demselben Artikel [Art. 5 EUV] genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht die vorliegende Richtlinie nicht über das zur Erreichung des genannten Ziels erforderliche Maß hinaus. Indem sie einen Mindestschutz für den Binnenmarkt vorsieht, wird mit der Richtlinie nur das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Mindestmaß an Koordination angestrebt.“969 Das Mindestschutzkonzept der Richtlinie mag gewiss insoweit dem ­Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen, als dass es einen mög­ lichst schonenden Eingriff in die mitgliedstaatliche Souveränität gewähr­ leistet. Dieser Ansatz erweist allerdings an anderer Stelle als Angriffs­ 964 Kapitel 1 - B.III.6. 965 Vgl. Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 27; Jacobs, Internationale Unternehmensbe­ steuerung, S. 4 f. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 178. 966 Vgl. in Bezug auf Aktionspunkt 2 der OECD seinerzeit noch die Befürchtungen von Benz/Eilers, IStR-Beih 2016, 1, 3; Neumann-Tomm, IStR 2015, 436, 436; Schnitger/Weiss, IStR 2014, 508, 515. 967 Ebenso Oertel, in: ATAD-Kommentar, Teil 1: Einführung A Rn. 31 f. 968 Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 5 EUV Rn. 66. 969 Erwägungsgrund 27 der ATAD II.

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B.  Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV

punkt: So stellt mancher überhaupt die Eignung der Richtlinie zur Erreichung ihres Ziels in Frage. Sie schaffe keinen einheitlichen Rah­ men, um Funktionsbeeinträchtigungen des Binnenmarkts durch BEPS-Strategien zu verhindern.970 Erweist sich also das Mindestschutz­ konzept als legitimationsrechtliche „Achillesferse“, weil es Unterschie­ de zwischen den Rechtsordnungen nicht hinreichend eingeebnet?971 Dem wird entgegengehalten, dass die Regelungen noch in verschiedene, mitunter hoch komplexe Körperschaftsteuersysteme eingepasst werden müssten. Dieser Umstand erlaube eben nur einen Mindeststandard, so dass den implementierenden Mitgliedstaaten noch ein gewisser Spiel­ raum verbleibt.972 Damit ist gleichwohl noch nichts über den Grad der durch die ATAD erreichten Harmonisierung gesagt. Nur weil ein Vollharmonisierungs­ konzept hier nicht in Frage kommt, heißt das noch nicht, dass das Min­ destharmonisierungskonzept der ATAD für eine ausreichende Anglei­ chung der Rechtsvorschriften sorgt. Auf der anderen Seite muss ebenso klar sein, dass das Mindestschutzkonzept einer Verwirklichung des Bin­ nenmarktes nicht per se im Wege steht.973 An dieser Stelle ist darauf hin­ zuweisen, dass bezüglich der ATAD II bereits herausgearbeitet wurde, dass diese eine „abschließende Harmonisierung“ auf ihrem Gebiet be­ wirkt.974 Innerhalb ihres Anwendungsbereichs bestehen nur geringfügige Abweichungsmöglichkeiten für den nationalen Gesetzgeber. Ihr Harmo­ nisierungspotential und damit auch ihre Eignung, einen einheitlichen Rahmen zur Beseitigung von Funktionsbeeinträchtigungen für den Bin­ nenmarkt zu schaffen, wird dadurch nicht in Frage gestellt. 2. Mittelbare Regulierung von Steuerwettbewerb Ferner wird gegen die ATAD insgesamt vorgebracht, dass der Steuer­ pflichtige der falsche Adressat der Richtlinie sei. Der Zweck der Regu­ lierung des schädlichen Steuerwettbewerbs hätte lediglich eine Richtli­ nie gerechtfertigt, die den Mitgliedstaaten bestimmte Instrumente des schädlichen Steuerwettbewerbs verbiete, nicht jedoch den Steuerpflichtigen in seinen Freiheiten beschränke.975 Mit anderen Worten wird hier­ nach nicht hinreichend bei der Ursache für die Binnenmarktschädigung angesetzt (i.e. die Steuersysteme der Mitgliedstaaten), sondern lediglich 970 Oppel, in: ATAD-Kommentar, Art. 3 Rn. 33; Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 263. 971 Oertel, in: ATAD-Kommentar, Teil 1: Einführung A Rn. 47.  972 Oertel, in: ATAD-Kommentar, Teil 1: Einführung A Rn. 47. 973 Fehling, DB 2016, 2862, 2864; Musil, FR 2018, 933, 938. 974 Kapitel 3 – A.I.2.b)bb. 975 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 261.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

bei den Symptomen (i.e. Steuerpflichtige, welche von den unterschiedli­ chen Steuersystemen profitieren). Wird es der Richtlinie mithin zum Verhängnis, dass sie schädlichen Steuerwettbewerb nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar reguliert?976 Die Frage weist zwei unterschiedliche unionsrechtliche Dimensionen auf, nämlich eine kompetenzielle und eine grundfreiheitliche. Kompetenziell geht es um die Frage, ob der Unionsgesetzgeber das legiti­ me Ziel der Bekämpfung schädlichen Steuerwettbewerbs überhaupt im Wege einer Richtlinie wie der ATAD, welche bekanntlich Eingriffstat­ bestände zu Lasten Steuerpflichtiger enthält, bekämpfen darf. In Rede steht hier eine Zweck-/Mittel-Relation, mithin der Verhältnismäßigkeits­ grundsatz (Art. 5 Abs. 4 EUV). Dieser wiederum ist Teil der Frage, ob die ATAD von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV gedeckt ist. Im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit könnte der ATAD II zunächst entgegengehalten werden, sie sei zur Erreichung des Ziels nicht erforderlich, da der schädliche Steuerwettbewerb auch unmittelbar bei den Mit­ gliedstaaten (und damit ohne Einbeziehung der Steuerpflichtigen) be­ kämpft werden könnte. Diese Bedenken greifen jedoch nicht durch, da die ATAD II das vergleichsweise mildere Mittel bleibt. Anderenfalls wä­ ren die Steuersysteme soweit aneinander anzugleichen, dass hybride Be­ steuerungsinkongruenzen erst gar nicht entstehen. Dazu wäre eine grundlegende Reformierung notwendig, welche die Autonomie der Mit­ gliedstaaten ungleich stärker beeinträchtigt als die Einführung von Kor­ respondenzregeln „on top“ zu den regulären steuerlichen Vorschriften.977 Ebenso wenig kann der ATAD II entgegengehalten werden, sie sei nicht angemessen, da sie die Belange der Steuerpflichtigen über Gebühr beein­ trächtige. Das Schutzgut von Art. 5 Abs. 4 AEUV ist einzig die mitglied­ staatliche Autonomie.978 Individualschützenden Charakter entfaltet die Vorschrift dagegen nicht.979 Damit finden die Interessen der Steuerpflich­ tigen im Rahmen der Abwägung keine Berücksichtigung. Die Vorgehensweise der nur mittelbaren Regulierung stößt im Hinblick auf Kompetenz zum Erlass der ATAD II mithin auf keine Bedenken. Die damit einhergehende Beeinträchtigung der Interessen der Steuerpflichti­ gen kann und muss im Rahmen der grundfreiheitlichen Überprüfung der Richtlinie berücksichtigt werden. Wenn man so will, stellt dies die zwei­ te Dimension der Frage dar, ob die nur mittelbare Regulierung schädli­ chen Steuerwettbewerbs an unionsrechtliche Grenzen stößt. 976 Vgl. Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 39 ff. 977 Zum methodischen Ansatz Kapitel 1 - B.III.4. 978 Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 5 EUV Rn. 66. 979 Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 5 EUV Rn. 67.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

3. Zwischenergebnis Weder das Mindestschutzkonzept noch die Vorgehensweise der nur mit­ telbaren Regelung führen zu einem Konflikt der ATAD II mit dem Ver­ hältnismäßigkeitsgrundsatz in Art. 5 Abs. 4 EUV.

IV. Zwischenergebnis Die Neutralisierung der Effekte hybride Gestaltungen erschöpft sich nicht in bloßen Fiskalinteressen der Mitgliedstaaten, sondern weist ei­ nen hinreichenden Binnenmarktbezug auf. Darüber hinaus wahren die Vorschriften der ATAD das Subsidiaritätsprinzip, da hybride Gestal­ tungen besser koordiniert auf Unionsebene als durch die einzelnen Mit­ gliedstaaten bekämpft werden können. Insbesondere bietet die Richt­ linie insoweit einen Mehrwert zu der bloßen Koordinierung durch die OECD-Empfehlungen, als dass von ihr eine Umsetzungsverpflich­ tung ausgeht und sie damit eine höhere Gewähr für die Einhaltung der Anwendungshierarchie bietet. Schließlich führen weder ihr Mindest­ schutzkonzept noch der Umstand, dass der schädliche Steuerwettbewerb allenfalls mittelbar bekämpft wird, zu einer Missachtung des Verhältnis­ mäßigkeitsgrundsatzes. Soweit die ATAD Vorschriften zur Neutralisie­ rung der Effekte hybrider Gestaltungen enthält, kann die Richtlinie des­ halb auf Art. 115 i.V.m. Art. 26 AEUV gestützt werden.980

C. Europäische Grundfreiheiten In diesem Abschnitt werden die Korrespondenzregeln der ATAD II auf ihre Grundfreiheitskonformität hin überprüft.

I. Vorüberlegungen 1. Verhältnis zwischen den Europäischen Grundfreiheiten und den Europäischen Grundrechten In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bildet der Gleichheits­ satz das Fundament der jeweiligen Steuerordnungen.981 Durch das Euro­ päische Recht werden die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten har­ monisiert. Bereits früh hat der EuGH deshalb aus den nationalen 980 Ebenso generell in Bezug auf die ATAD Oertel, in: ATAD-Kommentar, Teil 1: Ein­ führung A Rn. 21 ff.; Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Europäi­ schen Binnenmarkt, S. 66 f.; Musil, FR 2018, 933, 938 f.; Wacker, in: FS BFH, S. 781, 797. Zurückhaltender Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 263 („allen­ falls in Teilen“). A.A. Oppel, in: ATAD-Kommentar, Art. 3 Rn. 26 ff. 981 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 1.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

Rechtsordnungen982 sowie aus den Diskriminierungsverboten des EG-­ Vertrages983 auf einen allgemeinen Gleichheitssatz im Unionsrecht ge­ schlossen und sich zu seinem Grundrechtscharakter bekannt984. Mit der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union wurde ausdrücklich ein allgemeiner Gleich­ heitssatz normiert (Art. 20 GRCh). Seit dem Inkrafttreten der Neufas­ sung des Art. 6 Abs. 1 EUV durch den Vertrag von Lissabon werden die Unionsorgane unmittelbar durch die Rechte und Freiheiten der Grund­ rechtecharta gebunden.985 Jedoch erweist sich der europäische Grund­ rechtsschutz im Bereich des Steuerrechts noch als zu konturlos, was wohl dem Mangel an einschlägiger Judikatur geschuldet ist.986 Das be­ trifft vor allem den allgemeinen Gleichheitssatz, welcher im Steuerrecht bislang noch nicht in Erscheinung getreten ist.987 Ebenso wie die Europäischen Grundrechte lassen sich auch die Europäi­ schen Grundfreiheiten dem Primärrecht zuordnen.988 Diese beinhalten besondere Gleichheitssätze, welche speziell die Diskriminierung gren­ züberschreitenden Wirtschaftens verbieten.989 Anders als die Grundrech­ te sind sie kein Selbstzweck, sondern Werkzeuge zur Erreichung eines integrationspolitischen Ziels, dem europäischen Binnenmarkt.990 Sie

982 EuGH, Urt. v. 21.6.1958, C-8/57, ECLI:EU:C:1958:9 – Groupement des hauts fourneaux. Vgl. insoweit die Forderung von Tipke, in: FS Vogel, 561, 562: „[…] wenn Europas Steuerrechtsordnungen harmonisiert werden sollen, muss man möglichst mit den Verfassungen und ihrem Verständnis anfangen, weil von ihnen ein euro­ päisches Steuerrechtsbewusstsein ausgehen muss […]“. 983 Grundlegend EuGH, Urt. v. 19.10.1977, C-117/76 und 16/77, ECLI:EU:C:1977:160 – Ruckdeschel, Rn. 7. 984 EuGH, Urt. v. 13.4.2000, C-292/97, ECLI:EU:C:2000:202 – Karlsson, Rn. 37 f.; EuGH, Urt. v. 12.12.2002, C-442/00, ECLI:EU:C:2002:752 – Caballero, Rn. 31 f.; EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-177/05, ECLI:EU:C:2005:764 – Guerrero Pecino, Rn. 26. 985 Vertrag zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember 2007, ABl. C 306/1; von Bogdandy, JZ 2001, 157; Englisch, in: Zu­ kunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 43. 986 Hey, StuW 2017, 248, 254 f.; zur neueren Entwicklung des Rechtsschutzes beim Informationsaustausch auf Ersuchen innerhalb der EU siehe Sendke, ISR 2020, 431. 987 Englisch, in: Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 53 ff.; Kokott/ Dobratz, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 25, 33. 988 Bei den Grundfreiheiten handelt es sich im Einzelnen um die Warenverkehrsfrei­ heit (Art. 28 ff. AEUV), die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 ff. AEUV), die Nie­ derlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) sowie die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV). 989 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 81. Zur freiheitsrechtli­ chen Dimension Kokott, in: FS BFH, S. 735, 737 ff. 990 Zazoff, Der Unionsgesetzgeber als Adressat der Grundfreiheiten, S. 227 f.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

wurden vom EuGH vereinzelt auch als „Grundrechte“ bezeichnet.991 Die inhaltliche Nähe wird auch dadurch deutlich, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Niederlassungsfreiheit sowie die Dienstleistungsfrei­ heit in Art. 15 Abs. 2 GRCh aufgenommen wurden.992 Während die Euro­ päischen Grundrechte in erster Linie den Unionsgesetzgeber binden, richten sich die Grundfreiheiten in erster Linie an die Mitgliedstaaten.993 Wohl auch deshalb hat sich die Rechtsprechung des EuGH zu den Grund­ freiheiten – auch im Bereich des Steuerrechts – bereits jahrzehntelang entwickelt.994 Sie bilden mittlerweile das „Funktionszentrum des Euro­ päischen Steuerrechts“.995 Neben den Mitgliedstaaten binden die Grund­ freiheiten auch den Unionsgesetzgeber.996 Unklar und umstritten ist je­ doch die Frage, ob für Maßnahmen des Unionsgesetzgebers ein milderer Prüfungsmaßstab gilt.997 Die europäischen Grundrechte wirken potentiell auf die Prüfung der Grundfreiheiten ein: So wiegt ein Verstoß gegen die Diskriminierungsund Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten besonders schwer, wenn gleichzeitig in gemeinschaftsrechtliche Grundrechte eingegriffen wird.998 Weiter kann der Schutz gemeinschaftsrechtlicher Grundrechte als zwin­ gender Grund des Gemeininteresses einen solchen Eingriff rechtferti­ gen.999 Schließlich kann eine Maßnahme grundfreiheitlich nur dann ge­ rechtfertigt werden, wenn sie auch mit den europäischen Grundrechten

991 EuGH, C-222/86 – Unectef/Heylens, Rn. 14. 992 Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 6 EUV Rn. 34. 993 Höpner/Haas, MPIfG Discussion Paper 21/2, S. 2. 994 Vgl. Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 306 f., Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung Rn. 112. 995 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.1. 996 Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, S. 213 f.; Desens, IStR 2014, 825; Dittert, Europarecht, S. 203; Ehlers, in: Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 239, 244; Frenz, Handbuch Europarecht, S. 129; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 45 AEUV Rn. 351; Helminen, BTR 2015, 325, 327; Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 29 f.; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 92; Scheffer, Die Marktfreiheiten des EG-Vertrages als Ermessensgrenze des Gemeinschaftsgesetzgebers, S. 39 - 43; Walter, in: Euro­ päische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 1, 18; Zazoff, Der Unionsgesetzge­ ber als Adressat der Grundfreiheiten, S. 70 ff. 997 Kapitel 4 - C.IV.2.d)aa). 998 EuGH, Urt. v. 18.6.1991, C-260/89, ECLI:EU:C:1991:254 - ERT, Rn. 43 ff.; EuGH, Urt. v. 11.7.2002, C-60/00, ECLI:EU:C:2002:434 - Carpenter, Rn. 40; EuGH, Urt. v. 25.1.2007, C-370/05, ECLI:EU:C:2007:59 - Festersen, Rn. 35 ff. 999 EuGH, Urt. v. 12.6.2003, C-112/00, ECLI:EU:C:2003:333 - Schmidberger, Rn. 74; EuGH, Urt. v. 14.10.2004, C-36/02, ECLI:EU:C:2004:614 - Omega, Rn. 35; EuGH, Urt. v. 11.12.2007, C-438/05, ECLI:EU:C:2007:772 - International Transport Wor­ kers‘ Federation, Rn. 45 f.; EuGH, Urt. v. 13.12.2007, C-250/06, ECLI:EU:C:​2007:​ 783 - United Pan-Europe Communications, Rn. 41 ff.; EuGH, Urt. v. 18.12.2007, C-341/05, ECLI:EU:C:2007:809 - Laval, Rn. 93 f.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

in Einklang steht (Grundrechte als „Schranken-Schranke“).1000 Mitunter wird das Bild bemüht, die europäischen Grundrechte säßen „Hucke­ pack“ auf der Grundfreiheitsprüfung.1001 2. Ausrichtung der Prüfung an den Grundfreiheiten Durch die Regelungen der ATAD II werden die Effekte hybrider Gestal­ tungen neutralisiert. Dies wird durch Eingriffstatbestände erreicht, die vor allem im grenzüberschreitenden Kontext Anwendung finden.1002 Schon weil die Grundfreiheiten besondere Gleichheitssätze zum Schutz grenzüberschreitenden Wirtschaftens beinhalten liegt es nahe, die Über­ prüfung der Korrespondenzregeln der ATAD II im Ausgangspunkt nicht am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 20 GRCh, sondern an den Grundfreiheiten auszurichten. Im Rahmen einer solchen Vorgehenswei­ se kann sich - im Gegensatz zu einer Überprüfung anhand Art. 20 GRCh - an etablierten Prüfungsmustern orientiert werden. Im Bereich des Steu­ errechts erweist sich die Grundfreiheitsdogmatik als deutlich gefestigter als jene des allgemeinen Gleichheitssatzes.1003 Gleichwohl muss sich an dieser Stelle vor Augen geführt werden, dass sich die Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten hauptsächlich anhand von Sachverhalten entwickelt hat, in denen nationale Vorschriften in Rede standen. Hier geht es jedoch um die Überprüfung von Richtlinien­ bestimmungen. Dennoch werden der folgenden Prüfung zunächst die etablierten Rechtsprechungsgrundsätze zugrunde gelegt. Erst wenn diese an ihre Grenzen stoßen und deshalb ein Grundfreiheitsverstoß naheliegt, muss im Anschluss danach gefragt werden, ob bei der Überprüfung von Sekundärrecht eventuell Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Eine solche Vorgehensweise beantwortet zugleich die Frage, ob der Uni­ onsgesetzgeber den Mitgliedstaaten durch die ATAD II etwas vorschreibt, was sie „im Alleingang“ nicht dürften. Außerdem wird so die kontrovers diskutierte Frage nach dem grundfreiheitlichen Prüfungsmaßstab für Se­ kundärrecht möglichst strukturiert angegangen: Ist die ATAD II über­ haupt auf einen milderen Prüfungsmaßstab angewiesen? Sollte ein mil­ derer Prüfungsmaßstab gelten? Wenn ja, wie sieht er eigentlich aus?

1000 EuGH, Urt. v. 30.4.2014, C-390/12, ECLI:EU:C:2014:281 - Pfleger u.a., Rn. 35 f.; EuGH v. 12.6.2003, C-112/00, ECLI:EU:C:2003:333 - Schmidberger, Rn. 70 ff. 1001 Valta/Gerbracht, StuW 2019, 118, 121. Kritisch Englisch, in: Schön/Beck, Zu­ kunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 45 f. 1002 Kapitel 2 - B.III sowie Kapitel 4 - C.III. 1003 Vgl. Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 306 f.; Englisch, in: Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 53 ff.; Hey, StuW 2017, 248, 254 f.; Kokott/ Dobratz, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 25, 33; Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung Rn. 112.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

3. Aufbau der Prüfung Die weitere Darstellung orientiert sich an der etablierten Grundfreiheits­ dogmatik des EuGH. Um dabei nicht jede Vorschrift einzeln prüfen zu müssen, wird der folgenden Untersuchung der internationale, interperso­ nale Korrespondenzgedanke zugrunde gelegt, wie er bereits in Kapitel 1 herausgearbeitet wurde.1004 Zunächst wird die einschlägige Grundfreiheit erörtert.1005 Sodann wird ihre Beeinträchtigung in Gestalt einer Diskriminierung oder einer Be­ schränkung geprüft.1006 Obwohl eine Norm eine Diskriminierung oder diskriminierende Beschränkung beinhaltet, kann sie grundfreiheitskon­ form sein. Dies ist der Fall, wenn entweder sich das Vergleichspaar nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation befindet oder die Norm durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.1007 Die Prüfung der objektiven Vergleichbarkeit der Situationen hat sich nur im Bereich des Steuerrechts etabliert.1008 Ihre Einordnung in das grund­ freiheitliche Prüfungsschema ist zweifelhaft: So finden sich einerseits Urteile, die auf eine Verortung des Kriteriums auf der Beeinträchtigungs­ ebene schließen lassen.1009 Dies entspräche jedenfalls dem deutschen Verständnis einer gleichheitsrechtlichen Prüfung.1010 Gerade in jüngerer Zeit zeigt sich jedoch die Tendenz, die Prüfung auf die Rechtfertigungs­ ebene zu verlagern.1011 Praktische Auswirkungen entfaltet die Verortung der Vergleichbarkeitsprüfung für die Verteilung der Darlegungs- und Be­ weislast, welche auf Beeinträchtigungsebene den Steuerpflichtigen und auf Rechtfertigungsebene den jeweiligen Mitgliedstaat trifft.1012 Über die Frage des Prüfungsorts hinaus ist es bemerkenswert, dass die Vergleich­ barkeitsprüfung nicht immer durchgeführt wird. Zwischen 2010 und 2014 zählt Englisch mehr als ein Drittel aus insgesamt ca. 60 relevanten Entscheidungen des EuGH, in welchen die objektive Vergleichbarkeit – 1004 Kapitel 1 - B.III.1. 1005 Dazu Kapitel 4 - C.II. 1006 Dazu Kapitel 4 - C.III. 1007 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 12.6.2018, C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 20. Dazu Kapitel 4 - C.IV. 1008 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 276 ff. 1009 Siehe etwa den Prüfungsstandort in EuGH, Urt. v. 4.9.2008, C-418/07, ECLI:EU:C:2008:472 – Papillon, vor Rn. 22 („Beschränkung der Niederlassungs­ freiheit“) sodann Rn. 34 ff. 1010 Englisch, IStR 2014, 561, 561. 1011 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 294. Siehe etwa den Prüfungsstandort in EuGH, Urt. v. 12.6.2014, C-39/13, C-40/13, C-41/13, ECLI:EU:C:2014:1758 – SCA, vor Rn. 28 („Zur Rechtfertigung der Beschränkung“) sodann Rn. 28 ff. Zu­ sätzlich zwischen der Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit differenzie­ rend Kokott/Ost, EuZW 2011, 496, 498 f. 1012 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 127 f.

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anscheinend willkürlich – gar nicht erst thematisiert wurde.1013 Damit kann die Grundfreiheitskonformität einer Steuernorm von zwingenden Gründen des Allgemeininteresses abhängen (objektive Vergleichbarkeit wurde bejaht oder gar nicht erst geprüft). Die Grundfreiheitskonformität einer Steuernorm kann ebenso bereits das Ergebnis der objektiven Ver­ gleichbarkeitsprüfung sein (Situationen wurden als nicht miteinander vergleichbar befunden).1014 Das Erfordernis der objektiven Vergleichbarkeit kann als ein dogmatisches Überbleibsel aus der Zeit gesehen werden, als der Gerichtshof im Bereich der Niederlassungsfreiheit nur ausdrücklich im Vertrag vorgesehene Rechtfertigungsgründe akzeptierte. Zu dieser Zeit konnten viele Gründe, die aus Sicht eines Mitgliedstaats für eine unterschiedliche Behandlung inländischer und grenzüberschreitender Sachverhalte geltend gemacht wurden, nur im Rahmen der objektiven Vergleichbarkeit der Situationen erörtert werden.1015 Letztlich ist das Kriterium deshalb funktionsgleich mit der Rechtfertigungsprüfung.1016 Beide Prüfungen ermöglichen das Vor­ bringen von Gründen dafür, dass die Schlechterstellung des grenzüber­ schreitenden Sachverhalts nicht den Grundfreiheiten zuwiderläuft.1017 Vor diesem Hintergrund geht die vorliegende Untersuchung wie folgt vor: Ungeachtet des Ausgangs der Prüfung der objektiven Vergleichbar­ keit der Situationen wird jedenfalls auch geprüft, ob sich zwingende Gründe des Allgemeininteresses als einschlägig erweisen.1018 Aufgrund der historischen Entwicklung, welche auf eine identische Funktion der Prüfung der objektiven Vergleichbarkeit und jener von ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen hindeutet, sowie der aktuellen Handhabung des EuGH werden beide Prüfungen gemeinsam auf der Rechtfertigungsebene verortet.1019 1013 Englisch, IStR 2014, 561, 562. Siehe ferner EuGH, Urt. v. 6.6.2000, C-35/98, ECLI:EU:C:2000:294 – Verkooijen, Rn. 35 f. 1014 So beispielsweise in EuGH, Urt. 18.12.2004, C-87/13, ECLI:EU:C:2014:2459 – X, Rn. 32 ff.; EuGH, Urt. v. 18.12.2014, C-133/13, ECLI:EU:C:2014:2460 – Q, Rn. 27 ff.; EuGH, Urt. v. 17.9.2015, C-10/14 u.a., ECLI:EU:C:2015:608 – Miljoen, Rn. 57 ff.; EuGH, Urt. v. 2.6.2016, C-252/14, ECLI:EU:C:2016:402 – Pensioen­ fonds Metaal en Techniek, Rn. 63 ff. 1015 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 13.3.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:​ 2014:​153 – Nordea Bank, Rn. 23 f. 1016 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 127 f. Vgl. auch Schluss­ anträge des Generalanwalts Bobek v. 14.12.2017, C-382/16, ECLI:EU:C:2017:974 – Hornbach Baumarkt, Rn. 40 ff. 1017 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.131 und 7.133 rekurriert auf dieselbe „normative Funktion“. 1018 So auch die Prüfung von Desens, IStR 2014, 825, 830 ff. 1019 Dazu Kapitel 4 - C.IV. Vgl. Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 294. Bspw. EuGH, Urt. v. 12.6.2014, C-39/13, C-40/13, C-41/13, ECLI:EU:C:2014:1758 – SCA, vor Rn. 28 („Zur Rechtfertigung der Beschränkung“) sodann Rn. 28 ff.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Abschließend wird im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ge­ klärt, ob die Regelungen in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Ziel stehen.1020

II. Einschlägige Grundfreiheit und Schutzbereich Zunächst muss der Anwendungsbereich einer Grundfreiheit eröffnet sein. Für die hier in Rede stehenden Korrespondenzregeln kommen die Niederlassungs- sowie die Kapitalverkehrsfreiheit in Frage. Als bedeut­ sam für die Frage nach der einschlägigen Grundfreiheit werden sich die persönlichen „Verbundenheitskriterien“ (Beteiligungsquote, Betriebs­ stättenkonstellationen, strukturierte Gestaltungen) erweisen.1021 1. Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV Die Niederlassungsfreiheit soll es Unternehmen ermöglichen, ihre Pro­ duktionsfaktoren innerhalb des Binnenmarktes dort zu investieren, wo sie den größtmöglichen Nutzen bringen.1022 Deshalb verbietet Art. 49 Abs. 1 S. 1 AEUV Beschränkungen der freien Niederlassung von Staats­ angehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mit­ gliedstaats. In sachlicher Hinsicht wird hier die sog. primäre Niederlassung geschützt. Nach Art. 54 Abs. 1 AEUV gelten die Art. 49 ff. AEUV auch für Gesellschaften, welche nach den Rechtsvorschriften eines Mit­ gliedstaats gegründet wurden oder ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union ha­ ben.1023 Geschützt ist zunächst nur die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes von einem in einen anderen EU-Mitgliedstaat.1024 Bereits hier deu­ tet sich die generelle Beschränkung des räumlichen Anwendungsbe­ reichs der Niederlassungsfreiheit an: Der Schutzbereich ist nur für Sach­ verhalte eröffnet, welche einen ausschließlich EU-internen Bezug aufweisen.1025 Die Beteiligten an einer hybriden Gestaltung müssten des­ halb allesamt ihren Sitz innerhalb des EU-Gebiets haben. Ist ein Beteilig­ ter hingegen in einem Drittstaat ansässig, so ist der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit nicht eröffnet.

1020 Dazu Kapitel 4 - C.V. 1021 Kapitel 1 - B.III.8 sowie Kapitel 2 - B.III.8. 1022 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 51. 1023 Müller-Graf, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 29; Reimer, in: Schaumburg/ Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.75. 1024 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.77. 1025 Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 49 AEUV. Siehe auch Jarass, EuR 2000, 705, 708; Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 48.

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a) Betriebsstättenkonstellationen Der sachliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit erschöpft sich gleichwohl nicht in den klassischen Fällen der transnationalen Standortverlagerung.1026 So erstreckt Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV den Schutz auf die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochterge­ sellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind, sog. sekundäre Niederlassungsfreiheit.1027 Diese sekundäre Niederlassung muss sich dann ebenfalls in ei­ nem EU-Mitgliedstaat befinden.1028 Durch den Begriff der Zweigniederlassung ist auch die Ausübung der Tä­ tigkeit mittels einer Betriebsstätte geschützt.1029 Wenn deshalb Betriebs­ stättenkonstellationen von der ATAD erfasst werden, so stehen diese – vorbehaltlich des rein EU-internen Bezugs – unter dem Schutz der Niederlassungsfreiheit.1030 b) Verbundene Unternehmen Konstellationen zwischen verbundenen Unternehmen bedürfen dagegen der weiteren Erläuterung. Die Niederlassungsfreiheit umfasst nach Art. 49 Abs. 2 AEUV nämlich die Aufnahme und Ausübung selbstständi­ ger Erwerbstätigkeiten. Diesem Selbstständigkeitskriterium ist es ge­ schuldet, dass nur solche Kapitalbeteiligungen in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit fallen, die es dem Gesellschafter ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Beteiligungsgesell­ schaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen.1031 Von solchen sog. Kontrollbeteiligungen sind die sog. Portfoliobeteiligungen zu unter­ scheiden, die allein der Geldanlage dienen und exklusiv in den Schutzbe­

1026 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 22. 1027 Dazu Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.78. 1028 Müller-Graf, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 32; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV Rn. 29. 1029 EuGH, Urt. v. 15.5.2008, Rs. C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278 – Lidl Belgium, Rn. 20; EuGH, Urt. v. 12.6.2018, Rs. C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 15, 17. 1030 Vgl. Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rn. 4.80. 1031 EuGH, Beschl. v. 10.5.2007, C-492/04, ECLI:EU:C:2007:273 – Lasertec, Rn. 20; EuGH, Urt. v. 24.05.2007, C-157/05, ECLI:EU:C:2007:297 – Holböck, Rn. 23; EuGH, Urt. v. 26.06.2008, C-284/06, Burda, Rn. 69; EuGH, Urt. v. 22.12.2008, C-282/07, ECLI:EU:C:2008:762 – Truck Center, Rn. 25; EuGH, Urt. v. 26.03.2009, C-326/07, ECLI:EU:C:2009:193 – Kommission/Italien, Rn. 34; EuGH, Urt. v. 19.11.2009, C-314/08, ECLI:EU:C:2009:719 – Filipiak, Rn. 52. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 15; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommen­ tar, Art. 49 AEUV Rn. 11. Das Selbstständigkeitskriterium dient vor allem der Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettes­ heim, EU-Recht, Art. 49 AEUV Rn. 51.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

reich der Kapitalverkehrsfreiheit fallen.1032 Diese Abgrenzungsdogmatik wurde im Hinblick auf Dividendenzahlungen entwickelt. Diese werden zwar auch von den Korrespondenzregeln erfasst1033, überwiegend erfassen sie jedoch Fremdkapitalvergütungen, die zwischen verbundenen Unter­ nehmen getätigt werden1034. Auch auf solche Fälle der sog. Gesellschaf­ terfremdfinanzierung wurde die Abgrenzung nach dem Kriterium der Kontrollbeteiligung bereits vorgenommen.1035 Ab welcher Höhe der Beteiligung davon gesprochen werden kann, dass sie einen „sicheren Einfluss“ vermittelt, wurde vom EuGH nicht allge­ meingültig definiert. Stattdessen werden meist die tatsächlichen Um­ stände des Einzelfalls und das relevante Gesellschaftsrecht in Betracht gezogen.1036 Bei „verbundenen Unternehmen“ im Sinne der ATAD kann gleichwohl regelmäßig davon ausgegangen werden, dass es sich um eine Kontrollbe­ teiligung handelt. Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 1 ATAD setzt hierfür grund­ sätzlich eine Quote von 25 %, in den zahlenmäßig weit überwiegenden Gestaltungen mit hybriden Unternehmen gem. Unterabs. 2 sogar 50 % voraus.1037 Letztere Anhebung liegt darin begründet, dass nur solche Un­ ternehmen erfasst werden sollen, welche mindestens die tatsächliche Kontrolle über die anderen verbundenen Unternehmen ausüben.1038 Der Schluss von einer 50-prozentigen Beteiligungsquote auf einen sicheren Einfluss findet sich auch in der Rechtsprechung des EuGH wieder. So ging er in der Rechtssache Burda sogar ohne weitere Würdigung der Um­ stände des Einzelfalles von einer Kontrollbeteiligung aus.1039

1032 EuGH, Urt. v. 21.12.2016, C-201/15, ECLI:EU:C:2016:972 – AGET Iraklis, Rn. 58; EuGH, Urt. v. 21.10.2010, C-81/09, ECLI:EU:C:2010:622 – Idryma Typou, Rn. 48; EuGH, Urt. v. 17.9.2009, C-182/08, ECLI:EU:C:2009:559 – Glaxo Well­ come, Rn. 40. Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV Rn. 11. 1033 Kapitel 2 - B.I.4.a)aa). 1034 Siehe etwa Kapitel 2 - B.I.4.a)bb), Kapitel 2 - B.I.4.a)ee) oder Kapitel 2 - B.I.4.a)gg). 1035 EuGH, Urt. v. 12.12.2002, C-324/00, ECLI:EU:C:2002:749 – Lankhorst-Hohorst, Rn. 3, 32; EuGH, Urt. v. 3.10.2013, C-282/12, ECLI:EU:C:2013:629 – Itelcar, Rn. 22. Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Art. 49 AEUV Rn. 82. Weiterführend zur Gesellschafterfremdfinanzierung Wolter, Gesellschaf­ terfremdfinanzierung, S. 4 ff. 1036 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.97; Ress/­ Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 63 AEUV Rn. 392 f. 1037 Kapitel 2 - B.I.4.b)aa). 1038 Erwägungsgrund 13 der ATAD II. 1039 Vgl. EuGH, Urt. v. 26.6.2008, C-284/06, ECLI:EU:C:2008:365 – Burda, Rn. 70; ferner Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 63 AEUV Rn. 393; Lang, StuW 2011, 209, 214; Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kom­ mentar, Art. 9 Rn. 25.

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Ganz so eindeutig verhält es sich für die Fälle der 25-prozentigen Beteili­ gungsquote nicht.1040 Hier sind Konstellationen denkbar, in denen die Quote zwar formal erreicht ist, gleichwohl aufgrund faktisch nicht beste­ hender Einflussnahmemöglichkeiten dennoch keine Kontrollbeteiligung vorliegt. Andererseits gelangte der EuGH in der Rechtssache Lasertec zu der Feststellung, dass die dort in Rede stehende Norm mit einer Quote von 25 % bereits abstrakt auf eine Beteiligung im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit abstelle.1041 In dieser Annahme sah er sich weiter deshalb bestätigt, weil die Regelung auch für prozentual geringere Beteiligungen galt, die jedoch einen beherrschenden Einfluss auf die Be­ teiligungsgesellschaft verschafften.1042 Art. 2 Abs. 4 ATAD weist eine ganz ähnliche Struktur auf: Nach Unterabs. 3 lit. c) ATAD fallen unter den Begriff „verbundenes Unternehmen“ weiter auch solche Unterneh­ men, in denen der Steuerpflichtige maßgeblich Einfluss auf die Unter­ nehmensleitung nimmt (bzw. umgekehrt Unternehmen mit einem maß­ geblichen Einfluss auf den Steuerpflichtigen).1043 Hier wollte man ebenfalls Fälle sicherer Einflussnahmemöglichkeiten auch unterhalb der formalen Beteiligungsquoten erfassen. Regelmäßig wird Konstellationen zwischen verbundenen Unternehmen im Sinne des Art. 2 Abs. 4 ATAD deshalb eine Kontrollbeteiligung im oben genannten Sinne zugrunde liegen, welche den Sachverhalt dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit zuordnet.1044 Soweit Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 3 lit. c) ATAD auch Unternehmen als verbunden an­ sieht, die derselben zu Rechnungslegungszwecken konsolidierten Grup­ pe angehören, fallen auch diese Fälle nach ständiger Rechtsprechung in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit.1045 2. Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 63 AEUV Als zweite einschlägige Grundfreiheit kommt die Kapitalverkehrsfrei­ heit in Betracht. Art. 63 Abs. 1 AEUV verbietet Beschränkungen des Ka­ 1040 Das lediglich Fälle hybrider Finanzinstrumente einschließlich hybrider Übertra­ gungen (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) ATAD). 1041 EuGH, Beschl. v. 10.5.2007, C-492/04, ECLI:EU:C:2007:273 – Lasertec, Rn. 21. Wohl auch in EuGH, Urt. v. 22.12.2008, C-282/07, ECLI:EU:C:2008:762 – Truck Center, Rn. 26 - 28. Vgl. Naumann/Sydow/Becker/Mitschke, IStR 2009, 665, 666; Becker/Sydow, IStR 2010, 195, 197. 1042 EuGH, Beschl. v. 10.5.2007, C-492/04, ECLI:EU:C:2007:273 – Lasertec, Rn. 22. 1043 Vgl. auch BFH, Urt. v. 23.6.2010, I R 37/09, BStBl. II 2010, 895, 896 f. 1044 In anderem Kontext von 25 % ausgehend: Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbundenen Unternehmen, S. 184 ff.; Mann, Einkünftekorrekturnormen, S. 120 f. Vgl. Kofler, taxlex 2008, 326, 326. 1045 EuGH, Urt. v. 26.6.2008, Rs. C-284/06, ECLI:EU:C:2008: 365 – Burda, Rn. 68; EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-446/04, ECLI:EU:C:2006:774 – Test Claimants in the FII Group Litigation, Rn. 118; EuGH, Urt. v. 18.7.2007, Rs. C-231/05, ECLI:EU:C:2007:439 – Oy AA, Rn. 23.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

pitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mit­ gliedstaaten und Drittländern. In räumlicher Hinsicht unterliegt der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit – im Gegensatz zu dem der Niederlassungsfreiheit – keinerlei Einschränkungen; die Kapitalver­ kehrsfreiheit ist deshalb auch auf Drittstaatensachverhalte anwend­ bar.1046 a) Verbundene Unternehmen Der sachliche Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit erstreckt sich auf nahezu jede Form grenzüberschreitender Investitionen.1047 Darunter fallen insbesondere sowohl die sog. Kontroll- als auch die sog. Portfolio­ beteiligungen.1048 Finden die Korrespondenzregeln aufgrund des Kriteriums des verbunde­ nen Unternehmens Anwendung, so sind diese Fälle potentiell nicht nur vom Schutzbereich der Niederlassungs-, sondern auch von dem der Kapi­ talverkehrsfreiheit umfasst. Aus diesem Grunde wird noch das Verhält­ nis zwischen den beiden Grundfreiheiten zu klären sein.1049 b) Strukturierte Gestaltungen Während Konstellationen zwischen Hauptsitz und Betriebsstätte aus­ schließlich von der Niederlassungsfreiheit geschützt werden1050, könnten solche, die über das Auffangkriterium der strukturierten Gestaltung (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. c) ATAD) erfasst werden, exklusiv vom Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit erfasst sein. Das Beteiligungsverhältnis ist nämlich kein Kriterium für das Vorliegen einer strukturierten Gestaltung (Art. 2 Abs. 11 ATAD). Im Gegenteil: Nach der Vorstellung der OECD sollen für die Prüfung, ob eine struktu­ rierte Gestaltung vorliegt, lediglich die Bedingungen der eigentlichen Gestaltung und ihre Risiko- und Ertragsaufteilung untersucht werden. Die Beziehung zwischen den Beteiligten soll gerade nicht berücksichtigt werden.1051 Hierdurch werden potentiell Geld- und Kapitaltransfers er­ fasst, denen kein Beteiligungsverhältnis oder nur ein solches in Gestalt

1046 Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 63 AEUV Rn. 382; Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.29 und 7.106 ff. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 10.9.2009, C-311/08, ECLI:EU:C:2009:545 – SGI, Rn. 37 f. 1047 Englisch, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rn. 4.80; Reimer, in: Schaumburg/Eng­ lisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.100. 1048 Sedlaczek/Züger, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 63 AEUV Rn. 19. 1049 Dazu sogleich Kapitel 4 - C.II.3.  1050 Siehe bereits Kapitel 4 - C.II.1.a). 1051 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 121 Rn. 323.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

einer Portfoliobeteiligung zugrunde liegt.1052 Hierbei handelt es sich re­ gelmäßig um Anwendungsfälle der Kapitalverkehrsfreiheit.1053 3. Verhältnis von Art. 49 zu Art. 63 AEUV Nahezu jeder Niederlassungsvorgang in einem Mitgliedstaat geht auch mit einer Kapitalbewegung einher.1054 In der Folge überschneiden sich die Anwendungsbereiche der beiden Grundfreiheiten: Kontrollbeteiligungen fallen sowohl in den Schutzbereich der Niederlassungs- als auch der Ka­ pitalverkehrsfreiheit. Kommen die ATAD-Korrespondenzregeln in Fällen von verbundenen Unternehmen (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. c) ATAD) zur Anwendung, könnten beide Grundfreiheiten parallel anwendbar sein. Das ist deshalb problematisch, weil sich der Schutz der Niederlas­ sungsfreiheit lediglich auf EU-interne Sachverhalte erstreckt.1055 Diese territoriale Beschränkung könnte durch die parallele Anwendung der Ka­ pitalverkehrsfreiheit, dessen Schutzbereich sich auch auf Drittstaaten­ konstellationen erstreckt, unterlaufen werden. Für die Auflösung dieses Konkurrenzverhältnisses ist zunächst der Tat­ bestand der in Rede stehenden Norm in den Blick zu nehmen. Stellt ­dieser ausschließlich auf Beteiligungen ab, die einen sicheren Einfluss vermitteln (sog. Kontrollbeteiligungen), so kommt nach ständiger EuGH-­ Rechtsprechung die Niederlassungsfreiheit zur Anwendung.1056 Die Ka­ pitalverkehrsfreiheit wird in diesem Falle verdrängt; Drittstaatenkon­ stellationen sind nicht geschützt.1057 1052 Zu strukturierten Gestaltungen mit hybriden Finanzinstrumenten siehe OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 461 ff. Beispiele 10.1, 10.2, 10.3 und 10.4. Mit einer hybriden Übertragung im Rahmen einer strukturierten Gestaltung beschäftigt sich Beispiel 1.31 auf S. 274 ff. Zu einer strukturier­ ten Gestaltung unter Einsatz eines umgekehrt hybriden Rechtsträgers siehe Bei­ spiel 4.2 auf S. 322 ff. 1053 Vgl. Glaesner, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 63 AEUV Rn. 10. Tendenziell a.A. Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 24 (dort Fn. 1). 1054 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 49 AEUV Rn. 128. 1055 Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 63 AEUV Rn. 382. 1056 EuGH, Urt. v. 13.4.2000, C-251/98, ECLI:EU:C:2000:205 – Baars, Rn. 22; EuGH, Beschl. v. 10.5.2007, C-492/04, ECLI:EU:C:2007:273 – Lasertec, Rn. 20; EuGH, Urt. v. 12.9.2006, C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes, Rn. 31; EuGH, Urt. v. 13.3.2007, C-524/04, ECLI:EU:C:2007:161 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 18.7.2007, C-231/05, ECLI:​EU:​ C:2007:439 – Oy AA, Rn. 23 f.; EuGH, Beschl. v. 5.11.2007, C-415/06, ECLI:EU:​ C:2007:651 – Stahlwerk Ergste Westig, Rn. 13 ff.; EuGH, Urt. v. 13.11.2012 – C-35/11, ECLI:EU:C:2012:707 – Test Claimants in the FII Group Litigation II, Rn. 90; EuGH, Urt. v. 10.4.2014, C-190/12, ECLI:EU:C:2014:249 – Emerging Mar­ kets Series of DFA Investment Trust Company, Rn. 26 f.; EuGH, Urt. v. 7.9.2017, C-6/16, ECLI:EU:C:2017:641 – Eqiom & Enka, Rn. 41; EuGH, Urt. 20.12.2017, C-504/16 u. C-613/16, ECLI:EU:C:2017:1009 – Deister Holding, Rn. 78. 1057 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.89; Ress/­ Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 63 AEUV Rn. 395.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Erfasst die Norm hingegen zumindest auch solche Beteiligungen, welche dem Gesellschafter keinen sicheren Einfluss ermöglichen (sog. Portfolio­ beteiligungen), so ist grundsätzlich der Anwendungsbereich der Kapital­ verkehrsfreiheit eröffnet.1058 Damit sind insoweit sowohl EU-interne Sachverhalte als auch solche mit Drittstaatenbezug geschützt. Letzteres trifft auf die ATAD-Regeln zu: Ihr persönlicher Anwendungsbe­ reich ist durch Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. c) ATAD festgelegt. Hiernach können hybride Gestaltungen nur zwischen verbundenen Unternehmen, in Betriebsstättenkonstellationen oder im Rahmen einer strukturierten Gestaltung entstehen. Während verbundene Unternehmen und Betriebs­ stättenkonstellationen noch in den Schutzbereich der Niederlassungs­ freiheit fallen, sind strukturierte Gestaltungen dem Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit zuzuordnen.1059 Wenngleich dem Kriterium der strukturierten Gestaltung lediglich eine Auffangfunktion zukommt1060, ist der Tatbestand der allgemeinen Korrespondenzregeln der ATAD da­ mit offen formuliert.1061 Dies hat grundsätzlich zur Folge, dass Konstella­ tionen zwischen verbundenen Unternehmen mit Drittstaatenbezug ge­ schützt sind. Die normbezogene Betrachtung ergänzt der EuGH jedoch teilweise durch eine Einzelfallbetrachtung („zweistufige Prüfung“): Handelt es sich bei der fraglichen Beteiligung tatsächlich um eine Kontrollbeteiligung, so findet allein  die Niederlassungsfreiheit Anwendung. Die Kapitalver­ kehrsfreiheit wird von der potentiell einschlägigen Niederlassungsfrei­ heit verdrängt.1062 Infolgedessen wären hier Drittstaatenkonstellationen zwischen verbundenen Unternehmen grundfreiheitlich wiederum nicht geschützt. 1058 EuGH, Urt. v. 17.9.2009, C-182/08, ECLI:EU:C:2009:559 – Glaxo Wellcome, Rn. 35 ff., 47 – 52; EuGH, Urt. v. 13.11.2012 – C-35/11, ECLI:EU:C:2012:707 – Test Claimants in the FII Group Litigation II, Rn. 90 ff.; EuGH, Urt. v. 28.2.2013, C-168/11, ECLI:EU:C:2013:117 – Beker, Rn. 30; EuGH v. 3.10.2013, C-282/12, ECLI:EU:C:2013:629 – Itelcar Rn. 18; EuGH, Urt. v. 11.9.2014, C-47/12, ECLI:EU:C:2014:2200 – Kronos Rn. 38; EuGH, Urt. v. 24.11.2016, C-464/14, ECLI:EU:C:2016:896 – SECIL Rn. 31 ff. 1059 Kapitel 4 - C.II.2.b). 1060 Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(2) sowie Kapitel 2 - B.I.4.b)cc). 1061 A.A. Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 25. 1062 EuGH, Urt. v. 26.6.2008, C-284/06, ECLI:EU:C:2008:365 – Burda, Rn. 72 ff. Fer­ ner EuGH, Urt. v. 22.12.2008, C-282/07, ECLI:EU:C:2008:762 – Truck Center, Rn. 24 - 30; EuGH, Urt. v. 26.3.2009, C-326/07, ECLI:EU:C:2009:193 – Kommis­ sion/Italien, Rn. 32 - 39; EuGH, Beschl. v. 4.6.2009, C-439/07 u.a., ECLI:EU:C:​ 2009:339 – KBC Bank u.a., Rn. 68 - 70; EuGH, Urt. v. 18.6.2009, C-303/07, ECLI:EU:C:2009:377 – Aberdeen Property Fininvest Alpha, Rn. 29 - 36; EuGH, Urt. v. 21.1.2010, C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26 – SGI, Rn. 25 - 30, 33 – 37; EuGH, Urt. v. 7.9.2017, C-6/16, ECLI:EU:C:2017:641 – Eqiom & Enka, Rn. 41 ff., insb. Rn. 44; EuGH, Urt. 20.12.2017, C-504/16 u. C-613/16, ECLI:EU:C:​2017:​ 1009 – Deister Holding, Rn. 78 ff, insb. Rn. 82 f.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

Diese zweite Stufe wird jedoch ohne erkennbares Muster nicht immer geprüft. Teilweise belässt es der EuGH bei der normbezogenen Betrach­ tung.1063 Damit ist die Rechtslage unklar.1064 Im Zweifel wird hier der einstufige, normbezogene Ansatz zugrunde ge­ legt, da er einen umfassenderen Schutz gewährt.1065 Stehen manche die­ sem Ansatz kritisch gegenüber1066, so muss doch positiv festgehalten werden, dass damit eine Paradoxie verhindert wird: Ginge man nämlich von einer Sperrwirkung der räumlich begrenzten Niederlassungsfreiheit aus, so fiele der Grundfreiheitsschutz umso geringer aus, je größer das unternehmerische Engagement in Gestalt der Beteiligung ist.1067 Auf­ grund der jüngeren Tendenzen in der Rechtsprechung des EuGH wird hier der einstufigen, normbezogenen Betrachtung gefolgt. Kontrollbetei­ ligungen sind demnach in Drittstaatenkonstellationen von der Kapital­ verkehrsfreiheit geschützt. 4. Zwischenergebnis Hybride Gestaltungen in Betriebsstättenkonstellationen fallen in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit, strukturierte Gestaltungen dagegen in den der Kapitalverkehrsfreiheit. Konstellationen zwischen verbundenen Unternehmen sind innerhalb der EU von der Niederlas­ sungsfreiheit geschützt. Weisen sie dagegen einen Drittstaatenbezug auf, so sind sie immerhin von der Kapitalverkehrsfreiheit geschützt.1068 Die Niederlassungsfreiheit entfaltet dann keine Sperrwirkung.

1063 EuGH, Urt. v. 17.9.2009, C-182/08, ECLI:EU:C:2009:559 – Glaxo Wellcome, Rn. 35 ff., 47 – 52; EuGH, Urt. v. 13.11.2012 – C-35/11, ECLI:EU:C:2012:707 – Test Claimants in the FII Group Litigation II, Rn. 90 ff.; EuGH, Urt. v. 28.2.2013, C-168/11, ECLI:EU:C:2013:117 – Beker, Rn. 30; EuGH v. 3.10.2013, C-282/12, ECLI:EU:C:2013:629 – Itelcar Rn. 18; EuGH, Urt. v. 11.9.2014, C-47/12, ECLI:EU:C:2014:2200 – Kronos Rn. 38; EuGH, Urt. v. 24.11.2016, C-464/14, ECLI:EU:C:2016:896 – SECIL Rn. 31 ff. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 1.7.2010, C-233/09, ECLI:EU:C:2010:397 – Dijkman, Rn. 33 - 35. Reimer, in: Schaumburg/ Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.90; Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Net­ tesheim, EU-Recht, Art. 63 AEUV Rn. 394. 1064 Englisch, Intertax 2010, 197, 200; Hindelang, IStR 2010, 443, 443 f.; Lausterer/ Bindl, DB 2010, 1556, 1559. 1065 Ebenfalls einzig auf den normbezogenen Ansatz abstellend Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 24. 1066 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.95 ff. 1067 Haslehner, IStR 2008, 565, 575; Kofler, taxlex 2008, 326, 328; Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 63 AEUV Rn. 395; Rust, DStR 2009, 2568, 2571; Schönfeld, DB 2007, 80, 81; Schönfeld, IStR 2007, 443, 443; Tippelhofer/Lohmann, IStR 2008, 857, 863. 1068 Vgl. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD. Dasselbe dürfte für Betriebsstätten­ konstellationen mit Drittstaatenbezug gelten.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

III. Beeinträchtigung Ist ihr Anwendungsbereich eröffnet, so verbieten die Grundfreiheiten Diskriminierungen und Beschränkungen.1069 Sie können unter dem Ober­ begriff der „Beeinträchtigung“ zusammengefasst werden.1070 Die Verbote schlagen sich nicht immer im Wortlaut der jeweiligen Grundfreiheit nie­ der.1071 Generell führt die Konvergenz der Grundfreiheiten jedoch zu ei­ ner einheitlichen Interpretation ihres Gewährleistungsgehalts in Gestalt eines umfassenden Diskriminierungs- und Beschränkungsverbots.1072 Sowohl der Begriff der Diskriminierung als auch derjenige der Beschrän­ kung können weiter unterteilt werden: Hinsichtlich des Diskriminie­ rungsverbots wird hier zwischen offenen und verdeckten Diskriminie­ rungen unterschieden.1073 Auch der Begriff der Beschränkung gewinnt entscheidend an Kontur, wenn man zwischen diskriminierenden Be­ schränkungen einerseits und diskriminierungsfreien Beschränkungen andererseits differenziert.1074 Als relevant erweist sich die Kategorisierung vor allem hinsichtlich zweier Aspekte: Zum einen kommen offenen Diskriminierungen aus­ schließlich geschriebene, nicht aber ungeschriebene Rechtfertigungs­ gründe zugute.1075 Zum anderen weisen die Grundfreiheiten neben einer gleichheitsrechtlichen Dimension auch eine freiheitsrechtliche Dimen­ sion auf.1076 Ausdruck der freiheitsrechtlichen Dimension sind einzig die 1069 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.125. 1070 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 101.  1071 So enthält die Arbeitnehmerfreizügigkeit ein Diskriminierungsverbot (Art. 45 Abs. 2 AEUV). Sowohl der Wortlaut der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 Abs. 2 AEUV) als auch der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV) sprechen von „Beschränkungen“. 1072 Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 322 ff; Englisch, Dividendenbesteuerung, S. 236; Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Euro­ päisches Steuerrecht, Art. 63 AEUV Rn. 23; Schönfeld, Hinzurechnungsbesteue­ rung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 57 ff.; Schnitger, Die Grenzen der Einwirkung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages auf das Ertragsteuerrecht, S. 174 ff. 1073 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 102. 1074 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.125; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 101. 1075 Vgl. Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.48. Dies gilt jedenfalls für solche Konstellationen, in welchen ein Nachteil von der Staats­ angehörigkeit einer natürlichen Person abhängig gemacht wird. Eigentlich „offe­ ne Diskriminierungen“ von Gesellschaften aufgrund ihres Gesellschaftssitzes werden häufig als verdeckte Diskriminierungen behandelt, um eine Gleichstel­ lung mit natürlichen Personen zu erzielen und eine Rechtfertigung durch unge­ schriebene Rechtfertigungsgründe zu ermöglichen, dazu Glahe, Einkünftekor­ rektur zwischen verbundenen Unternehmen, S. 130 m.w.N. 1076 Zur gleichheitsrechtlichen Dimension Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Euro­ päisches Steuerrecht, Rn. 7.35 ff.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

diskriminierungsfreien Beschränkungen.1077 Diese erweisen sich beson­ ders im Steuerrecht als problematisch. Im Wesentlichen geht es hier da­ rum, dass auch diskriminierungsfrei erhobene Steuern bereits an sich Beschränkungen darstellen, welche die Ausübung von Grundfreiheiten weniger attraktiv machen. Es stellt sich daher die Frage nach der Reich­ weite des „Verbots diskriminierungsfreier Beschränkungen“.1078 Die hier untersuchten Korrespondenzregeln weisen keine erhöhte Relevanz im Hinblick auf diese Thematik auf. Sie ist daher nicht Gegenstand der vor­ liegenden Untersuchung. Bedingt durch die mitunter wenig trennscharfe Rechtsprechung des EuGH werden die Diskriminierungs- und Beschränkungsprüfung teil­ weise anders nuanciert.1079 Hinsichtlich der hier vorgenommen Untersu­ chung wirken sich die unterschiedlichen Sichtweisen im Ergebnis nicht aus.1080 Die hier vorgenommene Abgrenzung hat den Vorteil, dass im Rahmen der objektiven Vergleichbarkeitsprüfung unmittelbar auf sie aufgebaut werden kann. 1. Diskriminierungsverbot Nach allgemeinem Verständnis handelt es sich dann um eine Diskrimi­ nierung, wenn Gleiches ungleich oder Ungleiches gleich behandelt wird.1081 Grundfreiheitlich relevant wird eine solche Ungleichbehand­ lung, wenn aus ihr ein rechtlicher Nachteil auf dem Binnenmarkt resul­ tiert und dieser Nachteil in der Staatsangehörigkeit einer Person wur­ zelt.1082 Die Regelungen der ATAD betreffen jedoch Gesellschaften, die – anders als natürliche Personen – über keine Staatsangehörigkeit 1077 Zur freiheitsrechtlichen Dimension Kokott, in: FS BFH, S. 735, 737 ff. 1078 Kokott/Ost, EuZW 2011, 496, 498; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 116 ff.; Kokott, in: FS BFH, S. 735, 737 ff. 1079 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.41. So wird insbesondere das Konzept der verdeckten Diskriminierung kritisiert und statt­ dessen ein generelles „Verbot der Diskriminierung des grenzüberschreitenden Sachverhalts“ vertreten, welches sowohl In- als auch Outbound-Fälle zu erfassen vermag. Weiterführend Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationa­ les Steuerrecht, S. 825 ff.; 976 f.; Englisch, Dividendenbesteuerung, S. 236 ff.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, S. 302 ff.; Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbundenen Unternehmen, S. 131 ff.; Schaumburg/Schaumburg, StuW 2005, 306, 308; Schön, GmbH-StB 2006, 9, 10.  1080 Insbesondere die Abgrenzung zwischen verdeckter Diskriminierung und dis­ kriminierender Beschränkung wirkt sich vorliegend nicht aus, vgl. Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.41 sowie 7.48 f. Das „Verbot der Diskriminierung des grenzüberschreitenden Sachverhalts“ führt hier ebenfalls zu keinen anderen Ergebnissen, vgl. Glahe, Einkünftekorrektur zwi­ schen verbundenen Unternehmen, S. 131 ff. 1081 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 46. 1082 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 57.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

verfügen. In diesem Falle wird das Kriterium der Staatsangehörigkeit durch den Gesellschaftssitz ersetzt (vgl. Art. 54 AEUV).1083 Für Belange des Steuerrechts ist beim Diskriminierungsverbot danach zu fragen, ob eine beschränkt steuerpflichtige Gesellschaft von der Rege­ lung betroffen ist und ob sie vom Aufnahmestaat1084 (nicht: Herkunfts­ staat) schlechter als eine dort ansässige, unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaft gestellt wird. Diese Konstellation lässt sich auch als ein sog. „Inbound-Fall“ bezeichnen. Am Beispiel des deutschen Steuerrechts sind ausländische Kapitalgesellschaften mit ihren inländischen Einkünf­ ten beschränkt steuerpflichtig, § 2 Nr. 1 KStG. Üben sie ihre gewerbliche Tätigkeit im Inland mittels einer Betriebsstätte aus, so erzielen sie inso­ weit Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) EStG.1085 Auf eine mögliche Diskriminierung sind folg­ lich diejenigen Korrespondenzregeln zu überprüfen, welche Betriebsstät­ tenkonstellationen aufgreifen und deren Rechtsfolge die Betriebsstätte treffen.1086 Das sind Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD und Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD, soweit sie die folgenden Gestaltungen erfassen: Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD, die allgemeine Regel für DD-Er­ gebnisse, erfasst die Double Deduction Branch Payments (das Betriebs­ stätten-Pendant zu abzugsfähigen hybriden Zahlungen)1087. Die Vorschrift versagt der zahlenden Betriebsstätte den Betriebsausgabenabzug und be­ trifft damit das im Inland beschränkt steuerpflichtige Stammhaus. Ferner erfasst Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD, die allgemeine Regel für D/NI-­ Ergebnisse, die bereits in den OECD-Berichten enthaltenen sog. Deemed Branch Payments1088. Auch diese Vorschrift versagt jeweils der zahlen­ 1083 EuGH, Urt. v. 28.1.1986, C-270/83, ECLI:EU:C:1986:37 – Avoir Fiscal, Rn. 18; EuGH, Urt. v. 30.9.2003, C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 – Inspire Art, Rn. 97; EuGH, Urt. v. 22.12.2008, C-282/07, ECLI:EU:C:2008:762 – Truck Center, Rn. 32; EuGH, Urt. v. 21.1.2010, C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26 – SGI, Rn. 40; Kokott/Ost, EuZW 2011, 496, 497. Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbun­ denen Unternehmen, S. 129 f. 1084 Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Art. 49 AEUV Rn. 25. 1085 Rengers, in: Brandis/Heuermann, § 2 KStG Rn. 35. 1086 Angesprochen sind damit die ausnahmsweisen Fälle intrapersonaler Korrespon­ denz, siehe Kapitel 1 - B.III.1. 1087 Beispiel: Das in Staat A ansässige Stammhaus unterhält eine Zweigniederlassung in Staat B. Staat B qualifiziert die Zweigniederlassung als Betriebsstätte, Staat A hingegen nicht. Nimmt die „Betriebsstätte“ nun ein Darlehen bei einer Bank auf und zahlt dafür Zinsen, so kann es zur doppelten Berücksichtigung der Betrieb­ sausgaben sowohl in Staat A, als auch in Staat B kommen, wenn zwischen bei­ den Staaten kein Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen wurde. Siehe be­ reits Kapitel 1 - B.II.2.a)cc). 1088 Beispiel: Das in Staat A ansässige Stammhaus unterhält eine Betriebsstätte in Staat B. Aufgrund eines Zurechnungskonfliktes hinsichtlich eines immateriellen Wirtschaftsguts geht am Ende Staat B von einer fiktiven Ausgleichszahlung der

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

den Betriebsstätte den Betriebsausgabenabzug und betrifft damit das mit der Betriebsstätte im Inland beschränkt steuerpflichtige Stammhaus. a) Offene Diskriminierung Eine offen diskriminierende Regelung differenziert unmittelbar nach ei­ nem verbotenen Unterscheidungskriterium. Die Regelungen müssten folglich einer Gesellschaft einen steuerlichen Nachteil auferlegen, weil sie ihren Gesellschaftssitz im Ausland hat.1089 Weder Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD noch Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD differenzieren jedoch nach der Ansässigkeit der Gesellschaft. Je­ weils kann es sich beim „Zahlenden“ im Sinne des Tatbestandes ebenso um eine gebietsansässige Tochtergesellschaft handeln. Der Tatbestand ist hinsichtlich des Gesellschaftssitzes neutral formuliert. Das entschei­ dende Kriterium für die (Nicht-)Anwendung der Norm ist vielmehr je­ weils die hybride Besteuerungsinkongruenz in Gestalt eines DD- bzw. D/ NI-Ergebnisses. Die hier untersuchten Korrespondenzregeln bilden damit keine Ausnahme zur allgemeinen Beobachtung, dass unmittelbare Diskriminierungen selten und heutzutage kaum mehr aufzufinden sind.1090 b) Verdeckte Diskriminierung Andere Differenzierungskriterien als die Staatsangehörigkeit bzw. der Gesellschaftssitz können gleichwohl immer noch eine verdeckte Diskri­ minierung darstellen, wenn sie faktisch zum gleichen Ergebnis füh­ ren.1091 Dies ist für Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD sowie Art. 9 Betriebsstätte an ihr Stammhaus aus, welche beim Stammhaus in Staat A jedoch nicht berücksichtigt wird. Siehe bereits Kapitel 1 - B.II.1.b)bb). 1089 Siehe schon EuGH, Urt. v. 28.1.1986, C-270/83, ECLI:EU:C:1986:37 - Avoir Fiscal, Rn. 18. Ferner auch EuGH, Urt. v. 13.7.1993, C-330/91, ECLI:EU:C:1993:303 – Commerzbank, Rn. 13; EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:​ 763 – Marks & Spencer, Rn. 37; EuGH, Urt. v. 22.12.2008, C-282/07, ECLI:EU:C:​ 2008:​762 – Truck Center, Rn. 32; EuGH, Urt. v. 21.1.2010, C-311/08, ECLI:EU:C:​ 2010:​26 – SGI, Rn. 40; EuGH, Urt. v. 25.2.2010, C-337/08, ECLI:EU:C:2010:89 – X Holding, Rn. 23. 1090 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 102. 1091 EuGH, Urt. v. 12.2.1974, C-152/73, ECLI:EU:C:1974:13 – Sotgiu, Rn. 11; EuGH, Urt. v. 8.5.1990, C-175/88, ECLI:EU:C:1990:186 – Biehl, Rn. 13; EuGH, Urt. v. 13.7.1993, C-330/91, ECLI:EU:C:1993:303 Commerzbank, Rn. 14; EuGH, Urt. v. 14.2.1995, C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31 – Schumacker, Rn. 26; EuGH, Urt. v. 27.6.1996, C-107/94, ECLI:EU:C:1996:251 – Asscher, Rn. 36; EuGH, Urt. v. 4.3.2004, C-334/02, ECLI:EU:C:2004:129 – Kommission/Frankreich, Rn. 21; EuGH, Urt. v. 18.3.2010, C-440/08, ECLI:EU:C:2010:148 – Gielen, Rn. 37; EuGH, Urt. v. 20.1.2011, C-155/09, ECLI:EU:C:2011:22 – Kommission/Grie­ chenland, Rn. 45; EuGH, Urt. v. 15.9.2011, C-240/10, ECLI:EU:C:2011:591 – Schulz-Delzers und Schulz, Rn. 34. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Abs. 2 lit. a) ATAD zu bejahen: Der Betriebsausgabenabzug wird jeweils nur versagt, soweit eine hybride Besteuerungsinkongruenz in Form eines DD- bzw. D/NI-Ergebnisses vorliegt. Wie bereits herausgearbeitet, ist für das Entstehen hybrider Besteuerungsinkongruenzen erforderlich, dass ein und derselbe wirtschaftliche Sachverhalt von zwei Steuerrechtsordnungen unterschiedlich behandelt wird.1092 Damit werden von den Rege­ lungen ausschließlich inländische Betriebsstätten eines Stammhauses mit Sitz im Ausland erfasst; der grenzüberschreitende Sachverhalt wird schlechter als ein rein inländischer behandelt1093.1094 c) Zwischenergebnis Soweit Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD Konstellationen der Deemed Branch Payments erfasst und soweit Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD Double Deductions Branch Payments erfasst, so geht von den Vorschriften eine verdeckte Diskriminierung aus. 2. Beschränkungsverbot Im Gegensatz zu den gerade erörterten (offenen wie verdeckten) Diskri­ minierungen resultiert die Ungleichbehandlung bei einer diskrimi­ nierenden Beschränkung nicht aus einer Maßnahme des Aufnahme-, sondern des Herkunftsstaats. Im Fokus steht hier deshalb die steuerliche Behandlung der Auslandsaktivität von unbeschränkt steuerpflichtigen

Union, § 3 Rn. 102; Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Art. 49 AEUV Rn. 27; Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuer­ recht, Rn. 7.138. Das Abstellen auf das faktische gleiche Ergebnis wird von man­ chen kritisiert, da es nicht in die Systematik der Diskriminierung als ein rechtlich nach Vergleichsgruppen differenzierendes Kriterium widerspreche. Deshalb wird teilweise das „Verbot der Diskriminierung des grenzüberschreitenden Sach­ verhalts“ vertreten, siehe dazu ausführlich Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbundenen Unternehmen, S. 131 ff. m.w.N. 1092 Kapitel 1 - B.I.2. 1093 In Bezug auf die OECD-Empfehlungen ebenso Helminen, BTR 2015, 325, 329 f. Mit Bezug auf § 8b Abs. 1 S. 2 KStG Desens, IStR 2014, 825, 827; Becker/Loose, IStR 2012, 758, 761 (,,unionsrechtlich problematisch”). Vgl. ferner Hey, StuW 2008, 167, 178. 1094 Hier werden folglich eine beschränkt steuerpflichtige Gesellschaft und eine un­ beschränkt steuerpflichtige Gesellschaft miteinander verglichen, welche beide im Übrigen denselben Sachverhalt verwirklichen (sog. vertikale Vergleichsprü­ fung). Die horizontale Vergleichsprüfung, in welcher zwei verschiedene grenz­ überschreitende Sachverhalte miteinander verglichen werden, ist nicht Gegen­ stand dieser Untersuchung. Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 21.9.1999, C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438 – Saint Gobain, Rn. 42. Dazu Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbundenen Unternehmen, S. 155 ff.; Lang, SWI 2016, 118, 118; Niemann, Doppelte Verlustberücksichtigung bei Organschaft, S. 241 f.

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Gesellschaften.1095 Diese Konstellation lässt sich auch als ein Outbound-Fall bezeichnen.1096 Alle Korrespondenzregeln der ATAD II betreffen zumindest auch die steuerliche Behandlung einer im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaft. Dabei kann es sich um eine Tochtergesellschaft, eine Mut­ tergesellschaft oder eine Gesellschaft mit Betriebsstätte im Ausland han­ deln. Die Konstellationen, auf welche die Regelungen abzielen, weisen allesamt einen grenzüberschreitenden Bezug auf.1097 Der näheren Erläuterung bedürfen zunächst Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) und Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD. Wie oben dargestellt, betreffen sie zwar inländische Betriebsstätten und damit beschränkt steuerpflichtige Gesellschaften. Zu Recht wurden die Regelungen deshalb bereits im Rahmen des Diskriminierungsverbots thematisiert.1098 Ebenso unterfal­ len jedoch unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaften ihrem Anwen­ dungsbereich. So erfasst Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD auch abzugsfähige hybride Zahlungen1099. Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD unterfallen auch nicht berücksichtigte hybride Zahlungen1100 sowie manche umgekehrt hybride Rechtsträger1101. An diesen hybriden Gestaltungen sind jeweils zwei Gesellschaften beteiligt.1102 Art. 9a ATAD betrifft Personengesellschaften, die im regelnden Mitglied­ staat transparent besteuert werden. Sind ihre Gesellschafter im Ausland ansässig, so könnte man zunächst meinen, dass hier beschränkt Steuer­ pflichtige von der Regelung erfasst werden. Doch wird die bislang trans­ parente Gesellschaft qua Anwendung des Art. 9a ATAD intransparent. Damit liegt der auferlegte Nachteil in der Erfassung der Gesellschaft als unbeschränkt steuerpflichtiges Steuersubjekt selbst.1103 Hier, wie auch

1095 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.35 f. sowie 37.125 f. 1096 Zur Prüfung des Beschränkungsverbots in Outbound-Fällen s. etwa EuGH, Urt. v. 27.9.1988, C-81/87, ECLI:EU:C:1988:456 – Daily Mail, Rn. 16; EuGH, Urt. v. 21.11.2002, C-436/00, ECLI:EU:C:2002:704 – X und Y, Rn. 35 f.; EuGH, Urt. v. 11.3.2004, C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138 – de Lasteyrie du Saillant, Rn. 45 f.; EuGH, Urt. v. 7.9.2006, C-470/04, ECLI:EU:C:2006:525 – „N“, Rn. 34 f. 1097 Kapitel 1 - B.III.1. 1098 Kapitel 4 - C.III.1.b). 1099 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. g) ATAD differenziert nicht nach DD-Ergebnissen zwischen Hauptsitz und Betriebsstätte und DD-Ergebnissen zwischen zwei Ge­ sellschaften. 1100 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. e) ATAD. 1101 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. b) ATAD. 1102 Siehe die Darstellung in Kapitel 1 - B.II. 1103 Der Grund dafür liegt in der Beteiligung ausländischer Gesellschafter, deren An­ sässigkeitsstaat(en) die Gesellschaft als intransparent betrachten, vgl. Art. 9a ATAD.

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bei den übrigen Korrespondenzregeln, ist deshalb das Verbot diskriminie­ render Beschränkungen zu prüfen. Nunmehr sind die erfassten (i) grenzüberschreitenden Konstellationen mit (ii) rein inländischen Konstellationen zu vergleichen.1104 Es ergeben sich vielfältige Vergleichspaare: So kann man (i) eine inländische Mutter­ gesellschaft mit Tochtergesellschaft im Ausland mit (ii) einer inländi­ schen Muttergesellschaft mit Tochtergesellschaft im Inland1105 oder vice versa auch (i) eine inländische Tochtergesellschaft einer ausländischen Muttergesellschaft mit (ii) einer inländischen Tochtergesellschaft einer inländischen Muttergesellschaft1106 vergleichen. Eine inländische Gesell­ schaft kann ferner eine Betriebsstätte (i) im Ausland oder (ii) im Inland unterhalten. Bezogen auf Konstellationen, auf welche die Kapitalver­ kehrsfreiheit Anwendung findet, können schlicht inländische Gesell­ schaften, welche wirtschaftliche Beziehungen ins Ausland unterhalten mit solchen verglichen werden, die denselben Vorgang im Inland ver­ wirklichen. Wie man das Vergleichspaar auch formulieren mag: Es ist hybriden Be­ steuerungsinkongruenzen immanent, dass sie nur durch die jeweilige grenzüberschreitende Konstellation hervorgerufen werden können.1107 Spielt sich ein im Übrigen gleich gelagerter Vorgang gänzlich im Inland ab, so können mangels Zusammenwirken zweier Steuerrechtsordnungen keine Inkongruenzen entstehen. Dem Anwendungsbereich der Korres­ pondenzregeln unterfallen deshalb faktisch ausschließlich grenzüber­ schreitende Konstellationen. Sie beinhalten damit grundsätzlich eine diskriminierende Beschränkung.1108 3. Keine Nachteilskompensation auf Tatbestandsebene Generell könnte man gegen das Vorliegen einer Diskriminierung bzw. Beschränkung einwenden, dass der jeweilige grenzüberschreitende Sach­ verhalt im Vergleich zu seinem rein inländischen Pendant nicht schlech­ 1104 Sog. vertikale Vergleichsprüfung, vgl. Lang, SWI 2016, 118, 118. 1105 Diese Vergleichsprüfung kann bei Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a) ATAD (abzugs­ fähige hybride Zahlungen), Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD (nicht berücksichtigte hy­ bride Zahlungen), Art. 9 Abs. 3 ATAD (importierte Besteuerungsinkongruenzen), Art. 9 Abs. 6 ATAD (hybride Übertragungen) angelegt werden. 1106 Diese Vergleichsprüfung kann bei Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD (abzugs­ fähige hybride Zahlungen), Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD (nicht berücksichtigte hy­ bride Zahlungen), Art. 9 Abs. 3 ATAD (importierte Besteuerungsinkongruenzen), Art. 9 Abs. 6 ATAD (hybride Übertragungen) angelegt werden. 1107 Vgl. Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Europäischen Binnenmarkt, S. 68. 1108 Vertreter des „Verbots der Diskriminierung des grenzüberschreitenden Sachver­ halts“ würden hier zur Annahme eine Diskriminierung gelangen, vgl. Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbundenen Unternehmen, S. 131 ff.

