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German Pages 120 [124] Year 1925
Sammlung Göschen
Der evangelische Gottesdienst im Wandel der Zeiten Von
o. Friedrich Niebergall Professor in Marburg
Berlin und Leipzig
W a l t e r de G r u y t e r A Co. vormals G . I . Göschen'sche Verlagshandlung —I.Guttentllg, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl I . Trübner — Veit K Comp. 1925
Alle Nechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, von der VerlagZhandlung vorbehalten.
Druck von C. Ä. 3, l'dl'r G. m. b. H., Leipzig.
Inhalt. Seite
Literatur 4 Aufgabe und Methode 5 Aus der Geschichte der Religion, des Christentums und des Kultus 8 Frömmigkeit und Kultus 8 Empfangen und Leisten 9 Priesterlich und prophetisch 11 Das Numinofe und das „Rationale" 13 Ding und Geist 14 Wort und Sakrament 16 Der römisch-katholische Kultus, besonders die Messe . . . . 17 Luther 24 Allgemeine Zeitverhältnisse 24 Luthers Glaube 25 Neuer Wein in alten Schläuchen 34 Die Wirklichkeit 42 Zwingli 45 Allgemeine Verhältnisse 45 Die kultischen Formen 49 Die Wirklichkeit 52 Von der Reformation bis zur Gegenwart 59 Geschichtliches 59 Liturgiegeschichtliches 69 Kulturgeschichtliches 71 Amtshandlungen, Kirchenlied, Kirchenbau 74 Formen 83 Die Wirklichkeit 88 Liturgische Reformen 95 Die ältere Reformbewegung 96 Die gegenwärtige Reformbewegung 104 Die allgemeinen Verhältnisse 104 Formen 111 Schluß 118 Namen- und Sachverzeichnis .121
Literatur. Rietschel, Georg, Lehrbuch der Liturgik. Berlin 1900. Müller, Karl, Kirchengeschichte. 2. u. 3. Bd. Tübingen 1902 u. 1919. Spitta, Friedrich, Zur Reform des evangelischen Kultus. Göl« tingen 1891. Smend, Julius, Der evangelische Gottesdienst. Göttingen 190^. Anton, Karl, Angewandte Liturgik. Göttingen 1919. Niebergall, F., Die evangelische Kirche und ihre Reformen. Leipzig 1908. — Praktische Theologie. II. Tübingen 1919. Fendt, Leonhardt, Der lutherische Gottesdienst des 16. Iahihunderts. München 1923. Heiler, Friedrich, Katholischer und evangelischer Gottesdienst. München 1921. Schi an, Martin, Die Reform des Gottesdienstes und die hochkirchliche Bewegung. Gießen 1922. Aufsätze über die Reformen in der Christlichen Welt, der Monatsschrift für Gottesdienst, in Christentum und Gegenwart.
Aufgabe und Methode. Was soll eine Darstellung der Geschichte des evangelischen Gottesdienstes? Mancherlei. Sie soll vor allem natürlich ihren Gegenstand, also die Entwicklung des evangelischen Kultus, zur Anschauung bringen; und einem solchen Gang durch die Jahrhunderte zuzusehen, ist immer anziehend. Auf diese Weise aber soll auch das Wesen der Sache, deren Geschichte dargestellt wird, zum Ausdruck kommen; denn eine Erscheinung des geistig-geschichtlichen Lebens stellt ihr Wesen nur in dem Nacheinander ihrer Formen heraus. Darum handelt es sich bei uns aber in letzter Linie: das Wesen des evangelischen Gottesdienstes zu erfassen und zu verstehen. Wir möchten aus der Fülle der aufeinander folgenden kultischen Gebilde das Typische herausholen, also das innere Gesetz des evangelischen Gottesdienstes, wie er sich aus dem Wesen des evangelischen Christentums organisch entwickelt hat. Geschichtliche Erscheinungen versteht man aber am besten, wenn man fragt, im Gegensatz zu welchen anderen sie sich entwickelt oder auf welche anderen ihre Urheber zurückgegriffen haben. So wird das Prinzip klar, aus dem heraus sie sich gebildet haben, wenn dieses auch erst langsam sich in der Geschichte selbst herausgestellt und nur unter großen Abzügen verwirklicht hat, wie sie immer die Welt der Tatsachen an der der Ideen vornimmt. Man lernt aber auch die evangelische Bevölkerung, also einen beträchtlichen Teil unserer deutschen überhaupt, in ihrem inneren Wesen ver-
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Aufgabe und Methode.
stehen. Mögen es auch die Wortführer der öffentlichen Meinung vornehm übersehen oder bestreiten, das geistigseelische Wesen eines Landes und sogar eines Landstrichs wird in hervorragendem Maße durch seine Religion und das heißt auch durch seinen Kultus mitbestimmt. Oder ist nicht der lutherische Norden ganz anders geartet als der im wesentlichen reformierte Südwesten? Und wie prägt erst der katholische Kult nicht bloß das Wesen, sondern sogar das Angesicht! Dann aber lernt man aus der Geschichte auch die gegenwärtigen regen Reformbestrebungen auf dem kultischen Boden verstehen und beurteilen; denn sie treten teils in Gegensatz zu geschichtlich gewordenen Formen, teils nehmen sie solche mehr oder weniger wieder auf. An Schäden und Mängeln einer Gegenwart, die aus dem Widerspruch alter Formen zu neuem Zeitgeist und anderem Zeitbedürfnis erwachsen ist, entzündet sichstetsder Eifer zu Reformen. Auf diesem Gebiet aber kann sicher nur ein Instinkt leiten für das, was evangelisch und was protestantisch ist. Dieser aber wird nur aus der liebevollen Versenkung in die klassischen Erscheinungen der Geschichte geboren, in denen sich das Prinzip des Protestantismus an den Tag zu arbeiten begonnen hat. Wie soll nach diesen Grundsätzen die Aufgabe angefaßt werden? Wir müssen uns vor allem um die Erkenntnis und das Verständnis des evangelischen Frömmigkeitstypus bemühen, wie er im Gegensatz zu der römischen Kirche in der Reformation zur Erscheinung gekommen ist. Tann aber müssen wir uns eine Vorstellung von den allgemeinen kulturellen und anderen bestimmenden Zeitumständen zu machen suchen, die von außen her von Einfluß gewesen sind. Daraus ergibt sich die Formenwelt, in der sich der neue Kultus einen Ausdruck verschafft hat, der in der Regel auf einem Kompromiß zwischen alt und neu beruht. Endlich soll noch ein Blick auf die Wirklichkeit des kultischen Lebens geworfen werden, das
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sich in diesen Formen auslebt, bis ihre Schäden und Mängel wieder nach neuen Formen Verlangen erwecken. Ohne Zwang wollen wir versuchen, dieses Schema auf die einzelnen geschichtlichen Gestaltungen des evangelischen Gottesdienstes anzuwenden, wie sie neben- und hintereinander aufgetreten sind. Den ersten Durchbruch des Neuen in der Reformation wollen wir verständlicher machen, indem wir das römische Kultuswesen, besonders die Messe zeichnen, wie sie den einzelnen Führern der Reformation erschienen ist. I m Widerspruch und in der Anlehnung an diese eindrucksvolle Gestalt verläuft die ganze Entwicklung des evangelischen Kultus. Nur so lassen sich auch die beiden typischen Gestalten des protestantischen Kultus verstehen, die neben den katholischen getreten sind. Aber wir wollen das Bild noch in einen weiteren Rahmen stellen. Ein umfassendes Verständnis für unseren Gegenstand erwächst uns erst, wenn wir allgemeine Erkenntnisse über Wesen und Bedeutung des Kultus aus dem Gebiet der Kirchen und auch der Religionsgeschichte heranziehen. Diese vermögen gewisse Seiten am evangelischen Kultus ins Licht zu setzen, ohne daß es vieler Worte bedürfte, wiesichimmerFrüheres und Gegenwärtiges, Allgemeines und Vefonderes ins Licht setzen, zumal wenn noch die Klärung durch Gegensatz und Ähnlichkeit, durch Zusammenhang und schöpferischen Anfang dazutritt. Diese allgemeinen Erkenntnisse können natürlich nur ganz schematisch dargeboten werden. Nicht nur reicht der Raum nicht zu eingehenderer Darstellung, sie gewinnen auch durch eine Verkürzung auf den Umfang von Typen an Kraft, das Be« fondere zu verdeutlichen. Wirstellenmit ihnen Erkenntnisse bereit, die uns helfen werden, das Neue am evangelischen Kultus schneller und tiefer zu erfassen.
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Aus der Geschichte der Religion.
Aus der Geschichte der Religion, des Christentums und des Kultus. Frömmigkeit und Kultus. Wie alles höhere geistig-seelische Leben drängt auch das religiöse nach Formen, um in ihnen Gestalt zu gewinnen und sich fortzupflanzen. Wenn es sich in Mythus und Dogma klärt und in der Regel in einem sittlichen Handeln nach dem Willen der Gottheit betätigt, so formt es sich als eigentlich religiöses im Kultus. Der einzelne Fromme sucht die besondere Beziehung zur Gottheit in sinnbildlichen Handlungen und vor allem im Gebet. I n diesem werdenstarkeAffekte gleichsam auf die als Persönlichkeit gedachte Gottheit hingelenkt: Anliegen werden zu Bitten, Freude wird zu Dank, Trauer zu Klage, Unruhe der Sehnsucht nach Etwas, das Halt und Sinn gibt, wird zum Verlangen nach dem Leben der Gottheit selbst. Der Kult ist diese Wendung zu der Gottheit; er ist eine Sache der Gemeinschaft, also des Stammes oder der Gemeinde und verläuft in bestimmten Formen. Weihe und Geheimnis liegt über diesem Verkehr mit den Herren der Welt. Man naht sich ihnen mit mannigfaltigen Gefühlen; es ist zumeist eine Mischung von Ehrfurcht, Angst, Scheu und gläubig-hoffendem Vertrauen, wie sie gerade durch die Art der zugrunde liegenden Frömmigkeit bedingt ist. Greift man aber durch diese Gefühle hindurch zum Mittelpunkt des ganzen seelischen Zusammenhangs, dann stößt man immer auf ein Anliegen, also auf Etwas, an dem dem Menschen liegt. Irgendwelche Lebensnot ist immer die Mutter des ganzen kultischen Lebens, ob es nun das Bedürfnis nach leiblichem Schutz und Unterhalt oder ob es der Wunsch ist, im Leben der unsterblichen Götter unterzugehen und sein eigenes wahres Leben zu gewinnen. Da-
Empfangen und Leisten.
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her kommen die starken Gefühle und Leidenschaften, die immer mit dem kultischen Leben verbunden zu sein Pflegen. So o:el Anteil an ihm auch Spiel und Kunst haben mögen, es handelt sich um mehr: es handelt sich um Sicherung und Erhöhung des Daseins in dieser unüchem und vergänglichen Welt mit Hilfe der ewigen Gottheit. Dieser tiefe Iebensdrang, der sich so mannigfach sonst äußert, drängt im Kult mächtig zu den Göttern empor. I n Ruf und Handlung wird das religiöse Sehnen gleichsam aktuell und dramatisch gestaltet. So kommen Feiern zustande und Feste, so heilige Spiele und Mysterien; sostellensich die Künste in den Dienst dieses Verlangens, mit der Gottheit in Verbindung zu bleiben. Das kultische Leben wird so zum Mittelpunkt der Religion, nicht Mythus und Leben, die in einem Verhältnis der Abhängigkeit zu ihm stehen. An dem Kult, wie er aus der Frömmigkeit emporgestiegen ist, entzündet sie sich immer wieder neu. Hier ist aber auch der Herd der Pietät und Zähigkeit, mit der allen Neuerungen gegenüber das Alte festgehalten wird. Ist auch der Glaube verschwunden, so übt doch noch der Kult mit leer gewordenen Formen und Begehungen seine Macht aus. Empfangen und Leisten. Dem ganzen kultischen Leben liegt die Überzeugung zugrunde, daß die Gottheit gibt und hilft und der Mensch ihr dafür Leistungen darbringt. Es wird also eine Art von Vertrag zugrunde liegend gedacht. Gott wird nach dem Modell eines erhabenen und reichen Herrschers gedacht, wie überhaupt immer die kulturellen Umstände in das kultische Leben hinemspielen. Der Leiter der Gaben und Güter entspricht die der Leistungen, sie reichen von ganz stofflichen Opfergaben bis hinauf zur Hingabe der ganzen Persönlichkeit an die geistige Macht der Gottheit. Ganz verschieden ist dann
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aber auch das Verhälwis zwischen der Leistung der beiden Parteien. Bald beginnt die Gottheit und hat das Übergewicht mit ihren Gaben, bald der Mensch. I m ersten Fall gewinnt die Religion mehr als sonst den Charakter der Gnade. Wenn das Heilsgut das Leben der Gottheit selbst ist, beruht die Gabe der Gottheit ganz auf ihr. Glück und Heil. Noch einmal sei es gesagt, es unterscheiden sich die Religionen, aber innerhalb derselben auch die einzelnen Frommen dadurch, daß sie mit Hilfe der Gottheit ihr Glück und die irdisch sinnlich gedachte Seligkeit erstreben oder das Heil der Seele als ein höheres und höchstes Gut. I n Religionen, die schon auf die Erlangung von Heil gerichtet sind, kann noch die Mehrheit der Frommen bloß ihr Glück suchen; ebenso wie schon immer in niederen Religionen sich die Sehnsucht der Besten über das Glück hinaus nach dem Heil ausstreckt. Dieses Heil kann aber ganz verschieden gedacht sein. Bald ist es, wie schon erwähnt wurde, der Anteil am seligen Leben der Gottheit in ewiger Glückseligkeit, oder es ist die mystische Versenkung in ihr Wesen, die schon hier auf Erden vorweggenommen und genossen werden kann. Oder aber es wird die Seligkeit viel größer und erhabener, sie wird sittlich bedingt gedacht. Tann ist es die Vollendung der Persönlichkeit und der Gemeinschaft der Freunde Gottes in seiner Gemeinschaft; es kommt dann mehr auf das Sein im Wesen Gottes a.s auf das Genießen an. Vollendung im Umgang mit Gott ist die Seligkeit, die auch schon in diesem Leben anfangen kann. Damit ist Gott und Seligkeit ganz aus dem Bereich des Naturhaften und des Genießens hinausgerückt in den Bereich des persönlichen Lebens im Vollsinn. Gemeinschaft persönlicher Geister in der Gemeinschaft mit dem persönlichen Gott — das ist das Ziel, die Nähe dieses Gottes als Stärkung in diesem Leben zu verspüren, ist Seligkeit auf Erden. Es ist klar, daß diefe Gabe nur ganz von der
Priesterlich und prophetisch.
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Gottheit ausgehen kann. Hier ist alles Gnade. Zugleich versteht essichvon selbst, daß der Kultus eine ganz andere Gestalt gewinnen muß: Die Gabe Gottes kann in ihm nicht durch Leistung verdient, sie kann nur als Gabe gefeiert werden. Zugleich müssen sich hier alle kultischen Lebensäußerungen des Frommen und der Gemeinde auf eine geistige Höhe heben. — Umfassender ist der Gegensatz von
Priesterlich und prophetisch. Auf der Linie der biblischen Entwicklung finden wir ihn am klarsten ausgeprägt. Zeigen uns die ältesten Schichten von Erzählungen, wie der Hausvater, z. B . Abraham, seines Hauspriestertums waltet, so tritt allmählich das Berufspriestertum an die Stelle. Es hat das Monopol des Opferns, das seine Haupttätigkeit ausmacht. Es bildet einen Stand, der sich von den anderen Ständen abhebt. Erst im Neuen Testament wird dieses Berufspriestertum grundsätzlich überwunden und das allgemeine Priestertum erklärt: jeder Gläubige hat das Recht, ohne Priesterliche Vermittlung vor Gott zu erscheinen, nachdem Christus als der Hohepriester des Neuen Bundes das alte Priestertum aufgehoben hat. Wir werden später sehen, wie in der Reformation dieser Gedanke aufgenommen wird und der Klerus als allem zum Vollzug kultischer Handlungen berechtigter Stand verschwindet. Auch noch in anderer Weise leiten die Propheten den Vorgang ein, den man mit Säkularisation bezeichnen kann. Sie erklären, daß Gott weniger am Kult als an Gerechtigkeit und Zucht liege. Amos, Hosea und Iesaia, auch Ieremia, von denen man in den kirchlichen Kreisen zumeist nur die sog. messiamschen Weissagungen, in den sog. gebildeten Kreisen aber gar nichts kennt, haben diesen Satz
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mit aller Schärfe vertreten. Ihnen war der auch im sittlichen Sinn heilige Gott aufgegangen, der es nicht ansehen kann, wenn man ihm mit vom Morde blutbespritzten Händen oder mit Gaben aus unrecht erworbenem Gute naht. Von diesen Gestalten an geht eine klar erkennbare Linie durch die ganze Geschichte der biblisch-kirchlichen Religion. Jesus steht auf ihr, Paulus und die anderen Apostel stehen auf ihr und Luther werden wir auf ihr finden. Wurde auch der Kultus nicht überall verworfen, so wird er doch hinter das Tun des göttlichen Willens, soweit sich dieser auf das Gute richtet, zurückgestellt und bestimmt jeglicher Kult verworfen, der sich mit einem bösen Wandel und Herzen verträgt. Und noch eine viel weiter greifende Erkenntnis haben die Propheten hinterlassen, die, wenn auch nur langsam und spät, so doch von umwälzendem Einfluß geworden ist: Gott bedarf überhaupt keines Kultus, besonders bedarf er keiner Opfer; denn alles Getier ist ja sein und er lebt nicht von den Menschen, sondern die Menschen leben von ihm. Damit war dem Kult im alten Sinn die Axt an die Wurzel gelegt. Hing er doch sehr eng mit der alten mythologischen Auffassung von der Gottheit zusammen, nach der diese Wohlgefallen an den Opfern hat oder ihrer geradezu bedarf. Wenn Gottes Bild über das des Tyrannen und Despoten hoch erhoben wurde, dem man sich nur nach einem bestimmten Zeremoniell und mit „gefüllter Hand" nahen durfte, so mußte sich eine andere Auffassung vom „Gottesdienst" anbahnen. Wir werden sehen, welche das sein wird; hier sei nur so viel gesagt, daß an die Stelle jener Modelle für Gott das des Vaters trat, der seine Kinder um sich sammeln will. — Haben wir mit diesen drei gegensätzlichen Begriffspaaren im wesentlichen Art und Sinn des kultischen Lebens für unseren Zweck kennzeichnen wollen, so fügen wir nun noch einige an, die es mehr mit seiner Ausgestaltung zu tun haben.
Das Numinose und das „Rationale".
Das Numinose und das „Rationale". R . O t t o hat das religiöse Grund gefühl mit dem ersten Worte bezeichnet. Mit ihm will er den Schauer, die Scheu ausdrücken, die im weiten Feld der Religionen die Frommen vor der Gottheit ergreifen. Der Ausdruck hat sich durchgesetzt. Wir nehmen ihn auf, um die verbreiterte Grundstimmung im kultischen Leben zu bezeichnen. Es ist in der Tat der Schauer, der den Menschen vor dem Angesicht der Gottheit befällt. Das Ferne und Fremde, das Geheimnisvolle, das „Ganz andere" an ihr erfüllt die Seele mit Gefühlen der genannten Art. Und sie werden als normal empfunden. Mit den in den meisten Kulten herrschenden alten Gebräuchen, mit fremdartigen Gesängen, altertümlicher Sprache, mit altersgrauen Bildnissen usw. wird dieser Eindruck erzielt. Der Abstand des sündigen und vergänglichen Menschen von der Gottheit, die in unerreichbarer Ferne über ihm schwebt oder nur in Uralter Zeit sich den Menschen genähert hat, aber seitdem wieder in ihrem undurchdringlichen Dunkel wohnt als Gegenstand scheuer Verehrung — das ist der Sinn der meisten Kulte bis ins Christentum hinein. Dieser Auffassung steht die andere gegenüber, die mit dem zweiten, wenn auch unzureichenden Worte bezeichnet ist. Es soll einmal alles hell und klar sein, was mit der Gottheit und ihrem Dienst zu tun hat. Gott will sich verständlich machen und er will auch gleichsam verstehen, was man ihm zu sagen hat. Darum herrscht die Sprache des gewöhnlichen Lebens, wenn auch nicht ohne Weihe. Ebenso sind es anstatt jener dunklen und dumpfen hellere und gehobenere Gefühle, die im Kult zum Ausdruck kommen: Ehrfurcht und Vertrauen und Hingebung aus Glauben und Liebe. Ist es doch ein persönlicher Gott, der verehrt wird, und nicht ein Etwas, ein Ding, eine Art von Zauberkraft. Und ist es doch der Gott
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des Evangeliums, also der Vater Jesu und nicht eine unheimliche Naturgewalt oder ein geheimnisvoll-schauriges Wesen, dem die Anbetung gilt; mag sich auch diese Klarheit und Freundlichkeit Gottes von einem Hintergrund jener Art als seiner Folie erst abheber. Ding und Geist. Es ist ein Unterschied zwischen den Religionen, ob die Gottheit in der Gestalt von Dingen oder ob sie als Geist gedacht wird, der sich nur geistig dem Geiste offenbart. Ganz verschieden ist wieder die Verdinglichung hier und dort. Von dem Fetisch und dem Zaubergegenstand an geht es hinauf bis zum heiligen Symbol, in dem die Gottheit weniger wohnt, als daß man ihrer dabei gedenken kann. Dazu gehört aber schon eine hohe Stufe der Entwicklung. Auch in den höheren Religionen herrschen bei den meisten unter ihren Gläubigen noch irgendwelche Reste der alten Anschauung vor, nach der es heilige Dinge, heilige Orter und Verrichtungen gibt, die noch deutlich den Charakter des Zaubers an sich tragen. Es ist sehr schwer, sich das Übersinnliche ohne sinnliches Mittel vorzustellen, durch die es gleichsam hindurchscheint wie ein allzu grelles Licht durch ein Milchglas. Das hängt auch mit der Art zusammen, wie die Gottheit gedacht wird. Ist noch die Empfindung von ihrstarknaturhaft bedingt, so daß sie als eine gröbere oder auch feinere Naturkraft oder Iaubermacht geahnt wird, dann kann es nicht anders sein, als daß sie auch an Naturgegenstände oder durch einen heiligen Zauber hergestellte andere sinnliche Mittel gebunden erscheint. I n der höheren Form verehrt dann der Fromme das nuinsn pra,686N8, also die gegenwärtige Gottheit unter irgendeinem heiligen Bild, einer Reliquie, einem Stein oder was es sonst immer sein mag. Dem im Grund materiellen Denken der Masse entspricht diese Art am meisten, so daß auch geistigere Reli-
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gionen diesem Zug nachgeben und wenigstens die Möglichkeit offen laffen müssen, Sinnbildliches massiv, also als Wohnort oder als Erscheinungsmittel der Gottheit zuzulassen. Mit jener Auffassung hängt auch die Wertschätzung alter heiliger Formeln und Gebräuche zusammen, denen eine zwingende Macht über die Gottheit zugesprochen wird. Wieder reicht diese Denkweise aus tieferen Religionen weit in höhere hinauf. Deren Wesen besteht an sich darin, daß die Gottheit von den sinnlichen Unterlagen sich loslöst und als Geist gleichsam frei über dem Reich des Stoffes fchwebt. Gott ist Geist und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Gott macht sich in Persönlichkeiten kund, und zwar in ihren Worten, die aus der Tiefe ihrer Seele kommen, wo Gott zu ihnen geredet hat. Und Goit naht sich seinen Gläubigen auch im Geist, also in ihren Gedanken und Gemütsbewegungen. Er wird in lebendigen Überzeugungen und Gesinnungen bewahrt. Gottesdienst hat die Aufgabe, diesen geistigen Besitz gleichsam aufzufrischen, wo er schon ist, und anzubahnen, wo er noch gesucht wird. Alles ist geistig gedacht, Gott, seine Offenbarung, sein Besitz und die Stärkung in diesem Besitze. Das Ziel der Sehnsucht des Gläubigen und der Zweck der kultischen Erbauung ist in letzter Linie die geistig-seelische Gemeinschaft mit Gott und allen andern Heiligen. Aber auch in solche geistig gerichteten Höhen reicht das Sinnliche als Sinnbild und Anregungsmittel für die Erbauung hinein; oder wenigstens muß es als Schmuck dienen, der den hohen Empfindungen als Ausdruck und als Hilfe zu ihrer Erweckung willkommen ist. Wir sinnlichen Menschen hängen nun einmal am Sinnlichen, und es ist gut so, daß wir über unsere Grenzen nicht hinaus können, bis wir in das Reich de5 rein Geistigen eingekehrt sind.
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Wort und Sakrament. DiechristlicheReligionstehtauch mit ihrem Kult auf zwei Wurzeln von ganz verschiedener Herkunft und Art. Das Judentum hatte sich, zumal nach der Zerstörung des Tempels im Exil, einen geistigen Gottesdienst eingerichtet, in dem das verlesene und ausgelegte Wort samt Psalm und Gebet die Hauptstelle einnahm. I n der es umgebenden griechischrömischen Welt aber fand das junge Christentum die großen und vielverbreiteten Mysterienreligionen vor, die mit sinnlichen Mitteln, Bildern, Weihungen und dgl. auf eine Berührung mit der Gottheit hinzielten, die eine Seligkeit übersinnlich-sinnlicher Art herbeiführen sollte. Übernahm aus jener Religion das Christentum die Hochschätzung des Wortes und des rein geistigen Gottesdienstes, so aus dieser das Mysterium und den Sakramentszauber. Es konnte nicht anders sein, als daß auf ihrem Missionsweg die Kirche jenes zu Gunsten dieses bevorzugte. Das Wort trat zurück und das Sakrament trat in den Vordergrund. Wo sich aber eine Reformbewegung erhob, besann sie sich gleich auf den geistigen Urgrund derchristlichenReligion und stellte sich auf das Wort. Wo aber dieses allzu verständig und nüchtern wurde, da besann man sich auf das Mysterium und kehrte zurück zum Sakrament. So kann man durch die Geschichte des Kultus verfolgen, wie bald das eine, bald das andere vorherrschte. Natürlich gab es Kompromisse, da keines jener beiden Stücke entbehrlich schien; nur die griechische Kirche hat in ihrer Messe ganz auf die Predigt verzichtet — im allgemeinen kann man nicht nur ein Miteinander der beiden in irgendeinem Maß der Verteilung ihres Ansehens, sondern auch einen Wechsel in ihrer Geltung in den einzelnen christlichen Bekenntnissen feststellen. Es braucht nicht gesagt zu werden, wie dieser Unterschied mit dem eben vorher be-
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handelten zusammenhängt: wo die Predigt vorherrscht, da wird Gott im „Geist" und also im Wort, wo das Sakrament, da wird er im Ding gesucht und gefunden. Haben wir nun schematisch die wichtigsten kultischen Begriffe zusammengestellt, so bedarf es nur noch einer auch so gemeinten Bemerkung: die in diesen Gegensatzpaaren genannten Glieder suchen, fliehen sich und lösen einander ab, wie es dem allgemeinen Lauf der geschichtlichen Entwicklung entspricht. Behalten wir diese Regel, die ja schon in den letzten Bemerkungen angedeutet war, im Auge, dann wird es uns leichter fallen, zu einer wieder unsrer Aufgabe gemäßen, allgemein schematischen Erkenntnis von der evangelischen Kultusart zu kommen, wie sie sich in Gegensatz und Rückschlag, in Mischung und schöpferischer Gestaltung herausgearbeitet hat.
Der römisch-katholische Kultus, besonders die Messe. I n die allgemeinen Darlegungen religions- und kultusaeschichtlicher Art zeichnen wir noch eine Skizze des römischkatholischen Kulws und der Messe besonders ein. Zwar haben wir eine andere Aufgabe, die Geschichte des evangelischen Gottesdienstes; derselbe aber hat sich teils in der Abhängigkeit von dem römischen, teils im Gegensatz zu ihm entwickelt, wie auch dieser in einem ähnlichen Doppelverhältnis zu den ihm vorangegangenen Kultusformen steht. Besonders ist die Messe für uns von Bedeutung; sie ragt wie ein hoher Turm in die Höhe, dessen Schlagschatten weit ins Land hineinfällt. Wir bedürfen für diesen unseren Zweck keiner ausführlichen Darlegung des Gegenstandes; es genügt für unsere Aufgabe, wenn römischer Kulws und Messe gezeichnet werden, wie sie auf die Entwicklung des Nieberg a l l , Der evangelische Gottesdienst.
