Der Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte [1 ed.] 9783428542840, 9783428142842

Die Arbeit stellt ausführlich die Entwicklung der Leitsätze, die den Unternehmen auferlegten Sorgfaltspflichten und das

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German Pages 439 Year 2014

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Der Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte [1 ed.]
 9783428542840, 9783428142842

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Schriften zum Völkerrecht Band 208

Der Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte Von

Karen Weidmann

Duncker & Humblot · Berlin

KAREN WEIDMANN

Der Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte

Schriften zum Völkerrecht Band 208

Der Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte

Von

Karen Weidmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-14284-2 (Print) ISBN 978-3-428-54284-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84284-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Stine und Jette

Vorwort Diese Arbeit wurde im Februar 2013 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation eingereicht. Zu den Entwicklungen im Jahr 2013, die noch Eingang in die Arbeit gefunden haben, gehören die Entscheidung des US Supreme Court im Fall Kiobel vom April 2013 sowie einige aktuelle Veröffentlichungen der Nationalen Kontaktstellen für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Die neueren Beschwerdeverfahren können dank der im Herbst 2013 freigeschalteten Datenbank der OECD nun einfach und übersichtlich recherchiert werden. Die Internetseite http: /  / mneguidelines.oecd.org /  der OECD bietet nun einen einheitlichen Zugang zu den wichtigsten Informationen über die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Im April 2013 kam es tragischerweise bei einem Brand in einer Textilarbeiterfabrik in Bangladesh zu vielen Todes­ opfern. Das Unglück und die Reaktionen hierauf (siehe Fußnote 141 in Teil 1) veranschaulichen die anhaltende Relevanz und den Handlungsbedarf im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte. Meinem Doktorvater, Prof. Dr. Matthias Herdegen, danke ich sehr herzlich für das mit der Übernahme der Betreuung in mich gesetzte Vertrauen und für das unkomplizierte und konstruktive Betreuungsverhältnis. Meinem Zweitkorrektor, Prof. Dr. Christian Koenig, danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die wertvollen Denkanstöße aus dem Bereich des europäischen Wettbewerbsrechts. Allen Teilnehmern des Doktorandenseminars auf dem Arenenberg im Oktober 2011, vor allem aber Prof. Dr. Stephan Breitenmoser, Prof. Dr. Bernhard Ehrenzeller und Prof. Dr. Stefan Oeter danke ich für ihre wertvollen Kommentare. Den (ehemaligen) Angehörigen des Lehrstuhls von Prof. Herdegen danke ich dafür, dass sie mir die Kontaktpflege so einfach und angenehm gemacht haben. Herrn Carsten Calla möchte ich zusätzlich für die lehrreichen Gespräche zu völkerrechtsphilosophischen Fragen danken. Mein besonderer Dank gilt auch Dr. Karl Brauner, der als ehemaliger Leiter der Außenwirtschaftsabteilung im Bundeswirtschaftsministerium der Bearbeitung dieses Themas mit großer Offenheit gegenüberstand und es mir ermöglichte, als zuständige Referentin für die Nationale Kontaktstelle vertiefte Einblicke in die Beschwerdeverfahren und die hiermit verbundenen Herausforderungen zu erlangen. Auch dem seinerzeitigen Referatsleiter Dr. Steffens gebührt in dieser Hinsicht mein Dank.

8 Vorwort

Allen Kolleginnen, Kollegen und Freunden, die mich bei diesem Vorhaben stets ermutigt und moralisch unterstützt haben, bin ich ebenfalls sehr dankbar. Einige standen mir mit Rat und Tat in besonderem Maße zur Seite. Hier danke ich vor allem Dr. Karola Wolprecht für ihre umfassende inhaltliche Auseinandersetzung mit der Arbeit und Edgar Lenski für weitere wertvolle völkerrechtliche Anmerkungen. Herrn Georg Stein bin ich äußerst dankbar für seine akribische Suche nach dem Fehlerteufel. Dr. Thomas Fohgrub und Antje Hansen danke ich für ihre hilfreichen pragmatischen Tipps, die eine wertvolle Wegbegleitung waren. Nie begonnen und zu Ende gebracht hätte ich die Arbeit an diesem Projekt allerdings, wenn ich nicht das Verständnis und den immerwährenden Rückhalt meines Mannes gehabt hätte. Perk, ich bin dir für immer dankbar! Auch ohne die aufopferungsvolle Bereitschaft meiner Eltern, immer wieder die liebevolle Betreuung unserer Kinder zu übernehmen, wäre diese Arbeit nie beendet worden. Ich danke Euch von Herzen. Meinen beiden geliebten Töchtern danke ich dafür, dass sie mir mit ihren Bedürfnissen der ersten Lebensjahre ein striktes Zeitmanagement auferlegt und mir immer wieder Denkpausen verordnet haben. Liebe Stine, liebe Jette, ihr habt mir Motivation und Kraft gegeben! Euch widme ich dieses Buch. Berlin, im Mai 2014

Karen Weidmann

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Teil 1

Multinationale Unternehmen und Menschenrechte: Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Kontext rechtlicher und außerrechtlicher Regulierungsansätze 

27

A. Vorbemerkung: Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen in a nutshell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I. Umfassendes staatliches Instrument zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Breiter Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Freiwilligkeit und Umsetzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 B. Multinationale Unternehmen und menschenrechtsrelevantes Verhalten als regulatorische Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I. Das Phänomen multinationaler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Fallgestaltungen menschenrechtsrelevanten Verhaltens multinationaler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 C. Lösungsansätze zur Regulierung des Verhaltens multinationaler Unternehmen – Eine Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I. Konzeptionelle Grundfragen der Regulierung multinationaler Unternehmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Völkerrechtliche Bindung multinationaler Unternehmen an menschenrechtliche Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 III. Heimatstaatliche Ansätze zur Lenkung des extraterritorialen Verhaltens multinationaler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 IV. Corporate social responsibility – Zur „freiwilligen“ Orientierung an menschenrechtlichen Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 D. Zusammenfassung: Positionierung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Kontext der Regulierung multinationaler Unternehmen . . 169

10 Inhaltsübersicht Teil 2

Ausgestaltung und Wirkung des Menschenrechtsschutzes nach den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen 

172

A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . . . . . . 172 I. Annahme der Leitsätze in 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Anpassungen der Leitsätze in 1979, 1984 und 1991 . . . . . . . . . . . . . . . 175 III. Bedeutungswandel der Leitsätze im Jahr 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 IV. Weiterentwicklung der Leitsätze im Jahr 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 V. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 B. Ausgestaltung des Menschenrechtsschutzes nach den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 I. Menschenrechtliche Vorgaben in den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen bis 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Bedeutung der Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte für die Aktualisierung der Leitsätze in 2011 . . . . 211 III. Das Menschenrechtskapitel und weitere menschenrechtliche Ergänzungen in den Leitsätzen 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte . . . . . . . 235 I. Prozessuale Ausgestaltung des Beschwerde- und Schlichtungsverfahrens bei den Nationalen Kontaktstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 II. Menschenrechtsbezogene Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen . 270 D. Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . 310 I. Normative Kriterien zur Bestimmung des Grades der Bindungswirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . 311 II. Rechtswirkungen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen  317 III. Empirische Beobachtungen zur Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 IV. Ergebnis: Verhaltenslenkende Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 E. Zusammenfassung: Reichweite und Effektivität des Beitrags der OECDLeitsätze für multinationale U ­ nternehmen zum Schutz der Menschenrechte  331 I. Reichweite des Menschenrechtsschutzes nach den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 II. Effektivität der Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unter­ nehmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

Teil 3

Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen 

333

A. Die völkerrechtliche Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Inhaltsübersicht11 I. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale U ­ nternehmen in die völkerrechtlichen Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 II. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen als soft law . . . . 375 B. Der Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zur ­völkerrechtlichen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte . . . . . . . . 395 I. Beitrag zur Weiterentwicklung völkervertragsrechtlicher Regelungen . . 396 II. Beitrag zur Weiterentwicklung einer völkergewohnheitsrechtlichen Bindung von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 C. Zusammenfassung: Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unter­ nehmen zur Weiterentwicklung einer völkerrechtlichen Verantwortung von Unternehmen zum Respekt der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Gesamtergebnis: Der Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Teil 1

Multinationale Unternehmen und Menschenrechte: Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Kontext rechtlicher und außerrechtlicher Regulierungsansätze 

27

A. Vorbemerkung: Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen in a nutshell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I. Umfassendes staatliches Instrument zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Breiter Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Freiwilligkeit und Umsetzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 B. Multinationale Unternehmen und menschenrechtsrelevantes Verhalten als regulatorische Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I. Das Phänomen multinationaler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Die Entwicklung multinationaler Unternehmen und ihre Wahrnehmung im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Zur Definition multinationaler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Ansätze und Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 b) Verzichtbarkeit einer Definition? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Herausforderungen einer rechtlichen Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Fallgestaltungen menschenrechtsrelevanten Verhaltens multinationaler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Beeinträchtigung von Menschenrechten durch das multinationale Unternehmen selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Beeinträchtigung von Menschenrechten durch andere Unternehmen . 51 3. Verletzung von Menschenrechten durch den Gaststaat . . . . . . . . . . . 54 III. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 C. Lösungsansätze zur Regulierung des Verhaltens multinationaler Unternehmen – Eine Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I. Konzeptionelle Grundfragen der Regulierung multinationaler Unternehmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Rechtlich verbindliche versus rechtlich unverbindliche Formen der Verhaltenssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Völkerrechtlicher Handlungsrahmen von Gast- und Heimatstaaten  . 64 a) Menschenrechtliche Schutzpflichten des Gaststaates . . . . . . . . . . . 65

14 Inhaltsverzeichnis b) Extraterritoriale Befugnisse oder Pflichten des Heimatstaates . . . 67 aa) Zum völkerrechtlichen Grundsatz der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 bb) Heimatstaatliche extraterritoriale Schutzpflicht? . . . . . . . . . . 71 3. Öffnung des Völkerrechts für die Regulierung von Unternehmen: Zur Frage der (partiellen) Völkerrechtssubjektivität von Unternehmen  77 II. Völkerrechtliche Bindung multinationaler Unternehmen an menschen­ rechtliche Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Kodifikation versus Freiwilligkeit – Die Arbeiten der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Draft UN Code of Conduct on Transnational Corporations . . . . . 84 b) UN Global Compact . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 c) Draft UN Norms on the Responsibilities of Transnational Corpo­ rations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 d) UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte . . . . . . . . . 88 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Internationale Menschenrechtsinstrumente und ihre Bindungswirkung für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Mittelbare Drittwirkung der Menschenrechtsinstrumente . . . . . . . 94 b) Unmittelbare Drittwirkung der Menschenrechtsinstrumente . . . . . 96 aa) Eingrenzung auf faktisch durch Unternehmen verletzbare Menschenrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Unmittelbare Bindungswirkung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 cc) Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Völkerstrafrechtliche Bindung multinationaler Unternehmen . . . . . . 102 4. Völkergewohnheitsrechtliche Bindung multinationaler Unternehmen . 105 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Heimatstaatliche Ansätze zur Lenkung des extraterritorialen Verhaltens multinationaler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Gerichtliche Ahndung extraterritorialer Menschenrechtsbeeinträchti­ gungen durch Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Strafverfolgung vor heimatstaatlichen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche vor heimatstaatlichen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 aa) USA − Zur Rolle der US-Gerichtsbarkeit nach dem Alien Tort Statute (ATS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (1) Ursprung des ATS und Entwicklung der US-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (a) Erlass des Alien Tort Statute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (b) Extraterritoriale Anwendung des Alien Tort Statute . 114 (c) Anwendung des Alien Tort Statute auf Unternehmen . 115 (d) Voraussetzungen extraterritorialer Zuständigkeit bei Klagen gegen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . 119

Inhaltsverzeichnis15 (e) Die Entscheidung des US Supreme Court im Fall Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co.  . . . . . . . . . . . 120 (2) Offene Fragen nach der Entscheidung des US Supreme Court im Fall Kiobel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (a) Beklagtenfähigkeit von Unternehmen und ­Anspruchsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (b) Extraterritorial Jurisdiction, corporate veil und andere Zugangskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Weitere Länder des common law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 cc) Kontinentaleuropäische Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Gesetzgeberische Anknüpfungspunkte zur Förderung menschen­ rechtskonformen Verhaltens von Unternehmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Berichts- und Offenlegungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Öffentliches Auftragswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Administrative Förderung menschenrechtskonformen Verhaltens von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Ausgestaltung der Außenwirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . 140 aa) Exportkredit- und Investitionsgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 bb) Bilaterale Investitionsschutzabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Anwendung von Instrumenten einer corporate social responsibility . 148 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 IV. Corporate social responsibility – Zur „freiwilligen“ Orientierung an menschenrechtlichen Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Begriff der corporate social responsibility (CSR) . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Standardsetzung durch private Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Privatwirtschaftliche Verhaltenskodizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Multi-Stakeholder-Initiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) ISO 26000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 d) Zertifizierungswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3. Staatliche CSR-Strategien und -Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Europäische CSR-Strategien auf nationaler und supranationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Internationale CSR-Instrumente und ihre Durchsetzungsmechanismen im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 aa) ILO-Dreigliedrige Grundsatzerklärung und Kernarbeitsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) UN Global Compact . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 cc) UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte . . . . . 166 dd) OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . 166 4. Bedeutung von CSR für die völkerrechtliche Bindung von Unternehmen an menschenrechtliche Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 D. Zusammenfassung: Positionierung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Kontext der Regulierung multinationaler Unternehmen . . 169

16 Inhaltsverzeichnis Teil 2

Ausgestaltung und Wirkung des Menschenrechtsschutzes nach den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen 

172

A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . . . . . . 172 I. Annahme der Leitsätze 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Anpassungen der Leitsätze 1979, 1984 und 1991  . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 III. Bedeutungswandel der Leitsätze im Jahr 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Hintergrund und Verfahren der Überarbeitung der Leitsätze 2000 . .   179 2. Materielle Änderungen der Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 a) Extraterritoriale Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Zulieferbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 c) Inhalt der Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Änderungen der Umsetzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Verpflichtende Einrichtung von Nationalen Kontaktstellen und das Prinzip der „funktionalen Äquivalenz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Vom „Konsultationsverfahren“ zum „Verfahren in besonderen Fällen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 4. Zusammenfassung: Bedeutungswandel der Leitsätze 2000 . . . . . . . . 185 IV. Weiterentwicklung der Leitsätze im Jahr 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Hintergrund und Verfahren zur Überarbeitung der Leitsätze 2011 . . 187 2. Materielle Änderungen der Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Klarstellung zum Erfordernis eines investment nexus . . . . . . . . . . 190 b) Konzept der „negativen Auswirkungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Sorgfaltspflicht (Due-Diligence-Prüfungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 d) Zulieferbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 e) Inhalt der Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 3. Änderungen der Umsetzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Zusätzliche Kriterien zur Erfüllung der funktionalen Äquivalenz . 197 b) Berichts- und Begründungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 c) Zeitrahmen für Beschwerdeverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 d) Rolle des OECD-Investitionsausschusses und des OECD-Sekretariates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 e) Klarstellungen zum Umgang mit parallel anhängigen Verfahren und zu einem möglichen monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 4. Zusammenfassung: „Ausgewogener Kompromiss oder verpasste Chance?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 V. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 B. Ausgestaltung des Menschenrechtsschutzes nach den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 I. Menschenrechtliche Vorgaben in den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen bis 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Bedeutung der Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte für die Aktualisierung der Leitsätze 2011 . . . . . . . . . . . 211

Inhaltsverzeichnis17 III. Das Menschenrechtskapitel und weitere menschenrechtliche Ergänzungen in den Leitsätzen 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Umfang der geschützten Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Gesamtheit der international anerkannten Menschenrechte als Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Verhältnis zu den eingegangenen Menschenrechtsverpflichtungen des Gaststaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 c) Verhältnis zum nationalen Recht des Gaststaates . . . . . . . . . . . . . 216 aa) Abweichende Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 bb) Widersprüchliche Anforderungen (conflicting requirements) . 218 d) Ergänzungen in Kapitel V „Beschäftigung und Beziehungen zwischen den Sozialpartnern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Konzept der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen . 221 a) Respekt der Menschenrechte und die Vermeidung „negativer ­Auswirkungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht und Due-DiligencePrüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 c) Weitere prozedurale Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 aa) Policy Commitment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 bb) Verfahren zur Wiedergutmachung („Remedy“) . . . . . . . . . . . 226 3. Beteiligungsformen und Verhaltensanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . 227 a) Verursachung von negativen Auswirkungen durch eigenes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Beitrag zu negativen Auswirkungen durch eigenes Verhalten . . . . 227 c) Unmittelbare Verbindung zu negativen Auswirkungen aufgrund einer Geschäftsbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 d) Verantwortung in den Zulieferbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 4. Retrospektive Anwendung der überarbeiteten Leitsätze? . . . . . . . . . . 233 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte . . . . . . . 235 I. Prozessuale Ausgestaltung des Beschwerde- und Schlichtungsverfahrens bei den Nationalen Kontaktstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 a) Annahme der Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 aa) Beteiligtenfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) Örtliche Zuständigkeit der Nationalen Kontaktstelle . . . . . . . 240 cc) Sachliche Zuständigkeit: Anwendungsbereich und Ziele der Leitsätze  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 dd) Fristen und Veröffentlichungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 b) Vermittlungsbemühungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Abschließende Erklärung der Nationalen Kontaktstelle . . . . . . . . 246 d) Verfahrensausgestaltung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Hauptkritikpunkte an den prozeduralen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . 248

18 Inhaltsverzeichnis a) Struktur der Nationalen Kontaktstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 b) Art der Aufgabenwahrnehmung durch die Nationalen Kontaktstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 c) Fehlende Sanktionsmöglichkeiten der Nationalen Kontaktstellen . 253 d) Fehlende Revisionsinstanz gegenüber den Nationalen Kontaktstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 3. Schlussfolgerungen zum Wesen des Verfahrens bei den Nationalen Kontaktstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Beschwerdeverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Quasi-justizielles Verfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 c) Verwaltungsverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 d) Anspruch auf Informationsherausgabe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 aa) Anwendbarkeit des Informationsfreiheitsgesetzes . . . . . . . . . 264 bb) Anwendbarkeit des Umweltinformationsgesetzes . . . . . . . . . 265 e) Vergleich mit Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 4. Zusammenfassung: Zur (vermeintlichen) Paradoxie einer Verknüpfung freiwilliger Standards mit einem Umsetzungsmechanismus . . . 268 II. Menschenrechtsbezogene Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen . 270 1. Nutzung des Beschwerdeverfahrens bei den Nationalen Kontaktstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 a) Erhöhte Transparenz seit 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 b) Steigender Gebrauch des Verfahrens seit 2000 . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Praxis der deutschen Nationalen Kontaktstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 a) Angenommene Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 b) Abgelehnte Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 aa) Örtliche Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 bb) Materielle Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 3. Stellungnahmen Nationaler Kontaktstellen in Verfahren mit ­menschenrechtlichem Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 a) Großprojekte und Finanzierung von Großprojekten . . . . . . . . . . . 284 aa) BHP Billiton PLC (NKS Vereinigtes Königreich) . . . . . . . . . 284 bb) Intex Resources ASA (NKS Norwegen) . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 cc) Goldcorp Inc. (NKS Kanada) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 dd) Neumann Kaffee Gruppe (NKS Deutschland) . . . . . . . . . . . . 288 ee) Vedanta (NKS Vereinigtes Königreich) . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 ff) BTC-Pipeline-Konsortium (NKS Vereinigtes Königreich) . . . 291 gg) Shell Ireland (NKS Irland und NKS Niederlande) . . . . . . . . 293 hh) Electricité de France (NKS Frankreich) . . . . . . . . . . . . . . . . 294 ii) Nordea (NKS Finnland und NKS Schweden) . . . . . . . . . . . . 295 b) Handel mit Textilien und Baumwolle(-saatgut) und der Vorwurf der Kinderarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 aa) Handel mit usbekischer Baumwolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

Inhaltsverzeichnis19 (1) ICT Cotton Limited und Cargill Cotton Uzbekistan (NKS Vereinigtes Königreich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (2) ECOM, Paul Reinhart AG und Louis Dreyfus Commodities (NKS Schweiz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (3) Otto Stadtlander GmbH (NKS Deutschland) . . . . . . . . . 297 (4) Devcot (NKS Frankreich)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 bb) Bayer CropScience (NKS Deutschland) . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 cc) Adidas-Salomon (NKS Deutschland) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 c) Handel mit Rohstoffen aus Konfliktregionen, hier der Demo­ kratischen Republik Kongo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 aa) Afrimex (NKS Vereinigtes Königreich) . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 bb) DAS Air (NKS Vereinigtes Königreich) . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 d) Dienstleistungen und Infrastruktur für Unterbringung und ­ Inhaftierung im staatlichen Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 aa) Aker Kvaerner (Guantanamo Bay) (NKS Norwegen). . . . . . 306 bb) Global Solutions Ltd. (NKS Australien) . . . . . . . . . . . . . . . . 307 4. Erkenntnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 D. Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . 310 I. Normative Kriterien zur Bestimmung des Grades der Bindungswirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . 311 1. Zielsetzung und Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 2. Autorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 3. Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 4. Umsetzungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 II. Rechtswirkungen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen  317 III. Empirische Beobachtungen zur Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 1. Verbreitung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . 320 2. Erfahrungen mit den Beschwerdeverfahren bei den Nationalen ­Kontaktstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 a) Wirkung der Beschwerdeverfahren im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . 323 b) Wirkung der Beschwerdeverfahren über den Einzelfall hinaus . . . 324 IV. Ergebnis: Verhaltenslenkende Wirkung der OECD-Leitsätze für multi­ nationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 1. Verhaltenslenkende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 2. Prognose einer zunehmenden Verpflichtungswirkung der Leitsätze . 329 E. Zusammenfassung: Reichweite und Effektivität des Beitrags der OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte  331 I. Reichweite des Menschenrechtsschutzes nach den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 II. Effektivität der Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unter­ nehmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

20 Inhaltsverzeichnis Teil 3

Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen 

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A. Die völkerrechtliche Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 I. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen in die völkerrechtlichen Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 1. Zum Wesen des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 a) Völkerrecht als Recht und die Rolle der zwangsweisen Durch­ setzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 b) Völkerrecht als zwischenstaatliches Recht und die Rolle nicht­ staatlicher Akteure  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 c) Völkerrecht als relatives Recht: Legal Realism und normative Relativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 d) Völkerrecht als positives Recht und die Rolle der Rechtsquellen . 343 aa) Natur- und vernunftrechtliche Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 bb) Rechtspositivismus als herrschendes Grundverständnis . . . . . 346 (1) Empirischer Rechtspositivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 (2) Gesetzespositivismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 (3) Verhältnis zueinander und Rolle von Rechtsquellen . . . . 347 2. Zu den völkerrechtlichen Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 a) Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die anerkannten Rechtsquellen des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 aa) Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und Völkervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 bb) Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 cc) Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und weitere anerkannte Völkerrechtsquellen? . . . . . . . . . . . . . . . . 350 b) Aktuelle Vorschläge zur Erweiterung der Völkerrechtsquellen . . . 351 aa) „Sekundäre Rechtsquellen“ nach Möllers . . . . . . . . . . . . . . . 352 (1) Eigenschaften „sekundärer Rechtsquellen“ . . . . . . . . . . . 352 (2) OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen als „sekundäre Rechtsquelle“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 bb) „Adaptive Rechtsquellen“ nach Arndt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 (1) Eigenschaften „adaptiver Rechtsquellen“ . . . . . . . . . . . . 354 (2) OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen als „adaptive Rechtsquelle“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 3. Parameter für die Abgrenzung von Recht und Nicht-Recht . . . . . . . 358 a) Das Argument einer rechtsrealistischen Sichtweise . . . . . . . . . . . . 359 aa) Zum Geltungsgrund normativer Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . 359 bb) Relatives Element der Rechtsquelle „Völkergewohnheitsrecht“  363 cc) Völkerrecht als Teil der globalen normativen Ordnung . . . . 364

Inhaltsverzeichnis21 b) Der Bedarf nach Rechtsklarheit und einer Pluralität der Regulierungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 aa) Perspektive des Normadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 bb) Perspektive des Rechtsanwenders und Richters . . . . . . . . . . . 367 cc) Perspektive des Normgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 c) Gewichtung einzelner normativer Merkmale bei der Abgrenzung von Recht und Nicht-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 aa) Formale Anforderungen an Normerzeugungsverfahren und (Rechts-)Bindungswillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 bb) Legitimation und Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 cc) Einhaltung, Durchsetzbarkeit und „Rechtswirkungen“ . . . . . 370 4. Zusammenfassung und Ergebnis: Die OECD-Leitsätze für multi­ nationale Unternehmen als Teil der internationalen regulatorischen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 II. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen als soft law . . . . 375 1. Verwendung des Begriffs soft law im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . 376 a) Mögliche Charakteristika von soft law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 b) Mehrdeutigkeit des Begriffes soft law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 c) Meinungsvielfalt in der Völkerrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . 380 d) Kritik am Begriff soft law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 e) Vorteile des Begriffes soft law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 2. Mögliche begriffliche Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 a) Aufbrechen der einheitlichen Kategorie soft law . . . . . . . . . . . . . . 386 b) Anforderungen an den Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 c) Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen als „völkerrechtsähnliche Norm“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 aa) Charakteristika völkerrechtsähnlicher Normen . . . . . . . . . . . . 389 (1) Konkretisierung gesellschaftlicher Erwartungen . . . . . . . 389 (2) Legitimitätsstiftendes Normgebungsverfahren . . . . . . . . . 390 (3) Völkerrechtssubjektivität der Normgeber . . . . . . . . . . . . 391 (4) Verhaltenslenkende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 bb) Folgen der Einordnung eines Instrumentes als „völkerrechts­ähnliche Norm“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 cc) Folgen für das Konzept des soft law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 B. Der Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zur völkerrechtlichen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte . . . . . 395 I. Beitrag zur Weiterentwicklung völkervertragsrechtlicher Regelungen . . 396 1. Schaffung neuer vertragsrechtlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . 396 2. Anerkennung einer Drittwirkung der Menschenrechtspakte . . . . . . . 397 II. Beitrag zur Weiterentwicklung einer völkergewohnheitsrechtlichen Bindung von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 1. Regionales Völkergewohnheitsrecht versus universale Kernnorm . . . 400

22 Inhaltsverzeichnis 2. Rolle der Unternehmen bei der Entstehung einer völker­ gewohnheitsrechtlichen Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 3. Rolle der Nationalen Kontaktstellen bei der Entstehung einer ­völkergewohnheitsrechtlichen Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 4. Gegenwärtiger Stand der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 a) Übung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 b) Rechtsüberzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 c) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 5. Wesentliche Merkmale der völkergewohnheitsrechtlichen Norm zur Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen in statu nascendi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 C. Zusammenfassung: Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unter­ nehmen zur Weiterentwicklung einer völkerrechtlichen Verantwortung von Unternehmen zum Respekt der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Gesamtergebnis: Der Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale ­Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434

Abkürzungsverzeichnis AEMR

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

AMRK

Amerikanische Menschenrechtskonvention

ATCA

Alien Tort Claims Act

ATS

Alien Tort Statute

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH Bundesgerichtshof BIAC

Business and Industry Advisory Committee to the OECD

BSCI

Business Social Compliance Initiative

BVerfG Bundesverfassungsgericht CECSR

Committee on Economic, Social and Cultural Rights

CIME

Committee on International Investment and Multinational Enterprises

CSR

Corporate Social Responsibility

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

ECCHR

European Centre for Constitutional and Human Rights

ECOSOC

UN Economic and Social Council

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

FIAN

FoodFirst Information and Action Network

GRI

Global Reporting Initiative

ICC

International Criminal Court

ICSID

International Centre for Settlement of Investment Disputes

ICTFY

International Criminal Tribunal for the Former Yougoslavia

ICTR

International Criminal Tribunal for Rwanda

IFC

International Finance Cooperation

IFG Informationsfreiheitsgesetz IGH

Internationaler Gerichtshof

IIRC

International Integrated Reporting Framework

ILO

International Labour Organisation

IPbpR

Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte

IPwskP

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

MAI

Multilateral Agreement on Investment

MNE

Multinational Enterprise

MNU

Multinationales Unternehmen

24 Abkürzungsverzeichnis NCP

National Contact Point

NKS Nationale Kontaktstelle OECD Organisation for Economic Cooperation and Development OHCHR Office of the High Commissioner for Human Rights PRI Principles for Responsible Investment SADC South African Development Community TNC Transnational Corporation TNE Transnational Enterprise TUAC Trade Union Advisory Committee to the OECD UIG Umweltinformationsgesetz UN United Nations UNCTAD United Nations Conference on Trade and Development UNCTC United Nations Centre on Transnational Corporations UNESCO United Nations Education Scientific and Cultural Organization UNSRSG United Nations Special Representative of the Secretary-General US United States USA United States of America VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz WTO World Trade Organisation

Einleitung Die menschenrechtliche Verantwortung von multinationalen Unternehmen wird seit den 1970er Jahren thematisiert, ohne dass dies bis heute zu einer rechtlich abschließenden und kohärenten Lösung geführt hätte. Das Ziel, die Beeinträchtigung von Menschenrechten durch oder unter Mitwirkung von multinationalen Unternehmen zu verhindern, darf heute als Konsens aufgefasst werden. Jedoch stellt sich die Frage, auf welchem Wege dieses Ziel bestmöglich zu erreichen ist. Die Antworten hierauf sind so vielfältig wie die Akteure, die sich mit dieser Frage befassen. Die vorliegende Untersuchung nähert sich dem Thema aus rechtswissenschaftlicher Sicht und lenkt den Blick auf eine Regulierungsform, die jenseits der klassisch-rechtlichen Bindung entstanden ist. Damit folgt sie gewissermaßen der Aufforderung von Knauff, auch die „Grenzbereiche des Normativen“ aus Sicht der Rechtswissenschaft in den Blick zu nehmen1. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen fügen sich schwer in übliche normative Kategorien ein. Denn sie beruhen zwar auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, verfügen zugleich aber über Umsetzungsverfahren, die ihre Wirksamkeit erhöhen sollen und für die Staaten verbindlich sind. Bei ihrer letzten Überarbeitung im Jahr 2011 wurden die Leitsätze zudem um ein Kapitel „Menschenrechte“ ergänzt. Sie streben daher offensichtlich einen positiven Beitrag zum Schutz der Menschenrechte vor negativen Auswirkungen unternehmerischen Handelns an. Es fragt sich, inwiefern die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen einen solchen Beitrag tatsächlich leisten und welcher Natur er ist. Zur Beantwortung dieser Fragen erfolgt eine nähere Untersuchung der praktischen und theoretischen Bedeutung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen in drei Teilen: Teil 1 zur Regulierung multinationaler Unternehmen geht auf die Ausgangslage und die hierdurch aufgeworfenen rechtlichen Fragestellungen ein, um sodann die Vielzahl der rechtlichen und außerrechtlichen Lösungsansätze im Umgang mit der Thematik aufzuzeigen. Die Bestandsaufnahme macht deutlich, welche Rolle den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen im Gesamtkontext zukommt. 1  Vgl. Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen 2010, S. 19.

26 Einleitung

In Teil 2 werden die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen näher auf ihren menschenrechtlichen Gehalt und ihre Anwendung im Rahmen der Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen hin untersucht. Dies erlaubt eine Einschätzung ihrer Reichweite und ihrer Effektivität. Teil 3 widmet sich sodann der völkerrechtlichen Einordnung der OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen. Dabei wird zwei aktuellen Vorschlägen zur Erweiterung der anerkannten Rechtsquellen, die sich mit Verhaltensstandards für Unternehmen befassen, besonderer Raum gegeben. Die Beschäftigung mit der völkerrechtlichen Einordnung erfordert auch eine Auseinandersetzung mit dem Begriff soft law. Darüber hinaus bemisst sich der Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte aber insbesondere auch anhand ihres möglichen Beitrages zur Weiterentwicklung einer klassisch-völkerrechtlichen Bindung von Unternehmen an menschenrechtliche Standards. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sind, so ist als Ausgangspunkt festzuhalten, nicht nur Teil der Bemühungen um einen verbesserten Schutz der Menschenrechte vor negativen Auswirkungen unternehme­ rischen Handelns. Sie sind auch Anlass und zugleich Prüfstein für eine Auseinandersetzung mit einem sich stetig weiter entwickelnden Völkerrechts­ verständnis. Dabei erfolgt auch eine Auseinandersetzung mit den gängigen Begrifflichkeiten, da wir „bei den Versuchen, die Welt in Begriffe zu fassen, nie ganz an ein Ende gelangen, sondern fortlaufend unsere Begriffe überprüfen und korrigieren müssen“2.

2  Zippelius,

Rechtsphilosophie, 6. Auflage, München 2011, S. 3.

Teil 1

Multinationale Unternehmen und Menschenrechte: Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Kontext rechtlicher und außerrechtlicher Regulierungsansätze Die Regulierung multinationaler Unternehmen beschäftigt die internationale Staatengemeinschaft bereits seit den 1970er Jahren, wobei die politische Diskussion lange Zeit von einem Graben zwischen Befürwortern und Gegnern einer rechtlich verbindlichen Regulierung geprägt war. Die rechtstheoretischen Herausforderungen einer völkerrechtlichen Regulierung sind dabei nicht zu unterschätzen.1 Im Umgang mit einer menschenrechtlichen Problematik kommen zudem als primäre Akteure die Staaten in Betracht, sodass auch die Rolle der Gast- und der Heimatstaaten hinterfragt wurde. Letztere bekamen insbesondere unter dem Blickwinkel der Haftbarmachung von multinationalen Unternehmen vor nationalen Gerichten, insbesondere in den USA, Aufmerksamkeit. Wachsende praktische Bedeutung erlangte aber auch unter dem Schlagwort der „corporate social responsibility“ die Verhaltensregulierung mittels freiwilliger Verhaltenskodizes. Die Völkerrechtswissenschaft reflektierte diese Vorgänge und befasst sich vermehrt mit einer möglichen völkerrechtlichen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte.2 Dabei finden auch die auf Freiwilligkeit basierenden 1  Vgl. Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 27: „it has been recognized for some time now, that multinationals pose some significant challenges to the ‚state-centred structure‘ of international law“. Wildhaber stellte bereits 1978 fest: „Das multinationale Unternehmen ist ein derart wichtiges wirtschaftliches und politisches, aber auch soziales, kulturelles und psychologisches Phänomen, dass es uns immer wieder zum Neuüberdenken sicher geglaubter Positionen zwingt und uns auf Grundfragen des Völkerrechts zurückführt, wenn auch vielleicht nur indirekt, marginal und reflexweise.“, Wildhaber, Multinationale Unternehmen und Völkerrecht, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 18 (1978), S. 7, S. 8. 2  So hat das Thema sowohl in der angloamerikanischen als auch in der deutschen Literatur „Auftrieb“, vgl. unter anderem Addo (Hrsg.), Human Rights Standards and the Responsibility of Transnational Corporations, Den Haag 1999; de Schutter (Hrsg.), Transnational Corporations and Human Rights, Oxford 2006; Steinhardt, Corporate Responsibility and the International Law of Human Rights: The New Lex

28

Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Ansätze einer Verhaltensregulierung multinationaler Unternehmen zunehmend Berücksichtigung.3 Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen gehören zu diesen auf Freiwilligkeit basierenden Ansätzen. Sie seien nachfolgend kurz vorgestellt (nachfolgend A.), um ihre Positionierung im Gesamtkontext der Regulierung und Haftbarmachung multinationaler Unternehmen zu erleichtern (nachfolgend: D.). Ihre Einordnung erfolgt anhand der Betrachtung der faktischen Ausgangslage, das heißt des Phänomens multinationaler Unternehmen und möglicher unternehmerischer Beteiligungsformen an Menschenrechtsverletzungen (nachfolgend B.) sowie einer Bestandsaufnahme der bestehenden Ansätze zur Regulierung oder Haftbarmachung von Unternehmen (nachfolgend C.).

A. Vorbemerkung: Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen in a nutshell Um eine Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen4 (nachfolgend: Leitsätze) in den regulatorischen Kontext zu ermög­ lichen, seien ihre wesentlichen Charakteristika hier bereits kurz dargestellt. Mercatoria, S. 177; Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66 (2006), S. 625; Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility: Limitations and Opportunities in International Law, Cambridge 2008; Hennings, Über das Verhältnis von multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten; Eine Bestandsaufnahme aus juristischer Perspektive, Göttingen 2009; Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010; Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AVR 45 (2007), S. 541; Seibert-Fohr / Wolfrum, Die einzelstaatliche Durchsetzung völkerrechtlicher Mindeststandards gegenüber transnationalen Unternehmen, AVR 43 (2005), S. 153. 3  Siehe beispielsweise Bretschger, Unternehmen und Menschenrechte; Elemente und Potenzial eines informellen Menschenrechtsschutzes, Zürich u. a. 2010; Buntenbroich, Menschenrechte und Unternehmen: Transnationale Rechtswirkungen „freiwilliger“ Verhaltenskodizes, Frankfurt am Main 2007; Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen: Eine Untersuchung „weicher“ Steuerungsinstrumente im Spannungsfeld Wirtschaft und Menschenrechte, Berlin 2010. 4  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen vom 25. Mai 2011; in deutscher Übersetzung veröffentlicht von der OECD unter: OECD (2011), OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, OECD Publishing, http: /  / dx.doi.org / 10.1787 /  9789264122352-de. Im nachfolgenden wird mit dem Zitat „OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“ auf diese Veröffentlichung, S. 13 ff. Bezug genommen. Die Leitsätze und alle relevanten Informationen der OECD hierzu finden sich seit Herbst 2013 auch auf der neu eingerichteten Internetseite http: /  / mneguidelines.oecd. org / .



A. Vorbemerkung: OECD-Leitsätze in a nutshell29

Die Vertiefung einzelner Aspekte erfolgt sodann im jeweiligen Sinnzusammenhang, wobei Teil 2 dieser Arbeit in besonderem Maße der Ausgestaltung und Anwendung der Leitsätze und ihres Umsetzungsverfahrens in Bezug auf menschenrechtliche Fragestellungen gewidmet ist.

I. Umfassendes staatliches Instrument zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen Die Leitsätze sind „Empfehlungen für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln in einem globalen Kontext“5. Sie sind Bestandteil der aus dem Jahr 1976 stammenden „Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen“6, die im Rahmen der OECD7 ausgearbeitet wurde8. Die Leitsätze werden ergänzt durch einen OECD-Ministerratsbeschluss9, der Umsetzungsverfahren zu den Leitsätzen festlegt. In diesen Umsetzungsverfahren sind die wesentlichen Vorgaben für die Einrichtung und Aufgaben der Nationalen Kontaktstellen (NKS), einschließlich des Beschwerde- und Schlichtungsverfahrens10, festgelegt. Leitsätze und Umsetzungsverfahren wurden mehrmals überarbeitet und dabei grundlegend weiterentwickelt. Der Investitionsausschuss der OECD (früher CIME11) nahm 5  So seit 2011 der Untertitel der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. 6  Abgedruckt in OECD (2011), OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, OECD Publishing, http: /  / dx.doi.org / 10.1787 / 9789264122352-de, S.  9. 7  Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, www.oecd. org. Zur Einführung siehe Stein / von Buttlar: Völkerrecht, 13. Auflage, München 2012, Rz. 452 ff. und Salzman, Decentralized Administrative Law in the Organiza­ tion for Economic Cooperation and Development, Law and Contemporary Problems, Vol. 68 (2005), S. 189, S. 190 ff. 8  Die Erklärung ist dabei kein Instrument der Organisation, sondern der Regierungen, siehe unten Teil 2, A.I. 9  Der Ratsbeschluss zu den Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze ist Bestandteil der Publikation OECD (2011), OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, OECD Publishing, http: /  / dx.doi.org / 10.1787 / 9789264122352-de, S.  77. Zur Verpflichtungswirkung des Beschlusses siehe unten Teil 2, A.III.3.a) und Teil 2, A.IV.3. 10  Zum Wesen und zur richtigen Bezeichnung dieses Verfahrens siehe im Einzelnen Teil 2, C.I.3.a). 11  1975 wurde das Committee on international Investment and Multinational Enterprises (CIME) vom Ministerrat eingerichtet, mit dem Auftrag „to prepare proposals for the voluntary regulation, of the activities of enterprises engaged in international investment“, Rojot, The 1984 Revision of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, BJIR 23.3 (1985), S. 379. Der Name des Ausschusses wurde nach der Überarbeitung der Leitsätze im Jahr 2000 in OECD-Investitionsausschuss geändert.

30

Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

sowohl zu den Leitsätzen als auch zu den Umsetzungsverfahren Erläuterungen an12, die ebenfalls im Verlaufe der Zeit angepasst wurden. Da der Investitionsausschuss für die Auslegung der Leitsätze zuständig ist, entfalten diese Erläuterungen in der Praxis maßgebliche Wirkung und werden daher in dieser Untersuchung gleichermaßen mit berücksichtigt. Formal sind sie jedoch nicht Teil der Leitsätze oder der Umsetzungsverfahren und teilen nicht deren jeweilige Natur als gemeinsame Erklärung der Regierungen beziehungsweise als OECD-Ministerratsbeschluss.13 Die „Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen“ wurde nicht nur von den Regierungen der OECD-Mitgliedstaaten, sondern auch von mittlerweile zwölf weiteren Staaten14 angenommen. Die heute insgesamt sechsundvierzig Teilnehmerstaaten15 repräsentieren alle Kontinente und umfassen zusammen rund 85 % der weltweiten ausländischen Direktinvestitionen16. Ein ganz erheblicher Teil der heutigen multinationalen Unternehmen ist in diesen teilnehmenden Staaten beheimatet.17 Die Leitsätze sind damit ein Instrument von großer praktischer Relevanz. Inhaltlich umfassen die Leitsätze mittlerweile neun thematische Kapitel – von der Unternehmensberichterstattung über Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, Umweltschutz, Korruptionsbekämpfung und Verbraucherschutz bis hin zu Technologietransfer, Wettbewerb und Steuerehrlichkeit.18 Mit der 12  Das Ziel der Erläuterungen ist „to provide information on and explanation of the text of the Guidelines for Multinational Enterprises and of the Council Decision on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises“, OECD (2011), OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen, S. 13. Die Annahme der Erläuterungen erfolgte durch den Investitionsausschuss „in erweiterter Zusammensetzung“, d. h. unter Beteiligung auch derjenigen Teilnehmerstaaten, die nicht der OECD angehören, Rojot, The 1984 Revision of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, BJIR 23.3 (1985), S. 379. 13  Dies stellt das OECD-Sekretariat in der OECD-Publikation der Leitsätze ausdrücklich klar: OECD (2011), OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, S. 13. 14  Bis Ende 2013 waren dies: Ägypten, Argentinien, Brasilien, Costa Rica, Jordanien, Kolumbien, Lettland, Litauen, Marokko, Peru, Rumänien und Tunesien. Die Leitsätze unterscheiden daher zwischen Teilnehmerstaaten (OECD-Mitgliedsländer und weitere Teilnehmer) und Nichtteilnehmerstaaten. 15  Siehe auch Teil 2, Fußnoten 77 und 78. 16  www.oecd.org / daf / internationalinvestment / investmentpolicy / oecdguidelines formultinationalenterprises.htm. 17  2004 waren 97 der durch die UNCTAD als „Top 100“ bezeichneten multina­ tionalen Unternehmen vom Anwendungsbereich der OECD-Leitsätze umfasst, vgl. Johnston, Promoting Corporate Responsibility: The OECD Guidelines for Multinational Enterprises, S. 247. 18  Die Originaltitel der thematischen Kapitel der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen lauten: „Kapitel III. Offenlegung von Informationen“; „Kapi-



A. Vorbemerkung: OECD-Leitsätze in a nutshell31

Einführung des Kapitels Menschenrechte im Jahr 2011 wurden die Leitsätze zu einem inhaltlich umfassenden Instrument abgerundet. Interessanterweise enthalten die Leitsätze auch allgemeine Angaben zum Verhältnis des Unternehmens zum Gaststaat und dessen Bevölkerung.19 So sollen Unternehmen davon absehen, „sich um Ausnahmeregelungen zu bemühen bzw. Ausnahmeregelungen zu akzeptieren, die nicht in den Gesetzen oder Vorschriften (…) vorgesehen sind“20 und sich jeder „ungebührlichen Einmischung in die Politik des Gaststaates enthalten“21. Zudem sollen die Unternehmen einen „Beitrag zum wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Fortschritt im Hinblick auf die angestrebte nachhaltige Entwicklung leisten“ sowie den „lokalen Kapazitätenaufbau“ und die „Humankapitalbildung fördern“22. Neu eingeführt wurde 2011 die Forderung nach risikoabhängigen DueDiligence-Prüfungen und deren Einbeziehung in die unternehmensbasierten Risikomanagementsysteme.23 Die Leitsätze erhielten damit einen verstärkt vorbeugenden Ansatz und fördern die Integration in die Unternehmens­ abläufe. Die Leitsätze sind damit thematisch sehr umfassend und zeigen selbst die Herangehensweise für ihre bestmögliche Umsetzung auf.

tel IV. Menschenrechte“; „Kapitel V. Beschäftigung und Beziehungen zwischen Sozialpartnern“; „Kapitel VI. Umwelt“; „Kapitel VII. Bekämpfung von Bestechung, Bestechungsgeldforderungen und Schmiergelderpressung“; „Kapitel VIII. Verbraucherinteressen“; „Kapitel IX. Wissenschaft und Technologie“; „Kapitel X. Wettbewerb“; „Kapitel XI. Besteuerung“.  Vorangestellt ist eine „Einführung“, sowie „Kapitel I. Begriffe und Grundsätze“, und „Kapitel II. Allgemeine Grundsätze“. Die Grundsätze des Kapitels I beziehen sich auf die Anwendbarkeit der Leitsätze, die des Kapitels II auf Verhaltensanforderungen an die Unternehmen. 19  Vgl. auch Einführung zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Ziffer 1, Satz 2: „Mit den Leitsätzen soll gewährleistet werden, dass die Aktivitäten multinationaler Unternehmen im Einklang mit den staatlichen Politiken stehen, die Vertrauensbasis zwischen den Unternehmen und dem Gastland gestärkt, das Klima für ausländische Investitionen verbessert und der Beitrag der multinationalen Unternehmen zur nachhaltigen Entwicklung gesteigert werden.“. 20  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 5. 21  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II,.Ziffer 15. 22  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffern 1, 3 und 4. 23  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 10. Zur näheren Ausgestaltung dieses Ansatzes für den menschenrechtlichen Bereich siehe unten Teil 2, B.III.2.b).

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

II. Breiter Anwendungsbereich Die Leitsätze richten sich nicht ausschließlich an multinationale Unternehmen24, sondern sehen „Verhaltensmaßstäbe für alle Unternehmen vor“ und drücken „für multinationale und nationale Unternehmen (…) die gleichen Erwartungen hinsichtlich ihres Verhaltens“ aus25. Die Anforderungen an nationale Unternehmen und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen können dabei aber abgeschwächt sein.26 Ebenfalls in den Anwendungsbereich der Leitsätze fallen staatseigene oder gemischte Unternehmen27 und Finanzinstitutionen28, wobei in Bezug auf letztere noch näher zu klären sein wird, welche Anforderungen die Leitsätze an diesen Sektor im Einzelnen stellen29. Zusammengefasst richten sich die Leitsätze an „all profit-oriented actors“, die im Hoheitsgebiet der teilnehmenden Staaten ansässig sind.30 24  Wenn diese auch die primären Adressaten sind, vgl. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 1, Satz 1: „Die Leitsätze stellen gemeinsame Empfehlungen der Regierungen an multinationale Unternehmen dar.“. Zu den Schwierigkeiten der Definition multinationaler Unternehmen siehe unten B.I.2.a). 25  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 5. 26  Zur Einbeziehung nationaler Unternehmen in den Anwendungsbereich siehe auch unten B.I.2.b). Zu den kleinen und mittleren Unternehmen führen die Leitsätze aus: „Wenn auch eingeräumt wird, dass Klein- und Mittelbetriebe möglicherweise nicht über dieselben Kapazitäten wie Großunternehmen verfügen, halten die Teilnehmerstaaten diese gleichwohl dazu an, die Empfehlungen der Leitsätze so weit wie irgend möglich anzuwenden.“, OECD-Leitsätze Kapitel I, Ziffer 6, Satz 2. 27  Vgl. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 4, Satz 5, wo es zur Definition multinationaler Unternehmen heißt: „Das Gesellschaftskapital kann privat, öffentlich oder gemischt sein“. 28  Mit der Überarbeitung der OECD-Leitsätze in 2011 ist nunmehr deutlicher geworden, dass die Leitsätze für Unternehmen aus allen Sektoren gelten, mithin auch für Finanzinstitutionen; siehe die Definition multinationaler Unternehmen, OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 4, neu eingefügter Satz 2: „Diese Unternehmen sind in allen Wirtschaftsbereichen tätig“ und die neue Ziffer 12 des Kapitels II. der OECD-Leitsätze, der auf eine „Geschäftsbeziehung“ abstellt sowie die Nennung des Finanzsektors in den „Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen“, Ziffer 12. Die Praxis der Nationalen Kontaktstellen bei der Annahme von Beschwerden, die sich gegen Finanzinstitute richteten, war uneinheitlich. So wurden beispielsweise die Beschwerden gegen Nordea und West-LB abgelehnt, die Beschwerde gegen die KfW IPEX Bank hingegen wurde zwar abgelehnt, jedoch aus anderen Gründen. Zu den Fällen siehe unten Teil 2, C.II.2.b)aa) und bb) sowie Teil 2, C.II.3.a)ii). 29  Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 23 und Fußnoten 90–92. 30  Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 23 und



A. Vorbemerkung: OECD-Leitsätze in a nutshell33

Zur Abgrenzung des Unternehmensbegriffs ist dabei jüngst auf einen „business nexus“ abgestellt worden, der nicht gegeben sei bei Organisationen, die ohne Gewinnerzielungsabsicht handeln.31 Die Leitsätze gelten dabei grundsätzlich im Hinblick auf alle geschäftlichen Tätigkeiten. Zwar sind sie primär auf Auslandsinvestitionen ausgerichtet, woraus die vermeintliche Streitfrage entstand, ob ein Investitionsbezug oder ein investitionsähnliches Verhältnis Anwendbarkeitsvoraussetzung der Leitsätze sei.32 Mit der Neufassung der Leitsätze von 2011 ist allerdings klargestellt, dass jede Geschäftstätigkeit, jedes Produkt oder jede Dienstleistung eines Unternehmens Berührungspunkte mit den Empfehlungen der Leitsätze haben kann.33 Darunter fällt auch das Verhalten in den Lieferbeziehungen.34 Dieses weite Verständnis harmoniert mit der neu eingeführten Maßgabe, risikoabhängige Due-Diligence-Prüfungen35 einzuführen. Denn solche Prozesse Fußnoten 90–92. Teilnehmerstaaten sind dabei auch Nicht-OECD-Mitgliedstaaten, siehe Teil 2, Fußnoten 77 und 78. 31  Die norwegische Nationale Kontaktstelle lehnte eine Beschwerde gegen die Hilfsorganisation Norwegian Church Aid ab, die ein Flüchtlingscamp im Kosovo betrieben hatte. Die NKS argumentierte, die Leitsätze bezögen sich ausschließlich auf Unternehmen „with an economic focus“, während die Beschwerdegegnerin offiziell im entsprechenden Register als „non-for-profit organisation“ eingetragen sei und nicht im Handelsregister, siehe norwegische Nationale Kontaktstelle, Initial Assessment and Final Conclusion, 129 Roma in Kosovo v. Norwegian Church Aid, 30.  August 2011, www. http: /  / www.regjeringen.no / upload / UD / Vedlegg / ncp / ncp_assessment110926.pdf, S. 5 und 6. Fraglich ist, ob der Rückgriff auf die Gewinnerzielungsabsicht und die Eintragungsform ausschlaggebend sein sollten für die Abgrenzung des „economic focus“ einer handelnden Einheit. So stellt das europäische Wettbewerbsrecht auf einen weit zu verstehenden funktionalen, tätigkeitsbezogenen Unternehmensbegriff ab. Wirtschaftlich i. S. d. Art. 101 f. AEUV ist dabei nach ständiger Rechtsprechung des EuGH jede Tätigkeit, die das Angebot aufgrund der Erzeugung oder Verteilung von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt umfasst. Dieser Unternehmensbegriff ist losgelöst von der Organisationsform oder Finanzierung und zielt vor allem auf eine Abgrenzung zur Ausübung von Hoheitsgewalt. Ob der Betrieb eines Flüchtlingscamps als Angebot einer Dienstleistung auf einem bestimmten Markt anzusehen ist, scheint aber zumindest zweifelhaft. Der OECD-Investitionsausschuss jedenfalls hatte in einer der Ablehnung vorausgehenden Aussprache beim Jahrestreffen der Nationalen Kontaktstellen im Juni 2011 klar die Unternehmens­ eigenschaft der Hilfsorganisation im Sinne der Leitsätze verneint. 32  Diese Frage spielte auch bei Entscheidungen der Nationalen Kontaktstellen über die Annahme von Beschwerden eine Rolle, siehe unten Teil 2, A. IV.2.a). 33  Vgl. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 12, Satz 1. 34  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffern 11, 12 und 13. Siehe ausführlicher unten Teil 2, A.IV.2.d). 35  Weiteres zur Sorgfaltspflicht und den Due-Diligence-Prüfungen unter Teil 2, A. IV.2.c).

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

werden sinnvollerweise an zentraler Stelle im Unternehmen eingeführt, ohne eine Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Geschäftsbereichen zu treffen. Die Verhaltensanforderungen gelten auch territorial unbegrenzt. Die Unternehmen werden angehalten, die Empfehlungen „überall dort, wo sie ihre Geschäftstätigkeit ausüben“36 zu beachten. Damit haben die Leitsätze für die betreffenden Unternehmen weltweite Gültigkeit und setzen Standards auch für das Verhalten in Nichtteilnehmerstaaten.37 Hieraus resultieren möglicherweise Werte-Konflikte und besondere Abweichungen zwischen den Anforderungen der Leitsätze und dem jeweils anwendbaren nationalen Recht. Auf diesen möglichen Konflikt gehen die Leitsätze ein und betonen, dass sie „weder ein Ersatz für nationale Gesetze und Vorschriften“ seien noch diesen „als übergeordnet angesehen werden“ dürften; die erste Pflicht der Unternehmen bestehe vielmehr „in der Einhaltung des geltenden Rechts der jeweiligen Länder“38. Allerdings sollten sich die Unternehmen „um Mittel und Wege bemühen, die Grundsätze und Standards so weit wie irgend möglich einzuhalten“39. Die Problematik widersprüchlicher Anforderungen ist gerade im menschenrechtlichen Bereich virulent.40 In persönlicher wie in territorialer Hinsicht zeichnen sich die Leitsätze durch einen weitestmöglichen Anwendungsbereich aus. Allerdings sind nur die der jeweils eigenen Jurisdiktion der Teilnehmerstaaten unterliegenden Unternehmen angesprochen.41 Diese Beschränkung ist zur Wahrung des Prinzips der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten notwendig.42

III. Freiwilligkeit und Umsetzungsverfahren Die Leitsätze stellen „gemeinsame Empfehlungen der Regierungen an die multinationalen Unternehmen“43 dar. Damit erfordert die Anwendbarkeit der 36  OECD-Leitsätze

für Multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 3, Satz 2. unten Teil 2, A.III.2.a). Zu den Besonderheiten der Anwendung des Verfahrens bei den Nationalen Kontaktstellen auf Vorkommnisse in Nichtteilnehmerstaaten siehe unten Teil 2, C.I.1.a)bb). 38  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 2, Sätze 1 und 2. 39  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 2, Satz 4. 40  Siehe näher unten Teil 2, B.III.1.c). 41  Vgl. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 3, Satz 2: „Die Teilnehmerstaaten halten die auf ihrem Hoheitsgebiet operierenden Unternehmen dazu an, die Leitsätze (…) zu beachten.“. 42  Zur Bedeutung dieses Prinzips bei der Regulierung multinationaler Unternehmen siehe ausführlicher unten C.I.2.b)aa). 43  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 1, Satz 1. 37  Siehe



A. Vorbemerkung: OECD-Leitsätze in a nutshell35

Leitsätze kein aktives Bekenntnis des Unternehmens.44 Stattdessen sehen die Leitsätze unmittelbar „Verhaltensmaßstäbe vor“, zu deren Beachtung die Unternehmen „angehalten“ werden45. Die Beachtung der Leitsätze durch die Unternehmen beruht indes, so wird gleich eingangs festgestellt, „auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und hat keinen rechtlich zwingenden Charakter“46. Dessen ungeachtet haben die Teilnehmerstaaten vereinbart, sich für die Anwendung der Leitsätze einzusetzen.47 Sie haben Umsetzungsverfahren beschlossen und Nationale Kontaktstellen etabliert, die auch mit individuellen Fällen befasst werden können. Das Verfahren dient dabei der Lösung von Fragen, die sich bei Umsetzung der Leitsätze ergeben und zielt damit primär auf eine Vermittlung.48 Die Leitsätze sind also nicht nur unmittelbar, ohne entsprechendes Bekenntnis von Unternehmensseite, anwendbar. Ihre Anwendung wird durch ein Umsetzungsverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen staatlicherseits begleitet. Die Koppelung von Empfehlungen, deren Einhaltung auf Freiwilligkeit basiert, mit einem Umsetzungsmechanismus scheint paradox.49 Die genaue Ausgestaltung dieses Instrumentes und seine Nutzung in der Praxis werden daher im zweiten Teil dieser Arbeit noch eingehend untersucht. 44  Die Leitsätze unterscheiden sich insofern von anderen Verhaltensstandards der corporate social responsibility wie beispielsweise dem UN Global Compact, der Anwendung findet, sofern ein Unternehmen sich zu dessen Standards bekennt. Näheres siehe unten C.IV.3.b). 45  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 3, Satz 2 und Ziffer 5. 46  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 1, Satz 2. Dies bedeutet aber nicht, dass die in den angesprochenen Verhaltensanforderungen nicht anderenorts – sei es im nationalen Recht, sei es in internationalen Verpflichtungen – verbindlich geregelt sein können, OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 1, Satz 3. 47  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I., Ziffer 11, Satz 1: „Die Regierungen der Teilnehmerstaaten werden die Leitsätze umsetzen und sich für ihre Anwendung einsetzen.“. 48  Siehe ausführlich unten Teil 2, C.I.3.a). 49  Laut Bothe ist eine solche Verknüpfung freiwilliger Standards mit einem Umsetzungsmechanismus eine „surprising mixture“ und könnte sich sogar gegenseitig ausschließen: „It is remarkable, however, that a code which is not legally binding and an elaborate implementation procedure“ [Anm.: hier Multilaterally agreed Equitable Principles and Rules for the Control of Restrictive Business Practice] „are not considered as being mutually exclusive“: Bothe, Legal and Non-Legal Norms – A meaningful distinction in international relations?, NYIL 11 (1980), S. 65, S. 82.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

B. Multinationale Unternehmen und menschenrechtsrelevantes Verhalten als regulatorische Herausforderung Die Leitsätze sprechen primär die sogenannten multinationalen Unternehmen an. Dies erklärt sich aus der Bedeutung multinationaler Unternehmen „as economic and political steering actors“50. Die Regulierung dieses Phänomens wirft allerdings grundlegende rechtliche Fragen auf. Auch die Unterschiedlichkeit der Fallkonstellationen, in denen unternehmerisches Verhalten Auswirkungen auf Menschenrechte haben kann, erschweren eine Regulierung. Bevor daher die unterschiedlichen Regulierungsansätze im nachfolgenden Kapitel C. untersucht werden, soll diese Ausgangslage näher betrachtet werden. Die Leitsätze werden dabei bereits insoweit herangezogen, als dies eine Einschätzung darüber erlaubt, ob sie relevante Antworten zu den aufgeworfenen Fragen liefern können.51

I. Das Phänomen multinationaler Unternehmen 1. Die Entwicklung multinationaler Unternehmen und ihre Wahrnehmung im Wandel der Zeit Beispiele für den Austausch von Handelsgütern über Kontinente hinweg reichen weit in der Geschichte zurück. Bekannt ist beispielsweise die Seidenstraße, die Ostasien mit dem Mittelmeerraum verband. Mit der zunehmenden Nutzung des Seeverkehrs und der weltweiten Expansion der europäischen Seemächte verlor diese an Bedeutung. Mit den britischen und holländischen Handelsgesellschaften von 1600 beziehungsweise 1602 entstanden Formen „transnational“ tätiger Unternehmen, die teilweise als Vorläufer der heutigen trans- oder multinationalen Unternehmen52 angesehen werden, wie teilweise auch die sich bereits im 13. Jahrhundert etablierende norddeutsche Hanse.53 50  Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 21. 51  Damit wird der Untersuchung des menschenrechtlichen Gehalts der Leitsätze in Teil 2 ein Stück weit vorgegriffen. Es erfolgt dort aber eine Vertiefung und Abrundung der Darstellung, die hier nur angerissen werden kann. 52  Die Begriffe dürfen als Äquivalent angesehen werden, vgl. zur Definition unten B.I.2.a). Die vorliegende Arbeit verwendet den – auch für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen gewählten – Begriff des „multinationalen Unternehmens“. 53  Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht I  / 2, 2. Auflage, Berlin 2002, S. 246 f. m. w. N.



B. Multinationale Unternehmen als regulatorische Herausforderung37

Die Entstehung des modernen Typs des multi- oder transnationalen Unternehmens wird meist auf die Zeit nach dem Ende des zweiten Weltkriegs datiert54 und mit dem „vorherrschenden Einfluss der amerikanischen Wirtschaft“ in Verbindung gebracht55. Möglicherweise entstand diese Auffassung aufgrund eines angelsächsischen Forschungsvorsprungs auf dem Gebiet multinationaler Unternehmenstätigkeit.56 Auf der politischen Bühne waren es jedenfalls vorrangig die US-amerikanischen trans- oder multinationalen Unternehmen, die Anfang der 1970er Jahre zu Sorgen der soeben entkolonialisierten Staaten um ihre souveräne Gleichheit führten. Diese Staaten betrachteten die multinationalen Unternehmen, aufgrund der enormen Umsätze und der damit einhergehenden Machtkonzentration, als verlängerten Arm ihrer Heimatstaaten und gewissermaßen als eine Fortsetzung der Kolonialzeit mit anderen Mitteln.57 Diese Staaten forderten eine „New International Economic Order“, einschließlich einer internationalen Reglementierung international tätiger Unternehmen.58 Lösungen wurden vor allem im Rahmen der Vereinten Nationen gesucht, wo die entkolonialisierten Staaten aufgrund des Prinzips der souveränen Gleichheit aller Staaten ein deutliches Stimmengewicht in der Generalversammlung haben.59 Aber auch in anderen Organisationen wie der International Labour Organisation (ILO)60 und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)61 befassten sich die Staaten, unter dem jeweiligen organisationstypischen Blickwinkel, mit dem Thema multinationale Unternehmen. Wichtige internationale Instrumente zur sozialen Unternehmensverantwortung, wie die OECD-Leitsätze für multinationale 54  Von einem „kometenhaften Aufstieg“, der „im wesentlichen erst nach dem zweiten Weltkrieg erfolgt ist“, spricht Donaldson, Multinationale Unternehmen, S. 732. 55  Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht I / 2, 2. Auflage, Berlin 2002, S. 249. 56  So Hertner, Fallstudien zu deutschen multinationalen Unternehmen vor dem ersten Weltkrieg, in: Horn / Kocka (Hrsg.), Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 1979, S. 388. Ähnlich im Hinblick auf französische Entwicklungen auch Fatouros, Les principes directeurs de l’OECD à l’intention des entreprises multinationales: Perspectives actuelles et possibilités futures, S. 232. 57  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 25. 58  de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1. 59  de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1. 60  International Labour Organization, http: /  / www.ilo.org / global / lang--en / index. htm. 61  Siehe oben Fußnote 7.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Unternehmen62 und die ILO „Tripartite Declaration of Principles concerning Multinational Enterprises and Social Policy“63, wurden in dieser Zeit in ihren ersten Fassungen angenommen64. Der Schwerpunkt der von den multinationalen Unternehmen hervorgerufenen Sorgen veränderte sich im Lauf der Zeit. Die mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 194865 und den beiden Internationalen Menschenrechtspakten von 196666 angestoßene Entwicklung eines interna­ tionalen Menschenrechtsregimes trug dazu bei, dass die Auswirkungen der unternehmerischen Aktivitäten auf die Individuen stärker in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückten. Diese Sorge um die menschenrechtlichen Auswirkungen zeigte sich insbesondere seit den 1990er Jahren. Diese Zeit war geprägt von einer zunehmenden Liberalisierung der Wirtschaftsbeziehungen und der Entwicklung moderner Kommunikations- und Transportmittel. Das Schlagwort der „Globalisierung“ kam in dieser Zeit in Mode67, wird allerdings auch heute noch uneinheitlich verwendet.68 Die Auslandsinvestitionen multinationaler Unternehmen spielen eine zentrale Rolle und werden teils als „Treiber“69, teils 62  In ihrer ersten Fassung angenommen am 21. Juni 1976. Zur historischen Entwicklung vgl. ausführlich unten Teil 2, A. 63  ILO „Tripartite Declaration of Principles concerning Multinational Enterprises and Social Policy“, adopted by the Governing Body of the ILO at its 204th session in November 1977 and revised at the 279th Session in November 2000, International Legal Materials, 41(2002), S. 186. 64  Für Einzelheiten zu diesen und anderen Instrumenten und zu deren Vergleich siehe unten C.IV.3.b). 65  Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10.  Dezember  1948, http: /  / www.un.org / depts / german / grund dok / ar217a3.html. 66  Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl. 1973 II 1553; Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl. 1973 II 1569. 67  Vgl. von Weizsäcker, der von einem „relativ jungen Modewort“ spricht und daran erinnert, dass die „Globalisierung allen Geschehens“ ein „seit Jahrhunderten sich vollziehender Vorgang“ sei: von Weizsäcker, Logik der Globalisierung, 3. Auflage 2003, S. 47. Auch Herdegen weist darauf hin, dass die „Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen (…) in ihren Ursprüngen bis in das Zeitalter der großen Kolonialreiche“ zurückreiche; sie habe dann durch die „Entwicklung moderner Kommunikations- wie Transportmittel Aufschwung genommen“ und „ihre normative Festigung“ erst „mit dem Abbau von Handelshemmnissen im vertraglichen Rahmen (…) und der Schaffung eines internationalen Währungssystems gewonnen“, Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 9. Auflage, München 2011, § 2, Rz. 1. 68  Nach Wolf birgt der Begriff auch heute noch die Gefahr, uferlos breit aufgefasst zu werden: Wolf, Why Globalization Works, New Haven / London 2004, S. 13 f. 69  Römer, Multinationale Unternehmen, Eine theoretische und empirische Bestandsaufnahme, Köln 2008, S. 7.



B. Multinationale Unternehmen als regulatorische Herausforderung39

als Resultat der Globalisierung betrachtet, indem konstatiert wird, die „fortschreitende Globalisierung“ habe zu einer „zunehmenden Verlagerung von insbesondere know-how-armen und arbeitsintensiven Wertschöpfungsschritten in industriell weniger entwickelte Länder mit niedrigem Lohnniveau und schwachen Sozial- und Umweltstandards“ geführt70. Ökonomische Zwänge, das heißt der Wettbewerbsdruck auf die Unternehmen, werden als Ursache für diese Entwicklung genannt.71 Tatsächlich hatten rund 90 % der multinationalen Unternehmen in den 1990er Jahren Muttergesellschaften in den Industrienationen.72 Ein hervorstechendes Merkmal der immer stärkeren globalen wirtschaftlichen Verflechtung73 ist dabei die wachsende wirtschaftliche Machtfülle der Unternehmen74. Die Wirtschaftskraft dieser Unternehmen übersteigt oft die der Staaten75, die ihrerseits auf die ausländischen Investitionen angewiesen sind und häufig mangels eines funktionierenden Institutionengefüges keine unabhängige und effektive Kontrolle der unternehmerischen Tätigkeiten gewährleisten können76. Diese Gegebenheiten wurden vom UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, als „permissive environment“ für Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen bezeichnet.77 Zusätzlich führten die Entwicklungen im Bereich des Kommunikationswesens zu einem schnelleren Bekanntwerden 70  Institut für Technik und Arbeit, Nachhaltige Gestaltung internationaler Wertschöpfungsketten: Akteure und Governance-Systeme, Forschungsprojekt, www.nava go.de. 71  So etwa von Reuter, Recht und Ökonomie im Zeitalter der Globalisierung, S. 3. 72  Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66 (2006), S. 625, S. 629. Zur heutigen Situation siehe auch unten B.III. 73  Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, Fußnote 25; von Weizsäcker, Logik der Globalisierung, Göttingen 1999, S. 49. 74  Diese Machtfülle veranlasst Wettstein, der auch die Elemente der „corporate power“ näher aufschlüsselt, sie als „quasi-governmental institutions“ zu bezeichnen: Wettstein, Multinational Corporations and Global Justice, Human Rights Obligations of a Quasi-Governmental Institution, Stanford 2009, S. 180 ff. 75  Die UN-Handels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD hat im Jahr 2000 den von Unternehmen erwirtschafteten „Mehrwert“ (Summe der Gehälter, Löhne und Gewinne vor Steuer, Abschreibung und Amortisation) mit den Bruttoinlandsprodukten der Staaten verglichen; unter den „TOP 100“ finanzstärksten Einheiten lagen demnach 29 Unternehmen, United Nations Conference on Trade and Development, Are Transnationals Bigger than Countries?, http: /  / www.unctad.org / . 76  Anschaulich hierzu Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, S. 43. 77  „Business and Human Rights: Mapping International Standards of Responsibil­ ity and Accountability for Corporate Acts“, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, A / HCR / 4 / 035 vom 9. Februar 2007, S. 3.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

von menschenrechtlich bedenklichen Verhaltensweisen von Unternehmen in deren Heimatstaaten. Nichtregierungsorganisationen übernahmen eine Schlüsselrolle, indem sie die Unternehmen dort öffentlich anprangerten.78 Im Zentrum der Betrachtung stand dabei das Verhalten multinationaler Unternehmen aus den nördlichen Industriestaaten in den südlichen Entwicklungs- oder Schwellenländern.79 Das Aufkommen der Sorgen um die menschenrechtlichen Auswirkungen multinationaler Unternehmen führte in den 1990er Jahren zu einer sogenannten „zweiten Welle“ in den internationalen Bemühungen um die Kontrolle multinationaler Unternehmen und deren sozialer Verantwortung.80 Diese zweite Welle ist heute, etwa zwanzig Jahre später, weder abgeebbt noch am Ziel angekommen. Im Gegenteil ist das Thema unternehmerische Verantwortung für Menschenrechte heute hoch aktuell. Dabei wächst nicht nur stetig die Zahl der transnational aktiven Unternehmen, sondern auch die Formenvielfalt ihrer wirtschaftlichen Verflechtung.81 Es fragt sich daher, welche Definition der heutigen wirtschaftlichen Realität am nächsten kommt. In Bezug auf den menschenrechtlichen Kontext stellt sich dabei auch die Frage, ob eine abschließende Definition tatsächlich notwendig ist. 2. Zur Definition multinationaler Unternehmen a) Ansätze und Schwierigkeiten In Praxis und Literatur werden unterschiedliche Begriffe verwendet, um das hier betrachtete Phänomen zu umschreiben. Im Kontext der Vereinten Nationen wird überwiegend der Begriff des transnationalen Unternehmens (Transnational Corporations, TNC) verwendet.82 ILO und OECD entschie78  Vgl. auch Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66 (2006), S. 625, S. 627: „Due to NGO campaigning and international media coverage, MNEs can no longer pursue.“ 79  Vgl. zum Beispiel Woodroffe, Regulating Multinational Corporations in a World of Nation States, S. 132; Hamm, Zum Einfluß multinationaler Konzerne auf den staatlichen Menschenrechtsschutz in Ländern des Südens, S. 56; Donaldson, Multinationale Unternehmen, S. 731. 80  de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 9. 81  Vgl. Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht I / 2, 2. Auflage, Berlin 2002, S. 245. 82  So von der UNCTAD und im UN Global Compact, im UN Draft Code of Conduct on Transnational Corporations und in den UN Draft Norms on the Responsibili-



B. Multinationale Unternehmen als regulatorische Herausforderung41

den sich hingegen für den Begriff des multinationalen Unternehmens (Multinational Enterprises, MNE). In der Literatur werden beide Begriffe und teils auch Mischformen daraus verwendet. Die United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) benötigt die Definition vor allem zur statistischen Erfassung, was die Verwendung quantifizierbarer Kriterien erfordert.83 Im Übrigen dürften die Begriffe angesichts der im Folgenden dargelegten definitorischen Ähnlichkeiten aber als äquivalent angesehen werden. Da die vorliegende Untersuchung die Leitsätze für multinationale Unternehmen zum Gegenstand hat, wird hier dieser Begriff als Ausgangspunkt verwendet. Die Leitsätze für multinationale Unternehmen fassen einige Wesensmerkmale multinationaler Unternehmen zusammen und bieten so eine Beschreibung, die „heute international weitgehend anerkannt“84 ist: „Es handelt sich gewöhnlich um Unternehmen oder andere in mehreren Ländern niedergelassene Unternehmensteile, die so miteinander verbunden sind, dass sie ihre Geschäftstätigkeit auf unterschiedliche Art und Weise koordinieren können. Einer oder mehrere dieser Unternehmensteile können u. U. in der Lage sein, einen wesentlichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der anderen Unternehmensteile auszuüben, doch wird ihr Autonomiegrad innerhalb des Gesamtunternehmens je nach den betreffenden multinationalen Unternehmen sehr unterschiedlich sein. Das Gesellschaftskapital kann privat, öffentlich oder gemischt sein. Die Leitsätze gelten für alle Einheiten eines multinationalen Unternehmens (Muttergesellschaft und / oder unabhängige Unternehmensteile). Von den verschiedenen Unternehmensteilen wird – entsprechend der effektiv zwischen ihnen bestehenden Kompetenzaufteilung – erwartet, dass sie zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen, um die Einhaltung der Leitsätze zu erleichtern“85.

Dieser breite und recht offene Ansatz findet sich ähnlich auch in der Dreigliedrigen Erklärung über Prinzipien betreffend Multinationale Unternehmen und Sozialpolitik der ILO86 sowie in den UN-Entwürfen zu einem ties of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights. Zu diesen Instrumenten siehe unten C.II.1.a)–c). 83  Siehe zum Beispiel United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), World Investment Report, http: /  / www.unctad.org / . Zur statistischen Bestimmung verwendet die UNCTAD den sogenannten „Transnationality Index“, der die folgenden Kriterien umfasst: Verhältnis von ausländischen zu inländischen Vermögensanteilen, Verkauf im In- und Ausland sowie Einsatz in- und ausländischer Arbeitnehmer, http: /  / www.unctad.org / . 84  Schmalenbach, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, AVR 39 (2001), S. 57, S. 59. 85  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 4. 86  Art. 6 der Dreigliedrigen Erklärung über Prinzipien betreffend Multinationale Unternehmen und Sozialpolitik: „Multinationale Unternehmen sind öffentliche, gemischtwirtschaftliche oder private Unternehmen, die Produktions-, Vertriebs-, Dienstleistungs- oder sonstige Einrichtungen außerhalb des Landes besitzen oder kontrollie-

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

„Draft Code of Conduct on Transnational Corporations“87 und den „Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights“88. Die allgemeinen Definitionen stellen wie gesehen nicht zwingend auf eine finanzielle Beteiligung beziehungsweise Beherrschung ab.89 Sie lassen weiten Spielraum bezüglich der Form der Kontrolle oder Koordinierung innerhalb der Gesamtstruktur und sind damit hinreichend flexibel, um aktuelle Entwicklungen einzuschließen. Denn während finanzielle Beteiligungsformen an Tochterunternehmen im Ausland traditionell üblich waren, finden sich heute häufig vertraglich basierte Formen der Zusammenarbeit wie Franren, in dem sie ihren Sitz haben. Der Grad der Selbständigkeit, die die Glieder multinationaler Unternehmen im Verhältnis zueinander genießen, ist je nach Art der Verbindungen zwischen diesen Gliedern und ihren Tätigkeitsbereichen innerhalb der einzelnen multinationalen Unternehmen sehr unterschiedlich, da Eigentumsverhältnisse, Größe, Art und Ort der Tätigkeiten der betreffenden Unternehmen stark variieren können. Soweit nichts anderes angegeben ist, bezeichnet der Ausdruck „multinationales Unternehmen“ in dieser Erklärung die verschiedenen Glieder (Muttergesellschaften oder lokale Tochtergesellschaften oder beide oder aber auch die gesamte Struktur) entsprechend der Aufgabenteilung zwischen diesen Gliedern, in der Erwartung, dass sie zusammenarbeiten und sich, soweit erforderlich, gegenseitig unterstützen werden, um die Einhaltung der in dieser Erklärung niedergelegten Grundsätze zu erleichtern.“, International Legal Materials 17(1978), S. 422. 87  Art. 18 des Draft Code of Conduct on Transnational Corporations (International Legal Materials 23 (1984), S. 6226): „This Code is universally applicable to enterprises, irrespective of their country of origin and their ownership, including private, public or mixed, comprising entities in two or more countries, regardless of the legal form and fields of activity of these entities, which operate under a system of decision-making, permitting coherent policies and a common strategy through one or more decision-making centres, in which the entities are so linked, by ownership or otherwise, that one or more of them may be able to exercise a significant influence over the activities of others and, in particular, to share knowledge, resources and responsibilities with the others (…)“. Zur weiteren Entwicklung des „Draft Code“ siehe unten C.II.1.a). 88  Nach Art. 20 des Entwurfes der UN-Normen für die Verantwortlichkeit transnationaler Unternehmen und anderer Wirtschaftseinheiten im Hinblick auf die Menschenrechte (UN Doc.E / CN.4 / Sub.2 / 2003 / 12 / Rev.2(2003)) ist ein transnationales Unternehmen: „(…) eine wirtschaftliche Einheit, die in mehr als einem Land tätig ist, oder eine Gruppe von wirtschaftlichen Einheiten, die in zwei oder mehr Ländern tätig sind – ungeachtet dessen, welche Rechtsform sie besitzen, ob sie sich in ihrem Sitzland oder ihrem Tätigkeitsland befinden und ob sie einzeln oder gemeinschaftlich betrachtet werden“. Zur weiteren Entwicklung der „UN-Normen“ siehe unten C.II.1.c). 89  Statt auf „ownership“, die angesichts ihrer besseren Messbarkeit noch zu statistischen Zwecken eine Rolle spielt, wird in allgemeinen Definition mehr auf eine „relationship of control“ abgestellt: Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 52.



B. Multinationale Unternehmen als regulatorische Herausforderung43

chising oder Joint Venture.90 Die typischen Unterordnungskonzerne – mit einer übergeordneten Mutter- und untergeordneten Tochtergesellschaften – sind um Gleichordnungs- und Mehrmütterkonzerne ergänzt worden.91 Damit wurde die typisch hierarchische Struktur teilweise durch eine netzwerkartige Zusammenarbeit von Unternehmensteilen abgelöst.92 Dies wird auch in der Beschreibung aufgegriffen, transnationale Unternehmen seien solche „mit einer Reihe wechselseitig abhängiger und geographisch verteilter Zentren, die von gemeinsamen Strategien, Normen und einem intensiven Austausch von Informationen, Erfahrungen und Ressourcen zusammengehalten werden“93. Der Wandel in der Organisation unternehmerischen Zusammenwirkens zeigt sich auch an der Aufnahme von Netzwerkdefinitionen im Gesellschaftsrecht und anderen relevanten Rechtsgebieten94. Diese sogenannte „Entgrenzung“95 macht im Übrigen die Unterscheidung zu den traditionell als Zulieferkette96, heute häufig auch als Zulieferbeziehungen97, bezeichneten Formen der Zusammenarbeit schwierig: „Strategi90  Auch „licensing“ und „distribution arrangements“ werden als Formen vertragsbasierter Zusammenarbeit genannt, vgl. Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 50. 91  So hatte beispielsweise Royal Dutch Shell (…) „gleichzeitig eine britische und eine niederländische Muttergesellschaft“: Schaub, Grundlagen der Regulierung multinationaler Unternehmen, Zürich 2010, S. 28 f. 92  So „verschwimmen in den neuen Arbeitsteilungs- und Kooperationsstrukturen die Grenzen zwischen Unternehmen und eindeutigen Zuständigkeitsbereichen. In den neuen Formen der Governance scheinen sich die bislang (…) hierarchischen Koordinationsformen in Netzwerkbeziehungen aufzulösen“: Jürgens, Outsourcing & Co., S. 6; vgl. auch Kreikebaum / Ulrich / Glenn / Reinhardt, Organisationsmanagement internationaler Unternehmen: Grundlagen und moderne Netzwerkstrukturen, 2. Auflage, Wiesbaden 2002. 93  Bürklin, Globalisierung als Chance für Wohlstand und Arbeitsplätze, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 48 / 2000, S. 2. 94  So enthält § 319b Abs. 1 Satz 3 HGB eine positiv-rechtliche Definition, nach der ein Netzwerk unter Beteiligung von Abschlussprüfern vorliegt, „wenn Personen bei ihrer Berufsausübung zur Verfolgung gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen für eine gewisse Dauer zusammenwirken“. Nach Art. 2 Ziffer 7 der Richtlinie 2006 / 43 / EG über die Abschlussprüfung ist Netzwerk „eine breitere Struktur, die auf Kooperation ausgerichtet ist und eindeutig auf Gewinn- und Kostenteilung abzielt beziehungsweise aufgrund verschiedener Faktoren (z. B. Verwendung einer gemeinsamen Marke) miteinander verbunden ist“. 95  „Entgrenzung“ ist ein „häufig verwendeter Begriff, um diese Entwicklung zu fassen“, Jürgens, Outsourcing & Co., S. 6. 96  In den Erläuterungen zu den Leitsätzen wird der Begriff „Zulieferkette“ verwendet, aber auf die unterschiedliche Struktur und die Komplexität, die diese haben können, hingewiesen: OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffern 17 und 21. 97  Dieser Begriff vermeidet das Bild eines linearen Verhältnisses, mit dem multinationalen Unternehmen an der Spitze. Zur Begriffsverwendung siehe zum Beispiel

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

sche Allianzen und engere Beziehungen zu Zulieferfirmen und Unterauftragnehmern verwischen immer mehr die eigentlichen Unternehmensgrenzen“98. Es ist daher zunehmend schwierig, eine allgemeingültige und abschließende Definition multinationaler Unternehmen zu finden. b) Verzichtbarkeit einer Definition? Die Leitsätze für multinationale Unternehmen verzichten ausdrücklich auf eine abschließende Definition multinationaler Unternehmen, da diese „zum Zwecke der Leitsätze nicht erforderlich“99 sei. Dem ist unter Hinweis auf die rechtliche Unverbindlichkeit der Leitsätze zuzustimmen.100 Aber auch wenn eine rechtliche Regulierung der Unternehmensverantwortung für Menschenrechte angestrebt wird, stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer abschließenden Definition multinationaler Unternehmen. Denn von der Anknüpfung an multi- oder transnationale Unternehmen wird immer weiter weggerückt. So stellen die Leitsätze bereits seit längerem klar, dass sie „keine unterschiedliche Behandlung von multinationalen und nationalen Unternehmen“ bezwecken101. Zwar sollen die „gleichen Erwartungen hinsichtlich ihres Verhaltens“ nur gelten, „soweit die Leitsätze für beide relevant sind“102. Dieser Hinweis dürfte mit der Überarbeitung in 2011 aber deutlich an Bedeutung verloren haben.103 Denn zugleich wurde mit dieser Überarbeitung die Anwendbarkeit auf alle geschäftlichen Betätigungen betont und die Verantwortung von Unternehmen in ihren Zulieferbeziehungen gestärkt.104 Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte105 verzichten sogar ganz auf die Hervorhebung transnationaler Unternehmen und richten sich ganz generell an „business enterprises“106. Heydenreich, Zulieferbeziehungen aus Sicht der OECD-Leitsätze – Anspruch und Erfahrungen aus Perspektive von NGOs, in: eed, Germanwatch, TUAC, OECD (Hrsg.), Wie weit reicht die Verantwortung von Unternehmen? Handels- und Zulieferbeziehungen von multinationalen Unternehmen, S. 22. 98  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Einführung, Ziffer 2, Satz 6. 99  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 4. 100  So auch Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht I  / 2, 2. Auflage, Berlin 2002, S. 246. 101  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 5, Satz 1. 102  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 5, Satz 2. 103  Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 20. 104  Siehe einführend oben A.II. Zur Verantwortung in der Zulieferkette siehe auch unten Teil 2, A.IV.2.d). 105  Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John



B. Multinationale Unternehmen als regulatorische Herausforderung45

Auch wenn es sich hier nicht um Rechtsinstrumente handelt, so zeigen sie doch einen deutlichen Richtungswandel beim Thema Wirtschaft und Menschenrechte. Die Unterscheidung zwischen multinationalen und sonstigen Unternehmen verliert in diesem Kontext an Bedeutung.107 Damit wird auch eine genaue Definition multinationaler und transnationaler Unternehmen in diesem Zusammenhang zunehmend verzichtbar. Der Blick richtet sich vielmehr auf die einzelnen Unternehmensteile in ihrer jeweiligen Verantwortung.108 106

Nach wie vor bilden die multinationalen Unternehmen aber für die Leitsätze den primären Anknüpfungspunkt, weshalb an der Begrifflichkeit hier einstweilen festgehalten wird. 3. Herausforderungen einer rechtlichen Regulierung Einer rechtlichen Regulierung multinationaler Unternehmen stehen „fundamentale Hürden“109 entgegen. Diese Hürden ergeben sich aus der beschriebenen Struktur multinationaler Unternehmen. Diese setzen sich zusammen aus mehreren Unternehmensteilen in Form von selbstständigen juristischen Personen, welche dem jeweiligen nationalen Recht unterliegen.110 Das multinationale Unternehmen selbst Ruggie, Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the ­United Nations „Protect, Respect and Remedy“ Framework, vom 21. März 2011, A / HRC / 17 / 31, S.  13. 106  Das Mandat für die Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten John Ruggie, das Ausgangspunkt für die Entstehung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte war, enthielt noch den Begriff des transnationalen Unternehmens: UN Commission on Human Rights Res. 2005  /  69, ‚Human Rights and transnational corporations and other business enterprises‘, vom 20. April 2005 (chap XVII, E / C N.4 / 2005 / L.10 / Add.17). Dies veranschaulicht den Wandel der Blickrichtung, der in den letzten Jahren von der internationalen Gemeinschaft beim Thema Wirtschaft und Menschenrechte vollzogen wurde. 107  Es ist daher berechtigt, die rückläufige Bedeutung der Unterscheidung in multinationale und andere Unternehmen kenntlich zu machen, wie dies etwa Köster mittels Klammersetzung tut: Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010. 108  Siehe auch OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 4, Satz 7: „Von den verschiedenen Unternehmensteilen wird – entsprechend der effektiv zwischen ihnen bestehenden Kompetenzaufteilung – erwartet (…)“. Zum Unternehmensbegriff selbst und dem geforderten business nexus siehe oben Fußnote 31 und begleitenden Text. 109  Für einen Überblick siehe Schaub, Grundlagen der Regulierung multinationaler Unternehmen, Zürich / Basel / Genf 2010 und Woodroffe, Regulating Multinational Corporations in a World of Nation States, S. 131. 110  Vgl. Vagts: „each corporate unit operating as a native within the country of its incorporation“, Vagts, The Multinational Enterprise: A New Challenge for Trans-

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

hat keine diesen Unternehmensteilen vergleichbare juristische Persönlichkeit.111 Hinzu kommt die zunehmende Vielfalt der Organisation zwischen diesen Unternehmensteilen, die wie gesehen eine einheitliche Definition multina­tionaler Unternehmen erschwert. Die exakte Festlegung des Regelungsobjektes ist aber Voraussetzung für eine rechtliche Regulierung. Darüber hinaus löst sich durch die „räumliche Trennung zwischen Machtzentrale und Handlungsort (…) die gegenseitige Kontrolle sowohl zwischen Unternehmen und Regierung wie zwischen Unternehmen und Konsumenten auf“.112 Für das multinationale Unternehmen scheint es einfach, sich zu entziehen und den wirtschaftlichen Standort zu wechseln, wenn eine nationale Rechtsordnung an eines der Unternehmensteile zu hohe Anforderungen stellt.113 Hieraus folgt eine gewisse „Machtlosigkeit“ einiger Staaten, insbesondere bei hohem Interesse an ausländischen Direktinvesti­ tionen, wobei die Macht und Bewegungsfreiheit multinationaler Unternehmen aber auch nicht überschätzt werden sollte114. Bei einer rechtlichen Regulierung multinationaler Unternehmen über Staatsgrenzen hinweg sind zudem eine Vielzahl nationaler Rechtsmaterien in Einklang zu bringen.115 Es wird daher teilweise bezweifelt, dass ein national Law, Harvard Law Review, Volume 83 (1970), S. 739, S. 743. Auch Doehring, Völkerrecht, 2. Auflage, Heidelberg, 2004, Rz. 889, spricht sich gegen die Kontroll- und für die auch vom IGH angewandte Gründungstheorie aus und folgert, die Muttergesellschaft habe die Staatszugehörigkeit des Gründungsstaates und die „von ihr beherrschten Tochtergesellschaften haben dann jeweils eine andere Staatsangehörigkeit, nämlich diejenige, nach deren Rechtsordnung wiederum sie gegründet sind“. 111  Vgl. auch Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 52: „As a conglomeration of different companies, a multinational enterprise is not a ‚legal person‘ in the same way a company is“. Auch die Gesellschaftsform der „Societas Europaea“ (SE) bildet hier keine Ausnahme, vgl. Schaub, Grundlagen der Regulierung multinationaler Unternehmen, S.  150 f. 112  Donaldson, Multinationale Unternehmen, S. 734. 113  So auch Addo, Human Rights and Transnational Corporations, S. 31. 114  So sind Standortentscheidungen immer von sehr vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig. Vgl. auch Schaub, der zusammenfasst multinationale Unternehmen seien „bildhaft weder als thronende Giganten noch als geschmeidige, ungreif- oder sogar unsichtbare Netzwerke vorzustellen, sondern eher als an ihren Gliedern fest am Boden verankerte ‚Riesen‘ (…) die den Zwangsmaßnahmen der ‚Zwerge‘ (…) ausgeliefert sind“; die Entwicklungsländer scheinen, so Schaub, die Gefahr der Manipulation oder Unterwanderung gebannt zu haben: Schaub, Grundlagen der Regulierung multinationaler Unternehmen, Zürich / Basel / Genf 2010, S. 273. 115  Steeg nennt hier beispielsweise das Steuer-, Vertrags-, Handels-, Straf- und Patentrecht: Steeg, Internationale Verhaltensregeln für Internationale Investitionen und Multinationale Unternehmen, ZGR 1 / 1985, S. 1, S. 5.



B. Multinationale Unternehmen als regulatorische Herausforderung47

einziges Regelwerk alle diese Aspekte abdecken könne.116 Stattdessen wird die Stärkung des bestehenden vielfältigen „regulatory framework“ gefordert.117 Diese Grundfrage ist hier nicht abschließend zu beurteilen. Die aufgezeigte Entwicklung bei den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen und den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte weist aber für menschenrechtliche Fragestellungen auf eine andere Möglichkeit hin, nämlich von der historisch gewachsenen Konzentration auf die multinationalen beziehungsweise transnationalen Unternehmen abzukommen, hin zu einem Blick auf die einzelnen Unternehmensteile und deren jeweiliger Verantwortung. Mit dieser Tendenz erübrigen sich einige der regulatorischen Herausforderungen, die in Zusammenhang mit den Eigenschaften multina­ tionaler Unternehmen stehen.118

II. Fallgestaltungen menschenrechtsrelevanten Verhaltens multinationaler Unternehmen Unternehmen tragen einerseits zu Wohlstand und Entwicklung bei und können die Wahrnehmung von Menschenrechten positiv beeinflussen.119 Andererseits können ihre Aktivitäten in unterschiedlichster Weise in Zusam116  „Die Rechtswissenschaft hat das Heil somit nicht in einem ‚großen Wurf‘ zu suchen (…). Vielmehr steht sie vor der Daueraufgabe, immer wieder (…) auf das konkrete Problem zugeschnittene Lösungen zu entwickeln.“: Schaub, Grundlagen der Regulierung multinationaler Unternehmen, S. 276. 117  So Woodroffe: „Given the complex nature of the problems, a regulatory framework rather than a single international agreement is needed. As far as pos­sible, existing mechanisms need to be strengthened rather than inventing new procedures“, Woodroffe, Regulating Multinational Corporations in a World of Nation States, S. 132. 118  Es erübrigen sich dadurch allerdings nicht die völkerrechtlich-konzeptionellen Grundfragen, die bei einer menschenrechtlichen Regulierung Privater mit extraterritorialer Wirkung entstehen; hierzu siehe die im nachfolgenden Kapitel II angerissenen Fragestellungen bei den unterschiedlichen Fallgestaltungen und näher unter C.I. 119  Positive Auswirkungen betreffen beispielsweise die Einkommens- und Bildungssituation. Vgl. auch de Schutter, Transnational Corporations as Instruments of Human Development, in: Alston, Philip / Robinson, Mary (Hrsg.), Human Rights and Development: Towards Mutual Reinforcement, Oxford 2005, S. 403. Die OECD-Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen formuliert hierzu, „dass die internationalen Investitionen von wesentlicher Bedeutung für die Weltwirtschaft sind und zur Entwicklung ihrer Länder einen erheblichen Beitrag leisten“, wobei „die multinationalen Unternehmen bei diesem Investitionsprozess eine wichtige Rolle spielen“: Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen, siehe oben Fußnote 6, Erwägungsgründe 1 und 2.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

menhang mit Menschenrechtsverletzungen stehen, wobei in der öffentlichen Wahrnehmung die besonders gravierenden Fälle das Bild bestimmen120. Von einer „Verletzung“ der Menschenrechte durch Unternehmen kann dabei streng genommen nur gesprochen werden, wenn eine Rechtspflicht zu deren Einhaltung besteht. Gerade dies ist in Bezug auf Unternehmen heute aber alles andere als etabliert, wie die Untersuchung in Abschnitt C.II. aufzeigen wird. Einstweilen ist daher der Begriff der „Beeinträchtigung“ von Menschenrechten durch Unternehmen vorzuziehen oder, wie in den Leitsätzen, auf die negativen Auswirkungen unternehmerischen Verhaltens auf die Menschenrechte abzustellen. Dies schließt eine Beteiligung von Unternehmen an staatlichen Menschenrechtsverletzungen nicht aus. Angesichts der Vielfalt globaler unternehmerischer Vernetzung und der unterschiedlichen Formen wirtschaftlicher Betätigung stellt sich die Frage, in welchen typischen Konstellationen Unternehmen mit der Beeinträchtigung oder Verletzung von Menschenrechten in Verbindung stehen können. Die möglichen Fallgestaltungen werfen unterschiedliche rechtliche Fragen auf. Der folgende Überblick soll vom jeweils primär verantwortlichen Akteur ausgehend die Vielfältigkeit der Ausgangslage veranschaulichen.121 Die aufgeworfenen Fragen werden skizziert, so dass die Herausforderungen, vor denen eine Regulierung der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen steht, deutlich werden. Beispiele illustrieren dabei die jeweilige Konstellation, ohne dass die Problematik auf diese Bereiche reduziert werden darf. 1. Beeinträchtigung von Menschenrechten durch das multinationale Unternehmen selbst Eine große Fallgruppe betrifft die mögliche Beeinträchtigung menschenrechtlicher Standards durch Unternehmen selbst.122 120  Einer der Auslöser großer öffentlicher Aufmerksamkeit für dieses Thema war die Katastrophe im Chemiewerk von Bhopal, siehe Kolvenbach, Bhopal – Storm over the Multinationals?, ZGR 1 / 86, S. 47. 121  Eine detaillierte, vollständige Typologie insbesondere der möglichen Formen der „complicity“ ist hier nicht beabsichtigt. Eine solche wäre nach de Schutter eine der drängendsten Aufgaben der rechtlichen Literatur auf diesem Gebiet: de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 13 und Fußnote 40. Einige Ansätze für eine solche Typologisierung werden im folgenden Kapitel B.II. vorgestellt. 122  Für Beispiele siehe etwa Kaleck / Saage-Maaß, Transnationale Unternehmen vor Gericht: Über die Gefährdung der Menschenrechte durch europäische Firmen in Lateinamerika, Berlin 2008.



B. Multinationale Unternehmen als regulatorische Herausforderung49

Dies kann zum einen die eigenen Arbeitnehmer betreffen, beispielsweise im Falle von Kinder- oder Zwangsarbeit, durch Unterdrückung von Gewerkschaften, durch gefährliche Arbeitsbedingungen und vieles mehr; sie kann aber auch außerhalb des Unternehmens stehende Teile der Bevölkerung betreffen, wie etwa bei der Vertreibung einheimischer Bevölkerungsgruppen für große Infrastrukturprojekte123. Hier stellt sich die Grundfrage, ob Unternehmen an Menschenrechte gebunden sind.124 Dies ist allein schon deshalb keine Selbstverständlichkeit, als diese Rechte traditionell einen Schutz des Individuums gegenüber dem Staat bewirken sollen, während das Verhältnis von Privaten untereinander grundsätzlich durch andere Rechtsmaterien, beispielsweise das Zivilrecht, geregelt ist. Es bedarf daher einer grundsätzlichen Weiterentwicklung des menschenrechtlichen Grundverständnisses, soll auch Privaten eine menschenrechtsschützende Funktion zukommen.125 Die Frage einer direkten Bindung von Unternehmen an internationale Menschenrechte berührt dabei auch die Frage der Universalität der Menschenrechte und der staatlichen Souveränität zur konkreten Ausgestaltung der menschenrechtlichen Standards entsprechend der eigenen Tradition, Kultur und Weltanschauung. Auch wenn man die Universalität der Menschenrechte grundsätzlich bejaht, etwa vor dem Hintergrund des Ratifikationsstandes des Internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte126 und des Internationalen Paktes für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte127, so fragt sich doch, welche rechtlichen Konsequenzen aus einer direkten Bindung an internationale Standards entstehen. Konsequenz einer solchen direkten Bindung ist zum einen, dass sich widersprüchliche Anforderungen aus dem internationalen Menschenrechtsstandard und dem jeweiligen nationalen Recht ergeben können. Dadurch kann sich das Unternehmen in dem Dilemma sehen, die Verhaltensanforderungen aus beiden miteinander abwägen zu müssen. Angesichts der Vielfalt möglicher widersprüchlicher Anforderungen ist dies keine leichte Aufgabe, zumal die Missachtung nationalen Rechts dem 123  Siehe auch Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66(2006), S. 625, S. 626, m. w. N. 124  Eine nähere Untersuchung zum Meinungs- und Entwicklungsstand in dieser Frage erfolgt in Abschnitt C.I. Die Möglichkeiten der Haftbarmachung von Unternehmen vor nationalen Gerichten wird unter C.II. untersucht. 125  Dies könnte über eine unmittelbare oder mittelbare drittschützende Wirkung der Menschenrechte erreicht werden, siehe im Einzelnen unten C.II.2. 126  Siehe oben Fußnote 66. Derzeit ratifiziert von 174 Staaten, http: /  / treaties.un. org / Pages / ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-4&chapter=4&lang=en. 127  Siehe oben Fußnote 66. Derzeit ratifiziert von 156 Staaten, http: /  / treaties.un. org / Pages / ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-3&chapter=4&lang=en.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Unternehmen als rechtsunterworfener privater Person nicht zur Disposition steht und der Abbruch der Geschäftsbeziehungen nur eine ultima ratio sein kann, die im Übrigen selbst in deutlichen Fällen des Auseinanderfallens na­ tionaler und internationaler Menschenrechtsstandards nicht zwingend im Interesse der Beteiligten liegt128. Eine andere Problemlage ist gegeben in Fällen gescheiterter oder schwacher Staatlichkeit129, wo die Risiken besonders hoch sind, als Unternehmen menschenrechtliche Standards zu beeinträchtigen, ohne dass der Staat schützend eingreift130. Konsequenz einer beabsichtigten rechtlichen Bindung an internationale Standards ist darüber hinaus, dass die Frage nach der möglichen Völkerrechtssubjektivität von Unternehmen zu beantworten ist, welche das Wesen des traditionellen Völkerrechts betrifft.131 Möchte man eine direkte Bindung multinationaler Unternehmen an Menschenrechte bejahen, so ist zudem die Vorfrage zu klären, ob eine solche Bindung von Unternehmen an alle Menschenrechte in Betracht kommt, oder nur hinsichtlich einer begrenzten Anzahl an Menschenrechten, die typischerweise durch unternehmerisches Verhalten gefährdet sein können.132 Schließlich stellt sich die Frage, in welchem Umfang Verhaltenspflichten aus einer direkten Bindung von Unternehmen an Menschenrechte erwachsen. Diese dürften kaum deckungsgleich sein mit dem von Staaten geforderten Gewährleistungs- und Schutzumfang. Die Unklarheit, die bislang zum Umfang dieser Verhaltenspflichten bestand, dürfte wesentlich zur ablehnenden Haltung von Unternehmen gegen ihre rechtliche Bindung an Menschenrechte beigetragen haben.133 128  Zu dieser Interessenlage vgl. ausführlicher Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, Oxford 2004, S. 52. 129  Zum Phänomen der „failed states“ siehe Herdegen, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt im Völkerrecht: „The Failed State“, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 34, Heidelberg, 1996. 130  Diesen Problemlagen nähern sich die Arbeiten der OECD unter dem Begriff der „weak governance zones“: Mit dem „OECD Risk Awareness Tool for Multinational Enterprises in Weak Governance Zones“ (http: /  / www.oecd.org / investment / in vestmentpolicy  /  36885821.pdf) ist eine Hilfestellung für Unternehmen geschaffen worden, um die besondere Gefährdungslage einer Verstrickung in Menschenrechtsverletzungen zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Diese Anwendungshilfe ergänzt die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, ohne ihr Bestandteil zu sein. 131  Siehe unten C.I.3. 132  Der Frage, ob (faktisch) nur bestimmte Menschenrechte von Unternehmen beeinträchtigt werden können, wird weiter unten nachgegangen, siehe unten C.II.2.b) aa). 133  So befürchteten diese, mit einer solchen Bindung seien Erwartungen im Umfang des staatlichen Schutz- und Gewährleistungsumfangs verbunden.



B. Multinationale Unternehmen als regulatorische Herausforderung51

Die Differenzierung der Verantwortungssphären von Staaten und Unternehmen in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte134, die von den Leitsätzen aufgegriffen wurde135, und die Definition der von Unternehmen geforderten „Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen“ zeigen auf, wie menschenrechtliche Verhaltensmaßstäbe auf Unternehmen abgestimmt werden können.136 Zu den Kernanforderungen gehört dabei die Vermeidung negativer Auswirkungen auf die Menschenrechte anderer durch ihre eigenen Aktivitäten.137 Auch weitere wesentliche Fragen, wie zum relevanten menschenrechtlichen Orientierungsmaßstab138 und zum Umgang mit widersprüchlichen Anforderungen aus nationalem Recht139, beantworten die Leitsätze und fördern damit die Handhabbarkeit einer menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen für eigenes Verhalten. 2. Beeinträchtigung von Menschenrechten durch andere Unternehmen Die Frage nach der menschenrechtlichen Verantwortlichkeit eines Unternehmens wird auch aufgeworfen, wenn es nicht selbst und unmittelbar Menschenrechte beeinträchtigt, dieses aber seinen Zulieferbetrieben oder Handelspartnern vorgeworfen wird. Das Abnahmeverhalten der Unternehmen kann dabei zu einer Verstetigung der heimischen Praktiken beitragen. Besonders große Aufmerksamkeit erfuhr in dieser Hinsicht der Handel mit Textilien, die in Kinderarbeit140 oder unter gefährlichen Arbeitsbedingungen141 gefertigt wurden. Auch der Handel mit Rohstoffen aus Kon134  Siehe

unten C.II.1.d). für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Satz 1: „Die Staaten haben die Pflicht, die Menschenrechte zu schützen“. 136  Im Einzelnen siehe unten Teil 2, B.III. 137  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Ziffer 1 i. V. m. Kapitel II, Ziffer 11. Ausführlicher unten Teil 2, B.III.3.a). 138  Siehe unten Teil 2, B.III.1.a) und b). 139  Siehe unten Teil 2, B.III.1.c). 140  Vgl. beispielsweise die Vorwürfe an den Konzern Nike wegen des Handels mit in Kinderarbeit gefertigten Turnschuhen und Fußbällen, die Fälle Adidas und Bayer CropScience bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle oder die Beschwerden bei mehreren Nationalen Kontaktstellen zum Handel mit usbekischer Baumwolle, siehe unten Teil 2, C.II.2.b). 141  Das Textilarbeiterunglück in Bangladesh im April 2013, bei dem das Fabrikgebäude „Rana Plaza“ einstürzte und 1127 Tote und 2438 Verletzte zu beklagen waren, erhöhte die Aufmerksamkeit für die Situation der Textilarbeiterinnen in ­Bangladesh. Bereits im November 2012 hatte ein Feuer in der Textilfabrik Tazreen Fashions in Bangladesh 112 Todesopfer gefordert. 135  OECD-Leitsätze

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

fliktregionen in Afrika142 erregte Aufsehen.143 Die Problematik einer etwaigen Beteiligung an menschenrechtlichen Beeinträchtigungen anderer Un­ ternehmen wird aber auch relevant bei der Inanspruchnahme von Dienst­ leistungen, beispielsweise von privaten Sicherheitsdiensten144, oder der In Folge des Rana-Plaza-Unglücks führte die Regierung das Recht zur Gründung unabhängiger Gewerkschaften ein und beschloss, den Mindestlohn anzuheben, http: /  / www.salzburg.com / nachrichten / welt / chronik / sn / artikel / 1127-tote-in-bangla desch-textilkonzerne-ziehen-konsequenzen-58791. Mit einem Abkommen verpflichteten sich 31 Handelskonzerne, den Brandschutz und die Gebäudesicherheit in den Fabriken zu erhöhen, http: /  / www.salzburg.com /  nachrichten / welt / wirtschaft / sn / artikel / bangladesch-31-konzerne-wollen-textilarbei ter-schuetzen-59204 / , sog. „Accord on Fire and Building Safety“. Die Nationalen Kontaktstellen für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen veröffentlichten zum ersten Mal anlässlich konkreter Vorfälle eine gemeinsame Stellungnahme und betonten die Rolle, die die Leitsätze und die Nationalen Kontaktstellen bei den notwendigen weiteren Bemühungen um Verbesserungen spielen können, http: /  / mneguidelines.oecd.org / NCPStatementBangladesh25June2013.pdf. Einzelne Nationale Kontaktstellen befassen sich vertieft mit der Verantwortung multinationaler Unternehmen im Textilsektor in Bangladesh, sei es im Rahmen von Beschwerdeverfahren (so die deutsche und die brasilianische NKS, http: /  / mneguide lines.oecd.org / database / instances / de0013.htm), sei es auf politische Veranlassung hin wie die französische NKS, http: /  / www.tresor.economie.gouv.fr / 7343_effondre ment-de-lusine-textile-rana-plaza-au-bangladesh-saisine-du-pcn-francais. 142  Etwa der Handel mit sogenannten „Blutdiamanten“, aber auch mit Gold oder Erzen wie Coltan, das für die Produktion von Mobiltelefonen genutzt wird. Zu den Beeinträchtigungen der Menschenrechte der Minenarbeiter kommt eine Stützung der Provinzherrscher und damit eine konfliktverlängernde Wirkung durch den Handel hinzu, vgl. das UN Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of Congo, das den Handel als „engine of the conflict“ bezeichnete, UN Doc S / 2001 / 357, 12. April 2001, S. 42 und den Fall Afrimex bei der britischen Nationalen Kontaktstelle, unten Teil 2, C.I.2.c)aa). Zu der gesamten Problematik siehe Papaioannou, The Illegal Exploitation of Natural Resources in the Democratic Republic of Congo: A Case Study on Corporate Complicity in Human Rights Abuses, in: de Schutter (Hrsg.), Transnational Corporations and Human Rights, Oxford 2006, S. 263, insbesondere S. 271. 143  Die OECD hat auf die besonderen Herausforderungen dieser Thematik reagiert, indem sie am 25. Mai 2011 die „OECD Due Diligence Guidance for Responsible Supply Chains of Minerals from Conflict-Affected and High-Risk Areas“ (http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / mining.htm) angenommen hat. Zu deren Umsetzung unternehmen die OECD, die International Conference on the Great Lakes Region (ICGLR) und die UN Expert Group of Experts on the Democratic Republic of Congo gemeinsame Bemühungen, einschließlich eines Zertifizierungsmechanimus, siehe http:  /   /  mneguidelines. oecd.org / mining.htm. 144  Dieses Beispiel ist zu unterscheiden von Fällen, in denen militärische oder staatliche Sicherheitsdienste tätig werden etwa um die von multinationalen Unternehmen realisierten Großprojekte zu schützen, siehe nachfolgend B.II.3. und Teil 2, B.II.3.a)ff). Auch zu unterscheiden sind Fälle, in denen private Sicherheitsdienstleistungen im Auftrag von Staaten ausgeübt werden, siehe oben B.II.1. und unten Teil 2,



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­ inanzierung menschenrechtlich fragwürdiger Projekte durch Banken und F andere Finanzinstitute145. Rechtlich wirft diese Konstellation die zusätzliche Frage nach der Zurechenbarkeit von Menschenrechtsbeeinträchtigungen146 und nach dem Umfang der Verantwortung eines Unternehmens in seinen Geschäfts- und Zulieferbeziehungen auf. Theoretisch denkbar wäre die gänzliche Verneinung einer solchen Zurechnung oder Verantwortung. Ebenso denkbar wäre ihre Beschränkung auf Fälle, in denen das Unternehmen etwa aufgrund seiner Nachfragemacht einen besonderen Einfluss auf das agierende Unternehmen hat oder auf Fälle, in denen es in besonderer Weise von der Beeinträchtigung profitiert. Schließlich könnte auch eine Zurechnung bejaht werden in allen Fällen der Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen trotz Kenntnis einer bestimmten Sachlage. Unterschiedlichste Maßnahmen könnten, je nach Lage des Einzelfalles, zur Vermeidung einer (Mit-)Verantwortung zu fordern sein – von der einschränkenden Auswahl der Geschäftspartner über vorbeugende Maßnahmen wie beispielsweise eine entsprechende Vertragsgestaltung bis hin zum Abbruch der Geschäftsbeziehungen. Zur Beantwortung dieser Fragen gibt es vielzählige Ansätze. Die Leitsätze fordern seit ihrer Überarbeitung 2011 explizit von den Unternehmen auch, einen Beitrag zu negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte zu verhindern.147 Ein vorwerfbarer Beitrag wird dabei definiert als eine „Aktivität, die einen anderen Unternehmensteil dazu veranlasst, es ihm erleichtert oder ihm Anreize bietet, einen negativen Effekt zu verursachen“, wobei nur „substanzielle Beiträge“ von Belang sein sollen, nicht hingegen „kleinere oder unbedeutende“148. Kann ein solcher Beitrag nicht festgestellt werden, bestehen aber dennoch unmittelbare Verbindungen zwischen dem Unternehmen und den negativen Auswirkungen, so werden Anstrengungen verlangt, diese Auswirkungen zu verhüten oder zu mindern.149 Ist auch eine solche C.II.3.d). Die Branche der Sicherheitsdienste ist für ihre eigene Verantwortung sensibilisiert, wie sich an ihrem Code of Conduct ablesen lässt: Wallace, Code of Conduct for Private Security Service Providers, International Legal Materials 50 (2010), S. 89. 145  Siehe oben Fußnote 28. 146  Die Zurechnung könnte auch unter dem Begriff der „complicity“ diskutiert werden, der allerdings vorrangig in Zusammenhang mit staatlichen Menschenrechtsverletzungen gebraucht wird; hierzu siehe unten B.II.3. 147  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 11. 148  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 14, Satz 6. Die OECD-Leitsätze verwenden den Begriff „Beitrag“ („contribution“), wodurch eine sprachliche Nähe zum Strafrecht vermieden wird. 149  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 12.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

unmittelbare Verbindung nicht gegeben, bestehen allgemeine Verhaltensanforderungen zur Förderung der Einhaltung der Leitsätze in den Zulieferbeziehungen.150 Schließlich geben die Leitsätze Anhaltspunkte für die schwierige Abwägung, welche Reaktion angesichts eines problematischen Zuliefererverhaltens angemessen ist.151 Die Leitsätze bieten damit konkrete Anhaltspunkte zum möglichen Umfang der Verantwortung von multinationalen Unternehmen in ihren Geschäfts- und Zulieferbeziehungen. 3. Verletzung von Menschenrechten durch den Gaststaat Multinationalen Unternehmen wird häufig auch eine Mitverantwortung an Menschenrechtsverletzungen des Gaststaates vorgeworfen.152 Dabei geht es nicht nur um aktive Beteiligungen an solchen Menschenrechtsverletzungen, sondern auch um Passivität trotz offensichtlicher Menschenrechtsverletzungen durch den Gaststaat. Aus der Praxis können als Beispiele für diese Fallkonstellation die mögliche Mitverantwortung von Unternehmen für das Verhalten staatlicher Sicherheitskräfte beim Bau von Öl- oder Erdgaspipelines genannt werden.153 Ein weiteres Beispiel, das auch die Rechtsprechung in besonderem Maße be150  OECD-Leitsätze

für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 13. für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffern 21 und 22. Siehe ausführlicher unten Teil 2, B.III.3.d). 152  So ist dies bei Klagen, die vor den US-amerikanischen Gerichten geltend gemacht wurden, neben einer möglichen Verantwortung für das Handeln einer Tochtergesellschaft oder von Geschäftspartnern, geradezu ein „typischer“ Vorwurf, so Reynolds / Zimmer, Haften Unternehmen nach dem US-amerikanischen Alien Tort Statute?, RIW 2012, S. 139, S. 143. 153  Beim Bau der Baku-Tbilisi-Ceyhan (BTC-)-Ölpipeline wurde dem verantwortlichen Konsortium unter Leitung von BP eine Mitverantwortung an dem Verhalten des Militärs vorgeworfen, vgl. Lawson-Remer, A Role for the International Finance Corporation in Integrating Environmental and Human Rights Standards into Core Project Covenants: Case Study of the Baku-Tbilisi-Ceyhan Oil Pipeline, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational Corporations and Human Rights, Oxford 2006, S. 393. Zu den Lehren, die von dem verantwortlichen Konsortium gezogen wurden, vgl. Dolzer, Menschenrechte im internationalen Wirtschaftsrecht, S. 55. Der Klage Doe I v. Unocal Corporation nach dem amerikanischen Alien Tort Statute (ATS) gegen Unocal als einem Teil des Konsortiums, das den Bau einer Erdgaspipeline betrieb, lag der Vorwurf zugrunde, es habe die Armee von Myanmar mit Sicherheitsleistungen im Rahmen dieses Baus beauftragt; dem örtlichen Militär wurden Taten wie Zwangsarbeit, Raub, Mord und Vertreibung von Dorfbewohnern vorgeworfen, vgl. Reynolds / Zimmer, Haften Unternehmen nach dem US-amerikanischen Alien Tort Statute?, RIW 2012, S. 139, S. 141 und Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 203 f. 151  OECD-Leitsätze



B. Multinationale Unternehmen als regulatorische Herausforderung55

schäftigt, ist die mögliche Mitverantwortung für die gewaltsame Unterdrückung lokaler Proteste gegen die Erdölförderung im Niger-Delta.154 Schließlich kann das Verhalten ausländischer Unternehmen in Südafrika zu Zeiten des Apartheid-Regimes unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.155 Zur Unterscheidung möglicher Beteiligungsformen hat es in der Literatur unterschiedliche Ansätze gegeben, die allerdings zu keiner einheitlichen Auffassung geführt haben.156 Zumeist erfolgt eine Typologisierung der unterschiedlichen denkbaren Beteiligungsformen unter dem Oberbegriff der „complicity“ – im Deutschen als „Komplizenschaft“157 oder „Beteiligung“158 bezeichnet. Zur UnterscheiSiehe aber auch die Befassung der Nationalen Kontaktstellen für die OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen mit den Vorgängen rund um die BTCPipeline unten Teil 2, C.II.3.a)ff). 154  Der Royal Dutch Shell werden Vorwürfe in Zusammenhang mit der Unterdrückung von lokalen Protesten gemacht, die sich gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen bei der Erdölförderung richteten. Die nigerianische Militärregierung sandte die Rivers State Internal Task Force zu diesem Zweck in die Region, die gewaltsam gegen die Proteste vorging. Shell soll die Regierung um Hilfe bei der Sicherung der Anlagen gebeten haben und die Sicherheitskräfte durch Transport und Lohnzahlung unterstützt haben. Der Sprecher der einheimischen Bewegung „Movement for the Survival of the Ogoni People“, Ken Saro-Wiwa, und neun weitere Ogoni wurden in einem Schauprozess wegen Mordes an anderen Stammesführern zum Tode verurteilt und im November 1995 hingerichtet; siehe Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 23 f. Der Sachverhalt wurde mit dem Vorwurf, Royal Dutch Petroleum Co. habe die nigerianische Regierung bei deren gewaltsamer Unterdrückung von Protesten gegen die Erdölsuche von Shell in der Region Ogoni im Nigerdelta unterstützt, seitens der Familien von sieben der Nigerianer vor US-amerikanische Gerichte gebracht und ist Hintergrund des sogenannten Kiobel-Prozesses, der in 2013 zu einer viel beachteten Entscheidung des US Supreme Court mit zentralen Auswirkungen auf die exterritoriale Zuständigkeit von US-Gerichten geführt hat; Einzelheiten zu dieser Entscheidung siehe unten C.III.1.b)aa). 155  So wurde mehr als 50 multinationalen Unternehmen, darunter auch mehreren deutschen (Commerzbank AG, Daimler AG und Rheinmetall AG), in einer Klage nach dem Alien Tort Statute (ATS) vor amerikanischen Gerichten vorgeworfen, ihre Unterstützung habe es der südafrikanischen Regierung erlaubt, das Apartheitsregime aufrecht zu erhalten, vgl. Reynolds / Zimmer, Haften Unternehmen nach dem USamerikanischen Alien Tort Statute?, RIW 2012, S. 139, S. 141. Einzelheiten zu diesem Verfahren siehe unten Fußnote 452. 156  Eine Typoligisierung wäre daher nach de Schutter eine der drängensten Aufgaben der Literatur, siehe oben Fußnote 121. 157  Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, S. 44. 158  Hennings, Über das Verhältnis von multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten; Eine Bestandsaufnahme aus juristischer Perspektive, Göttingen 2009, S.  77 ff.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

dung werden häufig die Begriffe „direct“, „indirect“, „beneficial“ und „silent complicity“ verwendet, wobei der jeweilige Bedeutungsgehalt aber variiert.159 So wird das Verhalten eines Unternehmens, dem keine weiteren Vorwürfe gemacht werden, als sich trotz einer prekären Menschenrechtssituation im Gaststaat dort wirtschaftlich betätigt zu haben, in den Kategorien „silent“ oder „beneficial complicity“ diskutiert. Dieses Beispiel aus dem Grenzbereich der Vorwerfbarkeit160 zeigt, wie schwierig und notwendig die Aufstellung von Kriterien für die Zurechnung von Menschenrechtsverletzungen zu Unternehmen ist. Zur Unterscheidung möglicher Beteiligungsformen wird in der Literatur auch ein Vergleich zu den strafrechtlichen Kategorien von Täterschaft und Teilnahme gezogen.161 Sowohl das Recht der Staatenverantwortlichkeit als auch das Völkerstrafrecht werden auf Prinzipien hin untersucht, die eine Zurechnung ermöglichen.162 Unterschiedliche denkbare Ebenen der Unternehmensverantwortung werden unterschieden – von der aktiven Beteiligung über das passive Zulassen trotz Möglichkeiten der Verhinderung bis hin zur Präsenz in Staaten mit niedrigem Menschenrechtsstandard.163 159  So unterscheiden Clapham und Jerbi „direct“, „indirect / beneficial“ und „silent complicity“: Clapham / Jerbi, Categories of Corporate Complicity in Human Rights Abuses, Hastings International and Comparative Law Review 24 (2001), S. 339 ff.; Tófalo verwendet die Kategorien „direct“, „indirect“ und „incidental complicity“, wobei letztere wiederrum in den Formen „silent complicity“ und „(non-)beneficiary incidental complicity“ auftreten könne: Tófalo, Overt and Hidden Accomplices: Transnational Corporations’ Range of Complicity for Human Rights Violations, S. 335, S. 339 ff., und der UN-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, unterscheidet „direct, beneficial and silent complicity“, UN Doc A / 56 /  36(2001). 160  Joseph weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Ursächlichkeit einer wirtschafltichen Präsenz für die Aufrechterhaltung eines Regimes nicht leicht nachzuweisen ist, die Abschreckung ausländischer Investitionen zum Nachteil der verarmten Bevölkerung sein kann und dass die Entscheidung, welches Regime so menschenrechtsverletzend ist, dass wirtschaftliche Betätigungen abzubrechen sind, nicht dem einzelnen Unternehmen aufgebürdet werden sollte, Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, Oxford 2004, S. 52. Auch die bisherige US-amerikanische Rechtsprechung habe solche Formen der „Beteiligung“ nicht anerkannt, Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, Oxford 2004, S. 50. Zu dieser Rechtsprechung ausführlicher unten C.III.1.b)aa). 161  Vgl. Hennings, Über das Verhältnis von multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten; Eine Bestandsaufnahme aus juristischer Perspektive, Göttingen 2009, S. 78, Fußnote 69. 162  Vgl. Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, S. 44 m. w. N. 163  So Frey, die ergänzt, dass in der letzten Kategorie die Unternehmensverantwortungselbst in Fällen extremer Menschenrechtsverletzungen schwer zu etablieren



B. Multinationale Unternehmen als regulatorische Herausforderung57

Eine Einschränkung der Zurechenbarkeit wurde unter Rückgriff auf die sogenannte „sphere of influence“ eines Unternehmens diskutiert, deren Definition aber bislang nicht abschließend gelang.164 Auch Kinley und Tadaki stellen auf die Einwirkungsmöglichkeit des Unternehmens ab, wenn sie „self-reflexive duties“, die das Unternehmen selbst betreffen und „thirdparty duties“ unterscheiden, die zwar an andere gerichtet sind, dem Unternehmen aber dennoch Pflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzung auferlegen können – sofern eine enge Verbindung zu den potenziellen Opfern oder Schädigern besteht und ein Einfluss auf den Grad der menschenrechtlichen Gewährleistung gegeben ist.165 de Schutter, seit 2008 UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, hinterfragte die Bemühungen, den Einflussbereich von Unternehmen zu definieren und sprach sich stattdessen für prozedurale Anforderungen aus, die sicherstellen, dass Unternehmen bei der Planung und Ausführung ihrer Aktivitäten einschließlich der Wahl von Geschäftspartnern ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen berücksichtigen.166 Die 2011 überarbeiteten Leitsätze führen mit dem Erfordernis einer generellen Sorgfaltspflicht solch prozedurale Anforderungen ein und legen mit dem Konzept der „negativen Auswirkungen“ den Schwerpunkt auf die Risikovermeidung.167 Sie unterscheiden dabei grundlegend in Verhaltensanforderungen, die aus dem eigenen Verhalten des Unternehmens einschließlich seiner „Beiträge“ resultieren168 und somit gewissermaßen Täterschaft und Teilnahme abbilden, und Verhaltensanforderungen, die aufgrund einer unmittelsei, weshalb die Frage einer Investition unter solchen Bedingungen nach den geltenden Standards eine rein geschäftliche Entscheidung sei, Frey, The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of International Human Rights, Minnesota Journal of Global Trade 6 (1997), S. 153, S. 181 ff. und 187. 164  Vgl. OHCHR, The Global Compact and Human Rights: Understanding Sphere of Influence and Complicity, http: /  / www.unglobalcompact.com / issues / human_ rights / index.html, S. 18 und Bericht des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte „Clarifying the Concepts of ‚Sphere of Influence‘ and ‚Complicity‘ “, A / HRC / 8 / 16 vom 15.  Mai  2008. 165  Vgl. Kinley / Tadaki, ‚From Talk to Walk‘: The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at International Law, Virginia Journal on International Law 44 (2004), S. 939, S. 963 ff. 166  de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 9. 167  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 10. Zu dem Konzept „negativer Auswirkungen“ siehe auch unten Teil 2, B.III.2.a). 168  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 11. Siehe auch unten Teil 2, B.III.3.a) und b).

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

baren Verbindung zwischen negativen Effekten und der Geschäftstätigkeit, den Produkten oder den Dienstleistungen eines Unternehmens bestehen.169 Beide Kategorien von Verhaltensanforderungen dürften auch im Verhältnis des Unternehmens zum Staat gelten. Eindeutig ist dies im Hinblick auf die Verhaltensanforderungen, die sich aufgrund von Geschäftsbeziehungen ergeben.170 Denn diese werden in den Erläuterungen definiert als „Beziehungen zu Geschäftspartnern (…) und anderen nichtstaatlichen und staat­ lichen Rechtsträgern“171. Der mögliche „Beitrag“ zu negativen Auswirkungen wird hingegen in der deutschen Übersetzung der Leitsätze definiert als Aktivität in Bezug auf einen anderen „Unternehmensteil“172. Dies überrascht und lässt unerwartete Zweifel an der Anwendbarkeit der Verhaltensmaßstäbe auf die unternehmerischen Beziehungen mit staatlichen Akteuren aufkommen. Die englische Originalfassung spricht aber neutral von „entity“ und spaltet diesen Begriff anschließend in „non-state“ und „State entity“ auf.173 Hieraus ist erkennbar, dass der Beitrag zu staatlich veranlassten Menschenrechtsverletzungen nicht aus dem Anwendungsbereich der Leitsätze herausgenommen werden sollte. Dieses Ergebnis wird durch die Praxis der Na­ tionalen Kontaktstellen bestätigt, die sich beispielsweise sowohl mit den Vorgängen um die BTC-Pipeline befasst haben174, als auch mit der möglichen menschenrechtlichen Verantwortung eines Unternehmens aufgrund der militärischen Beräumung eines Gebietes für die spätere Errichtung einer Kaffee-Plantage175. Lediglich die in Literatur und Rechtsprechung umstrittene Form der Beteiligung, die ausschließlich auf der Präsenz des Unternehmens im Gaststaat beruht, scheint vom Anwendungsbereich der Leitsätze ausgeklammert zu sein. Denn in Ziffer 12 wird eine unmittelbare Verbindung zu den Produkten oder Dienstleistungen des Unternehmens „aufgrund einer Geschäftsbeziehung“ gefordert176. Das Kriterium der Einwirkungsmöglichkeit wird nach den Leitsätzen herangezogen, um die Notwendigkeit von Schritten zur Risikominimierung zu 169  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 12. Siehe auch unten Teil 2, B.III.3.c). 170  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 12. 171  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 14, Satz 7. 172  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 14, Satz 6. 173  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 14, Sätze 6 und 7. 174  Siehe unten Teil 2, C.II.3.a)ff). 175  Siehe den Fall Neumann Kaffee Gruppe bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle unten Teil 2, C.II.3.a)dd). 176  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 12.



B. Multinationale Unternehmen als regulatorische Herausforderung59

bestimmen. Die Einwirkungsmöglichkeit wird dabei definiert als „Fähigkeit, in den unrechtmäßigen Aktivitäten des Schadensverursachers einen Wandel herbeizuführen“177. Ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen ist dabei nach den Leitsätzen die ultima ratio.178 Bei der Entscheidung über einen solchen Abbruch sind auch dessen mögliche negative Konsequenzen einzubeziehen.179 Die Leitsätze geben damit praxisrelevante Orientierung für die schwierige Frage der möglichen Abgrenzung von Verhaltensanforderungen, die im Falle menschenrechtlich problematischen Verhaltens des Gaststaates an die Unternehmen zu richten sein könnten.

III. Zusammenfassung und Bewertung Multinationale Unternehmen sind ein wichtiger Faktor in der heutigen Ausgestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen, entziehen sich aber zugleich aufgrund der großen Vielfalt wirtschaftlicher Kooperationen einer abschließenden Definition. Ihre rechtliche Regulierung begegnet daher einigen fundamentalen Hürden, weshalb zunehmend auf Unternehmen als solche abgestellt wird. Die Auswirkungen, die unternehmerische Aktivitäten auf Menschenrechte haben können, gehen weit über die Betroffenheit der eigenen Arbeitnehmerschaft hinaus und sind eng mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten in den Gastländern verwoben. Unternehmen können dabei nicht nur selbst Menschenrechte beeinträchtigen, sondern auch die Menschenrechtsbeeinträchtigungen anderer Unternehmen oder der Staaten, in denen sie wirtschaftlich aktiv sind, dulden, von diesen profitieren oder diese fördern. Allerdings bereitete bis vor Kurzem Probleme, dass „keine international anerkannten Kriterien für die Zurechnung von Menschenrechtsverletzungen zum Unter­ nehmen“180 bestanden. Die Leitsätze in der Fassung von 2011 enthalten nun Verhaltensmaßstäbe, die den unterschiedlichen Grad möglicher Verstrickungen in Menschenrechtsbeeinträchtigungen abbilden. Sie umfassen nicht nur die Beziehungen zu den eigenen Arbeitnehmern, sondern betreffen viele Aspekte der Interaktion mit der lokalen Bevölkerung. Von den Unternehmen wird dabei mehr 177  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den meinen Grundsätzen, Ziffer 19, Satz 2. 178  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den meinen Grundsätzen, Ziffer 22, Satz 1. 179  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den meinen Grundsätzen, Ziffer 22, Satz 2. 180  Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, lin 2010, S. 44, Fußnote 9.

allgeallgeallgeBer-

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

erwartet als das Unterlassen von Beeinträchtigungen. Auch präventive Maßnahmen und das Einwirken auf andere Akteure können geboten sein. Viele der Fragen, die eine Bindung von Unternehmen an Menschenrechte aus praktischer Sicht aufwirft, finden damit Antwortvorschläge. Die Kategorisierung einzelner Beteiligungsformen verliert angesichts eines umfassend präventiven Ansatzes ein Stück weit an Bedeutung. Die Leitsätze decken angesichts ihres territorial unbeschränkten Anwendungsbereiches und der überwiegenden Beheimatung multinationaler Unternehmen in den Teilnehmerstaaten wesentliche Konstellationen ab. Zwar nimmt die wirtschaftliche Bedeutung multinationaler Unternehmen aus Nicht-OECD- und Nichtteilnehmer-Staaten zu.181 Im Interesse der betroffenen Individuen sowie aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit bemüht sich die OECD im Rahmen des sogenannten „Outreaches“ aber aktiv darum, weitere Teilnehmerstaaten für die Leitsätze zu gewinnen.182 Insgesamt kann daher festgehalten werden, dass die Leitsätze weitgehend an die aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst sind, zu den maßgeblichen Problemstellungen einer menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen Antworten bieten und von ihrem Anwendungsbereich her große praktische Relevanz besitzen.183 Eine weitere Einschätzung der Rolle der Leitsätze bei der Regulierung multinationaler Unternehmen ergibt sich allerdings erst aus einem Vergleich mit anderen Regulierungs-, Kontroll- und Steuerungsansätzen.

C. Lösungsansätze zur Regulierung des Verhaltens multinationaler Unternehmen – Eine Bestandsaufnahme Im vorangegangenen Kapitel wurde die Vielfalt der Fragen deutlich, die bei einer menschenrechtlichen Regulierung multinationaler Unternehmen aufgeworfen werden. Festgestellt wurde bereits, dass die Leitsätze hier zu181  Von den so genannten BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China – teilweise zur Einbeziehung Indonesiens auch BRIIC genannt – gehört Brasilien schon seit dem Jahr 2000 zu den Teilnehmerstaaten der Leitsätze. 182  Russland ist auf dem Weg zur OECD-Mitgliedschaft, bzgl. Indien finden sog. „Outreach“-Aktivitäten statt, http: /  / www.keepeek.com / Digital-Asset-Management /  oecd / governance / annual-report-on-the-oecd-guidelines-for-multinational-enterpri ses-2012_mne-2012-en, S. 8 und S. 35 f. China und beispielsweise auch Indonesien gehören zu den so genannten „Schlüsselpartnern“ der OECD: www.oecd.org / about /  membersandpartners / . 183  Auch Utz kommt zu einer überwiegend positiven Einschätzung der Relevanz und Aktualität der Leitsätze: Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 11.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme61

mindest in Teilen Antworten bieten. Um die Rolle, die den Leitsätzen bei der Regulierung des Verhaltens multinationaler Unternehmen zukommt, besser einschätzen zu können, bedarf es jedoch eines Vergleiches mit anderen Instrumenten und Lösungsansätzen in diesem Kontext. Diese Lösungsansätze knüpfen einerseits bei den Unternehmen selbst an, andererseits bei deren Heimatstaaten. Ausgangspunkt ist jeweils, dass die Gaststaaten nicht immer hinreichenden Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen gewährleisten.184 Grundsätzlich können recht­ liche von außerrechtlichen Ansätzen unterschieden werden. Rechtliche Ansätze werfen dabei „vielfältige und kontroverse Völkerrechtsfragen“185 auf. Es soll daher zunächst einigen konzeptionellen Grundfragen nachgegangen werden. Dabei ist zu klären, welche Ansätze in die Bestandsaufnahme einbezogen werden sollen (nachfolgend I.1.). Anschließend wird der völkerrechtliche Rahmen dahingehend untersucht, welcher Handlungsspielraum Gast- und Heimatstaaten zur Verfügung steht (nachfolgend I.2.). Schließlich stellt sich die Frage, ob einer völkerrechtlichen Bindung von Unternehmen rechtstheoretische Hindernisse entgegenstehen. Dies betrifft das Thema der möglichen Völkerrechtssubjektivität von Unternehmen (nachfolgend I.3.). Nach Klärung dieser Grundfragen wird der Entwicklungsstand der völkerrechtlichen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte untersucht (nachfolgend II.), die Rolle der Judikative, Legislative und Exekutive der Heimatstaaten beleuchtet (nachfolgend III.) und die unter den Begriff der corporate social responsibility (CSR) fallenden Bemühungen vergleichend dargestellt (nachfolgend IV.).