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ter behandelt wird, da der Nachteil im Inland durch einen Vorteil im Ausland wieder kompensiert wird.1109 Um jeweils die Kompensation des Nachteils zu berücksichtigen, muss in Betriebsstättenkonstellationen jedenfalls eine internationale Gesamtbetrachtung vorgenommen wer­ den. In Konstellationen zwischen zwei verbundenen Unternehmen müs­ sen nicht nur zwei Rechtsordnungen, sondern auch zwei verschiedene Steuerpflichtige in den Blick genommen werden. Es tritt folglich eine interpersonale Gesamtbetrachtung hinzu. Ob eine derartige Gesamtbetrachtung von Be- und Entlastungswirkun­ gen überhaupt vorgenommen werden darf, ist Frage des Rechtfertigungs­ grundes der Kohärenz des Steuersystems.1110 Auf Ebene der Prüfung einer Beeinträchtigung (Diskriminierung, Beschränkung) ist die Frage nach der Nachteilskompensation dagegen falsch verortet.1111 Eine Diskriminie­ rung wird vielmehr immer nur durch einen Staat verursacht.1112 Was Reimer für die Berücksichtigung einer intrapersonalen Nachteilskompen­ sation auf Tatbestandsebene ausgeführt hat, muss erst recht für die 1109 So in Bezug auf Konstellationen mit hybriden Rechtsträgern Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288, 298 und 300. 1110 Englisch, IStR 2010, 139, 139; Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbunde­ nen Unternehmen, S. 128 und 135; EuGH, Urt. v. 18.3.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:164 – Manninen, Rn. 45; EuGH, Urt. v. 12.12.2006, C-446/04, ECLI:EU:C:2006:774 – Test Claimants in the FII Group Litigation, Rn. 93; EuGH, Urt. v. 6.3.2007, C-292/04, ECLI:EU:C:2007:132 – Meilicke, Rn. 28; EuGH, Urt. v. 27.11.2008, C-418/07, ECLI:EU:C:2008:659 – Papillon, Rn. 44 ff. 1111 Ebenso Santos, BIT 2008, 506, 513 f. Zur Berücksichtigung kompensatorischer Vorteile erst auf Rechtfertigungsebene, Englisch, IStR 2010, 139, 139; Glahe, Ein­ künftekorrektur zwischen verbundenen Unternehmen, S. 128 und 135; EuGH, Urt. v. 18.3.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:164 – Manninen, Rn. 45; EuGH, Urt. v. 12.12.2006, C-446/04, ECLI:EU:C:2006:774 – Test Claimants in the FII Group Litigation, Rn. 93; EuGH, Urt. v. 6.3.2007, C-292/04, ECLI:EU:C:2007:132 – Meilicke, Rn. 28; EuGH, Urt. v. 27.11.2008, C-418/07, ECLI:EU:C:2008:659 – Pa­ pillon, Rn. 44 ff. Zufällige oder anderweitige Kompensationseffekte sind nach ständiger Rechtsprechung generell nicht zu berücksichtigen, was der EuGH ebenfalls stets auf der Rechtfertigungsebene feststellt, vgl. etwa EuGH, Urt. v. 28.1.1986, C-270/83, ECLI:EU:C:1986:37 – Avoir Fiscal, Rn. 21; EuGH, Urt. v. 21.9.1999, C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438 – Saint Gobain, Rn. 54; EuGH, Urt. v. 26.10.1999, C-294/97, ECLI:EU:C:1999:524 – Eurowings, Rn. 44; EuGH, Urt. v. 8.11.2007, C-379/05, ECLI:EU:C:2007:655 – Amurta, Rn. 75 und 78. Zur Berücksichtigung kompensatorischer Wirkungen eines DBA vgl. jedoch EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484 – Manninen, Rn. 21; EuGH, Urt. v. 19.1.2006, C-265/04, ECLI:EU:C:2006:51 – Bouanich, Rn. 51 - 55; EuGH, Urt. v. 14.12.2006, C-170/05, ECLI:EU:C:2006:783 – Denkavit, Rn. 45 ff. 1112 EuGH, Urt. v. 25.1.1983, C-126/82, ECLI:EU:C:1983:14 – Smit Transport, Rn. 27; Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschafts­ rechts, S. 118; Englisch, Dividendenbesteuerung, S. 240; Englisch, Wettbewerbs­ gleichheit, S. 311. Die objektive Vergleichbarkeit der Situationen wird hier sepa­ rat geprüft, siehe insbesondere die Ausführungen zur Rechtssache Schempp, Kapitel 4 - C.IV.1.b)aa)(1).

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interpersonale gelten: „[Der] EuGH muss also ,bis zum Anschlag‘ in den konkreten Steuerfall ,hineinzoomen‘“.1113 Auch im Dienste der Rechtssi­ cherheit sind normative Erwägungen von der Prüfung einer Beeinträchti­ gung zu trennen.1114 4. Gleichheitsrechtliche Betrachtung im Falle schrittweiser ­Harmonisierung Bezüglich des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 20 GRCh wird neuerdings eingewandt, dass der Grundrechtsschutz im Falle einer schrittweisen Harmonisierung durch das Unionsrecht stark einge­ schränkt sei.1115 Die Position wird im Folgenden dargestellt. Im An­ schluss werden im Rahmen einer Stellungnahme Rückschlüsse für die vorliegende Prüfung gezogen. a) Darstellung Valta zufolge unterliegt die Kontrolle der Zinsschranke des Art. 4 ATAD anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 20 GRCh einer föde­ ralen Einschränkung im Mehrebenensystem. Art. 20 GRCh verpflichte nach Art. 51 GRCh die Union nur hinsichtlich ihrer Handlungen, die Länder wiederum nur im Rahmen des harmonisierten Bereichs.1116 Für den Fall der Zinsschranke des Art. 4 ATAD folgert er daraus, dass der allgemeine Gleichheitssatz leerliefe: Die Versagung des Zinsabzugs dürf­ te nicht mit der nichtharmonisierten sonstigen mitgliedstaatlichen Auf­ wandsberücksichtigung verglichen werden. Anderenfalls sei die Union für Ungleichbehandlungen verantwortlich, die von ihr gar nicht beein­ flusst werden könne. Die Mitgliedstaaten hätten es entgegen der Kompe­ tenzordnung in der Hand, durch Änderungen ihres nationalen Rechts zugunsten von mehr Nettobesteuerung nachträglich die Grundrechts­ widrigkeit des Unionsrechts herbeizuführen.1117 b) Stellungnahme Da die Grundfreiheiten hier in ihrer gleichheitsrechtlichen Dimension geprüft werden, ist die Übertragbarkeit der vorgenannten Überlegungen auf die vorliegende Prüfung zu erörtern. Bejahte man diese, so wäre die Prüfung damit beendet. Es läge dann keine Ungleichbehandlung vor. 1113 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.159 a.E. 1114 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.162. 1115 Valta, StuW 2019, 118, 128. Dahingehend Englisch, in: Schön/Beck, Zukunftsfra­ gen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 68. 1116 Vgl. Kempny/Reimer, Die Gleichheitssätze, S. 64 ff. 1117 Valta, StuW 2019, 118, 128.

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Freilich wäre das Ergebnis, dass eine gleichheitsrechtliche Kontrolle der ATAD gänzlich ins Leere läuft, angesichts des marktbeschränkenden Charakters der Richtlinie höchst unbefriedigend.1118 Als Gegenargument taugt dies jedoch nicht.1119 Es sind deshalb weitergehende Überlegungen anzustellen. Der Ausgangspunkt obiger Erwägungen kann in den bisherigen Äußerun­ gen des EuGH zu den Grenzen des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Übergang vom uneinheitlichen nationalen Recht zum harmonisierten Gemeinschaftsrecht gesehen werden.1120 Wie Englisch herausarbeitet, ging es hier letztlich um die Frage, ob der Unionsgesetzgeber gleichheits­ rechtlich gezwungen sein kann, ein bestimmtes Rechtsgebiet so weit zu harmonisieren, dass keine gleichheitswidrigen Steuerbelastungswirkun­ gen mehr auftreten.1121 Der EuGH verneinte diese Frage: Soweit die Mit­ gliedstaaten ihr nationales Recht noch beibehalten dürften, seien daraus resultierende ungleichmäßige Steuerbelastungen grundrechtlich hinzu­ nehmen.1122 Wichtig ist an dieser Stelle, sich die Stoßrichtung der Aus­ führungen zu vergegenwärtigen: In den Sachverhalten, welche den Ent­ scheidungen zugrunde lagen, wurden durch das sekundäre Unionsrecht jeweils Begünstigungen eingeführt.1123 In diesem Fall ergibt sich die po­ tentielle Schlechterstellung mithin durch eine Regelung, welche auf die verbleibende Kompetenz des Mitgliedstaats zurückzuführen ist und kei­ ne entsprechende Begünstigung vorsieht.1124 Ohne Frage leuchtet es ein, den Unionsgesetzgeber für eine solche Ungleichbehandlung nicht haft­ bar zu machen. Denn – insoweit ist Valta zuzustimmen – er ist nicht für Handlungen der Mitgliedstaaten verantwortlich, welche von ihm nicht

1118 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 4.B.I. 1119 Vgl. Valta, StuW 2019, 118, 128 f. 1120 Vgl. Valta, StuW 2019, 118, 128 dort Fn. 111 mit Bezugnahme auf Englisch, in: Schön/Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 67 („der Gleich­ heitssatz stößt hier an quasi-föderale Grenzen“). Weiter EuGH, Urt. v. 7.12.2006, C-240/05, ECLI:EU:C:2006:763 – Eurodental Sàrl, Rn. 55 ff.; EuGH, Urt. v. 13.7.2000, C-36/99, ECLI:EU:C:2000:405 – Idéal tourisme SA, Rn. 34 ff. 1121 Englisch, in: Schön/Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 67. 1122 Englisch, in: Schön/Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 67.  EuGH, Urt. v. 7.12.2006, C-240/05, ECLI:EU:C:2006:763 – Eurodental Sàrl, Rn. 55 ff.; EuGH, Urt. v. 13.7.2000, C-36/99, ECLI:EU:C:2000:405 – Idéal touris­ me SA, Rn. 34 ff. 1123 EuGH, Urt. v. 7.12.2006, C-240/05, ECLI:EU:C:2006:763 – Eurodental Sàrl, Rn. 19 ff.; EuGH, Urt. v. 13.7.2000, C-36/99, ECLI:EU:C:2000:405 – Idéal touris­ me SA, Rn. 15 ff. 1124 Etwa kann es sich um eine Regelung außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie handeln. Ebenso denkbar ist eine Regelung, welche sich innerhalb ei­ nes dem Mitgliedstaat eingeräumten Spielraums in Form eines Wahlrechts be­ wegt, vgl. Englisch, in: Schön/Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 68.

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beeinflusst werden können.1125 Der Gleichheitssatz vermag den Unions­ gesetzgeber nicht zu binden, wo seine Kompetenz zur Harmonisierung endet.1126 Im Falle der ATAD II ist die Ausgangslage jedoch eine andere. Hier ergibt sich die potentielle Benachteiligung gerade durch die Regelung, die durch den Unionsgesetzgeber vorgegeben wird. Die Richtlinie stellt insoweit ein „neues Kapitel“ der Harmonisierung des direkten Steuerrechts dar.1127 Die Regelungen der ATAD II stellen aktiv den Bezug zur gelten­ den Rechtslage in den Mitgliedstaaten her und reagieren darauf.1128 Ex­ emplarisch heißt es in Art. 9 Abs. 1 ATAD: „Soweit eine hybride Gestal­ tung zu einem doppelten Abzug führt, [lit. a)] wird der Abzug in dem Mitgliedstaat, der das Steuergebiet des Investors ist, verweigert […]“. Die Schlechterstellung stellt hier keinen „Kollateralschaden einer schritt­ weisen Harmonisierung“ dar, sie ist vielmehr auf den Inhalt der Rege­ lung zurückzuführen und entspricht deshalb der Intention des Richtlini­ engebers. Indem dieser gerade auf die nationale Rechtslage aufsetzt1129, macht er sich diese zu eigen und muss sich die mitgliedstaatliche Auf­ wandsberücksichtigung zurechnen lassen. Auch ist im Hinblick auf die hier behandelten Europäischen Grundfrei­ heiten nicht ersichtlich, wie der Mitgliedstaat nachträglich die Grund­ freiheitswidrigkeit der Regelung für den grenzüberschreitenden Fall her­ beiführen könnte.1130 Versagt dieser den Aufwandsabzug, so gleicht er die Behandlung des innerstaatlichen Sachverhalts ja gerade an die des gren­ züberschreitenden Sachverhalts an. Eine Einbeziehung des innerstaatli­ chen Sachverhalts in die Vergleichsbetrachtung drängt den Unionsge­ setzgeber nicht zu einer möglichst umfassenden Harmonisierung.1131 Sie erlegt ihm lediglich auf, sich für eine aus Sicht des Steuerpflichtigen nachteilhafte Regelung zu rechtfertigen. 5. Zwischenergebnis Alle Korrespondenzregeln enthalten eine diskriminierende Beschrän­ kung. Darüber hinaus enthalten Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD sowie Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD eine verdeckte Diskriminierung.

1125 Vgl. Valta, StuW 2019, 118, 128. 1126 Englisch, in: Schön/Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 67. 1127 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 28.  1128 Zum methodischen Ansatz der Linking Rules siehe Kapitel 1 - B.III.4. 1129 Vgl. Kapitel 1 - B.III.4. 1130 Vgl. Valta, StuW 2019, 118, 128. 1131 Vgl. Englisch, in: Schön/Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39, 67.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

IV. Rechtfertigungsebene Obwohl eine Norm eine Diskriminierung oder diskriminierende Be­ schränkung beinhaltet, kann sie dennoch grundfreiheitskonform sein. Dies ist der Fall, wenn entweder sich das Vergleichspaar nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation befindet oder die Norm durch zwin­ gende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.1132 1. Objektive Vergleichbarkeit der Situationen Bisweilen wird die Grundfreiheitskonformität von Korrespondenzregeln im Internationalen Steuerrecht zu einem nicht unerheblichen Teil auf der Basis von Argumenten diskutiert, welche die objektive Vergleichbar­ keit der Situationen betreffen.1133 Die Rechtsprechung des EuGH ist dies­ bezüglich komplex und nicht immer eindeutig.1134 Im Wesentlichen las­ sen sich zwei Entwicklungsstränge ausmachen. Der erste betrifft die Vergleichbarkeit von beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen (Inbound-Konstellationen). Relevant ist er damit für Fälle des Diskrimi­ nierungsverbots.1135 Da insoweit lediglich zwei Ausnahmefälle herausge­ arbeitet wurden, beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf die unbedingt notwendigen Aspekte. Der zweite Entwicklungsstrang be­ trifft die Vergleichbarkeit von unbeschränkt Steuerpflichtigen, die einen grenzüberschreitenden Sachverhalt verwirklichen, mit solchen, die den im Übrigen gleich gelagerten Sachverhalt im Inland verwirklichen. In Rede steht hier also das Verbot diskriminierender Beschränkungen und damit das Gros der ATAD-Korrespondenzregeln.1136 a) Vergleichbarkeit von unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen (Diskriminierungsverbot) Seit dem Urteil in der Rechtssache Schumacker findet sich die Aussage, dass sich Gebietsfremde und Gebietsansässige nicht in einer vergleichba­ ren Situation befinden.1137 Hier ging es um einen belgischen Staatsange­ 1132 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 12.6.2018, C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 20. Zur Verortung des Kriteriums der objektiven Vergleichbarkeit der Situati­ onen auf Rechtfertigungsebene siehe Kapitel 4 - C.I.3. 1133 Vgl. nur Kahlenberg/Kudert, StuW 2017, 344, 358; Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288, 298 f.; Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Europäischen Binnenmarkt, S. 183 ff.; Rust, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 89, 98 f.; Rust, BTR 2015, 308, 318. Im Kontext der Lizenzschranke (§ 4j EStG) Pötsch, IStR 2018, 417, 419 f.; Schnitger, DB 2018, 147, 149. 1134 Vgl. Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 278 f. 1135 Kapitel 4 - C.III.1. 1136 Kapitel 4 - C.III.2. 1137 EuGH, Urt. v. 14.2.1995, C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31 – Schumacker, Rn. 31 – 34; EuGH, Urt. v. 12.5.1998, C-336/96, ECLI:EU:C:1998:221 – Gilly, Rn. 49; EuGH, Urt. v. 14.9.1999, C-391/97, ECLI:EU:C:1999:409 – Frans Gschwind,

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hörigen, der seinen alleinigen Wohnsitz in Belgien innehatte, jedoch in Deutschland Einkünfte aus unselbstständiger Tätigkeit erzielte.1138 Da er somit in Deutschland lediglich beschränkt steuerpflichtig war, hatte er dort nicht die Möglichkeit, seine Vorsorgeaufwendungen wie etwa Prä­ mien für Alters- oder Krankenversicherung über bestimmte Pauschb­ eträge hinaus in Abzug zu bringen.1139 In Belgien hatte er dagegen keine nennenswerten Einkünfte, sodass die Aufwendungen auch dort nicht berücksichtigt werden konnten.1140 Für die Übertragbarkeit dieses „Unvergleichbarkeitsdogmas“ auf die Deemed Branch Payments sowie Double Deduction Branch Payments ist jedoch zu beachten, dass diese Betriebsausgaben eines Unternehmens betreffen.1141 Der dem Urteil Schumacker zugrundeliegende Sachverhalt betraf dagegen Aufwendungen einer Privatperson, die dem subjektiven Nettoprinzip zuzuordnen sind. Da diese primär vom Ansässigkeitsstaat berücksichtigt werden müssen, befand sich der in Deutschland be­ schränkt Steuerpflichtige nicht in einer Situation, die mit einem in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtigen vergleichbar ist. Körper­ schaften haben jedoch nach herrschender Meinung keine Privatsphä­ re1142, sodass das subjektive Nettoprinzip bei ihrer leistungsgerechten Besteuerung keine Rolle spielt und auch die besondere Rolle des Ansäs­ sigkeitsstaats entfällt.1143 So verwundert es auch nicht, dass die Schu­ macker-Doktrin nicht auf Fälle angewandt wird, in denen das objektive Nettoprinzip in Rede steht.1144 Im Gegenteil: Es ist es mittlerweile stän­ dige Rechtsprechung des EuGH, dass sich Gebietsfremde und Gebietsan­ gehörige in einer objektiv vergleichbaren Situation befinden, wenn es um die Berücksichtigung von Betriebsausgaben geht, die unmittelbar mit der im Quellenstaat ausgeübten Tätigkeit zusammenhängen.1145 Rn. 22; EuGH, Urt. v. 14.12.2006, C-170/05, ECLI:EU:C:2006:783 – Denkavit In­ ternational und Denkavit France, Rn. 24; EuGH, Urt. 8.11.2007, C-379/05, ECLI:EU:C:2007:655, Amurta, Rn. 37; EuGH, Urt. v. 22.12.2008, C-282/07, ECLI:EU:C:2008:762 – Truck Center, Rn. 38 f.; EuGH, Urt. v. 18.5.2009, C-303/07, ECLI:EU:C:2009:307 – Aberdeen Property Fininvest Alpha, Rn. 42. 1138 EuGH, Urt. v. 14.2.1995, C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31 – Schumacker, Rn. 2. 1139 EuGH, Urt. v. 14.2.1995, C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31 – Schumacker, Rn. 14. 1140 EuGH, Urt. v. 14.2.1995, C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31 – Schumacker, Rn. 36. 1141 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.141; kritisch zur „Schumacker-Doktrin“ Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 284 f. 1142 BFH, Urteil vom 4.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123; Rengers, in: Brandis/Heu­ ermann, KStG § 8 Rn. 60 ff. m.w.N. Kritisch hierzu Hey, in: Tipke/Lang, Steuer­ recht, 24. Aufl. 2020, Rn 11.37. 1143 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.132. 1144 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 283 m.w.N. 1145 EuGH, Urt. v. 21.9.1999, C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438 – Saint Gobian, Rn. 47 ff.; EuGH, Urt. v. 12.6.2003, C-234/01, ECLI:EU:C:2003:340 – Ger­ ritse, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 15.2.2007, C-345/04, ECLI:EU:C:2007:96 – Centro Equestro da Lezíria Grande, Rn. 23; EuGH, Urt. v. 31.3.2011, C-450/09,

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

Die Schumacker-Doktrin ist somit nicht auf die hier in Rede stehenden Deemed- sowie Double Deduction Branch Payments übertragbar. Viel­ mehr sind die Situationen nach ständiger Rechtsprechung objektiv mit­ einander vergleichbar (sog. Gerritse-Doktrin“1146). b) Vergleichbarkeit von grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Sachverhalten (Verbot diskriminierender Beschränkungen) Der zweite Entwicklungsstrang betrifft die Vergleichbarkeit von unbe­ schränkt Steuerpflichtigen, die einen grenzüberschreitenden Sachverhalt verwirklichen, mit solchen, die den im Übrigen gleich gelagerten Sach­ verhalt im Inland verwirklichen. In Rede steht hier also das Verbot dis­ kriminierender Beschränkungen (Outbound-Konstellationen). Hierunter fällt die weit überwiegende Zahl der Korrespondenzregeln. Sind die Situ­ ationen nicht vergleichbar, so kann dies die Grundfreiheitskonformität der Regelungen bedeuten. Aufgrund der großen Relevanz des Prüfungs­ punktes wird hier eine zweigeteilte Prüfung vorgenommen. Zunächst wird ein induktiver Ansatz verfolgt. Dabei werden zwei Urteile betrach­ tet, denen ganz ähnliche Korrespondenzregelungen wie die hier unter­ suchten zugrunde lagen.1147 Schließlich wird im Zuge eines deduktiven Ansatzes der Versuch unternommen, die dogmatischen Strukturen der Vergleichbarkeitsprüfung herauszuarbeiten.1148 aa) Induktiver Ansatz: Korrespondenzregeln und die objektive ­Vergleichbarkeit Auf die objektive Vergleichbarkeit der Situationen im Falle von Korres­ pondenzregeln ging der EuGH in zwei Urteilen ein, nämlich in den Rechtssachen Schempp1149 und SIAT1150. (1) Rechtssache Schempp In der Rechtssache Schempp ging es um § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wonach Unterhaltsleistungen an den geschiedenen, nicht unbeschränkt einkom­ mensteuerpflichtigen Ehegatten nur dann als Sonderausgaben abgezogen werden konnten, wenn die Besteuerung der Unterhaltszahlungen beim ECLI:EU:C:2011:198 – Schröder, Rn. 40 ff. EuGH, Urt. v. 8.11.2012, C-342/10, ECLI:EU:C:2012:688 – Kommission/Finnland, Rn. 37 ff.; EuGH, Urt. v. 13.7.2016, C-18/15, ECLI:EU:C:2016:549 – Brisal, Rn. 23 ff. Zur „Gerritse-Doktrin“ Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 285 f.; Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Euro­ päisches Steuerrecht, Rn. 7.132. 1146 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 285. 1147 Sogleich Kapitel 4 - C.IV.1.b)aa). 1148 Kapitel 4 - C.IV.1.b)bb). 1149 EuGH, Urt. v. 12.7.2005, C-403/03, ECLI:EU:C:2005:446 – Schempp. 1150 EuGH, Urt. v. 5.7.2012, C-318/10, ECLI:EU:C:2012:415 – SIAT.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Empfänger nachgewiesen wurde.1151 Ein gebietsansässiger Steuerpflichti­ ger leistete nun Unterhaltszahlungen an seine in Österreich ansässige, geschiedene Frau. Diese Zahlungen waren in Österreich nicht steuer­ pflichtig, weshalb dem Zahlenden der Sonderausgabenabzug versagt wurde.1152 Der EuGH sah die Regelung als europarechtskonform an. Ent­ scheidend war dafür die Prüfung der objektiven Vergleichbarkeit der Si­ tuationen. Konkret führte der EuGH aus, dass „[…] Unterhaltsleistungen an einen in Deutschland wohnenden Empfänger nicht mit Unterhaltsleistungen an einen in Österreich ansässigen Empfänger verglichen werden [können]“, da der Empfänger, „[…] was die Besteuerung der Unterhaltsleistungen angeht, einer unterschiedlichen steuerrechtlichen Regelung [unterliegt]“.1153 Die Ungleichbehandlung ergebe sich in Wirk­ lichkeit daraus, dass die steuerliche Regelung im Mitgliedstaat, in dem die Frau wohne, anders sei als die Regelung im Mitgliedstaat, in dem der Steuerpflichtige wohne.1154 (2) Rechtssache SIAT Ein anderes Bild zeichnet jedoch das Urteil in der Rechtssache SIAT1155. Die dem Sachverhalt zugrundeliegende Korrespondenzregel versagte den Abzug von Lizenzaufwendungen, die beim Empfänger im Ausland keiner Steuer oder einem erheblich vorteilhafteren Besteuerungssystem unter­ lagen.1156 Diesbezüglich erachtete der EuGH die Situationen hingegen als vergleichbar und führte dazu aus, dass sich an der Situation eines in Bel­ gien ansässigen Dienstleistungsempfängers in Bezug auf den Betriebsaus­ gabenabzug nichts ändere, gleichgültig ob der Dienstleister im selben Mitgliedstaat ansässig sei oder nicht und ob dieser Dienstleister in einem anderen Mitgliedstaat einer günstigeren oder einer weniger günstigen steuerlichen Behandlung unterliege. In all diesen Fällen könnten den Dienstleistungsempfängern tatsächliche Kosten entstanden sein, die, so­ fern die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des genannten Vor­ teils erfüllt sind, zum Abzug als Betriebsausgaben berechtigten.1157 (3) Zwischenergebnis Damit ergibt sich ein gespaltenes Bild, welches sich auch im Schrifttum widerspiegelt. So wird – ohne auf das jeweils andere Urteil einzugehen –

1151 EuGH, Urt. v. 12.7.2005, C-403/03, ECLI:EU:C:2005:446 – Schempp, Rn. 5. 1152 EuGH, Urt. v. 12.7.2005, C-403/03, ECLI:EU:C:2005:446 – Schempp, Rn. 9. 1153 EuGH, Urt. v. 12.7.2005, C-403/03, ECLI:EU:C:2005:446 – Schempp, Rn. 35. 1154 EuGH, Urt. v. 12.7.2005, C-403/03, ECLI:EU:C:2005:446 – Schempp, Rn. 32. 1155 EuGH, Urt. v. 5.7.2012, C-318/10, ECLI:EU:C:2012:415 – SIAT. 1156 EuGH, Urt. v. 5.7.2012, C-318/10, ECLI:EU:C:2012:415 – SIAT, Rn. 3. 1157 EuGH, Urt. v. 5.7.2012, C-318/10, ECLI:EU:C:2012:415 – SIAT, Rn. 31.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

mal die Rechtssache Schempp für die Unionsrechtskonformität1158, mal die Rechtssache SIAT gegen die Unionsrechtskonformität von Linking Rules ins Felde geführt.1159 Wenngleich die Rechtssache SIAT einen stär­ keren Bezug zur hier behandelten Thematik aufweist, spricht das unkla­ re Ergebnis dafür, die Prüfung an allgemeinen dogmatischen Strukturen auszurichten und nicht anhand der Betrachtung zweier Einzelfälle zu durchzuführen. bb) Deduktiver Ansatz: Dogmatische Strukturen der Vergleichbarkeitsprüfung am Beispiel der Rechtsprechung zu sog. finalen Verlusten Im Folgenden wird sich von der eben angestellten Einzelfallbetrachtung gelöst und der Versuch unternommen, allgemeine dogmatische Struktu­ ren zu identifizieren, welche der objektiven Vergleichbarkeitsprüfung zugrunde liegen. Wie noch zu zeigen sein wird, haben sich insoweit mit der Zeit verschiedene Muster herausgebildet. Diese lassen sich beson­ ders anschaulich anhand der Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung zu den sog. finalen Verlusten nachvollziehen. Den aktuellen Stand markiert, jedenfalls bezüglich der Vergleichbarkeitsdogmatik, das Urteil Bevola.1160 Wenn sich in dessen Verfahrensgang bezüglich der objektiven Vergleich­ barkeit die dänische, österreichische sowie die deutsche Regierung auf eine Fortführung der Grundsätze aus zwei vorangegangenen ­Urteilen be­ rufen, um gegen eine Grundfreiheitsbeschränkung zu argumentieren1161, der EuGH daraufhin – ebenfalls unter ausdrücklicher Bestätigung eben jener zwei Urteile – eine Grundfreiheitsbeschränkung gerade bejaht1162, wenn sich dadurch die bisherige Interpretation der zwei vorangegangenen Urteile durch den Bundesfinanzhof1163 als Fehlinterpretation erweist1164 und sich die Literatur auch nach Bevola noch uneins darüber ist, ob die Entscheidung auf einer Linie mit seinen Vorgängern befindet1165, dann 1158 Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288, 294 ff.; Rust, in: Grundfragen des Euro­ päischen Steuerrechts, S. 89, 98 f.; Rust, BTR 2015, 308, 318. 1159 Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Europäischen Binnenmarkt, S. 183 ff. Vgl. ferner im Kontext der Lizenzschranke (§ 4j EStG) Pötsch, IStR 2018, 417, 419 f. sowie Schnitger, DB 2018, 147, 149. 1160 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola. 1161 Schlussanträge des Generalanwalts Sánchez-Bordona v. 17.1.2018, C-650/16, ECLI:EU:C:2018:15 – Bevola, Rn. 16 f., 21, 25. 1162 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 33; vgl. ferner Schlussanträge des Generalanwalts Sánchez-Bordona v. 17.1.2018, C-650/16, ECLI:EU:C:2018:15 – Bevola, Rn. 57, 60 - 62. 1163 BFH, Urt. v. 22.2.2017, I R 2/15, BStBl. II 2017, 709. 1164 Müller, ISR 2016, 54, 58; Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuer­ recht, Art. 49 Rn. 174; Graßl/Schmolke, Ubg 2018, 575, 577 und 580; a.A. Schulz-Trieglaff, IStR 2018, 777, 778. 1165 Für eine Bestätigung bisheriger Grundsätze Graßl/Schmolke, Ubg 2018, 575, 578; Schulz-Trieglaff, IStR 2018, 777, 778 f.; Schulz-Trieglaff, StuB 2018, 590, 591 („Klarstellung“); Löprick/Meger, StuB 2018, 805, 810. Für eine Abweichung von

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C.  Europäische Grundfreiheiten

veranschaulicht dies vor allem eines: Der Grad, zu welchem die Ver­ gleichbarkeitsprüfung bis zu diesem Zeitpunkt für Unsicherheit und Missverständnisse gesorgt hat, ist bemerkenswert. Im Folgenden werden anhand der Rechtsprechung zu den finalen Verlusten die dogmatischen Muster der Vergleichbar-keitsprüfung herausgearbeitet.1166 Anschließend wird die Kritik aus dem Schrifttum dargestellt und dazu Stellung bezogen. In diesem Zuge wird ein vorzugswürdiger Ansatz he­rausgearbeitet und auf die Korrespondenzregeln der ATAD II angewandt. Abschließend wird der Versuch unternommen, das Ergebnis dogmatisch weiter zu fundieren. (1) Hintergrund (Rs. Marks & Spencer, Lidl Belgium) Die Geburtsstunde der „finalen Verluste“ markiert die Rechtssache Marks & Spencer.1167 Hier unterhielt eine im Vereinigten Königreich ansässige Gesellschaft mehrere Tochtergesellschaften in Belgien, ­ Deutschland und Frankreich. Das Konzernsteuerrecht des Vereinigten Königreichs versagte nun der Muttergesellschaft, die von den Tochterge­ sellschaften erwirtschafteten Verluste abzuziehen; ein Konzernabzug war nur für Verluste im Vereinigten Königreich zulässig.1168

Abbildung 31:  Rs. Marks & Spencer den bisherigen Grundsätzen Böing/Dokholian, GmbH-StB 2019, 270, 271 (,,Kehrtwende”); Müller, ISR 2016, 54 („Kehrtwende“); Kraft, IStR 2018, 508, 508 ff.; Kraft, NWB 2018, 2384, 2384; Mitschke, Ubg 2018, 467, 468; differenzie­ rend Hey, in: Research Handbook on European Union Taxation Law, S. 195, 201 („a new turnaround“). 1166 Grundlage für die hiesige Untersuchung ist jene von Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 278 ff. 1167 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer. Heckerodt/Schulz, DStR 2018, 1457, 1459; Lang, in: Grundfragen des Europäi­ schen Steuerrechts, S. 63, 63 ff. 1168 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer, Rn. 24.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

Der EuGH erkannte hierin grundsätzlich eine Beschränkung der Nieder­ lassungsfreiheit1169, welche indes grundsätzlich durch die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten, der Gefahr der doppelten Verlustberücksichtigung und der Steuerflucht­ gefahr gerechtfertigt sei.1170 Die Besonderheit bestand nun darin, dass er die Versagung des Verlustabzugs ausnahmsweise als unverhältnismäßig (und damit grundfreiheitswidrig) erachtete, soweit die Muttergesell­ schaft nachweisen kann, dass die ausländische Tochtergesellschaft in ihrem Sitzstaat alle Möglichkeiten der Verlustberücksichtigung ausge­ schöpft hat und dort auch keine Möglichkeiten zur künftigen Verlust­ nutzung bestehen.1171 Mit anderen Worten ist es nach Marks & Spencer grundfreiheitswidrig, einer inländischen Muttergesellschaft die Berück­ sichtigung der Verluste einer ausländischen Tochtergesellschaft zu versa­ gen, wenn diese Verluste eben „final“ sind. Aus der Rechtssache Lidl Belgium ergab sich dann implizit, dass die in der Rechtssache Marks & Spencer aufgestellten Grundsätze nicht nur für Verluste ausländischer Tochtergesellschaften gelten, sondern auch auf ausländische Betriebsstättenverluste übertragbar sind.1172 (2) Anerkennungsgrundsatz (Rs. Nordea Bank) Weder in Marks & Spencer noch in Lidl Belgium fand eine Prüfung der objektiven Vergleichbarkeit des grenzüberschreitenden und innerstaatli­ chen Sachverhalts statt. Dies änderte sich, gegenläufigen Vorschlägen der Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen zum Trotz1173, mit der Rechtssache Nordea Bank.1174 Im zugrundeliegenden Sachverhalt ging es um eine in Dänemark ansäs­ sige Gesellschaft, welche ihre gebietsfremde Betriebsstätte an eine ver­ bundene, gebietsfremde Gesellschaft veräußert hat. Bis zu diesem Zeit­ punkt hat die Betriebsstätte Verluste erlitten, die beim dänischen Stammhaus berücksichtigt wurden. Vor der Veräußerung stellte sich die Situation wie folgt dar. 1169 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer, Rn. 33 f. 1170 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer, Rn. 43 ff. 1171 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer, Rn. 53 ff. (insb. Rn. 55). 1172 EuGH, Urt. v. 15.5.2008, C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278 – Lidl Belgium, Rn. 50 f.; vgl. Graßl/Schmolke, Ubg 2018, 575, 575; Heckerodt/Schulz, DStR 2018, 1457, 1459. 1173 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 13.3.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:​ 2014:153 – Nordea Bank, Rn. 23 f. 1174 EuGH, Urt. v. 17.7.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:2014:2087 – Nordea Bank. Dazu Englisch, IStR 2014, 561; Mitschke, IStR 2014, 565; Mitschke, IStR 2014, 37, 42 f.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Abbildung 32: Rs. Nordea Bank

Anlässlich der Veräußerung sah nun die dänische Regelung eine Nach­ versteuerung der zuvor abgezogenen Verluste beim Stammhaus vor, in­ dem sie die Berücksichtigung der Verluste beim Stammhaus nachträglich versagte.1175 Da das dänische Steuerrecht keine entsprechende Regelung für eine Inlandsbetriebsstätte enthielt, ging der EuGH grundsätzlich von einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit aus.1176 Erstmals im Be­ reich der Betriebsstättenverluste prüfte er dann die objektive Vergleich­ barkeit der Situationen. Insoweit findet sich die Aussage, dass „[…] in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die der Vermeidung oder Abschwächung der Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, sich Betriebsstätten, die in einem anderen Mitgliedstaat […] belegen sind, grundsätzlich nicht in einer Situation befinden, die mit der Situation gebietsansässiger Betriebsstätten vergleichbar wäre“1177. Diesen Grundsatz relativiert der EuGH auf dem Fuße. So habe Dänemark die gebietsfremde Betriebsstätte einer ge­ bietsansässigen Betriebsstätte gleichgestellt, indem es ihre Gewinne und Verluste zunächst der dänischen Besteuerung unterworfen habe.1178 Im einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen wurde nämlich die Anrechnungsmethode vereinbart.1179 Diese bewirkt, dass ausländische Be­ triebsstätteneinkünfte im Inland voll berücksichtigt werden und die da­ rauf im Ausland entrichtete Steuer angerechnet wird.1180

1175 EuGH, Urt. v. 17.7.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:2014:2087 – Nordea Bank, Rn. 9 ff. 1176 EuGH, Urt. v. 17.7.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:2014:2087 – Nordea Bank, Rn. 21 ff. 1177 EuGH, Urt. v. 17.7.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:2014:2087 – Nordea Bank, Rn. 24. 1178 EuGH, Urt. v. 17.7.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:2014:2087 – Nordea Bank, Rn. 24. 1179 Graßl/Schmolke, Ubg 2018, 575, 576. 1180 Vgl. Keuthen, Die Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung im EG-Bin­ nenmarkt, S. 55 ff.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

Letztlich scheiterte die Rechtfertigung der Regelung. Gleichwohl bedurf­ te es hier nicht des Rückgriffs auf die Marks & Spencer-Doktrin, welche besagt, dass die Nichtberücksichtigung gebietsfremder „finaler“ Verluste ausnahmsweise unverhältnismäßig und daher unionsrechtswidrig ist. Die dänische Regelung erwies sich nämlich bereits im Ausgangspunkt als inkonsistent1181: Während sie die Berücksichtigung zuvor erlittener Verluste versagte, hätte sie gleichzeitig zuvor erwirtschaftete Gewinne berücksichtigt. Der EuGH sah damit die Symmetrie zwischen Verlustbe­ rücksichtigung und Gewinnbesteuerung verletzt. Die Regelung ging da­ mit jedenfalls über das erforderliche Maß hinaus, welches zur Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse erforderlich ist.1182 Unklar blieb jedoch, welche Relevanz der Marks & Spencer-Dok­ trin in Zukunft beigemessen werden sollte.1183 Betreffend die Vergleichbarkeit lässt sich dem Urteil jedenfalls eine Kern­ aussage entnehmen: Die Situationen sind jedenfalls dann vergleichbar, wenn es sich um eine Anrechnungsbetriebsstätte handelt. Ihre Einkünfte werden nämlich genau wie die einer inländischen Betriebsstätte berück­ sichtigt.1184 Im Hinblick auf die dogmatischen Strukturen der objektiven Vergleichbarkeitsprüfung lässt sich diese Aussage als Ausdruck des sog. Anerkennungsgrundsatzes einordnen1185, welcher sich in einer Vielzahl von Entscheidungen wiederfinden lässt.1186 Hiernach gibt der regelnde Mitgliedstaat selbst zu erkennen, dass er die Situationen für vergleichbar hält, wenn er den grenzüberschreitenden und den innerstaatlichen Sach­ verhalt im Ausgangspunkt, also abgesehen von der in Rede stehenden Ungleichbehandlung, identisch behandelt. Dies ist in Betriebsstätten­ konstellationen eben dann der Fall, wenn auf die gebietsfremde Betriebs­ stätte die Anrechnungsmethode angewandt wird.1187

1181 Ähnlich Mitschke, IStR 2014, 565, 567. 1182 EuGH, Urt. v. 17.7.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:2014:2087 – Nordea Bank, Rn. 31 ff. 1183 Kahlenberg, Ubg 2018, 470, 470. Für weiterhin relevant hielt sie Schlücke, FR 2016, 130, 131. 1184 Kritisch zu einer Vergleichbarkeitsprüfung anhand der DBA-Methode Hecke­ rodt/Schulz, DStR 2018, 1457, 1461 f., Heckerodt, IStR 2019, 171, 172 f., welche auch sich ergebende Folgefragen einer solchen Betrachtung diskutieren. 1185 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 281. 1186 EuGH, Urt. v. 28.1.1986, C-270/83, ECLI:EU:C:1986:37 – Avoir fiscal, Rn. 20; EuGH, Urt. v. 29.4.1999, C-311/97, ECLI:EU:C:1999:216 – Royal Bank of Scot­ land, Rn. 28 ff.; EuGH, Urt. v. 21.9.1999, C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438 – Saint-Gobain, Rn. 48 f.; EuGH, Urt. v. 11.7.2002, C-62/00, ECLI:EU:C:2008:211 – Marks & Spencer, Rn. 36 f.; EuGH, Urt. v. 17.1.2008, C-256/06, ECLI:EU:​C:​ 2008:20 – Jäger, Rn. 44; EuGH, Urt. v. 19.11.2009, C-314/08, ECLI:EU:C:​ 2009:719 – Filipiak, Rn. 68 - 70; EuGH, Urt. v. 17.10.2013, C-181/12, ECLI:EU:C:​ 2013:​662 – Welte, Rn. 51; EuGH, Urt. v. 4.5.2017, C-98/16, ECLI:EU:C:2017:346 – Kommission/Griechenland, Rn. 40.  1187 Hey, in: Research Handbook on European Union Taxation Law, S. 195, 198.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

(3) Ausübung von Besteuerungshoheit (Rs. Timac Agro) Statt eine Anrechnungsbetriebsstätte betraf die Entscheidung Timac Agro nun eine ausländische Betriebsstätte, deren Einkünfte im Stamm­ hausstaat Deutschland aufgrund eines DBA freigestellt waren.1188 Damit konnten die von der Betriebsstätte im Ausland erwirtschafteten Verluste nicht beim Stammhaus berücksichtigt werden.

Abbildung 33:  Rs. Timac Agro

Der EuGH blieb auf seinem in Nordea Bank eingeschlagenen Weg und prüfte die objektive Vergleichbarkeit der Situationen. Das Ergebnis lässt sich deshalb erahnen1189: Im Hinblick auf Maßnahmen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung ist die Situation eines Stammhauses mit gebiets­ fremder Freistellungsbetriebsstätte nicht mit der eines solchen mit in­ ländischer Betriebsstätte vergleichbar.1190 Damit erachtete der EuGH die Regelung des Art. 23 Abs. 1 lit. a) DBA Deutschland-Österreich, welche die Einkünfte der gebietsfremden Betriebsstätte freistellt und damit auch die Berücksichtigung ihrer Verluste ausschließt, als unionsrechtskon­ form.1191 Richtet man den Blick allein auf die Prüfung der objektiven Vergleichbar­ keit der Situationen, so erweist sich Timac Agro als konsequente Fort­

1188 EuGH, Urt. v. 17.12.2015, C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829 – Timac Agro, Rn. 60 f. Dazu Eisendle, ISR 2016, 37; Mitschke, FR 2016, 132; Niemann/Dodos, DStR 2016, 1057; Schlücke, FR 2016, 130; Schnitger, IStR 2016, 72. 1189 Schon Mitschke, IStR 2014, 565, 565 f. folgerte aus Nordea Bank eine „stillschweigende Rechtsprechungsänderung“. Als „sensationell“ erachtet das Ergeb­ nis wiederum Schulz-Trieglaff, IStR 2017, 593, 595. 1190 EuGH, Urt. v. 17.12.2015, C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829 – Timac Agro, Rn. 64 ff. 1191 EuGH, Urt. v. 17.12.2015, C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829 – Timac Agro, Rn. 66.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

führung der Grundsätze aus Nordea Bank1192, wonach sich in Bezug auf Maßnahmen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung eine gebietsfrem­ de Betriebsstätte grundsätzlich nicht in einer mit einer gebietsansässigen Betriebsstätte vergleichbaren Situation befindet. Da es sich dieses Mal um eine Freistellungsbetriebsstätte handelt, kann auch nicht damit ar­ gumentiert werden, dass der Mitgliedstaat den grenzüberschreitenden Sachverhalt schon im Ausgangspunkt mit seinem innerstaatlichen Pen­ dant gleichstellt.1193 Letztlich entscheidend bleibt damit eine Abgren­ zung anhand der Ausübung der Besteuerungshoheit: Verzichtet ein Staat gänzlich auf die steuerliche Berücksichtigung der gebietsfremden Be­ triebsstätteneinkünfte, so muss er konsequent auch nicht ihre Verluste berücksichtigen.1194 Das entspricht letztlich der Symmetriethese, welche eigentlich integraler Bestandteil des Rechtfertigungsgrunds der ausgewo­ genen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse ist und nunmehr auch auf Ebene der objektiven Vergleichbarkeit fruchtbar gemacht wurde.1195 Aus heutiger Sicht sollte es sich jedoch als durchaus folgenreich erwei­ sen, dass das Urteil nicht auf die Frage einging, ob die Verluste anderwei­ tig im Ausland verwertbar waren oder hingegen „final“ im Sinne der Marks & Spencer-Doktrin waren.1196 Der BFH1197 und mit ihm der über­ wiegende Teil des Schrifttums1198 ging nämlich von einer Rechtspre­ chungsänderung dahingehend aus, dass die Berücksichtigung finaler Ver­ luste unionsrechtlich nun nicht mehr geboten sei.1199 Dieses Ergebnis basierte auf der Annahme, dass nunmehr die Ausübung der Besteue­ rungshoheit des Stammhausstaates das maßgebliche Kriterium darstell­ te: Berücksichtigt er die Einkünfte der gebietsfremden Anrechnungsbe­ triebsstätte im Inland, so muss er konsequent auch die finalen Verluste berücksichtigen (Nordea Bank).1200 Stellt er die Einkünfte der gebiets­ fremden Betriebsstätte dagegen gänzlich frei, so muss er konsequent auch nicht ihre Verluste berücksichtigen. Die Fokussierung auf die ver­ 1192 So auch Hey, in: Research Handbook on European Union Taxation Law, S. 195, 200 m.w.N. 1193 Niemann/Dodos, DStR 2016, 1057, 1062; Kahlenberg, Ubg 2018, 470, 470; Kopec/Wellmann, ISR 2019, 7, 10. 1194 Vgl. Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 291 ff. 1195 Dazu noch Kapitel 4 - C.IV.2.a)aa). 1196 Darauf wird im Urteil nur bezüglich der ersten von insgesamt zwei Vorlagefragen eingegangen EuGH, Urt. v. 17.12.2015, C-388/14, ECLI:EU:C:2015:829 – Timac Agro, Rn. 56. 1197 BFH, Urt. v. 22.2.2017, I R 2/15, BStBl. II 2017, 709 – Rn. 37. Dazu Mitschke, FR 2017, 839. 1198 Eisendle, ISR 2016, 37, 42; Mitschke, FR 2016, 132, 132 f.; Schnitger, IStR 2016, 72, 73 a.A. Schlücke, FR 2016, 130, 131; Niemann/Dodos, DStR 2016, 1057, 1063. 1199 Heckerodt/Schulz, DStR 2018, 1457, 1459 f. 1200 Hier bilden der Anerkennungsgrundsatz und die Abgrenzung anhand der Aus­ übung von Besteuerungshoheiten freilich eine Schnittmenge.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

meintlich entscheidende Weichenstellung in der objektiven Vergleich­ barkeit ließ die Verhältnismäßigkeitserwägungen aus Marks & Spencer zur Finalität derweil in Vergessenheit geraten. (4) Normzielbetrachtung (Rs. Bevola) Wieder war es Dänemark, welches sich mit einem Verfahren betreffend die Abzugsfähigkeit von Verlusten konfrontiert sah. In der Bevola-Ent­ scheidung1201 ging es um eine aus dänischer Sicht gebietsansässige Mut­ tergesellschaft, welche in Finnland eine Betriebsstätte unterhielt. Diese erlitt im Streitjahr einen erheblichen Verlust, der wegen der Schließung der Zweigniederlassung im selben Jahr dort nicht mehr verrechnet wer­ den konnte. Daher beantragte die Muttergesellschaft in Dänemark, den Verlust ihrer finnischen Zweigniederlassung zu berücksichtigen. Die dä­ nische Steuerverwaltung lehnte diesen Antrag ab, weshalb sich Bevola in ihrer Niederlassungsfreiheit verletzt sah.

Abbildung 34:  Rs. Bevola

Es überrascht nicht, dass sich die dänische Regierung im Verfahrens­ gang – Nordea Bank und Timac Agro vor Augen – auf die fehlende Ver­ gleichbarkeit der Situationen berief.1202 Nach dänischem Steuerrecht wurden nämlich weder Gewinne, noch Verluste der Auslandsbetriebs­ stätte berücksichtigt, was nach bisherigem Verständnis von Timac Agro zu Unvergleichbarkeit des grenzüberschreitenden mit dem innerstaatli­ chen Sachverhalt führen musste.

1201 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, Rs. C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola. Dazu Heckerodt/Schulz, DStR 2018, 1457. 1202 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, Rs. C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 30.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

Der EuGH stellte im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung jedoch maß­ geblich auf das mit der nationalen Regelung verfolgte Ziel ab1203 und sah darin insbesondere keinen Widerspruch zu Nordea Bank und Timac Agro.1204 Hierzu führte er aus, dass es insoweit bei dem bereits bekannten Grundsatz bleibe, dass bezüglich Maßnahmen, die der Vermeidung von Doppelbesteuerung dienten, die Situation von Gesellschaften mit ge­ bietsfremder Betriebsstätte grundsätzlich nicht mit der einer Gesell­ schaft mit einer gebietsansässigen Betriebsstätte vergleichen lasse.1205 Nun führe aber der Umstand, dass die Verluste für die Betriebsstätte nicht mehr nutzbar seien, dazu, dass sich die Situation einer gebietsfrem­ den Betriebsstätte in Anbetracht des Ziels der Regelung, den doppelten Abzug der Verluste zu vermeiden, nicht von der einer gebietsansässigen Betriebsstätte unterscheide.1206 Mit anderen Worten droht bei „finalen“ gebietsfremden Verlusten ebenso wenig ihre doppelte Berücksichtigung wie bei inländischen Verlusten, denn es ist ja gerade Voraussetzung, dass diese im Ausland nicht mehr nutzbar gemacht werden können. Zielt des­ halb die Regelung auf die Vermeidung einer doppelten Berücksichtigung ab, so sind die grenzüberschreitende und die innerstaatliche Situation insoweit vergleichbar. Dieselbe Erwägung gab später auch bei der Prüfung von Rechtfertigungs­ gründen den Ausschlag. Die dänische Regelung war nämlich unverhält­ nismäßig, soweit sie den Abzug von „finalen“ Verlusten im Sinne von Marks & Spencer versagte.1207 Betrachtet man unter dieser Prämisse also nochmals Timac Agro, so kann dies nur bedeuten, dass in diesem Fall die angefallenen Verluste nicht „final“ waren.1208 Im Hinblick auf Maßnahmen zur Vermeidung einer Doppelberücksichtigung befinden sich eine gebietsansässige und eine gebietsfremde Betriebsstätte nicht in einer vergleichbaren Situation, da es im innerstaatlichen Sachverhalt gar nicht erst zu einer Doppelbe­ rücksichtigung kommen kann. Bei diesem Ergebnis blieb es aber nur, weil die Verluste im streitgegenständlichen Fall nicht final waren. Ande­ renfalls hätte nämlich – wie bei Bevola – auch im grenzüberschreitenden 1203 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, Rs. C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 32. 1204 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, Rs. C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 33. 1205 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, Rs. C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 37. 1206 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, Rs. C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 38. 1207 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, Rs. C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 34; vgl. FG Hessen, Urt. v. 4.9.2018, 4 K 385/17, IStR 2018, 920, welches das EuGH-Urteil erstmals umsetzt. Dazu Mitschke, IStR 2018, 923. Zur weiteren Entwicklung der „Marks & Spencer-Doktrin“ s. EuGH, Urt. v. 19.6.2019, C-607/17, ECLI:EU:C:2019:510 – Memira, dazu Heckerodt, IStR 2019, 600. Fer­ ner EuGH, Urt. v. 19.6.2019, C-608/17, ECLI:EU:C:2019:511 – Holmen. Dazu Dobratz, IStR 2019, 221, 221. 1208 Graßl/Schmolke, Ubg 2018, 575, 578.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Sachverhalt keine Doppelberücksichtigung gedroht, womit sich der Sachverhalt nicht vom innerstaatlichen Pendant unterschieden hätte. Da aber zur Finalität der Verluste nichts ausgeführt wurde, konzentrierte man sich auf den Umstand, dass es sich bei Timac Agro um eine Freistel­ lungsbetriebsstätte gehandelt hat, welche, anders als die Anrechnungs­ betriebsstätte bei Nordea Bank, zur Unvergleichbarkeit der Situationen geführt hatte.1209 Die strikte Vergleichbarkeitsprüfung anhand der Aus­ übung von Besteuerungsrechten kann deshalb – zumindest im Bereich der Betriebsstättenverluste – als Irrweg identifiziert werden. Dennoch lässt sich die Prüfung anhand des mit der Regelung verfolgten Ziels nicht als allgemeingültige Formel ausmachen. Wendet man diese nämlich auf den Nordea Bank zugrundeliegenden Fall an, ergeben sich Unstimmigkeiten. Die Verlustberücksichtigung wurde hier durch eine nationale Regelung versagt. Auch ihr Ziel bestand in der Vermeidung der Doppelberücksichtigung von Einkünften. Vergleicht man vor diesem Hintergrund die dort in Rede stehende gebietsfremde Betriebsstätte mit einer gebietsansässigen Betriebsstätte, so muss man feststellen, dass die Doppelberücksichtigung der Einkünfte nur im grenzüberschreitenden Sachverhalt droht. Dies müsste die Unvergleichbarkeit der Situationen nach sich ziehen – tat es jedoch nicht. Ausschlaggebend war insoweit der sog. Anerkennungsgrundsatz. Später im Bevola-Urteil führt der EuGH dazu aus, dass in Nordea Bank der Mitgliedstaat dadurch, dass er die Einkünfte einer gebietsfremden Betriebsstätte durch die Anrechnungs­ methode nicht anders als die einer gebietsansässigen Betriebsstätte be­ handelt habe, selbst anerkannt habe, dass sich beide in einer vergleichba­ ren Situation befinden. Deshalb habe kein Bedarf bestanden, sich näher mit dem Zweck der nationalen Norm auseinanderzusetzen.1210 Es kann somit festgehalten werden, dass die Bevola zugrundeliegende Prüfungsdogmatik, welche sich maßgeblich am Ziel der nationalen Rege­ lung orientiert, wohl auch Timac Agro – wenn auch „verdeckt“ – zugrun­ de lag1211. Jedenfalls geht sie einer strikten Prüfung anhand der Symmet­ riethese vor.1212 Mit Blick auf Nordea Bank wurde die Normzielorientierung aber nicht konsequent eingehalten.1213 Vielmehr wurde sie punktuell 1209 Vgl. nur Mitschke, FR 2016, 132, 132 f. 1210 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, Rs. C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 34. 1211 Graßl/Schmolke, Ubg 2018, 575, 578; Heckerodt/Schulz, DStR 2018, 1457, 1461 und 1463; Schulz-Trieglaff, IStR 2018, 777, 778 f.; Schulz-Trieglaff, StuB 2018, 590, 591 („Klarstellung“); Löprick/Meger, StuB 2018, 805, 810; a.A. Böing/Dokholian, GmbH-StB 2019, 270, 271 (,,Kehrtwende”); Müller, ISR 2016, 54 („Kehrt­ wende“); Kraft, IStR 2018, 508, 508 ff.; Kraft, NWB 2018, 2384, 2384; Mitschke, Ubg 2018, 467, 468. 1212 Ähnlich Brandis, DStR 2018, 2051, 2055. 1213 Ebenfalls keine klare Linie erkennend Kahle/Braun/Burger, FR 2018, 717, 728 (,,Schlingerkurs”); Trossen, Ubg 2018, 472.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

vom sog. Anerkennungsgrundsatz verdrängt. In solchen Fällen bestehe laut EuGH kein Anlass mehr, sich mit dem Ziel der nationalen Regelung auseinanderzusetzen.1214 (5) Kritik Die Entwicklung der Rechtsprechung zu den finalen Verlusten steht bei­ spielhaft für das Fehlen eindeutiger Maßstäbe für die Prüfung, wie es auch vom Schrifttum einstimmig moniert wird.1215 Sie erwies sich ein­ mal mehr als „black box“1216, was angesichts der weitreichenden Folgen der Prüfung zu bedauern ist. Unter den verschiedenen Prüfungsansät­ zen wird insbesondere der Trend zur Normzielbetrachtung kritisch gese­ hen. Das Kriterium erweise sich als Leerformel, welche die Gefahr von Zirkelschlüssen berge.1217 Bei einer so verstandenen Prüfung der objek­ tiven Vergleichbarkeit liefen die Grundfreiheiten Gefahr, sich selbst ­aufzugeben.1218 Jedenfalls komme es zu einer Überbetonung nationa­ ler Interessen.1219 Neben dem variierenden Prüfungsstandort zwischen ­Eingriffs- und Rechtfertigungsebene, welcher zu einer Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast führe1220, wird schließlich moniert, dass die Vergleichbarkeitsprüfung keinen Platz für Verhältnismäßigkeitserwä­ gungen biete.1221 Es überrascht an dieser Stelle nicht, dass sich Stimmen finden, die sich für die Aufgabe der Vergleichbarkeitsprüfung ausspre­ chen.1222 Jedenfalls solle auf die Rechtfertigungsprüfung einschließlich einer Verhältnismäßigkeitskontrolle nicht leichtfertig verzichtet wer­ den.1223 (6) Stellungnahme Generalanwältin Kokott führt in ihren Schlussanträgen zu Nordea Bank aus, dass das Erfordernis der objektiven Vergleichbarkeit als ein dogmati­ 1214 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 34. 1215 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 128; Musil, in: Musil/ Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung Rn. 99; Reimer, in: Schaum­ burg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.134. 1216 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.134 1217 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.131. 1218 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.133. 1219 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 288. 1220 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 127 f.; vgl. Henze, in: FS Gosch, S. 137, 147. 1221 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 129. 1222 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 13.3.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:​ 2014:​153 – Nordea Bank, Rn. 21 ff.; ähnlich Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.134; a.A. Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 296 f. und 299 ff., welcher einen Alternativvorschlag unterbreitet und die Ver­ gleichbarkeit anhand der „wirtschaftlichen Substituierbarkeit“ prüfen möchte. 1223 Valta, ISR 2020, 189, 191.

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sches Überbleibsel aus der Zeit gesehen werden könne, als der Gerichts­ hof im Bereich der Niederlassungsfreiheit nur ausdrücklich im Vertrag vorgesehene Rechtfertigungsgründe akzeptierte. Zu dieser Zeit hätten viele Gründe, die aus Sicht eines Mitgliedstaats für eine unterschiedliche Behandlung inländischer und grenzüberschreitender Sachverhalte gel­ tend gemacht wurden, nur im Rahmen der objektiven Vergleichbarkeit der Situationen erörtert werden können.1224 Letztlich sei das Kriterium funktionsgleich mit der Rechtfertigungsprüfung.1225 Betrachtet man die oben dargestellte Rechtsprechung zur objektiven Vergleichbarkeit spezi­ ell im Lichte der Rechtfertigungsprüfung, so ergibt sich ein bemerkens­ wertes Gesamtbild. In den hier erwähnten Fällen der finalen Verluste ist als Rechtfertigungs­ grund vor allem die Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteue­ rungsbefugnisse entscheidend. Der Kerninhalt dieses Rechtfertigungs­ grunds ist die Symmetriethese, wonach ein Staat seine Besteuerungshoheit nur dann konsequent ausübt, wenn er entweder sowohl Gewinne als auch Verluste oder aber weder Gewinne noch Verluste der inländischen Besteuerung unterwirft.1226 Er darf deshalb die Verlustberücksichtigung nur untersagen, wenn er auch etwaige Gewinne unberücksichtigt lässt. Wäre es bei Timac Agro zu einer Rechtfertigungsprüfung gekommen (und die Prüfung nicht durch die Verneinung der objektiven Vergleich­ barkeit beendet worden), so wäre die Rechtfertigung der Regelung gelun­ gen. Es wurden nämlich weder Gewinne noch Verluste gebietsfremder Betriebsstätten berücksichtigt, was der Symmetriethese Rechnung trägt. Da wohl keine finalen Verluste vorlagen, wäre das Ergebnis auch nicht aufgrund von Verhältnismäßigkeitserwägungen zu korrigieren gewesen. Am Ende wurde die objektive Vergleichbarkeit deshalb verneint. Jeden­ falls vordergründig wurde dabei auf die Freistellung der Betriebsstätte und damit auf die Symmetriethese abgestellt.1227 Bei Bevola liegen die Dinge im Ausgangspunkt gleich, jedoch scheiterte die Rechtfertigung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, da die Rege­ lung finale Verluste erfasste. Die objektive Vergleichbarkeit wurde be­ jaht. Argumentativ lässt sich dies jedenfalls nicht auf die Freistellung der Betriebsstätte bzw. auf die Symmetriethese stützen, denn hiernach wäre

1224 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 13.3.2014, C-48/13, ECLI:EU:​ C:2014:153 – Nordea Bank, Rn. 23 f. 1225 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 127 f. Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Bobek v. 14.12.2017, C-382/16, ECLI:EU:C:​ 2017:974 – Hornbach Baumarkt, Rn. 40 ff. Siehe bereits oben Kapitel 4 - C.I.3. 1226 Eingehend dazu noch Kapitel 4 - C.IV.2.a)aa). 1227 Kapitel 4 - C.IV.1.b)bb)(3).

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

die objektive Vergleichbarkeit ja gerade zu verneinen. Mithin rekurrierte der EuGH völlig überraschend auf das Ziel der nationalen Norm.1228 In Nordea Bank wurden die Gewinne der gebietsfremden Betriebsstätte berücksichtigt, während der Abzug ihrer Verluste versagt wurde. Dies widerspricht der Symmetriethese. Hätte man die objektive Vergleichbar­ keitsprüfung jedoch an der Normzielbetrachtung ausgerichtet, hätte dies die Unvergleichbarkeit der Situationen ergeben1229 und die Regelung wäre grundfreiheitskonform gewesen. So lässt sich jedenfalls der Rück­ griff auf den Anerkennungsgrundsatz erklären, wonach die objektive Ver­ gleichbarkeit bejaht werden konnte. Der kritisierte „Schlingerkurs“1230 des EuGH stellt sich damit nur als solcher hinsichtlich der objektiven Vergleichbarkeitsprüfung dar, wäh­ rend den Urteilen im Hinblick auf die Rechtfertigungsebene konsistente Erwägungen zugrunde liegen. Auch ist eine Korrelation beider Prüfungen zu beobachten: Die objektive Vergleichbarkeit wurde nur dann verneint (und damit die Grundfreiheitskonformität bejaht), wenn auch die Recht­ fertigungsprüfung gelungen wäre. Wurde die objektive Vergleichbarkeit hingegen bejaht, scheiterte später auch die Prüfung der Rechtfertigung. Die vielfachen Wechsel der Prüfungsmuster, welche die deutsche Steuer­ rechtswissenschaft ein ums andere Mal in die Irre führten, könnten des­ halb mit dem Ausgang der Rechtfertigungsprüfung begründet werden. Da die schlichte A- oder B-Mechanik der Vergleichbarkeitsprüfung die komplexeren Erwägungen der Rechtfertigungsebene, insbesondere Ver­ hältnismäßigkeitsaspekte, nicht abbilden kann, müssen die ihr zugrun­ deliegenden Prüfungsmuster einzelfallabhängig ausgetauscht werden. Damit lassen sich zwei Thesen wagen. Erstens führt die zunehmende Betonung der Vergleichbarkeitsprüfung – anders als es vom Schrifttum kritisiert wird1231 – zu keiner Abnahme der Prüfungsintensität. Auf Basis der obigen Analyse besteht keine ernsthafte Gefahr, dass Verhältnismä­ ßigkeitserwägungen gleichsam unter den Tisch fallen. Zweitens liegt das Problem vielmehr darin, dass sich die Verhältnismäßigkeitserwägungen schlecht in die A- oder B-Mechanik der Vergleichbarkeitsprüfung ein­ fügen lassen. Wie die dargestellte Rechtsprechungslinie zu den finalen Verlusten zeigt, greifen sie sehr wohl Platz, können jedoch zu einem willkürlich anmutenden Austausch der Prüfungskriterien für die Ver­

1228 Vgl. Böing/Dokholian, GmbH-StB 2019, 270, 271 (,,Kehrtwende”); Müller, ISR 2016, 54 („Kehrtwende“); Kraft, IStR 2018, 508, 508 ff.; Kraft, NWB 2018, 2384, 2384; Mitschke, Ubg 2018, 467, 468. 1229 Kapitel 4 - C.IV.1.b)bb)(2). 1230 Kahle/Braun/Burger, FR 2018, 717, 728. 1231 Strenger wohl Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 288, der von einer Untermi­ nierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung spricht.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

gleichbarkeit führen.1232 Insoweit könnte die grundfreiheitliche Prüfung von Korrespondenzregeln eine ähnlich erratische Entwicklung erfahren wie die der Verlustverrechnungsbeschränkungen.1233 Die Austauschbarkeit der Prüfungskriterien sowie der Umstand, dass nicht immer eine Prüfung der objektiven Vergleichbarkeit erfolgt, ist be­ reits Grund genug, die Grundfreiheitskonformität der Korrespondenzre­ geln für Zwecke der vorliegenden Untersuchung nicht allein am Aus­ gang der objektiven Vergleichbarkeitsprüfung festzumachen.1234 Mit der „traditionellen“ Prüfung von Rechtfertigungsgründen steht ein ver­ gleichsweise facettenreiches und ausgewogenes Instrumentarium zur Hand1235, welches sich über Jahrzehnte entwickelt hat und mittels dessen eine differenzierte Bewertung vorgenommen werden kann1236. Künftig ist deshalb eine stärkere Betonung der Rechtfertigungsprüfung wünschens­ wert.1237 Gegenwärtig verspricht noch ehesten die Normzielbetrachtung eine sachgerechte Prüfung der hier behandelten Korrespondenzregeln.1238 Sie entspricht dem Charakter der Vergleichbarkeitsprüfung als „verkürzte Rechtfertigungsprüfung“.1239 Auf der anderen Seite erscheint jedenfalls hinsichtlich der hier behandelten Thematik die Prüfung anhand der Aus­ übung von Besteuerungshoheiten wenig zielführend. Mag sich eine „Ganz oder gar nicht-Betrachtung“ hinsichtlich der Berücksichtigung von Gewinnen und Verlusten noch als geeignetes Abgrenzungskriterium erweisen, so ergibt sie hinsichtlich der Berücksichtigung von Betriebs­ einnahmen und -ausgaben wenig Sinn.1240 Schließlich kann der Gesetzge­ ber bei einer hybriden Gestaltung zwischen zwei Kapitalgesellschaften 1232 Soweit Elemente der Verhältnismäßigkeitsprüfung ihren Eingang in die Ver­ gleichbarkeitsprüfung finden, wird dies zu Recht als systemwidrig kritisiert Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 290 1233 Vgl. Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 278 f. („verschiedene, nicht mitein­ ander kompatible Ansätze, die fallgruppenspezifisch und selbst insoweit nicht durchgehend konsequent zur Anwendung gelangen“). 1234 Vgl. Valta, ISR 2020, 189, 191. 1235 Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung Rn. 112. 1236 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 306 f., der im selben Atemzug gleichwohl auch auf dogmatische Defizite hinweist. 1237 Generalanwältin Kokott v. 13.3.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:2014:153 – Nordea Bank, Rn. 21 ff. Ähnlich Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuer­ recht, Rn. 7.134; Valta, ISR 2020, 189, 191. 1238 Siehe auch Hey, in: Research Handbook on European Union Taxation Law, S. 195, 199, welche die Normzielbetrachtung als vorherrschendes Prüfungsmus­ ter der finalen Verlustrechtsprechung ausmacht. 1239 Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 13.3.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:2014:153 – Nordea Bank, Rn. 23 f.; Hey, in: Research Handbook on European Union Taxation Law, S. 195, 200 („often answering the comparability question on a rather normative basis“) 1240 Siehe dazu noch Kapitel 4 - C.IV.2.a)aa)(2).

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nicht durch die Anrechnungsmethode zu verstehen geben, dass er im Ausgangspunkt den grenzüberschreitenden als mit dem innerstaatlichen Sachverhalt vergleichbar erachtet.1241 Auch der Anerkennungsgrundsatz erscheint deshalb für die Beurteilung der vorliegenden Thematik unge­ eignet. Schließlich ist anzumerken, dass, wenn man den Zweck einer Norm identifiziert hat1242, noch nichts über seine Legitimität gesagt ist.1243 Ori­ entiert man sich in Zukunft allein an der Normzielbetrachtung, so hätte der Steuergesetzgeber in Zeiten von BEPS wenig zu befürchten: Egal, ob die bereits verfassungsrechtlich bedenkliche Zinsschranke1244, die Li­ zenzschranke1245 oder hier behandelten Linking Rules – sie alle zielen auf Probleme ab, die sich nur im grenzüberschreitenden Kontext ergeben. Damit die Normzielbetrachtung nicht zu einem gesetzgeberischen Frei­ brief gerät, ist zusätzlich nach der Legitimität des verfolgten Ziels zu fragen. (7) Anwendung auf die Korrespondenzregeln der ATAD II Nach alledem ist zu klären, welches Ziel mit den hier geprüften Korres­ pondenzregeln verfolgt wird. Diesbezüglich wurde bereits herausgearbei­ tet, dass die Linking Rules noch am konsequentesten das Ziel einer Ein­ malbesteuerung verfolgen.1246 Dieses erweist sich jedoch als reichlich vage.1247 Im Falle hybrider Gestaltungen sollen gerade grenzüberschrei­ tende Konstellationen einer „Einmalbesteuerung“ zugeführt werden. So­ weit ließe sich noch argumentieren, dass das Ziel nur im grenzüber­ schreitenden Kontext verwirklicht werden kann und die Situationen deshalb nicht vergleichbar sind. Andererseits kann eine „Einmalbesteue­ rung“ durch Korrespondenzregeln ebenso im innerstaatlichen Kontext herbeigeführt werden. Dies lässt sich anhand § 8b Abs. 1 S. 2 KStG ver­ deutlichen, der die Freistellung bestimmter Bezüge im Falle ihrer fehlen­ den Vorbelastung nicht gewährt. Die Vorschrift kann nicht nur bei hy­ briden Gestaltungen, sondern gemäß ihrer ursprünglichen Intention 1241 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.7.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:2014:2087 – Nordea Bank, Rn. 24. 1242 Bereits dies kann sich bei „Motivbündeln“ als problematisch erweisen, Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 287. 1243 Vgl. die Kritik von Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.131 und 7.133. Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 288. 1244 Vgl. BFH, Beschl. v. 14.10.2015, I R 20/15, BStBl. II 2017, 1240; Cryns, Gesell­ schafterfremdfinanzierung in Frankreich und Zinsschranke, S. 358 ff. 1245 Vgl. Benz/Böhmer, DB 2017, 206, 210; Drummer, IStR 2017, 602, 603 ff.; Hagemann/Kahlenberg, IStR 2017, 1125, 1126 ff.; Kühbacher, DStZ 2017, 829, 830 ff.; van Lück, IStR 2017, 388, 391 f.; Schnitger, DB 2018, 147, 147 ff. 1246 Kapitel 1 - B.III.9. 1247 Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 253.

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auch bei verdeckten Gewinnausschüttungen zur Anwendung gelan­ gen.1248 Letztere ergeben sich gerade in innerstaatlichen Konstellationen. Vor diesem Hintergrund wären die Situationen objektiv miteinander ver­ gleichbar. Am Ende hängt das Ergebnis der Normzielbetrachtung davon ab, wie stark man das Ziel abstrahiert. Der Kontext des Internationalen Steuerrechts spricht dafür, die „Einmalbesteuerung“ zwischen der „dop­ pelten Nichtbesteuerung“ und „Doppelbesteuerung“ zu verorten.1249 In gleicher Weise wird jedenfalls die „doppelte Verlustberücksichtigung“ in der Rechtsprechung zu den finalen Verlusten kontextualisiert.1250 So ver­ standen lässt sich das Ziel der „Einmalbesteuerung“ nur in grenzüber­ schreitenden Konstellationen verwirklichen. Die Situationen wären da­ mit objektiv nicht miteinander vergleichbar. (8) Dogmatische Fundierung durch ein Europäisches Leistungsfähigkeits­ prinzip? Es wurde bis hierhin herausgearbeitet, dass die Situation im grenzüber­ schreitenden Sachverhalt im Hinblick auf das mit den Korrespondenz­ regeln verfolgte Ziel, eine Einmalbesteuerung herbeizuführen, nicht mit der Situation im innerstaatlichen Sachverhalt vergleichbar ist.1251 Eben­ falls wurde herausgearbeitet, dass ein mit der Normzielbetrachtung ge­ fundenes Ergebnis in der objektiven Vergleichbarkeitsprüfung dogma­ tisch nicht vollends zufriedenstellend ist. Gerade weil das Regelungsziel zum entscheidenden Differenzierungskriterium erhoben wird, ist zu­ sätzlich nach seiner Legitimität zu fragen.1252 Die Frage drängt sich im vorliegenden Falle umso mehr auf, als dass dem Prinzip einer Einmalbe­ steuerung teilweise eine tiefere Legitimität abgesprochen wird.1253 Ent­ sprechend wird festgestellt, dass Korrespondenzregeln zur Neutralisie­ rung hybrider Gestaltungen „höheren Zielen“ nicht dienten.1254 Jedenfalls der Richtliniengeber könnte jedoch an ein Einmalprinzip ge­ bunden sein. Ein solches könnte sich aus einem Europäischen Leistungs­ fähigkeitsprinzip folgern lassen. Dieses wiederum ließe sich dogmatisch mit Art. 20 GRCh begründen.

