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German Pages 80 [82] Year 2013
Rolf Schönberger
Dr. phil., seit 1996 Professor für Geschichte der Philosophie mit dem Schwerpunkt der mittelalterlichen Philosophie an der Universität Regensburg
Lectio Albertina
Albertus-Magnus-Institut
Rolf Schönberger Der Gegensatz von Gut und Böse und die eine Wirklichkeit – Albertus Magnus zum Problem des Dualismus
ISBN 978-3-402-11195-6
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Schönberger Der Gegensatz von Gut und Böse und die eine Wirklichkeit. Albertus Magnus zum Problem des Dualismus
Rolf Schönberger
Der Gegensatz von Gut und Böse und die eine Wirklichkeit. Albertus Magnus zum Problem des Dualismus
Lectio Albertina Band 14
© 2013 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier Fotografie und Umschlaggestaltung: Rüdiger Block, Hürth Satz: Albertus-Magnus-Institut, Bonn TUSTEP -Satzprogramm bereitgestellt von Dr. Michael Trauth, Trier Druck: Aschendorff Medien GmbH & Co. KG, Druckhaus Aschendorff, Münster ISBN 978–3– 402–11195–6
Inhalt I . Der Katharismus als Neomanichäismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II . Der Dualismus der Mächte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III . Dualismuskritik vor Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Augustins Dualismuskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mittelalterliche Dualismuskritik vor Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Blumenbergs These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiele scholastischer Dualismuskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a ) Alanus ab Insulis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b ) Wilhelm von Auxerre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g ) Wilhelm von Auvergne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d ) Moneta von Cremona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV . Albertus Magnus zum Problem des Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Alberts inhaltliche Kritik am Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Erörterung im Sentenzen-Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Erörterung in Alberts Kommentar zu De divinis nominibus . . . . c) Die Erörterung in der Summa theologiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Erörterung im Kategorien-Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Alberts neue konzeptionelle Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dualismus in der Philosophhie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a ) Beispiele für die diagnostizierten Verbindungen . . . . . . . . . . . . . b ) Gegenprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g ) Nachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Grundlage für diese Zusammenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Weise der Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die dualistischen Konzeptionen im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . a ) Pythagoras . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b ) Heraklit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g ) Empedokles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirklichkeit und Antagonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die fragliche Wirksamkeit des Gegensatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die sekundäre Stellung der Gegensätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die verbleibenden Probleme der realen Gegensätze . . . . . . . . . . . . d) Alberts Deutung des Friedens als Gottesname . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V . Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Der Katharismus als Neomanichäismus Man muss nicht viele und man muss keine großen Schritte tun, um den Predigerbruder Albertus Magnus mit der Auseinandersetzung in Verbindung zu bringen, die im 12. und 13. Jahrhundert mit den Katharern geführt wurde. Was insgesamt eine erbitterte politische Auseinandersetzung in Frankreich und eine dramatische innerhalb der Kirche war, wurde ja zum einen einer der Gründe für die Gründung des Bettelordens der Predigerbrüder. Zum anderen aber ist es zumindest in einer Hinsicht auch für das philosophische Denken von einigem Belang. Die Gnostiker in Südfrankreich und Norditalien waren neben ihrer antiinstitutionellen Einstellung Vertreter des Dualismus. Ihrer Überzeugung nach könne man die Welt nur verstehen, wenn man sie nicht auf ein einziges, sondern nur, wenn man sie auf zwei Prinzipien zurückführt. Der eine Ursprung, den Platon1 ebenso wie Aristoteles,2 diese beiden Repräsentanten der klassischen antiken Philosophie, und wie diese aber ebenso das Christentum als das Prinzip oder den Ursprung des Guten3 gefasst haben, dieser eine Ursprung könne nämlich sinnvoller Weise nicht mit den Übeln der Welt und den Niederträchtigkeiten der Menschen in eine begründende Verbindung gebracht werden. Es muss also auch ein davon ganz unabhängiges Prinzip des Schlechten geben.4 Arno Borst, der bedeutende Erforscher 1 Platon, Politeia 509 b. 2 Aristoteles, Met. XII 12 (1075 a 37). 3 Gen 1,1: »Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde«; der Schöpfer beurteilt seine Schöpfung: Gen 1,31: »Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut«. 4 In einem chinesischen Manichäismus-Katechismus etwa liest man folgenden Text: »Das erste, was der Mensch zu tun hat, ist die Unterscheidung der Zwei Prinzipien (das Gute und das Böse). Wer unserer Religion beitreten will, muss wissen, dass die Zwei Prinzipien von absolut verschiedener Natur sind. Wie kann jemand, der diese Unterscheidung nicht lebhaft empfindet, die Lehre in die Praxis umsetzen?« Dies findet sich immer wieder zitiert, etwa: G.-K. Kaltenbrunner, Mani, in: ders., Europa. Seine geistigen Quellen in Porträts aus zwei Jahrtausenden, Heroldsberg bei Nürnberg 1983,
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des mittelalterlichen Katharismus,5 hat im Blick auf den Anspruch der drei großen Erlösungsreligionen Buddhismus, Christentum und Islam, den Menschen aus seinen »vielfältigen irdischen Bindungen zu erlösen« völlig zu Recht geurteilt: »Zur größten Versuchung für Erlösungsreligionen wird deshalb jener Glaube, der die radikalste Befreiung aus der materiellen Welt verheißt, der Dualismus«.6 Diese Tradition des Dualismus war bekanntlich Gegenstand vielfältiger Kritik und beides, Lehre und die Kritik daran, wiederum Gegenstand vielfältiger Forschungsbemühungen. Derjenige Bewältigungsversuch, den Albertus Magnus unternommen hat, hat hingegen noch nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit gefunden. Nicht dass es dabei in erster Linie darum gegangen wäre, gegen den Dualismus weitere Einwände vorzubringen – die schon vorliegenden schienen den Antidualisten in logischer wie konzeptioneller Hinsicht völlig ausreichend. Bereits vorgelegte Argumente werden nicht explizit ergänzt oder verschärft. Aber die Aufgabe, den Dualismus zu verstehen, schien in der theoretischen Auseinandersetzung vor Albert vielleicht doch eher unterschätzt worden zu sein. Und wenn man sich dieser Aufgabe stellt, dann kann man sich der Reflexion nicht entziehen, wie denn eine solche Durchdringung des Dualismus zu realisieren sei. Für diese Fragen lohnt sich eine intensivere Zuwendung zum Denken Alberts. Um das Spezifikum der albertinischen Dualismuskritik bestimmen zu können, werde ich mich nach einer ganz kurzen Skizze des Dualismus im dritten Teil kurz der augustinischen Auseinandersetzung und dann der scholastischen Kritik vor Albert zuwenden. Im vierten und zentralen Teil, in dem es dann um Alberts Kritik am Dualismus gehen wird, werde ich zuerst seine unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Dualismus der Prinzipien zu vergegenwärtigen suchen, um mich dann noch seiner grundsätzlichen Antagonismus-Kritik zuzuwenden.
II , 43–56, hier 51; D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, in: ders., Schriften II /2, Frankfurt a. M. 1978, 229; zitiert nach P. Brown, Augustinus von Hippo, Frankfurt a. M. 1967, 40. 5 A. Borst, Die Katharer (Monumenta Germaniae Historica. Schriften 12), Stuttgart 1953; 7. Auflage Freiburg i. Breisgau 2000. 6 A. Borst, Die dualistische Häresie im Mittelalter, in: ders., Barbaren, Ketzer und Artisten. Welten des Mittelalters, München / Zürich 1988, 199–231, hier 199.
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II. Der Dualismus der Mächte Für die Katharer war ihre Überzeugung, welche die Welt in gute und schlechte Dinge glaubte einteilen zu können, auch praktisch zentral, sie wurde also nicht von ungefähr in einen größeren Zusammenhang gestellt. Immerhin, in den relativ wenigen Texten, deren Fragmentcharakter zweifellos auch mit jener Auseinandersetzung zusammenhängt, lässt sich diese Sicht belegen. In den Textresten, die sich aus dem katharischen Milieu erhalten haben, bildet der Dualismus die Grundlage, aber nicht das Ganze. In der inzwischen mehrfach edierten Textsammlung, die auf eine verlorene Schrift des Johannes von Lugio zurückgeht, steht zwar der Dualismus der Prinzipien am Anfang, ist aber weit davon entfernt, der Begründung dieses Gedankens einen ganz besonders breiten Raum zu gewähren. Die Lehre wird immerhin im Bewusstsein der Singularität vorgebracht.7 Die Begründung erfolgt kurz und dialektisch: Es gibt entweder ein Prinzip oder mehrere. Nur die Unerfahrenen (imperiti) denken, es gäbe nur ein Prinzip. Wenn dies der Fall ist, dann kann es – diese Alternative scheint die einzig spruchreife zu sein – nur entweder gut oder schlecht sein. Zweiteres ist auszuschließen, weil aus einem schlechten Prinzip nur Schlechtes hervorgehen kann, es aber auch Gutes gibt.8 Dies wird ergänzt mit dem neutestamentlichen Beispiel von den guten und schlechten Bäumen und ihren entsprechenden Früchten. Wiederum sowohl mit einem Argument wie mit Verweis auf biblische Stellen wird dann im Folgenden zu begründen unternommen, dass ausschließlich im Blick auf die Güte, die Macht und das Vorauswissen des Guten, die Existenz des Bösen nicht verständlich zu machen ist. »Qua propter oportet nos necessario confiteri quod aliud sit principium mali, quod contra deum verum et creaturam illius nequissime operatur, et ipsum principium videtur commovere deum contra creaturam suam et creaturam contra deum suum, et ipsum facit deum velle et desiderare illud quod per seipsum minime vellet unquam«.9
Die sichtbare Welt ist insgesamt nicht nur unvollkommen, sondern schlecht und verwerflich. In seinem Buch gegen die Manichäer referiert der ehemalige Waldenser Durand von Huesca die Auffassung, die Welt sei geradezu ein Werk des Teufels: 7 Livre des deux principes. Introduction, texte critique, traduction, notes et index de Ch. Thouzellier (Sources Chre´tiennes 198), Paris 1973, c. 1, 160: »[. . .] hoc sit contra fere omnes religiosos«. Text im Folgenden zitiert als Liber de duobus principiis. 8 Liber de duobus principiis c. 1, ed. Thouzellier, 162. 9 Liber de duobus principiis c. 12, ed. Thouzellier, 190.
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»Divine bonitati doctores impii derogando presentem mundum asserunt, id est quecumque possunt videri corporeis occulis, malignum, id est diabolum creasse pariter et fecisse«.10
Der Akzent liegt freilich nicht darauf, dass es eben Gelungenes und Misslingendes, Sinnvolles und Sinnwidriges gibt, sondern dass es überhaupt zwei Arten der Wirklichkeit gibt, das Sichtbare und das Unsichtbare. Und das Sichtbare ist das schlechthin Schlechte: »Contra quam proponit sententiam falsitatis et iniquitatis, dicens Deum omnipotentem sola invisibilia et incorporalia creasse; diabolum vero, quem deum tenebrarum appellat, dicit visibilia et corporalia creasse. Quibus predictis addit hereticus duo esse principia rerum: unum boni, scilicet Deum omnipotentem; alterum mali, scilicet diabolum«.11
In den Referaten der Kritiker scheint sich aber kein spezifisches Argument zu finden, dass für diese Verwerflichkeit der Körperwelt als solcher spricht. Die Auffassung stützt sich auf eine Vielzahl biblischer Stellen, die in den Augen der dualistischen Kritiker von der orthodoxen Tradition falsch gelesen wurden. Die theologische Kontroverse um den Dualismus ist daher weitgehend eine interpretatorische Kontroverse. III. Teil: Dualismuskritik vor Albert 1. Augustins Dualismuskritik Die Idee eines Dualismus der Prinzipien war bekanntlich im hohen Mittelalter nicht neu. Augustins wohl meistverbreitetem Buch, den Confessiones, konnte jeder Leser entnehmen, dass der spätere Bischof und Kirchenvater selbst einmal Anhänger dieser Lehre war – und dies sogar nahezu ein Jahrzehnt.12 10 Une somme anti-cathare. Le Liber contra Manichaeos de Durand de Huesca. Texte ine´dit publie´ et annote´ par Ch. Thouzellier (Spicilegium Sacrum Lovaniense. E´tudes et documents fasc. 32), Louvain 1964, c. 4, 115, 16–18; Text im Folgenden zitiert als Durandus de Huesca, Liber contra Manichaeos; aus den langen Zitaten hat Thouzellier den manichäischen Traktat rekonstruiert und zuvor ediert: Ch. Thouzellier, Un traite´ cathare ine´dit du de´but du XIIIe sie`cle, d’apre`s le »Liber contra Manichaeos« de Durand de Huesca (Bibliothe`que de la Revue d’histoire eccle´siastique 37), Louvain / Paris 1961. Raimundus Sacco, Summa de Catharis et Pauperibus de Lugduno, ed. A. Dondaine, in: ders., Un traite´ neo-maniche´en du XIII e sie`cle, le »Liber de duobus principiis«, suivi d’un fragment de rituel cathare. Rom 1939, 64, 18–20: »Communis opiniones omnium Catharorum sunt istae, scilicet quod diabolus fecit hunc mundum et omnia quae in eo sunt«. 11 Ps.-Praepositinus, Summa contra haereticos I, ed. Garvin / Corbett, in: The Summa contra haereticos, ascribed to Praepositinus of Cremona, ed. by J. N Garvin and J. A. Corbett (Publications in mediaeval studies 15), Notre Dame 1958, 4a. 12 P. Brown, Augustinus von Hippo (wie Anm. 4), 39–51; V. H. Drecoll / M. Kudella, Augustin und der Manichäismus, Tübingen 2011.
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Keine theoretische Problemstellung hat Augustinus in diesem Buch so ausführlich reflektiert wie die des Manichäismus. Er hat sich aber auch in anderen Schriften mit ihm auseinandergesetzt.13 Augustinus hat es mit einer Auffassung zu tun, die noch darüber hinausgeht und für die Folgezeit von großem Belang sein wird. Nicht nur werden für die entzweite Wirklichkeit zwei verschiedene Prinzipien angesetzt; diese stehen zweitens im Verhältnis des Gegensatzes zueinander. Drittens aber besteht dieser Gegensatz nicht einfach, etwa weil die beiden Prinzipien eben für gegensätzliche Verfasstheiten der Wirklichkeit aufkommen. Ihr Wirkungsbereich ist gar nicht fest und endgültig bestimmt, so dass sie darüber hinaus auch im Kampf miteinander stehen, genauer gesagt, das Gute, die Sphäre des Lichtes und der Integrität ist dem Einfluss des Bösen, Dunklen und Schmutzigen ausgesetzt. Durch Marcion kommt noch der Dualismus von Altem und Neuem Testament hinzu.14 Jenen Kampf setzt Augustinus in den Confessiones voraus und in der ganz späten Schrift De haeresibus von 428/429 sagt er es ausdrücklich: »Iste duo principia inter se diversa et adversa, eademque aeterna et coaeterna, hoc est semper fuisse, composuit, duasque naturas atque substantias, boni scilicet et mali, sequens alios antiquos haereticos, opinatus est. Quarum inter se pugnam et commixtionem, et boni a malo purgationem, et boni quod purgari non poterit cum malo in aeternum damnationem, secundum sua dogmata asseverantes, multa fabulantur, quae cuncta intexere huic operi nimis longum est«.15
Augustins wichtigste Einwände gegen einen Dualismus von Prinzipien lassen sich wohl folgendermaßen resümieren: 1. Gott ist im Gegensatz zu allem, was er erschaffen hat, als unwandelbar zu denken. Was hingegen aus nichts geschaffen ist, hat das Moment der Nichtigkeit in dem Sinne an sich, dass es der Veränderung, dem Werden und Vergehen unterliegen kann und auch unterliegen muss. Der Grund von all dem kann jedoch deshalb keiner Veränderung ausgesetzt sein, weil es für das Eintreten und die Art der Veränderung ja seinerseits wieder einer Ursache bedürfte und er also nicht als das gedacht würde, als was er gedacht werden 13 Augustinus, De natura boni (PL 42), 551–572; ed. J. Zycha (CSEL 25/2), Wien 1891/92, 853–889; diese Schrift stammt aus dem Jahre 399; eine zweisprachige Ausgabe des Textes wie auch von Contra Secundinum: Augustinus, Opera-Werke, hrsg. von J. Brachtendorf, Paderborn u. a., Bd. 22 (2010); in dieser großen Augustinus-Ausgabe sind die Bände 16/17–25 für die antimanichäischen Schriften Augustins vorgesehen. 14 J. Ratzinger, Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche [1951], in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, hrsg. von G. L. Müller, Freiburg u. a. 2011, 142 ff. 15 Augustinus, De haeresibus c. 46 n. 2 (CCSL 46), 313, 3–15; von diesem Text gibt es eine englische Übersetzung: L. G. Müller, The ›De Haeresibus‹ of Saint Augustine. A Translation with an Introduction and Commentary. A Dissertation (Patristic Studies 90), Washington 1956.
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sollte: als erste Ursache. Daher kann Gott in keinen »Kampf« verwickelt werden. Kampf ohne die Möglichkeit der Veränderung, sogar der Zerstörung zu denken, ist ein sinnloser Gedanke. Nur unter der widersinnigen Voraussetzung also, dass man Gott fälschlicher Weise wie ein wandelbares Ding denkt, also wie etwas, was gerade die Frage nach dem Ursprung begründet, gäbe die Vorstellung eines Kampfes der Prinzipien, d. h. von Mächten, überhaupt einen Sinn.16 2. Alles, was der Veränderung unterworfen ist, enthält Negativität. Das Prinzip aller Dinge, die der Veränderung unterworfen sind, kann daher selbst gerade keine Negativität enthalten: Es ist das reine Sein. Viele Male hat sich Augustinus auf die Antwort bezogen, die Moses auf seine Frage an die Stimme im brennenden Dornbusch: »Wer soll ich sagen schickt mich?«17 bekommen hat – nicht etwas oder jemand neben anderen, das oder der anders ist, sondern: »Ich bin der ich bin«.18 Damit ist aber nicht nur ein Kampf ausgeschlossen, sondern auch eine besondere Art von Gegensatz anzusetzen. Dem Sein, so Augustinus, kann nämlich nicht wieder ein Etwas, sondern nur das Nichts entgegengesetzt sein.19 3. Die vermeintliche Dualität des Kosmos würde sich im Menschen fortsetzen: Wenn es für Geist und Materie unterschiedliche Prinzipien geben müsste, könnte sich der Mensch, der aus beidem besteht, gar nicht insgesamt als geschaffen und zwar als eine (gewiss für Augustinus in seiner singulären Art des Einsseins schwer bestimmbare) geschaffene Einheit von Geist und Körper verstehen. 4. Als Handelnder ist der Mensch im Dualismus übermächtigen Prinzipien unterworfen; also kann er eine ursprüngliche Evidenz, die in der Erfahrung des eigenen freien Wollens liegt, nicht aufrechterhalten, wenn er alles Gute und Schlechte, ob moralisch oder physisch, jeweils auf ein entsprechendes Prinzip zurückführt. 16 17 18 19
Vgl. Augustinus, Confessiones l. 7 c. 2 n. 3 (CCSL 27), 93, 6–9. Ex 3,13. Ex 3,14. Augustinus, De civitate Dei l. 12 c. 2 (CCSL 48), 357, 19–21: »quod est, non esse contrarium est. Et propterea Deo, id est, summae essentiae et auctori omnium qualiumcumque essentiarum, essentia nulla contraria est«; Johannes Eriugena, Periphyseon l. 1 (versio iv, P 14) (CCCM 161), 187, 1332–1333: »cui opponitur nihil«; Guillelmus Altissiodorensis ( Wilhelm von Auxerre), Summa aurea l. 2 tr. 14 c. 6, ed. J. Ribaillier (Spicilegium Bonaventurianum 17B ), II /2, 523, 28–29: »Deus non habet contrarium, cum nihil sit summe malum«; Albertus Magnus, De causis et proc. univ. l. 1 tr. 2 c. 2 (Ed. Colon. 17/2), 27, 68–70: »Primum autem simplicissimum nec habet nec habere potest vel compar vel dissimile vel contrarium«.
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5. Das konkrete Übel ist aus einem Prinzip des Bösen ohnehin nicht ersichtlich zu machen; der vermeintliche Rationalismus des Manichäismus scheitert daran.20 Der Tod seines einzigartigen Freundes, der Augustinus in eine tiefe Orientierungskrise gestürzt hat, war durch keinen Vernunftgrund verständlich zu machen. 6. Wenn die Annahme eines Prinzips des Bösen keinen hinreichenden sachlichen Grund haben kann, dann stellt sich die Frage, welcher andere Grund zu dieser Überzeugung geführt hat. Augustinus sieht darin einen ideologischen Grund: nämlich Selbstexkulpation.21 7. Das heißt aber nicht, dass die geschaffene Welt ohne Gegensätze ist – dies ganz gewiss nicht. Der Dualismus der beiden civitates wird von außen nicht selten als eine Fortwirkung seiner früheren dualistischen Überzeugungen angesehen.22 Gegensätze in der Welt sind in den Augen Augustins selbst nichts, das gar nicht ist oder doch wenigsten nicht sein soll – im Gegenteil. Augustinus greift zu dem berühmten Vergleich eines Bildes, das Licht und Schatten enthält, wobei die Schatten die Schönheit des Bildes nicht beeinträchtigen, sondern vielmehr allererst hervortreten lassen: »Gott würde ja keinen Menschen geschaffen haben und erst recht keinen Engel, dessen künftige Schlechtigkeit er vorausgesehen hätte, wüßte er nicht ebenso, wie er sich ihrer zum Nutzen der Guten bedienen und so das geordnete Weltganze wie ein herrliches Gedicht gewissermaßen mit allerlei Antithesen ausschmücken würde. Solche sogenannten Antithesen, die man auf lateinisch opposita – Gegensätze, oder besser contraposita – Gegenüberstellungen nennen könnte, obschon diese Bezeichnung bei uns nicht gebräuchlich ist, bilden nämlich den ansprechendsten Schmuck der Rede. [...] Wie also diese Gegenüberstellung von Gegensätzen die Rede verschönte, so bewirkt die göttliche Redekunst, die 20 Augustinus, Confessiones l. 4 c. 4 n. 9 (CCSL 27), 44, 43: »Factus eram ipse mihi magna quaestio [. . .]«. In den langen Passagen, in denen Augustinus seine tiefe Trauer über den Tod des Freundes schildert und reflektiert, wird zwar mehrfach sein vom Manichäismus bestimmtes materialistisches Gottesbild berührt, doch scheint der gnostische Rationalismus hier schon an der Erfahrung der Unverständlichkeit dieses konkreten Schicksals zu scheitern; Augustinus wird daher, wie er in dem zitierten Texte formuliert, sogar sich selbst zur Frage. 21 Augustinus, Confessiones l. 5 c. 10 n. 18 (CCSL 27), 67, 6–10: »Adhuc enim mihi videbatur non esse nos, qui peccamus, sed nescio quam aliam in nobis peccare naturam et delectabat superbiam meam extra cuplam esse et, cum aliquid mali fecissem, non confiteri me fecisse, ut ›sanares animam meam, quoniam peccabat tibi‹ [. . .]«. 22 K. Jaspers, Augustin, in: ders., Die großen Philosophen, München 1957, 383: »Durch Augustins Werk geht der Dualismus in mannigfachen Gestalten: Gott-Welt, civitas Deicivitas terrena, Glaube-Unglaube, caritas-cupiditas, Sünde-Gnade«; H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt 1966, 88: »Der gnostische Dualismus war für das metaphysische Weltprinzip beseitigt, aber er lebte im Schoße der Menschheit und ihrer Geschichte als absolute Sonderung von Berufenen und Verworfenen fort«; vgl. Anm. 26.
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statt der Worte sich der Dinge bedient, durch dieselbe Gegenüberstellung von Gegensätzen die Schönheit des Weltalls. Das kommt zu klarstem Ausdruck im Buche Sirach [33,15], wo es heißt: ›Das Gute ist wider das Böse und das Leben wider den Tod und der Gottesfürchtige wider den Gottlosen. So betrachte du alle Werke des Höchsten; sie sind paarweise geordnet, eins wider das andere‹«.23
2. Mittelalterliche Dualismuskritik vor Albert Mit dieser ebenso umfassenden wie grundsätzlichen Kritik Augustins am Manichäismus schien theoretisch das Problem des Prinzipiendualismus von Gut und Böse bewältigt. Für mehrere Jahrhunderte lassen sich wohl keine grundsätzlichen konzeptionellen Leistungen angeben, die sich darauf bezogen hätten. Gleichwohl ist der Manichäismus im 4. Jahrhundert nur zurückgedrängt worden, nicht aber untergegangen. Es hat ja nicht nur bei dieser Kontroverse etwas Rätselhaftes um die Regenerationskraft von Gedanken, die sich argumentativ nicht wirklich überzeugend verteidigen können. Waren hier Motive in Kraft, die auf der argumentativen Ebene noch gar nicht freigelegt und demzufolge auch nicht zu bewältigen waren? Man wird in solchen Fällen wohl vielfach jene untergründige Verbindung in Rechnung stellen müssen, die zwischen dem Weltverstehen insgesamt und der Selbstdeutung bzw. Selbsterfahrung des Menschen zu bestehen scheint. Im 12. Jahrhundert macht sich also in Norditalien und Südfrankreich eine Strömung breit, die etwa Jacob Burckhardt, wenn auch nicht als erster, als die der »Neumanichäer«24 bezeichnet hat. 23 Augustinus, De civitate Dei l. 11 c. 18 (CCSL 48), 337: »Neque enim deus ullum, non dico angelorum, sed uel hominum crearet, quem malum futurum esse praescisset, nisi pariter nosset quibus eos bonorum usibus commodaret atque ita ordinem saeculorum tamquam pulcherrimum carmen etiam ex quibusdam quasi antithetis honestaret. Antitheta enim quae appellantur in ornamentis elocutionis sunt decentissima, quae Latine ut appellentur opposita, uel, quod expressius dicitur, contraposita, non est apud nos huius uocabuli consuetudo, cum tamen eisdem ornamentis locutionis etiam sermo Latinus utatur, immo linguae omnium gentium. [His antithetis et Paulus apostolus in secunda ad Corinthios epistula illum locum suauiter explicat, ubi dicit: Per arma iustitiae dextra et sinistra: per gloriam et ignobilitatem, per infamiam et bonam famam; ut seductores et ueraces, ut qui ignoramur et cognoscimur; quasi morientes, et ecce uiuimus, ut coherciti et non mortificati; ut tristes, semper autem gaudentes; sicut egeni, multos autem ditantes; tamquam nihil habentes et omnia possidentes.] Sicut ergo ista contraria contrariis opposita sermonis pulchritudinem reddunt: ita quadam non uerborum, sed rerum eloquentia contrariorum oppositione saeculi pulchritudo conponitur. Apertissime hoc positum est in libro ecclesiastico isto modo: Contra malum bonum est et contra mortem uita; sic contra pium peccator. Et sic intuere in omnia opera Altissimi, bina bina, unum contra unum«; Übersetzung aus: Augustinus, Vom Gottesstaat (De civitate Dei). Vollständige Ausgabe in einem Band. Aus dem Lateinischen übertragen von W. Thimme. Eingeleitet und kommentiert von C. Andresen, München 2007, II 29–30. 24 Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, hrsg. von R. Marx, Stuttgart
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a) Blumenbergs These Um die geistesgeschichtliche Bedeutung dieser Auseinandersetzungen noch deutlicher vor Augen zu stellen, scheint ein Seitenblick auf Hans Blumenberg nützlich. Er hat geurteilt: »Das Problem, das die Antike ungelöst hinterließ, war die Frage nach dem Ursprung des Übels in der Welt«.25 Dieses nicht bewältigte Problem war es nach Blumenberg, das der Gnosis das Einfallstor öffnete. Auch Augustinus habe mit seiner Konzeption der Freiheit, die er als absoluten Ursprung denke, diese Fragen nicht wirklich beantworten können. Zum einen bleibe der Abgrund zwischen der Reichweite menschlicher Freiheit und dem Weltzustand insgesamt, zum anderen kehre der Dualismus ja auch bei ihm selbst in gewisser Weise wieder.26 Der augustinische Überwindungsversuch sei also nicht gelungen. Wenn Adolf von Harnack gesagt habe, der Katholizismus sei gegen Marcion erbaut worden,27 dann heiße das: »Weiter gefaßt, entspricht das der These, daß die Formation des Mittelalters nur als Versuch der endgültigen Absicherung gegen das gnostische Syndrom verstanden werden kann«.28
Die These ist prägnant und weiträumig, aber doch nicht ganz klar. Was wäre denn eine solche »Lösung« gewesen? Ist für das Problem des Bösen eine theoretische Lösung, also eine, die einzig auf dem Weg der Erkenntnis, des Erklärens und Verstehens, zu gewinnen ist, überhaupt denkbar? Blumenberg beschränkt sich in seiner Diagnose auf die globalen geistigen Kräfte, ohne die Argumente im Einzelnen durchzugehen und zu erwägen. Vor allem aber vermag er keinerlei Unterschied zwischen der augustinischen Kritik und der der Hochscholastik auszumachen. Er sagt sogar: »Die Scholastik des Mittelalters geht in mancher Hinsicht den Weg Augustins noch einmal«.29 Bei aller Variation beruhten die scholastischen Bemühungen, Schöpfer- und Heilsgott als einen Gott zu denken, »auf dem Grundriß von De libero arbitrio«.30 10
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1963, 52; vgl. M. Stausberg, Pierre Bayle (1647–1706) und die Erfindung des europäischen Neomanichäismus, in: R. E. Emmerick / W. Sundermann / P. Zieme (Hg.), Studia Manichaica. IV. Internationaler Kongreß zum Manichäismus, Berlin, 14.–18. Juli 1997, Berlin 2000, 582–590. H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt 1966, 79. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit (wie Anm. 25), 88; vgl. Anm. 22. So die bekannte These von A. v. Harnack in seinem Marcion-Buch; gegen Kritiken verteidigt sie Harnack in: ders., Neue Studien zu Marcion, Leipzig 1923, 20–23; J. Burckhardt hat geurteilt, der Manichäismus sei im 5. Jahrhundert, wenigstens »für einige Zeit zum gefährlichsten Feinde der Kirche« geworden, in: ders., Die Zeit Constantins des Grossen, hrsg. von H. E. Friedrich, Frankfurt a. M. 1954, 177. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit (wie Anm. 25), 79. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit (wie Anm. 25), 89. Ebd.
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Das scheint mir aus zwei nicht ganz nebensächlichen Gründen nicht der Fall zu sein: Zum einen hat die mittelalterliche Philosophie die Möglichkeit, das Problem von Gut und Böse gegenüber Augustinus allgemeiner als Gegensatzproblem31 überhaupt zu fassen; zum anderen aber zeigt sich wiederum durch die Vermittlung des Aristoteles, dass die Strömung des Manichäismus nicht bloß eine Häresie, sondern auch mit philosophischen Konzeptionen vergleichbar ist. Was die Problemlagen angeht, die sich aus der Statusbestimmung des Bösen ergeben, so machen die scholastischen Texte freilich nirgends den Eindruck, es sei eine ganz neu ansetzende denkerische Anstrengung vonnöten, um die Konzeption des Dualismus zurückzuweisen. Blumenberg verweist übrigens en passant auf Eric Voegelin, der in der Gnosis keine kontingente und beliebige religiöse Überzeugung unter zahllosen anderen gesehen hat, sondern eine epochemachende Denkform, dies sogar in dem Sinne, dass er die Neuzeit, deren Legitimität Blumenberg ja bekanntlich zu zeigen bemüht ist, geradezu als das gnostische Zeitalter zu bezeichnen geneigt ist.32
b) Beispiele scholastischer Dualismuskritik Die Auseinandersetzung mit dem massiven Problem des Katharismus ist seit dem Ausgang des 12. Jahrhunderts vielfältig geführt worden. Ich beschränke mich auf einige wenige Beispiele aus dem akademischen Milieu.