I. Konzeptionelle Grundfragen der Regulierung multinationaler Unternehmen 1. Rechtlich verbindliche versus rechtlich unverbindliche Formen der Verhaltenssteuerung Die juristische Literatur zur Verantwortung multinationaler Unternehmen für Menschenrechte konzentriert sich meist auf die Frage, inwiefern diese Unternehmen rechtlich an Menschenrechte gebunden sind und für etwaige Verletzungen dieser Standards gerichtlich haftbar gemacht werden können.186 184  Siehe oben, B.I.1. Zur Frage einer menschenrechtlichen Schutzpflicht der Gaststaaten siehe nachfolgend C.I.2.a). 185  Siehe Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 3.  Auflage, Berlin 1984, §  448 ff. 186  Siehe die Nachweise in Fußnote 2, aber auch Joseph, An Overview of the Human Rights Accountability of Multinational Enterprises, S. 75; Jägers, Corporate

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

In der politischen Diskussion zu diesem Thema bestand lange Zeit ein fundamentaler Streit darüber, ob ein rechtsverbindlicher oder ein freiwilliger Ansatz vorzuziehen ist.187 Dieser Streit scheint sich deutlich abgeschwächt zu haben, was unter anderem auf die vielfältigen Entwicklungen im Bereich der sogenannten corporate social responsibility188 zurückzuführen ist.189 Die Bedeutung von Instrumenten auf Basis der Freiwilligkeit wird zunehmend auch in der juristischen Literatur reflektiert.190 Solche Blicke in die „Grenzbereiche des Normativen“ aus Sicht der Rechtswissenschaft sind laut Knauff erforderlich, wolle sich diese nicht „aus dem regelungsbezogenen interdisziplinären Diskurs zurückziehen“.191 Die „Rechtsverbindlichkeit als zentrales Abgrenzungskriterium für die Bestimmung des juristischen Interesses an einer Fragestellung“ erweise sich, so Knauff, als „nicht mehr uneingeschränkt geeignet“, da „das Bestehen eines Bereichs mit zumindest undeutlicher rechtlicher Qualifikation infolge neuer Formen der Regelsetzung kaum mehr in Abrede gestellt werden“ könne.192 Dies muss umso mehr für den Bereich der Regelsetzung für Unternehmen gelten, da gerade hier außerrechtliche Instrumentarien in besonderer Vielfalt zum Einsatz kommen.193 Bei der folgenden Bestandsaufnahme sind daher rechtliche ebenso wie außerrechtliche Ansätze mit in den Blick zu nehmen. Die Positionierung der Leitsätze im Verhältnis zu diesen Ansätzen soll dabei verdeutlicht werden. Human Rights Obligations: In Search for Accountability, Antwerpen / New York / Oxford 2002; Kamminga, Holding Multinational Corporations Accountable for Human Rights Abuses, S. 553. 187  Zerk nennt dies den „mandatory-voluntary-divide“, siehe Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 23. 188  Siehe unten C.IV. 189  So auch Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 23. 190  Siehe auch die Nachweise in Fußnote 3. 191  Siehe Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen 2010, S. 19. 192  Siehe Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen 2010, S. 18. 193  Vgl. den Überblick über die Entwicklungen im Bereich der corporate social responsibility, unten C.IV. Für einen Überblick über historische Entwicklung der Verhaltenssteuerung durch nicht zu den klassischen Völkerrechtsquellen im engeren Sinne (…) zählende Steuerungsinstrumentarien: Tietje, Recht ohne Rechtsquellen? Entstehung und Wandel von Völkerrechtsnormen im Interesse des Schutzes globaler Rechtsgüter im Spannungsverhältnis von Rechtssicherheit und Rechtsdynamik, Zeitschrift für Rechtssoziologie 24 (2003), S. 27, S. 31 ff.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme63

Im Anschluss daran kann, dem gewählten Schwerpunkt dieser Arbeit entsprechend, die tatsächliche Wirkungsweise der Leitsätze überprüft werden. Als Ausgangspunkt dient dabei folgende Feststellung von Addo: „It is important not to overemphazise the importance of the law in this regard because, after all, the law is only one of many imperatives that help determine the acceptability of corporate behaviour“194. Dieser Feststellung liegt die These zugrunde, dass auch außerrechtliche Formen der Verhaltenssteuerung bedeutende Wirkung entfalten können. Dies wird, gerade im Hinblick auf Beispiele zur Steuerung unternehmerischen Verhaltens, in der Literatur verschiedentlich bejaht. So werden mögliche Imageverluste und damit einhergehende Umsatzeinbußen als soziale oder wirtschaftliche „Sanktionen“ bezeichnet, denen unter gewissen Voraussetzungen eine größere Effizienz zukommen könne als rechtlichen Sanktionsmechanismen.195 Aber auch reputationsunabhängige Anreize zur Befolgung außerrechtlicher Standards werden identifiziert.196 Die UN Commission on Transnational Corporations (UNCTC) formulierte hierzu: „The effectiveness of an international instrument does not necessarily depend on its legal form. The pertinent question is: does the instrument effectively influence the decision makers – governemental or corporate – in applying the prescribed standards? The answer to this question will depend not so much on the legal characterization of the instrument as on the extent to which its provisions are acceptable to Member States, transnational corporations, trade unions and other relevant groups“197. Damit kann auch außerrechtlichen Instrumenten ein „regulatory potential“ zukommen, das heißt „the potential to change corporate choices and behaviour in line with a particular objective“198. 194  Addo,

Human Rights and Transnational Corporations, S. 22. Simma / Heinemann, in: Korff, Wilhelm u. a. (Hrsg.), Handbuch der Wirtschaftsethik, Band 2, Gütersloh 1999, S. 416. 196  Vgl. zum Beispiel Bretschger, der unter anderem zwischen „reputationsabhängigen“ und „reputationsunabhängigen Anreizen“, menschenrechtliche Standards einzuhalten, unterscheidet: Bretschger, Unternehmen und Menschenrechte; Elemente und Potenzial eines informellen Menschenrechtsschutzes, Zürich u. a. 2010, S. 120 ff. 197  UNCTC, Transnational Corporations, Services and the Uruguay Round, UN Doc. ST / CTC / 103, New York, UN 1990, S. 186. 198  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 42. Auch konstatiert Zerk: „In reality, the law, as important as it is, is only one of a range of factors that influence corporate behaviour. In many cases – especially where the legal standards are flexible or unclear or are unlikely to be inforced – other factors, such as corporate culture or pressure from consumer groups, will be just as important, if not more so“, Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 35. 195  Vgl.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Diese Regulierungsfunktion wird auch betont, wenn die Charakteristika von soft law-Instrumenten beschrieben werden.199 Die Begriffsverwendung deutet dabei bereits darauf hin, dass es sich hier um Instrumente handelt, die auch aus Sicht der Rechtswissenschaft von Relevanz sind. Ob und inwiefern den Leitsätzen ein solches „regulatory potential“ zukommt, wird Gegenstand der Untersuchung in Teil 2 sein. Das vermeintliche Verschwimmen der Grenze zwischen rechtlichen und außerrechtlichen Regelungsformen, wie es hier angedeutet wurde, erfordert zudem eine Aus­ einandersetzung mit der völkerrechtlichen Einordnung der Leitsätze und dem Bedeutungsgehalt des Begriffes soft law.200 An dieser Stelle sei zunächst festgestellt, dass auch außerrechtliche Instrumentarien aus rechtswissenschaftlicher Sicht beachtenswert sind, weshalb die folgende Bestandsaufnahme sowohl rechtliche als auch außerrechtliche Ansätze abdeckt. Die Bedeutung der Leitsätze soll dabei im Verhältnis zu beiden Bereichen beleuchtet werden. Zunächst aber sind die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen einer Kontrolle unternehmerischen Verhaltens deutlich zu machen. 2. Völkerrechtlicher Handlungsrahmen von Gast- und Heimatstaaten Bei der Thematisierung der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen ist zu berücksichtigen, dass der Schutz der Menschenrechte in erster Linie den Staaten obliegt.201 Der Beitrag, den die Unternehmen hier leisten können oder müssen, darf diese staatliche Pflicht daher ergänzen, nicht aber ersetzen.202 Beim Blick auf die Rolle der Staaten sind zwei unterschiedliche Ausgangssituationen zu unterscheiden: Die Aufgaben der sogenannten Gaststaa199  So stellt beispielsweise Nowrot fest, dass soft law „als Mechanismus der Verhaltenssteuerung in erheblichem Umfang normative Relevanz“ zukomme, Nowrot in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Berlin 2009, § 2, Rz. 80. Vgl. auch DiFabio, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft; Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, Juristenzeitung 52 (1997), S. 969. 200  Siehe unten Teil 3, A.I. und II. 201  So auch betont von den Leitsätzen: OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Satz 1. 202  Vgl. auch die warnenden Hinweise von de Schutter, der sich im Übrigen für einen völkerrechtlichen Vertrag über staatliche Verpflichtungen zur Kontrolle von der eigenen Jurisdiktion unterliegenden transnationalen Unternehmen ausspricht, de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 36 ff.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme65

ten, das heißt derjenigen Staaten, in denen ein multinationales Unternehmen wirtschaftlich tätig ist und die Aufgaben der Heimatstaaten, das heißt derjenigen Staaten, in denen das Unternehmen beziehungsweise seine Muttergesellschaft seinen Sitz hat.203 Aus der Perspektive des Heimatstaates erfolgt die menschenrechtliche Beeinträchtigung dabei extraterritorial. Im Folgenden wird kurz aufgezeigt, welche Maßgaben das Völkerrecht zur Rolle der Gast- und der Heimatstaaten bereithält. a) Menschenrechtliche Schutzpflichten des Gaststaates Gaststaaten sind, gemessen an der klassisch hierarchischen Struktur multinationaler Unternehmen, „diejenigen Länder, in denen sich aufgrund der unternehmerischen, an ökonomischen Interessen ausgerichteten Entscheidung des Mutterunternehmens ein Tochterunternehmen ansiedelt“204, oder anders gesagt, die Empfängerländer der Auslandsinvestitionen multinationaler Unternehmen205. Der Menschenrechtsstandard, der für einen Staat Gültigkeit besitzt, ergibt sich aus den von diesem Staat ratifizierten menschenrechtlichen Verträgen sowie aus dem Umfang der völkergewohnheitsrechtlich geltenden Menschenrechte. All diese Rechte betreffen aber zunächst den Umgang des Staates selbst mit seinen Bürgern. Hiervon denklogisch zu trennen ist die Frage, ob der Staat die Menschenrechte auch vor Beeinträchtigungen durch Private – das heißt durch natürliche oder juristische Personen – zu schützen hat.206 203  Im Englischen wird hier typischerweise von home states und host states gesprochen, was ein prägnantes Begriffspaar ergibt. Da das − korrekt übersetzte − Wort „Gastgeber-Staat“ als zu sperrig empfunden wird, weichen die meisten deutschen Autoren in der Übersetzung auf das Begriffspaar Heimatstaat – Gaststaat aus. Andere Begriffsverwendungen sind beispielsweise Herkunftsstaat – Aufenthaltsstaat oder Herkunftsstaat – Empfangsstaat. Der Begriff „Aufenthaltsstaat“ ist dabei auch aus dem Ausländerrecht bekannt, „Empfangsstaat“ wird dagegen häufig auch in Zusammenhang mit Auslandsinvestitionen verwendet. Im hiesigen Kontext beziehen sich alle diese Begriffsbezeichnungen auf unternehmerische Aktivitäten, die in einem anderen Staat als dem der Niederlassung erfolgen und dort in Zusammenhang mit der Beeinträchtigung von Menschenrechten stehen. Aus Gründen der Praktikabilität und da die Assoziation zu dem Begriffspaar home state / host state durchaus gewollt ist, verwendet diese Arbeit die Begriffe Heimatstaat und Gaststaat. 204  Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883, S. 898. 205  Sie werden daher auch als „Empfangsstaaten“ bezeichnet. Zur Terminologie des „Gaststaates“ siehe auch Fußnote 203. Zum Verhältnis der Gaststaaten zu den multinationalen Unternehmen siehe oben Abschnitt A.I. 206  Zu der im deutschen Verfassungsrecht entwickelten Lehre von der Drittwirkung der Grundrechte und deren Übertragung in das Völkerrecht siehe unten Abschnitt C.II.2.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Dies setzt voraus, dass die Menschenrechte nicht nur als Abwehrrechte gegen den Staat verstanden werden, sondern auch „positive Verpflichtungswirkungen“ entfalten.207 Diese Wirkungen werden auch mit dem Schlagwort der „staat­lichen Schutzpflicht“ („duty to protect“) bezeichnet.208 Diese Pflicht bezieht sich in ihrem Ursprung ausschließlich auf Vorgänge auf dem eigenen Territorium209 und ist als solche unumstritten: „Allgemein ist die Pflicht des Staates, Individuen auf dem eigenen Territorium vor menschenrechtswidrigen Praktiken von Unternehmen zu bewahren, als Konkretisierung menschenrechtlicher Schutzpflichten anerkannt“210. Orientierung zum Umfang dieser Schutzpflicht geben seit 2011 auch die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte in ihrem ersten Kapitel.211 Konstatiert wird allerdings eine teilweise unzureichende Ausübung dieser Schutzfunktion angesichts der wirtschaftlichen Machtverhältnisse zwischen multinationalen Unternehmen und Staaten.212 Dies führt zu der Frage, welche anderweitigen Schutzmechanismen zur Verfügung stehen beziehungsweise gestellt werden könnten. Der Blick rich207  Dies ist Inhalt der Lehre von der positiven Verpflichtungswirkung der Menschenrechte. 208  Nicht zu verwechseln ist diese „duty to protect“ mit der sogenannten „responsibility to protect“. Unter diesem Begriff wird diskutiert, ob die internationale Staatengemeinschaft in Fällen von jus cogens Verletzungen durch einen anderen Staat eine Pflicht zum Einschreiten meist in Form militärischer Intervention zum Schutz der jeweiligen Bevölkerung hat, also eine Ausnahme vom allgemeinen Gewaltverbot des Art. 4 (2) der UN-Charta besteht. Eine solche, nur der internationalen Staatengemeinschaft als Ganzer obliegende „responsibility to protect“, ist aber nicht unzweifelhaft etabliert, vgl. Rensmann, Die Humanisierung des Völkerrechts durch das ius in bello – Von der Martens’schen Klausel zur „Responsibility to Protect“, ZaöRV 68 (2008), S. 111. 209  Vorkommnisse in anderen Staaten lösen die Frage nach der extraterritorialen Geltung dieser staatlichen Schutzpflicht aus, siehe unten C.I.2.a)bb). 210  von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 15; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzungen durch Private, Berlin 1999. Ausführlich zu Herleitung und Umfang dieser Schutzpflichten: Koenen, Wirtschaft und Menschenrechte, Staatliche Schutzpflichten auf der Basis regionaler und internationaler Menschenrechtsverträge, Berlin 2012. 211  Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations „Protect, Respect, Remedy“ Framework, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie, A / HRC / 17 / 31 vom 21. März 2011, S.  6 ff. 212  Die schwierige Situation der Gaststaaten wird näher beleuchtet bei Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66 (2006), S. 625, S. 628 f.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme67

tet sich dabei auch auf die Heimatstaaten multinationaler Unternehmen, da diese zumeist entwickelte Industrienationen mit einem gut ausgebildeten Rechtssystem und funktionierendem Institutionengefüge sind. b) Extraterritoriale Befugnisse oder Pflichten des Heimatstaates Heimatstaaten sind diejenigen Staaten, deren „Staatszugehörigkeit das Mutterunternehmen bzw. die herrschende Unternehmenseinheit hat“213. Praxis und Schrifttum befassen sich zunehmend mit den Befugnissen beziehungsweise Pflichten der Heimatstaaten, einen Beitrag zur Verhinderung oder Ahndung von extraterritorialen Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen zu leisten.214 Eine solche Pflicht wird unter der Bezeichnung der heimatstaatlichen extraterritorialen Schutzpflicht oder der „extraterritorialen Staatenpflichten“ diskutiert.215 Dieser Ansatz bietet aber definitorische, rechtliche und politische Probleme.216 Des Weiteren stehen den nationalen Gesetzgebern nicht alle Regelungsbereiche uneingeschränkt zur Disposition, da sie durch europäisches Gemeinschaftsrecht oder Völkervertragsrecht, zum Beispiel WTO-Recht, gebunden sein können. Allerdings ist als Grundsatz festzuhalten, dass die Staaten sich in Art. 56 UN-Charta verpflichtet haben, gegenseitig zusammenzuarbeiten, um das in Art. 55 lit. c) UN-Charta definierte Ziel der Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte zu erreichen.217 Dies ist zwar eine sehr vage Formulierung, deren Reichweite im Einzelfall fraglich ist. Der Grundsatz schließt aber aus, dass sich Heimatstaaten der Beschäftigung mit dem Thema gänzlich verweigern, was angesichts der anhaltenden Präsenz dieser Fragen auf der internationalen Agenda allerdings auch nicht zu befürchten steht. Bevor nun rechtsdogmatisch eine Pflicht zum Schutz von Individuen, die nicht der eigenen Territorialhoheit unterfallen, vor Verletzungen durch Private untersucht wird (bb), ist zunächst zu klären, ob eine solche Einmi213  Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883, S. 890, m. w. N. 214  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 57. 215  Siehe zum Beispiel von Bernstorff, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility, AVR 49 (2011), S. 34. Nicht zu verwechseln sind die „staatliche Schutzpflicht“ und die „extraterritoriale Schutzpflicht“ mit der sogenannten „responsibility to protect“, hierzu siehe oben Fußnote 208. 216  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 57. 217  Art.  56 i. V. m. Art.  55  lit.  c) UN-Charta, http: /  / www.un.org / Depts / german / un_ charta / charta.pdf.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

schung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates überhaupt zulässig wäre (aa). aa) Zum völkerrechtlichen Grundsatz der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten Eine Regulierung unternehmerischen Verhaltens durch Heimatstaaten mit dem Ziel, menschenrechtliche Auswirkungen in anderen Staaten zu verhindern, greift in deren Territorialhoheit ein. Im Rahmen dieser Hoheit steht den Staaten ein weiter Spielraum zu, die inneren Angelegenheiten zu gestalten. Die Territorialhoheit geht einher mit dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten. Diese Grundprinzipien sind das Fundament der heutigen internationalen Ordnung. Ihre Bedeutung erklärt sich historisch vor dem Hintergrund der Kolonialisierung, als „entdeckte“ Regionen von den sogenannten zivilisierten Nationen als unbewohnt angesehen wurden und das Völkerrecht noch als „law of the civilized nations“ verstanden wurde. Demgegenüber stellte die Entkolonialisierung und die Festlegung gleicher staatlicher Souveränität für alle Staaten eine Errungenschaft von grundlegender Bedeutung dar. Geschützt wird die staatliche Souveränität durch das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates (Interventions­ verbot).218 Aus dem Einmischungsverbot folgt, dass ein Staat sich nicht beliebiger Sachverhalte in anderen Staaten annehmen darf. Anders ist die Ausgangslage allerdings dann, wenn der Sachverhalt einen innerstaatlichen Anknüpfungspunkt219 zu dem Staat, der hoheitlich tätig werden möchte, begründet. So ist völkerrechtlich anerkannt, dass ein Heimatstaat im Hinblick auf das Verhalten eigener Staatsangehöriger extraterritoriale Zuständigkeit ausüben kann.220 Eine Übertragung dieses Grundsatzes auf multinationale Unternehmen ist angesichts der Komplexität dieser Sachverhalte aber nicht ohne weiteres möglich.221 Denkbar wäre es, einen hinreichenden innerstaatlichen Anknüpfungspunkt bei Niederlassung der 218  Siehe einführend Herdegen, Völkerrecht, 11.  Auflage, München 2012, § 35 Rz. 1 ff. 219  Auch genuine link genannt: Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883, Fußnote 37 m. w. N. 220  Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66 (2006), S. 625, S. 629. 221  Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66 (2006), S. 625, S. 629.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme69

Muttergesellschaft eines multinationalen Unternehmens im Inland anzunehmen.222 Auf das Erfordernis einer „recognized jurisdictional basis“ weisen auch die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte hin.223 Fraglich ist, ob sich diese Zuständigkeit nur auf das Verhalten der Muttergesellschaft selbst beschränkt224 oder ob es zu einer Art „Regelungsdurch­ griff“225 für das Verhalten einer Tochtergesellschaft kommen darf. Parallel dazu besteht die Frage nach einem „Haftungsdurchgriff“226, die verbunden ist mit der Frage nach der Klagemöglichkeit gegen die Muttergesellschaft in deren Heimatstaat. Zu bedenken ist bei diesen Durchgriffen, dass zwischen den einzelnen unternehmerischen Bestandteilen eines multinationalen Unternehmens eine juristische Trennung besteht, auch corporate veil genannt.227 Da jede unternehmerische Einheit dem nationalen Recht des jeweiligen Niederlassungsstaates unterfällt, scheint die Befassung des Heimatstaates mit dem Verhalten einer ausländischen Tochtergesellschaft − auch im Falle einer nur indirekten Regulierung über das heimische Mutterunternehmen − als Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieses Staates. 222  Zur Anerkennung der Anknüpfung an die Gebietshoheit als genuine link und zur alternativen Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit der Kapitaleigner oder des Leitungspersonals siehe Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883, S. 893, m. w. N. Siehe auch Brownlie, Principles of Public International Law, 7. Auflage, Oxford 2008, S. 310 f.: „In the case of corporations with complex structures and foreign-based subsidiaries, a principle of substantial or effective connection could be applied as a basis for jurisdiction.“. Zu den Anforderungen an einen innerstaatlichen Berührungspunkt durch die USGerichtsbarkeit siehe unten C.III.1.b)aa)(2)(b). 223  UN Guiding Principles on Business and Human Rights, Chapter I, Founda­ tional Principle 2., Commentary, par. 1. 224  Bei Anknüpfung an deren Verhalten ist einhergehende Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten gerechtfertigt, da ein hinreichender innerstaatlicher Anknüpfungspunkt besteht. Darüber hinaus wird teilweise eine moralische Verpflichtung der Heimatstaaten im Hinblick auf das extraterritoriale Verhalten der Muttergesellschaften gesehen, da deren Einkommen im Heimatstaat besteuert und Teil des Bruttosozialproduktes des Heimatstaates würden: Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, Oxford 2004, S. 148 m. w. N. 225  Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883, S. 893. 226  Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883, S. 894. 227  Hierzu ausführlicher unten C.III.1.b)aa)(2)(b). Siehe auch Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66 (2006), S. 625, S. 630.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Allerdings haben die Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte und des Völkerstrafrechts deutliche Einschnitte in die vom Interventionsverbot geschützte sogenannte domaine réservé bewirkt.228 Die fundamentalen, dem sogenannten jus cogens229 zuzuordnenden Menschenrechtsnormen – wie zum Beispiel die Verbote des Völkermordes oder der Verbrechen gegen die Menschlichkeit – sind hiervon ausgenommen.230 Zumindest im Hinblick auf diese Tatbestände ist also eine Durchgriffsregelung oder -haftung völkerrechtlich zulässig, vielleicht sogar geboten.231 Für die Bejahung eines innerstaatlichen Anknüpfungspunktes könnte allerdings, neben einer heimischen Niederlassung, ein gewisses Maß an Mitverantwortung des inländischen Unternehmensteils für das kritisierte Verhalten erforderlich sein. Liegt diese z. B. aufgrund einer internen Anweisung der inländischen Muttergesellschaft vor und geht es daher primär um die Regulierung des Verhaltens der Muttergesellschaft, dürften extraterritoriale Auswirkungen auch bei Rechtsverletzungen außerhalb der jus cogens Normen im Einklang mit dem Interventionsverbot stehen.232 Es kann daher an dieser Stelle festgehalten werden, dass Maßnahmen des Heimatstaates, die auf die Einhaltung menschenrechtlicher Standards zielen und an das Verhalten eines Unternehmens mit Sitz im eigenen Hoheitsbereich anknüpfen, durch das Interventionsverbot auch bei extraterritorialen Auswirkungen nicht untersagt sind. Denkbare Ansätze für Maßnahmen der Heimatstaaten, die an die in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Mutterunternehmen anknüpfen − wie die Eröffnung von Klagemöglichkeiten vor den eigenen Gerichten oder das Setzen legislativer oder administrativer Anreize  − werden in Abschnitt III. näher untersucht. Fraglich ist, ob über diese völkerrechtliche Handlungsbefugnis hinaus gar eine Handlungspflicht der Heimatstaaten besteht. 228  Tomuschat,

Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten, S. 5 ff. genannt „peremptory law“, vgl. Art. 53 Vienna Convention on the Law of Treaties vom 23. Mai 1969, in Kraft seit 27. Januar 1980, (1969) 8 ILM 679: a rule which is „accepted and recognized by the international legal community of States as a whole a norm from which no derogation is permitted and which can be modified only by a subsequent norm of general international norm having the same character“. 230  Gleichfalls befinden sich die Täter nicht hinter einem schützenden Schirm: Das Weltrechtsprinzip erlaubt es allen Staaten, diese Verbrechen zur Anklage zu bringen, ebenso wie sie unter das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes fallen. Siehe auch Fußnote 397. 231  Siehe nachfolgend zu einer etwaigen heimatstaatlichen extraterritorialen Schutzpflicht. C.I.2.b)bb). 232  Zu den von nationalen Gerichten aufgestellten Maßstäben für ihre extraterritoriale Zuständigkeit siehe unten C.III.1.b). 229  Auch



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme71

bb) Heimatstaatliche extraterritoriale Schutzpflicht? Eine Handlungspflicht der Heimatstaaten zum extraterritorialen Schutz der Menschenrechte setzt eine Erweiterung der staatlichen Schutzpflicht um eine extraterritoriale Dimension voraus. Die Grundkonstellation ist der der staat­ lichen Schutzpflicht vergleichbar: Der Staat soll Individuen vor menschenrechtlichen Beeinträchtigungen durch Private schützen. Allerdings sind hier die betroffenen Individuen nicht die eigenen Bürger, sondern die eines anderen Staates. Sowohl der menschenrechtliche Standard des Heimatstaates als auch die staatliche Schutzpflicht des Heimatstaates wirken dabei in den Hoheitsbereich eines anderen Staates hinein. Eine extraterritoriale Schutzpflicht kann daher nur in dem vom Interventionsverbot eröffneten Rahmen bestehen beziehungsweise modifiziert diesen. Fraglich ist zudem, welche spezifischen Handlungspflichten für den Heimatstaat aus einer solchen Verantwortung erwachsen können. Dabei ist zu bedenken, dass der Gaststaat dem Regelungsobjekt näher und für die Gewährleistung der Menschenrechte seiner Bürger primär verantwortlich ist. Eine heimatstaatliche Verantwortung könnte demgegenüber subsidiär sein und nur dann zur Anwendung kommen, wenn der Gaststaat seiner Verantwortung nicht hinreichend gerecht wird.233 Fraglich ist, ob sich eine solche heimatstaatliche extraterritoriale Schutzpflicht aus einer Kombination der staatlichen menschenrechtlichen Schutzpflicht und der Extraterritorialität der Menschenrechte herleiten lässt. Unter dem Stichwort der Extraterritorialität der Menschenrechte wird die Frage behandelt, inwiefern Staaten auch die Verletzung von Menschenrechten vorgeworfen werden kann, die Bürger eines dritten Staates erleiden. Hierbei geht es jedoch üblicherweise um staatliches Handeln beziehungsweise um Fälle möglicher Zurechenbarkeit extraterritorialen Verhaltens zum Heimatstaat.234 Das Verhalten multinationaler Unternehmen ist dem Heimatstaat aber üblicherweise nicht zurechenbar. Es geht auch weniger um die direkte extraterritoriale Anwendbarkeit des heimatstaatlichen Menschenrechtsstandards, als vielmehr um die Wahrung eines internationalen Menschenrechtsstandards durch die Unternehmen. 233  Dies könnte in der Situation eines „failed states“ gegeben sein oder in Fällen, in denen offenkundig kein Wille oder keine Fähigkeit zur Ahndung der Menschenrechtsverletzungen gegeben ist. 234  Um die Frage der Zurechnung und einer daraus folgenden Extraterritorialität der Europäischen Menschenrechtskonvention ging es beispielsweise in der vielzitierten Entscheidung Bankovic des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, siehe auch Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte: Der Begriff der Jurisdiktion nach Art. 1 EMRK, Baden-Baden 2008.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Ob die Heimatstaaten verpflichtet sind, hierfür im Rahmen ihrer Möglichkeiten Sorge zu tragen, ist daher mit Blick auf diesen internationalen Menschenrechtsstandard gesondert zu untersuchen. Die Frage nach der extraterritorialen Reichweite menschenrechtlicher Verpflichtungen der Heimatstaaten war ebenfalls Gegenstand des Mandates des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte. Ein erster Befund ergab, dass die extraterritoriale Ausdehnung staatlicher Schutzpflichten eine „offene Frage“ sei, die „weiterer Diskussion bedürfe“235. Diese Diskussion wurde und wird intensiv geführt, sowohl im Schrifttum236 wie auch im politischen Raum237. Bis zum Abschluss der Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten hat sich aber keine Bestätigung dafür gefunden, dass sich ein solches Rechtsinstitut herausgebildet hätte. Stattdessen heißt es, Rechtsquelle und Umfang solcher Verpflichtungen seien gegenwärtig noch unklar.238 Befürworter einer extraterritorialen Schutzpflicht nennen als mögliche Rechtsquellen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte239, Art. 56 UN Charta in Verbindung mit Art. 55 UN Charta240, Art. 56 UN Charta in Ver235  Ruggie Report, Addendum 2: „Corporate Responsibility under International Law and Issues in Extraterritorial Regulation: Summary of Legal Workshops“, A / HRC / 4 / 035 / Add.2, S.  13. 236  Vgl. etwa Koenen, Wirtschaft und Menschenrechte, Staatliche Schutzpflichten auf der Basis regionaler und internationaler Menschenrechtsverträge, Berlin 2012, S.  206 f. und Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz und die deutsche Außenwirtschaftsförderung, Berlin 2013, S. 203 ff. 237  So auch vom Deutschen Bundestag, dessen Menschenrechtsausschuss sich mit dieser Fragestellung aktiv auseinandersetzte, vgl. öffentliche Anhörungen zum Thema „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und Extraterritoriale Staatenpflichten“ am 17. Dezember 2009. 238  Ruggie Report, Addendum 2: „Corporate Responsibility under International Law and Issues in Extraterritorial Regulation: Summary of Legal Workshops“, A / HRC / 4 / 035 / Add.2, S.  13. 239  Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Präambel: „damit jeder einzelne und alle Organe der Gesellschaft sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten und sich bemühen (…) die Achtung vor diesen Rechten und Freiheiten zu fördern“. 240  In Art. 56 der Charta der Vereinten Nationen heißt es: „Alle Mitgliedstaaten verpflichten sich, gemeinsam und jeder für sich mit der Organisation zusammenzuarbeiten, um die in Art. 55 dargelegten Ziele zu erreichen.“; Art. 55 lit. c) UN-Charta nennt „die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte (…)“. Allerdings bedeutet die Verpflichtung der Staaten, zur Verwirklichung der Menschenrechte zusammenzuarbeiten, denklogisch nicht zwingend die Aufgabe ihrer souveränen Gleichheit. Das Interventionsverbot behält auch angesichts solch einer Verpflichtung seine Gültigkeit und der Umfang der domaine réservé bestimmt sich nach dem Stand der Völkerrechtsentwicklung. Art. 56 UN Charta alleine, oder auch in Verbindung mit Art. 16 der Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (so angesprochen von von Bernstorff, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility, AVR 49



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme73

bindung mit Art. 16 der Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts241, den Internationalen Pakt über wirtschaft­ liche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR)242, einschließlich seiner Auslegung in General Comment No. 15243 und die ILO-Übereinkommen244. In Bezug auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte hat eine Expertenrunde der Universität Maastricht sogenannte „Maastricht Guidelines“ formuliert, in denen es heißt: „The obligation to protect includes the State’s responsibility to ensure that private entities or individuals, including transnational corporations over which they exercise jurisdiction, do not deprive individuals from their economic, social and cultural rights. States are responsible for violations of social, economic and cultural rights that result from their failure to exercise due diligence in controlling the behaviour of such non-State actors“245.

Diese Formulierung scheint den Kreis der heimatstaatlichen Verantwortung recht weit zu ziehen, jedoch zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass sie die Kernfragen nicht beantwortet.246 (2001), S. 34), rechtfertigt daher noch nicht die Annahme einer extraterritorialen Schutzpflicht. 241  So von Bernstorff, Extraterritoriale menschenrechtliche Staatenpflichten und Corporate Social Responsibility, AVR 49 (2001), S. 34. 242  Art. 2 IPwskR: „Jeder Staat verpflichtet sich, einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit (…) unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln (…) die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen“. Die hierin enthaltene Kollektivverantwortung für die Verwirklichung der Menschenrechte belegt nach Ansicht einiger, dass die Staatenpflichten territorial nicht beschränkt seien. Dieses Ergebnis könnte durch den Wortlaut gestützt werden, nach dem ein Staat unter Ausschöpfung „aller seiner Möglichkeiten“ den Rechten zur Verwirklichung verhelfen soll. 243  Nach General Comment No. 15, para. 33, CECSR sollen Staaten Schritte unternehmen, um ihre eigenen Bürger und Unternehmen („their own citizens and companies“) daran zu hindern, Menschenrechte in anderen Ländern zu verletzen. Dies ist die aussagekräftigste Formulierung zu einer möglichen extraterritorialen Verpflichtung in internationalen Menschenrechtsinstrumenten. Siehe auch EmmerichFritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AvR 45 (2007) S. 541, S. 545, Fußnote 26. 244  Diese verpflichten „die Vertragsstaaten, durch eigene Maßnahmen, wie zum Beispiel durch eigene Gesetzgebung, diese Rechte zu verwirklichen“. Köster widerspricht aber einer extraterritorialen Geltung dieser Pflicht, Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 58. 245  Maastricht Guidelines on Violations on Eocnomic, Social und Cultural Rights, (1998) 20 Human Rights Quarterly, S. 691, Abschnitt 18. 246  So auch Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 86. Beispielsweise ist nicht ausdrücklich klar gestellt, dass der Staat

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Zudem ist problematisch, dass der Internationale Pakt für bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) in Bezug auf die örtliche Anwendbarkeit einen anderen Wortlaut wählt als der IPwskR. So bestimmt Art. 2 IPbpR ausdrücklich, dass dieser „within its territory and subject to its jurisdiction“ gilt. Eine vergleichbare Einschränkung247 fehlt im IPwskR, der stattdessen auch „through international assistance and co-operation“248 verwirklicht werden soll. Diese Unterschiede in der örtlichen Anwendbarkeit stehen einer „gemeinsamen Regel zur direkten extraterritorialen Anwendbarkeit der Pakte in der Unternehmenskonstellation“ entgegen; eine Unterscheidung hinsichtlich der extraterritorialen Schutzpflicht zwischen den beiden Pakten wäre aber „rechtsdogmatisch unbefriedigend“.249 Schließlich ist selbst in der weiteren Formulierung des IPwskR lediglich eine Pflicht zur internationalen Zusammenarbeit vorgesehen. Wie eine solche ausgestaltet sein sollte, ist dabei völlig offen. Ebenso lässt die Formulierung im General Comment No. 15, Abs. 33 des CECSR offen, welche Art von Schritten die Heimatstaaten unternehmen sollen. Trotz der erkennbaren Zielrichtung dieser Auslegung ist also fraglich, wie justiziabel diese Verpflichtung ist. Traditionell überlässt die Spruchpraxis der Vertragsausauch extraterritorial, d. h. für den Schutz der Rechte von Individuen, die nicht in seinem Territorium beheimatet sind, verantwortlich ist. Dem kann entgegengehalten werden, dass andererseits die Bezugnahme auf transnationale Unternehmen überflüssig wäre. Die Verantwortung für transnationale Unternehmen ist jedenfalls richtigerweise auf Fälle eingeschränkt, in denen der Heimatstaat „jurisdiction“ über das transnationale Unternehmen hat. Gerade in Bezug auf die selbständigen Unternehmensteile im Ausland ist dies aber nicht der Fall. Es kann also auch nach dieser Formulierung nur um die Kontrolle des (extraterritorialen) Verhaltens von im Heimatstaat ansässigen Unternehmensteilen gehen. Offen bleibt, welche Verhaltensanforderungen die erforderliche Sorgfalt an die Heimatstaaten stellt. So könnte nach dieser Formulierung argumentiert werden, dass die Heimatstaaten aktiv jedes mögliche Potenzial für Menschenrechtsverletzungen durch multinationale Unternehmen weltweit kennen und Schritte für die Vermeidung einleiten müssen. Eine solch „uferlose Ausdehnung der Schutzpflicht auf praktisch kaum beeinflussbare Vorgänge im Ausland“ könnte allerdings nicht eingehalten werden und „wäre zu vermeiden“, von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 24. Die „Maastricht Guidelines“ stellen damit den Versuch einer Definition dar, spiegeln aber nicht den gegenwärtigen Stand der Völkerrechtsentwicklung wider (s. u.). 247  Ähnlich auch zu finden z. B. in Art. 34 der European Social Charter: „shall apply to the metropolitan territory of each Contracting State“. 248  Art. 2(1)  IPwskR. 249  von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 24.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme75

schüsse den Staaten einen weiten Ermessensspielraum bei der Wahl der Mittel.250 Eine Ausweitung der Grundsätze der Extraterritorialität der Menschenrechte auf eine Schutzpflicht vor Verletzungen durch Private, so ergab eine umfassende Auswertung der Spruchpraxis der menschenrechtlichen UNVertragsausschüsse durch von Bernstorff, ist derzeit nicht erkennbar.251 Hierbei gilt es zu beachten, dass die zugrunde liegenden Fälle eher die Frage aufwarfen, ob dem Staat die Handlung des Privaten zugerechnet werden kann.252 Die hierauf ausgerichteten „effective control“-Tests führten „nicht zu einer extraterritorialen Anwendbarkeit der Pakte in der Unternehmenssituation“.253 Auch sei gegenwärtig noch nicht absehbar, auf welche Weise diese Tests modifiziert werden könnten, um eine uferlose Ausdehnung der Schutzpflicht zu verhindern.254 Im Ergebnis gibt es insgesamt zu wenige Anhaltspunkte für eine generelle extraterritoriale Dimension der staatlichen Schutzpflicht.255 Einen Sonderfall könnten Verletzungen von jus cogens Normen darstellen. Jedenfalls scheint es schwer vorstellbar, dass Staaten in keiner Weise 250  Dabei scheint keineswegs ausgeschlossen, zur Erfüllung dieser Pflicht auch auf freiwillige Instrumente – wie die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen – zu setzen. 251  von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 2. 252  So der berühmte Fall Bankovich des EGMR, siehe auch Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte: Der Begriff der Jurisdiktion nach Art. 1 EMRK, Baden-Baden 2008. 253  von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 24. 254  von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 24. 255  In der Literatur wurde diese daher bislang auch nicht vertreten, vgl. Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten bei Menschenrechtsverstößen durch transnationale Konzerne: Ein Literaturbericht, Duisburg  2009, http: /  / www.humanrights-business.org / files / literaturbericht.pdf. Zum selben Ergebnis kam Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66 (2006), S. 625, S. 631, m. w. N. Zerk fasste daher zusammen: „In summary it seems extremely doubtful that homestates of multinationals are presently under any positive obligations under international human rights law to regulate the social and environmental performance of multinationals beyond territorial boundaries (…).“, Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 91. Eine neuere Veröffentlichung leitet demgegenüber in gewissem Umfang extraterritoriale Staatenpflichten aus der Rechtsfigur der Garantenstellung ab: Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz und die deutsche Außenwirtschaftsförderung, Berlin 2013, S. 203 ff.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

auf ein solches Verhalten der beheimateten multinationalen Unternehmen reagieren. Zumindest der Entzug staatlicher Unterstützung bei positiver Kenntnis eines solchen Verhaltens dürfte zu erwarten sein. Im Extremfall könnte die fortwährende Unterstützung Anlass sein, die Zurechnung im Sinne einer staatlichen Beteiligung an der Verletzung zu prüfen.256 Bei dieser Zurechnung könnte aber wiederrum das Verhalten des Gaststaates eine Rolle spielen: „(…) state responsibility would still only attach where the conduct or omissions of another state (e. g. the host state) could not be regarded as intervening factors, thus limiting the potential liability of home states under international human rights law to rare and extreme cases“257. Eine allgemeine heimatstaatliche Pflicht zur Regulierung des extraterritorialen Verhaltens von Unternehmen besteht demnach heute nicht.258 Zu diesem Ergebnis kommen auch die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, deren erstes Kapitel der staatlichen Schutzpflicht gewidmet ist: „At present states are not generally required under international human rights law to regulate the extraterritorial activities of businesses domiciled in their territory and / or jurisdiction“.259 Wie im vorhergehenden Kapitel festgestellt haben die Heimatstaaten in Bezug auf diese Unternehmen aber die völkerrechtliche Befugnis zu einer solchen Regulierung.260 In ihrem grundlegenden Prinzip 2 fordern die UNLeitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte die Heimatstaaten daher auf „to set out clearly the expectation, that all business enterprises domiciled in their territory and / or jurisdiction respect human rights throughout their operations“. Für die Heimatstaaten bestünden „strong policy reasons“ dies zu tun.261 Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen drücken eine solche Erwartungshaltung aus und werden daher von den UNLeitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte auch als ein Beispiel für eine mögliche Herangehensweise genannt.262 Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 91. Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 91. 258  So auch Koenen, Wirtschaft und Menschenrechte, Staatliche Schutzpflichten auf der Basis regionaler und internationaler Menschenrechtsverträge, Berlin 2012, S. 206. 259  UN Guiding Principles on Business and Human Rights, Chapter I, Founda­ tional Principle 2., Commentary, par. 1. 260  Siehe auch UN Guiding Principles on Business and Human Rights, Chapter I, Foundational Principle 2., Commentary, par. 1: „Nor are they generally prohibited from doing so, provided there is a recognized jurisdictional basis.“. 261  UN Guiding Principles on Business and Human Rights, Chapter I, Founda­ tional Principle 2., Commentary, par. 2. 262  UN Guiding Principles on Business and Human Rights, Chapter I, Founda­ tional Principle 2., Commentary, par. 3. 256  Vgl.

257  Zerk,



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme77

3. Öffnung des Völkerrechts für die Regulierung von Unternehmen: Zur Frage der (partiellen) Völkerrechtssubjektivität von Unternehmen Angesichts der Internationalität des Phänomens „multinationaler Unternehmen“ werden völkerrechtliche Ansätze zur Regulierung des Verhaltens multinationaler Unternehmen häufig als einzig vielversprechende Herangehensweise betrachtet.263 Probleme bereitet dabei wie gesehen die Definition multinationaler Unternehmen.264 Ihre Konglomeratsstruktur – das heißt ihre Zusammensetzung aus rechtlich selbständigen Unternehmensteilen, die in unterschiedlicher Form zusammenwirken können – macht es schwierig, ihnen eine eigene, übergreifende Rechtspersönlichkeit zuzusprechen.265 Dennoch soll die Tatsache, dass die internationale Struktur aus Sicht des nationalen Rechts schwer greifbar ist, nicht zwingend bedeuten, dass sie auf internationaler Ebene nicht Anknüpfungspunkt einer Regelung sein können.266 Allerdings stellt sich eine andere Frage, nämlich ob das Völkerrecht von seinem Wesen her geeignet ist, das Verhalten von (multinationalen) Unternehmen zu regulieren. Dies ist nur dann der Fall, wenn Unternehmen als Völkerrechtssubjeke in Betracht kommen. Die wirtschaftliche Machtstellung multinationaler Unternehmen, deren Finanzkraft die von vielen Staaten übersteigt, führte zu Bestrebungen, diese völkerrechtlich zu regulieren. Außerrechtliche Instrumente zur menschenrechtlichen Verantwortung knüpfen zunehmend bei Unternehmen im Allgemeinen an.267 Diese Unterscheidung 263  Angesichts der „vielfältigen und kontroversen Völkerrechtsfragen“ komme „internationalen oder zumindest international vereinheitlichten Verhaltensregeln für und gegenüber multi-(trans-)nationalen Unternehmen große Bedeutung zu“, so Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Auflage, Berlin 1984, Rz. 450. Ähnlich auch Daillier / Forteau / Pellet, Droit International Public, 8. Auflage, Paris 2009, S. 1163: „Seul des mesures concertées sont en mesure d’appréhender globalement le phénomène international que constituent les sociétés transnationales“. 264  Siehe oben B.I.2.a). 265  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 74. 266  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 60 f. Durch die Bezugnahme auf Unternehmen als solche wird diese Anknüpfung für menschenrechtliche Fragestellungen aber zunehmend verzichtbar, siehe oben B.I.2.b). Siehe auch Chambre de Commerce Internationale, Affaire Dow Chemical, 23. September 1982: „un groupe de sociétés possède, en dépit de la personnalité juridique distincte appartenant à chacune de celle-ci, une réalité économique unique dont le tribunal arbitral doit tenir compte“, aus: Dupuy, Droit international public, 9. Auflage, Paris 2008, S. 80. 267  Siehe oben B.I.2.b).

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

wirkt sich auf die Grundfrage der Öffnung des Völkerrechts für nichtstaatliche Akteure aber nicht aus. Nach der früher herrschenden Lehre war eine Völkerrechtssubjektivität (multinationaler) Unternehmen bereits auf der konzeptionellen Ebene ausgeschlossen. Das Völkerrecht wurde ausschließlich als zwischen-staatliches Recht angesehen, das nur den Staat als Völkerrechtssubjekt kenne.268 Eine Bindung von Unternehmen an internationale Menschenrechte ist nach diesem Grundverständnis rechtstheoretisch von vornherein ausgeschlossen. Die Rolle, die diese Grundfrage bei den Bemühungen der Vereinten Nationen um die Bindung multinationaler Unternehmen an menschenrechtliche Standards in den vergangenen Jahrzehnten spielte, ist nicht zu unterschätzen. Probleme mit dem Konzept einer völkerrechtlichen Bindung von Unternehmen hatten sowohl die Industrienationen als auch die Entwicklungsländer, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen.269 Dabei spielte das Verständnis vom Wesen der Völkerrechtssubjektivität eine entscheidende Rolle. So befürchteten manche Kritiker die Gleichsetzung von multinationalen Unternehmen mit Staaten als den klassischen Völkerrechtssubjekten und infolge dessen eine umfassende völkerrechtliche Rechts- und Pflichtenstellung270, einschließlich der Beteiligung am Prozess der Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung271. 268  Vgl. Dahm / Delbrück / Wolfrum: „Indessen liegt die Zeit nicht weit zurück, in der die herrschende Lehre nur die Staaten als Völkerrechtssubjekte ansah und das Völkerrecht als Recht der zwischenstaatlichen Beziehungen definierte“, Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht I / 1, 2. Auflage, Berlin / New York 1989, S. 23, m. w. N. Prominentes Beispiel dieser überholten Auffassung ist folgendes Zitat von Oppenheim:„Subjects of the rights and duties arising from the Law of Nations are States solely and exclusively“, in: Oppenheim, International law 1, S. 19, zitiert bei Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 25, Fußnote 9. Auch Cassese bietet ein Beispiel für eine „konservative Auffassung“, nach der Völkerrecht nicht direkt anwendbar ist auf Individuen und juristische Personen („and other legal entities“), und nur von Staaten durchgesetzt werden kann: Cassese, International Law in a Divided World, Oxford 1986, S. 103. 269  Während für die Industrienationen ideologische Gründe und der angestrebte Wirtschaftsliberalismus im Vordergrund standen, fürchteten die Entwicklungsländer, dass damit ein nicht wünschenswertes Phänomen legalisiert und die multinationalen Unternehmen auf die Ebene von Staaten gehoben würden: Daillier / Forteau / Pellet, Droit International Public, 8. Auflage, Paris 2009, S. 1163. 270  Die Machtposition der multinationalen Unternehmen war es auf politischer Ebene ja gerade, die Forderungen nach einer der staatlichen Rolle vergleichbaren menschenrechtlichen Verantwortung aufkommen ließ. Demgegenüber kamen atypischen Völkerrechtssubjekten wie dem Heiligen Stuhl oder dem Internationalen Roten Kreuz historische Sonderrollen zu und eine weitere Aufweichung der Völkerrechtssubjektivität durch deren Anerkennung war nicht zu befürchten.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme79

Tatsächlich gibt es Stimmen in der Völkerrechtswissenschaft, die Staaten und nichtstaatlichen Akteuren einen gleichen Rang bei der Schaffung von Völkerrecht zuweisen, indem sie gleichermaßen auf die Teilnahme von Staaten, Internationalen Organisationen, Individuen und multinationalen Unternehmen an Entscheidungsprozessen abstellen.272 Diese Auffassung hat sich aber bislang nicht durchgesetzt, auch wenn die Bedeutung nichtstaat­ licher Akteure gerade in Zusammenhang mit menschenrechtlichen Fragestellungen zunehmend thematisiert wird273. 271

Die überwiegende Ansicht im Schrifttum hält am Kriterium der Völkerrechtssubjektivität fest. Das Völkerrechtsverständnis wurde aber durch die Anerkennung der Möglichkeit, Völkerrechtssubjektivität nur partiell zu erlangen274, entscheidend weiterentwickelt. Die partielle Völkerrechtssubjektivität wird erlangt mittels Übertragung von Rechten und Pflichten275 durch die Staaten, welche als primäre, originäre oder geborene Subjekte des Völkerrechts eingeordnet werden, alle anderen als gekorene, abgeleitete oder derivative Völkerrechtssubjekte.276 Völkerrechtssubjektivität ist demnach keine Vorbedingung für die Verleihung von völkerrechtlichen Rechten oder Pflichten, sondern entsteht umgekehrt hierdurch.277 Das staatszentristi271  Ohne eine solche Beteiligung sei umgekehrt keine Verpflichtung denkbar, vgl. US-amerikanische Stellungnahme zum Entwurf der Draft UN Norms on Transna­ tional Corporations: „This exercise, therefore, circumvents all recognized law making process by attempting to impose international obligations on entities that have neither accepted them nor played a role in their creation“, zitiert bei Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, S. 78. 272  Dabei wird auf eine Unterscheidung in Objekte oder Subjekte des Rechts und folglich auf das Kriterium der Völkerrechtssubjektivität verzichtet, vgl. Higgins, Problems and Process: International Law and How We Use It, Oxford 1994, S. 49 f., wo Recht „as a particular decision-making process“ beschrieben wird, „with a variety of participants“. Higgins gehört damit zur sog. Schule von New Haven, siehe unten Teil 3, A.I.1.c). 273  Vgl. Alston, The „Not-a-cat“ Syndrom: Can the International Human Rights Regime accommodate Non-State Actors?, S. 3; Brabandere, Non-State Actors, State Centrism and Human Rights Obligations, Leiden Journal of International Law 22 (2009), S. 191. 274  Zum Begriff der partiellen Völkerrechtssubjektivität siehe beispielsweise Döhring, Völkerrecht, 2.  Auflage, Heidelberg, 2004, S. 111, Rz. 245; Daillier /  Forteau / Pellet, Droit International Public, 8. Auflage, Paris 2009, S. 714 f. 275  Ob es hierfür neben der Übertragung von Rechten und Pflichten der Erfüllung weitergehender Kriterien bedarf, sei allerdings umstritten, so Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, S. 80. 276  Vgl. Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, 5. Auflage, München 2004, S. 57, Rz. 7; Hailbronner / Kau, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Auflage, Berlin / New York 2010, Rz. 8 f. 277  Vgl. Auch Mosler, Die Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte, ZaöRV 22(1962), S. 41, S. 45 und Brownlie, Principles of Public International Law, 7. Auflage, Oxford 2008, S. 57.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

sche Völkerrechtsverständnis bleibt durch die nur Staaten zustehende Übertragungsbefugnis weitgehend unangetastet. Völkerrechtssubjektivität wird demnach verstanden als variables Konzept, entsprechend der Feststellung des IGH im Fall „Reparations for Injuries Suffered in the Service of the United Nations“, nach der Rechtssubjekte „are not necessarily identical in their nature or in the extent of their rights, and their nature depends on the needs of the community“278. Die Öffnung des Völkerrechts für nichtstaatliche Akteure ist historisch eng verwoben mit der Rolle des Individuums im heutigen Völkerrecht, die durch den Paradigmenwechsel vom Fremdenrecht hin zu den Menschenrechten eine maßgebliche Veränderung erfahren hat. Während das Fremdenrecht noch ausschließlich an den Staat gerichtet war und den Schutz des Individuums durch diesen vermitteln ließ, zielen die Menschenrechte darauf, dem Einzelnen direkt Rechte zu verleihen. Insbesondere dort, wo sich Individuen unmittelbar an Garantie-Institutionen wenden können, wie beispielsweise an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), ist das Individuum nicht mehr nur Objekt völkerrechtlicher Regelungen, die an den Staat gerichtet sind, sondern Subjekt direkter durch das Völkerrecht vermittelter Rechte. Auch das Internationale Strafrecht knüpft direkt an das Individuum an, womit auch die Vermittlung von Pflichten an Private dem Völkerrecht nicht mehr wesensfremd ist.279 Die (partielle) Völkerrechtssubjektivität multinationaler Unternehmen bedeutet allerdings eine Anknüpfung des Völkerrechts nicht an natürliche, sondern an juristische Personen. Da auch Staaten juristische Personen sind, bereitet dies laut Köster aus völkerrechtlicher Sicht aber keine wesentlichen Probleme.280 Dennoch wird, bei aller Beachtung des Phänomens trans- oder multinationaler Unternehmen in den völkerrechtlichen Lehrbüchern281, ihre 278  Reparations for Injuries Suffered in the Service of the United Nations case, 1949 ICJ Rep. 178. 279  Als weiteres Beispiel einer Rechtsmaterie mit direkter Regelung der Rechtsund / oder Pflichtenstellung nichtstaatlicher Akteure wird das Umweltvölkerrecht genannt, da in zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen eine Haftung Privater für die von ihnen verursachten Schäden angeordnet werde: Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AvR 45 (2007) S. 541, S. 552 f., FN 72 m. w. N., wie zum Beispiel das Internationale Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden von 1992, in Kraft seit 1996. 280  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 47 f. 281  Beachtung finden diese in dem meisten Lehrbüchern meist im Sinne eines „important phenomenon in international relations“, so Shaw, International Law, 6. Auflage, Cambridge 2010, S. 249.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme81

Völkerrechtssubjektivität nach dem heutigen Stand der Entwicklung überwiegend noch verneint.282 Dabei wurde die Frage in der Literatur zunächst überwiegend unter dem Blickwinkel einer möglichen völkerrechtlichen Rechtsstellung betrachtet. Vor allem die zwischen multinationalen Unternehmen und Staaten geschlossenen Verträge, etwa Konzessions- oder Investitionsverträge, gaben Anlass zu dogmatischer Auseinandersetzung. Die vertretenen Auffassungen reichen dabei von der Einschätzung, diese seien rein dem nationalen Recht unterstellt283, über deren Einordnung als Verträge mit einer „Vielfalt an Beziehungen zu verschiedenen Rechtsordnungen einschließlich des Völker­ rechts“284 bis hin zu Verträgen, mit denen ein Staat Verpflichtungen völkerrechtlicher Natur eingehen könne, wodurch ein Unternehmen partielle Völkerrechtssubjektivität erlangen könne285. Auch andere Teilbereiche werden genannt, in denen multinationalen Unternehmen durch das Völkerrecht direkt Rechte zuerkannt werden, etwa das Recht zur Durchführung eines Streitbeilegungsverfahrens nach Art. 26 Energiechartavertrag (sog. ICSIDVerfahren)286, Rechtspositionen und Durchsetzungsmöglichkeiten vor den zuständigen Organen durch regionale Menschenrechtsregimes287 oder auf 282  Vgl. Hobe, Völkerrecht, 9. Auflage, Tübingen 2008, S. 165. Ipsen spricht in diesem Zusammenhang gar von einem „Dogma“, Ipsen, Völkerrecht, 5. Auflage, München 2004, § 8, Rz. 19, siehe auch dort Fußnote 290. Shaw konstatiert vorsichtiger, the „question remains an open one“, Shaw, International Law, 6. Auflage, Cambridge 2010, S. 250. 283  So der Ständige Internationale Gerichtshof im Fall Serbische Anleihen in Frankreich, C.P.I.J., Série A, Nos. 20 / 21, S. 41 (1929): „Tout contrat qui n’est pas un contrat entre des Etats en tant que sujets du droit international a son fondement dans une loi nationale“, zitiert bei Wildhaber, der selbst die Auffassung vertritt, es handele sich um Vereinbarungen mit „funktioneller Internationalität“, Wildhaber, Multinationale Unternehmen und Völkerrecht, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 18 (1978), S. 7, S. 37 und S. 39. 284  Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, Frankfurt am Main 1971, S. 373. 285  Vgl. auch Herdegen, der auf die wachsende Zustimmung dazu hinweist, dass „ein Staat in einem Vertrag mit einem ausländischen Privaten Verpflichtungen völkerrechtlicher Natur eingehen kann und aufgrund einer solchen Vertragsbeziehung ein privates Unternehmen eine „beschränkte Völkerrechtssubjektivität“ erlangen kann“, Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 9. Auflage, München 2011, § 22, Rz 7. 286  BGBl. 1997  II, S. 5 ff. 287  Schmalenbach, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, AVR 39 (2001), S. 57, S. 63 f.; Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 75; Addo, The Corporation as a Victim of Human Rights Violations, S. 194; Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AvR 45 (2007), S. 541, Fußnote 10 m. w. N.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

supranationaler Ebene die Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen ­Union288. Demgegenüber gewinnt derzeit die Frage einer etwaigen Pflichtenstellung von Unternehmen, insbesondere durch eine etwaige Bindung an menschenrechtliche Standards, an Aktualität289 und bringt die bislang herrschende Auffassung ins Wanken290. Wenn multinationale Unternehmen auch nur sehr vereinzelt unter den Völkerrechtssubjekten aufgelistet werden291, so werden sie doch nach „einer im Vordringen befindlichen Auffassung“292 als „in ihrer Rechtsfähigkeit auf bestimmte Situationen beschränkte Völkerrechtssubjekte“ anerkannt293. Teils wird multinationalen 288  Art. 63 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 30.11.2009 (ex-Art. 56 EGV); Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AvR 45 (2007), S. 541, S. 542, Fußnote 11 m. w. N. zur Rechtsprechung des EuGH. 289  So Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 13, Rz. 1: „Während die Berechtigung von transnationalen Unternehmen als Völkerrechtssubjekte an praktischer Bedeutung verloren hat, hat die Verantwortung international tätiger Unternehmen für die Wahrung menschen- und umweltrechtlicher Standards stark an Aktualität gewonnen.“. 290  Vgl. etwa Hobe, Völkerrecht, 9. Auflage, Tübingen 2008, S. 165: „Will man also heute, wie dies wohl überwiegend getan wird, noch die Völkerrechtssubjektivität transnationaler Unternehmen verneinen, ist eine solch kategorische Position in Zukunft wahrscheinlich immer deutlicher in Frage zu stellen“. A. A. Ipsen, Völkerrecht, 5. Auflage, München 2004, 5. Auflage, § 8, Rz. 19: „Ob damit aber schon der Weg geebnet ist, das bestehende Dogma von der Verneinung der Völkerrechtssubjektivität transnationaler Unternehmen aufzugeben, ist mehr als fraglich (…)“. 291  Vgl. Ziegler, Einführung in das Völkerrecht, 2. Auflage, Bern 2011, Rz. 397: „Spätestens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts werden auch (…) gewisse Gruppen von Individuen (multinationale Unternehmen, Aufständische, nationale Befreiungsbewegungen) als Völkerrechtssubjekte eingestuft“; Rz. 460: „heute zumeist von einer zumindest partiellen Völkerrechtssubjektivität“ gesprochen. „Als wichtiger Teilaspekt der vollen Völkerrechtsfähigkeit fehlt dem Individuum etwa die Vertragsfähigkeit, weshalb selbst von multinationalen Unternehmen geschlossene Verträge nicht als internationale Verträge, sondern als privatrechtliche (allenfalls internationalisierte) Verträge behandelt werden.“ 292  Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 2.  Auflage 1995, S. 58. Diese Analyse befürworten Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht I  /  2, 2. Auflage, Berlin 2002, S. 245. Siehe ebenfalls Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AvR 45 (2007), S. 541, S. 543 m. w. N.; Jägers, The Legal Status of the Multinational Corporation under International Law, in: Addo, Michael K. (Hrsg.), Human Rights Standards and the Responsibility of Transnational Corporations, Den Haag 1999, S. 259, S. 261 ff.; Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 60. 293  Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht  I / 1, 2.  Auflage, Berlin / New  York  1989, S. 26.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme83

Unternehmen auch zugebilligt, „an der Schwelle“ zu einer Völkerrechtssubjektivität zu stehen294. Ausgehend von einer noch fehlenden partiellen Völkerrechtssubjektivität wird die Kritik geäußert, die „völkerrechtlichen Aspekte der Globalisierung“ seien „noch nicht umfassend gewürdigt“295 oder dies stehe „in umgekehrter Proportionalität zu der wirtschaftlichen Bedeutung der multinationalen Unternehmen“296. Ob die rechtliche Bindung multinationaler Unternehmen an Menschenrechte heute bereits bejaht werden kann, bedarf der weiteren Prüfung (siehe nachfolgend II.). Ausgeschlossen ist eine solche Entwicklung aus rechtstheoretischer Sicht, unter dem Aspekt der Völkerrechtssubjektivität, jedenfalls nicht.297

II. Völkerrechtliche Bindung multinationaler Unternehmen an menschenrechtliche Standards Vorrangige Frage in Zusammenhang mit einer menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen ist, ob heute eine direkte völkerrechtliche Bindung an international verankerte Menschenrechte bejaht werden kann. Diese Frage war auch Gegenstand der Bestandsaufnahme durch den UNSonderbeauftragten für Menschenrechte, transnationale Unternehmen und andere Unternehmen298 und beschäftigt zunehmend die Literatur299. 294  So Reinisch in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Berlin 2009, § 8, Rz. 1: „die verstärkte wirtschaftliche Interdependenz der Staaten und der Trend zur Globalisierung machen sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts (…) auch bei Auslandsinvestitionen bemerkbar. Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit der steigenden Bedeutung von transnationalen bzw. multinationalen Unternehmen, die als wichtige nichtstaatliche Akteure ‚an der Schwelle‘ zur Völkerrechtssubjektivität“ stehen. Vgl. auch Hummer, in Neuhold / Hummer / Schreuer (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, 3. Auflage, 1997, S. 218 ff. m. w. N. in Bezug auf Akteure „an oder unter der Schwelle der Völkerrechtssubjektivität“. 295  Hailbronner / Kau, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Auflage, Berlin / New  York 2010, Rz.  42. 296  Daillier / Forteau / Pellet, Droit International Public, 8.  Auflage, Paris 2009, S. 1163. 297  So auch Dahm / Delbrück / Wolfrum: „Der Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte stehen keine zwingenden dogmatischen Hindernisse entgegen.“, Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht I / 1, 2. Auflage, Berlin / New York 1989, S. 23. 298  Siehe Bericht „Business and Human Rights: Mapping International Standards of Responsibility and Accountability for Corporate Acts“, A / HRC / 4 / 035 vom 9. Februar 2007 sowie die Folgeberichte „Protect, Respect and Remedy: A Framework for Business and Human Rights“, A / HRC / 8 / 5 vom 7. April 2008 und „Business and Human Rights: Towards Operationalizing the ‚Protect, Respect and Remedy‘ framework“, A / HRC / 11 / 13 vom 22.  April  2009. Siehe ausführlich auch C.II.1.d).

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Kann diese Frage bejaht werden, so kommt den Leitsätzen womöglich nur eine unterstützende Funktion zu. Sie könnten allerdings auch bei der Konstituierung einer solchen Bindung eine Rolle spielen. Denn neben einer völkerrechtlichen Bindung multinationaler Unternehmen aufgrund einer spezifischen Kodifikation (nachfolgend 1.) kommt auch eine durch Auslegung zu ermittelnde Bindung aus den internationalen Menschenrechtsinstrumenten (nachfolgend 2.) oder aufgrund von Völkergewohnheitsrecht (nachfolgend 3.) in Betracht. 299

1. Kodifikation versus Freiwilligkeit – Die Arbeiten der Vereinten Nationen Die Vereinten Nationen beschäftigen sich seit den 1970er Jahren mit den Auswirkungen des Agierens multinationaler Unternehmen. Im Vordergrund stand dabei zunächst die Sorge der entkolonialisierten Staaten um die Auswirkungen der Machtkonzentration multinationaler Unternehmen auf ihre Souveränität, später richtete sich der Fokus auf deren menschenrechtliche Auswirkungen.300 Versuche, eine verbindliche Kodifikation zur Einhaltung menschenrechtlicher Standards durch multinationale Unternehmen zu erarbeiten, wechseln seither mit unverbindlichen Ansätzen ab.301 Die Komplexität des Themas scheint eine Kodifikation zu verhindern, jedoch sind die Zwischenergebnisse für das heutige Verständnis ebenso wichtig wie die Gründe für das bisherige Scheitern. a) Draft UN Code of Conduct on Transnational Corporations Im Auftrag des UN-Wirtschafts- und Sozialrates ECOSOC legte eine Expertengruppe 1974 einen Bericht zum Thema „The Impact of Multinatio­nal Corporations on the Development Process and on International Relations“ 299  Siehe oben Fußnote 2. Frey weist zusätzlich darauf hin, dass auch die Rolle anderer Akteure wie beispielsweise der Medien und der Öffentlichkeit mit in den Blick genommen werden sollten, Frey, The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of International Human Rights, Minnesota Journal of Global Trade 6 (1997), S. 153. 300  Siehe auch oben B.I.1. Auch die Anfang der 1990er Jahre aufkommende CSR-Bewegung entstand aus Sorgen der Zivilgesellschaft um Menschenrechte und Umweltschutz, Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 7 ff. 301  Vgl. auch bereits Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen – zwischen Kooperation und Kontrolle, Steuerungsformen zur Stärkung menschenrechtlicher Verantwortung unter dem Dach der Vereinten Nationen, Frankfurt am Main 2007.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme85

vor, in dessen Folge die UN Commission on Transnational Corporations (UNCTC) geschaffen wurde.302 Diese begann 1975 mit der Arbeit an einem Draft UN Code of Conduct on Transnational Corporations, dessen letzte Version von 1990 datiert303. Dieser Entwurf war sehr umfassend und sah in Art. 14 eine territorial unbeschränkte Pflicht zum Respekt der Menschenrechte vor: „Transnational enterprises shall respect human rights and fundamental freedom in the countries in which they operate“304. Er wurde jedoch aufgrund der großen Differenzen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern hinsichtlich der Verbindlichkeit des Code of Conduct, der Rolle des Internationalen Rechts und zur Behandlung von multinationalen Unternehmen durch die Gaststaaten nicht angenommen.305 Die Arbeiten an dem Entwurf wurden schließlich Anfang der 1990er Jahre gänzlich aufgegeben.306 b) UN Global Compact Im Jahr 2000 wurde der UN Global Compact ins Leben gerufen, nachdem UN-Generalsekretär Kofi Annan ihn 1999 beim World Economic Forum in Davos der Unternehmenswelt vorgestellt hatte.307 Der Global Compact setzt auf eine freiwillige Beachtung von zehn Grundprinzipien eines gesellschaftlich verantwortungsvollen Verhaltens durch Unternehmen. Die ersten zwei der im UN Global Compact enthaltenen Prinzipien betreffen die Menschenrechte. Sie lauten „Businesses should support and respect the protection of internationally proclaimed human rights“ und „Businesses should make sure that they are not complicit in human rights abuses“.308 302  Ecosoc Res 1974  /  1721 of 24 May 1974; Report UN Doc E  /  5500  /  Rev.1  /  Add1(1974), ILM 13 (1974), S. 19. 303  Proposed Text of the Draft Code of Conduct on Transnational Corporations, ECOSOC Dokument E / 1990 / 94 vom 12. Juni 1990, S. 3 ff.; ILM 23 (1984), S. 626. 304  UN doc. E / 1990 / 94, 12 June 1990; ILM 23 (1984), S. 626, Absatz 14. 305  Vgl. de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 2 f. m. w. N. zu den Hintergründen der Nicht-Annahme, ebenso Hennings, Über das Verhältnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten, Göttingen 2009, S. 144 f., m. w. N. 306  Vgl. Hennings: „Die Erarbeitung des code of conduct gestaltete sich schwierig und zog sich beinahe über zwei Dekaden hin, bis sie schließlich Anfang der 1990er Jahre aufgegeben wurde und der code schließlich 1994 ganz aus den Berichten der Vereinten Nationen verschwand; die zu diesem Zwecke gegründeten Gruppierungen und Programme wurden teilweise anderen UN-Organen zugeordnet“, Hennings, Über das Verhältnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten, Göttingen 2009, S. 144, m. w. N. 307  Vgl. auch Moran, The UN and Transnational Corporations: From Code of Conduct to Global Compact, Transnational corporations 18.2 (2009), S. 91. 308  http: /  / www.unglobalcompact.org / Languages / german / die_zehn_prinzipien.html.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Damit erkennt der Global Compact die Möglichkeit einer Beteiligung an menschenrechtlichen Beeinträchtigungen an, fordert aber auch proaktives Vorgehen zur Verwirklichung der Menschenrechte. Neben diesen allgemeinen Zielsetzungen behandeln die Prinzipien 3 bis 6 einzelne Arbeitnehmerrechte. Der Global Compact stellt eine Einladung an Unternehmen dar, sich den Prinzipien auf freiwilliger Basis anzuschließen, um damit einen Reputa­ tionsgewinn und Erfahrungsaustausch zu ermöglichen.309 Heute nehmen weltweit mehr als 7000 Unternehmen310 und sieben UN-Unterorganisationen311 am Global Compact teil. c) Draft UN Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights Parallel zu dieser Entwicklung hat die UN-Unterkommission zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte nach umfassenden Konsultationen insbesondere der Unternehmensseite 2003 einen Entwurf über „Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights“312 (Draft UN Norms) vorgelegt. Der Entwurf geht – trotz der primären Verantwortung der Staaten für die Verwirklichung der Menschenrechte – von einer rechtlichen Verpflichtung der Unternehmen zum Respekt der Menschenrechte aus.313 Begründet wird dies damit, dass Unternehmen als „organs of society“314 und „within their respective spheres of activity and influence“315 für die Förderung und Sicherung der Menschenrechte verantwortlich seien. Deshalb seien „Transna309  http: /  / www.unglobalcompact.org / AboutTheGC / IntegrityMeasures / index.html. 310  http: /  / www.unglobalcompact.org / ParticipantsAndStakeholders / index.html.

311  http: /  / www.unglobalcompact.org / ParticipantsAndStakeholders / un_agencies /  index.html. 312  „Normen für die Verantwortlichkeit transnationaler Unternehmen und anderer Wirtschaftsunternehmen im Hinblick auf die Menschenrechte“, U.N. Doc.E / CN.4 /  Sub.2 / 2003 / 12 / Rev.2(2003), vorgelegt am 13. August 2003 an die UN-Menschenrechtskommission. Zum Entstehungsprozess dieses Entwurfes und vorangegangener Bemühungen siehe Weissbrodt / Kruger, Norms on the Responsibilities of Transna­tio­ nal Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights, AJIL 97.4 (2003), S. 901. Siehe auch „Kommentar zu den Normen für die Verantwortlichkeiten transnationaler Unternehmen und anderer Wirtschaftsunternehmen im Hinblick auf die Menschenrechte“, E / CN.4 / Sub.2 / 2003 / 38 / Rev.2. 313  Vgl. Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AVR 45 (2007), S. 541, m. w. N. 314  Präambel, 3.  Absatz. UN Doc. E / CN.4 / Sub.2 / 2003 / 12 / Rev.2 (2003). 315  Prinzip 1, UN Doc. E / CN.4 / Sub.2 / 2003 / 12 / Rev.2 (2003).



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme87

tional Corporations and other business enterprises, their officers and persons working for them“ zum Respekt der „generally recognized responsibilities and norms contained in United Nations treaties and other international instruments“316 verpflichtet. Zu den hieraus resultierenden Verhaltensanforderungen führen die Erläuterungen, welche der Unterausschuss zusammen mit dem Entwurf der Draft UN Norms verabschiedete, näher aus: „Transnational Corporations and other business enterprises shall have the responsibility to use due diligence in ensuring that their activities do not contribute directly or indirectly to human rights abuses, and that they do not directly or indirectly benefit from abuses of which they are aware or ought have been aware. Transnational corporations and other business enterprises shall further refrain from activities that would undermine the rule of law as well as governmental and o ­ ther efforts to promote and ensure respect for human rights, and shall use their influence in order to help promote and ensure respect for human rights. Transnational corporations and other business enterprises shall inform themselves of the human rights impact of their principal activities and major proposed activities so that they can further avoid complicity in human rights abuses“317.

Damit sieht der Entwurf eine Pflicht zum Respekt der Menschenrechte vor, der nicht auf bestimmte Rechte beschränkt ist. Auch enthält der Entwurf bereits die Konzepte der due diligence und in abgeschwächter Form des human rights impact assessments. Damit sind in den Draft UN Norms Verhaltensanforderungen angelegt, die heute ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Sowohl eigenes aktives Tun als auch das Profitieren (benefit) werden als mögliche Beteiligungsformen an Menschenrechtsbeeinträchtigungen angesprochen, wobei jeweils zwischen direkten und indirekten Effekten unterschieden wird. Damit wird der Versuch unternommen, die komplexe Bandbreite möglicher unternehmerischer Verantwortung einzufangen. Zur Durchsetzung enthielt der Entwurf in den Allgemeinen Umsetzungsbestimmungen Berichtspflichten der Unternehmen gegenüber den Vereinten Nationen, welche einer „regelmäßigen Überwachung und Nachprüfung“ unterliegen.318 Dieser Entwurf wurde von der UN-Menschenrechtskommission nicht angenommen. Im Gegenteil betonte diese, das Dokument „has not been requested by the Commission and, as a draft proposal has no legal standing, and that the sub-commission should not perform any monitoring function in this regard“319. Mit der Zurückweisung der Draft UN Norms durch die 316  Präambel,

4.  Absatz. UN Doc. E / CN.4 / Sub.2 / 2003 / 12 / Rev.2 (2003).

317  U.N.Doc.E / CN.4 / Sub.2 / 2003 / 38 / Rev.2(2003).

318  Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AvR 45 (2007) S. 541, Fußnote 546. Siehe aber auch Gelfand, The Lack of Enforcement in the United Nations Draft Norms: Benefit or Disadvantage?, S. 313. 319  UN Commission on Human Rights, Decision 2004 / 116.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Menschenrechtskommission war aber auch deren moralische Autorität in Frage gestellt.320 Inhaltlich wurde den Draft UN Norms vor allem die Unbestimmtheit einiger der zugrunde liegenden Konzepte vorgeworfen, so in einem auswertenden Bericht des OHCHR von 2005321. Den allgemeinen und wissenschaftlichen Diskurs über die rechtliche Bindung von Unternehmen an die Menschenrechte hat der Entwurf aber angeregt und die in der Folgezeit entstandenen Dokumente zweifellos befruchtet.322 d) UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte Mit der Ablösung der UN-Menschenrechtskommission durch den UNMenschenrechtsrat323 im Juni 2006 stellte die UN-Unterkommission zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte ihre Tätigkeit ein, institutionell werden ihre Aufgaben jetzt durch den Beratenden Ausschuss des UNMenschenrechtsrats324 wahrgenommen. Es ist nicht zu erwarten, dass dieser die Arbeiten an den UN Norms wieder aufnimmt. Denn bereits die UN-Menschenrechtskommission hatte einen anderen Weg eingeschlagen: Um nicht in einer Sackgasse zu verharren, schlug die UN-Menschenrechtskommission vor, einen Sonderbeauftragten zu ernennen325. Das Mandat zum Thema „Menschenrechte, transnationale Unternehmen und andere Unternehmen“ sah als erforderliche Schritte unter anderem an: „identify standards“, „re320  So auch de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 31. 321  Report of the High Commissioner on Human Rights on the responsibilities of transnational corporations and related business enterprises with regard to human rights, 15 February 2005, UN doc E / CN.4 / 2005 / 91. Zur Auseinandersetzung mit den einzelnen Kritikpunkten vgl. auch de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transna­ tional corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 18 f., der ausführt, der Entwurf baue auf den Konzepten „sphere of influence“ und „complicity“ auf, welchen Unbestimmtheit vorgeworfen werden könne. 322  So hat der UN-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, die Normen zwar für „tot“ erklärt, sich aber auch aus diesen gespeist, Hennings, Über das Verhältnis von multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten; Eine Bestandsaufnahme aus juristischer Perspektive, Göttingen 2009, Fußnote 175. 323  Vgl. Theissen, Mehr als nur ein Namenswechsel: Der neue Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, Vereinte Nationen 54.4, S. 138. 324  UN Human Rights Council Advisory Committee. 325  Siehe UN Commission on Human Rights Res. 2005 / 69, ‚Human Rights and transnational corporations and other business enterprises‘, vom 20. April 2005 (chap XVII, E / CN.4 / 2005 / L.10 / Add.17).



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme89

search implications“, „develop materials“ und „compile best practices“326. Die Draft UN Norms erwähnte das Mandat nicht einmal, so dass es offenbar nicht um deren Weiterentwicklung, sondern um einen neuen Anlauf ging. Zu dem pragmatischen Ansatz passte die Wahl John Ruggies, Professor an der John F. Kennedy School of Government der Harvard University, der bis dahin beim UN Global Compact involviert war327. Am 28. Juli 2005 erfolgte die Ernennung Ruggies zum UN-Sonderbeauftragten für Menschenrechte, transnationale Unternehmen und andere Unternehmen (nachfolgend: UN-Sonderbeauftragter für Wirtschaft und Menschenrechte). Ruggie bettete die unternehmerische menschenrechtliche Verantwortung in ihren Gesamtkontext ein und lenkte den Diskurs von der Frage einer rechtlichen Bindung von Unternehmen hin zu notwendigen Verhaltensänderungen. Die Arbeiten führten von Bestandsaufnahmen328 zunächst zur Vorstellung eines „Framework for Business and Human Rights“329 mit den drei Säulen „state duty to protect“, „corporate responsibility to respect“ und „greater access to effective remedy“, letztere sowohl staatliche als auch außerstaatliche Verfahrensarten betreffend. Dem Rahmenwerk liegt damit eine klare Unterscheidung zugrunde zwischen der staatlichen Pflicht, Menschenrechte zu schützen und der unternehmerischen Verantwortung, Menschenrechte zu achten. Der Dreiklang „Protect, Respect, Remedy“ hat in der Praxis Anerkennung gefunden und ist Grundlage geworden für die „Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations „Protect, Respect, Remedy Framework“ (UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, nachfolgend: Leitprinzipien)330. 326  UN Commission on Human Rights Res. 2005 / 69, ‚Human Rights and transnational corporations and other business enterprises‘, vom 20. April 2005 (chap XVII, E / CN.4 / 2005 / L.10 / Add.17). 327  de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 21. 328  Human Rights Commission, Interim Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, E / CN.4 / 2006 / 97 vom 22.  Februar  2006; Human Rights Council, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, A / HRC / 4 / 35 mit Zusatzberichten Add. 1 und 2; Human Rights Council, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, A / HRC / 4 / 035 of 19 February 2007. 329  Protect, Respect and Remedy: a Framework for Business and Human Rights, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie, A / HRC / 8 / 5 vom 7.  April  2008. 330  Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations „Protect, Respect, Remedy“ Framework, Report of the Special Representa-

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Diese Leitprinzipien sollen, ausweislich ihres Absatzes 4, nicht als Begründung neuer völkerrechtlicher Verpflichtungen verstanden werden.331 Zur Wahrnehmung menschenrechtlicher Verantwortung von Unternehmen setzen sie auf zwei Instrumente, nämlich ein „policy commitment“ des Unternehmens und die Durchführung einer „human rights due diligence“332. Damit knüpfen sie an Prozesse an, die den Unternehmen vertraut sind und setzen auf deren Verantwortungswahrnehmung im wohlverstandenen Eigeninteresse, etwa zur Minimierung eigener Risiken. Dieser Ansatz hat geholfen, die klassischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Befürwortern und Gegnern einer rechtlichen Bindung zu überwinden. Der UN-Menschenrechtsrat nahm die Leitprinzipien in seiner Sitzung vom 16. Juni 2011 ohne Abstimmung an.333 Dabei wurde auch die Bildung einer aus fünf unabhängigen Experten bestehenden Arbeitsgruppe beschlossen, die der Verbreitung und Umsetzung der Leitprinzipien dient.334 Ein Mandat zur Behandlung von Individualbeschwerden wurde der Arbeitsgruppe dabei nicht übertragen.335 Die Umsetzung der Leitprinzipien wird aber noch auf anderem Wege begleitet werden: Da das neue Menschenrechtskapitel der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen auf die Leitprinzipien gestützt ist und die Erläuterungen explizit auf diese Bezug nehmen336, werden sie in den Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen inzident zur Anwendung gebracht. Auch destillieren die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen die wesentlichen Punkte aus dem auf die Unternehmensverantwortung bezogetive of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie, A  /  HRC  /  17  /  31 vom 21. März 2011. 331  „Nothing in these Guiding Principles should be read as creating new international law obligations“: Guiding Principles on Business and Human Rights, A / HRC / 17 / 31 vom 21. März 2011, General principles, par. 4. 332  Guiding Principles on Business and Human Rights, A  /  HRC  /  17  /  31 vom 21. März 2011, Ziffer 16 und 17. 333  Resolution 17  /  4 „Human Rights and transnational corporations and other business enterprises“ adopted by the Human Rights Council, A  /  HRC  /  17  /  4 vom 6. Juli 2011, Ziffer 1. 334  Die Arbeitsgruppe soll aus fünf unabhängigen Experten mit ausgewogener geographischer Repräsentanz bestehen und zunächst für drei Jahre tätig sein, Resolution 17 / 4 „Human Rights and transnational corporations and other business enterprises“ adopted by the Human Rights Council, A  /  HRC  /  17  /  4 vom 6. Juli 2011, Ziffer 6. 335  Vgl. auch Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 2. 336  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 36.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme91

nen Kapitel der Leitprinzipien heraus und markieren daher die Essenz dieser Erwartungen. Die OECD und die Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Leitprinzipien haben aufgrund dieses engen Zusammenhangs und der gegenseitigen praktischen Bedeutung feste Arbeitsbeziehungen etabliert.337 Die Leitprinzipien stellen eine wichtige Etappe in den Bemühungen der Vereinten Nationen zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte dar. Sie haben sich dabei von dem Fokus auf transnationale Unternehmen gelöst und zielen nicht auf eine Rechtsverbindlichkeit ab. Durch die Annahme im UNMenschenrechtsrat kommt den Leitprinzipien eine hohe moralische Autorität zu.338 Auch unternehmensseitig wurden die Leitprinzipien begrüßt. Diese Akzeptanz ist notwendig, um die erwünschte Verhaltensänderung der Unternehmen zu erzielen. Die Leitprinzipien sind nun zentraler und fest etablierter Bestandteil des internationalen Diskurses zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte. Internationale Dokumente nehmen inhaltlich auf sie Bezug und verleihen ihnen damit zusätzlich Gewicht. Die Leitprinzipien stellen folglich einen maßgeblichen, global gültigen Orientierungsrahmen für das von Unternehmen erwartete beziehungsweise anzustrebende Verhalten dar. Obwohl sie nicht unmittelbar auf eine Rechtsverbindlichkeit zielen, könnten sie daher zur Entstehung einer völker(gewohnheits)rechtlichen Bindung von Unternehmen beitragen339. e) Zusammenfassung Der rechtlichen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte wurden bislang regelmäßig zwei Grundbedenken entgegengehalten, die bis dato eine völkerrechtliche Kodifikation zum Thema verhinderten. Zum einen sei dies eine vermeintliche „Privatisierung“ der Menschenrechte, die von der primären Verantwortung der Staaten zum Schutz der Menschenrechte ablenke.340 Zum anderen wurde die fehlende Völkerrechtssubjektivität von 337  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, http: /  / www.keepeek.com / Digital-Asset-Management / oecd / governance / annualreport-on-the-oecd-guidelines-for-multinational-enterprises-2012_mne-2012-en, Fußnote 5. 338  Die Zusammensetzung des Menschenrechtsrates ist geographisch repräsentativ; Theissen, Mehr als nur ein Namenswechsel: Der neue Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen.“ Vereinte Nationen 54.4, S. 138. 339  Angesichts ihres recht hohen Detaillierungsgrades ist dabei allerdings nicht zu erwarten, dass alle Bestandteile zu gewohnheitsrechtlicher Geltung erstarken. Zum Inhalt einer möglichen völkergewohnheitsrechtlichen Norm zur Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen siehe unten Teil 3, B.II.5. 340  Vgl. Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AvR 45 (2007), S. 541, S. 544, Fußnote 21 m. w. N. Zur Be-

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Unternehmen problematisiert.341 Damit war die Diskussion um eine völkerrechtliche Bindung multinationaler Unternehmen an Menschenrechte bislang vermischt mit Befürchtungen, diese würde zu einer Erosion des Menschenrechtsschutzes beziehungsweise des staatszentristischen internationalen Systems beitragen. Der pragmatische, auf Unverbindlichkeit setzende Ansatz der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vermeidet diese Auseinandersetzung und ebnet den Weg für eine Konzentration auf die praktischen Möglichkeiten, die Beachtung von Menschenrechten durch Unternehmen zu verbessern.342 Die Einsetzung der Arbeitsgruppe mit ihrem spezifischen Arbeitsprogramm und die inzidente Anwendung der Maßstäbe in den Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen unterstützen die praktische Anwendung der Leitprinzipien. Inwiefern diese beiden unverbindlichen Instrumente − möglicherweise gerade durch ihr Zusammenwirken − geeignet sind, zu einer völker(gewohnheits)rechtlichen Bindung von Unternehmen beizutragen, bleibt einer näheren Betrachtung ihrer völkerrechtlichen Bedeutung in Teil 3 der hier vorgelegten Ausarbeitung vorbehalten.343 Eine internationale Kodifikation, welche spezifisch an multinationale Unternehmen gerichtet ist und diese bei ihren weltweiten Aktivitäten direkt und sanktionsbewährt an die Einhaltung menschenrechtlicher Standards binden würde, steht demgegenüber derzeit nicht (mehr) auf der Agenda.344 Denkbar wäre jedoch, dass sich eine rechtliche Bindung von Unternehmen an Menschenrechte aus den internationalen Menschenrechtsinstrumenten ableiten lässt.

deutung der staatlichen Schutzpflicht siehe oben C.I.2.a). Zum Wesen der Menschenrechte siehe nachfolgendes Kapitel C.II.2. 341  Hierzu siehe oben C.I.3. 342  Die Beachtung fundamentaler Standards wird in der Praxis auch häufig als „licence to operate“ bezeichnet. 343  Siehe insbesondere Teil 3, B.I.2. und Teil 3, B.II.4.c). 344  Befürworterin einer solchen vertraglichen Lösung ist u. a. Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66 (2006), S. 625, S. 657 ff. Alternativ könnte sich de Schutter einen völkerrechtlichen Vertrag über die staatliche Verpflichtung zur Kontrolle der der eigenen Jurisdiktion unterliegenden, transnationalen Unternehmen vorstellen, de Schutter The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 38.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme93

2. Internationale Menschenrechtsinstrumente und ihre Bindungswirkung für multinationale Unternehmen Eine Bindung von Unternehmen an Menschenrechte könnte sich auch aus einer entsprechenden Auslegung der internationalen Menschenrechtsinstrumente ergeben. Zu diesen Instrumenten zählen vor allem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte345, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte346, der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte347, sowie die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation348. Diese Instrumente unterscheiden sich in ihrer Rechtsnatur. So ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Form einer unverbind­ lichen Resolution der UN-Generalversammlung angenommen worden, die Menschenrechtspakte werden als völkerrechtliche Verträge mit ihrer Ratifikation rechtsverbindlich349. Gemeinsam ist all diesen Instrumenten, dass sie sich primär an Staaten richten.350 So sind die ersten Menschenrechte als reine Abwehrrechte gegen den Staat entstanden. Eine Bindung von Unternehmen an die in den Instrumenten statuierten Menschenrechte ist daher alles andere als selbstverständlich.351 Die Problematik der Bindung Privater an Menschenrechte ist vergleichbar mit der in der deutschen Verfassungslehre diskutierten Frage einer Bindung Privater an die Grundrechte. Denn grundsätzlich gilt, dass das Verhältnis Privater untereinander durch hierfür geschaffene Rechtsmaterien, wie beispielsweise dem Zivilrecht, geregelt wird; die Grundrechte gelten demgegenüber im Verhältnis Bürger-Staat. Zur Frage, ob die Grundrechte dennoch auch im Verhältnis Privater zueinander gelten, hat sich die Lehre von der 345  Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948, siehe oben Fußnote 65. 346  Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966, siehe oben Fußnote 66. 347  Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966, siehe oben Fußnote 66. 348  So genannte ILO-Kernarbeitsnormen, siehe unten C.IV.3.b)aa). 349  Zum Ratifikationsstand dieser beiden Instrumente siehe Fußnoten 126 und 127. 350  Ausführlicher untersucht bei Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S.  56 ff. 351  Kritiker fürchten gar eine Ablenkung von der staatlichen Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte durch eine solche Bindung. Die Betonung dieser vorrangig staatlichen Pflicht auch in Kapitel 1 der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ist daher zentral für die Akzeptanz einer menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

mittelbaren Drittwirkung durchgesetzt. Diese sieht eine Pflicht des Staates, den Grundrechten auch im Verhältnis von Privaten untereinander zur Geltung zu verhelfen, insbesondere durch eine entsprechende Auslegung der Öffnungsklauseln des Privatrechts352. Das heißt, die Grundrechte richten sich unmittelbar nur an den Staat, grundrechtskonformes Verhalten wird von Privaten aber mittelbar eingefordert. Eine andere Auffassung geht von einer unmittelbaren Geltung der Grundrechte zwischen Privaten aus. Fraglich ist, ob diese Denkmodelle auf die völkerrechtliche Ebene übertragbar sind und mit welchem Ergebnis.353 a) Mittelbare Drittwirkung der Menschenrechtsinstrumente Eine staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte vor Beeinträchtigungen durch Private ist heute unzweifelhaft etabliert.354 Dabei wird der Umfang der staatlichen Pflicht zur Gewährleistung der Menschenrechte so weit gezogen, dass nicht nur das staatliche Handeln selbst an den Standards zu messen ist, sondern auch Beeinträchtigungen der Rechte durch private Dritte staatliches Eingreifen zum Schutze dieser Rechte erforderlich machen. Diese staatliche menschenrechtliche Schutzpflicht könnte als völkerrechtliches Äquivalent der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte angesehen werden.355 Diese Übertragung der mittelbaren Drittwirkung in den völkerrechtlichen Kontext gelingt aber nicht vollständig, da auf der internationalen Ebene kein dem nationalen Zivilrechtsschutz und seinen Öffnungsklauseln vergleichbares Instrumentarium gegeben ist, das ähnlich direkte und bindende Auswirkungen auf die Unternehmen hätte wie ein zivilrechtliches Urteil.356 Die staatliche Schutzpflicht ist zudem mit einem weiten Ermessensspielraum verbunden 352  Dies sind insbesondere § 242 BGB, Treu und Glauben und § 138 BGB, die guten Sitten. 353  Diskutiert wird eine solche Bindungswirkung auch international in Anlehnung an die deutsche Lehre von der Drittwirkung; verwendet werden dabei häufig die Bezeichnungen „direct“ und „indirect“; vgl. beispielsweise Drzemczewski, The European Human Rights Convention and Relations Between Private Parties, NILR 26 (1979), S. 163 f; Clapham, Human Rights in the Private Sphere, Oxford  1993 / 1996, S.  180. 354  Siehe oben C.I.2.a). 355  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 78 m. w. N. und S. 267. 356  Die Verfahrensarten, die Privaten zur Verfügung stehen um ihre Rechte einzufordern − zum Beispiel im Bereich des WTO-Rechts oder der EnergieCharta (sog. ICSID-Verfahren) − betreffen das Verhältnis zwischen Privaten und Staat, nicht zwischen Privaten. Zur Geltung im Privatrecht vgl. aber von Unger, Menschenrechte als transnationales Privatrecht, Berlin 2008.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme95

und überlässt den Staaten die Wahl der Mittel, einschließlich der Wahl zwischen exekutiven, legislativen und administrativen Ansätzen. Angesichts dieser Unterschiede bleibt bei den Befürwortern einer mittelbaren Drittwirkung der Menschenrechtsverträge deren Bedeutung letztlich unklar.357 Eine Konkretisierung bedeuten hier die Empfehlungen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die umfassend „appropriate steps to prevent, investigate, punish and redress such abuse through effective policies, legislation, regulation and adjudication“ fordern. Sollte dies von den Staaten realisiert werden, so würde dies die mittelbare Bindungskraft von Menschenrechten erheblich steigern. Einen schärfer umrissenen Gehalt könnte eine solche mittelbare Drittwirkung zudem durch die Anwendung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen bekommen. Dies scheint denkbar, da diese Leitsätze Verhaltensmaßstäbe für Unternehmen aufstellen, die an den internationalen Menschenrechtsinstrumenten ausgerichtet sind358 und diese Maßstäbe in den Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen in drittschützender Weise zur Anwendung gelangen. Allerdings erfolgt die Beachtung der Leitsätze „auf Basis der Freiwilligkeit“. Es ist daher fraglich, ob sie zur Ausfüllung eines rechtlichen Maßstabes dienen können. Auch kann auf diese Weise keine dem nationalen Zivilrecht vergleichbare Bindungswirkung erreicht werden.359 Andererseits bieten die Leitsätze ein auf individuelle Fallgestaltungen anwendbares Verfahren und zeichnet sich das Völkerrecht auch sonst durch einen im Verhältnis zum nationalen Recht weniger zwingenden Charakter aus.360 Eine abschließende Bewertung der Bedeutung des Umsetzungsverfahrens der Leitsätze für eine etwaige mittelbare Drittwirkung der Menschenrechtspakte erfordert eine genauere Untersuchung der Funktionsweise und Wirkung der Leitsätze und ihrer völkerrechtlichen Einordnung.361 Angesichts des ungewissen genauen Gehaltes einer mittelbaren Drittwirkung der Menschenrechte zum gegenwärtigen Zeitpunkt befasst sich die Mehrzahl der Autoren vorwiegend mit der Frage einer unmittelbaren Drittwirkung der internationalen Menschenrechtsstandards. 357  So auch Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 78. 358  Hierzu siehe unten Teil 2, B.III.1.a). 359  Zur etwaigen Berücksichtigung der Leitsätze bei der Auslegung von Öffnungsklauseln des Zivilrechts siehe unten Teil 2, D.II. 360  Siehe hierzu auch unten Teil 3, A.I.1.a). 361  Funktionsweise und Wirkung der Leitsätze werden unten in Teil 2, die völkerrechtliche Einordnung in Teil 3, A. untersucht. Vor diesem Hintergrund können unter Teil 3, B.I.2. Rückschlüsse auf die Bedeutung der Leitsätze für eine etwaige mittelbare Drittwirkung der Menschenrechtspakte gezogen werden.

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b) Unmittelbare Drittwirkung der Menschenrechtsinstrumente Eine unmittelbare Drittwirkung würde eine unmittelbare Bindung von Unternehmen an die in den internationalen menschenrechtlichen Instrumenten enthaltenen Standards bedeuten und wird im völkerrechtlichen Schrifttum in zunehmendem Maße untersucht.362 aa) Eingrenzung auf faktisch durch Unternehmen verletzbare Menschenrechte? Teilweise wird dabei unterschieden zwischen Menschenrechten, welche faktisch von Unternehmen verletzt werden könnten, wie zum Beispiel das Recht auf Leben oder das Recht auf Nichtdiskriminierung, und solchen, die sie faktisch nicht verletzen könnten, wie zum Beispiel die Rechtsweggarantie.363 Diese Unterscheidung scheint auf den ersten Blick sinnvoll. Dennoch hat sich der UN-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, mit gutem Grund gegen eine solche Differenzierung entschieden. Die Erwartungen an die Schutz- und Garantiefunktion der Unternehmen in Bezug auf die faktisch durch sie verletzbaren Rechte entsprachen meist dem staatlichen Schutzniveau. Diesen Ansatz machte Ruggie mit verantwortlich für die Sackgasse, in die die Versuche einer Regulierung multinationaler Unternehmen geraten waren. Stattdessen hält er grundsätzlich negative Effekte unternehmerischen Verhaltens auf den Genuss aller Menschenrechte für denkbar, wobei aber eine Abstufung der an die Unternehmen gerichteten Verhaltensanforderungen im Verhältnis zu den staat­ lichen Verhaltensanforderungen notwendig sei.364 Dieser Ansatz macht es zugleich möglich, unterschiedliche Beteiligungsformen zu differenzieren und die Verhaltensanforderungen entsprechend auszugestalten.365 Folgendes Beispiel stützt die Ansicht, dass unternehmerisches Verhalten grundsätzlich auf alle Menschenrechte Auswirkungen haben kann: Wird einem Individuum durch staatliche Stellen der Rechtsweg verweigert, so 362  Bejahend zum Beispiel Paust, Human Rights Responsibilities of Private Corporations, Vanderbilt journal of transnational law 35.3 (2002), S. 801, S. 810 ff. 363  So Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzungen durch Private, Berlin 1999, S. 20 ff. und Köster, der dies teilweise übernimmt: Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 71. Auch Paust gibt Beispiele für „actionable human rights“: Paust, Human Rights Responsibilities of Private Corporations, Vanderbilt journal of transnational law 35.3 (2002), S. 801, S. 817 ff. 364  Damit scheint ein „gordischer Knoten“ in der Debatte um die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen durchschlagen. 365  Bereits angedeutet oben, Teil 1, Abschnitt B.



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kann ein Unternehmen hiervon durchaus profitieren, es kann sogar den Staat in dieser Verweigerung direkt oder indirekt unterstützen.366 Konzeptionell ist es daher vorzugswürdig, keine Menschenrechte unter dem Gesichtspunkt ihrer faktischen Verletzbarkeit aus der Prüfung einer unmittelbaren Bindungswirkung für Unternehmen auszuschließen.367 bb) Unmittelbare Bindungswirkung Eine menschenrechtliche Bindung von Unternehmen wird teilweise aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom Dezember 1948368 hergeleitet. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) richtet sich in ihrer Präambel auch an den „Einzelnen“ und „alle Organe der Gesellschaft“. Dies wird, ebenso wie Art. 29 der Allgemeinen Erklärung, als Argument dafür herangezogen, dass damit aus völkerrechtlicher Sicht auch Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechte berufen sind.369 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Erklärung als Resolution der UN-Generalversammlung zwar unverbindlich ist (Art. 10, 13 UN-Charta), zumindest ihr Art. 1 zur Menschenwürde, der als materielle Grundlage der unternehmerischen Bindung herangezogen wird, in der Folgezeit aber zu Gewohnheitsrecht erstarkt ist.370 Auch die Feststellung, dass die AEMR „die Einhaltung der 366  Vgl. Leitfaden „Human Rights Translated; A Business Reference Guide“, der vom Castan Centre for Human Rights Law der Monash University, der International Business Leaders Initiative, dem UN Office of the High Commissioner for Human Rights und dem UN Global Compact 2008 am 31. Mai 2012 in seiner endgültigen Version vorgelegt wurde und der beispielsweise zu Art. 14 ICCPR, „right to a fair trial“, ausführt: „It is rare that the activities of a company would have any direct impact upon this right. Companies could negatively impact on this right if they attempt to corrupt the judicial process, for example, by bribing judges or jurors, or destroying relevant ecvidence.“, „Human Rights Translated; A Business Reference Guide“, http: /  / www.law.monash.edu.au / castancentre / publications / human-rights-trans lated.html, S. 37. Der Leitfaden lenkt zusätzlich das Augenmerk auf die Tatsache, dass Unternehmen auch vielfältige Möglichkeiten haben, den Genuss von Menschenrechten positiv zu beeinflussen: „Companies may facilitate this right by helping to provide legal representation to employees who cannot otherwise afford it.“. 367  A. A. Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 71. 368  Siehe oben Fußnote 65. 369  Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AvR 45 (2007) S. 541, S. 558 f. 370  Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AvR 45 (2007) S. 541, S. 558 f.

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Menschenrechte als eine primär staatliche Aufgabe ansieht“ ist kein zwingendes Hindernis für eine Bindung von Unternehmen.371 Denn die primäre Verantwortung der Staaten für den Schutz der Menschenrechte schließt nicht aus, dass zusätzliche Akteure an diesem Schutz in dem ihnen möglichen Rahmen beteiligt werden. Auch scheint es vertretbar, die Begriffe „Einzelner“ und „Organe der Gesellschaft“ dahingehend auszulegen, dass sie Unternehmen umfassen. Problematisch ist allerdings, dass nach dem klassischen Völkerrechtsverständnis nur diejenigen Teile der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als Quelle völkerrechtlicher Verpflichtung der Unternehmen gelten können, die zu Völkergewohnheitsrecht erstarkt sind. Dies trifft auf die Präambel und Art. 29 AEMR eher nicht zu.372 Eine unmittelbare Bindung von Unternehmen wird zudem auf den Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)373 und den Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR)374 gestützt. Beide Pakte halten in ihrem jeweiligen Absatz V der Präambel den „Einzelnen“ dazu an, „für die Förderung und Achtung der in diesem Pakt anerkannten Rechte einzutreten“. Angesichts des recht allgemeinen Appellationscharakters dieser Formulierung, die zudem in der Präambel, nicht im operativen Teil der Pakte enthalten ist, kann aus ihr alleine heraus aber wohl nicht auf eine völkerrechtliche Bindung von Unternehmen an die Pakte geschlossen werden.375 Gestützt wird eine Bindungswirkung ferner auf Art. 5 IPbpR, auf Art. 17 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und Art. 29 lit.a der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (AMRK), die auf Art. 30 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte fußend dem Einzelnen das Recht versagen, die „in den Konventionen enthaltenen menschenrechtlichen Gewährleistungen zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“376. Hieraus könnte eine Pflicht zur Wahrung der Menschenrechte auch durch Private gelesen werden. Stattdessen scheint es sich hier aber um eine Grenzziehung im Kant’schen Sinne zu handeln: Die Ausübung der eigenen Freiheit endet 371  So Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 56. 372  Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AVR 45 (2007) S. 541, S. 558 f. 373  Siehe oben Fußnote 66. 374  Siehe oben Fußnote 66. 375  So ist formuliert, der Einzelne solle für die Rechte „eintreten“, nicht sie „wahren“ oder „nicht verletzen“. Vgl. auch Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 95. 376  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 97.



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dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Das heißt, die genannten Artikel sind in ihrem Kontext so zu verstehen, dass die Verleihung der Menschenrechte dem Einzelnen nicht das Recht geben soll, bei deren Ausübung die Rechte der anderen zu beeinträchtigen. Eine eigenständige Pflicht zum Schutz der Rechte anderer entsteht daraus hingegen nicht. Diese Artikel positionieren damit den Einzelnen nicht an die Stelle des Staates und dessen Schutzverpflichtung, sondern verhindern lediglich, dass er für die befugte Ausübung seiner Rechte Schutz einfordert, wenn er zugleich die Rechte anderer beeinträchtigt. Eine unmittelbare Bindung von Unternehmen an Menschenrechte ergibt sich auch nicht aus den materiellen Rechten einzelner internationaler menschenrechtlicher Instrumente. Diese sind hinsichtlich des Verpflichteten entweder neutral formuliert, so bei den bürgerlich-politischen Rechten des IPbpR und der EMRK, oder beziehen sich deutlich auf den Staat, so im IPwskR und den ILO-Konventionen. Auch die generellen Verpflichtungsnormen, wie Art. 2 IPbpR und Art. 1 EMRK, stellen auf den Staat als Verpflichteten ab. Eine Sonderrolle könnten hier nur die Abwehrrechte gegen Sklaverei und Zwangsarbeit einnehmen. Köster zeigt auf, dass diese überwiegend von Privaten durchgeführt wurden und werden und diese Tatbestände als direkte Verbote formuliert wurden. Er schließt hieraus auf eine direkte Bindung Privater an diese Verbote.377 Die Argumentation Kösters vermag angesichts ihrer Differenziertheit zu überzeugen und ist angesichts der Realität in einigen Ländern auch durchaus praxisrelevant. Die Ansicht, dass Unternehmen zumindest einigen unmittelbaren Pflichten unterliegen, scheint auch sonst in der Literatur vorzudringen.378 Allerdings spiegelt sich diese Auffassung noch nicht in den Äußerungen der Vertragsorgane oder der staatlichen Praxis wider, so dass hinreichende Anhaltspunkte für eine entsprechende Auslegung der Menschenrechtsinstrumente fehlen. Auch der UN-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte untersuchte die Verbindlichkeit der Menschenrechte für Unternehmen und kam zu dem Ergebnis, dass die Pakte die Unternehmen nicht ausdrücklich als Adressaten benennen und sich zu einer entsprechenden 377  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 106 f., S. 115. 378  Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AVR 45 (2007), S. 541, S. 558 ff.; Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 83: „In summary, the idea that multinationals may be subject to some ‚direct‘ obligations under international law is slowly gaining momentum (…)“. Die Bindung an einzelne Tatbestände bejaht Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010.

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Auslegung noch keine einheitliche Praxis der Staaten herausgebildet habe.379 Vielmehr bestünden unterschiedliche Konzepte zu den Fragen einer direkten oder indirekten Menschenrechtsbindung und der Verantwortlichkeit eines Mutterkonzerns für die Tochterunternehmen.380 Zu einer generellen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte kommen demgegenüber Autoren, die die unternehmerische Bindung gänzlich anderweitig begründen.381 So baut Ratner, der sich vom traditionellen Völkerrechtsverständnis löst, auf das Zusammenspiel mehrerer Faktoren auf – wie die Verbindungen des Unternehmens zur Regierung, der Bezug des Unternehmens zu den Betroffenen, die einschlägige materielle menschenrechtliche Norm und die Struktur des Unternehmens.382 Dieser Ansatz entspricht jedoch nicht dem herrschenden Völkerrechtsverständnis.383 Vom klassischen Völkerrechtsverständnis ausgehend befürwortet zwar eine verbreitete Meinung die theoretische Möglichkeit einer unmittelbaren Bindung multinationaler Unternehmen an Menschenrechte.384 Dabei bleibt die Übersetzung der mit Blick auf Staaten formulierten Gewährleistungen in den unternehmerischen Kontext allerdings ungewiss.385 Die wohl überwiegende Auffassung verneint daher zugleich, dass sich eine solche Auslegung nach dem gegenwärtigen Stand der Entwicklung bereits realisiert habe.386 Denn weder die Aussagen der Vertragsorgane der Menschenrechts­ 379  Human

Rights Council, Report (J. Ruggie), A / HRC / 4 / 35 vom 19. Februar

380  Human

Rights Council, Report (J. Ruggie), A / HRC / 4 / 35 vom 19. Februar

2007. 2007.

381  Etwa Ratner, Corporations and Human Rights: A Theory of Legal Responsibility, The Yale Law Journal 111 (2001), S. 443. Vgl. auch de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 40. 382  Ratner, Corporations and Human Rights: A Theory of Legal Responsibility, The Yale Law Journal 111 (2001), S. 443, S. 496 ff. 383  Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem klassischen Völkerrechtsverständnis und einigen Alternativen hierzu erfolgt in Teil 3 dieser Arbeit. 384  Vgl. Auch Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multina­ tionaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 131 f. 385  Vgl. Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 28: „It is widely accepted by now that direct human rights obligations are at least a theoretical possibility (…); less certain, though, is how human rights law, traditionally aimed at states, might be translated to the corporate context.“. Die mögliche Rolle der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen für diese „Übersetzung“ wurde unter B.II. bereits angedeutet. 386  Vgl. beispielsweise Joseph, An Overview of the Human Rights Accountability of Multinational Enterprises, S. 75; Bretschger, Unternehmen und Menschenrechte; Elemente und Potenzial eines informellen Menschenrechtsschutzes, Zürich u. a.,



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instrumente noch die staatlichen Meinungsbekundungen unterstützten bisher eine solche Verpflichtung von Unternehmen.387 Es bleibt daher einstweilen bei der Feststellung des Human Rights Committee in General Comment no. 31, dass die Menschenrechte in den Verträgen „do not … have a direct horizontal effect as a matter of international law – that is, they take effect as between non-state actors only under domestic law“388.

Fraglich ist, ob möglicherweise (künftig) den Aussagen der Nationalen Kontaktstellen für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen staatliche Meinungsbekundungen zu entnehmen sein könnten, die eine Bindung von Unternehmen an internationale Menschenrechtsstandards trotz des „unverbindlichen“ Charakters der Leitsätze stützen. Eine Untersuchung der bisherigen Aussagen der Nationalen Kontaktstellen wird hier möglicherweise bereits Aufschluss geben, eine abschließende Bewertung dieser Frage sei aber Teil 3 dieser Arbeit vorbehalten. cc) Rechtsbehelfe Fraglich ist, ob und gegebenenfalls welche Rechtsbehelfe zur Verfügung stünden, wäre eine unmittelbare Bindung von Unternehmen an Menschenrechte etabliert. Das internationale Menschenrechtsregime kennt nur im Bereich regionaler Menschenrechtskonventionen eine Individualbeschwerde und dort nur solche, die gegen Staaten gerichtet sind. Zu denken wäre an einen Wieder2010, S. 29; Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 131 f. und Ar­ naud, Völkerrecht, Heidelberg u. a., 2012, Rz. 623, der feststellt: „Nicht etabliert ist im Völkerrecht eine generelle Drittwirkung von Menschenrechten“. A. A. Emmerich-Fritsche, die „zehn Gründe für die unmittelbare Bindung von Unternehmen an die Menschenrechte“ anführt: Emmerich-Fritsche, Zur Verbind­ lichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AVR 45 (2007), S. 541, S.  558 ff. Auch Addo geht davon aus, dass „all persons (natural and juridical) have a general duty to respect the rights of others“: Addo, Human Rights and Transnational Corporations, S. 27. 387  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 123 ff. 388  Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AvR 45 (2007), S. 541, S. 557: HRC, general comment No 31, para. 8. Der letzte Hinweis bezieht sich auf die Tatsache, dass das nationale Recht idealerweise so ausgestaltet ist, dass Privaten ein Verhalten untersagt ist, welches menschenrechtsverletzende Auswirkungen auf andere hat. Da dies in der Praxis aber nicht (immer) der Fall ist, entstand die Frage nach einer unmittelbaren Bindung Privater an die internationalen Menschenrechte.

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gutmachungsanspruch, der beispielsweise aus der Übertragung der Prinzipien des völkerrechtlichen Delikts und damit aus dem Recht der Staatenverantwortlichkeit abgeleitet wird. Geltend zu machen wäre ein solcher Anspruch über nationale Gerichte, deren extraterritoriale Zuständigkeit allerdings nicht selbstverständlich ist und die überwiegend an national-rechtliche (deliktische) Anspruchsgrundlagen gebunden sind.389 Hier kommt dem Umsetzungsverfahren nach den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen möglicherweise eine „Auffangfunktion“ zu. Eine nähere Betrachtung des Verfahrens wird zeigen, ob und inwiefern es geeignet ist, eine solche Funktion zu erfüllen. 3. Völkerstrafrechtliche Bindung multinationaler Unternehmen Neben einer rechtlichen Bindung von Unternehmen an internationale Menschenrechtsinstrumente kommt auch eine Bindung an Völkerstrafrecht in Betracht, welches beispielsweise die Tatbestände Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit enthält. Die völkerrechtlichen Straftatbestände haben bedeutenden menschenrechtsschützenden Charakter, da sie dem Schutz der Bevölkerung vor besonders gravierenden Übergriffen dienen. Zugleich sind unterschiedliche Formen der Beteiligung von Unternehmen an solchen staatlichen Akten durchaus denkbar. Die Frage einer Bindung multinationaler Unternehmen an die Völkerstraftatbestände wird in der Literatur, im Gegensatz zur Bindung an Menschenrechte, relativ wenig diskutiert.390 Ursache hierfür könnte sein, dass die Strafbarkeit juristischer Personen kein allgemein anerkanntes Konzept ist. Stattdessen werden ihr teilweise grundlegende dogmatische Erwägungen entgegengehalten, da nur natürlichen Personen ein Schuldvorwurf gemacht werden könne.391 So gibt es auf internationaler Ebene keine Möglichkeit, Unternehmen völkerstrafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Die Statuten des International Criminal Tribunal for the Former Yougoslavia392, des International Criminal Tribunal for Rwanda393 und vor allem das 2002 in Kraft getretene Statut des Internationalen Strafgerichtshofes394 beschränken ihre Zuständigkeit ausdrück389  Siehe

unten C.III.1.b). Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 179. 391  So die Begründung im deutschen Recht, siehe unten C.III.1.a). 392  Art. 6 ICTY-Statut. 393  Art. 5 ICTR-Statut. 394  Art. 25 I ICC-Statut. Vgl. auch Chiomenti, Corporations and the International Criminal Court, S. 287. 390  Köster,



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lich auf natürliche Personen. Zwar gab es bei den Verhandlungen zur Annahme des Statutes des Internationalen Strafgerichtshofes ebenso wie bei seiner Überarbeitung im Jahr 2009 Forderungen nach einer Erweiterung der Zuständigkeit auf juristische Personen.395 Diese haben sich aber nicht durchgesetzt. Eine materielle völkerstrafrechtliche Verantwortung von Unternehmen ist aber rechtstheoretisch durch diese mangelnde internationale Gerichtszuständigkeit nicht zwingend ausgeschlossen396, zumal auch nationale Gerichte grundsätzlich Völkerstrafrecht zur Anwendung verhelfen können397. Auch für die Begründung deliktsrechtlicher Ansprüche vor nationalen Gerichten spielen Völkerstraftatbestände eine bedeutende Rolle, so in der Rechtsprechung der USA398. Einige Autoren bejahen daher die Bindung von Unternehmen an das Völkerstrafrecht, indem sie juristische mit natürlichen Personen gleichstellen, ohne dies allerdings dogmatisch näher zu begründen.399 Eine ausführlichere Untersuchung der Völkerstraftatbestände nimmt demgegenüber Köster vor.400 Aus der materiellen Bindung von Staaten und damit juristischen Personen einerseits und von Privatpersonen andererseits schlussfolgert er die Bindung privater juristischer Personen.401 Er sieht sich dabei durch die 395  Zu den Verhandlungen über die Annahme des Statuts vgl. Clapham, The Question of Jurisdiction Under International Criminal Law Over Legal Persons, S.  146 ff. 396  So auch Köster, der mit der Teilbarkeit der Völkerstrafnormen in ein abstraktes Verbot und eine Strafermächtigung argumentiert, Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 182 f. m. w. N. 397  Sog. Weltrechtsprinzip, vgl. Herdegen, Völkerrecht, 11.  Auflage, München 2012, § 26, Rz. 13. Zur Ausgestaltung der nationalen Rechtsordnungen ausführlicher siehe unten C.III.1.a). 398  So in der US-amerikanischen Rechtsprechung nach dem Alien Tort Statute, siehe beispielsweise Presbytarian Church of Sudan vs.Talisman Energy, Inc. und weitere Beispiele bei Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 186, Fußnoten 803 bis 805. Einzelheiten zur amerikanischen Rechtsprechung, insbesondere zur künftigen Relevanz nach dem Urteil des US Supreme Court im Fall Kiobel, siehe unten C.III.1.b) aa). 399  Paust verweist auf die US-Rechtsprechung nach dem ATS, vgl. Paust, Human Rights Responsibilities of Private Corporations, Vanderbilt journal of transnational law 35.3 (2002), S. 801, S. 803 ff.; Ratner, Corporations and Human Rights: A Theory of Legal Responsibility, The Yale Law Journal 111 (2001), S. 443, S. 494 f. 400  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 180 ff. 401  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 184.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

bisherige US-amerikanische Rechtsprechung bestätigt.402 Auch der UNSonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte stellt ein „expanding web of potential corporate liability for international crimes“ fest, welches sich aus der Weiterentwicklung der individuellen völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit einerseits und der Ausweitung strafrechtlicher Verantwortung für völkerstrafrechtliche Tatbestände auf Unternehmen durch das nationale Recht andererseits ergebe.403 Dieses „expanding web“ baut allerdings ausschließlich auf die Durchsetzung durch nationale Gerichte. Deren weitere Entwicklung gerade in den USA scheint allerdings derzeit angesichts der Entscheidung des US Supreme Court im Fall Kiobel fraglich.404 Materiell spricht für eine Anwendung des Verbotsgehaltes des Völkerstrafrechts auf Unternehmen, dass es sich hier um die gravierendsten Menschenrechtsverletzungen handelt, die deshalb auch nicht disponibel sind (sogenanntes jus cogens). Die Rechte der Betroffenen sind hier besonders schützenswert. Eine Strafbarkeit von Unternehmen würde allerdings die Klärung einiger Maßstäbe erfordern, so zur Zurechnung des Verhaltens natürlicher Personen zum Unternehmen, zur (extraterritorialen) Zurechnung des Verhaltens einzelner Unternehmensteile zueinander, zu den Voraussetzungen eines unternehmerischen Vorsatzes und zu möglichen Beteiligungsformen.405 Eine einfache Gleichsetzung der Strafbarkeit juristischer Personen mit der Strafbarkeit natürlicher Personen wird dem komplexen Geflecht multinationaler Unternehmen und extraterritorialer Sachverhalte hingegen nicht gerecht. Auch die US-Rechtsprechung, die als „the largest body of domestic jurisprudence regarding corporate responsibility for international crimes“ bezeichnet werden kann406, hat hier bislang keine allgemein anerkannten Klärungen gebracht407. 402  Köster verweist auf das obiter dictum des US-amerikanischen Militärgerichts im I.G. Farben-Prozeß sowie auf Entscheidungen von Bundesgerichten im Rahmen von ATS-Verfahren, Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 184 ff. 403  „Business and Human Rights: Mapping International Standards of Responsibil­ ity and Accountability for Corporate Acts“, Report of the Special Representative of the Secretary-General (SRSG) on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, A / HCR / 4 / 035, vom 9. Februar 2007, Ziffer 22. 404  Siehe unten C.III.1.b)aa). 405  Anschaulich zu ungelösten Fragen auch „Business and Human Rights: Mapping International Standards of Responsibility and Accountability for Corporate Acts“, Report of the Special Representative of the Secretary-General (SRSG) on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, A / HCR / 4 / 035, vom 9.  Februar  2007, Ziffer  32. 406  „Business and Human Rights: Mapping International Standards of Responsibility and Accountability for Corporate Acts“, Report of the Special Representative



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme105

Eine völkerstrafrechtliche Bindung von Unternehmen scheint daher zwar grundsätzlich rechtstheoretisch möglich, jedoch sind die Indizien für eine solche Geltung nicht besonders umfangreich408 und es fehlt an einer Übersetzung der individualstrafrechtlichen Maßstäbe auf (multinationale) Unternehmen409. 407

4. Völkergewohnheitsrechtliche Bindung multinationaler Unternehmen Als weitere Rechtsquelle einer völkerrechtlichen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte kommt das Völkergewohnheitsrecht in Betracht. Wie unter 2. dargelegt, wird eine mittelbare oder unmittelbare Bindung von Unternehmen an die internationalen Menschenrechtsinstrumente nicht aus grundsätzlichen, dogmatischen Erwägungen verneint, sondern weil die staatlichen Meinungsäußerungen, die gegenwärtige Staatenpraxis und die Spruchpraxis der Vertragsorgane eine solche Auslegung derzeit nicht bestätigen. Bei dieser Ausgangssituation liegt die Annahme nahe, dass keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine völkergewohnheitsrechtliche Bindung der Unternehmen an Menschenrechte bestehen. In der Literatur wird eine gewohnheitsrechtliche Bindung von Unternehmen an Menschenrechte daher auch eher dann bejaht, sofern auch eine Drittwirkung der Menschenrechte angenommen wurde.410 Im Übrigen werden in Zusammenhang mit einer möglichen völkergewohnheitsrechtlichen Bindung von Unternehmen häufig diejenigen Initiatiof the Secretary-General (SRSG) on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, A / HCR / 4 / 035, vom 9. Februar 2007, Ziffer 30. 407  Laut Köster haben die US-Bundesgerichte die dogmatische Frage einer völkerrechtlichen Bindung privater juristischer Personen eher kursorisch behandelt, Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unter­ nehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 185. Siehe auch unten C.III.1.b)aa). 408  Verneinend äußerten sich demgegenüber beispielsweise die britische und die niederländische Regierung im Fall Kiobel, siehe unten Fußnote 485 und begleitenden Text. 409  Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen treffen keinerlei Aussage zu strafrechtlichen Aspekten und können daher hier nicht herangezogen werden. 410  Köster kommt zu dem bereits für den vertraglichen Bereich festgestellten Ergebnis, Unternehmen seien auch gewohnheitsrechtlich an Sklaverei- und Zwangsarbeitsverbot gebunden, zudem gewohnheitsrechtlich an das Piraterieverbot, Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 132 ff.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

ven angesprochen, die auf Freiwilligkeit beruhen, wobei deren Wechselwirkung mit dem Völkerrecht aber häufig unklar bleibt oder als wenig bedeutend eingeschätzt wird. Gerade die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen werden dabei allerdings leicht unterschätzt. Insbesondere deren Überarbeitung im Jahr 2011 könnte, zusammen mit weiteren aktuellen Entwicklungen, zu einer Neubewertung ihres Beitrages zur Entstehung einer gewohnheitsrechtlichen Bindung (multinationaler) Unternehmen an Menschenrechte führen. Angesichts ihres „unverbindlichen“ Charakters ist für eine solche Einschätzung allerdings eine ausführliche Untersuchung der Funktionsweise der Leitsätze und ihrer Anwendung in der Praxis erforderlich. Eine Einschätzung ihres Beitrages zur Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht sei daher Teil 3 der hier vorgelegten Ausführungen vorbehalten. Diese Einschätzung bedeutet allerdings vorrangig eine Zukunftsprognose. Für die gegenwärtige Lage ist an dieser Stelle festzuhalten, dass aus der neuerlichen Betonung der „Freiwilligkeit“ der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen bei ihrer Überarbeitung im Jahr 2011411 und bei der Annahme der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte412 ersichtlich ist, dass eine Bindung von Unternehmen an Menschenrechte heute jedenfalls noch nicht gewohnheitsrechtlich etabliert ist. 5. Zusammenfassung Im Ergebnis ist festzuhalten, dass Versuche einer unternehmensspezifischen Kodifizierung menschenrechtlicher Verantwortung bislang weder zum Erfolg geführt haben noch in nächster Zeit zu erwarten sind. Eine mittelbare oder unmittelbare Bindung von Unternehmen an die internationalen Menschenrechtsstandards ist zwar rechtstheoretisch durchaus denkbar, wird aber von der herrschenden Auffassung im Schrifttum heute noch nicht angenommen.413 Hauptgrund hierfür sind fehlende Anhaltspunkte in den Aussagen der Vertragsorgane und der Staatenpraxis. Auch eine allgemeine völkergewohnheitsrechtliche Bindung von Unternehmen an Menschenrechte 411  Ein Erstarken der Leitsätze selbst zu verbindlichem Völkergewohnheitsrecht ist aus eben diesem Grund – im Gegensatz zu ihrem Beitrag bei der Entstehung einer eigenständigen völkergewohnheitsrechtlichen Norm – unwahrscheinlich, siehe unten Teil 3, B.II. 412  Vgl. Guiding Principles on Business and Human Rights, A / HRC / 17 / 31 vom 21. März 2011, General principles, par. 4.: „Nothing in these Guiding Principles should be read as creating new international law obligations“. 413  Vgl. z. B. Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66 (2006), S. 625, S. 627.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme107

wird heute von der herrschenden Meinung verneint. Eine „Pflichtenstellung für transnationale Unternehmen im Bereich der Menschenrechte“ wird daher „vom Völkerrecht in seinem gegenwärtigen Entwicklungsstadium“ nicht begründet.414 Dass die internationale Gemeinschaft noch nicht bereit ist, eine völkerrechtliche Bindung von Unternehmen an Menschenrechte anzuerkennen oder zu bewirken, wurde jüngst noch einmal deutlich im Zusammenhang mit der Annahme der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Denn um die Zustimmung durch den UN-Menschenrechtsrat zu gewährleisten, war es offenbar erforderlich, explizit darauf hinzuweisen, dass „Nothing in these Guiding Principles should be read as creating new international law obligations“415. Dennoch deutet einiges darauf hin, dass ein „Meinungsumschwung in der Völkerrechtsgemeinschaft“416 zugunsten einer Bindung multinationaler Unternehmen infolge der Entwicklungen im Jahr 2011 wahrscheinlicher geworden ist. Denn zum einen wurden konzeptionelle Fragen gelöst, die bislang einer rechtlichen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte im Wege standen. Zum anderen könnte die stärkere Einbeziehung menschenrechtlicher Belange in den Unternehmensalltag, wie sie von den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen angeregt und gefordert wird, zu einer wachsenden Akzeptanz einer menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen führen. Dieser Frage wird ausführlich in Teil 3 dieser Arbeit nachgegangen.

III. Heimatstaatliche Ansätze zur Lenkung des extraterritorialen Verhaltens multinationaler Unternehmen Nachdem im vorangegangenen Kapitel die Pflichtenstellung der Unternehmen betrachtet wurde, sollen im folgenden Kapitel diejenigen Lösungsansätze aufgezeigt werden, die bei den Heimatstaaten anknüpfen.417 414  Schmalenbach, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, AVR 39 (2001), S. 57, die hinzufügt, das Völkerrecht sei hiervon „weit entfernt“. 415  Guiding Principles on Business and Human Rights, A  /  HRC  /  17  /  31 vom 21. März 2011, General principles, par. 4. 416  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 268. 417  Primär verantwortlich für die Gewährleistung der Menschenrechte ist zwar der Staat, auf dessen Hoheitsgebiet die Beeinträchtigung der Menschenrechte erfolgt. Da aber manche dieser Staaten nicht willens oder in der Lage sind, die Ein-

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Dabei ist eingangs festzuhalten, dass keine völkerrechtliche Pflicht der Heimatstaaten besteht, zum extraterritorialen Schutz der Menschenrechte auf Unternehmen einzuwirken.418 Allerdings erlaubt das Völkerrecht in einigem Umfang ein solches Wirken.419 Eine mögliche Form der heimatstaatlichen Kontrolle des extraterritorialen Verhaltens von Unternehmen kristallisierte sich im vorangegangenen Kapitel bereits heraus, nämlich die Bereitstellung der eigenen Gerichtsbarkeit für extraterritoriale Sachverhalte. Daneben bestehen Anknüpfungspunkte aber auch im Bereich der Legislative und der Exekutive. Alle drei Gewalten sollen daher hier betrachtet werden. Dieser Überblick macht deutlich, welche Bedeutung den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen im Gesamtkontext der unterschiedlichen Ansätze zukommt. Denn sie können als Teil der Bemühungen der Administrationen angesehen werden, das Verhalten der Unternehmen in gesellschaftlich gewünschte Bahnen zu lenken. Als solche können sie separat stehen oder integriert mit anderen Ansätzen zusammenwirken. Die Bedeutung des Umsetzungsverfahrens der Leitsätze ergibt sich dabei aus Sicht der Opfer aus einem Vergleich mit den Möglichkeiten, die Interessen anderweitig – insbesondere gerichtlich – geltend zu machen. 1. Gerichtliche Ahndung extraterritorialer Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch Unternehmen Für die Opfer extraterritorialer Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch Unternehmen kann es bei fehlenden oder wenig aussichtsreichen Klagemöglichkeiten im eigenen Land besonders interessant sein, Unterlassungsklagen, Regressansprüche oder strafrechtliche Ahndung im Heimatstaat des Unternehmens beziehungsweise dessen Muttergesellschaft anhängig zu machen. Bedeutung hat dieser Rechtsweg vor allem auch deshalb, da internationale Instanzen zur Geltendmachung dieser Interessen fehlen und etwaige völkerrechtliche Verpflichtungen multinationaler Unternehmen daher allenfalls auf nationaler Ebene durchgesetzt werden können. Die gerichtliche Geltendmachung im Heimatstaat wirft dabei komplexe Fragen des Zusammenspiels von Völkerrecht, nationalem (Zivil-)Recht und haltung international anerkannter Menschenrechte gegenüber multinationalen Unternehmen zu gewährleisten und die Vorstöße der Vereinten Nationen, hier auf internationaler Ebene regulierend einzugreifen, zunächst gescheitert sind, richtet sich der Blick zunehmend auf diejenigen Staaten, in denen die multinationalen Unternehmen beheimatet sind. 418  Siehe oben C.I.2.b)bb). 419  Siehe oben C.I.2.b)aa).



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme109

Verfassungsrecht auf.420 Zudem bestehen ungelöste Fragen zum Verhältnis zwischen gesellschaftsrechtlichen Vorgaben (juristische Trennung der Unternehmenseinheiten), vertragsrechtlichen Prinzipien (Verteilung von Aufgaben und Verantwortung im unternehmerischen Geflecht) und deliktsrechtlichen Anforderungen (Kontrollverantwortung).421 Seit Anfang der 1990er Jahre hat es einige prominente Gerichtsbefassungen vor US-amerikanischen und europäischen Gerichten gegen Muttergesellschaften multinationaler Unternehmen gegeben.422 Nichtregierungsorganisationen, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen bei ihren Bemühungen um Abhilfe und Wiedergutmachung unterstützen, sehen die gerichtliche Geltendmachung teilweise als ein wichtiges Mittel an, „Betroffenen von Unternehmensunrecht zu Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu verhelfen“423. Auch deutsche Gerichte könnten sich daher künftig vermehrt mit dieser Zuständigkeitsproblematik und der Frage nach dem anwendbaren Recht zu befassen haben. Allerdings hat der Gang zu einem heimatstaatlichen Gericht für extraterritoriale Sachverhalte nicht zwangsläufig Aussicht auf Erfolg. Generell bedarf es für die Begründung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte eines bestimmten Staates hinreichender Anknüpfungspunkte personeller, territorialer oder sachlicher Art.424 Die folgende Untersuchung zur Eröffnung des Rechtsweges und dem anwendbaren Recht in der deutschen und anderen Rechtsordnungen, insbesondere im Vergleich mit der US-amerikanischen Rechtsprechung zum Alian Tort Statute (ATS), zeigt die Grenzen und Möglichkeiten eines solchen Vorgehens auf. Bevor auf die Möglichkeiten für zivilrechtliche Schadensersatzklagen eingegangen wird, erfolgt eine kurze Untersuchung zu den Möglichkeiten einer strafrechtlichen Ahndung.

420  Nollkaemper, Public International Law in Transnational Litigation Against Multinational Corporations: Prospects and Problems in the Courts of the Netherlands, S. 265. 421  So auch Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, Oxford 2004, S. 143. 422  Vgl. de Schutter, der von „certain highly visible legal suits before US and European courts against parent companies“ spricht: de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 9. 423  Allerdings sehen „nicht alle in dem Bereich transnationale Unternehmen und Menschenrechte aktiven Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft eine juristische Vorgehensweise als erfolgversprechende Methode an“: ECCHR, European Cases Database, www.ecchr.de, S. 3. 424  Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 9. Auflage, München 2011, § 9, Rz. 19.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

a) Strafverfolgung vor heimatstaatlichen Gerichten Wie gesehen gibt es auf internationaler Ebene keine Strafbarkeit juristischer Personen.425 Die Durchsetzung von Völkerstraftatbeständen kann aber auch über nationale Strafgerichte erfolgen. Sie können ihre Zuständigkeit von gewissen innerstaatlichen Anknüpfungspunkten abhängig machen oder das sogenannte Weltrechtsprinzip anwenden, das heißt extraterritoriale Sachverhalte ohne innerstaatliche Anknüpfungspunkte zur Anklage bringen und verhandeln. Dies geht weit über die üblichen Grenzen, die das Verbot der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten zieht, hinaus und ist durch die Schwere der mit dem Völkerstrafrecht geahndeten Taten begründet. Die nationalen Rechtsordnungen können die Völkerstraftatbestände in die nationalen Rechtsordnungen übernehmen oder direkt anwenden.426 Sie können die Strafbarkeit juristischer Personen anerkennen oder nicht. Als Vorteil einer Strafbarkeit von Unternehmen wird angeführt, dies ermögliche Geldstrafen in ganz anderen Dimensionen zu verhängen und damit einen weiteren Anreiz zu einer entsprechend bewussten Unternehmensführung zu setzen. Wenige Rechtsordnungen haben aber bislang Gebrauch gemacht von diesen Möglichkeiten. Im deutschen Strafrecht ist sie nicht vorgesehen. Ihr wird die grundsätzliche, dogmatische Erwägung entgegengehalten, eine Schuldfähigkeit könne nur beim Menschen angenommen werden.427 Demgegenüber erkennen einige andere europäische Staaten, darunter Österreich428 und die Schweiz429, sowie auch beispielsweise USA, Japan und Indien die Strafbarkeit von juristischen Personen an430. 425  Siehe

oben C.II.3. genanntes Weltrechts- oder Universalitätsprinzip, siehe oben Fußnote 397. 427  Korte, Juristische Person und strafrechtliche Verantwortung, Bonn 1991, S.  15 ff. 428  Das österreichische Verbandsverantwortlichkeitsgesetz legt fest, dass ein Verband (juristische Personen sowie eingetragene Personengesellschaften und Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigungen) für eine Straftat verantwortlich ist, wenn die Tat zu seinen Gunsten begangen worden ist oder durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen (Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit von Verbänden für Straftaten, BGBl I 151  /  2005 in der Fassung BGBl I 112 / 2007 (ab 1. Januar 2008)). 429  Art. 102 des schweizerischen Strafgesetzbuches: „Wird in einem Unternehmen in Ausübung geschäftlicher Verrichtung im Rahmen des Unternehmenszwecks ein Verbrechen oder Vergehen begangen und kann diese Tat wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens keiner bestimmten natürlichen Person zugerechnet werden, so wird das Verbrechen oder Vergehen dem Unternehmen zugerechnet. In diesem Fall wird das Unternehmen mit Buße bis zu 5 Millionen Franken bestraft“. 430  Vgl. Eidam, Straftäter Unternehmen, München 1997, S. 30 ff., der UK, Irland, Frankreich, Dänemark, Niederlande und USA nennt, sowie „Business and Human Rights: Mapping International Standards of Responsibility and Accountability for 426  So



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme111

Um das Verhalten multinationaler Unternehmen in anderen Staaten strafrechtlich zu beurteilen, muss jedoch eine extraterritoriale Zuständigkeit der Gerichte hinzukommen. Diese hängt von der Ausgestaltung des nationalen Rechts ab.431 Zumindest ein Teil der Rechtsordnungen, die die Strafbarkeit juristischer Personen vorsehen, erkennen zugleich das Weltrechtsprinzip an.432 Allerdings hat es bislang in den meisten dieser Rechtsordnungen wenige Fälle zur Strafbarkeit einer juristischen Person gegeben.433 Im Gesamtbild sind die Möglichkeiten der strafrechtlichen Verfolgung von Unternehmen auf nationaler Ebene daher eher schwach.434 Aus Opfersicht ist aber auch der Zivilrechtsweg mit der Möglichkeit, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, von Interesse.

Corporate Acts“, Report of the Special Representative of the Secretary-General (SRSG) on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, A / HCR / 4 / 035, vom 9. Februar 2007, Fußnote 21, der zusätzlich Japan und Indien nennt; eine umfassende Untersuchung aller Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes stehe aber noch aus. 431  Bungenberg, Extraterritoriale Strafrechtsanwendung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord, Zugleich Anmerkungen zum Völkermord-Urteil des BGH vom 30. April 1999, AvR 39 (2001), S. 170. 432  „Business and Human Rights: Mapping International Standards of Responsibility and Accountability for Corporate Acts“, Report of the Special Representative of the Secretary-General (SRSG) on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, A / HCR / 4 / 035, vom 9. Februar 2007, Fußnote 22. 433  So hindern z. B. nach schweizerischem Recht der Grundsatz der Subsidiarität der Unternehmensverantwortlichkeit gegenüber der individuellen Verantwortlichkeit sowie hohe Anforderungen an gerichtsfeste Beweise die Anwendung dieser Vorschriften in der Praxis, ECCHR, European Cases Database, zu beziehen über www. ecchr.de, S. 5. 434  Anders verhält es sich mit der potenziellen Strafbarkeit der im Unternehmen tätigen natürlichen Personen, deren individuelle Schuld dann allerdings nachzuweisen ist: vgl. als Beispiel die schriftliche Strafanzeige des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), eingereicht bei der Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main im Mai 2010, gegen zwei Mitarbeiter einer Ingenieurbau-Firma (den Vorsitzenden der Geschäftsführung sowie den Leiter des Staudamm-Baus), wegen der Vertreibung, Überschwemmung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen in Folge des Baus des Merowe-Staudamms im Nordsudan, http: /  / www. ecchr.de  /  index.php  /  lahmeyer-fall.html. Die Staatsanwaltschaft, so informierte das ECCHR auf seiner Homepage mit Datum 1. November 2011, habe die Ermittlungen aufgenommen.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

b) Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche vor heimatstaatlichen Gerichten Für die zivilrechtliche Geltendmachung von Ansprüchen vor heimatstaatlichen Gerichten gegen multinationale Unternehmen wegen extraterritorialer Verletzungen von Menschenrechten − sogenannte human rights litiga­ tion435  − hat insbesondere die Rechtsprechung der USA bislang eine große Rolle gespielt436. Diese wird daher nachfolgend schwerpunktmäßig betrachtet. Einige andere Rechtsordnungen werden dem gegenübergestellt, um ein Bild von den Möglichkeiten aber auch Hürden einer zivilgerichtlichen Geltendmachung aufzuzeigen. aa) USA − Zur Rolle der US-Gerichtsbarkeit nach dem Alien Tort Statute (ATS) Die bis zur Entscheidung des US Supreme Court im Fall Kiobel am 17. April 2013437 unbestreitbare Vorreiterrolle der USA im Bereich der extraterritorialen human rights litigation ergab sich aus der Existenz des Code 28 U.S.C. § 1350 − eines Gesetzes, welches als Alien Tort Claims Act (ATCA)438 oder Alien Tort Statute (ATS)439 bekannt geworden ist. Die Anwendung und Auslegung dieses Gesetzes durch einige US-Bundesgerichte 435  Einführend vgl. Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. Alvarez-Machain, AVR 44 (2006), S. 76. Eingehend untersucht diese Materie von Unger, der in dieser Entwicklung gar Hinweise auf ein Privatrecht sieht, welches das Völkerrecht in seiner Bedeutung und Verantwortung ablöst: von Unger, Menschenrechte als transnationales Privatrecht, Berlin 2008, S. 248. Joseph schlussfolgert nach einem umfassenden Überblick über die Human Rights Litigation in Ländern des common law, „Litigation pressure will increase. Regardless of the pros and cons of transnational human rights litigation, the thruth ist that it is unlikely to disappear“: Joseph, Corporations and transnational human rights litigation, Oxford 2004, S. 151. 436  Vgl. insbesondere Seibert-Fohr / Wolfrum, Die einzelstaatliche Durchsetzung völkerrechtlicher Mindeststandards gegenüber transnationalen Unternehmen, AVR 43 (2005), S. 153, S. 181; Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. Alvarez-Machain, AVR 44 (2006), S. 76. 437  Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S.Ct. 1659 (2013). Ausführlicher zu dieser Entscheidung siehe unten C.III.aa.(1). 438  In der deutschen Literatur wird dieser Begriff bevorzugt, vgl. z. B. SeibertFohr / Wolfrum, Die einzelstaatliche Durchsetzung völkerrechtlicher Mindeststandards gegenüber transnationalen Unternehmen, AVR 43 (2005), S. 153; Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 207; Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. AlvarezMachain, AVR 44 (2006), S. 76.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme113

gab Anlass zu der Hoffnung, dass die USA in besonderem Maße als Gerichtsstandort für die Haftbarmachung von Unternehmen wegen extraterritorialer Menschenrechtsverletzungen genutzt werden können. Der Ursprung des Gesetzes, seine bisherige Anwendung und Auslegung und die jüngste Entscheidung des US Supreme Court sollen daher zunächst dargestellt werden. Anschließend wird auf die nach der Kiobel-Entscheidung noch offenen Fragen einzugehen sein. 439

(1) Ursprung des ATS und Entwicklung der US-Rechtsprechung (a) Erlass des Alien Tort Statute Abschnitt 9 des Federal Judiciary Act of 1789 bestimmt unter dem Titel „Alien’s Action for Tort“: „district courts shall have original jurisdiction of any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States“.

Dieses Gesetz wurde vom ersten Kongress der Vereinigten Staaten erlassen, wobei über die Hintergründe wenig bekannt ist.440 Relevant könnten aber damalige Völkerrechtsverletzungen gewesen sein, wie die Verletzung des freien Geleits, Seepiraterie und die Verletzung der Botschafterprivilegien.441 Auslöser für das Gesetz könnten sodann außenpolitische Spannungen und die sogenannten Marbois-Affaire gewesen sein, bei der ein französischer Diplomat auf US-Territorium von einem französischen Adeligen verletzt worden war, das zuständige Gericht des Staates Pennsylvania aber erst spät tätig wurde, um den von Frankreich geforderten diplomatischen Schutz zu realisieren.442 439  Vgl. auch Wilson, Beyond Unocal: Conceptual Problems in Using International Norms to Hold Transnational Corporations Liable Under the Alien Tort Claims Act, S. 43, Fußnote 1. Entsprechend den Gepflogenheiten im aktuellen Kiobel-Prozess vor dem US Supreme Court wird hier die Kurzbezeichnung Alien Tort Statute (ATS) gewählt. 440  Reynolds / Zimmer, Haften Unternehmen nach dem US-amerikanischen Alien Tort Statute?, RIW 2012, S. 139, S. 140 und Fußnote 13 unter Hinweis auf die Sitzungsprotokolle des Repräsentantenhauses und die Senatsdebatten. 441  Reynolds / Zimmer, Haften Unternehmen nach dem US-amerikanischen Alien Tort Statute?, RIW 2012, S. 139, S.  140 m. w. N. 442  Vgl. ausführlicher Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. Alvarez-Machain, AVR 44 (2006), S. 76, S. 79 m. w. N., die auch darauf hinweist, dass „in jener Zeit die schlechte Behandlung von Ausländern einer der häufigsten Vorwände für einen Krieg war“.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Das Gesetz weist den Bezirksgerichten und damit der ersten Instanz der Gerichtsbarkeit des Bundes die Zuständigkeit auch für zivilrechtliche Klagen zu, in denen ein Ausländer eine Verletzung von Völkergewohnheitsrecht geltend macht.443 (b) Extraterritoriale Anwendung des Alien Tort Statute Das Gesetz blieb über zwei Jahrhunderte weitgehend unbeachtet444, bis ein Bundesberufungsgericht 1984 eine Grundsatzentscheidung zu seiner extraterritorialen Anwendbarkeit fällte: Im Fall Filártiga v. Pena-Irala wurde die Klage eines paraguayischen Staatsbürgers gegen einen paraguayischen Beamten, der mittlerweile in New York wohnhaft war, wegen Folter und Mordes in Paraguay für zulässig erachtet.445 Die Entscheidung kam nach Ansicht vieler einer Anwendung des aus dem Strafrecht stammenden Weltrechtsprinzips im zivilrechtlichen Bereich gleich.446

443  In der Praxis war bislang nur diese erste Variante des Gesetzestextes relevant, Vertragsverletzungen wurden bislang nicht geltend gemacht, Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. Alvarez-Machain, AVR 44 (2006), S. 76, S. 77. Zur wichtigen Frage, ob der ATS nur eine Zuständigkeitsnorm ist oder darüber hinaus Anspruchsgrundlagen begründet, siehe unten C.III.1.b)aa)(2)(a). 444  Im Schrifttum ist die Rede von 21 Fällen, die in diesen Zeitraum fallen (siehe Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. Alvarez-Machain, AVR 44 (2006), S. 76, S. 79), von denen nur zwei die Zuständigkeit der US-Gerichte begründeten: Reynolds / Zimmer, Haften Unternehmen nach dem US-amerikanischen Alien Tort Statute?, RIW 2012, S. 139, S. 140 unter Hinweis auf Adra v. Clift, 195 F. Suppl. 857 (D.Md. 1961) und Bolchos v. Darrell, 3 Fed.Cas.810 (D.S.C. 1795). 445  Filártiga v. Pena-Irala, 577 F.Supp. 860 (S.D.N.Y. 1984); siehe auch Reynolds / Zimmer, Haften Unternehmen nach dem US-amerikanischen Alien Tort Statute?, RIW 2012, S. 139, S. 140 f.; Stephens, Translitigating „Filartiga“: A Comparative and International Law Analysis of Domestic Remedies For International Human Rights Violations, Yale Journal of International Law, 27 (2002), S. 1. Extraterritorial war hierbei folglich die vorgeworfene Tat, einen Bezug zur USA gab es allerdings durch den Wohnort des Beklagten. 446  Dieser Schluss wird von vielen gezogen, vgl. die Nachweise bei Köster, der diese Schlussfolgerung allerdings angesichts geforderter Minimalkontakte des Beklagten zu den USA für falsch hält, Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 256, Fußnote 1123 und S. 259.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme115

(c) Anwendung des Alien Tort Statute auf Unternehmen Aufgrund seiner extraterritorialen Anwendung stieg die Anzahl der nach dem ATS in den USA eingereichten Klagen.447 Dabei machten Kläger seit Mitte der 1990er Jahre, oft im Wege sogenannter Sammelklagen, einen „innovativen Gebrauch“ des ATS in Bezug auf Unternehmen und erzielten damit eine große öffentliche Aufmerksamkeit448 und einige bedeutende Vergleiche449. Dabei wurde auch versucht, den Kreis der einklagbaren Rechte auszudehnen − allerdings ohne Erfolg, da die geltend gemachten umwelt-, frauen- und arbeitsrechtsspezifischen Delikte nicht dem Völkergewohnheitsrecht zugeordnet wurden.450 Deutsche Unternehmen waren in dieser Zeit vor allem in Bezug auf zwei Themenkomplexe Beklagte in ATS-Verfahren: in Sammelklagen ehemaliger NS-Zwangsarbeiter451 und in Zusammenhang mit dem südafrikanischen Apartheits-Regime452. 447  Reynolds / Zimmer, Haften Unternehmen nach dem US-amerikanischen Alien Tort Statute?, RIW 2012, S. 139, S. 141. Der ATS ist dabei das Kernstück für die human rights litigation, andere Gesetze spielen aber ebenfalls eine Rolle, so der „Foreign Sovereign Immunities Act“ und der „Torture Victim Protection Act“, vgl. Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. Alvarez-Machain, AVR 44 (2006), S. 76. 448  de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 9 f. 449  Reynolds / Zimmer sprechen, unter Verweis auf Goldhaber, The Life and Death of the Corporate Alien Tort, AM. LAW, 12. Oktober 2010, von mehr als 150 Prozessen gegen führende multinationale Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen, von denen allerdings die meisten abgewiesen und die zugelassenen überwiegend zugunsten der beklagten Unternehmen entschieden worden seien; um die verheerenden Folgen der negativen Wahrnehmung des Unternehmens in der Öffentlichkeit zu vermeiden, hätten sich aber viele Unternehmen auf Vergleiche unter Zahlung von Millionen-Summen eingelassen: Reynolds / Zimmer, Haften Unternehmen nach dem US-amerikanischen Alien Tort Statute?, RIW 2012, S. 139, S. 140 und Fußnote 6. 450  Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. Alvarez-Machain, AVR 44 (2006), S. 76, S. 81. 451  Vgl. Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. Alvarez-Machain, AVR 44 (2006), S. 76, S. 81, Fußnote 24. 452  In Khulumani et al. v. Barclays National Bank et al. klagte im November 2002 die 32.000 Mitglieder zählende südafrikanische Organisation Khulumani und andere gegen Ölgesellschaften, Banken, Waffenhersteller, Transportunternehmen, Bergbauunternehmen und andere wegen derer wirtschaftlicher Betätigung in Südafrika zur Zeit des Apartheit-Regimes. Mit Ausnahme der Vorwürfe gegen die Bergbauunternehmen, denen konkrete Vorwürfe im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen in den Minen gemacht werden, handelt es sich im Hinblick auf die meisten Unternehmen

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Der ATS ermöglicht Ausländern, deliktsrechtliche Verfahren (torts) vor US-amerikanischen Bundesgerichten wegen der Verletzung von Völkergewohnheitsrecht anzustrengen. Inhaltlich wurde auf diesem Weg insbesondere die Bindung multinationaler Unternehmen an Völkerstraftatbestände thematisiert. Das Gesetz sagt aber wenig über die Beklagtenfähigkeit nach dieser Regelung aus. US-Bundesberufungsgerichte haben in Kadic v. Karadzic453 zunächst den ATS auf nichtstaatliche Täter, dann 2002 in Doe I v. Unocal Corporation454 ausdrücklich auch auf Unternehmen angewandt455. Das Urteil im Fall Doe I v. Unocal Corporation, dem eine „eher progressive Auslegung des Völkerrechts zugrunde liegt“, hat dabei zudem die Anwendbarkeit des ATS auf Zwangsarbeit erweitert und Maßstäbe für unter-

um den Vorwurf, das südafrikanische Militär und die Polizei mit Geld und Waren versorgt zu haben, wissend, dass hiermit Menschenrechtsverletzungen begangen würden (z. B. Polizeieinsatz, bei dem auf Demonstranten geschossen wurde, in Autos von Daimler-Benz; vgl. Winkler / von der Recke, US-amerikanischer Gerichtsstand für Klagen gegen ausländische Unternehmen, NZG 2005, Heft 6, S. 241, S. 243.). Ein weiterer Vorwurf lautet, mit der wirtschaftlichen Präsenz vor Ort zur Aufrechterhaltung des Regimes beigetragen zu haben. Im November 2004 hat der Southern District Court of New York diese Klage zusammen mit zwei weiteren (Ntsebeza, Digwamaje), nach deren Zusammenlegung zu einem Verfahren, abgewiesen: In re Southafrican Apartheid Litigation, 346 F. Supp. 2 d 538 (S.D.N.Y. 2003). Auf die Berufung beim Second Circiut Court of New York hin und nach einer Umstellung der Klage in wesentlichen Teilen, insbesondere eine Beschränkung der Zahl der beklagten Unternehmen auf acht transna­ tionale Unternehmen (Barclays, Daimler, Ford, Fujitsu, General Motors, IBM, Rheinmetall und UBS), fällte der Southern District Court of New York am 8. April 2009 eine differenzierte Entscheidung zur Verantwortlichkeit der Unternehmen als Gehilfen: Während der bloße Verkauf von Rohmaterialien oder das zur Verfügung stellen von Geld (als ersetzbare Ressourcen / fungible resources) nicht ausreichen sollen, wurde das Bereitstellen des eigentlichen Tatmittels in Kenntnis seiner späteren Verwendung als relevante Beihilfehandlung eingestuft; das Unterhalten wirtschaftlicher Beziehungen mit einem Unrechtsregime wurde als moralisch verwerflich, aber ohne rechtliche Konsequenzen bewertet: Saage-Maaß, Business as usual: Eine Besprechung des Urteils In re South African Apartheid Litigation, 02md-1499, des U.S. District Court, Southern District of New York, Manhattan) vom 8. April 2009, Kritische Justiz 1 / 2010, S. 54, S. 57 f. Bei einer Übertragung dieser Maßstäbe auf andere Sachverhalte ist insofern Vorsicht geboten, als das subjektive Element hier auch angesichts der vielfältigen Ächtungen des südafrikanischen Regimes z. B. durch die UN geprägt war, was nicht immer zutreffend sein wird: Vgl. ausführlich Joseph, Corporations and Human Rights Litigation, Oxford 2004, S. 50 ff. 453  Kadic v. Karadzic, 70 F.3d 232 (2d Cir. 1995). 454  Doe I v. Unocal Corp., 248 F.3d, 915 (9th Cir. 2002). 455  Unocal ist dabei ein US-amerikanisches Unternehmen. Die Klage gegen das mitverklagte franzöische Unternehmen TOTAL wurde abgewiesen, siehe unten C. III.1.b)aa)(2)(b).



