Das Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung nach dem EGV und GG: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau vor dem EuGH und dem BVerfG im Vergleich [1 ed.] 9783428508976, 9783428108978

Nach dem Europäischen Gemeinschaftsrecht stellt die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen eine potentielle

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German Pages 323 Year 2002

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Das Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung nach dem EGV und GG: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau vor dem EuGH und dem BVerfG im Vergleich [1 ed.]
 9783428508976, 9783428108978

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HIROSHI NISHIHARA

Das Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung nach dem EGV und GG

Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Burkhard HeB Kristian Kühl, Hans v. Mangoldt Wernhard Möschel, Martin Nettesheim Wolfgang Graf Vitzthum, Joachim Vogel sämtlich in Tübingen

Band 60

Das Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung nach dem EGV und GG Die Gleichberechtigung von Mann und Frau vor dem EuGH und dem BVerfG im Vergleich

Von Hiroshi Nishihara

Duncker & Humblot . Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung, Bonn.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-10897-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

Vorwort Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um das Ergebnis meiner Forschungstätigkeit, die ich von Oktober 1996 bis März 1999 als Alexander von Humboldt-Stipendiat in Tübingen durchgeführt habe. Daher gilt mein erster Dank meinem wissenschaftlichen Betreuer, Herrn Professor Dr. Dr.h.c. Thomas Oppermann. Er hat ideale Forschungsbedingungen für mich in Tübingen bereitgestellt, meine Forschung während meines Aufenthaltes und danach vielfältig angeregt und mir insbesondere durch seine freundliche Gesprächsbereitschaft das Essentielle des Europarechts vermittelt, das sich in den Zeilen seines Lehrbuchs verbirgt. Es zählt absolut zu meinen lehrreichsten Erlebnissen in Deutschland, daß ich den persönlichen Einsatz von diesem großen Lehrmeister für die Entwicklung des Europarechts sozusagen intern beobachten durfte. Aber ich möchte ihm auch ausdrücklich dafür danken, daß er diese Forschung mir erst ermöglichte, indem er meine Bewerbung aus einer Notlage rettete. Das Thema, mit dem ich mich bei der Humboldt-Stiftung bewarb, lautete: "Einflüsse der Europäischen Integration auf die Grundrechtslehre in Deutschland". Die Bewerbung wäre jedoch beinahe schief gegangen. Ein bedeutender Gutachter von deutscher Seite vertrat nämlich die These, daß das Thema nicht erfolgversprechend sei, weil die Einflüsse nicht in dieser, sondern in einer umgekehrten Richtung verlaufen würden. Vielleicht kann dies in den siebziger oder achtziger Jahren der Fall gewesen sein. Für einen ausländischen Verfassungsjuristen, der sich seit mehr als zwanzig Jahre intensiv mit der deutschen Verfassungsdogmatik auseinandersetzt und sie gleichsam in die japanische Diskussion einzuführen sucht, wäre es bedauerlich, wenn die deutsche Grundrechtslehre in einem alten Diskussionsstand stehenbleiben sollte. So habe ich mich erneut entschlossen, die Wechselwirkung von verschiedenen Grundrechtsverständnissen ans Tageslicht zu bringen und damit die deutsche Verfassungsdogmatik auf die bevorstehende oder vielleicht schon angefangene Systemkonkurrenz im Bereich der Grundrechtslehre vorzubereiten. In dieser Situation befürwortete Herr Professor Dr. Dr.h.c. Thomas Oppermann mein Forschungsvorhaben vor dem Auswahlkomitee. Ich konnte diese Aufgaben bisher nur in dem kleinen Teilgebiet der Geschlechtergleichberechtigung wahrnehmen, hoffe aber, daß das vorliegende Buch zumindest einen Beitrag zur erstgenannten Aufgabe darstellt. Dies alles ist nur aufgrund der großzügigen Förderung durch die Alexander von Humboldt-Stiftung möglich geworden. Bei ihr und namentlich bei

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Vorwort

ihrem Generalsekretär, Herrn Dr. Manfred Osten, möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Ich bin selbst Humboldtianer zweiter Generation und weiß sehr gut, was für eine große Rolle die Stiftung für die ausländischen Wissenschaftler spielt. Hoffentlich kann die vorliegende Arbeit als Beweis dafür gelten, daß die Humboldt-Stipendiaten auch in den sozialwissenschaftlichen Bereichen bemüht sind, zur wissenschaftlichen Diskussion in Deutschland beizutragen. Die Humboldt-Stiftung hat darüber hinaus die Publikation dieser Arbeit durch Gewährung der Druckkostenbeihilfe wesentlich erleichtert, wofür ich auch sehr dankbar bin. Es hat allerdings nach meiner Rückkehr im März 1999 etwas länger gedauert, bis ich das Forschungsergebnis in diese Form bringen konnte. Die Rechtsprechung des EuGH wird zwar bis Ende 2000 (nur in einem kleinen Teil bis Oktober 2001) berücksichtigt; die Literaturangaben konnten allerdings von Beginn an nicht eine Vollständigkeit beanspruchen und beschränken sich insbesondere in dem Zeitraum nach meiner Rückkehr auf eine Auswahl. Dieses Forschungsergebnis gründet sich auch auf vielfaltige Unterstützung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen, insbesondere von Herrn Professor Dr. Dr.h. c. Wolfgang Graf Vitzthum und Herrn Professor Dr. Ferdinand Kirchhof. Darüber hinaus bedanke ich mich bei Herrn Professor Dr. Armin Dittmann (Universität Hohenheim) für seine vielfaltige Ermutigung. Wesentliche Unterstützung fand ich bei den Mitgliedern des Lehrstuhls von Herrn Professor Dr. Dr.h.c. Thomas Oppermann. Allen voran danke ich Herrn Dr. Gerald G. Sander (Tübingen) dafür, daß er die zeitaufwendige Durchsicht des Manuskriptes übernahm. Er und Herr Professor Dr. Frank Fechner (TU Ilmenau), Herr Dr. Thomas Michael Grupp (Stuttgart), Frau Dr. Christiane Freytag (Tübingen) sowie Herr Professor Dr. Jörn Axel Kämmerer (Bucerius Law School) vom Nachbarlehrstuhl haben durch intensive Diskussion die rechtsvergleichende Arbeit wesentlich erleichtert und damit unerläßliche Beiträge zur Entstehung dieses Forschungsergebnisses geleistet. Ich trage jedoch selbstverständlicherweise allein die Verantwortung für den Inhalt. Daneben haben viele Freunde meine Forschung unterstützt. Ich beschränke mich darauf, hier meinen alten Lehrer Herrn Professor Dr. Heinrich Scholler (München) zu nennen, der mir auch bei der Bewerbung bei der Humboldt-Stiftung geholfen hat. Sodann bin ich meinen Kolleginnen und Kollegen an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Waseda-Universität in Tokyo zu Dank verpflichtet, weil sie mich während meines langen Forschungsaufenthaltes in Tübingen von den Lehr- und Verwaltungsverpflichtungen freigestellt haben. Nicht zuletzt ist die vorliegende Arbeit aufgrund der tatkräftigen Hilfe meiner Familienmitglieder, vor allem die von meiner Frau Kyoko Fukuda,

Vorwort

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zustande gekommen, wofür ich hier meine Dankbarkeit ausdrücken möchte. Sie haben alle physischen und psychischen Belastungen bereitwillig überwunden, die der Umzug von Tokyo nach Tübingen und zurück - wobei der letztere schwerer fiel - mit sich gebracht haben. Sie haben mir auch während und nach dem Aufenthalt in Tübingen die Zeit und Freiheit gewährt, die zum Entstehen der vorliegenden Arbeit notwendig war. Ich erlaube mir, das vorliegende Buch zwei Frauen in meiner Familie, meiner Frau Kyoko und meiner Tochter Chihiro, zu widmen, aber auch meinem Sohn Masahiro, der mir zusammen mit seiner Schwester beigebracht hat, was eigentlich Gleichheitsrecht ist ("Für mich auch!"). Tokyo, im Juli 2002

Hiroshi Nishihara

Inhaltsverzeichnis Einleitung ....................................... . ............. . .... . .

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1. Teil

Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau im Gemeinschaftsrecht § 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes I. Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierungen als EG-Grund-

recht .. . ...................................................... II. Die Entgeltgleichheit in Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV und in der Entgeltrichtlinie ................................ 1. Entgeltgleichheit als sozialpolitisches Ziel? .................... 2. Entgeltgleichheit als wirtschaftspolitisches Ziel? .. . . . . . . . . . . . . .. 3. Entgeltgleichheit in ihren grundrechtlichen Aspekten . . . . . . . . . . .. 4. Unmittelbare Wirkung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = exArt. 119 EGV .............................................. 5. Extensive Auslegung des Entgeltbegriffs ...................... a) Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Vergünstigungen und Leistungen des betrieblichen Versorgungssystems .. ..... b) Das Barber-Urteil und seine Folgen ....................... c) Andere Vergünstigungen im Sinne von "Entgelt" ............ d) Würdigung . ..... .. .............. . ...................... 6. Die RL 75/117 und das gleiche Entgelt bei gleichwertiger Arbeit. a) Subsumtion der gleichwertigen Arbeit unter die "gleiche Arbeit" im Sinne des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = exArt. 119 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Definition der Gleichwertigkeit ........................... c) Rechtsschutz bei gleichwertiger Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Gleichbehandlungsrichtlinien .. .. ..... . ...... .. ............ ... ... 1. Das sozialpolitische Aktionsprogramm von 1974 als gemeinsamer Ausgangspunkt der Gleichbehandlungsrichtlinien ... . ...... ... . . 2. Gleichbehandlung von Mann und Frau beim Zugang zur Beschäftigung und bei den Arbeitsbedingungen (die RL 761207) ........ a) Umsetzungspflicht der Mitgliedstaaten und der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes ................................ b) Verbot der Diskriminierung aufgrund einer Schwangerschaft..

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Inhaltsverzeichnis aa) Anknüpfung an die Schwangerschaft als unmittelbare Diskriminierung . . .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Mehrbelastung für den Arbeitgeber bei Schwangerschaft der Arbeitnehmerin und das Umlageverfahren . ..... .. .. cc) Geschlechtsspezifische Merkmale als Kriterium für unmittelbare Diskriminierungen . . ...... .. ...... .. ..... .. ... dd) Diskriminierung aufgrund des Schwangerschaftsurlaubs .. c) Entlassung im Sinne der RL 761207 und das gesetzliche Rentenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Bereiche, in denen die RL 76/207 keine Anwendung findet .. 3. Gleichbehandlungsgrundsatz im Bereich der sozialen Sicherheit (die RL 7917) ............................ . ............... . . a) Verbot der Diskriminierung unter Bezugnahme auf den Eheund Familienstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Ausnahmeregelungen in der RL 79/7 . .... .... ... .... ... ... c) Erwerbsbevölkerung als persönlicher Geltungsbereich (Art. 2 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 der RL 7917) . ..... .. ...... . ...... .. . 4. Weitere Richtlinien . ... ... .. ... .. .. .. . . .. .. ... .... .. .. ..... . a) Gleichbehandlungsgrundsatz im Rahmen der betrieblichen Systeme der sozialen Sicherheit (die RL 86/378 und 96/97) . . b) Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei den Selbständigen (die RL 86/613) ......................... . .. c) Die Beweislastrichtlinie (die RL 97/80) ....... . . .. . ... .... . d) Mutterschutz und Elternurlaub ........... . ............. .. . aa) Mutterschutzrichtlinie (die RL 92/85) . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Elternurlaubsrichtlinie (die RL 96/34) ............. .. .. 5. Grundrechtsbezug des Gleichbehandlungsgrundsatzes in den Gleichbehandlungsrichtlinien . . . . ... . . .. ... . . ... .. .. .... .. . . .. IV. Entwicklungen im Amsterdamer Vertrag. . . . .. . . . . . . .. . .. . . . . . . ...

§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes . . . .. .. ..... I. Inhalt und Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes ... . ...... .. ..

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96 97 1. Gleichbehandlung als Abwesenheit von Diskriminierung . ...... . 97 a) Definition in den Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Gleichbehandlung der beiden Geschlechter als Teilgebiet des allgemeinen Diskriminierungsverbots? .. . ... .. . ... . . .. .. . . . 98 c) Vergleichbarkeit der Sachverhalte als Voraussetzung einer Diskriminierung? ... . .............. . . . ... . ... . .... .. ..... . .. 99 2. Grenzen der Entlohnungsgleichheit nach Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV ................................ . ... 102 a) Erster Schritt: Vorhandensein einer ungleichen Behandlung aufgrund des Geschlechts ....... .. .... .. ................. 102 b) Grenzen des Verbots einer unmittelbaren Entgeltdiskriminierung? ...... .. .. . .. . ... . .. .. ..... .. ...... .. ........ .. ... 103

Inhaltsverzeichnis 3. Grenzen des sekundärrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ....... . .... . ....... a) Begrenzung der Ausnahme von Gleichbehandlungsgrundsatz auf die in den Richtlinien ausdrücklich anerkannten Fälle .. . . b) Geschlechtszugehörigkeit als unabdingbare Voraussetzung der Berufsausübung (Art. 2 Abs. 2 der RL 761207) ...... . ... . .. aa) Anfängliche Unsicherheit bei der Auslegung von Art. 2 Abs. 2 der RL 761207 .. ............ .. ............ . .. bb) Einführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung und ihre Tragweite . . ... . .... .. ... . ...... . . .. ... .. . .. .... . ... cc) Kombattantenstellung als "geschlechtsabhängige Tätigkeit" .. ... . ...... .. .... .. ..... ... . . . . . .. ..... .. . .... c) Schutzvorschriften für Frauen (Art. 2 Abs. 3 der RL 761207) . aa) Anfängliche Erweiterungstendenz ... . .. . .. . ... . ..... . . bb) Ausschließlichkeitserfordemis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Notwendigkeit der Ungleichbehandlung ... .. ........... d) Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit (Art. 2 Abs. 4 der RL 761207) ... . ..... . ........ . .............. . . aa) Ermächtigung zu positiven Maßnahmen . .. . .. .. ... .. . .. bb) Urteile Kalanke, Marschall, Badeck und Abrahamsson . .. cc) "Ergebnisgleichheit" oder "Chancengleichheit" . . ....... dd) Verhältnismäßigkeit im Bereich des Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 . ... .. ... . ... .. ........ . .... . ... ... .. .. ... . .. ee) Bedeutung der Öffnungsklausel im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ................................ 4. Ergebnis: Inhalt und Grenzen des Gleichbehandlungsgrundsatzes . Il. Mittelbare Diskriminierung . .... . ........ .. .... . .... . ... .. ...... 1. Begriff und Merkmal der mittelbaren Diskriminierung .......... a) Allgemeine Definition ... .. ... ... . . ...... . .. .. .. . .. . . . . . . b) Diskriminierende Absicht als Voraussetzung der mittelbaren Diskriminierung? ...... . . . . . .... . .. ... . . . . .. . . . . ... ... ... 2. Schutz der Teilzeitbeschäftigten durch das Verbot der mittelbaren Diskriminierung .. ..... .. ... . .. .. .. . ... .. ... .. ... . .. .. .... . . a) Diskriminierung der Teilzeitbeschäftigten im Entgeltbereich . . b) Vergütung für die Betriebsratstätigkeit der Teilzeitbeschäftigten . .. .... .. . .. ... .. ... . .... . ... . ..... . ... . . ... ........ c) Diskriminierungen der Teilzeitbeschäftigten im Bereich der Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Schutz der Teilzeitbeschäftigten im Bereich der sozialen Sicherheit .... .. .......... . ... . ... .. .. . . .. . .. .. .. . . . . .. . e) Zweifache mittelbare Diskriminierung? ... . ........ . ....... 3. Anknüpfungspunkte, die eine mittelbare Diskriminierung auslösen a) Theoretische Grundlage der mittelbaren Diskriminierung .... . b) Kriterien des Familienstands und der Einkommensvoraussetzung . . . ....... .. .. .. ... . .... .. ......... . .. .. .. . ..... ...

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Inhaltsverzeichnis c) Entlohnungskriterium und mittelbare Entgeltdiskriminierungen d) Bezug zur bestimmten Rollenerwartung als Voraussetzung einer mittelbaren Diskriminierung? ....... .. . .. . . ... . . .. .. . 4. Verhältnismäßigkeitsprüfung im Bereich der mittelbaren Diskriminierung ... .. . ... ...... . . ... ...... . .. .. ...... .. .. .. .... . .... a) Legitimes Ziel, illegitimes Ziel . . .............. . ....... . .. aa) Reales wirtschaftliches Interesse als legitimes Ziel ...... bb) Sozialpolitisches Ziel der Mitgliedstaaten . . .... .. .. ... . b) Geeignetheit und Erforderlichkeit .... . ............ .. .... . . c) Überbelastung der Verhältnismäßigkeitsprüfung? . . .... ... . . . III. Gerichtlicher Rechtsschutz bei einer Diskriminierung .. . ........... 1. Freiheitsrechtliche Abwehrfunktion des Gleichbehandlungsgrundsatzes .. . . . ... . .... . . ... . . .. . ... ... . . ...... .. ....... ... .. . . a) Abwehrrechtliche Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Sinne des allgemeinen Rechtsgrundsatzes . ..... .. .. . . b) Anspruch auf Anwendung der gleichen Regelung, die für die bevorzugte Gruppe gilt . .. . ...... . . . . .... . . . . . ........ .. .. c) Prozeßrechtliche Hürden .. . ......... . ... .. ... .. ....... . . . 2. Wiederherstellung der Gleichbehandlung . . ........ .. . ... .. .. . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Teil

Das Recht auf Gleichbehandlung im Gleichberechtigungsgebot 169 des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG § 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage . ....... . . 169 1. Verhältnis des Gleichberechtigungsgebots zum allgemeinen Gleich-

heitssatz .... . ... .. ... . ... .. ... . .... ... .. . .... . .............. . . 1. Substantielle Gleichheit ..... . ......... . ................... . . 2. Gleichberechtigungsgebot als Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes . .. ..................................... .. . a) Gleichwertigkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auseinandersetzung mit der Gleichwertigkeitstheorie .... bb) Gleichwertigkeit der Arbeit der Hausfrau mit der Erwerbstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendung der Willkürprüfung im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG? ..... . .. ...... . . .. .. . . . . . . ...... .... .. . ... . .. c) Kausalitäts- und Finalitätsanforderung? ... .. .. . .... . ....... aa) Theorie der Kausalitätsanforderung . . .. ....... . ....... . bb) Fehlende Kausalität im Rahmen der Typisierung? .... .. . cc) Ergebnis . . .. . . . ..... . . . ....... . .. . . . .. ... .. . . . .. . .. 3. Bedeutungsidentität von Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG .. . ..... . .

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Inhaltsverzeichnis

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a) Zu lässigkeit der differenzierenden Ordnungsvorschriften? b) Reduktion des Differenzierungsverbots auf ein Benachteiligungsverbot? ..... .. . ... .......... .. ......... .. . .. .... . . 11. Vergleichbarkeitsprüfung . . . . ........... . .... . .......... . ....... 1. Die Formel der "biologischen und funktionalen Unterschiede" im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung ... . .. ... .. ... . .. . . ... ... a) Vergleichbarkeit als normative Folge der Gleichheit der Gleichen . . ........... ... . . .. . .... . . .... .... . ... ...... ...... b) Die Vergleichbarkeitsprüfung als Garant der Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede ........... . .................. 2. "Funktionale" Unterschiede .... ... . .............. .. .. . .. . .... a) Traditionelle Rollenverteilung als "funktionaler Unterschied" . b) "Funktionale Unterschiede" und das Gleichberechtigungsgebot im Sinne eines Freiheitsrechts vor staatlich aufgezwungener Geschlechterrolle .. . .. ... ......... . . .. . . ........... ... .. . c) Ausschluß der traditionellen Rollenerwartung aus dem "funktionalen Unterschied" . .. .. . ..... .. . . .. ... ... . . . . .. . .... . . 3. "Biologische" Unterschiede ... . ..... . .............. .. . . .. .. .. a) Gruppenbezogene Betrachtungsweise der "biologischen Unterschiede" ........................................ .. . .. ... b) Individualisierende Betrachtungsweise der "biologischen Unterschiede" .. .. .... .... .... . ..... .... .. . .. .. .. . . .. .... c) Ausschließlichkeitsanforderung als Ergänzung für "biologische Unterschiede" ..... . ... .. ............ ... ............ . .... 4. Grenzen der Vergleichbarkeitsprüfung .... . . ........... . . . .... . a) Rentenaltersbeschluß des BVerfG . . . .. . . ......... ... .. . ... b) Soziale Unterschiede . . .. .. .... .. ... . .. .. .. . . ... .. . ....... c) " Umgekehrte Willkürprüfung" im Rahmen der raffinierten Vergleichbarkeitsprüfung .......... . .... . ....... . ..... .. .. 5. Ergebnis . .... ........... .. .......... . . .. ............. . ..... III. Rechtsschutz bei der Verletzung des Gleichberechtigungsgebots ..... 1. Nichtigkeit als Folge des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG 2. Gesetzgeberisches Wahlrecht zwischen verschiedenen Wegen zur Wiederherstellung der Gleichheit .... .. . . ........ . .. .... ..... . 3. Aufstellung einer Auffangregelung für die Übergangszeit ........ 4. Schlußfolgerungen ....................... . ............ . . .. .. a) Die gesetzgeberische Befugnis zur Herstellung der Gleichheit als Folge des Willkürprinzips . .. .. ... .. .. . .. . .. .. ... . ..... b) Struktureller Unterschied zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten ? .. ........... . .............. . .................. .

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots .... . I. Die Erforderlichkeitsprüfung des BVerfG in den neunziger Jahren . . . 1. Die Erforderlichkeitsprüfung . .. . . .. ....... .. .. ..... .. . ..... . . a) Nachtarbeitverbotsurteil .. . ...... .. . ... .. .. ......... .. ....

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Inhaltsverzeichnis b) Feuerwehrabgabenbeschluß .............................. . 2. Die Erforderlichkeitsprüfung als Konkretisierung der "neuen Formel" ................................................... a) Die sogenannte "neue Formel" ............................ b) Rechtfertigungsgründe im Sinne der "neuen Formel" ........ 3. Die Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung ......... a) Die Erforderlichkeitsprüfung in der neuen Systematik des Art. 3 GG ............................................. . b) Vergleichbarkeitsprüfung im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung? .................................................. c) Erforderlichkeitsprüfung als Beschränkung der gesetzgeberischen Ziele ............................................ . d) Erforderlichkeit für die Problemlösung .................... . 4. Ergebnis .................................................. . 11. Die Herstellung der tatsächlichen Chancengleichheit für Frauen und verfassungsrechtliche Grenzen der Förderungsmaßnahme ........... 1. Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung .................. a) Art. 3 Abs. 2 GG als Verfassungsauftrag zur Herstellung der tatsächlichen Chancengleichheit .......................... . aa) Objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates zur Frauenförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungsauftrag, Sozialstaat, Teilhaberecht ........... cc) Einfügung des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG ................ b) Grundrechtskonkurrenz und Herstellung der praktischen Konkordanz ................................................ c) Zwischenbetrachtung: Verhältnismäßigkeitsprinzip und "Eingriff' in das Gleichheitsrecht ............................. d) Ziele der Quotenregelungen .............................. aa) Geschlechterparität .................................. bb) Kompensation erlittener Nachteile ..................... cc) Ausgleich der gegenwärtigen Benachteiligungen ........ dd) Verwirklichung der Chancengleichheit in der Zukunft . . . . e) Eignung und Erforderlichkeit für die Zielverwirklichung ..... 2. Besondere Schutzrichtung des Art. 3 Abs. 2 GG? ............... a) Relativierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei gerichtlicher Überprüfung des Zweck-Mittel-Verhältnisses im kompensatorischen Kontext? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dominierungsverbot? .................................... aa) Theorie des Dominierungsverbots ..................... bb) Geltungsvorrang des Art. 3 Abs. 2 GG im Bereich der Frauenförderung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Grenze der zulässigen Quotenregelung aus der Sicht des Dominierungsverbots ................................ 3. Ergebnis ...................................................

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Inhaltsverzeichnis

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III. Mittelbare Diskriminierung ..................................... 1. Mittelbare Diskriminierung als Problem des allgemeinen Gleichheitssatzes? ................................................ 2. Mittelbare Diskriminierung im Rahmen des Dominierungsverbots a) Benachteiligungsverbot bei der Wahrnehmung der traditionellen Frauenrolle ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einseitige Schutzrichtung beim Verbot der mittelbaren Diskriminierung? ............................................. 3. Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung und Verbot der mittelbaren Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ermittlung der mittelbaren Diskriminierung und faktische Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen .............. b) Zweistufige Prüfung aufgrund des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG ...................... aa) Entsprechungsprüfung ............................... bb) Entsprechungsprüfung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 und 3 GG ..................... 4. Ergebnis ....................................... . . . . . . . . . . . .

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Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Subjektiv-rechtliches Modell der Geschlechtergleichberechtigung ... . 1. Hintergrund der Modellkonkurrenz ........................... 2. Subjektiv-rechtliches Modell des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Gemeinschaftsrecht ...................................... 3. Subjektiv-rechtliches Modell der Geschlechtergleichberechtigung im deutschen Verfassungsrecht ............................... 11. Rückfolgerungen auf den gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ................................................ 1. Die praktische und theoretische Bedeutung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einschaltung der Entsprechungsprüfung bei der Ermittlung der mittelbaren Diskriminierung ................................. III. Grundrechtliche Systemkonkurrenz ..............................

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Zusammenfassung: Sieben Thesen zur Geschlechtergleichberechtigung vor dem EuGH und dem BVerfG ...................................... 301 Rechtsprechungsverzeichnis ........................................... . 304 Literaturverzeichnis ................................................... 312 Sachverzeichnis ....................................................... 317

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. ABI. Abs. a.F. AöR ArbuR Art. Aufl. BAG BAGE BayVerfGH BayVerfGH n. F.

BB Bd. Beschl. BGB BGBI. BGH BGHZ BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerfGG bzw. CEEP

DB ders. d.h. dies. DÖV DVBI. ebd.

anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz alte Fassung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeit und Recht Artikel Auflage Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bayerischer Verfassungs gerichtshof Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, neue Folge Der Betriebsberater Band Beschluß Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Drucksachen des Deutschen Bundestags Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht beziehungsweise Centre Europeen des Entreprises a Participation Publique et des Entreprises d'!nteret Economique General (Europäische Vereinigung der öffentlichen Unternehmen) Der Betrieb derselbe das heißt dieselbe Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungs blatt ebenda

Abkürzungsverzeichnis EG EGB EGMR EGV EMRK EuGE EuGH EuGHE

EuGRZ EuR EWG f., ff. FamRZ Fn. FS GB!. GVB!. GG HBdStR Hrsg. IAO i.V.m. JuS JZ Kap. Kom. MDR m.E. m.w.N. n.F. NJW NKESR Nr. NVwZ NZA RdA RGB!. 2 Nishihara

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Europäische Gemeinschaft Europäische Gewerkschaftsbund (Entscheidungen des) Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz, Teil 2, Gericht erster Instanz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz, Teil 1, Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechtezeitschrift Europarecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgende Seite(n) Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht (später: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht) Fußnote Festschrift (für) Gesetzblatt (der Freien Hansestadt Bremen) Gesetz- und Verordnungsblatt (des Landes Nordrhein-Westfalen) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts Herausgeber Internationale Arbeitsorganisation in Verbindung mit Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Europäische Kommission Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nomos Kommentar zum Europäischen Sozialrecht Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Recht der Arbeit Reichsgesetzblatt

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RL Rn. Rs. RuStAG

S. SPD st. Rspr. u.a. UNICE Urt. U.S. usw. v. Verf. VerwArch vgl. VO VVDStRL z.B.

Abkürzungsverzeichnis Richtlinie Randnummer Rechtssache Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Seite, Satz Sozialdemokratische Partei Deutschlands ständige Rechtsprechung und andere/und anderes; unter anderen Union of Industrial and Employers' Confederations of Europe (Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas) Urteil United States Reports und so weiter von, vom Bemerkung des Verfassers Verwaltungsarchiv vergleiche Verordnung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zum Beispiel

Einleitung Die Entwicklung des europäischen Gemeinschaftsrechts beeinflußt die Rechtsordnungen der gesamten Mitgliedstaaten. Auch das Verfassungsrecht bleibt nicht davon verschont. Zwar würde in diesem Bereich eine unmittelbare Einflußnahme in Form einer Harmonisierung oder Rechtsangleichung sofort die Souveränität und Eigenständigkeit des Mitgliedstaates antasten, dennoch kommt man heute nicht mehr umhin, bei der Auslegung der nationalen Verfassung den jeweiligen Bestand des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen. Die Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf die Verfassungen der Mitgliedstaaten erfolgt - soweit es sich nicht um Verfassungsänderungen zur Anpassung an eine auf europäischer Ebene getroffenen Entscheidung handelt - somit nicht unmittelbar durch einen Rechtsakt eines Gemeinschaftsorgans, sondern durch eine Ausrichtung der Verfassungsinterpretation auf die europarechtlichen Entwicklungen auf Seiten des Mitgliedstaates. Dies gilt in besonderem Maße für die Auslegung der Grundrechtsbestimmungen. Ursprünglich waren es die Mitgliedstaaten, die die Entwicklung der europäischen Grundrechte beeinflußten und förderten I. Daher ist in diesem Bereich nicht eine einseitige Einflußnahme, sondern stets eine Wechselwirkung festzustellen. Obwohl das primäre Gemeinschaftsrecht lang über keinen Grundrechtskatalog verfügte und der EuGH den Grundrechtsstandard als ungeschriebenen allgemeinen Grundsatz erst aus der gemeinsamen Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten ableiten mußte 2 , hat inzwischen der Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene auf manchem Gebiet den des Grundgesetzes überholt. Jedoch stellt der Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf die Verfassungsauslegung die nationalen Verfassungsgerichte vor eine schwierige Aufgabe. Stellen sie einen Widerspruch zwischen ihrer überkommenen Verfassungsauslegung und dem vorrangigen Europarecht fest, so müssen sie sich mit der Frage auseinandersetzen, ob und wie sie die beiden Gesichtspunkte in I Der Solange-I-Beschluß des BVerfG kann auch so verstanden werden, daß er sich an die Gemeinschaftsorgane wendete und die Notwendigkeit des verstärkten Grundrechtsschutzes auf der europäischen Ebene klarstellte. BVerfGE 37, 271 (285). Vgl. Oppenrumn, Europarecht 1, 1991, S. 162 ("Nebeneffekt" von Solange-I). 2 EuGHE 1969, 419 (Rn. 7) - Rs. 29/69 "Stauder"; 1970, 1125 (Rn. 4) - Rs. 11/70 "Internationale Handelsgesellschaft"; 1974, 491 (Rn. 13) - Rs. 4/73 "Nold"; st. Rspr.

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Einklang bringen können. Einerseits kann der Verfassungsrichter nicht auf seiner Linie bestehen, da dies einen Verstoß gegen den Geltungsvorrang des Gemeinschaftsrechts und somit eine Vertragsverletzung darstellen würde 3 . Auf der anderen Seite muß er auch auf eine gewisse Kontinuität seiner Rechtsprechung bedacht sein, um die Rechtssicherheit innerhalb der nationalen Rechtsordnung zumindest einigermaßen zu garantieren. Ein ähnliches Dilemma entsteht auch beim EuGH. Er spielt eine Vorreiterrolle bei der Gewährleistung des Grundrechtsschutzes im Gemeinschaftsrecht. Dennoch kann er sich nicht über die Verfassungsauslegung der nationalen Verfassungsgerichte und -organe hinwegsetzen, weil er sonst seine Legitimationsgrundlage als Garant der "gemeinsamen Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten" verlieren würde. In dieser Hinsicht sind sowohl EuGH als auch nationale Verfassungsgerichte auf die gegenseitige Achtung und den beiderseitigen Lemprozeß angewiesen, also auf eine Kooperation4 . Jedoch findet diese Art der Zusammenarbeit in einer fiktiven Auseinandersetzung statt. Bei der Überwindung der Konflikte zwischen dem hergebrachten Verfassungs verständnis und der neuen gemeinschaftsrechtlichen Entwicklung ist jedes Gericht auf sich gestellt. Im Bereich der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter (Art. 3 Abs. 2 und 3 GG) zeigt sich ein Musterbeispiel solcher Wechselwirkungen und Konfliktslagen. Seitdem das BVerfG 1956 die Arbeitszeitbeschränkungen zugunsten der Frauen als vereinbar mit diesen Vorschriften erklärte5 , wurde das Nachtarbeitsverbot ausschließlich für die Arbeiterinnen lange Zeit als verfassungsgemäß angesehen. Nachdem jedoch der EuGH 1991 ein ähnliches Nachtarbeitsverbot im französischen Recht als gemeinschaftsrechtswidrig beurteilt hatte 6 , gab das BVerfG ein Jahr später seine alte Position zugunsten einer strengeren Interpretation des Diskriminierungsverbots auf. Damit erklärte es das betreffende Gesetz für grundgesetzwidrig, das nach seiner Auffassung ohnehin seit dem Stoeckel-Urteil aufgrund des Geltungsvorrangs des EG-Rechts unanwendbar war. Erweitert man den Blickwinkel auf die Wechselwirkung zwischen dem deutschen Verfassungsrecht und Grund- und Menschenrechtsschutz der Ausführlich hierzu Sander, DÖV 2000, S. 588 ff. Im Maastricht-Urteil hat sich das BVerfG die grundrechtliche Kontrollzuständigkeit über das sekundäre Gemeinschaftsrecht in "Kooperation" mit dem EuGH vorbehalten, BVerfGE 89, 155 (175). Über die Bedeutung dieser "Kooperation" wurde seitdem viel spekuliert. Wenn die "Kooperation" vielschichtig und vielgestaltig zu verstehen ist, schließt sie - mindestens der Idee nach - eine fiktive Auseinandersetzung ein. 5 BVerfGE 5, 9 (11 f.). 6 EuGHE 1991,1-4047 - Rs. C-345/89 "Stoeckel". 7 BVerfGE 85, 191 (206 ff.). 3

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EMRK, fällt ein weiteres Beispiel auf. Die Feuerwehrabgabe in Bayern und Baden-Württemberg wurde lediglich von den männlichen Einwohnern verlangt. Diese hat das BVerfG wiederholt als verfassungsgemäß erklärt8, bis es schließlich eine Verfassungsbeschwerde gegen diese Regelung als Mißbrauch des Beschwerderechts bewertete und mit Auferlegung der Prozeßgebühr nach 34 Abs. 2 BVerfGG sanktionierte9 . Es verabschiedete sich jedoch von dieser Position lO , nachdem das EGMR das bayerische Gesetz als Verletzung der Gleichheit in Art. 14 EMRK verworfen hatte 11. In der Tat markieren das Nachtarbeitsverbot-Urteil und der Feuerwehrabgabe-Beschluß eine neue Epoche der Auslegung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. Bis dahin unterzog das BVerfG die in Frage stehende Regelung einer Vergleichbarkeitspriifung. Nach dieser Priifung ist eine nach Geschlecht differenzierende Behandlung dann zulässig, wenn objektive biologische oder funktionale Unterschiede das zu ordnende Lebensverhältnis so entscheidend prägen, daß etwa vergleichbare Elemente daneben vollkommen zuriicktreten und die unterschiedliche rechtliche Regelung mit den Begriffen "Benachteiligung" und "Bevorzugung" nicht mehr sinnvoll zu erfassen ist l2 . Dagegen wendet die neue Rechtsprechung das Priifungskriterium an, nach der Differenzierungen nur soweit anerkannt werden, als "sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind,,13. Von welcher Tragweite dieser Wandel des Priifungskriteriums ist, ist im Schrifttum noch umstritten. Die Revision der Rechtsprechung hinsichtlich des Diskriminierungsverbots in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG war eigentlich auch ohne den Einfluß von europäischer Seite längst fällig. Unter dem alten Kriterium der Vergleichbarkeit wurde die Verfassungsmäßigkeit des § 1356 Abs. 1 BGB in der Fas8 Zuerst BVerfGE 13, 167. Dort wurde nur die Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz erklärt, ohne die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes anhand des Art. 3 Abs. 2 und 3 näher zu prüfen. Sodann in Ausschuß- und Kammerbeschlüssen: BVerfG, Besch!. vom 6.12.1978 - 1 BvR 722177; Besch!. vom 13.11.1979 - 1 BvR 768179; Besch!. vom 5.7.1983 - 1 BvR 1214/82 und 210/82; Besch!. vom 11.12.1985 - 1 BvR 1277/85; Besch!. vom 31.1.1987 - 1 BvR 1476/86; Besch!. vom 9.2.1990 - 1 BvR 1614/89. 9 BVerfG, Besch!. vom 31.1.1987 - 1 BvR 1476/86. IO BVerfGE 92, 91 (109 ff.). II EGMR, Serie A 291-B - Karlheinz SchmidtlDeutschland -, S. 32 f. 12 BVerfGE 6, 389 (423); 10, 59 (74); 15, 337 (343); 21, 329 (343); 31, 1 (4); 37,217 (249); 39, 169 (185 f.); 52, 369 (375). Das Vorhandensein der biologischen und funktionalen Unterschiede wurde bis zum Jahr 1991, BVerfGE 84, 9 (17), in der ständigen Rechtsprechung als Begründungsmerkmal anerkannt. Zuerst BVerfGE 3, 225 (242). Zu dieser Vergleichbarkeitsprüfung vg!. unten § 3. 13 BVerfGE 85, 191 (207); 92, 91 (109).

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sung des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957 14 nie in Frage gestellt. Nach ihm war die Erwerbstätigkeit der verheirateten Frau nur erlaubt, soweit die Erwerbstätigkeit "mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist". Das BVerfG legte vielmehr diese Bestimmung einfach zugrunde und ging davon aus, daß die Haushaltsführung der Frau vom Gesetz zur ersten Pflicht gemacht und "Beruf der Frau und ihr wesentlichster Unterhaltsbeitrag" sei l5 . Diese Betrachtungsweise wurde zwar später angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung korrigiert l6 , aber nicht aufgrund der normativen Auswirkungen des alten Prüfungskriteriums. Die Beibehaltung der Vergleichbarkeitsprüfung bedeutete somit, daß die gesetzliche Verpflichtung zur sogenannten Hausfrauenehe, auch in Zukunft unter Umständen wieder als vereinbar mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG angesehen werden kann. Diese Interpretation des Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts hält nicht den Anforderungen der Zeit stand. Das systematische Verhältnis des Diskriminierungsverbots in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG zum allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG müßte auch in Hinblick auf die Einführung der sogenannten neuen Formel l7 noch einmal überdacht und klargestellt werden. Das BVerfG nimmt die abweichenden Entscheidungen des EuGH und EGMR nur zum Anlaß, seine Rechtsprechung ausdrücklich zu verändern. Daß das BVerfG seine Dogmatik unter dem unmittelbaren Einfluß des EuGH entwickeln mußte, erschwerte jedoch seine Aufgabe. Dies ist Ausfluß des Spannungsverhältnisses zwischen BVerfG und EuGH. So wendet der EuGH nämlich im Bereich der Geschlechterdiskriminierung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung an, die feststellt, ob die differenzierende Regelung noch in grundrechtlicher Hinsicht gerechtfertigt werden kann. Danach dürfen Ausnahmen vom Gleichbehandlungsprinzip nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels angemessene und erforderliche Maß hinausgehen l8 . Das neue Kriterium des BVerfG mit seinem Bezug zur "Erforderlichkeit" zeigt eine Verwandtschaft zu der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Jedoch fragt es sich, ob die Einführung dieser neuen Prüfungsart im Bereich des Diskriminierungsverbots eine gewisse Kontinuität zur alten Rechtsprechung sicherstellen kann. Wenn die Vergleichbarkeitsprüfung nicht die normative Struktur des Gleichbehandlungsprinzips voraussetzt, wie sie bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zugrunde liegt, kann die Einführung des BGBI. 1957 I, S. 609. BVerfGE 17, 1 (20), im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der erschwerten Witwerrente. 16 BVerfGE 39, 169 (182 ff.). 17 BVerfGE 55, 72 (88 ff.); st. Rspr. des Ersten Senats. 18 EuGHE 1986, 1651 (Rn. 38) - Rs. 222/84 "Johnston"; st. Rspr. Dazu unten § 2, I, 3. 14

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letzteren Prüfungskriteriums dazu führen, die bisherige Dogmatik des BVerfG über die Gleichbehandlung von Mann und Frau über Bord zu werfen. Das BVerfG nimmt zur Zeit eine Anpassung vor, deren Tragweite im Rahmen der deutschen Verfassungsdogmatik noch festgestellt werden muß. Der Widerspruch zwischen der alten Rechtsprechung des BVerfG und der neueren des EuGH liegt jedoch - wie noch zu zeigen ist - auf der Ebene des theoretischen Grundverständnisses. Diese Sachlage veranlaßt, über die dogmatische Struktur der Gleichberechtigung von Mann und Frau nochmals nachzudenken.

1. Teil

Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau im Gemeinschaftsrecht § 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes Um auf die nationale Grundrechtsgarantie Einfluß ausüben zu können, müssen die europäischen Grundrechtsnormen eine vergleichbare Struktur hinsichtlich des Inhalts und der Verbindlichkeit aufweisen. Diese Bedingung ist keineswegs überall vorhanden. Das primäre Gemeinschaftsrecht wird zwar manchmal als Verfassung Europas bezeichnet', die Zugehörigkeit zu einem höherrangigen Recht besagt jedoch nichts über den Charakter eines dort gewährleisteten subjektiven Rechts als "Grundrecht". Es ist beispielsweise umstritten, ob das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Art. 12 S. 1 EGV = ex-Art. 6 S. 1 EGV auf Staatsangehörige außereuropäischer Staaten anwendbar ist2 . Dieser Streit entsteht nicht deswegen, weil die Grundrechtsträgerschaft der Außereuropäer innerhalb der europäischen Grundrechtsgarantie in Frage steht, sondern deswegen, weil dieses Recht, genauso wie die der Arbeitnehmer in Art. 39 Abs. 1 EGV = ex-Art. 48 Abs. 1 EGV, ursprünglich nicht als Jedermannsrecht konzipiert wurde. Die europarechtlichen Grundfreiheiten sind Ausfluß des Gemeinsamen Marktes, den die Europäische Gemeinschaft als vorrangiges Ziel verfolgt. Es liegt dabei in der Natur der europäischen Integration, daß der Gemeinsame Markt nicht unbedingt eine Öffnung zu den Drittstaaten mit sich bringt. Diskriminierungen gegenüber Drittstaatsangehörigen sind kein Störfaktor innerhalb des Gemeinsamen Marktes, vielmehr sind sie eine zwangsläufige Nebenwirkung dieses Prozesses. Die Grundfreiheiten werden somit nur im Rahmen eines zielgebundenen Systems garantiert, sie haben keine Beziehung zur Idee der allgemein gültigen Menschenrechte. Dies gilt grundsätzlich auch für das I Zu dieser Bezeichnung ausführlich Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, 1994, S. 25 ff. 2 Gegen den Ausschluß der Drittstaatsangehörigen von Bogdantly, in: Grabitzl Hilf, Art. 6 alt EGV, Rn. 33 ff.

§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

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Verbot der Staatsangehörigkeitsdiskriminierung3 . Sie gewährleistet in erster Linie nur die gleichheitsrechtliche Kehrseite der Freizügigkeit. Dagegen treten die menschenrechtlichen Momente viel stärker beim Prinzip der Gleichbehandlung von Mann und Frau auf. Daher liegt die Vermutung nahe, daß es sich hierbei um eine echte Grundrechtsgewährleistung handelt, wenn das Europarecht den Anspruch erhebt, es wolle dieses Prinzip als fundamentalen Grundsatz in der Form eines subjektiven Rechts garantieren. Das Problem liegt hier nicht in der inhaltlichen Zugehörigkeit dieses Rechts zum grundrechtlichen Rechtsgedanken, sondern darin, ob das Gemeinschaftsrecht dieses Prinzip umfassend als ein einheitliches System garantiert. Im primären und sekundären Gemeinschaftsrecht findet man nämlich spezifische Bestimmungen, die nur einen Teilbereich der Gleichbehandlung von beiden Geschlechtern regeln. Darunter sind vor allem zu nennen: (1) das Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierungen im Geltungsbereich der EG-Grundrechte im Sinne der allgemeinen Rechtsgrundsätze; (2) die Entgeltgleichheit von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern in Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV; (3) die Gleichbehandlungsrichtlinie, die unter anderem die Durchsetzung der Entgeltgleichheit (die RL 751117)4 oder die Aufstellung und Konkretisierung des Gleichbehandlungsprinzips im Erwerbsleben (die RL 761207 5 , die RL 86/378 6 , geändert durch die RL 96/97 7 , und die RL 86/613 8 ) und im System der sozialen Sicherheit (die RL 7917)9 zum Gegenstand haben lO ; (4) die Gleichstellung von Männer und Frauen als neue Aufgabe (Art. 2 EGV) sowie die Bekämpfung der Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts als neues Tätigkeitsfeld der Europäischen Gemeinschaft (Art. 13 EGV), die erst im Amsterdamer Vertrag aufgenommen wurden. Weisen diese Regelungen innere Beziehungen zueinander auf, so daß die Gewährleistung der geschlechtlichen Gleichberechtigung im Gemeinschaftsrecht als einheitliches System mit grundrechtlicher Bedeutung angesehen werden kann?

3 Kirchhof verwendet in diesem Zusammenhang die Bezeichnung "marktbezogene Gleichheit der Marktbürger". Kirchhof, in: HBdStR V, 2000, § 124, Rn. 149. 4 ABI. 1975, L 45/19. Siehe unten § 1, 11,6. 5 ABI. 1976, L 39/40. Siehe unten § 1, III, 2. 6 ABI. 1986, L 225/40. Siehe unten § 1, III, 4, a). 7 ABI. 1997, L 46120. Siehe unten § 1, III, 4, a). 8 ABI. 1986, L 359/56. Siehe unten § 1, III, 4, b). 9 ABI. 1979, L 6/24. Siehe unten § I, III, 3. IO Darüber hinaus sind die RL 92/85 (ABI. 1992, L 34811), die RL 96/34 (ABI. 1996, L 145/4) und die RL 97/80 (ABl. 1998, L 14/8) von unmittelbarer Bedeutung. Siehe unten § I, III, 4, c) und d).

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

I. Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierungen als EG-Grundrecht Wenn es auf den grundrechtlichen Charakter der Gleichbehandlung von Mann und Frau ankommt, ist dieser per definitionem bei seiner Ausformung als EG-Grundrecht gegeben. Dabei handelt es sich um Grundrechtsgewährleistungen, die der EuGH in der Form der allgemeinen Rechtsgrundsätze aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten herausgearbeitet hat. Zu diesem ungeschriebenen primären Gemeinschaftsrecht, das den Handlungen der EG-Organen eine unmittelbare Grenze zieht, gehört das Gleichbehandlungsprinzip. Hinsichtlich des konkreten Inhalts und der Tragweite dieses grundrechtlichen Prinzips ist die Rechtsprechung des EuGH jedoch wenig aufschlußreich, zumal sich sein Anwendungsbereich bisher auf Personalfragen beschränkte. Als der EuGH im Jahr 1972 zum ersten Mal auf diesen Gedanken zurückgriff und ein Statut, das die Zahlung der Auslandszulage von der Eigenschaft als "Familienvorstand" abhängig machte, als rechtswidrig erklärte, sprach er lediglich von einer "willkürlichen Ungleichbehandlung von Beamten"ll. Nach drei Jahren stellte er im Urteil in der Rechtssache Airola den Grundsatz auf, daß "Beamte und Beamtinnen, die sich faktisch in einer vergleichbaren Lage befinden, nicht grundlos ungleich behandelt werden" dürfen, und legte ein Statut grundrechtskonform aus l2 . So naheliegend dieser Grundsatz dem Inhalt nach war, so wenig Ausführungen hielt der EuGH für nötig in bezug auf seinen Geltungsgrund I3 . 11 EuGHE 1972, 345 (Rn.13) - Rs. 20/71 "Sabbatini-Bertoni"; 1972, 363 (Rn. 11113) - Rs. 32/71 "Chollet-Bauduin". Es handelte sich um eine unmittelbare Diskriminierung, weil das Statut an einer anderen Stelle diese Eigenschaft normalerweise den männlichen Beamten und nur in Ausnahmefällen den Beamtinnen zuschrieb. 12 EuGHE 1975,221 - Rs. 21/74 "Airola". Ähnlich EuGHE 1975,235 (Rn. 9/ 12) - Rs. 37/74 "Van den Broeck"; 1979, 3767 (Rn. 9) - Rs. 257/78 "Kenny-Levick". In diesen Urteilen legte der EuGH das Erfordernis einer fremden Staatsangehörigkeit als Voraussetzung der Auslandszulage dahingehend grundrechtskonform aus, daß es nicht anwendbar auf diejenigen Beamtinnen ist, deren Staatsangehörigkeit sich automatisch durch Eheschließung ändern ("Airola"), aber doch anwendbar auf diejenige, die bei der Eheschließung ihre bisherige Staatsangehörigkeit beibehalten konnten und diese Möglichkeit nicht in Anspruch nahmen (" Van den Broeck", " Kenny-Levick "). 13 Meesen, DVBI. 1975, S. 776 bezeichnet diesen Grundsatz als "in loser Anlehnung an den Vertragstext entwickelt". Der Schlußantrag des Generalanwalts Trabuchi hob jedoch hervor, daß der Entscheidungsmaßstab an dem "ohne Frage in der Gemeinschaftsrechtsordnung verwurzelten tragenden Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter" anlag. EuGHE 1975, 221 (S. 235). Somit war es klar, daß der EuGH diesen Grundsatz im Sinne eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes anwandte.

I. Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierungen

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Erst im dritten Defrenne-Urteil vom 15.6.1978 wurde klargestellt, daß der EuGH das Gleichbehandlungsprinzip als Grundrecht im Sinne eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes anwandte 14. Dort schloß er sich seiner bisherigen Argumentationsweise an, der er sich im Bereich der anderen Grundrechten bedient hatte: Der Gerichtshof hat die Wahrung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zu sichern und diese Grundsätze enthalten die Grundrechte der Menschen l5 . Nunmehr ist es ausdrücklich anerkannt, daß die "Beseitigung der auf dem Geschlecht beruhenden Diskriminierungen" zu diesen Grundrechten gehört. In Fortentwicklung dieser Linie erklärte der EuGH im Razzouk-Urteil vom 20.3.1984 die erschwerenden Voraussetzungen der Witwerrente für Ehegatten der verstorbenen EG-Beamtinnen und ihr geringerer Betrag im Vergleich zur Witwenrente für rechtswidrig 16 . Nach dieser Klarstellung der grundrechtIichen Qualität steht fest, daß die Gleichheit der beiden Geschlechter als ungeschriebene Grundrechtsnorm unmittelbar die Handlungen der EG-Organen bindet 17 • Wichtig ist dabei, daß der EuGH dieses Grundrecht im Sinne eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes in einem systematischen Zusammenhang mit Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV und den in diesem Bereich erlassenen Richtlinien sieht. Dieser Grundsatz gilt nur für Vorschriften innerhalb der EG-Rechtsordnung, wie es Defrenne-III klarstellte. Im Anwendungsbereich dieses Grundsatzes, vor allem im Verhältnis zwischen den EG-Organen einerseits und den Bediensteten der EG und ihre anspruchsberechtigten Angehörigen andererseits, übernimmt dieser Grundsatz den Regelungsgehalt des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV == ex-Art. 119 EGV und der GleichbehandlungsrichtIinien, ohne seinen Inhalt auf die in der EG-Gesetzgebung konkretisierten Anforderungen zu beschränken 18. 14 EuGHE 1978, 1365 (Rn. 26/29) - Rs. 149/77 "Defrenne-Ill". Dieses Urteil lehnte eine unmittelbare Anwendbarkeit dieses Rechtsgrundsatzes auf Regelungen innerhalb der nationalen Rechtsordnung ab. IS Der EuGH beruft sich wiederholt auf diese Argumentation in den Urteilen, in denen er die Grundrechte im Sinne der allgemeinen Rechtsgrundsätze anwandte. EuGHE 1969, 419 (Rn. 7) - Rs. 29/69 "Stauder"; 1970, 125 (Rn. 4) - Rs. 11/70 "Internationale Handelsgesellschaft"; st. Rspr. 16 EuGHE 1984, 1509 - Rs. 75/82 "Razzouk". 17 Danach ist auch auf der EG-Ebene eine Entlassung aufgrund der Schwangerschaft theoretisch nicht erlaubt. EuGE 1992, 11-33 (Rn. 50) - Rs. T-45/90 "Speybrouck". 18 EuGHE 1984, 1509 (Rn. 17) betont, daß die Anforderungen, die das Gleichbehandlungsprinzip im Sinne des Rechtsgrundsatzes stellt, nicht in dieser Weise inhaltlich beschränkt sind. Den Schluß, den der EuGH in den genannten Urteilen aus diesem Rechtsgrundsatz zog, könnte man jedoch nach dem heutigen Stand der Rechtsprechung des EuGH auch aus Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV ziehen, wenn diese Regelung Anwendung finden würde. Die Hinterbliebenen-

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Diese Methode der Zusammenschau beeinflußt auch die Inhaltsbestimmung des Gleichbehandlungsprinzips. In dieser Hinsicht zeigen sich Schwankungen im Wortlaut der Rechtsprechung. Anfangs definierte der EuGH dieses Prinzip als Verbot der "willkürlichen,,19 oder "grundlosen,,2o Ungleichbehandlungen, die theoretisch durch Anführung von sachlichen, auf tatsächlichen Unterschieden beruhenden Gründen gerechtfertigt werden konnten. In den späteren Urteilen wird dagegen schlicht von "Gleichbehandlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern,,21 gesprochen. Es kommt dabei weniger auf die faktische Vergleichbarkeit an. Die Frage, ob der Willkürlichkeit im Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsprinzips als allgemeinen Rechtsgrundsatzes wirklich keine Bedeutung mehr als Entscheidungskriterium zukommt, kann hier nicht abschließend beantwortet werden. Auf jeden Fall liegt die Vermutung nahe, daß der EuGH es in den achtziger Jahren nicht mehr für nötig hielt, über den Inhalt des Gleichbehandlungsprinzips Worte zu verlieren. Damals konnte er sich nämlich stillschweigend auf die Entwicklungen im Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV und der Gleichbehandlungsrichtlinien stützen.

11. Die Entgeltgleichheit in Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV und in der Entgeltrichtlinie Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV steht im Mittelpunkt des europarechtlichen Systems, welches das Prinzip der Gleichbehandlung von beiden Geschlechtern konkretisiert. Er war bis zum Amsterdamer Vertrag von 1996 die einzige Bestimmung des geschriebenen primären Gemeinschaftsrechts, die dieses Prinzip betraf. Art. 141 Abs. I und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV schreibt vor, daß jeder Mitgliedstaat den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anwenden und in der Folge beibehalten soll. Art. 141 EGV hat - über die technische Änderung bezüglich der gestrichenen Überrente, um die es in Razzouk ging, ist zwar aus dem Anwendungsbereich der RL 79/ 7 ausgenommen (Art. 3 Abs. 2 RL 79/7), gehört aber zum Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV, soweit sie im Rahmen eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit gezahlt wird. Vgl. EuGHE 1993, 1-4879 (Rn. 12) - Rs. C-109/91 "Ten Oever"; 1994, 1-4389 (Rn. 18) - Rs. C-200/91 "Russel"; 1997,1-2057 (Rn. 23 ff.) - Rs. C-145/95 "Evrenopoulos". 19 EuGHE 1972, 345 (Rn. 13) - Rs. 20/71 "Sabbatini-Bertoni"; 1972, 363, Rn. 11/13 - Rs. 32/71 "Chollet-Bauduin". 20 EuGHE 1975, 221 (Rn. 9/12) - Rs. 21/74 "Airola"; 1975, 235, (Rn. 9/12) Rs. 37/74 "Van den Broeck". Ähnlich EuGHE 1979, 3767 (Rn. 9) - Rs. 257/78 "Kenny-Levick" - (ohne objektiven Grund ... unterschiedlich zu behandeln). 21 EuGHE 1984, 1509 (Rn. 17) - Rs. 75/82 "Razzouk".

II. Die Entgeltgleichheit und die Entgeltrichtlinie

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gangszeitregelungen (Art. 7 EGV a. F.) hinaus - den Wortlaut insoweit modifiziert, als ein gleiches Entgelt ausdrücklich auch bei gleichwertiger Arbeit nunmehr sichergestellt werden soll. Dabei handelt es sich jedoch um die Anpassung des Normtextes an die bereits durchgeführte Normwirklichkeit, weil Art. lAbs. 1 der RL 75/115 - wie noch zu zeigen sein wird das Prinzip des gleichen Entgelts auch auf die gleichwertige Arbeit anwendet, und die Rechtsprechung des EuGH seit 1988 die gleichwertige Arbeit in den Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGVeinschließt22 . Trotz des beschränkten Anwendungsbereichs hat die Entgeltgleichheit in der Rechtsprechung des EuGH bei der Herauskristallisierung des Gleichbehandlungsprinzips eine ausschlaggebende Rolle gespielt. Der Gerichtshof hat, um hier das Ergebnis vorwegzunehmen, eine unmittelbare Wirkung dieser Bestimmung auch gegenüber den privatwirtschaftlichen Arbeitnehmern und Tarifparteien anerkannt und den Entgeltbegriff extensiv interpretiert, so daß diese Vorschrift einen großen Beitrag zur Beseitigung der Diskriminierungen gegenüber Frauen im Arbeitsleben geleistet hat und leisten wird. Was nun aber den grundrechtlichen Charakter dieser Bestimmung anbelangt, so spricht seine Entstehungsgeschichte gegen einen solchen Charakter und auch die systematische Stellung nicht unbedingt dafür. Es war in erster Linie der Verdienst des EuGH, aus dieser Bestimmung eine Sicherung der Grundrechtsgewährleistung herausgearbeitet zu haben. 1. Entgeltgleichheit als sozialpolitisches Ziel?

Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV wurde in Titel XI EGV = ex-Titel VIII EGVeingeordnet, der mit der Überschrift "Sozialpolitik, all-

gemeine und berufliche Bildung und Jugend" versehen ist. In dieser systematischen Stellung kann Art. 136 EGV = ex-Art. 117 EGV als lex generalis zur Entgeltgleichheit angesehen werden 23 . In dieser Generalklausel erklärt der EG-Vertrag die Verbesserung und Angleichung der "Lebens- und Arbeitsbedingungen" als zu erstrebendes Ziel der Gemeinschaft und Mitgliedstaaten. Dabei handelt es sich jedoch um Zielvorgaben ohne Sanktionsmöglichkeiten. Die Struktur dieser Sozialpolitik hat für die grundrechtsbezogene Bedeutung der Entgeltgleichheit eine ambivalente Auswirkung. Un22 EuGHE 1988, 673 (Rn. 9) - Rs. 157/88 "Murphy"; 1993, 1-5535, (Rn. 19) Rs. C-127/92 "Enderby"; 1995,1-1275, (Rn. 21 ff.) - Rs. C-400/93 "Royal Copenhagen". 23 EuGHE 1978, 1365 (Rn. 15) - Rs. 149/77 "Defrenne-lIl" - verlangt, daß der Geltungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV im Rahmen des Systems der Sozialvorschriften bestimmt werden soll.

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

ter Umständen kann dieser Grundrechtsbezug dadurch relativiert werden, daß der Grundsatz der Entgeltgleichheit im Lichte dieser Zielsetzung interpretiert wird. Es ist richtig, daß die Entgeltgleichheit von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern aus der Idee der sozialen Gerechtigkeit heraus ihre Bedeutung erlangt. Nach heutigem Verständnis stellt eine Entgeltdiskriminierung bei gleicher Arbeit eine krasse Ungerechtigkeit dar, die keinem tragfähigen Gerechtigkeitsbild entspricht. Daher ist es für den Staat ein legitimes, soziales Ziel, sich für den Abbau solcher Diskriminierungen einzusetzen24 . Bedenkt man jedoch, daß es sich bei der Entgeltgleichheit nur um ein Teilgebiet der grundrechtlichen Gleichheit von Mann und Frau handelt, so muß man vorsichtig sein, um diese Anforderung nicht allzusehr im Sinne eines sozialpolitischen Ziels zu verstehen. In diesem Zusammenhang kommt es darauf an, was man unter dem Begriff "Sozialpolitik" versteht. Legt man diesen Begriff im Sinne einer Staatstätigkeit aus, die sich an der sozialen Gerechtigkeit orientiert, so schließt die "Sozialpolitik" die Durchsetzung einer grundrechtlichen Anforderung, wie die Durchsetzung des Rechts, nicht wegen des Geschlechts diskriminiert zu werden, ein. Definiert man dagegen die "Sozialpolitik" als politische Bemühungen, die tatsächlichen Nachteile für einen bestimmten Personenkreis auszugleichen und die faktischen Voraussetzungen für die Grundrechtsausübung zu schaffen, so liegt der Schwerpunkt auf der Förderung besonders schutzbedürftiger Gruppen. Die Forderung nach der Frauenförderung, die angesichts der gegenwärtigen Unterrepräsentanz der Frauen in führenden Stellen aus dem objektiven Sinngehalt der grundrechtlichen Geschlechtergleichheit abgeleitet wird, fügt sich in diesen sozialpolitischen Rahmen 25 . Die rechtliche Bedeutung der Geschlechtergleichberechtigung erschöpft sich jedoch nicht in der Frauenförderung. Die zentrale Bedeutung des Gleichberechtigungsgebots, nämlich die Durchsetzung der Gleichheit im Sinne eines Abwehrrechts gegen die staatlich sanktionierten Diskriminierungen, wird im Verständnis der Sozialpolitik im Sinne eines Schutzes der sozialen Schwachen nicht hinreichend berücksichtigt. 24 Dazu, daß bei der Unterzeichnung des Römischen Vertrags schon übereinstimmend die Gleichheit von Mann und Frau als sozial- und arbeitspolitisches Problem erkannt wurde, Langen/eid, Die Gleichbehandlung von Mann und Frau im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1990, S. 39. 25 In die staatsrechtliche Diskussion in Deutschland versetzt, betrifft das Problem das Verhältnis der Sozialstaatsklausel zum Gleichheitssatz. Herzog entnimmt beispielsweise aus Art. 20 Abs. 1 GG die Anforderung, "eine möglichst weitgehende faktische Gleichheit der Entwicklungschancen für jedermann zu sichern". Herzog, in: MaunzlDürig, Art. 20, VIII, Rn. 40. So richtig diese Ansicht ist, so wenig erschöpft sich darin die rechtliche Bedeutung des Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 1 GG oder des Gleichberechtigungsgebots in Art. 3 Abs. 2 GG.

11. Die Entgeltgleichheit und die Entgeltrichtlinie

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So gesehen ist eine Diskrepanz zwischen sozialpolitischen Zielsetzungen und Durchsetzung der Grundrechte festzustellen. Die Sozialpolitik im Sinne einer Staatstätigkeit, durch die die "Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen" erzielt werden soll, umfaßt umfangreiche Tätigkeitsfelder. Innerhalb dieser Felder müssen sodann, je nach der Problemlage, Prioritäten gesetzt werden. Der in erster Linie programmatische Charakter des Art. 136 EGV = ex-Art. 117 EGV 26 entspricht auch dieser Besonderheit der Sozialpolitik. Die wirksame Verfolgung der sozialpolitischen Ziele setzt einen Spielraum voraus, innerhalb dessen eine politisch verantwortliche und demokratisch legitimierbare Entscheidung getroffen werden kann. Deshalb zieht sich die EG im sozialpolitischen Bereich grundsätzlich hinter die Verantwortung der Mitgliedstaaten zurück. Insoweit ist die Sozialpolitik in erster Linie eine politische und nicht eine rechtliche Angelegenheit. Zwar mögen die - im GG ungeschriebenen, dagegen innerhalb des europäischen Bereichs u. a. durch die Europäische Sozialcharta vom 18.10.1961, durch die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 1989 und zuletzt durch die europäische Grundrechtscharta vom 7.12.2000 konkretisierten, jedoch noch rechtlich unverbindlichen - sozialen Grundrechte die jeweilige politische Entscheidung maßgeblich beeinflussen27 . Diese sozialen Grundrechte beziehen sich jedoch in ihrer juristischen Bedeutung, wenn überhaupt, nur auf das unbedingt zu gewährleistende Minimum. Harmonisierung und Angleichung der Sozialpolitik geschieht dagegen in einem Bereich der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit, der zwischen diesem Minimum und dem politisch machbaren Maximum liegt. In Gegensatz dazu, ist ein Grundrecht dem politischen Ermessen entzogen. Die Gewährleistung eines Grundrechts im streng juristischen Sinne weist deshalb immer einen zwingenden Charakter auf. In der Tat entspricht die Formulierung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV dieser Eigenschaft der Grundrechtsgewährleistung, weil er in seinem Wortlaut unmittelbar die Mitgliedstaaten zur Anwendung der Entgeltgleichheit verpflichtet.

26 Langenfeld/Jansen, in: Grabitz/Hilf, Art. 117 alt, Rn. 4; Heilbronner, in: Heilbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Art. 117 alt, Rn. 1; EuGHE 1978, 1365 (Rn. 19/23) - Rs. 149/77 "Defrenne-lII". 27 Der neue Wortlaut des Art. 136 EGV hebt die Bedeutung der sozialen Grundrechten im Bereich der Sozialpolitik besonders hervor.