31 Zur Begriffsgeschichte: W. Beierwaltes, »Gegensatz«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 3 (1974), 105–117; zu Albert und seiner Zeit: L.-B. Gillon, La the´orie des oppositions et la the´ologie du pe´che´ au XIIIe sie`cle, Paris 1937; U. Wöhler, Alberts des Großen Lehre von den Kontrarietäten, in: W. Senner u. a. (Hg.), Albertus Magnus. Zum Gedenken nach 800 Jahren. Neue Zugänge, Aspekte und Perspektiven (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens N. F. 10), Berlin 2001, 157–169. 32 Verweis bei Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit (wie Anm. 25), 78; vgl. E. Voeglin, Philosophie der Politik in Oxford, in: Philosophische Rundschau 1 (1953/54), 23– 48, hier 42 f.: »Die gnostischen Äonen von Licht und Finsternis, von Wahrheit und Lüge wurden von den Sektierern des Mittelalters in Symbole geschichtlicher Immanenz umgewandelt; und in dieser gewandelten Form sind sie in der Neuzeit (die wohl besser das Gnostische Zeitalter genannt würde) zu beherrschenden Formen des politischen Denkens geworden: in den Varianten des Nationalismus, des Progressivismus, in den totalitäten Bewegungen, sowie in den zivilisatorischen Glaubensrichtungen des Europäismus, Amerikanismus, des allgemeinen Okzidentalismus, und des mehr eingeschränkten Westlertums der atlantischen Nationalstaaten«.
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a) Alanus ab Insulis
Alanus ab Insulis hat um 1170 sein in vier Bücher gegliedertes Werk De fide catholica contra haereticos sui temporis verfasst; das erste Buch widmet sich der Häresie der Albigenser. Was den Dualismus angeht, so beruht er nach Alanus auf einer falschen Vorausetzung, nämlich der, das Böse sei selbst etwas. Mit der Einsicht in die Nichtigkeit des Bösen entfällt das Erfordernis, für sein Auftreten ein Prinzip anzugeben.33 b) Wilhelm von Auxerre
An zweiter Stelle sei auf Wilhelm von Auxerre verwiesen. Er hat an der Schwelle zur Hochscholastik eine umfassende und viel gelesene Summa aurea verfasst. Das zweite Buch handelt von der Schöpfungslehre und nach der Engellehre erörtert er die Fragen der zuerst erschaffenen Dinge. »In principio fecit Deus celum et terram«. Was damit gesagt ist, erläutert Wilhelm durch das, was damit ausgeschlossen ist.34 Dies ist mehreres: Im Anfang heißt am Anfang der Zeit, also ist die Auffassung des Aristoteles ausgeschlossen, dass die Welt ewig ist. Es ist aber auch die Meinung Platons ausgeschlossen, wonach es drei Prinzipien gibt: den Demiurgen, die Materie und die Ideen. Die Materie, die Platon voraussetzt, wird in Wahrheit ihrerseits geschaffen. Aber auch die Lehrmeinung Epikurs, es gebe zwei Prinzipien, ist damit ausgeschlossen.35 Mit der Dualität von Atom und leerem Raum (athomos et inane) verbindet Wilhelm den Dualismus des Manichäers. Es ist die Doppelung von gutem Gott, der Ursache der unveränderlichen Dinge, und dem bösen Gott, der Ursache der veränderlichen Dinge. Ein Gott des Lichtes und ein Gott der Finsternis, zugleich jeweils ein Gott des Alten und des Neuen Testamentes. Auch Wilhelm versucht die Gründe für diese Auffassung zu rekonstruieren36 – ein 33 Alanus ab Insulis, De fide catholica contra haereticos libri IV l. 1 c. 4 (PL 210), 310A : »Prout vero supponit malitiam, nec esse aliquid, nec esse a Deo dicitur; potius enim notat privationem esse, quam rei positionem«; dieses Argument wird immer wieder vorgebracht, auch von Albertus Magnus, Metaph. l. 3 tr. 3 c. 15 (Ed. Colon. 16/1), 155, 27–34: »Nos autem, quantum hoc negotium exigit, determinare volentes inducta, dicimus, quod malum in natura non est aliquid existentium. Et ideo non habet causam aliquam essentialem, sed privatio est harmoniae et commensurationis principiorum constituentium et privatio modi ipsorum, et ideo non habet causam esse causantem, sed defectus causalitatis est sibi causa [. . .]«. 34 Diese Lehren Platons und des Aristoteles, allerdings ohne die Epikurs, findet man in diesem Sinne auch angeführt bei Petrus Lombardus, II Sent. d. 1 c. 1 u. 4 (Ed. Quaracchi), 330 f. 35 Guillelmus Altissiodorensis, Summa aurea l. 2 tr. 8 c. 1, ed. Ribaillier, II /1, 167. 36 Guillelmus Altissiodorensis, Summa aurea l. 2 tr. 8 c. 1, ed. Ribaillier, II /1, 168, 39– 47.
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Quellentext, auf den er sich bezogen haben könnte, wird nicht genannt. Allerdings verweist er auf die Epistola fundamenti, die er aus Augustins Schrift37 gegen diese kennt. Die referierten Argumente sind die folgenden: (1) Wenn die Ursache unveränderlich ist, muss es auch die Wirkung sein. Der unveränderliche Gott kann also nicht die Ursache der veränderlichen Dinge sein.38 (2) Dasjenige, was etwas zerstört, kann nicht identisch sein mit dem, was dasselbe erbaut. Nun ist Gott der Zerstörer der bösen Menschen, deshalb kann er nicht zugleich der Schöpfer dieser Menschen sein. (3) Von entgegengesetzten Dingen sind auch die Prinzipien entgegengesetzt. Dies ist ein Zitat aus Aristoteles.39 Gut und Böse sind nun aber offenkundig einander entgegengesetzt und haben daher entgegengesetzte Ursachen, das höchste Gute für alles Gute und das höchste Böse als Prinzip allen Bösen. Wilhelm unternimmt es, diese Argumente zu entkräften. Das erste Argument würde nur gelten, wenn das Unveränderliche etwas aus sich selbst hervorbrächte. Schöpfung heißt aber Hervorbringung aus nichts, nicht aus sich selbst. Das zweite Argument hat ebenfalls nicht die beanspruchte universelle Geltung. Es ist nämlich auf Wesen, die durch ihren Willen wirksam werden, nicht anwendbar. Ein Handwerker kann sehr wohl etwas Böses anfertigen und zugleich auch Zerstörer von dessen Zerstörungskraft sein. 37 Augustinus, Contra epistolam Manichaei quam vocant Fundamenti liber unus (PL 42), 173–206; Contra Epistulam fundamenti, ed. J. Zycha (CSEL 25/1), 191–248; auch Albert zitiert diese Schrift, Albertus Magnus, De hom. tr. 2 q. 2 a. 2 (Ed. Colon. 27/2), 591, 2–5: »Tertia secta fuit Manichaei, qui posuit regionem lucis et regionem tenebrarum in duobus mundis, sicut legitur in sua epistola, quam vocat fundamenti«; vgl. Anm. 76. 38 Der Editor Ribaillier verweist auf Boethius, De trinitate c. 6 (PL 64), 1255A . 39 Aristoteles, De gen. et corr. l. 2 c. 10 (336 a 30–31): »contrariorum contrariae sunt causae«; auch als Adagium in den Auctoritates Aristotelis, vgl. Les Auctoritates Aristotelis. Un florile`ge me´die´val. E´tude historique et e´dition critique, ed. J. Hamesse (Philosophes Me´die´vaux 17), Leuven 1974, 170. Thomas Buchheim übersetzt in der monumentalen Übersetzungs- und Kommentarausgabe: Aristoteles, Über Werden und Vergehen. Übersetzt und erläutert von Th. Buchheim (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 12/4), Berlin 2010: »Von Gegensätzlichen ist Gegensätzliches Ursache«. Die Übersetzung ist auch in einer zweisprachigen Ausgabe zugänglich: Aristoteles, Über Werden und Vergehen. De generatione et corruptione, Griechisch-Deutsch. Übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen versehen von Th. Buchheim (Philosphische Bibliothek 617), Hamburg 2011. Aristoteles, Meteora l. 4 c. 7 (384 b 2–3): »Entgegengesetzte Ursachen erzeugen entgegengesetzte Wirkungen«; Übersetzung aus: Aristoteles, Meteorologie. Über die Welt, erl. v. H. Strohm (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 12/1–2), Berlin 2009; Auctoritates Aristotelis, ed. Hamesse (siehe oben), 173: »oppositorum oppositae sunt causae«.
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Auch das dritte Argument gilt nicht generell: Auf die ursprünglichen Gegensätze wie warm und kalt ist dies nicht anwendbar, denn diese haben gar keine Prinzipien. Zum anderen stehen Gut und Böse nicht im strengen Sinne in einem Gegensatzverhältnis, denn das Böse ist ein Nichts. Daher bedarf es gar keiner Seinsursache. Wilhelm verweist auf die Diagnose, dass »Manichaeus« dadurch getäuscht wurde, dass er nach dem Grund gefragt hat, noch bevor genau geklärt war, wessen Grund ausgemacht werden soll.40 Das Böse wird im Katharismus nicht nur als etwas Begründungsbedürftiges angesehen, sondern auch als etwas, dem man nicht in der Bemühung der Überwindug gegenübersteht, sondern von dem man sich frei zu halten und zu dem man Distanz zu nehmen hat, wie Wilhelm berichtet. »Unde magister Prepositinus, qui diu conversatus est inter eos et paucos potuit ad viam veritatis reducere, narrabat se audisse propriis auribus quod, cum videbant canem alludentem cauda, dicebant: anima istius cito purgabitur et liberabitur«.41
Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit der manichäischen Seelenlehre kommt Wilhelm auf das Problem nochmals zurück. Er verweist auch auf Gegensätze wie spitz und stumpf. Bei diesen kann man zwar ein Mehr oder Weniger denken, aber keinen Höchstfall. Darauf lässt sich wiederum antworten, dass solche Steigerungen als Annäherungen verstanden werden können. Und dies gelte für beide Pole des Gegensatzes. Darauf erwidert Wilhelm: Eben weil es sich nicht um einen 40 Augustinus, De natura boni c. 4 (PL 42), 553: »Proinde cum quaeritur unde sit malum, prius quaerendum est quid sit malum«; id., Contra Epist. fundamenti c. 36 n. 41 (PL 42), 202; Dionysius Ps.-Areopagita, De div. nom. c. 4 n. 18 (PG 3), 716A ; Corpus Dionysiacum 1, ed. B. R. Suchla, Berlin / New York 1990, 163, 1–2 (Ausgabe im Folgenden zitiert als »CD «); Guillelmus Altissiodorensis, Summa aurea l. 2 tr. 11 c. 3, ed. Ribaillier, II /1, 339, 2–3: »Dicto de malo an sit et quid sit, tertia questio principalis est de malo unde sit. Ille enim due questiones preambule sunt ad istam«; Albertus Magnus, Metaph. l. 3 tr. 3 c. 15 (Ed. Colon. 16/1), 155, 25–27. Auch die Abfolge der Fragen in der Summa theologiae des Thomas von Aquin entspricht dieser Anordnung, allerdings versteht Thomas den Ausdruck »causa mali« nicht im Sinne einer Herkunft, sondern als Fundament, d. h. als dasjenige, worin das Böse begründet liegt (vgl. Thomas de Aquino, Summa theologiae I q. 48– 49). So auch schon Plotin ganz am Anfang der Enn. I 8: »Wer die Frage prüfen will, woher das Böse gekommen ist, sei es in die Wirklichkeit überhaupt, sei es nur in eine Gattung der Wirklichkeit, der würde dieser Prüfung als passenden Ausgangspunkt die Frage zugrunde legen müssen, was denn das Böse, die Wesenheit des Bösen überhaupt ist; denn hiermit würde zugleich sich die Erkenntnis ergeben, woher es gekommen, wo es seinen Sitz hat, wem es anhaftet, und es käme zur Entscheidung, ob es überhaupt in der Wirklichkeit vorhanden ist«; Übersetzung aus: Plotins Schriften, Bd. 5, übers. von R. Harder, neubearb. von R. Beutler und W. Theiler (Philosophische Bibliothek 215a), Hamburg 1960, hier 201. 41 Guillelmus Altissiodorensis, Summa aurea l. 2 tr. 8 c. 1, ed. Ribaillier, II /1, 173, 169–172.
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symmetrischen Gegensatz handelt, kann man zwar die Steigerung des Guten als Annäherung an das höchste Gut verstehen, nicht jedoch die Steigerung des Bösen als Annäherung an das höchste Böse, vielmehr umgekehrt als Entfernung vom Guten; bösartiger sein heißt, dass mehr vom Guten fehlt. Auch das bekannte Argument, dass etwas, dem eine Bestimmung in teilhabender Weise zukommt, das voraussetzt, was dasselbe seinem Wesen nach ist, wird hier herangezogen. Auch dies gelte für das Böse wie für das Gute. Dies widerstreitet nach Wilhelm jedoch dem Begriff des Bösen. Dieses setzt ein Gutes voraus, so dass sich gar kein Böses denken lässt, das seinem Wesen nach böse, d. h. nichts anderes als böse ist.
g) Wilhelm von Auvergne
Ungeachtet der Ausbreitung des mittelalterlichen Katharismus über große Teile Europas war zur Zeit König Ludwigs IX. dessen Bedeutung zurückgegangen. Jacque Le Goff hat in seinem meisterhaften Buch über den bemerkenswerten König geurteilt, »erst nach 1230« würden die Katharer, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen »seltener und weniger sichtbar«.42 In diese Zeit fällt De universo I–II , um 1231/36.43 Das monumentale Werk des Wilhelm von Auvergne – 1225 Magister regens in Paris und seit April 1228 Bischof von Paris –, das den Titel Magisterium divinale sive sapientiale trägt, sollte sieben Teile umfassen. Deren zweiter – nach De trinitate – thematisiert die Welt: De universo.44 Es ist abgesehen von einigen wenigen Partien, für die sich ein terminus post quem angeben lässt, nicht genauer als auf das vierte Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts zu datieren.45 Dieses große Werk – in der Ausgabe von 1624 umfasst es 400 Seiten – ist bereits im Zuge der AristotelesRezeption geschrieben und in nicht unwesentlicher Hinsicht bereits eine Reaktion auf diese. Für unseren Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Wilhelm von der Bedeutung des Wortes universum 46 ausgeht und daraus die Aufgabe 42 J. Le Goff, Ludwig der Heilige, [frz. 1996] Stuttgart 2000, 692. 43 Die hier einschlägigen Kapitel sind auch in englischer Übersetzung zugänglich: William of Auvergne, The Universe of Creatures. Selections Translated from the Latin with an Introduction and Notes by R. J. Teske (Mediaeval Philosophical Texts in Translation 35), Milwaukee, Wisconsin 1998, 33 ff. 44 Vgl. G. Jüssen, »Wilhelm von Auvergne«, in: Lexikon des Mittelalters 9 (1998), 162–163. 45 E. A. Moody, William of Auvergne and His Treatise De Anima [1931], in: ders., Studies in Medieval Philosophy, Science and Logic. Collected Papers, 1933–1969, Berkeley / London 1975, 1–109, hier 9. 46 Guillelmus Alvernus ( Wilhelm von Auvergne), De universo I-1 c. 2 (Parisiis 1674; Nachdruck: Frankfurt a. M. 1963), I, 594aH : »quia universo est unitas, qua et est et
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entnimmt, die Welt als Einheit zu verstehen. Dem scheint nichts so sehr entgegenzustehen wie die Auffassung, diese Welt gehe aus dem Wirken zweier Ursachen hervor. Daher ist unmittelbar der erste Traktat des ersten Teils eine Kritik des Manichäismus und eine Analyse derjenigen Gründe, aus denen er hervorgegangen ist. Wilhelm sagt, der Name leite sich her von Mani und habe seinen Ursprung in Persien.47 Woher er dies weiß, sagt er nicht. Er spricht ausdrücklich von der gewaltsamen Bekämpfung, die gleichwohl bis zuletzt nicht dazu geführt habe, diesen Irrtum auszurotten.48 Die Argumente, die im Einzelnen vorgebracht werden, sind unverkennbar von Avicenna inspiriert, von Aristoteles wird ausdrücklich nur die Topik angeführt.49 Seine Gegensatzlehre bleibt ebenso unerwähnt wie die doxographischen Berichte über etwaige vergleichbare Doktrinen der Vorsokratiker. Seine Argumente scheinen Wilhelm völlig unwiderleglich und mithin von einer Gewissheit, der man sich nicht entziehen kann. Diese Argumente beziehen sich auf die formalen Kennzeichnungen eines ersten Prinzips und zeigen die Widersprüche, die sich ergeben, wenn man solche Kennzeichnungen auf mehrere Prinzipien anwendet und sich die Konsequenzen einer solchen Lehre vor Augen führt. Die Argumente, die Wilhelm in den umfangreichen Kapiteln ausbreitet, sind ausgesprochen zahlreich. Sie verzichten aber gänzlich auf Orientierungen an den Kirchenvätern oder den Philosophen. Auch sonstige historische Reminiszenzen – bis auf die Auskunft über den Ursprung der Manichäer – unterbleiben. Hervorgehoben zu werden verdient dabei ausdrücklich, dass Wilhelm sich die Gründe und Motive dieses Dualismus in einem eigenen Kapitel zu vergegenwärtigen versucht.50 Dies
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dicitur universum, et auctor eius, qui est benedictus Deus, et sublimis, quoniam ipse est unus, et quoniam non est ei alter contrarius«; Albertus Magnus, Metaph. l. 5 tr. 6 c. 4 (Ed. Colon. 16/1), 284, 60– 62: »Et illa magis proprie dicuntur universum sive omne, quia universum est unum versum in omnia«; Meister Eckhart, In Ioh. c. 10 v. 30 n. 517 (LW 3), 447, 9–10: »[. . .] omne creatum a patre uno unum est iuxta quod et nomen universi accepit, ut dicatur uni-versum«. Guillelmus Alvernus, De universo I-1 c. 2 (Parisiis 1674), I, 594aH : »Hic igitur error ortum habuit a regione Persidis, et auctor eius dictus est Manes; unde et sequaces eius manichaeos nominat gens Christianorum, et caepit error iste fere cum ipsa lege Christianorum«. Guillelmus Alvernus, De universo I-1 c. 2 (Parisiis 1674), I, 594bE : »ipsum etiam gladio, et igne persequi, et exterminare, usque hodie non desistit«. Guillelmus Alvernus, De universo I-1 c. 6 (Parisiis 1674), I, 597bC : »[. . .] forsitan autem hoc insinuare voluit Aristoteles in libro Topicorum, ubi dicit, quia bonum quantum dicitur, ut in mediocri, hoc est in medio, quod est inter extrema superfluitatis et indigentiae«. Vgl. Guillelmus Alvernus, De universo I-1 c. 8 (Parisiis 1674); Verweis auf Aristoteles, Topica (601 b– 602 a).
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sind keine belegbaren Gründe, sondern Gründe, die Wilhelm rekonstruiert, um sich die Anziehungskraft des dualistischen Konzepts so weit verständlich zu machen, dass sich wenigstens der Schein der Plausibilität ergibt. Angesichts der erdrückenden Last der Argumente beurteilt Wilhelm den Dualismus weniger als falsch, sondern eher und dies wiederholt als Schwachsinn.51 d) Moneta von Cremona
Um 1241 ist das Werk Adversus Catharos et Valdenses libri quinque 52 des Dominikaners Moneta von Cremona anzusetzen. Arno Borst hat über diese Schrift geurteilt: »Sie ist die tiefgründigste Schrift des Mittelalters über die Katharer. Moneta ist der Wissenschaftler unter den Polemikern: Er hat zahlreiche Ketzer selbst verhört, mehrere katharische Schriften gelesen und die katharischen Argumente eingehend studiert; in seiner Argumentation hat er die Scholastiker seiner Zeit, besonders Wilhelm von Auvergne, um Rat gefragt und trotz seiner Überzeugung, daß man den Aposteln mehr glauben müsse als den Philosophen, sein philosophisches Interesse nicht verleugnet«.53
Moneta gibt eine umfassende Darstellung der im Titel seines Werkes genannten Häresien und tritt in eine ebenso umfassende interpretatorische und argumentative Auseinandersetzung mit diesen ein. Die Lehre scheint sich für ihn offensichtlich in erster Linie an biblischen Aussagen zu orientieren – wenn auch völlig zu Unrecht.54 Aber auch philosophische Argumente werden vorgebracht.55 Hierher gehört das schon bekannte,56 dem Aristoteles entnommene Argument, wonach Gegensätzliches – wie Gut und Böse – auch entgegensetzter Prinzipien bedürfe. Die immer wieder in diesem Zusammenhang gemachte Voraussetzung scheint allerdings nicht universell zu gelten. Moneta stellt dabei nämlich die Frage, von welcher Art das Böse sei. Wenn es sich um das moralisch Böse handelt, dann geht dies aus dem freien Willen hervor – genau wie das moralisch Gute auch. Das Übel im Sinne der Strafe bedarf ebenfalls keines 51 Guillelmus Alvernus, De universo I-1 c. 2 (Parisiis 1674), I, 594aH : »huius erroris auctores et inventores vulgares, hoc est, brevis intellectus«; ibid., 594bF : »Sunt et alia deliramenta, et mirabilia eorum«; c. 10 (Parisiis 1674), I, 603bD : »imbecillitatem hominum huiusmodi« usw. 52 Moneta Cremonensis, Adversus Catharos et Valdenses libri V, ed. Th. A. Ricchini (Romae 1743; Nachdruck: Ridgewood, New York 1964). 53 Borst, Die Katharer (wie Anm. 5), 18. 54 Moneta Cremonensis, Adversus Catharos et Valdenses l. 1 c. 1 § 1–2 (Romae 1743), 7–23. 55 Moneta Cremonensis, Adversus Catharos et Valdenses l. 1 c. 1 § 3 (Romae 1743), 23b: »Non solum autem testimoniis scripturarum innituntur praedicti Haeretici, sed etiam rationibus quibusdam, quae eis naturales, vel logicae videntur, cum tamen sophisticae sint«. 56 Vgl. Anm. 39.
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eigenen Prinzips. Beim physischen Übel aber handelt es sich nicht selbst wieder um einen in der Natur liegenden Gegensatz: »dico quod naturaliter seu physice non opponuntur bonitas et malitia; immo ut privatio et habitus«.57 Abgesehen von der offensichtlich nicht aus Augustinus, sondern aus Aristoteles stammenden Gegenüberstellung der Begriffe privatio und habitus, die für ihn einen der Gegensätze bilden: Hier ist es nicht der Gesichtspunkt, unter dem etwas einen Gegensatz darstellt, sondern von welcher Art das Gegensatzverhältnis selbst ist. Da es sich nicht um zweierlei Wirklichkeit handelt, müssen auch nicht zwei unterschiedliche Ursachen angeführt werden. Es ist dieselbe Ursache, nur eben wirkt sie entweder durch ihre Anwesenheit oder durch ihre Abwesenheit. Dies gilt aber nur im allgemeinen; Moneta gibt dafür auch ein Beispiel, das er offenkundig Aristoteles entnommen hat: Der Kapitän, der durch sein Tun Ursache für die gelungene Fahrt ist, ist durch seine Abwesenheit Ursache für den Untergang des Schiffes.58 Diesen Fall fasst Moneta als eine aktive Abwesenheit. Dieser Begriff lässt sich freilich nicht auf Gott übertragen. Gott ist immer auf eine aktive Weise anwesend, doch der Mensch verweigert sich der Gnade und wird so durch seinen freien Willen zur Ursache des Bösen. Das zweite Argument bezieht sich wiederum auf einen Wesenszug des Gegensatzes. Gegensätzliches ist seiner Natur nach zugleich.59 Der referierte Schluss liest sich freilich, als sei gemeint, es sei von gleicher Natur. Denn die Folgerung lautet: Insofern Gut und Böse Gegensätze sind, muss dieses wesentliche Zugleichsein von ihnen gelten, so dass sich ergibt, wenn das Gute ein Prinzip ist, dann ist dies auch das Böse, oder zumindest ist doch das eine unabhängig vom anderen.60 Moneta bestreitet nicht, dass Gut und Böse Gegensätze und insofern auch ihrer Natur nach zugleich sind, wohl aber, dass sie als Gegensätze Prinzipien sind. Das Gute, so fasst er das Problem zunächst unabhängig vom Gegensatzverhältnis auf, wird in zweifacher Weise ausgesagt: wesentlich und akzidentell. Dasjenige, das seinem Wesen nach gut ist, für welches das Gutsein das Wesen ist, hat für sich genommen gar kein Gegenteil. Denn – nach Aristoteles – hat die Substanz keinen Gegensatz: »Es kommt den Substanzen aber auch zu, daß ihnen nichts konträr ist«.61 Daher habe umso weniger der 57 Moneta Cremonensis, Adversus Catharos et Valdenses l. 1 c. 1 § 3 (Romae 1743), 24a. 58 Vgl. Aristoteles, Phys. II 3 (195 a 11–14). 59 Aristoteles sagt dies von den Relativa, Cat. 7 (7 b 15): »Das Relative scheint von Natur zugleich zu sein«, Übersetzung aus: Aristoteles, Kategorien. Übers. und erl. von K. Oehler (Aristoteles Werke in deutscher Übersetzung 1,1), Darmstadt 1984, 22 (»aÏma thÄì fyÂsei«). 60 Moneta Cremonensis, Adversus Catharos et Valdenses l. 1 c. 1 § 3 (Romae 1743), 24a–b. 61 Aristoteles, Cat. 5 (3 b 24–25): »ëYpaÂrxei deÁ taiÄw oyÆsiÂaiw kaiÁ toÁ mhdeÁn ayÆtaiÄw eÆnantiÂon eiËnai «, Übersetzung aus: Aristoteles, Kategorien, übers. Oehler (wie Anm. 59).
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Schöpfer einen Gegensatz.62 Das akzidentell Gute hat unbestreitbar das Böse als seinen Gegensatz, aber als solches bezieht es sich wie auch sein Gegenteil auf dasjenige, dem dieser Gegensatz alternativ zukommen kann. Das Gutsein in diesem Sinne kann freilich Gott nicht zukommen, weil Gott nichts nur akzidentell zukommt – er würde dann nämlich, obwohl selbst erste Ursache, einer anderen Ursache etwas verdanken. Diese Doppelung im Sinn des Begriffes »gut« hat nun aber keine Entsprechung im Begriff des Bösen. Dieses akzidentell Böse lässt sich wiederum untergliedern in ein privativ und ein positiv Böses. Un-wissenheit und Un-gerechtigkeit sind Beispiele für diesen Sinn des Bösen, dieses ist als Privation dem Habitus entgegengesetzt, aber eben nicht dem wesentlich Guten, denn dieses kann gar nicht einem Mangel unterworfen sein. Nicht in einem privativen, sondern einem »positiven« ( positive) Sinne ist der Schmerz ein Übel und in diesem Verständnis steht es zum Guten in einem konträren Gegensatz, aber eben nicht zum Guten im wesentlichen Sinne, weil dieses wie gesagt jeden Gegensatz ausschließt. Damit ist aber für Moneta das Problem noch nicht bewältigt. Denn wenn auch das Böse nicht den Status eines Prinzips haben kann, so ist mit dieser negativen Aussage die Herkunft des Bösen noch nicht angegeben.63 Moneta verweist auf den freien Willen. Ohne hier auf seine Erwiderungen zu den wirklichen oder vermeintlichen Bestreitungen des liberum arbitrium eingehen zu können, sei noch kurz auf die Gegeneinwände Rücksicht genommen. Der Fall der Engel geht aus deren freien Willen hervor: Diese wollten, was sie nicht wollen durften. Auf die insistierende Frage, warum diese das wollten, was zu wollen verboten war, kann Moneta nur sagen, dass diesem Willen nicht wiederum ein anderer Wille vorhergegangen sein könne – der würde auch nichts erklären, sondern nur die Frage sich iterieren lassen. Also bleibt nur das Vermögen des Wollens als solches. Wenn aber das Vermögen vom guten Gott geschaffen ist, wie kann dann aus ihm ein böser Wille aufkommen? Diese Frage ist nach Moneta sinnlos, weil sie den Charakter des Vermögens verkennt: Das Vermögen bezieht sich gerade auf Entgegengesetztes. So wie man mit dem Gesichtssinn das Weiße und Schwarze sehen kann, so kann man mit dem freien Willen gut und schlecht handeln. Dies liegt am instrumentellen Charakter: Licht kann schaden und nutzen, mit der Sprache kann man fluchen und segnen. Gott ist also zwar der Schöpfer des geschaffenen und also begrenzten Vermögens, aber nur per accidens der Verursacher 62 Vgl. Anm. 19 u. Anm. 215; die Auseinandersetzung der Summa fratris Alexandri findet sich in Alexander Halensis, Summa I n. 79 (Ed. Quaracchi 1), 126–130. 63 Moneta Cremonensis, Adversus Catharos et Valdenses l. 1 c. 3 (Unde malum habeat ortum) (Romae 1743), 36b–39a.
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von dessen schlechten Gebrauch. In einem anderen Sinne kann er die Ursache des Bösen genannt werden: So wie die Schönheit einer Frau der Grund dafür ist, dass jemand sie begehrt, ist die Herrlichkeit Gottes die »Ursache« dafür, ihm gleichsein zu wollen, und damit »Ursache« der ersten Sünde. Zuletzt sei nur noch die ca. 1250 entstandene Summa de Catharis et Pauperibus de Lugduno des Rainer Sacconi († 1262/63) angeführt, der nicht bloß Anhänger, sondern »einer der katharischen Führer«64 war, dann aber von Petrus Martyr65 bekehrt wurde und später dem Dominikanerorden beigetreten ist.66 Es handelt sich dabei um keine theoretische Auseinandersetzung mit den Katharern (wie zuvor bei Moneta de Cremona), sondern primär um eine polemische Beschreibung der Lebenspraxis.67 Auch Durand von Huesca, der bereits genannte Autor des Liber contra Manichaeos, war ein ehemaliger Waldenser.68 Diesen Polemiken gegen eine als höchst gefährlich angesehene Häresie ist hier nicht im Einzelnen nachzugehen. Von Interesse ist philosophiehistorisch betrachtet der Punkt, an dem die Kritik am Dualismus eine philosophische Qualität gewinnt. Diese philosophische Perspektive ist ja nicht neu. Schon Plotin,69 aber auch Simplicius70 haben sich mit dem Dualismus der Gnosis auseinandergesetzt. Aber das Mittelalter musste diese Betrachtungsweise erst 64 Raimundus Sacco, Summa de Catharis et Pauperibus de Lugduno, ed. Dondaine (wie Anm. 10), 66, 5– 6: »Ego autem frater Ranerius, olim haeresiarcha, nunc Dei gratia sacerdos in ordine Praedicatorum licet indignus [. . .]«. 65 Die Summa des Petrus Martyr OP wird auf 1235/36 datiert; den Text meint Kaeppeli aufgefunden zu haben: Th. Kaeppeli, Une Somme contre les he´re´tiques de s. Pierre Martyr (?), in: Archivum Fratrum Praedicatorum 17 (1947), 295–335. 66 Borst, Die Katharer (wie Anm. 5), 19. Die wunderbare Beschreibung Borsts rechtfertigt es, in extenso zitiert zu werden: »Der Quellenwert der Schrift ist in jedem Satz unschätzbar; aber Rainer ist von ruhigem Verständnis der Ketzer weit entfernt. Die Sätze dieses Eiferers sind gehämmert, in wuchtigem Zorn zusammengeballt, von der Leidenschaft eines Staatsanwaltes diktiert. Das Werk dieses Konvertiten bedeutet den Gipfel des moralisch-praktischen Zweiges der Polemik, dem die Zukunft gehören sollte [...]«, ebd., 20. 67 D. Müller, »Summa de Catharis«, in: Lexikon theologischer Werke, hrsg. von M. Eckert u. a., Stuttgart 2003, 674: »Die Schrift ist mit über 50 erhaltenen Hss. das meistgelesene Buch des Mittelalters über die Katharer«; gleicher Wortlaut in Borst, Die Katharer (wie Anm. 5), 20. 68 Dass auch Augustinus ein ehemaliger Manichäer war, wird m. W. nie in einen Zusammenhang der Bekehrungen oder anderer Deutungen gebracht. 69 Plotinus, Enn. II 9; vgl. Ch. Schäfer, Unde malum. Die Frage nach dem Woher des Bösen bei Plotin, Augustinus und Dionysius, Würzburg 2002. 70 I. Hadot, Die Widerlegung des Manichäismus im Epiktetkommentar des Simplikios, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 51 (1969), 31–57; dieser ist von I. Hadot kritisch ediert worden: Simplicius, Commentaire sur le Manuel d’E´picte`te. Introduction et e´dition critique du texte grec par I. Hadot (Philosophia antiqua 66), Leiden u. a. 1995.1996, hier c. 35, 322–344.