1248 Gesetzesbegründung zum JStG 2007, BT-Drucks. 16/2712, 38; Gosch, in: Gosch, KStG, § 8b KStG Rn. 147b. 1249 Zu den Begriffen Kapitel 1 - B.I.1. 1250 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.6.2018, Rs. C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 37. 1251 Kapitel 4 - C.IV.1.b)bb)(7). 1252 Kapitel 4 - C.IV.1.b)bb)(6). 1253 Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 259 f.; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 66; Schön, in: Schön/Heber, Grundfragen des Europäischen Steu­ errechts, S. 109, 126. 1254 Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 259.

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Anhaltspunkte dafür lieferte der EuGH in seiner Bevola-Entscheidung. Dort stellte er bekanntlich in erster Linie darauf ab, dass die in Rede ste­ henden nationalen Bestimmungen dem Ziel dienten, Doppelbesteuerung zu vermeiden.1255 Ergänzend argumentierte er mit dem Gesichtspunkt der steuerlichen Leistungsfähigkeit und hob dabei auf die „[…] fraglichen nationalen Bestimmungen ab […]“, die „[…] ganz allgemein darauf ­abzielen, sicherzustellen, dass die Besteuerung einer Gesellschaft mit einer solchen Betriebsstätte der Leistungsfähigkeit der Gesellschaft entspricht“.1256 Die Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft mit einer gebiets­ fremden Betriebsstätte, die finale Verluste erlitten hat, sei in gleicher Weise beeinträchtigt wie die einer Gesellschaft mit einer gebietsansäs­ sigen Betriebsstätte.1257 Damit folgte der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts Sánchez-Bordona.1258 Die Bezugnahme auf das Leis­ tungsfähigkeitsprinzip war in dieser Form neu1259 und veranlasste Teile des Schrifttums, darin die Einführung eines Europäischen Leistungsfä­ higkeitsprinzips zu erblicken.1260 Auch in seiner später ergangenen Ent­ scheidung zur Rechtssache NN, welche ebenfalls den Verlustausgleich betraf, argumentierte der EuGH mit der Leistungsfähigkeit des Kon­ zerns.1261 Im Hinblick auf die Berücksichtigung grenzüberschreitender Leistungs­ fähigkeit sind die Themenbereiche der finalen Verluste einerseits und der hybriden Gestaltungen andererseits miteinander vergleichbar. Beide ergeben sich vor dem Hintergrund, dass multinationale Unternehmen, gleich ob Tochtergesellschafts- oder Betriebsstättenstrukturen, zwar öko­ nomisch eine Einheit bilden, steuerrechtlich jedoch territorial fragmen­ tiert sind.1262 Soweit nun ein Europäisches Leistungsfähigkeitsprinzip die Einmalberücksichtigung finaler Verluste im Konzernverbund gebietet, so könnte es - übertragen auf die vorliegende Thematik - ebenso die je­ weils einmalige Berücksichtigung einer Zahlung als Betriebsausgabe 1255 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 38. 1256 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 39. 1257 EuGH, Urt. v. 12.6.2018, C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola, Rn. 39; dazu Brandis, DStR 2018, 2051, 2054 ff. 1258 Schlussanträge des Generalanwalts Sánchez-Bordona v. 17.1.2018, C-650/16, ECLI:EU:C:2018:15 – Bevola, Rn. 37 f., 59 f. 1259 Zuvor argumentierte der EuGH bereits mit der „Gesamtsteuerkraft“ eines Steu­ erpflichtigen, siehe EuGH, Urt. v. 14.2.1995, C-279/93, ECLI:EU:C:1995:31 – Schumacker, Rn. 33; EuGH, Urt. v. 16.10.2008, C-527/06, ECLI:EU:C:2008:566 – Renneberg, Rn. 70. 1260 Kahlenberg, Ubg 2018, 470; Kraft, NWB 2018, 2384; Heckerodt/Schulz, DStR 2018, 1457; a.A. Mitschke, Ubg 2018, 467, 469; Schlücke, ISR 2019, 132, 138. Kri­ tisch weiter Brandis, DStR 2018, 2051, 2056; Kahle/Braun/Burger, FR 2018, 717, 724. 1261 EuGH, Urt. v. 4.7.2018, C-28/17, ECLI:EU:C:2018:256 – NN, Rn. 35. 1262 Vgl. Valta, ISR 2020, 189, 189.

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beim Zahlungsleister und als Betriebseinnahme beim konzernverbunde­ nen Zahlungsempfänger gebieten. Jeweils ist der grenzüberschreitende Geschäftsvorfall im Konzern unter dem Gesichtspunkt der steuerlichen Leistungsfähigkeit nicht anders zu behandeln als sein innerstaatliches Pendant. Doch inwieweit lässt sich das Vorgenannte auf Art. 20 GRCh stützen? Differenziert werden kann hier zwischen der grenzüberschreitenden Be­ rücksichtigung von Leistungsfähigkeit und der interpersonalen Berück­ sichtigung von Leistungsfähigkeit. Der nationale Gesetzgeber kann durch Art. 20 GRCh nicht zur grenz­ überschreitenden Berücksichtigung von Leistungsfähigkeit verpflichtet werden.1263 Dieser hat nur auf seinem Territorium für eine diskriminie­ rungsfreie Besteuerung zu sorgen.1264 Handlungen anderer Hoheitsträger sind ihm nicht zuzurechnen und müssen von ihm folglich auch nicht im Rahmen einer leistungsfähigkeitsgerechten Besteuerung berücksichtigt werden.1265 Aus Art. 20 GRCh lässt sich weder die Verantwortung des Quellen- noch des Ansässigkeitsstaats zur Berücksichtigung finaler Ver­ luste herleiten.1266 Diese Verantwortungszuweisung hat in den genann­ ten Entscheidungen erst der EuGH vorgenommen und damit gewisser­ maßen als „Ersatzrichtliniengeber“ fungiert.1267 Bis hierhin kann mithin zugestimmt werden, wenn dem Einmalprinzip die Legitimität abgespro­ chen wird.1268 Im Falle der ATAD II handelt nun jedoch kein Mitgliedstaat, sondern der Richtliniengeber. Dieser ist an Art. 20 GRCh und ein daraus folgendes Leistungsfähigkeitsprinzip gebunden.1269 Da sich seine Kompetenz auf das gesamte Unionsgebiet erstreckt, stellt sich das gerade angesprochene Zurechnungsproblem so nicht mehr. Die Steuerautonomie der Mitglied­ staaten verstellt nun nicht mehr den Blick auf die steuerliche Behand­ lung im anderen Staat.1270 Der Richtliniengeber kann die für eine Einmal­ berücksichtigung nötigen Verantwortungen selbst festlegen. Im Falle der

1263 Valta, ISR 2020, 189, 196 f. 1264 Zum Prinzip der „Kästchengleichheit“ siehe Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.158. 1265 Kempny/Reimer, Die Gleichheitssätze, S. 60 ff.; Valta, ISR 2020, 189, 196. 1266 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 66; Valta, ISR 2020, 189, 189. 1267 Valta, ISR 2020, 189, 199. Vgl. auch Hey, in: Research Handbook on European Union Taxation Law, S. 195, 212. 1268 Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 259 f.; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 66; Schön, in: Schön/Heber, Grundfragen des Europäischen Steu­ errechts, S. 109, 126. 1269 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 3 Rn. 75. 1270 Vgl. Valta, ISR 2020, 189, 196 f.

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ATAD II ist dies durch die jeweilige Primary Response und Defensive Rule geschehen.1271 Anders als die grenzüberschreitende Berücksichtigung von Leistungsfä­ higkeit bereitet ihre personenübergreifende Berücksichtigung auch im Lichte des Art. 20 GRCh noch Schwierigkeiten. Losgelöst von Art. 20 GRCh fanden sich Konkretisierungsversuche eines internationalen Leis­ tungsfähigkeitsprinzips bislang vor allem für Konstellationen, in denen es um die Besteuerung desselben Steuerpflichtigen in mehreren Staaten geht.1272 Bei unterschiedlichen Steuerpflichtigen stößt jedenfalls ein nati­ onales Verständnis des Leistungsfähigkeitsprinzips an seine Grenzen.1273 An diesem Punkte kann sich allenfalls die Frage stellen, ob im Falle einer doppelten Nichtbesteuerung ausnahmsweise eine wirtschaftliche Be­ trachtung angezeigt ist. Denn multinationale Unternehmen handeln in ökonomischer Hinsicht als ein einheitliches Unternehmen, während sie in rechtlicher Hinsicht territorial fragmentiert sind.1274 Daraus können sich sowohl Vorteile als auch Nachteile gegenüber kleineren, nur inner­ staatlich tätigen Unternehmen ergeben. Einen Vorteil stellt aus steuerli­ cher Warte die doppelte Nichtbesteuerung im Falle der hybriden Gestal­ tungen dar.1275 Einen Nachteil hingegen der potentielle Untergang finaler Verluste bei Schließung eines Betriebsteils.1276 In letzterem Falle hat der EuGH in Marks & Spencer die Bereitschaft gezeigt, ausnahmsweise eine personenübergreifende Betrachtung zwischen Mutter- und Tochterge­ sellschaft vorzunehmen.1277 Entsprechend begründet er seine Entschei­ dung in der Rechtssache NN mit dem Gesichtspunkt der „Leistungsfä­ higkeit des Konzerns“.1278 Vieles spricht deshalb dafür, eine ähnliche

1271 Kapitel 2 - B.III.2. 1272 Schaumburg, in: FS Tipke, S. 125, 128 ff. Denkbar ist etwa eine Interpretation in Richtung einer internationalen „Gesamtleistungsfähigkeit“, die dann vorrangig durch den Ansässigkeitsstaat zu berücksichtigen wäre. Dies entspräche dem Welteinkommensprinzip. Auf der anderen Seite erscheint aus Perspektive der Quellenstaaten erwägenswert, jeweils die relative „Teilleistungsfähigkeit“ zu berücksichtigen. Dies betonte dann eher das Territorialitätsprinzip. Weiterfüh­ rend Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, S. 100 ff. 1273 Vgl. Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 259 f.; Hey, in: Kernfragen des Unternehmens­ steuerrechts, S. 1, 4 ff.; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 10.1.2019, C-607/17, ECLI:EU:C:2019:8 – Memira, Rn. 73. 1274 Valta, ISR 2020, 189, 190. 1275 Kapitel 1 - B.I.1. 1276 Vgl. Valta, ISR 2020, 189, 195. 1277 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer, Rn. 53 ff. Für Betriebsstätte und Stammhaus siehe EuGH, Urt. v. 15.5.2008, C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278 – Lidl Belgium, Rn. 50 f. 1278 Vgl. EuGH, Urt. v. 4.7.2018, C-28/17, ECLI:EU:C:2018:256 – NN, Rn. 35.

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Ausnahme im umgekehrten Falle der hybriden Gestaltungen zuzulassen und auch insoweit auf die Leistungsfähigkeit im Konzern abzustellen.1279 c) Zwischenergebnis Die ATAD II beinhaltet zwei Regelungen, die unter das Diskriminie­ rungsverbot fallen.1280 Nach der sog. Gerritse-Doktrin ist in diesen Fällen der grenzüberschreitende Sachverhalt objektiv mit dem innerstaatlichen Pendant vergleichbar. Der weit überwiegende Teil der Korrespondenzre­ geln der ATAD II ist als beschränkende Diskriminierung zu werten.1281 Insoweit wurden im Rahmen eines induktiven Ansatzes zwei Entschei­ dungen des EuGH betrachtet, in denen Korrespondenzregeln in Rede standen. Da beide jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen führten, wur­ den im Rahmen eines deduktiven Ansatzes allgemeine Strukturen der Vergleichbarkeitsprüfung in Outbound-Fällen herausgearbeitet. Als Bei­ spiel diente dabei die Rechtsprechungslinie zu den sog. finalen Verlus­ ten. Nach einer kritischen Einordnung wurde die sog. Normzielbetrach­ tung für die Beurteilung der hier in Rede stehenden Korrespondenzregeln der ATAD II herangezogen. Dabei wurde herausgearbeitet, dass die Situ­ ation im grenzüberschreitenden Sachverhalt im Hinblick auf das mit den Korrespondenzregeln verfolgte Ziel, eine grenzüberschreitende Einmal­ besteuerung herbeizuführen, nicht mit der Situation im innerstaatlichen Sachverhalt vergleichbar ist. Dogmatisch fundieren lässt sich dieses Ziel einer grenzüberschreitenden Einmalbesteuerung im Konzern allenfalls, soweit es um Handlungen des Europäischen Gesetzgebers geht. Als Grundlage könnte künftig ein aus Art. 20 GRCh folgendes Europäisches Leistungsfähigkeitsprinzip herangezogen werden. Für Maßnahmen des nationalen Gesetzgebers gelingt die dogmatische Fundierung jedoch nicht. 2. Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe Eine Diskriminierung oder eine Beschränkung führt nicht zu einem ­Verstoß gegen eine Grundfreiheit, wenn sie gerechtfertigt ist. Unions­ rechtlich anerkannte Rechtfertigungsgründe finden sich zunächst im Wortlaut der jeweils einschlägigen AEUV-Artikel, sog. geschriebene Rechtfertigungsgründe. Für steuerrechtliche Sachverhalte sind diese je­

1279 Angemerkt sei schließlich, dass auf Basis des hiesigen Verständnisses europäi­ sche Leistungsfähigkeitserwägungen lediglich als Korrektiv dienten. Demnach ergänzen sie das nationale Leistungsfähigkeitsprinzip, ersetzen es jedoch nicht. Aufgrund der fortbestehenden Autonomie der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der direkten Steuern bestünde für Letzteres auch kein Bedürfnis. 1280 Kapitel 4 - C.III.1. 1281 Kapitel 4 - C.III.2.

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doch regelmäßig ohne Relevanz.1282 Mit der Zeit wurden vom EuGH zahlreiche ungeschriebene Rechtfertigungsgründe auch für das Steuer­ recht anerkannt und weiterentwickelt (sog. „rule of reason“).1283 Hierbei handelt es sich um Konkretisierungen von zwingenden Gründen des All­ gemeininteresses. Aufgrund der Konvergenz der Grundfreiheiten werden die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe einheitlich angewandt und sind nicht etwa auf eine bestimmte Grundfreiheit beschränkt.1284 a) Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse Die Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis­ se fand sich als Rechtfertigungsgrund erstmals in der Rechtssache Marks & Spencer1285 und hat seitdem eine prominente Rolle bei der Rechtferti­ gung diskriminierender bzw. beschränkender Steuerrechtsvorschriften eingenommen.1286 Kerngedanke des Rechtfertigungsgrundes ist, dass die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse gefährdet ist, wenn den Unternehmen die eigenständige Wahlmöglichkeit darüber zusteht, wo sie ihre Gewinne und Verluste versteuern.1287 Wenngleich sie frei da­ rin sind, Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen innerhalb der Europäischen Union frei zu verschieben, soll jedenfalls einer wirtschaft­ lich nicht begründeten Verlagerung von Steuersubstrat vorgebeugt wer­ den.1288 Denn nicht etwa die Steuerpflichtigen, sondern vielmehr die Mit­ gliedstaaten sind frei darin, die Besteuerungsbefugnisse untereinander aufzuteilen.1289 Es geht hier folglich um den Schutz der Steuerhoheit des jeweiligen Mit­ gliedstaats. Zwischen ihr und den Grundfreiheiten soll ein schonender Ausgleich hergestellt werden.1290 Als „ausgewogen“ wird dabei eine Wahrnehmung der nationalen Steuerhoheit anerkannt, welche sich am

1282 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.200. 1283 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.202. 1284 Reimer, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.49. 1285 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer, Rn. 45. 1286 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.224. 1287 Schön, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 109, 140 f.; EuGH, Urt. v. 10.4.2014, C-190/12, ECLI:EU:C:2014:249 – Emerging Markets, Rn. 98; EuGH, Urt. v. 15.5.2008, C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278 – Lidl Belgium, Rn. 32; EuGH, Urt. v. 21.1.2010, C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26 – Societe de Gestion In­ dustrielle, Rn. 60 - 62; EuGH, Urt. v. 21.2.2013, C-123/11, ECLI:EU:C:2013:84 – A Oy, Rn. 41 – 43; EuGH, Urt. v. 17.7.2014, C-48/13, ECLI:EU:C:2014:2087– Nordea Bank, Rn. 26 - 30. 1288 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.227; Schön, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 109, 140 f. 1289 Vgl. Schön, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 109, 140 f. 1290 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 22.

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Territorialitätsprinzip ausrichtet.1291 Die Mitgliedstaaten können eine Gewinnzuordnung ohne territorialen Bezug unterbinden; sie können Verhaltensweisen verhindern, die ihr Recht auf Ausübung der Steuerho­ heit für auf ihrem Hoheitsgebiet ausgeführte Tätigkeiten gefährden.1292 Da die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse insbesonde­ re Maßnahmen gegen Gewinnverlagerungen zu rechtfertigen vermag, ist sie gerade für die internationalen Bemühungen im Rahmen des BEPS-Pro­ jektes von Relevanz.1293 Mit der Zeit haben sich verschiedene Fallgruppen herausgebildet, auf welche der Rechtfertigungsgrund angewandt wird.1294 Relevant für die hier behandelte Thematik ist jeweils die Kombination der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse mit (i) der Vermeidung doppelter Verlustberücksichtigung sowie (ii) der Bekämpfung missbräuchlicher Steuerumgehung und Steuerflucht. Diese beiden Fallgruppen werden im Folgenden dargestellt, um sodann festzustellen, ob auf ihrer Grundlage Rückschlüsse auf die hier behandelten Linking Rules gezogen werden können. aa) In Verbindung mit der Vermeidung doppelter Verlustberück­ sichtigung Gleich in der Entscheidung Marks & Spencer, welche den Rechtferti­ gungsgrund der Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteue­ rungsbefugnisse einführte, wurde er von der „Vermeidung doppelter Ver­ lustberücksichtigung“ flankiert.1295 Im zugrundeliegenden Sachverhalt versagte das britische Konzernsteuerrecht einer inlandsansässigen Mut­ tergesellschaft den Abzug von Verlusten, die von in anderen Mitglied­ staaten ansässigen Tochtergesellschaften erwirtschaftet wurden. Ein sol­ cher Abzug war nur zulässig, wenn die Tochtergesellschaft ebenfalls im Vereinigten Königreich ansässig war.1296 Der EuGH erkannte hierin grundsätzlich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit1297, welche 1291 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.225 und 227.245; Englisch, IStR 2010, 139, 140. 1292 Hey, StuW 2008, 167, 181; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 21. 1293 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 22 f. 1294 Siehe dazu Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.226. Auf die Fallgruppe der „Besteuerung stiller Reserven bei Steuerent­ strickung“ wird mangels Relevanz für die hier behandelte Thematik nicht einge­ gangen. 1295 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer, Rn. 43, 47. 1296 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer, Rn. 24. 1297 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer, Rn. 33 f.

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indes grundsätzlich durch die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungs­ befugnisse zwischen den Mitgliedstaaten, der Gefahr der doppelten Ver­ lustberücksichtigung und der Steuerfluchtgefahr gerechtfertigt sei.1298 (1) Darstellung In Bezug auf die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse heißt es im Urteil, dass es sich bei Gewinnen und Verlusten steuerrecht­ lich gesehen um zwei Seiten derselben Medaille handele, die im Rahmen eines Steuersystems spiegelbildlich zu behandeln seien.1299 Geboren war damit die sog. „Symmetriethese“.1300 Diese gesteht es einem Mitglied­ staat zu, im Ausland entstandene Verluste von der Verrechnung mit in­ ländischen Einkünften auszuschließen, wenn er auch etwaige im Aus­ land entstandene Gewinne nicht berücksichtigt.1301 Berücksichtigt er umgekehrt im Ausland entstandene Gewinne, so muss er konsequent auch den Verlustabzug zulassen. Auf diese Weise wird das Territoriali­ tätsprinzip konsequent umgesetzt.1302 Eine doppelte Verlustnutzung kann somit nur dann verhindert werden, wenn einer der beiden Staaten sein Besteuerungsrecht gänzlich nicht wahrnimmt. (2) Anwendung auf die Linking Rules Schon im Grundsatz muss daran gezweifelt werden, ob sich die Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse in Verbindung mit der Vermeidung doppelter Verlustberücksichtigung überhaupt zur Rechtfertigung der hier behandelten Normen eignet. Die Korrespon­ denzregeln der ATAD betreffen nicht die Verlustberücksichtigung, son­ dern versagen ausnahmsweise den Abzug von Betriebsausgaben bzw. schreiben die ausnahmsweise Berücksichtigung von Betriebseinnahmen vor.1303 Residualgrößen wie Verluste können aber nicht ohne Weiteres mit Aufwendungen gleichgesetzt werden.1304 Erst recht gibt der Rechtfer­ tigungsgrund keinen Aufschluss über die Zulässigkeit der ausnahmswei­ sen ­Berücksichtigung von Einnahmen.1305 Entsprechend wird mit guten

1298 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer, Rn. 43 ff. Siehe bereits Kapitel 4 - C.IV.1.b)bb)(1). 1299 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer, Rn. 43.  1300 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.243; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 87. 1301 Siehe bereits Kapitel 4 - C.IV.1.b)bb)(3). 1302 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.246. 1303 Kapitel 1 - B.III.1. 1304 EuGH, Urt. v. 18.7.2007, C-231/05, ECLI:EU:C:2007:439 – Oy AA, Rn. 57. 1305 So implizit Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288, 297 ff.

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Gründen vertreten, dass sich der Anwendungsbereich der Symmetriethe­ se auf Fälle grenzüberschreitender Verlustnutzung beschränke.1306 Allenfalls im Wege einer weiterführenden Interpretation des Rechtferti­ gungsgrundes ließe sich der Versuch unternehmen, Rückschlüsse zu­ mindest für diejenigen Korrespondenzregeln zu ziehen, welche den Ab­ zug von Betriebsausgaben betreffen.1307 Die Symmetriethese beschreibt eine Idee, wie ein Staat seine Besteuerungsbefugnis wahrzunehmen hat. Ihr zufolge kann der Staat nicht lediglich steuererhöhende Umstände be­ rücksichtigen, während er ohne weiteren Grund steuersenkende Um­ stände ausblendet. Betrachtet man insoweit Gewinne und Verluste des­ selben Steuerpflichtigen als zwei Seiten derselben Medaille1308, so könnte selbiges – zumindest im Ausgangspunkt – auch für Betriebseinnahmen und -ausgaben gelten. Nichts anderes als ein solches Junktim beschreibt jedenfalls das objektive Nettoprinzip des deutschen Steuerrechts.1309 Eine so verstandene Symmetrie zwischen der Berücksichtigung von Betriebs­ einnahmen und -ausgaben wird durch die ATAD-Korrespondenzregeln gleichwohl erst durchbrochen. Sie versagen den Betriebsausgabenabzug, während die Betriebseinnahmen desselben Steuerpflichtigen grundsätz­ lich voll berücksichtigt werden.1310 (3) Zwischenergebnis Selbst auf Basis einer erweiterten Interpretation des Rechtfertigungs­ grundes der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse in Verbindung mit der Vermeidung doppelter Verlustnutzung können die Korrespondenzregeln der ATAD nicht gerechtfertigt werden. Qualifikati­ 1306 Drummer, IStR 2017, 602, 604. Andere Stimmen wenden ihn wiederum unter­ schiedslos auch auf Korrespondenzregeln an, welche den Abzug von Aufwendun­ gen versagen, und gelangen auf dieser Basis zu ihrer Rechtfertigung, Allram/Hörtenhuber, in: Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie, S. 131, 155. 1307 Das sind die DD-Regelungen Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a) ATAD (abzugsfähige hybride Zahlungen), Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a) ATAD (DD-Branch Payments), Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b) ATAD (abzugsfähige hybride Zahlungen), Art. 9 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b) ATAD (DD-Branch Payments), Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD (nicht berücksichtigte hybride Zahlungen), Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD (nicht be­ rücksichtigte hybride Zahlungen), Art. 9b ATAD (Dual Residents). Außerdem sind dies die D/NI-Regelungen Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD (hybride Finanzinstru­ mente), Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD (umgekehrt hybride Rechtsträger), Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD (Diverted Branch Payments), Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD (Disregarded Branch Structures), Art. 9 Abs. 3 ATAD (Importierte Inkongruenzen, Imported Branch Mismatches). 1308 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer, Rn. 43. 1309 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II, S. 763 ff. 1310 Helminen, BTR 2015, 325, 334. Vgl. Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288, 300; Kahlenberg, ISR 2015, 91, 96; Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 30. Ferner Thömmes/Linn, Intertax 2014, 28, 29 ff.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

onskonflikte widersprechen nicht der vorhandenen internationalen Auf­ teilung der Besteuerungsbefugnisse, sondern ergeben sich erst aus ihr.1311 bb) In Verbindung mit der Missbrauchsabwehr Weiter kommt eine Rechtfertigung über die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse in Verbindung mit der Missbrauchsabwehr in Betracht. Der Missbrauchsgedanke deutet sich jedenfalls in der Program­ matik der ATAD an, wonach sich die Richtlinie allgemein gegen Ge­ winnverlagerung1312 und Steuervermeidung1313 richtet.1314 Die Missbrauchsabwehr stellt den ältesten steuerlichen Rechtfertigungs­ grund dar. Er wurde schon in der Avoir Fiscal-Entscheidung aus dem ­Jahre 1986 genannt1315 und seitdem fortwährend, wenn auch terminolo­ gisch uneinheitlich (als Vermeidung der Steuerumgehung, Steuerhinter­ ziehung1316, Steuerflucht1317) verwendet. (1) Darstellung Die Verbindung zur Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteue­ rungsbefugnisse verdeutlicht, dass es auch hier um den Schutz des Steu­ eraufkommens des jeweiligen Mitgliedstaats geht.1318 Ein Gewinntrans­ fer ins Ausland läuft der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse insoweit zuwider, als dass er das auf dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats erwirt­ schaftete und ihm deshalb territorial zustehende Steuersubstrat min­ dert.1319 Auf der anderen Seite kann nicht jeder Euro Steuersubstrat, der ins Ausland abwandert, gleich als Missbrauch zu qualifizieren sein.1320 Wo liegt also die Grenze zwischen einer legitimen und illegitimen Ge­ winnverlagerung ins Ausland?1321 Grundsätzlich können sich die Steuerpflichtigen so organisieren, wie sie es sowohl für die Ausübung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten als auch zur Begrenzung ihrer Steuerlast als geeignet ansehen.1322 Steuervorteile, die sich dabei aus der parallelen Ausübung von Besteuerungsbefugnissen 1311 Desens, IStR 2014, 825, 831. 1312 Erwägungsgrund 1 der ATAD II. 1313 Erwägungsgrund 3 der ATAD II. 1314 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 84. Siehe auch Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Europäischen Binnenmarkt, S. 179. 1315 Z.B. EuGH, Urt. v. 28.1.1986, C-270/83, ECLI:EU:C:1986:37 – Avoir Fiscal, Rn. 23, 25. 1316 Z.B. EuGH, Urt. v. 11.10.2007, C-451/05, ECLI:EU:C:2007:594 – ELISA, Rn. 91. 1317 EuGH, Urt. v. 28.1.1986, C-270/83, ECLI:EU:C:1986:37 – Avoir Fiscal, Rn. 23, 25. 1318 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 74 1319 Kühbacher, DStZ 2017, 829, 831 1320 Hey, StuW 2008, 167, 178. 1321 Vgl. Mammen/Nielsen, WPg 2018, 1533, 1534 f. 1322 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 127.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

ergeben, sind nicht zu beanstanden.1323 Der Steuerpflichtige kann also grundsätzlich unterschiedliche Steuerregelungen zweier Mitgliedstaaten ausnutzen, ohne sich allein deshalb einem Missbrauchsvorwurf ausge­ setzt zu sehen.1324 Sind die Rechtssysteme nicht aufeinander abgestimmt, so ist er nicht in der Verantwortung, sein Handeln an anderen Maßstäben als den für ihn geltenden Rechtsvorschriften auszurichten.1325 Vor dem Hintergrund dieser weitreichenden Organisationsfreiheit er­ klärt sich die besonders enge Definition, die der Missbrauchsbegriff in der richtungsweisenden Entscheidung Cadbury Schweppes erfuhr.1326 Hiernach lässt sich eine Beschränkung der Grundfreiheiten nur aus Gründen der Missbrauchsabwehr rechtfertigen, „[…] wenn das spezifische Ziel der Beschränkung darin liegt, Verhaltensweisen zu verhindern, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktionen zu dem Zweck zu errichten, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird“.1327 Mit anderen Worten können hiernach nur Gestaltun­ gen erfasst werden, die wirtschaftlich gänzlich substanzlos sind; die vom regelnden Mitgliedstaat empfundene Einbuße an steuerbaren Gewinnen darf nicht das Ergebnis einer wirtschaftlichen Tätigkeit sein, die im an­ deren Staat ausgeübt und daher dort besteuert wird.1328

1323 EuGH, Urt. v. 13.11.2012, C-35/11, ECLI:EU:C:2012:707 – Test Claimants in the FII Group Litigation, Rn. 64; EuGH, Urt. v. 8.12.2011, C-157/10, ECLI:EU:C:​ 2011:813 – Banco Bilbao Vizcaya Argentaria, Rn. 38; EuGH, Urt. v. 15.4.2010, C-96/08, ECLI:EU:C:2010:185 – CIBA, Rn. 25; EuGH, Urt. v. 14.11.2006, C-513/04, ECLI:EU:C:2006:713 – Kerckhaert und Morres, Rn. 20; EuGH, Urt. v. 20.5.2008, C-194/06, ECLI:EU:C:2008:289 – Orange European Smallcap Fund, Rn. 47; EuGH, Urt. v. 16.7.2009, C-128/08, ECLI:EU:C:2009:471 – Damseaux, Rn. 27. 1324 EuGH, Urt. v. 22.12.2010, C-277/09, ECLI:EU:C:2010:810 – RBS Deutschland, Rn. 42, 52. Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Europäischen Bin­ nenmarkt, S. 181 ff. Rust, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 89, 95 sowie Rust, BTR 2015, 308, 313 f. Ferner Helminen, BTR 2015, 325, 326. 1325 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 127. Manche verstehen die Rechtsprechung des EuGH gar dahingehend, dass er Steuerwettbewerb und Steuerarbitrage im Binnenmarkt generell als förderungs- und schutzwürdig er­ achtet, so etwa Hey, StuW 2008, 167, 180. A.A. Englisch, in: Schaumburg/Eng­ lisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.254. 1326 EuGH, Urt. v. 12.9.2006, C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes. Dazu Lang, SWI 2006, 273, 276 ff.; Suchowerskyj, Der Begriff des Missbrauchs im europäischen Steuerrecht, S. 79 f. 1327 EuGH, Urt. v. 12.9.2006, C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes, Rn. 55. 1328 Schlussanträge des Generalanwalts Léger v. 2.5.2006, C-196/04, ECLI:EU:C:​ 2006:278 – Cadbury Schweppes, Rn. 109.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

Die „Künstlichkeit“ einer Gestaltung ist dann indiziert, wenn ihr kein wirtschaftliches Substrat zugrunde liegt.1329 Als Beispiel hierfür lässt sich die sog. „Briefkastenfirma“ anführen.1330 Da sich die Präsenz im anderen Mitgliedstaat in solchen Fällen weder in Personal noch Geschäftsräumen manifestiert, fehlt es an einer echten territorialen Verbindung.1331 Die freie Standortwahl mutiert dann zur freien Rechtswahl, welche grund­ freiheitlich nicht geschützt ist.1332 Ferner können trotz territorialer Ver­ bindung zum jeweiligen Staat auch solche Gestaltungen als missbräuch­ lich qualifiziert werden, denen eine nachvollziehbare wirtschaftliche Zielsetzung fehlt. Ökonomisch sinnlos ist eine Gestaltung etwa dann, wenn das wirtschaftlich gewollte Ergebnis auch durch eine einfachere Gestaltung erreicht werden könnte.1333 Bei der Beurteilung, ob die ohnehin schon engen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrunds vorliegen, ist ein strenger Prüfungsmaßstab anzu­ legen. Hierfür spricht zum einen die tendenziell strengere Spruchpraxis des EuGH zum Missbrauchstatbestand auf dem Gebiet der direkten im Vergleich zu den indirekten Steuern.1334 Insoweit verlangt er regelmäßig Gestaltungen, deren einziges1335 (und nicht nur wesentliches1336) Ziel da­ rin besteht, der Steuer zu entgehen, die normalerweise auf im Inland er­ wirtschaftete Gewinne entsteht.1337 Zum anderen ist im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab danach zu differenzieren, ob es sich um grundsätzlich legale oder illegale Praktiken handelt.1338 Die Grenze verläuft zwischen der noch legalen (ggf. aber illegitimen) Steuerumgehung und der geset­

1329 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 112. 1330 Helminen, BTR 2015, 325, 333; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 123. Vgl. Lüdicke, in: FS BFH, S. 1053, 1061 ff. 1331 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.252; Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen ­Union, § 2 Rn. 122; Kühbacher, DStZ 2017, 829, 833; Schön, IStR-Beih. 2013, 3, 13 ff. 1332 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 122.  1333 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 112. 1334 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 113. 1335 EuGH, Urt. v. 12.9.2006, C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes, Rn. 59; EuGH, Urt. v. 3.10.2013, C-282/12, ECLI:EU:C:2013:629 – Itelcar, Rn. 34 f.; EuGH, Urt. v. 5.7.2012, C-318/10, ECLI:EU:C:2012:415 – SIAT, Rn. 50 („ausschließlich“); EuGH, Urt. v. 13.3.2007, C-524/04, ECLI:EU:C:2007:161 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Rn. 77. 1336 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.2.2008, C-425/06, ECLI:EU:C:2008:108 – Part Service, Rn. 44 f.; EuGH, Urt. v. 21.2.2006, C-255/02, ECLI:EU:C:2006:121 – Halifax, Rn. 81; EuGH, Urt. v. 17.12.20015, C-419/14. ECLI:EU:C:2015:832 – WebMind­ Licenses, Rn. 36 und 42. 1337 Kokott, in: FS BFH, S. 735, 746 f. 1338 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 75.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

zeswidrigen Steuerhinterziehung.1339 Diese teils miteinander vermeng­ ten Begriffe1340 stellen die Weichen dafür, ob danach gefragt werden muss, ob der einzige oder nur der wesentliche Zweck der Gestaltung in der Steuervermeidung bestehen muss.1341 Hier ist festzustellen, dass hybride Gestaltungen gerade im Einklang mit den jeweiligen nationalen Vor­ schriften des Steuerrechts stehen. Sie bewegen sich damit im Bereich der Steuerumgehung (auch „Tax Avoidance“, „Aggressive Tax Planning“) und deshalb jedenfalls unterhalb der Grenze zur Steuerhinterziehung.1342 Auch diese Differenzierung spricht also für einen strengen Prüfungsmaß­ stab. Ist eine nach oben dargestellten Kriterien missbräuchliche und daher missbilligte Gestaltung ausgemacht, so ist es grundsätzlich zulässig, die­ se mittels einer tatbestandlich vertypten Vermutung zu bekämpfen.1343 Solche gesetzlichen Annahmen müssen auf objektiv nachprüfbaren ­Umständen beruhen und auf typische Missbrauchskonstellationen ab­ zielen.1344 Essentiell für die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung ist jedoch, dass dem Steuerpflichtigen die Mög­ lichkeit eingeräumt wird, das Gegenteil zu beweisen.1345 Er muss die sei­ nem Einzelfall zugrundeliegenden wirtschaftlichen Beweggründe offen­ legen können, um dadurch der Rechtsfolge der typisierenden Vorschrift zu entgehen. Unwiderlegbare Vermutungen werden durch den EuGH re­ gelmäßig als unverhältnismäßig qualifiziert.1346

1339 Bergmann, StuW 2010, 246, 248; Hey, StuW 2008, 167, 168; Kokott, Das Steuer­ recht der Europäischen Union, § 2 Rn. 97 ff. 1340 Vgl. Drummer, IStR 2017, 602, 603. 1341 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 75. 1342 de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 37 ff.; Dourado, Intertax 2015, 42, 44; Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Europäischen Binnenmarkt, S. 180. Zur Abgrenzung zwischen Steuerhinterziehung und -vermeidung Biebinger, Ubg 2019, 421, 422 f. 1343 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.261; EuGH, Urt. v. 5.7.2012, C-318/10, ECLI:EU:C:2012:415 – SIAT, Rn. 56 ff.; EuGH, Urt. v. 3.10.2013, C-282/12, ECLI:EU:C:2013:629 – Itelcar, Rn. 44. Zweifelnd da­ gegen Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 79. 1344 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.259 und 7.261. 1345 EuGH, Urt. v. 13.3.2007, C-524/04, ECLI:EU:C:2007:161 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Rn. 82; EuGH, Urt. v. 21.1.2010, C-311/08, ECLI:​ EU:C:​2010:26 – SGI, Rn. 71; EuGH, Beschl. v. 23.4.2008, C-201/05, ECLI:EU:C:​ 2008:239 - Test Claimants in the CFC and Dividend Group Litigation, Rn. 84; Desens, IStR 2014, 825, 832; Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.259; Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288, 292; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 80. 1346 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.259

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

(2) Anwendung auf die Linking Rules Wendet man die gerade dargestellten Voraussetzungen auf die Korrespon­ denzregeln der ATAD an, so erweisen sie sich aus zwei Gründen als un­ verhältnismäßig, um Missbrauchskonstellationen zu bekämpfen. (a) Keine zulässige Typisierung Die Linking Rules erfassen jede Besteuerungsinkongruenz in Form eines D/NI- oder DD-Ergebnisses zwischen verbundenen Steuersubjekten.1347 Für ihre Anwendung ist es weder von Belang, in welchem Umfang die Beteiligten eine territoriale Verbindung zum jeweiligen Mitgliedstaat aufweisen, noch, ob den in Rede stehenden Zahlungen eine reale wirt­ schaftliche Tätigkeit zugrunde liegt. So ist es möglich, dass auch andere Fälle als Missbrauchsfälle von den Vorschriften erfasst werden.1348 Diese dürften die Missbrauchsfälle im Sinne der obigen Definition sogar weit überwiegen: Grundlage der meisten Zahlungen, die eine hybride Besteu­ erungsinkongruenz verursachen, sind Fremdkapitalfinanzierungen. Be­ wegt sich die Höhe des vereinbarten Zinssatzes innerhalb des fremdübli­ chen Rahmens, so erscheint es nicht angemessen, die Steuervermeidung pauschal als den einzigen Zweck der betroffenen Gestaltung zu unter­ stellen. Vielmehr ist eine Vielzahl an wirtschaftlichen Gründen für sol­ che konzerninternen Finanzierungen denkbar.1349 Der den Korrespon­ denzregeln immanente pauschale Missbrauchsvorwurf ist daher nicht angemessen.1350 Zu diesem Ergebnis gelangte der EuGH bereits in der Rechtssache SIAT, in der ebenfalls eine Korrespondenzregelung in Rede stand.1351 Diese ver­ sagte den Betriebsausgabenabzug für solche Zahlungen, die beim Emp­ fänger im Ausland keiner Steuer oder einem erheblich vorteilhafteren Besteuerungssystem unterlagen.1352 Obwohl der EuGH die Regelung als grundsätzlich geeignet ansah, Steuerumgehungen zu bekämpfen, beur­ teilte er sie dennoch als grundfreiheitswidrig, da sie über das hinausgin­ ge, was für die Erreichung dieses Ziels erforderlich sei.1353 Da allein die Höhe der Besteuerung des Empfängers berücksichtigt werden, könne die Regelung könne nämlich „[…] ohne ein objektives, durch Dritte nachprüfbares Kriterium angewandt werden, das als Indiz dafür dienen 1347 Kapitel 1 - B.III. 1348 Vgl. Listl, IStR 2014, 448, 552. 1349 Rust, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 89, 95. 1350 Helminen, BTR 2015, 325, 332 f.; Panayi, BIT 2016, 95, 99; Rust, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 89, 95. In Bezug auf § 8b Abs. 1 S. 2 KStG Desens, IStR 2014, 825, 831. Vgl. ferner Kühbacher, DStZ 2017, 829, 833 ff. 1351 EuGH, Urt. v. 5.7.2012, C-318/10, ECLI:EU:C:2012:415 – SIAT. 1352 EuGH, Urt. v. 5.7.2012, C-318/10, ECLI:EU:C:2012:415 – SIAT, Rn. 3. 1353 EuGH, Urt. v. 5.7.2012, C-318/10, ECLI:EU:C:2012:415 – SIAT, Rn. 52, 56 ff.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

könnte, dass eine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktion vorliegt […]“.1354 Eine Besteuerungsinkongruenz – in die­ sem Falle ein D/NI-Ergebnis – taugt folglich nicht als Kriterium, um eine missbräuchliche Gestaltung hinreichend genau identifizieren. Auch die Typisierung der ATAD-Korrespondenzregeln erweist sich damit als un­ zulässig.1355 (b) Keine Möglichkeit des Gegenbeweises Selbst wenn man von einer zulässigen Typisierung ausgeht, so erweisen sich die Linking Rules aufgrund der fehlenden Möglichkeit des Gegenbe­ weises als unverhältnismäßig.1356 Wenngleich hier nicht bestritten wer­ den soll, dass die Korrespondenzregeln Gestaltungen erfassen können, deren einziger Zweck in der Steuerumgehung besteht, kann eine Vielzahl an Beweggründen hinzutreten. Der Steuerpflichtige kann jedoch allen­ falls nachweisen, dass keine Besteuerungsinkongruenz vorliegt und ­damit die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Vorschrift nicht erfüllt sind.1357 Notwendig wäre es jedoch, ihm die Möglichkeit einzuräu­ men, dass die Steuervermeidung nicht den einzigen Beweggrund für die gewählte Gestaltung darstellt und es sich damit um keine rein künstli­ che Gestaltung handelt.1358 Eine solche Möglichkeit sieht jedoch keine der Korrespondenzregeln vor. (3) Zwischenergebnis Auf Basis des etablierten, äußerst engen Verständnisses der Missbrauch­ sabwehr können die Korrespondenzregeln der ATAD II nicht gerechtfer­ tigt werden.1359 b) Vermeidung der Vorteilskumulation als neuer Rechtfertigungsgrund Auf die Vermeidung doppelter Verlustberücksichtigung wurde bislang nur in Kombination mit der Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse eingegangen. Aufgrund der Koppelung dieser beiden Aspekte kann die doppelte Nutzung von Verlusten in zwei Staa­ 1354 EuGH, Urt. v. 5.7.2012, C-318/10, ECLI:EU:C:2012:415 – SIAT, Rn. 56. 1355 Ebenso Prusko, Steuerliche Missbrauchsvermeidung im Europäischen Binnen­ markt, S. 183 ff. 1356 Panayi, BIT 2016, 95, 99 f. Vgl. ferner Drummer, IStR 2017, 602, 604; Milanin, IStR 2015, 861, 866. 1357 Als ausreichend erachten dies Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288, 299 f. 1358 Vgl. EuGH, Urt. v. 5.7.2012, C-318/10, ECLI:EU:C:2012:415 – SIAT, Rn. 50, 57. 1359 Ebenso Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 255; Prusko, Steuerliche Missbrauchsver­ meidung im Europäischen Binnenmarkt, S. 185 f., Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 28. A.A. Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288, 294 ff.; Richter/Reeb, IStR 2015, 40, 41 (mit Bezug auf § 8b Abs. 1 S. 2 KStG).

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

ten nur dann unterbunden werden, wenn Staat A in symmetrischer (also Gewinne wie Verluste umfassender) Weise von seinem Besteuerungs­ recht Gebrauch macht und Staat B in gleicher Weise auf sein Besteue­ rungsrecht verzichtet. Die Vermeidung doppelter Verlustberücksichti­ gung stellt sich so eher als ein Nebenprodukt konsequenter (Nicht-) Wahrnehmung von Besteuerungshoheiten dar.1360 Wie oben herausgearbeitet, wird die Verbindung der beiden Aspekte bei hybriden Gestaltungen aber gerade zum Problem, denn hier nimmt ein Staat grundsätzlich seine Besteuerungsbefugnis wahr, möchte jedoch vereinzelt – wenn man so will: unsymmetrisch – gewisse Steuervorteile ausblenden, weil ihnen auch ein Steuervorteil im anderen Staat ent­ spricht. Es stellt sich daher die Frage, ob die Vermeidung doppelter Ver­ lustberücksichtigung auch als eigenständiger und deshalb nicht durch Symmetrievorgaben limitierter Rechtfertigungsgrund herangezogen wer­ den kann. Falls ja, könnte daraus eine allgemeine Möglichkeit der Mit­ gliedstaaten zur Vermeidung internationaler Vorteilskumulation abge­ leitet werden. Mancher sieht hierin gar die einzige Möglichkeit, überhaupt die hier erforderlichen Korrespondenzbetrachtungen anzustel­ len.1361 aa) Klare Absage durch Rs. Philips-Electronics Deutlich gegen die Vermeidung doppelter Verlustberücksichtigung als eigenständigen Rechtfertigungsgrund spricht das Urteil in der Rechts­ sache Philips Electronics.1362 Hier ging es um eine in den Niederlanden ansässige Gesellschaft, welche im Vereinigten Königreich sowohl eine Betriebsstätte als auch eine Tochtergesellschaft unterhielt. Da die Be­ triebsstätte Verluste erlitten hatte, sollten diese nun mit den Einkünften der Tochtergesellschaft verrechnet werden. Diese Möglichkeit versagte das Vereinigte Königreich jedoch mit dem Hinweis darauf, dass die Verluste auch von der in den Niederlanden an­ sässigen Muttergesellschaft und damit gegebenenfalls doppelt berück­ sichtigt werden könnten. Da das Vereinigte Königreich die Gewinne der Betriebsstätte besteuerte, setzte es sich in Widerspruch zur Symme­ triethese. Es kam also auf die Frage an, ob die Vermeidung doppelter Ver­ lustberücksichtigung auch als eigenständiger Rechtfertigungsgrund taugt, welcher unabhängig von der Symmetriethese ist.

1360 Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 19.4.2012, C-18/11, ECLI:EU:​ C:​2012:222 – Philips Electronics, Rn. 42.  1361 Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung Rn. 123. 1362 EuGH, Urt. v. 6.9.2012, C-18/11, ECLI:EU:C:2012:532 – Philips Electronics.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Abbildung 35:  Rs. Philips Electronics

Bereits in den Schlussanträgen sprach sich Generalanwältin Kokott klar dagegen aus. Die Besteuerungsbefugnis des Vereinigten Königreichs wer­ de durch die Möglichkeit der (nochmaligen) Berücksichtigung der Verlus­ te in den Niederlanden in keinerlei Weise tangiert.1363 Die gegenwärtige Abgrenzung der internationalen Besteuerungsrechte könne eine doppelte Verlustberücksichtigung gar erforderlich machen, wenn zwei Staaten gleichzeitig die Einkünfte berücksichtigen.1364 Dieser Sichtweise folgte schließlich der EuGH in seinem Urteil. Das Vereinigte Königreich könne „nicht – und schon gar nicht selbstständig – die Gefahr der doppelten Berücksichtigung von Verlusten geltend machen“, um seine Vorschrif­ ten zu rechtfertigen.1365 Besteht folglich ein positives Besteuerungsrecht, so ist der jeweilige Mit­ gliedstaat weiterhin an den Symmetriegrundsatz gebunden. Dieser Bin­ dung kann er sich nicht durch die Berufung auf die Vermeidung doppelter Verlustberücksichtigung entziehen; diese hat als eigenständiger Recht­ fertigungsgrund keinen Bestand. Dies wurde lange Zeit als Bestätigung dafür angesehen, dass eine „Vorteilskumulation“ in mehreren Staaten unionsrechtlich nicht zu beanstanden sei.1366 Die unilaterale und der 1363 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 19.4.2012, C-18/11, ECLI:EU:​C:​ 2012:222 – Philips Electronics, Rn. 62. 1364 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 19.4.2012, C-18/11, ECLI:EU:​C:​ 2012:222 – Philips Electronics, Rn. 63. 1365 EuGH, Urt. v. 6.9.2012, C-18/11, ECLI:EU:C:2012:532 – Philips Electronics, Rn. 32 f. 1366 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.244 und Rn. 7.265; Helminen, BTR 2015, 325, 334 ; Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288,

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

Symmetriethese widersprechende Beseitigung einer solchen Vorteilsku­ mulation gerät in Konflikt mit den Grundfreiheiten. bb) Öffnung durch Rs. NN Eine Wendung deutet sich nunmehr mit dem in der Rechtssache NN er­ gangenen Urteil an. Hier ging es um eine dänische Muttergesellschaft, der eine schwedische Tochtergesellschaft angehörte. Diese schwedische Tochtergesellschaft unterhielt wiederum eine Betriebsstätte in Däne­ mark. Dänemark versagte die Verrechnung des Betriebsstättenverlusts mit der dänischen Muttergesellschaft.1367 In dieser Konstellation hatten sowohl Dänemark als auch Schweden ein positives Besteuerungsrecht in Bezug auf die Einkünfte der Betriebsstätte.1368

Abbildung 36:  Rs. NN

Nach Philips Electronics schien die Lage eindeutig: Dänemark hatte ein positives Besteuerungsrecht in Bezug auf die Betriebsstätteneinkünfte, wollte ihre Verluste gleichwohl unberücksichtigt lassen. Dies wider­ spricht einer symmetrischen Ausübung seines Besteuerungsrechts und

296 mit weitergehendem Hinweis auf EuGH, Urt. v. 12.12.2013, C-303/12, ECLI:EU:C:2013:822 – Imfeld & Garcet; Kokott, Das Steuerrecht der Europäi­ schen Union, § 5 Rn. 17 und Rn. 89; zurückhaltender Panayi, BIT 2016, 95, 99; Rust, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 89, 104 f.; Rust, BTR 2015, 308, 323 f. Vgl. ferner Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuer­ recht, Art. 49 AEUV Rn. 109. 1367 EuGH, Urt. v. 4.7.2018, C-28/17, ECLI:EU:C:2018:526 – NN, Rn. 10 ff. 1368 Siehe auch EuGH, Urt. v. 4.7.2018, C-28/17, ECLI:EU:C:2018:526 – NN, Rn. 43.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

wäre insbesondere auf der Basis von Philips Electronics daher unzuläs­ sig.1369 Der EuGH hingegen wies darauf hin, dass die auf die Betriebsstätte ent­ fallende Steuer in Schweden angerechnet werden könne.1370 Deshalb sei die schwedische Gesellschaft trotz der parallel ausgeübten Besteuerungs­ rechte im Ergebnis nicht dazu verpflichtet, zweimal Steuer auf ihre Ein­ künfte zu entrichten.1371 Vor diesem Hintergrund sei es „offensichtlich nicht gerechtfertigt“, dass die Einkünfte der Betriebsstätte sowohl in ­Dänemark als auch in Schweden berücksichtigt werden sollten.1372 Wenn auch die Begründung, dass die Verluste in Schweden aufgrund der Steueranrechnung berücksichtigt würden, fragwürdig erscheint1373, so bleibt doch eine Erkenntnis: Der EuGH erachtete die Versagung der Ver­ lustnutzung als zulässig, obwohl ein positives Besteuerungsrecht auf die Einkünfte insgesamt bestand. Manche sehen darin die Anerkennung der Vermeidung der internationalen Kumulation von Verlustverrechnungs­ möglichkeiten als einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund.1374 In ei­ nem weiteren Schritt soll die dahinterstehende Wertung auch auf „ob­ jektive“ Steuervergünstigungen, wie etwa Betriebsausgaben, übertragbar sein.1375 Bestätigt hat sich diese Auffassung jedoch noch nicht. cc) Zwischenergebnis Zu konzedieren ist damit jedenfalls, dass nach der klaren Absage in der Rechtssache Philips Electronics die Vermeidung doppelter Verlustnut­ zung mittlerweile als eigenständiger und nicht durch die Symmetriethe­ se limitierter Rechtfertigungsgrund herangezogen wurde. Ob damit ein Rechtfertigungsgrund der allgemeinen Vermeidung einer Vorteilskumu­ lation etabliert wurde, bleibt offen. c) Kohärenz des Steuersystems Als denkbarer Rechtfertigungsgrund verbleibt lediglich die Kohärenz des Steuersystems.1376 1369 Schlussanträge der Generalanwalts Sánchez-Bordona v. 21.2.2018, C-28/17, ECLI:EU:C:2018:86 – NN, Rn. 63 f. 1370 EuGH, Urt. v. 4.7.2018, C-28/17, ECLI:EU:C:2018:526 – NN, Rn. 45 f. 1371 EuGH, Urt. v. 4.7.2018, C-28/17, ECLI:EU:C:2018:526 – NN, Rn. 47. 1372 EuGH, Urt. v. 4.7.2018, C-28/17, ECLI:EU:C:2018:526 – NN, Rn. 47. 1373 Dazu Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.271.  1374 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.265. 1375 Englisch, in: in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.266. 1376 EuGH, Urt. v. 28.1.1992, C-204/90, ECLI:EU:C:1992:35 – Bachmann, Rn. 21 f.; EuGH, Urt. v. 28.1.1992, C-300/90, ECLI:EU:C:1992:37 – Kommission/Belgien, Rn. 14 f.; EuGH, Urt. v. 11.8.1995, C-80/94, ECLI:EU:C:1995:271 – Wielockx, Rn. 23 f.; EuGH, Urt. v. 14.11.1995, C-484/93, ECLI:EU:C:1995:379 – Svens­

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

aa) Darstellung Seinen Ursprung hat der Rechtfertigungsgrund der Kohärenz in der Rechtssache Bachmann.1377 Im zugrundeliegenden Fall wollte ein deut­ scher Staatsangehöriger, der in Belgien beschäftigt war, dort die Beiträge an seine Lebensversicherung zum Abzug bringen.1378 Dies wurde ihm je­ doch nicht gestattet, da die Beiträge nicht in Belgien, sondern in Deutsch­ land gezahlt wurden.1379 Der EuGH sah dies durch die Wahrung der Kohä­ renz des belgischen Steuersystems als gerechtfertigt an: Innerhalb dessen bestehe ein Zusammenhang zwischen der Abzugsfähigkeit der Beiträge (Vorteil) und der späteren Besteuerung etwaiger Auszahlungen (Nach­ teil). Dieser Zusammenhang werde dadurch hergestellt, dass spätere Auszahlungen von der Steuer befreit werden, wenn vorher nicht die Bei­ träge als Abzug berücksichtigt wurden.1380 Der Kohärenzgedanke besagt folglich, dass eine Person in einem Staat nicht einseitig einen Vorteil beanspruchen kann, ohne dort auch einen unmittelbar damit verbunde­ nen Nachteil zu tragen.1381 Mit anderen Worten ist die Versagung des Vor­ son-Gustavsson, Rn. 18; EuGH, Urt. v. 27.6.1996, C-107/94, ECLI:EU:C:1996:251 – Asscher, Rn. 56; EuGH, Urt. v. 16.7.1998, C-264/96, ECLI:EU:C:1998:370 – ICI, Rn. 29; EuGH, Urt. v. 26.10.1999, C-294/97, ECLI:EU:C:1999:524 – Eurowings, Rn. 41 ff.; EuGH, Urt. v. 13.4.2000, C-251/98, ECLI:EU:C:2000:205 – Baars, Rn. 40; EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484 – Manninen, Rn. 42; EuGH, Urt. v. 28.2.2008, C-293/06, ECLI:EU:C:2008:129 – Deutsche Shell, Rn. 38 f.; EuGH, Beschl. v. 23.4.2008, C-201/05, ECLI:EU:C:2008:239 – Test Claimants in the CFC and Dividend Group Litigation, Rn. 65 f.; EuGH, Urt. v. 23.10.2008, C-157/07, ECLI:EU:C:2008:588 – Krankenheim Ruhesitz am Wannsee, Rn. 42 f.; EuGH, Urt. v. 27.11.2008, C-418/07, ECLI:EU:C:2008:659 – Papillon, Rn. 43; EuGH, Urt. v. 22.1.2009, C-377/07, ECLI:EU:C:2009:29 – STE­ KO, Rn. 53 f.; EuGH, Urt. v. 17.9.2009, C-182/08, ECLI:EU:C:2009 – Glaxo ­Wellcome, Rn. 77 f.; EuGH, Urt. v. 6.10.2009, C-562/07, ECLI:EU:C:2009:559 – Kommission/Spanien, Rn. 60 f.; EuGH, Urt. v. 17.11.2009, C-169/08, ECLI:EU:C:2009:709 – Regione Sardegna, Rn. 47; EuGH, Urt. v. 15.4.2010, C-96/08, ECLI:EU:C:2010:185 – CIBA, Rn. 47; EuGH, Urt. v. 22.4.2010, C-510/08, ECLI:EU:C:2010:216 – Mattner, Rn. 53; EuGH, Urt. v. 1.7.2010, C-233/09, ECLI:EU:C:2010:397 – Dijkman, Rn. 54; EuGH, Urt. v. 22.12.2010, C-287/10, ECLI:EU:C:2010:827 – Tankreederei I, Rn. 23; EuGH, Urt. v. 6.10.2011, C-493/09, ECLI:EU:C:2011:635 – Kommission/Portugal, Rn. 35; EuGH, Urt. v. 20.10.2011, C-284/09, ECLI:EU:C:2011:670 – Kommission/Deutschland, Rn. 85; EuGH, Urt. v. 1.12.2011, C-250/08, ECLI:EU:C:2011:793 – Kommission/Belgien, Rn. 70; EuGH, Urt. v. 1.12.2011, C-253/09, ECLI:EU:C:2011:795 – Kommission/Ungarn, Rn. 71. Geht es nach Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 82 und 84, so stellt die Kohärenz eigentlich keinen Rechtsfertigungsgrund „im materiellen Sinne“ dar. Jedoch sei es im Sinne des effektiven Schutzes der Grundfreiheiten, dass der Gerichtshof das Kohärenzprinzip als Rechtfertigungs­ grund prüfe. 1377 EuGH, Urt. v. 28.1.1992, C-204/90, ECLI:EU:C:1992:35 – Bachmann. 1378 EuGH, Urt. v. 28.1.1992, C-204/90, ECLI:EU:C:1992:35 – Bachmann, Rn. 2. 1379 EuGH, Urt. v. 28.1.1992, C-204/90, ECLI:EU:C:1992:35 – Bachmann, Rn. 3. 1380 EuGH, Urt. v. 28.1.1992, C-204/90, ECLI:EU:C:1992:35 – Bachmann, Rn. 21. 1381 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 82.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

teils dann gerechtfertigt, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwi­ schen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine steuerliche Belastung besteht.1382 Bei der Unmittelbarkeit des Zu­ sammenhangs ist das mit der Regelung verfolgte Ziel zu berücksichti­ gen.1383 bb) Anwendung auf die Linking Rules In der Rechtssache Bachmann wurde einer Person in einem Staat ein Vorteil versagt, weil dieselbe Person im selben Staat nicht den damit verbundenen Nachteil tragen musste. Bei den Korrespondenzregeln der ATAD wird die steuerliche Behandlung einer Person in einem Staat je­ doch davon abhängig gemacht, wie eine andere Person in einem anderen Staat behandelt wird. Folglich muss danach gefragt werden, ob der erfor­ derliche unmittelbare Zusammenhang zwischen Steuervorteil und Steu­ ernachteil gewahrt bleibt, wenn der Nachteil in einem anderen Staat (internationale Kohärenz) und darüber hinaus bei einer anderen Person (interpersonale Kohärenz) eintritt. Diesbezüglich hat sich eine restriktive Interpretation des Kohärenzge­ dankens etabliert. Von Relevanz ist zunächst die Rechtsprechungslinie der sog. Makrokohärenz. Für den unmittelbaren Zusammenhang des Steuernachteils mit dem Steuervorteil ist demnach erforderlich, dass sich der regelnde Mitgliedstaat nicht durch Abschluss eines Doppelbe­ steuerungsabkommens des Zugriffs auf den steuererhöhenden (und da­ her für den Steuerpflichtigen nachteiligen) Sachverhalt begeben hat.1384 1382 EuGH, Urt. v. 13.11.2012, C- 35/11, ECLI:EU:C:2012:707 – Test Claimants in the FII Group Litigation, Rn. 58; EuGH, Urt. v. 8.11.2012, C-342/10, ECLI:EU:C:​ 2012:688 – Kommission/Finnland, Rn. 49; EuGH, Urt. v. 6.9.2012, C-380/11, ECLI:EU:C:2012:552 – Finanziara die Diego della Valle & Co., Rn. 47; EuGH, Urt. v. 1.7.2010, C-233/09, ECLI:EU:C:2010:397 – Dijkman, Rn. 55; EuGH, Urt. v. 12.7.2012, C-269/09, ECLI:EU:C:2012:439 – Kommission/Spanien, Rn. 85; EuGH, Urt. v. 10.5.2012, C-338/11, ECLI:EU:C:2012:286 - FIM Santander Top, Rn. 51; EuGH, Urt. v. 22.12.2010, C-287/10, ECLI:EU:C:2010:827 – Tankreederei I, Rn. 24; EuGH, Urt. v. 28.2.2008, C-293/06, ECLI:EU:C:2008:129 – Deutsche Shell, Rn. 38; Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.279. 1383 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484 – Manninen, Rn. 43; EuGH, Urt. v. 13.11.2012, C- 35/11, ECLI:EU:C:2012:707 – Test Claimants in the FII Group Litigation, Rn. 58; EuGH, Urt. v. 6.9.2012, C-380/11, ECLI:EU:C:​ 2012:552 – Finanziara die Diego della Valle & Co., Rn. 48; EuGH, Urt. v. 1.7.2010, C-233/09, ECLI:EU:C:2010:397 – Dijkman, Rn. 55; EuGH, Urt. v. 12.7.2012, C-269/09, ECLI:EU:C:2012:439 – Kommission/Spanien, Rn. 85; EuGH, Urt. v. 10.5.2012, C-338/11, ECLI:EU:C:2012:286 - FIM Santander Top, Rn. 51; EuGH, Urt. v. 28.2.2008, C-293/06, ECLI:EU:C:2008:129 – Deutsche Shell, Rn. 39. 1384 EuGH, Urt. v. 11.8.1995, C-80/94, ECLI:EU:C:1995:271 – Wielockx, Rn. 23 ff.; EuGH, Urt. v. 3.10.2002, C-136/00, ECLI:EU:C:2002:558 – Danner, Rn. 41; EuGH, Urt. v. 21.11.2002, C-436/00, ECLI:EU:C:2002:704 – X und Y, Rn. 53;

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

Anderenfalls werde die Kohärenz auf die Ebene der Gegenseitigkeit der in den Vertragsstaaten anwendbaren Vorschriften verlagert (sog. Makro­ kohärenz).1385 Da die steuerliche Kohärenz dann auf DBA-Ebene durch den Abschluss eines bilateralen Abkommens gewährleistet ist, kann die Verweigerung eines Vorteils nicht mehr mit der Kohärenz gerechtfertigt werden.1386 Das betrifft zunächst Situationen, in denen ein Mitgliedstaat die steuerliche Behandlung eines Stammhauses von der steuerlichen Be­ handlung seiner gebietsfremden Betriebsstätte abhängig machen möch­ te. In solchen Fällen ist der Blick auf die Betriebsstätte durch das abge­ schlossene DBA verstellt. Das Besteuerungsrecht wird dann nämlich dem Quellenstaat zugewiesen.1387 Die Rechtsprechungslinie der „Makrokohärenz“ ist nicht immer konse­ quent verfolgt1388, jedoch nie ausdrücklich aufgegeben worden.1389 In Be­ triebsstättenkonstellationen steht sie einer staatenübergreifenden Be­ trachtung entgegen.1390 Kann bereits die steuerliche Behandlung gebietsfremder Betriebsstätten nicht mit in die Kohärenzbetrachtung einbezogen werden, so müsste dies erst recht für die steuerliche Behand­ lung gebietsfremder Gesellschaften gelten. In solchen Fällen besteht erst gar kein Besteuerungsrecht, dessen sich der regelnde Mitgliedstaat bege­ ben könnte.1391 Es erscheint daher konsequent, dass der EuGH in mehre­ ren Urteilen den unmittelbaren Zusammenhang verneint hat, wenn es sich um verbundene, in unterschiedlichen Staaten ansässige Gesellschaf­ ten handelte.1392

EuGH, Urt. v. 12.2.2004, C-242/03, ECLI:EU:C:2004:465 – Weidert und Paulus, Rn. 25; EuGH, Urt. v. 10.9.2009, C-269/07, ECLI:EU:C:2009:527 – Kommission/ Deutschland, Rn. 63. Dazu Helminen, BTR 2015, 325, 336; Kokott/Ost, EuZW 2011, 496, 501. Kritisch zu dieser Voraussetzung Englisch, in: Schaumburg/Eng­ lisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.284. 1385 EuGH, Urt. v. 11.8.1995, C-80/94, ECLI:EU:C:1995:271 – Wielockx, Rn. 24. 1386 EuGH, Urt. v. 11.8.1995, C-80/94, ECLI:EU:C:1995:271 – Wielockx, Rn. 25. 1387 Vgl. Art. 7 Abs. 1 OECD-MA. 1388 Keine Prüfung der Auswirkungen eines DBAs etwa in EuGH, Urt. v. 26.6.2003, C-422/01, ECLI:EU:C:2003:380 – Skandia und Ramstedt, Rn. 34 f.; EuGH, Urt. v. 11.3.2004, C-9/02, ECLI:EU:C:2004:704 – de Lasteyrie, Rn. 63 ff. 1389 Zuletzt wieder EuGH, Urt. v. 10.9.2009, C-269/07, ECLI:EU:C:2009:527 – Kom­ mission/Deutschland, Rn. 63. Kritisch zur „Makrokohärenz“ Englisch, Intertax 2010, 197, 210, der die Einwirkung der DBA auf die Kohärenz in Gänze ablehnt. 1390 Vgl. auch Helminen, BTR 2015, 325, 336. 1391 I.E. Englisch, Intertax 2010, 197, 208; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 96. 1392 EuGH, Urt. v. 16.7.1998, C-264/96, ECLI:EU:C:1998:370 – ICI, Rn. 29; EuGH, Urt. v. 12.12.2002, C-324/00, ECLI:EU:C:2002:749 – Lankhorst-Hohorst, Rn. 42. Siehe auch EuGH, Urt. v. 18.9.2003, C-168/01, ECLI:EU:C:2003:479 – ­Bosal, Rn. 31 f., wo eine personenübergreifende Betrachtung bereits innerhalb desselben Staates abgelehnt wurde.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Interpretationen in Richtung einer Lockerung der Voraussetzungen ließ dann die Rechtssache Manninen zu.1393 Dieser lag eine finnische Steuer­ regelung zugrunde, welche dem Aktionär einer Kapitalgesellschaft eine Steuergutschrift für die von der ausschüttenden Gesellschaft entrichte­ ten Körperschaftsteuer gewährte.1394 Die Regelung sollte eine Doppelbe­ steuerung der Einkünfte im Zusammenhang mit der Dividendenaus­ schüttung verhindern.1395 Sie galt jedoch nur für solche Dividenden, die finnische Gesellschaften an in Finnland unbeschränkt Steuerpflichtige ausschütten.1396 Im Streitfall wurde deshalb dem in Finnland unbe­ schränkt steuerpflichtigen Aktionär einer in Schweden ansässigen Ge­ sellschaft die Steuergutschrift versagt.1397 Dazu urteilte der EuGH, dass es im Hinblick auf das Ziel der Vermeidung der Doppelbesteuerung kei­ nen Unterschied mache, ob die Dividendenzahlung mit inländischer oder ausländischer Körperschaftsteuer vorbelastet war.1398 Damit nahm er im Ergebnis eine staaten- und personenübergreifende Betrachtung vor.1399 In jüngerer Zeit betont der EuGH wiederum ausdrücklich die Vorausset­ zung der Personenidentität und nahm dabei Bezug auf seine früheren Ju­ dikate.1400 Bei einer Gesamtbetrachtung der Rechtsprechung zeigt sich die Manninen-Entscheidung daher als Ausnahme vom Grundsatz, dass im Rahmen der Kohärenz keine staaten- oder personenübergreifende Be­ trachtung angezeigt ist.1401 Der Rechtfertigungsgrund soll als individuel­ ler Ausgleich gerade die Gleichbelastung des einzelnen Steuerpflichtigen sicherstellen.1402 Auch setzt er eine Rechtsordnung als Bezugsrahmen 1393 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484 – Manninen, Rn. 45. 1394 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484 – Manninen, Rn. 33. 1395 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484 – Manninen, Rn. 8. 1396 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484 – Manninen, Rn. 10. 1397 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484 – Manninen, Rn. 12 f. 1398 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484 – Manninen, Rn. 45 f. 1399 Vgl. die folgenden Urteile, in denen im Anschluss an Manninen implizit eine extensive Betrachtung vorgenommen wurde, EuGH, Urt. v. 23.10.2008, C-157/07, ECLI:EU:C:2008:588 – Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstadt sowie EuGH, Urt. v. 27.11.2008, C-418/07, ECLI:EU:C:2008:659 – Papillon (gleichwohl ohne konkrete Ausführungen zu den Voraussetzungen des Rechtfer­ tigungsgrundes). 1400 EuGH, Urt. v. 12.12.2002, C-324/00, ECLI:EU:C:2002:749 – Lankhorst-Hohorst, Rn. 42; EuGH, Urt. v. 1.12.2011, C-250/08, ECLI:EU:C:2011:793 – Kommission/ Belgien, Rn. 76; EuGH, Urt. v. 1.12.2011, C-253/09, ECLI:EU:C:2011:795 – Kom­ mission/Ungarn, Rn. 76 f.; EuGH, Urt. v. 6.9.2012, C-380/11, ECLI:EU:C:2012:552, Rn. 47; EuGH, Urt. v. 24.2.2015, C‑559/13, ECLI:EU:C:2015:109 – Grünewald, Rn. 49; EuGH, Urt. v. 17.9.2015, C-589/13, ECLI:EU:C:2015:612 – F.E. Famili­ enstiftung Eisenstadt, Rn. 83. 1401 Englisch, IFSt-Schrift Nr. 449, S. 129 ff.; Mechtler, Hybrid Mismatches im Ertrag­ steuerrecht, S. 515; Staringer, in: DStJG 41 (2018), S. 365, 369 ff. 1402 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.273, 7.268, 7.284; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 213 f.; Kohlhepp,

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

voraus.1403 Die Kompensation von Steuervorteilen, welche unilateral durch andere Mitgliedstaaten gewährt werden, widerspräche der Autono­ mie der Rechtsordnungen.1404 Der Rechtfertigungsgrund ermöglicht es deshalb lediglich, ein vermeintlich nachteilhaftes Element für einen grenzüberschreitenden Vorgang in einem größeren systematischen Zu­ sammenhang des nationalen Steuerrechts zu beurteilen.1405 Er ist daher nur einschlägig, wenn ein Mitgliedstaat die Besserstellung des Inlands­ sachverhalts gegenüber dem grenzüberschreitenden Sachverhalts damit begründet, dass diese Besserstellung auch mit einer innerstaatlichen Be­ lastung zusammenhänge.1406 cc) Zwischenergebnis Grundsätzlich ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Steuer­ vor- und -nachteil nur dann gegeben, wenn beide innerhalb desselben Staates und innerhalb derselben Person eintreten.1407 Diese Vorausset­ zungen wurden von der Rechtsprechung nie ausdrücklich aufgegeben.1408 Jedenfalls auf Basis der gefestigten Rechtsprechung zum Kohärenzgedan­ ken lassen sich die Korrespondenzregeln der ATAD II nicht rechtferti­ gen.1409 Gleichwohl hat der EuGH seine Bereitschaft, sich unter besonde­ ren Umständen von den strengen Anforderungen zu lösen, vereinzelt erkennen lassen.1410 Die Möglichkeit einer Öffnung der Rechtsprechung ist daher noch näher zu beleuchten.1411

DStR 2007, 1502, 1506 f.; Kosalla, Ubg 2011, 874, 877. 1403 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.287; Gosch, in: Gosch, KStG, § 8b Rn. 146; Helminen, BTR 2015, 325, 336 f. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 83 und 96; Kokott, in: FS BFH, S. 735, 742; Kühbacher, DStZ 2017, 829, 836; Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung Rn. 124 f.; Schön, in: Grundfragen des Eu­ ropäischen Steuerrechts, S. 109 Seiler, StuW 2005, 25, 28; Terra/Wattel, Europe­ an Tax Law, S. 932. 1404 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 96. 1405 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.287. 1406 Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung Rn. 124. 1407 Siehe die Nachweise in Kapitel 4 - C.IV.2.c). 1408 Zur Makrokohärenz zuletzt EuGH, Urt. v. 10.9.2009, C-269/07, ECLI:EU:C:​ 2009:527 – Kommission/Deutschland, Rn. 63. Zur Personenidentität zuletzt EuGH, Urt. v. 24.2.2015, C‑559/13, ECLI:EU:C:2015:109 – Grünewald, Rn. 49; EuGH, Urt. v. 17.9.2015, C-589/13, ECLI:EU:C:2015:612 – F.E. Familienstiftung Eisenstadt, Rn. 83. 1409 I.E. Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.268; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 92 ff. 1410 Insb. EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484 – Manninen, Rn. 45. 1411 Dazu Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb)(3)(c).