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

2. Entgeltgleichheit als wirtschaftspolitisches Ziel? Die Regelung des Art. 141 Abs. I und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV besaß in der Intention des Nonngebers nicht die Bedeutung einer Grundrechtsgarantie, sondern verfolgte eine wirtschaftspolitische Zielrichtung. Die Entgeltgleichheit wurde deswegen im Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aufgenommen, weil die Gewährleistung der Entgeltgleichheit in einem Mitgliedstaat zu einem Wettbewerbsnachteil führt, wenn die Unternehmen in den anderen Mitgliedstaaten von der dort erlaubten Möglichkeit der Entgeltdiskriminierungen gegenüber Frauen zu ihren Gunsten Gebrauch machen können 28 . Um die Wettbewerbsverzerrung wirksam zu verhüten, wurde das Instrument der unmittelbaren Verpflichtung der Mitgliedstaaten in Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV gewählt. Unter den damaligen Umständen war die strikte Bindung der Mitgliedstaaten an den Grundsatz der Entgeltgleichheit keineswegs selbstverständlich. Es gab noch beträchtliche Unterschiede im Durchsetzungsgrad dieses Grundsatzes innerhalb der Gründungsmitgliedstaaten29 . Zwar gab es schon damals internationale Bemühungen in Richtung der Entgeltgleichheit3o, aber die Erkenntnis, daß die absolute Gleichbehandlung der Geschlechter im Erwerbsleben einem unbedingt zu geWährleistenden Standard des Grundrechtsschutzes entspricht, war noch nicht Allgemeingut. Darüber hinaus wurde von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht erwartet, daß sie eine führende Rolle bei der Verbesserung des Grundrechtsschutzes im europäischen Raum übernimmt. Ausschließlich die wirtschaftspolitische Motivation erklärt, warum im Bereich der Entgeltgleichheit eine verbindliche Regelung getroffen werden mußte. Nach heutigem Verständnis hat jedoch diese ursprüngliche Intention nicht die ausschlaggebende Bedeutung bei der Interpretation der Entgeltgleich28 Langenjeld/Jansen, in: Grabitz/Hi1f, Art. 119 alt EGV, Rn. 3; Bieback, in: NKESR, Art. 119 alt EGV, Rn. 3; Kyriazis, Die Sozialpolitik der Europäischen Wirtschafts gemeinschaft in bezug auf die Gleichberechtigung männlicher und weiblicher Erwerbstätiger, 1990, S. 27; LangenjeId, 1990, S. 31. 29 Die Tatsache, daß die Mitgliedstaaten den Umsetzungstermin des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV, den 31.12.1961, durch Beschluß auf den 31.12.1964 verschoben (Entschließung der Konferenz der Mitgliedstaaten über die Lohngleichheit für Männer und Frauen vom 30.12.1961, Bulletin EWG 1962, Nr. 1, S. 8 ff.) und dennoch eine neue Richtlinie (RL 751117) für die Durchsetzung des Regelungsgehalts des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV notwendig war, bewies mangelnde Bereitschaft einiger Mitgliedstaaten, diesen Grundsatz zu verwirklichen. 30 Darunter ist vor allem das Übereinkommen Nr. 100 der IAO vom 29.6.1951 (Zustimmungsgesetz des Deutschen Bundestags vom 6.2.1956, BGBL 11, S. 23) zu nennen.

II. Die Entgeltgleichheit und die Entgeltrichtlinie

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heit. Vor allem ist es untersagt, den Anwendungsbereich der Entgeltgleichheit auf das Gebiet zu beschränken, in dem die Entgeltdiskriminierung wirklich wettbewerbsverzerrende Wirkung hat. Der als unbedingt gefaßte Wortlaut des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV ist mit einer solchen Beschränkung nicht vereinbar. Der EuGH versuchte im De/renne-II-Urteil vom 8.8.1976, dieser Sachlage gerecht zu werden, indem er die doppelte Zweckbestimmung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV hervorhob. Er zog daraus den Schluß, daß der Grundsatz des gleichen Entgelts zu den Grundlagen der Gemeinschaft gehört31 . Dieser Doppelcharakter bildet seitdem einen allgemein anerkannten Ausgangspunkt für die Auslegung dieser Bestimmung 32 . Im Zusammenwirken bei der Zielrichtungen sieht beispielsweise Langen/eid die Anwendbarkeit der Entgeltgleichheit auf die Lohndiskriminierung gegen die Frauen aus Drittländer begründet33 . Das damit begründete subjektive Recht, das ohne Ansehung der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Status jedem in seiner Eigenschaft als Person gewährleistet wird, hat starke Affinität zur grundrechtlichen Argumentation. In dieser Hinsicht ist es verständlich, daß Langen/eid als nächsten Schritt in Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGVeinen dritten, menschenrechtlichen Aspekt erblickt und seine Bedeutung hervorhebe 4 • 3. Entgeltgleichheit in ihren grundrechtlichen Aspekten Die doppelte Zielrichtung ist somit nicht ein einfaches Nebeneinander zweier Ziele; sie hebt die Regelung auf eine qualitativ höhere normative Ebene. Dies war gemeint, als der EuGH im De/renne-II-Urteil die Entgeltgleichheit zur Grundlage der Gemeinschaft erklärte 35 . Diese gehobene normative Dimension läßt sich zum großen Teil im Zusammenhang mit dem Grundrechtsbezug des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV verstehen. Der EuGH hat die grundrechtliche Dimension des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV dadurch in den Vordergrund geschoben, daß er die Entgeltgleichheit mit der geschlechtsbezogenen Diskriminierung als allgemeinem Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts in einen systemati31 EuGHE 1976, 455 (Rn. 8/11 f.) - Rs. 43/75 "Defrenne-II". Diese Betrachtungsweise geht auf die Schlußanträge des Generalanwanlts Dutheillet de Lamothe in Defrenne-I zurück. EuGHE 1971,445 (S. 456). 32 Vgl. insbesondere Langenfeld, 1990, S. 42 ff.; Kyriazis, 1990, S. 26 ff.; Fuchsloch, Das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung, 1995, S. 27 f. 33 Langenfeld, 1990, S. 44 f. 34 Langenfeld, 1990, S. 43. 35 EuGHE 1976,455 (Rn. 12) - Rs. 43/75 "Defrenne-II". 3 Nishihara

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

sehen Zusammenhang bringt. Dies geschah zuerst in einer unklaren Weise im Defrenne-III-Urteil, dann ausdrücklich in Razzouk. In Defrenne-III sah der EuGH sowohl in der Entgeltgleichheit aus Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV als auch im Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung im Sinne eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes Bestandteile des abstrakten Gebots der "Beseitigung der auf dem Geschlecht der Arbeitnehmer beruhenden Diskriminierung,,36. Die Zusammengehörigkeit dieser beiden Aspekte ist ausschlaggebend für den Grundrechtsbezug des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV. Der EuGH charakterisierte dieses Gebot als sozialpolitisches Programm im Sinne des Art. 136 EGV = ex-Art. 117 EGV 37 . Dies bedeutete jedoch nicht, daß die Entgeltgleichheit nur eine Konkretisierung des sozialpolitischen Programms wäre. Der Schwerpunkt lag damals darin, nachzuweisen, daß die unmittelbare Bindung des privatwirtschaftlichen Arbeitgebers an das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung in bezug auf Arbeitsbedingungen außerhalb des Entgeltbereichs europarechtlich ohne Spezial vorschrift nicht möglich war. Diese Beschränkung stammt aus der Natur der Europäischen Gemeinschaft. Sie ist weder für die umfassende Gewährleistung der Grundrechte des Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt der Mitgliedstaaten noch für die Sicherung der Grundrechte in der Beziehung der Privatpersonen untereinander zuständig. Um diesen Grundrechtsgehalt europarechtlich aufzufangen, waren die Gleichbehandlungsrichtlinien notwendig, die im Zuständigkeitsbereich der Sozialpolitik erlassen wurde, die dadurch jedoch nicht ihren grundrechtsbezogenen Charakter verlieren. Wenn Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV in einem systematischen Zusammenhang mit dem geschlechts bezogenen Diskriminierungsverbot in seiner normativen Eigenschaft als EG-Grundrecht steht, liegt darin sein grundrechtlicher Bezugspunkt begründet. Diese Feststellung wurde verstärkt in Razzouk. In diesem Urteil präzisierte der EuGH den Inhalt des allgemeinen Rechtsgrundsatzes mit dem Begriff des "Grundsatzes der Gleichbehandlung der Geschlechter". Er sieht die Entgeltgleichheit in Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV als Teilanforderung, die dieses Prinzip grundsätzlich verlangt38 . Das höhere Prinzip, das die EntgeltEuGHE 1978, 1365 (Rn. 16/18 ff. und 26/29) - Rs. 149/77 "Defrenne-lll". EuGHE 1978, 1365 (Rn. 16/18). 38 EuGHE 1984, 1509 (Rn. 17 f.) - Rs. 75/82 "Razzouk". Hier betont der EuGH, daß "in den Beziehungen zwischen den Gemeinschaftsorganen einerseits und ihrem Bediensteten und deren anspruchsberechtigten Angehörigen andererseits die Anforderungen, die dieser Grundsatz [der Gleichbehandlung der Geschlechter - Veif] stellt, keineswegs auf diejenigen beschränkt sind, die sich aus Artikel 119 [jetzt Art. 141 EGV - Veif] oder den in diesem Bereich erlassenen Gemeinschaftsrichtlinien ergeben". 36

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II. Die Entgeltgleichheit und die Entgeltrichtlinie

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gleichheit mitumfaßt, ist aber nicht mehr ein politisches Ziel, sondern ein Grundrecht. Diese Konstruktion bringt unverkennbar den Grundrechtsbezug des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV zum Ausdruck. Wenn der EuGH in Schräder, Sievers und Vick den Vorrang der sozialpolitischen Zielrichtung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV vor der wirtschaftlichen Bedeutung hervorhebt, mißt er ersterer größeres Gewicht bei, das in seinem Grundgedanken durch den grundrechtlichen Bezug begründet ise 9 . Der Grundrechtsbezug der Entgeltgleichheit ist nicht nur von theoretischem Interesse. Er entfaltet eine maßgebende Bedeutung bei der Interpretation des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV durch den EuGH, wie umgekehrt der konkrete Inhalt dieser Bestimmung auf seinen grundrechtlichen Charakter zurückwirkt. Im folgenden wird diese Wechselwirkung anhand zweier Normgehalte etwas ausführlicher dargestellt. 4. Unmittelbare Wirkung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV Das DeJrenne-II-Urteil leitete aus der Zugehörigkeit des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV zu den Grundlagen der Gemeinschaft die Notwendigkeit seiner vollen Anwendung seit dem 1.1.1962, d. h. nach dem Eintritt in die zweite Stufe, ab. Dementsprechend erkannte der EuGH die unmittelbare Wirkung dieser Vorschrift auf das Beschäftigungsverhältnis zwischen einem privatwirtschaftlichen Arbeitgeber und seinem Arbeitnehmer an 40. So wurde in diesem Urteil entschieden, daß ein Opfer der Lohndiskriminierung - im vorliegenden Fall der Lohnunterschied bei einer fluggesellschaft zwischen einer Bordstewardeß und ihren männlichen Kollegen, die als Purser die gleiche Arbeit verrichtet hatten - sich vor den innerstaat39 In diesem Fall wurde die Frage aufgeworfen, ob ein Mitgliedstaat im Rahmen des nationalen Rechtssystems über die Beschränkung der zeitlichen Wirkung des DeJrenne-II-Urteils (EuGHE 1976, 455 [Rn. 75]) hinaus den Leistungsgehalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes - hier in der Form des Anspruchs der Teilzeitbeschäftigten auf den Anschluß an ein betrieblichen Rentensystem - gewährleisten kann. Der EuGH stellte in diesem Zusammenhang fest, daß das Gemeinschaftsrecht ungeachtlich der Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen einer Maßnahme des Mitgliedstaates nicht entgegenstehe, die den Rechtsschutz auch den Opfern der Diskriminierung in der Zeit vor dem DeJrenne-lI-Urteil sicherstellen wolle. EuGHE 2000, 1-743 (Rn. 53 ff.) - Rs. C-50/96 "Schräder"; 2000, 1-929 (Rn. 53 ff.) - Rs. C-270/ 97 "Sievers". 40 Grundlage war die anerkannte These, daß alle Normen des Gemeinschaftsrechts, die der Sache nach abschließend, vollständig und rechtlich hinreichend bestimmt sind, auch gegenüber den Bürgern des Mitgliedstaaten unmittelbar wirksam sind. EuGHE 1963, 1 (Rn. 25 ff.) - Rs. 26/62 "Van Gend & Loos"; st.Rspr. Vgl. Oppermann. Europarecht2 , 1999, S. 234. 3*

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

lichen Gerichten auf sein Recht aus dieser Bestimmung berufen kann, soweit er eine unmittelbare Lohndiskriminierung innerhalb eines Betriebes rügt. Die nationalen Gerichte seien verpflichtet, dieses Recht zu schützen41 . Seitdem ist die unmittelbare Geltung dieser Vorschrift ein fester Bestandteil der Rechtsprechung. Hier wurde also ausdrücklich festgestellt, daß es sich beim Grundsatz der Geschlechtergleichbehandlung nicht um eine programmatische Grundsatzbestimmung handelt, sondern um die Gewährleistung eines konkreten, subjektiven Rechts. Jeder, der in seinem Recht auf die geschlechtliche Gleichbehandlung in bezug auf sein Arbeitsentgelt verletzt wird, kann sich vor nationalen Gerichten auf das Recht berufen, das Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV seinem Sinn und Zweck nach begründet. Dieses Recht gilt unabhängig von den einzelstaatlichen Tätigkeiten, die diese Bestimmung in die nationale Rechtsordnung umsetzen. Natürlich sind die subjektiven Rechte, die der EGV dem Einzelnen im europäischen Raum verleiht, nicht notwendigerweise auf solche beschränkt, die einen gewissen Grundrechtsbezug zeigen. Das ist schon seit dem ersten Urteil der Fall, in dem der EuGH die unmittelbare Wirkung des EGV anerkannte, nämlich die von Art. 25 EGV = ex-Art. 12 EGV42 . Das Recht, das aus dieser Bestimmung entnommen wird, ist ausschließlich als Mittel zum erstrebten Ziel des Gemeinsamen Marktes zu verstehen. Diese Beziehung zum Gemeinsamen Markt weist auch die Entgeltgleichheit auf, was die wirtschaftspolitische Zielrichtung angemessen zum Ausdruck bringt. Dennoch reicht die Tragweite des Rechts, das nunmehr aus Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV abgeleitet wurde, über diese Bedeutung hinaus. Zwar wäre es für den EuGH auch möglich gewesen, die Direktwirkung der Entgeltgleichheit anband der Effizienzerwägungen in Verfolgung des wirtschaftspolitischen Ziels des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV zu begründen. Der EuGH wies jedoch nicht auf die Gefahr hin, das Ziel des Gemeinsamen Marktes zu verfehlen, wenn Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV unwirksam bleiben würde. Vielmehr betonte er

41 EuGHE 1976, 455 (Rn. 12-40) - Rs. 43/75 "Defrenne-II". Diese Entscheidung wurde entgegen der damals überwiegenden Meinungen und Position der EGKommission getroffen. Die Regierungen von Großbritannien und Irland trugen vor, daß der Wortlaut des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV nicht die Klarheit und Präzision besäße, die in der Rechtsprechung neben Unbedingtheit als Voraussetzung für eine unmittelbare Wirkung einer Vertrags bestimmung anerkannt sind. Die Kommission ging davon aus, daß dieser Artikel nur vertikal, d.h. im Verhältnis vom Einzelnen zum Mitgliedstaat, unmittelbar gelte. EuGHE 1976, S. 459 ff. Dazu näher Kyriazis, 1990, S. 115 f. m.w.N. 42 EuGHE 1963, 1 (S. 25 ff.) - Rs. 26/62 " Van Gend & Loos".

II. Die Entgeltgleichheit und die Entgeltrichtlinie

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seine Aufgabe nach Art. 220 EGV = ex-Art. 164 EGV, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrags zu sichern43 . Auch inhaltlich beruht die Anerkennung der unmittelbaren Wirkung der Entgeltgleichheit nur mittelbar auf ihrem grundrechtsbezogenen Charakter. Der hier angewandte Normgehalt betrifft nämlich nicht die Gleichbehandlung der Geschlechter durch den Staat, sondern die staatliche Beseitigung der Geschlechterdiskriminierung im privatrechtlichen Bereich44 . Das Beseitigungsgebot stellt also nicht eine unmittelbare Folge eines Grundrechts dar, das in erster Linie als Abwehrrecht gegen die Staatsgewalt gerichtet ist. Vielmehr weist es Komponenten eines sozialpolitischen Ziels auf, wie sie das DeJrenne-llI-Urteil zum Ausdruck brachte45 . Dennoch schließen diese Sachverhalte nicht aus, die normative Wirkungsweise im Zusammenhang mit dem grundrechtlichen Gehalt dieser Vorschrift zu sehen. Daß der Staat aus der verfassungsrechtlichen Grundrechtsgewährleistung heraus objektivrechtlich zur Durchsetzung des grundrechtlichen Gehalts in den privatrechtlichen Verhältnissen verpflichtet ist, ist in Deutschland allgemein anerkannt, spätestens seitdem der Begriff der grundrechtlichen Schutzpflicht entwickelt wurde46 • Insbesondere die Lohngleichheit steht dermaßen im Mittelpunkt der Gleichberechtigung von Mann und Frau in ihrer abwehrrechtlichen Komponente47 , daß immer wieder versucht wird, unmittelbar aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Geschlechtergleichberechtigung ein Verbot der Lohndiskriminierung abzuleiten48 .

EuGHE 1976,455 (Rn. 30/34) - Rs. 43/75 "Defrenne-I1". Der EuGH zählte in Defrenne-I1 Arbeitgeber und Tarifparteien zu den Adressat des Diskriminierungsverbots. EuGHE 1976, 455 (insbesondere Rn. 38/39). Der Adressatenkreis wurde später ausdrücklich um den Treuhänder eines Betriebsrentensystems erweitert, so daß der Arbeitgeber und Treuhänder dazu verpflichtet wurde, "von allen vom innerstaatlichen Recht zur Verfügung gestellten Mitteln, wie einer Klage vor den nationalen Gerichten, Gebrauch zu machen, um jegliche Diskriminierung im Bereich des Entgelts zu beseitigen". EuGHE 1994, 1-4389 (Rn. 17-36) Rs. C-200/91 "Russel"; 1994, 1-4583 (Rn. 30 ff.) - Rs. C-128/93 "Fisscher"; 1996,1-5223 (Rn. 31) - Rs. C-435/93 "Dietz". 45 EuGHE 1978, 1365 (Rn. 16/18) - Rs. 149/77 "Defrenne-m". 46 Vgl. dazu Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992, S. 34 ff. m. W.N. 47 Innerhalb der objektiv-rechtlichen Bedeutung der Geschlechtergleichberechtigung (Art. 3 Abs. 2 GG) unterscheidet Hofmann die Durchsetzung des Diskriminierungsverbots im Bereich des bürgerlichen Rechts (negative Wirkungsrichtung 2) von der Gewährleistung objektiver Rahmenbedingungen für die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter (positive Wirkungsrichtung 1). Hofmann, Das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG in Rechtsprechung und Lehre, 1986, S. 16. Dietlein hebt auch hervor, daß die Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG auf den Bereich beschränkt werden soll, in dem sie dieselbe Stoßrichtung aufweist wie das subjektive Abwehrrecht. Dietlein, 1992, S. 85. 43

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Der Grundrechtsbezug des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV wird auch dadurch erreicht, daß nach dieser Vorschrift der Staat für die Durchsetzung der Entgeltgleichheit verantwortlich ist. Bei der Anerkennung der unmittelbaren horizontalen Wirkung mußte sich der EuGH in De/renne-lI damit auseinandersetzen, daß Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = exArt. 119 EGV nach seinem Wortlaut an die Mitgliedstaaten adressiert ist und nicht an die Bürger der Mitgliedstaaten. So betonte der EuGH, daß diese Vorschrift den Mitgliedstaaten eine Ergebnispflicht auferlege49 . Gerade in dieser normativen Struktur kann jedoch eine Vergleichbarkeit dieser Vorschrift mit einer verfassungsrechtlichen Grundrechtsgewährleistung gesehen werden. Adressat ist in erster Linie der Staat, der zuerst in seinem Wirkungsbereich das subjektive Recht des Bürgers zu wahren hat50 und dann den Gehalt dieses Rechts auch im privatrechtlichen Bereich gewährleisten muß, sei es durch die Sicherstellung der Drittwirkung des subjektiven Rechts, sei es durch Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflichten. 5. Extensive Auslegung des EntgeItbegritTs

a) Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Vergünstigungen und Leistungen des betrieblichen Versorgungssystems

Angesichts der "Langsamkeit und Widerstände,,51, denen der Umsetzungsprozeß des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV in einigen Mitgliedstaaten begegnen mußte, war die praktische Bedeutung kaum zu 48 Als Beispiel wird die frühere Rechtsprechung des BAG genannt: BAGE 1,258 (262 ff.); 1, 348 (354). 49 EuGHE 1976,455 (Rn. 30/34) - Rs. 43/75 "Defrenne-II". 50 Die Kommission räumte schon vor dem Defrenne-II-Urteil die unmittelbare vertikale Wirkung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV mit dem Eintritt in die zweite Stufe ein. EuGHE 1976, S. 463 f. Der EuGH geht in der weiteren Rechtsprechung davon aus, daß Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV selbstverständlich in öffentlichen Dienstverhältnissen unmittelbar angewandt wird. EuGHE 1984, 3225 - Rs. 23/83 "Liejting"; 1990, 1-2591 - Rs. C-33/89 "Kowalska"; 1991, 1-297 - Rs. C-184/89 "Nimz"; 1994, 1-4471 - Rs. C-7/93 "Beune"; 1997,1-5253 - Rs. C-l/95 "Gerster". Allerdings gibt es Urteile, die die RL 75/117 anstatt Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV (EuGHE 1982, 2175 - Rs. 58/81"Kom.!Luxemburg") oder Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = exArt. 119 EGV in Verbindung mit der RL 75/117 (EuGHE 1987,4753 - Rs.l92/85 "Newstead") anwandten. Insbesondere ist die ausschließliche Anwendung der RL 75/117 in Kom.! Luxemburg unverständlich, weil im Sachverhalt nicht festzustellen ist, was die Anwendung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV hätte verhindern können. Vgl. Generalanwalt VerLoren van Themaat, EuGHE 1982,2175 (S. 2185); Langenfeld, 1990, S. 71; van Overbeek, Handbuch Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Europäischen Gemeinschaft, 1995, S. 33. 51 EuGHE 1976,455 (Rn. 14/15) - Rs. 43/75 "Defrenne-II".

II. Die Entgeltgleichheit und die Entgeltrichtlinie

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überschätzen, die die Anerkennung der horizontalen Direktwirkung durch den EuGH hervorrief. Dennoch hätte diese Bestimmung nicht die wichtige Rolle in der Durchsetzung der Geschlechtergleichbehandlung gespielt, wenn der Anwendungsbereich auf das Entgelt im engeren Sinne beschränkt gewesen wäre. Augenscheinliche Lohndiskriminierungen in bezug auf gleiche Arbeit innerhalb eines Betriebs galten europarechtlich nach dem Defrenneli-Urteil als überwundenes Problem52 . Statt dessen rückten das betriebliche System der sozialen Sicherheit und das parallele, staatliche Versorgungssystem für die Beamten und ihre Angehörigen in den Mittelpunkt des Anwendungsbereichs. Dadurch hat Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV dazu beigetragen, das traditionelle Modell des Rentensystems abzubauen, das die schon überwundene Rollenverteilung zwischen Mann und Frau innerhalb der Ehe und Familie voraussetzte. In dieser Hinsicht hat der EuGH sogar die Entwicklung im sekundären Gemeinschaftsrecht vorweggenommen und so die Vorreiterrolle bei der Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf sich genommen. Dies alles wurde erst dadurch möglich, daß der EuGH den Entgeltbegriff in Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGVextensiv interpretierte. Ausgangspunkt war die nähere Erläuterung dieses Begriffs in Abs. 2 der Vorschrift. Danach sind unter Entgelt alle Vergütungen zu verstehen, "die der Arbeitgeber auf Grund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar in bar oder in Sachleistung zahlt". Daher war es von Anfang an selbstverständlich, daß Zuschläge und Zulagen eindeutig zum Entgelt gehören 53 . Komplizierter wird es, wenn es um Leistungen eines Versorgungs- und Versicherungssystems geht. Die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV beginnt mit einem Urteil, das die Anwendung dieser Bestimmung ablehnte. In Defrenne-I stellte der EuGH klar, daß diese Vorschrift nicht so weit ausgelegt werden darf, daß sie auch auf das gesetzliche System der sozialen Sicherheit Anwendung findet. Der Arbeitgeberanteil an der Finanzierung solcher Systeme stelle keine unmit52 Der EuGH mußte sich nicht mehr mit einer offenen Lohndiskriminierung befassen. Ein deutlicher Fall war EuGHE 1980, 1275 - Rs. 129/79 "Macarthys" -, wo es um eine Lohndiskriminierung im Verhältnis zum Vorgänger auf einer Stelle ging. Dieser Sachverhalt läßt sich aber auch nicht als eine augenscheinliche Diskriminierung bezeichnen. Der EuGH stellte die Ermittlung, ob der Lohnunterschied auf dem Geschlechtsunterschied beruhte, dem nationalen Gericht anheim. 53 Vgl. EuGHE 1982, 2175 - Rs. 58/81 "Kom./Luxemburg". Hier bestreitet die luxemburgische Regierung nicht, daß die für Beamte vorgesehene Haushaltsprämie, die nur bei den verheirateten Frauen von der Erfüllung einer erschwerenden Voraussetzung abhängig gemacht wurde, gegen die Entgeltgleichheit verstößt. Allerdings wurde in diesem Fall die RL 75/117 statt Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV angewandt. Dazu oben Fn. 50.

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

telbare oder mittelbare Zahlung an den Arbeitnehmer und damit kein Entgelt im Sinne dieser Bestimmung dar54 . Dabei ging der EuGH jedoch davon aus, daß Vergütungen, die ihrer Natur nach Leistungen der sozialen Sicherheit sind, nicht vom Entgeltbegriff auszuschließen seien. Es waren nur die Besonderheiten eines unmittelbar durch Gesetz geregelten, keinerlei vertragliche Vereinbarungen zulassenden Sozialversicherungssystems, die die Anwendung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV unmöglich machten. Dies bedeutet umgekehrt, daß Vergünstigungen und Leistungen im Rahmen eines betrieblichen, auf Tarif- oder anderen Verträgen beruhenden Systems als Entgelt eingestuft werden können. In der Tat erkannte der EuGH in verschiedenen Zahlungen und Leistungen im Bereich eines betrieblichen Versorgungssystems nach und nach den Entgeltcharakter an. Am Anfang war die je nach dem Geschlecht unterschiedliche Wirkung eines Systems auf den Arbeitnehmer ausschlaggebend für die Ermittlung des Entgeltcharakters 55 . In Worringham und Liefting betrachtete der EuGH den vom Arbeitgeber im Namen der Arbeitnehmer gezahlten Beitrag zu einem Versorgungssystem als Entgelt, weil dieser Betrag die Höhe des Bruttolohns bestimmt und daher für die Berechnung anderer, mit dem Gehalt verbundener Vergünstigungen erheblich war. Es ändert auch nichts an diesem Ergebnis, wenn die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter in der Befreiung von der Beitragspflicht zugunsten einer bestimmten Gruppe von Frauen im innerbetrieblichen System der Ersatzrente (Worringham) oder in der Verteilung der Beitragspflicht innerhalb des Beamtenehepaars im Rahmen des Beamtenversorgungssystems (Liefting) ihren Grund hat56 . Nicht nur unterschiedliche Behandlungen im Lohnsystem, sondern auch Auswirkungen der unterschiedlichen Regelungen im Rentensystem auf den Bruttolohn wurden als Gegenstand des Verbots angesehen. Inzwischen war auch anerkannt, daß die "Fortsetzung der während der Dauer des Dienstverhältnisses gewährten Vergünstigungen" nach dem EinEuGHE 1971,445 (Rn. 7/12) - Rs. 80170 "Defrenne-l". van Overbeek, 1995, S. 51. Sie meint, daß die Beiträge in Liefting aus dem Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV herausgefallen wären, wenn der EuGH die Rechtsnatur des Systems zugrunde gelegt hätte. 56 EuGHE 1981, 767- Rs. 69/80 "Worringham"; 1984, 3225 - Rs. 23/83 "Lieffing". Bis zur KlarsteIlung in Barber, EuGHE 1990, 1-1889 (Rn. 21 ff.) - Rs. C-262/88 - wurde die Meinung vertreten, daß die anstelle des gesetzlichen Systems tretende betriebliche Rente (Ersatzrente) nicht unter den Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV falle. Langenfeld, 1990, S. 241 f. Jedoch war es in Worringham unerheblich, daß die unterschiedliche Behandlung beim Entgelt in der Regelung bezüglich der Umschreibung der Versicherten ihre Grundlage hatte. Die Feststellung in Barber war daher nur eine Frage der Zeit. Vgl. schon damals Kyriazis, 1990, S. 138 ff. 54

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tritt in den Ruhestand auch zum Entgelt zählt57 . In der Zusammenschau der beiden Ansichten sieht der EuGH in der Leistung im Rahmen eines betrieblichen Rentensystems ein Entgelt. Daß der Entgeltbegriff in Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV in Defrenne-l so definiert wurde, daß er auch die "zukünftigen Vergünstigungen" erfaßt58 , hat dieser Entwicklung Vorschub geleistet. Ursprung dieser Entwicklung war das Bilka-Urteil vom 13.5.1986, das beim Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten aus der betrieblichen Altersversorgung den Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV anwandte 59 . Seitdem steht fest, daß eine auf dem Geschlecht beruhende Diskriminierung im Bereich des Beitrittsanspruchs zu einem beruflichen Altersversorgungssystem unter den Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV fällt, wie der EuGH wiederholt bestätigt hat60 . b) Das Barber-Urteil und seine Folgen

Wenn der europarechtliche Grundsatz der Entgeltgleichheit über den Anspruch auf Beitritt hinaus auch auf die unterschiedliche Höhe der Leistung erstreckt wird, ruft dies Schwierigkeiten hervor. Die RL 86/378, die im Bereich der betrieblichen Systeme der sozialen Sicherheit den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter durchzusetzen suchte, hat den Mitgliedstaaten in Art. 9 a) und b) die Möglichkeit eingeräumt, die obligatorische Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in bezug auf Rentenalter und Hinterbliebenenrenten zu verschieben. Der EuGH griff dieses spannungsreiche Gebiet erstmals im Barber-Urteil vom 17.5.1990 auf und setzte sich ausdrücklich in Moroni, aber stillschweigend schon in Ten Oever, über die Entscheidung des europarechtlichen Gesetzgebers hinweg 61 . 57 EuGHE 1982, 359 (Rn. 8 f.) - Rs. 12/81 "Garland". Dieses Urteil betrifft Vergünstigungen im Reiseverkehr. Vgl. zum Charakter der Reiseverkehrsvergünstigung als Entgelt EuGHE 1998,1-621 - Rs. C-249/96 "Grant". 58 EuGHE 1971,445 (Rn. 5/6). Vgl. EuGHE 1990, 1-1889 (Rn. 12) - Rs. C-262/ 88 "Barber". 59 EuGHE 1986, 1607 (Rn. 22) - Rs. 170/84 "Bilka-Kaujhaus". Das Urteil betrifft mittelbare Diskriminierungen. Siehe unten § 2. 60 EuGHE 1994, 1-4541 (Rn. 12) - Rs. C-57/93 "Vroege"; 1994, 1-4583 (Rn. 9 ff.) - Rs. C-128/93 "Fisscher" ; 1996, 1-5223 (Rn. 12) - Rs. C-435/93 "Dietz"; 1997, 1-7153 (Rn. 23) - Rs. C-246/96 "Magorrian"; 2000, 1-743 (Rn. 40 f.) - Rs. C-50/96 "Schräder"; 2000, 1-794 (Rn. 41 f.) - Rs. C-234/96 "Vick"; 2000, 1-929 (Rn. 44) - Rs. C-270/97 "Sievers". Diese Urteile betrafen den Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten (Vroege, Dietz, Magorrian, Schräder, Sievers und Vick) und der verheirateten Frauen (Fisscher) aus dem betrieblichen System. 61 EuGHE 1990,1-1889 - Rs. C-262/88 "Barber"; 1993,1-4879 - Rs. C-109/91 "Ten Oever"; 1993,1-6591 - Rs. C-llO/91 "Moroni".

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Dem Barber-Urteil lag folgender Sachverhalte zugrunde: Ein betriebliches Versorgungssystem garantierte den weiblichen Versicherten im Alter über 50 und den männlichen Versicherten über 55 einen Anspruch auf Zahlung der Rente im Fall einer Entlassung aus betrieblichen Gründen. Unter diesen Bedingungen erwirbt ein männlicher Arbeitnehmer zwischen 50 und 55 bei der Entlassung nur eine Anwartschaft auf die später zu zahlende Rente, während seine weiblichen Kollegen in der gleichen Situation einen Anspruch auf sofortige Zahlung der Rente besitzen. Der fünfjährige Unterschied stammt mittelbar aus der unterschiedlichen Regelung des gesetzlichen Rentenalters, das bei Männem auf 65 und bei Frauen auf 60 festgesetzt wurde. Der EuGH urteilte in dieser Lage, daß der Grundsatz des gleichen Entgelts für jeden einzelnen Bestandteil des Entgelts gewährleistet werden müsse und die unterschiedliche Behandlung zwischen männlichen und weiblichen Versicherten im vorliegenden Fall einen Verstoß gegen Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV darstelle62 .

In diesem Fall war die Beziehung zwischen dem Unterschied im gesetzlichen Rentenalter (in Großbritannien: 65 bei Männem und 60 bei Frauen) und dem betreffenden Versorgungssystem im Entlassungsfall nur mittelbar, obwohl dem Wortlaut nach die in Frage stehende Regelung eindeutig unter die Ausnahmevorschrift des Art. 9 a) der RL 86/378 fiel. In Moroni wurde das Ergebnis vom Barber-Urteil dahingehend verallgemeinert, daß es gegen Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV verstößt, wenn ein Arbeitnehmer im Rahmen eines betrieblichen Versorgungssystems aufgrund der Festsetzung eines je nach Geschlecht unterschiedlichen Rentenalters erst in einem höheren Alter als eine Arbeitnehmerin in der gleichen Lage Anspruch auf eine Betriebsrente hat. Diese Entscheidung bezog sich auf ein System der Ergänzungsrente, in dem ein männlicher Frührentner weniger Rente als eine Frau im gleichen Alter und in der gleichen Situation bekommt, weil für die Berechnung des Rentenbetrags die theoretische Gesamtdauer der Betriebszugehörigkeit ausschlaggebend war, die nur bis zur Erreichung des gesetzlichen Rentenalters (in der Bundesrepublik: 65 bei Männem und 60 bei Frauen) reichte. Diese Berechnungsweise setzt das unterschiedliche Rentenalter im gesetzlichen System als Ausgangspunkt voraus, so daß es auf die Zulässigkeit dieser Ausnahmeregelungen ankam63 . In 62 EuGHE 1990, 1-1889 (Rn. 35) - Rs. C-262/88 "Barber". In Anlehnung an Barber fand der EuGH den belgischen Tarifvertrag, der die Arbeitnehmerinnen vom Genuß einer zusätzlichen Entlassungsentschädigung für Arbeitnehmer über 60 Jahre ausschloß, unvereinbar mit Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV. EuGHE 1993, 1-673 - Rs. C-173/91 "Kom./Belgien". Hier ging es in erster Linie um den Entgeltcharakter der Entlassungsentschädigung, da der Verstoß in dem Versäumnis lag, das System an die Reform des Rentenalters anzupassen, das wenig mit einer unterschiedlichen Festsetzung des Rentenalters zu tun hatte. Darüber hinaus in Anlehnung an Barber auch EuGHE 1994,1-4471 - Rs. C-7/93 "Beune".

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dieser Lage mußte sich der EuGH mit der Frage auseinandersetzen, ob die Ausnahmebestimmung in der RL 86/378 die unmittelbare Wirkung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV beschränken könne. Er beantwortete diese Frage negativ, indem er nochmals hervorhob, daß Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV auf jede Art von Diskriminierungen anwendbar sei, die sich schon anhand der dort verwendeten Kriterien "gleiche Arbeit" und "gleiches Entgelt" feststellen lasse 64 . Die Feststellung, daß die RL 86/378 die Tragweite von Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV nicht beschränken könne, wurde jedoch in der Sache bereits in Ten Oever getroffen. Dort wurde schon anerkannt, daß eine betriebliche Hinterbliebenenrente unter den Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV fällt, wenn sie eine Witwenrente, aber keine Witwerrente vorsieht65 • Damit wurde die Ausnahmeregelung in Art. 9 b) der RL 86/378, die die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes suspendierte, schlicht ignoriert. Allerdings gab das Vorhandensein der Ausnahmevorschriften in der RL 86/378 dem EuGH in Barber Anlaß, die zeitliche Wirkung des Urteils zu begrenzen. Weil die Mitgliedstaaten und Betroffenen vemünftigerweise aus der RL 86/378 den Schluß ziehen konnten, daß die je nach Geschlecht unterschiedliche Festlegung des Rentenalters im betrieblichen Versorgungssystem rechtsmäßig sei, sprachen Erwägungen der Rechtssicherheit für eine Beschränkung der neu anerkannten Wirkung. Daher führte der EuGH aus, daß niemand sich auf die unmittelbare Wirkung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV berufen könne, um einen Rentenanspruch geltend zu machen, der sich auf den Zeitpunkt vor Erlaß des Barber-Urteils bezieht, es sei denn, daß die Betroffenen eine Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt haben 66 . Später hat der EuGH die rechts staatlichen Erwägungen präzisiert, indem er auf eine Zeitspanne zwischen Beitragszahlung und Gewährung der Leistungen und auf einen rech-

63 In diesem Zusammenhang spielt es eine Rolle, daß Art. 7 Abs. 1 a) der RL 79/7 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, ein unterschiedliches Rentenalter festzusetzen. Art. 9 a) der RL 86/378 stützt sich auf diese Regelung - oder mindestens auf ihre Grundintention - und erweitert ihren Anwendungsbereich. 64 EuGHE 1993, 1-6591 (Rn. 24) - Rs. C-llO/91 "Moroni". Diese Position wurde bestätigt in EuGHE 1993,1-6935 - Rs. C-152/91 "Neath"; 1994,1-4389 Rs. C-200/91 "Russei"; 1994,1-4471 - Rs. C-7/93 "Beune". 65 EuGHE 1993, 1-4879 (Rn. 12) - Rs. C-I09/91 "Ten Oever". Bestätigt durch EuGHE 1994,1-4389 (Rn. 18) - Rs. C-200/91 "Russei"; 1997,1-2057 - Rs. C-145/

95 "Evrenopoulos".

66 EuGHE 1990, 1-1889 (Rn. 40 ff.) - Rs. C-262/88 "Barber". Die genannten Ausnahmen wurden anerkannt in EuGHE 1994, 1-4471 - Rs. C-7/93 "Beune" (allerdings im Zusammenhang mit dem sogenannten Barber-Protokoll).

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

nerischen Zusammenhang zwischen Beiträgen und später zu zahlenden Beträgen hinwies 67 . Dieser Argumentation bediente sich der EuGH schon früher in DeJrenne-If'8. Auch dort beschränkte er die Direktwirkung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV auf die Fälle, die die nach der Verkündung des DeJrenne-ll-Urteil liegenden Lohnperioden betrafen. Eine Ausnahme galt nur, wenn das Opfer schon am Tag des DeJrenne-Urteils gegen die Diskriminierung den Rechtsweg beschritten hatte. Diese Einschränkung wurde aufgrund rechtsstaatlicher Erwägungen anerkannt, die der Verhaltensweise der Kommission der EWG und der Mitgliedstaaten Rechnung trug. Wenn der Schadensersatzanspruch der Arbeitnehmerinnen gegenüber Privatunternehmen in bezug auf frühere Lohndiskriminierungen anerkannt worden wäre, hätte er die Existenz vieler Unternehmen gefährdet, obwohl diese Unternehmen vernünftigerweise die Rechtsmäßigkeit solcher Praktiken annehmen konnten, weil die Mitgliedstaaten den Umsetzungsterrnin der Entgeltgleichheit immer wieder zu verschieben suchten69 und die Kommission trotzdem keine Vertragsverletzungsverfahren einleitete7o .

Aus dieser Entscheidung war der Schluß zu ziehen, daß die zeitliche Begrenzung der unmittelbaren Wirkung ausnahmsweise nur unter strengen Voraussetzungen anerkannt werden konnte71 . Zu diesen Voraussetzungen zählte der EuGH in Vroege und Fisscher neben "Gefahr schwerwiegender Störungen" auch den "gute Glauben der Betroffenen"n. Das letztere Erfordernis trug insbesondere dazu bei, die Anwendung der in Barber anerkann67 EuGHE 1993, 1-4879 (Rn. 17 f.) - Rs. C-109/91 "Ten Oever"; 1993, 1-6591 (Rn. 29 f.) - Rs. C-IlO/91 "Moroni"; 1993, 1-6935 (Rn. 14 f.) - Rs. C-152/91

"Neath"; 1994,1-4389 (Rn. 46 f.) - Rs. C-200/91 "Russei"; 1994,1-4527 (Rn. 13) - Rs. C-28/93 "van den Akker". 68 Ob Defrenne-ll und Barber auf derselben Doktrin basierten, wurde anfangs bezweifelt, weil sich Barber (Rn. 44) auf "Rechtsverhältnisse, deren Wirkungen sich in der Vergangenheit erschöpft haben" bezog, während Defrenne-ll (Rn. 74/75) deutlich von einer "Lohn- oder Gehaltsperiode" sprach. Vgl. Langohr-Plato, MDR 1992, S. 840 f.; Griebeling, RdA 1992, S. 378. Diese Unklarheit in Barber war auch ein Grund für die Präzisierung im Barber-Protokoll. Der EuGH hat sich später in Ten Oever diese Präzisierung zu eigen gemacht (Rn. 20). Damit wurde auch die Kontinuität von Defrenne-ll zu Barber klargestellt. 69 Vgl. Entschließung der Konferenz der Mitgliedstaaten über die Lohngleichheit für Männer und Frauen vom 30.12.1961, Bulletin EWG 1962, Nr. 1, S. 8 ff. In Art. 8 Abs. 1 der RL 75/117 wurde der Umsetzungstermin der Entgeltgleichheit auf den 10.2.1976 festgesetzt. 70 EuGHE 1976,455 (Rn. 69170 ff.), - Rs. 43/75 "Defrenne-lI". 71 Defrenne-ll (Rn. 71/73) hob hervor, daß die sorgfältigen Erwägungen der praktischen Auswirkungen einer Entscheidung nicht soweit gehen dürfen, daß "die Objektivität des Rechts gebeugt und seine zukünftige Anwendung unterbunden wird, nur weil eine Gerichtsentscheidung für die Vergangenheit gewisse Auswirkungen haben kann".

11. Die Entgeltgleichheit und die Entgeltrichtlinie

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ten Wirkungs begrenzung auf Fälle zu vermeiden, in denen eine bestimmte Gruppe von Frauen von einem betrieblichen Rentensystem ausgeschlossen waren 73. Daß eine ungleiche Behandlung in bezug auf den Anspruch auf Beitritt zum betrieblichen Versorgungssystem nach Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV nicht zulässig war, wurde schon durch das BilkaUrteil klargestellt74 . Daher - so führten die Vroege- und Fisscher-Urteile aus - gebe es keinen Anhaltspunkt dafür, daß sich die Betroffenen über die Anwendbarkeit dieser Vorschrift irren konnten75. Diese an sich selbstverständliche Feststellung war nötig, weil die Schlußakte des Maastricht-Vertrags vom 7.2.1992 das Protokoll zu ex-Art. 119, das sogenannte Barber-Protokoll, dem EG-Vertrag beifügte und dieses unter Umständen auch auf den Beitrittsanspruch Anwendung finden konnte. Dieses Protokoll Nr. 2 bestimmt, daß Leistungen aufgrund eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit nicht als Entgelt im Sinne des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV gelten, sofern und soweit sie auf Beschäftigungszeiten vor dem 17.5.1990, d. h. vor der Verkündung des Barber-Urteils, zurückgeführt werden können. Dieses Protokoll wurde so umfassend und allgemein gefaßt, daß es für alle Leistungen der betrieblichen Systeme der sozialen Sicherheit zu gelten scheint76 . Mit dieser Auslegung wären jedoch die langjährigen Bemühungen des EuGH zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsprinzips im Bereich des betrieblichen Versorgungssystems einschließlich des Bilka-Urteils zunichte gemacht77 , weil dieser Rechtsprechung der Entgeltcharakter der Leistungen aus einem solchen System zugrunde liegt. Jedoch hat der EuGH in seiner späteren Rechtsprechung die Tragweite dieses Protokolls auf das Gebiet reduziert, in dem die Einschränkung der Direktwirkung schon vorher durch das Barber-Urteil anerkannt war78 . 72 EuGHE 1994,1-4541 (Rn. 25) - Rs. C-57/93 "Vroege"; 1994,1-4583 (Rn. 22) - Rs. C-128/93 "Fisscher". Die erste Voraussetzung der "schwerwiegenden Störungen" hatte schon das Barber-Urteil genannt. EuGHE, 1990,1-1889 (Rn. 41). 73 Zuerst in EuGHE 1994,1-4471 (Rn. 62) - Rs. C-7/93 "Beune". 74 EuGHE 1986, 1607 (Rn. 22) - Rs. 170/84 "Bilka-Kaujhaus". 75 EuGHE 1994,1-4541 (Rn. 28) - Rs. C-57/93 "Vroege"; 1994,1-4583 (Rn. 25) - Rs. C-128/93 "Fisscher"; 2000, 1-743 (Rn. 36) - Rs. C-50/96 "Schröder"; 2000, 1-799 (Rn. 38) - Rs. C-234/96 "Vick"; 2000, 1-929 (Rn. 40) - Rs. C-270/97 "Sie-

vers",

Bieback, NKESR, RL 86/378, Vorbemerkung, Rn. 4 ff. (6). Langohr-Plato, MDR 1992, S. 841; Griebeling, RdA 1992, S. 378. 78 EuGHE 1994, 1-4471 (Rn. 57 ff.) - Rs. C-7/93 "Beune"; 1994, 1-4541 (Rn. 39 ff.) - Rs. C-57/93 "Vroege"; 1994, 1-4583 (Rn. 47 ff.) - Rs. C-128/93 "Fisscher"; 1996, 1-5223 (Rn. 42) - Rs. C-435/93 "Dietz". Anhaltspunkte dafür findet der EuGH erstens im Wortlaut des Protokolls, das "Leistungen" zum Gegenstand hat, und zweitens in den oben genannten zwei Voraussetzungen für die Wirkungseinschränkung. 76

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c) Andere Vergünstigungen im Sinne von "Entgelt"

Die extensive Interpretation des Entgeltbegriffs ennöglichte dem EuGH, diesen über den Bereich des betrieblichen Versorgungs systems hinaus auch auf andere Leistungen und Vergünstigungen im Sinne des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV anzuwenden. Bei einigen Leistungen ist der Entgeltcharakter eindeutig, wie bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfa1l 79 oder beim Übergangsgeld beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis 8o . Die Fälle, bei denen diese Leistungen im Mittelpunkt standen, kamen nur deswegen vor den EuGH, weil es hierbei um die Tragweite des Verbots der mittelbaren Diskriminierungen ging, da die Teilzeitbeschäftigten vom Genuß dieser Leistungen ausgeschlossen waren. Ähnlich verhielt es sich, soweit der Entgeltcharakter einer gerichtlich anerkannten Entschädigung im Fall einer sozial ungerechtfertigten Entlassung in Frage stand. Der EuGH sah das ausschlaggebende Merkmal im Zusammenhang der Zahlung mit dem Dienstverhältnis und beachtete nicht die Tatsache, daß die Zahlung erst nach Beendung des Dienstverhältnisses erfolgte8 !. Das war aber gerade die Struktur, die die Einbeziehung der betrieblichen Rente in den Entgeltbegriff und somit auch das Barber-Urteil ennöglichte. Wenn man die anerkannten Kriterien für die Umschreibung des Entgelts anwendet, fällt auch der Ausgleich von Einkommenseinbußen für Mitglieder des Betriebsrats 82 unter diesen Begriff, was allerdings Systemwidrigkeiten innerhalb des deutschen Rechts aufwirft. Dabei handelt es sich um ein Problem, das die Tragweite der mittelbaren Diskriminierung betrifft. Darauf wird später nochmals zurückzukommen sein. Wichtiger ist, daß der EuGH in Nimz Voraussetzungen für einen quasiautomatischen Aufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe in den Begriff des Entgelts einbezog 83 . Dieses Ergebnis ist nur folgerichtig, da es nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH unerheblich ist, woraus sich eine das Entgelt betreffende Ungleichbehandlung ergibt84 . Jedoch gehören Beförderungsvoraussetzungen grundsätzlich zum Anwendungsbereich der RL 76/ EuGHE 1989,2743 - Rs. 171/88 "Rinner-Kühn". EuGHE 1990, 1-2591 - Rs. C-33/89 "Kowalska". 81 EuGHE 1999, 1-623 (Rn. 23-30) - Rs. C-167/97 "Seymour-Smith". Der EuGH fügte jedoch auch hinzu, daß es unter den Anwendungsbereich des RL 76/ 207 fallen würde, wenn in einem ähnlichen Fall ein Anspruch auf Wiederbeschäftigung erhoben werden sollte. Hinter all diesen Feststellungen stand eine angeblich mittelbaren Diskriminierung, die darin bestand, daß die Anspruchsberechtigten auf Arbeitnehmer beschränkt waren, die mindestens zwei Jahre bei einem Arbeitgeber beschäftigt waren. Vgl. unten § 2, 11, 3, a. 82 EuGHE 1992, 1-3589 - Rs. C-360/90 "Bötel";1996, 1-243 - Rs. C-457/93 "Lewark"; 1996,1-1165 - Rs. C-273/93 "Freers". 83 EuGHE 1991,1-297 - Rs. C-184/89 "Nimz". 79

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207 85 . Es ist daher festzuhalten, daß der EuGH in Nimz den Grundsatz des Diskriminierungsverbots in bezug auf einen Teil der Beförderungsvoraussetzungen primärrechtlich gefestigt hat. Dies drückt auch die Intention des EuGH aus, den Entgeltbegriff extensiv zu verstehen, damit er einen möglichst umfangreichen Schutz gegen Geschlechtsdiskriminierungen trotz des beschränkten Gegenstandsbereichs des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = exArt. 119 EGV bieten kann. Daß Nachbarbereiche durch die RL 76/207 und andere Richtlinien abgedeckt sind und daher der EuGH dort auch ähnliche Ergebnisse erzielen kann, spielt sicherlich in der praktischen Erwägung eine gewisse Rolle, ist aber nicht maßgeblich bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs von Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV. d) Würdigung

Was hat nun diese extensive Interpretation des Entgeltbegriffs mit dem Grundrechtscharakter der Entgeltgleichheit zu tun? Aufgrund der obigen Schilderung der Entwicklung ist es erkennbar, daß die Entgeltgleichheit in der vom EuGH angewandten Form weit über die ursprüngliche Intention der Vertragsparteien hinausreicht. Dies ist am deutlichsten bei Barber und den folgenden Urteilen zu sehen. Bei der unterschiedlichen Regelung des Rentenalters im betrieblichen Versorgungssystem handelt es sich um einen Gegenstand, den die Mitgliedstaaten langsam, im stetigen Prozeß der Anpassung und Annährung, in den Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes einschließen wollten, wie dies die Ausnahmeklausel des Art. 9 der RL 86/378 zeigt. Trotzdem hat der EuGH die Ausnahmeregelung schlicht für unanwendbar erklärt und die Gleichbehandlung in diesem Gebiet durchgesetzt. Zwischen den Zeilen vom Barber-Protokoll kann man "Ärger über die forsche Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH,,86 erkennen. In dieser Hinsicht läßt sich feststellen, daß die Entwicklung nicht mehr unmittelbar von der ursprünglichen, wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Zielrichtung getragen war. Die völlige Gleichbehandlung der Geschlechter im Rahmen des betrieblichen Versorgungssystems kann man schlecht mit dem Gedanken der Verhinderung von "sozialem Dumping,,87 84 Ausdrücklich EuGHE 1990, 1-1889 (Rn. 32) - Rs. 262/88 "Barber"; 1993, 1-6591 (Rn. 10) - Rs. C-110/91 "Moroni"; 1994, 1-4471 (Rn. 50) - Rs. C-7/93 "Beune"; 1997,1-2057 (Rn. 26) - Rs. C-145/95 "Evrenopoulos". 85 Dies stellt der EuGH fest, indem er auf eine nicht automatische, sondern auch von anderen Faktoren abhängige Beförderung die RL 761207 anstatt Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV anwendet. EuGHE 1997, 1-5253 - Rs. C-l/95 "Gerster". 86 Griebeling, RdA 1992, S. 378.

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

in Zusammenhang bringen. Das Rentenalter im gesetzlichen System ist nach wie vor durch Art. 7 (1) a) der RL 79/7 vom Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgenommen. Bei dieser Sachlage würde keiner eine ungerechtfertigte wettbewerbsverzerrende Praxis darin sehen, daß die Arbeitnehmerinnen früher in Rente gehen können als ihre männlichen Kollegen. Wirtschaftspolitisch betrachtet kommt es kaum darauf an, ob ein Rentensystem gesetzlich oder betrieblich organisiert und verwaltet wird. Ebensowenig kann man die Entwicklung erschöpfend unter dem Blickwinkel der sozialpolitischen Zielsetzung der Entgeltgleichheit betrachten. Wenn die Gleichbehandlung außerhalb des engen Entgeltbereichs in erster Linie als Gegenstand sozialstaatlicher Annäherung im Sinne des Art. 136 EGV = ex-Art. 117 EGV begriffen wird, ist es nicht verständlich, warum der EuGH genau diesen Annäherungsversuch in der RL 86/378 verworfen hat. Das Zusammentreffen von wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Zielrichtungen rechtfertigt die unmittelbare horizontale Wirkung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV im eng begrenzten Entgeltbereich, aber nicht mehr dort, wo die wirtschaftspolitische Relevanz eindeutig verschwindet. In dieser Situation ist der grundrechtliche Charakter der Entgeltgleichheit als tragende Idee geeignet, die extensive Anwendung der Entgeltgleichheit zu erklären. Die Rechtsprechung des EuGH wird erst dann verständlich, wenn man die Intention des EuGH erkennt, dem Grundsatz der Geschlechtergleichbehandlung eine möglichst umfassende Geltung zu verschaffen. Diese Auffassung betrachtet die Gleichbehandlung der beiden Geschlechter als Grundsatz, der weder zu einem Mittel für ein wirtschaftspolitisches Ziel degradiert noch als sozialpolitischer Programmsatz der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und damit finanzieller und sonstiger politischer Erwägungen anheimgestellt werden darf. In diesem Sinne ist der Gleichbehandlungsgrundsatz ein vorstaatliches, unbedingtes Recht, eben ein Grundrecht. Freilich könnte man in der Begrenzung der unmittelbaren Wirkung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV in Defrenne-II und Barber ein Gegenargument für den Grundrechtscharakter der Entgeltgleichheit erblicken: Grundrechtsnormen dürfen nicht aufgrund einer Gerichtsentscheidung in ihrer Geltung beschnitten werden. Das mit diesem Argument aufgeworfene Problem betrifft jedoch den Vertrauensschutz gegenüber privatwirtschaftlichen Handlungssubjekten, nicht den Kernbestand eines Grundrechts. In ihrer Idee sind Grundrechte vorstaatlich. Sie werden nicht automatisch gewährleistet, sie müssen in das positive Rechtssystem übernommen und 87 Generalanwalt Dutheillet de Lamothe in Defrenne-l, EuGHE 1971, 445 (S.456).

11. Die Entgeltgleichheit und die Entgeltrichtlinie

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dort konkretisiert werden, um rechtswirksam werden zu können. Als das Grundrecht der Geschlechtergleichbehandlung in seinem Teilbereich durch Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV positiviert wurde, der europäische Gesetzgeber seine praktische Tragweite jedoch verkannte und seinen Normgehalt nicht richtig umsetzte, konnte von der Drittwirkung dieses Grundrechts nicht die Rede sein. Von den Privatpersonen, die eine dem nationalen und sekundären europäischen Recht entsprechende Praxis anwandten, kann nicht erwartet werden, daß sie die Folgen der Rechtswidrigkeit zu tragen haben. Bei der zeitlichen Einschränkung der Wirkung handelt es sich lediglich um Ausnahmesituation im Bereich der Drittwirkung von Grundrechten. Insgesamt läßt sich hier daran festhalten, daß die extensive Auslegung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV auf einem möglichst umfassenden Wirkungsbereich des Gleichheitsgrundrechts abzielt. Der Gegenstand dieser Norm ist keineswegs begrenzt durch ihre wirtschaftspolitischen oder sozialpolitischen Zielsetzungen. Der Inhalt und die Tragweite dieser Grundrechtsnorm ergeben sich ausschließlich aus dem Wortlaut der betreffenden Vorschrift und dem umfassenden Grundsatz der Geschlechtergleichbehandlung, aus dem die Gewährleistung der Entgeltgleichheit abgeleitet wird.

6. Die RL 75/117 und das gleiche Entgelt bei gleichwertiger Arbeit a) Subsumtion der gleichwertigen Arbeit unter die "gleiche Arbeit" im Sinne des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV Der Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erließ am 10.2.1975 die Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (die RL 75/117)88. Wie schon dieser Titel zum Ausdruck bringt, setzte diese Richtlinie, die auf eine Rechtsangleichung angelegt war, weder eine unmittelbare vertikale Verbindlichkeit des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV gegenüber Mitgliedstaaten voraus noch eine horizontale Direktwirkung gegenüber Privatpersonen89 . Vielmehr ging die RL 75/117 vom Programmsatzcharakter des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV aus und bestimmte den Umsetzungstermin auf den 10.2.1976, zwei Jahre nach der Bekanntgabe der Richtlinie.