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wieder gewinnen. Wilhelm von Auxerre, Wilhelm von Auvergne und Moneta von Cremona haben erste Schritte dahin unternommen. IV. Albertus Magnus zum Problem des Dualismus 1. Alberts inhaltliche Kritik am Dualismus a) Die Erörterung im Sentenzen-Kommentar Schon im ersten Buch seines Sentenzen-Kommentars von ca. 124371 – nicht jedoch in den frühen Schriften wie etwa De bono – erörtert Albert in unserem Themenkreis nicht nur Fragen wie die, wie sich das Sein zum Guten oder das Epitheton »Höchstes« zum Begriff des Guten verhält, sondern auch, ob alles Geschaffene in einem Prinzip geschaffen sei oder – wie es die Manichäer behaupten –, ob in mehreren.72 Dass es zwei Prinzipien sein könnten, wird hier nur erwogen im Blick auf den Gegensatz von Gut und Böse. »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde«, aber wohl nicht, so der Einwand, derselbe Gott. »Himmel« steht hier für die Region des Lichtes und des Geistes, »Erde« hingegen für die Sphäre der Dunkelheit. Daher (!) auch der Kampf des Fleisches gegen den Geist im Menschen selbst. Es kann nun aber, so Albert, ein Prinzip des Bösen gar nicht geben. Sein Argument bezieht sich interessanter und auffälliger Weise ausschließlich darauf: Wenn es mehr als ein Prinzip gäbe, dann offenbar nur deswegen, weil es neben dem Prinzip des Guten auch ein Prinzip des Bösen gibt. Das Problem des Prinzipiendualismus scheint also bewältigt, wenn die Behauptung eines solchen weiteren Prinzips zurückgewiesen werden kann. Albert hält die Idee eines höchsten Bösen aber für einen dilemmatischen Gedanken. Denn damit kann zweierlei gemeint sein: Zum einen, dass es nichts Schlechteres als dieses Prinzip geben kann, zum anderen aber, dass dieses nichts Gutes in sich enthält. Wenn es aber, weil nichts Gutes, keinerlei Sein in sich enthält, kann man nicht mehr angeben, warum es überhaupt als etwas gedacht werden soll, das als Prinzip fungiert. »Ens est unum optimorum quod omnia desiderant«.73 Der erste Grund kann also keinen Zug an sich haben, der ihn zum Gegenstand eines Strebens oder einer Ausrichtung macht. Wenn umgekehrt das zuhöchst Böse noch etwas von Gutsein an sich 71 So gemäß der jüngst vorgelegten Zeittafel, die sich findet in: Albertus-Magnus-Institut (Hg.), Albertus Magnus und sein System der Wissenschaften. Schlüsseltexte in Übersetzung. Lat./Dt., Münster 2011, hier 28. 72 Albertus Magnus, I Sent. d. 2 a. 21 (Ed. Paris. 25), 81a–83b. 73 Albertus Magnus, I Sent. d. 2 a. 21 (Ed. Paris. 25), 82a.
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hätte, dann wäre es entgegen der Bezeichnung eben nicht das Böse als solches, sondern ein aus Bösem und Gutem Zusammengesetztes. Ein irgendwie aus mehreren Elementen Zusammengefügtes kann aber kein erstes Prinzip sein, weil eine Zusammenfügung ihrerseits eines Grundes bedarf; ein Teilelement als solches enthält keinen Grund für seine Zusammenfügung mit einem anderen Teilelement. Zudem enthielte ein Zusammengefügtes etwas Gutes, was ja gerade umgekehrt auf ein gutes Prinzip zurückzuführen ist. Es kann also, so schließt Albert, ein Wirkprinzip des Bösen, das seinem Wesen nach Ursache des Bösen ist, gar nicht geben. Alberts Begründung fällt relativ knapp aus und ist vielleicht auch nicht in allen Zügen ganz durchsichtig. Die Auseinandersetzung mit den positiv angeführten Argumenten für eine doppelte Verursachung ist hingegen ziemlich eingängig. Betrachten wir nun diese in einem Zusammenhang. Was sich immer auf dieselbe Weise verhält, kann nichts Unterschiedliches hervorbringen, schon gar nichts Gegensätzliches. Eben dies gilt auch für Gott. Wenn aber die Wirklichkeit demgegenüber aus Unzerstörbarem und Zerstörbarem besteht, also einen fundamentalen Gegensatz enthält, dann kann wohl jedes von beiden einen Grund, aber niemals können beide denselben Grund haben.74 Die Voraussetzung dieses Arguments ist leicht ersichtlich: Wenn etwas für Entgegengesetztes eine Ursache wäre, wäre es für keines von beidem eine spezifische Ursache, dies aber gehört zum Begriff der (natürlichen) Ursache. Ein ersichtlicher Zusammenhang zwischen den einander entgegengesetzten Wirkungen und der präsumptiven Ursache wäre nur herzustellen, wenn die Ursache in sich selbst gegensätzlich wäre. Dies ist aber nicht möglich. Albert stellt die Voraussetzung dieses auf Anhieb wohl plausibel anmutenden Argumentes in Frage. Denn dies hieße, dass Gott wie eine Naturpotenz wirkt; eine solche wirkt eben so, wie sie ist. Aber ein schöpferischer Geist wirkt nicht durch sein Sosein, sondern durch seine Ideen. Diese sind zwar als Ideen alle ontologisch gleichrangig, nicht aber ihrem Inhalt nach identisch, denn dann handelte es sich nicht um eine Mannigfaltigkeit von Ideen. Es ergibt sich also gar kein Widerspruch aus der Behauptung, dass durch die erste Ursache Dinge hervorgebracht werden, die in einem konträren Verhältnis zueinander stehen. Das ist aber noch keine hinreichende Antwort, weil auch noch eine zweite Voraussetzung in Frage zu stellen ist. Gut und Böse verhalten sich nicht konträr, sondern privativ zueinander. Konträre Gegensätze sind prinzipiell gleichrangig, links und rechts etc. Das Unzulängliche hingegen hat nicht im selben Sinne einen Grund wie das Gelungene. Dieses kann direkt intendiert 74 Vgl. Anm. 39.
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werden, jenes nicht. Die Beispiele sind freilich nicht zulänglich. Sie unterstellen ihrerseits, dass Gott doch wirkt wie ein Ding, das eben angewiesen ist auf die Beschaffenheit dessen, worauf es einwirkt. Auch in seinem späteren75 Kommentar zum Johannes-Evangelium versteht Albert den Satz aus dem Prolog, in dem vom Logos gesagt wird, dass »alles durch ihn gemacht ist« (1,3) als einen vielfältigen Abweis gegen Häresien, nämlich gegen Arianismus, gegen Nestorianismus, gegen die Irrlehre des Paulus von Samosate und eben auch gegen den Manichäismus.76 Die Privationstheorie des Bösen, dies sei eigens am Rande vermerkt, ist weder eine Negationstheorie des Bösen noch aus einer Tendenz zur Verharmlosung des Bösen geboren. Dies haben Augustinus, Anselm von Canterbury und viele der mittelalterlichen Magistri, auch Albert selbst, ausdrücklich hervorgehoben.77 Auch Albert erwähnt das von Anselm78 referierte Argument: Wenn das Übel, das wir tun, ein Nichts ist, Gott das Böse aber bestraft, dann werden wir offenbar »für nichts« ( pro nihilo) bestraft. Albert sagt dazu: »illa est vilis obiectio parum habens rationem cum enim dicitur, malum nihil est, intelligitur non ponere aliquod ens, quod tamen deberet inesse«.79
b) Die Auseinandersetzung im Kommentar zu De divinis nominibus Nach dem Sentenzen-Kommentar ist jetzt der wenig später80 geschriebene Dionysius-Kommentar zu berücksichtigen. 75 Vgl. Albertus Magnus und sein System der Wissenschaften (wie Anm. 71), 30: »Herbst 1264/1268«. 76 Albertus Magnus, Super Ioh. c. 1 v. 3 (Ed. Paris. 24), 33a: »Manichaeus autem dixit mali esse quamdam naturam a Deo lucis, sicut expresse legitur in epistola Manichaei quae vocatur fundamenti«. 77 Belege bei R. Schönberger, Die Existenz des Nichtigen. Zur Geschichte der Privationstheorie, in: F. Hermanni / P. Koslowski (Hg.), Die Wirklichkeit des Bösen. Systematisch-theologische und philosophische Annäherungen, München 1998, 15– 47, hier 23 f. 78 Anselmus Cantuariensis, De casu diaboli c. 10, ed. Schmitt, I, 247; die Confessiones-Quelle (Augustinus, Confessiones l. 7 c. 5 n. 7 [CCSL 27], 96) wird in den Anmerkungen der Ausgabe allerdings nicht vermerkt; vgl. Anselmus Cantuariensis, De conceptu virginali et de originali peccato c. 6, ed. Schmitt, II , 147: »cum punit deus pro peccato quod est absentia debitae iustitiae – quae nihil est –, non omnino punit pro nihilo, et verum est quia nisi sit aliquid propter quod punire debeat, omnino non punit pro nihilo«; ders., De casu diaboli c. 7, ed. Schmitt, I, 244, 26–27. 79 Albertus Magnus, II Sent. d. 34 a. 1 (Ed. Paris. 27), 548a–b; auch Bonaventura, II Sent. d. 34 a. 2 q. 3 ad 6 (Opera omnia 2), 816b. 80 Albertus Magnus und sein System der Wissenschaften (wie Anm. 71), 28: »1250«.
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Wenn doch das Böse das Gegenteil des Guten ist, dann ist folgerichtig auch das im höchsten Maße Böse das Gegenteil des im höchsten Maße Guten. Wenn man diese beiden jeweils als Inbegriff fasst, dann auch jeweils als Prinzip. Das höchste Gut ist das Prinzip alles Guten. Dies könnte man aus Augustinus vielfach belegen. Die Konsequenz scheint zu sein, dies beim Bösen genauso zu denken. Wenn man den Fall berücksichtigt, dass das Böse kein Prinzip sein kann, so hat es doch einen Grund. Dieser kann aber nicht das erste Gute sein, denn wie soll das Gute Prinzip des Bösen sein? Also ist entweder das Böse das Prinzip des Bösen oder irgendein anderes Gutes, aber dann läuft dies auf dasselbe hinaus, dass es nämlich für das Böse ein Prinzip gibt, welches nicht das Prinzip des Guten ist. Als drittes Argument rekonstruiert Albert kein Sachargument, sondern verweist auf mehrere Philosophen: Pythagoras habe zwei Gegensatztafeln (sistichias)81 behauptet, eine des Guten und die andere des Bösen; entsprechend hat Empedokles von Streit und Freundschaft gesprochen, und damit wohl, so darf man ergänzen, zwei Prinzipien gemeint. Was heißt das? Albert lässt in seinem Referat des Argumentes dieses für eine wohlwollende Interpretation offen: »Es ist nicht wahrscheinlich, dass sie das völlig grundlos behauptet haben; also scheint es, dass es in gewisser Hinsicht zutreffend ist«.82 Der Einwand auf das erste Argument beruht auf der Auffassung, dass die Gegensätzlichkeit von Gut und Böse zwar nicht zu bestreiten, die Art des Gegensatzes aber erst noch zu bestimmen ist. Albert bestimmt sie in Übereinstimmung mit der Tradition: Das Malum steht zum Guten in einem privativen Gegensatz. Dann aber kann es kein im höchsten Maße Übles geben. Im Begriff der privatio ist eine Beeinträchtigung, ein Schwund, eine Reduzierung gedacht, aber eben keine Negation, keine Aufhebung. Just dies müsste aber zu denken sein, wenn sich auch vom Üblen und vom Bösen ein Inbegriff denken ließe. In einer etwas dunklen Weise fügt Albert noch eine Ergänzung an: Er behaupte nicht, dass Gut und Böse ausschließlich in Habitus und bei Akten sich konträr zueinander verhielten, die ja ihren Gegensatz nicht aus dem Gegensatz von Gut und Böse haben, die sich vielmehr privativ zueinander verhalten, sondern eben aus dem Gegensatz von Habitus und Akt. Die zweite Erwiderung gibt ihm Gelegenheit, auch den ontologischen Status des Bösen zu bestimmen. Von einem Prinzip des Bösen zu reden, unterstellt, 81 Vgl. Anm. 170–171. 82 Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 4 n. 178 (Ed. Colon. 37/1), 263, 19–21: »[. . .] et non est probabile, quod ex toto irrationabiliter posuerunt; ergo videtur, quod aliquo modo sit verum«.
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das Böse habe im selben Sinne eine Ursache – und dementsprechend auch eine erste Ursache – wie andere Dinge. Es handelt sich aber zudem nicht einfach um eine andere Kausalität, sondern vielmehr um das Versagen der Kausalität. Ohne dass er dies hier eigens vermerkt, kann er hierfür sowohl auf Augustinus wie auf Dionysius Areopagita verweisen. Ohnehin ist der Grund des Bösen als Schuld der freie Wille, mit dem wir uns zwischen Gut und Böse entscheiden. Diese Verursachung muss aber nicht auf das erste Prinzip zurückgeführt werden, was das Böse als solches angeht, sondern nur insofern als es ja in dem Bösen, wenn es doch eine Privation ist, noch ein Gutes geben muss. Der freie Wille ist zudem nicht in einem formalen Sinne Grund des Guten oder Bösen, denn er hat, wie Albert sich ausdrückt, »in se concretionem boni et mali, quod est in se, inquantum est principium«.83 Der Wille kann nicht im selben Sinne Grund für das eine wie für das andere sein. Albert gibt hier zwar kein Argument, doch lässt sich dieses leicht denken: Da der Wille als geistiges Vermögen nicht einfach von außen verursacht wird, sondern einen Grund in sich enthält, dieser Grund aber darin liegen muss, dass ein Gewolltes als wünschenswert erscheint, kann man nur das wollen, was in irgendeiner Hinsicht als gut erscheint, das Böse aber nur insofern, als es als gut erscheint. Man kann mit anderen Worten das Böse nur wollen, wenn es als sein Gegenteil erscheint. Erstaunlich ist seine Erwiderung auf die Berufung auf die Vorsokratiker. Die beiden Genannten, Pythagoras und Empedokles, sagen dies im Hinblick auf zwei Naturprinzipien, nämlich Form und Privation, reden also ganz aristotelisch. In diesem Sinne gesprochen kann man sagen: »[E]t secundum hoc verum erat, quod dicebant«.84 c) Die Erörterung in der Summa theologiae In der späten85 Summa theologiae führt Albert eine lange Reihe von Argumenten an, die er nach Autoritäten und Vernunftargumenten gliedert. Auf die einschlägigen Schriftstellen, die einen solchen Dualismus nahelegen sollen, braucht hier nicht eingegangen zu werden.86 Die philosophischen Argumente 83 Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 4 n. 178 (Ed. Colon. 37/1), 263, 39– 40; Albert verweist auf eine frühere Stelle in seinem Kommentar, ibid. c. 4 n. 153 (Ed. Colon. 37/1), 240, 39– 41: »[. . .] dicendum, quod liberum arbitrium est potentia, quae est causa et boni per se et mali occasionaliter, sicut etiam intellectus veri et falsi«. 84 Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 4 n. 178 (Ed. Colon. 37/1), 263, 44– 45. 85 Albertus Magnus und sein System der Wissenschaften (wie Anm. 71), 30: »nach 1268«. 86 Albertus Magnus, Summa I tr. 6 q. 29 c. 2 ad 12 (Ed. Colon. 34/1), 225, 5– 6: Mt. 12,33; 15,33; 13,25; Joh. 8,44; 2 Kor. 4,3– 4; Joh. 12,31; 14,30; Weish. 12,10.
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sind zum Teil dieselben, die auch Wilhelm von Auxerre bereits anführt. Die Erwiderung, die der späte Albert darauf gibt, ist ebenfalls nicht weit davon entfernt, wenn sie auch insgesamt darüber hinausgeht. (1) Das Argument aus der Steigerung: Albert bestreitet nicht die Berechtigung des Argumentes, dass die Steigerung jeweils ein Maximum voraussetzt. Aber es gilt doch zu berücksichtigen, dass es sich nicht immer um dieselbe Art von Steigerung handelt. Mit dem Liber sex principiorum 87 sind zwei Formen der Steigerung zu unterscheiden: Die Annäherung an ein Maximum ist eine Steigerung, aber auch die zunehmende Entfernung von einem solchen Maximum ist eine Steigerung. Es handelt sich um dieselbe Steigerung, wenn jeweils eine Form vorliegt. Dann kann man beide Intensivierungen (intensio) als Annäherung an einen terminus verstehen. Es liegt dann eine forma positiva innerhalb derselben Gattung vor, bei der es eine maximale Distanz gibt. Der vorliegende Fall ist aber der des Gegensatzes von habitus und privatio. Diese Privation kann sozusagen ins Unendliche gehen, es lässt sich ein immer noch größerer Mangel denken. Er fasst sogar den Gegensatz von rund und eckig als privativen Gegensatz: Man könne in einen Kreis ein Vieleck einschreiben und diese Vielecke können ins Unendliche vermehrt werden, ohne das je das Quantum des Kreises erreicht würde. Albert – auf den die irrtümliche Zuschreibung an Gilbert von Poitiers dieses seither viel kommentierten Textes zurückgeht – äußert sich auch in seinem Kommentar zu diesem Werk und macht auch hier darauf aufmerksam, dass der erste Typus der Steigerung nicht auf einen privativen Gegensatz anwendbar ist.88 (2) Das Argument aus der Prinzipienverschiedenheit der Gegensätze: Zur Rationalität der Begründung gehört der spezifische Zusammenhang. Nur ohne Berücksichtigung des Kontextes leuchtet also das Axiom von der entsprechenden Gegensätzlichkeit der Prinzipien von entgegengesetzten Dingen bzw. Sachverhalten ein.89 In der Anwendung heißt dies, dass, da Gut und Böse entgegengesetzt sind, auch deren Prinzipien entgegengesetzt sein müssen, es also ein Prinzip des Guten und ein Prinzip des Bösen geben müsse. 87 Albertus Magnus, Summa I tr. 6 q. 29 c. 2 ad 10 (Ed. Colon. 34/1), 224, 42– 43. 88 Albertus Magnus, De sex princ. tr. 8 c. 2 (Ed. Colon. 1/2), 75, 15–26: »secundum recessum quidem a contrario, sicut albius nigro impermixtius, ut dicit Aristoteles in I Topicorum, secundum accessum autem ad terminum et non secundum recessum a contrario, eo quod contrarium non habet, sicut bonum, melius. Non enim bonum habet vere contrarium sed privative oppositum; si enim haberet contrarium tunc esset illud in aliquo summo in quo esset status, nihil autem est summe malum in quo sit status mali; secundum recessum autem a contrario comparatur secundum magis et minus: malum, peius, pessimum«. 89 Vgl. Anm. 39.
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Albert verweist darauf, dass die unmittelbaren und die vermittelten Prinzipien zu unterscheiden sind – was ja Aristoteles auch selbst tut. Da die Gegensätzlichkeit von Dingen nicht grundlos sein kann, müssen sie wiederum in entgegengesetzten Prinzipien ihren Grund haben. Dies kann aber nicht generell gelten, da das Entgegengesetzte sich innerhalb ein und derselben Gattung befinden muss – sonst handelte es sich gar nicht um einen Gegensatz. Diese eine Natur, die dem Gegensatz zugrunde liegt, hat also nur ein Prinzip. Gegensätze können freilich schärfer und weniger scharf sein, dies aber wird nur durch die nächstliegenden, nicht durch die entfernten Prinzipien verständlich. Der Gegensatz von weiß und schwarz, so sagt Albert, kann freilich markanter oder weniger intensiv sein, es wird aber eben nicht die vermittelte Ursache der Farbigkeit verändert. Aus dem angeführten Argument ergibt sich also nicht die dualistische Schlussfolgerung: »Et ideo illa propositio quae dicit, quod ›contrariorum contrariae sunt causae‹, non impedit, quin bonum et malum possint esse ab una causa sicut a principio, unum positive et alterum per recessum ab ipso«.90 Die hier angeführte Aristoteles-Stelle findet sich in einem Text, den Albert kommentiert hat. Dort aber geht es nur um den Gegensatz von Werden und Vergehen, und Albert nimmt dies in seinem Kommentar auch, ganz am Text bleibend, nicht zum Anlass, das Problem des Prinzipiendualismus aufzubringen.91 (3) Das Argument des Kampfes: Nun gibt es ein Argument, das sich seinerseits bereits gegen die Privationstheorie richtet. Das Böse »widerstreitet« nicht nur dem Guten in dem neutralen Sinne wie Gegensätze einander widerstreiten, sondern streitet gegen das Gute. Wir sprechen nicht zufällig von einem »Sieg« des Guten über das Böse oder auch umgekehrt vom Sieg des Bösen über das Gute.92 Mit diesem Kampfbegriff ist die These vom Nichtsein des 90 Albertus Magnus, Summa I tr. 6 q. 29 c. 2 ad 11 (Ed. Colon. 34/1), 224, 87–91; ähnlich auch in ders., Metaph. l. 3 tr. 3 c. 15 (Ed. Colon. 16/1), 155, 61– 65: »Quod igitur dicitur, quod contrariorum sunt contrariae causae, per se falsum est, si sub contrariis comprehenduntur privative opposita, sed unum et idem diversimode se habens causat taliter opposita«; das im Zitat angerührte Adagium wird auch bei Thomas von Aquin verschiedentlich verwendet: Thomas de Aquino, Super Sent. IV d. 14 q. 1 a. 1 qc. 4 arg. 2; Summa theologiae I–II q. 43 a. 2 s.c.; Summa theologiae II–II q. 2 a. 10 arg. 3; Summa theologiae II–II q. 20 a. 4 arg. 3; Super De trin. q. 4 a. 1 arg. 4 (Ed. Leon. 50), 119, 37. 91 Albertus Magnus, De gen. et corr. l. 2 tr. 3 c. 4 (Ed. Colon. 5/2), 203–205. 92 Auch wird Aristoteles im Mittelalter so verstanden, worauf J. Hamesse in ihrer Edition der Auctoritates Aristotelis verweist, vgl. Auctoritates Aristotelis, ed. Hamesse (wie Anm. 39), 135: »Contraria sunt quae sub eodem genere posita sunt, et maxime a se invicem distant, et eidem susceptibili vicissim insunt, et mutuo se expellunt«; Thomas de Aquino, In Met. l. 10 tr. 5 nn. 2032. 2033. 2034, ed. M. R. Cathala / R. M. Spiazzi, Taurini / Romae (Marietti) 1971, 578; Aristoteles, Met. V 10 (1018 a 25–29), X 4 (1055 a 5–33).
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Bösen anscheinend nicht vereinbar: Was sich im Kampf befindet, kann nicht nichts sein. Dieses Argument wird seinerseits aus Dionysius entnommen, es kann sich also um kein originär manichäisches Argument handeln, sondern wiederum um eine Art Rekonstruktion. Auch Alberts Erwiderung ist die bekannte: Der Handlungscharakter des Kampfes ist in der Tat nicht nichts, sondern vielmehr umgekehrt ein Ausweis für die Wirklichkeit, aber zugleich für die Integrität des Wirklichen. Was in keiner Weise intakt ist, ist auch nicht handlungsfähig. Albert spitzt es nicht besonders zu, denn man könnte ja sagen, dass eben darin das Böse liegt, gegen dasjenige sich zu wenden, was es doch zugleich voraussetzt. Die Lüge gelingt nur in einer Atmosphäre des Vertrauens, welche doch durch diese Lüge zugleich unterminiert wird. Albert sagt explizit nur soviel: Nicht alles hat einen einzigen Grund. Das Tätigsein hat das Böse vom Guten, aber das Gegen-das-Gute-sein hat das Böse aus sich selbst. Gegen das Gute zu sein ist nämlich nichts anderes als dem Guten ermangeln.93 Albert erläutert dies an einem augustinischen Beispiel: Das Hinken ist ein mangelhaftes Gehen und ist dem normalen Gehen entgegengesetzt. Aber als Vorwärtsbewegung gründet es in der Kraft der Fortbewegung und in der Benutzung des Schienbeines. Aber wenn das Schienbein steif ist, gerät die Fortbewegung in Gegensatz zum normalen Gehen und ist dessen Defekt. Das Böse setzt also immer das Gute voraus. Daher kann es gar kein summum malum geben, denn dieses wäre voraussetzungslos und restlos böse. Wenn aber immer noch ein Gutes bleibt, sofern dieses vorausgesetzt ist, kann es ebenfalls kein summum malum geben, denn das Böse ist immer noch steigerbar.94 Das Thema wird auch im zweiten Teil der Summa aufgenommen, dessen Authentiztität jedoch zweifelhaft ist. Der Autor verweist bei der Frage, ob es ein einziges Prinzip von allem gebe, auf die Konvergenz von Philosophie und Christentum: »[H]oc est concedendum: hoc enim consonat fidei Catholicae, et etiam philosophiae«.95 Die Einwände der Manichäer werden erwähnt und nochmals – unter Verweis auf den ersten Teil der Summa – zurückgewiesen.96 Bemerkenswert für unsere Frage ist aber immerhin, dass eine ziemlich ausführliche Passage die christliche Schöpfungslehre gegen die (soweit tatsächlich solche vorliegen) Irrtümer Platons, des Aristoteles und Epikurs verteidigt.97 93 Albertus Magnus, Summa I tr. 6 q. 29 c. 2 ad 12 (Ed. Colon. 34/1), 225, 5– 6: »Contra bonum enim esse non est nisi privatum bono esse, et hoc est esse malum«. 94 Albertus Magnus, Summa I tr. 6 q. 29 c. 2 ad 12 (Ed. Colon. 34/1), 225, 14–16: »unde nihil est summe malum, quod nihil boni habet, et nihil est ita summe malum, quod non possit esse peius«. 95 Albertus Magnus (?), Summa II tr. 1 q. 1 (Ed. Paris. 32), 6a. 96 Albertus Magnus (?), Summa II tr. 1 q. 1 (Ed. Paris. 32), 6a–b. 97 Albertus Magnus (?), Summa II tr. 1 q. 4 (Ed. Paris. 32), 56–112; auch bereits im Sen-
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Bei der Frage, ob denn die Form zwar ein Prinzip sei, aber doch selbst keines hat, gibt der Autor einen Überblick über die verschiedenen Auffassungen und verweist jeweils auf die (seiner Ansicht nach zutreffende) Kritik des Aristoteles daran. Dies betrifft auch die Zurückweisung der empedokleischen Auffassung.98
d) Die Erörterung im Kategorien-Kommentar Wie intensiv die Frage Albert beschäftigt hat, sieht man daran, dass er selbst in seinen Kommentaren zum Organon darauf zu sprechen kommt. Gewiss, der Begriff des Gegensatzes gehört zu der Gruppe von Begriffen, die man als »Postprädikamente« bezeichnet hat. Abgesehen von der erstaunlichen Detailfreude, mit der Albert auch hier am Werke ist, wird die Frage, von welcher Art der Gegensatz von Gut und Schlecht ist, in einigen Kapiteln eigens behandelt. Handelt es sich dabei um einen konträren oder um einen privativen Gegensatz? Albert beginnt das 11. Kapitel des 7. Traktates von De praedicamentis folgendermaßen: »Es ist bei vielen eine uralte Frage (antiquissima quaestio), in welcher Gattung von Gegensatz Gut und Schlecht einander entgegengesetzt sind. Und wenn man die Worte des Aristoteles im 13. Buch der ›Ersten Philosophie‹, und die Worte des Dionysius Areopagita im Buch ›Über die göttlichen Namen‹, cap. 4, und die Worte des Augustinus im 2. Buch ›Über den freien Willen‹, und die Worte des Apostels Petrus im ›Reisebericht des Clemens gegen Simon Magus‹, ähnlich die Worte des Pythagoras zu den Gegensatztafeln der Güter und Übel vergegenwärtigt, dann ist offenkundig, dass alle diese einmütig sind. Dazu hat auch Aristoteles Sokrates und Platon angeführt, dass nämlich das tenzen-Kommentar wird die platonische Lehre von den drei Prinzipien und die aristotelische von der Ewigkeit der Welt erörtert: Albertus Magnus, II Sent. d. 1 a. 3–11 (Ed. Paris. 27), 11a–31b; auch bei Wilhelm von Auxerre ist diese Trias begegnet. 98 Albertus Magnus (?), Summa II tr. 1 q. 4 (Ed. Paris. 32), 82a: »Empedocles autem et Melissus et collega eorum Parmenides dicebant, quod distinguens oportuit esse in materia: supponebant enim, quod omne distinguens in aliquo, in ipso est si naturale est: et ideo dicebant, quod lis et amicitia distinguebant formas in mixto, separando et congregando: amicitiam enim dicebant congruentiam cognatorum ad unum et idem constituendum naturaliter convenientium: litem autem disconvenientiam oppositorum repugnantium ad unum et idem constituendum. Et quamvis haec opinio valde vicina sit opinioni Sanctorum quantum ad primam partem quam defendit Anaxagoras, tamen ab Aristotele improbata est per hunc modum: quia intellectus ex quo ponitur esse immixtus, purus, separatus, nulli nihil habens commune, non potest esse essentiale principium rei alicui: sed quidquid est ex ipso, adveniens est rei et accidens, sicut apparet in forma artis [...]. Forma autem principium intrinsecum est per se, et non secundum accidens causa esse rei in quo est: forma igitur in tali principio secundum quod extrinsecum est, esse non potest: hoc enim nec intellectus admittit, nec sustinet natura [...]«.
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Schlechte auf privative und nicht auf konträre Weise entgegengesetzt ist und dass das Schlechte für sich genommen nichts ist, kein Akzidens, keine Substanz, sondern eine Privation«.99
Man könnte sich die Konvergenz der Einsichtigen nicht beeindruckender vorstellen. Der Punkt ist freilich, dass Aristoteles eben in der Kategorienschrift ausdrücklich bei der Besprechung der verschiedenen Gattungen des Gegensatzes100 beim konträren Gegensatz unter anderem als Beispiel nennt: gut und schlecht. Der einzige, der nach Albert sich wirklich aus dieser Einmütigkeit verabschiedet hat, ist der Manichäismus. Nachdem Albert diese Art des Gegensatzes auf verschiedenen Feldern besprochen hat, sagt er nochmals ausdrücklich: »Das Übel steht also in allen Fällen dem Gut im Sinne der Privation gegenüber und nicht im Sinne eines Konträren. Und in diesem Punkt verurteilen alle Autoren den Manichäus, der behauptet hat, es gebe ein Wesen des Üblen wie ein Wesen des Guten [...]«.101
Hat Aristoteles sich im Beispiel vertan? Nein, er hat ein Argument. Menschen können wie andere Dinge gut oder schlecht sein, sie sind aber nicht notwendig immer eines von beiden. Es gibt auch ein Mittleres. Und darin sieht er das Kriterium für die zweite Form des konträren Gegensatzes erfüllt, dessen Alternative sich nicht aus dem Wesen der Sache ergibt.102 99 Albertus Magnus, De praedic. tr. 7 c. 11 (Ed. Paris. 1), 292a; (Ed. Colon. 1/1b), 159, 15–30. – Ich danke Herrn Kollegen Carlos Steel sehr herzlich für sein freundliches Entgegenkommen, mir den kritischen Text schon vor dessen Erscheinen zur Verfügung zu stellen. 100 Zur Gegensatzlehre des Aristoteles insgesamt: J. P. Anton, Aristotle’s Theory of Contrariety, London 1957. 101 Albertus Magnus, De praedic. tr. 7 c. 11 (Ed. Paris. 1), 293b; (Ed. Colon. 1/1b), 160, 49–52: »Malum igitur in omnibus opponitur bono sicut privatio et non sicut contrarium. Et in hoc omnes auctores condemnant Manichaeum, qui dixit essentiam esse mali sicut essentia est boni [. . .]«; die Form »manichaeus«, die das Wort als Eigennamen nimmt, kommt bei Albert auch anderwärts vor, etwa in seinem Matthäus-Kommentar: Albertus Magnus, Super Matth. c. 11 v. 19; c. 14 v. 25 (Ed. Colon. 21/1), 354, 70; 434, 7 u. ö.: »Manichaeus«; vgl. Anm. 76; Philippus Cancellarius (Philipp der Kanzler), Summa de bono q. 6, ed. N. Wicki (Corpus Philosophorum Medii Aevi: Opera philosophica mediae aetatis selecta 1–2), Bern 1985, 25, 44; Guillelmus Altissiodorensis, vgl. Anm. 41; auch noch Thomas de Aquino, Summa contra Gentiles IV c. 35 n. 3732, ed. C. Pera/P. Marc/P. Caramello, Turin/Rom (Marietti) 1961, 319–320; Summa theologiae III q. 5 a. 2; Compendium theologiae l. 1 c. 207 (Ed. Leon. 42), 161; Contra retrahentes c. 10 (Ed. Leon. 41), C 59, 137; Contra errores Graecorum pars alt., prol. (Ed. Leon. 40), A 87, 20; In De div. nom. c. 1 n. 2, ed. C. Pera, Turin/Rom (Marietti) 1950, n. 60); Aegidius Romanus, II Sent. d. 1 p. 1 q. 2 a. 3 (Venedig 1521; Nachdruck: Frankfurt 1968) II /1, 18b; Johannes Duns Scotus, Reportatio II d. 34 q.un. n. 6 (Ed. Vive`s 23), 171b. 102 Aristoteles, Cat. 10 (12 a 9–11).