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evangelischen Gottesdienstes eingewirkt haben; wir müssen vor allem darstellen, wie jene den Begründern dieses erschienen sind, auch wenn siesichdarin geirrt hätten. — Wir wenden das obengenannte Schema auf den Gegenstand an. Die allgemeinen Verhältnisse sind schnell gekennzeichnet. Es ist die Zeit, da die Kirche alles andere Leben beherrscht. Sie regiert mit ihrem Kult das Jahr und den Tag; sie erfüllt mit ihm jeden Ort; allen wichtigen Vorgängen verleiht sie mit ihm ihre Weihe. Die Kirche bildet den Rahmen des Daseins, in den allessicheinfügt.' Der Kult gilt Gott; denn er wird als empfänglich für Einflüsse von feiten der Menschen gedacht. Gott ist der Geber aller Gaben, sowohl der Gaben des Glückes wie der des Heils. Darum hat der Kult einen durchaus objektiven Charckter: er soll weniger auf die Menschen einwirken, um in ihnen bestimmte Gefühle zu erwecken, als auf Gott, um seine Gesinnung den Frommen gegenüber zu beeinflussen. Endlich ist der Kultus als die wichtigste Angelegenheit der Kirche überall gleich; die eine Kirche hat nur einen Kult, so daß sich ihre Gläubigen überall in ihr in ihrer seelischen Heimat finden. Die religiöse Grundidee, die dem römischen Kult, besonders der Messe innewohnt, ist nicht einfacher Art. Die lange Geschichte der Messe hat mehrere religiöse Charaktere ihr mitgegeben. Noch herrscht der Geist der antiken M y sterien: es kommt darauf an, durch die Feier der heiligen Messe die mystische Einigung mit der Gottheit zu erlangen. Sakraments- oder Christusmystik ist der Name für diese Art von Frömmigkeit. Eine andere Seite an derMeßfrömmigteit wird hervorgehoben, wenn wir das Wort Sühne aussprechen. Gott soll mit dem heiligen Meßopfer eine Sühne dargebracht werden, so daß er sich mit den Gläubigen wieder versöhnt. I n dem Sakrament wird eine göttliche Substanz hergestellt, die in diesem Sinn auf Gott einwirken soll. So gewährt das
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Sakrament, und es vor allem, wenn nicht ausschließlich, den Auschluß an das Heil, das Christus in seinem Opfertod erworben hat. Außer diesem höchsten Zwecke kann das Sakrament noch auf viele andere, auch recht irdische bezogen werden; der bekannteste unter ihnen ist die Einwirkung auf das Geschick der armen Seelen im Fegefeuer. Es gehört nach den einleitenden Bemerkungen nicht zu unserer Aufgabe, die tiefe und feine Frömmigkeit zu schildern, die sich an den Opfergedanken im Sakrament anschließt; er bestimmt in vielen ernsten Gläubigen die Richtung des Lebens: er wird zu einer Aufopferung für Gott und den Nächsten. Nur einige Einzelzüge seien noch erwähnt. Die Messe hat durchaus die Richtung von unten nach oben, von den Menschen zu Gott; sie ist Anbetung, sie ist eine Feier von höchster Weihe, die oft gerade auf Protestanten darum einen überwältigenden Eindruck macht. Vollzieht sie auch der Priester vor den Gläubigen, so haben diese doch die Möglichkeit, einsam für sich mit ihrem Anliegen vor ihren Gott zu treten; die Messe nimmt sie nicht unbedingt und zwingend in Anspruch. Gerade jener objektive Charakter ermöglicht es, daß jeder seine persönlichen Gefühle an sie heftet, ob es nun Dank oder Gelübde oder Klage und Bitte ist. Überaus reich ist die Formenwelt, in der sich der katholische Kultus abspielt. Vom Morgen bis zum Abend löst eine Feier die andere ab; nicht anders ist die ganze Woche vom Sonntag bis zum Samstag kultisch ausgestattet, und das Jahr erhält durch unzählige Feiertage seinen Rhythmus. Prozessionen und Wallfahrten, ewiges Gebet und ähnliche besondere Feiernstellennoch Höhepunkte außerordentlicher Art dar. So wird und wurde von jeher das katholische Volk stets reichlich kultisch versehen. Dazu kommt noch alles, was an den einzelnen Gläubigen und an Gruppen des Volkslebens geschieht. Wir heben heraus, was für uns von besonderer Bedeutung ist. Das sind einmal die
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vielen Nebenfeiern, Matutin, Vesper u. dgl.; nicht zu vergessen den einfachen Predigtgottesdienst, der gar leicht über dem Prunk der Messe übersehen wird. Diese ist natürlich von der größten Bedeutung geworden. Darum müssen wir auf sie näher eingehen, um ihre Geschichte und ihren Charakter, soweit es unter unserm Gesichtspunkt nötig ist, zu beleuchten. I m Anfang derchristlichenKirche finden wir eine zwiefache Art von gottesdienstlicher Feier. Die Christen versammelten sich einmal um das Wort Gottes, das vorgelesen und ausgelegt wurde, und dann versammelten sie sich, um das Abendmahl miteinander zu feiern. Die erste Feier fand am Morgen, die andere am Abend statt. I m Lauf der ersten Jahrhunderte christlicher Geschichte vollzogen sich mit dieser gottesdienstlichen Ordnung große Veränderungen. Einmal rückten unter bestimmten geschichtlichen Einflüssen diese beiden Feiern zusammen; sie verschmolzen zu einer Feier, die am Morgen begangen wurde. Das ist die Entstehung der Messe. I n ihr sind diese beiden Teile noch heute so eng verbunden, daß man kaum die Naht erkennen kann, die sie zusammenhält. I m Gottesdienst der Reformation wurden sie auseinandergenommen und zu besonderen Feiern wieder ausgestaltet. Noch einschneidender aber wurde ein anderer Umstand. Das Abendmahl gewann immer mehr unter dem Einfluß der heidnischen Welt, mit der das Christentum in Beziehung und in Wettbewerb trat, den Charakter des Mysteriums. Wurde dieses noch mit dem Opfergedanken verbunden, dann wurde jene heilige Handlung der Beschaffung der heiligen Substanz daraus, die wir oben als Merkmal der Messe geschildert haben. Das aber hatte großen Einfluß auf die Gestaltung der Messe. I n demselben Maß, als dieser Opfergedanke in den Vordergrund rückte, trat die Auslegung des Wortes zurück. Mit andern Worten: der erste Teil der Messe, der Wortteil oder die Nissa oateokumenoi-uin, wurde immer mehr der-
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kürzt, weil das kultische Interesse dem Opfer gehörte. Dieses wurde mit Kraft herausgearbeitet als der Höhepunkt der Feier und mit aller Pracht ausgestattet. Die ganze Entwicklung des evangelischen Kultus, des lutherischen wie des reformierten, gewinnt von diesem Punkte her ihr Licht: jener hat sich, soweit es möglich war, dieser Form noch angepaßt, der andere hat sich genau entgegengesetzt entwickelt. Aus den Schätzen der Messe sind manche in den evangelischen Kultus übergegangen; in den meisten freilich haben wir altes Erbgut, das aus der Bibel oder der alten Kirche stammt; man erkennt es an der herrlichen Form, die Einfachheit und Schönheit miteinander verbindet. Wir zählen einige auf, die jedermann kennt, der dem kultischen Leben nicht entfremdet ist: I m Namen des Vaters —, Unsere Hilfe —, das Bekenntnis der Sünden, Kyrie eleison —, (-loria patri (Ehre sei dem Vater —), das große Gloria (Ehre sei Gott in der Höhe —), Der Herr sei mit euch —, Hatteluja, das Kollektengebet, Epistel und Evangelium, die sog. Präfation „Recht ist es und wahrhaft würdig, dir, Allmächtiger, Dank zu sagen"—, Agnus Dei, die sog. Elevation, also die Emporhebung der Elemente des Abendmahls, und anderes mehr. Es bleibt uns noch übrig, die Wirklichkeit des römischen Kultuslebens zu schildern, an dem sich der Gegensatz der Reformation entzündet hat. I m ganzen können wir sagen, daß sie in ihm ein Heruntersinken auf die Höhenlage des heidnischen und jüdischen Gottesdienstes empfunden hat. Wenn wir es mit unfern Begriffen ausdrücken wollen, dann werden wir so fagen: die Reformatoren fanden Unter^ christliches im jüdischen und im heidnischen Sinn. Beiden vorchristlichen Religionen gemeinsam ist die Überschätzung und das falsche Verständnis des kultischen Lebens, nämlich der Glaube an die Möglichkeit, die Gottheit durch Opfer und
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Leistungen zu beeinflussen; endlich noch die Stellung des Priesters als des berufenen Mittlers zwischen Menschen und Gottheit. Heidnisch ist vor allem einmal der an die Vielgötterei erinnernde Reichtum der himmlischen Wesen, denen der Kultus gewidmet wird, Madonna, Heilige usw.; dazu aber, was kaum mehr erwähnt zu werden braucht, die Verkehrung derchristlichenAnbetung in abergläubischen Zauber, der mit sinnlichen Mitteln sinnlichen Zwecken zu dienen hat. Als jüdisch empfanden sie vor allem zweierlei: den gesetzlichen Zug, der dem kultischen Leben aufgeprägt war, und den Gedanken an das Verdienst, das man sich mit kultischen Handlungen vor Gott erwerben konnte. Es ist gleichgültig, auf welche Seite man das Plappern, also das Nachsprechen von unverstandenen oder nicht innerlich angeeigneten Gebeten usw. stellen will; jedenfalls haben die Reformatoren an allem Anstoß genommen, was des Verständnisses ermangelte und zu einem leeren Lippenwerk, sei es bei dem Volk oder den Priestern, herabgesunken war. Ganz besonders aber werden wir ihrem Widerspruch gegen das Zurücktreten des Wortes begegnen, des Wortes, das in der Gestalt der Verlesung, und zwar der verständlichen Verlesung, und der Predigt die Frohe Botschaft vom Heile Gottes in Iefus Christus allein der Gemeinde verkündigen sollte. Zum Abschluß fassen wir alles, was wir über den römischen Gottesdienst ausgeführt haben, in die Kategorien zusammen, die wir vorher aus der Geschichte der Religion, des Kultus und der Kirche gewonnen haben. Empfangen oder leisten — ohne Zweifel ist der katholische Gedanke von dem Kult, besonders auch von der Messe, wenigstens für die offizielle Kirche und die Masse der Gläubigen mehr durch den zweiten als durch den ersten Begriff zum Ausdruck zu bringen. Tie Messe gilt weniger als ein S akramenwm denn als ein Sakrifizium; die Richtung geht von
Der römisch-katholische Kultus, besonders die Messe.
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unten nach oben. Es ist ein Verdienst, an ihr teilzunehmen; sie hat eine Kraft an sich, die ihr einen Einfluß bei Gott verleiht. Sie ist ein gutes Werk, sie ist ein Opfer, das ihn bestimmt. Wenigstens ist sie den Reformatoren so erschienen, und diese haben doch auch an dem Leben ihrer Kirche teilgehabt. Heil oder Glück — ohne Zweifel hat die volkstümliche Frömmigkeit von Gott vor allem Glück in dem materiellen und selbstischen Sinn des Wortes erwartet. Und wenn sie es auch als ewige Glückseligkeit ins Jenseits verlegt, so ändert das nichts an dieser seiner Beschaffenheit. I m höchsten Fall ist es ein mystisches Genießen der göttlichen Substanz, was die Sehnsucht des Gläubigen bildet. Wieder haben die Reformatoren einen ganz anderen Begriff von der Seligkeit gewonnen; von dem aus mußten sie allen abergläubischen Mißbrauch der Messe und der andern kultischen Einrichtungen aufs schärfste verurteilen. Prophetisch und priesterlich —sichergehört die katholische Frömmigkeit auf die Seite des Priesterlichen. Das Überwiegen des Kultus, die Vorherrschaft des Priesters über das Volk der Laien, das im wesentlichen Passiv zu bleiben hat, das erinnert an die priesterlichen Seiten des Alten Testaments und an das antike Religionswesen. Der Widerstand, den die Kirche allen prophetischen Erscheinungen, wie etwa den Waldensern und andern geleistet hat, kann diesen Eindruck nur bestärken. Verständlich und numinos — wiederum ist es klar, wohin die katholische Art gehört. Die lateinische Sprache, das Mysterienhafte, das ganze Drum und Dran im Gottesdienst, die Weihen, Riten, Kerzen, Bilder, weisen auf die Seite des Heiligen im Sinne des Numinosen; der fromme Schauer ist die normale Grundstimmung der Gläubigen. Geistig und dinglich — wieder kann die Entscheidung nicht zweifelhaft sein: das Dingliche regiert in all jenen Formen,
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vom ansprechenden und berauschenden Schmuck bis zum Zauber im Sakrament; das Geistige, also etwa das Wort, tritt dagegen zurück, wie es weniger auf die Verständlichkeit als auf den Schauer ankommt. Damit ist auch schon über den letzten Gegensatz entschieden: das Sakrament überwiegt das Wort. Die Messe gehört in die Reihe der kultischen Gebilde, die im obengenannten Wechsel die sakramentale Frömmigkeit bevorzugen. An all diesen Punkten setzt die Kritik und die aufbauende Arbeit der Reformatoren ein. Jedoch ist em Unterschied festzustellen. I n den drei ersten sind sie einig untereinander, die Lutheraner und die Reformierten; in den drei letzten weichen sie von einander ab; die Reformierten stellen den äußersten Gegensatz zu dem römischen Kultus dar, während die andern eine vermittelnde Haltung einnehmen. Wie dieser Unterschied mit der Grundstellung beider Bekenntnisse zusammenhängt, wird ein Gegenstand unsrer Aufmerksamkeit
sein müssen.
Luther. Allgemeine Zeitverhältnisje. (is mag gewagt sein, etwas über Einflüsse zu sagen, die außer den unmittelbaren religiösen Beweggründen von Bedeutung für die Reform des Kultus gewesen sein sollen. Denn wenn keine Zeugnisse der Urheber selbst vorliegen, beruht eine solche Verbindung nur auf Kombination. Mag es damit sein, wie es will, wir ziehen einige Linien dieser Art, auch wenn sie bloß den Wert haben zu zeigen, was nachher als Folge der Reformarbeit zum Vorschein gekommen ist. Mit einiger Wahrscheinlichkeit können wir eines sagen: I m Gegensatz zu der einseitigen Schätzung des kultisch-kirchlichen Lebens war die Zeit um die große Tat Luthers weltlicher gerichtet. Die Arbeit des Berufs in der Welt, wie sie das
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erstarkte städtische Bürgertum erfüllte, ertrug nicht mehr die einseitige Hervorhebung jener Seite an der christlichen Religion. Es lag ein Zug zur Verweltlichung, zur Säkularisation in der damaligen Zeit, dem Luther gleichsam die metaphysische Rechtfertigung in einer mehr der Welt zugewandten Kirchlichkeit gab. Daneben kann man darauf hinweisen, daß sich das Gesüge der großen universalen Kirche gelockert hatte. I n Verbindung mit dem Emporsteigen des Nationalbewußtseins machte sich das Streben nach landeskirchlicher Fassung des religiösen Lebens geltend; damit war auch der Glaube an eine alle umspannende Kultusform zugunsten einer territorialen erschüttert. Endlich lag es in der Grundrichtung des Humanismus begründet, dem geistig gerichteten und verständlichen Wort einen größeren Einfluß als dem dinglichen Zauber des Sakramentes und einer unverständlichen Sprache einzuräumen. Der Hauptantrieb aber kam natürlich von dem Glauben her. Luthers Glaube. Wie ein großer Strom aus einer unscheinbaren Quelle herkommt, so ist das religiöse Grunderlebnis Luthers der Ausgang für die Umgestaltung einer Welt geworden. Jede Religion hat ihr Merkmal an der Idee des Heiles und der Seligkeit. An diesem Punkt setzt auch die Reformtat Luthers ein. Heil und Seligkeit besteht für ihn nicht mehr in dem Genuß eines übersinnlichen Lebens dinglicher und sinnlicher Art, so hoch dieses auch gedacht werden kann; sondern in dem persönlichen Leben mit dem als höchste Persönlichkeit geglaubten Gott. Ganz folgerichtig ist die personalistische Vorstellung von Gott durchgeführt, die in den biblischen Urkunden vom Alten Testament her alles Denken der Frommen bestimmte. Und aller Naturalismus ist beseitigt, der dem antiken religiösen Denken anhaftete. Gott selbst eröffnet den
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mit Schuld befleckten und von der Macht des Bösen beherrschten Menschenkindern den Zugang zu diesem Heil: er vergibt ihnen ihre Schuld und nimmt sie damit in die Gemeinschaft mit ihm selber auf. Darin sollen sie ihm immer ähnlicher werden und an seiner Hand lernen, mit ihren bösen Trieben es aufzunehmen. Sünde und Schuld, Not und Tod in dieser Gemeinschaft Gottes zu überwinden und in das Reich seines Geistes und damit des wahren Lebens einzugehn, das ist die Seligkeit, hier zeitlich und dort ewiglich. Sie ist ein so hohes Gut, daß sie mit unfern menschlichen Kräften gar nicht zu erreichen ist. Darum hat sie Gott den Menschen geschenkt und schenkt er sie ihnen immer noch. Das ist seine Gnade; sie besteht in seiner persönlichen Freundlichkeit, die er uns zuwendet als die Gesinnung seiner erbarmenden Liebe. Sie ist also keine dinglich zu denkende Medizin, die etwa zauberhaft bereitet und dann mechanisch den Bedürftigen zugeführt werden müßte. Das Heil wird also nicht sakramental, sondern personal gedacht. Es ist die Gesinnung Gottes, nicht ein Ausfluß einer magischen Zauberkraft. Darum bedarf es auch einer ebenso persönlichen Vermittlung. Diese ist in der Person Christi als des Erlösers gegeben. Nicht der sakramentale, sondern der geistig persönliche Christus ist der Heilvermittler. Er ist es allein: es bedarf nicht des ganzen Heeres der Nochelfer; denn Christus ist nicht in erster Linie der Richter, sondern der Retter. Das subjektive Mittel, mit dem das in diesem Heiland dargebotene Heil angeeignet wird, ist der Glaube. Denn Heil und Heiland kommen in der geisügen Form des Evangeliums, also einer Botschaft, der Frohen Botschaft, an uns heran. Eine Botschaft aber kann man nicht anders als mit dem Glauben aufnehmen. Eine Medizin läßt man sich einflößen oder äußerlich applizieren; aber einer Botschaft schenkt man Glauben, wenn sie einem das Herz abgewonnen hat. So tritt das Empfangen
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mit Nachdruck in den Vordergrund, und das Geistige beherrscht in Verbindung mit ihm das ganze Denken der Frömmigkeit. Wollen wir das Erlebnis Luthers mit modernen Begriffen auszudrücken versuchen, dann würden wir etwa so sagen können: Es handelt sich dämm, ob der Mensch der höchsten Stelle in der Welt recht ist, ob er vor ihr sein moralisches Daseinsrecht behaupten kann. Das ist seit Paulus die tiefste Frage des Christentums und seit Augustin die des abendländischen ganz im besonderen. Diese Frage ist uns unter den Einflüssen unserer ganzen relativistischen und diesseitigen Gedankenrichtung abhanden gekommen; aber sie schläft überall, wo noch nicht der Sinn für den Menschen als ein für das Geistige bestimmtes Persönlichkeitswesen erstorben ist. I m Anschluß an den Apostel Paulus und an Augustin und im Gegensatz zu der Lehre seiner Kirche beantwortet Luther diese Frage in dem angegebenen Sinn. Unsere Geltung vor jener höchsten Stelle können wir uns nicht selber erringen; denn wir sind böse. Wir können sie nur aus ihrer Hand empfangen. Christus ist der Bürge dafür, daß wir das Recht haben zu glauben, daß wir vor ihr und unserm Gewissen bestehen können, wie wir auch wirklich beschaffen sein mögen. Wir sind Gott recht, wenn wir wissen, daß wir es im Grunde nicht sein könnten. Diese zwiespältige Grundhaltung ist für den Christen bezeichnend: sie gibt ihm das nötige Vertrauen zu Gott, das erst allem Streben nach Vervollkommnung den Grund der Zuversicht verleiht, und hält ihn dabei doch in der Stimmung der Demut. Ohne jenes Vertrauen fehlt es an der Freudigkeit und Sicherheit, die jenem Streben erst die rechte Schwungkraft schenken; unter dem seelischen Druck, einer hohen Autorität nicht recht zu sein und ihr mit saurer Mühe recht werden zu sollen, kommt kein freudiges und unbefangenes Vorwärtsstreben zustande. Das Bewußtsein
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aber, diese Grundlage der innem Existenz nicht sich selbst, sondern der Autorität selber und ihr allein zu verdanken, hält das Selbstgefühl in den erforderlichen Schranken. Der ganze Vorgang gewinnt an Klarheit, wenn man als Modell das Leben in der Familie heranzieht: I n dem Gefühl, den Eltern im Grunde lieb und recht zu sein, allem Zurückbleiben hinter ihrem Willen zum Trotz, hat ein Kind den besten Antrieb weiter zu streben. Der beständige Druck der Angst vermag korrekte Handlungen, aber kein echtes und wahres Sein im Guten zu erzeugen. Es ist ein hoher Idealismus und Optimismus, der sich in dieser Haltung kundtut; tausendfach wird er Lügen gestraft, aber wenn er nur einmal gerechtfertigt wird in einem Menschen, der durch Vertrauen auf Gott zu einer Persönlichkeit nach seinem Willen geworden ist, dann ist der Gewinn größer als der Verlust. Fendt sagt richtig, Luthers Grundstimmung sei die des Besitzers, nicht mehr die des Suchers; damit war natürlich dem Kultus im alten Sinn wie überhaupt dem ganzen herkömmlichen Religionsbetrieb die Axt an die Wurzel gelegt. Wenn Gottes Gunst und Gnade nicht mehr verdient werden konnte und es auch nicht mehr brauchte, dann mußte alles menschliche Tun eine andere Richtung empfangen. Religiöses Tun, sittliches Handeln und kultisches Verrichten wurden Zum Ausdruck und Ausfluß des religiösen Besitzes, wenn sie nicht mehr Eindruck und Einfluß auf Gott zugunsten der Gläubigen in Aussicht stellen konnten. Damit rückte alles menschliche Tun an eine andere Stelle; hatte es bisher gleichsam vor dem Erwerb der Gnade Gottes gestanden, so trat es nun, da sie von Gott geschenkt wurde, hinter ihren Erwerb: das menschliche Tun wurde nun zur Folge der Berührung mit Gott, während es bisher ein Mittel gewesen war. Damit aber wurde es von allem selbstischen Wesen befreit; Liebe und Barmherzigkeit
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loren nun den Zug berechnender Selbstsucht und wurden zu einer ganz unbefangenen, ganz in den Dienst des andern gestellten Äußerung eines von dem Geist Gottes und Christi regierten Herzens. So mußte auch der Kultus eine andere Richtung gewinnen. M i t der Leidenschaft, mit der man immer eine geschenkte Erkenntnis verteidigt, von der das Innerste der Seele lebt, hat Luther stets den Charakter des Kultus als eines verdienstlichen Werkes bekämpft. Welche Bestimmung konnte er denn gewinnen, wenn er nicht mehr als gottwohlgefälliges Opfer von unten nach oben gerichtet war? Dann mutzte ganz von selbst die andere Richtung die Vorherrschaft gewinnen. Alles kam nun darauf an, daß die Gnade Gottes verkündigt wurde, wie sie in der Vergebung der Sünden ihren klarsten Ausdruck gefunden hat. Der Gottesdienst wurde gleichsam nun ein Dienst, den Gott den Frommen leistete: er ließ ihnen sein Evangelium von der Vergebung verkündigen, die er ihnen auf Grund von Jesu Christi Sühnetod gewährte. Luther hat die Messe unter diesem Gesichtspunkt umgestaltet, daß er nicht nur alles entfernte, was dieser Botschaft widersprach, sondern ihr, mit mehr oder weniger Gewaltsamkeit, den Charakter verlieh, Verkündigung der göttlichen Verheißung von der Vergebung zu sein. So wurde der Gottesdienst aus einem Mittel, um die Gnade Gottes zu erlangen, zu einer Feier der geschenkten Gottesgnade. Damit verband sich ein anderes; die Richtung von unten nach oben bekam einen neuen Sinn: die Gemeinde brachte ihrem Gott das Opfer von Lob und Dank dar. Das war natürlich die ganz freie Äußerung eines dankbaren Herzens, ohne jeden Anspruch auf irgendein Verdienst. Die Gnade Gottes im Worte dargeboten, das ist das Wesen des Lutherschen Gottesdienstes. Die Gnade als Geschenk, nicht als Erwerb und Lohn — das ist der Gegensatz zu dem alten Werkdienst; die Gnade im Wort — das ist der Gegensatz zu
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allem Sakramentszauber. Damit war der alte Kultus grundsätzlich überwunden. Aber Luther hat ihn durch einen andern Gedanken noch tiefer mit den Wurzeln aus seinem Grunde herausgehoben; zugleich hat er damit eine Wendung in dem Verständnis des Kultus angebahnt, die von den weitreichendsten Folgen begleitet war. Luther hat den Begriff des Gottesdienstes weit über seine bisherigen Grenzen als eine wesentlich kultische Betätigung hinausgeführt. Gottesdienst im eigentlichen Sinn ist für ihn, was ihm das Wesen der christlichen Frömmigkeit war: Glauben und Vertrauen auf die gnädige Gesinnung Gottes. Aus dieser Grundgesinnung erwächst der Verkehr des Gläubigen mit seinem Vater im Himmel; und zwar ein Verkehr ohne jedes Zeremoniell, wie die lieben Kinder mit ihrem lieben Vater verkehren. Das Modellbild für Gott ist anders geworden: es ist nicht mehr der Despot und Richter, sondern der Vater. Von ihm empfangen seine Kinder, was sie für ihr seelisches Leben bedürfen: Weisungen, aber vor allem Kräfte in der Gestalt von neuen seelischen Regungen, wie etwa des Vertrauens, der Hoffnung, der Freude, der Liebe zu Gott und vor allem auch zu den Nächsten. Hier setzt eine epochemachende Wendung ein: Gottesdienst umfaßt auch und vor allem den Dienst am Nächsten. Dieser findet gebahnte Wege in den Berufen des gesellschaftlichen Lebens. Wer in ihnen dem Nächsten aus der Liebe dient, die dem innigen Verhältnis zu Gott entstammt, der übt den wahren Gottesdienst aus. Eine Magd, die dies in ganz unscheinbaren Verhältnissen tut, steht hinter dem Priester nicht zurück, der die Messe liest oder das Evangelium verkündigt. So gewinnt Luther den Begriff des rechten, innerlichen Gottesdienstes, der aus einem Leben in Glaube und Liebe besteht. Das ganze Ehristenleben wird so zum Gottesdienst; Gott dienen, das ist Gott gehorsam sein, seinen Beruf treulich ausüben und seinen Nächsten
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lieben. Das ist die Weihe des weltlichen Lebens, die zu den wichtigsten Gaben der Reformation gehört. Sie ist ein bedeutender Fortschritt auf dem Wege der Säkularisation, die sich als eine wichtige Linie durch die Geschichte hindurch verfolgen läßt. Aus dem Geist der Propheten heraus hat Luther diese Umgestaltung der christlichen Frömmigkeit vorgenommen. Er ist damit in denselben Gegensatz zu der Frömmigkeit des Kultus getreten, die die der Liebe zu ersticken drohte, wie einst die älteren Propheten und Jesus selbst. Damit hat er ohne Zweifel der Welt viel sittliche Kraft und religiöse Weihe zugeführt; aber dem Kultus und der Kirche ist seine Tat nicht zur Förderung ausgeschlagen. Gewiß war sein Gegensatz zum Vorrang des Kultus damals berechtigt und notwendig. Aber in der Folge wurde zur Regel, was nur bestimmt war, das Übermaß und die Überschätzung einzuschränken. So ist es kein Wunder, wenn auf protestantischem Boden der Kultus an Ansehen und Geltung abgenommen hat. Kann man und soll man Gott dienen in einem Leben des Glaubens und der Liebe, auch im Beruf des Alltags, was braucht man sich dann noch um die Kirche und ihren Gottesdienst zu kümmern? Luther hat, wie wir noch sehen werden, seine überidealistischen Auffassungen später sehr eingeschränkt, als er sich von dem wirklichen Stand des christlichen Lebens überzeugt hatte. Aber solche Einschränkungen kommen in der Regel gegen den großen Grundsatz nicht mehr auf, wenn der in dem trägen Willen einen Bundesgenossen und dieser in ihm einen guten Vorwand findet. Noch eine andere Folgerung hat Luther aus seinem Gegensatz zu allem, was hierarchisch und klerikal ist, gezogen. Er hat das Vorrecht des Priesters im Kultus beseitigt, wie er das des Kultus selbst im Christentum beseitigt hatte. Bedarf der Gläubige keines Mittlers mehr vor feinem Gott, so hat der Priester auch im Kultus ausgespielt. Dieser wird nun die
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Sache der Gemeinde. Luther hat überhaupt sehr hoch gedacht von dem Wert der Gemeinschaft für alles, was die Erweckung und Pflege des Glaubens und des christlichen Lebens angeht. Hat er doch z. B . die Vergebung und den Gewinn des ewigen Lebens in seiner Erklärung zum dritten Artikel an die Christenheit gebunden. So wird von ihm nun, da der Priester und die hierarchische Kirche als Träger des Kultus wegfallen, die Gemeinde in diese Stelle eingesetzt. I n ihrem Auftrag vollzieht der Pfarrer die kultischen Handlungen; das ist sein Amt, wie das Regiment das des Bürgermeisters und der Ratsherren ist. Er ist ein Glied der Gemeinde, nicht mehr durch seinen Stand von ihr getrennt, sondern nur durch sein Amt von ihr unterschieden. Alle Christen sind eines Standes: sie gehören dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen an. Jeder dürfte die Predigt halten und das Abendmahl austeilen; nur der Ordnung halber hat der Pfarrer dieses Amt, wie der Schuhmacher und der Ratsherr das seine hat. Die praktischen Folgerungen aus diesem Grundsatz, also die Übertragung der Predigt und der Verwaltung der Sakramente an die sog. Laien, sind erst auf reformiertem Boden gezogen worden. Heute noch sträuben sich sehr viele gegen sie, die praktisch von der alten priesterlichen Gewohnheit des Denkens nicht loskommen können. Aber in einem Punkt hat Luther selbst der Gemeinde einen wesentlichen Anteil an dem Gottesdienst anvertraut. Er hat ihr das Kirchenlied gegeben. Das ist etwas ganz Neues in der Geschichte deschristlichenKults. Hatte immer ein Chor bei Gelegenheit Hymnen gesungen, war dem Volk nur ausnahmsweise gestattet, mitzusingen, so gibt Luther nun der Gemeinde das Gesangbuch in die Hand und macht ihren Ge sang zu einem Hauptbestandteil der ganzen Feier. Damit war der Weg beschulten, der weiter führte. Die Gemeinde
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übemahm auch aus dem Mund des Diakonen die Antworten auf die Worte des Priesters am Altar, die sog. Responsorien. Seitdem ist zumal wieder in der reformierten Kirche das Bestreben immer stärker geworden, nicht nur Einzelne, sondern auch die ganze Gemeinde als solche immer mehr tätig am Gottesdienst zu beteiligen. Damit hat er freilich einen ganz anderen Grundzug erhalten. Er wird zu einer Handlung, die die ganze Gemeinde, also alle, die in der Kirche versammelt sind, umfaßt. Der Messe wohnen die Gläubigen als Einzelne an; sie können sich der Feier entziehen, indem sie an einem Seitenaltar oder in ihrer Bank still für sich beten; sie können auch kommen und gehen, wann es ihnen paßt. Ganz anders ist es im evangelischen Gemeindegottesdienst: er stellt eine zusammenhängende Handlung dar, die alle in Anspruch nimmt. Der einzelne Gläubige hat keine Gelegenheit, mit seinem Gott einsam zu sein, und es ist ein Mangel an Rücksicht, wenn er zu spät kommt oder zu früh geht. Noch ein anderer bezeichnender Zug hängt mit jener Tat Luthers zusammen, die die Kirche im alten Sinn aus ihrer Vorherrschaft Vertrieb. Sie hatte den Kultus in allen seinen Teilen bis in Einzelheiten hinein streng einheitlich geregelt Der Kultus beruhte auf einem Gesetz, das alle verpflichtete, Luther hat diesen Zwang beseitigt; es gehört nicht zum Wesen des Kultus, daß überall gleiche Ordnungen sind. Beruhen sie doch auf nur menschlichem und nicht auf göttlichem Recht. Man kann sie darum gestalten, wie es zweckmäßig ist. Bilden sie ja doch nicht mehr einen Teil des Gesetzes, das man halten muß, um selig zu werden. Mit dem Glauben empfängt man ja das Heil; damit ist jedes Gesetz, das heilsnotwendig sein will, beseitigt. Ordnungen für die gemeinsame Anbetung sind nötig, aber es ist nicht nötig, daß sie überall und immer gleich seien; sie können örtlich und Nlebe r g a l l , Der evangelische Gottesdienst.