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme117

nehmerische Beteiligungsformen aufgestellt.456 Damit waren aber keinesfalls die durch den ATS aufgeworfenen konzeptionellen Probleme gelöst.457 Trotz dieser Entscheidung wurden daher die Aussichten, dass ATS-Klagen eine umfassende Beachtung von Menschenrechten durch multinationale Unternehmen außerhalb historischer Ausnahmesituationen erzwingen können, in der Literatur teilweise als gering angesehen.458 In seiner Entscheidung im Fall Sosa v. Alvarez-Machain459, bei der eine natürliche Person beklagt war, hatte der US Supreme Court 2004 den ATS angewandt, aber ausdrücklich offen gelassen, ob er auf nichtstaatliche Akteure wie Unternehmen anwendbar ist. In einer „viel diskutierten Fußnote der Entscheidung erklärte der Supreme Court lediglich, dass für die Beantwortung dieser Frage in Betracht zu ziehen ist, ob das Völkerrecht die Haftung für die Verletzung einer bestimmten Norm auf die jeweils beklagte natürliche Person oder das beklagte Unternehmen ausdehnt“460. Dabei hatte der Supreme Court den ATS zunächst als rein prozessuale Norm eingestuft461, zugleich aber die Gerichte als befugt angesehen, zu seiner Anwendung Anspruchsgrundlagen im Federal Common Law, dem Bundesrichterrecht, zu schaffen462. Die Tatbestandsvoraussetzungen für diese Anspruchsgrundlagen sind dem bestehenden Völkergewohnheitsrecht zu 456  Seibert-Fohr, Die Deliktshaftung von Unternehmen für die Beteiligung an im Ausland begangenen Völkerrechtsverletzungen: Anmerkungen zum Urteil Doe I v. Unocal Corp. des US Court of Appeal (9th Circuit), ZaöRV 63 (2003), S. 195, S. 198 ff. und S. 200. 457  Wilson moniert „the ATCA creates conceptual problems at every turn“: Wilson, Beyond Unocal: Conceptual Problems in Using International Norms to Hold Transnational Corporations Liable Under the Alien Tort Claims Act, S. 43. 458  So Gaedtke, Der US-amerikanische Alien Tort Claims Act und der Fall Doe versus Unocal: Auf dem Weg zu einer Haftung transnationaler Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen?, AVR 42 (2004), S. 241. S. 257 und 259, wo es heißt: „Mit einem Dammbruch in Richtung einer umfassenden ATCA-Haftung von multinationalen Unternehmen (…) wird aber mit einiger Sicherheit nicht zu rechnen sein. Der neue Haftungsstandard wird den Ausnahmefall darstellen.“. 459  Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692 (2004). 460  Reynolds / Zimmer, Haften Unternehmen nach dem US-amerikanischen Alien Tort Statute?, RIW 2012, S. 139, S. 143. 461  Der Supreme Court stützte sich dabei auf den Wortlaut des ATS, der lediglich die Zuständigkeit, aber keine Anspruchsgrundlage („cause of action“) erwähne, und die systematische Einordnung in den Judiciary Act, der sich insgesamt sich rein mit prozessualen Fragen beschäftige: Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. Alvarez-Machain, AVR 44 (2006), S. 76, S. 83. 462  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 207; Hailer, Die US-

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

entnehmen. Dabei sollen fünf Kriterien berücksichtigt werden: Nur solche Normen sollen dem Völkergewohnheitsrecht zugeordnet werden, die „ebenso spezifisch, verbindlich und vom Völkerrecht allgemein anerkannt sind“ wie die bei Erlass des ATS bekannten463; die praktischen Konsequenzen der Schaffung einer solchen Anspruchsgrundlage sollten bedacht werden; Hinweise des Gesetzgebers sollten bedacht werden; anderweitige Rechtsmittel sollten erschöpft worden sein und Stellungnahmen der Exekutive zur außenpolitischen Relevanz eines Falles sollte ernsthaftes Gewicht beigemessen werden464. Mit diesen recht hohen Hürden, so wird im Schrifttum konstatiert, sei hier möglicherweise eine Situation entstanden, die die übliche dem Völkerrecht entgegengebrachte Frustration umkehre: Während üblicherweise kein Mangel an materiellen Normen, wohl aber an Durchsetzungsmechanismen besteht, so könne mit dem ATS ein Mechanismus zur Verfügung stehen, der aber mangels klar erkennbarer völkergewohnheitsrechtlicher Pflichten nicht voll zur Geltung gelangen könne465. Der Supreme Court selber formulierte: „The door (to international human rights litigation) is still ajar, subejct to vigilant doorkeeping“466. Diese Aussage ist vor allem vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die Einstufung des ATS als rein prozessuale Norm auch dessen Bedeutungslosigkeit zur Folge hätte haben können.467 Stattdessen zeigte der Supreme Court einen Weg für dessen weitere, allerdings sehr vorsichtige Nutzung. amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. Alvarez-Machain, AVR 44 (2006), S. 76, S. 83 ff. 463  Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692, 732 (2004): „the US federal courts should ‚require any claim based on the law of nations to rest on a norm of international character accepted by the civilized world and defined with a specificity comparable to the features of the 18th-century paradigms (…) which congress had in mind when adopting the First Judiciary Act 1789“, siehe auch de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 10 und Reynolds / Zimmer, Haften Unternehmen nach dem US-amerikanischen Alien Tort Statute?, RIW 2012, S. 139, S. 142. 464  Zu diesen Kriterien ausführlicher siehe Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. AlvarezMachain, AVR 44 (2006), S. 76, S. 87 f. 465  Wilson, Beyond Unocal: Conceptual Problems in Using International Norms to Hold Transnational Corporations Liable Under the Alien Tort Claims Act, S. 47. 466  Zitat bei Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. Alvarez-Machain, AVR 44 (2006), S. 76, S. 91, Fußnote 68. 467  Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. Alvarez-Machain, AVR 44 (2006), S. 76, S. 83.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme119

Bei der Anwendung der Kriterien aus der Sosa-Entscheidung des Supreme Court kamen die US-Bundesgerichte im Hinblick auf die Haftung von Unternehmen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das Bundesberufungsgericht des zweiten Bezirkes im Fall Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co.468 verneinte 2010, dass die unternehmerische Verantwortlichkeit heute eine völkergewohnheitsrechtliche Verdichtung erfahren habe469 und entschied, dass der ATS Klagen nur gegen natürliche Personen zulasse.470 Drei andere Bundesberufungsgerichte entschieden in der Folgezeit anders.471 (d) V  oraussetzungen extraterritorialer Zuständigkeit bei Klagen gegen Unternehmen Neben der Frage der Beklagtenfähigkeit von Unternehmen nach dem ATS war fraglich, ob und unter welchen Voraussetzungen eine extraterritoriale Zuständigkeit der Gerichte bei Klagen gegen Unternehmen gegeben ist. Hierfür ist im Rechtssystem der USA die personal jurisdiction über den Beklagten entscheidend. Die US-Bundesgerichte bejahten diese Zuständigkeit nur, wenn der Beklagte wenigstens über Minimalkontakte zu den USA verfügte.472 Die Bundesgerichte schienen einig in Bezug auf die bei beklagten Unternehmen geforderten inländischen Anknüpfungspunkte: „The United States federal courts have agreed to read this provision as implying that they have jurisdiction over enterprises either incorporated in the United 468  Kiobel

v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010). Corporate Accountability in Conflict Zones: How Kiobel Undermindes the Nuremberg Legacy and Modern Human Rights, Harvard Interna­ tional Law Journal – Online, Vol. 52, November 2010, S. 119; Schaub, Verantwortlichkeit von Unternehmen unter dem Alien Tort Statute, Eine Bestandsaufnahme nach Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., AVR 49 (2011), S. 124. 470  Reynolds / Zimmer, Haften Unternehmen nach dem US-amerikanischen Alien Tort Statute?, RIW 2012, S. 139, S. 145. Wenige Tage zuvor kam auch ein District Court zu demselben Ergebnis, vgl. Keitner, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum: Another Round in the Fight Over Corporate Liability Under the Alien Tort Statute, Fußnote 2 unter Hinweis auf Doe I v. Nestle, No. 2:05-cv-05133, at 121–60. 471  Vgl. Reynolds / Zimmer, Haften Unternehmen nach dem US-amerikanischen Alien Tort Statute?, RIW 2012, S. 139, Fußnote 59, die auf die Entscheidungen in den Fällen Flomo v Firestone; Doe v Exxon und Sarei v. Rio Tinto verweisen. Allerdings hat eine Woche vor der Kiobel-Entscheidung der 9. Distrikt entschieden, dass der Torture Victim Protection Act von 1991 nicht auf Unternehmen anwendbar sei, da er den Begriff „individual“ verwende, Bowoto v. Chevron, No. 0915641, at 13–17 (9th cir. Sept. 10, 2010) und bei der Entscheidung im Fall Sarei v. Rio Tinto hätten andere Erwägungen im Vordergrund gestanden, siehe Keitner, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum: Another Round in the Fight Over Corporate Liability Under the Alien Tort Statute, Fußnote 11 und Fußnote 2. 472  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 257. 469  Giannini / Farbstein,

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

States or having a continuous business relationship with the United States“473. Was unter diesen „continuous business relationsships“ zu verstehen ist, schien allerdings weniger klar. So wurde im Verfahren Doe I v. Unocal die Klage gegen das mitverklagte französische Unternehmen TOTAL abgewiesen, obwohl dieses Tochtergesellschaften in den USA hat und selbst mit Unocal in dem Pipelineprojekt in Burma / Myanmar vertraglich verbunden war.474 Im Verfahren Wiwa v. Royal Dutch Petroleum reichte der Handel von Aktien des Unternehmens an der New Yorker Börse in Verbindung mit dem Unterhalt eines Büros zur Kontaktpflege zu den amerikanischen Investoren.475 Im Vordergrund schien jedenfalls eine Präsenz des im Ausland in die Menschenrechtsverletzung verstrickten Unternehmensteils im Inland zu stehen. (e) D  ie Entscheidung des US Supreme Court im Fall Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. Der US Supreme Court hatte sich bislang nur im Fall Sosa v. AlvarezMachain476 zum ATS geäußert, bevor er im April 2013 die Entscheidung in der Revision des Verfahrens Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co.477 erließ. Angesichts der Uneinigkeit der Bundesgerichte in vielen grundlegenden Fragen wurde die Entscheidung mit Spannung erwartet. Der zugrunde liegende Sachverhalt ist einer der heikelsten und beachtetsten Fälle im Bereich Unternehmen und Menschenrechte: Er betrifft die Erdölförderung im Nigerdelta und deren Folgen für die lokale Bevölkerung, die Ogoni, und wurde von Familien hingerichteter Nigerianer eingereicht.478 Anders als im Fall Sosa ging es hier also unmittelbar um die Anwendung des ATS auf Unternehmen. 473  Vgl. de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 9. 474  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 258. Gaedtke, Der US-amerikanische Alien Tort Claims Act und der Fall Doe versus Unocal: Auf dem Weg zu einer Haftung transnationaler Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen?, AvR 42 (2004), S. 241, S. 251. 475  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 258. 476  Sosa v. Alvarez-Machain, 542 U.S. 692 (2004). 477  Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 621 F.3d 111 (2d Cir. 2010). 478  Zum Sachverhalt siehe oben Fußnote 154. Beachte auch die Entscheidung Wiwa v. Royal Dutch Petroleum, 2000 WL 1290355 (2d. Cir. 2000), Rau, Domestic Adjudication of International Human Rights Abuses and the Doctrine of Forum Non Conveniens: The Decision of the U.S. Court of Appeals for the Second Circuit in Ken Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Company, ZaöRV 61 (2001), S. 177.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme121

Drei Grundfragen wurden als Gegenstand des Kiobel-Prozesses beim US Supreme Court identifiziert: Ob die Unternehmenshaftung für Völkerrechtsverletzungen eine Frage der Zuständigkeit oder der materiellen Haftbarkeit ist479, ob Unternehmen ebenso wie natürliche Personen für Verletzungen völkerrechtlicher Tatbestände wie Folter, außergerichtliche Tötung oder Völkermord verklagt werden können480 und inwiefern der ATS extraterritoriale Klagen zulässt481. Etliche Regierungen und Organisationen hatten im Kiobel-Prozess amicus curiae briefs482 eingereicht und darin zu unterschiedlichen Fragen des Verfahrens Stellung genommen.483 Der deutsche amicus curiae brief betont, dass es sich vorliegend um Fragen der Zuständigkeit handele und verweist auf die Anwendung der Grundsätze des forum non conveniens und der Ausschöpfung eines anderweitigen Rechtsweges.484 Der britische und niederländische amicus curieae brief geht auf die materielle Völkerrechtslage ein und verneint eine völkerrechtliche Bindung von Unternehmen nach dem gegenwärtigen Stand der Völkerrechtsentwicklung, und zwar auch im Hinblick auf das Völkerstrafrecht.485 Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, 479  „(1) Whether the issue of corporate civil tort liability under the Alien Tort Statute, 28 U.S.C. § 1350, is a merits question or instead an issue of subject matter jurisdiction“, http: /  / www.scotusblog.com / case-files / cases / kiobel-v-royal-dutch-petro leum-et-al / . 480  „(2) whether corporations are immune from tort liability for violations of the law of nations such as torture, extrajudicial executions or genocide may instead be sued in the same manner as any other private party defendant under the ATS for such egregious violations“; http: /  / www.scotusblog.com / case-files / cases / kiobel-vroyal-dutch-petroleum-et-al / . 481  „(3) whether and under what circumstances the Alien Tort Statute, 28 U.S.C. § 1350, allows courts to recognize a cause of action for violations of the law of nations occurring within the territory of a sovereign other than the United States“, http: /  / www.scotusblog.com / case-files / cases / kiobel-v-royal-dutch-petroleumet-al / . 482  Stellungnahmen der Exekutive, vgl. auch Hirte, Der amicus-curiae-brief – das amerikanische Modell und die deutschen Parallelen, Zeitschrift für Zivilprozess, 104(1991), S. 11, S. 14. 483  http: /  / www.scotusblog.com / case-files / cases / kiobel-v-royal-dutch-petroleumet-al / . Siehe dort zahlreiche weitere amicus curiae briefs für beide Seiten des Rechtsstreits. Auch die USA haben im Juni 2012 offenbar einen enstprechenden amicus curiae brief eingereicht, http: /  / www.lawfareblog.com / 2012 / 06 / kiobel-obama-admin istration-supports-shell-argues-ats-should-not-apply-to-aiding-and-abetting-suitsagainst-foreign-corporations-leaves-open-possibility-of-suits-against-u-s-corporations / . 484  Brief of the Federal Republic of Germany as Amicus Curiae in Support of Respondents, S.  4 ff. 485  Brief of the Governments of the United Kingdom of Great Britain and North­ ern Ireland and the Kingdom of the Netherlands as amici curiae in Support of the Respondents, S. 10 ff. bzw. S. 28 ff.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Navi Pillay, argumentiert demgegenüber, Unternehmen seien Völkerrechtssubjekte und als solche nicht von einer Haftung für Menschenrechtsverletzungen und insbesondere nicht für völkerrechtliche Straftaten wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen befreit.486 Die US-amerikanische Exekutive warnt demgegenüber vor außenwirtschaftlichen und außenpolitischen Gefahren einer extraterritorialen Haftbarmachung von Unternehmen.487 Der US Supreme Court beschränkte sich in seinem äußerst kurzen Urteil auf die Frage der extraterritorialen Anwendung des ATS und betonte die Gefahr gerichtlicher Einmischung in außenpolitische Fragen.488 Er stellte in Ergänzung zu seiner Sosa-Rechtsprechung ein zusätzliches Kriterium auf: die „presumption against extraterritorial application“. Dieses Prinzip aus dem „canon of statutory interpretation“ binde die Gerichte ebenfalls, und zwar auch dann, wenn die Existenz von einschlägigen Völkerrechtsnormen bejaht würde, die „specific, universal and obligatory“ seien.489 Nichts im Wortlaut oder Entstehungshintergrund des ATS deute auf die Intention des Gesetzgebers hin, dem ATS extraterritoriale Wirkung zu verleihen.490 Die Fallgestaltung müsse daher das Territorium der USA in ausreichendem Maß betreffen. Im vorliegenden Fall habe sich das vorgeworfene Verhalten aber ausschließlich außerhalb der USA abgespielt. Auch die „mere corporate presence“ der Beklagten in den USA reiche nicht aus, um die „presumption Siehe aber auch die des Deutschen Institutes für Menschenrechte auf Klägerseite, in der unter anderem argumentiert wird, das Weltrechtsprinzip könne über den ATS auch im zivilrechtlichen Bereich angewandt werden; dies würde auch von amicus curiae briefs auf Beklagtenseite wie die der deutschen Regierung nicht bestritten, welche lediglich eine vorsichtige Auslegung des ATS befürworteten (Supplemental Brief of amici curiae German Institute for Human Rights and International Law Experts in Support of the Petitioners, S. 19). 486  Brief of Navi Pillay, The United Nations High Commissioner for Human Rights in Support of Petitioners, S. 2. 487  Hier spielt vor allem die Erwägung eine Rolle, dass Unternehmen von dem mit einer wirtschaftlichen Betätigung in den USA einhergehenden Prozessrisiko abgeschreckt werden könnten. Dass auch die Obama-Administration eine eher warnende Stellungnahme abgab, hat einige Beobachter überrascht. Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des ATS scheint die Einbeziehung der außenpolitischen Dimension bei dessen Anwendung allerdings durchaus gerechtfertigt. 488  Siehe Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S.Ct. 1659 (2013), S. 4: „The question here is not whether petitioners have stated a proper claim under the ATS, but whether a claim may reach conduct occurring in the territory of a foreign sover­ eign.“ und Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S.Ct. 1659 (2013), S. 5: „Indeed, the danger of unwarranted judicial interference in the conduct of foreign policy is magnified in the context oft he ATS“. 489  Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S.Ct. 1659 (2013), S. 5 f. 490  Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S.Ct. 1659 (2013), S. 7 f.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme123

against extraterritorial application“ zu widerlegen.491 Der US Supreme bestätigte daher die angefochtene vorinstanzliche Entscheidung. Damit stellte die Entscheidung Weichen für die weitere Bedeutung des ATS und des amerikanischen Gerichtsstandortes für die Haftbarmachung von Unternehmen.492 Der These von der Anwendung des Weltrechtsprinzips in zivilrechtlichen Klagen in den USA ist dabei eine deutliche Absage erteilt worden.493 In Folge der Kiobel-Entscheidung des US Supreme Court hat der Second Circuit Court of Appeal in New York am 21. August 2013 das Verfahren in den sogenannten Apartheits-Fällen mit der Empfehlung zur Abweisung an das unterinstanzliche Gericht zurückverwiesen. Die Sonderrolle der US-Gerichtsbarkeit für Klagen gegen ausländische Unternehmen auf der Grundlage des ATS muss damit als beendet gelten. Der US Supreme Court weist darauf hin, dass es Sache des Gesetzgebers sei, wenn gewünscht ein Gesetz zu erlassen, dass präziser als der ATS ist.494 Unzweifelhaft hat die vage und knappe Formulierung des ATS stets viele konzeptionelle Fragen aufgeworfen. Obwohl die Kiobel-Entscheidung einen herben Rückschlag für die human rights litigation bedeutet und möglicherweise zunächst falsche Signale an Unternehmen und Staaten gerade in Konfliktzonen sendet, eröffnet sie zugleich neue Perspektiven. So wird die Aufmerksamkeit verstärkt auch auf andere Jurisdiktionen gerichtet und erhält die politische Diskussion eine neue Dynamik. Zwar waren die USA gerade auch aufgrund prozessrechtlicher Besonderheiten wie der Zulässigkeit von Sammelklagen ein begehrter Gerichtsstandort. Als Reaktion auf die 491  Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S.Ct. 1659 (2013), S. 14: „And even where the claims touch and concern the territory of the United States, they must do so with sufficient force to displace the presumption against extraterritorial application. (…) Corporations are often present in many countries, and it would reach too far to say that mere corporate presence suffices.“. 492  Auch für Klagen gegen natürliche Personen ist diese Entscheidung angesichts der Allgemeingültigkeit der Aussagen zur „presumption against extraterritorial application“ des ATS wegweisend, wenn auch die befürchteten „foreign policy implications“ und insbesondere die außenwirtschaftlichen Folgen in diesen Fällen vermutlich weniger gravierend sind. 493  So auch die deutliche Formulierung des US Supreme Court: „Finally, there is no indication that the ATS was passed to make the United States a uniquely hospitable forum for the enforcement of international norms.“, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S.Ct. 1659 (2013), S. 12. 494  „If Congress were to determine otherwise, a statute more specific than the ATS would be required“, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S.Ct. 1659 (2013), S. 14. Umgekehrt hätte eine weitreichende Entscheidung des US Supreme Court gesetzgeberische Aktivitäten zur Abschaffung oder Einschränkung des ATS nach sich ziehen können.

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Kiobel-Entscheidung verschiebt sich der Fokus nun aber hin zu den Verfahrensaussichten auch in anderen heimatstaatlichen Jurisdiktionen und den bestehenden Zugangserschwernissen.495 Dabei wird zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die in ihrer dritten Säule auch den verbesserten Zugang zu justiziellen Verfahren der Wiedergutmachung umfassen, auch die günstigere Ausgestaltung prozessualer und materieller Vorschriften angemahnt. Möglicherweise fürchtete der US Supreme Court im Falle einer zu expansiven Entscheidung eine Klagewelle und eine Abschreckung ausländischer Unternehmen durch das mit einer wirtschaftlichen Präsenz in den USA einhergehende Prozessrisiko. Angesichts der Maßgaben, dass die praktischen Konsequenzen einer Entscheidung zu bedenken sind und der außenpolitischen Relevanz eines Falles ernsthaftes Gewicht beigemessen werden soll496, überrascht es nicht, dass der US Supreme Court die Klagemöglichkeiten eher einzuschränken suchte. Allerdings verschließt die Kiobel-Entscheidung durch die angedeutete Möglichkeit, die presumption of extraterritorial application zu widerlegen, die Tür zur US-amerikanischen Gerichtsbarkeit noch nicht ganz. Insbesondere Klagen gegen US-amerikanische Unternehmen könnten weiterhin zulässig sein, zumindest wenn das vorgeworfene Verhalten einen ausreichenden Bezug zum Territorium der USA aufweist.497 Im Folgenden soll daher auf die auch nach der Kiobel-Entscheidung noch offenen Fragen einer Haftbarmachung von Unternehmen vor US-Gerichten kurz eingegangen werden. (2) O  ffene Fragen nach der Entscheidung des US Supreme Court im Fall Kiobel Der US Supreme Court hat sich im Fall Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. zu vielen der im Prozess thematisierten Fragen498 nicht geäußert.

495  Siehe

hierzu unten C.III.1.b)aa)(2) und C.III.1.b)bb). diesen Kriterien ausführlicher Hailer, Die US-amerikanische Human Rights Litigation nach der Entscheidung des Supreme Court im Fall Sosa v. AlvarezMachain, AVR 44 (2006), S. 76, S. 87 f. 497  Denkbar scheinen hier Konstellationen wie Entscheidungen der Konzernzentrale mit extraterritorialen Auswirkungen. Siehe auch unten C.III.1.b)aa)(2)(b). Ist der territoriale Bezug zwischen vorwerfbarem Verhalten und den USA ausreichend stark ausgeprägt, könnten auch Klagen gegenüber in den USA ansässigen Unternehmensteilen ausländischer Konzerne weiterhin zulässig sein. 498  Vgl. Fußnoten 479, 480 und 481. 496  Zu



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme125

(a) Beklagtenfähigkeit von Unternehmen und Anspruchsgrundlagen Bestätigt hat der US Supreme Court die Sosa-Rechtsprechung, nach der die Bundesgerichte im Falle ihrer Zuständigkeit aufgrund des ATS Anspruchsgrundlagen auf der Grundlage eindeutiger, anerkannter völkerrechtlicher Normen schaffen können. Zur etwaigen Existenz einer völkerrecht­ lichen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte hat sich der US Supreme Court aber ausdrücklich nicht geäußert. Die Möglichkeit, dass auch Unternehmen Beklagte nach diesem Gesetz sein können, lässt er allerdings unangezweifelt. Im Falle einer Klage gegen ein Unternehmen, die nicht an der presumption against extraterritorial application scheitert499, obläge es den USBundesgerichten daher weiterhin, über die völkerrechtliche Bindung von Unternehmen an Menschenrechte oder Völkerstraftatbestände zu entscheiden. Angesichts der Meinungsverschiedenheiten zwischen den US-Bundesgerichten könnte es zu einer erneuten Befassung des US Supreme Court kommen. Dieser dürfte entsprechend seinen in Sosa aufgestellten Kriterien Vorsicht walten lassen. Es würde nicht überraschen, wenn er eine völkerrechtliche Bindung von Unternehmen an Menschenrechte oder Völkerstraftatbestände gegenwärtig verneinen würde, da diese nach Sosa ebenso spezifisch, verbindlich und vom Völkerrecht allgemein anerkannt sein sollen wie die 1789 anvisierten Völkerrechtsregeln. Andererseits scheint es schwer vorstellbar, dass der US Supreme Court jegliche unternehmerische Verantwortung ablehnen würde in Fällen, die etwa der Verstrickung von Unternehmen in die Verbrechen des NS-Regimes500 oder dem südafrikanischem Apartheitssystem gleichen. Inwieweit diese historischen Vergleiche auf eine problematische Menschenrechtsbilanz heutiger Staaten übertragbar sind, ist allerdings fraglich.501 Auch ist unklar, ob die Frage der menschenrechtlichen 499  Angesichts der sehr knappen Formulierung der Kiobel-Entscheidung, nach der eine „mere corporate presence“ nicht ausreiche, sind Prognosen zu etwaigen ausreichenden Bezügen schwierig. Da der US Supreme Court aber in seiner Entscheidung vorrangig problematisiert, dass das relevante Verhalten außerhalb des Territoriums der USA stattfand, dürfte ein diesbezüglicher innerstaatlicher Anknüpfungspunkt erforderlich sein. Siehe auch Fußnote 497 und zugehörigen Text. 500  Auch wenn hier die individualstrafrechtliche Verantwortung im Vordergrund stand, verdeutlichen diese Fälle doch die mögliche Verstrickung von Unternehmen in völkerrechtliche Verbrechen, vgl. Kaleck / Saage-Maaß, die auf die Behandlung der Fälle IG Farben, Flick und Krupp durch US Militärgerichte in sog. „subsequent Nuremberg trials“ hinweisen: Kaleck / Saage-Maaß, Corporate Accountability for Human Rights Violations Amounting to International Crimes, The Status Quo and its Challenges, Journal of International Criminal Justice 8 (2010), S. 699, S. 701. 501  Vgl. auch Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, Oxford 2004, S. 52.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Bindung von Unternehmen für die Zwecke des ATS auf der Ebene der Zulässigkeit oder der Begründetheit anzusiedeln sind. (b) E  xtraterritorial Jurisdiction, corporate veil und andere Zugangskriterien In Bezug auf die Zuständigkeit der US-Gerichte für Klagen mit extraterritorialem Sachverhalt hat die Kiobel-Entscheidung des US-Supreme Court nun äußerst deutliche Restriktionen eingezogen. Eine „mere corporate presence“ in den USA reicht demnach nicht aus, um die dem ATS innewohnende Vermutung gegen seine extraterritoriale Anwendung zu entkräften. Offen ist, unter welchen Umständen eine solche Entkräftung gelingen kann. Da an dem Verfahren kein US-Unternehmen beteiligt war und das Hauptargument gegen eine Zuständigkeit der US-Gerichte war, dass das vorgeworfene Verhalten nicht auf dem Territorium der USA stattfand, könnte sich in den USA nun ebenso wie in anderen Jurisdiktionen die Frage stellen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Klage gegen eine heimatstaatliche Muttergesellschaft gerichtet werden kann.502 Die Inanspruchnahme des Mutterkonzerns wäre angesichts der Finanzkraft und bei mangelnden Rechtsschutzmöglichkeiten am Ort des Geschehens im Interesse der Opfer. Gegen eine solche Belangung spricht aber die rechtliche Selbstständigkeit503 der Unternehmensteile. Diese rechtliche Selbstständigkeit, die eine Durchgriffshaftung verhindert, wird auch corporate veil504 genannt. So hat der Internationale Gerichtshof im Fall Barcelona Traction505 die kanadische Barcelona Traction Company als separat von der belgischen Mehrheitseigner-Gesellschaft SIDRO angesehen.506 Eine 502  Siehe

auch bereits Fußnoten 497 und 499. Herdegen: „Denn die Gründung einer Tochtergesellschaft nach ausländischem Recht bei gleichzeitigem Sitz im Ausland schneidet den personalen Bezug der „Tochter“ zum Heimatstaat der „Mutter“ ab“, Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 9. Auflage, München 2011, § 3, Rz. 60. 504  Diese Bezeichnung stammt aus der US-amerikanischen Lehre, Emberland, The Corporate Veil in the Case Law of the European Court of Human Rights, ZaöRV 63 (2003), S. 945. Die ursprüngliche Lehre vom corporate veil trennt die Verantwortung der Gesellschaft von der Verantwortung der Gesellschafter und schützt letztere damit vor Haftung (limited liability). Die Berechtigung der Übertragung dieser Haftungsbegrenzung auf Konzerne und das Verhältnis von Unternehmen zueinander hinterfragt kritisch Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, Oxford 2004, S. 131. 505  Barcelona Traction case, 1970 ICJ Rep.  3. 506  Seidl-Hohenveldern, International economic „soft law“, RdC 163.2 (1979), S. 165. 503  Vgl.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme127

Gesamtverantwortung der Muttergesellschaft für die Geschäftspolitiken der Unternehmensteile besteht daher nicht.507 Ein Durchstoßen dieses corporate veil wird immer wieder gefordert und thematisiert508. Tatsächlich scheint es in verschiedenen Bereichen eine schrittweise Erosion des corporate veil oder zumindest eine größere Durchlässigkeit zwischen den Verantwortungssphären der Unternehmensteile zu geben. So ist beispielsweise im europäischen Wettbewerbsrecht anerkannt, dass kartellrechtliche Maßnahmen wegen unzulässiger Auswirkungen im europäischen Markt bei einem ausländischen Mutterkonzern anknüpfen können, wie etwa die Entscheidung der EU-Kommission im Fall Microsoft aufzeigt.509 Auch auf nationaler Ebene gibt es bereits einige anerkannte Fälle der Durchgriffshaftung.510 Noch 2008 stellte Zerk zwar fest, dass nationale Gerichte bei der Anerkennung einer Durchgriffshaftung sehr zurückhaltend seien und angesichts der Vorteile des corporate veil-Konzeptes zum Beispiel im Bereich der Rechtsklarheit eine radikale Abkehr nicht zu erwar507  Wilson, Beyond Unocal: Conceptual Problems in Using International Norms to Hold Transnational Corporations Liable Under the Alien Tort Claims Act, S. 43. Dabei ist zu bedenken, dass die direkte Bindung des Handelns einer ausländischen Tochtergesellschaft an inländische Standards der Muttergesellschaft an die Grenzen der domaine reservée des anderen Staates stößt: „Die Grenzen des Personalitätsprinzips werden überschritten, wenn ein Staat nicht nur das Verhalten seiner Staatsangehörigen oder inländischen Gesellschaften, sondern auch das Handeln der von diesen kontrollierten ausländischen (Tochter-)unternehmen regeln will.“ 508  Vgl. Kolvenbach, Bhopal – Storm over the Multinationals?, ZGR 1 / 86, S. 47, S. 59 ff. und Fußnote 23, der aber statt der häufig verwendeten Formulierung „piercing the corporate veil“ das neutralere „lifting“ im vorliegenden Sinnzusammenhang bevorzugt. 509  Im März 2013 hat die EU-Kommission Microsoft mit einer Geldbuße von 561 Mio. Euro belegt, da dieses seine Verpflichtungszusagen aus einem vorangegangenen Verfahren nicht eingehalten hatte. Die Zusagen bezogen sich auf die Bereitstellung eines Auswahlbildschirms für die Wahl alternativer Webbrowser. Die Bereitstellungszusage galt für den europäischen Markt. Die EU-Kommission hat die Geldbuße am Microsoft-Gesamtumsatz bemessen. Vgl. http: /  / europa.eu / rapid / press-release_IP-13196_de.htm. Auch wenn es sich bei diesem Beispiel nicht um eine echte Durchgriffshaftung handelt, da offenbar Entscheidungen und Verhaltensweisen des Mutterkonzerns in den USA selbst maßgeblich für die Auswirkungen im europäischen Markt waren, so veranschaulicht es doch die zunehmende Durchlässigkeit zwischen den rechtlich separaten Unternehmensteilen mit der Folge der Inanspruchnahme des Mutterkonzerns. 510  Höhberger, Durchgriffshaftung und Durchgriff bei der GmbH und der GmbH & Co KG: Piercing the corporate veil at the GmbH (limited liability company) and a GmbH & Co KG (limited commercial partnership with a GmbH as general partner), München 1999; Veltins, Durchgriffshaftung im amerikanischen Recht: Piercing the Corporate Veil, Recht der internationalen Wirtschaft 29.10 (1983), S. 713.

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ten sei.511 Es bleibt aber abzuwarten, ob die nationalen Gerichte in Zukunft eine zunehmende Verantwortung der Mutterkonzerne sehen werden. Die Sorgfaltsanforderungen an die Muttergesellschaften im menschenrecht­lichen Bereich sind zumindest im Rahmen von Instrumenten wie den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen und den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte deutlich gestiegen. Eine Bezugnahme auf solche Instrumente beispielsweise bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe ist durchaus denkbar.512 Abgesehen von diesen Fragen dürften juristische Erfolgsaussichten der Zulässigkeit einer Klage im Heimatstaat jedenfalls dann gegeben sein, wenn der Muttergesellschaft eine eigene, direkte Verantwortung für das im Ausland belegene Geschehen zum Vorwurf gemacht wird und damit zumindest ein Teil des vorwerfbaren Verhaltens im Inland stattfand. Bei der Entscheidung des Supreme Court im Verfahren Kiobel kam es allerdings auf diese corporate veil-Problematik nicht an, da die Klage sich gegen niederländische, britische und nigerianische Unternehmen wegen deren Verhaltens in Nigeria richtete. Mit Spannung wurde daher erwartet, welches Gewicht der Supreme Court den Prinzipien der Erschöpfung eines anderweitigen Rechtsweges und des forum non conveniens zubilligen würde. Erstaunlicherweise hatte der Supreme Court diese in seiner Sosa-Entscheidung als Bestandteil der materiellen Entscheidung des Gerichts darüber, ob eine Anspruchsgrundlage im Einzelfall zur Verfügung gestellt werden sollte, eingestuft, während diese Prinzipien sonst eher auf der Zuständigkeitsebene eine Rolle spielen.513 Diese Zuordnung dürfte der Besonderheit geschuldet sein, dass der ATS nach dieser Entscheidung das Recht zur Schaffung einer Anspruchsgrundlage im Bundesrichterrecht gibt – eine Konstruktion, die sich nur mit der historischen Einordnung des ATS begründen lässt. Auf der Zuständigkeitsebene spielt hingegen die „political question doctrine“ eine Rolle, die zur Klageabweisung führt, wenn eine Entscheidung implizit eine Beurteilung des Handelns der „executive branch“ der eigenen oder einer verbündeten Regierung mit sich brächte. Diese Doktrin wird von den US-Gerichten durchaus expansiv angewendet.514 511  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S.  54 ff. 512  Siehe unten Teil 2, D.II. 513  Rau, Domestic Adjudication of International Human Rights Abuses and the Doctrine of Forum Non Conveniens: The Decision of the U.S. Court of Appeals for the Second Circuit in Ken Wiwa v. Royal Dutch Petroleum Company, ZaöRV 61 (2001), S. 177, S. 178. 514  Myers / Valen, Aktuelle Trends in Schadensersatzverfahren unter dem Alien Tort Statute (ATS), ZfRV 2009 / 6, S. 31, S. 37.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme129

Auch ohne Rückgriff auf diese Prinzipien hat nun der Supreme Court die extraterritoriale Zuständigkeit der US-amerikanischen Gerichte durch den Rückgriff auf die presumption against extraterritorial application stark eingeschränkt. Ob der Zugang zu Rechtsschutzmöglichkeiten in den USA damit heute in etwa denen in anderen Heimatstaaten vergleichbar ist, soll im Folgenden näher beleuchtet werden. bb) Weitere Länder des common law Klagen gegen Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen hat es auch in Australien, Kanada und im Vereinigten Königreich gegeben515, wenn auch die Möglichkeiten dieser Rechtsordnungen insgesamt noch nicht umfassend ausgelotet wurden516. Es handelte sich dabei mehrheitlich um Verfahren, die gegen heimische Unternehmen gerichtet waren.517 Für die extraterritoriale Zuständigkeit der Gerichte im Vereinigten Königreich reicht aber offenbar eine Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft oder eine „sufficiently close connection with England so as to make it reasonable for the prospective defendant … to be required to defend the allegations in England“518. Obwohl englische Gerichte sogar „more extraterritorial power“ zu haben scheinen als US-amerikanische519, machen Regelungen wie die Tragung der Prozesskosten im Falle des Unterliegens und in geringem Umfang zur Verfügung stehende Prozesskostenhilfe Klagen vor englischen Gerichten möglicherweise unattraktiv.520 Andererseits ist die Rechtsprechung im Vereinigten Königreich der Anwendung von Völkergewohnheitsrecht gegenüber sehr aufgeschlossen.521 Die angloamerikanische 515  Gaedtke, Der US-amerikanische Alien Tort Claims Act und der Fall Doe v. Unocal: Auf dem Weg zu einer Haftung transnationaler Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen? AVR 42 (2004), S. 241; Darstellung der Fälle bei Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, Oxford 2004, S. 113 ff. 516  Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, Oxford 2004, S. 113, S. 122. 517  In Großbritannien gab es beispielsweise Klagen gegen Thor Chemicals Holdings Ltd., RTZ Corp. Plc. und Cape Plc., jeweils wegen gesundheitsschädigender Arbeitsbedingungen, für die die Muttergesellschaften eine Mitverantwortung trugen: Siehe Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed ­Abroad?, ZaöRV 66 (2006), S. 625, S. 631 ff. 518  Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, Oxford 2004, S. 114. 519  So Joseph unter Hinweis auf das Fehlen von „strict constitutional due process restrictions“: Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, Oxford 2004, S. 114. 520  Byers, English Courts and Serious Human Rights Violations Abroad, S. 244. 521  Byers, English Courts and Serious Human Rights Violations Abroad, S. 245.

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Lehre vom forum non conveniens, die es einem Gericht gestattet, eine Klage abzulehnen, wenn es ein geeigneteres ausländisches Gericht gibt, den Fall anzuhören522, scheint in diesen Konstellationen zurückgedrängt.523 Auch hat der Europäische Gerichtshof 2005 entschieden, dass dieser Grundsatz nicht im Hinblick auf Gerichte von Nicht-Unterzeichnerstaaten der Brussels Convention on Jurisdiction and the Enforcement of Judgments in Civil and Commercial Matters524 angewandt werden darf.525 Damit scheint eine Tendenz der Gerichte im Vereinigten Königreich erkennbar, solche Fälle zur Verhandlung anzunehmen, die eine direkte Verantwortung der inländischen Muttergesellschaft zum Gegenstand haben. Hieraus kann aber nicht auf eine generelle extraterritoriale Zuständigkeit oder eine allgemeine Durchgriffshaftung geschlossen werden.526 Zur Bestimmung der Verantwortung für extraterritoriale Menschenrechtsverletzungen sucht die englische Rechtsprechung vielmehr regelmäßig nach inländischen Anknüpfungspunkten wie eine Entscheidung, Unterlassung oder Fahrlässigkeit seitens des englischen Mutterunternehmens.527 Im Einzelnen wurde daher mit Sorge beobachtet, dass die englischen Gerichte eine restriktivere Linie einschlagen.528

522  Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, Oxford 2004, S. 178. 523  Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66(2006), S. 625, S. 634. 524  Brussels Convention of 27  / 09 / 1968 on Jurisdiction and the Enforcement of Judgments in Civil and Commercial Matters, [1978] O.J. L 304 / 36, consolidated version with subsequent amendments in [1998] O.J. C 27 / 1, now Council Regula­ tion (EC) No. 44  /  2001 of 22  /  12  /  2000 on Jurisdiction and the Recognition and Enforcement of Judgments in Civil and Commercial Matters, [2001] O.J. L 12 / 1. 525  ECJ, Case C-281 / 02, Owusu v. Jackson, Judgment of 01 / 03 / 2005, [2005] I.L.Pr. 25. 526  Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66(2006), S. 625, S. 633 f. 527  Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66(2006), S. 625, S. 634; siehe auch Kinley / Tadaki, ‚From Talk to Walk‘: The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at International Law, Virginia Journal on International Law 44 (2004), S. 939 ff. 528  Meeran, Liability of Multinational Corporations: A Critical Stage in the UK, S. 251.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme131

cc) Kontinentaleuropäische Rechtsordnungen Einen Überblick über die Anzahl und den Verlauf von Gerichtsverfahren, die sich mit Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen mit Hauptsitz im kontinental-europäischen Raum befassen, ist schwierig. Einige Initiativen versuchen eine Erfassung relevanter Fälle in Datenbanken.529 Einen Schwerpunkt scheinen in Kontinental-Europa Fälle in den Niederlanden und in Frankreich zu bilden, was aber weniger auf die Rechtslage in diesen Jurisdiktionen als eher auf die bevorzugte Vorgehensweise der betreffenden Nichtregierungsorganisationen zurückzuführen ist.530 Erster bedeutender Unterschied zur US-amerikanischen Rechtslage ist, dass es keine dem Alien Tort Statute vergleichbaren Gesetze gibt.531 Klagen sind daher auf zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen zu stützen532. Dabei ist nach den Regelungen des Internationalen Privatrechts zu entscheiden, ob das Recht des Ortes Anwendung findet, in dem die vorwerfbare Handlung, wie zum Beispiel die strategische Unternehmensentscheidung, stattfand oder das Recht des Ortes, in dem der Schaden eingetreten ist (lex loci delicti).533 Obwohl den zivilrechtlichen Schadensersatznormen vorgeworfen wird, zur Regelung alltäglicher Rechtsgutverletzungen geschaffen worden zu sein und damit „weder auf menschenrechtliche noch auf transnationale Problemstellungen ausgerichtet“ zu sein534, so bieten sie doch einige Anhaltspunkte 529  Den Versuch einer systematischen Erfassung und Auswertung von Fällen mit europäischem Bezug hat das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) unternommen: ECCHR, European Cases Database, zu beziehen über www.ecchr.de. Mit Stand vom November 2008 wurden aus unterschiedlichsten Quellen 69 Verfahren weltweit, die europäische Unternehmen betreffen und 46 Lebenssachverhalten zugeordnet werden können, zusammengetragen. Weitere Datenbanken, die „verschiedene Gerichtsverfahren auch in Europa dokumentieren“, werden vom Business and Human Rights Ressource Centre (www. business-humanrights.org / Categories / Lawlawsuits / Lawsuitsregulatoryaction / Law suits-Selectedcases) oder des Castan Center for Human Rights Law der Monash University (www.law.monash.edu.au / castancentre / projects(mchr / trans-hr-litigation. html) geführt, ECCHR European Cases Database, S. 1 und Fußnote 5. 530  ECCHR, European Cases Database, zu beziehen über www.ecchr.de, S. 3. 531  So gibt es in den Niederlanden wenige Fälle, die Aussagen zulassen über die Möglichkeiten, dem Völkerrecht in nationalen Gerichten zur Anwendung zu verhelfen: Nollkaemper, Public International Law in Transnational Litigation Against Multinational Corporations: Prospects and Problems in the Courts of the Netherlands, S. 281. 532  ECCHR, European Cases Database, zu beziehen über www.ecchr.de, S. 7. 533  Nach Art.  4 Ziffer 1 der „Rom-II-Verordnung“ (EC Nr. 864  /  2007 vom 11. Juli 2007) ist das Recht des Staates, in dem der Schaden auftritt, anwendbar. Art. 30 ff. EGBGB schließen die Anwendbarkeit des deutschen Rechts in weiteren Fällen aus. 534  ECCHR, European Cases Database, zu beziehen über www.ecchr.de, S. 5.

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und Prinzipien zur Geltendmachung verletzter Rechte und werden daher teilweise als „ausreichend oder gar geeigneter als Völkerrecht“ angesehen, die Interessen der Opfer durchzusetzen.535 Vor allem sind diese Normen nicht auf die Verletzung von völkerrechtlichen Verbrechen beschränkt, sondern können eine ganze Bandbreite an Rechtsgutsverletzungen (körperliche Unversehrtheit, Eigentum) zum Gegenstand haben.536 Alternativ werden auch andere Rechtsgebiete wie das Wettbewerbsrecht genutzt, um der sozia­ len Verantwortung von Unternehmen gerichtlich Nachdruck zu verleihen.537 Die Klagen müssen sich allerdings auf Vorwürfe gegen im Inland ansässige (Mutter-)Gesellschaften beziehen.538 Eine Durchgriffshaftung im Konzern ist nicht vorgesehen539, so dass eine Haftung der Muttergesellschaft für das extraterritoriale Verhalten einer Tochtergesellschaft nicht besteht, sondern ein eigenes Verschulden der Muttergesellschaft nachzuweisen ist.540 535  Nollkaemper, Public International Law in Transnational Litigation Against Multinational Corporations: Prospects and Problems in the Courts of the Netherlands, S. 266. 536  Nach deutschem Recht käme als Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche wegen des eigenen Verhaltens eines deutschen Unternehmens Deliktsrecht, insbesondere § 823 BGB, in Betracht. Denn die deliktische Verantwortlichkeit ist zwar verschuldensabhängig, kann aber auch juristische Personen treffen (§ 31 BGB). Ein Verschulden kann dabei gemäß § 831 BGB auch in Form einer Sorgfaltspflichtverletzung und eines Auswahlverschuldens vorliegen. Von der Rechtsprechung sind zudem Organisationspflichten und Verkehrssicherungspflichten als Sorgfaltspflichten anerkannt worden. Ansprüche gegen deutsche Unternehmen dürfen dabei auch geltend gemacht werden aufgrund von Vorgängen, die sich extraterritorial ausgewirkt haben. 537  Prominentes Beispiel ist eine Klage gegen Lidl im Jahr 2010, dessen Hinweise auf die Einhaltung sozialer Standards als „irreführende Werbung“ angegriffen wurde; die Klage wurde außergerichtlich beigelegt: Birk, Corporate Responsibility, unternehmerische Selbstverpflichtungen und unlauterer Wettbewerb, GRUR 2011, S. 196, S. 197. 538  So erfolgt die grundlegende Zuständigkeitszuweisung zu einem deutschen Zivilgericht über den allgemeinen Gerichtsstand, das heißt den Sitz des Unternehmens. Als Sitz gilt dabei, wenn sich nichts anderes ergibt, der Ort, wo die Verwaltung geführt wird (§ 17 ZPO). Besonderer Gerichtsstand für Klagen aus unerlaubten Handlungen ist dabei zwar grundsätzlich das Gericht, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist (§ 32 ZPO). Extraterritoriale Sachverhalte können dabei aber nur insofern geltend gemacht werden, als Versäumnisse oder Verfehlungen der inländischen Gesellschaft (beispielsweise der Konzernleitung) gerügt werden. Hierbei fallen die beiden Gerichtsstände zusammen. 539  Zum Begriff des Konzerns siehe auch § 17 AktG. Abhängige Unternehmen sind demnach rechtlich selbständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss nehmen kann. Sind ein herrschendes und ein oder mehrere abhängige Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst, so bilden sie einen Konzern. 540  Zu einer möglichen Erosion des sogenannten corporate veil siehe oben C.III.1.b)aa)(2)(b).



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme133

Aus prozeduraler Sicht gibt es Vorteile im Vergleich zum angloamerikanischen Rechtssystem, z. B. da die Rechtsfigur des forum non conveniens nicht bekannt ist, so dass der Zugang zu den Gerichten als „more straightforward“ angesehen wird.541 Andere prozedurale Aspekte, wie Prozesskostenrisiko, Verjährungsfristen und Unzulässigkeit von Sammelklagen, machen eine Klage vor kontinental-europäischen Gerichten aber unattraktiver als in den USA.542 Vor allem aber begegnet die zivilrechtliche Geltendmachung praktischen Hürden der erforderlichen Beweisführung − vor allem beim Nachweis einer Sorgfaltspflichtverletzung und deren Kausalität. Diese Beweislast stellt eine hohe Hürde dar, da es „ausgesprochen schwierig“ ist, „Informationen über unternehmensinterne Abläufe und Entscheidungsprozesse zu erhalten beziehungsweise die häufig komplexen Ereignisse, die zu einer Rechtsverletzung geführt haben, nachzuweisen“.543 Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass trotz einiger materiell-rechtlicher Möglichkeiten zur Geltendmachung von Rechtsgutverletzungen in Konstellationen, in denen der Muttergesellschaft ein direkter eigener Vorwurf gemacht werden kann, prozedurale Erwägungen einer solchen Geltendmachung entgegen stehen können. c) Zusammenfassung Die gerichtliche Geltendmachung von Menschenrechtsverletzungen im Heimatstaat eines multinationalen Unternehmens ist von großer praktischer Bedeutung, da es auf internationaler Ebene keine zuständige Gerichtsbarkeit gibt und die Gerichtsbarkeit des Gaststaates nicht immer hinreichenden Schutz bietet. Die nationalen Rechtsordnungen eröffnen aber nur in Teilbereichen die Möglichkeit zu solch einer Geltendmachung. Im Strafrecht kennen zwar einige nationale Rechtsordnungen die Strafbarkeit juristischer Personen und können materiell-rechtlich über das Welt541  Betlem, Transnational Litigation Against Multinational Corporations Before Dutch Civil Courts, S. 305. 542  So kennt die deutsche Rechtsordnung nicht die Möglichkeit von Sammelklagen, sog. class actions. Zudem trägt der Kläger im deutschen Zivilprozessrecht das Kostenrisiko: Im Falle des Unterliegens droht eine streitwertabhängige Kostentragungslast. Auch sind die Verjährungsfristen im deutschen Zivilprozessrecht relativ kurz: Gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB drei Jahre ab Kenntnis aller den Anspruch begründenden Umstände und der Person des Schuldners. 543  Kaleck / Saage-Maaß, Transnationale Unternehmen vor Gericht: Über die Gefährdung der Menschenrechte durch europäische Firmen in Lateinamerika, Berlin 2008, S. 17.

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rechtsprinzip oder die Inkorporation einzelner Tatbestände Völkerstrafrecht zur Anwendung bringen. Es sind bislang aber offenbar keine Fälle bekannt, die diese beiden Aspekte im Hinblick auf extraterritoriale Sachverhalte verbinden. Für deliktsrechtliche Ansprüche lässt sich feststellen, dass nur die USA mit dem Alien Tort Statute (ATS) über eine explizite Anwendungsnorm für völkerrechtliche Maßstäbe verfügen, wobei nach der Kiobel-Entscheidung des US Supreme Court die Zuständigkeit der US-Gerichtbarkeit für extraterritoriale Sachverhalte aber stark eingeschränkt wurde. Klagemöglichkeiten in anderen Heimatstaaten multinationaler Unternehmen auf Basis national-rechtlicher zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen sind zwar durchaus vorhanden. Angesichts prozessualer Hindernisse wird dennoch geschlossen, dass die „nationalen Rechtsordnungen in Europa (…) derzeit keinen effektiven Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch transnationale Unternehmen“ bieten.544 Selbst eine Übertragung des ATSAnsatzes in diese anderen Jurisdiktionen, die nicht die prozessualen Vorteile der US-amerikanischen Federal Rules of Civil Procedure kennen, hätte demnach nur einen begrenzten Nutzen.545 Allerdings ist zuzugestehen, dass die Klagemöglichkeiten in anderen Jurisdiktionen bislang noch wenig ausgelotet wurden. Dies dürfte sich in Folge der Kiobel-Rechtsprechung des US-Supreme Court ändern. Materiell-rechtlich bestehen hier auch durchaus Erfolgsaussichten, beispielsweise über die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe unter Bezugnahme auf Instrumente wie die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen.546 Für das Umsetzungsverfahren nach den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen bedeutet diese Ausgangslage, dass aus Sicht der Opfer 544  ECCHR, European Cases Database, zu beziehen über www.ecchr.de, S. 7. Zu diesem „accountability gap“ siehe auch: Kaleck / Saage-Maß, Corporate Accountabil­ ity for Human Rights Violations Amounting to International Crimes, The Status Quo and its Challenges, Journal of International Criminal Justice 8 (2010), S. 699, S.  718 f. 545  Stephens, Translitigating „Filartiga“: A Comparative and International Law Analysis of Domestic Remedies For International Human Rights Violations, Yale Journal of International Law, 27 (2002), S. 1. 546  Zu möglichen Auswirkungen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen auf die Auslegung von z. B. § 138 BGB siehe unten Teil 2, D.II. Solange klare gesetzgeberische Festlegungen fehlen, will beispielsweise das ECCHR seine Fallarbeit in diesem Sinne auf juristische Auslegungstechnik stützen, ECCHR-Policy Paper, Sorgfaltspflichten, Oktober 2013, S. 2, http:  /   /  www.ecchr. de / index.php / publikationen_wirtschaft_und_mr.html. Dies dürfte weitere Anhaltspunkte zu den Erfolgsaussichten individueller Strafanzeigen oder zivilrechtlicher Klagen gegen Unternehmen in Deutschland liefern.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme135

durchaus Bedarf nach anderweitigen Verfahrensarten besteht. In welcher Weise und in welchem Umfang dieses Verfahren geeignet ist, die Interessen von Opfern zu wahren, wird in Teil 2 dieser Untersuchung näher dargelegt. Dort wird auch näher auf die Frage einzugehen sein, inwieweit das Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen als eine Alternative zum Beschreiten des Rechtsweges angesehen werden kann.547 Schließlich stellt sich die Frage, wie es sich auf das Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen auswirkt, wenn der nationale Rechtsweg (beispielsweise im Gaststaat) bereits beschritten wird.548 Vermutet werden kann hier bereits, dass dem Verfahren eine eigenständige Bedeutung verbleibt, auch wenn die Klagemöglichkeiten in den Heimatstaaten multinationaler Unternehmen verbessert werden sollten. 2. Gesetzgeberische Anknüpfungspunkte zur Förderung ­ enschenrechtskonformen Verhaltens von Unternehmen m Heimatstaaten können auch auf gesetzlichem Wege Anreize für eine verstärkte (extraterritoriale) Verantwortungswahrnehmung von Unternehmen setzen. Art. 2 II des Internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte verpflichtet die Vertragsstaaten sogar, gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, um den Rechten zur Verwirklichung zu verhelfen. Wie gesehen gilt dies allerdings nicht in Bezug auf extraterritoriale Sachverhalte. Hier ist demgegenüber das Prinzip der Nichteinmischung zu wahren. Zudem lässt die Vorschrift offen, welche gesetzgeberischen Maßnahmen zu treffen sind. Zwei Ansätze möglicher gesetzlicher Regelungen im Heimatstaat, die im Inland anknüpfen aber Auswirkungen auf das extraterritoriale Verhalten von Unternehmen haben können, werden derzeit diskutiert: Eine Erweiterung der Berichts- und Offenlegungspflichten und eine Anpassung des Rechts des öffentlichen Auftragswesens.549 Der Sachstand zu diesen Ansätzen soll hier kurz skizziert und eine et­ waige Querverbindung zu den Leitsätzen aufgezeigt werden. a) Berichts- und Offenlegungspflichten Kapitalgesellschaften müssen im Anlegerinteresse über die finanziellen Belange des Unternehmens im sogenannten Lagebericht Auskunft geben. 547  Siehe

unten Teil 2, C.I.3.e). unten Teil 2, A.IV.3.e). 549  Weitere Reformvorschläge macht die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) in ihrem Bericht „Fair Law: Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental and Human Rights Abuses“, http:  /   /  www.corpo ratejustice.org / ?lang=fr. 548  Siehe

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Der finanziellen Gesamtverantwortung im Konzern entsprechend umfassen diese Offenlegungspflichten das finanzielle Wohlergehen des gesamten Konzerns. Der Konzernabschluss, welcher „ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns“ vermitteln soll, umfasst daher auch die im Konzern zusammengefassten Untergesellschaften.550 Demgegenüber besteht keine grundlegende Pflicht für Unternehmen, über die Sozial- und Umweltverträglichkeit ihrer Unternehmenspolitik zu berichten.551 Nur soweit dies „für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses oder der Lage der Gesellschaft erforderlich ist“, sollen Unternehmen in ihrem Jahresabschluss Informationen über Umwelt- und Personalfragen offenlegen.552 Vergleichbares gilt in Bezug auf den Lagebericht zur Unternehmensführung553, der 2006 nach dem Prinzip „comply or explain“ verankert wurde554. Diese Erklärung zielt primär auf die internen Abläufe der Unternehmensführung mit Blick auf den Rechnungslegungsprozess.555 Damit werden die Unternehmen verpflichtet, sich zum Thema Unternehmensführung zu äußern.556 Darüber hinaus könne eine Gesellschaft, so die Richtlinie 2006 / 46 / EG in ihrem zehnten Erwägungsgrund, gegebenenfalls auch eine Analyse ökologischer und sozialer Aspekte vorlegen, 550  § 297 Abs. 2  S. 2  HGB.

551  Siehe aber den Richtlinien-Vorschlag der EU-Kommission zur Offenlegung nicht-finanzieller Informationen vom 16. April 2013, mit dem die Rechnungslegungsrichtlinien 78 / 660 / EWG (4. Gesellschaftsrechtsrichtlinie zum Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften) und 83 / 349 / EWG (7. Richtlinie zum konsolidierten Abschluss von Kapitalgesellschaften) geändert werden sollen. Vorgesehen ist unter anderem die Offenlegung im Bereich „Achtung der Menschenrechte“ durch bestimmte große Gesellschaften und Angaben zur Diversitätspolitik die Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane großer börsennotierter Gesellschaften betreffend. 552  4.  Jahresabschluss-Richtlinie (2003 / 51 / EG). 553  Geläufige Bezeichnung auch im deutschen Schrifttum statt Unternehmensführung ist „corporate governance“, vgl. z. B. Veil / Brinckmann, Corporate Governance im europäischen Gesellschaftsrecht, JURA Heft 5 / 2007, S. 366. 554  Art.  46a der Richtlinie 78 / 660 / EWG (eingefügt durch Richtlinie 2006 / 46 /  EG). 555  Mit den Erklärungen sollten den Aktionären zumindest leicht zugängliche Schlüsselinformationen über die tatsächlich angewandten Unternehmensführungspraktiken, einschließlich einer Beschreibung der wichtigsten Merkmale der vorhandenen Risikomanagementsysteme und internen Kontrollverfahren in Bezug auf den Rechnungslegungsprozess gegeben werden: Erwägungsgrund 10 der Richtlinie 2006 /  46 / EG. 556  Art.  46a der Richtlinie 78 / 660 / EWG (eingefügt durch Richtlinie 2006 / 46 / EG) sieht Erklärungen über einen Unternehmensführungskodex und / oder Unternehmensführungspraktiken vor, oder Erläuterungen falls das Unternehmen sich gegen die Anwendung eines Kodex entschieden hat.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme137

„sofern diese notwendig sind, um die Entwicklung, Leistung und Lage des Unternehmens zu beurteilen“. Damit enthält die Erklärung über die Unternehmensführung nach europäischem Recht zwar keinen zwingenden Bestandteil zur sozialverträglichen Unternehmenspolitik, bietet aber einen Anknüpfungspunkt für diejenigen Unternehmen, die sich hierzu äußern wollen.557 Einige Mitgliedstaaten haben zudem „Anforderungen an die Offenlegung nicht-finanzieller Informationen eingeführt, die über bestehendes EU-Recht hinausgehen“558. Angesichts des öffentlichen Drucks auf die Unternehmen und deren Sorge um Imageverluste und Umsatzeinbußen gibt es Tendenzen zu einer freiwilligen Berichterstattung in ökologischen und sozialen Belangen. So haben sich etliche große deutsche Unternehmen der freiwilligen „Global Reporting Initiative“ und dem „International Integrated Reporting Council“ angeschlossen.559 Die Leitsätze halten in ihrem dritten Kapitel zur Offenlegung von Informationen Unternehmen dazu an, über Erklärungen und Kodizes zu informieren, zu denen das Unternehmen sich bekennt, sowie über die hierzu erzielten Ergebnisse.560 Das neue Menschenrechtskapitel fordert zudem ein „policy commitment“ der Unternehmen, welches ebenfalls nicht ohne Folge für die Berichterstattung des Unternehmens bleiben dürfte, ebenso wie die einzuführenden Due-Diligence-Prüfungen, die auch dazu beitragen sollen, „Rechenschaft abzulegen“561. Die von der Global Reporting Initiative entwickelten Standards können dabei helfen, diese Empfehlungen umzusetzen. Dies wird durch ein „Memorandum of Understanding“ von 2011 bekräftigt, welches die Teilnehmerstaa557  Für eine Analyse der gegenwärtigen Praxis von Unternehmen, menschenrechtsrelevante Aspekte in ihre Berichte aufzunehmen siehe Umlas, Corporate Human Rights Reporting: An Analysis of Current Trends, November 2009, www.global reporting.org / humanrights. 558  KOM (2011) 681 endg., Abschnitt 4.5.; vgl. auch Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, AVR 45 (2007) S. 541, S. 551. 559  Zur Global Reporting Initiative vgl. Haller / Ernstberger, Global Reporting Initiative – Internationale Leitlinien zur Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten, BB 2006, S. 2516 und siehe unten C.IV.2.b). Der IIRC veröffentlichte Ende 2013 ein International Integrated Reporting Framework, vgl. http: /  / www.theiirc.org / . 560  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel III, Offenlegung von Informationen, Ziffer 3, a)–c). 561  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 10, Satz 1. Zu den Anforderungen des neuen Menschenrechtskapitels siehe ausführlich unten Teil 2, B.III.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

ten der Leitsätze mit der Global Reporting Initiative zum künftigen Zusammenwirken geschlossen haben.562 Damit wird unabhängig von einer Anpassung gesetzlicher Regelungen auf einen Ausbau der Berichterstattung der Unternehmen über menschenrecht­ liche Aspekte hingewirkt. Unterschiedliche Akteure und Instrumente, einschließlich der Leitsätze, wirken dabei auf internationaler Ebene zusammen und verstärken sich so gegenseitig. b) Öffentliches Auftragswesen Ebenfalls diskutiert wird die Möglichkeit, das staatliche öffentliche Auftragswesen an der Einhaltung menschenrechtlicher Standards durch die Unternehmen auszurichten. Im vorliegenden Kontext bedeutet das, die öffentlichen Auftraggeber müssten etwaiges extraterritoriales Verhalten der meist einheimischen Bieter teils bis in sehr lange Lieferketten hinein berücksichtigen. Zudem sind die Gestaltungsmöglichkeiten im öffentlichen Auftragswesen aus Gründen des Wettbewerbs-, Europa- und internationalen Wirtschaftsrechtes beschränkt.563 Auch im bestehenden europarechtlichen Rechtsrahmen können öffentliche Auftraggeber aber im jeweiligen Stadium des Beschaffungsprozesses soziale Belange beachten, worunter auch der Schutz vor Menschenrechtsverletzungen und die Förderung der Achtung der Menschenrechte fallen.564 Allerdings müssen Vergabekriterien in Bezug zum Vertragsgegenstand stehen, spezifisch und quantifizierbar sein und im Vorfeld veröffentlicht werden.565 Unzulässig sind Vergabekriterien, die dem öffentlichen Auftraggeber einen übermäßigen Ermessensspielraum gewähren.566 562  OECD,

S. 35.

Annual Report on the Guidelines for Multinational Enterprises 2011,

563  So wirft der Ansatz neben praktischen Fragen auch solche nach der Vereinbarkeit mit WTO-Recht auf, de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 5. 564  Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, Ein Leitfaden für die Berücksichtigung sozialer Belange im öffentlichen Beschaffungswesen, 2011, http: /  /  bookshop.europa.eu / de / sozialorientierte-beschaffung-pbKE3210584 / , S.  9 und S.  5, unter Hinweis auf die Richtlinien 2004 / 17 / EG und 2004 / 18 / EG. 565  Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, Ein Leitfaden für die Berücksichtigung sozialer Belange im öffentlichen Beschaffungswesen, 2011, S. 37  f., unter Hinweis auf Erwägungsgrund 46 und Artikel 53 der Richtlinie 2004  /  18  /  EG und das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache 448 / 01 (Wienstrom). 566  Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, Ein Leitfaden für die Berücksichtigung sozialer Belange im öffentlichen Beschaffungswesen, 2011, S. 38.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme139

Es erschiene daher problematisch, die Einhaltung der Leitsätze zur Vergabebedingung zu machen. Anders ist wohl zu beurteilen, wenn eine Erklärung des Unternehmens über die (bestmögliche) Einhaltung der Leitsätze verlangt wird, wie dies in Slowenien der Fall ist567. Gestattet ist auch die spezifische Festlegung von Eigenschaften des Vertragsgegenstandes wie beispielsweise, dass dieser nicht in Kinderarbeit produziert wurde568. In Bezug auf die künftige Ausgestaltung des europäischen Vergaberechts formuliert die EU-Kommission in ihrer CSR-Mitteilung von 2011, sie beabsichtige, „soziale und ökologische Erwägungen im Rahmen der 2011 vorgenommenen Überarbeitung der Vergaberichtlinien verstärkt in das öffentliche Auftragswesen einfließen zu lassen, ohne dass dadurch zusätzlicher Verwaltungsaufwand für die Vergabebehörden oder Unternehmen entsteht und ohne den Grundsatz der Auftragsvergabe an den Bieter mit dem wirtschaftlich vorteilhaftesten Angebot zu untergraben“569. Das öffentliche Auftragswesen scheint daher auch künftig ein Bereich, in dem die Berücksichtigung menschenrechtlicher Belange durch die Unternehmen und deren Absicht zur Einhaltung der Leitsätze berücksichtigt werden können, jedoch nicht müssen. 3. Administrative Förderung menschenrechtskonformen Verhaltens von Unternehmen Auch im Rahmen der heimatstaatlichen Exekutive gibt es Ansätze, den extraterritorialen Schutz der Menschenrechte vor Beeinträchtigungen durch Unternehmen zu fördern. Diese unterliegen ebenfalls den Restriktionen des Grundsatzes der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten und sind nicht durch eine etwaige extraterritoriale staatliche Schutzpflicht gefordert.570 Zusätzlich ist beim Handeln der Exekutive zu bedenken, dass Maßnahmen mit Eingriffsqualität gegenüber den Unternehmen nach rechtsstaatlichen 567  OECD, OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Report by the Chair of the 2011 Meeting of the National Contact Points, S. 16: „Slovenia has reported that all foreign investors that apply for public tender have to declare that the recipient of the co-financing will abide by the Guidelines.“, http: /  / www.oecd.org / docu ment / 53 / 0,3746,en_2649_34889_2512693_1_1_1_1,00.html. 568  Als Beispiel sei hier Punkt 7.3 der Vergabeordnung für die Stadt Düsseldorf genannt, nach dem „keine Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit beschafft werden“, vgl. Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung, Ein Leitfaden für die Berücksichtigung sozialer Belange im öffentlichen Beschaffungswesen, 2011, http: /  / bookshop.europa.eu / de / sozialorientierte-beschaffung-pbKE3210584 / , S.  32. 569  KOM (2011) 681 endg., Abschnitt 4.4.2. 570  Siehe oben C.I.2.b).

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Grundsätzen einer rechtlichen Grundlage bedürfen. So lange also die völkerrechtliche Pflichtenstellung der Unternehmen im Hinblick auf die Menschenrechte nicht etabliert ist, besteht ein Spannungsfeld, zumal die Exekutive bei der Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht eine bedeutende Rolle spielt. In der Diskussion um die Rolle der Heimatstaaten wird vor diesem Hintergrund insbesondere die Ausgestaltung ihres Instrumentariums zur Außenwirtschaftsförderung diskutiert (unten a)). Aber auch andere Maßnahmen der heimatstaatlichen Administrationen, die dem Ziel dienen, ein menschenrechtskonformes Verhalten multinationaler Unternehmen zu unterstützen, gehören in diesen Kontext (unten b)). a) Ausgestaltung der Außenwirtschaftsförderung Bei der Ausgestaltung des Vergabe-Regimes von Exportkredit- und Investitionsgarantien sowie bei der Aushandlung bilateraler Investitionsschutzabkommen sind Anknüpfungspunkte für eine Einbindung von menschenrechtlichen Anforderungen denkbar. Eine solche Einbindung könnte auch über eine Bezugnahme auf die Leitsätze erfolgen.571 aa) Exportkredit- und Investitionsgarantien Mit Exportkreditgarantien erfahren Exportgeschäfte eine finanzielle Absicherung gegen Zahlungsausfall aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen. Investitionsgarantien dienen der finanziellen Absicherung von Direktinvestitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern gegen politische Risiken. Sie gehören international zum gängigen Instrumentarium der staatlichen Außenwirtschaftsförderung und schließen Lücken des privaten Versicherungswesens beziehungsweise ergänzen dieses.572 In letzter Zeit mehren sich Forderungen, die Vergabe dieser Absicherungen explizit an die Einhaltung menschenrechtlicher Standards durch Unternehmen beziehungsweise an die Einhaltung der Leitsätze zu knüpfen.573 Als 571  So zählte Seidl-Hohenveldern als denkbare Sanktionen einer Missachtung der Leitsätze bereits 1976 die Versagung von Exportkrediten oder Investitionsgarantien und sonstiger staatlicher Kredite, aber auch die Versagung des diplomatischen Schutzes auf: Seidl-Hohenveldern, International economic „soft law“, RdC 163.2 (1979), S. 165, S. 199. 572  Da Exportkredit- und Investitionsgarantien kostenpflichtig sind und als Versicherung nur in Sonderfällen tatsächlich Ausfallzahlungen leisten müssen, werden durch diese Instrumente keine Steuergelder direkt verausgabt. 573  Vgl. Heydenreich, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen – Erfahrungen und Bewertungen, S. 46. Eine stärkere Berücksichtigung menschenrecht-



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme141

positives Beispiel wird hier unter anderem auf Verhaltenskodizes für die Investitionstätigkeit von Staatsfonds verwiesen. Der norwegische Government Pension Fund-Global orientiert sich an sogenannten „Ethical Guide­ lines“, die auch Risiken für die Wahrung fundamentaler Menschenrechte umfassen.574 Auch auf die niederländische Praxis der Vergabe von Exportkrediten wird verwiesen und eine entsprechende „stärkere Konditionalisierung“ der Außenwirtschaftsförderung gefordert.575 Exporteure, die in den Niederlanden einen Antrag auf Exportkreditversicherung stellen, müssen im Antragsverfahren erklären, dass sie die Leitsätze bestmöglich einhalten werden.576 Insofern ist die Erklärung des Unternehmens, nicht aber die Einhaltung der Leitsätze selbst, Vergabebedingung. Stellt sich später heraus, dass das Unternehmen die Leitsätze nicht einhält, ohne aber bei der Antragstellung falsche Angaben gemacht zu haben, so sind die Reaktionsmöglichkeiten der Administration begrenzt. Die meisten Staaten informieren daher die Exporteure oder Investoren in allgemeiner Form über die Leitsätze577 und nur wenige verlangen im Antragsverfahren, die Kenntnisnahme der Leitsätze zu bestätigen578 oder „ermutigen“ die Antragsteller im Antragsverfahren, die Leitsätze einzuhalten579. Damit ist die Einhaltung der Leitsätze gegenwärtig licher Belange fordert auch Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz und die deutsche Außenwirtschaftsförderung, Berlin 2013, S. 326. 574  Dieser Fonds verausgabt Einnahmen aus der norwegischen Ölförderung, http: /  / www.regjeringen.no / en / dep / fin / Selected-topics / the-government-pension-fund. html. 575  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 10. 576  OECD, OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Report by the Chair of the 2012 Meeting of the National Contact Points, http: /  / www.keepeek.com / Dig ital-Asset-Management / oecd / governance / annual-report-on-the-oecd-guidelines-formultinational-enterprises-2012_mne-2012-en, S. 27: „companies must state that they are aware of the Guidelines and that they will endeavour to comply with them to the best of their ability“. Antragsteller für das niederländische Private Sector Investment Programme (PSI), mit dem innovative Investitionen in bestimmten Entwicklungsländern finanziert werden, müssen einen CSR policy plan, basierend auf den OECD-Leitsätzen, einreichen. 577  OECD, OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Report by the Chair of the 2012 Meeting of the National Contact Points, S. 26 f. 578  So z. B. in Frankreich (Exportkreditgarantien und Investitionsgarantien) und in Deutschland (Investitionsgarantien), OECD, OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Report by the Chair of the 2012 Meeting of the National Contact Points, S. 26. 579  Zum Beispiel Dänemark, OECD, OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Report by the Chair of the 2012 Meeting of the National Contact Points, S. 26.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

keine Vergabebedingung. Eine solche Verknüpfung wäre wohl grundsätzlich zulässig580, wirft aber eine Vielzahl praktischer und rechtlicher Fragen auf581. Ein alternativer Ansatz ist, wie von den Niederlanden praktiziert, von den Antragstellern eine Erklärung über die Einhaltung der Leitsätze zu fordern.582 Bislang sind die Leitsätze überwiegend aber nicht Bestandteil des Antragsverfahrens, sondern Teil der allgemeinen Informationspolitik. Die Nationalen Kontaktstellen werden in den Erläuterungen der 2011 revidierten Leitsätze allerdings ermutigt, andere staatliche Stellen über veröffentlichte Erklärungen und Berichte zu informieren, wenn diese für die jeweiligen Programme von Bedeutung sind.583 Diese Information solle „die Kohärenz der Politik“ fördern.584 Konsequenzen dürfte die Information einer staat­ lichen Stelle über eine festgestellte Verletzung der Leitsätze dann haben, wenn diese gravierend sind und hierdurch zugleich andere relevante Maßgaben oder Gesetze verletzt werden. Unabhängig von den Leitsätzen spielen ökologische und soziale Aspekte bei der Vergabe von Exportkreditgarantien und Investitionsgarantien eine 580  Im Rahmen der Leistungsverwaltung besteht grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum und der Gesetzesvorbehalt hat nur eingeschränkte Geltung, so dass auch die rechtlich nicht verbindlichen Maßgaben der Leitsätze, die aber einen gesellschaftlichen Konsens repräsentieren, bei der Bestimmung der Förderungswürdigkeit eines Geschäftes grundsätzlich Berücksichtigung finden dürfen. Auch aus Sicht der OECD-Vereinbarungen zur Ausgestaltung von Exportkrediten (sog. OECDKonsensus; hierbei handelt es sich um ein Gentlemen’s Agreement einer Vielzahl der OECD-Mitgliedstaaten, der mit Beschluss des Rates vom 4. April 1978 in europäisches Gemeinschaftsrecht übernommen wurde) wäre eine solche Einschränkung der Vergabe zulässig, da diese Vereinbarungen gerade der wettbewerbswahrenden Eingrenzung von Exportkrediten dienen. 581  Praktische Fragen betreffen die Nachprüfbarkeit der Einhaltung der Leitsätze und der Wettbewerbsverzerrung im Falle unilateraler Vorgaben. Rechtliche Fragen betreffen die Justiziabilität der Leitsätze und können im Falle der Versagung oder Rücknahme einer Exportkreditversicherung oder Investitionsgarantie und der etwaigen gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen durch das Unternehmen, etwa aus Art. 14 GG oder Art. 3 GG, auftreten. 582  Zum vergleichsweise stark verrechtlichten Bereich der Korruptionsbekämpfung einigten sich die OECD-Mitgliedstaaten auf eine Empfehlung, die die Mitgliedstaaten auffordert, die Exporteure und Antragsteller im Rahmen des Antragsverfahrens zur Abgabe einer Erklärung zu verpflichten, nach der keine Verwicklung in Korruption vorliegt und auch nicht erfolgen wird: OECD, Council Recommendation on Bribery and Officially Supported Export Credits, 18-Dec-2006 TD / ECG(2006)24. Siehe auch Roth, Korruptionsbekämpfung durch staatliche Exportförderungsagenturen, RIW 2010, S. 737, S. 740. 583  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 37, Sätze 1 und 2. 584  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 37, Satz 2.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme143

Rolle. So orientieren sich die Staaten bei der Prüfung der Förderungswürdigkeit für die Vergabe von Exportkreditgarantien an den sogenannten Common Approaches585. Projekte ab bestimmten Größenordnungen586, bei denen ökologische, soziale oder entwicklungspolitische Auswirkungen zu befürchten sind, unterfallen demnach einer sogenannten „vertieften Umweltprüfung“, die neben einer Umwelt- auch eine Sozialprüfung enthält. Unter diese Sozialprüfung fallen auch Auswirkungen auf menschenrechtliche Standards, wie mit der Revision der Common Approaches vom 28. Juni 2012 unterstrichen wurde, deren Präambel nun auch einen Hinweis auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte enthält587. Im Übrigen haben sich die OECD-Mitgliedstaaten im Rahmen der Common Approaches darauf verständigt, die Standards der Weltbank anzuwenden, namentlich die Safeguard Policies588 und die IFC-Performance Standards589. Letztere sind Teil des IFC-Sustainability Framework, der zum 1. Januar 2012 aktualisiert wurde590. Die Performance Standards erwarten sowohl Folgenabschätzungen als auch Konsultationen der lokalen Bevölkerung: „Performance Standard 1 establishes the importance of (i) integrated assessment to identify the environmental and social impacts, risks, and opportunities of projects; (ii) effective community engagement through disclosure of project-related information and consultation with local communities on matters that directly affect them; and (iii) the client’s management of environmental and social perfor585  „Revised Council Recommendation on common approaches on the environment and officially supported export credits“, aktuelle Fassung vom 28. Juni 2012. Die Vorgängerfassung datierte vom 12. Juni 2007. Leitlinien „Recommendations on Common Approaches on Environment and Officially Supported Export Credits“, „Recommendation on Bribery and Officially Supported Export Credits“, „Principles and Guidelines to Promote Sustainable Lending Practices in the Provision of Official Export Credits to Low Income Countries“, vgl. http: /  / www.agaportal.de / pages / aga / nachhaltigkeit / korruption.html. 586  Für Anträge mit einer Kreditlaufzeit von mehr als zwei Jahren und einem Auftragswert von über 15 Millionen Euro gelten die „Common Approaches“. Sind diese Kriterien nicht erfüllt, kann dennoch eine vertiefte Umweltprüfung im Sinne der „Common Approaches“ erforderlich sein, wenn der Einzelfall Anlass hierzu gibt, vgl. www.agaportal.de 587  Präambel, „Revised Council Recommendation on common approaches on the environment and officially supported export credits“ vom 28. Juni 2012. 588  „Environmental and Social Safeguard Policies, http: /  / go.worldbank.org / WTA 1ODE7T0. 589  International Finance Corporation (IFC) der Weltbank-Gruppe: http: /  / www.ifc.org / ifcext / policyreview.nsf / Content / 2012-Edition#PerformanceStan dards. 590  http: /  / www.ifc.org / ifcext / policyreview.nsf / Content / 2012-Edition#Performance Standards.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

mance throughout the life of the project. Performance Standards 2 through 8 establish objectives and requirements to avoid, minimize, and where residual impacts remain, to compensate / offset for risks and impacts to workers, Affected Communities, and the environment“591.

Die Safeguard Policies befinden sich ebenfalls aktuell in einem auf zwei Jahre angesetzten Überarbeitungsprozess.592 Angesichts der Orientierung der Common Approaches auf diese Instrumente werden im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung neben den selbstverständlichen Umweltverträglichkeits-prüfungen zunehmend auch Human Rights Impact Assessments immer häufiger zum Einsatz kommen. Modelle hierfür werden in der Praxis bereits entwickelt.593 Die Bezugnahme auf die IFC-Performance Standards und die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie in manchen Antragsverfahren auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zeigt eine zunehmende Verknüpfung der außenwirtschaftspolitischen Förderinstrumente mit der Einhaltung menschenrechtlicher Standards durch Unternehmen. Die wachsende Interdependenz der genannten internationalen Instrumente führt zu praktischen Auswirkungen auf die antragstellenden Unternehmen. bb) Bilaterale Investitionsschutzabkommen Bilaterale Investitionsschutzabkommen sind aus Sicht der Gaststaaten ein wichtiges Instrument, um ausländische Investitionen anzuziehen.594 Ziel der 591  http: /  / www.ifc.org / ifcext / policyreview.nsf / Content / PerformanceStandard1.

592  Vgl. Beschluss des Committee on Development Effectiveness des Board of Executive Directors der Weltbank am 10. Oktober 2012, http:  /   /  web.worldbank. org / WBSITE / EXTERNAL / PROJECTS / EXTPOLICIES / EXTSAFEPOL / 0,,content MDK:23275156~pagePK:64168445~piPK:64168309~theSitePK:584435,00.html. 593  Vgl. den zusammen mit der International Finance Corporation der Weltbank entwickelten „Guide to Human Rights Impact Assessment“, www.iblf.org / resources / general / jsp)id=123946, aber auch das Human Rights Compliance Assessment des Danish Institute for Human Rights, http:  /   /  www.humanrightsbusiness.org  /  compliance+assessment. Siehe auch Andreassen / Sano, What’s the Goal? What’s the Purpose? Observations on Human Rights impact assessment, International Journal of Human Rights, 11.3 (2007), S. 275 und Hamm / Scheper, Human Rights Impact Assessments zur Umsetzung der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen, Konzeptionelle Herausforderungen und praktische Ansätze, Institut für Entwicklung und Frieden, Duisburg  2011, http: /  / inef.uni-due.de / cms / index.php?article_ id=4&clang=1&pub=1511. 594  Vgl. J. Ruggie, Protect, Respect and Remedy: a Framework for Business and Human Rights, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, UN Document A / HRC / 8 / 5, 2008, para. 34: „To attract foreign investment, host



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme145

Verträge ist es, Unternehmen vor Beeinträchtigung ihrer Investitionen etwa durch willkürliche Maßnahmen der Gaststaaten zu schützen und damit Hürden für Auslandsinvestitionen abzubauen. Die Verträge sichern die Unternehmen dabei üblicherweise gegen entschädigungslose Enteignungen beziehungsweise enteignungsgleiche Maßnahmen ab, fordern faire und nichtdiskriminierende Behandlung der Unternehmen und enthalten Stabilisierungsklauseln, welche Gesetzesänderungen in den Gaststaaten auf die Auslandsinvestitionen unanwendbar machen.595 Da diese Abkommen jeweils ein Rahmenwerk für alle Auslandsinvestitionen heimischer Unternehmen in dem betreffenden Gaststaat sind und weltweit etwa 2800 Verträge abgeschlossen wurden596, differieren die mit diesen Verträgen abgesicherten Investitionen stark in ihren Größenordnungen und ihren Auswirkungen auf die Gaststaaten. Verpflichtungen für die Unternehmen oder menschenrechtliche Klauseln enthalten die Verträge in der Regel nicht.597 Investitionsschutzrecht und Menschenrechte sind damit zwei Rechtsmaterien des Völkerrechts, die bislang eher getrennt voneinander bestehen.598 In jüngerer Zeit wird die Beziehung zwischen Investitionsschutzregimen und Menschenrechten aber verStates offer protection through bilateral investment treaties and host government agreements. They promise to treat investors fairly, equitably, and without discrimination, and to make no unilateral changes to investment conditions (…)“. 595  Dolzer / Schreuer, Principles of International Investment Law, Oxford 2012, S.  72 ff. 596  UNCTAD, World Investment Report 2012, http: /  / www.unctad-docs.org / files /  UNCTAD-WIR2012-Full-en.pdf, S. 84. Die weltweit größte Anzahl an Bilateralen Investitionsschutzverträgen (BITs) hat Deutschland mit gegenwärtig 134 abgeschlossenen Verträgen (Stand 1. Juni 2012), von denen sieben allerdings noch nicht in Kraft getreten sind: http: /  / unctad.org / Sec tions / dite_pcbb / docs / bits_germany.pdf. Mit dem Vertrag von Lissabon, in Kraft seit dem 1. Dezember 2009, ist die Kompetenz für den Abschluss von Investitionsschutzverträgen auf die EU übergegangen; dies warf Folgefragen zur genauen Kompetenzabgrenzung und der Fortgeltung der bestehenden Investitionsschutzverträge auf, vgl. die zahlreichen Beiträge in Bungenberg / Griebel / Hindelang (Hrsg.), International Investment Law and EU Law, 2011. Angesichts der Vielzahl an Verträgen und Verhandlungspartnern übt die EU-Kommission ihre Kompetenz nunmehr aber aus, indem sie einen Rahmenvertrag erarbeitet, der die bestehenden BITs rechtlich zunächst unangetastet lässt. Der Versuch der OECD, ein einheitliches Multilateral Agreement on Investment (MAI) zu schaffen, war Ende der neunziger Jahre gescheitert. 597  Mann, International Investment Agreements, Business and Human Rights: Key Issues and Opportunities, 2008, S. 4. 598  Sie sind damit Beispiele für die beklagte „Fragmentierung des Völkerrechts“, vgl. grundlegend Dupuy, A Doctrinal Debate in the Globalisation Era: on the „Fragmentation“ of International Law, European Journal of Legal Studies, Vol. 1, Issue 1, 2007, unter http: /  / www.ejls.eu / 1 / 4UK.htm.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

mehrt beleuchtet.599 Die Einseitigkeit der Verträge, so wird argumentiert, könne Gaststaaten – angesichts der Stabilisierungsklauseln, aber auch angesichts häufig enthaltener Schiedsgerichtsklauseln, welche Unternehmen eine zusätzliche Möglichkeit zur Geltendmachung ihrer Rechte gegenüber dem Gaststaat eröffnen – an der Durchsetzung oder Anhebung menschenrecht­ licher Standards hindern.600 Vorgeschlagen wird daher zum Beispiel die Einführung einer allgemeinen Klausel, welche untersagt, das Abkommen in einer Art und Weise anzuwenden oder zu interpretieren, die dem Gaststaat die Erfüllung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte unmöglich macht.601 Ein seltenes Beispiel für eine allgemeine Klausel ist Art. 15 des ModellVertrages der South African Development Community (SADC) vom Juli 2012, der bemerkenswerter Weise sogar die Investition selber an menschenrechtliche Standards, und zwar gegebenenfalls auch die des Heimatstaates, bindet: „Investors and their investments shall not [establish,] manage or operate investments in a manner inconsistent with international environ­ mental, labour, and human rights obligations binding on the Host State or the Home State, whichever obligations are higher“602. Es bleibt abzuwarten, 599  Vgl. Mann, International Investment Agreements, Business and Human Rights: Key Issues and Opportunities, 2008; Simma / Kill, Harmonizing Investment Protection and Human Rights, S. 678; Suda, The Effect of Bilateral Investment ­Treaties on Human Rights Enforcement and Realization, S. 73. 600  J. Ruggie, Protect, Respect and Remedy: a Framework for Business and Human Rights, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, UN Document A / HRC / 8 / 5, 2008, para. 34: „(…) But investor protections have expanded with little regard to States’ duties to protect, skewing the balance between the two. Consequently, host States can find it difficult to strengthen domestic social and environmental standards, including those related to human rights, without fear of foreign investor challenge, which can take place under binding international arbitration“; Suda, The Effect of Bilateral Investment Treaties on Human Rights Enforcement and Realization, S. 73. 601  Jacob, International Investment Agreements and Human Rights, INEF Research Paper Series, Duisburg 2010, S. 46. Mit einer solchen Klausel wären Unternehmen gehindert, sich auf die in den Verträgen gesicherten Rechte zu berufen, wenn hierdurch menschenrechtliche Standards verletzt würden. Eine solche Klausel oder Auslegung würde die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen unterstreichen. Die Aufnahme einer menschenrechtlichen Klausel wird auch in Bezug auf das Rahmenübereinkommen der EU-Kommission (siehe Fußnote 596) diskutiert, jedoch werden hiergegen von Mitgliedstaaten auch Bedenken wegen einer möglichen Verschlechterung der Wettbewerbssituation für die heimischen Unternehmen („level playing field“) geltend gemacht. 602  Der Modell-Vertrag dient den Mitgliedstaaten als Leitlinie bei der Aushandlung künftiger Investitionsschutzverträge. Der Text des SADC Model Bilateral Investment Treaty Template and Commentary vom Juli 2012 ist abrufbar unter



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme147

ob diese Klausel auch Eingang in die von den SADC-Mitgliedstaaten auszuhandelnden Investitionsschutzverträge finden wird. Unabhängig von der Einführung vergleichbarer Klauseln ist aus Unternehmenssicht damit zu rechnen, dass bei der Geltendmachung von Rechten aus Investitionsschutzverträgen zunehmend auch die eigene menschenrechtliche Verantwortung des Unternehmens eine Rolle spielen wird. So könnte der Berufung des Unternehmens auf eine Stabilitätsklausel entgegen gehalten werden, diese widerspreche der in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen enthaltenen Verantwortung, negative Effekte auf die Realisierung von Menschenrechten durch das eigene Tun zu vermeiden. Auch wenn die Rechte aus Investitionsschutzverträgen rechtlich abgesicherte Positionen sind, während die unternehmerische Verantwortung zum Respekt der Menschenrechte bislang rechtlich nicht verankert ist, wird die Inanspruchnahme der Stabilitätsklausel argumentativ erschwert. Im Extremfall könnte ein Anspruch auf Entschädigung sogar verneint werden.603 So stellte ein gemeinsames Diskussionspapier des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte und der International Finance Corporation der Weltbank zu Stabilitätsklauseln und Menschenrechten eine dementsprechende „emerging best practice“ fest.604 Auch bei den Verhandlungen zur Überarbeitung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen 2011 wurde das Verhältnis von Stabilitätsklauseln und Menschenrechten thematisiert. Darüber hinaus könnte sich der materielle Gehalt des Grundsatzes des fair and equitable treatment605 ändern. Denn Erwartungen an den Respekt der Menschenrechte durch Unternehmen, wie sie in der heutigen Form von der internationalen Gemeinschaft artikuliert werden, dürften Rückwirkungen auf die Frage haben, welches Verhalten des Gaststaates in diesem Zusamhttp: /  / www.iisd.org / itn / wp-content / uploads / 2012 / 10 / SADC-Model-BIT-TemplateFinal.pdf. 603  Zu denken wäre an eine Heranziehung der genannten Instrumente zur Bestimmung des Maßstabes von Treu und Glauben, wie er etwa in Art. 31 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention enthalten ist. 604  „This discussion paper raised concerns about host government agreements that exempted investment projects from any future changes in human rights law and commended Human Rights Undertakings that benchmark against the highest of domestic, EU or international standards and that prohibit compensation for legislation required by international obligations as emerging best practice“: UK National Contact Point – Revised Final Statement, 22 February 2011, Specific Instance: BTC Pipeline, Ziffer 30. 605  Zu diesem Grundsatz siehe Dolzer / Schreuer, Principles of International Investment Law, Oxford 2012, S. 119 ff.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

menhang als billig und gerecht anzusehen ist. Dabei könnten insbesondere die Leitsätze als Orientierung dienen, da sie Teil der Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen sind, welche das Verhältnis von Gaststaat und Unternehmen insgesamt betrifft. Da der Grundsatz des „fair and equitable treatment“ in der Schiedsspraxis eine bedeutende Rolle spielt, hätten Entwicklungen in diesem Bereich eine große praktische Relevanz. Auch hier zeigt sich daher eine zunehmende Durchdringung bislang getrennt voneinander bestehender Politikbereiche in einem Anwendungsfeld, das die Weiterentwicklung der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen zugleich reflektieren und einen Beitrag zu ihr leisten kann. Ansätze hierfür sind bereits erkennbar. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sind dabei eines der Instrumente, die die Weiterentwicklung der Praxis mit beeinflussen. b) Anwendung von Instrumenten einer corporate social responsibility In der Praxis fördern Heimatstaaten ein menschenrechtskonformes extraterritoriales Verhalten von Unternehmen insbesondere mit Hilfe von Instrumenten auf Basis der Freiwilligkeit. Diese werden häufig unter dem Schlagwort der corporate social responsibility zusammengefasst. Unter diesen Begriff werden die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, die ILO-Kernarbeitsnormen und der UN Global Compact subsumiert. Allerdings umfasst dieser Bereich auch eine Vielzahl anderer Ansätze staatlichen und privaten Ursprungs. Im nachfolgenden Kapitel IV. soll die Einordnung der Leitsätze daher anhand einer näheren Betrachtung des Begriffsverständnisses der corporate social responsibility und im Vergleich mit den anderen Instrumenten überprüft werden. An dieser Stelle kann aber bereits festgehalten werden, dass beispielsweise die Geschäftsstelle des Deutschen Global Compact Netzwerkes und die Nationale Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen die (extraterritoriale) Wahrnehmung menschenrechtlicher Verantwortung von Unternehmen durch Informationen oder Erfahrungsaustausch fördern606. Hinzu kommt das Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen mit seiner besonderen Anreiz- und Kontrollfunktion.607 Eine Kollision mit 606  OECD, Annual Report on the Guidelines for Multinational Enterprises 2012, Fußnote 5. 607  Zu Wesen und Funktion des Verfahrens und dazu, ob es Eingriffsqualität erreichen kann, ausführlich unten Teil 2.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme149

dem Interventionsverbot608 ist dabei nicht gegeben, da die Leitsätze an die „auf ihrem Hoheitsgebiet operierenden Unternehmen“609 anknüpfen. 4. Zusammenfassung In den Heimatstaaten von Unternehmen bestehen vielfältige Anknüpfungspunkte zur Förderung der Wahrnehmung menschenrechtlicher Verantwortung durch Unternehmen. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen werden dabei, neben anderen staatlichen Instrumenten, als relevante Bezugsgröße genutzt und ihre Anwendung gefördert. Die Leitsätze wirken sich dabei auch in anderen Bereichen aus. So können sie im Rahmen der Anwendung von Bilateralen Investitionsschutzabkommen zu einer großzügigeren Auslegung des Maßstabes des fair and equitable treatment führen, spielen teilweise bei der Bewilligung staatlicher Exportkreditgarantien beziehungsweise Investi­ tionsgarantien eine Rolle und füllen vom Gesetzgeber offen gelassene Lücken zu Berichts- und Offenlegungspflichten aus. Die Praxis ist dabei von einer zunehmenden Zusammenarbeit der unterschiedlichen Initiativen und Instrumente geprägt und es sind Arbeitsbeziehungen etabliert worden, beispielsweise zwischen der OECD und der Weltbank sowie der UN Finance Institution, der Global Reporting Initiative und der UN Working Group on Business and Human Rights.610 Die rechtsverbindliche Kontrolle des extraterritorialen Verhaltens multinationaler Unternehmen durch die Heimatstaaten ist hingegen insgesamt eher schwach ausgeprägt. Dies schafft Bedarf nach anderweitigen Steuerungsmechanismen. Unter dem Schlagwort der corporate social responsibility hat sich hier mit großer Dynamik ein eigenständiger, zugleich sehr vielfältiger Ansatz zur Lenkung des Verhaltens multinationaler Unternehmen entwickelt, der nun in seiner Gänze betrachtet werden soll.

608  Siehe

oben C.I.2.b)aa). für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 3, Satz 2; Vgl. Erklärung des Vorsitzenden der Ministerratstagung, Juni 2000 OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Neufassung 2000, S. 5, ILM 40 (2000), S. 237, der auf die Jurisdiktion abstellt. 610  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, Fußnote 5. 609  OECD-Leitsätze

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

IV. Corporate social responsibility – Zur „freiwilligen“ Orientierung an menschenrechtlichen Standards Neben den Ansätzen einer rechtlichen Regulierung oder Haftbarmachung von Unternehmen bestehen vielschichtige und facettenreiche Bestrebungen, die die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen auf freiwilliger Basis zum Gegenstand haben und häufig unter dem Begriff der corporate social responsibility (CSR) zusammengefasst werden. Der Begriff der Freiwilligkeit ist bei diesen Ansätzen allerdings mit Vorsicht zu genießen. Denn definiert man Freiwilligkeit als „Verhalten ohne äußeren Druck und Steuerung“, dann trifft dieser Begriff nach Auffassung des ehemaligen OECD-Generalsekretärs Johnston auf viele CSR-Initiativen schon nicht mehr zu − weshalb die Idee einer strikten Trennung zwischen verbindlichen und „weichen“ Initiativen „not a valid one“ sei611. Auf diesen Punkt wird später noch zurückzukommen sein, denn gerade die OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen zeichnen sich durch einen Umsetzungsmechanismus aus, der diese Differenzierung in Frage stellt. Zunächst sei aber ein Überblick über die Entwicklungen im Bereich der CSR gewonnen, um einen Vergleich zu ermöglichen. Sowohl privatwirtschaftliche, staatliche als auch Multi-Stakeholder-Initiativen zielen auf die Realisierung eines gesellschaftlich verantwortlichen Handelns von Unternehmen. Inhaltlich werden hierbei, je nach Kontext, unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt.612 Viele der Initiativen sind am Nachhaltigkeitsbegriff orientiert, beziehen sich also auf ökologische und soziale Faktoren. Teilweise liegt der Fokus im sozialen Bereich eher bei den Arbeitnehmerrechten. Es rückt aber zunehmend ins Bewusstsein, dass Menschenrechte als solche unter den Begriff der sozialen Nachhaltigkeit fallen und CSR die Beachtung menschenrechtlicher Standards einschließt.613 Im Folgenden soll ein grober Überblick über die Entwicklungen gegeben und die Leitsätze in diesen Kontext eingebettet werden. Dazu ist zunächst das Begriffsverständnis näher zu erläutern.

611  Johnston, Promoting Corporate Responsibility: The OECD Guidelines for Multinational Enterprises, S. 246. 612  Einen Überblick über die Vielfalt der privaten und Multi-Stakeholder-Initiativen findet sich im Anhang zur Norm IS0 26000, der auch Aufschluss darüber gibt, ob die jeweilige Initiative die Wahrung der Menschenrechte zum Gegenstand hat. 613  Vgl. Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 43 f.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme151

1. Begriff der corporate social responsibility (CSR) Die moderne Diskussion über corporate social responsibility (CSR) begann in den 1970er Jahren.614 Blickt man weiter zurück, so findet sich allerdings bereits im Ideal des „ehrbaren Kaufmanns“ der Anspruch, „durch tugendhaftes Verhalten nicht nur langfristig den Geschäftserfolg zu sichern, sondern auch den sozialen Frieden [der Stadt] aufrecht zu halten“615. Der heutige Begriff CSR erfreut sich großer Beliebtheit, ist aber von seinem Gehalt her nicht unumstritten616. Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen bewegt sich im Spannungsfeld zwischen rechtlichen Vorgaben und freiwilliger Erfüllung. Letztlich könnten alle Vorgaben, die einem sozial erwünschten Zweck dienen, unter den Begriff der sozialen Unternehmensverantwortung subsumiert werden. Um die Wahrnehmung sozialer Unternehmensverantwortung von der – vorausgesetzten – Einhaltung nationalen Rechts abzugrenzen, wird CSR häufig als die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehende Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung umschrieben617. Dabei ist CSR aber von wohltätigen Aktivitäten abzugrenzen, die über den eigentlichen Unternehmenszweck hinausgehen – sogenannte Corporate (Good) Citizenship618. Dies stellt auch die Definition des deutschen CSR-Forums klar, die 614  Teilweise werden auch die 1950er Jahre mit den Veröffentlichungen von Howard R. Bowen – der auch als „Father of Corporate Social Responsibility“ bezeichnet wird − als Ausgangspunkt der modernen Diskussion festgemacht, siehe Segerlund, Making Corporate Social Responsibility an International Concern; Norm Construction in a Globalizing World, Stockholm 2007, S. 93. 615  Institut für Management der Humboldt Universität zu Berlin Informationsportal http: /  / www.der-ehrbare-kaufmann.de / . Dieses Leitbild fand seinen Anfang unter anderem mit der nordddeutschen Hanse und erfährt heute eine Renaissance, ist aber nicht mit CSR deckungsgleich: Schwalbach / Klink, Der Ehrbare Kaufmann als individuelle Verantwortungskategorie der CSR-Forschung, S. 219 f. 616  Vgl. Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 29. Abzugrenzen ist der Begriff zudem von der Corporate Governance, die sich auf die gute Unternehmensführung als solche bezieht und vom Begriff der Corporate Accountability, der insbesondere im angloamerikanischen Sprachraum verwendet wird und auf Verhaltensmaßstäbe mit größerer Verbindlichkeit zielt, siehe Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, S. 58, Fußnote 41. 617  So auch die „Nationale Strategie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen“, verabschiedet von der Bundesregierung am 6. Oktober 2010 (auch „Aktionsplan CSR“ genannt), http: /  / www.csr-in-deutschland.de / csr-in-deutschland /  aktivitaeten-der-bundesregierung / bmas / aktionsplan-csr-der-bundesregierung.html. 618  Eine erste empirische Untersuchung des gesellschaftlichen Engagements der Unternehmen in Deutschland nahm das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

CSR als eine nachhaltige Unternehmensführung „im Kerngeschäft“ ansieht.619 Damit handelt es sich um ein Managementkonzept, das idealerweise in die täglichen Abläufe des Unternehmens integriert sowie „strategisch und langfristig orientiert“620 ist. Auch die Europäische Kommission definierte 2001 in ihrem Grünbuch CSR als „ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehung mit den Stakeholdern zu integrieren“.621 Von dem Abstellen auf eine reine Freiwilligkeit ist die EU-Kommission allerdings inzwischen abgerückt. Sie legte stattdessen in ihrer Mitteilung von 2011 eine „neue Definition“ vor, wonach CSR „die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ ist.622 Die Kommission ergänzt: „Nur wenn die geltenden Rechtsvorschriften und die zwischen Sozialpartnern bestehenden Tarifverträge eingehalten werden, kann diese Verantwortung wahrgenommen werden“.623 Damit entschloss sich die EU-Kommission zu einem integrativen Verständnis des Begriffes CSR, welches die Einhaltung geltenden Rechts umim Jahr 2011 im Auftrag des Bundesfamilienministeriums vor. Danach engagieren sich rund 64 % der Unternehmen – bei Unternehmen über 500 Mitarbeitern 95 % – in den Formen corporate giving, corporate volunteering und corporate support, vorrangig im direkten Umfeld ihres Standortes und vor allem im Bereich Bildung, siehe „Erster Engagementbericht 2012 – Für eine Kultur der Mitverantwortung“, www.bmfsfj.de / BMFSFJ / Service / publikationen.html. 619  Das deutsche „CSR-Forum“ setzt sich zusammen aus Ministerien der Bundesregierung und (Interessens-)vertretern von Unternehmer- und Gewerkschaftsseite sowie Nichtregierungsorganisationen, dem UN Global Compact, OECD Sekretariat und ILO-Sekretariat; vgl. „Nationale Strategie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility – CSR) – Aktionsplan CSR − der Bundesregierung vom 6. Oktober 2010“, Anlage „Beschluss des Nationalen CSR-Forums vom 28. April 2009 als Empfehlung an die Bundesregierung: Gemeinsames Verständnis von Corporate Social Responsibility (CSR) in Deutschland“, S. 1: „Corporate Social Responsibility (CSR) bezeichnet die Wahrnehmung gesellschaft­ licher Verantwortung durch Unternehmen über gesetzliche Anforderungen hinaus. CSR steht für eine nachhaltige Unternehmensführung im Kerngeschäft, die in der Geschäftsstrategie des Unternehmens verankert ist. CSR ist freiwillig, aber nicht beliebig.“ Grundlage dieses Verständnisses ist laut des Beschlusses die Definition im Grünbuch der Kommission (KOM (2001) 366 endg.). 620  Lukas / Röhsler, Vorwärts in die Vergangenheit? Die Europäische Union und Corporate Social Responsibility, S. 126. 621  EU-Kommission, Grünbuch „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“, KOM (2001) 366 endg., S. 24. 622  Mitteilung der EU Kommission „Eine neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale Verantwortung von Unternehmen“, KOM (2011) 681 endg., Abschnitt 3.1. 623  Mitteilung der EU Kommission „Eine neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale Verantwortung von Unternehmen“, KOM (2011) 681 endg., Abschnitt 3.1.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme153

fasst. Die EU-Kommission fordert dabei die Einführung von Verfahren, mit denen „soziale, ökologische, ethische, Menschenrechts- und Verbraucherbelange in enger Zusammenarbeit mit den Stakeholdern in die Betriebsführung und in ihre Kernstrategie integriert werden“.624 Das geänderte Verständnis der EU-Kommission hat durchaus Kritik hervorgerufen. Es stimmt allerdings überein mit den Anforderungen zur Einführung von Due-Diligence-Prüfungen nach den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen und den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und der Tatsache, dass auch die Leitsätze Themen nicht ausklammern, die anderenorts eine rechtliche Regelung gefunden haben. Zudem kann die Integration von CSR-Belangen in die strategische Unternehmensführung auch aus wirtschaftlicher Perspektive vorteilhaft sein.625 Das Erreichen wirtschaftlicher und sozialer Ziele kann durchaus als komplementär zu wirtschaftlichem Erfolg verstanden werden.626 Diese Auffassung ist zwar keine Selbstverständlichkeit, dürfte sich heute aber durchgesetzt haben627: „The nature of the CSR-debate has now moved on – from ‚why?‘ be socially responsible to ‚how?‘ “628.

Der Wandel zeigt sich auch in dem stetig wachsenden Angebot professio­ neller und anwendungsgestützter Hilfe für Unternehmen, ihre Wahrnehmung 624  Mitteilung der EU Kommission „Eine neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale Verantwortung von Unternehmen“, KOM (2011) 681 endg., Abschnitt 3.1. 625  Vgl. ausführlich Schreck, Der Business Case for Corporate Social Responsibility, S. 67. 626  Vgl. Lukas / Röhsler, Vorwärts in die Vergangenheit? Die Europäische Union und Corporate Social Responsibility, S. 126: „Das noch vor einiger Zeit als unvereinbar gesehene Erreichen von sowohl wirtschaftlichen als auch sozialen Zielen wird nunmehr als komplementär verstanden“. 627  Es kann durchaus von einem grundlegenden Wandel des Managementverständnisses gesprochen werden. Das gewandelte Verständnis zeigt sich auch in vielfältigen Bezugnahmen von Unternehmen auf CSR, zum Beispiel in den von fast allen größeren Unternehmen heutzutage veröffentlichten „CSR-Berichten“, in denen sie ihr Profil in diesem Bereich öffentlichkeitswirksam darzustellen suchen (Vgl. für viele zum Beispiel „CSR Report, Unternehmensverantwortung und nachhaltige Entwicklung, Sanofi, http: /  / tinyurl.com / ch2bzbp). Ob das Potential von CSR als Managementkonzept dabei heute immer schon voll ausgeschöpft ist, mag angesichts der Tatsache, dass häufig unternehmensintern noch die PR-Abteilungen, nicht die Compliance-Abteilungen für das Thema zuständig sind, bezweifelt werden. Dennoch gilt, dass das „sich in einem Rechtssystem kristallisierende Menschenbild“ die „Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung“ steuert und es verbietet, die menschliche Individualität und seine Rechtsstellung „ganz an wirtschaftlichen Effizienzerwartungen auszurichten“, so Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 9. Auflage, München 2011, § 1, Rz. 17. 628  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 25.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

gesellschaftlicher Verantwortung zu managen, zu messen und darüber zu berichten.629 Es scheint daher angemessen, unter den Begriff CSR nicht nur diejenigen Elemente zu fassen, die über rechtliche Anforderungen hinausgehen, sondern dieses vielmehr als insgesamt verantwortliches Handeln zu verstehen, welches die Einhaltung geltenden Rechts einschließt. Damit wirken sich Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen, die bei einem rein auf Freiwilligkeit basierenden CSR-Verständnis zu Abweichungen in dessen Gehalt führen können, weniger aus. In diesem Sinne könnte CSR verstanden werden als eine Verantwortung „to operate ethically and in accordance with its legal obligations and to strive to minimise any adverse effects of its operations and activities on the environment, society and human health“630.

Unabhängig von diesem Begriffsverständnis zeichnen sich die CSR-Initia­ tiven aber dadurch aus, dass sie selber keine eigenständigen rechtlichen Verpflichtungen begründen wollen.631 Insofern scheint es richtig, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und andere staatliche Instrumente in diesen Bereich einzuordnen (siehe unten 3.b)). Der Begriff CSR umfasst allerdings nicht nur staatliche, sondern auch private Initiativen, wobei diese sich gegenseitig ergänzen. 2. Standardsetzung durch private Akteure a) Privatwirtschaftliche Verhaltenskodizes Im privatwirtschaftlichen Bereich wurden zur Förderung der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen Verhaltenskodizes angenommen, sogenannte codes of conduct632. Heute besteht eine „nahezu unüberschauba629  Zerk,

S. 24.

Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008,

630  Vgl. die Definition von Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 32. 631  Es gibt daher Vorschläge, das Konzept der CSR um ein Konzept von „Corporate Accountability“, der „Rechenschaftspflicht unternehmerischen Tuns gegenüber Staat und Gesellschaft“, zu ergänzen: Stellungnahme des European Center for Constitutional and Human Rights, Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages zum Thema Menschenrechte und Unternehmen am 6. April 2011, S. 5 f., http: /  / www.ecchr.de. 632  Dieser Begriff ist als solcher nicht auf die Privatwirtschaft beschränkt. So liegt der OECD-Untersuchung „Codes of corporate conduct: an inventory“ ein Verständnis zugrunde, nach dem Verhaltenskodizes unterschiedlichen Ursprungs sein können – d. h. sowohl eines einzelnen Unternehmens, von Unternehmenszusammen-



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme155

re“ Anzahl freiwilliger Selbstverpflichtungen von Unternehmensseite.633 Die Publikation solcher Kodizes ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass Unternehmen nach gegenwärtiger Rechtslage nur bedingt Rechenschaft über die Einhaltung sozialer Standards ablegen müssen.634 Nicht nur in der Urheberschaft, auch in Zweck und Inhalt variieren diese Verhaltenskodizes.635 So bekennen sich teilweise einzelne Unternehmen zur Einhaltung gewisser Werte und publizieren einen eigenen Verhaltenskodex.636 Dabei werden mitunter auch Vertragsunternehmen, Subunternehmen, Zulieferer und Lizenznehmer zur Einhaltung des firmenspezifischen Kodex verpflichtet. Eine Untersuchung der OECD637 ergab, dass von 233 Verhaltenskodizes nur 18 % auf internationale Standards verwiesen und nur 11 % ein externes Monitoring vorsahen638. Dennoch scheint eine Betrachtung der Kodizes den Schluss zu erlauben, die Unternehmen hätten heute die Menschenrechte als einen Teil ihrer gesellschaftlichen Verantwortung akzeptiert.639 schlüssen als auch von intergouvernementalen Organisationen, „Codes of corporate conduct: an inventory“ (TD / TC / WP(98)74 / FINAL), aktualisiert in 2001: TD / TC /  WP(2001)10 / FINAL. Sogar eine Vermischung rechtlich verbindlicher und unverbindlicher Instrumente findet unter diesem Begriff statt, wie zum Beispiel bei der rechtsverbindlichen Convention on a Code of Conduct for Liner Conferences, vgl. Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, S. 75. Überwiegend wird mit dem Begriff code of conduct aber auf die privatwirtschaftliche Selbstverpflichtung abgestellt: „The term code of conduct is, in a limited sense, sometimes applied to written sets of rules used in transnational business relations which have been set up by private organizations (…) or companies“, Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 454. Zur Klarstellung wird häufig auch die Bezeichnung „corporate code of conduct“ gewählt. 633  8. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen, http: /  / www.auswaertigesamt.de / diplo / de / Infoservice / Broschueren / MRB8.pdf, S.  187. Zu frühen Beispielen siehe Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S.  15 f. 634  Siehe oben C.III.2.a). 635  Vgl. McLeay, Corporate Codes of Conduct and the Human Rights Accountability of Transnational Corporations: A Small Piece of a Larger Puzzle, S. 219. 636  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 7. 637  OECD Working Party of the Trade Committee, Codes of Corporate Conduct. An Inventory, TD / TC / WP(98)74 / FINAL, 29 / 04 / 1999, http: /  / www.olis.oecd.org / olis /  1998doc.nsf  /   c 16431e1b3f24c0ac12569fa005d1d99  /   c 125692700622425c12569 a40038da6c / $FILE / 04E95110.pdf. 638  Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66(2006), S. 625, S. 644, m. w. N. 639  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 42 mit Beispielen zu Verlautbarungen multinationaler Unternehmen.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Daneben sind auch sektorale Zusammenschlüsse entstanden, die branchenweise der Verwirklichung gewisser Werte dienen sollen. Diese machen nach einer OECD-Studie rund 37 % der Verhaltenskodizes aus.640 Die Branchen legen dabei verständlicherweise einen Fokus auf die für ihr Tätigkeitsfeld relevantesten Menschenrechtsrisiken. So „konzentriert sich die Textilindustrie in der Regel auf Arbeitsrechte, während die Ölindustrie ihr Hauptaugenmerk (…) auf den Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte legt“.641 Private Sicherheitskräfte haben sich selbst ebenfalls einen Verhaltenskodex gegeben.642 Bekannte branchenbezogene Verhaltenskodizes sind der „Common Code for the Coffee Community“643, der zu Nachahmung in den Bereichen Kakao und Baumwolle geführt hat. Die Kodizes spielen auch eine Rolle in den Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. So war die Teilnahme des Unternehmens an dem vom Gesamtverband Textil und Mode entwickelten „Code of Conduct für die Textil- und Modeindustrie“ Bestandteil einer Einigung zwischen Nichtregierungsorganisation und Unternehmen.644 b) Multi-Stakeholder-Initiativen Neben der Entwicklung von codes of conduct begegnen einige Branchen dem Thema auch durch Gründung sogenannter Multi-Stakeholder-Initiativen.645 Bekannte Multi-Stakeholder-Initiativen einzelner Branchen sind der „Forest Stewardship Council for Sustainable Forestry Practices“, der „Round Table for Sustainable Palm Oil“ und die „Fair Wear Foundation to Improve Labour Conditions in the Garment Industry“646. Branchenübergreifende Bedeutung hat der „BSCI Code of Conduct“ der „Business Social Compliance Initiative“647. Ebenfalls branchenübergreifend 640  OECD, Codes of Corporate Conduct: Expanded Review of their Content (siehe oben Fußnote 637), S. 5. 641  Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, S. 59, Fußnote 45. 642  Wallace, Code of Conduct for Private Security Service Providers, International Legal Materials 50 (2010), S. 89. 643  „The 4C Code of Conduct“ der 4C Association for a Better Coffee World, gültig seit Juli  2010, http: /  / www.4c-coffeeassociation.org / uploads / media / 4Cdoc_ 001a_Code-of_Conduct_v1.3_en.pdf. 644  Siehe unten Teil 2, C.II.3.b)aa)(3). 645  Vgl. van Huijstee, Multi-stakeholder initiatives: A strategic guide for civil society organization, http: /  / www.somo.nl / publications-en / Publication_3786. 646  Siehe http: /  / www.coc-runder-tisch.de / . 647  http: /  / www.bsci-intl.org / our-work / bsci-code-conduct.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme157

arbeitete die „Business Leaders Initiative on Human Rights“.648 Diese entwickelte in den Jahren 2003–2009 Anleitungen für die Integration von Menschenrechtsfragen in das Unternehmensmanagement.649 Aus ihr ist unter anderem die „Global Business Initiative on Human Rights“650 hervorgegangen. Dem spezifischen Thema der Nachhaltigkeitsberichtserstattung widmet sich die Multi-Stakeholder-Organisation „Global Reporting Initiative“ (GRI)651, die Muster für Unternehmensberichte zur Verfügung stellt und die teilnehmenden Unternehmen veröffentlicht. Bis dato haben sich mehr als 1500 Unternehmen dieser Initiative angeschlossen mit dem Ergebnis, dass diese „the de facto global standard for reporting“ geworden ist.652 Ziel dieser Initiative ist es, dass die Offenlegung der Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialbilanz so verbreitet und vergleichbar wird wie die Offenlegung der finanziellen Unternehmensbilanz.653 Die „Principles for Responsible Investment“ (PRI)654 richten sich an unterschiedliche Arten von Investoren und dienen der Einbeziehung von ökologischen, sozialen und corporate governance-Fragen bei Investitionen. Die Initiative wird getragen von Investoren in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen. Hervorzuheben sind außerdem die sogenannten „Equator Principles“, die Banken bei der „Ermittlung, Bewertung und Bewältigung ökologischer und sozialer Risiken in der Projektfinanzierung“ dienen.655 Als Multi-Stakeholder-Forum mit dem Ziel „die Umsetzung freiwilliger Sozialstandards durch Information und Dialog sowie gemeinsame Erfahrungen in Form von Pilotprojekten“ zu fördern, wurde 2001 in Deutschland der 648  http: /  / www.blihr.org. Siehe auch Robinson, Corporate Responsibility and Workplace Standards: Responsible Strategies for Global Sourcing, in: Windfuhr, Michael (Hrsg.), Beyond the Nation State, Human Rights in Times of Globalization, Uppsala, 2005. 649  Vgl. auch den zusammen mit der International Finance Corporation der Weltbank entwickelten Guide to Human Rights Impact Assessment, www.iblf.org / resources / general / jsp)id=123946. Zu diesem Thema siehe auch Fußnote 593. 650  htttp: /  / www.global-business-initiative.org. 651  http: /  / www.globalreporting.org. Siehe auch oben C.III.2.a). 652  http: /  / www.globalreporting.org / AboutGRI / WhatWeDo / . Deutsche Unternehmen, die gelistet sind, umfassen beispielsweise Adidas, Bayer, Volkswagen, Siemens, Deutsche Bank, Tchibo u. v. m. Seit Ende 2013 gibt es zudem den International Integrated Reporting Framework, siehe Fußnote 559. 653  Global Reporting Initiative Sustainability Report, July 2004 – June 2007, S. 5: http: /  / www.globalreporting.org / NR / rdonlyres / 43127B6A-3816-406C-897F-AC572 E0EAB2D / 0 / GRI_SR_20042007.pdf. 654  Vgl. http: /  / www.unpri.org. 655  Vgl. http: /  / www.equator-principles.com.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

„Runde Tisch Verhaltenskodizes“656 gegründet. Beteiligt sind hier Unternehmen und Verbände, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und verschiedene Bundesministerien und internationale Organisationen. Die Multi-Stakeholder-Initiativen sind Beispiele dafür, wie die verschiedenen Interessengruppen beim Thema CSR zusammenarbeiten, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen stehen in Wechselwirkung mit einigen dieser Initiativen oder werden als weitere Orientierungsgröße genutzt.657 c) ISO 26000 Am 1. November 2011 wurde die „Guidance on Social Responsibility“ – ISO 26000 – von der International Organization for Standardization (ISO) angenommen658 und im Januar 2011 in Deutschland als DIN ISO 26000 veröffentlicht659. Dieses Dokument wurde innerhalb von sechs Jahren in einem auch für die ISO „einzigartigen, weltweiten Normierungsprozess mit mehr als 400 Experten aus 99 Ländern erarbeitet“.660 Die Norm ist ein „freiwillig anzuwendender Leitfaden, der Organisationen dabei unterstützt, gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen“.661 Gemeint sind dabei alle Arten von Organisationen, nicht nur Unternehmen, so dass der Anwendungsbereich der Norm breiter ist als derjenige der maßgeblichen staatlichen CSR-Instrumente. Inhaltlich wurde die Norm „in Übereinstimmung mit bestehenden internationalen Dokumenten und Standards entwi656  http:  /  / www.coc-runder-tisch.de,

nannt.

auch „Round Table Codes of Conduct“ ge-

657  Vgl. z. B. die Zusammenarbeit der OECD mit der Global Reporting Initiative, oben Fußnote 562 oder die Zusammenarbeit im Rahmen des „Runden Tischs“ Verhaltenskodizes. 658  Schmiedeknecht / Wieland, ISO 26000, 7 Grundsätze, 6 Kernthemen, S. 259. Diese Norm ist nicht zu verwechseln mit und kein Nachfolger des Social Accountability Standards SA 8000. Dieser wurde von der aus den USA stammenden, gemeinnützigen Organisation Social Accountability International (SAI) geschaffen und sind ein freiwilliger Standard für den Arbeitsplatz, vgl. Buntenbroich, Menschenrechte und Unternehmen: Transnationale Rechtswirkungen „freiwilliger“ Verhaltenskodizes, Frankfurt am Main 2007, S. 63. 659  Eine Einführung in diese Norm und ihre Umsetzung in der Praxis, einschließlich möglicher Verbindung mit bestehenden Managementsystemen wie ISO 9001, ISO 14001 oder BS OHSAS 18001 und der Erfüllung von Compliance-Anforderungen, findet sich bei Gesmann-Nuissl / Sommer, Praxisbuch zur DIN ISO 26000: Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen, München 2012. 660  Schmiedeknecht / Wieland, ISO 26000, 7 Grundsätze, 6 Kernthemen, S. 259. 661  Schmiedeknecht / Wieland, ISO 26000, 7 Grundsätze, 6 Kernthemen, S. 259.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme159

ckelt“ und stellt einen „international verabschiedeten ganzheitlichen Referenzrahmen für das komplexe Thema der gesellschaftlichen Verantwortung dar“.662 In ihrem siebten Grundsatz legt die Norm fest: „Eine Organisation sollte die grundlegenden Menschenrechte, deren Bedeutung und Allgemeingültigkeit anerkennen. Dies sollte unabhängig vom Standort, dem kulturellen Hintergrund oder spezifischen Situationen geschehen“. Die Norm ISO 26000 spricht sich damit deutlich für eine Universalität der Menschenrechte aus und gibt dieser bei der Anwendung durch Organisationen Vorrang vor nationalen Ausgestaltungen des Menschenrechtsstandards. Mit der grundsätzlichen Orientierung am internationalen Menschenrechtsstandard steht die Norm ISO 26000 im Einklang mit der Weiterentwicklung der menschenrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen in den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen663. Die Norm unterscheidet allerdings bei den Handlungsfeldern in bürgerliche und politische Rechte einerseits und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte andererseits. Während im Hinblick auf erstere ein „stets aktives Eintreten“ der Organisation gefordert wird, spricht die Norm im Hinblick auf letztere von „gebührender Sorgfalt“ zur Vermeidung einer Beteiligung an Rechtsverletzungen. Auf diese Unterscheidung verzichten die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte bewusst. Dennoch dürfte die Norm IS0 26000 einen bedeutenden praktischen Beitrag dazu leisten, die unternehmerische Verantwortung für Menschenrechte in den Unternehmensalltag zu übersetzen und zu einem integrierten – beziehungsweise integrativen – Managementansatz664 zu machen. d) Zertifizierungswesen Einige branchenspezifische Initiativen haben auch Zertifizierungsverfahren entwickelt, die „abstrakt-generelle Regeln auf freiwilliger Basis vorsehen“ und damit codes of conduct in ihrer Wirkung ähneln.665 Auch der „Social Accountability Standard“ SA 8000 ist auf Zertifizierung ange662  Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Die DIN ISO 26000; „Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung von Organisationen“ – Ein Überblick –, http: /  /  www.csr-in-deutschland.de / fileadmin / user_upload / Downloads / ueber_csr / Die_DIN_ ISO_26000__Leitfaden_zur_gesellschaftlichen_Vera.pdf, S. 7. 663  Siehe unten Teil 2, B.III.1.a). 664  Lorentschitsch / Walker: Vom integrierten zum integrativen Managementansatz, S. 299. 665  Simma / Heinemann, in: Wilhelm Korff u. a. (Hrsg.), Handbuch der Wirtschafts­ ethik, Band 2, Gütersloh 1999, S. 416.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

legt.666 Die Norm ISO 26000 ist hingegen ausdrücklich nicht zur Zertifizierung gedacht.667 Mit den Zertifizierungsverfahren ist häufig eine Kennzeichnung von Unternehmen oder Produkten im Hinblick auf die Einhaltung ökologischer oder sozialer Standards, so genanntes „labelling“668, verbunden.669 Eine flächendeckende, effizient gewährleistete Selbstbindung der Unternehmen an die Einhaltung der Menschenrechte ist hierdurch aber nicht gegeben. Es besteht auch keine vollständige Durchdringung aller internationalen wirtschaftlichen Aktivitäten mit Selbstverpflichtungen. Die aufgezeigte Entwicklung der Standardsetzung durch private Akteure kann daher als wichtige und äußerst begrüßenswerte Ergänzung der Bemühungen zum Schutz der Menschenrechte gesehen werden, ersetzt übergreifende Ansätze aber nicht.670 3. Staatliche CSR-Strategien und -Instrumente Neben den aufgezeigten privatwirtschaftlichen Ansätzen zur Realisierung von CSR gibt es auch staatliche Bemühungen, dieses Thema zu fördern. Dies geschieht einerseits mittels sogenannter CSR-Strategien (siehe nachfolgendes Kapitel). Aber auch die administrative Unterstützung der Umsetzung von Instrumenten, die die Einhaltung gesellschaftlich relevanter Standards durch Unternehmen auf freiwilliger Basis zum Ziel haben, kann hierzu gerechnet werden. Nachdem diese administrative Unterstützung bereits angesprochen wurde671, sollen hier im Anschluss die Instrumente noch einmal vergleichend gegenübergestellt werden.

666  Zu SA 8000 siehe oben Fußnote 658 und Oldenziel, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: A New Code of Conduct?, S. 39. 667  DIN ISO 26000: „Diese internationale Norm dient dem Anwender zur Orientierung. Für Zertifizierungszwecke ist sie weder vorgesehen noch geeignet. Es wäre eine Fehlinterpretation der Absicht und des Zwecks dieser Internationalen Norm, Zertifizierungen gemäß DIN ISO 26000 anzubieten bzw. zu behaupten, gemäß DIN ISO 26000 zertifiziert zu sein.“. 668  Beispiele sind Forest Stewardship Council und Rugmark. 669  Zur rechtlichen Bewertung der Werbung mit der Einhaltung von Verhaltenskodizes unter dem Gesichtspunkt des unlauteren Wettbewerbs vgl. Birk, Corporate Responsibility, unternehmerische Selbstverpflichtungen und unlauterer Wettbewerb, GRUR 2011, S. 196. 670  Vgl. auch OHCHR Report of 15 February 2005, para. 45. 671  Siehe oben C.III.3.b).



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme161

a) Europäische CSR-Strategien auf nationaler und supranationaler Ebene Sowohl auf nationaler Ebene – so in Deutschland672 und weiteren EU-Staaten673 – als auch von der EU-Kommission674 werden Strategien entwickelt, die Orientierung darüber geben, wie CSR gefördert werden kann und soll. Die EU-Kommission befasste sich bereits in den 1970er Jahren mit Fragen unternehmerischer gesellschaftlicher Verantwortung.675 2001 verabschiedete sie das EU-Grünbuch „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung von Unternehmen“676, gefolgt von einer Mitteilung der EU-Kommission im Jahr 2002677, mit der ein „European Multi-Stakeholder-Forum on CSR“678 ins Leben gerufen wurde und einer weiteren Mitteilung im Jahr 2006679. Eine neue Qualität erlangten die Bemühungen sodann mit der Mitteilung der Kommission vom 25. Oktober 2011 mit dem Titel „Eine neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR)“680. Die darin enthaltene neue Definition von CSR bedeutet einen Paradigmenwechsel: Im Gegensatz zu dem bisherigen strikt von der Freiwillig672  „Nationale Strategie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility – CSR) – Aktionsplan CSR – der Bundesregierung vom 6. Oktober 2010“. 673  Vgl. Mitteilung der EU-Kommission, „Eine neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR), KOM (2011) 681 endg. 674  Aktuell siehe Mitteilung der EU-Kommission, „Eine neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR)“, KOM (2011) 681 endg. 675  Lukas / Röhsler, Vorwärts in die Vergangenheit? Die Europäische Union und Corporate Social Responsibility, S. 127. 676  Europäische Kommission, Grünbuch „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“, KOM (2001) 366 endg. Ausgehend von der Freiwilligkeit der Verpflichtungen strebte das Grünbuch nicht an, eigene Standards zu formulieren, sondern verwies auf die bestehenden wie die ILO Tripartite Declaration und die OECD-LS; Überwachung durch „Sozialaudits“; Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, S. 148. 677  Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission betreffend die soziale Verantwortung von Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung vom 2. Juli 2002, KOM (2002) 347 endg. 678  Dieses konstituierte sich am 16. Oktober 2002 und setzt sich unter dem Vorsitz der EU-Kommission zusammen aus 18 Unternehmensverbänden, Tarifparteien und Nichtregierungsorganisationen, s. Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, S. 152 m. w. N. 679  Europäische Kommission, Mitteilung „Umsetzung der Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung: Europa soll auf dem Gebiet der sozialen Verantwortung der Unternehmen führend werden“, KOM (2006) 136 endg. 680  Europäische Kommission, Mitteilung „Eine neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR)“, KOM (2011) 681 endg.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

keit ausgehenden CSR-Verständnis681 versteht die EU-Kommission CSR nun umfassend als „Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“682. Die Mitteilung greift damit die Entwicklungen des Jahres 2011 auf und verstärkt sie zugleich.683 Der Begriff „Menschenrechte“ findet dabei erstmalig ausdrücklich Eingang in die CSR-Mitteilungen der EU Kommission. Allerdings bedeutet das integrative Verständnis von CSR, welches die Einhaltung von Rechtsnormen mit umfasst, keineswegs, dass die gesamten unter CSR zusammengefassten Zielvorgaben als verbindlich angesehen würden. Einzig konkreter Vorschlag der EU-Kommission zur Umwandlung freiwilliger in rechtsverbindliche Vorgaben ist die Einführung einer verbindlichen Berichtspflicht im Bereich CSR.684 Dieser Vorschlag stieß allerdings auf Kritik. Im Übrigen skizziert die EU-Kommission unterschiedliche Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen für CSR günstig auszugestalten und fordert die Mitgliedstaaten zum Tätigwerden auf. Insbesondere sollen die Mitgliedstaaten nationale Strategiepapiere zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vorlegen.685 Die nationale CSR-Strategie der Bundesregierung hat zum Ziel, „dass mehr Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung erkennen und nutzen, um ihre Geschäftsstrategie nachhaltig zu gestalten“; dabei wird angestrebt „CSR in Unternehmen und öffentlicher Verwaltung besser zu verankern, (…) und einen Beitrag zur sozialen und ökologischen Gestaltung der Globalisierung zu leisten“.686 Das gemeinsame Verständnis von CSR in 681  Vgl. auch Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, S. 153. 682  KOM (2011) 681 endg., Abschnitt 3.1.). 683  Zu den maßgeblichen Entwicklungen des Jahres zählen die Überarbeitung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, die Annahme der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und der ISO Norm 26000. 684  KOM (2011) 681 endg., Abschnitt 4.5. 685  Das Vereinigte Königreich legte im September 2013 einen solchen Nationalen Aktionsplan vor, https: /  / www.gov.uk / government / uploads / system / uploads / attach ment_data / file / 236901 / BHR_Action_Plan_-_final_online_version_1_.pdf. Zur Herangehensweise in Deutschland vgl. BT-Drucksache 17 / 11095, S. 34 f. Aus unterschiedlichen Gründen kam es bislang kaum zur Veröffentlichung Nationaler Aktionspläne. Der International Corporate Accountability Roundtable (ICAR) und das Danish Institute for Human Rights (DIHR) haben daher ein Projekt mit weltweitem Fokus ins Leben gerufen, welches Hilfestellung bei der Evaluierung und Entwicklung staatlicher Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien geben soll. Ergebnisse dieses Projektes werden für Juni 2014 erwartet: http: /  / accountabili tyroundtable.org / analysis / upcoming-african-civil-society-dialogue-and-consultationwith-nanhri-members-on-the-national-action-plans-naps-project / . 686  „Nationale Strategie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility – CSR) – Aktionsplan CSR – der Bundesregierung vom 6. Oktober 2010“, S. 12.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme163

Deutschland umfasst dabei gemäß dem Beschluss des Nationalen CSR-Forums, dass Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, „indem sie insbesondere: (…) Menschenrechte und die ILO-Kernarbeitsnormen wahren und einen Beitrag leisten, sie international durchzusetzen (…)“; all dies ist gemäß der Definition in der Nationalen Strategie „freiwillig, aber nicht beliebig“.687 Ungeachtet dieser definitorischen Fragen besteht Einigkeit darüber, dass die bestehenden internationalen CSR-Instrumente weitere Verbreitung und Anwendung finden sollen. Im Folgenden sollen diese Instrumente kurz dargestellt werden. b) Internationale CSR-Instrumente und ihre Durchsetzungsmechanismen im Vergleich Zu den bedeutendsten staatlichen Instrumenten für die Förderung einer sozialen Unternehmensverantwortung wurden bislang die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, die Dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik der ILO und der UN Global Compact gezählt. Neu in den Kanon mit aufzunehmen sind die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die sich diesem wichtigen Teilaspekt der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen widmen und am 16. Juni 2011 angenommen wurden688. Mit der Annahme der UN-Leitprinzipien und der Überarbeitung der OECD-Leitsätze kam es im Jahr 2011 zu einer „erneuten Aufwertung des globalen CSR-Rahmens“.689 Die Wahrung der Menschenrechte ist dabei heute ausdrücklich in allen der genannten Dokumente als Zielvorgabe enthalten. aa) ILO-Dreigliedrige Grundsatzerklärung und Kernarbeitsnormen Die Dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 1977690 687  „Nationale Strategie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility – CSR) – Aktionsplan CSR – der Bundesregierung vom 6. Oktober 2010“, Anlage „Beschluss des Nationalen CSR-Forums vom 28. April 2009 als Empfehlung an die Bundesregierung: Gemeinsames Verständnis von Corporate Social Responsibility (CSR) in Deutschland“, S. 35. 688  Siehe oben C.II.1.d). 689  Mitteilung der KOM (2011) 681 endg., S. 8. 690  Angenommen 1977, überarbeitet in 2000,  http: /  / www.ilo.org / public / english /  employment / multi / download / german.pdf.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

fordert dazu auf, die Universelle Erklärung der Menschenrechte und die korrespondierenden Internationalen Menschenrechtspakte zu respektieren. Die ILO-Erklärung richtet sich dabei an „die von der Erklärung umfassten Parteien“, das heißt die drei Parteien der ILO-Struktur sowie die in ihrem Territorium agierenden multinationalen Unternehmen.691 Die ILO-Erklärung umfasst naturgemäß nicht die gesamte Bandbreite der Menschenrechte, sondern ist auf Arbeitnehmerrechte und das Verhältnis der Sozialpartner fokussiert. Es wurde auch eine „dispute procedure“ geschaffen bei der Regierungen und, wenn diese in einem konkreten Fall nicht handeln, nationale oder internationale Arbeitgeber- oder Arbeitnehmervertretungen eine Auslegung der Dreigliedrigen Grundsatzerklärung bei der ILO erfragen können.692 Es geht hier allerdings nicht um die Lösung konkreter Fälle und so ist von dem Verfahren bislang wenig Gebrauch gemacht worden.693 Häufig wird auch Bezug genommen auf die sogenannten Kernarbeitsnormen der ILO. In der ILO Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work von 1998 wurden vier Kernnormen identifiziert, die sich den zahlreichen ILO-Konventionen entnehmen lassen.694 Die Erklärung richtet sich allerdings an die Mitgliedstaaten und nicht direkt an multinationale Unternehmen.695 Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen greifen die ILOStandards in ihrem Kapitel V auf und verweisen inhaltlich auf diese. Zwischen OECD und ILO sind vor diesem Hintergrund Arbeitsbeziehungen 691  Oldenziel, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: A New Code of Conduct? Amsterdam 2000, S. 41; Buntenbroich, Menschenrechte und Unternehmen: Transnationale Rechtswirkungen „freiwilliger“ Verhaltenskodizes, Frankfurt am Main 2007, S. 39; de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 5; Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66(2006), S.  625, S.  644, m. w. N. 692  Procedure for the Examination of Disputes concerning the Application of the Tripartite Declaration of Principles Concerning Multinational Enterprises and Social Policy by Means of Interpretation of Its Provisions, adopted by the Governing Body of the ILO at its 232nd Session in March 1986. 693  Oldenziel, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: A New Code of Conduct? Amsterdam 2000, S. 41; Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 257. 694  Diese Konventionen weisen einen unterschiedlichen Ratifikationsstand auf. Unter den insgesamt mehr als 180 Konventionen enthalten vor allem sieben Hauptkonventionen (No. 29, 87, 100, 105, 111, 138) die vier relevanten Kernstandards, vgl. Oldenziel, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: A New Code of Conduct? Amsterdam 2000, S. 41. 695  Oldenziel, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: A New Code of Conduct? Amsterdam 2000, S. 41.