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Albert war wie zu erwarten nicht der erste, der dieses Problem aufgeworfen hat. Schon Simplicius, dessen Kategorien-Kommentar aus dem frühen 6. Jahrhundert Albert noch nicht kennen konnte, der aber schon ein Jahrzehnt später von Wilhelm von Moerbeke ins Lateinische übersetzt wurde,103 blickt auf eine lange Diskussion zurück. Dort wurde – gerade für unseren Zusammenhang aufschlussreich – erwogen, ob Aristoteles überhaupt in eigenem Namen spricht oder nicht vielmehr hier nur eine pythagoreische These wiedergibt.104 Simplicius schließe sich, so Klaus Jacobi, dieser Deutung »vorsichtig an«.105 2. Alberts neue konzeptionelle Diagnose a) Dualismus in der Philosophie Die Auseinandersetzung mit den Katharern hat bei den Magistri natürlich nicht die Intensität, die sie bei Augustinus und auch bei den zeitgenössischen Autoren hatte, die mit dem Neomanichäismus unmittelbar konfrontiert waren. Dies gilt auch für Albert. Aber bei ihm kann man nun doch mehrere Besonderheiten konstatieren, welche den Standardeinwänden deswegen ein ungleich höheres Gewicht verleihen, weil mit ihm das gnostische Problem in einen weitaus grundsätzlicheren theoretischen Zusammenhang gestellt wird: Wie aus den eben angeführten Zitaten hervorgeht, sieht Albert im Dualismus nicht allein und ausschließlich das Problem, ob man neben dem höchsten Guten auch das Böse als Inbegriff und/oder als Prinzip denken kann und muss. Es geht jetzt auch noch um zwei weitere Problemstellungen: 1. Kann man überhaupt eine Dualität von Prinzipien denken? Dass man dies auch in der Philosophie getan hat, geht Albert im Zuge seiner Aneignung des Aristoteles auf, denn dieser präsentiert in der Zurückweisung zugleich mehrere solche allem Anschein nach dualistische Konzepte. 103 Vgl. Simplicius, Commentaire sur les Cate´gories d’Aristote. Traduction de Guillaume de Moerbeke, par A. Pattin, 2 Bde. (Corpus Latinum commentariorum in Aristotelem Graecorum 5/1–2), Louvain / Paris 1971.1975. 104 Simplicius, In Aristotelis Categorias commentarium, ed. C. Kalbfleisch (Commentaria in Aristotelem Graeca 8), Berlin 1907, 415, 30– 416, 2; die lateinische Übersetzung von Wilhelm von Moerbeke in: Simplicius, Commentaire sur les Cate´gories, ed. Pattin (wie Anm. 103), 570 f. Thomas von Aquin scheint übrigens diesen Text erstmals im Mittelalter zu zitieren. 105 K. Jacobi, ›Gut‹ und ›schlecht‹. Die Analyse ihrer Entgegensetzung bei Aristoteles und einigen Aristoteles-Kommentatoren und bei Thomas von Aquin, in: A. Zimmermann (Hg.), Studien zur mittelalterlichen Geistesgeschichte und ihren Quellen (Miscellanea Mediaevalia 15), Berlin u. a. 1982, 25–52, hier 34.
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2. Kann man nicht auch unabhängig davon, ob solche welttranszendenten Mächte oder undinglichen Prinzipien angesetzt werden, einen solchen durchgängigen Dualismus in der Wirklichkeit der Welt selbst ansetzen? Es scheint das Konzept eines solchen Antagonismus nicht nur immer wieder aufzukommen, sondern auch in den Theorien mancher Vorsokratiker bereits vorzuliegen.
a) Beispiele für die diagnostizierten Verbindungen
Von besonderem Belang ist nun, dass Albert erstmals ein Interesse entwickelt, diese beiden Strömungen zusammenzubringen und damit eine theoretisch anspruchsvollere Verstehensleistung erbringt. Dies geschieht auch bereits in seinem Sentenzen-Kommentar, in dem er das Problem nicht nur, wie schon gezeigt, systematisch und mit Bezug auf das philosophische Denken als solches bezieht,106 sondern auch den folgenden Gedanken anführt: »Quidam Philosophi non potuerunt principia moventia reducere ad unum: sed mixtum ponebant esse materiam, et litem et amicitiam moventia«.107
In der Berücksichtigung des vorsokratischen Dualismus – hier unverkennbar eine Anspielung auf Empedokles – scheint nämlich das Spezifikum seiner Auseinandersetzung zu liegen. Dies sogar in verschiedener Hinsicht und bei verschiedenen Gelegenheiten! Einige der Stellen seien hier eigens genannt. Wie bedeutend dieser Zusammenhang für ihn ist, zeigt sich daran, dass er im jeweils anderen Kontext eine Brücke schlägt. Man würde ja wahrlich nicht unbedingt erwarten, dass ein Kommentator der Metaphysik des Aristoteles auf die Manichäer zu sprechen kommt. Dies ist aber bei Albert der Fall, sogar an zwei Stellen. Aristoteles hat sich im Aporienbuch108 der Metaphysik die Aufgabe gestellt zu untersuchen – dies ist eines der von ihm als besonders wichtig angesehenen Probleme –, »ob die Prinzipien der vergänglichen und der unvergänglichen 106 Albertus Magnus, II Sent. d. 1 a. 2 (Ed. Paris. 27), 10a–b: »Dicendum quod haeresis Manichaei nunquam habuit in scientia defensorem: quia numquam habuit rationabilem positionem, quae etiam satis parum litterato probabilis possit videri«; auch Duns Scotus hebt noch ausdrücklich hervor, dass diese Auffassung nicht nur dem Glauben widerspricht, sondern auch vernunftwidrig ist, Johannes Duns Scotus, Ord. II d. 34–37 q. 1–5 n. 73 (Ed. Vat. 8), 409 f.: »sed etiam contra philosophiam«. 107 Albertus Magnus, II Sent. d. 1 a. 2 (Ed. Paris. 27), 10a; ibid. ad 8 (Ed. Paris. 27), 11a: »dicendum, quod litem et amicitiam non ponebant Philosophi ut movens extra, sed intra in mixtura contrariorum: quoniam amicitia et dilectio est in actu mixti medio, sed lis in extremis miscibilibus pugnantibus«. 108 Zur philosophischen Anlage dieses Textes: K. Jacobi, Aporien. Untersuchungen zum 3. Buch der aristotelischen Metaphysik, in: Freiburger Universitätsblätter 158 (2002), 5–50.
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Dinge dieselben sind oder verschiedene, und ob alle unvergänglich sind oder ob die Prinzipien der vergänglichen Prinzipien vergänglich sind«.109 Wie die bereits aus anderen Schriften110 angeführten Stellen zeigen, kommt diese Frage nicht von ungefähr. Dass ein Prinzip nicht hinreichend ist und man zwei Prinzipien ansetzen muss, habe Empedokles behauptet und von Liebe und Hass gesprochen. Hierzu bemerkt Albert: »Et in hoc ostenditur vilissima omnium esse haeresis Manichaei, qui istam quaestionem solvens, duo dixit esse prima principia, unum incorruptionis et alterum corruptionis«.111
Im dritten Traktat zu Metaphysik B, welcher in Form einer Digression der eingehenderen Erläuterung der aufgeworfenen Probleme gewidmet ist, kommt Albert sogar nochmals darauf zu sprechen: »Corruptibilia autem et incorruptibilia sunt contraria. Videtur igitur, quod corruptibilium et incorruptibilium principia sint contraria. Et haec fuit ratio Manichaei de duobus principiis«.112
Es geht hier also nicht primär um den Gegensatz von Gut und Schlecht, sondern um die ontologische Unterscheidung vergänglicher und unvergänglicher Dinge, die aber zugleich eine axiologische Rangordnung darstellt. Da diese unterschiedlicher Natur sind, die zugleich als Gegensatz gefasst sind (vergänglich/unvergänglich), können sie, das scheint der Gedanke zu sein, kein gemeinsames Prinzip haben. Dieser Gesichtspunkt geht über die rein qualitative Unterscheidung von Gut und Schlecht hinaus, die ja auch immer in der Gefahr steht, der menschlichen Perspektive eine ungebührliche Dominanz einzuräumen. Wie gewichtig diese Verbindung Albert zu sein scheint, zeigt sich darin, dass er nicht nur in seinen Schriften zu Aristoteles auf die Manichäer, sondern auch umgekehrt in theologischen Werken und in seinen Bibelkommentaren auf die vorsokratischen Dualisten zu sprechen kommt. Albert verweist etwa in seinem Lukas-Kommentar auf Pythagoras. Dass ein schlechter Baum keine guten Früchte trägt,113 war, so Albert, für die Manichäer ein Grund, darin die Lehre von den beiden Prinzipien bestätigt zu sehen. Albert aber nimmt dies auch zum Anlass, sich darüber grundsätzlich zu äußern. Es gäbe 109 Aristoteles, Met. III 1 (996 a 2–3): »kaiÁ poÂteron tv Ä n fuartv Ä n kaiÁ aÆfua rtvn aië ayÆtaiÁ hà eÏ terai «; Übersetzung aus: Aristoteles, Metaphysik, übers. und eingel. von Th. A. Szleza´k, Berlin 2003. 110 Vgl. Anm. 39. 111 Albertus Magnus, Metaph. l. 3 tr. 2 c. 10 (Ed. Colon. 16/1), 129, 10–13. 112 Albertus Magnus, Metaph. l. 3 tr. 2 c. 15 (Ed. Colon. 16/1), 154, 85–89. 113 Mt. 7,17; Lk. 6,43; diese ist eine der Stellen, die in den antimanichäischen Polemiken immer wieder eine Rolle spielen.
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dann, so sein Einwand, zwei Welten, da ein Bewegungsprinzip eines ersten Bewegbaren bedürfe und dieses erst die Welt zu einer Welt mache. Wenn man also ein böses Prinzip einführe, gelangt man, statt das Böse in der Welt zu erklären, vielmehr zur Behauptung einer »zweiten« Welt. Dies sei lächerlich und als eine solche Lächerlichkeit von Aristoteles bereits widerlegt.114 Auch Thomas führt diesen Irrtum in seinem Matthäus-Kommentar an.115 Ein Prinzip, so Albert, kann nur dann als Prinzip für alles Abgeleitete überhaupt gedacht werden, wenn es als Prinzip dessen gedacht wird, was sich überhaupt als verursacht denken lässt. Dies ist das Sein. Wenn man somit ein zweites Prinzip als existierend ansetzt, dann müsste auch dieses seine Existenz jenem ersten verdanken. Die Lehre von den zwei Prinzipien der Wirklichkeit führt somit zum Selbstwiderspruch: Wenn es zwei Prinzipien gibt, so folgt, dass es kein Prinzip des Seins überhaupt gibt, das doch in allen spezifischen Prinzipien vorausgesetzt ist. Albert schließt mit einem philosophiehistorischen Hinweis: »Falsa est ergo positio ista, et est error pessimus qui a Pythagora primum est exortus«.116 Albert wiederholt dies nochmals im ersten Teil seiner Summa theologiae. Hier schreibt er den Manichäern den Fundamentalirrtum zu, über Privationen in derselben Weise zu urteilen wie über positiv Gegebenes und entsprechend für beides eine causa efficiens im selben Sinne anzugeben.117 Aber woher dieser Fehlgriff? Diesen Irrtum vermag Albert nur noch historisch zu erklären, er führt ihn zurück auf die Gegensatztafel des Pythagoras, in der sich Gegensätze polar gegenüber stehen und eben nicht der eine der defizitäre Modus des anderen ist: »Et est derivatus hic error ab antiquo Pythagora, qui duas sisticias principiorum ponebat, unam bonorum et alteram malorum; sed in sisticia malorum privationes posuit pro principiis sicut malum, tenebram, feminam, altera pars longius, inaequale et huiusmodi, attendens, quod privatio in causa virtutis debitae causa est privationis in effectu [. . .]«.118
114 Albertus Magnus, Super Luc. c. 6 v. 43 (Ed. Paris. 22), 450a: »quod ut ridiculum, est a Philosopho in libro I Coeli et Mundi reprobatum«; Albert verweist auf eine frühere Auseinandersetzung: »Et nos quidem alibi sufficienter satis de hoc disputavimus«, ibid., 449b; damit bezieht er sich wohl auf seinen Sentenzen-Kommentar. 115 Thomas de Aquino, Lectura in Matthaei evangelium c. 7 v. 2, ed. R. Cai, Turin / Rom (Marietti) 1951, n. 661. 116 Albertus Magnus, Super Luc. c. 6 v. 43 (Ed. Paris. 22), 450a. 117 Albertus Magnus, Summa I tr. 6 q. 29 c. 2 (Ed. Colon. 34/1), 223, 42– 45: »Hoc fecit Manichaeos errare, quod de privationibus sicut de positionibus iudicabant et putabant esse causam efficientem privationis, sicut est positionis et habitus«. 118 Albertus Magnus, Summa I tr. 6 q. 29 c. 2 (Ed. Colon. 34/1), 223, 46–51.
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Albert hat ein ungewöhnliches Interesse an denkgeschichtlichen Zusammenhängen, von seiner Gelehrtheit und der Neigung, seine umfassende Rezeptionskraft auch zu dokumentieren, ganz abgesehen. Vielleicht nicht so sehr im Hinblick auf seine Zitierfreudigkeit als vielmehr was seinen Reichtum des Wissens angeht, ist er vielen seiner Zeitgenossen überlegen. Immer wieder zitiert er Autoren, die er gar nicht selber gelesen hat, sondern aus seinen Quellen entnimmt und womöglich gar nicht ganz zutreffend zuzuordnen vermag. Man kann sich aber wohl ziemlich sicher sein, dass er seine Kenntnisse der Doktrinen vollständig den Texten entnimmt, die er zu den Opera des Aristoteles gerechnet hat. Die eben in groben Zügen rekapitulierte Weise, in der sich Albertus Magnus mit dem Dualismus auseinandersetzt, kann freilich erst dann als ein Spezifikum Alberts behauptet werden, wenn ein Vergleich mit anderen Formen der Auseinandersetzung angestellt worden ist. Daher gilt es jetzt, wenigstens einen kurzen Blick auf die literarischen Gattungen zu werfen, in denen die Auseinandersetzung mit dem Dualismus geführt wird. b) Gegenprobe
Allenfalls ansatzweise findet man in der vielgelesenen, etwa 1225 oder kurz danach entstandenen Summa de bono von Philipp dem Kanzler eine Brücke geschlagen von der manichäischen These zu einer philosophischen Auffassung: »Sequitur de bono et malo que ponuntur principia rerum, ut magis evacuetur error Manichaeorum qui ortum videbatur habere ex hiis verbis philosophorum, prout philosophi ponunt bonum et malum esse contraria principia et contraria genera«.119
Die Summa contra haereticos des Pseudo-Praepositinus (entstanden ca. 1230) stellt zwar einen Bezug zu Platon her,120 die Kritik ist aber im Wesentlichen auf theologische Gehalte und die Interpretation biblischer Stellen ausgerichtet. Schon in seinem kurzen Vorwort hatte Pseudo-Praepositinus es sich zum Programm gemacht, die ihm gefährlich anmutende Subtilität der scholastischen Fragen zugunsten der heilsrelevanten Themen zurückzustellen.121 119 Philippus Cancellarius, Summa de bono (De bono nature) q. 2, ed. Wicki (wie Anm. 101), 42, 2– 4; der Editor verweist auf Aristoteles, Cat. 8 (14 a 24–25) sowie auf Boethius, In Categ. l. 4 (De oppositis) (PL 64), 264C , 283B . 120 Ps.-Praepositinus, Summa contra haereticos, ed. Garvin / Corbet (wie Anm. 11), 11: »Dicunt enim diabolum creasse ylem, scilicet primordialem mundi materiam quam Plato cistam vocat, unde et ipsi eumdem diabolum capud ciste appellant. De hac materia dicunt eum fecisse omnia elementa et corpora omnia, tam celestia quam terrestria«. 121 Ps.-Praepositinus, Summa contra haereticos, ed. Garvin / Corbet (wie Anm. 11), 3: »Inani
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Dasselbe gilt für den Liber contra Manichaeos des Durandus von Huesca vom Anfang der 1220er Jahre.122 Er bietet einerseits ausgiebige Zitate aus einem nicht überlieferten Katharer-Traktat, in dem sich das katharische Gedankengut als authentische Bibeltheologie artikuliert, und andererseits eine eingehende Kritik eben dieser Interpretationen.123 Dieselbe Schwerpunktsetzung auf die exegetische Kritik an der mißbräuchlichen Inanspruchnahme der kanonischen Texte gilt für den anonymen Liber contra Manichaeos, der unvollständig erhalten, nach dem Editor Friedrich Stegmüller zwischen 1212 und 1227, »vielleicht schon vor 1219«124 entstanden ist. Wie Wilhelm von Auvergne konstatiert auch Bonaventura ausdrücklich, dass es diese Häresie immer noch gibt. Bonaventura erklärt sich dies mit einer geistigen Blindheit, die aus einem Bündnis mit dem »Vater der Finsternis« selbst stammt und der weder mit Argumenten noch mit Gewalt beizukommen sei.125 Autoren wie Wilhelm von Auvergne oder auch Bonaventura beharren auf der Evidenz der Konzeption vom einen Ursprung der Wirklichkeit, und so wird für sie nicht zufällig die Behauptung des Gegenteils unerfindlich; nicht zufällig, weil Theorien, die Evidenz beanspruchen, immer gegenteilige Auffassungen nicht als Irrtum, sondern als Blindheit, als eine Verkennung des Offensichtlichen beurteilen müssen. Bei Albert hingegen wird über die Mühe der Einwendungen hinaus interessant, dass es sich nicht »bloß« um eine Häresie, sondern um eine in verschiedenen Philosophien aufgekommene Konzeption der Gegensätze und Bestimmung des Bösen handelt. Albert fügt also keineswegs nur weitere philosophiehistorische Kenntnisse hinzu. Von allen hier aus diesem Zeitraum zu berücksichtigenden Autoren ist er der einzige, der sich als Aristoteles-Kommentator betätigt und somit Gelegenheit bekommen hat, sich mit Autoren wie Empedokles, Pythagoras und Heraklit auseinander zu setzen. Da Alberts Sentenzen-Kommentar
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quidem ac perniciosa scholasticorum questionum subtilitate postposita, eas pocius questiones et sententias que de rebus saluti necessariis fiunt quanta possumus diligentia pertractemus [. . .] ea pocius que ad salutem necessaria sunt perscrutantes«. Durandus de Huesca, Liber contra Manichaeos, ed. Thouzelllier (wie Anm. 10). P. Segl, »Durand v. Huesca«, in: Lexikon des Mittelalters 3 (1986), 1468: »eine wichtige Quelle für Kosmologie und Glaubenslehre des Katharismus im 1. Viertel des 13. Jh.«. F. Stegmüller, Der ›Liber contra Manichaeos‹, in: Me´langes offerts a` E´tienne Gilson de l’Acade´mie franc¸aise (E´tudes de philosophie me´die´vale), Toronto / Paris 1959, 563– 611, hier 564. Bonaventura, II Sent. d. 34 a. 2 q. 1 (Opera omnia 2), 811a–b: »Et propter nimiam excaecationem, in qua sunt, amisso quasi rationis usu, nullam habent in eis efficaciam argumenta ad persuadendum, nec tormenta ad retrahendum, nec orationum suffragia ad relevandum, nisi hoc fiat de gratia specialissima«.
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früher liegt, kann man sehen, dass Bonaventura für diese Hintergründe und die konzeptionellen Strukturen dieses Denkens kein sonderliches Interesse entwickelt hat. Den Gegensatz von Gut und Schlecht führt Aristoteles in seiner Lehre von den Gegensätzen als Beispiel an. Man kann das – wie etwa Albert dies tut – zum Anlass nehmen, die Frage zu stellen, ob dies auch für Prinzipien gelten kann. Man muss aber feststellen: Im ausführlichen Kommentar des Boethius zur aristotelischen Kategorienschrift126 spielt der Dualismus der Prinzipien nicht die geringste Rolle; ebenso wenig im entsprechenden Kommentar des Petrus Abaelardus127 oder des Averroes. In den systematisch angelegten Werken zum Gegensatzbegriff, etwa in De natura contrariorum 128 des Dietrich von Freiberg oder in De quattuor oppositis,129 das früher unter den Werken des Thomas von Aquin gedruckt, jetzt, wenn auch nicht mit letzter Sicherheit Thomas von Sutton zugeschrieben wird, wird die Verbindung zum Dualismus nicht hergestellt. Wie steht es demgegenüber mit den »geschichtlichen« Interessen? In der nach 1264 entstanden Summa philosophiae, die früher fälschlich Robert Grosseteste zugeschrieben worden ist, enthält der erste Traktat130 eine Art Weltgeschichte der Philosophie, in der ein ausgesprochen weiter Begriff von Philosophie vorausgesetzt und dementsprechend eine beträchtliche Anzahl von »Philosophen« angeführt wird. Auch wenn Pythagoras, Heraklit und Empedokles ebenso wie der Manichäismus genannt werden, eine Verbindung stellt der Autor nirgends her. Sowohl die einschlägigen Passagen des Speculum historiale des Vinzenz von Beauvais131 wie das unter anderem davon abhängige, früher fälschlich Walter Burley zugeschriebene Buch De vita et moribus philosophorum 132 bringen neben biographischen Nachrichten nur einzelne Sentenzen. 126 Boethius, In Categ. l. 4 (De oppositis) (PL 64), 264–283. 127 Die Glossen zu den Kategorien in: B. Geyer, Peter Abaelards philosophische Schriften (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 21), Münster 1919–1933, 111–305, hier 259–285. 128 Theodoricus de Vriberg (Dietrich von Freiberg), De natura contrariorum, ed. R. Imbach (Opera omnia 2; Corpus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevi 2,2), Hamburg 1980, 69–135, Edition: 79–135; zu dieser Abhandlung: K. Flasch, Dietrich von Freiberg. Philosophie, Theologie, Naturforschung um 1300, Frankfurt, 2007, 439– 470. 129 Thomas de Aquino, Opuscula philosophica, ed. R. M. Spiazzi, Turin / Rom (Marietti) 1954, 207–217. 130 L. Bauer, Die philosophischen Werke des Robert Grosseteste, Bischofs von Lincoln (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 9), Münster 1912, 275–290. 131 Vincentius Bellovacensis (Vincent von Beauvais), Speculum historiale (Douai 1624; Nachdruck: Graz 1965). 132 H. Knust, Gualteri Burlaei de vita et moribus philosophorum. Mit einer altspanischen
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Wie später gezeigt werden soll, enthält auch die Schrift De divinis nominibus des Dionysius Areopagita Partien, die den Dualismus zurückzuweisen versuchen, dies aber nicht in der Weise, wie es die umfängliche Tradition der antimanichäischen Traktate des frühen Christentums tut. Die Erläuterung des Thomas Gallus zu allen Dionysius-Werken133 verfolgt ebenfalls keinerlei philosophisches oder philosophiehistorisches Interesse. Umgekehrt hat dieses Verfahren, über die pure Kritik, die sich irgendwie zugleich ihrer Unwirksamkeit bewusst ist, hinauszugehen und den Dualismus als Denkform, und diesen auch in seinen Varianten eingehender zu durchdringen, durchaus Schule gemacht. g) Nachfolger
Wenn Thomas von Aquin in der Summa contra Gentiles die Frage nach dem Ursprung der Vielheit stellt, geht er verschiedene Varianten ihrer Beantwortung durch. Es muss nämlich zur vollständigen Durchdringung der denkerischen Aufgabe nicht nur untersucht werden, wie sich die Dinge insgesamt zu Gott verhalten, sondern auch, wie sie sich in ihrer Verschiedenheit zu Gott verhalten. Thomas’ Antwort kann nur darin liegen, dass diese Verschiedenheit sich als Verschiedenheit zu Gott verhält. Das heißt, es ist kein Zufall, dass es verschiedene Dinge gibt. Daher ist das aristotelische Prinzip des Pluralismus, die Materie, zwar das Individuationsprinzip für alles, was nicht Gott oder reines Geistwesen ist, aber nicht Ursache für die Verschiedenheit der Arten und die Verschiedenheit der unterschiedlichen Regionen der Wirklichkeit.134 Auch eine andere Instanz aus der sog. aristotelischen Vier-UrsachenLehre kommt nicht in Frage: die Wirkursache, jedenfalls nicht deren mögliches Übersetzung der Eskurialbibliothek [!] (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 177), Tübingen 1886; M. Grinaschi, Lo pseudo Walter Burley e il ›Liber de vita et moribus philosophorum‹, in: Medioevo 16 (1990), 131–190; ders., ›Corrigenda e addenda‹ sulla questione dello ps. Burleo, in: ebd., 325–354; T. Dorandi, La versio latina antiqua di Diogene Laerzio e la sua recezione nel Medievo occidentalte: il Compendium moralium notabilium di Geremia da Montagnone e il Liber de vita et moribus philosophorum dello ps. Burleo, in: Documenti e studi sulla tradizione filosofica medievale 10 (1999), 371–396. 133 Thomas Gallus, Explanatio in libros Dionysii, ed. D. Lawell (CCCM 223), Turnhout 2011; den Kommentar zu De divinis nominibus hat Thomas Gallus laut Editor 1242 abgeschlossen (vgl. ebd., XXIV ). 134 Thomas de Aquino, Summa contra Gentiles l. 2 c. 40, ed. C. Pera/P. Marc/P. Caramello, Turin/Rom (Marietti) 1961, 156–157; zum Verhältnis des Thomas zu seinem Lehrer vgl. neuerdings P. D. Hellmeier, Anima et intellectus. Albertus Magnus und Thomas von Aquin über Seele und Intellekt des Menschen (BGP hT hMA . NF . 75), Münster 2011.
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antagonistisches Verhältnis.135 Denn daraus lässt sich keine Einheit herleiten und damit kein Weltbegriff bilden. Das Prinzip der Vielheit der Wirklichkeiten muss so gedacht werden, dass zugleich die Einheit als Ordnung des Ganzen verständlich wird. Hier verweist nun ebenso wie Albert auch Thomas sowohl auf den Marchionismus wie auch auf die Antagonismuskonzepte der Vorsokratiker.136 Auch er führt bei den Fragen, woher die Vielheit in der Welt kommt und bei deren Bewältigung er auch die Variante der entgegengesetzten Wirkprinzipien diskutiert, den religiösen Dualismus auf die philosophischen Dualismen der Vorsokratik (wie Albert auf Empedokles und Pythagoras) zurück. Thomas lehnt die Theorie Avicennas ab, wonach aus Einem ohnehin – zunächst – nur Eines hervorgehen könne: ex uno nisi unum. Es scheint ihm offenkundig, dass das besonders Vollkommene an der Schöpfung die Zusammenordnung des Ganzen ist. Dies auf eine untergeordnete Instanz zurückzuführen, schiene ihm ganz widersinnig. Auch die gnostische Idee, dass es für die verschiedenen Regionen der Wirklichkeit – das Sichtbare und das Unsichtbare – entsprechend unterschiedliche Prinzipien geben müsse, weist Thomas zurück. Untergeordnete Instanzen wie die Engel – wie es »moderne Irrlehrer«137 behaupten – kommen als Grund für die Unterschiedenheit der Dinge ebenfalls nicht in Frage, weil diese in einem kreativen Akt gründet, von dem schon an früherer Stelle gezeigt worden ist, dass er nur von Gott allein vollzogen werden kann. In der Abfolge der zurückgewiesenen Konzepte nimmt dann138 135 Thomas de Aquino, Summa contra Gentiles l. 2 c. 41, ed. C. Pera / P. Marc / P. Caramello, Turin / Rom (Marietti) 1961, 157–159. 136 Thomas de Aquino, Summa contra Gentiles l. 2 c. 41 n. 1179–1180, ed. C. Pera / P. Marc / P. Caramello, Turin / Rom (Marietti) 1961, 158–159: »Per hoc autem excluditur error ponentium prima principia contraria. Qui error primo incoepit ab Empedocle. Posuit enim duo prima principia agentia, amicitiam et litem, quorum amicitiam dixit esse causam generationis, litem vero corruptionis: ex quo videtur, ut Aristoteles dicit, in I Metaphys., hic duo, bonum et malum, primus principia contraria posuisse. Posuit autem et Pythagoras duo prima, bonum et malum: sed non per modum principiorum agentium, sed per modum formalium principiorum. Ponebat enim haec duo esse genera sub quibus omnia alia comprehenderentur: ut patet per philosophum, in I Metaphysicae. Hos autem antiquissimorum philosophorum errores, qui etiam per posteriores philosophos sunt sufficienter exclusi, quidam perversi sensus homines doctrinae Christianae adiungere praesumpserunt. Quorum primus fuit Marchius, a quo Marchiani sunt dicti, qui sub nomine Christiano haeresim condidit, opinatus duo sibi adversa principia, quem secuti sunt Cerdoniani; et postmodum Marchianistae; et ultimo Manichaei, qui hunc errorem maxime diffuderunt«. Nur hier, nicht an den Parallelstellen stellt Thomas diese Verbindung her. 137 Thomas de Aquino, Summa contra Gentiles l. 2 c. 43 n. 1193, ed. C. Pera / P. Marc / P. Caramello, Turin / Rom (Marietti) 1961, 160. 138 Thomas de Aquino, Summa contra Gentiles l. 2 c. 44, ed. C. Pera / P. Marc / P. Caramello, Turin / Rom (Marietti) 1961, 162–164.