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zeitlich verschieden gestaltet werden, wenn auch der Grundzug dem Evangelium entsprechen muß. Es braucht nun nur daran erinnert zu werden, wie sehr sich in diesen Grundsätzen je das eine Glied der am Anfang aufgestellten Gegensätze verwirklicht, im Gegensatz zu dem andern, das in dem katholischen Gottesdienst verkörpert ist. Es ist freilich auch schon angedeutet worden, daß dieser Gegensatz nicht ganz rein ist; Luther ist durch seine Natur und durch den Verlaus der Dinge dazu gedrängt worden, in der Ausgestaltung seiner Grundsätze mannigfach zwischen Altem und Neuem zu vermitteln. Neuer Wein w alten Schläuchen. Nicht nur den eben genannten Umständen, sondern auch einer bestimmten Haltung des Reformators zu den Aufgaben des Kultus selbst ist es Zuzuschreiben, daß er sich in dem Haus des alten Kultus mit seinen neuen Gedanken einzurichten suchte. Die Frage ist umstritten, ob er überhaupt liturgisch interessiert oder gw' schöpferisch veranlagt war. Angesichts seiner ausgeprägten religiösen Grundrichtung hat die Antwort auf diese Frage wenig Interesse. Ihm kam es vor allem auf eines an: das Evangelium von der Vergebung ganz aus Gnaden sollte nicht beeinträchtigt, sondern lauter und rein verkündigt werden. Darum lag ihm nur daran: alles aus dem herrschenden gottesdienstlichen Leben zu entfernen, was ihm widersprach, und das, was übrigblieb, in den Dienst jener Aufgabe zu stellen. Als getreuer Sohn der Kirche, wie er sie glaubte und liebte, und gemäß der konservativen Art seiner Natur, die im Kampf mit radikalen Gruppen immer mehr zum Durchbruch kam, hat er sich mit seinem neuen Verständnis des Evangeliums in der alten Kirche eingerichtet, so gut es ging. Ihm waren die Formen gleichgültig, wenn nur die Sache erhalten blieb. So hat er
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vor allem den ganzen Umfang des damaligen kultischen Lebens in den Dienst der Verkündigung, und zwar in der Form der Predigt gestellt. All die vielen Veranstaltungen der alten Kirche, die Metten, Vigilien, Vespern, die Marien- und Heiligentage, also den ganzen Organismus des kirchlichen Lebens in Tag und Nacht, im Verlauf der Woche und in dem des Jahres hat er in den Dienst der Predigt gestellt. Das ist damals eine Notwendigkeit gewesen, weil die Menschen nichts wußten und viele etwas wissen wollten. Aber es ist ein sehr fragwürdiges Vermächtnis der Reformation geworden, daß sie mit solchem einseitigen Nachdruck die ganze Arbeit der Kirche auf die Wortverkündigung gestellt hat. Nicht anders hat Luther auch die Hauptfeier, die Messe, umgestaltet. Alles hat er hinausgetan, was nur irgend an die beiden Merkmale des römischen Kultus, den Zauber und das verdienstliche Werk, erinnerte. So mußte vor allem das Hauptstück, der Kanon der Messe, fallen, dessen Höhepunkt die Wandlung ist. Aber alles andere machte er mit kühner Hand seinem Zwecke dienstbar. Er gestaltete die Eucharistie aus einer verdienstlichen Zauberhandlung in eine Verkündigung der Vergebung um; andere Stücke verwandelte er in Gebete. Verkündigung und Gebet entsprechen der ganzen Richtung seiner Reform, Glauben und Gottesdienst aus der dinglichen in die persönliche Welt emporzuheben. Mit den Worten von Fendt wollen wir die Umgestaltung beschreiben, weil er sie am besten seiner persönlichen Entwicklung entsprechend zum Ausdruck bringen kann. Er empfindet vielleicht mehr als wir, wie Luther dazu kam, das neue Lebensgefühl, das ihm geschenkt war, in der Form der Messe auszudrücken. Die hohe Schönheit und die seelische Kraft, die in ihren Gebeten und Voten liegt, mußte dazu einladen, sie zum Ausdruck der Besitzerstimmung zu machen, die ihn von der alten Frömmigkeit unterschied. Luther ließ sein ihm gewordenes Verständ-
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ms des Evangeliums sprechen zu seiner Zeit in den Formen, die ihr geläufig und lieb waren. Und sie erwiesen sich als geeignet, dem Haben Gottes und dem Freudenbesitz des Heiles in Lob und Dank als Ausdruck und der Aufgabe der Wortverkündigung als Mittel zu dienen. Luther kam es nicht darauf an, Formen zu finden, die genau seiner Botschaft angepaßt waren; diese hätten leicht wieder zum Gesetz werden können, er wollte vor allemchristlichleben und beten und im Christentum atmen lehren. DerchristlicheGottesdienst sollte Ausdruck des Evangeliums sein, der dessen Verständnis fortpflanzen sollte. Dazu bediente sich Luther unbefangen der Mittel des alten Kultes. Wir empfinden erheblich anders als dieser begeisterte Anhänger der alten Formen. Wir empfinden viel mehr den ganz und gar katholischen Charakter auch der von Luther beibehaltenen Stücke oder vielmehr des Torsos, der nach Beseitigung des Kanons übriggeblieben ist. Aber davon soll später noch mehr die Rede sein. Wir gehen nun dazu über, im einzelnen zu sagen, was Luther aus der Messe gemacht hat. Vor allem hat er den ganzen Aufbau gelassen. M i t dem Wortgottesdienst beginnt die Feier und das Sakrament bildet ihren Höhepunkt. Diese beiden Teile blieben eng verbunden. Freilich konnte diese Verbindung nicht für immer bestehen. Luther machte im Abendmahl die Kommunion, also den gemeinsamen Genuß, zur Hauptsache, die in der katholischen Kirche nur ein Anhang an die Darbringung des Opfers ist. So entsprach es dem Grundsatz, daß nicht das Werk, das von den Gläubigen zu Gott aufstrebt, sondern die Verheißung, die von Gott zu ihnen herabkommt, den Kern der Feier bildet. So entsprach es auch dem Grundsatz, der die Gemeinde an die Stelle des Priesters setzte. Das Sakrament kann nun gar nicht mehr anders denn als ein Liebesmahl der Gemeinde gefeiert werden; sie versammelt sich,
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um das Wort von der Vergebung zu hören und mit Brot und Wem Leib und Blut Jesu Christi zu empfangen. Daß Luther in dieser Lehre von dem Verhältnis zwischen den Elementen des Abendmahls und dem Leib und Blut des Herrn sich so viel der katholischen näherte, wie sich überhaupt nur mit seiner gesamten Auffassung vertrug, hat in die Abendmahlsfeier seiner Kirche einen Zug des Geheimnisvollen und Numinosen hereingebracht, der von großem Einfluß auf die gesamte Frömmigkeit geworden ist. Das wird uns erst ganz klar werden, wenn wir die so ganz andere Lehre und Praxis der andern evangelischen Kirche betrachten. Noch heute wirkt dieser Zug nach, besonders in Reformvorschlägen, die das Abendmahl auf eine mystische Höhe erheben wollen. Daß das Sakrament zu einer Kommunion wurde, die sein wesentliches Merkmal ausmacht, hatte im Lauf der Zeit einschneidende Änderungen in seiner ganzen Verfassung zur Folge. Wie wurde es, wenn keine Kommunikanten vorhanden waren? Die Messe bedarf der Teilnahme der Gläubigen nicht, noch nicht einmal ihrer Anwesenheit, um vollständig zu sein. Aber das Abendmahl kann nicht stattfinden, wenn niemand zur Kommunion gehen will. Als dies öfter vorkam, zumal an gewöhnlichen Sonntagen, mußte das Abendmahl ausfallen. So blieb der Gottesdienst unvollständig Lange hat man sich dagegen gesträubt, daraus die Folgerungen zu ziehen und das Abendmahl nur dann allein, und zwar als eine besondere Feier zu begehen, wenn Gäste zu erwarten waren. Erst die reformierte Kirche hat diese Änderung grundsätzlich vollzogen. Immer aber wirkt die alte Verbindung und die Schätzung des Abendmahls als des Höhepunktes im Kultus noch so stark nach, daß von Zeit zu Zeit versucht wird, es jeden Sonntag zu feiern und einen Gottesdienst ohne diesen Höhepunkt als unvollständig anzusehn. Darin wirken sich die Einflüsse der Vergangenheit
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im Bund mit der Neigung zu dem Geheimnisvollen aus, die ihre Befriedigung mehr als im gesprochenen Wort in heiligen Weihefeiern und Mysterien sucht. Ncch stärker als jener Umstand beeinträchtigte die Stellung des Abendmahls der Rang, den in der Kirche Luthers die Predigt einnahm. Der Gottesdienst der alten Kirche hatte, wie wir gesehen haben, zwei Brennpunkte, die Verkündigung des Wortes und das Herrenmahl. Immer mehr hatte dieses, als es zum Mysterium, zum Opfer wurde, die Predigt zurückgedrängt; der sog. Wortteil wurde immer mehr verkürzt, um den Weg zum Höhepunkt schneller zu erreichen. Nun trat der umgekehrte Vorgang ein. Der andere Brennpunkt, die Predigt, gewann wieder an Bedeutung und wurde zur Hauptsache. I n demselben Maß verlor aller dogmatischen Hochschätzung zum Trotz das Abendmahl an Wert. Der Schwerpunkt des Gottesdienstes wanderte zum Wortteil zurück. Nun wurde, wie schon unter anderm Gesichtspunkt ausgeführt war, alles beseitigt, was zur Messe gehörte, wie es früher mit den zur Wortverkündigung gehörenden Stücken zum Teil geschehen war. Von den Bestandteilen, die beibehalten wurden, erhielten die meisten eine andere Stellung: sie wurden zum Wortgottesdienst gezogen. So wurde dieser auf Kosten des Sakramentsteiles ausgestattet. Dadurch wurde auch jene Entwicklung befördert, die das Abendmahl zu einem Anhang an den Predigtgottesdienst herabdrückte. Auch damit ist der evangelischen Kirche ein kultisches Problem mit auf den Weg gegeben worden, das sie gar nicht zur Ruhe kommen ließ. Die immer lehrhafter werdende Predigt stand nicht nur mit jenem fo entgegengesetzten Wesen der Abendmahlsfeier in einem Gegensatz, sondern auch zu den Stücken der alten Messe, die ganz und gar in den Geist der Weihe und der Anbetung eingetaucht waren. Das Verhältnis zwischen diesen verschiedenen Bestandteilen wurde immer mehr
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weniger als eine Ergänzung denn als ein schwer erträglicher Gegensatz empfunden. Auch hier ist eine Wurzel, aus der heutige Reformbestrebungen herooigewachsen sind. Wie verlief nun der Hauptgottesdienst nach dem Vorschlag Luthers? Luther hat mehrere Ansätze gemacht, um seiner Kirche eine gottesdienstliche Form zu geben. Zum erstenmal in der ^ormuig. ln>88N et eoininunionis vom Jahre 1523, das
zweite Mal in der Schrift „Deutsche Messe und Ordnung des Gottesdiensts" vom Jahre 1526. Diese beiden Ordnungen unterscheiden sich, wie man schon aus dem Titel der Schriften mutmaßen kann, durch das verschiedene Verhältnis zur deutschen Sprache. Die radikalen Seitengänger des Reformators, Karlstadt und Müntzer, hatten nicht gezögert, wie auch in andern Punkten, so an diesem die Folgerungen aus Luthers Grundsätzen ohne Rücksicht und ohne Zögern zu ziehen. Der erstere hatte bereits im Jahre 1521—1522, während Luther auf der Wartburg war, einen neuen Typ der Messe geschaffen. Er ließ den Kanon und die Eleoation weg und sprach die Einsetzungsworte deutsch, alles andere behielt er bei, und zwar in der lateinischen Sprache. Der zweite ging im Jahre 1523 schon weiter. Seine deutsche evangelische Messe zeigt ein ganz anderes Bild. Zwar erscheinen alle Teile der Messe, die dem Wesen des Evangeliums nicht widersprachen, und zwar in der Folge, die sie in der römischen haben. Aber sie werden deutsch gesungen oder gelesen und das Volk spricht Amen oder Gott sei dir gnädig usw. Luther war mit beider Vorgehen nicht einverstanden. Er wehrte sich dagegen, daß aus dem Neuen, daß aus der Freiheit ein Gesetz gemacht würde; das widersprach seiner Wertschätzung des Gehaltes vor dem der Form und vor allem seinem Grundsatz, daß man nichts zum Schaden der Schwachen, also der Schwankenden, machen
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dürfe, ehe Gott es befohlen habe. So weist denn die erste jener beiden Messen noch ein sehr katholisches Gewand auf. Der Chor singt zum Beginn den Introitus; während dessen geht der Priester mit dem Ministranten an den Altar und betet das OoiMeor, das Sündenbelenntnis. Dann kommen die bekannten Stücke, alle, auch die Schriftverlesungen, auf lateinisch. Nur die Predigt findet in der Landessprache statt. Die Abendmahlsfeier weist „der Schwachen wegen" noch die Elevation auf. Nach der Kommunion fingt die Gemeinde ein deutsches Lied. Ein kurzes Gebet des Priesters, Salutation und Segen machen den Schluß. Ganz anders schon mutet die andere Ordnung an. Wir stellen ihre Haupt- und Unterteile stark heraus, weil dieses Schema von der c roßten Bedeutung geworden ist. Sie verläuft in folgender Weise. I. Wortgruppe, a) Eingang. Geistlich Lied, deutsch, Kyrie. d) Schriftlesung. Kollektengebet,
Epistel, Geistlich Lied, deutsch,
Evangelium, Kredo (Glaubensbekenntnis), deutsch von der Gemeinde gesungen, Predigt. II. Eucharistie. Vermahnung an die Kommunikanten (statt des Offertormmo) mit dem Vaterunser,
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Konsekratton mit den Einsetzungsworten und Elevation (Emporhebung der Elemente Brot und Wein), Kommunion; dabei Sanktus oder ein deutsches Lied, Danksagung, Segen. Wir fügen zum Vergleich noch eine andere lutherische Ordnung aus älterer Zeit hinzu. Es ist die Braunschweiger Kirchenordnung vom Jahre 1538: Deutscher Psalm, Kyrie eleison, Gloria in 6xobl8i8,
Kollekte, deutsch- oas Volk sagt Amen, der Priester kehrt sich zum Volk, Epistel, Halleluja der Kinder, Sang aus der Schrift, deutsch, an den drei Hochfesten lateinische Hymnen, aber deutsche dazwischen, Evangelium, Ich glaube an Gott, gesungen vom Priester, Wir glauben all an einen Gott, gesungen vom Volk, Predigt, Verkündigung von nötigen Sachen, Ermahnung zum Beten für die Obrigkeit von der Kanzel, Deutscher Psalm, während der Pfarrer von der Kanzel hinuntergeht, Ermahnung an die Kommunikanten, der Glaube, Sündenbekenntnis, Vaterunser,
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Luther. Die Kommunikanten gehn in den Chor, der Priester kehrt sich zum Altar und fingt lateinisch: voini-
Präfation, Lateinisches Sanktus vom Chor, Unser Vater, gesungen vom Priester, Amen, vom Volk, Abendmahlsworte vom Brot, vom Priester lateinisch gesungen, Kommunikation der Männer und Knechte, der Frauen und Jungfrauen, Die Worte vom Kelch, Empfang des Kelches, Nach der Kommunion: Lamm Gottes, Danksagung des Priesters. Wenn keine Kommunikanten da sind, wird kein Abendmahl gehalten, um nicht in die Mißbräuche der Katholiken zu fallen. Dann wird nach der Predigt gesungen die Präfation, das Sanktus, Vaterunser, Lamm Gottes, deutsche Kollekte, Segen. Der Grundtyp des lutherischen Hauptgottesdienstes wird nun klar: in allen Abwandlungen, die durch die Eigenart ihrer Urheber, durch Ort und Zeit bedingt sind, kehrt er unverkennbar wieder. Die Wirklichkeit. Es bleibt uns noch die Aufgabe, davon zu sprechen, welche Abzüge von jenen idealen Grundsätzen die Wirklichkeit der äußeren Verhältnisse und der seelischen Lage erzwungen hat. Es wird sich uns dabei wieder der Satz bewahrheiten, daß alles Neue sich nur schrittweise durchsetzen kann und immer nur im Gewand des Alten Aussicht auf Erfolg hat.
Die Wirklichkeit.
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Die Stimmung des Besitzertums mußte bald angesichts der seelischen Beschaffenheit des Kirchenvolkes verfliegen. Es waren ihrer nur wenige, die als reifende Christen angesehen werden konnten; die meisten waren solche, die erst Christen werden sollten. Unter diesen waren sehr viele Schwache im oben gebrauchten Sinn, also Menschen, die noch mit allen Fasern an den alten Formen hingen. Um derentwillen nahm Luther eine entscheidende Wendung vor: er dachte sein ganzes Werk, zumal das gottesdienstliche, ins Volkspädagogische um. Aus dem Ausdruck für das Christsein wurde nun, wie Fendt mit immer neuen Wendungen ausführt, ein Mittel zum Christwerden. Diesem Zwecke mußte hauptsächlich die Predigt dienen, die von da an diese ihre Bestimmung grundsätzlich nicht verloren hat. Freilich hat er damit auch einen Begriff von der Predigt verbunden, der uns gar nicht mit der Höhe vereinbar scheint, die ihr Luther im Gegensatz zu der Hochschätzung des Sakramentes durch die alte Kirche angewiesen hatte. I n jener lateinischen Messe möchte er die Predigt am liebsten an den Eingang setzen als die Stimme des Predigers in der Wüste, die zum Glauben ruft, während in der eigentlichen Messe der Glaube zugreift. Anderwärts hat er jene von dieser sogar unterschieden als Vorbereitung oder Reizung zum eigentlichen Gottesdienst. Dann wieder kann er davon sprechen, daß die Messe dem Volke etwas zu gaffen geben solle. Der lateinischen hat er auch den Zweck bestimmt, die Schüler in dieser Sprache zu üben. M a n sieht, wie er angesichts der wenig idealen Art der Gläubigen von seiner Höhe zu sehr prosaischen Zweckbestimmungen hinabsteigt. Darin werden wir den rechten Volkserzieher zu erkennen haben, der einen jeden an der Stelle faßt, da er steht. Auch die Freiheit der Zeremonien mußte sich eine Einschränkung unter diesem Gesichtspunkt gefallen lassen. Luther
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Luther.
selber ließ sie nur in Nebenpunkten zu. Den Rottengeistern, wie er die Schwärmer und Täufer nannte, verdachte er es vor allem, daß sie aus der Freiheit eine Notwendigkeil machten, wie etwa aus der deutschen Sprache in der Messe. Er hatte viel mehr Sinn für die Weise der Schwachen, sich nur langsam in neue Ordnungen hineinzufinden. Dazu warstetsseine Sorge, es möchte eine neue Form wieder zum Gesetz werden wie die alte, und das Christsein sich in der An-» nähme dieser erschöpfen. Mit Recht gibt Fendt zu bedenken, daß für die Menschen des 16. Jahrhunderts, die aus der alten Kirche mit ihrer Messe herauskamen, auch die wenigen Änderungen, die Luther vornahm, schon eine große Umwälzung bedeuteten. Sie konnten gar nicht anders als in den alten Formen anbeten, zumal wenn sie ihnen als Gewand eines neuen Geistes entgegentraten und wenn die Mannigfaltigkeit der Gestalten jede Iwangsgewalt einer Normalform ausschloß. Wir empfinden ganz anders, auch anders als Fendt. Uns fagen die alten Formen nicht mehr dasselbe. Wir müssen die Schöpfung Luthers zwar als eine zeitgeschichtlich notwendige Maßregel, ja vielleicht als eine Großtat werten. Allem wir kommen nicht um den Eindruck herum, daß das Ganze doch nur eine verstümmelte Messe ist: eine Messe, der man das Herz ausgebrochen hat. Wir bedauern es, daß es damals nicht möglich war, auf lutherischem Boden etwas ganz Neues zu schaffen, das ohne Anbequemung und Zwang zur Umdeutung dem neuen Wein neue Schläuche geboten hätte. Wir spüren die Gewalt der alten Meßform überall um uns her; sie hat immer wieder die Entwicklung des evangelischen Kultus bestimmt, wenn er sich ihr einmal entziehen wollte. Dies letztere geschah, wenn der Geist erstarkte, der in der reformierten Kirche den Kultus gestaltet hatte
Iwingli: Mgemeine Verhältnisse.
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Zwingli. Allgemeine Verhältnisse. kultischen Bestrebungen und Einrichtungen dieses Reformators führen uns auf einen ganz neuen Boden. Während Luther eine Art von gereinigtem Katholizismus herstellt, bedeutet der Schweizer Kirchengründer den äußersten Gegensatz zu der alten Kirche. Zwar stimmte er mit Luther in seinen religiösen Grundlagen überein. Es handelt sich um das Heil der Seele im biblischen Sinn: Gemeinschaft mit Gott und mit seiner Welt. Diese kann nicht verdient, si< kann nur aus Gnaden geschenkt und im Glauben empfangen werden. Diese Seite an demchristlichenHeilsempfang drückt Zwingli anders aus als Luther. Was für diesen die Rechtfertigung aus Gnaden durch den Glauben, ist für ihn die Erwählung. Der Kern dieser so schwierigen und so viel angefochtenen Lehre ist der religiöse Gedanke, daß wir nichts zu unserem Heil tun, sondern es nur aus der Hand Gottes empfangen können. Auch in der Unterscheidung zwischen dem Kultus und dem wahren Gottesdienst hegt Zwingli dieselben Gedanken: der vahre Gottesdienst vollzieht sich in der Anbetung im Geist und in der Wahrheit von feiten der Gläubigen, die Christus als Lamm Gottes anbeten und ihren Glauben in der Liebe beweisen. Der kultische Gottesdienst ist ein Mittel hier wie da im Dienst dieses wahren Lebens im Dienste Gottes. Allein in der Ausführung dieser Grundgedanken weicht Zwingli von Luther weithin ab. Er war eine andere Persönlichkeit und kam aus einer andern Umgebung. Als Schüler des Humanismus stand er der Überlieferung viel freier gegenüber; zugleich war er viel radikaler gesinnt und viel nüchterner und lehrhafter gerichtet als der auf die Schonung der Angstlichen bedachte und gemütvollere Luther. Hing
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Iwingli.
dieser voll Pietät an den altehrwürdigen kirchlichen Formen, an denen er nur so viel änderte, als seine neue Stellung zu Gott unbedingt erforderte, so ging Zwingli rücksichtsloser vor. Er entfernte auf allen Gebieten nicht nur, was sich mit dem neuen Verständnis des Evangeliums nicht vertrug, sondern auch was mit der Schrift nicht übereinstimmte. So kam er dazu, besonders dem Abendmahl eine ganz andere Bedeutung einzuräumen, die, wie man weiß, ganz und gar dem Sinn Luthers widersprach. Davon nachher noch mehr. I n der Hochschätzung des Wortes und der Predigt stimmte er mit Luther überein. Nur daß er auch hier weit über die Linie von diesem hinausging. Das Wort und die Predigt gewinnen eine noch viel größere Bedeutung als bei jenem und werden viel höher als das Abendmahl geschätzt. Besonders das Alte Testament kommt zu hoher Ehre; so entsprach es dem gesetzlichen Zug der reformierten Kirche. Diese in der Art ihres Urhebers begründeten Züge wurden noch sehr durch die geschichtliche Entwicklung der reformierten Kirche verstärkt. Sie wurde viel in Ländern verbreitet, die unter dem Einfluß der alten Kirche standen. So kam es, daß die Reformierten dazu getrieben wurden, den Gegensatz zu dieser immer stärker herauszuarbeiten. Man lernte die äußersten Folgerungen aus dem geistigen Grundzug des Evangeliums ziehen. Alles was symbolisch, was schön im alten Sinn, was weihevoll im Geist des Numinosen war, wurde mit Argwohn angesehen und entfernt. Darum läßt man nur wenig Zeremonien zu. Bilder, Orgel, Kirchenschmuck aller Art, Kirchenlieder, soweit sie nicht biblische Psalmen waren, altehrwürdige Bestandteile der Messe — alles wurde entfernt; jeder Versuch, etwas davon wieder einzuführen, hatte gegen den Verdacht katholischer Neigung zu kämpfen. Man fürchtete, daß dadurch die alleinige Kraft des Wortes beeinträchtigt würde. Diese galt nicht nur als
Allgemeine Verhältnisse.
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Gnadenmittel wie bei Luther, sondern auch jenem gesetzlichen Zug entsprechend als Erziehungsmittel oder als Gesetz. Es sollte das Leben der Gläubigen nach allen Seiten hin regeln. So kam man dazu, die überlieferten Formen des Gottesdienstes so zu beschneiden, daß eine vermeintlich urchristliche, also biblische Form zurückblieb; in ihr herrschte als unentbehrliches Stück das Wort vor. I n derselben Weise wie dieses wurde auch im Unterschied von Luther das Abendmahl aufgefaßt und seine Feier umgestaltet. Für diesen waren beide Gnadenmittel, also Versicherungen der Vergebung und des Heiles. Dem Wort wurde daneben noch die Stellung als des Mittels zur Heilserziehung gegeben. Beide bildeten die objektiven Grundlagen, auf denen die Kirche stand, wie die römische auf der Tradition und der Hierarchie. Zwingli gab dem Abendmahl eine ganz andere Bestimmung. Es wurde aus der objektiven Grundlage der Kirche zum subjektiven Bekenntnis der Gemeinde. Genauer wurde es wieder zur Eucharistie, also zum Danksagungsakt, wie es in der ältesten Zeit der Kirche gewesen war. Damit aber wurde es seiner Bestimmung für die nach Gnade und Heilsgewißheit verlangenden Sünder entzogen. Es wurde zur Feier der frömmsten Gemeindeglieder, die ihrer würdig waren. Nicht die Sünder, sondern die Würdigen und Vollkomnmen hatten das Recht, teilzunehmen. Von ihm konnten die Sünder und Ungläubigen ausgeschlossen werden. So wurde also das Abendmahl wie das Wort in den Dienst der Erziehung der Gemeinde gestellt. Zugleich aber wurde die Gemeinde noch in anderer Weise als in der Kirche Luthers zur Trägerin dieser F?ier gemacht. Sie war es, die da feierte, sie erhielt darum auch ein ganz anderes Maß von Selbstbetätigung zugeteilt als in der anderen Kirchengemeinschaft. Ist sie in dem Predigtgottesdienst wesentlich bis auf einige Stücke Gegenstand der
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Zwingli.
erbauenden Tätigkeit ihres Predigers, so hat sie im Abendmahl Rechte, die dem bisher üblichen Gebrauch sehr entgegenstanden. Die nicht geistlichen Gemeindeglieder hatten ihre Aufgabe dabei zu übernehmen und die Gemeinde wurde noch weit mehr liturgisch herangezogen, als es Luther getan hatte, der die Antworten des Diakons der Gemeinde in den Mund gelegt und ihr Lieder zum Singen gegeben hatte. Die Hauptsache aber war die Trennung des Wortgottesdienstes und der Abendmahlsfeier. Wenn diese den Höhepunkt des Gemeindelebens darstellt, der sich nur für eine in würdiger Verfassung befindliche Gemeinde paßt, dann konnte man nicht mehr jeden Sonntag das Gememschaftsmahl feiern. So beschränkte man es auf vier Sonntage im Jahr. Dadurch gewann der Predigtgottesdienst seine selbständige Stellung wieder. Beide Feiern wurden, wie es im Anfang derchristlichenKirche gewesen war, getrennt. Damit wurde eine Einrichtung beseitigt, die Luther nicht in Frage gestellt hatte: der Gottesdienst, der mit der Verkündigung begann und in der Sakramentsfeier seinen regelmäßigen Höhepunkt gewann. Was sich in der Kirche Luthers aus der Not ergab, aus dem Fehlen von Kommunikanten an den gewöhnlichen Sonntagen, das wurde hier zu einer grundsätzlichen Einrichtung: Predigt- und Abendmahlsgottesdienst rückten auseinander und suchtenjeder für sich eine abgerundete Gestalt. So zog Zwingli in vielen Beziehungen Folgerungen, die Luther zu ziehen nicht gewagt oder über sich gebracht hätte; denn er war mehr darauf bedacht, das Volk zu nehmen, wie es war, um es zu erziehen auf eine Höhe, die dem Christenglauben entsprach, als streng aus Grundsätzen die logischen Folgerungen zu ziehen. Man kann sich für jede dieser beiden Weisen entscheiden. Zwingli hatte es vielleicht ebenso wie die reformierte Kirche in ihrem späteren Gebiet mit reiferen und gebildeteren Menschen zu tun. Sicher ist
Die kultischen Formen.