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme165

etabliert worden.696 In der Umsetzungsüberwachung bieten die Leitsätze dabei den „effektiveren Mechanismus“.697 bb) UN Global Compact Der aus dem Jahr 2000 datierende UN Global Compact enthält zehn Prinzipien, von denen sich die ersten beiden allgemein auf die Einhaltung der Menschenrechte beziehen.698 Der Global Compact ist ein Instrument, das nicht von sich aus Geltung beansprucht, sondern eine Teilnahmeerklärung des Unternehmens erfordert.699 Vorteil dieser Initiative ist, dass gewillte Unternehmen zusammentreffen und Lösungen zur Identifikation von Risiken und dem sachgerechten Umgang mit ihnen aus einer anwendungsorientierten Warte heraus weiterentwickeln können. Im Falle eines Verstoßes gegen die Global Compact-Prinzipien durch ein teilnehmendes Unternehmen besteht die Möglichkeit, eine schriftliche Beschwerde an das Global Compact Office zu richten, welches sich mit dem Unternehmen in Verbindung setzt und als ultima ratio ein „De-Listing“ vornehmen kann. Abgesehen von diesen „integrity measures“ bietet der Global Compact absichtlich keinen Überwachungsmechanismus im engeren Sinne.700 Die Verantwortlichen vereinbarten aber eine Zusammenarbeit zwischen den für den UN Global Compact und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zuständigen Organen.701 Insbesondere wurde z. B. in Deutschland vereinbart, dass das deutsche Global Compact Office Fälle, in denen ein Verstoß gegen Global Compact-Prinzipien zugleich einen Verstoß gegen die Leitsätze begründen könnte, an die Nationale Kontaktstelle weiterleiten kann.702 Dies 696  OECD, Annual Report on the Guidelines for Multinational Enterprises 2012, Fußnote 5. 697  Oldenziel, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: A New Code of Conduct? Amsterdam 2000, S. 42. 698  Vgl. http: /  / www.unglobalcompact.org / Languages / german /  und siehe oben C.II.1.b). 699  Siehe oben C.II.1.b). 700  Vgl. www.globalcompact.org: „The initiative does not police or enforce the behaviour or actions of companies“. Möglich sind aber so genannte ‚integrity measures‘, die zu einem Ausschluss eines Unternehmens führen können. 701  Arbeitsbeziehungen zwischen OECD und Global Compact wurden etabliert, siehe OECD, Annual Report on the Guidelines for Multinational Enterprises 2012, Fußnote 5. 702  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2009. Bislang hat es aber keinen entsprechend zustande gekommenen Fall bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle gegeben.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

ist ein wichtiges Signal an die Mitglieder des Global Compact und zeigt sowohl den staatlichen Willen zu einer verstärkten Umsetzungsüberwachung als auch die zunehmende Verflechtung der CSR-Instrumente. cc) UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sind Teil der bereits langwährenden Bemühungen der Vereinten Nationen um eine Handhabung des Themas „Unternehmen und Menschenrechte“.703 Die Leitprinzipien richten sich an die Unternehmen, wollen aber explizit keine völkerrechtlichen Pflichten begründen und sind daher dem Bereich der CSR zuzuordnen. Im Vergleich zu den anderen hier genannten Initiativen zeichnen sie sich, gemeinsam mit der ILO-Grundsatzerklärung, durch eine höchstmögliche geographische Reichweite aus. Sie sind im Bereich der Menschenrechte das ausführlichste Instrument und genießen eine hohe Autorität. So dienen sie den Leitsätzen und sicher auch dem UN Global Compact als Richtschnur bei der Auslegung. Die zur Umsetzung der Leitprinzipien eingesetzte Arbeitsgruppe verfügt über kein Mandat zur Behandlung einzelner Fälle, allerdings werden die Leitprinzipien in den Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen zumindest inzident eine Rolle spielen.704 dd) OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen Die Leitsätze wurden bereits 1976 angenommen und zählen damit zu den CSR-Instrumenten „der ersten Stunde“. Sie wurden laufend an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst und auch im Bereich des Menschenrechtsschutzes kontinuierlich fortentwickelt. Sie stehen in enger Wechselwirkung mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Die Leitsätze unterscheiden sich von unternehmerischen Verhaltenskodizes, da sie von Regierungen getragen sind. Sie unterscheiden sich zudem dadurch, dass sie sich direkt an die Unternehmen richten, ohne dass es eines Bekenntnisses der Unternehmen zu diesen Grundsätzen bedürfte.705 Besonderes Merkmal schließlich ist die mit den Leitsätzen verbundene Möglichkeit, Nationale Kontaktstellen mit der Anwendung der Leitsätze in spezifischen Einzelfällen zu befassen (sogenannte specific instances 703  Zu

Entstehung und Wesensmerkmalen siehe oben C.II.1.d). auch oben C.II.1.d). 705  Wie dies zum Beispiel beim UN Global Compact der Fall ist, siehe oben IV.3.b)bb). 704  Siehe



C. Lösungsansätze – Eine Bestandsaufnahme167

procedure).706 Dieser auch „Beschwerdeverfahren“, „monitoring procedure“, „complaints procedure“ oder „Mediationsverfahren“707 genannte Umsetzungsmechanismus steht auch Nichtregierungsorganisationen offen. Die teilnehmenden Regierungen haben sich zur Einrichtung der Nationalen Kontaktstellen und Eröffnung dieses Verfahrensweges verpflichtet, der mithin unter der Aufsicht und Verantwortung der jeweiligen Regierung steht und Teil ihrer öffentlichen Aufgaben ist. Durch die Beschwerdemöglichkeit bei den Nationalen Kontaktstellen unterscheiden sich die Leitsätze von den anderen staatlichen CSR-Instrumenten, wobei inhaltlich eine Übereinstimmung der Leitsätze mit den ILO-Standards und den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte anvisiert ist, so dass diese implizit in den Anwendungsbereich des Verfahrens integriert werden. Das Verfahren wird in der Praxis auch durchaus genutzt und die Ausgestaltung des Verfahrens kontinuierlich fortentwickelt.708 Damit nehmen die Leitsätze unter den CSR-Instrumenten eine herausragende Rolle ein und es wird festgestellt: „This instrument is (…) even thirty-five years after its original adoption validly regarded as being among the most influential initiatives in the increasingly important, but also quite multi-faceted, realm of corporate social responsibility“709. Da ihre Beachtung „auf Basis der Freiwilligkeit“ erfolgt, scheint es zunächst gerechtfertigt, die Leitsätze im Bereich der corporate social responsibility anzusiedeln. Wie diese Freiwilligkeit allerdings im Einzelnen zu verstehen ist, wird in Teil 2 näher herausgearbeitet werden. 4. Bedeutung von CSR für die völkerrechtliche Bindung von Unternehmen an menschenrechtliche Standards Kritiker der Entwicklungen im Bereich der corporate social responsibility bemängeln die Freiwilligkeit, auf der diese Ansätze beruhen. Sie sehen in der Wahl unverbindlicher Instrumente eine Schwächung der Forderungen nach oder ein Aufgeben der Bemühungen um rechtlich verbindliche Vorgaben.710 706  Hierzu

ausführlich unter Teil 2, C.I. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen (in der Neufassung von 2011), Eine Einführung für Unternehmen, Broschüre der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und VNO-NCV, November 2011. 708  Siehe unten Teil 2, A. 709  Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 5. 710  Wallace, The Multinational Enterprise and Legal Control, Host State Sover­ eignty in an Era of Economic Globalization, Den Haag u. a., 2002, S. 1094. 707  Quaedvlieg / Thorns / Klein:

168

Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Demgegenüber verteidigen viele Autoren die Entwicklung von Instrumenten auf freiwilliger Basis. Denn diese seien oft der einzige mögliche Ausweg aus schwierigen Vertragsverhandlungen, die in eine Sackgasse geraten sind und unter Umständen vielversprechender als der Entwurf rechtlicher Regelungen.711 Dabei ist auch zu bedenken, dass die Abfassung schriftlich fixierter Verhaltenskodizes hilft, die Materie zu durchdringen, Positionen zu verdeutlichen und das Verständnis zu vertiefen.712 Damit kann die Beschreitung des „soft law track“ durchaus wegbereitend sein für die Formulierung verbindlicher Regelungen zu einem späteren Zeitpunkt. Dies wird durch Erfahrungen mit anderen Instrumenten bestätigt. Weschka identifiziert dementsprechend vier Stadien der Entwicklung neuer internationaler Reglementierung: „standard setting, monitoring and exposing abuses, the creation of binding law and the establishment of enforcement mechanisms“.713 Dass es sich bei den internationalen Bemühungen um die soziale Verantwortung von Unternehmen um eine kontinuierliche Entwicklung handelt, wird auch in der aktuellen Mitteilung der EU-Kommission zur neuen CSRStrategie714 deutlich. Dort formuliert die EU-Kommission, der „Kernbestand an international anerkannten Grundsätzen und Leitlinien“715 stehe „für einen sich weiterentwickelnden und kürzlich aufgewerteten globalen CSRRahmen“.716 Die Wahl eines unverbindlichen Instrumentes oder des „soft 711  So auch Dupuy, Droit international public, 9. Auflage, Paris 2008, S. 748: „Cette démarche (…) parait a certains égards plus prometteuse que celle des années soixante dix“. Auch Wildhaber weist darauf hin, dass im Falle einer wahrscheinlichen Nichtratifikation die Aushandlung eines Vertragstextes wirkungsloser sein kann als eine auf breitem Konsens beruhende Deklaration, Wildhaber, Multinationale Unternehmen und Völkerrecht, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 18 (1978), S. 7, S. 60. 712  Vgl. Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 70: „it helps to focus thinking“, „clarify positions“ and „develop understanding“. 713  Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66(2006), S. 625, S. 658. Sie ergänzt: „This process is already under way for human rights protection against TNCs. While standard setting and monitoring are now a reality, the creation of a binding treaty and efficient enforcement mechanisms are the next steps that have to follow.“ 714  KOM (2011) 681 endg. 715  Zu den „maßgeblichen international anerkannten Grundsätzen und Leitlinien“ zählen laut der KOM Mitteilung 2011 vor allem die jüngst aktualisierten OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen, die zehn Grundsätze des „Global Compact“ der Vereinten Nationen, die ISO Norm 26000 zur sozialen Verantwortung, die Dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik der ILO und die UN „Guiding Principles on Business and Human Rights“, KOM (2011) 681 endg., Abschnitt 3.2. 716  KOM (2011) 681 endg., Abschnitt 3.2.



D. Zusammenfassung169

law track“ ist also nicht als Sackgasse zu verstehen, sondern als eine Etappe in einer stetig fortschreitenden Entwicklung, die nicht alternativ zu einer (völkerrechtlichen) Bindung steht, sondern in steter Wechselwirkung zu dieser. Bevor allerdings der Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zur Weiterentwicklung einer völkervertraglichen oder völkergewohnheitsrechtlichen Bindung näher beleuchtet wird, soll ihre Wirkungsweise eingehender untersucht und hinterfragt werden, ob eine Einordnung der Leitsätze als außerrechtliches Instrument tatsächlich gerechtfertigt ist.717

D. Zusammenfassung: Positionierung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Kontext der Regulierung multinationaler Unternehmen Die nähere Betrachtung des Phänomens multinationaler Unternehmen hat deutlich gemacht, dass ihre rechtliche Bindung eine Vielzahl von Fragen aufwirft, die nicht einfach zu beantworten sind. Bereits ihre Definition bereitet Schwierigkeiten, nicht zuletzt aufgrund sich stetig weiter entwickelnder wirtschaftlicher Kooperationsformen mit einer zunehmenden Entgrenzung. Jedenfalls aber bestehen multinationale Unternehmen aus unterschiedlichen Unternehmensteilen, die sich in verschiedenen Rechtsordnungen bewegen. Die Leitsätze greifen die wirtschaftlichen Realitäten auf und nehmen alle Unternehmensteile in ihren wechselseitigen Beziehungen mit in den Blick. Über viele Fragen, die bei einer rechtlichen Haftung aufgeworfen werden – wie die fehlende Durchgriffshaftung im Konzern (corporate veil) – setzen sie sich dabei hinweg, wie der Badger Fall veranschaulicht. Dies ist möglich, weil sie eben keine Haftung im Rechtssinn begründen, sondern eine mit den beteiligten Parteien gemeinsam zu findende Lösung anstreben. Die unterschiedlichen Fallkonstellationen, in denen ein Unternehmen mit Menschenrechtsrisiken in Verbindung stehen kann, greifen die Leitsätze in ihrer Fassung von 2011 auf und bieten damit Orientierung in der bislang umstrittenen Frage der möglichen Beteiligungsformen (complicity). In das Gefüge der unterschiedlichen Regulierungs- und Kontrollansätze gegenüber multinationalen Unternehmen lassen sich die Leitsätze am ehesten als Instrument der corporate social responsibility (CSR) einordnen, wobei dieser Bereich nur unter Vorbehalt als „freiwillig“ zu charakterisieren ist. Von den anderen staatlichen CSR-Instrumenten unterscheiden sich die 717  Siehe unten Teil 2 zur Wirkungsweise und Teil 3, A. zur völkerrechtlichen Einordnung der Leitsätze.

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Teil 1: Multinationale Unternehmen und Menschenrechte

Leitsätze maßgeblich durch ihren einzigartigen Umsetzungsmechanismus. Bei dessen Anwendung fließen dabei implizit auch die Anforderungen der ILO-Standards und der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ein, mit dem UN Global Compact gibt es Kooperationsvereinbarungen. Auch zwischen den Leitsätzen und den privatwirtschaftlichen codes of conduct besteht eine wechselseitige Aufmerksamkeit mit gegenseitigen Bezugnahmen. Eine weitere Verknüpfung ergibt sich mit staatlichen Politiken, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit CSR stehen, aber zunehmend gesellschaftliche Belange mit in den Blick nehmen. Hier sind Ansätze oder Möglichkeiten einer Verknüpfung mit den Leitsätzen erkennbar, die womöglich künftig ausgebaut werden, beispielsweise im Bereich der Außenwirtschaftsförderung, der Offenlegungspflichten von Unternehmen, der öffentlichen Beschaffung und der Aushandlung und Anwendung von Bilateralen Investitionsschutzverträgen. Ob die Staaten diese Maßnahmen ausbauen, steht jedoch in ihrem freien Ermessen, da die staatliche menschenrechtliche Schutzpflicht sich gegenwärtig nicht auf extraterritoriale, dem Staat nicht zurechenbare Sachverhalte erstreckt.718 Allerdings empfehlen die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte in ihrem ersten Kapitel nachdrücklich eine größere Kohärenz dieser Poltikbereiche. Auffällig ist somit eine zunehmende Vernetzung verschiedener Instrumente und Initiativen – so durch Beschlüsse der Zusammenarbeit der OECD beispielsweise mit dem UN Global Compact, der Global Reporting Initiative und den nationalen Menschenrechtsinstituten719 – sowie eine zunehmende Durchdringung anderer Politikbereiche mit den Verhaltensmaßstäben der Leitsätze. Dabei hat das Jahr 2011 in bemerkenswerter Weise gleich mehrere signifikante Änderungen zugunsten einer Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechte hervorgebracht. Nicht nur wurden die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte angenommen und die Leitsätze um ein Menschenrechtskapitel ergänzt. Es wurden auch die IFC-Performance Standards angepasst und die Norm ISO 26000 angenommen. Es ist daher zu beobachten, dass ein immer enger werdendes Geflecht internationaler Standards entsteht, die in wechselseitigem Bezug stehen und sich gegenseitig in ihrer Wirkung stärken. Den nicht auf rechtliche Verbindlichkeit ausgerichteten Bemühungen um die menschenrechtli718  A. A. Papp, der in gewissem Umfang extraterritoriale Schutzpflichten bejaht und hieraus für die Außenwirtschaftsförderung u. a. ableitet, dass „generell vor jeder Projektförderung gleich welcher Art“ human rights impact assessments durchzuführen seien, Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Berlin 2013, S. 326. 719  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, Fußnote 5.



D. Zusammenfassung171

che Verantwortung von Unternehmen wird dabei gar eine „beeindruckende Wirkung“ bescheinigt.720 Nicht feststellbar ist hingegen heute eine rechtliche Bindung von (multinationalen) Unternehmen an Menschenrechte. Einer solchen steht zwar rechtstheoretisch angesichts der Möglichkeit einer nur partiellen Völkerrechtssubjektivität nichts entgegen. So mehren sich die Stimmen, die eine Entwicklung in diese Richtung für vorstellbar halten oder die Bindung an einzelne menschenrechtsschützende Normen anerkennen. Die herrschende Meinung verneint aber heute aus rechtstatsächlichen Gründen (noch) die Völkerrechtssubjektivität von multinationalen Unternehmen und deren Bindung an Menschenrechte. Mit Spannung wurde dabei die Entscheidung des US-amerikanischen Supreme Court im Fall Kiobel vs. Royal Dutch Petroleum Co. erwartet, die aber zur Frage der Anwendbarkeit völkerstrafrechtlicher Normen auf Unternehmen keine Aussage getroffen hat. Bei der künftigen Entwicklung einer rechtlichen Bindung könnte den Leitsätzen und ihrer Anwendung durch die Nationalen Kontaktstellen eine Rolle zukommen, auch wenn die Leitsätze von ihrem Ursprung her ausdrücklich rechtlich nicht erzwingbar sind. Auf diese Rolle wird noch vertieft einzugehen sein. Schließlich wurde in diesem ersten Teil der Untersuchung festgestellt, dass die Möglichkeiten der Opfer, (multinationale) Unternehmen vor heimatstaatlichen Gerichten für Menschenrechtsverletzungen haftbar zu machen, eher begrenzt sind. Hierfür ausschlaggebend sind vor allem Beschränkungen der extraterritorialen Zuständigkeit von Gerichten und weitere prozessuale Hürden, die fehlende Durchgriffshaftung sowie Fragen der zur Verfügung stehenden Anspruchsgrund­lagen. Zusammenfassend führt dies dazu, dass „Today there are only very limited means at international level whereby the human rights performance of companies (…) can be formally challenged, let alone enforced“.721 Aufgrund dieser Ausgangslage entsteht Bedarf nach alternativen Steuerungsinstrumenten, um Risiken menschenrechtlicher Beeinträchtigungen durch Unternehmen zu minimieren. Inwiefern die Leitsätze geeignet sind, diese in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen, wird im nun folgenden zweiten Teil der Ausführungen beleuchtet. 720  Bretschger, Unternehmen und Menschenrechte; Elemente und Potenzial eines informellen Menschenrechtsschutzes, Zürich u. a., 2010, S. 190. a. A. Kocher, die davor gewarnt, „die legitimierenden Funktionen des Rechts“ zu nutzen, „ohne sie in Autorität umzusetzen“; dies sei ein gefährliches „Spiel mit der Rechtsform“: Kocher, Corporate Social Responsibility: Eine gelungene Inszenierung?, Kritische Justiz 1(2010) S. 29, S. 37. 721  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 91.

Teil 2

Ausgestaltung und Wirkung des Menschenrechtsschutzes nach den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen Der Beitrag der Leitsätze zum Schutz der Menschenrechte hängt sowohl von ihrem Wortlaut als auch von ihrer praktischen Anwendung beispielsweise in den Umsetzungsverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen ab. Bevor auf diese beiden Aspekte näher eingegangen wird, soll zunächst die Entwicklung der Leitsätze von ihrer Annahme im Jahr 1976 bis heute dargestellt werden. Schließlich erfolgt aufgrund der Erkenntnisse und Erfahrungswerte eine Einschätzung der Effektivität, mit der die Leitsätze eine menschenrechtsschützende Wirkung entfalten.

A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen I. Annahme der Leitsätze 1976 1976 nahmen die OECD-Mitgliedstaaten die Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen an, deren Anhang die Leitsätze bilden.1 Diese Erklärung ist aus formaler Sicht insofern interessant, als sie weder einer der in Art. 5 des OECD-Statuts vorgesehenen Beschlussformen2 zugeordnet werden kann, noch überhaupt eine Erklärung der Organisation 1  OECD, Declaration on International Investment and Multinational Enterprises, 21. Juni 1976, angenommen von den OECD-Mitgliedstaaten (seinerzeit Österreich, Belgien, Kanada, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Norwegen, Portugal, Spanien, Schweden, Schweiz, Türkei, Vereinigtes Königreich, USA, vgl. Convention of the Organisation for Economic Co-operation and Development, 14.  Dezember  1960, www.oecd.org / general / conventionontheorganisationforecono micco-operationanddevelopment.htm) mit Ausnahme der Türkei, International Legal Materials 15 (1976), S. 967. 2  Vorgesehen sind „Entscheidungen“ oder „Empfehlungen“: Art. 5, Convention on the Organisation for Economic Co-operation and Development, 14. Dezember



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen173

selbst darstellt. Sie ist vielmehr eine Erklärung der sie mittragenden Regierungen.3 Die Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen enthält drei grundlegende Elemente zur Absicherung der Interessen der investierenden Unternehmen: das Prinzip der Inländerbehandlung „na­ tional treatment“)4, die Vermeidung widersprüchlicher Anforderungen5 und das Bekenntnis zu Zusammenarbeit und Transparenz im Bereich der internationalen Direktinvestitionen6. Gewissermaßen im Gegenzug empfehlen die Regierungen den multinationalen Unternehmen die Einhaltung gewisser Grundsätze und Maßstäbe „für ein verantwortungsvolles und dem geltenden Recht“ entsprechendes unternehmerisches Verhalten in Form der OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen. Damit sind die Leitsätze in ihrer Entstehung Teil eines Gesamtpaketes, das die Situation von Auslandsinvestitionen umfasst. Die Leitsätze sind als Empfehlungen der Regierungen an die Unternehmen formuliert und es bedarf keines Bekenntnisses einzelner Unternehmen zu den Leitsätzen, damit diese Anwendung finden.7 Die beratenden Organe der OECD, das Business and Industry Advisory Committee (BIAC)8 und das Trade Union Advisory Committee (TUAC)9, waren an der Ausarbeitung 1960, http: /  / www.oecd.org / general / conventionontheorganisationforeconomicco-ope rationanddevelopment.htm. 3  Vgl. auch Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private – Völkerrecht­ liche und verfassungsrechtliche Aspekte, Frankfurt am Main 1981, S. 12. 4  Mit diesem Prinzip sichern die teilnehmenden Staaten zu, Unternehmen unter ausländischer Kontrolle eine Behandlung zuteil werden zu lassen, die „im Einklang mit dem Völkerrecht steht und nicht weniger günstig ist, als sie inländischen Unternehmen unter vergleichbaren Bedingungen zuteil wird“: Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen vom 25. Mai 2011, Ziffer II.1. 5  Die teilnehmende Staaten erklären, mit dem Ziel zusammen zu arbeiten, „widersprüchliche Auflagen für multinationale Unternehmen zu vermeiden oder auf ein Mindestmaß zu beschränken“: Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen vom 25. Mai 2011, Ziffer III. 6  Vgl. Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen vom 25. Mai 2011, Ziffer IV. 7  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, i.  d. F. vom 21. Juni 1976, International Legal Materials 15 (1976), S. 969, Abschnitt I, Ziffer 3, Satz 2: „Die Teilnehmerstaaten halten die auf ihrem Gebiet operierenden Unternehmen dazu an, die Leitsätze (…) zu beachten“. 8  Beratender Ausschuss der Wirtschaft bei der OECD, vgl. auch Neufassung der Entscheidung des Rats in Bezug auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Abschnitt II, Ziffer 2. 9  Gewerkschaftlicher Beratungsausschuss bei der OECD, vgl. auch Neufassung der Entscheidung des Rats in Bezug auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Abschnitt II, Ziffer 2.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

eng beteiligt, „so dass deren Interessen mitberücksichtigt sind“10 und sie die Leitsätze öffentlich begrüßten11. Zu Beginn der Beratungen hatte es eine intensive Diskussion um die etwaige rechtliche Verbindlichkeit der Leitsätze gegeben. Laut Steeg hat sich diese aber nicht durchsetzen können, weil „die rechtliche Verbindlichkeit die Konvergenz der nationalen Ordnungsnormen – insbesondere des Steuer-, Vertrags-, Handels-, Straf- und Patentrechts – vorausgesetzt hätte“.12 Die Leitsätze von 1976 richteten sich an die in den teilnehmenden Staaten „operierenden Unternehmen“.13 In ihrer ursprünglichen Fassung schien es somit zumindest fraglich, ob sich die Leitsätze auch auf Verhalten der Unternehmen in anderen Staaten oder internationalisierten Gebieten bezogen.14 Inhaltlich enthielten die Leitsätze von 1976 neben einleitenden Erwägungen ein Kapitel mit Allgemeinen Grundsätzen sowie einzelne Kapitel zur Offenlegung von Informationen, Wettbewerb, Finanzierung und Besteuerung, Beschäftigung und Beziehungen zwischen den Sozialpartnern sowie Wissenschaft und Technologie.15 Eine allgemeine Menschenrechtsklausel war in der Fassung der Leitsätze von 1976 nicht enthalten. Bryde identifiziert in den Leitsätzen von 1976 drei sich in ihrem normativen Gehalt unterscheidende Gruppen von Sollenssätzen: „Regeln, die die Unternehmen zur Befolgung ohnehin geltender Gesetze auffordern; Regeln, die sie auffordern, nicht die spezifischen Vorteile einer transnationalen Unternehmensstruktur auszunutzen und Regeln, die über die bloße Gesetzestreue hinaus einen positiven Beitrag zur Wirtschaft und Gesellschaft des Gastlandes verlangen“.16 Bis zuletzt waren in den Verhandlungen zentrale Bestandteile der Leitsätze unter den Mitgliedstaaten streitig, aber ihre Verabschiedung war letztlich laut Steeg der „Einsicht aller Mitgliedstaaten der OECD zu verdanken, dass 10  Neuhold / Hummer / Schreuer (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, 3. Auflage, Wien, 1997, S. 441. 11  Jedenfalls als einen ersten Schritt in die richtige Richtung, Blanpain, The Badger Case and the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Deventer 1977, S. 41 f. 12  Steeg, Internationale Verhaltensregeln für Internationale Investitionen und Multinationale Unternehmen, ZGR 1 / 1985, S. 1, S. 5. 13  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen i.  d. F. vom 21. Juni 1976, International Legal Materials 15 (1976), S. 969, Abschnitt I, Ziffer 3, Satz 2. 14  Vgl. Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 24, nach denen diese Frage Gegenstand von Diskussionen im Rahmen der OECD war. 15  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen i.  d. F. vom 21. Juni 1976, International Legal Materials 15 (1976), S. 969. 16  Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private – Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte, Frankfurt am Main 1981, S. 13.



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen175

der positive Beitrag der multinationalen Unternehmen zum Weltwirtschaftswachstum viel größer ist, als die hin und wieder auftauchenden negativen Erscheinungen und Praktiken vermuten lassen“ und dass „gewisse einheit­ liche Verhaltensregeln (…) den notwendigen Schutz vor drastischem Fehlverhalten und pauschalen Verurteilungen“ bieten.17 Von Anbeginn an werden die Leitsätze von einem OECD-Ministerratsbeschluss begleitet, der sich auf Fragen zur Umsetzung dieser Empfehlungen bezieht.18 Das 1976 vereinbarte „Verfahren für zwischenstaatliche Konsultationen über die Leitsätze für multinationale Unternehmen“ hatte einen Meinungsaustausch der Staaten im OECD-Ausschuss für internationale Investitionen und multinationale Unternehmen (CIME)19 über das Verhalten von multinationalen Unternehmen oder von Regierungen diesen gegenüber zum Gegenstand20. In der Literatur wird die Bedeutung dieses Verfahrens hervorgehoben.21 Die Staaten erklärten zudem mit der Annahme der Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen ihre Bereitschaft, diese Erklärung in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, um die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit weiter zu verbessern.22 Diese Absicht wurde in die Tat umgesetzt und die Leitsätze seither mehrfach überarbeitet.

II. Anpassungen der Leitsätze 1979, 1984 und 1991 In den Jahren 1979, 1984 und 1991 gab es Überarbeitungen der Leitsätze, die insgesamt wenig beachtet wurden und als eher marginal angesehen 17  Steeg, Internationale Verhaltensregeln für Internationale Investitionen und Multinationale Unternehmen, ZGR 1 / 1985, S. 1, S. 5. 18  Decision of the Council on Inter-Governmental Consultation Procedures on the Guidelines for Multinational Enterprises, International Legal Materials 15 (1976), S. 977. 19  Committee on international Investment and Multinational Enterprises. Dieses wurde inzwischen umbenannt in OECD-Investitionsausschuss. Siehe oben Teil 1, Fußnote  11. 20  Decision of the Council on Inter-Governmental Consultation Procedures on the Guidelines for Multinational Enterprises, International Legal Materials 15 (1976), S. 977. 21  Steeg, Internationale Verhaltensregeln für Internationale Investitionen und Multinationale Unternehmen, ZGR 1 / 1985, S. 1, S. 5. 22  Steeg, Internationale Verhaltensregeln für Internationale Investitionen und ­Multinationale Unternehmen, ZGR 1 / 1985, S. 1, S. 5. Siehe auch Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen vom 25. Mai 2011, Ziffer VI.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

werden23. Tatsächlich hätten die Leitsätze ohne diese Änderungen allerdings nicht ihre heutige Form. Auch werden bereits die Änderungen jener Zeit als Ergebnisse eines Prozesses bezeichnet, der durch Druck seitens der beratenden Organe BIAC und TUAC gekennzeichnet war.24 Inhaltlich wurden 1979 die Arbeitnehmerrechte im Bereich „collective bargaining“ ergänzt.25 Nach einem Zwischenbericht von 198226 wurden 1984 Änderungen zum Schutz der Verbraucherinteressen, zur Offenlegung von Informationen und zu den Arbeitnehmerrechten angenommen.27 1991 wurde den Leitsätzen das Umwelt-Kapitel hinzugefügt.28 Zur Umsetzung der Leitsätze berichtete der zuständige OECD-Ausschuss dem Ministerrat 1979: „Member States which have not already done so will provide facilities for handling enquiries and for discussions with the parties concerned on matters relating to the Guidelines. They intend to inform the business community, employee organizations and other interested parties of the appropriate contact point(s) within the government for enquiries on matters related to the Guidelines“.29

Damit war der Grundstein für die heutigen Nationalen Kontaktstellen gelegt.30 Indes wurden diese 1979 nicht in den Beschluss des Ministerrates 23  So hält Tully fest, die Leitsätze „experienced very limited development“ vor der Überarbeitung im Jahr 2000, Tully, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, I.&C.L.Q. 50 (2001), S. 394, S. 395. 24  Rojot, The 1984 Revision of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, BJIR 23.3 (1985), S. 379. 25  Vgl. International Legal Materials 18 (1979), S. 1005 f. 26  Tully, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, I.&C.L.Q. 50 (2001), S. 394. Vgl. auch International Legal Materials 18 (1979), S. 1011. 27  Tully, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, I.&C.L.Q. 50 (2001), S. 394. Vgl. auch International Legal Materials 18 (1979), S. 1011. 28  Tully, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, I.&C.L.Q. 50 (2001), S. 394. Vgl. auch International Legal Materials 18 (1979), S. 1011. Siehe auch Salzman, Decentralized Administrative Law in the Organization for Economic Cooperation and Develpoment, Law and Contemporary Problems, Vol. 68 (2005), S. 189, S. 214. 29  Review of the 1976 Declaration and Decisions on International Investment and Multinational Enterprises, International Legal Materials 18 (1979), S. 990, S. 1009, Ziffer 79. 30  Allerdings war die Bedeutung der Nationalen Kontaktstellen zu diesem Zeitpunkt noch recht eingeschränkt: „National contact points were set up in member countries with the aim of solving problems which might arise at national levels, whilst the clarifying role remained the province of the Committee alone“, Rojot, The 1984 Revision of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, BJIR 23.3 (1985), S. 379, S. 381.



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen177

zu den Umsetzungsverfahren aufgenommen. Es blieb dort zunächst im Wesentlichen bei dem Konsultationsverfahren.31 Allerdings wurde auch BIAC und TUAC erlaubt, Streitfragen hinsichtlich angeblicher unternehmerischer Verstöße gegen die Leitsätze entweder bei vorhandenen Nationalen Kontaktstellen oder direkt beim OECD-Ausschuss für Investitionen und Multina­ tionale Unternehmen (CIME) vorzubringen.32 Konnte auf nationaler Ebene keine Einigung erzielt werden, war der Ausschuss für Investitionen und Multinationale Unternehmen zu befassen.33 Die Streitfragen wurden damit vom Ausschuss behandelt, während die vorhandenen Nationalen Kontaktstellen als Intermediär fungierten. Der Ausschuss seinerseits konnte unterstützend tätig werden, gab jedoch keine Erklärungen ab und bewertete ausdrücklich nicht das Verhalten einzelner Unternehmen.34 Seine mit der Änderung im Jahr 1979 explizit hinzugefügte Zuständigkeit, die Leitsätze auszulegen, war aber eine deutliche Ausweitung seiner Rolle „as a forum for the follow-up and the evolution of the guidelines“.35 1984 wurden die Nationalen Kontaktstellen sodann in den OECD-Ministerratsbeschluss aufgenommen, wobei ihnen folgende Aufgaben übertragen wurden: „under­taking promotional activities, handling enquiries and discussing with the parties concerned on all matters related to the guidelines ­relevant to their activities“. Die Rolle des Ausschusses für internationale Investitionen und Multinationale Unternehmen blieb dabei weitgehend un­ verändert.36

31  OECD Revised Decision of the Council on Inter-Governmental Consultation Procedures on the Guidelines for Multinational Enterprises, vom 13. Juni 1979, ILM 18 (1979), S. 1171 f. 32  Utz, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: Eine erste Bilanz 2000–2005, S. 26; Rojot, The 1984 Revision of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, BJIR 23.3 (1985), S. 379, S. 381. 33  Oldenziel, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: A New Code of Conduct?, S. 26. 34  OECD Revised Decision of the Council on Inter-Governmental Consultation Procedures on the Guidelines for Multinational Enterprises, vom 13. Juni 1979, International Legal Materials 18 (1979), S. 1172. Auch heute äußert sich der Ausschuss nicht zu einzelnen Unternehmen. 35  Rojot, The 1984 Revision of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, BJIR 23.3 (1985), S. 379, S. 380. 36  Rojot, The 1984 Revision of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, BJIR 23.3 (1985), S. 379, S. 394.

178

Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

III. Bedeutungswandel der Leitsätze im Jahr 2000 Zu einer wesentlichen Überarbeitung der Leitsätze kam es im Jahr 2000.37 Die neue Fassung der Leitsätze wurde am 27. Juni 2000 angenommen, begleitet von einem grundlegend neu gefassten Ministerratsbeschluss zu den Umsetzungsverfahren.38 Neben den OECD-Mitgliedstaaten trugen vier weitere Staaten die Erklärung mit: Argentinien, Brasilien, Chile und die Slowakische Republik.39 Der seinerzeitige Generalsekretär der OECD, Donald J. Johnston, formulierte hierzu: „Es freut mich ganz besonders, dass sich vier Nicht-OECD-Länder (…) offiziell zu den Leitsätzen als Bestandteil der OECD-Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen bekannt haben. Alle Teilnehmerstaaten hoffen, dass weitere Länder ihrem Beispiel folgen werden, um aus der internationalen Zusammenarbeit in diesem Bereich Nutzen zu ziehen“40. Diese Hoffnung hat sich durchaus erfüllt: insgesamt zwölf Nicht-OECD-Staaten zählen heute zu den Teilnehmerstaaten der Leitsätze.41 Die Leitsätze, die formell den Charakter einer Erklärung haben, und der OECD-Ministerratsbeschluss zu den Umsetzungsverfahren werden durch 37  Murray bezeichnete diese Überarbeitung gar als „one of the most thoroughgoing changes ever seen in this kind of an transnational instrument“, Murray, A New Phase in the Regulation of Multinational Enterprises: The Role of the OECD, 30 (2001) IndLJ, S. 255, S. 261. Zur Bedeutung dieser Überarbeitung vgl. auch ­Oldenziel, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: A New Code of Conduct?, Amsterdam 2000. 38  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen i.  d. F. vom 27. Juni 2000, Vorwort, in: OECD (2004), Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: Neufassung 2000, OECD Publishing. doi: 10.1787 / 9789264108059-de, http: /  / www. keepeek.com / Digital-Asset-Management / oecd / governance / die-oecd-leitsatze-furmultinationale-unternehmen_9789264108059-de. Im Folgenden wird auf diese Veröffentlichung Bezug genommen. Der Text der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen i.  d.  F. vom 27. Juni 2000 ist auch abgedruckt in International Legal Materials 40 (2001), S. 237 ff. Nicht dort abgedruckt sind aber die OECD Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen und der OECD-Ratsbeschluss zu den Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. 39  Die Leitsätze unterscheiden daher unabhängig von einer OECD-Mitgliedschaft zwischen „Teilnehmerstaaten“ und „Nichtteilnehmerstaaten“, vgl. z. B. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen i. d. F. vom 27. Juni 2000, Kapitel I, Ziffer 2 und Erläuterungen zu den Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multina­ tionale Unternehmen, Ziffer 20. 40  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: Neufassung 2000, S. 4. 41  Und auch die Zahl der OECD-Staaten hat sich erhöht, so dass die Leitsätze heute sechsundvierzig Teilnehmerstaaten zählen, siehe im Einzelnen Fußnoten 77 und 78.



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen179

sogenannte „Erläuterungen“ ergänzt, in denen die jeweiligen Anforderungen präzisiert werden. Diese Erläuterungen wurden von dem für die Auslegung der Leitsätze zuständigen OECD-Ausschuss für internationale Investitionen und multinationale Unternehmen formuliert und liefern „zusätzliche Informationen und Erklärungen zum Wortlaut“ der Leitsätze und der Umsetzungsverfahren.42 Sie teilen damit zwar formell nicht den Charakter der Leitsätze und der Umsetzungsverfahren, haben aber bei Fragen zur Anwendung und Auslegung der Leitsätze maßgebliche Wirkung. 1. Hintergrund und Verfahren der Überarbeitung der Leitsätze 2000 Die OECD strebte in den 1990er Jahren die Vereinbarung eines Multilateral Agreement on Investment (MAI) an, dessen Anhang die Leitsätze werden sollten. Nicht zuletzt angesichts massiver Kritik durch die Nichtregierungsorganisationen scheiterte dieses Vorhaben jedoch und es wurde mit der Überarbeitung der Leitsätze begonnen.43 In diese Überarbeitung wurde ein weiterer Teilnehmerkreis einbezogen als bis dahin üblich. So wurden in Konferenzen, thematischen Workshops und informellen Verhandlungen neben den Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretungen auch Nichtregierungsorganisationen und Internationale Organisationen einbezogen.44 Auch der Öffentlichkeit wurde über die Internetseite der OECD Gelegenheit zu Kommentaren gegeben, wodurch der Prozess „offener und durchschaubarer“ gestaltet wurde.45 2. Materielle Änderungen der Leitsätze a) Extraterritoriale Anwendbarkeit Eine entscheidende Änderung war die ausdrückliche extraterritoriale Ausdehnung des Anwendungsbereiches der Leitsätze, denn die betreffenden 42  OECD (2004), Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: Neufassung 2000, OECD Publishing.doi: 10.1787 / 9789264108059-de, http: /  / www.keepeek. com / Digital-Asset-Management / oecd / governance / die-oecd-leitsatze-fur-multinatio nale-unternehmen_9789264108059-de, S. 41. 43  Huner, The Multilateral Agreement on Investment and the Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, S. 200. 44  Tully, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, I.&C.L.Q., Vol. 50 (2001), S. 394, S. 395; Huner, The Multilateral Agreement on Investment and the Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, S. 203. 45  Klinkenberg, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen – Ein Vorbild für die neue Welthandelsrunde?, ZVR 101 (2002), S. 421, S. 423.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Unternehmen sollten die Leitsätze nun „überall dort, wo sie ihre Geschäftstätigkeit ausüben“ beachten.46 Zuvor stellten die Leitsätze lediglich auf die „in den Teilnehmerstaaten operierenden Unternehmen“ ab, so dass die extraterritoriale Anwendbarkeit zumindest fraglich war.47 Damit erlangten die Leitsätze explizit eine weltweite Wirkung und erstreckten sich von da ab unzweifelhaft auch auf diejenigen Konstellationen, die unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten von besonderer Relevanz sind: die Investitionen multinationaler Unternehmen in Ländern des Südens. In der Literatur wird dies konzeptionell als ein „Wendepunkt“ in der Entwicklung der Leitsätze gesehen, da nunmehr die „nationale Jurisdiktion nicht mehr als abgeschlossenes System“ galt.48 Zugleich behielten die Leitsätze aber die Beschränkung ihrer Anwendbarkeit auf die in den teilnehmenden Staaten beheimateten Unternehmen bei. Damit ist ein innerstaatlicher Anknüpfungspunkt als Voraussetzung für die extraterritoriale Wirkung der Leitsätze gegeben, was der Wahrung des völkerrechtlichen Grundsatzes der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten dient.49 Die Ausweitung der Anwendbarkeit der Leitsätze auf Nichtteilnehmerstaaten warf allerdings Fragen auf, da diese Staaten die Verhaltensanforderungen der Leitsätze und die mit ihnen verbundenen Werte nicht notwendigerweise teilen. Zur Vermeidung unauflöslicher Dilemmata für die Unternehmen stellten die Erläuterungen zu den Leitsätzen klar, dass der Respekt nationalen Rechts der Einhaltung der Leitsatz-Empfehlungen vorgehe50. Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchführung eines Beschwerdeverfah46  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen i.  d. F. vom 27. Juni 2000, Kapitel I, Ziffer 2, Satz 2. In der englischen Originalfassung wurde die Formulierung „operating in their territories“ geändert in „operating in or from their territories“, Murray, A New Phase in the Regulation of Multinational Enterprises: The Role of the OECD, 30 (2001) IndLJ, S. 255. 47  Siehe Fußnote 14 und dazugehörigen Text. 48  Vgl. Murray: „it appears that the Guidelines no longer take the integrity of national jurisdiction for granted, in the way the original instrument did“, Murray, A New Phase in the Regulation of Multinational Enterprises: The Role of the OECD, 30 (2001) IndLJ, S. 255, S. 264. 49  Zu diesem Grundsatz siehe oben Teil 1, C.I.2.b)aa). 50  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 2: „Die erste Pflicht der Unternehmen besteht in der Einhaltung des geltenden Rechts der jeweiligen Länder. Die Leitsätze sind weder ein Ersatz für nationale Gesetze und Vorschriften noch dürfen sie als diesen übergeordnet angesehen werden (…)“. Ausführlicher zum Verhältnis zwischen den Empfehlungen der Leitsätze und nationalem Recht siehe unten B.III.1.c).



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rens in Bezug auf Vorkommnisse in Nichtteilnehmerstaaten berücksichtigen die Leitsätze und ihre Verfahrenstechnischen Anleitungen51, indem die Verfahrensanforderungen in diesen Fallkonstellationen flexibel gestaltet sind.52 b) Zulieferbeziehungen Mit der Überarbeitung der Leitsätze im Jahr 2000 ist auch eine Empfehlung zum Verhalten in den Zulieferbeziehungen aufgenommen worden. Nach dieser sollten Unternehmen „ihre Geschäftspartner, einschließlich Zulieferfirmen und Unterauftragnehmer, wo praktikabel, zur Anwendung von Grundsätzen der Unternehmensführung ermutigen, die im Einklang mit den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen stehen“53.

Die Einbeziehung der Zulieferbeziehungen in die Leitsätze ist ein wichtiger Meilenstein in deren Entwicklung.54 Allerdings fällt auf, dass die Erwartung an das Verhalten des Unternehmens gegenüber seinen Geschäftspartnern recht schwach formuliert ist, da er diese nur „wo praktikabel“ zu einem den Leitsätzen entsprechenden Verhalten „ermutigen“ soll. Die Leitsätze in der Fassung von 2000 schienen damit zwischen der Verantwortung des Unternehmens für sein eigenes Verhalten und den Anforderungen an sein Verhalten in den Zulieferbeziehungen zu unterscheiden. Dies konnte als Unterstützung der Annahme verstanden werden, nach der die allgemeinen Verhaltensanforderungen nur auf Investitionen anwendbar seien, nicht aber auf Handelsgeschäfte und Zulieferbeziehungen55. Dieser Rückschluss war aber nicht zwingend, und so prüften manche Nationalen Kontaktstellen die Verantwortung multinationaler Unternehmen in ihren Geschäftsbeziehungen ebenfalls an den allgemeinen Verhaltensanforderungen der Leitsätze. Bis zur neuerlichen Überarbeitung der Leitsätze 2011 blieb der Umfang dieser Verantwortung in der Zulieferkette daher mit Unsicherheiten behaftet.

51  Diese

sind Teil der Umsetzungsverfahren, siehe unten A.III.3. Einzelnen siehe unten C.I.1.a)bb). 53  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen i.  d. F. vom 27. Juni 2000, Kapitel II, Ziffer 10. 54  So z. B. Heydenreich, Zulieferbeziehungen aus Sicht der OECD-Leitsätze – Anspruch und Erfahrungen aus Perspektive von NGOs, in: eed, Germanwatch, TUAC, OECD (Hrsg.), Wie weit reicht die Verantwortung von Unternehmen? Handels- und Zulieferbeziehungen von multinationalen Unternehmen, Tagungsdokumentation, S. 22. 55  Zu diesem sogenannten investment nexus siehe unten A.IV.2.a). 52  Im

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

c) Inhalt der Empfehlungen In materieller Hinsicht wurden die Leitsätze um eine allgemeine Klausel zur Einhaltung der Menschenrechte56 ergänzt und das Kapitel zu den Arbeitnehmerrechten so angepasst, dass fortan alle Kernarbeitsnormen enthalten waren – insbesondere durch Hinzufügung einer Klausel zur Vermeidung von Kinder- und Zwangsarbeit.57 Im Übrigen wurde ein Kapitel zur Korrup­ tionsbekämpfung eingefügt und die Empfehlungen zur Offenlegung von Informationen und zum Umweltschutz angepasst. Auch die Reihenfolge der Kapitel wurde angepasst, was die neuen Schwerpunkte im allgemeinen Problembewusstsein reflektiert.58 3. Änderungen der Umsetzungsverfahren Im Hinblick auf die Umsetzungsverfahren zu den Leitsätzen gab es im Jahr 2000 bedeutende Änderungen. Das Konsultationsverfahren wurde weiterentwickelt zum Verfahren der „Anwendung der Leitsätze in besonderen Fällen“ (specific instances procedure), bei dem die Nationalen Kontaktstellen die zentrale Rolle spielen. Wesentlicher Bestandteil des Ministerratsbeschlusses zu den Umsetzungsverfahren sind seither die „Verfahrenstechnischen Anleitungen“, die Einzelheiten zu den Nationalen Kontaktstellen und zum Ablauf des Verfahrens festlegen. Etliche der in den Verfahrenstechnischen Anleitungen genannten Funktionen waren zwar nicht neu, sie wurden aber transparenter dargestellt und ihre Aufnahme in die Anleitungen trug den Erfahrungen Rechnung.59 Insgesamt stellten die Änderungen qualitativ einen deutlichen Ausbau der Umsetzungsverfahren dar. a) Verpflichtende Einrichtung von Nationalen Kontaktstellen und das Prinzip der „funktionalen Äquivalenz“ Wie gesehen hatten sich in der Praxis Nationale Kontaktstellen entwickelt, die sodann durch ihre Aufnahme in den OECD-Ministerratsbeschluss institutionalisiert wurden. Beschlüsse des OECD-Ministerrates sind nach 56  Zu

dieser Klausel siehe ausführlich unten B.I. Ausgestaltung des Menschenrechtsschutzes nach den OECD-Leitsätzen i. d. F. des Jahres 2000 siehe im Einzelnen unten B.I. 58  Murray, A New Phase in the Regulation of Multinational Enterprises: The Role of the OECD, 30 (2001) IndLJ, S. 255, S. 261 f. So rückten die Kapitel „Competition“ und „Taxation“ weiter nach hinten, während „Employment and Industrial Relations“, „Environment“ und „Combating Bribery“ prominentere Plätze bekamen. 59  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 8. 57  Zur



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen183

Art. 5 des OECD-Statuts für die OECD-Mitgliedstaaten bindend60, so dass die Nationalen Kontaktstellen und seit 2000 das Verfahren in besonderen Fällen zu einer verbindlichen Vorgabe wurden. Angezweifelt werden kann, ob die aus Art. 5 des OECD-Statuts resultierende Bindungswirkung auch für diejenigen Teilnehmerstaaten galt, die nicht zu den OECD-Mitgliedstaaten zählen. Ein solches Auseinanderfallen in den prozeduralen Vorgaben zur Umsetzung der Leitsätze ist sehr unbefriedigend und scheint nicht in Übereinstimmung mit der Zielsetzung der Leitsätze zu stehen. Die Leitsätze selbst verwiesen in Ziffer 10 des ersten Kapitels, Allgemeine Erläuterungen, auf die Einrichtung Nationaler Kontaktstellen und den Willen der Staaten, dadurch die Umsetzung der Leitsätze zu fördern. Im Wege der Auslegung konnte daher die Bindungswirkung der Verfahrenstechnischen Anleitungen auch für die Nicht-OECD-Mitgliedstaaten angenommen werden, da diese bei der Annahme der Erklärung und des damit verbundenen Ministerratsbeschlusses mitgewirkt und sich damit selbst gebunden haben.61 Hierfür spricht auch, dass sich anderenfalls die Aufgabenverlagerung vom OECD-Ausschuss auf die nationale Ebene uneinheitlich ausgewirkt hätte. Damit sind die Leitsätze, die formell als „Erklärung“ der Staaten verfasst sind und gegenüber den Unternehmen einen Empfehlungscharakter besitzen, seit ihrer Überarbeitung im Jahr 2000 für alle Teilnehmerstaaten an verbindliche Vorgaben zur Einrichtung Nationaler Kontaktstellen mit Aufgaben zur Verbreitung der Leitsätze und zur Durchführung von Verfahren zur Anwendung in besonderen Fällen gekoppelt. Bei der Wahl und Ausgestaltung der Stelle, welcher die Aufgaben der Na­ tionalen Kontaktstelle übertragen wird, wurde den teilnehmenden Staaten ein weitreichender Spielraum belassen. Damit sollte nationalen Unterschieden in Aufbau und Kultur der Administrationen Rechnung getragen werden können. Zugleich führten die Verfahrenstechnischen Anleitungen das Prinzip der „funktionalen Äquivalenz“ ein, das eine einheitliche Aufgabenerfüllung im Ergebnis gewährleisten soll und deren Erreichung mittels Einhaltung bestimmter Schlüsselkriterien – nämlich „Sichtbarkeit, Zugänglichkeit, Transparenz und Rechenschaftspflicht“ – sichergestellt werden soll.62 Die Erläuterungen enthielten ergänzende Anmerkungen zur Bedeutung dieser Kriterien.63 60  Art. 5

OECD-Convention, 1960. sind Restzweifel ausgeräumt durch einen ausdrücklichen Hinweis in Ziffer 1, Satz 5 der Einführung zu den OECD-Leitsätzen, siehe auch A.IV.3. 62  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I. 63  Erläuterungen zu den Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Ziffer 8. 61  Heute

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

b) Vom „Konsultationsverfahren“ zum „Verfahren in besonderen Fällen“ Mit der Einführung des „Verfahrens in besonderen Fällen“ wurde die Entscheidung über den Ausgang eines Falles auf die nationale Ebene verlagert.64 Bis dato war der OECD-Ausschuss für internationale Investitionen und multinationale Unternehmen (CIME) zu befassen, wenn eine Beschwerde bei einer Nationalen Kontaktstelle eingereicht worden war, aber keine Einigung möglich war.65 Der Ausschuss konnte im Rahmen des Konsulta­ tionsverfahrens auch direkt befasst werden, gab aber in keinem Fall eine öffentliche Stellungnahme zu einzelnen Fällen ab. Im Zuge der Aufgabenverlagerung auf die Nationalen Kontaktstellen erhielten diese auch den Auftrag, abschließende Erklärungen für den Fall des Scheiterns der Vermittlungsbemühungen zu veröffentlichen. Die Nationalen Kontaktstellen wurden damit zu „active investigating and settlement authorities“ und waren nun nicht mehr länger nur „clearing house for CIME“.66 Damit veränderte sich die Natur des Verfahrens: Das Konsultationsverfahren, welches ausschließlich auf die Auslegung der Leitsätze und die Vermittlung zwischen den Parteien zielte, wurde zum „Verfahren in besonderen Fällen“.67 Auch dieses zielt zwar auf die Lösung von Problemen, die sich bei der Umsetzung der Leitsätze ergeben und damit primär auf eine Vermittlung. Durch die öffentliche Stellungnahme im Falle gescheiterter Vermittlungsbemühungen entstand aber erstmals die Gefahr von Imageverlusten für Unternehmen.68 Ob hiermit eine faktische Bindungswirkung der Leitsätze erreicht werden sollte, war unter den Staaten laut Schuler durchaus strittig, der zusammenfasst: „It was discussed contrariwise during the negotiations of the 2000 revision whether a de facto constraint to implement the Guidelines was created and if so, whether this was in the parties’ interest when they were setting up the implementation mechanism in a Council 64  Diese Verlagerung und Dezentralisierung soll die Effektivität der Umsetzung gefördert haben, vgl. Schuler, Effective Governance through Decentralized Soft Implementation: The OECD Guidelines for Multinational Enterprises, German Law Journal, Vol. 9 No. 11, 2008, S. 1753, S. 1777. 65  Oldenziel, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: A New Code of Conduct?, S. 26. 66  Salzman, Decentralized Administrative Law in the Organization for Economic Cooperation and Develpoment, Law and Contemporary Problems, Vol. 68 (2005), S. 189, S. 214. 67  Zum genauen Ablauf und Wesen des Verfahrens in seiner heutigen Ausgestaltung siehe unten C.I.1. und C.I.3. 68  Zum Sanktionscharakter dieses Ansatzes siehe oben Teil 1, C.I.1. und unten C.I.2.c).



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Decision that is binding on adhering states“.69 Eine nähere Untersuchung der heutigen Verfahrensausgestaltung und der Anwendung der Verfahren wird aufzeigen, ob diese Frage heute beantwortet werden kann.70 Auch beim Zugang zum Verfahren wurde eine größere Öffentlichkeit geschaffen. Während Vermittlungsersuchen nach dem Konsultationsverfahren zuvor nur von den beratenden Organen BIAC oder TUAC oder einer Regierung eines teilnehmenden Staates eingereicht werden konnten, wurde das neue „Verfahren in besonderen Fällen“ auch Nichtregierungsorganisationen und anderen „interessierten Parteien“ zur Verfügung gestellt71. Diese Erweiterung war kohärent, da der materielle Anwendungsbereich der Leitsätze mit der Einführung der allgemeinen Menschenrechtsklausel weit über die Arbeitnehmerrechte hinaus ausgedehnt wurde. Diese grundlegenden Erweiterungen veränderten die Dynamik der Nutzung dieses Instrumentes.72 4. Zusammenfassung: Bedeutungswandel der Leitsätze 2000 Auch wenn die Überarbeitung der Leitsätze 2000 hinter den Erwartungen von TUAC und Nichtregierungsorganisationen zurückblieb73, so verlieh sie den Leitsätzen mit dem Ausbau des Verfahrens der Einzelfallbefassung ihren spezifischen Charakter, der ihnen eine besondere Rolle und Bedeutung unter den CSR-Instrumenten zuweist. Bereits die Verbindung der freiwilligen Standards der Leitsätze von 1976 mit dem Konsultationsverfahren als verbindlichem Implementierungsmechanismus konnte als „surprising mixture“74 bezeichnet werden. Während es 69  Schuler, Effective Governance through Decentralized Soft Implementation: The OECD Guidelines for Multinational Enterprises, German Law Journal, Vol. 9 No. 11, 2008, S. 1753, S. 1771. 70  Siehe unten D.IV. 71  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C. 72  Zur Nutzung des Beschwerdeverfahrens insbesondere durch Nichtregierungsorganisationen siehe unten C.II.1.b). 73  Vgl. Tully, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, I.&C.L.Q. 50 (2001), S. 394, S. 402 f. 74  So Bothe bereits in Bezug auf das Konsultationsverfahren zu den OECDLeitsätzen i. d. F. von 1976, das wesentlich schwächer ausgeprägt war: Bothe, Legal and Non-Legal Norms – A meaningful distinction in international relations?, NYIL 11 (1980), S. 65, S. 82: „In 1976, the OECD Council adopted the ‚Guidelines for Multinational Enterprises‘, which are not legally binding, and a decision on ‚Intergovernmental Consultation Procedures‘ concerning these Guidelines, which is binding. This is a somewhat surprising mixture of a substantive regulation which is not legally binding and a binding implementation procedure (…)“.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

sich bei diesem Konsultationsverfahren aber noch um eine Vermittlung im Rahmen des OECD-Ausschusses ohne Information der Öffentlichkeit handelte, wurde der Charakter einer Umsetzungsüberwachung durch die Änderungen im Jahr 2000 deutlich verstärkt. Die Koppelung freiwilliger Standards mit einer verbindlichen Umsetzungsüberwachung erscheint paradox. Sie erklärt sich aber aus der Zurückhaltung der Staaten, multinationale Unternehmen als (partielle) Völkerrechtssubjekte zu behandeln und mit Rechtspflichten zu belegen einerseits und ihrem Willen andererseits, Abhilfe in einer regelungsbedürftigen Situation zu schaffen. Die Konstruktion ist dabei ein Kompromiss zwischen den unterschiedlichen staatlichen Auffassungen zur Gewichtung dieser beiden Aspekte. Die Änderungen der Leitsätze im Jahr 2000 – der nunmehr geographisch uneingeschränkte Anwendungsbereich, das den Nichtregierungsorganisationen offen stehende, für die Mitgliedstaaten verbindliche „Verfahren in besonderen Fällen“ und die allgemeine Menschenrechtsklausel – führten zu einem Bedeutungswandel der Leitsätze, der ihnen eine größere Aufmerksamkeit zukommen ließ. In den Folgejahren wurde dieses Instrument gerade auch von Nichtregierungsorganisationen aktiv genutzt, seine Effektivität beobachtet und Vorschläge zur Weiterentwicklung unterbreitet. Auch der UN-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte75 bewertete die Leitsätze und ihre Wirksamkeit in seinen Berichten. Dabei wurde Bedarf nach einer nochmaligen Weiterentwicklung der Leitsätze deutlich.

IV. Weiterentwicklung der Leitsätze im Jahr 2011 2009 forderte der OECD-Ministerrat den OECD-Investitionsausschuss auf, eine Konsultation zur etwaigen Aktualisierung der Leitsätze durchzuführen. Der Überarbeitungsprozess führte am 25. Mai 2011 zur Annahme der Leitsätze in ihrer heutigen Fassung76. Zweiundvierzig Staaten77 nahmen 75  Siehe

oben Teil 1, C.II.1.d). (2011), OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, OECD Publishing, http: /  / dx.doi.org / 10.1787 / 9789264122352-de. 77  Dies waren die 34 OECD-Mitgliedstaaten (Australien, Belgien, Chile, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Irland, Is­ rael, Italien, Japan, Kanada, Korea, Luxemburg, Mexiko, Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Slowakische Republik, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn, USA, Vereinigtes Königreich – vgl. www.oecd.org / about / membersandpartners) plus Ägypten, Argentinien, Brasilien, Lettland, Litauen, Marokko, Peru und Rumänien: OECD (2011), OECD76  OECD



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anlässlich des OECD-Ministerrates an jenem Tag die Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen und damit die geänderte Fassung der Leitsätze an. Bis Ende 2013 stieg die Zahl der Teilnehmerstaaten auf sechsundvierzig.78 Während der Verhandlungen zur Anpassung der Leitsätze legten die Staaten großen Wert darauf, dass lediglich eine Aktualisierung der Leitsätze geplant sei („Update“), keine fundamentale inhaltliche Überarbeitung.79 Gefordert wurde von Seiten der Nichtregierungsorganisationen aber ein „giant leap forward“80. Es stellt sich daher die Frage, ob die beschlossenen Änderungen im Ergebnis tatsächlich nur ein „Update“ oder doch eher ein „Upgrade“ der Leitsätze darstellen.81 1. Hintergrund und Verfahren zur Überarbeitung der Leitsätze 2011 Die Leitsätze sind, so ist in ihrer Einführung dargelegt, weiterentwickelt worden, um dem „tiefgreifenden Strukturwandel“ der Weltwirtschaft Rechnung zu tragen.82 Parallel zu der Entwicklung neuer und komplexerer Strukturen von Produktion und Abnahme in der Weltwirtschaft verursachte die Finanz- und Wirtschaftskrise einen Vertrauensverlust in die offenen Märkte. Diese Vertrauenskrise, aber auch der Klimawandel und die von der internationalen Gemeinschaft deklarierten Entwicklungsziele förderten den erneuLeitsätze für multinationale Unternehmen, OECD Publishing, http: /  / dx.doi.org / 10. 1787 / 9789264122352-de, S.  9. 78  Hinzu kamen Kolumbien und Tunesien in 2012 sowie Costa Rica und Jordanien in 2013, vgl.  www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultina tionalenterprises / oecddeclarationanddecisions.htm. 79  Vgl. Terms of Reference for an Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 4. Mai 2010, angenommen am 30. April 2010, Introduction, http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinationalenterpri ses / 45124171.pdf, S.  2. Von vorne herein unstreitig war nur die Notwendigkeit, in den Leitsätzen enthaltene Verweise auf andere internationale Instrumente zu aktualisieren. 80  OECD Watch: „It was thus clear at the start of the update process that a giant leap forward was needed if the OECD Guidelines were to remain relevant and become truly effective in resolving grievances.“, OECD Watch Statement on the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 25. Mai 2011, http: /  / oecdwatch.org / publications-en / Publication_3675 / , S.  2. 81  Vgl. Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011. 82  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 25. Mai 2011, Einführung, Ziffer 2, Satz 1, in: OECD (2011), OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, OECD Publishing, http: /  / dx.doi.org / 10.1787 / 9789264122352-de, S.  15. Auf diese Fassung und Publikation wird nachfolgend Bezug genommen.

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ten Ruf nach hohen Standards für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln.83 Schließlich lag ein Grund auch darin, „dass die Arbeit der Kontaktstellen im Umgang mit Beschwerden innerhalb der Teilnehmerstaaten stark variierte und zahlreiche Inkonsistenzen in der praktischen Auslegung aufwies“.84 Zugleich brachten die Berichte des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte Aufmerksamkeit für die Umsetzungsverfahren und zeigten Reformbedarf auf. Demgegenüber unterstrich die Wirtschaft die Bedeutung der Annahme der Leitsätze auch durch bisherige Nicht-Teilnehmerstaaten und betrachtete es als vordringlich, die Wirkung der Leitsätze durch konkrete Anwendungshilfen für die Unternehmen zu erhöhen. Vor einer inhaltlichen Verschärfung wurde demgegenüber gewarnt, nicht zuletzt um nicht die Teilnahme weiterer Länder zu erschweren. Die Vielfalt der „Ansprüche an die Novellierung der Leitsätze sowie der Handlungsdruck auf die beteiligten Regierungen“ waren daher „bereits zu Beginn des Überarbeitungsprozesses beträchtlich“.85 Die Revisionsklausel in Ziffer VI der Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen wurde 2009 mit Leben gefüllt, als auf Beschluss des OECD-Ministerrates eine öffentliche Konsultation zum Aktualisierungsbedarf der Leitsätze eingeleitet wurde. Unter Anhörung verschiedenster staatlicher und nichtstaatlicher Akteure86 wurden Terms of Reference für eine mögliche Aktualisierung vom OECD-Investitionsausschuss ausgearbeitet.87 Damit war ein Fahrplan für den etwaigen Umfang der Überarbeitung erstellt. Als Themen, welcher einer größeren Präzisierung bedürfen, nannten die Terms of Reference Fälle von conflicting requirements, das heißt widersprüchlichen Anforderungen an die multinationalen Unternehmen aus international anerkannten Menschenrechtsstandards einerseits und nationalen Gegebenheiten einschließlich Fällen der Nichtratifikation von Menschenrechtsinstrumenten andererseits. Des Weiteren legten die 83  Vgl. auch Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 2. 84  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 2. 85  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 2. 86  Vgl. Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 12 ff., wonach eine „impressive number of diverse governmental and non-governmental actors“ in dieser Phase bedacht wurden, von OECD-Ausschüssen über (Internationale) Organisationen (z. B. UN, ILO, IFC, ISO, GRI) zu Nichtregierungs­ organisationen. 87  Terms of Reference for an Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises vom 4.  Mai  2010, DAF / INV / WP(2010)5 / FINAL, http: /  / www.oecd.org /  dataoecd / 61 / 41 / 45124171.pdf.



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen189

Terms of Reference fest, dass die seinerzeit von dem UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte entwickelten Empfehlungen zu einem Konzept der due diligence Berücksichtigung finden sollten. Schließlich legten sie fest, dass es im Falle der Einführung eines neuen menschenrechtlichen Kapitels bei einem Nebeneinander mit dem Kapitel „Beschäftigung und Beziehungen zwischen den Sozialpartnern“ bleiben solle.88 Auch der folgende Überarbeitungsprozess selbst war „geprägt von einer großen Offenheit gegenüber den Beiträgen verschiedener nichtstaatlicher Akteure, internationaler Organisationen sowie Persönlichkeiten wie dem UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte“.89 Auch NichtTeilnehmerstaaten wurden aktiv in die Verhandlungen einbezogen. China, Indonesien, Indien, Russland und Südafrika sind − neben Brasilien, das aber bereits seit 2000 zu den Teilnehmerstaaten der Leitsätze zählt − als aufstrebende Schwellenländer sogenannte Schlüsselpartner der OECD.90 Diese Länder, aber auch Saudi Arabien, wurden gezielt in die Arbeitsgruppe des Investitionsausschusses zur Revision integriert91, um ihre Teilnahme an den Leitsätzen zu befördern. Sie haben sich allerdings bisher nicht zur Annahme der OECD-Investitionserklärung und damit zu einem Bekenntnis zu den Leitsätzen entschlossen. Sechs weitere Staaten − Costa Rica, Kolumbien, Jordanien, Serbien, Tunesien und die Ukraine − kündigten seinerzeit ihren Beitritt zur OECD-Investitionserklärung und damit auch zu den Leitsätzen an.92 Kolumbien, Tunesien, Costa Rica und Jordanien haben dies mittlerweile auch umgesetzt, so dass die Zahl der Teilnehmerstaaten gegenwärtig bei sechsundvierzig liegt.93 2. Materielle Änderungen der Leitsätze Unverändert blieb bei der Beschlussfassung 2011, dass die Leitsätze ein Bestandteil der „Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen“ sind. Eine Herauslösung der Leitsätze aus dieser Erklä-

88  Terms of Reference for an Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises vom 4.  Mai  2010, DAF / INV / WP(2010)5 / FINAL, S.  3 ff. 89  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 4. 90  Siehe http: /  / www.oecd.org / about / membersandpartners / . 91  Terms of Reference for an Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises vom 4.  Mai  2010, DAF / INV / WP(2010)5 / FINAL, http: /  / www.oecd.org /  dataoecd / 61 / 41 / 45124171.pdf, S.  8. 92  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 4. 93  Siehe Fußnoten 77 und 78.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

rung, die durchaus angedacht worden war94, erfolgte nicht. Damit scheint der innere Zusammenhang zwischen der Förderung von Auslandsinvestitionen einerseits und der Empfehlung gewisser Verhaltensweisen an die Adresse der multinationalen Unternehmen andererseits bestätigt worden zu sein. Eine nähere Betrachtung der 2011 eingebrachten maßgeblichen Weiterentwicklungen der Leitsätze wird aber Aufschluss darüber geben, ob dieser innere Zusammenhang den Anwendungsbereich der Leitsätze einschränkt. a) Klarstellung zum Erfordernis eines investment nexus Ein umstrittener Punkt, dessen Klärung sich bei der Überarbeitung 2011 aufdrängte, war die Frage, ob die Anwendbarkeit der Leitsätze auf Sachverhalte beschränkt sei, denen eine Investition oder zumindest ein investitionsähnlichen Verhältnis zugrunde liegt – sogenannter investment nexus. Ein solches Erfordernis wurde unter anderem aus der Tatsache abgeleitet, dass die Leitsätze Teil der Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen sind, deren Ausgangspunkt Auslandsinvestitionen sind. Auch haben Investitionen aufgrund ihrer Dauerhaftigkeit und etwaigen Veränderungen im lokalen Umfeld in der Regel größere Auswirkungen auf die Gaststaaten als einmalige Handelsgeschäfte. Die Formulierung der Anwendbarkeit der Leitsätze auf Unternehmen „überall dort, wo sie ihre Geschäftstätigkeit ausüben“ – im englischen Original „whereever they operate“95 – erfordert hingegen keine Begrenzung des Anwendungsbereiches auf Investitionen oder investitionsähnliche Verhältnisse. Dementsprechend gingen auch nicht alle Staaten vom Erfordernis eines investment nexus aus, und auch in der Praxis der Nationalen Kontaktstellen bildeten sich widersprüchliche Tendenzen zu diesem Prinzip heraus. Nichtregierungsorganisationen kritisierten den investment nexus wiederholt als bedauerliche Limitierung der Bedeutung und der effektiven Anwendung der Leitsätze. Der OECD-Investitionsausschuss wurde angesichts der Auslegungsunsicherheit mit der Frage befasst und fand auch eine Formulierung96, 94  Terms of Reference for an Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises vom 4.  Mai  2010, DAF / INV / WP(2010)5 / FINAL, http: /  / www.oecd.org /  dataoecd  /  61  /  41  /  45124171.pdf, S. 7. Eine solche Herauslösung könnte es Staaten erleichtern, sich den Leitsätzen anzuschließen, denen die übrigen Teile der Erklärung Schwierigkeiten bereiten. Die Fragestellung erwies sich als zu umfassend, um im Rahmen der Überarbeitung 2011 gelöst werden zu können. 95  OECD Guidelines for Multinational Enterprises, June 2000, I.L.M. 40 (2001), S.  237 ff. 96  Demnach sollte von Fall zu Fall entschieden und ein „investment nexus“ berücksichtigt werden, OECD, OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 2003 Annual Meeting of the National Contact Points, S. 12.



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen191

die aber die Diskussion nicht verstummen ließ. Eine Lösung sollte mit der erneuten Überarbeitung der Leitsätze 2011 gefunden werden. Die Terms of Reference, die Richtschnur für die dann folgende Überarbeitung der Leitsätze, legten hierzu fest: „The discussion within the Investment Committee in 2003 focused on the influence of multinational enterprises on the conduct of their business partners using the presence of an investment nexus as a definition of their sphere of influence for the purpose of the Guidelines. More recent discussions (…) have focused on the due diligence (…). Due diligence and consideration of influence are not ­necessarily incompatible and could be seen as complementary“97.

Es bestand folglich der Wille, sich mit dem umstrittenen investment nexus auseinander zu setzen und abschließende Klarheit zu erlangen. Die Problematik der unterschiedlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die jeweiligen Geschäftspartner sollte möglicherweise über das Konzept einer Sorgfaltspflicht – due diligence – gelöst werden. Dieses allgemeine Prinzip der Sorgfaltspflicht wurde sodann mit der Überarbeitung der Leitsätze von 2011 tatsächlich eingeführt.98 Die Formulierung zur extraterritorialen Anwendbarkeit auf Unternehmen, „überall dort, wo sie ihre Geschäftstätigkeit ausüben“, wurde beibehalten.99 Zugleich wurde ergänzt, dass die Unternehmen auch negative Auswirkungen, zu denen sie nur beitragen, vermeiden sollen100 und auch Verantwortung tragen, wenn die Auswirkungen „aufgrund einer Geschäftsbeziehung mit der Geschäftstätigkeit, den Produkten oder Dienstleistungen des Unternehmens unmittelbar verbunden sind“101. Demgegenüber weist nichts im Wortlaut der Allgemeinen Grundsätze, der Einführung oder der Begriffe und Grundsätze der Leitsätze darauf hin, dass der Anwendungsbereich eingeschränkt sein soll auf Investitionen oder investitionsähnliche Beziehungen. Damit sind die Anforderungen der Leitsätze auf alle Geschäftsbeziehungen ausgedehnt worden.102 Eine Ergänzung der Verfahrensvorschriften bestätigt dies. Demnach prüft die Nationale Kontaktstelle bei der Entscheidung über die Annahme der Beschwerde, „ob ein Zusam97  Terms of Reference for an Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises vom 4.  Mai  2010, DAF / INV / WP(2010)5 / FINAL, http: /  / www.oecd.org /  dataoecd / 61 / 41 / 45124171.pdf, S.  3. 98  Hierzu im Einzelnen siehe unten A.IV.2.c). 99  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 3, Satz 2. 100  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 11. Zum Konzept der negativen Auswirkungen siehe auch unten A.IV.2.b). 101  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 12. 102  So auch Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 5: „Während die Leitsätze in der Praxis bislang auf grenzüberschreitende Investitionstätigkeiten und investitionsähn­ liche Tätigkeiten der Unternehmen beschränkt wurden, gelten sie nun für alle Geschäftsbeziehungen (…)“.

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menhang zwischen der Geschäftstätigkeit des Unternehmens und der in dem besonderen Fall aufgeworfenen Frage besteht“.103 Eine weitergehende Prüfung etwa zur Art der Geschäftstätigkeit ist hingegen nicht vorgesehen. Es ist daher davon auszugehen, dass der investment nexus bei der Anwendung und Auslegung der Leitsätze keine Rolle mehr spielen wird.104 Die Praxis wird sich stattdessen auf die neuen Konzepte der Sorgfaltspflicht und der negativen Auswirkungen in Zusammenhang mit den Geschäftsbeziehungen konzentrieren. b) Konzept der „negativen Auswirkungen“ Die Fassung der Leitsätze vom Jahr 2011 führt einen neuen gedanklichen Anknüpfungspunkt und Maßstab für die unternehmerische Verantwortung ein. Ziel ist es, „negative Auswirkungen“ unternehmerischen Handelns zu vermeiden. Betrachtungsgegenstand ist damit nicht mehr primär das Handeln des Unternehmens als solches und die Frage, welche Anforderungen daran gestellt werden sollen. Vielmehr wird vom betroffenen Rechtsgut her gedacht, welches es bestmöglich zu schützen gilt. Die Verhaltensanforderungen sind sodann von Vermeidung bis Vorbeugung nach dem Grad der (Mit-) Verursachung abgestuft worden.105 Dies bedeutet einen Wechsel der Blickrichtung, der zugleich die eigentliche Zielsetzung veranschaulicht und ihre Erreichung in Einklang bringt mit dem unterschiedlichen Grad an Einflussmöglichkeit und Verantwortung. Mit der neuen Ziffer 11 ist dabei zum ersten Mal die Beteiligung als verantwortungsauslösendes Element ausdrücklich in den Anwendungsbereich der Leitsätze einbezogen worden. Blickt man auf die Typologie möglicher Verstrickungen von Unternehmen in die Beeinträchtigung von Menschenrechten106, so ergibt sich aus der Allgemeinheit der Formulierung der Ziffer 11, dass die Leitsätze sowohl die Mitverantwortung für menschenrechtliche Beeinträchtigungen durch die Zulieferbetriebe als auch die Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen des Gaststaates („complicity“) umfassen. Zumindest diejenige Form der nutznießenden Beteiligung dürfte damit von den Leitsätzen umfasst sein, bei dem Geschäftsbeziehungen zwischen dem Staat und dem Unternehmen bestehen und diese in einem 103  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 25, neu eingefügter dritter Unterpunkt. 104  So hat die deutsche Nationale Kontaktstelle die Beschwerde im Fall Stadtlander, welche ausschließlich Handelsbeziehungen betraf, ausdrücklich „trotz fehlenden Investitionsbezuges“ angenommen, siehe auch unten C.II.3.b)aa)(3). 105  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffern 11 und 12. 106  Siehe oben Teil 1, B.II.



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen193

Zusammenhang mit der menschenrechtlichen Beeinträchtigung stehen.107 Eine andere Lesart würde nicht dem präventiven Ansatz der Leitsätze in der Fassung von 2011 entsprechen, insbesondere nicht dem neu eingeführten Prinzip der Sorgfaltspflicht. c) Sorgfaltspflicht (Due-Diligence-Prüfungen) Die neue Ziffer 10 der Allgemeinen Grundsätze der Leitsätze in der Fassung von 2011 besagt, Unternehmen sollen: „Risikoabhängige Due-Diligence-Prüfungen durchführen, beispielsweise durch die Einbeziehung von Due Diligence in ihre unternehmensbasierten Risikomanagmentsysteme, um, wie in den Ziffern 11 und 12 beschrieben, tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen zu ermitteln, zu verhüten und zu mindern, sowie Rechenschaft darüber ablegen, wie diesen Effekten begegnet wird“108.

Damit ist ein allgemeines Prinzip der Sorgfaltspflicht in die Leitsätze eingefügt, das allerdings nicht auf alle thematischen Kapitel und Situationen in gleicher Weise Anwendung findet. So ist das Prinzip auf die Themenkapitel Wissenschaft und Technik, Wettbewerb und Steuer, die anders als die anderen Kapitel nicht mit „negativen Effekten“ in Verbindung stehen, nicht anwendbar.109 Im menschenrechtlichen Kapitel ist es aber fester Bestandteil der Verhaltensanforderungen und erfährt eine spezifische Ausprägung.110 Unter einer Due-Diligence-Prüfung wird nach der Definition der Leitsätze „der Prozess verstanden, über den Unternehmen sowohl die von ihnen ausgehenden tatsächlichen und potenziellen negativen Effekte ermitteln, verhüten und mindern als auch Rechenschaft darüber ablegen können, wie sie diesen Effekten grundsätzlich im Rahmen ihrer Entscheidungsfindungs- und Risikomanagementsysteme begegnen“111.

Damit erhalten die Leitsätze eine wesentliche Konkretisierung hinsichtlich der Frage, wie negative Auswirkungen vermieden werden sollen. Die Leitsätze erhalten einen präventiven Ansatz und fordern die Unternehmen auf, die Leitsatz-relevanten Aspekte in ihre unternehmenseigenen Entscheidungsfindungsprozesse und ihr Risikomanagement einzubauen.

c).

107  Zu

den Aussagen des Kapitels IV, Menschenrechte, siehe unten B.III.3.b) und

108  OECD-Leitsätze

für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 10. für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 14, Sätze 8 und 9. 110  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Ziffer 5. 111  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 14, Satz 1. 109  OECD-Leitsätze

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Die Leitsätze knüpfen dabei an Prozesse und Instrumente an, die den Unternehmen bekannt sind und erhalten damit eine größere Nähe zum Unternehmensalltag. Dies hilft, die Verhaltensanforderungen aus den Leitsätzen für das jeweilige Unternehmensumfeld zu konkretisieren und in die Unternehmensabläufe zu integrieren. Im Vergleich zu bislang von Unternehmen durchgeführten Due-DiligenceProzessen findet dabei allerdings ein Paradigmenwechsel statt: Während bislang üblicherweise Risiken für das Unternehmen Gegenstand einer due diligence sind, sollen nun Risiken für von der Unternehmenstätigkeit Betroffene in den Blick genommen werden: „Due diligence can be included within broader enterprise risk management systems, provided that it goes beyond simply identifying and managing material risks to the enterprise itself, to include the risks of adverse impacts related to matters covered by the Guidelines“112.

Ein Due-Diligence-Ansatz war in Zusammenhang mit den Leitsätzen bis dato nur in dessen Kapitel Umweltschutz und im OECD Risk Awareness Tool for Multinational Enterprises in Weak Governance Zones enthalten.113 Der Ansatz wurde insbesondere im Rahmen der Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte zunehmend diskutiert114, auch weil er den Wechsel von einer Kultur des „naming and shaming“ hin zu einem „knowing and showing“ fördert. Bei der Überarbeitung der Leitsätze wurde dieser Grundsatz über den menschenrechtlichen Kontext hinausgehoben und allgemein verankert. Der Erwartungshorizont der Leitsätze ist mit Einführung dieses Prinzips einerseits um einen Vorbeugungsaspekt erweitert und um Anforderungen an die unternehmensinternen Abläufe und Vorkehrungen konkretisiert worden. Andererseits bedeutet dieser Ansatz für die Unternehmen aber auch, dass sie in mehrdeutigen Situationen leichter darlegen können, ihrer Verantwortung gerecht geworden zu sein. Denn wenn sie über interne Managementsysteme verfügen, mit denen Risiken in zumutbarem Maße aufgespürt und vermieden werden, dürfte sich dies in Zweifelsfragen der Zurechnung oder der Kausalität entlastend auswirken. Die vorbeugende Sorgfaltspflicht ist damit zugleich ein Korrelat zu der Verpflichtung, negative Auswirkungen zu vermeiden. 112  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 14, Satz 2. 113  Terms of Reference for an Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises vom 4.  Mai  2010, DAF / INV / WP(2010)5 / FINAL, http: /  / www.oecd.org /  dataoecd / 61 / 41 / 45124171.pdf, S.  3. 114  Siehe auch Terms of Reference for an Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises vom 4.  Mai  2010, DAF / INV / WP(2010)5 / FINAL, http: /  /  www.oecd.org / dataoecd / 61 / 41 / 45124171.pdf, S.  3.



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen195

d) Zulieferbeziehungen Die Verantwortung der Unternehmen in ihren Geschäfts- und Zulieferbeziehungen hat in der Fassung der Leitsätze von 2011 eine neue Qualität erreicht. Die neue Fassung kann als tatsächliche Weiterentwicklung verstanden werden. Zumindest aber ist eine sehr deutliche Klarstellung dahingehend erfolgt, dass eine eigenständige Verantwortung von Unternehmen für Auswirkungen bestehen kann, die sie nicht selbst verursachen, welche aber mit ihren Geschäftsbeziehungen in Zusammenhang stehen115. Die bis dato einzige ausdrückliche Erwähnung der Verantwortung in den Geschäftsbeziehungen war die vergleichsweise schwächere Aufforderung, die Geschäftspartner sofern praktikabel zur Einhaltung angemessener Geschäftspraktiken zu ermutigen. Diese Formel wurde beibehalten, besteht aber nur noch „neben“ der Kernverantwortung, negative Auswirkungen und Beiträge dazu auch in den Geschäftsbeziehungen zu vermeiden.116 Das Hauptaugenmerk wird daher künftig auf der eigenen Verantwortung der Unternehmen nach den Ziffern 11 und 12 der Allgemeinen Grundsätze liegen und den von ihnen zur Vermeidung negativer Auswirkungen auch in Zusammenhang mit Geschäftsbeziehungen ergriffenen Maßnahmen, einschließlich der Erfüllung der Sorgfaltspflicht. e) Inhalt der Empfehlungen Wichtigste inhaltliche Änderung der Leitsatz-Empfehlungen 2011 ist die Einfügung eines eigenständigen Kapitels „Menschenrechte“. Zwar enthielten die Leitsätze bereits zuvor eine allgemeine Menschenrechtsklausel. Mit dem gesonderten Kapitel werden aber maßgebliche Präzisierungen getroffen und auch neue Anforderungen aufgestellt. Hierauf wird im folgenden Kapitel B noch ausführlich eingegangen. Weitere materielle Änderungen betrafen die Kapitel zur Offenlegung von Informationen, zum Umweltschutz, zum Verbraucherschutz, zur Korrup­ tionsbekämpfung und zur Besteuerung.117

115  Vgl. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffern 11 und 12. Siehe auch unten B.III.3.c) und d). 116  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 13. 117  Siehe auch Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 7 f.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

3. Änderungen der Umsetzungsverfahren Die Verfahrensvorschriften in der Fassung der Leitsätze von 2000 und deren Anwendung durch die Nationalen Kontaktstellen wurden insbesondere von Nichtregierungsorganisationen nachdrücklich kritisiert. Andererseits arbeiteten Nationale Kontaktstellen und die OECD „aktiv daran, Verfahrens­ aspekte zu klären und möglichst effiziente Verfahrensausgestaltungen zu finden“.118 Diese Bestrebungen ebneten den Weg für Änderungen in den Umsetzungsverfahren der Leitsätze 2011. Dabei wurden auch etwaige Zweifel hinsichtlich der Verbindlichkeit der Umsetzungsverfahren für teilnehmende Nicht-OECD-Staaten ausgeräumt.119 Ziffer 1 der Einführung zu den Leitsätzen formuliert nun eindeutig: „Jedoch verpflichten sich die Teilnehmerstaaten zur Umsetzung der Leitsätze im Einklang mit dem OECD-Ratsbeschluss zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen“.120 In Übereinstimmung damit wurde die Bekundung, die „Regierungen der Teilnehmerstaaten werden die Leitsätze fördern“121 dahingehend umformuliert, dass sie diese „umsetzen“ werden122. Bemerkenswertes Novum ist zudem, dass das aus 80 Organisationen bestehende Netzwerk OECD Watch nun „formal institutionalisiert“ ist.123 Nachdem bislang Nichtregierungsorganisationen nur in allgemeiner Form in den Leitsätzen angesprochen wurden, ist nunmehr das Netzwerk OECD Watch ausdrücklich in den Umsetzungsbestimmungen genannt.124 Dadurch, so Utz, wurden dessen „konstruktiver Arbeit Rechnung getragen“ und die „Beteiligungsrechte (…) auf den Stand der üblichen Praxis von Internationalen Organisationen gebracht“.125 118  Böhmer, The Revised 2000 Guidelines for Multinational Enterprises – Challenges and Prospects after 4 Years of Implementation, Policy Papers on Transnational Economic Law, No. 3 / 2004, S. 3. 119  Während die OECD-Mitgliedstaaten bereits durch die Form als Ratsbeschluss an diesen gebunden sind (Art. 5 OECD-Convention, 1960), war die Bindung der teilnehmenden Nicht-OECD-Staaten uneindeutig, siehe oben A.III.3.a). 120  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Einführung, Ziffer 1. 121  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen i. d. F. vom 27. Juni 2000, Kapitel I, Ziffer 10, Satz 1. 122  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 25. Mai 2011, Kapitel I, Ziffer 11, Satz 1. 123  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 4 und Fußnote 1. 124  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnischen Anleitungen, Abschnitt II, Ziffer 2 lit. b. 125  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 4 und Fußnote 1.



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen197

Die weiteren wichtigsten prozeduralen Änderungen werden im Folgenden kurz dargestellt. a) Zusätzliche Kriterien zur Erfüllung der funktionalen Äquivalenz Die Leitsätze in der Fassung von 2011 halten an dem im Jahr 2000 eingeführten Prinzip der funktionalen Äquivalenz126 fest, bestimmen aber zusätzliche Kriterien, welche die Nationalen Kontaktstellen erfüllen sollen. Danach sollen die Nationalen Kontaktstellen a) die Bandbreite der Themen der Leitsätze effizient behandeln können, b) in unparteiischer Weise agieren und c) ein angemessenes Maß an Verantwortlichkeit gegenüber der teilnehmenden Regierung besitzen.127 Die Nationale Kontaktstelle soll sich zudem um die aktive Unterstützung der Sozialpartner sowie anderer interessierter Parteien bemühen, wenn diese nicht ohnehin in die Organstruktur eingebunden sind.128 Eine multi-ministerielle oder Interessensvertreter integrierende Struktur ist damit im förmlichen Sinne nicht vorgegeben, die Zunahme dieser Organisationsform129 wird aber durch diese Formulierung positiv reflektiert. Nationale Kontaktstellen, die ausschließlich in einem Ministerium angesiedelt sind, könnten dadurch unter einen höheren Rechtfertigungsdruck geraten.130 Die Externalisierung der Aufgaben einer Nationalen Kontaktstelle wird implizit für zulässig erklärt131, wobei die Forderung nach dem angemessenen Maß an Verantwortlichkeit gegenüber der teilnehmenden Regierung der Tatsache Rechnung trägt, dass es sich bei den Aufgaben der Nationalen Kontaktstelle um „öffentliche Aufgaben“ handelt132. 126  Siehe

oben A.III.3.a).

127  Umsetzungsverfahren

der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.A., Ziffer 1. 128  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.A., Ziffern 2 und 3. 129  Zu Vielfalt und Trends in der Ausgestaltung der Struktur Nationaler Kontaktstellen siehe unten C.I.2.a). 130  Es bedarf aber eines konkreten Anlasses zur Kritik an der Verfahrensführung in einem bestimmten Verfahren, um den OECD-Investitionsausschuss inzident mit Fragen der Struktur einer Nationalen Kontaktstelle zu befassen, siehe unten C.I.2.d). 131  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.A., Ziffer 1 am Ende: Hieraus geht klar die Möglichkeit hervor, nichtstaatliche Stellen mit der Aufgabe zu betrauen, sofern sie ein ausreichendes Maß an Verantwortlichkeit wahren. 132  In dem OECD-Ratsbeschluss zur Umsetzung der OECD-Leitsätze gehen die teilnehmenden Staaten die Verpflichtung zur Einrichtung der Nationalen Kontaktstellen und zur Wahrnehmung der ihnen zugewiesenen Aufgaben ein. Damit übereinstimmend sahen die Leitsätze bislang als Regelfall der Aufgabenübertragung die Betrauung eines „hohen Regierungsbeamten“ vor, alternativ die Zusammensetzung

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Zusätzlich wurden statt strikterer Vorgaben für die Struktur der Nationalen Kontaktstellen weitere Kriterien zur Durchführung der Beschwerdeverfahren eingeführt. Die Nationalen Kontaktstellen sollen die Verfahren „auf eine unparteiische, vorhersehbare, gerechte und mit den Grundsätzen und Standards der Leitsätze in Einklang stehenden Art und Weise“ durchführen.133 Wiederum gehen die Erläuterungen näher auf den Inhalt dieser Kriterien ein. Die Erfüllung dieser Kriterien kann durch eine Vorlage an den OECD-Investitionsausschuss einer Nachprüfung unterzogen werden, sollte in einem konkreten Fall die Verfahrensführung einer Nationalen Kontaktstelle Anlass zu Kritik beziehungsweise vermuteter Parteilichkeit geben.134 b) Berichts- und Begründungspflichten Nach den neuen Verfahrensvorschriften ist nun jegliche Form der Verfahrensbeendigung mit einer Veröffentlichung der Nationalen Kontaktstelle verbunden. Damit werden Existenz und Verlauf jedes Verfahrens zumindest retrospektiv bekannt, ebenso die wichtigen inhaltlichen Eckpunkte der Vorwürfe und der Erwägungen der Nationalen Kontaktstellen. Dies ist ein entscheidender Fortschritt, da bislang eine öffentliche Stellungnahme der Nationalen Kontaktstelle nur bei gescheiterten Vermittlungsbemühungen vorgesehen war. Somit wurde weder die Einreichung einer Beschwerde noch die Entscheidung über ihre Annahme oder die Beendigung eines Verfahrens im Wege der Einigung systematisch bekannt gegeben.135 Nun geben die Verfahrensvorschriften zusätzlich sowohl bei Nichtan­ nahme einer Beschwerde136 als auch im Falle einer erfolgreichen Vermittaus Vertretern mehrerer staatlicher Stellen und gegebenenfalls die Einbeziehung externer Interessensvertreter in diese staatlich strukturierte Organisation. Es bestand damit eine Prärogative für staatseigene Aufgabenausübung, die nunmehr abgeschwächt scheint. Dies ändert aber nicht die Natur der von den Regierungen eingegangenen Verpflichtungen. 133  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Satz 1. 134  Eine Vorlage ist nicht generell, sondern nur aufgrund von Erfahrungen in konkreten Verfahren zulässig, vgl. Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt II., Ziffer 2 b) und c) und die dortige Bezugnahme auf „specific instances“. Die Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 7 stellen zudem auf das „Verhalten und die Aktivitäten“ der Nationalen Kontaktstellen ab, nicht auf deren Struktur. 135  Einige Kontaktstellen veröffentlichten bereits in der Vergangenheit Stellungnahmen auch im Falle erfolgreicher Vermittlung, ein einheitliches oder vollständiges Bild hierüber war aber nicht gegeben. 136  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 3.a).



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen199

lung137 den Nationalen Kontaktstellen eine Veröffentlichung auf.138 Terminologisch unterscheiden die Verfahrenstechnischen Anleitungen dabei „Stellungnahme“ (bei Nichtannahme der Beschwerde und bei fehlgeschlagener Vermittlung) und „Bericht“ (bei erfolgreicher Vermittlung). Die Stellungnahme der Nationalen Kontaktstelle bei Nichtannahme einer Beschwerde soll die wesentlichen Vorwürfe und die Begründung der Entscheidung der Nationalen Kontaktstelle enthalten.139 Dabei sind sensible Informationen zu schützen.140 Auf die Namensnennung des Unternehmens kann verzichtet werden.141 Mit dieser Anonymisierung soll verhindert werden, dass durch Einreichung unfundierter Beschwerden ungerechtfertigte „naming-and-shaming“-Effekte bewirkt werden können.142 Aus demselben Grund stellen es die Erläuterungen den Kontaktstellen frei, die Öffentlichkeit auch über die Annahme von Beschwerden und den Eintritt in Vermittlungsbemühungen zu informieren.143 Beispiele aus der Praxis sind: Initial Assessment by the Japanese NCP on the Specific Instance at TOP Thermo Mfg. (Malaysia) Sdn. Bhd. vom 16. Februar 2012; Initial Assessment by the Norwegian NCP on the complaints by the Norwegian Support Committee for Western Sahara against Sjovik AS, 8. März 2012 und Initial Assessment by the Norwegian NCP on the complaint by the 129 Roma in Kosovo against Norwegian Church Aid, vom 30. August 2011, alle unter http: /  / www.oecd. org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / ncpstatements. htm. 137  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 3.b). Ein Beispiel für einen solchen Bericht ist der Final Report of the National Contact Point for the OECD Guidlines in the Netherlands on the Specific Instance notified by CEDHA, INCASUR Foundation, SOMO and Oxfam Novib concerning Nidera Holding B.V., vom 3.  Februar  2012,  http: /  / www.oecd.org / daf / international investment / guidelinesformultinationalenterprises / ncpstatements.htm. 138  Nicht näher definiert ist, auf welchem Wege die Öffentlichkeit zu informieren ist. Soweit vorhanden, erfolgt dies über die jeweiligen Internetseiten der Nationalen Kontaktstellen und zusätzlich über die Seite der OECD. Auf der 2013 neu eingerichteten Seite http: /  / mneguidelines.oecd.org /  findet sich nun auch eine Datenbank mit Angaben zu den Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen. 139  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 1; Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 27. 140  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 3 a). 141  Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 32. 142  Eine Anonymisierung scheint daher umso weniger erforderlich, umso bekannter die Bedeutung dieses Verfahrensabschnittes in der Öffentlichkeit ist. 143  Vgl. Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 33. Vorteil einer solchen Information ist der größtmögliche Überblick der Öffentlichkeit über den Sachstand der Verfahren. Nachteil könnte, wie bereits bei der Veröffent­ lichung einer Ablehnungsentscheidung, ein gegebenenfalls ungerechtfertigter Anse-

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Die Verfahrensverläufe werden durch diese Veröffentlichungs- und Berichtspflichten wesentlich transparenter und nachvollziehbarer.144 c) Zeitrahmen für Beschwerdeverfahren Die Verfahrensdauer der in den Jahren 2000–2011 durchgeführten Beschwerdeverfahren war sehr unterschiedlich. Teils zogen sich die Verfahren über mehrere Jahre hin oder galten als blockiert, wobei es den Beteiligten nicht immer deutlich war in welchem Stadium sich das Verfahren befand. Ein Grund für die Unvorhersehbarkeit der Verfahrensdauer im Einzelfall ist, dass die Erfolgsaussichten einer Vermittlung zwischen den Parteien und die Notwendigkeit von Tatsachenermittlungen stark variieren sowie sich im Laufe des Verfahrens wandeln können. Dennoch wurde die gegenwärtige Ungewissheit für die Parteien als so unbefriedigend empfunden, dass ein indikativer Zeitrahmen für die einzelnen Phasen des Beschwerdeverfahrens in die Erläuterungen aufgenommen wurde.145 Dies erhöht die Vorhersehbarkeit und Transparenz der Verfahren. d) Rolle des OECD-Investitionsausschusses und des OECD-Sekretariates Die Rolle des OECD-Investitionsausschusses wurde mit der Überarbeitung der Leitsätze 2011 deutlich gestärkt. Da nun auch das Netzwerk der Nichtregierungsorganisationen OECD Watch befugt ist, Auslegungen der Leitsätze zu erfragen und den Ausschuss mit der Verfahrensführung von Nationalen Kontaktstellen in konkreten Verfahren zu befassen146, ist mit einer häufigeren Befassung des Ausschusses mit Auslegungs- und Anwendungsfragen zu rechnen. Ein Novum ist auch die explizite Erwähnung des OECD-Sekretariats in den Verfahrenstechnischen Anleitungen. Das Sekretariat unterstützt den OECD-Investitionsausschuss in seinen Aufgaben, wobei nun explizit festgehensverlust des Unternehmens mit entsprechenden, gegebenenfalls längerfristigen Umsatzeinbußen sein. Auch hier kommt es auf die richtige Einschätzung der Öffentlichkeit von der Bedeutung der Beschwerdeannahme an. Da die Verfahren teilweise auch in der Presse begleitet werden, liegt die sachgerechte Information der Öffentlichkeit hierüber in der Praxis nicht nur bei den Nationalen Kontaktstellen. Die Gefahr eines ungerechtfertigten Ansehensverlustes und etwaige negative Beeinflussung der Erfolgsaussichten einer Vermittlung mag der Hintergrund dafür sein, dass keine Verpflichtung zur Veröffentlichung der Annahme von Beschwerden besteht. 144  Zum chronologischen Ablauf eines Verfahrens siehe unten C.I.1. 145  Einzelheiten siehe unten C.I.1. 146  Siehe im Einzelnen unten C.I.2.d).



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen201

legt ist, dass es eine Datenbank über die Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen aufbauen und regelmäßig Analysen der Verfahrensverläufe veranlassen wird.147 Der so zu erlangende Überblick ist ein großer Gewinn für die Orientierung der Nationalen Kontaktstellen an einheitlichen Standards und die Bewertung der Funktionsweise des Umsetzungsmechanismus.148 e) Klarstellungen zum Umgang mit parallel anhängigen Verfahren und zu einem möglichen monitoring Zu verschiedenen Fragen der Verfahrensdurchführung enthält die Fassung der Verfahrenstechnischen Anleitungen beziehungsweise der Erläuterungen von 2011 wichtige Klarstellungen. So gingen die Nationalen Kontaktstellen in der Vergangenheit unterschiedlich mit Sachverhalten um, die bereits Gegenstand parallel anhängiger Gerichts- oder Verwaltungsverfahren waren. Ein anhängiges Verfahren kann dabei einerseits Auslegungs- und Anwendungsfragen nationalen Rechts klären. Es kann andererseits eine Vermittlung zwischen Parteien, die sich kontradiktorisch gegenüberstehen erschweren. Auch wurde angeführt, eine Vermittlungstätigkeit durch eine Nationale Kontaktstelle könne eine Missachtung des Gerichts darstellen. Umgekehrt zeigten sich Vermittlungsbemühungen Nationaler Kontaktstellen als förderlich und es kam gar zu Klagerücknahmen149. Die Erläuterungen der Verfahrenstechnischen Anleitungen bestimmen nunmehr, dass parallel anhängige Verfahren nicht per se zur Ablehnung einer Beschwerde führen sollen. Vielmehr soll eine Einzelfallprüfung zur Wechselwirkung zwischen den beiden Verfahrensarten erfolgen.150 Denkbar ist es auch, das Beschwerdeverfahren erforderlichenfalls für die Dauer des parallelen Verfahrens auszusetzen. Eine weitere Klarstellung enthalten die Leitsätze zur Frage, ob Nationale Kontaktstellen nach Beendigung eines Beschwerdeverfahrens noch die Umsetzung der Verfahrensergebnisse begleiten sollen, sogenanntes monitoring. Dies wurde von den Nationalen Kontaktstellen in Abhängigkeit von der jeweiligen Fallgestaltung teilweise praktiziert151, war aber von den Leitsät147  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt II, Ziffer 5.b). 148  Siehe auch unten C.II.1.a). 149  Vgl. den Fall Bayer bei der deutschen NKS, unten C.II.2.a). 150  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 26. 151  Vgl. beispielsweise die Fälle Bayer CropScience bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle und Vedanta bei der britischen Nationalen Kontaktstelle, siehe unten C.II.3.a)ee) und C.II.3.b)bb).

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

zen nicht vorgesehen. Bei der Revision der Leitsätze 2011 wurde diese Umsetzungsbegleitung als Möglichkeit aufgenommen, nicht jedoch als zwingende Vorgabe.152 Erachtet es die Nationale Kontaktstelle für sinnvoll, so kann sie die Umsetzung ihrer Empfehlungen mit Folgemaßnahmen begleiten und sollte hierzu in der abschließenden Erklärung einen Zeitrahmen angeben.153 4. Zusammenfassung: „Ausgewogener Kompromiss oder verpasste Chance?“154 Die Überarbeitung der Leitsätze 2011 war von großen Erwartungen begleitet. Um diese Erwartungen zu dämpfen, bezeichneten die Mitglieder des Investitionsausschusses den Revisionsprozess von Beginn an als „update“155. Im Vordergrund stand demnach die Aktualisierung der Leitsätze, nicht hingegen ihre grundlegende Überarbeitung. Die Ergebnisse dieser Aktualisierung werden in materieller Hinsicht überwiegend als großer Fortschritt bewertet.156 Hervorgehoben wird hier die Anwendbarkeit auf Zuliefer- und Handelsbeziehungen157, die Einführung einer allgemeinen Sorgfaltspflicht und die Einfügung des Kapitels Menschenrechte158. 152  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 34: Die Parteien können vereinbaren, die Nationale Kontaktstelle um Umsetzungsbegleitung zu ersuchen und die Nationale Kontaktstelle kann diese gewähren. 153  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 36, Satz 3. 154  So auch der Titel der Ausarbeitung von Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, Juni 2011. 155  Siehe Terms of Reference for an Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises vom 4.  Mai  2010, DAF / INV / WP(2010)5 / FINAL, http: /  / www. oecd.org / dataoecd / 61 / 41 / 45124171.pdf, S.  2. 156  Utz bezeichnet die Überarbeitung der inhaltlichen Vorgaben insgesamt als „Erfolgsgeschichte“: Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 4. 157  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 9. 158  Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 57 stellen eine „substantial number of improvements“ fest und verweisen dabei vor allem auf die Einführung des „due diligence approach as an overarching guiding principle“; „considerable more explicit incorporation of supply chain responsibility; addi­ tion of new separate chapter on human rights; clarifications and specifications with regard to implementation procedures et al.“.



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen203

Auf prozeduraler Ebene werden die Änderungen demgegenüber häufig als nicht weitreichend genug angesehen.159 Hier wird vor allem kritisiert, dass die Nationalen Kontaktstellen nicht mit hinreichenden investigativen Befugnissen ausgestattet wurden und weiterhin keine Sanktionen für den Fall einer Verletzung der Leitsätze verhängen können. Damit sei eine „oncein-a-decade opportunity“ verpasst worden.160 Dies wiege schwer, da „ein effektives Umsetzungsverfahren den Lackmustest für jeden normativen Standard“ darstelle.161 Dieses gemischte Bild führt zu der Frage, ob mit den Änderungen 2011 eine Aufwertung der Leitsätze gelungen ist oder die Überarbeitung insgesamt eher eine „verpasste Chance“ darstellt.162 In der Bewertung des Business and Industry Advisory Committee (BIAC) kam der Überarbeitungsprozess „close to a substantive revision“.163 Auch von Seiten der Nichtregierungsorganisationen wurden bei aller Kritik eine Reihe von „significant advances“164 beziehungsweise „important achievements“165 159  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 11: „Dennoch konnten wichtige Bestimmungen zur effektiveren Umsetzung der Leitsätze nur in unzureichendem Maße veran­ kert werden.“ Vgl. aber Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, die die Klarstellungen und Konkretisierungen der Verfahrensvorschriften ebenfalls zu der „substantial number of improvements“ zählen, Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 57. 160  „This update missed a once-in-a-decade opportunity to provide for a system capable of ensuring observance through investigative powers and the ability to impose some kind of sanction when the Guidelines are breached.“, OECD Watch Statement on the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 25.  Mai  2011, http: /  / oecdwatch.org / publications-en / Publication_3675 / , S.  1. 161  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 11. 162  So als Frage aufgeworfen auch von Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, Juni 2011. 163  BIAC Statement on the Adoption of the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 15  May  2011, 2.  Absatz, http: /  / www.biac.org / statements /  investment / 11-05-19_Final_BIAC_statement_on_updated_Guidelines_for_MCM_ 2011.pdf. 164  OECD Watch Statement on the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 25.  Mai  2011, http: /  / oecdwatch.org / publications-en / Publication_ 3675 / , S.  2. 165  Amnesty International, Public Statement, The 2010–11 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises has come to an end: the OECD must now turn into effective implementation, 23.  Mai  2011, http: /  / www.amnesty.org / en / libra ry / asset / IOR30 / 001 / 2011 / en / 601f0e2c-a8a3-4fbc-b090-c0abb3c51ab2 / ior300012011 en.pdf, Absatz 1.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

festgestellt und begrüßt166. Die Literatur kommt zu dem Ergebnis, die Überarbeitung komme „considerably closer to the side of balanced outcomes“167 und insgesamt könne „von einem ‚Upgrade‘ der Leitsätze gesprochen werden“168. Utz fasst überblicksartig zusammen: „Insgesamt ist festzustellen, dass die Verhaltensempfehlungen für Unternehmen durch die Revision des Regelwerks an die gewandelten Rahmenbedingungen des globalen Wirtschaftens angepasst werden konnten. Zentrale neue Standards wurden ergänzt, die Kohärenz zu anderen relevanten internationalen Instrumenten wurde hergestellt und der breite Umfang der erfassten Themen betont die allgemeingültige und branchenübergreifende Orientierungsfunktion der Leitsätze“.169 Unzweifelhaft wurden mit der Überarbeitung der Leitsätze 2011 bedeutende Änderungen eingebracht.170 Zu nennen sind hier vor allem: a)  Die Grundausrichtung der Leitsätze hin zu einem präventiven Ansatz mit einer besseren Integration in die Geschäfts- und Managementprozesse, und zwar im Hinblick auf alle Geschäftsbeziehungen; b)  Die Konkretisierung der menschenrechtlichen Anforderungen im Einklang mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und der Beitrag zu deren Implementierung; c)  Die Präzisierung der Anforderungen an das Umsetzungsverfahren einschließlich zusätzlicher Stellungnahme- und Begründungspflichten der Nationalen Kontaktstellen und einer verstärkten Rolle der OECD. Die Wirkung der eingefügten prozeduralen Änderungen sollte dabei nicht unterschätzt werden. Insbesondere die erhöhte Transparenz der Verfahren, 166  Forum Menschenrechte, Pressemitteilung „Chance für einen stärkeren Menschenrechtsschutz – die neuen OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“, vom 25. Mai 2011, Absatz 1: „Das Forum Menschenrechte begrüßt die überarbeiteten Leitsätze für multinationale Unternehmen (…) und Absatz 3: „Die Überarbeitung hat eine Reihe von Verbesserungen gebracht“. 167  Wenn auch vorsichtig formuliert: „Against this background and taking into account the important effectiveness criterion of acceptance among all stakeholders concerned, it seems from a broader perspective not unjustified to position the results of the 2011 update overall – on the abovementioned spectrum – considerably closer to the side of balanced outcomes“: Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 57. 168  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 11. 169  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 11. 170  Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 5, bezeichnen diese als „quite substantial“.



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen205

aber auch die den Nichtregierungsorganisationen eingeräumte Möglichkeit, den Investitionsausschuss mit der Art der Aufgabenausübung durch eine Nationale Kontaktstelle zu befassen, dürften in der Praxis erhebliche Auswirkungen haben. Der Verfahrensablauf wird durch den anvisierten Zeitrahmen gestrafft und vorhersehbarer. Die Struktur der Nationalen Kontaktstellen und die Aufgabenausübung sind an neue Kriterien geknüpft und der Ministerratsbeschluss sieht explizit eine hinreichende finanzielle und personelle Ausstattung der Nationalen Kontaktstellen vor171. Dies sind konkrete Anknüpfungspunkte für mögliche Beobachtungen im OECD-Investitionsausschuss zur Arbeitsweise einzelner Nationaler Kontaktstellen. Es besteht auch durchaus ein Interesse der Teilnehmerstaaten an einer vergleichbaren Anwendung der Verfahrensvorgaben, da dies zu gleichen Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen beiträgt. Die Verfahren werden durch die Änderungen nachvollziehbarer, vergleichbarer und effizienter. Dies dürfte den Leitsätzen und ihrem Umsetzungsmechanismus zu einem höheren Bekanntheitsgrad und Ansehen verhelfen. Die Bereitschaft der Staaten, sich einer stärkeren Überwachung ihrer Tätigkeit durch die Öffentlichkeit, Nichtregierungsorganisationen und die OECD zu unterziehen ist dabei durchaus bemerkenswert. Die Änderungen weisen zudem auf den Willen und die Bereitschaft der Staaten zur weiteren Förderung der Umsetzung hin. Dieser Wille wird auch erkennbar anhand der „proaktiven Umsetzungsagenda“, die beschlossen wurde und „die den Unternehmen dabei helfen soll, ihren Verantwortlichkeiten nachzukommen“172. Im Rahmen des Investitionsausschusses werden darüber hinaus Anleitungen für besonders schwierig zu handhabende Situationen entwickelt.173 Insgesamt scheinen die prozeduralen Änderungen durchaus geeignet, zur Erhöhung der Durchsetzungskraft der Leitsätze beizutragen. Damit ist anzuerkennen, dass die Leitsätze im Jahr 2011 insgesamt bedeutend fortentwickelt wurden und zwar in materieller wie in prozeduraler Hinsicht und unter Erweiterung ihres Anwendungsbereiches und Integration wichtiger neuer 171  Neufassung der Entscheidung des Rats in Bezug auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Abschnitt I., Ziffer 4: „Die Teilnehmerstaaten statten ihre Kontaktstellen mit Human- und Finanzressourcen aus, damit diese ihren Verantwortlichkeiten unter Berücksichtigung interner Haushaltsprioritäten und -praktiken effektiv nachkommen können“. 172  Quaedvlieg / Thorns / Klein: OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen (in der Neufassung von 2011), Eine Einführung für Unternehmen, Broschüre der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und VNO-NCV, November 2011, S. 5. 173  Beispiel: „OECD Due Diligence Guidance for Responsible Supply Chains of Minerals from Conflict-Affected and High-Risk Areas“, http: /  / www.oecd.org / daf / in ternationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / mining.htm.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Lenkungsansätze. Eine abschließende Beurteilung der Wirkungskraft der Leitsätze in ihrer heutigen Ausgestaltung sei aber Kapitel D. vorbehalten.

V. Zusammenfassung und Ausblick Die Leitsätze sind eines der ersten internationalen Instrumente, das von Staaten zur Förderung gesellschaftlich verantwortlichen Verhaltens von Unternehmen angenommen wurde. Seit ihrer Annahme im Jahr 1976 wurden die Leitsätze kontinuierlich weiterentwickelt, und zwar sowohl in ihrer thematischen Breite als auch im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit und auf den mit ihnen verbundenen Umsetzungsmechanismus. Nach wie vor sind die Leitsätze als freiwillige Empfehlungen formuliert, so dass in dieser Hinsicht keine grundlegende Wesensänderung erfolgte. Auch sind sie weiterhin Teil der Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen und können von weiteren interessierten Staaten daher nur im Verbund mit den dort zum Schutz von Auslandsinvestitionen niedergelegten Prinzipien angenommen werden. Einige der Änderungen waren aber doch fundamental − etwa die Ausdehnung ihrer Anwendbarkeit auch auf extraterritoriales Verhalten und auf alle Geschäftsbeziehungen, die Einführung des Prinzips einer risikobasierten Sorgfaltspflicht, der Ausbau der menschenrechtlichen Maßstäbe und die Einrichtung eines Umsetzungsverfahrens bei den Nationalen Kontaktstellen, welches auch Nichtregierungsorganisationen offen steht und dessen Funktionsweise von der OECD eng begleitet wird. Zur Entwicklung der Leitsätze passt daher das geflügelte Wort von der „Evolution, nicht Revolution“. Auch die Überarbeitung der Leitsätze 2011 bedeutete keine revolutionäre Wesensänderung etwa im Sinne einer rechtlichen Verbindlichkeit. Die Anwendbarkeit und Bedeutung der Leitsätze steigerte sich aber stetig und erheblich. Die Änderungen von 2011 weisen dabei auf ein kontinuierliches Problembewusstsein sowie den Willen der Staaten zur Professionalisierung und Erhöhung der faktischen Durchsetzungskraft der Leitsätze hin. Wesentlichen Kritikpunkten an der Wirkungsweise der Leitsätze, wie dem Investitionsbezug174 und dem absoluten Vorrang nationalen Rechts175, wurden bei dieser Überarbeitung die Spitze genommen176. Entscheidende Erweiterungen wie die Einführung einer Sorgfaltspflicht fördern die tatsächliche Einhaltung der Empfehlungen, ebenso wie einige Stärkungen des Umsetzungsverfahrens. sogenannten investment nexus siehe oben A.IV.2.a). siehe ausführlich unten B.III.1.c). 176  Zu diesen beiden Kritikpunkten vgl. z. B. Vgl. Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, S. 141. 174  Zum

175  Hierzu



A. Entwicklung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen207

Die Überarbeitung erfolgte dabei unter maßgeblicher Einbeziehung der Interessensvertreter sowie internationaler Organisationen und Experten. Dem Zusammenwirken der staatlichen CSR-Instrumente und der inhalt­ lichen Kohärenz im menschenrechtlichen Bereich wird dabei zunehmend Beachtung geschenkt. Im Ergebnis können die Leitsätze 2011 daher als ein von Konsens getragenes, den „state of the art“ wiedergebendes Instrument angesehen werden. Sie sind unter den CSR-Instrumenten das umfassendste und zeichnen sich neben dem Umsetzungsverfahren durch ein praxisnahes Herangehen an die Problemstellungen aus. Die Leitsätze sind dabei ein „living instrument“177, das sich auch weiterhin kontinuierlich fortentwickeln wird. Nicht nur besteht die Revisionsklausel in Ziffer VI. der Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen fort. Es ist auch angesichts des Engagements vieler Staaten und der OECD, das sich auch aus den Jahresberichten ablesen lässt, davon auszugehen, dass die gegenwärtige Fassung der Leitsätze einem Praxistest unterzogen und in Abhängigkeit von den Erfahrungen und den Weiterentwicklungen anderer Instrumente und der wirtschaftlichen Gegebenheiten zu einem späteren Zeitpunkt erneut angepasst werden wird. Die Entwicklung, die das Instrument dann nehmen wird, ist selbstverständlich offen. In Anlehnung an die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte könnte aber möglicherweise die Anknüpfung an multina­ tionale Unternehmen gänzlich aufgegeben werden.178 In Anlehnung an den Anwendungsbereich der Norm ISO 26000 könnte gar eine Ausdehnung auf andere Organisationseinheiten als Unternehmen, namentlich auf Nichtregierungsorganisationen, zur Debatte stehen.179 Eine solch weitreichende Änderung würde aber wohl mit der Herauslösung der Leitsätze aus der Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen einhergehen. Schließlich ist angesichts des sich weit über die OECD-Mitgliedstaaten erstreckenden Anwendungsbereiches der Leitsätze die Titulierung als „OECD“-Leitsätze teilweise irreführend. Da die Leitsätze allerdings hier 177  Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 56 ff. 178  Zur Anwendbarkeit der Leitsätze auf Unternehmen im Allgemeinen siehe oben Teil 1, A.II. und B.I.2.b). 179  Diskutiert wurde unter den Nationalen Kontaktstellen bereits die mögliche Anwendbarkeit der Leitsätze auf Nichtregierungsorganisationen, sofern diese ökonomisch handeln – zum Beispiel einen großen Druckauftrag in einem Nicht-Teilnehmerstaat unter dortigen Arbeitsbedingungen in Auftrag geben (vgl. OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Jahresbericht 2011, S. 37). Dieser Ansatz ist aus dem Bereich der Norm ISO 26000 bekannt.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

ihren Ursprung haben und die Umsetzung der Leitsätze eng von der OECD begleitet wird, ist diese Bezeichnung dennoch weiterhin gerechtfertigt. Der gegenwärtige Entwicklungsstand der Leitsätze dürfte jedenfalls nur eine weitere Etappe in ihrem Werdegang darstellen. Um den Beitrag, den die Leitsätze in ihrer heutigen Ausgestaltung zum Schutz der Menschenrechte leisten können näher zu identifizieren, sollen deren menschenrecht­ liche Vorgaben nun näher betrachtet werden.

B. Ausgestaltung des Menschenrechtsschutzes nach den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen Die Leitsätze enthielten von ihrer Annahme 1976 an menschenrecht­liche Aspekte. Zu Beginn waren diese allerdings ausschließlich auf das Verhältnis des Unternehmens zu seinen Arbeitnehmern bezogen. Bei der Revision der Leitsätze im Jahr 2000 wurde eine allgemeine Menschenrechtsklausel eingefügt und im Jahr 2011 sodann ein eigenes menschenrechtliches Kapitel. Diese Entwicklung und die Reichweite der heute an die Unternehmen gerichteten Erwartungen im Bereich der Menschenrechte werden im Folgenden näher dargestellt.

I. Menschenrechtliche Vorgaben in den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen bis 2011 Die Leitsätze in der Fassung von 1976 enthielten keine Angaben zu einer allgemeinen Verantwortung von Unternehmen in Bezug auf Menschenrechte. Bestandteil dieser ersten Fassung der Leitsätze war aber bereits das Kapitel „Beschäftigung und Beziehungen zwischen den Sozialpartnern“.180 Dieses Kapitel wurde mit den folgenden Überarbeitungen der Leitsätze ergänzt, bis mit der Überarbeitung im Jahr 2000 „alle international anerkannten Kernarbeitsnormen umfasst“181 waren. Die „wichtigsten im Rahmen der ILO verhandelten und ausgearbeiteten Verträge“ wiederum „sind als Teil des internationalen Menschenrechtsschutzregimes zu betrachten“182. Somit 180  OECD Guidelines for Multinational Enterprises, vom 21. Juni 1976, International Legal Materials 15 (1976), S. 969. 181  Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66 (2006), S. 625, S. 648. 182  Ipsen, Völkerrecht, 5. Auflage, München 2004, S. 777 f., Rz. 8, S. 779, Rz. 12. Als Teil der Gewährleistung der Menschenrechte im Sinne der Corporate Social ­Responsibility sieht Koeltz die Kernarbeitsnormen der ILO von 1998, Koeltz, ­Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, Berlin 2010, S. 63.



B. Ausgestaltung der menschenrechtlichen Anforderungen209

enthielten die Leitsätze von Anbeginn an menschenrechtliche Komponenten, die zunächst aber auf das Verhältnis des Unternehmens zu seinen Arbeitnehmern ausgerichtet waren. Bei der Überarbeitung der Leitsätze im Jahr 2000 wurde der Umfang des Menschenrechtsschutzes erheblich erweitert und eine allgemeine menschenrechtliche Klausel in die Allgemeinen Grundsätze der Leitsätze eingefügt. Zusätzlich wurden spezifische menschenrechtliche Ergänzungen vorgenommen, wie etwa explizite Empfehlungen über die Abschaffung der Kinderund Zwangsarbeit im Kapitel „Beschäftigung“.183 Die in Kapitel II, Ziffer 2 der Leitsätze eingefügte allgemeine menschenrechtliche Klausel besagte, die Unternehmen sollten „die Menschenrechte der von ihrer Tätigkeit betroffenen Personen respektieren, im Einklang mit internationalen Verpflichtungen und Engagements der Regierung des Gastlandes“.

Auch wenn diese Formulierung sehr allgemein gehalten war, so bezogen sich doch etliche der vor die Nationalen Kontaktstellen gebrachten Einzelfälle hierauf oder auf die im Kapitel „Beschäftigung und Beziehungen zwischen Sozialpartnern“ enthaltenen Menschenrechte. Die menschenrechtlichen Standards, die die Nationalen Kontaktstellen an das Verhalten der Unternehmen auch vor 2011 angelegt haben, sind dabei wesentlich spezifischer als diese allgemeine Formel vermuten lässt.184 Die Klausel stellte zum ersten Mal eine generelle Pflicht der Unternehmen auf, Menschenrechte nicht nur im Hinblick auf ihre Arbeitnehmer, sondern auch im Hinblick auf andere Personen zu respektieren. Anknüpfungspunkt sind dabei die Unternehmensaktivitäten und die hiervon betroffenen Personen. Dieser Ansatz wird auch deutlich in den Erläuterungen zu den Leitsätzen, wo es hieß, zwar liege „die Verantwortung für die Förderung und Wahrung der Menschenrechte in erster Linie bei den Regierungen, doch haben die Unternehmen dort, wo sich unternehmerisches Verhalten und Menschenrechte berühren, durchaus eine Rolle zu spielen; deshalb werden die multinationalen Unternehmen dazu angehalten, die Menschenrechte nicht nur bei den Beziehungen zu ihren Arbeitnehmern, sondern auch im Hinblick auf andere, von ihren Aktivitäten betroffene Personen (…) zu respektieren“185. 183  Eine erschöpfende Zusammenstellung aller Vorgaben der Leitsätze i. d. F. von 2000 mit menschenrechtlicher Relevanz findet sich bei Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 66(2006), S. 625, S. 648. 184  Vgl. die unter C.II.3. aufgeführten Stellungnahmen. 185  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, i. d. F. vom 27. Juni 2000, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 4, Satz 3.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Als Bezugsrahmen zur materiellen Ausfüllung dieser Klausel nennen die Leitsätze von 2000 den „internationalen Regulierungsrahmen für die Geschäftstätigkeit von Unternehmen“, welcher „beginnend mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 schrittweise entwickelt“ worden sei186. Die beiden internationalen Menschenrechtspakte von 1966 – der Internationale Pakt für bürgerliche und politische Rechte und der Internationale Pakt für soziale, kulturelle und wirtschaftliche Rechte – werden hingegen nicht genannt. Diese Pakte sollten offenbar nur dann Verhaltensmaßstäbe für die Unternehmen liefern können, wenn der jeweilige Staat diese auch ratifiziert hat. Die Erläuterungen zu den Leitsätzen präzisierten hierzu, multinationale Unternehmen würden „dazu angehalten, die Menschenrechte (…) entsprechend den internationalen Verpflichtungen und Engagements der Gastlandregierung zu respektieren. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und andere zu Fragen der Menschenrechte eingegangene Verpflichtungen der betreffenden Regierungen“187. Maßstab für den Umfang extraterritorialer menschenrechtlicher Verpflichtungen war daher nicht der menschenrecht­ liche Standard des Heimatstaates oder ein international anerkannter Menschenrechtsstandard, sondern der menschenrechtliche Standard des Gast­ staates. Zu bedenken ist dabei, dass die von der Gastlandregierung „eingegangenen Verpflichtungen“ nicht nur ratifizierte Vertragswerke umfassen, sondern auch den Bestand an völkergewohnheitsrechtlich geltenden Menschenrechten einschließlich Normen des jus cogens. Für Fälle scheinbar widersprüchlicher Anforderungen aus den Leitsätzen einerseits und dem nationalen Recht des Gastlandes andererseits stellten die Leitsätze klar, dass sie keine dem nationalen Recht entgegenstehenden Anforderungen an das Verhalten von Unternehmen stellen würden.188 In den Erläuterungen hieß es weiter: „Die erste Pflicht der Unternehmen besteht in der Einhaltung des geltenden Rechts der jeweiligen Länder. Die Leitsätze sind weder ein Ersatz für nationale Gesetze und Vorschriften, noch dürfen sie als diesen übergeordnet angesehen werden. Sie stellen ergänzende Grundsätze und Verhaltensmaßstäbe ohne rechtsverbindlichen Charakter dar, die sich insbesondere auf internationale Transaktionen dieser Unternehmen beziehen. Wenn der Anwendungsbereich der Leitsätze auch vielfach über den der Gesetze hinausgeht, dürfen sie doch weder dazu führen noch be186  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, i. d. F. vom 27. Juni 2000, Einführung, Ziffer 8. 187  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, i. d. F. vom 27. Juni 2000, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 4, Satz 3. 188  In Absatz 1 der Begriffs- und Grundsatzfestlegungen der Leitsätze heißt es „Sie enthalten Grundsätze und Maßstäbe für gute Praktiken im Einklang mit dem geltenden Recht“, OECD-Leitsätze (2000), I.1. Satz 2.



B. Ausgestaltung der menschenrechtlichen Anforderungen211

zwecken, ein Unternehmen mit widersprüchlichen Auflagen zu konfron­ tieren“189. Dieser Vorrang des nationalen Rechts ist absolut formuliert, unabhängig von den eingegangenen internationalen Verpflichtungen der Gastländer. Bei mangelnder Umsetzung dieser internationalen Verpflichtungen des Gastlandes in sein nationales Recht wären diese Maßgaben daher im Konfliktfalle für die Unternehmen nicht von Relevanz.

II. Bedeutung der Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte für die Aktualisierung der Leitsätze 2011 Die Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte190 hatten einen entscheidenden Einfluss auf die Arbeiten zur Aktualisierung der Leitsätze, die 2009 begannen. Der durch den sogenannten RuggieProzess angestoßene Diskurs zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte unterstrich einen Anpassungsbedarf der Leitsätze und nahm Einfluss auf deren inhaltliche Ausgestaltung. In Bezug auf die menschenrechtliche Klausel der Leitsätze hielten die Teilnehmerstaaten in den sogenannten Terms of References für die Überarbeitung der Leitsätze fest, dass eine ausführlichere Anleitung zur Einhaltung menschenrechtlicher Standards, gegebenenfalls in einem eigenen Kapitel und insbesondere zurückgreifend auf die Arbeiten des UNSonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte entwickelt werden sollte.191 Mit der Formulierung „should develop“ wurde eine Weiterentwicklung der Klausel als klares Ziel formuliert. Diese Festlegung ebenso wie das Tempo der Abfassung eines eigenständigen Menschenrechtskapitels für die Leitsätze ist in hohem Maße der Präsenz des Themas durch die Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte zu verdanken. Kern dieser Arbeiten ist dabei die Formel „Protect, Respect, Remedy“ aus dem Rahmenwerk des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte (auch Ruggie-Framework genannt) mit der auf Unternehmen bezogenen Pflicht zur Achtung der Menschenrechte oder „responsibility to respect“. Die Verwendung des Begriffes „respect“ im Zusammenhang mit der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen ist nicht neu, forderten doch bereits der Draft UN Code of Conduct on Transnational Corporations192, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen von 2000 und 189  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, i. d. F. vom 27. Juni 2000, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 2. 190  Siehe oben Teil 1, C.II.1.d). 191  Terms of Reference for an Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 4. Mai 2010, S. 3. 192  Siehe oben Teil 1, C.II.1.a).

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

der Entwurf über UN Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights von 2003193 den „Respekt“ der Menschenrechte durch multinationale Unternehmen. Die Reichweite dieser Pflicht warf allerdings konzeptionelle Fragen auf, die bis dato nicht hinreichend beantwortet worden waren. Hier legten das Rahmenwerk und die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte wichtige Grundsteine. Die Erläuterungen zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen nehmen ausdrücklich Bezug auf das UNRahmenwerk „Protect, Respect, Remedy“ und erklären die Übereinstimmung der OECD-Leitsätze mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.194 Bedenkt man, dass die UN-Leitprinzipien zeitlich erst nach der geänderten Fassung der OECD-Leitsätze angenommen wurden, wird die enge Verzahnung in der Entwicklung der beiden Instrumente und die klare Erwartungshaltung gegenüber einer baldigen Annahme der UNLeitprinzipien deutlich. Mit diesen Bezugnahmen sind sowohl das UN-Rahmenwerk als auch die UN-Leitprinzipien legitimer und notwendiger Referenzrahmen für die Auslegung des Kapitels IV der Leitsätze und finden inzident Anwendung in den Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen. Diese Implementierung macht eine nachhaltige Akzeptanz der UN-Leitprinzipien deutlich. Eindeutig waren die Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten daher ein „breakthrough“ und keine „further polarization“195. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte bestärken sich damit gegenseitig in ihren Wirkungen zugunsten einer verstärkten Achtung der Menschenrechte durch (multinationale) Unternehmen, wobei die Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten wichtiger Katalysator für die Aufnahme des Kapitels Menschenrechte in die Leitsätze waren.

III. Das Menschenrechtskapitel und weitere menschenrechtliche Ergänzungen in den Leitsätzen 2011 Mit der Aktualisierung der Leitsätze im Jahr 2011 wurde ein neues Kapitel IV mit dem Titel „Menschenrechte“ eingefügt. Dieses Kapitel ergänzt die 193  Siehe

oben Teil 1, C.II.1.c). für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 36. 195  Vgl. Nowrot, The 2006 Interim Report of the UN Special Representative on Human Rights and Transnational Corporations: Breakthrough or Further Polariza­ tion?, Halle (Saale), http: /  / telc.jura.uni-halle.de / de / node / 24. 194  OECD-Leitsätze



B. Ausgestaltung der menschenrechtlichen Anforderungen213

allgemeine Menschenrechtsklausel in Kapitel II, die maßgeblich umformuliert wurde. Das Kapitel „Beschäftigung und Beziehungen zwischen den Sozialpartnern“ wurde als eigenständiges Kapitel belassen.196 Die an die Unternehmen gerichteten Erwartungen im Bereich des Menschenrechtsschutzes wurden durch die Änderungen unterstrichen, erweitert und präzisiert. 1. Umfang der geschützten Rechte a) Gesamtheit der international anerkannten Menschenrechte als Maßstab Nach der allgemeinen Menschenrechtsklausel in Ziffer 2 der Allgemeinen Grundsätze der Leitsätze sollen Unternehmen nunmehr „die international anerkannten Menschenrechte der von ihrer Tätigkeit betroffenen Personen respektieren“197.

Auch im ersten Absatz des vierten Kapitels der Leitsätze ist von „international anerkannten Menschenrechten“ die Rede.198 Als international anerkannte Menschenrechte werden nach den Erläuterungen die zur „Internationalen Menschenrechtscharta“199 gehörenden Instrumente angesehen, nämlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte200, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)201 und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR)202. Ferner sei „auf die grundlegenden Prinzi­ pien (…) zu verweisen, die in der Erklärung der Internationalen Arbeitsorganisation von 1998 über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit angelegt sind“203. Ausdrücklich wird zudem in den Erläuterungen darauf hingewiesen, dass nicht von vornherein bestimmte Menschenrechte aus dem Blickfeld genommen werden sollen. Grundsätzlich sei eine Beeinträchtigung aller Men196  Geändert hat sich allerdings durch den Einschub des Menschenrechtskapitels die Nummerierung. Das Kapitel „Beschäftigung und Beziehungen zwischen Sozialpartnern“ ist nun nicht mehr Kapitel IV, sondern Kapitel V der Leitsätze. 197  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 2. 198  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Satz 1. 199  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 39. 200  Siehe oben Teil 1, Fußnote 65. 201  Siehe oben Teil 1, Fußnote 66. 202  Siehe oben Teil 1, Fußnote 66. 203  OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 39.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

schenrechte in Zusammenhang mit unternehmerischen Aktivitäten denkbar.204 Eine Unterscheidung etwa zwischen wirtschaftlich-sozialen Rechten oder politischen Rechten wird nicht getroffen. Aus Gründen der Praktikabilität scheint aber eine besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich derjenigen Rechte sinnvoll, für die in dem jeweiligen Sektor und der jeweiligen Situation ein besonders hohes Verletzungsrisiko besteht. Die Leitsätze gestatten eine solche Priorisierung und unterstützen damit die Verbesserung der Menschenrechtssituation in besonders gefährdeten Bereichen.205 Diese Orientierung an der Realität führt auch dazu, dass bei entsprechender Gefährdungslage von den Unternehmen auch die Berücksichtigung weiterer UN Standards – wie die zum Schutz Indigener206, zum Schutz von Minderheiten207, Frauen208, Kindern209, Behinderten210 und Wanderarbeitern211 – sowie des Humanitären Völkerrechts gefordert wird.212 Der Verweis auf diese Instrumente macht es für die Leitsätze entbehrlich, Einzelheiten zum Umgang mit diesen Personengruppen auszuführen.213

204  OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 40, Satz 1: „Enterprises can have impact on virtually the entire spectrum of internationally recognised human rights“. Zum Diskurs über eine mögliche Unterscheidung nach der faktischen Verletzbarkeit durch Unternehmen siehe oben Teil 1, C.II.2.b)aa). 205  Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 40, Satz 2.: „In practice, some human rights may be at greater risk than others in particular industries or contexts, and therefor will be the focus of heightened attention.“ 206  UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, http: /  / www2.ohchr.org /  english / issues / indigenous / declaration.htm. 207  UN Declaration on the Rights of Persons belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities, http: /  / www.ohchr.org / EN / Issues / Minorities / Pa ges / MinoritiesIndex.aspx. 208  UN Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women, http: /  / www2.ohchr.org / english / law / cedaw.htm. 209  UN Convention on the Rights of the Child, http:  /  / www2.ohchr.org / english /  law / crc.htm. 210  UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities, http: /  / www.un.org /  disabilities / conventioc / conventionfull.shtml. 211  UN International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families, http: /  / www2.ohchr.org / english / law / cmw. htm. 212  OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 40. 213  Vgl. so noch der Entwurf für die Aktualisierung der Leitsätze, DAF / INV / WP(2010)6, S. 3, Box 3, Entwurf für Erläuterungen, Absätze 2, 3, 5 und 6.



B. Ausgestaltung der menschenrechtlichen Anforderungen215

b) Verhältnis zu den eingegangenen Menschenrechtsverpflichtungen des Gaststaates Bislang galt, dass Unternehmen die Menschenrechte respektieren sollten „im Einklang mit internationalen Verpflichtungen und Engagements der Regierung des Gastlandes“214. Inhaltlich nahmen die Leitsätze lediglich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die ILO Erklärung über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit Bezug215, nicht aber auf die internationalen Menschenrechtspakte. Diese sollten offenkundig nur dann Orientierungsmaßstab für die Unternehmen sein, wenn das jeweilige Gastland diesen Pakt ratifiziert hatte. Ziffer 2 der Allgemeinen Grundsätze verzichtet in ihrer Neufassung nun auf diesen Zusatz und stellt allein auf den „international anerkannten Menschenrechtsstandard“ ab.216 Im Menschenrechtskapitel der Leitsätze finden die eingegangenen Verpflichtungen des Gaststaates zwar noch Erwähnung, aber nur noch als eine von mehreren Orientierungsgrößen. Im ersten Absatz des neuen Kapitels IV der Leitsätze ist formuliert: „Die Unternehmen sollten im Rahmen der international anerkannten Menschenrechte, der von den Ländern, in denen sie tätig sind, eingegangenen internationalen Menschenrechtsverpflichtungen sowie der einschlägigen nationalen Gesetze und Vorschriften: 1.  Die Menschenrechte achten (…)“217.

Die vom Gaststaat eingegangenen internationalen Menschenrechtsverpflichtungen stehen nun also nicht mehr über, sondern neben dem „Rahmen der international anerkannten Menschenrechte“. Dieser ist allerdings zuerst genannt und bildet einen eigenständigen Maßstab für unternehmerisches Verhalten. Dies wird durch Ziffer 2 der Allgemeinen Grundsätze in Kapitel II bestätigt. Diese Loslösung vom nationalen Kontext scheint zunächst in einem gewissen Widerspruch zum souveränen Recht eines jeden Staates zu stehen, den in seinem Hoheitsgebiet geltenden Menschenrechtsstandard zu bestim214  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, i. d. F. vom 27. Juni 2000, Kapitel II, Ziffer 2. Dies wurde untermauert in den Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 4: „und andere zu Fragen der Menschenrechte eingegangene Verpflichtungen der betreffenden Regierungen“. 215  Vgl. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, i. d. F. vom 27. Juni 2000, Einführung, Ziffer 8 und OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, i. d. F. vom 27. Juni 2000, Erläuterungen zu den allgemeinen Gründsätzen, Ziffer 4. 216  Der Wortlaut der Klausel ist zitiert unter B.III.1.a). 217  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Satz 2 und Ziffer 1.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

men. Angesichts des innerstaatlichen Anknüpfungspunktes der Leitsätze218 besteht aber keine Kollision mit dem Verbot der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten219, zumal es sich nicht um rechtsverbindliche Vorgaben handelt. Folglich ist der Referenzrahmen für unternehmerisches Verhalten mit der Überarbeitung der Leitsätze 2011 deutlich erweitert und von dem Ratifikationsverhalten der Gaststaaten losgelöst worden. Diese Weichenstellung wird bestätigt in den Erläuterungen, wo ausdrücklich festgestellt wird, dass keine Abhängigkeit von dem Verhalten und den internationalen Verpflichtungen des Gastlandes besteht: „In allen Fällen und unabhängig von dem Land oder dem spezifischen Kontext, in dem Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit ausüben, ist zumindest auf die international anerkannten Menschenrechte hinzuweisen, die in der Internationalen Menschenrechtscharta ausgedrückt sind“220.

Damit reflektiert die Neufassung der Leitsätze ein geändertes Verständnis vom Umfang der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen. Die Unabhängigkeit von den internationalen Verpflichtungen des Gaststaates ist ein bedeutender qualitativer Schritt in der Entwicklung des Verständnisses unternehmerischer Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte. c) Verhältnis zum nationalen Recht des Gaststaates Dies bedeutet freilich nicht, dass die nationalen Gegebenheiten und insbesondere das nationale Recht keinerlei Maßstab für das unternehmerische Verhalten mehr bieten. Im Gegenteil bildet die „Einhaltung des geltenden Rechts der jeweiligen Länder“ auch weiterhin die „erste Pflicht der Unternehmen“, was nun sogar noch deutlicher hervorgehoben ist.221 Dieser Hinweis ist auch verständlich, da Unternehmen als Rechtssubjekte den jeweiligen nationalen Gesetzen unterworfen sind und nicht zum Rechtsbruch aufgefordert werden sollen. 218  Die Leitsätze finden nur Anwendung auf das Verhalten von Unternehmen, die auf dem Hoheitsgebiet der Teilnehmerstaaten operieren, OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 3, Satz 2. 219  Zur Problematik der heimatstaatlichen Regulierung des extraterritorialen Verhaltens multinationaler Unternehmen und den durch das Interventionsverbot gesetzten Grenzen siehe oben Teil 1, C.I.2.b)aa). 220  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 39, Satz 1. 221  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 2, Satz 1. Bislang fand sich diese Formulierung nur in den Erläuterungen, vgl. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, i. d. F. vom 27. Juni 2000, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 2, Satz 1.