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die Theorie des Origenes einen breiten Raum ein. Origenes wollte die Verschiedenheit moralisch erklären. Aber dies scheint Thomas, neben vielen anderen Einwänden, gegen die biblische Lehre von der besonderen göttlichen Affirmation des Ganzen zu sprechen: »Gott sah alles, was er gemacht hatte, und es war sehr gut«.139 Das Gelungensein der Ordnung muss einen originären Grund haben. Dies als eine Art »Reaktion« auf moralische Verdienste zu verstehen, erreicht das Niveau der Aufgabe nicht – abgesehen davon, dass es mit den naturphilosophisch gewonnenen Einsichten nicht vermittelbar ist. Diese Konstellation, in der die dualistischen Theorien einiger Vorsokratiker nicht nur in einen konzeptionellen, sondern auch in einen genetischen Zusammenhang mit dem Manichäismus gebracht werden, ist noch für einige Zeit auf Interesse gestoßen. Hierfür ließe sich etwa auf Aegidius Romanus verweisen.140 In den darauf folgenden Generationen, etwa bei Duns Scotus oder William Ockham, erlischt das Interesse an diesen konzeptionsgeschichtlichen Zusammenhängen. Es muss sogar erlöschen, wenn eine reale Negativität, wie sie im Begriff der Privation gedacht wird, auf Grund eines veränderten Wirklichkeitsbegriffs als unmöglich gelten muss. Diese Auffassung ergibt sich aus nominalistischen Voraussetzungen.141 Aber Blindheit, so ein naheliegender Einwand, ist 139 Gen 1,31. 140 Zu der Frage, »an plura sint principia prima«, sagt Aegidius am Anfang (Aegidius Romanus, II Sent. d. 1 p. 1 q. a. 3 [Venedig 1521] II /1, 18b): »Respondeo dicendum, quod Manichaei circa hanc materiam erraverunt ponentes duo principia omnium rerum, malum scilicet et bonum, Deum scilicet et daemonem, vel Deum et Hylem, ut patet per Augustinum in libro contra Faustum. Potuit autem habere haec opinio ortum ab antiquis Philosophantibus. Nam Empedocles posuit duo prima principia agentia, litem scilicet et amicitiam, ut patet ex libro de generatione. Pythagoras etiam posuit decem principia bonorum, et decem principia malorum; processsit enim Pythagoras modo mathematico, et per numeros, ponens causas rerum: et quia vidit in rebus esse bonum, et malum, et vidit numerum non ire nisi usque ad decem, quia ultra decem non est nisi replicatio assumptorum, posuit decem principia bonorum et decem malorum. Quae autem sint illa principia, in primo Metaphysicae enumerantur, et nos in quaestionibus nostris de principio primo enumeravimus ea. Pythagoras, ergo Manichaeus, et Empedocles posuerunt plura prima principia agentia, non reducta in se invicem, nec in alia. Quilibet autem illorum ex diversitate effectuum, voluit arguere diversitatem primorum principiorum. Et licet Empedocles magis visus sit attendere in effectibus contrarietatem, quia posuit contraria principia, litem scilicet et amicitiam; Manichaeus autem, et Pythagoras magis visi sunt considerare in effectibus perfectionem, et defectum, vel bonitatem, et malitiam, quia posuerunt rerum principia bonum, et malum, unum tamen potest ad aliud reduci. Nam in bono, et malo est aliquis modus oppositionis, vel contrarietatis, et in ipsis contrariis est aliquo modo bonum et malum, quia unum contrariorum habet rationem privationis respectu alterius [...] et universaliter in omnibus semper unum contrariorum habet rationem privationis respectu alterius«. 141 Guillelmus de Ockham ( Wilhelm von Ockham), Summa logicae I c. 36 (OPh 1), 102,
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doch ein realer Mangel, also gewissermaßen eine reale Negativität! Johannes Buridan bestimmt die Begriffe als gegensätzlich; in der Realität hingegen, so sagt er allen Ernstes, besagen »sehend« und »blind« nichts anderes, als dass es zwei Menschen gibt, von denen der eine den anderen durch das Dorf führt, von denen der eine sehend und der andere blind ist.142
b) Die Grundlage für diese Zusammenstellung Für seine Leistung des Verstehens und des Sichtbarmachens von konzeptionellen Bezügen ist Albert natürlich auf Aristoteles angewiesen. Dieser entwickelt seine Theorien grundsätzlich im Blick auf seine Vorgänger. Von diesen kann man richtige Ansätze übernehmen, aber auch von der Art ihres Irrtums lernen. Daher sind viele seiner Schriften immer auch ein Fundus, durch den alternative Konzeptionen zugänglich werden. Das wohl wichtigste Thema seiner Naturphilosophie ist das Verständnis von Werden und Vergehen. Denn angesichts der eleatischen Kritik, Bewegung sei ein widersprüchlicher und also kein die Wirklichkeit fassender Begriff, konnte er nicht auf die Wahrnehmung verweisen, sondern musste zeigen, dass sich Bewegung sehr wohl denken lasse; gegen die Auffassung, wonach Werden und Vergehen nur Veränderungen eines zugrundeliegenden Substrates sind, versucht er, den grundsätzlichen Unterschied zwischen beiden deutlich zu machen. Trotz aller Unzulänglichkeit und Disparatheit der Vorgängertheorien kommt Aristoteles beim Blick auf seine Vorgänger zu der erstaunlichen Diagnose: »Alle lassen nämlich alles aus Gegensätzen hervorgehen«.143 So heißt es in 100–101: »privatio non est aliquid in re extra animam, distinctum quocumque modo a quolibet positivo«; id., In Praedicam. c. 17 § 8 (OPh 2), 309, 15–19: »non est intentio Philosophi dicere quod privatio sit aliquid a parte rei, distinctum ab habitu et a subiecto simul et separatim sumptis, quia nihil est imaginabile a parte rei quod importetur per privationem quin sit habitus vel subiectum de quo natus est praedicari«; ausschließlich konträre Gegensätze können real sein, id., Summa logicae I c. 36 (OPh 1), 99, 4–5: »Sed omnes res extra animam, quae non sunt signa, si sint oppositae, non opponuntur nisi contrarie«; Johannes Buridanus, Summulae in Praedicam. 3.8.3, ed. E. P. Bos (Artistarium 10–3), Nijmegen 1994, 99, 44– 45: »res quae non sunt termini significativi ad placitum nec propositiones, dicuntur contrariae«. 142 Johannes Buridanus, Quaestiones in Praedicamenta q. 20, ed. J. Schneider (Veröffentlichungen der Kommission für die Herausgabe ungedruckter Texte aus der mittelalterlichen Geisteswelt 11), München 1983, 162, 58– 60: »Licet etiam isti termini ›videns‹ et ›caecum‹ opponantur, tamen caecus et videns non opponuntur; sunt enim duo nomine, quorum unus ducit alterum per villam, quorum unus sit caecus et alter videns«. 143 Aristoteles, Met. XII 10 (1075 a 28): »paÂntew gaÁ r eÆj eÆnantiÂvn poioyÄsi paÂnta«; Übersetzung aus: Aristoteles, Metaphysik, übers. Szleza´k (wie Anm. 109), 226, 29–30.
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Metaphysik L und ähnlich schon in G 2: »Alle setzen die Prinzipien als Gegensätze an, die einen als Ungerades und Gerades, andere als Warm und Kalt oder als Grenze und Unbegrenztes oder als Liebe und Streit«.144 Ebenso in der Physik: »Alle machen also die Gegensätze zu Anfangsgründen«.145 Erst Aristoteles diagnostiziert diese Konvergenz, weil auch erst er in einer grundlegenden Weise zu einem allgemeinen Begriff des Gegensatzes gelangt ist und nicht nur wie seine Vorgänger von bestimmten Gegensätzen spricht. Daher findet sich erst bei ihm eine Lehre vom Gegensatz und seinen Arten.146 Dass dies kein Zufall ist, haben im modernen Denken verschiedene Philosophen hervorgehoben. Nicolai Hartmann verweist auf dieselben Beispiele und bekundet vom Dualismus: »Er geht auch geschichtlich dem Monismus voraus«.147 Für Karl Jaspers, der Zarathustra, die Gnostiker, die Manichäer und sogar die Christen (Gott und Teufel) als Vertreter des Dualismus zusammenstellt, ergibt sich dies nicht aus einem verläßlichen Befund der Wirklichkeit, sondern einerseits aus dem Charakter des Denkens,148 andererseits aus der Objektivierung der existentiellen Entscheidung (entweder – oder) zu »objektiven Mächten«. Diese aristotelische Diagnose betrifft natürlich die Elementenlehre, aber auch die Atomistik (das Volle und Leere) und selbst Parmenides. Aristoteles scheint es selbst zu bestätigen: »Alle Dinge sind Gegensätze oder bestehen aus Gegensätzen, Prinzipien der Gegensätze aber sind das Eine und die Vielheit«.149 144 Aristoteles, Met. IV 2 (1004 b 31–33): »paÂntew goyÄn taÁw aÆrxaÁw eÆnantiÂaw leÂgoysin ´ oië meÁ n gaÁ r perittoÁ n kaiÁ aÍ rtion, oië deÁ uermoÁ n kaiÁ cyxro n, oië deÁ pe raw kaiÁ aÍ peiron, oië deÁ fili an kaiÁ neiÄkow «; Übersetzung aus: Aristoteles, Metaphysik, übers. Szleza´k (wie Anm. 109), 52, 31–53, 33. 145 Aristoteles, Phys. I 5 (188 a 19): »PaÂntew dhÁ taÆnantiÂa aÆrxaÁw poioyÄ sin«; 188 a 26–27: »oÏti meÁn oyËn taÆnantiÂa pvw paÂntew poioyÄsi taÁw aÆrxaÁw, dhÄlon«; Übersetzung aus: Aristoteles, Physik. Vorlesung über Natur. Griechisch-deutsch. Übers. und hrsg. von H. G. Zekl (Philosophische Bibliothek 380–381), hier 25. 146 Aristoteles, Kategorien, übers. Oehler (wie Anm. 59), 271: »Trotz der großen Bedeutung, die die Gegensatzproblematik in der voraristotelischen Philosophie hat, sind die klassisch gewordenen Formulierungen erst Aristoteles gelungen. So ist es zum Beispiel fraglich, ob bei Platon schon der Unterschied zwischen konträren und kontradiktorischen Gegensätzen explizit gemacht ist«. 147 N. Hartmann, Der Aufbau der realen Welt, Berlin 31964, 145; er sagt in diesem Zusammenhang zwar, der Dualismus – der von Gut und Böse, d. h. von »Wert und Unwert« (ebd.) ist nur einer davon – habe »ein natürliches Korrektiv in sich, er ist philosophisch unbefriedigend«, aber er steht bekanntlich dem, was er Monismus nennt, genauso kritisch gegenüber. 148 K. Jaspers, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, München 1963, 232: »Ohne zwei zu denken, kann ich nicht eins denken. Daher gibt es in allem Gedachten immer Einheit, Zweiheit, Vielheit. Das heißt: Kein Monismus kann sich aussprechen ohne Dualismus und umgekehrt. Dualismus ist allem Denken unumgänglich«. 149 Aristoteles, Met. IV 2 (1005 a 4–5).
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Es ist damit noch nicht klar, ob auch Aristoteles hierin eine Zweiteilung der Wirklichkeit beschrieben sieht. Eine Zweiteilung des Wissens geht damit allerdings keinesfalls einher. Denn es gehört ja sogar zu den berühmten Lehrstücken, dass die Natur, also das durch seine Natur Wirkende zwar auf Eines hin bestimmt ist, das Wissen hingegen sich immer auf Gegensätzliches bezieht: »Da es aber Aufgabe einer Wissenschaft ist, einander Entgegengesetztes zu betrachten [...]«.150 c) Die Weise der Auseinandersetzung Albert hat für diese Konzeption des Dualismus nur Aristoteles als Quelle. Was heißt das? Natürlich muss man bei solchen Traditionen immer damit rechnen, dass der Überlieferer seine eigene Terminologie verwendet, dass also einzelne Elemente eines Satzes wie dem eben zitierten nicht so alt sind wie seine Zuschreibung nahelegt. Hier liegt die Aufgabe der Philologie. Aber wie stark der Bruch zwischen den Vorsokratikern und der griechischen Klassik ist, hängt wiederum von dem Verstehen dieser Texte ab. Hier haben Philosophen von ganz unterschiedlicher Orientierung konvergierend und auch mit einem gewissen Recht gesagt, dass für das Verstehen von Philosophie selbst schon Philosophie erforderlich ist. Für die beiden Wertungen zwei klassische Belege: Bei Hegel lesen wir in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie: »Aristoteles ist die reichhaltigste Quelle. Er hat die älteren Philosophen ausdrücklich und gründlich studiert und im Beginne seiner Metaphysik vornehmlich (auch sonst vielfach) der Reihe nach von ihnen geschichtlich gesprochen. Er ist so philosophisch wie gelehrt; wir können uns auf ihn verlassen. Für die griechische Philosophie ist nichts Besseres zu tun, als das erste Buch seiner Metaphysik vorzunehmen«.151
Man vergleiche damit folgenden Text: »Es ist ein wahres Unglück, daß wir so wenig von jenen älteren philosophischen Meistern übrig haben und daß uns alles Vollständige entzogen ist. Unwillkürlich messen wir sie, jenes Verlustes wegen, nach falschen Maßen und lassen uns durch die rein zufällige Tatsache, daß es Plato und Aristoteles nie an Schätzern und Abschreibern gefehlt hat, zu Ungunsten der Früheren einnehmen«.152 150 Aristoteles, Met. IV 2 (1004 a 9): »eÆpeiÁ deÁ mia Ä w taÆ ntikei mena uevrh Ä sai «; Met. IX 2 (1046 b 10–11); De an. III 3 (427 b 5– 6). 151 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I ( Werke 18), Frankfurt 1986, 190; zitiert auch bei M. Heidegger, Der Spruch des Anaximander, in: ders., Holzwege, Frankfurt 51972, 296–343, hier 298; auch in: ders., Holzwege (1935–1946) (Gesamtausgabe 5), Frankfurt 32011, 323; auch in: ders., Der Spruch des Anaximander (Gesamtausgabe 78), Frankfurt 2010, 20. 152 F. Nietzsche, Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen 2 (Kritische Gesamtausgabe. Werke 3/2), Berlin 1973, 304.
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Dieser Text stammt von Friedrich Nietzsche: Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen, geschrieben 1873, aber erst 30 Jahre später posthum 1903 veröffentlicht. Noch direkter heißt es mit Bezug auf Aristoteles in Menschliches Allzu-Menschliches: »Aristoteles zumal scheint seine Augen nicht im Kopf zu haben, wenn er vor den Bezeichneten steht«.153
Der Frage nach der Verlässlichkeit der aristotelischen Doxographien brauchen wir hier allerdings nicht nachzugehen;154 da Albert ohnehin keine Alternative hat, kann er auf den Gedanken einer eventuell getönten bzw. konzeptionell zu hochstufigen Wiedergabe kaum kommen. Die mittelalterliche Scholastik hatte meines Wissens nur im Hinblick auf die Kritik an der Angemessenheit der aristotelischen Kritik an der platonischen Ideenlehre mitunter gewisse Zweifel geäußert.155 153 F. Nietzsche, Menschliches Allzu-Menschliches V n. 261 (Kritische Gesamtausgabe. Werke 4/2), Berlin 1967, 221. 154 H. Cherniss, Aristotle’s Criticism of Pre-Socratic Philosophy, New York 31971. Ernst Cassirer macht in seiner Darstellung Die Philosophie der Griechen von den Anfängen bis Platon keinerlei prinzipielle Vorbehalte, s. E. Cassirer, Die Philosophie der Griechen von den Anfängen bis Platon [1925], in: Ernst Cassirer. Gesammelte Werke (Hamburger Ausgabe 16), Hamburg 2003. Heidegger hingegen sieht einen epochalen Bruch, diesen aber identifiziert er nicht mit der Verwendung eigener philosophischer Begrifflichkeit bei Aristoteles, sondern weit grundsätzlicher mit der Etablierung der Metaphysik durch Platon: Heidegger, Der Spruch des Anaximander (wie Anm. 151), Frankfurt 51972, 297 f.; (GA 5), 322 f. In seiner frühen Zeit urteilt er ganz anders: M. Heidegger, Die Grundbegriffe der antiken Philosophie [SoSe 1926] (Gesamtausgabe 22), Frankfurt 2 2004, 20: »Wissenschaftlicher Höhepunkt der antiken Philosophie: Aristoteles. Er hat nicht alle Probleme gelöst, aber er ist an die Grenzen vorgestoßen, die mit dem Problemansatz der griechischen Philosophie überhaupt gegeben sind. Er vereinigt positiv die Grundmotive der vorangegangenen Philosophie, nach ihm Abfall«. 155 Albertus Magnus, Metaph. l. 7 tr. 5 c. 3 (Ed. Colon. 16/2), 378, 39– 42: »Et forte non omnino dixit falsum, sed in hoc pertractare est alterius philosophiae; nunc enim non suscipimus explanare nisi dicta et opiniones Peripateticorum«; A. Marlasca, Les Quaestiones super librum de causis de Siger de Brabant: e´dition critique (Philosophes me´die´vaux 12), Louvain / Paris 1972, 30 (Introduction), Edition: bes. q. 17, ebd. 78; Henricus de Gandavo (Heinrich von Gent), Quodl. 7 q. 1–2, ed. G. A. Wilson (Henrici de Gandavo Opera Omnia 11 [Ancient and Medieval Philosophy. Series 2]), Leuven 1991, 18 f.; Quodl. 9 q. 15, ed. R. Macken (Henrici de Gandavo Opera Omnia 13 [Ancient and Medieval Philosophy. Series 2]), Leuven 1983, 265; Henricus de Gandavo, Summa quaestionum ordinarium a. 14 q. 3, ed. J. Badius (Paris 1520; Nachdruck: St. Bonaventure 1953), 563rS; Johannes Duns Scotus, Rep. Par. I d. 36 q. 2 n. 33 (Ed. Vive`s 22), 444b: »Nunc autem Plato vere posuit ideam in mente divina, eo modo quo Aristoteles falso sibi imponit eas posuisse in re extra, ut per Commentatorem patet super I Ethicorum. Aristoteles autem imponit ei eas posuisse ideas quidditates per se existentes rerum
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Die beiden wichtigsten Denker, die die Dinge nicht nur durch Gegensätze konstituiert sein, sondern aus solchen entstehen lassen, sind wohl Empedokles und Pythagoras. Es ist wirklich lohnend, auf diese jeweils einen eigenen Blick zu werfen. Dabei ist aber zu beachten, dass das Mittelalter – und diese Einstellung hat, wie man an den großen Gesamtausgaben mittelalterlicher Autoren mit ihrer Mischung aus echt und unecht sehen kann, noch lange nachgewirkt – kein großes Interesse an der Gesamtanlage, an der Grundstellung einer Philosophie entwickelt. Die Konzentration auf die einzelne These zu einer spezifischen Sachfrage ist dafür denn doch zu groß. (Eine Ausnahme bilden freilich doch Aristoteles und Platon, aber dies geschieht gleichwohl eher selten.) Auf die Unterschiede zu solchen modernen Deutungen von Pythagoras,156 Heraklit157 und Empedokles,158 die nicht zur Forschungsliteratur, sensibilium«. – Bei derart kurzen Formulierugen wie etwa Crathorn, Quaestiones in primum librum sententiarum q. 2 dist. 2, ed. F. Hoffmann (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. N. F. 29), Münster 1988, 154, 2–3: »quomodo Aristoteles imposuit Platoni quod opinabatur esse universalia«, läßt sich nicht ganz entscheiden, ob nur die Indirektheit der Überlieferung oder auch die sachliche Richtigkeit des aristotelischen Referates gemeint ist; Nikolaus von Autrecourt, »Satis exigit ordo«, ed. J. R. O’Donnell, in: Medieval Studies 1 (1939), 179–267, hier 266; vgl. K. Flasch, Die Metaphysik des Einen bei Nikolaus von Kues. Problemgeschichtliche Stellung und systematische Bedeutung (Studien zur Problemgeschichte der antiken und mittelalterlichen Philosophie 7), Leiden 1973, 79; wie die anderen Belege zeigen, geht es aber zu weit, wenn Autrecourt singulär als »rühmlicher Außenseiter« auftritt: K. Flasch, »Allgemeines / Besonderes, II. «, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 1 (1971), 169–177, hier 172; Johannes Buridan, Metaph. l. 7 q. 9 (Paris 1518; Nachdruck: Frankfurt 1964), fol. 47ra: »Ita igitur interimitur opinio Platonis, si habebat talem opinionem qualem ipsi imponimus«. 156 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. II : Griechische Philosophie. I: Thales bis Kyniker (Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte 7), Hamburg 1989, 23– 49; F. Nietzsche, Die vorplatonischen Philosophen § 9 (Kritische Gesamtausgabe. Werke 2/4), Berlin 1995, 251–260; Cassirer, Die Philosophie der Griechen (wie Anm. 154), 326–344. 157 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II (wie Anm. 156), 69–81; Nietzsche, Die vorplatonischen Philosophen § 10 (wie Anm. 156), 261–282; Cassirer, Die Philosophie der Griechen (wie Anm. 154), 326–344; K. Jaspers, Die großen Philosophen (wie Anm. 22), 631– 640. 158 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II (wie Anm. 156), 81–85; Nietzsche, Die vorplatonischen Philosophen § 14 (wie Anm. 156), 314–328; Cassirer, Die Philosophie der Griechen (wie Anm. 154), 380–382; K. Jaspers, Die großen Philosophen. Nachlaß I: Darstellungen und Fragmente, München 1981, 22– 43, bes. 24– 28. Bei Heidegger, der nach Nietzsche der gesamten vorsokratischen Philosophie eine grundlegende Bedeutung zugesprochen hat, spielt Empedokles keinerlei Rolle. Nur in der Vorlesung Heidegger, Die Grundbegriffe der antiken Philosophie (wie Anm. 154), 80, wird der Gegensatz von Liebe und Haß erwähnt. Was seine Einschätzung des
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sondern zur philosophischen Auseinandersetzung zu rechnen sind, kann und braucht hier nicht im Einzelnen eingegangen zu werden. d) Die dualistischen Konzeptionen im einzelnen a) Pythagoras
Wenn man von der Bedeutung von Pythagoras im Werk des Albertus Magnus zu sprechen hat, dann muss zuerst von der spezifisch albertinischen Konstruktion der antiken Philosophiegeschichte die Rede sein: Albert unterscheidet zwei Traditionen der Philosophie, eine, welche für die Dinge der Natur nicht naturimmanente Prinzipien ansetzt, und eine, die für die Dinge der Natur ihrerseits wieder physische Körper ansetzt. Man könnte sagen, die eine Tradition sei die der Metaphysik, die andere die des Naturalismus. Albert unterscheidet sie mit den beiden hellenistischen Philosophenschulen der Stoiker und der Epikureer, führt aber die erste, die Tradition der Metaphysik, zurück auf – Pythagoras: »Stoicorum autem circa principia nunc in alio tractatu inducemus assertiones, incipientes a Pythagoricis, qui primi principes in hac secta floruerunt. Dicamus autem primo, quod omnes Stoici convenerunt in hoc quod principia physicorum ponebant esse nonphysica, sicut Epicurei in hoc convenerunt, quod principia physicorum physica corpora esse perhibuerunt, sicut patet in omnibus antehabitis opinionibus, quas induximus«.159
Auch Augustinus hatte schon die Bedeutung des Pythagoras mit großem Nachdruck hervorgehoben: »Die italische Gruppe wurde begründet von dem Samier Pythagoras, auf den der Name Philosophie zurückgehen soll. Denn während man früher diejenigen, die sich durch löbliche Lebensführung vor anderen auszeichneten, Weise nannte, gab er auf die Frage nach seiner Profession die Antwort, er sei Philosoph, das ist einer, der nach Weisheit trachtet, oder Liebhaber der Weisheit; denn höchst anmaßend schien es [ihm], sich als einen Weisen auszugeben«.160 Aristoteles angeht, so ist seine Auffassung wie immer dezidiert, aber sowohl gegensätzlich als auch stumm bleibend zu dieser Gegensätzlichkeit; vgl. Anm. 151. 159 Albertus Magnus, Metaph. l. 1 tr. 4 c. 1 (Ed. Colon. 16/1), 47, 5–13; id., De causis et proc. univ. l. 1 tr. 1 c. 3 (Ed. Colon. 17/2), 8, 9 ff.; id., Ethica l. 3 tr. 1 c. 7 (Ed. Paris. 7), 203a; er kritisiert es aber auch scharf, wenn Mitbrüder sich aus Unkenntnis an die Irrtümer von Pythagoras und Platon halten: De anima l. 1 tr. 2 c. 15 (Ed. Colon. 7/1), 60, 44– 48. 160 Augustinus, De civitate Dei l. 8 c. 2 (CCSL 47), 217, 5–12: »Italicum genus auctorem habuit Pythagoram Samium, a quo etiam ferunt ipsum philosophiae nomen exortum. Nam cum antea sapientes appellarentur, qui modo quodam laudabilis uitae aliis praestare uidebantur, iste interrogatus, quid profiteretur, philosophum se esse respondit, id est studiosum uel amatorem sapientiae; quoniam sapientem profiteri arrogantissimum uidebatur«; Übersetzung aus: Augustinus, Der Gottesstaat, übers. Thimme (wie Anm. 23), 373.
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Thomas von Aquin vergleicht in der Summa theologiae Jesus, der nichts geschrieben hat, darin mit den, wie er sagt, herausragenden Lehrern der Heiden, mit Sokrates und Pythagoras, die ebenfalls nichts geschrieben haben.161 Albert gibt sich erkennbar große Mühe, die Konzepte der Vorsokratiker möglichst in ihrer Nachvollziehbarkeit zu präsentieren. Dagegen spricht nicht, dass er sie für falsch, mitunter für grundsätzlich falsch hält. Wenn der Eindruck nicht trügt, dann behandelt er in seinem Metaphysik-Kommentar Pythagoras sogar mit besonderer Hochachtung.162 Dies gilt auch schon für seinen Physik-Kommentar. Dort sagt er, Platon, Sokrates und Speusipp und andere hervorragende Philosophen der stoischen Schule (secta) seien in vielen Dingen Pythagoras gefolgt, von dem er behauptet, »tota laudabat antiquitas philosophorum«.163 Hier scheint sich Albert deutlich von Aristoteles zu unterscheiden, der ja Platon vielfach in die Tradition des Pythagoreismus stellt, wohingegen Albert selbst die besondere Schätzung der Gestalt des Pythagoras in der Spätantike wiederholt.164 Pythagoras wird bei Albert in mehrfacher Hinsicht kritisiert. Nicht nur seine Lehre von der Seelenwanderung,165 auch seine Mathematisierungstendenzen der Natur werden wie dann auch im Hinblick auf Platons Konzeption zurückgewiesen,166 aber Albert kann auch ausdrücklich sagen: »Haec igitur de numeris est positio Stoicorum, quorum praecipuus princeps fuit Pythagoras, vir utique probissimus, de quo ab omnibus philosophis primis iudicatum est primitus dicta sua pro auctoritate debere recipi et nihil amplius probationis debere exigi a quoque dicta sua referente, nisi quia ›ipse dixit‹; ›ipse‹ autem erat Pythagoras, sicut dicit Tullius in libro De natura deorum«.167 161 Thomas de Aquino, Summa theologiae III q. 42 a. 4: »Excellentiori doctori excellentior modus doctrinae debetur. Et ideo Christus, tanquam excellentissimo doctori, hic modus competebat, ut doctrinam suam auditorum cordibus imprimeret. Propter quod dicitur Matth. 7, quod ›erat docens eos sicut potestatem habens‹. Unde etiam apud gentiles Pythagoras et Socrates, qui fuerunt excellentissimi doctores, nihil scribere voluerunt«; vgl. Thomas de Aquino, Lec. in Matth. evangelium c. 7 v. 2, ed. R. Cai, Turin / Rom (Marietti) 1951, nr. 427; Meister Eckhart, In Sap. n. 201 (LW 2), 536. 162 Albertus Magnus, Metaph. l. 1 tr. 4 c. 2 (Ed. Colon. 16/1), 50, 38– 40: »Ex his igitur intelligi possunt ea quae dixit Pythagoras, et ex his scitur, quod ea quae dixit, non dixit sine magna philosophia«. 163 Albertus Magnus, Phys. l. 8 tr. 1 c. 11 (Ed. Colon. 4/2), 570, 8–9; Albert kann Pythagoras sowohl zu den Dualisten stellen wie auch zu den Privationstheoretikern rechnen: vgl. Anm. 167 u. Anm. 99. 164 Vgl. Anm. 167. 165 Albertus Magnus, De anima l. 1 tr. 2 c. 7 (Ed. Colon. 7/1), 38, 55 ff.. 166 Albertus Magnus, Metaph. l. 1 tr. 4 c. 1 (Ed. Colon. 16/1), 47, 39– 67. 167 Albertus Magnus, Metaph. l. 1 tr. 4 c. 1 (Ed. Colon. 16/1), 48, 49–56; vgl. Cicero, De natura deorum I, 5, 10, vgl. etwa Cicero, Vom Wesen der Götter/De natura deorum.
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Wichtig für unsere Untersuchung ist nun insbesondere der Bericht, den Aristoteles von den Lehren der Pythagoreer gibt. Für diese ist einerseits die Zehnzahl der Prinzipien für sich genommen von Bedeutung, andererseits aber werden diese Grundbegriffe jeweils in Beziehung zu gegensätzlichen Begriffen gesetzt, und auch die Begriffe dieser beiden Seiten jeweils in Beziehung zueinander gebracht, so dass zwei Reihen von einander gegenüberstehenden Prinzipien entstehen: Grenze (peÂraw) Ungerades (peritoÂn) Einheit (eÏn) Rechtes (dejioÂn) Männliches (aÍrren) Ruhendes (hÆremoyÄn) Gerades (eyÆuyÂ) Licht (fv Ä w) Gutes (aÆgauoÂn) Quadrat (tetraÂgvnon)
˘ ˘ ˘ ˘ ˘ ˘ ˘ ˘ ˘ ˘
Unbegrenztes (aÍpeiron) Gerades (aÍrtion) Vielheit (plhÄuow) Linkes (aÆristeron) Weibliches (uhlyÂ) Bewegtes (aÆkinoyÂmenon) Krummes (kampyÂlon) Finsternis (skoÂtow) Böses (kakoÂn) Rechteck (eëteroÂmhkew)
Lateinisch – Deutsch, übers. von O. Gigon/L. Straume-Zimmermann (Sammlung Tusculum), Berlin 2011. Es gilt freilich zu beachten, dass Albert selbst das Autoritätsargument in der Philosophie für das schwächste hält, Albertus Magnus, Summa I tr. 1 q. 5 c. 2 ad 4 (Ed. Colon. 34/1), 18, 47–52: »In aliis autem scientiis locus ab auctoritate infirmus est et infirmior ceteris, quia perspicacitati humani ingenii innititur, quae fallibilis est. Propter quod Tullius in libro De natura Deorum dicit deridens scholam Pythagorae, quod de nullo quaerebant rationem aliam, nisi quia ›ipse dixit‹. ›Ipse‹ autem erat Pythagoras«; id., Super Dion. De div. nom. c. 1 n. 12 (Ed. Colon. 37/1), 6, 44– 48: »in veritate omnis auctoritas alicui rationi innititur, sed non omnis auctoritas omni rationi, sed humana humanae et divina divinae, quamvis nos divinae auctoritatis rationem non cognoscamus [...]«; vgl. Thomas de Aquino, In Phys. l. 8 lec. 3, ed. P. M. Maggio`lo, Turin/Rom (Marietti) 1954, n. 991: »Auctoritas autem divina praevalet etiam rationi humanae, multo magis quam auctoritas alicuius philosophi praevaleret alicui debili rationi, quam aliquis puer induceret«. Albert bezieht sich sogar auf diese Pythagoras-Tradition in einer Zuschreibungsfrage. Das kann so weit gehen, dass bei einem Text die Frage nach der Autorschaft als ganz unerheblich bezeichnet und der pythagoreischen Autoritätsgläubigkeit zugerechnet wird. Albertus Magnus tut dies etwa am Beginn seines Kommentars zu Peri hermeneias: Albertus Magnus, Peri herm. l. 1 tr. 1 c. 1 (Ed. Paris. 1), 375b–376a: »Quod autem de auctore quaedam quaerunt, supervacuum est et nunquam ab aliquo Philosopho quaesitum est nisi in scholis Pythagorae: quia in illis scholis nihil recipiebatur nisi quod fecit Pythagoras. Ab aliis autem hoc quaesitum non est: a quocumque enim dicta erant, reciebantur, dummodo probatae veritatis haberent rationem. Causa enim efficiens extra rem est, et ab ea res non habet firmitatem vel infirmitatem, sed potius a ratione dictorum«; vgl. Meister Eckhart, In Ioh. n. 520 (LW 3), 449. Der letzte Satz im angeführten Albertzitat ist aus dem Verfahren zu verstehen, im Vorwort zu einem Textkommentar den Text nach dem Vier-UrsachenSchema zu befragen; die causa efficiens eines Textes ist sein Autor.