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so die evangelische Sache ihrer ganzen Art entsprechend gründlich aus jeder kultischen Uniformität herausgerissen und dadurch zu mannigfaltiger Gestaltung veranlaßt worden. Die kultischen Formen. Wir bestätigen diese allgemeinen Erkenntnisse, indem wir die Formen darstellen, die Zwingli seiner Auffassung vom Gottesdienst entsprechend gebildet hat. Wir fügen ihnen die von Calvin eingeführten zum Vergleich hinzu. Beide Male handelt es sich um die Form des Wortgottesdienstes und der Abendmahlsfeier; deren Trennung war ja das Merkmal dieser Reform der Kirche. Wenn sich Luther des Meßschemas bedient, um nach Ausscheidung der unevangelischen Stücke einen Kultus herzustellen, der Predigt und Abendmahl noch in einem Stück vereinen soll, so hat sich Zwingli einen anderen Ausgangspunkt gewählt. Neben der Messe gab es im Mittelalter, wie wir gesehen haben, auch einfache Predigtgottesdienste; sie konnten einfach sein, weil das Schwergewicht des Kultus auf der Messe lag. Zwingli baute nach diesem Vorbild seinen Wortgottesdienst. Den Anfang macht ein Gebet um den Segen des Wortes Gottes und für alle Anliegen der Gemeinde : Obrigkeit, die verfolgten Glaubensgenossen und die Notdurft von Leib und Seele. Dieses Gebet läuft aus in das Unser Vater. Darauf kommt als der Höhepunkt des Ganzen die Predigt. Ihr folgt die sog. Offene Schuld, die allgemeine Beichte mit Vergebung und Behaltung der Schuld. So bleibt der Gottesdienst im wesentlichen bestehen, wenn einige Zusätze und Abstriche nicht in Rechnung gezogen werden. Das Ganze entbehrt jeder Stimmung; es ist ein harter und lehrhafter, ja pädagogisch-zuchtmeisterlicher Geist, der hindurchgeht. Nüchterner schweizerischer Sinn paart sich mit humanistischer Volksunterweisung und Pädagogik. Calvin ha! l i i c b e r g a l l . Der cuanaclilchc Gottesdienst.
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Zwmgli.
diesen Zug. Er beginnt mit der Verlesung des Dekalogs, also der Zehn Gebote. Auf sie läßt er jene Offene Schuld folgen. Dann kommt die Predigt, und diese läuft hinaus auf Gemeindegebet und Bekenntnis des Glaubens. Dieser Aufbau vermeidet den Fehler Zwinglis, der die Predigt dem Bekenntnis der Schuld dienstbar gemacht hatte. Calvin führt in die Höhe, indem er mit dem Schuldbekenntnis beginnt und über die Predigt den Gottesdienst auf Gebet und Glaubensbekenntnis hinauslaufen läßt. Hart ist immer noch die Verlesung der Gebote, mit denen heute noch in Schweizer Kirchen ein Gast sehr peinlich überrascht werden kann. Diese Form des Gottesdienstes ist wieder mit einigem Ab und Zu in Ländern mit reformiertem Charakter matzgebend geworden, und in andern stellt sie den Typ der Nebengottesdienste dar. I m Abendmahl hat Zwmgli ganz neue Gedanken gestaltet. Freilich verwendet auch er wie LutherTrümmer der altenMesse für seinen Neubau. So eindrucksvoll sind die alten Formen auch für einen neuschöpferischen Geist. Anziehend ist es zu sehen, wie er altes und neues Gestein in einer ganz neuen, seiner religiösen Eigenart entsprechenden Weise zusammenfügt. Wieder beginnt die Feier mit einem Gebet um ihren Segen. Dann folgt nach Verlesung von 1. Korinther 11,20 bis 29 das Große Gloria, und zwar abwechselnd von Pfarrer und Gemeinde und wiederum von Männern und Frauen gesprochen. Formeln und Schriftverlesung leiten zu dem ebenso gesprochenen Apostolischen Glaubensbekenntnis über. Nach einigen vorbereitenden Worten und Gebeten folgt die Kommunion. Sie findet in der Weisestatt,daß Diener ungesäuertes Brot, das auch bei dem ersten Mahl verwandt worden ist, zu der Abendmahlsgemeinde hintragen, die in den Bänken sitzenbleibt. Die Ordnung Calvins kommt an diese schöne Gestaltung der Feier nicht heran. Er verwendet
Die kultischen Formen.
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wesentliche Stücke aus jener, aber er vermag nicht so stimmungsvoll zu gestalten. Eine große formulierte Ansprache gibt dem Ganzen einen etwas trockenen und die Exkommunikation aller Lästerer einen recht harten Charakter. Er aber hat festgesetzt, daß das Abendmahl nur viermal im Jahre gefeiert werden soll, und damit den wichtigen Schritt vollendet, es grundsätzlich von dem Predigtgottesdienst zu trennen. So vollendetsichin der reformierten Kirche der Gegensatz zu der katholischen an all jenen Punkten, die wir der geschichtlichen Betrachtung entnommen hatten. Die ganze Haltung ist durchaus prophetisch und steht im Gegensatz zu allem Priesterlichen. Der klerikale Zug ist möglichst ausgetilgt; die Gemeinde nimmt den ihr im Neuen Testament zugesprochenen Platz ein. Ebenso weicht das Numinose, also der heilige Schauer vor dem mystischen Geheimnis, dem hellen Licht des Verstandes, der erkennen und verstehen will, wenn er anbeten soll. Dem entspricht es wieder, wenn alles Sinnliche und sogar Sinnbildliche zurücktritt; rein geistig sott der gereinigte, dem Wort geweihte Gottesdienst sein. Das Wort und immer wieder das Wort, das verlesene und das gepredigte, soll es machen, dagegen tritt das Sakrament zurück oder wird auch im Geiste des Wortes behandelt. Es kann keinen größeren Gegensatz auf dem Gebiet des Kultus geben als den zwischen beiden Polen. Nun wird aber auch die Stellung der lutherischen Kirche klar: sie steht in der Mitte zwischen beiden und zwar in einem relativen Gegensatz zu jeder von ihnen. Sie hat Priesterliches bewahrt neben dem Prophetischen. Die Gemeinde wurde in ihr bald wieder Gegenstand der kultischen Behandlung. Dem Numinosen hat sie in ihrer Auffassung und Gestaltung des Herrenmahles ebenfalls Raum gegeben. Das Sinnliche als Sinnbild und als Sakrament hat sie gepflegt. Sie hat immer im 4.
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Zwingli.
Gegensatz zu allem, was kahl und nüchtern ist, die entgegengesetzten seelischen Kräfte zu ihrem Recht kommen lassen. Diese ihre Stellung ist bloß für den von vornherein fehlerhaft, der lebendige Gebilde geschichtlicher Art, die dem geistig-seelischen Leben als Ausdruck und Mittel dienen sollen, an der logischen Folgerichtigkeit mißt. Übergänge, Vermittlungen, Mischbildungen haben auch ihr Recht. So entspricht es der seelischen Lage von vielen, die nicht einheitlich gestaltet sind, und so entspricht es auch der Art, wie die Entwicklung in der Zeit voranschreitet. Wir wollen uns freuen, daß diese drei Typen gottesdienstlichen Lebens vorhanden sind. So entspricht es nicht nur der Geschichte, die ihren Niederschlag als gegenwärtig geltende Größen zurückläßt, sondern auch den verschiedenen seelischen Strukturen, die sich in ihr zum Ausdruck gebracht haben. Die Wirklichkeit. Vor allem fällt in dem neuen kultischen Gesamtleben der beiden reformatorischen Kirchen die Buntheit der Gestaltungen auf. Der Anschluß der Reformation an die territoriale Ordnung hatte zur Folge, daß jedes Land und Ländchen, ja auch jede größere Stadt ihre besondere Form erhielt. Diese Mannigfaltigkeit wird nur der bedauern, der das, was allgemein gelten soll, höher schätzt als das Eigenartige. Gewiß ist es ein erhebendes Gefühl, an einem Kult teilzunehmen, der in erhabener Gleichförmigkeit über die ganze Erde hin gefeiert wird. Aber auch das Heimatliche hat immer gerade auf unserm Gebiet seinen großen Reiz ausgeübt. Freilich ließ jene universale Weite dieses traute Gefühl nicht aufkommen, so hat auf der andern Seite die Herrschaft von heimatlichen Formen die Spießerei und die Eigenbrötelei, das unselige Erbe der Deutschen und der Evangelischen zumal, verhängnisvoll begünstigt.
Die Wirklichkeit.
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Es wird überraschen, wenn wir auch unter ästhetischem Gesichtspunkt die neuen kultischen Formen nicht gering schätzen. Es scheint zwar, als könnten sie mit den kathollschen in gar keinen Wettstreit eintreten. Was kann schöner sein, was ist häufiger besungen und gemalt woroen von unserem Gebiet, als der katholische Kult in allen seinen Gestalten? Wenn die Messe gefeiert wird, wie schön, wie verführerisch schön ist da alles! Die Morgensonne scheint durch die bunten Fenster des Chors und beleuchtet die heiligen Vorgänge am geschmückten Altar. Hier waltet in kostbarem, buntem Gewand der Priester mit dem Diakon seines Amtes. Sie verneigen sich, treten von der einen Seite des Altars zur andern; der Priester hebt die goldene Monstranz und alles Volk fällt auf die Kme uno verharrt, wenn das Glöcklein geklungen, in andächtigem Schweigen, eingehüllt in den betäubenden süßen Duft des Weihrauchs. Was kann damit von kultischen Feiern in Wettbewerb treten? Aber gibt es nur eine Art von Schönheit, die bunte und prunkvolle Art? Nicht auch die schlichte uno die dem Gehalt der Sache angepaßte einfache Ausdrucksform? Wessen Sinn und Auge für eine solche eingerichtet ist, der sieht auch die Schönheit des evangelischen Kultes. Nicht nur fühlt er nach die Weihe und Festlichkeit einer Feier lutherischen Gepräges, wenn der Pastor, vielleicht mit dem weißen Chorhemd bekleidet, die Liturgie singt oder der langen Reihe von Gästen, die vor ihm knien, Brot und Wein reicht; wenn an Festtagen der Chor alte und neue Hymnen singt oder ein festliches Gepränge ein Paar am Altar oder ein Kind am Tauftisch umwogt. Nein, auch die Schönheit des einfachsten reformierten Kultes oder einer einfachen Feier mit Lied, Predigt und Gebet am Nachmittag, in der Frühe oder am Abend muß man empfinden oder nachempfinden können.
Zwing«. Es ist die schlichte Schönheit, wie sie im Unterschied von der bnnten Pracht eines Hochaltars dem einfachen Tisch mit der Bibel oder dem Kreuz, im Unterschied von der bunten Pracht der Meßgewänder dem vornehmen Schwarz und Weiß des Predigertalares eignet. Und mag der einstimmige Gesang der Gemeinde vom künstlerischen Standpunkt aus manches zu wünschen übriglassen, er kann doch in seiner seelischen Schönheit ergreifend wirken. Nur muß man ein Verständnis haben für die einfache Größe und Schönheit des evangelischen Chorals, die für einen gewissen Geschmack von der keiner Litaneien oder auch Marienlieder erreicht wird. Mag die hypnotische Wirkung des Rosenkranzgebetes Eindruck machen, auf wen sie will, es ist ein unvergängliches Verdienst der evangelischen kultischen Ordnung, das Gebet des Herrn zum Höhepunkt der Gemeindefeier erhoben zu haben. Gewiß lockt immer wieder die Messe zur malerischen Verherrlichung; aber es hat auch immer Maler gegeben, die ein Auge hatten für die ästhetischen Werte, die einer einfachen Abendmahlsfeier in einer Dorfkirche innewohnen. Dasselbe gilt von der Feier der andern heiligen Handlungen. Mit dem Bild der katholischen Taufe, das den ornatgeschmückten Priester am Taufstein in der Vorhalle der Kirche zeigt, wie er den heiligen Weihezauber ausführt, kann wohl das evangelische Gegenstück in Wettbewerb treten, da der Pfarrer im Angesicht der Gemeinde mit treuem Wort die heilige Handlung begleitet. Man mag über Leichenreden sagen, was man will, sie ent« sprechen einem andern Ideal von Schönheit, einer seelischpersönlichen, die die kühle Pracht von katholischen Exequien weit hinter sich läßt. Es verhält sich mit solchen Geschmacksurteilen wie mit allen ähnlichen auch: man urteilt immer aus der Tradition heraus über die Erzeugnisse dieser Tradition. Sie hat jedem auch sein ästhetisches Empfinden gebildet, so daß man sich gegenseitig nicht versteht.
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Trotz vielem Neuen, was der evangelische Kult gebracht hat, begann er doch auf vielen Gebieten nicht mit eignen Schöpfungen, sondern richtete sich in dem Gehäuse des alten ein. So geschah es z. B. mit allen Formen von Raum und Zeit, in denen von jeher der Kulws verlief. Es ist der Kirchenraum und das Kirchenjahr, die hier in Betracht kommen. Auch hier verhalten sich die beiden neuen Kirchen verschieden zu den Formen der alten. Luther behielt von dem Kirchenjahr bei, was immer sich mit evangelischen Grundsätzen vereinigen ließ und woran die Pietät der Schwachen hing; auch die Tage der Maria und der Apostel. Der Radikalismus der Schweizer verwarf das Kirchenjahr als unbiblisch und hielt einen Sonntag wie den andern. Hat doch noch vor etwa siebzig Jahren ein deutscher reformierter Prediger am Weihnachtstag über die Kreuzigung gepredigt. Die Kirche Luthers richtete sich leicht ein in den schönen alten Kirchen und Kathedralen, die sie von der römischen übernahm. Ihre Hochaltäre, ja auch ihre Beichtstühle, die ganze Pracht und erhabene Weihe ihrer Architektur ließen sich ohne weiteres als Gefäß für die neue Frömmigkeit verwenden, die der alten fo verwandt war. Ganz anders die Reformierten; sie warfen alle Bilder, „Altarien", sogar die Orgel hinaus, übertünchten die Wand der schönsten Kathedralen mit weißer Farbe und litten auf dem Altartisch nur die Bibel. Wir werden später hören, wie sich dieser dogmatisch bestimmte Radikalismus vom volkserzieherischen und ästhetischen Standpunkt aus hat eines Besseren belehren lassen. Es mutz irgendeine Art von kirchlicher Struktur in der Seele des frommen Volkes geben, die geradezu nötigend wirksam werden kann. Wie käme es anders, daß religiöse Bewegungen auch radikalster Art, wie etwa der moderne Monismus oder die Anthroposophie, nach einem Jahrzehnt ihres Bestehens aus dem heftigen Gegensatz zu den Kirchen
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Zwing«.
dazu übergehen, selbst Kirchen mit Kult und Sitte zu schaffen! Nicht anders die Kirchen der Reformation. Wieder beginnt sich kirchlich-kultisches Leben durch das Leben des Volkes hindurchzuschlingen. Es gibt einen neuen Rhythmus des Lebens im Alltag, in der Woche, im Jahr und im Leben. Es erhebt sich ein neues Rahmenwerk des Daseins, ein Spalier sür frommes, sittliches und soziales Leben. Weltleben und Kirche fangen aufs neue an, sich aneinander anzuschmiegen. Alte Sitten gewinnen einen neuen Sinn, nicht ohne daß ihn die alte Form noch stark beeinträchtigt. So haben noch vor etwa vierzig Jahren alte Leute vor dem Abendmahl auch in Städten gefastet. So bildete sich aus alter und neuer Grundanschauung die Sitte, „sein" Ostern zu feiern. Dann und dann ging die Jugend, dann das Alter, dann die Männer und dann die Frauen zum Abendmahl. Weit verbreitet war und ist auch noch die Sitte, daß aus jedem Hause jeden Sonntag die Hälfte der Insassen, mindestens einer zu jeder Leiche geht. Um Taufe und Trauung wand bor allem die Sitte ihren Kranz. Kurz, es ist wieder Kirchengeist auf dem neuen Boden aufgestanden; es „kirchelt" in der evangelischen wie in der katholischen Kirche, und dieser Geist hängt an dem kultischen Leben. Wieder gibt es Fromme genug, die, unbegreiflich für moderne Geister ohne Bedürfnis der Anlehnung und ohne Gemüt, an ihrer Kirche hängen und je nach ihrer geistigen Höhe all ihre Gedanken und Interessen um den Gottesdienst kreisen lassen. Daß es zumal das weibliche Geschlecht ist, von dem dies gilt, braucht nicht verschwiegen zu werden. Es ist aber nicht nur die Dame, die daran beteiligt ist, und auch nicht bloß das Weib, sondern die wackere deutsche Frau. Doch wir sind mit diesen Schilderungen schon zu weit in die Gegenwart geraten; wir wenden uns wieder dem Grundsätzlichen zu, das in der geschicht lichen Gestalt des neuen Kultes zutage getreten ist.
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Wir müssen auch von den Schattenseiten sprechen. An ihnen fehlt es von Anfang an nicht; wir leiden noch unter ihnen. Teils rühren sie daher, daß das Neue in den Formen des Alten auftrat, weil es niemals anders auftritt, teils aber auch daher, daß man das Neue bis ins äußerste hinein verfolgte und damit gerade berechtigte und notwendige Seiten an dem Alten vernachlässigte. So ist immer alles, was Idee und Wirklichkeit des neuen Kultes ausmacht, durch sein Verhältnis zu dem alten bestimmt. Zu den Schattenseiten der ersten Art gehört z. B . der Zwang. Zwar hatte die Reformation im Gegensatz zum alten Werkwesen und zur Tyrannei der Hierarchie die Freiheit auf ihr Banner geschrieben. Aber schon Luther selbst beschrankte diese auf die nichtzentralen Teile des Kultus. Immer mehr machte sich das Bestreben der kirchlichen Behörden geltend, das ganze Gebiet streng unter ihrer Jurisdiktion zu halten. Nur die Vielheit der Landeskirchen machte eine Uniformität unmöglich; aber innerhalb jeder einzelnen bestimmte das Konsistorium den liturgischen Brauch. Das hat sich bis zur Gegenwart erhalten. Aber auch der Besuch des Gottesdienstes und des Abendmahls durch die Gemeinde unterlag demselben Zwang. Die Gläubigen standen unter der Kontrolle des Amtes oder der sog. Zensoren, also gewählter Männer aus der Gemeinde. Versäumnisse wurden bestraft. Auf der andern Seite wurde auch das kultische Leben dazu verwandt, Strafmittel für gewisse Sünden herzugeben: die Kirchenzucht schloß vom Abendmahl aus. Nicht weniger schlimm waren aber die Schäden der andern Art, die aus der folgerichtigen Durchführung der neuen Pflege der Frömmigkeit erwuchsen. Gewiß war die Predigt, wenn auch nicht unterblieben, so doch vernachlässigt worden in der alten Kirche. Die Gläubigen wußten nichts; es genügten ja Brauch und Sakrament. Nun alles auf Wort, Geist und Glauben ge-
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stellt war, mußte das Volk unterwiesen werden. Das geschah nun eifrig, übereifrig. Es wurde gepredigt und gepredigt, Sonntag und Werktag. Alles wurde auf die Predigt gestellt. Die Kirche ward zur Schule. An die Stelle der Feierlichkeit trat die Lehrhaftigkeit. Der Prediger drängte den Liturgen zurück oder nahm ihn ganz in sich auf. Weihe wich der Trockenheit, Anbetung der Lehre; aber die Lehre machte leer oder ließ viele leer. Hier liegt wieder ein Anlaß für spätere Reformen vor, wenn sich das Bedürfnis geltend macht, mehr Feier, mehr Anbetung und mehr Stimmung der Andacht in den Gottesdienst hineinzubringen. Die Predigt, zumal in ihrer lehrhaft-pädagogischen Weise hat, wie schon einmal bemerkt wurde, sich für die Zurückdrängung dmch den sakramental-mystischen Teil des Kultes gerächt und hat den ganzen Kult mit ihrem Geist beherrscht. Predigt und Anbetung suchen seitdem ihr normales Verhältnis. Sie können sich nicht vertragen und auch nicht entbehren; sie sind nicht zu trennen und nicht leicht zu verbinden. Fendt führt aus, wie der Kult der lutherischen Kirche von seiner idealen Höhenlage wieder heruntergesunken ist. Aus dem Kult als Ausdruck ward er zum Kult der Erziehung; der Geist ward wieder zur Sache, genauer zum Ding. So liegt es aber im Wesen alles Kirchentums begründet, das die Masse mitnehmen und sich nicht auf eine Auslese beschränken will. Es ist, man möchte sagen, eine Art von eatk0ii2i8mu3 natulaiis, eine Grundstimmung, die immer wieder in die Elemente zurückzufallen veranlaßt. Diese sind auf dem Gebiet des Kultes Verdinglichung und Verdienstglaube. Zwischen der massa in den beiden sonst so verschieden gerichteten Kirchen herrscht in dieser Hinsicht große Übereinstimmung. Auch an diesen Punkten wird die Krink einsetzen, die durch die Geschichte selbst vollzogen wurde.
Von d. Reformation b. z. Gegenwart: Geschichtliches. 59 Aber all dieser Schäden und Schatten unbeachtet hat das kultische Leben der evangelischen Kirche in den Jahrhunderten seine Aufgabe erfüllt. Was uns heute minderwertig scheint, war das jenen Zeiten angepaßte Gewand. So ist in jenen Formen viel befreiende Andacht und Anbetung zum Himmel emporgestiegen und viel Mahnung und Trost, Kraft und Stärkung herabgekommen. Wie sich in Regenzeiten in unterirdischen Kammern das Wasser sammelt, von dem nachher die Quellen und Bäche und Brunnen gespeist werden in dürren Zeiten, so ist damals viel seelische und sittliche Kraft gleichsam gebunden und in den TiefendesVolkslebens geborgen worden; von ihnen leben heute noch viele, die keine Ahnung davon haben. Die Frage ist nur, wie lange der Vorrat noch reicht. Auch die tiefsten Brunnen können einmal erschöpft werden.
Von der Reformation bis zur Gegenwart. Geschichtliches. Wollen wir die gegenwärtige Lage des kultischen Lebens verstehen, dann müssen wir wieder die Entwicklung verfolgen, die den Boden, auf dem wir stehen, geschaffen hat. Mehrere geschichtliche Aufstiege müssen wir verfolgen, den eigentlich kirchengeschichtlichen, der freilich mit dem staatengeschichtlichen eng zusammenhängt, den Aufstieg der religiöstheologischen Lehre, den der im engeren Sinn liturgischkultischen praktischen und theoretischen Arbeit und die kulturelle Entwicklung, also die des Geschmacks z. B . und die des Volkslebens. Aus all diesen Bewegungen kamen Einflüsse auf unser Gebiet, mehr als daß dieses auf jene eingewirkt hätte. 1. Das Bild der Verbreitung der verschiedenen gottesdienstlichen Formen wird durch die kirchengeschichtliche Entwicklung besn'mmt. Ganz im großen kann man sagen,
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Von der Reformation bis zur Gegenwart.
daß ihr entsprechend im Norden und in der Mitte von Deutsche land die lutherische und im Westen und im Süden die reformierte Ordnung vorherrscht. Hier und da entwickeln sich an der Grenze der Gebiete Mschformen; aber im ganzen zeugt heute noch für den ersten Blick der Hauptgottesdienst einer Gemeinde, zu welchem Zweig der Reformation sie gehört. Die erste Gruppe behielt ganz nach Luthers Vorschlägen die Formen des mittelalterlichen Meßgottesdienstes samt dem täglichen Wechsel der einzelnen Stücke, den liturgischen Gesang des Geistlichen, z. T. auch für den Altardienst die alten liturgischen Gewänder, in den Städten die Schülerchöre und vielfach auch die lateinische Sprache bei. Der Gottesdienst blieb dreigeteilt in den Vorgottesdienst, die Predigt und das Abendmahl; die Predigt wurde von der Kanzel gehalten, die andern Stücke vom Altar aus. Lichter und Kruzifixe sind geblieben (nach K. Müller). I m Südwesten dagegen sind die Grundlinien der Züricher Ordnung erhalten. Predigt und Abendmahl sind geschieden; der gewöhnliche Sonntagsgottesdienst findet ganz von der Kanzel aus statt, der Altar dient nur für das Abendmahl. Alle äußeren Überreste des mittelalterlichen Brauches sind verschwunden (nach demselben). Über das innere Verhältnis zwischen den einzelnen Gruppen der Bevölkerung und. ihren kultischen Ordnungen ist es schwer etwas zu sagen. Es waren offensichtlich mehr geschichtliche Umstände, also die von oben her gemachte Reform, als die Wahlverwandschaft mit dem neuen Geist, was die Wahl der kultischen Form bestimmte. Aber sicher hat dieser Geist dann im regelmäßigen Einfluß während vieler Jahrhunderte zur Gestaltung der Volksseele beigetragen, ohne daß man es wagen dürfte, dies in begrifflichen Aussagen zu fassen. Die lutherische Form ist im skandinavischen Norden als die einzige verbreitet, während in Holland z. B . die andere vor-
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herrscht. England erhielt eine ganz besondere Gestalt des Kultus, eine Mischung von altkirchlichen mit kalvinischen Bestandteilen. Viele Lektionen und Gebete, antiphonische, also im Wechsel von Liturgie und Gemeinde vorgetragene Gebete, Bibelstellen und Voten, verleihen diesem Kult ein sehr lebhaftes und frisches Gepräge, wenigstens für den, der ihn gewöhnt ist und seiner Art nach in ihm den Ausdruck seiner Frömmigkeit findet. Von beiden Formen, der nordischen und der anglikanischen, gehen gegenwärtig Einflüsse auf unsere deutsche Liturgie aus, darum seien sie schon hier vermerkt. I m Gegensatz zu der anglikanischen hat sich die Puritanische Frömmigkeit und kultische Art entwickelt; im Geist des Kalvinismus fiel aller Nachdruck auf die Kirchenzucht und die Predigt. I n dieser Weise find ihr die Sekten gefolgt, die sich wie z. B . der Methodismus auch auf deutschem Boden ausgebreitet haben. Die beiden Grundformen haben in mannigfacher Weise innerhalb Deutschlands aufeinander gewirkt. Sie haben sich teils abgelöst, teils mehr still als bewußt aneinander gegenseitig abgeschliffen undsicheinander angenähert. Das merkwürdigste Beispiel für das erste Verhalten bietet die badische Kultusentwicklung. Es ist sehr lehrreich zu sehen, wie dabei die politischen Verhältnisse mitgespielt haben. Die Vereinigung der beiden Grundbestandteile des Landes wirkt gleich schon auf die Gestaltung des Gottesdienstes ein. Später ist es der Einfluß Preußens, der sich in der Vorherrschaft lutherischer Formen geltend macht. Dazwischen kommen immer einmal wieder rein liturgische Einflüsse zur Geltung. Die Union zwischen der lutherischen und der reformierten Kirche ist auch von Bedeutung gewesen. So kam das kirchliche Leben die ganze Zeit hindurch nicht zur Ruhe. Das braucht ja nicht nur ein Schaden zu sein, wenn man die katholische Kirche nicht als die Norm für alle kirch-
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lichen Fragen ansieht. Sie bezahlt ihre Ruhe doch sehr hoch mit ihrer Unveränderlichkeit, während es der unfern gegeben ist, sich den Zeiten anzupassen. Gerade die Union zwingt immer mehr dazu, auf eine einheitliche Form hinzuarbeiten. So wird die lutherische Gestalt des Gottesdienstes immer einfacher und wirft ab, was an die Mefse erinnert. Dafür nimmt die reformierte Form mancherlei an, was zur Belebung dient. Man kann darüber streiten, was besser sei, die für alle Evangelischen bestimmte Mischform oder die für jede der beiden Grundtypen kennzeichnende ursprüngliche Eigenart. Sobald man die Meinung aufgegeben hat, daß überall auch nur in einer Landeskirche oder auch nur in einer großen Stadt dieselben Formen herrschen müssen, wird man sich freuen, für die verschiedenen Bedürfnisse, wie sie durch Anlage und Entwicklung bestimmt sind, auch verschiedene Formen zur Verfügung zu haben. 2. Die Geschichte der Frömmigkeit und der Theologie soll uns einen mehrfachen Dienst leisten, der Aufgabe gemäß, die jede tiefer eindringende geschichtliche Betrachtung hat. Sie soll uns einmal manche Anschauung und Gewohnheit auf dem Gebiet des Kulws verstehen lehren, und zwar solche, die sich bei den Leitern und Dienern der Kirche, und auch bei dem Kirchenvolk finden. Gerade auf dem von uns zu behandelnden Boden herrscht die Gewohnheit mit großer Zähigkeit, so daß man damit rechnen kann, alte Anschauungen immer noch zu finden und herrschende aus der Vergangenheit verstehen zu können. Tann aber soll die Geschichte auch eine Art von liturgischem Museum bieten. Es zeige, wie man damals diesen Fortschritt und damals jenen gemacht, aber auch wie zu jeder Zeit große Fehler das kirchliche Leben gefährdet haben. Es find Fehler, die immer wieder gemacht werden können, die gleichsam der evangelischen Kirche im Blut
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liegen. Und die Fortschritte haben es oft sehr schwer, sich zu behaupten, weil ihnen andere Gewohnheiten entgegenstehen. Wir wollen nachher die Probleme zusammenfassen, an denen die Zeiten gearbeitet haben; vielleicht gelingt es uns einmal, etwas daraus zu lernen, also Fortschritte aufzunehmen und Schäden zu vermeiden und zu beseitigen. Die Zeit der Orthodoxie ging auf dem Wege weiter, den die Zeit nach der Reformation eingeschlagen hatte. Noch empfand man ganz kirchlich, wie es von der katholifchen Kirche die evangelische übernommen hatte. Aber immer mehr machten sich jene beiden Richtungen geltend: die gesetzlich-dingliche und die lehrhafte. Der Gottesdienst wurde nieder zu einer heiligen Sache, zumal das Abendmahl. Man nußte wieder zum Wort und zum Sakrament kommen; das Rittet wurde Zweck und der Ausdruck der GemeinVefrömmigkeit zu ihrem Gegenstand. Der überstiegene Idealismus wich immer mehr einem realistischen Pessimismus: das Volk braucht Ordnungen, feste Ordnungen. Es will sie und es hat sie auch nötig, zumal in Zeiten der Auflösung, wie es die nach dem großen Kriege waren. Es ist nicht nötig, darauf hinzuweisen, wie sehr dieses Empfinden noch heute in einfach-kirchlich frommen Kreisen herrscht. Alles, was zum Kult gehört, ist ein heiliges Ding; das muß man hoch in Ehren halten und darf nicht daran ändern. Das Glaubensbekenntnis muß verlesen werden, die Liturgie muß verlesen werden, auch wenn der Pfarrer noch so heiser und die Kirche noch so kalt ist. Es muß, es muß... Und der ganze Gottesdienst wird immer noch vom Kirchenvolk und auch von vielen Pfarrern als Gelegenheit zur Belehrung aufgefaßt und gestaltet. Das ist auch das Erbe jener Zeit. Die Lehre, die rechte Lehre gilt es einzuprägen. Gebet und Lied treten in den Dienst der religiösen Unterweisung. Es müssen Wahrheiten und Vor-
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schriften eingebleut werden. Darüber geht natürlich Weihe und Anbetung zugrunde. Gegen diese Auffassungen und Gewohnheiten bedeutet der Pietismus einen starken Gegenschlag. Er will erbauen, er will bekehren, er will aus Namenchristen echte Christen machen. Wer am kultischen Leben teilhat, man könnte sagen von dem Taufstein an bis zu seiner kirchlichen Bestattung, ist darum noch lange kein Christ. Überhaupt macht es die Kirche nicht, höchstens die Kirche im Sinne der Gemeinschaft der Gläubigen, also derer, die mit Ernst wollen Christen sein. Darum weg mit dem Mechanismus der toten kirchlichen Werke, auf die man sich verläßt, weg mit Taufstein, Beichtstuhl und anderen vermeintlichen Mitteln der Gnade. Das ganze liturgische Wesen ist Gesetz, das nicht selig machen kann. Lebendiges persönliches Ausströmen der gesalbten Geistesträger, das allein kann es machen. Was Luthers Idealismus vorausgesetzt hatte, wird nun ganz verworfen: es ist keine Gemeinde von Besitzern des Heiles, sondern eine Versammlung von Unbekehrten, was sich da in der Kirche versammelt. Sie müssen darum bekehrt werden. Darum ist Gottesdienst Erweckung, ist Mission wie im Heidenland. Die Persönlichkeit des Predigers trägt nun die ganze Last; es ist wieder eine Art von Klerikalismus, nur geistlicher als det alte. Die Persönlichkeit hat sich auszuwirken in ihrem Besitz. Darum aber hat sie auch die Freiheit gegenüber den Formen. Das borgelesene statutarische Gebet weicht dem freien; alle feststehenden Bestandteile und Ordnungen des Gottesdienstes müssen sich von der subjektiven Eigenart des Einen erfüllen und umprägen lassen. Muß darauf hingewiesen werden, wie sich auch von dieser Gesamtauffassung noch reichlich Spuren in der Gegenwart finden? Nicht nur in den Gemeinschaften, die ganz und gar noch in diesem Geist ihre Zusammenkünfte gestalten, sondern auch in den religiös
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angeregten und auch in den christlich gestimmten Kreisen zumal unserer Gebildeten herrscht viel von diesem Geist. Und ist er den Pfarrern fern? Wie selten ist der Sinn für die kirchliche Ordnung! Freilich hat sie sich durch ihre Starrheit um den Kredit gebracht. Wie begehrt ist die religiöse Person lichkeit, die Eigenart mit Kraft verbindet! Aber vielleicht reift eine neue Würdigung der Objektivität in einer Zeit heran, die sich nach Befreiung von der Tyrannei der Individualität und nach festen Ordnungen und Tradition sehnt. Dem Pietismus unmittelbar ist freilich erst noch eine andere Zeit gefolgt, die seine Richtung bis zum äußersten weitertrieb. Es ist der Rationalismus, die religiöse Form der sog. Aufklärung. Mit der ihr wiederum folgenden Zeit, der sog. Restauration, stellt der Rationalismus einen andern Gegensatz dar, der wichtige Erkenntnisse abwirft. Mit dem Pierismus hat er, wie schon angedeutet, den subjektibistischen Grundzug gemeinsam. Die Kirche ist nichts, die fromme Persönlichkeit ist alles. Die Autorität alter Formen muß vor dem Recht des Einzelnen zurücktreten, der etwas zu bieten hat. Diesen gemeinsamen Zügen fügt jene neue Geistesrichtung noch einige besondere hinzu. I m Geist der Aufklärung wird der Nachdruck ganz auf das Moralische gelegt. Die Kirche wird zur Tugendschule, und ihr Haupterziehungsmittel das Wort der Predigt. Der Gottesdienst ist eine Einrichtung, um die Sittlichkeit durch Belehrung zu fördern. Nicht auf die Auslefe der Bekehrten stellt man nun diese ganze Arbeit ein, sondern auf das ganze Volk. Darum senkt man ebenso die Höhe des Ideals auf die des Durchschnitts der Menschen, wie sie nun einmal sind, hinab, wie die vorangegangene Bewegung sie weit darüber erhoben hatte. Wie diese dem ganzen Leben gleichsam einen gottesdienstlichen Stempel aufgedrückt hatte, so sucht die neue das Leben in den Gottesdienst einzuführen. Ihr ist der Kultus nichts im Nieberg all, Der evangelische Gottesdienst.