B. Ausgestaltung der menschenrechtlichen Anforderungen217

aa) Abweichende Anforderungen Denkbar ist aber zunächst, dass die Anforderungen der Leitsätze über das nationale Recht hinausgehen, ohne dass die Einhaltung dieser Anforderungen einen Bruch nationalen Rechts bedeuten würde. Dies kann zum Beispiel bei Genehmigungen der Fall sein, die nach national-rechtlichen Vorgaben erteilt wurden, deren Nutzung aber internationale Menschenrechtsstandards verletzen würde. Hier ist mit der Fassung der Leitsätze von 2011 klar gestellt, dass das Unternehmen sich nicht alleinig auf die nach nationalem Recht erteilte Genehmigung stützen darf. Es hat vielmehr eine eigenständige Prüfung am Maßstab internationaler Menschenrechtsstandards zu seinem geplanten Verhalten durchzuführen und im Zweifelsfall auf die Ausübung der Genehmigung zu verzichten. Diese Fragestellung ist insbesondere relevant bei großen Infrastrukturprojekten, denen durchaus aufwändige nationale Genehmigungsverfahren vorausgehen.222 Es ist daher nicht ausreichend zu argumentieren, ein bestimmtes Verhalten sei durch nationales Recht erlaubt. Ebenso ist es nicht ausreichend darauf zu verweisen, ein bestimmtes Verhalten sei durch nationales Recht nicht vorgeschrieben oder nicht eingefordert. In den Erläuterungen zur Neufassung der Leitsätze wird nunmehr auch klar gestellt, dass eine mangelnde Umsetzung internationaler Verpflichtungen in nationales Recht oder die mangelnde Durchsetzung entsprechenden nationalen Rechts nicht den vom Unternehmen anzuwendenden Menschenrechtsstandard senkt: „Die Achtung der Menschenrechte ist unabhängig von der Kapazität und / oder der Bereitschaft der Staaten, die von ihnen eingegangenen Menschenrechtsverpflichtungen zu erfüllen“223 und die „Tatsache, dass ein Staat einschlägige nationale Gesetze nicht durchsetzt bzw. eingegangene internationale Menschenrechtsverpflichtungen nicht umsetzt oder dass er diesen Gesetzen bzw. internationalen Verpflichtungen möglicherweise zuwiderhandelt, verringert nicht die Verantwortung der Unternehmen, die Menschenrechte zu achten“224. 222  So prüfte im Fall BHP Billiton PLC die NKS des Vereinigten Königreiches das mögliche Auseinanderfallen von internationalem Menschenrechtsstandard und nationaler Genehmigung. Im konkreten Fall kam sie allerdings zu der Auffassung, sie habe „no reason to question Mozambique’s observation of its international commitments, in particular those contained in the African Charter.“, Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from Justiça Ambiental et al. against BHP Billiton PLC (on Mozal SARL) in Mozambique, September 2012, S. 24. 223  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 37, Satz 2. 224  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 38, Satz 1.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

bb) Widersprüchliche Anforderungen (conflicting requirements) Problematisch sind Fälle, in denen die Einhaltung des internationalen Menschenrechtsstandards einen Konflikt mit dem nationalen Recht bedeuten würde. Angesichts des „freiwilligen“ Charakters der Leitsätze scheint hier zunächst der Vorrang des nationalen Rechts auf der Hand zu liegen. Allerdings machen die Leitsätze nunmehr auch für diese Fälle deutlich, dass Unternehmen sich nicht ausschließlich am nationalen Recht orientieren dürfen und dessen Vorgaben nicht unbesehen als Rechtfertigungsgrund für eine etwaige Untätigkeit zu Lasten menschenrechtlicher Standards nutzen können.225 Von den Unternehmen werden stattdessen positive Anstrengungen gefordert, den Menschenrechten im Rahmen des nationalrechtlich Zulässigen dennoch so weit wie möglich zur Geltung zu verhelfen: „In Ländern, in denen die nationalen Gesetze und Vorschriften mit den interna­ tional anerkannten Menschenrechtsstandards in Konflikt stehen, sollten sich die Unternehmen (…) um Mittel und Wege bemühen, sie so weit wie irgend möglich einzuhalten, ohne mit dem geltenden Recht des jeweiligen Landes in Konflikt zu geraten“226.

Damit sind die Unternehmen aufgefordert, kreativ nach Spielräumen für eine Verbesserung der konkreten Menschenrechtssituation zu suchen. Dies sei am Beispiel eines gesetzlichen Gewerkschaftsverbotes deutlich gemacht: Zwar würde sich das Unternehmen in einen Konflikt mit nationalem Recht begeben, wenn es die Gründung einer Gewerkschaft in seinen Betrieben zuließe. Dies bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass nicht andere Formen der Interessensvertretung auf Seiten der Belegschaft zugelassen oder gefördert werden können, die der Wahrung ihrer Interessen dienen, ohne mit dem Gesetz in direktem Konflikt zu stehen. Das Finden solcher Lösungen erfordert eine aktive Auseinandersetzung mit der konkreten rechtlichen und tatsächlichen Situation und der betreffenden menschenrechtlichen Interessen­ lage. Dabei sind alle zulässigen Verbesserungen herbeizuführen. Dies gilt auch dann, wenn eine volle Gewährleistung des menschenrechtlichen Standards hierdurch nicht möglich ist. Dieser Ansatz könnte als „Optimierungsgebot“ bezeichnet werden. 225  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 2, Satz 4 enthält den Grundsatz, dass sich Unternehmen im Falle von Konflikten zwischen nationalem Recht und den Maßstäben der Leitsätze „um Mittel und Wege bemühen“ sollten, die „Grundsätze und Standards so weit wie irgend möglich einzuhalten, ohne mit dem geltenden Recht des jeweiligen Landes in Konflikt zu geraten“. Siehe auch das vorangegangene Kapitel. 226  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 38, Satz 2. Der allgemeine Grundsatz aus Kapitel I, Ziffer 2, Satz 4 der Leitsätze wird damit klarstellend auch auf die international anerkannten Menschenrechte angewandt.



B. Ausgestaltung der menschenrechtlichen Anforderungen219

Dieses Optimierungsgebot könnte auch im Falle einer rechtlichen Verbindlichkeit des internationalen Menschenrechtsstandards für Unternehmen gelten. Dies hängt davon ab, ob die jeweilige nationale Rechtsordnung dem internationalen Recht einen Geltungs- oder Anwendungsvorrang etwa im Sinne des Art. 25 GG eingeräumt hat. In diesem Fall hätte die Einhaltung des internationalen Menschenrechtsstandards Vorrang vor der Einhaltung der entgegenstehenden nationalen Rechtsvorschrift, so dass kein Rechtsbruch gegeben wäre. In der überwiegenden Anzahl der Staaten herrscht aber nach wie vor ein dualistisches Verständnis vom Verhältnis zwischen Völkerrecht und nationalem Recht vor, das heißt die Rechtsordnungen werden als getrennt voneinander betrachtet und die Problematik der conflicting requirements besteht fort. Als weitere Orientierung für angemessenes Verhalten in diesen Fällen könnten die 2011 neu eingeführten Maßstäbe zur Vermeidung der Beteiligung an gaststaatlichen Menschenrechtsverletzungen dienen.227 Denn wenn in diesen Fällen Einzelfallabwägungen über die Fortsetzung der wirtschaftlichen Aktivität zulässig sein können, muss dies entsprechend auch dann gelten, wenn es dem Unternehmen durch die Einhaltung nationalen Rechts zwangsläufig nicht möglich ist, einzelnen internationalen menschenrechtlichen Standards voll zu entsprechen. Jedenfalls aber ist von den Unternehmen gefordert, sich am Maßstab der internationalen Menschenrechtsstandards aktiv um die jeweils bestmögliche Verwirklichung der Menschenrechte zu bemühen. Diese neue Betonung dürfte den gesellschaftlichen Erwartungen an eine menschenrechtliche Schutzvorschrift besser entsprechen als die bisherige Fassung der Leitsätze und ist bei der Auslegung des Kapitels IV stets zu berücksichtigen. d) Ergänzungen in Kapitel V „Beschäftigung und Beziehungen zwischen den Sozialpartnern“ Bei der Überarbeitung der Leitsätze 2011 wurde auch das Kapitel „Beschäftigung und Beziehungen zwischen den Sozialpartnern“ ergänzt. Wichtigste Neuerung ist dabei eine im Vorfeld unter der Bezeichnung „decent living wage“ diskutierte Pflicht. In Kapitel V, Ziffer 4, Lit. b) heißt es nunmehr, die Unternehmen sollten: „wenn multinationale Unternehmen in Entwicklungsländern tätig werden, wo vergleichbare Arbeitgeber vielleicht nicht existieren, im Einklang mit dem staat­ lichen Politikrahmen die bestmöglichen Löhne, Leistungen und Arbeitsbedingungen bieten. Diese sollten mit der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens in Zu227  Zu

diesen Maßstäben siehe unten B.III.3.c).

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

sammenhang stehen und zumindest hinreichend sein, um den Grundbedürfnissen der Arbeitnehmer und ihrer Familien gerecht zu werden“.

Vergleichbare Arbeitgeber sind dabei jene des Gastlandes, die sonst den Mindeststandard für die zu beachtenden Beschäftigungsbedingungen vorgeben.228 e) Ergebnis Der Umfang der den Unternehmen als Maßstab dienenden Menschenrechte ist denkbar weit. Es erfolgt nunmehr eine Orientierung an den interna­ tionalen Menschenrechtsinstrumenten, unabhängig von den gaststaatlich eingegangenen Verpflichtungen. Je nach Kontext können auch spezifische menschenrechtliche Instrumente relevant sein. Mangelnde Vorgaben aus den eingegangenen internationalen Verpflichtungen des Gaststaates oder dessen nationalem Recht entbinden nach dem heutigen Verständnis der Leitsätze nicht von der eigenständigen, am internationalen Standard orientierten menschenrechtlichen Verantwortung des Unternehmens.229 Ebenso wenig darf sich ein Unternehmen schlicht auf eine Genehmigung stützen, die für ein bestimmtes Vorhaben entsprechend dem nationalen Recht erteilt wurde. Lediglich die etwaige Verletzung na­ tionalen Rechts kann eine Grenze für die Umsetzung der Anforderungen aus den Leitsätzen darstellen. Die Problematik kollidierender Vorgaben aus den internationalen Menschenrechtsstandards einerseits und dem jeweiligen nationalen Recht andererseits ist aber durch die Einführung eines „Optimierungsgebotes“ maßgeblich zugunsten der Verwirklichung der Menschenrechte angepasst worden. Entgegenstehendes nationales Recht entbindet daher nicht von einer Auseinandersetzung mit der Menschenrechtssituation der Betroffenen und der Suche nach rechtlich zulässigen Alternativen. Das Dilemma widersprüchlicher Anforderungen zwischen nationalen und internationalen menschenrechtlichen Vorgaben wird sich auch in Zukunft nicht gänzlich aufheben lassen. Als weitere Orientierung für angemessenes Verhalten können aber die ebenfalls 2011 neu eingeführten Maßstäbe zur Ver228  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel V, Ziffer 4 a): Unternehmen sollten „In Bezug auf Beschäftigungsbedingungen und Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen nicht weniger günstige Standards beachten, als sie von vergleichbaren Arbeitgebern des Gastlands angewendet werden.“ 229  Vgl. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 38, Satz 1: „Die Tatsache, dass ein Staat einschlägige nationale Gesetze nicht durchsetzt bzw. eingegangene internationale Menschenrechtsverpflichtungen nicht umsetzt oder dass er diesen Gesetzen bzw. internationalen Verpflichtungen möglicherweise zuwiderhandelt, verringert nicht die Verantwortung der Unternehmen, die Menschenrechte zu achten.“



B. Ausgestaltung der menschenrechtlichen Anforderungen221

meidung der Beteiligung an gaststaatlichen Menschenrechtsverletzungen dienen. Die Leitsätze erfordern von den Unternehmen eine bewusste, aktive und umfängliche Auseinandersetzung mit den durch ihr Verhalten möglicherweise gefährdeten Rechten. Dabei darf eine Priorisierung nach Gefährdungsintensität erfolgen. Letztlich sind aber alle Rechte vom Anwendungsbereich der Leitsätze umfasst und zu beachten. Eine Eingrenzung auf dem Wesen nach durch Unternehmen verletzbare Rechte ist nicht erfolgt. Dies ist gerade vor dem Hintergrund eines umfassenden Ansatzes zur Vermeidung menschenrechtlicher Beeinträchtigungen und eines Beitrages hierzu folgerichtig. Auf diesen Ansatz soll im folgenden Kapitel näher eingegangen werden. 2. Konzept der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen Die Verhaltensanforderungen, die für Unternehmen aus ihrer menschenrechtlichen Verantwortung erwachsen und die Reichweite dieser Verantwortung nach den Leitsätzen sollen nun näher untersucht werden. a) Respekt der Menschenrechte und die Vermeidung „negativer Auswirkungen“ Grundsätzlich obliegt es nach den Leitsätzen in der Fassung von 2011 allen Unternehmen in all ihren geschäftlichen Aktivitäten, Menschenrechte zu respektieren. Die Leitsätze halten fest, „dass die Unternehmen unabhängig von ihrer Größe, dem Sektor, dem sie angehören, ihrem operativen Umfeld, ihren Eigentumsverhältnissen, und ihrer Struktur Menschenrechte überall dort achten sollen, wo sie ihre Geschäftstätigkeit aus­ üben“230.

Besonders hervorgehoben wird dazu nunmehr, dass die eigentliche (Rechts-)Pflicht zum Schutz der Menschenrechte den Staaten obliegt. Gleich zu Beginn des Kapitels IV heißt es: „Die Staaten haben die Pflicht, die Menschenrechte zu schützen“231. Unternehmen sollen ihrerseits aber „die Menschenrechte achten, was bedeutet, dass sie eine Verletzung der Menschenrechte anderer vermeiden und 230  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 37, Satz 1. 231  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Satz 1. Diese Unterscheidung in „duty to protect“ der Staaten und „responsibility to respect“ der Unternehmen entspricht dem UN Framework „Protect, Respect, Remedy“, vgl. Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 36, Satz 2.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte begegnen sollten, an denen sie beteiligt sind“232. Der Begriff „Verletzung“ bezieht sich dabei „auf die negativen Auswirkungen, die ein Unternehmen auf die Menschenrechte einzelner Personen haben kann“233. Auch das Menschenrechtskapitel der Leitsätze baut damit auf dem Prinzip der „negativen Auswirkungen“234 auf. Das Augenmerk wird dadurch auf die Situation der Rechteinhaber und Betroffenen gelenkt: Diese vor negativen Auswirkungen zu schützen ist das Ziel der Verhaltensanforderungen der Leitsätze. Dabei wird sowohl auf tatsächliche als auch auf potenzielle negative Auswirkungen abgestellt.235 Respekt der Menschenrechte bedeutet dabei „angemessene Maßnahmen“ zu ergreifen, um tatsächliche negative Auswirkungen auf die Menschenrechte zu ermitteln, wenn möglich zu verhüten oder anderenfalls wiedergutzumachen sowie potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte zu ermitteln und zu mindern.236 Das Konzept geht demnach über die Vermeidung negativer Auswirkungen hinaus und beinhaltet auch die Wiedergutmachung bereits eingetretener Beeinträchtigungen. Es beinhaltet zudem auch, „Rechenschaft darüber abzulegen, wie den negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte begegnet wird“237. Unterschieden werden zudem negative Auswirkungen sowohl der „eigenen Aktivitäten“ als auch Beteiligungsformen an negativen Auswirkungen anderer.238 Bereits die Leitsätze in der Fassung vom Jahr 2000 forderten den „Respekt“ der Menschenrechte durch Unternehmen, ohne die hieraus erwachsenden Verhaltensanforderungen aber näher zu präzisieren. Diese Inhalte sind nun wesentlich systematisiert und konzeptionell in recht umfassender Weise ausgefüllt worden. Vor allem die Einführung einer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht, aber auch andere prozedurale Vorgaben konkretisieren dabei maßgeblich die zum Respekt der Menschenrechte erforderlichen Maßnahmen. 232  OECD-Leitsätze

für multinationale Unternehmen, Kapitel V, Ziffer 1. für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 41, Satz 2. 234  ZU diesem Prinzip siehe oben, A.IV.2.b). 235  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen, Ziffer 41, Satz 1. 236  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen, Ziffer 41, Satz 1. 237  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen, Ziffer 41, Satz 1. 238  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel V, Ziffer 2. Ausführlich siehe unten 3. 233  OECD-Leitsätze



B. Ausgestaltung der menschenrechtlichen Anforderungen223

b) Die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht und Due-Diligence-Prüfungen Wie gesehen wurde mit der Überarbeitung der Leitsätze 2011 eine allgemeine Sorgfaltspflicht eingeführt, nach der zur effektiven Vermeidung von negativen Auswirkungen Due-Diligence-Prüfungen durchgeführt werden sollen.239 Diese Empfehlung wird in Ziffer 5 des Menschenrechtskapitels unterstrichen und für den menschenrechtlichen Bereich präzisiert. Der von den Unternehmen geforderte Respekt der Menschenrechte bekommt durch die prozedurale Anforderung der Einführung von Due-Diligence-Prozessen und die vorbeugende Zielrichtung der Sorgfaltspflicht sehr konkrete Konturen. Diese Sorgfaltspflicht bedeutet eine tiefgreifende Änderung, da eine Leitsatz-Konformität nun ausdrücklich nicht mehr nur anhand des Eintritts konkreter Menschenrechtsbeeinträchtigungen gemessen werden kann, sondern auch im Hinblick auf das präventive Verhalten. Der menschenrechtliche Due-Diligence-Prozess soll tatsächliche oder potenzielle Menschenrechtsbeeinträchtigungen abschätzen, die Erkenntnisse im Unternehmen integrieren, zu einem angemessenen Umgang mit ihnen führen und all dieses offen legen.240 Er wird als „kontinuierliche Aufgabe“ bezeichnet, da sich die menschenrechtlichen Risiken etwa aufgrund von Entwicklungen der Geschäftstätigkeit oder in deren Umfeld verändern können.241 Die Ausgestaltung der Prozesse hängt vom Einzelfall ab.242 Unternehmen mit einer Vielzahl von Zulieferern wird gestattet, Risikobereiche zu identifizieren und entsprechende Zulieferer prioritär in die due diligence einzubeziehen.243 Auch die Größe des Unternehmens beeinflusst den Um239  Siehe ausführlich oben A.IV.2.c). OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen,

Kapitel II, Ziffer 10. für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 45, Satz 2 und Satz 3. 241  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 45, Satz 4. 242  Die niederländische Nationale Kontaktstelle unterstreicht ebenfalls, dass es sich um ein neues Konzept handelt, das „exploration and context-specific adaptation“ erfordere, Final Report of the National Contact Point for the OECD Guidlines in the Netherlands on the Specific Instance notified by CEDHA, INCASUR Foundation, SOMO and Oxfam Novib concerning Nidera Holding B.V., vom 3. Februar 2012, S. 3 f. Im Übrigen ist dieses Beschwerdeverfahren aus dem Bereich der Arbeitnehmerrechte ein Beispiel für eine erfolgreiche Vermittlung, über die eine Nationale Kontaktstelle wie seit 2011 vorgesehen berichtet; die niederländishe NKS verzichtet hier dabei auf die Wiedergabe des genauen Inhaltes der Vermittlung. 243  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 45, Satz 5 i. V. m. Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 16. 240  OECD-Leitsätze

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

fang der erforderlichen Prozesse.244 Für kleine und mittlere und insbesondere für eigentümergeführte Unternehmen gilt, dass sie vielleicht andersartige Strukturen und Wege haben, die Einhaltung der Standards zu gewährleisten.245 Die Intensität eines potenziellen menschenrechtlichen Risikos246 kann jedoch die Anforderungen an die menschenrechtliche due diligence auch eines kleinen oder mittleren Unternehmens wiederum steigen lassen. Auch in Bezug auf Großprojekte bestehen besondere Anforderungen. Die Allgemeinen Grundsätze der Leitsätze legen diesbezüglich Maßstäbe für das erforderliche „stakeholder engagement“ nieder: Danach sollen Unternehmen bereit sein, „sich mit wichtigen Akteuren zusammenzuschließen, damit deren Ansichten in Fragen der Planung und Entscheidungsfindung bei Projekten oder anderen Aktivitäten, die das Leben lokaler Gemeinschaften u. U. maßgeblich beeinflussen, auch sachdienlich berücksichtigt werden können“247. Eine finanzielle Bewertung oder Bezifferung des Risikos für das Unternehmen wird im Rahmen einer menschenrechtlichen due diligence nicht gefordert. Dies unterstreicht, dass im Gegensatz zu bislang üblichen DueDiligence-Prüfungen nicht die Risiken für das Unternehmen im Mittelpunkt stehen, sondern der Blick auf Risiken für die unter die Leitsätze fallenden Angelegenheiten gerichtet wird. Dies bedeutet aber auch einen fundamentalen Wandel in der Unternehmensverantwortung, die sich damit weg vom rein finanziellen „shareholder value“ entwickelt. Der Due-Diligence-Prozess endet dabei nicht mit der Identifizierung von menschenrechtlichen Risiken, sondern umfasst auch den Umgang mit ihnen. Handelt es sich lediglich um potenzielle Beeinträchtigungen, so ist deren Realisierung zu verhindern oder abzumildern; ist eine Beeinträchtigung bereits entstanden, so ist sie zu beheben („remedy“).248 244  OECD-Leitsätze

für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Ziffer 5. für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 15. 246  Auch dies ist beeinflussender Faktor für die angemessene Ausgestaltung der due diligence: OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Ziffer 5. 247  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 14. Die Formel des „free, prior and informed consent“ wurde hierbei nicht eingeführt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass ihre Anwendung den Unternehmen in der Praxis nicht empfohlen würde, siehe Fall Intex Resources bei der norwegischen NKS, unten C. II.3.a)bb). 248  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 45, Satz 5 verweist für weitere Einzelheiten auf die Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, die bereits allgemein Due-Diligence-Prüfungen vorsehen. Zum Thema „Verfahren der Wiedergutmachung“ siehe auch unten B. III.2.c)bb). 245  OECD-Leitsätze



B. Ausgestaltung der menschenrechtlichen Anforderungen225

Die Anwendung menschenrechtlicher Sorgfaltsprüfungen ist dabei durchaus im Interesse des Unternehmens. Durch die Einführung von Due-Diligence-Prüfungen reduziert sich für das Unternehmen die Gefahr von Imageverlusten aufgrund von unerkannten menschenrechtlichen Problemlagen oder des unvorherbestimmten Umgangs mit ihnen. Etwas ausführlichere Anhaltspunkte dazu, wie der Prozess ausgestaltet sein kann, finden sich dabei in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Die im knappen Wortlaut der Erläuterungen zu den Leitsätzen verwendeten Begriffe sind dort ausführlicher erläutert. In der Praxis beschäftigen sich zudem bereits eine Vielzahl von Anbietern mit der Entwicklung und dem Angebot sogenannter Human Rights Due Diligences oder Human Rights Impact Assessments.249 c) Weitere prozedurale Anforderungen Bei der Überarbeitung der Leitsätze vom Mai 2011 wurden auch Elemente eingefügt, die über die Definition des unternehmerischen Verantwortungsrahmens für Menschenrechte hinausgehen. aa) Policy Commitment Neu ist die Empfehlung zur Ausarbeitung einer Erklärung, in der das „Engagement zur Achtung der Menschenrechte formuliert“ wird (policy commitment).250 Dieses Bekenntnis, so präzisieren die Erläuterungen, sollte in Form einer „Grundsatzerklärung“ erfolgen, die „auf höchster Unternehmensebene beschlossen“ und „durch einschlägiges internes und / oder externes Fachwissen fundiert“ ist.251 Die Erklärung soll innerhalb des Gesamtunternehmens verankert werden und „sich in den Geschäftspraktiken und -verfahren widerspiegeln“.252 Sie soll die Erwartungen fixieren, die das Unternehmen an seine Mitarbeiter, Geschäftspartner und sonstige Parteien, die mit seiner Geschäftstätigkeit, seinen Produkten oder seinen Dienstleistungen unmittelbar verbunden sind, im Hinblick auf die Menschenrechte hat.253 Die Erklärung soll „intern und extern allen Mitarbeitern, Geschäftspartnern und 249  Siehe

auch Teil 1, Fußnote 593. für multinationale 251  OECD-Leitsätze für multinationale schenrechten, Ziffer 44, lit. a) und b). 252  OECD-Leitsätze für multinationale schenrechten, Ziffer 44, lit. e). 253  OECD-Leitsätze für multinationale schenrechten, Ziffer 44, lit. c). 250  OECD-Leitsätze

Unternehmen, Kapitel IV, Ziffer 4. Unternehmen, Erläuterungen zu den MenUnternehmen, Erläuterungen zu den MenUnternehmen, Erläuterungen zu den Men-

226

Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

sonstigen betroffenen Parteien mitgeteilt“ werden und „öffentlich verfügbar“ sein.254 Hierbei ist es wie bei allen anderen Empfehlungen der Leitsätze zulässig, als kleines beziehungsweise mittleres Unternehmen aufgrund der geringen Unternehmensgröße Anpassungen vorzunehmen.255 Das policy commitment dient damit der festen Verankerung des menschenrechtsschützenden Ansatzes in der Unternehmenskultur und in den Geschäftsbeziehungen des Unternehmens. Es kann, wie auch die offen dargelegten Due-Diligence-Prozesse, dazu beitragen, das Image des Unternehmens und der Marke im Sinne eines „doing and showing“ positiv zu unterstützen. bb) Verfahren zur Wiedergutmachung („Remedy“) Eine weitere neue Anforderung des Menschenrechtskapitels bezieht sich auf die Förderung von oder Beteiligung an Verfahren, die „eine Wiedergutmachung negativer Auswirkungen ermöglichen“256. Dieser Aspekt des „remedy“ findet sich ebenfalls in der dritten Säule des Rahmenwerkes „Protect, Respect, Remedy“ des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte.257 Dieser Ansatz unterstützt eine möglichst große Bandbreite an Optionen zur Erlangung von Abhilfe und Wiedergutmachung. Es werden dabei gerichtliche oder rechtsstaatliche außergerichtliche Maßnahmen einerseits und unternehmenseigene Verfahren andererseits unterschieden.258 Die unternehmenseigenen Verfahren können von einem Unternehmen allein oder von mehreren Unternehmensbeteiligten verwaltet werden.259 Für die Beteiligung von Unternehmen an menschenrechtsbezogenen Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen bedeutet diese Maßgabe, dass die Verweigerung der Mitwirkung eines Unternehmens an diesen Verfahren als solche bereits eine Verletzung der Leitsätze darstellen kann. Zwar kann diese Teilnahme weiterhin nicht erzwungen werden, der Umfang der „Freiwilligkeit“ der Beteiligung am Verfahren ist aber weiter reduziert worden. 254  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 44, lit. d). 255  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 6. 256  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Ziffer 6. 257  Protect, Respect and Remedy: a Framework for Business and Human Rights, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie, A / HRC / 8 / 5 vom 7.  April  2008. 258  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 46, Satz 2 und Satz 3. 259  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 46, Satz 4.



B. Ausgestaltung der menschenrechtlichen Anforderungen227

3. Beteiligungsformen und Verhaltensanforderungen Die Leitsätze unterscheiden nicht nur tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen, sondern auch unterschiedliche Beteiligungsformen und knüpfen hieran unterschiedliche Verhaltensanforderungen. a) Verursachung von negativen Auswirkungen durch eigenes Verhalten In Ziffer 2 des Kapitels Menschenrechte wird spezifiziert, die Unternehmen sollten verhindern, dass negative Auswirkungen auf die Menschenrechte durch die eigenen Aktivitäten verursacht werden. Sie sollten zudem, wenn negative Auswirkungen doch auftreten, diesen „begegnen“260. Die Erläuterungen präzisieren sodann, dass „Aktivitäten“ dabei „sowohl Handlungen als auch Unterlassungen“ sein können.261 Da der Begriff „Aktivitäten“ ein Tun suggeriert, ist er teilweise irreführend und es ist daher zutreffender an das „Verhalten“ des Unternehmens anzuknüpfen. Entscheidend ist für diese Verantwortungskategorie, dass aus diesem Verhalten unmittelbar und direkt („eigene“) negative Auswirkungen resultieren. Dies wird mit dem Begriff der Verursachung verdeutlicht. In Fällen der Verursachung negativer Auswirkungen sollen Unternehmen „die notwendigen Schritte in die Wege leiten, um die Auswirkungen zu beenden oder zu verhüten“262. Zudem sollen Unternehmen in diesen Fällen „rechtmäßige Verfahren fördern oder sich daran beteiligen, um eine Wiedergutmachung zu ermöglichen“263. b) Beitrag zu negativen Auswirkungen durch eigenes Verhalten Wird zu negativen Auswirkungen beigetragen264, so soll das Unternehmen die erforderlichen Schritte zur Beendigung oder Verhütung des Beitrags in 260  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Ziffer 2.; Vgl. auch Leitsätze, Kapitel II, Ziffer 11. 261  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 42, Satz 2. 262  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 42, Satz 3. 263  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Ziffer 6. Siehe unten B.III.2.c)bb). 264  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 11 und Kapitel IV, Ziffer 2.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

die Wege leiten „und seinen Einfluß nutzen, um etwaige noch verbleibende Auswirkungen so weit wie irgend möglich zu mindern“265. Ein Beitrag ist dabei nach den Erläuterungen zu den Allgemeinen Grundsätzen nur gegeben, wenn dieser „substanziell“ ist, worunter zu verstehen ist „eine Aktivität, die einen anderen Unternehmensteil dazu veranlasst, es ihm erleichtert oder ihm einen Anreiz bietet, einen negativen Effekt zu verursachen, wobei kleinere oder unbedeutende Beiträge unberücksichtigt bleiben“266.

Auch hier ist ein Beitrag durch Unterlassen möglich, etwa wenn ein Unternehmen seine Einwirkungsmöglichkeiten nicht nutzt, da es von der Menschenrechtsverletzung profitiert.267 Eine Einflussmöglichkeit des Unternehmens wird dabei aber nur gesehen, wenn es „über die Fähigkeit verfügt, in den Praktiken des Verursachers (…) einen Wandel herbeizuführen“268. Der neutrale Begriff des „Verursachers“ lässt den Schluss zu, dass sowohl andere Unternehmen als auch Gaststaaten hiervon umfasst sind. Dies wird bestätigt durch die Definition des „Beitrags“ in der englischen Originalfassung der Erläuterungen zu den Allgemeinen Grundsätzen.269 Das Verhalten eines Unternehmens kann also nach dem Verständnis der Leitsätze sowohl im Rahmen seiner Zulieferbeziehungen, im Verhältnis zu sonstigen Unternehmen oder im Verhältnis zum Gaststaat einen Beitrag zu negativen Auswirkungen darstellen. Ein solcher Beitrag soll nicht nur beendet oder verhütet werden, das Unternehmen ist auch diesbezüglich aufgefordert, „rechtmäßige Verfahren zur Wiedergutmachung zu fördern oder sich daran zu beteiligen“270.

265  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 42, Satz 4. 266  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 14, Satz 6. 267  Ruggie unterscheidet eine rechtliche und eine außerrechtliche Bedeutung des Begriffes „complicity“. Im außerrechtlichen Bereich stellt er fest, Unternehmen könnten als „complicit“ wahrgenommen werden, wenn sie von einer Menschenrechtsverletzung zu profitieren scheinen. Sollte das Unternehmen ausreichend Einfluss besitzen, zur Beendigung der Verletzung beizutragen, nutzt diesen aber nicht, da es von der Verletzung profitiert, so kann dies einem Beitrag durch Unterlassen entsprechen, wenn der Beitrag „substanziell“ ist. 268  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 42, Satz 5. 269  Im Gegensatz zur hier zitierten deutschen Fassung spricht diese nicht von „Unternehmensteil“, sondern von „entity“, siehe ausführlich oben Teil 1, B.II.3. 270  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Ziffer 6. Siehe auch unten B.III.2.c)bb).



B. Ausgestaltung der menschenrechtlichen Anforderungen229

c) Unmittelbare Verbindung zu negativen Auswirkungen aufgrund einer Geschäftsbeziehung Als dritte Verantwortungskategorie betrachten die Leitsätze negative Auswirkungen, zu denen das Unternehmen zwar nicht beigetragen hat, die aber „auf Grund einer Geschäftsbeziehung mit ihrer Geschäftstätigkeit, ihren Produkten oder Dienstleistungen unmittelbar verbunden sind“271. Damit soll die Verantwortung „nicht von dem Verursacher der negativen Auswirkung (…) verlagert werden“272, aber „komplexere Fälle“273, bei denen ein Beitrag nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, sollen angemessen abgebildet werden. Die „Geschäftsbeziehungen“ eines Unternehmens umfassen dabei „die Beziehungen zu Geschäftspartnern, Unternehmensteilen in seiner Zulieferkette und allen anderen nichtstaatlichen oder staatlichen Stellen, die mit seiner Geschäftstätigkeit, seinen Produkten oder Dienstleistungen unmittelbar verbunden sind“274. Auch hier wird damit ein wichtiger Teil der Unternehmensverantwortung in der Zulieferkette, aber auch in sonstigen Geschäftsbeziehungen und im Verhältnis zum Gaststaat abgebildet. Das Erfordernis einer „unmittelbaren Verbindung“ zwischen den negativen Auswirkungen und dem Unternehmen „aufgrund einer Geschäftsbeziehung“ spricht dabei aber gegen eine Unternehmensverantwortung in Bezug auf gaststaatliche Menschenrechtsverletzungen, wenn außer einer wirtschaftlichen Präsenz im Gaststaat kein weiterer Zusammenhang besteht.275 Nicht entbunden sind Unternehmen aber, gerade bei einer wirtschaftlichen Betätigung in Staaten mit fragwürdiger Menschenrechtsbilanz, von der Durchführung menschenrechtlicher Risikoabschätzungen mit dem Ziel, jedwede unmittelbare Verbindung oder Beitrag zu vermeiden. Im Falle einer unmittelbaren Verbindung zu negativen Auswirkungen wird von dem Unternehmen erwartet, dass es seinen Einfluss nutzt, „um auf den Verursacher (…) mit dem Ziel einzuwirken, die fraglichen Auswirkungen zu verhindern oder zu mindern“276. Fraglich ist, wie weit das Unternehmen bei 271  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel V, Ziffer 3 und Kapitel II, Ziffer 12, Satz 1. 272  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 12, Satz 2. 273  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 43, Satz 1. 274  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 42, Satz 4. 275  Siehe ausführlicher oben Teil 1, B.II.3. 276  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 43, Satz 3.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

dieser Einflussnahme gehen muss und welche Abwägungen es dabei treffen darf. In Abhängigkeit von den tatsächlichen Möglichkeiten der Einflussnahme277 stellt sich in diesen Konstellationen häufig die Frage, ob die Geschäftsbeziehungen abzubrechen sind, wenn eine Verbesserung der Situation nicht erreicht werden kann. Die Erläuterungen tragen dabei dem Umstand Rechnung, dass ein Abbrechen der Geschäftsbeziehungen oder ein Rückzug eines Unternehmens aus einem bestimmten Land für die Menschenrechtssituation insgesamt nicht zwingend die beste Lösung sein muss. So spielt bei der Ermittlung des angemessenen Vorgehens die Frage eine Rolle, „ob die Beendigung der Beziehung selbst negative Folgen auf die Menschenrechte hätte“278. Auch darf das Unternehmen die Schwere der negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Bedeutung der Geschäftsbeziehungen für das Unternehmen in die Abwägung einbeziehen.279 d) Verantwortung in den Zulieferbeziehungen Die oben beschriebenen Verantwortungskategorien – von der eigenen Verursachung negativer Auswirkungen durch Tun oder Unterlassen über den Beitrag zu negativen Auswirkungen anderer Unternehmen(steile) bis hin zur unmittelbaren Verbindung aufgrund von Geschäftsbeziehungen – können wie gesehen auch in den Zulieferbeziehungen eines Unternehmens zum Tragen kommen. Die Erläuterungen bestätigen dies: „Die Aktivitäten der Unternehmen, bei denen es zu verhindern gilt, dass sie in Angelegenheiten, die unter die Leitsätze fallen, negative Auswirkungen verursachen oder verstärken, umfassen auch ihre Aktivitäten im Rahmen der Zuliefer­ kette“280. Die Sorgfaltspflichtanforderungen erstrecken sich daher auch auf die Zulieferbeziehungen. Auch hier gilt: Identifiziert das Unternehmen „ein Risiko, zu einer negativen Auswirkung beizutragen, sollte es die notwendigen Schritte in die Wege leiten, um diesen Beitrag zu beenden oder zu verhüten“.281 Bei der Bewertung, welche Schritte im Einzelfall als notwendig zu erachten sind, ist die tatsächliche Möglichkeit der Einflussnahme auf die Zulieferer mög277  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 43, Satz 5. 278  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 43, Satz 5. 279  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 43, Satz 5. 280  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 17, Satz 1. 281  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 19, Satz 1.



B. Ausgestaltung der menschenrechtlichen Anforderungen231

lichst realistisch einzuschätzen. Sie wird beeinflusst durch die Produkteigenschaften, die Anzahl der Zulieferer, die Struktur und Komplexität der Lieferkette und die Marktposition des Unternehmens gegenüber seinen Zulieferern oder anderen Einheiten der Lieferkette.282 Einflussnahmemöglichkeiten ergeben sich auch durch „vertragliche Vereinbarungen wie Managementverträge, Anforderungen an die Vorauswahl potenzieller Zulieferer, Voting-Trusts sowie Lizenz- oder Franchise-Vereinbarungen“283. Die angemessene unternehmerische Reaktion hängt von der Schwere der menschenrechtlichen Beeinträchtigung ab, aber auch von der Bedeutung des Zulieferers für das Unternehmen.284 Mögliche Reaktionen reichen dabei von Bemühungen zur Risikominimierung bei Fortführung der Lieferbeziehungen über deren zeitweise Aussetzung bis hin zum Abbruch der ­Geschäftsbeziehungen.285 Bei letzterem soll allerdings auch in die Waagschale geworfen werden, welche negativen Auswirkungen der Rückzug des Unternehmens auf die Menschenrechtssituation haben kann.286 Weitere Anhaltspunkte für die Beurteilung angemessenen Verhaltens von Unternehmen in ihren Lieferbeziehungen können auch einem Diskussionspapier entnommen werden, welches der UN-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte im Zuge der Aktualisierung der Leitsätze beigesteuert hat.287 282  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 21, Satz 1 und Satz 2. 283  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 21, Satz 3. In der Praxis finden gerade große Unternehmen, die sich gegenüber ihren Zulieferern in einer starken Position befinden, eigene Wege, sich gegenüber Risiken abzusichern, etwa indem in Allgemeine Einkaufsbedingungen Klauseln aufgenommen werden, die von den Zulieferern den Respekt grundlegender CSR-Standards verlangen und anderenfalls unter Umständen eine Kündigung des Vertragsverhältnisses erlauben. 284  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 21, Satz 4 und Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 43, Satz 5. 285  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 22, Satz 1. 286  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffer 22, Satz 2 und Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 43, Satz 5. 287  The Corporate Responsibility to Respect Human Rights in Supply Chains, 10th OECD Roundtable on Corporate Responsibility, Discussion Paper, vom 30. Juni 2010, www.oecd.org. Das Papier enthält Entscheidungshilfen für den Umgang von Unternehmen mit Beeinträchtigungen von Menschenrechten in ihrer Lieferkette. Es wird in den Leitsätzen nicht in Bezug genommen und stellt keine formale Auslegung der Leitsätze dar. Dennoch bietet es einige Orientierung und könnte als Anregung beispielsweise im Rahmen von Vermittlungsverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen unterstützend herangezogen werden.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Wie gesehen sind Beiträge zu Menschenrechtsbeeinträchtigungen in Lieferbeziehungen zu verhüten oder zu beenden. Vorbeugend regen die Erläuterungen der Leitsätze an, die Kapazitäten der Zulieferer etwa durch Personalschulungen zu verbessern und sich an branchenweiten Bemühungen sowie an Privat- oder Multi-Stakeholder-Initiativen zu beteiligen.288 Ist ein substanzieller Beitrag des Unternehmens nicht zu befürchten, entbindet dies nicht von jeglicher Verantwortung in der Lieferkette. Vielmehr soll sich das Unternehmen auch im Falle von negativen Auswirkungen, zu denen es nicht beiträgt, um „Wege und Mittel“ bemühen, diese „zu verhüten oder zu vermindern“. Die Mittel der Einflussnahme sind dabei die gleichen, lediglich die Erwartungen an den Erfolg des unternehmerischen Verhaltens sind differenziert. Während bei eigenen Beiträgen die Beendigung der Beeinträchtigung gefordert ist, werden im Übrigen Bemühung zu deren Verminderung erwartet. Unabhängig von konkreten negativen Auswirkungen besteht nach den Leitsätzen weiterhin die generelle Erwartung, dass Unternehmen „ihre Geschäftspartner, einschließlich Zulieferfirmen und Unterauftragnehmer, wo praktikabel, zur Anwendung von Grundsätzen (…) ermutigen, die im Einklang mit den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen stehen“289. Diese Forderung war auch bisher in den Leitsätzen enthalten290, ist nun aber mit dem Zusatz „neben“ („in addition“) eingeleitet. Dies bestätigt in konsequenter Weise, dass die Verantwortung der Unternehmen in den Zulieferbeziehungen nicht auf dieses generelle Werben beschränkt ist, sondern das Verhalten in den Zulieferbeziehungen eine eigene Verantwortung begründen kann.291 Die aktualisierten Leitsätze treffen damit wichtige Klarstellungen und stellen ein Konzept bereit, das die kohärentere Anwendung einer menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen auch in den Lieferbeziehungen erleichtert.292 288  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den allgemeinen Grundsätzen, Ziffern 23 und 24. 289  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 13. 290  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen i. d. F. vom 27. Juni 2000, Kapitel II, Ziffer 10. 291  Da dieser klarstellende Zusatz in der Vergangenheit fehlte, bestand bislang Unklarheit über die Verantwortung von Unternehmen in Lieferbeziehungen. Nach einer einschränkenden Lesart hätte diese Verantwortung auf die Ermutigung der Geschäftspartner zur Einhaltung vergleichbarer Grundsätze beschränkt sein können. Nunmehr ist klargestellt, dass diese Ermutigung eine zusätzliche Aufgabe ist („in addition“), die insbesondere dort Anwendung findet, wo kein eigener Beitrag zur einer möglichen Beeinträchtigung oder kein „direct link“ erkennbar ist. 292  Selbstverständlich sind damit nicht alle Zweifelsfragen zur Verantwortung in Lieferketten geklärt, was angesichts der Vielfalt komplexer wirtschaftlicher Kons-



B. Ausgestaltung der menschenrechtlichen Anforderungen233

4. Retrospektive Anwendung der überarbeiteten Leitsätze? Wie gesehen führte die Überarbeitung der Leitsätze 2011 zu maßgeblichen Präzisierungen zum Umfang der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen und mit den prozeduralen Vorgaben auch zu erweiterten Anforderungen. Die Nationalen Kontaktstellen einigten sich in ihrem Jahrestreffen 2011 daher darauf, eine sechs-monatige Übergangsfrist für die Umsetzung der neuen Anforderungen vorzusehen; eine retrospektive Anwendung der Neufassung solle es nicht geben.293 Nicht ausgeschlossen ist, dass Nationale Kontaktstellen heute mit Fällen befasst werden, deren Sachverhalt in die Zeit vor Ende 2011 zurückreicht. Handelt es sich hierbei um Fälle mit menschenrechtlichem Gehalt, stellt sich trotz dieser Festlegung die Frage, ob der Grundsatz der nicht-retrospektiven Anwendung für den jeweiligen Sachverhalt gilt. Denn die Darlegungen in den Ziffern 1 bis 3 des neuen Kapitels IV der Leitsätze von 2011 zu den unterschiedlichen Beteiligungsformen könnten lediglich als Präzisierung der bereits zuvor in den Allgemeinen Grundsätzen der Leitsätze enthaltenen Pflicht zur Achtung der Menschenrechte verstanden werden.294 Dies ist teilweise unzweifelhaft richtig, wie auch die Anwendung der Leitsätze i. d. F. von 2000 durch die Nationalen Kontaktstellen belegt.295 Als neu könnten aber, zumindest aus Perspektive der Unternehmen, einige Aspekte der Verantwortung in den Zulieferbeziehungen angesehen werden. Neu ist auch die größere Unabhängigkeit des Maßstabes der „international anerkannten Menschenrechte“ gegenüber nationalen Gegebenheiten. Unternehmen könnten daher in Umsetzungsverfahren den Vorwurf einer retrospektiven Anwendung der Leitsätze erheben. Da die Pflicht zum Respekt der Menschenrechte aber bereits in der Fassung der Leitsätze von 2000 enthalten war und es bei den Vermittlungsversuchen der Nationalen Kontaktstellen häufig auch um Lösungen für die Zukunft geht, dürften die Übertellationen und der Vielzahl denkbarer Fallgestaltungen im Vorhinein auch schwierig ist. 293  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2011, S. 21. 294  Anders war die Ausgangslage im Fall Afrimex, in dem die britische Nationale Kontaktstelle Wert auf die Vermeidung einer retrospektiven Anwendung der Leitsätze legte. In diesem Fall ging es um Sachverhalte vor 2000, also vor Einführung der allgemeinen Menschenrechtsklausel in die Leitsätze; siehe unten C.II.3.c) aa). 295  Siehe unten C.II.3. Die Aussagen der Nationalen Kontaktstellen sind teils recht spezifisch und umfassen beispielsweise bereits Sorgfaltspflichtanforderungen.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

gänge hier fließend sein und die aktuelle Fassung der Leitsätze jedenfalls wertvolle Orientierung bieten.296 5. Zusammenfassung Die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen nach den Leitsätzen hat zum Ziel, menschenrechtliche Beeinträchtigungen in Zusammenhang mit dem Verhalten, den Produkten oder den Dienstleistungen eines Unternehmens zu verhindern beziehungsweise abzustellen und erforderlichenfalls auszugleichen. Zu diesem Zweck enthält das neue Menschenrechtskapitel ein umfassendes Konzept zum Respekt der Menschenrechte durch Unternehmen, welches von der Risikoabschätzung bis zur Wiedergutmachung reicht und dabei auf neuen Elementen wie der Einführung einer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht fußt. Auch ein unternehmenspolitisches Bekenntnis zu Menschenrechten und die diesbezügliche Offenlegung der Unternehmenspolitik werden gefordert. Mögliche Beteiligungsformen werden differenziert und damit die komplexen Zusammenhänge zwischen unternehmerischen Aktivitäten und Menschenrechtsbeeinträchtigungen systematisiert und handhabbarer gemacht. Klargestellt ist dabei, dass Verursachung oder Beitrag jeweils auch durch Unterlassen verwirklicht werden können. Das umfassende Verständnis von der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen wird insofern eingegrenzt, als nur „substanzielle“ Beiträge zu negativen Auswirkungen anderer relevant sein sollen und die tatsächliche Einflussnahmemöglichkeit des Unternehmens auf die Geschäftspartner zu berücksichtigen ist. Allerdings kommt in Fällen „unsubstanzieller“ Beiträge noch der Auffangtatbestand der Verantwortung wegen einer unmittelbaren Verbindung zu negativen Auswirkungen aufgrund einer Geschäftsbeziehung in Betracht. Die Leitsätze nutzen zwar nicht den Begriff der „complicity“, decken aber die unter diesem Begriff diskutierten Beteiligungsformen einschließlich der Beteiligung an staatlichen Menschenrechtsverletzungen überwiegend ab.297 Nicht von den Leitsätzen umfasst ist die als stille Form der „complicity“ diskutierte Konstellation, bei der keine 296  So genutzt etwa im Fall Devcot bei der französischen Nationalen Kontaktstelle, siehe unten C.II.3.b)aa)(4). 297  Siehe auch oben, Teil 1, B.II.2. und 3. Ausgangspunkt ist dabei die Einordnung des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte, der „complicity“ als einen Fall des „Beitrags“ zu einer Beeinträchtigung sieht: Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie, Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations „Protect, Respect and Remedy“ Framework, vom 21. März 2011, A / HRC / 17 / 31, Ziffer 17, S. 17.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte235

Verbindung zwischen der Geschäftstätigkeit und den vom Gaststaat verursachten Menschenrechtsverletzungen besteht und ausschließlich die wirtschaftliche Präsenz des Unternehmens im jeweiligen Staat zum Vorwurf gemacht wird. Hier handelt es sich allerdings auch um die in der Literatur umstrittenste Beteiligungsform.298 Von den Unternehmen wird nach der neuen Fassung der Leitsätze erwartet, sich über mögliche menschenrechtliche Risiken ihrer Aktivitäten und Geschäftsbeziehungen mittels Sorgfaltspflichtprüfungen klar zu werden und entsprechend zu handeln. Die Leitsätze knüpfen daher nicht erst reaktiv beim Bekanntwerden möglicher Effekte an. Sie verlagern die unternehmerische Verantwortung nach vorne und umfassen die Pflicht, sich aktiv mit der eigenen Rolle im Kontext der Menschenrechte auseinander zu setzen und – gerade in der Lieferkette – präventive Vorkehrungen zu treffen. Mit den prozeduralen Anforderungen sind konkrete Hinweise zum „wie“ der Realisierung des Respektes der Menschenrechte enthalten. Die Leitsätze sind zudem mit Ausnahme der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte das einzige zwischenstaatliche Instrument, das sich in dieser Ausdrücklichkeit auf die Geschäfts- und Zulieferbeziehungen erstreckt. Die Neufassung der Leitsätze von 2011 leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Konkretisierung des allgemeinen Verständnisses vom Umfang der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen einschließlich der einhergehenden Verhaltensanforderungen. Die Kohärenz mit den UN-Leitprinzi­ pien und deren inzidente Integration in das Umsetzungsverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen führt dabei zu einer wechselseitigen Verstärkung beider Instrumente.

C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte In der völkerrechtlichen Literatur zum Thema Unternehmen und Menschenrechte299 werden die Leitsätze zwar häufig genannt und teilweise auch kurz dargestellt, insgesamt scheint aber der genaue Verlauf des „Beschwerdeverfahrens“300 wenig bekannt und das Verfahren insgesamt womöglich unterschätzt zu sein. Es erscheint daher angezeigt, das Umsetzungsverfahren mit seiner an ein förmliches Verwaltungsverfahren mit Zulässigkeits- und Begründetheitsprüfung erinnernden Mehrstufigkeit zunächst ausführlich darzustellen. Eine Untersuchung der Praxis der Nationalen 298  Siehe

oben, Teil 1, B.II.3. siehe oben Teil 1, Fußnoten 2 und 3. 300  Zu dieser Begrifflichkeit siehe unten C.I.3.a). 299  Literaturnachweise

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Kontaktstellen wird sodann einen Einblick in die praktische Wirkungsweise des Umsetzungsverfahrens vermitteln und Aufschluss über die bisherige Interpretation der menschenrechtlichen Verhaltensanforderungen durch die Nationalen Kontaktstellen geben.

I. Prozessuale Ausgestaltung des Beschwerde- und Schlichtungsverfahrens bei den Nationalen Kontaktstellen Eine Besonderheit der Leitsätze im Vergleich zu anderen internationalen Instrumenten im Bereich der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen ist die Einrichtung Nationaler Kontaktstellen und die Möglichkeit, diese mit „Problemen bei der Umsetzung der Leitsätze in spezifischen Fällen“ zu befassen.301 Die Einzelheiten zum Verfahren sind in den sogenannten Verfahrenstechnischen Anleitungen niedergelegt. Diese sind Teil des Ratsbeschlusses zu den Umsetzungsverfahren der Leitsätze302, der ebenfalls am 25. Mai 2011 neu gefasst wurde. Eine Liste aller Nationaler Kontaktstellen mit den entsprechenden Kontaktinformationen stellt die OECD bereit.303 Zusätzlich unterhalten viele Nationale Kontaktstellen ihre eigenen Internetseiten.304 Im Folgenden sollen der Ablauf des Verfahrens und die Hauptkritikpunkte an seiner Ausgestaltung auch nach der Revision der Leitsätze 2011 betrachtet werden, um vor diesem Hintergrund Schlussfolgerungen zum eigentlichen Wesen des Verfahrens zu ziehen. 1. Ablauf des Verfahrens In Gang gesetzt wird das Verfahren durch die „Wirtschaft“, „Arbeitnehmerorganisationen“, „Nichtregierungsorganisationen“ und „andere beteiligte Parteien“.305 Aussagen zu den formalen Voraussetzungen für eine solche Befassung der Nationalen Kontaktstellen gibt es nicht. Aus Gründen der 301  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen I.C., Satz 1. 302  Siehe oben Teil 1, Fußnote 9 und begleitender Text. 303  Abrufbar unter http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / 2012NCPContactDetails.pdf. 304  Beispielsweise Deutschland (www.oecd-nks.de), Vereinigtes Königreich (www.bis.gov.uk / nationalcontactpoint), Norwegen (www.responsiblebusiness.no). 305  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Satz 2. Siehe näher zur Beteiligtenfähigkeit unten C.I.1.a)aa).



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte237

Praktikabilität ist davon auszugehen, dass die Beschwerde in der Regel schriftlich einzulegen ist, wobei der elektronischen Kommunikation ein großer praktischer Stellenwert zukommt.306 Auch muss der Sachverhalt „glaubhaft“ gemacht werden.307 Wie dies erfolgt kann im Einzelfall sehr variieren.308 Da das Verfahren „zur Lösung von Problemen beitragen“ soll, „die sich bei der Umsetzung der Leitsätze in besonderen Fällen ergeben“, und die Nationalen Kontaktstellen hierfür ein „Diskussionsforum“ bieten sollen309, sind Zugangshindernisse möglichst gering gehalten. Eine Beweisführung im engeren Sinne wird keinesfalls gefordert. Die formellen Anforderungen an die Einlegung einer „Beschwerde“ sind daher wesentlich geringer als bei einer Klageeinreichung.310 Das auf die Einlegung einer solchen „Beschwerde“ folgende Verfahren besteht aus bis zu drei Phasen, die im Folgenden dargestellt werden. a) Annahme der Beschwerde In der ersten Phase unterzieht die Nationale Kontaktstelle den vorgetragenen Sachverhalt einer „ersten Evaluierung“311. Kernfrage ist hier, „ob die aufgeworfenen Fragen eine eingehendere Prüfung rechtfertigen“312. Dies ist nach den Erläuterungen dann der Fall, wenn die „betreffende Frage in gutem Glauben vorgebracht wurde“ und „für die Umsetzung der Leitsätze relevant ist“313. Dabei sind unterschiedliche Kriterien zu beachten, wie die Identität der betreffenden Parteien und deren Interesse an der Angelegenheit, der materielle Gehalt der Frage und der mitgelieferten Begründung, die Relevanz der geltenden Gesetze und Verfahrensregeln einschließlich Ge306  Vgl. Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 9, Kriterium der „Zugänglichkeit“ der Nationalen Kontaktstellen. 307  Siehe nachfolgendes Kapitel C.I.1.a)aa). 308  In der Praxis erreichen eingereichte Beschwerden aber häufig den Umfang und die Professionalität von Klagen und werden mitunter auch von Anwaltskanz­ leien erstellt. Keinesfalls ist dies jedoch ein Verfahrenserfordernis. 309  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Neufassung der Entscheidung des Rats in Bezug auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen 2011, Kapitel I., Ziffer 1, Satz 1. 310  Zu diesem Vergleich ausführlicher unten 3.e). 311  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 1. 312  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 1. 313  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 25 ff.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

richtsentscheidungen, die Art und Weise, in der ähnliche Angelegenheiten auf nationaler oder internationaler Ebene behandelt werden beziehungsweise wurden und ob die Untersuchung des betreffenden Problems den Zielen der Leitsätze dienen und zu ihrer Wirksamkeit beitragen würde. Neu eingeführt wurde 2011 zudem die Prüfung der Frage, ob ein Zusammenhang zwischen der Geschäftstätigkeit des Unternehmens und der aufgeworfenen Frage besteht.314 Damit wird sichergestellt, dass auch diejenigen Fälle erfasst werden, in denen nicht das Verhalten des Unternehmens direkt zum Vorwurf gemacht wird, aber eine unmittelbare Verbindung zu negativen Auswirkungen aufgrund einer Geschäftsbeziehung gesehen wird. aa) Beteiligtenfähigkeit Die Einzelfallbefassung einer Nationalen Kontaktstelle steht Unternehmen, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen sowie „anderen beteiligten Parteien“ offen.315 Damit ist der Kreis möglicher „Beschwerdeführer“ denkbar weit. Er umfasst natürliche und juristische Personen. Unter den Begriff der „anderen beteiligten Parteien“ fallen auch Individuen, sofern sie Betroffene des problematisierten unternehmerischen Verhaltens sind oder deren Interessen aufgrund besonderer Umstände in glaubhafter Weise vertreten können. Entscheidend ist, ob der Beschwerdeführer in sinnvoller Weise an einem Vermittlungsverfahren zu der aufgeworfenen Fragestellung teilnehmen kann. In der Praxis werden die Beschwerden häufig von Nichtregierungsorganisationen vorgebracht.316 Ihre Rolle als Sachwalter zivilgesellschaftlicher Interessen wird durch die Beschwerdemöglichkeit nach den Leitsätzen erheblich gestärkt. Die Verfahrenstechnischen Anleitungen knüpfen keine weiteren Voraussetzungen an deren Parteifähigkeit. Gemäß den Erläuterungen berücksichtigt die Nationale Kontaktstelle aber das Interesse der antragstellenden Partei an der betreffenden Angelegenheit.317 Dieses Interesse ist 314  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 25 ff. Siehe auch oben B.III.3.b) und c). 315  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Satz 2. 316  Siehe unten C.II1.b). Zum Bekanntheitsgrad und zur Beurteilung der OECDLeitsätze durch Nichtregierungsorganisationen in Deutschland vgl. Hamm, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: Ihr Einsatz durch zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland, Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Bonn 2005. 317  Vgl. auch Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 25, Punkt 1.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte239

insbesondere dann glaubhaft, wenn der Vorgang ein Thema betrifft, welches zum Tätigkeitsfeld der Nichtregierungsorganisation gehört.318 Auch die Einreichung durch mehrere Nichtregierungsorganisationen gleichzeitig ist möglich. Eine enge Auslegung des Kriteriums des Interesses an der Angelegenheit würde den Zielen der Leitsätze widersprechen. Für eine effektive Teilnahme an einem Vermittlungsversuch bedarf es wohl vor allem hinreichender Sachkenntnis des vorgelegten Einzelfalles. Fehlt es an dieser oder an der Legitimität der Interessensvertretung für die Betroffenen, so wäre die Angelegenheit nicht in gutem Glauben vorgebracht beziehungsweise entspräche ihre vertiefte Behandlung durch die Nationale Kontaktstelle nicht den Zielen der Leitsätze.319 Die Beschwerden können sich nur gegen Unternehmen richten, die in einem der teilnehmenden Staaten „operieren“, also in der Regel dort ansässig sind. Es ist nicht zwingend notwendig, dass es sich hierbei um ein „multinationales“ Unternehmen handelt, sofern die Leitsätze Relevanz für dessen Geschäftstätigkeit haben.320 Auch gegen staatseigene oder gemischte Unternehmen321 und Finanzinstitute322 können Beschwerden eingereicht werden.

318  Beispiele sind die Einreichung einer Beschwerde, die schwerpunktmäßig Kapitel VI der Leitsätze (Umwelt) betrifft, durch eine laut ihrer Satzung dem Umweltschutz dienende Nichtregierungsorganisation (so beispielsweise eine Beschwerde von Greenpeace e. V. gegen Volkswagen) oder einer Beschwerde, die Vertreibungen und damit die veränderte Versorgungssituation eines Bevölkerungsteils zum Gegenstand hat, durch eine Nichtregierungsorganisation, die schwerpunktmäßig das Recht auf Nahrung verteidigt (so die Nichtregierungsorganisation FIAN im Fall Neumann Kaffee Gruppe, siehe unten C.II.3.a)dd)). 319  Vgl. Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 25, Satz 1. 320  Siehe auch oben Teil 1, A.II. 321  Vgl. Definition „multinationaler Unternehmen“ in Kapitel I., Ziffer 4 der Leitsätze, Satz 5: „Das Gesellschaftskapital kann privat, öffentlich oder gemischt sein“. 322  Siehe oben Teil 1, A.II. und die Definition „multinationaler Unternehmen“ in Kapitel I., Ziffer 4 der Leitsätze, neu eingefügter Satz 2: „Diese Unternehmen sind in allen Wirtschaftsbereichen tätig“. Damit wurde bei der Überarbeitung der Leitsätze in 2011 eine grundsätzliche Klarstellung getroffen. Welche Anforderungen die Leitsätze an diesen Sektor im Einzelnen stellen, wird allerdings in Zukunft noch näher zu klären sein, vgl. auch Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 23 und Fußnoten 90 bis 92.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

bb) Örtliche Zuständigkeit der Nationalen Kontaktstelle Die Leitsätze geben auch Auskunft darüber, bei welcher der Nationalen Kontaktstellen die Beschwerden eingereicht werden sollen. Dies könnte als „örtliche Zuständigkeit“ einer Nationalen Kontaktstelle bezeichnet werden. Im Grundsatz ist weder die Kontaktstelle des Heimatstaates des multinationalen Unternehmens noch die des Heimatstaates des Antragstellers zuständig. Die Angelegenheiten sollen vielmehr grundsätzlich bei derjenigen Nationalen Kontaktstelle vorgebracht werden, in deren Land sich das vorgeworfene Verhalten ereignet hat.323 Hintergrund ist, dass es dieser Kontaktstelle am besten möglich ist, Erkenntnisse über das vorgeworfene Verhalten und seine negativen Auswirkungen zu gewinnen und diese Zusammenhänge auch unter Berücksichtigung des nationalen Rechts zu bewerten. In der Vergangenheit wurde dieser Zuständigkeitsgrundsatz von den Antragstellern nicht immer beachtet.324 Unsicherheiten können zudem entstehen, wenn eine direkte Verantwortung des Mutterunternehmens etwa aufgrund einer bestimmten Unternehmensentscheidung gesehen wird und dessen Heimatstaat daher als Ort des vorwerfbaren Verhaltens betrachtet wird. Nach dem Sinn der Zuständigkeitsregelung ist hier danach zu entscheiden, wo die negativen Auswirkungen hauptsächlich aufgetreten sind. Unzweifelhaft können Vorgänge aber mehrere Unternehmensteile in unterschiedlichen teilnehmenden Staaten betreffen. Dies erfordert eine enge Kooperation der betroffenen Nationalen Kontaktstellen. Die heimatstaatliche Nationale Kontaktstelle kann häufig wertvolle Unterstützung leisten, beispielsweise durch Einbeziehung der Konzernzentrale in die Lösung des Problems, auch wenn dieser kein eigenständiger Vorwurf gemacht wird. Diese Erkenntnisse aus der Praxis führten zu einer ausführlicheren Beschreibung der Kooperation Nationaler Kontaktstellen bei der Durchführung der Verfahren in der Neufassung der Erläuterungen von 2011.325 323  Erläuterungen,

Abschnitt I., Ziffer 23, Satz 1. wird dies als „forum shopping“ betrachtet, bei dem ein Fall dort anhängig gemacht wird, wo die größten Erfolgsaussichten vermutet werden, nicht jedoch bei der (primär) zuständigen Stelle. 325  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffern 23 und 24. Zur Kooperation zwischen gaststaatlicher und heimatstaatlicher Nationaler Kontaktstelle wurde festgelegt, erstere solle die heimatstaatliche Kontaktstelle bei ihren Vermittlungsbemühungen konsultieren; letztere solle eine angeforderte Unterstützung in angemessener Zeit erbringen. Zur Kooperation mehrerer Nationaler Kontaktstellen, die in ähnlicher Weise betroffen sind, wurde das Prinzip einer „federführenden“ Nationalen Kontaktstelle eingeführt. Auf die Federführung sollen die Nationalen 324  Teilweise



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte241

Die Nationale Kontaktstelle des Heimatstaates ist aber dann zuständig, wenn das vorgeworfene Verhalten in einem Nichtteilnehmerstaat der Leitsätze erfolgte und daher dort keine Nationale Kontaktstelle existiert.326 In dieser Konstellation können sich für die zuständige Nationale Kontaktstelle Schwierigkeiten ergeben, etwa dadurch, dass die Tatsachenermittlung erschwert ist oder die Anforderungen oder Spielräume aus dem nationalen Recht unklar sind.327 Die Umsetzungsbestimmungen gestatten es den Na­ tionalen Kontaktstellen daher, das Verfahren in diesen Fällen nur anzuwenden, „so weit dies zweckmäßig und praktikabel ist“.328 Allerdings sind es im menschenrechtlichen Bereich gerade diese Konstellationen, für die die Anwendung der Leitsätze sehr relevant ist. Von den Zielen der Leitsätze sollen sich die Nationalen Kontaktstellen in Ausübung ihrer Tätigkeit leiten lassen.329 Im Interesse der Ziele der Leitsätze, die sich gerade durch ihren weltweiten Anwendungsbereich auszeichnen, ist diese Klausel daher eng auszulegen. Dies wird in der Praxis auch so gehandhabt.330 Abweichungen vom üblichen Prozedere dürften allenfalls gerechtfertigt sein, wenn die genannten Schwierigkeiten nicht überwunden werden können und ein Vermittlungserfolg oder eine anderweitige Klärung der Sachlage daher nicht herbeigeführt werden kann. In jedem Fall hat die Nationale Kontaktstelle in diesen Fällen „Schritte einzuleiten, um zu einem besseren Verständnis der betreffenden Fragen zu gelangen“.331 Kontaktstellen sich einigen, anderenfalls den Vorsitzenden des OECD-Investitionsausschuss um Hilfe bitten. Die endgültige Entscheidung über den Verlauf des Verfahrens verbleibt, nach angemessener Konsultation der anderen Nationalen Kontaktstellen, bei der federführenden Nationalen Kontaktstelle. 326  Vgl. Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 39. 327  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 39. Siehe auch B.III.1.c). 328  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 5. 329  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Neufassung der Entscheidung des Rats in Bezug auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen 2011, Kapitel I., Ziffer 1: „Die Teilnehmerstaaten richten Nationale Kontaktstellen ein, um die wirksame Anwendung der Leitsätze voranzubringen, in dem sie die Umsetzung der Leitsätze fördern (…)“. Im Rahmen der ersten Evaluierung prüft die Nationale Kontaktstelle die „Frage, ob die Untersuchung des betreffenden Problems den Zielen der Leitsätze dienen“ würde. 330  Zur Nichtannahme von Beschwerden durch heimatstaatliche Nationalen Kontaktstellen kommt es aber im Falle der vorrangigen Zuständigkeit anderer Nationalen Kontaktstellen. 331  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 5.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

cc) Sachliche Zuständigkeit: Anwendungsbereich und Ziele der Leitsätze Neben der örtlichen Zuständigkeit ist die Frage nach der sachlichen Zuständigkeit der Nationalen Kontaktstelle zu berücksichtigen. Hierzu ist zunächst die Anwendbarkeit der Leitsätze auf den vorgebrachten Sachverhalt und die Einschlägigkeit spezifischer Leitsatz-Empfehlungen erforderlich. Die Anwendbarkeit der Leitsätze wurde in der Praxis teilweise verneint, wenn das problematisierte Unternehmensverhalten nicht in Zusammenhang mit einer (Auslands-)Investition stand. Dieser umstrittene investment nexus dürfte heute keine Rolle mehr spielen.332 Stattdessen ist nunmehr die Frage zu stellen, ob ein Zusammenhang zwischen der Geschäftstätigkeit des Unternehmens und der in dem besonderen Fall aufgeworfenen Frage besteht.333 Des Weiteren gehört zur sachlichen Zuständigkeit die „Prüfung der Frage, ob die Untersuchung des betreffenden Problems den Zielen der Leitsätze dienen und zu ihrer Wirksamkeit beitragen würde“334. Unter diesem Kriterium können eine Vielzahl von Erwägungen angestellt werden. So können Beschwerden, die die Anforderungen der Leitsätze offensichtlich überstrapazieren oder nicht „in gutem Glauben“335 vorgebracht wurden, unter diesem Gesichtspunkt abgelehnt werden.336 Parallel anhängige Gerichts- oder Verwaltungsverfahren können ebenfalls unter diesem Gesichtspunkt eine Rolle für die Annahme einer Beschwerde spielen, wobei die Erläuterungen nun explizit eine Einzelfallabwägung beim Umgang mit parallel anhängigen Verfahren fordern337.

332  Zur Problematik des sogenannten investment nexus siehe ausführlich oben A.IV.2.a). 333  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 25, dritter Punkt. 334  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 25, sechster Punkt. 335  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 25, Satz 1. 336  Hier ist zu berücksichtigen, dass sich eine Nationale Kontaktstelle auch vor einer missbräuchlichen Inanspruchnahme schützen können muss. 337  Siehe oben A.IV.3.e).



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte243

dd) Fristen und Veröffentlichungspflichten Mit der Überarbeitung der Leitsätze im Jahr 2011 wurden zusätzliche Veröffentlichungspflichten der Nationalen Kontaktstellen sowie Richtwerte für die Bearbeitungsdauer338 der einzelnen Verfahrensabschnitte eingeführt. Die Entscheidung über die Annahme der Beschwerde soll nun in der Regel innerhalb von drei Monaten gefällt werden.339 Die Entscheidung ist den Parteien mitzuteilen und im Falle der Ablehnung zu begründen.340 Zudem veröffentlicht die Nationale Kontaktstelle bei Ablehnung einer Beschwerde eine Erklärung, wobei sensible Informationen gewahrt bleiben.341 Die Nationalen Kontaktstellen können dabei auch auf die Nennung des Namens des betreffenden Unternehmens in dieser Veröffentlichung verzichten.342 Grund hierfür ist die Besorgnis einer unter Umständen völlig gegenstandslosen Rufschädigung des Unternehmens allein durch die Einreichung der Beschwerde und die Tatsache ihrer Veröffentlichung. Wird die Beschwerde angenommen, so stellen es die Erläuterungen den Kontaktstellen frei, die Öffentlichkeit über die Annahme und den Eintritt in Vermittlungsbemühungen zu informieren.343 b) Vermittlungsbemühungen Die zweite Phase ist die der „Unterstützung der Parteien“ bei der Lösung von Fragen und Problemen, die bei der Umsetzung der Leitsätze entstehen.344 338  Der Zeitrahmen ist dabei nur indikativ, Umsetzungsverfahren der OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffern 40 f. 339  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 40, Unterpunkt 1. 340  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 1; Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 27, Satz 2. 341  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 3 a). 342  So beispielsweise umgesetzt von der britischen Nationalen Kontaktstelle, vgl. Initial Assessment by the UK National Contact Point fort he OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from a non-governmental organization against a UK-registered company in the UK, from 14 May 2012, http: /  / www.oecd.org / daf / in ternationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / 12-895-initial-assess ment-ncp-non-government-organisation-uk-company.pdf. 343  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 33. 344  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 2, und Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 28 ff.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Die Nationalen Kontaktstellen sollen dabei ein „Diskussionsforum“ bieten und den beteiligten Parteien helfen, die Fragen effizient und zügig zu lösen. Im Vordergrund steht damit eine vermittelnde Funktion der Nationalen Kontaktstellen. Die Anwendung der in den Leitsätzen niedergelegten Erwartungen kann im Einzelfall Fragen zur Bandbreite möglicher Handlungsoptionen aufwerfen, unterschiedliche Auslegungen nahelegen und auch dem Wandel gesellschaftlicher Vorstellungen unterliegen. Das Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen kann dem Meinungsaustausch über diese Erwartungen dienen und das gegenseitige Lernen fördern. Auch in Bezug auf den Schutz der Menschenrechte liegt ein besonderes Potenzial des Verfahrens darin, eine Sensibilisierung für Problemlagen zu erreichen und nachhaltige Verhaltensänderungen zu befördern und damit auch zur künftigen Verhinderung von Menschenrechtsbeeinträchtigungen beizutragen. Ziel ist es dabei selbstverständlich, eine Lösung für das konkret vorgetragene Problem zu finden. Eine erfolgreiche Vermittlung setzt dabei voraus, dass die Parteien ihr Verständnis vom Sachverhalt und seiner Bewertung am Maßstab der Leitsätze annähern und sich auf geeignete Schritte zur Behebung eines Missstandes einigen können. Die Bandbreite möglicher Formen und Inhalte von Einigungen ist dabei so vielfältig wie die vorgebrachten Fälle selbst. Im menschenrechtlichen Bereich kann es je nach Sachlage sowohl um das Abstellen einer Beeinträchtigung, eine Wiedergutmachung im Einzelfall als auch um eine zukunftsgerichtete Änderung der Firmenpolitik in einem bestimmten Teilbereich gehen.345 Die Parteien können sich zudem auf die Begleitung der Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen durch die Nationale Kontaktstelle, sogenanntes monitoring, einigen.346 Die Erfolgsaussichten des Verfahrens hängen dabei maßgeblich von der Bereitschaft der Beteiligten ab, konstruktiv und am Einzelfall orientiert an einer konkreten Lösung mitzuarbeiten. Vor dem Hintergrund rund zehnjähriger Erfahrung mit dem Instrument in seiner Ausgestaltung seit 2000 wurde in den Erläuterungen nun deutlicher unterstrichen, dass das Verfahren nur mit dem guten Willen der Parteien erfolgreich zu Ende gebracht werden kann. Eine erfolgreiche Vermittlung, die das primäre Ziel eines Verfahrens darstellt, setzt voraus, dass beide Parteien sich an dem Verfahren aktiv be345  Beispiel für eine Wiedergutmachung ist die Wiedereinstellung eines entlassenen Gewerkschaftsmitgliedes; Beispiel für die Änderung der Firmenpolitik ist die Entwicklung konkreter Programme zur Βekämpfung von Kinderarbeit, siehe auch unten C.II. 346  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 36.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte245

teiligen und an einer wahren Problemlösung interessiert sind.347 Die Erläuterungen fordern daher, die Parteien müssten „nach Treu und Glauben“ handeln.348 Die Nationalen Kontaktstellen agieren beim Vermittlungsversuch in der Regel selbst als Mediatoren.349 Sie können aber mit dem Einverständnis der Parteien auch andere Vermittlungs- oder Schlichtungsverfahren anregen und zum Beispiel externe Mediatoren vorschlagen.350 Die Information der Öffentlichkeit im Falle einer Einigung der Parteien erfolgt über einen „Bericht“ der Nationalen Kontaktstelle, der die wesent­ lichen Vorwürfe und die eingeleiteten Verfahrensschritte wiedergeben soll. Aussagen zum Inhalt der Vereinbarungen sollen nur dann enthalten sein, wenn die Parteien dem zustimmen.351 Diese Veröffentlichungspflicht ist mit der Aktualisierung der Leitsätze 2011 eingeführt worden, wenn auch einige Nationale Kontaktstellen dies bereits zuvor praktiziert haben. Zum zeitlichen Rahmen enthalten die Erläuterungen folgende Maßgaben: Die Nationale Kontaktstelle soll nach Konsultation der Parteien einen Zeitplan erstellen, der in dem konkreten Fall sinnvoll erscheint; nach Ablauf dieser Zeit soll die Kontaktstelle mit den Parteien beraten, inwiefern eine Fortführung des Verfahrens sinnvoll ist und gegebenenfalls das Verfahren abschließen.352 Dieses Vorgehen ist vorteilhaft, da die Vermittlungsbemü347  Es erscheint daher gerechtfertigt, wenn eine Nationale Kontaktstelle die Annahme einer Beschwerde in Fällen verweigert, in denen der Beschwerdeführer beziehungsweise die Betroffenen unzweifelhaft nicht an einer Vermittlung interessiert sind, vgl. Statement by the Australian National Contact Point – Specific Instance – Australian Multinational Mining Company vom 8. März 2013, Ziffer 8.1., www. ausncp.gov.au. 348  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 21, Satz 2: „Nach Treu und Glauben zu handeln bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Antworten zeitnah erfolgen, gegebenenfalls die Vertraulichkeit gewahrt wird, von Falschdarstellungen der Vorgehensweise sowie der Androhung bzw. Durchführung von Repressalien gegen die am Verfahren wirkenden Parteien abgesehen und tatsächlich am Verfahren mitgewirkt wird (…)“. 349  Das Jahr 2012 stand daher auch im Zeichen des Ausbaus der Fähigkeiten der Nationalen Kontaktstellen als Mediatoren, vgl. OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012. Es gibt aber auch einen Trend, zunehmend externe Mediatoren hinzuzuziehen. 350  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 2.d). 351  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C. Ziffer 3.b). 352  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 40, Abschnitt 2, Satz 2.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

hungen in eine Sackgasse geraten können und nicht auf unbestimmte Zeit blockiert sein sollen. Andererseits sollte eine Nationale Kontaktstelle nicht zum Verfahrensabschluss durch eine Stellungnahme übergehen, wenn die Parteien noch Aussichten auf eine erfolgreiche Vermittlung sehen. Als Orientierungspunkt für die Festlegung eines sinnvollen Zeitplanes für die Vermittlungsphase dient die anvisierte Gesamtverfahrensdauer von einem Jahr.353 Für die Abfassung des Berichts im Falle einer Einigung der Parteien räumen die Erläuterungen weitere drei Monate Bearbeitungszeit ein.354 c) Abschließende Erklärung der Nationalen Kontaktstelle Scheitern die Vermittlungsbemühungen oder verweigert eine der Parteien die Mitwirkung am Verfahren, so hat die Nationale Kontaktstelle eine Erklärung zu veröffentlichen, die zumindest die wesentlichen Vorwürfe, die Gründe für die Annahme der Beschwerde und die eingeleiteten Verfahrensschritte darlegt.355 Die Abfassung dieser Stellungnahme kann als dritte Phase des Verfahrens bezeichnet werden. Der indikative zeitliche Rahmen für diesen Verfahrensabschnitt beträgt drei Monate.356 Die Erklärung kann Empfehlungen an das Unternehmen zur besseren Einhaltung der Leitsätze enthalten.357 Diese Empfehlungen haben nunmehr unzweifelhaft Bestandteil der Erklärung zu sein. Zusätzlich kann die Nationale Kontaktstelle in der Stellungnahme ankündigen, die Umsetzung dieser Empfehlungen nachzuhalten.358 353  Nach Abzug von drei Monaten für die erste Evaluierung und drei Monaten für eine etwaige abschließende Stellungnahme beträgt der Regelzeitraum für die Vermittlungsphase – einschließlich erster Konsultationen – sechs Monate, Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 41. 354  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 40, Abschnitt 3. 355  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 3.c), Satz 2. 356  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 40, Ziffer 3. 357  Klargestellt ist in der aktuellen Fassung der Leitsätze, dass etwaige Empfehlungen der Nationalen Kontaktstelle in die Stellungnahme selbst, nicht in getrennten Dokumenten, aufzunehmen sind, und die Gründe für das Scheitern der Vermittlungsbemühungen aufgenommen werden können: Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C. Ziffer 3.c). 358  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 36.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte247

Unverändert ist, dass die Nationale Kontaktstelle keine abschließende Bewertung zur Frage abgeben muss, ob die Leitsätze verletzt wurden. Es bleibt vielmehr weiterhin den Nationalen Kontaktstellen überlassen, inwieweit sie eine solche Bewertung im Einzelfall für angemessen oder erforderlich halten. Dies wurde von Seiten der Nichtregierungsorganisationen bedauert und hat möglicherweise Einfluss auf das Wesen des Verfahrens, das unter 3. näher beleuchtet wird. Auch wenn eine solche Bewertung nicht zwingend vorgeschrieben ist, so finden die Nationalen Kontaktstellen teilweise aber doch sehr klare Worte.359 Je nach Verfahrensverlauf bildet spätestens diese Erklärung der Nationalen Kontaktstelle den formalen Abschluss des Verfahrens. Angesichts einiger Unzufriedenheit mit der Durchführung von Beschwerdeverfahren durch Nationale Kontaktstellen wurde der Ruf nach einer Revisionsmöglichkeit laut. Bei der Überarbeitung der Leitsätze 2011 wurde daher die Aufsicht durch den OECD-Investitionsausschusses gestärkt, ohne dass jedoch eine inhaltliche Revisionsinstanz geschaffen worden wäre.360 d) Verfahrensausgestaltung in Deutschland Einige Teilnehmerstaaten hatten bereits vor der Revision der Leitsätze 2011 Erläuterungen zur genauen Ausgestaltung des Verfahrens im nationalen Kontext veröffentlicht, um die Transparenz und Vorhersehbarkeit und damit die Glaubwürdigkeit des Verfahrens zu erhöhen.361 Unter dem neuen Kriterium der „Berechenbarkeit“ werden nun alle Nationalen Kontaktstellen angehalten, „Informationen über ihre Rolle bei der Lösung besonderer Fälle“ zur Verfügung zu stellen.362 Dies kann auch die Zugänglichkeit erhöhen, da die Strukturen der Nationalen Kontaktstellen unterschiedlich sind und auf diesem Wege bekannter gemacht werden können. Schließlich geben sie Raum, um nationale Festlegungen hinsichtlich solcher Verfahrensfragen zu treffen, die in den Erläuterungen noch keine einheitliche Lösung gefunden haben.363 359  Siehe

unten C.II.3. unten C.I.2.d). 361  Vorreiter hierbei war die britische Nationale Kontaktstelle, deren Verfahrensfestlegungen wie beispielsweise ein indikativer Zeitrahmen nun auch Eingang in die Erläuterungen der Verfahrenstechnischen Anleitungen gefunden haben. Auch die deutsche Nationale Kontaktstelle (http: /  / www.oecd-nks.de) und andere (Italien, Kanada, Norwegen u. v. m.). haben nationale Verfahrenserläuterungen veröffentlicht. 362  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 22, Abschnitt 3. 363  Beispiele für solche Fragen wären das Sprachenregime oder die Einholung von Stellungnahmen während der Phase der ersten Evaluierung. 360  Siehe

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Auch die deutsche Nationale Kontaktstelle hat Verfahrenserläuterungen veröffentlicht.364 Diese geben an, bei welcher Stelle die Beschwerde einzureichen ist365 und wie die Nationale Kontaktstelle in den einzelnen Verfahrensstadien mit anderen Stellen kooperiert. Jeder Entscheidung der Nationalen Kontaktstelle und jedem Entwurf einer Stellungnahme oder eines Berichtes geht demnach die Beteiligung der fachlich betroffenen Bundesministerien voraus, welche ihrerseits prüfen und Stellung nehmen. Die fachlich betroffenen Bundesministerien sind eingeladen, an den Gesprächen mit den Parteien teilzunehmen. Entscheidungen und verfahrensleitenden Schritten geht zudem die Befassung des „Ressortkreises OECD-Leitsätze“ voraus, in dem alle an der Umsetzung der Leitsätze interessierten Bundesministerien vertreten sind.366 Die Verfahrenserläuterungen umschreiben zudem die Rolle des sich aus den Interessensvertretern zusammensetzenden „Arbeitskreises OECD-Leitsätze“, auch wenn dieser nicht unmittelbar in die Verfahren einbezogen ist. Von der in den Leitsätzen eingeräumten Möglichkeit über die Annahme einer Beschwerde und den Übergang in das Vermittlungsverfahren zu berichten, wird in Deutschland laut der Verfahrenserläuterungen kein Gebrauch gemacht. 2. Hauptkritikpunkte an den prozeduralen Vorgaben Nichtregierungsorganisationen zeigten sich in der Vergangenheit teilweise von den Ergebnissen der Verfahren enttäuscht und forderten Nachbesserungen in den Verfahrensvorschriften der Leitsätze. Zu den Vorwürfen zählten die ungerechtfertigte Ablehnung von Beschwerden, der teilweise zähe Verlauf, die vermutete Parteilichkeit der Nationalen Kontaktstellen, die Intransparenz des Verfahrens sowie die mangelnde Kooperationsbereitschaft von Unternehmen.367 Mit der Revision der Leitsätze im Jahr 2011 wurden daher einige Hoffnungen auf eine entscheidende Weiterentwicklung der Umsetzungsbestimmungen verbunden, die aber nicht in dem von den Nichtregierungsorganisationen erhofften Maße verwirklicht wurde.368 364  http: /  / www.bmwi.de / BMWi / Redaktion / PDF / M-O / oecd-leitfaden-zum-beschwer deverfahren,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf. 365  In Deutschland: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Referat Auslandsinvestitionen, Einzelheiten vgl. http: /  / www.oecd-nks.de. 366  Zur Zeit sind dies das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das Bundesministerium für Umwelt, das Bundesministerium der Justiz und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. 367  Zu einigen dieser Vorwürfe siehe Heydenreich, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen – Erfahrungen und Bewertungen, S. 43 f. 368  OECD Watch, Statement on the update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 25.  Mai  2011, http: /  / oecdwatch.org / publications-en / Publica tion_3675.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte249

Die Kritikpunkte verhindern, so der Vorwurf, dass das Umsetzungsverfahren seine volle Effektivität entfaltet. Die wesentlichen Punkte sollen daher hier kurz beleuchtet werden. a) Struktur der Nationalen Kontaktstellen Kritisiert wird der Grundsatz der funktionalen Äquivalenz der Nationalen Kontaktstellen, der den Teilnehmerstaaten eine große Gestaltungsfreiheit bei der Wahl der Organisationsform der Nationalen Kontaktstellen belässt369 und daher auch eine ausschließliche Zuständigkeit der Wirtschaftsministe­ rien der teilnehmenden Staaten erlaubt. In der gleichzeitigen Zuständigkeit für die Förderung von Auslandsinvestitionen und der Durchführung von Beschwerdeverfahren nach den Leitsätzen wird teilweise ein Interessenkonflikt gesehen. Diesem vermeintlichen Interessenskonflikt wurde unter anderem entgegengehalten, die Transparenz der Verfahrensweise innerhalb der Bundesregierung widerlege eine solche Vermutung.370 Angesichts der Bandbreite der von den Leitsätzen abgedeckten Themen geriet aber auch generell die Zuständigkeit nur eines Ministeriums in die Kritik und es wurde eine stärkere Einbeziehung von Interessensvertretern in die Aufgaben der Nationalen Kontaktstellen gefordert. In der Praxis hat sich vor diesem Hintergrund eine Vielzahl an Organisationsformen entwickelt. Die Bandbreite reicht dabei von rein ministeriellen Nationalen Kontaktstellen über solche, die Interessensvertreter integrieren bis hin zur Externalisierung der Aufgaben. Unter den ministeriellen Nationalen Kontaktstellen werden die in nur einem Ministerium angesiedelten Kontaktstellen („monopartite“, derzeit zwanzig) von den mehrere Ministe­ rien einbindenden Kontaktstellen („interagency“, derzeit acht) unterschieden.371 Bei den Kontaktstellen, die Interessensvertreter integrieren, sind bi-, tri- und quadripartielle Strukturen bekannt, die es jeweils ein-, drei- und zweimal gibt.372 Eine Übertragung der Aufgaben auf unabhängige Expertengremien gibt es inzwischen dreimal, nämlich in den Niederlanden373, Nor369  Siehe

oben A.III.3.a) und A.IV.3.a). der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion vom 15. Oktober 2008, BT-Drucksache 16 / 10631. 371  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 16. 372  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 16. 373  Zwar ist das Sekretariat der niederländischen NKS im dortigen Ministry of Foreign Affairs angesiedelt, die Aufgaben der NKS werden jedoch von vier unab370  Antwort

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

wegen374 und Dänemark375. Die dänische Nationale Kontaktstelle hat zudem als erste eine gesetzliche Grundlage für ihre Arbeit erhalten: Die im Juni 2012 per Gesetz eingerichtete „Mediation- and Complaints-Handling Institution“ nimmt auch die Aufgaben einer Nationalen Kontaktstelle für die Leitsätze wahr.376 Beachtung erfuhr auch die Reform der britischen Kontaktstelle in 2007, deren hervorstechendstes Merkmal die Bildung eines mehrgliedrig zusammengesetzten Steering Boardes mit Aufsichtsfunktionen war.377 Keines der genannten Modelle wurde aber als organisatorische Vorgabe in die aktualisierte Fassung der Leitsätze von 2011 aufgenommen. Stattdessen gehen die Leitsätze weiterhin davon aus, dass unterschiedliche Modelle zum Erfolg führen können. Allerdings sieht die aktuelle Fassung der Leitsätze zusätzliche Kriterien vor, die eine Nationale Kontaktstelle erfüllen soll.378 Für die klassischen monopartiten Nationalen Kontaktstellen dürfte es daher schwerer werden, ihre Struktur zu rechtfertigen.379 Bei den ministeriellen und insbesondere den einzügigen Nationalen Kontaktstellen kann daher ein Trend zu einer Unterstützung durch beratende Gremien festgestellt werden.380 Hinzu kommen die neu eingeführten Kriterien für die Durchführung der Verfahren, die eine Reaktion auf die Bedenken gegenüber monopartiten Nationalen Kontaktstellen darstellen und verlangen, dass die Verfahren „impartial, predictable, equitable and compatible with the principles and standards of the Guidelines“ durchgeführt werden381. hängigen Experten wahrgenommen, die von vier beratenden Mitgliedern aus verschiedenen Ministerien unterstützt werden, www.oesorichtlijnen.nl. 374  Vier unabhängige Experten werden auf Vorschlag der Interessensvertreter von zwei Ministerien ernannt und von einem ministeriell angesiedelten Sekretariat unterstützt; Leiter der norwegischen NKS seit 2011 ist Hans Petter Graver, Dekan der Universität Oslo, http: /  / www.regjeringen.no / en / sub / styrer-rad-utvalg / ncp_nor way / ncp_norway.html?id=669910. 375  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 16. 376  http: /  / www.businessconduct.dk / the-danish-oecd-contact-point unter Hinweis auf das vom dänischen Parlament angenommene Gesetz Nr. 546 vom 18. Juni 2012. 377  Vgl. u. a. Brankamp, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: Funktionsweise und Umsetzung, Menschenrechtsmagazin Heft 1 / 2010, S. 41, S. 48 f. 378  Siehe oben A.IV.3.a). 379  Das in Deutschland in den Jahren vor der Überarbeitung der Leitsätze 2011 entwickelte Modell der (verfahrensleitenden) Zuständigkeit eines Ministeriums unter fest verankerter Kooperation mit den fachlich betroffenen Bundesministerien bietet dabei Gewähr für die Abdeckung der Bandbreite der in den Leitsätzen angesprochenen Themen. 380  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 18. 381  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für die multinationalen Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Satz 1.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte251

Beide Kategorien von Kriterien – für die Struktur der Nationalen Kontaktstelle und für ihre Arbeitsweise – unterliegen seit der Überarbeitung 2011 in besonderem Maße der Aufsicht durch den OECD-Investitionsausschuss.382 Zudem verstärken die Nationalen Kontaktstellen ihr „peer learn­ ing“ und das freiwillige Instrument der „peer reviews“, um die funktionale Äquivalenz zu fördern.383 Die Praxis wird zeigen, ob sich diese neuen Kriterien bewähren und welche Organisationsformen sich künftig (mehrheitlich) herausbilden werden. b) Art der Aufgabenwahrnehmung durch die Nationalen Kontaktstellen In der Vergangenheit wurde eine mangelnde Transparenz im Umgang mit Beschwerdeverfahren, die teilweise lange Verfahrensdauer sowie die NichtAnnahme von Beschwerden kritisiert. Mit der Überarbeitung der Leitsätze 2011 gab es eine Reihe von Änderungen, die den Ablauf der Verfahren betreffen und diesen Kritikpunkten begegnen, in dem sie Veröffentlichungs- und Begründungspflichten ergänzen384, zeitliche Zielvorgaben einführen385, Klarstellungen zu Investitionsbezug386 und Parallelverfahren387 enthalten sowie die Zusammenarbeit der Nationalen Kontaktstellen untereinander fördern388. Als weiteres Problem wurden unzureichende Bemühungen zu eigenen Tatsachenermittlungen durch Nationale Kontaktstellen identifiziert.389 So 382  Die Struktur einer Nationalen Kontaktstelle kann dabei nicht als solche hinterfragt werden, sondern nur die Art und Weise der Durchführung einzelner Verfahren; dabei kann jedoch die Struktur inzident eine Rolle spielen, vgl. Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Neufassung der Entscheidung des Rats in Bezug auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen 2011, Kapitel II., Ziffer 5; Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt II., Ziffer 2; Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 9, Satz 3. 383  OECD, Annual Report for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 31. 384  Siehe oben C.I.1.a)dd) und b). 385  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 40 f. 386  Siehe oben A.IV.2.a). 387  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 26. 388  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 23, Satz 3 und Satz 4. 389  Vgl. u. a. Heydenreich, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen – Erfahrungen und Bewertungen, S. 45.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

habe es nur in wenigen Fällen „on-the-spot-visits“ einer Nationalen Kontaktstelle gegeben. Die Nationalen Kontaktstellen trügen damit nicht im erforderlichen Maße zur Aufklärung von Tatsachen bei, die aber häufig Kern der Konfliktlösung seien. Diese Frage betrifft im Kern das Wesen des Verfahrens und die Rolle der Nationalen Kontaktstellen. Die Verfahrenstechnischen Anleitungen machen keine Vorgaben zur Tatsachenermittlung durch Nationale Kontaktstellen. Sie sehen lediglich vor, dass diese sich soweit erforderlich den Rat zuständiger Behörden und gegebenenfalls auch der Botschaften vor Ort einholen oder Nationale Kontaktstellen anderer Länder konsultieren.390 Geht es um Vorkommnisse in Nicht-Teilnehmerstaaten, erkennen die Leitsätze zudem an, dass die Tatsachenermittlung in diesen Fällen besonders schwierig sein kann. Zu berücksichtigen ist, dass das Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen kein strafrechtliches Verfahren ist, bei dem der Amtsermittlungsgrundsatz gelten würde. Andererseits kann sich das Verfahren auch nicht allein auf die von den Parteien vorgebrachten Sachverhaltselemente beschränken, wenn dies für eine erfolgreiche Vermittlung nicht ausreicht. Das Interesse der Regierungen an der Einhaltung der Leitsätze unterscheidet das Beschwerdeverfahren in dieser Hinsicht deutlich von einem Zivilverfahren. Die Möglichkeiten der Nationalen Kontaktstellen, eigene Tatsachenermittlungen beispielsweise durch Vor-Ort-Termine wahrzunehmen, sind aber aufgrund beschränkter finanzieller und personeller Ressourcen limitiert.391 Die Kontaktstellen werden daher auch künftig ergänzende Informationen vor allem durch Konsultation anderer Stellen, ggf. der Botschaften vor Ort, einholen. Um die Erfolgsaussichten der Verfahren zu erhöhen, legen die Nationalen Kontaktstellen selber derzeit einen Schwerpunkt auf die Verbesserung ihrer Mediationsfähigkeiten.392 Auch die verstärkte Einbindung externer Mediatoren ist im Fluss. So erwägen Weltbank und OECD die Einrichtung eines gemeinsamen Mediator-Netzwerkes.393 Darüber hinaus haben die Staaten 390  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 2.a) und b), Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 39, Punkt 1, Satz 3. 391  Die teilnehmenden Staaten haben sich aber in dem Ratsbeschluss vom 25. Mai 2011 verpflichtet, ihre Kontaktstellen mit „Human- und Finanzressourcen“ auszustatten, „damit diese ihren Verantwortlichkeiten (…) effektiv nachkommen können“, Neufassung der Entscheidung des Rats in Bezug auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, vom 25. Mai 2011, Ziffer I.4. Allerdings ist diese Vorgabe unter den Vorbehalt der „Berücksichtigung interner Haushaltsprioritäten und -praktiken“ gestellt. 392  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 10, S. 45 ff. 393  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 10, S. 45 ff.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte253

beschlossen, die Nationalen Kontaktstellen mit „Human- und Finanzressourcen auszustatten, damit diese ihren Verantwortlichkeiten (…) effektiv nachkommen können“.394 Allerdings steht dieser Beschluss unter dem Vorbehalt der „Berücksichtigung interner Haushaltsprioritäten und -praktiken“.395 Es ist vor diesem Hintergrund eher zu erwarten, dass die Fähigkeiten der Nationalen Kontaktstellen zu einer erfolgreichen Vermittlung zwischen den Parteien oder der Einsatz externer Mediatoren steigen wird396, als dass die eigenen Aktivitäten zu Tatsachenermittlungen vor Ort stark zunehmen werden. c) Fehlende Sanktionsmöglichkeiten der Nationalen Kontaktstellen Ein häufiger Kritikpunkt sind fehlende Sanktionsmöglichkeiten der Nationalen Kontaktstellen. Die Zahnlosigkeit des Verfahrens mache es ineffizient und es bestünden keine Möglichkeiten, ein sich verweigerndes Unternehmen zur aktiven Teilnahme zu bewegen. Richtig ist, dass ein Unternehmen nicht zur aktiven Teilnahme an den Vermittlungsbemühungen gezwungen werden kann und es Beispielfälle für solche Verweigerungen gibt.397 Dies hat auch Eingang in die Verfahrenstechnischen Anleitungen gefunden, wo es heißt, eine abschließende Erklärung sei auch dann abzugeben, wenn „eine Partei nicht bereit ist, sich an den Verfahren zu beteiligen“398. Dennoch gilt grundsätzlich, dass Unternehmen „schlecht beraten“ wären, sich diesem Ansatz zu entziehen und in der weit überwiegenden Zahl der Fälle daher auch mitwirken.399 Richtig ist auch, dass für die abschließende Erklärung der Nationalen Kontaktstellen „noch nicht einmal Kriterien hinsichtlich der Aussagekraft 394  Neufassung der Entscheidung des Rates in Bezug auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I., Ziffer 1. 395  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 10, S. 45 ff. 396  Externe Mediatoren wurden zum Beispiel in Beschwerdefällen zum Handel mit usbekischer Baumwolle hinzugezogen, siehe unten C.II.3.b)aa). 397  Vgl. den Fall Vedanta bei der britischen Nationalen Kontaktstelle, siehe unten C.II.3.a)ee). 398  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 3. lit. c), Satz 1. 399  Vgl. Böhmer: „(…) all evidence suggests, that companies tend to decide to participate in the Guidelines procedure given the rationalising effect which they promise to deliver“: Böhmer, The Revised 2000 Guidelines for Multinational Enterprises – Challenges and Prospects after 4 Years of Implementation, Policy Papers on Transnational Economic Law, No. 3 / 2004, S. 6.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

(…) festgesetzt“400 sind. Damit ist die Bewertung des Verhaltens des Unternehmens am Maßstab der Leitsätze kein fester Bestandteil dieser Erklärung. Allerdings kann jede Nationale Kontaktstelle hierzu Aussagen treffen und einige Nationale Kontaktstellen sehen dies auch explizit als ihre Aufgabe an401. Auch aus den Empfehlungen, welche Nationale Kontaktstellen an die Unternehmen zur besseren Verwirklichung der Leitsätze aussprechen, können Defizite in der Umsetzung herausgelesen werden. Hält die Nationale Kontakstelle Empfehlungen nicht für erforderlich, so hat sie dennoch eine Stellungnahme zu veröffentlichen, aus der die betroffenen Parteien und die aufgeworfenen Fragen hervorgehen.402 Die abschließende Stellungnahme ist damit öffentlichkeitswirksam und bringt bis zu einem gewissen Grad die Gefahr von Imageverlusten und Umsatzeinbußen mit sich. Dies kann als eine sanktionierende Wirkung der Nichteinhaltung der Leitsätze angesehen werden.403 Dies sei aber kein ausreichender Anreiz zur Einhaltung der Leitsätze, so die Kritiker. Zur effektiveren Sanktionierung wird daher eine Verknüpfung mit dem Handeln anderer staatlicher Stellen vorgeschlagen, namentlich mit der Vergabe von Investitionsgarantien beziehungsweise Exportkreditgaran­ tien.404 Bei der Revision der Leitsätze 2011 wurde dieser Ansatz thema­ tisiert. Im Ergebnis werden nun die Nationalen Kontaktstellen ermutigt, andere staatliche Stellen über veröffentlichte Erklärungen und Berichte zu informieren, wenn diese für die jeweiligen Programme von Bedeutung sind.405 Diese Information soll „die Kohärenz der Politik“ fördern.406 Demgegenüber soll diese Bestimmung ausdrücklich „keine Auswirkung auf den freiwilligen Charakter der Leitsätze“ haben.407 An diesen Formulierungen 400  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 9. 401  Siehe die jeweiligen von der britischen und norwegischen NKS veröffentlichten Verfahrensbeschreibungen und unten C.II.3. 402  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 35, Satz 2 und Satz 3. 403  So werden diese Folgen als wirtschaftliche oder soziale Sanktionen bezeichnet, siehe Teil 1, Fußnote 195. 404  OECD Watch, Statement on the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 25.  Mai  2011, http: /  / oecdwatch.org / publications-en / Publica tion_3675. 405  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 37, Satz 1 und Satz 2. 406  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 37, Satz 2. 407  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 37, Satz 3.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte255

werden die Vorbehalte deutlich, die gegenüber einer stärkeren Sanktionierung bestehen. Zugleich wird aber auch die zunehmende Vernetzung unterschiedlicher Instrumente und Verfahren miteinander deutlich. d) Fehlende Revisionsinstanz gegenüber den Nationalen Kontaktstellen In der Praxis wurde auch die Einführung einer Revisionsmöglichkeit im Hinblick auf die Behandlung einer Beschwerde durch eine Nationale Kontaktstellen gefordert. Grundsätzlich sind hier nationale Revisionsmöglichkeiten und internationale Revisionsmöglichkeiten denkbar. In einigen Teilnehmerstaaten wurden Aufsichtsgremien für die Nationalen Kontaktstellen eingerichtet.408 Eine Aufsicht der OECD über die Arbeit der Nationalen Kontaktstellen besteht dabei nicht von Natur aus, da es sich hier entgegen der teils verwendeten Kurzbezeichnung „OECD-Kontaktstellen“ nicht um Außenstellen der OECD, sondern um rein nationale Stellen handelt. Bereits in der alten Fassung der Leitsätze war allerdings vorgesehen, dass sich der OECD-Investitionsausschuss mit der Verfahrensführung von Nationalen Kontaktstellen oder deren Auslegung der Leitsätze befassen kann.409 Während bislang aber nur die teilnehmenden Staaten sowie die beratenden Organe BIAC und TUAC zu solchen Anfragen berechtigt waren, ist diese Befugnis 2011 auf „das internationale Netzwerk zivilgesellschaftlicher Organisationen OECD Watch“ erweitert worden410. Dabei können sowohl prozedurale als auch materielle Fragen aufgeworfen werden, da sowohl die Verfahrensführung411 als auch die Auslegung der Leitsätze durch die Natio408  Zur Einrichtung einer spezifischen nationalen Revisionsinstanz vgl. das „Steering Committee“ der Nationalen Kontaktstelle des Vereinigten Königreiches, siehe oben C.I.2.a). Vgl. auch OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, unter Verweis auf zwei weitere nationale Revisionsinstanzen. Zu etwaigen verwaltungsrechtlichen Möglichkeiten einer Überprüfung der Handlungen der Nationalen Kontaktstelle siehe unten C.I.3.c). 409  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen i. d. F. 2000, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt II., Ziffer 3. b) und c). 410  Neufassung der Entscheidung des Rats in Bezug auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen vom 25. Mai 2011, Abschnitt II., Ziffer 2, Satz 1 und Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt II., Ziffer 2 b) und c). Als „beratende Organe“ der OECD werden weiterhin der Beratende Ausschuss der Wirtschaft (BIAC) und der Gewerkschaftliche Beratungsausschuss (TUAC) bezeichnet, vgl. oben Fußnoten 8 und 9. 411  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt II., Ziffer 2 b).

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nalen Kontaktstellen412 möglicher Gegenstand einer solchen Eingabe sein können. Voraussetzung ist, dass die Eingabe hinreichend substantiiert ist und sich auf die Erfahrungen aus einem oder mehreren konkreten Verfahren bezieht.413 Der OECD-Investitionsausschuss wird diese Eingaben berücksichtigen und im Falle von Auslegungsfragen gegebenenfalls eine Klarstellung formulieren.414 Gegebenenfalls wird der Ausschuss Empfehlungen zur Verbesserung der Arbeitsweise von Nationalen Kontaktstellen und der effektiven Umsetzung der Leitsätze aussprechen.415 Der Ausschuss ist dabei zu einer zügigen Bearbeitung der Fragen angehalten416, wobei es keine Pflicht zur Stellungnahme gibt417. In der Praxis könnte diese Änderung eine nicht unerhebliche Wirkung haben. Um ihren Unternehmen ein „level playing field“, also gleiche Wettbewerbsbedingungen zu bieten, dürfte den Mitgliedern des Investitionsausschusses durchaus daran gelegen sein, allzu großen Unterschieden im Engagement der Nationalen Kontaktstellen entgegen zu wirken. Der OECD-Investitionsausschuss wird sich aber weiterhin nicht zu dem Verhalten einzelner Unternehmen äußern.418 Abgesehen von Auslegungen der Leitsätze können die Ergebnisse der Stellungnahmen Nationaler Kontaktstellen durch eine Vorlage beim OECD-Investitionsausschuss nicht in Frage gestellt werden.419 Der OECD-Investitionsausschuss agiert daher, auch nach der Überarbeitung der Leitsätze 2011, nicht als eine Art „zweiter Instanz“ im Einzelfall. Seine Befassung dient eher der Klärung grundsätz­ licher Fragen. Die Nichtregierungsorganisationen zeigten sich von dieser verhaltenen Ausgestaltung enttäuscht.420 412  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt II., Ziffer 2 c). 413  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt II., Ziffer 2 b) und c). 414  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt II., Ziffer 2b) und c). 415  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt II., Ziffer 2 d). 416  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt II., Ziffer 4: „The Committee will ­discharge its responsibilities in an efficient and timely manner“. 417  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt II., Ziffer 2 c). 418  Neufassung der Entscheidung des Rates in Bezug auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, II.4., und Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 44, Satz 3. 419  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 44, Satz 2.



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Die Erläuterungen selbst begründen diese Ausgestaltung: „The non-bind­ ing nature of the Guidelines precludes the Committee from acting as a judicial or quasi-judicial body“421. Dieselbe Argumentation dürfte der Grund dafür sein, dass eine Bewertung der Leitsatzkonformität des unternehmerischen Verhaltens nicht als fester Bestandteil der abschließenden Erklärung festgeschrieben wurde. 420

3. Schlussfolgerungen zum Wesen des Verfahrens bei den Nationalen Kontaktstellen Die Darstellung der Verfahrensvorschriften hat deutlich gemacht, dass es sich hier um ein Verfahren „sui generis“ handelt, dessen Wesen nicht leicht zu erfassen ist. Das Verfahren ist ohne Vorbilder und bildet einen Kompromiss zwischen den Befürwortern einer stärkeren Bindung multinationaler Unternehmen und den Verteidigern der „Freiwilligkeit“ der Standards. Es ist daher davon auszugehen, dass sich das Verfahren und seine Anwendung auch in Zukunft stetig weiterentwickeln wird: „the (…) perception of this steering regime as a living instrument strongly indicates that it belongs to the category of projects that are never complete, but in constant need of adjustment and improvements“422. Zur Weiterentwicklung werden sich verändernde Rahmenbedingungen ebenso beitragen wie der konstante Erfahrungsaustausch der Nationalen Kontaktstellen untereinander und mit interessierten Kreisen423. Zunächst bedarf es aber einer Einschätzung des Wesens des „Verfahrens in besonderen Fällen“ in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung. a) Beschwerdeverfahren? Die Leitsätze halten keine griffige Bezeichnung für das Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen bereit. Stattdessen sprechen sie von der „Anwen420  OECD Watch, Statement on the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 25.  Mai  2011, http: /  / oecdwatch.org / publications-en / Publica tion_3675. 421  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Abschnitt II., Absatz 2, Satz 1. Siehe auch nachfolgend C.I.3.b). 422  Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 57. 423  Hierzu dienen die Jahrestreffen der Nationalen Kontaktstellen, deren Frequenz aber möglicherweise erhöht werden soll, vgl. OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2011.

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dung der Leitsätze in besonderen Fällen“424 und von einem Beitrag „zur Lösung von Problemen“, „die sich bei der Umsetzung der Leitsätze in spezifischen Fällen ergeben“425. Der Begriff „Beschwerde“ wird in den Leitsätzen hingegen vermieden.426 Dennoch wird die Bezeichnung „Beschwerdeverfahren“427 oder „com­ plaint“428 in der Praxis häufig verwendet. Fraglich ist, ob diese Bezeichnung sachgerecht ist und es sich dem Wesen nach um ein Beschwerdeverfahren handelt. Die Aufgabe der Nationalen Kontaktstellen für die Leitsätze ist es, zu einer Lösung eines konkret auftretenden Problems beizutragen. Die Kontaktstelle soll hier ein „Diskussionsforum“ bieten und die Parteien unterstützen. Erst wenn eine solche Vermittlung nicht gelingt, ist das Verfahren mit einer Stellungnahme der Nationalen Kontaktstelle abzuschließen. Die Rolle der Kontaktstelle ist damit ergebnisorientiert formuliert. Anders als eine Klage zielt sie dabei nicht primär auf die Beurteilung des Verhaltens und Anordnung gewisser Folgen. Hauptanliegen des Verfahrens ist vielmehr die Vermittlung zwischen den Parteien. Die Vermeidung des Begriffes „Beschwerde“ ist daher formal korrekt und geeignet, falschen Erwartungen an das Verfahren vorzubeugen. In Anlehnung an die englische Fassung der Leitsätze wird daher beispielsweise auch von der „specific instances procedure“ gesprochen. Das deutsche Pendant wäre „Verfahren in besonderen Fällen“. Denkbar wäre auch die Bezeichnung „Verfahren der Einzelfallbefassung“. Diese Begriffe haben sich aber nicht durchgesetzt. In Literatur und Praxis wird stattdessen häufig vom „Beschwerdeverfahren“ gesprochen, aber auch vom „Mediationsverfahren“ oder „Umsetzungsverfahren“. Andererseits bedeutet die Befassung einer Nationalen Kontaktstelle mit Problemen bei der Umsetzung inhaltlich zugleich das Vorbringen einer „Be424  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Überschrift Abschnitt I.C. Für das einzelne Verfahren wird zusätzlich auf den englischen Begriff specific instance verwiesen, Neufassung der Entscheidung des Rats in Bezug auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, II.4., Satz 1. 425  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Satz 1. 426  Auch im englischen Original der Leitsätze ist nicht von „complaint“ die Rede, die Aufgabe der Kontaktstellen lautet vielmehr „contributing to the resolution of issues that arise relating to the implementation of the Guidelines in specific instances“. 427  Vgl. etwa Verfahrenserläuterungen der deutschen Nationalen Kontaktstelle, http: /  / www.oecd-nks.de. 428  OECD Watch, Cases Data Base, http: /  / www.oecdwatch.org.



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schwer“. Auch eine Vermittlung erfordert ein Mindestmaß an Auseinandersetzung mit einem bestimmten Verhalten am Maßstab der Leitsätze. Die Fortentwicklung der Verfahrensvorschriften bei der Überarbeitung der Leitsätze 2011 baute zudem den beschwerdeähnlichen Charakter des Verfahrens durch weitere Präzisierungen zum Verfahrensablauf und zur Aufsicht des OECD-Investitionsausschusses weiter aus. Die Bezeichnung als „Beschwerdeverfahren“ ist daher trotz der formalen Bedenken praxisnah und gerechtfertigt. Der vielfältige Charakter des Verfahrens und das Anliegen einer Vermittlung zwischen den Parteien wird allerdings noch deutlicher in der von Utz gewählten Bezeichnung als „Beschwerde- und Schlichtungsverfahren“429. Zurückhaltender ist der Begriff der „Vermittlungs- und Schlichtungsplattform“, den die OECD im Vorwort zu der Ausgabe der Leitsätze 2011 wählt430. Aus Gründen der Praktikabilität dürfte sich der Begriff Beschwerdeverfahren weiter durchsetzen. Für eine endgültige Klarstellung wäre allerdings die Einführung einer eingängigen Bezeichnung des Verfahrens in den Leitsätzen hilfreich. b) Quasi-justizielles Verfahren? Wie gesehen ist die Möglichkeit, eine Nationale Kontaktstelle mit Fragen zur Umsetzung der Leitsätze in besonderen Fällen zu befassen, am treffendsten als „Beschwerde- und Schlichtungsverfahren“ zu bezeichnen. Der Schwerpunkt des Verfahrens liegt dabei im Angebot einer Vermittlung. Dies steht einer Einordnung als justizielles oder quasi-justizielles Verfahren entgegen. Dies ist auch nach der Revision der Leitsätze 2011 der Fall. Zwar hat das Verfahren weitere Ausgestaltungen, einschließlich einer erweiterten Aufsicht durch den OECD-Investitionsausschuss, erhalten. Die Festlegung, die Neufassung der Leitsätze nicht retrospektiv anzuwenden431, erinnert dabei an das Rückwirkungsverbot von Gesetzesänderungen und rückt das Verfahren zumindest perspektivisch in die Nähe quasi-justizieller Verfahren. Andererseits wurden aber weder eine verpflichtende Aussage zur Einhaltung der Leitsätze durch die Nationale Kontaktstelle noch eine unmittelbare Sank­ tionsmöglichkeit eingeführt432. Zum OECD-Investitionsausschuss wird hier429  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 1. 430  OECD (2011), OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, OECD Publishing, http: /  / dx.doi.org / 10.1787 / 9789264122352-de. 431  Siehe oben B.III.4. 432  Zur Frage der Sanktionierung siehe oben C.I.2.c).

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zu ausdrücklich festgestellt: „Der nicht rechtsverbindliche Charakter der Leitsätze verbietet es dem Ausschuss, als juristisches oder quasi-juristisches Organ zu fungieren“433. Den Nationalen Kontaktstellen, die im Gegensatz zum OECD-Investitionsausschuss zwar das Verhalten einzelner Unternehmen bewerten, ist es offen gehalten, eine Verletzung der Leitsätze in den abschließenden Stellungnahmen zu verbalisieren. Unter den Nationalen Kontaktstellen besteht Uneinigkeit darüber, inwiefern sie eine solche Stellungnahme zu ihrer Aufgabe machen. Während beispielsweise die britische und die norwegische Nationale Kontaktstelle dies ausdrücklich als festen Bestandteil des Verfahrens ansehen434, formuliert die US-amerikanische Kontaktstelle: „The NCPs role is to take up issues that are amenable to a consensual resolution under the Guidelines and, where appropriate, make recommendations as to how the enterprise might make ist business practices more consistent with the Guidelines. Consistent with the voluntary nature of the Guidelines, the NCP does not make a determination, whether a „violation“ of the Guidelines has occurred, nor does the NCP have legal authority to adjudicate disputes submitted under this process“435. Ein Grund für die Zurückhaltung hinsichtlichtlich einer öffentlichen „Verurteilung“ von Unternehmen wegen einer Verletzung der Leitsätze könnten rechtsstaatliche Erwägungen sein. Denn eine solche negative Stellungnahme einer Nationalen Kontaktstelle könnte unter Umständen einen Umsatzrückgang und damit großen wirtschaftlichen Schaden bewirken und daher als Eingriff angesehen werden. Staatliche Eingriffe bedürfen aber, wie auch die Bindung der Exekutive an „Recht und Gesetz“ in Art. 20 Abs. 3 GG deutlich macht, einer rechtlichen Grundlage. Da es sich bei den Aufgaben der Nationalen Kontaktstellen um öffentliche Aufgaben handelt, gilt dies auch im Falle der Externalisierung durch Übertragung auf Experten. Allerdings könnte argumentiert werden, dass hier im Unterschied zu Fällen, in denen öffentliche Stellen vor akuten Gesundheitsgefahren aufgrund bestimmter Produkteigenschaften warnen, kein Eingriff vorliegt. Denn ob die Öffentlichkeit ihr Kaufverhalten an einer Verletzung der Leitsätze ausrichtet, unterliegt noch einer eigenen Wertungsentscheidung und ist weit weniger 433  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 44, Satz 1. 434  Siehe die Darstellung der eigenen Aufgaben auf den Internetseiten dieser beiden NKS und Beispielsfälle unter C.II.3. 435  Initial Assessment by the U.S. National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Edouard Teugmanie and AES corporation, 13. September 2012. http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinationalenter prises / USNCP_13Sep2012.pdf, S.  1.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte261

vorhersehbar und zwingend als die Meidung bestimmter Produkte aufgrund von unmittelbaren Gefahren für die eigene Gesundheit. Der Umsatzrückgang wäre damit nicht unmittelbar durch die Feststellung der Nationalen Kontaktstelle hervorgerufen. Auch kann die Nationale Kontaktstelle anführen, keine willkürlichen Maßstäbe an das Verhalten der Unternehmen anzulegen, sondern solche, die im Rahmen einer Internationalen Organisation und in einem legitimitätsstiftenden Verfahren abgestimmt wurden. Letzteres wäre allerdings unter dem Gesichtspunkt der Völkerrechtsfreundlichkeit nach Art. 25 GG vor allem dann argumentativ nutzbar, wenn es sich bei den Leitsätzen um ein dem Völkerrecht zuzurechnendes Instrumentarium handelte436. Dieser keinesfalls offenkundigen Fragestellung wird in Teil 3 dieser Arbeit noch näher nachgegangen. Die Problematik kann umgangen werden, indem die Aufgabenübertragung auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wird, wie dies vor Kurzem in Dänemark erfolgt ist437. Zusammengefasst scheint ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an der Einhaltung der Leitsätze einerseits und der Betonung ihrer Freiwilligkeit andererseits den Leitsätzen gegenwärtig noch immanent. Die Praxis einiger Nationaler Kontaktstellen, die dennoch regelmäßig ausdrückliche Aussagen zur Verletzung der Leitsätze treffen, ist aber mit den Leitsätzen vereinbar. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass sich auch ohne weitere Änderung der Verfahrensvorschriften mit der Zeit diesbezüglich eine überwiegende Praxis herausbildet. Eine zunehmend deutliche Artikulation von Leitsatz-Verletzungen durch die Nationalen Kontaktstellen, das heißt ein quasi-justizieller Gebrauch der Leitsätze, könnte dabei möglicherweise als Indiz für die Herausbildung einer opinio juris gewertet werden.438 Dies ist allerdings nicht zwingend, da ebenso gut ein aliud gemeint sein kann, nämlich die Erwartung der Einhaltung der Leitsätze trotz ihrer (fortwährenden) rechtlichen Unverbindlichkeit. Es hängt daher maßgeblich von dem Inhalt der Aussagen ab, welche Rückschlüsse diese zulassen. Die bisherigen Aussagen werden daher unter II. näher beleuchtet. Das Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen bietet aber unabhängig von seiner etwaigen Einstufung als „quasi-justiziell“ die Möglichkeit, im Falle von Menschenrechtssbeeinträchtigungen durch Unternehmen ein gewisses Maß an Abhilfe zu erlangen. Das Verfahren wird daher auch vom UN-Son436  Vgl. z. B. BVerfGE 72, S. 330, 388, nach der das Bundesverfassungsgericht annimmt, bei soft law handele sich um „minder verbindliche Regelungen im Bereich des Völkerrechts“. Einzelheiten zur völkerrechtlichen Einordnung der Leitsätze und der Rolle von soft law siehe unten Teil 3, A.I. und II. 437  Siehe oben C.I.2.a). 438  Zur Frage der völkergewohnheitsrechtlichen Entwicklung ausführlich unten Teil 3, B.II.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

derbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte als eine der möglichen Formen aufgelistet, Wiedergutmachung („remedy“) zu erlangen.439 c) Verwaltungsverfahren? Angesichts der Zuständigkeit einer öffentlichen Stelle440 und recht genauer Verfahrensvorgaben stellt sich die Frage, ob das Umsetzungsverfahren zu den Leitsätzen als Verwaltungsverfahren einzustufen ist. Diese Frage soll anhand des deutschen Verwaltungsrechts beleuchtet werden. Das primäre Ziel des Beschwerdeverfahrens ist es, eine Vermittlung zwischen den Parteien zu erreichen. Es ist nicht auf eine verbindliche Regelung des Einzelfalles ausgerichtet und damit nicht auf einen Verwaltungsakt i. S. v. §  35  S.  1  VwVfG.441 Dies gilt auch im Hinblick auf die mit der Revision der Leitsätze 2011 eingebrachten Änderungen.442 Eine solche Ausrichtung wäre jedoch Voraussetzung, um das Verfahren als Verwaltungsverfahren zu qualifizieren (§ 9 VwVfG). Zumindest in der zweiten Phase ist das Beschwerdeverfahren daher nicht als Verwaltungsverfahren anzusehen. Teilweise wird aber zumindest die Phase der ersten Evaluierung als Verwaltungsverfahren qualifiziert, mit der Folge eines Anspruches des Beschwerdeführers auf ermessensfehlerfreie Bescheidung seines Antrages.443 439  Vgl. die dritte Säule im Rahmenwerk „Protect, Respect and Remedy: a Framework for Business and Human Rights, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie, A / HRC / 8 / 5 vom 7. April 2008. 440  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 11: „Die Regierungen der Teilnehmerstaaten werden die Leitsätze umsetzen und sich für ihre Anwendung einsetzen. Sie werden Nationale Kontaktstellen einrichten (…).“; Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnsiche Anleitungen, Abschnitt I.A., Ziffer 1: „Die Nationalen Kontaktstellen werden so zusammengesetzt und strukturiert sein, dass sie in der Lage sind, das breite Spektrum der unter die Leitsätze fallenden Fragen effizient zu behandeln (…) bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung eines hinreichenden Niveaus an Rechenschaftspflicht gegenüber den Regierungen der Teilnehmerländer.“ 441  So auch Mehle, Korruption im internationalen Kontext, S. 418. 442  Zwar trägt der Ausbau der Aufsicht durch den OECD-Investitionsausschuss dazu bei, das Verfahren weiter auszubauen und einem Verwaltungsverfahren immer ähnlicher werden zu lassen. Allerdings bewirken die Änderungen keine Wesensänderung des Verfahrens. Selbst eine verbindliche Vorgabe an die Nationalen Kontaktstellen, eine Feststellung zur (Nicht-)Einhaltung der OECD-Leitsätze zu treffen, würde zu keiner anderen Bewertung führen, da eine solche Feststellung noch keine „Regelung“ eines Einzelfalles ist. 443  So Verheyen, Überlegungen zur Transparenz im OECD-Beschwerdeverfahren, 2007, S.  8 f.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte263

Weitere Folge einer solchen Einschätzung wäre die Zulässigkeit eines Widerspruchs gegen die Ablehnung einer Beschwerde. Es erscheint aber mehr als fraglich, dass dieser Verfahrensabschnitt auf den Erlass eines Verwaltungsaktes ausgerichtet ist. Zwar müssen die Nationalen Kontaktstellen zu einem Schluss gelangen bezüglich der Frage, ob der vorgebrachte Sachverhalt eine eingehendere Prüfung am Maßstab der Leitsätze rechtfertigt. Im Anschluss daran übermittelt die Nationale Kontaktstelle aber lediglich ihre „Antwort“ an die Parteien, begründet sie im Falle der Ablehnung und veröffentlicht eine entsprechende Erklärung.444 Die Antwort nach erfolgter Prüfung ist daher eher eine Information der Beteiligten als eine Regelung im Einzelfall. Damit ist auch die erste Phase des Verfahrens nicht als Verwaltungsverfahren einzustufen.445 Zudem bietet die den Nichtregierungsorganisationen neu eingeräumte Möglichkeit, den OECD-Investitionsausschuss mit der Prüfung der Verfahrensweise einer Nationalen Kontaktstelle zu befassen, den vielversprechenderen Weg zu einer zudem auch international anerkannten Überprüfung der Entscheidung der Nationalen Kontaktstelle. Die hier aufgeworfene Frage dürfte daher mit der Revision der Leitsätze 2011 an praktischer Relevanz verloren haben. d) Anspruch auf Informationsherausgabe? Das Recht der Öffentlichkeit auf Informationen über administratives Handeln wurde in der Vergangenheit zunehmend gestärkt und gesetzlich ausgestaltet. Es stellt sich daher die Frage, ob diese generellen Regelungen auch auf das Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen Anwendung finden. Für die Erfolgsaussichten einer Mediation in einem solchen Verfahren ist dessen Vertraulichkeit von besonderer Bedeutung. Zugleich bedarf es für die Glaubwürdigkeit und den Bekanntheitsgrad der Verfahren eines hohen Maßes an Transparenz. Die Verfahrensvorschriften versuchen daher, eine Balance zwischen diesen beiden gegensätzlichen Interessen herzustellen. Ob vor diesem Hintergrund Auskunftsverlangen Dritter berechtigt sein können, soll anhand der Anwendbarkeit der gesetzlichen Vorschriften des deutschen Rechts geprüft werden. 444  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, I.C.3.a).; Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 27. 445  Es stellt sich daher hier nicht die Frage nach der gesetzlichen Grundlage, die aber unter dem Blickwinkel eines möglichen Eingriffs im vorangegangenen Kapitel thematisiert wurde.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

aa) Anwendbarkeit des Informationsfreiheitsgesetzes So könnte das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) Anwendung finden. Dies ist unabhängig von der Einstufung des Umsetzungsverfahrens bei den Na­ tionalen Kontaktstellen als Verwaltungsverfahren. Das IFG gilt gegenüber allen Behörden des Bundes, soweit sie Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Herauszugeben ist nach dem IFG „jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung“446. Die Herausgabepflicht besteht aber dann nicht, „wenn und solange die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden“447 und zum „Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses“448. Zumindest für die Dauer der Abstimmungsprozesse unter den beteiligten Bundesministerien während des laufenden Verfahrens449 könnte die Herausgabepflicht folglich eingeschränkt sein. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass das Vermittlungsverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen zwar dem Grundsatz der Transparenz gerecht werden soll450, zugleich aber Vertraulichkeit zu gewährleisten hat451. Diese Vertraulichkeitsregelung schützt die Parteien und insbesondere sensible Unternehmensdaten. Die Wahrung der Vertraulichkeit ist für den Erfolg des Verfahrens von zentraler Bedeutung, da anderenfalls die Bereitschaft des Unternehmens zur aktiven Teilnahme eingeschränkt sein kann. In den Verfahrenstechnischen Anleitungen heißt es daher: „Während der Dauer der unter Ziffer 2 beschriebenen Verfahren bleiben die Arbeiten vertraulich“452. In der angesprochenen Ziffer 2 ist das Vermittlungsverfahren niedergelegt. Dieser Verweis darf allerdings nicht so verstanden werden, dass Vertraulichkeit während der Phase der ersten Evaluierung nicht zu gewährleisten wäre. 446  Ausgenommen Entwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil des Vorgangs werden sollen, § 2 Ziffer 1 IFG. 447  § 3 Ziffer 3 b IFG. 448  § 4  IFG. 449  Siehe oben C.I.1.d). 450  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffern 9 und 38. 451  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 4; Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffern 9 und 38. Zentrale Prinzipien bei der Durchführung des Verfahrens sind Transparenz und Vertraulichkeit, die in einem ausgewogenen Verhältnis realisiert werden müssen. Denn ohne ausreichende Transparenz wird das Vertrauen der „Antragsteller“ in das Verfahren leiden. Ohne ausreichende Vertraulichkeit wird demgegenüber die Bereitschaft der „Antragsgegner“ zu einem offenen Umgang mit den aufgeworfenen (Sachverhalts-)fragen gering sein. 452  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 4., Satz 2.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte265

Die Verfahrenstechnischen Anleitungen scheinen nur inzident davon auszugehen, dass die Nationale Kontaktstelle während dieser Phase noch keine sensiblen Informationen übermittelt bekommt. Indes sind Informationen, die der Nationalen Kontaktstelle in diesem Verfahrensstadium beispielsweise aufgrund einer Aufforderung zur Stellungnahme übermittelt werden, ebenso schützenswert wie später mitgeteilte Informationen. Wird ein Anspruch auf Zugang zu Informationen aus einem Beschwerdeverfahren nach § 1 IFG geltend gemacht453, hat die Nationale Kontaktstelle daher ein besonderes Augenmerk auf die Bestimmungen zum Schutz von Daten und Geschäftsgeheimnissen zu richten454. Auch diese Fragestellung dürfte durch die Überarbeitung der Leitsätze in 2011 einiges an Relevanz verloren haben. Mit den zusätzlichen Informations- und Begründungspflichten werden die Arbeitsschritte und Erwägungen der Nationalen Kontaktstellen transparenter, so dass dem allgemeinen Informationsinteresse besser Rechnung getragen wird. bb) Anwendbarkeit des Umweltinformationsgesetzes In Fällen mit Umweltbezug kommt die Anwendbarkeit des Umweltinformationsgesetzes in Betracht, welches dem IFG vorgeht. Der Begriff der Umweltinformationen (§ 2 Abs. 3 Ziffer 3 UIG) ist sehr weit auszulegen. Denkbarer Ausnahmetatbestand ist hier zum einen § 8 Abs. 2 S. 2 UIG, Schutz der Vertraulichkeit der Beratungen, der aber abzuwägen ist mit dem öffentlichen Interesse an der Bekanntgabe. Zudem dürfen „Umweltinformationen, die private Dritte einer informationspflichtigen Stelle übermittelt haben, ohne rechtlich dazu verpflichtet zu sein oder rechtlich verpflichtet werden zu können, und deren Offenbarung nachteilige Auswirkungen auf die Interessen der Dritten hätte“, anderen ohne deren Einwilligung „nicht zugänglich gemacht werden, es sei denn, das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt“ (§ 9 Abs. 2 UIG). In wesentlichen Punkten besteht daher Übereinstimmung mit dem von den Leitsätzen angestrebten Schutz sensibler Unternehmensdaten. In besonderem Maße wird hier die Herausforderung deutlich, „zwischen Transparenz und Vertraulichkeit ein Gleichgewicht“ herzustellen455. 453  Einen solchen Anspruch verneinend: Mehle, Korruption im internationalen Kontext, S. 423; für die Phase der ersten Evaluierung bejahend: Verheyen, Überlegungen zur Transparenz im OECD-Beschwerdeverfahren, 2007, S. 15 ff. 454  Insbesondere §§ 3, 6 und 8 IFG. 455  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 38, Satz 6: „Es ist gleichwohl wichtig, dass zwischen Transparenz und Vertraulichkeit ein

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

e) Vergleich mit Gerichtsverfahren Abschließend soll ein Vergleich mit Gerichtsverfahren das Wesen des Umsetzungsverfahrens nach den Leitsätzen näher beleuchten. Das Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen unterliegt formal weit geringeren Anforderungen als eine Klage bei Gericht und stellt damit wesentlich geringere Eingangshürden auf. Die Leitsätze können als rechtlich unverbindliches Dokument ungenauer sein im Hinblick auf die Definition eines multinationalen Unternehmens und die Frage nach der Verantwortungsverteilung innerhalb der Unternehmensstruktur, als dies in einem zwingenden, kontradiktorischen Verfahren für die Feststellung der extraterritorialen Zuständigkeit eines Gerichtes und den Haftungsmaßstab innerhalb eines Konzerns erforderlich ist456. Die Leitsätze ermöglichen, die Verantwortung des Mutterkonzerns auch bei rechtlicher Unabhängigkeit einer Tochtergesellschaft weit zu fassen. So befand zum Beispiel im sogenannten Badger case der zuständige OECD-Ausschuss: „the parent company and the subsidiary have a special responsibility when a decision is made to close this subsidiary, and have to contribute to the payment of the legally due indemnities in such a case“ und erzielte auf dieser Grundlage eine gütliche Einigung zwischen Gewerkschaftsseite und Muttergesellschaft457. Auch die Anforderungen an die „Beweisführung“ sind nicht vergleichbar. So müssen die Antragsteller im Rahmen einer „specific instances proce­ Gleichgewicht hergestellt wird, um das Vertrauen in die für die Leitsätze geltenden Verfahren zu festigen und deren wirksame Anwendung zu fördern.“ 456  Zur Problematik des sogenannten corporate veil bei Klagen siehe oben Teil 1, C.III.1.b)aa)(2)(b). Die Leitsätze hingegen bestimmen, dass „different entities are expected to co-operate and to assist one another“, „in accordance with the actual distribution of responsibilities among them“. Dies ist für eine gerichtliche Ausei­ nandersetzung unzureichend: „Greater certainty will be needed if a more adversarial approach is adopted“, „Theories will need to be developed to explain how, and on what basis, different elements of the corporate group (and particularly parent companies) are to be held legally responsible“, Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 93. 457  Blanpain, The Badger Case and the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Deventer 1977, S. 120. Dem Fall lag „die Weigerung des Mutterunternehmens“ zugrunde, „für Verbindlichkeiten einer zahlungsunfähigen Tochtergesellschaft einzustehen und so die Verwirklichung des Sozialplans zugunsten der Arbeitnehmer zu sichern“, Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 9. Auflage, München 2011, § 4, Rz. 65. Der Fall fand weithin Beachtung: Seidl-Hohenveldern, International economic „soft law“, RdC 163.2 (1979), S. 165, S. 210 und Wallace, The Multinational Enterprise and Legal Control, Host State Sovereignty in an Era of Economic Globalization, Den Haag u. a., 2002, S. 1093.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte267

dure“ ihr Anliegen glaubhaft machen. Eine strenge Beweisführung ist nicht erforderlich. Die Nationalen Kontaktstellen können zudem ihrerseits weitere Informationen einholen. Dabei gilt zwar kein Amtsermittlungsgrundsatz, aber die Nationalen Kontaktstellen sind auch nicht wie ein Zivilrichter ausschließlich an den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt gebunden. Auch kommt es im Rahmen der Leitsätze nicht auf ein Verschulden im deliktsrechtlichen Sinne an. Das Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen ist zudem kostengünstiger, da keine Prozesskosten anfallen. Die Parteien bedürfen keiner anwaltlichen Vertretung458 und es besteht nicht wie in vielen Rechtsordnungen die Gefahr, im Falle des Unterliegens hohe gegnerische Anwaltskosten zu tragen. Im Gegenzug bedarf es für einen erfolgreichen Verlauf des Beschwerdeverfahrens bei den Nationalen Kontaktstellen der freiwilligen Mitwirkung des betreffenden Unternehmens. Auch die Unterstützung einer heimatstaatlichen Nichtregierungsorganisation erwies sich in der Praxis als hilfreich. Es besteht ferner keinerlei Aussicht auf ein verbindliches Urteil und beispielsweise auf Festlegung von Schadensersatzansprüchen, es sei denn das Unternehmen ist hiermit im Wege der Vermittlung einverstanden. Das Angebot einer Vermittlung zwischen den Parteien kann dennoch unter Umständen für beide Seiten attraktiver sein als ein kontradiktorisches Verfahren. Die Bandbreite möglicher Vermittlungsergebnisse ist dabei groß, mitunter auch wegen einer etwaigen politischen Flankierung des Verfahrens im Heimat- und / oder Gaststaat459. Auch kann die Vermittlung auf Verhaltensänderungen in der Zukunft gerichtet sein und zusätzliche pro-aktive Elemente zur Verbesserung der Menschenrechtssituation umfassen. Nach diesem überblicksartigen Vergleich stellen gerichtliche Verfahren und das Verfahren nach den Leitsätzen daher wesensverschiedene Ansätze dar. Jede Verfahrensart hat dabei unterschiedliche Stärken und Schwächen. Insgesamt unterliegt die gerichtliche Geltendmachung größeren prozessualen und materiellen Hindernissen460 als eine Beschwerde bei den Nationalen 458  Es gibt allerdings durchaus Anwälte, die im Bereich der Human Rights Litigation ihre Dienste pro bono anbieten. 459  Ein Beispiel für eine günstige Wendung, die ein Streitfall vermutlich auch aufgrund politischer Flankierung genommen hat, ist die Wiedereröffnung eines Werkes in Mexiko unter Einbeziehung der ursprünglich entlassenen Werksmitarbeiter, siehe den Fall Continental AG (Euzkadi de Mexiko) bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle, unten C.II.2.b)aa). 460  Zu diesen vgl. Gaedtke, Der US-amerikanische Alien Tort Claims Act und der Fall Doe versus Unocal: Auf dem Weg zu einer Haftung transnationaler Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen?, AVR 42 (2004), S. 241, S. 259.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Kontaktstellen, die allerdings keine verbindlichen Anordnungen zur Folge haben kann. Das Beschwerdeverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen für die Leitsätze eröffnet mit seinem vermittelnden Ansatz aber unter Umständen (andere) Lösungsmöglichkeiten und hat daher eine eigenständige Bedeutung. 4. Zusammenfassung: Zur (vermeintlichen) Paradoxie einer Verknüpfung freiwilliger Standards mit einem Umsetzungsmechanismus Das Umsetzungsverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen dient primär der Vermittlung zwischen den Parteien. Es macht aber Probleme mit der Umsetzung der Leitsätze öffentlich und kann sowohl zu Empfehlungen an das Unternehmen führen als auch zu einer öffentlichen Feststellung, dass dieses die Leitsätze verletzt hat. Eine solche Feststellung ist allerdings keine zwingende Verfahrensvorgabe und wird derzeit erst von einigen Nationalen Kontaktstellen explizit als fester Verfahrensbestandteil angesehen. Der Ablauf des Verfahrens ist mittlerweile recht dezidiert vorgegeben und umfasst neben einem mehrphasigen Ablauf mit jeweiligen Veröffent­lichungsund Begründungspflichten auch eine mögliche Befassung des OECD-Investitionsausschusses im Falle von Fragen zur Auslegung oder Verfahrensführung durch eine Nationale Kontaktstelle. Nichtregierungsorganisationen wurden dabei sowohl im Hinblick auf die Einreichung von „Beschwerden“ als auch für die Befassung des OECD-Investitionsausschusses weitreichende Befugnisse eingeräumt. Das Verfahren wird von den Leitsätzen als „Anwendung der Leitsätze in besonderen Fällen“ (specific instances procedure) bezeichnet.461 Aussagekräftiger und inhaltlich am ehesten zutreffend ist aber die Bezeichnung als „Beschwerde- und Schlichtungsverfahren“462, da das Verfahren primär auf eine vermittelnde Lösung ausgerichtet ist und damit zwar eine „Beschwer“ aufgreift, aber nicht zum vorrangigen Ziel hat, diese im Sinne eines quasijustiziellen Verfahrens am Maßstab der Leitsätze zu prüfen und zu beurteilen. Die fehlende Vorgabe, eine Feststellung zur Einhaltung der Leitsätze zu treffen, lässt daran zweifeln, welche Bindungswirkung mit den Leitsätzen beabsichtigt ist. Bereits bei der Einführung des Verfahrens wurde unter den Teilnehmerstaaten diskutiert, ob hiermit eine faktische Bindungswirkung der 461  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Überschrift zu Ziffern  20 ff. 462  So bei Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 2.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte269

Leitsätze erreicht werden solle.463 Dem könnte die „Freiwilligkeit“ der Leitsätze entgegenstehen. So kommt eine Beurteilung des Verhaltens einzelner Unternehmen für den OECD-Investitionsausschuss nicht in Betracht, da der „nicht rechtsverbindliche Charakter der Leitsätze es dem Ausschuss verbietet, als juristisches oder quasi-juristisches Organ zu fungieren“464. Hiernach wäre die „Freiwilligkeit“ der Beachtung der Leitsätze so zu verstehen, dass die Nationalen Kontaktstellen die Einhaltung der Leitsätze lediglich anregen können. Eine „Verletzung“ der Leitsätze im engeren Sinne wäre demgegenüber nicht möglich, da ihre Beachtung im freien Ermessen der Unternehmen liegt. Eine andere Lesart für die „Freiwilligkeit“ der Beachtung der Leitsätze wäre demgegenüber, diese ausschließlich gleichzusetzen mit „rechtlich nicht durchsetzbar“. Im Übrigen könnte eine außerrechtliche Bindung angestrebt sein, die durch Koppelung mit allen in einem solchen Fall zur Verfügung stehenden Mitteln gestärkt werden könnte. Für diese Lesart sprechen die Leitsätze selbst, die feststellen, die Beachtung der Leitsätze „beruhe“ auf dem „Prinzip“ der Freiwilligkeit und habe (man kann hinzufügen: daher) „keinen rechtlich zwingenden Charakter“465. Nicht formuliert ist hingegen, die Beachtung der Leitsätze selbst sei freiwillig und stehe den Unternehmen daher anheim. Versteht man die „Freiwilligkeit“ der Beachtung der Leitsätze als „ausschließlich außerrechtlich“ geforderte Beachtung, so ist die Verknüpfung mit einem effizienten Umsetzungsmechanismus nicht paradox, sondern unterstreicht die Erwartung der Einhaltung der Standards. Von der Einrichtung eines Umsetzungsmechanismus, insbesondere in seiner jetzigen Ausgestaltung, kann aber nicht zwingend auf ein solches Verständnis geschlossen werden. Denn schließlich ist es erklärlich, dass die Staaten zumindest sich selbst Pflichten auferlegen, um die Anwendung der Leitsätze bestmöglich zu fördern, wenn ihnen eine direkte Regulierung der Unternehmen nicht als Option erscheint. Das Verfahren in seiner jetzigen Ausgestaltung kann dabei auch als Teil eines eher werbenden Ansatzes für die Einhaltung der Leitsätze gesehen werden. Unter den Teilnehmerstaaten 463  „It was discussed contrariwise during the negotiations of the 2000 revision whether a de facto constraint to implement the Guidelines was created and if so, whether this was in the parties’ interest when they were setting up the implementation mechanism in a Council Decision that is binding on adhering states.“: Schuler, Effective Governance through Decentralized Soft Implementation: The OECD Guidelines for Multinational Enterprises, German Law Journal, Vol. 9 No. 11, 2008, S. 1753, S. 1771. 464  Umsetzungsverfahren zu den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 44. 465  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel II, Ziffer 1, Satz 3.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

scheinen beide Lesarten der „Freiwilligkeit“ der Leitsätze zu existieren466, ohne dass sich bislang eine klar durchgesetzt hätte. Das Umsetzungsverfahren ist daher insgesamt nicht als quasi-justizielles, sondern als ein primär auf Vermittlung zielendes Verfahren zu qualifizieren. Es steht dabei heute nicht unzweifelhaft fest, dass auf diesem Wege eine faktische Bindungswirkung erreicht werden soll. Dies ist aber auch keine zwingende Voraussetzung für einen effizienten Beitrag des Umsetzungsverfahrens zum Schutz der Menschenrechte. Eine Betrachtung der bisherigen Fallbearbeitungspraxis soll daher Aufschluss über die Wirkung der Leitsätze in der Praxis geben.