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Hegel hat geurteilt: »Das ist nur ein roher, ungebildeter Anfang von näherer Bestimmung der Gegensätze, die ohne Ordnung sind und keine Sinnigkeit in sich haben«.168 Aristoteles hat nicht viel anders geurteilt.169 Was aber interessiert Albert daran? In seinem Metaphysik-Kommentar macht Albert, der doch, wie gesehen, den Dualismus der Prinzipien auf Pythagoras zurückführt, gleichwohl den Versuch, in diese Sammlung von Gegensätzen eine Systematik zu bringen. Dies kann nur in der Weise einer Rekonstruktion möglich sein, denn weitere Auskünfte über Intention und Kontext dieser Tafel von Gegensätzen hat Albert nirgendwo zur Verfügung. 168 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II (wie Anm. 156), 35. Nietzsche hat dieser Gegensatzlehre keinerlei Interesse entgegengebracht; auch W. Schadewaldt übergeht sie in seiner ausführlichen Darstellung des Pythagoras: W. Schadewaldt, Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen. Die Vorsokratiker und ihre Voraussetzungen ( Tübinger Vorlesungen 1), Frankfurt 1978, 267–293; W. Röd erklärt etwas hilflos in: ders., Die Philosophie der Antike 1. Von Thales bis Demokrit (Geschichte der Philosophie 1), München 21988, 61: »Hier wird die Verbindung von Mathematik und Ethik, die durch die Ordnung vermittelt zu denken ist, sozusagen kurzgeschlossen«; der Gedanke, so fügt Röd hinzu, sei »in seiner ursprünglichen Form nachvollziehbar«, habe aber einen »im einzelnen kaum mehr nachvollziehbaren Ausdruck« erhalten. Hartmann, Der Aufbau der realen Welt (wie Anm 147), 206: »In der Pythagoreischen Tafel fallen die beiden Gegensatzpaare auf: Grenze und Unbegrenztes (peÂraw – aÍpeiron), Eines und Vielheit (eÏn – plhÄuow). Freilich sind es auf den ersten Blick nur quantitative Kategorien. Aber gerade bei den Pythagoreern, welche die Zahl als Prinzip alles Seienden verstanden, gibt es eine so enge Abgrenzung des Mathematischen nicht. Das peÂraw hat den weiten Sinn von Bestimmung oder Bestimmtheit, das aÍpeiron den des Unbestimmten«. 169 Aristoteles, Met. I 5 (986 a 22–b 7): »Andere derselben Richtung sagen, es gebe zehn Prinzipien, die in Begriffsreihen angegeben werden: Grenze – Unbegrenztes, Ungerades – Gerades, Eines – Vielheit, Rechtes – Linkes, Männliches – Weibliches, Ruhendes – Bewegtes, Gerades – Krummes, Licht – Finsternis, Gutes – Schlechtes, Quadrat – Rechteck. So scheint es auch Alkmaion aus Kroton angenommen zu haben, und entweder hat er von den Pythagoreern oder sie von ihm diesen Gedanken übernommen; denn auch Alkmaion äußerte sich ähnlich wie sie; denn er sagt, daß die menschlichen Dinge meistenteils zweifach sind, und nennt 〈dann〉 die Gegensätze, nicht wie die Pythagoreer genau bestimmte, sondern beliebige, wie weiß – schwarz, süß – bitter, gut – schlecht, groß – klein. Dieser hat sich also über die übrigen Entgegensetzungen ohne genauere Bestimmung beiläufig geäußert, die Pythagoreer hingegen sagten auch, wie viele und welche es gibt. Aus diesen beiden Ansätzen also kann man so viel entnehmen, daß die Gegensätze die Prinzipien der Dinge sind; wie viele es sind und welche, kann man nur von den einen erfahren. Wie man sie jedoch mit den genannten Ursachenarten in Verbindung bringen kann, ist von ihnen nicht deutlich artikuliert worden, doch scheinen sie die Elemente der Art der Materie zuzuordnen; denn sie sagen, das Sein (die Substanz, oyÆsiÂa, ousia) bestehe und sei geformt aus diesen als aus seinen Bestandteilen«; Übersetzung aus: Aristoteles, Metaphysik, übers. Szleza´k (wie Anm. 109), 12, 22–13, 8.
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Albert spricht bei diesen Reihen von sisticiae;170 dies geht wohl zurück auf Aristoteles, der von systoixiÂai171 spricht und damit die jeweiligen Spalten der Gegensatztafeln meint: »Praeterea Pythagoras ponebat duas sistichias rerum; in una quarum ponebat bonum, masculum, quietem et alia quae enumerantur in I Metaphysicae, in alia vero opposita his, scilicet malum, feminam, turpe, motum et alia. Aut igitur utraque reducuntur ad idem unum principium, quod est deus, aut non; si non, ergo ipsum non comparabitur ad turpe sicut ad effectum, et sic nihil est, quod dicit, quod respectu pulchrorum et turpium est pulchrum. Si autem reducuntur utraque in ipsum sicut in causam, cum non sit causa alicuius cuius exemplar non sit in ipso, oportet, quod exemplar turpis sit in ipso; et sic debet dici turpe, sicut propter exemplar pulchri dicitur pulchrum«.172 »Ad secundum dicendum, quod Pythagoras consideravit causas propinquas rerum et ideo reduxit illas in diversa principia. Si tamen consideremus primum principium, idem erit omnium a quo habent, quidquid decoris est in ipsis; turpitudinem vero ex natura recipientis habent«.173
In seinem Kommentar zu der Stelle, an der Aristoteles diese Gegensatztafel der Pythagoreer anführt, versucht Albert, wie eben schon gesagt, eine Art Rekonstruktion.174 Da diese Gegensätze als Prinzipien gelten sollen, müssen sie für alle existierenden Dinge Prinzipien sein. Bei diesen gilt es aber drei verschiedene Weisen zu unterscheiden: 1. solche, die sich auf andere, von denen sie ihr Sein erhalten, beziehen; 2. solche, die ganz für sich bestehen; 3. solche, die entweder bewegen oder bewegt werden. Prinzipien des Seins sind: finitum/infinitum; par/impar; unum/plurale. Zugleich stehen diese in einem Begründungsverhältnis, wobei jeweils das zuerst Genannte das Begründete ist. Die Bewegungsprinzipien macht Albert fest an: dextrum/sinistrum; masculinum /femininum; quiescens/motum. Die verbleibenden ordnet Albert den Dingen zu, die dem Entstehen und Vergehen unterliegen; dies wird wiederum unterteilt in das Einfache: rectum/curvum; lux/tenebrae. Die Nicht-Einfachen umfassen: bonum/malum; quadratum/altera parte longius quadrangulum. Von Belang ist aber doch sein abschließendes Urteil: 170 Albertus Magnus, De praedic. tr. 7 c. 10 (Ed. Paris. 1), 291a; (Ed. Colon. 1/1b), 158, 18–19; ibid. tr. 7 c. 11 (Ed. Paris. 1), 292a; (Ed. Colon. 1/1b), 159, 22–23; id., Super Dion. De div. nom. c. 4 n. 81 (Ed. Colon. 37/1), 188, 36; id., Summa I tr. 6 q. 29 c. 2 (Ed. Colon. 34/1), 223, 46; id., Super Ethica l. 1 lect. 6 n. 32 (Ed. Colon. 14/1), 28, 44– 45: »Ponebat autem Pythagoras duas systicias vel ordinationes rerum«. 171 H. Wagner verweist in seinem Physik-Kommentar zu 188 a 19 f. (siehe: Aristoteles, Physikvorlesung. Übersetzt von H. Wagner [Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 11], Darmstadt 41983, 416 ad 17,11) auf Aristoteles, Met. IV 1 (1004 b 27); Phys. III 2 (201 b 25); De gen. et corr. I 3 (319 a 15); Met. XII 7 (1072 a 31). 172 Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 4 n. 81 (Ed. Colon. 37/1), 188, 36– 49. 173 Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 4 n. 82 (Ed. Colon. 37/1), 189, 40– 45. 174 Albertus Magnus, Metaph. l. 1 tr. 4 c. 4 (Ed. Colon. 16/1), 51, 54–52, 92.
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»Ex istis rationibus quas induximus, ista principia esse dixerunt, non multum a veritate deviantes«.175
So wie sich der Rationalitätsstandard der Scholastik in den Begründungsbemühungen für Auffassungen zeigt, die den Magistri ohnehin völlig gewiss sind, so zeigt sich das große Bemühen um Objektivität darin, wie die abgelehnten Auffassungen referiert und wenn nötig rekonstruiert werden. Die These von zwei Prinzipien der Wirklichkeit scheint abwegig. Es geht aber ohnehin nicht einfach um zwei Prinzipien als solche, sondern um zwei einander konträre Prinzipien, die ihrerseits für zwei konträre Wirklichkeiten aufkommen. Es gibt Gutes und Übles, Zerstörerisches. Wie kann man sich das verständlich machen? Wenn Albert Konvergenzen zwischen dem Manichäismus und Pythagoras konstatiert, so konnte er nicht wissen, dass man längst vor der Zeit, als man Ähnlichkeiten durch Genese zu erklären versucht hat, den Pythagoras mit dem Orient in Verbindung gebracht hat. Eine ganze Reihe von spätantiken Autoren tut das. Man berichtet von Reisen nach Babylon und Ägypten176 und verbindet damit die Vermutung, von dort habe Pythagoras den Dualismus mitgebracht. Die sachliche Konvergenz erhielte also eine Stütze durch eine aitiologische Verbindung. Natürlich lassen sich diese Reisen nicht belegen, aber die Konvergenzen immerhin doch prüfen. Derjenige, der dies meines Wissens am ausführlichsten getan hat, William K. C. Guthrie, hat geurteilt: »The possibility of Oriental elements in Pythagoreanism has always excited interest, and attempts have been made to establish connexions not only with Persia but also with India and even China [...]. Concerning these latter countries the remarks of Zeller [...] have not lost their force: the positive evidence is weak or non-existent, and the resemblances in doctrine are too general to warrant any definite conclusions, and were certainly current in Greece from a period which makes the hypothesis of borrowing from the further East unlikely«.177
Dies ist dann überhaupt eingegangen in die Diskussion um die Eigenständigkeit des griechischen Denkens gegenüber dem des Ostens.
175 Albertus Magnus, Metaph. l. 1 tr. 4 c. 4 (Ed. Colon. 16/1), 52, 90–92. 176 So auch im Mittelalter: Gualterus Burlaeus, De vita et moribus philosophorum c. 17, ed. Knust (wie Anm. 132), 66; Quelle ist wohl Cicero, De finibus bonorum et malorum V, 87, vgl. etwa Cicero, Von den Grenzen im Guten und Bösen / De finibus bonorum et malorum. Lateinisch – Deutsch, eingel. u. übers. von K. Atzert (Bibliothek der Alten Welt), Zürich/Stuttgart 1964. 177 W. K. C. Guthrie, A History of Greek Philosophy, I: The Earlier Presocratics and the Pythagoreans, Cambridge 1962, 251; die antiken Belege und deren Analyse finden sich 252–256.
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b) Heraklit
Der wohl bekannteste vorsokratischer Denker, der den Antagonismus ins Zentrum stellt, ist Heraklit. Unter den hier zu berücksichtigenden Gestalten ist er diejenige, die mit großem Abstand das größte Interesse in der modernen Philosophie seit Hegel gefunden hat. Er ist wohl sogar der Urheber dieses Gedankens, welcher den Antagonismus aber auch gar nicht auf ein Prinzip zurückführt, sondern diesen selbst zum Prinzip erhebt. Das wohl bekannteste Fragment lautet: »Der Krieg ist der Vater aller Dinge«.178 Diese Paradoxie, nach der gerade die Situation der Zerstörung zum Urheber gemacht wird, will aber doch zugleich eine geschichtliche Wirklichkeit beschreiben. Das Fragment lautet nämlich weiter: »[...] aller Dinge König. Die einen erweist er als Götter, die anderen als Menschen, – die einen läßt er Sklaven werden, die anderen Freie«. Dass Albert darauf nicht verweist, hat nur einen und zwar einen sehr lapidaren Grund: Er kannte den Text nicht. Er konnte von Heraklit wie überhaupt von den Vorsokratikern nur das kennen, was entweder Aristoteles oder Cicero oder gegebenenfalls Augustinus überliefert, bei diesem sind aber keine Fragmente dieser Autoren zu finden. Jenes berühmte Fragment findet sich zitiert bei Hippolytos von Rom. Dieser war Schüler des Irenäus von Lyon und hat sich, wie der Titel seines Werkes sagt, die Widerlegung aller Häresien (mitunter nach dem 1. Buch auch Philosophoumena genannt) vorgenommen. Die Doxographie des ersten Buches – in der Anfangszeit Origenes zugeschrieben – ist den Lehren der griechischen Philosophie gewidmet. Er bezieht sich zwar auf Stellen des platonischen Werkes, jedoch immer unter dem Blickwinkel einer bestimmten Auslegung. So ist unsere Stelle zum einen ein Beleg für den angeblichen Polytheismus; zum anderen aber sind die Wesen kraft und in Entsprechung ihres Gewordenseins vergänglich, doch kraft göttlichen Willens unsterblich.179
178 H Diels / W. Kranz (Hg.), Die Fragmente der Vorsokratiker, 3 Bde., Berlin 1951 / 1952 (Nachdruck: Hildesheim 2004–2005), 22 B 53: »PoÂlemow paÂntvn meÁn pathÂr eÆ sti, pa ntvn deÁ basiley w, kaiÁ toyÁ w meÁ n ueoyÁ w eÍdeije toyÁ w deÁ aÆ nurv poyw, toyÁ w meÁ n doy loyw eÆ poi hse toyÁ w deÁ eÆ leyue royw «; Ausgabe im Folgenden zitiert als »DK «. N. Hartmann hat dagegen eingewandt, ders., Der Aufbau der realen Welt (wie Anm. 147), 295: »Dieser geniale Lösungsversuch leidet nur an dem einen Mangel, daß auf diese Weise kein rechter Unterschied mehr zwischen gelösten und ungelösten Konflikten übrig bleibt. Ja eigentlich kann es nach ihm keine ungelösten Konflikte geben, weil jeder Widerstreit selbst seine Lösung ist«. 179 Hippolytus, Refutatio omnium haeresium IX c. 9 n. 4, ed. M. Marcovich (Patristische Studien und Texte 25), Berlin 1986, 344, 15–18; unter dem Namen Origenes, Philosophumena sive omnium haeresium refutatio l. 9 (PG 16), 3373A .
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Eine zweite mögliche Quelle, aus der später Schleiermacher180 das Fragment in seine Sammlung aufgenommen hat, ist der Timaios-Kommentar des Proklos.181 Aber auch dieser war zur Zeit Alberts noch nicht zugänglich. Dies sind freilich auch nicht die einzigen Artikulationen des herakliteischen Gedankens, andere führt auch Aristoteles selbst an. Wenden wir uns kurz den berühmten Ausführungen zur Freundschaft in Aristoteles’ Nikomachischer Ethik zu. Eine der dort aufgeworfenen Fragen ist, woraus, d. h. aus welcher strukturellen Beziehung denn Freundschaft entsteht. Diese Frage stellt Aristoteles nicht als erster, auch Platon hatte diese im Dialog Lysis 182 schon aufgeworfen. Zur Debatte steht bei Aristoteles eine grundsätzliche Alternative: Entweder sie geht aus der Gleichheit hervor; auch die Griechen kannten schon sinngemäß das Sprichwort: »Gleich zu gleich gesellt sich gern«. Das Gemeinsame ist zugleich das Verbindende. In der Diskussion war aber offenkundig auch die umgekehrte Auffassung zu finden, der gemäß die Gleichheit gerade nicht verbindet, sondern vielmehr Konkurrenz hervorbringt. Die Gleichen verhalten sich zueinander so feind wie die »Töpfer dem Töpfer« – heute die sprichwörtlichen Kesselflicker. Aristoteles greift interessanter Weise sogar nach höheren Argumenten, als welche er die aus der Naturphilosophie genommenen Gründe ansieht. Hierbei tritt nun Empedokles als Anwalt der Gleichheit auf: Gleiches strebt zu Gleichem. Oder die Freundschaft entspringt einem Gegensatz: Für die antagonistische Auffassung führt Aristoteles Euripides an: »Es sehnt die dürre Erde sich nach Regen, es sehnt der hohe Himmel, regenschwer, zur Erde sich zu stürzen«.183 Und just an dieser Stelle verweist Aristoteles auch auf Heraklit und fügt sogar einen Originaltext bei, sogar zwei Zitate: »Das Widereinanderstehende zusammenstimmend und aus dem Unstimmigen die schönste Harmonie«.184 Sowie einen Teil von Fragment 80: »Alles Leben entsteht durch Streit«.185 Dieser 180 F. Schleiermacher, Herakleitos der dunkle, von Ephesos, dargestellt aus den Trümmern seines Werkes und den Zeugnissen der Alten [1808], in: ders., Universitätsschriften. Herakleitos. Kurze Darstellung des theologischen Studiums (Kritische Gesamtausgabe 1/6), Berlin/New York 1999, 101–241, hier 166. 181 Proklos, In Tim. I, 174, 22, ed. E. Diehl, Leipzig 1903–1906 (Nachdruck: Amsterdam 1965). 182 Platon, Lysis 214a–215d. 183 Aristotles, Eth. Nic. VIII 2 (1155 b); Übersetzung aus: Aristoteles, Nikomachische Ethik, übers. von F. Dirlmeier (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 6), Berlin 1956, 171; der Bezug stammt aus Euripides, Frg. 898, 7–10, in: Tragicorum Graecorum fragmenta, rec. A. Nauck, Leipzig 21889, 648– 649. 184 Aristoteles, Eth. Nic. VIII 2 (1155 b 5– 6); DK 22 B 8: »eÆk tv Ä n diafero ntvn kalliÂsthn aë rmoni an «; Übersetzung aus: Heraklit, Fragmente. Griechisch – Deutsch, übers. von B. Snell (Sammlung Tusculum), Berlin 142011. 185 Aristoteles, Eth. Nic. VIII 2 (1155 b 6); DK 22 B 80: »paÂnta kat Æ eÍrin giÂnesuai «, Übersetzung aus: Heraklit, Fragmente, übers. Snell (wie Anm. 184).
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letzte Satz stammt aus dem Frg. 80, in dem zuvor der Begriff Krieg nochmals aufgegriffen wird: »Zu wissen aber tut not: Der Krieg führt zusammen, und Recht ist Streit, und alles Leben entsteht durch Streit und Notwendigkeit«.186 Was macht Albert daraus? In seinem zweiten Ethik-Kommentar handelt Albert diese Sache relativ kurz ab. Für den Empedokles-Gedanken verweist er auf Galen und wendet sich dann schon im nächsten Satz von der naturphilosophischen wieder zur ethischen Ebene.187 Im frühen Ethik-Kommentar behandelt er das Problem ausschließlich inhaltlich und verzichtet auf weitere Einlassungen zu den angeführten Zitaten.188 Was als Quelle für reale Antagonismen angesehen werden kann, vermag Albert auf Grund der schmalen Überlieferung und des verfremdenden Kontextes nicht in diesem Sinne wahrzunehmen. Jene Heraklitsätze scheinen auch sonst bei Albert nicht zitiert zu werden. Was Albert hier tut, kann als Bestätigung jener Charakterisierung angesehen werden, die oben bereits im generellen Sinne für die Philosophie des Mittelalters gegeben wurde: Das Interesse richtet sich primär auf einzelne Begriffe, Argumente und Auffassungen, nicht auf eine Gesamtausrichtung oder eine denkerische Grundstellung. Wo doch eine solche gegeben wird, bleibt sie häufig ziemlich abstrakt. Eine andere wichtige Quelle für die Lehre des Heraklit ist natürlich die aristotelische Metaphysik. Hier aber erscheint der Ephesier189 Heraklit einerseits als der Lehrer der universalen Bewegung190 und andererseits als derjenige, der Gegensätze nicht in ihrer Virulenz und Dynamik, sondern in ihrer Einheit (»alles ist wahr«191) versteht, woraus sich entsprechend desaströse Folgen für die Begriffe von Wahrheit und Erkenntnis ergeben.192 186 DK 22 B 80: »eiÆdeÂnai deÁ xrhÁ toÁn poÂlemon eÆoÂnta jynoÂn, kaiÁ diÂkhn eÍrin, kaiÁ gino mena pa nta kat Æ eÍrin kaiÁ xrev mena «, Übersetzung aus: Heraklit, Fragmente, übers. Snell (wie Anm. 184). 187 Albertus Magnus, Ethica l. 8 tr. 1 c. 1 (Ed. Paris. 7), 518b–519a: »Dixit enim quod omnia optime fiunt ex inimicitiis et litibus, quando excellentiae contrariorum alterantur ad invicem et ligantur in medio. Quidam naturalium contrarium hujus dicebant, ut Empedocles qui dixit, quod nihil appetit aliud nisi simile sit: ideo quod omnis communicatio est per simile. Causa autem dicti, ut dicit Galenus, quod complexio consistens in sanitate, simile semper appetit ad servationem. Multum autem turbata et discrasiata petit contrarium, ut febricitans aquam frigidam«. 188 Albertus Magnus, Super Ethica l. 8 lect. 2 n. 695 (Ed. Colon. 14/2), 596, 3–39. 189 Albertus Magnus, Phys. l. 8 tr. 3 c. 9 (Ed. Colon. 4/2), 638, 44– 45: »Heraclitus Ephesius«; De anima l. 1 tr. 2 c. 3 (Ed. Colon. 7/1), 24, 31–32: »Heraclitus autem, civis Ephesinus«. 190 Albertus Magnus, Metaph. l. 3 tr. 2 c. 7 (Ed. Colon. 16/1), 123, 53–57; Phys. l. 1 tr. 2 c. 1 (Ed. Colon. 4/1), 40– 43; ibid. l. 8 tr. 2 c. 1 (Ed. Colon. 4/2), 581, 35–36; 582, 15–16. 191 Albertus Magnus, Metaph. l. 4 tr. 4 c. 2 (Ed. Colon. 16/1), 203, 35– 45); ibid. l. 2 c. 1 (Ed. Colon. 16/1), 92, 3 ff. Dies gilt dann auch, worauf schon Aristoteles hingewiesen hat, für den Gegensatz von Gut und Schlecht: Aristoteles, Phys. I 2 (185 b 19–23); dies aufnehmend Albertus Magnus, Phys. l. 1 tr. 2 c. 2 (Ed. Colon. 4/1), 20, 54– 68. 192 Albertus Magnus, Metaph. l. 4 tr. 3 c. 4 (Ed. Colon. 16/1), 192, 34– 42; De causis et proc. univ. l. 2 tr. 2 c. 26 (Ed. Colon. 17/2), 117–119.
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g) Empedokles
Albert weiß, dass Empedokles aus Italien stammt.193 Zu erwähnen ist auch, dass Albert von einem Empedokles Buch mit dem Titel Persicum spricht.194 Albert kennt sogar die Geschichte vom Sprung in den Ätna: »Huius enim tam curiosus investigator fuit Empedocles, ut dum in monte, qui dicitur Aetna, qui est in Sicilia, investigaret naturam vulcani, cecidit in foveam eiusdem vulcani et consumptus est a vulcano, quem investigavit; quae fovea propter hoc a poetis casus Empedocles est vocata«.195
Im Hinblick auf die hier interessierende Konzeption gegensätzlicher Prinzipien konnte Albert bei Aristoteles lesen: »Denn wenn man Empedokles folgen und ihn dem Sinn nach auffassen wollte und nicht nach dem, was er stammelnd196 sagt, so wird man finden, daß die Liebe die Ursache des Guten, der Streit die des Schlechten ist; so daß, wenn jemand sagte, Empedokles habe das Schlechte und das Gute in gewissem Sinn als Prinzipien bezeichnet, und dies als erster, er wohl Recht hätte, wenn doch die Ursache von allem Guten das Gute an sich (das Gute selbst) ist [und von allem Schlechten das Schlechte]«.197
Aristoteles ist sich aber nicht ganz sicher: »Und ferner ist die Liebe die Ursache einer beliebigen Mischung oder einer Mischung nach dem bestimmten Verhältnis? Und ist sie selbst das Verhältnis oder etwas anderes neben dem Verhältnis?«198 193 Albertus Magnus, De anima l. 1 tr. 2 c. 13 (Ed. Colon. 7/1), 51, 11–12: »etiam philosophus Italus, qui de Italia fuit, Empedocles nomine«; De caelo et mundo l. 1 tr. 4 c. 1 (Ed. Colon. 5/1), 79, 32–35: »Iste autem Empedocles Italicus fuit de civitate, quae Arabice vocata Fragin, propter quod Fragitensem eum vocant, et in rei veritate fuit Siculus«. 194 Albertus Magnus, Meteora l. 4 tr. 2 c. 2 (Ed. Colon. 6/1), 248, 14–15: »dixit Empedocles in libro, quem persicum vocavit, eo quod Persice eum scripsit«; diese verderbte Schreibung des Titels stammt, wie aus dem kritischen Apparat hervorgeht, aus der Handschrift Erfurt, CA. 2° 378. 195 Albertus Magnus, Meteora l. 4 tr. 2 c. 1 (Ed. Colon. 6/1), 246, 45–50; der Editor verweist auf Horaz, De arte poetica, etwa in: Die Satiren und Briefe des Horaz. Lateinisch – deutsch, übers. von W. Schöne / H. Fäber, München 1953, 258, 465; Albertus Magnus, Phys. l. 2 tr. 2 c. 11 (Ed. Colon. 4/1), 115, 49–116, 15. 196 Dies ist schon eine Kritik bei Platon, Soph. (243 a); aber auch Aristoteles, Met. I 3 (984 b 17); Met. I 4 (985 a 4–5); Met. I 10 (993 a 11–17); Met. III 6 (1002 b 26–28); entsprechend das merkwürdig anmutende Lob für Anaxagoras, Aristoteles, Met. I 3 (984 b 16–19): »Als daher einer sagte, daß Vernunft, wie in den Lebewesen, so auch in der Natur vorhanden sei als Ursache der Einrichtung 〈der Welt〉 und aller Ordnung, da erschien er wie ein Nüchterner neben den aufs Geratewohl daherredenden Früheren«; Übersetzung aus: Aristoteles, Metaphysik, übers. Szleza´k (wie Anm. 109), 9, 16–10, 19. 197 Aristoteles, Met. I 4 (985 a 4–10); Übersetzung aus: Aristoteles, Metaphysik, übers. Szleza´k (wie Anm. 109), 10, 4–11. 198 Aristoteles, De anima I 4 (408 a 21–23); Übersetzung aus: Aristoteles, Vom Himmel.
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Es handelt sich nach Albert bei Empedokles um sechs Prinzipien: »quattuor materialia [die vier Elemente mithin] et duo agentia«, die Wirkprinzipien von Liebe und Haß.199 Um diese beiden Wirkprinzipien ist es hier zu tun. Nun bestimmt Empedokles also analog auch das Schlechte als Prinzip und fasst es im Gegenzug zu dem Prinzip der Liebe als Streit. Diese Seite des Dualismus ist freilich in den Augen des Aristoteles nicht besser. Er macht nur eine Bemerkung dazu, die wohl so zu verstehen ist: Wenn der Streit zum Prinzip erhoben wird, dann muss er qua Prinzip als unvergänglich gedacht werden. Denn er ist ja kein einzelnes Ereignis oder eine phasenweise aufkommende Störung, sondern eben das Gegenstück zum Prinzip der Einheit. Keines von beiden erklärt alles, sondern nur das Zusammenspiel von Vereinigung und Trennung. Aber Streit und damit das Schlechte macht gar nicht verständlich, wie solches, das sich im Streit befindet, Bestand haben können soll. Dass das Gute als das Gelungene als beständig zu denken ist, macht kaum Probleme. Aber das Schlechte ist ja das Destruktive und damit gerade das, was alle Dauer im Sein, alles Sich-halten-können bedroht. Da Aristoteles nicht nur die Thesen des Empedokles referiert, sondern auch aus seinen Schriften (seiner Schrift?) mehrfach wörtlich zitiert, konnte Albert dementsprechend mehrere Fragmente in lateinischer Übersetzung lesen.200 Albert begegnet Empedokles also an verschiedenen Stellen im Werk des Aristoteles und seiner Kommentatoren. Eine Bemerkung zur Terminologie: Die beiden griechischen Begriffe filiÂa und neiÄkow werden im lateinischen Aristoteles mit amor und discordia bzw. odium wiedergegeben. Wenn sich in den Schriften der Scholastiker immer wieder für neikos das Wort lis findet, so geht das, wie Oliver Primavesi in einem meisterhaften Aufsatz über die Vorsokratiker-Rezeption im Mittelalter gezeigt hat, auf Averroes’ Metaphysik-Kommentar zurück.201 Aristoteles vertritt und begründet die These, dass Veränderung nicht entstanden sein kann. Die gegenteilige Annahme setzt voraus, dass es zuvor einen Zustand der Ruhe gegeben habe. Dies lasse sich, so Aristoteles, entweder Von der Seele. Von der Dichtkunst. Eingeleitet und neu übertragen von O. Gigon (Aristoteles Werke 2), Zürich 21983, 274. 199 Albertus Magnus, De anima l. 1 tr. 2 c. 2 (Ed. Colon. 7/1), 20, 26–28. 200 Aristoteles, Met. III 4: vgl. DK 31 B 21, 9–11; B 36; B 109; B 30; Aristoteles, Phys. II 4: vgl. DK 31 B 53. 201 O. Primavesi, Vorsokratiker im lateinischen Mittelalter I: Helinand, Vincenz, der Liber de vita et moribus und Parvi flores, in: O. Primavesi / K. Luchner (Hg.), The Presocratics from the Latin Middle Ages to Hermann Diels. Akten der 9. Tagung der Karl und Gertrud Abel-Stiftung vom 5. – 7. Oktober 2006 in München (Philosophie der Antike 26), Stuttgart 2011, 45–110, hier 76.
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im Sinne des Anaxagoras denken, der behauptet habe, alles sei ursprünglich zusammen und daher in Ruhe gewesen und dann habe der Geist Bewegung durch Sonderung der Stoffe initiiert.202 Die Alternative habe Empedokles entwickelt, der große Weltperioden annimmt, in denen abwechselnd Ruhe oder Bewegung herrsche. Prinzip dieser beiden Äonen seien Liebe und Streit: Die Liebe mache aus vielem Eines, und der Streit aus Einem Vieles. Er zitiert hierfür sogar fünf Verse aus Empedokles.203 Aristoteles ist auf diesem Feld genau so ein grundsätzlicher Kritiker des Empedokles wie bei der Frage, ob Erkenntnis nicht die Ähnlichkeit zwischen Erkennendem und Erkanntem voraussetze, eine empedokleische These, die er in De anima 204 zurückweist. Albert nun sieht in jener Zyklustheorie insbesondere die Begründungspflichten vernachlässigt. Zwar gebe er immerhin eine Regel an – während Anaxagoras die Tätigkeit des Geistes auf eine unerfindliche Weise aufkommen lasse – und so könne man immerhin verstehen, dass die Liebe bzw. Freundschaft ihrer Natur nach zur Einheit führe und Streit bzw. Feindschaft diese Einheit auflöse. Aber für die Ablösung selbst gebe es eben keinen Grund. Es sei schließlich auch kein axiomatisches Prinzip, das deswegen keiner Begründung bedürftig sei, weil ihm jeder beim Verstehen der Termini zustimme. Keine der beiden Wirkungen macht zudem das Wesen der Freundschaft und der Feindschaft aus.205 Selbst wenn man dies sagen könne, dann betreffe dies nur Verhältnisse unter Menschen, lasse sich aber nicht auf den Kosmos als ganzen ausdehnen: »[. . .] oder wie Empedokles, (der lehrt), in einem Teil (des Weltverlaufs) herrsche Bewegung und dann wieder Ruhe, und zwar Bewegung dann, wenn die Liebe aus Vielem das Eine macht, oder der Zank Vieles aus Einem, Ruhe dagegen herrsche in den Zeiträumen dazwischen«.206
Man kann aus diesem Umgang übrigens auch etwas über die scholastische Art zu denken lernen. Wieso ist denn Empedokles im Paris des 13. Jahrhunderts ein Problem? Die Widerlegung durch Aristoteles macht die Beschäftigung mit diesen Autoren nicht hinfällig. Diese wird vielfach – jedenfalls in dieser Form von Kommentar, aber auch in systematischen Werken – en detail rekapituliert und 202 Aristoteles, Phys. VIII 1 (250 b 24–26). 203 DK 31 B 26, 8–12. 204 Aristoteles, De anima I 2 (404 b 17–18); Übersetzung aus: Aristoteles, Von der Seele, übers. Gigon (wie Anm. 198); ibid. 405 b 15; De anima III 3 (427 a 28); Aristoteles’ Kritik daran: Aristoteles, De anima I 5 (409 b 23– 410 b 15); Albertus Magnus, De anima l. 1 tr. 2 c. 2 (Ed. Colon. 7/1), 20, 61 ff. 205 Albertus Magnus, Phys. l. 8 tr. 1 c. 8 (Ed. Colon. 4/2), 563, 64–564, 17. 206 Aristoteles, Phys. VIII 1 (250 b 26–29); Übersetzung aus: Aristoteles, Physik, übers. Zekl (wie Anm. 145), 143.