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Vergleich mit dem Leben der Tugend. Wir erkennen hier wieder jene große geschichtliche Linie, die vom Alten Testament aus durch die Zeiten geht. Darum hat auch der Rationalismus eine große Gleichgültigkeit gegen das Kultische gezeigt, soweit es kirchlich sein sollte. Es heißt, daß es auch an einem gewissen Fanatismus nicht gefehlt habe, manche hätten so lange gegen das Kirchengehen gepredigt aus sittlicher Begeisterung heraus, bis sie niemand mehr gehabt hätten, der ihnen dabei zuhörte. Wer noch an den alten Formen festhielt, wurde als abergläubisch und rückständig angesehen. — Aber das ist nicht alles, was von der neuen Bewegung in kultischer Beziehung zu melden ist. Sie hatte auch ein positives Ziel. Sie wollte den Gottesdienst modern gestalten. So entsprach es dem Geist der Zeit, die nicht die Vergangenheit als tote Last weiter schleppen, sondern ihr eigenes Leben leben wollte. Zugleich suchte man sich von alten Formen des gesellschaftlichen Lebens und der Bildung überhaupt zu lösen. Man führte im Gegensatz zu der altfränkischen Sprache der Gebete und der Formeln die urbane der Zeitbildung ein. So gewinnt der liturgische Ausdruck an Verständlichkeit, aber auf Kosten der Feierlichkeit und der Kraft. Wieder zeigt sich, eine jener Linien aus der Geschichte der Religion und des Kultus. Die Geschichtschreiber, die dogmatisch und liturgisch auf einem andern Standpunkt stehn, machen sich die Freude, Ansprachen und Formeln abzudrucken, die ja gewiß trivial und oberflächlich sein mögen. Aber sie müßten doch das gute Wollen anerkennen, das dahintersteckt:gut protestantisch zu jeder Zeit in ihrer Sprache Zu reden und nicht alte Formen auf Kosten des Geistes und der Wahrheit zu konservieren. I n diesem Geist hat z. B . die schleswig-holsteinische Ordnung von 179? die gemeinschaftliche Gottesverehrung geregelt. Die Gebete werden nicht mehr gesungen, sondern gelesen. Ihre Sprache soll biblisch
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und ihr Inhalt Lob und Dank und Bitten sein. Auch freies Gebet erhält seine Stelle und sein Recht; nur ist dieses dem Ganzen des Gottesdienstes einheitlich einzufügen, das durch die Predigt bestimmt wird. Das Abendmahl wird seltener und dann als Anhang an die öffentliche Gottesverehrung gefeiert; so wird es einer wohltätigeren Wirkung gewiß. Jeder Rest von römischen Bräuchen verschwindet, wie z. B . die Elevation. — Es ist nicht zu leugnen, daß hier Folgerungen aus den Grundsätzen des Protestantismus gezogen werden, zu denen die ersten Generationen nicht den Mut fanden. Aber diese Stimmung hat nicht lange angehalten. Bald kam mit dem allgemeinen Rückschlag auch der auf dem kultischen Gebiet. Man nennt die ganze Bewegung die Restauration. Sie hat sich wie auf andern Gebieten des evangelisch-kirchlichen Lebens auf dem kultischen durch den Rückgang auf die alten reformatorischen oder gar mittelalterlichen Formen zum Ausdruck gebracht. I m Geist der Romantik wurde nun alles, was als zeitgemäß sich zur Geltung bringen wollte, verworfen; dafür wurde alles hervorgefucht, was den Duft und die Patina des Alters hatte. Man suchte den Rückweg zu den großen objektiven Mächten von den subjektiven Liebhabereien aus. Man wollte wieder Kirche, Autorität, Gemeinschaft, Altertum — wie auch wiederum heute. Wohin anders konnte man aber dann greifen als nach dem altkirchlichen Gut, wie es aus der Messe in die ältesten evangelischen Ordnungen übernommen worden war? So baute man aus gotischen Trümmern einen neuen Tempel. Es kam gar nicht darauf an, daß alles sinngemäß und im einzelnen motiviert war; es mußte nur alt und feierlich sein. Natürlich griff man dabei auch über die teils durch die Not, teils grundsätzlich begründete Trennung des Gottesdienstes zu der alten Einheit zurück: der Predigtteil sollte nur die Einleitung zu dem eigentlichen Gottesdienst,
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dem Abendmahl, sein. Der Liturgiker auf dem Thron, König Friedrich Wilhelm III., arbeitete mit seinen Generaladjutanten und Hofpredigern auf Grund fleißiger Studien Liturgien aus. Damit kam ein starker Reiz, ein Ferment, wie man sagt, in die liturgische Bewegung des Jahrhunderts hinein, das großen Einfluß gewann. Wirstehenimmer noch unter seiner Nachwirkung. Und nicht nur so, daß wir mit ihm ringen müßten als einem fremden Moment; gegenwärtig wird in einer ähnlichen Lage wieder ein ähnlicher Weg eingeschlagen: wir kommen von dem mütterlichen Leib der römischen Kirche nicht los; sei es im Gegensatz, sei es in der Angleichung bestimmt sie uns immer in dem, was Kirche und Kultus ist. Mit diesen beiden typischen Gegensatzpaaren haben wir die Möglichkeit zu wichtigen Erkenntnissen gewonnen. Oben hatten wir von dem kultgeschichtlichen Museum gesprochen. Wir können noch ein besseres Bild gebrauchen. Jene vier Formen gehören zu den liturgischen Wegmarken, die wir beachten müssen. Zwischen ihnen geht die Fahrt mitten hindurch. Der protestantische Kult hat sein Recht auf Freiheit und Eigenart; aber er darf nicht vergessen, daß er eine Sache der Kirche ist. Er hat sein Recht auf zeitgemäße Formen; aber er darf nicht trivial werden und muß sich vor Zeitungsgedanken und moderner Alltagssprache hüten. Der evangelische Gottesdienst soll das Wort verkündigen, lehren und vermahnen; aber er soll nicht Schule, sondern Kirche sein und die Anbetung und das Wesen der Feier nicht außer acht lassen. So kommen wir aus dem Zwar und Aber nicht hinaus. Wir beneiden die römische Kirche nicht um ihre liturgische Unbewegtheit; sie ist Starrheit. Und wenn wir es auch mit viel Unruhe erkaufen müssen, wir verzichten nicht auf die Arbeit und die Kämpfe, die nun einmal mit jenen Spannungen in: Wesen der unsern verbunden sind. Man ttifft
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es immer nur ungefähr: bald schwankt der Wagen nach dieser, bald nach jener Seite, wie es das Bedürfnis der Zeiten erheischt. Aber er bewegt sich wenigstens und steht nicht still. Jene typischen Grundformen bieten beides, Modelle, wie man es machen, und Warnungen, wie man es nicht machen soll. Wir werden noch auf sie zurückzukommen haben. 3. Liturgiegeschichtlich ist zweierlei bemerkenswert. Was von neuen Gedanken und Formen aufgekommen war, schlug sich in Ordnungen nieder, die in Einzelschriften oder in den Kirchenordnungen ihren Platz erhielten. Sie gingen zumeist von den Reformatoren selber aus und regelten das gottesdienstliche Leben der einzelnen landeskirchlichen Gebiete. Später erhielten diese Ordnungen den Namen Agende. Es entsprach dem Summepiskopat, also dem landesherrlichen Kirchenregiment, wenn die Landesherren die liturgischen Vorschriften erließen. So hat, wie wir sahen, Friedrich Wilhelm III. entscheidend in die Entwicklung eingegriffen. Nicht nur alte Stücke der Messe hat er wiederaufgenommen, fondern auch abweichend von ihr z. B . das Apostolische Glaubensbekenntnis eingefügt, was zu schweren Anstößen und Verwicklungen geführt hat. Kraft jenes Rechtes hat der König seine Agende in seinem Staat eingeführt, an manchen Stellen nicht ohne Gewalt. Nach einigen Jahrzehnten machte sich das Bedürfnis nach einer Reform geltend. Sie wurde 1856 vollzogen. Die wichtigste Neuerung war die Übertragung der sog. Responsorien, die bisher der Chor ausgeführt hatte, an die Gemeinde. Nach kaum vierzig Jahren erfolgte wieder eine Umarbeitung dieser Agende; die Formulare wurden vermehrt und verbessert und das vielumkämpfte Apostolische G!aubensbekenntnis in seiner Alleingeltung bestätigt. Der Einfluß Preußens inachte sich in Deutschland weithin geltend. Die andern
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Kirchen folgten ihm im ganzen nach sowohl, was den ersten, wie auch was den zweiten Schritt betrifft. Durch das ganze Jahrhundert zieht fich die liturgische Reformarbeit. Die meisten Kirchen fchufen sich in feinem letzten Drittel neue Agenden. Aber ihre Urheber waren andere als früher: statt der Theologen und der Fürsten waren es nun die Synoden. Dadurch bekamen die Kirchenbücher ja gewiß einen stärkeren Halt in dem Kirchenvolk. Aber als Werk von Ausschüffen, die nicht ohne starke Rücksicht auf kirchenpolitifche Verhältnisse gebildet waren, hatten sie stets etwas von den dabei unvermeidlichen Kompromissen an fich. Das war anders in Agenden, die religiös und liturgisch hervorragend ausgestatteten Einzelnen ihren Ursprung verdankten. Die in derReform der Preußischen Agende vom Jahre 1856 angebahnte Richtung auf die stärkere Beteiligung der Gemeinde hat alle andere Reformarbeit maßgebend bestimmt. Schleiermacher hat diesem echt protestantischen Zug einen stark nachwirkenden Ausdruck gegeben. Er hat überhaupt die in der Reformation liegenden Grundgedanken zum klarsten Begriff gebracht. Darum verdient er vor allen andern Theoretikern des Kultes der Erwähnung. Nach ihm ist der öffentliche Gottesdienst der notwendige Ausdruck des Innern; denn die Frömmigkeit will sich als gemeinsame äußern. Der öffentliche Kult gibt denen, die sonst in der Geschäftstätigkeit leben, die Gelegenheit, ihr religiöses Bewußtsein zu beleben und zu erhöhen. Ist es doch der Zweck der religiösen Gemeinschaft, das religiöse Interesse zur Zirkulation zu bringen. Das geschieht, indem im Gottesdienst das herrschende religiöse Bewußtsein zur Darstellung gebracht wird. Das ist die Aufgabe der stärker religiös erregten Glieder der Gemeinde, die so die andern zu stärken und damit zu allem Guten zu führen haben. So sind wir selbst die Organe des Geistes Gottes, und der Gottesdienst ist die
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Dienstbezeugung eines für den andern. Einzelne haben dabei das Übergewicht vermöge ihrer größeren religiösen Produktivität, denen andere mit größerer Rezeptivität gegenüberstehn. Aber das Recht produktiv aufzutreten ist an ein gewisses Maß von Talent gebunden. Jedoch hat jeder auch neben dem Geistlichen Recht und Pflicht zur Produktivität; denn von jenem Unterschied des Grades abgesehen sind ja alle, die zum Gottesdienst kommen, religiös gerichtet. Das Darstellungsmittel für das gemeinsame religiöse Bewußtsein ist die Kunst als die Form für den Inhalt der Religion. Unter ihren Mitteln aberstehtdas Wort als Rede und Poesie den sinnbildlichen Ausdrucksmitteln voran. Sind hier nicht tatsächlich die Folgerungen aus den Grundanschauungen der Reformation gezogen? Die Gottheit bedarf des Kultus nicht, aber die Frommen. Der Kult soll aber weder belehren noch im üblichen Sinn erbauen; also geht sein Sinn über Orthodoxie, Pietismus und Rationalismus hinaus. Er soll wirken, indem er darstellt, also in der Weise der Kunst. Er tut es durch Darstellung des religiösen Bewußtseins der Gemeinde, das in den religiös Stärkeren lebt, um die Schwächeren zu starten. Der Kult hat also nur Sinn, wenn alle Teilnehmer mehr oder weniger religiös gerichtet sind; an diesem Punkt hat die Kritik eingesetzt, die die Teilnehmer anders einschätzte und darum auch eine andere Aufgabe verlangte. Aber in seiner Betonung des Gemeindecharakters im Gegensatz zu allem Priesterlichen und in der der geistigen Mittel im Gegensatz zu allen untergeistigen hat Schleiermacher Entscheidendes gesagt. Keine Weilerarbeit am Kultus ist auf protestantischem Boden möglich ohne Rücksicht auf diese seine Grundgedanken. 4. Kulturgeschichtliches. Die bisher gezogenen Linien helfen uns den Stand des kultischen Lebens in der Gegenwart verstehen; wir sehen, wie es sich befestigt und den Zeiten an-
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gepaßt hat. Die Linie der kulturellen Entwicklung aber führt zu einer andern Erkenntnis: die ganze letzte Vergangenheit hat viele Einflüsse gezeitigt, die jenem Leben Abbruch getan haben. Zwei Umstände sind dabei vor allem in Betracht zu ziehen: die Lösung von alten Bindungen und das Werden eines neuen Lebensgehaltes. Die letzten Jahrhunderte haben eine gemeinsame Richtung eingeschlagen: sie lösten Bindungen auf, die das Mittelalter geschaffen hatte. Alle Stände, alle Lebensbetätigungen hatte es in einem großartigen Organismus unter der Herrschaft der Kirche zusammengeschlossen. Kultische Verrichtungen und Sinnbilder gaben dieser Einheit ihren Ausdruck. I n diesem Gefüge hatte der Einzelne seinen festen Platz, freilich ohne großen Spielraum zu eigener Bewegung. Seit dem Beginn der neuen Zeit lockerte sich dieser Zusammenhang und das Gefüge löste sich langsam auf. Alle Gebiete des Lebens suchten ihre selbständige Stellung zu gewinnen. Alles strebte von dem Mittelpunkt weg; Verweltlichung oder Säkularisation heißt dieser Vorgang. Es lockertesichvor allem das kultische Band, das die Gesellschaft umschlang. I m Lauf der Zeit fiel jeder Zwang und jede Kontrolle hinweg, die das gottesdienstliche Leben beherrschten. Man mußte nicht mehr zur Kirche und zum Abendmahl gehen. Man konnte auch ohne den Segen der Kirche, außerhalb ihres Schattens wie es hieß, leben. Waren bisher alle Lebensstationen von der Geburt bis zum Tode Gelegenheiten für sie gewesen, in das Leben der Einzelnen einzugreifen, so übernahm nun der Staat die standesamtlichen Aufgaben. Die Freizügigkeit riß Millionen aus ihren heimatlichen kirchlichen Verbindungen heraus und damit vom kirchlichen Leben los. Eine rasch lebende Zeit ging über alte Sitten und Gewohnheiten hinweg, von denen alles kirchliche Leben seine besten Kräfte zieht. Ordnungen, die
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eine Autorität bedeutet hatten, sanken dahin; mit ihnen der alte Rhythmus des Lebens, der dem Einzelnen und der Gemeinschaft Sinn, Tiefe und Reichtum verliehen hatte. Uneingeschränkt konnte sich ein Individualismus breitmachen, der den Einzelnen auf sich selbst stellte. Er wurde frei, aber er verlor auch den Halt, den die Ordnung verleiht. So löste sich das kultische Leben gerade in den Gegenden am meisten auf, wo das moderne Leben am stärksten pulsierte. Der neue Lebensgehalt verstärkte diese Richtung noch sehr. Das immer umfangreicher und auch aufreibender werdende gewerbliche Leben, besonders die Industrie und der Handel haben nur da eine förderliche Beziehung zu dem Kult, wo der Überdruß an den Händeln der Welt der geordneten Pflege des Ewigen in die Arme treibt. Aber das ist selten genug der Fall. Meist hat man dafür keine Zeit, das heißt aber keinen Sinn und kein Bedürfnis. Man hat sich jede Fähigkeit, sinnbildlich mit dem Unsichtbaren zu verkehren, weggedacht und weggearbeitet, manchmal auch wegamüsiert. Feste feiert man, aber etwas anders. Man ist ganz mechanisch und materiell eingestellt; höchstens reicht es zu etwas Sentimentalität und ästhetischem Getue, zumal am Tauftisch, am Traualtar oder am Grab. Dazu aber kommt noch ein Ersatz für den geistigen Gehalt, den früher allein die Kirche bot. Zeitung, Vorträge, Wissenschaft, Kunst, Politik und Technik, Theater und Konzerte vor allem bieten Gelegenheit genug, geistige und gewisse seelische Bedürfnisse zu befriedigen. Von da aus kann man höchstens noch Interesse für einen „Kanzelredner", aber nicht mehr für die gemeinsame Verehrung Gottes fassen. Nimmt man noch den Wettbewerb von Gesellschaften wie die Freimaurerloge hinzu, dann hat man ungefähr ein Bild von den Einflüssen, die das kultische Leben beeinträchtigen müssen. Zu diesen rein geistigen Einwirkungen kommt noch ein wichtiger Umstand aus dem
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sozialen Leben. Die Kirche ist von jeher die metaphysische und ornamentale Anstalt des Mittelstandes, der Bürger und der Bauern gewesen. So entsprach es dem Aufbau der alten Gesellschaft. Als neue Stände aufkamen, die der freien Bildung, der Industriellen und der sog. Arbeiter, gelang es ihr nicht, konservativ wie sie immer ist, sich auf diese umzustellen. So fanden auch die unter den neuen Ständen, die sich noch hätten am kultischen Leben beteiligen wollen, in ihr nicht dieselbe Heimat wie jene. Und die Kirche hielt sich natürlich kulturell und sozial und politisch zu denen, die sich zu ihr hielten. So gingen ihr weite Kreise verloren; entweder traten sie zu den Gemeinschaften über oder sie lebten schlecht und recht ohne kultische Bedürfnisse dahin; nur die sog. Amtshandlungen hielten sie noch lose mit der Kirche als de Spenderin von schöner Weihe in Verbindung. Wir besprechen noch einige wichtige Gebiete des gotwsdienstlichen Lebens, Amtshandlungen, Kirchenlied und Kirchenbau. Jedesmal achten wir darauf, wie sich die evangelische Art langsam von der katholischen ablöst, um ihre eigene Gestalt zu finden, das eine Mal mehr, das andere Mal weniger. Jene Hand tun gen begleiten das Leben des Einzelnen und der kirchlichen Gemeinschaft. I n der katholischen Kirche sind es Sakramente oder Sakramentalien, in der evangelischen sind nur zwei Sakramente und einige Weihehandlungen übriggeblieben. Alle aber stehen an der Stelle der alten Einrichtungen, wie sie der Inhalt des Christentums mit dem Bedürfnis der menschlichen Seele erzeugt hatte. I m katholischen System spielen sie eine große Rolle; sie nehmen an dem Grundzug des Ganzen teil, indemsieeine zauberartige Wirkung auf Gott zugunsten der Frommen ausüben sollen. I m Lauf der Zeit sammelten sich um eine ursprünglich ein-
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fache Form eine Fülle von Zeremonien an, die im Dienste jenes Zweckes standen. Diese hat die Reformation langsam abgebaut, langsam zumal auf lutherischem Boden, weil sie hier ganz besonders vorsichtig sein mußte; denn noch mehr als an dem Kult hängt das gläubige Volk an diesen Handlungen, von denen es Glück und Heil auf Erden und im Himmel abhängig glaubt. Dafür hat die Reformation mancherlei hinzugetan, was ihrem Wesen entspricht. Das ist vor allem die Beziehung auf die Gemeinde, das Wort und die es erläuternde Rede. So ist es mit der Taufe gegangen. Sinnbildliche Züge hatten in der alten Kirche magischen Charakter angenommen. Die Reformation läßt zwar noch hier und da manches bestehen, was aus der alten Heidentaufe stammt, wie z. B . die Austreibung des Teufels und die Absage an ihn; aber im ganzen ersetzt sie den magischen Charakter durch den geistigen.. Das Formular wird verdeutscht und eine formulierte Ansprache eingeführt, die später zur freien Rede wird. Der Heilszauber des Priesters wird ersetzt durch die Aufnahme in die Gemeinde, in deren Angesicht auch in der Regel die Taufe stattfand und stattfinden sollte; denn sie verfügt über die geistigen Kräfte, die dem Kinde das Heil übermitteln können. Ahnlich wird die Firmung zur Konfirmation umgestaltet. Sie ist die Aufnahme der unterwiesenen Kinder in die Gemeinde, der sie nun als Vollbürger angehören sollen. Auch in der Abendmahlsvorbereitung, die an die Stelle der alten Beichte tritt, nimmt das Wort, die formulierte und die freie Ansprache den Platz der sakramentalen und hierarchischen Kräfte ein. Nicht anders ist es bei der Trauung und bei der Beerdigung. Es handelt sich nicht mehr um heilskräftiges priesterliches Tun, sondern um Weihe gefühlsstarker Lebcnspunkte mit Gebet und Gottes Wort. Der Richtpunkt ist nicht mehr Gott, fondern der Mensch. An die Stelle des heiligen
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Zaubers tritt Wort und Gebet, an die des Priesters die Gemeinde, die durch den Mund des Pfarrers mahnt, tröstet und Fürbitte einlegt. Nicht anders steht es mit den Handlungen, die das Leben der kirchlichen Gemeinde begleiten. Kirche und Kirchhof werden geweiht, indem man sie in Gebrauch nimmt. Wort und Dank und Bitte sind wieder die dem evangelischen Geist entsprechenden Ersatzstücke für Weihwasser und ähnliche sinnliche Weihemittel, an denen doch immer noch etwas von der Kraft hängt, dämonische Geister zu bannen. Der Pfarrer wird ordiniert, indem ihm ein Austrag für eine bestimmte Gemeinde gegeben, nicht indem er in einen höheren Stand aufgenommen wird. Nicht vergessen werden darf aber die Anmerkung: mag es so auch der richtigen Lehre des Evangeliums entsprechen, im Volk und nicht nur in ihm herrscht die unausrottbare Neigung, in all d.iesen Dingen katholisch zu denken. Das Magische und auch das Gesetzliche liegt dem, was man den natürlichen Menschen nennt, zu nahe. Darum muß darauf geachtet werden, all diese Handlungen im Geist unserer Kirche so mit Schönheit nach unserm Stil auszustatten, daß man nicht mehr nach andern, sicher eindrucksvolleren Formen hinüberzuschielen braucht. Ganz besonders bezieht sich das aber auf das unterscheidende Stück, die Rede. Hier ist viel gefehlt worden und wird noch immer gefehlt. Die Aufgabe aber ist schwerer, als die meisten Glieder der Gemeinde ahnen.. Zwar besteht ein Gegensatz zwischen den Kirchen: evangelisch ist anders als katholisch und wird es immer bleiben. Aber es sind doch beide Kirchen und die eine stammt von der andern. Darum wird man viel Gegensätzliches auf gemeinsamem Boden finden. Die Verwandtschaft nach Abstammung und kirchlicher Art scheint doch immer wieder hindurch. Das läßt sich auch auf dem Gebiet des Kirch enge fanges zeigen, wie es von dem soeben behandelten und dem
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noch zu behandelnden gilt. Auf gemeinsamem Boden erwächst eine aus der Eigenart der neuen kirchlichen Gemeinschaft herzuleitende Verschiedenheit. Diese selbst nimmt wieder eine andere Form auf dem reformierten als auf dem lutherischen Boden an. Auf jedem Gebiet machen sich dieselben Schichten bemerkbar. Die Kirche des Mittelalters war von Liedern durchtönt. Hymnen, Marien- und Heiligenlieder, geistliche Volkslieder aller Art wurden allenthalben gesungen. Nur war weniger der Hauptgottesdienst, also die Messe, die Gelegenheit, wo sie ertönten. I n ihm herrschte der strengere kirchliche Stil, der nur den Priester- und Chorgesang duldete und dem Volk nur wenige Stücke, wie z. B . das Kyrie, erlaubte. Andere Lieder versuchten immer wieder in den Gottesdienst einzudringen, aber die Kirche sah es nicht gern. Wo es gelang, da wurden diese Lieder nur geduldet. Dieser Kampf zwischen dem streng kirchlichen und dem leichteren geistlichen Volkslied geht durch die ganze Geschichte der Kirche, auch der evangelischen, hindurch und ist heute lebhafter als je. Zumeist endet er mit dem Sieg des Volksliedes. Reichlich Gelegenheit zum Singen hatte das Volk in der mittelalterlichen Kirche im Predigtgottesdienst und in den vielen Andachten, die die Hauptfeier umgaben. Luther hat das Neue gebracht, daß er zur Regel machte, was nur Ausnahme gewesen war: er gab der Gemeinde den Gesang; war sie ja doch nicht nur als Gegenstand, sondern als Trägerin des Gottesdienstes gedacht. Damit hat er ihr den schönsten Schmuck evangelisch-kirchlichen Lebens anvertraut: unser Gottesdienst lebt vor allem in dem Gesang. Aber er gab ihr auch die Lieder dazu. Seine Lieder sind von verschiedener Herkunft. Viele sind Übertragungen von Teilen der Meßliturgie oder von alten Hymnen und Sequenzen, die in der Messe gesungen wurden. Damit haben wir wieder
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einen Zug von der obengenannten Art. Vor allem aber hat er in die Bibel gegriffen und Pfalmen und andere wertvolle Stücke zu Liedern gestaltet. Er selbst hat schon zwei kleinere Sammlungen veranlaßt, deren Kem seine eigenen Lieder bildeten. Es war ihm in einzigartiger Weise gegeben, in ihnen allgemeinchristliche Wahrheiten mit seinen eignen Erfahrungen zu verbinden. Vor allem hat er die großen Taten Gottes in Christus besungen. Glaubens- und Festlicder sind es darum hauptsächlich, die er gedichtet hat. Es sind diestarkenund herrlichen Töne von Lob und Dank, von Zuversicht und Trost auf Grund der großen Taten Gottes in Christus, die die Grundlage der Rechtfertigung bilden. Und alles ist in einem majestätischen und monumentalen Stil gehalten. Es ist echter Kirchenton, der hier erklingt. Das, was Gott getan hat und noch tut an seiner Gemeinde, das ist die Hauptsache. Man empfindet, wie gut diefer Ton zu der Liturgie paßt. So verbindet den Reformator dieser kirchliche Grundzug allem Unterschied zum Trotz mit der alten Kirche. Dieser Zug blieb auch noch, als sich im Lauf der nächsten hundert Jahre der allgemeine Geschmack und damit auch der der kirchlichen Lyrik geänderthatte. Die Sprachgesellschaften vom Anfang des X V I I . Jahrhunderts bewirkten eine sorgfältigere Behandlung der Form, der stark ins Subjektive, ja ins Schmachtende gehende Geist der Zeit verursachte eine Wendung zum Persönlichen. Lieder voll Stimmung und volkstümlicher anmutende Gesänge entstanden. An die Stelle der Kirche und des Wir trat das Ich. Es ist diesen Liedern nicht leicht geworden, den wenigen von der strengeren kirchlichen Art gegenüber sich einen Platz im Gesang der gottesdienstlichen Gemeinde zu erringen. Lange blieben sie auf das Haus, die Werkstatt und andere Gelegenheilen beschränkt. Das gilt auch von den Liedem Paul Gerhardts, des liederreichsten aller evangelischen Sänger,
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der fast ein ganzes Gesangbuch allein ausfüllen könnte. Er hat alle Töne auf seiner Leier; leicht fließen seine Verse dahin, und heute gehören sie zu den beliebtesten in der Gemeinde. Weil er auf dem Boden der lutherischen Frömmigkeit steht, ist es seinen Iiedem nicht allzu schwer geworden, sich ihren Platz neben den alten zu erringen. Anders war es mit dem Pietismus bestellt. I n ihm gelangte jene Entwicklung zum Persönlichen auf denHöhepunkt. Er hat aus der lebhaften und erregten Stimmung, die ihm eigen war, eine Fülle von Liedern erzeugt. Es waren Lieder der süßen Iesusliebe, der Heiligung, der Gemeinschaft und des Gebetes; die Lieder, die sich für den Gebrauch an den großen kirchlichen Festen eigneten, traten dagegen zurück. Die neuen Lieder wurden vor allem in dem Haus und in den Gemeinschaften gesungen. Aber auch sie erkämpften sich im Laufe der Zeit den Zutritt in die Kirche. Weniger gelang das den Erzeugnissen der Aufklärung; in ihnen waltete der nüchternere Geist dieser Zeit, der die frische Unmittelbarkeit der Empfindung durch verstandesmäßige Überlegungen verdrängte; die Zeit der Restauration hat auch hier wieder zum Alten zurückzulenken versucht. Aber der Geist der subjektiven Frömmigkeit und der Stimmung war zustark,als daß es ihr gelungen wäre, neben die wieder eifrig gepflegten alten Lieder neue von kirchlichem Ton zu stellen. Auch gegen den Widerstand der amtlichen Kirche drangen erst allmählich die Gesangbücher als die Sammlung der Kirchenlieder in den allgemeinen Gebrauch ein; ursprünglich waren sie nur für den Gesang in Haus und Werkstatt und auf der Wanderschaft bestimmt, die meisten Lieder waren in Anlehnung an ältere weltliche und geistliche Lieder entstanden und zollten unsittliche Lieder verdrängen. I n der Kirche wurden die wenigen für den Kult geeignet befundenen Lieder auswendig gesungen. Wie in
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der alten Kirche führte den Gemeindegesang zuerst der Chor. Ihn löste die Orgel ab, und dem Chor fiel eine selbständige Stellung im Gottesdienst zu. So hat sich langsam in Anlehnung an die alte Kirche und im Gegensatz zu ihr unser Stolz, der gemeinsame evangelische Kirchengesang, entwickelt. Aller einseitigen Wertschätzung der Predigt, der „Kanzelrede" gegenüber muß betont werden, daß der evangelische Gottesdienst seine eigentliche Note in diesem seinem köstlichsten Bestandteil hat. — Die reformierte Kirche bleibt sich auch an diesem Punkt getreu. Sie nimmt ihre Gesänge aus der Bibel als der Quelle für alles, was die Religion und ihre Pflege angeht. Enthält diefe doch in den Psalmen alles, was die Gemeinde für ihren liturgischen Bedarf nötig hat. Mehrfach sind diese alten Lieder für den Gebrauch bearbeitet, d. h. in Reime gebracht worden. Keine Ausgabe hat sich durchgesetzt. I n der deutsch bestimmten reformierten Christenheit werden die evangelischen Lieder gesungen, die vor allem dem Genius der Kirche Luthers geschenkt worden sind. Dafür hat die reformierte Kirche der Schwester andere Gaben aus ihrer Mitgift in den Bund der Kirchen mit eingebracht. Auf dem Gebiet des Kirchenbaues gewinnt die von uns gezogene Entwicklungslinie ihre sichtbarste Erscheinung. Es ist hier der typische Vorgang ganz besonders bemerlbar, weil man sich leichter einen Neubau aus geistigen Äußerungen, also aus Worten und Formeln, als aus Steinen nach seinen Bedürfnissen gestalten kann. Die Bauten der alten Kirche sind architektonische Ausdrücke des Geistes, der in ihr waltet. Was wir oben als dessen Merkmale aufgestellt haben, läßt sich an ihnen nachweisen. Der einseitig kultische Grundzug zeigt sich in der Zahl, der Größe und der Pracht der Kirchen, die hoch die andern Gebäude überragen. I n ihrem Mittelpunkt stcht der Altar, die heilige Opferstätte
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und die Wohnung des numsuprasLen», der heiligen göttlichen Substanz. Den priesterlichen Charakter drückt die strenge Scheidung zwischen dem Chor als der Priesterkirche und dem Langhaus als dem Ort der Laien aus. Dem Numinosen dient der dämmrige Bau, der dem ahnenden Gefühl für das Unendliche und die Schauer der andern Welt reichliche Nahrung gibt. Überall steht das Sinnliche in allen Gestalten im Dienst der Andacht, von dem sich wie ein verkörpertes 8ursum ooläa nach oben reckenden Gewölbe an bis zu der Reliquie im Altar. Auf dem Sakrament liegt der ganze Nachdruck, nicht auf dem Wort. Darum steht der Altar im Vordergrund und die Kanzel zur Seite; darum wird weniger Gewicht darauf gelegt, daß das Wort der Predigt verstanden werde, als daß das die heilige Handlung begleitende Priesterwort hypnotisch durch die Säulengänge schallt. Es braucht nicht mehr ausgeführt zu werden, wie die Reformation ganz andere Grundsätze und Bedürfnisse mitbrachte. Ihr war die Kirche nicht das Haus Gottes, sondern das der Gemeinde. Mit dem Opfer verlor der Altar seine Herrschaft; die Predigt ließ diese auf die Kanzel übertragen. Das allgemeine Priestertum und die Bedeutung der Gemeinde mußten den Ausdruck des Dualismus, die Trennung von Chor und Schiff beseitigen helfen. Der Glaube als die Antwort auf die Predigt verlangte eine ganz andere Stimmung: alles mußte hell und klar sein und der Aufgabe, das Wort zu hören, angepaßt. Der Ausstattung mit Bildern und anderem heiligen Schmuck mußte ein anderer Sinn gegeben werden, wennsieüberhaupt geduldet wurde. Aber wie auf dem ganzen Gebiet des Kultes hat sich wenigstens die lutherische Kirche nur sehr langsam von dem Alten los^ gerissen. Die reformierte war einmal wieder folgerichtiger. Sie warf alles aus den Kirchengebäudcn hinaus, was nicht biblisch begründet war, Bilder, Orgel usw.; sie übertünchte i»lN'borg a l l , Dcr ovmigclijcho Oottesdicnst.