ABI. 1975, L 45/19. Kyriazis sieht den Grund der RL 75/117 im "Mißerfolg der Gemeinschaft, die Lohngleichheit der Geschlechter planmäßig durchzusetzen", Kyriazis. 1990, S. 29. 88

89

4 Nishihara

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Das DeJrenne-II-Urteil stellte jedoch fest, daß die Festsetzung des Um setzungstennins rechtlich unbeachtlich sei, weil der Grundsatz der Entgeltgleichheit aufgrund des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV seit dem Eintritt in die zweite Stufe am 1.1.1962, unmittelbar gelte9o . Die RL 75/117 hat daher keinen Einfluß auf die Interpretation und Anwendung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV, soweit es um den Kembereich der Entgeltgleichheit geht91 . Dennoch hat die RL 75/117 eine wichtige Aufgabe erfüllt, indem sie zur Erweiterung des Begriffs der "gleichen Arbeit" beitrug. Sie leitete damit eine Entwicklung ein, die zur Aufnahme der Garantie der Entgeltgleichheit auch bei gleichwertiger Arbeit in Art. 141 Abs. 1 neu EGV führte. Art. 119 Abs. 1 alt EGV verlangte in seiner ursprünglichen Fassung, daß jeder Mitgliedstaat den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anwenden sollte, so daß man die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf die Fälle von gleichwertiger Arbeit kaum aus seinem Wortlaut entnehmen konnte. In dieser Situation bestimmte Art. 1 der RL 75/ 117, daß die "gleiche Arbeit" im Sinne dieser Bestimmung eine Arbeit umfaßt, die als gleichwertig anerkannt wird. Daß das Lohngleichheitsprinzip auf gleichwertige Arbeit angewandt werden soll, war völkerrechtlich seit Art. 2 des Übereinkommens Nr. 100 der IAO vom 29.6.1951 92 anerkannt. Die RL 75/117 brachte nunmehr diesen anerkannten Nonngehalt zum klaren Ausdruck. Bei dieser Sachlage waren die "Bestimmungen zur Erleichterung der konkreten Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes,,93 durchaus sinnvoll. Der EuGH erklärte schon in Worringham, daß die RL 75/117 und Art. 141 Abs. 2 EGV = ex-Art. 119 Abs. 2 EGV in bezug auf die Entgeltgleichheit bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit inhaltsgleich seien94 . In EuGHE 1976,455 (Rn. 56/58, 60) - Rs. 43/75 "De/renne-II". Vgl. das drei stufige Modell von Langen/eid: Geltungsprimat des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV bei (1) seinem Kerngehalt; Geltungsprimat der RL-Bestimmungen beim (2) interpretationsoffenen Inhalt des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV und beim (3) über Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV hinausgehenden Inhalt, Langen/eid, 1990, S. 70 f. 92 Zustimmungsgesetz in Deutschland vom 6.2.1956, BGBI. II - S. 23. 93 Präambel der RL 75/117. 94 EuGHE 1981, 767 (Rn. 21) - Rs. 69/80 "Worringham". Dieses Urteil geht auch von der gerichtlichen FeststeIlbarkeit einer Diskriminierung im Verhältnis zu einer gleichwertigen Arbeit aus, ebd. Rn. 23. Diese Position entwickelt sich zu einer oft angewandten Formel in Jenkins, EuGHE 1981,911 (Rn. 22): "Art. 1 RL 75/ 117, der im wesentlichen die konkrete Anwendung des in Art. 119 [ = jetzt Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV- Veifl genannten Grundsatz des gleichen Entgelts erleichtern soll, in keiner Weise den Inhalt oder die Tragweite dieses Grundsatzes, so wie er in dieser letztgenannten Vorschrift definiert ist, berührt". Vgl. EuGHE 1990, 1-1889 (Rn. 11) - Rs. C-262/88 "Barber". 90 91

11. Die Entgeltgleichheit und die Entgeltrichtlinie

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der Praxis kam diese These im Murphy-Urteil erstmals deutlich zum Tragen. Zwar ging es dort um höherwertige Arbeit, die im Verhältnis zur Vergleichspersonen schlechter entlohnt wurde, die Anwendung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV auf diesen Sachverhalt setzte jedoch voraus, daß dieser seinen Regelungsgehalt nicht auf identische Arbeit beschränkt, sondern auch andere, gleichwertige Arbeit umfaßt95 . Diese Position wurde bestätigt in Enderby, in dem der EuGH eine mittelbare Diskriminierung in Lohnunterschieden zwischen einer fast ausschließlich von Frauen geleisteten und einer gleichwertigen, hauptsächlich von Männern geleisteten Arbeit erblickte96 . In diesem Fall konnte und mußte der EuGH von der vom nationalen Gericht festgestellten Tatsache ausgehen, daß beide Arbeiten als gleichwertig anzuerkennen seien. b) Definition der Gleichwertigkeit

Die Frage, was eigentlich eine gleichwertige Arbeit ist, kann in den meisten Fällen nicht einfach beantwortet werden. Der EuGH konnte eigentlich eine Auseinandersetzung mit dieser Frage vermeiden, weil das Defrenne-IIUrteil die unmittelbare Wirkung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = exArt. 119 EGV auf Diskriminierungen beschränkte, die sich "an Hand der in der Vorschrift verwendeten Merkmale gleiche Arbeit und gleiches Entgelt allein feststellen lassen,m. Hiermit war der Ausschluß solcher Fälle gemeint, bei denen für die Feststellung der Diskriminierung ein übergreifender Vergleich im Rahmen eines ganzen Gewerbezweigs oder der gesamten nationalen Wirtschaft nach konkreteren, gesetzlichen Maßstäben für die Bestimmung der Gleichwertigkeit notwendig war98 . Im Bereich der gleichwer95 EuGHE 1988, 673 - Rs. 157/86 "Murphy". Vor dieser ersten ausdrücklichen Anwendung der Entgeltgleichheit auf gleichwertige Arbeit erkannte der EuGH in den Urteilsbegründungen die Anwendbarkeit schon lange an. Vgl. EuGHE 1981, 767 (Rn. 23) - Rs. 69/80 "Worringham ". 96 EuGHE 1993, 1-5535 - Rs. C-127/92 " Enderby". 97 EuGHE 1976,455 (Rn. 16120) - Rs. 43/75 "Defrenne-II". Diese Art von Diskriminierung wurde als "unmitte1bar" bezeichnet im Gegensatz zur mittelbaren, versteckten Diskriminierung, die nur nach Maßgabe eingehender gemeinschaftsrechtlicher oder innerstaatlicher Durchführungsvorschriften festgestellt werden kann. Diese Bezeichnung stiftet eine unnötige Verwirrung in bezug auf den Begriff der mittelbaren Diskriminierung. Dazu unten § 2, 1. Als Hintergrund dieser Einschränkung nannte der EuGH auch das extensive Verständnis der "gleichen Arbeit" in der RL 75/117. 98 Der EuGH lehnte die unmittelbare Wirkung des Art. 141 Abs. I und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV in Macarthys ab, soweit die Entgeltdiskriminierung nur aufgrund eines Vergleich mit einem "hypothetischen männlichen Arbeitnehmer" festgestellt werden konnte. EuGHE 1980, 1275 (Rn. 14) - Rs. 129/79. Zum "notional man test" vgl. Kyriazis, 1990, S. 149 ff. 4*

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

tigen Arbeit setzt der EuGH damit ausführende nationale Gesetze und Richtlinien voraus. Daher ist die Konkretisierung der gleichwertigen Arbeit in erster Linie eine Aufgabe der nationalen und europäischen Gesetzgeber. Der EuGH kann sich darauf beschränken, die auf der europäischen Ebene getroffenen Konkretisierungen auszulegen und anzuwenden. Es ist grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte, in jedem Einzelfall festzustellen, ob die Arbeiten unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände als gleichwertig anzusehen sind99 . Auch in diesem begrenzten Bereich stellt die verbleibende Aufgabe an den EuGH große Herausforderungen. Insbesondere die Definition der gleichwertigen Arbeit ist problematisch, wenn es um die gerichtliche Überprüfung der Entgeltgruppenbildung geht. Heute folgt der geschlechtsbezogene Lohnunterschied nicht mehr aus offenen Diskriminierungen, sondern daraus, daß ein großer Teil der Arbeit, die in der Praxis überwiegend Frauen verrichten, als minderwertig angesehen und in die niedrigeren Lohngruppen eingeteilt wird 100. Trotz dieser diskriminierenden Auswirkung erwies sich die gerichtliche Überprüfung der Einstufungskriterien als bislang wenig wirksam lOl . Ist die Einführung der Leichtlohngruppe mit dem Eingruppierungsmerkmal "leichte Arbeit ohne körperliche Beanspruchung", zu der die meisten Arbeiterinnen und fast kein männlicher Arbeiter gehören, aus der Perspektive der Entgeltgleichheit gerechtfertigt? Wenn diese Frage mit einem Nein beantwortet werden soll, heißt dies, daß die körperlichen Anstrengungen in der Entlohnung nicht berücksichtigt werden dürfen? Das sind Fragen, mit denen man sich vor allem in Deutschland auseinandersetzen mußte, weil hier die Tarifparteien in der Leichtlohngruppe den "Ausweg" aus Mehrkosten suchten, die aus dem Verbot der offenen Lohndiskriminierung zu entstehen drohten 102. Auf Vorlage des Arbeitsgerichts Oldenburg befaßte sich der EuGH in Rummler mit dieser Problematik. Dabei hob er hervor, daß es weniger auf das einzelne Kriterium als das gesamte System der beruflichen Einstufung Zuletzt EuGHE 2000, 1-2189 (Rn. 48) - Rs. C-236/98 "JämO". Im Bereich der Entlohnung herrschte früher eine generelle Minderbewertung der Frauenarbeit, nur und gerade deswegen, weil diese Arbeit von Frauen verrichtet wurde. Diese Minderbewertung kam in den Abschlagsklauseln für weibliche Arbeitnehmer - "weibliche Arbeitskräfte erhalten x % der betreffenden Männerlöhne für identische Arbeit" - und in der je nach Geschlecht getrennten Lohnskala zum Ausdruck, mit denen sich die Arbeitsgerichte befassen mußten. Z.B. BAGE 1, 258. Dazu näher PfarrlBertelsmann, Lohngleichheit, 1980, S. 63 ff. Diese generelle Minderbewertung ist jedoch heute als überwunden anzusehen. 101 In diesem Zusammenhang wird eher die Grenze der gerichtlichen Überprüfbarkeit hervorgehoben. Vgl. Pfarrl Bertelsmann, 1980, S. 379 ff. 102 PfarriBertelsmann, 1980, S. 125 ff. 99

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II. Die Entgeltgleichheit und die Entgeltrichtlinie

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ankommt. Ein System sei nicht allein deshalb diskriminierend, weil bei einem seiner Kriterien auf Eigenschaften abgestellt wird, die Männer eher besitzen. Es müsse jedoch, um insgesamt nicht diskriminierend zu sein, so ausgestaltet sein, daß es als gleichwertig anerkannte Arbeitsplätze umfasse, bei denen andere Kriterien berücksichtigt werden, hinsichtlich derer die weiblichen Arbeitnehmer besonders geeignet sein könnten lO3 . In dieser Hinsicht stellt die Leichtlohngruppe als reiner Ersatz für Abschlagsklauseln für weibliche Arbeiternehmer eindeutig eine mittelbare Diskriminierung dar. Aus diesem Grundsatz folgt jedoch auch, daß durchaus Fälle denkbar sind, in denen die körperliche Anstrengung als gerechtes und gerechtfertigtes Kriterium angesehen wird. Dort stellt sich als nächstes die Frage, welcher Wert für die Feststellung der Schwere einer Arbeit zugrunde gelegt werden soll. In diesem Punkt befand der EuGH, daß das Kriterium einerseits für beide Geschlechter einheitlich sein solle - weil anderenfalls eine offensichtliche Diskriminierung der Männer bei der identischen Arbeit entstehe -, andererseits aber auch nicht Durchschnittswert eines bestimmten Geschlechts sein dürfe, weil dann die Belastung für die Arbeitnehmer vom anderen Geschlecht nicht berücksichtigt werde I04 . In diesem Urteil wurden Leitlinien für die Entscheidung darüber festgelegt, was nicht als gerechtes Einstufungskriterium angesehen werden kann. Was dagegen in jedem Einzelfall das gerechte Kriterium ist, kann der Urteilsbegründung nicht unmittelbar entnommen werden. Der Rechtsprechung ist hier eine Grenze gesetzt, weil es sich beim Kriterium für die Bestimmung der Gleich- oder Anderswertigkeit zweier Tätigkeiten um eine Materie handelt, bei der zuerst ein gerechtigkeitsorientierter Maßstab festgesetzt werden muß, bevor ein Gerechtigkeitsurteil getroffen werden kann. Jedes Kriterium könnte theoretisch diskriminierende Auswirkungen entfalten. Rechtlich muß man sich also mit einer grundsätzlichen Feststellung begnügen, daß "der Grundsatz des gleichen Entgelts verlangt, daß die Art der zu verrichtenden Arbeit objektiv berücksichtigt wird,,105. In Royal Copenhagen verlangte der EuGH von den nationalen Gerichten die Entscheidung, ob zwei Gruppen von Arbeitnehmern unter BerücksichtiEuGHE 1986, 2101 (Rn. 15, 17) - Rs. 237/85 "Rummler". EuGHE 1986, 2101 (Rn. 25). Die zweite Aussage interpretieren Colneric und Langenfeld so, daß das betreffende Kriterium einzig der aus den Männer- und Frauenwerten gebildeten Durchschnittswert sein soll. Colneric, BB 1988, S. 970; Langenfeid, 1990, S. 259. Jedoch enthält die Urteilsbegrundung des EuGH nichts, das ein Kriterium ausschließt, das geschlechtsneutral von arbeitspolitischen Erwägungen bestimmt wird. Vgl. Kyriazis, 1990, S. 165. Er verlangt "Werte, die sich objektiv durch die Art des Arbeitsplatzes rechtfertigen lassen". Generalanwalt Lenz sieht auch im Durchschnittswert beider Geschlechter eine diskriminierende Auswirkung zuungunsten der Frauen. EuGHE 1986, S. 2107. 105 EuGHE 1986, 2101 (Rn. 13). 103

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§ I Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

gung einer Gesamtheit von Faktoren, wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können 106. Das ist natürlich nur sehr schwer feststellbar. Auf die Einzelheiten dieser Problematik kann hier nicht eingegangen werden. Im vorliegenden Zusammenhang ist jedoch festzuhalten, daß der Grundsatz des gleichen Entgelts mit dem Eintritt in die Gleichwertigkeitsproblematik eine neue Dimension erlangt hat. Die Kriterien, die für die Bestimmung des Entgelts maßgeblich sind, können stets auf ihre tatsächliche, diskriminierende Wirkung hin gerichtlich überprüft werden 107. Das dogmatische Modell der mittelbaren Diskriminierung ist hier vielleicht ein wenig überfordert. c) Rechtsschutz bei gleichwertiger Arbeit

Der EuGH stellt die Feststellung der Gleichwertigkeit zweier Arbeiten und die darauf basierende Beurteilung der Diskriminierung grundsätzlich den innerstaatlichen Gerichten anheim 108. Gerade in dieser Hinsicht ist es wichtig, daß jeder Mitgliedstaat einen Rechtsweg offenhält, auf dem ein Opfer der Lohndiskriminierung die Gleichwertigkeit seiner Arbeit mit der Vergleichperson geltend machen kann. Die RL 75/117 schreibt in Art. 2 den Mitgliedstaaten vor, die notwendigen Maßnahmen für die Sicherung des gerichtlichen Rechtsschutzes zu treffen. Bei diesem Gesichtspunkt handelt es sich um eine Absicherung der Entgeltgleichheit, die in ihrem Gehalt über die Regelung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV hinausgeht. 106 EuGHE 1995, 1-1275 (Rn. 38) - Rs. C-400/93 "Royal Copenhagen". Vgl. ferner EuGHE 1999, 1-2856 (Rn. 17) - Rs. C-309/97 "Wiener Gebietskrankenkasse ". Im zweitgenannten Urteil wurde festgestellt, daß sich zwei Arbeitnehmergruppen, die anscheinend identische Tätigkeiten ausüben, die jedoch verschiedene Berufsberechtigungen oder -qualifikationen besitzen, unter Umständen nicht in einer vergleichbaren Situation befinden. 107 Vgl. EuGHE 1989, 3199 - Rs. 109/88 "Dan/oss". Bekanntlich wirken die Kriterien der Qualifikation, Betriebszugehörigkeit und Verrichtung der Nachtarbeit unter heutigen Umständen zuungunsten der Frauen. Vgl. Kyriazis. 1990, S. 157. Diese Problematik wird unten im Rahmen der Rechtfertigungsmöglichkeit bei den mittelbaren Diskriminierungen (§ 2, 11, 3, c) behandelt. 108 Nachdem die Gleichwertigkeit der Arbeiten festgestellt worden ist, wird auf der zweiten Stufe nach dem Vorhandensein der Diskriminierung gefragt. Der EuGH stellte bei diesem Vergleich in JämO (EuGHE 2000, 1-2189 (Rn. 43) - Rs. C-236/ 98) bei der Bewertung der Lohngleichheit auf das Grundmonatsgehalt ab, auf der Grundlage des seit dem Barber-Urteil (EuGHE 1990, 1-1889 [Rn. 34] - Rs. C-262/ 88) anerkannten Prinzips, daß der Grundsatz des gleichen Entgelts für jeden einzelnen Bestandteil des den männlichen oder den weiblichen Arbeitnehmern gezahlten Entgelts gelten soll (zuletzt EuGHE 2000, 1-2447 (Rn. 27) - Rs. C-226/98 "JI/Jrgensen").

11. Die Entgeltgleichheit und die Entgeltrichtlinie

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Zwar stellt der gerichtliche Rechtsschutz, wie es der EuGH im Zusammenhang mit Art. 6 der RL 761207 feststellte 109, europarechtlich einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar, der zum ungeschriebenen primären Gemeinschaftsrecht gehört. Daher wäre die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, die Justitiabilität der Entgeltgleichheit bei gleichwertiger Arbeit aus diesem Rechtsgrundsatz in Verbindung mit Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = exArt. 119 EGV abzuleiten. Dennoch vermied der EuGH diese Argumentation und gründete die mitgliedstaatliche Pflicht zur Sicherstellung des Rechtswegs auf die RL 75/117. In der innerstaatlichen Rechtssphäre gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz nicht unmittelbar. Die Verpflichtung zur gesetzlichen Umsetzung kann der Rechtsgrundsatz selbst nicht bewirken. Deshalb zog es der Gerichtshof vor, die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus der RL 75/117 abzuleiten. In den Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien und Dänemark ging es um die Sicherung der Rechtsschutzmöglichkeit. Der EuGH sah einen Verstoß gegen die Richtlinie darin, daß die Regierungen nicht die notwendigen Maßnahmen trafen, damit ein mögliches Opfer einer Diskriminierung die gerichtliche Anerkennung der Gleichwertigkeit erreichen kann II 0. Darüber hinaus verlangte der EuGH, daß sich die Beweislastregelung der innerstaatlichen Rechtsordnungen umkehrt, wenn es für die wirksame Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes notwendig ist i l l . Diese Feststellung traf der EuGH zuerst in Dan/oss. Dort ging es um ein System individueller Lohnzulagen, dem jede Durchschaubarkeit fehlte. In dieser Lage konnten weibliche Arbeitnehmer nur einen Unterschied zwischen durchschnittlichen Entgelten für Männer und für Frauen nachweisen. Daher war es notwendig, dem Arbeitgeber die Beweislast dafür aufzuerlegen, daß seine Lohnpolitik nicht diskriminierend ist. Der EuGH leitet diese europarechtliche Beweislastregelung aus Art. 6 der RL 75/117 ab, der die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, sich zu vergewissern, daß wirksame Mittel vorhanden sind, um für die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes Sorge zu tragen 112. EuGHE 1986, 1651 (Rn. 18) - Rs. 222/84 "Johnston". EuGHE 1982, 2601 (Rn. 14) - Rs. 61/81 "Kom.lGroßbritanien"; 1985,427 (Rn. 14) - Rs. 143/83 "Kom.lDänemark". Im zweiten Verfahren wurde auch eine Vertragsverletzung festgestellt, die darin lag, daß Dänemark im nationalen Gesetz nur eine Entgeltdiskriminierung bei gleicher Arbeit regelte, nicht aber eine bei der gleichwertigen Arbeit. 111 Diese Regelung wurde durch die RL 97/80 zum Inhalt sekundären Rechts erhoben. Die Kommission und vor allem der Wirtschafts- und Sozialausschuß waren dabei der Meinung, daß sich die Beweislast nicht umkehrt, sondern die Beweisanforderung nur herabgesetzt werde. Dies ändert nichts daran, daß der Normurheber die scheinbar diskriminierende Regelung rechtfertigen muß. Siehe unten § 1, III, 4, c). 109 110

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Dieser Grundsatz der Beweislastumkehrung wurde in Enderby und Royal Copenhagen dahingehend verallgemeinert, daß er immer dann Anwendung findet, wenn Arbeitnehmer, die dem ersten Anschein nach diskriminiert sind, sonst kein wirksames Mittel hätten, um die Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts durchzusetzen 113. Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet somit auch ein verfahrensrechtliches Prinzip, das für einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz unentbehrlich ist. Die RL 75/117 erstreckt also nicht nur den Grundsatz des gleichen Entgelts auf die gleichwertige Arbeit, sie stellt gleichzeitig individuellrechtliche Schutzinstrumente sicher. Dies hat eine große Bedeutung in bezug auf den grundrechtlichen Charakter der Entgeltgleichheit. Dabei stützt sich die RL 75/117 auf Art. 94 EGV = ex-Art. 100 EGV als vertragliche Rechtsgrundlage. Dies bedeutet gleichzeitig, daß diese Richtlinie diejenigen "Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten" betrifft, "die sich unmittelbar auf die Erreichung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken". Die Annahme liegt daher nahe, daß die RL 75/ 117 in erster Linie im Zusammenhang mit der wirtschaftspolitischen Zielrichtung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV konzipiert wurde. Unabhängig von der gesetzgeberischen Intention gewann jedoch der Grundsatz des gleichen Entgelts durch die Konkretisierung in der RL 75/ 117 einen weiteren subjektiv-rechtlichen Bezug. Jeder, der sich durch ein Entlohnungssystem in seinem Recht aus diesem Grundsatz verletzt fühlt, muß die Verletzung seines Rechts gerichtlich rügen können. Durch diese Richtlinie wurde also das Recht auf Gleichbehandlung in der Entlohnung bei gleicher und gleichwertiger Arbeit als subjektives Recht konstruiert, das stets vor Gericht geltend gemacht werden kann.

111. Gleichbehandlungsrichtlinien 1. Das sozialpolitische Aktionsprogramm von 1974 als gemeinsamer Ausgangspunkt der Gleichbehandlungsrichtlinien

Es war charakteristisch für die EG in den siebziger Jahren, daß sie sich um die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit sowie die grundrechtliche Position des Individuums im europäischen Raum im allgemeinen und um die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für Mann und Frau im besonderen bemühte. Die RL 75/117 war auch ein Ausfluß dieser Bemühungen. EuGHE 1989, 3199 (Rn. 13 f.) - Rs. 109/88 "Danfoss". EuGHE 1993, 1-5535 (Rn. 14) - Rs. C-127/92 "Enderby"; 1995, 1-1275 (Rn. 24 ff.) - Rs. C-400/93 "Royal Copanhagen". 112

113

III. Gleichbehandlungsrichtlinien

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Ein wichtiger Schritt war ebenfalls die Entschließung des Rates vom 21.1.1974 über ein sozialpolitisches Aktionsprogramm 114. Dort gaben die Ratsmitglieder der Auffassung Ausdruck, daß die Sozialpolitik der Gemeinschaft eine Aufgabe zu erfüllen habe und zur Erreichung der sozialpolitischen Zielsetzungen der Europäischen Union schrittweise eine wirkungsvolle Aktion unternommen werden müsse. Unter den Zielen nannte das Aktionsprogramm auch die Schaffung der "gleichen Bedingungen für Männer und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur beruflichen Bildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlohnung". Daß die Entgeltgleichheit hier lediglich als sozialpolitisches Ziel und nicht als ein im Gemeinschaftsvertrag pösitiviertes subjektives Recht betrachtet wurde, ist auf die damals noch mangelnde Durchsetzung dieses Rechts in den Mitgliedstaaten zurückzuführen. Die Aufnahme der Entgeltgleichheit in das Aktionsprogramm brachte die Entschiedenheit zum Ausdruck, mit der die Ratsmitglieder nunmehr diesen Grundsatz umsetzen wollten. Das Ziel, die gleichen Erwerbsbedingungen für Mann und Frau zu schaffen, zeichnet sich im Rahmen des Aktionsprogramms dadurch aus, daß - in Gegensatz zu anderen Gebieten wie der Beschäftigungspolitik oder dem Aktionsprogramm zugunsten der Wanderarbeitnehmer - in diesem Bereich von "Durchführung von Aktionen" die Rede ist, die relativ konkret gefaßt worden sind. Zwar wurde dieses Ziel um seiner Zugehörigkeit zur Sozialpolitik willen in das Aktionsprogramm aufgenommen, aber der Inhalt des Programms reicht weit über die Abstimmung der innerstaatlichen Politik hinaus und weist einen grundrechtlichen Bezug auf. Dies zeigt sich auch darin, daß sich das Ziel der gleichen Erwerbsbedingungen in den späteren, auf dem Aktionsprogramm basierenden Richtlinien zum Grundsatz der Gleichbehandlung kristalisiert hat, der nun in seinem Kernbereich den Charakter eines unbedingt zu gewährleistenden Rechts besitzt. 2. Gleichbehandlung von Mann und Frau beim Zugang zur Beschäftigung und bei den Arbeitsbedingungen (die RL 76/207) Der Schwerpunkt des Ziels, für Mann und Frau gleiche Bedingungen zu schaffen, lag beim Aktionsprogramm von 1974 eindeutig auf dem Einstellungs- und Ausbildungsbereich sowie den Arbeitsbedingungen. Hierzu erließ der Rat am 9.2.1976 die Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (die RL 76/207)115. Als Rechtsgrund114

ABI. 1974, C 13/1.

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

lage nennt die Richtlinie Art. 308 EGV = ex-Art. 235 EGV. Damit wurde zum Ausdruck gebracht, daß die RL 76/207, im Gegensatz zur RL 75/117, nicht mehr maßgeblich die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen im Rahmen der Erreichung des Gemeinsamen Marktes verfolgt II 6. Der "Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen", der die weitere Entwicklung des Gemeinschaftsrechts in diesem Bereich prägte, wurde positivrechtlich zum ersten Mal in der RL 76/207 aufgestellt und konkretisiert. In Art. 2 Abs. 1 definiert diese Richtlinie den Grundsatz der Gleichbehandlung mit dem Gebot, daß "keine unmittelbare und mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand - erfolgen darf'. Dieser Grundsatz begründet auf der einen Seite die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das Diskriminierungsverbot in ihre nationale Rechtsordnung umzusetzen. So wurden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, sicherzustellen, daß nicht nur diskriminierende Rechtsvorschriften beseitigt werden, sondern auch diskriminierende Tarifverträge und Betriebsordnungen oder ähnliche Bestimmungen nichtig sind bzw. für nichtig erklärt werden können (Art. 3-5). Für das Opfer der Diskriminierung soll darüber hinaus ein gerichtlicher Rechtsschutz eingeräumt werden (Art. 6). Auf der anderen Seite gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung nicht absolut und universal. Vom Diskriminierungsverbot ausdrücklich ausgenommen sind nationale Regelungen in bezug auf Tätigkeiten, für die das Geschlecht eine unabdingbare Voraussetzung darstellt (Art. 2 Abs. 2), Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft (Art. 2 Abs. 3) und Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen (Art. 2 Abs. 4). Aus der Systematik der RL 76/207 ergeben sich viele Streitpunkte. Hier ist lediglich auf die Probleme einzugehen, die den Geltungsgrund betreffen. Der Inhalt und die Grenzen des Rechts aus dieser Richtlinie werden unten, bei der Analyse des europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf seinen normativen Gehalt hin (§ 2), systematisch behandelt.

a) Umsetzungspjlicht der Mitgliedstaaten und der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes Was nach dieser Richtlinie untersagt ist, ist leicht aus dem Wortlaut der Richtlinie zu entnehmen: Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Ein Arbeitgeber darf somit beispielsweise beim Einstellungs- und Beförderungs115

116

S.33.

ABI. 1976, L 39/40. Kyriazis sieht darin die Bedeutung der sozialen Zielrichtung. Kyriazis, 1990,

III. Gleichbehandlungsrichtlinien

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verfahren oder bei der Bestimmung der Arbeitbedingungen grundsätzlich d.h. außer den in Art. 2 Abs. 2-4 der RL 76/207 ausdrücklich anerkannten Ausnahmenfällen - keine Entscheidung treffen, bei der sich die Geschlechtszugehörigkeit einer Person negativ auswirkt. In Anbetracht des jetzt noch verbreiteten Vorurteils, daß weibliche Arbeitnehmer wegen der vorhandenen oder zukünftigen familiären Belastungen weniger flexibel zu beschäftigen sind, entstehen Fälle, in denen der Tatbestand der Geschlechtsdiskriminierung erfüllt wird. Bei dieser Sachlage fragt es sich, wie hier zu verfahren ist. Die RL 76/207 ist, genauso wie andere Richtlinien, an die Mitgliedstaaten gerichtet. Richtlinien unterscheiden sich dadurch von Verordnungen, daß sie nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind und die Wahl der Form und Mittel für die Erreichung dieses Ziels den innerstaatlichen Stellen überlassen (Art. 249 Abs. 3 EGV = ex-Art. 189 Abs. 3 EGV). Die RL 76/207 schreibt daher nicht verbindlich vor, wie die Mitgliedstaaten eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Bereich der Einstellung, Berufsbildung, Beförderung und der Arbeitsbedingungen unterbinden sollen. In diesem Zusammenhang geht der EuGH vom Grundsatz des effektiven, gerichtlichen Rechtsschutzes aus. Der Ausgangspunkt dieser Position ist die Feststellung, daß "wirkliche Chancengleichheit nicht ohne eine geeignete Sanktionsregelung erreicht werden kann" 1 17. Diese Feststellung bezog sich auf eine Diskriminierung, die in Deutschland stattfand. In der Bundesrepublik wurde die RL 76/207 durch die Einführung des § 611 a BGB umgesetzt. Absatz 1 dieser Vorschrift verbietet z. B. dem Arbeitgeber zwar eine Benachteiligung wegen des Geschlechts bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses. § 611 a Abs. 2 BGB in der ursprünglichen Fassung des arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetzes vom 13.8.1980 beschränkte jedoch die Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers, der gegen das Diskriminierungsverbot verstieß, auf den Vertrauensschaden (die sogenannte "Portoklausel", weil der Vertrauensschaden im Regelfall einer öffentlichen Ausschreibung auf das Porto hinauslief) II 8. Nach der damals herrschenden Lehre hatte ein diskriminierter Arbeitnehmer dann nicht einmal einen Schadensersatzan117 EuGHE 1984, 1891 (Rn. 22) - Rs. 14/83 "v. Colson '". 1984, 1921 (Rn. 22) Rs. 79/83 "Harz". 118 § 611 a Abs. 2 BGB in der Fassung des Gesetzes über die Gleichbehandlung von Männem und Frauen arn Arbeitsplatz und über die Erhaltung von Ansprüchen bei Betriebsübergang vom 13.8.1980: "Ist ein Arbeitsverhältnis wegen eines von dem Arbeitgeber zu vertretenden Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbots des Absatzes 1 nicht begründet worden, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der Arbeitnehmer dadurch erleidet, daß er darauf vertraut, die Begründung des Arbeitsverhältnisses werde nicht wegen eines solchen Verstoßes unterbleiben". BGBI. Teil I, S. 1308. Kritisch dazu Jansen, FS von Simson, 1983, S. 237 f.

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spruch, wenn der Arbeitgeber entgegen der Soll-Vorschrift des § 611 b BGB die Ausschreibung geschlechtsspezifisch fonnuliert hatte und der Arbeitnehmer sich trotz des geschlechtsbezogenen Ausschlusses bewarb, weil in diesem Fall kein Vertrauenstatbestand entstanden ist l19 . In dieser Lage erklärte der EuGH, daß keine ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie in der Gewährung eines auf Bewerbungskosten beschränkten Schadensersatzanspruchs erblickt werden könne. "Auch wenn eine vollständige Durchführung der Richtlinie nicht eine bestimmte Sanktion für Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot erfordert, so setzt sie doch voraus, daß diese Sanktion geeignet ist, einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten. Sie muß ferner eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben. Entscheidet sich der Mitgliedstaat dafür, als Sanktion für den Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot eine Entschädigung zu gewähren, so muß diese deshalb jedenfalls in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen,,120.

Die Grundlagen dieser Feststellung waren recht offenkundige Diskriminierungen, in denen der Arbeitgeber die Ablehnung der Einstellung unmittelbar auf das Geschlecht der Bewerberinnen stützte (v. Colson) oder der Bewerberin mitteilte, daß sie wegen ihres Geschlechts bei der Einstellungsentscheidung nicht in Frage komme (Harz). Da es sich beim ersten Fall um ein öffentliches Arbeitsverhältnis handelte, hätte der EuGH eine vertikale unmittelbare Wirkung der RL 76/207 anerkennen und einen Rechtsschutz selbst anordnen können, wenn der EuGH im Rahmen des Gemeinschaftsrechts einen Bezugspunkt gehabt hätte l21 . Nachdem es der EuGH in der Beantwortung zur ersten Frage abgelehnt hatte, daß sich aus der RL 76/207 ein Anspruch auf Einstellung ergab 122, benötigte er eine Anspruchsgrundlage aus der nationalen Rechtsordnung. Deswegen verpflichtete er die nationalen Gerichte zur vollen Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, der ihnen vom nationalen Recht eingeräumt wird 123. Aufgrund dieses Prinzips konnte der EuGH in Marshall-/I feststellen, daß Art. 6 der RL 76/207 einer 119 Eich, NJW 1980, S. 2333; Bertelsmann, BB 1983, S. 1808 m.w. N. A.A. Knigge, BB 1980, S. 1273. 120 EuGHE 1984, 1891 (Rn. 23) - Rs. 14/83 "v. Colson"; 1984, 1921 (Rn. 23)Rs. 79/83 "Harz". 121 In der Tatsache, daß der EuGH in v. Colson die RL 761207 nicht unmittelbar anwandte, erblickt van Overbeek die rechtspolitische Erwägung, ein öffentliches und ein privates Beschäftigungsverhältnis gleich zu behandeln. van Overbeek, 1995, S. 46. 122 EuGHE 1984, 1891 (Rn. 19) - Rs. 14/83 " v. Colson "; 1984, 1921 (Rn. 19)Rs. 79/83 "Harz". 123 EuGHE 1984, 1891 (Rn. 28); 1984, 1921 (Rn. 28). Vgl. Bleckmann, DB 1984, S. 1574. Das BVerfG akzeptierte dieses Urteil im Beschluß vom 16.11.1993. Dort stellte es die These auf, daß bei Vorschriften, die grundrechtliche Schutzpflichten erfüllen sollen, das maßgebende Grundrecht verletzt sei, wenn ihre Auslegung und Anwendung den vom Grundrecht vorgezeichneten Schutzzweck grundlegend

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nationalen Vorschrift entgegensteht, die eine Obergrenze für den Entschädigungsbetrag bei Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes festsetzt. Um dieses Ergebnis zu unterstreichen, hob der EuGH hervor, daß sich jedes Individuum unmittelbar auf die RL 76/207 berufen kann, soweit es gegen den als Arbeitgeber auftretenden Staat Klage erhebt 124. Nach diesem Grundsatz löst der Gleichbehandlungsgrundsatz die volle Haftung aus, die der Urheber einer Diskriminierung zu vertreten hat, auch wenn er sich auf einen Rechtfertigungsgrund im Rahmen des nationalen Rechts berufen kann (Dekker) 125. Die unwiderlegbare Vermutung, die eine Bescheinigung einer nationalen Behörde über die Zugehörigkeit zu den in der RL 761207 anerkannten Ausnahmebereichen aufgrund einer nationalen Vorschrift begründen konnte, wurde ebenfalls als Verstoß gegen Art. 6 der RL 761207 angesehen (Johnstonl 26 • Darüber hinaus warf der Fall Coote die Frage auf, wie weit die Rechtsschutzpflicht des Staates reicht, wenn die Erhebung einer Klage auf Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dadurch erschwert wird, daß es der Arbeitgeber als Reaktion auf die Wahrnehmung des Klagerechts verweigert, Arbeitszeugnisse zu erteilen. Hierzu stellte der EuGH fest, daß der Mitgliedstaat durch Art. 6 der RL 761207 dazu verpflichtet sei, innerstaatliche Vorschriften zu erlassen, die notwendig seien, um einen gerichtlichen Rechtsschutz des Arbeitnehmers auch in einem solchen Fall sicherzustellen 127 . Nach alledem garantiert die RL 761207 - unmittelbar im vertikalen Rechtsverhältnis oder mittelbar durch umgesetzte nationale Vorschriften im horizontalen Verhältnis - ein subjektives Recht, auf das sich jeder berufen kann, um bei einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts angemessenen Rechtsschutz zu erlangen. Trotz der Formulierung als Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau, handelt es sich um kein objektivrechtliches Prinzip, sondern um ein subjektives Recht. b) Verbot der Diskriminierung au/grund einer Schwangerschaft aa) Anknüpfung an die Schwangerschaft als unmi ttelbare Diskriminierung In Dekker führte der EuGH aus, daß Art. 2 der RL 761207 die Haftung des Urhebers einer Diskriminierung nicht von einem nachgewiesenen Ververfehle. Das sei bei der wörtlichen Auslegung des § 611 a Abs. 2 BGB der Fall. BVerfGE 89, 276 (285 ff.). 124 EuGHE 1993,1-4367 (Rn. 37 f.) - Rs. C-271191 "Marshall-lI". 125 EuGHE 1990,1-3941 (Rn. 26) - Rs. C-I77/88 "Dekker". 126 EuGHE 1986, 1651 (Rn. 17 ff.) - Rs. 222/84 "Johnston". 127 EuGHE 1998,1-5199 (Rn. 18 ff.) - Rs. C-185/97 "Coote".

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schulden abhängig mache 128. In der Tat ging es in diesem Fall um eine weniger offenkundige Diskriminierung, die nicht an das Geschlecht als solches, sondern an die Schwangerschaft der Bewerberin anknüpfte. Der Arbeitgeber verweigerte ihre Einstellung wegen eines drohenden finanziellen Risikos. Wenn er sie eingestellt hätte, würde er den finanziellen Verlust aufgrund ihres bevorstehenden Mutterschaftsurlaubs nicht von der Versicherung erstattet bekommen, weil die betreffende Regelung Schwangerschaft mit einer Krankheit gleichstellte und die Verweigerung des Krankengeldes bei einer bei der Einstellung vorhersehbaren Arbeitsunfähigkeit vorsah. Der Arbeitgeber hatte also einen objektiven Grund, der seiner Natur nach nicht als diskriminierend zu bezeichnen war. Der EuGH bemerkte in dieser Lage, daß die Verweigerung der Einstellung angesichts der Schwangerschaft der Bewerberin eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstelle. Die Frage, ob der Grund für die Verweigerung unterschiedslos für Arbeitnehmer beiderlei Geschlechts gelte oder aber ausschließlich für eines der beiden Geschlechter, war ausschlaggebend für diese Entscheidung. Da nur Frauen schwanger sein können, sei die Berücksichtigung der Schwangerschaft eine Diskriminierung der Frau 129. Diese Position wurde bestätigt in Habermann-Beltermann und Webb. In der ersten Rechtssache focht ein Arbeitgeber den Beschäftigungsvertrag mit einer schwangeren Arbeitnehmerin aufgrund eines Irrtums an, weil er sie nur in der Nachtarbeit beschäftigen konnte, für die sie wegen eines gesetzlichen Verbots nicht beschäftigt werden durfte. In Webb ging es um die Entlassung einer schwangeren Arbeitnehmerin, die für die Vertretung einer anderen, sich im Mutterschaftsurlaub befindenden Arbeitnehmerin eingestellt wurde. In beiden Fällen stellte der EuGH fest, daß die Anfechtung bzw. die Entlassung unmittelbare Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts darstellen. Die Beendigung des Arbeitsvertrags, der auf unbestimmte Zeit geschlossen wurde, sei nicht dadurch zu rechtfertigen, daß die schwangere Arbeitnehmerin nur zeitweilig daran gehindert sei, die Arbeit zu verrichten, für die sie eingestellt worden sei 130. Diese Position wurde in Brown auf die Entlassung erweitert, die zu einem Zeitpunkt während der Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin aufgrund von Fehlzeiten infolge einer durch Schwangerschaft verursachten Krankheit erfolgte. Die Probleme und Komplikationen während einer Schwangerschaft wurden in diesem Urteil zu den mit einer SchwangerEuGHE 1990,1-3941 (Rn. 22) - Rs. C-I77/88 "Dekker". EuGHE 1990, 1-3941 (Rn. 10 ff.). 130 EuGHE 1994, 1-1657 (Rn. 14 f., 23 ff.) - Rs. C-421192 "Habermann-Beltermann"; 1994,1-3567 (Rn. 19,26 ff.) - Rs. C-32/93 "Webb". Diese Position wurde später bestätigt durch EuGHE 2000, 1-549 (Rn. 24 ff.) - Rs. C-207/98 "Mahlburg". 128

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schaft verbundenen Risiken und damit zu dem, was das Spezifische dieses Zustands ausmacht, gerechnet. Daher beruhe eine solche Entlassung in erster Linie auf der Schwangerschaft als Hauptursache. Sie könne folglich nur Frauen treffen und sei als unmittelbare Diskriminierung anzusehen 13l . Später fand diese Argumentation auch im Geltungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV und der RL 75/117 Anwendung. Eine dänische Regelung stand damals in Frage, nach der eine schwangere Arbeitnehmerin keinen Anspruch auf Fortzahlung ihres Gehalts hatte, wenn sie vor Beginn des Mutterschaftsurlaubs aufgrund eines mit der Schwangerschaft zusammenhängenden krankhaften Zustands arbeitsunfähig wurde, obwohl im Krankheitsfall grundsätzlich ein Anspruch auf Fortzahlung weiterbestand. Der EuGH sah diese Regelung als gemeinschaftsrechtswidrig an, weil sie hinsichtlich der Schwangerschaft diskriminiert 132 • bb) Mehrbelastung für den Arbeitgeber bei Schwangerschaft der Arbeitnehmerin und das Umlageverfahren In diesem Zusammenhang wird zurecht darauf hingewiesen, daß die "erschreckende Wirkung" dieser Rechtsprechung für den Arbeitgeber eventuell eine weitere Verschlechterung der Marktsituation für Frauen mit sich bringen kann, weil die Einstellung einer jungen Frau mit einem zusätzlichen Risiko verbunden wird 133. Stellt es sich heraus, daß die neu eingestellte Arbeitnehmerin wegen ihrer Schwangerschaft nicht für die vorgesehene Stelle geeignet ist, muß der Arbeitgeber alle Kosten tragen, die für die Vertretung notwendig sind. Die Vertretungskosten verdoppeln sich also, wenn die als Vertreterin eingestellte Arbeitnehmerin auch schwanger ist. Für einen kleinen Betrieb ist es in dieser Lage lebensnotwendig, daß er die Auswirkung der Kosten, die mit der Schwangerschaft seiner Arbeitnehmerinnen verbunden sind, in einem Versicherungssystem abmildern kann. Ein solches System ist in Deutschland teilweise in bezug auf Arbeitgeberaufwendungen bei einer Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin verwirklicht, die aufgrund des gesetzlichen Nachtarbeitsverbots nicht mehr beschäftigt und dennoch nicht auf einen anderen Arbeitsplatz umgesetzt werden kann. Das Lohnfortzahlungsgesetz sieht vor, daß diese Arbeitgeberaufwendungen bei einem Betrieb mit weniger als 20 Beschäftigten zu 80% von der Krankenkasse ausgeglichen (§ 10 Abs. 1 Ziffer 3) und die Mittel zum Ausgleich der Aufwendungen durch eine Umlage von den am Ausgleich beteiligten Arbeitgebern aufgebracht werden (§ 14 Abs. 1)134. 131 132

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EuGHE 1998,1-4185 (Rn. 22 ff.) - Rs. C-394/96 "Brown". EuGHE 1998,1-7327 (Rn. 33 ff.) - Rs. C-66/96 "Pedersen". Kokott, NJW 1995, S. 1056 f.

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Ein solches Versicherungssystem baut den großen Risikofaktor für den Arbeitgeber ab, der mit der Einstellung einer jungen Frau verbunden ist, und trägt zur Verwirklichung der Chancengleichheit für Frauen bei. Es ist auch wünschenswert, daß die Kosten für die Vertretung von schwangeren Arbeitnehmerinnen durch ein ähnliches System gemeinsam getragen werden. Dennoch überschreitet die Bereitstellung eines solchen Versicherungssystems deutlich das, was man aus dem grundrechtlichen Gehalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes ableiten kann. Mit der Forderung einer Versicherungsmaßnahme wird eindeutig der Bereich der Sozialpolitik betreten, in dem es für die Mitgliedstaaten um die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die tatsächliche Chancengleichheit geht. Diese Bemühungen stehen zwar im inneren Zusammenhang mit dem Gleichbehandlungsgrundrecht, können aber nicht zu dem unabdingbaren Gewährleistungsinhalt jenes Grundrechts gezählt werden. Wenn der EuGH in Abwesenheit eines Versicherungssystems für Arbeitgeberaufwendungen die unterschiedliche Behandlung einer schwangeren Arbeitnehmerin als unmittelbare Diskriminierung bezeichnet, dann liegt die Frage nahe, ob der EuGH den grundrechtlichen Gehalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht überstrapaziert. Eine solche Überstrapazierung wirkt sich zum Schluß zuungunsten der Chancengleichheit für Frauen aus. In der Tat wendet der EuGH das Kriterium nicht konsequent an, das er bei der Charakterisierung der Ungleichbehandlung wegen Schwangerschaft als unmittelbare Diskriminierung zugrunde legte. cc) Geschlechtsspezifische Merkmale als Kriterium für unmittelbare Diskriminierungen Der EuGH unterscheidet diejenigen Gründe, die sowohl bei Männem als auch bei Frauen in Betracht kommen können, von denjenigen, die ausschließlich bei einem bestimmten Geschlecht vorkommen. Nähme man diese Unterscheidung als Kriterium für die Ermittlung einer unmittelbaren Diskriminierung sehr streng, dann müßte eine negativ wirkende Behandlung wegen einer geschlechtsspezifischen Krankheit wie Brust- oder Prostatakrebs auch als unmittelbare Diskriminierung charakterisiert werden. Der EuGH lehnte diese Schlußfolgerung in Hertz und Larsson ab. Die RL 76/ 207 stehe einer Entlassung einer Arbeitnehmerin aufgrund von Fehlzeiten infolge einer durch Schwangerschaft oder Entbindung verursachten Krankheit nicht entgegen. Da männliche und weibliche Arbeitnehmer gleichermaßen dem Krankheitsrisiko ausgesetzt seien, liege keine unmittelbare Dis134

Zum Umlageverfahren Kokott, NJW 1995, S. 1056.

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kriminierung aufgrund des Geschlechts vor, wenn eine Frau unter den gleichen Voraussetzung wie ein Mann aufgrund von Fehlzeiten wegen Krankheit entlassen werde l3s . Worin unterscheiden sich also Schwangerschaft und Krankheiten infolge der Schwangerschaft, die während der Schwangerschaft auftreten, im Vergleich zu schwangerschafts- und entbindungsbedingten Krankheiten, die nach dem Ablauf des Mutterschaftsurlaubs auftreten? Die Zugehörigkeit zum Oberbegriff Krankheit stellt kein überzeugendes Kriterium dar, weil auch die Schwangerschaft, wie im Fall von Dekker, versicherungstechnisch in die Kategorie Krankheit eingestuft werden kann und Probleme sowie Komplikationen bei der Schwangerschaft, wie in Brown, tatsächlich als Krankheit behandelt werden. Bei näherem Hinsehen kommt es für den EuGH auch nicht auf diese Unterscheidung an. Für Habermann-Beltermann, Webb und Mahlburg war es vielmehr entscheidend, daß die Arbeitnehmerinnen auf unbegrenzte Zeit eingestellt worden waren 136 . Unter diesen Bedingungen konnte der EuGH in der Schwangerschaft nur einen zeitweiligen Arbeitsausfall sehen, der die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen zwar in einem wesentlichen Punkt, aber nicht insgesamt unmöglich macht. Der Tenor des Webb-Urteils ist somit nicht einfach auf die Fälle zu erstrecken, in denen der Arbeitsvertrag zeitlich für die Dauer der Vertretung befristet ist l37 . Wenn dagegen das Brown-Urteil ganz allgemeinen vom Verbot einer Entlassung wegen Schwangerschaft oder aus einem im wesentlichen auf der Schwangerschaft beruhenden Grund spricht l38 , so ist dieser Grundsatz im Lichte des Art. 10 Nr. 1 der RL 92/85 zu sehen. Diese Be135 EuGHE 1990, 3979 (Rn. 17, 19) - Rs. C-179/88 "Hertz"; 1997, 1-2757 (Rn. 26) - Rs. C-4OO/95 "Larsson". 136 EuGHE 1994,1-1657 (Rn. 23 f.) - Rs. C-421/92 "Habermann-Beltermann"; 1994, 1-3567 (Rn. 26 f.) - Rs. C-32/93 "Webb"; EuGHE 2000, 1-549 (Rn. 27) Rs. C-207/98 "Mahlburg". I37 Art. 10 der RL 92/85 vom 19.10.1992 (ABI., L 348/1), verbietet die Kündigung der Arbeiterinnen während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs. Da dieser Artikel wahrscheinlich auch auf den zeitlich befristeten Arbeitsvertrag Anwendung findet, ist der Unterschied zu zeitlich unbegrenzten Verträgen praktisch unerheblich. Dies begründet jedoch nicht eine Deduktionsmöglichkeit aus einer Grundrechtsnorm, weil der Schutz der schwangeren Arbeitnehmerinnen eindeutig im Bereich der Sozialpolitik im Sinne des Art. 138 EGV = ex-Art. 118b EGV i. V.m. Art. 136 EGV = ex-Art. 117 EGV angesiedelt ist. In der Tat erstreckt das Tele Danmark-Urteil (EuGH, Urt. v. 4.10.2001, Rs. C-109/OO, Rn. 19 ff.) das Verbot der Entlassung aufgrund der Schwangerschaft auch auf den zeitlich bestimmte Arbeitsvertrag. Daß der EuGH diese Rechtsfolge auch aus Art. 5 Abs. I der RL 76/207 herleitet, überzeugt jedoch nicht und stiftet eher Unsicherheit. 138 EuGHE 1998,1-4185 (Rn. 16) - Rs. C-394/96 "Brown".

5 Nishihara

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stimmung untersagt grundsätzlich eine Entlassung während der Zeit von Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des insgesamt mindestens vierzehnwöchigen Mutterschaftsurlaubs und fordert die Mitgliedstaaten auf, durch erforderliche Maßnahmen die Einhaltung dieses Verbots sicherzustellen. Der EuGH betont als Grundlage dieses Kündigungsschutzes die physische und psychische Gefahr für die schwangeren und stillenden Arbeitnehmerinnen und Wöchnerinnen, einschließlich des schwerwiegenden Risikos, zum Schwangerschaftsabbruch veranlaßt zu werden 139. Obwohl die Umsetzungsfrist der RL 92/85 bei der zugrundeliegenden Streitigkeiten noch nicht abgelaufen war, interpretierte der EuGH in Brown die RL 761207 "unter Berücksichtigung dieses allgemeinen Zusammenhangs" und stellte den Grundsatz auf, daß die Entlassung einer schwangeren Frau nicht damit begründet werden könne, daß diese wegen ihres Zustandes unfähig sei, die Arbeitsleistung zu erbringen, zu der sie sich gegenüber ihrem Arbeitgeber verpflichtet habe 140. Der Anwendungsbereich dieses Grundsatzes beschränkt sich jedoch, begründet durch die Bezugnahme auf Art. 10 Nr. 1 der RL 92/85, auf die schwangerschaftsbedingte Entlassung und erweitert sich nicht auf sonstige Arbeitsbedingungen. Die Anknüpfung an die Schwangerschaft kann darüber hinaus nicht immer als unmittelbare Diskriminierung betrachtet werden. Wenn beispielsweise in Anbetracht eines gesetzlichen Nachtarbeitsverbots für die werdenden Mütter eine schwangere Arbeitnehmerin von einem Nachtarbeitsplatz auf eine andere Stelle umgesetzt wird und sie darin eine Benachteiligung erblickt, ist fraglich, ob diese Umsetzung als unmittelbare Diskriminierung bezeichnet werden kann. Die Beispiele können beliebig fortgeführt werden, denn die Schwangerschaft stellt unter Umständen einen berechtigten Gesichtspunkt für eine unterschiedliche Behandlung dar. Somit kann hier fest gehalten werden, daß es sich bei der unterschiedlichen Behandlung wegen der Schwangerschaft um eine Diskriminierung handelt, die objektiv gerechtfertigt sein kann. Damit zeigt die Anknüpfung an die Schwangerschaft gewisse Affinität zur Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung l41 . Auch wenn es ausschließlich Frauen sind, die Schwanger sein können, kann eine Schwangerschaft als geschlechtsneutraler Tatbestand interpretiert werden. Ob man auf der Bezeichnung "unmittelbare DisEuGHE 1998,1-4185 (Rn. 18). EuGHE 1998,1-4185 (Rn. 19, 21). 141 Calneric weist auch auf den mittelbaren Charakter der Diskriminierung aufgrund der Schwangerschaft hin. Calneric, FS Gnade, 1992, S. 643. Vgl. ferner Rüfner, FS Friauf, 1996, S. 332. Dagegen stuft Fuchslach die Differenzierung aufgrund der Schwangerschaft in die unmittelbaren Diskriminierung ein, jedoch in die "definitorische" Diskriminierung, die erst in Abwesenheit der Rechtfertigungsgründe als Diskriminierung charakterisiert wird. Fuchslach, 1995, S. 124. 139

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kriminierung" besteht, ist eine theoretische Frage. Auf jeden Fall ist im Zusammenhang mit der Anknüpfung an die Schwangerschaft ein Prüfungsinstrument notwendig, das die objektive Begründung einer solchen Diskriminierung feststellt. dd) Diskriminierung aufgrund des Schwangerschaftsurlaubs Die Betrachtungsweise, die die Benachteiligung wegen der Schwangerschaft oder aus einem im wesentlichen auf der Schwangerschaft beruhenden Grund als eine unmittelbare Diskriminierung ansieht, ist einem weiteren Problem ausgesetzt, wenn eine unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmerin aufgrund der Tatsache erfolgt, daß sie sich im Mutterschaftsurlaub befindet. In Thibault stellte der EuGH fest, daß die Gewährung der von Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207 zugelassenen Sonderrechte für Arbeitnehmerinnen die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sicherstellen solle, so daß die Inanspruchnahme dieser Rechte nicht zu Nachteilen beim Zugang zur Beschäftigung und bei den Arbeitsbedingungen führen dürfe. Daher wird eine Frau, der wegen ihrer durch den Mutterschutzurlaub bedingten Abwesenheit ein Anspruch auf jährliche Beurteilung und damit eine Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg genommen wird, entgegen Art. 2 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 der RL 76/207 aufgrund ihres Mutterschaftsurlaubs diskriminiert l42 . In diesem Urteil wird also die Tatsache, daß sich eine Arbeitnehmerin im Mutterschaftsurlaub befindet, im Vergleich zu den übrigen weiblichen und männlichen Arbeitnehmern, die an ihrem Arbeitsplatz bleiben, als ein Merkmal betrachtet, das rechtlich unerheblich ist und daher nicht zur unterschiedlichen Behandlung führen darf. Dieser Betrachtungsweise entspricht auch Art. 11 Nr. 2 der RL 92/85, der die Gewährleistung der aus dem Arbeitsvertrag folgenden Rechte im Fall des richtlinienmäßigen Mutterschaftsurlaubs vorschreibt. Aufgrund dieser Bestimmung hielt der EuGH in Boyle eine Klausel des Arbeitsvertrags für rechtswidrig, die die Rentenanwartschaft im Rahmen des betrieblichen Systems während des Mutterschaftsurlaubs weiteren Voraussetzungen unterwarf l43 . Diese Schutzwirkung des Art. 11 Nr. 2 der RL 92/85 beschränkt sich jedoch auf den gesamten vierzehnwöchigen Mutterschutzurlaub im Sinne des Art. 8 der RL 92/85. Im gleichen Urteil wurde anerkannt, daß der Arbeitgeber nicht zur Gewährleistung der Rechte im Sinne des Art. 11 Nr. 2 der RL 92/85 für die Zeit verpflichtet sei, in der er den schwangeren oder stillenden Arbeitnehmerinnen über vierzehn Wochen hinaus zusätzlichen Mutterschaftsurlaub gewähre l44 . 142 143 5*

EuGHE 1998,1-2011 (Rn. 26 ff. ) - Rs. C-136/95 "Thibault". EuGHE 1998,1-6401 (Rn. 81 ff.) - Rs. C-411196 "Boyle".

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In diesem Zusammenhang stellte der EuGH fest, daß sich die Position der Arbeitnehmerinnen im Mutterschaftsurlaub nicht mit der der übrigen männlichen und weiblichen Arbeitnehmer vergleichen lasse. Auf der einen Seite gehe es um den Vergleich mit einem kranken Arbeitnehmer. Schon das Brown-Urteil wies darauf hin, daß die Situation einer wegen schwangerschaftsbedingter Gesundheitsstörung arbeitsunfähigen Arbeitnehmerin nicht mit der Situation eines erkrankten männlichen Arbeitnehmers gleichgestellt werden dürfe. Diese Feststellung bezog sich damals auf die Besserstellung der schwangeren Arbeitnehmerin, die darin lag, daß sie und nicht ein erkrankter Arbeitnehmer den Kündigungsschutz genoß 145 . Als der EuGH drei Monate später in Boy te dieselbe Feststellung traf, ging es um eine Schlechterstellung der Arbeitnehmerinnen im Mutterschutzurlaub gegenüber den Arbeitnehmern im Krankheitsurlaub. Diese Schlechterstellung bestand darin, daß eine Arbeitnehmerin für die Zeit des Mutterschaftsurlaubs zwar ein höheres Entgelt bekam als ein in der nationalen Vorschrift geregeltes, aber nur unter der Voraussetzung, daß jene sich zur Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit verpflichtete. Da die Arbeitnehmer im Krankheitsurlaub ohne zusätzliche Verpflichtung das volle Entgelt in der dafür vorgesehenen Höhe bekamen, wurde eine Diskriminierung in dieser unterschiedlichen Behandlung erblickt. Der EuGH stützte sich auf das Argument, daß eine Diskriminierung auch dann vorliege, wenn dieselbe Vorschrift auf ungleiche Sachverhalte angewandt werde. Die Lage einer schwangeren Arbeitnehmerin könne dabei nicht mit der eines männlichen oder weiblichen Arbeitnehmers, der Krankheitsurlaub erhalten habe, gleichgesetzt werden 146 . Die Lage einer sich im Mutterschutzurlaub befindenden Arbeitnehmerin ist in mancher Hinsicht vergleichbar mit der eines Arbeitnehmers im Krankheitsurlaub, wie in Art. 11 Nr. 3 der RL 92/85 oder in Pedersen 147 , in anderer Hinsicht jedoch nicht. Auf der anderen Seite läßt sich die Situation der Arbeitnehmerin, die sich im Mutterschaftsurlaub befindet, nicht mit der der übrigen Arbeitnehmer vergleichen, die an ihrem Arbeitsplatz bleiben. Dies gilt vor allem, wenn der Arbeitgeber einen zusätzlichen, über die von der Richtlinie geforderten vierzehn Wochen hinausgehenden Mutterschaftsurlaub gewährt. Ist es als unzulässige Diskriminierung anzusehen, wenn die Arbeitnehmerin in EuGHE 1998,1-6401 (Rn. 71). EuGHE 1998,1-4185 (Rn. 31) - Rs. C-394/96 "Brown". 146 EuGHE 1998,1-6401 (Rn. 39 f.) - Rs. C-411196 "Boy/e". 147 Dies insoweit, als der EuGH eine Diskriminierung in der schlechteren Entlohnung einer Arbeitnehmerin erblickte, die aufgrund eines durch Schwangerschaft bedingten krankhaften Zustands arbeitsunfähig war, im Vergleich zu einer wegen Krankheit arbeitsunfähigen Arbeitnehmerin. EuGHE 1998, 1-7327 (Rn. 33 ff.) - Rs. C-66/96 "Pedersen". 144 145

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diesem zusätzlichen Mutterschaftsurlaub schlechter entlohnt wird oder keinen Anspruch auf Jahresurlaub bekommt? Soweit der zusätzliche Mutterschaftsurlaub auch durch die Schwangerschaft bedingt ist, liegt in einer solchen Praxis eine Benachteiligung aufgrund der Schwangerschaft vor. Dennoch würde es auf eine unverträgliche, uferlose Privilegierung der Schwangeren hinauslaufen, wenn sie alle denkbaren Schutzmaßnahmen genösse und nicht zu arbeiten bräuchte, aber doch ein volles Entgelt und die übrigen Vergütungen bekäme. In diesem Sinne betrachtete der EuGH in BoyZe den zusätzlichen, unbezahlten Mutterschaftsurlaub - während dem kein Anspruch auf Jahresurlaub entsteht - nicht als Diskriminierung. Dabei rügte die Klägerin nicht den unbezahlten Mutterschaftsurlaub als solchen als mittelbare Diskriminierung, sondern die Verweigerung des Anspruchs auf Jahresurlaub während eines unbezahlten Urlaubs, da viel häufiger Frauen unbezahlten Urlaub nehmen. Hierzu äußerte der EuGH, daß der Anspruch auf unbezahlten Mutterschutzurlaub eine besondere Vergünstigung darstelle, so daß der fehlende Anspruch auf Jahresurlaub während dieses Urlaubs nicht zu einer Benachteiligung der Frauen führen könne 148 . Diese Position wurde in Pedersen bestätigt. Der EuGH sah keine Diskriminierung darin, daß eine schwangere Arbeitnehmerin kein Gehalt durch den Arbeitgeber bekam, weil sie wegen gewöhnlicher Schwangerschaftsbeschwerden fernblieb, ohne arbeitsunfähig zu sein. Vielmehr beruhe der Umstand, daß sie kein Gehalt erhalte, auf ihrer Entscheidung, nicht zu arbeiten 149 . Somit ist hier festzuhalten, daß die Schwangerschaft und die Eigenschaft einer schwangeren Arbeitnehmerin, sich im Mutterschaftsurlaub zu befinden, rechtlich nicht irrelevant sind. Wenn einer Arbeitnehmerin während eines vierzehnwöchigen Mutterschaftsurlaubs vollständige Rechte gewährleistet werden müssen, die auf dem Arbeitsvertrag beruhen, so ist diese Folge nicht unmittelbar aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz im Sinne der RL 761207 herzuleiten. Vielmehr handelt es sich bei diesem Normgehalt um eine positivrechtliche Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch Art. 11 Nr. 2 a) der RL 92/85. Gleiches gilt für das allgemeine Entlassungsverbot während der Schwangerschaft und des Mutterschaftsurlaubs. Während dieses Verbot in seinem Kernbereich - wie Dekker, HabermannBeZtermann und Webb zeigen - unmittelbar aus der RL 76/207 hergeleitet werden kann, gilt es in seiner heutigen Allgemeinheit in Verbindung mit Art. 10 Nr. 1 der RL 92/85.

148 149

EuGHE 1998,1-6401 (Rn. 79 f.) - Rs. C-411196 "Boyle". EuGHE 1998,1-7327 (Rn. 48 ff.) - Rs. C-66/96 "Pedersen".

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Dariiber hinaus wird der Gleichbehandlungsgrundsatzes im Bereich des Mutterschutzes in den Vorschriften der Mitgliedstaaten weiter konkretisiert und ausgestaltet. Jedoch ist auf der europäischen Ebene ein Kriterium notwendig, mit dem man bestimmen kann, in welchem Fall der Gleichbehandlungsgrundsatz eine Gleichsetzung der Schwangeren mit den übrigen Arbeitnehmern verlangt. Der EuGH versucht diesem Erfordernis dadurch gerecht zu werden, daß er sich auf die grundsätzliche Aussage beruft, daß eine Diskriminierung dann vorliegt, wenn unterschiedliche Vorschriften auf gleiche Sachverhalt angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift auf ungleiche Sachverhalte angewandt wird. Dazu ist jedoch zu bemerken, daß dieser Grundsatz oft nicht weiterhilft und dariiber hinaus kein sicheres Kriterium darstellt, zumal es gerade darauf ankommt, ob zwei verschiedene Sachverhalte rechtlich als gleiche anzusehen sind. c) Entlassung im Sinne der RL 761207

und das gesetzliche Rentenalter

Ein weiteres Problemfeld betrifft die Entlassung bzw. das Ausscheiden. Die je nach Geschlecht unterschiedliche Altersgrenze im Arbeitsvertrag, die der Gegenstand von Defrenne-III war, wurde bis zum Inkrafttreten der RL 761207 in den Mitgliedstaaten beseitigt. Zu einer augenscheinlichen Geschlechtsdiskriminierung im Entlassungsfall kann man eine Konstellation zählen, in der ein Arbeitnehmer deswegen entlassen wurde, weil er eine Frau geworden ist. Die Entlassung aufgrund einer Geschlechtsumwandelung sah der EuGH zu recht als einen Verstoß gegen Art. 5 der RL 761207 an 150 . Besonders problematisch sind in diesem Bereich Regelungen, die am Tatbestand des erreichten gesetzlichen Rentenalters anknüpfen. Da Art. 7 Abs. 1 a) der RL 79/7 den Mitgliedstaaten erlaubt, je nach Geschlecht unterschiedliche gesetzliche Rentenalter festzulegen, können die Arbeitnehmerinnen in manchen Mitgliedstaaten früher in Rente gehen als ihre männlichen Kollegen. In dieser Situation steht die Rechtsmäßigkeit einer Regelung in Frage, die beispielsweise die automatische Entlassung beim Erlangen von Rentenansprüchen vorsieht. Der EuGH sieht in solchen Regelungen einen deutlichen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Zunächst erblickte er im Urteil zur Rechtssache J. Roberts vom 26.2.1986 keine Diskriminierung in einer Regelung, die bei der Massenentlassung den Arbeitnehmern beider Geschlechter, die älter als 55 sind, einen Rentenanspruch gewährte. Die Rüge, daß diese Regelung insoweit eine Diskriminierung darstelle, als der Beginn der Rente bei Männern 10 Jahre und bei Frauen nur 5 Jahre vorgezogen werde, 150

EuGHE 1996,1-2143 - Rs. 13/94 "P.lS.".

111. Gleichbehandlungsrichtlinien

71

wurde vom EuGH zurückgewiesen 151 . In Fortsetzung dieses Urteils entschied der EuGH am gleichen Tag in MarshalL-/ und Beets-Proper, daß eine Entlassungspolitik mit der Erreichung vom je nach Geschlecht unterschiedlichen Alter in Anlehnung an das gesetzliche Rentenalter gegen die RL 761207 verstoße 152 . Eine diskriminierende Wirkung einer solchen Entlassung liegt auf der Hand, weil weibliche Arbeitnehmer auch bei ihrer Bereitschaft und Fähigkeit nicht mehr arbeiten können. Die Entlassungspolitik beruht inhaltlich auf dem unterschiedlichen Rentenalter, bewirkt aber eindeutig eine unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer, die älter als das für Frauen vorgesehener Rentenalter und jünger als das Rentenalter für Männer sind, aufgrund des Geschlechts. Da das gesetzliche Rentenalter keine Pflicht begründet, in den Ruhestand gehen zu müssen, liegt die Verantwortung für Entlassungsregelungen mit Anknüpfung am Rentenalter beim Regelungsurheber. Das Problem liegt bei einer solchen offenen Diskriminierung in der Wirkung der RL 761207. Der EuGH konnte in Marschall-/ eine unmittelbare vertikale Wirkung der Richtlinie anerkennen, weil es um eine Diskriminierung durch den Staat in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber ging. Schwieriger war es in Beets-Proper, weil die Entlassungsregelung einer privatwirtschaftlichen Bank in Frage stand. Das vorlegende Gericht formulierte die Frage jedoch vorsichtig, indem es fragte, ob die RL 761207 einem Mitgliedstaat freistelle, eine Diskriminierung in vorliegender Art zuzulassen. Damit konnte sich der EuGH auf eine prinzipielle Aussage beschränken, ohne auf das Problem der unmittelbaren horizontalen Wirkung der Richtlinie einzugehen. Für das nationale Gericht verkleinerte sich das Problem auf das der europarechtskonformen Auslegung der nationalen Gesetzesvorschrift. Später erweiterte der EuGH den Adressatenkreis der unmittelbaren vertikalen Wirkung der RL 761207 in einer ähnlichen Fallkonstellation. In Foster wandte der EuGH das in Marshall-/ und Beets-Proper festgelegte Prinzip auf eine Einrichtung an, die unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse erbrachte und dafür mit besonderen Privilegien ausgestattet war 153 . Beim gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung verläuft hier die Grenze der unmittelbaren Wirkung der Richtlinien. Da der EuGH die unmittelbare horizontale Wirkung der Richtlinien nicht anerkennt, kann sich ein Opfer einer Diskriminierung im Verhältnis zu einem privatwirtschaftlichen Arbeitgeber nicht unmittelbar auf die RL 761207 berufen. In dieser Hinsicht ist die Überprüfung einer Vertragsbestimmung EuGHE 1986, 703 (Rn. 36 f.) - Rs. 151/84 "f. Roberts". EuGHE 1986, 723 (Rn. 38) - Rs. 152/84 "Marshall-I"; 1986, 773 (Rn. 40) Rs. 262/84 "Beets-Proper". 153 EuGHE 1990,1-3313 (Rn. 18) - Rs. C-188/89 "Foster". 151

152

72

§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

im Rahmen eines privatwirtschaftlichen Beschäftigungsverhältnisses m

J. Roberts nur ergebnisorientiert zu rechtfertigen.

Trotz aller Klarheit des Prinzips, daß die Anknüpfung der Entlassungsregelung am je nach Geschlecht unterschiedlichen gesetzlichen Rentenalter gegen die RL 761207 verstößt, bleibt noch ein Problem. Der EuGH hatte zuvor in Burton entschieden, daß die Gewährung der Leistung bei freiwilligem Ausscheiden von der Voraussetzung abhängig gemacht werden dürfte, daß der Arbeitnehmer den Anspruch auf vorgezogene Rente 5 Jahre vor dem Erreichen des je nach Geschlecht unterschiedlichen Rentenalters erworben hat 154 . Es fragt sich in diesem Zusammenhang, ob diese Entscheidung noch mit Marshall-I, Beets-Proper und Foster vereinbar ist 155 . Daß es bei den letzteren um Entlassung und bei Burton um freiwilliges Ausscheiden ging, ist hier unerheblich, weil die RL 761207 auch eine Bevorzugung von Frauen verbietet. Jedoch ist es denkbar, daß die Anknüpfung am erworbenen Anspruch auf vorgezogene Rente aus einem objektiven Grund gerechtfertigt ist. Der Arbeitgeber kann nämlich mit dieser Voraussetzung ein berechtigtes Interesse verfolgen, die Leistung bei einem freiwilligen Ausscheiden in den Fällen zu behalten, in denen der Arbeitnehmer zu einer Konkurrenzfirma geht. Ob darin wirklich ein Rechtfertigungsgrund gesehen werden kann, ist fraglich, da der EuGH die Anknüpfung am unterschiedlichen Rentenalter als unmittelbare Diskriminierung betrachtet. Es ist dennoch festzuhalten, daß das Vorhandensein des Altersunterschieds im gesetzlichen Rentensystem eine Inkonsequenz darstellt. d) Bereiche, in denen die RL 76/207 keine Anwendung findet

Da die Richtlinie insgesamt nur schrittweise den Gleichbehandlungsgrundsatz verwirklichen kann, ist es unvermeidlich, daß das Europarecht nur langsam den Anwendungsbereich erweitert, und zwar je nachdem, inwieweit ein bestimmter Gegenstand einer zwingenden Regelung auf europäischer Ebene bedarf. Es ist jedoch für den Grundrechtsbezug nicht unerheblich, daß die RL 761207 einige Gegenstände aus ihrem Anwendungsbereich ausgenommen hat. Die erste Materie, die im Hinblick auf die Chancengleichheit wichtig war, aber nicht in der RL 761207 geregelt wurde, war die Diskriminierung innerhalb der allgemeinbildenden Schule. Der ursprüngliche Entwurf der Kommission verbot eine Diskriminierung auch in der Zulassung zum allgeEuGHE 1982,555 (Rn. 16) - Rs. 19/81 "Burton". van Overbeek bezweifelt, ob Burton nach dem Barber-Urteil (EuGHE 1990, 1-1889) den gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts widerspiegelt. van Overbeek, 1995, S. 31. 154

155

III. Gleichbehandlungsrichtlinien

73

meinbildenden Unterricht l56 . Die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses bekräftigte dieses Vorhaben der Kommission, indem sie die Erweiterung des betreffenden Artikels mit einer vorgeschriebenen Lerninhaltsgleichheit für Jungen und Mädchen vorschlug 157. Jedoch folgte der Rat nicht diesem Vorschlag. Damit ist die allgemeinbildende Schule dem Anwendungsbereich der RL 761207 entzogen I58 . Zwar ist diese Beschränkung des Anwendungsbereichs verständlich, angesichts der stark eingeschränkten Kompetenzgrundlage der Gemeinschaft im Bereich der allgemeinbildenden Schule. Wenn man jedoch die Bedeutung der Schule für die weitere berufliche Laufbahn bedenkt, ist hier immerhin ein Nachholbedarf festzustellen I59 . Der zweiten Bereich wird ausdrücklich in Art. 1 der RL 761207 genannt. Die Richtlinie verfolgte das Ziel, den Gleichbehandlungsgrundsatz auch im Bereich der sozialen Sicherheit zu verwirklichen. Für diesen Bereich sieht Art. 1 Abs. 2 jedoch den Erlaß einer anderen Richtlinie vor, so daß das gesamte Gebiet der sozialen Sicherheit aus dem Anwendungsbereich der RL 761207 ausscheidet. Zwar wird die Zugehörigkeit zu diesem Ausnahmebereich eng ausgelegt, so daß eine sozialpolitische Leistung, die notwendig mit einem Arbeitsverhältnis verknüpft ist, als Arbeitsbedingung eingestuft und nicht aus dem Anwendungsbereich der RL 76/207 ausgeschlossen wird 160. Der Grundsatz der Gleichbehandlung beider Geschlechter im Bereich der sozialen Sicherheit wird jedoch in ihrem Kern durch eine andere Richtlinien gesichert, die weitere Ausnahmeregelungen vorsieht. 3. Gleichbehandlungsgrundsatz im Bereich der sozialen Sicherheit (die RL 79/7) Der Rat beschloß am 19.12.1978 die in Art. 1 Abs. 2 der RL 761207 vorgesehene Richtlinie zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (die RL 79/7) 161. Diese Richtlinie ist ähnlich strukturiert wie die RL 761207. Den Mitgliedstaaten werden die Pflichten auferlegt, die Beseiti-

156

Art. 3 Abs. 2 des Vorschlags der späteren RL 76/207, ABI. 1975, C 124/2

(S. 3).