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gegebenenfalls mit anderen Positionen in Bezug gesetzt. Durch die Züge seines Denkens, durch die er mit dem Manichäismus verwandt erscheint, wird er in der Scholastik aber auch unerwartet wieder aktuell. In den Werken zur Naturphilosophie findet sich bei Aristoteles eine ganze Reihe von weiteren doxographischen Berichten zu Empedokles, die allerdings hier übergangen werden können, da sie keine weiteren Hinweise auf das Denken des Empedokles insgesamt enthalten. Albert folgt so nah wie möglich der aristotelischen Kritik, wonach diese beiden Prinzipien die natürliche und mithin substantielle Einheit sowie deren reguläre Bildung nicht verständlich zu machen vermag und dass im Übrigen die Zuordung von Liebe und Streit zu Einheit und Trennung gar nicht eindeutig sei.207
3. Wirklichkeit und Antagonismus a) Die fragliche Wirksamkeit des Gegensatzes Wie zu sehen war, bekommt Albert in den Werken des Aristoteles eine ausgearbeitete Kritik zu Gesicht, die das Problem des Dualismus von Gut und Böse verallgemeinert und sozusagen formalisiert zum Problem des ontologischen Status von Gegensätzen. Solche Theorien sind ja im Übrigen nicht Kuriositäten oder Naivitäten aus der Frühzeit der Philosophie, sondern Figuren des Denkens, die nicht zufällig sich immer wieder in verwandter Gestalt erneuern und Geltung verschaffen. Spannung und Gegensatz, das sind unter Umständen nicht nur Phänomene, die man bedauern wird und aushalten muss, sondern Grundfiguren der Wirklichkeit. Man beschreibt Menschen als widersprüchlich, und meint damit die Weite und Produktivität der Persönlichkeit; man versteht ganz spontan politische und gesellschaftliche Prozesse aus Interessen, aber vor allem aus deren Konkurrenz, aus ihrem virulenten Gegensatz. Können aber Gegensätze für sich genommen virulent sein? Kann es überhaupt Dinge geben, die für sich genommen gegensätzliche Eigenschaften in derselben Hinsicht haben? Sind sie vielleicht gar nicht die Ausnahme, sondern umgekehrt für die gesamte Wirklichkeit repräsentativ?208 207 Albertus Magnus, De gen. et corr. l. 2 tr. 2 c. 9–13 (Ed. Colon. 5/2), 192–196. 208 So hat etwa Heidegger Hegel verstanden, wenn er von der Wissenschaft der Logik sagt, ders., Der Satz vom Grund, Pfullingen 1957; 51978, 38 bzw. (Gesamtausgabe 10), Frankfurt 1997, 28: »Sie zeigt: Widerspruch und Widerstreit sind kein Grund dagegen, daß etwas wirklich ist. Der Widerspruch ist vielmehr das innere Leben der Wirklichkeit des Wirklichen. Diese Deutung von Wesen und Wirken des Widerspruchs ist das Kernstück der Metaphysik Hegels. Seit Hegels ›Logik‹ ist keineswegs mehr unmittelbar gewiß, daß, wo ein Widerspruch vorliegt, das Sichwidersprechende nicht doch wirklich sein könnte«.
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Ich will gar nicht die ganze Sparte dialektischer Philosophie aufrufen, deren Grundgedanke ja ist: Widersprüche gibt es nicht nur im Denken und nicht nur auch in der Wirklichkeit, vielmehr machen diese gerade umgekehrt die Wirklichkeit aus. Nun liegen hier in Wahrheit zwei Gedanken vor: Der eine enthält die Realität von Gegensätzen, der andere behauptet, dass aus dieser Konstellation von Gegensätzen eine andere Wirklichkeit entsteht: Nicht nur die zwei gegensätzlichen Prinzipien, sondern die Gegensätzlichkeit als solche wird zum initiierenden Prinzip. Genau diese These setzt schon Aristoteles im Folgenden ab von der Konzeption, die sogar durchgängig vor ihm vertreten worden ist. Sie lautet, wie oben auch schon aus anderen Texten209 belegt: »Alle lassen nämlich alles aus Gegensätzen hervorgehen«.210 Die Virulenz von Gegensätzen kommt nach dieser Auffassung aus den Gegensätzen, nicht aus dem, was in Gegensätzen steht. Es ist dabei freilich zu unterscheiden der Kampf, der sich aus der destruktiven Wirkung des Bösen ergibt, von der Virulenz, die in der antagonistischen Gegensätzlichkeit als solcher zu liegen scheint. Alles aus Gegensätzen entstehen zu lassen – was ist denn daran so falsch? Beides, sagen Aristoteles und die ihm folgende Tradition. Weder geht alles aus Gegensätzen hervor noch ist der Gegensatz als solcher überhaupt ein Prinzip; wenn als solches vorgestellt, dann bleibt doch unklar, wie sich dieses denken lasse. »Gegensätze erfahren keine Einwirkung voneinander«.211 Diesem Satz des Aristoteles stimmt Albert zu.212 Es kann also aus ihnen als solchen gar keine Virulenz entstehen. Der Gegensatz ist ein rationales und auch rational differenzierbares Verhältnis. Als solcher enthält er jedoch keinerlei Dynamik. Bekanntlich bestimmt Aristoteles Anfangs- und Endpunkt von Entstehen und Vergehen durch das Gegensatzverhältnis. Dies ist sozusagen die Wahrheit der Vorsokratiker.213 Das konkrete Ding kann aber unmöglich zugleich gegensätzliche 209 Vgl. Anm. 143–145. 210 Aristoteles, Met. XII 10 (1075 a 28): »paÂntew gaÁ r eÆj eÆnantiÂvn poioyÄsi paÂnta«; Übersetzung aus: Aristoteles, Metaphysik, übers. Szleza´k (wie Anm. 109). 211 Aristoteles, Met. XII 10 (1075 a 30–31): »aÆpauh Ä gaÁ r taÁ eÆ nantiÂa yë p Æ aÆllh lvn «. Zu Aristoteles, Phys. I 5 (188 a 27–30), wo es in der Übersetzung Wagners heißt (wie Anm. 171, hier 17, 31–33): »weil sie Gegensätze sind, (schließen sie einander aus, gehen also gewiß nicht auseinander hervor, vielmehr) besitzen sie Unabhängigkeit gegeneinander«; dazu bemerkt Wagner, ebd. 417: »Es ist schade, daß bei Ar[istoteles] die wechselseitige Unabhängigkeit der Prinzipien und der Fundamentalgegensätze das letzte Wort ist. Er entscheidet sich dafür, weil er meint, eine wechselseitige Abhängigkeit, in welcher also keines der Glieder für sich das erste wäre, würde sie alle miteinander (auch ihren Verband) des Charakters des wirklich Letzten berauben«. 212 Albertus Magnus, Metaph. l. 11 tr. 2 c. 37 (Ed. Colon. 167/2), 529, 22–23. 213 Es scheint daher für diese Auseinandersetzung wenig produktiv, wenn etwa H. Heim-
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Eigenschaften haben, da »Gegenteiliges sich gegenseitig vernichtet und hemmt«.214 Deshalb kann daraus auch keine Virulenz erwachsen. Aristoteles sieht im Antagonismuskonzept des Gegensatzes eine ungerechtfertigte Logisierung des Problems. Ähnlich wie Aristoteles gegen Platon eingewandt hatte, dass die Idee der Gesundheit für sich genommen niemand gesund macht,215 sondern es neben der Regenerationskraft der Natur eines wirksamen und kundigen Arztes bedarf, der im Blick auf diese Idee der Gesundheit tätig wird, so macht er auch hier geltend, dass Gegensätze nichts als eine rationale Relation sind, aus der keinerlei neue Realität folgt. Man muss also diesen Gedanken nicht so sehr korrigieren, als vielmehr vervollständigen. Da Gegensätze nicht aufeinander einwirken können, ergibt sich aus der Gegensätzlichkeit als solcher auch keinerlei Virulenz. Albert hebt dies nachdrücklich hervor: »Oportet etiam non latere nos, quod habere contrarium non sufficit ad causandum motum [...]«.216 soeth in seinem berühmten Buch im ersten Kapitel, das die Überschrift trägt »Gott und Welt; Die Einheit der Gegensätze« den Dualismus als eine dem griechischen Denken insgesamt, also der Vorsokratik, Platon und Aristoteles sowie Plotin gemeinsame Denkform vorstellt, vgl. H. Heimsoeth, Die sechs großen Themen der abendländischen Metaphysik und der Ausgang des Mittelalters, Darmstadt 61974, 19–24. 214 Aristoteles, Phys. VIII 8 (262 a 11–12); Übersetzung aus: Aristoteles, Physik, übers. Zekl (wie Anm. 145), 209; die Übersetzung von H. Wagner (wie Anm. 171) ist ganz ähnlich; daraus wird in der Scholastik das Adagium: »contraria mutuo se expellunt«: Thomas de Aquino, Summa contra Gentiles l. 2 c. 55 n. 1303, ed. C. Pera/P. Marc/P. Caramello, Turin / Rom (Marietti) 1961, 176; In Periherm. tr. 1 c. 11 (Ed. Leon. 1*/1), 58, 71–72; ibid. tr. 1 c. 10 (Ed. Leon. 1*/1), 54, 366: »contraria mutuo se tollunt«; etc. In Aristoteles, In Cat. 10 (14 a 12) wird vom Konträren gesagt, dass »nicht beides zugleich demselben zukommen kann«, Übersetzung aus: Aristoteles, Kategorien, übers. Oehler (wie Anm. 59); derselbe Gedanke schon bei Platon, Phaidon (103 b); Albertus Magnus, De anima l. 2 tr. 4 c. 11 (Ed. Colon. 7/1), 163, 66– 67: »Contraria enim actu non possunt esse in subiecto eodem«; id., De caelo et mundo l. 1 tr. 4 c. 9 (Ed. Colon. 5/1), 99, 70–71; diese Unverträglichkeit ist in der Vernunft gerade aufgehoben, Albertus Magnus, De anima l. 2 tr. 4 c. 11 (Ed. Colon. 7/1), 163, 24–26: »intentiones contrariorum in anima acceptae non sunt contrariae et ideo in eodem esse possunt«; Albertus Magnus, De homime (Ed. Colon. 27/2), 451, 53–56; id., Super Dion. De div. nom. c. 5 n. 29 (Ed. Colon. 37/1), 320, 1–3; Johannes Eriugena sagt von den Gegensätzen, Periphyseon l. 1 (CCCM 161), Turnhout 1996, 37, 1055–1056: »semper simul tibi occurunt, quamvis in re aliqua non simul appareant«; auch Thomas an der aus Summa contra Gentiles angeführten Stelle. Augustinus hat übrigens für den Gegensatz von Gut und Böse eine Ausnahme von der Regel der Dialektiker reklamiert, wonach Gegensätze sich ausschließen, denn das Böse setze umgekehrt das Gute voraus: Augustinus, Enchiridion ad Laurentium de fide et spe et caritate IV 14 (CCSL 46), Turnhout 1969, 55 f. 215 Vgl. Aristoteles, De gen. et corr. I 7; II 9. 216 Albertus Magnus, Phys. l. 5 tr. 1 c. 8 (Ed. Colon. 4/2), 418, 41– 42.
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Aristoteles’ Lehre von den Gegensätzen bildet einen Fundus von Argumenten gegen eine Virulenz des Antagonismus als solchen. Hierzu gehört die schon zitierte217 Behauptung, dass Gegensätze nicht aufeinander einwirken. Nicht Gegensätze als solche, d. h. sofern sie Relationen sind, wirken, sondern stets nur das, was in einer solchen Relation steht. Das entsprechende scholastische Adagium klingt zwar ganz aristotelisch, lässt sich aber so bei Aristoteles m. W. nicht finden: actiones sunt suppositorum. Albert hingegen formuliert dies als Prinzip und macht davon mehrfach Gebrauch.218 Kennt Aristoteles nirgendwo den Antagonismus, der dem Denken doch so vertraut zu sein scheint? Gegenläufige Interessen der Bürger im Staat, Vernunft und Sinnlichkeit, das schon. Aber keine Dynamik, die aus der Gegensätzlichkeit als solcher erklärt würde. Nun könnte es den Anschein haben, als sei die dualistische Deutung von Theorien wie der des Empedokles eine Konkretisierung, die weit über das hinausgeht, was Albert durch Aristoteles kennenlernen konnte. Liebe und Streit sind dem Gegensatz von Gut und Böse nicht äquivalent. Und umgekehrt ist die Gegensätzlichkeit als solche ebenfalls nicht notwendig die von Gut und Böse und dem gerade zwischen ihnen waltenden Gegensatz. Aber die Distanz ist deswegen nicht so groß, weil Aristoteles, wenn auch an anderer Stelle, diese 217 Vgl. Anm. 211. 218 Albertus Magnus, I Sent. d. 4 a. 6 ad 4 (Ed. Paris. 25), 165a: »actus suppositorum sint«; ibid. d. 5 a. 6 (Ed. Paris. 25), 184a: »actus sunt particularium compositorum et suppositorum«; Thomas de Aquino, Super Sent. I d. 4 q. 1 a. 2 ad 1, ed. P. Mandonnet (Editio nova), Paris 1929, I, 134: »actus autem est suppositorum tantum«; id., Super Sent. I d. 5 q. 1 a. 1, ed. P. Mandonnet (Editio nova), Paris 1929, I, 151: »in creaturis actus sunt suppositorum«; id., Summa theologiae I q. 39 a. 5 ad 1: »Unde huiusmodi locutiones non sunt extendendae, sed exponendae, ut scilicet nomina abstracta exponantur per concreta, vel etiam per nomina personalia, ut, cum dicitur, essentia de essentia, vel sapientia de sapientia, sit sensus, filius, qui est essentia et sapientia, est de patre, qui est essentia et sapientia. In his tamen nominibus abstractis est quidam ordo attendendus, quia ea quae pertinent ad actum, magis propinque se habent ad personas, quia actus sunt suppositorum«; id., Summa theologiae II–II q. 58 a. 2: »Et quia ad iustitiam pertinet actus humanos rectificare, ut dictum est, necesse est quod alietas ista quam requirit iustitia, sit diversorum agere potentium. Actiones autem sunt suppositorum et totorum, non autem, proprie loquendo, partium et formarum, seu potentiarum, non enim proprie dicitur quod manus percutiat, sed homo per manum; neque proprie dicitur quod calor calefaciat, sed ignis per calorem«; id., Summa theologiae III q. 7 a. 13: »Ordinatur enim ad bene agendum. Actiones autem sunt suppositorum et individuorum; id., Compendium theol. I c. 212 (Ed. Leon. 42), 165, 34–39: »Si ergo consideremus ipsum Christum ut quoddam integrum suppositum duarum naturarum, eius erit unum tantum esse, sicut et unum suppositum. Quia vero operationes suppositorum sunt [...]«; etc., immerhin inspirierend könnte eine Stelle wie die folgende gewirkt haben: Aristoteles, De an. I 4 (408 b 13–15).
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Beziehung herstellt. Am Ende des berühmten Buches Metaphysik L stellt Aristoteles die Frage, wie denn die Natur sich zum Guten verhält: Ist dies ein äußerer und damit ihr äußerlicher Zweck oder ein internes Gut, sein Gelungensein selbst? Aristoteles – wie nicht selten – findet schon diese Alternative selbst unzulänglich. In diesem Fall sogar falsch, denn der Heerführer, der für das Gelingen der Kampfordnung sorgt, ist die Bedingung dafür, dass diese gut, soll heißen, gelungen und tauglich ist. Die Frage ist freilich, ob es sich denn um eine Ordnung handelt. Dies bejaht Aristoteles, wenn er auch denkt, dass die Beziehung der verschiedenen Dinge zu diesem Einen eine je verschiedene ist. Dann aber kommt Aristoteles, wie es scheint, unvermittelt zu dem Gegensatz von Gut und Schlecht. Denn wenn das Schlechte Prinzip ist, dann müsse alles daran teilhaben: »Ferner wird alles am Minderwertigen teilhaben außer dem Einen; denn das Schlechte selbst ist das eine der beiden Elemente«.219 Die Alternative ist aber auch nicht besser, nämlich beiden Polen des Gegensatzes den Status von Prinzipien abzusprechen: »Die anderen aber machen das Gute und das Schlechte nicht einmal zu Prinzipien; und doch ist das Gute in allen Bereichen Prinzip im höchsten Maße«.220
Es ist leicht abzusehen, welche Theorien Aristoteles genau im Auge hat, auch wenn Empedokles erst im Folgenden genannt wird. Er verstehe das Gute in bestimmter Weise, nämlich als Liebe. Die Liebe wird hier in zweifacher Hinsicht gefasst: Sie ist ein Prinzip der Bewegung und sie führt die Elemente zusammen. Diese doppelte Bestimmung hält Aristoteles für widersprüchlich: Dies kann nur zufälligerweise der Fall sein, dass etwas Materie und zugleich Prinzip ist, aber das Wesen der Sache wird damit nicht begriffen. Der Prinzipienstatus kann daher nur in einem von beiderlei Sinnen gemeint sein, in welchem, bleibt aber unklar. Was aber jetzt hinzukommt, ist die Kunde davon, dass auch in der voraristotelischen Philosophie solche Auffassungen vertreten worden sind. Derlei ist nicht nur vor Aristoteles vorgebracht worden und nachher innerhalb der Philosophie nicht mehr, das Wissen von diesen Lehren hat derselbe Aristoteles auch vermittelt.
219 Aristoteles, Met. XII 10 (1075 a 34–35): »eÍti aÏpanta toyÄ fay loy meueÂjei eÍjv toyÄ eë no w«; Übersetzung aus: Aristoteles, Metaphysik, übers. Szleza´k (wie Anm. 109). 220 Aristoteles, Met. XII 10 (1075 a 36–37): »oië d Æ aÍlloi oyÆd Æ aÆrxaÁw toÁ aÆgauoÁ n kaiÁ toÁ kako n´ kai toi eÆ n aÏ pasi ma lista toÁ aÆ gauoÁ n aÆ rxh «; vgl. V. Rose, Aristotelis qui ferebantur librorum fragmenta. Leipzig 1886 (Nachdruck: 1967), Frg. 79, 82, bzw. Librorum deperditorum fragmenta, hrsg. v. O. Gigon (Aristotelis Opera 3), Berlin 1987, nr. 35, 272, 27–28: »paÂntvn gaÁr aÆkribeÂstaton meÂtron taÆgauoÂn eÆstin«.
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Für unsere Frage ist aber von besonderem Interesse nicht die Tradition, welche auch die Materie in eine Gegensätzlichkeit rückt, sondern diejenige, die die Gegensätze selbst zu Prinzipien erklärt. Albert erläutert: »Jene Denker sehen, dass Gut und Böse in dem liegt, was aus Gegensätzen besteht, und dabei behaupten sie, dass nichts im Verursachten liegt, was nicht aus einer Ursache stammt, und daher ihre Behauptung, Gut und Böse sei auch in den Teilen des Himmels und den Bewegern des Himmels und deshalb behaupteten sie gute und böse Geister; sie haben gleichwohl behauptet, in einigen Dingen sei im höchsten Maße das Gute das Prinzip«.221
Das bewegt sich alles in größter Nähe zum Text des Aristoteles. Albert fügt allerdings auch hier hinzu: »Und von diesen Auffassungen leitet sich die Schule derjenigen Irrlehrer her, die zwei Prinzipien behaupten«.222
b) Die sekundäre Stellung der Gegensätze In der Tradition der aristotelischen Philosophie ist aber nicht nur die Wirksamkeit von Gegensätzen, sondern schon ihr Auftreten voraussetzungsvoll. Es besteht nach Auffassung der Vertreter dieser Tradition die Notwendigkeit eines weiteren Prinzips, eines solchen, das verständlich macht, dass Gegensätze auftreten, also etwas, das bestimmte und eben auch gegensätzliche Zustände annehmen kann: die Materie. Albert folgt diesem Argument ohne Vorbehalt. Man kann sogar sagen, dass Aristoteles zwei Instanzen einführt, die nur durch sich selbst begriffen werden können und gerade nicht aus irgendeinem Gegensatz bestimmt werden können. Dies gilt nämlich nicht nur für die Materie,223 sondern auch für die Substanz. Nicht nur von der Quantität, sondern auch von dem, was den Kern seines Wirklichkeitsbegriffes ausmacht, die Substanz, sagt Aristoteles, dass ihr nichts konträr sei.224 Dies gilt sogar für beide in der Kategorienschrift unterschiedenen Substanzbegriffe: Weder ist einem individuellen Menschen noch dem Menschen für sich genommen irgendetwas konträr. Albert greift aus Aristoteles dafür mehrere Beweise auf, etwa: »Eo enim quod maxime substat et id quod substat utrique 221 Albertus Magnus, Metaph. l. 11 tr. 2 c. 37 (Ed. Colon. 16/2), 529, 60– 66: »Vident enim isti, quod bonum et malum sunt in his quae sunt ex contrariis, et dicunt, quod nihil est in causatis, quod non sit ex causa, et ideo dicunt bonum et malum etiam esse in caeli partibus et motoribus caelorum, et ideo calodaemones et cacodaemones esse dixerunt, dicunt tamen in quibusdam maxime bonum esse principium«. 222 Albertus Magnus, Metaph. l. 11 tr. 2 c. 37 (Ed. Colon. 16/2), 529, 66– 67: »Vel ab his derivata est secta haereticorum, qui duo ponunt principia«. 223 Albertus Magnus, Metaph. l. 11 tr. 2 c. 37 (Ed. Colon. 16/2), 529, 47– 49. 224 Vgl. Anm. 61.
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contrario, nulli potest 〈esse〉 contrarium«.225 Diese Gegensatzlosigkeit gilt erst recht für die göttliche Substanz.226 Darüber hinaus hat die Wirklichkeitsbedeutung der Gegensätze auch noch eine weitere Einschränkung. Wenn nach Aristoteles auch der Gegensatz zu den Bestimmungsgründen der Bewegung gehört, so gilt dies nicht einmal für jede Bewegung: »Ebenso ist es vernünftig anzunehmen, dass dieser (Körper) unentstanden und unvergänglich ist, dass er weder Vergrößerung noch qualitative Veränderung erfährt. Denn alles, was entsteht, entsteht aus einem Gegensatz und unter Vorhandensein eines Substrats, und in gleicher Weise vergeht es auch, indem es, unter Vorhandensein eines Substrats, unter der Einwirkung eines Gegensatzes in einen Gegensatz (übergeht), wie es auch in den ersten Untersuchungen gesagt worden ist. Doch bei entgegengesetzten (Körpern) sind auch die Ortsbewegungen einander entgegengesetzt. Wenn es also zu diesem (Körper) keinen Gegensatz geben kann, da es ja wohl auch keine Bewegung gibt, die der kreisförmigen entgegengesetzt wäre, dann scheint die Natur recht daran getan zu haben, dass sie das, was unentstanden und unvergänglich sein sollte, dem Bereich der Gegensätze enthoben hat. Denn Entstehen und Vergehen ereignen sich zwischen Gegensätzen«.227
Bei den unvergänglichen (!) Himmelskörpern, sagt auch Albert mehrfach mit Aristoteles, gibt es keinerlei Gegensätze.228 Das scheint geradezu das Signum der älteren Philosophie zu sein, dass die naturphilosophische Verwendung des Gegensatzbegriffes diesen nicht nur mit Bewegung und deren Grenzen, sondern mit Entstehen und Vergehen überhaupt in Verbindung bringt. Wo derlei nicht stattfindet, bleibt das Denken in Gegensätzen ohne Anhalt. Im Mittelalter scheint der Gegensatz selbst der Grund für die Vergänglichkeit zu sein: Was aus Gegensätzen besteht, kann nur eine labile Einheit bilden, und was prinzipiell vergehen kann, vergeht irgendwann.229 Von welcher globalen Bedeutung diese Konzeption ist, zeigt 225 Albertus Magnus, De praedic. tr. 2 c. 9 (Ed. Paris. 1), 183b; (Ed. Colon. 1/1b), 38, 60– 61; an anderer Stelle, Super Dion. De div. nom. c. 4 n. 162 (Ed. Colon. 37/1), 246, 76–85, macht Albert im Hinblick auf die Gegensatzfreiheit des subiectum einen Unterschied zwischen natürlichen und moralischen Dingen. 226 Aristoteles, Met. XII 10 (1075 b 21–22): »oyÆ gaÂr eÆstin eÆnantiÂon tv Äì prvÂtvì oyÆdeÂn«; Albertus Magnus, Metaph. l. 11 tr. 2 c. 38 (Ed. Colon. 16/2), 531, 50–55. 227 Aristoteles, De caelo I 3 (270 a 12–22), Übersetzung aus: Aristoteles, Über den Himmel. Übers. und erl. von A. Jori (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 12,3), Darmstadt 2009; Aristoteles, Phys. V 2 (226 b 2–3); Met. X 4 (1055 b 11–12). 228 Albertus Magnus, De anima l. 1 tr. 1 c. 2 (Ed. Colon. 7/1), 133, 19: »in quo nulla est omnino contrarietas«; De caelo et mundo l. 1 tr. 1 c. 9 (Ed. Colon. 5/1), 24, 49–50; Metaph. l. 11 tr. 2 c. 37 (Ed. Colon. 16/2), 529, 18–19. 229 Albertus Magnus, Phys. l. 8 tr. 3 c. 3 (Ed. Colon. 4/2), 626, 70–71: »quaecumque sunt sese corrumpentia et prohibentia, aliquid habent contrarietatis«; Phys. l. 5 tr. 3 c. 6 (Ed.
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sich daran, dass mit der in der neueren Philosophie aufkommenden Fassung des Gegensatzes als Prinzip der Entwicklung nicht nur Produktivität, sondern sogar Zielrichtung und Formentstehung verbunden wird. Dass Aristoteles derlei nicht vorgesehen hat, war aber nicht Naivität, sondern ein Gedanke, für den er ein Argument hatte: Was letzter Grund des Entstehens ist, kann nicht seinerseits entstanden sein. Diese Umwandlung muss einhergehen und geht auch tatsächlich einher mit der Relativierung des Formbegriffs: Er bestimmt nicht mehr die Art, sondern bildet eine vorläufige und ihrerseits labile Konstellation. Mit diesen Bemühungen um Durchdringung und Beurteilung des Dualismus der Prinzipien ist aber noch nicht das ganze Problem hinreichend bewältigt. Die Bedeutung des Gegensatzes ist einerseits anerkannt, sie wird jedoch andererseits durch einen sekundären Status bestimmt. Gegensätze sind in gewissem Sinne ursprünglich, aber nicht in jedem; sie setzen dasjenige voraus, an dem sie auftreten können. Aber eben nicht zugleich, sondern in der Weise, wie sich Anfang und Ende eines Prozesses zueinander verhalten. Aristoteles hat davon gesprochen, dass das Konkrete als solches nicht durch Gegensätze bestimmt ist, ja eben nicht bestimmt sein kann, weil Gegensätze sich ausschließen. Die konkreten und komplexen Dinge haben viele Eigenschaften, aber keine gegensätzlichen. Streng gesagt ist es umgekehrt: Gegenteilig sind Bestimmungen gerade insofern, als sie in demjenigen, das sie aufzunehmen vermag, nicht gleichzeitig sein können.230 c) Die verbleibenden Probleme der realen Gegensätze Für die Welt als ganze aber erkennt Aristoteles dies an, es gibt unveränderliche und veränderliche Substanzen, die Elemente sind durch ihre gegensätzlichen Qualitäten bestimmt: feucht und trocken, warm und kalt. Aber kann der Blick auf das Konkrete als solches, d. h. auf das jeweils Konkrete, hinreichend sein, die Struktur des Kosmos als Ganzes zu bestimmen? Aristoteles richtet gewiss den Blick auch auf das Ganze, aber wenn die Regionen des Kosmos sich ebenfalls durch Gegensätze unterscheiden lassen, dann ergibt sich erst die Frage, wie diese gleichwohl ein Ganzes bilden können – was eben Gegensätze für sich genommen nicht tun. Und noch darüber hinaus erwachsen die Frage nach dem Status der Wirklichkeit und die Aufgabe, die Welt als eine Welt zu denken, auch aus der Erfahrung der gegensätzlichen Kräfte, der widerstrebenden Bewegungsrichtungen. Colon. 4/2), 438, 64– 439, 1: »Regula enim generalis est, quod contraria se ad invicem destruunt [. . .]«. Es ließe sich eine Unzahl von weiteren Belegstellen anführen. 230 Aristoteles, Met. V 10 (1018 a 22–24.25–27).