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die schönsten Innenwände mit weißer Farbe, um ja nichts übrigzulassen, was die Aufmerksamkeit von dem Hören des Wortes ablenken konnte. Die Kirche Luthers aber hat sich nicht nur zur Not in den alten Kirchen eingerichtet, indem sie oft mit Mühe Bänke in sie hineinzwängte, die das ganze Bild der Kirche beeinträchtigten; sie hat sich vermöge ihrer Wahlverwandtschaft mit der alten Kirche in den alten Gebäuden leichter eingerichtet. Der Altar mit seiner Vorherrschaft kam ihrer Hochschätzung des Sakramentes entgegen, und der liturgische Gesang wirkte wieder eindrucksvoller in den alten gotischen Kirchen, als er es in andern vermocht hätte. Und doch versuchte man sich mit neuen Entwürfen, wenn Kirchen zu bauen waren. M a n rückte die Kanzel in den Mittelpunkt und suchte um sie herum möglichst viel Menschen unterzubringen. Allerlei Formen, Rechteck, ^förmige Bauten, Zentralanlagen, stellten den in der Sache begründeten Versuch dar, über die alte Meßkirche zu einer der Synagoge oder der Basilika entsprechenden Gestalt der Kirche zu kommen, die vor allem einer feiernden Gemeinde Gelegenheit zum Hören des Wortes geben sollte. Aber es kam die romantische Reaktion, die wir auf dem Gebiete der Liturgie und auch auf dem des Kirchenliedes gefunden hatten. Am Anfang des vorigen Jahrhunderts setzte sie sehr stark ein. Wie in jener Reform das Abendmahl sich wieder seinen Vorrang zu erkämpfen suchte, so hier sein architektonischer Ausdruck, der Altar. I m Zusammenhang damit mußte die Kanzel weichen wie das Wort vor dem Sakrament. Der Chor wurde, wenn auch nicht als der Ort, so doch als das Sinnbild der Gegenwart Gottes wieder geschätzt; zugleich diente er dem neu aufgekommenen Amtsbegriff. M i t der Rückkehr zur alten Dogmatik verband sich die zu der alten Frömmigkeit und der alten Stimmung. Diese schien auf das engste mit den alten sog. kirchlichen Stilen, besonders
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dem gotischen, zusammenzuhängen. I m Gegensatz dazu besann man sich auf die Grundgedanken des Protestantismus: die Kirche das Haus der Gemeinde, die Hauptsache das Gehör der Predigt; darum ist das Gestühl die Hauptsache, das um die Kanzel zu gruppieren ist, und der Altar muß sich mit einer geringeren Stelle begnügen. Es handelt sich im ganzen um einen Zweckbau, der auch noch andere Räume zu einem Gesamtbau vereinigen kann, die den Aufgaben der Gemeinde dienen. Die dieser Stimmung entgegengesetzte hat nur ungern nachgegeben. Man fand sich auf einer mittleren Linie, indem man eine kleine Apsis statt des Chores aus Gründen der Schönheit und der Zweckmäßigkeit einbaute. Die neue Architektur hat auch auf dem Gebiet des Kirchenbaus ihre Grundsätze ausgewirkt, wovon manche ansprechende, aber auch manche entgegengesetzte Probe zumal in den großen Städten zu sehen ist. Formen. Den Niederschlag der ganzen Entwicklung kirchen- und liturgiegeschichtlicher Art bilden die gegenwärtig herrschenden Formen des kultischen Lebens. Aller Union zum Trotz lassen sich überall noch die Grundzüge der beiden großen klassischen Typen erkennen. Die lutherische Form d e s Hauptgottesdienstes zeigt folgendes Bild. Die Gemeinde beginnt mit Gesang. Der Pfarrer spricht vom Altar einige Voten: I m Namen des Vaters usw. und: Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn... oder einen Bibelspruch von wechselndem Gehalt, der dem Gottesdienst als Introitus sein Gepräge geben soll. Die Gemeinde antwortet mit Ehre sei dem Vater. Darauf spricht der Pfarrer das Sündenbekenntnis, das die Gemeinde mit dem dreimaligen Herr, erbarme dich... aufnimmt. Dann kommt der Gnadenspruch, der in das Ehre sei Gott in der Höhe mündet, das die Gemeinde vollendet.
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Der Pfarrer liest dann die Kollekte, ein Gebet um gesegnetes Hören der zu verlesenden Schriftlektion, die sich nach einem Amen der Gemeinde anschließt. Es ist in der Regel das Evangelium oder die Epistel des Sonn- oder Feiertages. Das Halleluja, in das sie ausläuft, wird von der Gemeinde aufgenommen und zweimal wiederholt. Dann folgt das Apostolische Glaubensbekenntnis, auf das die Gemeinde mit Amen antwortet. Das sog. Predigtlied macht den Übergang zur Predigt, die sich vielerorts noch an die nicht am Altar verlesene Perikope (Schriftlesung) anschließt. Die Gemeinde beantwortet sie mit einem Liedervers. Darauf folgen Bekanntmachungen, die mit einem Votum (Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft) abgeschlossen werden. Wieder singt die Gemeinde, darauf spricht der Pfarrer am Altar das Kirchengebet, das Unser Vater und entläßt die Gemeinde mit dem (3egen. — Der Gang des reformierten Gottesdienstes ist viel einfacher. Auf das Lied der Gemeinde folgt nach einem Gebet gleich die Predigt, darauf wieder ein Gebet, Gesang, Schlußgebet und Unser Vater und der Segen. Diese beiden Typen stellen gleichsam die Mittellinie dar, um die alle möglichen Variationen schwingen Bald erhält in der lutherischen Weise der Gottesdienst einen feierlichen Abschluß durch die Präfation: Erhebet eure Herzen, oder das Glaubensbekenntnis wird von der Gemeinde gesungen oder die Gemeinde nimmt singend den Schluß des Unser Vater auf; wer kann alle diese Abwandlungen des Grundtyps überschauen? Und in der reformierten Liturgie haben sich einige Bestandteile der lutherischen eine Stelle erobert, die Lesung aus der Bibel oder ein Responsorium oder ein Zwischenvers aus dem Gesangbuch, der das Ganze beleben und die Gemeinde mittätig machen soll. I m allgemeinen kann man wohl sagen, daß die lutherische Art mehr auf die reformierte eingewirkt hat als diese auf jene; es müßte denn
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sein, daß die Verkürzung des Gottesdienstes, auf die die Richtung hingeht, sich aus dem Einfluß der letzteren erklären ließe. Überall bilden die Bekanntmachungen ein sehr schwieriges Stück im Ganzen; sie werden bald an den Anfang, bald ans Ende, bald irgendwohin in den Schlußteil gestellt; überall stören sie, wenn man sich nicht entschließt, nur solche aufzunehmen, die sich als Fürbitte gestalten und dann dem Gebet ein- oder angliedern lassen. Die Nebengottesdienste tragen meist dieselbe Form an sich: Gesang, Gebet, Predigt, Gebet, Gesang und Segen. Ob in der Gestalt von Früh- oder Abendgottesdiensten oder als Passions- oder Adventsandachten, sind sie bei einfacheren Gliedern der Gemeinde, zumal bei solchen, denen ihre Zeit nicht den Besuch des Hauptgottesdienstes erlaubt, sehr beliebt. Zu seiner höhe erhebt sich der evangelische Kult im Festgottesdienst, ob es nun ein regelmäßiger Anlaß des Kirchenjahres oder ob es ein ganz besonderer Tag ist, wie irgendein Gedenktag oder eine festliche Veranstaltung von einem Verein oder der Kirche. Durch Chöre, auch durch Orchestermusik, durch ausgesuchte Lesungen und Gebete läßt sich einem solchen Festgottesdienst eine hohe Weihe und ein mitreißender Schwung geben, der ihm einen starken Eindruck und Nachhall sichert. Ein Waldgottesdienst im Sommer, etwa am Himmelfahrtstag, wenn die Buchenhallen sich über der Gemeinde wölben und die Vöglein die Rolle des Chores übernehmen, zieht manche Spaziergänger zu der feiernden Gemeinde herbei und vermag fromme Stimmungen zu erwecken, die die gewohnte Kirchenfrömmigkeit ergänzen. Eindrucksvoll ist auch ein Gottesdienst am Totensonntag auf dem Kirchhof oder am Ostermorgen an derselben Stelle. Hat sich unser deutsches Empfinden noch nicht zur englischen Straßenpredigt entschließen können, so sind diese Veranstaltungen eine Art von Ersatz. Unserer
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Gewohnheit entspricht es auch, die Predigt nie ohne Gesang und Gebet ausgehen zu lassen, sondern sie stets, wenn auch noch so knapp, kulüsch zu umrahmen Andere bei gewissen Kreisen der Gemeinde beliebte Veranstaltungen sind die Metten und liturgischen Andachten. Von den ersteren ist zumal die Weihnachtsmette beliebt. Die übrigen bilden zumal an den Festtagen für Pfarrer und Gemeinde eine willkommene Abwechslung gegenüber den Predigtgottesdiensten; zumeist reihen sie nach irgendeiner Idee Lieder, Verlesungen, Sprüche, Gebete und Vorträge eines Chors zu einem Ganzen aneinander, dessen Höhe eine Ansprache bildet, die ebenso ungern entbehrt wird wie jene liturgische Umrahmung bei dem Predigtgottesdienst. Auch vom Abendmahl läßt sich nur ein Durchschnittsbild zeichnen, das mannigfach abgewandelt wird. Die eigentliche Feier ist von zwei andern umgeben, der Beichte oder Vorbereitung und dem Dankgottesdienst. Jene findet noch in manchen Gemeinden am Vortag, zumeist aber aus sozialen Gründen unmittelbar vor der Hauptfeier statt. Dieser ist wohl nur noch in kleineren, zumal ländlichen Gemeinden Brauch. Die Vorbereitung umfaßt eine formulierte oder freie Ansprache, dann eine oder mehrere Fragen nach Erkenntnis der Schuld, Reue, nach Vergebung und neuem Leben,, die in diesem Sinn gehalten sind und die die Gemeinde mit einem lauten J a beantwortet. Die Feier selbst wird mit einem Lied begonnen, darauf folgt eine formulierte Abendmahlsermahnung, wenn die Vorbereitung am Tag zuvor stattgefunden hat. Sonst beginnt der Liturg mit der herrlichen Präfation, die schon in den altenchristlichenFeiern erscheint: Erhebet eure tzerzen! Wir erheben sie zum Herrn. Recht ist es und wahrhaft würdig, dir, Allmächtiger, Tank zu sagen zu allen Zeilen und an allen Orten. Die Gemeinde beteiligt sich in der Regel resvondierend an diesem Akt. Auf
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das Hosianna und das Benediktus folgen die Einsetzungsworte, darauf das Unser Vater als das Gebet der Gemeinde Christi, die sich um das Gedächtnismahl seines Todes versammelt. Das Agnus Dei (Lamm Gottes) bildet einen Höhepunkt der Weihestimmung. Es leitet die Austeilung von Brot und Wein ein; sie geschieht in der sog. wandelnden Kommunion: die Abendmahlsgäste gehen in einer bestimmten Reihenfolge und Anzahl zum Altar, um sich Brot und den gemeinsamen Kelch reichen zu lassen. Bei jeder Gruppe werden die Einsetzungsworte wiederholt. Während dieser Austeilung singt die übrige Gemeinde Vers um Vers von geeigneten Liedern. Ein Tankgebet und der Segen machen den Schluß. Das Ganze der Feier kann, wenn störende Einflüsse ferngehalten werden, einen sehr erhebenden Eindruck machen. Noch ein Wort über die sog. Kasualien, von denen oben schon die Rede war. Ihren Höhepunkt bildet die eigentliche sinnbildliche Handlung selbst, also bei der Taufe die Besprengung, bei der Konfirmation die tzandauflegung und Einsegnung, ebenso bei der Trauung, bei der Bestattung die Übergabe der irdischen Überreste an Erde oder Feuer. I n dieser Handlung äußert sich der Wille der kirchlichen Gemeinschaft, die an ihren Gliedern einen Akt der Weihe vollziehen will. Tarum geht der Handlung ein Frageakt voraus, in dem erkundet werden soll, ob diesen Gliedern der Vollzug des Willens ihrer Kirche willkommen ist; so war es schon in der Vorbereitung zum Abendmahl, nur bei der Bestattung fällt dieser Akt weg, ebenso bei der Einweihung einer Kirche oder eines Friedhofs. Dieser Frageakt macht darum die Mitteilung erforderlich, was der Wille der Kirche bei der heiligen Handlung sei. Sie geschieht mit feststehenden Worten, die in der Regel die biblische Grundlage und die mit der Handlung verbundenen kirchlichen Rechte und Pflichten kundtun.
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Bekenntnis und Gelübde bilden meist die Antwort auf diefe Fragen. Dieses Hauptstück der Feier ist von Gebeten und oft auch von Liedern eingeschlossen. Die Rede gehört nicht unbedingt dazu, bildet aber die Regel und den Höhepunkt. Die wenigsten sind so empfänglich für das reine Sinnbild, daß sie auch eine weniger gute Rede einer schönen Feier ohne sie vorziehen würden. Die Wirtlichkeit. Wir fassen die Züge des evangelischen kultischen Lebens zusammen, wie sie uns klar geworden sind. Evangelischer Kultus ist kein Dienst zugunsten Gottes, sondern eine Feier der Gemeinde, in der sie sich Gottes Größe und Güte vor Augen stellt, um sich daran zu erheben und zu erbauen. Sie will Gottes Nähe spüren: Nahet euch zu Gott, so naht er sich zu euch. Die Feier besteht aus zwei verschiedenen Bestandteilen, aus der Liturgie und der Predigt. Beide sind in der Regel vereint. Diesestelltden persönlichen und wechselnden, jene den überpersönlichen und beständigen Teil dar. Das Verhältnis beider wird verschieden gefaßt. Für die einen bildet die Liturgie nur die Umrahmung der Predigt; sie foll diese vorbereiten und ausklingen lassen, indem sie dem Gefühl vor dem Wort feierlichen Ausdruck in künstlerisch gehaltenen Formen gibt. Für andere ist der ganze Gottesdienst Anbetung und auch die Predigt ein Stück von ihr; deren Richtung geht darum auch von den Menschen zu Gott empor. Andere empfinden umgekehrt: die Hauptsache ist die Predigt und die Liturgie hat auch bewußt oder unbewußt deu Charakter der Verkündigung an sich; alles will erbauen, erziehen oder belehren — die pietistische und rationalistische Auffassung. Wieder andere empfinden einen Gegensatz zwischen beiden Stücken; das eine nennen sie mystisch und schätzen es, das andere nennen sie rationalistisch und vcr-
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achten es. Wie kann man das Verhältnis der beiden Teile fassen, ohne einen zu vergewaltigen? Der Gottesdienst ist Idealverkehr der Normalgemeinde mit ihrem Gott in Formen, die die Kunst hat mit ausbilden helfen. Das ist sicher nicht der ursprüngliche Sinn, aber so kann man das Ganze fassen. Christenleben ist als Ganzes Verkehr mit Gott; der Gläubige und die Gemeinde nehmen und bringen in diesem Verkehr. Sie nehmen heilige Güte als Grundlage ihres Lebens und tragen sie wieder weiter zum Nächsten. I m Verkehr mit dem heiligen Gott wollen sie heilig und vollkommen werden wie er. Dieser Verkehr wird nun im Gottesdienst dargestellt. Es vollzieht sich in ihm ein Nehmen und Geben, ein Her und Hin zwischen Gott und den Gläubigen. Es geht von diesen zu jenem hinauf und von ihm zu ihnen herunter. Von ihm her kommt die Verkündigung seiner Gnade und Treue und Heiligkeit; zu ihm steigt auf das Bekenntnis der Schuld vor seinem Antlitz, das Bekenntnis des Vertrauens auf seine Treue, Dank, Bitte, Lob, Hingebung und was sonst noch in der Seele sich Gott entgegenstreckt. Die Predigt gehört auf die Seite Gottes; sie ist Verkündigung, nicht Anbetung. I n jenen Stücken spricht nicht die Gemeinde, wie sie wirklich ist; wer möchte von sich aussagen, daß er auct^nur das Bekenntnis der Sünden immer aufrichtig mitspräche, in dem doch schon dieser Abstand von dem Ideal zur Aussprache kommt? So sollten wir vor Gott empfinden, wie es hier dargestellt wird. Ähnlich drücken etwa vaterländische Lieder und Feiern aus, wie wir empfinden sollten; sie tun es, um uns auf diese Höhe zu erheben. Freilich ist immer die Gefahr bei diesen idealisierenden Darstellungen, daß sie gerade dieses Zieles verfehlen. Anstatt ihren Teilnehmern den Abstand zum Bewußtsein zu bringen, wiegen sie sie in die Sicherheit ein, daß sie eben als solche schon die Sache selber besäßen. Das ist die uralte Ver-
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führung, die allem solchen Tun innewohnt, den Schein für das Sein, die Teilnahme an der Darstellung für den Besitz der Sache zu nehmen, um sich an dieser selber vorbeizudrücken. Andächtig schwärmen ist auf allen Gebieten leichter als gut handeln. Ist dies die seelische Wirklichkeit und jenes das Ideal, dann kann man die Aufgabe der Predigt so bestimmen: sie soll durch das Wort der Mahnung, der Warnung, des Trostes und einfacher Belehrung dazu helfen, daß die Gemeinde auf den Stand erhoben wird, den sie im Lied und Gebet und Bekenntnis durch den eignen Mund oder den des Kultusleiters zum Ausdruck bringt. Die Predigt soll also die persönlichen und zeitlichen und örtlichen Umstände in Betracht ziehen, um mit Rücksicht auf sie die Gemeinde zu jener sinnbildlich ausgedrückten Höhe zu erheben. Der königliche Reformator der preußischen Liturgie hatte gesagt, daß die Predigt die Hinführung zu dem eigentlichen Gottesdienst sein solle. Unter diesem hatte er das Abendmahl verstanden. Wir verstehen darunter den liturgischen Teil, die Darstellung des Verkehrs der Gemeinde mit ihrem Gott, wie ersichin dem Hören seines Wortes und in der Anbetung vollzieht. Dazu soll die Predigt helfen, daß sich die Gemeinde in den Formen wiederfinde und sie mit immer neuem und reicherem Leben erfülle, die diesem Gehalt Ausdruck verleihen. Wie sieht nun die wirkliche kultische Welt an diesem Ideal gemessen aus? Wir achten zunächst auf die Träger, dann auf die Empfänger und Teilnehmer des gottesdienstlichen Lebens. Zwar sind es dieselben Personen, aber wir ziehen sie als verschieden in Betracht: Gemeinde und Pfarrer, ihren Beauftragten. Der schönste Kultus, wie er in der Agende steht, ist nichts, wenn er nicht gut ausgeführt wird. Unter den Pfarrern gibt es auch in dieser Hinsicht große Unterschiede. Viele haben immer noch keinen Sinn für diesen Teil ihrer
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Aufgabe. Es fehlt an liturgisch-ästhetischem Feingefühl, sie können nicht vorlesen und nicht frei beten. Sie sind ganz auf die lehrhafte oder erziehliche Predigt eingestellt. Es klingt aus dem nüchtern trockenen Geist gar nichts von Seele heraus. Ein anderer findet die rechte Mitte zwischen gemachtem Pathos und dieser trockenen Lebhaftigkeit in einer schlichten Seelensprache, die natürliche Würde und echtes Empfinden vereint. Einem solchen ist es gegeben, die einfachsten Worte so vorzutragen, daß »ie jeden, der dafür empfänglich ist, ergreifen müssen. Die beste Probe für solches Können ist das Gebet des Herrn und der Segen. Nicht geringere Unterschiede finden sich in den Gemeinden, hier entbehrt eine jedes Anstandes und jeder Würde; unpünktlich kommt man und setzt sich unruhig auf seinen Platz. Oder man singt die Lieder und Responsorien zum Erbarmen oder man singt auch gar nicht, weil man dazu zu trag oder zu vornehm ist. Und wieder andere haben schon für den ersten Anblick die Würde an sich, die aus innerer Sammlung kommt und auch dazu führt. Der Gesang zeugt von Liebe und von Übung; die Haltung beim Gebet unterstützt das Wort des Liturgen. So kommt die größte Schönheit zustande, die Schönheit der Seele, die die der Dinge weit überragt. Wir kennen nichts Schöneres in einem Gotteshaus als eine solche andächtig feiernde Gemeinde. Damit sind wir schon zu der Gemeinde als der Empfängerin des Kultus übergegangen. Die große Mannigfaltigkeit, die sich der Erinnerung aufdrängt, läßt sich leichter übersehen, wenn wir an unsere geschichtliche Tarstellung zurückdenken. Es ist jedes ihrer Bilder noch in der Gegenwart an wirklich lebenden Christenmenschen wiederzufinden: von der einseitigen Vorherrschaft des Kultus in der Frömmigkeit bis zur völligen Gleichgültigkeit, ob diese nun durch hohe sittliche Haltung oder durch allgemeine seelische Armut her-
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vorgerufen ist; von dem primitivsten Kult und Sakramentszauber an bis zu der sublimsten Mystik der Versenkung in den im Abendmahl gegenwärtigen Erlösergott; von dem niedrigsten Hofdienst Gottes mit Augen, die nach seinen gefüllten und starken Händen schielen, bis zu dem hohen Klang: Gott ist in der Mitten, alles in uns schweige und sich innigst vor ihm neige. Alle Grade von innerer Teilnahme sind vorhanden: von dem stumpfsinnigen Mitmachen und blöden Hindämmern an bis zur leidenschaftlichen Verfechtung alter Ordnungen oder neuer Forderungen; vom rein mechanischen Betrieb nach Ort und Zeit bis zur innigen Befriedigung der Seele, wenn sich die schöne Pforte am lieben Sonntag wieder aufgetan hat; von dem gut logischen Verständnis für die Predigt, das aber von mangelndem Gefühl für die gemeinsame Anbetung begleitet ist, bis zur Gleichgültigkeit gegen sie aus feinster Empfindung für das Wort des Gebetes und der Andacht. Damit ist aber noch nicht alles gesagt, was zu dem Thema gehört. I n drei Kreisen mit demselben Mittelpunkt können wir die Menschen unsrer Zeit uns vorstellen, was ihr Verhältnis zu dem Kultus angeht. Der äußerste Kreis: die vielen Millionen, die gar kein Verhältnis zu dem ganzen Gebiet mehr haben. Ihr Kopf ist voll von Welt, mag das eine niedere oder auch eine hohe Stufe der damit bezeichneten Werte sein, also von dem Geld an, das möglichst bald in Vergnügen oder im Sportbetrieb umgesetzt wird, bis zu Wissenschaft und Kunst. Viele zeigen einen konstitutionellen Mangel an jedem kultischen Empfinden. Die Beschäftigung mit Zahlen und andern sog. Realitäten hat ihnen den Sinn dafür geraubt. Sie müssen alle für verrückt halten, die ohne Fernsprecher oder Rundfunk mit jemand sprechen, den sie nicht sehen. Sie finden überhaupt schon die Häuser mit den hohen Türmen mitten zwischen Warenhäusern und
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Palästen so komisch; und erst wenn sie bei irgendeiner Gelegenheit doch einmal hinein müssen, dann fragen sie sich, ob der Mann da vorne oder sie selber geistig nicht mehr in Ordnung sind. Diese Unfähigkeit, etwas vom Kult zu verstehen, die natürliche Folge der oben geschilderten kulturellen Entwicklung, kann man sich nicht tief und verbreitet genug vorstellen. Sie ist hoffnunglos; denn wie kann man solchen Menschen Gemüt und Phantasie neu erwecken, die ganz und gar in dem sog. Realen untergegangen sind? Ganz anders sind unsere Kirchlichen. Sie leben naiv in der Welt, die im Kult vorausgesetzt wird. Sie ist das eigenv lich Reale und alles andere ist Schein oder Übergang. Sie hängen an den alten Formen; diese duften ihnen nach allem, was ihnen lieb und teuer ist, Elternhaus, Heimat, Stille, ehrfurchtsvoll zu glaubender Überwelt, Sieg über Leid und Leidenschaft. Jede Änderung raubt ihnen etwas von diesem Hauch vertrauenswerter Autorität. Sie haben an dem sonntäglichen Gottesdienst gleichsam die gute Stube ihres Lebens, am kultischen Leben überhaupt den Rhythmus und das Rahmenwerk ihres Taseins, gegen jede Störung werden sie um so empfindlicher, je älter sie werden. Sie sind ganz und gar in ihrem seelischen Leben nach der Psychologie der Gewohnheit konstruiert, die sie auch in ihrem sonstigen Leben bestimmt. Es ist natürlich ein Irrtum zu meinen, daß es geistig beschränkte Menschen seien, die hierher gehören; es sind auch solche von feinster Kultur darunter. Gern lassen sie sich von dem Gottesdienst in Reelle Sphären entführen; sie nehmen keinen Anstoß daran, wenn sie der Mißbrauch jener Schleiermacherschen Bestimmung seines Sinnes vor sich selbst auf eine illusionäre Höhe erhebt, die ihr Selbstgefühl für viele Wunden entschädigt. — Um noch ein paar Zahlen zu nennen: gibt es auch noch Gemeinden mit einem Kirchenbesuch von 70 "/y, so doch auch andere mit kaum
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V2 Vu- Den Durchschnitt hat jüngst eine amtliche Stelle auf 3"/o veranschlagt. Der einzige Trost gegenüber der katholischen Kirche ist, daß diese freiwillig kommen. Wie, wenn die andere Kirche von jedem mittelbaren Zwang absehen sollte? Zwischen diesen beiden Gruppenstehennoch andere. Ihre Glieder haben im Unterschied von der ersten das Bedürfnis nach Kult, aber in dem von der zweiten sind sie nicht imstande, es in den herrschenden Formen zu befriedigen. Neigt die vorige Gruppe allem zu, was wir mit der katholisierenden Reihe in unfern am Anfang aufgestellten Gegensätzen bezeichnet haben, so diese im allgemeinen mehr der zweiien Reihe. Sie nehmen Anstoß kraft ihres Sinnes für Wahrhaftigkeit an dem Abstand zwischen ihrer Empfindung und jenem Ausdruck. Sie nehmen die Liturgie, um ein Wort von Ioh. Müller zu gebrauchen, tragisch; sie vergessen, daß eine Gemeinschaft, die Formen nötig hat, am besten fährt, wenn sie ehrwürdig alte nimmt, die gar nicht den Anspruch machen können, jedem persönlichen Geschmack und Denken gerecht zu werden. Sie stecken noch ganz in einem Intellektualismus, der übersieht, daß wir von den unsichtbaren Wirklichkeiten nur sinnbildlich und poetisch reden können. Oder aber es sind andere, die zu jener ersten Reihe gehören. Ihnen ist die herrschende Art, Gott zu verehren, zu flach und verständig. Sie wollen mehr Halbdunkel, Stimmung, weniger Wort und Klarheit. Sie wollen mehr Alter, Weihe, Sakrament, als die Kirche bieten kann, weil sie auf ihre Überlieferung und auf den Dienst an dem Durchschnitt festgelegt ist. Eine andere Stimmung geht gegen die Gewohnheit. Fühlen sich jene obengenannten wohl in dem altüberlieferten Gewand der Anbetung, ob es nun aus Scheu vor der geistigen Anstrengung oder aus wirklicher Licbe geschieht, so wollen diese die Abwechslung. Diese beschäftigt ihr Denken, frischt
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ihre Gefühle und wühlt ihr persönliches Wollen und Streben heilsam auf, so daß sie sich immer neu in ihrem frommen Leben erfassen. Gerade dieser ganzen Gmppe ist schwer etwas recht zu machen; aber es muß immer auch auf sie Rücksicht genommen werden, weil es oft die wertvollsten Menschen sind, wie so oft unruhiges Verlangen und unzufriedene Reformsucht ein Ausdruck von Lebendigkeit und Reichtum ist. Ohne Zweifel ist viel Bedürfnis nach Kult da; nur befriedigt es sich oft außerhalb der Kirche, nicht nur in Sekten und Gemeinschaften, auch jede neue Religionsund Weltanschauungsgemeinschaft legt sich alsbald einen Kultus zu. Sieht es so in der Gemeinde aus, die den Kultus empfängt, dann versteht man, wie Reformen begehrt, aber auch wieder leidenschaftlich bekämpft werden. Wir gehen nun zu dem Abschluß unseres ganzen Büchleins über, indem wir die verschiedenen Versuche, den Gottesdienst oder vielmehr nur an ihm zu reformieren, darstellen und beurteilen.