ABI. 1975, C 286/8 (S. 19). Zu dieser Problematik Kyriazis, 1990, S. 171 f. 159 Dieser Nachholbedarf wurde teilweise berücksichtigt, vor allem im Aktionsprogramm des Rats und der im Rat vereinigten Minister für das Bildungswesen zur Förderung der Chancengleichheit für Mädchen und Jungen im Bildungswesen vom 3.6.1985. ABI. 1985, C 166/1. Dabei handelt es sich jedoch nicht um verbindliches Recht. 160 EuGHE 1995,1-2131 - Rs. C-116/94 "Meyers". 161 ABI. 1979, L 6/24. 157 158

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

gung der mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften sicherzustellen (Art. 5) und die gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten für das Opfer der Diskriminierung zu ennöglichen (Art. 6).

a) Verbot der Diskriminierung unter Bezugnahme auf den Ehe- und Familienstand Art. 4 Abs. 1 der RL 79/7 definiert den Grundsatz der Gleichbehandlung, genauso wie Art. 2 Abs. I der RL 761207, mit dem Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand. In der Tat waren es oft Diskriminierungen gegenüber verheirateten Frauen, die vom EuGH als Verstoß gegen die RL 79/7 festgestellt wurden. Da das System der sozialen Sicherheit notwendigerweise von einem Ehe- und Familienbild ausgehen muß, hat der Staat in manchen Fällen das überkommene Bild der sogenannten Hausfrauenehe zugrunde gelegt. Einen typischen Fall stellt die erschwerende Voraussetzung der Invaliditätsrente oder des Arbeitslosengeldes für verheiratete Frauen dar, bei denen der Status als "Ernährerin der Familie" oder der Zustand, daß sie von ihrem Ehemann dauernd getrennt lebt, für die Gewährung der Leistung erforderlich ist. Schon im Jahre 1986, zwei Jahre nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist, war es auch für den beklagten Mitgliedstaat unstreitig, daß ein solches Erfordernis gegen die RL 79/7 verstieß 162. Da es sich beim Diskriminierungsverbot in Art. 4 Abs. I der RL 79/7 um eine inhaltlich unbedingte und hinreichend genaue Bestimmung handelt, die nach der Rechtsprechung des EuGH die Voraussetzung für die unmittelbare vertikale Wirksamkeit erfüllt l63 , schließt es die Anwendung von den erschwerenden Erfordernissen in der gesetzlichen Regelung aus l64 . Gleichennaßen verstieß der Ausschluß von verheirateten Frauen aus anderen Leistungen, die einem verheirateten Mann in gleicher Situation gewährt werden, stets gegen die RL 79/7 165 . Genauso verhält es sich mit einer diskriminierenden Berechnung des Rentenbetrags, die sich daraus ergibt, daß eine früher berufstätige EuGHE 1986, 3855 (Rn. 3) - Rs. 71/85 "FNV". EuGHE 1982, 53 (Rn. 24 f.) - Rs. 8/81 "Becker"; st. Rspr. Vgl. Oppermann, 1999, S. 212. 164 EuGHE 1986, 3855 (Rn. 13) - Rs. 71/85 "FNV"; 1987, 1453 (Rn. 11) - Rs. 286/85 "McDermott"; 1987, 2865 (Rn. 9) - Rs. 384/85 "Clarke"; 1988, 1601 (Rn. 8) - Rs. 80/87 "Dik". Dieses Argument findet auch auf das nur von den verheirateten Frauen verlangte Einkommenserfordernis in der Übergangsregelung Anwendung. EuGHE 1994,1-571 (Rn. 19 ff.) - Rs. C-343/92 "Roks". 165 EuGHE 1986, 1995 (Rn. 33) - Rs. 150/85 "Drake". 162 163

III. Gleichbehandlungsrichtlinien

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Frau während des Zeitraums nicht versichert war, als ihr Ehemann im Ausland erwerbstätig war, wobei ein berufstätiger Mann im gegenteiligen Fall jedoch versichert blieb 166. Umgekehrt dürfen die verheirateten Frauen und Witwen nicht dadurch bevorzugt werden, daß eine Befreiung von Beitragsverpflichtungen nur für sie und nicht für die verheirateten Männer und Witwer in gleicher Situation vorgesehen ist l67 . Somit hat die RL 79/7 in ihrem zentralen Anwendungsbereich sichergestellt, daß die Arbeitnehmerinnen unter den gleichen Voraussetzungen wie ihre männlichen Kollegen die Rechte aus dem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit genießen. Damit gab diese Richtlinie den individuellrechtlichen Momenten innerhalb der Sozialversicherungsmechanismen einen starken Rückhalt und begünstigte Umstrukturierungen der überkommenen Sozialpolitik, die sich auf der wirtschaftlichen Einheit der Ehe gründeten. Die individualistische Tendenz geht freilich nicht soweit, daß die Berücksichtigung der Unterhaltspflicht im System der Alters- oder Invaliditätsversorgung gleichfalls verboten worden wäre. Der EuGH stellte in Teuling fest, daß ein System der Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit nur bei Anspruchsberechtigten mit Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern oder einem Ehegatten einen Zuschlag vorsehen darf, wenn dadurch die im Vergleich zu Alleinstehenden höheren Belastungen ausgeglichen und damit ein angemessenes Existenzminimum garantiert werden SOll168. Somit konnte der EuGH für die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern mit und ohne Unterhaltsverpflichtungen objektive sachliche Gründe anführen, soweit Rechtfertigungsgründe für eine angeblich mittelbare Diskriminierung in Frage standen. Wenn jedoch die Tragweite der Verpflichtungen ermittelt werden mußte, die sich für die Mitgliedstaaten aus der RL 79/7 ergab, verzichtete der EuGH auf eine sachliche Argumentation und berief sich auf die Ausnahmeregelung. Um die Unterscheidung zwischen "Familienrente" und "Alleinstehendenrente" zu rechtfertigen, wies er in van Munster auf Art. 7 Abs. 1 c) der RL 79/7 hin, der den Mitgliedstaaten das Recht einräumt, die abgeleiteten Ansprüche der Ehefrau aus dem Anwendungsbereich der RL 79/7 auszuschließen l69 . EuGHE 1991,1-3757 (Rn. 4) - Rs. C-87/90 "Verholen". EuGHE 1990,1-4243 (Rn. 15) - Rs. C-373/89 "Integrity". 168 EuGHE 1987, 2497 (Rn. 17 ff.) - Rs. 30/85 "Teuling". Die Frage stellte sich in bezug auf eine angeblich mittelbare Diskriminierung, die an den höheren Anteil der männlichen Arbeitnehmer bei den Empfängern dieses Zuschlags anknüpfte. Dazu unten § 2 11. Die ähnliche Rüge, daß die Berücksichtigung der Bedarfslage aufgrund der Unterhaltsverpflichtung eine ungerechtfertigte mittelbare Diskriminierung darstelle, wies der EuGH wiederholt zurück, EuGHE 1991, 1-2205 (Rn. 20) Rs. C229/89 "Kom./Belgien"; 1992, 1-5943 (Rn. 15 ff.) - Rs. C-226/91 "Molenbroek". 166 167

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Darin zeigt sich die Schwierigkeit, die eine Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Bereich der sozialen Sicherheit in der gegenwärtigen Lage mit sich bringt. Beim heutigen Stand der Diskussion hat sich noch kein Konsens in bezug auf die Art und Weise herausgebildet, wie ein System der sozialen Sicherheit die Arbeit berücksichtigen soll, die von den Hausfrauen verrichtet wird. Angesichts dieser Tatsache stößt die Durchsetzung der Individualrechte an Grenzen.

b) Ausnahmeregelungen in der RL 79/7 Neben den abgeleiteten Ansprüchen der Ehefrauen im Rahmen der Alters- und Invaliditätsrente (Abs. 1 c) kann der Mitgliedstaat nach Art. 7 Abs. 1 der RL 79/7 die Festsetzung des Rentenalters (Abs. 1 a), den Rentenanspruch aufgrund der Kindererziehung (Abs. 1 b) und die Gewährung der Zuschläge zu den Renten für die unterhaltsberechtigte Ehefrau (Abs. 1 d) aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausschließen. Dabei sind die Mitgliedstaaten jedoch dazu verpflichtet, die Ausnahmebereiche in regelmäßigen Abständen dahingehend zu überprüfen, ob die Aufrechterhaltung der betreffenden Ausnahme unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung noch gerechtfertigt ist (Art. 7 Abs. 2 der RL 79/7). Gleichzeitig müssen sie die Kommission über die Gründe, die eine Beibehaltung der Ausnahmeregelungen rechtfertigen sowie über die Möglichkeiten einer diesbezüglichen späteren Revision unterrichten (Art. 8 Abs. 2 Satz 2 der RL 79/7). Darüber hinaus erklärt Art. 3 Abs. 2 der RL 79/7, daß diese Richtlinie nicht für Hinterbliebenen- und Familienleistungen gilt. Die systematische Stellung der Ausnahmeregelungen zeigt, daß die RL 79/7 die Ausnahmebereiche, die in Art. 7 Abs. 1 anerkannt sind, nicht dauerhaft aus dem Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausschließen möchte. Die Ausnahmen werden lediglich provisorisch anerkannt, bedingt durch die tatsächliche Schwierigkeit der Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Wie ihr Titel zum Ausdruck bringt, versucht die RL 79/7 nicht, auf einmal den Grundsatz der Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit zu verwirklichen, sondern stellt Mindestanforderungen im Prozeß der schrittweisen Verwirklichung dieses Grundsatzes. Die 169 EuGHE 1994,1-4661 (Rn. 15 ff.) - Rs. C-165/91 "van Munster". Diesem Urteil liegt ein komplizierter Sachverhalt zugrunde, der darauf zurückzuführen ist, daß die Niederlande ein System der individuellen Altersversorgung einführten, während Belgien zwischen Arbeitnehmern mit und ohne unterhaltsberechtigten Ehegatten unterschied. Ein Arbeitnehmer, der in beiden Ländern erwerbstätig war, bekam seine Rente in Belgien gekürzt, wenn seine Frau einen Anspruch auf eine eigene niederländische Altersrente erwarb, obwohl die Gesamteinkünfte der Familie aus den Niederlanden unverändert blieb. In dieser Inkonsistenz zweier Systemen liegt grundsätzlich kein Verstoß gegen die RL 79/7 vor.

III. Gleichbehandlungsrichtlinien

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Ausnahmeregelungen sind auch im Lichte dieser schrittweisen Verfolgung des Endziels zu sehen l7o. Der EuGH versuchte im Urteil vom 7.7.1992 das Regelungsziel des Art. 7 Abs. 1 der RL zu ermitteln 171. Dies war notwendig, um die Tragweite des Art. 7 Abs. 1 a) festzustellen. Dort ging es um eine unterschiedliche Behandlung von Männer und Frauen in der Berechnungsweise der Altersrente. Die Höhe der Rentenleistung bestimmt sich im britischen System nach dem Verhältnis der tatsächlichen Versicherungsdauer zur maximalen theoretischen Versicherungsdauer. Da hierbei die Frauen aufgrund der gesetzlichen Rentenalterregelung fruher in Rente gehen, beträgt die maximale theoretische Versicherungsdauer weniger als die für Männer. Deshalb kommt es vor, daß ein männlicher Arbeitnehmer weniger Rente bekommt als seine Kollegin, die genauso lang versichert war. Der EuGH führte aus, daß diese Diskriminierung nur dann unter die Ausnahmeregelung falle, wenn sie zur Erreichung der Ziele erforderlich seien, die die Richtlinie in Art. 7 Abs. 1 verfolge. In diesem Zusammenhang galt es, sich über das Regelungsziel der Ausnahmeregelungen Klarheit zu verschaffen: ,,[Es - Veif] läßt sich der Art der in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen entnehmen, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber die Mitgliedstaaten ermächtigen wollte, die Bevorzugung von Frauen im Zusammenhang mit dem Ruhestand vorübergehend aufrechtzuerhalten, und ihnen damit ermöglichen wollte, die Rentensysteme in dieser Frage schrittweise zu ändern, ohne das komplexe finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme zu erschüttern ... ,,172.

Somit spielt das finanzielle Gleichgewicht des Rentensystems die entscheidende Rolle, wie sie einst für die zeitliche Beschränkung der unmittelbaren Wirkung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV im Barber-Urteil maßgeblich war. Nach diesem Kriterium rallt die Ungleichbehandlung in der Berechnungsweise im britischen Rentensystem unter Art. 7 Abs. 1 a) der RL 79/7; nicht aber eine Ungleichbehandlung bei der Altersgrenze für die Gewährung eines Anspruchs im Rahmen eines beitragsunabhängigen Leistungssystems - hier das Schwerbehindertengeld -, wie es den Gegenstand des Thomas-Urteils darstellte. In diesem Urteil brachte der EuGH die Voraussetzung für die Anwendung des Art. 7 Abs. I c) der RL 79/7 zu einer klaren Formel. Danach können Diskriminierungen in Regelungen über andere Leistungen als Altersrenten als Auswirkung einer je 170 EuGHE 1994, 1-3191 (Rn. 20 f.) - Rs. C-420/92 "Bramhill". In diesem Urteil hob der EuGH hervor, daß es mit dem Ziel der schrittweisen Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes unvereinbar sei, wenn Art. 7 Abs. 1 dahingehend ausgelegt werde, daß sich ein Mitgliedstaat dann nicht mehr auf die Ausnahmeregelungen stützen könne, wenn er eine Maßnahme träfe, durch die das Ausmaß einer Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts verringert werden solle. 17l EuGHE 1992,1-4297 (Rn. 13 ff.) - Rs. C-9/91 "EOe". 172 EuGHE 1992,1-4297 (Rn. 15).

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

nach Geschlecht unterschiedlichen Rentenalterregelung gerechtfertigt werden, wenn sie "objektiv erforderlich sind, um zu verhindern, daß das finanzielle Gleichgewicht des Sozialversicherungssystems gefährdet wird, oder um die Kohärenz zwischen dem System der Ruhestandsrenten und dem System der anderen Leistungen zu gewähren,,]73. Später bestätigte der EuGH dieses Erfordernis bei der Einstellung der Zahlungen von Invaliditätsrenten mit dem Beginn der Altersrente (Graham)174 sowie in einer Vorruhestandsregelung für die Beschäftigten eines Krisenunternehmens, die die Gutschrift der zusätzlichen Beitragsmonate auf den Zeitraum bis zum Erreichung des Rentenalters beschränkte (Balestra) 175. Für die beiden Entscheidungen, besonders für die letztere, war der Gesichtspunkt des finanziellen Gleichgewichts nicht mehr ausschlaggebend. Statt dessen gründete der EuGH sein Urteil stärker auf die Erwägungen der Kohärenz. In Belastra wies der EuGH darauf hin, daß die Gutschrift der zusätzlichen Beitragsmonate über das gesetzliche Rentenalter hinaus insoweit eine Ungerechtigkeit hervorrufe, als die Vorrentnerin in diesem Fall günstiger behandelt werde als eine Arbeitnehmerin, die bis zum Erreichen des Rentenalters arbeite und dann in den Ruhestand gehe. Daher sei es notwendig, um die Kohärenz zwischen der Rentenregelung und der Vorruhestandsregelung zu wahren, daß die Gutschrift zeitlich begrenzt werde, auch wenn die Arbeitnehmerinnen effektiv das Recht hätten, über dieses Alter hinaus zu arbeiten 176 . Wie diese Entscheidung zeigt, führen die Kohärenzerwägungen notwendigerweise dazu, zwischen zwei Ungerechtigkeiten das kleinere Übel zu wählen, da Konsequenzen der je nach Geschlecht unterschiedlichen Rentenalterregelung auf die anderen Leistungen letztlich aus einer gesetzlichen Diskriminierung heraus gerechtfertigt werden müssen. Der EuGH erblickte dagegen keine objektive Erforderlichkeit in der je nach Geschlecht unterschiedlichen Berechnungsweise des Rentenbetrags im Rahmen eines geschlechtseinheitlichen Rentensystems]77 sowie m emem EuGHE 1993,1-1247 (Rn. 12, 14 ff.) - Rs. C-328/91 "Thomas". EuGHE 1995, 1-2521 (Rn. 13 ff.) - Rs. C-92/94 "Graham". Später wurde diese Erwägung bestätigt: EuGHE 2000, 1-3701 (Rn. 32 ff.) - Rs. C-196/98 "Heppie". 175 EuGHE 1997,1-549 (Rn. 41 ff.) - Rs. C-139/95 "Balestra". 176 EuGHE 1997, 1-549 (Rn. 43 ff.). Der EuGH selbst vertritt ständig die Ansicht, daß die Entlassungsregelung in Anlehnung an eine je nach Geschlechts unterschiedliche gesetzliche Rentenalterregelung stets eine unmittelbare Diskriminierung darstelle. EuGHE 1986, 723 (Rn. 38) - Rs. 152/84 "Marshall-I"; 1986, 773 (Rn. 40) - Rs. 262/84 "Beets-Proper"; st. Rspr. Der EuGH toleriert nur insoweit den Altersunterschied in den Ruhestandsregelungen, soweit sie es nicht zur Pflicht machen, in den Ruhestand zu gehen. 177 EuGHE 1993,1-3811 (Rn. 13) - Rs. C-154/92 "van Cant". Hier ging es um die Methode der Rentenberechnung, die für Frauen die 40 günstigsten Jahre der Be173

174

III. Gleichbehandlungsrichtlinien

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Krankheitskostensystem, das Frauen und Männer nach Erreichung des Rentenalters von der Rezeptgebühr befreit 178. Ähnlich verneinte er die Erforderlichkeit im Sinne der Gleichgewichts- und Kohärenzerwägungen, als er über die Rechtsmäßigkeit der Anknüpfung des beitragsunabhängigen Heizkostenzuschusses an das je nach Geschlecht unterschiedliche Rentenalter 179 sowie eine Regelung über die Voraussetzung einer vorzeitigen Alterspension für Invaliditätsfälle, die Frauen im Mindestalter von 55 Jahre - d.h. fünf Jahre vor dem gesetzlichen Rentenalter - und Männer im Mindestalter von 57 Jahre - d.h. acht Jahre vor dem Rentenalter - beanspruchen konnten l80 , zu entscheiden hatte. Insgesamt erweckt die Rechtsprechung des EuGH den Eindruck, daß sie nicht glücklich darüber ist, daß diese Ausnahmeregelung überhaupt in der RL 79/7 getroffen worden ist. Wie der EuGH schon in Thomas bemerkte, sieht er in Art. 7 Abs. 1 der RL 79/7 Ausnahmeregelungen, die eng interpretiert werden müssen 181. Das Unbehagen des EuGH mit den Ausnahmeregelungen kommt auch im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 der RL 79/7 zum Ausdruck. Einen erfreulichen Schritt in Richtung auf die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erblickte der EuGH in van Gemert-Derks, einer Entscheidung eines nationalen Gerichts, die - unter Berufung auf Art. 26 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 den Grundsatz der Gleichbehandlung auf die Hinterbliebenenrente erstreckte. Die nationale Entscheidung vermochte die schrittweise Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht zu behindern 182. Der EuGH befand in diesem Urteil, daß die nur die Frauen betreffende Entziehung einer Leistung bei Erwerbsunfahigkeit nicht gerechtfertigt werden könne, auch wenn die Entziehung eine Folge der Gewährung einer nur für Frauen vorgesehenen Hinterbliebenenrente darstelle 183.

schäftigungszeit und für Männer die 45 günstigsten Jahre zugrundelegen. Diese Entscheidung wurde jedoch später dahingehend modifiziert, daß nationale Gerichte zuerst darüber entscheiden sollten, ob ein je nach Geschlecht unterschiedliches Rentenalter aufrechtzuerhalten ist oder nicht. Falls dies bejaht wird, sei eine unterschiedliche Berechnungsweise notwendig und objektiv mit der unterschiedlichen Rentenalterregelung verbunden. EuGHE 1998, 1-2105 (Rn. 28 ff.) - Rs. C-377/96 "De Vriendt"; 1998,1-6173 (Rn. 28 ff.) - Rs. C-154/96 "Wolfs". 178 EuGHE 1995, 1-3407 (Rn. 18 ff.) - Rs. C-137/94 "Richardson". Aufgrund dieser Regelung wurden die Frauen, die älter als 60 sind, und Männer, die älter als 65 sind, von der Rezeptgebühr befreit. 179 EuGHE 1999,1-8955 (Rn. 28 ff.) - Rs. C-382/98 "Taylor". 180 EuGHE 2000, 1-3625 (Rn. 25 ff.) - Rs. C-104/98 "Buchner". 181 EuGHE 1993, 1-1247 (Rn. 8). Das geht zurück zu Marshall-/ und Beets-Proper. EuGHE 1986, 723 (Rn. 36); 1986, 773 (Rn. 38). 182 EuGHE 1993, 1-5435 (Rn. 16) - Rs. C-337/91 "van Gemert-Derks". 183 EuGHE 1993,1-5435 (Rn. 22, 29).

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Der Sachverhalt ähnelt in gewissen Punkten dem von Graham, wo der EuGH die Einstellung der Invaliditätsrente mit dem Beginn der Altersrente in den Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 a) der RL 79/7 einbezog. Die unterschiedliche Behandlung der Ausnahmeregelungen in Art. 7 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 2 der RL 79/7 ist jedoch verständlich, weil letztere die Hinterbliebenenrente schlicht aus dem Geltungsbereich der RL 79/7 ausschließt, ohne irgendeine Kontrollmöglichkeit durch die Kommission vorzusehen, und dabei nicht von den "etwaigen Auswirkungen auf andere Leistungen" spricht. Ein Mitgliedstaat darf nach Art. 3 Abs. 2 der RL 79/7 einem Witwer Witwenrente im Rahmen der gesetzlichen Versorgung verweigern, aber er kann nicht eine Diskriminierung in einem anderen Bereich mit Berufung auf diese Bestimmung rechtfertigen. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß die Ausnahmebereiche in Art. 3 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 1 der RL 79/7 eine vorübergehende Begrenzung des Anwendungsbereichs darstellen. Die Ausnahmen mußten aus der Notwendigkeit heraus anerkannt werden, einen reibungslosen Übergang zu einer rechtlichen Struktur zu ermöglichen, in der der Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau uneingeschränkt zur Geltung kommt. Da das Rechtssystem der Mitgliedstaaten noch Überreste der alten, vom Patriarchat geprägten Familien- und Sozialordnung enthält, die in der gegenwärtigen Situation - zumindest oberflächlich - zugunsten der traditionell benachteiligten Gruppen der Frauen wirken, darf der Übergang nicht zuungunsten der Frauen erfolgen. Dies hat der EuGH darunter verstanden, als er von der Aufrechterhaltung "der Bevorzugung der Frauen im Zusammenhang mit dem Ruhestand" sprach. Diese Bezeichnung ändert jedoch nichts daran, daß die unterschiedliche Regelung des Rentenalters oder die Diskriminierung der Witwer im Rahmen eines Hinterbliebenenrentensystems an sich eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes darstellt, die nur vorübergehend unter gegenwärtigen Bedingungen, nicht aber in ihrem Wesen gerechtfertigt werden kann 184 . c) Enverbsbevölkerung als persönlicher Geltungsbereich (Art. 2 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 der RL 79/7)

Über die Ausnahmeregelungen hinaus wird der Geltungsbereich der RL 79/7 sowohl sachlich als auch persönlich beschränkt. Die Richtlinie erfaßt das System der sozialen Sicherheit, das in Art. 3 Abs. 1 der RL 79/7 näher definiert wird. Danach findet sie Anwendung auf die gesetzlichen Systeme, 184 Es handelt sich dabei um eine "Diskriminierung, die derzeit in bezug auf Ruhestandsrenten hingenomen wird, an deren Beseitigung die Gemeinschaft jedoch eindeutig, wenn auch langsam arbeitet". Generalanwalt Slynn, in: EuGHE 1986, 703 (S. 710) - Rs. 151/84 "J. Roberts".

III. Gleichbehandlungsrichtlinien

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die Schutz gegen Risiken der Krankheit, Invalidität, Alter, Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit und Arbeitslosigkeit bieten. Daneben beschränkt Art. 2 der RL 79/7 den persönlichen Geltungsbereich auf die Erwerbsbevölkerung sowie auf die im Ruhestand befindlichen oder arbeitsunfähigen Arbeitnehmer und Selbständigen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist davon auszugehen, daß der Begriff der "Erwerbsbevölkerung", der den persönlichen Geltungsbereich der RL 79/7 bestimmt, weit zu fassen ist l85 . Der EuGH erklärt das extensive Verständnis dieses Begriffs mit dem Grundgedanken, daß eine Person, deren Erwerbstätigkeit durch eines der in Art. 3 aufgeführten Risiken unterbrochen worden ist, weiterhin zur Erwerbsbevölkerung gehört l86 . Danach fallt eine Arbeitnehmerin, die ihre Beschäftigung wegen der Invalidität ihrer Mutter aufgab, unter dem Geltungsbereich der RL 79/7 187 . Demnach bietet die RL 79/7 keinen Schutz vor Geschlechtsdiskriminierungen von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die "dem Arbeitsmarkt niemals zur Verfügung standen oder ihm nicht mehr zur Verfügung stehen, ohne daß der Grund dafür im Eintritt eines der in der Richtlinie genannten Risiken liegt,,188. Daher können Frauen, die nie erwerbstätig waren oder beispielsweise bei ihrer Heirat die Erwerbstätigkeit aufgaben, nicht die Diskriminierung vor dem Gericht einklagen. Diesen Grundsatz wandte der EuGH in Achterberg-te Riele auch bei der SchlechtersteIlung der Frauen an 189, die er selbst später in Verholen als Verstoß gegen Art. 4 der RL 79/7 verwarf l90 . In diesem Zusammenhang wurde der Erwerbstätigkeitsbegriff durch das Merkmal der wirtschaftlichen Tätigkeit, d. h. der gegen Zahlung eines Entgelts geleisteten Tätigkeit, ergänzt. Damit wird eine Frau, die nie berufstätig war und ihren behinderten Ehemann betreut, aus dem Geltungsbereich der RL 79/7 ausgeschlossen, unabhängig von den für diese Tätigkeit erforderlichen Kenntnissen und vom Umfang der Tätigkeit l91 . Jene 185 EuGHE 1986, 1995 (Rn. 22) - Rs. 150/80 "Drake"; 1996, 1-179 (Rn. 20) C-280/94 "Posthuma-van Damme"; 1996, 1-5689 (Rn. 11) - Rs. C-77/95 "Züchner". 186 EuGHE 1986, 1995 (Rn. 22). 187 EuGHE 1986, 1995 (Rn. 22). 188 EuGHE 1989, 1963 (Rn. 11) - Rs. 48/88 "Achterberg-te Riele"; 1991,1-3723 (Rn. 18 f.) - Rs. C-31190 "Johnson-I"; 1991,1-3757 (Rn. 19) - Rs. 87/90 "Verholen"; 1996, 1-179 (Rn. 20) - Rs. C-280/94 "Posthuma-van Damme"; 1996, 1-5689 (Rn. 11) - Rs. C-77/95 "Züchner". 189 EuGHE 1989, 1963 (Rn. 11, 13). Ähnlich konnte sich eine Frau, die ihre Erwerbstätigkeit beendete, um sich der Erziehung des Kindes zu widmen, nur dann auf Art. 4 RL 79/7 berufen, wenn sie beim Eintritt ihrer Invalidität erwerbstätig war oder sich bei der Arbeitssuche befand, wobei die Ermittlung dieses Tatbestandes Sache des nationalen Gerichts ist. EuGHE 1991, 1-3723 (Rn. 27) - Rs. C-31/90 "Johnson-I". 190 EuGHE 1991,1-3757 (Rn. 26).

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Frau ist im Ergebnis einer gesetzlichen, mittelbaren Diskriminierung ausgesetzt. Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege ist nämlich auf den Fall beschränkt, in dem eine im Haushalt lebende Person den Kranken nicht pflegen und versorgen kann. Diese Voraussetzung erfüllen viele Familien mit kranken oder behinderten Frauen und erwerbstätigen Männern, aber nur selten Familien mit kranken oder behinderten Männern. Der EuGH bemüht sich, Art. 2 der RL 79/7 nicht allzu einschränkend zu interpretieren, nimmt aber dennoch den begrenzten Geltungsbereich der Richtlinie wahr und vermeidet damit eine uferlose Erweiterung ihrer Anwendung. Ergebnisorientiert betrachtet, befriedigt diese Haltung des EuGH jedoch nicht l92 . Es gibt allerdings zwei Gründen, aus denen heraus die Zurückhaltung des EuGH unvermeidlich erscheint. Zunächst entspricht die Rechtsprechung des EuGH dem subjektiv-rechtlichen Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Ihm ist die Haltung fremd, eine Klage nur als Anlaß zur Durchsetzung eines objektiv-rechtlichen Prinzips zu betrachten. Er beschränkt seine Aufgabe im Vorabentscheidungsverfahren auf diesem Gebiet vornehmlich auf den Schutz der subjektiven Rechte des Individuums, die wirklich betroffen sind, unabhängig davon, daß ihm durch Art. 220 EGV = ex-Art. 164 EGV die "Wahrung des Rechts" aufgegeben ist und der Rechtsschutz im Einzelfall grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte ist. Der EuGH betrachtet den Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau als Garantie eines subjektiven Rechts, dessen Gewährleistung er im Bereich seiner Zuständigkeit stets sicherzustellen hat. Die Begrenzung des Geltungsbereichs der RL 79/7 stellt in diesem Zusammenhang die Grenze dar, an der die Rechtsschutzaufgabe des EuGH endet. Außerdem birgt die Erstreckung des Gleichbehandlungsgrundsatzes über die in der RL 79/7 vorgesehenen Grenzen hinaus eine gravierende Gefahr. Der Aufbau der Systeme sozialer Sicherheit gehört prinzipiell unter den heutigen Integrationsbedingungen zur Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Die Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf diesem Gebiet kann diese Zuständigkeit aber vollständig untergraben. Auf die streitige Bewertung der Arbeit von Hausfrauen und Familienmüttern wurde schon oben im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 1 der RL 79/7 hingewiesen. Wenn unter diesen Umständen verlangt wird, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz im Bereich der sozialen Sicherheit voll zur Geltung kommt, sind einerseits Verwirrungen innerhalb nationaler Systeme der sozialen Sicherheit und andererseits politische Unruhen sowie Widerstände von seiten der MitgliedEuGHE 1996,1-5689 (Rn. 13 ff.) - Rs. C-77/95 "Züchner". So z. B. Bieback nur in bezug auf Arbeitnehmer, die ihre Erwerbstätigkeit aus Erziehungszwecken unterbrachen. Bieback, in: NKESR, Art. 2 RL 79/7, Rn. 9. J9J

192

III. Gleichbehandlungsrichtlinien

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staaten zu erwarten. Besonders gravierend kann sich die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung auswirken, weil sie in der heutigen Form eine Anknüpfung an oder eine Rücksicht auf die Eigenschaft als unterhaltsberechtigte Hausfrau unmöglich macht. Diese Probleme wollte der EuGH vermeiden, als er in Smithson den sachlichen Geltungsbereich der RL 79/7 umschrieb. Danach fällt eine Leistung nur dann in den Anwendungsbereich der RL 79/7, "wenn sie unmittelbar und in effektiver Weise mit dem Schutz gegen eines der in Art. 3 Abs. 1 aufgeführten Risiken zusammenhängt" 193. Danach gehören das Wohngeld (Smithson), Einkommensbeihilfen und Ergänzungszulagen für einen Bedürftigkeitsfall (Jackson), Fahrtvergünstigungen für öffentliche Verkehrsmittel (Atkins) und Erziehungsgeld (Hoever)194 nicht zu den Gegenständen, auf die die RL 79/7 Anwendung findet.

4. Weitere Richtlinien a) Gleichbehandlungsgrundsatz im Rahmen der betrieblichen Systeme der sozialen Sicherheit (die RL 86/378 und 96/97) Die Regelung der Auswirkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Bereich des betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit wurde in Art. 3 Abs. 3 der RL 79/7 einer weiteren Richtlinie vorbehalten. Erst in der Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männer und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit vom 24.7.1986 (die RL 86/378)195 hat der Rat jene Regelungen getroffen. Diese Richtlinie sah eine Umsetzungsfrist von drei Jahre im vertikalen Rechtsverhältnis vor (Art. 12 Abs. 1) und verpflichtete sodann die Mitgliedstaaten dazu, das Gleichbehandlungsprinzip bis zum 1.1.1993 auch im horizontalen Verhältnis, d. h. hier in den Bestimmungen der betrieblichen Systeme, zu verwirklichen. Darüber hinaus werden einige Bereiche wie die Hinterbliebenenrente oder unterschiedliches Rentenalter zu Ausnahmebereiche erklärt, in denen der Mitgliedstaat die obligatorische Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aufschieben kann. 193 EuGHE 1992, 1-467 (Rn. 14) - Rs. C-243/90 "Smithson". Ähnlich EuGHE 1992, 1-4737 (Rn. 16) - Rs. C-63/91 "Jackson" ; 1996, 1-3633 (Rn. 11) - Rs. C-228/94 "Atkins"; 1996,1-4895 (Rn. 42) - Rs. C-245/94 "Hoever". 194 EuGHE 1992, 1-467 (Rn. 17 f.) - Rs. C-243/90 "Smithson"; 1992, 1-4737 (Rn. 21 f.) - Rs. C-63/91 "Jackson"; 1996, 1-3633 (Rn. 12 ff.) - Rs. C-228/94 "Atkins"; 1996, 1-4895 (Rn. 42 ff.) - Rs. C-245/94 "Hoever". Im letztgenannten Fall wurde das von den Klägern erstrebte Ergebnis anhand der VO 1408/71 erreicht. 195 ABI. 1986, L 225/40.

6*

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Der EuGH wartete diese Frist jedoch nicht ab. Er stellte in Barber klar, daß die Leistung aus einem betrieblichen Versorgungssystem ein Entgelt im Sinne des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV darstelle und die Ausnahmeregelungen in der RL 86/378 angesichts der Rechtsfolgen aus dem primären Gemeinschaftsrecht keinen Bestand haben können l96 . Dies bedeutet, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau im betrieblichen Versorgungssystem allein aus Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV folgt, so daß die RL 86/378 keinen Einfluß darauf ausüben kann l97 . Die in Art. 6 Abs. 1 der RL 86/378 konkretisierten Anwendungsfälle des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann man größtenteils unmittelbar aus Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV ableiten 198 • 199. Die RL 86/378 wurde nunmehr durch die Änderungsrichtlinie des Rates vom 20.12.1996 (die RL 96/97)200 geändert. Angesichts der Wirkung der Rechtsprechung bezüglich Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV waren einige Bestimmungen der RL 86/378 rechtlich überholt, vor allem die Ausnahmeregelungen in Art. 9. Aus Gründen der Rechtssicherheit war es daher geboten, die hinfälligen Bestimmungen zu beseitigen und die selbständigen Norminhalte zu verdeutlichen. Die RL 96/97 beschränkte den Geltungsbereich der Ausnahmeregelungen in Art. 9 der RL 86/378 ausdrücklich auf Systeme, die selbständig Erwerbstätige zum Gegenstand haben. Somit wurde klargestellt, daß das je nach Geschlecht unterschiedliche Rentenalter oder die Diskriminierung im Bereich der Hinterbliebenenrente im betrieblichen System der sozialen Sicher196 EuGHE 1990, 1-1889 - Rs. C-262/88. Diese Feststellungen wurden später ausdrücklich bekräftigt. EuGHE 1993, 1-6591 (Rn. 24) - Rs. C-110/91 "Moroni"; 1994,1-4471 (Rn. 63 ff.) - Rs. C-7/93 "Beune". 197 Bieback bezeichnet die RL 86/378 zurecht als "weitgehend irrelevant". Bieback, NKESR, RL 86/378, Vorbemerkung, Rn. l. 198 Vor dem Barber-Urteil (EuGHE 1990, 1-1889) wurden Erwartungen geäußert in bezug auf die Bedeutung, die Art. 6 Abs. I RL 86/378 haben könnte. Langenfeld, 1990, S. 70. Damals konnte man aus Newstead den Schluß ziehen, daß die auf Männer begrenzte Versicherungspflicht in einem System der Witwenrente nicht gegen Art. 141 Abs. I und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV verstieß. EuGHE 1987, 4753 (Rn. 19 ff.) - Rs. 192/85 "Newstead". Diese Ansicht wurde jedoch später ausdrücklich zurückgewiesen. EuGHE 1993,1-4879 - Rs. C-109/91 "Ten Oever". Einzig in dem in Art. 6 Abs. I g) genannten Verbot, in unmittelbarer oder mittelbarer Anknüpfung an das Geschlecht, die Stellung als Versicherter während des bezahlten Mutterschaftsurlaubs und Urlaubs aus familiäre Gründen zu unterbrechen, könnte man einen über Art. 141 Abs. I und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV hinausgehenden Inhalt erblicken. Die Möglichkeit, auch diesen Gehalt aus Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV zu deduzieren, ist freilich nicht ausgeschlossen, aber diese Klarstellung hilft bei der Herleitung. 199 Zur besonderen Problematik von Art. 6 Abs. 1 h) und i), der die Verwendung versicherungsmathematischer Faktor betrifft, siehe unten § 2, I, 2, a), bb). 200 ABI. 1997, L 46/20.

III. Gleichbehandlungsrichtlinien

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heit nicht zulässig sind, soweit es sich um Leistungen mit Entgeltcharakter handelt. Darüber hinaus regelt Art. 2 der RL 96/97 ausdrücklich die Rückwirkung der Umsetzungsmaßnahmen, die die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Rahmen des betrieblichen Versorgungssystems für Arbeitnehmer sicherstellen, bis auf jene Leistungen, die für die Beschäftigungszeit nach dem 17.5.1990 gewährt werden 20I . Zwar ändern die neuen Bestimmungen wenig daran, daß die meisten Regelungsinhalte schon durch Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV gedeckt sind; dennoch sind die Widersprüche zwischen diesen primärrechtlichen Normen und der Bestimmungen der RL 86/378 weitgehend beseitigt, so daß die Geltung der RL 86/378 insgesamt nicht mehr in Zweifel steht. b) Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei den Selbständigen (die RL 86/613)

Im selben Jahr erließ der Rat eine weitere Richtlinie auf diesem Gebiet. Die Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die selbständige Erwerbstätigkeit - auch in der Landwirtschaft - ausüben, sowie über den Mutterschutz vom 11.12.1986 (die RL 86/613)202 hat nunmehr die Selbständigen zum Regelungsgegenstand. Allerdings fallen die selbständigen Erwerbstätigen auch unter die Erwerbsbevölkerung im Sinne des Art. 2 der RL 79/7, so daß sie sich in bezug auf gesetzliche Systeme der sozialen Sicherheit bereits im Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes befinden. Die RL 761207 ist gleichfalls auf sie anwendbar, wenn beispielsweise gesetzliche Regelungen Zugangssperren für freiberufliche Tätigkeit vorsehen. Dennoch befinden sich die Selbständigen und ihre mithelfenden Ehegatten in einer besonderen Situation, die es notwendig macht, eine zusätzliche Regelung zu treffen. Besonders schwierig ist die Lage der Ehegatten von Selbständigen, die weder als abhängig Beschäftigte noch als Gesellschafter gelten und dennoch an der Tätigkeit des selbständigen Erwerbstätigen beteiligt sind. Galt früher eine solche mithelfende Tätigkeit als selbstverständliche Leistung der Ehefrau in der Familie, so stellt eine solche unentgeltliche Tätigkeit im heutigen Rechtssystem zunehmend einen Fremdkörper dar, vor allem deswegen, weil die Außenvertretung der Familie und des Familienbetriebs durch den Ehemann angesichts des normativen Gehalt der Gleichberechtigung von Mann und Frau keine berechtigte Grundlage mehr sein kann. In diesem Zusammenhang erwähnt die RL 86/612 ausdrücklich den Personen201 202

EuGHE 2000, 1-4039 (Rn. 45) - Rs. C-50/99 "Podesta". ABI. 1986, L 359/56.

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§ I Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

kreis der unentgeltlich mithelfenden Ehegatten (Art. 2 b) und verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, daß die genannten Ehegatten einem System der sozialen Sicherheit beitreten können (Art. 6). In bezug auf die Anerkennung der durch die genannten Ehegatten verrichteten Arbeit werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, geeignete Methoden zu untersuchen, um diese Anerkennung zu erleichtern (Art. 7). Angesichts der RL 86/613, die die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zum Anliegen hat, erweckt das Vorhandensein unentgeltlich mithelfender Ehegatten schlechthin Unbehagen. In diesem Zusammenhang konnte die Richtlinie jedoch nur die Mitgliedstaaten verpflichten, notwendige Maßnahme zu ergreifen, damit die Voraussetzungen für die Gründung einer Gesellschaft zwischen Ehegatten nicht restriktiver sind als die Bedingungen für die Gründung einer Gesellschaft zwischen nicht verheirateten Personen (Art. 5). Die Beschränkung auf diese Anforderung reicht natürlich nicht aus, um der unsicheren Rechtsposition des mithelfenden Ehepartners voll Rechnung zu tragen und ihnen einen angemessenen Schutz zu gewähren. Aufgrund dieser Situation ist die Kritik des Europäischen Parlaments berechtigt, daß "die RL 86/613 ihr Ziel, den mitarbeitenden Ehepartnern einen klar definierten beruflichen Status zu geben und ihre Sozialversicherungsansprüche festzuschreiben, nicht erreicht hat,,203. Die "komplexe Problemlage", die das Parlament zurecht erkennt, entsteht aufgrund eines Geflechts von Rechtsvorschriften, die teilweise von der Selbstverständlichkeit einer Verpflichtung der Ehepartner zur unentgeltlichen Mithilfe ausgehen. Dennoch kann diese Problemlage nicht allein mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz gemeistert werden. Zwar könnte die überwiegende Betroffenheit der Frauen durch die Benachteiligung der mithelfenden Tätigkeiten die Annahme einer mittelbaren Diskriminierung erlauben; jedoch liegt die Schwierigkeit gerade darin, daß diese Tätigkeiten rechtlich nicht formell anerkannt und daher nicht sichtbar sind204 und diese Situation gleichsam durch das gesamte Rechtssystem mitgetragen wird. Angesichts der Bedeutung dieses Problems für die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, ist für seine Lösung ein zukünftig verändertes Gesamtkonzept unvermeidlich. Für die Selbständigen selbst sieht Art. 4 der RL 86/612 die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der Gestalt vor, daß die ihm zuwiderlaufenden Bestimmungen beseitigt werden sollen, vor allem soweit 203 Das Europäische Parlament, Entschließung zur Situation der mitarbeitenden Ehepartner von selbständigen Erwerbstätigen vom 21.2.1997, ABI. 1997, C 85/186

(0).

204

Das Europäische Parlament, a. a. 0., S. 186 (C).

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die Gründung, Ausrüstung oder Erweiterung eines Unternehmens bzw. die Aufnahme oder Ausweitung jeder sonstigen Tätigkeitsform der selbständigen Erwerbstätigen betroffen sind. In dieser Hinsicht kommt jedoch die unmittelbare Diskriminierung nach heutigem Stand der Entwicklung kaum in Betracht. Dies schließt freilich nicht die Möglichkeit der mittelbaren Diskriminierung aus, wie die Rechtssache lr/Jrgensen zeigt 205 . Für die Fälle, in denen der Verdacht einer Diskriminierung besteht, verweist Art. 4 der RL 86/613 auf den Gleichbehandlungsgrundsatz im Sinne des Art. 2 der RL 76/207. Darüber hinaus garantiert Art. 8 der RL 86/612 auch den Selbständigen, während der Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft Zugang zu Vertretungsdiensten oder Geldleistungen zu erhalten. Hierbei handelt es sich jedoch um Inhalte, die über die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes hinausgehen, wie bereits dem Titel der Richtlinie entnommen werden kann. c) Die Beweislastrichtlinie (die RL 97/80)

Einem wirksamen Rechtsschutz bei der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts standen oft nationale Beweislastregelungen im Wege. Die Opfer können regelmäßig nur auf die Umstände hinweisen, die die Existenz einer Diskriminierung glaubhaft machen, aber keinen abschließenden Beweis für eine Diskriminierung liefern. Zu den Voraussetzungen einer Diskriminierung gehört nämlich, daß eine Regelung nicht aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist. Daß diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, kann schwerlich von Seiten des Diskriminierungsopfers nachgewiesen werden. Mit diesen Schwierigkeiten waren Arbeitnehmer vor allem im Bereich der Entgeltgleichheit für gleichwertige Arbeit und der mittelbaren Diskriminierung konfrontiert. Daher versuchte die Kommission seit dem Jahr 1988, eine Richtlinie vorzuschlagen, die die Beweislast im Fall einer Diskriminierung aufgrund 205 EuGHE 2000, 1-2447 (Rn. 26) - Rs. C-226/98 "J~rgensen". Es ging in diesem Fall um die Einteilung der Arztpraxen in drei je nach dem Jahreseinkommen s.ebildeten Kategorien und die daran angeknüpfte Einschränkung von Rechten, die Arzte sonst in der Vollzeitpraxis ausüben konnten. Die Klägerin des ursprünglichen Rechtsstreits behauptet eine mittelbare Diskriminierung mit der Begründung, daß die Anforderung an bestimmte Jahreseinkommen Frauen häufiger als Männer nachteilig belaste, wie auch in ihrem Fall, weil sie zur Zeit wegen der Kinderbetreuung ihre Praxis auf ein finanziell niedrigeres Niveau reduzierte, später aber als Vollzeitpraxis mit höherem Einsatz arbeiten wollte. Der EuGH bezweifelte in diesem Fall, ob überhaupt ausschlaggebende Statistiken vorhanden sind. Zur mittelbaren Diskriminierung und Verwendung der Statistiken bei der Ermittlung der mittlebaren Diskriminierung vgl. unten § 2, 11, 3, a).

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

des Geschlechts umkehrt206 . Bevor dieses Vorhaben verwirklicht werden konnte, war es jedoch angesichts politischer Widerstände notwendig, daß der Grundsatz der Beweislastumkehrung durch die Judikatur des EuGH anerkannt wurde. Das Dan/ass-Urteil vom 17.10.1989 und andere Entscheidungen in diesem Bereich207 leisteten diesem Gesetzgebungsvorhaben wichtigen Vorschub. Im Jahr 1996 legte die Kommission erneut einen Vorschlag für eine Beweislastrichtlinie vor208 • Dabei stützte sie sich auch auf das Protokoll Nr. 14 zum Maastrichter Vertrag, dem Abkommen über die Sozialpolitik, in dem die Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs den Wunsch erklärten, die Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte von 1989 umzusetzen. Art. 16 dieser neuen Sozialcharta hebt die Notwendigkeit hervor, Maßnahmen zu verstärken, mit denen die Verwirklichung der Gleichheit von Männer und Frauen sichergestellt wird. Diese Maßgabe führte schließlich zum Erlaß der Richtlinie des Rates über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vom 15.12.1997 (die RL 97/80)209. Art. 4 Abs. 1 der RL 97/80 schreibt vor, daß die Mitgliedstaaten erforderliche Maßnahmen ergreifen sollen, nach denen es dem Beklagten obliegt zu beweisen, daß keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat, wenn Personen, die sich wegen einer Verletzung des Gleichbehandlungsprinzips für beschwert halten und bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß betonte in seiner Stellungnahme zum Vorschlag, daß hiermit keine Umkehrung der Beweislast stattfindet. Er war der Meinung, daß der Kläger grundsätzlich die Beweislast trage, jedoch nur das Vorliegen einer geschlechtsbedingten Diskriminierung glaubhaft zu machen brauche21O . Jedoch beinhaltete der vom Ausschuß gutgeheißene Vorschlag den weiteren Satz, daß verbleibende Zweifel zu Lasten des Beklagten gehen 211 . Darin ist prozeßrechtlich nichts anderes als eine Umkehrung der Beweislast zu sehen. Wenn dagegen der Rat der Ansicht war, 206 Zuerst im Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Beweislast im Bereich des gleichen Entgelts und der Gleichbehandlung von Frauen und Männer. Von der Kommission dem Rat vorgelegt am 27.5.1988, ABI. 1988, C 176/5. 207 EuGHE 1989, 3199 (Rn. 13 f.) - Rs. 109/88 "Danfoss"; 1993, 1-5535 (Rn. 14) - Rs. C-127/92 "Enderby"; 1995, 1-1275 (Rn. 24 ff.) - Rs. C-400/93 "Royal Copenhagen". Siehe oben § 1, H, 6, c). 208 ABI. 1996, C 332/11. 209 ABI. 1998, L 14/8. 2\0 ABI. 1997, C 133/34 (S. 35, Ziffer 3.2.3.). 211 Vorschlag der Kommission, ABI. 1996, C 332/11, Art. 4 Abs. 1 a) Satz 2; Geänderter Vorschlag, ABI. 1997, C 185121, Art. 4, Abs. 1 a) Satz 2.

III. Gleichbehandlungsrichtlinien

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daß dieser Satz eine Einmischung in die richterliche Befugnis zur Folge habe, und den Satz deshalb wegstrich212 , ändert dies nichts an der Rechtsfolge der Beweislastumkehrung. Gerade die Beschränkung des richterlichen Ermessens aufgrund einer Umsetzungsvorschrift war gemeint, als der EuGH in Dan/ass von der Umkehrung der Beweislast und die endgültige Fassung der RL 97/80 von der Verpflichtung der Beklagten sprach213 . d) Mutterschutz und Elternurlaub aa) Mutterschutzrichtlinie (die RL 92/85) Darüber hinaus sind noch zwei weitere Richtlinien für die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes von großer Bedeutung. Zum einen handelt es sich um die Richtlinie des Rates über die Durchführung von Maßnahmen zur Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz vom 19.10.1992 (die RL 92/85)214. Im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Sinne der RL 761207 im Bereich der Schwangerschaft und des Mutterschutzes 215 wurden schon mehrfach die Bestimmungen und ihre Interpretation durch den EuGH vorgestellt und analysiert. Hier sind noch einmal die wichtigsten Inhalte dieser Richtlinie in Erinnerung zu rufen. Die RL 92/85 schreibt die Sicherheitsvorkehrungen des Arbeitgebers gegenüber der schwangeren und stillenden Arbeitnehmerin (Art. 5), das Verbot einer Exposition dieser Arbeitnehmerin gegenüber gefährlichen Agenzien (Art. 6) und den Schutz vor der Nachtarbeit (Art. 7) vor. Besonders wichtig für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand sind die Mindestanforderungen an die nationalen Vorschriften über den Mutterschaftsurlaub, der nach Maßgabe dieser Richtlinie mindestens vierzehn Wochen betragen (Art. 8 Abs. 1) und einen obligatorischen Mutterschaftsurlaub von zwei Wochen einschließen soll (Art. 8 Abs. 2). Art. 11 gewährleistet die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte in den AnwendungsfaIlen von Art. 5 bis 8. Nach Art. 11 Nr. 2 b) soll die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts undl oder der Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung für die Arbeitnehmerinnen gewährleistet werden, die sich im Mutterschaftsurlaub im Sinne des Art. 8 Abs. 1 befinden. Laut Art. 11 Nr. 3 gilt die Höhe dieses ArbeitsGemeinsamer Standpunkt, ABI. 1997, C 307/6 (S. 11, Ziffer 2.7.). Darüber hinaus ist diese Richtlinie insoweit von großer Bedeutung, als sie die mittelbare Diskriminierung als erste sekundärrechtliche Vorschrift definiert. Dazu siehe unten § 2, II, 1, a). 214 ABI. 1992, L 348/1. 215 Oben § 1, III, 2, b). 212 213

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

entgelts und/oder der Sozialleistung als angemessen, wenn sie mindestens den Bezügen entspricht, die die betreffende Arbeitnehmerin im Fall einer Krankheit erhalten würde. Über das Entgelt hinausgehende arbeitsvertragliche Rechte im Fall eines Mutterschaftsurlaubs (Art. 11 Nr. 2a) und die gesamten arbeitsvertraglichen Rechte im Anwendungsfall der Art. 5 bis 8 (Art. 11 Nr. I) werden vollständig gewährleistet. Darüber hinaus ist das oben dargestellte Kündigungsverbot des Art. 10 Nr. 1 hier zu erwähnen. Obwohl diese Richtlinie in erster Linie die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer im Sinne des Art. 138 EGV = ex-Art. 1I8a EGV bezweckt, ist sie - wie bereits festgestellt - für die Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes von großer Bedeutung. Dies gilt nicht nur, weil sie die "Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft" im Sinne des Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207 konkretisiert und den Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes begrenzt. Darüber hinaus gestaltet sie diesen Grundsatz aus, indem sie Benachteiligungen von schwangeren Arbeitnehmerinnen, vor allem in Art. 10 und 11, verbietet. bb) Elternurlaubsrichtlinie (die RL 96/34) Neben der RL 92/85 ist noch die Richtlinie des Rates zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub vom 3.6.1996 (die RL 96/34i 16 zu erwähnen. In bezug auf Elternurlaub legte die Kommission 1983 einen Richtlinienvorschlag vor, der die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Sinne der RL 76/207 in diesem Bereich hätte sicherstellen sollen217 • Jedoch konnte dieser Vorschlag nicht die notwendige Zustimmung der gesamten Mitgliedstaaten gewinnen. Um eine diesbezügliche Richtlinie zu verwirklichen, waren weitere politische Entscheidungen und Initiativen der Sozialpartner notwendig. Art. 4 Abs. 2 Unterabsatz 1 des Abkommens über die Sozialpolitik, das zwischen den Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs vereinbart und als Protokoll Nr. 14 zum Maastrichter Vertrag beigefügt wurde, sieht eine gemeinschaftsrechtliche Durchführung einer auf Gemeinschaftsebene abgeschlossenen Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern vor. Im Sinne dieser Vorschrift kamen die Sozialpartner EGB, CEEP und UNICE am 14.12.1995 zu einer Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub, die nun mittels der RL 96/34 durchgeführt wurde. § 2 Nummer 1 dieser Rahmenvereinbarung bestimmt, daß erwerbstätige Männer und Frauen ein individuelles Recht auf Elternurlaub im Fall der 2 16 217

ABI. 1996, L 145/4. ABI. 1983, C 333/6.

III. Gleichbehandlungsrichtlinien

91

Geburt oder Adoption eines Kindes haben, damit sie sich für die Dauer von mindestens drei Monaten um das Kind kümmern können. Die Regelung über die näheren Voraussetzungen und die Modalitäten für die Inanspruchnahme dieses Rechts überläßt die Rahmenvereinbarung den nationalen Rechtsordnungen. In ihr werden nur Mindestanforderungen niedergelegt. Mit der Gewährleistung des individuellen Rechts auf Elternurlaub wurde das Ziel erreicht, das die Kommission mit ihrem vorherigen Richtlinienvorschlag verfolgte, soweit es den Elternurlaub betrifft. Zwar hatte die vorgeschlagene Fassung stärker auf die Beseitigung der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts abgezielt, wie es Art. 2 Abs. 2 der vorgeschlagenen Richtlinie deutlich zum Ausdruck brachte. Dieser unmittelbare Bezug zum Gleichbehandlungsgrundsatz ist in der RL 96/ 34 nunmehr aber verloren gegangen. Die Rahmenvereinbarung beruft sich u. a. auf Nummer 16 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, die die notwendigen Maßnahmen aufzählt, die es Männern und Frauen ermöglichen, ihre beruflichen und familiärem Pflichten besser miteinander in Einklang zu bringen. Jedoch ändert die unterschiedliche Zielrichtung wenig an den praktischen Folgen. Nach dieser neuen Richtlinie ist nämlich der Elternurlaub Gegenstand eines individuellen Rechts von weiblichen und männlichen Arbeitnehmern. Damit ist der früheren Position der Boden entzogen, nach der der Erziehungsurlaub unter den Mutterschutz subsumiert wurde und daher reine "Frauensache" war218 . Soweit es allerdings über dieses grundsätzliche Bekenntnis zu einer neuen Betrachtungsweise des Erziehungsurlaubs hinausgeht, lassen sich nur wenige konkrete Ausgestaltungsmöglichkeiten des Elternurlaubs aus dem Gleichbehandlungsprinzip herleiten. Insofern ist der Rahmenvereinbarung zuzustimmen, wenn sie sich als Ausfluß aus dem Gebot versteht, lediglich Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit der beruflichen und familiären Verpflichtungen zu schaffen.

5. Grundrechtsbezug des Gleichbehandlungsgrundsatzes in den Gleichbehandlungsrichtlinien Die Gleichbehandlungsrichtlinien verfolgen, wie gezeigt wurde, das gemeinsame Ziel, den Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau zu verwirklichen. Dabei definieren sie übereinstimmend diesen Grundsatz mit der Abwesenheit einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Nur die RL 75/117 bezieht sich statt auf den 218 Diese Position vertrat auch der EuGH in seiner früheren Rechtsprechung. EuGHE 1983, 3273 (Rn. 16 f.) - Rs. 163/82 "Kom.lltalien"; 1984, 3047 (Rn. 25 ff.) - Rs. 184/83 "Hofmann". Siehe unten § 2, 1,3, b), aa).

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§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Gleichbehandlungsgrundsatz auf das Prinzip des gleichen Entgelts, aber letzteres läßt sich inhaltlich ohne weiteres auf den ersten Grundsatz zurückführen. Diese Richtlinien bilden zusammen mit Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV und dem Verbot der Geschlechtsdiskriminierung im Sinne eines allgemeinen Grundsatzes des Europarechts ein stimmiges System. In ihm wird der Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau in verschiedenen Teilaspekten konkretisiert und durchgesetzt. Den systematischen Zusammenhang brachte der EuGH dadurch zum Ausdruck, daß er in Razzouk endgültig den Inhalt des EG-Grundrechts der Gleichberechtigung beider Geschlechter präzisierte und dabei die in diesem Bereich erlassenen Richtlinien, neben Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = exArt. 119 EGV, als Verwirklichung dieses Grundsatzes in einem bestimmten Teilgebiet ansah 219 . Gegen den Grundrechtscharakter spricht allerdings die Tatsache, daß die Richtlinien an zahlreichen Stellen den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumen, ein bestimmtes Gebiet aus dem Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes auszuschließen. Ein Grundrecht erlaubt aber keinen Ausnahmebereich, in dem ein Staat die Unanwendbarkeit erklären kann. Dieser Sachverhalt läßt sich nur erklären, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Gleichbehandlung der Geschlechter in der bisherigen Geschichte der Männerherrschaft nicht ihrem Wesen entsprechend verwirklicht worden ist und der Verwirklichungsprozeß eine umfangreiche Reform der ganzen Rechts- und Sozialordnung mit sich bringt. Bei dieser Ausgangslage können nur die Mitgliedstaaten die Reform durchführen und dies auch nur schrittweise. Aus europarechlicher Sicht bedeutet dies, daß die Verletzung eines Grundrechts fortbesteht, wobei der EuGH stets dazu neigt, den Bereich der Verletzungslage auf das Notwendigste zu minimieren. Dennoch besitzt die EG keine Kompetenz zur umfassenden Gewährleistung der Grundrechte; diese steht in erster Linie den Mitgliedstaaten zu. Hierin kann auch der Grund gesehen werden, warum die EG in diesem Bereich mit Richtlinien arbeitet und auf ein stärkeres Rechtsmittel, wie die Verordnungen, verzichtet. Dies ändert jedoch nichts am grundrechtlichen Charakter, den der Grundsatz der Gleichbehandlung der bei den Geschlechter inhaltlich aufweist. Zwar fehlt es im primären und sekundären Gemeinschaftsrecht weiterhin an einer umfassenden Vorschrift, die diesen Grundsatz in allen Lebensbereichen gewährleistet. Die Garantie dieses Grundrechts ist heute jedoch europarechtlich im gesamten Arbeitsleben und zum erheblichen Teil in der gesetzlichen Versorgung gesichert. Erst infolge einer weiteren Vertiefung des 219

EuGHE 1984, 1509 (Rn. 17) - Rs. 75/82 "Razzouk".

IV. Entwicklungen im Amsterdamer Vertrag

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europäischen Integrationsprozesses wird es gelingen, diesem Grundrecht Schritt für Schritt europarechtlich Geltung zu verschaffen 22o .

IV. Entwicklungen im Amsterdamer Vertrag Der Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997 hat in diesem Bereich einige wichtige Fortschritte erzielen können. Zunächst wurde hier zum ersten Mal die Gleichstellung von Männern und Frauen als Aufgabe der EG in Art. 2 EGV genannt. Hier ist jedoch nicht von "Gleichbehandlung" , sondern von "Gleichstellung" die Rede. Die Interpretation dieses europarechtlich neuen Begriffs gehört zu den zukünftigen Aufgaben. Nach dem semantischen Zusammenhang steht zumindest fest, daß das Gleichstellungsgebot mehr umfaßt als das Verbot einer rechtlich differenzierenden Behandlung. Vielmehr bezieht sich diese AufgabensteIlung auch auf die positive Förderung der Chancengleichheit der beiden Geschlechter und rechtfertigt und unterstützt die zu diesem Zweck ergriffenen Maßnahmen. So gesehen steht das Gleichstellungsgebot in Art. 2 EGV in einem engen Zusammenhang mit der Änderung des Art. 141 = ex-Art. 119 EGV, insbesondere mit seinem neuen Abs. 4. Die Bestimmung über die Entgeltgleichheit wurde nunmehr um zwei Absätze erweitert. (3) Der Rat beschließt gemäß dem Verfahren des Art. 251 und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozial ausschusses Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeit- und Beschäftigungsfragen, einschließlich des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. (4) Im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben hindert der Grundsatz der Gleichbehandlung die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen. 220 Allerdings ist Vorsicht bei einer optimistischen Zukunftsprognose geboten. Zwar wurde der bisher gescheiterte Versuch, allgemeine Regelung über die Teilzeitarbeit zu treffen (ABI. 1982, C 62/7; ABI. 1983, C 18/5), in Form der Durchsetzungsrichtlinie der von UNI CE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung (die RL 97/81, ABI. 1997 L 14/9, auf England erweitert durch die RL 98/23, ABI. 1998 L 131/10) verwirklicht. Dennoch bleiben viele Vorschläge bis heute ge- . scheitert, die den Geltungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes hätten erweitern können. Darunter fällt vor allem die Richtlinie zur ergänzenden Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den gesetzlichen und betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (ABI. 1987, C 309/10), die für den Ausnahmebereich der RL 79/7 und RL 86/378 den Gleichbehandlungsgrundsatz durchsetzen wollte. Das Scheitern zeigt die mangelnde Bereitschaft des Rates, sich über geeignete Maßnahmen zu einigen.