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C.  Europäische Grundfreiheiten

d) Weiterführende Überlegungen zur Rechtfertigung internationaler, interpersonaler Korrespondenz Bis hierhin wurde herausgearbeitet, dass sich die Regelungen der ATAD, denen ein internationaler sowie zugleich interpersonaler Korrespondenz­ gedanke zugrunde liegt, auf Basis gefestigter Grundfreiheitsrechtspre­ chung des EuGH nicht rechtfertigen lassen. Keiner der steuerlichen Rechtfertigungsgründe erweist sich als einschlägig. Wohl die deutlichste Signalwirkung gegen die Rechtfertigung ging von der Rechtssache Philips Electronics aus.1412 Sie lässt sich in ein Gesamtbild einordnen, wel­ ches maßgeblich durch die Autonomie der Rechtsordnungen geprägt ist. So besteht für die Mitgliedstaaten weder eine Verpflichtung, ihre Steuer­ systeme an diejenigen von anderen Mitgliedstaaten anzupassen noch Be­ lastungen auszugleichen, welche sich aus der parallelen Existenz der Steuerrechtsordnungen ergeben.1413 Auch sieht der EuGH kein Verbot der juristischen Doppelbesteuerung; sie ergibt sich schlicht aus der Paralle­ lität der nationalen Steuerrechtsordnungen.1414 Konsequent besteht im Grundsatz auch kein an die Mitgliedstaaten gerichtetes Gebot der zu­ mindest einmaligen Verlustberücksichtigung.1415 Gerade aus der Paralle­ lität der Rechtssysteme entspringen hybride Besteuerungsinkongruen­ zen. Die sich hier ergebende Situation ähnelt der in anderen durch die ATAD harmonisierten Bereichen. So weichen etwa der Substanztest im Rah­ men der Hinzurechnungsbesteuerung (Art. 7 Abs. 2 lit. a) Unterabs. 2 ATAD) und auch die allgemeine Richtlinienbestimmung zur Miss­ brauchsverhinderung (Art. 6 ATAD) vom engen Missbrauchsverständnis der „rein künstlichen Gestaltung“ im Sinne von Cadbury-Schweppes ab.1416 Sowohl die Rechtsprechung des EuGH als auch die Diskussion in der Literatur befinden sich derzeit noch im Fluss.1417 Die sich ergebenden Möglichkeiten und Perspektiven lassen sich in zwei Strömungen unter­ teilen. Zum einen wird eine reduzierte Kontrolldichte für sekundärrecht­ 1412 Vgl. Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.244 und Rn. 7.265; Helminen, BTR 2015, 325, 334; Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288, 296 mit weitergehendem Hinweis auf EuGH, Urt. v. 12.12.2013, C-303/12, ECLI:EU:C:2013:822 – Imfeld & Garcet; Kokott, Das Steuerrecht der Euro­ päischen Union, § 5 Rn. 17 und Rn. 89; zurückhaltender Panayi, BIT 2016, 95, 99; Rust, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 89, 104 f.; Rust, BTR 2015, 308, 323 f. Vgl. ferner Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuer­ recht, Art. 49 AEUV Rn. 109. 1413 Kokott, in: FS BFH, S. 735, 741 f. 1414 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 179. 1415 Kokott, in: FS BFH, S. 735, 741 f. 1416 Wacker, in: FS BFH, S. 781, 799. 1417 Vgl. Englisch, in: in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.264.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

lich vorgegebene Normen diskutiert.1418 Eine solche „materielle Immu­ nisierung“ der ATAD gegenüber dem Primärrecht könnte in Verbindung mit der bereits erörterten „verfahrensrechtlichen Immunisierungswir­ kung der ATAD“ für das nationale Recht zu einem gespaltenen Prüfungs­ maßstab führen.1419 So genössen nationale Umsetzungsnormen den Schutz der ATAD, gleichartige „nationale Alleingänge“ unter Umstän­ den jedoch nicht.1420 Zum anderen kommt eine Weiterentwicklung bestehender oder auch die Anerkennung neuer Rechtfertigungsgründe in Betracht.1421 Hieraus ergä­ be sich unter Umständen die Möglichkeit, ähnliche Korrespondenzre­ geln zu rechtfertigen, die auf die alleinige Initiative eines Mitgliedstaats zurückzuführen sind. aa) „Materielle Immunisierung“ von Sekundärrecht (1) Darstellung Anlass dazu, einen gesonderten Prüfungsmaßstab für die ATAD zu erwä­ gen, gibt die Beobachtung eines gewissen „judicial self-restraint“ des EuGH in seinen bislang wenigen Entscheidungen, welche die Vereinbar­ keit von Sekundärrecht mit den Grundfreiheiten betreffen.1422 Die Litera­ tur begründet dies damit, dass vom mitgliedstaatlichen Gesetzgeber, welcher tendenziell protektionistische Ziele verfolge, schlicht eine hö­ here Gefahr für den freien Binnenmarkt ausginge als vom Unionsgesetz­ geber.1423 Für Unionsgesetze gälte daher eine widerlegliche „Vermutung der Vertragskonformität“.1424 Weiter sei ein weiter Entscheidungsspiel­ raum des Unionsgesetzgebers ein notwendiges Korrelat zum geringen Entscheidungsspielraum des nationalen Gesetzgebers.1425 Bereits das Ein­ stimmigkeitserfordernis sorge für eine hinreichende Berücksichtigung aller Interessen.1426 1418 Dazu sogleich Kapitel 4 - C.IV.2.d)aa). 1419 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 261. 1420 Wacker, in: FS BFH, S. 781, 799 f. 1421 Dazu Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb). 1422 Siehe dazu Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 352 f.; Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 30 f.; Wacker, in: FS BFH, S. 781, 792. Insbesondere EuGH, Urt. v. 26.10.2010, C-97/09, ECLI:EU:C:2010:632 – Schmelz, Rn. 58 ff. 1423 Teichmann, in: FS Scheuning, S. 735, 754 f.; Diskussionsbeitrag von Kokott in Bezug auf Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273 auf S. 358; Kokott, Das Steuer­ recht der Europäischen Union, § 2 Rn. 92. 1424 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 92. Für eine lockere Bindung des Unionsgesetzgebers außerdem Teichmann, in: FS Scheuning, S. 735, 754 ff.; Wacker, in: FS BFH, S. 781, 792 ff.; Zazoff, Der Unionsgesetzgeber als Adressat der Grundfreiheiten, S. 70 ff. 1425 Teichmann, in: FS Scheuning, S. 735, 756. 1426 Teichmann, in: FS Scheuning, S. 735, 756.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Im Unklaren bleibt jedoch, nach welchen Kriterien sich die Abstufung des Prüfungsmaßstabs vollzieht.1427 Im Kontext der ATAD sprach sich zuletzt Wacker für eine Beschränkung der grundfreiheitlichen Kontrolle auf ein bloßes Willkürverbot aus.1428 Die dogmatische Grundlage hierfür bildet eine Interpretation des Art. 26 AEUV dahingehend, dass in seinen zwei Absätzen die zwei Säulen der Binnenmarktintegration separat gere­ gelt sind. Demnach ist in Absatz 1 die positive Integration angesprochen, wenn es dort heißt: „Die Union erlässt die erforderlichen Maßnahmen, um nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen der Verträge den Binnenmarkt zu verwirklichen beziehungsweise dessen Funktionieren zu gewährleisten“.1429 In Absatz 2 hingegen finde sich die negative Inte­ gration in Gestalt der Grundfreiheiten wieder: „Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist“. Komme es – wie bei der ATAD – zu einem Konflikt zwischen diesen beiden Säulen, so seien diese im Wege der praktischen Konkordanz miteinander in Einklang zu bringen. In An­ lehnung an das deutsche Verfassungsrechtsverständnis ist damit ein an­ gemessener Ausgleich dieser beiden Säulen unter Wahrung ihres Kerns gemeint. Hierbei sei das besondere Gewicht der positiven Integration zu berücksichtigen, weshalb der Schutz durch die Grundfreiheiten auf ein bloßes Willkürverbot zurückzunehmen sei. Demnach genüge jeder sach­ liche Grund, um eine grundfreiheitliche Diskriminierung bzw. Beschrän­ kung zu rechtfertigen.1430 (2) Stellungnahme Wenn bislang galt, dass Unionssekundärrecht „schlicht weniger gefähr­ lich“ als mitgliedstaatliches Recht ist, so ist dies im Hinblick auf die ATAD-Richtlinien zu überdenken.1431 Zwar sind divergierende nationale Gesetze schon per se geeignet, eine marktaufteilende Wirkung zu entfal­ ten. Dass jedoch auch die ATAD eine solche Wirkung zu entfalten ver­ mag, zeigt allein der Umstand, dass an dieser Stelle der Untersuchung nach einem geringeren Prüfungsmaßstab bzw. nach einem erweiterten Kreis an Rechtfertigungsgründen gefragt werden muss.1432 Wegen der Schaffung neuer Eingriffstatbestände stellt die ATAD ein „neues Kapi­

1427 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 30. 1428 Wacker, in: FS BFH, S. 781, 793. 1429 Einen umfassenden Überblick der bisherigen positiven Integration im materiel­ len Steuerrecht gibt Kofler, in: FS BFH, S. 699, 701 ff. 1430 Siehe etwa Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 10 Rn. 319 f. 1431 Siehe den Diskussionsbeitrag Kokott in Bezug auf Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273 auf S. 358. 1432 Vgl. Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 354.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

tel“ der Harmonisierung des direkten Steuerrechts dar.1433 Es ginge des­ halb zu weit, auch die ATAD ohne Weiteres mit einer „Vermutung der Europarechtskonformität“1434 zu versehen und es dabei zu belassen.1435 Dort, wo es die von Beschränkungsverboten gekennzeichnete Rechtspre­ chung des EuGH umzusetzen sucht, kommt dem Sekundärrecht eine Konkretisierungsfunktion zu.1436 Etwa zielt die Mutter-Tochter-Richtli­ nie darauf ab, die Niederlassungsfreiheit zu verwirklichen.1437 Definiert und erweitert der Unionsgesetzgeber Rechte, die dem Steuerpflichtigen ohne die Richtlinie nicht zustünden, so leuchtet es unmittelbar ein, dass ihm dabei auch ein erweiterter Gestaltungsspielraum zukommt.1438 Nunmehr ist jedoch danach zu fragen, ob oder warum das Sekundärrecht auch dort bevorzugt zu behandeln ist, wo es für sich in Anspruch nimmt, von der Rechtsprechung des EuGH abzuweichen oder ihr zuvorzukom­ men.1439 Besonders bildlich wird der „Zwei-Säulen-Theorie“ entgegengehalten, dass es nicht einsichtig sei, weshalb die Mitgliedstaaten Maßnahmen, die ihnen unter den Grundfreiheiten eigentlich verboten wären, allein deshalb erlassen dürften, weil sie sich im Rat gleich einem „Kartell“ zu­ sammenschlössen.1440 Dieser Einwand lässt jedoch unberücksichtigt, dass Art. 115 AEUV neben der Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten auch einen positiven Binnenmarktbezug voraussetzt. Jenen vermögen bloß ge­ bündelte Fiskalinteressen gerade nicht zu begründen. Jedenfalls in mate­ riell-rechtlicher Hinsicht stellt die Union folglich nicht die „verlängerte Werkbank der Fiskalinteressen der Mitgliedstaaten“1441 dar. Vielmehr wurde bereits herausgearbeitet, dass ihr Handeln erst durch die Bekämp­ fung schädlichen Steuerwettbewerbs und den sich daraus ergebenden Binnenmarktbezug legitimiert wird. Die Neutralisierung hybrider Be­ steuerungsinkongruenzen kommt nicht nur den jeweiligen Fisci, son­ dern auch dem Binnenmarkt zugute.1442 1433 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 28; Musil, FR 2018, 933, 933 f.; Prusko, Steuerli­ che Missbrauchsvermeidung im Europäischen Binnenmarkt, S. 69. 1434 Vgl. hierzu Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 92. 1435 Für eine enge Bindung des Unionsgesetzgebers an die Grundfreiheiten Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, S. 213 f.; Dittert, Europa­ recht, S. 203; Ehlers, in: Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 239, 244; Frenz, Handbuch Europarecht, S. 129; Walter, in: Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 1, 18. 1436 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 30; Wacker, in: FS BFH, S. 781, 793. 1437 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 262. 1438 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 262. 1439 Wacker, in: FS BFH, S. 781, 793. 1440 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 354; Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 263. 1441 Kofler, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 1, 9. 1442 Kapitel 4 - B.I.3.c).

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Wenngleich das „Kartell-Argument“ der Richtlinie nicht entgegensteht, ginge es zu weit, die Grundfreiheitsprüfung auf eine bloße Willkürkon­ trolle zu beschränken. Lässt man nämlich jeden sachlichen Grund für eine Rechtfertigung genügen, sind dadurch sekundärrechtliche Regelun­ gen aus grundfreiheitlicher Perspektive unbedenklich, solange sie sich nur auf Art. 115 AEUV stützen lassen.1443 Am Beispiel der ATAD stellte die Bekämpfung schädlichen Steuerwettbewerbs einen solchen hinrei­ chenden sachlichen Grund dar. Die Grundfreiheiten gingen damit gänz­ lich in der Frage nach der Ermächtigungsgrundlage auf; der Aspekt der negativen Integration würde nicht auf seinen Kern beschränkt, er würde egalisiert. Auf Art. 26 AEUV lässt sich eine so weitgehende Einschränkung jeden­ falls nicht stützen. So ist in Art. 26 Abs. 1 AEUV davon die Rede, dass die Union die Maßnahmen zur positiven Integration „nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen der Verträge“ erlässt, was bereits als ein Verweis auf die Grundfreiheiten angesehen werden kann.1444 Weiter dient die positive Integration expressis verbis desselben Absatzes dazu, den Binnenmarkt zu verwirklichen. Diesen definiert Art. 26 Abs. 2 AEUV gerade im Sinne der Grundfreiheiten als einen „Raum ohne Binnengrenzen“.1445 Die Systematik und ursprüngliche Idee der Norm legt eher den Schluss nahe, dass die positive Integration gerade im Sinne der Grund­ freiheiten zu erfolgen hat. Die faktische Aufgabe der grundfreiheitlichen Überprüfung zugunsten der positiven Integration gibt Art. 26 AEUV des­ halb jedenfalls nicht her. Eine zusätzliche grundfreiheitliche Kontrolle ist begrüßenswert, da die Prüfung von Art. 115 AEUV lediglich eine Abwägung zwischen dem ­unionalen Anliegen und der mitgliedstaatlichen Steuersouveränität zu­ lässt. Die Interessen der betroffenen Steuerpflichtigen bleiben dabei un­ berücksichtigt und werden insbesondere nicht durch das Einstimmig­ keitserfordernis geschützt.1446 Gerade vor dem Hintergrund, dass der Unionsgesetzgeber den Steuerwettbewerb mittelbar reguliert, sollte eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, welche die Freizügigkeitsrechte der Steu­ erpflichtigen berücksichtigt, nicht einer konturlosen Willkürkontrolle geopfert werden. Im Gegenteil spricht dies dafür, der Verhältnismäßig­ keitsprüfung besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.1447 Es 1443 Vgl. Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 260. 1444 Vgl. Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 261. 1445 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 26 AEUV Rn. 26; van Vormizeele, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, EU-Recht, Art. 26 AEUV Rn. 7; Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 26 AEUV Rn. 12; Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 26 AEUV Rn. 19 f. A.A. Wacker, in: FS BFH, S. 781, 792: Es gäbe keinen Binnenmarkt im „vorrechtlichen Sinne“. 1446 Kapitel 4 - B.III. Vgl. Valta, StuW 2019, 118, 127. 1447 Vgl. Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 320 und 356.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

wäre verfehlt, aus einer Bindung des Unionsgesetzgebers an die Grund­ freiheiten den Schluss zu ziehen, er könne immer nur liberalisieren.1448 Vielmehr sollte sein Tätigwerden angemessen in der Rechtfertigungsprü­ fung berücksichtigt werden. bb) Lösung über Rechtfertigungsdogmatik Auf der Rechtfertigungsebene ergibt sich eine problematische Ausgangs­ situation. Die Regeln zur Neutralisierung hybrider Besteuerungsinkon­ gruenzen fügen sich nicht recht in die bestehende Dogmatik der Recht­ fertigungsgründe ein. Die Rechtfertigungsgründe wurden maßgeblich durch die Rechtsprechung des EuGH zu nationalen Steuernormen ge­ prägt, weshalb sie tendenziell einen Ausgleich zwischen dem Territoria­ litätsprinzip und den Freizügigkeitsrechten der Steuerpflichtigen vor Au­ gen haben.1449 Die hier untersuchten Korrespondenzregeln gehen jedoch nicht in Gänze in diesem Bild auf, da sie auch die exterritoriale Behand­ lung des Geschäftsvorgangs berücksichtigen. Es mangelt der Rechtferti­ gungsdogmatik an einem gefestigten Prinzip, welches internationale, interpersonale Korrespondenzregeln zu erfassen vermag. Deshalb sollte die Rechtfertigungsprüfung jedoch nicht in einer bloßen Willkürkontrol­ le aufgehen. Der „Paradigmenwechsel“ der europäischen Steuerpolitik würde dann denkbar ungünstig eingeleitet. Insbesondere im Dienste ei­ ner weiterhin stattfindenden Verhältnismäßigkeitsprüfung und der rechtssicheren Beurteilung ähnlicher, künftiger Regelungen, seien es sol­ che des europäischen oder solche des nationalen Gesetzgebers, sollten die Antworten auf die neuen Fragestellungen in der bestehenden Recht­ fertigungsdogmatik gefunden und diese gegebenenfalls weiterentwickelt bzw. ausdifferenziert werden.1450 Hierzu finden sich sowohl Vorstöße im Schrifttum als auch vermehrt Anknüpfungspunkte in der Rechtspre­ chung des EuGH, die sich bezüglich der hier behandelten Thematik der­ zeit stark im Fluss befindet.1451 Im Folgenden werden zunächst zwei Vor­ schläge dargestellt, die vom Schrifttum zur Rechtfertigung nationaler Regelungen unterbreitet wurden. Anschließend wird eine eigene Positi­ on entwickelt. (1) Internationale Koordination als neuer Rechtfertigungsgrund Englisch spricht sich für die Anerkennung eines neues Rechtfertigungs­ grundes der „Internationalen Koordination von Steuerhoheiten“ aus.1452 1448 Vgl. Höpner/Haas, MPIfG Discussion Paper 21/2, S. 2 1449 Zum Spannungsverhältnis zwischen Neutralität und Territorialität im Binnen­ markt Schön, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 109. 1450 Vgl. Musil, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, Einführung, Rn. 71. 1451 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.264.  1452 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 328.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Wenn auch das koordinierte Vorgehen der Mitgliedstaaten nicht zu einer verminderten Kontrolldichte führe, vermöge es jedenfalls neue Rechtfer­ tigungsgründe gleichsam „freizuschalten“.1453 Demnach sollen die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen ein legitimes Interesse daran geltend machen können, dass die territo­riale Begrenzung ihrer Steueransprüche nicht dazu genutzt werden kann, sich der Besteuerung in größerem Maße zu entziehen, als dies zur V ­ ermeidung internationaler Doppelbelastung unter Orientierung an international konsentierten Aufteilungsmaßstäben angezeigt ist.1454 Der entscheidende Unterschied zum etablierten Kanon der Rechtfertigungsgründe besteht hier darin, dass im Rahmen dieses neuen Rechtfer­tigungsgrundes eine internationale Perspektive eingenommen werden kann.1455 Die Einbeziehung ausländischer Belastungsfolgen stehe jedoch unter dem Vorbehalt international abgestimmten Vorgehens. Nur dann sei die für die Legitimität des Rechtfertigungsgrunds maßgebliche Erwartung, dass die Gesamtbelastung des grenzüberschreitenden Vorgangs innerhalb eines aus dem jeweiligen Besteuerungsniveau aller involvierten Mit­ gliedstaaten gebildeten Korridors verbleibe, hinreichend fundiert. Die Voraussetzung sorge zudem für Rechtssicherheit und stelle sicher, dass es um die Verwirklichung international sachgerechter Besteuerung und nicht bloß um unbeachtliche Fiskalinteressen gehe. Für eine ausreichen­ de Koordination sei gleichwohl nicht zwingend eine völker- oder unions­ rechtlich verbindliche Übereinkunft in Form eines Abkommens oder Unionsrechtsakts erforderlich. Vielmehr reichten hierfür bereits recht­ lich unverbindliche internationale Empfehlungen, Standards oder Kodi­ zes, sofern die Mitgliedstaaten diesbezüglich übereinstimmend und vor­ behaltslos politische Willenserklärungen abgegeben hätten.1456 Ein so verstandener Rechtfertigungsgrund könnte in verschiedener Hin­ sicht relevant werden. Etwa könnte man auf seiner Basis eine Verrech­ nungspreiskorrektur rechtfertigen, durch welche letztlich eine inlän­ dische Steuerbelastung erreicht wird, die der zwischenstaatlich als angemessen erachteten Aufteilung entspricht. Generell kann dann auch einer Verlagerung von Einkünften entgegengetreten werden, sofern da­ mit nicht auch eine hinreichende Verlagerung der Wertschöpfungsfakto­ ren, mithin der „wirtschaftlichen Substanz“ einhergeht. Vor allem je­ doch kann damit bei hybriden Gestaltungen berücksichtigt werden, wie derselbe Sachverhalt vom ausländischen Steuerrecht behandelt wird.1457 1453 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 353. 1454 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 317. 1455 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 317. 1456 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 330. 1457 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 329.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

(2) Internationale Kohärenz Generalanwältin Kokott spricht sich für eine internationale Kohärenzbe­ trachtung aus. Wenn die Staaten ihre Steuerhoheit aufteilen könnten, um Doppelbesteuerung zu vermeiden, müssten sie das zumindest auch dürfen, um unter den Steuerpflichtigen Belastungsgleichheit herzustel­ len und sog. „double dips“ zu vermeiden. Dies entspreche insbesondere dem Leistungsfähigkeitsprinzip.1458 Da die internationale Kohärenz ange­ sichts der Autonomie der Rechtsordnungen eigentlich einen Fremdkör­ per darstelle1459, sei sie nur unter engen Voraussetzungen zugelassen: Demnach müssten sich der Steuervor- und Steuernachteil vollständig entsprechen und es müsse derselbe konkrete Besteuerungsvorgang beim selben Steuerpflichtigen betroffen sein.1460 Ob durch letzteres Kriterium der Personenidentität auch „double dips“ zwischen eigenständigen, ver­ bundenen Rechtssubjekten aufgegriffen werden können, bleibt insoweit unklar. Der Verweis auf das Leistungsfähigkeitsprinzip deutet eher dar­ auf hin, dass der Generalanwältin hier besonders Fälle vor Augen gestan­ den haben, in denen es um die Besteuerung eines Steuerpflichtigen in verschiedenen Staaten geht.1461 (3) Stellungnahme Im Folgenden wird auf Basis der bisherigen Ausführungen eine eigene Position entwickelt. (a) Kohärenzgedanke als geeignete Basis In Kapitel 1 wurde herausgearbeitet, dass die Linking Rules das Ziel ei­ ner Einmalbesteuerung verfolgen.1462 Vor diesem Hintergrund erweist sich die Kohärenz des Steuersystems als geeigneter Anknüpfungspunkt für die Rechtfertigung der hier untersuchten Korrespondenzregeln.1463 Der Kohärenzbetrachtung zufolge wird ein Vorteil nur dann gewährt, wenn ein damit unmittelbar verbundener Nachteil getragen wird.1464 Da­ mit lässt sich eine Einmalbesteuerung aus jeder Richtung kommend ­begründen: Eine Primary Response auf D/NI-Ergebnisse gewährt den ­Betriebsausgabenabzug („Vorteil“) nur, wenn beim Empfänger eine Be­ 1458 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 95. 1459 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 97. 1460 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 96. 1461 Siehe die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 10.1.2019, C-607/17, ECLI:EU:C:2019:8 – Memira, Rn. 73. 1462 Kapitel 1 - B.III.9. 1463 So wohl auch Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 259. Bereits die OECD-Empfehlungen sahen sich im Dienste einer „kohärenten Ausgestaltung“ der Besteuerungssyste­ me, OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 3, 11 und 99. 1464 EuGH, Urt. v. 28.1.1992, C-204/90, ECLI:EU:C:1992:35 – Bachmann, Rn. 21.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

triebseinnahme besteuert wird („Nachteil“). Die Defensive Rule auf D/ NI-Ergebnisse gewährt die Freistellung einer Betriebseinnahme („Vor­ teil“) nur, wenn beim Zahlenden der Betriebsausgabenabzug versagt wur­ de („Nachteil“). Auch DD-Ergebnisse lassen sich erfassen: So wird hier der Betriebsausgabenabzug („Vorteil“) nur dann gewährt, wenn derselbe Betriebsausgabenabzug anderswo nicht noch einmal zugelassen wird („Nachteil“). Der Vor- und Nachteilszusammenhang erweist sich folg­ lich als wandlungsfähig genug, um andere Besteuerungsinkongruenzen als D/NI-Ergebnisse zu erfassen.1465 Es entspricht dem Anliegen der Kohärenz, dass ein Mitgliedstaat einen grenzüberschreitenden Sachver­ halt nicht besser als sein inländisches Pendant behandeln muss.1466 Bei der doppelten Nichtbesteuerung wird der grenzüberschreitende Sachver­ halt mit einer geringeren Steuer als ein im Übrigen vergleichbarer inlän­ discher Sachverhalt belastet.1467 Die beiden Bereiche weisen jedenfalls insoweit große Schnittmengen auf, als dass die Behandlung des gren­ züberschreitenden Sachverhalts an die des inländischen Pendants ange­ nähert werden soll. Aus diesem Grund verdient die Lösung über den Kohärenzgedanken ge­ genüber anderen Ansätzen den Vorzug. Es wäre nämlich ebenfalls denk­ bar, den Rechtfertigungsgrund der Missbrauchsabwehr weiter zu öffnen. Es lässt sich die Bereitschaft des EuGH beobachten, in Konstellationen verbundener Unternehmen auch solche Regelungen zu rechtfertigen, die nicht speziell auf rein künstliche Gestaltungen, sondern nur allgemein auf „Praktiken der Steuerumgehung“ abzielen.1468 Dass eine Gestaltung in einem solchen Sinne steuerlich motiviert ist, kann nach jüngerer Rechtsprechung widerleglich anhand des Fremdvergleichsgrundsatzes ermittelt werden.1469 Da auch fremdunübliche Gestaltungen einen wirt­ schaftlichen Gehalt aufweisen können, ist der EuGH damit partiell und implizit vom traditionell engen Missbrauchsverständnis abgewichen.1470 Für eine weitere fallgruppenbezogene Öffnung des Missbrauchsbegriffs 1465 Es können deshalb auch DD-Ergebnisse, indirekte D/NI-, TC/TC- sowie NI/ NT-Ergebnisse erfasst werden. 1466 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.283. 1467 Kapitel 1 - B.I.1. 1468 EuGH, Urt. v. 18.7.2007, C-231/05, ECLI:EU:C:2007:439 – Oy AA, Rn. 63; EuGH, Urt. v. 21.1.2010, C-311/08; ECLI:EU:C:2010:26 – SGI, Rn. 66. Vgl. ferner Bergmann, StuW 2010, 246, 257; Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbundenen Unternehmen, S. 268 ff. 1469 EuGH, Urt. v. 31.5.2018, C-382/16, ECLI:EU:C:2018:366 – Hornbach Baumarkt AG, Rn. 45 – 47. Dazu Ditz/Quilitzsch, DB 2018, 2009; Graw, DB 2018, 2655; Mitschke, IStR 2018, 470; Schnitger, IStR 2018, 469; Schreiber/Greil, DB 2018, 2527; Schwenke, DB 2018, 2329.  1470 Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.254; Kahlenberg/Vogel, StuW 2016, 288, 293. Vgl. die Gedanken zu einem einheitlichen, unionsrechtlichen Missbrauchsbegriff von Drüen, ISR 2020, 98, 102 ff.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

fehlt aufgrund obiger Erwägungen zur Kohärenz jedoch der Anlass. Oh­ nehin erscheint es bereits im Ausgangspunkt verfehlt, einem Steuer­ pflichtigen, der bloß von ihm offenstehenden, regulären Steuervergünsti­ gungen Gebrauch macht, missbräuchliches Verhalten vorzuwerfen.1471 Ergeben sich Disparitäten zwischen den Steuersystemen, so ist nicht der Steuerpflichtige in der Verantwortung, sein Handeln an anderen als den für ihn geltenden Rechtsvorschriften auszurichten. Vielmehr sind dies die Staaten selbst.1472 (b) Legitimation jedenfalls bei Maßnahmen des Unionsgesetzgebers Die Kohärenzbetrachtung fordert einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Vor- und Nachteil.1473 Den Linking Rules liegt ein internatio­ naler, interpersonaler Korrespondenzgedanke zugrunde, wonach einem Steuerpflichtigen in Staat A ein Vorteil nur dann gewährt wird, wenn ein anderer Steuerpflichtiger in Staat B einen Nachteil trägt.1474 Es wurde be­ reits herausgearbeitet, dass hier der Vorteil und Nachteil auf Basis der gefestigten Rechtsprechung nicht unmittelbar miteinander zusammen­ hängen.1475 Bereits ein internationaler Belastungsvergleich stellt eigent­ lich einen Fremdkörper innerhalb der Rechtfertigungsdogmatik im All­ gemeinen und der Kohärenzbetrachtung im Speziellen dar, da er der Autonomie der Rechtsordnungen widerspricht.1476 Der regelnde Mitglied­ staat kann die innere Widerspruchsfreiheit seines eigenen Steuersystems nicht mehr gewährleisten, wenn er sich internationaler Korrespondenzre­ geln bedient. Die in Bezug genommenen Rechtsvorschriften des anderen Staats, von denen die inländische Rechtsfolge abhängig gemacht wird, können vom anderen Staat jederzeit einseitig geändert werden.1477 Auch ein interpersonaler Belastungsvergleich ist der Kohärenz erst einmal we­ sensfremd. Im Einklang mit ihrer ursprünglichen Konzeption ist als ein auf die Gewährleistung übereinstimmender individueller Gesamtsteuer­ belastungen ausgerichteter Vorteilsausgleich zu verstehen.1478 1471 Vgl. EuGH, Urt. v. 26.2.2019, C-116/16 und C-117/16, ECLI:EU:C:2019:135 – T Danmark und Y Danmark, Rn. 80; EuGH, Urt. v. 22.4.2010, C-510/08, ECLI:EU:C:2010:216 – Mattner, Rn. 41; EuGH, Urt. v. 11.12.2003, C-364/01, ECLI:EU:C:2003:665 – Barbier, Rn. 71; EuGH, Urt. v. 11.9.2008, C-11/07, ECLI:EU:C:2008:489 – Eckelkamp, Rn. 66 und 69; EuGH, Urt. v. 12.12.2002, C-385/00, ECLI:EU:C:2002:750 – de Groot, Rn. 97; EuGH, Urt. v. 11.9.2008, C-43/07, ECLI:EU:C:2008:490 – Arens-Sikken, Rn. 66. Siehe auch Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 259. 1472 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2 Rn. 127. 1473 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 82. 1474 Kapitel 1 - B.III.1. 1475 Kapitel 4 - C.IV.2.c). 1476 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 96 f. 1477 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 96. 1478 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 313.

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Es erscheint jedoch verfehlt, Maßnahmen des Unionsgesetzgebers an­ hand eines Kohärenzgedankens zu beurteilen, der sich maßgeblich im Zuge der Beurteilung mitgliedstaatlicher Maßnahmen entwickelt hat und deshalb notwendigerweise durch die Autonomie der Steuerrechts­ ordnungen geprägt ist. Diese Limitierung kann durch den Unionsgesetz­ geber überwunden werden. Dogmatisch kann im Ausgangspunkt an die schon bislang verwendete Formel angeknüpft werden, wonach die Unmittelbarkeit des Zusammenhangs anhand des mit der Regelung ver­ folgten Ziels zu beurteilen ist.1479 Dieses liegt vorliegend in der Herbei­ führung einer grenzüberschreitenden Einmalbesteuerung. Durch den Uni­onsgesetzgeber verfolgt, erweist sich dieses als legitim: Jedenfalls eine grenzüberschreitende und ausnahmsweise auch eine personenüber­ greifende Betrachtung ließe sich durch ein Europäisches Leistungsfähig­ keitsprinzip dogmatisch fundieren. An dieser Stelle kann auf die Ausfüh­ rungen im Abschnitt zur objektiven Vergleichbarkeit der Situationen verwiesen werden.1480 Auf diese Weise könnte sich erklären lassen, war­ um der Unionsgesetzgeber hier „mehr darf“ als die Mitgliedstaaten. Ei­ nen Rückgriff auf eine verringerte Prüfungsintensität braucht es dem­ nach nicht. (c) Erstreckung auf Maßnahmen der Mitgliedstaaten? Es mehren sich die Anzeichen, dass auch die Rechtfertigung nationaler Anti-Hybrid-Regeln künftig gelingen könnte. So wurde mit der Rechtssa­ che NN diametral zu Philips Electronics entschieden.1481 Wenn auch die Grundsätze aus Philips Electronics nicht ausdrücklich aufgegeben wur­ den, lässt der EuGH vereinzelt die Bereitschaft erkennen, den Blick ins Ausland zu richten und gesteht den Mitgliedstaaten zu, dortige Begüns­ tigungen bei ihrer inländischen Belastungsentscheidung zu berücksichti­ gen. Von der Vermeidung doppelter Verlustberücksichtigung ist es nicht mehr weit bis zur allgemeinen Vermeidung einer „Vorteilskumulation“,

1479 EuGH, Urt. v. 28.1.1992, C-300/90, ECLI:EU:C:1992:37 – Kommission/Belgien, Rn. 14; EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484 – Manninen, Rn. 43; EuGH, Urt. v. 23.2.2006, C-471/04, ECLI:EU:C:2006:143 – Keller Hol­ ding, Rn. 40; EuGH, Urt. v. 14.9.2006, C-386/04, ECLI:EU:C:2006:568 – Centro di Musicologia Walter Stauffer, Rn. 56; EuGH, Urt. v. 30.1.2007, C-150/04, ECLI:EU:C:2007:69 – Kommission/Dänemark, Rn. 70; EuGH, Urt. v. 11.10.2007, C-443/06, ECLI:EU:C:2007:600 – Hollmann, Rn. 56 ff.; EuGH, Urt. v. 27.11.2008, C-418/07, ECLI:EU:C:2008:659 – Papillon, Rn. 43 f.; EuGH, Urt. v. 18.6.2009, C-303/07, ECLI:EU:C:2009:377 – Aberdeen Property Fininvest Alpha, Rn. 71 f.; EuGH, Urt. v. 2.9.2015, C-386/14, ECLI:EU:C:2015:524 – Groupe Steria, Rn. 31; EuGH, Urt. v. 22.2.2018, C-398/16, ECLI:EU:C:2018:110 – „X“, Rn. 43; EuGH, Urt. v. 30.6.2016, C-123/15, ECLI:EU:C:2016:496 – Feilen, Rn. 30. 1480 Kapitel 4 - C.IV.1.b)bb)(8). 1481 Kapitel 4 - C.IV.2.b)bb).

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wie sie den hybriden Gestaltungen eigen ist. Die Weichen scheinen je­ denfalls gestellt.1482 Dies widerspräche auch nicht den Grundsätzen zur Doppelbesteuerung. Diese ist unionsrechtlich zwar nicht verboten.1483 Jedoch ist damit nichts darüber gesagt, ob die Mitgliedstaaten zu ihrer Vermeidung tätig werden dürfen, ohne dabei gegen die Grundfreiheiten zu verstoßen. Ebenso ver­ hält es sich umgekehrt mit der „Vorteilskumulation“. Wegen der Auto­ nomie der Steuerrechtsordnungen ist sie nicht verboten. Ebenso wenig ist sie jedoch festgeschrieben; die Mitgliedstaaten dürfen sie verhin­ dern.1484 Auch die Rechtsprechung zur Berücksichtigung finaler Verluste kann in diese Richtung interpretiert werden. Demnach müssen unter bestimm­ ten Umständen im Ausland erwirtschaftete Verluste im Inland verrech­ net werden können. Diese punktuelle Beschränkung auf Finalitätsfälle kommt zwar einer Absage an eine grundsätzliche staatenübergreifende Be- und Entlastungsanalyse gleich.1485 Ebenso wird hier jedoch deutlich, dass ausnahmsweise und unter bestimmten Umständen eine Gesamt­ schau der Belastungsfolgen in zwei Steuerjurisdiktionen vorzunehmen ist. Führt man sich an dieser Stelle vor Augen, dass der EuGH in der Rechts­ sache Manninen bereits eine staaten- und personenübergreifende Be­ trachtung angestellt hat1486, so liegt nahe, den Rechtfertigungsgrund der Kohärenz konsequent in diese Richtung fortzuentwickeln.1487 Eine allzu vorbehaltlose Rechtfertigung von Korrespondenzregeln er­ scheint gleichwohl bedenklich. Im Internationalen Steuerrecht gewin­ 1482 Vgl. Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.266. 1483 Billau, Die steuerliche Integration des Europäischen Binnenmarktes durch Dop­ pelbesteuerungsabkommen, S. 230 ff.; Kokott, in: FS BFH, S. 735, 741 f.; Marres, Intertax 2011, 112, 115. A.A. Englisch, DStJG 41 (2018), S. 273, 318 m.w.N. 1484 Ebenso Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 318; Rust, in: Grundfragen des Eu­ ropäischen Steuerrechts, S. 89, 97. 1485 Brandis, DStR 2018, 2051, 2056; Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 324. 1486 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-319/02, ECLI:EU:C:2004:484 – Manninen, Rn. 40 ff., in welchem die ausschüttende Gesellschaft und ihr Anteilseigner wirtschaftlich betrachtet als ein Steuerträger behandelt wurden. Siehe ferner implizit in EuGH, Urt. v. 23.2.2006, C-471/04, ECLI:EU:C:2006:143 – Keller Holding GmbH, Rn. 43; EuGH, Urt. v. 12.12.2006, C-446/04, ECLI:EU:C:2006:774 – Test Clai­ mants in the FII Group Litigation, Rn. 93; EuGH, Urt. v. 27.11.2008, C-418/07, ECLI:EU:C:2008:659 – Papillon, Rn. 47 – 51. 1487 Vgl. Kokott/Ost, EuZW 2011, 496, 502, welche die Kohärenz als offen für weitere Entwicklungen ansehen. In Richtung einer ausnahmsweisen Zulässigkeit einer solchen Betrachtung Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbundenen Unter­ nehmen, S. 241; Schön, DB 2001, 940, 944; Schön, IStR 2009, 882, 885; Schön, in: StbJb 2003/2004, S. 27, 53.

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nen Korrespondenzregelungen zunehmend an Bedeutung.1488 Nach der­ zeitigem Stand ist zu erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzen wird.1489 Umso wichtiger ist es, sich an dieser Stelle zwei Dinge zu vergegenwär­ tigen. Erstens eignet sich die Regelungstechnik der korrespondierenden Besteuerung nicht nur dazu, bestehende Lücken zu schließen. Sie kann ebenso dazu genutzt werden, um gezielt die steuerpolitischen Entschei­ dungen anderer Staaten zu konterkarieren. Diesem Vorwurf sieht sich in Teilen § 8b Abs. 1 S. 2 KStG ausgesetzt.1490 Auch hinsichtlich der Lizenz­ schranke des § 4j EStG kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass sich die OECD-Staaten zwar auf eine nexuskonforme Ausgestaltung der Patentboxen verständigt haben, nicht jedoch darauf, dass anders ausge­ staltete Patentboxen noch vor Ablauf der eigentlichen Umsetzungsfrist durch Regelungen wie den § 4j EStG sanktioniert werden.1491 Nehmen sich die Staaten solcherart wechselseitig in Bezug, so kommt es zu einem doppelten Eingriff in das freie Marktspiel.1492 Zweitens wurde in Bezug auf hybride Gestaltungen bereits herausgearbeitet, dass bei einer unkoor­ dinierten Implementierung und Anwendung von Korrespondenzregeln die wirtschaftliche Doppelbesteuerung des Sachverhalts droht.1493 Man mag hier einwenden, dass diese unionsrechtlich nicht verboten ist.1494 Gleichwohl resultiert die hier in Rede stehende Doppelbesteuerung nicht daraus, dass zwei autonome Rechtsordnungen unabhängig vonein­ ander tätig geworden sind. Sie resultiert vielmehr daraus, dass die Rechts­ ordnungen Rechtsfolgen an Umstände knüpfen, die außerhalb ihres Ein­ flussbereichs liegen. Es mutete widersprüchlich an, ausnahmsweise eine staatenübergreifende Betrachtung zuzulassen, um eben jenes Ergebnis zu erzielen. Wenn ausnahmsweise weitreichendere Möglichkeiten zur Rechtfer­ tigung von Vorschriften zugelassen werden, erscheint es nur sinnvoll, diese auch an erhöhte Voraussetzungen zu knüpfen. Vor dem gerade ge­ schilderten Hintergrund drängt sich die überragende Bedeutung der zwi­ schenstaatlichen Koordination im Bereich von Korrespondenzregelun­ gen geradezu auf. Die erweiterten Möglichkeiten zur Rechtfertigung sind deshalb mit Englisch unter einen Vorbehalt international abgestimmten 1488 Wiese, in: FS Gosch, S. 463, 464. 1489 Selbst beim GloBE-Vorschlag der OECD handelt es sich im weitesten Sinne um Regelungen korrespondierender Besteuerung, vgl. Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 260 f. 1490 Kaeser, in: FS BFH, S. 969, 978 f.; Wiese, in: FS Gosch, S. 463, 468. 1491 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 335 f.; Surmann, ISR 2019, 190, 195. 1492 Vgl. Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 40. 1493 Kapitel 1 - B.III.6. 1494 Vgl. Billau, Die steuerliche Integration des Europäischen Binnenmarktes durch Doppelbesteuerungsabkommen, S. 230 ff.; Kokott, in: FS BFH, S. 735, 741 f.; Marres, Intertax 2011, 112, 115.

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Vorgehens zu stellen1495; sowohl das Ziel der Vorschrift als auch gegebe­ nenfalls die Anwendungshierarchie sollten zwischen den beteiligten Staaten konsentiert sein. An die Form der Koordination sind dabei keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Insbesondere bedarf es nicht zwingend einer unionsrechtlich verbindlichen Übereinkunft. Gewiss bietet etwa eine Richtlinie wie die ATAD die höchste Gewähr für ein koordiniertes Vorgehen.1496 Die erforderliche Einstimmigkeit unterstellt, würde dieser Vorteil jedoch mit einer rasch zunehmenden Versteinerung der Rechtslage erkauft werden. Sekundärrechtlich getroffene Systement­ scheidungen sind aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips kaum umkehr­ bar, auch, wenn sie sich im Nachhinein als falsch oder nicht mehr zeit­ gemäß herausstellen.1497 Ein dahingehendes Incentive erwiese sich deshalb als fragwürdig. Vielmehr sollte bereits eine internationale Ver­ ständigung durch sog. „soft law“ ausreichen, solange geklärt ist, ob und wie auf einen Sachverhalt zugegriffen wird.1498 Keinesfalls sollte den Staaten jedoch eine Art „Grundkonsens“ darüber unterstellt werden, un­ sachgemäße Begünstigungswirkungen zu vermeiden.1499 (d) Verbleibende Problembereiche Mit Art. 9 Abs. 3 ATAD verbleibt dennoch eine Vorschrift, welche sich als problematisch erweist. Diese soll verhindern, dass die Effekte zwi­ schen Drittstaaten eingerichteter hybrider Gestaltungen durch abzugsfä­ hige Zahlungen in die EU „importiert“ werden.1500 Es wurde herausgear­ beitet, dass die staaten- und personenübergreifende Gesamtbetrachtung nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen zuzulassen ist. Die Kohärenzbetrachtung erfordert einen unmittelbaren Zusammen­ hang zwischen Vor- und Nachteil. Art. 9 Abs. 3 ATAD versagt den Vorteil des Betriebsausgabenabzugs, soweit die Zahlung in abzugsfähige Auf­ wendungen fließt, die zu einer hybriden Gestaltung führen. Die Zahlung ist gegebenenfalls über mehrere Staaten und mehrere Steuerpflichtige hinweg nachzuvollziehen. Über das Verrechnungskriterium hinaus wer­ den keine Anforderungen an den wirtschaftlichen Zusammenhang zwi­ schen der Ausgangszahlung und der letztendlichen Verrechnung mit dem hybriden Betriebsausgabenabzug gestellt.1501 Von einem „unmittel­ baren Zusammenhang“ kann hier schlicht nicht mehr die Rede sein. 1495 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 329 f. 1496 Kapitel 2 - B.III.7. 1497 Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 19 f. 1498 Dahingehend Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 330. Vgl. Schön, in: FS BFH, S. 923, 940 f. 1499 So Rust, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 89, 98. Gl.A. Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 330 f. 1500 Kapitel 2 - B.II.3. 1501 Kapitel 2 - B.II.3.c).

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Dazu kommt, dass die Regelung auch auf sog. Durchleitungsfälle An­ wendung findet. Hier besteht aus Sicht des anwendenden Staates kein Vorteil, den es zu neutralisieren gälte. Vielmehr wird der Vorteil an einen anderen Staat weitergereicht.1502 Der für die Kohärenzbetrachtung so zen­ trale Vor- und Nachteilszusammenhang ist hier gänzlich gestört. Damit lässt sich Art. 9 Abs. 3 ATAD auch auf Basis eines extensiv interpretier­ ten Rechtfertigungsgrunds der internationalen Kohärenz nicht rechtfer­ tigen. e) Ergebnis Die Rechtfertigung der Korrespondenzregeln erweist sich in Gänze als problematisch. Keiner der bislang etablierten Rechtfertigungsgründe er­ weist sich im Ausgangspunkt als geeignet, um die internationale sowie interpersonale Korrespondenzbetrachtung zu erfassen. Die Vorschriften lediglich deshalb einer Willkürkontrolle zu unterziehen, weil es sich bei der ATAD II um sekundäres Unionsrecht handelt, ist abzulehnen. Gera­ de in Anbetracht der derzeitigen und künftigen Bedeutung von Korres­ pondenzregeln im Internationalen Steuerrecht, sind die Antworten auf Rechtfertigungsebene zu suchen und diese gegebenenfalls entsprechend fortzuentwickeln. Der vorzugswürdige dogmatische Anknüpfungspunkt ist insoweit die Kohärenz des Steuersystems. Jedenfalls soweit der Uni­ onsgesetzgeber handelt, ist eine staaten- und personenübergreifende Be­ trachtung zulässig. Dogmatisch ließe sich das mit einem Europäischen Leistungsfähigkeitsprinzip fundieren. Die Korrespondenzregeln der ATAD II lassen sich damit grundsätzlich rechtfertigen. Auch mitglied­ staatliche Korrespondenzregeln könnten sich künftig auf Basis einer in­ ternationalen sowie interpersonalen Kohärenzbetrachtung rechtfertigen lassen. Es sollte dabei jedoch der überragenden Bedeutung der internatio­ nalen Koordination Rechnung getragen und sie deshalb zur Bedingung für die „Gesamtbetrachtung“ erhoben werden. Selbst auf Basis eines sol­ chen extensiven Kohärenzbegriffs erweist sich Art. 9 Abs. 3 ATAD gleichwohl als problematisch.

V. Wahrung der Verhältnismäßigkeit In ständiger Rechtsprechung überprüft der EuGH grundfreiheitsbe­ schränkende Regelungen auf ihre Verhältnismäßigkeit.1503 Innerhalb die­ 1502 Kapitel 2 - B.II.3.d). 1503 Siehe beispielsweise EuGH, Urt. v. 11.7.1974, C-8/74, ECLI:EU:C:1974:82 – Das­ sonville; EuGH, Urt. v. 20.2.1979, C-120/78, ECLI:EU:C:1979:42, Cassis de Di­ jon; EuGH, Urt. v. 30.11.1995, C-55/94, ECLI:EU:C:1995:411 – Gebhard, Rn. 37; EuGH, Urt. v. 12.12.2002, C-324/00, ECLI:EU:C:2002:749 – Lankhorst-Hohorst, Rn. 33; EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks &

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

ser Verhältnismäßigkeitsprüfung wird das Interesse der Marktteilnehmer an der Ausübung der Grundfreiheiten mit dem zwingenden Grund des Allgemeininteresses abgewogen.1504 Die Prüfung folgt grundsätzlich ei­ nem zweistufigen Aufbau, wonach die Beschränkung geeignet sein muss, die Erreichung des fraglichen Ziels zu gewährleisten und nicht über das hinausgehen darf, was hierzu erforderlich ist.1505 1. Geeignetheit An das Kriterium der Eignung stellt der EuGH keine hohen Anforde­ rungen. Eine Maßnahme ist geeignet, wenn sie zur Zielerreichung ­zumindest nützlich ist.1506 Demnach genügt schon ein gewisser Förder­ zusammenhang.1507 Zudem steht dem Gesetzgeber eine gewisse Ein­ schätzungsprärogative zu, wonach nur offensichtlich ungeeignete Maß­ nahmen das Kriterium nicht erfüllen.1508 Die Korrespondenzregeln der ATAD dienen einer international kohären­ ten Besteuerung.1509 Konkret sollen bestimmte Besteuerungsinkongruen­ zen einer Einmalbesteuerung zugeführt werden.1510 Es bestehen keinerlei Zweifel daran, dass die Linking Rules zur Erreichung dieses Ziels zumin­ dest nützlich sind. Gleichwohl zeigt die Rechtsprechung in letzter Zeit eine Tendenz, eine Regelung nur dann als geeignet anzusehen, wenn sie das Ziel in kohären­ ter und systematischer Weise verfolgt.1511 Diese „Kohärenz“ ist vom Spencer, Rn. 35; EuGH, Urt. v. 12.9.2006, C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cad­ bury Schweppes, Rn. 47; EuGH, Urt. v. 18.7.2007, C-231/05, ECLI:EU:C:​ 2007:439 – Oy AA, Rn. 44. 1504 Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 85 ff. 1505 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 13.12.2005, C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 – Marks & Spencer, Rn. 35; EuGH, Urt. v. 12.9.2006, C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cad­ bury Schweppes, Rn. 47; EuGH, Urt. v. 18.7.2007, C-231/05, ECLI:EU:C:​ 2007:439 – Oy AA, Rn. 44. 1506 Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbundenen Unternehmen, S. 175. 1507 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 343. 1508 EuGH, Urt. v. 11.7.1989, C-265/87, ECLI:EU:C:1989:303 – Schräder, Rn. 22; EuGH, Urt. v. 13.11.1990, C-331/88, ECLI:EU:C:1990:391 – Fedesa, Rn. 14; EuGH, Urt. v. 11.06.2009, C-33/08, ECLI:EU:C:2009:367 – Agrana Zucker, Rn. 33; EuGH, Urt. v. 20.5.2010, C-365/08, ECLI:EU:C:2010:283 – Agrana Zucker II, Rn. 30 f. 1509 Vgl. Erwägungsgrund 2 der ATAD. 1510 Kapitel 1 - B.III.9. 1511 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 06.11.2003, C-243/01, ECLI:EU:C:2003:597 – Gambel­ li, Rn. 67; EuGH, Urt. v. 10.3.2009, C-169/07, ECLI:EU:C:2009:141 – Hartlauer, Rn. 55; EuGH, Urt. v. 11.6.2015, C-98/14, ECLI:EU:C:2015:386 – Berlington Hungary, Rn. 64. Speziell im Steuerrecht: EuGH, Urt. v. 6.10.2009, C-153/08, ECLI:EU:C:2009:618 – Kommission/Spanien, Rn. 38; EuGH, Urt. v. 17.11.2009, C-l69/08, ECLI:EU:C:2009:709 – Regione Sardegna Rz. 40 ff., 42, 46 ff. Siehe fer­ ner Kokott, in: FS BFH, S. 735, 751.

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oben erörterten Rechtfertigungsgrund der Kohärenz zu unterscheiden.1512 Sie ist Teil der Verhältnismäßigkeitsprüfung („Schranken-Schranke“) und gleicht ihrem Gehalt nach einer Folgerichtigkeitskontrolle.1513 Be­ merkenswerterweise hat sie bereits dazu geführt, dass der EuGH eine Richtlinienbestimmung für ungültig erklärte.1514 Ursprünglich im Be­ reich des Glücksspielrechts entwickelt1515, hat das Kriterium nunmehr auch Einzug in die Judikatur zum direkten Steuerrecht gehalten.1516 Feh­ lende Kohärenz deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber nicht genannte protektionistische Sekundärziele verfolgt1517 und damit andere Rechtfer­ tigungsgründe lediglich vorgeschoben wurden1518. Die ATAD II gibt Anlass für Zweifel an ihrer inneren Widerspruchsfrei­ heit. Es werden nämlich nur solche Besteuerungsinkongruenzen aufgegrif­ fen, die aus Sicht der Steuerpflichtigen zu einer Vorteilskumulation füh­ ren. Spiegelbildlich können sie jedoch ebenso zur Nachteilskumulation führen, welche sich dann in Gestalt wirtschaftlicher Doppelbesteuerung niederschlägt. Diese wird nicht von der ATAD aufgegriffen.1519 Das lässt sich anhand der DD-Konstellationen in Art. 9 Abs. 1 ATAD sowie Art. 9b ATAD exemplifizieren. Während dort doppelt berücksichtigte Betriebs­ ausgaben stets zur (u.U. sogar doppelten1520) Versagung des Betriebsausga­ benabzugs führen, werden doppelt berücksichtigte Betriebseinnahmen nur insoweit erfasst, als sie mit doppelt berücksichtigten Betriebsausga­ ben verrechnet werden können. Übersteigen sie jedoch die Betriebsaus­ gaben, wird die Inkongruenz nicht beseitigt. Dies muss als ein innerer Widerspruch gewertet werden.1521 Ähnliche Erwägungen waren bereits Teil der Kritik am letztlich doch verworfenen § 4 Abs. 5a EStG-E.1522 1512 Kokott/Ost, EuZW 2011, 496, 502. 1513 Kokott, in: FS BFH, S. 735, 751; Valta/Gebracht, StuW 2019, 118, 127. 1514 Diese gestattete den Mitgliedstaaten, eine Ausnahme von der Regel geschlechts­ neutraler Versicherungsprämien und Leistungen unbefristet aufrechtzuerhalten, EuGH, Urt. v. 1. 3. 2011, C­236/09, ECLI:EU:C:2011:100 – Association Belge des Consommateurs Test-Achats, Rn. 21 und 32. 1515 Vgl. EuGH, Urt. v. 06.11.2003, C-243/01, ECLI:EU:C:2003:597 – Gambelli, Rn. 67. 1516 EuGH, Urt. v. 6.10.2009, C-153/08, ECLI:EU:C:2009:618 – Kommission/Spanien, Rn. 38; EuGH, Urt. v. 17.11.2009, C-l69/08, ECLI:EU:C:2009:709 – Regione Sar­ degna Rz. 40 ff., 42, 46 ff. 1517 Kokott, in: FS BFH, S. 735, 751. 1518 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 347. 1519 Dies schon in Bezug auf die OECD-Empfehlungen kritisierend de Boer/Marres, Intertax 2015, 14, 39. Vgl. ferner Desens, IStR 2014, 825, 832. 1520 Für Nicht-DBA-Fälle sieht Art. 9b ATAD keine Anwendungshierarchie vor, Ka­ pitel 2 - B.II.2.b). 1521 Siehe bereits Kapitel 1 - B.III.9 sowie Kapitel 2 - B.III.9. 1522 Kahlenberg, ISR 2015, 91, 96, der deshalb die Verhältnismäßigkeit des § 4 Abs. 5a EStG-E in Frage stellt. Weiterführend zu § 4 Abs. 5a EStG-E Körner, IStR 2015, 449; Linn, IStR 2014, 920.

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Relativeren lässt sich dies sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht. Zunächst werden hybride Besteuerungsinkongruenzen hin­ sichtlich einer möglichen Nachteilskumulation nicht im selben Maße relevant wie hinsichtlich der Vorteilskumulation. Es ist unwahrschein­ lich, dass ein Steuerpflichtiger in eine hybride Gestaltung gleichsam „hi­ neingerät“.1523 Passiert dies wider Erwarten, so hat der Betroffene immer­ hin die Möglichkeit, sich aus der Situation „herauszugestalten“ und so die Gesamtsteuerlast des grenzüberschreitenden Sachverhalts wieder derjenigen eines inländischen anzunähern.1524 Im umgekehrten Fall kann hingegen nicht erwartet werden, dass die Situation auf Initiative des Steuerpflichtigen nivelliert wird, da er hier ja gerade Vorteile gegenüber seinen Wettbewerbern erlangt. Die Problematik der Vor- und Nachteils­ kumulation stellen prinzipiell zwar zwei Seiten derselben Medaille dar, haben aus tatsächlicher Sicht gleichwohl nicht dasselbe Gewicht. In rechtlicher Hinsicht könnte man sich auch auf den Standpunkt stel­ len, dass der EuGH das Kohärenzkriterium bislang nur bei Lenkungszie­ len bemüht hat.1525 In einem anderen Fall wurde es zwar in den Schluss­ anträgen thematisiert1526, blieb aber dennoch im Urteil unerwähnt.1527 Der Grund hierfür kann darin erblickt werden, dass dort gerade keine Lenkungsziele in Rede standen.1528 Im Schrifttum wird die Kohärenzprü­ fung abgelehnt1529 oder auf eine Evidenzkontrolle reduziert1530, wenn die steuerliche Regelung auf eine zwischenstaatliche Gewinnaufteilung oder eine lastengleiche Besteuerung abzielt. In der Tat würde eine umfassende Kohärenzprüfung den Gestaltungsspielraum des Unionsgesetzgebers, dessen Handlungsmöglichkeiten bereits durch das Einstimmigkeitsprin­ zip limitiert sind, stark beschränken.1531 Nimmt man diese beiden Aspekte zusammen, ist nicht zu erwarten, dass der ATAD ihr Mangel an innerer Konsistenz im Wege steht. Gleichwohl wird spätestens hier augenscheinlich, dass in nicht unerheblichem Um­

1523 So auch Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 259. 1524 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 92 Rn. 227. 1525 Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbundenen Unternehmen, S. 176 f. 1526 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 11.11.2010, C-436/08, ECLI:EU:​ C:2010:668 - Haribo, Rn. 63 ff. 1527 EuGH, Urt. v. 10.02.2011, C-436/08, ECLI:EU:C:2011:61 – Haribo. 1528 Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbundenen Unternehmen, S. 176 (dort Fn. 316). 1529 Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbundenen Unternehmen, S. 177. Siehe auch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 11.11.2010, C-436/08, ECLI:EU:​C:2010:668 - Haribo, Rn. 67. 1530 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 347. 1531 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 11.11.2010, C-436/08, ECLI:EU:​ C:2010:668 - Haribo, Rn. 67.

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fang auch Fiskalinteressen für ihren Erlass ausschlaggebend gewesen sein dürften.1532 2. Erforderlichkeit Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn kein milderes, gleich geeignetes Mittel existiert.1533 a) Mittelbare Regulierung schädlichen Steuerwettbewerbs Dem Erforderlichkeitskriterium kann die Kritik zugeordnet werden, dass die ATAD den schädlichen Steuerwettbewerb nur mittelbar reguliert.1534 Hiernach hätte die Regulierung schädlichen Steuerwettbewerbs als Ziel­ setzung allenfalls eine Richtlinie gerechtfertigt, welche die Mitgliedstaa­ ten unmittelbar adressiert und zur Anpassung der jeweils als schädlich eingestuften Steuervorschriften verpflichtet.1535 Dann bedürfte es auch keiner Eingriffstatbestände, die den Steuerpflichtigen in seinen Grund­ freiheiten beschränken. Eine direkte Regulierung ohne den Umweg über den Steuerpflichtigen stellte demnach ein milderes, gleich geeignetes Mittel dar. Diese in Bezug auf die gesamte ATAD geäußerte Kritik gilt im Grundsatz unverändert auch für die ATAD II. Indes ist den hybriden Besteuerungs­ inkongruenzen zu eigen, dass sie sich aus Disparitäten zwischen den Steuerrechtsordnungen insgesamt ergeben. Etwa ergeben sie sich, weil ein Rechtsträger in einem Staat transparent, in einem anderen wiederum intransparent behandelt wird. Das ist ein grundsätzlicher Systemunter­ schied, zu dessen Einebnung es weitreichender Anpassungen der natio­ nalen Steuersysteme bedürfte. Im Falle der ATAD II ergibt sich damit die Besonderheit, dass die hypothetische Alternative nicht „schlicht“ in der Anpassung vereinzelter, als schädlich eingestufter Normen wie bei­ spielsweise Patentboxen besteht.1536 Vielmehr besteht sie in einer umfas­ senden Harmonisierung der Steuersysteme. Nicht einmal der neuerliche Vorschlag für eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundla­ ge (kurz GKB) ebnet die Unterschiede zwischen den Steuerrechtsordnun­ gen so weitgehend ein, dass hybride Gestaltungen unmöglich werden.1537 1532 Vgl. Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 28 (,,Fiskalgesetzgebung“). 1533 EuGH, Urt. v. 18.9.1986, C-116/82, ECLI:EU:C:1986:322 – Kommission/ Deutschland, Rn. 21; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 87 f. 1534 Vgl. auch Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 39 ff. 1535 Schönfeld/Ellenrieder, StuW 2019, 253, 261. 1536 Vgl. Hey, in: DStJG 41 (2018), S. 9, 46 („[…] verhindern, dass einzelne – in der Regel kleine – Mitgliedstaaten durch Steuerdumping die Einnahmen anderer Mitgliedstaaten erodieren […]“). 1537 Vgl. Art. 61, 61a GKB. Dazu Hubert, StuB 2018, 254, 257.

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Dennoch bleibt festzuhalten, dass eine umfassende Harmonisierung aus Sicht der Steuerpflichtigen die gleich geeignete sowie mildere Maßnah­ me darstellte. Die politische Umsetzbarkeit kann in einer Abwägung von Rechtsgü­ tern, wie sie in der grundfreiheitlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen wird, keine Berücksichtigung finden. Geht man mit guten Gründen davon aus, dass eine nahezu vollständige Harmonisierung von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 115 AEUV getragen werden wür­ de1538, so steht man hier vor einem Problem: Bei rigider Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verhindert die bloße Möglichkeit ei­ nes politisch völlig unrealistischen „großen Wurfs“ das Ausrollen eines „Flickenteppichs“ an Korrespondenzvorschriften, wie es durch die ATAD II erfolgt. So verstanden dürfte die mangelnde Kooperationsbereit­ schaft der Mitgliedstaaten nicht zu Lasten der Steuerpflichtigen gehen. Das weckt zunächst einmal Sympathien: Das Unionsrecht „drängt“ die Mitgliedstaaten zur Verwirklichung weitreichender und binnenmarkt­ freundlicher Projekte, während es gleichzeitig seine Marktteilnehmer schützt. Die Krux an einem solchen Verständnis ist, dass es einer sukzes­ siven Harmonisierung im Wege steht. Die ATAD sieht als erste Richtlinie im Steuerrecht ausschließlich Ein­ griffstatbestände zu Lasten der Steuerpflichtigen vor. Es fragt sich des­ halb, ob die Verhältnismäßigkeitsprüfung hier nicht nachzujustieren ist. Das Kriterium der Erforderlichkeit im Rahmen der Grundfreiheitsprü­ fung geht von der Prämisse aus, dass ein Mitgliedstaat handelt und dieser statt der einen ebenso gut auch eine andere Maßnahme ergreifen kann.1539 Die verschiedenen Maßnahmen unterscheiden sich dann einzig hinsicht­ lich der Qualität des Grundfreiheitseingriffs, nicht jedoch hinsichtlich der zugrundeliegenden Gesetzgebungskompetenz. Hier handelt jedoch der Unionsgesetzgeber, womit der Frage nach möglichen Alternativmaß­ nahmen eine weitere Dimension hinzugefügt wird. Die Kompetenz des Unionsgesetzgebers geht nämlich immer zu Lasten der Autonomie der Mitgliedstaaten.1540 Anders als bei einzelstaatlichem Tätigwerden kann hier zusätzlich danach gefragt werden, wie tief der Eingriff in die mit­ gliedstaatliche Autonomie ist. Dieser ist bei einer nur punktuellen, mit­ telbaren Harmonisierung wie der ATAD II ungleich geringer als bei einer umfassenden, welche direkt die Mitgliedstaaten adressiert. 1538 Vgl. die Ausführungen im Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine Ge­ meinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage v. 25.10.2016, COM (2016) 683 final, 32. 1539 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 52 AEUV Rn. 29 ff.; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 34 AEUV Rn. 125; Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rn. 7.205. 1540 Vgl. Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Art. 5 EUV Rn. 66.

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Schon bei der Überprüfung nationaler Regelungen auf ihre Verhältnismä­ ßigkeit zeigt der EuGH eine eher eindimensionale Tendenz, welche ein­ zig den Grundfreiheitseingriff, nicht jedoch beispielsweise die Effizienz oder die Praktikabilität der Steuererhebung berücksichtigt.1541 Jedenfalls bei sekundärrechtlichen Regelungen sollte eine umsichtige Verhältnis­ mäßigkeitsprüfung stattfinden1542, in welcher der Aspekt des Eingriffs in die mitgliedstaatliche Autonomie Berücksichtigung findet. Zwar ist die­ ser Aspekt vor allem der (kompetenziellen) Verhältnismäßigkeit im Rah­ men von Art. 5 Abs. 4 EUV i.V.m. Art. 115 AEUV zuzuordnen.1543 Sowohl die Neutralität als auch die Autonomie der Mitgliedstaaten sind jedoch Binnenmarktziele, die miteinander in Ausgleich zu bringen sind.1544 Dies spricht dafür, im Rahmen der grundfreiheitlichen Erforderlichkeit von sekundärrechtlichen Regelungen nur solche miteinander zu vergleichen, welche die mitgliedstaatliche Autonomie in vergleichbarer Weise beein­ trächtigen.1545 b) Möglichkeit des Nachweises wirtschaftlicher Gründe irrelevant Bei Maßnahmen gegen „Steuerflucht“ bzw. „Missbrauch“ erachtet der EuGH in ständiger Rechtsprechung nur solche Regelungen als verhält­ nismäßig, die dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräumen, durch den Nachweis wirtschaftlicher Gründe der Rechtsfolge zu entgehen.1546 Nach hier vertretener Ansicht ist jedoch gerade nicht der Rechtferti­ 1541 EuGH, Urt. v. 4.3.2004, C-334/02, ECLI:EU:C:2004:129 – Kommission/Frank­ reich, Rn. 29; EuGH, Urt. v. 14.9.2006, C-386/04, ECLI:EU:C:2006:568 – Stauffer, Rn. 48; EuGH, Urt. v. 27.11.2008, C-418/07, ECLI:EU:C:2008:659 – Société Papil­ lon, Rn. 54; EuGH, Urt. v. 27.1.2009, C-318/07, ECLI:EU:C:2009:33 – Persche, Rn. 55; EuGH, Urt. v. 12.7.2012, C-269/09, ECLI:EU:C:2012:439 – Kommission/ Spanien, Rn. 72; EuGH, Urt. v. 26.5.2016, C-300/15, ECLI:EU:C:2016:361 – Kohll und Kohll-Schlesser, Rn. 59. Dazu Englisch, in: Schaumburg/Englisch, Europäi­ sches Steuerrecht, Rn. 7.205. 1542 Insoweit dies schon für nationale Regelungen fordernd Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 344. 1543 Kapitel 4 - B.III. 1544 Siehe bereits Kapitel 4 - B.I.3. Ferner Schön, in: Grundfragen des Europäischen Steuerrechts, S. 109, 120.  1545 Es bleibt anzumerken, dass sich eine ähnliche Situation umgekehrt im Rahmen der kompetenziellen Verhältnismäßigkeitsprüfung (Art. 5 Abs. 4 AEUV) wohl nicht ergibt. Zwar könnte man hier die Erforderlichkeit einer umfassenden, un­ mittelbaren Harmonisierungsmaßnahme mit dem Hinweis darauf in Frage stel­ len, dass die mitgliedstaatliche Autonomie weniger beeinträchtigt wird, wenn eine punktuelle, mittelbare Harmonisierung (wie die ATAD II) gewählt wird. Letztere ist jedoch nicht gleich geeignet und scheidet deshalb als Vergleichspart­ ner aus. 1546 EuGH, Urt. v. 13.3.2007, C-524/04, ECLI:EU:C:2007:161 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Rn. 82; EuGH, Beschl. v. 23.4.2008, C-201/05, ECLI:EU:C:2008:239 - Test Claimants in the CFC and Dividend Group Litigati­ on, Rn. 84; EuGH, Urt. v. 21.1.2010, C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26 – SGI, Rn. 71.

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gungsgrund der Missbrauchsabwehr einschlägig. Vielmehr stellt die Kohärenz des Steuersystems die Basis für die Rechtfertigung dar.1547 Auf den wirtschaftlichen Gehalt der Gestaltung kommt es damit nicht mehr an. Es ist unschädlich, dass die Korrespondenzregeln der ATAD dem Steuerpflichtigen keine Möglichkeit zum Gegenbeweis einräumen.1548 3. Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i.e.S.) Die eigentliche Abwägung zwischen den Interessen der Steuerpflichtigen und dem zwingenden Grund des Allgemeininteresses ist der Verhältnis­ mäßigkeit im engeren Sinne zuzuordnen und wird nicht immer explizit vorgenommen.1549 Implizit fließen solche Erwägungen in die Prüfung der Erforderlichkeit ein.1550 Stimmen in der Literatur fordern dennoch ein Bekenntnis zu einem dreistufigen Aufbau der Verhältnismäßigkeitsprü­ fung, welcher sich am deutschen Verfassungsrechtsverständnis orien­ tiert.1551 Wenngleich die Angemessenheitsprüfung stets auch eine Einzel­ fallentscheidung anhand des konkreten Sachverhalts erfordert, soll sie an dieser Stelle bereits anhand der abstrakten Vorgaben der ATAD II erfol­ gen. Aufgrund der konkret vorgegebenen Rechtsfolgen sind keine allzu großen Abweichungen hinsichtlich der Belastungswirkungen zu erwar­ ten.1552 In Bezug auf die Prüfung der Kohärenz ist hier zu fordern, dass sich der Vorteil und seine Kompensation durch einen Nachteil vollständig ent­ sprechen.1553 Problematisch wäre dagegen ein lediglich pauschaler, nicht hinreichend exakter Ausgleich, der gegebenenfalls sogar zu Mehrbelas­ tungen des grenzüberschreitenden Vorgangs führen kann.1554 Freilich kann eine exakte Entsprechung von Vor- und Nachteil schon aufgrund abweichender Steuersätze gar nicht sichergestellt werden. Das ergibt sich gleichwohl zwangsläufig aus den Rahmenbedingungen und ist da­ 1547 Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb)(3). 1548 Ebenso Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 331 f. Tendenziell a.A. Glahe, IStR 2015, 97, 100 f. 1549 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 344 f. Konkrete Ausführungen zur Verhält­ nismäßigkeit im engeren Sinne etwa in EuGH, Urt. v. 13.11.1990, C-331/88, ECLI:EU:C:1990:391, Fedesa – Rn. 13. 1550 Glahe, Einkünftekorrektur zwischen verbundenen Unternehmen, S. 179. 1551 Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 345 ff. 1552 Vgl. 0. 1553 EuGH, Urt. v. 13.3.2007, C-524/04, ECLI:EU:C:2007:161 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Rn. 56; EuGH, Urt. v. 19.11.2009, C-540/07, ECLI:EU:C:2009:717 – Kommission/Italien, Rn. 37 ff.; EuGH, Urt. v. 3.6.2010, C-487/08, ECLI:EU:C:2010:310 – Kommission/Spanien, Rn. 58 ff.; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 96. 1554 EuGH, Urt. v. 6.6.2000, C-35/98, ECLI:EU:C:2000:294 – Verkooijen, Rn. 57 ff.; EuGH, Urt. v. 15.7.2004, C-315/02, ECLI:EU:C:2004:446 – Lenz, Rn. 34 ff.; Englisch, in: DStJG 41 (2018), S. 273, 349.

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her hinzunehmen. Abzustellen ist vielmehr auf die Bemessungsgrundla­ ge.1555 Hinsichtlich der Belastungsfolgen für die Marktteilnehmer bestehen grundsätzlich keine Bedenken, da Anpassungen nur vorgenommen wer­ den, „soweit“ eine hybride Besteuerungsinkongruenz vorliegt.1556 Zudem wird ein doppelter Betriebsausgabenabzug nur insoweit neutralisiert, als nicht auch doppelt berücksichtigte Einnahmen vorliegen. Schließlich wurde herausgearbeitet, dass die OECD-Empfehlungen den Betriebsausgabenabzug in bestimmten Konstellationen nur temporär versagen, indem sie eine Vortragsmöglichkeit für die betroffenen Betriebs­ ausgaben gewähren.1557 In einem späteren Veranlagungszeitraum werden die Betriebsausgaben dann nachversteuert.1558 Eine solche Möglichkeit wird nur durch Art. 9 Abs. 1 ATAD verbindlich vorgeschrieben. Hin­ sichtlich Art. 9 Abs. 2 ATAD sowie Art. 9b ATAD wird es den Mitglied­ staaten freigestellt, einen „Betriebsausgabenvortrag“ einzuführen. Da­ durch können nationale Regelungen entstehen, die eine endgültige Abzugsbeschränkung bewirken. Ist es aber nun unverhältnismäßig, wenn Art. 9 Abs. 2 ATAD und Art. 9b ATAD keine Nachversteuerung in späte­ ren Zeiträumen vorschreiben?1559 In der Rechtsprechung des EuGH finden sich dazu keine Anhaltspunkte. Betrachtet man jedoch die nationale Rechtslage, so erscheint eine fehlen­ de intertemporale Verrechnungsmöglichkeit unproblematisch. Der Kör­ perschaftsteuer liegt ein abschnittsbezogenes System zugrunde.1560 Dem­ entsprechend wurden die Linking Rules, sofern sie den Abzug von Betriebsausgaben versagen, auch als endgültiges Abzugsverbot geprüft. Solcherart konnten sie gerechtfertigt werden und verstoßen bis hierhin nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. An diesem Punkte käme eine nachträgliche Berücksichtigungsmöglichkeit den Vorschriften allenfalls zugute. Besteht hingegen keine solche Möglichkeit, so wird dies den Vorschriften nicht zum Verhängnis. Betrachtet man etwa die Rechtsprechung des BVerfG, so wird der Prüfmaßstab bei nur temporären Abzugsverboten (z.B. bei Rückstellungen) hin zu einer Willkürkontrolle gelockert. Wirkt das Abzugsverbot hingegen endgültig, ist also das „Ob“ der Besteuerung betroffen, so bleibt es bei einer Verhältnismäßigkeits­ 1555 Ähnlich wohl Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 29. 1556 Kapitel 2 - B.III.6. 1557 Kapitel 1 - B.III.6. 1558 Mechtler, Hybrid Mismachtes im Ertragsteuerrecht, S. 510 f. 1559 Dahingehend Mechtler, Hybrid Mismachtes im Ertragsteuerrecht, S. 510 f., dem­ zufolge die Möglichkeit einer Nachversteuerung im Wege der primärrechtskon­ formen Auslegung hergeleitet werden könne.­ 1560 Vgl. Hey, in: Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 1, 22 f.; Seer, in: ­DStJG 23 (2000), S. 87, 108 f.

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Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

prüfung.1561 Anders gewendet: Eine etwaige „abschnittsübergreifende Be­ trachtung“ kann den Regeln allenfalls zugutekommen, wenn sie ande­ renfalls nicht gerechtfertigt werden könnten.1562 Die Linking Rules der ATAD sind nach hier vertretener Auffassung jedoch nicht auf einen mil­ deren Prüfungsmaßstab angewiesen.1563 4. Zwischenergebnis Aus grundfreiheitlicher Perspektive bestehen grundsätzlich keine Beden­ ken in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der ATAD II. Lediglich im Rah­ men der Erforderlichkeit ergeben sich neue Probleme, welche darin be­ gründet liegen, dass es sich bei der ATAD um sekundärrechtliches Eingriffsrecht handelt. Diese können jedoch überwunden werden, wenn man als gleich geeignete Maßnahmen nur solche in Betracht zieht, die auch im Hinblick auf den Eingriff in die Autonomie der Mitgliedstaaten miteinander vergleichbar sind.

VI. Zwischenergebnis Für die grundfreiheitliche Überprüfung der ATAD II erweisen sich die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit als relevant. Fin­ den die Linking Rules über das Kriterium der strukturierten Gestaltung Anwendung, so ist jedenfalls der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfrei­ heit eröffnet. Im Übrigen findet die Niederlassungsfreiheit auf Konstella­ tionen mit ausschließlichem EU-Bezug und die Kapitalverkehrsfreiheit auf solche mit Drittstaatenbezug Anwendung. Ob die Kapitalver­ kehrsfreiheit ausnahmsweise gesperrt ist, wenn dem Fall tatsächlich eine Kontrollbeteiligung zugrunde liegt, lässt sich derzeit nicht sicher voraussagen. Ganz überwiegend betreffen die Korrespondenzregeln der ATAD sog. Outbound-Konstellationen und bewirken insoweit eine diskriminieren­ de Beschränkung. Nur soweit sich die Rechtsfolgen ausnahmsweise an beschränkt Steuerpflichtige richten und deshalb Inbound-Konstellatio­ nen betroffen sind, ist eine verdeckte Diskriminierung anzunehmen.