Liturgische Reformen. Das ganze letzte Jahrhundert hindurch hatte die liturgische Arbeit nicht geruht; das liegt in der Natur des protestantischen Kultus, der sich nicht auf eine Form der Vergangenheit festlegen kann. Es ist darüber das Wesentlichste oben gesagt worden. Liturgisch interessierte und begabte Theologen, aber auch kirchenpolitisch eingestellte Kreise haben immer versucht, mit Hilfe des Kirchenregimentes und der Synoden Gedanken durchzusetzen, die sie vorher literarisch vertreten hatten. A n Gegensätzen hat es natürlich nicht gefehlt: so entspricht es der Art unserer Kirche und der am Anfang unserer Darstellung geschilderten Polarität. Der Streit der Meinungen und Richtungen kam mit der
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Preußischen Agende von 1895 nicht zur Ruhe. Der Gegensatz zwischen der von oben gegebenen Normalform und der Wirklichkeit, den wir in unfern letzten Ausführungen zum Ausdruck gebracht haben, brach immer wieder durch. Ist einmal die Tatsache zum Bewußtsein gekommen, daß sich das Verhältnis zwischen diesen beiden Größen verschoben hat, dann kann kein Statut von oben her die liturgische Entwicklung zum Stillstand bringen. Die beiden Seiten trachten darnach, einen besseren Ausgleich zu finden. Die Lösung der liturgischen Frage, die in den beiden Preußischen Agenden, in der vom Anfang und auch in der vom Ende des Jahrhunderts geboten worden war, mußte immer mehr als eine der üblichen Halbheiten erkannt werden, wie sie das Wesen des Kompromisses auf allen Gebieten auszumachen Pflegen. So richtete sich denn eine starke kritische Bewegung gegen diese Lösung. Man kann zwei liturgische Reformzeiten unterscheiden. Die erste beginnt um die Zeit, da die neue Preußische Agende entstand, stärker hervorzutreten. Die zweite ist ein Ergebnis neuerer Entwicklungen und ist besonders stark nach dem Krieg hervorgetreten. So viel beide natürlich miteinander gemein haben, so wollen wir sie doch unterscheiden. Dazu ist auch mannigfach Grund vorhanden. Die ältere Reformbewegung. Die erste wird hauptsächlich von Theologen getragen. Gewiß haben sie Teile der Gemeinde hinter sich, in deren Namen sie sprechen und fordern. Aber es ist im ganzen noch eine Angelegenheit der Zunft, was da geschieht; nur etwa in der sie unmittelbar angehenden Frage des Abendmahlskelches greift die Gemeinde stärker ein. Zwei Namen sind es vor allem, an die sich jene Bewegung knüpft, Friedrich S p i t t a und J u l i u s Smend. Sie haben
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großen Einfluß auf die Pfarrer der letzten Generation ausgeübt. Gegen sie treten alle zurück, die in gleicher Weise gestrebt haben. Die meisten unter diesen sammelten sich um die von jenen beiden Führern herausgegebene Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst, die bei Bandenhoeck und Ruprecht in Göttingen erscheint und nun in ihrem 22. Jahrgang steht. Den Anfang der Bewegung, die uns hier angeht, machte eine kleine Schrift von S p i t t a , die aus Aufsätzen in eineni Gemeindeblatt der freieren Richtung hervorgegangen war. Der Verfasser, damals Pfarrer und Dozent im Rheinland, bei Bonn, hat seine Herkunft aus dem lutherischen Norden nie verleugnet. Von dieser seiner Stellung aus kritisiert er die beiden Seiten des liturgischen Gegensatzes, die auch wir als solche aufgestellt haben, die katholische und die reformierte Weise, wie sie ihm im Rheinland entgegentraten. Aber auch die offizielle, durch lutherische Tradition bestimmte Form fordert in ihrer Halbheit seinen Gegensatz heraus. Smend hat zehn Jahre später seine Auffassungen und Grundsätze in einer größeren Schrift zum Ausdruck gebracht (s. Literaturverzeichnis). I n ihr zeigt sich schon eine weitere Stufe der Entwicklung; alles ist mehr durchgedacht und ausgestaltet als in jenem ersten Versuch. Wir nehmen zu diesen beiden Schriften noch einen wichtigen Aufsatz hinzu, der in der Monatsschrift für Pastoraltheologie, Jahrgang V , erschienen ist und aus der Feder von E . Ehr. Achelis, einem Vorgänger des Verfassers, stammt: Die Wahrheit und Wahrhaftigkeit in unfern Gottesdiensten. Mit diesen Grundlagen begnügen wir uns, wenn wir nun daran gehen, die wichtigsten Gedanken der ersten Reformbewegung geordnet vorzutragen. Wieder müssen wir von der religiös-theologischen Voraussetzung ausgehen. Alle drei genannten Autoren gehören N i e b r i g a l l , Der evangelische OM^dienst.
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zwar nicht einer ausgesprochenen theologischen Richtung, aber der neueren und freieren Theologie im weitesten Sinn des Wortes an. Man kann sie als Gegner der Orthodoxie und Freunde einer kritisch-historischen Auffassung zusammenfassen. Auf jeden Fall stehen sie zu allem im Gegensatz, was katholisch ist. Darunter wird auf dem kultischen Gebiet immer dasselbe verstanden: Kult als Lohn und Frondienst in Furcht und Zittern, heidnische Vorstellungen abergläubischer Art, priesterliches Tun mit wesentlich passiver Haltung der Laien. Alles, was nur irgendwie an diese Weise streift im evangelischen Kult, wird aufgespürt und bekämpft. Nicht weniger aber wendet sich der Gegensatz wider alle Nüchternheit und Lebhaftigkeit, wie sie zumal in dem reformierten Kult begründet, aber in dem ganzen evangelischen Kultus üblich ist. Zwischen Aberglauben und Rationalismus führt der Weg hindurch: Glaubensfrömmigkeit als Erhebung des Herzens zu Gott, Andacht, Gebete, Betrachtung sind die wichtigsten Merkmale dieser Frömmigkeit und die Mittel zu ihrer Pflege. Und es ist die Frömmigkeit der Gewißheit des Heils. Der Fromme oder vielmehr die Gemeinde der Gläubigen steht auf dem festen Grund der Gnade Gottes. Sie weiß, daß sie zu Gott gehört und Gott zu ihr, auch wenn sie seiner nicht wert ist. So ist diese Weise von aller Furcht und allem Knechtsdienst fern; sie freut sich ihres Gottes, die Freude am Herrn ist ihre Stärke. Und um das noch einmal besonders zu betonen, es ist die Gemeinde, die sich vor ihren Gott stellt. Es ist nicht die Stimme der einzelnen, es ist nicht der Priester, der es für sie tut, sondern es ist die Gemeinde der Gläubigen. Hier an diesem Punkte setzen freilich Schwierigkeiten ein, die wir empfunden haben, als wir die Wirklichkeit des kultischen Lebens mit seinem Ideal und seiner Idee verglichen. Davon wird noch ausführlich die Rede sein. Unter diesen
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Gesichtspunkten wird alles abgelehnt, was der römischen und einer allzu nüchternen Art entspricht. Die herrschende Liturgie des Hauptgottesdienstes wird als eine verstümmelte Meßliturgie im ganzen abgelehnt. Wo nur die Stellung des Liturgen an die des Priesters erinnert, wird es getadelt. Der herrschende Gebrauch, mit dem Sündenbekenntnis anzufangen, das oft in dem Ton der Feme von Gott gehalten ist, findet scharfen Tadel; denn eine evangelische Gemeinde spricht auch das Bekenntnis ihrer Schuld nicht aus ohne das tragende Gefühl, mit Gott trotz allem zusammenzugehören. Es ist auch falsch, dieses Bewußtsein um Sünde und Schuld zum einzigen zu machen, mit dem man vor Gott treten dürfe; Lob und Dank haben genau dasselbe, wenn nicht ein größeres Recht dazu. Der Gruß „Der Herr sei mit euch" samt dem Gegengruß „Und mit deinem Geiste" ist ganz gedankenlos aus der Messe übernommen. Er hat in ihr einen Sinn als der Gruß des Priesters, der sich vom Altar immer wieder zu dem Volke wendet, in dessen Namen der Diakon antwortet mit einem Wort, das sehr stark an den hierarchischen Geist erinnert, der im Priester ist. I n dem evangelischen Gottesdienst aber ist es ohne Sinn, daß dieser Akt mitten in der Liturgie, wenn Liwrg und Gemeinde schon länger miteinander in Verbindung stehen, auf einmal eintritt. Wenn es heißt, daß sich in dem Kyrie, dem „Herr, erbarme dich unser" die Gemeinde das vom Liturgen gesprochene Bekenntnis der Sünde aneigne, wo bleibt dann die Gemeinde als die Trägerin des Kultus im Gegensatz zu der katholischen Lehre? Die ganze Stimmung, die das Abendmahl umgibt, ist unevangelisch. Sie hat nichts an sich von dem Dank- und Freudenmahl der ersten Christenheit, sondern atmet den Geist des schauerlichen Mysteriums, der in der Messe herrscht. Die Nachkonsekration ist auch katholischer Sauerteig. — Und im Gegensatz zu der
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allzu lehrhaften Art wird Wert darauf gelegt, daß der Gottesdienst die festliche Vergegenwärtigung des Heils in der Form des Wechselverkehrs durch die Gemeinde sei. Es kommt nicht auf Belehrung und andere sachfremde Zwecke, sondern auf das gottesdienstliche Erlebnis im Kultus an. Er ist ja nicht Schule, sondern Feier. Darum gipfelt er im Gebet und in der Betrachtung. Die Predigt aber, von beiden Seiten, von dem Pfarrer und der Gemeinde überschätzt, hat den Kultus ruiniert, wie sie selbst durch ihn in ihrer Eigenart beeinträchtigt worden ist. Noch mehr freilich als diese Lebhaftigkeit verwüstet die so häufige saloppe Art der Liturgen die gottesdienstliche Feier. Mag sie herkommen, woher sie will, aus einem gewissen Grundsatz, der alles Weihevolle als katholisierend ansehen läßt, oder aus Mangel an seelischer Feinheit, sie ist ein Unrecht an denen, die sich erbauen und ihre Seele erheben wollen. Der Gottesdienst eine Erhebung der Seele oder vielmehr der Gemeinde zu dem Gott ihres Heils in einer weihevollen Feier — das ist die rechte evangelische Stellung jenen beiden Irrtümern und Verfehlungen gegenüber. Die Predigt diene dem Gebet und der Betrachtung, die die Hauptsache im Kultus sind, und anstatt die Empfänglichkeit für den Kult zu beeinträchtigen,stärkesie dieselbe. Vor allem soll das Gebet ebensowenig durch die Predigt verpfuscht werden, wie es durch das Muster der uns so fremden römischen Kollektengebete verfälscht worden ist. Es soll feierlich, aber im evangelischen Sinn und Geist gestaltet sein. Eng mit diesen Anforderungen, die auf die Feierlichkeit des Gottesdienstes hinzielen, hängen die zusammen, die vom ästhetischen Standpunkt aus zu erheben sind. Dem üblichen Grau in Grau gegenüber soll auf Schmuck, Schönheit und Volkstümlichkeit Wert gelegt werden. Blumen, Kerzen, Wechselbilder, Erntekranz und was immer von
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örtlich bedingtem Schmuck und Brauch zu dem Kultus paßt, bringe mehr Farbe und Wärme in die Kirchen hinein. Der Gesamtkelch, an dem weniger aus gesundheitlichen als aus ästhetischen Gründen Anstoß genommen wird, weiche dem Einzelkelch, der eine viel schönere Feier ermöglicht, als es die alte Weise der Prozession an den Altar ist. Das disharmonische Verhältnis zwischen der Länge und Bedeutung der Predigt auf der einen Seite und der der Lieder und Gebete auf der anderen soll durch eine Verteilung der Gewichte und eine innere Übereinstimmung ersetzt werden, die dem Geschmack und der Aufgabe der Erbauung besser entspricht. Das stereotype Apostolische Glaubensbekenntnis wirkt ebensowenig schön wie das Kirchengebet in der üblichen Form, das die Wirkung der Predigt neutralisiert. Jenes werde darum durch andere Bekenntnisse, auch durch „Stimmen der Väter" ergänzt; dieses soll nicht nur in kürzerer und abwechselreicherer Form, sondern auch im Rahmen eines Gebetaktes dargeboten werden, der, etwa mit Hilfe der alten prächtigen Präfation, den Höhepunkt des Gottesdienstes an die Stelle legt, die zumeist nur als ein Anhang an ihn gewertet wird. Ganz anders soll der musikalische Teil des Kultus ausgestattet werden. Wenn sich nur irgendein Lied dazu eignet, werde es im Wechselgesang gesungen. An die Stelle der alten schläfrigen Weise trete der rhythmische Gesang. Besonders festliche Gelegenheiten verlangen eine besonders festliche Ausstattung. Dazu gehört nicht nur der Kirchenchor, der aber ein Bestandteil der Gemeinde und nicht eine bezahlte Sängerschaft sein soll, sondern auch die Wiedereinführung von Bachschen Kantaten in die Kirche, für die sie geschrieben worden sind. Stark wird ferner die Forderung der Gemeindemäßigkeit des gottesdienstlichen Lebens erhoben. Mancherlei gehört hierher, was zu verschiedenen Seiten des Begriffs Gemeinde
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zu rechnen ist. Es ist oben schon betont, daß mit der Ausschaltung aller Spuren hierarchischen Denkens Ernst gemacht werden muß. Der Kult wird von der Gemeinde veranstaltet, und der Liturg steht ihr nur als ihr Mund, als ihr Bevollmächtigter gegenüber. Diesen Zug der Gemeindemäßigkeit gilt es nach allen Seiten hin auszubauen. So etwa darf die Bühne, auf der der Chor zu stehen hat, nicht wie üblich hoch über dem Platz der Gemeinde sein, sondern er muß sich als ein Bestandteil der Gemeindekirche erkennen lassen, wie jener ein Teil der Gemeinde ist. Das Abendmahl werde auch als eine Feier der Gemeinde und darum als ein Mahl der Gemeinschaft begangen. Dem gibt die reformierte Weise besseren Ausdruck als die übliche: wenn an einem im Altarraum aufgestellten Tisch zwölf bis vierundzwanzig Personen Platz nehmen, dann kommt diese urchristliche Seite an der Feier ganz anders zu ihrem Recht. Nicht anders sollen auch die andern Feiern gestaltet werden. Die Taufe gehört vor die Gemeinde, womöglich auch die Trauung und die Bestattung. Immer kommt es darauf an, an die Stelle des magisch wirkenden Sakramentes diese Größe zu setzen, die für evangelische Begriffe den heiligen Geist trägt. Ein anderer Gesichtspunkt ist die Rücksicht auf die veränderten Verhältnisse des öffentlichen Lebens, wie sie durch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung geworden sind. Die Zeiten des Kultuslebens sind immer noch zu sehr durch die alte Weise der Einteilung von Woche und Tag bedingt, wie sie zumal das landwirtschaftliche und Handwertliche Leben mit sich brachte. Die Rücksicht auf die ganz andere Struktur der Gegenwart verlangt, daß diese Zeiten nachgeprüft werden, ob sie den Lebensbedingungen der Fabrikarbeiterschaft, zumal den ihrer Frauen angepaßt sind. Der Drang in die Natur aus den großen Städten heraus läßt überall Samstagabend-Vespern erwünscht er-
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scheinen. Die moderne Wohnungsnot und Lebenshaft schreit nach offenen Kirchen zur Sammlung der Seele vor ihrem Gott. — Ob diese Maßregeln wirklich etwas helfen, ist eine andere Frage; jedenfalls sollte man aber jeden Vorwand abschneiden, daß die alte Weise es unmöglich mache, an dem kultischen Leben teilzunehmen. Ganz besonders scharf ist die Kritik, die von der „Gnadengabe der modernen Zeit", von dem Sinn für Wahrheit und Wirklichkeit an dem ganzen üblichen kultischen Betrieb geübt wird. I n der Tat hatte man es früher in der Beziehung sehr leicht genommen. Wenn nur der schöne Schein und die Tradition gewahrt wurden, nahm man vieles in den Kauf, zu dem man gar kein innerliches Verhältnis mehr gewinnen konnte. Unwahr erscheint nun der Begriff der Gemeinde selbst, von dem die üblichen Konstruktionen ausgehen. Das gilt von dem pessimistischen Begriff, der die Predigt an vermeintliche Sünder und Heiden zu richten veranlaßt, wie von dem durch Schleiermacher bedingten entgegengesetzten, der die Gemeinde allzu ideal auffassen lehrt, als wenn sie alle Christen wären. Die Wahrheit liegt über diesen beiden Endseiten. Wer in die Kirche kommt, hat ein Verlangen nach Gott; sonst käme er nicht. Aber er ist nicht vollkommen, sondern er bedarf der Klärung und Stärkung seines Christenlebens. Überaus viele Schrullen aus altmodischer Einstellung, rein antiquarischer Liebhaberei und überstiegener Phantastik machen vielen nüchternen Menschen der Gegenwart die Teilnahme am gottesdienstlichen Leben unmöglich. Wer kann z. B . die üblichen Sündenbekenntnisse nachempfinden, wer so oft beten, wer in den Jubel des Halleluja auch nach weniger großen Schriftverlesungen einstimmen? Wer kann die oft so unwahren und übertriebenen LiederVerse mitsingen, der im Leben an den einfachsten Ausdruck seines Innenlebens gewöhnt ist, wenn er es überhaupt zum
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Ausdruck zu bringen vermag? Von einzelnen lächerlichen Einzelheiten werde dabei noch ganz abgesehen, wie z. B . von der üblichen Zeremonie bei der Einweihung der Kirche, wenn sich nach der feierlichen Schlüsselszene die Pforte öffnet und eine dichte Menge sich dem erstaunten Blicke bietet. Und dergleichen geschieht vieles aus dekorativem Interesse, was einen jeden echten Sinn abstoßen muß. Man kann Kraft aus der Höhe schöpfen, sagt Nchelis, ohne solche Illusionen. Die gegenwärtige Reformbewegung. Das kultische Lebenstehtwieder im Mittelpunkt der kirchlichen und religiösen Gedankenarbeit. Mannigfach nimmt die neue Reformbewegung die ältere auf, in vielen Punkten geht sie weit über sie hinaus und folgt neuen Antrieben, die durch die Zeit bestimmt sind. Wir suchen dieses Verhältnis zu erfassen, indem wir wieder die allgemeinen Umstände zuerst zeichnen, die die Bewegung bedingen, um dann die neuen Formen darzustellen, in denen sie sich Ausdruck zu
verschaffen sucht.
Tie allgemeinen Verhältnisse. Die religiöse Lage hat sich im Vergleich mit der früheren, aus der die ältere Reform hervorgewachsen war, sehr verändert. Wir, d. h. Christen, Theologen, Kirchenmänner und auch ein großer Teil der für ideale und metaphysische Dinge offenen Gruppen der Bevölkerung, sind frommer geworden. Wenigstens wissen wir oder glauben wir besser als die früheren zu wiffen, was Frömmigkeit und Religion ist. Zwar ist viel „zweite Religiosität" (Spengler) dabei, also künstliche und reflektierte Frömmigkeit; aber auch der echten und wiedererweckten gibt es genug. Diese Arten von Frömmigkeit streben alle nach Kult. Dieses Streben wird.
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vielleicht auch durch die Kenntnis der Tatsache unterstützt, die in diesem Grad früher nicht allgemein war: die Frömmigkeit äußert sich vor allem im Kult, weniger in Denken und Tun. Wir sind wirklich in einem kultischen Zeitalter. Wir suchen wieder allgemein nach Formen und Ausdrücken, um die Frömmigkeit ihrem Rechte gemäß als solche zu gestalten, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß sie wertvoll und verwertbar ist als Quelle der Kraft. Hatte eine auf freudiges Tun in der Welt gerichtete Zeit Religion und Kult als eine solche werten gelernt, so sieht ein müde gewordenes Geschlecht sie ganz anders an. Es leidet unter dem Druck der ewigen Zweckherrschaft und unter der Tyrannei des Intellektes. Es will sich darum entspannen und ausruhen; man will keine Antriebe für das Wollen, sondern Ruhe vor ihm. Darum geht man auf der Bahn weiter, die mit der Losung „Anbetung" beschütten worden war. Feiern, ruhige Feiern, in denen man sein Ich und die Welt der Zivilisation vergessen kann, werden immer mehr von feinfühligeren Seelen ersehnt. Dieses Verlangen erhält noch eine besondere moderne Färbung. Die Losung: Weg vom Ich! wird ergänzt durch die andere: Näher zu dem unabhängig von uns gegebenen Objektiven. Gott wird ersehnt als der Halt gegenüber dem subjektiven Ich. Seine Ordnungen, Regeln und Gesetze sollen dem Schwanken dieses Ich ein Gegengewicht bieten. So will man auch in dem Kult wieder alles, was überindividuell und transsubjektiv ist. Daraus folgt das Verlangen nach festen Ordnungen des kultischen Lebens, die dem Belieben des einzelnen entzogen sind und die Unveränderlichkeit Gottes widerspiegeln. Es ist leicht zu raten, woher dieser Zug kommt: es ist der katholisierende Zug, der durch unsere Zeit geht wie durch eine jede Zeit, die einer Periode der Auflösung folgt. Ihren Höhepunkt und klassischen Ausdruck findet
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dieses Streben in der sog. Hochkirchlichen Bewegung. Sie kehrt sich ab von allem, was hell und vernünftig schien, also auch von jener kritischen Haltung den herrschenden Formen gegenüber, die ein so wesentliches Merkmal der früheren Reform gewesen war. Nun gilt wieder alles, was tief und alt ist, ohne daß es auf etwas anderes als auf seinen Gehalt an Stimmung geprüft wird. Es ist kultische Romantik, die das Alte und Dunkle bevorzugt. Darum fällt diese Richtung wieder zurück in die Überschätzung des Sakramentes und alles Sinnlichen, die wir immer als ein Merkmal alles katholischen Kultes aufgezeigt haben. Man will das Heilige versinnlichen und auch das Sinnliche heiligen. Das geistige Wort gilt als zu abstrakt und leer. So tut man manchen Schritt in katholisches Wesen hinein, der dicht an die Grenze dessen führt, wenn nicht über sie hinaus, was als evangelisch noch ertragen werden kann. Nicht nur das Sakrament — und zwar 6x op6l6 oporato — wird dem Wort, zumal dem der für allzu rational erklärten Predigt gegenüber, wieder stark geschätzt, auch Maria, alte Sonntagnamen, Psalmodieren, Priesterkleidung machen sich in evangelischen Kirchen wieder breit. Natürlich fehlt dann auch das Spiel mit dem Gedanken der Wandlung nicht; es fehlt nur noch der der Sühne an den erzürnten Gott. Alles zusammen rechtfertigt den Ausdruck für den hochkirchlichen Kult: eine evangelische Seele in einem katholischen Leib; dabei darf nicht vergessen werden, wie auch der Leib auf die Seele einzuwirken vermag. Eine andere Quelle kultischer Bestrebungen ist die Erkenntnis der Religionswissenschaft, die sich mit entsprechender Stimmung verbindet, wie stark an aller Religion das Mystische beteiligt ist. Mag man darunter nur eine stärkere Empfindung der Nähe Gottes oder eine ganz bestimmte zur
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wärtig ist das Bestreben weit verbreitet, dieser Seite der Frömmigkeit einen kultischen Ausdruck zu geben. Wenn das religiöse Gefühl von R. Otto als das des Nunn'nosen, also als das der Scheu vor dem Geheimnisvollen bezeichnet wird, so erhebt sich das Verlangen, im Kult die Realpräsenz, also die wirkliche Gegenwart des Numinosen mit heiligem Schauer zu empfinden. Damit verbindet sich der Sinn für naturhaftere Bilder von dem Göttlichen; an die Stelle des biblischen Er tritt das mystische Es, an die des ehrfürchtigen Vertrauens das Verlangen, sich in das Meer der Gottheit zu versenken. Nicht mehr das Wort des Menschen, der von Gott zeugt, ist das Mittel, durch das Gott spricht, sondern man will seine Stimme im heiligen Schweigen vernehmen. Die Anthroposophie hat auch einen Kult für ihre Anhänger geschaffen. Sie will ihre metaphysischen Anschauungen von dem Verhältnis zwischen Natur und Geist darin praktisch machen. Wie sich diese beiden in der Welt, im Kosmos durchdringen, so sollen sie es auch im Kult und im Leben der Gläubigen tun. Das Sinnliche soll vergeistigt werden bis in die Gewänder hinein, und das Geistige soll versinnlicht werden bis zu der Tat. So soll Christuskraft die Erde verklären helfen. Da neben der indischen Frömmigkeit auch die russische Zur Mode geworden ist, wird auch von dem russischen Kult als dem vermeintlich urchristlichen Heilkraft für das kranke Abendland erwartet. — Es braucht nicht darauf aufmerksam gemacht zu werden, wie die meisten dieser Bestrebungen die Bahn verlassen, die durch die Reformation gezogen worden sind. Wir brauchen uns nur unserer auf Seite 88 f. dargebotenen Übersicht zu erinnern, um diese Bewegungen richtig zu erfassen, aber auch um ihren Gegensatz zu den echten evangelischen Grundsätzen zu empfinden.