94

§ 1 Grundrechtlicher Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes

In Art. 141 Abs. 4 EGV wird das Gleichstellungsgebot als Grundlage für die umgekehrte Diskriminierung im Arbeitsleben herangezogen. Hier liegt die Vermutung nahe, daß die Gleichstellung in diesem Zusammenhang eine ähnliche Bedeutung hat wie die Förderung der Chancengleichheit von Mann und Frau, die in Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 ebenfalls als Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgeführt wird. Trotz der Abweichung in der Wortwahl geht der inhaltliche Umfang des neuen Art. 141 Abs. 4 EGV nicht über den hinaus, der unter Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 bereits anerkannt war. Der EuGH stellte im Abrahamsson-Urteil ausdrücklich fest, daß Art. 141 Abs. 4 EGV nicht eine Regelung des Auswahlverfahrens rechtfertige, die zum verfolgten Ziel außer Verhältnis stehe 221 . Wichtig ist vielmehr, daß die Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes nunmehr erstens auf die primärrechtliche Ebene gehoben und zweitens mit dem allgemeinen Gleichstellungsgebot als Aufgabe der Gemeinschaft in Art. 2 EGV in Zusammenhang gebracht wurde. Die Förderung der Chancengleichheit war in den bisherigen europarechtlichen Vorschriften nur negativ formuliert werden, sie gehört jetzt positiv zur ausdrücklich anerkannten Aufgabe. Art. 141 Abs. 3 EGV stellt die Chancengleichheit und die Gleichbehandlung nebeneinander. Die Bedeutung dieser neuen Bestimmung liegt darin, daß die EG eine unabhängige Kompetenz zur Verwirklichung der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Mann und Frau erworben hat. Richtlinien, die in diesem Bereich künftig erlassen werden sollen, brauchen sich nicht mehr auf Art. 308 EGV = ex-Art. 235 EGV, die Vorschriften für unvorhergesehene Fälle, berufen, wie dies noch bei den RL 76/207 und RL 79/7 erforderlich war. Auch verfahrensrechtlich wurde die europäische Gesetzgebung in diesem Bereich durch die Bezugnahme auf das Mitentscheidungsverfahren (Art. 251 EGV) erleichtert. Wenn somit das Gleichstellungsgebot in Art. 2 und Art. 141 Abs. 4 EGV im Vordergrund steht und für Art. 141 Abs. 3 EGV das Nebeneinander von Gleichbehandlung und Chancengleichheit charakteristisch ist, dann ist dagegen das Moment der Gleichbehandlung ausschlaggebend für die Bedeutung des Art. 13 EGV. Hier wird der Rat ermächtigt, im Rahmen des Kompetenzbereichs der EG einstimmig geeignete Vorkehrungen zu treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. Im Bereich der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bedeutet auch diese Vorschrift keine Neuerung angesichts der langjährigen Bemühungen der EG um die Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Dennoch kann diese Bestimmung den Anstrengungen politischen Vorschub leisten, auch außerhalb des Arbeits221

EuGHE 2000, 1-5539 (Rn. 55) - Rs. C-407/98 "Abrahamsson ".

IV. Entwicklungen im Amsterdamer Vertrag

95

und Beschäftigungsbereichs im Sinne des Art. 141 Abs. 3 EGV den Gleichbehandlungsgrundsatz zu verwirklichen. Da die bisherigen Richtlinien die Verwirklichung der tatsächlichen Gleichheit der bei den Geschlechter im Arbeits- und Sozialleben ungeregelt ließen, bleiben auch im Bereich der Geschlechtsdiskriminierung noch viele Aufgaben unerfüllt, für die Art. 13 EGV in Anspruch genommen werden kann.

§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes Im letzten Kapitel wurde festgestellt, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau im Gemeinschaftsrecht durch primärrechtliche und sekundärrechtliche Vorschriften gewährleistet ist, die aufgrund ihrer gegenseitigen Bezugnahme ein System bilden. Dieser Grundsatz ist von fundamentaler Bedeutung für das gesamte EG-Recht, wie dies der EuGH wiederholt hervorhebt'. Obwohl anfangs wirtschaftspolitische und sozialpolitische Erwägungen für die Verankerung dieses Grundsatzes im Rahmen des Europarechts ausschlaggebend waren, weist die Gewährleistung der Gleichbehandlung von Mann und Frau heute einen deutlichen grundrechtlichen Charakter auf. Sie ist inhaltlich und ihrer normativen Struktur nach mit einer Grundrechtsgewährleistung vergleichbar, wie sie im Rahmen der nationalen Verfassung vorgenommen wird. Nachdem diese grundsätzliche Feststellung getroffen wurde, gilt es nun, den genauen Inhalt und die konkrete Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu analysieren. Bei näherer Betrachtung sind nämlich Elemente festzustellen, die trotz struktureller Ähnlichkeiten deutlich vom traditionellen dogmatischen Verständnis des Gleichberechtigungsgebots in der deutschen Diskussion abweichen. Um hier das Ergebnis vorwegzunehmen, entsteht eine neue, europarechtliche Auffassung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dadurch, daß der EuGH - und in Anlehnung an seine Rechtsprechung auch der europäische Gesetzgeber - das abwehrrechtliche und individualrechtliehe Moment viel stärker in den Vordergrund stellt als das BVerfG. Das europarechtliche Modell des Gleichbehandlungsgrundsatzes verkörpert sich in verschiedenen dogmatischen Argumentationsweisen. In dieser Hinsicht zeigt zunächst die Art und Weise der Inhaltsbestimmung und Grenzziehung eigentümliche Tendenzen, vor allem insofern, als hier die Verhältnismäßigkeitsprüfung stets herangezogen wird (I). Zweitens kann die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung als unmittelbare Folge des spe1 Z.B. EuGHE 1976, 455 (Rn. 28/29) - Rs. 43/75 "Defrenne-JI"; 1986, 703 (Rn. 35) - Rs. 151/84 ,,1. Roberts"; 1986, 723 (Rn. 36) - Rs. 152/84 "MarshallI"; 1986, 773 (Rn. 38) - Rs. 262/84 "Beets-Proper"; 1986, 1995 (Rn. 32) - Rs. 150/85 "Drake"; 1994, 1-571 (Rn. 36) - Rs. C-343/92 "Roks"; 1995, 1-3407 (Rn. 13) - Rs. C-137/94 "Richardson".

I. Inhalt und Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes

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ziellen europarechtlichen Verständnisses des Gleichbehandlungsgebots charakterisiert werden (11). Nicht zuletzt entspricht die Methode des Rechtsschutzes durch Anwendung der bevorzugenden Regelung auf die Benachteiligten dem Grundverständnis des europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes (III).

I. Inhalt und Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes 1. Gleichbehandlung als Abwesenheit von Diskriminierung

a) Definition in den Richtlinien Eine Definition des Gleichbehandlungsgrundsatzes bieten die Richtlinien, die in diesem Bereich erlassen wurden. Nach Art. 2 Abs. 1 der RL 76/207 - und in einer geringfügigen Abweichung auch nach Art. 3 der RL 86/613 - bedeutet der Grundsatz der Gleichbehandlung, daß "keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand - erfolgen darf,2. Art. 4 Abs. 1 der RL 79/7 und Art. 5 der RL 86/378 verkürzt diesen Negativsatz mit dem "Fortfall jeglicher unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung". Sicherlich ist mit dieser Definition nur wenig an konkretem Inhalt gewonnen. Das Problem wird vielmehr in seinem Kern auf die Definition des Diskriminierungsbegriffs verschoben. Diese Folge bleibt jedoch nicht ohne Einfluß auf die Interpretation des Gleichbehandlungsgrundsatzes, weil nach allgemeinem Verständnis eine "Diskriminierung" normalerweise einen Urheber und ein Opfer voraussetzt. Die Affinität des europarechtlichen Gleichbehandlungsgebots zur subjektiv-rechtlichen Doktorin beginnt schon bei diesem ersten Schritt der Definition. Im übrigen entspricht die Bezugnahme auf die Diskriminierung dem allgemeinen Sprachgebrauch des Europarechts. Wenn der EGV die Herstellung der Gleichheit bezweckt, spricht er oft von einer Beseitigung der Diskriminierungen 3 . Daher wird die These vertreten, daß das Europarecht über einen einheitlichen Diskriminierungsbegriff verfügt und der Grundsatz der

2 Der Wortlaut des Art. 3 der RL 86/613 weicht nur insoweit von dem des Art. 2 Abs. 1 der RL 761207 ab, als jener "vor allem" statt "insbesondere"und "im Hinblick auf' statt "unter Bezugnahme auf' benutzt. 3 Z.B. Art. 12 EGV = ex-Art. 6 EGV, Art. 34 Abs.2 UAbs. 2 EGY = ex-Art. 40 Abs. 3 UAbs. 2 EGY, ex-Art. 45 EGY, Art. 75 EGY = ex-Art. 79 EGY, davon abweichend Art. 48 EGY = ex-Art. 58 EGY ("Gleichstellung") und eben Art. 141 Abs. 1 und 2 EGY = ex-Art. 119 EGY.

7 Nishihara

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Gleichbehandlung als Teilgebiet des allgemeinen Diskriminierungsverbots zu verstehen ist4 •

b) Gleichbehandlung der beiden Geschlechter als Teilgebiet des allgemeinen Diskriminierungsverbots ? Der EuGH charakterisiert das Verbot der Diskriminierungen zwischen Herstellern und Verbrauchern in Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV = ex-Art. 40 Abs. 3 UAbs. 2 EGV als spezifischen Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes, der zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehörts. Über den Inhalt dieses allgemeinen Gleichheitssatzes führt er weiter aus, daß vergleichbare Sachverhalte nach diesem Grundsatz nicht unterschiedlich behandelt werden dürften, es sei denn, daß eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre. In dieser Formel hat sich eine Entwicklung niedergeschlagen, die auch von der Rechtsprechung im Bereich der Gleichbehandlung von Mann und Frau wichtige Impulse bekam. Der EuGH verlangte nämlich in Airola vom europäischen Beamtenrecht, daß die in einer vergleichbaren Lage befindlichen Beamten und Beamtinnen nicht grundlos ungleich behandelt werden dürfen 6 . In der späteren Rechtsprechung griff der EuGH nochmals auf dieses Grundprinzip zurück. In Birds Eye Walls meinte er, daß der in Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung eine besondere Ausprägung des Diskriminierungsverbots darstelle und voraussetze, daß sich die Arbei tnehmer und Arbei tnehmerinnen in derselben Lage befänden7 • Daher ist es zwar richtig, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz in einem systematischen Zusammenhang mit dem rechtstechnischen Grundprinzip des Diskriminierungsverbots steht. Dies läßt jedoch nicht ohne weiteres die Schlußfolgerung zu, daß sich der normative Gehalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes allein anhand dieses allgemeinen Diskriminierungsverbots zum Ausdruck bringen ließe. Vielmehr ist bei der Reduzierung des Gleichbehandlungsgebots auf einen Oberbegriff große Vorsicht geboten. Wenn aus diesem Zusammenhang unmittelbar der Grundrechtscharakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes abgeleitet wird 8 , muß der Grundrechts4 Kyriazis, Die Sozialpolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in bezug auf die Gleichberechtigung männlicher und weiblicher Erwerbstätiger, 1990, S. 75; Kischel, EuGRZ 1997, S. 4; Bieback, in: NKESR, Art. 119 alt EGV, Rn. 1. 5 EuGHE 1977, 1753 (Rn. 7) - Rs. 117/76 "Ruckdeschel"; 1977, 1795 (Rn. 14/ 17) - Rs. 124/76 "Moulins"; 1978,1991 (Rn. 25/27) - Rs. 125/77 "lsogulkose". 6 EuGHE 1975, 221 (Rn. 9/12) - Rs. 21/74 "Airola" -, wortlich zitiert oben § 1, I. 7 EuGHE 1993,1-5579 (Rn. 17) - Rs. C-132/92 "Birds Eye Walls". 8 Bieback, in: NKESR, Art. 119 alt EGV, Rn. 1.

1. Inhalt und Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes

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begriff hinterfragt werden. Die Verwendung der Begriffe wie Gleichheit oder Diskriminierungsverbot reicht nicht aus - wie anfangs im Zusammenhang mit Art. 12 EGV = ex-Art. 6 EGV festgestellt wurde -, um ein Grundrecht zu begründen. Wenn aber in allen Gleichheitssätzen des Gemeinschaftsrechts ein einheitliches System erblickt werden soll, bedroht diese Betrachtungsweise den feststehenden Grundrechtscharakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Hier kann die Frage dahingestellt bleiben, inwieweit der allgemeine Gleichheitssatz im Sinne eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes als ungeschriebenes primäres Gemeinschaftsrecht nach heutigem Stand der Entwicklung einen Grundrechtsbezug aufweist. In diesem Zusammenhang ist nur noch daran zu erinnern, daß ein inhaltlicher Zusammenhang verschiedener Gleichheitspostulate nicht eine Einheitlichkeit der maßgeblichen Kriterien erfordert9 . c) Vergleichbarkeit der Sachverhalte als Voraussetzung

einer Diskriminierung?

Insbesondere die Vergleichbarkeit der Sachverhalte im Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist problematisch. An deutlichsten gab der EuGH in Birds Eye Walls-Urteil dem Vergleichbarkeitskriterium die ausschlaggebende Bedeutung. Die Bezugnahme auf die Vergleichbarkeitsproblematik kann hier vielleicht durch die Besonderheit der Fallkonstellation erklärt werden. In diesem Fall rügte die Klägerin des Ausgangsverfahrens einen Unterschied in der betrieblichen "Überbrückungsrente" für Frührentner als Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser Unterschied ergab sich daraus, daß die Frauen zwischen 60 und 65 weniger Überbrückungsrente bekamen als Männer, weil sie aufgrund einer unterschiedlichen Rentenalterregelung gesetzliche Altersrente empfingen, die die Männer noch nicht erhielten. In diesem Fall berücksichtigte das betriebliche System nur die finanzielle Situation der Empfänger und zog einen entsprechenden Betrag von der Überbrückungsrente ab 10. Der Generalanwalt van Gerven vertrat in dieser Lage die Ansicht, daß diese unterschiedliche Behandlung objektiv gerechtfertigt sei. Dabei ging er davon aus, daß auch bei 9 Dieser Vorbehalt ist auch von Kischel anerkannt, der meint, daß Rechtssätze aus dem Bereich einzelner Gleichheitssätze nicht ohne Rücksicht auf ihren Kontext verallgemeinert werden dürfen. Kischel, EuGRZ 1997, S. 4. IO Die tatsächliche Fallkonstellation war noch komplizierter, weil von der Überbrückungsrente der Betrag der gesetzlichen Rente abgezogen wurde, unabhängig davon, ob der Betroffene wirklich einen Anspruch auf letztere hatte. Die Klägerin bezog in der Tat nicht die gesetzliche Rente, aber dies nur deswegen, weil sie von der Beitragspflicht im System der Altersrente aufgrund ihrer freiwilligen AntragsteIlung befreit war und statt der Alters- die Witwenrente erhielt. Die letztere Rente entsprach in der Höhe der vollen gesetzlichen Rente. 7*

100

§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

der unmittelbaren Diskriminierung, genauso wie bei mittelbaren Diskriminierungen, die Fälle denkbar seien, in denen eine differenzierende Regelung gerechtfertigt werden könne, weil der europarechtliche Gleichheitssatz nur einer unterschiedlichen Behandlung vergleichbarer Sachverhalte entgegenstehe ll . Der EuGH hat jedoch auf die Beantwortung der Frage verzichtet, ob auch bei unmittelbaren Diskriminierungen die Rechtfertigung durch einen objektiven Grund möglich sei. Er nahm lediglich Bezug auf das Vergleichbarkeitskriterium und folgerte das "Nichtvorhandensein einer Diskriminierung". Dabei hob er auch hervor, daß die zugrundegelegte Regelung "neutral" sei, was man auch als einen Hinweis auf die mittelbare Diskriminierung interpretieren kann 12. Der EuGH zeigt also hier eine gewisse methodische Unsicherheit. Bis zu diesem Fall konnte der EuGH in der Tat davon ausgehen, daß im Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV stets eine unterschiedliche Regelung vergleichbarer Sachverhalte in Betracht kam. In Defrenne- III stellte er dazu fest: "Das Bezugskriterium, das Art. 119 [jetzt Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV - Veif.] zugrunde liegt, nämlich die Vergleichbarkeit der von den Arbeitnehmern beiderlei Geschlechts erbrachten Arbeitsleistungen, ein Faktor ist, in bezug auf den sich alle Arbeitnehmer mutmaßlich in der gleichen Lage befinden, während die Beurteilung der übrigen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in mancherlei Hinsicht Faktoren ins Spiel bringt, die - wegen der Rücksichten, die der besonderen Stellung der Frau im Arbeitsprozeß gebühren - mit dem Geschlecht der Arbeitnehmer zusammenhängen"l3.

Diese Aussage spricht für die Wirkung des Vergleichbarkeitskriteriums im Bereich des europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes im Sinne des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV sowie der Gleichbehandlungsrichtlinien. Dennoch - und das spricht eindeutig gegen die maßgebliche Bedeutung des Vergleichbarkeitskriteriums im Bereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes - prüft der EuGH im Anwendungsbereich der Gleichbehandlungsrichtlinien nicht die Vergleichbarkeit der Sachverhalte, wie man es aus dem Zitat aus Defrenne-/II vemünftigerweise hätte erwarten können. Statt dessen vertritt er ständig die Position, daß die Ausnahme vom Gleichbehandlungsgrundsatzes nur auf den durch Art. 2 der RL 761207 anerkannten, eng begrenzten Ausnahmebereiche beschränkt ist. Das widerspricht allerdings der Bedeutung der Vergleichbarkeit, weil damit die Durchsetzung der Gleichbe11 12

13

Generalanwalt van Gerven, EuGHE 1993,1-5579 (S. 5592 ff.). EuGHE 1993,1-5579 (Rn. 17-23). EuGHE 1978,1365 (Rn. 19/23) - Rs. 149/77.

I. Inhalt und Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes

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handlung auch dann geboten ist, wenn - mindestens in der Sicht einer der streitenden Parteien - keine Vergleichbarkeit der Sachverhalte besteht. Bei der Fonnulierung des Vergleichbarkeitskriteriums hatte der Generalanwalt van Gerven die damals noch nicht anhängige Rechtssache Webb vor Augen, bei der sich nach seiner Meinung die Schlechterstellung einer Schwangeren eventuell auf die Unvergleichbarkeit der schwangeren mit den nichtschwangeren Arbeitnehmerinnen gründen kann l4 . Der EuGH verweigerte jedoch gerade die Berücksichtigung dieses tatsächlichen Unterschieds im Urteil WebbIs. Die Annahme der unterschiedlichen Behandlung aufgrund der Schwangerschaft als unmittelbare Diskriminierung führt jedoch unvenneidlich zur Erschütterung der Grundannahme, von der das Verbot der Lohndiskriminierung ausgeht: Der Unerheblichkeit der Geschlechterunterschiede. Aus dieser Situation erklärt es sich, daß der EuGH in bestimmten Fallkonstellationen die Frage nach der Vergleichbarkeit der Sachverhalte aufwirft und in anderen Fällen stillschweigend die Vergleichbarkeit der Vergleichsgruppen zugrundelegt. In Gillespie mußte der EuGH feststellen, daß sich die Frauen während eines Mutterschaftsurlaubs in einer besonderen Lage befinden, die nicht mit der Situation eines Mannes oder der einer Frau gleichgesetzt werden kann, die tatsächlich an ihrem Arbeitsplatz arbeitet. Aus diesen Gründen urteilte er, daß die während des Mutterschaftsurlaubs gezahlte Leistung zwar Entgelt im Sinne des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV darstelle, aber in ihrer Höhe nicht unbedingt dem vollen Arbeitsentgelt entsprechen müsse l6 . Ähnlich entschied der EuGH in Abdoulaye, daß die Beihilfe bei Antritt des Mutterschaftsurlaubs den werdenden Vätern vorenthalten werden dürfe, wenn sich die Arbeitnehmerinnen im Hinblick auf diese Beihilfe in einer nicht mit derjenigen der Arbeitnehmer vergleichbaren Situation befanden 17. So zeigt die Rechtsprechung des EuGH eine Schwankung zwischen zwei Grundtheorien. In den meisten Fällen wird die Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede zugrunde gelegt. Nur dort, wo diese Grundannahme ausdrücklich widerlegt werden muß, bezieht er Vergleichbarkeitskriterien ein. Diese scheinbare Unsicherheit ist m. E. nicht auf die Struktur des gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes, sondern eher auf die Erweiterung der unmittelbaren Diskriminierung auf die Ungleichbehandlung aufgrund der Schwangerschaft zurückzuführen. Abgesehen von diesem fallbezogenen Ausnahmebereich läßt sich nämlich ein konsequentes Grundkonzept des Gleichbehandlungsgrundsatzes annehmen. Dieser Grundsatz erklärt 14

15 16 17

EuGHE EuGHE EuGHE EuGHE

1993,1-5579 (S. 5594). 1994,1-3567 - Rs. C-32/93. Dazu oben § 1, III, 2, b). 1996,1-475 (Rn. 16-20) - Rs. C-342/93 "Gillespie". 1999, 1-5723 (Rn. 16 ff.) - Rs. C-218/98 "Abdoulaye".

102

§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

in seinem Kern den Geschlechtsunterschied und die daraus resultierenden Unvergleichbarkeiten als für das Recht unerheblich. Legt man diesen Gedanken zugrunde, darf das Kriterium für die Unterscheidung einer Diskriminierung von einer Nichtdiskriminierung nicht in der Vergleichbarkeit, sondern in einem anderen Merkmal gesucht werden. Hier gilt es, die Rechtsprechung des EuGH im Bereich der unmittelbaren Diskriminierung dahingehend zu untersuchen, welche Sachverhalte er aus welchem Grund als nicht diskriminierend angesehen hat. 2. Grenzen der Entlohnungsgleichheit nach Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV Im Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV mußte sich der EuGH nur selten mit der Frage auseinandersetzen, ob eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Geschlechts eine Diskriminierung darstellt. Dennoch zeigen die Urteile, die diese Thematik betreffen, eine bestimmte Argumentationsweise des EuGH. a) Erster Schritt: Vorhandensein einer ungLeichen BehandLung au/grund des GeschLechts

Alle Fälle, in denen die Anwendbarkeit des Art. 141 Abs. I und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV in Frage steht, betreffen eine unterschiedliche Behand-

lung im Lohnbereich aufgrund des Geschlechts. Der erste Schritt der Prüfung betrifft die Frage, ob eine unterschiedliche Behandlung aufgrund des Geschlechts der betroffenen Personen erfolgt. Als ein Arbeitgeber die Gewährung einer für die Ehegatten und Partner eheähnlicher Beziehungen vorgesehenen Fahrtvergünstigung einer lesbischen Partnerin einer Arbeitnehmerin verweigerte, erkannte der EuGH, daß keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliege. Die Klägerin des Ausgangsverfahren meinte zwar, es handle sich um eine Geschlechtsdiskriminierung, weil die weibliche Partnerin von einem männlichen Arbeitnehmer die Vergünstigung erhalte, während die Vergünstigung für die weibliche Partnerin der Klägerin nur aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit nicht gelte. Wäre sie ein Mann, hätte die Partnerin die Vergünstigung erhalten. Darin sah der EuGH jedoch zurecht eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung, die aber nicht mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gleichzustellen ist. Für dieses Urteil war ausschlaggebend, daß ein männlicher Arbeitnehmer für seinen homosexuellen Partner gleichfalls nicht die Vergünstigung zuerkannt bekommt l8 . 18

EuGHE 1998,1-621 (Rn. 28) - Rs. C-249/96 "Grant".

I. Inhalt und Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes

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Die Bestimmung der entscheidenden Kriterien für eine unterschiedliche Behandlung ist jedoch nicht immer so einfach vorzunehmen. Der EuGH geht deshalb davon aus, daß es grundsätzlich eine Tatsachenfrage ist, ob die unterschiedliche Behandlung vom jeweiligen Geschlecht abhängt, und damit prinzipiell Sache der dafür zuständigen nationalen Gerichte ist. Schon in Macarthys vertritt der EuGH die Ansicht, daß eine unterschiedliche Entlohnung zweier Arbeitnehmer, die den gleichen Arbeitsplatz zu verschiedenen Zeiten innehatten, mit Umständen erklärt werden könne, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hätten. Aus diesem Grund überließ er die Feststellung einer Geschlechtsdiskriminierung den nationalen Gerichten 19. Die unmittelbare Diskriminierung kommt also nur dort in Betracht, wo die unterschiedliche Behandlung nicht mit Umständen erklärt werden kann, die "nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben". Die Beziehungslosigkeit zur Geschlechtsdiskriminierung wird in der Rechtsprechung auch von den "objektiven Faktoren" verlangt, die geeignet sind, eine mittelbare Diskriminierung zu rechtfertigen 2o . Daher steht fest, daß eine pauschalisierende und verallgemeinernde Aussage nicht als Grundlage einer unterschiedlichen Behandlung gelten kann 21 . Da der EuGH die mittelbaren Diskriminierungen, d. h. Diskriminierungen aufgrund eines äußerlich geschlechtsneutralen, jedoch je nach Geschlechts unterschiedlich wirkenden Kriteriums, auch in den Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGVeinbezieht, kommt es nicht so entscheidend auf die Ermittlung des ausschlaggebenden Unterscheidungskriteriums an. Die Befugnis des nationalen Gerichts ist auf die Feststellung der Fälle begrenzt, in denen die unterschiedliche Behandlung zweier Arbeitnehmern oder zweier Gruppen von Arbeitnehmer auf berechtigten Erwägungen beruht, die sich nicht geschlechtsspezifisch auswirken. b) Grenzen des Verbots einer unmittelbaren Entgeltdiskriminierung ?

Nachdem festgestellt wurde, daß die unterschiedliche Behandlung an der unterschiedlichen Geschlechtszugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer anknüpft, beginnt die zweite Prüfungsstufe. Hier stellt sich die Frage, ob die Diskriminierung trotz der Anknüpfung gerechtfertigt werden kann. Mit EuGHE 1980, 1275 (Rn. 12) - Rs. 129/79 "Macarthys". EuGHE 1986, 1607 (Rn. 30 f.) - Rs. 170/84 "Bilka-Kaujhaus"; st. Rspr. 21 EuGHE 1989, 2743 (Rn. 14) - Rs. l7l188 "Rinner-Kühn"; 1991, 1-297 (Rn. 14) - Rs. C-184/89 "Nimz"; 1991, 1-2205 (Rn. 18) - Rs. C-229/89 "Kom.! Belgien". 19

20

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

anderen Worten geht es auf der zweiten Ebene um die Frage, ob das Verbot der Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts absolut oder nur relativ gilt, indem es aufgrund eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes Ausnahmen zuläßt. In diesem Punkt zeigt der EuGH eine deutliche Abneigung gegen die Anerkennung einer sachlichen Rechtfertigungsmöglichkeit. Der Rückgriff auf das Vergleichbarkeitskriterium in Birds Eye Walls stellte eine Technik dar, mit der der EuGH das Problem auf die erste Prüfungsebene zurückwarf und die Beantwortung nach der Relativität des Diskriminierungsverbots umging 22 . Eine andere Technik besteht darin, den Entgeltcharakter abzulehnen und die Sache aus dem Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV herauszunehmen. Dieser Technik bediente sich der EuGH in Neath, wo die Verwendung der je nach Geschlecht unterschiedlichen versicherungsmathematischen Faktoren für die Festlegung des Arbeitgeberanteils bei der Finanzierung eines Rentensystems in Streit stand. Hier verneinte er die Entgelteigenschaft der Arbeitgeberbeiträge im Rahmen eines betrieblichen Versorgungssystems, die dazu bestimmt waren, zur Deckung der Kosten der zugesagten Renten beizutragen. Da Frauen durchschnittlich länger leben als Männer, zahlte der Arbeitgeber mehr Beiträge für einen weiblichen Arbeitnehmer als für einen männlichen. Dies führte zu einer unterschiedlichen Höhe der Kapitalbetragszahlungen bei frühzeitigem Ausscheiden. Der EuGH entschied jedoch, daß diese Unterschiede innerhalb eines Systems kostendeckender Zahlungen des Arbeitgeberbeitrags geschehen, die die Berücksichtigung der versicherungs mathematischen Faktoren unvermeidbar machen, und deshalb Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = exArt. 119 EGV nicht tangieren würden 23 . Diese künstlich wirkende Argumentation war für den EuGH notwendig, damit er es vermeiden konnte, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Berücksichtigung der versicherungstechnischen Faktoren und der daraus resultierende Unterschied in der Höhe der Kapitalbetragszahlung als Diskriminierung zu bewerten ist. Diese Frage wirft jedoch Art. 6 Abs. 1 h) der RL 86/378 unmittelbar auf, weil diese Bestimmung je nach Geschlecht unterschiedliche Leistungen unter Berücksichtigung der versicherungstechnischen Berechnungsfaktoren zuläßt24 • Es ist kaum zu erwarten, daß der EuGHE 1993, 1-5579 - Rs. C-132/92. EuGHE 1993, 1-6935 (Rn. 23-34) - Rs. C-152/91 "Neath". Später bestätigt durch EuGHE 1994,1-4389 (Rn. 76 ff.) - C-200/91 "Russe'''. 24 Diese Ausnahmeregelung wurde in Abweichung vom ursprünglichen Vorschlag der Kommission (ABI. 1983, C 134/7) und von der Stellungnahme des Wirtschaftsund Sozialausschusses (ABI. 1984, C 35/7) aufgenommen. Die Kommission sah die Berücksichtigung der geschlechtsbezogenen versicherungsmathematischen Faktoren auch als Diskriminierung an (a. a. 0., Art. 6 Abs. 1 i). Der Wirtschafts- und Sozial22 23

I. Inhalt und Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes

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EuGH diese Fonn der Diskriminierung als vertragsgemäß beurteilt, zumal er in seiner ständigen Rechtsprechung stets feststellt, daß Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV jede Ungleichbehandlung von Männem und Frauen ohne Rücksicht darauf verbietet, woraus sich die Ungleichbehandlung ergibt25 . Die Gewährung einer niedrigeren Leistung nur aus dem Grund, daß andere Frauen in der Vergangenheit durchschnittlich länger lebten als Männer, ist nur im Rahmen einer gruppenorientierten Betrachtungsweise zu rechtfertigen. Nach den Kriterien der Rechtsprechung ist hierin jedoch kein Grund zu sehen, der nicht im Zusammenhang mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts stehen würde26 . Auch wenn der EuGH in Neath auf die sachliche Rechtfertigungsproblematik eingegangen wäre, hätte er auf die Notwendigkeit der Kostendeckung durch den Arbeitgeberbeitrag abstellen und die dort zugrunde gelegte Regelung von einer diskriminierenden Verwendung eines versicherungsmathematischen Faktors unterscheiden können. So hätte er weitere Klarheit in bezug auf die unsichere Rechtslage, die durch Art. 6 Abs. 1 h) der RL 86/378 entstanden ist, geschaffen. Dennoch verzichtete er auf eine prinzipielle Aussage über die sachliche Rechtfertigungsmöglichkeit einer unmittelbaren Diskriminierung. In dieser Hinsicht bleibt er seinem eigenen obitar dictum in Defrenne-IlI treu, das die Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede im Entgeltbereich zum Ausdruck brachte. Das Birds Eye Walls-Urteil steht ebenfalls in diesem Kontext. Wenn der EuGH die zugrunde liegende Regelung einer sachlichen Prüfung hätte unterwerfen wollen, hätte er entweder die Anknüpfung am je nach Geschlecht unterschiedlichen Rentenalter als mittelbare Diskriminierung charakterisieren oder im allgemeinen anerkennen können, daß diese Prüfung auch auf ausschuß kritisierte zwar die Argumentation der Kommission, stellte aber auf das Prinzip zusätzlicher Mittel ab und hielt an dem gleichen Beitrags- und Leistungsniveau fest (a. a. 0., S. 9 f.). Dazu Kyriazis, 1990, S. 57. Bei der Änderung durch die RL 96/97 wurde jedoch die Möglichkeit erweitert, daß die Berücksichtigung der versicherungsmathematischen Berechnungsfaktoren zu unterschiedlichen Behandlungen führen kann. 25 EuGHE 1990, 1-1889 (Rn. 32) - Rs. C-262/88 "Barber"; st. Rspr. 26 Bieback weist in dieser Hinsicht auch darauf hin, daß die Berücksichtigung des Geschlechts bei Vernachlässigung der restlichen Umstände, die die Lebenserwartung eines Individuums beeinflussen (Gewicht, Wohnort, Familienstand, Beschäftigungsbranche und Beschäftigungsstatus, Konsumgewöhnheit) nicht zu rechtfertigen sei. "Nur die geschlechtsspezifische Risikohäufigkeit zu berücksichtigen, mißt gerade geschlechtsspezifischen Merkmalen eine entscheidende, in dieser Einseitigkeit auch versicherungsrechtlich nicht gebotene, also unverhältnismäßige, Relevanz zu". Daher verstoße Art. 6 Abs. 1 h) und Art. 9 c) RL 86/378 gegen das Gemeinschaftsrecht. Bieback, in: NKESR, RL 86/378, Art. 6, Rn. 5. Zu dieser Argumentationsweise vgl. Kyriazis, 1990, S. 57 (im Zusammenhang mit der Begründung des ursprünglichen Vorschlags durch die Kommission).

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die unmittelbare Diskriminierung Anwendung findet. Um der prinzipiellen rechtlichen Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede willen verzichtete der EuGH auf diese Prüfung. Er hob jedoch die Unvergleichbarkeit hervor, obwohl der Rückgriff auf die Unvergleichbarkeit diese Unerheblichkeit selbst in Frage stellt und einen viel weiteren Ausnahmebereich eröffnet als die Verhältnismäßigkeitsprüfung des EuGH im Anwendungsbereich der Gleichbehandlungsrichtlinien. Der EuGH steht also im Bereich der unmittelbaren Entgeltdiskriminierung vor einem theoretischen Dilemma. Da er in Defrenne-lIl die Relativität des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Anwendungsbereich der Gleichbehandlungsrichtlinien anerkannte, zeigt seine Rechtsprechung dort klarere Konturen als im Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = exArt. 119 EGV.

3. Grenzen des sekundärrechtIichen Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit a) Begrenzung der Ausnahme von Gleichbehandlungsgrundsatz auf die in den Richtlinien ausdrücklich anerkannten Fälle Im Anwendungsbereich der Gleichbehandlungsrichtlinien sind Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau nur dann anerkannt, soweit sie sich auf die ausdrücklichen Ausnahmeregelungen der Richtlinie stützen können 27 • Dabei betonte der EuGH wiederholt, daß die Ausnahmeregelungen als Ausnahme von einem individuellen Recht und in Anbetracht der grundlegenden Bedeutung dieses Grundsatzes eng auszulegen seien28 . Dies gilt im besonderen Maße für die Gleichbehandlung im Arbeitsleben, die in der RL 761207 geregelt wird. In dieser Richtlinie sind in Art. 2 Abs. 2-4 spezielle Ausnahmen anerkannt. Bei der Beurteilung, ob eine nationale Regelung unter eine Ausnahmevorschrift der RL 761207 fällt, wendet der EuGH die Verhältnismäßigkeitsprüfung an. Er zählt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und versteht ihn dahingehend, daß Ausnahmen nach diesem Grundsatz nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels angemes27 Ausdrücklich EuGHE 1996, 1-2143 (Rn. 23) - Rs. C-13/94 "P./S.". Diese Beschränkung wird jedoch grundsätzlich vorausgesetzt. Es gibt keinen Fall, in dem der EuGH eine Ausnahme vom Gleichbehandlungsgebot im Bereich der unmittelbaren Diskriminierung außerhalb der Ausnahmeregelung der Richtlinie zuläßt. 28 EuGHE 1986, 703 (Rn. 35) - Rs. 151/84 "J. Roberts"; 1986, 723 (Rn. 36) Rs. 152/84 "Marshall-l"; 1986, 773 (Rn. 38) - Rs. 262/84 "BeetsProper"; 1986, 1651 (Rn. 36,44) - Rs. 222/84 "Johnston"; 1992, 1-4737 (Rn. 26) - Rs. C-63/91 "Jackson"; 1993,1-1247 (Rn. 8) - Rs. C-328/91 "Thomas"; 1995,1-2131 (Rn. 12) - Rs. C-116/94 "Meyers"; 1995,1-3051 (Rn. 21) - Rs. C-450/93 "Kalanke".

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sene und erforderliche Maß hinausgehen dürfen. Dies hat er zuerst in lohnston, dann in der ständigen Rechtsprechung wiederholt hervorgehoben 29 . In diesem Zusammenhang kommt es darauf an, wie der EuGH in der Praxis diesen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf die Ausnahmeregelungen der RL 76/207 anwendet und für welche Fallkonstellationen er Ausnahmen von Gleichbehandlungsgrundsatz anerkennt. Dieser Gesichtspunkt ist wichtig, zumal in der deutschen Diskussion über den Gleichheitssatz gelegentlich die These vertreten wird, daß die Verhältnismäßigkeitsprüfung prinzipiell nicht in diesem Bereich anwendbar sei 30. b) Geschlechtszugehörigkeit als unabdingbare Voraussetzung der Berufsausübung (Art. 2 Abs. 2 der RL 76/207)

aa) Anfangliehe Unsicherheit bei der Auslegung von Art. 2 Abs. 2 der RL 761207 Bis der EuGH die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Jahr 1986 im lohnston-Urteil ausdrücklich einführte, war die Verwendung des Kriteriums bei der Subsumtion im Zusammenhang mit den Ausnahmeregelungen in Art. 2 Abs. 2-4 der RL 761207 nicht eindeutig. Damals argumentierte der EuGH intuitiv und punktuell. Während dieser unsicheren Zeit erklärte der EuGH im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 der RL 76/207 die Beschränkung des Zugangs zum Beruf der Hebamme für einen Mann für richtliniengemäß. Art. 2 Abs. 2 der RL bestimmt, daß solche beruflichen Tätigkeiten, für die das Geschlecht auf Grund der Art oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt, vom Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgeschlossen werden können. Der EuGH wies auf die "persönliche Empfindsamkeiten in den Beziehungen zwischen der Hebamme und ihrer Patientin" hin und erkannte, daß die Voraussetzung des Art. 2 Abs. 2 der RL 761207 erfüllt war31 . Wie die Generalanwaltin Rozes in dieser Rechtssache hervorhob, war die Gewährleistung der freien Wahl der Patientinnen eine notwendige und ausreichende Bedingung, um auf die "persönliche Empfindsamkeit" Rücksicht zu nehmen 32 . In dieser Hinsicht überzeugt die Argumentation des EuGH nicht. Die Erwägung, daß die Öffnung eines Frauenberufs für Männer dazu 29 EuGHE 1988, 1651 - Rs. 222/84 "Johnston"; 1988,3559 (Rn. 28) - Rs. 318/ 86 "Kom.lFrankreich"; 1991, 1-4047 (Rn. 15) - Rs. C-345/89 "Stoeckel "; 1994, 1-371 (Rn. 13) - Rs. C-13/93 "Minne"; st. Rspr. 30 Sachs, JuS 1997, S. 129. 31 EuGHE 1983,3431 (Rn. 20 f.) - Rs. 165/82 "Kom.lGroßbritanien" .

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führen könnte, die Berufschancen der Frauen weiter zu verschlechtern, könnte eine Rolle gespielt haben. Der EuGH bekennt sich jedoch außerhalb des Art. 2 Abs. 3 und 4 der RL 76/207 nicht zur geschlechtsspezifischen Schutzrichtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Daher ist es für das europarechtliche Gleichbehandlungsgebot unerheblich, ob ein Mann oder eine Frau diskriminiert wird. bb) Einführung der Verhältnismäßigkeitsprufung und ihre Tragweite Erst durch das Urteil vom 15.5.1986 (lohnston) wurde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in diesen Bereich eingeführt. Dabei ging es um den Ausschluß von Polizistinnen aus dem bewaffneten Dienst in Nordirland und der dazu notwendigen Ausbildung. Der EuGH räumte in diesem Zusammenhang ein, es lasse sich nicht ausschließen, daß bei schweren inneren Unruhen die Gefahr von Anschlägen auf Polizistinnen erhöht werde, wenn sie Schußwaffen tragen, und daß dies den Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit zuwiderlaufe. Unter diesen Umständen sei es Sache des nationalen Gerichts, unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes festzustellen, ob die angebliche Gefahr die unmittelbare Diskriminierung rechtfertige 33 . In diesem Urteil spricht der EuGH nur abstrakt von der möglichen Erforderlichkeit für die Erreichung eines nicht näher identifizierten Ziels. Er setzte keine weiteren Maßstäbe für die Beantwortung der Frage, die die Intensität der anzuwendenden Verhältnismäßigkeitsprufung betraf. Er äußerte sich beispielsweise nicht dazu, was als legitimes Ziel anerkannt werden könne, das gegenüber der Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes überwiege, und wie zwingend die Erforderlichkeit sein müsse. Das Problem, das hier für die nationalen Gerichte aufgeworfen wurde, war nicht einfach zu lösen. Einen Beruf, für den eine bestimmte Geschlechtszugehörigkeit eine unbedingte Voraussetzung darstellt, gibt es streng genommen nicht, mit Ausnahme der Amme 34 und, wenn es sich dabei um ein Beruf handelt, die Gebärmuttervermieterin. Dennoch sind Berufe denkbar, bei denen das betroffene Geschlecht berechtigterweise als Voraussetzung anerkannt werden kann 35 . Unter diesen Bedingungen darf Art. 2 Abs. 2 der RL 761207 nicht so interpretiert werden, daß er auch die 32 EuGHE 1983, 3431 (S. 3460). Zustimmend Langenfeid, Die Gleichbehandlung von Mann und Frau im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1990, S. 224. LangenfeldlJansen sieht dieses Urteil als überholt an. LangenjeldlJansen, in: Grabitz/Hilf, Art. 119 alt EGV, Rn. 54. 33 EuGHE 1986,1651 (Rn. 36-40) - Rs. 222/84 "Johnston". 34 PfarrlBertelsmann, Gleichbehandlungsgesetz, 1985, S. 43; Langenfeld, 1990, S.220. 35 Darunter sind Gründe der Authentizität die anschaulichsten, für die Kyriazis Beispiele aus anderen Mitgliedstaaten aufzeigt. Kyriazis. 1990, S. 199 f. Zu den

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Zugangsbeschränkungen aufgrund eines Vorurteils oder Aberglaubens rechtfertigen würde. Ebensowenig sind die Beschränkungen gerechtfertigt, die sich auf die je nach Geschlecht unterschiedlichen Durchschnittswerte stützen. Der Sinn der Aussage des EuGH, die Ausnahmeregelungen seien eng auszulegen, liegt in diesem Zusammenhang darin, daß die Zugangsbeschränkung zu einer Beschäftigung nur im Zusammenhang mit der individuellen Qualifikation aufrechterhalten werden kann und niemals aufgrund der Beurteilung einer bestimmten Geschlechtsgruppe erfolgen darf. Schwieriger wird die Grenzziehung jedoch, wenn sich die Rechtfertigung der Beschränkung auf die Vorstellung der Kunden beruft36 • Im Hebammenfall berücksichtigte der EuGH die Empfindsamkeit der Kunden, dies darf aber jedenfalls nicht zur Berücksichtigung der Wünsche von Fluggästen führen, die angeblich eine junge Stewardeß einem Steward den Vorzug geben. In diesen und anderen Bereichen besteht somit die Notwendigkeit, die Kriterien für die Subsumtion der vermeintlich unabdingbaren Voraussetzung im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 der RL 76/207 zu verfeinern. In einem Vertragsverletzungsverfahren hat der EuGH die Tatsachenermittlung einschließlich der Ermittlung der Erforderlichkeit von Ausnahmen selbst vorzunehmen. Im Urteil vom 30.7.1988 entschied er, daß nach Geschlecht getrennt durchgeführte Einstellungsverfahren für bestimmte Beamtenstellen teils rechtswidrig und teils rechtsmäßig waren. In diesem Vertragsverletzungsverfahren räumte die Kommission auch ein, daß die Stellen des Aufsichtspersonals im Gefängnis geschlechtsspezifisch in dem Sinne besetzt werden dürfen, daß die Posten beim Männergefangnis hauptsächlich Männern und beim Frauengefängnis hauptsächlich Frauen vorbehalten werden können 3? Bedenkt man die zugrunde liegende Sicherheits- und Empfindsamkeitsgründe, ist diese geschlechtsspezifische Beschäftigung als unabdingbar anzusehen. In Gegensatz zu Hebammen handelt es sich hierbei um eine staatliche Zwangseinrichtung, in der die Benutzer keine freie Wahl der bewachenden Personen besitzen dürfen, so daß der Staat hier zur Berücksichtigung der Empfindsamkeiten verpflichtet oder zumindest berechtigt ist. Der EuGH erweiterte die Notwendigkeit einer geschlechtsspezifischen Einstellung auch auf den Chefaufseher, selbst wenn ein Teil semer Tätigkeit keine bestimmte Geschlechtszugehörigkeit voraussetzt38 • Beispielen von Mannequins und Schauspielern siehe auch Jansen, FS von Simson, S.244. 36 PfarrlBertelsmann sieht z. B. die geschlechts spezifische Einstellung von Verkäufern eines Frauenbuchladen oder Schwulenbuchladen als gerechtfertigt an, bei der Parfumerie dagegen nicht. Eine theoretisch konsequente Rechtfertigung dieser intuitiv nachvollziehbaren Unterscheidung ist hierbei aber nicht einfach. PfarriBertelsmann, 1985, S. 46 ff. 37 EuGHE 1988,3559 (Rn. 12) - Rs. 318/86 "Kom./Frankreich".

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Dagegen wurde das getrennte Einstellungsverfahren in bezug auf die fünf Rangstufen der Polizisten als rechtswidrig erkannt. Hier wurden jeweils prozentuale Anteile der Dienstposten festgesetzt, die mit Männern bzw. mit Frauen zu besetzen waren, ohne daß irgendwelche objektiven Kriterien dafür genannt wurden. Darin sah der EuGH eine Beschränkung des Gleichheitsgrundsatzes, die das zur Erreichung des angestrebten rechtsmäßigen Ziels erforderliche Maß überschreitee 9 . Der EuGH vermißte die Durchschaubarkeit, die die wirksame Kontrolle durch die Kommission gemäß Art. 9 Abs. 2 der RL 761207 hätte ermöglichen sollen. Damit knüpfte der EuGH an seinem Urteil vom 21.5.1985 im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland an. Dort hatte er festgestellt, daß § 611 a Abs. 1 S. 2 BGB insoweit keine rechtsmäßige Umsetzung der RL 761207 darstelle, als er nicht vollständig und in nachprüfbarer Form die Berufe und Tätigkeiten erfasse, die von der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgenommen seien. Deutschland habe nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um ein Mindestmaß an Transparenz in bezug auf die Durchführung der Art. 2 Abs. 2 und 3 und Art. 9 Abs. 2 RL 76/207 herzustellen, und habe dadurch die Ausübung einer sachgerechten Kontrolle durch die Kommission verhindert4o• Aufgrund dieser Rechtsprechung wird die Subsumtion des Lebenssachverhaltes unter den in Art. 2 Abs. 2 der RL 761207 anerkannten Ausnahmebereich in erster Linie von nationalen Gerichten und Kommission kontrolliert. Der Gleichbehandlungsgrundsatz darf zwar nicht mehr als notwendig eingeschränkt werden, der EuGH hat aber bis jetzt das Kriterium für die Bestimmung dieser Notwendigkeit nicht konkretisiert. Diese Zurückhaltung entspricht teilweise der normativen Struktur. Da die Richtlinie nicht unmittelbar im horizontalen Verhältnis wirkt und Diskriminierungen durch einen privatwirtschaftlichen Arbeitgeber innerhalb der nationalen Rechtsordnung beseitigt werden müssen, übernehmen die nationalen Gerichte die entscheidende Rolle. Dennoch kommt es bei der Durchsetzung des Diskriminierungsverbots auf die Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes an, die auf europarechtlieher Ebene gezogen worden ist. In dieser Hinsicht ist die grundsätzliche Aussage des EuGH so zu interpretieren, daß Art. 2 Abs. 2 der RL 761207 nur solche Tätigkeit erfaßt, die von Personen des anderen Geschlechts entEuGHE 1988, 3559 (Rn. 17 f.). EuGHE 1988, 3559 (Rn. 26 ff.). 40 EuGHE 1985, 1459 (Rn. 18 ff.) - Rs. 248/83 "Kom./Deutschland". Dieses Gebot der durchschaubaren Regelung der ausgenommenen Tätigkeiten bezeichnet van Overbeek als Zusatz für Art. 9 Abs. 2 RL 761207. Van Overbeek, Handbuch Gleichbehandlung von Männem und Frauen in der Europäischen Gemeinschaft, 1995, S. 57. 38

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weder nicht ausgeübt werden können oder aus zwingenden Gründen der öffentlichen Ordnung und Rechte Dritter nicht ausgeübt werden dürfen. Diese Interpretation ergibt sich analog aus der Rechtsprechung im Bereich des Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207, in der der EuGH alle Schutzmaßnahmen vor einer nicht frauenspezifischen Gefahr aus dem Anwendungsbereich dieser Ausnahmeregelung ausschließt. cc) KombattantensteIlung als "geschlechtsabhängige Tätigkeit" In zwei Entscheidungen aus dem Jahren 1999 und 2000 gab der EuGH weitere Hinweise über den Inhalt des europarechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dabei ging es um die Rechtsmäßigkeit der Zugangsbeschränkungen für Frauen zu gewissen Formen des militärischen Dienstes. In Sirdar wandte der EuGH die Ausnahmeregelung des Art. 2 Abs. 2 der RL 76/207 auf die Praxis der britischen Marine an, nach der die Frauen aufgrund der Regel der "allseitigen Verwendbarkeit" ausgeschlossen werden. In diesem Urteil betonte der EuGH, daß die zuständige Stelle aufgrund der Besonderheiten, die diese "Speerspitze" der britischen Streitkräfte gegenüber den übrigen Einheiten aufweisen, eine ausschließlich aus Männern bestehende Eliteeinheit bilden könne 41 • Knapp drei Monate später stellte der EuGH jedoch fest, daß diese Ausnahme nicht auf den gesamten Bereich der Streitkräfte eines Mitgliedstaates erstreckt werden dürfe. In Kreil urteilte er, daß der Ausschluß der Frauen aus dem gesamten Bereich des militärischen Dienstes (mit Ausnahme von Sanitäts- und Musikdienst) nicht als Ausnahmemaßnahme angesehen werden könne, die durch die spezifische Art der betreffenden Beschäftigung oder die besonderen Bedingungen ihrer Ausübung gerechtfertigt wäre. In dieser Argumentation hebt der EuGH ausdrücklich hervor, daß die Verpflichtung zum Waffeneinsatz allein nicht den Ausschluß der Frauen vom Zugang zur militärischen Verwendung rechtfertige42 . In diesen Entscheidungen wurden die Grenzen des Gleichbehandlungsgrundsatzes eng aufgefaßt und die Ausnahme nur in bezug auf Geschlechtsanforderungen anerkannt, die in ihrem Anwendungsbereich konkret im Hinblick auf die auszuübende Tätigkeiten eng zugeschnitten sind. Insoweit stellen Sirdar und Kreil nichts anders als die Fortsetzung von lohnston und Kom.lFrankreich und Anwendung der dort aufgestellten Grundsätzen dar. Es liegt am Kern des Gleichbehandlungsgrundsatzes, Zugangsschwierigkeiten für Frauen zu bestimmten Berufstätigkeit abzubauen. In dieser Hinsicht ist der Ausschluß von Frauen aus dem Militärdienst in höchstem Maße su41 42

EuGHE 1999,1-7403 (Rn. 30 ff.) - Rs. C-273/97 "Sirdar". EuGHE 2000, 1-69 (Rn. 27 ff.) - Rs. C-285/98 "Kreil".

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spekt, zum al dieser Ausschluß nicht rational begründbar ist und höchstens mit einer sehr fragwürdigen moralischen Vorstellung - kurz: Klischee - erklärbar ist43 . Spätestens in der Zeit, in der der militärische Dienst in der allgemeinen Vorstellung als frei zu wählender und auszuübender Beruf eingestuft wird44 , hindert nichts mehr die volle Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in diesem Bereich. Kämmerer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß der EuGH in Sirdar die Verhältnismäßigkeit des Ausschlusses der Frauen, insbesondere

seine Erforderlichkeit zur Erreichung eines legitimen Ziels, strenger hätte prüfen können45 . Dies leuchtet insoweit ein, als der EuGH ohne Alternativen, wie z. B. einer eingehenderen individuellen Prüfung der physischen und psychischen Eignung und eventuell Bildung einer geschlechtseinheitlichen Kampfeinheit, ausdrücklich in Erwägung zu ziehen, das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung gleichsam vorwegnimmt. Dennoch muß man bei der Lektüre dieses Urteils darauf bedacht sein, daß die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH Sache der nationalen Gerichte ist, die allein über die der normativen Entscheidung zugrunde gelegten faktischen Daten verfügen. In bezug auf die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Bereich des Art. 2 Abs. 2 RL 761207 gibt das Sirdar- und Kreil-Urteil einen nicht sehr anspruchsvollen Leitfaden: Ein pauschaler Ausschluß der Frauen aus einem Tätigkeitsbereich kann der Prüfung anhand dieses Grundsatzes nicht standhalten. Dies war jedoch bei der Regelung, um die es in Kreil ging, der Fall, weil sie nicht als eng zugeschnittene Ausnahmemaßnahme angesehen werden konnte46 . Im übrigen wurden insbesondere in der deutschen Literatur anfangs Stimmen laut, daß die Organisation der Streitkräfte nicht in den Anwendungsbereich der RL 76/207 falle 47 . Niemand bestreitet freilich im gegenwärtigen Stand der europarechtlichen Entwicklung, daß die Mitgliedstaaten für die 43 Kämmerer weist darauf hin, daß die Erwägung, das männliche Geschlecht sei eine unabdingbare Voraussetzung für den militärischen Dienst, schon durch die Praxis mehrerer Staaten überzeugend widerlegt worden ist. Kämmerer, EuR 2000, S. 114. 44 Zur Tatsache, daß dieser Vorstellungswandel die Grundlage des Kreil-Urteils bildet, vgl. Kämmerer, EuR 2000, S. 107 f. Daraus folgt, daß das "Essentielle" des Grundgesetzes (auch im Sinne des Maastricht-Beschlusses des BVerfG, BVerfGE 89, 155 [174 f.]) nicht durch das Kreil-Urteil verletzt ist, zumal Art. 12a Abs. 4 Satz 2 GG a. F. kein Grundrecht, sondern eine Grundrechtsschranke enthält. Streinz, DVBl. 2000, S. 593. Diese Erkenntnis liegt vermutlich auch dem zügigen Prozeß der Grundgesetzänderung zugrunde. Vgl. BT-Drucks. 14/4380, abgestimmt am 27.10.2000. 45 Kämmerer, EuR 2000, S. 116. 46 Streinz, DVBl. 2000, S. 591.

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Sicherheitspolitik und damit das Heereswesen zuständig sind. Dies besagt jedoch nicht, daß sie gemeinschaftsrechtlich in diesem Bereich beliebig diskriminieren dürfen 48 . Auch wenn die militärischen Dienste nicht Gegenstand des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne des Art. 49 EGV = exArt. 59 EGV sind, können sich die Mitgliedstaaten in der Organisation der Streitkräfte nicht der Bindung des Gemeinschaftsrechts und damit der RL 761207 entziehen. Dies ergibt sich auch klar aus der früheren Rechtsprechung des EuGH. Wie das Sirdar-Urteil darauf Bezug nimmt49 , stellte der EuGH in lohnston ausdrücklich fest, daß der EG-Vertrag Ausnahme für den Fall einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nur in den Art. 30 EGV = ex-Art. 36 EGV, Art. 39 EGV = ex-Art. 48 EGV, Art. 46 EGV = ex-Art. 56 EGV, Art. 296 EGV = ex-Art. 223 EGV und Art. 297 EGV = ex-Art. 224 EGV vorsieht, in den Bestimmungen, die begrenzte außergewöhnliche Tatbestände regeln und sich wegen ihres begrenzten Charakters nicht für eine extensive Auslegung eignen5o . Spätestens seit diesem Urteil kann kein Zweifel mehr an der Anwendbarkeit der Gleichbehandlungsrichtlinien auch für Beschäftigungsverhältnisse in den Streitkräfte bestehen 51 • c) SchutzvorschriJten für Frauen (Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207)

Art. 2 Abs. 3 der RL 761207 bestimmt, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau in dieser Richtlinie nicht Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegensteht. Art. 4 Abs. 2 der RL 79/7 bekräftigt im Bereich der sozialen Sicherheit diese Ausnahme in bezug auf den Mutterschaftsschutz. Wenn den Frauen eine chancengleiche Beteiligung am Wirtschafts- und Sozialleben gesichert werden soll, was heute zum Grundkonsens der Gesellschaft gehört, dann müssen die Belastungen, die nur Frauen tragen, durch angemessene Schutzmaßnahmen ausgeglichen werden. Es ist heute eine feststehende Erkenntnis, daß eine formelle Gleichheit trotz der unterschiedlichen Ausgangslage der Verwirklichung der Chancengleichheit eher im Wege steht. Insbesondere sind Schwangerschaft und Geburt als auf die Frauen übertragene biologische Last, als Nachteil für ihre wirtschaftlichen Entfaltungschancen zu begreifen. Jedoch kann es für die Gesamtgesellschaft nicht 47 Scholz, DÖV 2000, S. 418; Mückl, Jura 2000, S. 411 ff.; Amdt, NJW 2000, S. 146l. 48 Streinz, DVBI. 2000, S. 589 f. 49 EuGHE 1999, 1-7403 (Rn. 16); EuGHE 2000, 1-69 (Rn. 16) - Rs. C-285/98 "Kreil". 50 EuGHE 1986, 1651 (Rn. 26) - Rs. 222/84 "Johnston". 51 Kämmerer, EuR 2000, S. 110; Streinz, DVBI. 2000, S. 589 f.; Schröder/Köster, NJW 2000, S. 544. 8 Nishihara

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

gleichgültig sein, daß die Frauen bereit sind, diese Last selbst zu tragen, zumal die Weiterentwicklung der Gesellschaft überhaupt vom Vorhandensein eigenen Nachwuchses abhängt. In dieser Lage stellen die Schutzvorschriften zugunsten der Frauen berechtigte Grenzen des Grundsatzes dar, daß Männer und Frauen gleich behandelt werden sollen. Dennoch ist die Frage nicht leicht zu beantworten, was unter einer Schutzvorschriften konkret zu verstehen ist. Wenn nämlich eine besondere Schutzbedürftigkeit der Frauen außerhalb des biologisch bedingten Bereichs zugrunde gelegt wird, kann sich eine diskriminierende Maßnahme beliebiger Art auf diese Schutzbedürftigkeit berufen. Die Anerkennung dieser Möglichkeit läuft deshalb darauf hinaus, das zum Grundsatz erhobene Gleichbehandlungsgebot durch eine Ausnahmeregelung auszuhöhlen. Deswegen ist es von großer Bedeutung, die Grenzen des Art. 2 Abs. 3 der RL 761207 richtig zu ziehen. aa) Anfängliche Erweiterungstendenz Bis zur ausdrücklichen Einführung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in lohnston wurde auch Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207 nicht mit gebührender Strenge ausgelegt. Die Hebammen-Entscheidung steht in engem Zusammenhang mit den Urteilen, in denen der EuGH verschiedene nationale Regelungen unter die Schutzvorschriften im Sinne des Art. 2 Abs. 3 der RL 761207 subsumierte. Diese Ausnahmebestimmung wurde zum ersten Mal im Jahr 1984 in Hofmann herangezogen, um die Beschränkung des Mutterschaftsgeldes während des Mutterschaftsurlaubs nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist auf die Mütter zu rechtfertigen. In einem Fall, in dem ein Vater tatsächlich während dieser Zeit das Kind betreute, lehnte die gesetzliche Krankenkasse die Zahlung des Mutterschaftsgeldes ab. Der EuGH urteilte, daß der Mutterschaftsurlaub gemäß Art. 2 Abs. 2 der RL 761207 zum Ausnahmebereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes gehöre. Dabei ging er davon aus, daß diese Ausnahmeregelung den Schutz der Frauen bei Schwangerschaft und Mutterschaft in zweierlei Hinsicht bezwecke: zum einen Schutz ihrer körperlichen Verfassung während und nach der Schwangerschaft bis zu dem Zeitpunkt, in dem sich ihre körperlichen und seelischen Funktion nach der Entbindung normalisiert haben; zum anderen Schutz der Beziehung zwischen Mutter und Kind während der Zeit, die sich an die Schwangerschaft und Entbindung anschließt, damit diese Beziehung nicht durch die Doppelbelastung aufgrund gleichzeitiger Ausübung eines Berufs gestört wird52 .

52

EuGHE 1984,3047 (Rn. 25 ff.) - Rs. 184/83 "Hofmann".

I. Inhalt und Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes

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In dieser Hinsicht weist die Schutzfrist von acht Wochen nach der Entbindung kein Problem bezüglich der Gleichbehandlung auf. Das Beschäftigungsverbot und die Lohnfortzahlung während dieses Zeitraums sind als erforderliche Maßnahmen zu bewerten, um der genannten Schutzbedürftigkeit gerecht zu werden, die biologisch bedingt nur bei Frauen entsteht. Wenn dagegen die Schutzmaßnahme auf den Zeitraum erstreckt wird, in dem der besondere Schutzbedarf in bezug auf die körperliche und seelische Verfassung nicht mehr besteht und die schutzbedürftige Eltern-Kind-Beziehung auch von einem Vater gepflegt werden kann, ist die Beschränkung des Schutzes auf Frauen problematisch 53 . Dennoch stellte der EuGH auf den Schutz der Mutter-Kind-Beziehung ab und rechtfertigte diese Beschränkung. Bei dieser Argumentation legte er stillschweigend die Entscheidung zugrunde, die er vor neun Monaten getroffen hatte, ohne sich auf Art. 2 Abs. 3 RL 761207 zu stützen. Im Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien ging es um den Mutterschaftsurlaub bei einer Adoption. Eines der Elternteile, d.h. auch der Vater, war berechtigt, nach der Beendung des Mutterschaftsurlaubs von drei Monaten weitere sechs Monate von der Arbeit unter Beibehaltung seiner Stelle fernzubleiben. Der Anspruch auf den dreimonatigen Mutterschaftsurlaub war jedoch auf die Mütter beschränkt. Diese Ungleichbehandlung rechtfertigte der EuGH, indem er ein legitimes Bestreben unterstellte, die Umstände, unter denen das Kind in die Adoptivfamilie aufgenommen wurde, für diesen sehr schwierigen Zeitraum soweit wie möglich denjenigen anzugleichen, unter denen das Neugeborene Aufnahme in die Familie findet. Aus dieser Erwägung folgerte der EuGH, daß diese Ungleichbehandlung nicht als Diskriminierung im Sinne der RL 761207 angesehen werden könne 54 . In diesem Prozeß war der Rückgriff auf Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207 für den EuGH versperrt, weil die Generalanwältin Rozes in ihren Schlußanträgen klarstellte, daß es bei der betreffenden Regelung nicht um den Schutz der Frau gehe, sondern um den Schutz des Kindes. Die Regelung bezwecke, eine für die richtige Integration des Kindes in seine Adoptionsfamilie erforderliche emotionale Beziehung herzustellen. Die falle nicht unter die Ausnahme gemäß Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207; die Ungleichbehandlung sei somit rechtswidrig 55 . Trotz dieses Hinweises und trotz der Unmöglichkeit, sich auf die Ausnahmeregelung zu stützen, befand der EuGH in Kom.lltalien den Schutz der Mutter-Kind-Beziehung für rechtmäßig, nicht aber den der Vater-Kind-Beziehung. In der Tat stellt sich dieses Urteil als theoretisch unfundierter Einzelgänger dar, in dem der EuGH ohne Rück53 Langenjeld/Jansen, in: Grabitz/Hilf, Art. 119 alt EGV, Rn. 55; Colneric, FS Gnade, S. 637. 54 EuGHE 1983,3273 (Rn. 16 f.) - Rs. 163/82 "Kom./ltalien". 55 EuGHE 1983, 3273 (S. 3297).

8*

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

griff auf die Ausnahmeregelung oder auf eine genauere Definition des Diskriminierungsbegriffs in einer offensichtlichen Ungleichbehandlung schlicht keine Diskriminierung erblickte. In Hofmann ging es allerdings um eine leibliche Mutter-Kind-Beziehung, so daß der EuGH den Gedankengang unter Berufung auf Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207 fortsetzen und in eine Formel gießen konnte. Das Problematische an diesem Gedankengang ist, daß der einseitige Schutz der Mutter-Kind-Beziehung durch ein gesetzliches System die überkommene Rollenverteilung und die darin enthaltene Ungerechtigkeit verfestigt56 . Bekanntlich ist die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs mit vielerlei Risiko für die weitere Karriere verbunden. Zumindest bleibt man während dieses Urlaubs hinter den Entwicklungen in seiner Branche zurück, so daß die neuen Kenntnisse, wenn überhaupt, nur mit großer Mühe nachgeholt werden können. In dieser Situation hat ein Gesetz, das den Erziehungsurlaub den Frauen vorbehält, eine dankbare Befreiung der Männer zur Folge, weil sie sich dank dieser Regelung nicht mit der Frage auseinanderzusetzen brauchen, warum sich ihre Frauen und nicht sie der Pflege des Babys widmen sollen. Die Ausnahme, die Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207 einräumt, darf nicht so weit erstreckt werden, daß sie auch eine nationale Regelung rechtfertigt, die über das für die Berücksichtung der frauenspezifischen Schutzbedürftigkeit notwendige Maß hinaus die traditionelle Rollenerwartung verstärkt und damit den beruflichen Entfaltungschancen der Frauen im Wege steht. Spätestens seit dem Inkrafttreten der RL 96/34 ist die frühere Position des EuGH hinfällig 57 • Soweit der EuGH jetzt noch vom Schutz der "besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der Zeit, die an die Schwangerschaft und Entbindung anschließt" spricht58 , ist die Aussage als zeitliche Begrenzung auf die Anfangsphase zu verstehen und nicht mehr als Rechtfertigung des alleinigen Anspruchs der Mutter auf Erziehungsurlaub.