1561 Ausführlich Kapitel 3 - A.I.1. 1562 Selbst das erscheint fragwürdig. So wurde etwa der Zinsschranke des § 4h EStG ihre „veranlagungszeitraumübergreifende Konzeption“ zugutegehalten. Beim BFH fand dies keinen Anklang. Letztlich wurde dies zwar vor allem aufgrund der kon­ kreten Ausgestaltung der Zinsschranke abgelehnt. Der Vorlagebeschluss äußert jedoch auch prinzipielle Bedenken im Hinblick auf ein „intertemporales Netto­ prinzip“, s. BFH, Beschl. v. 14.10.2015 – I R 20/15, BStBl. II 2017, 1240, Rn. 21 ff. m.w.N. 1563 Vgl. Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb)(3)(b).

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C.  Europäische Grundfreiheiten

Diese Unterscheidung erweist sich als relevant für die objektive Ver­ gleichbarkeit der Situationen, da sich hier zwei verschiedene Prüfungs­ stränge ergeben. Hinsichtlich der Fälle der verdeckten Diskriminierung sind die Situationen auf der Basis der sog. Gerritse-Doktrin vergleichbar. Es kommt damit auf die Prüfung der Rechtfertigung an. Hinsichtlich der diskriminierenden Beschränkungen offenbart sich, weshalb die Prüfung der objektiven Vergleichbarkeit in der Vergangenheit so scharf kritisiert wurde. Gleich, ob man sich die Frage nach der objektiven Vergleichbar­ keit kasuistisch oder dogmatisch erschließt, ergibt sich kein klares Er­ gebnis. Jeweils finden sich Argumentationsmuster, auf deren Basis sich die Rechtmäßigkeit der Linking Rules verneinen oder (vorbehaltlich ih­ rer Rechtfertigung) bejahen lässt. Mit dem jüngeren Trend hin zur Norm­ zielbetrachtung überwiegen wohl die Argumente gegen die objektive Vergleichbarkeit der Situationen und damit für die Grundfreiheitskon­ formität internationaler Korrespondenzregeln. Sicher lässt sich dies in­ des nicht beurteilen. Nur eine Randnotiz ist es bis hierhin, dass die Prü­ fung der objektiven Vergleichbarkeit einen anderen Ausgang nehmen könnte, je nachdem ob die Korrespondenzregel eine In- oder Outbound-­ Konstellation betrifft. Überhaupt ist der Prüfungsschritt grundlegend zu kritisieren. Ein weit größeres Augenmerk sollte der Frage geschenkt wer­ den, ob sich die Linking Rules durch zwingende Gründe des Allgemein­ wohls rechtfertigen lassen. Auf der Rechtfertigungsebene findet sich zunächst kein Rechtfertigungs­ grund, welcher internationale, interpersonale Korrespondenzregeln wie die der ATAD II zu erfassen vermag. Insbesondere erweist sich die ausge­ wogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse als ungeeignet. Die Vor­ schriften betreffen weder die doppelte Verlustberücksichtigung noch be­ zwecken sie die Bekämpfung steuerlichen Missbrauchs. Am geeignetsten erweist sich noch die Kohärenz des Steuersystems. Gleichwohl hat sich insoweit bislang keine internationale sowie intersubjektive Kohärenzbe­ trachtung etabliert. Die Untersuchung nahm sich dies zum Anlass, um weiterführende Über­ legungen zur Rechtfertigung internationaler sowie interpersonaler Kor­ respondenzregeln anzustellen. Dabei gelangte sie zu dem Ergebnis, dass die ATAD II nicht schon deshalb gerechtfertigt sein sollte, weil es sich dabei um Sekundärrecht handelt. Es konnte gleichwohl gezeigt werden, dass der EuGH derzeit deutliche Tendenzen erkennen lässt, die für eine Rechtfertigung der Linking Rules sprechen. Auf der Grundlage verschie­ dener Vorschläge im Schrifttum wurde die Position entwickelt, dass die Kohärenzbetrachtung künftig weiter fortentwickelt und dabei aus­ nahmsweise eine staaten- und personenübergreifende Gesamtbetrach­ tung zugelassen werden sollte. Dabei ist jedoch der überragenden Bedeu­ tung zwischenstaatlicher Koordination Rechnung zu tragen und die 269

Kapitel 4  Primäres Unionsrecht

erweiterte, „internationale Kohärenz“ nur unter dieser Voraussetzung zuzulassen. Nach hier vertretener Ansicht lässt sich Art. 9 Abs. 3 ATAD selbst auf Basis einer derart weiterentwickelten Prüfung nicht rechtferti­ gen.

D. Ergebnis des vierten Kapitels Die Frage nach der Primärrechtskonformität der ATAD II ist aus nationa­ ler Perspektive von zentralem Belang. Die Richtlinie schlägt in mehrfa­ cher Hinsicht ein neues Kapitel europäischer Steuergesetzgebung auf. Das resultiert in zahlreichen Zweifelsfragen, welche die Kompetenz zum Erlass der Richtlinie sowie ihre Vereinbarkeit mit den Europäischen Grundfreiheiten betreffen. In kompetenzieller Hinsicht erweist sich vor allem als problematisch, dass die ATAD als erste Richtlinie ausschließ­ lich Eingriffstatbestände zu Lasten der Steuerpflichtigen enthält. Ihr ­Beitrag zur Verwirklichung des Binnenmarktes ergibt sich nur auf den zweiten Blick. Im Fahrwasser der Diskussion um sog. schädlichen Steu­ erwettbewerb lässt sich auch hinsichtlich hybrider Gestaltungen ein Binnenmarktbezug gut bejahen. So sehr die Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen auch das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden ansprechen mag, so schwer lässt sich ein übergeordnetes und konsequent verfolgtes Ziel der Linking ­Rules ausmachen. Nochmal auf einem anderen Blatt steht die Legitima­ tion des ausgemachten Ziels. Das spiegelt sich in der Prüfung der Grund­ freiheiten wider. Für die Rechtfertigung internationaler sowie inter­ personaler Korrespondenzregeln erweist sich keiner der etablierten Rechtfertigungsgründe als einschlägig. Die erforderliche staaten- und personenübergreifende Gesamtbetrachtung stellt die Dogmatik der Grundfreiheiten vor Probleme. Die Rechtfertigung der hier untersuchten Regelungen ist jedoch aufgrund aktueller Tendenzen zu erwarten und letztlich auch wünschenswert. Ein gangbarer Weg wäre es dabei, künftig im Rahmen der Kohärenz ausnahmsweise eine staaten- und personen­ übergreifende Gesamtbetrachtung zuzulassen. Das ist vereinzelt und in anderem Kontext schon geschehen, sollte in Zukunft jedoch konsistent zu einer so verstandenen „internationalen Kohärenz“ weiterentwickelt und dabei unter den besonderen Vorbehalt internationaler Koordination gestellt werden. Auf dieser Basis hielten Linking Rules der ATAD II einer grundfreiheitlichen Überprüfung stand. Lediglich Art. 9 Abs. 3 ATAD stößt auf grundlegende Bedenken.

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Kapitel 5 Nationale Umsetzung der ATAD II

A. Einleitung Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben der ATAD in innerstaatliches Recht zu überführen, wofür ihm die ATAD II grundsätzlich eine Frist bis zum 31. Dezember 2019 einräumt.1564 Diese Frist hat der deutsche Ge­ setzgeber zunächst verstreichen lassen, woraufhin die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleitete und Deutschland mit einer begründeten Stellungnahme nach Art. 258 AEUV im Juni 2021 dazu auf­ forderte, alle erforderlichen nationalen Maßnahmen zur Umsetzung der ATAD II zu notifizieren.1565 Inzwischen hat der deutsche Gesetzgeber mit dem ATAD-Umsetzungsgesetz das Gros der Richtlinienvorgaben in deutsches Recht überführt.1566 In diesem Kapitel wird dies zum Anlass genommen, den Stand der nationalen Umsetzung der ATAD II-Vorgaben zu betrachten. Die Untersuchung setzt sich dabei zum Ziel, dem unions­ rechtlichen Hintergrund der Vorschriften Rechnung zu tragen. Es wurde bereits herausgearbeitet, dass das Verhältnis der nationalen Vorschriften zum höherrangigen Recht maßgeblich davon abhängt, ob sie sich als Umsetzungsmaßnahmen oder allenfalls als überschießende Richtlinienumsetzung qualifizieren lassen. Davon hängt ab, ob nur der EuGH oder auch das Bundesverfassungsgericht für die Überprüfung ihrer Vereinbar­ keit mit höherrangigem Recht zuständig ist.1567 Ebenfalls ergibt sich für Umsetzungsmaßnahmen eine Pflicht zur richtlinienkonformen Ausle­ gung.1568 Die Tragweite der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung sollte speziell bei der ATAD II nicht unterschätzt werden. Die Richtlinie 1564 Eine abweichende Umsetzungsfrist gilt für die Vorgabe des Art. 9a ATAD. Einge­ hend zur Umsetzungsverpflichtung Kapitel 2 - B.I.1. 1565 Europäische Kommission, Entscheidungen in Vertragsverletzungsverfahren, INF/21/2743, S. 23; BT-Drs. 19/18056, S. 3. 1566 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umset­ zungsgesetz – ATADUmsG) vom 25. Juni 2021, BGBl. I 2021, 2035 ff. Zur Fas­ sung der Referentenentwürfe vom 10.12.2019 sowie vom 24.3.2020 bereits Benz/ Böhmer, DK 2020, 240; Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 73; Linn, IStR 2020, 77; Ehlermann/Link, ISR 2021, 319; Herbst/Heckerodt/Rieß, ISR 2020, 363; Loose, PIStB 2020, 73; Marquardsen, IStR 2020, 623; Moser, DStR 2020, 900; Müller-Gatermann/Strüder/Ludwig, FR 2020, 303; Nürnberg, NWB 2020, 330; Rüsch, IStR 2020, 371; Rüsch, DStZ 2020, 274; Schnitger/Posch, ISR 2021, 187; Stein/Schwarz/Burger, IStR 2020, 83; Wilmanns/Lappe/Heidecke/ Nolden/John, IStR 2020, 162. Zur endgültigen Fassung Rüsch, IStR 2021, 380; Schnitger/Oskamp/Kockrow, IStR 2021, 701; Zinowsky, IStR 2021, 500. 1567 Kapitel 3 - A.I.2.b). 1568 Kapitel 3 - A.I.2.a).

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

nimmt ausdrücklich den OECD-Bericht zu Aktionspunkt 2 in Bezug, welcher als Referenz und zur Auslegung der Richtlinienvorgaben heran­ zuziehen ist. Das gilt sowohl für die Erläuterungen als auch die sehr um­ fassenden Beispiele.1569 Die Richtlinienvorgaben können deshalb genau konkretisiert werden. Dadurch können sie sich als große Hilfe für die Interpretation der nationalen Rechtsvorschriften erweisen, gleichzeitig aber auch eine gewisse Brisanz in sich bergen. Die Pflicht zur richtlinien­ konformen Auslegung trifft den Rechtsanwender ebenso hinsichtlich solcher Vorschriften, die zum Zeitpunkt des Erlasses der ATAD schon in Kraft getreten waren und erst nachträglich in den Anwendungsbereich der Richtlinie gefallen sind.1570 Hat sich bis zu diesem Zeitpunkt eine bestimmte Interpretation der nationalen Vorschrift etabliert, so könnte sie sich nachträglich als unzulässig erweisen, wenn sie den Richtlinien­ vorgaben zuwiderläuft. Im Folgenden werden zunächst diejenigen nationalen Vorschriften be­ trachtet, welche bereits vor Ablauf der Umsetzungsfristen in Kraft getre­ ten sind. In einem zweiten Schritt werden dann die relevanten Vorschrif­ ten des ATAD-Umsetzungsgesetzes gewürdigt.

B. Vor Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft getretene Vorschriften Bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der ATAD II bestanden im deutschen Recht einige Vorschriften, die dem Anwendungsbereich der Richtlinie entsprechen oder ihm zumindest sehr nahekommen. Diese werden im Folgenden im Lichte der ATAD II betrachtet.

I. § 4i EStG Bei § 4i EStG handelt es sich um eine Maßnahme des deutschen Gesetz­ gebers zur Verhinderung des doppelten Betriebsausgabenabzugs („double dip“) bei Personengesellschaften.1571 Die Vorschrift wurde mit dem sog. BEPS-Umsetzungsgesetz im Jahr 2016 eingeführt.1572 Sie stellte eine So­ fortmaßnahme unabhängig von der Umsetzung der OECD-Empfehlun­ 1569 Erwägungsgrund 28 der ATAD II. 1570 EuGH, Urt. v. 13.11.1990, C-106/89, ECLI:EU:C:1990:395 – Marleasing, Rn. 8; EuGH, Urt. v. 14.7.1994, C-91/92, ECLI:EU:C:1994:292 – Paola Faccini Dori, Rn. 26; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 78. 1571 BT-Drs. 18/10506, S. 76. 1572 Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von wei­ teren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. Die Vorschrift wurde später durch das sog. Steuerumgehungs­ bekämpfungsgesetz überarbeitet, BGBl. I 2017, 1682.

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B.  Vor Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft getretene Vorschriften

gen dar, da das bekanntgewordene „Betriebsausgabenvolumen in Milliardenhöhe“ keinen weiteren Aufschub duldete.1573 Abgezielt wird auf DD-Ergebnisse, die sich aus dem deutschen Mitunternehmerkonzept ergeben.1574 Die wortkarge Vorschrift gibt lediglich eine Rechtsfolge vor, weshalb die Tatbestandsvoraussetzungen aus dem gesetzessystemati­ schen Zusammenhang zu erschließen sind.1575 Daraus ergibt sich eine Vielzahl an Unklarheiten, die im Rahmen des folgenden Überblicks zu­ mindest angerissen werden. In einem zweiten Schritt wird dann geklärt, ob die Vorschrift im Lichte des Sekundärrechts betrachtet werden muss. Daraus könnten sich eine Vielzahl an Rückschlüssen in Bezug auf die geschilderten Auslegungsprobleme ergeben. 1. Überblick Laut der Gesetzesbegründung zielt § 4i S. 1 EStG vor allem auf folgende Inbound-Konstellation ab.1576 Beispiel 9: Eine im Ausland ansässige Kapitalgesellschaft ist als Kommanditist an einer in­ ländischen GmbH & Co. KG beteiligt. Die von ihr geleistete Einlage in die Perso­ nengesellschaft hat sie über ein Darlehen refinanziert. Dieses Darlehen wird nach deutschem Verständnis zum Sonderbetriebsvermögen II des Kommanditisten bei der inländischen Personengesellschaft gezählt, weshalb es sich bei den Zinsen um Sonderbetriebsausgaben handelt. Diese werden bei der Gewinnermittlung der Per­ sonengesellschaft berücksichtigt. Gleichzeitig werden sie auch im Ausland be­

Abbildung 37:  § 4i EStG 1573 BT-Drs. 18/10506, S. 76. 1574 Prinz, DB 2018, 1615, 1615.  1575 Hick, in: HHR, § 4i EStG Rn. 1. 1576 Entgegen wohl überholter Auffassung erfasst § 4i S. 1 EStG auch Outbound-Kon­ stellationen, dazu Rüsch, FR 2018, 299, 299.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I rücksichtigt, wo die Kapitalgesellschaft unbeschränkt steuerpflichtig ist. Dort kennt man das Konzept des Sonderbetriebsvermögens nicht; die Zinsen sind des­ halb als Betriebsausgaben abziehbar. Der Refinanzierungsaufwand wirkt sich im Ergebnis doppelt gewinnmindernd aus („double dip“).1577

a) § 4i S. 1 EStG Nach § 4i S. 1 EStG dürfen Aufwendungen nicht als Sonderbetriebsaus­ gaben abgezogen werden, soweit sie auch die Steuerbemessungsgrundla­ ge in einem anderen Staat mindern. In sachlicher Hinsicht sind folglich zunächst Sonderbetriebsausgaben er­ forderlich. Der Begriff ist gesetzlich nicht definiert.1578 Nach allgemeinen Grundsätzen sind hierunter alle Aufwendungen zu fassen, die allein dem Mitunternehmer entstehen und durch das Sonderbetriebsvermögen ver­ anlasst sind.1579 Diese müssen die Steuerbemessungsgrundlage mindern. Der Steuerbe­ messungsgrundlage entspricht nach deutschem Verständnis das „zu ver­ steuernde Einkommen“ gem. § 2 Abs. 5 S. 1 EStG. Daraus folgt, dass Aufwendungen nach der ausländischen Bemessungsgrundlagenposition unbeachtlich sind (z.B. Abzüge von der Steuerschuld oder ein Progressi­ onsvorbehalt).1580 Einigkeit besteht darüber, dass es sich um keine Min­ derung handelt, wenn es an der Relevanz für die Steuerbemessungs­ grundlage fehlt. Das ist beispielsweise bei einer fehlenden Steuerbarkeit oder persönlichen Steuerbefreiungen der Fall.1581 Ebenfalls wird die Steu­ erbemessungsgrundlage nicht gemindert, wenn im Ausland eine Zins­ schrankenregelung greift oder die Aufwendungen dort mit Erträgen im Rahmen eines Gruppenbesteuerungssystems verrechnet werden.1582 Streit herrscht jedoch darüber, ob noch von einer Minderung der Steuer­ bemessungsgrundlage gesprochen werden kann, wenn die Sonderbetriebs­ ausgaben lediglich einen bestehenden Verlustvortrag erhöhen. Teilweise wird dies verneint, weil sich die Sonderbetriebsausgaben dann nicht auf die Steuerschuld auswirken.1583 Die Gegenauffassung hält dem überzeu­ gend entgegen, dass eine Auswirkung auf die Steuerschuld nicht vom Wortlaut gefordert wird.1584 Weiter ist man sich uneins, ob eine Steuer­ 1577 BT-Drs. 18/10506, S. 76. 1578 Rüsch, FR 2018, 299, 299 f. 1579 Hick, in: HHR, § 4i EStG Rn. 1. 1580 Rüsch, FR 2018, 299, 300; Wacker, in: Schmidt, EStG, § 4i Rn. 13. 1581 Kahlenberg/Kudert, StuW 2017, 344, 348; Kanzler, NWB 2017, 326, 329; Rüsch, FR 2018, 299, 301. 1582 Kahlenberg/Kudert, StuW 2017, 344, 348; Rüsch, FR 2018, 299, 301; Schnitger, IStR 2017, 214, 215. 1583 Oellerich, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 4i EStG Rn. 14; Schnitger, IStR 2017, 214, 215. 1584 Rüsch, FR 2018, 299, 300 f.

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B.  Vor Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft getretene Vorschriften

festsetzung erforderlich ist oder auf die abstrakte Rechtslage abzustellen ist. Daraus ergeben sich auch verfahrensrechtliche Folgewirkungen, da der Nachweis dann entsprechend anhand eines Steuerbescheids zu füh­ ren wäre.1585 Überwiegend wird hier eine Steuerfestsetzung mitsamt ent­ sprechendem Steuerbescheid gefordert.1586 Schließlich wird eine intertemporale Anwendung der Vorschrift sowohl von der Gesetzesbegründung1587 als auch von der ganz h.M. für möglich gehalten1588. Das bedeutet, dass die Minderung der Steuerbemessungs­ grundlage im Ausland in einem gedachten Veranlagungszeitraum 01 und in Deutschland erst im Veranlagungszeitraum 02 stattfinden kann. Mög­ lich ist dies zum Beispiel bei unterschiedlichen Abschreibungsmetho­ den.1589 Dann käme es in Deutschland im VZ 02 zur Anwendung von § 4i S. 1 EStG.1590 In persönlicher Hinsicht unterliegt die Vorschrift keinerlei Beschränkun­ gen hinsichtlich der Beteiligungshöhe.1591 In erster Linie werden Gesell­ schafter einer Personengesellschaft erfasst.1592 Ferner gilt die Vorschrift über den Verweis in § 8 Abs. 1 KStG auch für die Körperschaftsteuer. In Betracht kommt deshalb auch eine Anwendung auf die KGaA.1593 Als Rechtsfolge ordnet § 4i S. 1 EStG an, den Abzug der Sonderbetriebs­ ausgaben zu versagen. Dies geschieht auf der Ebene der Mitunternehmer­ schaft als Einkünfteermittlungssubjekt1594, wo auch das Ergebnis der je­ weiligen Sonderbilanz der Gesellschafter einbezogen wird.1595

1585 Vgl. Rüsch, FR 2018, 299, 302. 1586 Oertel, BB 2018, 351, 355; Schnitger, IStR 2017, 214, 216. Überzeugender ist gleichwohl die Gegenauffassung von Rüsch, FR 2018, 299, 302, wonach es sich beim Steuerbescheid lediglich um die verfahrensrechtliche Festsetzung einer be­ reits entstandenen Steuerschuld handelt (vgl. § 38 AO) und die Steuerbemes­ sungsgrundlage dogmatisch deshalb bereits vor der Steuerfestsetzung existent ist. 1587 BT-Drs. 18/10506, S. 76. 1588 Bergmann, FR 2017, 126, 129; Kahlenberg/Kudert, StuW 2017, 344, 351; Prinz, DB 2018, 1615, 1616; Rüsch, FR 2018, 299, 302; Schnitger, IStR 2017, 214, 216. Kritisch unter Hinweis auf das Jahressteuerprinzip Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1036 f. 1589 Kahlenberg/Kudert, StuW 2017, 344, 349 ff.; Rüsch, FR 2018, 299, 302. 1590 Siehe auch das Beispiel bei Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1037. 1591 Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1036. 1592 Kahle/Braun, DStZ 2018, 381, 383; Pohl, in: Brandis/Heuermann, § 4i EStG Rn. 39. 1593 Pohl, in: Brandis/Heuermann, § 4i EStG Rn. 42. 1594 Vgl. Hennrichs, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rn. 10.10 ff. 1595 Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1036.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

b) § 4i S. 2 EStG § 4i S. 2 EStG sieht eine Rückausnahme von der eben genannten Rechts­ folge vor, um überschießende Rechtsfolgen zu vermeiden.1596 Hiernach gilt S. 1 der Vorschrift nicht, „[…] soweit diese Aufwendungen Erträge desselben Steuerpflichtigen mindern, die bei ihm sowohl der inländischen Besteuerung unterliegen als auch nachweislich der tatsächlichen Besteuerung in dem anderen Staat“.1597 Auch hinsichtlich der „tatsächlichen Besteuerung“ der Erträge im ande­ ren Staat stellt sich die Frage, ob eine Berücksichtigung im Rahmen der Steuerbemessungsgrundlage ausreicht oder aber eine Steuerfestsetzung erforderlich ist. Die Gesetzesbegründung1598 und die wohl h.M. lassen hier eine Berücksichtigung im Rahmen der Steuerbemessungsgrundlage genügen1599, obgleich der Wortlaut sich hier klar vom S. 1 unterscheidet und deshalb qualitativ „mehr“ impliziert, wie etwa eine Steuerfestset­ zung oder gar Steuerzahlung1600. Eine tatsächliche Besteuerung soll bereits ab einem (noch so) geringen Steuersatz gegeben sein.1601 Erst, wenn der Vorgang sachlich oder der Steuerpflichtige persönlich steuerbefreit ist, liegt sie nicht vor.1602 Auch § 4i S. 2 EStG ist periodenübergreifend anzuwenden.1603 Bemer­ kenswert ist dabei die verfahrensrechtliche Technik: Es besteht keine Möglichkeit, nicht abziehbare Sonderbetriebsausgaben in künftige Ver­ anlagungszeiträume vorzutragen (oder gar in zurückliegende Veranla­ gungszeiträume zurückzutragen), um sie dann gegebenenfalls mit dop­ pelt berücksichtigten Einnahmen zu verrechnen. Kommt es in späteren Veranlagungszeiträumen zu doppelt berücksichtigten Einnahmen, so entfallen vielmehr rückwirkend die Voraussetzungen für die Anwen­ dung des § 4i S. 1 EStG. Die zurückliegende Veranlagung wird deshalb auf Grundlage des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert.1604 Dies unterscheidet sich von der Technik, welche von der ATAD für die intertemporale Ver­ rechnung vorgesehen ist.1605 Für den Steuerpflichtigen bedeutet dies ei­ nen beträchtlichen administrativen Mehraufwand. Entgegen einer Auf­ 1596 BT-Drs. 18/10506, S. 77. 1597 Zur begrifflichen Kritik („Aufwendungen die Erträge mindern“), Rüsch, FR 2018, 299, 303 m.w.N. 1598 BT-Drs. 18/10506, S. 77. 1599 Kahlenberg/Kudert, StuW 2017, 344, 355; Schnitger, IStR 2017, 214, 218. 1600 Rüsch, FR 2018, 299, 303. 1601 Rüsch, FR 2018, 299, 303. 1602 BT-Drs. 18/10506, S. 76. 1603 Bergmann, FR 2017, 126, 129; BT-Drs. 18/10506, S. 77. 1604 Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1036 f.; Rüsch, FR 2018, 299, 304; Schnitger, IStR 2017, 214, 216. 1605 Kapitel 2 - B.II.6.b).

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fassung im Schrifttum1606 dürfte er auch nicht von § 233a AO profitieren. Denn gem. § 233a Abs. 2a AO beginnt der Zinslauf abweichend von § 233a Abs. 2 S. 1 und 2 AO erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjah­ res, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten oder der Verlust ent­ standen ist. 2. Abgleich mit Art. 9 Abs. 1 ATAD Der Gesetzesbegründung zufolge handelt es sich bei § 4i EStG um eine Sofortmaßnahme unabhängig von der Umsetzung der OECD-Empfeh­ lungen. Es bestehe auch kein Abstimmungsbedarf mit der Umsetzung der ATAD.1607 Dennoch wurde § 4i EStG immer wieder mit Art. 9 Abs. 1 ATAD in Verbindung gebracht.1608 Vordergründig geschah dies eher unter dem Aspekt des verbleibenden nationalen Handlungsbedarfs bei der Richtlinienumsetzung. Gleichwohl findet sich auch ein Vorstoß in der Literatur, der § 4i EStG im Anwendungsbereich der ATAD II verortet und manche der damit verbundenen Folgefragen, insbesondere im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Vorschrift mit höherrangigem Recht, berück­ sichtigt.1609 Dieser hat bereits erste Fürsprecher gefunden.1610 a) Relevanz Gelangt man zu der Auffassung, dass § 4i EStG in den Anwendungsbe­ reich der ATAD II fällt, so resultierten daraus weitreichende Folgewir­ kungen. aa) Einfachrechtliche Folgewirkungen Befürwortern des sekundärrechtlichen Hintergrunds zufolge müsse sich § 4i EStG an der Richtlinie messen lassen.1611 Dies leuchtet ein: Auch nachträglich in den Anwendungsbereich einer Richtlinie fallende Vor­ schriften sind richtlinienkonform auszulegen.1612 Als einziges konkretes 1606 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 212 und 215. 1607 BT-Drs. 18/9956, S. 3. 1608 Vgl. Niedling/Rautenstrauch, BB 2017, 1500, 1502; Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1038 ff.; Kahlenberg/Kudert, StuW 2017, 344, 345; Kaminskiy, Kor­ respondenzregelungen, S. 213 f.; Köhler, ISR 2018, 250, 255 f.; Gosch, in: Kirch­ hof, EStG, § 4i Rn. 1. 1609 Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035. 1610 Zustimmend Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 213 f. („[…] muss sie sich auch an den Anforderungen der ATAD messen lassen.“). Zuneigend Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 4i Rn. 1 dort Fn. 6 („Zu erwägen sind uU auch Abstimmungen zur sog. ATAD-RL“). Anders 1611 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 213 f. 1612 EuGH, Urt. v. 13.11.1990, C-106/89, ECLI:EU:C:1990:395 – Marleasing, Rn. 8; EuGH, Urt. v. 14.7.1994, C-91/92, ECLI:EU:C:1994:292 – Paola Faccini Dori, Rn. 26; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 78.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

Beispiel wird von ihnen angeführt, dass neben Betriebsausgaben auch Verluste von § 4i EStG erfasst werden könnten.1613 Tatsächlich reichen die denkbaren Implikationen deutlich weiter. Durch die Inbezugnahme der umfangreichen OECD-Empfehlungen erhält die richtlinienkonforme Auslegung einen hohen Detailgrad.1614 Gleichzeitig resultieren zahlreiche Unklarheiten und Streitfragen aus dem Umstand, dass der Tatbestand des § 4i EStG systematisch erschlossen werden muss.1615 Es ergeben sich deshalb Folgewirkungen im Hinblick auf nahe­ zu alle der im Überblick dargestellten Streitfragen.1616 Etwa sollen nach bislang wohl h.M. Aufwendungen nach der ausländi­ schen Bemessungsgrundlagenposition unbeachtlich sein (z.B. Abzüge von der Steuerschuld oder ein Progressionsvorbehalt).1617 Nach der Vor­ stellung der OECD soll die Definition für einen Abzug jedoch jede Steu­ ererleichterung umfassen, die wirtschaftlich einem Steuerabzug gleich­ zusetzen ist, wie z.B. eine Steueranrechnung für Dividendenzahlungen.1618 Die spezifischen Einzelheiten des Staats zur Berechnung der Nettoein­ künfte des Steuerpflichtigen sollen gerade keinen Einfluss auf die Frage haben, ob eine Zahlung steuerlich abzugsfähig ist.1619 Auch die Fragen danach, ob für die Minderung der Bemessungsgrundlage (§ 4i S. 1 EStG) oder für die tatsächliche Besteuerung der Einnahmen (§ 4i S. 2 EStG) eine Steuerfestsetzung erforderlich ist, wären betroffen: Die ATAD-Vorgaben implizieren eine lediglich abstrakte Prüfung des auslän­ dischen Rechts. So bezeichnet „Berücksichtigung“ den Betrag, der für die steuerpflichtigen Einkünfte nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets des Zahlungsempfängers berücksichtigt wird (Art. 2 Abs. 9 Unter­ abs. 3 lit. e) S. 1 ATAD).1620 Auch die OECD-Empfehlungen stellen „[…] lediglich auf die erwartete steuerliche Behandlung der Gestaltung […]“ ab.1621 Mindern Erträge nur einen Verlustvortrag, so fehlt es an einer steuer­ schulderhöhenden Berücksichtigung.1622 Diese ist nach Vorstellung der OECD unschädlich. Eine solche Zahlung soll trotzdem so behandelt wer­ 1613 Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1038. 1614 Vgl. Erwägungsgrund 28 der ATAD II. 1615 Hick, in: HHR, § 4i EStG Rn. 1. 1616 Siehe Kapitel 5 - B.I.1. 1617 Rüsch, FR 2018, 299, 300; Wacker, in: Schmidt, EStG, § 4i Rn. 13. 1618 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 142 Rn. 389. 1619 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 142 Rn. 390. 1620 Auch Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. e) S. 2 ATAD stellt auf die „[…] Rechtsvorschriften des Steuergebiets des Zahlungsempfängers […]“ ab. 1621 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 30 Rn. 29 und S. 146 Rn. 415. Siehe bereits Kapitel 1 - B.II.1. 1622 Vgl. Rüsch, FR 2018, 299, 303.

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den, als sei sie in den Einnahmen berücksichtigt worden.1623 Relevant ist dies für die Auslegung der „tatsächlichen Besteuerung“ in § 4i S. 2 EStG. Der Gedanke lässt sich ebenso auf § 4i S. 1 EStG übertragen: Erhöhen Aufwendungen lediglich einen bestehenden Verlustvortrag, so wäre die mangelnde Auswirkung auf die Steuerschuld – entgegen der bislang h.M.1624 – ebenfalls unschädlich.1625 Die besagte „tatsächliche Besteuerung“ im Sinne von § 4i S. 2 EStG ist nach bisheriger Auffassung bereits dann gegeben, wenn die Erträge auch nur zu einem geringen Steuersatz besteuert werden.1626 Auch dieses Ver­ ständnis könnte in Konflikt mit dem der Richtlinie geraten: Eine Zah­ lung gilt danach nur als berücksichtigt, wenn sie zum vollen Grenzsteu­ ersatz beim Steuerpflichtigen besteuert werden.1627 In derartigen Fällen müsste eine Anwendung der Rückausnahme des § 4i S. 2 EStG folglich ausscheiden. Die teilweise kritisierte1628 und nicht unbedingt im Wortlaut angeleg­ te1629 intertemporale Anwendung sowohl des Grundtatbestandes (§ 4i S. 1 EStG) als auch der Ausnahme (§ 4i S. 2 EStG) wäre fortan eindeutig geboten.1630 Auf den Prüfstand gerät hingegen die verfahrensrechtliche Umsetzung: Hier schwebt der ATAD jedenfalls keine rückwirkende Än­ derung von Steuerfestsetzungen vor, sondern vielmehr ein Vortrag von nicht abziehbaren Betriebsausgaben, um gegebenenfalls in Zukunft dop­ pelt berücksichtigte Einnahmen zu mindern (Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 ATAD).1631 Unter Umständen müsste sich § 4i EStG deshalb den Vorwurf gefallen lassen, insoweit gegen die ATAD-Vorgaben zu verstoßen.1632 bb) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht Zusätzlich ergäben sich die in Kapitel 2 herausgearbeiteten Folgewirkun­ gen im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht. Nach dem Erlass der ATAD verwirklichte Sachverhalte wären dann nicht mehr anhand des Verfassungsrechts, sondern nach der Solange II-Rechtsprechung allein am Maßstab des Unionsrechts zu beurtei­

1623 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 144 Rn. 406. 1624 Oellerich, in: Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 4i EStG Rn. 14; Schnitger, IStR 2017, 214, 215. 1625 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 104 Rn. 263. 1626 Rüsch, FR 2018, 299, 303. 1627 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 145 Rn. 413. 1628 Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1036 f. 1629 Rüsch, FR 2018, 299, 302. 1630 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 330 ff. Beispiel 6.1. 1631 So auch Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 215. 1632 Vgl. Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 215; Schnitger, IStR 2017, 214, 217.

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len.1633 Insoweit entfaltete die ATAD eine verfahrensrechtliche Immuni­ sierungswirkung. Nationale Vorschriften wären dann verfahrensrechtlich nicht unmittelbar anhand der Grundfreiheiten zu überprüfen. Vielmehr müsste man sich zunächst gegen die Richtlinie wenden.1634 cc) Unionsweite Folgewirkungen Schließlich ergäben sich Rückwirkungen im Hinblick auf das gesamte Gebiet der EU. Fasst man § 4i EStG unter den Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 1 ATAD, so bedeutete dies, dass die übrigen Mitgliedstaaten gleichlautende Vorschriften einzuführen hätten. Der Erlass einer solche Vorschrift wäre dann von der Richtlinienbestimmung verpflichtend vor­ gegeben (Art. 288 Abs. 3 AEUV).1635 Es wäre folglich ein Vertragsverlet­ zungsverfahren gegen solche Staaten zu erwägen, die keine dem § 4i EStG komplementäre Regelung einführen.1636 dd) Zwischenergebnis Es konnte bis hierhin aufgezeigt werden, dass es weitreichende Konse­ quenzen hätte, würde man § 4i EStG als vom Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 1 ATAD erfasst ansehen. Die Tragweite der Fragestellung er­ streckt sich auf zahlreiche Auslegungsfragen der Norm sowie auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht. Schließlich könnten auch ande­ re Mitgliedstaaten von einem derartigen Richtlinienverständnis betrof­ fen sein. b) Abgleich Aufgrund der weitreichenden Konsequenzen wird das Verhältnis des § 4i EStG zur ATAD sowohl in persönlicher als auch in sachlicher Hinsicht untersucht. aa) Persönlicher Anwendungsbereich Zweifel ergeben sich bereits hinsichtlich des persönlichen Anwendungs­ bereichs. Während Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. c) ATAD diesen auf ver­ bundene Unternehmen beschränkt, was regelmäßig für Beteiligungen ab 50 % zutrifft1637, stellt § 4i EStG keinerlei Voraussetzungen an die Betei­ ligungshöhe1638. Nur wenn man davon ausgeht, dass die Beschränkungen 1633 Kapitel 3 - A.I.1.a). 1634 Kapitel 3 - A.I.2.b). 1635 Kapitel 2 - B.I.1. 1636 Vgl. etwa zum von der Europäischen Kommission anlässlich der ATAD-Umset­ zung gegen Deutschland eingeleiteten Verfahren, BT-Drs. 19/18056. 1637 Kapitel 2 - B.I.4.b)aa) sowie Kapitel 2 - B.III.8. 1638 Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1036.

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in persönlicher Hinsicht vor allem der Verwaltungsvereinfachung die­ nen, könnte man § 4i EStG noch vom Anwendungsbereich der Richtlini­ enbestimmung erfasst ansehen.1639 Indes findet die Vorschrift auch in der Einkommensteuer Anwendung. Insoweit wird der Anwendungsbereich der ATAD jedenfalls verlassen.1640 Damit stellte sich § 4i EStG bis hier­ hin als Hybridnorm dar. Zu erwägen wäre deshalb eine gespaltene Ausle­ gung des § 4i EStG, da sich der Gesetzgeber ausdrücklich von der ATAD distanziert.1641 Dazu müsste die Vorschrift gleichwohl auch in sachlicher Hinsicht vom Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 1 ATAD umfasst sein. bb) Sachlicher Anwendungsbereich Die vom Tatbestand des Art. 9 Abs. 1 ATAD vorausgesetzte hybride Ge­ staltung ist in Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. g) ATAD legaldefiniert. Im Gegensatz zu den D/NI-Gestaltungen ist die Definition für DD-Ergebnis­ se vergleichsweise arm an Voraussetzungen: Erforderlich ist danach nur, dass „[…] ein doppelter Abzug erfolgt“. Dies passt erst einmal zur oben skizzierten Gestaltung, in der es eben zu einem solchen doppelten Abzug kommt.1642 Die eigentliche Rechtsfolge ergibt sich gleichwohl erst aus Art. 9 Abs. 1 ATAD. Hiernach soll der Abzug entweder im Steuergebiet des „Inves­ tors“1643 oder nachrangig im Steuergebiet des „Zahlenden“1644 verweigert werden. Hinter den Begriffen könnte man die Idee sehen, dass der Abzug einmal dort erfolgt, wo „tatsächlich“ gezahlt wird (Gebiet des Zahlenden) und einmal dort, wo es aufgrund der Transparenzbetrachtung zur noch­ maligen Berücksichtigung bei den Gesellschaftern kommt (Gebiet des Investors). In der oben dargestellten Gestaltung sind der Investor und der Zahlende jedoch ein und dieselbe Person. Das passt nicht zu den Vorga­ ben des Art. 9 Abs. 1 ATAD. In der Folge teilt sich hier das Meinungsbild. So gehen manche davon aus, dass § 4i S. 1 EStG auf Art. 9 Abs. 1 Unter­ abs. 1 lit. a) ATAD zurückzuführen ist, der die Abzugsbeschränkung im Steuergebiet des „Investors“ vorgibt.1645 In der oben dargestellten Inbound-Gestaltung sitzt der „Investor“ (im Beispiel die Kapitalgesell­ schaft A-Co) jedoch im Ausland. Die Rechtsfolge des Art. 9 Abs. 1 Unter­ abs. 1 lit. a) ATAD richtet sich damit an den anderen Staat, nicht jedoch an Deutschland.1646 1639 Vgl. dazu Kapitel 1 - B.III.8. 1640 Kapitel 3 - A.I.2.b)bb)(2). 1641 BT-Drs. 18/9956, S. 3. Dazu bereits Kapitel 3 - A.II.2.a)bb). 1642 Kapitel 5 - B.I.1. 1643 Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a) ATAD. 1644 Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD. 1645 Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1038 ff. 1646 Vgl. Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1038.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

Überwiegend wird § 4i S. 1 EStG mit Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD in Verbindung gebracht. Hiernach ist der Abzug im Steuergebiet des Zahlenden zu versagen. In der Inbound-Konstellation der Gesetzes­ begründung ist der Zahlende jedoch gerade der Gesellschafter, also eben­ falls die im Ausland ansässige Kapitalgesellschaft. Zu einer (nochmali­ gen) Aufwandsberücksichtigung im Inland kommt es nur aufgrund des deutschen Mitunternehmerkonzepts.1647 Es zeigt sich deutlich, dass der Richtlinie und § 4i EStG nicht dieselben Gestaltungen vor Augen gestanden haben. Die Schwierigkeiten beim Wortlaut werden deshalb unter Zuhilfenahme teleologischer Aspekte auszugleichen versucht. Richtigerweise wird darauf hingewiesen, dass die ATAD im Lichte der OECD-Empfehlungen auszulegen ist.1648 Der Be­ richt zu Aktionspunkt 2 sieht jedoch nur Regeln für jene DD-Ergebnisse vor, die durch abzugsfähige hybride Zahlungen oder doppelt ansässige Steuerpflichtige herbeigeführt werden.1649 Entsprechend findet sich im ca. 300 Seiten umfassenden Anhang kein einziges Beispiel, welches auf Besonderheiten bei der Mitunternehmerbesteuerung in Form des Sonder­ betriebsvermögens eingeht.1650 Zwar findet sich auch die Klarstellung, dass sich die zu einem doppelten Betriebsausgabenabzug führenden Ge­ staltungen unterschieden und die aufgeführten Situationen nur exempla­ risch aufgezeigt würden.1651 Ebenso findet sich jedoch gleich am Anfang des Berichts die programmatische Aussage, dass nur Besteuerungsinkon­ gruenzen aufgegriffen würden, die auf ein „hybrides Element“ zurückge­ führt werden können.1652 Das ist bei Gestaltungen im Sinne von § 4i S. 1 EStG gerade nicht der Fall.1653 Ursächlich für die Besteuerungsinkongru­ enz ist hier nicht der hybride Status einer Personengesellschaft, sondern vielmehr das komplexe innerstaatliche System der fiktiven Gewerblich­ keit über das Mitunternehmerkonzept.1654 cc) Zwischenergebnis § 4i EStG fällt nicht, auch nicht teilweise, in den Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 1 ATAD.1655

1647 So auch Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1039. 1648 Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1039. 1649 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 77 ff. 1650 S. auch BT-Drs. 18/9956, S. 3; Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 213. 1651 Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1039 unter Bezugnahme auf OECD, Neu­ tralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 79 Rn. 184. 1652 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 20 Rn. 13. 1653 Bergmann, FR 2017, 126, 126. 1654 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 4i Rn. 1. 1655 A.A. Niedling/Rautenstrauch, BB 2017, 1500, 1502; Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1038 ff.; Kahlenberg/Kudert, StuW 2017, 344, 345; Kaminskiy, Kor­

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3. Folgerungen Aus diesem Ergebnis lassen sich nun Folgerungen für die oben aufgezeig­ ten Problembereiche ableiten.1656 a) Einfachrechtliche Folgewirkungen Zunächst ist § 4i S. 1 EStG nicht richtlinienkonform auszulegen.1657 In Betracht käme allenfalls eine richtlinienorientierte Auslegung.1658 Auch diese scheidet jedoch aus, da sich der Gesetzgeber ausdrücklich von der ATAD distanziert. Es bestehe kein Abstimmungsbedarf mit der ATAD.1659 Insbesondere in den oben genannten Problembereichen des § 4i EStG gibt folglich die ATAD (mitsamt des OECD-Berichts) nicht den entschei­ denden Ausschlag. Auch gerät die verfahrensrechtliche Handhabung des § 4i S. 2 EStG nicht grundlegend auf den Prüfstand. b) Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht Weiter wird weder der Blick auf das Verfassungsrecht noch der auf das Unionsprimärrecht durch die ATAD verstellt; § 4i EStG ist unmittelbar daran zu messen.1660 Insbesondere im Hinblick auf das Unionsrecht wur­ den in der Vergangenheit grundlegende Bedenken geäußert.1661 Nachdem die Rechtssache Philips Electronics durch die Rechtssache NN eine ge­ wisse Relativierung erfahren hat, dürften manche der kritischen Stim­ men aus heutiger Perspektive etwas an Schärfe verloren haben.1662 Inso­ weit sind die in Kapitel 3 angestellten Erwägungen auf § 4i EStG übertragbar, da die Vorschrift ebenfalls eine internationale, interpersona­ le Korrespondenzregelung darstellt.1663 Dort wurde herausgearbeitet, dass die Rechtsprechung des EuGH sich diesbezüglich zwar noch im Fluss befindet, gleichwohl eine Tendenz zur Unionsrechtskonformität auf­ zeigt.1664 Nach derzeitigem Stand existiert gleichwohl kein geeigneter Rechtfertigungsgrund für internationale sowie interpersonale Korres­ pondenzregeln.1665 Auch auf Basis der in dieser Arbeit erwogenen „inter­ respondenzregelungen, S. 213 f. Tendenziell auch Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 4i Rn. 1; Köhler, ISR 2018, 250, 255 f. 1656 Kapitel 5 - B.I.2.a). 1657 A.A. Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1038. 1658 Kapitel 3 - A.II.2.a)bb). 1659 BT-Drs. 18/9956, S. 3. 1660 Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1040 f. 1661 Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567; Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1040 ff.; Prinz, GmbHR 2017, 553, 557; Schnitger, IStR 2017, 214, 219. A.A. Pohl, in: Brandis/Heuermann, § 4i EStG Rn. 12; Wacker, in: Schmidt, EStG, § 4i Rn. 7. 1662 Vgl. etwa Schnitger, IStR 2017, 214, 219. 1663 Vgl. Rüsch, FR 2019, 759, 765. 1664 So konkret in Bezug auf § 4i EStG Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 4i Rn. 2. 1665 Kapitel 4 - C.IV.2.d).

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nationalen Kohärenz“1666 scheiterte die Rechtfertigung der Regelung: Sie stellt einen nationalen Alleingang dar, insbesondere bewegt sie sich – wie zuvor herausgearbeitet und auch durch die Gesetzesbegründung her­ vorgehoben1667 – außerhalb des Anwendungsbereichs sowohl der ATAD als auch der OECD-Empfehlungen. Die Vorschrift ist damit nicht multi­ lateral oder zumindest bilateral konsentiert. Dies bringt Probleme mit sich: Käme etwa ein anderer Staat auf die Idee, eine Korrespondenzregel einzuführen, die auf dieselbe Konstellation abzielt, so wäre unklar, wel­ che Steuerjurisdiktion „Vorfahrt hat“1668. Die Problematik wurde vom nationalen Gesetzgeber nicht bedacht und lässt sich auch nicht unter Zuhilfenahme der ATAD oder der OECD-Empfehlungen lösen; schon das nationale Schrifttum ist sich uneins, ob § 4i S. 1 EStG nun als Primary Response oder Defensive Rule aufzufassen ist.1669 Da andere Staaten, so­ weit ersichtlich, bislang keine Korrespondenzregelungen mit dem Fokus auf DD-Ergebnisse eingeführt haben, die aus dem deutschen Mitunter­ nehmerkonzept resultieren, hat sich die mangelnde Koordination zwar noch nicht konkret in Rechtsunsicherheit und Doppelbesteuerung mani­ festiert. Dies ändert zum einen jedoch nichts an der prinzipiellen Beur­ teilung der Vorschrift. Zum anderen wäre es etwa auch denkbar, dass andere Staaten den Art. 9 Abs. 1 ATAD aufgrund von Art. 2 Abs. 9 Unter­ abs. 1 lit. g) ATAD in Form von sehr allgemeinen und voraussetzungsar­ men Tatbeständen umsetzen.1670 Vor allem, wenn diese Staaten zu einer anderen als der hier vertretenen Auffassung gelangen und ihre nationale Umsetzung des Art. 9 Abs. 1 ATAD auf Mitunternehmerkonstellationen anwenden, oder aber auch, wenn sie Art. 9 Abs. 1 ATAD schlicht über­ schießend umsetzen, erscheinen Abstimmungsschwierigkeiten zum § 4i EStG sehr wahrscheinlich. Zusammenfassend hält § 4i EStG nach derzeitigem Stand der Rechtspre­ chung und auf Basis des hier vorgebrachten internationalen Kohärenzge­ dankens einer Überprüfung anhand der Grundfreiheiten nicht stand.1671 c) Unionsweite Folgewirkungen Da § 4i EStG weder persönlich noch sachlich in den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 1 ATAD fällt, müssen andere Staaten auch keine komple­ 1666 Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb)(3)(c). 1667 BT-Drs. 18/9956, S. 3. 1668 Vgl. Schnitger, IStR 2017, 214, 216 mit weiterführenden Überlegungen zur „Vor­ fahrtsregelung“. 1669 Siehe Kapitel 5 - B.I.2.b)bb). 1670 Vgl. etwa die letztlich doch nicht eingeführte Betriebsausgabenabzugsbeschrän­ kung des § 4 Abs. 5a EStG-E im Zollkodex-Anpassungsgesetz, dazu Linn, IStR 2014, 920. 1671 I.E. gl.A., jedoch die Vorschriften der ATAD prüfend Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1040 ff.

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mentären Regelungen einführen. Dies ist zu begrüßen, da anderenfalls nicht klar wäre, ob sie deshalb eine Primary Response1672 oder Defensive Rule1673 einführen müssten. 4. Ergebnis Bei § 4i EStG handelt es sich um eine Maßnahme des deutschen Gesetz­ gebers zur Verhinderung des doppelten Betriebsausgabenabzugs („double dip“) bei Personengesellschaften, die bereits vor der späteren ATAD II eingeführt wurde. Im Schrifttum finden sich vermehrt Stimmen, welche die Vorschrift unter Art. 9 Abs. 1 ATAD fassen. Die Folgen eines solchen Verständnisses erstreckten sich von der Auslegung des § 4i EStG in vie­ len Problembereichen, über die Vereinbarkeit der Norm mit höherrangi­ gem Recht bis hin zu unionsweiten Fragen der ATAD-Umsetzung. Umso entschiedener ist dieser Tendenz entgegenzutreten. § 4i EStG fällt nicht in den Anwendungsbereich der ATAD. Die Vorschrift ist deshalb nicht anders als bislang zu interpretieren. Aus grundfreiheitlicher Perspektive ist § 4i EStG nach wie vor kritisch zu sehen. Nach derzeitigem Stand ist die Vorschrift grundfreiheitswidrig. Eine Öffnung der Rechtsprechung er­ scheint derzeit jedoch nicht ausgeschlossen.

II. § 8b Abs. 1 S. 2 KStG § 8b Abs. 1 S. 2 KStG stellt die wohl prominenteste Korrespondenzrege­ lung des deutschen Steuerrechts dar.1674 Die gemeinhin als „materielles Korrespondenzprinzip“ bezeichnete Vorschrift wurde 2006 in das Kör­ perschaftsteuergesetz aufgenommen.1675 1. Überblick § 8b Abs. 1 S. 1 KStG enthält das sog. nationale Schachtelprivileg. Hier­ nach bleiben Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 lit. a) EStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. Dieses Schach­ telprivileg wird durch das materielle Korrespondenzprinzip des § 8b Abs. 1 S. 2 KStG eingeschränkt. Demnach wird die Freistellung nur ge­ währt, soweit die Bezüge das Einkommen der leistenden Körperschaft nicht gemindert haben. Voraussetzung für die Anwendung von § 8b Abs. 1 S. 2 KStG ist damit eine Minderung des Einkommens der leistenden Körperschaft. Das Ein­ 1672 Im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a) ATAD. 1673 Im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) ATAD. 1674 Vgl. Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 230. 1675 JStG 2007 v. 13.12.2006, BGBl. I 2006, 2878, 2879 sowie 2891.

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kommen wird gem. § 8 Abs. 1 KStG nach den Vorschriften des Einkom­ men- und Körperschaftsteuergesetzes ermittelt. Nicht gemeint ist dage­ gen das zu versteuernde Einkommen im Sinne von § 7 Abs. 2 KStG.1676 Weiter müssen die in Satz 1 genannten Bezüge kausal für die Minderung des Einkommens sein.1677 Deshalb scheidet etwa eine Anwendung des § 8b Abs. 1 S. 2 KStG bei einer fiktiven Eigenkapitalverzinsung wie der belgischen Notional Interest Deduction aus.1678 Ursprünglich zielte die Vorschrift vor allem auf verdeckte Gewinnausschüttungen ab.1679 Nach wie vor stellt es einen der Hauptanwendungsfälle der Norm dar, dass eine verdeckte Gewinnausschüttung bei der Besteuerung der leistenden Körperschaft nicht erkannt wurde und es deshalb zu einer Einkommens­ minderung kommt.1680 In 2013 erfolgte dann eine Öffnung des Tatbestan­ des hin zur heutigen Fassung der Vorschrift.1681 Seitdem erfasst sie auch ordentliche Ausschüttungen und Bezüge aus hybriden Finanzinstrumen­ ten.1682 Für eine Minderung des Einkommens bedarf es nach zutreffender Auffassung keiner Steuerfestsetzung1683; es ist eine wirtschaftlich-ab­ strakte Betrachtung vorzunehmen1684. Verfahrensrechtlich ist deshalb auf die abstrakte Behandlung nach den Rechtsvorschriften des anderen Staats abzustellen.1685 Den Nachweis für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8b Abs. 1 S. 2 KStG hat dabei grundsätzlich die Finanzverwaltung zu erbringen. Den Steuerpflichtigen treffen jedoch nach § 90 Abs. 2 AO er­ höhte Mitwirkungspflichten.1686 In persönlicher Hinsicht ergeben sich keinerlei Abweichungen zur „Grundregel“ des § 8b Abs. 1 S. 1 KStG. Diese unterliegt zunächst kei­ nerlei Einschränkungen. Mittelbar bewirkt jedoch § 8b Abs. 4 S. 1 KStG, dass das Schachtelprivileg nur dann gewährt wird, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar mindestens 10 % des Grundoder Stammkapitals betragen hat.1687 Diese Ausnahme für Streubesitzfäl­ le steht jedoch gleichwertig neben der des § 8b Abs. 1 S. 2 KStG. Deshalb schränkt mit § 8b Abs. 1 S. 2 KStG eine im Hinblick auf die Beteiligungs­ 1676 Rüsch, Ubg 2019, 565, 567. 1677 Richter/Reeb, IStR 2015, 40, 43 f.; Rüsch, Ubg 2019, 565, 567. 1678 Richter/Reeb, IStR 2015, 40, 43 f. Siehe auch die weiterführende Auflistung von Sonderfällen einer Einkommensminderung bei Rengers, in: Brandis/Heuermann, § 8b KStG Rn. 132. 1679 Gesetzesbegründung zum JStG 2007, BT-Drucks. 16/2712, 38. 1680 Gosch, in: Gosch, KStG, § 8b KStG Rn. 147b; Kempf/Loose, DStR 2016, 2489, 2490 f. 1681 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809, 1815 sowie 1823. 1682 Rengers, in: Brandis/Heuermann, § 8b KStG Rn. 130. 1683 Überzeugend Rüsch, Ubg 2019, 565, 568 f. m.w.N. zur Gegenauffassung. 1684 Gosch, in: Gosch, KStG, § 8b KStG Rn. 148. 1685 Rüsch, Ubg 2019, 565, 570. 1686 Watermeyer, in: HHR, § 8b KStG Rn. 52. 1687 Rüsch, Ubg 2019, 565, 566.

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höhe unterschiedslose Korrespondenzregel eine (zunächst) unterschieds­ los gewährte Freistellung (§ 8b Abs. 1 S. 1 KStG) ein.1688 2. Abgleich mit Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD und Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTRL § 8b Abs. 1 S. 2 KStG ähnelt stark der Richtlinienvorgabe des Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD.1689 Die allgemeine Sekundärmaßnahme für D/NI-Er­ gebnisse schreibt vor, den Betrag der Zahlung, der andernfalls zu einer Inkongruenz führen würde, bei den Einkünften im Mitgliedstaat des Zahlungsempfängers zu berücksichtigen. In ihren Anwendungsbereich fallen gem. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) ATAD auch Gestaltungen, in denen eine Zahlung im Rahmen eines Finanzinstruments zu besagtem D/NI-Ergebnis führen.1690 In der Literatur wird deshalb vertreten, dass § 8b Abs. 1 S. 2 KStG die Vorgaben des Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD jeden­ falls teilweise abdecke.1691 Gleichzeitig ist jedoch ein weiterer sekundärrechtlicher Bezug augen­ scheinlich. So schreibt Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTRL vor, die der Mutterge­ sellschaft zugeflossenen Gewinne insoweit zu besteuern, als sie von der Tochtergesellschaft abgezogen werden können. Als Muttergesellschaft kommen gem. Art. 3 Abs. 1 lit. a) i) MTRL solche Gesellschaften in ­Betracht, die einen Anteil von wenigstens 10 % am Kapital einer Ge­ sellschaft eines anderen Mitgliedstaats halten.1692 Die Beschränkung der Dividendenfreistellung wurde erst in 2014 im Rahmen einer Änderungs­ richtlinie aufgenommen.1693 Der Wortlaut des § 8b Abs. 1 S. 2 KStG ­entspricht beinahe exakt der Richtlinienvorgabe.1694 Auch erfasst sie auf­ grund § 8b Abs. 4 S. 1 KStG jedenfalls faktisch nur solche Beteiligungs­ verhältnisse von größer gleich 10 %.1695 Nach der Tatbestandsöffnung des § 8b Abs. 1 S. 2 KStG im Jahr 2013 wur­ den folglich zwei Richtlinienbestimmungen erlassen, in welchen die na­ tionale Vorschrift mehr oder weniger aufgeht. Die Auflösung dieses „se­ kundärrechtlichen Konkurrenzverhältnisses“ ist zum einen für eine etwaige richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift relevant. Hier ist 1688 Desens, IStR 2014, 825, 829. 1689 Vgl. Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 230. 1690 Kapitel 2 - B.I.4.a)aa). 1691 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 218 ff. 1692 Für den Begriff der Tochtergesellschaft gilt diese Voraussetzung vice versa, Art. 3 Abs. 1 lit. a) sublit. ii) MTRL. 1693 Richtlinie 2014/86/EU des Rates vom 8. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/96/EU über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesell­ schaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. L 229. 1694 Vgl. Gosch, in: Gosch, KStG, § 8b KStG Rn. 146; Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 230; Listl, IStR 2014, 448, 450; Richter/Reeb, IStR 2015, 40, 52. Wohl auch Rengers, in: Brandis/Heuermann, § 8b KStG Rn. 131. 1695 Vgl. Desens, IStR 2014, 825, 829.

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natürlich von Interesse, im Sinne welcher der beiden Richtlinien die Vor­ schrift zu interpretieren ist. Zum anderen können sich Auswirkungen auf die Anwendungshierarchie ergeben. Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD stellt nämlich nur die Defensive Rule auf D/NI-Ergebnisse dar. Deshalb könn­ te die Anwendung von § 8b Abs. 1 S. 2 KStG künftig einer Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD entsprechenden Regelung im Ausland nachgelagert sein.1696 Das gerade beschriebene „Konkurrenzverhältnis“ ist zugunsten der Mut­ ter-Tochter-Richtlinie aufzulösen. Bereits inhaltlich entspricht § 8b Abs. 1 S. 2 KStG aufgrund seines persönlichen Anwendungsbereichs eher den Vorgaben der Mutter-Tochter-Richtlinie als denen der ATAD. Der persönliche Anwendungsbereich der ATAD ist aufgrund des Verbunden­ heitskriteriums (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. c) ATAD)1697 enger gefasst als der des § 8b Abs. 1 S. 2 KStG, welcher formal unterschiedslos, fak­ tisch gleichwohl auf Beteiligungen von größer gleich 10 % Anwendung findet1698. Vor allem die Erwägungsgründe der ATAD sehen für die An­ wendung der Richtlinie keinen Spielraum, soweit die Mutter-Tochter-­ Richtlinie bereits zu einer Neutralisierung von Inkongruenzen führt.1699 Damit kann der Unionsgesetzgeber nur Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTRL vor Augen gehabt haben. § 8b Abs. 1 S. 2 KStG fällt damit nicht, auch nicht teilweise, in den Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD.1700 3. Folgerungen In der Folge profitiert § 8b Abs. 1 S. 2 KStG hinsichtlich bestehender grundfreiheitlicher Bedenken1701 von der verfahrensrechtlichen Immuni­ sierungswirkung des Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTRL1702. Daneben ergeben sich Rückschlüsse für die Anwendungshierarchie: Mit dem Ablauf der Umsetzungsfristen der ATAD wird es flächendeckend zur Einführung von Korrespondenzregeln kommen. Wird im Staat der ausschüttenden Kapitalgesellschaft eine dem Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD entsprechende Regelung eingeführt, so fragt sich, welche Maßnahme vorrangig ist – die Versagung des Betriebsausgabenabzugs bei der aus­ schüttenden Gesellschaft (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD bzw. § 4k Abs. 1 S. 1 EStG) oder die Versagung der Steuerbefreiung beim Empfänger (§ 8b 1696 Zu § 4k Abs. 1 S. 1 EStG siehe Kapitel 5 - C.I.2. 1697 Kapitel 2 - B.I.4.b)aa). 1698 Rüsch, Ubg 2019, 565, 566. 1699 Erwägungsgrund 30 der ATAD II. 1700 A.A. Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 218 ff. 1701 Siehe etwa Gosch, in: Gosch, KStG, § 8b KStG Rn. 146; Richter/Reeb, IStR 2015, 40, 50 f.; Watermeyer, in: HHR, § 8b KStG Rn. 8.; Wiese, in: FS Gosch, S. 463. 1702 Vgl. Gosch, in: Gosch, KStG, § 8b KStG Rn. 146; Schober, in: Musil/Weber-Grel­ let, Europäisches Steuerrecht, § 8b KStG Rn. 128; Rengers, in: Brandis/Heuer­ mann, § 8b KStG Rn. 131; Listl, IStR 2014, 448, 448 ff.

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Abs. 1 S. 2 KStG). Beide Vorschriften stellen im Zweifelsfall auf die ab­ strakte Rechtslage im anderen Staat ab, zu der theoretisch auch die je­ weilige Korrespondenzregelung gezählt werden kann. Es entsteht ein Patt.1703 Da § 8b Abs. 1 S. 2 KStG gerade nicht im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD zu interpretieren ist1704, handelt es sich auch nicht um eine Defensive Rule. Die Vorschrift ist vielmehr vorrangig anzuwenden. Dies wäre auch im Sinne der OECD-Empfehlungen: § 8b Abs. 1 S. 2 KStG entspricht der spezifischen Empfehlung 2.1, durch dessen Anwendung eine Besteuerungsinkongruenz gar nicht erst entstehen soll.1705 Auch hier wird folglich davon ausgegangen, dass die Versagung der Dividenden­ freistellung vorrangig zur Anwendung gelangt.1706 4. Ergebnis Mittels § 8b Abs. 1 S. 2 KStG werden unter anderem D/NI-Ergebnisse neutralisiert, die sich durch den Einsatz hybrider Finanzinstrumente er­ geben. Trotz konzeptioneller Überschneidungen zu Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD ist die Vorschrift im Lichte des Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTRL zu se­ hen. Diese sekundärrechtliche Vorgabe entfaltet eine verfahrensrechtli­ che Immunisierungswirkung im Hinblick auf § 8b Abs. 1 S. 2 KStG. Im Hinblick auf eine künftige flächendeckende Umsetzung der ATAD ist das materielle Korrespondenzprinzip vorrangig anzuwenden, wenn im Ausland dem § 4k Abs. 1 S. 1 EStG vergleichbare Abzugsbeschränkungen eingeführt werden.1707

III. § 50d Abs. 9 EStG Bereits vor Erlass der ATAD-Richtlinien existierte im deutschen Recht mit § 50d Abs. 9 EStG eine Norm, welche die Vorgaben des späteren Art. 9 Abs. 5 ATAD abdecken könnte.1708

1703 Vgl. Kapitel 1 - B.I.3, Kapitel 1 - B.III.6 sowie Kapitel 2 - B.III.2. 1704 So auch Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 230. 1705 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 54 Empfehlung 2.1. 1706 Kapitel 1 - B.II.1.a)bb)(1). 1707 An dieser Stelle lediglich der Hinweis darauf, dass mit § 3 Nr. 40 lit. d) S. 2 EStG eine vergleichbare Regelung für den Bereich der Einkommensteuer existiert. Die Regelung bewegt sich außerhalb des Anwendungsbereichs der Mutter-Toch­ ter-Richtlinie und ist deshalb als überschießende Umsetzung zu behandeln: Sie ist am Verfassungsrecht wie auch unmittelbar an den Grundfreiheiten zu über­ prüfen. Für eine Darstellung und Würdigung im Lichte des Art. 9 Abs. 2 ATAD siehe Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 220 ff. 1708 Die Vorschrift wurde ursprünglich eingefügt durch das JStG 2007 v. 13.12.2006, BGBl. I 2006, 2876. Vgl. Wagner, in: Brandis/Heuermann, § 50d EStG Rn. 111.

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1. Überblick § 50d Abs. 9 EStG dient allgemein dazu, sog. „weiße Einkünfte“ zu ver­ meiden.1709 Mit anderen Worten zielt die Vorschrift auf in dieser Untersu­ chung als „NI/NT-Ergebnisse“ bezeichnete Besteuerungsinkongruenzen ab. Der Tatbestand erfasst ausschließlich unbeschränkt Steuerpflichti­ ge.1710 Diese müssen Einkünfte erzielen, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind. Unter bestimmten Voraussetzun­ gen wird die besagte abkommensrechtliche Freistellung der Einkünfte nicht mehr gewährt. Man spricht deshalb auch von einer unilateralen Switch Over-Klausel.1711 Da die Freistellung ungeachtet des Doppelbe­ steuerungsabkommens versagt wird, bewirkt § 50d Abs. 9 EStG einen sog. Treaty Override.1712 Diese Methode stand lange Zeit insbesondere in der verfassungsrechtlichen Kritik, wurde letztlich jedoch vom Bundes­ verfassungsgericht für unbedenklich befunden.1713 Der Besteuerungs­ rückfall kann nach neueren Gesetzesänderungen auch nur Teile von Ein­ künften erfassen (sog. Atomisierung von Einkünften).1714 Fallen im Ausland Quellensteuern an, so können diese noch gem. § 34c Abs. 6 S. 5 EStG angerechnet werden.1715 Die Voraussetzungen für die Versagung er­ geben sich alternativ aus § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG. Nach § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 EStG muss der andere Staat die Bestimmun­ gen des Abkommens so anwenden, dass die Einkünfte in diesem Staat von der Besteuerung auszunehmen sind.1716 Es bedarf also einer vom deutschen Recht abweichenden Anwendung des Doppelbesteuerungsab­ kommens dahingehend, dass eine Freistellung gewährt wird. Die Norm hat folglich Qualifikationskonflikte im engeren Sinne, mithin solche auf Abkommensebene vor Augen.1717 1709 Vgl. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d EStG Rn. 40. 1710 Folglich lässt sich auch von Outbound-Konstellationen sprechen. 1711 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d EStG Rn. 40. 1712 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d EStG Rn. 40a; Wagner, in: Brandis/Heuermann, § 50d EStG Rn. 109. 1713 BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1. Dazu Hummel, IStR 2016, 335; Lehner, in: Vogel/Lehner, DBA, Grundlagen des Abkommensrechts Rn. 194; Musil, FR 2016, 297. Vgl. vormals noch Gebhardt, IStR 2011, 58, 59 f. 1714 Mit dem BEPS-Umsetzungsgesetz v. 20.12.2016 wurde in § 50d Abs. 9 S. 1 EStG wurde das Wort „wenn“ gegen das Wort „soweit“ ausgetauscht. Außerdem wur­ de § 50d Abs. 9 S. 4 EStG eingefügt. Damit wurde auf die Rechtsprechung des BFH reagiert, siehe BFH, Urt. v. 20.5.2015 – I R 68/14, BStBl. II 2016, 90 sowie BFH, Urt. v. 20.5.2015 – I R 69/14, BFH/NV 2015, 1395. 1715 Wagner, in: Brandis/Heuermann, § 50d EStG Rn. 123. 1716 Die zweite Alternative, dass die Einkünfte auch nur zu einem durch das Abkom­ men begrenzten Steuersatz besteuert werden können, ist für Zwecke der hier be­ handelten Fragestellung vernachlässigbar. 1717 Kahlenberg, IStR 2018, 93, 98.

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Nach § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG bedarf es Einkünften, die im anderen Staat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, „[…] weil sie von einer Person bezogen werden, die in diesem Staat nicht auf Grund ihres Wohnsitzes, ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung, des Sitzes oder eines ähnlichen Merkmals unbeschränkt steuerpflichtig ist“. Mit anderen Worten bedarf es hier einer Person, die im anderen Staat beschränkt steu­ erpflichtig ist. Ihre Einkünfte werden dort nicht besteuert. Sie würden dort aber besteuert werden, wenn die Person unbeschränkt steuerpflichtig wä­ re.1718 Die Einkünfte sind folglich nur deshalb nicht steuerpflichtig, weil sie im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nicht erfasst werden.1719 2. Abgleich mit Art. 9 Abs. 5 ATAD Teilen der Literatur zufolge wird Art. 9 Abs. 5 ATAD im Wesentlichen durch die Regelungen des § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 und 2 EStG abgebil­ det.1720 Im Folgenden wird diese Schlussfolgerung überprüft. Dazu ist sich zunächst noch einmal vor Augen zu führen, welche Konstellationen durch Art. 9 Abs. 5 ATAD erfasst werden. Das sind hybride Gestaltun­ gen, die zu Einkünften einer unberücksichtigten Betriebsstätte führen.1721 Unter einer unberücksichtigten Betriebsstätte ist nach Art. 2 Abs. 9 Un­ terabs. 3 lit. n) ATAD jede Gestaltung zu verstehen, „[…] die so be­handelt wird, als führe sie zu einer Betriebsstätte nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets des Hauptsitzes, und die nach den Rechtsvorschriften des anderen Steuergebiets nicht als Betriebsstätte behandelt wird“.

Abbildung 38:  Unberücksichtigte Betriebsstätte 1718 Wagner, in: Brandis/Heuermann, § 50d EStG Rn. 119. 1719 Vgl. etwa den Katalog des § 49 EStG. 1720 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 239 u. 242 f.; Zinowsky/Jochimsen, ISR 2017, 325, 334. A.A. Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 236. 1721 Im OECD-Bericht wird die Konstellation unter dem Begriff der „Disregarded Branch Structures“ geführt, dazu Kapitel 1 - B.II.1.c)cc).

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

Wie bereits herausgearbeitet wurde, entsteht die Besteuerungsinkongru­ enz in solchen Gestaltungen dadurch, dass in Steuergebiet B die Voraus­ setzungen des nationalen Betriebsstättenbegriffs nicht erfüllt sind, wäh­ rend Steuergebiet A nach nationalem Recht von einer Betriebsstätte ausgeht.1722 Darüber hinaus geht Steuergebiet A davon aus, dass die Ein­ künfte abkommensrechtlich freizustellen sind, weil aus Sicht dieses Staates eine Betriebsstätte im abkommensrechtlichen Sinne (vgl. Art. 5 OECD-MA) vorliegt.1723 a) § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 EStG Vor diesem Hintergrund muss hinterfragt werden, ob „unberücksichtigte Betriebsstätten“ unter § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 EStG fallen.1724 Ohne Zwei­ fel zielt die Vorschrift auf Qualifikationskonflikte auf Abkommensebene ab.1725 Der Grund für die Besteuerungsinkongruenz liegt bei unberück­ sichtigten Betriebsstätten allerdings im nationalen Recht. Dass die Ein­ künfte im anderen Staat von der Besteuerung auszunehmen sind, ergibt sich nicht aus einer bestimmten Anwendung des Doppelbesteuerungsab­ kommens. Vielmehr sind die Einkünfte mangels Betriebsstätte erst gar nicht steuerpflichtig. Eine Ursache für die Freistellung bzw. Nichtbe­ steuerung im nationalen Recht ist für die Anwendung von § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 EStG nicht ausreichend.1726 Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch dann nicht, wenn man auch derivative Qualifikationskonflikte im engeren Sinne als von der Vorschrift erfasst ansieht.1727 Dazu müsste sich der im nationalen Recht bestehende Qualifikationskonflikt auf Abkommensebene fortsetzen und dort zur ab­ kommensrechtlichen Freistellung der Einkünfte führen. Dies ist jedoch aus zweierlei Gründen nicht der Fall: Liegt nach nationalem Recht keine Betriebsstätte vor, so besteht kein Anknüpfungspunkt für eine be­ schränkte Steuerpflicht.1728 Infolgedessen entsteht kein Steueranspruch des anderen Staates. Mangels Kollision zweier Steueransprüche stellt sich aus seiner Sicht gar nicht erst die Frage, ob ein DBA ihm das Besteu­

1722 Kapitel 1 - B.I.2.c)cc)(1). 1723 Vgl. auch OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 14 f. („for domestic law purposes“). 1724 So Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 239 u. 242 f. Nicht zwischen Nr. 1 und Nr. 2 differenzierend Zinowsky/Jochimsen, ISR 2017, 325, 334. 1725 Kahlenberg, IStR 2018, 93, 98; Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 236. 1726 Vgl. BFH, Urt. v. 6.6.2012 – I R 6, 8/11, BStBl. II. 2012, 111; BFH, Urt. v. 24.8.2011 – I R 46/10, BStBl. II 2014, 764; BFH, Urt. v. 11.7.2018 – I R 52/16, BSt­ Bl. II 2019, 105. So auch Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d EStG Rn. 41. 1727 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 239. 1728 Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, S. 5.