II. Menschenrechtsbezogene Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen Eine Auswertung der Umsetzungsverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen soll aufzeigen, welchen Anteil menschenrechtliche Fragen in der bisherigen Praxis haben und wie sie zugunsten des Menschenrechtsschutzes wirken. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf spezifische Aussagen Nationaler Kontaktstellen zu Natur und Umfang der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen sowie auf konkrete Auswirkungen auf das Verhalten von Unternehmen zu richten. Die Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen können dabei nur einen Ausschnitt möglicher menschenrechtlicher Implikationen von wirtschaftlichen Aktivitäten umfassen. Die Auswahl derjenigen Sachverhalte, die an die Nationalen Kontaktstellen herangetragen werden, hängt unter anderem vom Tätigkeitsprofil und der Entscheidung von Nichtregierungsorganisationen ab und ist nicht repräsentativ.467 Dennoch erlaubt der Umgang der Nationalen Kontaktstellen mit den Beschwerden Rückschlüsse auf das Verständnis der Regierungen zur menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen.468

466  Siehe beispielsweise oben zu einem Vergleich der Haltung der norwegischen und der britischen Nationalen Kontaktstellen einerseits und der US-amerikanischen Kontaktstelle andererseits. 467  Das Aufgreifen bestimmter Sachverhalte und die Wahl des Vorgehens hängen vom Profil und vielen Einzelfallerwägungen der meist heimatstaatlichen Nichtregierungsorganisationen ab. Neben dem sogenannten „Campaigning“ oder Gerichtsprozessen stellt das Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen nur eine von mehreren Alternativen dar. Ein flächendeckender Bekanntheitsgrad der Beschwerdemöglichkeit seitens der Betroffenen vor Ort, insbesondere in Nichtteilnehmerstaaten kann nicht vorausgesetzt werden. 468  Die Bedeutung der Stellungnahmen der Nationalen Kontaktstellen für die Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht wird in Teil 3, II.3. untersucht.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte271

1. Nutzung des Beschwerdeverfahrens bei den Nationalen Kontaktstellen a) Erhöhte Transparenz seit 2011 Eine Auswertung der bisherigen Praxis der Nationalen Kontaktstellen begegnet zunächst einem sehr praktischen Problem: Die Datenlage zu Gebrauch und Verlauf von Verfahren vor der Änderung der Leitsätze 2011 ist unbefriedigend. Offizielle Informationen über Beschwerden, die bei Nationalen Kontaktstellen eingereicht wurden, fanden sich bis dato in den OECD-Jahresberichten über die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen.469 Diese Zusammenstellung der „Specific Instances Considered by National Contact Points“ basierte auf den Jahresberichten der Nationalen Kontaktstellen. In der Vergangenheit waren die Vorgaben für diese Berichtspflicht allerdings nicht sehr präzise gefasst, so dass hierüber ein nur unvollständiges Bild der gesamten bisherigen Praxis zu erhalten ist. Vor allem Beschwerden, die nicht zur vertieften Prüfung angenommen wurden, waren bislang nicht zwingend Bestandteil der Berichte und wurden nur von einigen Teilnehmerstaaten genannt.470 Einen weitreichenderen Überblick lieferten die Datenbank von OECD Watch471 und seit dem 23. Januar 2012 eine Zusammenstellung gewerkschaftsrelevanter Fälle auf der Internetseite des Gewerkschaftlichen Beratungsausschusses bei der OECD, TUAC472. In Fällen, in denen es zu abschließenden Erklärungen der Nationalen Kontaktstellen gekommen war, wurden diese bereits in der Vergangenheit auf den Internetseiten der OECD veröffentlicht.473 Da öffentliche Stellung469  Vgl. etwa OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, http: /  / www.keepeek.com / Digital-Asset-Management / oecd / govern ance / annual-report-on-the-oecd-guidelines-for-multinational-enterprises-2012_mne2012-en. Seit Herbst 2013 hat das OECD-Sekretariat nun, wie in OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 11 f. angekündigt, eine Datenbank auf der eigens eingerichteten Website www.mneguidelines. oecd.org /  zur Verfügung gestellt. 470  Vgl. OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2011, Report by the Chair of the 11th Annual Meeting of the National Contact Points, Fußnote 1. 471  http: /  / www.oecdwatch.org. 472  http: /  / www.tuacoecdmneguidelines.org / Home.asp. TUAC hat zudem am 18. Dezember 2012 einen Leitfaden zu den OECD-Leitsätzen für Gewerkschaften veröffentlicht, http: /  / www.tuac.org / en / public / topic / mt / index.phtml. 473  http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinational enterprises / ncpstatements.htm.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

nahmen nur im Falle gescheiterter Vermittlungsbemühungen abzugeben waren, war hierüber aber nur ein unvollständiges Bild von der Anzahl eingereichter Beschwerden und der Arbeitsweise der Nationalen Kontaktstellen zu erlangen. Erst mit den nunmehr ausgeweiteten Berichts- und Stellungnahmepflichten, die jede Art der Verfahrensbeendigung durch eine Nationale Kontaktstelle umfassen474, rundet sich das Bild ab. Außerdem sind die Nationalen Kontaktstellen gehalten, den OECD-Investitionsausschuss über die Ergebnisse von Beschwerdeverfahren „in a timely manner“ zu informieren.475 Vor allem aber bietet die im Herbst 2013 auf der neuen Internetseite der OECD zu den Leitsätzen eingestellte Datenbank die Möglichkeit, einen Überblick über die Verfahren zu erhalten und diese auch zu recherchieren.476 Die Anzahl der Beschwerdeverfahren und die Verfahrensverläufe werden folglich nachvollziehbarer, die Erwägungen der Nationalen Kontaktstellen transparenter und die Praxis der Nationalen Kontaktstellen damit vergleichbarer. Dadurch wird das Umsetzungsverfahren insgesamt nicht nur bekannter, sondern auch glaubhafter. Seit 2011 steigen aufgrund der neuen Vorschriften die Veröffentlichungen Nationaler Kontaktstellen deutlich. So wurden bereits erste Entscheidungen zur Ablehnung von Beschwerden477, aber auch Informationen zur Abgabe von Verfahren an andere (zuständige) Nationale Kontaktstellen veröffentlicht478. Zusätzlich zur neuen Datenbank sind Analysen der Fallbearbeitungspraxis durch das OECD-Sekretariat angekündigt.479 Diese Auswertungen könnten angesichts der expliziten Aufgabenzuweisung in den Umsetzungsverfahren differenzierter werden als die bisherigen zusammenfassenden 474  Siehe

oben C.I.1.

475  Umsetzungsverfahren

der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I. C., Ziffer 3 am Ende. 476  Das OECD-Sekretariat pflegt diese Datenbank nun nach und nach ein, www. mneguidelines.oecd.org / . 477  Siehe beispielsweise Initial Assessment by the U.S. National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Edouard Teugmanie and AES corporation, September 13, 2012, http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvest ment / guidelinesformultinationalenterprises / USNCP_13Sep2012.pdf, S.  1. 478  Public statement by the Australian NCP on the transfer of a specific instance involving an Australian-headquartered enterprise to the Chilean NCP, 1 March 2012 und Public statement by the Australian NCP on the transfer of a specific instance involving an Australian-headquartered enterprise to the Argentinean NCP, 20 August  2011, beide unter http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelines formultinationalenterprises / ncpstatements.htm. 479  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt II, Ziffer 5.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte273

Darstellungen in den OECD-Jahresberichten480. Da es in der Herangehensweise der Nationalen Kontaktstellen zu Einzelthemen immer wieder Abweichungen gibt oder geben kann481, können Analysen durchaus hilfreich sein, um eine größere Einheitlichkeit in der Verfahrensführung zu erreichen. Damit leisten die dem Sekretariat zugewiesenen Aufgaben einen wichtigen Beitrag zu einer effektiveren Umsetzung der Leitsätze. Die Zuordnung der Aufgaben zeigt auch, dass die teilnehmenden Staaten Verbesserungsbedarf bei der Transparenz und Einheitlichkeit der Umsetzung der Leitsätze erkannt haben und bereit waren, für eine größere Unterstützung durch das OECD-Sekretariat Befugnisse zu übertragen. Für die Analyse der (menschenrechtlichen) Spruchpraxis der Nationalen Kontaktstellen bedeutet dies, dass zumindest ab 2011 mit einer besseren Datenlage zu rechnen ist, auch wenn – bei allem offenkundigen Interesse an der Transparenz der Verfahren – stets die erforderliche Vertraulichkeit zu wahren ist482. b) Steigender Gebrauch des Verfahrens seit 2000 Trotz der nicht ganz befriedigenden Datenlage ist zweifelsfrei festzustellen, dass von dem Beschwerdeverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen durchaus Gebrauch gemacht wurde und wird.483 Für den Zeitraum von 2000 bis Mitte 2012 kann von einer Gesamtzahl von dreihundert Beschwerden ausgegangen werden.484 Davon waren bis Mitte 2012 rund einhundertneunzig Beschwerden angenommen worden485, circa vierzig Fälle waren 480  Vgl. etwa OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 28 f. 481  So beispielsweise in der Vergangenheit der Umgang mit parallel anhängigen (Gerichts-)Verfahren, siehe oben A.IV.3.e). 482  Zum Verhältnis von Transparenz und Vertraulichkeit vgl. Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt I.C., Ziffer 4, und Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 38. 483  Eine Aufarbeitung der thematischen und geographischen Aufteilung der abgeschlossenen Beschwerdeverfahren und der Verfahrensverläufe bis 2005 findet sich bei Utz, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: Eine erste Bilanz 2000–2005, S.  59 ff. 484  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, http: /  / www.keepeek.com / Digital-Asset-Management / oecd / governance / an nual-report-on-the-oecd-guidelines-for-multinational-enterprises-2012_mne-2012-en, S. 11. Die Berichtszeiträume umfassen jeweils das Jahr zwischen den Jahrestreffen der Nationalen Kontaktstellen, welche traditionell im Juni stattfinden. 485  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2011, S. 38, nennt 178 angenommene Beschwerden, im Jahresbericht 2012 sind

274

Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

noch in aktiver Bearbeitung486. Rund achtundzwanzig der Fälle aus diesem Zeitraum wurden nach der Neufassung der OECD-Leitsätze 2011 eingereicht und acht hiervon stützten sich auf das neue Menschenrechtskapitel.487 Die meisten dieser achtundzwanzig Beschwerden wurden wie auch in der Vergangenheit488 von Nichtregierungsorganisationen eingereicht489. Die neuen Fälle betrafen Vorkommnisse in Teilnehmerstaaten und Nichtteilnehmerstaaten in etwa gleicher Verteilung490 und eine große Bandbreite wirtschaftlicher Sektoren491. Bei der Gesamtzahl der Beschwerden ist zu bedenken, dass teilweise der gleiche Ausgangssachverhalt zu parallelen Beschwerden bei unterschied­ lichen Nationalen Kontaktstellen geführt hat. Dabei richteten sich die Beschwerden teils gegen verschiedene Mitglieder eines Konsortiums und teils gegen nicht miteinander in Verbindung stehende Unternehmen. Insgesamt acht weitere angenommene Beschwerden genannt, zwölf seien – zum Ende des Berichtszeitraums Juni 20120 – noch in der Prüfung zur Annahme: OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 11. Abgeschlossen sind davon 156 Fälle laut Jahresbericht 2011 und vier weitere laut Jahresbericht 2012. 486  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 11. 487  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 11 und S. 31. Sofern der zugrunde liegende Sachverhalt allerdings in die Zeit vor Mai 2011 fällt, gilt der Grundsatz der nicht-retrospektiven Anwendung der aktualisierten Leitsätze und für die Zeit bis November 2011 die sechs-monatige Übergangsfrist für die Umsetzung der neuen Vorgaben. Hierzu siehe oben B.III.4. 488  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2011, S. 38. Im Berichtsjahr 2010–2011 wurde von 39 neu eingereichten Fällen berichtet, was eine Verdopplung im Vergleich zum Berichtszeitraum 2009–2010 bedeutete; 65 % der neu eingereichten Fälle betrafen dabei Vorkommnisse in NichtTeilnehmerstaaten der Leitsätze. 489  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 11. Von den 28 Fällen wurden auch vier von Individuen und eine von einem Unternehmen eingereicht, zwölf hingegen von Nichtregierungsorganisationen, OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 29. 490  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 29. 491  In 2012 gab es einen deutlichen Schwerpunkt im Bereich Bergbau sowie mehrere Beschwerden im Finanz- und Versicherungssektor; viele weitere Sektoren waren betroffen, OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 30. In 2011 wurden u. a. genannt der Textil-, Atutomobil-, Rohstoff-, Lebensmittel-, Waldwirtschaft-, Energie- und Telekommunikationssektor: OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2011, S. 38.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte275

scheinen die Fälle komplexer und der Bedarf einer Zusammenarbeit mehrerer Nationaler Kontaktstellen größer zu werden.492 Die Nationalen Kontaktstellen, bei denen bislang allem Anschein nach die meisten Beschwerden eingereicht wurden, sind Brasilien, Deutschland, Kanada, Niederlande und Vereinigtes Königreich mit überwiegend mehr als zwanzig Beschwerden.493 Die Anzahl der Veröffentlichungen von Nationalen Kontaktstellen zu Beschwerdeverfahren insgesamt betrug bis Ende 2012 rund sechsundachtzig.494 Davon datierten sechsundzwanzig allein aus der Zeit nach der Überarbeitung der Leitsätze 2011.495 Überwiegend sind diese Veröffentlichungen Stellungnahmen der Nationalen Kontaktstellen zum Abschluss eines Verfah492  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 11. 493  Diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen und könnten sich auch aus der Berichterstattungspraxis in der Vergangenheit ergeben haben. Ein exakteres Bild dürfte sich angesichts der seit 2011 bestehenden Pflicht zur Veröffentlichung auch von abgelehnten Beschwerden mit der Zeit herauskristallisieren. 494  http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinational enterprises / ncpstatements.htm, Stand: 1. Januar 2013. 495  Dazu gehören Veröffentlichungen der Nationalen Kontaktstellen in Australien (Public Statement on the transfer of a complaint against an australian-headquartered enterprise to the chilean NCP, vom 1. März 2012, Public Statement on the transfer of a complaint against an australian-headquartered enterprisse vom 20. August 2011, Statement vom 8. Juni 2011 im Fall XStrata Coal Pty Ltd.), Brasilien (Final Statement vom 28. August 2011 im Fall BASF S.A.), Deutschland (Gemeinsame abschließende Stellungnahme vom 17. November 2011 im Fall Otto Stadtlander GmbH), Japan (Initial Assessment vom 16. Februar 2012 im Fall TopThermo Mfq.); Niederlande (Abschließender Bericht vom 3. Februar 2012 im Fall Nidera Holding B.V.); Norwegen (Initial Assessment vom 2012 im Fall Statoil; Final Statement vom Januar 2012 im Fall Mindoro Nickel Project, Initial Evaluation vom 8. März 2012 im Fall Sjovik AS, Initial Assessment vom 30. August 2011 im Fall Norwegian Church Aid, Final Statement vom 10. August 2011 im Fall Cermaq ASA), Schweiz (Closing Statement vom 22. Dezember 2011 im Fall ECOM Agroindustrial Corp. Ltd.; Closing Statement vom 17. Februar 2012 im Fall Louis Dreyfus Commodities und Closing Statement vom März 2012 im Fall Paul Reinhardt AG), UK (Final Statement vom 13. September 2012 im Fall BHP Billiton PLC; Final Statement vom 31. Mai 2012 und Initial Assessment vom 16. Dezember 2011 im Fall Xstrata PLC; Initial Assessment vom 14. Mai 2012 im Fall enterprise „B“; Final Statement vom 1. Februar 2012 im Fall Compass Group PLC, Follow up to the revised final statement im Fall BTC Corporation vom 5. Oktober 2011; Final Statement vom 11. Juli 2011 im Fall Cargill Cotton Ltd. und ICT Cotton Limited, Follow-up Statement vom 8. Juli 2011 im Fall British American Tobacco) und USA (Initial Assessment vom 13. September 2012 im Fall AES corporation; Statement vom 1. Februar 2012 im Fall LEAD Group and Innospec; Statement vom 1. März 2012 im Fall LSG Sky Chefs). Die japanische und die US-amerikanischen Nationalen Kontaktstellen haben erstmalig Stellungnahmen veröffentlicht. Zu etlichen dieser Fälle siehe unten C.II.3.

276

Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

rens.496 Es mehren sich aber die nach der Neufassung der Leitsätze von 2011 geforderten Stellungnahmen und Berichte, die bei Ablehnung einer Beschwerde und bei erfolgreicher Vermittlung zu veröffent­lichen sind.497 Damit ist ein sprunghafter Anstieg der Veröffentlichungen der Nationalen Kontaktstellen feststellbar, der nicht nur durch die stetig steigende Anzahl498 an Beschwerdeverfahren hervorgerufen ist. Inhaltlich machen Beschwerden von Nichtregierungsorganisationen zu menschenrechtlichen Fragen einen bedeutenden Teil der Beschwerdeverfahren aus. In den nachfolgenden Kapiteln sollen der Umgang der deutschen Nationalen Kontaktstelle mit Beschwerden in diesem Bereich sowie die wichtigsten Aussagen der Nationalen Kontaktstellen insgesamt näher ausgewertet werden. 2. Praxis der deutschen Nationalen Kontaktstelle Seit dem Bestehen der Nationalen Kontaktstelle in Deutschland wurden dort dreiundzwanzig Beschwerdefälle eingereicht, von denen neun zur vertieften Prüfung angenommen wurden.499 a) Angenommene Beschwerden Die neun angenommenen Beschwerden bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle haben alle einen menschenrechtlichen Bezug. Vier dieser angenommenen Beschwerden sind in den Gesamtkontext des nachfolgenden 496  Teilweise handelt es sich in der Vergangenheit aber auch um Gemeinsame Erklärungen der Parteien, Pressemitteilungen oder sonstige Stellungnahmen einer Nationalen Kontaktstelle. 497  Veröffentlichungen über erfolgreiche Vermittlungen durch Nationale Kontaktstellen gab es auch in der Vergangenheit, vgl. beispielsweise den Fall Bayer Crop­ Science der deutschen Nationalen Kontaktstelle; nun scheint sich diese Praxis aufgrund der prozeduralen Änderungen der Leitsätze durchzusetzen, vgl. Veröffent­ lichungen der Nationalen Kontaktstellen von Norwegen, Japan und Niederlande, siehe oben Fußnote 495. 498  Auch die OECD spricht von einem „continuous rise in the number of specific instances“: OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 11. 499  Vgl. die Veröffentlichung der deutschen Nationalen Kontaktstelle „Nicht zur vertieften Prüfung angenommene Beschwerden bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“, Stand: 26. September 2013, S.  1, http: /  / www.bmwi.de / BMWi / Redaktion / PDF / A / abgelehnte-beschwer den-der-nationalen-kontaktstelle,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb= true.pdf in Verbindung mit der Datenbank der OECD, http: /  / mneguidelines.oecd. org / database / .



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte277

Kapitels zu menschenrechtlich relevanten Feststellungen Nationaler Kontaktstellen (siehe unten 3.) eingearbeitet. Es handelt sich hier um die abgeschlossenen Fälle Adidas-Salomon, Bayer CropScience, Neumann Kaffee Gruppe und Otto Stadtlander GmbH. Weitere zwei der angenommenen Beschwerden betreffen grundlegende menschenrechtliche Fragen, sind aber noch nicht abgeschlossen. Dies trifft zu auf die Beschwerde zur Verantwortung deutscher multinationaler Unternehmen im Textilsektor in Bangladesch und in Verbindung mit dem Feuer in der Tazreen Fabrik.500 Um die et­waige Beteiligung an gaststaatlichen Menschenrechtsverletzungen geht es in einer Beschwerde gegen ein deutsches Unternehmen wegen der Lieferung und Wartung von Überwachungstechnik an die Regierung von Bahrain.501 Die insgesamt große Fallgruppe der Beschwerden zu Gewerkschafts- und Arbeitnehmerrechten bleibt im nachfolgenden Kapitel bei der Auswertung der Stellungnahmen Nationaler Kontaktstellen aus praktischen Gründen ausgeklammert.502 Für einen vollständigen Überblick über die Praxis der deutschen Nationalen Kontaktstelle soll hier aber kurz auf die diesbezüg­ lichen Beschwerden eingegangen werden. Der Beschwerde des DGB vom Juni 2003 gegen die Bayer AG beanstandete, dass bei einer Tochtergesellschaft auf den Philippinen eine von zwei konkurrierenden Gewerkschaften unrechtmäßig nicht als Tarifvertragspartner anerkannt worden sei.503 Zu den negativen Folgen für diese Gewerkschaft gehörten entgangene Gewerkschaftsbeiträge und betriebsbedingte Kündigungen, die jeweils auch im nationalen Rechtsweg angefochten wurden. Das Verfahren wurde mit einer erfolgreichen Vermittlung abgeschlossen, welche die Zahlung von Kompensationen und den Verzicht auf weitere Verfolgung der Interessen auf dem philippinischen Rechtsweg umfasste.504 Das Verfahren mag mit diesem für beide Parteien zufrieden stellenden Aus500  Die Beschwerde vom 13. Mai 2013 wurde angenommen im Hinblick auf die Sorgfaltspflichtanforderungen zweier deutscher Unternehmen und bezüglich eines dritten Unternehmens an die brasilianische NKS weitergeleitet, http: /  / mneguidelines. oecd.org / database / instances / de0013.htm. Siehe auch Fußnote 141 in Teil 1 und begleitenden Text. 501  Die Beschwerde wurde in Bezug auf den Umfang der generellen Sorgfaltspflichtanforderungen angenommen, http: /  / mneguidelines.oecd.org / database / instances /  de0012.htm. 502  Angaben enthält die Datenbank des gewerkschaftlichen Beratungsausschusses bei der OECD, TUAC: http: /  / www.tuacoecdmneguidelines.org / cases.asp. 503  Erklärung der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zu einer Beschwerde des DGB gegenüber Bayer AG (EUBP-FFW . / . Bayer Philippines) vom 29. Juni 2007, http: /  / www.oecd-nks.de. 504  Erklärung der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zu einer Beschwerde des DGB gegenüber Bayer AG (EUBP-FFW . / . Bayer Philippines) vom 29. Juni 2007, http: /  / www.oecd-nks.de.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

gang ein Beispiel dafür sein, dass auch bei parallel anhängigen Gerichtsverfahren ein Vermittlungsversuch durch eine Nationale Kontaktstelle sinnvoll sein kann. Das nach vier Jahren im Juni 2007 abgeschlossene Verfahren kann weiterhin als Beispiel dafür dienen, dass eine lange Verfahrensdauer nicht zwingend den Interessen der Beschwerdeführer zuwider laufen muss. Es scheint vielmehr auf die Komplexität des Falles anzukommen und vor allem darauf, ob ein Vermittlungsergebnis noch erreichbar scheint und die Aufrechterhaltung der Vermittlungsbemühungen daher von den Parteien gewünscht wird. Ebenfalls mit einer erfolgreichen Vermittlung abgeschlossen wurde jüngst ein Beschwerdeverfahren zweier Gewerkschaften gegen die Deutsche Post DHL.505 Die Beschwerde war am 21. November 2012 eingereicht worden und hatte unterschiedlichste Vorgänge in insgesamt dreizehn Ländern zum Gegenstand. Das Vermittlungsverfahren konzentrierte sich auf fünf der Länder und hatte im Wesentlichen Verletzungen des Rechtes, Gewerkschaften zu gründen sowie die konzerninterne Organisation von individuellen Beschwerdemöglichkeiten zum Gegenstand. Die NKS betonte, dass die Beschwerdegegnerin ein „führender Arbeitgeber“ sei, der durch sein Verhalten „Einfluss auf weltweite Standards und Gepflogenheiten“ habe.506 Sie empfahl vierteljährliche Treffen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zur Verbesserung der Kommunikation und erbat für einen zweijährigen Zeitraum Berichte hierüber. Die deutsche Nationale Kontaktstelle beschäftigt aktuell zudem die Beschwerde einer indonesischen Gewerkschaft gegen die Heidelberg Cement Gruppe wegen fehlender Anerkennung als Gewerkschaft und Behinderung gewerkschaftlicher Aktivitäten.507 Die Beschwerde wurde am 29. Mai 2013 eingereicht und die Nationale Kontaktstelle hat ihre Vermittlung angeboten.

505  Vgl. Pressemitteilung vom 30.1.2014, http: /  / www.bmwi.de / DE / Presse / presse mitteilungen,did=623172.html, und Gemeinsame Abschlusserklärung der deutschen Nationalen Kontaktstelle (NKS) für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, der Gewerkschaft UNI Global Union (UNI) und der internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) sowie der Deutschen Post DHL (DP-DHL) zu der von UNI / ITF gegen DP-DHL vorgebrachten Beschwerde, http: /  / www.bmwi.de / BMWi /  Redaktion  /   P DF  /   G   /   g emeinsame-abschlusserklaerung-deutsche-nationale-kontakt stelle,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf. 506  Siehe Gemeinsame Abschlusserklärung, S. 14. Die Deutsche Post DHL hat 470.000 Beschäftigte in 220 Ländern und Territorien. 507  http: /  / mneguidelines.oecd.org / database / instances / de0014.htm, http: /  / www.tua coecdmneguidelines.org / cases.asp.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte279

b) Abgelehnte Beschwerden Die weiteren vierzehn bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle eingereichten Beschwerden hat diese teils aus Gründen örtlicher Unzuständigkeit, teils aus materiellen Gründen nicht angenommen. Mit der Neufassung der Leitsätze vom Mai 2011 sind Ablehnungen von Beschwerden mit einem Bericht öffentlich zu machen. Für die Vergangenheit hatte die deutsche Nationale Kontaktstelle bereits eine Zusammenstellung der von ihr abgelehnten Beschwerden veröffentlicht, die nunmehr aktualisiert wurde.508 Die folgende Darstellung der Fälle mit menschenrechtlichen Bezügen basiert auf dieser Veröffentlichung, sofern nicht anders kenntlich gemacht. aa) Örtliche Unzuständigkeit In vier Fällen erklärte sich die deutsche Nationale Kontaktstelle für örtlich unzuständig und verwies die Beschwerde an die zuständige Nationale Kontaktstelle. Mit der Beschwerde gegen die KfW IPEX Bank rügte die Nichtregierungsorganisation Saami Council im April 2010 die Mitfinanzierung eines Pilotprojektes zur Errichtung von Windkraftanlagen. Diese Anlagen, so die Beschwerde, würde den Saamen Weideland nehmen und damit deren traditionelle Lebensweise beeinträchtigen. Die Mitfinanzierung eines solchen Projektes bedeute eine Mitverantwortung der Bank. Die deutsche Nationale Kontaktstelle übergab den Fall der schwedischen Nationalen Kontaktstelle, da nach den Leitsätzen grundsätzlich diejenige Kontaktstelle zuständig ist, in deren Land die Fragen aufgetreten sind509. Die deutsche Nationale Kontaktstelle stellte damit darauf ab, dass die Kernfrage des Falles die Vereinbarkeit des Windparks mit den Leitsätzen sei, wofür die Zuständigkeit der schwedischen Nationalen Kontaktstelle gegeben sei510. Als nicht entscheidend wurde demgegenüber der Ort der Finanzierungsentscheidung durch die KfW IPEX Bank angesehen. Eine Unanwendbarkeit der Leitsätze auf Fi508  Veröffentlichung der deutschen Nationalen Kontaktstelle „Nicht zur vertieften Prüfung angenommene Beschwerden bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“, Stand: 26. September 2013,  http: /  / www.bmwi.de / BMWi / Redaktion / PDF / A / abgelehnte-beschwerden-dernationalen-kontaktstelle,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf. 509  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 23, Satz 1. 510  Der Fall ist damit ein Beispiel für Vorkommnisse in einem anderen Teilnehmerstaat. Eine Zuständigkeit der heimatstaatlichen Nationalen Kontaktstelle ist demgegenüber gegeben bei Vorkommnissen in Nicht-Teilnehmerstaaten, da dort keine Na­tionalen Kontaktstellen existieren, siehe auch C.I.1.a)bb).

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

nanzierungssachverhalte wurde, auch anschließend von der schwedischen Nationalen Kontaktstelle, nicht angeführt. Dies wäre im Übrigen mit der heutigen Fassung der Leitsätze nicht vereinbar. Die schwedische Nationale Kontaktstelle lehnte die vertiefte Prüfung der Beschwerde schließlich aus unmittelbar mit dem Projekt zusammenhängenden Fragen ab und verwies auf noch nicht abgeschlossene nationale Genehmigungsverfahren, in denen die Beschwerdeführer ihre Rechte geltend machen könnten. Gewerkschaften reichten im September 2009 in Neuseeland, Australien und Deutschland Beschwerden ein wegen der Beschäftigungspolitik der HochTief Visionstream Pty ltd., einem neuseeländischen Tochterunternehmen der HochTief-Gesellschaft. Die Nationalen Kontaktstellen einigten sich auf die verfahrensleitende Funktion der neuseeländischen Kontaktstelle, da das Tochterunternehmen dort seinen Sitz hatte. In Kooperation mit der deutschen und der australischen NKS lehnte die neuseeländische Kontaktstelle die Annahme der Beschwerde ab, da das weitergehende nationale Recht nicht verletzt sei. In Zusammenhang mit der Baku-Tbilisi-Ceyhan-(BTC)-Ölpipeline, die von einem Firmenkonsortium unter Leitung der britischen BP errichtet wurde, legten Nichtregierungsorganisationen im April 2003 Beschwerden bei den Nationalen Kontaktstellen der UK, USA, Deutschland und Italien ein.511 Die deutsche Kontaktstelle lehnte im Juli 2003 die vertiefte Prüfung der Beschwerde gegen die deutsche BP ab, da diese nicht an dem Konsortium oder in anderer Form an dem Projekt beteiligt war. Die Prüfung der Vorwürfe gegenüber den anderen Unternehmen lag in der primären Zuständigkeit der Nationalen Kontaktstellen in deren jeweiligen Heimatstaaten. Die Werksschließung und Entlassung der Arbeitnehmer eines ContinentalTochterunternehmens in Mexiko (Euzkadi de Mexiko) wurde 2002 in einem Beschwerdeverfahren bei der deutschen Kontaktstelle gerügt. Diese verwies das Verfahren an die zuständige mexikanische Kontaktstelle, wurde jedoch unterstützend tätig. Der Fall wird als Beispiel dafür angesehen, dass auch außerhalb des förmlichen Verfahrens die internationale Aufmerksamkeit zu positiven Ergebnissen führen kann. Die Gründung eines joint venture zwischen der lokalen Gewerkschaft und einem mexikanischen Unternehmen führte 2005 zur Wiederaufnahme der Produktion und Wiedereinstellung der Arbeitnehmer.512

511  Hierzu 512  Vgl.

siehe auch unten C.3.II.a)ff). auch die Darstellung auf http: /  / www.oecdwatch.org.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte281

bb) Materielle Erwägungen Zwei Beschwerden von Individuen, die jeweils die Verletzung von Arbeitnehmerrechten rügten und Vorgänge in Indonesien beziehungsweise Russland betrafen, wurden in 2013 von der deutschen NKS nicht zur vertieften Prüfung angenommen, da keine Verletzung der Leitsätze erkennbar sei beziehungsweise der Vortrag nicht hinreichend substantiiert und der Wert einer Vermittlung über das anhängige Gerichtsverfahren hinaus nicht erkennbar sei. Die Gesellschaft für bedrohte Völker befasste die deutsche Kontaktstelle im April 2008 mit der Förderung des olympischen Fackellaufes in China durch die Volkswagen AG. Die Beschwerdeführer sahen hierin eine Verletzung der Menschenrechtsklausel der Leitsätze, da der Lauf durch die chinesischen Provinzen ethnische Spannungen schüre und die Unterbindung öffentlicher Proteste zu politisch motivierten Festnahmen geführt habe, von denen weitere zu erwarten seien.513 Im Juni 2008 lehnte die deutsche Kontaktstelle die Annahme der Beschwerde ab, da es an einem Investitionsbezug fehle. Zudem seien „keine eigenen Menschenrechtsverletzungen“ des Unternehmens ersichtlich. Eine „generelle Mitverantwortung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen der Gastregierungen“ sei von den Leitsätzen nicht vorgesehen. Menschenrechtsverletzungen des Gaststaates würde auch nicht „Vorschub geleistet“. Damit erkannte die deutsche Kontaktstelle grundsätzlich die Möglichkeit eines Beitrages zu staatlichen Menschenrechtsverletzungen an, auch wenn dieser im konkreten Fall als nicht substanziell genug angesehen wurde. Im Mai 2003 reichte Greenpeace eine Beschwerde gegen die WestLB ein, die sich an einem Konsortialkredit für ein Pipelineprojekt in Ecuador beteiligt hatte, welches nach Ansicht der Beschwerdeführer gegen Menschenrechte und Umweltstandards verstieß.514 Die deutsche Kontaktstelle lehnte die vertiefte Prüfung der Beschwerde ab, da die Leitsätze auf reine Kredite keine Anwendung fänden. Diese strikte Haltung hatte die deutsche Kontaktstelle in der Beschwerde des Saami Council gegen die KfW IPEX Bank im Jahr 2010 nicht mehr aufrechterhalten. Mit der Überarbeitung der Leitsätze 2011 ist nun klar gestellt, dass die Leitsätze auch auf Finanzinstitutionen Anwendung finden, wenn auch die genauen Maßstäbe noch vielen Unklarheiten unterliegen.515 513  http: /  / www.GfbV.de,

Pressemitteilung vom April 2008. auch Beschwerde gegen die WestLB wegen Verstoß gegen die OECDLeitsätze für multinationale Unternehmen, vom 15. Mai 2003, http:  /   /  www.green peace.de / fileadmin / gpd / user_upload / themen / waelder / Beschwerde_WestLB.pdf, S.  3. 515  Siehe oben Teil 1, A.II. 514  Vgl.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Eine der insgesamt wenigen von einem Unternehmen ausgehenden Beschwerden war die im November 2004 von der Firma Krall gegen die Geschäftstätigkeit der Firma A. Knightly International Limited in der Demokratischen Republik Kongo eingereichte Beschwerde. Diese rügte die Verbindungen zu dem deutschen Staatsangehörigen Karl-Heinz Albers und die Versorgung deutscher und österreichischer Unternehmen mit dem Mineral Coltan. Damit betraf die Beschwerde den illegalen Abbau von Bodenschätzen und Export von Mineralien aus Konfliktgebieten. Dieser Sachverhalt war auch vom UN „Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo“ untersucht worden und hatte zu Beschwerden bei weiteren Nationalen Kontaktstellen geführt.516 In dem hiesigen Fall wurde die deutsche Kontaktstelle von der österreichischen Kontaktstelle beteiligt. Beide Nationalen Kontaktstellen kamen „nach eingehender Prüfung und Konsultation“ im Februar 2005 zu dem Schluss, „dass eine Prüfung der Vorwürfe wegen der kriegsähnlichen Zustände im Kongo nicht möglich war“517. c) Zusammenfassung Die Beschwerden mit menschenrechtlichem Bezug wurden bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle überwiegend von Nichtregierungsorganisa­ tionen eingereicht. Es befassten aber auch Gewerkschaften, Individuen und in einem Fall auch ein Unternehmen die deutsche Kontaktstelle518. Nicht angenommen wurden Beschwerden von der deutschen Kontaktstelle einerseits aufgrund prozessualer Vorgaben, die heute in vergleichbarer Form weitergelten. Andererseits erfolgten Ablehnungen aufgrund materieller Erwägungen. Diese entwickelten sich im Lauf der Fallbearbeitungspraxis der deutschen Kontaktstelle, wobei teilweise der Entwicklung der Leitsätze vorgegriffen wurde. So verringerte sich die Bedeutung eines Investitionsbezuges, wurden Finanzinstitutionen in den Anwendungsbereich der Leitsätze einbezogen und die Beteiligung an staatlichen Menschenrechtsverletzungen als möglicher Unterfall der unternehmerischen menschenrechtlichen Verantwortung anerkannt. Nur in einem einzigen Fall hat die deutsche Kontaktstelle die 516  Siehe

unten C.II.3.c). der deutschen Nationalen Kontaktstelle „Nicht zur vertieften Prüfung angenommene Beschwerden bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“, Stand: Juni 2011, Ziffer 8. 518  Unter allen bei der deutschen NKS eingereichten Fällen war nur ein weiterer ebenfalls von einem Unternehmen anhängig gemacht worden, vgl. Veröffentlichung der deutschen Nationalen Kontaktstelle „Nicht zur vertieften Prüfung angenommene Beschwerden bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“, Stand: Juni 2011, Ziffer 7. 517  Veröffentlichung



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte283

Annahme einer Beschwerde wegen offensichtlicher Nicht-Verletzung menschenrechtlicher Standards abgelehnt.519 Bei einer weiteren Beschwerde sah sie sich allerdings nicht zu einer hinreichenden Sachverhaltsaufklärung in der Lage.520 In anderen Fällen konnte die deutsche Kontaktstelle aber durchaus zu einer Vermittlung beitragen.521 Weitere Erkenntnisse zur Fallbearbeitungspraxis der deutschen Nationalen Kontaktstelle sollen nun im Gesamtkontext der Betrachtung menschenrechtsbezogener Aussagen der Nationalen Kontaktstellen gewonnen werden. 3. Stellungnahmen Nationaler Kontaktstellen in Verfahren mit menschenrechtlichem Bezug Im Folgenden wird der Versuch unternommen, die bisherige Bearbeitungs- und Spruchpraxis der Nationalen Kontaktstellen in Bezug auf menschenrechtliche Fragen aufzuzeigen. Angesichts der Schwierigkeiten, die einer Analyse der bisherigen Fallbearbeitungspraxis der Nationalen Kontaktstellen begegnen522, kann die folgende Auswahl der Verfahren keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Repräsentativität erheben. Vor allem geht nicht hervor, welche Beschwerden mit welchen Gründen abgelehnt wurden. Stattdessen erfolgt eine Konzentration auf interessante Aussagen der Nationalen Kontaktstellen zum Umfang der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen oder Hinweise auf erzielte Verhaltensänderungen bei Unternehmen. Dabei musste im Rahmen der hiesigen Untersuchung eine Konzentration auf Fälle mit Bezug zu allgemeinen menschenrecht­ lichen Fragestellungen erfolgen, während Fälle zu Arbeitnehmer- oder Gewerkschaftsrechten ausgenommen wurden523. Die Verfahren werden aufgrund des Interesses gerade an aktuellen Aussagen der Nationalen Kontaktstellen in umgekehrt chronologischer Reihenfolge aufgeführt, wobei zur besseren Übersichtlichkeit jeweils mehrere Verfahren nach den zugrunde liegenden Ausgangssachverhalten gruppiert wurden. 519  Beschwerde der Gesellschaft für bedrohte Völker gegen die Volkswagen AG, siehe oben C.II.2.b)bb). 520  Beschwerde der Firma Krall gegen A. Knightley International Limited, siehe oben C.II.2.b)bb). 521  Beschwerde des DGB gegen Bayer AG, siehe oben a) und Continental, siehe oben C.II.2.b)aa). 522  Siehe oben C.II.1.a). 523  Zu gewerkschaftsrechtlichen Fällen bei der deutschen NKS siehe aber oben C.II.2. Zu allen gewerkschaftsrelevanten Fällen siehe die Übersicht bei TUAC, http: /  / www.tuacoecdmneguidelines.org / Home.asp. Zum Verhältnis der in Kapitel V, Beschäftigung und Beziehungen zwischen den Sozialpartnern, aufgeführten Rechte und den Menschenrechten siehe oben B.III.1.d).

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

a) Großprojekte und Finanzierung von Großprojekten Beschwerden bei den Nationalen Kontaktstellen (nachfolgend: NKS) thematisieren besonders häufig Menschenrechtsbeeinträchtigungen in Zusammenhang mit großen Investitionen und Infrastrukturmaßnahmen wie Bergbau-Minen, dem Bau von Pipelines oder der Errichtung von Staudämmen und Fabriken. aa) BHP Billiton PLC (NKS Vereinigtes Königreich) Eine Beschwerde der Nichtregierungsorganisation Justiça Ambiental machte unter anderem Menschenrechtsverletzungen durch Umleitungen während Reparaturarbeiten an einem Aluminium-Hüttenwerk in Mozambique geltend. Die Beschwerdeführer sind in Maputo, Mozambique, ansässig und handelten im Namen weiterer lokaler Nichtregierungsorganisationen. Dies ist insofern bemerkenswert, als bislang lokale Nichtregierungsorganisationen eher selten direkt Beschwerden bei heimatstaatlichen NKS einlegen.524 Üblicher ist die Einreichung durch eine heimatstaatliche Nichtregierungs­ organisation, die gegebenenfalls gemeinsam mit einer lokalen Organisation handeln.525 Die britische NKS stellte in ihrer abschließenden Stellungnahme vom 13. September 2012 nach einer Gesamtverfahrensdauer von knapp zwei Jahren fest, das Unternehmen „did not breach Chapters II(2), III(1), III(2), V(1)(a), V(1)(b) and V(2) of the 2000 version of the Guidelines“526. Es sei daher nicht angemessen, spezifische Empfehlungen an BHP und Mozal zu richten „as no breach of the Guidelines has occurred“527. Deutlich wird hier der Anspruch der britischen NKS, klare Aussagen über eine etwaige Verletzung der Leitsätze zu treffen. Wie in diesem Fall ersicht524  Vgl. aber Beschwerde des Saami Council gegen die KfW IPEX Bank bei der deutschen NKS, siehe oben C.II.2.b)aa). 525  Vgl. die Beschwerde gegen Neumann Kaffee Gruppe bei der deutschen NKS oder gegen die Goldcorp Inc. bei der kanadischen NKS, unten C.II.3.a)cc) und dd). 526  Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from Justiça Ambiental et al. against BHP Billiton PLC (on Mozal SARL) in Mozambique, September 2012, http: /  / www.oecd. org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / FinalStatement UK12-1204.pdf, S. 3. 527  Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from Justiça Ambiental et al. against BHP Billiton PLC (on Mozal SARL) in Mozambique, September 2012, S. 26.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte285

lich kann diese Praxis durchaus entlastend und damit zugunsten des Unternehmens wirken. Zusätzlich enthält die Stellungnahme unter der Überschrift „examples of good company practice“ Beispiele für Ansätze des Unternehmens, seinen menschenrechtlichen Auswirkungen Rechnung zu tragen. Hierdurch wird das Gesamtbild des menschenrechtlichen Ansatzes des Unternehmens deutlicher und der in jüngerer Zeit vermehrt verfolgte Ansatz des „doing and showing“528 unterstützt. Bemerkenswert an dieser Stellungnahme ist auch der von der britischen NKS gewählte Prüfungsmaßstab der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker529 und die Feststellung, die britische NKS habe „no reason to question Mozambique’s observation of its international commitments, in particular those contained in the African Charter“530. Veranlassung für diese Feststellung war die Genehmigung der kritisierten Umleitungen durch das zuständige mosambikanische Ministerium. Diese Fallkonstellation zeigt eine der Schwierigkeiten, vor denen Nationale Kontaktstellen stehen. Die Ausgestaltung und Anwendung nationalen Rechts sowie deren Konformität mit menschenrechtlichen Standards sind häufig Gegenstand der Auseinandersetzung. Die Beurteilung dieser Fragen durch eine heimatstaatliche NKS stößt allerdings an Grenzen. Da es nach der neuen Fassung der Leitsätze unabhängig von der Ausgestaltung des nationalen Rechts auf die Orientierung der Unternehmen an den internationalen Menschenrechtsstandards ankommt, dürften ausdrückliche Aussagen wie hier über das menschenrechtskonforme Verhalten der Regierungsstellen anderer Staaten wohl nicht die Regel werden. bb) Intex Resources ASA (NKS Norwegen) Die Nichtregierungsorganisation Future in our Hands (FIOH) reichte bei der norwegischen Nationalen Kontaktstelle am 26. Januar 2009 Beschwerde 528  Diesen Ansatz zu stärken ist auch Ziel der Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte. 529  „(…) whether Mozal respected the human rights of the local communities affected by the bypass, consistent with Mozambique’s international obligations and commitments under the African Charter on Human and People’s Rights, in accordance with Chapter II(2) of the Guidelines“: Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from Justiça Ambiental et al. against BHP Billiton PLC (on Mozal SARL) in Mozambique, September 2012, http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guide linesformultinationalenterprises / FinalStatementUK12-1204.pdf, S.  12. 530  Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from Justiça Ambiental et al. against BHP Billiton PLC (on Mozal SARL) in Mozambique, September 2012, S. 24.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

unter anderem wegen Verletzung der Rechte Indigener in Zusammenhang mit einem geplanten Nickel-Abbau auf den Philippinen (Mindoro Nickel Project) ein.531 Das Unternehmen argumentierte, alle Instruktionen der philippinischen Behörden befolgt zu haben und daher die Leitsätze nicht zu verletzen.532 Die NKS stützte sich auf Kapitel II, Ziffer 7 der Leitsätze und legte ihrer abschließenden Stellungnahme vom Januar 2012 ein breites Verständnis der erforderlichen Einbeziehung Indigener einschließlich des Konzeptes des „prior, free, informed consent“ zugrunde.533 Für die Konsultationen mit Indigenen empfiehlt die NKS als Minimumstandard die Einhaltung des IFCPerformance Standard 7.534 Damit ist dieser Fall ein anschauliches Beispiel dafür, dass die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen über nationale Vorgaben oder Genehmigungen hinausgehen kann.535 Die Bezugnahme auf die IFC-Per­ formance Standards in einer Stellungnahme zur Einhaltung der OECDLeitsätze veranschaulicht die zunehmende Verknüpfung internationaler Standards zur menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen. Die Stellungnahme der norwegischen NKS überrascht angesichts ihres Umfangs und Detaillierungsgrades. Während viele NKS-Stellungnahmen nur einige wenige Seiten umfassen536, beläuft sich diese Stellungnahme auf 53 Seiten. Die norwegische NKS ist Anfang 2011 reformiert worden und besteht nunmehr aus vier unabhängigen Experten und ist die derzeit einzige NKS unter akademischer Leitung.537

531  Final Statement by the Norwegian NCP on the complaint from Future in our Hands (FIOH) against INTEX Resources and the Mindoro Nickel Project, Januar 2012, http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinational enterprises / ncpstatements.pdf. 532  Final Statement by the Norwegian NCP on the complaint from Future in our Hands (FIOH) against INTEX Resources and the Mindoro Nickel Project, Januar 2012, S. 5. 533  Final Statement by the Norwegian NCP on the complaint from Future in our Hands (FIOH) against INTEX Resources and the Mindoro Nickel Project, Januar 2012, S. 6 und S. 25. 534  Final Statement by the Norwegian NCP on the complaint from Future in our Hands (FIOH) against INTEX Resources and the Mindoro Nickel Project, Januar 2012, S. 48. Zu den IFC-Performance Standards siehe auch oben Teil 1, C.III.3.a)aa). 535  Siehe hierzu ausführlich oben B.III.1.c). 536  Anders allerdings die jüngeren Stellungnahmen der britischen Nationalen Kontaktstelle, die teils ebenfalls sehr ausführlich gehalten sind und bis zu dreißig Seiten umfassen. 537  Siehe auch oben C.I.2.a).



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte287

cc) Goldcorp Inc. (NKS Kanada) Am 3. Mai 2011 veröffentliche die kanadische Nationale Kontaktstelle eine abschließende Stellungnahme zur Beschwerde einer guatemaltekischen Nichtregierungsorganisation, die von einer US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation unterstützt wurde. Inhaltlich ging es bei dieser Beschwerde um menschenrechtliche Fragestellungen in Zusammenhang mit einer Gold- und Silber-Mine (Marlin Mine) in Guatemala, die im Eigentum des kanadischen Unternehmens Goldcorp Inc. stand und von diesem betrieben wurde.538 Die Beschwerde rügte, „Goldcorp’s operations at the Marlin mine are not consistent with Guatemala’s obligations to respect the rights to life, health, water, property, to be free from racial discrimination, and to free, prior and informed consent“539. Die Nationale Kontaktstelle nahm die Beschwerde zur vertieften Prüfung an und bot den beteiligten Parteien ihre Unterstützung zur Vermittlung an. Das Unternehmen nahm dieses Angebot an, nicht aber die Beschwerdeführer. Diese forderten stattdessen eine Tatsachenermittlung vor Ort durch die Nationale Kontaktstelle und ein „robust final statement“.540 Die Nationale Kontaktstelle sah einen Dialog als essentielle Voraussetzung für eine erfolgreiche Lösungssuche an und schloss das Verfahren ab. Sie wies darauf hin, bei Interesse an einer Vermittlung weiterhin zur Verfügung zu stehen.541 Dieser Fall ist insofern von großer Besonderheit, als die Beschwerdeführer unzweifelhaft keinerlei Interesse an einer Lösungsvermittlung hatten und ausschließlich auf eine Bewertung durch die NKS abzielten. Kurz nach der Verfahrensbeendigung durch die kanadische NKS wurde die aktualisierte Fassung der Leitsätze 2011 angenommen. Diese stellt die Kooperationsanforderungen an alle beteiligten Parteien deutlicher als bislang heraus542 und gibt der Haltung der kanadischen NKS recht. 538  Final Statement of the Canadian NCP on the complaint by Frente de Defensa San Miguelense (FREDEMI) against the Marlin Mine in Guatemala, 3. Mai 2011, http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinationalenterpri ses / ncpstatements.htm. 539  Final Statement of the Canadian NCP on the Complaint by Frente de Defensa San Miguelense (FREDEMI) against the Marlin Mine in Guatemala, 3. Mai 2011, S. 3. 540  Final Statement of the Canadian NCP on the Complaint by Frente de Defensa San Miguelense (FREDEMI) against the Marlin Mine in Guatemala, 3. Mai 2011, S.  1 f. 541  Final Statement of the Canadian NCP on the Complaint by Frente de Defensa San Miguelense (FREDEMI) against the Marlin Mine in Guatemala, 3. Mai 2011, S. 2. 542  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 21 am Ende.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

dd) Neumann Kaffee Gruppe (NKS Deutschland) Im Juni 2009 reichten Wake up and fight for your rights Madudu Group (Uganda) und FIAN Deutschland e. V. Beschwerde gegen die Neumann Kaffee Gruppe bei der deutschen NKS ein. Dem Unternehmen wurde vorgeworfen, eine Kaffeeplantage wissentlich auf einem Gelände errichtet zu haben, das zu diesem Zweck vom ugandischen Militär mittels gewaltsamer und anschließend nicht adäquat entschädigter Vertreibungen beräumt worden war. Das Unternehmen profitiere von den Vertreibungen, nutze seinen Einfluss bei der ugandischen Regierung nicht hinreichend, um angemessene Entschädigungen zu erreichen und verweigere das Gespräch mit den Betroffenen. Das Unternehmen berief sich demgegenüber auf das in Uganda anhängige Gerichtsverfahren, in dem die Neumann Kaffee Gruppe neben dem ugandischen Staat Beklagter sei. Die Beklagteneigenschaft erschwere oder verbiete Einlassungen in einem Vermittlungsverfahren bei der Nationalen Kontaktstelle. Dieses Beschwerdeverfahren ist damit ein Beispiel für die Problematik parallel anhängiger Verfahren, zu der die Neufassung der Erläuterungen nunmehr einige Aussagen trifft.543 Die NKS nahm die Beschwerde trotz dieser Ausgangslage an und unternahm eigene Vermittlungsbemühungen. Eine endgültige Lösung der zugrunde liegenden Problematik wurde bis zum Abschluss des Verfahrens nicht erreicht.544 Mit dieser Annahme wurde aber der Anwendungsbereich der Leitsätze dahingehend ausgelegt, dass auch das Profitieren von gaststaat­ lichen Menschenrechtsverletzungen umfasst ist. Die überarbeitete Fassung der Leitsätze von 2011 bestätigt dies und hält einen Maßstab für die Zurechnung und korrelierende Verhaltensanforderungen bereit.545 In ihrer abschließenden Stellungnahme befand die NKS, es habe sich „kein Hinweis ergeben, dass die Neumann Gruppe nicht gutgläubig davon ausgehen konnte, von der ugandischen Investitionsbehörde das Land für die Kaweri Kaffeeplantage frei von Lasten und Ansprüchen Dritter zur Nutzung erworben 543  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 26. 544  So hatten die Beschwerdeführer von dem Unternehmen u. a. gefordert, direkte Gespräche mit ihnen aufzunehmen sowie seinen Einfluss gegenüber der ugandischen Regierung zugunsten einer angemessenen Entschädigung der Opfer geltend zu machen, Abschließende Erklärung der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die ‚OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen‘ zu einer Beschwerde der Wake up and Fight for Your Rights Madudu Group und FIAN gegen die Neumann Gruppe GmbH, vom 30.  März  2011, http: /  / www.bmwi.de / BMWi / Redaktion / PDF / E / erklae rung-wake-up-and-fight-gegen-neumann-gruppe,property=pdf,bereich=bmwi2012, sprache=de,rwb=true.pdf, S. 2. 545  Siehe oben B.III.3.c).



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte289

zu haben“546. Im Übrigen stellte die NKS eine Annäherung der Parteien und den beiderseitigen Wunsch nach einer außergerichtlichen Einigung fest und schloss das Verfahren mit der Bitte an die Parteien ab, sie über den weiteren Verlauf zu unterrichten.547 Letzteres kann als ein Beispiel für die mit der Neufassung der Leitsätze 2011 nun auch explizit aufgenommene Möglichkeit, ein monitoring zu vereinbaren oder anzukündigen, angesehen werden.548 ee) Vedanta (NKS Vereinigtes Königreich) Die von Survival International eingereichte Beschwerde vom Dezember 2008 gegen das im Vereinigten Königreich registrierte Bergbauunternehmen Vedanta Resources plc. stand in Zusammenhang mit einer geplanten Mine zum Abbau von Bauxit in den Niyamgiri Hills in Orissa, Indien. Die Mine, so die Beschwerde, bedrohe die natürlichen Lebensgrundlagen insbesondere der einheimischen Dongria Kondh und sei auf deren als heilig angesehenen Berg geplant. Das Unternehmen habe die einheimische Bevölkerung nicht in ausreichendem Maße konsultiert und deren Belange nicht in unternehmerische Entscheidungen einfließen lassen: „For example, it has not commissioned an indigenous rights impact assessment with the full participation and engagement of the Dongria Kondh, nor does it have a human rights or indigenous people policy“549.

Die NKS stellte in ihrer abschließenden Stellungnahme ausdrücklich fest, dass das Unternehmen die Maßgaben der Leitsätze nicht eingehalten habe: „The UK NCP also upholds Survival International’s allegation that Vedanta has not behaved consistently with Chapter II(2) of the Guidelines. The UK NCP concludes that Vedanta failed to engage the Dongria Kondh in adequate and timely consultations on the construction of the bauxite mine; it did not consider the 546  Abschließende Erklärung der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die ‚OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen‘ zu einer Beschwerde der Wake up and Fight for Your Rights Madudu Group und FIAN gegen die Neumann Gruppe GmbH, vom 30.  März  2011, http: /  / www.bmwi.de / BMWi / Redaktion / PDF / E / er klaerung-wake-up-and-fight-gegen-neumann-gruppe,property=pdf,bereich=bmwi201 2,sprache=de,rwb=true.pdf, S. 2. 547  Abschließende Erklärung der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die ‚OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen‘ zu einer Beschwerde der Wake up and Fight for Your Rights Madudu Group und FIAN gegen die Neumann Gruppe GmbH, vom 30. März 2011, Abs. 9. 548  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 36. 549  Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from Survival International against Vedanta Resources plc, http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformul tinationalenterprises / ncpstatements.htm, S.  3.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

impact of the construction of the mine on the rights and freedoms of the Dongria Kondh, or balance the impact against the need to promote the success of the company. For these reasons, Vedanta did not respect the rights and freedoms of the Dongria Kondh consistent with India’s commitments under various international human rights instruments, including the UN International Covenant on Civil and Political Rights, the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, the Convention on Biological Diversity and the UN Declaration on the Rights of Indigenous People“550.

Die NKS äußerte sich außerdem zu Sorgfaltspflichtanforderungen, die das Unternehmen nicht berücksichtigt habe: „While the UK NCP acknowledges the difficulty of UK multinational companies, including Vedanta, to keep track of the international human rights obligations both of the UK and of the host countries in which they operate, companies should nonetheless establish a system that helps them assess and keep track of the human rights impact of their economic activities“551.

Nachdem auch positive Ansätze des Unternehmens hervorgehoben wurden552, schließt die Stellungnahme mit Empfehlungen an das Unternehmen zur besseren Einhaltung der Leitsätze553. Dabei nimmt die NKS Bezug auf 550  Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from Survival International against Vedanta Resources plc, S. 1. In Ziffer 59 der Stellungnahme der britischen NKS wird näher auf einzelne Pragraphen eingegangen: „Articles 2(1), 18, and 27 of the UN International Covenant on Civil and Political Rights respectively cover: non-discrimination in the enjoyment of civil and political rights, freedom of religion, and the rights of ethnic minorities. Articles 5(c), 5(d)(v), 5(e) of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination respectively cover: non-discrimination in the enjoyment of political rights, non-discrimination in the enjoyment of the right to own property, and non-discrimination in the enjoyment of economic, social and cultural rights. Article 8(j) of the Convention on Biological Diversity covers the protection of indigenous communities. Articles 12, 18, 19 and 32 of the UN Declaration on the Rights of Indigenous People respectively cover: indigenous groups’ right to practice their religion and for protection of their religious sites, indigenous groups’ right to participate in decision-making affecting their rights, consultation with indigenous groups, and indigenous groups’ right to determine their development priorities and to consent to the exploitation of their land.“ 551  Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from Survival International against Vedanta Resources plc, S. 18, Ziffer 61. 552  Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from Survival International against Vedanta Resources plc, S. 20 f., Ziffer 68 ff., unter Bezugnahme auf die Global Reporting Initiative, den UN Global Compact und Bemühungen im Rahmen der Lieferbeziehungen. 553  Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from Survival International against Vedanta Resources plc, S. 21 ff., Ziffer 73 ff.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte291

die „Akwe: Kon Guidelines – Voluntary guidelines for the conduct of cultural, environmental and social impact assessments regarding developments proposed to take place on, or which are likely to impact on, sacred sites and on lands and waters traditionally occupied or used by indigenous and local communities“554 und die Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte555. Damit ist auch diese Stellungnahme ein anschauliches Beispiel dafür, wie unterschiedliche Instrumente in der Praxis ineinander greifen und sich gegenseitig verstärken. Die Stellungnahme ist zudem als klare Erwartung formuliert und verweist nicht auf einen reinen Empfehlungscharakter der Leitsätze. Weiterhin ist dieser Fall ein Beispiel für den Umgang einer NKS mit unkooperativem Verhalten eines Unternehmens im Vermittlungsverfahren. Vedanta hatte zwar zunächst noch in zwei Schreiben eine Ablehnung der Beschwerde gefordert und dies begründet, sich dann aber weder zu einem Vermittlungsversuch bereit gezeigt noch Material zur Untermauerung seiner Positionen zugesandt. Die NKS war darauf hin vom Stadium des Vermittlungsversuches zur abschließenden Stellungnahme übergegangen, der sie die vom Beschwerdeführer beigebrachten Materialien sowie eigens eingeholte Informationen zugrunde legte. Das Verfahren ist ferner ein besonderes Beispiel für die Umsetzungskontrolle zu den Empfehlungen (monitoring), welche die NKS in der abschließenden Stellungnahme ankündigte und deren Ergebnisse sie mit einem eigenständigen monitoring-Bericht556 transparent machte. ff) BTC-Pipeline-Konsortium (NKS Vereinigtes Königreich) Im April 2003 reichten mehrere Nichtregierungsorganisationen parallel Beschwerden gegen Unternehmen des Konsortiums ein, das unter Leitung der britischen BP die Baku-Tbilisi-Ceyhan (BTC) Öl-Pipeline errichtete. Diese 1760 Kilometer lange Pipeline verläuft von den offshore-Ölfeldern im Kaspischen Meer in Azerbaidjan durch Georgien bis zur südlichen türki554  https: /  / www.cbd.int / doc / publications / akwe-brochure-en.pdf.

555  Damit wendet die britische NKS dessen Ansätze an, bereits bevor diese in die aktualisierten Leitsätze aufgenommen wurden, vgl. Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from Survival International against Vedanta Resources plc, S. 22 f., Ziffern 76 bis 78. 556  Follow up to the Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from Survival Internatio­ nal against Vedanta Resources plc., 12.  März  2010, http: /  / www.oecd.org / daf / interna tionalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / ncpstatements.htm.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

schen Küste. Beschwerden wurden u. a. gegen BP (Deutschland) bei der deutschen NKS eingereicht557, gegen Unocal bei der US-amerikanischen NKS und gegen BP bei der britischen NKS. Vorgeworfen wurden Menschenrechtsverletzungen der nationalen Sicherheitsdienste zum Schutz des Pipeline-Baus, denen das Konsortium nicht entgegen getreten sei.558 Die Beschwerdeführer vertraten die Ansicht, auch Minderheitsanteile an dem Konsortium begründeten die volle Verantwortung des jeweiligen Unternehmens nach den Leitsätzen. Die Kontaktstellen einigten sich darauf, dass die britische Nationale Kontaktstelle die Verfahrensleitung („lead“) in dem Verfahren übernehmen solle. Die britische NKS entschied inhaltlich nur über das Verhalten von BP.559 In seiner Stellungnahme vom August 2010 verneinte die britische NKS eine Verletzung der Leitsätze durch BP. Die NKS stützte sich für dieses Ergebnis in weiten Teilen auf eine Stellungnahme der BP, die den Beschwerdeführern nicht zugänglich gemacht wurde. Dies wurde von den Beschwerdeführern als unfaires Verfahren gerügt. Mit der Reform der britischen NKS wurde ein Steering Board eingerichtet, welches die Aufgabenwahrnehmung durch die NKS überprüft. Das Gremium befasste sich mit dem Fall und es kam zu einer revidierten Stellungnahme der NKS im Februar 2011, in der einzelne Punkte einer erneuten Betrachtung unterzogen worden waren560. Einer der Kernpunkte der Beschwerde aus menschenrechtlicher Sicht war die Frage des Kompensationsverfahrens und der Beschwerdemöglichkeiten für Anwohner, da Hinweisen auf Einschüchterung der Bevölkerung durch lokale Sicherheitsdienste nicht hinreichend nachgegangen worden war. Auch Stabilisierungsklauseln, welche das Konsortium vor Änderungen des nationalen Rechts zugunsten eines höheren Menschenrechtsstandards schützen sollten, wurden thematisiert. In der revidierten Stellungnahme der britischen NKS heißt es: „There was a lack of a systematic approach to grievances resulted in local policing problems, including intimidation of those trying to complain. Despite the company’s local economic influence they didn’t monitor policing undertaken in their 557  Siehe

oben C.II.2.b)aa). zu den Vorgängen rund um die BTC-Pipeline auch: Dolzer, Menschenrechte im internationalen Wirtschaftsrecht, S. 55. 559  Zu bedenken ist, dass das Vorgehen bei Betroffenheit verschiedener Kontaktstellen seinerzeit noch nicht geregelt war. Die Probleme aus diesem Fall machten aber die Notwendigkeit einer Anleitung deutlich, was schließlich zu einer Ergänzung der Leitsätze im Rahmen ihrer Überarbeitung in 2011 führte, vgl. Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 23 f. 560  UK National Contact Point – Revised Final Statement, 22 February 2011, Specific Instance: BTC Pipeline, http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment /  guidelinesformultinationalenterprises / ncpstatements.htm. 558  Vgl.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte293 interests, as they undertook to do under the Voluntary Principles of Security and Human Rights“561. (…) „In one particular region, these potential weaknesses seem to have contributed to shortfalls in effective and timely consultations with local communities, such that the company failed to identify specific complaints of intimidation against affected communities by local security forces where the information was received outside of the formal grievance and monitoring channels, and, by not taking adequate steps in response to such complaints, failed to adequately safeguard against the risk of local partners undermining the overall consultation and grievance process. Accordingly, the UK NCP considers that in relation to complaint 4 the company’s activities in this particular region were not in accordance with Chapter V paragraph 2(b) of the Guidelines.“562

Auch hier erfolgte also eine explizite Feststellung zur Nicht-Einhaltung der Leitsätze. Der Zusammenschluss der Nichtregierungsorganisationen OECD Watch entnimmt dieser Stellungnahme „that multinationals must take into account the human rights context in which they operate if they are to be considered in adherence with the Guidelines“563. Die britische Nationale Kontaktstelle veröffentlichte darüber hinaus einen Follow-up Bericht zur revidierten Stellungnahme am 5. Oktober 2011.564 gg) Shell Ireland (NKS Irland und NKS Niederlande) Im August 2008 legten Nichtregierungsorganisationen aus Irland und Frankreich sowie eine irische „community group“ Beschwerde u. a. gegen die Shell Exploration und Production Ireland Limited (SEPIL) wegen des Corrib Gas projects zur Gewinnung eines vor der irischen Küste gelegenen Gasvorkommens ein. Hintergrund waren befürchtete Sicherheitsrisiken für die lokale Bevölkerung, welche von der geplanten Pipeline und der Aufbereitungsanlage an Land ausgingen. Dieser Fall ist ein Beispiel dafür, dass auch Vorkommnisse in Teilnehmerstaaten Gegenstand von menschenrechtlichen Beschwerden nach den Leitsätzen sind. Die sehr komplexe Auseinandersetzung war bereits Gegenstand 561  UK National Contact Point – Revised Final Statement, 22 February 2011, Specific Instance: BTC Pipeline, http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment /  guidelinesformultinationalenterprises / ncpstatements.htm, Ziffer  19. 562  UK National Contact Point – Revised Final Statement, 22 February 2011, Specific Instance: BTC Pipeline, S. 2. 563  OECD Watch, Cases Data Base, http: /  / www.oecdwatch.org. 564  Follow-up to the revised final statement by the UK NCP on the complaint from Corner House et al. against BTC corporation, from 5 October 2011, http: /  / www. oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / ncpstate ments.htm.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

nationaler Genehmigungsverfahren und Mediationsversuche. Die beiden NKS identifizierten zwei Fragen, die in ihre vermittelnde Zuständigkeit fielen: die Frage der Lokalisierung der Anlage unter Berücksichtigung der Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung und die Frage nach deren ausreichender Konsultation565. Eine Vermittlung zwischen den Parteien zu diesen Punkten war jedoch nicht möglich. Inhaltlich mochten sich die NKS zu den aufgeworfenen Kernfragen nicht äußern, da sie diese als Fragen des Rechts ansahen, deren Beurteilung außerhalb ihrer Kompetenz liege. Dennoch nahmen die irische und die niederländische NKS die Beschwerde zum Anlass für eine grundlegende Feststellung. So heißt es in ihrer gemeinsamen abschließenden Stellungnahme vom 30. Juli 2010: „Nonetheless, enterprises have a responsibility to respect the rigths of those (groups of) people on which their activities have an impact. In order to become aware of potential negative impacts and to appropriately and adequately address such impacts, companies are expected to exercise due diligence in the broad sense of the concept, as set out by UN special representative on business and human Rights, professor John Ruggie (…)“.566

Auch hier sieht man daher bereits vor Inkrafttreten der überarbeiteten Leitsätze von 2011 Bezugnahmen der Praxis auf das Konzept der „negativen Auswirkungen“ und die von Unternehmen anzuwendende erforderliche Sorgfalt (due diligence). hh) Electricité de France (NKS Frankreich) Die Nichtregierungsorganisation Amis de la Terre (Friends of the Earth) legte im November 2004 Beschwerde gegen das unter Leitung der Electricité de France stehende Konsortium ein, welches den Bau des Nam Theun 2–Staudamms in Laos betrieb. Die französische NKS kam in ihrer Stellungnahme vom Mai 2005 zu dem Ergebnis, dass „no violation of the OECD Guidelines could be attributed to EDF“567. 565  Die Frage ausreichender Konsultationen der lokalen Bevölkerung ist ein wiederkehrender Faktor in der Diskussion um die Verantwortung von Unternehmen. Sie insgesamt als so gewichtig angesehen worden, dass mit der Überarbeitung der Leitsätze in 2011 eine neue Ziffer 14 in Kapitel II der Leitsätze zu den Allgemeinen Grundsätzen aufgenommen wurde, welche sich mit dieser Problematik befasst. 566  Final Statement of the Irish and Netherlands National Contact Points (NCPs) on the notification dated 21st August, 2008 concerning the Corrib Gas project, pursuant to the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, vom 30. Juli 2010, http: /  / www.oecd.org / document / 59 / 0,3746,en_2649_34889_2489211_1_1_1_1,00.html, Chapter 7.2, para. 2, P. 15 f. 567  Recommendations of the French National Contact Point to EDF and its partners regarding the „Nam Theun 2“ project in Laos, 26 May 2005, http: /  / www.oecd.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte295

Die NKS sah es demnach als ihre Aufgabe an, eine etwaige Verletzung der Leitsätze zu prüfen und erforderlichenfalls zu benennen. Trotz der entlastenden Feststellung nahm die NKS die Beschwerde zum Anlass für eine grundlegende Aussage: „The NCP is also of the opinion that multinational enterprises doing business in countries where the legislative and regulatory system in the environmental and social field is considered to be weak should do their utmost to apply the same internationally recognised good practices that they follow in their own country at construction sites and with regard to the people affected by their activity“568.

Damit wurde das Verhalten von Unternehmen an den heimatstaatlichen, nicht den gaststaatlichen Menschenrechtsstandards gemessen. ii) Nordea (NKS Finnland und NKS Schweden) Gegen Nordea wurde wegen der Finanzierung einer Zellstofffabrik der Firma Botnia (Botnia Pulp Mill) in Uruguay Beschwerde bei der schwedischen und der finnischen NKS eingelegt. Unter den Nationalen Kontaktstellen bestand Unklarheit, ob die Leitsätze auch auf Finanzinstitutionen Anwendung finden. Die Frage wurde im Investitionsausschuss diskutiert und fand mit der Überarbeitung der Leitsätze 2011 eine Antwort zugunsten der Anwendbarkeit569. Die Beschwerden im Fall Nordea wurden seinerzeit hingegen abgelehnt. Nach heutigen Maßstäben dürften in vergleichbaren Fällen andere Entscheidungen zu erwarten sein. Bereits vor Annahme der revidierten Fassung der Leitsätze 2011 führten die deutsche und die schwedische NKS das Argument in Bezug auf die Beschwerde des Saami Council gegen die KfW IPEX Bank nicht mehr an.570 b) Handel mit Textilien und Baumwolle(-saatgut) und der Vorwurf der Kinderarbeit aa) Handel mit usbekischer Baumwolle Die Nichtregierungsorganisation European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hatte im Oktober und Dezember 2010 Beschwerden bei der deutschen, französischen, schweizerischen und britischen NKS org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / ncpstatements. htm, Abs. 3. 568  Recommendations of the French National Contact Point to EDF and its partners regarding the „Nam Theun 2“ project in Laos, 26 May 2005, Abs. 6. 569  Siehe oben Teil 1, A.II. 570  Siehe oben C.II.2.b)aa).

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gegen Baumwollhändler wegen des Handels mit usbekischer Baumwolle eingereicht, da diese unter Einsatz von Kinderarbeit gepflückt werde. Zum Umgang der Nationalen Kontaktstellen mit den Beschwerden veröffentlichte ECCHR einen vergleichenden Bericht, in dem die Arbeit der Kontaktstellen zusammenfassend eher positiv bewertet wurde.571 (1) ICT Cotton Limited und Cargill Cotton Uzbekistan (NKS Vereinigtes Königreich) Die britische NKS beendete die Verfahren im Juli 2011 mit einer Übereinkunft der Parteien.572 Die Eckpunkte der Übereinkunft sind in den Stellungnahmen der britischen NKS wiedergegeben, nicht jedoch der gesamte Inhalt573. Die Eckpunkte machen deutlich, dass die betreffenden Unternehmen die Vermeidung von Kinderarbeit in ihren Lieferketten als ihre eigene Verantwortung anerkennen. Die Parteien vereinbarten weitere Schritte und Gespräche sowie ein Follow-up-Treffen nach Ablauf eines Jahres mit Unterstützung der NKS. Die Verfahren sind ein weiteres Beispiel für die Annahme von Beschwerden, die sich auf reine Handelsbeziehungen und nicht auf Investitionen beziehen. Die Verfahren sind zudem Beispiele für eine erfolgreiche Vermittlung, wobei die britische und die schweizerische NKS externe Mediatoren in die Verhandlungen eingebunden hatten. Die Stellungnahmen belegen, dass eine Verantwortung von Unternehmen in deren Lieferbeziehungen gesehen wird. Inhaltlich entschieden sich die Parteien für Bemühungen zur künftigen Verringerung des menschenrechtlichen Risikos, nicht für einen Abbruch der Geschäftsbeziehungen. Zudem vereinbarten die Parteien mit der britischen NKS eine weitere Beobachtung der Umsetzung der Empfehlungen.

571  Die Bewertung fiel eher positiv aus, vgl. ECCHR, A Comparison of National Contact Points – Best Practices in OECD Complaints Procedures, Positionspapier, November  2011, http: /  / www.ecchr.eu / index.php / publikationen / articles / a-comparisonof-national-contact-points / . 572  Complaint from the European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) against Cargill Cotton Limited (in Uzbekistan): UK National Contact Point Final Statement, 26 July 2011, und Complaint from the European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) against ICT Cotton Limited (in Uzbekistan): UK National Contact Point Final Statement, 26 July 2011, https: /  / www.gov. uk / government / collections / uk-national-contact-point-statements. 573  Diese Möglichkeit ist von den Leitsätzen vorgesehen, um den widerstreitenden Interessen zu Transparenz und Vertraulichkeit der Verfahren auch im Falle der neu eingeführten Berichte im Falle erfolgreicher Vermittlungen gerecht zu werden.



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(2) E  COM, Paul Reinhart AG und Louis Dreyfus Commodities (NKS Schweiz) Die schweizerische Nationale Kontaktstelle nahm die drei Beschwerden gegen schweizerische Unternehmen im März 2011 an: „In line with the UK NCPs decision, the Swiss NCP will discuss the possibility for the companies to influence business partners and the supply chain during the mediation process“574. Zunächst traf die Nationale Kontaktstelle mit den Parteien Rahmenvereinbarungen zum jeweiligen Ablauf der Vermittlungsbemühungen und einigte sich mit diesen auf die Hinzuziehung eines externen Mediators575. Einigkeit wurde dahingehend erzielt, dass in Usbekistan ein signifikantes Problem bestehe und Unternehmen eine Rolle bei dessen Adressierung zukomme576. Im Ergebnis der Vermittlungsbemühungen einigten sich die Parteien sodann auf konkrete Schritte, die allerdings in dem Bericht nicht näher ausgeführt werden577. Die Anerkennung einer Rolle der Unternehmen in diesem Zusammenhang ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass internationale Bemühungen – beispielsweise zur Entsendung einer Beobachtermission der ILO nach Usbe­ kistan – bislang gescheitert waren und Unternehmen diese nicht ersetzen können. Beachtlich ist aber, dass eine eigenständige Rolle von Unternehmen in dieser komplexen Ausgangslage grundsätzlich anerkannt wurde. (3) Otto Stadtlander GmbH (NKS Deutschland) Der Otto Stadtlander GmbH wurde vorgeworfen, durch den Kauf usbekischer Baumwolle von den staatseigenen Betrieben die dort praktizierte Kin574  Closing Statement by the swiss NCP on the specific instance regarding cotton trade by Paul Reinhart AG in Uzbekistan, 7. März 2012, http: /  / www.oecd.org / daf / in ternationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / ncpstatements.htm. 575  Closing Statement by the swiss NCP on the specific instance regarding cotton trade by Paul Reinhart AG in Uzbekistan, 7. März 2012, S. 3. 576  Die Stellungnahmen formulieren: „have a role to play in the issue“. Ein „real and lasting change“ könne aus Sicht des Unternehmens allerdings eher durch Engagement als durch Boykott erreicht werden, vgl. Closing Statement by the swiss NCP on the specific instance regarding cotton trade by Louis Dreyfus Commodities ­Suisse S.A. in in Uzbekistan, 17. Februar 2012, S. 2. 577  Closing Statement by the swiss NCP on the specific instance regarding cotton trade by Paul Reinhart AG in Uzbekistan, 7. März 2012, S. 3; Closing Statement by the swiss NCP on the specific instance regarding cotton trade by Louis Dreyfus Commodities Suisse S.A. in in Uzbekistan, 17. Februar 2012, S. 3; Closing Statement by the swiss NCP on the specific instance regarding cotton trade by Ecom Agroindustrial Corp. Ltd. In Uzbekistan, 22. Dezember 2011, S. 3.

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derarbeit zu unterstützen beziehungsweise hiervon zu profitieren. Auch verfüge die Otto Stadtlander GmbH aufgrund ihrer wirtschaftlichen Beziehungen über Einflussnahmemöglichkeiten auf die Regierung, die sie besser zur Bekämpfung der Kinderarbeit nutzen könne. Die Beschwerdeführer forderten einen Boykott der usbekischen Baumwolle, ein Engagement des Unternehmens für die Bekämpfung von Kinderarbeit sowie im Falle der Einführung usbekischer Baumwolle die Offenlegung der jeweiligen Abnehmer. Die deutsche Nationale Kontaktstelle nahm die Beschwerde „trotz Fehlens eines Investitionsbezuges“ zur vertieften Prüfung an578. Mit dieser Formulierung stellt die deutsche Nationale Kontaktstelle heraus, dass ein solcher Investitionsbezug keine zwingende Anwendbarkeitsvoraussetzung für die Leitsätze oder das Beschwerdeverfahren ist. Angesichts der jahrelangen Diskussion um die Existenz eines investment nexus und dessen Bedeutung für die Beurteilung der Effizienz der Leitsätze zur Regulierung unternehmerischen Verhaltens ist dies eine nicht unbedeutende Klarstellung579. Das Beschwerdeverfahren wurde im November 2011 mit einer Einigung der Parteien in Form einer „Gemeinsamen abschließenden Erklärung“580 abgeschlossen. Im Verlaufe des Verfahrens war auf der Tatbestandsseite deutlich geworden, dass die Otto Stadtlander GmbH nur über Großhändler einkaufe und der Anteil der usbekischen Baumwolle an der sogenannten „zentralasiatischen“ Baumwolle ca. 5 % betrage. Auch sonst wurden die Einwirkungsmöglichkeiten einzelner Unternehmen auf die usbekische Regierung angesichts der Schwierigkeiten, die bereits die Staatengemeinschaft habe Einfluss zu nehmen und beispielsweise eine ILO-Beobachtermission durchzusetzen, als sehr begrenzt eingeschätzt. Dennoch, so die gemeinsame abschließende Erklärung, „bleiben die Unternehmen aufgefordert, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen Kinderarbeit einzusetzen“581. Beispiel 578  Gemeinsame abschließende Erklärung der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die „OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“, des European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und der Otto Stadtlander GmbH zu einer Beschwerde des ECCHR gegen Otto Stadtlander GmbH / Bremen vom November 2011, S. 2, Absatz 2. 579  Tatsächlich hat die deutsche Nationale Kontaktstelle aber keinen Fall nur aufgrund fehlenden Investitionsbezuges abgelehnt, sondern immer auch die Gesamtbedeutung der Vorwürfe in Verhältnis zu den Zielen der Leitsätze gesetzt. 580  Gemeinsame abschließende Erklärung der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die „OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“, des European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und der Otto Stadtlander GmbH zu einer Beschwerde des ECCHR gegen Otto Stadtlander GmbH / Bremen vom November  2011, http: /  / www.oecd-nks.de. 581  Gemeinsame abschließende Erklärung der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die „OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“, des European Centre



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für eine solche Aktivität ist ein Schreiben der Association of Cotton Merchants in Europe (A.C.M.E.) an die usbekische Außenministerin vom 17. Juni 2011 mit der Aufforderung zur Beendigung der Kinderarbeit. Die Otto Stadtlander GmbH kündigte im Zuge der Vermittlung an, den vom Gesamtverband Textil und Mode entwickelten „Code of Conduct für die Textil- und Modeindustrie“ anzunehmen, dem UN Global Compact beizutreten und eine interne Schulung zum Risikomanagement in der Lieferkette bezüglich Kinderarbeit im Baumwollsektor durchzuführen. Damit wurden konkrete Schritte anvisiert, die der Verbesserung der Situation vor Ort dienen sollen. Es zeigt sich eine gegenseitige Verstärkung staatlicher und privater Instrumente zur Förderung menschenrechtskonformen Verhaltens von Unternehmen. (4) Devcot (NKS Frankreich) Die französische NKS schloss das von Sherpa und ECCHR eingeleitete Verfahren am 21. September 2012 mit einer Stellungnahme ab.582 Obwohl das Unternehmen im Vermittlungsverfahren erklärt hatte, dass es in den letzten Jahren keine Baumwolle in Usbekistan mehr eingekauft habe und zusagte, dies auch weiterhin nicht zu tun, sprach die NKS Empfehlungen zur Einführung von due-diligence-Prozessen und zur Umsetzung der OECD-Empfehlungen im Umgang mit Handelspartnern aus. Dabei wurde ausdrücklich Bezug auf die Fassung der Leitsätze von 2011 genommen, obwohl die Beschwerde vor deren Veröffentlichung eingereicht worden war.583 bb) Bayer CropScience (NKS Deutschland) Im Oktober 2004 reichten mehrere Nichtregierungsorganisationen Beschwerde gegen Bayer CropScience mit dem Vorwurf der Kinderarbeit bei der Baumwoll-Saatgutproduktion in den indischen Zulieferbetrieben ein. for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und der Otto Stadtlander GmbH zu einer Beschwerde des ECCHR gegen Otto Stadtlander GmbH / Bremen vom November 2011, S. 2, Absatz 5 a. E. 582  DEVCOT, Communiqué of the French National Contact Point fort he OECD Guidelines for Multinational Enterprises, www.tresor.economie.gouv.fr / File / 397223. 583  „Based on the date the referral was made, the applicable version of the Guidelines is dated 27 June 2000. NCP discussions nevertheless took into account the revised version of these Guidelines published on 25 May 2011.“, DEVCOT, Communiqué of the French National Contact Point fort he OECD Guidelines for Multinational Enterprises, S. 1.

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Dieses Verfahren veranschaulicht, welch unterschiedlichen Verlauf die Vermittlungsbemühungen einer NKS nehmen kann. So kam es nicht zu gemeinsamen Gesprächen der Parteien, da das Verhältnis zwischen dem Unternehmen und einer der beschwerdeführenden Nichtregierungsorganisationen aus der Vergangenheit heraus vorbelastet war. Die NKS führte daher Einzelgespräche mit dem Unternehmen einerseits und den Beschwerdeführern andererseits, was von letzteren als unbefriedigend wahrgenommen wurde. Allerdings fehlt der NKS die Möglichkeit, ein Unternehmen überhaupt zur aktiven Teilnahme an einem Verfahren zu „zwingen“. Im konkreten Fall führte das Vorgehen zu einer Selbstverpflichtungserklärung des Unternehmens, seine aktiven Bemühungen zur Bekämpfung der Kinderarbeit in den Zulieferbetrieben zu verstärken.584 Die deutsche NKS entschloss sich zum ersten Mal zu einem Monitoring der Vermittlungsergebnisse und ließ sich in den Folgejahren von dem Unternehmen insbesondere über den Fortgang des „Bayer CropScience ChildCare Programme“ informieren.585 cc) Adidas-Salomon (NKS Deutschland) Die Beschwerde der Clean Clothes Campaign vom September 2002 kritisierte die Arbeitsbedingungen in indonesischen Zulieferbetrieben von Adidas-Salomon. In den unter Leitung der deutschen Nationalen Kontaktstelle geführten Vermittlungsgesprächen konnte keine Einigung über die Faktenlage in diesen Betrieben zu dem fraglichen Zeitpunkt herbeigeführt werden, jedoch tauschten die Parteien sich konstruktiv über das von Adidas-Salomon unterhaltene interne Programm zur Einhaltung des firmen­ eigenen Verhaltenskodex (‚Standards of Engagement‘) durch die Zulieferbetriebe aus. Es bestand dabei zwischen den Parteien Einigkeit über die Zielsetzung, grundlegende Arbeitsstandards auch in den Zulieferbetrieben zu wahren.

584  Erklärung der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die ‚OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen‘ zum Beschwerdeverfahren von German Watch, Global March und Coordination gegen Bayer-Gefahren gegen Bayer CropScience, vom 30.  August  2007, http: /  / www.oecd-nks.de, S.  3. Anders fasst Brankamp das Ergebnis zusammen, wonach sich das Unternemen mit der Erklärung zwar verpflichtete, „jedoch lediglich dazu, seine bestehenden Maßnahmen und Programme fortzuführen und (…) vor Ort (…) Einblick zu gewähren“, Brankamp, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: Funktionsweise und Umsetzung, Menschenrechtsmagazin Heft 1 / 2010, S. 41, S. 45. 585  Vgl. etwa Jahresbericht der deutschen Nationalen Kontaktstelle 2009, http: /  /  www.oecd-nks.de.



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Die NKS formulierte in ihrer Stellungnahme vom Mai 2004: „Gemäß den OECD-Leitsätzen sollen Unternehmen auch bei ihren Produktionsstätten in Ländern, die nicht selbst Mitglied der OECD sind, darauf achten, dass die ‚OECD-Leitsätze‘ eingehalten werden“586.

Eine Unanwendbarkeit der Leitsätze mangels Investitionsverhältnisses oder eine Unterscheidung der Verantwortlichkeit innerhalb des eigenen Unternehmens einerseits und innerhalb der Zulieferkette andererseits wurde hingegen in der Stellungnahme nicht thematisiert. c) Handel mit Rohstoffen aus Konfliktregionen, hier der Demokratischen Republik Kongo Die Auswirkungen des illegalen Handels mit Mineralien auf den Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo, die bereits Gegenstand eines Berichtes des UN „Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo“587 waren, beschäftigten auch verschiedene Nationale Kontaktstellen, die sehr unterschiedlich mit diesen Beschwerden umgingen. Die kanadische NKS beispielsweise stellte ein Verfahren gegen ein kanadisches Unternehmen in diesem Zusammenhang ein, welches geltend machte, alle dortigen Geschäftsbeziehungen beendet zu haben.588 Die deutsche und die österreichische NKS befanden gemeinsam, „dass eine Prüfung der Vorwürfe wegen der kriegsähnlichen Zustände im Kongo nicht möglich war“589. Die britische Nationale Kontaktstelle setzte sich ausführlich mit den Vorwürfen auseinander.

586  Erklärung der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zu einer Beschwerde der deutschen Kampagne für saubere Kleidung (CCC) gegen Adidas-Salomon, vom 24.Mai 2004, http: /  / www. oecd-nks.de, Abs. 3. 587  Das „Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo“ sollte den illegalen Rohstoffabbau und dessen konfliktverlängernde Wirkung untersuchen und Empfehlungen erarbeiten; es setzte sich aus fünf Mitgliedern afrikanischer, US-amerikanischer und schweizerischer Herkunft zusammen, vgl. Statement of the President of the Security Council of 2 June 2000 (S / PRST / 2000 / 20) und Letter of the SecretaryGeneral of the United Nations to the President of the Security Council of 31 July 2000 (S / 2000 / 796). 588  Vgl. Veröffentlichung der kanadischen NKS unter http:  /  / www.international. gc.ca / trade-agreements-accords-commerciaux / ncp-pcn / specific-specifique.aspx?lang =eng&menu_id=7&view=d#second. 589  Siehe den Fall A. Knightly International Limited oben C.II.2.b)bb).

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aa) Afrimex (NKS Vereinigtes Königreich) Die Nichtregierungsorganisation Global Witness reichte am 20. Februar 2007 eine Beschwerde gegen das britische Unternehmen Afrimex in Bezug auf dessen Aktivitäten in der Demokratischen Republik Kongo bei der NKS des Vereinigten Königreichs ein. Die Beschwerde machte Verletzungen der Leitsätze durch Beteiligung des Unternehmens am Handel mit Mineralien – vorrangig Coltan und Cassiterite – geltend und prangerte Zwangsarbeit und lebensgefährdende Arbeitsbedingungen in einigen der Minen an. Die Beschwerde stützte sich auf Kapitel II (Allgemeine Grundsätze), Kapitel IV (Beschäftigung und Beziehungen zwischen den Sozialpartnern) und Kapitel VI (Korruptionsbekämpfung) der Leitsätze. Der Mineralienhandel, so der Hauptvorwurf der Beschwerde, generiere Einnahmen, die zu Waffenkäufen und damit zur Verlängerung des Konfliktes beitrügen. Die Mineralien stammten vorrangig aus Minen in den vom Bürgerkrieg besonders betroffenen östlichen Provinzen Nord und Süd Kivu, welche überwiegend unter Kontrolle von Rebellengruppen standen. Die Beschwerdeführer hatten nach eigenen Angaben ausführliche Recherchen einschließlich einer Vor-Ort-Untersuchung zu den Auswirkungen des Mineralienhandels auf den Konflikt unternommen. Die Thematik war bereits von den Vereinten Nationen aufgegriffen worden. Ein vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Jahr 2000 eingesetztes Expertengremium untersuchte die Auswirkungen des illegalen Handels mit Mineralien auf den Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo.590 Das Gremium kam zu dem Schluss, dass nach einer ersten Phase der Plünderung eine systematische Ausbeute von Rohstoffen stattfand, die häufig sowohl die Souveränität der Demokratischen Republik Kongo als auch nationales Recht und teils auch Völkerrecht verletzte.591 Die konfliktverlängernde Wirkung wurde unter anderem auf die hierdurch generierten, massiven Einnahmen der Rwandan Patriotic Army zurückgeführt.592 Dem privaten Sektor wurde eine entscheidende Rolle bei der Konfliktverlängerung zugeschrieben und das Verhalten privater Unternehmen als opportunistisch und 590  Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo, siehe oben Fußnote 587. 591  Vgl. Report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo, Letter of the Secretary-General of the United Nations to the President of the Security-Council of 12 April 2001, Ziffern 5 und 6. 592  Report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo, Letter of the Secretary-General of the United Nations to the President of the Security-Council of 12 April 2001, Ziffer 7.



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nicht verantwortungsvoll kritisiert.593 Der Bericht nannte namentlich 34 ausländische Firmen, die überwiegend in OECD-Teilnehmerstaaten beheimatet waren.594 Die Aufarbeitung und Behandlung der Thematik durch ein UN-Expertengremium stellte dabei nicht nur aus UN-Sicht, sondern auch für die Nationalen Kontaktstellen eine Besonderheit dar. Anzunehmen wäre, dass der Bericht eine hilfreiche Grundlage für die Arbeit der Nationalen Kontaktstellen gewesen ist, gerade da die Tatsachenfeststellung in NichtTeilnehmerstaaten erschwert sein kann595. An der Tiefe der vom UN-Panel durchgeführten Recherchen und damit der Belastbarkeit der Vorwürfe im Einzelnen wurden jedoch Zweifel geäußert. Die Nationale Kontaktstelle des Vereinigten Königreiches nahm die Beschwerde gegen Afrimex zur vertieften Prüfung an und stellte gleichzeitig klar, dass sie die Leitsätze in der Fassung von 2000 nicht retrospektiv anwende. Im Fokus stand daher das unternehmerische Verhalten von 2000 bis 2007. Basis der Vorwürfe waren Handelsbeziehungen von Afrimex mit Unternehmen in der Demokratischen Republik Kongo. Dies hätte die Frage nach der Relevanz eines Investitionsbezuges596 hervorrufen können, den die NKS für die Anwendbarkeit der Leitsätze aber offenbar nicht für erforderlich hielt. Die Vorwürfe gegen das Unternehmen Afrimex umfassten direkte Steuerzahlungen und Korruption zugunsten der Rebellen sowie eine unzureichende Sorgfalt in der Lieferkette. Nach erfolglosen Vermittlungsbemühungen hat die britische NKS in ihrer abschließenden Erklärung vom 28. August 2008 eine Verletzung der Leitsätze festgestellt: „Therefore the NCP concluded that Afrimex failed to contribute to the sustainable development in the region; to respect human rights; or to influence business partners and suppliers to adhere to the Guidelines. The NCP concluded that Afrimex did not apply sufficient due diligence to the supply chain and failed to take adequate steps to contribute to the abolition of child and forced labour in the mines 593  Report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo, Letter of the Secretary-General of the United Nations to the President of the Security-Council of 12 April 2001, Ziffern 7, 181, 184 b) und 215. 594  Nur sechs der 34 Unternehmen stammten aus Nicht-Teilnehmerstaaten der Leitsätze, Report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo, Letter of the Secretary-General of the United Nations to the President of the Security-Council of 12 April 2001, Annex I. 595  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen, Ziffer 39. 596  Siehe oben A.IV.2.a).

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

or to take steps to influence the conditions of the mines. The NCP did not uphold the allegations that Afrimex failed to fulfil the bribery and corruption chapter of the Guidelines or the improper involvement in local politics“597.

Bei der Auslegung der erforderlichen Sorgfalt orientierte sich die Nationale Kontaktstelle an der Definition von due diligence durch den UN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte.598 In Anbetracht der besonderen Umstände in der Demokratischen Republik Kongo verwies die britische NKS zudem auf das OECD Risk Awareness Tool for Multinational Enterprises in Weak Governance Zones.599 Afrimex kündigte an, ein „corporate responsibility policy document“ zu entwickeln, um seine Aktivitäten künftig entsprechend auszurichten.600 bb) DAS Air (NKS Vereinigtes Königreich) Die Nichtregierungsorganisation Rights and Accountability in Development (RAID) reichte im April 2008 Beschwerde gegen DAS Air bei der britischen NKS mit der Begründung ein, das Unternehmen habe unter Verstoß gegen ein Flugverbot Mineralien transportiert, die aus der Bürgerkriegszone stammten. Die britische Nationale Kontaktstelle teilte diese Auffassung und traf in ihrer Stellungnahme vom Juli 2008 eine klare Feststellung zur Nicht-Einhaltung der Leitsätze: „DAS Air had failed to meet the requirements of the Guidelines“601.

Interessant ist auch der Anspruch an Unternehmen, das politische Umfeld ihrer geschäftlichen Tätigkeit zu berücksichtigen. Verhaltensmaßstäbe können sich dabei auch aus Dokumenten ergeben, die originär an Staaten gerichtet sind: „The NCP refers to UN Resolution 1592 (30 March 2005): recital 10 of the resolution urges ‚all states neighbouring the Democratic Republic of Congo to impede 597  Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Afrimex (UK) Ltd., vom 28. August 2008, http: /  / www. oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / ncpstate ments.htm, S. 1. 598  Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Afrimex (UK) Ltd., vom 28. August 2008, Ziffer 77. 599  Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Afrimex (UK) Ltd., vom 28. August 2008, Ziffer 67 ff. 600  Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Afrimex (UK) Ltd., vom 28. August 2008, Ziffer 63. 601  Statement by the United Kingdom National Contact Point (NCP) for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: DAS Air, http: /  / www.oecd.org / daf /  internationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / ncpstatements.htm, S. 1.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte305 any kind of support to the illegal exploitation of Congolese natural resources, particularly by preventing the flow of such resources through their respective territories.‘ The NCP notes that this resolution is directed towards states but considers this resolution highlights the requirement for business to undertake heightened awareness when trading or investing in natural resources within this region. The NCP urges UK companies to use their influence over contracting parties, when trading in natural resources from this region, to ensure that due diligence is applied to the supply chain“602.

Die NKS nimmt damit den vom Beschwerdeführer vorgetragenen Vorwurf mangelnder Sorgfalt des Unternehmens auf und wendet das Erfordernis auch in Bezug auf Lieferbeziehungen an. Nicht akzeptiert wurde demgegenüber die Argumentation des Unternehmens, es habe nicht gewusst, dass die Mineralien aus der Konfliktregion stammten. Der Fall ist damit ein anschauliches Beispiel für die vom Unternehmen erwartete Anwendung seiner Sorgfaltsplicht. Unternehmen dürfen demnach nicht die Augen vor dem Umfeld verschließen, in dem sie handeln. Die deutlichen Aussagen der britischen Nationalen Kontaktstelle heben sich dabei von vorangegangenen Stellungnahmen zum selben Themenkomplex ab.603 602  Statement by the United Kingdom National Contact Point (NCP) for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: DAS Air, Ziffer 53. 603  In der Zeit vor ihrer Umstrukturierung setzte sich die britische Nationale Kontaktstelle aufgrund des UN Panel Berichts auch mit der Rolle der Firmen Avient Ltd. und De Beers auseinander. Der Avient Ltd. wurde in dem Bericht unter anderem vorgeworfen, militärische Güter an die Congolese Army (FAC) und die Zimbabwe Defence Force (ZDF) geliefert zu haben, sowie Besatzungen für Antonov 26 Flugzeuge und Mi 24 Hubschrauber gestellt zu haben, die in Angriffshandlungen verwickelt waren. Die britische Nationale Kontaktstelle monierte in ihrer Stellungnahme von 2004 die schlechte Beweislage und betonte, die Leitsätze seien kein „instrument of sanction“ (UK NCP Statement on Avient, http: /  / www.oecd.org / daf / international investment / guidelinesformultinationalenterprises / ncpstatements.htm, S.  3). Zugleich wirkte die Kontaktstelle auf eine Verständigung mit dem Unternehmen über dessen Verantwortung hin und unterstrich die in den Leitsätzen enthaltenen Empfehlungen. Die Vorwürfe des Berichts gegen De Beers wies die Nationale Kontaktstelle mit Stellungnahme von 2004 als unsubstantiiert zurück (UK NCP Statement on De Beers, http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinational enterprises / ncpstatements.htm). Einen anderen Ausgang nahm das Verfahren betreffend Oryx Natural Resources, dem RAID als Beschwerdeführer in 2004 beigetreten war. Nachdem die Tatsachenaufklärung sich wiederrum als schwierig erwies, drückte die NKS in ihrer Stellungnahme vom Juni 2005 ihr Bedauern darüber aus, dass die Parteien nicht zu einem konstruktiven Dialog zusammen gefunden hätten und eine weitere Vermittlung damit nicht aussichtsreich erscheine (UK NCP Statement on Oryx, http: /  / www.oecd.org /  daf / internationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / ncpstatements.htm, Ziffer 19). Im Übrigen sah die NKS sich nicht in der Lage, zu einer Aussage über die Einhaltung der Leitsätze zu gelangen.

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Mit der Überarbeitung der Leitsätze ist mittlerweile klargestellt, dass Unternehmen sich mittels Einführung von Due-Diligence-Prüfungen aktiv Klarheit über die menschenrechtlichen Risiken ihrer Tätigkeiten verschaffen sollen. d) Dienstleistungen und Infrastruktur für Unterbringung und Inhaftierung im staatlichen Auftrag aa) Aker Kvaerner (Guantanamo Bay) (NKS Norwegen) Die Beschwerde vom Juni 2005, eingelegt vom „Forum for Environment and Development“ (ForUM) bei der norwegischen NKS gegen das Unternehmen Aker Kvaerner, bezog sich auf unterstützende Tätigkeiten des Unternehmens zum Erhalt der Infrastruktur wie Elektrizität, Wasser und Abwasser für das Internierungslager in Guantanamo Bay. Hintergrund der Beschwerde waren menschenrechtsverletzende Internierungsbedingungen der dort Inhaftierten einschließlich Folter. Die norwegische NKS kam in ihrer Stellungnahme vom November 2005 zu der Überzeugung, dass die Aktivitäten des Unternehmens Auswirkungen auf die Insassen hatten, da der Betrieb des Gefängnisses vom Erhalt der Infrastruktur abhing. Insgesamt seien aber Natur und Umfang der Aktivitäten des Unternehmens unklar geblieben. Die norwegische NKS traf dabei interessante Aussagen zur möglichen Beteiligung von Unternehmen an staatlichen Menschenrechtsverletzungen unter „ethischen“ Gesichtspunkten: „This case is not a question of whether Aker Kvaerner has violated human rights. The human rights conventions apply to states only, and companies cannot therefor be held responsible for violations of human rights. However, companies can, through their own actions or failure to act, be complicit in or profit from human rights violations by states. Recommendation no. 2 of Chapter II of the Guidelines adresses the ethical aspect of such cases. Therefore, the question that has to be asked in this case is whether the company has failed to respect the human rights of those affected by (its) activities consistent with the host government’s international obligations and commitments“604. Die Stellungnahmen in diesen Fällen sind wesentlich weniger detailliert als die späteren Beispiele der britischen Nationalen Kontaktstelle. Andererseits wurde die Kontaktstelle direkt auf Basis des UN-Berichts tätig und veröffentlichte die Stellungnahmen auf ihrer Homepage, ohne dass dies von den Leitsätzen gefordert gewesen wäre. 604  Statement by the Norwegian National Contact Point, 29 November 2005, Enquiry from the Forum for Environment and Development (ForUM) on Aker



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Die NKS ergänzt: „The NCP emphasises that the norms referred to in Recommendation no. 2 in Chapter II of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises are international norms and are therefore equally relevant and important in all countries“605.

Der Respekt der Menschenrechte, so die norwegische NKS, erfordere von Unternehmen eine aktive Auseinandersetzung mit den menschenrechtlichen Risiken: „The NCP underlines the importance of Norwegian companies continually assessing their activities in relation to human rights. The provision of goods and services in situations such as those at Guantanamo requires particular vigilence with respect to corporate social responsibility. It would therefore have been appropriate if the company had undertaken a thorough and documented assessment of the ethical issues in connection with its tender for the renewal of the contract in 2005. The NCP has noted that the company does not seem to have drawn up ethical guidelines for its activities. The NCP therefore urges the company to draw up such guidelines and to apply them in all countries in which it operates“606.

Damit stellte die norwegische NKS bereits im Jahr 2005 Sorgfaltspflicht­ anforderungen auf, wie sie 2011 in den Leitsätzen ausdrücklich verankert wurden. Der Respekt der Menschenrechte durch Unternehmen nach den Leitsätzen wurde dabei als ethische, außerrechtliche Verpflichtung beschrieben. Der Zusammenschluss der Nichtregierungsorganisationen OECD Watch sah in dieser Argumentation der NKS von 2005 eine „growing recognition that companies do have human rights responsibilities“607. bb) Global Solutions Ltd. (NKS Australien) Im Juni 2005 legten der Human Rights Council of Australia und weitere Nichtregierungsorganisationen gegen das Unternehmen Global Solutions Limited (Australia) Pty Ltd, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der britischen GLS, Beschwerde bei der australischen NKS ein. Die Beschwerde betraf die Unterbringung von Einwanderern, welche das Unternehmen für die australische Regierung ausführte und beanstandete insbesondere die Kvaerner’s activities at Guantanamo Bay, http: /  / www.oecd.org / daf / internationalin vestment / guidelinesformultinationalenterprises / ncpstatements.htm, Absatz  12, S.  2. 605  Statement by the Norwegian National Contact Point, 29 November 2005, Enquiry from the Forum for Environment and Development (ForUM) on Aker Kvaerner’s activities at Guantanamo Bay, Absatz 18, S. 3. 606  Statement by the Norwegian National Contact Point, 29 November 2005, Enquiry from the Forum for Environment and Development (ForUM) on Aker Kvaerner’s activities at Guantanamo Bay, Abs. 17 und 18, S. 3. 607  OECD Watch, Human Rights Cases, http: /  / www.oecdwatch.org, S. 22.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Verweildauer von Kindern in den Einrichtungen. Die australische NKS nahm die Beschwerde an und führte ein Vermittlungsverfahren durch, welches im April 2006 abgeschlossen wurde. Das Unternehmen bekannte sich dabei zu den Menschenrechten der in seiner Obhut befindlichen Personen; die Nichtregierungsorganisationen boten dem Unternehmen praktische Hilfe an, etwa bei der Auslegung menschenrechtlicher Standards und beim Mitarbeiter-Training.608 Auch dieser Fall wurde von OECD Watch als Beleg einer „growing recognition that companies do have human rights responsibilities“ gewertet.609 4. Erkenntnisse und Ausblick Der Überblick über die Beschwerdeverfahren zeigt, dass von diesem Instrument durchaus Gebrauch gemacht wird. Dabei nimmt die Veröffent­ lichung von Stellungnahmen und Berichten über nicht angenommene Beschwerden und erfolgreiche Vermittlungen zu. Die Überarbeitung der prozessualen Vorschriften der Leitsätze 2011 zeitigt damit erste Wirkungen. Insgesamt zeigt die Betrachtung der bisherigen Verfahren eine kontinuierliche Entwicklung der Fallbearbeitungspraxis, die die Änderungen der Leitsätze 2011 inhaltlich häufig bereits vorweg genommen hat. In den Anfangsjahren des Umsetzungsmechanismus schienen noch Unsicherheiten hinsichtlich des Umfangs der von den Leitsätzen geforderten menschen­rechtlichen Verantwortung von Unternehmen zu bestehen. Angesichts der Allgemeinheit der menschenrechtlichen Klausel in der Fassung der Leitsätze von 2000 überrascht dies nicht. Überraschend ist vielmehr, dass einzelne Nationale Kontaktstellen bereits vor der Überarbeitung der Leitsätze 2011 Sorgfaltspflichtanforderungen an Unternehmen formuliert sowie aktive und passive Beteiligungsformen an Menschenrechtsverletzungen anerkannt haben. Dabei wird überwiegend eine recht klare Sprache verwandt, die nur in einer Stellungnahme von 2005 noch auf einen lediglich ethischen Charakter der Verpflichtungen hinweist. Im Übrigen wird auf Aussagen zur Natur der Verpflichtung verzichtet und zur Präzisierung der Verhaltensanforderungen auf unterschiedlichste internationale Instrumente Bezug genommen. Teilweise wird eine Verletzung oder Einhaltung der Leitsätze explizit festgestellt. Den Aussagen der Nationalen Kontaktstellen kann dabei eine klare Erwartung hinsichtlich der Wahrnehmung menschenrechtlicher Verantwortung 608  Statement by the Australian National Contact Point ‚GLS Australia Specific Instance‘, http: /  / www.oecd.org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / ncpstatements.htm, Ziffer 10: „GLS Australia committed to upholding the human rights of those in its care“. Siehe auch Attachement B, Ziffer 2. 609  OECD Watch, Human Rights Cases, http: /  / www.oecdwatch.org, S. 24.



C. Praxis der Nationalen Kontaktstellen zum Thema Menschenrechte309

durch Unternehmen entnommen werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich Unternehmen angesichts solch deutlich formulierter Erwartungen von Regierungsstellen mit den menschenrechtlichen Auswirkungen ihrer Aktivitäten verstärkt befassen. In vielen Fällen ist dabei eine pro-aktive, in die Zukunft gerichtete Auseinandersetzung mit den Handlungsmöglichkeiten des betreffenden Unternehmens zu erkennen.610 Denn anders als bei einem Gerichtsverfahren geht es neben der Beurteilung vergangenen Verhaltens auch um die Auslotung von Verhaltensänderungen für die künftige Vermeidung negativer Auswirkungen. Gerade in Fällen, in denen die Sachverhaltsaufarbeitung schwierig ist, kann dieser Aspekt in den Vordergrund rücken. Kündigen Unternehmen konkrete Schritte zur Verbesserung der Menschenrechtssituation an, sind tatsächliche Effekte auf das Verhalten von Unternehmen erkennbar. Aber auch konkrete Empfehlungen Nationaler Kontaktstellen können praktische Konsequenzen eines Verfahrens aufzeigen.611 Inhaltlich machen die betrachteten Beschwerdeverfahren deutlich, dass die unternehmerische Verantwortung zum Respekt der Menschenrechte wachsend Anerkennung findet.612 Richtig ist zwar, dass die Aussage einer Nationalen Kontaktstelle keine Bindungswirkung für andere Nationale Kontaktstellen hat.613 Vergleichbare Stellungnahmen von anderen Nationalen Kontaktstellen sind aufgrund der zwischenzeitlichen Überarbeitung der Leitsätze dennoch zu erwarten, wenn auch nicht notwendig in derselben Deutlichkeit hinsichtlich einer etwaigen Verletzung der Leitsätze. Die Beschwerdeverfahren veranschaulichen damit in einem „case-based approach“ die mögliche Anwendung der Leitsätze und geben so zusätzliche Orientierung bei der Frage der Übersetzung der Standards in das eigene unternehmerische Umfeld. Die weitere Entwicklung der „Spruchpraxis“ der 610  Vgl. etwa die Fälle zum Handel mit usbekischer Baumwolle, etwa Otto Stadtlander GmbH, oben 2.b)aa)ccc). 611  Dabei ist zuzugestehen, dass Auswirkungen auf das konkrete Verhalten des Unternehmens nicht immer zu erwarten sind. So hat das von der UK NKS durchgeführte Follow-up im Fall Vedanta ergeben, dass nach wie vor Uneinigkeit zwischen den Parteien über den richtigen Umgang mit der Problematik vor Ort besteht (Vgl. Follow up to the Final Statement by the UK National Contact Point for the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Complaint from Survival International against Vedanta Resources plc., 12.  März  2010, http: /  / www.oecd.org / daf / international investment / guidelinesformultinationalenterprises / ncpstatements.htm.). Andererseits ist die Signalwirkung einer solch deutlichen Stellungnahme für andere Unternehmen, die vergleichbare Verfahren oder öffentliche Berichterstattung vermeiden wollen, sowie für andere NKS, die mit vergleichbaren Fällen betraut sind, nicht zu unterschätzen. 612  Vgl. z. B. die Fälle Aker Kvaerner, Afrimex, Paul Reinhart AG u. a. 613  So auch Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 9.  Auflage, München 2011, § 4, Rz. 69.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Nationalen Kontaktstellen wird auch davon abhängen, welche Fälle vorgelegt werden und inwiefern eine erfolgreiche Vermittlung gelingt. Angesichts des erkennbaren Willens der Nationalen Kontaktstellen, die Leitsätze anzuwenden und angesichts der neuen Verfahrensregeln ist von einem Zuwachs an Veröffentlichungen auszugehen, die insgesamt einen besseren Einblick in den Verlauf der Beschwerdeverfahren und die Argumentation der Nationalen Kontaktstellen erlauben.

D. Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen Die Beachtung der Leitsätze beruht nach deren Wortlaut auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Dennoch könnte von ihnen eine gewisse Verpflichtungswirkung ausgehen. Denn sie sind mit einem Umsetzungsmechanismus versehen, der die Durchsetzung einer zwar außerrechtlichen, aber dennoch effektiven Bindung der Unternehmen zum Ziel haben könnte. Die nähere Betrachtung der Ausgestaltung des Umsetzungsverfahrens hat zwar aufgezeigt, dass gegenwärtig aus dem Umsetzungsverfahren nicht notwendig auf eine solche (beabsichtigte) faktische Bindungswirkung der Leitsätze geschlossen werden kann.614 Einen Einblick in die Wirkungen, die das Umsetzungsverfahren dennoch entfaltet, hat aber der Überblick über Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen in Kapitel C. dieser Arbeit gewährt. Dabei äußerten sich die Kontaktstellen teilweise durchaus im Sinne einer Pflicht der Unternehmen zur Einhaltung gewisser Standards. Die bisherigen Feststellungen allein ergeben daher noch kein vollständiges Bild von dem Maß der Verpflichtungswirkung der Leitsätze und ihrer tatsächlich verhaltenslenkenden Wirkung zum Schutz der Menschenrechte. Um den Beitrag der Leitsätze zum Schutz der Menschenrechte umfänglich zu ermessen, ist eben diese Wirkung aber über den im Text niedergelegten menschenrechtlichen Schutzstandard hinaus von besonderem Interesse. Annahmen hierzu lassen sich aus verschiedenen normativen Kriterien (nachfolgend I.) und einer Betrachtung möglicher Rechtswirkungen der Leitsätze (II.) ableiten. Diese Annahmen sind mittels empirischer Erkenntnisse (nachfolgend III.) zu überprüfen. Eine Gesamtschau dieser theoretischen und empirischen Aspekte wird sodann eine Einschätzung zur verhaltenslenkenden Wirkung, die die Leitsätze in der Gegenwart tatsächlich entfalten, erlauben (nachfolgend IV.). Diese Wirkung kann dabei von einer bloßen Anregung der Unternehmen, bestimmte Verhaltensweisen an den Tag zu legen, bis hin zu einer faktischen Bindung an die Leitsätze reichen. 614  Siehe

oben C.I.4.



D. Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen311

I. Normative Kriterien zur Bestimmung des Grades der Bindungswirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen 1. Zielsetzung und Wortlaut Die normative Kraft eines Dokumentes ergibt sich zum einen aus dessen Wortlaut. Hier ist zunächst entscheidend, dass die Leitsätze die aufgestellten Verhaltensmaßstäbe als „Empfehlungen“ bezeichnen615. Dies schließt jedoch wie gesehen nicht aus, dass mit dem Ausdruck dieser Empfehlungen zugleich die Erwartung ihrer Einhaltung verbunden ist. Tatsächlich sprechen die Leitsätze davon, dass an die Unternehmen „Erwartungen hinsichtlich ihres Verhaltens“ gerichtet werden616 und selbst kleine und mittlere Unternehmen angehalten werden, diese „so weit als irgend möglich anzuwen­ den“617. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass von den Unternehmen ohne Zweifel die Einhaltung der Standards erwartet wird. Die Leitsätze sprechen auch nicht von „freiwilligen“ Empfehlungen, sondern präzisieren, die Beachtung der Empfehlungen beruhe „auf dem Prinzip der“ Freiwilligkeit. Dies wird ergänzt durch den Hinweis, sie hätten „keinen rechtlich zwingenden Charakter“618. Damit könnte der Begriff „Freiwilligkeit“ auch als Abgrenzung zu gerichtlich einklagbaren Verhaltensanforderungen interpretiert werden. Damit würden die Leitsätze Verhaltensstandards enthalten, deren Umsetzung zwar gerichtlich nicht einklagbar ist, aber ungeachtet dessen aus Sicht der Regierungen nicht zur Disposition der Unternehmen stehen. Für diese Interpretation spricht eine Differenzierung in Kapitel II der Leitsätze, welches die Allgemeinen Grundsätze enthält. In dessen Abschnitt A sind Verhaltensweisen niedergelegt, die die Unternehmen befolgen „sollten“. In Abschnitt B werden demgegenüber Verhaltensmaßstäbe aufgeführt, zu deren Umsetzung die Unternehmen „angehalten“ werden. In der englischen Originalfassung wird die Unterschiedlichkeit dieser Maßgaben noch deutlicher: „Enterprises should“ steht hier „Enterprises are encouraged“ gegenüber. Bei letzteren liegt es im Ermessen der Unternehmen, ob sie sich zu diesen Verhaltensweisen ermutigen lassen wollen. Für die übrigen Empfehlungen gilt im Umkehrschluss, dass diese keiner Wahlfreiheit unterliegen, sondern eine Erwartungshaltung bezüglich ihrer Umsetzung besteht. 615  OECD-Leitsätze

für für 617  OECD-Leitsätze für 618  OECD-Leitsätze für 616  OECD-Leitsätze

multinationale multinationale multinationale multinationale

Unternehmen, Unternehmen, Unternehmen, Unternehmen,

Kapitel I, Kapitel I, Kapitel I, Kapitel I,

Ziffer 1, Ziffer 5, Ziffer 6, Ziffer 1,

Satz 1. Satz 2. Satz 2. Satz 3.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Dieser Befund wird auch dadurch bestätigt, dass die Leitsätze nicht nur für Unternehmen gelten, die sich zu ihnen bekennen. Sie statuieren daher keinen zur Disposition stehenden Orientierungsrahmen sondern geben diesen vor. Damit spricht der Wortlaut der Leitsätze, trotz der Berufung auf die Freiwilligkeit, eher für ein Verständnis der Leitsätze, das den Unternehmen keine argumentative Wahlfreiheit bezüglich ihrer Einhaltung belässt. 2. Autorität Da die Leitsätze von Regierungen angenommen wurden, wird ihnen ein „im Vergleich zu anderen Initiativen für Unternehmensverantwortung hoher normativer Verpflichtungscharakter“619 und ein hohes politisch-moralisches Gewicht620 zugeschrieben, das zu einer „moralischen Verpflichtung“ ihrer Einhaltung führe621. Die Autorität der normgebenden Institution hat große Auswirkungen auf die normative Kraft eines Instrumentes. Staaten und internationalen Organisationen kommt dabei eine hohe Autorität zu. Die Leitsätze stammen zudem aus dem Kontext derjenigen Staaten, die einen Großteil der multinationalen Unternehmen beheimaten und diesen gegenüber im nationalen Recht Regelungsbefugnis haben. Die OECD als Organisation beschäftigt sich darüber hinaus seit langem mit dem Thema Auslandsinvestitionen und verfügt über eine große Sachnähe, nicht zuletzt über ihre weiteren Ausschüsse zu Umwelt, Entwicklung und Korruption. Den Leitsätzen liegt daher eine große Autorität zugrunde, die nicht ohne Wirkung auf den tatsächlichen Verpflichtungscharakter der Leitsätze bleiben kann. 3. Akzeptanz Einen großen Anteil ihrer Wirkungsmacht dürften die Leitsätze aber wohl aus der Art und Weise der Verfahren zu ihrer Abfassung beziehen: Bei den 619  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 2. 620  Vgl. auch Hardeck, Die Empfehlungen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Bereich der Besteuerung, IStR 2011, S. 933, S. 936: „Das besondere Gewicht der OECD-Leitsätze resultiert aber aus der Tatsache, dass sie unter der Vielzahl an Verhaltenskodizes für MNU der einzige multilateral anerkannte Kodex sind, den Regierungen untereinander vereinbart haben.“ 621  Blanpain, The Badger Case and the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Deventer 1977, S. 130: „The Guidelines are, however, morally binding and to that end sanctioned by public opinion.“



D. Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen313

bedeutenden Überarbeitungen der Leitsätze, besonders zuletzt im Jahr 2011, sind die Interessensvertreter umfänglich einbezogen worden und reagierten auf das Verhandlungsergebnis grundsätzlich positiv, so dass die gegenwärtige Fassung der Leitsätze insgesamt als recht ausgewogener Konsens aufgefasst werden darf.622 Dies wird bestätigt in der Stellungnahme des Beratenden Ausschusses der Wirtschaft bei der OECD, BIAC, vom 25. Mai 2011, wo zusammengefasst wird: „although the new text increases the expectations put on business in a number of aspects, the central concerns of business have been adressed in a constructive way. BIAC is therefore in a position to state that it can accept the final text as negotiated by OECD member states“623. Der Gewerkschaftliche Beratungsausschuss TUAC befand, die aktualisierte Fassung der Leitsätze enthalte einige neue Elemente, die geeignet seien, „(to) significantly increase the relevance of the Guidelines and their potential to raise the standard of responsible business conduct in a global context“624. OECD Watch fasste bei aller Kritik zusammen, der Überarbeitungsprozess habe einige „important gains“ erreicht und es bestehe nunmehr „an obligation and opportunity for the OECD and adhering countries to enhance the effectiveness of this unique instrument for promoting responsible business conduct in the global context“625. Die Leitsätze stellen angesichts dieses Konsenses nicht nur Empfehlungen der Regierungen dar, sondern sind gesamt-gesellschaftlich akzeptiert und reflektieren daher gesellschaftliche Erwartungen. Dabei wird einhellig davon ausgegangen, dass die in den Leitsätzen enthaltenen Aspirationen tatsächlich eingehalten werden können. Im OECD-Jahresbericht zu den Leitsätzen heißt es gar „business respresentatives welcomed the new ele622  Vgl. auch Oldenziel, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: A New Code of Conduct?, S. 46: „(…) there is a normative force of the Guidelines, which implies that the addressee of the norm is willing to accept it as a guideline for his behaviour. The general acceptation of the Guidelines by Governments and employers’ and workers’ organisations implies that it constitutes standards which society, as a whole requires to be upheld“. 623  BIAC Statement on the Adoption of the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 15  May  2011, Absatz  2, http: /  / www.biac.org / statements /  investment / 11-05-19_Final_BIAC_statement_on_updated_Guidelines_for_MCM_ 2011.pdf. 624  TUAC Statement on the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 25.  Mai  2011, http: /  / www.tuac.org / en / public / e-docs / 00 / 00 / 08 / EA / docu ment_news.phtml, Absatz 2. 625  OECD Watch Statement on the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 25.  Mai  2011, http: /  / oecdwatch.org / publications-en / Publication _3675 / , S.  4.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

ments introduced in the updated Guidelines, as they reflect what enterprises already do in practice“.626 Diese Stimmungslage unter den beteiligten Interessensvertretern rechtfertigt es, die Akzeptanz der Leitsätze insbesondere durch die Unternehmensseite − und damit die Wahrscheinlichkeit ihrer Anwendung − grundsätzlich positiv zu beurteilen.627 4. Umsetzungsbestimmungen Wie gesehen sind die Leitsätze mit der Erwartung verbunden, dass die Unternehmen sich an ihnen orientieren und sich den Empfehlungen gemäß verhalten. Dieser Erwartung wird Nachdruck verliehen durch das mit den Leitsätzen verbundene Umsetzungsverfahren. Denn Bestimmungen, die der Umsetzungsüberwachung dienen, erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Einhaltung eines Verhaltensstandards und damit dessen normative Kraft. Die übrigen Instrumente zur Förderung der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen sind in weit geringerem Maße mit Umsetzungsbestimmungen verknüpft.628 Mit der Einrichtung dieses Verfahrens im Rahmen der Leitsätze sind daher deutliche Signale an die Unternehmen verbunden. Das Umsetzungsverfahren nach den Leitsätzen kann dabei wie gesehen zu einer öffentlichen Stellungnahme der Nationalen Kontaktstelle über die Nichteinhaltung der Leitsätze durch das betreffende Unternehmen führen. Ein als gesellschaftlich verantwortungslos wahrgenommenes Unternehmenshandeln, so Befunde der CSR-Forschung, können zu Image- und Vertrauensverlusten, einer geringeren Zahlungsbereitschaft und zu Kaufzurückhaltung führen.629 Damit drohen den Unternehmen durch das Umsetzungsverfahren gesellschaftliche und wirtschaftliche Sanktionen. Diese können unter Umständen eine ebenso große Steuerungswirkung entfalten wie rechtliche Sanktionen.630 Den Leitsätzen und dem Beschwerdemechanismus wird daher, insbesondere seit der Überarbeitung 2011, ein besonderes 626  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2011, S. 199. 627  So auch Bretschger, Unternehmen und Menschenrechte; Elemente und Potenzial eines informellen Menschenrechtsschutzes, Zürich u. a., 2010, S. 16 f.; Daillier / Forteau / Pellet, Droit International Public, 8. Auflage, Paris 2009, S. 1166: „Malgré leur caractère non contraignante, les procédures des controle mises en oeuvre se sont révéleés assez persuasives‫״‬. 628  Siehe oben Teil 1, C.IV.3.b). 629  Vgl. u. a. Hardeck, Die Empfehlungen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Bereich der Besteuerung, IStR 2011, S. 933, S. 938 m. w. N. 630  Zum möglichen Eingriffscharakter der Stellungnahmen der Nationalen Kontaktstellen vor diesem Hintergrund siehe oben C.I.3.b).



D. Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen315

Gewicht und eine Geeignetheit als „besonders starkes Druckmittel“631 bescheinigt. Daher kann Köster nicht zugestimmt werden, wenn er kurz zusammenfasst: „Entsprechend dem Empfehlungscharakter des Global Compact, der OECD-Leitsätze und der ILO-Erklärung sind auch die Überprüfungsmöglichkeiten äußerst schwach und unverbindlich ausgestaltet“632. Diese Feststellung wird dem Instrumentarium der Leitsätze nicht gerecht. Es bedarf vielmehr eines genaueren Blickes in die Funktionsweise und die praktischen Auswirkungen des Beschwerdemechanismus bei den Nationalen Kontaktstellen für die Leitsätze. Hier setzt die Kritik von Zerk an, nach der „regulation which relies on activism for enforcement will inevitably be ‚piecemeal and inconsistent‘ in its impact“633. Dies ist ein gewichtiges Argument, denn die Nutzung des Beschwerdemechanismus hängt in der Praxis zum großen Teil von den Aktivitäten und Prioritäten der (häufig heimatstaatlichen) Nichtregierungsorganisationen ab. Unabhängig von einer Repräsentativität der so zustande kommenden Fälle fördern die Beschwerden aber den Bekanntheitsgrad der Leitsätze, haben eine Signalwirkung für andere Unternehmen und vertiefen die Kenntnisse über die mit ihnen verknüpften menschenrechtlichen Erwartungen. Die bloße Möglichkeit, dass es zu einem Beschwerdeverfahren kommen kann, kann dabei bereits eine abschreckende Wirkung entfalten. Dies gilt auch dann, wenn nicht eindeutig vorhersehbar ist, mit welcher Wahrscheinlichkeit es zu einer solchen Beschwerde bei einer Nationalen Kontaktstelle kommen wird. Im Ergebnis ist Zerk daher zwar möglicherweise dahingehend zuzustimmen, dass die effektive Nutzung des Instrumentes noch verbessert werden kann. Nicht richtig ist jedoch, dass aus diesem Grund bereits vom Ansatz des Verfahrens her dessen Beitrag zu einer verhaltenslenkenden Wirkung der Leitsätze gehindert ist. Ein anderer Aspekt, der die Wirkungsweise des Beschwerdeverfahrens beeinflusst, ist der unterschiedliche Aussagegehalt der abschließenden Erklärungen der Nationalen Kontaktstellen und die fehlende Verbindung mit staatlichen Sanktionen. Letztere werden von Nichtregierungsorganisationen gefordert, um dem Mechanismus zu mehr Durchsetzungskraft zu verhelfen.634 631  Hardeck, Die Empfehlungen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Bereich der Besteuerung, IStR 2011, S. 933, S. 938. 632  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 94. 633  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S.  243 m. w. N. 634  OECD Watch Statement on the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 25.  Mai  2011, http: /  / oecdwatch.org / publications-en / Publica tion_3675 / , S.  2.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Bei der derzeitigen Konstruktion hängt der über das eigentliche Verfahren hinausgehende Druck, der mit den Stellungnahmen erzeugt werden kann, vom Verbraucherverhalten ab. Vorgeschlagen wurde im Rahmen der Überarbeitung der Leitsätze 2011, Verstöße gegen die Leitsätze im Rahmen der Vergabe von Exportkreditgarantien und Investitionsgarantien zu berücksichtigen. Aufgenommen wurde in die Leitsätze der Hinweis, dass Nationale Kontaktstellen ihre Kenntnisse diesen und anderen relevanten Stellen mitteilen können.635 Nicht vorgegeben ist zudem, dass sich die Nationalen Kontaktstellen im Rahmen einer abschließenden Stellungnahme zu der Frage äußern, ob die Leitsätze eingehalten wurden. Hierdurch bleibt es bei einer ambivalenten Aussage des Umsetzungsverfahrens zum Spannungsverhältnis zwischen der Freiwilligkeit der Beachtung der Leitsätze und der Einhaltungserwartung der Regierungen.636 Von Seiten der Nichtregierungsorganisationen wird aufgrund dieser Ausgestaltung auch nach der Überarbeitung der Verfahrensvorschriften 2011 bezweifelt, dass dieses Verfahren eine effektive Anwendung der Leitsätze garantieren könne.637 Aber auch unabhängig von der Geeignetheit, eine solche Garantie zu gewährleisten, kann festgestellt werden, dass der Beschwerdemechanismus die Einhaltungserwartung sehr deutlich unterstreicht und damit eine verhaltenslenkende Wirkung der Leitsätze unterstützt.

635  Erläuterungen zu den Verfahrenstechnischen Anleitungen für Nationale Kontaktstellen, Ziffer 37, Sätze 1 und 2. Ausführlicher siehe oben Teil 1, C.III.3.a)aa). 636  Ausführlicher siehe oben C.I.4. 637  OECD Watch Statement on the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 25.  Mai  2011, http: /  / oecdwatch.org / publications-en / Publication _3675 / , S. 4: „civil society organizations cannot rely on this instrument for guaranteeing responsible business conduct and effective remedies“. Außerdem wird festgestellt: „(…) the changes to the implementation procedures, which should be the cornerstone of the Guidelines, fall far short of what is needed to ensure that they are an effective and credible instrument. This update missed a once-in-a-decade opportunity to provide for a system capable of ensuring observance through investigative powers and the ability to impose some kind of sanction when the Guidelines are breached. In the absence of minimum standards to ensure that the Guidelines are consistently applied, it will be up to National Contact Points to step up to the plate and demonstrate their commitment and ability to resolve disputes and help provide remedies for those adversely affected by corporate misconduct“, OECD Watch Statement on the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 25.  Mai  2011, http: /  / oecdwatch.org / publications-en / Publication_3675 / , S.  1. Siehe auch die Stellungnahmen von Amnesty International und Forum Menschenrechte, Fußnoten 165 und 166.



D. Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen317

5. Zusammenfassung Die Betrachtung normativer Kriterien ergibt, dass mit den Leitsätzen aufgrund ihrer Autorität und Akzeptanz eine recht hohe Einhaltungswahrscheinlichkeit verbunden ist. Die Einhaltungserwartung äußert sich auch in konkreten Bemühungen um die Steigerung der Effizienz des Instrumentes und vor allem in dem zur Verfügung gestellten Umsetzungsverfahren. Angesichts der zugleich betonten Freiwilligkeit der Leitsätze bleibt es aber letztlich bei einer gewissen Ambivalenz, so dass den normativen Kriterien nicht zweifelsfrei eine faktische Bindungswirkung entnommen werden kann. Weitere Erwägungen für die Beurteilung der Wirkung der Leitsätze sind daher heranzuziehen. Hierzu gehören etwaige Rechtswirkungen und empirische Befunde.

II. Rechtswirkungen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen Verhaltenskodizes werden gewisse Rechtswirkungen zugeschrieben, die sie trotz ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit entfalten.638 Als Beispiel solcher Rechtswirkungen wird ihre Berücksichtigung in internationaler oder supranationaler Judikatur genannt639, etwa bei der Auslegung unbestimmter, werteorientierter Rechtsbegriffe wie „Treu und Glauben“ nach dem Estoppel-Grundsatz640 oder zur Konkretisierung des „ordre public“ im Völkerrecht641. Auch böten sich internationale Standards „zur Ausfüllung der 638  Einen Überblick über diese möglichen Rechtswirkungen gibt Petersmann, Codes of Conduct, in: EPIL, Band I, Den Haag 2004, S. 627, S. 628 f. Ausführlich auf die Rechtswirkungen unternehmerischer Verhaltenskodizes, beispielsweise durch Einbeziehung in die Vertragsbeziehungen, geht auch Buntenbroich ein, vgl. Buntenbroich, Menschenrechte und Unternehmen: Transnationale Rechtswirkungen „freiwilliger“ Verhaltenskodizes, Frankfurt am Main 2007, S. 119 ff. Diese Rechtswirkungen sind die Ursachen für deren Einordnung als soft law, zusammen mit der „rechtlichen Relevanz“, die Verhaltenskodizes „als Stufen eines Entwicklungsprozesses, der zur Entstehung von Gewohnheitsrecht oder zur Konkretisierung allgemeiner Grundsätze des Gewohnheitsrechts führen kann“ zugeschrieben wird, vgl. Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 20, Rz. 4. Diese Frage wird in Teil 3, A.II. noch ausführlich zu behandeln sein. In Teil 3, B.II., erfolgt eine genauere Untersuchung des Beitrags der Leitsätze zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht. 639  Nowrot in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Berlin 2009, § 2, Rz.  80 f. 640  Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 457 ff. 641  Ausführlich zum „ordre public“ siehe Buntenbroich, Menschenrechte und Unternehmen: Transnationale Rechtswirkungen „freiwilliger“ Verhaltenskodizes, Frankfurt am Main 2007, S. 97 ff.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

bürgerlich-rechtlichen Generalklauseln, unbestimmter Rechtsbegriffe und verwaltungsbehördlicher Ermessensspielräume“ an.642 Für die Leitsätze wurden zwei mögliche Anwendungsbereiche der Ausfüllung verwaltungsbehördlicher Ermessensspielräume beziehungsweise der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe bereits näher identifiziert, nämlich das Erfordernis einer Absichtserklärung zur Einhaltung der Leitsätze als etwaiges Vergabekriterium für Exportkredit- und Investitionsgarantien643 und die Berücksichtigung der in den Leitsätzen enthaltenen Verhaltensstandards bei der Auslegung des Standards des „fair-and-equitable treatment“ im internationalen Investitionsschutzrecht und bei der Bewertung der Zulässigkeit der Geltendmachung von Stabilisierungsklauseln644. In Betracht käme ferner die Heranziehung der in den Leitsätzen enthaltenen Standards zur Konkretisierung der „guten Sitten“, etwa nach § 138  BGB.645 Hailbronner ergänzt zu letzterem Aspekt, aus dem Grundgesetz ließen „sich unmittelbar keine Regeln ableiten, ob und in welchem Umfang derartige internationale Standards innerstaatlich beachtet werden können bzw. beachtet werden müssen“, verweist aber auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit nach Art. 25 GG und eine Entscheidung des BGH, in der ein privatrechtlicher Vertrag für sittenwidrig und damit nichtig erklärt wurde, da er dem „nach heutiger Auffassung allgemein zu achtenden Interesse aller Völker“ zuwiderhandele, zu dessen Nachweis der BGH sich unter anderen auf eine Deklaration der Generalkonferenz der UNESCO gestützt hatte.646 Nach diesen Maßstäben scheint es ohne weiteres denkbar, dass die Leitsätze zur Bestimmung der Sittenwidrigkeit eines Vertrages herangezogen werden.647 642  Hailbronner, Entwicklungstendenzen des Wirtschaftsvölkerrechts, Konstanz 1983, S. 30. Dies kann gar als „wesentlicher Effekt“ der Verhaltensrichtlinien angesehen werden, so Baade, The Legal Effects of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, in: Horn (Hrsg.), Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, Den Haag 1980, S. 3, S. 8. 643  Siehe oben Teil 1, C.III.3.a) aa). 644  Siehe oben Teil 1, C.III.3.a) bb). 645  Siehe auch Meessen, Internationale Verhaltenskodizes und Sittenwidrigkeitsklauseln, NJW 1981, S. 1131 f. 646  Hailbronner, Entwicklungstendenzen des Wirtschaftsvölkerrechts, Konstanz 1983, S. 31. Zu diesem Beispiel siehe auch Seidl-Hohenveldern, International economic „soft law“, RdC 163.2 (1979), S. 165, S. 200. 647  Es scheint allerdings wenig wahrscheinlich, dass vertragliche Vereinbarungen geschlossen werden, die selbst unmittelbar gegen die Standards der Leitsätze verstoßen, beispielsweise die Inanspruchnahme von Kinderarbeit zum Gegenstand haben. Wahrscheinlicher ist die faktische Verletzung von Menschenrechten anlässlich der Erfüllung von – für sich genommen neutralen – Vertragsgestaltungen. Aus der Perspektive des nationalen Rechts ist daher das Deliktsrecht der entscheidendere An-



D. Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen319

Streng genommen handelt es sich hierbei aber nicht um eine Rechtswirkung der Leitsätze selbst. Vielmehr öffnet sich das Recht durch Öffnungsklauseln und die Einräumung von Ermessensspielräumen bis zu einem gewissen Grad der Bedeutung von Verhaltenskodizes. Es ist also nicht der Verhaltensstandard, der Rechtswirkungen entfaltet, sondern die Rechtsnorm, die an diesen sozialen Standard gewisse Rechtsfolgen knüpft.648 Auch die Beobachtung, dass Verhaltensstandards den juristischen Auslegungsmethoden zugänglich sind beziehungsweise ihrer bedürfen, ist richtig, aber keine rechtliche Wirkung im engeren Sinne. Eine echte Rechtswirkung wäre demgegenüber, wenn die Einhaltung eines öffentlich bekannt gemachten Verhaltenskodex die Mangelfreiheit des Produktes mitbestimmen würde649. Eine solche Wirkung ist heute allerdings bei Weitem nicht anerkannt. Letztlich ist die Differenzierung zwischen Rechtswirkung und Rechtsfolge aber insofern nicht ausschlaggebend, als auch die Anknüpfung von Rechtsfolgen an die Nichteinhaltung sozialer Verhaltensstandards einen weiteren Anreiz für deren Einhaltung bietet und damit deren verhaltenslenkende Wirkung steigert.650 Die den Verhaltenskodizes zugeschriebenen „Rechtswirkungen“ treffen auf die Leitsätze jedenfalls in dem angesprochenen Umfang zu. Ob die Leitsätze aufgrund der oben festgestellten normativen Kriterien und dieser Rechtswirkungen tatsächlich eine verhaltenslenkende Wirkung entfalten, soll nun unter Berücksichtigung empirischer Befunde beurteilt werden.