56 Colneric, FS Gnade, S. 635: "Der Begriff der Diskriminierung wird hier als Einfallstor für Wertungen benutzt, die offenkundig in traditionellen Vorstellungen über die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen wurzeln. Er wird in einer Weise materialisiert, die Frauen auf die traditionelle Rolle fixiert und so zur Verfestigung der männlichen Domination beiträgt". 57 Siehe oben § 1, III, 4, c), bb). 58 EuGHE 1994, 1-1657 (Rn. 21) - Rs. C-42l/92 "Habermann-Beltermann"; 1994, 1-3567 (Rn. 20) - C-32/93 "Webb"; 1998, 1-2011 (Rn. 25) - Rs. C-136/95 "Thibault"; 1998,1-4185 (Rn. 17) - Rs. C-394/96 "Brown"; 1998,1-6401 (Rn. 61) - Rs. C-411/96 "Boyle".

I. Inhalt und Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes

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bb) Ausschließlichkeitserfordernis Zwar greift der EuGH immer wieder auf die Formel im Hoftnann-Urteil zurück, daß Art. 3 Abs. 2 RL 76/207 den Schutz der körperlichen Verfassung der Frauen während und nach der Schwangerschaft und den Schutz der Mutter-Kind-Beziehung beabsichtigt59 . Auf dieser Grundlage erkannte der EuGH insbesondere an, daß das Nachtarbeitsverbot für schwangere Frauen "außer Zweifel" mit der RL 76/207 vereinbar sei 6o . Jedoch entspricht das Ergebnis in Hoftnann, ebenso wie das in Kom.! Italien, nicht dem heutigen Verständnis des Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207. Der Rückgriff auf die Formel des zweifachen Schutzes verfolgt heute eher den Zweck, den Schutzbegriff in Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207 nicht auf die übrigen Bereiche zu erstrecken. In lohnston, wo der EuGH im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 der RL 76/207 ausdrücklich die Verhältnismäßigkeitsprüfung einführte, formulierte er bezüglich Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207, daß diese Ausnahmeregelung eng auszulegen sei und insbesondere der Schutz nicht auf Gefahren erstreckt werden dürfe, denen sowohl Männer als auch Frauen ausgesetzt seien. "Somit können Frauen nicht unter Berufung auf diese Bestimmung der Richtlinie mit der Begründung von einer Beschäftigung ausgeschlossen werden, daß die öffentliche Meinung für sie einen im Verhältnis zu Männem stärkeren Schutz gegen Gefahren fordere, die Männer und Frauen in gleicher Weise betreffen und die sich von den besonderen Schutzbedürfnissen der Frau, wie sie in der Richtlinie ausdrücklich erwähnt sind, unterscheiden,,61.

Um zu vermeiden, daß eine diskriminierende Absicht zu Lasten der Frauen mit Hinweis auf einen Schutzzweck verdeckt wird, ist diese Feststellung des EuGH von großer Bedeutung. Er verlangt, daß die Gefahr ausschließlich Frauen betrifft, damit eine Schutzvorschrift unter den Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207 fällt 62 • Die Ungleichbehandlung, die in der Verweigerung des Erziehungsurlaubs für einen Vater bestand, erfüllt diese Anforderung aber nicht. Nach Ablauf der Schutzfrist besteht die Gefahr für die körperliche Verfassung der Frau nicht mehr, und 59 EuGHE 1986, 1651 (Rn. 44) - Rs. 222/84 "Johnston"; 1988,6315 (Rn. 13)Rs. 312/86 "Kom.lFrankreich"; 1994, 1-371 (Rn. 11) - Rs. C-13/93 "Minne"; 1994, 1-1657 (Rn. 21) - Rs. C-421192 "Habermann-Beltermann"; 1994, 1-3567 (Rn. 20) - Rs. C-32/93 " Webb ". 60 EuGHE 1994,1-1657 (Rn. 18) - Rs. C-421192 "Habermann-Beltermann". 61 EuGHE 1986, 1651 (Rn. 44) - Rs. 222/84 "Johnston". 62 Kyriazis unterscheidet zwischen dem Schutz der Frauen im Hinblick auf ihre biologischen Besonderheiten einerseits und dem Schutz der Frauen im Hinblick auf ihre soziokulturelle Rolle andererseits und begrenzt die Legitimität auf die Schutzvorschriften der ersten Kategorie. Kyriazis, 1990, S. 187 f.

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

die Gefahr der seelischen Verwahrlosung des Kindes kann durch den Einsatz des Vaters beseitigt werden. Dieses Ausschließlichkeitserfordernis wurde in der späteren Rechtsprechung immer wieder streng angewandt. Im Jahr 1988 sah der EuGH ein französisches Gesetz als unzureichende Umsetzung der RL 76/207 an, nach dem die besonderen Rechte der Arbeiterinnen aufgrund tarifvertraglicher Bestimmungen bestehen bleiben konnten. Diese besonderen Rechte umfaßten unter anderen die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs, die Herabsetzung der Arbeitszeit für Frauen über 59 Jahre, die Vorziehung des Ruhestandsalters, den Urlaub bei Krankheit von Kindern, die Gewährung von Freistunden aus Anlaß des Muttertages usw. Der EuGH prüfte nicht jede Tarifbestimmung, weil dies die horizontale Direktwirkung der Richtlinie voraussetzt. Statt dessen erklärte der EuGH das Umsetzungsgesetz, das die Aufrechterhaltung dieser besonderen Rechte anerkannte, als vertragswidrig. Dabei hob er hervor, daß "einige der aufrechterhaltenen Rechte den Schutz von Frauen in ihrer Eigenschaft als ältere Arbeitnehmer oder als Elternteil" bezwecke, obwohl diese Eigenschaften männliche wie weibliche Arbeitnehmer haben können. Aus diesem Urteil ist nicht genau zu entnehmen, ob nach dem Kriterium des EuGH alle diese Rechte oder nur ein Teil davon außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207 liegen. Er hat nur festgestellt, daß "einige" - welche? - nicht von dieser Ausnahmeregelung gedeckt seien. Jedoch stellt dieses Urteil klar, daß Art. 2 Abs. 3 der RL 761 207 nicht beabsichtigt, - vielleicht derzeit noch mit Ausnahme für die Anfangszeit nach der Geburt - der Mutter-Kind-Beziehung einen besseren Schutz zu gewähren als der Vater-Kind-Beziehung. Wenn im Rahmen der Arbeitsbedingungen die Notwendigkeit anerkannt ist, die besondere Interessenslage der erwerbstätigen Mütter zu berücksichtigen, gibt es keinen Grund, diese Berücksichtigung den erwerbstätigen Vätern zu verweigern. Aufgrund dieses Maßstabs verletzt eine Regelung den Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau, wenn sie ein nicht geschlechtsspezifisches Ziel verfolgt und dabei nach dem Geschlecht differenziert. Ungleichbehandlung ist im Rahmen des Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207 nur dort erlaubt, wo sie notwendig ist, um das Regelungsziel zu erreichen, einer für die Frauen spezifischen Schutzbedürftigkeit gerecht zu werden. So gesehen steht die Ausschließlichkeitsanforderung im Bereich des Art. 2 Abs. 3 der RL 761207 in engem systematischen Zusammenhang mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die der EuGH in bezug auf Art. 2 Abs. 2 der RL 76/207 ausdrücklich vorsieht. Obwohl bisher diese Prüfungsart nicht ausdrücklich im Bereich des Abs. 3 angewandt wurde, ist von der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch hinsichtlich der Schutzvorschriften auszugehen. In bezug auf das Kreil-Urteil 63 hat sich in

I. Inhalt und Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes

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Deutschland schnell die Vorstellung durchgesetzt, daß sich Art. 12 a Abs. 4 Satz 2 GG nicht als Schutz vorschrift zugunsten der Frauen rechtfertigen läßt, wenn er den Genuß des entsprechenden Schutzes zur Pflicht umwandelt und auch den freiwilligen Dienst der Frauen mit der Waffe ausschließt64 . cc) Notwendigkeit der Ungleichbehandlung Diese Interpretation des Art. 2 Abs. 3 der RL 761207 wurde später durch einige Entscheidungen, die das Nachtarbeitsverbot für weibliche Arbeiter und Arbeitnehmer betrafen, bestätigt. Im Stoeckel-Urteil vom 25.7.1991 konkretisierte der EuGH das Kriterium dahingehend, daß "das Ziel, die weibliche Arbeitnehmer zu schützen, ... nur dann Berücksichtigung finden [kann - Veif], wenn die Notwendigkeit einer Ungleichbehandlung von Männem und Frauen gerechtfertigt wäre". Da jedoch die Gefahren, denen Frauen durch Nachtarbeit ausgesetzt sind, sich nicht von denjenigen unterscheiden, denen auch Männer ausgesetzt sind, stellt es einen Verstoß gegen die RL 76/207 dar, wenn ein Mitgliedstaat das Nachtarbeitsverbot für Frauen als allgemeinen Grundsatz aufstellt 65 • Dieses Ergebnis wurde später auf den Fall erweitert, daß ein Staat die Ausnahme von dem grundsätzlich für beide Geschlechter geltenden Nachtarbeitsverbot durch einen je nach Geschlecht unterschiedlichen Regelungsmodus - und damit für Männer im größeren Umfang - einräumt66 . Obwohl der EuGH auch in diesen Entscheidungen nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erwähnt, ist nunmehr klar ersichtlich, daß diese Notwendigkeitsanforderung im Sinne der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu verstehen ist. Dies gilt auch im Zusammenhang mit der Gefahr eines Über63 Das Kreil-Urteil wiederholte die oben zitierte Ausschließlichkeitsanforderung; EuGHE 2000, 1-69 (Rn. 30 ff.) - Rs. C-285/98. 64 Kämmerer, EuR 2000, S. 111; Streinz, DVBl. 2000, S. 592; Schröder/ Köster, JuS 2000, S.545. Es wird in diesem Zusammenhang auch hervorgehoben, daß Art. 12a Abs. 4 Satz 2 GG nicht die Gewährleistung eines Grundrechts, sondern seine Einschränkung darstellt. Streinz, a. a. 0., S. 593; Schröder/ Köster, a. a. 0., S. 545. Vgl. oben Fn. 44. 65 EuGHE 1991,1-4047 (Rn. 15 ff.) - Rs. C-345/89 "Stoeckel". 66 EuGHE 1994,1-371 (Rn. 13) - Rs. C-13/93 "Minne". Die Wirkung des Stoekkel-Urteils wurde später insoweit beschränkt, als der EuGH anerkannte, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts der Erfüllung einer staatlichen Verpflichtung aus einem vor dem EG-Vertrag geschlossenen internationalen Vertrag - hier konkret aus dem Nachtarbeitsverbot aufgrund des Übereinkommens Nr. 89 der IAO - nicht entgegenstehe. EuGHE 1993, 1-4287 (Rn. 17 ff.) - Rs. C-158/91 "Levy". Nach dem Austritt aus dem Übereinkommen Nr. 89 der IAO darf ein Mitgliedstaat nicht das Nachtarbeitsverbot für Frauen als allgemeine Regel aufrechterhalten. EuGHE 1999,1-6869 (Rn. 28) - Rs. C-207/96 "Kom./Italien".

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

falls, die die französische und italienische Regierungen in Stoeckel mit Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207 in Verbindung zu setzen versuchten. Der EuGH bemerkte zu diesem Punkt, daß dieser Gefahr durch geeignete Maßnahmen begegnet werden kann, ohne den wesentlichen Grundsatz der Gleichbehandlung zu beeinträchtigen67 . Die hier aufgeworfene Frage, ob das Regelungsziel auch mit Mitteln erreicht werden kann, die nicht gleichermaßen ein Recht verletzen wie die in Frage stehende Regelung, ist vergleichbar mit der Erforderlichkeitsprüfung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Daß der EuGH im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207 bisher die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht ausdrücklich angewandt hat, ist vermutlich auf die Tatsache zurückzuführen, daß er lediglich mit Fällen zu tun hatte, in denen die betreffenden Regelungen entweder ohne Zweifel von Art. 2 Abs. 3 der RL 76/207 gedeckt waren oder eindeutig nicht unter diese Ausnahmebestimmung fielen 68 . d) Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit (Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207)

aa) Ermächtigung zu positiven Maßnahmen Das Kriterium, anhand dessen die Tragweite der Ausnahme vom Gleichbehandlungsgrundsatz bestimmt wird, ist zur Zeit Gegenstand heftiger Diskussionen im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207. Zwei im Ergebnis entgegengesetzte Entscheidungen des EuGH - Kalanke und Marschall - sorgten für theoretische Unsicherheiten innerhalb der Lehre, wobei die zweite Entscheidung mit seiner großzügigeren Interpretation der Richtlinie eher mit Erleichterung aufgenommen wurde. Später hat der EuGH durch zwei weitere Urteile - Badeck und Abrahamsson - versucht, zu verdeutlichen, wo er die Grenzlinie zwischen zulässigen und unzulässigen Frauenförderungsmaßnahmen erblickt. Dieser Versuch hat insoweit gelungen, als - zumindest in Deutschland - immer deutlichere Erkentnisse über die vom EuGH zugrunde gelegte Argumentation gewonnen werden. Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 bestimmt, daß diese Richtlinie Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen, insbesonEuGHE 1991, 1-4047 (Rn. 16). Bei der Prüfung der Notwendigkeit ist darauf zu achten, daß das Gemeinschaftsrecht von der Wandelbarkeit der Notwendigkeitslage ausgeht. Die Entschließung des Rates zur Förderung der Chancengleichheit der Frauen vom 12.7.1982 hebt hervor, daß "besondere Schutzvorschriften für Frauen auf dem Arbeitsmarkt vermieden werden sollten und daß sie abgeschafft werden sollten, wenn das Schutzanliegen, das diese Vorschriften früher begründet hatte, gegenstandslos geworden ist". ABt. 1982, C 186/3, S. 4. 67

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1. Inhalt und Grenze des Gleichbehandlungsgrundsatzes

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dere durch Beseitung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, welche die Chancen der Frauen beeinträchtigen, nicht entgegensteht. Diese Ausnahmeregelung ermächtigt damit in negativer Form die Mitgliedstaaten zu positiven Maßnahmen für die Förderung der Chancengleichheit. Der EuGH legte in Kom.! Frankreich aus dem Jahre 1988 diese Regelung dahingehend aus, daß sie einem bestimmten und begrenzten Zweck diene, nämlich "der Zulassung von Maßnahmen, die zwar nach ihrer äußeren Erscheinung diskriminierend sind, tatsächlich aber in der sozialen Wirklichkeit bestehende faktische Ungleichheiten beseitigen oder verringern sollen,,69. Dieselben Motive spielten eine Rolle, als die Mitgliedstaaten mit Ausnahme von England das Abkommen über die Sozialpolitik als Protokoll Nr. 14 zum Maastrichter Vertrag abschlossen. Dort wurde in Art. 6 Abs. 3 bestimmt, daß der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, wie er in Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV statuiert ist, einen Mitgliedstaat nicht daran hindert, spezifische Vergünstigungen zur Erleichterung der Berufs tätigkeit der Frauen oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in ihrer beruflichen Laufbahn beizubehalten oder zu beschließen7o . Die Ermächtigung zu positiven Maßnahmen folgt der Erkenntnis, daß die tatsächliche Chancengleichheit von Mann und Frau - was immer darunter verstanden wird - nicht allein durch die rechtliche Gewährleistung der Gleichbehandlung als Individualrecht verwirklicht werden kann. Insbesondere wenn die verschiedenen Barrieren, die der freien beruflichen Entfaltung der Frauen im Wege stehen, strukturell vom soziokulturellen System und von den vieIniltigen Vorstellungen bedingt sind, zeigt die rechtliche Gleichstellung einen Mangel an Effizienz bei der Erreichung der tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau7l •

69 EuGHE 1988,6315 (Rn. 15) - Rs. 312/86 "Kom./Frankreich". Diese Feststellung wird immer wieder zitiert. EuGHE 1995, 1-3051 (Rn. 18) - Rs. C-450/93 "Kalanke"; 1997,1-6363 (Rn. 26) - Rs. C-490/95 "Marschall". 70 Der Ausdruck "Vergünstigung" ist dem Sinn nach mit der Formulierung "dem Anschein nach diskriminierend" deckungsgleich. Indem das Kalanke-Urteil von der grundsätzlichen Zulässigkeit von Maßnahmen, welche "die Frauen spezifisch begünstigen" ausgeht, sorgte der EuGH für die Inhaltsgleichheit von Art. 2 Abs. 4 der RL 761207 und Art. 6 Abs. 3 des Protokolls Nr. 14 zum Maastricht-Vertrag. EuGHE 1995, 1-3051 (Rn. 19). Somit kann heute von der gleichen Tragweite des Art. 2 Abs. 4 der RL 761207 und Art. 141 Abs. 4 EGV ausgegangen werden. 71 Dieselbe Erkenntnis führte in Deutschland zur Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG durch den neuen Satz 2 in der Verfassungsnovelle von 1994. Siehe unten § 4, 11, 1, a) cc). Auf europarechtlicher Ebene wurde diese Erkenntnis im Aktionsprogramm zur Förderung der Chancengleichheit der Frauen 1982-1985 (Bulletin der EG, Beilage 8211, S. 1 [21] ) und in der Empfehlung des Rates zur Förderung positiver Maßnahmen für Frauen vom 13.12.1984 (Empfehlung 84/635, ABI. 1984, L

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Was konkret zu den Fördermaßnahmen der Chancengleichheit gehört, ist jedoch nicht unmittelbar der Richtlinienbestimmung zu entnehmen. Die Kommission konkretisierte im Aktionsprogramm zur Förderung der Chancengleichheit der Frauen 1982-1985 diesen Begriff unter Hinweis auf Beispiele wie die Informationsarbeit, die Politik der Erweiterung des Ausbildungsangebots für Frauen oder Maßnahmen zur Beseitigung der Ungleichheiten, welche die Chancen der Frauen beeinträchtigen. Sie wiederholte damit im letzten Bereich aber nur den Ausdruck der RL 76/207. Besonders problematisch war die Frage, ob und inwieweit Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 die Quotenregelungen zuläßt, die für das unterrepräsentierte Geschlecht einen gewissen Anteil an den Stellen bei der NeueinsteIlung vorbehält. Da das tatsächliche Gleichheitsdefizit am deutlichsten in der Unterrepräsentanz von Frauen in den verantwortlichen, höheren Stellen in Betrieben und öffentlichen Diensten zum Vorschein kommt, sind von einer solchen Quotenregelung wesentliche Verbesserungen zu erwarten. Auf der anderen Seite stellt eine Quote eine offensichtliche und unter Umständen krasse Diskriminierung des benachteiligten Geschlechts dar, so daß ihre Rechtsmäßigkeit angesichts des Gleichbehandlungsgrundsatzes stets bezweifelt wird. Die positivrechtlichen Bestimmungen bedienen sich des Formelkompromisses und lassen diese Frage stets offen72 . bb) Urteile Kalanke, Marschall, Badeck und Abrahamsson Der EuGH gab die Antwort auf diese Frage zuerst in seinem KalankeUrteil vom 17.10.1995 in einschränkender Weise. In Frage stand die bremische Quotenregelung für den öffentlichen Dienst, nach der bei der Übertragung einer Tätigkeit in einer höheren Lohn-, Vergütungs- und Besoldungsgruppe Frauen bei gleicher Qualifikation wie ihre männlichen Mitbewerber vorrangig zu berücksichtigen waren, falls sie unterrepräsentiert waren 73. Nachdem der EuGH gegenüber der Wichtigkeit der positiven Maßnahmen Verständnis zeigte, führte er aus, daß Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 als Ausnahme von einem individuellen Recht eng auszulegen sei und daher sich nicht auf eine nationale Regelung erstrecke, die den Frauen bei Emennun331134, S. 34) ausdrücklich erwähnt. Das Kalanke-Urteil zitiert wörtlich die betreffende Passage der Ratsempfehlung; EuGHE 1995,1-3051 (Rn. 20) - Rs. C-450/93. 72 Dies gilt für die genannten Regelungen, sowohl für die Ratsempfehlung zur Förderung positiver Maßnahmen für Frauen als auch Art. 6 Abs. 3 Protokoll Nr. 14 zum Maastricht-Vertrag. Maidowski erblickte in diesem Formelkompromiß ein deutliches Unbehagen des Gemeinschaftsrechts an dem Vorschlag, die Gleichstellung der Geschlechter durch Ungleichheit im Recht zu erreichen. Maidowski, Umgekehrte Diskriminierung, 1989, S. 95. 73 § 4 Abs. 2 Gesetz zur Gleichstellung von Frau und Mann im öffentlichen Dienst des Landes Bremen vom 20. 11. 1990, GBI. 1990, S. 433.

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gen oder Beförderungen absolut und unbedingt den Vorrang einräume. Außerdem warf er dem bremischen Gesetz vor, die betreffende Regelung setze an Stelle der in Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 vorgesehenen Förderung der Chancengleichheit die Gleichheit im Ergebnis74,75. Diese Entscheidung rief vielfaltige Reaktionen hervor, weil sie so verstanden werden konnte, daß der EuGH die Möglichkeit jeglicher Quotierung sperren würde 76. Dies hätte zu einer sozialpolitischen Konfusion geführt, da in manchen Mitgliedstaaten bereits damals die Quotenregelungen einen unerläßlichen Bestandteil ihrer Politik zur Gleichstellung von Männer und Frauen bildeten. Die Kommission versuchte, die Auswirkungen des Urteils auf ein Minimum zu begrenzen, indem sie eine Änderung der RL 76/207 in die Wege leitete. Nach ihrem Vorschlag sollte Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 nunmehr dahingehend verdeutlicht werden, daß die Maßnahmen im Sinne dieser Bestimmung Vorzugsregelungen bezüglich des Zugangs zur Beschäftigung oder zum beruflichen Aufstieg zugunsten eines Mitglieds des unterrepräsentierten Geschlechts beinhalten, soweit sie die Bewertung der besonderen Umstände eines Einzelfalls nicht ausschließen 77. Dabei legte sie ein enges Verständnis des Kalanke-Urteils zugrunde. Nach dieser Auffassung stand das Urteil nicht einer Quotenregelung entgegen, bei der die Frauen nicht "absolut und unbedingt", sondern erst unter dem Vorbehalt der Einzelfallgerechtigkeit bevorzugt werden. Dieser Versuch der Kommission mußte jedoch dem Widerstand des Wirtschafts- und Sozialausschusses begegnen. Er hob hervor, daß mit der Richtlinienänderung nicht die notwendige Klärung erfolge und in Abwesenheit einer politischen Entscheidung bezüglich des europarechtlich zulässigen Umfangs der Quotenregelung diese auch nicht erfolgen könne 78 • Diese Klarstellung erfolgte jedoch nicht auf politischer Ebene, auch nicht im Amsterdamer Vertrag. Art. 141 Abs. 4 EGV beinhaltet - genauso wie Art. 6 Abs. 3 des Protokolls Nr. 14 zum Maastricht Vertrag - eine ErmächEuGHE 1995,1-3051 (Rn. 20 ff.) - Rs. C-450/93 "Kalanke". Das Begriffspaar Chancengleichheit/Ergebnisgleichheit wurde durch die Schlußanträge des Generalanwaltes Tesauro in die Diskussion eingeführt. EuGHE 1995, 1-3051 (S. 3058 ff.). 76 In diesem Sinne, d.h. im Sinne einer Wirkung des Kalanke-Urteils auf alle leistungsbezogenen Quoten, Schmidt, NJW 1996, S. 1725 f. 77 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der RL 76/207 vom 2.5.1996, ABI. 1996, C 179/8. 78 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Richtlinienänderungsvorschlag vom 25.9.1996, ABI. 1996, C 30/57. Dieselbe Kritik trug auch der Generalanwalt Jacobs in seinen Schlußanträgen zur Rechtssache Marschall vor. EuGHE 1997,1-6363 (S. 6380). 74

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

tigung der Mitgliedstaaten zur Beibehaltung oder zum Beschluß von "spezifischen Vergünstigungen". Was darunter zu verstehen ist und ob vor allem leistungsunabhängige, leistungsbezogene oder nur influenzielle Quotenregelungen darunter fällt, wurde wiederum offen gelassen. In dieser Situation übernahm der EuGH selbst die weitere KlarsteIlung. Im Marschall-Urteil vom 11.11.1997 stellte er fest, daß die nordrhein-westrälische Quotenregelung für öffentliche Bediensteten, die mit einer sogenannten Härtefallklausel versehen war, nicht gegen die RL 761207 verstößt. Das betreffende Landesbeamtengesetz war ähnlich strukturiert wie das bremische Gesetz in Kalanke, enthielt jedoch den Konditionalsatz: "sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen,,79. Der EuGH begründete den Unterschied zwischen dem nordrhein-westfälischen und dem bremischen Gesetz mit dem Argument, daß jene aufgrund der Öffnungsklausel die Frauen nicht "absolut und unbedingt" bevorzuge. Eine Regelung überschreite nicht die Grenze der in Art. 2 Abs. 4 der RL 761207 vorgesehenen Ausnahme, wenn diese Regelung den gleichqualifizierten männlichen Bewerbern in jedem Einzelfall garantiere, daß die Bewerbung Gegenstand einer objektiven Beurteilung ist, bei der alle die Person des Bewerbers betreffenden Kriterien berücksichtigt würden 8o . Diese Position wurde bestätigt durch das Badeck-Urteil vom 28.3.2000, das das hessische Gleichberechtigungsgesetz zum Gegenstand hatte. Hier stellte der EuGH fest, daß eine sogenannte flexible Ergebnisquote in Bereich des öffentlichen Dienstes, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, zulässig sei: Art. 2 Abs. 1 und 4 der RL 761207 stehe einer vorrangigen Berücksichtigung einer Bewerberin vor ihren männlichen Mitbewerbern bei gleicher Qualifikation nicht entgegen, wenn dies zur Erfüllung der bereichsspezifischen Zielvorgabe erforderlich sei und keine Gründe von größerem rechtlichen Gewicht entgegenstünden 81 • Der EuGH konnte also die Vorrangnorm aufgrund der Öffnungsklausel und der bereichsspezifisch aufgestellten Zielvorgabe wiederum als nicht absolut und unbedingt erachten. Gemäß der betreffenden Regelung werden bei der Beurteilung der Qualifikation bestimmte positive und negative Kriterien herangezogen, die - wie Erfahrungen, die durch Familienarbeit erworben worden sind - zwar geschlechtsneutral formliert sind, aber im allgemeinen Frauen begünstigen. Der EuGH rechtfertigte auch diese Kriterien als Maßnahmen zur Herbeiführung der materiellen Gleichheit. Darüber hinaus hat der EuGH in diesem Urteil die Anforderung der qualifikatorischen Patt-Situation zugunsten einer starren Ergebnisquote im Bereich der Berufsausbildung gemildert82 . Die 79 § 8 Abs. 4 und § 25 Abs. 5 Landesbeamtengesetz vom 1.5.1981 in der Fassung des Frauenförderungsgesetzes vom 31.10.1989, GVBl. NRW 1989, S. 567. 80 EuGHE 1997,1-6363 (Rn. 32 f.) - Rs. C-409/95 "Marschall". 81 EuGHE 2000,1-1875 (Rn. 30 ff.) - Rs. C-158/97 "Badeck" .

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Voraussetzung dafür war, daß es sich hierbei nicht um eine absolute, starre Quote handelte, weil die Quote nur für Arbeitsplätze gilt, für die kein staatliches Monopol bestand, und nicht durchgriff, wenn nicht genügend Bewerbungen von Frauen um freie Ausbildungsplätze vorlagen. Die Hervorhebung des Ausnahmecharakters, den eine Quotemegelung aufweist, scheint im Badeck-Urteil weitgehend relativiert zu sein. Dennoch ist darauf zu achten, daß die Quotenregelung auch in diesem Fall die Bevorzugung einer schlechter qualifizierten Bewerberin bei der Einstellung ausschließt und die Berücksichtigung aller persönlichen Umstände ermöglicht. Darin liegt der Unterschied zum Abrahamsson-Urteil vom 6.7.2000, in dem der EuGH eine Quotenregelung wieder für gemeinschaftsrechtswidrig hielt. Dort ging es um eine positive Diskriminierung gemäß dem schwedischen Gleichstellungsgesetz, das ermöglichte, einen Bewerber des unterrepräsentierten Geschlechts um eine Stelle im Staatsdienst, der hinreichende Qualifikationen für diese Stelle besaß, vor einem besser qualifizierten Bewerber des anderen Geschlechts auszuwählen. In dieser Regelung sah der EuGH einen automatischen Vorrang, dem Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 entgegenstand83 . ce) "Ergebnisgleichheit" oder "Chancengleichheit" In der Rechtssache Marschall trug der Generalanwalt Jacobs - entgegen dem Ergebnis des Gerichtshofes - vor, daß die nordrhein-westf:Hische Regelung genauso auf die Ergebnisgleichheit abstelle wie die bremische. Nach seiner Meinung betreffe Art. 2 Abs. 4 der RL 761207 die Förderung der Chancengleichheit und nicht die Durchsetzung der zahlenmäßigen Gleichheit. Eine geschlechtsspezifische Maßnahme stehe dann nicht in einem angemessenen Verhältnis zum legitimen Ziel, wenn dasselbe Ergebnis durch eine geschlechtsneutrale Bestimmung erreicht werden kann 84 • Der EuGH 82 Dazu, daß das Badeck-Urteil den Begriff der gleichen Qualifikation in bezug auf die Einladung zum Vorstellungsgespräch in Abweichung vom üblichen Gebrauch im Sinne der Mindestqualifikation verwendet, vgl. Sachs, JuS 2000, S. 813. 83 EuGHE 2000, 1-5539 (Rn. 51 ff.) - Rs. C-407/98 "Abrahamsson". In der betreffenden Regelung war die Einschränkung vorgesehen, daß der Unterschied zwischen den Qualifikationen der Bewerber verschiedenen Geschlechts nicht so groß sein darf, daß sich daraus ein Verstoß gegen das Erfordernis der Sachgerechtigkeit ergeben würde. Der EuGH wies jedoch darauf hin, daß die Tragweite dieser Einschränkung nicht genau bestimmbar sei, und lehnte sie als Rechtfertigung ab. Ebd., Rn. 52. 84 EuGHE 1997, 1-6363 (S. 6377 f.). In diesem Zusammenhang nannte er als Beispiel einer durch Art. 2 Abs. 4 der RL 761207 gerechtfertigten Maßnahme die Heraufsetzung der Altersgrenze im Einstellungsverfahren bei Bewerbern, die sich gewisse Zeit der Betreuung eigener Kinder widmen; diese Vergünstigung betreffe

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

lehnte diese Argumentation ab. Er sah in der nordrhein-westfälischen Quotenregelung - in Gegensatz zur bremischen - keine Maßnahme für die Ergebnisgleichheit. Der Schlüssel zum Verständnis des Marschall-Urteils liegt in der Ermittlung des Ziels, das der Staat durch Erlaß einer Quotenregelung verfolgt. Der EuGH hat stillschweigend das gruppenbezogene Verständnis der Chancengleichheit und damit der Quotenregelung abgelehnt. Quoten stellen für den EuGH weder Maßnahmen zur Kompensation der - von wem auch immer - erlittenen Nachteile noch zur Erreichung paritätischer Machtverhältnisse dar 85 . Für ihn dient die Quoten einzig dem Ziel, die für die einzelnen weiblichen Bewerber bestehenden Nachteile auszugleichen. Der EuGH stellte nämlich eine Tendenz fest, daß auch bei gleicher Qualifikation männliche Bewerber vorrangig berücksichtigt werden. Dieser Tendenz liegen verschiedene Vorurteile und vor allem Befürchtungen zugrunde, daß Frauen häufiger die Erwerbstätigkeit unterbrechen oder daß sie ihre Arbeitszeit weniger flexibel gestalten würden. In dieser Lage schaffe eine leistungsbezogene Quotenregelung ein Gegengewicht zu den nachteiligen Auswirkungen, die sich für die weiblichen Bewerber aus den Einstellungen und Verhaltensmustern ergäben 86 . Sieht man das Ziel der Quotenregelungen im Ausgleich der für die einzelnen Bewerberinnen bestehenden tatsächlichen Nachteile, kann man alle rechtspolitischen Überlegungen beiseite schieben, die mit der Einführung eines gruppenbezogenen Regelungsziels verbunden sind. Es kommt allein darauf an, ob die Quotenregelungen eine effektive Maßnahme zur Erreichung des Ziels darstellen, die strukturellen Nachteile für einzelne weibliche Bewerberinnen auszugleichen.

mehr Frauen als Männer, so daß sie eine mittelbare Diskriminierung herbeiführe, die jedoch aufgrund der Ausnahmeregelung gerechtfertigt werden könne. Ebd., S.6378. 85 Zur verfassungsrechtlichen Legitimation dieser und ähnlicher Argumentationen siehe unten § 4, 11, 1, d), bb). 86 EuGHE 1997,1-6363 (Rn. 29-31). Diese Argumentation findet sich auch dort Anwendung, wo der EuGH die Heranziehung der Kriterien rechtfertigt, die tendentielle Frauen begünstigen, wie die positive Berücksichtigung der Erfahrungen, die durch Familienarbeit erworben sind, oder der Ausschluß des Dienst- und Lebensalters sowie des Familienstandes als Erwägungsgesichtspunkt. Nach der Meinung des EuGH soll die Verwendung dieser Kriterien materielle Gleichheit herbeiführen, indem sie in der sozialen Wirklichkeit auftretende faktische Ungleichheiten verringert. EuGHE 2000, 1-1875 (Rn. 31 f.) - Rs. C-158/97 "Badeck".

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dd) Verhältnismäßigkeit im Bereich des Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 Dieser Gedankengang des EuGH hat einen beriihmten Vorgänger: das BAG. Im Vorlagebeschluß des Falls KaZanke vom 22.6.1993 vertrat das deutsche Gericht die Ansicht, daß die bremische Quotenregelung nach Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 europarechtlich zulässig sei. Dabei wandte er die Verhältnismäßigkeitspriifung an, nicht nur im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Überpriifung aufgrund des Art. 3 Abs. 3 GG, sondern auch im Zusammenhang mit der richtlinienmäßigen Ausnahmeregelung. Das Ziel, das die Quote verfolgt, sah das BAG in der Beseitigung gegenwärtiger geschlechtsspezifischer Nachteile8? Der einzige Unterschied zum Urteil des EuGH liegt in der unterschiedlichen Bewertung des Sachverhalts, daß es dort keine Öffnungsklausel gab. Das BAG legte nämlich das bremisehe Gesetz verfassungs- und europarechtskonform dahingehend aus, daß in bestimmten Härtefällen von der grundsätzlichen Bevorzugung der Frau eine Ausnahme zu machen sei 88.89. Zwar wandte der EuGH im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 bisher nie ausdriicklich die Verhältnismäßigkeitspriifung an. Jedoch spricht manches für die Annahme - mit dem BAG -, daß eine solche Prüfung auch in diesem Bereich angebracht und geboten ist. Erstens hielt der EuGH in Marschall daran fest, daß Art. 2 Abs. 4 der RL 761207 eine Ausnahme vom individuellen Recht darstellt 9o . Dabei bezog sich der EuGH auf die Passage im lohnston-Urteil, das ausdriicklich die Verhältnismäßigkeitspriifung einführte91 . Außerdem kann man aus dem Wortlaut des KaZanke-Urteils eine Feststellung der fehlenden Verhältnismäßigkeit entnehmen, indem man die "Grenzüberschreitung,,92 in dem Sinne versteht, daß das gewählte Mittel über das Ziel hinausschießt.

87 Das BAG versteht dieses Ziel zwar nicht im streng individualrechtlichen Sinne wie der EuGH. Das zeigt sich z. B. im Hinweis auf den zukunftsorientierten Gewöhnungseffekt im Sinne von Huster (Huster, AöR 118 [1993], S. 119). Darauf kommt es jedoch in diesem Zusammenhang nicht entscheidend an, zumal das BAG die Argumentation mit dem historischen Unrecht ausdrücklich zurückweist. BAGE 73, 269 (284 f.). 88 BAGE 73, 269 (283 ff., 289). 89 Dagegen mußte das BAG bei der Sachentscheidung des Kalanke-Falls einräumen, daß die bremische Quotenregelung eine automatische Bevorzugung vorschreibt. BAGE 82, 211 (223). 90 EuGHE 1995,1-3051 (Rn. 21); 1997,1-6363 (Rn. 32). 91 Das Kalanke-Urteil, EuGHE 1995, 1-3051 (Rn. 21) zitiert Rn. 36 vom Johnston-Urteil (EuGHE 1986, 1651 - Rs. 222/84), der EuGH führte den Verhältnismäßigkeitsgrundstatz in Rn. 38 dieses Urteils ein, und zwar im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 der RL 76/207, auf den sich Rn. 36 auch bezieht. 92 EuGHE 1995, 1-3051 (Rn. 22).

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ee) Bedeutung der Öffnungsklausel im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Wenn somit feststeht, daß auch der Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 und vor allem seine Grenze durch Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung ermittelt wird, bleibt nur noch die Frage, in welcher Art und Weise der EuGH diese Prüfung in Einzelfällen vornahm. Insbesondere fragt es sich, ob er diese Prüfung einheitlich anwandte, oder ob er politisch bedingt mit zwei Maßstäben arbeitete. Denn die Bedeutung der Öffnungsklausel für die Erforderlichkeit der Quotenregelung ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich, zumal diese Klausel in der Regel nur in begrenzten Fällen eingreift und insoweit keine drastische Auswirkung in der Praxis zeigt93 . Die Zweifel an der Einheitlichkeit des Prüfungskriteriums sind jedoch nicht begründet. Der EuGH stützte sich auf die Härteklausel in ihrer Eigenschaft als Garant der objektiven Beurteilung. Nach seiner Einschätzung gewährleistet diese Klausel, daß bei der gleichen Qualifikation "alle die Person der Bewerber betreffenden Kriterien berücksichtigt" werden94 . Diese Einschätzung führte zum Ergebnis, daß in bezug auf Quotenregelungen mit Öffnungsklauseln nicht vom Automatismus gesprochen werden kann, der bei der Rechtswidrigkeit der bremischen Regelung ausschlaggebend war. Diese Funktion der Öffnungsklausel bringt Benda - im Rahmen des bundesdeutschen Verfassungsrechts - mit dem Gebot der Einzelfallgerechtigkeit in Zusammenhang. Die absolute Bevorzugung der Frauen unter Ausschluß der zur Herstellung der Einzelfallgerechtigkeit dienenden Erwägungen bedeutet nach seiner Ansicht, daß das individuelle Grundrecht aus Art. 3 Abs. 2 GG gegenüber dem Förderunggesichtspunkt verdrängt wird 95 . Diese Argumentation betrifft den Stellenwert des Förderungsauftrags zugunsten der Frauen, der den Eingriff in den Schutzbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes rechtfertigt. In diesem Zusammenhang betont Benda, daß durch Maßnahmen der Frauenförderung nicht ein Geschlecht als solches bevorzugt, sondern ein soziales Unrecht behoben werden so1l96. Zwar bezieht er diese Erwägung nicht auf das Ziel des Ausgleichs individueller Nachteile, sondern auf den Verfassungsauftrag zur Herstellung der 93 Schmidt bemerkt, daß die Härteklausel "nur in extremen Ausnahmefällen" eingreift und daher wenig an der Struktur der automatischen Bevorzugung der Frauen ändert. Schmidt, NJW 1996, S. 1726. 94 EuGHE 1997, 1-6363 (Rn. 33); EuGHE 2000, 1-1875 (Rn. 34 ff.) - Rs. C-158/ 97 "Badeck". 95 Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen zugunsten von Frauen im öffentlichen Dienst, 1986, S. 191. 96 Benda, 1986, S. 189.

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tatsächlichen Chancengleichheit schlechthin, aber dieser Gesichtspunkt kann dem Verständnis des Marschall-Urteils dienlich gemacht werden. Da individuelle Benachteiligungslagen von Fall zu Fall verschieden sind, kann die Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Nachteile keinen Absolutheitsanspruch erheben. Sie stellt lediglich einen Abwägungsgesichtspunkt unter vielen dar, die genauso die Einschränkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes rechtfertigen können. Diese Betrachtungsweise erlaubt die Schlußfolgerung, daß die Quotenregelung ohne Öffnungsklausel mehr als erforderlich in das individuelle Recht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz eingreift, während dies bei der Quotenregelungen mit Öffnungsklausel nicht der Fall ist97 . Die Argumentation von Benda zeigt jedoch auch, wie gefährlich die Berufung auf die Einzelfallgerechtigkeit sein kann. Er berücksichtigt nämlich in diesem Rahmen das Argument des "Doppelverdienertums". Er sieht darin ein Gebot der Einzelfallgerechtigkeit, daß die weiblichen Bewerber, deren Ehemänner erwerbstätig sind und die daher nicht auf das zusätzliche Familieneinkommen angewiesen sind, verdrängt werden gegenüber männlichen Arbeitssuchenden, die ihre Familien ernähren müssen98 . Ob der Ehepartner arbeitet, muß jedoch irrelevant sein, soweit der Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau der Maßstab ist. Die Berücksichtigung des "Doppelverdienertums" als erhebliches Argument bedeutet, daß man versucht, das Rad der Geschichte bis zu der Zeit zurückzudrehen, in der die "Zölibatklausel" die Entlassung der verheirateten Beamtinnen mit der Begründung rechtfertigte, weil sie "versorgt" waren 99 . Wenn mehrere Bewerber gleich qualifiziert sind, ist ein Rückgriff auf die Hilfskriterien unvermeidlich. Diese Hilfskriterien sind jedoch oft Einfallstore für verschiedene Vorurteile und Diskriminierungen, die das Leistungsprinzip beispielsweise in Form des Art. 33 Abs. 3 GG ausschließen möchte. Die leistungsbezogenen Quotenregelungen stellen in diesem Zusammenhang ein gesetzlich vorgeschriebenes Hilfskriterium dar. Wenn auf der einen Seite die Alleinherrschaft dieses geschlechtsbezogenen Kriteriums nicht gerechtfertigt ist, die Ausnahmeregelung der Quoten jedoch auf der anderen Seite nicht so beschaffen sein soll, daß sie die Diskriminierung im größeren Umfang rechtfertigt, dann ist eine sorgfältige Regelung der Patt-Situation notwendig. In diesem Sinne verlangte der EuGH in Marschall und späteren Urteilen, daß die Öffnungsklausel einerseits die Berücksichtigung aller die 97 Zur Bedeutung der Öffnungsklausel bei der Herstellung der praktischen Konkordanz zwischen dem Differenzierungsverbot und dem Förderungsauftrag Battis, DVBl. 1991, S. 1173. 98 Nicht in dieser Deutlichkeit, aber sinngemäß Benda, 1986, S. 191 f. 99 Zur "Zölibatklausel" Beitzke, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. H, 1954, S. 219 f. m.w.N. 9 Nishihara

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Person der Bewerber betreffenden Kriterien ermöglichen soll, solche Kriterien andererseits gegenüber den weiblichen Bewerbern aber keine diskriminierende Wirkung haben dürfen 100. Der EuGH versucht hier also eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung der Öffnungsklausel. Die weitere Konkretisierung der notwendigen Regelung obliegt dem einzelnen Mitgliedstaat. Die weitere Problematik, die mit den Quotenregelungen zusammenhängt, wird im deutschen, verfassungsrechtlichen Diskussionsrahmen abschließend behandelt 101 • In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß der EuGH konsequenterweise die Verhältnismäßigkeitsprüfung auch auf die Quotenregelungen anwendet. 4. Ergebnis: Inhalt und Grenzen des Gleichbehandlungsgrundsatzes Die Rechtsprechung des EuGH zeigt eine klare dogmatische Struktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Dieser Grundsatz beinhaltet ein individuelles Grundrecht. Die Einschränkung dieses Grundrechts kann nur unter Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung gerechtfertigt werden. Die einzelnen Bestandteile dieser Struktur können wie folgt zusammengefaßt werden: (1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung bezieht sich auf Gleichbehandlung. Jede je nach Geschlecht unterschiedliche Behandlung tangiert diesen Grundsatz. In seinem Kernbereich wird dieser Grundsatz durch das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung konkretisiert, das vor allem in Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV, Art. 2 Abs. 1 RL 761207, Art. 4 Abs. 1 RL 79/7 seinen positivrechtlichen Ausdruck findet. Durch diese Bestimmungen wird die Anknüpfung an das Merkmal "Geschlecht" schlechthin verboten 102. Dieses Verbot richtet sich in erster Linie an die nationalen Regelungen, es findet jedoch darüber hinaus Anwendung auf privatrechtliche Verträge und andere Regelungen im privaten Bereich, soweit die Bestimmung des EGV unmittelbare Horizontalwirkung hat. (2) Somit gibt es ein europarechtliches Grundrecht auf Gleichbehandlung, d.h. auf eine geschlechtsneutrale Behandlung. Jede unmittelbare Diskriminierung stellt einen Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts EuGHE 1997,1-6363 (Rn. 35). Unten § 3, 11. 102 Bieback drückt diesen Normgehalt so aus, daß "jede Bildung von Vergleichspaaren, bei denen Unterschiede des Geschlechts eine Rolle spielen, untersagt [ist Veifl". Bieback, in: NKESR, Art. 119 alt EGV, Rn. 35. Ob man dabei von einem "absoluten" Diskriminierungsverbot sprechen kann, ist allerdings angesichts der Ausnahmeregelungen fraglich. 100

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dar. Dieses Grundrecht ist insoweit ein Abwehrrecht, als es gegen jede Form von Diskriminierung gerichtet ist. Es ist in erster Linie Abwehrrecht gegen den Staat, es ist jedoch gleichzeitig Abwehrrecht gegen den Arbeitgeber und die Tarifparteien. Somit ist es ein Abwehrrecht gegen eine überlegene Macht. Im Anwendungsbereich der Richtlinie kann dieses Abwehrrecht nur aufgrund der Umsetzungsgesetze seine Wirkung entfalten. (3) Da es sich um ein individuelles Recht handelt, das einen Grund- und Menschenrechtsbezug aufweist, gibt es keine bestimmte "Schutzrichtung" . Die je nach Geschlecht differenzierende Regelung ist immer als unmittelbare Diskriminierung anzusehen, unabhängig davon, ob sie sich den Frauen oder den Männer gegenüber nachteilig auswirkt. Die Unterscheidung nach dem geschlechtlichen Kriterium als solches stellt eine Rechtsverletzung dar, und zwar unabhängig davon, ob diese Unterscheidung von der diskriminierenden Absicht maßgeblich geprägt ist oder nicht. Die Gleichbehandlung ist in diesem Zusammenhang ein Wert an sich. (4) Das Anknüpfungsverbot gilt nicht absolut. In das Grundrecht auf eine geschlechts neutrale Behandlung kann in einem eng begrenzten Gebiet eingegriffen werden, ohne das Recht zu beeinträchtigen. Bezugnahmen auf die Geschlechtsunterschiede sind jedoch nur dort erlaubt, wo eine Ausnahmeregelung dies ausdrücklich zuläßt. Die Ausnahmeregelungen sind dabei eng auszulegen, weil sie Ausnahmen von einem fundamentalen Grundsatz und - in diesem Zusammenhang wichtiger - von einem individuellen Recht darstellen. (5) Die Eingriffe in das Grundrecht auf Gleichbehandlung müssen, um nicht als rechtswidrig verworfen zu werden, unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt werden. Dabei müssen die geschlechts spezifischen Maßnahmen, die als Mittel zur Verfolgung vorrangiger Interesse gewählt werden, geeignet und erforderlich sein, um dieses Ziel zu erreichen. Der EuGH wendet die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht in einer starren und dogmatisch versteiften Weise an. Er versucht vor allem durch eine mehrschichtige Prüfung, nur die Faktoren in Erwägung zu ziehen, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Dabei werden alle verallgemeinerten Aussagen über die Mitglieder einer Geschlechtsgruppe als diskriminierend gebrandmarkt und ausgeschlossen.

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11. Mittelbare Diskriminierung Die Definition des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der Richtlinie bezieht sich immer auf das Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ohne den Begriff der mittelbaren Diskriminierung näher zu erläutern. Es war wiederum die Rechtsprechung des EuGH, die zur Herstellung der Klarheit in diesem Bereich maßgeblich beigetragen hat. Die große Rolle, die das Europarecht im Abbau der Geschlechtsdiskriminierung in den Mitgliedstaaten bisher gespielt hat, ist zum wesentlichen Teil der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung zu verdanken. Dies gilt vor allem für Deutschland, weil diese Rechtsfigur für die hier herrschende Theorie des absoluten Anknüpfungsverbots wesensfremd war lO3 • Wie sich zeigen wird, wurde die Anerkennung dieser Rechtsfigur im Rahmen des Europarechts durch den subjektiv-rechtlichen Charakter des europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes erleichtert. 1. Begriff und Merkmal der mittelbaren Diskriminierung

a) Allgemeine Definition Eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts liegt vor, wenn die differenzierende Regelung an einem äußerlich geschlechtsneutralen Merkmal anknüpft, aber prozentual erheblich mehr Frauen als Männer (oder theoretisch auch umgekehrt 104 ) betroffen sind. Eine solche mittelbare Diskriminierung stellt eine unzulässige Verletzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes dar, wenn die Regelung nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt wird, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben 105. Der EuGH gelangte erst nach anfänglichen Unsicherheiten zu dieser Erkenntnis. In Defrenne-II umschrieb er den Bereich, in dem Art. 141 Abs. 1 Typisch Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, 1987, S. 479 ff. So ausdrücklich EuGHE 2000, 1-2447 (Rn. 30) - Rs. C-226/98 .. Jr;rgensen". 105 Das Verständnis der mittelbaren Diskriminierung von Kyriazis ist dagegen nicht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang zu bringen. Er ist der Ansicht, daß diskriminierende Regelungen, "die keine allgemeine SchlechtersteIlung für das gesamte Geschlecht bedeuten, sondern kleinere Subgruppen zum Ziel haben", immer als mittelbare Diskriminierung zu bezeichnen seien. Somit falle beispielsweise die Fallkonstellation von Drake (EuGHE 1986, 1995), FNV (EuGHE 1986, 3855) und McDennott (EuGHE 1987, 1453) unter die mittelbare Diskriminierung. Kyriazis, 1990, 102 ff. Es steht jedoch fest, daß in einer Regelung, die eine verheiratete Frau anders behandelt als einen verheirateten Mann, eine unmittelbare Anknüpfung erblickt werden muß. 103

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H. Mittelbare Diskriminierung

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und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV unmittelbar wirkt, d.h. die Diskriminierung, die sich anhand der Merkmale gleiche Arbeit und gleiches Entgelt feststellen läßt. Er beschrieb ihn mit dem Begriff der unmittelbaren, offenen Diskriminierung im Gegensatz zur mittelbaren, verdeckten Diskriminierung, die sich nur nach Maßgabe eingehender gemeinschaftsrechtlicher oder innerstaatlicher Durchführungsvorschriften identifizieren läßt I06 . Es stellte sich jedoch bald heraus, daß in dieser Bezeichnung "ein terminologisches Problem" steckt 107. Die Frage, ob für die Ermittlung einer Diskriminierung ein zusätzliches Kriterium notwendig ist, hat wenig mit dem Begriff der mittelbaren, verdeckten Diskriminierung zu tun, den der EuGH in der Rechtsprchung bezüglich anderer Diskriminierungsverbote entwickelte. In Sotgiu beispielsweise - und später ähnlich in Kom.IIrland und Toia stellte der EuGH fest, daß Art. 12 EGV = ex-Art. 6 EGV und ähnliche sekundärrechtliche Normen nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit verbieten, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen würden I08 . Bei der mittelbaren Diskriminierung in anderen Bereichen handelte es sich somit um Versuche, mit der Benutzung eines äußerlich neutralen Unterscheidungskriteriums das Diskriminierungsverbot zu umgehen. Der EuGH übernahm im Jenkins-Urteil vom 31.3.1981 diese allgemeine Definition auch für den Bereich der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. In diesem Fall bekamen die Teilzeitbeschäftigten, alle weiblichen Arbeitnehmer bis auf einen männlichen, 10% weniger Stundenlohn als die Vollzeitbeschäftigten, davon 41 % männlich. Der EuGH urteilte in dieser Lage, daß die unterschiedliche Entlohnung der Teilzeitarbeit eine mittelbare Diskriminierung darstellen könne. Wenn ein erheblich geringerer Prozentsatz der weiblichen Arbeitnehmer als der der männlichen Arbeitnehmer die Voraussetzung für den Anspruch auf Stundenlohn zum vollen Satz erfülle, stehe das ungleiche Entgelt im Widerspruch zu Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV, soweit - unter Berücksichtigung der Umstände, die den Frauen die Leistung der erforderlichen Stundenzahl erschweren - die Lohnpolitik nicht durch Umstände zu erklären ist, die eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ausschließen I09 . EuGHE 1976,455 (Rn. 16120) - Rs. 43/75 .. Defrenne-Il". Generalanwalt Warn er in Rs. 96/80 .. Jenkins", EuGHE 1981,911 (S. 937). Vgl. Langenfeld, 1990, S. 86; Kyriazis, 1990, S. 117 f. 108 EuGHE 1974, 153 (Rn. 11) - Rs. 152/73 .. Sotgiu". Ähnlich EuGHE 1978, 417 (Rn. 78/80) - Rs. 61/77 .. Kom.llrland"; 1979, 2645 (Rn. 12) - Rs. 237/78 " Toia", 109 EuGHE 1981,911 (Rn. 13) - Rs. 96/80 .. Jenkins". 106 107

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Ganz in diesem Sinne definiert Art. 2 Abs. 2 der RL 97/80 als erste sekundärrechtliche Vorschrift den Begriff der mittelbaren Diskriminierung. Danach liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, "wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind angemessen und notwendig und sind durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt". b) Diskriminierende Absicht als Voraussetzung der mittelbaren Diskriminierung?

In Jenkins war die diskriminierende Absicht des Arbeitgebers relativ leicht zu erkennen. Daher standen der Aufnahme der mittelbaren Diskriminierung in den Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = exArt. 119 EGV keine großen Schwierigkeiten im Wege. Wenn sich das Diskriminierungsverbot nur auf Fälle unmittelbarer, am verbotenen Kriterium anknüpfender Diskriminierungen bezieht, kann diese Norm den Opfern einer Diskriminierung keinen wirksamen Schutz bieten. Es ist stets leicht, ein Alternativkriterium zu finden, das äußerlich zwar neutral aussieht, in Wirklichkeit aber tendentiell eine Unterscheidung je nach dem verbotenen Kriterium bewirkt. Wenn der Arbeitgeber eines dieser Alternativkriterien verwenden und die meisten weiblichen Arbeitnehmer in ihrem Entgelt diskriminieren könnte, wäre vom Grundsatz des gleichen Entgelts zwischen Mann und Frau keine große Wirksamkeit zu erwarten. Hinsichtlich des Diskriminierungsverbots ist deshalb ein Mechanismus notwendig - zumindest wünschenswert -, der die Umgehung des Verbots wirksam kontrolliert 11o. Der Gedanke der mittelbaren Diskriminierung steht also ursprünglich in Verbindung mit dem Verbot der absichtlichen Diskriminierung. Dagegen kam es im Bereich der unmittelbaren Diskriminierung nach der Rechtsprechung des EuGH nicht auf die diskriminierende Absicht an. Daher stellt sich die Frage, ob der böse Wille zur Diskriminierung zu den Voraussetzungen der mittelbaren Diskriminierung gehört. Das Jenkins-Urteil beantwortete diese Frage nicht, vielmehr brachte es Irritationen mit sich. In dieser Entscheidung verlangte der EuGH nämlich von den nationalen Gerichten, zu beurteilen, ob bei einem unterschiedlichen Stundenlohn für Teilzeitarbeit und Vollzeitarbeit "in Anbetracht der tatsächlichen Unterschiede, der Vorgeschichte und der Beweggründe des Arbeitgebers" eine Lohnpolitik in Wirklichkeit eine Diskriminierung der Arbeitnehmer aufgrund des Geschlechts darstellt!!!. I IO Jansen versteht das Verbot der mittelbaren Diskriminierung als Instrument zur Bekämpfung der Gesetzesumgehung. Jansen, FS von Simson, S. 244, 247.

11. Mittelbare Diskriminierung

135

Erst im Bilka-Kaujhaus-Urteil vom 13.5.1986 stellte der EuGH klar, daß die diskriminierende Absicht bei der Ermittlung einer mittelbaren Diskriminierung unerheblich sei. Diese Entscheidung, die den Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten vom betrieblichen System der Altersversorge betraf, goß in eine einfache Formel, unter welchen Umständen eine mittelbare Diskriminierung in Frage kommt: erstens positiv, daß eine Maßnahme wesentlich mehr Frauen als Männer trifft, und zweitens negativ, daß diese Maßnahme nicht auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben 112. Somit wird in diesem Bereich eine zwei stufige Prüfung vorgenommen. Beim ersten Schritt der Ermittlung der mittelbaren Diskriminierung zählt nur die objektive Auswirkung der betreffenden, äußerlich geschlechtsneutralen Regelung. Die subjektive Absicht des Normurhebers spricht bei diesem Gesichtspunkt keine Rolle. Wenn anhand eines prozentualen Vergleichs das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung festgestellt wird, kehrt sich im zweiten Schritt die Beweislast um. Nun muß der Normurheber die Anknüpfung am gewählten Kriterium anhand objektiver Faktoren rechtfertigen, die in keinem Zusammenhang mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts stehen. In diesem Urteil führte der EuGH hinsichtlich des zweiten Prüfungs schritts aus, daß hier eine Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt wird. Die einmal festgestellte mittelbare Diskriminierung ist gerechtfertigt, sofern die gewählten Mittel "einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind"l\3. Soweit also der subjektive Wille des Normurhebers einen erheblichen Aspekt darstellen kann, geschieht dies - wie Kyriazis mit Recht hervorhebt - nicht im ersten Schritt, sondern erst im Rahmen der Rechtfertigungsfrage 114. In der zweiten Prüfungsstufe kann das Verhalten des Arbeitsgebers als Hilfsbeweismittel zugunsten der diskriminierten Arbeitnehmer herangezogen werden, soweit es in bezug auf den wahren Grund der unterschiedlichen Behandlung aussagekräftig ist.

EuGHE 1981, 911 (Rn. 14). EuGHE 1986, 1607 (Rn. 31) - Rs. 170/84 "Bilka-Kaujhaus". Damit lehnte der EuGH den Vorschlag des Generalanwalt Darmon ab, die mittelbare Diskriminierung auf die Fälle zu beschränken, in denen die Regelung "von der Absicht getragen ist, die Ansprüche der arbeitenden Frauen ... zu beschränken". EuGHE 1986, 1607 (S. 1618). 113 EuGHE 1986, 1607 (Rn. 37). 114 Kyriazis, 1990, S. 97 meint, daß die Bereitschaft des Arbeitgebers, alle daran interessierten Teilzeitarbeitnehmer tatsächlich auf Vollzeitarbeitsplätzen zu beschäftigen, für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit der vorgebrachten Gründen erheblich sein könne, wenn - wie tatsächlich in Jenkins - der Arbeitgeber die unterschiedliche Behandlung als Anreiz zur Vollzeitbeschäftigung zu rechtfertigen sucht. 111

112

136

§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Die Entscheidung des EuGH, die Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung nicht von den subjektiven Momenten, die beim Normurheber vorliegen, abhängig zu machen, führte allerdings zu weiteren Abgrenzungsschwierigkeiten. 2. Schutz der Teilzeitbeschäftigten durch das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Es war ein großes Verdienst des EuGH, daß er anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes den Frauen einen wirksamen Schutz vor der Diskriminierung aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung anbot. Als Ersatz zur - nunmehr europaweit verbotenen - offenen Anknüpfung an das Geschlecht stützten sich Arbeitgeber bei der Lohndiskriminierung oft auf die Eigenschaft der Teilzeitbeschäftigung und führten ähnliche Ergebnisse herbei. Ohne die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung wäre diese Vorgangs weise schwer zu bekämpfen gewesen. Nach Jenkins und Bilka-Kaujhaus stand - bei allen Schwierigkeiten in bezug auf die Bestimmung des genauen Umfangs - fest, daß die Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten eine mittelbare Diskriminierung darstellt, die höchstens durch das Vorbringen objektiver Faktoren gerechtfertigt werden kann. Dies führte zur Beseitigung der vielfältigen Formen der Entgeltdiskriminierung von Teilzeitbeschäftigten und anderer Benachteiligungen. Jedoch führte die schematisierende Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Unterschiede bei Teil- und Vollbeschäftigung häufig zu theoretischen Problemen. a) Diskriminierung der TeilzeitbeschäJtigten im Entgeltbereich

Als drei Jahre nach dem Bilka-Kaujhaus-Urteil der Ausschluß von Teilzeitarbeitnehmem von der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in Frage stand, stellte der EuGH eine mittelbare Diskriminierung fest und betraute das vorlegende Gericht mit der Prüfung der zur Rechtfertigung vorgebrachten Argumente 1 15. Ähnlich verwarf er in Kowalska den Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten vom Übergangsgeld beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis als eine gegen Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV verstoßende mittelbare Diskriminierung l16 . Soweit es um den Anschluß an

115 EuGHE 1989, 2743 (Rn. 12) - Rs. 171/88 "Rinner-Kühn". Hierbei ging es um die Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten, bei denen die regelmäßige Arbeitszeit nicht 10 Stunden wöchentlich oder 45 Stunden monatlich überstieg. 116 EuGHE 1990,1-2591 (Rn. 12) - Rs. C-33/89 "Kowalska".

11. Mittelbare Diskriminierung

137

das betriebliche Rentensystem ging, konnte der EuGH das Bilka-KaufhausUrteil fortsetzen und eine Vertragswidrigkeit feststellen 117. Im Bereich der Entgeltgleichheit im Sinne des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV gilt dieser Grundsatz uneingeschränkt für eine besondere Form der Teilzeitbeschäftigung, für die in bezug auf die Sozialversicherung eine Ausnahme anerkannt ist l18 , nämlich die geringfügige Beschäftigung. In Krüger urteilte der EuGH, daß geringfügig Beschäftigte nicht aus der tarifvertraglichen Jahressonderzuwendung ausgeschlossen werden dürfen l19 . Legt man den überproportionalen Anteil der Frauen bei den geringfügig Beschäftigten zugrunde, stellt dieses Urteil lediglich eine zwangsläufige Folge aus der Rechtsprechung im Bereich der Teilzeitbeschäftigung dar 120. Dagegen wies der EuGH eine Rüge der mittelbaren Diskriminierung in Helmig zurück. Hier ging es um die Bestimmungen eines Tarifvertrags, die

einen Überstundenzuschlag nur für die Überstunden vorsah, die über die Regelarbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten hinaus erbracht wurden. Ein Teilzeitbeschäftigter, der über seine individuelle Arbeitszeit hinaus Überstunden leistete, kam nicht in den Genuß dieses Überstundenzuschlags, soweit er unter der Regelarbeitszeit blieb. In dieser Lage verneinte der EuGH, daß Teil- und Vollzeitbeschäftigte überhaupt ungleich behandelt würden. Ein Teilzeitbeschäftigter erhalte für die gleiche Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden gen au die gleiche Gesamtvergütung wie ein Vollzeitbeschäftigter l21 . Dieser Fall zeigt die Schwierigkeit, die mit der Definition des Begriffs "Gleichbehandlung" verbunden ist. Aus der Sicht der Teilzeitbeschäftigten 117 EuGHE 1994,1-4541 (Rn. 17) - Rs. C-57/93 "Vroege"; 1994,1-4583 (Rn. 14) - Rs. C-128/93 "Fisscher"; 1996, 1-5223 - Rs. C-435/93 "Dietz"; 1997, 1-7153 (Rn. 35) - Rs. C-246/96 "Magorrian"; 2000, 1-743 (Rn. 40 f.) - Rs. C-50/96 "Schräder"; 2000, 1-799 (Rn. 42) - Rs. C-234/96 "Vick"; 2000, 1-929 (Rn. 41) Rs. C-270/97 "Sievers". Nach dem Magorrian-Urteil wirkt das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bis zum Erlaß des DeJrenne-II-Urteils (EuGHE 1976, 455) zurück. 118 EuGHE 1995, 1-4625 (Rn. 34 ff.) - Rs. C-317/93 "Nolte"; 1995, 1-4741 (Rn. 30 ff.) - Rs. C-444/93 "Megner". Vgl. unten § 2, H, 2, d). 119 EuGHE 1999,1-5127 (Rn. 25 ff.) - Rs. C-281/97 "Krüger". 120 A.A. Lelly, NZA 2000, S. 407. Die Position von Lelly, die den Tarifparteien das Recht einräumen will, sich über das Diskriminierungsverbot hinwegzusetzen, ist nicht beizupflichten, weil sie den zwingenden Charakter des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV vernachlässigt. Darüber hinaus ist der Rückgriff auf die Gestaltungsfreiheit der Tarifpartner problematisch, weil nicht sichergestellt werden kann, daß die Teilzeitbeschäftigten genügend repräsentiert sind, um ihre Interessen effektiv durchzusetzen. 121 EuGHE 1994,1-5727 (Rn. 27 ff.) - Rs. C-399/92 "Helmig".