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erungsrecht zuweist – es besteht ohnehin keines.1729 Überdies könnte sich der Konflikt schon deshalb nicht auf Abkommensebene fortsetzen, weil der Betriebsstättenbegriff eigenständig in den Doppelbesteuerungs­ abkommen definiert ist (Art. 5 OECD-MA). Er ist deshalb losgelöst vom nationalen Recht, mithin abkommensautonom auszulegen (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA).1730 Zusammengefasst ergibt sich die „Nichtbesteuerung“ nicht erst aus ei­ ner bestimmten Abkommensanwendung, sondern schon aus der fehlen­ den beschränkten Steuerpflicht. Da der Wortlaut des § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 EStG explizit ersteres fordert, gibt er die Erfassung unberücksich­ tigter Betriebsstätten nicht her. Da hier der Wortlaut als äußerste Grenze der Auslegung1731 überschritten ist, kann weder im Wege der richtlinien­ orientierten noch der richtlinienkonformen Auslegung ein anderes Er­ gebnis hergeleitet werden. Keine der beiden Varianten vermag die inner­ staatliche Methodik außer Kraft zu setzen.1732 b) § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG Auch § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG wird teilweise in Betracht gezogen, um die Vorgaben des Art. 9 Abs. 5 ATAD zu erfüllen.1733 Die Vorschrift er­ fasst Fälle, in denen die Einkünfte im anderen Staat nicht im Rahmen der dort bestehenden beschränkten Steuerpflicht erfasst werden, wohinge­ gen sie – eine unbeschränkte Steuerpflicht unterstellt – erfasst wür­ den.1734 Andere Gründe als die fehlende unbeschränkte Steuerpflicht sind unbeachtlich.1735 Entsprechend können unberücksichtigte Betriebsstät­ ten im Sinne von Art. 9 Abs. 5 ATAD auch nicht unter § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG gefasst werden.1736 Der Grund für die Inkongruenz liegt hier bereits in der fehlenden beschränkten Steuerpflicht und nicht erst darin, dass die Einkünfte trotz beschränkter Steuerpflicht nicht erfasst werden. Anders gewendet: Eine Besteuerung im anderen Staat ist nicht erst bei unbeschränkter Steuerpflicht zu erwarten. Sie wäre bereits dann zu er­ warten, wenn der andere Staat von einer Betriebsstätte als hinreichen­ dem Anknüpfungspunkt für eine beschränkte Steuerpflicht ausginge. Die Wortlautgrenze ist auch hier überschritten. § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 1729 Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 19.15 sowie 19.32. 1730 Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, S. 7. 1731 BVerfG, Urt. v. 23.10.1985 – 1 BvR 1053/82, BVerfGE 71, 108, 115; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Rn. 304 ff. 1732 Kapitel 3 - A.I.2.a). 1733 Dies jedenfalls in Betracht ziehend, jedoch i.E. ablehnend Kahlenberg/Radma­ nesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 236. Offen: Kaminskiy, Korrespondenz­ regelungen, S. 239 ff.; Zinowsky/Jochimsen, ISR 2017, 325, 334. 1734 Wagner, in: Brandis/Heuermann, § 50d EStG Rn. 119. 1735 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d EStG Rn. 41d. 1736 So i.E. auch Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 236.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

EStG geht klar von einer Monokausalität aus („[…] nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil […]“). 3. Folgerungen Damit erfüllen weder § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 EStG noch § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG die Anforderungen, die Art. 9 Abs. 5 ATAD an den nationalen Gesetzgeber stellt. An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass die verbleibende Schutzlücke teilweise auf Abkommensebene geschlos­ sen wird. In der deutschen Verhandlungsgrundlage1737 wie auch in neue­ ren Doppelbesteuerungsabkommen finden sich sog. Subject to tax-Klau­ seln1738. Hiernach werden von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer nur die Einkünfte ausgenommen, die nach dem jeweiligen Ab­ kommen auch tatsächlich im anderen Vertragsstaat besteuert werden.1739 In den Art. 9 Abs. 5 ATAD zugrundeliegenden Fällen findet im (ver­ meintlichen) Betriebsstättenstaat gerade keine tatsächliche Besteuerung nach dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen statt. Die Freistel­ lung kann in diesen Fällen auf Abkommensebene versagt werden.1740 Sol­ che Subject to tax-Klauseln wurden indes noch nicht in alle Doppelbe­ steuerungsabkommen übernommen.1741 4. Ergebnis Die Vorgaben von Art. 9 Abs. 5 ATAD werden nicht durch § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 bzw. 2 EStG erfüllt. Die adressierten Besteuerungsinkongruen­ zen können allenfalls auf Abkommensebene neutralisiert werden.

IV. § 26 Abs. 2 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG Art. 9 Abs. 6 ATAD sieht eine Begrenzung der Quellensteueranrechnung für Fälle eines TC/TC-Ergebnisses, also einer doppelten Quellensteuer­ anrechnung, vor. Hiernach hat der Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen den Vorteil „[…] im Verhältnis zu den steuerpflichtigen Nettoeinkünften 1737 Art. 22 Abs. 1 Nr. 5 lit. a) der deutschen Verhandlungsgrundlage. Abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/​ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Allgemeine_Informationen/2013-08-22-Ver​ hand​lungsgrundlage-DBA-deutsch.pdf;jsessionid=0D8FA6208F00162619A5F1B1​C​ D3F230A.delivery2-replication?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt abgerufen am 12. November 2021). 1738 Dazu Rombach, FR 2019, 167, 171 f. 1739 Siehe beispielsweise Art. 22 Abs. 1 lit. a) DBA-Niederlande; Art. 22 Abs. 1 lit. a) DBA-Bulgarien; Art. 23 Abs. 1 lit. a) DBA-Großbritannien; Art. 22 Abs. 1 lit. a) DBA-Luxemburg; Art. 22 Abs. 2 lit. a) DBA-Spanien. 1740 Vgl. Kahlenberg, IStR 2018, 93, 98; Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kom­ mentar, Art. 9 Rn. 236. 1741 Vgl. Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 236.

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im Zusammenhang mit der Zahlung zu begrenzen“.1742 Die Richtlinien­ vorgaben könnten durch § 26 Abs. 2 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG abgedeckt werden.1743 1. Überblick Erwirtschaftet ein unbeschränkt Steuerpflichtiger Einkünfte in einem anderen Staat und wird er dort zu einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer herangezogen, kann er gemäß § 34c Abs. 1 S. 1 EStG die im Ausland entrichtete Steuer auf die deutsche Einkommen­ steuer anrechnen.1744 Mit der Vorschrift soll juristische Doppelbesteue­ rung unilateral vermieden werden.1745 Etwaige bilaterale Regelungen in einem Doppelbesteuerungsabkommen genießen als spezialgesetzliche Regelungen Anwendungsvorrang gegenüber § 34c Abs. 1 EStG.1746 Die Vorschrift kommt folglich originär zur Anwendung, wenn kein Doppel­ besteuerungsabkommen anwendbar ist1747 oder regelmäßig ergänzend, wenn das Doppelbesteuerungsabkommen die Anrechnungsmethode vor­ sieht1748. Damit sich eine höhere Steuerbelastung im Ausland nicht zu Lasten des inländischen Steueraufkommens auswirkt, sieht § 34c Abs. 1 S. 2 EStG einen Anrechnungshöchstbetrag vor.1749 Im Bereich der Körperschaftsteuer findet § 34c EStG über § 26 KStG An­ wendung.1750 Die Berechnung des Anrechnungshöchstbetrages ist für die­ sen Bereich eigenständig in § 26 Abs. 2 S. 1 KStG geregelt.1751 Hiernach ist die sich bei der Veranlagung des zu versteuernden Einkommens, ein­ schließlich der ausländischen Einkünfte, ergebende deutsche Körper­ schaftsteuer im Verhältnis der ausländischen Einkünfte zur Summe der Einkünfte aufzuteilen. Das stellt sich als folgende Formel dar:

1742 Kapitel 2 - B.II.5. 1743 Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 239; Kaminskiy, Kor­ respondenzregelungen, S. 246 ff. 1744 Keuthen, Die Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung im EG-Binnen­ markt, S. 29 ff. 1745 Wagner, in: Brandis/Heuermann, § 34c EStG Rn. 8. 1746 BFH, Urt. v. 15.3.1995 – I R 98/94, BStBl. II 1995, 580; BFH, Urt. v. 19.4.1999 – I B 141/98, BFH/NV 1999, 1317. 1747 § 34c Abs. 6 S. 1 EStG. Eine Aufzählung der in Betracht kommenden Staaten findet sich in Anlage 6 zu den EStR 2012. 1748 § 34c Abs. 6 S. 2, 3 EStG. Reese/Hehlmann, IStR 2015, 461, 461. 1749 Ismer, IStR 2013, 297, 298 f. 1750 Kuhn, in: HHR, § 34c EStG Rn. 50. 1751 Kritisch zur Berechnung im Bereich der Einkommensteuer Desens, IStR 2015, 77, 79 ff.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

Der Anrechnungshöchstbetrag ist für jeden Staat einzeln zu berechnen (sog. per-country-limitation).1752 Für einzelne Einkunftsarten oder gar Ein­ kunftsquellen ist dagegen keine gesonderte Höchstbetragsberechnung vorzunehmen (sog. per-item-limitation).1753 Bei der Ermittlung der auslän­ dischen Einkünfte müssen gem. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG Betriebs­ausgaben abgezogen werden, die mit ausländischen Einnahmen in wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Mit der in 2003 eingefügten Vorschrift wurde auf die Rechtsprechung des BFH reagiert, wonach nur Betriebsausgaben abzo­ gen werden konnten, die konkret den ausländischen Einnahmen zugeord­ net werden konnten.1754 Während der Gesetzgeber mit der Änderung vor allem Refinanzierungskosten vor Augen hatte1755, geht die Interpretation der Vorschrift mittlerweile so weit, dass nach dem Veranlassungsprinzip auch Teile der Gemeinkosten zu berücksichtigen sind.1756 Dadurch verrin­ gert sich der Anrechnungshöchstbetrag.1757 Die Ausweitung des § 34c Abs. 1 S. 4 EStG sieht sich vor allem in uni­ onsrechtlicher Hinsicht Kritik ausgesetzt. Zwar ist es unionsrechtlich zulässig, dass kein überschießender ausländischer Steuerbetrag vergütet wird.1758 Die Zuordnung von mittelbaren Aufwendungen zu den auslän­ dischen Einnahmen bewirke unter Umständen jedoch eine doppelte Nichtberücksichtigung von Betriebsausgaben. Diese Situation trete ins­ besondere dann ein, wenn der Quellenstaat bei der Berechnung der Steu­ erbemessungsgrundlage für den Quellensteuerabzug die mittelbaren Aufwendungen nicht berücksichtige, Deutschland als Ansässigkeitsstaat jedoch bei der Ermittlung des Höchstbetrags der anrechenbaren ausländi­ schen Quellensteuer die Bruttoeinnahmen aus dem Ausland um anteili­ ge mittelbare Aufwendungen kürze. Im Ergebnis werden die Aufwendun­ gen dann weder vom Quellenstaat noch von Deutschland berücksichtigt. Damit habe Deutschland mit § 34c Abs. 1 S. 4 EStG eine grundfreiheits­ widrige Vorschrift geschaffen, durch welche eine Doppelbesteuerung erst herbeigeführt wird.1759 1752 § 34c Abs. 7 Nr. 1 EStG i.V.m. § 68a S. 2 EStDV. 1753 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 246. 1754 BFH, Urt. v. 16.3.1994 – I R 42/93, BStBl. II 1994, 799; BFH, Urt. v. 9.4.1997 – I R 178/94, BStBl. II 1997, 657; BFH, Urt. v. 29.3.2000 – I R 15/99, BStBl. II 2000, 577. Zur Kritik Ebel, FR 2016, 241, 249 f. („fiskalisch motivierter Systembruch“); Reese/Hehlmann, IStR 2015, 461, 466 f. 1755 BT-Drs. 15/119, S. 40. 1756 BFH, Urt. v. 6.4.2016 – I R 61/14, BStBl. II 2017, 48 – Rn. 28 ff.; BFH, Urt. v. 18.4.2018 – I R 37/16, BStBl. II 2019, 73 – Rn. 21 ff. Vgl. Wacker, BB 2018, 2519, 2528; EY GmbH, IStR 2016, 922, 923 ff. 1757 Kuhn, in: HHR, § 34c EStG Rn. 94 1758 EuGH, Urt. v. 20.5.2008, C-194/06, ECLI:EU:C:2008:289 – Orange European Smallcap Fund, Rn. 21 ff.; Kuhn, in: HHR, § 34c EStG Rn. 79. 1759 Reese/Hehlmann, IStR 2015, 461, 461 ff. Ferner Lüdicke/Jorewitz, IStR 2011, 390, 390 f.

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B.  Vor Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft getretene Vorschriften

2. Abgleich mit Art. 9 Abs. 6 ATAD Gestaltungen mit hybriden Übertragungen, bei denen es zu einer doppel­ ten Quellensteueranrechnung kommt, sind vor allem aus zwei Gründen vorteilhaft: Zum einen rechnen zwei unterschiedliche Staaten die Wert­ papiere jeweils zwei unterschiedlichen Personen gleichzeitig zu. Deshalb kommen zwei Personen in den Genuss der Quellensteueranrechnung. Zweitens – und das ist hier entscheidend – kommt es bei einer Person zu einem Anrechnungsübergang: Es wird letztlich mehr Quellensteuer an­ gerechnet als tatsächlich im Inland Steuer entsteht. Zu diesem Anrech­ nungsüberhang kommt es, weil die in Rede stehende Person den vollen, auf die „Bruttozahlung“ entfallenden Quellensteuerbetrag anrechnen kann, obwohl sie bei der Ermittlung ihrer Einkünfte die damit in Zusam­ menhang stehende Ausgleichszahlung an eine andere Person zum Abzug bringen kann. Wenn man so will wird im Inland das „Netto“ versteuert, darauf jedoch eine Steuer auf das „Brutto“ angerechnet.1760 Diese Situation wird durch den oben dargestellten Anrechnungshöchst­ betrag vermieden. Entscheidend ist nämlich, dass bei der Berechnung der Höhe der Quellensteueranrechnung eine etwaige Ausgleichszahlung be­ rücksichtigt werden kann. Möglich macht dies der § 34c Abs. 1 S. 4 EStG.1761 Zur Verdeutlichung im Ausgangspunkt noch einmal das Beispiel aus Ka­ pitel 1 bemüht. Bei der B-Co soll es sich dabei nunmehr um eine in Deutschland ansässige B-GmbH handeln. Der Körperschaftsteuersatz be­ trägt nunmehr 15 %.1762 Beispiel 10: Die in Staat A ansässige A-Co überlässt der in Deutschland ansässigen B-GmbH Wertpapiere (zum Beispiel Anleihen1763).1764 Der Emittent der Anleihen leistet eine Zinszahlung in Höhe von 100 GE an die B-GmbH, wovon 10 GE Quellensteu­ er einbehalten werden. Die 90 GE, die bei der B-GmbH ankommen, leistet sie als Zinsausgleichszahlung für die Überlassung der Wertpapiere an die A-Co. Die B-GmbH kann auf die erhaltene Zinszahlung in Höhe von 100 GE die Zahlung in Höhe von 90 GE an die A-Co zum Abzug bringen. Letztlich unterliegen also 10 GE der Steuer zu einem Steuersatz in Höhe von angenommen 15 %. Die Steuerlast beträgt damit zunächst 1,5 GE. Der OECD-Bericht wie auch die ATAD haben nun Konstellationen vor Augen, in denen die 10 GE Quellensteuer voll angerechnet

1760 Vgl. Reese/Hehlmann, IStR 2015, 461, 461 („Bruttobesteuerung“). 1761 So auch Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 247 f. 1762 Siehe auch das gleich gelagerte Beispiel bei Kaminskiy, Korrespondenzregelun­ gen, S. 247 f. 1763 Zum Begriff der Anleihe Schubert, in: BeBiKo, § 266 HGB Rn. 212 ff. 1764 Das Beispiel ist angelehnt an OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Ge­ staltungen, S. 301 ff. Beispiel 2.2. Ähnlich deshalb auch Kaminskiy, Korrespon­ denzregelungen, S. 247 f.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I werden können. Was ergibt sich jedoch nun bei Anwendung von § 26 Abs. 2 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG?

Abbildung 39:  § 26 Abs. 2 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG

Die B-Co hat in Deutschland letztlich 10 GE1765 zu 15 % zu versteu­ ern.1766 Daraus resultiert eine Körperschaftsteuer in Höhe von 1,5 GE. Für die Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrages werden die 1,5 GE nun im Verhältnis der ausländischen Einkünfte (10 GE) zur gesamten Summe der Einkünfte (10 GE) aufgeteilt. Dies stellt sich wie folgt dar:

Es ergibt sich folglich ein Anrechnungshöchstbetrag in Höhe von 1,5 GE. Ein Anrechnungsüberhang wird dadurch vermieden. Es kann deshalb geschlussfolgert werden, dass durch § 26 Abs. 2 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG den Anforderungen des Art. 9 Abs. 6 ATAD Rechnung getragen wird. Zwar schreibt die Richtlinie eine Be­ grenzung der Quellensteueranrechnung für jede Einkunftsquelle geson­ dert vor. Letztlich führt dies jedoch zu keinem anderen Ergebnis.1767 Es besteht deshalb kein Umsetzungsbedarf im Hinblick auf Art. 9 Abs. 6

1765 100 GE erhaltene Zinszahlung abzüglich 90 GE für die Ausgleichszahlung. 1766 Auf den Solidaritätszuschlag wird aus Vereinfachungsgründen nicht eingegan­ gen. 1767 Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 239; Kaminskiy, Kor­ respondenzregelungen, S. 248 f.

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B.  Vor Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft getretene Vorschriften

ATAD. Die Richtlinienvorgaben werden durch § 26 Abs. 2 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG bereits hinreichend abgebildet.1768 3. Folgerungen Man könnte deshalb folgern, dass § 26 Abs. 2 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG ab dem Erlass der ATAD II in den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 6 ATAD fällt und deshalb als Umsetzungsmaßnahme be­ trachtet werden muss. Dies hätte zur Folge, dass die Vorschrift im Sinne der Solange II-Rechtsprechung nunmehr ausschließlich anhand des Uni­ onsrechts zu überprüfen ist. Die bereits bestehenden Bedenken im Hin­ blick auf die Vereinbarkeit des § 34c Abs. 1 S. 4 EStG mit dem Unions­ primärrecht wären dann jedenfalls im Bereich der Körperschaftsteuer gegen die ATAD II vorzubringen (verfahrensrechtliche Immunisierungs­ wirkung).1769 § 34c Abs. 1 S. 4 EStG überschreitet jedoch in sachlicher Hinsicht deut­ lich den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 6 ATAD: Während die Richtlinienvorgaben lediglich eine Begrenzung des Anrechnungsbetrages im Falle hybrider Übertragungen fordern, statuiert § 34c Abs. 1 S. 4 EStG allgemein, dass wirtschaftlich in Zusammenhang stehende Aufwendun­ gen bei der Ermittlung der Einkünfte abzuziehen sind. Da der wirtschaft­ liche Zusammenhang im Sinne des Veranlassungsprinzips zu beurteilen ist, sind mittlerweile sogar Gemeinkosten anteilig zu berücksichtigen.1770 Dadurch kommt es zu einer umfassenderen Minderung des Anrech­ nungsvolumens als es durch die ATAD vorgegeben wird. § 26 Abs. 2 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG verlässt damit den Anwendungsbe­ reich der ATAD und ist als überschießende Richtlinienumsetzung wei­ terhin (auch) anhand des Verfassungsrechts zu überprüfen; die Richtlinie entfaltet keinerlei Immunisierungswirkung. 4. Ergebnis Im Hinblick auf Art. 9 Abs. 6 ATAD besteht keinerlei Handlungsbedarf im nationalen Recht. Die Richtlinienvorgaben werden durch § 26 Abs. 2 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG abgedeckt.1771 Die Vorschrift stellt 1768 So auch Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 239; Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 249 f.; Niedling/Rautenstrauch, BB 2017, 1500, 1504. 1769 Kapitel 3 - A.I.2.b). 1770 BFH, Urt. v. 6.4.2016 – I R 61/14, BStBl. II 2017, 48 – Rn. 28 ff.; BFH, Urt. v. 18.4.2018 – I R 37/16, BStBl. II 2019, 73 – Rn. 21 ff. Vgl. Wacker, BB 2018, 2519, 2528. 1771 So auch Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 239; Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 249 f.; Niedling/Rautenstrauch, BB 2017, 1500, 1504.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

sich jedoch als überschießende Richtlinienumsetzung dar. Ihre Verein­ barkeit mit höherrangigem Recht ist daher nicht anders als bislang zu beurteilen.

V. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG wurde im Jahr 2001 durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts eingeführt.1772 Die Vor­ schrift blieb praktisch zunächst weitgehend bedeutungslos.1773 Dies än­ derte sich mit einer Novellierung im Jahr 2013 durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts1774, die zu einer Erweiterung des Anwen­ dungsbereichs führte.1775 Die Vorschrift hat vor allem doppelt ansässige Rechtsträger vor Augen.1776 Sie soll im Rahmen einer Organschaft aus­ schließen, dass Verluste des Organträgers mehrfach berücksichtigt wer­ den können, weil dieser in verschiedenen Ländern in eine Gruppen­ besteuerung einbezogen ist.1777 Nachdem in 2013 der sog. doppelte Inlandsbezug1778 nunmehr auch für die Organgesellschaft aufgegeben wurde, erschien auch insoweit eine doppelte Verlustnutzung denkbar. In der Folge wurde § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG auch auf Organgesellschaften ausgedehnt.1779 1. Überblick Nach § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG bleiben negative Einkünfte eines Or­ ganträgers oder der Organgesellschaft bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt, soweit sie in einem ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer ande­ ren Person berücksichtigt werden. Ebenso wie § 4i EStG schreibt die Vor­ schrift lediglich eine Rechtsfolge vor, weshalb die Tatbestandsvorausset­ zungen mittelbar aus dem gesetzessystematischen Zusammenhang und dem historischen Willen des Gesetzgebers abgeleitet werden müssen.1780

1772 UntStFG v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, 3858. 1773 Dötsch/Pung, DB 2013, 305, 312. 1774 UntStReisKÄndG v. 20.2.2013, BGBl. I 2013, 285. 1775 Neumann, in: Gosch, KStG, § 14 Rn. 474 f. 1776 BT-Drs. 14/6882, S. 37 sowie BT-Drs. 17/10774, S. 20. 1777 BT-Drs. 17/10774, S. 20. 1778 Gemeint ist damit, dass eine Gesellschaft sowohl ihren Sitz als auch ihre Ge­ schäftsleitung im Inland haben muss, siehe BMF, Schr. v. 28.3.2011 – IV C 2 – S 2770/09/10001, BStBl. I 2011, 300. 1779 BT-Drs. 17/10774, S. 20. 1780 Kolbe, in: HHR, § 14 KStG Rn. 260 („gleich einem Ratespiel für den Gesetzesanwender“).

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B.  Vor Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft getretene Vorschriften

Hieraus ergeben sich vielfältige Auslegungsprobleme, die folgend nur kursorisch angerissen werden. In sachlicher Hinsicht bedarf es zunächst negativer Einkünfte des Organ­ trägers oder der Organgesellschaft. Der Wortlaut impliziert hier klar eine isolierte Betrachtung jeweils des Organträgers und der Organgesellschaft (sog. Stand alone-Betrachtung).1781 In der Folge müsste es ausreichen, dass die Organgesellschaft negative Einkünfte erwirtschaftet hat. Diese müssten unberücksichtigt bleiben, gleich, ob durch die Konsolidierung beim Organträger schließlich ein positives oder negatives Gesamtergeb­ nis entsteht.1782 Dasselbe gälte dann auch für Einkünfte, die originär vom Organträger erwirtschaftet wurden.1783 Diese weite Interpretation wird in unterschiedlicher Weise einge­ schränkt. Nach Ansicht der Rechtsprechung ist lediglich auf den Organträger abzustellen. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG kann demnach nur zur Anwendung gelangen, wenn bei ihm ein negatives Gesamtergebnis ent­ steht.1784 Anderenfalls sind etwaige negative Einkünfte einer Organge­ sellschaft irrelevant.1785 Hinsichtlich des Organträgers wird zudem gefordert, dass bei ihm nur negative Einkünfte im Rahmen der Organschaft berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass das negative Ergebnis eben aus der Zurechnung der Einkünfte der Organgesellschaft herrühren muss; resultiert es hingegen aus einer originären Tätigkeit des Organträgers, so fällt es insoweit nicht in den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG.1786 Die negativen Einkünfte müssen im ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung berücksichtigt werden. Darunter ist eine Einbeziehung in die Steuerbemessungsgrundlage zu verstehen.1787 Nur tarifliche Auswir­ kungen reichen nicht.1788 Diskutiert wird auch, ob die Erhöhung eines Verlustvortrags für eine Berücksichtigung ausreicht. Überwiegend wird eine Besteuerung erst dann bejaht, wenn sich der Verlustvortrag auch

1781 Benecke/Schnitger, IStR 2013, 143, 145 f.; Kaminskiy, Korrespondenzregelun­ gen, S. 253; Kolbe, in: HHR, § 14 KStG Rn. 260; Neumann, in: Gosch, KStG, § 14 Rn. 494; Weinberger, IStR 2017, 970, 972 ff. 1782 Benecke/Schnitger, IStR 2013, 143, 145 f. 1783 Neumann, in: Gosch, KStG, § 14 Rn. 480a. 1784 BFH, Urt. v. 12.10.2016 – I R 92/12, BFH/NV 2017, 685, Rn. 49. 1785 So bereits Gründig/Schmid, DStR 2013, 617, 619; Krumm, in: Brandis/Heuer­ mann, § 14 KStG Rn. 218; Schaden/Polatzky, IStR 2013, 131, 136. Zustimmend Rödder, in: FS BFH, S. 1099, 1104. 1786 Jesse, FR 2013, 629, 637 f.; Kolbe, in: HHR, § 14 KStG Rn. 275. A.A. Schneider/ Schmitz, GmbHR 2013, 281, 283. 1787 Krumm, in: Brandis/Heuermann, § 14 KStG Rn. 221. 1788 Neumann, in: Gosch, KStG, § 14 Rn. 482; Ritzer/Aichberger, DK 2013, 602, 607.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

tatsächlich auswirkt, indem er später mit positiven Einkünften verrech­ net wird.1789 In persönlicher Hinsicht verrät die systematische Stellung der Vorschrift, dass ein Organschaftsverhältnis im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG erforderlich ist.1790 Die Anwendung auf eine Personengesellschaft als Or­ ganträger wird vor dem Hintergrund ihrer steuerlichen Transparenz überwiegend abgelehnt.1791 Liegen eben genannte Voraussetzungen vor, so sind die negativen Ein­ künfte insoweit nicht bei der inländischen Besteuerung zu berücksichti­ gen.1792 Es ist nicht möglich, die Verluste vorzutragen und gegebenenfalls später mit positiven Einkünften zu verrechnen.1793 Eine ausnahmsweise Berücksichtigung der Verluste kann sich aus der Rechtsprechung zu den finalen Verlusten ergeben.1794 2. Abgleich mit Art. 9b ATAD § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG zielt auf DD-Ergebnisse ab, die im Wesentli­ chen durch doppelt ansässige Rechtsträger entstehen.1795 Ein Abgleich mit Art. 9b ATAD liegt daher nahe. Wie auch bei § 4i EStG könnte der in hohem Maße unbestimmte Tatbestand des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG nunmehr richtlinienkonform auszulegen sein. Die nationale Vorschrift liegt jedoch noch weiter von den Richtlinienvorgaben entfernt als besag­ ter § 4i EStG.1796 Dies beginnt bereits ganz grundsätzlich mit dem Abstellen auf Verluste als Saldo, statt auf Betriebsausgaben. Den Vorgaben des Art. 9b ATAD 1789 Benecke/Schnitger, IStR 2013, 143, 149 f.; Jesse, FR 2013, 629, 638; Neumann, in: Gosch, KStG, § 14 Rn. 484. 1790 Die systematische Stellung ist gleichwohl schon deshalb verfehlt, weil sie impli­ ziert, dass § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG (wie die Nummern 1 bis 4 auch) eine Vor­ aussetzung für das Bestehen einer Organschaft darstellt. Vielmehr setzt § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG das Bestehen eines Organschaftsverhältnisses voraus, Kolbe, in: HHR, § 14 KStG Rn. 261. 1791 Schaden/Polatzky, IStR 2013, 131, 136. A.A. Neumann, in: Gosch, KStG, § 14 Rn. 479. Nunmehr auch Krumm, in: Brandis/Heuermann, § 14 KStG Rn. 220. Of­ fen Benecke/Schnitger, IStR 2013, 143, 146 f. 1792 Neumann, in: Gosch, KStG, § 14 Rn. 493 f. 1793 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 254 f.; Kolbe, in: HHR, § 14 KStG Rn. 280; Krumm, in: Brandis/Heuermann, § 14 KStG Rn. 222. 1794 So auch Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 255. 1795 BT-Drs. 14/6882, S. 37 sowie BT-Drs. 17/10774, S. 20. Der Anwendungsbereich erschöpft sich nach h.M. gleichwohl nicht in doppelansässigen Gesellschaften, dazu Benecke/Schnitger, IStR 2013, 143, 147; Gründig/Schmid, DStR 2013, 617, 619; Krumm, in: Brandis/Heuermann, § 14 KStG Rn. 219; Schneider/Schmitz, GmbHR 2013, 281, 282. A.A. Schaden/Polatzky, IStR 2013, 131, 135 f. 1796 Siehe auch den Abgleich bei Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 255 ff.

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B.  Vor Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft getretene Vorschriften

zufolge könnte es zur Versagung des Betriebsausgabenabzugs kommen, auch wenn sich am Ende ein Gewinn ergibt. Dann ist § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG jedoch nicht anwendbar, auch wenn einzelne Aufwendungen doppelt berücksichtigt wurden.1797 Insoweit bleibt die nationale Vor­ schrift hinter den Richtlinienvorgaben zurück. Die Richtlinienvorgabe, eine Verrechnung der Betriebsausgaben mit dop­ pelt berücksichtigten Betriebseinnahmen zuzulassen1798, kann wegen des Abstellens auf Verluste nur bedingt abgeglichen werden. Zwar könnte man argumentieren, dass doppelt berücksichtigte Einnahmen bei der Er­ mittlung der Einkünfte ausgeglichen werden können. Das eigentliche Pendant zu doppelt berücksichtigten Verlusten sind jedoch doppelt be­ rücksichtigte Gewinne. Diese können in späteren Veranlagungszeiträu­ men nicht ausgeglichen werden. Mit der Anwendung von § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG gehen die betroffenen Verluste endgültig unter.1799 In persönlicher Hinsicht ist § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG enger als Art. 9b ATAD gefasst. Während die Richtlinie diesbezüglich einschränkungslos gilt1800, so ist auf nationaler Ebene die Einbindung in eine Organschaft erforderlich. Hierzu bedarf es insbesondere einer „finanziellen Eingliede­ rung“, also einer Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an der Organge­ sellschaft.1801 Schließlich unterscheidet die Rechtsfolge des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG nicht danach, ob es sich beim anderen Staat um einen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat handelt. Im Falle, dass es sich um einen Mitgliedstaat handelt, erklärt Art. 9b S. 2 ATAD das einschlägige Doppelbesteuerungs­ abkommen für maßgeblich, was im Einzelfall zur Nichtanwendung der Regelung führen kann. Die nationale Vorschrift kommt hingegen stets zur Anwendung.1802 3. Folgerungen Es konnte gezeigt werden, dass sich § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG in vielen Punkten von den Art. 9b ATAD unterscheidet. In einigen Punkten er­ scheint die Vorschrift strenger, in anderen wiederum milder als die Richtlinienvorgabe. Schon das Abstellen auf Verluste verhindert einen genauen Vergleich. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG wird damit vom Sekun­ därrecht in keinerlei Hinsicht beeinflusst. Es ist weder eine richtlinien­ 1797 Benecke/Schnitger, IStR 2013, 143, 145 f. 1798 Kapitel 2 - B.II.2.a)cc). 1799 Kolbe, in: HHR, § 14 KStG Rn. 280; Krumm, in: Brandis/Heuermann, § 14 KStG Rn. 222. 1800 Kapitel 2 - B.II.2.a)aa). 1801 Näher dazu Kolbe, in: HHR, § 14 KStG Rn. 100 ff. 1802 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 258 f.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

konforme noch richtlinienorientierte Auslegung geboten. Die Vorschrift ist weiterhin aus verfassungsrechtlicher1803 wie auch unionsrechtli­ cher1804 Perspektive zweifelhaft. In grundfreiheitlicher Hinsicht kann aufgrund besagter struktureller Un­ terschiede zwischen der nationalen Norm und der ATAD nur bedingt auf die Ausführungen in Kapitel 3 zurückgegriffen werden. Die Thematik bedarf einer eigenständigen Abhandlung.1805 Deshalb nur zwei Anmer­ kungen betreffend die Rechtfertigung dem Grunde nach und die Verhält­ nismäßigkeit: In der Essenz basierte die bisherige grundfreiheitliche Kri­ tik vor allem auf der Rechtssache Philips Electronics1806 und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen zur Vermeidung doppelter Ver­ lustberücksichtigung als eigenständigen Rechtfertigungsgrund.1807 Dies­ bezüglich wurde herausgearbeitet, dass die Rechtssache NN1808 als Trend­ wende verstanden werden könnte.1809 Trotzdem bleiben Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Regelung, da die Abzugsfähigkeit von doppelt berücksichtigten Verlusten endgültig versagt wird, statt sie in künftige Besteuerungszeiträume vorzutragen.1810 4. Ergebnis Bereits vor dem Erlass der ATAD existierte mit § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG im deutschen Körperschaftsteuerrecht eine Regelung, die Besteue­ rungsinkongruenzen bei doppelt ansässigen Rechtsträgern jedenfalls teil­ weise vermeidet. Die Vorschrift unterscheidet sich stark von den späte­ ren Richtlinienvorgaben und ist deshalb unabhängig von ihnen auszulegen und zu beurteilen. Jedenfalls könnte die Regelung in grundfreiheitlicher Hinsicht seit der Rechtssache NN dem Grunde nach gerechtfertigt sein.

1803 Benecke/Schnitger, IStR 2013, 143, 151 f.; Kolbe, in: HHR, § 14 KStG Rn. 280; Niemann, Doppelte Verlustberücksichtigung bei Organschaft, S. 223 ff.; Neumann, in: Gosch, KStG, § 14 Rn. 476; Ritzer/Aichberger, DK 2013, 602, 612 f.; Schneider/Schmitz, GmbHR 2013, 281, 286 f. 1804 Benecke/Schnitger, IStR 2013, 143, 151; Krumm, in: Brandis/Heuermann, § 14 KStG Rn. 217; Ritzer/Aichberger, DK 2013, 602, 610 ff.; Schneider/Schmitz, GmbHR 2013, 281, 287 f. 1805 Ausführlich Niemann, Doppelte Verlustberücksichtigung bei Organschaft, S. 251 ff. 1806 EuGH, Urt. v. 6.9.2012, C-18/11, ECLI:EU:C:2012:532 – Philips Electronics, Rn. 32 f. 1807 Siehe nur Benecke/Schnitger, IStR 2013, 143, 151; Krumm, in: Brandis/Heuer­ mann, § 14 KStG Rn. 217; Schneider/Schmitz, GmbHR 2013, 281, 287 f. 1808 EuGH, Urt. v. 4.7.2018, C-28/17, ECLI:EU:C:2018:526 – NN, Rn. 45 ff. 1809 Kapitel 4 - C.IV.2.b)bb). 1810 Siehe insoweit die im verfassungsrechtlichen Kontext vorgetragene Kritik von Benecke/Schnitger, IStR 2013, 143, 151; Schneider/Schmitz, GmbHR 2013, 281, 286 f.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

Bedenken bestehen jedoch im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Regelung.

C. Das ATAD-Umsetzungsgesetz Bereits am 10. Dezember 2019 und damit nur drei Wochen vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 31. Dezember 2019 wurde ein erster Referentenent­ wurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtli­ nie veröffentlicht. Eine zweite Fassung wurde am 24. März 2020 veröf­ fentlicht.1811 Am 24. März 2021 wurde schließlich der Gesetzesentwurf der Bundesregierung1812 im Bundeskabinett und am 25. Juni 2021 final im Bundesrat verabschiedet.1813 Die Umsetzung von Art. 9 und 9b ATAD wird hauptsächlich von einem neuen § 4k EStG abgedeckt. Ergänzend werden hybride Übertragungen in einem neuen § 8b Abs. 1 S. 3 KStG sowie § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG aufgegriffen. Für umgekehrt hybride Gestaltungen wurde § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG eingeführt. Schließlich wird § 50d Abs. 9 EStG um eine neue Nummer 3 erweitert. Die Formulierung der Vorschriften überrascht selbst den geneigten Leser.1814 Ihr Inhalt erschließt sich jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Den folgenden Ausführungen wird deshalb der ­exakte Wortlaut der Vorschriften vorangestellt, um ihn im Anschluss zu erläutern.

I. § 4k EStG Das Gros der neuen Korrespondenzregeln findet sich im neuen § 4k EStG. Die neue Vorschrift erstreckt sich auf insgesamt sieben Absätze und erfasst sowohl D/NI-1815 als auch DD-Gestaltungen1816. Darüber hi­ naus findet sich auch eine Regelung für importierte Besteuerungsin­ 1811 Zur Fassung der Referentenentwürfe Benz/Böhmer, DK 2020, 240; Ditz/Bärsch/ Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 73; Linn, IStR 2020, 77; Ehlermann/Link, ISR 2021, 319; Herbst/Heckerodt/Rieß, ISR 2020, 363; Loose, PIStB 2020, 73; Marquardsen, IStR 2020, 623; Moser, DStR 2020, 900; Müller-Gatermann/Strüder/ Ludwig, FR 2020, 303; Nürnberg, NWB 2020, 330; Rüsch, IStR 2020, 371; Rüsch, DStZ 2020, 274; Schnitger/Posch, ISR 2021, 187; Stein/Schwarz/Burger, IStR 2020, 83; Wilmanns/Lappe/Heidecke/Nolden/John, IStR 2020, 162. 1812 BT-Drs. 19/28652. 1813 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umset­ zungsgesetz – ATADUmsG) vom 25. Juni 2021, BGBl. 2035 ff. Dazu Rüsch, IStR 2021, 380; Schnitger/Oskamp/Kockrow, IStR 2021, 701; Zinowsky, IStR 2021, 500. 1814 So auch Rüsch, DStZ 2020, 274, 275. 1815 § 4k Abs. 1 – 3 EStG. 1816 § 4k Abs. 4 EStG.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

kongruenzen.1817 Die amtliche Überschrift ist mit „Betriebsausgaben­ abzug bei Besteuerungsinkongruenzen“ unpräzise gewählt: Mit § 4k Abs. 2 S. 2 EStG findet sich nämlich die Umsetzung einer Defensive Rule zu D/NI-Ergebnissen. Entsprechend sieht die Rechtsfolge eine ausnahms­ weise Berücksichtigung von Betriebseinnahmen vor.1818 Der Regelung liegt eine interne Anwendungshierarchie zugrunde. Die Absätze 2 – 5 kommen nur zur Anwendung, soweit nicht bereits die Vo­ raussetzungen des vorigen Absatzes vorliegen.1819 Soweit folglich die Vo­ raussetzungen des vorigen Absatzes nicht erfüllt sind, ist eine parallele Anwendung des nachfolgenden Absatzes, sofern seine Voraussetzungen erfüllt sind, theoretisch denkbar.1820 Die Regelungen sollen ungeachtet der Vorschriften eines Doppelbesteue­ rungsabkommens anzuwenden sein (§ 4k Abs. 7 EStG). Statuiert wird hiermit folglich ein sog. Treaty Override.1821 § 4k EStG ist gem. § 52 Abs. 8c EStG rückwirkend für Aufwendungen anwendbar, die nach dem 31. Dezember 2019 entstehen.1822 1. § 4k Abs. 6 EStG Für die nachfolgende Darstellung wird der persönliche Anwendungsbe­ reich der Regelungen „vor die Klammer gezogen“, da er in § 4k Abs. 6 EStG allgemein normiert ist. Dort heißt es in Satz 1: „Die Absätze 1 bis 5 finden nur Anwendung, wenn der Tatbestand dieser Absätze zwischen nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes oder zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte verwirklicht wird oder wenn eine strukturierte Gestaltung anzunehmen ist.“ Laut der Entwurfsbegründung soll hierdurch Art. 2 Abs. 9 Unter­ abs. 2 lit. c) ATAD Rechnung getragen werden, welcher den persönlichen 1817 § 4k Abs. 5 EStG. 1818 Vgl. Rüsch, DStZ 2020, 274, 283. 1819 Als „quantitative Subsidiaritätsklausel“ bezeichnen dies Kahlenberg/Rein, SWI 2020, 189, 192. Vgl. auch Loose, PIStB 2020, 73, 75. 1820 Rüsch, DStZ 2020, 274, 278. 1821 Ein solcher „Treaty Override“ ist verfassungsgemäß, BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1. Dazu Hummel, IStR 2016, 335; Lehner, in: Vogel/Lehner, DBA, Grundlagen des Abkommensrechts Rn. 194; Musil, FR 2016, 297. 1822 Die Norm entfaltet damit für 2020 eine echte Rückwirkung sowie vom 1. Januar bis 25. Juni 2021 unechte Rückwirkung. Ob die unechte Rückwirkung wegen der bestehenden Umsetzungsverpflichtung der ATAD zum 1. Januar 2020 und der Veröffentlichung des Referentenentwurfs im Dezember 2019 gerechtfertigt wer­ den kann (so Rüsch, DStZ 2020, 274, 277; a.A. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 4k Rn. 2; offen Linn, IStR 2020, 77, 77 m.w.N. „interessante verfassungsrechtliche Fragestellungen“) ist bislang ungeklärt. Für die echte Rückwirkung in 2020 dürf­ te dies jedenfalls wegen des bis dahin fehlenden Beschluss des Bundestages oder eines anderen an der Gesetzgebung beteiligten Organs ausscheiden.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

Anwendungsbereich der allgemeinen Regelungen (Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 ATAD) bestimmt.1823 a) Nahestehende Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG Während die ATAD den Anwendungsbereich unter anderem auf verbundene Unternehmen beschränkt, soll für Zwecke des § 4k EStG nun auf den Begriff der nahestehenden Personen im Sinne des Außensteuergeset­ zes zurückgegriffen werden. Diese werden in § 1 Abs. 2 AStG legaldefi­ niert. Hier ist vor allem die Mindestbeteiligungsquote von 25 % für eine wesentliche Beteiligung hervorzuheben.1824 Das ist bemerkenswert, weil die ATAD den persönlichen Anwendungsbereich ganz überwiegend auf Konstellationen beschränkt, denen eine Beteiligungsquote von mindes­ tens 50 % zugrunde liegt: Die grundsätzliche Beteiligungsquote in Höhe 25 % ist letztlich nur für Gestaltungen mit hybriden Finanzinstrumen­ ten relevant, während für Gestaltungen mit hybriden Rechtsträgern eine Anhebung auf 50 % erfolgt.1825 Damit ist hier eine gewisse Verschärfung der Richtlinienvorgaben zu konzedieren, die es noch zu bewerten gilt. Schließlich ist auf § 4k Abs. 6 S. 2 EStG hinzuweisen, wonach einer „[…] Person, die mit einer anderen Person durch abgestimmtes Verhalten zusammenwirkt, […] die Beteiligung, die Stimmrechte und die Gewinnbezugsrechte der anderen Person zugerechnet [werden]“. Die Erweiterung soll Umgehungsgestaltungen erfassen und ist letztlich auf Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 3 lit. b) ATAD zurückzuführen.1826 b) Betriebsstättenkonstellationen Da Konstellationen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte zwar von der ATAD vorgegeben1827, nicht jedoch von § 1 Abs. 2 AStG erfasst wer­ den1828, ordnet § 4k Abs. 6 S. 1 EStG explizit ihre Erfassung an.1829 1823 BT-Drs. 19/28652, S. 40. Zu den Richtlinienvorgaben siehe Kapitel 2 - B.I.4.b). 1824 Durch das ATAD-UmsG wird die Definition über die Beteiligung am gezeichne­ ten Kapital hinaus zudem alternativ auf Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrech­ te, Stimmrechte, das Gesellschaftsvermögen, sowie den Gewinn oder den Liqui­ dationserlös ausgedehnt, vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG. Daneben erfasst § 1 Abs. 2 AStG Konstellationen, in denen ein „beherrschender Einfluss“ ausgeübt wird (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG), in denen eine dritte Person qualifizierte Voraussetzungen in Bezug auf den Steuerpflichtigen und die andere Person erfüllt (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG) sowie Fälle eines außerhalb der Geschäftsbeziehung begründeten Einflus­ ses und der Interessenidentität (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG). Vgl. zu den Änderungen Jacobsen, DStZ 2020, 201, 206. 1825 Siehe Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 3 lit. a) ATAD. Ausführlich Kapitel 2 - B.I.4.b)aa). 1826 BT-Drs. 19/28652, S. 40. Vgl. auch schon OECD, Neutralisierung der Effekte ­hybrider Gestaltungen, S. 134 ff. Rn. 369 ff. 1827 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. c) ATAD. 1828 Kraft, in: AStG, § 1 Rn. 167 ff. 1829 Rüsch, DStZ 2020, 274, 277.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

c) Strukturierte Gestaltungen Schließlich kommen die Vorschriften zur Anwendung, wenn eine struk­ turierte Gestaltung anzunehmen ist. Nach § 4k Abs. 6 S. 3 EStG ist eine solche Gestaltung „[…] anzunehmen, wenn der steuerliche Vorteil, der sich ohne die Anwendung der vorstehenden Absätze ergeben würde, ganz oder zum Teil in die Bedingungen der vertraglichen Vereinbarungen eingerechnet wurde oder die Bedingungen der vertraglichen Vereinbarungen oder die den vertraglichen Vereinbarungen zugrunde liegenden Umstände darauf schließen lassen, dass die an der Gestaltung Beteiligten den steuerlichen Vorteil erwarten konnten.“ Nicht als Teil einer hybriden Gestaltung wird der Steuerpflichtige nach S. 4 behandelt, „[…] wenn nach den äußeren Umständen vernünftigerweise nicht davon auszugehen ist, dass ihm der steuerliche Vorteil bekannt war und er nachweist, dass er nicht an dem steuerlichen Vorteil beteiligt wurde“. Das Kriterium der strukturierten Gestaltung fand sich bereits in den OECD-Empfehlungen und wurde schließlich auch in die ATAD aufge­ nommen.1830 Die Formulierung in § 4k EStG orientiert sich eng an den Richtlinienvorgaben.1831 Es bleibt dabei, dass grundsätzlich eine objek­ tive Betrachtung angestellt wird. Auch in Bezug auf die Ausnahme in Satz 4 stellt die Entwurfsbegründung klar, dass der Steuerpflichtige der Anwendung der Regelungen durch den Nachweis objektiver Umstände entgehen kann.1832 Die bereits in Bezug auf die OECD-Empfehlungen und die ATAD geäußerten Bedenken gelten unverändert auch für § 4k EStG. Die „strukturierte Gestaltung“ dient als eine Art Auffangkriterium, mit­ tels welchem auch Gestaltungen zwischen unverbundenen Dritten er­ fasst werden sollen.1833 Damit einher geht eine erhebliche Unschärfe der Kriterien, die in der Praxis sehr wahrscheinlich vielerlei Auslegungsfra­ gen nach sich ziehen wird.1834 d) Folgerungen aus der systematischen Stellung Weitere Vorgaben für den persönlichen Anwendungsbereich lassen sich aus der systematischen Stellung des § 4k EStG ableiten. Die neuen Rege­ lungen zur Neutralisierung hybrider Gestaltungen wurden in das Einkommensteuergesetz aufgenommen. § 4k EStG findet sich dort bei den

1830 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. c) i.V.m. Art. 2 Abs. 11 ATAD. 1831 Vgl. auch Kahlenberg/Rein, SWI 2020, 189, 190 (dort Fn. 7). 1832 BT-Drs. 19/28652, S. 41. 1833 Die Entwurfsbegründung nennt über eine anerkannte Börse an fremde Dritte ausgegebene Anleihen als Beispiel, bei denen der Zins so berechnet ist, dass er auch für Anleger, bei denen die Zinserträge regulär besteuert werden, attraktiv ist, BT-Drs. 19/28652, S. 41. 1834 Loose, PIStB 2020, 73, 79; Rüsch, DStZ 2020, 274, 277.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

Gewinnermittlungsvorschriften (§§ 4 – 7i EStG).1835 Nach § 9 Abs. 5 S. 2 EStG gilt § 4k EStG entsprechend für Überschusseinkünfte. Diese Um­ setzung geht über die Richtlinienvorgaben hinaus: Der Anwendungsbe­ reich der ATAD-Vorgaben erstreckt sich lediglich auf Körperschaftsteuersubjekte (vgl. Art. 1 Abs. 1 ATAD). Lediglich für Zwecke des Art. 9a ATAD erstreckt sich der Anwendungsbereich ausnahmsweise auf Perso­ nengesellschaften (Art. 1 Abs. 2 ATAD).1836 Durch die Platzierung der Vorschrift im Bereich der Gewinnermittlungs­ vorschriften des Einkommensteuergesetzes gilt § 4k EStG via § 8 Abs. 1 S. 1 KStG zwar grundsätzlich für die Körperschaftsteuer. Darüber hinaus entfaltet die Vorschrift ihre Wirkung auch im Bereich der Einkommen­ steuer: Dies bedeutet, dass nicht nur Körperschaften, sondern auch Ein­ zelunternehmer oder Personengesellschaften1837 von den Regelungen be­ troffen sein können. Führt man sich beispielweise noch einmal Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. a) ATAD (allgemeine Regelung für DD-Konstella­ tionen) vor Augen, so musste es sich bei dem „Investor“ (also dem Ge­ sellschafter des hybriden Rechtsträgers) wegen Art. 1 Abs. 1 ATAD noch um eine Kapitalgesellschaft handeln. Diese Einschränkung entfällt nun­ mehr. Wegen der Erstreckung auf Überschusseinkünfte wäre z.B. auch eine natürliche Person erfasst, die aus Sicht ihres Staates Gesellschafter einer ausländischen vermögensverwaltenden Personengesellschaft1838 ist. e) Betrachtung im Lichte höherrangigen Rechts Zusammenfassend lassen sich bis hierhin zwei Abweichungen von den Richtlinienvorgaben feststellen. Zum einen ist dies die Straffung des persönlichen Anwendungsbereichs. Die Regelungen finden bereits ab einer Mindestbeteiligungsquote in Höhe von 25 % statt der vorgegebenen 50 % Anwendung. Lediglich der – nachfolgend genauer erörterte – § 4k Abs. 1 EStG, welcher auf hybride Finanzinstrumente abzielt, entspricht in dieser Hinsicht der ATAD. In­ soweit belässt es die Richtlinie bei der grundsätzlich 25 %-Beteiligungs­ quote.1839 Es wurde bereits herausgearbeitet, dass sich eine derartige Straffung in persönlicher Hinsicht noch im Rahmen des Anwendungsbe­ 1835 Rüsch, DStZ 2020, 274, 276. Erweist sich § 4k EStG als einschlägig, kommt es folglich zu einer außerbilanziellen Hinzurechnung, Loose, PIStB 2020, 73, 75. 1836 Kapitel 2 - B.I.3. 1837 Personengesellschaften werden zwar transparent besteuert, sie stellen gleich­ wohl immerhin das Einkünfteermittlungssubjekt dar, Hennrichs, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rn. 10.10 ff. 1838 Dann werden die Einkünfte als Überschuss der Einnahmen über die Werbungs­ kosten ermittelt, Steben, GStB 2015, 432, 432. 1839 Arg. e. Art. 2 Abs. 4, Unterabs. 1 sowie Unterabs. 3 lit. a) i.V.m. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) ATAD.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

reichs der Richtlinie bewegt. Innerhalb dessen wird dann von Art. 3 ATAD Gebrauch gemacht und eine strengere Regelung vorgesehen.1840 Die Senkung der Beteiligungsquote führt damit nicht dazu, dass § 4k EStG als überschießende Richtlinienumsetzung behandelt werden muss. In anderer Hinsicht wird jedoch der sachliche Anwendungsbereich der ATAD verlassen, da § 4k EStG auch im Bereich der Einkommensteuer Anwendung findet. Insoweit handelt es sich um eine überschießende Richtlinienumsetzung. Es zeichnet sich damit folgendes Bild: Soweit § 4k EStG die Körperschaft­ steuer betrifft, stellt er sich bis hierhin als eine Umsetzungsmaßnahme dar. Soweit er jedoch die Einkommensteuer betrifft, handelt es sich bei ihm um eine überschießende Richtlinienumsetzung. Vorbehaltlich des­ sen, dass die folgende Untersuchung der einzelnen Absätze jeweils zu dem Ergebnis gelangt, dass der sachliche Anwendungsbereich der Richt­ linie nicht verlassen wird, stellt sich § 4k EStG als sog. Hybridnorm dar. Deshalb profitiert der auf die ATAD zurückführbare Teil der Vorschriften von der verfahrensrechtlichen Immunisierungswirkung der Richtlinie und muss richtlinienkonform ausgelegt werden.1841 Auch muss er sich nicht an Art. 3 Abs. 1 GG messen lassen.1842 Soweit die Vorschriften je­ doch die Einkommensteuer betreffen, sind sie unmittelbar am Ver­ fassungsrecht und den Europäischen Grundfreiheiten überprüfbar und richtlinienorientiert auszulegen. Die Gesetzesbegründung bezieht sich nämlich ausdrücklich auf die ATAD-Vorgaben, sodass ein Wille zur ein­ heitlichen Auslegung offen zutage tritt.1843 2. § 4k Abs. 1 EStG § 4k Abs. 1 S. 1 EStG lautet wie folgt: „Aufwendungen für die Nutzung oder im Zusammenhang mit der Übertragung von Kapitalvermögen sind insoweit nicht als Betriebsausgaben abziehbar, als die den Aufwendungen entsprechenden Erträge auf Grund einer vom deutschen Recht abweichenden steuerlichen Qualifikation oder Zurechnung des Kapitalvermögens nicht oder niedriger als bei dem deutschen Recht entsprechender Qualifikation oder Zurechnung besteuert werden“. a) Sekundärrechtlicher Hintergrund Ausweislich der Gesetzesbegründung soll hiermit Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD i.V.m. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) ATAD Rechnung getragen 1840 Kapitel 3 - A.I.2.b)bb)(2). 1841 Kapitel 3 - A.I.2.  1842 Kapitel 3 - A.I.1. 1843 Kapitel 3 - A.II.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

werden.1844 § 4k Abs. 1 S. 1 EStG stellt damit die nationale Umsetzung der Primary Response auf Gestaltungen mit hybriden Finanzinstrumen­ ten dar.1845 b) Analyse der Norm aa) Aufwendungen für die Nutzung oder im Zusammenhang mit der Übertragung von Kapitalvermögen Der Tatbestand der Norm setzt zunächst „Aufwendungen für die Nutzung oder im Zusammenhang mit der Übertragung von Kapitalvermögen […]“ voraus. Wie in den noch darzustellenden Absätzen 2 – 5 werden auch in Absatz 1 zunächst Aufwendungen im Sinne von § 4 Abs. 4 EStG bzw. § 9 Abs. 1 EStG in Bezug genommen.1846 Darunter fallen grundsätzlich auch Auf­ wendungen für Absetzung für Abnutzung oder auch fiktive Aufwendun­ gen.1847 Jedenfalls hinsichtlich D/NI-Ergebnisse unterscheidet sich die Vorschrift damit von den Richtlinienvorgaben, die sich insoweit auf li­ quiditätswirksame Zahlungen beschränken.1848 Praktisch wirkt sich das jedoch nicht aus, da D/NI-Ergebnissen regelmäßig Zahlungen zugrunde liegen. Aufwendungen für Absetzung für Abnutzung können kein D/NI-­ Ergebnis begründen, da ihnen keine Betriebseinnahme korrespondiert.1849 Die weitere Einschränkung („für die Nutzung oder im Zusammenhang mit der Übertragung von Kapitalvermögen“) hat dann vor allem Zinsen und Dividenden vor Augen1850, soll jedoch auch Substitutionszahlungen für Zinsen und Dividenden erfassen1851. Ob letztere jedoch von § 4k Abs. 1 S. 1 EStG erfasst werden können, erscheint fraglich.1852 bb) Vom deutschen Recht abweichende Qualifikation oder Zurechnung Ferner bedarf es einer „[…] vom deutschen Recht abweichenden Qualifikation oder Zurechnung des Kapitalvermögens […]“. 1844 BT-Drs. 19/28652, S. 34. 1845 Kapitel 2 - B.I.4.a)aa). 1846 Rüsch, DStZ 2020, 274, 277. 1847 BT-Drs. 19/28652, S. 35. Für die Anwendung des § 4k Abs. 1 S. 1 EStG dürften AfA-Beträge gleichwohl nicht relevant sein. 1848 Rüsch, DStZ 2020, 274, 277. Das ergibt sich zum einen aus Erwägungsgrund 21 der ATAD II, der sich speziell auf doppelte Abzüge bezieht. Im Übrigen ergibt sich dies aus den OECD-Empfehlungen, siehe bereits Kapitel 1 - B.II.1. 1849 Vgl. auch Mechtler, Hybrid Mismachtes im Ertragsteuerrecht, S. 432. 1850 BT-Drs. 19/28652, S. 34. 1851 Beispielsweise Kompensationszahlungen im Rahmen einer Wertpapierleihe oder eines Wertpapierpensionsgeschäfts, BT-Drs. 19/28652, S. 34 f. Dazu sogleich Ka­ pitel 5 - C.I.2.b)cc). 1852 Dazu noch Kapitel 5 - C.I.2.b)cc).

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

Hinsichtlich der abweichenden Qualifikation ist die bereits an vielen Stellen angesprochene abweichende Einordnung als Eigen- oder Fremd­ kapital gemeint.1853 Es liegt in der Natur der Regelung als Abzugsbe­ schränkung, dass Deutschland in diesem Falle die Qualifikation als Fremdkapital vornimmt. Die Zinsen stellen folglich den Aufwand dar, dessen Abzug letztlich versagt wird.

Abbildung 40:  Hybride Finanzinstrumente (§ 4k Abs. 1 EStG)

Mit der abweichenden Zurechnung des Kapitalvermögens sind hybride Übertragungen angesprochen.1854 Im Falle eines Repo-Geschäfts wird auf die Konstellation abgezielt, in welcher der Darlehensnehmer in Deutschland ansässig ist.1855 Dieser ver­ äußert die Anteile an einer Kapitalgesellschaft an einen Erwerber (Darle­ hensgeber) im Ausland und bezieht dafür die Darlehenssumme (das ist der entrichtete Kaufpreis für die Anteile). Da er sich bereits verpflichtet hat, die Anteile später zurück zu erwerben, werden ihm die Anteile nach deutschem Recht unter Umständen weiterhin zugerechnet (wirtschaftli­ che Betrachtungsweise).1856 Letztlich stellen die vom Darlehensnehmer entrichteten Zinsen, die im Rückkaufpreis für den Anteil enthalten sind, den Aufwand dar, dessen Abzug durch § 4k Abs. 1 S. 1 EStG versagt wer­ den soll.

1853 BT-Drs. 19/28652, S. 34. Dazu bereits Kapitel 1 - B.II.1.a) sowie Kapitel 2 - B.I.4.a) aa). 1854 BT-Drs. 19/28652, S. 34 f. Dort wird weiterhin eine grenzüberschreitende Wert­ papierleihe angesprochen. 1855 Zur Fallgestaltung siehe Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(1)(b)(aa). 1856 BMF, Schr. v. 11.11.2016 – IV C 6 – S 2134/10/10003-02, BStBl. I 2016, 1324. BFH, Urt. v. 18.8.2015 – I R 88/13, BStBl. II 2016, 961. Siehe auch Haarmann, BB 2018, 1623.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

Abbildung 41:  Repo-Geschäfte (§ 4k Abs. 1 EStG)

Denkbar sind darüber hinaus Konstellationen grenzüberschreitender Wertpapierleihen, in denen der Darlehensnehmer in Deutschland ansäs­ sig ist.1857 Dann müsste Deutschland die Wertpapiere dem Darlehensneh­ mer als zivilrechtlichen Eigentümer zurechnen, während die Wertpapie­ re im anderen Staat weiterhin dem Darlehensgeber als wirtschaftlichen Eigentümer zugerechnet werden. Erforderlich ist dafür, dass der andere

Abbildung 42:  Wertpapierleihen (§ 4k Abs. 1 EStG) 1857 Siehe zur Gestaltung der grenzüberschreitenden Wertpapierleihe Kapitel 1 B.II.1.a)aa)(1)(b)(aa).

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

Staat ein weiteres Verständnis des wirtschaftlichen Eigentums als Deutschland zugrunde legt.1858 In einem solchen Fall stellt die von ihm entrichtete Kompensationszahlung die Aufwendungen im Sinne des § 4k Abs. 1 S. 1 EStG dar.1859 cc) Kausalitätserfordernis Besagte abweichende Qualifikation oder Zurechnung muss sich als ur­ sächlich für die Inkongruenz erweisen. Nicht jede Nicht- oder Niedrigbe­ steuerung ist schädlich und führt deshalb zur Anwendung der Rege­ lung.1860 Vielmehr ist dies nur dann der Fall, wenn sie sich „[…] auf Grund […]“ der abweichenden Qualifikation oder Zurechnung ergibt. In dieser Hinsicht entspricht § 4k Abs. 1 S. 1 EStG den Vorgaben der ATAD.1861 Der Entwurfsbegründung zufolge sollen auch Substitutionszahlungen von § 4k Abs. 1 EStG erfasst werden.1862 Diese waren im ursprünglichen OECD-Bericht enthalten, jedoch nicht in der Richtlinie.1863 Auch von § 4k Abs. 1 S. 1 EStG können Substitutionszahlungen jedoch nicht er­ fasst werden. Die Vorschrift setzt ausdrücklich voraus, dass die Besteue­ rungsinkongruenz auf Grund einer vom deutschen Recht abweichenden Zurechnung der Wertpapiere entsteht. In den Fallgestaltungen der Sub­ stitutionszahlungen werden die Wertpapiere jedoch übereinstimmend dem Verleiher zugerechnet.1864 Die Wortlautgrenze ist demnach über­ schritten, weshalb hier auch eine richtlinienkonforme Auslegung nicht weiterhelfen kann.1865 dd) Nicht- oder Niedrigbesteuerung Die den Aufwendungen entsprechenden Erträge müssen „[…] nicht oder niedriger als bei dem deutschen Recht entsprechender Qualifikation oder Zurechnung besteuert werden“. Hier ergeben sich zunächst zwei alternative Tatbestandsvoraussetzun­ gen, nämlich die Nicht- oder Niedrigbesteuerung der entsprechenden Erträge im Ausland. Die „Nichtbesteuerung“ ist dahingehend zu verste­ hen, dass die Erträge aus der Bemessungsgrundlage ausgenommen wer­ 1858 Kapitel 1 - B.I.2.a)cc). 1859 BT-Drs. 19/28652, S. 34 f. 1860 Für Beispiele siehe Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(1)(a). 1861 Das Kausalitätserfordernis ergibt sich aus Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a), dort Unterabs. 1 lit. ii) ATAD. Siehe bereits OECD, Neutralisierung der Effekte hybri­ der Gestaltungen, S. 36 f. Rn. 51 f. 1862 BT-Drs. 19/28652, S. 34. 1863 Zum OECD-Bericht Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(1)(b)(bb). Zur ATAD Kapitel 2 - B.I.4.a) aa). 1864 Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(1)(b)(bb). 1865 Kapitel 3 - A.I.2.a).

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

den.1866 Folglich ist hier eine Behandlung im Ausland angesprochen, die vergleichbar mit dem deutschen Verständnis von „nicht steuerbar“ oder (auch teilweise1867) „nicht steuerpflichtig“ ist. Mit der „niedrigeren Be­ steuerung“ ist dagegen die Tarifebene angesprochen.1868 Hier ist folglich der Steuersatz zu betrachten, der auf die Erträge angewandt wird. Jedenfalls ist eine Vergleichsbetrachtung anzustellen1869: Wie würden Er­ träge im Ausland besteuert werden, wenn dort eine dem deutschen Recht entsprechende Qualifikation bzw. Zurechnung vorgenommen werden würde? Lautet die Antwort darauf, dass die Erträge in der Bemessungs­ grundlage berücksichtigt werden würden, so ist von einer Nichtbesteue­ rung auszugehen. Lautet die Antwort darauf, dass ein höherer Steuersatz angewandt werden würde, so liegt eine Niedrigbesteuerung vor.1870 (1) Niedrigbesteuerung unproblematisch Das Kriterium der Niedrigbesteuerung stößt auf Kritik. Es führe zu einer erheblichen Verschärfung, da der Anwendungsbereich der ATAD ledig­ lich bei einer „Nichtbesteuerung“ eröffnet sei.1871 Wohl auch deshalb wurde während des Gesetzgebungsverfahrens auf eine Streichung ge­ hofft.1872 Dieser Kritik ist entgegenzutreten. Das Kriterium der Niedrigbesteue­ rung findet sich bereits im OECD-Bericht zu Aktionspunkt 2 wieder. Demnach soll eine abzugsfähige Zahlung auch dann als inkongruenzbe­ gründend behandelt werden, wenn der Staat des Zahlungsempfängers die Zahlung mit einem Steuersatz besteuert, der niedriger ist als der auf die ordentlichen Einnahmen erhobene volle Grenzsteuersatz. Dies soll unabhängig davon gelten, in welcher Form die Steuererleichterung (z.B. Nichtberücksichtigung, Steuerbefreiung, ermäßigte Steuersätze oder Steueranrechnung) gewährt wird.1873 Dem trägt auch die ATAD Rechnung. Zwar wird bei hybriden Finanzin­ strumenten grundsätzlich auf einen „Abzug bei gleichzeitiger steuerli­ cher Nichtberücksichtigung“ abgestellt (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) ATAD). Nach der Definition des Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. e) S. 1 ATAD bezeichnet „Berücksichtigung“ den Betrag, der für die steuer1866 So richtig Rüsch, DStZ 2020, 274, 279. 1867 Rüsch, DStZ 2020, 274, 279. 1868 Rüsch, DStZ 2020, 274, 279. 1869 BT-Drs. 19/28652, S. 35; Schnitger/Oskamp, IStR 2020, 909, 911 1870 Beispielsweise könnten Zinseinnahmen im Ausland höher besteuert werden als Dividendenerträge. 1871 Kahlenberg/Rein, SWI 2020, 189, 191. Vgl. auch Hey, in: FS Lüdicke, S. 253, 256. 1872 Loose, PIStB 2020, 73, 75. Befürwortend hingegen Rüsch, DStZ 2020, 274, 279. 1873 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 34 Rn. 41 und S. 145 Rn. 414. Siehe auch schon Kapitel 1 - B.II.1.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

pflichtigen Einkünfte nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets des Zahlungsempfängers berücksichtigt wird. Dies schließt Ermäßigungen auf der Tarifebene in der Tat zunächst aus. Auf dem Fuße fingiert S. 2 jedoch insoweit eine Nichtberücksichtigung, als „[…] die Zahlung für Steuerermäßigungen infrage kommt, die einzig und allein der Art der Einordnung der Zahlung nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets des Zahlungsempfängers zuzuschreiben sind“. Die Stoßrichtung dieser Fiktion erschließt sich ohne Weiteres vor dem Hintergrund gerade ge­ nannter Passage im OECD-Bericht: Ein D/NI-Ergebnis wird jedenfalls (und nur) im Bereich hybrider Finanzinstrumente auch durch Vergünsti­ gungen auf der Tarifebene begründet. Das überzeugt auch fernab allzu „OECD-positivistischer“ Auslegung: Erfasst wird ja gerade nicht jedwede Besteuerung der Erträge mit einem günstigeren Steuersatz als etwa Deutschland. Ebenso ist es im Grundsatz unbeachtlich, wenn der Staat des Zahlungsempfängers die Einkünfte aus Finanzinstrumenten zu einem niedrigeren Satz besteuert als andere Ar­ ten von Einkünften. Es werden vielmehr nur solche Fälle erfasst, in de­ nen der Steuersatz auf Grund der vom deutschen Recht abweichenden Qualifikation niedriger ist als bei einheitlicher Qualifikation. Anders gewendet ist der Qualifikationskonflikt nicht ursächlich für die Vergüns­ tigung, wenn die Erträge ohnehin begünstigt besteuert worden wären.1874 Das Kausalitätskriterium wahrt die Verhältnismäßigkeit des punktuell etwas weiter als sonst gefassten Tatbestandes. (2) Zwischenergebnis Nach alledem erweist sich die Aufnahme des Kriteriums der „Niedrigbe­ steuerung“ in § 4k Abs. 1 S. 1 EStG als unproblematisch. Sie ist vielmehr zu begrüßen.1875 ee) Frage nach einem Steuerfestsetzungserfordernis Aus dem Wortlaut („[…] besteuert werden […]“) wird teilweise das Erfor­ dernis abgeleitet, dass im Ausland eine positive Berücksichtigung in der Steuerschuld stattgefunden haben muss. Die Steuer müsste dort folglich bereits festgesetzt, mithin ein Steuerbescheid erlassen worden sein.1876 Ein solches Verständnis gibt der Wortlaut des § 4k Abs. 1 S. 1 EStG ge­ wiss her. In systematischer Hinsicht wird mit § 4i S. 1 EStG argumen­ tiert, wo der Gesetzgeber ausdrücklich auf eine Minderung der Steuerbemessungsgrundlage abstelle. Da er das bei § 4k Abs. 1 S. 1 EStG gerade 1874 Vgl. OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 196 ff. Bei­ spiel 1.3. 1875 I.E. gl.A. Rüsch, DStZ 2020, 274, 279. 1876 Rüsch, DStZ 2020, 274, 279. 

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

nicht tue, sei zusätzlich vom besagten Steuerfestsetzungserfordernis aus­ zugehen.1877 Zweifel ergeben sich bereits hinsichtlich des systematischen Umkehr­ schlusses. Dass der Gesetzgeber auf das „Besteuertwerden“ statt auf eine Minderung der Steuerbemessungsgrundlage abstellt, könnte ebenso da­ rin begründet liegen, dass zusätzlich die Tarifebene und damit besagte Fälle der Niedrigbesteuerung erfasst werden sollen. Dass hierfür allein die Notwendigkeit einer Steuerfestsetzung ausschlaggebend gewesen sein muss, ist daher nicht zwingend. Auch fragt sich unter teleologischen Gesichtspunkten, wie eine effektive Neutralisierung der Effekte hybri­ der Gestaltungen1878 erfolgen soll, wenn sie in der deutschen Steuerver­ anlagung nur dann erfolgen kann, wenn die Steuer im Ausland bereits durch einen Steuerbescheid festgesetzt wurde. Alternativ – gleichwohl unnötig kompliziert – wäre zunächst eine Steuerfestsetzung denkbar, die dann später wieder geändert wird: Dazu müsste der Erlass des ausländi­ schen Steuerbescheids als rückwirkendes Ereignis im Sinne vom § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO zu qualifizieren sein oder eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO vorgenommen werden.1879 Dies kann kaum vom Gesetzgeber gewollt sein. Darüber hin­ aus käme es zu Folgeproblemen bei der Beweisführung, da die Berück­ sichtigung in einer Steuerfestsetzung ungleich mühsamer nachzuweisen ist als die abstrakte Rechtslage.1880 Letztlich gibt hier die ATAD den Ausschlag: Sie impliziert eine lediglich abstrakte Prüfung des ausländischen Rechts. So bezeichnet „Berücksich­ tigung“ den Betrag, der für die steuerpflichtigen Einkünfte nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets des Zahlungsempfängers berück­ sichtigt wird (Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. e) S. 1 ATAD).1881 Dass die OECD-Empfehlungen ebenfalls auf eine abstrakte Prüfung der Rechtsla­ ge abstellen, wurde bereits hinlänglich erörtert.1882 Das ist auch bei der Auslegung der ATAD zu berücksichtigen.1883 Soweit § 4k Abs. 1 S. 1 EStG die Körperschaftsteuer betrifft, gebietet eine richtlinienkonforme Ausle­ gung das gerade gefundene Ergebnis.1884 Soweit die Vorschrift die Ein­ 1877 Rüsch, DStZ 2020, 274, 279. 1878 Vgl. auch BT-Drs. 19/28652, S. 25. 1879 Dann könnte nach § 164 Abs. 2 S. 1 AO geändert werden. 1880 Deshalb geht Rüsch zwar von einer materiellen Voraussetzung einer setzung aus, möchte für die Beweisführung gleichwohl den Hinweis strakte Rechtslage im anderen Staat genügen lassen, Rüsch, DStZ 285 f. 1881 Auch Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. e) S. 2 ATAD stellt auf die „[…] schriften des Steuergebiets des Zahlungsempfängers […]“ ab. 1882 Kapitel 1 - B.II.1. 1883 Erwägungsgrund 28 der ATAD II. 1884 Kapitel 3 - A.I.2. 

Steuerfest­ auf die ab­ 2020, 274, Rechtsvor-

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

kommensteuer betrifft, sind die gerade genannten Argumente im Rah­ men der teleologisch-historischen Auslegung zu berücksichtigen.1885 Dort erweisen sich der offene Wortlaut sowie das systematische Argu­ ment ex § 4i S. 1 EStG als zu schwach, um eine uneinheitliche Ausle­ gung zu begründen. Mithin ist jedenfalls allein auf die abstrakte Rechts­ lage im Ausland abzustellen.1886 ff) Ausnahme in S. 2 Schließlich findet sich eine Ausnahme in Satz 2, wenn es dort heißt: „Satz 1 gilt nicht, soweit die Besteuerungsinkongruenz voraussichtlich in einem künftigen Besteuerungszeitraum beseitigt wird und die Zahlungsbedingungen einem Fremdvergleich standhalten.“ Mit der Aus­ nahme wird Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) Unterabs. 2 ATAD Rechnung getragen. Bereits im Hinblick auf die Richtlinienvorgaben wurde sich im Schrifttum gefragt, welche Fälle überhaupt in den Anwendungsbereich dieser Ausnahme fallen werden. Qualifikationskonflikte sind nämlich nicht nur temporärer Natur; die Einordnung als Fremd- oder Eigenkapital ändert sich nicht von Steuer- zu Steuerzeitraum. Auch ist es prima facie kaum vorstellbar, dass an die Einordnung als Eigenkapital geknüpfte Steuerbefreiungen nur temporär gewährt, also in einem späteren Zeit­ raum wieder beseitigt werden. Deshalb wird angenommen, dass über­ haupt nur durch den anderen Staat vorgenommene Anpassungen im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung den Ausnahmetatbestand er­ füllen.1887 Die OECD-Vorgaben, auf welche § 4k Abs. 1 S. 2 EStG zurückgeführt werden kann1888, haben gleichwohl schlicht eine unterschiedliche Perio­ disierung seitens beider Staaten vor Augen.1889 Als Beispiel wird ein Nachrangdarlehen angeführt, bei dem die Zinsen vom Zahlungsleister in dem Jahr als abzugsfähig behandelt werden, in dem sie anfallen, vom Zahlungsempfänger aber erst als Einnahme behandelt werden, wenn sie tatsächlich bezahlt werden.1890 Solche Inkongruenzen, die lediglich aus der zeitlich abweichenden Behandlung des Vorfalls resultieren, müssen nicht eigens neutralisiert werden. Dem trägt § 4k Abs. 1 S. 2 EStG Rech­

1885 Kapitel 3 - A.II. 1886 A.A. Rüsch, DStZ 2020, 274, 279; Schnitger/Oskamp, IStR 2020, 909, 916. 1887 So schon Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 2 Rn. 221. Dies aufgreifend Rüsch, DStZ 2020, 274, 280. 1888 Vgl. nur die oft identische Wortwahl in OECD, Neutralisierung der Effekte hy­ brider Gestaltungen, S. 39. 1889 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 39. 1890 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 250 f. Beispiel 1.22.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

nung. Die Unsicherheiten aufgrund der unbestimmten Wortwahl („vor­ aussichtlich“) werden sich aller Voraussicht nach in Grenzen halten.1891 gg) Rechtsfolge Liegen die eben genannten Voraussetzungen vor, so soll der Betriebsaus­ gabenabzug „[…] insoweit […]“ versagt werden. Sind die Erträge im Aus­ land beispielsweise zu 50 % steuerbefreit, so sind die Aufwendungen zu 50 % nicht als Betriebsausgaben abziehbar und es kommt insoweit zu einer außerbilanziellen Hinzurechnung (Beispiel für Nichtbesteuerung). Werden hingegen Eigenkapitalerträge im Ausland zu 10 % besteuert und Fremdkapitalerträge zu 30 %, so sind die Aufwendungen in Deutschland zu 66,6 % nicht abziehbar (Beispiel für Niedrigbesteuerung).1892 Die Er­ träge werden im Ausland dann nämlich mit 33,3 % des sonst Üblichen mit Steuern belastet. Dann dürfen die korrespondierenden Aufwendun­ gen auch nur zu 33,3 % abzogen werden. Es sollte folglich nicht auf die Differenz der Niedrig- zur Normalbesteuerung, sondern auf das Verhält­ nis beider Größen abgestellt werden.1893 c) Anwendungshierarchie § 4k Abs. 1 S. 1 EStG stellt die nationale Umsetzung der Primary Response auf Gestaltungen mit hybriden Finanzinstrumenten dar (Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD). Existieren im Ausland Vorschriften, die auf die glei­ che Konstellation abzielen, so stellen sich in Zukunft Fragen der An­ wendungshierarchie. Dabei ist genau nach dem sekundärrechtlichen Hintergrund jener Vorschriften zu differenzieren. Es ergeben sich drei Fallgruppen. Handelt es sich bei ihnen um eine Ausnahme von einer Dividenden­ freistellung in Konstellationen zwischen einer Mutter- und Tochterge­ sellschaft (vgl. § 8b Abs. 1 S. 2 KStG), so ist die Regelung auf Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTRL zurückzuführen. Die ausländische Regelung hat dann Vor­ rang gegenüber § 4k Abs. 1 S. 1 EStG.1894 Wenn die ausländische Regelung hingegen auf Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD zurückzuführen ist, dann hat § 4k Abs. 1 S. 1 EStG als Primary Response Vorrang gegenüber der ausländischen Defensive Rule. Das betrifft vor allem Fälle hybrider Übertragungen, in denen Kapitalgesellschaften an 1891 A.A. Rüsch, DStZ 2020, 274, 280. Vgl. auch Loose, PIStB 2020, 73, 82. 1892 Anscheinend von 33,3 % ausgehend, Rüsch, DStZ 2020, 274, 279. 1893 In diesem Sinne OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 196 ff. Beispiel 1.3. Ferner Rüsch, DStZ 2020, 274, 279; Schnitger/Oskamp, IStR 2020, 909, 911. Siehe auch BT-Drs. 19/28652, S. 35. 1894 Kapitel 2 - B.II.7.b).