III. Empirische Beobachtungen zur Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen Aus normativer Sicht wohnt den Leitsätzen, wie gesehen, ein erhebliches Potenzial inne, das Verhalten der Normadressaten in gewissem Maß zu lenken. Fraglich ist, ob sich dieses Potenzial in der Praxis auch tatsächlich umsetzt. Hierzu ist zum einen die Verbreitung der Leitsätze unter den wendungsbereich. Die Geeignetheit des nationalen Deliktsrechts zur Behandlung zumindest einiger der hier untersuchten Fälle wurde in Teil 1, C.III.1.b) bereits beleuchtet. 648  Vergleichbares gilt für die Bedeutung von „weichem Recht“ als „spätere Übung“ im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b Wiener Vertragsrechtskonvention, wie sie beispielsweise von Nowrot vertreten wird, vgl. Nowrot in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Berlin 2009, § 2, Rz. 80. 649  So im Hinblick auf die mögliche Entwicklung Kocher, Die Verantwortung von Unternehmen aus juristischer Sicht, S. 53. 650  Die Frage, ob es sich um eine Wirkung des Verhaltenskodex selber handelt, könnte allerdings eine Rolle spielen bei der Frage nach dessen angemessener rechtlicher Einordnung, siehe unten Teil 3 dieser Arbeit.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

­ ormadressaten erforderlich. Eine maßgebliche unterstützende Wirkung N kann zudem die konsequente, einheitliche und vorhersehbare Anwendung des Umsetzungsverfahrens entfalten. 1. Verbreitung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen In der Literatur wird festgestellt, „Befragungen von Unternehmen“ ergäben, „dass die Leitsätze seitens der Wirtschaft als Referenzgröße genutzt werden“651 und es gäbe „heute kaum noch ein multinationales Unternehmen, das dieses Thema nicht auf der Agenda hätte“652. Vom UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, wurden sie als „the most widely used instrument defining the obligations of multina­ tional enterprises“ bezeichnet.653 Andererseits wird kritisiert, die Leitsätze würden von Unternehmen allenfalls als „allgemeiner Orientierungsrahmen“ angesehen und in ihren Berichten weniger prominent behandelt als zum Beispiel der UN Global Compact.654 Hierzu ist aber zu bedenken, dass die Leitsätze anders als die meisten anderen CSR-Instrumente keines ausdrücklichen Bekenntnisses bedürfen, um auf ein Unternehmen anwendbar zu sein.655 Da die Einhaltung der Leitsätze von den Unternehmen erwartet wird, kann ihre Beachtung auch schlechter als Marketinginstrument genutzt werden. Dies könnte die beobachtete Gewichtung zumindest teilweise erklären. Eine eigene empirische Untersuchung, inwiefern sich Unternehmen zum jetzigen Zeitpunkt zu den Standards der Leitsätze bekennen, und ob diese 651  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 9. 652  Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung und Menschenrechte; Respektierung der Menschenrechte wird auch Thema für Anwaltskanzleien, AnwBl 2011, S. 198. 653  de Schutter, The Challenge of Imposing Human Rights Norms on Corporate Actors, in: Schutter, Olivier de (Hrsg.), Transnational corporations and human rights, Oxford 2006, S. 1, S. 4. 654  Dies entspreche nicht ihrem Wesen als inhaltlich umfangreichstes CSR-Instrument: Rieth, Global Governance und Corporate Social Responsibility, Welchen Einfluss haben der UN Global Compact, die Global Reporting Initiative und die OECD-Leitsätze auf das CSR-Engagement deutscher Unternehmen? Opladen 2009, S. 156. 655  Umgekehrt wird sich aber ein mit den Anforderungen der Leitzsätze konfrontiertes Unternehmen in der Praxis nicht darauf berufen können, dass diese unrealistisch oder jenseits des Machbaren seien, da bereits im Entstehungsprozess darauf geachtet wurde, dass diese in der Praxis wurzeln und grundsätzlich konsensfähig sind.



D. Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen321

in die Managementprozesse integriert sind, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.656 Unzweifelhaft ist, dass die Leitsätze den großen Unternehmen, die über eigene CSR-Abteilungen verfügen, bekannt sind und als Orientierungsmaßstab genannt werden.657 In Bezug auf kleine und mittlere Unternehmen sind hier vermutlich noch Zweifel angebracht. Auch regional wird es Unterschiede im Bekanntheitsgrad der Leitsätze geben. Die Integration von risikobasierten Sorgfaltspflichtprüfungen in die Managementprozesse sowie die Veröffentlichung von „policy commitments“, wie die Leitsätze sie nun vorsehen, dürfte in der Praxis zwar noch nicht vollständig umgesetzt sein, da es sich hier um recht neue Vorgaben handelt, die den Unternehmen durchaus einiges Nachdenken und Umstrukturieren abverlangen. Allerdings dürften durch diese neuen Vorgaben der Leitsätze von 2011 explizite Bezugnahmen auf die Leitsätze stark zunehmen. So fordert auch die EU-Kommission in ihrer neuen CSR-Strategie „alle großen europäischen Unternehmen auf, sich bis 2014 zu verpflichten, zumindest eines der nachstehenden Regelwerke bei der Entwicklung ihres CSR-Konzepts zu berücksichtigen: OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, ‚Global Compact‘ der Vereinten Nationen oder ISO-Norm 26000 zur sozialen Verantwor­ tung“658.

Damit dürfte der Bekanntheitsgrad der Leitsätze in Bezug auf Menschenrechte und die Haltung der Unternehmen zu ihnen künftig deutlicher werden. Den Nationalen Kontaktstellen kommt bei der Erhöhung des Bekanntheitsgrades eine nicht unerhebliche Funktion zu, da ihnen auch die Pflicht obliegt, die Verbreitung der Leitsätze zu fördern659. Die Beschwerdeverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen tragen ihrerseits zur Erhöhung des Bekanntheitsgrades der Leitsätze bei. Zusätzlich werden im Rahmen der OECD konkrete Hilfestellungen für Unternehmen erarbeitet, die sich in besonderen menschenrechtlichen Risikokonstellationen bewegen.660 Auch die Entwicklung von Parametern für „Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen“, auch Human Rights Impact Assessments genannt, ist im 656  Allerdings haben bereits mehrere Nationale Kontaktstellen (Kanada, Neuseeland, Norwegen, Spanien, UK) Untersuchungen zur Frage des Bekanntheitsgrades der Leitsätze in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich durchgeführt, vgl. OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 25. 657  Vergleiche Zusammenstellung auf www.business-humanrights.org. 658  Mitteilung der EU-Kommission, „Eine neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR)“, KOM (2011) 681 endg., S. 16. 659  Umsetzungsverfahren der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Verfahrenstechnische Anleitungen, Abschnitt B. 660  Beispielsweise „OECD Due Diligence Guidance for Responsible Supply Chains of Minerals from Conflict-Affected and High-Risk Areas“, http: /  / www.oecd. org / daf / internationalinvestment / guidelinesformultinationalenterprises / mining.htm.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Fluss.661 Es sind somit Bemühungen erkennbar, die Vorgaben zum Respekt der Menschenrechte als Orientierung zu nutzen und in den Unternehmens­ alltag zu übersetzen. Künftig ist dabei mit einer größeren Transparenz und damit Erkenntnis über die tatsächliche Verbreitung der Leitsätze zu rechnen. Auch wenn der Bekanntheitsgrad der Leitsätze zweifellos noch deutlich gesteigert werden kann, sprechen doch viele Indizien dafür, dass die gegenwärtige Verbreitung ein nicht unerhebliches Maß an verhaltenslenkender Wirkung der Leitsätze zulässt. 2. Erfahrungen mit den Beschwerdeverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen Fraglich ist, welche Schlussfolgerungen die Anwendung des Umsetzungsverfahrens in der Praxis auf die Wirksamkeit der Leitsätze erlaubt. Bereits dem Konsultationsverfahren, das die Leitsätze in ihrer Fassung vor 2000 vorsahen, wurde eine erfolgreich vermittelnde Rolle bei Arbeitskonflikten bescheinigt662 und eine „erhebliche Bedeutung“ zugesprochen663. Tatsächlich konnte der seinerzeitige Ausschuss für internationale Investitionen und Multinationale Unternehmen in einer Reihe von Fällen, vor allem in internationalen Arbeitskonflikten, gütliche Einigungen erzielen.664 Den Leitsätzen wurde daher bereits in dieser Phase bescheinigt, sich „in der Praxis bewährt“ zu haben665. Auch eine vertrauensbildende Wirkung zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und Regierungen wurde bejaht.666 Der positive Ausgang wurde auch als Ausdruck der Bereitschaft der nördlichen OECDStaaten und der Unternehmensseite gewertet, ihre „schwarzen Schafe“ zu disziplinieren667. 661  Siehe

auch Teil 1, Fußnote 593. Multinational Enterprises and the Law, 2. Auflage, Oxford 2007,

662  Muchlinski,

S. 476. 663  Ipsen, Völkerrecht, 4. Auflage, München 1999, Ipsen, Völkerrecht, 5.  Auf­lage, München 2004, § 46, Rz. 21. Ebenso Blanpain, The Badger Case and the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Deventer 1977, S. 127: „The first lesson to be learned from the Badger case is the ascertainment of the fact, that the OECD Guidelines live, have a major bearing on reality and will probably continue to do so.“ 664  Zu einigen dieser Fälle vgl. Steeg, Internationale Verhaltensregeln für Internationale Investitionen und Multinationale Unternehmen, ZGR 1 / 1985, S. 1, S. 4. 665  Siehe Fischer, in: Neuhold / Hummer / Schreuer (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, 3. Auflage, Wien, 1997, S. 441. 666  Karl, The OECD Guidelines for Multinational Enterprises, S. 90. 667  Seidl-Hohenveldern, International economic „soft law“, RdC 163.2 (1979), S. 165, S. 209.



D. Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen323

Nachdem die Verfahrensänderungen im Jahr 2000 die Erwartungen erheblich gesteigert hatten, reichten die Bewertungen in der Zeit zwischen 2000 und 2010 von kritischen Einschätzungen, die eine eher „geringe Bedeu­ tung“668 der Leitsätze in der Praxis sahen beziehungsweise die Erfahrungen mit dem Instrument insgesamt als eher enttäuschend einstuften669, bis hin zur Ansicht, die Leitsätze seien „the most successful multilateral instrument to date“ im Investitionsbereich670. Angesichts dieser sehr unterschiedlichen Einschätzungen sind die Wirkungen des Beschwerdeverfahrens noch einmal zusammenfassend zu betrachten. a) Wirkung der Beschwerdeverfahren im Einzelfall Auch wenn das Beschwerdeverfahren im Gegensatz zu einem gericht­ lichen Verfahren keinen zwingenden Charakter hat, so kann es im konkreten Einzelfall dennoch Verhaltensänderungen des betreffenden Unternehmens bewirken. Erfolgreiche Beispielsfälle aus der Praxis − von der Anfangszeit der Leitsätze671 bis in die jüngere Vergangenheit672 − belegen dies.673 Der reputationsabhängige Anreiz des Verfahrens ist allerdings stärker bei Unternehmen, deren Produkte oder Dienstleistungen in direkter Verbindung 668  Vgl. Schaub, Grundlagen der Regulierung multinationaler Unternehmen, Zürich / Basel / Genf  2010, S.  225 m. w. N. 669  „Despite the overall disappointing experiences of NGOs, OECD Watch believes there is still potential for the OECD Guidelines to make a valuable contribution to the enhancement of responsible business conduct.“, OECD Watch, 10 Years On, Assessing the contribution of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises to responsible business conduct, 2010, http: /  / oecdwatch.org / publications-en /  other-oecd-watch-publications. 670  Vgl. Schaub, Grundlagen der Regulierung multinationaler Unternehmen, Zürich / Basel / Genf  2010, S.  225 m. w. N. 671  Vgl. Blanpain, der feststellte: „There is no doubt in my mind that the OECD Guidelines played a decisive role in the satisfactory settlement of the Badger case“, Blanpain, The Badger Case and the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Deventer 1977, S. 128. 672  Beispielsweise die erfolgreichen Vermittlungen in den Fällen zum Handel mit usbekischer Baumwolle, siehe oben C.II.3.b)aa), wo konkrete Schritte für ein Engagement im Sinne der Leitsätze vereinbart wurden. 673  Zu den positiven Beiträgen des Verfahrens zählen gütliche Einigungen im Streitfalle wie etwa im Fall Continental und das Werk Euzkadi de Mexiko, siehe oben C.II.2.b)aa), Änderungen in der Firmenpolitik wie etwa die Einführung von Mitarbeiterschulungen und deren Information über Arbeitnehmerrechte im Fall Global Solutions, siehe oben C.II.3.d)bb) sowie Zusagen zu konsequentem Engagement im Sinne der Leitsätze wie etwa im Fall Bayer CropScience, siehe oben C.II.3.b) bb). Siehe auch Johnston, Promoting Corporate Responsibility: The OECD Guide­ lines for Multinational Enterprises, S. 248.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

zum Endkunden stehen. Die Praxis hat auch gezeigt, dass der Mechanismus nicht immer zum gewünschten Erfolg führt und Unternehmen sich dem Verfahren unter Umständen verweigern674. Diese Negativ-Beispiele belegen aber nicht, dass den Leitsätzen keine verhaltenssteuernde Wirkung zukäme − genauso wenig wie ein Rechtsbruch sogleich die Existenz des betreffenden Rechtssatzes in Frage stellt. Von Relevanz wäre allerdings, wenn eine solche Verweigerungshaltung die Regel wäre oder überwiegen würde. Für diese Annahme gibt es aber keinen Anlass. Die Erfahrungen der deutschen Nationalen Kontaktstelle widerlegen dies sogar.675 Es ist allerdings nicht immer einfach, im konkreten Fall den Beitrag der Leitsätze zur Lösung eines Konfliktes zu ermessen, da außerhalb des Verfahrens liegende Faktoren ebenfalls Einfluss auf die Parteien nehmen.676 Andererseits ist teilweise schon ausreichend „mit der Vorbringung einer Beschwerde zu drohen, um ein Unternehmen zum Einlenken zu bewegen“677. Zumindest in manchen Fällen wurde der Beitrag des Verfahrens zur Lösung eines Konfliktes als sehr positiv bewertet.678 Es ist daher unzweifelhaft, dass die Leitsätze im Einzelfall einen tatsächlichen Beitrag zum Schutz der Menschenrechte leisten können. b) Wirkung der Beschwerdeverfahren über den Einzelfall hinaus Fraglich ist, ob der Beschwerdemechanismus über den konkret verhandelten Einzelfall hinaus eine verhaltenslenkende Wirkung auf die Unternehmen ausübt. Eine solche Wirkung kann dann angenommen werden, wenn die Unternehmen mit einiger Wahrscheinlichkeit mit der Einreichung einer Beschwerde rechnen müssen und der Ablauf des Verfahrens, einschließlich möglicher deutlicher Aussagen der Nationalen Kontaktstellen, absehbar ist. 674  Vgl. etwa der Fall Vedanta, siehe oben C.II.3.a)ee) sowie Brankamp, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: Funktionsweise und Umsetzung, Menschenrechtsmagazin Heft 1 / 2010, S. 41, S. 46. 675  Bei der deutschen NKS hat es noch keinen Fall der Verweigerung einer Zusammenarbeit mit der NKS gegeben. 676  So hat in einem Fall die Androhung der guatemaltekischen Regierung, die Exportlizenz zu entziehen, einen unmittelbareren Einfluss auf den Verlauf des Verfahrens gehabt als die Tätigkeit der Nationalen Kontaktstelle, siehe Heydenreich, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen – Erfahrungen und Bewertungen, S. 45. 677  Heydenreich, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen – Erfahrungen und Bewertungen, S. 45. 678  Vgl. die Auswertung bei Utz, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: Eine erste Bilanz 2000–2005, S. 96 ff.



D. Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen325

Die bisherigen Beobachtungen lassen, trotz der gemischten Erfahrungen679, eine solche Wirkung erkennen. So haben Nationale Kontaktstellen für den Zeitraum zwischen 2000 und 2010 „immerhin in 14 von 29 behandelten Fällen, die mit einer Abschlusserklärung endeten, eine Bewertung des Unternehmensverhaltens vorgenommen“680. Auch Empfehlungen zur besseren Umsetzung der Leitsätze wurden ausgesprochen. Einigen Nationalen Kontaktstellen und der OECD wurde weit vor der Überarbeitung der Leitsätze 2011 bescheinigt, wertvolle Arbeit zur Klarstellung und Weiterentwicklung der Verfahren geleistet zu haben.681 Die Beschwerdeverfahren haben damit eine gewisse Signalwirkung für andere Unternehmen, die ihrerseits ein solches Verfahren zu vermeiden suchen. Eine solche Signalwirkung kann auch von Verfahren ausgehen, die im konkreten Einzelfall nicht zu einer Verbesserung der Situation beigetragen haben. Denn der Ausgang eines konkreten Beschwerdeverfahrens hängt von vielen Faktoren des Einzelfalles ab, die nicht notwendigerweise übertragbar sind. Zudem können Unternehmen anhand konkreter Beschwerdeverfahren weitere Orientierung zur Auslegung der Leitsätze und deren bestmöglicher Umsetzung erlangen. Hierfür sind die Empfehlungen der Nationalen Kontaktstellen in den abschließenden Stellungnahmen ebenso hilfreich wie Hinweise auf etwaige vorhandene Positiv-Beispiele. Die Stellungnahmen der Nationalen Kontaktstellen konkretisieren damit die Anforderungen aus den Leitsätzen und bilden nach und nach eine Art Fallrecht. Das Umsetzungsverfahren leistet auch aus diesem Grund einen wesentlichen Beitrag zur verhaltenslenkenden Wirkung der Leitsätze. Die Spruchpraxis der NKS entwickelt sich aber erst seit der Überarbeitung der Leitsätze 2011 in größerer Breite und Deutlichkeit. Eine Bewertung der Effektivität des Umsetzungsverfahrens wird daher mit einigem zeitlichen Ablauf eher möglich sein als heute. Bereits aus den vorhandenen Kenntnissen lässt sich aber ableiten, dass das Beschwerdeverfahren über den Einzelfall hinaus verhaltenslenkende Wirkungen entfaltet682 und so zur normativen Bedeutung der Leitsätze erheblich beiträgt. 679  Utz, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: Eine erste Bilanz 2000–2005, S. 105. 680  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 11. 681  Böhmer, The Revised 2000 Guidelines for Multinational Enterprises – Challenges and Prospects after 4 Years of Implementation, Policy Papers on Transnational Economic Law, No. 3 / 2004, S. 3. 682  Vgl. beispielsweise Johnston, der feststellt: „There is growing evidence that the Guidelines are becoming an important tool for corporate responsibility“, Johnston, Promoting Corporate Responsibility: The OECD Guidelines for Multinational Enterprises, S. 248.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

IV. Ergebnis: Verhaltenslenkende Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen Die Untersuchung zum Grad der Verpflichtungswirkung der Leitsätze und ihrer verhaltenslenkenden Wirkung vermittelt das Bild eines sich noch in der Entwicklung befindlichen Instrumentes, das bereits deutliche Wirkungen entfaltet. 1. Verhaltenslenkende Wirkung Festzustellen ist, dass in Einzelfällen unstreitig Verbesserungen der Menschenrechtssituation zumindest auch durch die Anwendung der Leitsätze erreicht wurden. Dies zeigt sich beispielsweise anhand von Beschwerdeverfahren, die zu einer Vermittlung zwischen den Parteien geführt haben und bei denen positive Beiträge der Unternehmen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation vereinbart wurden.683 Zwar wurde in anderen Fällen die Hoffnung auf eine solche Wirkung aus verschiedensten Gründen enttäuscht, dennoch wurde in der vorliegenden Untersuchung deutlich, dass die Leitsätze auch über den Einzelfall hinaus eine positive Lenkungswirkung entfalten684. Der Grund für eine solche Wirkung ergibt sich zum einen aus der Autorität und Akzeptanz der Leitsätze sowie ihrer Koppelung mit einem Beschwerdeverfahren685, zum anderen aus der Verquickung der Leitsätze mit anderen Instrumenten686. 683  Dem ebenfalls in diesen Fällen teilweise vereinbarten monitoring kommt eine bedeutende Funktion zur Sicherstellung zu, dass diese Vereinbarungen auch umgesetzt werden. 684  Vgl. auch Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, S. 18, die die Leitsätze als „undoubtedly a normatively relevant steering instrument“ bezeichnen. Zur Beurteilung der normativen Kraft von Standards schlägt van Eyk vier Kriterien vor: den Konkretisierungsgrad der Formulierung, die Aufnahme in mehreren Verhaltenskodizes, die Existenz eines effektiven Überwachungsmechanismus und drohende Sanktionen im Falle ihrer Nichtbeachtung: van Eyk, The OECD Declaration and Decision Concerning Multinational Enterprises: An Attempt to Tame the Shrew, Nijmegen, 1995, S. 229 f. Gemessen an diesen Kriterien wurde, wie gesehen, die normative Kraft der Leitsätze mit ihrer Überarbeitung im Jahr 2011 gestärkt. 685  Das Zusammenspiel beider Faktoren betont auch Fatouros: „L’efficacité, la réalité même des Principes directeurs dépendent autant de leur texte que des procédures de développement et d’application“, Fatouros, Les principes directeurs de l’OECD à l’intention des entreprises multinationales: Perspectives actuelles et possibilités futures, S. 234. 686  Zuvorderst sei hier die Bezugnahme auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte genannt, aber auch beispielsweise die Aufforderung der EU



D. Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen327

Bereits 1977 kam Blanpain vor dem Hintergrund seiner konkreten Erfahrungen im Badger case zu dem Schluss, die Leitsätze hätten „a major bear­ ing on reality“687. Diese Feststellung ist heute angesichts des erweiterten Anwendungsbereichs der Leitsätze und dem deutlich weiterentwickelten Beschwerdeverfahren keinesfalls weniger zutreffend. Eine zumindest in Teilen verhaltenslenkende Wirkung der Leitsätze kann daher zweifelsfrei bestätigt werden. Fraglich ist, ob über diese begünstigende Wirkungen hinaus von einer Verpflichtungswirkung der Leitsätze gesprochen werden kann. Dies scheint zunächst im Widerspruch zu ihrer Freiwilligkeit zu stehen, doch unterliegt die Anwendung der Leitsätze zweifelsfrei nicht der uneingeschränkten Wahlfreiheit der Unternehmen, wie allein das Umsetzungsverfahren und die einhergehenden möglichen wirtschaftlichen Folgen belegen. Es könnte daher zumindest von einer gewissen Verpflichtungswirkung gesprochen werden. Gegen eine solche Verpflichtungswirkung spricht auch nicht, wenn sich nicht alle Normadressaten den aufgestellten Maßstäben entsprechend verhalten.688 Denn auch die Androhung rechtlicher Sanktionierung verhindert Regelverstöße nicht immer und unter Umständen bleibt auch hier die Sanktionierung aus689. Allen Formen der Kontrolle – ob Steuerung oder Sank­ tionierung – ist vielmehr gemein, dass sie das Verhalten nur bis zu einem gewissen Grad bestimmen690. Allerdings bestand bei der Überarbeitung der Leitsätze im Jahr 2011 noch eine gewisse Zurückhaltung der Regierungen hinsichtlich der generellen Einführung einer Beurteilung der Einhaltung der Leitsätze in den abschließenden Stellungnahmen und an hieran anzuknüpfende Folgen. Auch die Praxis der Nationalen Kontaktstellen selbst ergibt hierzu ein noch recht gemischtes Kommission an die Unternehmen, sich zu den Leitsätzen oder dem UN Global Compact zu bekennen, Europäische Kommission, Mitteilung „Eine neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR)“, KOM (2011) 681 endg. 687  Blanpain, The Badger Case and the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Deventer 1977, S. 127. 688  „Die Frage nach der Effektivität einer Norm ist deshalb letztlich eine Frage nach der Autorität der Norm, und Autorität setzt nicht Erzwingung und unbedingte Normeinhaltung voraus, sondern Erzwingbarkeit – es kommt nicht auf Durchsetzung, sondern auf Durchsetzbarkeit an.“: Kocher, Corporate Social Responsibility: Eine gelungene Inszenierung?, Kritische Justiz 1(2010), S. 29, S. 33. 689  So finden manche Rechtssätze in der Praxis einfach keine Anwendung mehr, oder diverse Gründe halten die Rechtsinhaber von der Geltendmachung ihrer Rechte ab („Wo kein Kläger, da kein Recht“). 690  Vgl. aber Di Fabio, Verlust der Steuerungskraft klassischer Rechtsquellen, Neue Zeitschrift für Sozialrecht 10 (1998) S. 449.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

Bild. Zwar äußern sich einige Nationale Kontaktstellen sehr explizit zur Einhaltung der Leitsätze durch die Unternehmen und zu deren Pflichten nach den Maßgaben der Leitsätze. Eine volle Ausschöpfung dieses Potenzials der Leitsätze zur Verhaltenslenkung kann aber heute noch nicht bejaht werden. Dass die Leitsätze ein großes regulatorisches Potenzial haben, war bereits nach der Überarbeitung der Leitsätze 2000 überwiegende Auffassung.691 Dies könnte einer der Gründe dafür sein, dass Forderungen nach einer Rechtsverbindlichkeit der Leitsätze nicht mehr erhoben werden.692 Nach der Überarbeitung der Leitsätze 2011 gilt diese Feststellung umso mehr, wie auch Utz zu Recht konstatiert, wenn sie feststellt, dass „trotz aller Ernüchterung in der Praxis der vergangenen zehn Jahre“ das Potenzial der Leitsätze „nicht hoch genug eingeschätzt werden“ könne693, wobei auch eine Rolle spiele, dass das Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen weiterhin ein „einzigartiges Beschwerdeverfahren für den Opferschutz“ sei694. Für die Realisierung dieses Potenzials, so wird in diesem Zusammenhang regelmäßig angemerkt, komme es aber auf die effektive Anwendung der Leitsätze und des Beschwerdeverfahrens durch die Nationalen Kontaktstellen an695. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann daher eine gewisse, allerdings in sich teils noch widersprüchliche Verpflichtungswirkung der Leitsätze festgestellt werden, die jedenfalls in gewissem Umfang zu einer verhaltenslenkenden Wirkung der Leitsätze führt. 691  Vgl. beispielsweise Hamm, Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen in ihrer revidierten Fassung von 2000 – ihr Potential für den Schutz der Menschenrechte, S. 199, und Heydenreich, The OECD Guidelines for Multinational Enterprises, S. 253, die die Leitsätze als „promising instrument“ bezeichnet. 692  Dies bedeutet allerdings nicht, dass von Nichtregierungsorganisationen keine Vorschläge für Anpassungen des Rechts mehr gemacht würden. Zu solchen Vorschlägen siehe beispielsweise der britische NGO-Zusammenschluss CORE, unter www.corporate-responsibility.org. 693  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 2. 694  Utz, Update oder Upgrade; Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, 2011, S. 2, mit Hinweis auf die Tatsache, dass sich der UN-Menschenrechtsrat zur Implementierung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte „für die Einrichtung einer Arbeitsgruppe ohne Mandat zur Behandlung von individuellen Eingaben entschieden“ hat. 695  So auch Oldenziel: „Whether or not the OECD Guidelines will bear a normative force, in the sense that MNEs feel obliged to observe the standards, depends on the world-wide use and acceptance by different stakeholders, including trade unions, NGOs, national Governments, and other international institutions. This in turn will depend on the effectiveness of the implementation procedures that are needed to gain this acceptance.“: Oldenziel, The 2000 Review of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises: A New Code of Conduct?, S. 52 f.



D. Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen329

2. Prognose einer zunehmenden Verpflichtungswirkung der Leitsätze Die im Jahr 2011 eingefügten Änderungen der Leitsätze und die Begleitmaßnahmen lassen darauf schließen, dass die Bemühungen um die Förderung der Anwendung der Leitsätze intensiviert wird und die Transparenz und damit auch die Wirkungskraft des Umsetzungsverfahrens steigt. So dürfte die Konkretisierung der Beteiligungsformen an Menschenrechtsbeeinträchtigungen, die Einführung einer risikobasierten menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht und die Orientierung an den internationalen Menschenrechtsstandards für die Unternehmen zu mehr Klarheit über den Umfang des erwarteten Verhaltens und damit zu einer größeren Umsetzungsdichte führen. Die neu eingeführten Stellungnahme- und Begründungspflichten der Nationalen Kontaktstellen werden dazu beitragen, die Verfahrensabläufe transparenter und vergleichbarer zu machen. Auch sind die Maßstäbe zur Beurteilung unternehmerischen Verhaltens durch die Unterscheidung der Beteiligungsformen wesentlich klarer geworden, was zu einer größeren Konvergenz der inhaltlichen Aussagen der Nationalen Kontaktstellen beitragen wird696. Nicht zuletzt dürfte die neue Überwachungsfunktion des Investitionsausschusses zur Effizienz der Arbeitsweise der Nationalen Kontaktstellen beitragen. Auch ist erkennbar, dass die teilnehmenden Staaten ihre Bemühungen zur effektiven Umsetzung der Leitsätze verstärken werden.697 So existiert ein Arbeitsprogramm mit weiter zu vertiefenden Fragen, die im Rahmen der Überarbeitung der Leitsätze 2011 nicht vollständig bearbeitet werden konnten698. Auch soll die Zusammenarbeit mit National Human Rights Institutions gestärkt werden, es werden Schulungen der Nationalen Kontaktstellen 696  Dabei ist richtigerweise fest zu halten, dass die Stellungnahme einer Nationalen Kontaktstelle andere Nationale Kontaktstellen nicht bindet. 697  Blanpain stellte schon 1977 fest, die Staaten „want the Guidelines to be meaningful and useful and they want to cooperate towards this end“, Blanpain, The Badger Case and the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Deventer 1977, S. 127. Diese Beobachtung war für ihn auch Anlass zu der Vermutung „this may be the reason why the OECD Guidelines may prove to have more impact than other principles, declarations or codes of conduct, even ones which where established within the framework of the European Communities“, siehe Blanpain, S. 127. 698  Die Fragen hatte der Vorsitzende der OECD Arbeitsgruppe zur Revision der Leitsätze in seinem Bericht vom 3. Mai 2011 in einer nicht abschließenden Liste identifiziert: Huarte Melgar / Nowrot / Yuan, The 2011 Update of the OECD Guide­ lines for Multinational Enterprises: Balanced Outcome or an Opportunity Missed?, Fußnote 233: OECD Doc. C(2011) 59 vom 3. Mai 2011, Anhang I, S. 6 f.

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für erfolgreichere Mediationen durchgeführt und die Frequenz der Treffen der Nationalen Kontaktstellen sowie die Zahl der gegenseitigen peer reviews soll erhöht werden. Zwar ist die Beobachtung richtig, dass das Verfahren in seiner jetzigen Ausgestaltung die Einhaltung der Leitsätze nicht „garantieren“ kann, es kein quasi-justizielles Verfahren ist und es daher auch nach der Überarbeitung der Leitsätze im Jahr 2011 bei einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen der Freiwilligkeit der Empfehlungen einerseits und den Umsetzungserwartungen andererseits verbleibt. Allerdings ist es den Nationalen Kontaktstellen unbenommen, dieser Unklarheit entgegenzuwirken und beispielsweise deutliche Aussagen zur Einhaltung der Leitsätze durch Unternehmen zu treffen, auch wenn eine solche Stellungnahme nach den Leitsätzen nicht zwingend vorgeschrieben ist.699 Richtig ist daher auch nach der Überarbeitung der Leitsätze 2011, dass es für die Entwicklung der Verpflichtungswirkung der Leitsätze auch auf die Art und Weise der Anwendung des Beschwerdeverfahrens ankommt. Es kann daher auch im gegenwärtigen Rahmen zu einer weiteren Verstärkung der verhaltenslenkenden Wirkung kommen, sofern der „Wille der Staaten, der Nationalen Kontaktstellen und des OECD-Investitionsausschusses gegeben sei, das bestehende Instrumentarium auszufüllen“700. Darüber hinaus sind die Leitsätze als „living instrument“ anzusehen, welches kontinuierlich weiterentwickelt werden wird.701 Diese Beobachtungen erlauben die Prognose, dass sich die verhaltenslenkende Wirkung der Leitsätze weiter verstärken und ihr Verpflichtungsgrad stetig zunehmen wird.

699  Wie gesehen wenden einige Kontaktstellen diese Möglichkeit auch an. Abzuwarten bleibt, ob dies zu einer verbreiteten Praxis werden wird. 700  OECD Watch Statement on the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 25.  Mai  2011, http: /  / oecdwatch.org / publications-en / Publication _3675 / , S. 4.; vgl. auch TUAC Statement, „The success of the Update now depends on its prompt and full implementation both by adhering governments and by the OECD“, TUAC Statement on the Update of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, 25.  Mai  2011, http: /  / www.tuac.org / en / public / e-docs / 00 / 00 / 08 / EA / docu ment_news.phtml, Absatz 2. 701  Siehe oben A.V.



E. Zusammenfassung331

E. Zusammenfassung: Reichweite und Effektivität des Beitrags der OECD-Leitsätze für multinationale ­Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte I. Reichweite des Menschenrechtsschutzes nach den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen Kurz zusammengefasst zeichnen sich die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen in ihrer Fassung von 2011 aus durch – einen umfassenden Anwendungsbereich in persönlicher und räumlicher Hinsicht, – ein umfassendes Menschenrechtsverständnis, das an den internationalen Menschenrechtsstandards und den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte orientiert ist und die gesamte Bandbreite möglicher unternehmerischer Beteiligungsformen abdeckt sowie – ein Umsetzungsverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen, das auch Nichtregierungsorganisationen offen steht und dessen Funktionsweise von der OECD überwacht wird. Die Leitsätze in ihrer heutigen Fassung empfehlen den in den teilnehmenden Staaten ansässigen (multinationalen) Unternehmen, die international anerkannten Menschenrechte zu achten und zwar weltweit in all ihren wirtschaftlichen Aktivitäten, einschließlich der Zulieferbeziehungen, ohne dabei auf bestimmte Menschenrechte abzustellen und ohne den Orientierungs­ rahmen von der jeweiligen Ausgestaltung des nationalen Rechts vollständig abhängig zu machen. Achtung der Menschenrechte bedeutet dabei nach den Leitsätzen, negative Auswirkungen auf die Menschenrechte durch das Unternehmen selbst oder die Beteiligung hieran zu vermeiden, sowie auch auf solche Menschenrechtsbeeinträchtigungen verhindernd einzuwirken, die in unmittelbarer Verbindung zur eigenen Geschäftstätigkeit stehen. Hinzu kommt ein generelles Hinwirken in der Lieferkette zugunsten der Standards der Leitsätze. Durch die Einführung eines menschenrechtlichen Due-Diligence-Prozesses soll es dem Unternehmen möglich sein, das jeweilige Risiko abzuschätzen und so die Achtung der Rechte zu gewährleisten. Von ihrem Ansatz her umfassen die Leitsätze in ihrer heutigen Fassung folglich die maßgeblichen menschenrechtsgefährdenden Konstellationen im Kontext von Unternehmen und Menschenrechten und bieten ein leicht zugängliches Verfahren der Umsetzungsüberwachung an. Sie sind daher grundsätzlich geeignet, einen bedeutenden Beitrag zum Schutz der Menschenrechte zu leisten.

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Teil 2: Menschenrechtsschutz nach den OECD-Leitsätzen

II. Effektivität der Wirkung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen Voraussetzung für einen tatsächlichen Beitrag der Leitsätze zum Schutz der Menschenrechte ist, dass diese in der Praxis auch Anwendung finden. Der Beitrag der Leitsätze zum Schutz der Menschenrechte kann daher nur ermessen werden, wenn neben der Bedeutung des Instrumentes angesichts anderweitiger Regelungslücken (siehe oben Teil 1) und dem Regelungsumfang des Instrumentes auch eine Einschätzung seines effektiven Einflusses auf das Verhalten von Unternehmen erfolgt. Hierzu wurde im vorangegangenen Kapitel die Wirkung der Leitsätze untersucht. Demnach können die Leitsätze als internationales Instrument verstanden werden, das Verhaltensmaßstäbe für multinationale Unternehmen enthält, die zwar als rechtlich unverbindlich bezeichnet werden, deren Einhaltung aber dennoch erwartet und auch eingefordert wird und das zu Verhaltensanpassungen führt. Den Leitsätzen kommt daher eine verhaltenslenkende Wirkung und bis zu einem gewissen Grad auch eine Verpflichtungswirkung zu. Angesichts dieser normativen Wirkung fragt sich, wie die Leitsätze völkerrechtlich richtig einzuordnen sind. Diese Frage wird im nun folgenden Teil 3 der Arbeit vertieft.

Teil 3

Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen Die Leitsätze sind wie gesehen ein Instrument, das explizit als rechtlich unverbindlich bezeichnet wird und dennoch eine verhaltenslenkende Wirkungen entfaltet.1 Diese könnte sich in absehbarer Zeit zu einer unbestreitbaren faktischen Bindungswirkung entwickeln.2 Angesichts der betonten Freiwilligkeit der Leitsätze scheint die Einrichtung eines Umsetzungsmechanismus zunächst als Widerspruch.3 Auf diese vermeintliche Paradoxie und die Vielfalt der Interessen, die Einfluss auf die Entwicklung der Leitsätze nehmen, wurde bereits eingegangen.4 Es bleibt jedoch die Frage, wie die Leitsätze angesichts dieser Wirkungen völkerrechtlich richtigerweise einzuordnen sind. Denn wenn das Völkerrecht seine Qualität als Rechtsordnung dadurch erhält, dass seinen Regeln eine „unbestreitbar verhaltenslenkende und legitimitätsstiftende Kraft“ innewohnt5, so drängt sich angesichts der zumindest bis zu einem gewissen Grad ebenfalls verhaltenssteuernden und legitimitätsstiftenden Wirkung von Instrumenten wie den Leitsätzen die Frage nach der verbleibenden Unterscheidung auf6. Der „Übergang zwischen ausdrücklich als ‚unverbindlich‘ deklarierten und mit voller Normgeltung ausgestatteten Regeln“ scheint, so auch Bryde, fließend.7 Auch Bothe führte diese Problematik zu der Frage, 1  Siehe

oben Teil 2, D.IV. Begriff der faktischen Bindungswirkung siehe oben Teil 2, D.IV. 3  Denn wenn die Befolgung einer Empfehlung freiwillig ist, warum sollte dann ein verpflichtender Mechanismus geschaffen werden, der ihre Umsetzung überwacht? Diese Frage stellt Atapattu in Bezug auf die Überwachung der Umsetzung der unverbindlichen Agenda 21 durch die UN Commission on Sustainable Development, an die die Staaten regelmäßig Berichte zu senden haben: Atapattu, Interna­ tional Environmental Law and Soft Law: A New Direction or a Contradiction?, S. 205. 4  Siehe oben Teil 2, C.I.4. 5  Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 1, Rz. 15. 6  So auch Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private – Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte, Frankfurt am Main 1981, S. 22. 7  Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private – Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte, Frankfurt am Main 1981, S. 22. Bryde wirft dabei die 2  Zum

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

ob die Unterscheidung in „legale“ und „non-legale“ Normen in den internationalen Beziehungen überhaupt einen Bedeutungsgehalt hat beziehungsweise sinnvoll ist.8 Diese Frage stellt eine Herausforderung für die Rolle des Völkerrechts in den internationalen Beziehungen dar. Sie könnte umgangen werden, indem man auf den Begriff des soft law zurückgreift. Denn dieser wurde geprägt für „Instrumente in der Grauzone zwischen unverbindlicher Proklamation und rechtsverbindlicher Festlegung“9 − eine Definition, die auf die Leitsätze zuzutreffen scheint10. Unternimmt man jedoch den Versuch, das Wesen solcher „weichen“ Steuerungsinstrumente besser zu verstehen, so kommt man nicht umhin, die völkerrechtlichen Rechtsquellen zu hinterfragen und sich zu einem bestimmten Rechtsverständnis zu bekennen. Dies beinhaltet eine Entscheidung darüber, ob es bei der Unterscheidung von Normen vorrangig auf etwaige graduelle Abstufungen in ihrer Bindungswirkung ankommt oder ob qualitative Unterschiede in der Natur der Normen ausschlaggebend sind.11 Mit diesen rechtstheoretischen Erwägungen kann das Verständnis der Leitsätze und ihrer Position innerhalb der internationalen normativen Ordnung vertieft und damit ihr Beitrag zum Schutz der Menschenrechte näher qualifiziert werden. Um den Beitrag der Leitsätze zum Schutz der Menschenrechte in seiner Gänze beurteilen zu können, ist aber auch deren Beitrag zur Entwicklung einer klassisch-völkerrechtlichen Bindung von Unternehmen an menschenrechtliche Standards aufzuzeigen. Gerade für die Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht stellen die Besonderheiten der Leitsätze dabei eine besondere Herausforderung, aber auch ebensolche Chance dar. Völkerrechtliche Bedeutung erlangt die Implementierung der Leitsätze durch die Nationalen Kontaktstellen auch als möglicher Beitrag zur EntFrage auf, „wie unverbindlich solch unverbindliche Regeln tatsächlich sind“ und weist darauf hin, dass auch das Völkerrecht seine verhaltenssteuernde Wirkung in vielen Bereichen lediglich aus verbalen Verurteilungen bezieht. Er hält aber zugleich fest, durch diese Beobachtung sollten „die Unterschiede zwischen eindeutig rechtlich verbindlichen Völkerrechtsnormen und ‚soft law‘ nur relativiert, nicht nivelliert werden“. 8  Bothe, Legal and Non-Legal Norms – A meaningful distinction in interna­tional relations?, NYIL 11(1980), S. 65, S. 82. 9  Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 20, Rz. 4. 10  Zur Einordnung der Leitsätze als soft law siehe unten A.II.1.a) und f). 11  Perrin weist auf diesen Unterschied hin, wenn er kritisiert: „Ils prennent pour une différence de degré ce qui est une différence de nature“, Perrin, Droit International Public; Sources, Sujets, Charactéristiques, Zürich 1999, S. 490.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen335

wicklung einer Global Governance12 beziehungsweise eines „globalen Verwaltungsrechts“13. Die Behandlung dieser Frage ist allerdings nicht Gegenstand der folgenden Untersuchung.

A. Die völkerrechtliche Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen Die Leitsätze sind seit jeher Bestandteil der völkerrechtswissenschaft­ lichen Diskussion um die Einordnung „weicher“ Steuerungsinstrumente14 und werden häufig als Beispiel herangezogen15. Diese Einordnung ist angesichts des Wesens des Völkerrechts alles andere als offenkundig. Das Völkerrecht hat seit seinen Ursprüngen als law of the civilized nations eine fundamentale Entwicklung genommen. So wurde das Völkerrecht als Instrument punktueller zwischenstaatlicher Koordinierung von einem umfassenderen „Kooperationsvölkerrecht“ abgelöst, das nahezu allen Regelungsfragen gegenüber offen ist.16 Die Entwicklung des Völkerrechts ist dabei fern 12  Schuler und Schliemann legen dar, inwiefern die Art der Implementierung rechtlich unverbindlicher Normen durch Nationale Kontaktstellen nach den OECDLeitsätzen eine (effektive) Form der internationalen Regierungsführung – Global Governance – ist, vgl. Schuler, Effective Governance through Decentralized Soft Implementation: The OECD Guidelines for Multinational Enterprises, S. 1753; Schliemann, Procedural Rules for the Implementation of the OECD Guidelines for Multinational Enterprises – a Public International Law Perspective, German Law Journal, Vol 13, No. 1, 2012, S. 51. 13  Als Alternative zum Ansatz der Global Governance versteht sich die Lehre eines Global Administrative Law, die ebenfalls die Implementierung der OECDLeitsätze mit in den Blick nimmt: Kingsbury / Krisch / Stewart, The Emergence of Global Administrative Law, Law and Contemporary Problems, Vol. 68 (2005), S. 18, S. 61 und Salzman, Decentralized Administrative Law in the Organization for Economic Cooperation and Develpoment, Law and Contemporary Problems, Vol. 68 (2005), S. 189, S. 212 ff. 14  So stützt Bryde seine Untersuchung zur „Grauzone“ von Normen im Völkerrecht, die sich „neben (unter) den anerkannten Rechtsquellen (…) ausbreitet“, auch auf die Leitsätze: Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private – Völkerrecht­ liche und verfassungsrechtliche Aspekte, Frankfurt am Main 1981, S. 12 ff. Auch Koeltz untersucht die Leitsätze in ihrer Arbeit zu „weichen Steuerungsinstrumenten“: Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen: Eine Untersuchung „weicher“ Steuerungsinstrumente im Spannungsfeld Wirtschaft und Menschenrechte, Berlin 2010, S. 98 ff. 15  Beispielsweise bei Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 454. 16  Wildhaber, Multinationale Unternehmen und Völkerrecht, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 18 (1978), S. 7, S. 12, der auf die Entwicklung vom Koexistenz- zum Kooperationsvölkerrecht, wie sie unter anderem von Alvarez, Bourquin, Röling und Friedmann beobachtet wurden, verweist.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

davon, abgeschlossen zu sein.17 Gegenwärtig wird konstatiert, es zeichne sich eine neue Phase der Völkerrechtsentwicklung ab, die sich als Beginn der Herausbildung eines „Integrationsvölkerrechts“ begreifen ließe.18 In diese Entwicklungsstränge passen die Leitsätze insofern, als die Vernetzung der Wirtschaft als einer der Gründe für die Entwicklung des „Kooperationsvölkerrechts“ angesehen wird19 und mit der Adressierung von Privaten durch eine internationale staatliche Norm die „Hierarchisierung“ der internationalen Regulierung gefördert wird20. Allerdings ist eine Funktion im Rahmen internationaler „Regulierung“ nicht zwingend mit „Völkerrecht“ gleichzusetzen. Es besteht heute eine große Meinungsvielfalt darüber, welche Instrumente dem Völkerrecht zuzurechnen sind und in welchen Verfahren diese geschaffen werden können.21 Einer der Gründe hierfür ist, dass es kein Verfassungsdokument gibt, das Verfahren zur Rechtsetzung verbindlich festlegen würde. Auch wenn die UN-Charta als Verfassung der internationalen Gemeinschaft angesehen werden könnte, so enthält sie doch genau hierzu keine Angaben. Das Statut des Internationalen Gerichtshofs enthält in Art. 38 eine Auflistung derjenigen Völkerrechtsquellen und Rechtserkenntnisquellen, derer sich die Richter bei Entscheidungen über Streitigkeiten zwischen Staaten, die sich seiner Jurisdiktion unterworfen haben, bedienen sollen.22 Die Meinungen darüber, inwieweit diese Auflistung als abschließend anzusehen ist, gehen allerdings 17  Als „akademisches Dauerthema“ bezeichnet Knauff die Veränderungen des Völkerrechts: Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen 2010, S. 3. 18  Der Begriff Integrationsvölkerrecht zielt auf eine zunehmende „Supranationalisierung der Völkerrechtsordnung“ (so Zimmer) oder „stärker hierarchische Weltordnung (so Tomuschat), vgl. Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen 2010, S. 4, Fußnote 25 m. w. N. 19  Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen 2010, S. 4, Fußnote 21. 20  Diese internationale Regulierung zeichnet sich dabei nicht nur durch die Herausbildung einer „über“ den Staaten stehenden „objektiven Rechtsordnung“ aus – so Hobe, Die Zukunft des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, AVR 37 (1999), S. 253, S. 278 –, sondern auch durch ihren zunehmenden Durchgriff zur Regulierung des Verhaltens Privater „in“ die Staaten und umfasst damit drei Ebenen. 21  Diese Meinungsvielfalt, die in Teilen auch von Unterschieden der US-amerikanischen und der kontinental-europäischen Rechtstradition geprägt ist, macht es schwierig, heute von einer „herrschenden Meinung“ zu sprechen, wenn sich auch einige große Linien durchaus feststellen lassen. Hierzu näher unter I.1. MacDonald konstatiert demgegenüber eine Verunsicherung der Völkerrechtswissenschaft seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes, der als „critical challenge“ bezeichnet wurde: MacDonald, International Law and Ethics After the Critical Challenge; Framing the Legal within the Post-Foundational, Leiden / Boston, 2011.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen337

auseinander. Dabei ist entscheidend, wodurch sich „Recht“ im Allgemeinen und Völkerrecht im Besonderen auszeichnen. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sind, angesichts ihres gewissermaßen „zwiespältigen“ Wesens und der verhaltenslenkenden Wirkung, die sie dennoch entfalten, Anlass und Prüfstein zugleich für eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen völkerrechtlichen Auffassungen, die allerdings im Rahmen dieser Arbeit nur kursorisch erfolgen kann. 22

I. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale ­Unternehmen in die völkerrechtlichen Rechtsquellen 1. Zum Wesen des Völkerrechts Wie gesehen ist das Völkerrecht im Vergleich zum nationalen Recht weit weniger scharf umrissen und erlaubt daher eine große Bandbreite an Ansichten zu den grundlegendsten Fragen. Selbst die Qualität des Völkerrechts als Recht wurde lange angezweifelt, was auch in neuerer Zeit noch Stimmen findet.23 a) Völkerrecht als Recht und die Rolle der zwangsweisen Durchsetzbarkeit Da eine zentrale Durchsetzungsmacht in der internationalen Ordnung fehlt, wurde und wird der Rechtscharakter des Völkerrechts bestritten.24 22  Art. 38 IGH-Statut [Anzuwendende Rechtssätze]  (1)  Der Gerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die ihm

unterbreiteten Streitigkeiten nach dem Völkerrecht zu entscheiden, wendet an a)  internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind; b)  das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung; c)  die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze; d) vorbehaltlich des Artikels 59 richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen. (2)  Diese Bestimmung läßt die Befugnis des Gerichtshofs unberührt, mit Zustimmung der Parteien ex aequo et bono zu entscheiden. 23  Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 1 Rz. 15 unter Hinweis auf Goldsmith und Posner und deren Werk „The Limits of International Law“ von 2005. Siehe hierzu auch das nachfolgende Kapitel. 24  Einen Überblick über die „Leugner des Völkerrechts“ findet sich bei Wie­gandt, Internationale Rechtsordnung oder Machtordnung? Eine Anmerkung zum Verhältnis von Macht und Recht im Völkerrecht, ZaöRV 2001, S. 31, S. 40 ff., der auch Hobbes, Machiavelli und Hegel zu den klassischen Leugnern zählt.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Unterscheidung von Recht und Moral in der zwangsweisen Durchsetzbarkeit des Rechts durch eine höhere Instanz begründet liegt.25 Zur Anerkennung des Völkerrechts als Recht gelangt daher nur, wer diese „Zwangstheorien“ revidiert und andere Formen der Garantie der Rechtseinhaltung als Wesensmerkmal anerkennt.26 Dies hat sich überwiegend durchgesetzt, wobei die Gegenseitigkeit der völkerrecht­ lichen Verpflichtungen und deren horizontale Gewährleistung durch das Recht der Staatenverantwortlichkeit als Garantieformen betrachtet und die überwiegende Beachtung völkerrechtlicher Normen in der Staatenpraxis zur weiteren Begründung angeführt werden. Beachtung hat aber jüngst der Versuch eines „dekonstruktivistischen Rundumschlags gegen das Völkerrecht“ durch Goldsmith und Posner in ihrem Werk Limits of International Law gefunden.27 Diese Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts sprechen dem Völkerrecht in ihrer rational-choice-Theorie eine eigenständige normative Leitfunktion ab, da sie keine Orientierung staatlicher Entscheidungen an Völkerrechtsnormen sehen.28 Andere Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts gehen demgegenüber davon aus, dass Staaten sich aufgrund der möglichen Reputa­ tionsverluste an völkerrechtlichen Regeln orientieren. Skeptisch hinsichtlich des bindenden Charakters des Völkerrechts äußern sich auch Vertreter der sogenannten „Critical Legal Studies“29. Wenn aber schon das Völkerrecht nicht als „Recht“ anzusehen wäre, so würde dies auf „weiche“ Steuerungsinstrumente wie die Leitsätze noch viel weniger zutreffen. Wenn andererseits das Völkerrecht seine orientierende Funktion allenfalls aufgrund möglicher Reputationsverluste hätte, so wäre dies der Funktionsweise der Leitsätze sehr ähnlich, deren Wirkung zumindest auch auf der Gefahr von Reputationsverlusten für die Unternehmen basiert. Indes scheinen diese kritischen Stimmen gegenüber der Wirkungsweise des Völkerrechts überzogen. Stattdessen ist mit vielen anderen Autoren darauf hinzuweisen, dass das Völkerrecht im überwiegenden Maße von den 25  Sogenannte „Zwangstheorien“, Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S.  49 ff. 26  Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 49 ff. 27  Wiegandt, Internationale Rechtsordnung oder Machtordnung? Eine Anmerkung zum Verhältnis von Macht und Recht im Völkerrecht, ZaöRV 2001, S. 31, S. 46. Siehe auch Fußnote 23. 28  Wiegandt, Internationale Rechtsordnung oder Machtordnung? Eine Anmerkung zum Verhältnis von Macht und Recht im Völkerrecht, ZaöRV 2001, S. 31, S. 46. 29  Vgl. MacDonald, International Law and Ethics After the Critical Challenge; Framing the Legal within the Post-Foundational, Leiden / Boston, 2011.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen339

Staaten beachtet wird, horizontal durch das Recht zu Retorsion und Repressalie abgesichert ist und Rechtsstreitigkeiten unter Umständen vor den Internationalen Gerichtshof gebracht werden können. Allerdings ist zuzugestehen, dass sich das Völkerrecht dadurch auszeichnet, dass „weite Teile einen programmartigen Charakter haben“, „es an einer verbindlichen Instanz zur Interpretation des Völkerrechts fehlt“ und „keine Zwangsgewalt vorhanden ist, um die Beachtung völkerrechtlicher Rechtssätze durchzusetzen“30. Aus der Argumentationslinie zur Begründung der Rechtsqualität des Völkerrechts lässt sich kein direkter Rückschluss auf die Einordnung der Leitsätze ziehen. Das Recht der Staatenverantwortlichkeit passt nicht auf Instrumente, die nicht auf die Bindung von Staaten, sondern auf die Verhaltenssteuerung dritter, nichtstaatlicher Akteure zielen.31 Der Verzicht auf eine dem nationalen Recht vergleichbare, zwangsweise Durchsetzbarkeit des Völkerrechts führt aber dazu, dass eine Völkerrechtsqualität „weicher“ Steuerungsinstrumente nicht allein mit dem Hinweis auf das Fehlen eben dieser Durchsetzbarkeit verneint werden kann. Der teilweise programmartige Charakter des Völkerrechts wirft demgegenüber gerade die Frage nach der verbleibenden Abgrenzung zwischen völkerrechtlichen und außerrechtlichen Instrumenten auf, was zur Prägung des Begriffes soft law im Völkerrecht geführt hat.32 Die Leitsätze nehmen hier insofern noch eine Sonderrolle ein, als sie sogar verfahrenstechnische Vorkehrungen für eine gewisse Einhaltungsgewähr bieten. Dabei scheint ein Über- / Unterordnungsverhältnis zwischen den Staaten als Normgebern und den Unternehmen als Normadressaten zu bestehen, das für das Völkerrecht untypisch ist. Das Umsetzungsverfahren übernimmt daher auf den ersten Blick eine der „Garantiefunktion des Rechts“ vergleichbare Aufgabe33. Allerdings ist nach heutigem Stand die Teilnahme an dem Verfahren für die Unternehmen nicht verpflichtend, so dass es an der „Erzwingbarkeit“ der Standards fehlt. Nichtsdestotrotz erhöht das Verfahren die Chance der Durchsetzung der Verhaltensstandards und nähert diese daher in einem besonderen Maße dem Recht an. 30  So Hailbronner, Entwicklungstendenzen des Wirtschaftsvölkerrechts, Konstanz 1983, S. 23. 31  Dem möglichen Argument, weiche Steuerungsinstrumente entbehrten einer horizontalen Gewährleistung in Form der Repressalie, da nur ein Völkerrechtsverstoß eine solche erlaube, liegt demgegenüber ein Zirkelschluss zugrunde. 32  Zum Begriff soft law siehe ausführlich unten A.II.1. 33  Vgl. Zippelius: „Die Eigenart des garantierten Rechts liegt aber darin, dass seine Normen (…) die Chance haben, durch ein organisiertes und normiertes Erzwingungsverfahren durchgesetzt zu werden“, Zippelius, Rechtsphilosophie, 6. Auflage, München 2011, S. 25.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

b) Völkerrecht als zwischenstaatliches Recht und die Rolle nichtstaatlicher Akteure Ein weiteres Hindernis für die Einordnung der Leitsätze als Teil des Völkerrechts könnte das traditionell staatszentristische Wesen des Völkerrechts sein. Indes hat sich das Völkerrecht insofern weiterentwickelt, als heute die partielle Völkerrechtssubjektivität nichtstaatlicher Akteure dogmatisch anerkannt ist.34 Damit wäre eine völkerrechtliche Pflichtenstellung multinationaler Unternehmen rechtstheoretisch denkbar und ein Verständnis der Leitsätze als Teil des Völkerrechts nicht schon aus diesem Grund ausgeschlossen. c) Völkerrecht als relatives Recht: Legal Realism und normative Relativität Die sogenannte Schule von New Haven, begründet durch McDougal und Lasswell und heute fortgeführt durch Reisman35 und Higgins36, versteht das Völkerrecht als politischen Entscheidungsprozess, der sich aus „claims“ und „counterclaims“ ergibt37. An diesem Prozess sind dieser Auffassung nach Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen ebenso beteiligt wie Staaten. Das Völkerrecht wird dabei aus Perspektive des Richters oder Völkerrechtswissenschaftlers betrachtet, wobei losgelöst von den klassischen Völkerrechtsquellen diejenigen Normen für entscheidend gehalten werden, die tatsächlich befolgt werden beziehungsweise bezüglich derer eine entsprechende Erwartung besteht, da sie „authoritative“, „controlling“ und „reasonable“ sind38. Diese Lehre verneint dabei einen Qualitätssprung von Nicht-Recht zu Recht und nimmt stattdessen fließende Übergänge an. Dem Völkerrecht wird dabei zwar Rechtscharakter zugebilligt, allerdings ohne 34  Zur möglichen Völkerrechtssubjektivität multinationaler Unternehmen siehe oben Teil 1, C.I.3. 35  Vgl. z. B. McDougal / Reisman, The Prescribing Function in the World Constitutive Process: How International Law is Made, in: Mc Dougal / Reisman, International Law Essays: A Supplement to International Law in Contemporary Perspective, New York 1981, S. 355. 36  Vgl. z. B. Higgins, Problems and Process: International Law and How We Use It, Oxford 1994. 37  Voos, Die Schule von New Haven: Darstellung und Kritik einer amerikanischen Völkerrechtslehre, Berlin 2000, S. 78 ff. Diese Arbeit enthält eine dezidierte Darlegung der auch im US-amerikanischen politischen Raum heute offenbar noch einflussreichen Denkschule. 38  Voos, Die Schule von New Haven: Darstellung und Kritik einer amerikanischen Völkerrechtslehre, Berlin 2000, S. 78 ff.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen341

dieses klar von der politischen Sphäre zu trennen39. Die Festlegung des materiellen Gehalts des Rechts scheint dabei zu einem großen Teil den Völkerrechtswissenschaftlern beziehungsweise Richtern übertragen. Der Einfluss dieser Denkrichtung ist durchaus prominent und auch andere Autoren gehen von einem relativen Rechtsverständnis aus. So gibt es bei der Anerkennungstheorie nach Gottlieb „kein klar abzugrenzendes Rechtssystem“, sondern „a continuum between law, power and politics separated by a threshold of considerable indeterminancy“.40 Zur Beurteilung des Rechtscharakters des völkerrechtlichen Systems werden sieben Kriterien aufgestellt, die auch in graduell unterschiedlichem Maße vorliegen können. Franck stellt unter der Überschrift „The Irrelevance of Law and Non-Law“ fest: „It is because the rules of the international system are dynamically different from national laws that it is possible to speak of a rule’s capacity to obligate as a matter of degree“.41 Als wegweisend sieht er sodann nicht eine zwangsweise Durchsetzung internationaler Normen an, sondern deren Beachtung aufgrund von „Legitimität“, welche einen gewissen „compliance pull“ erzeuge. Dieses relative Rechtsverständnis ist von einem relativen − oder graduellen − Normenverständnis42 zu unterscheiden. Letzteres geht von der Grundannahme aus, dass die Sphären von Recht und Politik trennbar sind, es aber einen kontinuierlichen Übergang zwischen der rein politisch-moralischen Absichtserklärung einerseits und der strikten rechtlichen Verbindlichkeit andererseits gibt. Dieser Übergang entsteht durch Normen, die „mehr-oder-weniger“-rechtlich sein können.43 Zweifel an der absoluten Dichotomie von Recht und Nicht-Recht warfen die meist als soft law bezeichneten Instrumente auf. So fragte Wengler bereits 1976: „The question arises as to whether the strict legal / non-legal di39  Das Völkerrecht ist demnach nicht mehr „als einer von vielen politischen Abwägungsposten bei außenpolitischen Entscheidungen“: Wiegandt, Internationale Rechtsordnung oder Machtordnung? Eine Anmerkung zum Verhältnis von Macht und Recht im Völkerrecht, ZaöRV 2001, S. 31, S. 44. 40  Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 65. 41  Franck, The Power of Legitimacy Among Nations, NewYork  / Oxford 1990, S. 29. 42  Hierzu siehe Fastenrath, Relative Normativity in international law, 4 (1993) EJIL, S. 305, S. 331 ff.; Weil, Towards relative normativity in international law?, AJIL 77 (1983), S. 413; Goldmann, Inside Relative Normativity, German Law Journal, Special Issue, Vol. 9 No. 11, November 2008, S. 1865; Beckett, Behind relative normativity: Rules and process as prerequisities of law, European journal of international law 12 (2001) S. 627. 43  Vgl. Fastenrath, Relative Normativity in international law, 4 (1993) EJIL, S. 305, S. 331 ff.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

vision applied in international law in analogy to domestic law could be outdated or wrong“44. Dem wird die Auffassung entgegen gehalten, Normen könnten nur „entweder-oder“ rechtlich sein.45 Einige Autoren sehen auch die Möglichkeit einer dritten Normenkategorie, die sich nach einigen Auffassungen durch einen geringeren Verbindlichkeitsgrad als ‚hard law‘ auszeichnet46, nach anderen Auffassungen durch einen variablen Verbindlichkeitsgrad47. Damit würde die Dichotomie zwischen Recht und Nicht-Recht abgelöst von einer Trichotomie, wobei den in der Zwischenkategorie befindlichen Normen Rechtsqualität zukäme. Den Vertretern eines solchen relativen Normenverständnisses wird entgegengehalten, sie würden Bindungswirkung und Natur einer Norm miteinander verwechseln.48 Geht man demgegenüber von einem relativen Normenverständnis aus und erkennt über die traditionellen Akteure oder Verfahren hinausgehende Wege der Völkerrechtserzeugung an, so kommt man zur Einbeziehung „weicher“ Regelungsinstrumente in den Begriff des Rechts. Dies könnte mit der Erforderlichkeit einer rechtsrealistischen Sichtweise begründet werden. Auf Basis dieses weiten Völkerrechtsbegriffes und relativen Normenverständnisses könnten auch die Leitsätze als Teil eines (modernen) Völkerrechts angesehen werden. Weder käme es auf ihre Einordnung in eine der klassischen Rechtsquellen nach Art. 38 IGH an, noch wäre der genaue Grad ihrer Bindungswirkung entscheidend. Erheblich wäre demgegenüber nach der Definition von McDougal und Reisman, ob eine Erwartungshaltung begründet würde, dass „certain behaviour not only should be followed but will indeed 44  Wengler, Rechtsvertrag, Konsensus und Absichtserklärung im Völkerrecht, JZ (1976), S. 197. 45  In diesem Sinne argumentiert zum Beispiel Wengler, ein unterschiedlicher Grad der Verbindlichkeit einer Norm sei logisch nicht möglich; sie existiere oder existiere nicht: Wengler, Rechtstheoretische und Rechtssoziologische Betrachtungen zur Unterscheidung zwischen völkerrechtlich verbindlichen und völkerrechtlich unverbindlichen Äußerungen völkerrechtlicher Organe, ÖstZÖR 33 (1982), S. 173; ebenso Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 454. 46  Perrin zitiert beispielsweise Bedjaoui: „Entre le droit et le non-droit existerait ainsi une catégorie de règles qui produiraient un „type nouveau d’obligations“, des obligations moins contraignants que celles qui appartiennent à la „hard law“ (m. w. N.: Bedjaoui, Nouvel ordre économique, S. 193). Dadurch würden unterschiedliche Bindungswirkungen von rechtlichen Normen etabliert (m. w. N.: Pellet, Bon Droit et Ivraie, p. 488), vgl. Perrin, Droit International Public; Sources, Sujets, Charactéristiques, Zürich 1999, S. 489. 47  So beispielsweise Arndt in seinem Modell der „adaptiven Rechtsquellen“, Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011. Im Einzelnen siehe unten A.I.2.b)bb). 48  Vgl. Perrin: „Ils prennent pour une différence de degré ce qui est une différence de nature“, Perrin, Droit International Public, Sources, Sujets, caratéristiques, Zürich 1999, S. 490.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen343

be required“49. Hier mögen die Stellungnahmen der Nationalen Kontaktstellen noch etwas schwanken. Während die US-amerikanische Nationale Kontaktstelle die Freiwilligkeit der Leitsätze stärker betont und damit eine etwas geringere Erwartungshaltung ausdrückt, unterstreichen beispielsweise die britische und die norwegische Nationale Kontaktstelle mit der Feststellung von Leitsatz-Verletzungen, dass von diesen ein bestimmtes Verhalten unzweifelhaft gefordert wird.50 Letztlich zeigen aber bereits die Existenz und Nutzung des Beschwerdeverfahrens, dass eine gewisse Erwartungshaltung in Bezug auf die Umsetzung der Leitsätze besteht. Es erscheint allerdings zweifelhaft, dass dies eine Einordnung der Leitsätze als Teil des Rechts begründet. Naheliegender scheint es, die interna­ tionale Ordnung als Ganzes zu betrachten. Die Leitsätze könnten dabei als Teil desjenigen Instrumentariums anzusehen sein, das die Verhaltensweisen der in diesem System relevanten Akteure bis zu einem gewissen Grad reguliert. Als „Recht“ dürften die Leitsätze hingegen nur zu bezeichnen sein, wenn dieser Begriff sehr weit verstanden wird, etwa gleichbedeutend mit der „Koordinierung von Verhalten in einer Gemeinschaft“. Demgegenüber könnte ein engerer (Völker-)Rechtsbegriff vorzuziehen sein, der nur Regelungen eines vorherbestimmten Ursprungs anerkennt. Dies betrifft die Frage der völkerrechtlichen Rechtsquellen, die im nun folgenden Kapitel näher betrachtet werden soll. d) Völkerrecht als positives Recht und die Rolle der Rechtsquellen Das Wesen des Völkerrechts bestimmt sich maßgeblich danach, wie der Ursprung seiner Geltung zu erklären ist. Hier sind grundlegend die naturund vernunftrechtlichen Lehren von den positivistischen Lehren zu unterscheiden. Die im vorangegangenen Kapitel genannten relativen Denkansätze sind dabei als überwiegend positivistisch einzuordnen, da sie den Nachweis der rechtlichen Geltung anhand bestimmter normativer Kriterien zu erbringen versuchen. 49  McDougal / Reisman, The Prescribing Function in the World Constitutive Process: How International Law is Made, in: Mc Dougal / Reisman, International Law Essays: A Supplement to International Law in Contemporary Perspective, New York 1981, S. 355, S. 357. 50  Nicht ganz ausgeschlossen ist, dass die vorsichtige Haltung der US-amerikanischen Nationalen Kontaktstelle in Teilen auch mit der Prominenz der Denkschule von New Haven in den USA zusammen hängt und der einhergehenden geringeren Gewichtung formaler oder dogmatischer Unterschiede. Denn Folge der Aufweichung der formalen Unterschiede ist, dass der Ausdruck einer strikteren Erwartungshaltung als Übergang zu einer Rechtsqualität ausgelegt werden kann.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

aa) Natur- und vernunftrechtliche Lehren Die „ältesten Rechtsauffassungen sind natur- und vernunftrechtlicher Art“.51 Die Übertragung auf das Völkerrecht erfolgte durch Hugo Grotius, dessen Werk zur Naturrechtslehre das Fundament für das internationale Recht legte52 und der daher als einer der „Väter des Völkerrechts“ gilt. In den natur- und vernunftrechtlichen Lehren sind „Rechtsnormen unmittelbar (…) in der Natur bzw. Vernunft vorgegeben“53. Nimmt man den Kant’schen Grundsatz hinzu, dass die Freiheit des einen endet, wo die Freiheit des anderen beginnt, so könnte auf Basis dieses Verständnisses argumentiert werden, dass die in den Leitsätzen geforderte Achtung der Menschenrechte durch multinationale Unternehmen bereits auf natur- oder vernunftrechtlicher Basis existiert und sich in den Leitsätzen nunmehr lediglich manifestiert. Diese Auffassung scheint zwar dem gegenwärtigen Rechtsempfinden vieler zu entsprechen, allerdings sind die Maßstäbe solcher Normen natur- oder vernunftrechtlicher Geltung zwangsläufig vage und daher schwer handhabbar. Die reinen natur- oder vernunftrechtlichen Theorien gelten daher auch als „überholt“54. Anerkannt ist vielmehr, dass es positiven Rechts bedarf, um zu konkretisieren, welche Verhaltensweisen im Einzelnen als „Recht“ oder „Gerechtigkeit“ anzusehen sind. Allerdings sind naturrechtliche Fragen damit nicht gänzlich irrelevant, sondern spielen noch in Form einer möglichen naturrechtlichen Verankerung des positiven Rechts eine Rolle. So vertreten traditionellere naturrechtliche Ansätze wie der des Thomas von Aquin55 und spätere wie der von Finnis56, nur „gerechtes Recht“ sei tatsächlich Recht und zu befolgen57. Modernere 51  Fastenrath,

Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 36 f. Jurisprudence: Theory and Context, 4. Auflage, London 2006, S. 73. 53  Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 36 f. 54  Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 36 f. 55  Vgl. beispielsweise das von Bix gewählte Zitat: „every human positive law has the nature of law to the extent that it is derived from the Natural Law. If, however, in some point it conflicts with the law of nature it will no longer be law but rather a perversion of law“ aus Aquinas, Summa Theologiae, I–II, Question 95, Art. 2 corpus, in The Treatise of Law, S. 288 in: Bix, Jurisprudence: Theory and Context, 4. Auflage, London 2006, S. 70. 56  Dieser akzeptiert „law as binding because (…) valid legal rules create moral obligations“, vgl. Bix, Jurisprudence: Theory and Context, 4. Auflage, London 2006, S. 78. 57  Es sei denn, die Nichtbefolgung würde ein grundsätzlich gerechtes System unterminieren, Bix, Jurisprudence: Theory and Context, 4. Auflage, London 2006, S. 72 und S. 77. 52  Bix,



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen345

naturrechtliche Lehren konzentrieren sich demgegenüber – in Reaktion auf die Abkoppelung von Recht und Moral in rein positivistischen Auffassungen – auf Fragen des Zustandekommens und der Anwendung von Rechtsnormen und wie dabei die „internal morality of law“ gewahrt bleibt58. Fuller stellt dabei acht Kriterien auf, die sich auf das Wesen der Normen beziehen.59 Dworkin unterscheidet demgegenüber „principles“ und „rules“ und vertritt, um die einzig richtige Lösung eines Falles zu ermitteln sei eine „constructive interpretation“ unter Rückgriff auf Prinzipien erforderlich.60 Die Prinzipien sind dabei recht genereller Natur (beispielsweise „Niemand soll von eigenem Unrecht profitieren“) und sind eher Prüfstein als Quelle von Recht.61 Die Annahme einer Verankerung des Rechts in der Natur beziehungsweise der Vernunft vermag daher Normen von der Geltung als Recht ausschließen, wenn sie nicht mit diesen übereinstimmen − sie hilft jedoch nicht bei der Frage, welche der konkreten Normen dem Kreis des Rechts zuzuordnen sind.62 Für die Leitsätze, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie hohe gesellschaftliche Erwartungen formulieren und in besonderer Weise legitimiert sind, bedeutet eine natur- oder vernunftrechtliche Verankerung aber jedenfalls nicht, dass sie aus dem Kreis des Rechts auszuschließen wären.

58  Bix,

Jurisprudence: Theory and Context, 4. Auflage, London 2006, S. 85. Kriterien sind: „(1) Laws should be general; (2) they should be promulgatet, that citizens might know the standards to which they are being held; (3) retroactive rule-making and application should be minimised; (4) laws should be understandable; (5) laws should not be contradictory; (6) laws should not require conduct beyond the abilities beyond those affected; (7) they should remain relatively constant over time; (8) there should be congruence between the laws as announced and as applied“, vgl. Bix, Jurisprudence: Theory and Context, 4. Auflage, London 2006, S. 86 m. w. N.: Fuller, The morality of Law, S. 33–91. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen würden den Test anhand dieser Kriterien durchaus bestehen, zumal die Nationalen Kontaktstellen mit deren Bekanntmachung beauftragt sind (Kriterium (2)) und mögliche Konflikte mit nationalem Recht, also möglicherweise widersprüchliche Anforderungen (Kriterium (5)) mit der Überarbeitung der Leitsätze in 2011 weiter austariert wurden, vgl. Teil 2, B.III.1.c). 60  Bix, Jurisprudence: Theory and Context, 4. Auflage, London 2006, S. 91 ff. 61  Vgl. auch Heinold, Die Prinzipientheorie bei Ronald Dworkin und Robert Alexy, Berlin 2011. 62  So auch Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 37. 59  Diese

346

Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

bb) Rechtspositivismus als herrschendes Grundverständnis Bei den Überlegungen, welche Normen als dem Recht zugehörig angesehen werden können, wirken explizit oder implizit unterschiedliche Ausprägungen eines positivistischen Grundverständnisses mit. „Positives Recht“63 ist dabei der Gegenbegriff zu Naturrecht oder Vernunftrecht und bezeichnet zunächst einmal ein Verständnis, nach dem (Völker-)recht „Menschenwerk“ ist64. Zudem ist Ausgangspunkt des Rechtspositivismus, dass die Frage, was Recht ist, zu trennen ist von der Frage, was Recht sein sollte – also eine moralisch neutrale Herangehensweise an die Beschreibung von Recht65. Unter dem Oberbegriff „Rechtspositivismus“ sind grundlegend die empirische und die gesetzespositivistische Ausrichtung zu unterscheiden.66 (1) Empirischer Rechtspositivismus Der empirische Rechtspositivismus knüpft entweder an innere (psychologischer Rechtspositivismus) oder äußere (soziologischer Rechtspositivismus) Vorgänge an.67 Zum psychologischen Rechtsbegriff zählt der Hegel’sche Voluntarismus, der auf den inneren Willen des Rechtsetzers (aktuell oder zum Zeitpunkt der Erzeugung) abstellt. Auch die sogenannte skandinavische Rechtsschule wird hier eingeordnet, da sie auf „das Rechtsgefühl aller am Rechtsprozess Beteiligten“ abstellt. Der soziologische Rechtsbegriff, der von Ehrlich verfochten wird, stellt demgegenüber auf die faktische Geltung von Normen ab („gelebte Ordnung“), die als verpflichtend erlebt wird. Die generelle Anerkennungstheorie von Luhmann führt beide Ansätze zusammen und bezieht die Anerkennung beziehungsweise den Rechtssetzungswillen oder das Rechtsempfinden auf bestimmte Rechtserzeugungsverfahren und alle in diesen Verfahren zustande gekommenen Normen. 63  Vgl. grundlegend Gardner, Legal Positivism: 5 ½ myths, The American Journal of Jurisprudence 46 (2001), S. 199. 64  Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 53. 65  Bix, Jurisprudence: Theory and Context, 4. Auflage, London 2006, S. 33. Zur Unterscheidung von „exclusive“ und „inclusive legal positivism“ (letzterer davon ausgehend, dass es keine notwendige Verbindung von Recht und Moral gibt, diese aber in einem System hergestellt werden kann) siehe Bix, S.  48 f. 66  Je nach Ansicht ist dabei die Empirie wichtiger oder das Rechtserzeugungsverfahren, Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 1991, S. 53. 67  Zu den folgenden Ausführungen siehe Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 53 ff.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen347

(2) Gesetzespositivismus Der Gesetzespositivismus unterscheidet sich in den logischen Positivismus, dem beispielsweise Kelsen zuzurechnen ist und weitere Anerkennungstheorien, etwa denen von H.L.A. Hart68 und Gottlieb69. Der logische Positivismus bezeichnet als Rechtsnormen alle Normen, die sich aus einer rechtlichen Verfassung ableiten lassen und in dem von dieser Verfassung vorgesehenen Erzeugungsverfahren entstanden oder von der Verfassung in sonstiger Weise inkorporiert worden seien.70 Für H.L.A. Hart ist Recht von Konventionen zu unterscheiden, wobei es zwei Vorbedingungen für die Existenz eines rechtlichen Systems gibt: „(1) that the valid rules of the system ‚must be generally obeyed‘ and (2) that the criteria set forth in the system’s rule of recognition ‚must be effectively accepted as common public standards of official behaviour by its officials‘ “71. (3) Verhältnis zueinander und Rolle von Rechtsquellen Die Frage nach der heute herrschenden Auffassung zum völkerrechtlichen Grundverständnis ist mit Ausnahme einer überwiegend positivistischen Ausprägung nicht leicht zu beantworten.72 Die unterschiedlichen positivistischen Ansätze, so ist mit Fastenrath festzustellen, schließen sich aber nicht notwendig gegenseitig aus, sondern stehen in wechselseitigen Beziehungen zueinander, da sie unterschiedliche normative Aspekte aus verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlicher Gewichtung beleuchten73. Der strenge logische Gesetzespositivismus scheint insbesondere im kontinental-europäischen Rechtsraum Anklang zu finden, der traditionell auf geschriebene, in einem vorherbestimmten Rechtserzeugungsverfahren erlassene, auch den Richter bindende, abstrakt-generelle Regeln ausgerichtet ist. Demgegenüber überlässt die angloamerikanische Rechtstradition des case law die Rechtsfindung traditionell in hohem Maße den Gerichten. Aus der letzteren Tradition heraus liegt es wesentlich näher, einen empirischen Ansatz zu favorisieren, der weniger an gewillkürten Rechtsquellen festhält und eher sucht, Rechtsempfinden und faktische Bindungen zu berücksichtigen. 68  Hart,

The Concept of Law, Oxford 1961. auch oben A.I.1.c). 70  Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 60. 71  So zusammengefasst bei Bix, Jurisprudence: Theory and Context, 4. Auflage, London 2006, S. 40. 72  Gardner, Legal Positivism: 5 ½ myths, The American Journal of Jurisprudence 46 (2001), S. 199. 73  Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 70. 69  Siehe

348

Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

Auch graduelle Übergänge zwischen Recht und Nicht-Recht sind leichter vorstellbar in einer von ungeschriebenem Recht geprägten Rechtstradition. Die starke Betonung empirischer Aspekte im soziologischen Rechtspositivismus kommt einer Einordnung der Leitsätze als Recht eher entgegen. Nach dem streng logischen Gesetzespositivismus können die Leitsätze demgegenüber nur dann Völkerrecht sein, wenn die Annahme einer solchen Deklaration unter die von der völkerrechtlichen „Verfassung“ anerkannten Rechtserzeugungsverfahren fiele. Damit kommt der Frage nach den völkerrechtlichen Rechtsquellen eine entscheidende Rolle zu. 2. Zu den völkerrechtlichen Rechtsquellen a) Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die anerkannten Rechtsquellen des Völkerrechts In Art. 38 Abs. 1 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes sind drei unterschiedliche Rechtsquellen des Völkerrechts für den IGH als Entscheidungsparameter festgelegt: Völkerrechtliche Verträge, Völkergewohnheitsrecht und die sogenannten allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts.74 Von diesen Quellen zu unterscheiden sind „Rechtserkenntnisquellen“ wie nationale und internationale Gerichtsentscheidungen und Äußerungen aus der Völkerrechtslehre75, welche „als völkerrechtliche Hilfsmittel die Ermittlung von Völkerrechtsregeln gestatten“76. aa) Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und Völkervertragsrecht Die Leitsätze sind Teil einer „Erklärung“, die nicht von der OECD als Organisation, sondern von den teilnehmenden Regierungen verabschiedet wurde. Die Leitsätze richten ihre Empfehlungen an Dritte. Sie sind damit selbst offensichtlich kein völkerrechtlicher Vertrag. Dies gilt unabhängig von der Tatsache, dass Teilbereiche der Leitsätze anderenorts eine rechtsverbindliche Regelung erfahren haben können77. Auch wird in der Völkerrechtswissenschaft zwar vielfach diskutiert, ob Beschlüsse Internationaler Organisationen als zusätzliche Rechtsquellen 74  Vgl.

Art. 38 Abs. 1 lit. a)–c) IGH-Statut. Art. 38 Abs. 1 lit. d) IGH-Statut. 76  Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 14, Rz. 1. 77  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I., Ziffer 1, Satz 4. 75  Vgl.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen349

anzuerkennen sind78. Bei den Leitsätzen handelt es sich aber nicht um einen Sekundärrechtsetzungsakt der Organisation für ihre Mitglieder.79 Diese Qualifikation kommt nur den Umsetzungsverfahren für die Leitsätze zu, die in Form eines Ministerratsbeschlusses erlassen wurden. Da die Bindungswirkung dieses Beschlusses auf dem Gründungsdokument und damit auf der Rechtsquelle des völkerrechtlichen Vertrages fußt, bedarf es diesbezüglich keiner Anerkennung einer über Art. 38 IGH-Statut hinausgehenden Rechtsquelle. Für unverbindliche Beschlüsse internationaler Organisationen oder gemeinsame Deklarationen von Staaten bietet das Völkervertragsrecht hingegen keine Rechtsgrundlage. Sie werden daher meist unter dem Begriff des soft law diskutiert, auf welchen in Kapitel II. noch näher eingegangen wird. bb) Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und Völkergewohnheitsrecht Völkergewohnheitsrecht entsteht gemäß Art. 38 IGH-Statut durch eine Übung, die von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung getragen ist, der sogenannten opinio juris. Die an Übung und Rechtsüberzeugung zu stellenden Anforderungen sind nicht näher vorgegeben und seit jeher Gegenstand von Kontroversen.80 Als Tendenz kann festgehalten werden, dass sich die Anforderungen entsprechend den gesellschaftlichen Entwicklungen gewandelt haben, so dass nicht nur sehr kurze Zeiträume der Übung ausreichen können81, sondern je nach den Umständen des Einzelfalles auch entweder der opinio juris oder der Übung eine größere Bedeutung beigemessen wird. Bei ausdrücklich als freiwillig deklarierten und an Private gerichteten Verhaltensregeln, wie den Leitsätzen, ist der Umschlag in Völkergewohnheitsrecht erschwert.82 Trotz des zunächst explizit unverbindlichen Charakters der Leitsätze ist aber denkbar, dass sie im Verlaufe der Zeit eine völ-

78  Herdegen,

Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 14, Rz. 4. verbindlichen Beschlüsse der Organisation sind in Art. 5 OECD-Statut niedergelegt. Die Leitsätze hingegen wurden in Form einer Deklaration, die dort nicht aufgeführt ist, und nicht von der Organisation, sondern direkt von den Regierungen angenommen. 80  Vgl. Lepard, Customary International Law: A New Theory with Practical Applications, Cambridge 2010, S. 3 ff. 81  Vgl. aber zum sog. „instant law“ Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 16, Rz. 4. 82  Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private – Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte, Frankfurt am Main 1981, S. 23 ff. Siehe näher unten B.II.2. 79  Die

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

kergewohnheitsrechtliche Geltung erlangen.83 Dies erläutert Bryde anschaulich mit der Feststellung, dass den zunächst auf eine freiwillige Befolgung ausgerichten Regeln „ja durchaus eine gewisse Einigkeit über ‚richtiges‘ internationales Verhalten zugrunde [liegt], nur dass die Staaten im Frühstadium der Problemerkenntnis häufig zögern, eine strikte rechtliche Verbindlichkeit einzugehen. Das gibt ‚soft law‘-Regeln häufig eine experimentelle Natur, so dass im Fall ihrer Bewährung und allgemeinen Befolgung ein Übergehen in eine verbindliche Regelung nicht widersprüchlich, sondern eine natürliche Entwicklung ist“84. Es darf aber bezweifelt werden, dass heute bereits ein solcher Umschlag erreicht ist. Denn bei der Überarbeitung der Leitsätze 2011 wurde deren „rechtlich nicht zwingender Charakter“ abermals festgestellt.85 Damit fehlt offenkundig ein Rechtsbindungswille. Dieser ist aber, neben einer entsprechenden Übung, unverzichtbar für die Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechtes. cc) Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und weitere anerkannte Völkerrechtsquellen? Die Erweiterung der Völkerrechtsquellen über Art. 38 IGH-Statut hinaus wird in der Völkerrechtswissenschaft vielfach diskutiert. Beschlüsse Internationaler Organisationen beziehungsweise gemeinsame Deklarationen von Staaten wurden dabei bereits oben unter aa) angesprochen. Des Weiteren 83  Hierauf wies bereits Blanpain hin: Blanpain, The Badger Case and the OECD Guidelines for Multinational Enterprises, Deventer 1977, S. 130 und S. 151 f., wo er folgende Formulierung von Vogelaar zitiert: „though voluntary in origin, [the Guidelines] may (…) in the course of time – and when they have been frequently applied – pass into the general corpus of customary international law even for those multinational enterprises which have never accepted them“ (zitiert aus Vogelaar, Multinational Enterprises. The Guidelines in Practice, OECD Observer, No.  86 (May, 1977). Zustimmend auch Schwamm, The OECD Guidelines for Multinational Enterprises, JWTL 1978, S. 342, S. 350. Diese seinerzeit herrschende Ansicht „continues to receive scholarly endorsement“: Baade, The Legal Effects of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, in: Horn, N. (Hrsg.) Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, Den Haag 1980, S. 3, S. 9. Auch Petersmann betont „(…) even express disclaimers such as the one contained in the 1976 OECD Guidelines that ‚observance of the Guidelines is voluntary and not legally enforceable‘, cannot preclude the possibility of an opinio juris sive necessitatis gradually coming into being“: Petersmann, Codes of Conduct, in: EPIL, Band I, Den Haag 2004, S. 627, S. 628. 84  Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private – Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte, Frankfurt am Main 1981, S. 25. 85  OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Kapitel I, Ziffer 1, Satz 3.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen351

werden Konzepte wie Billigkeit oder Gerechtigkeit als anerkannte völkerrechtliche Quellen genannt. Die Leitsätze enthalten Verhaltensmaßstäbe, die mit Billigkeit und Gerechtigkeit in Verbindung gebracht werden können. Allerdings beziehen sie sich auf Unternehmen, die nicht zu den klassischen Völkerrechtssubjekten zählen. Die Leitsätze sind im Verhältnis zu den Konzepten „Billigkeit“ und „Gerechtigkeit“ auch recht detailliert. Eine Herleitung ihrer rechtlichen Verbindlichkeit aufgrund dieser Konzepte scheint daher zu weitgehend. Die Leitsätze entstammen damit keiner anerkannten Quelle des Völkerrechts. b) Aktuelle Vorschläge zur Erweiterung der Völkerrechtsquellen Der Blickwinkel der Völkerrechtswissenschaft öffnet sich zunehmend denjenigen Instrumenten, die nicht den klassischen Rechtsquellen entstammen, aber dennoch in den internationalen Beziehungen eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Insbesondere in Bezug auf Wirtschaftsteilnehmer werden in zunehmendem Maße alternative Formen der Regulierung genutzt und die Literatur bemüht sich zunehmend, das Wesen dieser atypischen Regulierungen zu erfassen.86 Sie baut dabei auf bisherigen Ansätzen auf, die den Unterschied zwischen verbindlichen und unverbindlichen Normen hinterfragten87 und Ideen entwickelten wie die eines „nicht-legalen Rechts“88, einer „globalen Zivilverfassung“89 oder eines „Konzeptes der Inklusion“90. Begründet wird die Erweiterung des Völkerrechtsverständnisses zumeist mit der zu berücksichtigenden Rechtsrealität. Diese abzubilden bemühen 86  Siehe beispielsweise Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011; Buntenbroich, Menschenrechte und Unternehmen: Transnationale Rechtswirkungen „freiwilliger“ Verhaltenskodizes, Frankfurt am Main 2007; Möllers, Geltung und Faktizität von Standards, Baden-Baden 2009; Weber, Vom juristischen Rauschen: zur rechtlichen Geltung der Standards des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht, in: Bröhmer, Jürgen / Bieber, Roland / Calliess, Christian / Langenfeld, Christine  /  Weber, Stefan  /  Wolf, Joachim (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift für Georg Ress, Köln, Berlin, München 2005, S. 1597; Weiß, Hybride Regulierungsinstrumente, Eine Analyse rechtlicher, faktischer und extraterritorialer Wirkungen nationaler Corporate-Governance-Kodizes, Tübingen 2011. 87  Schwelb, Neue Etappen der Fortentwicklung des Völkerrechts durch die Vereinten Nationen, AVR 13 (1966 / 1967), S. 1. 88  Mertens, Leges praeter legem. Helmut Coing zum 70. Geburtstag, AG 1982, S. 29. 89  Teubner, Globale Zivilverfassungen: Alternativen zur staatszentrierten Verfassungstheorie, ZaöRV 63 (2003), S. 1. 90  Köndgen, Privatisierung des Rechts, Private Governance zwischen Deregulierung und Rekonstitutionalisierung, AcP 206 (2006), S. 477.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

sich auch die „Netzwerktheorien des Rechts“91 oder ein allgemeiner Rechtsquellenpluralismus. Fraglich ist aber, ob ein Blick des Völkerrechtlers auf die hier in Rede stehenden Steuerungsinstrumente92 zu der Erkenntnis führt, dass eine Erweiterung der traditionell anerkannten völkerrechtlichen Rechtsquellen angezeigt ist. Hierzu sollen zwei aktuelle Ansätze näher betrachtet werden, die sich mit besonders für Unternehmen relevanten Regulierungsinstrumenten befassen und ihnen Rechtsquellencharakter zuschreiben, und zwar einerseits als sekundäre Rechtsquellen (Möllers), andererseits als adaptive Rechtsquellen (Arndt). Dabei ist vor allem die Übertragbarkeit dieser Ansätze auf die Leitsätze zu hinterfragen. aa) „Sekundäre Rechtsquellen“ nach Möllers (1) Eigenschaften „sekundärer Rechtsquellen“ Möllers beschäftigt sich in seinen Veröffentlichungen von 2009 eingehend mit Standards, die das Wirtschaftsleben beeinflussen.93 Für ihn ist dabei deren faktische Bindungswirkung zentral. Möllers versucht eine rechtstheoretische Einordnung vor dem Hintergrund nationalen Rechts, wobei er die Figur „sekundärer Rechtsquellen“ erschafft. Die hieraus erwachsenden Normen eines „mittleren Typus“ bewegen sich nach Möllers zwischen den Normen aus traditionellen Rechtsquellen und denen des soft law in einem „beweglichen System“, je nach Ausprägung verschiedener Parameter wie Dauerhaftigkeit, Akzeptanz und Autorität94. Die sekundären Rechtsquellen grenzt Möllers dabei von soft law ab, wobei der Unterschied in den Rechtswirkungen läge, welche durch Normen der sekundären Rechtsquellen erzeugt würden95. Da es aber ebenfalls Rechtswirkungen sind, welche soft law von (sonstigem) Nicht-Recht abgrenzen96, fragt sich, welche Instrumente nach Möllers noch in der Katego91  Vgl. beispielsweise Boehme-Neßler, Unscharfes Recht; Überlegungen zur Relativierung des Rechts in der digitalisierten Welt, Berlin 2008, S. 205, S. 535 ff. 92  Die Aufmerksamkeit des Völkerrechtlers für diese Instrumente mahnt auch Hillgenberg an: „self-contained regime (…) deserve the international lawyer’s attention“, Hillgenberg, A Fresh Look at Soft Law, EJIL 10 (1999), S. 499, S. 515. 93  Vgl. etwa Möllers, Geltung und Faktizität von Standards, Baden-Baden, 2009, S.  143 ff. 94  Möllers, Geltung und Faktizität von Standards, Baden-Baden, 2009, S. 143 ff. 95  Möllers, Geltung und Faktizität von Standards, Baden-Baden, 2009, S. 143 ff. 96  Siehe unten A.II.1.a).



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen353

rie des soft law verbleiben − oder ob es ihm nicht eher um eine allgemeine Abgrenzung zum Nicht-Recht geht. Eine Ersetzung der Kategorie des soft law durch die sekundären Rechtsquellen ist aber allem Anschein nach nicht gewollt, vielmehr geht es um die Heraushebung bestimmter Instrumente aus der Menge des soft law aufgrund besonderer Eigenschaften. Möllers sieht eine Trichotomie von primären Rechtsquellen, sekundären Rechtsquellen und Rechtserkenntnisquellen, welche netzwerkartig in Form eines „heterarchischen Systems“97 zusammenspielen. Er entwickelt Parameter, welche eine Einordnung der jeweiligen Normen und damit eine Bestimmung des Grades ihrer Verbindlichkeit erlauben. Er betrachtet dabei nicht nur private Normsetzung in Form von Standards, sondern auch Richterrecht und Verwaltungsvorschriften und billigt diesen eine Qualität als Quellen des Rechts zu. Folgende Faktoren sollen dabei im Sinne eines „je mehr … desto“ bei der Qualifizierung einer Norm Berücksichtigung finden: „(1) die Urheberschaft der Regelung bzw. das demokratische Verfahren (Transparenz, Publizität, Repräsentanz, Revisibilität), mit anderen Worten die sog. auctoritas, (2) die Aktualität und Qualität des jeweiligen Regelungsinstrumentes, (3) den erklärten Bindungswillen der entsprechend involvierten Parteien oder alternativ eine im Gesetz vorhandene Verweisungsnorm / Vermutung sowie (4) die Akzeptanz bzw. veritas, verstanden als die Ansicht, dass die Regelung richtig sei (…)“98. Möllers ist damit insofern Vertreter eines relativen Normenverständnisses, als er unterschiedlich starke Ausprägungen der normativen Merkmale im „beweglichen System“ zulässt. Er geht dabei nicht von einer absoluten Relativität aus, sondern von einer Normenkategorie, die die genannten Eigenschaften aufweist und zwischen Recht und soft law angesiedelt ist. (2) O  ECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen als „sekundäre Rechtsquelle“? Die Anwendung dieser Parameter auf die Leitsätze zeigt, dass es für deren Einordnung als „sekundäre Rechtsquellen“ nach Möllers stark auf die Gewichtung der einzelnen Eigenschaften ankommt. Insbesondere der angesprochene Bindungswille der Parteien ist hier ein kritischer Punkt, da die Leitsätze vom Wortlaut her nur Empfehlungen sind und diese „Freiwilligkeit“ auch bei der Überarbeitung der Leitsätze 2011 beibehalten wurde. Auch Verweisungsnormen oder Vermutungen, die dieses Kriterium offen97  Der Begriff des „heterarchischen Systems“ ist Vesting, Rechtstheorie, 2007, Rz.  182 ff. entnommen. 98  So zusammengefasst bei Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 109.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

kundig ersetzen könnten, gibt es wenige und allenfalls in Ansätzen99. Andererseits besteht die Bereitschaft der Staaten, mittels eines Beschwerdeund Vermittlungsverfahrens die Einhaltung der Leitsätze zu fördern. Ist dieses im Sinne eines „je mehr … desto“ als ausreichend zu erachten, so wären die Leitsätze in einer Gesamtschau mit den anderen Kriterien nach Möllers wohl als „sekundäre Rechtsquellen“ zu bezeichnen. Dabei fällt auf, dass diese Begrifflichkeit nicht im Sinne eines zulässigen Rechtserzeugungsverfahrens, sondern für die erzeugte Norm selbst gebraucht wird. Möllers scheint seine Lehre demnach, möglicherweise in Anlehnung an die angloamerikanische Tradition, eher aus Sicht des Richters entwickelt zu haben. Und tatsächlich sind die Konsequenzen einer Einordnung als sekundäre Rechtsquelle nach Möllers vor allem eine Befassungspflicht von Gerichten mit dieser Norm und ein gewisser Vertrauensschutz. Möllers spricht sich dabei gegen die Unterscheidung von Rechtsquellen und Rechtserkenntnisquellen aus100, die für das Völkerrecht in Art. 38 IGH-Statut aber gerade getroffen wird. Die Übertragung des Ansatzes auf das Völkerrecht scheint daher wieder zu der Frage führen, welche Bedeutung den Festlegungen in Art. 38 IGH-Statut für das Völkerrechtsverständnis insgesamt zukommt. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Figur der „sekundären Rechtsquellen“ für die völkerrechtliche Einordnung der Leitsätze nur bedingt einen Erkenntnisgewinn bringt. Die Figur des beweglichen Systems scheint zwar dem unterschiedlichen Bindungsgrad von Normen entgegen zu kommen, trägt aber wenig zur Klarheit der rechtlichen Einordnung einer Norm bei. bb) „Adaptive Rechtsquellen“ nach Arndt In seiner 2011 veröffentlichten Dissertation mit dem Titel „Sinn und Unsinn von Soft Law: Prolegomena zur Zukunft eines indeterminierten Paradigmas“ setzt sich Arndt mit Normen auseinander, die nicht den klassischen Rechtsquellen entspringen, aber dennoch eine gewisse (faktische) Bindungskraft aufweisen und damit gewissermaßen zwischen traditionell rechtlich verbindlichen Normen und deutlich nicht rechtlichen Normen stehen. (1) Eigenschaften „adaptiver Rechtsquellen“ Wie bereits Möllers erkennt Arndt die Existenz einer dritten Normenkategorie an, die für ihn zwischen rechtsverbindlichen Regeln einerseits und 99  Zu den Entwicklungen im Bereich der Investitionsgarantien und Exportkreditgarantien siehe oben Teil 1, C.III.3.a)aa). 100  Möllers, Geltung und Faktizität von Standards, Baden-Baden 2009, S. 146.



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offensichtlich unverbindlichen101 Regeln andererseits liegt. Die Normen der mittleren Kategorie bezeichnet er als „adaptive Rechtsquellen“102. Damit verzichtet er gänzlich auf den Begriff des soft law.103 Problematisch an der Begriffswahl ist auch hier, dass Normen als Rechtsquellen bezeichnet werden. Denklogisch ist eine Rechtsnorm aber nicht mit der Rechtsquelle gleichzusetzen, aus der sich ihre Rechtsgültigkeit speist. Der Vergleich mit bisher für diese Normenkategorie geprägten Begriffen zeigt, dass eine solche Gleichsetzung sonst auch vermieden wird.104 Der „in der Doktrin vorherrschenden Konzeption einer Dichotomie der Rechtsquellen, also der strikten Unterscheidung zwischen Hard Law und Soft Law“105 setzt Arndt die Auffassung entgegen, eine klare Trennung zwischen den Antipoden sei nicht möglich, die Grenze verschwimme zunehmend106. Diejenigen Normen, die einen „Hauch von Verbindlichkeit“ aufweisen, möchte Arndt daher in einer dritten, mittleren rechtsquellentheoretischen Kategorie zusammenfassen.107 Er geht dabei von unterschiedlichen Ausprägungen von Verbindlichkeit in dieser neuen Kategorie aus, so dass diese Instrumente „aus ihrer Schnittmenge heraus in einen der beiden Bereiche ‚diffundieren‘ und zumindest teilweise die jeweiligen rechtlich relevanten Eigenschaften annehmen“ können108. Im Ergebnis führt dies beispielsweise zur Existenz „harter adaptiver Rechtsquellen mittlerer Dif­ fu­ sions­stärke“109. Auf der Rechtsfolgenseite möchte Arndt den adaptiven Rechtsquellen eine dem Richterrecht vergleichbare Bedeutung beimessen: Harte adaptive Rechtsquellen dürften vom Rechtsanwender nicht ignoriert 101  Zu dem unverbindlichen Bereich zählt Arndt beispielsweise „Gebräuche, Traditionen, Gepflogenheiten sowie andere soziale Normierungen, ebenso wie rein interne Standards und Regelwerke von Unternehmungen, Gruppierungen oder Institutionen“, welche zwar ebenfalls „gesellschaftliche Interaktionen steuern“, aber keine rechtliche (Außen-)Verbindlichkeit“ erzeugen: Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 127. 102  Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 154. 103  Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 155. 104  Die von Arndt in diesem Zusammenhang genannten Beispiele sind „Weichrechtsnormen“, „halb-imperative Rechtssätze“ einer „Normenzwischenschicht“ und „Aspirationsnormen“, vgl. Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 153 m. w. N.; vgl. auch Di Fabio, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft; Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, Juristenzeitung 52 (1997), S. 969. 105  Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 125. 106  Er beruft sich hier auf Bothe, der sich allerdings im Ergebnis für eine verbleibende Unterscheidung ausspricht, Bothe, Legal and non-legal norms: A meaningful distinction in international relations?, NYIL 11 (1980), S. 65, S. 89, S. 93 ff. 107  Siehe Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 126 f. 108  Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 164. 109  Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 164.

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werden, doch ergäben sich verschiedenste Nuancen einer rechtlichen Geltungswirkung, wobei nur im Falle einer eminent hohen Diffusionsstärke eine juristische Befolgungspflicht die Konsequenz wäre110. Ob ein Instrument zur Kategorie der adaptiven Rechtsquellen gehört, prüft Arndt zunächst anhand einiger Ausschlusskriterien und sodann unter Gewichtung verschiedener normativer Elemente wie Bestimmtheit, Bindungswille, Vollzug, Legitimation, Gemeinwohlpostulat, soziale Nützlichkeit, Intensität und Wirkungskraft111. Für den Fall, dass die Betrachtung der genannten Elemente zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, schlägt Arndt die Berücksichtigung einiger nicht abschließender, rezessiver Faktoren vor.112 (2) O  ECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen als „adaptive Rechtsquelle“? Die von Arndt untersuchten Beispiele113 unterscheiden sich von Leitsätzen im Hinblick auf die Rolle des Staates bei der Entstehung Normen. Dennoch fragt sich, ob die von Arndt aufgestellten Kriterien den Leitsätzen erfüllt werden und sie daher als adaptive Rechtsquellen gestuft werden können.

den von von ein-

Ein Bindungswille ist für Arndt gegeben, wenn eine Norm ein „Sollen“ und nicht nur ein Faktum feststellt.114 Zum Element des Vollzuges verweist Arndt auf faktische Sanktionierung wie „wirtschaftliche Nachteile, die sich 110  Bei mittlerer Diffusionsstärke sei der Rechtsanwender hingegen nicht zur strikten Befolgung der adaptiven Rechtsquelle verpflichtet, er müsse sich aber mit ihr auseinandersetzen und „bei Bedarf in seine Handlungen einfließen lassen“, Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 162 f. 111  Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 132 ff. Zu den Ausschlusskriterien gehören etwa verfassungsrechtliche Grenzen sowie europarechtliche oder gesetzgeberische Vorgaben. 112  Vgl. Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 152. 113  Die gewählten Beispiele sind der Emittentenleitfaden der BaFin, der Deutsche Corporate Governance Kodex, die Verlautbarungen des CESR und Basel II. Beim Deutschen Corporate Governance Kodex, so Weiß, nimmt sich der Staat zurück, um privaten Regelungen Raum zu geben, Weiß, Hybride Regulierungsinstrumente, Eine Analyse rechtlicher, faktischer und extraterritorialer Wirkungen nationaler Corporate-Governance-Kodizes, Tübingen 2011, S. 101. 114  In letzterem Fall handelt es sich nach Arndt um „soziale Normen“, Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 137, Fußnote 885. Dem ist zu widersprechen, da auch soziale Normen eine gesellschaftliche Erwartungshaltung im Sinne eines „Sollens“ ausdrücken können. Der Unterschied zum rechtlichen Bindungswillen muss daher an anderer Stelle liegen – etwa in der Unterscheidung zwischen „Sollen“ und „Müssen“.



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aus dem Nicht-Einhalten faktisch verbindlicher atypischer Regelwerke und entsprechendem Bekanntwerden einer solchen Tatsache ergeben115. Die Leitsätze zielen zweifelsfrei auf ein „Sollen“ ab und sind mit „faktischer Sanktionierung“ im eben genannten Sinne verbunden. Legitimiert ist nach Arndt nicht nur die durch parlamentarische Beteiligung demokratisch legitimierte Norm, sondern auch diejenige, die durch „ausreichende Partizipation des betreffenden Teilkollektivs unter gleichzeitiger Förderung des Gemeinwohls“ zustande gekommen ist. Dies ist für die Leitsätze zu bejahen116, ebenso die geforderte „soziale Nützlichkeit“. Dominant ist für Arndt schließlich das Kriterium der Intensität und Wirkungskraft, auch faktische Verbreitung und gesellschaftliche Akzeptanz genannt, welche empirisch zu erforschen seien117. Trotz aller Schwierigkeiten eines empirischen Nachweises im Rahmen dieser Arbeit kann für die Leitsätze eine gewisse faktische Verbreitung, einschließlich ihrer Anwendung in Beschwerdeverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen und ihre Akzeptanz bejaht werden. Im Ergebnis könnten die Leitsätze daher wohl als „adaptive Rechtsquellen“ eingeordnet werden. Fraglich ist aber, ob diese Einordnung zu befürworten ist. Denn so verdienstvoll es auch ist, sich der Fragestellung nach der richtigen Einordnung der soft law Instrumente anzunehmen und die komplexe Wirklichkeit mit der Vielfalt der unterschiedlichen Ausgestaltungen in ein neues, einheitliches Konzept zu bringen, so komplex ist auch das Modell, das hieraus entstanden ist. Zweifel an der Handhabbarkeit des Modells sind durchaus angebracht. Denn aus Sicht des Normadressaten scheint es mit dem Gebot der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit schwer vereinbar, wenn von Fall zu Fall eine Einschätzung zur Natur und Bindungswirkung eines Instrumentes vorzunehmen ist, die zudem von großer Variabilität ist und das Instrument dennoch in einem Graubereich einer ungewissen „Diffusionsstärke“ belässt. Das Modell scheint daher eher geeignet, die Wirkungsweise bestimmter Normen zu erklären und deren Besonderheit gegenüber allgemeinen Sozialnormen, die keine gesteigerte Bindungswirkung besitzen, zu verdeutlichen. Als Rechtsquelle im eigentlichen Sinne vermag dieser Ansatz aber nicht zu überzeugen. Es bleibt vielmehr die Grundfrage, nach welchen Maßstäben eine Abgrenzung von Recht und Nicht-Recht erfolgen sollte. 115  Arndt,

Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 139 f. Einbindung zahlreicher Akteure und Interessensvertreter bei der Annahme und den Überarbeitungen der Leitsätze siehe oben Teil 2, A. 117  Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011, S. 150 f. 116  Zur

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3. Parameter für die Abgrenzung von Recht und Nicht-Recht Wie gesehen verbleiben bei der Verwendung des Begriffes soft law Zweifel an der Einordnung dieser Instrumente in die Kategorien Recht oder Nicht-Recht. Die Verwendung des Begriffes ist daher konsequent, wenn die Ansicht vertreten wird, dass „eine scharfe Abgrenzung zwischen Recht und Nicht-Recht (…) der Wirklichkeit nicht mehr gerecht“ wird118. Demgegenüber wird aber auch vertreten, dass „die Unterschiede zwischen eindeutig rechtlich verbindlichen Völkerrechtsnormen und ‚soft law‘ nur relativiert, nicht nivelliert“ werden119. Es stellt sich daher die Frage, ob eine strikte Abgrenzung von Recht und Nicht-Recht (oder Recht und soft law) heute noch zu befürworten ist oder ob demgegenüber ein kontinuierlicher Übergang und neuartige Rechtsquellen (relativer Natur) anzuerkennen sind. Die oben dargestellten alternativen Ansätze lüften den Schleier, den die Bezeichnung soft law über die Frage der Abgrenzung deckt und bieten Modelle für diese Abgrenzung an. Den Ansätzen ist gemein, dass sie die normative Kraft bestimmter Instrumente zum Anlass nehmen, um das Wesen des Rechts zu überdenken. Ziel ist es, die faktische Bindungswirkung der Instrumente im rechtlichen System angemessen zu würdigen und die Instrumente dort zu integrieren. Dabei werden neue Normenkategorien aufgestellt und auch abgestufte Formen der Verbindlichkeit des Rechts für denkbar gehalten. Es hat sich dabei aber gezeigt, dass die Ansätze von Möllers und Arndt Zweifel an der praktischen Handhabbarkeit wecken. Insbesondere aus Sicht der Autoren und Adressaten dieser Normen entsteht eine große Rechtsunsicherheit, wenn der Charakter des gewählten Instrumentes nicht vorhersehbar ist, da er „beweglich“ ist oder „diffundieren“ kann. Angesichts der verbleibenden Zweifel an den hier vorgestellten Vorschlägen zur Erweiterung der Rechtsquellen fragt sich, ob tatsächlich einem Rechtsverständnis gefolgt werden soll, welches die Möglichkeit abgestufter Formen der Verbindlichkeit bejaht, oder ob ein restriktiveres Rechtsverständnis, das von einer „entweder-oder“ rechtlichen Natur der Normen ausgeht und sich an den klassischen Rechtsquellen orientiert120, beizubehalten ist. Es ist daher nach Kriterien für die Entscheidung zwischen diesen beiden Ansätzen zu suchen. 118  Hailbronner, Entwicklungstendenzen des Wirtschaftsvölkerrechts, Konstanz 1983, S. 22. 119  Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private – Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte, Frankfurt am Main 1981, S. 22. 120  So Doehring: „Zweifel an dieser Ausschließlichkeit [der Rechtsquellen nach Art. 38 IGH-Statut] sind immer wieder geäußert worden, aber unberechtigt“, Doehring, Völkerrecht, 2. Auflage, Heidelberg, 2004, § 3, Rz. 284.



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a) Das Argument einer rechtsrealistischen Sichtweise Das Argument des Rechtsrealismus, das häufig für ein erweitertes Völkerrechtsverständnis bemüht wird, ist genauer zu hinterfragen. Denn auch wenn die verhaltenssteuernde Wirkung eines Instrumentes oder dessen Legitimation, Autorität und Anerkennung festgestellt werden können, so muss es nicht zwangsläufig „realistisch“ sein, dieses Instrument aufgrund dessen in den Kreis des Rechts einzubeziehen. aa) Zum Geltungsgrund normativer Bindung Für die Rechtsbeteiligten spielt die Unterscheidung in rechtliche und außerrechtliche Instrumente zweifellos eine große Rolle. Anders ist es nicht erklärbar, weshalb Staaten Wert auf die Titulierung eines Instrumentes legen und Verhandlungen sich lange an Fragen einer etwaigen rechtlichen Verbindlichkeit aufhalten. Auch Thürer formuliert, für die Anerkennung von soft law als einer vierten Rechtsquelle bestehe kein Bedarf, im Gegenteil wäre die Anerkennung ihrerseits realitätsfern: „The acknowledgement of an additional source of international law would amount to further wishful thinking instead of stabilizing expectations“121. Die Vermischung rechtlicher und außerrechtlicher normativer Wirkung basiert vermutlich auf dem verständlichen Bestreben, die tatsächliche Bedeutung der Instrumente angemessen zu würdigen.122 Dabei scheint die Annahme zugrunde zu liegen, außerrechtliche Normen seien ein Minus im Vergleich zu Rechtsnormen im klassischen Sinn. Diese Annahme dürfte verbreitet sein, ist aber wie gesehen nicht zwingend zutreffend, wenn man Wirkungsweise und Geltungsgrund atypischer Regelungsinstrumente im Allgemeinen und die Wirkungsweise der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Besonderen genauer betrachtet. Denn eine außerrechtliche Norm, die unter Einbeziehung der entsprechenden Experten und im Konsens der Beteiligten entwickelt wurde und eine große Akzeptanz genießt, kann unter Umständen einen höheren Umsetzungsgrad aufweisen als eine rechtliche Norm, die den Betroffenen „übergestülpt“ wurde. Die „weichen“ Umsetzungsmechanismen des Dialogs und der Konsensfin­ dung zu zukunftsorientierten Verhaltensanpassungen können der Zielerreichung unter Umständen einen größeren Dienst erweisen als eine recht­ 121  Thürer,

Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 457. auch Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, S. 612: „Yet scholarly reflections on soft law usually commit the mistake of attributing at all costs some kind of legal nature to these norms in order to explain their regulatory functions“. 122  Siehe

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liche Haftbarmachung, auch wenn auf diese nicht gänzlich verzichtet werden kann123. Auch wenn es aus der Perspektive des Juristen zunächst nahe liegt, regelbezogene Phänomene als „rechtliche“ Phänomene zu bewerten, sollten daher gesellschaftliche Gegebenheiten – und dies gilt in einem besonderen Maße für die internationalen Beziehungen – interdisziplinär verstanden und erklärt werden. Das Recht hat dabei seine eigenen, ihm innewohnenden Charakteristika und Wirkungsweisen und damit seine eigene Bedeutung. Andere denkbare Wirkungsweisen sollten aber nicht übersehen werden. So ist den Autoren, die sich mit atypischen Regelungsinstrumenten beschäftigen, zuzustimmen, dass die faktische Bindungswirkung und die praktische Bedeutung der Instrumente zum Nachdenken, zum Kategorisieren und zur Suche nach Begrifflichkeiten anregen. Es könnte jedoch sein, dass die Erklärung des Phänomens eher im sozialgesellschaftlichen denn im rechtlichen Bereich zu finden ist. Die Rolle des Rechts wird durch diese Perspektive nicht geschmälert, das Recht stellt aber eine Handlungsoption unter mehreren dar, mit einer eigenen Form und einem spezifischen Zweck. Am Beispiel der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen würde dies bedeuten, dass auch das mit ihnen verknüpfte Beschwerdeverfahren und ihre (potentielle) Bindungswirkung nicht dazu führen, dass sie einer zusätzlich anzuerkennenden Rechtsquelle zuzuordnen wären − und zwar unabhängig davon, ob die Bindungswirkung als faktisch und unbedingt einzustufen ist. Die Rechtswirkung der Leitsätze würde demnach von deren Erstarken zu Völkergewohnheitsrecht oder Überführung in eine vertragsrechtliche Form abhängen. Ihre verhaltenslenkende Wirkung würde demgegenüber nicht in einer rechtlichen Verbindlichkeit begründet liegen, sondern mit soziologischen Wirkungen zu erklären sein. Dieser Befund entspräche etwa der von Blutman vertretenen Auffassung, nach der „The answer to the efficiency or inefficiency of these norms, however, is not, most of the time, to be found in the coordinates of their relationship to formal legal rules, but in the detailed sociological analyses of international relations“124. Der Geltungsgrund einer Norm wird, im Gegensatz zu den oben genannten Kriterien, in der Diskussion um die etwaige (rechtliche) Bindungswirkung und damit den Rechtscharakter von soft law oder „atypischen Regelungsinstrumenten“ selten hinterfragt. Der Begriff „Geltungsgrund“ zielt dabei auf die Frage nach dem „Warum“ der normativen, das heißt verhal123  Vgl. auch Johnston, Promoting Corporate Responsibility: The OECD Guidelines for Multinational Enterprises, S. 246, nach dem es „naiv“ wäre, auf letztere gänzlich verzichten zu wollen. 124  Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, S. 612.



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tenssteuernden Wirkung. Legt man einen neutralen Normenbegriff125 zugrunde, so ergibt sich hieraus bereits, dass neben einer rechtlichen Bindungswirkung auch ein anderer Grund für die verhaltenslenkende Wirkung von Normen in Betracht kommt. Zippelius unterscheidet hier den rechtlichen von einem sozial-ethischen Geltungsgrund.126 Bei aller Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit von Normen im Hinblick auf andere Kriterien können diese ihre (faktische) Bindungswirkung folglich aus anderen als rechtlichen Gründen beziehen.127 Die sozial-ethische Geltung einer Norm basiert dabei darauf, dass sie „vom überwiegenden Teil der Gemeinschaft gebilligt und mit Rücksicht auf bloß gesellschaftliche Sanktionen oft auch vom Widerstrebenden befolgt“ wird128. Bei dieser Unterscheidung nach den verschiedenen Wirkungsmodalitäten scheint den Leitsätzen eher eine sozial-ethische Geltung zugrunde zu liegen. Das Umsetzungsverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen zielt primär auf Vermittlung und sekundär auf veröffentlichte Stellungnahmen, die Imageverluste und damit Umsatzeinbußen herbeiführen können. Dies dürfte einer „bloß gesellschaftlichen Sanktion“ näher stehen als einer „Durchsetzung“ der Leitsätze im Sinne „garantierten Rechts“ nach völkerrechtlichem Maßstab. Dies zeigt sich auch dadurch, dass ein Unternehmen, welches sich der Teilnahme an dem Verfahren verweigert, außer den gesellschaftlichen Sanktionen in Zusammenhang mit dem Beschwerdeverfahren keine weiteren Maßnahmen zu befürchten braucht. Zwar kann ein Unternehmen auch in einem Zivilrechtsstreit nicht gezwungen werden, sich aktiv zu beteiligen. Die Garantiefunktion besteht hier allerdings in der dann zu erwartenden Verurteilung auf Basis des Klägervortrages129. 125  Alternativ könnte der Begriff „Regelung“ als neutraler Oberbegriff von Recht und Soft Law verwendet werden, so Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen 2010, S. 22. „Neutral“ heißt dabei, dass „lediglich eine Aussage über die Existenz eines Gesollten“ damit verbunden wird, nicht jedoch eine Aussage zur Natur. 126  Zippelius, Rechtsphilosophie, 6. Auflage, München 2011, S. 21. Die recht­liche Geltung wird in dieser allgemeinen Rechtsphilosophie in Verbindung gebracht mit der Form und der Durchsetzbarkeit einer Norm. Beide sind wiederrum zu unterscheiden von der moralischen Geltung, die um ihrer selbst willen im „Gewissen“ des Einzelnen als Triebfeder wirkt. 127  Dies scheint zunächst evident, ist aber im Völkerrecht mit seiner klassisch horizontalen Struktur und den nicht verfassungsmäßig festgelegten Rechtsetzungsverfahren weniger eindeutig, denn hier liegt es näher als im nationalen Recht, effiziente Verhaltensregulierung als Recht zu deuten. 128  Zippelius, Rechtsphilosophie, 6. Auflage, München 2011, S. 21. 129  Hier besteht durchaus eine Ähnlichkeit: Den Nationalen Kontaktstellen verbleibt bei einer Verweigerung des Unternehmens wenig anderes, als den glaubhaft

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Im Unterschied zu einem zivilgerichtlichen Verfahren können die Nationalen Kontaktstellen allenfalls sehr deutlich einen Verstoß gegen die Leitsätze feststellen und damit die gesellschaftlichen Sanktionen verstärken, sie können jedoch den Opfern keinen Schadensersatz zusprechen. Auch in sonstiger Weise können die Nationalen Kontaktstellen kaum auf die Einstellung oder Wiedergutmachung des nicht-leitsatzkonformen Verhaltens hinwirken. Denkbar ist zwar die Information der für die Vergabe von Exportoder Investitionsgarantien zuständigen staatlichen Stellen. Diese können das Verhalten ihrerseits bei der Prüfung der Vergabekriterien berücksichtigen. Die Einbeziehung leitsatzkonformen Verhaltens in das Vergabeverfahren bedarf aber entsprechender Anknüpfungspunkte in den hierfür einschlägigen Regularien, so dass sich eine „Rechtswirkung“130 beziehungsweise ein rechtlicher Geltungsgrund der Leitsätze hieraus nicht unmittelbar ableiten lässt. Sofern das betreffende Verhalten zugleich (anderenorts normiertes) Recht verletzt, können die Nationalen Kontaktstellen Schritte, wie zum Beispiel bei strafrechtlich relevantem Verhalten eine Information der Staatsanwaltschaft, in Betracht ziehen. Die rechtlichen Konsequenzen liegen hier aber außerhalb der Leitsätze. Demgegenüber ist die Verurteilung zu Schadensersatz eine vollstreckbare und unmittelbar von der rechtsdurchsetzenden Autorität (Gericht) ausgehende Entscheidung, die in bestimmten Maße auch vorhersehbar ist. Die Reaktionen der Verbraucher auf eine negative Stellungnahme der Nationalen Kontaktstelle sind demgegenüber mittelbare, nur bedingt vorhersehbare Folgen und vor allem keine von einer „rechtsdurchsetzenden Autorität“ ausgehende, vollstreckbare Maßnahme. Der Schwerpunkt der Leitsätze liegt daher nach wie vor bei den gesellschaftlichen Sanktionen. Der Geltungsgrund der Wirkung der Leitsätze ist demnach als sozial-ethisch einzustufen. Zweifel hieran ergeben sich nur durch die Beispiele, welche Zippelius für Normen mit sozial-ethischer Geltung anführt, die für ihn im Bereich von in einer Gemeinschaft herrschenden, tradierbaren Vorstellungen wie z. B. Weltanschauungen liegen131. Demnach handelt es sich um sehr vage Normen. Die Leitsätze sind im Vergleich dazu viel weiter in der Nähe von Rechtsnormen im engeren Sinne anzusiedeln. Vergleichbare Beobachtungen sind vorgebrachten Beschwerdevortrag vorbehaltlich anderer Erkenntnisquellen als wahr zu unterstellen und sich hieraus ein Bild über die Nicht-Einhaltung der Leitsätze zu machen. Zwar wird der Tatsachenvortrag der Beschwerde in der Regel einer Plausibilitätsprüfung unterzogen, eventuell unter Einbeziehung von Stellungnahmen Dritter wie der staatlichen Repräsentationen vor Ort. Darüber hinaus besteht aber für die Nationalen Kontaktstellen kein Anlass, eine Stellungnahme des betreffenden Unternehmens durch eigene Erkundungen zu ersetzen. 130  Zum Begriff der Rechtswirkungen siehe oben Teil 2, D.II. 131  Zippelius, Rechtsphilosophie, 6. Auflage, München 2011, S. 22.



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wohl Grund und zugleich Rechtfertigung für die Einführung des Begriffes soft law, welcher die Wesensnähe zu „garantiertem“ Recht ausdrückt. Dennoch sind die Leitsätze, angesichts der verbleibenden Unterschiede zu traditionellem Völkerrecht im Hinblick auf Form und Rechtsbindungswille, als in besonderem Maße ausformulierte und gesellschaftlich sanktionierte Normen mit sozial-ethischer Geltung anzusehen. Entscheidend bei dieser Einordnung ist, dass zwischen den Normen unterschiedlichen Geltungsgrundes kein hierarchisches Verhältnis besteht. So kann eine Norm sozial-ethischer Geltung genauso effektiv, möglicherweise gar effektiver sein als eine Rechtsnorm. Normen sind daher ganz generell als Verhaltensregeln zu verstehen, das heißt als formulierte Erwartungen der (staatlichen) Gemeinschaft an das Verhalten132. Die Bezeichnung „Norm“ bedeutet dabei noch keine Zuordnung zum Kreis des Rechts.133 Das Ziel der Verhaltensregelung kennzeichnet damit nicht ausschließlich Rechtsnormen.134 Auch andere (soziale) Normen dienen diesem Ziel. Sowohl das Recht als auch rein soziale Normen erfüllen wichtige soziale Funktionen für die Konstituierung einer Gemeinschaft und als wichtige Instrumente zur Gestaltung des sozialen Lebens.135 Der Begriff „Norm“ ist damit neutral im Hinblick auf den (recht­ lichen oder außerrechtlichen) Geltungsgrund. bb) Relatives Element der Rechtsquelle „Völkergewohnheitsrecht“ Das Bedürfnis, fließende Übergänge in der Entwicklung von einer außerrechtlichen hin zu einer rechtlichen Norm abzubilden, wird im Völkerrecht zu einem guten Teil vom Gewohnheitsrecht abgedeckt. Dieses hat eine große praktische Bedeutung als völkerrechtliche Rechtsquelle.136 Die Rechtsfigur des Gewohnheitsrechts ist geeignet, eine Vielzahl von Entwicklungen und Tendenzen aufzugreifen – wie zum Beispiel die zwar umstrittene, aber immerhin diskutierte Figur des „instant law“137 zeigt. 132  Vgl. Bothe, Legal and Non-Legal Norms – A meaningful distinction in international relations?, NYIL 11 (1980), S. 65. 133  Siehe zum Beispiel zum Begriff der Sozialnormen Calliess / Renner, Between Law and Social Norms: The Evolution of Global Governance, Ratio Juris Vol. 22. No. 2 (Juni 1990), S. 260. 134  Zippelius, Rechtsphilosophie, 6. Auflage, München 2011, S. 9. 135  Zippelius, Rechtsphilosophie, 6. Auflage, München 2011, S. 9. 136  Dies ist aus der Rechtsprechung des IGH ebenso erkennbar wie aus der völkerrechtlichen Literatur und der zahlreichen Anpassungen, die dieses Rechtsinstitut im Laufe der Zeit erfahren hat. Vgl. auch Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 16, Rz. 1. 137  Vgl. Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 16, Rz. 4.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

Zwar kann dem Völkergewohnheitsrecht angesichts dieser Unsicherheiten vorgeworfen werden, dem Grundsatz der Rechtsklarheit entgegen zu stehen. Im Hinblick auf die Bestimmung des Zeitpunktes, wann eine Norm völkergewohnheitsrechtlichen Charakter erreicht hat, trifft dies auch zu. Dies unterstreicht aber nur, dass eine weitere mit Flexibilität und zugleich mit Unsicherheiten behaftete Kategorie rechtlicher Normen nicht nur nicht erforderlich, sondern auch nicht wünschenswert ist. Bei unzweifelhaft etablierten völkergewohnheitsrechtlichen Regeln stehen zudem die Rechtsfolgen eindeutig und einheitlich fest. Die der opinio juris beigemessene Rolle scheint zudem am ehesten zu ermöglichen, das Rechtsempfinden der Normgeber und Normunterworfenen am zutreffendsten wiederzugeben.138 Empirische Erkenntnisse über die Anwendung der Norm finden Berücksichtigung über das Element der „Übung“. Es besteht daher im Völkerrecht mit dem Gewohnheitsrecht eine Rechtsquelle, die einen sehr intensiven „rechtsrealistischen“ Blick erfordert und die Erkenntnisse adäquat zu übersetzen vermag. Dies scheint gegen die Notwendigkeit einer Erweiterung des Völkerrechtsverständnisses um graduelle Normen zu sprechen. cc) Völkerrecht als Teil der globalen normativen Ordnung In der völkerrechtlichen Literatur wird die Vielfalt der Akteure und normativen Entwicklungen auf unterschiedlichste Weise reflektiert. Die Ansichten reichen von der vollen Integration „atypischer“ regulatorischer Erscheinungsformen in das Rechtsverständnis, etwa bei der sog. New Haven Schule139, über die Akzeptanz einer Normenkategorie im Graubereich zwischen Recht und Nicht-Recht bis hin zu einer „vehementen Ablehnung“ einer solchen etwa als soft law140. Um dem Erfordernis nach einer rechtsrealistischen Sichtweise Genüge zu tun, ist es allerdings nicht erforderlich, die neueren Regulierungsinstrumente als Teil des Völkerrechts selbst anzusehen. Denn eine Betrachtung der möglichen unterschiedlichen Geltungsgründe normativer Bindung141 führt zu der Erkenntnis, dass das Völkerrecht eine abgrenzbare Rechtsordnung ist, die aber nicht die einzige Form effektiver Verhaltenssteuerung in den internationalen Beziehungen darstellt. 138  Zur

Perspektive der Normgeber und Normadressaten siehe unten A.I.3.b). oben A.I.1.c). 140  Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen 2010, S. 212. 141  Siehe oben A.I.3.a) aa). 139  Siehe



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen365

Richtig ist daher, dass das internationale regulatorische Geschehen nur adäquat betrachtet und verstanden werden kann, wenn der Blick auch auf Normen und Akteure gelenkt wird, die nicht dem traditionellen Völkerrechtsverständnis entsprechen. Knauff konstatiert daher zu Recht, die „Rechtsverbindlichkeit als zentrales Abgrenzungskriterium für die Bestimmung des juristischen Interesses an einer Fragestellung“ erweise sich als „nicht mehr uneingeschränkt geeignet“, da „das Bestehen eines Bereichs mit zumindest undeutlicher rechtlicher Qualifikation infolge neuer Formen der Regelsetzung kaum mehr in Abrede gestellt werden kann“142. Der Blick ist bei der Betrachtung alternativer Regelungsinstrumente demnach nicht mehr nur auf das Völkerrecht, sondern auf die globale normative Ordnung gerichtet. Diesem Gedanken entspricht, wenn Slaughter in ihrer „liberal theory of international law“ nicht auf das Völkerrecht, sondern auf die „international order“ abstellt und diese definiert als „multiple bodies of rules, norms and processes that contribute to international order, beginning with voluntary codes of conduct adopted by individual and corporate actors operating in transnational society and working up through transnational and transgovernmental law to traditional public international law“143. Konsequenterweise wäre dann aber nicht von einer „theory of international law“, sondern von einer „theory of international order“ zu sprechen. Auch Fastenrath stellt auf die normative Steuerung der Handlungsabläufe im „System der internationalen Beziehungen“ ab144, wenn er miteinander verwobene Normenkategorien, die einen „normativen Teppich“ bilden, sieht145. Zu diesen Normenkategorien zählt er neben dem Völkerrecht auch Moral, Sitte, Religion, Ideologie, politische Maximen, Verhaltenskodizes, gentlemen’s agreements und andere „non-(legally-)binding agreements“146. Ausgangspunkt dieses Normenverständnisses sind die internationalen Beziehungen in ihrer Gesamtheit, wobei das Völkerrecht nur einen Teil der 142  Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen 2010, S. 18. 143  Slaughter, A Liberal Theory of International Law, 94 (2000) ASIL Proceed­ ings, S. 240. 144  Diese bezeichnet Fastenrath als „weltweites System“ und verweist zugleich auf ähnliche Begriffsverwendungen, zum Beispiel die „Weltgesellschaft“ von Luhman, Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 34, Fußnoten 83 und 84. Dies ist insofern treffender, als er neben Staaten (auf die sich streng genommen der Begriff international bezieht) als weitere bedeutende Akteure dieses Systems große wirtschaftliche Unternehmen, Verbände, Kirchen, Parteien, Parlamentarier und Medien benennt. 145  Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 35. 146  Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, Berlin 1991, S. 35, m. w. N.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

Verhaltensregulierung ausmacht.147 „Weiche“ oder „atypische“ Regelungsinstrumente wären demgegenüber als „qualifiziertes Nicht-Recht“ oder auch als „non-legale Normen“ einzuordnen. Das Völkerrecht profitiert von solch einem erweiterten Blickwinkel, da es als Handlungsoption in seiner eigenen Stärke und Funktion unterstrichen und gezielt genutzt werden kann.148 Eine Einbeziehung weicher Steuerungsinstrumente in das bestehende völkerrechtliche System könnte dabei allenfalls mittels Einstufung als „Rechtserkenntnisquelle“ im Sinne von Art. 38 IGH-Statut in Betracht kommen. b) Der Bedarf nach Rechtsklarheit und einer Pluralität der Regulierungsmethoden Die Unterscheidung von rechtlichen und außerrechtlichen Normen auf Basis der traditionell anerkannten Rechtserzeugungsverfahren entspricht dem Bedürfnis nach einer größeren Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.149 aa) Perspektive des Normadressaten Diese Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ist für die Adressaten einer Norm von großer Bedeutung. So ist schwer vorstellbar, dass diejenigen, an die sich die Verhaltensanforderungen eines Instrumentes richten, jeweils und jeder für sich zu untersuchen und zu entscheiden hätten, ob eine Rechtsnorm vorliegt und gegebenenfalls welche Bindungskraft − oder „Diffusionsstärke“ − diese aktuell innehat.150 Die Voraussetzung für Recht ist vielmehr, dass es von den Betroffenen klar als solches erkannt werden kann und sie ihr Verhalten dementsprechend danach ausrichten können. Während der Entstehungsphase von Völkergewohnheitsrecht ist diese Klarheit zwar nicht immer gegeben. Immerhin ist dies aber ein vorübergehender Zustand, der 147  Vgl. ausführlich zum Verhältnis von Norm und Völkerrecht: Kreuzbauer, Die Norm im Völkerrecht: Eine rechtsphilosophische und rechtstheoretische Untersuchung, Münster, 2006; Nasser, Sources and Norms of International Law: A Study on Soft Law, Berlin / Wisconsin, 2008. 148  Auch Kirton und Trebilock unterstreichen zum praktischen Verhältnis von hard und soft law: „Each can have its own empirical domain where it is destined to flourish, and does“: Kirton / Trebilock, Hard Choices, Soft Law: Voluntary Standards in Global Trade, Environment and Social Governance, Ashgate, 2004, S. 11 f. 149  Zur Gewichtung dieser Elemente vgl. beispielsweise auch Klabbers, The Undesirability of Soft Law, Nordic journal of international law 67 (1998), S. 381. 150  Dies scheint die Konsequenz beispielsweise des Ansatzes von Arndt, siehe oben A.I.2.b)bb).



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im Verlaufe der Zeit überwunden wird, so dass Rechtsklarheit dann wieder eintreten kann. bb) Perspektive des Rechtsanwenders und Richters Ein Gericht bedarf für die Berücksichtigung der „weichen“ Instrumentarien nicht unbedingt derer rechtstheoretischer Einordnung in zusätzliche Rechtsquellen. Das bestehende Recht enthält an vielen Stellen Öffnungsklauseln, die die Einbeziehung der in „weichen“ Steuerungsinstrumenten niedergelegten Verhaltenserwartungen ermöglichen beziehungsweise fordern.151 Diese Steuerungsinstrumente könnten sich daher als „Rechtserkenntnisquellen“ anbieten.152 Zudem finden sie Berücksichtigung als Indizien für die Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht oder auch als dessen Manifestation. cc) Perspektive des Normgebers Die Unterscheidung zwischen rechtlichen und außerrechtlichen Normen anhand traditionell anerkannter Rechtsquellen belässt den Normgebern die Wahlmöglichkeit zwischen Normen unterschiedlicher Natur. Diese Wahlmöglichkeit kann besonders in Situationen wichtig sein, in denen keine Bereitschaft zur Schaffung bindenden Rechts besteht. Zwar wird der Rückgriff auf unverbindliche Regelungsinstrumente mitunter als problematische Umgehung einer rechtsverbindlichen Regelung gesehen153, tatsächlich kann aber die Konsensfindung im Rahmen einer außerrecht­lichen Regulierung eine Brücke zu einer verbindlichen Regulierung bilden, für die die Zeit noch nicht reif ist. Ohne die Möglichkeit auf rechtlich unverbindliche Instrumente auszuweichen, wäre in mancher Situation sicher keine internationale Konsensbildung möglich.154 Inhaltlich kann zudem oft eine weitergehende Übereinstimmung erzielt werden, als dies bei einer verbindlichen Regel der Fall wäre. Das Beispiel der Leitsätze veranschaulicht diese 151  Beispiele

für solche „Rechtswirkungen“ siehe oben Teil 2, D.II. unterscheidet Rechtsquellen und Rechtserkenntnisquellen, zu letzteren werden Rechtsprechung und die Meinung eminenter Rechtsgelehrter gezählt. 153  Vgl. zum Beispiel die Diskussion in Zusammenhang mit der sogenannten „corporate social responsibility“, siehe oben Teil 1, C.IV.4. 154  Vgl. zum Beispiel Ignaz Seidl-Hohenveldern, International economic „soft law“, RdC 163.2 (1979), S. 165, S. 193: „(…) the main usefulness of soft law rests in the possibility thus to overcome a deadlock in relations between States (…)“. Siehe auch Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 456. 152  Art. 38 IGH-Statut

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

Dynamik.155 Alle Versuche, den Grundsatz der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen in einem rechtsverbindlichen Dokument festzulegen, scheiterten bislang. In die Leitsätze wurde der Grundsatz hingegen aufgenommen und anschließend weiterentwickelt. Diese Regulierungsform hat damit sowohl zur Klärung konzeptioneller Fragen als auch zur weiteren Akzeptanz dieser Verantwortung beigetragen. Das außerrechtliche Instrument ist damit eine Brücke, die die Gegensätzlichkeit inhaltlicher Ansichten abmildern helfen kann und einen Bogen in die Zukunft spannt, bis die Akzeptanz einer rechtsverbindlichen Regel gegeben ist. c) Gewichtung einzelner normativer Merkmale bei der Abgrenzung von Recht und Nicht-Recht Die Frage, ob Recht von Nicht-Recht beziehungsweise „hartes Recht“ von „weichem Recht“ zu unterscheiden ist, steht in engem Zusammenhang zu der Frage nach dem wie einer solchen Unterscheidung. Nur wenn Wesensmerkmale und Kriterien herausgearbeitet werden können, die eine Differenzierung rechtfertigen, ist diese überzeugend und nachvollziehbar. Dabei wird hier einem neutralen Normenverständnis gefolgt. Dieses steht im Gegensatz zu der Annahme, dass aus dem Vorliegen normativer Kriterien auf die Rechtsnatur der Norm zu schließen wäre und daher „normativ“ als gleichbedeutend mit „rechtlich“ anzusehen sei. Ausgangspunkt ist vielmehr eine Unterscheidung zwischen legalen und extra-legalen Normen.156 Für diese Unterscheidung kommt es maßgeblich auf die Gewichtung der einzelnen normativen Kriterien an. Im Folgenden sollen daher die unterschiedlichen Kriterien, die für die normative Qualität einer Regelung in Betracht gezogen werden, auf ihre Gewichtung für die Entscheidung der Zuordnung der Norm zum Bereich des Rechts oder Nicht-Rechts untersucht werden.

155  Vgl. auch Ignaz Seidl-Hohenveldern, International economic „soft law“, RdC 163.2 (1979), S. 165, S. 210: „OECD Guidelines may place obligations on multinationals which go beyond what is strictly required by law; this is precisely due to the fact that they have a (solely) moral character“. 156  Die in der Literatur ebenfalls getroffene Unterscheidung zwischen bindenden und nicht-bindenden Normen erweist sich dabei als Irreführung, da wie gesehen auch außerrechtliche Normen Verpflichtungswirkungen entfalten. Vorzugswürdig ist daher die Unterscheidung nicht anhand der Wirkung, sondern anhand der Natur der Normen in rechtliche und außerrechtliche Normen. Der häufig beobachtete variable Bindungsgrad von Normen betrifft dabei die außerrechtlichen Normen. Rechtliche Normen sind hingegen vorhanden und bindend, oder nicht, auch wenn sie de facto unter Umständen wenig Beachtung finden sollten.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen369

aa) Formale Anforderungen an Normerzeugungsverfahren und (Rechts-)Bindungswillen Wird eine Differenzierbarkeit legaler und non-legaler Normen angenommen, ist deren wesentliches Unterscheidungskriterium zweifellos das Verfahren, in welchem sie zustande kommen. Diese Frage ist eng mit der Akzeptanz von Rechtsquellen verbunden. Sind dies im Völkerrecht klassischerweise die Rechtsquellen völkerrechtlicher Vertrag, Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze157, so hängt die Rechtsqualität einer Norm davon ab, ob sie in den für diese Quellen anerkannten Verfahren zustande gekommen sind. Vorteil und Hauptgrund für die Bedeutung dieses Kriteriums ist die Vorhersehbarkeit und Rechtsklarheit, die mit der Definition vorherbestimmter Verfahren einhergeht. Ist die Schaffung von Recht gewollt, so ist offenkundig, welche Verfahren hierfür gewählt werden können. Wird diese Form gewählt, so besteht zweifellos ein Rechtsbindungswille. Umgekehrt lassen die Wahl einer Form außerhalb anerkannter Rechtserzeugungsverfahren und gegebenenfalls entsprechende Bezeichnungen auf einen fehlenden Rechtsbindungswillen schließen. Die Vorfestlegung anerkannter Rechtserzeugungsverfahren ermöglicht es, die Einhaltung gewisser Ansprüche einer Gesellschaft an das Zustandekommen von Recht − wie etwa dessen demokratische Legitimation − sicherzustellen. Fehlt es wie im Völkerrecht an einem Verfassungsdokument, in dem die anerkannten Verfahren zweifelsfrei festgelegt sind, besteht natürlich Spielraum bei der Bestimmung der gesellschaftlich anerkannten Verfahrensarten. Dies gilt besonders, wenn die neu auftretenden Normsetzungsverfahren beispielsweise hinsichtlich ihrer Legitimation vergleichbaren Kriterien genügen wie die klassischen Verfahren. Bei der Frage, ob es sich um zusätzlich anerkannte Rechtserzeugungsverfahren handelt, ist auf die Perspektive der Rechtsbeteiligten abzustellen.158 Im Sinne der Rechtssicherheit ist dabei ein hoher Maßstab anzulegen. Instrumente, bei denen explizit der rechtliche Bindungswille fehlt, können schwerlich unter diese Kategorie fallen.