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

kann man darin eine Ungleichbehandlung erblicken, daß sie nur einen Stundenlohn und nicht einen besonderen Zuschlag bekommen, obwohl sie das gleiche Opfer bringen, das allgemein mit den über die individuelle Arbeitszeit hinausgehenden Überstunden verbunden ist. Wenn der Arbeitgeber meint, daß nur Überstunden über die Regelarbeitszeit hinaus der zusätzlichen Entlohnung wert sind, weil sie eine besondere körperliche und geistige Belastung darstellen, dann kann ein Teilzeitbeschäftigter vorbringen, daß seine Überstunden ihn ebenfalls belasten, weil er zusätzlich die familiäre Belastung tragen muß. Die Ermittlung der Gleich- oder Ungleichbehandlung hängt immer vom jeweiligen Standpunkt ab 122 • Dennoch ist dem Helmig-Urteil zuzustimmen. Diese Beurteilung ergibt sich nicht aus dem Vergleich der tatsächlichen Lage der beiden Vergleichsgruppen, sondern erst aufgrund einer normativen Entscheidung. Die zugrunde liegenden Tarifbestimmungen stellen nämlich ein System dar, in dem die außerbetrieblichen zusätzlichen Belastungen stets außer acht gelassen werden. In Anbetracht dieser Systemgerechtigkeit ist es m. E. schwierig, die Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten, die nur aus ihrer Perspektive festzustellen ist, als mittelbare Diskriminierung anzusehen. b) Vergütung für die Betriebsratstätigkeit der TeilzeitbeschäJtigten

Ein im Prinzip ähnliches Problem stellte die Vergütung für die Betriebsratstätigkeit dar. In einem System, in dem ein Betriebsratsmitglied - wie im deutschen Recht - ehrenamtlich seine Aufgabe wahrnimmt und nur vor einer Einkomrnenseinbuße geschützt wird, entsteht eine Problemlage. Wenn eine Schulungsveranstaltung für die Betriebsratsmitglieder innerhalb der Regelarbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten, aber außerhalb der individuellen Arbeitszeit eines Teilzeitbeschäftigten stattfindet, bekommen die Vollzeitbeschäftigten die Vergütung in Form bezahlter Arbeitsfreistellung, die Teilzeitbeschäftigten hingegen keine Überstunde bezahlt. Darin liegt eine vom ihrem Standpunkt aus gesehen - eindeutige Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten. In dieser Lage urteilte der EuGH zuerst im Bötel-Urteil vom 4.6.1992, daß diese Benachteiligung eine mittelbare Geschlechtsdiskriminierung darstelle, die ohne einen Rechtfertigungsgrund gegen Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV verstoße 123. Mit diesem Urteil war das BAG jedoch nicht einverstanden. Es legte dem EuGH den ähnlichen Fall Lewark 122 Bieback kritisiert das Helmig-Urtail, daß es sich an männlichen Mustern orientiert und dadurch eine "männlichen Nonnalität" zugrunde legt. Bieback, Die mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, 1997, S. 107. 123 EuGHE 1992,1-3589 (Rn. 20) - Rs. C-360/90 "Bätei".

11. Mittelbare Diskriminierung

139

vor und machte geltend, daß keine unterschiedliche Behandlung vollzeitund teilzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder vorliege, weil die Betriebsratstätigkeit die Ausübung eines unentgeltlichen Ehrenamts sei, so daß in dem Schutz vor einer Einkommenseinbuße aufgrund dieser Tätigkeit kein Arbeitsentgelt erblickt werden dürfe 124. Daraufhin wiederholte der EuGH im Urteil vom 6.2.1996 - und zwei Monate später in Freers - seine alte Position, hielt am Entgeltcharakter des Ausgleichs für die Einkommenseinbuße fest und erblickte in der unterschiedlichen Vergütung eine mittelbare Diskriminierung 125. Er milderte jedoch insoweit seinen Ton, als er die Möglichkeit der objektiven Rechtfertigung in einem größeren Umfang anerkannte als in Bötel. Er räumte nämlich ein, daß die Aufrechterhaltung der Neutralität des Betriebsrats ein legitimes Ziel der Sozialpolitik sein kann, und verlangte nur noch die Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit der unterschiedlichen Behandlung l26 . Das BAG verstand dieses Signal richtig, änderte seine Position insoweit, als es den Entgeltcharakter der in Frage stehenden Vergütung anerkannte und damit eine mittelbare Diskriminierung als gegeben ansah. Im Ergebnis konnte es die Rechtsmäßigkeit des deutschen Systems feststellen, nachdem es die Verhältnismäßigkeitsprüfung anwandte und das gewählte Mittel als geeignet und erforderlich für die Aufrechterhaltung des neutralen Betriebsrats erklärte 127 . Das BAG änderte also bei diesem Vorgang seine Argumentation grundlegend. Im Vorlagebeschluß verneinte es das Vorhandensein einer unterschiedlichen Behandlung und damit einer mittelbaren Diskriminierung; in der Sachentscheidung rechtfertigte es die festgestellte mittelbare Diskriminierung. Dieser Wandel entspricht einem Wechsel der Perspektive. Wie hier, ist in manchen Fällen zuerst die Wahl eines Referenzsystems notwendig, bevor das Vorhandensein einer unterschiedlichen Behandlung überhaupt ermittelt werden kann. In Bötel, Lewark und Freer stand - genauso wie in Helmig - auch die Frage im Zentrum, was konkret die unterschiedliche Behandlung ausmacht l28 . BAGE 74, 351 (358 0. EuGHE 1996, 1-243 (Rn. 20 ff., insbesondere Rn. 28) - Rs. C-457/93 "Lewark"; 1996,1-1165 (Rn. 18 ff., insbesondere Rn. 22) - Rs. C-278/93 "Freers". 126 EuGHE 1996,1-243 (Rn. 35 ff.); 1996,1-1165 (Rn. 25 ff.). 127 BAGE 85, 224. 128 Dieser Sachverhalt drückt sich im Streit um die Frage aus, ob eine Vergütung der teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieder eine besondere Begünstigung gegenüber den vollzeitbeschäftigten Mitgliedern darstellt. Positiv Schiejer/Erasmy, DB 1992, S. 1484; Kaiser, NZA 2000, S. 1184. Dagegen erblicken Dieball, ArbuR 1992, S. 382 und Mauer, NZA 1993, S. 57 in derselben Vergütung eine Gleichstellung mit den vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern. Vgl. ferner di Fabio, AöR 122 (1997), S. 435 ff. 124 125

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

In dieser Situation begnügte sich der EuGH mit dem Hinweis auf den Entgeltcharakter, den der Ausgleich für die Einkommenseinbuße nach der feststehenden Definition des Entgeltbegriffs aufweist. Der EuGH meinte, die Qualifizierung des nationalen Rechts habe in diesem Zusammenhang keinen Einfluß auf die Auslegung des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGY = exArt. 119 EGy 129 . Wenn der EuGH hier über das Wahlkriterium des Referenzsystems kein Wort verliert, hat dies vermutlich den Hintergrund, daß "die Qualifizierung des nationalen Rechts" hier kein konsistentes System darstellt. Die Schulungsveranstaltung innerhalb der Regelarbeitszeit ist eigentlich ein systemfremder Faktor, aus dem heraus eine Kompromißlösung in Form eines Ausgleichs für die Einkommenseinbußen notwendig wird. Wenn man konsequenterweise an der Ehrenamtlichkeit der Betriebsratstätigkeiten festhalten will, soll man außerhalb der Arbeitszeit, vielleicht nur sonntags, Yeranstaltungen durchführen, so unrealistisch dies auch klingen mag. Außerdem zeigt eine Nachmittagsveranstaltung einen klar diskriminierenden Charakter, weil sie von der Yollzeitbeschäftigung als Regelfall ausgeht und auf die Teilzeitbeschäftigten keine Rücksicht nimmt. Mit der Hervorhebung des Entgeltcharakters verzichtete der EuGH auf die Beurteilung des im nationalen Recht liegenden Systemkonfliktes. Dennoch war die Argumentation des vorlegenden BAG insoweit berechtigt, als es die Frage aufwarf, ob eine Ungleichbehandlung überhaupt vorlag. Diese Argumentation entsprach in der Tat der logischen Struktur des Gegenstandes: Um eine Ungleichbehandlung festzustellen und nach dem Rechtfertigungsgrund dieser Ungleichbehandlung fragen zu können, muß zuerst die Wahl des Referenzsystems erfolgen. Diese Wahl ist im Bereich der mittelbaren Diskriminierung stets notwendig, weil sich eine Rechtsfolge auf diesem Gebiet aus einem Zusammenwirken verschiedener Tatbestandsmerkmale ergibt und dabei die unterschiedliche Auswirkung auf zwei Gruppen - wie das Helmig-Urteil zeigt - nicht zwangsläufig zur Dominanz des gruppenorientierten Gesichtspunktes führt 130. Darin liegt ein großer Unterschied zur unmittelbaren Diskriminierung, bei der die Anknüpfung an das Geschlecht - mindestens nach der Rechtsprechung des EuGH - immer als solche erkennbar ist und sofort zur Dominanz des Gleichbehandlungsgrundsatzes führt.

129 EuGHE 1992, 1-3589 (Rn. 23) - Rs. C-360/90 "Bötei"; 1996, 1-243 - Rs. C-457/93 "Lewark"; 1996,1-1165 (Rn. 16) - Rs. C-273/93 "Freers".

130

Zu den Konsequenzen dieses Problems siehe unten Schlußfolgerungen, 11, 2.

11. Mittelbare Diskriminierung

141

c) Diskriminierungen der Teilzeitbeschäftigten

im Bereich der Arbeitsbedingungen

Über den Entgeltbereich im engeren Sinne hinaus, hatte die Rechtsprechung des EuGH eine große praktische Bedeutung bei der benachteiligenden Behandlung der Teilzeitbeschäftigten im Aufstiegsverfahren in eine höhere Vergütungsgruppe. Eine Tarifbestimmung, die eine sechsjährige Dienstzeit als Voraussetzung zum Aufstieg verlangt und die Dienstzeit der Arbeitnehmer, deren Arbeitszeit zwischen der Hälfte und Dreiviertel der regelmäßigen Arbeitszeit betrug, zur Hälfte anrechnete, wurde in Nimz als mittelbare Diskriminierung bezeichnet, die ohne objektiven Rechtfertigungsgrund gegen Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV verstößt l3l . Gleiches galt für eine ähnliche Berechnungsweise der Dienstzeit als Voraussetzung für die Aufnahme auf die "Beförderungsliste", die wiederum für die tatsächliche Beförderung erforderlich war. In Gerster urteilte der EuGH, daß die nachteilhafte Berechnung der Dienstzeit von Teilzeitbeschäftigten zwar nicht Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV berühre, aber - soweit es die Voraussetzung der Beförderung betreffe - eine die RL 761207 tangierende mittelbare Diskriminierung darstelle l32 . In ähnlicher Weise erblickte der EuGH in Kording eine mittelbare Diskriminierung in einer Regelung, nach der sich die Gesamtdauer der als Voraussetzung für die Befreiung von der Steuerberaterprüfung geforderten Sachbearbeitertätigkeit bei Teilzeitbeschäftigung verlängerte l33 . Daß in diesen Fällen mittelbare Diskriminierungen angenommen wurden, hieß jedoch nicht, daß die unterschiedliche Behandlung der Teilzeitbeschäftigten vertrags- bzw. richtlinienwidrig war. Die Prüfung, ob die Ungleichbehandlung aufgrund objektiver Faktoren gerechtfertigt werden kann, obliegt dem nationalen Gericht. Jedoch beschränkte der EuGH in diesen Fällen wesentlich den Beurteilungsspielraum des nationalen Gerichts. Er wies in Nimz nämlich das Argument zurück, daß die Vollzeitbeschäftigten - und die Arbeitnehmer, die dreiviertel der Arbeitszeit beschäftigt sind - schneller die Fähigkeiten und Fertigkeiten für ihre Tätigkeiten erwerben als die übrigen Arbeitnehmer. Der EuGH trug vor, derartige Erwägungen würden lediglich verallgemeinernde Aussagen zu bestimmten Kategorien von Arbeitnehmern darstellen, aus denen sich keine objektiven Kriterien entnehmen lassen, die nicht mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Zusammenhang stehen. Vielmehr hänge der objektive Charakter des Erfahrungskriteriums von sämtlichen Umständen des Einzelfalls und insbesondere davon ab, welche Beziehung zwischen der Art der ausgeübten Tätig131 132 133

EuGHE 1991, 1-297 (Rn. 12) - Rs. C-184/89 "Nimz". EuGHE 1997,1-5253 (Rn. 30 ff.) - Rs. C-1I95 "Gerster". EuGHE 1997, 1-5289 (Rn. 19) - Rs. C-100/95 "Kording".

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

keit und der Erfahrung bestehe 134. Ein nationales Gericht kann somit nicht diese oder eine ähnlich "verallgemeinernde Aussage" heranziehen, sondern kann einen objektiven Rechtfertigungsgrund nur angesichts aller Umstände des Einzelfalls anerkennen 135 . Später wirkte diese Argumentation noch einmal auf den Entgeltbereich zurück und fand dort auf eine mittelbare Diskriminierung Anwendung. Der EuGH urteilte in Hili, daß eine halbierende Berechnung der Dienstjahre während der Teilzeitbeschäftigung - hier im Rahmen eines job-sharing-Systerns - beim Übergang zu einer Vollzeitstelle gegen Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV verstoße, wenn diese Berechnungsweise die Einstufung in die Gehaltsskala für Vollzeitbeschäftigte maßgeblich bestimme. Der EuGH wies hier wiederum "verallgemeinernde Aussagen" zurück. Darüber hinaus fand der EuGH die Rechtfertigung nicht überzeugend, daß durch eine solche Arbeitspraxis die Motivation, Einsatzbereitschaft und Arbeitseinstellung der Arbeitnehmer aufrechterhalten würde, weil das Belohnungssystem der Vollzeitbeschäftigten durch die Arbeitsplatzteilungsregelung nicht beeinflußt werde 136 . d) Schutz der TeilzeitbeschäJtigten im Bereich der sozialen Sicherheit

Die Berufung auf die Eigenschaft als Teilzeitbeschäftigte beschränkt sich keineswegs auf den innerbetrieblichen Bereich. Vielmehr ziehen die einzelnen Regelungen häufig dieses Merkmal auch auf anderen Gebieten heran. Als ein niederländisches Gesetz im Fall einer Arbeitsunfähigkeit allen Versicherten eine Leistung in Höhe des sozialen Minimums zusprach, die jedoch nur bei den Teilzeitbeschäftigten nach Maßgabe der früheren Einkünfte gekürzt wurde, stellte der EuGH fest, daß es sich hierbei um eine mittelbare Diskriminierung handelt, die vorbehaltlich einer objektiven Rechtfertigung gegen die RL 79/7 verstoße. Dabei wies er den einzigen Rechtfertigungsgrund zurück, den der Staat vortrug, daß es nämlich unbillig wäre, wenn die Teilzeitbeschäftigte eine ihr früheres Einkommen übersteigende Leistung bekommen würden. Dieses Argument stelle aber keine objektive Rechtfertigung dar, weil die Leistung in vielen anderen Fällen höher sei als das frühere Einkommen der betreffenden Person 137 . EuGHE 1991,1-297 (Rn. 13 f.). "Alle Umständen des Einzelfalls" sprechen gegen die Objektivität, wenn beispielsweise das unterschiedliche Dienstzeiterfordernis - wie im Fall "Kording" als Garantie des mindestens notwendigen Erfahrungswissens gerechtfertigt wird, während das Erfordernis selbst in der Vergangenheit nur aufgrund einer personalpolitischen Erwägung verlängert wurde und keinen Zusammenhang zum notwendigen Erfahrungswissen zeigt. Vgl. EuGHE 1997, 1-5289 (Rn. 21 ff.). 136 EuGHE 1998,1-3739 (Rn. 38 ff.) - Rs. C-243/95 "Hili". 134

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11. Mittelbare Diskriminierung

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In ähnlicher Weise hätte eine mittelbare Diskriminierung in Hoever festgestellt werden müssen, wenn das Kindergeld als Gegenstand des Verfahrens unter den Anwendungsbereich der RL 79/7 fallen würde. In diesem Fall ging es um das Arbeitszeiterfordernis von 15 Stunden wöchentlich als Voraussetzung für Kindergeld für den nicht in Deutschland lebenden, aber in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer l38 • Das zentrale Problem in diesem Bereich betrifft allerdings nicht die Teilzeitbeschäftigten im engeren Sinne, sondern die geringfügig Beschäftigten, die aufgrund des hohen Anteils an Frauen dieselbe Struktur aufweisen wie die Teilzeitbeschäftigten. In manchen Mitgliedstaaten - darunter auch Deutschland bis zum Inkrafttreten des novellierten Gesetzes in April 1999 unter der Bezeichnung des ,,620-Mark-lobs" - sind die geringfügig Beschäftigten von der Sozialversicherungspflicht gänzlich oder teilweise befreit. Weil dieses System an einem äußerlich geschlechtsneutralen Kriterium anknüpft, jedoch in einem weit höheren Prozentsatz die Frauen belastet als die Männer, stellt es eine mittelbare Diskriminierung dar. Der EuGH prüfte die Rechtfertigungsgründe eines solchen Systems in Nolte und Megner und kam zum Schluß, daß das System der sozialversicherungsfreien geringfügigen Beschäftigung nicht gegen die RL 79/7 verstoße. Die sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele, wie die Berücksichtigung und Förderung der sozialen Nachfrage nach geringfügiger Beschäftigung, habe objektiv nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun. Der Gesetzgeber habe davon ausgehen können, daß jenes System zur Erreichung dieses Ziels erforderlich gewesen sei 139. Ob der EuGH in diesem Fall die Verhältnismäßigkeitsprüfung wirklich so streng anwandte, wie er selbst stets fordert, könnte fraglich sein 140, zumal allgemein gesprochen - die Nachfrage nach einem diskriminierenden System an sich keine Diskriminierung rechtfertigen kann 141. Hier wurde dem EuGHE 1989,4311 (Rn. 15) - Rs. C-102/88 "Ruzius-Wilbrink" . EuGHE 1996, 1-4895 - Rs. C-245/94 "Hoever". Dieser Fall betraf auch die Freizügigkeit und Diskriminierung der Wanderarbeitnehmer, so daß der EuGH den Ausschluß der nicht ansässigen Teilzeitbeschäftigten für europarechtswidrig erklärte. 139 EuGHE 1995, 1-4625 (Rn. 34 ff.) - Rs. C-317/93 "Nolte"; 1995, 1-4741 (Rn. 30 ff.) - Rs. C-444/93 "Megner" . Diese Argumentation kann jedoch nicht eine Diskriminierung beim Entgelt rechtfertigen: EuGHE 1999, 1-5127 (Rn. 29 f.) - Rs. C-281197 "Krüger". 140 Der Generalanwalt Liger stellte die Erforderlichkeit in Frage, als er darauf hinwies, daß das deutsche System keinem üblichen Grundsatz in den anderen Mitgliedstaaten entspreche. EuGHE 1995,1-4625 (S. 4643 ff.). 141 Das Diskriminierungsverbot muß sich notwendigerweise über den Willen des Beteiligten hinwegsetzen. Die Nachfrage des Sklaven nach der Fortführung der Sklaverei rechtfertigt nie das System der Sklaverei. Grundrechte auf Gleichbehandlung sind in dieser Hinsicht unveräußerlich. 137 138

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

nationalen Gesetzgeber in bezug auf die Verfolgung sozial- und beschäftigungspolitischer Zielsetzungen ein relativ weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt. Wenn dieses Ergebnis als richtig empfunden wird, ist auf theoretischer Ebene entweder eine Verfeinerung der Verhältnismäßigkeitsprüfung oder die Ergänzung dieser Prüfung notwendig. e) Zweifache mittelbare Diskriminierung?

Eine weitere Schwierigkeit, die mit der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung verbunden ist, zeigt das Kirsammer-Hack-Urteil. Es ist nämlich nicht immer einsichtig, in welchem Fall eine Regelung an die Eigenschaft als Teilzeitbeschäftigte anknüpft. In diesem Urteil stellte der EuGH fest, daß die Verwendung der Teilzeitbeschäftigung im gesetzlichen Rahmen nicht sofort eine mittelbare Diskriminierung auslöst. Die deutsche Kündigungsschutzregelung für Arbeitnehmer schloß die Kleinbetriebe mit fünf oder weniger Arbeitnehmer aus seinem Anwendungsbereich aus und berücksichtigte bei der Feststellung der Arbeitnehmerzahl nicht die Arbeitnehmer, die weniger als 10 Stunden wöchentlich oder 45 Stunden monatlich beschäftigt waren. In dieser Regelung erblickte der EuGH lediglich eine Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern von Klein- und anderen Unternehmen, nicht eine zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten l42 . In diesem Urteil stellte der EuGH also auf den unmittelbaren Tatbestand ab, der für das Eintreten der Rechtsfolge maßgeblich war. Daß die betreffende Regelung den Teilzeitbeschäftigten wenig Beachtung verschenkte, wurde hier als unerheblich angesehen. Eine mittelbare Diskriminierung der Teilzeitbeschäftigten führte nicht zu einer erhöhten gerichtlichen Überprüfung. Da die normative Grundlage hier nur die Gleichbehandlung von Mann und Frau betrifft, ist es zwar konsequent, wenn der EuGH am Kriterium der je nach Geschlecht unterschiedlichen Auswirkung der gesamten Regelung festhält. Die Gleichstellung der Teilzeit- mit den Vollzeitbeschäftigten stellt kein selbständiges Ziel dar. Dennoch ist zu bedenken, daß die betreffende Regelung zweifach mittelbar die Frauen belastet, indem sie von einer geringeren Schutzbedürftigkeit der Teilzeitbeschäftigten ausgeht. Die objektive Rechtfertigung einer solchen Regelung steht in einem anderen Zusammenhang. Es bleibt nur festzuhalten, daß die Berücksichtigung der tatsächlich unterschiedlichen Auswirkungen im Rahmen der mittelbaren Diskriminierung einen sehr weiten, fast uferlosen Horizont eröffnet.

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EuGHE 1993,1-6185 (Rn. 26) - Rs. C-189/91 "Kirsammer-Hack".

11. Mittelbare Diskriminierung

145

3. Anknüpfungspunkte, die eine mittelbare Diskriminierung auslösen a) Theoretische Grundlage der mittelbaren Diskriminierung

Bei der Charakterisierung der unterschiedlichen Behandlung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten als mittelbare Diskriminierung wies der EuGH auf die für weibliche Arbeitnehmer bestehenden Schwierigkeiten hin, als Vollzeitbeschäftigte zu arbeiten !43. In der Tat stellt die Teilzeitbeschäftigung für viele Frauen eine Kompromißlösung dar, die notwendig ist, um die Erwerbstätigkeit und die noch einseitig auferlegten familiären Belastungen einigermaßen in Einklang zu bringen!44. Besonders in Deutschland, wo ein absoluter Mangel an ganztägigen Betreuungsplätzen für Klein-, Kindergarten- und Schulkinder besteht, bietet eine Teilzeitbeschäftigung für viele Frauen die einzige Möglichkeit, sich auch im Erwerbsleben zu entfalten. Dieser Sachverhalt führt zu einem deutlichen Übergewicht der Frauen in der Teilzeitbeschäftigung. Das Lewark-Urteil nahm den Frauenanteil 93,4% in der Teilzeitbeschäftigung in Deutschland vom Juni 1991 als statistische Grundlage für die Aussage, daß die unterschiedliche Behandlung der Teilzeitbeschäftigten wesentlich stärker Frauen betreffe. In dieser Situation liegt die Vermutung nahe, daß die teilzeitbeschäftigten Frauen diese Beschäftigungsform zwar in den meisten Fällen aufgrund einer persönlichen Entscheidung freiwillig auf sich genommen haben, sich ihr aber nicht einfach zugunsten einer Vollbeschäftigung entziehen können. Der maßgebliche Einfluß der soziokulturellen Rollenerwartungen auf die Wahl der Teilzeitbeschäftigung rechtfertigt auf der juristischen Ebene, diese Eigenschaft als quasi-verbotenes Anknüpfungsmerkmal im Rahmen des geschlechtsbezogenen Gleichberechtigungsgrundsatzes zu behandeln. In der Tat ist die theoretische Fundierung des Rechtsinstituts der mittelbaren Diskriminierung schwierig geworden, nachdem der EuGH subjektive Momente der diskriminierenden Absicht als unerheblich erklärte. Der EuGH stellt bei der Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung nur noch auf die je nach Geschlecht unterschiedliche Auswirkung einer Regelung ab, die sich in einem geschlechtsbezogenen Ungleichgewicht im Kreis der Betroffenen zeigt. Weil der überwiegende Teil der Teilzeitbeschäftigten Frauen sind, ruft eine Benachteiligung der Teilzeitbeschäftigten eine ähn143 EuGHE 1981, 911 (Rn. 13) - Rs. 96/80 "Jenkins"; 1986, 1607 (Rn. 29) Rs. 170/84 "Bilka-Kaujhaus"; 1992, 1-3589 (Rn. 18) - Rs. C-360/90 "BöteI"; 1996,1-243 (Rn. 28) - Rs. C-457/93 "Lewark". 144 Vgl. Kokott bezeichnet die Teilzeitbeschäftigung als "für die meisten eine zufriedensteIlende Lösung". Kokott, NJW 1995, S. 1057.

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

liche Auswirkung hervor wie im Fall der Anknüpfung an das Merkmal Geschlecht - mit oder ohne eine diskriminierende Absicht des Normurhebers. Der Kreis der betroffenen Frauen ist zwar kleiner - die vollzeitbeschäftigten Frauen werden von dieser Benachteiligung verschont -, dies ändert aber nichts an der Tatsache, daß es überwiegend die Frauen sind, die vom Genuß eines Vorteils ausgeschlossen sind. Diese Tatsache löst nach der Struktur des europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes die Vermutung aus, daß die Frauen aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden. Die Benachteiligung von Schwangeren stellt nach der Rechtsprechung des EuGH eine unmittelbare Diskriminierung, d. h. eine SchlechtersteIlung der Frau aufgrund ihrer Eigenschaft als Frau, dar. Wenn sie ein Mann wäre, wäre sie nicht schwanger geworden, so daß sie nicht schlechter gestellt wäre als ihre männlichen Kollegen. Dabei kommt es weniger auf die tatsächliche Vergleichbarkeit der Situationen, in denen die Schwangeren einerseits und die übrigen Arbeitnehmer andererseits stehen, als vielmehr auf die unterschiedliche Auswirkung einer differenzierenden Regelung an. Diese Argumentation setzt sich im Bereich der mittelbaren Diskriminierung fort: Wenn sie ein Mann wäre, hätte sie sich nicht mit einer soziokulturell erwarteten Rolle als Mutter auseinandersetzen müssen und wäre daher nicht der Teilzeitbeschäftigung nachgegangen, so daß sie nicht schlechter gestellt wäre als ihre männlichen Kollegen. Die Berücksichtigung der besonderen Situation der Teilzeit- im Vergleich zu den Vollzeitbeschäftigten ist nur insoweit erlaubt, als sie ein erforderliches Mittel zur Verfolgung eines legitimen Ziels darstellt. Was somit rechtlich ausgeschlossen werden soll, ist die Situation, daß ein Mann bzw. eine Frau im Vergleich zu Mitgliedern der anderen Geschlechtsgruppe unterschiedlich behandelt wird, weil er bzw. sie ein Mann bzw. eine Frau ist. Bei einem statistischen Ungleichgewicht entsteht die Vermutung, daß dies der Fall ist. In diesem Fall muß anhand der objektiven Rechtfertigungsgründen überprüft werden, ob dieser Verdacht wirklich begründet ist l45 . Diese Struktur der mittelbaren Diskriminierung gründet sich auf ein individualrechtliches Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Die Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung orientiert sich - grundsätzlich, wie die Einschränkung bei Helmig und eventuell bei anderen Fallkonstellationen zeigt - am Standpunkt der Opfer einer angeblichen Diskriminierung. 145 Heither vertritt die These, daß das Verbot der mittelbaren Diskriminierung allein "die Art und Weise, wie eine Diskriminierung erkannt werden kann", betrifft. Heither, FS Gnade, S. 624. Vgl. ferner die Position Biebacks, der im Verbot der mittelbaren Diskriminierung die Chance für die Individuen sieht, "sich gerade ohne die Festlegung auf die Merkmale und Rollenzwänge seiner Geschlechtsgruppe entfalten zu können", Bieback, 1997, S. 50.

11. Mittelbare Diskriminierung

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Wenn eine Anknüpfung an einem äußerlich geschlechtsneutralen Merkmal einseitige Auswirkungen hat, ist der Betroffene, der sich als Opfer einer Diskriminierung fühlt, in der Lage, seinen Verdacht vor Gericht zu bringen. Er ist berechtigt, vom Normurheber den Nachweis zu verlangen, daß die differenzierende Regelung durch Faktoren gerechtfertigt ist, die nicht mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Zusammenhang stehen. Nur nachdem dieser Nachweis erbracht und anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hinsichtlich seiner Erforderlichkeit hin überprüft wurde, kann vom angeblichen Diskriminierungsopfer verlangt werden, die geschlechtstypischen Auswirkungen der differenzierenden Regelung zu tolerieren. Die Beurteilung der statistischen Daten ist allerdings oft sehr schwierig. Es ist deswegen eine praktische Entscheidung des EuGH, wenn er auf die Berücksichtigung des konkreten statistischen Kriteriums verzichtet. Er stellt den nationalen Gerichten anheim, festzustellen, ob die Statistiken überhaupt aussagekräftig sind 146 und, bejahendenfalls, ob aus ihnen zu entnehmen ist, daß weibliche Arbeitnehmer prozentual viel seltener die Voraussetzung für eine Begünstigung erfüllen als ihre männlichen Kollegen 147. Daneben äußerte sich der EuGH in Seymour-Smith auch zur Erheblichkeit der statistischen Unterschiede: Wenn 77,4% der männlichen und 68,9% der weiblichen Arbeitnehmer die Voraussetzung der zweijährigen Beschäftigung erfüllen, lasse sich aus diesen Statistiken nicht auf dem ersten Blick entnehmen, daß ein erheblich geringerer Prozentsatz der weiblichen als männlichen Arbeitnehmer diese Voraussetzung erfüllt l48 . b) Kriterien des Familienstands und der Einkommensvoraussetzung Neben Teilzeitbeschäftigung stellen nach der Rechtsprechung des EuGH die Kriterien des Familienstandes und die Einkommensvoraussetzungen den zweitwichtigsten Anwendungsbereich der mittelbaren Diskriminierung dar. Der EuGH charakterisierte in Teuling und vier Jahre später in Kom./Belgien, die Berücksichtigung von Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Ehegatten und Kindern als mittelbare Diskriminierung, weil das System der Arbeitsunfahigkeitsrente bzw. Arbeitslosenversicherung eine höhere Leistung für die Anspruchsberechtigten mit dieser Verpflichtung vorsah 149. Dabei 146 Zu diesem Zweck müssen die Statistiken eine erhebliche Zahl von Betroffenen umfassen. EuGHE 2000, 1-2447 (Rn. 53) - Rs. C-226/98 "Jr/Jrgensen". 147 EuGHE 1999,1-623 (Rn. 61 f.) - Rs. C-167/97 "Seymour-Smith". 148 EuGHE 1999,1-623 (Rn. 63 f.). 149 EuGHE 1987, 2497 (Rn. 13 ff.) - Rs. 30/85 "Teuling"; 1991, 1-2205 (Rn. 13 ff.) - Rs. C-229/89 "Kom./Belgien". 10*

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

war nur die Tatsache ausschlaggebend, daß die Regelung erheblich mehr Männer begünstigt, weil wesentlich mehr Männer als Frauen berufstätig und unterhaltspflichtig sind 150. Die festgestellte mittelbare Diskriminierung führte natürlich nicht zur Richtlinienwidrigkeit der fraglichen Regelung, weil der EuGH weiter bemerkte, daß diese Differenzierung als erforderliches Mittel zur Sicherung des Existenzminimums gerechtfertigt sein könne l5l . Dennoch fällt es auf, daß der EuGH diese Regelung nicht aufgrund der nicht vergleichbaren Situation von den Unterhaltspflichtigen und Nicht-Unterhaltspflichtigen zu rechtfertigen suchte, sondern aufgrund eines Zweck-Mittel-Verhältnisses. Der EuGH berief sich zudem auf die Erforderlichkeit zur Sicherung des Existenzminimums, als er in einer Entscheidung das System der Rentenzulage rechtfertigte, die gezahlt wurde, wenn der jüngere Ehegatte einen Anspruch auf Unterhaltsleistung hat und nicht oder nicht genügend - über eigenes Einkommen verfügt 152 . Die Unterhaltsverpflichtung als Unterscheidungsmerkmal führt nur unter den heutigen Bedingungen, unter denen noch überwiegend Männer "Familienernährer" sind, zur mittelbaren Diskriminierung. Eine ähnliche Konstellation ergibt sich, wenn eine nationale Regelung als Voraussetzung einer Leistung ein Einkommen in vorausgegangener Zeit verlangt. Die mittelbare Diskriminierung, die bei einer einkommensabhängigen Arbeitsunfahigkeitsrente angenommen wurde, wurde sodann mit Hinweis auf das Ziel der Versicherung gegen Einkommensverluste gerechtfertigt l53 . Darüber hinaus wirkt sich die Eigenschaft als Langzeitarbeitslose bei der heutigen, überwie150 Bei Kom./Belgien war der Unterschied in der Betroffenheit gravierend. Unter den bevorzugten Erwerbsunfähigen, die mit unterhaltsberechtigten Personen zusammenwohnen, sind 91,7% Männer, dagegen nur 8,3% Frauen; EuGHE 1991, 1-2205 (S.2209). 151 EuGHE 1987, 2497 (Rn. 16 ff.); 1991, 1-2205 (Rn. 19 ff.). Bieback kritisiert diese und ähnliche Rechtsprechungen, weil er in der Gewährung von Anspruchsberechtigungen direkt an die Unterhaltsberechtigten eine geringer diskriminierende Alternative sieht und damit die genannte mittelbare Diskriminierung für unzulässig hält. Bieback, in: NKESR, Art. 4 RL 79/7, Rn. 17 ff. Es fragt sich jedoch, ob hier wirklich eine verfügbare Alternative vorliegt. Wenn er ein System der Alters- und Invaliditätsrente verficht, bei dem eine nie erwerbstätige Hausfrau beitragsunabhängig Leistungen empfängt, ist ein solches System für die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes eher schädlich. 152 EuGHE 1992,1-5943 (Rn. 11 ff.) - Rs. C-226/91 "Molenbroek". 153 EuGHE 1996, 1-179 (Rn. 23 f.) - Rs. C-280/94 "Posthumma-van Damme". Dieser Rechtssache liegt die Entscheidung des EuGH in Roks zugrunde, weil er die Rechtfertigung der mittelbaren Diskriminierung, die bei der Einführung der Einkommensvoraussetzung bestand, aufgrund finanzpolitischer Erwägung für ausgeschlossen erklärte. EuGHE 1994, 1-571 (Rn. 31 ff.) - Rs. C-343/92 "Roks". Das Posthumma-van Damme-Urteil beschränkte den Wirkungsbereich dieser Aussage auf die finanzpolitischen Erwägungen und erstreckte ihn nicht auf die sozialpolitischen Ziele.

II. Mittelbare Diskriminierung

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genden Präsenz der Männer auf dem Arbeitsmarkt, in viel häufigeren Fällen für Frauen nachteilig aus und führt damit zu einer mittelbaren Diskriminierung, die jedoch wiederum angesichts der sozial- und beschäftigungspolitischen Zielen als gerechtfertigt angesehen wird 154. c) Entlohnungskriterium und mittelbare Entgeltdiskriminierungen

Die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung zeigt einen engen Zusammenhang zum Grundsatz des gleichen Entgelts bei gleichwertiger Arbeit. Das Entlohnungskriterium ist heute in den meisten Fällen nicht mehr in einer unmittelbaren Anknüpfung am Geschlecht formuliert, sondern beruht auf allgemeineren Merkmalen, die jedoch in ihren Auswirkungen Diskriminierungen hervorrufen. Daher ist der prozentuale Anteil einer bestimmten Geschlechtsgruppe innerhalb des Adressatenkreises stets ausschlaggebend für die Ermittlung der Entgeltdiskriminierung bei gleichwertiger Arbeit. Das DeJrenne-lI-Urteil hat insoweit einen richtigen Kern, als es die über die ungleiche Entlohnung der gleichen Arbeit innerhalb eines Betriebs hinausgehende Lohndiskriminierung als mittelbare, versteckte Diskriminierung bezeichnete. Bedenklich war lediglich, daß der EuGH Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV in diesem Fall die Direktwirkung absprach l55 . In DanJoss untersuchte der EuGH die Verwendung der Merkmale Flexibilität, Berufsausbildung und Erfahrung, die nach seiner Erkenntnis die weiblichen Arbeitnehmer - die Flexibilität wegen der für Frauen häufig auftretenden Doppelbelastung, die Berufsausbildung und Erfahrung wegen der kürzeren Anwesenheit der Frauen auf dem Arbeitsmarkt als Männer - systematisch benachteiligen. Dabei stützte er sich auf das Bilka-Kaujhaus-Urteil. Der Arbeitgeber sei berechtigt, bei der Lohnfindung an Merkmale anzuknüpfen, die zu je nach Geschlecht unterschiedlichen Auswirkungen führen, wenn der Arbeitgeber nachweisen könne, daß diese Anknüpfung auf Faktoren beruhe, die in keinem Zusammenhang mit Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts stehen. Der Arbeitgeber könne somit darlegen, daß Flexibilität im Sinne einer Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Arbeitszeiten und -orte und die besondere Berufsausbildung für die Ausführung der vom Arbeitgeber übertragenen spezifischen Aufgabe von Bedeutung seien. Die Verwendung des Merkmals Erfahrung sei dagegen immer erlaubt l56 .

154 155 156

EuGHE 1996,1-273 - Rs. C-8/94 "Laperre". EuGHE 1976,455 - Rs. 43/75 "Defrenne-Il". EuGHE 1989,3199 (Rn. 17 ff.) - Rs. 109/88 "Danfoss".

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Obwohl der EuGH hier nicht ausdrücklich auf die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung Bezug nimmt und auch nicht die Verhältnismäßigkeitsprüfung anwendet, ist die Prüfung strukturell ähnlich zum Fall der mittelbaren Diskriminierung. In der Tat handelt es sich bei der systematischen Benachteiligung von Frauen im Entgeltsbereich um nichts anderes als eine mittelbare Diskriminierung. Die Anknüpfung an äußerlich geschlechtsneutrale Kriterien bringt eine je nach Geschlecht unterschiedliche Auswirkung hervor. Daher ist es nur konsequent, wenn der EuGH in diesem Fall vom Arbeitgeber den Nachweis verlangt, daß die herangezogenen Kriterien wirklich mit der Durchführung der spezifischen Aufgabe zusammenhängen und daher gerechterweise bei der Lohnfindung berücksichtigt werden können. Somit ist die Verwendung der Kriterien Berufsausbildung oder bestimmte Qualifikation europarechtlich dort verboten, wo die Ausbildung und Qualifikation wenig mit der übertragenen Aufgabe zu tun haben I57 . Der EuGH brachte die Argumentation in Dan/ass schließlich im Enderby-Urteil vom 27.10.1993 zu einer klaren Formel. Hier stellte er fest, daß sich die Beweislast dann umkehre, wenn aussagekräftige Statistiken einen merklichen Unterschied im Entgelt zweier gleichwertiger Tätigkeiten erkennen lassen, von denen die eine fast ausschließlich von Frauen und die andere hauptsächlich von Männem ausgeübt werde. In diesem Fall müsse der Arbeitgeber den Nachweis erbringen, daß dieser Unterschied durch Faktoren sachlich gerechtfertigt sei, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Der EuGH stellte dabei die Überprüfung der vom Arbeitgeber vorgebrachten Rechtfertigungsgründe den nationalen Gerichte anheim und verlangte von ihnen ausdrücklich die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 158 • Die Anwendung des Enderby-Grundsatzes ist jedoch nicht einfach, vor allem soweit es um die Bildung von Vergleichspaaren geht. In Enderby war der EuGH an die Tatsachenermittlung des vorlegenden Gerichts gebunden, daß die zwei als Vergleichspaar in Frage stehenden Tätigkeiten gleichwertig sind. Die größte Schwierigkeit liegt in diesem Bereich bei der Ermittlung der Gleichwertigkeit. In Royal Copenhagen präzisierte der EuGH das Enderby-Urteil und führte aus, daß sich ein Vergleich, um aussagekräftig zu 157 Vgl. PfarrlBertelsmann, 1985, S. 49, 113. In diesem Zusammenhang kommt es zwar hauptsächlich auf das Verbot der mittelbaren Diskriminierung im Anwendungsbereich der RL 761207 an. Jedoch sind keine Gründe ersichtlich, die Wirkung der Aussage des EuGH auf den Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV zu beschränken. 158 EuGHE 1993,1-5535 (Rn. 14 ff.) - Rs. C-127/92 "Enderby". Dem nationalen Gericht wurde hier die Nachprüfung anvertraut, ob und inwieweit der Mangel an Bewerbern für eine Tätigkeit und die Notwendigkeit, ihnen durch ein höheres Gehalt einen Anreiz zu bieten, einen sachlich gerechtfertigten wirtschaftlichen Grund für den Entgeltunterschied darstellt.

H. Mittelbare Diskriminierung

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sein, auf Gruppen sämtlicher Arbeitnehmer beziehen müsse, die unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren, wie der Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, als in vergleichbarer Situation befindlich angesehen werden können. Willkürlich gebildete Vergleichsgruppen würden danach keine aussagekräftige Statistik bieten i59 .

Im Bereich der Entgeltdiskriminierung bei gleichwertiger Arbeit vermeidet der EuGH bisher stets die Bezeichnung als mittelbare Diskriminierung. Dennoch sind die Komponenten, die der EuGH bei der Ermittlung einer Diskriminierung anwendet, weitgehend dieselbe wie im Fall der mittelbaren Diskriminierung: Zuerst wird eine aussagekräftige Statistik herangezogen, um eine je nach Geschlecht unterschiedliche Auswirkung festzustellen, die die Verwendung eines Kriteriums hervorruft. Wenn eine einseitige Betroffenheit ermittelt wird, findet eine Umkehr der Beweislast statt; nun muß der Normurheber nachweisen, daß die unterschiedliche Behandlung auf Faktoren beruht, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Bei der Überpriifung dieses Rechtfertigungsgrundes wenden die Gerichte die Verhältnismäßigkeitspriifung an. In dieser Situation scheint die Frage berechtigt, ob es hier um einen Rechtfertigungsgrund geht. Erst in der Rechtsprechung an der Jahrtausendwende weist der EuGH auf einen verfeinerten Priifungsrahmen hin. Im Wiener Gebietskrankenkasse-Urteil bemerkte er, daß die Berufsausbildung nicht nur einen Faktor darstelle, der eine unterschiedliche Vergütung zweier Arbeitnehmergruppen objektiv rechtfertigen könne, sondern auch zu den Kriterien gehöre, anhand deren sich feststellen lasse, ob die Arbeitnehmer die gleiche Arbeit verrichten 160. Wenn man bedenkt, daß das Vorhandensein der gleichen bzw. gleichwertigen Arbeit zuerst festgestellt werden muß, bevor nach der Rechtfertigung der Lohnunterschiede gefragt werde kann, liegt die Unterscheidung zwischen Rechtfertigungsgriinden und Kriterien der Gleichwertigkeit nahe l61 . Zur Beantwortung der Frage, wie die "Gesamtheit der Faktoren, wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen" in ihrer Vergleichbarkeit beurteilt werden kann, gibt die Rechtsprechung des EuGH wenig Anhaltspunkte l62 .

159 160

EuGHE 1995,1-1275 (Rn. 34 f.) - Rs. C-400/93 "Royal Copenhagen". EuGHE 1999, 1-2865 (Rn. 19) - Rs. C-309/97 "Wiener Gebietskranken-

kasse".

161 Im JämO-Urteil formulierte der EuGH diese Unterscheidung in einer klaren Formel: Nationale Gerichte sollen feststellen, ob die betreffende Arbeit unter Umständen der Art der zu verrichtenden Tätigkeiten und ihrer Bedingungen als gleichwertig anzusehen ist. EuGHE 2000, 1-2189 (Rn. 52 ff.) - Rs. C-236/98 "JämO". 162 Es ist vor allem fraglich, welche Anforderungen der Arbeitgeber zu erfüllen hat, um das Vorhandensein der sachlichen Gründe zu beweisen, wenn Unterschiede in den Umständen der Arbeit nicht als Rechtfertigungsgründe vorgebracht werden

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

d) Bezug zur bestimmten Rollenerwartung als Voraussetzung einer mittelbaren Diskriminierung?

Angesichts der jetzt noch bestehenden Dominanz der Männer im Erwerbsleben wurden in der Rechtsprechung nur mittelbare Diskriminierungen ermittelt, die sich für Frauen nachteilig auswirken. Dennoch ist festzustellen, daß der EuGH die Voraussetzung für eine mittelbare Diskriminierung immer in einer geschlechtsneutralen Formel zum Ausdruck bringt. Da der Gleichbehandlungsgrundsatz im Europarecht die Ungleichbehandlung von Mann und Frau schlechthin ausschließt und nicht nur die Benachteiligung der Frauen aufgrund des Geschlechts, ist es folgerichtig, daß das Verbot der mittelbaren Diskriminierung auch keine einseitige Schutzrichtung aufweist 163 . Bei der Ermittlung der mittelbaren Diskriminierung im Bereich der Teilzeitbeschäftigung weist der EuGH jedoch wiederholt auf die für weibliche Arbeitnehmer bestehenden Schwierigkeiten hin, als Vollzeitbeschäftigte zu arbeiten 164. Daraus wurde im Schrifttum teilweise der Schluß gezogen, daß eine mittelbare Diskriminierung erst dann besteht, "wenn Frauen durch die sozialtypische Rollenverteilung und die damit verbundenen Belastungen faktisch daran gehindert würden, die Voraussetzungen eines Anspruchs zu erfüllen, obwohl diese geschlechtsneutral formuliert sind"165. Jedoch zeigt die spätere Rechtsprechung des EuGH, daß er allein auf das statistische Ungleichgewicht in der Betroffenheit je nach Geschlecht abstellt. Bedenkt man die Zielsetzung der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung, überzeugt diese Haltung des Gerichtshofs. Die Bezugnahme auf die Geschlechtsrolle als zusätzliche Voraussetzung für die mittelbare Diskriminierung steht nämlich der wirksamen Bekämpfung der Geschlechtsdiskriminierung eher im Wege. Wenn das Recht effektiv unterbinden soll, daß der Arbeitgeber Rückgriff auf ein äußerlich geschlechtsneutrales Merkmal zu diskriminierenden Zwecken nimmt, ist es völlig unerheblich, ob der vorgeschobene Grund Bezug zur Geschlechtsrolle aufweist. Die Verwendung können. Zu den normativen Konsequenzen aus dieser dogmatischen Schwierigkeit siehe unten, Schlußfolgerungen, 11, 2. 163 Dagegen sieht Colneric das Modell des Dominierungsverbots hinter dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung, so daß sie die mittelbare Männerdiskriminierung aus dem Anwendungsbereich des Verbots ausschließt. Colneric, FS Gnade, S. 640. Es fragt sich jedoch, ob die Rechtsprechung des EuGH diesen Schluß erlaubt, zumal sich in manchen Bereichen die Dominanz der Frauen und Zugangsschwierigkeiten für Männer - beispielsweise Krankenpfleger - feststellen läßt. 164 EuGHE 1981, 911(Rn. 13) - Rs. 96/80 "Jenkins"; 1986, 1607 (Rn. 29) - Rs. 170/84 "Bilka-Kaujhaus"; 1992, 1-3589 (Rn. 18) - Rs. C-360/90 "Bötel"; 1996, 1-243 (Rn. 28) - Rs. C-457/93 "Lewark". 165 PfarrlBertelsmann, 1985, S. 95. Ähnlich Kyriazis, 1990, S. 97; Ebsen, RdA 1993, S. 14.

11. Mittelbare Diskriminierung

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der Körpergröße als Kriterium stellt in diesem Zusammenhang genauso ein Unrecht dar wie der Rückgriff auf die Teilzeitbeschäftigung oder auf die familiären Belastungen. Auch wenn die diskriminierende Absicht nicht vorausgesetzt wird, ändert sich das Ergebnis nicht. Eine systematische Benachteiligung einer Geschlechtsgruppe reicht aus, eine Vermutung der Geschlechtsdiskriminierung auszulösen 166. In dieser Form legt das Verbot der mittelbaren Diskriminierung den Normurhebern die Verpflichtung auf, die tatsächliche Auswirkung seiner Regelung zu bedenken. Der EuGH stellte in Bilka-Kaufhaus klar, daß diese Verpflichtung nicht soweit reicht, als der Arbeitgeber bei der Ausgestaltung der Versorgungsordnung für seine Beschäftigten den Umstand berücksichtigen muß, daß weibliche Arbeitnehmer durch die ihnen obliegenden familiären Verpflichtungen oft nicht in der Lage wären, die Voraussetzung für die Gewährung einer Betriebsrente zu erfüllen 167. Dabei stützte sich der EuGH auf den begrenzten Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV. Spätestens nach dem Inkrafttreten der RL 86/378 ist jedoch diese Argumentation problematisch. Wenn das Kriterium der längeren Betriebszugehörigkeit 168 beispielsweise als Voraussetzung zur vollen Gewährung der Leistungen aus dem betrieblichen Rentensystem die weiblichen Arbeitnehmer prozentual stärker benachteiligt als die männlichen, muß die Verwendung dieses Kriteriums im Verhältnis zum Ziel erforderlich sein. Die Schwierigkeit, die sich eventuell aus dieser Struktur der mittelbaren Diskriminierung ergeben kann, zeigen auch die Schlußanträge des Generalanwalts van Gerven in der Rechtssache Jackson . Er nahm eine mittelbare Diskriminierung an, als die Einkommensbeihilfe um den Betrag gekürzt wurde, den der Empfänger durch die Teilnahme an einem Berufsausbildungskurs erhalten hatte, ohne die für die Teilnahme notwendigen Kinderbetreuungskosten zu berücksichtigen. Dabei vertrat er die Ansicht, daß es auf eine mittelbare Diskriminierung der arbeitsuchenden alleinerziehenden Mütter hinauslaufe, wenn die betreffende Regelung nicht die Kinderbetreuungskosten berücksichtige. Als rechtliche Abhilfe wies er auf die Möglichkeit der staatlichen Schadensersatzpflicht im Sinne des Francovic-Urteils l69 hin 170. Der EuGH konnte dieser Rechtslage jedoch ausweichen, indem er Im Ergebnis zustimmend Bieback, 1997, S. 88 ff. EuGHE 1986, 1607 (Rn. 38 ff.) - Rs. 170/84 "Bilka-Kaujhaus ". 168 Zur mittelbaren Diskriminierung aufgrund dieses Merkmals PfarrlBertelsmann, 1985, S. 139 ff. 169 EuGHE 1991, 1-5357 - Rs. C-6/90 "Franeovieh ". Zur Bedeutung der Staatshaftung wegen der Nichtumsetzung einer Richtlinie im Bereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes vgl. van Overbeek, 1995, S. 177 f. 170 EuGHE 1992,1-4737 (S. 4761 ff.) - Rs. C-63/91 "Jackson". 166 167

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

sich auf den begrenzten Anwendungsbereich der RL 79/7 und 761207 stützte l71 • Jedoch waren die Probleme, die diese Schlußanträge aufwarfen, von grundsätzlicher und prinzipieller Natur. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung verpflichtet den Normadressaten also dazu, beim Erlaß einer Regelung stets auf den prozentualen Anteil der Frauen in der Gruppe bedacht zu sein, die durch eine Regelung benachteiligt werden, um nicht eine mittelbare Diskriminierung herbeizuführen. Eine - nicht immer in jedem Teilgebiet des Anwendungsbereichs erforderliche - pauschalisierende und verallgemeinernde Beurteilung der Qualifikation einer Gruppe ist nur dann zulässig, wenn kein geschlechts bezogenes Ungleichgewicht bei den tatsächlichen Auswirkungen festzustellen ist 172 • Dennoch bleibt die unmittelbare Ungleichbehandlung auch dort verboten, wo der Normurheber eine mittelbare Diskriminierung zu vermeiden sucht. Wo eine Regelung zu einer je nach Geschlecht unterschiedlichen Auswirkungen führt, weil Angehörige des einen Geschlechts weniger Voraussetzungen erfüllen als die des anderen, kann der Normurheber geneigt sein, dieser unterschiedlichen Situation von Frauen und Männern durch eine geschlechtsspezifische Regelung gerecht zu werden. Im System der Witwenrente kann ein Beispiel für die Berücksichtigung der tatsächlichen Situation erblickt werden, weil - abgesehen von sozialpolitischen Erwägungen - die Beschränkung des Rentenanspruchs auf die früher Erwerbstätigen aufgrund der früheren Praxis der "Hausfrauenehe" eindeutig mehr Frauen benachteiligt. Jedoch ist eine Ungleichbehandlung grundsätzlich auch dort nicht zulässig, wo sie eine Rücksichtnahme auf die geschlechtstypischen Auswirkungen darstellt. Wenn sich normative Anforderungen, z. B. die Altersgrenze bei einem Einstellungsverfahren, für die Zugehörigen des einen Geschlechts stärker nachteilig auswirken, darf eine Abmilderung dieser geschlechtstypischen Auswirkungen nicht in einer geschlechtsspezifischen Ausnahmeregelung, sondern nur in einer geschlechtsneutralen Berücksichtigung der tatsächlich bestehenden Schwierigkeiten gesucht werden, z. B. in der Heraufsetzung der Altersgrenze um die Jahre, in denen der Bewerber sich der Betreuung des eigenen Kindes gewidmet hat 173 • EuGHE 1992,1-4737 (Rn. 15 ff., 25 ff.). In diesem Zusammenhang sieht Kyriazis im Verbot der mittelbaren Diskriminierung nur das Verbot für den Arbeitgeber, die "soziokulturellen Zwänge'" denen die arbeitenden Frauen unterworfen sind, auszunutzen und ist der Ansicht, daß ihm keine zusätzlichen Verpflichtungen auferlegt würden. Kyriazis, 1990, S. 99. Diese Ansicht steht zwar in Einklang mit dem Bilka-Kaujhaus-Urteil, aber nicht mit einer konsequenten Durchführung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung. 173 Dieses Beispiel, das übrigens der Praxis der Gemeinschaftsorgane entsprechen soll, erwähnt Generalanwalt Jacobs in den Schlußanträgen in der Rechtssache Marschall, allerdings als Beispiel einer Maßnahme für die Förderung der tatsächlichen 171

172

11. Mittelbare Diskriminierung

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Wo der Nonnurheber die geschlechtstypischen Auswirkungen nicht mit einem objektiven Rechtfertigungsgrund rechtfertigen kann, d.h. vor allem dort, wo er mit einer Pauschalisierung und Typisierung arbeitet, ist er verpflichtet, eine mittelbare Diskriminierung zu venneiden. Diese Verpflichtung führt, wenn sie überhaupt konsequent durchgeführt werden kann, beinahe überall zu einem Rechtfertigungszwang. Ob die Verhältnismäßigkeitsprüfung hier der eigentlichen Problemlage gerecht wird, kann bezweifelt werden. 4. Verhältnismäßigkeitsprüfung im Bereich der mittelbaren Diskriminierung

Wenn eine Geschlechtsgruppe prozentual stärker belastet wird, kann diese Belastung nach der Rechtsprechung des EuGH nur durch die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung gerechtfertigt werden. Für die Rechtfertigung ist deshalb die Erforderlichkeit notwendig, um ein legitimes Ziel zu erreichen. Die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist Sache der nationalen Gerichte, die für die Tatsachenennittlung allein zuständig sind. Der EuGH konnte in der bisherigen Praxis nur anhand einer konkreten Frage des Vorlagegerichts beurteilen, ob die geltend gemachten Rechtfertigungsgründe die europarechtlichen Kriterien erfüllen. a) Legitimes Ziel, illegitimes Ziel Bei der Anwendung kommt es zunächst auf die Legitimität des vorgebrachten Ziels an. Im Bereich der mittelbaren Entgeltdiskriminierung erachtet der EuGH die Verfolgung eines realen wirtschaftlichen Interesses als ausreichend für die Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung. Im Bereich der sozialen Sicherheit verlangt der EuGH von den Mitgliedstaaten ein sozialpolitisches Zie1 174 .

Chancengleichheit, die trotz der mittelbaren Diskriminierung zulässig sein soll. EuGHE 1997, 1-6363 (S. 6378). 174 Darüber hinaus erkennt der EuGH die Objektivität der Regelungen an, die die Verzögerung der Berufsausbildung aufgrund des früher geleisteten Wehr- und Ersatzdienstes ausgleichen wollen. EuGHE 2000, 1-10997 (Rn. 44 ff.) - Rs. C-79/99 "Schnorbus". Es ist allerdings - wie in manchen Fällen - fraglich, ob es hierbei um eine Rechtfertigung oder aber um eine Verschiedenbehandlung der unterschiedlichen Sachlagen geht. Das Schnorbus-Urteil wies lediglich auf den objektiven Charakter der genannten Erwägungen hin, ohne jedoch die Erforderlichkeit der betreffenden Ungleichbehandlung zu prüfen.

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

aa) Reales wirtschaftliches Interesse als legitimes Ziel In Jenkins hielt der EuGH die schlechtere Entlohnung der Teilzeitbeschäftigten für rechtsmäßig, wenn der Arbeitgeber "aus objektiv gerechtfertigten wirtschaftlichen Gründen" das Ziel verfolgt, einen Anreiz zum Wechsel zur Vollzeitarbeit zu geben 175. Damit steht fest, daß die Verfolgung von Zielen, die aus wirtschaftlichen und betrieblichen Gründen resultieren, einen legitimen Faktor darstellt, der eine mittelbare Geschlechtsdiskriminierung rechtfertigen kann 176. Dieses Argument findet auch im Bereich der Entgeltdiskriminierung bei gleichwertiger Arbeit Anwendung l77 . Somit kann die Verwendung eines Kriteriums, das zu einer unterschiedlichen Entlohnung bei gleichwertiger Arbeiten bzw. zur mittelbaren Diskriminierung führt, unter Hinweis auf die Bedeutung dieses Kriteriums für die Wahrnehmung der spezifischen, übertragenen Aufgabe gerechtfertigt werden 178. Jedoch ist es eine Frage der Interpretation, inwieweit "wirtschaftliche Gründe" als Faktoren angesehen werden können, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Langen/eid hebt in diesem Zusammenhang zu recht hervor, daß das Kostenargument grundsätzlich nicht als legitimes Ziel anerkannt werden solle l79 . Der Ausgangspunkt, daß der Arbeitgeber bei einer Gruppe von Arbeitnehmern - den Teilzeitbeschäftigten - die Personalkosten sparen könnte, ist nichts anderes als reine Diskriminierung zu bewerten, die nichts darüber aussagt, warum und zu welchem Zweck eine unterschiedliche Behandlung von gerade diesen beiden Gruppen gerechtfertigt ist. Die subjektive Diskriminierungsabsicht bildet zwar keine Voraussetzung für eine mittelbare Diskriminierung, spielt aber eine große Rolle bei der Ermittlung der Legitimität der verfolgten Zwecke und der Erforderlichkeit. bb) Sozialpolitisches Ziel der Mitgliedstaaten Der Ausschluß des Kostenarguments aus den rechtfertigenden Gründen wurde in Roks zum Grundsatz erhoben. Hierbei ging es um HaushaltserwäEuGHE 1981,911 (Rn. 12) - Rs. 96/80 "Jenkins". Zum Ausdruck "wirtschaftliche Gründe" vgl. EuGHE 1986, 1607 (Rn. 36) Rs. 170/84 "Bilka-Kaujhaus". 177 EuGHE 1993, 1-5535 (Rn. 25) - Rs. C-127/92 "Enderby" = im Zusammenhang mit der Berücksichtigung der Arbeitsmarktsituation. 178 EuGHE 1989, 3199 (Rn. 21 ff.) - Rs. 109/88 "Dan/ass" (im Zusammenhang mit Flexibilität, Berufsausbildung und Erfahrung); 1991, 1-297 (Rn. 13 f.) - Rs. C-184/89 "Nimz"; 1997, 1-5253 (Rn. 41) - Rs. C-l/95 "Gerster" (in Zusammenhang mit den durch Erfahrung erlangten Kentnissen und Fertigkeiten). 179 Langen/eid, 1990, S. 217. 175

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11. Mittelbare Diskriminierung

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gungen, die von einem Mitgliedstaat als Rechtfertigungsgrund für die Einführung einer Einkommensanforderung für die Gewährung einer Arbeitsunfähigkeitsrente vorgebracht wurden. Der EuGH hielt fest, daß Haushaltserwägungen als solche kein mit der Sozialpolitik verfolgtes Ziel darstellen und daher eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nicht rechtfertigen können l8o. Haushaltserwägungen rechtfertigen also die Absenkung der sozialen Sicherheit, jedoch keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in diesem Bereich. In Roks war ausschlaggebend, daß die Haushaltserwägungen nicht zu den sozialpolitischen Zielen gehörten. In der Tat charakterisierte der EuGH vielfältige Ziele als sozialpolitisch und erkannte damit an, daß die Verfolgung dieser Ziele in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten falle. Die Spannweite von diesen Zielen reicht von der Sicherung des Existenzminimums l81 über die Sicherung der Neutralität des Betriebsrats l82 bis zur Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Arbeitslosigkeit für Familien mit einem einzigen Einkommen I 83, Berücksichtigung einer sozialen Nachfrage nach einer - sozialversicherungsfreien - geringfügigen Beschäftigung l84 sowie - allerdings nur auf die relativ aussichtslosen Langzeitarbeitslosen beschränkten - Schutz vor der Gefahr, ein Vermögen aufzehren zu müssen 185 . Bei der Legitimierung dieser Ziele wies der EuGH wiederholt darauf hin, daß Mitgliedstaaten im gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts für die Sozialpolitik zuständig seien und daher hinsichtlich der Art der sozialen Schutzmaßnahmen und der konkreten Einzelheiten ihrer Durchführung über einen sachgerechten Ermessensspielraum verfügen würden I 86. Diese Aussage kann dahingehend verstanden werden, daß die Zuständigkeitsverteilung im Bereich der Sozialpolitik zugunsten der Mitgliedstaaten es ihnen ermöglicht, in Anbetracht der verschiedenen Interessenlagen politische Ziele und Prioritäten unter den Zielen zu setzen I 87.