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

der Gestaltung beteiligt sind.1895 Die ausländische Regelung wäre dann mit dem noch zu erörternden § 8b Abs. 1 S. 3 KStG vergleichbar. Da mit § 4k Abs. 1 S. 1 EStG die Richtlinie im Hinblick auf die Einkom­ mensteuer überschießend umgesetzt wurde, vermag die Regelung schließ­ lich auch Konstellationen zu erfassen, bei denen sich zunächst keine Anwendungshierarchie aus dem Sekundärrecht ergibt. Etwa könnte es sich bei dem Empfänger der „Dividende“ im Rahmen eines hybriden Fi­ nanzinstruments um eine natürliche Person handeln. Die ausländische Regelung entspräche in diesem Fall dem deutschen § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 2 EStG. Ebenso können natürliche Personen im Rahmen von hybriden Übertragungen agieren (vgl. § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG). In beiden Fällen wäre das Zusammenspiel mit § 4k Abs. 1 S. 1 EStG zunächst un­ klar. An dieser Stelle sollte die Anwendungshierarchie im Bereich der Einkommensteuer dem jeweiligen „Körperschaftsteuer-Pendant“, wel­ ches ja sekundärrechtlich vorgegeben ist, folgen. Wenn das Sekundär­ recht „überschießend“ für die Einkommensteuer umgesetzt wird, sollten die Wertungen des Sekundärrechts in Bezug auf die Anwendungshierar­ chie unbedingt übernommen werden. Eine solche Handhabung böte das höchste Maß an Rechtssicherheit. Das bedeutete konkret, dass bei Dividendenfreistellungen im Rahmen eines hybriden Finanzinstruments § 4k Abs. 1 S. 1 EStG nachrangig an­ zuwenden wäre. Das Körperschaftsteuer-Pendant zur ausländischen Re­ gelung wäre auf die Mutter-Tochter-Richtlinie zurückzuführen und des­ halb vorrangig anzuwenden. Im Falle einer hybriden Übertragung wäre das Körperschaftsteuer-Pendant der ausländischen Regelung auf Art. 9 Abs. 1 lit. b) ATAD zurückzuführen, welcher bekanntlich nachrangig an­ zuwenden ist. In solchen Fällen wäre § 4k Abs. 1 S. 1 EStG damit vorrangig anzuwenden. d) Zwischenergebnis § 4k Abs. 1 S. 1 EStG geht auf Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD zurück. Die Er­ fassung von Fällen der Niedrigbesteuerung erscheint vor diesem Hinter­ grund unproblematisch. Die Frage nach einem Steuerfestsetzungser­ fordernis ist aufgrund einer richtlinienkonformen bzw. -orientierten Auslegung zu verneinen. Entgegen der Entwurfsbegründung können Sub­ stitutionszahlungen gleichwohl nicht erfasst werden. Schließlich wer­ den sich in Zukunft Fragen der Anwendungshierarchie stellen, die sich nur unter Zuhilfenahme des Sekundärrechts werden lösen lassen. Der überschießende Teil der Vorschrift sollte insbesondere in Fragen der An­ wendungshierarchie dem sekundärrechtlich vorgegebenen „Körperschaft­ steuer-Pendant“ folgen. 1895 Kapitel 2 - B.I.4.a)aa) sowie Kapitel 1 - B.II.1.a)aa)(1)(b)(aa).

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

3. § 4k Abs. 2 S. 1 EStG § 4k Abs. 2 S. 1 EStG lautet wie folgt: „Soweit nicht bereits die Voraussetzungen für die Versagung des Betriebsausgabenabzugs nach Absatz 1 vorliegen, sind Aufwendungen auch insoweit nicht als Betriebsausgaben abziehbar, als die den Aufwendungen entsprechenden Erträge auf Grund einer vom deutschen Recht abweichenden steuerlichen Behandlung des Steuerpflichtigen oder auf Grund einer vom deutschen Recht abweichenden steuerlichen Beurteilung von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen im Sinne des § 1 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 des Außensteuergesetzes in keinem Staat einer tatsächlichen Besteuerung unterliegen.“ a) Sekundärrechtlicher Hintergrund Laut der Gesetzesbegründung sollen hiermit Art. 9 Abs. 2 lit. a) i.V.m. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. e) und f) ATAD umgesetzt werden.1896 § 4k Abs. 2 S. 1 EStG stellt damit die nationale Umsetzung der Primary ­Response auf nicht berücksichtigte hybride Zahlungen1897 sowie Deemed Branch Payments1898 dar. b) Analyse der Norm aa) Subsidiarität Durch den Einstieg „Soweit nicht bereits die Voraussetzungen für die Versagung des Betriebsausgabenabzugs nach Absatz 1 vorliegen […]“ kommt die bereits angesprochene hierarchische Gliederung des § 4k EStG zum Ausdruck.1899 bb) Aufwendungen Hinsichtlich der Aufwendungen findet sich nun nicht mehr die Ein­ schränkung, dass mit der Nutzung oder der Übertragung von Kapitalver­ mögen in Zusammenhang stehen müssen.1900 Erfasst sind deshalb Auf­ wendungen aller Art, wie beispielsweise Zinsen, Lizenz-, Miet- oder Dienstleistungsentgelte, die im Inland zu abzugsfähigen Betriebsausga­ ben (auch im Wege der Absetzung für Abnutzung) führen.1901 1896 BT-Drs. 19/28652, S. 35. 1897 Zur Fallkonstellation Kapitel 1 - B.II.1.b)aa)(1). Zu den Richtlinienvorgaben Kapi­ tel 2 - B.I.4.a)ee). 1898 Zur Fallkonstellation Kapitel 1 - B.II.1.b)bb). Zu den Richtlinienvorgaben Kapi­ tel 2 - B.I.4.a)ff). 1899 Vgl. Kahlenberg/Rein, SWI 2020, 189, 192. 1900 Vgl. insoweit § 4k Abs. 1 S. 1 EStG. 1901 BT-Drs. 19/28652, S. 35. Zur Abweichung von den Richtlinienvorgaben hinsicht­ lich der Erfassung von „Zahlungen“, siehe bereits Kapitel 5 - C.I.2.b)aa). Zu Fol­

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

cc) Abweichende Behandlung des Steuerpflichtigen oder Beurteilung von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen Erforderlich ist ferner entweder eine vom deutschen Recht abweichende steuerliche Behandlung des Steuerpflichtigen oder eine vom deutschen Recht abweichende steuerliche Beurteilung von anzunehmenden schul­ drechtlichen Beziehungen im Sinne des § 1 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 des Außensteuergesetzes. Erstere Alternative zielt auf abzugsfähige hybride Zahlungen ab. Deshalb sind hiermit solche Fälle angesprochen, in denen eine Gesellschaft in Deutschland intransparent, im Ausland jedoch transparent besteuert wird.1902 Zahlt diese Zinsen an ihren Gesellschafter, so käme es in Deutschland grundsätzlich zu einem Betriebsausgabenabzug. Im Aus­ land wird die schuldrechtliche Beziehung zwischen Gesellschaft und Ge­ sellschafter nicht anerkannt, sodass die korrespondierenden Erträge nicht besteuert werden.1903

Abbildung 43:  Nicht berücksichtigte hybride Zahlungen (§ 4k Abs. 2 S. 1 EStG)

Die zweite Alternative bezieht sich auf Deemed Branch Payments.1904 Fiktive Ausgleichszahlungen können sich in Deutschland auf Basis von

geproblemen wegen der Einbeziehung der Absetzung für Abnutzung, siehe Schnitger/Oskamp, IStR 2020, 909, 915. 1902 BT-Drs. 19/28652, S. 35. 1903 Eine abweichende steuerliche Behandlung des Rechtsträgers kann nach der Ge­ setzesbegründung auch daraus ergeben, dass der Steuerpflichtige Teil eines Grup­ penbesteuerungssystems ist und die Leistungsbeziehung innerhalb der Gruppe steuerlich nicht berücksichtigt wird, BT-Drs. 19/28652, S. 35. Dazu Rüsch, DStZ 2020, 274, 281. 1904 Kapitel 1 - B.II.1.b)bb).

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

§ 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AStG ergeben.1905 Dort werden sog. „anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen“ geregelt.1906 Diese liegen zwischen einer Betriebsstätte und dem Stammhaus etwa dann vor, wenn zwischen ih­ nen wirtschaftliche Vorgänge festgestellt werden, die von fremden Drit­ ten durch schuldrechtliche Vereinbarungen geregelt würden (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) BsGaV).1907 Für solche anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind Verrechnungspreise anzusetzen, die dem Fremdver­ gleichsgrundsatz entsprechen (§ 16 Abs. 2 S. 1 BsGaV). Diese führen zu fiktiven Betriebseinnahmen und fiktiven Betriebsausgaben (§ 16 Abs. 2 S. 2 BsGaV).

Abbildung 44:  Deemed Branch Payments (§ 4k Abs. 2 S. 1 EStG)

dd) Keine tatsächliche Besteuerung Die den Aufwendungen entsprechenden Erträge dürfen „[…] in keinem Staat einer tatsächlichen Besteuerung unterliegen“. Der Begriff der „tat­ sächlichen Besteuerung“ dürfte sich nicht von dem der „Besteuerung“ unterscheiden.1908 Grundsätzlich kann deshalb auf die obigen Ausführun­ gen zur „Nichtbesteuerung“ verwiesen werden.1909 Anders als in § 4k 1905 Dazu Kraft, in: AStG, § 1 Rn. 720 ff. Weiterführend Berner, Betriebsstättenbe­ steuerung nach dem AOA, S. 72 ff. 1906 Der AOA spricht diesbezüglich von sog. „dealings“, dazu Berner, Betriebsstät­ tenbesteuerung nach dem AOA, S. 54 f. 1907 Vgl. auch § 16 Abs. 1 Nr. 2b) BsGaV, welcher sich auf wirtschaftliche Vorgänge bezieht, die zwischen fremden Dritten zur Geltendmachung von Rechtspositio­ nen führen würden. 1908 Dafür liefert die Gesetzesbegründung keinerlei Anhaltspunkte. Dafür auch Rüsch, DStZ 2020, 274, 281. 1909 Kapitel 5 - C.I.2.b)dd).

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

Abs. 1 S. 1 EStG ist eine „Niedrigbesteuerung“ dagegen kein Kriterium mehr.1910 Das entspricht auch den ATAD-Vorgaben.1911 ee) Kausalitätserfordernis Auch für die Anwendung von § 4k Abs. 2 S. 1 EStG muss die besagte abweichende steuerliche Behandlung kausal für die Nichtbesteuerung sein („[…] auf Grund […]“). ff) Ausnahme für Dual Inclusion Income (S. 3) In § 4k Abs. 2 S. 3 EStG findet sich schließlich die Ausnahme für Dual Inclusion Income: „Satz 1 gilt nicht, soweit den Aufwendungen Erträge desselben Steuerpflichtigen gegenüberstehen, die sowohl im Inland als auch nachweislich in dem Staat des Gläubigers oder, wenn es sich bei dem Gläubiger um eine Personengesellschaft handelt, im Staat des unmittelbaren oder mittelbaren Gesellschafters beziehungsweise des anderen Unternehmensteils im Rahmen einer anzunehmenden schuld­ rechtlichen Beziehung einer tatsächlichen Besteuerung unterliegen.“ Wird ein Rechtsträger in Deutschland intransparent, im Ausland jedoch transparent besteuert, kann dies zwar dazu führen, dass im Ausland in­ terne Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter nicht anerkannt werden und deshalb Erträge unberücksichtigt bleiben. Bezieht die Gesellschaft jedoch Zahlungen von fremden Dritten, so kön­ nen daraus resultierende Erträge jedoch doppelt, also in Deutschland und im Ausland, berücksichtigt werden. Dem wird, wie von der ATAD vorge­ geben1912, mit Satz 3 Rechnung getragen, indem der Abzug der Aufwen­ dungen ausnahmsweise insoweit zugelassen wird, wie ihnen doppelt be­ rücksichtigte Erträge gegenüberstehen. Im Detail ergibt sich eine Abweichung: Den Vorgaben der ATAD zufolge ergibt sich eine hybride Gestaltung nur dann, wenn es gestattet ist, den Abzug mit einem Betrag zu verrechnen, der steuerlich nicht doppelt be­ rücksichtigt wird.1913 Es handelt sich dabei mithin um eine positive Vo­ raussetzung. § 4k Abs. 2 S. 3 EStG ist andersherum als Ausnahme formu­ liert, wonach nicht zu neutralisieren ist, wenn die Aufwendungen mit doppelt berücksichtigen Erträgen verrechnet werden. Dieser Unterschied wirkt sich aus, wenn gar nicht verrechnet wird (etwa bei Anlaufver­ lusten). Während die ATAD hier noch eine Nichtanwendung implizier­ te, findet § 4k Abs. 2 S. 3 EStG erst einmal Anwendung. Das lässt sich 1910 BT-Drs. 19/28652, S. 35; Loose, PIStB 2020, 73, 76. 1911 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. e) und f) i.V.m. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 3 lit. e) S. 1 ATAD. 1912 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. b) ATAD. 1913 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. b) ATAD.

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mit Art. 3 ATAD vereinbaren und kehrt im Ergebnis zurück zu den OECD-Empfehlungen, die eine dahingehende Handhabung vor Augen hatten.1914 (1) Intertemporale Verrechnung Übersteigen die doppelt berücksichtigten Erträge in anderen Veranlagungszeiträumen die doppelt berücksichtigten Aufwendungen, so könn­ te die Doppelbesteuerung dadurch vermieden werden, dass der „Über­ hang der Erträge“ mit einem eventuellen „Überhang der Aufwendungen“ aus anderen Veranlagungszeiträumen verrechnet werden kann. Dies lässt sich in zwei Richtungen denken: Der „Überhang der Erträge“ kann sich erst in einem späteren Veranlagungszeitraum (z.B. 02) ergeben. Er kann sich ebenso jedoch auch schon in früheren Veranlagungszeit­räumen (z.B. 00) ergeben haben. In beiden Fällen ist es denkbar, dass der „Über­ hang der Aufwendungen“ (z.B. aus 01) die Doppelbesteuerung im ande­ ren Veranlagungszeitraum mildert. Eine solche „intertemporale Verrechnung“ wird vom Wortlaut des § 4k Abs. 2 S. 3 EStG weder ausdrücklich vorgegeben noch ausgeschlossen; es bleibt vielmehr offen, aus welchem Veranlagungszeitraum die doppelt berücksichtigten Erträge stammen müssen. Sieht man die Teleologie der Vorschrift in der Vermeidung einer möglichen Doppelbesteuerung, so spräche dies für eine zeitraumübergreifende Betrachtung. Jedenfalls die Gesetzesbegründung sieht die Ausnahme auch dann als einschlägig an, wenn sich die doppelt berücksichtigten Erträge in einem späteren Veran­ lagungszeitraum ergeben.1915 Eine solche Auslegung ließe sich auf Basis des offenen Wortlauts halten.1916 Die Möglichkeit einer intertemporalen Verrechnung wird von Art. 9 Abs. 2 ATAD jedoch nicht vorgegeben.1917 In Betracht kommt deshalb ein Verstoß gegen das Mindestschutzkonzept der Richtlinie. Dafür spräche in systematischer Hinsicht, dass nur Art. 9 Abs. 1 ATAD die Möglichkeit einer intertemporalen Verrechnung ausdrücklich vorgibt. Im Umkehr­ schluss könnte sie hinsichtlich Art. 9 Abs. 2 ATAD ausgeschlossen sein. Entschärfen lässt sich dies gleichwohl auf Basis der Erwägungsgründe, welche es den Mitgliedstaaten freistellen, einen Vortrag der Betriebsaus­ gaben zu gewähren.1918 Deutschland hat sich hier folglich für die aus Sicht der Steuerpflichtigen mildere Variante entschieden.1919 1914 Dazu Kapitel 1 - B.II.1.b)aa)(1). 1915 BT-Drs. 19/28652, S. 37. Zur verfahrensrechtlichen Lösung sogleich Kapitel 5 C.I.3.b)ff)(2). 1916 Vgl. auch Schnitger/Oskamp, IStR 2020, 909, 919 f. 1917 Das ist in grundfreiheitlicher Hinsicht unbedenklich, siehe Kapitel 4 - C.V.3. 1918 Erwägungsgrund 20 der ATAD II. 1919 Vgl. Kapitel 2 - B.III.6.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

(2) Verfahrensrechtliche Aspekte Es bleibt damit die Frage, wie die intertemporale Verrechnungsmöglich­ keit verfahrensrechtlich gehandhabt wird. Sowohl die OECD-Empfeh­ lungen als auch die ATAD-Vorgaben sehen hier einen „Betriebsausgaben­ vortrag“ vor. Das bedeutet, dass der Abzug im Zeitraum 01 versagt wird und sodann, z.B. im Zeitraum 02, nachgeholt wird.1920 Die Gesetzesbegründung geht hier einen anderen Weg. Übersteigen in einem späteren Veranlagungszeitraum doppelt berücksichtigte Erträge die Aufwendungen, so liegt der Entwurfsbegründung zufolge ein Fall des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO, mithin ein rückwirkendes Ereignis vor.1921 Es wird folglich weiter der Weg beschritten, der bereits mit der Handhabung des § 4i S. 2 EStG eingeschlagen wurde.1922 Bereits die OECD-Empfehlun­ gen weisen hinsichtlich doppelt berücksichtigter Einnahmen darauf hin, dass man einfachere Umsetzungslösungen in Erwägung ziehen und dabei „unnötige Komplexität“ vermeiden sollte.1923 Offenbar bevorzugt man hier die bereits „bewährte“ Korrektur von Steuerfestsetzungen gegen­ über der Einführung neuer Verrechnungskreise. Für den Steuerpflichti­ gen läuft das zunächst auf dasselbe Ergebnis hinaus; der Betriebsausga­ benabzug wirkt nur temporär und wird nachträglich noch zugelassen. Dabei profitiert der Steuerpflichtige nicht von § 233a AO.1924 Der teils befürchtete administrative Mehraufwand1925 dürfte sich in Grenzen hal­ ten: Auch für einen gesonderten Vortrag der Betriebsausgaben bedürfte es eigener „Vortragsbescheide“.1926 Ob das wirklich effizienter als der Erlass von Änderungsbescheiden ist, kann jedenfalls bezweifelt werden. gg) Rechtsfolge Liegen die eben genannten Voraussetzungen vor, so soll der Betriebsaus­ gabenabzug „[…] insoweit […]“ versagt werden. c) Anwendungshierarchie Als vorrangige Maßnahme genießt § 4k Abs. 2 S. 1 EStG Anwendungs­ vorrang, wenn im Ausland eine entsprechende Sekundärmaßnahme um­ 1920 Kapitel 1 - B.III.6 sowie Kapitel 2 - B.III.6. Vgl. Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-­ Kommentar, Art. 9 Rn. 100. 1921 BT-Drs. 19/28652, S. 37. Kritisch Rüsch, DStZ 2020, 274, 284. 1922 Vgl. Nielsen/Westermann, FR 2018, 1035, 1036 f.; Rüsch, FR 2018, 299, 304; Schnitger, IStR 2017, 214, 216. 1923 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 62 Rn. 130. 1924 Siehe Kapitel 5 - C.I.3.b)ff)(2). A.A. Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 215. 1925 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 215. 1926 Parallel zu der hiesigen Thematik wird jedenfalls der verbleibende Verlustvortrag gem. § 10d Abs. 4 S. 1 EStG gesondert festgestellt.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

gesetzt wird (vgl. § 4k Abs. 2 S. 2 EStG, Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD). Für parallel gelagerte Situationen innerhalb der Einkommensteuer gilt dies entsprechend. 4. § 4k Abs. 2 S. 2 EStG Mit § 4k Abs. 2 S. 2 EStG findet sich eine Überraschung innerhalb des § 4k EStG als vermeintliche „Abzugsbeschränkung“. Die Norm lautet wie folgt: „Handelt es sich bei dem Gläubiger der Erträge im Sinne des Satzes 1 um einen unbeschränkt steuerpflichtigen, unmittelbaren oder mittelbaren Gesellschafter einer ausländischen vermögensverwaltenden Personengesellschaft oder um eine Personengesellschaft, an der ein solcher Gesellschafter unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, gilt § 39 Absatz 2 Nummer 2 der Abgabenordnung nicht, soweit die in Satz 1 genannten Aufwendungen in dem anderen Staat zum Abzug zugelassen sind und die den Aufwendungen entsprechenden Erträge durch die vom deutschen Recht abweichende Zurechnung keiner tatsächlichen Besteuerung unterliegen.“ a) Sekundärrechtlicher Hintergrund Die Norm ist auf Art. 9 Abs. 2 lit. b) i.V.m. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. e) ATAD zurückzuführen.1927 Deutlich zum Verständnis des etwas unglück­ lich formulierten Tatbestandes trägt es folglich bei, sich zu vergegenwär­ tigen, dass es sich hierbei um die Defensive Rule für nicht berücksichtig­ te hybride Zahlungen handelt. b) Analyse der Norm Abgezielt wird deshalb zunächst auf die Konstellation, in der ein in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtiger Gesellschafter mittelbar oder unmittelbar an einer im Ausland ansässigen, vermögensverwalten­ den Personengesellschaft beteiligt ist.1928 Diese Personengesellschaft zahlt einen Betrag an besagten Gesellschafter, wodurch es im Ausland zu ab­ zugsfähigen Aufwendungen kommt1929, während die Erträge in Deutsch­ land nicht berücksichtigt werden1930. Ein solches D/NI-Ergebnis kann 1927 BT-Drs. 19/28652, S. 35. 1928 Siehe den Wortlaut: „Handelt es sich bei dem Gläubiger der Erträge […] um einen unbeschränkt steuerpflichtigen, unmittelbaren oder mittelbaren Gesellschafter einer ausländischen vermögensverwaltenden Personengesellschaft […]“. 1929 Siehe den Wortlaut: „[…] Aufwendungen in dem anderen Staat zum Abzug zugelassen […]“. Anzustellen ist hier wieder eine abstrakte Betrachtung der Rechts­ lage, vgl. auch Rüsch, DStZ 2020, 274, 283. 1930 Siehe den Wortlaut: „[…] Erträge […] keiner tatsächlichen Besteuerung unterliegen“. Die Voraussetzung deckt sich mit jener in § 4k Abs. 1 S. 1 sowie § 4k Abs. 2 S. 1 EStG.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

nur entstehen, wenn es sich bei der aus deutscher Sicht vermögensver­ waltenden Personengesellschaft um einen hybriden Rechtsträger han­ delt1931: Dieser wird im Ausland intransparent, in Deutschland jedoch transparent behandelt.1932 Da es sich hier um eine vermögensverwalten­ de, nicht jedoch gewerbliche Personengesellschaft handelt1933, findet die Bruchteilsbetrachtung des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO Anwendung.1934 Die Wirtschaftsgüter werden anteilig den Beteiligten anstatt der Gesellschaft zugerechnet. Deshalb kann es dazu kommen, dass etwa bei Nutzungs­ überlassungen von einer steuerlich unbeachtlichen Eigennutzung ausge­ gangen wird und deshalb damit in Zusammenhang stehende Erträge nicht berücksichtigt werden.1935

Abbildung 45:  Nicht berücksichtigte hybride Zahlungen (§ 4k Abs. 2 S. 2 EStG)

Insoweit dies der Fall ist, soll die Bruchteilsbetrachtung des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO nicht zur Anwendung gelangen, damit der Ertrag beim Gesell­

1931 Daraus resultiert die vom Wortlaut geforderte „[…] vom deutschen Recht abweichende Zurechnung […]“. 1932 Vgl. Kapitel 1 - B.I.2.b). 1933 Im Falle einer gewerblich tätigen Mitunternehmerschaft wird § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO von § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG als lex specialis verdrängt, st. Rspr. BFH, Be­ schl. v. 25.2.1991 – GrS 7/89, BStBl. II 1991, 691; BFH, Urt. v. 20.2.2003 – III R 34/01, BStBl. II 2003, 700; BFH, Urt. v. 3.2.2010 – IV R 26/07, BStBl. II 2010, 751; BFH, Urt. v. 28.2.2013 – IV R 50/09, BStBl. II 2013, 494. 1934 BFH, Urt. v. 13.7.1999 – VIII R 72/98, BStBl. II 1999, 820; BFH, Urt. v. 27.7.2004 – IX R 20/03, BStBl. II 2005, 33; BFH, Urt. v. 6.10.2004 – IX R 68/01, BStBl. II 2005, 324; BFH, Urt. v. 2.4.2008 – IX R 18/06, BStBl. II 2008, 679; BFH, Beschl. v. 21.7.2016 – IV R 26/14, BStBl. II 2017, 202; BFH, Beschl. v. 17.2.2009 – IX B 139/08, BFH/NV 2009, 921. 1935 BFH, Urt. v. 1.2.1983 – VIII R 184/79, BStBl. II 1984, 128; BFH, Urt. v. 18.5.2004 – IX R 83/00, BStBl. II 2004, 898; BFH, Urt. v. 18.5.2004 – IX R 42/01, BFH/NV 2005, 168; BFH, Beschl. v. 18.4.2006 – IX B 204/05, BFH/NV 2006, 1290.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

schafter berücksichtigt werden kann.1936 Im Ergebnis wird beim Gesell­ schafter ausnahmsweise ein Ertrag erfasst. Diese fallbezogene Gesetzgebung wird etwas unglücklich in Worte ge­ fasst. So werden jeweils Erträge und Aufwendungen im Sinne des Satz 1 in Bezug genommen, dort wird jedoch die genau umgekehrte Fallkonstel­ lation adressiert. Streng genommen läuft die Vorschrift des § 4k Abs. 2 S. 2 EStG deshalb leer.1937 Wie bereits angedeutet, ist die ausnahmsweise Erfassung eines Ertrages (Defensive Rule) im § 4k EStG zudem systema­ tisch fragwürdig platziert.1938 c) Anwendungshierarchie § 4k Abs. 2 S. 2 EStG geht als Sekundärmaßnahme etwaigen Regelungen im Ausland nach, die als vorrangige Maßnahme umgesetzt wurden (vgl. § 4k Abs. 2 S. 1 EStG, Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD). Für parallel gelagerte Situationen innerhalb der Einkommensteuer gilt dies entsprechend. 5. § 4k Abs. 3 EStG § 4k Abs. 3 S. 1 EStG lautet wie folgt: „Soweit nicht bereits die Voraussetzungen für die Versagung des Betriebsausgabenabzugs nach den vorstehenden Absätzen vorliegen, sind Aufwendungen auch insoweit nicht als Betriebsausgaben abziehbar, als die den Aufwendungen entsprechenden Erträge auf Grund deren vom deutschen Recht abweichender steuerlicher Zuordnung oder Zurechnung nach den Rechtsvorschriften anderer Staaten in keinem Staat einer tatsächlichen Besteuerung unterliegen.“ a) Sekundärrechtlicher Hintergrund Mit § 4k Abs. 3 EStG werden insgesamt drei Fallgestaltungen adressiert, die allesamt von Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD umfasst sind. Das sind um­ gekehrt hybride Rechtsträger1939, Diverted Branch Payments1940 sowie Disregarded Branch Structures1941. § 4k Abs. 3 EStG stellt die Primary ­Response auf diese Fallgestaltungen dar.

1936 Siehe den Wortlaut: „[…] gilt § 39 Absatz 2 Nummer 2 der Abgabenordnung nicht, soweit […]“. Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 19/28652, S. 35 f. 1937 Vgl. Rüsch, DStZ 2020, 274, 284. 1938 Für die Aufnahme als Ausnahmevorschrift in § 39 AO deshalb Rüsch, DStZ 2020, 274, 284. 1939 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. b) ATAD 1940 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. c) ATAD. 1941 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. d) ATAD; BT-Drs. 19/28652, S. 37 ff.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

b) Analyse der Norm Der Tatbestand der Vorschrift weist viele bekannte Elemente auf. Auch § 4k Abs. 3 EStG verhält sich subsidiär zu den jeweils vorherigen Absät­ zen. Dem Charakter als Primary Response ist es geschuldet, dass wieder inländische Aufwendungen in Bezug genommen werden.1942 Die korres­ pondierenden Erträge im Ausland dürfen in keinem Staat einer tatsächli­ chen Besteuerung unterliegen. Ursächlich hierfür muss eine vom deutschen Recht abweichende steuer­ liche Zuordnung oder Zurechnung nach den Rechtsvorschriften anderer Staaten sein. Das deckt die gerade genannten Konstellationen, wenn auch teils etwas umständlich, ab: Bei umgekehrt hybriden Gestaltungen sitzt der Zahlungsleister in Deutschland, bei dem die Aufwendungen entstehen.

Abbildung 46:  Umgekehrt hybride Rechtsträger (§ 4k Abs. 3 EStG)

Für die Nichtbesteuerung der Erträge kommt es deshalb gar nicht so sehr darauf an, dass sie abweichend vom deutschen Rechtsverständnis zuge­ ordnet bzw. zugerechnet werden.1943 Vielmehr kommt es darauf an, dass beide anderen beteiligten Staaten des Zahlungsempfängers eine wechselseitig voneinander abweichende Entscheidung treffen. Dies dürfte 1942 Vgl. Kapitel 5 - C.I.2.b)aa). 1943 Vgl. Loose, PIStB 2020, 73, 78.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

gleichwohl noch vom Wortlaut umfasst sein: Die abweichende Zurech­ nung wird stets darin begründet liegen, dass eine transparente Behand­ lung im einen und eine intransparente Behandlung im anderen Staat er­ folgt.1944 Es liegt dann in der Natur der Sache, dass einer der beiden Staaten eine dem deutschen Recht vergleichbare Zurechnungsentschei­ dung und der andere Staat eben eine davon abweichende treffen wird.1945 Ebenso dürfte es sich für Fälle der Disregarded Branch Structures und Diverted Branch Payments verhalten, wenn die Nichtbesteuerung aus einer abweichenden Zuordnung von Erträgen entweder zum Stammhaus oder zur (ggf. nur vermeintlich bestehenden) Betriebsstätte resultiert.1946

Abbildung 47:  Disregarded Branch Structure (§ 4k Abs. 3 EStG)

Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen vor, so greift die bereits be­ kannte Rechtsfolge; die Aufwendungen sind insoweit nicht als Betriebs­ ausgaben abziehbar.1947 In die Kritik geraten ist § 4k Abs. 3 EStG deshalb, weil er keine Ausnah­ me für Dual Inclusion Income vorsieht.1948 Das erscheint gleichwohl un­ bedenklich, da eine Doppelberücksichtigung von Erträgen bei den adres­ sierten Gestaltungen schlicht nicht droht.1949

1944 Kapitel 1 - B.II.1.c)aa)(1). 1945 Implizit Rüsch, DStZ 2020, 274, 284. 1946 Kapitel 1 - B.II.1.c)cc). 1947 Vgl. Kapitel 5 - C.I.2.b)gg). 1948 Kahlenberg/Rein, SWI 2020, 189, 195. Offen Rüsch, DStZ 2020, 274, 284, der das Fehlen einer „Ausnahmeregelung“ kritisiert. 1949 Kapitel 1 - B.II.1.c)aa)(1).

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

c) Anwendungshierarchie Sind sowohl der Zahlungsleister als auch das hybride Unternehmen in Deutschland ansässig, so geht die Anwendung von § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG der Anwendung von § 4k Abs. 3 EStG vor.

Abbildung 48:  Verhältnis von § 4k Abs. 3 EStG zu § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG

In Zukunft wird es zu einer flächendeckenden Umsetzung von Art. 9a ATAD kommen.1950 Wird diese Richtlinienvorgabe im Ausland in natio­ nales Recht überführt, so geht sie dem deutschen § 4k Abs. 3 EStG vor.1951 Parallele Konstellationen innerhalb der Einkommensteuer sollten dersel­ ben Anwendungshierarchie folgen.1952 § 4k Abs. 3 EStG dürfte künftig nur in Drittstaatenkonstellationen zur Anwendung gelangen. 6. § 4k Abs. 4 EStG § 4k Abs. 4 S. 1 EStG lautet: „Soweit nicht bereits die Voraussetzungen für die Versagung des Betriebsausgabenabzugs nach den vorstehenden Absätzen vorliegen, sind Aufwendungen auch insoweit nicht als Betriebsausgaben abziehbar, als die Aufwendungen auch in einem anderen Staat berücksichtigt werden.“ 1950 Kapitel 2 - B.II.1. 1951 Kapitel 2 - B.II.7.e). 1952 Dazu bereits Kapitel 5 - C.I.2.c).

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

a) Sekundärrechtlicher Hintergrund § 4k Abs. 4 S. 1 – 4 EStG dient der Umsetzung der Art. 9 Abs. 1 lit. a) i.V.m. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. g) ATAD sowie Art. 9b ATAD.1953 Es sollen folglich DD-Ergebnisse erfasst werden. Von der allgemeinen Rege­ lung des Art. 9 Abs. 1 ATAD werden Gestaltungen umfasst, die zu einem „doppelten Abzug“ führen. Das sind abzugsfähige hybride Zahlungen und Double Deduction Branch Payments.1954 Bemerkenswert ist, dass § 4k Abs. 4 EStG ebenfalls doppelt ansässige Rechtsträger erfassen soll, die in der ATAD noch mit einem eigenen Art. 9b ATAD bedacht wurden.1955 b) Analyse der Norm aa) Tatbestand und Rechtsfolge Im Ausgangspunkt beinhaltet § 4k Abs. 4 S. 1 EStG lediglich eine Vor­ aussetzung, die noch nicht im Rahmen der vorgenannten Absätze erör­ tert wurde. Diese lautet, dass die Aufwendungen auch in einem anderen Staat berücksichtigt werden müssen. Dafür ist jede Berücksichtigung, sei es auf Ebene der Steuerbemessungsgrundlage oder auf Tarifebene, ausrei­ chend. Eine Steuerfestsetzung oder (liquiditätswirksame) Zahlung ist da­ gegen nicht erforderlich.1956 Ein hybrides Element, welches sich als ursächlich für die Doppelberück­ sichtigung erweist, ist dagegen nicht erforderlich.1957 Das steht hinsicht­ lich Art. 9 Abs. 1 lit. a) i.V.m. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) ATAD im Einklang mit den Richtlinienvorgaben.1958 Im Hinblick auf Art. 9b ATAD bedarf es nunmehr nicht eines Steuerpflichtigen, der in zwei oder mehr Steuergebieten steuerlich ansässig ist. Solche Fälle werden vom weit ge­ fassten Tatbestand des § 4k Abs. 4 S. 1 EStG ebenfalls erfasst. bb) Anwendungshierarchie in S. 2 Satz 2 der Vorschrift regelt die Anwendungshierarchie und unterteilt sich in zwei Halbsätze. Der erste davon ordnet eine grundsätzliche Vor­ rangigkeit der Vorschrift an: „Eine Berücksichtigung der Aufwendungen im Sinne des Satzes 1 liegt bei unbeschränkt Steuerpflichtigen auch vor, wenn der andere Staat den Abzug der Aufwendungen bereits nach sei1953 BT-Drs. 19/28652, S. 37. 1954 Zur den Fallgestaltungen Kapitel 1 - B.II.2.a). Zu den Richtlinienvorgaben Kapi­ tel 2 - B.I.4.a)gg). 1955 Zur den Fallgestaltungen Kapitel 1 - B.II.2.b). Zu den Richtlinienvorgaben Kapi­ tel 2 - B.II.2. 1956 Rüsch, DStZ 2020, 274, 284. Das entspricht den OECD-Empfehlungen und der ATAD, Kapitel 1 - B.II.2. 1957 Kahlenberg/Rein, SWI 2020, 189, 196; Loose, PIStB 2020, 73, 80. 1958 Kahlenberg/Rein, SWI 2020, 189, 196.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

nen Vorschriften nicht zulässt, die diesem oder den vorstehenden Absätzen entsprechen; […]“ (§ 4k Abs. 4 S. 2 HS 1 EStG). Das ist zunächst hinsichtlich der Umsetzung von Art. 9b ATAD bemer­ kenswert. Es wird nämlich nicht – wie eigentlich von der Richtlinie vor­ gegeben – dazwischen differenziert, ob der Steuerpflichtige zusätzlich in einem Drittstaat oder zusätzlich in einem Mitgliedstaat ansässig ist.1959 Im Übrigen entspricht die Vorrangigkeit dem Art. 9 Abs. 1 lit. a) ATAD. Dann handelt es sich bei dem „unbeschränkt Steuerpflichtigen“ um den Gesellschafter einer aus deutscher Sicht transparenten, im Ausland an­ sässigen Personengesellschaft („Investor“).

Abbildung 49:  Abzugsfähige hybride Zahlungen (§ 4k Abs. 4 S. 2 HS 1 EStG)

Mit § 4k Abs. 4 S. 2 HS 2 EStG wird schließlich eine „Vorfahrtsregelung“ etabliert. Diese ist vor dem Hintergrund des Art. 9 Abs. 1 lit. b) ATAD zu lesen. Sie lautet: „[…] dies gilt nicht, wenn der Abzug der Aufwendungen in einem anderen Staat auf Grund einer diesem Absatz entsprechenden Regelung nicht zugelassen wird bei 1. einem mittelbaren oder unmittelbaren Gesellschafter eines unbeschränkt Steuerpflichtigen im Sinne des § 1 des Körperschaftsteuergesetzes oder 2. dem Steuerpflichtigen, sofern sich dessen Wohnsitz, Sitz oder Ort der Geschäftsleitung auch in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union befindet und dieser Staat den Steuerpflichtigen für Zwecke der Anwendung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und diesem Staat als nicht in diesem Staat ansässig behandelt. 1959 Kapitel 2 - B.II.2.b).

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

§ 4k Abs. 4 EStG findet folglich keine Anwendung, wenn der Abzug vor­ rangig beim „Investor“ des hybriden Rechtsträgers im Ausland versagt wird. Nur wenn dies nicht geschieht, wird im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) ATAD der Abzug beim „Zahlenden“, also bei der aus deutscher Sicht intransparent behandelten Körperschaft versagt.1960

Abbildung 50:  Abzugsfähige hybride Zahlungen (§ 4k Abs. 4 S. 2 HS 2 EStG)

cc) Ausnahme für Dual Inclusion Income in S. 3 In Satz 3 findet sich dann die bereits aus § 4k Abs. 2 S. 3 EStG bekannte Ausnahme für Dual Inclusion Income.1961 Insoweit kann zunächst auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.1962 dd) Ausnahme in Anrechnungsfällen in S. 4 Unterhält ein in Deutschland ansässiges Stammhaus eine Betriebsstätte im Ausland und wird zum Zwecke der Doppelbesteuerung die Anrech­ nungsmethode angewandt, so liegt es in der Natur der Sache, dass die Einkünfte der Betriebsstätte zunächst in beiden Staaten berücksichtigt werden. Dem trägt Satz 4 Rechnung und schließt diese Fälle aus dem Anwendungsbereich des § 4k Abs. 4 EStG aus. Satz 4 lautet daher: „Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, bei denen eine Doppelbesteuerung durch Anrechnung der ausländischen Steuer vermieden wird, finden die Sätze 1 bis 3 nur Anwendung, soweit die Aufwendungen auch Erträge in einem anderen Staat mindern, die nicht der inländischen Besteuerung unterliegen“. Gleichwohl erfasst werden soll es, wenn Verluste der An­ rechnungsbetriebsstätte im Ausland mit Gewinnen des Steuerpflichti­ gen oder anderer Rechtsträger verrechnet werden können, die nicht im 1960 Vgl. BT-Drs. 19/28652, S. 38. 1961 Rüsch, DStZ 2020, 274, 285. 1962 Kapitel 5 - C.I.3.b)ff).

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Inland der Besteuerung unterliegen. Diese Möglichkeit kann insbesonde­ re im Rahmen von Gruppenbesteuerungsregimen bestehen.1963

Abbildung 51:  § 4k Abs. 4 S. 4 EStG nicht einschlägig

7. § 4k Abs. 5 EStG Die letzte Regelung des § 4k EStG findet sich in dessen Abs. 5. Dieser lautet: „Soweit nicht bereits die Voraussetzungen für die Versagung des Betriebsausgabenabzugs nach den vorstehenden Absätzen vorliegen, sind Aufwendungen auch insoweit nicht als Betriebsausgaben abziehbar, als den aus diesen Aufwendungen unmittelbar oder mittelbar resultierenden Erträgen Aufwendungen gegenüberstehen, deren Abzug beim Gläubiger, einem weiteren Gläubiger oder einer anderen Person bei entsprechender Anwendung dieses Absatzes oder der Absätze 1 bis 4 versagt würde.“ a) Sekundärrechtlicher Hintergrund § 4k Abs. 5 EStG sieht die Versagung des Betriebsausgabenabzugs im Fal­ le importierter Besteuerungsinkongruenzen vor und setzt damit Art. 9 Abs. 3 ATAD um.1964

1963 BT-Drs. 19/28652, S. 37 ff. 1964 BT-Drs. 19/28652, S. 39.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

b) Analyse der Norm Zentrale Voraussetzung ist hier, dass aus den inländischen Aufwendun­ gen anderswo Erträge resultieren, denen beim Gläubiger ihrerseits Auf­ wendungen gegenüberstehen, die, befände sich der Gläubiger im Inland, dem Abzugsverbot des § 4k EStG unterfielen. Dabei kommt es nicht da­ rauf an, ob diese Situation beim unmittelbaren Gläubiger oder nach ein oder mehreren zwischengeschalteten Personen eintritt („mittelbarer Gläubiger“). Die Regelung soll nicht zur Anwendung gelangen, soweit es bereits zu einer Anpassung im Drittstaat gekommen ist (§ 4k Abs. 5 S. 2 EStG).1965 Dann gibt es keine Besteuerungsinkongruenz, die importiert werden könnte.

Abbildung 52:  Direkt importierte Besteuerungsinkongruenz (§ 4k Abs. 5 EStG)

Nach wie vor ist zwischen den Vorgängen kein wirtschaftlicher Zusam­ menhang erforderlich. Das macht auch die Gesetzesbegründung deut­ lich.1966 Der Wortlaut spricht lediglich davon, dass sich beim Gläubiger die betreffenden Erträge und Aufwendungen „gegenüberstehen“ müssen. Etwas spezifischer wird die Entwurfsbegründung. Sie spricht von einer

1965 Eine nachgelagerte Anpassung, z.B. bei der Mutter der in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaft, ist dagegen nicht ausreichend, BT-Drs. 19/28652, S. 40. 1966 BT-Drs. 19/28652, S. 40. Rüsch, DStZ 2020, 274, 285; Kahlenberg/Rein, SWI 2020, 189, 198 (dort Fn. 35).

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„betragsmäßigen Verkettung“ der Erträge und Aufwendungen. Diese sei insbesondere im Fall einer Refinanzierung anzunehmen.1967 Auf Basis der unklaren Formulierung sowohl des § 4k Abs. 5 EStG als auch der Entwurfsbegründung wurden bereits weitgehende Unsicherhei­ ten bei der Eingrenzung des Anwendungsbereichs der Vorschrift herauf­ beschworen.1968 Exemplarisch dafür wird etwa darauf geschlossen, dass die Vorschrift nur bei Transaktionen zur Anwendung kommt, die „be­ tragsmäßig identisch“ sind1969, was sich insbesondere vor dem Hinter­ grund der historischen Entwicklung der Norm als fernliegend erweist: Jedenfalls materiell-rechtlich lässt sich der Anwendungsbereich der Vor­ schrift einigermaßen genau bestimmen. Mit oben genannten Formu­ lierungen (insb. „gegenüberstehen“ sowie der „betragsmäßigen Verket­ tung“) soll offenbar das Kriterium der „Verrechnung“ der OECD-Vorgaben aufgegriffen werden.1970 Zur Bestimmung der Höhe der Verrechnung wer­ den dort unterschiedliche Methoden ausführlich erörtert. Auf diese soll­ te bei der Anwendung der nationalen Vorschrift zurückgegriffen werden. Der Wortlaut, wonach sich Erträge und bestimmte Aufwendungen beim Gläubiger „gegenüberstehen“ müssen, ist in Bezug auf strukturiert im­ portierte Besteuerungsinkongruenzen im Sinne der Rückverfolgungsme­ thode, für direkt importierte Besteuerungsinkongruenzen im Sinne der Proportionalitätsmethode und schließlich für indirekt importierte Be­ steuerungsinkongruenzen im Sinne des Wasserfallmodells zu interpre­ tieren.1971 Die „betragsmäßige Verkettung“ findet demnach in genau der Höhe statt, wie die Aufwendungen letztlich „in die hybride Gestaltung fließen“. Dass alle Transaktionen auf dem Weg dorthin in der Höhe ent­ sprechen müssen, ist nicht erforderlich. Vielmehr bedarf es keines wie auch immer gelagerten wirtschaftlichen Zusammenhangs.1972 Ungeachtet dessen dürfte sich die praktische Handhabung der Vorschrift schwierig gestalten.1973 Das „Scharnier“ zwischen den an sich nicht zu beanstandenden Aufwendungen des Steuerpflichtigen und der schädli­ chen hybriden Gestaltung ist das Kriterium der „Verrechnung“. Zu die­ ser kommt es stets bei einer in einem Drittstaat ansässigen Person. Bei indirekt importierten Besteuerungsinkongruenzen ist der Zahlungsfluss gar über mehrere Gläubiger hinweg nachzuvollziehen. Bei den Gläubi­ gern kann es sich auch um Dritte, nur durch eine strukturierte Gestal­ 1967 BT-Drs. 19/28652, S. 40. 1968 Kahlenberg/Rein, SWI 2020, 189, 198. 1969 Rüsch, DStZ 2020, 274, 285. 1970 Kapitel 1 - B.II.1.d)aa). Vgl. insoweit Art. 9 Abs. 3 ATAD: „[…] insoweit, als diese Zahlung direkt oder indirekt in abzugsfähige Aufwendungen fließt […]“. 1971 Vgl. auch Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 264. 1972 Siehe bereits Kapitel 2 - B.II.3.c). 1973 Loose, PIStB 2020, 73, 82.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

tung mit dem Steuerpflichtigen verbundene Personen, handeln. Der Nachweis der Anwendungsvoraussetzungen dürfte sich dann als kaum möglich erweisen. 8. Zusammenfassende Betrachtung des § 4k EStG Der Inhalt des umständlich formulierten § 4k EStG muss sich mühsam erschlossen werden. Am Ende steht die Erkenntnis, dass es sich bei den einzelnen Vorschriften jeweils um Hybridnormen handelt. Das liegt da­ rin begründet, dass die Vorgaben der ATAD II überschießend auch für den Bereich der Einkommensteuer umgesetzt wurden.1974 Im Übrigen wird der Anwendungsbereich der Richtlinie jedoch nicht verlassen. In persönlicher Hinsicht wird zwar die Beteiligungsquote größtenteils niedriger angesetzt, als es die ATAD II vorschreibt.1975 Das führt jedoch nicht dazu, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie verlassen wird.1976 In sachlicher Hinsicht entsprechen die Vorschriften grundsätzlich den Richtlinienvorgaben. Das bedeutet, dass Substitutionszahlungen – ent­ gegen der Entwurfsbegründung jedoch insoweit übereinstimmend mit den Richtlinienvorgaben – nicht erfasst werden.1977 Die Ausnahme für Dual Inclusion Income ist zwar leicht strenger formuliert als es die ATAD vorschreibt. Das ist gleichwohl zulässig (Art. 3 ATAD) und kehrt insoweit zur ursprünglichen Intention der OECD-Empfehlungen zu­ rück.1978 Bezüglich abzugsfähiger hybrider Zahlungen (§ 4k Abs. 2 S. 1 EStG) wird die Richtlinie zu Gunsten der Steuerpflichtigen interpretiert, da auch eine intertemporale Verrechnung mit Dual Inclusion Income zugelassen wird.1979 Diesbezüglich schlägt Deutschland in verfahrens­ rechtlicher Hinsicht gleichwohl einen Sonderweg ein: Während die Richtlinie (und die OECD-Empfehlungen) einen Vortrag bislang versag­ ter Betriebsausgabenabzüge im Sinn hat, um diese in künftigen Zeiträu­ men zu berücksichtigen, will man beim § 4k EStG rückwirkend die ur­ sprüngliche Veranlagung korrigieren. Das entspricht der bisherigen Vorgehensweise bei § 4i EStG.1980 Bei der Auslegung von § 4k EStG ist für den Bereich der Körperschaft­ steuer eine richtlinienkonforme und für den Bereich der Einkommen­

1974 Kapitel 5 - C.I.1.d). 1975 Kapitel 5 - C.I.1.a). 1976 Kapitel 5 - C.I.1.e). 1977 Kapitel 5 - C.I.2.b)cc). 1978 Kapitel 5 - C.I.3.b)ff). 1979 Kapitel 5 - C.I.3.b)ff)(1). 1980 Kapitel 5 - C.I.3.b)ff)(2).

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

steuer eine richtlinienorientierte Auslegung geboten.1981 Aus diesem Grunde ist für die Anwendung der Vorschriften lediglich eine abstrakte Betrachtung der Rechtslage im Ausland vorzunehmen und das Erforder­ nis einer Steuerfestsetzung abzulehnen.1982 Für die Frage nach der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht muss dif­ ferenziert werden. Soweit § 4k EStG die Körperschaftsteuer betrifft, stel­ len sich die Vorschriften als Umsetzungsmaßnahmen dar. Sie sind des­ halb allein an der ATAD II zu messen und stoßen insoweit auf keinerlei Bedenken.1983 Von dieser Wirkung profitiert insbesondere § 4k Abs. 5 EStG. Bezüglich der entsprechenden Richtlinienvorgabe wurde herausge­ arbeitet, dass diese aus grundfreiheitlicher Perspektive auf Bedenken stößt.1984 Solange jedoch nicht die Richtlinie selbst angegriffen wird, steht § 4k Abs. 5 EStG unter ihrem Schutz. Die Bedenken schlagen des­ halb nicht auf die Vorschrift durch. Soweit § 4k EStG die Einkommensteuer betrifft, sind die Ausführungen aus Kapitel 4 zunächst übertragbar. Die grundfreiheitliche Rechtferti­ gung erscheint zweifelhaft, ist jedoch erwartbar.1985 Nach hier vertretener Auffassung ist eine internationale Kohärenzbetrachtung nur vorbehalt­ lich ausreichender zwischenstaatlicher Koordination möglich.1986 Diese besteht für den überschießenden Bereich der Einkommensteuer erst ein­ mal nicht. Wohl die einzig denkbare Lösung besteht hier darin, die durch die ATAD II vorgegebene Anwendungshierarchie aus dem Bereich der Körperschaftsteuer analog auch für die Parallelkonstellationen innerhalb der Einkommensteuer zu übernehmen.1987 Aufgrund dieser Möglichkeit wird man von einer ausreichenden Koordination ausgehen können. Er­ achtet man damit den Rechtfertigungsgrund der internationalen Kohä­ renz als einschlägig, so lassen sich die Vorschriften auch im Bereich der Einkommensteuer grundsätzlich rechtfertigen. Anderes gilt hier nur für § 4k Abs. 5 EStG. Soweit die Abzugsbeschränkung ein Einkommensteu­ ersubjekt trifft, verstößt die Vorschrift gegen die Kapitalverkehrsfrei­ heit.1988 Da es sich insoweit um den überschießenden Teil der Vorschrift handelt, kommt ihr hier nicht die verfahrensrechtliche Immunisierungs­ wirkung der ATAD zugute.

1981 Vgl. Kapitel 3 - A. 1982 Kapitel 5 - C.II.2.c)bb). 1983 Kapitel 3 - A.I.2.b). 1984 Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb)(3)(d). 1985 Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb)(3)(c). 1986 Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb)(3)(c). 1987 Kapitel 5 - C.I.2.c). 1988 Vgl. Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb)(3)(d).

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

II. § 8b Abs. 1 S. 3 KStG, § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG Es wurde bereits herausgearbeitet, dass zu einem D/NI-Ergebnis führen­ de hybride Übertragungen mit § 4k Abs. 1 EStG adressiert werden.1989 Jene Vorschrift führt zur Versagung des Betriebsausgabenabzugs und stellt damit die Primary Response auf die Besteuerungsinkongruenz dar (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD). Damit fehlt es noch an der Defensive Rule, die zu einer ausnahmsweisen Erfassung der korrespondierenden Erträge führt (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD). Eben jene wurde mit § 8b Abs. 1 S. 3 KStG in das ATAD-Umsetzungsgesetz aufgenommen. Hier­ durch wird die Steuerbefreiung für Beteiligungserträge des § 8b Abs. 1 S. 1 KStG unter bestimmten Voraussetzungen nicht gewährt. Der im Vergleich zur ursprünglichen Entwurfsfassung ganz erheblich verein­ fachte1990 § 8b Abs. 1 S. 3 KStG lautet wie folgt: „Sofern die Bezüge in einem anderen Staat aufgrund einer vom deutschen Recht abweichenden steuerlichen Zurechnung der Anteile iSd S. 1 einer anderen Person zugerechnet werden, gilt S. 1 nur, soweit das Einkommen der anderen Person oder ihr nahestehender Personen nicht niedriger ist als bei einer dem deutschen Recht entsprechenden Zurechnung“. Beinahe gleichlautend findet sich mit § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG eine entsprechende Vorschrift für die Einkommensteuer. Hierdurch wird das durch § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 1 EStG grundsätzlich geltende Teileinkünf­ teverfahren eingeschränkt. Grundsätzlich entspricht der Wortlaut dem­ jenigen des § 8b Abs. 1 S. 3 KStG. Es wird lediglich nicht auf „Anteile iSd S. 1“ verwiesen: „Sofern die Bezüge in einem anderen Staat aufgrund einer vom deutschen Recht abweichenden steuerlichen Zurechnung einer anderen Person zugerechnet werden, gilt S. 1 nur, soweit das Einkommen der anderen Person oder ihr nahestehender Personen nicht niedriger ist als bei einer dem deutschen Recht entsprechenden Zurechnung“. Aufgrund der nur geringfügigen Abweichung können die beiden Vor­ schriften gemeinsam besprochen werden. 1. Sekundärrechtlicher Hintergrund Dabei gilt es zu beachten, dass § 8b Abs. 1 KStG auf die Richtlinienvor­ gabe des Art. 9 Abs. 2 lit. b) i.V.m. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) ATAD zurückzuführen ist.1991 Da sich der Anwendungsbereich der ATAD je­ doch grundsätzlich auf Körperschaftsteuersubjekte beschränkt1992, stellt 1989 Kapitel 5 - C.I.2. 1990 Siehe dazu Rüsch, IStR 2020, 371, 371. 1991 BT-Drs. 19/28652, S. 43. 1992 Kapitel 2 - B.I.3.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

§ 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG eine überschießende Umsetzung der Richt­ linienvorgaben dar.1993 2. Analyse der Normen a) Bezüge im Sinne des S. 1 Die Regelungen umfassen jeweils Bezüge im Sinne der Grundregel. Das sind hinsichtlich § 8b Abs. 1 S. 3 KStG solche im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10.1994 Hinsichtlich § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG sind dies solche im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 9 EStG.1995 b) Zurechnungskonflikt Ferner bedarf es eines Zurechnungskonflikts. Es müssen die „[…] Bezüge in einem anderen Staat aufgrund einer vom deutschen Recht abweichenden steuerlichen Zurechnung einer anderen Person zugerechnet werden […]“. Zwar wird hier zunächst auf die Bezüge abgestellt. Eine abweichende Zurechnung der Bezüge wird sich gleichwohl immer dann ergeben, wenn auch die diesen zugrundeliegenden Anteile einer unter­ schiedlichen Person zugerechnet werden.1996 Das wirtschaftliche Eigen­ tum an Aktien, die im Rahmen einer Wertpapierleihe oder auch im Rah­ men von Repo-Geschäften übertragen werden, richten sich nach den Grundsätzen des BMF-Schreibens von 11. November 2016.1997 Die Gesetzesbegründung zielt mit den Vorschriften des § 8b Abs. 1 S. 3 KStG sowie § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG vor allem auf grenzüberschrei­ tende Wertpapierleihen ab.1998 Die Rechtsfolge der Vorschrift trifft dann jeweils den Darlehensgeber, also den „Verleiher“ der Wertpapiere. Dieser kann nach deutschem Verständnis, obwohl er zunächst nicht mehr zivil­ rechtlicher Eigentümer der Wertpapiere ist, ausnahmsweise wirtschaftli­ cher Eigentümer der Wertpapiere bleiben.1999 Die vom Darlehensnehmer (also dem „Entleiher“ der Wertpapiere) geleistete Kompensationszahlung wird dann wirtschaftlich als Dividende betrachtet und grundsätzlich nach § 8b Abs. 1 S. 1 KStG steuerbefreit.2000 1993 Gleichwohl ist die Vorschrift auf die Richtlinienvorgaben zurückzuführen. Die Gesetzesbegründung betrachtet § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG als eine Umset­ zung des Art. 9 Abs. 2 lit. b) i.V.m. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. a) ATAD, siehe BT-Drs. 19/28652, S. 43. 1994 Siehe § 8b Abs. 1 S. 1 KStG. 1995 Siehe § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 1 EStG. 1996 Rüsch, IStR 2020, 371, 373. 1997 BMF, Schr. v. 11.11.2016 – IV C 6 – S 2134/10/10003-02, BStBl. I 2016, 1324. 1998 BT-Drs. 19/28652, S. 43. 1999 BMF, Schr. v. 11.11.2016 – IV C 6 – S 2134/10/10003-02, BStBl. I 2016, 1324 dort unter II. „Kein Übergang wirtschaftlichen Eigentums (Ausnahmefall)“. 2000 Siehe auch das Beispiel in der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 19/28652, S. 43.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

Abbildung 53:  Grenzüberschreitende Wertpapierleihe (§ 8b Abs. 1 S. 3 KStG)

Unter Umständen könnten die Vorschriften auch auf sog. Repo-Geschäf­ te Anwendung finden. Diese unterscheiden sich von der Wertpapierleihe unter anderem in dem Punkte, dass der „Darlehensgeber“ gleichzeitig auch zivilrechtlicher Eigentümer der Wertpapiere ist. Sie werden näm­ lich vom Darlehensnehmer als Sicherheit für die Darlehenssumme an den Darlehensgeber übereignet. Aus deutscher Sicht können die genannten Vorschriften Anwendung finden, wenn Deutschland bei der grundsätzlich formalen Betrachtung bleibt und die Wertpapiere dem Darlehensgeber zu­ rechnet, während im Ausland ausnahmsweise eine wirtschaftliche Be­

Abbildung 54:  Repo-Geschäft (§ 8b Abs. 1 S. 3 KStG)

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

trachtungsweise zu dem Ergebnis führt, dass die Wertpapiere weiterhin dem Darlehensnehmer zugerechnet werden.2001 Der Darlehensgeber be­ zieht die Dividende von der Kapitalgesellschaft, auf welche grundsätz­ lich § 8b Abs. 1 S. 1 KStG Anwendung findet. Praktisch setzt diese Kon­ stellation voraus, dass im Ausland der Begriff des wirtschaftlichen Eigentums weiter verstanden wird als in Deutschland. c) „Niedrigeres Einkommen“ Die Ausnahmevorschriften des § 8b Abs. 1 S. 3 KStG sowie § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG kommen nur zur Anwendung, soweit das Einkommen der anderen Person niedriger ist als bei einer dem deutschen Recht ent­ sprechenden Zurechnung. Es ist folglich danach zu fragen, wie das Ein­ kommen der im anderen Staat ansässigen Person aussähe, wenn der an­ dere Staat die Anteile nicht mehr dieser Person, sondern – wie Deutschland auch – der in Deutschland ansässigen Person zurechnete.2002 Da es sich bei der anderen Person dann nicht um den Anteilseigner han­ delte, würde ihm der andere Staat die Eigenkapitalertragsbefreiung für die von ihm erhaltene „Dividendenzahlung“ nicht gewähren; sein Ein­ kommen wäre damit höher. Mit anderen Worten erweist sich die vom deutschen Recht abweichende Zurechnung damit als ursächlich für ein geringeres Einkommen der an­ deren Person.2003 Im Detail ergeben sich gleichwohl weitere Auslegungsfragen, die im Fol­ genden diskutiert werden. aa) Vorteile auf Tarifebene umfasst Zunächst wird kritisiert, dass auf ein niedrigeres Einkommen bei der an­ deren Person abgestellt wird. Dadurch könnten dem Einkommen nach­ gelagerte Positionen nicht erfasst werden.2004 Der Gedanke leuchtet un­ mittelbar ein: Nach deutschem Verständnis ergibt sich das Einkommen aus § 8 Abs. 1 S. 1 KStG, welcher wiederum auf die Vorschriften des Ein­ kommensteuergesetzes verweist.2005 Nicht umfasst sind davon neben den Freibeträgen der §§ 24 und 25 KStG2006 vor allem Vorteile auf der 2001 Dieser verpflichtet sich zum Rückkauf der Wertpapiere („Repurchase Opera­ tion“). 2002 Vgl. Rüsch, IStR 2020, 371, 373. 2003 Aus dem Wortlaut lässt sich – wie bei den Regelungen des § 4k EStG auch – ein Kausalitätskriterium ableiten, so auch Rüsch, IStR 2020, 371, 374. 2004 Grundlegend Rüsch, IStR 2020, 371, 373 f. 2005 Eine Aufzählung der anwendbaren Vorschriften des EStG findet sich in R 8.1 Abs. 1 KStR. Dazu Rengers, in: Brandis/Heuermann, § 8 KStG Rn. 45 f. 2006 Diese werden erst beim zu versteuernden Einkommen gem. § 7 Abs. 2 KStG er­ fasst.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

Tarifebene. Vorteile wie der Abzug eines Betrages von der Steuerschuld oder ein niedrigerer Steuersatz sind jedoch gerade für die Begünstigung von Eigenkapitalerträgen relevant.2007 Die Formulierung der § 8b Abs. 1 S. 3 KStG und § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG führt gleichwohl noch nicht dazu, dass die korrespondierende Be­ steuerung nur unzureichend verwirklicht werden kann.2008 Vielmehr las­ sen sich die Vorschriften dahingehend auslegen, dass auch Vorteile auf der Tarifebene erfasst werden. Eine solches Verständnis erweist sich nicht als contra legem. Zwar ist im deutschen Recht der Begriff des Einkommens klar definiert. Es wird je­ doch auf ein niedrigeres Einkommen einer anderen Person im Ausland abgestellt. Deshalb kann allenfalls danach gefragt werden, ob dort ein vergleichbarer Begriff existiert. Das Wortlautargument verliert deshalb einiges an Schärfe. Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht nur identi­ sche, sondern auch nur ähnliche Vorteile erfasst werden. Der Grundsatz, dass der (im deutschen Sinne verstandene) Wortlaut die äußerste Grenze der Auslegung darstellt2009, erweist sich im Kontext eines fremden Rechtssystems als nicht praktikabel. Eine teleologische (Vergleichs-)Betrachtung ist schon deshalb zwingend in den Vorschriften angelegt. Diese führt hier zu dem Ergebnis, dass auch Vorteile auf Tarifebene zu einer Doppelbegünstigung führen können und deshalb aufgegriffen werden sollten.2010 In systematischer Hinsicht muss dann jedoch gefragt werden, warum § 4k Abs. 1 S. 1 EStG ausdrücklich auch eine „niedrigere Besteuerung“ im Ausland umfasst. Dies impliziert, dass vergleichbare Vorteile im Rah­ men von § 8b Abs. 1 S. 3 KStG bzw. § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG gerade nicht zu berücksichtigen sind. Diese Friktion kann allenfalls mit dem Regelungskontext des § 8b KStG sowie § 3 Nr. 40 EStG erklärt werden. Beide Vorschriften statuieren Steuerbefreiungen und betreffen deshalb die Einkommensebene.2011 Lediglich deshalb könnten die Ausnahmen im ATAD-Umsetzungsgesetz die Begrifflichkeit ihrer „Grundregeln“ auch für die Vorteile im Ausland zugrunde legen. Da es sich bei § 4k Abs. 1 S. 1 EStG hingegen um eine Abzugsbeschränkung handelt, ist dort ein solcher Ausgangspunkt nicht gegeben. Die Gesetzessystematik spricht damit nicht zwingend für eine Begrenzung auf Vorteile, die in einem en­ geren Sinne mit der deutschen Einkommensebene vergleichbar sind. 2007 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 34 Rn. 41. 2008 A.A. Rüsch, IStR 2020, 371, 373 f. sowie 378. 2009 BVerfG, Urt. v. 23.10.1985 – 1 BvR 1053/82, BVerfGE 71, 108, 115; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Rn. 304 ff. 2010 Insoweit gl.A. Rüsch, IStR 2020, 371, 374. 2011 Vgl. Valta, in: Brandis/Heuermann, § 3 EStG Rn. 1 f.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

Wenn man an dieser Stelle noch immer Zweifel hegt, ob tarifliche Vortei­ le erfasst werden, so erübrigen sich diese jedenfalls hinsichtlich des § 8b Abs. 1 S. 3 KStG: Hier ist nämlich eine richtlinienkonforme Auslegung geboten.2012 Wie bereits im Rahmen von § 4k Abs. 1 S. 1 KStG erörtert, sind auch auf der Tarifebene verortete Steuervorteile vom Anwendungs­ bereich der Richtlinie erfasst.2013 Es widerspräche damit dem Sekun­ därrecht, sie bei § 8b Abs. 1 S. 3 KStG unberücksichtigt zu lassen. Dies gesagt, finden sich wiederrum keine sachlichen Gründe, § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG in einem anderen Sinne zu interpretieren. Im Gegen­ teil gebietet die Gesetzesbegründung eine richtlinienorientierte Ausle­ gung.2014 bb) Steuerfestsetzung nicht erforderlich Bereits für eine Nicht- oder Niedrigbesteuerung im Sinne des § 4k Abs. 1 S. 1 EStG wurde herausgearbeitet, dass es keiner Steuerfestsetzung be­ darf, um die Voraussetzung als erfüllt anzusehen.2015 Die Ausführungen lassen sich auf das hier erforderliche „niedrigere Einkommen“ der ande­ ren Person übertragen. Auch hier bedarf es keiner Steuerfestsetzung.2016 Die Anwendungsvoraussetzungen der Vorschriften können damit an­ hand der abstrakten Rechtslage nachgewiesen werden.2017 d) Kein persönliches Abhängigkeitserfordernis Vor dem Hintergrund der Richtlinienvorgaben ist es schließlich bemer­ kenswert, dass die Regelungen kein persönliches Näheverhältnis for­ dern. Während Art. 9 Abs. 2 ATAD noch die persönliche Komponente der hybriden Gestaltung zugrunde liegt2018, beziehen sich die gerade genann­ ten Vorschriften des ATAD-Umsetzungsgesetzes auf die jeweilige „Grundregel“ im Sinne des § 8b Abs. 1 S. 1 KStG bzw. § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 1 EStG. Keine der beiden Steuerbefreiungen ist jedoch im Aus­ gangspunkt an persönliche Voraussetzungen geknüpft. Es muss sich le­ diglich um Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG handeln2019. In Bezug auf § 8b Abs. 1 S. 1 KStG ließe sich zwar argumentieren, dass die 2012 Kapitel 3 - A.I.2.a). 2013 Kapitel 5 - C.I.2.b)dd)(1). 2014 BT-Drs. 19/28652, S. 43. 2015 Kapitel 5 - C.I.2.b)ee). 2016 So auch Rüsch, IStR 2020, 371, 374. Vgl. dort auch die weiterführenden Überle­ gungen dazu, ob eine Einkommensminderung anderweitig wieder neutralisiert werden kann. 2017 So auch Rüsch, IStR 2020, 371, 375 f. 2018 Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 lit. c) ATAD. Dazu Kapitel 2 - B.I.4.b). 2019 § 8b Abs. 1 S. 1 KStG erfasst daneben noch Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 2, 9 und 10. § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 1 EStG erfasst daneben noch Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

Freistellung nicht gewährt wird, wenn die Beteiligung zu Beginn des Ka­ lenderjahres unmittelbar weniger als 10 % betragen hat. Dies ergibt sich erst aus § 8b Abs. 4 S. 1 KStG. Diese an die Beteiligungshöhe geknüpfte Ausnahme steht jedoch gleichwertig neben der des § 8b Abs. 1 S. 3 KStG. Deshalb schränkt mit § 8b Abs. 1 S. 3 KStG eine mit Blick auf die Betei­ ligungshöhe unterschiedslose Korrespondenzregel eine (zunächst) unter­ schiedslos gewährte Freistellung (§ 8b Abs. 1 S. 1 KStG) ein.2020 Das ist als Straffung nicht jedoch als eine Überschreitung des Anwendungsbereichs der Richtlinienvorgaben anzusehen.2021 e) Anwendungshierarchie § 8b Abs. 1 S. 3 KStG stellt eine Defensive Rule dar, da die Vorschrift Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD umsetzt. Greifen Vorschriften im Ausland die­ selbe Konstellation auf, so sind diese vorrangig anzuwenden (vgl. § 4k Abs. 1 EStG, Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD). Analog dazu sollte auch § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG nachrangig angewandt werden. 3. Zusammenfassende Gesamtbetrachtung § 8b Abs. 1 S. 3 KStG stellt sich als eine Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD dar. § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG ist als überschießende Umsetzung derselben Richtlinienvorgabe zu werten. Es ist dem Rege­ lungskontext geschuldet, dass hier keine „einheitliche“ Hybridnorm eingeführt wurde. So greift in der Einkommensteuer das Teileinkünfte­ verfahren (§ 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG), während in der Körperschaftsteu­ er die 95-prozentige Freistellung des § 8b KStG Anwendung findet. Für die Auslegung ergeben sich insoweit jedoch keine Unterschiede. § 8b Abs. 1 S. 3 KStG ist richtlinienkonform auszulegen, weshalb auch Vor­ teile auf Tarifebene umfasst werden und es für die Anwendung der Vor­ schrift nicht auf eine erfolgte Steuerfestsetzung ankommt.2022 Entspre­ chendes gilt für § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG, der dahingehend richtlinienorientiert auszulegen ist. In Bezug auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht ergeben sich keine grundlegenden Bedenken.2023

III. § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG Mit dem ATAD-Umsetzungsgesetz wurde § 49 Abs. 1 EStG um eine neue Nummer 11 erweitert. Satz 1 lautet wie folgt:

2020 So in Bezug auf § 8b Abs. 1 S. 2 KStG bereits Desens, IStR 2014, 825, 829. 2021 Ähnlich Kapitel 5 - C.I.1.e). 2022 Kapitel 5 - C.II.2.c). 2023 Vgl. Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb)(3)(c).