157  Trias

der Rechtsquellen aus Art. 38 IGH-Statut. kann sich demgegenüber allenfalls in einem naturrechtlichen Rahmen eine überzeugende dogmatische Integration von soft law in das Recht vorstellen, beispielsweise im Rahmen der derzeit von Witteveen und van Klink entwickelten Übertragung des konzeptionellen Systems von Fuller auf die Rechtserzeugung im internationalen System, Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, S. 611, Fußnote 28. 158  Blutman

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

bb) Legitimation und Akzeptanz Als weiteres wichtiges normatives Element ist die (demokratische) Legitimation eines Instrumentes anzusehen. Diese Legitimation ist wichtige Voraussetzung einer im internationalen System normativ erheblichen Verhaltenssteuerung.159 Eine unmittelbare parlamentarische Legitimation ist dabei nach völkerrechtlichen Maßstäben aber nicht erforderlich, um einer Norm den Rechtscharakter zuzusprechen. Eine solche ist auch im Hinblick auf die anerkannten Rechtsquellen des Völkerrechts nicht immer gegeben. Zwar bedürfen völkerrechtliche Verträge der Ratifikation, welche in Demokratien west­ lichen Zuschnittes eine parlamentarische Entscheidung erfordert. Bei der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht entfällt allerdings dieses zusätz­ liche parlamentarische Korrektiv. Alternativen Regelungsinstrumenten kann also nicht allein deshalb der Rechtscharakter abgesprochen werden, weil sie nicht unmittelbar parlamentarisch legitimiert sind. Zu beobachten ist die Einbeziehung von Interessensvertretern bei der Konkretisierung alternativer Regelungsinstrumente. Eine solche Einbeziehung erhöht zweifellos die Legitimation einer Norm, begründet aber alleine nicht den Rechtscharakter einer Norm. Ähnlich verhält es sich mit dem Element der Akzeptanz, das angeführt wird, um formale Mängel im Zustandekommen der Norm auszugleichen. Die Akzeptanz der Norm ist Voraussetzung dafür, dass sie eine effektive Geltung im internationalen System erlangen kann. Sie ist indes nicht zwingend für die Annahme, dass es sich um eine Rechtsnorm handele. Für diese Unterscheidung müssen daher andere Merkmale bedeutsamer sein. cc) Einhaltung, Durchsetzbarkeit und „Rechtswirkungen“ Gleichermaßen verhält es sich mit empirischen Erkenntnissen zur Einhaltung einer Norm. Die Einhaltung einer Norm ist sicherlich von großer Bedeutung zur Beurteilung ihrer Effektivität und ihrer Bedeutung im internationalen System.160 Im Völkerrecht wird die tatsächliche Befolgung auch 159  Zur Abgrenzung völkerrechtsähnlicher Normen von sonstigen Sozialnormen siehe unten A.II.2.c)aa). 160  Dabei kommt es nicht auf eine uneingeschränkte Einhaltung an und nicht darauf, ob die Befolgung zur Disposition der Normadressaten steht; denn letztlich gibt es auch Verstöße gegen geltendes Recht und ist die Rechtseinhaltung nicht unmittelbare Folge der Existenz einer Rechtsnorm, sondern ebenfalls von einer



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen371

als Argument für dessen Rechtscharakter bemüht. Allerdings vermag die Beachtung alleine nicht den Unterschied zwischen einer rechtlichen und einer außerrechtlichen Norm zu erklären, denn beide Normentypen können grundsätzlich gleichermaßen wirkungsvoll sein. Entscheidend muss daher die Frage sein, warum eine Norm (überwiegend) beachtet wird. Im Völkerrecht erklärt sich dies unter anderem aus der horizontalen Einhaltungsgewähr des Rechts der Staatenverantwortlichkeit. Da das Völkerrecht seine Rechtsqualität nicht aus einer dem nationalen Recht vergleichbaren zwangsweisen Durchsetzbarkeit bezieht, scheinen auch andere Formen internationaler Regulierung, die diese Zwangselemente nicht aufweisen, als Recht betrachtet werden zu können. Dies setzt allerdings voraus, dass andere Unterscheidungsmerkmale nicht schwerer wiegen. Letztlich kann dieses Argument daher eher für die Ähnlichkeit der Normen als für ihre Wesensgleichheit herangezogen werden. Denn die soeben angesprochenen formalen Kriterien und der Bindungswille bilden gewichtige Argumente für eine Beibehaltung einer Differenzierung. Bei der Frage nach dem warum der Einhaltung einer Norm sind daher über die zwangsweise Durchsetzung oder die horizontale Einhaltungsgewähr hinaus soziologische Aspekte in Betracht zu ziehen.161 Die Einhaltungswahrscheinlichkeit ergibt sich dabei aus der Autorität, Legitimität und Akzeptanz einer Norm. Im Falle der Leitsätze wird sie erhöht durch das Beschwerde- und Schlichtungsverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen. Zusätzlich verstärken sogenannte „Rechtswirkungen“ die Anreize zur Einhaltung außerrechtlicher Normen.162 Diese Wirkungen werden allerdings vom Recht verliehen, das sich mittels ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe öffnet. Sie sind daher kein Indiz dafür, dass die außerrechtliche Norm selber dem Kreis des Rechts zuzurechnen wäre. Die verhaltenslenkende Wirkung einer Norm kann aufgrund dieser Kriterien eine große Effektivität aufweisen. Dabei ist auch eine Bindungswirkung nicht ausgeschlossen, die an die einer rechtlichen Norm heranreicht, da eine „gesellschaftliche Sanktion (…) unter Umständen sogar stärker wirken Entscheidung und entsprechenden Verhaltensweise der Rechtsunterworfenen ab­ hängig. Zur Bedeutung der Rechtsbefolgung als konstitutives Element von „Recht“ vgl. zum Beispiel Kelsen, nach dem „von einer geltenden Rechts- und Verfassungsordnung“ nur gesprochen werden kann, „wenn ihre Normen im Großen und Ganzen wirksam sind, das heißt tatsächlich befolgt und angewendet werden“, und die neuhegelianische Rechtsphilosophie, zusammengefasst in dem Zitat: „Das Recht ist vorhanden im Zusammenspiel von Norm und Normverwirklichung“; vgl. Zippelius, Rechtsphilosophie, 6. Auflage, München 2011, S. 13 f. 161  Siehe oben A.I.3.a)aa). 162  Siehe oben Teil 2, D.II.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

[kann] als die rechtliche Sanktionsdrohung“163. Allerdings bedeutet eine aus Sicht der Zielerreichung sinkende Relevanz der Unterscheidung in verbindliche und unverbindliche Normen nicht zwangsläufig eine Änderung der rechtsdogmatischen Einordnung. Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass eine Verpflichtungswirkung nicht zwangsläufig rechtlicher Natur sein muss. Es kann vielmehr auch eine faktische Bindung geben, bei der die Nichteinhaltung etwa im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null keine zulässige Alternative ist, aber die Einhaltung gerichtlich nicht einklagbar ist. Es ist damit we­ sentlich, zwischen rechtlicher und faktischer Bindungswirkung zu unterscheiden. Die auf den genannten Gründen basierende Einhaltungswahrscheinlichkeit einer Norm und ihre tatsächliche Wirkung sind daher zwar konstitutive Elemente für ihre Qualifizierung als relevanter Teil des internationalen regulatorischen Systems. Für die Frage, ob es sich um eine rechtsverbindliche oder um eine außerrechtliche Norm handelt, bleiben jedoch die formalen Anforderungen und der Rechtsbindungswille die entscheidenden Merkmale.164 4. Zusammenfassung und Ergebnis: Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen als Teil der internationalen regulatorischen Ordnung Die Vorstellung einer variablen, graduell angepassten rechtlichen Bindungswirkung scheint weder dem Rechtsempfinden der Normgeber noch dem der Normunterworfenen zu entsprechen. Bei diesen ist vielmehr das Verständnis vorherrschend, eine Norm sei „entweder-oder“ rechtlich bindend. Gegen eine „Trichotomie“ der Rechtsquellen mit graduell und im Einzelfall variablen Rechtswirkungen könnte daher mit den Worten von Thürer eingewandt werden: „(…) it is juridically inconceivable to split and to quantify the term „law“. A norm is either legally binding or it is not. 163  Zippelius, Rechtsphilosophie, 6. Aufl., München 2011, S. 25. Auch nach Simma und Heinemann „ist ein Verhaltenskodex nicht lediglich als Minus im Vergleich zu verbindlichem Recht einzuschätzen. Die Kontrolle durch den Markt hat nicht selten dieselbe Wirkung wie die Kontrolle durch Behörden oder Gerichte“. Dazu muss allerdings der jeweilige Regelungsbereich einen hohen Stellenwert im öffentlichen Bewusstsein haben. Nur so erlangen die Verhaltenskodizes die Autorität, die erforderlich ist, um die unternehmerische Werteordnung inhaltlich auszufüllen“: Simma / Heinemann, in: Korff, Wilhelm u. a. (Hrsg.), Handbuch der Wirtschaftsethik, Band 2, Gütersloh 1999, S. 416. 164  Den oben aufgezeigten Ansätzen eines empirischen Positivismus, vgl. oben 1.d)bb)aaa), wird hier daher nicht gefolgt.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen373

There is nothing in between: it cannot be more or less binding“165. Der relative, rechtsquellenerweiternde Ansatz mag konzeptionell und theoretisch bestechend sein. Er entspricht aber nicht der Wahrnehmung durch die Rechtsbeteiligten in der Praxis. Für Teilnehmer des Systems ist es sehr bedeutsam, welcher Charakter einem bestimmten Instrument zugewiesen ist und welche Rechtswirkungen von diesem (nicht) zu erwarten sind. Dies muss vorherbestimmbar und leicht abgrenzbar sein. Einem Instrument Rechtsquellencharakter entgegen dem Verständnis aller aktiv Beteiligten zuzuschreiben scheint demgegenüber sachfremd. Hält man an der absoluten Dichotomie zwischen Recht und Nicht-Recht fest und lehnt eine (graduelle oder variable) Rechtsverbindlichkeit atypischer Regelungsinstrumente ab, so bleibt es beim sogenannten binären Ansatz mit seinem Bild eines „Qualitätssprunges“ von der Kategorie alternativer Regelungsinstrumente hin zur Kategorie rechtsverbindlicher Normen der klassischen Rechtsquellen. Der wahrscheinlichste Weg, diesen Sprung zu erreichen, ist dabei das Erwachsen in Völkergewohnheitsrecht. Ohne die Überzeugung einer rechtlichen Verpflichtung, wie sie das Gewohnheitsrecht erfordert, ist demgegenüber kein Grund ersichtlich, eine Norm als völkerrechtlich (mehr-oder-weniger) verbindlich zu qualifizieren. Vielmehr ist zu akzeptieren, dass eine Verhaltenssteuerung auf unterschiedlichen Geltungsgründen beruhen kann. Es besteht daher nicht nur „kein Bedarf“ nach einer dogmatischen Verwischung der Grenze zwischen Recht und Nicht-Recht166. Es besteht vielmehr Bedarf, die qualitative Abgrenzung beizubehalten. Die klarste Abgrenzung bieten dabei die anerkannten Völkerrechtsquellen. Wird das Rechtsverständnis erweitert, so dass jetzige Formen „weicher“ Regelungsinstrumente als Recht anerkannt werden, so würden in der Praxis vermutlich wiederrum neue Alternativen gefunden, um den Bedarf an außerrechtlicher Normierung zu erfüllen. In den internationalen Beziehungen besteht daher unzweifelhaft ein Normengeflecht mit einer Vielzahl von Akteuren167. Das Völkerrecht und seine Rolle lassen sich nur dann adäquat begreifen und abbilden, wenn diese anderen Steuerungsebenen und -instrumente mit in den Blick genommen werden. Es ist aber nicht erforderlich, diese außerrechtlichen Normen als Völkerrecht zu qualifizieren, so lange sie nicht zu Völkergewohnheitsrecht erstarkt sind.

165  Thürer,

Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 456. Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 456. 167  Aufgrund der Vielzahl der Akteure ist der Begriff der inter-„nationalen“ Beziehungen streng genommen heute nicht mehr treffend. 166  So

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

Dies bedeutet keine Abqualifikation derjenigen Normen, die nicht als rechtlich bindend eingestuft werden. Im Gegenteil können – und müssen – diese Instrumente in ihrer eigenen normativen Relevanz wahrgenommen werden. Dies kann durchaus die Anerkennung einer eigenständigen Normenkategorie bedeuten, die aber nicht der Bezeichnung als „Recht“ bedarf.168 Im Gegenteil ist die große Bandbreite an Steuerungsinstrumenten, die zum Schutz der Interessen und Rechte Dritter entwickelt und angewandt werden, zu begrüßen und können Anreizsysteme unter Umständen effektiver wirken als eine Haftbarmachung169. Insgesamt entspricht also die Unterscheidung zwischen rechtlichen und außerrechtlichen Normen der Rechtsrealität und dient dem Erhalt der Rechtsklarheit aber auch der Pluralität von Handlungsoptionen. Dem Vorwurf, das Festhalten am binären Ansatz einer scharfen und formalen Trennung von Recht und Nicht-Recht sei altmodisch170 und ein „nur wo Recht drauf steht, ist auch Recht drin-Ansatz“ sei vereinfachend, ist daher entgegenzuhalten, dass normative Steuerungsfunktionen nicht notwendig mit einer rechtlichen Eigenschaft, sondern auch mit soziologischen Gegebenheiten erklärt werden können und dass die normative globale Ordnung über eine große Vielfalt an Instrumenten verfügt, die aber die formale Trennung von Recht und Nicht-Recht nicht aufhebt. Es wird damit hier denjenigen Ansichten gefolgt, die den wesentlichen Unterschied zwischen Normen in deren Natur sehen und nicht in graduellen oder relativen Unterschieden in ihrer Bindungswirkung. Die Leitsätze, die wie gesehen keiner der klassischen Völkerrechtsquellen entstammen, können dabei dazu beitragen, das Augenmerk darauf zu richten, dass die formale Zuordnung eines Instrumentes nicht ausschlaggebend sein muss für seine Wirkungskraft und dass es für eine verhaltenslenkende Wirkung und die Erreichung eines bestimmten Zieles in weit größerem Maße auf die tatsächliche Handhabung und Akzeptanz eines Instrumentes ankommt. Damit sind der Instrumenten-Kasten und die Handlungsoptionen in den internationalen Beziehungen zugunsten des Schutzes der Menschenrechte erweitert, ohne dass es zu einer Vermischung von Recht und NichtRecht und damit zu einer Rechtsunsicherheit kommt. Eine Erweiterung der klassischen Rechtsquellen − für die das Völkerrecht durchaus Raum bietet, 168  Siehe das nachfolgende Kapitel A.II.2.c) zu der Frage, wie diese Kategorie bezeichnet werden könnte und wodurch sie sich auszeichnet. 169  Wenn auch zugleich zuzugestehen ist, dass es „naiv“ wäre, auf letztere gänzlich verzichten zu wollen, Johnston, Promoting Corporate Responsibility: The OECD Guidelines for Multinational Enterprises, S. 246. 170  Vgl. Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, S. 611.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen375

da weder Rechtserzeugungsverfahren noch Durchsetzung dem nationalen Recht vergleichbar ausgeprägt sind − ist nicht erforderlich, um das Wesen der Leitsätze angemessen abzubilden. Die Leitsätze sind daher angesichts ihrer Orientierungsfunktion und ihrer verhaltenslenkenden Wirkung, in der sich ihre normativ begründete Einhaltungswahrscheinlichkeit und eine gewisse Verpflichtungswirkung realisiert171, als im internationalen System der Verhaltenssteuerung relevante Normen und damit als Teil der internationalen regulatorischen Ordnung anzusehen.172 Eine genaue Betrachtung der Leitsätze führt daher nach der hier vertretenen Auffassung nicht zu einer Revision des klassischen Völkerrechtsverständnisses. Die bloße Feststellung ihrer Qualität als Nicht-Recht wäre allerdings unbefriedigend und würde ihrem Wesen nicht gerecht werden. Fraglich ist daher, ob die verhaltenslenkende Wirkung der Leitsätze und ihr Wesen als Teil der internationalen regulatorischen Ordnung adäquat abgebildet werden kann. Dies leistet möglicherweise das Konzept des soft law.

II. Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen als soft law Die Untersuchung zur völkerrechtlichen Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen hat ergeben, dass diese weder einer der traditionell anerkannten noch einer neu anzuerkennenden Völkerrechtsquelle entspringen. Ein relatives Normenverständnis im Sinne einer „mehr-oderweniger“ rechtlichen Verbindlichkeit wurde dabei abgelehnt. Zugleich wird es aber dem regulatorischen Gehalt der Leitsätze nicht gerecht, sie ohne weitere Qualifizierung dem Bereich des Nicht-Rechts zuzuordnen. Denn es wurde auch festgestellt, dass die Leitsätze aufgrund bestimmter normativer Kriterien eine verhaltenslenkende Wirkung entfalten und daher Bestandteil der internationalen regulatorischen Ordnung sind. Fraglich ist daher, wie diese Eigenschaft begrifflich abgebildet werden kann. Die gängigste Bezeichnung in der Völkerrechtswissenschaft für weiche Steuerungsinstrumente ist die des soft law.

171  Siehe

oben Teil 2, D.IV. beispielsweise auch Murray, der die OECD-Leitsätze als „transnational regulatory instrument“ bezeichnet, Murray, A New Phase in the Regulation of Multinational Enterprises: The Role of the OECD, 30 (2001) IndLJ, S. 255, S. 269. 172  Vgl.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

1. Verwendung des Begriffs soft law im Völkerrecht Die Prägung des Begriffes soft law im völkerrechtlichen Kontext wird dem früheren Präsidenten des Internationalen Gerichtshofes Lord McNair zugeschrieben.173 Ursprünglich entstammt der Begriff soft law dem amerikanischen Recht und steht in Zusammenhang mit Gesetzgebungsvorschlägen, also Dokumenten, die noch zu „hard law“ werden sollen und sich in dessen Vorstadium befinden. In das Völkerrecht wurde der Terminus laut Döhring transferiert, „um ein Stadium zwischen Recht, wünschbarem Recht und werdendem Recht zu charakterisieren“174. Zunächst ist der Begriff dabei vor allem für die „Beurteilung der Wirkung von nichtbindenden Resolutionen Internationaler Organisationen verwendet worden, führt aber seither ein Eigenleben“175 und „entfaltet lange nach seiner ersten und eher beiläufigen Verwendung eine große Suggestivkraft, ja eine Eigendynamik“176. Gerade für den Bereich des Wirtschaftslebens wird soft law zunehmend diskutiert.177 Folgende Instrumente werden aufgezählt, die trotz einer absichtlich außerrechtlichen Bezeichnung nicht dem ausschließlich politisch oder moralisch bindenden Bereich zugeordnet werden können: Resolutionen Internationaler Organisationen, Aktionsprogramme, Vertragstexte, die noch nicht in Kraft sind oder einen bestimmten Akteur nicht binden, Auslegungserklärungen zu internationalen Verträgen, sogenannte Gentlemen’s Agreements sowie Verhaltenskodizes, Empfehlungen und Berichte, die von internationalen Organisationen oder von internationalen Staatenkonferenzen angenommen wurden; außerdem alle vergleichbaren Instrumente, die in den internationalen Beziehungen genutzt werden, um Übereinkünfte („commitments“) auszudrücken, die über rein politische Bekundungen hinausgehen, aber kein Recht im engeren Sinne sind.178 Auch Verhaltenskodizes für transnationale Unternehmen werden explizit in diesem Zusammenhang genannt.179 173  Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 453; Kolvenbach, Bhopal – Storm over the Multinationals?, ZGR 1 / 86, S. 47, S. 49. 174  Doehring, Völkerrecht, 2. Auflage, Heidelberg, 2004, § 3, Rz. 284. 175  Doehring, Völkerrecht, 2. Auflage, Heidelberg, 2004, § 3, Rz. 284, spricht von einem „Eigenleben, das normativ nebulös erscheint“. 176  Kolvenbach, Bhopal – Storm over the Multinationals?, ZGR 1  /  86, S. 47, S. 49. 177  Siehe aber bereits frühzeitig Seidl-Hohenveldern, International economic „soft law“, RdC 163.2 (1979), S. 165, und Hailbronner, Entwicklungstendenzen des Wirtschaftsvölkerrechts, Konstanz 1983, S. 18 ff. 178  Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 453. 179  Vgl. auch Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 20, Rz. 4.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen377

Die Rolle dieser Instrumente in den internationalen Beziehungen ist vielfältig: „Soft law instruments play several roles at the international level: similar to treaties, they can codify customary international law; they can facilitate the emergence of new customary law principles; consolidate political opinion in relation to a new problem; fill gaps in existing treaties; provide interpretative guides to treaties; give rise to new state practice on a particular issue; and help shape domestic law“180. a) Mögliche Charakteristika von soft law Thürer identifizierte als Wesensmerkmale von soft law folgende Charakteristika: „common expectations concerning the conduct of international relations“, „created by subjects of international law“, „do not stem from a formal source of law and thus lack legal binding force“ und „characterised by a certain proximity to the law and above all by its capacity to produce certain legal effects“181. Bothe beobachtet bei dieser Normenkategorie auffallende Merkmale wie die faktische Wirkung und Befolgung von soft law182, welche gegebenenfalls mittels Durchsetzungsmechanismen gefördert wird183, und ihre mögliche Zugrundelegung in einem Rechtsstreit184. Die Leitsätze sind ohne Zweifel Ausdruck einer gesellschaftlichen Erwartung. Sie sind von den teilnehmenden Staaten angenommen und damit von den klassischen Völkerrechtssubjekten geschaffen worden. Sie entstammen wie gesehen nicht den klassischen Völkerrechtsquellen, tragen aber zur Weiterentwicklung einer hieraus erwachsenden Bindung bei185. Sie entfalten, trotz ihrer erklärten Unverbindlichkeit, eine erhebliche normative Kraft186, wobei dem Umsetzungsmechanismus eine besondere Rolle bei der 180  Atapattu, International Environmental Law and Soft Law: A New Direction or a Contradiction?, S. 207. 181  Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 454. 182  Vgl. z. B. Bothe: „implementation record of binding resolutions only marginally better than non-binding ones“, „practice of providing implementation procedures to non-binding resolutions lends weight to submissions that there is serious expectation of compliance“: Bothe, Legal and Non-Legal Norms – A meaningful distinction in international relations?, NYIL 11(1980), S. 65, S. 85. 183  Vgl. Bothe, Legal and Non-Legal Norms – A meaningful distinction in international relations?, NYIL 11(1980), S. 65, S. 87, nach dem „some of the procedures relating to compliance with non-legal obligations are quite elaborate (e. g. OECD procedures concerning multinational enterprises)“. 184  Dies ist auf Wunsch der Parteien möglich: Bothe, Legal and Non-Legal Norms – A meaningful distinction in international relations?, NYIL 11(1980), S. 65, S. 87. 185  Siehe unten Teil 3, B. 186  Siehe oben Teil 2, D.IV.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

Förderung der faktischen Wirkung und der Befolgung zukommt187. Den Leitsätzen werden daher sowohl praktische Effektivität als auch rechtliche Wirkungen zugesprochen188. Sie wurden gar durch ein UN Expertengremium bei der Feststellung „illegalen“ Verhaltens zugrunde gelegt.189 Damit sind die Leitsätze unzweifelhaft von rein deklaratorischen oder rein moralischen Bekundungen zu unterscheiden und weisen die als Charakteristika von soft law angeführten Eigenschaften auf. Nach den hier aufgestellten Kriterien wären die Leitsätze daher als soft law zu bezeichnen.190 Dies stünde im Einklang mit der oben getroffenen völkerrechtlichen Einordnung der Leitsätze, sofern der Ansicht von Thürer gefolgt wird, nach der unter soft law dem Recht nahestehende Sozialnormen zu verstehen sind191. Allerdings lässt die Bezeichnung soft law nicht nur diese eine Deutung zu und ist in der Völkerrechtswissenschaft auch stark umstritten. b) Mehrdeutigkeit des Begriffes soft law In einer zusammenfassenden Darstellung des Konzeptes soft law in der Encyclopedia of Public International Law bezeichnet Thürer die unter diesen Begriff fallenden Instrumente als „norms in the twilight between law and politics“192. Damit ist das Phänomen sehr anschaulich umrissen: Es 187  Schon die noch rudimentäre „Aufsicht“ durch den früheren CIME veranlasste Thürer zu der Aussage „soft law is sometimes coupled with hard procedures“, Vgl.: Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 455. 188  Baade, The Legal Effects of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, in: Horn, N. (Hrsg.) Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, Den Haag 1980, S. 3, S. 37 f. 189  Das UN-Expertengremium über die illegale Ausbeute von Rohstoffen in der Demokratischen Republik Kongo hat zur Definition des Begriffes „illegal“ die Verletzung von „soft law“ und die Leitsätze mit einbezogen: Report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo, vgl. Letter of the Secretary-General of the United Nations to the President of the Security-Council of 12 April 2001, Ziffer 15 d). 190  So auch beispielsweise bei Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 455 und Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 20, Rz. 4 allgemein in Bezug auf Verhaltenskodizes für transnationale Unternehmen; siehe auch Kolvenbach, Bhopal – Storm over the Multinationals?, ZGR 1 / 86, S. 47, S. 49 und Nowrot, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, Berlin 2009, § 2, Rz. 79. 191  Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 454: „It is more of a catchword to symbolize a specific form of social rules which are close to international law“. 192  Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen379

gibt Normen, die sich in einer „Grauzone zwischen unverbindlicher Proklamation und rechtsverbindlicher Festlegung“ befinden193. Der Begriff soft law hilft aber nicht, diese im Tatsächlichen vorgefundene Grauzone zu durchdringen.194 Er führt vielmehr die Unsicherheit in der Einordnung der Instrumente auf begrifflicher Ebene fort und erlaubt für sich genommen keine eindeutige Zuordnung zum Bereich des Rechts oder des Nicht-Rechts. Denn einerseits suggeriert der Begriffsbestandteil „law“, dass es sich hier um Recht handelt. Andererseits negiert der Begriffsbestandteil „soft“ die wesentliche rechtliche Eigenschaft, nämlich die zwingende Verbindlichkeit der Norm, was gegen eine Zuordnung zum Recht spricht. Mit der Verwendung des Begriffes soft law verbinden sich daher in Abhängigkeit vom jeweiligen Völkerrechtsverständnis äußerst unterschiedliche, denkbare Bedeutungsgehalte. Demnach könnten soft law denklogisch folgende Annahmen zugrunde liegen: 1. Es handelt sich bei diesen Normen um Nicht-Recht, das sich aber von sonstigen Normen des Nicht-Rechts unterscheidet und daher einer besonderen Bezeichnung bedarf; 2. Es handelt sich um Recht, welches aber „weniger verbindlich“ ist und daher einer besonderen Bezeichnung bedarf; 3. Es handelt sich um eine eigenständige Kategorie von Normen, die zwischen den bislang bekannten Bereichen von Recht und Nicht-Recht angesiedelt sind und Merkmale sowohl von Recht als auch von Nicht-Recht aufweisen, wodurch ein fließender Übergang bewirkt wird; 4. Es handelt sich um eine Kategorie von Normen, über deren Zuordnung zu Recht oder Nicht-Recht gegenwärtig keine Einigkeit erzielt werden kann und zu deren Natur daher auch keine weitere Aussage getroffen werden soll. Der Begriff soft law schließt keines dieser Begriffsverständnisse aus. Fraglich ist daher, ob die in Kapitel a) genannten Charakteristika von soft law der herrschenden Meinung entsprechen.

193  Herdegen,

Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 20, Rz. 4. beispielsweise Zemanek, Is the term „soft law“ convenient?, Liber Amicorum Ignaz Seidl-Hohenveldern, 1998, S. 843, S. 856: „soft law appears in quite different forms, many of which defy classification as ‚binding‘ or ‚non-binding‘ categories“. Heusel definiert „weiches Völkerrecht“ als normative Phänomene, deren rechtliche Verbindlichkeit zumindest zweifelhaft oder bestritten ist: Heusel, „Weiches“ Völkerrecht: Eine vergleichende Untersuchung typischer Erscheinungsformen, Baden-Baden 1991, S. 42 f. Vgl. auch Jabloner / Okresek, Theoretische und praktische Anmerkungen zu Phänomenen des „soft law“, ÖstZÖR 34 (1983), S. 217. 194  Vgl.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

c) Meinungsvielfalt in der Völkerrechtswissenschaft In der Völkerrechtswissenschaft besteht gegenwärtig keine Einigkeit darüber, was soft law ist oder auch nur darüber, ob es als eigenständige Normenkategorie anerkannt werden sollte.195 So vertritt Ipsen, wegen der „Gefahr einer Aufweichung der anerkannten Rechtsquellen des Völkerrechts“ sei soft law gänzlich abzulehnen: „Lediglich ideologisch oder politisch motivierte Forderungen“ würden „nicht mehr in gebotener Weise von dem anerkannten Bestand des Völkerrechts unterschieden“; dem Begriff könne „allenfalls Bedeutung für eine ex-post-Betrachtung zukommen (…). Für eine Betrachtung ex ante“ sei er „angesichts seines spekulativen und damit unscharfen Charakters ungeeignet“196. Auch Weil und in jüngerer Zeit vor allem Blutmann widersprechen der Existenz einer solchen Normenkategorie197, andere Autoren halten sie zumindest nicht für wünschenswert198. Ganz überwiegend gilt aber wohl die Auffassung, dass dem Begriff ein „reales Phänomen“199 zugrunde liegt, nämlich „that there are norms that fall short of legal obligations or principles“200, die sich durch bestimmte Kriterien auszeichnen. Uneinigkeit besteht aber darüber, ob diese Normen dem Bereich des Rechts, dem des Nicht-Rechts oder der besagten Grauzone dazwischen zuzuordnen sind.201 So finden sich Aussagen wie soft law sei „simply not law at all“202. Die Auffassung, es handele sich um spezifische Sozialnormen in der Nähe des Rechts203, scheint dem zu entsprechen. Nach diesem Verständnis ist soft law dem Grunde nach „qualifiziertes Nicht-Recht“204. 195  Blutman,

In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, S. 606. Völkerrecht, 5. Auflage, München 2004, § 19, Rz. 22. 197  Weil, Towards relative normativity in international law?, AJIL 77 (1983), S. 413, S. 414 f., Fußnote 7; Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, S. 623 f. Vgl. aber auch Baxter, International Law in ‚Her Infinite Variety‘, ILCQ 29 (1980), S. 549; und Raustiala, Form and Substance in International Agreements, AJIL 99 (2005), S. 581: „There is no such thing as ‚soft law‘ “. 198  Klabbers, The Undesirability of Soft Law, Nordic journal of international law 67 (1998), S. 381. 199  Kolvenbach, Bhopal – Storm over the Multinationals?, ZGR 1  /  86, S. 47, S. 49. 200  Vgl. Atapattu, International Environmental Law and Soft Law: A New Direction or a Contradiction?, S. 204. 201  Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, S. 614. 202  Weil, Towards relative normativity in international law?, AJIL 77 (1983), S. 413, S. 414 f., Fußnote 7. 196  Ipsen,



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen381

Die dem soft law zugerechneten Instrumente können aber auch als „type or variant of law“ betrachtet werden205. Dieser Auffassung scheint Guzman zuzuneigen, wenn er soft law als „legal norms which fall short of the classical definition of law“ ansieht206. Dabei kommt es allerdings auch zu gänzlich anders gemeinten Begriffsverwendungen − etwa dass auch im Wege klassischen Rechts erzeugte Normen „soft“ sein können, zum Beispiel wenn sie weder von den Normverpflichteten noch von den Normberechtigten beachtet werden oder etwa aufgrund ihres zu allgemeinen normativen Gehalts nicht durchsetzbar sind.207 Schließlich könnte ein Teil der Auffassungen als „grey zone theories“ bezeichnet werden, da sie eine abgestufte oder relative Qualität von Normen befürworten, die sie maßgeblich auf die effektive Wirkung der Normen und die von dem Instrument ausgehenden Rechtswirkungen und ähnlicher Aspekte einer „Nähe zum Recht“ stützen208. Diese Befürworter fordern, nicht auf einer Unterscheidung zwischen hartem Recht und anderen Normen zu bestehen209, 203

204

203  So Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 454: „a specific form of social rules which are close to international law“. 204  Eine überzeugende Qualifizierung innerhalb internationaler sozialer Normen sieht Blutman allerdings nicht, weshalb sie das Konzept soft law insgesamt ablehnt, Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, S. 623 f. 205  Ansätze, die sich für eine Erweiterung der anerkannten Rechtsquellen aussprechen, kommen denklogisch zur Einordnung der betrachteten Instrumente als Recht. Allerdings gibt es hier Ansätze, die Rechtsquellenerweiterung mit einem relativen Normenverständnis zu verbinden und die „mehr-oder-weniger“ rechtlichen Normen in einer eigenständigen Kategorie zwischen Recht und Nicht-Recht anzusiedeln, siehe beispielsweise die „adaptiven Rechtsquellen“ nach Arndt, oben A.I.2.b)bb). Die Rechtsschulen des „legal realism“, vgl. insbesondere die US-amerikanische New Haven Schule, die an Stelle des klassischen Völkerrechtsverständnisses von einer generellen internationalen Normativität ausgehen, haben ebenfalls die Zuordnung von soft law Normen zum Recht zur Folge, auch wenn sie diese nicht als eigenständige Normenkategorie ansehen würden. Eine solche Zuordnung wird auch deutlich in einer etwaigen Zusammenfassung „It’s soft, but it’s law“ oder in einem Beschluss des VG Regensburg, Beschluss v. 16. März 1999, RO2E99.142, nach dem soft law ein „völkerrechtliches Rechtsinstitut“ ist. Das Bundesverfassungsgericht nimmt demgegenüber recht vage an, es handele sich um „minder verbindliche Regelungen im Bereich des Völkerrechts“, BVerfGE 72, S. 330, 388. Siehe auch Teil 2, Fußnote 436. 206  Guzman, The Design of International Agreements, 16 (2005) EJIL, S. 579, S. 583, Fußnote 18. 207  Blutman kennzeichnet dieses Verständnis als „soft law II“, Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, S. 606. 208  Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S.  605, S.  613 ff. 209  Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S, 452, S. 456: „The consequence of this perception is to question the established dichotomy between law and non-law (…)“.

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da dies nicht der Rechtsrealität entspreche und „altmodisch“ sei210. Dieser Haltung wird vorgeworfen, sie mache den Fehler „to attribute at all costs some kind of legal nature to these norms in order to explain their regulatory functions“211. Überwiegend scheint aber eine Festlegung zur Frage, welche Positionierung soft law Normen im Koordinatensystem von Recht und Nicht-Recht einnehmen, gar nicht unbedingt gewollt. So stellt Dupuy fest, es sei ein neuer Prozess der Schaffung von Normen entstanden „which jurists feel uncomfortable analyzing“212. Letztlich dürfte die Verwendung des Begriffes soft law daher vielfach erfolgen, eben weil die „rechtliche Zuordnung unklar ist“213. Die „normative Relevanz“, die „Nähe zum Recht“ oder die Rechtswirkungen, die dem soft law zugeschrieben werden bleiben eher diffus. Auch Thürer stellt fest, dass es sich bei soft law eher um ein Schlagwort als um ein klar definiertes Konzept handelt.214 Der Verwendung des Begriffes als solcher kann daher auch nicht zwingend eine spezifische Aussage zur Dichotomie von Recht und Nicht-Recht entnommen werden.215 So wird zwar beobachtet, die Grenze zwischen hard law und soft law scheine zu verschwimmen.216 Eine solche Beobachtung lässt aber nicht zwingend darauf schließen, dass dadurch die Grenze zwischen Recht und Nicht-Recht auch dogmatisch aufgeweicht wird.217 Die Verwendung des Begriffes soft law muss demnach keine Aussage zur Di210  Verweis von Brownlie, der selbst aber vertritt: „the distinction between hard law and soft law should not be completely forgotten“: Brownlie, Legal Effects of Codes of Conduct for Multinational Enterprises: Commentary, in: Horn, N. (Hrsg.) Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, Den Haag 1980, S. 39, S 42. 211  Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, S. 612. 212  Siehe Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, S. 612, die aus Dupuy, Soft Law and International Law, S. 420, zitiert. 213  Nach Herdegen ist die Verwendung des Begriffs „Ausdruck juristischer Verlegenheit“: Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 20, Rz. 4. 214  Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 454. 215  Auch wenn diese Fragen zwingend aufgeworfen werden, vgl. Shelton, Introduction: Law, Non-Law and the Problem of ‚Soft Law‘, in: D. Shelton (Hrsg.), Commitment and Compliance: the Role of Non-Binding Norms in the International Legal System, Oxford 2000, S. 1: „The interaction of these three issues“ – nature of international law, role of legally non-binding norms, compliance with international norms – raises questions about law-making and the boundaries of international law in the modern world.“ 216  Vgl. Schwelb, Neue Etappen der Fortentwicklung des Völkerrechts durch die Vereinten Nationen, AVR 13 (1966 / 1967), S. 1 ff. 217  Auch nach Bothe verbleiben Unterschiede: Bothe, Legal and Non-Legal Norms – A meaningful distinction in international relations?, NYIL 11 (1980), S. 65, S.  93 ff.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen383

chotomie zwischen Recht und Nicht-Recht und einer möglichen normativen Relativität beinhalten, sondern kann auch gerade auf das Phänomen von Normen in der Grauzone zwischen Recht und Nicht-Recht hinweisen, deren genaue Einordnung noch nicht abschließend geklärt ist. Dieser Hinweis zumindest scheint dem überwiegenden Grundgefühl in der Völkerrechtswissenschaft zu entsprechen, die sich regelmäßig des Begriffes soft law bedient. d) Kritik am Begriff soft law Ebenfalls regelmäßig wird dem Begriff soft law aber auch Kritik entgegen gebracht. Dabei werden allerdings überwiegend eher semantische Probleme geltend gemacht, als dass das tatsächliche Phänomen in Frage gestellt würde.218 Wie bereits gesehen lässt der Begriff soft law eine Vielzahl an Deutungen zu. Das Begriffspaar „soft“ und „law“ scheint dabei ein Widerspruch in sich. So wird dem Begriff vorgeworfen widersprüchlich zu sein, eine „semantische Unmöglichkeit“219 oder schlicht ein „Unding“220. Aus juristischer Sicht mache der Begriff ferner keinen Sinn, da eine Norm entweder ein Postulat oder „hartes“ Recht sei.221 Versteht man soft law als qualifiziertes Nicht-Recht, so stellt sich die Frage, warum der Bestandteil „Recht“ in seiner Bezeichnung auftaucht.222 Denn bei einer Definition als „aus juristischer Perspektive rein unverbindlich“ könnte ebenso gut ein Begriff gewählt werden, der die Assoziation einer möglichen Zugehörigkeit zum Recht nicht hervorruft. Dem Begriff soft law wird vor diesem Hintergrund daher auch der Vorwurf gemacht, irreführend zu sein. Darüber hinaus wird geltend gemacht, dass die Bezeichnung nicht nur falsch, sondern auch bedeutungsleer sei, da jede non-legale Norm als soft law beschrieben werden könne.223 218  „The main criticism aimed against soft law seems to be terminological. The phenomenon itself – that there are norms that fall short of legal obligations or principles – is not really contested“: Atapattu, International Environmental Law and Soft Law: A New Direction or a Contradiction?, S. 204. 219  Heusel, „Weiches“ Völkerrecht: Eine vergleichende Untersuchung typischer Erscheinungsformen, Baden-Baden 1991, S. 43. 220  Kolvenbach, Bhopal – Storm over the Multinationals?, ZGR 1 / 86, S. 47, S. 49. 221  Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 456: „Thus, the term „soft law“ does not – legally speaking – make any sense, because a norm is either a postulate or it is hard law in its strict sense.“ 222  So auch Ehricke, „Soft law“ – Aspekte einer neuen Rechtsquelle, NJW 1989, S. 1906, S. 1907. 223  Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, S. 610.

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Jedenfalls sind die mit dem soft law aufgeworfenen Fragestellungen sehr grundlegend, weshalb es aus rechtstheoretischer Perspektive auch als „troublemaker“ empfunden wird.224 Angesichts des letztlich noch nicht abschließend geklärten Bedeutungsgehaltes des Begriffes soft law wird seine Verwendung auch als „Ausdruck juristischer Verlegenheit in der Zuordnung dieser Instrumente“225 oder als „normativ nebulös“226 bezeichnet. Die Wahl des Begriffes könnte daher auch darin begründet liegen, dass die Zeit für eine abschließende Auseinandersetzung mit den dahinterliegenden Fragestellungen bislang noch nicht reif war, denn: „Les terminologies obscures sont toujours un signe certain de la non maturité scientifique de la branche dont il s’agit“227. Einige aktuelle Veröffentlichungen wagen erneut eine solche Auseinandersetzung, so dass die Diskussion hierzu nicht abgeschlossen ist, sondern möglicherweise gegenwärtig gar einen neuen Schub bekommt.228 e) Vorteile des Begriffes soft law Neben der dargestellten Kritik am Begriff soft law sind aber auch dessen Vorteile hervorzuheben. Denn er erlaubt eine erste, durchaus hilfreiche Charakterisierung der Ambivalenz der so bezeichneten Instrumente. Er erlaubt zudem, ein Phänomen trotz der zugrunde liegenden Meinungsunterschiede zu dessen Einordnung mit einem einzigen Begriff zu belegen. Der Begriff in seiner Vieldeutigkeit erfordert zudem keine endgültige Festlegung zu den Fragen, die dieses Phänomen auf das Verständnis von Recht, seinen Rechtsquellen und der möglichen relativen Bindungswirkung von Normen hat. Damit gestattet der Begriff, ein Problem zu benennen, ohne es zugleich lösen zu müssen. Dies mag einer der Gründe für die Erfolgsgeschichte dieses Begriffes sein. Zudem erlaubt der Begriff die schnelle Assoziierung 224  Atapattu zitiert hier Dupuy verweist aber zugleich darauf, dass der Einfluss der Normen in der Praxis „much more positive“ sei, Atapattu, International Environmental Law and Soft Law: A New Direction or a Contradiction?, S. 211. 225  Herdegen, Völkerrecht, 11 Auflage, München 2012, § 20, Rz. 4. 226  Doehring, Völkerrecht, 2. Auflage, Heidelberg, 2004, § 3, Rz. 284. 227  Kraus, La morale internationale, RdC 16 (1927 I), S. 384, S. 392. 228  Zu diesen aktuellen Auseinandersetzungen siehe beispielsweise Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Baden-Baden 2011 und Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, die zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen: Während Arndt Rechtsquellencharakter zubilligen möchte, verneint Blutman nicht nur die Rechtsqualität, sondern auch die Unterscheidbarkeit von sonstigen Sozialnormen.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen385

der wesentlichen Eigenschaften der hier betrachteten Normen. Schließlich ist er eingängig und konnte von verschiedensten Sprachkreisen leicht aufgegriffen werden. Solange daher eine Festlegung zum tatsächlichen Wesen dieser Instrumente nicht möglich oder nicht gewollt ist, bietet der Begriff soft law unbestreitbare Vorteile. f) Ergebnis Das Phänomen soft law berührt grundlegende Fragen der Völkerrechtswissenschaft, zu denen heute keine einhellige Meinung besteht. Es kann jedoch festgehalten werden, dass es Normen gibt, die im klassisch-rechtlichen Sinne keine Rechtsnormen sind, sich aber zugleich von (sonstigen) Normen des Nicht-Rechts unterscheiden. Keine Festlegung ist mit dem Begriff soft law hinsichtlich deren Einordnung als (modernes) Recht, NichtRecht oder Zwischenkategorie getroffen, weshalb seine Verwendung sinnvoll ist, solange eine solche Festlegung vermieden werden soll oder nicht möglich ist. Der Erfolg des Begriffs soft law erklärt sich auch aus genau dieser Offenheit angesichts eines Phänomens, das die dem juristischen Denken üb­ licherweise zugrunde liegende strikte Dichotomie von Recht und NichtRecht herausfordert und daher aus juristischer Perspektive zunächst verunsichert. Konsequenz, so Knauff, sei ein „erhebliches Forschungs- und Theoriedefizit“ in dessen Folge „das Zusammenwirken von Recht und Soft Law juristisch kaum durchdrungen“ sei.229 Er plädiert daher dafür, diese Grenzbereiche des Normativen auch aus Sicht der Rechtswissenschaft in den Blick zu nehmen, wolle sich diese nicht „aus dem regelungsbezogenen interdisziplinären Diskurs zurückziehen“230. Wenn allerdings ein Bekenntnis zur Rechtsnatur der fraglichen Instrumente getroffen werden kann, so scheint die geltend gemachte Kritik zu überwiegen und sollte eine Überprüfung der Begrifflichkeit gewagt werden.231 Für die Leitsätze wurde im vorangegangenen Kapitel I. eine rechtliche Einordnung vorgenommen, die dem möglichen Verständnis von soft law als „spezifische Sozialnormen in der Nähe von Recht“ entspricht. Sie werden 229  Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen 2010, S. 17 f. 230  Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen 2010, S. 19. 231  Anderenfalls wäre der Vorwurf gerechtfertigt, die Unterschiedlichkeit in der Natur der Normen würde unnötig verwässert.

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also zu Recht als soft law bezeichnet. Zugleich ist nach diesem Normenverständnis der Begriff soft law tatsächlich irreführend, so dass sich die Frage nach einer begrifflichen Alternative stellt. 2. Mögliche begriffliche Alternativen Geht man von einer absoluten Dichotomie zwischen Recht und NichtRecht aus, so ist nach den obigen Feststellungen die Einordnung der Leitsätze als soft law zutreffend, wenn man diesen Begriff als Beschreibung einer außerrechtlichen Norm versteht, die sich aufgrund einiger besonderer Charakteristika in der Nähe zum Recht befindet. Indes, so wurde festgestellt, muss der Begriff soft law so nicht verstanden werden. Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, eine andere Bezeichnung zu entwickeln und die wesentlichen Charakteristika der so verstandenen Normenkategorie aufzuzeigen. a) Aufbrechen der einheitlichen Kategorie soft law Wie gesehen werden heute sehr unterschiedliche Instrumente unter dem Begriff des soft law vereint.232 Mit den Worten von Baxter: „soft law appears in an ‚infinite variety‘ of forms“233. Bei einem ersten Blick fallen dabei drei wesentliche Untergruppen auf: von Staaten an Staaten gerichtete Instrumente (beispielsweise Resolutionen der UN Generalversammlung), von Staaten an Private gerichtete Instrumente (OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen) und Instrumente, die von Privaten an Private gerichtet sind (beispielsweise Deutscher Corporate Governance Kodex). In der Literatur wird auch unterschieden zwischen Entscheidungen Internationaler Organisationen, gemeinsamen Entscheidungen von Staaten sowie Empfehlungen von Nichtregierungsorganisationen.234 In die Kategorie der gemeinsamen Entscheidungen von Staaten zählen Deklarationen wie die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. 232  Zemanek, Is the term „soft law“ convenient?, Liber Amicorum Ignaz SeidlHohenveldern, 1988, S. 843, S. 856. So unterscheidet etwa Shelton „primary“ und „secondary soft law instruments“, Shelton, Introduction: Law, Non-Law and the Problem of ‚Soft Law‘, in: D. Shelton (Hrsg.), Commitment and Compliance: the Role of Non-Binding Norms in the International Legal System, Oxford 2000, S. 1, und Raustiala zwei Arten von „soft law agreements“, Raustiala, Form and Substance in International Agreements, AJIL 99 (2005), S. 581. 233  Baxter, International Law in ‚Her Infinite Variety‘, ICLQ 29 (1980), S. 549. 234  Blutman, In the Trap of a Legal Metaphore, ICLQ 59 (2010), S. 605, S. 607 m. w. N.



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Eine Gesamtauseinandersetzung mit allen soft law-Instrumenten würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Die Unterschiedlichkeit der unter diesem Begriff zusammengefassten Instrumente legt aber nahe, dass nicht ein einziger Begriff das facettenreiche Schlagwort soft law wird ersetzen können. Für die hiesige Fragestellung ist ausreichend zu hinterfragen, ob es einen Begriff gibt, der das Wesen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen treffend wiederzugeben vermag, wenn auf die Bezeichnung als soft law verzichtet werden soll. b) Anforderungen an den Begriff Will man auf die Verwendung des Begriffes soft law verzichten, so bedarf es eines Ersatzbegriffes. Denkbar sind Ersatzbegriffe, die eine geringere Gefahr einer Irreführung in sich bergen als der Terminus soft law. Dies trifft etwa zu auf die Begriffe „weiches Steuerungsinstrument“ oder „atypisches Regelungsinstrument“. Im Grunde sind diese Begriffe aber neutral und lassen offen, ob es sich um ein dem Recht zuzuordnendes Regelungsinstrument handelt. Denn ein „atypisches“ Instrument ist nicht zwingend ein „wesensungleiches“ Instrument. Nach der hier vertretenen Auffassung sollte der Begriff verdeutlichen, dass es sich nicht um eine rechtliche Norm handelt, zugleich aber eine Unterscheidung von sonstigem Nicht-Recht ermöglichen. In der Literatur werden unterschiedlichste Begriffe genutzt, um Normen zu bezeichnen, die sich jenseits der klassischen Rechtsquellen befinden. Darunter beispielsweise der Begriff der non-legalen Norm oder der außerrechtlichen Norm, die allerdings lediglich eine Abgrenzung zum Bereich des Rechts ermöglichen, nicht aber innerhalb der Kategorie der außerrechtlichen Normen. Dem Bereich des nationalen Rechts entstammt die Bezeichnung als „Normen mit gesetzesgleicher Wirkung“235. Diese Bezeichnung scheint das Wesen und die Eigenschaften von zumindest einigen soft law Normen gut zu umreißen, wenn auch auf der völkerrechtlichen Ebene schwer von „Gesetzen“ gesprochen werden könnte. Daher sei hier der Vorschlag gemacht, diese als „völkerrechtsähnliche Normen“ zu bezeichnen236. 235  Siehe Möllers, Geltung und Faktizität von Standards, S. 145, Fußnote 8 m. w. N. 236  Zu übersetzen wäre dies etwa mit „norms comparable to international law“ (kurz: comparable norms) bzw. „normes comparables au droit international“ (normes comparables).

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Auf den Aspekt der Ähnlichkeit stellt auch Ehricke ab, wenn er soft law umschreibt als „die einer rechtlichen Bindung ähnlich wirkende Anbindung eines Rechtssubjekts an eine Norm, die von ihm mitgeschaffen oder unterstützt wurde, die aber tatsächlich keine rechtlich verbindliche Wirkung besitzt“237. Der Begriff der völkerrechtsähnlichen Norm vermittelt die wesentlichen Eigenschaften des betreffenden Instrumentes, denn die Ähnlichkeit einer Norm zum Völkerrecht schließt begrifflich aus, dass sie selber ein Teil des Völkerrechts ist. Der Begriff der Rechtsähnlichkeit deutet zudem an, dass die Regelung in wesentlichen Punkten − wie etwa hinsichtlich Autorität und Legitimität − einer rechtlichen Regelung nahezu gleichkommt. Dabei bleibt ein hierarchisches Verhältnis insofern gewahrt, als eine rechtsähnliche Norm inhaltlich keinen Geltungsvorrang vor einer entgegenstehenden rechtlichen Norm beanspruchen kann. Zugleich ist mit diesem Begriff angedeutet, dass das Instrument Orientierungsmaßstab für das Verhalten der Normadressaten ist und eine verhaltenssteuernde Wirkung entfaltet, unterstützt durch Maßnahmen der Einhaltungsgewähr, wenn auch nicht mittels Zwang einer zentralen Durchsetzungsgewalt. Und es ist ausgedrückt, dass die in der Norm niedergelegten gesellschaftlichen Erwartungen über die Anwendung der Norm hinaus Berücksichtigung finden, etwa bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe. Alternative Bezeichnungen, die auf den Begriffsbestandteil „law“ aus soft law verzichten, um dem Vorwurf der Irreführung zu entgehen, aber an der Bezeichnung „soft“ festhalten − wie zum Beispiel „soft regulation“ oder „soft control“238 − erfüllen diese Funktionen weniger gut. Sie haben allerdings den großen Vorteil, dass sie die Art der Durchsetzungskontrolle anklingen lassen, die bei den Leitsätzen eher auf Dialog und Kooperation und das Setzen positiver Anreize ausgerichtet ist als auf strikte Durchsetzung. Weitere Anforderungen, die ein Ersatzbegriff erfüllen muss, sind die der Prägnanz und Eingängigkeit. Die Qualifikation als „völkerrechtsähnliche Norm“ könnte diese Anforderungen erfüllen und soll daher am Beispiel der Leitsätze überprüft werden.

237  Ehricke, „Soft law“ – Aspekte einer neuen Rechtsquelle, NJW 1989, S. 1906, S. 1907. 238  Begriffe von Mörth, die sich allerdings gegen eine Ersetzung des Begriffs soft law ausspricht, Mörth, Soft law and New Modes of EU Governance – A Democratic Problem?, 2005, S. 4. abrufbar unter www.mzes.uni-mannheim.de / projekte /  typo3 / site / fileadmin / research groups / 6 / Papers_SoftMode / Moerth.pdf.



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c) Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen als „völkerrechtsähnliche Norm“? In Übereinstimmung mit den soeben angestellten Erwägungen erfolgt hier der Vorschlag, von den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen als völkerrechtsähnliche Normen zu sprechen. aa) Charakteristika völkerrechtsähnlicher Normen Eine solche völkerrechtsähnliche Norm muss sich durch einige Charakteristika auszeichnen, die sie von sonstigen „lediglich“ sozialen Normen unterscheidet und sie einer rechtlichen Regelung sehr ähnlich macht.239 Im Folgenden sollen diese Charakeristika entwickelt und die Übereinstimmung der Leitsätze mit ihnen überprüft werden. (1) Konkretisierung gesellschaftlicher Erwartungen Erstes wesentliches Merkmal ist ein hoher Grad an Konkretisierung gesellschaftlicher Erwartungen und der einhergehenden Verhaltensanforderungen, und zwar üblicherweise mittels Schriftform. Während eine Vielzahl ungeschriebener Verhaltensmaximen existieren, die das soziale Leben regeln, sind diese nicht in vergleichbarem Maße konkretisiert. Zwar werden auch auf diese „Sitten und Gebräuche“ zum Beispiel bei der Rechtsanwendung Bezug genommen, etwa bei der Bestimmung der guten Sitten nach § 138 BGB. Durch die fehlende Schriftform besteht diesbezüglich aber keine Veranlassung, sie darüber hinaus in die Nähe des Rechtsraumes einzuordnen. Ihre rechtliche Unverbindlichkeit ist unzweifelhaft. Zwar wird demgegenüber eine soziale Norm nicht dadurch zu einer Rechtsnorm, dass sie in Schriftform gegossen wird. Die für die schriftliche Abfassung erforderliche Auseinandersetzung betroffener Parteien mit den genauen Inhalten, die Verhandlung und Herauskristallisation des gemeinsamen Nenners durch die Festlegung von Formulierungen sowie die im wahrsten Sinne des Wortes „Förmlichkeit“ der gesellschaftlichen Erwartungen verleiht der Norm aber einen höheren und dauerhafteren Grad der Orientierung und Nachprüfbarkeit. Die äußerliche Ähnlichkeit beispielsweise zu einem Vertrag rückt eine solche Sozialnorm in größere Nähe zum Recht als dies üblicherweise für Sozialnormen der Fall ist. 239  Zur Rolle normativer Merkmale für die Abgrenzung von Normentypen untereinander siehe auch Kreuzbauer, Die Norm im Völkerrecht, Eine rechtsphilosophische und rechtstheoretische Untersuchung, Münster, 2006, S. 216 ff.

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Im Gegenzug bedarf es dabei keines Rechtsbindungswillens, der zum Beispiel durch die Bezeichnung des Dokumentes ausgedrückt wird. Denn dies würde die Norm in den Kreis des Rechts verweisen. Die Leitsätze stellen eine solche schriftliche Fixierung gesellschaftlicher Erwartungen in einem nicht von Rechtsbindungswillen getragenem Dokument dar. (2) Legitimitätsstiftendes Normgebungsverfahren Für die Anerkennung der Rechtsähnlichkeit einer Norm ist eine gewisse Legitimität ihres Zustandekommens erforderlich. Dabei ist nach völkerrechtlichen Maßstäben eine demokratische Legitimation im engeren Sinne, die eine parlamentarische Entscheidung erforderlich machen würde, nicht zwingend.240 Wenn gesellschaftliche Erwartungen aber durch schriftliche Ausarbeitung konkretisiert werden und sich nicht ausschließlich auf die verhandelnden Staaten beziehen, ist eine demokratische Legitimation sicherzustellen, die die Anerkennung der Norm als Ausdruck gemeinsamer gesellschaftlicher Erwartungen erlaubt. In der Regel erfolgt dies durch Einbeziehung von Interessensvertretern, deren Stellungnahmen teils auch einen erheblichen Einfluss auf konkrete Ausgestaltungen haben. Zwar ist die demokratische Legitimation von Interessensvertretern insoweit problematisch, als es sich gerade nicht um vom Volk gewählte Vertreter handelt. Andererseits handelt es sich um teils hochspezialisierte Experten241 und kann eine entsprechend umfassende, nicht selektive Anhörung der Fürsprecher unterschiedlicher Interessen eine Spiegelung der gesamtgesellschaftlich relevanten Erwägungen ermöglichen. Die Abfassung in einem legitimitätsstiftenden Verfahren untermauert damit die normative Relevanz der so zustande gekommenen Normen und rechtfertigt ihre Abgrenzung von sonstigen Sozialnormen. Bei der Abfassung der Leitsätze beziehungsweise bei den nachfolgenden Überarbeitungen wurden Interessensvertreter, andere Internationale Organisationen und Experten gehört und die Anregungen sind in den Text eingeflossen.242 Spätestens bei der Überarbeitung 2011 bestand dabei zwischen den Interessensvertretern kein tiefer Graben mehr. Stattdessen liegt den Leitsätzen ein breiter Konsens über die gesellschaftlichen Erwartungen zugrunde und ist das Ergebnis als von den Beteiligten im Wesentlichen aner240  Siehe 241  Was

ruft.

242  Siehe

oben A.I.3.c)bb). allerdings wiederrum den Vorwurf einer „Expertenherrschaft“ hervoroben Teil 2, A.



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kannt oder zugestanden zu bewerten.243 Damit spiegeln die Leitsätze „die Erwartungen an ein angemessenes Unternehmensverhalten durch die Teilnehmerstaaten, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter sowie NROs wider“244. Sie erfüllen damit die Legitimitätserwartungen, die heute an völkerrechtsähnliche Normen zu stellen sind. (3) Völkerrechtssubjektivität der Normgeber Als völkerrechtsähnliche Normen können ferner diejenigen „normativen Phänomene zwischen Völkerrechtssubjekten“ bezeichnet werden, die „rechtlich nicht verbindlich sind oder deren rechtliche Verbindlichkeit zumindest zweifelhaft ist“, die aber „Bestandteil des Völkerrechts wären, (…) wenn sie unbestritten echte Rechtsregeln darstellten“.245 Die Leitsätze sind Bestandteil einer Deklaration von Staaten, den originären Völkerrechtssubjekten. Dies verleiht ihnen eine besondere Autorität, die es zusätzlich rechtfertigt, von ihrer Völkerrechtsähnlichkeit zu sprechen. (4) Verhaltenslenkende Wirkung Eine Rechtsähnlichkeit kann einer Norm zudem nur dann zugeschrieben werden, wenn eine hinreichend große Wahrscheinlichkeit auf ihre Einhaltung besteht.246 Bei einer Rechtsnorm im nationalen Recht geht man von einer sehr großen Wahrscheinlichkeit der Befolgung aufgrund der zwangsweisen Durchsetzungsmöglichkeiten aus, bei völkerrechtlichen Normen aufgrund der horizontalen247 und immanenten248 Einhaltungsanreize. 243  Vgl. Stellungnahmen von BIAC, TUAC und OECD Watch im Rahmen der Überarbeitung in 2011. 244  Hardeck, Die Empfehlungen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Bereich der Besteuerung, IStR 2011, S. 933, S. 936. 245  Hiermit wird eine Definition von Heusel zum „weichen“ Völkerrecht aufgegriffen: Heusel, „Weiches“ Völkerrecht: Eine vergleichende Untersuchung typischer Erscheinungsformen, Baden-Baden 1991, S. 42. 246  Anders als eine Rechtsnorm, die ihren Charakter nach gesetzespositivistischer Auffassung bereits aufgrund der Form erhält, bedarf es daher zur Begründung der Zugehörigkeit in diese Normenkategorie eines Mindestmaßes an Befolgung und damit empirischer Elemente, siehe die nachfolgenden Erläuterungen. 247  Diese folgen aus den nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit vorgesehenen Möglichkeiten von Retorsion und Repressalie. 248  Beispielsweise aus dem Interesse an der Stabilität der internationalen Beziehungen, angesichts der Gefahr von Reputationsverlusten und angesichts eines „compliance pull“ durch die Legitimität der Normen.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

Eine Ähnlichkeit mit dem Völkerrecht setzt daher zumindest die Wahrscheinlichkeit einer Einhaltung und damit einer verhaltenslenkenden Wirkung voraus. Diese Wahrscheinlichkeit ergibt sich aus der Autorität der normgebenden Institutionen sowie der Legitimität der Norm und ihrer Anerkennung durch die Normadressaten.249 Sie wird gegebenenfalls verstärkt durch die sogenannten „Rechtswirkungen“250. Die Einhaltungswahrscheinlichkeit folgt damit aus einer legitimierten und autorisierten Einhaltungserwartung, die zugleich eine gewisse Verpflichtungswirkung begründet. Wird die tatsächliche Einhaltung (empirisch) nachgewiesen, so bestätigt dies die soeben dargelegten normativen Eigenschaften. Aus der Einhaltungswahrscheinlichkeit wird eine Einhaltungssicherheit. Zur Begründung der Rechtsähnlichkeit der sozialen Norm ist der Nachweis einer absoluten Einhaltungssicherheit aber nicht erforderlich. Im Gegenzug hindert es auch nicht zwingend die Rechtsähnlichkeit der Norm, wenn eine teilweise Nichteinhaltung der Norm empirisch nachgewiesen werden kann. Denn auch Rechtsnormen finden nicht immer Beachtung. Allerdings dürfte es die Völkerrechtsähnlichkeit der Norm berühren, wenn die Norm den jeweiligen Adressaten überhaupt nicht bekannt ist oder diese offensichtlich keinerlei Orientierung an der Norm beabsichtigen, diese also praktisch gänzlich irrelevant wäre. Denn ein solcher Befund würde die angenommene Einhaltungswahrscheinlichkeit widerlegen und die Bedeutung der Norm als relevantes Instrument zur Regulierung von Verhalten negieren. Die Leitsätze wurden im Rahmen einer internationalen Organisation ausgehandelt und besitzen als von Regierungen getragenes Instrument eine hohe Autorität. Die Normadressaten und die betroffenen Interessensvertreter wurden wie gesehen in den Entstehungs- beziehungsweise Überarbeitungsprozess der Leitsätze umfänglich einbezogen und haben die Verhandlungsergebnisse im Wesentlichen akzeptiert. Es wurden folglich gesellschaftliche Erwartungen in einem legitimitätsstiftenden Normgebungsverfahren von Völkerrechtssubjekten konkretisiert. Die daraus folgende Einhaltungswahrscheinlichkeit wird durch das Umsetzungsverfahren maßgeblich verstärkt, weshalb sich die Leitsätze in besonderem Maße von sonstigen Sozialnormen abheben. Die Leitsätze können demnach als „völkerrechtsähnliche Norm“ bezeichnet werden.

249  Anders als bei Primärnormen oder bei Sekundärnormen, die an Staaten gerichtet sind, müssen also nicht nur die für die Entstehung der Norm zuständigen Staaten ihren Inhalt im Wesentlichen anerkannt haben. Es müssen auch die der Norm unterworfenen nichtstaatlichen Akteure den Inhalt im Wesentlichen akzeptieren. 250  Zu diesen Wirkungen siehe oben Teil 2, D.II.



A. Einordnung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen393

bb) Folgen der Einordnung eines Instrumentes als „völkerrechtsähnliche Norm“ Wesen einer völkerrechtsähnlichen Norm ist, dass keine Zweifel mehr über das Bestehen konkretisierter gesellschaftlicher Erwartungen für den betreffenden Regelungsbereich bestehen. Folge ist die Berücksichtigung dieser Norm bei der Auslegung von Rechtsnormen, die auf gesellschaftlichen Erwartungen basieren (beispielsweise §§ 138, 242 BGB), sowie eine Katalysatorfunktion für die Entstehung von völkerrechtlichen Normen. Diese Folgen führen aber nicht dazu, dass die Norm selber dem Kreis des Rechts zuzuordnen wäre. Es sind Folgen, die sich in logischer Weise aus der Rechtsähnlichkeit der Norm ergeben, nicht aber die Natur der Norm und insbesondere nicht den (noch) fehlenden Rechtsbindungswillen abändern. Die verhaltenslenkende Wirkung, die von diesen Instrumenten zumindest im Sinne einer relevanten Orientierungsgröße ausgeht, ist daher nicht einer rechtlichen Bindungswirkung gleichzusetzen. Es bedarf auch keiner (beweglichen oder graduellen) Erweiterung der Rechtsquellenlehre oder des Rechtsbegriffes zur Abbildung der Steuerungswirkung dieser Normen, da der Geltungsgrund ihrer Wirkung im sozial-ethischen Bereich zu sehen ist. Die so verankerten Normen können eine ebenso große Effizienz erreichen, ohne dass es der Bezeichnung als Recht bedürfte. Völkerrechtsähnliche Normen könnten aber gegebenenfalls als Rechtserkenntnisquelle im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. d) IGH-Statut analog dienen. Vor allem bestätigt die Qualifikation der Leitsätze als völkerrechtsähnliche Norm, dass sie ein relevanter Teil der internationalen regulatorischen Ordnung sind.251 Die Figur der „völkerrechtsähnlichen Norm“ erlaubt dabei, die Effektivität einer außerrechtlichen Norm bei deren Einordnung einfließen zu lassen, ohne dass dies zu einer dogmatischen Verwischung der Grenzen von Recht und Nicht-Recht führen würde. cc) Folgen für das Konzept des soft law Mit dem Vorschlag des Begriffes der völkerrechtsähnlichen Normen wird das Konzept des soft law aufgebrochen. Teilweise mag der Verwendung des Begriffes soft law ein Verständnis zugrunde liegen, das der hier vorgestellten Figur der völkerrechtsähnlichen Norm vergleichbar ist. Wie gesehen besteht aber keine einheitliche Sichtweise über den genauen Charakter der mit soft law bezeichneten Instrumente. Auch werden unter diesem Begriff sehr unterschiedliche Instrumente zusammen gefasst. Im Rahmen dieser 251  Zu

dieser Einordnung siehe bereits oben A.I.3.c)cc) und 4.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

Arbeit konnte nur eine Betrachtunng der Leitsätze erfolgen. Ob andere der als soft law bezeichneten Instrumente ebenfalls aus diesem Konzept herausgelöst und begrifflich präzisiert werden können, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Konsequenzen, vermag nicht Gegenstand der hiesigen Betrachtung zu sein. Das Konzept soft law hat demnach Bestand, könnte aber nach und nach auf einen Prüfstand zu stellen sein. dd) Zusammenfassung Für die Leitsätze wurde hier der Vorschlag gemacht, sie als „völkerrechtsähnliche Normen“ zu bezeichnen. Folgende Wesensmerkmale völkerrechtsähnlicher Normen wurden dabei herausgearbeitet: (1) Konkretisierungsgrad der formulierten gesellschaftlichen Erwartung, (2) Legitimation, (3) Völkerrechtssubjektivität der Normgeber und (4) eine nicht unerhebliche verhaltenssteuernde Wirkung. Letztere braucht nicht den Grad einer Bindungswirkung erlangen, die der einer rechtlichen Norm gleichkäme. Es bedarf aber einer gewissen Effektivität und Relevanz. Mit diesem Kriterium wird verhindert, dass Instrumente zum Kreis der völkerrechtsähnlichen Normen gezählt werden, die in der Praxis keine oder nur wenig Beachtung finden. Anders als bei einem rechtsförmlichen Instrument wie dem Völkervertragsrecht bedarf es also gewisser empirischer Elemente. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es gerade die Effektivität gewisser außerrechtlicher Normen ist, die die Grenze zwischen Recht und Nicht-Recht verschwimmen zu lassen scheint und eine Rechtsähnlichkeit erkennbar werden lässt. Das Erreichen einer faktischen Bindungswirkung, die der Verpflichtungswirkung einer rechtlichen Norm im Ergebnis gleich kommt, führt aber nicht dazu, dass die völkerrechtsähnliche Norm sich zu einer rechtlichen Norm wandelt. Der verbleibende Unterschied zu einer rechtlichen Norm besteht in der Wahl der jeweiligen Form und darin, dass ihrer Wirkung ein anderer Geltungsgrund zugrunde liegt.252 Dass aus einer solchen völkerrechtsähnlichen Norm bei entsprechender Anwendung und Überzeugung auch relativ schnell Völkergewohnheitsrecht werden kann, liegt nahe. Denn durch die Rechtsähnlichkeit bedarf es keines großen Transferaufwandes. Entscheidend ist aber der Wechsel im Bindungswillen der Beteiligten. Gleiches gilt für die Umwandlung in einen völkerrechtlichen Vertrag. Der Stand dieser Entwicklungen in der Praxis ist Gegenstand des nun folgenden Abschnittes B. 252  Siehe

oben A.I.3.a)aa).



B. Beitrag der OECD-Leitsätze zur Bindung von Unternehmen395

B. Der Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zur völkerrechtlichen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte Nachdem festgestellt wurde, dass die Leitsätze nicht den klassischen Quellen des Völkerrechts zuzuordnen sind und keine Anpassung des traditionellen Völkerrechtsverständnisses erfordern, soll nunmehr untersucht werden, welchen Beitrag sie zu einer klassisch-völkerrechtlichen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte bewirken. Denn ihre Einordnung als völkerrechtsähnliche Norm253 schließt eine solche Wechselwirkung keineswegs aus, sondern legt diese im Gegenteil nahe. Ein Beitrag der Leitsätze zur Entwicklung klassischen Völkerrechts ist dabei grundsätzlich im Hinblick auf alle drei Rechtsquellen des Art. 38 IGHStatut denkbar. Allerdings ist eher unwahrscheinlich, dass die Bindung multinationaler Unternehmen in Form allgemeiner Rechtsgrundsätze i. S. v. Art. 38 IGH-Statut erfolgt. Es handelt sich hier um Rechtssätze, die in den meisten nationalen Rechtsordnungen enthalten sind und daher den Richtern des IGH als Leitschnur bei ihren Entscheidungen dienen können. Die grundlegenden Inhalte der Leitsätze müssten daher Bestandteil der nationalen Rechtsordnungen sein, bevor sie in Form allgemeiner Rechtsgrundsätze völkerrechtliche Geltung erlangen könnten. Angesichts der derzeit sehr divergenten Ausgestaltungen der nationalen Rechtsordnungen scheint dies ein unwahrscheinlicher Umweg.254 Im Fokus der folgenden Darstellung stehen daher die Wechselwirkungen der Leitsätze mit völkerrechtlichem Vertragsrecht und ihr Beitrag zur Entstehung einer völkergewohnheitsrechtlichen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte.

253  Siehe

oben A.II.2.c). gilt auch angesichts der geforderten Anpassungen nationalen Rechts zur besseren Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (vgl. Teil 1, Fußnote 685). Diese beziehen sich nicht auf die Einführung einer direkten rechtlichen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte, sondern auf die Kohärenz vorhandener Regelungen im Umfeld dieser Thematik. Zur staatlichen Selbstbindung zugunsten einer bestimmten Ausgestaltung des nationalen Rechts siehe auch nachfolgend B.I.1. 254  Dies

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

I. Beitrag zur Weiterentwicklung völkervertragsrechtlicher Regelungen 1. Schaffung neuer vertragsrechtlicher Regelungen Unzweifelhaft stellen die ausdrücklich als Empfehlungen bezeichneten Leitsätze keinen völkerrechtlichen Vertrag dar. Der Hauptgrund für den Empfehlungscharakter der Leitsätze ist dabei politischer, nicht rechtstheoretischer Natur. Der politische Wille, rechtsverbindliche Pflichten von Unternehmen in Bezug auf Menschenrechte in einem vertraglichen Dokument zu statuieren, ist bislang nicht gegeben. Würden sich die Rahmenbedingungen ändern und eine solche Regelung angestrebt werden, so würden die Leitsätze einen entscheidenden Beitrag bei der Abfassung eines solchen Dokumentes leisten können. Denn mit ihnen besteht ein zwischen Staaten und unter Einbeziehung der Interessensgruppen konsentiertes, in sich geschlossenes und erprobtes System mit im Wesentlichen ausformulierten Merkmalen, das daher gewissermaßen „über Nacht“ in Vertragsform gegossen werden könnte.255 Monate- oder jahrelange Verhandlungen über Grundsatzfragen zur Ausgestaltung der Verhaltensanforderungen wären nicht mehr erforderlich, da wichtige konzeptionelle Fragen bereits im Rahmen der Leitsätze geklärt wurden. Diese haben damit eine Beschleunigungs- oder Katalysatorfunktion und stellen gewissermaßen Vertragsrecht auf Abruf dar.256 Hindernis bei der Realisierung eines solchen Szenarios ist allerdings, dass die Unternehmen nicht Vertragspartner, sondern lediglich Adressaten der vertraglichen Verpflichtungen wären. Dies bereitet aus rechtstheoretischer Sicht zwar keine Probleme mehr, da die Möglichkeit einer partiellen Völkerrechtssubjektivität inzwischen anerkannt ist.257 Aus politischer Sicht würde es jedoch einen großen Schritt bedeuten, ein solches neues Instrumentarium zu schaffen. Ein Beispiel für die stufenweise Entwicklung im Rahmen der OECD von zunächst sehr weitreichend scheinenden Aspirationen über konkrete Emp255  Dem könnte entgegenstehen, dass der dort gefundene Konsens gerade nur im Rahmen eines unverbindlichen Regelwerkes möglich war. Die Änderung des politischen Kontextes muss daher schon erheblich sein, um eine Übertragung dieses Systems in eine vertragliche Form zu ermöglichen. In der Praxis sind es meist dramatische Ereignisse, die einen Meinungsumschwung bewirken, vgl. zum Beispiel die Katastrophe im Chemiewerk in Bhopal, Indien; hierzu Kolvenbach, Bhopal – Storm over the Multinationals?, ZGR 1 / 86, S. 47; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 9. Auflage, München 2011, § 4, Rz. 65. 256  Vgl. auch Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 71: „soft law initiatives are a way of testing attitudes and the strength of a consensus“, zum Beispiel wenn die Verhandlung eines Vertrages „premature“ ist. Sie können Grundlage für spätere „hard law treaty obligations“ sein. 257  Siehe oben Teil 1, C.I.3.



B. Beitrag der OECD-Leitsätze zur Bindung von Unternehmen397

fehlungen bis hin zu verbindlichem Recht bietet der Bereich der Korruptionsbekämpfung.258 Die rechtlichen Verpflichtungen des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger richten sich dabei allerdings an die Mitgliedstaaten.259 Damit unterscheidet sich dieser Ansatz von den oben angestellten Erwägungen einer völkervertraglichen Verpflichtung der Unternehmen selbst. Letztere würde für die OECD einen Paradigmenwechsel bedeuten. Die rechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten ist hingegen bereits jetzt Bestandteil der Umsetzungsverfahren der Leitsätze. Eher in das System der OECD würde daher eine Entwicklung passen, bei der die Mitgliedstaaten sich vertraglich selbst eine noch stärkere Förderung der Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen auferlegen, etwa in Bezug auf die Ausgestaltung ihrer Außenwirtschaftsförderung. Damit würden zwar die Rechtswirkungen der Leitsätze verstärkt. Eine eigenständige vertragliche Bindung von Unternehmen an Menschenrechte würde dies aber nicht bedeuten. 2. Anerkennung einer Drittwirkung der Menschenrechtspakte Die Leitsätze könnten aber eine Rolle bei der Auslegung der Menschenrechtspakte spielen und so Einfluss auf die vertragsrechtliche Bindungen von Unternehmen haben. Wie gesehen trägt die heutige Spruchpraxis der Vertragsorgane der Internationalen Menschenrechtspakte und die entsprechende Staatenpraxis keine Auslegung, nach der auch Unternehmen durch den Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte und den Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte an Menschenrechte gebunden werden.260 Die Maßstäbe einer mittelbaren Bindung von Unternehmen an diese Standards, die durch eine entsprechende Ausübung der staatlichen Schutzpflicht erfolgen kann, sind bislang vage. Die Ausübung der Schutzpflicht umfasst auch administrative Maßnahmen. Insofern könnte die Anwendung der Leitsätze durch die Nationalen Kontaktstellen als Ausübung der Schutzpflicht 258  Convention on Combating Bribery of Foreign Public Officials in International Business Transactions vom 21. November 1997. 259  Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, das nationale Recht im Bereich der Korruptionsbekämpfung entsprechend auszugestalten, wobei es primär um strafrechtliche Vorgaben geht, die aber steuer- und zivilrechtlich flankiert werden, Roth, Korruptionsbekämpfung durch staatliche Exportförderungsagenturen, RIW 2010, S. 737, S. 740. 260  Zur etwaigen Drittwirkung der Menschenrechtspakte siehe oben Teil 1, C. II.2.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

betrachtet werden, auch wenn diese keinen extraterritorialen Verpflichtungsgehalt für die Staaten hat261. Wird die Anwendung der Leitsätze als Teil der Ausübung der staatlichen Schutzpflicht verstanden, so würde sie die Konkretisierung des Gehaltes einer mittelbaren Drittwirkung der Menschenrechte unterstützen. Hierfür spricht, dass die Leitsätze seit ihrer Überarbeitung im Jahr 2011 die genannten Pakte explizit als Orientierungsgröße für Unternehmen nennen, und zwar unabhängig von den national-rechtlichen Gegebenheiten. Allerdings stellen die Leitsätze ebenso explizit auf die Freiwilligkeit ihrer Beachtung ab. Dies könnte gegen eine Rückwirkung in den rechtlichen Bereich sprechen. Die Völkerrechtsähnlichkeit der Leitsätze bewirkt hier, dass der Unterschied nur noch marginal ist. Gerade wenn die administrativen Maßnahmen zur Förderung der Einhaltung der Leitsätze durch die Teilnehmerstaaten ausgebaut werden sollten, beispielsweise im Bereich der Außenwirtschaftsförderung, käme dies einer zunehmenden „faktischen“ mittelbaren Drittwirkung gleich. Diese wäre konsequenterweise weiterhin nicht mit einer „echten“ mittelbaren Drittwirkung zu verwechseln. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass bei einer entsprechenden Entwicklung beispielsweise der Spruchpraxis der Nationalen Kontaktstellen diese in zunehmendem Maße als Beitrag zu einer mittelbaren Drittwirkung interpretiert würden. Denn aufgrund mehrerer Faktoren besteht hier ein großer Spielraum. So ist die rechtliche Einordnung der Leitsätze abhängig vom zugrunde gelegten Rechtsverständnis, die Bandbreite der Aussagen der Nationalen Kontaktstellen ist groß und deren Organisationsform sehr unterschiedlich. So könnte eine zunehmende Externalisierung der Aufgaben, trotz der verbleibenden Verantwortung der jeweiligen Regierung, eine Wahrnehmung der Leitsätze als außerrechtliches und primär der Mediation dienendes Instrument fördern. Dies spräche gegen einen Beitrag der Leitsätze zu einer mittelbaren Drittwirkung im Rechtssinn. Letztlich bleibt es daher der weiteren Entwicklung und vor allem ihrer Interpretation überlassen, ob sich die Annahme einer mittelbaren Bindungswirkung durchsetzen wird. Eindeutiger wäre es, wenn die Vertragsorgane der Menschenrechtspakte ihre Auslegung anpassen und ausdrücklich eine unmittelbare Drittwirkung annehmen würden. Die Tatsache, dass Nationale Kontaktstellen Aussagen zur Einhaltung menschenrechtlicher Standards durch Unternehmen treffen, könnte sich auf die Bereitschaft der Vertragsorgane zu einer solchen Auslegung auswirken. Eine solche Entwicklung ist durchaus denkbar in Anbetracht des Gesamtkontextes und der Vielzahl der Instrumente, die die Ein261  Zur Verneinung einer extraterritorialen Schutzpflicht der Heimatstaaten siehe oben Teil 1, C.I.2.b)bb). Die Ausübung dieser Funktion erfolgt daher „überobligatorisch“ (sofern sie geeignet ist, einen effektiven Schutz zu gewährleisten und daher als Ausfüllung der staatlichen Schutzpflicht angesehen werden kann).



B. Beitrag der OECD-Leitsätze zur Bindung von Unternehmen399

haltung menschenrechtlicher Maßstäbe von Unternehmen fordern262. Eine solche Wirkung der Aussagen der Nationalen Kontaktstellen hängt aber von der jeweiligen Wortwahl in ihren Stellungnahmen und Berichten ab.263 Die Vertragsorgane dürften sich dabei nicht ausschließlich auf die Leitsätze und deren Anwendung beziehen. Als unverbindliches Instrument sind diese für eine direkte Übertragung ungeeignet. Die Anwendung der Leitsätze kann aber eine dahinterstehende, sich entwickelnde Rechtsauffassung erkennbar werden lassen, auf die die Vertragsorgane sodann rekurrieren. Die Entwicklung einer solchen Rechtsauffassung stünde auch in engem Zusammenhang mit der Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht.

II. Beitrag zur Weiterentwicklung einer völkergewohnheitsrechtlichen Bindung von Unternehmen Obwohl die Leitsätze ausdrücklich rechtlich unverbindlich sind, können sie zu Gewohnheitsrecht erstarken264 und damit ihr „law shaping potential“ entfalten265. Allerdings scheint es derzeit eher unwahrscheinlich, dass die gesamten Leitsätze den rechtlichen Status ändern und zu einem völkergewohnheitsrechtlich verbindlichem Dokument werden. In Bezug auf das Menschenrechtskapitel scheint angesichts aktueller Entwicklungen aber naheliegend, dass die Leitsätze zur Entwicklung einer gewohnheitsrechtlichen Norm beitragen, die außerhalb des Dokumentes entsteht. Eine solche Entwicklung konnte beispielsweise auch bei der Rio-Declaration von 1992 beobachtet werden.266 Verschiedene Fragen drängen sich hinsichtlich eines Beitrags der Leitsätze zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht auf: Kann aus dem Kontext der Leitsätze nur regionales Völkergewohnheitsrecht entstehen? Welche 262  Allen voran die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, aber auch die IFC-Performance Standards, siehe u. a. Teil 1, Fußnote 589. 263  Umso eindeutiger sich die Nationalen Kontaktstellen äußern, umso wahrscheinlicher ist eine Änderung der Auslegung. Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass es bereits Ansätze gibt, die eine solche Entwicklung zumindest denkbar erscheinen lassen. 264  Siehe oben A.I.2.a)bb). 265  Vgl. Thürer: „Their law-shaping potential is relevant for the opinio juris as well as the State practice as the constitutive elements of international customary law“, Thürer, Soft Law, in: EPIL, Amsterdam 2000, S. 452, S. 458. 266  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 71.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

Rolle kommt der Übung und der Rechtsüberzeugung der adressierten Unternehmen einerseits und der Staaten andererseits zu? Wie sind die Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen hier einzuordnen? 1. Regionales Völkergewohnheitsrecht versus universale Kernnorm Da die Leitsätze im Rahmen der OECD entwickelt wurden, könnte davon auszugehen sein, dass die in ihnen enthaltenen Standards allenfalls regionale gewohnheitsrechtliche Bedeutung erlangen können. Hiergegen ist zum einen einzuwenden, dass es sich bei den Leitsätzen nicht um ein Instrument der Organisation, sondern eines von Regierungen handelt. Angenommen wurden sie bislang nicht nur von den heute 34 Mitgliedsländern der OECD sondern auch von zwölf weiteren Staaten, womit sie Unterstützer auf allen Kontinenten haben.267 Sie gelten zudem für die weltweite Geschäftstätigkeit der in diesen Staaten ansässigen Unternehmen, das heißt auch in Bezug auf Aktivitäten in Nichtteilnehmerländern. Schließlich beheimaten die teilnehmenden Staaten der Leitsätze die überwiegende Zahl der multinationalen Unternehmen, so dass die wesentlich betroffenen Staaten an der Entwicklung teilhaben. Diese Beobachtungen würden die Bedeutung des Begriffes „regionales“ Gewohnheitsrecht stark relativieren. Darüber hinaus stehen die Leitsätze in Wechselwirkung mit anderen Entwicklungen zur Förderung der Menschenrechtskonformität unternehmerischen Verhaltens. Vor allem greifen sie die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte auf und verstärken diese mit ihrem Umsetzungsmechanismus. Die Leitprinzipien wurden ihrerseits vom UN-Menschenrechtsrat angenommen − einem Organ, in dem alle Regionen der Welt repräsentativ vertreten sind. Die OECD-Leitsätze kristallisieren daher zusammen mit den UN-Leitprinzipien Grundsätze für die Verantwortung multinationaler Unternehmen in Bezug auf Menschenrechte heraus, ohne dass diese Grundsätze regional beschränkt wären. Die Instrumente verstärken sich dabei gegenseitig, wobei weniger die Erstarkung ihrer Regelungen im Detail wahrscheinlich erscheint, als vielmehr die Herausbildung wesentlicher Elemente einer völkerrechtlichen Bindung multinationaler Unternehmen im Sinne einer gewohnheitsrechtlichen Kernnorm.268

267  Zur 268  Zu

Auflistung der Teilnehmerstaaten siehe Teil 2, Fußnoten 77 und 78. den Inhalten dieser Kernnorm siehe unten B.II.5.



B. Beitrag der OECD-Leitsätze zur Bindung von Unternehmen401

2. Rolle der Unternehmen bei der Entstehung einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm Die Leitsätze und ihre Anwendung können folglich deutliche Anhaltspunkte zur Entstehung einer solchen allgemeinen gewohnheitsrechtlichen Norm geben. Normalerweise binden sich mit einer gewohnheitsrechtlichen Übung die Staaten mit einem gewissen Verhalten und der entsprechenden Rechtsüberzeugung selbst. Die Leitsätze zeichnen sich nun aber dadurch aus, dass Staaten Handlungsempfehlungen an Unternehmen richten. Daher ist fraglich, ob für die Entstehung der gewohnheitsrechtlichen Norm die Übung und Rechtsüberzeugung der Unternehmen eine Rolle spielt und wenn ja, welche. Der Beitrag nichtstaatlicher Völkerrechtssubjekte für die Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht ist umstritten.269 Respektieren sie die ihnen auferlegten Pflichten und wird deutlich, dass sie sich hierzu auch verpflichtet fühlen, so könnte dies als „quasi-völkergewohnheitsrechtliche“ Entwicklung verstanden werden.270 Es könnte aber auch abgestellt werden auf die Ansicht der Staaten, dass Unternehmen an gewisse Standards rechtlich gebunden sind und die Übung, dieses gegenüber den Unternehmen auch einzufordern. Dies entspräche einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm, wenn auch in der eher untypischen Form der Bindung Dritter.271 Diese Auffassung entspricht dem auch heute noch gültigen und überwiegend angenommenen Verständnis der Staaten als Autoren von Völkerrecht. 269  So stellt Bryde auf die nur partielle Völkerrechtssubjektivität von Unternehmen ab, die keine Fähigkeit, Völker(gewohnheits)recht zu erzeugen umfasse und formuliert: „Die generelle Befolgung der Richtlinien durch Unternehmen scheidet als Ansatz für die Bildung von Völkergewohnheitsrecht aus“: Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private – Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte, Frankfurt am Main 1981, S. 24. Kritisch zur Staatszentrierung beispielsweise: Gunning, Modernizing Customary International Law: The Challenge of Human Rights, VJIL 31 (1991), S. 211. 270  Vgl. etwa Daillier / Forteau / Pellet, Droit International Public, 8.  Auflage, Paris 2009, S. 358, wonach die gegenwärtige Praxis eher die „thèse objectiviste“ zu stützen scheint, nach der „völkergewohnheitsrechtliche Normen – solange sie nicht gegen den ausdrücklichen Willen der Staaten verstoßen – sogar durch das Verhalten multinationaler Unternehmen geschaffen werden können.“ 271  A. A. Chinkin, die das Völkergewohnheitsrecht als Rechtsquelle für ungeeignet hält, Verhaltensanforderungen gegenüber „non-state actors“ wie Unternehmen rechtsverbindlich zu machen: Chinkin, Normative Development in the International Legal System, in: D. Shelton (Hrsg.), Commitment and Compliance: The Role of Non-Binding Norms in the International Legal System, Oxford 2000, S. 21, S. 22.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

Das Verhalten und die Rechtsüberzeugung der Unternehmen spielen aber insofern eine große Rolle, als sie die Position der Staaten zu einer solchen Rechtsnorm maßgeblich beeinflussen. Die Bereitschaft der Staaten, rechtlich verbindliche Pflichten anzunehmen ist höher, wenn die Adressaten diese Pflichten de facto in ihrer Praxis bereits angenommen haben und ihnen durch die Art und Weise ihrer Ausfüllung möglicherweise weitere Konturen gegeben haben.272 Es besteht aber, wie etwa auch bei der Gesetzgebungsbefugnis im nationalen Kontext, keine dogmatische Abhängigkeit der Entstehung der völkergewohnheitsrechtlichen Norm von der unternehmerischen Praxis. Zum Vergleich sei auf das Völkerstrafrecht hingewiesen, bei dem Individuen − auch völkergewohnheitsrechtlich − Verhaltensmaßgaben auferlegt werden, die ebenfalls unabhängig von deren Praxis und Akzeptanz sind. 3. Rolle der Nationalen Kontaktstellen bei der Entstehung einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm Stellen wir also auf die Staaten als maßgebliche Akteure einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm zur Bindung von Unternehmen an menschenrechtliche Standards ab, so fragt sich als nächstes, welche Rolle der Arbeit der Nationalen Kontaktstellen in diesem Zusammenhang zukommt. Wie gesehen besteht ein weiter Spielraum, welche Organisationsform die Staaten für diese Funktion wählen. Dennoch handelt es sich um eine staatliche Verpflichtung und Aufgabe. Grundsätzlich kommen bei der Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht viele Akte als staatliche Übung in Frage, und zwar „not only executive acts, but an array of other state functions, documents and activities such as national legislation, judicial decisions, voting patterns within international bodies, official manuals and other policy statements“273. Auch die Annahme von soft law-Instrumenten befördert die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht „as evidence of state practice or – more loosely – as a marker of current expectations and future aspirations“274. Auch wenn eine opinio juris zum Zeitpunkt der Annahme der Leitsätze beziehungsweise ihrer Überarbeitung sicher nicht gegeben war, so können demnach bereits die Annahme der Deklaration und des Ministerratsbe272  Siehe auch Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 102, m. w. N. 273  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 63. 274  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S.  71.



B. Beitrag der OECD-Leitsätze zur Bindung von Unternehmen403

schlusses einen Beitrag zur Entstehung von materiellem Völkergewohnheitsrecht leisten. Vor allem den Beschwerdeverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen kommt aber besondere Bedeutung zu, da sich an diesen „Ansätzen eines ‚Fallrechts‘, eine gewohnheitsrechtsbildende Staatenpraxis besonders gut festmachen lässt“275. Zugleich können die Stellungnahmen und Berichte der Nationalen Kontaktstellen wertvolle Anhaltspunkte zur Haltung der Staaten in Bezug auf die Verhaltensmaßstäben geben und damit Rückschlüsse auf eine etwaig entstehende opinio juris zulassen. Der Ausdruck einer opinio juris und die Übung fallen demnach hier zusammen, wobei aber die Rechtsüberzeugung klar zutage treten muss276. Die Stellungnahmen der Nationalen Kontaktstellen sind eine vergleichsweise seltene Gelegenheit für Staaten, ihre Rechtsüberzeugung öffentlich zu machen. Sie bieten zugleich der Öffentlichkeit die Möglichkeit, die Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht − oder auch deren Ausbleiben277 − kontinuierlich mit zu verfolgen. Fraglich ist, welchen Anforderungen die Äußerungen der Nationalen Kontaktstellen genügen müssen, damit die Herausbildung einer gewohnheitsrechtlichen Bindung bejaht werden kann. Wie festgestellt sind die Stellungnahmen sowohl unter dem Gesichtspunkt der Übung als auch im Hinblick auf die Rechtsüberzeugung relevant. Die Herausbildung von Gewohnheitsrecht setzt laut IGH voraus, dass die Übung „both extensive and virtually uniform in the sense of the provision invoked“278 ist. Eine besondere Dauer ist dabei nicht gefordert, so lange die Übung „widespread and representative“ ist, also die von der Regelung besonders betroffenen Staaten einschließt.279 Die teilnehmenden Staaten 275  Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private – Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte, Frankfurt am Main 1981, S. 24. Siehe aber auch Wengler, Rechtstheoretische und Rechtssoziologische Betrachtungen zur Unterscheidung zwischen völkerrechtlich verbindlichen und völkerrechtlich unverbindlichen Äußerungen völkerrechtlicher Organe, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 33 (1982), S. 173. 276  Eine „konkludente Rechtsbehauptung“ aus der Übung abzuleiten kommt hier nicht in Betracht, da sich das Verhalten nicht in einem eindeutigen „völkerrechtlich relevanten Kontext“ (vgl. Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 16, Rz. 1.) vollzieht, der einen solchen Schluss erlauben würde. 277  Bryde weist zu Recht darauf hin, dass es die Staaten weitgehend in der Hand haben, die Unverbindlickeit der Verhaltensstandards „zu perpetuieren, in dem sie die faktische Implementation der Regeln mit entsprechenden Vorbehalten versehen“: Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private – Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte, Frankfurt am Main 1981, S. 25. 278  North Sea Continental Shelf, (1969) ICJ Reps. 3, 43. S. 42. 279  Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 63 unter Hinweis auf die IGH-Entscheidung im Fall North Sea Continental Shelf.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

der Leitsätze repräsentieren einen Großteil der multinationalen Unternehmen und sind daher im übertragenen Sinn „von der Regelung besonders betroffen“. Die regionale Verteilung der Teilnehmerstaaten erfüllt zudem die Kriterien des „widespread and representative“. Es fragt sich allerdings, welche Anforderungen an die quantitative und qualitative Beteiligung Nationaler Kontaktstellen an einer entsprechenden Übung zu fordern ist. Hier spielt zum einen eine Rolle, dass nicht alle Kontaktstellen gleichermaßen mit Fällen bedacht werden. Den Jahrestreffen der Nationalen Kontaktstellen und den Jahresberichten des Investitionsausschusses kommt daher eine wichtige Rolle zu, denn nur hier besteht Gelegenheit für alle Teilnehmerstaaten, ihrer Rechtsüberzeugung Ausdruck zu verleihen oder einer Rechtsüberzeugung zu widersprechen, die eine andere Nationale Kontaktstelle geäußert hat. Ein solcher Widerspruch bedeutet nach den Grundsätzen des persistent objectors aber noch nicht, dass die Entstehung der gewohnheitsrechtlichen Geltung gehindert ist.280 Es fragt sich allerdings, ob ein solcher Widerspruch überhaupt wahrscheinlich wäre, da die Stellungnahme einer einzelnen Nationalen Kontaktstelle die anderen Nationalen Kontaktstellen nicht bindet. Wahrscheinlicher ist die entsprechende Formulierung der eigenen Stellungnahmen durch (abweichende) Nationale Kontaktstellen, sofern Gelegenheit hierzu besteht. Vereinzelte Stellungnahmen Nationaler Kontaktstellen vermögen jedenfalls nicht die Entwicklung von Gewohnheitsrecht zu begründen. Entscheidend dürfte daher das Gesamtbild aus den Stellungnahmen der Nationalen Kontaktstellen unter Berücksichtigung ihrer regionalen Verteilung und ihres Aussagegehaltes einerseits und aus den Jahresberichten und weiteren Veröffentlichungen der zuständigen Gremien andererseits sein. 4. Gegenwärtiger Stand der Entwicklung Fraglich ist, ob die gewohnheitsrechtliche Geltung einer universalen Kernnorm zum Respekt der Menschenrechte durch Unternehmen zum heutigen Zeitpunkt bereits bestätigt werden kann. a) Übung Wie gesehen gibt es zahlreiche Beschwerde- und Schlichtungsverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen, die den Leitsätzen und dabei dem Respekt der Menschenrechte durch Unternehmen zur Anwendung verhelfen. 280  Diese Lehre hinterfragt lediglich die Geltung der gewohnheitsrechtlichen Norm für den abweichenden Staat.



B. Beitrag der OECD-Leitsätze zur Bindung von Unternehmen405

Dabei werden mit den Unternehmen konkrete Schritte vereinbart oder Empfehlungen ausgesprochen, um Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch oder unter Beteiligung von Unternehmen zu verhindern, Beeinträchtigungen wiedergutzumachen und die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt künftig besser zu gewährleisten. Auch die Jahresberichte über die Anwendung der Leitsätze zeugen von einem „high level of support by most of the Governments for the Guidelines and the principles they contain“281. Allerdings liegt derzeit noch keine ausreichende Anzahl an aussagekräftigen Beschwerde- und Schlichtungsverfahren vor, um eine „extensive and virtually uniform“ Anwendung der Leitsätze begründen zu können. Die bisherigen Beschwerdeverfahren betreffen zwar immerhin sechszehn Staaten282, nicht alle dieser Verfahren haben aber einen menschenrechtlichen Bezug und nur wenige betreffen die Leitsätze in der neuen Fassung von 2011 und damit das neu eingeführte Menschenrechtskapitel. Die Anzahl der Veröffentlichungen der Nationalen Kontaktstellen ist aber, auch aufgrund der erweiterten Veröffentlichungspflichten, stark angestiegen. Dieser Trend dürfte sich fortsetzen, so dass die weitere Beobachtung dieser Entwicklungen spannend bleibt. Allerdings reicht die Identifizierung eines „pattern of behaviour through state practice“ nicht aus, um die völkergewohnheitsrechtliche Geltung einer Regel festzustellen.283 Hierfür ist vielmehr noch die entsprechende Rechtsüberzeugung erforderlich. b) Rechtsüberzeugung Zusätzlich zu einer einheitlichen Praxis bedarf es zur Herausbildung von Gewohnheitsrecht einer opinio juris, das heißt einer Überzeugung, zu diesem Verhalten auch rechtlich verpflichtet zu sein. Übertragen auf eine völkergewohnheitsrechtliche Bindung von Unternehmen an Menschenrechte ist daher eine Überzeugung der Staaten erforderlich, dass Unternehmen rechtlich zum Respekt der Menschenrechte verpflichtet sind.284 Wie gesehen gibt es mittlerweile Verlautbarungen der Nationalen Kontaktstellen, die auf eine Unterscheidung zwischen rechtlichen oder ethischen 281  Zerk,

S. 72.

Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008,

282  OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2012, S. 20. 283  „However, identifying a pattern of behaviour through state practice is one thing – proving that it has passed into international law, and therefore is legally binding upon all states, is quite another“: Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S. 63. 284  Zur Rolle der Unternehmen in diesem Prozess siehe oben B.II.2.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

Verpflichtungen der Unternehmen zum Respekt der Menschenrechte verzichten. Stattdessen werden die Sorgfaltspflichtanforderungen und die Rolle der Unternehmen bei der Wahrung menschenrechtlicher Standards betont. Dieser Tatsache kommt vor dem Hintergrund, dass die Staaten die Entstehung einer völkergewohnheitsrechtlichen Bindung durch Hinweis auf die unverbindliche Natur der Standards verhindern können285, durchaus Bedeutung zu. Allerdings sind die Stellungnahmen der Nationalen Kontaktstellen auch nach Annahme der überarbeiteten Fassung der Leitsätze noch nicht zahlreich genug, um auf einen generellen Trend schließen zu lassen. Schwer absehbar ist auch, in welcher Form sich andere Nationale Kontaktstellen in den nächsten Jahren äußern werden. Angesichts der wiederholten Betonung der Unverbindlichkeit der Leitsätze und des weiterhin nicht-justiziellen Charakters des Beschwerdeverfahrens nach der Überarbeitung 2011 dürfen diesbezüglich auch nicht allzu viele Hoffnungen geschürt werden. Auch die Annahme der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte im Jahr 2011 mit dem expliziten Zusatz, hierdurch keine neuen völkerrechtlichen Pflichten schaffen zu wollen, steht zwar einer Umwandlung in Völkergewohnheitsrecht nicht entgegen, lässt aber aufgrund der großen zeitlichen Nähe daran zweifeln, dass eine unmittelbare und überwiegende Änderung staatlicher Äußerungen zu erwarten ist. Andererseits könnte über einen mittelfristigen Zeitraum eine solche Entwicklung durchaus eintreten. Dies dürfte in Abhängigkeit von der erfolgreichen Implementierung der Vorgaben durch die Unternehmen und einer zunehmenden Selbstverständlichkeit der geforderten Verhaltensweisen erfolgen. Die Praxis der Unternehmen ist, wie die Arbeiten der Nationalen Kontaktstellen, ein Indiz für eine immer stärker werdende faktische Bindungswirkung der Leitsätze. Die Schwierigkeiten „of drawing a sharp dividing line between ‚soft‘ and ‚hard‘ law“286 dürften zunehmen. Wie gesehen kann eine faktische Bindungswirkung aber auch einen sozial-ethischen Geltungsgrund haben287 und muss nicht zwingend von einer opinio juris begleitet werden. Selbst wenn eine faktische Bindungswirkung der Leitsätze zu bejahen ist, bedeutet dies daher nicht, dass die Leitsätze als Rechtsinstrument einzustufen wären. 285  Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private – Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte, Frankfurt am Main 1981, S. 25. 286  So Petersmann in Bezug auf mögliche Rechtswirkungen von Verhaltens­ kodizes, Petersmann, Codes of Conduct, in: EPIL, Band I, Den Haag 2004, S. 627, S. 629. 287  Siehe oben A.I.3.a)aa).



B. Beitrag der OECD-Leitsätze zur Bindung von Unternehmen407

So lange eine opinio juris fehlt, ist daher eine gewohnheitsrechtliche Bindung von Unternehmen an Menschenrechte zu verneinen. Nach heutigem Stand der Entwicklung ist festzuhalten, dass die Wirkung der Leitsätze noch nicht von der Überzeugung, dass Unternehmen zu diesem Verhalten auch rechtlich verpflichtet sind, getragen wird. c) Ausblick Wenn es auch schwierig ist, den tatsächlichen Entstehungszeitpunkt von Völkergewohnheitsrecht zu bestimmen288, so scheint doch recht offensichtlich, dass dieser Punkt gegenwärtig noch nicht erreicht ist289. Dennoch wird das Geflecht der Einwirkung auf die Unternehmen zugunsten der Menschenrechte immer größer.290 Die internationale Aufmerksamkeit und der Rechtfertigungsdruck für die Unternehmen steigen, die Handlungsalternativen werden immer geringer.291 Hierbei spielen die Aussagen der Nationalen Kontaktstellen ebenso eine Rolle wie andere administrative Verhaltensweisen, etwa im Bereich der Außenwirtschaftsförderung, der Ausgestaltung von bilateralen Investitionsschutzverträgen oder Aufforderungen wie die der EU-Kommission an die Unternehmen, sich zur Einhaltung von internationalen CSR-Dokumenten zu verpflichten292. Es ist denkbar, dass sich parallel zu dieser schwindenden Akzeptanz menschenrechtsbeeinträchtigenden Verhaltens durch Unternehmen eine entspre288  Lepard, Customary International Law: A New Theory with Practical Applications, Cambridge 2010. 289  Siehe auch oben Teil 1, C.II.4. und Teil 3, A.I.2.a)bb). 290  Dies zeigt sich auch in der raschen Entwicklung des Marktes für unternehmensberatende Leistungen, datenbankgestützten Instrumenten und anderen Hilfestellungen zur professionellen Durchführung von human rights impact assessments. Anwaltskanzleien und an Unternehmen gerichtete Fachzeitschriften greifen das Thema ebenfalls auf: Vgl. Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung und Menschenrechte; Respektierung der Menschenrechte wird auch Thema für Anwaltskanzleien, AnwBl 2011, S. 198; und Hardeck, Die Empfehlungen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Bereich der Besteuerung – Inhalt, Risiken und Implikationen für international tätige Unternehmen, IStR 2011, S. 933, die sich auch wundert, dass die OECD-Leitsätze „bisher in der Steuerliteratur erstaunlich wenig beachtet“ wurden, siehe Hardeck, S. 934. 291  Paust ist zuzustimmen, wenn er zusammenfasst, „(…) one can predict that there will be increasing scrutiny of corporate deprivations of human rights at the international and regional levels as well as in domestic fora“, Paust, Human Rights Responsibilities of Private Corporations, Vanderbilt journal of transnational law 35.3 (2002), S. 801, S. 825. 292  Siehe oben Teil 1, C.IV.3.a) und Europäische Kommission, Mitteilung „Eine neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR)“, KOM (2011) 681 endg.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

chende Rechtsauffassung entwickelt und es sodann zu einem Umschlag von der „Aspiration“ hin zu einer Rechtsnorm kommt.293 Hierzu tragen mehrere Faktoren bei. So hat die Abstufung der unternehmerischen Verantwortung zum Respekt der Menschenrechte gegenüber der staatlichen Pflicht zum Schutz der Menschenrechte für eine größere Klarheit hinsichtlich der Erwartungen an die Unternehmen beigetragen. Auch Grundfragen wie zur Einschlägigkeit grundsätzlich aller Menschenrechte, zum Verhältnis zwischen den Anforderungen des nationalen Rechts und der internationalen Menschenrechtsstandards und zu möglichen Beteiligungsformen haben Antworten gefunden. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und ihre implizite Anwendung durch die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen bieten daher Antworten zu vielen konzeptionellen Fragen294, deren praxisnahe Umsetzung zudem noch weiter herausgearbeitet werden wird295. Des Weiteren spielt die zunehmende Integration von Maßnahmen zum Respekt der Menschenrechte in den Unternehmensalltag eine große Rolle296, da hierdurch die Beschäftigung der Unternehmen mit ihren menschenrechtlichen Implikationen immer selbstverständlicher wird. 293  Diese Rechtsnorm hat allerdings möglicherweise einen etwas anderen Gehalt als die bislang diskutierte allgemeine völkerrechtliche Bindung von Unternehmen an die Menschenrechte, was Folgen für die Aussichten einer hierauf gestützten human rights litigation haben kann. Denn die Verhaltensanforderungen an die Unternehmen sind nicht mit dem staatlichen Schutz- und Gewährleistungsumfang gleichzusetzen. Zu dem nach heutigem Stand erkennbaren Inhalt der möglichen Rechtsnorm siehe das nachfolgende Kapitel. 294  Konzeptionelle Unklarheiten wurden in der Vergangenheit mit verantwortlich gemacht dafür, dass sich die menschenrechtliche Bindung von Unternehmen heute noch nicht durchgesetzt hat. 295  So wurde eine Expertengruppe zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte eingesetzt, siehe Teil 1, Fußnote 334. Das Office of the High Commissioner on Human Rights (OHCHR) entwickelt einen Anwendungsleitfaden zur „responsibility to respect“ und dem „access to remedy“ im Sinne der Leitprinzipien (siehe OECD, Annual Report on the OECD Guidelines for Multinational Enterprises 2011, Round Table, S. 203). Die Anwendung der Leitsätze in der überarbeiteten Fassung von 2011 trägt ebenfalls implizit zur Umsetzung der Leitprinzipien bei, da die Erläuterungen explizit auf diese Bezug nehmen (OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Erläuterungen zu den Menschenrechten, Ziffer 36). 296  Zu diesen Maßnahmen zählen, neben „policy commitments“, vor allem Risiko-orientierte Due-Diligence-Prozesse und die Anwendung sogenannter „Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen“, wie etwa das Human Rights Compliance Assessment des Danish Institute for Human Rights, http:  /   /  www.humanrightsbusiness. org / compliance+assessment, siehe auch Teil 1, Fußnote 593. Aus Unternehmenssicht ist die Integration von Prozessen zur Minimierung menschenrechtlicher Risiken durchaus interessant, denn der Nachweis eines bewussten und sorgfältigen Umgangs mit dem Thema Menschenrechte kann ein Unternehmen durchaus entlasten, beispielsweise wenn die Sachverhaltsaufklärung oder der Nachweis kausaler Zusammenhänge Schwierigkeiten bereitet.



B. Beitrag der OECD-Leitsätze zur Bindung von Unternehmen409

Zusammengenommen könnten diese Entwicklungen im Laufe der Zeit Bedenken gegen eine Rechtspflicht abschwächen. Ein „Meinungsumschwung in der Völkerrechtsgemeinschaft“297 zugunsten einer rechtlichen Bindung multinationaler Unternehmen ist daher infolge der Entwicklungen im Jahr 2011 wahrscheinlicher geworden. Dogmatische Hindernisse gegen eine solche völkerrechtliche Rechtspflicht von Unternehmen bestehen wie gesehen nicht mehr. Es spricht daher in einer Gesamtschau einiges dafür, dass sich eine Rechtspflicht der Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte auf völkergewohnheitsrechtlicher Grundlage in Zukunft durchsetzen könnte. Die Anwendung der Leitsätze kann hierbei eine maßgebliche Rolle spielen.298 Als „Geburtsstunde“ einer solchen gewohnheitsrechtlichen Norm dürfte rückblickend das Jahr 2011 anzusehen sein299, da dieses − bei allen vorangegangenen wichtigen Entwicklungen − in besonderem Maße wichtige und zahlreiche Beschlüsse hervorgebracht hat, die die unternehmerische menschenrechtliche Verantwortung in ihrer konzeptionellen Ausgestaltung gefestigt und in viele Anwendungsbereiche hineingetragen haben. Auch wenn derzeit nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden kann, ob es tatsächlich zu dieser Entwicklung kommen wird, so kann doch festgehalten werden, dass sich eine gewohnheitsrechtliche Norm zur unternehmerischen menschenrechtlichen Verantwortung „in statu nascendi“ befindet. Diese orientiert sich angesichts der klaren und konsensfähigen Konturen an der Verantwortung von Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte, wie sie in den Leitprinzipien und den Leitsätzen konkretisiert wird.300 297  Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater (multinationaler) Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen, Berlin 2010, S. 268. 298  Siehe auch Herdegen, Völkerrecht, 11. Auflage, München 2012, § 13, Rz. 3: „Es ist aber denkbar, dass sie [die Verhaltenskodizes internationaler Organisationen] auf längere Sicht als Ausdruck einer bestimmten Rechtsüberzeugung eine völkerrechtliche Bindung privater Unternehmen insbesondere an menschenrechtliche Standards katalysieren.“ Mit Blick auf die Leitsätze ergänzt Hardeck: „Da die OECDLeitsätze langfristig zu einer Weiterentwicklung des Rechts führen könnten, würde ihre Beachtung nicht nur den gesellschaftlichen Erwartungen an ein verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln gerecht, sondern würde auch zukünftige Gesetzesvorhaben antizipieren“, Hardeck, Die Empfehlungen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Bereich der Besteuerung, IStR 2011, S. 933, S. 939. 299  Die OECD-Leitsätze wurden zuletzt ca. in zehn-Jahres-Abständen einer Revision unterzogen. Vermutlich könnte dies wieder ein Abstand sein, nach dem die Implementierung der geänderten Leitsätze bewertet und Textänderungen erwogen werden. Diese Änderungen könnten dabei sowohl eine neuerliche Weiterentwicklung bedeuten, als auch in der Zwischenzeit verfestigte Fortentwicklungen manifestieren. 300  Die Leitprinzipien enthalten dabei allerdings viele Elemente, die als zu weitgehend betrachtet werden könnten. Hier bieten die OECD-Leitsätze ein – womöglich eher konsensfähiges – Kondensat an.

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Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

5. Wesentliche Merkmale der völkergewohnheitsrechtlichen Norm zur Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen in statu nascendi Wie gesehen bedeuten die überarbeiteten Leitsätze, zusammen mit den Leitprinzipien und weiteren Entwicklungen internationaler Instrumente im Jahr 2011301, Meilensteine und einen Qualitätssprung auf dem Weg zur völkergewohnheitsrechtlichen Geltung einer Norm zur menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen. Zusammengefasst sind mit diesen Dokumenten die Eckpunkte einer in der Entstehung befindlichen völkergewohnheitsrechtlichen Norm festgelegt. Diese verpflichtet, sofern sie zur gewohnheitsrechtlichen Geltung erstarkt, die Unternehmen zum: – Respekt aller international anerkannter Menschenrechte – durch Vermeidung negativer Auswirkungen des eigenen Verhaltens – in grundsätzlich allen denkbaren Beteiligungsformen – unter Anwendung der erforderlichen Sorgfalt (due diligence). Diese wesentlichen Elemente sind der aktuelle Konsens zur menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen. Mit diesen Kernelementen sind einige zentrale konzeptionelle Fragen geklärt, die bislang der Entwicklung einer Bindung von Unternehmen an Menschenrechte entgegengehalten wurden und der Entwicklung einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm im Wege standen.302 Hierzu gehörte auch die Sorge, dass Unternehmen beim Schutz der Menschenrechte in die Rolle von Staaten gedrängt würden, die sie aber weder übernehmen wollen, noch sollen oder können.303 Um diese Befürchtung auszuräumen ist die Unterscheidung der unternehmensbezogenen „responsi301  Auch zu nennen sind beispielsweise die Überarbeitung der IFC-Performance Standards, siehe oben Teil 1, C.III.3.a)aa) und die Annahme der ISO 26000, siehe oben Teil 1, C.IV.2.c). 302  Zwar ist die Frage der möglichen Völkerrechtssubjektivität durch diese Dokumente nicht gelöst, da sie selber keine Rechtswirkung beanspruchen und daher keine Aussage hierzu enthalten können. Diese Frage kann aber dogmatisch als geklärt angesehen werden, siehe oben Teil 1, C.I.3. Geklärt durch diese Dokumente sind demgegenüber die mit den Konzepten „sphere of influence“ und „complicity“ aufgeworfenen Fragen, indem stattdessen auf alle negativen Auswirkungen und eine erforderliche Sorgfalt abgestellt wird. Klärung findet sich dabei auch zur Frage der Verantwortung in den Liefer- beziehungsweise Geschäftsbeziehungen. 303  Siehe Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, Cambridge 2008, S.  77 f. m. w. N.



B. Beitrag der OECD-Leitsätze zur Bindung von Unternehmen411

bility to respect“ von der staatlichen „duty to protect“ so bedeutsam. Damit erhält die unternehmerische Verantwortung eine ganz eigene Qualität, abgestimmt auf die Rolle und Funktion der Unternehmen. Diese Verantwortung zur Vermeidung negativer Auswirkungen ist offenbar nach allgemeiner Auffassung derzeit konsensfähig. Staaten haben demgegenüber umfangreichere Erwartungen zu erfüllen, etwa „to respect, protect and fulfil“304. Grundsätzlich können dabei alle Menschenrechte durch Unternehmen beeinträchtigt werden und sind daher in die Sorgfaltsprüfungen einzubeziehen. Wichtigste Orientierungsgröße ist dabei die „Charta der Menschenrechte“, bestehend aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte und dem Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Der menschenrechtliche Schutzstandard des jeweiligen Gaststaates ist damit zweifellos nicht mehr alleinig relevant.305 Ziel der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen ist es, negative Auswirkungen des eigenen Tuns oder Unterlassens auf die Menschenrechte zu vermeiden und erforderlichenfalls auszugleichen. Alle Beteiligungsformen sind dabei relevant, einschließlich des Verhaltens in der Zulieferkette und in Beziehung zum Gaststaat. Allerdings ist die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen nach der hier vorgestellten Kernnorm in den Fällen eingeschränkt, in denen keine Einflussnahmemöglichkeit auf die primären Akteure und keinerlei Zusammenhang zwischen der menschenrechtlichen Beeinträchtigung und der Geschäftstätigkeit des betreffenden Unternehmens besteht. Als weitere Elemente einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm könnten je nach Entwicklung in der Praxis eine Pflicht zur Teilnahme an oder Bereitstellung von Verfahren der Wiedergutmachung und eine Pflicht zur Offenlegung von Informationen hinzukommen. Die Einrichtung von Verfahren der Wiedergutmachung wird von den Leitsätzen in Kapitel IV, Ziffer 6 gefordert. Diese Anforderung ist auch in der dritten Säule des UN-Rahmenwerks „Protect, Respect, Remedy“306 enthalten. Diese dritte Säule zu Verfahren der Abhilfe oder Wiedergutmachung („remedy“) findet allerdings in der öffentlichen Diskussion bislang weit weniger Beachtung als die zweite Säule zur menschenrechtlichen Ver304  Craven, The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, Oxford 1995. 305  Zur komplexen Wechselbeziehung zwischen internationalem und nationalem Menschenrechtsstandard siehe oben Teil 2, B.III.1.c). 306  Protect, Respect and Remedy: a Framework for Business and Human Rights, Report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie, A / HRC / 8 / 5 vom 7.  April  2008.

412

Teil 3: Völkerrechtliche Bedeutung der OECD-Leitsätze

antwortung von Unternehmen. Auch denklogisch scheint naheliegend, zunächst Klarheit zum Umfang und zur Natur dieser Verantwortung zu erlangen. Die Entwicklung von gewohnheitsrechtlichen Vorgaben für Verfahren der Wiedergutmachung dürfte demgegenüber zeitlich abgestuft erfolgen. Anders sieht der Befund im Hinblick auf die Offenlegung von Informationen aus, die in der Praxis beispielsweise durch die freiwillige Global Reporting Initiative307 bereits vielfältig Beachtung findet. Die Leitsätze, ähnlich wie die CSR-Mitteilung der EU-Kommission, setzen auf ein öffentliches Bekenntnis der Unternehmen zu den Menschenrechten308 beziehungsweise zu Instrumenten, die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen (mit) thematisieren309. Zusätzlich dienen die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichtanforderungen auch der Darlegung vorhandener Verfahren und Maßnahmen. Die Sorgfaltspflicht ist dabei nicht an (finanziellen) Risiken für das Unternehmen selbst orientiert, sondern an den Auswirkungen für die Rechte Dritter. Sie ist damit Bestandteil einer sich entwickelnden Kultur der Unternehmensberichterstattung über soziale Aspekte, die zu einer gewohnheitsrechtlichen Pflicht umschlagen könnte.

C. Zusammenfassung: Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zur Weiterentwicklung einer völkerrechtlichen Verantwortung von Unternehmen zum Respekt der Menschenrechte Die Leitsätze sind keiner klassischen Völkerrechtsquelle zuzuordnen. Ihre ambivalente Ausgestaltung als Instrument auf Basis der Freiwilligkeit, das mit einem für die Staaten verpflichtenden Umsetzungsmechanismus versehen ist, macht ihre normative Einordnung aber schwierig. Die übliche Bezeichnung als soft law reflektiert diese Schwierigkeit, beantwortet aber nicht die durch ein solches Instrument aufgeworfene Frage, ob die strikte Trennung von Recht und Nicht-Recht ohne Anerkennung einer Zwischenkategorie von relativen Normen heute noch aufrecht erhalten werden kann. Eine rechtsrealistische Sichtweise, die die Perspektive der Normgeber und der Normadressaten berücksichtigt, führt zu der Erkenntnis, das Rechtsbindungswille und Rechtsklarheit ausschlaggebende Kriterien für die Abgrenzung von Recht und Nicht-Recht sind und der formalen Zuordnung des Instrumentes ein hoher Stellenwert zukommt. Der Normenbegriff ist dabei 307  Siehe

oben Teil 1, Fußnote 651 und begleitenden Text. für multinationale Unternehmen, Kapitel IV, Ziffer 4. 309  Europäische Kommission, Mitteilung „Eine neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR)“, KOM (2011) 681 endg. 308  OECD-Leitsätze



C. Zusammenfassung413

vom Rechtsbegriff zu lösen, da der Verpflichtungsgrad einer Norm seinen Ursprung sowohl im rechtlichen als auch im sozial-ethischen Bereich haben kann. Um dennoch die Besonderheiten der Leitsätze im Vergleich zu sonstigen Sozialnormen zu kennzeichnen, wird hier der Vorschlag der Bezeichnung als völkerrechtsähnliche Normen gemacht. Damit sind sie eindeutig Teil der internationalen regulatorischen Ordnung. Dogmatisch verbleibt aber eine Unterscheidung zu einer völkerrechtlichen Verbindlichkeit, für die es eines entsprechenden Rechtsbindungswillens der Staaten bedürfte. Angesichts einer Vielzahl ineinandergreifender Entwicklungen ist durchaus vorstellbar, dass eine solche Entwicklung eintritt und die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen völkergewohnheitsrechtliche Geltung erlangt. Ausgangspunkt für diese Entwicklung ist das Jahr 2011 mit der Annahme der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und der hierauf Bezug nehmenden Überarbeitung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Die Leitsätze konkretisieren die Kernelemente einer Pflicht der Unternehmen zum Respekt der Menschenrechte. Diese sind: (1) Respekt aller international anerkannten Menschenrechte durch Vermeidung negativer Auswirkungen, (2) im Hinblick auf die gesamte geschäftliche Tätigkeit eines Unternehmens und in allen seinen Geschäftsbeziehungen, (3) unter Anwendung der erforderlichen Sorgfalt. Die praktische Umsetzung dieser Pflicht in den Unternehmensalltag wird unter anderem durch die Beschwerde- und Schlichtungsverfahren bei den Nationalen Kontaktstellen nach den OECD-Leitsätzen gefördert. Weniger aktuell ist derzeit die Umwandlung vorhandener Dokumente in ein völkerrechtliches Vertragswerk. Sollte der politische Wille hierzu entstehen, bieten die Leitsätze aber eine hilfreiche Grundlage. Die Anwendung der Leitsätze durch die Nationalen Kontaktstellen kann zudem als staatliche Praxis Anhaltspunkte für eine Drittwirkung der vertraglichen Menschenrechtsinstrumente liefern, die bei der Auslegung durch die Vertragsorgane Berücksichtigung finden könnten. In Bezug auf beide Völkerrechtsquellen, Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht, kommt den Leitsätzen daher eine wichtige Katalysatorfunktion zu. Insbesondere zur Entstehung einer völkergewohnheitsrechtlichen Verantwortung von Unternehmen zum Respekt der Menschenrechte leisten sie einen wichtigen Beitrag.

Gesamtergebnis: Der Beitrag der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte Die Leitsätze verfügen seit ihrer Neufassung im Jahr 2011 über ein eigenständiges Menschenrechtskapitel, mit dem die Verantwortung der Unternehmen zum Respekt der Menschenrechte („responsibility to respect“) der im selben Jahr angenommenen UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte aufgegriffen wird. Sie zielen damit auf die Vermeidung jeglicher negativer Auswirkungen des Verhaltens von Unternehmen auf die international anerkannten Menschenrechte durch alle Arten wirtschaftlicher Betätigung weltweit. Ihr Anwendungsbereich ist lediglich durch Anknüpfung an die in den Teilnehmerstaaten ansässigen Unternehmen begrenzt. Der Kreis der Teilnehmerstaaten geht dabei mit steigender Tendenz über die OECDMitgliedstaaten hinaus. Durch die Beantwortung vieler konzeptioneller Fragen, die bisher der Ausfüllung einer menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen im Wege standen, leisten die Leitsätze und deren Anwendung in den Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen einen wichtigen Beitrag zur Konturierung und praktischen Umsetzung der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen. Trotz des Empfehlungscharakters der Leitsätze erlangen diese aufgrund der hinter ihnen stehenden staatlichen Autorität, ihrer Akzeptanz bei den stakeholdern und ihrer Anwendung in den Beschwerdeverfahren eine erhebliche verhaltenslenkende Wirkung. Sowohl im Einzelfall als auch darüber hinaus tragen sie damit zu einem verbesserten Schutz der Menschenrechte vor Beeinträchtigungen durch Unternehmen bei. Die einem Fallrecht ähnliche Spruchpraxis der Nationalen Kontaktstellen wird dabei angesichts der seit 2011 erweiterten Veröffentlichungs- und Begründungspflichten weiter an Bedeutung zunehmen. Mit dem Beschwerdeverfahren nehmen die Leitsätze eine Sonderrolle innerhalb der rechtlichen und außerrechtlichen Ansätze einer Regulierung des Verhaltens multinationaler Unternehmen ein. Zum einen verfügen nur die Leitsätze unter den auf Freiwilligkeit basierenden, staatlich initiierten Instrumenten über eine solche Individualbeschwerdemöglichkeit. Zum anderen bietet das Verfahren eine leicht zugängliche Möglichkeit, Unternehmen im Heimatstaat mit menschenrechtlichen Fragestellungen extraterritorialen Verhaltens zu konfrontieren. Auch wenn dabei eine Vermittlung zwischen den Parteien im Vordergrund steht und die Nationalen Kontaktstellen keine

Gesamtergebnis415

zwangsweisen Anordnungen treffen können, kann das Verfahren damit eine wertvolle Alternative zu einer gerichtlichen Haftbarmachung sein. Dies auch deshalb, als die Möglichkeiten einer gerichtlichen Haftbarmachung von Unternehmen für extraterritoriale Menschenrechtsverletzungen aus prozessualen und materiellen Gründen eingeschränkt sind und selbst die bisherige Vorreiterrolle der USA mit der Entscheidung des US Supreme Court im Prozess Kiobel weiter zurückgegangen ist. Die zunehmende Effektivität der Leitsätze als Instrument der Verhaltenssteuerung scheint das klassische Völkerrechtsverständnis herauszufordern. Die normative Einordnung der auf Freiwilligkeit basierenden, aber mit einem für die Staaten verpflichtenden Umsetzungsmechanismus versehenen Leitsätze bereitet Schwierigkeiten. Der üblicherweise verwendete Begriff soft law hat dabei keinen eindeutigen Bedeutungsgehalt. Es wird daher hier vorgeschlagen, die Leitsätze stattdessen als „völkerrechtsähnliche Normen“ zu betrachten. Als solche zeichnen sie sich durch bestimmte Charakteristika aus, lassen jedoch die Unterscheidung von rechtlichen und außerrechtlichen Normen unangetastet. Unzweifelhaft sind sie aber Teil der internationalen regulatorischen Ordnung und können Einfluss auf die Entwicklung klassichen Völkerrechts nehmen. Dieser Einfluss ist von besonderer Relevanz, da eine völkerrechtliche Bindung von Unternehmen an menschenrechtliche Standards derzeit nicht bejaht werden kann. Die Leitsätze können sowohl eine künftige vertragsrechtliche Bindung etwa aufgrund drittschützender Auslegung der internationalen Menschenrechtspakte begünstigen als auch die Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht befördern. Das Verfahren bei den Nationalen Kontaktstellen bietet dabei eine interessante Plattform, um die etwaige Entwicklung einer opinio juris abzulesen. Aus den Leitsätzen lassen sich die Eckpunkte einer möglicherweise entstehenden völkergewohnheitsrechtlichen Verantwortung der Unternehmen zum Respekt der Menschenrechte herauslesen. Hierzu gehört die Achtung aller international anerkannter Menschenrechte in allen geschäftlichen Beziehungen unter Anwendung der erforderlichen Sorgfalt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Vermeidung und Wiedergutmachung von negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte. Der Beitrag der Leitsätze zum Schutz der Menschenrechte wird noch deutlicher durch die Betrachtung der gesamten jüngeren Entwicklungen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte. Das Jahr 2011 zeichnete sich durch die Annahme gleich mehrerer Instrumente mit Aussagen zur menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen aus. Diese sind geprägt durch einen verstärkt anwendungsorientierten Ansatz, der auf eine strategische Integra­ tion des Themas in den Unternehmen abzielt und damit die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen zusätzlich operabel macht. Die

416 Gesamtergebnis

Leitsätze greifen diesen Ansatz auf, indem sie die Einführung von menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfungen fordern. Die Leitsätze verstärken zudem andere Instrumente wie die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, indem sie sie als Orientierungsmaßstab nutzen und damit in den Umsetzungsverfahren zur Geltung bringen. Umgekehrt wird die Wirkung der Leitsätze verstärkt, indem ihre Einhaltung in ganz anderen Bereichen, wie etwa im Bereich der Außenwirtschaftsförderung einschließlich der bilateralen Investitionsschutzverträge, zunehmend von Belang ist. Diese gegenseitige Verknüpfung ehemals isolierter Bereiche und die verbesserte Integration der menschenrechtlichen Verantwortung in die Unternehmensabläufe dürften im Verlaufe der Zeit zu einer größeren Selbstverständlichkeit in der Wahrnehmung dieser Verantwortung durch Unternehmen führen. Dies wiederum begünstigt einen Meinungsumschwung hinsichtlich der rechtlichen Bindung von Unternehmen an Menschenrechte. Die Leitsätze sind dabei zentraler Bestandteil und Treiber der zunehmenden Vernetzung internationaler Instrumente zugunsten des Schutzes der Menschenrechte vor Beeinträchtigungen durch Unternehmen.

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Sachwortregister access to remedy  89, 408 (Fußnote 295) Adaptive Rechtsquellen  354 Alien Tort Claims Act (ACTA)  112, siehe auch ATS Alien Tort Statute (ATS)  112 ff., 134 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR)  38, 72, 93, 97, 210, 213 Amerikanische Menschenrechts­ konvention  98 Arbeitnehmerrechte  30, 150, 164, 277 Arndt  354 ff. Auslandsinvestitionen  33, 38, 144, siehe auch OECD-Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen Außenwirtschaftsförderung  140 ff., 170 Barcelona Traction (IGH-Rechtsprechung)  126 Berichts- und Offenlegungspflichten  135, 149 Beschwerde- und Schlichtungsverfahrens nach den OECD-Leitsätzen  167, 236 –– Ablauf  236 –– Bezeichnung und Wesen  257 –– Datenbanken  271 –– Dauer  200 –– Entwicklung  182 ff., 196 ff. –– Kriterien zur Durchführung  198 –– Kritik  248 –– monitoring  155, 201, 244, 291 –– parallel anhängige Gerichts- oder Verwaltungsverfahren (parallel procedures)  201 –– siehe auch OECD-Ministerratsbeschluss Beweislast  133, 266

Bilaterale Investitionsschutzabkommen  144 ff., 149, 170, 416 Bindung von Unternehmen an Menschenrechte: siehe Unternehmen Bundesgerichtshof (BGH)  111, 318 Bundesverfassungsgericht (BVerfG)  261, 381 Business and Industry Advisory Committee (BIAC)  173, 176, 177, 203, 255, 313 business nexus  33 Business Social Compliance Initiative (BSCI)  156 class actions  115, 133 codes of conduct  154, siehe auch Verhaltenskodizes Committee on Economic, Social and Cultural Rights (CECSR)  73 Common Approaches  143 conflicting requirements  188 corporate social responsibility (CSR)  150, 151, 167, 169 corporate veil  69, 126, 127, 128, 169 critical legal studies  338 Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)  277 Dichotomie von Recht und Nicht-Recht  341, 355, 358 ff., 373, 382, 385, 386 DIN ISO 26000  158 Drittwirkung der Menschenrechte  105, 397 –– mittelbare  94 –– unmittelbare  96 due diligence  189, 191, 223, 294, 304, 410, siehe auch Sorgfaltspflichten duty to protect  66, 89, 221

Sachwortregister435 Empirischer Rechtspositivismus  346 Equator Principles  157 Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen: siehe OECD Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)  98, 99 Europäischer Gerichtshof  130 Exportkreditgarantien  140, 149, 170, 254, 316, 318, 416 extraterritoriale staatliche Schutzpflicht  71, 139 faktische Bindungswirkung  352, 358, 360, 372 Filártiga v. Pena-Irala (US-Recht­ sprechung)  114 Finanzinstitutionen  32, 157, 281, 282, 295 forum non conveniens  121, 128, 130, 133 Fragmentierung des Völkerrechts  145 (Fußnote 598) Gaststaat  31, 54, 65, 146, 192, 210, 215, 228, 229, 235, 277 genuine link siehe interstaatlicher Anknüpfungspunkt Gesetzespositivismus  347 Gewerkschaftsrechte  283 global administrative law  335 global governance  335 Global Reporting Initiative (GRI)  137, 157, 170, 412 globale normative Ordnung  364 Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten  68, siehe auch Interventionsverbot Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit (Art. 25 GG)  261 gute Sitten  94, 318, 389 Heimatstaat  30 (Fußnote 17), 37, 67 ff., 107 ff., 135, 139, 148, 149, 240, 295

Human Rights Committee  101 human rights impact assessments  87, 144, 170, 225, 321, 407 human rights policy commitment  137, 225 ICSID-Verfahren  81, 94 IFC-Performance Standards  143, 144, 170, 286, 399, 410 In re Southafrican Apartheid Litigation  116 Individualbeschwerde  90, 101, 238 Individuum  49, 80 Informationsfreiheitsgesetz  264 innerstaatlicher Anknüpfungspunkt  68, 180, siehe auch Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. Integrationsvölkerrecht  336 International Finance Corporation (IFC)  147 International Integrated Reporting Framework (IIRC)  137 (Fußnote 559) International Labour Organisation (ILO)  37, 297 –– Dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik  38, 41, 163, 166 –– Kernarbeitsnormen  148, 163, 164, 208 –– Übereinkommen  73, 99, 167, 208 internationaler Menschenrechtsstandard  210, 213, 215 Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte  98, 213 Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte  98, 213 Interventionsverbot  68, 70, 71, 72, 149, 180 Investitionsgarantien  140, 149, 170, 254, 316, 318, 416 Investitionsschutzabkommen  145, siehe auch Bilaterale Investitionsschutz­ abkommen – EU-Kompetenz  145 (Fußnote 596) investment nexus  190, 242, 298 ISO 26 000 (DIN ISO 26000)  158

436 Sachwortregister Jurisdiktion  126, 180 jus cogens  66, 70, 75, 104, 210 Khulumani et al v. Barclays National Bank et al (US-Rechtsprechung)  115 Kinderarbeit  51, 139, 295, 299 Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. (US Supreme Court)  55 (Fußnote 154), 112, 120 ff., 128, 134, 171, 415 Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. (US-Bundesberufungsgericht)  55 (Fußnote 154), 119 Kooperationsvölkerrecht  335 legal realism  340 Legitimität  239, 370, 371, 388, 390, 392 lex loci delicti  131 licence to operate  92 Maastricht Guidelines  73 Möllers  352 monitoring  155, siehe auch Beschwerdeverfahren Multilateral Agreement on Investment (MAI)  145, 179 multinationale Unternehmen, siehe auch Unternehmen –– Definition  40 –– historische Entwicklung  36 –– Regulierung  45 –– Verzichtbarkeit einer Definition  44 Multi-Stakeholder-Initiativen  150, 156, 161, 232 Nationale Kontaktstellen  176, 177, 182, 235, 343, 398, 402 –– funktionale Äquivalenz  183, 197 –– Veröffentlichungspflichten  198 nationale Menschenrechtsinstitute  170 New Haven Schule  79, 340 Nichtregierungsorganisationen  179, 185, 196, 203, 274 nichtstaatliche Akteure  340 Nichtteilnehmerstaaten  34, 178

OECD  29 –– Ausschuss für internationale Investi­ tionen und multinationale Unternehmen (CIME)  29, 175, 177, siehe auch OECD-Investitionsausschuss –– beratende Organe  173, siehe auch BIAC, TUAC –– Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen  29, 172, 175, 189 –– Investitionsausschuss  29, 198, 200 –– Ministerratsbeschluss  29, 30, 175, 178 –– Mitgliedstaaten  172, 186 –– Sekretariat  200 –– Statut (Convention on the Organisation for Economic Cooperation and Development)  172 OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen –– allgemeine Menschenrechtsklausel  174, 182 –– als living instrument  207 –– als soft law  375, 386 –– als völkerrechtsähnliche Norm  389 ff., 394 –– Anwendungsbereich  30, 32 –– Arbeitnehmerrechte  174, 176, 182 –– Beitrag zur völkergewohnheitsrecht­ lichen Bindung von Unternehmen  399 –– Beitrag zur völkervertragsrechtlichen Bindung von Unternehmen  396 –– Einordnung in die Völkerrechts­ quellen  348 –– Erläuterungen  179 –– extraterritoriale Anwendbarkeit  179 –– faktische Bindungswirkung  184, 268, 270, 310, 317, 406 –– historische Entwicklung  172 –– Konsultationsverfahren  175, 184 –– Rechtswirkungen  319 –– Teilnehmerstaaten  30, 178, 183, 187, 189

Sachwortregister437 –– Umschlag in Völkergewohnheitsrecht  349 –– Umsetzungsverfahren: siehe Be­ schwerde- und Schlichtungsverfahren nach den OECD-Leitsätzen –– und Drittwirkung der Menschenrechtspakte  397 –– Verfahrenstechnische Anleitungen  236 –– verhaltenslenkende Wirkung  316, 319, 326, 330, 332, 375 –– Verhältnis zu nationalem Recht  180 –– Wirkung und Verpflichtungsgrad  311, 329, 330, 332 –– wirtschaftliche und soziale Sanktionen  63, 254 OECD-Watch  196, 200 Öffentliches Auftragswesen  138 Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR)  97, 408 ökonomische Analyse des Rechts  338 presumption against extraterritorial application  122, 125 Principles for Responsible Investment (PRI)  157 Prozesskosten(hilfe)  129, 267 Prozesskostenrisiko  133 rational-choice-Theorie  338 Rechtsbehelfe  101 Rechtsbindungswille  356, 369 Rechtspositivismus  343, 346 Rechtsrealismus  359 Rechtswirkungen  371 relatives Normenverständnis  341 Reparations for Injuries Suffered in the Service of the United Nations (IGH-Rechtsprechung)  80 responsibility to protect  66 responsibility to respect  89, 211, 408 Risikomanagement(systeme)  193, 299

Ruggie, John G.  89, siehe auch UN-Sonderbeauftragter für Wirtschaft und Menschenrechte Sanktionierung  356 sekundäre Rechtsquellen  352 Sicherheitskräfte  54, 55, 156 soft law  64, 261 (Fußnote 436), 334, 339, 341, 350, 352, 355, 358, 363, 364, 375 ff., 393 Sorgfaltspflichten, menschenrechtliche (due diligence)  193, 223, 277 (Fußnote 501), 290, 305, 307, 321, 410, 412, siehe auch responsibility to respect Sosa v. Alvarez-Machain (US Supreme Court)  117, 120, 125, 128 South African Development Community (SADC)  146 staatliche (extraterritoriale) Schutzpflicht  66, 71, 94, 139 staatliche Souveränität  49, 68 Statut des International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR)  102 Statut des International Criminal Tribunal for the Former Yougoslavia (ICTFY)  102 Statut des Internationalen Gerichtshofs (IGH)  336 Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC)  102 Strafbarkeit von Unternehmen: siehe Unternehmen Trade Union Advisory Committee (TUAC)  173, 176, 177, 255, 271 (siehe auch Fußnote 472), 313, 330 (Fußnote 700), 391 transnationales Unternehmen  40, siehe auch multinationales Unternehmen Treu und Glauben  94, 147, 245, 317 Umsetzungsverfahren zu den OECDLeitsätzen für multinationale Unternehmen: siehe Beschwerde- und Schlichtungsverfahren

438 Sachwortregister Umweltinformationsgesetz (UIG)  265 UN –– Commission on Transnational Corporations (UNCTC)  63, 85 –– Conference on Trade and Development (UNCTAD)  30, 39, 41 –– Draft Code of Conduct on Transnational Corporations  40, 42, 84, 211 –– Draft Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights  41, 42, 86, 212 –– Economic and Social Council (ECOSOC)  84 –– Education Scientific and Cultural Organisation (UNESCO)  318 –– Global Compact  35, 85, 89, 148, 163, 165, 166, 170, 299, 320, 321 Universalität der Menschenrechte  49, 159 UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte  88, 92, 95, 107, 124, 128, 143, 163, 166, 212 –– Umsetzung (Nationale Aktionspläne)  162, 395 UN-Rahmenwerk „Protect, Respect, Remedy“  89, 211, 212, 226, 411 UN-Sonderbeauftragter für Wirtschaft und Menschenrechte  45, 56, 88, 96, 99, 104, 147, 186, 188, 189, 194, 211, 231, 234, 262, 291 Unternehmen –– Beteiligungsformen an Menschenrechtsverletzungen  55, 192, 227 –– (funktionaler) Unternehmensbegriff  33 –– Gewinnerzielungsabsicht  33 –– staatseigene  32 –– Strafbarkeit  102, 104, 110 –– völkergewohnheitsrechtliche Bindung an Menschenrechte  105, 400, 410

–– Völkerrechtssubjektivität, partielle  77, 91, 171, 340, 391 –– völkerstrafrechtliche Bindung  102, 103, 105, 116 –– völkervertragsrechtliche Bindung an interna­tional verankerte Menschenrechte  83 ff. –– zivilrechtliche Haftbarmachung bei Menschenrechtsverletzungen  112 Verhaltenskodizes  154, 170, 319, 365, 376 –– für die Investitionstätigkeit von Staatsfonds  141 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)  262 Völkergewohnheitsrecht  363 Völkerrecht –– Leugner  337 (Fußnote 24) –– Naturrecht  343, 344 –– Rechtscharakter  337 –– Rechtserkenntnisquellen  336 –– Rechtspositivismus  343 –– Staatszentrismus  340 –– Vernunftrecht  344 völkerrechtsähnliche Normen  387 ff., 389 ff., 394 Völkerrechtsquellen  336, 348 Völkerrechtssubjektivität, partielle  77, siehe auch Unternehmen weiche Steuerungsinstrumente  338, 339 Weltrechtsprinzip  110, 114, 123 Wettbewerbsrecht  33 (Fußnote 31), 127, 132 World Trade Organisation (WTO)  67, 94 (Fußnote 356) Zulieferbeziehungen  181, 195 Zwangstheorien  338