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Dies ist ersichtlich keine Frage, die nur im Blick auf den metaphysischen Antagonismus des Mittelalters oder des frühgriechischen Denkens von Interesse ist. So unterschiedliche Denker wie Hegel231 und Friedrich Engels,232 Romano Guardini233 und Nicolai Hartmann234 haben die Gegensätzlichkeit als einen Grundzug der Natur angesehen. Nach aristotelischer Auffassung enthalten allerdings Gegensätze für sich genommen nicht das Moment, durch das man sie als eine Einheit zu denken vermag. Oder genauer gesagt: Es ist zwar die Einheit des Miteinander-zu-tunHabens, des Sich-wechselseitig-Betreffens, aber noch keine Einheit des Organischen, keine Einheit des Bestimmtseins, das deshalb zugleich für eine einheitliche Wirkung aufkommt. Man muss freilich erwägen, ob den Dingen diejenige Bestimmtheit zukommt, die durch Gegensätzlichkeit ausgeschlossen wird. Gerade die Unverträglichkeit gegensätzlicher Bestimmungen kann als Grund angesehen werden, die Bestimmtheit als etwas noch nicht Erreichtes anzusehen. Welche der beiden möglichen gegensätzlichen Bestimmungen zur wirklichen Bestimmung wird, ist sozusagen noch unbestimmt, noch unentschieden, aber unter Umständen auch umkämpft. Diese eben angeführten Überlegungen sind nicht in jeder Hinsicht Alberts Überlegungen. Sie sollen aber verständlich machen, wieso ein weiterer Begriff in diesem Zusammenhang eine so besondere Rolle spielt, der bisher noch gar nicht gefallen ist: der Begriff des Friedens. Dieses Wort findet insbesondere dort Verwendung, wo entweder keine Gegensätze auftreten oder wo sie auf irgendeine Weise zum Ausgleich gebracht und im Blick auf eine höhere Einheit überwunden worden sind. Dies ist aber keine auf die menschliche Praxis beschränkte Erfahrung, sondern vielmehr eine, die man auch in der Natur machen kann. Gegensätze sind also nicht unter allen Bedingungen unverträglich, aber zunächst gilt es, einen Begriff dafür zu finden und zu explizieren. Es ist ja bekannt, dass Augustinus im 19. Buch von De civitate Dei die universale Bedeutung des Friedens zu zeigen versucht hat. Frieden ist von universaler Bedeutung, weil er – erstens – auch dann als Ziel bestimmend bleibt, wenn er gebrochen wird, d. h. nicht bloß als eine Option neben anderen gedacht werden kann.235 Er ist aber zweitens auch – und dies führt 231 G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objektive Logik [1812/13] (Gesammelte Werke 11), Hamburg 1978, 272–278. 232 F. Engels, Dialektik der Natur, in: Friedrich Engels, Anti-Dühring, Dialektik der Natur (Marx – Engels: Werke 20), Berlin 1962, 348–353, 481– 490. 233 R. Guardini, Der Gegensatz. Versuche zu einer Philosophie des Lebendig-Konkreten [1925], Mainz 31985. 234 Hartmann, Der Aufbau der realen Welt (wie Anm. 147), Kap. 15.–16., 23.–24., 32. 235 Diese Denkfigur begegnet auch sonst bei Augustinus, Sermo 29 c. 1 n. 1 (PL 38), 185–187,
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Augustinus an einzelnen Beispielen des Lebendigen vor – die universale Bedingung von allem, um überhaupt existieren zu können. Da wir durch untergründige Wirksamkeit vieler Autoren der jüngeren Geistesgeschichte dazu neigen, bei aller Hochschätzung des Friedens die Ruhe als Erstarrung, als Ende von Bewegung, Leben und Dynamik zu verstehen, bedürfte die augustinische Bestimmung des Friedens als tranquillitas ordinis einer eingehenderen Interpretation als sie hier unternommen werden kann. Wer vermöchte sich bei der Verknüpfung von Friede und Ruhe der Assoziation des Friedhofes erwehren? Wenn man genauer durchdenken würde, dass der Friede als Bedingung der Existenz und als Ziel des Wollens ja ohnehin nicht als ein bloßer Zustand verstanden werden kann, dann wäre erst der Weg eröffnet, den Status der genannten Ordnung genauer zu fassen. Es scheint höchst bemerkenswert, dass dieser Gedanke nicht nur von Augustinus artikuliert wird. Etwa ein Jahrhundert nach Augustins monumentalem Werk ist am östlichen Rand des Mittelmeers ein Corpus von Schriften entstanden, dessen Autor sich als derjenige Dionysius ausgibt, der, Mitglied des Areopags in Athen, durch den Apostel Paulus zum Glauben des Christentums bekehrt worden ist. (Angesichts dieser Verkleidung kann man das Schicksal vielleicht doch nicht ganz ungerecht finden, durch das der bis heute nicht identifizierte Autor mit weiteren Personen in eins gesetzt worden ist.) Das wohl berühmteste Buch dieses Dionysius Areopagita trägt den Titel Über die göttlichen Namen. Aus dem oben genannten Grund scheint es unverzichtbar, auf das Kapitel noch einen Blick zu werfen, in dem Dionysius den Frieden (eiÆrhÂnh; pax) als einen Namen Gottes behandelt. Alberts um ein Vielfaches umfangreicherer Kommentar dazu, den man mit nicht geringerer Bewunderung lesen kann als seine Aristoteles-Kommentare, gewinnt sein Interesse an diesen Partien unmittelbar daraus, dass Dionysius eine solche Gegensätzlichkeit zwar nicht für real, wohl aber für möglich hält. Wenn auch kein antagonistischer Dualismus zwischen den Prinzipen widerspruchsfrei möglich ist – und die Diskussion darüber hat sich im universitären Milieu des Mittelalters dabei immer auch auf Dionysius bezogen –, so ist damit noch nicht gesagt, dass nicht die endliche Wirklichkeit, das Reich des Lebendigen und der Kosmos insgesamt frei von Gegensätzlichkeit ist. Hatte nicht Heraklit von der Einheit der Gegensätze gesprochen und dies unter anderem als Krieg gefasst? Von einem solchen Krieg im eigenen Stamm, also von einem Bürgerkrieg (die Welt ist ja schon das Ganze, dem nichts äußerlich ist) spricht hier 185: »Tanta vis est boni, ut bonum quaerant et mali«; ganz ähnlich Bonaventura, Itinerarium mentis in Deum III , 4 (Opera omnia 5), 305a: »Tanta est vis summi boni, ut nihil nisi per illius desiderium a creatura possit amari [. . .]«.
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auch Dionysius: eÆmfyÂliow poÂlemow.236 Er sagt nicht, dass es dergleichen gibt, er sieht aber, dass der Begriff der Natur ihn nicht prinzipiell ausschließt. Wenn es ihn nicht gibt, aber doch geben könnte, bedarf es eines Grundes, der den Krieg in der Natur ausschließt. d) Alberts Deutung des Friedens als Gottesname Das Kapitel XI der Schrift Über die göttlichen Namen beginnt folgendermaßen: »Laßt uns nun den göttlichen und höchst verbindenden Frieden in Lobpreisungen des Friedens laut verkünden! Er nämlich eint alles und erzeugt und bewirkt die Eintracht und Verbindung von allem. Deswegen strebt auch alles nach ihm, weil er ihre zerteilte Menge zur totalen Einheit zurückwendet und den inneren Kampf des Universums zum gleichartigen Beieinandersein eint«.237
Es ist für unsere Zwecke nicht möglich, aber eben auch nicht erforderlich, den umfassenden Kommentar Alberts zum Friedenskapitel durchzugehen.238 Aber einige Züge sind doch ausgesprochen lohnend, hervorgehoben zu werden. 236 Dionysius Ps.-Areopagita, De div. nom. c. 11 n. 1 (PG 3), 949A ; CD 1, ed. Suchla (wie Anm. 40), 217, 9; Albert bevorzugt denn auch die Übersetzung Eriugenas: civile bellum gegenüber der Alternative naturale bellum. 237 Dionysius Ps.-Areopagita, De div. nom. c. 11 n. 1 (PG 3), 948D ; CD 1, ed. Suchla (wie Anm. 40), 217, 5–10: »ÍAge dhÁ thÁn ueiÂan kaiÁ aÆrxisynaÂgvgon eiÆrhÂnhn yÏmnoiw eiÆ rhnai oiw aÆ neyfhmh svmen. AyÏ th ga r eÆ stin hë pa ntvn eë nvtikhÁ kaiÁ th Ä w aë pa ntvn oë monoi aw te kaiÁ symfyiÉaw gennhtikhÁ kaiÁ aÆ pergastikh . DioÁ kaiÁ pa nta ayÆth Äw eÆ fiÂetai toÁ meristoÁ n ayÆtv Ä n plh Ä uow eÆ pistrefoy shw eiÆw thÁn oÏ lhn eëno thta kaiÁ toÁ n eÆ mfy lion toyÄ pantoÁ w po lemon eë noy shw eiÆw oëmoeidh Ä synoiki an «; Übersetzung aus: Pseudo-Dionysius Areopagita, Die Namen Gottes. Eingel., übers. und mit Anm. versehen von B. R. Suchla (Bibliothek der griechischen Literatur 16), Stuttgart 1988. 238 Die Zahl der Beiträge, die sich mit Alberts Kommentaren zu den Dionysius-Schriften befasst, ist noch relativ überschaubar; zu nennen wäre etwa: F. Ruello, Les »noms divins« et leurs »raisons« selon Albert le Grand commentateur du »De divinis nominibus« (Bibliothe`que thomiste 35), Paris 1963; R. Schenk, Die Gnade vollendeter Endlichkeit. Zur transzendentaltheologischen Auslegung der thomanischen Anthropologie (Freiburger Theologische Studien 135), Freiburg u. a. 1989, 301–328; gerade auch für die hier behandelte Thematik einschlägig M. Dreyer, »Bellum dicitur quasi minimum bonum«. Zur sittlichen Beurteilung des Krieges bei Albertus Magnus, in: G. Beestermöller / H.-G. Justenhoven (Hg.), Friedensethik im Spätmittelalter. Theologie im Ringen um die gottgegebene Ordnung (Beiträge zur Friedensethik 30), Stuttgart u. a. 1999, 10–23, bes. 17–20; H. Anzulewicz, Pseudo-Dionysius Areopagita und das Strukturprinzip des Denkens von Alberts des Großen, in: T. Boiadjiev / O. Georgiev / G. Kapriev / A. Speer (Hg.), Die Dionysius-Rezeption im Mittelalter. Internationales Kolloquium in Sofia vom 8. bis 11. April 1999 unter der Schirmherrschaft der SIEPM (Rencontres de Philosophie Me´die´vale 9), Turnhout 2000, 251–295; ders., »Bonum« als Schlüsselbegriff bei Albertus Magnus, in: W. Senner u. a. (Hg.), Albertus Magnus. Zum Gedenken nach 800 Jahren. Neue Zugänge, Aspekte und Perspektiven (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens. NF. 10), Berlin 2001, 113–140;
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Eine der hier strittigen Fragen ist die womöglich als einseitig angesehene Privilegierung des Friedens, durch welche der Krieg, die Antagonismen in der unbelebten und insbesondere der belebten Natur, vor allem aber im menschlichen Dasein ausgeblendet scheinen. Dies ist keine bloß systematisch mögliche Position, sondern eine, die in der Philosophie wirklich vertreten worden ist. Albert verweist auch hier in seinem Referat eines Einwandes auf die antagonistischen Lehren der Vorsokratik, in denen – wiederum, wie oben schon ausführlicher gezeigt, von Empedokles – zwei, aber eben zwei entgegengesetzte Prinzipien für die Bewegung der Dinge angesetzt worden sind: Krieg und Frieden, Streit und Freundschaft. Aber gibt es überhaupt einen Krieg in den Dingen? In gewisser Weise schon: Die Urelemente des Universums verhalten sich in einer einwirkenden und erleidenden Weise zueinander. Sie können daher als Beleg dafür dienen, dass es vieles in der Welt gibt, das in einem dauernden Krieg (in continuo bello 239 ) sich befindet. Albert deutet hier nun auch Empedokles überraschender Weise ganz wohlwollend: Er sei kein Inaugurator des Prinzipiendualismus. Er hat die Bewegungsprinzipien ins Auge gefasst. Diese sind – gut aristotelisch – Privation und Form. Streit ist nur die Metapher der Privation – wegen der erst wieder zu erkämpfenden Vollkommenheit? – und Freundschaft ist nur die Metapher für die Form – offenbar weil die Dinge gleicher Art in der Form »verbunden« sind. Albert fügt dem sogar noch eine weitere Einschränkung hinzu, die nämlich, dass es sich dabei nicht einmal um Prinzipien des Seins ( privatio!), sondern nur um Prinzipien der Bewegung handle. Schon an früherer Stelle hat Albert die destruktive Wirkung von Gegensätzen nicht bestritten, sie aber auf den umfassenden Zweck des Universums bezogen. Die Individuen können keinen dauerhaften Bestand haben, wohl aber die Arten; diese freilich nur dann, wenn die Individuen wieder untergehen, und dies tun sie durch die Gegensätze, aus denen sie bestehen.240 Darin ist offenkundig der Gedanke vorausgesetzt, dass ein H. Möhle, Zum Verhältnis von Theologie und Philosophie bei Albert dem Großen. Wissenschaftstheoretische Reflexionen während der Gründung des Studium generale in Köln, in: S. Schmidt (Hg.), Rheinisch-Kölnisch-Katholisch, Festschrift für H. Finger (Libelli Rhenani 25), Köln 2008, 147–162; M. Burger, Thomas Aquinas’s Glosses on the Dionysius Commentaries of Albert the Great in Codex 30 of the Cologne Cathedral Library, in: L. Honnefelder / H. Möhle / S. Bullido del Barrio (Hg.), Via Alberti. Texte – Quellen – Interpretationen (Subsidia Albertina 2), Münster 2009, 561–582; J. A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought. From Philip the Chancellor (ca. 1225) to Francisco Sua´rez (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 107), Leiden u. a. 2012, 186–195. 239 Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 11 n. 4 (Ed. Colon. 37/1), 411, 77–78. 240 Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 4 n. 178 (Ed. Colon. 37/1), 263, 75–264, 9:
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solcher spezifischer Zweck nur von einer ihn beabsichtigenden Instanz gesetzt sein kann, denn andernfalls würde er nur akzidentell, also zufällig, von den beteiligten Faktoren erreicht. Damit ist ein Friedensextrinsezismus ausgeschlossen, denn einerseits kann die Einheit durch die Teile des Ganzen bzw. die Elemente der umfassenden Einheit nicht hergestellt werden, diese ist aber andererseits auch nichts Gleichgültiges, sondern Gegenstand des Strebens dieser Elemente und Teile. Der Krieg der Elemente ist nicht zu bestreiten.241 Doch beruht dieser auf etwas, was lediglich eine bestimmte Hinsicht an diesen ausmacht. Dies ist ihre Gegensätzlichkeit: schwer – leicht; warm – kalt. Zugleich aber stehen sie in einer Ordnung, kraft derer sie in ihrem Sosein sich erhalten können, auch wenn sie als einzelne Elemente unterzugehen gezwungen sind. Es muss also, wenn es doch ein fortlaufendes Entstehen gibt, auch eine kooperierende Weise der Einwirkung geben und nicht bloß eine antagonistische. Wechselseitigkeit ist noch nicht Antagonismus. Es wird also gegenüber dem Manichäismus das Problem noch verschärft: Nicht nur die Einheit der Welt, die in der Lehre von verschiedenwertigen Dingklassen aufgehoben schien, sondern auch die Einheit der Dinge selbst, ist nichts, was keines Grundes bedürftig wäre. Diese Einheit ist eine der Bestimmtheit, und nur die Versammlung von bestimmten Dingen bildet diejenige Ordnung, die die Welt ausmacht.242 Eine augenfällige Virulenz entfaltet nun aber das Böse. Es steht dem Guten nicht nur gegenüber, sondern beeinträchtigt und schwächt es, kann es sogar aufheben und zum Verschwinden bringen. Auch hier ist es insbesondere Dionysius gewesen, der mit seiner Lehre von der parasitären Wirksamkeit des Bösen eine allgemein akzeptierte Lösung vorgebracht hat: Das Böse wirkt nur in der Kraft des Guten – sogar gegen das Gute selbst: »Selbst das, was mit dem Guten kämpft, hat nur durch dessen Kraft seine Existenz und die Fähigkeit zu kämpfen«.243 Auch Albert hat diesen Gedanken aufgenommen, nicht allein in seinem Kommentar dazu,244 sondern auch an anderen Stellen.245
241 242 243 244 245
»contraria, quae sunt in natura pugnant quidem ad invicem secundum se, sed non secundum comparationem ad finem universi; ordinantur enim ad unum ultimum finem et cooperantur sibi ad illud. Quamvis enim per actionem unius contrarii in alterum corrumpatur esse istius individui, tamen ex hoc sequitur per successiones generationis et corruptionis continuatio essendi secundum speciem sive perpetuitas; et hoc magis propinquum est ad finem universi quam esse istius individui. Hoc autem non posset esse, si non essent ab uno principio primo, sed ordinata nisi ad contrarios fines et sic essent plures mundi«. Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 11 n. 5 (Ed. Colon. 34/1), 412, 33– 40. Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 11 n. 3 (Ed. Colon. 34/1), 411, 39–52. Dionysius Ps.-Areopagita, De div. nom. c. 4 n. 20 (PG 3), 720B ; CD 1, 166, 7–8. Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 4 n. 169 (Ed. Colon. 34/1), 255, 12–22. Albertus Magnus, Super Ioh. c. 1 v. 3 (Ed. Paris. 24), 35a: »Subiectum autem sub
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Um am Ende noch ein etwaiges Bedenken zu berücksichtigen: Oder ist der Brückenschlag vom dionysischen Friedensbegriff zum Dualismusproblem doch zu weit? Sollte tatsächlich dies die Stoßrichtung sein, wo es doch um die göttlichen Namen geht und dies weit entfernt scheinen kann von ontologischen, naturphilosophischen und semantischen Theorien über Gegensätze? Allerdings gibt es für den bereits abgesteckten Deutungsrahmen einen starken Anhaltspunkt, dies sogar in beiden hier in Rede stehenden Richtungen: Die Scholia, von denen die frühesten bereits in der ersten Rezeptionsphase, nämlich schon nach ganz wenigen Jahrzehnten entstanden und später unter dem Namen des Maximus Confessor überliefert worden sind, enthalten sowohl einen eindeutigen Hinweis auf die Lehre des Empedokles wie auch explizit auf die Lehre der Manichäer. Erst seit allerjüngster Zeit kann man wissen, welche Scholien von welchem Autor sind.246 Die Verbindung zu Empedokles hat Johannes, Bischof von Skythopolis,247 die zu den Manichäern Maximus Confessor248 hergestellt. Diese Scholien wurden auch ins Lateinische übersetzt und standen Albertus Magnus zur Verfügung.249 Aber eben nicht nur ihm. Es gibt keinen Beweis, dass dies für die konzeptionelle Verbindung, die er, wie oben gezeigt, erstmals hergestellt hat, die eigentliche Inspirationsquelle war; dass man darin aber eine Bestätigung seiner konzeptionellen Diagnose sehen kann, scheint hingegen offenkundig.
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deformitate privationis est corruptum bonum, et gratia et virtute corrupti boni pugnat contra integrum bonum, et non virtute suiipsius«. Corpus Dionysiacum 4,1: Ioannis Scythopolitani prologus et scholia in Dionysii Areopagitae librum ›De divinis nominibus‹ cum additamentis interpretum aliorum, hrsg. von B. R. Suchla (Patristische Studien und Texte 62), Berlin 2011. Johannes von Skythopolis, In librum De divinis nominibus c. 11, ed. Suchla (CD 4,1), 424, 1– 425, 1: »MegaÂlaw plaÂnaw filoso fvn ëEllhÂnvn diele gxei nyÄn kaiÁ proÁw thÁn eyÆse beian meta gei. Pollv Ä n gaÁ r eÆ n eÆ keiÂnoiw stasiazo ntvn kaiÁ tv Ä n mhÁ n eÆ j eÆ nantiv sevw kaiÁ pole moy pa nta diÆ eÍridow kaiÁ ma xhw lego ntvn, tv Ä n deÁ eÆ k filiÂaw kaiÁ symfvni aw mo non dhmioyrgeiÄsuai taÁ pa nta «; zu diesem Autor vgl. auch: W. Beierwaltes, Plotin-Testimonia bei Johannes von Skythopolis, in: Hermes 96 (1968), 247–251 (zusammen mit R. Kannicht); ders., Johannes von Skythopolis und Plotin, in: Studia Patristica 11, Berlin 1972, 3–7. Maximus Confessor, Scholia in lib. De div. nom. XI § 1 (PG 4), 392A : »MhÁ nohÂshw ì vëw oië aÍ ueoi ManixaiÄoi, oÏ ti stasia zoysa proÁ w eë aythÁ n hë yÏlh aÆ peky hse taÁ daimo nia tayÄ ta ´ aÆ llÆ oÏ ti fy sei t v Äì jhr v Äì toÁ yëgroÁ n pole mion, kaiÁ toÁ cyroÁ n t v Äì uerm v Äì ´ UeoÁ w gaÁ r kaiÁ taÁ oyÏtvw eÍ xonta syna ptei proÁ w fili an kaiÁ sy stasin toyÄ panto w ´ ToÁ eÆmfy lion oyË n eÍ mfyton no hson «. Anders als allem Anschein nach Thomas von Aquin, zitiert Albert in seinem Kommentar immer wieder den »Commentator«, mit dem nicht Averroes, sondern ein Dionysius-Scholiast gemeint ist.
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Die Konzeption der Wirklichkeit, wie sie hier zutage tritt, bestätigt gerade nicht eine immer schon bestehende und ungefährdete Einheit der Dinge mit sich selbst und untereinander. Die Welt ist keine Operettenbühne. Im Gegenteil, der Leser gewinnt den Eindruck, dass die Wirksamkeit des göttlichen Friedens gerade darin besonders eindrücklich wird, dass diese in allen Teilbereichen des Kosmos vorgeführt wird. Wenn hierfür ein Grund angegeben wird, dann offenbar deswegen, weil es durchaus anders sein könnte. Diese Möglichkeit wird mit umso größerer Intensität vor Augen geführt, als gerade dadurch die Wirksamkeit des göttlichen Friedens gezeigt werden kann. Einen derartigen Grund, eine solche Fundierung in einem Friedensprinzip bräuchte es eben gar nicht, wenn die Welt mit metaphysischer Garantie von konfliktfreier Harmonie wäre, wenn, im Vergleich gesprochen, die Harmonie der Sphären sozusagen ein harmloses Schlagerlied wäre. Diese Position, die stärker als das frühgriechische Denken die Riskiertheit der Natur in den Blick nimmt, weil Ordnung nicht regulär und damit von Natur aus dem Chaos hervorgeht, hat weder mit einer naiven Weltbejahung etwas zu tun noch vermag sie an eine Koordination zu glauben, welche die Koordinierten selbst herbeizuführen imstande wären. Aber wird hier nicht ein Problem konstruiert, um dann Gott als dessen Lösung präsentieren zu können? Die Ordnung des Kosmos wird in der Tat nicht als solche nur bewundert, sondern immer im Blick auf seine mögliche(!), seine wirklich mögliche Alternative betrachtet. Dasselbe gilt auch für die einzelnen Dinge. Sind nicht wenigstens diese einfach das, was sie sind, wenn man auch den Kosmos insgesamt vielleicht als einen chaotischen Zusammenhang ansehen könnte? Die Welt muss als eine Ganzheit gedacht werden, d. h. als eine Form von Einheit ( forma totius 250 ). Die Dinge und die Formen von Dingen, die zu dieser Welt gehören, machen für sich genommen keine Einheit aus – dies gerade wegen ihrer Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit. Voraussetzung ist hierfür natürlich, dass die Dinge nicht wesentlich in ihren Beziehungen betrachtet werden, sondern als durch spezifische Formen bestimmt. Wie aber steht es mit den einzelnen Dingen? Dass auch die Dinge selbst – wo man doch denken könnte, sie seien eben das, was sie sind – eines Grundes ihrer Einheit bedürfen, wird als Begründung dafür genommen, dass sie sich strebend zu ihrer Einheit verhalten. Daher wird diese Einheit einerseits als eine unverzichtbare Bedingung betrachtet, andererseits zugleich als eine Vollkommenheit, die auch verfehlt werden kann, was also in dieser Hinsicht kontingent ist und somit eines Grundes bedarf. Zugleich müssen die Dinge, so Albert, als etwas betrachtet werden, was eine Einheit aufweist, eine Einheit, die 250 Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 11 n. 3 (Ed. Colon. 34/1), 411, 4.
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deswegen nicht beliebig ist, weil die Dinge ohne diese Einheit gar nicht existieren könnten. Also werden sie nicht erst durch ihren Zusammenhang in Bezug auf das Ganze als Einheit gedacht, sondern schon als sie selbst. Dies mag eine logische Notwendigkeit sein, aber dass sie tatsächlich erfüllt ist, kann durch sie ja nicht garantiert werden. IV. Schlussbemerkung Es ist hier versucht worden zu zeigen, dass in der vielfältigen Auseinandersetzung mit dem Dualismus der Beitrag Alberts einen besonderen Rang einnimmt. Die Untersuchung Alberts geht – anders als Blumenberg behauptet hat – inhaltlich und formal deutlich über Augustinus hinaus, denn es wird nicht dessen Antwort, dass das Böse als Privation zu bestimmen sei, einfach bestätigt oder allenfalls variiert. Dies hat offensichtlich mit der Aristotelesrezeption zu tun, zu der aber die denkerische Bemühung Alberts nicht bloß gehört, er hat diese vielmehr selbst wesentlich mitbestimmt. Während nicht wenigen diese antike Philosophie ein weiteres Problem schien, schien es Albert ein Potenzial zur Bewältigung denkerischer Probleme; allerdings mussten die Texte zuallererst angemessen angeeignet werden. Was hat Albertus Magnus in unserem Fragezusammenhang durch die aristotelischen Texte gewonnen? Man könnte denken, es sei nur die Möglichkeit gewonnen, für dieselbe Doktrin weitere Varianten zu entdecken oder auch den Manichäismus auf seine Ursprünge hin sichtbar zu machen – Ursprünge im historischen wie im logischen Sinne. Immerhin hat aber Aristoteles nicht nur den Begriff der Privation eingeführt und entwickelt, er hat auch erstmals eine systematische Lehre von den Gegensätzen entfaltet. Das argumentative Repertoire ist jetzt reicher und differenzierter und damit wird auch eine zusätzliche Dimension von Einwänden greifbar. Eine prinzipientheoretische Bedeutung der Gegensatzlehre war der seit Jahrhunderten zugänglichen Kategorienschrift nicht zu entnehmen. Wenn man schon, wie der Manichäismus, das Unsichtbare und Sichtbare mit dem Gegensatz von Gut und Schlecht zusammenfallen lässt, so ist doch erstens nicht bestimmt, von welcher Art dieser qualitative Gegensatz genau ist und zweitens aus dem Blick geraten, dass mit dem ersteren Gegensatz nur eine trennende Unterscheidung gemacht ist, während Gut und Böse, zwar auch gegensätzlich, sich aber noch auf eine andere Weise zueinander verhalten. Diese Irrlehre hat durch die markante Vergrößerung des konzeptionellen Raumes keine größere Plausibilität gewonnen, aber stürzt den Theoretiker nicht mehr in die Ratlosigkeit, die immer dann eintritt, wenn man es mit einer völlig unerfindlichen Auffassung zu tun bekommt. Pythagoras und Empedokles
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erscheinen jetzt ebenfalls als Dualisten und sogar als die zeitlich früheren. Ob Aristoteles diese Positionen zutreffend wiedergibt, ist für Albert mangels Kontrollmöglichkeit kein Problem. Es ist ja, so war zu sehen, auch seine eigene Stellungnahme zu beiden Gestalten gar nicht einhellig – und auch dies wird nirgends artikuliert. Er kann die vorsokratischen Dualisten im Hinblick auf den Inhalt ihrer Doktrin kritisieren, aber auch im Hinblick auf die bloß unzureichende Formulierung gelten lassen. Wenn mit der aristotelischen Gegensatztheorie und auch der augustinischen Konzeption des Bösen ein Gegensatz letzter Prinzipien zu überwinden ist, so ist doch noch nicht die andere Variante bewältigt, die den Gegensatz selbst zum Prinzip erhebt. Albert macht diese Differenz nicht ausdrücklich, aber es spielen unverkennbar beide Varianten in seinem Versuch der Klärung und Bewältigung eine Rolle. Gegensätze in der Natur – in der menschlichen Motivation und im Zusammenleben der Menschen – werden anerkannt und in keiner Weise geleugnet. Was Albert in diesem Zusammenhang vorbringt, geht deutlich über das Konzept des spätantiken und mittelalterlichen Dualismus hinaus. Dieser beruht sozusagen auf einer Vereinfachung der Gegensätze. Der grundlegende Gegensatz von Gut und Böse wird auf zwei Wirklichkeiten verteilt, sozusagen regionalisiert. Für Albert ist aber Gegensätzlichkeit einerseits ein in potentiell aller endlichen Wirklichkeit vorkommender Sachverhalt, der untersucht wird, ohne schon in eine sozusagen ontische Zuordnung münden zu müssen. In den etwas oberflächlichen Kategorien von Auf- und Abwertung gesprochen, heißt das, dass die Gegensätzlichkeit »aufgewertet« wird. Sie wird aber – und dies ist eben durch die ontologische Betrachtungsweise auch sachlich möglich – zugleich relativiert. Es bleiben Gegensätze, die die Welt nicht zum Kriegsschauplatz werden lassen, weil die Dinge eine spezifische Bestimmtheit haben – das heißt jetzt im Sinne des Dionysius: erhalten haben. Wären sie ohne diese spezifische Bestimmtheit und Begrenztheit, dann wäre in der Natur tatsächlich »Krieg«.251 Die unleugbare reale Gegensätzlichkeit ist aber zugleich immer nur ein Aspekt neben anderen.252 Das hat Albert von Aristoteles gelernt und in seiner Dionysius-Interpretation fruchtbar gemacht. Gerade mit dem von Dionysius geschärften Blick für die realen und nicht weniger die potentiellen Gegensätzlichkeiten, denen keine wirklich konstruktive, vielmehr umgekehrt eine destruktive Funktion zukommt, kann Albert seinerseits sichtbar machen, dass die Koordination des Gegensätzlichen, ja 251 Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 11 n. 3 (Ed. Colon. 34/1), 411, 36–55. 252 Albertus Magnus, Super Dion. De div. nom. c. 11 n. 5 (Ed. Colon. 34/1), 412, 33– 40; ibid. n. 6 (Ed. Colon. 34/1), 413, 34–37; ibid., c. 4 n. 178 (Ed. Colon. 34/1), 263, 75–264, 11.
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überhaupt des Unterschiedlichen und Verschiedenen von keinem der Elemente geleistet werden kann, da sie ja bereits auf diese Koordination – um damit eine der »Wirkungen des göttlichen Friedens« zu umschreiben – angewiesen sind. Daher gelangt Albert auf dem Wege seiner Auseinandersetzung mit dem Konzept des Antagonismus zur Einsicht in die Notwendigkeit des einen und daher Einheit vermittelnden Prinzips, zu dem er auf dem Wege seiner Auseinandersetzung mit dem alternativen Prinzipiendualismus, den er dort als strikt unmöglich erwiesen hat, ebenfalls gelangt war. »Albertus Magnus zum Problem des Dualismus«. Alberts Größe zeigt sich, das sollte in diesem Beitrag deutlich geworden sein, sogar in mehrfacher Hinsicht: 1. in seiner Originalität, eine alte, eine uralte Frage in neuer Form zu stellen, 2. in seiner Leistung, ein bekanntes Problem so mit zusätzlichen konzeptionellen Aspekten und theoretischen Voraussetzungen anzugehen, dass ein weit umfänglicheres Potential denkerischer Bewältigung zutage tritt und dementsprechend nicht nur Einwände gegen eine Auffassung vorgebracht werden; des weiteren 3. in seiner Fähigkeit, bislang verdeckt gebliebene weiträumige denkgeschichtliche Zusammenhänge zutage treten zu lassen und daran überhaupt ein Interesse zu entwickeln, und 4. in der Weise, wie er seine Gedanken dazu entfaltet. Philosophische Gedanken sind groß, wenn sie auch dann orientierend und inspirierend bleiben, wenn man ihnen nicht in allen Schritten beipflichten kann.
Lectio Albertina 1
Albertus Magnus und die Editio Coloniensis. Herausgegeben von Ludger Honnefelder und Mechthild Dreyer. 1999, II und 38 Seiten, kart., 9,20 †.
2
Georg Wieland, Zwischen Natur und Vernunft. Alberts des Großen Begriff vom Menschen. 1999, 32 Seiten, kart., 9,20 †.
3
Rudolf Schieffer, Albertus Magnus. Mendikantentum und Theologie im Widerstreit mit dem Bischofsamt. 1999, 25 Seiten, kart., 9,20 †.
4
Carlos Steel, Der Adler und die Nachteule. Thomas und Albert über die Möglichkeit der Metaphysik. 2001, 43 Seiten, kart., 9,20 †.
5
Hans Jorissen, Der Beitrag Alberts des Großen zur theologischen Rezeption des Aristoteles am Beispiel der Transsubstantiationslehre. 2002, 18 Seiten, kart., 9,20 †.
6
Gerhard Endreß, Der arabische Aristoteles und sein Leser. Physik und Theologie im Weltbild Alberts des Großen. 2004, 43 Seiten, kart., 9,20 †.
7
Loris Sturlese, Vernunft und Glück. Die Lehre vom »intellectus adeptus« und die mentale Glückseligkeit bei Albert dem Großen. 2005, 32 Seiten, kart., 9,20 †.
8
Karl Lehmann, Zum Begriff der Theologie bei Albertus Magnus. 2006, 44 Seiten, kart., 9,20 †.
9
Walter Senner OP , Alberts des Großen Verständnis von Theologie und Philosophie. 2009, 68 Seiten, kart., 9,20 †.
10
Theodor W. Köhler, De quolibet modo hominis. Alberts des Großen philosophischer Blick auf den Menschen. 2009, 38 Seiten, kart., 9,20 †.
11
Edmund Runggaldier, Die menschliche Seele bei Albertus Magnus. Ein nicht-reduktionistischer Beitrag zum Leib-Seele-Problem. 2010, 54 Seiten, kart., 9,20 †.
12
Manfred Groten, Albertus Magnus und der Große Schied (Köln 1258) – Aristotelische Politik im Praxistest. 2011, 84 Seiten, kart., 9,20 †.
13
Ludger Honnefelder, Albertus Magnus und die kulturelle Wende im 13. Jahrhundert – Perspektiven auf die epochale Bedeutung des großen Philosophen und Theologen. 2012, 34 Seiten, kart., 9,20 †.