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

„Einkünfte aus der Beteiligung an einer Personengesellschaft oder Gemeinschaft, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland hat oder in ein inländisches Register eingetragen ist, soweit diese Einkünfte a) in dem Staat, in dem der Beteiligte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, aufgrund einer vom deutschen Recht abweichenden steuerlichen Behandlung der Personengesellschaft oder Gemeinschaft keiner Besteuerung unterliegen, b) nicht bereits als Einkünfte im Sinne der Nummern 1 bis 10 einer Besteuerung unterliegen und c) in keinem anderen Staat einer Besteuerung unterliegen.“ 1. Sekundärrechtlicher Hintergrund Die Einführung des neuen § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG dient der Umsetzung von Art. 9a ATAD.2024 Die neue Vorschrift soll gem. § 52 Abs. 45a S. 4 EStG ab dem 1. Januar 2022 Anwendung finden. Damit wird der Vorgabe des Art. 2 Abs. 3 ATAD entsprochen, wonach die Umsetzung des Art. 9a ATAD in nationales Recht mit Ablauf des 31. Dezember 2021 zu erfolgen hat.2025 2. Analyse der Norm a) Tatbestand aa) Umgekehrt hybrides Unternehmen § 49 Abs. 1 Nr. 11 S. 1 EStG stellt auf Einkünfte aus der Beteiligung an einer Personengesellschaft oder Gemeinschaft ab, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland hat oder in ein inländisches Register einge­ tragen ist. Diese muss steuerlich abweichend vom deutschen Recht be­ handelt werden. Aufgegriffen wird hiermit das „umgekehrt hybride Un­ ternehmen“ im Sinne von Art. 9a Abs. 1 ATAD.2026 Aus deutscher Perspektive muss es sich bei § 49 Abs. 1 Nr. 11 S. 1 EStG um eine in­ landsansässige Personengesellschaft handeln, die nach deutschem Recht transparent und im Ansässigkeitsstaat der Beteiligten intransparent be­ handelt wird.2027 bb) Keine Besteuerung der Einkünfte Die eben dargestellte steuerliche Behandlung muss dazu führen („aufgrund“), dass die Einkünfte aus der Beteiligung sowohl in Deutschland 2024 BR-Drucks. 245/21, S. 7.  2025 Siehe Kapitel 2 - B.I.1. 2026 Siehe Kapitel 2 - B.II.1.a)aa). 2027 Krechel/Strüder, FR 2021, 884, 884.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

„keiner Besteuerung unterliegen“ sowie „in keinem anderen Staat einer Besteuerung unterliegen“.2028 Im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal wurden bereits erste Auslegungsfragen aufgeworfen. So fragt sich, ob für die fehlende Besteuerung nur auf die Ebene des hybriden Unternehmens oder auch auf die des Beteiligten abzustellen ist. In letzterem Falle führte eine Besteuerung bei der Entnahme (bzw. aus ausländischer Sicht der Ausschüttung an den Beteiligten) dazu, dass eine Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 11 S. 1 EStG ausscheidet.2029 In Bezug auf das Richtlinienvor­ bild des Art. 9a Abs. 1 ATAD wird zum Teil vertreten, dass auch eine Besteuerung auf der Ebene der Beteiligten zu berücksichtigen sei.2030 Der Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG, der auf die „Einkünfte aus der Be­ teiligung“ abstellt, gäbe eine solche Interpretation jedenfalls her.2031 Jedoch ist § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG im Wege der richtlinienkonformen Auslegung dahingehend auszulegen, dass lediglich die Ebene des hybri­ den Unternehmens in den Blick zu nehmen ist. Art. 9a Abs. 1 ATAD möchte offenbar eine Vorbelastung der Einkünfte herstellen, bevor diese entnommen bzw. ausgeschüttet werden. Bereits der Wortlaut stellt klar auf die Einkünfte des hybriden Unternehmens ab.2032 Ebenfalls sind bei der Auslegung der ATAD die Empfehlungen der OECD als Referenz her­ anzuziehen.2033 Die insoweit einschlägige Empfehlung 5.2 setzt für ihre Anwendung voraus, dass dem ausländischen Investor die an das hybride Unternehmen getätigten Zahlungen aufgrund der intransparenten Be­ handlung des Unternehmens nicht zugeordnet werden. Keine Rede ist hingegen davon, dass eine nachgelagerte Besteuerung beim Investor die Anwendung der Empfehlung ausschließen soll.2034 Erst Recht stünde es der Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 11 S. 1 EStG deshalb nicht entgegen, wenn eine dem § 8b Abs. 5 S. 1 KStG vergleich­ bare Regelung im Ausland dazu führt, dass beim Beteiligten 5 % der Aus­ zahlung als nicht abzugsfähige Betriebsausgabe fingiert werden.2035

2028 Vgl. Art. 9a Abs. 1 ATAD: „[…] wie diese Einkünfte nicht anderweitig nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats oder eines anderen Steuergebiets besteuert werden“. 2029 Krechel/Strüder, FR 2021, 884, 887. 2030 Zinowsky/Jochimsen, ISR 2017, 325, 328; Köhler, ISR 2018, 250, 258. 2031 Vgl. Krechel/Strüder, FR 2021, 884, 887 f. 2032 Siehe den Wortlaut des Art. 9a Abs. 1 ATAD: „[…] wird das hybride Unternehmen als in dem genannten Mitgliedstaat ansässig betrachtet und werden seine Einkünfte insoweit besteuert, wie diese Einkünfte nicht anderweitig nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats oder eines anderen Steuergebiets besteuert werden“. Dahingehend auch Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 87. 2033 Erwägungsgrund 28 der ATAD II. 2034 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 75 Rn. 175. 2035 A.A. Krechel/Strüder, FR 2021, 884, 887.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

cc) Subsidiarität Fallen die Einkünfte bereits unter § 49 Abs. 1 Nr. 1 - 10 EStG ergibt sich bereits keine Besteuerungsinkongruenz, die es zu neutralisieren gälte. Entsprechend findet die neue Regelung nur subsidiär gegenüber den übri­ gen Nummern des § 49 Abs. 1 EStG Anwendung (§ 49 Abs. 1 Nr. 11 S. 1 lit. b) EStG). dd) Persönliche Einschränkung (S. 2) Gem. § 49 Abs. 1 Nr. 11 S. 2 EStG findet die Vorschrift nur Anwendung, wenn dem Beteiligten allein oder zusammen mit ihm nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG, die keiner unbeschränkten Steuerpflicht im Inland nach § 1 Abs. 1 EStG oder nach § 1 KStG unterliegen, mehr als die Hälfte der Stimmrechte, Anteile am Kapital, des Gewinns oder des Liquidationserlöses zustehen. Eine Beteiligung in diesem Sinne setzt nicht die Stellung als Gesellschafter oder Gemeinschafter voraus.2036 Die persönliche Einschränkung trägt den Anforderungen des Art. 9a Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 3 lit. a) ATAD Rechnung.2037 ee) Keine Anwendung auf Altersvorsorgevermögensfonds (S. 3) Nach § 49 Abs. 1 Nr. 11 S. 3 EStG sind Altersvorsorgevermögensfonds i.S.d. § 53 InvStG von der beschränkten Steuerpflicht der Einkünfte nach Satz 1 ausgenommen. Die Regelung trägt der Ausnahme des Art. 9a Abs. 2 ATAD für Organismen für gemeinsame Anlagen Rechnung.2038 Eine weitergehende Ausnahme wurde vom Gesetzgeber für nicht erfor­ derlich gehalten, da Investmentvermögen in der Rechtsform einer Perso­ nengesellschaft bereits nach § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 InvStG vom Anwen­ dungsbereich des Investmentsteuergesetzes ausgenommen sind. Ferner existieren Spezial-Investmentfonds wegen § 27 InvStG nur in der Rechts­ form eines Sondervermögens oder einer Investmentaktiengesellschaft und können deshalb ebenfalls nicht dem Anwendungsbereich des § 49 Abs. 1 Nr. 11 S. 1 EStG unterfallen.2039 ff) Kausalitätserfordernis (S. 3) § 49 Abs. 1 Nr. 11 S. 3 EStG sieht eine Ausnahme von Satz 1 für Fälle vor, in denen die Einkünfte auch bei einer nicht vom deutschen Recht abwei­ chenden Behandlung der Personengesellschaft im ausländischen Staat keiner Besteuerung unterliegen würden. Zum Ausdruck kommt hier ein 2036 BT-Drs. 19/29848, S. 63. 2037 Siehe Kapitel 2 - B.II.1.a)bb). 2038 Siehe Kapitel 2 - B.II.1.a)dd). 2039 BT-Drs. 19/29848, S. 63.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

Kausalitätserfordernis.2040 Ein solches ergibt sich zwar nicht zweifelsfrei aus dem Wortlaut des Art. 9a Abs. 1 ATAD.2041 Es entspricht jedoch der ursprünglichen Idee der OECD-Empfehlungen.2042 Angesichts des Wort­ lauts von § 49 Abs. 1 Nr. 11 S. 1 EStG, wonach die Nichtbesteuerung „aufgrund“ einer vom deutschen Recht abweichenden steuerlichen Be­ handlung der Personengesellschaft eintreten muss, hätte es der explizi­ ten Regelung in Satz 3 wohl nicht bedurft. gg) Treaty Override (S. 4) Gem. § 49 Abs. 1 Nr. 11 S. 4 EStG erfolgt die Besteuerung ungeachtet der Bestimmungen eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteue­ rung. Ebenso wie § 4k EStG ist die Vorschrift somit als Treaty Override konzipiert.2043 b) Rechtsfolge Sind die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, so erzielen die Beteiligten nach § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG inländische Einkünfte im Sinne der be­ schränkten Steuerpflicht. Je nachdem, ob es sich beim Beteiligten um eine Körperschaft oder eine natürliche Person handelt, kann es sich hier­ bei um die beschränkte Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG) oder die beschränkte Körperschaftsteuerpflicht (§ 2 KStG) handeln. In jedem Fall ist der Beteiligte das Steuersubjekt.2044 Der Gesetzgeber erachtet die­ se Lösung gegenüber der Besteuerung der Gesellschaft als Steuersubjekt als vorzugswürdig, da sie mit einem wesentlich geringeren administrati­ ven Aufwand verbunden sei.2045 Dem ist zuzustimmen. Zwar werden künftig auch Personengesellschaften durch das neu einführte Options­ modell gem. § 1a KStG nach dem Trennungsprinzip besteuert, sodass sich die administrativen Kosten noch in Grenzen halten könnten.2046 Dennoch hätte Umsetzung des Art. 9a ATAD dahingehend, die Perso­ nengesellschaft mit ihren betroffenen Einkünften in die Körperschafsteu­ er einzubeziehen, den Gesetzgeber vor kaum lösbare Folgefragen gestellt. Dies zeigt sich vor allem, wenn die Einkünfte aus der Beteiligung an der Gesellschaft bloß teilweise nicht besteuert werden.

2040 BT-Drs. 19/29848, S. 63.  2041 Vgl. Krechel/Strüder, FR 2021, 884, 886. 2042 Siehe Kapitel 2 - B.II.1.a)cc). Ferner OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, S. 36 f. Rn. 51 f.; Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 100 ff. 2043 Krechel/Strüder, FR 2021, 884, 886. 2044 Vgl. bereits die Überlegungen von Niedling/Rautenstrauch, BB 2017, 1500, 1507. 2045 BT-Drs. 19/29848, S. 63. 2046 Krechel/Strüder, FR 2021, 884, 885 f.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I Beispiel 11: Die vermögensverwaltende D-KG ist in das deutsche Handelsregister eingetragen. In Deutschland wird die Gesellschaft für steuerliche Zwecke transparent behan­ delt. Komplementär und zu 60 % beteiligt ist die im Staat A ansässige Ge­sellschaft A-Co. Zu jeweils 20 % beteiligt sind die in Deutschland ansässigen natürlichen Personen B (als Komplementär) und C (als Kommanditist). Die Rechtsvorschriften in Staat A behandeln Personengesellschaft intransparent, mithin als eigenständi­ ges Steuersubjekt.2047 Die D-KG hat ein Darlehen an den in Deutschland ansässi­ gen X verliehen und erhält dafür Zinsen in Höhe von angenommen 100.000 €. Die D-KG erzielt Einkünfte aus § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Die Einkünfte bestimmen sich als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG). Eine steuerrechtliche Buchführungspflicht besteht nicht.2048 Die Einkünfte der D-KG werden gesondert und einheitlich nach § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a) AO festgestellt; in diesem Rahmen ergeht ein Feststellungsbescheid, wonach B und C je 20.000 € im Rahmen der Einkommensteuer zu berücksichtigen haben.2049

Abbildung 55:  Umsetzung des Art. 9a ATAD – Beispiel 2047 So etwa denkbar in Belgien, Estland, Griechenland, Litauen, Portugal, Sloweni­ en, Spanien und Ungarn, Heuer/Titgemeyer, StB 2006, 414, 418. Überdies wäre auch ein subjektiver Qualifikationskonflikt dahingehend denkbar, dass die deut­ sche Personengesellschaft im Ausland als Kapitalgesellschaft eingestuft wird. Möglich erscheint dies vor allem bei einer vermögensverwaltenden GmbH & Co. KG, vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1275. 2048 Eine vermögensverwaltende KG ist Kaufmann kraft Eintragung in das Handels­ register (§ 2 HGB) und deshalb handelsrechtlich buchführungspflichtig nach § 238 HGB. Nach § 140 AO gilt dies zunächst auch für steuerliche Zwecke. § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG ist jedoch als Spezialvorschrift vorrangig. Siehe OFD Frankf/M v. 8.11.2017, S 2241a A – 10 – St 213, Rn. 10. Siehe auch Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 140 AO Rn. 17 m.w.N. 2049 Nach § 183 Abs. 1 Satz 2 AO erfolgt hier nur eine Bekanntgabe an den inländi­ schen Komplementär B mit Wirkung für und gegen alle Gesellschafter.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz Die A-Co ist jedoch im Ausland ansässig. In Deutschland ist er deshalb nicht un­ beschränkt steuerpflichtig. Die Zinseinkünfte vermögen auch keine beschränkte Steuerpflicht zu begründen, da das Darlehen nicht etwa durch inländischen Grundbesitz abgesichert ist (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. c) sublit. aa) EStG). Die Ein­ künfte sind in Deutschland deshalb nicht steuerbar. Die Frage der Anwendung eines Doppelbesteuerungsabkommens stellt sich erst gar nicht. Da Staat A jedoch die D-KG als eigenständigen Steuerpflichtigen betrachtet, liegen aus seiner Sicht keine Einkünfte der A-Co vor. Die auf sie entfallenden 60.000 € werden deshalb weder in Deutschland noch in Staat A besteuert.

Hätte sich der deutsche Gesetzgeber für eine Einbeziehung in die Kör­ perschaftsteuer entschieden, so wären im gerade geschilderten Fall zwei Lösungen in Betracht gekommen, nämlich eine vollständige und eine partielle Lösung: Entweder hätten die gesamten Einkünfte der Personen­ gesellschaft oder nur die inkongruenzbegründenden Einkünfte im Rah­ men der Körperschaftsteuer berücksichtigt werden können. Erstere Lö­ sung hätte Folgewirkungen für die nicht betroffenen Einkünfte der Gesellschafter B und C entfaltet, indem diese nunmehr im Rahmen der Körperschaftsteuer berücksichtigt worden wären. Letztere Lösung wäre vor dem Hintergrund, dass Art. 9a ATAD nur greift, soweit die Einkünfte nicht besteuert werden, wohl vorzugswürdig gewesen. Sie hätte jedoch zu dem bemerkenswerten Effekt geführt, dass Teile der Einkünfte im Rahmen der Körperschaftsteuer mit der Personengesellschaft als (partiel­ les) Steuersubjekt und andere Teile wiederum im Rahmen der Einkom­ mensteuer mit den Gesellschaftern als Steuersubjekt zu berücksichtigen gewesen wären. Es hätten sich kaum lösbare Folgefragen, etwa hinsicht­ lich der Gewinnermittlung oder einer etwaigen gewerblichen Infektion der übrigen Einkünfte ergeben.2050 Im Vergleich erweist es sich als beste­ chend einfach, lediglich die inkongruenzbegründenden Einkünfte der A-Co im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht zu berücksichtigen.2051 Mit Art. 9a ATAD lässt sich diese Handhabung wohl noch vereinbaren. In Kapitel 2 wurde herausgearbeitet, dass dem Richtliniengeber ursprüng­ lich wohl eine Einbeziehung der Personengesellschaft in die Körper­ schaftsteuer vor Augen gestanden haben dürfte.2052 Gleichwohl ergibt sich dies nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut des Art. 9a Abs. 1 ATAD.2053 Dieser fordert, die Einkünfte des hybriden Unternehmens („seine Einkünfte“) zu besteuern, indem es im Mitgliedstaat als ansässig betrachtet wird. Dem mag man entgegenhalten, dass durch § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG gerade nicht die Einkünfte des hybriden Unternehmens, 2050 Vgl. Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 127. 2051 Krechel/Strüder, FR 2021, 884, 889. Vgl. auch Niedling/Rautenstrauch, BB 2017, 1500, 1507; ferner Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 117; Zinowsky/ Jochimsen, ISR 2017, 325, 328. 2052 Kapitel 2 - B.II.1.b). 2053 Mayer/Spies, StAW 2017, 225, 249.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

sondern die der Beteiligten besteuert werden. Die Richtlinieninterpreta­ tion des deutschen Gesetzgebers lässt sich jedoch halten, wenn man sich vor Augen führt, dass die Personengesellschaft immerhin das Subjekt der Einkünfteerzielung darstellt.2054 So gesehen handelt es sich jedenfalls im Ausgangspunkt um Einkünfte der Gesellschaft als partiellem Steuersub­ jekt. Diese Einkünfte werden besteuert und dadurch dem wesentlichen Anliegen des Art. 9a Abs. 1 ATAD entsprochen.2055 Auch soll die Umset­ zung der Richtlinie nach dem Willen des Richtliniengebers möglichst keine Auswirkungen auf die allgemeinen Merkmale eines Steuersystems haben.2056 Genau solche hätten sich jedoch ergeben, wenn man die Perso­ nengesellschaft zum Zwecke der Neutralisierung einer hybriden Besteu­ erungsinkongruenz in die Körperschaftsteuer einbezogen hätte.2057 Da­ mit stützt auch eine teleologische Interpretation der Richtlinie die mit § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG gewählte Lösung. 3. Anwendungshierarchie Das Verhältnis zu § 4k Abs. 3 EStG wurde bereits oben erörtert.2058 Eben­ falls kann auf die Ausführungen zum Verhältnis von Art. 9 Abs. 2 ATAD

Abbildung 56:  Verhältnis des § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG zu § 4k Abs. 3 EStG 2054 Hennrichs, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rn. 10.14. 2055 Vgl. auch Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 186. 2056 Erwägungsgrund 9 der ATAD II. 2057 Vgl. Allram, in: ATAD-Kommentar, Art. 9a Rn. 121. 2058 Kapitel 5 - C.I.5.c).

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

zu Art. 9a ATAD in Kapitel 2 verwiesen werden.2059 Ist demnach sowohl der Zahlende als auch das hybride Unternehmen in Deutschland ansäs­ sig, so geht § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG der Anwendung von § 4k Abs. 3 EStG vor.2060 Ebenso ist § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG auch dann anzuwenden, wenn der Zahlende im Ausland ansässig ist und dort eine dem § 4k Abs. 3 EStG vergleichbare bzw. auf Art. 9 Abs. 2 ATAD zurückgehende nationale Re­ gelung vorhanden ist.

Abbildung 57:  Verhältnis des § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG zu mit § 4k Abs. 3 EStG vergleichbaren Abzugsbeschränkungen

IV. § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 3 EStG Schließlich wird mit dem ATAD-Umsetzungsgesetz die Vorschrift des § 50d Abs. 9 S. 1 EStG um eine weitere Nummer 3 ergänzt. Zusammen­ gefasst liest sich die Vorschrift wie folgt: „Sind Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungs-

2059 Kapitel 2 - B.II.7.e). 2060 So auch Krechel/Strüder, FR 2021, 884, 888 f.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

grundlage der deutschen Steuer auszunehmen, so wird die Freistellung der Einkünfte ungeachtet des Abkommens nicht gewährt, soweit […] 3. die Einkünfte in dem anderen Staat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil sie einer Betriebsstätte in einem anderen Staat zugeordnet werden oder auf Grund einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung die steuerliche Bemessungsgrundlage in dem anderen Staat gemindert wird“. 1. Hintergrund Der Entwurfsbegründung zufolge entspricht § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 3 EStG der Empfehlung 1.1 des OECD-Berichts zur Neutralisierung der sog. Branch Mismatches.2061 Hierbei handelt es sich um eine spezifische ­Empfehlung hinsichtlich aller drei aufgegriffenen D/NI-Konstellationen: Disregarded Branch Structures, Diverted Branch Payments2062 sowie Deemed Branch Payments.2063 Ihr zufolge soll der Ansässigkeitsstaat des Stammhauses die Freistellung für Betriebsstätteneinkünfte in den ge­ nannten Fällen einschränken, sodass es erst gar nicht zu einer Besteue­ rungsinkongruenz kommt.2064 In die ATAD hat es die Empfehlung nur hinsichtlich einer Konstellation geschafft, nämlich der Disregarded Branch Structures. Diese finden sich in Art. 9 Abs. 5 ATAD, der von der Entwurfsbegründung bemerkenswer­ terweise nicht in Bezug genommen wird. Dies kann in zwei Richtungen interpretiert werden: Entweder wird mit der neuen Vorschrift schlicht nicht auf Disregarded Branch Structures abgezielt und sich deshalb nicht auf Art. 9 Abs. 5 ATAD bezogen. Der Entwurf könnte etwa davon ausge­ hen, dass diese – wie teils in der Literatur vertreten – bereits von § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 oder 2 EStG erfasst werden.2065 Oder aber es wird auf die OECD-Empfehlung verwiesen, weil diese schlicht umfassender ist und alle drei genannten Konstellationen mitsamt den Disregarded Branch Structures umfasst. Dies wird im Folgenden zu klären sein. Da sich § 50d Abs. 9 Nr. 3 EStG auch dahingehend verstehen lässt, dass ausnahmsweise Zahlungen als Einkünfte beim Stammhaus erfasst wer­ 2061 BT-Drs. 19/28652, S. 41. 2062 Beide vorgenannten Konstellationen werden mitunter als „branch payee mismatches“ zusammengefasst, vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mis­ match Arrangements, S. 25 Rn. 36 und S. 27. 2063 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 25 Rn. 36 ff. 2064 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 25 Rn. 37. 2065 Kaminskiy, Korrespondenzregelungen, S. 239 u. 242 f.; Zinowsky/Jochimsen, ISR 2017, 325, 334. Dazu Kapitel 5 - B.III.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

den, ist es schließlich bemerkenswert, dass auch Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD nicht in Bezug genommen wird. Hieraus könnten sich Rück­ schlüsse auf die intendierte Anwendungshierarchie ziehen lassen. 2. Analyse der Norm Ein Überblick über § 50d Abs. 9 EStG wurde bereits oben gegeben.2066 Im Folgenden wird zunächst der Anwendungsbereich der neu eingefügten Nummer 3 der Vorschrift geklärt. Anschließend wird die Rechtsfolge er­ läutert, um sodann auf Fragen der Anwendungshierarchie einzugehen. a) Tatbestand Jedenfalls erfasst die Vorschrift Fälle der Deemed Branch Payments, wenn im Wortlaut davon die Rede ist, dass auf Grund einer anzunehmen­ den schuldrechtlichen Beziehung die steuerliche Bemessungsgrundlage in dem anderen Staat gemindert wird.2067 Auch zielt der Wortlaut eindeutig auf Diverted Branch Payments ab. In diesen Fällen sind die Einkünfte im anderen Staat mitunter nicht steuer­ pflichtig, […] weil sie einer Betriebsstätte in einem anderen Staat zugeordnet werden […]“.2068 Zuordnungskonflikte können sich jedoch nicht nur zwischen zwei Betriebsstätten, sondern auch zwischen dem Stamm­ haus und einer Betriebsstätte ergeben.2069 Solche Konstellationen dürften sich gleichwohl mitunter die Vorschrift fassen lassen. Maßgeblich wird nämlich darauf abgestellt, dass die Einkünfte nicht der Betriebsstätte im Ausland, sondern anderweitig zugeordnet werden. Wenn bereits die Zu­ ordnung zu einer anderen Betriebsstätte ausreicht, muss dies erst recht für eine Zuordnung zum Stammhaus gelten. Die Wortlautgrenze dürfte dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift nicht zwischen dem Be­ triebsstättenbegriff im Sinne von § 12 AO und dem des Art. 5 OECD-MA unterscheidet. Man könnte somit argumentieren, dass auch das Stamm­ haus seine Tätigkeit im Inland über Betriebsstätten im Sinne des § 12 AO ausübt. Weniger eindeutig scheint die Lage hinsichtlich besagter Disregarded Branch Payments (unberücksichtigter Betriebsstätten). Die Einkünfte sind in diesem Fall nicht im Ausland steuerpflichtig, weil dort keine Be­ triebsstätte nach nationalem Recht vorliegt und deshalb keine be­ schränkte Steuerpflicht entsteht.2070 Der Wortlaut fordert jedoch sehr spezifisch („[…] nur deshalb […]“) eine Zuordnung von Einkünften zu 2066 Kapitel 5 - B.III. 2067 Zur Fallgestaltung Kapitel 1 - B.II.1.b)bb). 2068 Zur Fallgestaltung Kapitel 1 - B.II.1.c)cc). 2069 Vgl. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 lit. c) ATAD. 2070 Kapitel 1 - B.I.2.c)cc)(1).

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

einer anderen Betriebsstätte. Konstellationen unberücksichtigter Be­ triebsstätten gehen jedoch in dieser Voraussetzung auf: Wenn im Aus­ land nicht vom Bestehen einer Betriebsstätte ausgegangen wird, werden die erwirtschafteten Einkünfte aus dortiger Sicht notwendigerweise ei­ ner anderen Betriebsstätte oder eben dem Stammhaus zugeordnet. Kon­ stellationen der Disregarded Branch Structures und Diverted Branch Pay­ ments sind sich deshalb „[…] sehr ähnlich, wenn nicht sogar identisch“.2071 Sie lassen sich folglich mit unter den Wortlaut der neuen Vorschrift fas­ sen. Zusammenfassend lässt sich der Verweis auf die OECD-Empfehlung 1.12072 folglich damit erklären, dass umfassend alle Betriebsstättenkons­ tellationen erfasst werden sollten, die zu D/NI-Ergebnissen führen. Des­ halb wird Art. 9 Abs. 5 ATAD wird zwar nicht ausdrücklich von der Ent­ wurfsbegründung in Bezug genommen, in der Sache jedoch mit § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 3 EStG umgesetzt. Die nationale Vorschrift ist in keinerlei Hinsicht als Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD zu verstehen. b) Rechtsfolge Wie auch bei den oben dargestellten Nummern 1 und 2 der Vorschrift, besteht die Rechtsfolge darin, die abkommensrechtlich gewährte Freistel­ lung ungeachtet eines Doppelbesteuerungsabkommens aufzuheben, so­ weit im anderen Staat keine Besteuerung erfolgt.2073 Soweit § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 3 EStG den Art. 9 Abs. 5 ATAD umsetzt, geht die Vorschrift über die Richtlinienvorgaben hinaus. Art. 9 Abs. 5 S. 2 ATAD sieht eine Ausnahme für Fälle vor, in denen sich die Freistellung aus einem Doppelbesteuerungsabkommen ergibt, das mit einem Dritt­ land (und nicht mit einem Mitgliedstaat) abgeschlossen wurde.2074 Eine solche Differenzierung findet sich in § 50d Abs. 9 EStG hingegen nicht.2075 Deutschland bleibt dabei auf seiner bisherigen Linie, auch Drittstaa­ ten-DBA zu überschreiben.2076 Obgleich für die Überschreitung des Art. 9 Abs. 5 S. 2 ATAD keine Begründung geliefert wird2077, dürfte diese Ent­ scheidung in den anderenfalls entstehenden Schutzlücken begründet ­liegen: Beispielsweise wurde durch die Europäische Kommission eine Gestaltung eines US-amerikanischen Fast-Food-Konzerns öffentlich gemacht, in der eine Luxemburger Gesellschaft eine Freistellungsbe­ ­ triebsstätte in den USA unterhielt. Aus Sicht der USA wurden dieser 2071 So bereits den OECD-Bericht analysierend Kahlenberg, IStR 2018, 93, 97. 2072 OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 25. 2073 Kapitel 5 - B.III. 2074 Kapitel 2 - B.II.4.b). 2075 Kahlenberg, IStR 2018, 93, 98; Zinowsky/Jochimsen, ISR 2017, 325, 334. 2076 Vgl. § 50d Abs. 9 EStG, § 20 AStG. 2077 Vgl. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d EStG Rn. 40c.

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C.  Das ATAD-Umsetzungsgesetz

Betriebsstätte mangels Personals jedoch keine Einkünfte zugeordnet. Die Einkünfte wurden daher in keinem Staat erfasst.2078 Eben solche Gestal­ tungen dürften den deutschen Gesetzgeber zum Verzicht auf die Diffe­ renzierung des Art. 9 Abs. 5 S. 2 ATAD bewogen haben. Diese Verschär­ fung ist von Art. 3 ATAD gedeckt und verstößt deshalb nicht gegen die Richtlinie.2079 Der Anwendungsbereich der Richtlinie ist gleichwohl ver­ lassen, soweit Deemed Branch – sowie Diverted Branch Payments er­ fasst werden. Insoweit handelt es sich um eine überschießende Umset­ zung, mangels Bezugnahme jedoch nicht um eine Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD. c) Anwendungshierarchie Schließlich können sich Fragen der Anwendungshierarchie stellen. Beispiel 12: Eine Betriebsstätte bezieht Teile ihrer Einkünfte von einem verbundenen Unter­ nehmen. Diese Einkünfte werden dann jedoch wechselseitig dem Stammhaus oder der Betriebsstätte zugeordnet (Diverted Branch Payments). In einem solchen Fall könnte erwogen werden, den Abzug der Aufwendungen beim verbundenen Unternehmen zu versagen. Möglich wäre dies, wenn dort eine mit § 4k Abs. 2 S. 1 oder § 4k Abs. 3 S. 1 EStG vergleichbare Abzugsbeschränkung existiert.

Abbildung 58:  Anwendungshierarchie bei § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 3 EStG

2078 Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 3.12.2015 (IP/15/6221). Dazu Köhler, ISR 2018, 250, 259 f. 2079 Zinowsky/Jochimsen, ISR 2017, 325, 334; Kaminskiy, Korrespondenzrege­lungen, S. 242. Offen: Kahlenberg/Radmanesh, in: ATAD-Kommentar, Art. 9 Rn. 237; Köhler, ISR 2018, 250, 259 f. A.A. Kahlenberg, IStR 2018, 93, 98.

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Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

§ 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 3 EStG kommt in einer solchen Konstellation stets vorrangig zur Anwendung. Auf eine Abzugsbeschränkung im Ausland kommt es schon dem Wortlaut nach nicht an. Auch ist die Vorschrift vor dem Hintergrund der spezifischen Empfehlung 1.1 der OECD zu verste­ hen.2080 Allen spezifischen Empfehlungen der OECD ist gemein, dass sie eine Besteuerungsinkongruenz erst gar nicht entstehen lassen wollen.2081 Der Anspruch auf eine vorrangige Anwendung ist ihnen damit inhärent. Hätte das ATAD-Umsetzungsgesetz eine gegenläufige Hierarchie im Sinn, so hätte er sich etwa auch auf Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD beziehen können, aus dem sich die Rechtsfolge der Vorschrift ebenso ergibt. Diese nachrangige Sekundärmaßnahme wird jedoch – und das ist begrüßens­ wert – gerade nicht umgesetzt.2082 Bereits in Kapitel 2 wurde herausgear­ beitet, dass mit dem Konzept der OECD gebrochen werden würde, wenn man Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD im Hinblick auf die genannten Betriebs­ stättenkonstellationen umsetzt.2083 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich die Entwurfsbegründung auf die Empfehlung 1.1 der OECD und eben nicht auf Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD bezieht. 3. Zusammenfassende Gesamtbetrachtung Mit § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 3 EStG wird nicht nur Art. 9 Abs. 5 ATAD ­umgesetzt. Über die Richtlinien hinaus werden auch Diverted Branch Payments und Deemed Branch Payments aufgegriffen und damit die spe­ zifische Empfehlung 1.1 der OECD lückenlos in nationales Recht über­ nommen. Dass dabei entgegen Art. 9 Abs. 5 S. 2 ATAD nicht zwischen Drittstaaten- und Mitgliedstaaten-DBA unterschieden wird, ist vor dem Hintergrund des Art. 3 ATAD zulässig und im Hinblick auf anderenfalls entstehende Schutzlücken nachvollziehbar. Die Vorschrift kommt stets vorrangig, das heißt ungeachtet etwaig im Ausland bestehender Abzugs­ beschränkungen im Stile des § 4k Abs. 2 S. 1 oder § 4k Abs. 3 S. 1 EStG zur Anwendung.

D. Ergebnis des fünften Kapitels In Kapitel 5 wurde die derzeitige nationale Rechtslage im Lichte der ATAD II gewürdigt. Dabei wurde zwischen solchen Vorschriften unter­ schieden, die bereits vor der ATAD in Kraft getreten sind und solchen, die erst mit dem ATAD-Umsetzungsgesetz eingeführt wurden. Fallen die Vorschriften in den Anwendungsbereich der Richtlinie, so stehen sie 2080 BT-Drs. 19/28652, S. 41. 2081 Vgl. OECD, Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, S. 25 Rn. 37. 2082 Gem. Art. 9 Abs. 4 lit. b) ATAD ist dies auch zulässig. 2083 Kapitel 2 - B.II.7.g).

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D.  Ergebnis des fünften Kapitels

gleichermaßen unter ihrem Schutz (verfahrensrechtliche Immunisie­ rung) wie auch unter ihrem Einfluss (Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung). Gerade hinsichtlich der ersten Fallgruppe der „Bestandsvor­ schriften“ kann das Erfordernis einer richtlinienkonformen Auslegung weitreichende Folgewirkungen mit sich bringen. Die Interpretation der mitunter sehr wortkargen Vorschriften hat sich unabhängig von der Richtlinie entwickelt. Die Vorgaben der Richtlinie, welche sich aufgrund des OECD-Berichts detailliert erschließen lassen, würden für diese Vor­ schriften aber ebenso maßgeblich. Das kann ein etabliertes Verständnis einer Vorschrift stützen oder stürzen. Wohl am stärksten wäre von einer „nachträglichen richtlinienkonformen Auslegung“ der § 4i EStG betrof­ fen. Die Folgewirkungen wurden im Einzelnen herausgearbeitet. Gleich­ zeitig zeigt das Schrifttum hier die deutlichsten Tendenzen, die Vor­ schrift als vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst anzusehen. Dies ist gleichwohl abzulehnen. Die deutsche Umsetzung des Art. 9 Abs. 1 ATAD stellt einzig und allein der § 4k Abs. 4 EStG dar. Im Übrigen ist § 8b Abs. 1 S. 2 KStG gerade nicht im Lichte der ATAD II, sondern vielmehr im Lichte der Mutter-Tochter-Richtlinie zu betrach­ ten. Anderenfalls ergäben sich künftig Trugschlüsse in Bezug auf die sich mit Sicherheit ergebenden Fragen der Anwendungshierarchie. Art. 9 Abs. 6 ATAD wird bereits ausreichend mit § 26 Abs. 2 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG Rechnung getragen. Die nationale Regelung ist gleichwohl als überschießende Richtlinienumsetzung zu werten. Auch § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG muss losgelöst von der Richtlinie betrachtet werden. Der überwiegende Teil der ATAD II wurde mit dem ATAD-Umsetzungs­ gesetz aufgegriffen. Die Umsetzung der Vorgaben auch für den Bereich der Einkommensteuer erschien bereits im Vorhinein naheliegend. Da der Anwendungsbereich der Richtlinie im Übrigen nicht verlassen wird, zieht die Umsetzung der ATAD II eine Vielzahl sog. Hybridnormen nach sich. Am Beispiel des § 4k Abs. 5 EStG für importierte hybride Besteue­ rungsinkongruenzen bedeutet dies, dass die Vorschrift hinsichtlich der Körperschaftsteuer unter dem Schutz der (in diesem Falle ihrerseits pro­ blematischen) Richtlinie steht. Hinsichtlich des auf die Einkommensteuer entfallenden Teils der Norm handelt es sich um eine überschie­ ßende Richtlinienumsetzung. Der Blick auf die Grundfreiheiten wird insoweit nicht durch die ATAD versperrt. Soweit § 4k Abs. 5 EStG des­ halb die Einkommensteuer betrifft, verstößt die Vorschrift (ebenso wie Art. 9 Abs. 3 ATAD) gegen die Kapitalverkehrsfreiheit. Gleichzeitig sei hier jedoch angemerkt, dass je loser der Zusammenhang zwischen der Zahlung und der eigentlichen hybriden Gestaltung ist, desto fernliegen­ der ist auch ihre praktische Anwendung. Anders gewendet: Mit steigen­ der Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen die Grundfreiheiten, sinkt 361

Kapitel 5  Nationale Umsetzung der ATAD I

die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Anwendungsvoraussetzungen der Vorschrift überhaupt hinreichend genau ermitteln lassen. Die neuen Anti-Hybrid-Vorschriften sind allesamt richtlinienkonform auszulegen. Das wirkt sich beispielsweise bei der Frage eines Steuerfest­ setzungserfordernisses aus. Eine Anwendung der Vorschriften erscheint künftig auf Basis einer abstrakten Betrachtung der ausländischen Rechts­ lage möglich, was ihre praktische Handhabung deutlich erleichtern dürf­ te. Der auf die Einkommensteuer entfallende Teil der Vorschriften, ist der­ weil richtlinienorientiert auszulegen. Im Ergebnis wirkt sich das nicht aus, da sich das durch die Richtlinie vorgezeichnete Ergebnis stets auch auf Basis des nationalen Auslegungskanons begründen lässt. Die richtli­ nienorientierte Auslegung stellt dann allenfalls das Zünglein an der Waa­ ge dar. Schließlich sollte im Zuge einer flächendeckenden Umsetzung der ATAD II künftig die Anwendungshierarchie der Vorschriften genau be­ achtet werden. Hinsichtlich des auf die Einkommensteuer entfallenden Teils der Vorschriften kann sie die ATAD II zwar nicht verbindlich vor­ geben. Dennoch ist hier eine parallele Handhabung zum Bereich der Kör­ perschaftsteuer geboten. Im Falle des § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 3 EStG, der teilweise nicht auf die ATAD – insbesondere nicht auf Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD – zurückzuführen ist, können hilfsweise die OECD-Empfehlun­ gen zu Rate gezogen werden. Die Anwendung aller Korrespondenzregeln ist damit hinreichend konsentiert, sodass sie (mit Ausnahme des besag­ ten § 4k Abs. 5 EStG) auf Basis des in Kapitel 4 entwickelten internatio­ nalen Kohärenzgedankens gerechtfertigt werden können. Damit stehen sie auch im Hinblick auf die Einkommensteuer im Einklang mit dem Unionsrecht.

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Kapitel 6 Thesenförmige Zusammenfassung Kapitel 6  Thesenförmige Zusammenfassung Im Folgenden werden die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung thesenförmig zusammengefasst. Kapitel 1 – Die Arbeiten der OECD 1. Der OECD-Abschlussbericht zu Aktionspunkt 2 des BEPS-Projek­ tes stellt den Ausgangspunkt für die Neutralisierung der Effekte hy­ brider Gestaltungen dar und bildet die Basis für die später ergangene ATAD II.2084 2. Hybride Gestaltungen bewirken Besteuerungsinkongruenzen, vor­ wiegend in Gestalt von sog. D/NI- und DD-Ergebnissen. Dazu nutzen sie die steuerlich unterschiedliche (und in diesem Sinne hybride) Be­ handlung von Finanzinstrumenten, Rechtsträgern und Betriebsstät­ ten. Überwiegend basieren die Gestaltungen auf Qualifikationskon­ flikten im weiteren Sinne. Außerdem können DD-Ergebnisse durch doppelt ansässige Rechtsträger herbeigeführt werden.2085 3. Zur Neutralisierung der Besteuerungsinkongruenzen werden sog. Linking Rules vorgeschlagen. Soweit vorhanden, gehen ihnen die spe­ zifischen Empfehlungen vor.2086 4. Den Empfehlungen der OECD liegt im Grundsatz ein internationaler sowie interpersonaler Korrespondenzgedanke zugrunde, welcher sich in Gestalt eines Abzugsverbots beim Leistenden sowie eines Besteue­ rungsgebots beim Empfänger äußert.2087 5. Die Linking Rules folgen grundsätzlich einem zweistufigen Aufbau, bestehend aus einer vorrangigen Maßnahme (Primary Response) und einer Abwehrregel (Defensive Rule). Sie haben keine Auswirkungen auf die nationalen Steuersysteme und bewirken lediglich eine indi­ rekte Harmonisierung von Rechtsfolgen. Lediglich die spezifischen Empfehlungen bezwecken eine Anpassung bestehender nationaler Steuervorschriften.2088 6. Die Empfehlungen der OECD bewirken eine Zuweisung von Steuer­ substrat, die allerdings keinem erkennbaren Prinzip folgt.2089 2084 Kapitel 1 - A. 2085 Kapitel 1 - B.I.2. 2086 Kapitel 1 - B.I.3. Einen Überblick über die Empfehlungen gibt die Tabelle auf S. 68. Zu den Empfehlungen im Einzelnen Kapitel 1 - B.II. 2087 Kapitel 1 - B.III.1. 2088 Kapitel 1 - B.III.2, Kapitel 1 - B.III.4, Kapitel 1 - B.III.5. 2089 Kapitel 1 - B.III.3.

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Kapitel 6  Thesenförmige Zusammenfassung

7. Das Ziel der OECD-Empfehlungen besteht darin, die aufgegriffenen Besteuerungsinkongruenzen einer Einmalbesteuerung zuzuführen. Dieses Ziel wird nicht konsequent verfolgt, weil Fälle der Doppelbe­ steuerung nicht aufgegriffen werden und der persönliche Anwen­ dungsbereich aus Gründen der Praktikabilität eingeschränkt ist.2090 8. Die Empfehlungen der OECD sind nicht rechtsverbindlich. Die betei­ ligten Staaten können deshalb die vorgesehene Anwendungshierar­ chie missachten. Es besteht deshalb die Gefahr der Doppelbesteue­ rung.2091 Kapitel 2 – Sekundäres Unionsrecht 1. Die ATAD II stellt den zentralen Sekundärrechtsakt zur Neutralisie­ rung der Effekte hybrider Gestaltungen dar. Handelte es sich bei den OECD-Empfehlungen noch um unverbindliches „soft law“, so trifft die EU-Mitgliedstaaten nunmehr eine Pflicht zur Umsetzung der Richtlinienvorgaben in ihre Körperschaftsteuersysteme.2092 2. Der Anwendungsbereich der Richtlinie beschränkt sich grundsätz­ lich auf die Körperschaftsteuer.2093 3. Der Richtlinie liegt ein Mindestschutzkonzept zugrunde. Im Gegen­ satz zu einem Vollharmonisierungskonzept ermöglicht es den Mit­ gliedstaaten, innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie ab­ weichende Regelungen zu treffen. Im Falle der ATAD sind dies solche Regelungen, die ein höheres Maß an Schutz der inländischen Körper­ schaftsteuerbemessungsgrundlage gewährleisten.2094 4. Die Richtlinie nimmt den OECD-Bericht zu Aktionspunkt 2 des BEPS-Projektes ausdrücklich in Bezug und erklärt ihn ausdrücklich zur Referenz. Die Richtlinienvorgaben können mithilfe des umfas­ senden OECD-Berichts sehr genau bestimmt werden.2095 5. Den beiden allgemeinen Regelungen des Art. 9 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 2 ATAD liegt die allgemeine Definition hybrider Gestaltungen aus Art. 2 Abs. 9 ATAD zugrunde. Diese umfasst eine sachliche und eine persönliche Komponente. In sachlicher Hinsicht werden insge­ samt sieben Fallgruppen enumerativ und abschließend aufgezählt, die sich allesamt in den Berichten der OECD wiederfinden. In persön­ licher Hinsicht finden sich drei einschränkende Kriterien, nämlich das des „verbundenen Unternehmens“, der „Betriebsstättenkonstel­

2090 Kapitel 1 - B.III.9; Kapitel 1 - B.III.8. 2091 Kapitel 1 - B.III.7. 2092 Kapitel 2 - B.I.1. 2093 Kapitel 2 - B.I.3. 2094 Kapitel 2 - B.I.1. 2095 Kapitel 2 - B.I.2.

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Kapitel 6  Thesenförmige Zusammenfassung

6.

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lation“ und der „strukturierten Gestaltung“. Auch in persönlicher Hinsicht entsprechen die Vorgaben jenen Empfehlungen der OECD.2096 Neben Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 ATAD finden sich im Übrigen Rege­ lungen für importierte Besteuerungsinkongruenzen (Art. 9 Abs. 3 ATAD), unberücksichtigte Betriebsstätten (Art. 9 Abs. 5 ATAD), hy­ bride Übertragungen mit doppelter Quellensteueranrechnung (Art. 9 Abs. 6 ATAD), umgekehrt hybride Gestaltungen (Art. 9a ATAD) so­ wie Inkongruenzen bei der Steueransässigkeit (Art. 9b ATAD).2097 Insgesamt lässt sich resümieren, dass die OECD-Empfehlungen ganz überwiegend nur noch in Richtlinienform gegossen wurden. Die we­ nigen Abweichungen wurden im Detail herausgearbeitet. Sie führen insgesamt eher zu einer Straffung des Anwendungsbereichs der Richt­ linie gegenüber dem der OECD-Empfehlungen. Bemerkenswert ist, dass sog. Substitutionszahlungen – im Gegensatz zu den OECD-Emp­ fehlungen – nicht von der Richtlinie erfasst werden.2098 Da sich die Richtlinie eng an den OECD-Empfehlungen orientiert, liegen ihr dieselben Leitgedanken zugrunde, wie sie in Kapitel 1 her­ ausgearbeitet wurden. Auch den Regelungen der ATAD II liegt im Grundsatz ein internationaler sowie interpersonaler Korrespondenz­ gedanke zugrunde. Ihr Ziel besteht in der Herbeiführung einer Ein­ malbesteuerung. Es wird nicht konsequent verfolgt, da Situationen der Doppelbesteuerung nicht aufgegriffen werden.2099 Die Rechtsverbindlichkeit der Richtlinie stellt einen Mehrwert ge­ genüber den OECD-Empfehlungen dar. Durch die vorgesehene An­ wendungshierarchie, die nunmehr verbindlich einzuhalten ist, wird einer durch die Anwendung der Linking Rules entstehende Doppelbe­ steuerung vorgebeugt.2100

Kapitel 3 – Analyse normenhierarchischer Strukturen 1. Die Mitgliedstaaten haben die ATAD II umzusetzen. Das Verhältnis der nationalen Vorschriften zum höherrangigen Recht hängt maßgeb­ lich davon ab, ob sie sich als Umsetzungsmaßnahmen oder als über­ schießende Richtlinienumsetzung einordnen lassen.2101 2. Für die Überprüfung von Umsetzungsmaßnahmen ist nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des BVerfG wegen der hier in Rede stehenden Grundfreiheiten nur der EuGH zuständig. Auch im Hin­ blick auf die ATAD II könnte noch eine zeitliche Vorwirkung der 2096 Kapitel 2 - B.I.4. 2097 Kapitel 2 - B.II. Einen Überblick über die Vorgaben gibt die Tabelle auf S. 131. 2098 Kapitel 2 - B.I.4.a)aa); Kapitel 2 - B.III.8. 2099 Kapitel 2 - B.III. 2100 Kapitel 2 - B.III.7. 2101 Kapitel 3 - A.

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Kapitel 6  Thesenförmige Zusammenfassung

Richtlinie zu diskutieren sein. Gleichwohl fehlt hierfür derzeit der Anlass.2102 3. Nationale Umsetzungsmaßnahmen der ATAD II sind nicht unmittel­ bar am Unionsprimärrecht zu messen. Bedenken gegen ihre Recht­ mäßigkeit müssen zunächst gegen die ATAD II selbst, statt gegen die nationalen Vorschriften vorgebracht werden. Insoweit entfaltet die Richtlinie eine „verfahrensrechtliche Immunisierungswirkung“, da sie aufgrund ihrer hohen Regelungsdichte den aufgegriffenen Bereich abschließend harmonisiert. Nationale Umsetzungsmaßnahmen sind lediglich auf ihre Vereinbarkeit mit der ATAD hin zu überprüfen und gegebenenfalls richtlinienkonform auszulegen.2103 4. Sind nationale Vorschriften zwar auf die ATAD zurückzuführen, überschreiten sie jedoch den Anwendungsbereich der Richtlinie, so handelt es sich um eine sog. überschießende Richtlinienumsetzung. Solche Vorschriften sind anhand des nationalen Verfassungsrechts überprüfbar, da sich die Solange-Rechtsprechung hier nicht als ein­ schlägig erweist.2104 5. Die ATAD steht einer überschießenden Umsetzung nicht entgegen. Ergeben sich keine anderweitigen Anhaltspunkte, so sind die Richtli­ nienvorgaben im Wege einer „richtlinienorientierten“ Auslegung zu berücksichtigen. Durch die überschießende Umsetzung der Richtli­ nie können sog. Hybridnormen entstehen, beispielsweise dann, wenn vergleichbare Vorschriften auch im Bereich der Einkommensteuer eingeführt werden. Hier kann sich die Frage stellen, ob solche Vor­ schriften einheitlich oder gespalten auszulegen sind. 2105 6. Überschießende Vorschriften sind unmittelbar anhand des Unions­ primärrechts überprüfbar. Das gilt auch für den überschießenden Teil von Hybridnormen.2106 7. Die Frage nach der Primärrechtskonformität der ATAD II ist aus nati­ onaler Perspektive von zentralem Belang. Insoweit wurde herausgear­ beitet, dass sich die Richtlinie am Unionsprimärrecht messen lassen muss. Die Vereinbarkeit mit dem Unionsprimärrecht kann im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV überprüft werden, wohingegen die Erhebung einer Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV) aufgrund des Ablaufs der in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehe­ nen Klagefrist mittlerweile unzulässig ist.2107

2102 Kapitel 3 - A.I.1. 2103 Kapitel 3 - A.I.2. 2104 Kapitel 3 - A.II. 2105 Kapitel 3 - A.II.2.a). 2106 Kapitel 3 - A.II.2.b). 2107 Kapitel 3 - B.

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Kapitel 6  Thesenförmige Zusammenfassung

Kapitel 4 – Primäres Unionsrecht 1. Soweit die ATAD Vorschriften zur Neutralisierung der Effekte hybri­ der Gestaltungen enthält, kann die Richtlinie auf Art. 115 i.V.m. Art. 26 AEUV gestützt werden.2108 2. Obwohl die ATAD II ausschließlich Eingriffstatbestände vorschreibt, welche negative steuerliche Folgen an grenzüberschreitende Tätig­ keit knüpft, weist sie den nach Art. 115 AEUV i.V.m. Art. 26 AEUV erforderlichen Binnenmarktbezug auf. Hybride Gestaltungen beein­ trächtigen die Allokationseffizienz und damit die Neutralität des Bin­ nenmarktes mindestens ebenso stark wie es bisherige Praktiken des schädlichen Steuerwettbewerbs. Darüber hinaus bewirken sie Wett­ bewerbsverzerrungen zwischen den Marktteilnehmern.2109 3. Die ATAD II verletzt nicht das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 Abs. 3 AEUV. Der Mehrwert der Richtlinie gegenüber einzelstaatli­ chen und durch die OECD koordinierten Tätigwerden liegt darin, dass sie eine Umsetzungspflicht begründet. Die Umsetzungspflicht leistet einen entscheidenden Beitrag dazu, binnenmarktschädliche Doppelbesteuerung zu vermeiden.2110 4. Weder das Mindestschutzkonzept noch die Vorgehensweise der nur mittelbaren Regelung führen zu einem Konflikt der ATAD II mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Art. 5 Abs. 4 EUV.2111 5. Die ATAD II enthält Eingriffstatbestände, die im grenzüberschreiten­ den Kontext Anwendung finden. Die Grundfreiheiten beinhalten be­ sondere Gleichheitssätze zum Schutz grenzüberschreitenden Wirt­ schaftens. Vor diesem Hintergrund wurden die Regelungen der ATAD II nicht am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 20 GRCh, sondern an den Grundfreiheiten überprüft. Grundsätzlich ist auch der Unionsge­ setzgeber beim Erlass von Sekundärrecht an die Grundfreiheiten ge­ bunden.2112 6. Hybride Gestaltungen in Betriebsstättenkonstellationen fallen in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit, strukturierte Gestaltungen dagegen in den der Kapitalverkehrsfreiheit. Konstellationen zwischen verbundenen Unternehmen sind innerhalb der EU von der Niederlas­ sungsfreiheit geschützt. Weisen sie dagegen einen Drittstaatenbezug auf, so sind sie immerhin von der Kapitalverkehrsfreiheit geschützt. Folgt man dem einstufigen, normbezogenen Prüfungsansatz des EuGH, so entfaltet die Niederlassungsfreiheit keine Sperrwirkung.2113 2108 Kapitel 4 - B. 2109 Kapitel 4 - B.I. 2110 Kapitel 4 - B.II. 2111 Kapitel 4 - B.III. 2112 Kapitel 3 - B.I sowie Kapitel 4 - C.I.1. 2113 Kapitel 4 - C.II.

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Kapitel 6  Thesenförmige Zusammenfassung

  7. Alle Korrespondenzregeln enthalten eine diskriminierende Beschrän­ kung. Darüber hinaus enthalten Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b) so­ wie Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD eine verdeckte Diskriminierung.2114   8. Die Kontrolle der Korrespondenzregeln der ATAD II unterliegt kei­ ner föderalen Einschränkung im Mehrebenensystem. Die Richtlinie macht sich die nationale Rechtslage zu eigen, indem sie diese aus­ drücklich in Bezug nimmt und auf diese reagiert. Die steuerliche Behandlung des grenzüberschreitenden Sachverhalts kann deshalb mit der des innerstaatlichen Sachverhalts verglichen werden.2115   9. Hinsichtlich der Fälle des Diskriminierungsverbots (Inbound-Kon­ stellationen) ist der grenzüberschreitende Sachverhalt jeweils objek­ tiv mit dem innerstaatlichen Pendant vergleichbar.2116 10. Hinsichtlich der Fälle der diskriminierenden Beschränkungen (Outbound-Konstellationen) wurde die objektive Vergleichbarkeit aus mehreren Perspektiven beleuchtet. Im Rahmen eines induktiven Ansatzes wurden zwei Entscheidungen des EuGH betrachtet, in de­ nen Korrespondenzregeln in Rede standen. Da beide jedoch zu unter­ schiedlichen Ergebnissen führten, wurden im Rahmen eines deduk­ tiven Ansatzes allgemeine Strukturen der Vergleichbarkeitsprüfung in Outbound-Konstellationen herausgearbeitet. Als Beispiel diente dabei die Rechtsprechungslinie zu den sog. finalen Verlusten. Nach einer kritischen Einordnung wurde die sog. Normzielbetrachtung für die Beurteilung der hier in Rede stehenden Korrespondenzregeln der ATAD II als vorzugswürdig erachtet. Auf dieser Basis wurde heraus­ gearbeitet, dass die Situation im grenzüberschreitenden Sachverhalt im Hinblick auf das mit den Korrespondenzregeln verfolgte Ziel, eine grenzüberschreitende Einmalbesteuerung herbeizuführen, nicht mit der Situation im innerstaatlichen Sachverhalt vergleichbar ist.2117 11. Dogmatisch fundieren lässt sich das Ziel einer grenzüberschreiten­ den Einmalbesteuerung im Konzern allenfalls, soweit es um Hand­ lungen des Europäischen Gesetzgebers geht. Als Grundlage könnte künftig ein aus Art. 20 GRCh folgendes Europäisches Leistungsfä­ higkeitsprinzip herangezogen werden. Für Maßnahmen des nationa­ len Gesetzgebers gelingt diese dogmatische Fundierung jedoch nicht.2118 12. Auf Basis gefestigter Rechtsprechung des EuGH findet sich kein Rechtfertigungsgrund, welcher internationale, interpersonale Korre­ spondenzregeln wie die der ATAD II zu erfassen vermag. Die aus­ 2114 Kapitel 4 - C.III. 2115 Kapitel 4 - C.III.4. 2116 Kapitel 4 - C.IV.1.a). 2117 Kapitel 4 - C.IV.1.b)bb)(7). 2118 Kapitel 4 - C.IV.1.b)bb)(8).

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Kapitel 6  Thesenförmige Zusammenfassung

gewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse erweist sich als ungeeignet. Die Vorschriften betreffen weder die doppelte Verlustbe­ rücksichtigung noch bezwecken sie die Bekämpfung steuerlichen Missbrauchs. Eine Rechtfertigungsgrund der Vermeidung der Vor­ teilskumulation hat sich bislang nicht etabliert. Am geeignetsten erweist sich noch die Kohärenz des Steuersystems. Gleichwohl hat sich insoweit bislang keine internationale sowie intersubjektive Kohärenzbetrachtung etabliert.2119 13. Eine „materielle Immunisierung“ der ATAD II gegenüber dem pri­ mären Unionsrecht ist abzulehnen. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Unionsgesetzgeber den Steuerwettbewerb mittelbar regu­ liert, sollte eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, welche die Freizügig­ keitsrechte der Steuerpflichtigen berücksichtigt, nicht einer kontur­ losen Willkürkontrolle geopfert werden. Im Gegenteil spricht dies dafür, der Verhältnismäßigkeitsprüfung besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.2120 14. Die Korrespondenzregeln der ATAD II können durch die Kohärenz des Steuersystems gerechtfertigt werden. Zwar hat sich bei der Über­ prüfung mitgliedstaatlicher Maßnahmen bislang weder eine staatennoch personenübergreifende Gesamtbetrachtung etabliert. Diese Limitierung kann durch den Unionsgesetzgeber jedoch überwunden werden. Dogmatisch kann im Ausgangspunkt an die schon bislang verwendete Formel angeknüpft werden, wonach die Unmittelbar­ keit des Zusammenhangs anhand des mit der Regelung verfolg­ ten Ziels zu beurteilen ist. Dieses liegt vorliegend in der Herbeifüh­ rung einer grenzüberschreitenden Einmalbesteuerung. Durch den Unionsgesetzgeber verfolgt, erweist sich dieses als legitim: Jeden­ falls eine grenzüberschreitende und ausnahmsweise auch eine perso­ nenübergreifende Betrachtung ließe sich durch ein Europäisches Leistungsfähigkeitsprinzip dogmatisch fundieren.2121 15. Selbst auf Basis des hier entwickelten Kohärenzbegriffs bestehen aus grundfreiheitlicher Perspektive Bedenken hinsichtlich Art. 9 Abs. 3 ATAD.2122 16. Auf der Grundlage verschiedener Vorschläge im Schrifttum und vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechungsentwicklung wurde herausgearbeitet, dass künftig auch mitgliedstaatliche Maßnahmen ausnahmsweise auf Basis einer staaten- und personenübergreifenden Kohärenzbetrachtung beurteilt werden könnten. Dabei ist jedoch der Bedeutung zwischenstaatlicher Koordination Rechnung zu tra­ 2119 Kapitel 4 - C.IV.2.c). 2120 Kapitel 4 - C.IV.2.d)aa). 2121 Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb)(3)(b). 2122 Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb)(3)(d).

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Kapitel 6  Thesenförmige Zusammenfassung

gen und die erweiterte, „internationale Kohärenz“ nur unter dieser Voraussetzung zuzulassen. Ein so verstandener Rechtfertigungs­ grund könnte internationale sowie interpersonale Korrespondenzre­ geln erfassen.2123 17. Aus grundfreiheitlicher Perspektive bestehen grundsätzlich keine Bedenken in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der ATAD II. Ledig­ lich im Rahmen der Erforderlichkeit ergeben sich neue Probleme, welche darin begründet liegen, dass es sich bei der ATAD um se­ kundärrechtliches Eingriffsrecht handelt. Diese können jedoch über­ wunden werden, wenn man als gleich geeignete Maßnahmen nur solche in Betracht zieht, die auch im Hinblick auf den Eingriff in die Autonomie der Mitgliedstaaten miteinander vergleichbar sind.2124 Kapitel 5 – Nationale Umsetzung der ATAD II 1. Aufgrund der in Kapitel 3 gefundenen Ergebnisse ist aus deutscher Perspektive genau danach zu unterscheiden, ob es sich bei einer nati­ onalen Vorschrift um eine Umsetzungsmaßnahme oder eine über­ schießende Richtlinienumsetzung handelt.2125 2. Den Tendenzen im Schrifttum, § 4i EStG als Umsetzungsmaßnahme anzusehen, ist entgegenzutreten. Die deutsche Umsetzung des Art. 9 Abs. 1 ATAD stellt einzig und allein der § 4k Abs. 4 EStG dar. Die Vorschrift ist nicht anders als bislang zu beurteilen. Aus grundfrei­ heitlicher Perspektive ist § 4i EStG nach wie vor kritisch zu sehen. Der in dieser Arbeit entwickelte internationale Kohärenzgedanke er­ weist sich mangels international koordinierten Vorgehens als nicht einschlägig.2126 3. Mittels § 8b Abs. 1 S. 2 KStG werden unter anderem D/NI-Ergebnisse neutralisiert, die sich durch den Einsatz hybrider Finanzinstrumente ergeben. Trotz konzeptioneller Überschneidungen zu Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD ist die Vorschrift im Lichte des Art. 4 Abs. 1 lit. a) MTRL zu sehen. Diese sekundärrechtliche Vorgabe entfaltet eine verfah­ rensrechtliche Immunisierungswirkung im Hinblick auf § 8b Abs. 1 S. 2 KStG. Im Hinblick auf eine künftige flächendeckende Umset­ zung der ATAD ist das materielle Korrespondenzprinzip vorrangig anzuwenden, wenn im Ausland dem § 4k Abs. 1 S. 1 EStG vergleich­ bare Abzugsbeschränkungen eingeführt werden.2127

2123 Kapitel 4 - C.IV.2.d)bb)(3)(c). 2124 Kapitel 4 - C.V. 2125 Kapitel 5 - A. 2126 Kapitel 5 - B.I. 2127 Kapitel 5 - B.II.

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Kapitel 6  Thesenförmige Zusammenfassung

4. Im Hinblick auf Art. 9 Abs. 6 ATAD besteht keinerlei Handlungs­ bedarf im nationalen Recht. Die Richtlinienvorgaben werden durch § 26 Abs. 2 S. 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 S. 4 EStG abgedeckt. Die Vorschrift stellt sich als überschießende Richtlinienumsetzung dar.2128 5. Bereits vor dem Erlass der ATAD existierte mit § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG im deutschen Körperschaftsteuerrecht eine Regelung, die Be­ steuerungsinkongruenzen bei doppelt ansässigen Rechtsträgern je­ denfalls teilweise vermeidet. Die Vorschrift unterscheidet sich stark von den späteren Richtlinienvorgaben und ist deshalb unabhängig von ihnen auszulegen und zu beurteilen.2129 6. Mit § 4k EStG werden die jeweiligen Vorgaben der ATAD II nicht nur für die Körperschaftsteuer, sondern auch für die Einkommensteuer umgesetzt. Es handelt sich deshalb um eine Hybridnorm. 7. Bei der Auslegung von § 4k EStG ist für den Bereich der Körperschaft­ steuer eine richtlinienkonforme und für den Bereich der Einkommen­ steuer eine richtlinienorientierte Auslegung geboten. Aus diesem Grunde ist für die Anwendung der Vorschriften lediglich eine ab­ strakte Betrachtung der Rechtslage im Ausland vorzunehmen und das Erfordernis einer Steuerfestsetzung abzulehnen.2130 8. Soweit § 4k EStG die Körperschaftsteuer betrifft, stellen sich die ein­ zelnen Absätze als Umsetzungsmaßnahmen dar. Sie sind deshalb al­ lein an der ATAD II zu messen und stoßen insoweit auf keinerlei Be­ denken. Insbesondere § 4k Abs. 5 EStG profitiert von dieser Wirkung. Solange die Richtlinie nicht angegriffen wird, steht § 4k Abs. 5 EStG unter ihrem Schutz. Die bereits im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 ATAD geäußerten Bedenken schlagen deshalb nicht auf die Vorschrift durch.2131 9. Soweit § 4k EStG die Einkommensteuer betrifft, steht die Vorschrift nicht unter dem Schutz der ATAD II. In grundfreiheitlicher Hinsicht kann die Vorschrift auf Basis des hier entwickelten internationalen Kohärenzgedankens gerechtfertigt werden. Die dazu erforderliche in­ ternationale Koordination ist dann gegeben, wenn man die An­ wendungshierarchie aus dem Bereich der Körperschaftsteuer analog auch im Rahmen der Einkommensteuer beachtet. Anderes gilt hier nur für § 4k Abs. 5 EStG. Soweit die Abzugsbeschränkung ein Ein­ kommensteuersubjekt trifft, verstößt die Vorschrift gegen die Kapi­ talverkehrsfreiheit.2132

2128 Kapitel 5 - B.IV. 2129 Kapitel 5 - B.V. 2130 Kapitel 5 - C.I; Kapitel 5 - C.I.1.e); Kapitel 5 - C.I.2.b)ee). 2131 Kapitel 5 - C.I.1.e); Kapitel 5 - C.I.8. 2132 Kapitel 5 - C.I.1.e); Kapitel 5 - C.I.8.

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Kapitel 6  Thesenförmige Zusammenfassung

10. § 4k Abs. 1 S. 1 EStG geht auf Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD zurück. Die Erfassung von Fällen der Niedrigbesteuerung erscheint vor diesem Hintergrund unproblematisch. Die Frage nach einem Steuerfest­ setzungserfordernis ist aufgrund einer richtlinienkonformen bzw. -orientierten Auslegung zu verneinen. Entgegen der Entwurfsbe­ gründung können Substitutionszahlungen nicht erfasst werden. In Zukunft werden sich Fragen der Anwendungshierarchie stellen, die sich nur unter Zuhilfenahme des Sekundärrechts lösen lassen. Die denkbaren Fallkonstellationen wurden insoweit aufgezeigt. Der überschießende Teil der Vorschrift sollte in Fragen der Anwendungs­ hierarchie dem sekundärrechtlich vorgegebenen „Körperschaftsteu­ er-Pendant“ folgen.2133 11. § 8b Abs. 1 S. 3 KStG stellt sich als eine Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 lit. b) ATAD dar. § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG ist als überschießen­ de Umsetzung derselben Richtlinienvorgabe zu werten. § 8b Abs. 1 S. 3 KStG ist richtlinienkonform auszulegen, weshalb auch Vortei­ le auf Tarifebene umfasst werden und es für die Anwendung der Vor­ schrift nicht auf eine erfolgte Steuerfestsetzung ankommt. Entspre­ chendes gilt für § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG, der dahingehend richtlinienorientiert auszulegen ist. In Bezug auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht ergeben sich keine grundlegenden Be­ denken. Greifen Vorschriften im Ausland dieselbe Konstellation wie § 8b Abs. 1 S. 3 KStG auf, so sind diese vorrangig anzuwenden (vgl. § 4k Abs. 1 EStG, Art. 9 Abs. 2 lit. a) ATAD). Analog dazu sollte auch § 3 Nr. 40 S. 1 lit. d) S. 3 EStG nachrangig angewandt wer­ den.2134 12. Durch § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG soll Art. 9a ATAD umgesetzt werden. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, so erzielen die Beteilig­ ten inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Steuerpflicht. Die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Rechtsfolge lässt sich ge­ rade noch mit Art. 9a ATAD vereinbaren. § 49 Abs. 1 Nr. 11 EStG ist richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass eine spätere Besteuerung der Einkünfte bei Ausschüttung bzw. Entnahme unbe­ achtlich ist und einer Anwendung der Vorschrift nicht entgegen­ steht.2135

2133 Kapitel 5 - C.I.2. 2134 Kapitel 5 - C.II. 2135 Kapitel 5 - C.III.

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Kapitel 6  Thesenförmige Zusammenfassung

13. Mit § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 3 EStG wird nicht nur Art. 9 Abs. 5 ATAD umgesetzt. Über die Richtlinien hinaus werden auch Diverted Branch Payments und Deemed Branch Payments aufgegriffen und damit die spezifische Empfehlung 1.1 der OECD lückenlos in natio­ nales Recht übernommen. Dass dabei entgegen Art. 9 Abs. 5 S. 2 ATAD nicht zwischen Drittstaaten- und Mitgliedstaaten-DBA un­ terschieden wird, ist vor dem Hintergrund des Art. 3 ATAD zulässig. Die Vorschrift kommt stets vorrangig, das heißt ungeachtet etwaig im Ausland bestehender Abzugsbeschränkungen (vergleichbar mit § 4k Abs. 2 S. 1 oder § 4k Abs. 3 S. 1 EStG) zur Anwendung.

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Stichwortverzeichnis

A Absetzung für Abnutzung (AfA) 311, 321 Allokationseffizienz 171 Anerkennungsgrundsatz 208 ff. Anti Tax Avoidance Directive (ATAD) 83 ff. Anrechnungsmethode 21, 210, 295 f. Ansässigkeit 23, 66 ff., 102 ff., 194, 223 Anwendungsbereich der ATAD 86, 88, 148 Anwendungshierarchie 74, 133, 319, 326, 329, 332, 333, 347, 354, 359 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehung 323 ff. Authorized OECD-Approach (AOA) 22 Autonomie 169 ff., 223 ff. 245 ff., 264 ff. B Base Erosion And Profit Shifting (BEPS) 5 ff. Beschränkte Steuerpflicht 293, 351 ff. Beschränkungsverbot 195 Besteuerungsinkongruenz – Begriff 9 – Importierte Besteuerungs­ inkongruenzen 51 ff., 109 ff., 258, 336 ff. Betriebsstätte – Deemed Branch Payments 44, 94, 195, 323, 357 – Disregarded Branch Payments 49, 93, 291, 331, 356

– Diverted Branch Payments 49, 93, 329, 356 – Double Deduction Branch ­Payments 61, 119, 193, 333 – Betriebsstättenkonstellationen 19 ff., 97, 184, 307 – Hybride Betriebsstätte 92 f. – Imported Branch Payment 59 – Unberücksichtigte Betriebs­ stätte 113, 124 Bevola-Entscheidung 213 ff. D Darlehen 13 f., 18, 273, 312, 342 Dealings 23, 323 Deduction/Deduction-Ergebnis (DD-Ergebnis) 9, 61 Deduction/No Inclusion-Ergebnis (D/NI-Ergebnis) 9, 25 Diskriminierungsverbot 192 Dividende 15, 32, 287, 342 Doppelbesteuerung 78, 111, 136, 252 ff. Doppelbesteuerungsabkommen 15, 19, 22, 358 Doppelt berücksichtigte Einnah­ men (Dual Inclusion Income) 119, 128, 324, 335 Doppelte Nichtbesteuerung 9 Double Dip Siehe Deduction/Deduction-Ergebnis (DD-Ergebnis) Dual Resident 66, 108, 332 ff. Durchleitungsfall 55, 112, 259 E Eigenkapital 12 ff., 28 f., 123, 286, 344 Einmalbesteuerung 80, 138, 220, 252 Ermächtigungsgrundlage 166 ff. 409

Stichwortverzeichnis

Europäische Grundfreiheiten 177 ff. Europäische Grundrechte 177 ff. Europäisches Leistungsfähigkeits­ prinzip Siehe Leistungsfähigkeitsprinzip

Inbound-Konstellation 20, 193, 202 Intertemporale Verrechnung 106, 110, 325 Intransparente Behandlung 16 f.

F Fairness 85, 170 Finale Verluste 206 ff. Fiskalinteressen 168, 248 ff. Freistellungsmethode 211 Fremdkapital 12 ff.

J Jubiläumsrückstellungen 142

G Gleichheitssatz 177 ff., 199 ff. H Harmonisierung – Abschließende Harmonisierung 147 ff. – Mindestharmonisierung 85, 147 ff. – Mittelbare Harmonisierung 76, 175, 263 – Schrittweise Harmonisierung 199 ff. – Vollharmonisierung 86, 150 Hybrid – Hybrides Finanzinstrument 12 ff., 27 ff. – Hybride Gestaltung 8 ff. – Hybrider Rechtsträger 16 ff. – Hybride Übertragungen 15, 31, 116, 341 – Nicht berücksichtigte hybride Zahlungen 39 – Abzugsfähige hybride Zahlun­ gen 61 I Immunisierungswirkung – Verfahrensrechtliche 146 – Materielle 246 410

K Kapitalgesellschaft 16 f. Kapitalverkehrsfreiheit 186 Kohärenz – Gefestigte Rechtsprechung 239 ff. – Interpersonale, internationale Kohärenz 250 ff. Kontrollbeteiligung 184 ff. Koordination 250 ff. Korrespondierende Besteuerung 72, 133, 245 L Leistungsfähigkeitsprinzip 221 Linking Rules 24, 70 ff. M Marks & Spencer-Entscheidung 207 Mezzanine Finanzierung Siehe hybride Finanzinstru­mente Mindestschutzkonzept 85 Missbrauchsabwehr 230 ff. Mitunternehmer 18 f., 273 ff. Mutter-Tochter-Richtlinie 83, 121 f., 287 Muttergesellschaft 122, 287 N Nachteilskompensation 197 Neutralität 169 Niederlassungsfreiheit 183 Niedrigbesteuerung 26, 314 ff.

Stichwortverzeichnis

Nicht berücksichtigte hybride Zahlung 39 Nichtigkeitsklage 159 Nordea Bank-Entscheidung 208 Normzielbetrachtung 213 ff. No Inclusion/No Taxation-­ Ergebnis (NI/NT-Ergebnis) 9, 114, 290 O Objektive Vergleichbarkeit 202 ff. „OECD-konforme Auslegung“ 87 Organschaft 300 ff. Outbound-Konstellation 20, 204 P Personengesellschaft 16 f., 272 ff. Philips Electronics-Entscheidung 236 Portfoliobeteiligung 184 ff. Primäres Unionsrecht 165 ff. Q Qualifikationskonflikt – Derivativer Qualifikations­ konflikt 11 – Objektiver Qualifikationskon­ flikt 13, 18 – Qualifikationskonflikt im ­engeren Sinne 11, 15, 19 – Qualifikationskonflikt im ­weiteren Sinne 11, 13, 17 f., 21 – Subjektiver Qualifikations­ konflikt 17 Quellensteuer 38, 117, 290 ff. R Rechtfertigung 202 Rechtsträger – Doppelt ansässiger Rechtsträger 66, 108, 332 ff. – Hybrider Rechtsträger 16 ff. – Umgekehrt hybrider Rechts­ träger 45 ff., 99 ff., 127, 330, 348

Repo-Geschäft 32, 313, 343 Reverse Hybrid Siehe umgekehrt hybrider Rechtsträger Richtlinienkonforme Auslegung 146, 339 „Richtlinienorientierte“ Aus­ legung 153, 339 S Schädlicher Steuerwettbewerb 168 Schutzbereich 183 ff. Sekundäres Unionsrecht 83, 146, 153 Solange-Rechtsprechung 143 Sonderbetriebsvermögen 272 ff. Spezifische Empfehlungen 24, 76 Steuerarbitrage 1, 5, 70 Steuersatz 26, 315 Steuersubstrat 74, 134 Steuerwettbewerb 168, 175, 263 Strukturierte Gestaltung 78, 97, 138 Substitutionszahlungen 34, 90, 311 Symmetriethese 211, 227 T Tax Cut/Tax Cut-Ergebnis (TC/TC-Ergebnis) 9, 38, 116 Timac Agro-Entscheidung 211 Tochtergesellschaft 122 Transparenzprinzip 17, 39, 272 ff. Treaty Override 290, 306, 351 Trennungsprinzip 17, 39 Typisierung 234 U Überschießende Richtlinien­ umsetzung 152, 339 Umgekehrt hybrider Rechtsträger 45 ff., 99 ff., 127, 330, 348 Umsetzungsmaßnahme 141 ff. Ungleichbehandlung 191 ff. 411

Stichwortverzeichnis

V Verbundene Unternehmen 78, 95, 138, 184, 187, 307 Verdeckte Gewinnausschüttung 285 f. Verfahrensrecht 159, 326 Verfassungsrecht 141 ff. Verhältnismäßigkeit 77, 136, 259 ff. Vorabentscheidungsverfahren 160 Vorwirkung 144

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W Wertpapierleihe 33, 313, 342 f. Wertschöpfung 74 f. Willkürkontrolle 246 ff. Wirtschaftliches Eigentum 15, 33, 313 f., 342 ff. Z Ziel der Linking Rules 80, 139 Zinsen- und LizenzgebührenRichtlinie 83 f., 123 Zurechnungskonflikt 15, 22