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I m Zusammenhang mit dem Was der Frömmigkeit steht immer das W i e ihrer Darbietung. Es ist Wohl richtig, wenn man sagt: je weniger intellektualistisch und je mehr mystisch, desto stärker ästhetisch. Die Entwicklung dieser Seite an dem kultischen Leben ist weitergegangen in demselben Maß wie überhaupt in dem kulturellen Leben der Gegenwart. Wir können mehrere Erscheinungen dieser Art zusammenstellen. Einmal ist überhaupt der Sinn für alles, was Form und Ausdruck heißt, gestiegen. I m Gegensatz zu der oft sehr naiven, wenn nicht banausischen Weise, über dem Lehrinhalt die Form zu verachten, wie sie ohne Zweifel vielen früheren oder älteren Leitern des Gottesdienstes anhaftet, wird von den meisten der heutigen wie auch von jeder gebildeteren Gemeinde großer Wert auf sie gelegt. Tas kommt auch den uns oft so altmodisch vorkommenden Äußerungen der Frömmigkeit zugute, die in Gebet und Lied zur Kritik durch den modernen Verstand gereizt haben. Expressionistisch geschult will man den Ausdruck der Seele vernehmen, der in ihnen spricht, statt sie auf ihre logischsprachliche Angemessenheit zu prüfen. Freilich dieser Sinn, der auch vor Teufel und Blut und anderen kraftvollen Bildwörtern nicht zurückschreckte, ist noch sehr selten zu finden. Aber das Gefühl für Stil und Stileinheit hat zugenommen; dies erträgt es etwa nicht mehr, daß ein Pfarrer die Liturgie hält und ein ganz anders gestimmter die Predigt — daran hätte vor fünfzig Jahren kaum jemand Anstoß genommen. Die alte Psychologie des Kirchenbesuchers hatte sich im ganzen den konservativen Geist zum Typ erwählt, der angeblich immer dasselbe an Bekenntnissen, Gebeten und Vorlesungen hören wollte. Heute wissen wir es anders: auch auf dem Dorf gibt es vermöge der gesteigerten Lebendigkeit der modernen Seele immer mehr Menschen, die danach verlangen, in abwechselnden Formen ihr Gefühl aufzufrischen,
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um die Inhalte immer wieder frisch zu erleben. Auch die Herrschaft derselben Form, wie durch die Generationen so auch durch eine Landeskirche hindurch, ist nicht mehr so unbestritten wie früher. Abwechslung in den Formen gottesdienstlichen Lebens überhaupt ist die Losung. Man sucht den verschiedenen religiösen und ästhetischen Typen die ihnen am meisten entsprechenden Formen zu bieten. — Ferner ist der Sinn für das Schöne als das Gewand des heiligen auch in Kreise eingedrungen, die als solches mehr gewöhnt waren den Begriff und die Formel anzusehen. Zum Klang hat sich die Farbe und zu ihnen hat sich auch die Bewegung gesellt. Man möchte auch auf dem Theater der Kirche nach dem bekannten Rat aus dem Prolog zum Faust möglichst viel geschehen lassen. Der Hunger der Sinne verlangt nicht nur nach Musik, der stimmungsvollsten, aber auch der gefährlichsten der Künste, nicht nur nach Blumen, bunten Kirchen und Decken, sondern auch schon nach Priesterkleidern in der Weise der römischen Priester und nach Aufzügen, die stark an Prozessionen erinnern. Die von der vorigen Reformbewegung schon verstärkte Betonung des Gememdegedankens ist nicht verlorengegangen, sondern hat noch zugenommen. Einmal geschieht sie im Gegensatz zu der einseitigen Vorherrschaft der landeskirchlichen Behörden, die von sich aus das ganze kultifche Leben zu regeln beanspruchen. Die Gemeindeglieder erheben ihre Stimme, zumeist auf Umfragen von reformfrohen Pfarrern, und sagen, was ihnen nicht mehr gefällt und wie sie es haben wollen. Hier wirkt der demokratische Geist der Zeit sogar in das kultische Leben der Kirche hinein. So äußert sich gegenwärtig der Grundsatz der Reformation, daß die Gemeinde das Subjekt des Kultus ist. Nur ist eines zu beachten: die Freiheit und die Selbstbestimmung der Gemeinde heißt nicht Willkür des Pfarrers. Vielleicht muß
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wieder einmal die Behörde die Freiheit der Gemeinde gegen diese schützen. Vorläufig freilich ist zumal in Landgemeinden der mißtrauische Stumpfsinn in liturgischen Sachen noch so groß, daß das Kirchenregiment sich eher hinter den Pfarrer stellen muß, wenn er Unsinn gewordene Vernunft durch Besseres ersetzen will. Das Ziel jener Entwicklung liegt durchaus an dem Punkt, der natürlich allen an das Alte gewöhnten Geistern nicht eingehen wird: im Rahmen der allgemeinen landeskirchlichen Form, wie sie durch die Geschichte geworden ist, hat die Gemeindevertretung das Recht, sich ihren Kultus örtlich eigenartig herauszubilden. Sicher ist ein solches auf den Leib geschnittenes Kleid einem normalen allgemeinen vorzuziehen. — Auch die Gemeinde, soweit sie sich selbst Vorsteher gewählt hat, die mit dem Pfarrer ihre Angelegenheiten zu besorgen haben, will in das kultische Leben eindringen. Warum sollen diese Vertreter höchstens das Becken für Almosen und Kollekte halten? Warum nicht beim Abendmahl, bei Vorlesungen helfen? J a warum nicht auch einmal taufen oder das Abendmahl ohne Pfarrer unter sich halten? Solche Gedanken liegen in der Luft, als Folgerungen aus dem Grundsatz des allgemeinen Priestertums. Und endlich die Gemeinde als Gemeinschaft. I m Gegensatz zu dem alten üblen egoistischen Typ der Frömmigkeit wird immer mehr auch im Kultus der entgegengesetzte Gedanke zur Auswirkung und Darstellung zu bringen versucht. Es ist gemeinsame Anbetung Gottes, die aber auch Gemeinschaft voraussetzt und wirken will. Daraus folgt von selbst, daß alle Rücksicht auf Klassen ge> nommen werden muß, die dem bisherigen kirchlichen Leben aus wirtschaftlichen, sozialen und auch politischen Gründen ferne gestanden haben. So wird es wahr, daß das Gebet der Jünger Jesu und der Kinder Gottes, das Unser Vater, an dem Höhepunkt des Kultus seinen Platz hat.
Die gegenwärtige Reformbewegung. Formen. Es sind viele Vorschläge gemacht worden, wie die soeben aufgeführten Grundsätze in der Praxis verwirklicht werden können. Wir begnügen uns damit, einige zusammenzustellen, die von einem oder von mehreren unter ihnen bestimmt sind. Wir ordnen sie so, daß wir von Vorschlägen ausgehen, die ohne weiteres im Rahmen des gegenwärtigen Gottesdienstes verwirklicht werden können, und mit anderen enden, die ganz neue Formgedanken verwirklichen wollen. Kerzen, die ein geheimnisvolles Helldunkel erzeugen, sollen die Stimmung des Numinosen hervorrufen helfen und das nüchterne Gas oder anderes künstliches Licht verdrängen. Bilder, Blumen, Krippen, Mysterienspiele sollen den Hunger des Auges und der anderen Sinne befriedigen. Ja, man hat sogar schon ein Banner eingeführt, das bei der Feier der Konfirmation vorangetragen und angesichts dessen das Gelübde abgelegt werden soll. Der Forderung, beim Gebet zu knien, steht nur die Einrichtung der Kirchenbänke sehr im Weg. Psalmodierendes Sprechen der Gebete und Sprüche oder antiphonisches Hersagen von Schriftstellen, also im Wechsel zwischen Liturg und Gemeinde, gemeinsames Sprechen des Unfer Vater, Verteilung geeigneter Lieder auf zwei Gruppen der Gemeinde, Zwiesprache zwischen einem Sprecher etwa auf der Orgelbühne und dem Liturgen am Altar — das sind alles Dinge, die den Gottesdienst beleben sollen. Es soll etwas geschehen, was die Aufmerksamkeit fesselt; es soll das alte Wesen des Kultus, das Dramatische, wieder zu seinem Rechte kommen. War es früher der Mythus des Gottes, der als Mysterium im Mittelpunkt stand, so soll es nun aus psychologischen Gründen ein heiliges Geschehen geben, das über die übliche Langeweile des reinen Wortgottesdienstes hinausführt. Darum bringe
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der Kult möglichst viel Dialogisches oder steigere es geradezu zum Dramatischen! Anstatt der alten Vorlesungen, Bekennwisse und Lieder fordert man neue oder wenigstens andere, Stimmen der Väter nicht nur, sondern auch ganz moderne Lieder bis zum Lied „Ich Hab' mich ergeben". Warum kann man nicht auch modern religiöse und philosophische Autoren zu Wort kommen lassen, zumal wenn der Veranstalter des Gottesdienstes einmal selber nichts zu sagen hat? Oder warum vermehrt man die Vorlesungen nicht um gut ausgewählte biblische Stücke, wie doch die alte Kirche vier Lesungen gehabt hat? Vor allem soll der Gottesdienst ein einheitliches Gepräge tragen wie jedes gute Kunstwerk. Er soll weniger einen Gedanken als eine Idee oder einen Willen Zum Ausdruck bringen; das geschehe aber so, daß alle Gesetze der Kunst, wie etwa das der Steigerung oder Ergänzung der Eindrücke, sorgsam berücksichtigt werden. Es gibt Agenden, die diesen Grundsatz in der Ausgestaltung der dargebotenen gottesdienstlichen Ordnungen durchgeführt haben. Tann muß natürlich auch die nniöiea 8aora dem Ganzen organisch eingebaut werden. Der Gedanke der Gemeinde wird in zum Teil sehr kühnen Vorschlägen berücksichtigt. Schon immer hat es in der reformierten Kirche Älteste gegeben, die nicht nur dem Pfarrer bei dem Abendmahl geholfen, sondern ihm selber das Abendmahl gereicht haben. So sotten sie auch allgemein im Gottesdienst zu höheren Diensten als zum Halten der Almosenteller herangezogen werden. I n einigen Gemeinden hat man ihnen die Verlesung der Bekanntmachungen übergeben und möchte ihnen auch die der Schriftstellen anvertrauen. Ja, man ist auch nicht, wie schon erwähnt, vor dem Gedanken zurückgeschreckt, sie zur Predigt und zum Vollzug von Amtshandlungen, wie Taufe und
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Trauung, heranzuziehen. I n diesem Geist wird das Abendmahl auch zu einem Brudermahl; das verlangt dann eine ganz andere Gestaltung der Feier. Ist das alte kultische Leben von der Sitte ebenso getragen wie gefährdet worden, so wird heute wieder, im Gegensatz zu der Auflösung aller Sitte durch die liberale Zeit, wo es nur geht, versucht, Sitte anzubauen. Zumal im Leben des Dorfes, das immer dafür empfänglich ist, alles wertvolle Geschehen auf diese Weise zu verfestigen, ist es nicht schwer, gewisse kultische Verrichtungen, die der neue Geist gebietet, ebenso in der Gewohnheit der Gemeinde festzumachen wie die alten. Neue Formen hat zumal die stark kultisch gerichtete Jugendbewegung hervorbringen helfen. Eine Gruppe mit Zupfgeigen lagert sich um den Altar, antwortet bald dem Pfarrer mit Sprüchen, bald einer andern Gruppe aus der Orgelbühne. Oder die Schar zieht am Frühlingssonntag mit Blumen oder zur Weihnacht mit Kerzen unter Spiel und Gesang in die Kirche ein, stellt sich um den Altar und beteiligt sich tätig am Gottesdienst; das ist sicher fesselnder für sie als die frühere Übung im Stillsitzen während des Predigtgottesdienstes. Einzüge sind auch sonst sehr in Mode gekommen: drei Liturgen mit Kerzen ziehen an zwei Altäre, die Kerzen werden angezündet und aufgestellt, es gibt Bewegungen hin und her, so daß das Auge immer etwas zu schauen hat. Ein Gemeinschaftsamt am Schlüsse des Gottesdienstes bildet anderswo seinen Höhepunkt. I n ihm wird unter Gebet und Verlesung aller Ereignisse gedacht, die im Lauf der Woche als Freud und Leid einzelne Glieder der Gemeinde bewegt haben. Ein schweigender Dienst baut sich anderwärts aus Stücken der alten kultischen Ordnungen auf mit Schweigen als dem Höhepunkt; in ihm fühlt sich die feiernde Gemeinde untereinander und mit der Gottheit enger verbunden als durch Rede und Gesang. Als Ersatz N i e b e r g a l l , Tcr evangelische Gottesdienst.
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Liturgische Reformen. der Messe wird irgendeine Art von Hochfeier ersehnt, die das Wort des Predigers ausschaltet und die Gemeinde ohne eine subjektive Vermittlung sich ihrem Gott nahen läßt. Da sich dazu das Abendmahl nicht eignet, weil es nicht ohne Genutz gefeiert werden kann und es an Gästen für jeden Sonntag in unserer Kirche fehlt, so versucht man irgendeinen Aufbau zu schaffen, in defsen Mittelpunkt das Unser Vater oder sonst ein solennes Stück der Bibel steht. So soll ein objektives Gebilde kultischer Art geschaffen werden, das auf evangelischen Grundsätzen ruht und das Bedürfnis stillt, das in den andern Kirchen die Messe befriedigt. Nicht ohne Spott sagt aber die katholische Kritik, daß eine Messe ohne Wandlung ein Unding sei. Die Anthroposophie hat eine MenschenWeihhandlung nach den Grundsätzen R. Steiners eingeführt; in ihr sollen die obengenannten Grundgedanken von der Verbindung zwischen Geist und Natur verwirklicht werden. So herrscht ein reiches Leben nicht nur auf dem Gebiet der Theorie, sondern auch auf dem der Praxis. Alles ruft nach mehr Kult, nach Sinnlichkeit und Sinnbild, nach Objektivität und Sakrament — kein Wunder, wenn die katholische Kirche ihren Weizen blühen sieht und hofft, daß der Prädikant bald wieder dem Priester Platz mache. Wir müssen noch ein Wort der Kritik hinzufügen, von dem wir hoffen, daß es durch die Wirklichkeit der nächsten Zeit bestätigt werde. Vorab entspricht die Mannigfaltigkeit der Formen durchaus evangelischen Grundsätzen. Wir haben keine göttlich oder rechtlich begründete Normalform. Innerhalb derselben Landeskirche, ja innerhalb derselben Gemeinde darf, ja soll es mehrere Formen geben, wie sie den verschiedenen seelischen Anlagen und Bedürfnissen, aber auch den verschiedenen Aufgaben des kultischen Lebens entsprechen. Keine einzelne, weder die reichste noch die knappste, darf sich mit einem Nur
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als die evangelische ausgeben und die andern ablehnen wollen. Ebensowenig wie die Ordnung der Verfassung, steht die des Gottesdienstes in organischer und notwendiger Verbindung mit der Hauptsache, mit der Offenbarung, dem Geist und dem Glauben. — Allein es liegen doch in dem Evangelium mehrere Merkmale, die uns unterscheiden lehren, was evangelisch ist und was nicht. Vor allem: es muß sich wirklich um Anbetung und nicht bloß um Spiel und um Kunst handeln; und es muß Anbetung und nicht nur Schule sein. Außerdem kommen alle Merkmale in Betracht, die wir auf S. 10—17 aufgezählt haben: der Kultus muß zum Ausdruck bringen, daß alles, was der Christ an Gaben und Kräften hat, auf der Gnade Gottes beruht, und daß sich diese nur in geistigen und nicht in dinglichen Mitteln kundgibt und mitteilt; daß die Gemeinde und nicht der Priester den Gottesdienst veranstaltet und trägt. Innerhalb dieser Schranken ist jede Form der Anbetung freizustellen. Man kann es der Zeit überlassen, welche Formen sich dauernd halten. Vielleicht wird es einen Rückschlag geben, der uns wieder zu einfacheren Formen zurückbringt. Wie die ganze Entwicklung, so spiegelt sich auch die Reformzeit in Kirchenlied und Kirchenbau. Wir hatten beide an dem Punkt verlassen, wo die Restauration zu den alten Formen zurückkehrt. I m Laufe der letzten Jahrzehnte macht sich wieder dagegen ein Rückschlag bemerkbar. Immer mehr sträuben sich weite Kreise in den Gemeinden gegen die altmodischen Formen der Lieder, die ihnen in älteren Gesangbüchern zugemutet werden. Nur in wenigen Kreisen war ein liebevolles Verständnis für Urtexte mit ihrer lapidaren Kraft oder für den poetischen Charakter religiöser Lieder, der es verbietet, sie mit einem modernen dogmatischen Maßstab zu messen. Zumeist ging das Be8*
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streben der Menge dahin, auch die sog. geistlichen Volkslieder im Gottesdienst singen zu dürfen, die sich für andere Gelegenheiten als Ausdruck mehr der Stimmung als des Glaubens eingebürgert hatten. Gesangbücher aus dem letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts hatten diese mit der Warnungstafel: Nicht für den kirchlichen Gebrauch! in einen Anhang gestellt. Aber die Entwicklung störte sich daran nicht mehr. Immer wanderten diese Lieder mit ihren leichten Texten und ansprechenden Melodien in den Gottesdienst hinein und verdrängten die älteren streng kirchlichen Choräle. Darum gaben neuere Gesangbücher nach; ein Lied nach dem andern fand nun auch seinen Weg in die Gesangbücher hinein. Diese Entwicklung ist, wie es scheint, auch darum nicht aufzuhalten, weil sie, wie die Geschichte beweist, immer vor sich gegangen ist. Viele unserer schönen Kirchenlieder sind ursprünglich solche geistliche Volkslieder gewesen (s. oben S. 79f.) und erst allmählich zu ihrer kirchlichen Würde gekommen. Ist es so, dann dürfen sich auch die Freunde des strengeren kirchlichen Stiles nicht mehr gegen diesen Vorgang wehren, so schmerzlich es ihnen auch sein mag, etwa „Ich bete an die Macht der Liebe" oder „O du fröhliche" im Gemeindegottesdienst zu singen. — Neuerdings hat sich eine ganz besondere Quelle neuer Lieder aufgetan. Die Jugendbewegung, soweit sie religiös gerichtet ist, und das ist sie fast durchweg, hat viele alte religiöse Klänge aus älterer und auch aus neuerer Zeit aufgenommen und bekanntgemacht. Sie singt sie auf der Wanderung und zur Zupfgeige im Nest. Sie singt sie auch, wenn sie in der angegebenen Weise zur Belebung des Gottesdienstes herangezogen wird. Es ist eigentümlich, daß sich unter ihren Liedern manche finden, die dem, was die ältere Generation als katholisch abgelehnt hatte, sehr nahe kommen; so etwa beliebte Marienlieder, die auch in hoch-
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kirchlichen und mystisch gerichteten Kreisen sich wieder großer Beliebtheit erfreuen. So kehrt immer wieder die Entwicklung sich ihrem Ausgang zu: dem katholischen Kult; wenigstens ist das der eine der beiden Felsen, durch die für das Schifflein der evangelischen Kirche immer die Fahrt hindurchgeht. Ähnliches gilt auch für den Kirchenbau. Die Zeit der Restauration, die streng in einem sog. kirchlichen Stil zu bauen befohlen hatte, wurde durch eine andere abgelöst, die sich auf alte Grundsätze echt evangelischen Bauens und auf moderne Bedürfnisse besann. So kam der vernünftige Grundsatz immer mehr zur Geltung, daß eine Kirche nicht durch den sog. kirchlichen Stil, sondern durch ihre der Ausgabe des Baues entsprechende Gestalt zu einer Kirche werde. Unter der Losung „Die Lilurgie als Bauherrin" suchte man nach Formen, die der Aufgabe genügten, möglichst viele Menschen um einen Predigtstuhl zu vereinigen und doch noch einen Altarraum für Abendmahl und andere Zeremonien zu gewinnen. So kam als Regel der saalartige Grundriß mit einer Apsis heraus (s. S. 83). Es entsprach dem Gemeindegedanken, also dem Grundsatz, daß das Leben der Kirche nicht im Kultus aufgehe, sondern auch andere, weltlichere, soziale Aufgaben habe, wenn man zu einem Gruppenbau kam, der Gemeindehaus und andere kirchliche Gebäude zu einem großen Ganzen architektonisch vereinigte. Auch machte man den modernen Stil der geraden Linie und der anderen Besonderheiten treulich mit. So gewähren die Kirchen, die vor dem Krieg entstanden sind, oft ein Bild, an das sich wieder sog. kirchliches Empfinden schwer gewöhnen kann. Und wiederum ist der Geschmack ein anderer geworden. Man kann es sich ja denken, unter welchem Einfluß. Der ganze Umschlag der kirchlich-kultischen Stimmung ins Mystisch-Weihevolle verlangt nach architektonischem
118 Schluß. Ausdruck. Die Kanzel wird aus ihrer der Vorherrschaft der Predigt entsprechenden Stellung verdrängt. Das letzte Wort auf dem Gebiet ist bis jetzt von dem Architekten Bartning gesprochen worden. Er hat eine Form vorgeschlagen, die eine Predigtkirche mit einem Raum für Weihefeiern vereinigt. Damit geht er über die vorletzte Entwicklung hinaus, die den einen Kirchenraum möglichst stimmungsvoll hatte ausstatten wollen. Das Geschick dieses Vorschlags hängt an dem der ganzen Entwicklung überhaupt. Nur daß es ein ander Ding ist um einen Kirchenbau und um ein Gesangbuch: dieses kann man abschaffen oder umändern; von Ausnahmen abgesehen, lassen sich neue Baugrundsätze immer nur an neuen Bauten durchführen.
Schluß. Kinder von demselben Vater und derselben Mutter zeigen oft ein unter sich ganz verschiedenes Wesen, wenn man sie auch an der überwiegenden Ähnlichkeit als Geschwister erkennt. Das eine kommt mehr auf den Vater, das andere mehr auf die Mutter hinaus. Und in dem Leben des einzelnen Kindes gibt es Zeiten, da es mehr dieser, und andere, da es mehr jenem gleicht. Man könnte dasselbe von den Formen des evangelischen Gottesdienstes sagen. Die eine gleicht mehr dem Kult der katholischen Kirche, aus deren mütterlichem Schoß sie alle hervorgegangen sind, die andere mehr dem Geist des Protestantismus, der sie gezeugt hat. I n ihrer Entwicklungsgeschichte wechseln verschiedene Perioden ab. Bald überwiegt der Gegensatz zu der mütterlichen Urform, bald wieder die Ähnlichkeit. Protestantischen Geistes wie wir geworden sind, können wir nicht anders, als diesen Wechsel nicht nur mit in den Kauf nehmen, sondern auch begrüßen. Uns wird es nicht wohl angesichts einer Form, die für alle Zeiten festgelegt scheint, wie es die römische
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Messe ist. Zwar empfinden wir, wie auf alle anders gerichteten Seelen diese erhabene Gleichgültigkeit gegen den Wechsel der Zeiten wirken muß. Aber unser Los ist nun einmal anders: wir müssen mit den Zeiten gehen, wie sie ihr Herr werden und vergehen heißt. Darum freuen wir uns an dem Wechsel der Formen, in denen jede Zeit ihren Ausdruck für die Berührung mit dem Ewigen sucht. Überwiegt gegenwärtig wieder einmal der Zug zu dem katholischen Kult, so lassen wir uns das nicht anfechten. Auch das wird vorübergehen. Der Hunger der Sinne wird wieder dem nach dem kräftigen Worte weichen. Es ist doch viel von Erscheinungen des Niedergangs und von seelischer Schwäche in dem religiös-ästhetischen Betrieb der Gegenwart, wie überhaupt der Asthetizismus eine Verfallserscheinung ist. Wie von dem einen Extrem, der Verkehrung des katholischen Kultus in Magie, werden wir uns auch wieder von dem andern entfernen, dem heiligen Theater, das die Schaulust oder die Sehnsucht nach mystischer Versenkung befriedigt Wir werden uns durch die Berührung mit diesem Geist für immer warnen lassen vor jener Trockenheit, die unser Fluch gewesen ist; wir werden für mehr Anbetung, Weihe und Feierlichkeit sorgen. Aber doch immer nur in den Grenzen, die uns durch unsere klassische Vergangenheit gezogen sind. Wir haben sie mehrfach genannt: das Bewußtsein des Besitzes von allem, was Heil heißt, die Geistigkeit der Darbietung, also das Vorwiegen des Wortes, und die der Gemeinde. Innerhalb dieser Grenzen freilich müssen wir unserer Überlieferung entsprechend die Ausgestaltung des Kultus völlig freigeben. Vor zwanzig Jahren begann die eifrige Bemühung um die Reform der Predigt. Heute ruft alles nach der des gottesdienstlichen Lebens. Wir wollen uns doch besinnen, was nicht nur die eigentliche Kraft unserer reformatorischen
120 Schluß. Kirche, sondern auch das wirkungsvollste Mittel im Blick auf Menschen aller Zeiten und aller Arten ist und bleibt: das Wort, das Wort auch oder vielmehr gerade der Predigt. Nur muß es allerlei Bedingungen erfüllen. Man darf nicht sprechen, ohne daß man etwas sagt. Daran hat es immer gefehlt und fehlt es noch: man hat nichts zu sagen, was des Sprechens wert ist. Das müssen wir wiedergewinnen. Und man muß es sagen in einer Weise, wie sie den Bedürfnissen, dem Geschmack und vor allem dem Sinn für die Wirklichkeit in unserer Gegenwart angepaßt ist. Es ist seltsam, wie sich die Kirchen gegenseitig reizen und befruchten. Wir treiben kultische Reformen im Geist der katholischen Kirche; und diese verlegt sich neben all ihren liturgischen Interessen stark auf die Predigt. Sie hat, was die Kirche des Wortes nicht hat, in ihrer Zeitschrift „Kirche und Kanzel" ein Organ, das nur der homiletischen Ausbildung der Priester dienen will. Besinnen wir uns auf unsere eigentliche Gabe und lernen wir besser, also verständlicher, echter und wirkungsvoller predigen. Wo jemand wirklich mit Kraft etwas zu sagen hat, da sammeln sich immer — schmerzliche Ausnahmen abgerechnet — Menschen um ihn, die von ihm leben wollen.
Namen- und Sachverzeichnis. Abendmahl 20. 32, 36. 37. 46. 47, 50, 86. 113. - Trennung vom Worlgoltesdicnst 48. Nbendmahlsvorbereitung 75. Achelis. E . Chr. 97. Agende, preußische. uc>i, 1822 69. - Von 1856 70. — - Von 1895 96. Altarien 55. Amtshandlungen 71, 87. Nnthroposophie. 107. 114. Apostolisches Glaubende lenntnis 6N. Ästhctizismiis 119. Baden 61. Vartning 11«. Beerdigung 75.
Bsisti 43.
2«. !'„',.
Ealvill 49. 59 Dienst, schweigender 113. Einzelkclch 1U1. Elevation 21. 4. England «I.
Gesangbücher 79. Gottesdienst. Fest- 88. Haupt-, lutherischer 83. reformierter 64. — Neben- 50. 85. — wahrer 30, 45. — Wesen des cvanaeli' schen 89. 100. - Wort» 48. Individualismus 73. Jugendbewegung 11'!. Karlsiadt 39. Kasualien 87. Kirche, lutherische 51 — refurmierte 51. 80. Oiräienbau 74. 8. i l 5 , 117. Kirchengesana?«. Kirchenjahr 55. Kirchenlied 74, 115 Kirchenordnun^, schweiger 41. Kirchenraum 55. Kirchlichen. Die 93. Kommunion 36. Kult und moderne Menschr» 94. Lieder, modeim' 112 Liturgie 88. Luther 24 ff., 33. 3l. 77.
Nebengottesdienst 50. 85. Numinoses 37, 107. Ordnung, lutherische c>0. — reformierte 60. Orthodoxie 73. Otto, M . 13. 107. Pfarrer 90. Pietismus 64, 79. Predigt 35. 38. 43. 4l>. 57, 88. 90. 119. 120. Rationalismus 6«. Resvonsorien 33. 6!). Rcslaulllttcn 67. Numantil, kultische
Schleiermacher ?.
Smend 96. 97. Spengler 104. Spitta, Fr 9«, !)?. Steiner, R. 114. Stimmen der Pater 101.
Tmife 75. Trauung 75. Trennung vom Woitguttccdienst und Abendmahlo.feier 48. Typen, religiöse und ästhetische 109.
Fendt3 5. 43. 44. 5s. Freiheit der Zcrcmumen Mrssc 18 ff.. 24. 35. 3«. Union 62. Unkirchlichc -l. 43. — verstümmelte -^. Friedrich Wilhrlm II I. «8. Moderne Mrnschln 9 l . W^ihnachtsniette 80. Müller. Ioh. 84. Gemeinde 32/33, 91, >