EuGHE 1994,1-571 (Rn. 35) - Rs. C-343/92 "Roks". EuGHE 1987,2497 (Rn. 18) - Rs. 30/85 "Teuling"; 1991,1-2205 (Rn. 20)Rs. C-229/89 "Kom.lBelgien "; 1992, 1-5943 (Rn. 15 f.) - Rs. C-226/91 "Molenbroek"; 1996,1-179 (Rn. 27) - Rs. C-280/94 "Posthuma-van Damme". 182 EuGHE 1996, 1-243 (Rn. 33 ff.) - Rs. C-457/93 "Lewark"; 1996, 1-1165 (Rn. 27) - Rs. C-273/93 "Freers". 183 EuGHE 1991,1-2205 (Rn. 22) - Rs. C-229/89 "Kom.lBelgien". 184 EuGHE 1995, 1-4625 (Rn. 30 f.) - Rs. C-317/93 "Nolte"; 1995, 1-4741 (Rn. 26 f.) - Rs. C-444/93 "Megner". 185 EuGHE 1996,1-273 (Rn. 15 f.) - Rs. C-8/94 "Laperre". 186 EuGHE 1991,1-2205 (Rn. 22) - Rs. C-229/89 "Kom.lBelgien"; 1995,1-4625 (Rn. 33) - Rs. C-317/93 "Nolte"; 1995, 1-4741 (Rn. 29) - Rs. C-444/93 "Megner"; 1996,1-273 (Rn. 18) - Rs. C-8/94 "Laperre". 180 181

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

b) Geeignetheit und Erforderlichkeit

Die Zugehörigkeit eines Ziels zur Sozialpolitik befreit den Mitgliedstaat jedoch nicht von der Argumentation, daß das gewählte Mittel geeignet und erforderlich ist, um dieses Ziel zu erreichen. Auch in diesem Bereich wird das Beurteilungskriterium - zumindest formell - nicht abgemildert. Die nationalen Gerichte sind verpflichtet, die Geeignetheit und Erforderlichkeit unter Berücksichtigung der Möglichkeit zu prüfen, das fragliche sozialpolitisches Ziel mit anderen Mitteln zu erreichen, wie es das Freers-Urteil nochmals deutlich zum Ausdruck bringt 188 • Daher wurde der Versuch eines Mitgliedstaates zurückgewiesen, den Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten von der Lohnfortzahlung in Krankheitsfällen unter Hinweis darauf zu rechtfertigen, daß die ausgeschlossenen Arbeitnehmer nicht in vergleichbarer Weise im Betrieb eingegliedert und mit ihm verbunden seien. Der EuGH sah in diesem Rechtfertigungsversuch lediglich "verallgemeinernde Aussagen zu bestimmten Kategorien von Arbeitnehmern", aus der sich keine objektiven Kriterien entnehmen lassen 189 . Hier wurde offengelassen, ob die Berücksichtigung einer solchen Eigenschaft ein legitimes Ziel darstellt. Auf jeden Fall muß ein Unterscheidungskriterium genau die Zielgruppe treffen, die aus sozialpolitischen Gründen anders behandelt werden soll. Verallgemeinernde Typisierungen oder - um Begriffen aus der amerikanischen Diskussion zu verwenden - "over-" und "underinclusiveness" werden im Bereich der mittelbaren Diskriminierung nicht geduldet. Die Sache ist etwas anders gelagert, wenn der EuGH auf die Inkonsequenz bei der Verfolgung des vorgebrachten Ziels hinweist. Als sich ein Mitgliedstaat in Ruzius-Wilbrink auf die Unbilligkeit stützte, die in der Gewährung einer über das frühere Einkommen hinausgehenden Leistung im Rahmen der Arbeitsunfähigkeit lag, hielt der EuGH dagegen, daß es kein objektiver Rechtfertigungsgrund sein könne, weil andere Gruppen (Studenten, Unterhaltsberechtigte, Selbständige) über das frühere Einkommen hinausgehende Leistungen erhalten können 190. Die Inkonsistenz ist meistens bedingt durch ein Zusammenspiel von vielen verschiedenen Erwägungen. 187 Damit hängt auch zusammen, daß den nationalen Gerichten bei der Beurteilung des verfolgten Ziels Spielraum gewährt wird. Bieback, 1997, S. 96 f. 188 EuGHE 1996,1-1165 (Rn. 29) - Rs. C-278/93 "Freers". 189 EuGHE 1989,2743 (Rn. 13 f.) - Rs. 171/88 "Rinner-Kühn". Wie oben (§ 2, n, 2c) festgestellt, ist der Ausschluß einer "verallgemeinernden Aussage zu bestimmten Kategorien von Arbeitnehmern" aus den legitimen Rechtfertigungsgründen ein feststehender Bestandteil der Rechtsprechung. Vgl. EuGHE 1991, 1-297 (Rn. 14) - Rs. C-184/89 "Nimz". 190 EuGHE 1989,4311 (Rn. 16) - Rs. C-102/88 "Ruzius-Wilbrink".

11. Mittelbare Diskriminierung

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Daher ist es zweifelhaft, ob aufgrund dieser Inkonsistenz dem verfolgten Ziel unmittelbar die Legitimität abgesprochen werden kann J9J. Hier ist eine systematische Betrachtungsweise notwendig, bei der die Zweck-Mittel-Beziehung einerseits, aber auch der Gerechtigkeitsgehalt der Unterscheidung andererseits thematisiert werden müssen. c) Überbelastung der Verhältnismäßigkeitsprüfung ?

Die Verhältnismäßigkeitsprüfung hat im Bereich der Gleichheit bekanntlich Grenzen, die sich aus der Natur der Sache ergeben. Im allgemeinen ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung dort Schwierigkeiten ausgesetzt, wo ihre Wirksamkeit von der Art und Weise der Zweckdefinition abhängt. Henschel wies in seiner abweichenden Meinung zur BVerfG-Entscheidung vom 8.3.1988 auf diese Schwierigkeit hin. Wie sinnvoll eine Erforderlichkeitsprüfung sei, richte sich ihm zufolge ausschließlich danach, wie genau der Gesetzgeber einen Zweck definiere 192. Nach dieser Ansicht verschmelzen Mittel und Zweck, wenn man das Ziel eng faßt, so daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hier nicht mehr weiterhilft; wenn man es weit faßt, gibt es stets andere verfügbare Mittel. Es kommt daher mindestens genauso wie auf die Erforderlichkeitsprüfung darauf an, daß die grundrechtliche Kontrolle bereits bei der Zielvorgabe angesetzt wird. In der Tat wendet der EuGH den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Bereich der mittelbaren Diskriminierung nicht als Selbstzweck an, sondern nur als Mittel zur Feststellung, ob die Anknüpfung an einem geschlechtsneutralen, sich aber einseitig auswirkenden Merkmal aufgrund von Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung zu tun haben l93 . Wie 191 Dies gilt teilweise auch für die Fälle, die die "Vergütung" für die Betriebsratstätigkeit betreffen. In Lewark stellten das BAG und die deutsche Regierung die Neutralität des Betriebsrats und die unentgeltliche Ehrenamtlichkeit der Betriebsratstätigkeit in den Vordergrund, EuGHE 1996, 1-243 (Rn. 33 0. Dann kann jedoch fraglich erscheinen, ob die Verweigerung der Überstunden für Teilzeitbeschäftigte wirklich das allein erforderliche Mittel zum Erreichung dieses Ziels ist, wie das BAG feststellte. BAGE 85, 224. Denn die Vollbeschäftigten erhalten eine Vergütung, von der die Teilzeitbeschäftigten ausgeschlossen sind. Dieses Problem ist vielmehr durch das System selbst bedingt. Hier entstehen Zweifel, ob die Verhältnismäßigkeitsprüfung - und die Orientierung an der Zweck-Mittel-Beziehung - der Natur dieses Problems vollkommen gerecht wird. 192 Abweichende Meinung des Richters Henschel, BVerfGE 78, 38 (54 ff.). 193 Entgegen der hier vertretenen Ansicht hebt Bieback allein den Abwägungscharakter der in diesem Kontext angewandten Verhältnismäßigkeitsprüfung hervor. Bieback, in: NKESR, Art. 119 alt EGV, Rn. 48 ff. Das würde voraussetzen, daß bei einer mittelbaren Diskriminierung schon ein "Eingriff' vorhanden ist. Gerade das muß jedoch zuerst festgestellt werden, bevor eine Abwägung überhaupt stattfinden kann. Das Problem der Theorie des EuGH liegt darin, daß er auf der ersten Stufe

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

das Roks-Urteil und das dort verpönte Ziel der Haushaltserwägung zeigen, beinhaltet dieser Prüfungsmaßstab des EuGH Momente, anhand derer auch die Legitimität des Zwecks überprüft werden kann. Dennoch verliert die Verhältnismäßigkeit ihre Wirksamkeit, je enger das Ziel formuliert wird. Dieser Sachverhalt zeigt sich am deutlichsten bei den sozialpolitischen Zielen, die die Mitgliedstaaten vorbringen. In der Sicherung des Existenzminimums kann man ein weit gefaßtes Ziel erblicken, die Erforderlichkeitsprüfung zeigt in einem solchen Fall ihre Wirksamkeit. Dagegen sind andere Ziele, die bereits oben angeführt wurden, mehr oder weniger präzise formuliert, so daß die Verschmelzung von Mittel und Zweck schon dort zu beobachten ist. Das Ziel der Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit der relativ aussichtslosen Langzeitarbeitslosen vor der Gefahr, ihr Vermögen aufzehren zu müssen, wurde beispielsweise als Ziel angegeben, entsprach aber gleichzeitig genau der Trennlinie, die die fragliche Regelung selbst zieht. In diesem Zusammenhang kommt noch ein weiteres Problem hinzu. Im Bereich der Gleichheit ist die Verhältnismäßigkeit oft - häufiger als beim Eingriff in die Freiheitsrechte - unangebracht, weil die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nur eingeschränkt auf der Zweck-Mittel-Beziehung beruht. Es ist ein großes Verdienst von Huster, daß er in die deutsche Gleichheitsdiskussion die Unterscheidung von Verhältnismäßigkeits- und Entsprechungsprüfung eingeführt hat 194 . In der Tat kann die Verhältnismäßigkeit ihre Funktion dort nicht erfüllen, wo die Ungleichbehandlung nicht als Mittel zur Erreichung eines bestimmten Ziels angesehen wird, sondern mit ihrem Gerechtigkeitsgehalt gerechtfertigt wird. Wenn beispielsweise geltend gemacht wird, daß Gruppe A und Gruppe B verschieden behandelt werden sollen, um die bei den Gruppen ihren Wesensunterschieden entsprechend anders zu behandeln, dann ist die Ungleichbehandlung gleichzeitig Mittel und Ziel. Wenn Vollzeitbeschäftigte einen höheren lahresbruttolohn haben als Teilzeitbeschäftigte, dann resultiert dies unter anderen aus dem einfachen Grund, daß jene länger arbeiten als Letztere. Wenn ein Teilzeitbeschäftigter im System des Stundenlohns und damit letztlich in der Arbeitszeit als erheblichem Unterscheidungskriterium eine mittelbare Diskriminierung erblickt, kann dieses System nur anhand von Erwägungen verteidigt werden, die auf die Gerechtigkeit des Lohnsystems abstellen. In dieser Situation wird die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu einer Tautologie.

(Vorhandensein eines Eingriffs) und zweiten Stufe (Rechtfertigung des Eingriffs) eine und dieselbe Verhältnismäßigkeitsprüfung anwenden will. 194 Huster, Rechte und Ziele, 1993, S. 164 ff.

III. Gerichtlicher Rechtsschutz bei einer Diskriminierung

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Im Bereich der unmittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts kann die Verhältnismäßigkeitsprüfung trotz dieser Schwierigkeit einen geeigneten Prüfungspunkt darstellen, wenn - und nur wenn - akzeptiert wird, daß das Merkmal des Geschlechts außerhalb der positivrechtlichen Ausnahmeregelungen als solches nicht erheblich ist. Dies ist auch der Ausgangspunkt des EuGH. Dagegen bildet die immanente Grenze der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine unüberwindbare Hürde im Bereich der mittelbaren Diskriminierung. Wenn hier das Unterscheidungskriterium einem Wesensunterschied der differenzierten Gruppen entspricht, kann es unmöglich mit einer Zweck-Mittel-Relation gerechtfertigt werden. Somit ist es notwendig, zunächst eine andersartige Prüfung im Fall einer mittelbaren Diskriminierung vorzunehmen. Die Rechtfertigung durch Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, erfüllt allerdings einen Teil dieser Aufgabe. Der Rückgriff auf den Zusammenhang mit der Diskriminierung stellt für sich allein ein vages, eher gefühlsmäßiges Kriterium dar 195 , das das Gebot der Vorhersehbarkeit der Prüfung nicht erfüllt. Welche Prüfung in welcher Form als Ergänzung notwendig ist, hängt von der gesamten Struktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes ab, wie er sich im Verständnis des EuGH darstellt. Für einen abschließenden Vorschlag sind deshalb eine weitere Analyse der Struktur und ein Vergleich mit einer anderen - z. B. der deutschen - Struktur notwendig.

111. Gerichtlicher Rechtsschutz bei einer Diskriminierung Der Grundrechtsbezug des europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes findet auch in der Art und Weise des gerichtlichen Rechtsschutzes seinen Ausdruck. Da der EuGH den Gleichbehandlungsgrundsatz in erster Linie als subjektives Grundrecht versteht, geht es stets um den Schutz eines in seinem Recht verletzten Opfers. Hierbei stellt eine Regelung, die zu Unrecht diskriminiert, einen Eingriff in ein Abwehrrecht dar. Deswegen wird die differenzierende Regelung außer Kraft gesetzt. Dies ist eine typische Argumentationsweise, die man in Deutschland vornehmlich bei den Freiheitsrechten findet. Der europarechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist damit, soweit es die Form des Rechtsschutzes betrifft, ein Freiheitsrecht, zumindest aber ein Abwehrrecht gegen Eingriffe.

195 Der "objektiven Charakter" wird meistens nicht anhand eines Kriteriums ermittelt, sondern gleichsam intuitiv aus der Fallkonstellation unmittelbar anerkannt. EuGHE 2000, 1-10997 (Rn. 44) - Rs. C-79/99 "Schnorbus".

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

1. Freiheitsrechtliche Abwehrfunktion des Gleichbehandlungsgrundsatzes

a) Abwehrrechtliche Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Sinne des allgemeinen Rechtsgrundsatzes

Der abwehrrechtliche Schutz beim Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz hat in dessen Geltung als europäische Grundrechtsnorm seinen Ursprung. In Sabbatini-Bertoni und Chollet-Bauduin erklärte der EuGH das diskriminierende Statut für rechtswidrig und nichtig, so daß die Opfer die betreffende Zulage weiterhin erhalten konnten l96 . In Airola wurde das Statut dahingehend rechtsmäßig ausgelegt, daß die neue Staatsangehörigkeit nicht berücksichtigt und das Statut damit nicht auf die Klägerin angewandt wurde 197. In Razzouk schließlich erkannte der EuGH ausdrücklich an, daß die Maßnahme der Kommission, soweit sie sich auf ein grundrechtswidriges und damit unanwendbares Statut stützt, nichtig sei 198 • Die diskriminierenden Regelungen wurden also entweder für nichtig erklärt oder nicht angewandt. Diese Rechtsfolge betraf nicht das gesamte System des Statuts, sondern nur die diskriminierende Voraussetzung. Somit werden die benachteiligten Gruppen so behandelt, als ob diese Diskriminierung nicht eingetreten wäre. Diese Form des Rechtsschutzes war durch das Selbstverständnis des EuGH bedingt. Er ließ sich nicht auf einen politischen Appell an den europäischen Gesetzgeber ein, er hielt eine europäische Norm entweder für rechtswidrig und nichtig oder für rechtsmäßig. Dabei orientierte er sich nicht an der Struktur der betreffenden Norm, sondern an dem Rechtsschutzinteresse des Opfers, so daß er nur die zusätzliche Voraussetzung außer Kraft setzte, ohne das gesamte System der fraglichen Leistung anzutasten. b) Anspruch auf Anwendung der gleichen Regelung, die für die bevorzugte Gruppe gilt

Der freiheitsrechtliche Charakter der Geschlechtergleichbehandlung wäre eine isolierte, bedeutungslose Erscheinung geblieben, wenn der EuGH den abwehrrechtlichen Rechtsschutzmechanismus nicht in den Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGVeinbezogen hätte. 196 EuGHE 1972, 345 (Rn. 14) - Rs. 20/71 "Sabbatini-Bertoni"; 1972, 363 (Rn. 14) - Rs. 32/71 "Chollet-Bauduin". 197 EuGHE 1975,221 (Rn. 13/16) - Rs. 21/74 "Airola". 198 EuGHE 1984, 1509 (Rn. 18) - Rs. 75/82 "Razzouk".

III. Gerichtlicher Rechtsschutz bei einer Diskriminierung

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Falls in diesem Bereich eine Direktwirkung festgestellt wird, kann sich das Opfer einer Diskriminierung vor nationalen Gerichten auf den europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen. Somit kann er die Anwendung einer Regelung ausschließen, die gegen diesen Grundsatz verstößt. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um innerbetriebliche Maßnahmen und Praktiken, um Tarifvertragsbestimmungen oder um nationale Gesetze handelt. Der EuGH verpflichtet nationale Gerichte dazu, die Rechte zu schützen, die diese Bestimmung den Bürgern verleiht l99 . Diese Struktur ist für den EuGH nicht eigentümlich. Bei einer Lohndiskriminierung im engeren Sinne ist der Rechtsschutz relativ problemlos erreichbar. Da immer eine Vergleichsperson herangezogen wird, die die gleiche Arbeit verrichtet und mehr bekommt, kann das verletzte Recht nur dadurch wiederhergestellt werden, daß das Opfer identisch mit der Vergleichsperson behandelt wird. Das BAG hatte von Anfang an keine Schwierigkeit mit dieser Rechtsschutzform. Es geht ständig von einem Anspruch der diskriminierten Frauen auf den Lohn aus, den der Mann erhalten würde, wenn er diese Arbeit zu leisten hätte 2oo . Dabei muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß diese Argumentation des BAG im Zusammenhang mit seiner früheren Dogmatik der unmittelbaren Drittwirkung stand, die es beim Grundrecht aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG anerkannte 201 . Je weiter sich das Problemfeld vom Entgelt im engeren Sinne entfernt, um so komplizierter wird die Entscheidung über die Rechtsschutzform 202 • In gleicher Weise führte die Wahl der Rechtsschutzform im Anwendungsbereich des RL 79/7 zu einem gravierenden Problem. Da diese Richtlinie das gesetzliche System der sozialen Sicherheit zum Gegenstand hat, bezieht sie sich fast immer auf die vertikale Beziehung, in der eine unbedingte und hinreichend genaue Richtlinie unmittelbar anwendbar ise03 . Der GegenEuGHE 1976,455 (Rn. 40) - Rs. 43/75 "Defrenne-lI"; st. Rspr. BAGE 1, 258 (265 ff.). Das führte beispielsweise zur Nichtigkeit der generellen Abschlagsklauseln. BAGE I, 348 (354). 201 BAGE 1,258 (260 ff.). 202 Normalerweise müßte sich der EuGH mit einer allgemeinen Aussage begnügen, daß nationale Gerichte zum Rechtsschutz verpflichtet seien, weil die konkrete Anwendung des Europarechts auf die innerstaatlichen Rechtsverhältnisse Sache der nationalen Gericht ist. Aus dieser Verpflichtung ziehen die innerstaatlichen Gerichte in den meisten Fällen den Schluß, das der Gleichbehandlungsgrundsatz im Fall seiner Verletztung einen Anspruch auf eine gleiche Behandlung gewährleistet. In der Rechtssache Bilka-Kaujhaus urteilte das BAG, daß die Teilnichtigkeit der mittelbar diskriminierenden Wartezeitregelung zur Folge habe, daß die Beklagte der Klägerin eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft zubilligen müsse. BAGE 53, 161 (173 f.). 203 Zur Voraussetzung der unmittelbaren vertikalen Wirkung einer Richtlinie vgl. EuGHE 1986,723 (Rn. 46) - Rs. 152/84 "Marshall-I"; 1986,3855 (Rn. 13) - Rs. 71/ 199

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§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

stand dieser Richtlinie betrifft jedoch Systeme der sozialen Sicherheit, in denen verschiedene finanz-, wirtschafts- und sozialpolitische Erwägungen die Ausgestaltung der konkreten Leistung und ihre Voraussetzung entscheidend prägen. In dieser Lage fragte es sich, ob das Rechtsschutzinteresse zu einer völligen Gleichstellung des diskriminierten Geschlechts mit dem anderen führen dürfe, oder ob die Wiederherstellung dem nationalen Gesetzgeber anheimgestellt werden solle. Der EuGH hat zuerst im FNV-Urteil vom 4.12.1986 auf diese Frage eine Antwort gegeben. Die Mitgliedstaaten müssen danach zur Behebung einer Rechtsverletzung zunächst die Aufhebung der mit der Richtlinie unvereinbaren Vorschrift aussprechen 204 . "Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die nationale Regierung die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen erläßt, haben die Frauen folglich Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie Männer, die sich in der gleichen Lagen befinden, wobei diese Regelung, solange die Richtlinie nicht durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt,,205.

Daß diese Formel von "Frauen" spricht, ist bedingt durch die Fallkonstellation. Später erweiterte der EuGH ausdrücklich den Anwendungsbereich des Anspruchs auf gleiche Behandlung für den Fall, daß ein Mann diskriminiert wurde 206 . Der Anspruch auf Anwendung der Regelung, die für die bevorzugte Gruppe gilt, ist auch dort maßgeblich, wo dieser Anspruch zu einer sozialpolitisch sinnlosen Doppelzahlung führt 207 . Die Verantwortung für die sinnlose Belastung der Staatskasse trägt also allein der Mitgliedstaat, der nicht rechtzeitig und sinngemäß den Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau umgesetzt hat. Will er die unbefriedigende Lage vermeiden, die 85 "FNV"; 1987, 1453 (Rn. 11) - Rs. 286/85 "McDermott-l"; 1987, 2865 (Rn. 9) - Rs. 384/85 "Clarke"; 1989,4311 (Rn. 19) - Rs. C-102/88 "Ruzius-Wilbrink". 204 Daher dürfen Mitgliedstaaten sich nicht auf ihren Ermessensspielraum bei der Wahl der Form und der Mittel zur Verwirklichung des richtlinienmäßigen Ziels berufen. EuGHE 1986, 3855 (Rn. 24 f.) - Rs. 71/85 "FNV". 205 EuGHE 1986,3855 (Rn. 22) - Rs. 71/85 "FNV"; 1987, 1453 (Rn. 18) - Rs. 286/85 "McDermott-l"; 1987, 2865 (Rn. 13) - Rs. 384/85 "Clarke"; 1988, 1601 (Rn. 10) - Rs. 80/87 "Dik"; 1989,4311 (Rn. 20) - Rs. C-102/88 "Ruzius-Wilbrink"; 1990,1-4243 (Rn. 13) - Rs. C-373/89 "Integrity"; 1991,1-1155 (Rn. 18) - Rs. C-377/ 89 "McDermott-II"; 1991, 1-3723 (Rn. 35) - Rs. C-31/90 "Johnson-l"; 1994, 1-571 (Rn. 18) - Rs. C-343/92 "Roks"; 1994,1-4471 (Rn. 53 f.) - Rs. C-7/93 "Beune". 206 EuGHE 1993, 1-3811 (Rn. 20 f.) - Rs. C-154/92 "van Cant". Im Ergebnis EuGHE 1994,1-4471 (Rn. 53 f.) - Rs. C-7/93 "Beune". 207 In McDermott-1I stellte der EuGH fest, daß Frauen auch Zuschläge zu einer Sozialleistung für ihre Ehemänner und Kinder erhalten können, wenn Männer in gleicher Lage diese Zuschläge erhielten, ohne die tatsächliche Abhängigkeit beweisen zu müssen. Daran ändere nichts, daß dieser Rechtsschutz zu einer sinnlosen Doppelzahlung führe. EuGHE 1991,1-1155 (Rn. 20 ff.) - Rs. C-377/89.

III. Gerichtlicher Rechtsschutz bei einer Diskriminierung

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durch den Anspruch der diskriminierten Geschlechtsgruppe auf Anwendung der gleichen Regelung entstanden ist, dann muß er die Ungleichbehandlung beseitigen. Auf diesen Anspruch auf Gleichbehandlung wurde später im Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV zurückgegriffen, um die Tragweite der den nationalen Gerichten auferlegten Verpflichtung des Rechtsschutzes zu präzisieren208 . Dabei stellte der EuGH auch klar, daß ein nationales Gericht nicht auf die Beseitigung der diskriminierenden Regelung durch den Gesetzgeber oder Tarifparteien warten muß, bevor es diesen Rechtsschutz anordnet209 • Wenn jedoch verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Anwendung der vorteilhaften Regelung sicherzustellen, kann ein nationales Gericht den geeigneten Weg wählen2JO • c) Prozeßrechtliche Hürden

Der Rechtsschutz durch die Nichtanwendung der diskriminierenden und die Anwendung der vorteilhaften Regelung entspricht dem Rechtsschutzinteresse, das der EuGH beim Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz anerkennt. Es geht stets darum, das Recht des einzelnen Bürger zu schützen und die Rechtsverletzungen wiedergutzumachen. In dieser Hinsicht muß der Schadensersatz gen au dem erlittenen wirtschaftlichen Schaden entsprechen. In Marshall-l/ urteilte der EuGH, daß ein Gesetz den Schadensersatzanspruch bei einer Entlassung aufgrund einer Geschlechtsdiskriminierung nicht durch eine Obergrenze und durch einen Ausschluß der Zinsen begrenzen darf211 . In der praktischen Auswirkung wiegen die prozeßrechtlichen Hürden, wie z. B. die Klagefrist, aber schwerer als der Ausschluß von Zinsen. Wenn eine solche Regelung einen gerichtlichen Rechtsschutz praktisch unmöglich macht, hilft der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht denjenigen, die in der Vergangenheit - zwischen der abgelaufenen Umsetzungsfrist und der tatsächlichen Umsetzung - diskriminiert wurden. In dieser Lage zeigt der 208 EuGHE 1990, 1-2591 (Rn. 19 f.) - Rs. C-33/89 "Kowalska"; 1991, 1-297 (Rn. 18) - Rs. C-184/89 "Nimz"; 1994,1-4389 (Rn. 31 ff.) - Rs. C-200/91 "Russel"; 1994,1-4435 (Rn. 17) - Rs. C-408/92 "Smith"; 1994,1-4527 (Rn. 17) - Rs. C-28/93 "van den Akker"; 1997,1-2057 (Rn. 42) - Rs. C-145/95 "Evrenopoulos". 209 EuGHE 1994, 1-4389 (Rn. 31) - Rs. C-200/91 "Russel". 210 EuGHE 1993,1-5435 (Rn. 33 f.) - Rs. C-337/91 "van Gemert-Derks". 211 EuGHE 1993, 1-4367 (Rn. 25 ff.) - Rs. C-271191 "Marshall-ll". Der Wirkungsbereich dieses Urteils in bezug auf den Zinsanspruch wurde in Sutton auf den Schadensersatzanspruch begrenzt und nicht auf eine verspätete Versorgungsleistung erstreckt. EuGHE 1997,1-2163 (Rn. 23 f.) - Rs. C-66/95.

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§ 2 Inhalt und Tragweite des GIeichbehandlungsgrundsatzes

EuGH Sensibilität gegenüber solchen Hürden. Der EuGH geht davon aus, daß es Sache der nationalen Rechtsordnung ist, die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Die Mitgliedstaaten dürfen sich auf ihre Zuständigkeit stützen, sofern die Modalitäten nicht ungünstiger sind als die für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Rechte betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und nicht so ausgestaltet sind, daß sie die Ausübung der Rechte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität)212. Die Gestaltungsfreiheit eines Mitgliedstaats wird also nach der Rechtsprechung des EuGH dort überschritten, wo eine nationale Regelung einen wirksamen gerichtlichen Schutz eines durch das Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Rechts nicht mehr sicherstellen kann. So stellte er in Emmott fest, daß ein Mitgliedstaat, der nicht fristgemäß die RL 79/7 umgesetzt habe, sich nicht auf die nationalen Verfahrensvorschriften über Klagefristen gegenüber einer Klage berufen dürfe, die ein Einzelner gegen den Staat zum Schutz der durch diese Richtlinie unmittelbar verliehenen Rechte erhoben habe 213 . In Levez wurde auch eine nationale Regelung, die den rückwirkenden Rechtsschutz bei einer Entgeltdiskriminierung auf zwei Jahre vor der Klageerhebung beschränkte, als Verstoß gegen Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV und die RL 75/117 angesehen. Der EuGH führte dabei aus, daß eine Regelung über Klagefristen an sich nicht zu beanstanden sei. Wenn sich der Arbeitgeber, der bewußt über das Gehalt des männlichen Vorgängers falsche Angabe mache und eine Arbeitnehmerin hindere, die Forderung nach dem gleichen Entgelt für gleiche Arbeit zu erheben, auf eine Regelung stützen und seiner Verpflichtung entziehen könne, sei dies unvereinbar mit dem Grundsatz der Effektivitäe 14.

212 EuGHE 1991, 1-4269 (Rn. 16) - Rs. C-208/90 "Emmott". Ähnlich EuGHE 1993,1-5475 (Rn. 15) - Rs. C-338/91 "Steenhorst-Neerings"; 1994,1-5483 (Rn. 21) - Rs. C-410/92 "Johnson"; 1996, 1-5223 (Rn. 37) - Rs. C-435/93 "Dietz"; 1997, 1-7153 (Rn. 37) - Rs. C-246/96 "Magorrian"; 1998,1-7835 (Rn. 18) - Rs. C-326/ 96 "Levez"; 2000, 1-3201 (Rn. 31 ff.) - Rs. C-78/98 "Preston". Erst in Levez wurde diese Bezeichnung im Bereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes benutzt. 213 EuGHE 1991, 1-4269 (Rn. 24) - Rs. C-208/90 "Emmott". Ähnlich EuGHE 1997, 1-7153 (Rn. 37 ff.) - Rs. C-246/96 "Magorrian". Jedoch räumt der EuGH auch ein, daß Fristregelungen, die die Rückwirkung eines Antrags auf Gewährung einer bestimmten Leistung begrenzen würden, anders zu beurteilen seien, weil sie die Geltendmachung der durch Richtlinien unmittelbar verliehenen Rechte nicht unmöglich machen würden. EuGHE 1993, 1-5474 (Rn. 16) - Rs. C-338/91 "Steenhorst-Neerings"; 1994,1-5483 (Rn. 30 f.) - Rs. C-41O/92 "Johnson-ll". 214 EuGHE 1998,1-7835 (Rn. 31 ff.) - Rs. C-326/96 "Levez".

III. Gerichtlicher Rechtsschutz bei einer Diskriminierung

167

Diese praktische Haltung des EuGH zeigt, daß es für ihn auf jeden Einzelfall ankommt. Nach seinem Verständnis ist der Gleichbehandlungsgrundsatz kein objektivrechtliches Prinzip, sondern ein subjektives Recht, das keine einzige Verletzung in Form einer Diskriminierung toleriert. 2. Wiederherstellung der Gleichbehandlung

Beim gerichtlichen Rechtsschutz wird dem Diskriminierungsopfer ein Anspruch auf die Anwendung der Regelungen eingeräumt, die für die bevorzugte Gruppe gilt. Dieser Anspruch wird durch den Rechtsschutz vor dem nationalen Gericht sichergestellt, ohne ihn von der weiteren Normänderung seitens des Gesetzgeber oder Tarifparteien abhängig zu machen. Von seiner normativen Struktur her ist dieser Anspruch als Fortsetzung der abwehrrechtlichen Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu verstehen. Die Regelung für die bevorzugte Gruppe kommt deswegen zum Tragen, weil die andere, diskriminierende Regelung wegen der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundrechts nicht mehr anwendbar ist. Der Anspruch auf die Anwendung der bevorzugenden Regelung verlangt somit keine absolute Geltung, sondern die Geltung dieses Anspruchs ist auf das Rechtsschutzverfahren beschränkt. Der EuGH brachte in Russel und folgenden Urteilen diesen Sachverhalt klar zum Ausdruck. Er stellte dort nämlich klar, daß eine Maßnahme, durch die die Gleichbehandlung im Wege der Einschränkung der bis dahin bevorzugten Personen wiederhergestellt wird, nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt 215 • Daher verstößt die Heraufsetzung des Rentenalters für weibliche Arbeitnehmer auf das für männliche Arbeitnehmer vorgesehene Alter nicht gegen Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV 216 • Wenn sich der Arbeitgeber für diese Form der Wiederherstellung der Gleichbehandlung entscheidet, darf er aber die Gleichheit nicht bloß schrittweise unter Bedingungen herstellen, die einen vorübergehenden Fortbestand der Diskriminierung bedeuten würden 217 . Um diese Doktrin zu begründen, stützte sich der EuGH zurecht darauf, daß Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV nur verlangt, daß Männer und Frauen bei gleicher Arbeit das gleiche Entgelt erhalten, ohne aber eine bestimmte Höhe vorzuschreiben 218 . Weder Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV noch die Gleichbehandlungsrichtlinie beinhalten eine 215 EuGHE 1994, 1-4389 (Rn. 33) - Rs. C-200/91 "Russel"; 1994, 1-4435 (Rn. 21) - Rs. C-408/92 "Smith"; 1994,1-4527 (Rn. 19) - Rs. C-28/93 "van den

Akker". 216 217

EuGHE 1994,1-4435 (Rn. 21) - Rs. C-408/92 "Smith". EuGHE 1994,1-4435 (Rn. 26) - Rs. C-408/92 "Smith".

168

§ 2 Inhalt und Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Bestandsgarantie in bezug auf das einmal erreichte Lohn- und Leistungsniveau sowie die Arbeitsbedingungen. Sie beinhalten lediglich das Recht auf Gleichbehandlung. Wenn die Gleichbehandlung in geschlechtlicher Hinsicht sichergestellt wird, auch durch eine Anpassung nach unten, dann endet jede Verletzungslage. Dies entspricht dem Wesen des Rechts, nicht nach Zugehörigkeit zu einer Geschlechtsgruppe beurteilt zu werden.

IV. Ergebnis Anhand der normativen Struktur des Gleichbehandlungsgrundsatzes, der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung und der Form des gerichtlichen Rechtsschutzes konnte hier festgestellt werden, daß der EuGH ein einheitliches Verständnis verfolgt. Die Besonderheit dieses Verständnisses zeigt sich darin, daß der subjektiv-rechtliche, abwehrrechtliche Charakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes ständig maßgebliche Bedeutung hat. Dieses Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann hier als subjektivrechtliches Modell bezeichnet werden. Das subjektive Recht auf Gleichbehandlung steht für die europarechtliche Gleichberechtigung von Mann und Frau im Mittelpunkt. Wie das Problem der Rechtsschutzform zeigte, weist dieses Recht einen abwehrrechtlichen, ja sogar freiheitsrechtlichen Charakter auf. Diesem Charakter entspricht es auch, daß bei der Rechtfertigung des Eingriffs in den Schutzbereich des Rechts die Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt wird. Die Einschränkung dieses Rechts ist nur zulässig - d.h., sie muß von dem Opfer der Diskriminierung geduldet werden -, soweit sie geeignet und erforderlich ist, um das Ziel zu erreichen, das eine ausdrückliche Ausnahmeregelung verfolgt. Somit ist das europäische Recht auf Gleichbehandlung ein Abwehrrecht, das über einen exakt abgrenzbaren Schutzbereich verfügt. Diese Feststellung gerät jedoch in Widerspruch mit dem in Deutschland geläufigen Verständnis der Gleichberechtigung von Mann und Frau. In der deutschen Diskussion wird stets streng zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechte unterschieden. Nun gilt es, anhand konkreter Aussagen und der Dogmatik in Deutschland die Struktur zu ermitteln, die die Geschlechtergleichberechtigung im deutschen Recht aufweist.

218 EuGHE 1994, 1-4389 (Rn. 33) - Rs. C-200/91 "Russel"; 1994, 1-4435 (Rn. 21) - Rs. C-408/92 "Smith"; 1994,1-4527 (Rn. 19) - Rs. C-28/93 "van den

Akker".

2. Teil

Das Recht auf Gleichbehandlung im Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG § 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre

dogmatische Grundlage

Die dogmatische Struktur des europäischen Gleichbehandlungsgrundsatzes ähnelt in einigen Punkten der des Gleichberechtigungsgebots in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, wie es sich durch die Rechtsprechung des BVerfG entwickelt hat. Die beiden Normen gewährleisten die rechtliche Gleichheit von Mann und Frau als subjektives Recht jedes Einzelnen. Sie zielen auf ein Diskriminierungsverbot ab, das auch die Benachteiligung eines Mannes gegenüber einer Frau ausschließen soll. Bei näherem Hinsehen zeigen die bei den Rechtssätze jedoch, trotz dieser fundamentalen Ähnlichkeit, eine unterschiedliche Normstruktur. Im Gegensatz zum subjektiv-rechtlichen Modell des europäischen Gleichbehandlungsgrundsatzes tendiert das - wenigstens bis vor kurzem - herrschende Verständnis der deutschen Gleichberechtigung zu einem gerechtigkeitsorientierten Strukturmodell. Nach diesem Modell wird der Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau nicht in erster Linie als Recht mit eigenem Gehalt betrachtet. Bei der Beschränkung kommt es kaum auf die Rechtsmäßigkeit des "Eingriffs" an. Vielmehr geht die herrschende Lehre davon aus, daß es keinen eigenständigen Schutzbereich der Gleichheit gebe, in den eingegriffen werden könnte'. Dieses zugrunde gelegte Verständnis des Gleichheitsgrundrechts macht es unmöglich, in diesem Gebiet die Verhältnismäßigkeitsprüfung anzuwenden, weil es bei dieser Prüfung nur um die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das - prima facie Grundrecht geht. Diesem Grundverständnis entspricht es, daß die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG überwiegend im Sinne eines kategorischen, absoluten Anknüpfungsverbots aufgefaßt wird. Aufgrund dieser Auslegung wird das Gleichberechtigungsgebot nicht durch eine AbwäI

Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbotes, 1987, S. 32.

170

§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

gung mit höherwertigen Interessen relativiert. Sein Anwendungsbereich wird lediglich durch das vorgegebene Vergleichspaar bestimmt und begrenzt. Diese Auslegung gibt jedoch keinen Raum dafür, mittelbare Diskriminierungen im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG verfassungsrechtlich hinsichtlich ihrer Rechtfertigung zu prüfen. Darüber hinaus wird der Anwendungsbereich des Gleichberechtigungsgebots durch die Anerkennung der Möglichkeit begrenzt, daß vorgefundene tatsächliche Unterschiede zwischen Männem und Frauen unter Umständen auch rechtlich berücksichtigt werden dürfen. Die Rechtsprechung des BVerfG hat in dieser Hinsicht die Vergleichbarkeitsprüfung entwickelt, nach der das Gleichberechtigungsgebot dort nicht angewandt wird, wo sich Mann und Frau nicht in einer vergleichbaren Lage befinden und daher sinnvollerweise nicht von einer "Benachteiligung wegen des Geschlechts" gesprochen werden kann 2 . Inzwischen ist dieses Modell in Deutschland im Wandel begriffen. Seit Anfang der neunziger Jahre stellt das BVerfG die "biologischen und funktionalen Unterschiede" nicht mehr in den Vordergrund. Statt dessen stellt es bei der Lösung von geschlechtsspezifischen Problemen auf die Erforderlichkeit ab. Es herrscht jedoch noch keine Einigkeit darüber, von welcher Tragweite dieser Wandel ist und sein soll. Unter diesen Bedingungen wird in diesem Kapitel zuerst das gerechtigkeitsorientierte Modell analysiert, das bis in die achtziger Jahre ausdrücklich die Grundlage der Rechtsprechung bildete. Zum Teil handelt es sich bei dieser Analyse um eine rein rechtshistorische Untersuchung, soweit dieses Modell in der heutigen Auffassung überholt und überwunden ist. Jedoch hat sie zum Teil einen Gegenwartsbezug, soweit ein Teil des Schrifttums ein kontinuierliches Verständnis des BVerfG annimmt.

I. Verhältnis des Gleichberechtigungsgebots zum allgemeinen Gleichheitssatz 1. Substantielle Gleichheit Nach der Rechtsprechung des BVerfG steht es von Anfang an fest, daß das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG eine Konkretisierung und eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG darstellt3 . Alle Gleichheitsgrundrechte teilen 2 Ausdrücklich BVerfGE 6, 389 (422 f.). Diese Auffassung bildet die Grundlage der Formel von "biologischen und funktionalen Unterschieden". BVerfGE 3, 225 (242); 5, 9 (12); 6, 389 (422); 11, 277 (281); 15, 337 (343); 43, 213 (225); 52, 369 (374); 57, 335 (3420; 63,181 (194); 68, 384 (390); 74,163 (179); 84, 9 (17). 3 BVerfGE 3, 225 (239 f.); 10, 59 (73); 15, 337 (343); 21, 329 (343); 31, 1 (4); 37,217 (259); 43, 213 (225); 48, 346 (365 f.); 52, 369 (374); 63, 181 (194).

I. Gleichberechtigungsgebot und allgemeiner Gleichheitssatz

171

somit die Grundstruktur, die in der Willkürformel des BVerfG im Bereich des Art. 3 Abs. 1 zum Ausdruck kommt. Spätestens seit Leibholz herrscht in Deutschland Einigkeit darüber, daß das rechtliche Gleichheitsgebot nicht eine formelle, schematische Gleichheit bedeutet. Er verfocht die These, daß die Menschen, die einander wesentlich gleich seien, insoweit auch Anspruch auf gleiche rechtliche Behandlung durch den Gesetzgeber hätten4 . Trotz dieser subjektiv-rechtlichen Ausdrucksweise 5 bezog sich der Anspruch auf Gleichbehandlung nach dem Verständnis von Leibholz auf keinen vorgegebenen Gegenstand. Vielmehr konkretisierte dieser Anspruch nur ein objektives Gerechtigkeitsprinzip im Sinne von Aristoteles, daß Gleiche Gleiches, Nichtgleiche nicht Gleiches bekommen sollten6 . Leibholz sprach nur deswegen von einem subjektiven Anspruch, weil er den Gerichten ermöglichen wollte, die Einhaltung dieses Gerechtigkeitsprinzips durch den Gesetzgeber zu überprüfen. Diese gerechtigkeitsorientierte Ausrichtung des Gleichheitsrechts lag in der Natur des gewählten Ansatzpunktes: die rechtliche Gleichheit der tatsächlich Gleichen. Bei dieser Struktur der rechtlichen Gleichheit fehlt nämlich ein als vorstaatlich zu konstruierender normativer Kern, der bei den Freiheitsrechten zumindest im theoretischen Hintergrund die Tragweite des Schutzbereichs maßgeblich bestimmt. Denn in Wirklichkeit gibt es keine identischen Menschen; es gibt nur ähnliche Sachverhalte. Ob zwei ähnliche Situationen als "wesentlich gleich" angesehen werden sollen, ist eine normative Frage, die sich je nach gewähltem Gesichtspunkt anders entscheidet. Jede Aussage über die wesentliche Gleichheit setzt somit einen Maßstab voraus, der die Entscheidung erlaubt, was als wesentlich und was als nicht wesentlich gilt. Daher muß dieser Maßstab zuerst von einem Normgeber festgelegt werden, bevor man sich überhaupt auf die Gleichheit berufen kann. Dies führte zuerst bei Leibholi, sodann auch beim BVerfG dazu, den Gehalt des allgemeinen Gleichheitssatzes auf das Willkürverbot zu reduzieren. In einem Urteil aus dem ersten Band der Entscheidungssammlung heißt es: "Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzLeibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, 1925, S. 45. In der Tat hob Leibholz den subjektiv-rechtlichen Charakter der Rechtsgleichheit und ihre mit Freiheitsrechten vergleichbare negative Natur hervor. Leibholz, 1925, S. 115 ff. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß sich bei der so ausgelegten Gleichheit kein selbständiger Schutzbereich feststellen läßt. 6 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Fünftes Buch, Sechstes Kapitel, 1131a. 7 Leibholz, 1925, S. 72 ff. Bei ihm bietet einzig das Tag für Tag wandelbare Rechtsbewußtsein ein Kriterium für eine Willkürlichkeit. 4

5

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

liehe Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß"s.

Nach dieser Theorie des Willkürverbots wird dem Gesetzgeber eine großzügige Gestaltungsfreiheit eingeräumt. Rechtliche Gleichheit ist lediglich dort tangiert, wo die Grenze der Willkür überschritten wird. In der Willkürprüfung kommt es nicht darauf an, ob ein "Eingriff' in den Schutzbereich des individuellen Rechts gerechtfertigt werden kann, sondern nur darauf, ob eine differenzierende gesetzliche Regelung sachlich begründet ist. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Struktur eines Gleichheitsgrundrechts wesentlich von der eines Freiheitsrechts. Es gibt beim Gleichheitsgrundrecht keinen selbständigen Schutzgegenstand im Sinne eines Prima-facie-Rechts.

In dieser Interpretation hat der allgemeine Gleichheitssatz nur insoweit subjektiv-rechtlichen Charakter, als er die Überprüfung der sachlichen Begründetheit einer gesetzlichen Regelung durch Gerichte ermöglicht. Der Anspruch des Einzelnen auf Rechtsgleichheit ist hier also eher von funktional-rechtlicher Natur9 . Es ist jedoch festzustellen, daß mit dieser Reduzierung auf einen technischen Begründungszwang bei einer differenzierenden Regelung jeglicher Bezug zu einem individualrechtlichen Kernbestand der Rechtsgleichheit verloren gegangen ist. Daß die Rechtsgleichheit deswegen zu den Grundrechten zählt, weil sie die Gleichheit von Personen als Träger der Menschenwürde lO zugrunde legt, ist bei der Interpretation des allgemeinen Gleichheitssatzes als Willkürverbot weitgehend in Vergessenheit geraten 11. Dennoch prägte das Modell des allgemeinen Gleichheitssatzes auch die Diskussion beim Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. Folglich bildet der Anspruch auf formelle Gleichbehandlung keine normative Grundlage des Gleichberechtigungsgebots von Mann und Frau.

8

BVerfGE 1, 15 (52); st. Rspr. bis zur sogenannten neuen Formel des ersten Se-

nats. 9 Dazu, daß der Willkürbegriff im Kontext der richterlichen Kontrollbefugnis steht und nicht den Inhalt der Rechtsgleichheit ausmachen kann, vgl. Dürig, in: MaunzlDürig, Art. 3, Abs. I, Rn. 332. Noch 1995 hebt Bleckmann hervor, daß der Gleichheitssatz primär nur einen Rechtssatz des objektiven Rechts darstelle. Bleckmann, Die Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes, 1995, S. 54. 10 Zum Verhältnis der Gleichheit zur Menschenwürde vgl. Dürig, in: Maunz/ Dürig, Art. 3, Abs. I, Rn. 3 f. 11 BVerfGE 10, 59 (73) betont einerseits die "weitgehende Gleichheit aller Menschen" beim Hinweis auf die Unerheblichkeitsthese. Diese Aussage bezog sich aber andererseits nicht in erster Linie auf die Eigenständigkeit des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG gegenüber dem Willkürverbot.

I. Gleichberechtigungsgebot und allgemeiner Gleichheitssatz

173

2. Gleichberechtigungsgebot als Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes Seit Beginn seiner Rechtsprechung in diesem Bereich vertritt das BVerfG die These, daß das Gleichberechtigungsgebot in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. I GG konkretisiert. Als das BVerfG im Urteil vom 18.12.1953 die Qualität des Art. 3 Abs. 2 GG als echte Rechtsnorm und seine unmittelbare Anwendbarkeit erstmals feststellte, führte es aus, daß das Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG als Konkretisierung des Gleichheitssatzes durch die Verfassung anzusehen sei. Nach diesem Verständnis beschreibt das Differenzierungsverbot in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG die Grenze der Gestaltungsfreiheit, die dem Gesetzgeber in Art. 3 Abs. 1 GG innerhalb der Willkürgrenze eingeräumt wird. Angesichts der vom Grundgesetz bereits getroffenen Entscheidung kann nicht mehr gefragt werden, ob der Geschlechtsunterschied heute noch als rechtlich erheblich anzusehen ist 12 • Auf diesen Gedankengang wird seitdem immer wieder zurückgegriffen 13 . a) Gleichwertigkeitstheorie aa) Auseinandersetzung mit der Gleichwertigkeitstheorie Hier berief sich das BVerfG auf die Grundentscheidung des Verfassungsgebers für die rechtliche Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede (Unerheblichkeitsthese) 14. Die normative Entscheidung für die Irrelevanz der Geschlechtsunterschiede hätte, wenn sie konsequent durchgeführt worden wäre, zu einer geeigneten Grundlage für ein Recht auf Gleichbehandlung der beiden Geschlechter geführt, wie es im Gemeinschaftsrecht konkretisiert wird. Dies war hier jedoch nicht der Fall. Die Tragweite der hier getroffenen Feststellung wurde nämlich durch die dogmatische Stellung bedingt. Das BVerfG lehnte mit dem Grundsatzurteil von 1953 nicht nur das Verständnis des Art. 3 Abs. 2 GG als unverbindlichen Programmsatz ab, sondern auch die Theorie, daß diese Verfassungsbestimmung eine gleichwertige und nicht eine gleiche Behandlung von Mann und Frau gebiete. Nach 12 BVerfGE 3, 225 (240). Bei diesem Urteil ging es um die Rechtsmäßigkeit des Art. 117 GG und damit um die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 2 GG nach dem Ablauf des in Art. 117 vorgesehenen Termins. 13 BVerfGE 10,59 (73); 15, 337 (343); 21 , 329 (343); 31, 1 (4); 37, 217 (259); 43,213 (225); 48, 346 (365 f.); 52, 369 (374); 63, 181 (194). 14 Zur Unerheblichkeitsthese vgl. Krichhof, in: HBdStR V, § 124, Rn. 96; Sachs, HBdStR V, §126, Rn. 59.

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§ 3 VergleichbarkeitsplÜfung und ihre dogmatische Grundlage

dieser damals stark vertretenen Meinung verlangt Art. 3 Abs. 2 GG nicht die Gleichheit der Rechtsposition von Mann und Frau, sondern die Gleichwertigkeit der differenzierenden Behandlungen, die sich aus der Berücksichtigung der naturgegebenen Verschiedenheit von Mann und Frau ergeben 15 . Hätte sich diese Ansicht durchgesetzt, so wäre Art. 3 Abs. 2 GG weitgehend der rechtlichen Bedeutung und Verbindlichkeit beraubt worden, weil diese Theorie praktisch jegliche rechtliche Differenzierung als verfassungsgemäß rechtfertigen kann. Da im Gleichwertigkeitsurteil kein intersubjektiver Maßstab innewohnt, kann der Normgeber seine Differenzierung beliebig als gleichwertig bezeichnen. Darüber hinaus beinhaltet Art. 3 Abs. 2 GG nach dieser Meinung zugegebenermaßen keine Antwort auf die Frage, wann rechtliche Unterscheidung möglich bzw. erforderlich seien. Die Vertreter dieser Meinung orientierten sich danach, "wo nach dem Gesamtzusammenhang unseres heutigen Sozialgefüges Unterschiede noch gerechtfertigt sind,,16, so daß im Ergebnis eine Diskriminierung dort gerechtfertigt erschien, wo sie durch verbreitete Anschauung getragen wurde. Die Unerheblichkeitsthese war in diesem Zusammenhang notwendig, um der Gleichwertigkeitstheorie entgegenzuwirken und Art. 3 Abs. 2 GG vor einer Relativierung zu schützen. Inwieweit das BVerfG und die seitdem herrschende Lehre die normative Irrelevanz der Geschlechtsunterschiede ernst nahmen, gehört zu einem anderen Kontext. bb) Gleichwertigkeit der Arbeit der Hausfrau mit der Erwerbstätigkeit Das BVerfG bestand nicht auf der konsequenten Durchsetzung der Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede, sondern akzeptierte weitgehend die Anforderungen, die aus der Gleichwertigkeitsthese resultieren. Das wichtigste war die Gleichstellung der Arbeit einer Hausfrau mit der einer "Geschäftsfrau". Das BVerfG sah einen wichtigen normativen Gehalt des Art. 3 Abs. 2 GG darin, "der rechtlichen Unterbewertung der Arbeit der Frau in Haushalt und Familie ein Ende zu setzen und ihr eine gerechte Berücksichtigung zu sichern,,17. Die Subsumtion dieser - unter dem heutigen Gesichtspunkt höchstens familienpolitischen - Forderung unter das Gleichberechtigungsge15 Typisch Beitzke, in: Die Grundrechte, Bd. 11, S. 208 f.: "Mann und Frau brauchen nicht identische, sondern nur gleichwertige Rechte zu haben" (S. 209). 16 Beitzke, in: Die Grundrechte, Bd. 11, S. 209. 17 BVerfGE 17, 1 (13). Vgl. auch BVerfGE 3, 225 (246); 11,277 (280); 17,38 (51). Zuletzt rechtfertigte das BVerfG im Jahr 1978 mit Hilfe dieser Argumentation auch die bevorzugende Behandlung der Hausfrau im Rahmen der Entschädigung für die Zeugenaussage. BVerfGE 49, 280 (285).

I. Gleichberechtigungsgebot und allgemeiner Gleichheitssatz

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bot setzte jedoch die Verbindlichkeit der überlieferten Rollenverteilung innerhalb der Ehe und Familie voraus. Als das BVerfG also die Gleichwertigkeit der Hausfrauenarbeit postulierte, legte es die rechtlich sanktionierte Aufgabenteilung einfach als vorgegeben zugrunde. Diese Situation war durch die Gesetzeslage bedingt. § 1356 Abs. 1 BGB in der Fassung des "Gleichberechtigungsgesetzes" vom 18.6.1957 18 schrieb vor: "Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist".

Die Lektüre dieser Bestimmung erweckt den Zweifel, ob dem Gesetz dieser Name gebührte. Jedoch befand es das BVerfG nie für notwendig, diese gesetzliche Grundlage mit dem Zwang zum Hausfrauendasein am Maßstab des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG zu messen. Vielmehr konnte das BVerfG sich mit dieser Bestimmung identifizieren und davon ausgehen, daß die Haushaltsführung immer "Beruf der Frau und ihr wesentlicher Unterhaltsbeitrag" bleibe l9 . In dieser Hinsicht zog das BVerfG im Bereich des Ehe- und Familienrechts die Gleichwertigkeitstheorie der Unerheblichkeitsthese vor. Der Gesetzgeber durfte bei der Ausgestaltung des Eheverhältnisses unmittelbar am Geschlecht anknüpfen und der Frauen eine Aufgabe zuweisen. Das BVerfG sah in diesen gesetzlichen Regelungen nicht einmal eine verfassungsmäßige Beschränkung des Gleichheitsgebots, vielmehr betrachtete es sie als Ausgestaltung des Art. 3 Abs. 2 GG 20 . Im Grundsatzurteil von 1953 sprach das BVerfG davon, daß "Gleichberechtigung" nur insofern mit "Gleichwertigkeit" zu tun habe, als Gleichberechtigung stets auf Gleichwertigkeit aufbaue, die die Andersartigkeit anerkenne 21 . Auf der einen Seite lehnte diese Aussage die Reduzierung des Gleichberechtigungsgebots auf die Gleichwertigkeitstheorie ab. Auf der anderen Seite zeigt sie jedoch auch deutlich, daß die "Gleichwertigkeit der Andersartigen" - und die damit verbundene Erkenntnis der "natürlichen Verschiedenheit der beiden Geschlechter,,22 - als verdecktes Leitprinzip immer die Rechtsprechung des BVerfG begleitete. IS Dieses Gesetz sollte die vom Grundsatzurteil des BVerfG vom 18.12.1953 als nicht mehr anwendbar erklärten Bestimmungen des BGB ersetzen. 19 BVerfGE 17, 1 (20). 20 Dazu, daß das BVerfG in dieser Hinsicht die einfachgesetzliche Regelung ohne ausreichende Prüfung akzeptierte und damit seiner Verfassungsauslegung zugrunde legte, vgl. Sachs, 1987, S. 59 ff. Dies führte, wie Sachs dort zurecht hervorhebt, zur "Ausschaltung der Verfassung als Maßstab". 21 BVerfGE 3, 225 (241). 22 BVerfGE 6, 389 (423).

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

b) Anwendung der Willkürprüjung im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG? Die eingeschränkt beigemessene Bedeutung der Unerheblichkeitsthese führte nicht unbedingt zur Zurückhaltung des BVerfG bei der Verwirklichung des Norminhalts von Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. Vielmehr ist es eine historische Tatsache, daß das BVerfG beim Abbau der rechtlichen Diskriminierungen in der Bundesrepublik - mindestens in Vergleich zu manch anderen Gerichten und Lehrmeinungen - eine führende Rolle spielte. Auch in bezug auf die Formel "Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes" mußte das BVerfG zunächst ein Mißverständnis ausräumen und die Notwendigkeit einer strengen Anwendung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG hervorheben. Die "Konkretisierung" wurde nämlich teilweise im Sinne einer Inhaltsgleichheit von Art. 3 Abs. 1 GG einerseits und Abs. 2 und 3 andererseits verstanden. Der BGH, der vorher Art. 3 Abs. 2 GG als "nur ein Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes" bezeichnet hatte 23 , zog im Urteil vom 5.5.1959 den Schluß, daß das Willkürverbot auch im Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 2 GG maßgeblich sei. In Frage stand dabei eine nach der Beendung der Besatzung fortbestehende, erbrechtliche Regelung im Rahmen des Besatzungsrechts, die - der Tradition entsprechend - für Vererbung von Bauernhöfen die Anerbenfolge vorsah und dabei einen Vorzug des männlichen Geschlechts normierte. Der BGH meinte, diese Regelung enthalte zwar eine Zurücksetzung der Frau, die jedoch nicht willkürlich, sondern sachlich gerechtfertigt sei und damit nicht gegen Art. 3 Abs. 2 GG verstoße 24 . Im Rahmen der Verfassungs beschwerde gegen dieses Urteil hob das BVerfG dagegen hervor, daß eine Unterscheidung nach dem Geschlecht nicht schon deshalb gerechtfertigt sei, weil eine Bevorzugung des männlichen Hoferben auf vernünftigen sachlichen Erwägungen beruhe. Die Zurücksetzung der weiblichen Erben müßte danach unerläßlich sein, um das Ziel der Höfeordnung zu erreichen. Weil dies nicht der Fall sei, verletze die betreffende Regelung Art. 3 Abs. 2 GG25 . Diese Haltung des BVerfG ist abgesehen vom hier verwendeten Kriterium der "Unerläßlichkeit,,26 - eine logische Konsequenz aus dem Grundsatzurteil von 1953. Dort wurde schon darauf hingewiesen, daß Art. 3 Abs. 2 GG eine neben der Willkürgrenze BGH (1. Zivilsenat), Gutachten vom 6.9.1953, BGHZ 11 Anhang, 34 (58). BGHZ 30, 50 (52 ff.). 25 BVerfGE 15, 337 (343). 26 Dieses Urteil stellt sich in der Tat in bezug auf die Verwendung der "Unerläßlichkeits"-Prüfung als ein Einzelgänger dar, bis das BVerfG in den neunziger Jahren anfing, die "Erforderlichkeit" für die Lösung eines geschlechts spezifischen Problems in den Vordergrund zu stellen. Zu dieser Problematik siehe unten § 4, I. 23

24

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zusätzliche Grenze des gesetzgeberischen Ennessens darstelle. Das BVerfG betonte 1959 darüber hinaus, daß eine ähnlichen Gestaltungsfreiheit im Wirkungsbereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG wie im Bereich des allgemeinen Gleichheitssatzes zu dem "unannehmbaren Ergebnis" führen würde, daß eine gesetzgebende Mehrheit angeblich vernünftige Diskriminierungen einführen könnte 27 • So grob das Mißverständnis der bundesverfassungsgerichtlichen Konkretisierungsthese durch den BGH also erscheinen mag, dieser Streit betraf ein theoretisch wichtiges Kernproblem. Das BVerfG traf nämlich keine Aussage über den theoretischen Hintergrund dieser Unerheblichkeitsthese. Es beruft sich allein auf die "Erfahrungen der Vergangenheit", die es notwendig machen, die Differenzierung nach verpönten Merkmalen durch einen besonderen Verfassungssatz zu verbieten 28 . Dabei ging es davon aus, daß die genannten Differenzierungen theoretisch schon durch Art. 3 Abs. 1 GG verboten seien, jedoch unter den damaligen Umständen eine verfassungsgesetzliche Bekräftigung notwendig gewesen sei. Dies läßt die Vennutung zu, daß das BVerfG die Unerheblichkeitsthese aufgrund einer tatsachenbezogenen Betrachtungsweise vertrat, d. h. die Geschlechtsunterschiede deswegen als rechtlich unerheblich charakterisierte, weil die Berücksichtigung dieser Unterschiede in den meisten Fällen zu einer willkürlichen Folge führte. So gesehen ennöglicht die Fonnel der "biologischen und funktionalen Unterschiede" gerade dort die Berücksichtigung der Geschlechtsunterschiede, wo sie nicht zu einem willkürlichen Ergebnis führt 29 . Beim Hinweis auf das "unannehmbare Ergebnis" zitierte das BVerfG unmittelbar die Aussage von Thoma. Er hatte jedoch die Interpretation des Art. 3 Abs. 1 GG durch Leibholz und damit durch das BVerfG kritisiert und auf ein "peinliches Dilemma" aufmerksam gemacht, das sich aus dieser Interpretation ergeben mußte. Nach Ansicht von Thoma führt nämlich diese Interpretation in der Zusammenschau des ganzen Art. 3 GG entweder dazu, daß man dem Grundbegriff "Gleichheit" in Art. 3 Abs. I GG einerseits und Abs. 2 und 3 andererseits verschiedene Bedeutungen zuschreibt, oder aber dazu, daß man Art. 3 Abs. 2 und 3 GG aller scharfkantigen Präzision beBVerfGE 10, 59 (73 f.). BVerfGE 3, 225 (240). 29 In der Tat benutzt das BVerfG die Ausdrucksweise "die Regelung ist sachlich gerechtfertigt" bis in die neunziger Jahren hinein. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 13.11.1979 - 1 BvR 768179; 5.7.1983 - 1 BvR 1214/82 und 210/83; 11.12.19851 BvR 1277/85; 31.1.1987 - 1 BvR 1476/86; 9.2.1990 - 1 BvR 1614/89; 15.8.1990 - 1 BvR 914/90 (Diese Kammerbeschlüsse betrafen die Feuerwehrabgabe, deren Verfassungswidrigkeit in BVerfGE 92, 91 festgestellt wurde). Damit setzt es die "natürliche Betrachtungsweise" des BayVerfGH fort, die die Beschränkung der Feuerwehrabgabe auf Männer "als sachgerecht erscheinen" ließ. BayVerfGH n. F. 32 (1979), S. 18 (28). 27

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

raubeo. Den zweiten Weg beschritt der BGH, und das BVerfG kritisierte ihn mit Thoma . Wenn das BVerfG dennoch von einer "Konkretisierung" sprach und den Bedeutungsunterschied zwischen dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Differenzierungsverbot nicht ausdrücklich einräumte, so kann die Position des BVerfG nur dahingehend verstanden werden, daß er den dritten Weg gefunden hatte, den Weg nämlich, die durch Art. 3 Abs. 2 und 3 GG verbotenen Differenzierungen im wesentlichen mit Willkür gleichzusetzen. Damit beschränkt sich jedoch die Tragweite der Unerheblichkeitsthese wesentlich. Die hier als unerheblich festgestellten Geschlechtsunterschiede bezogen sich nicht auf den ganzen Bereich der Geschlechtsunterschiede. Die normative Entscheidung der Verfassungseltem wurde - auch wenn man unterstellt, daß es eine solche gab - damit eines wichtigen Wirkungsbereichs beraube 1. c) Kausalitäts- und Finalitätsanforderung?

aa) Theorie der Kausalitätsanforderung Die Folgen, die das einheitliche Verständnis des Art. 3 GG aufgrund des Willkürprinzips mit sich brachte, zeigten sich auch in den Versuchen, den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG durch die Anforderung der Kausalität und/oder Finalität der Unterscheidung zu beschränken. Falls das Gleichberechtigungsgebot die Anknüpfung an das Geschlecht nicht verbieten würde, weil sich die Regelungen auch an anderen Unterscheidungskriterien orientieren (mangelnde Kausalität) oder andere Zwecke als Differenzierung verfolgen (mangelnde Finalität), dann würde für den Anwendungsbereich der Unerheblichkeitsthese kaum etwas übrig bleiben. Als Dürig die Abwesenheit von sachlichen Gründen als Voraussetzung einer verbotenen Frauenbenachteiligung wegen des Geschlechts ansah 32, hatte er nicht die Anwendung des Willkürprinzips im Kopf. Vielmehr ging er mit dem BVerfG von der rechtlichen Irrelevanz der Geschlechtsunterschiede aus und versuchte, Klarheit über die normative Konsequenz der Unerheblichkeitsthese zu verschaffen. In diesem Zusammenhang legte er die 30 Thoma, DVBI. 1951, S. 459. Trotz allem ist seiner Ansicht beizupflichten, Art. 3 Abs. 1 GG lasse sich nicht mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG einheitlich interpretieren, solange man jenen als rein technisches Willkürverbot versteht. Dazu unten § 4. 31 Zur "Annäherung" von Art. 3 Abs. 1 GG einerseits und Abs. 2 und 3 andererseits durch den Rückgriff auf die Vergleichbarkeit und zur dadurch erfolgenden praktischen Außerkraftsetzung der Unerheblichkeitsthese vgl. Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung2 , 1996, S. 50. 32 Dürig, FamRZ 1954, S. 3 f.

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These zugrunde, daß die in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG verbotene Differenzierung aufgrund des Geschlechts prinzipiell willkürlich und sachwidrig sei und deswegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nur eine Betonung des Abs. I darstelle33 . Deshalb brauchte er ein Instrument, damit die Anwendung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG auf die Ausnahmefälle, in denen die Berufung auf Geschlechtsunterschiede für ihn sachgerecht war, vermieden werden konnte. Deswegen vertrat er einerseits mit dem BVerfG die Unerheblichkeitsthese und meinte, daß der Geschlechtsunterschied nach Art. 3 Abs. 2 GG rechtlich irrelevant sein solle, bis die Nichtbeachtung des Geschlechtsunterschieds einen Willkürtatbestand erfülle. Jedoch relativierte er sofort diese These, indem er argumentierte, daß man dem Geschlechtsunterschied schlechthin nicht die Eignung absprechen könne, als Anknüpfungspunkt differenzierender gesetzlicher Regelungen betrachtet werden zu können. Verboten sei nur die - "kausale" - Beeinträchtigung der Frau, die lediglich des Geschlechts wegen erfolge, d. h. die "mit dem Geschlechtsunterschiede begründeten Differenzierungen". Dies führte für Dürig dazu, daß er die Benachteiligung "wegen" des Geschlechts nur dort sah, wo keine anderen sachlichen Gründe die Differenzierung gestatten würden 34 . Dies ist gewiß nicht im Sinne einer Anwendung der Willkürprüfung zu verstehen, aber lief auf dasselbe dogmatische Ergebnis hinaus. Bei dieser Auslegung konnte sich Dürig auf das Grundsatzurteil des BVerfG von 1953 stützen, das hervorhob, daß das Differenzierungsverbot auf die ausdrücklich verpönten Kriterien beschränkt bleibe und Diskriminierungen, die auf andere Unterschiedlichkeiten der Person oder auf Unterschiedlichkeiten der Lebensumstände beruhen, vom Diskriminierungsverbot unberührt bleiben würden 35 . Bis in die neunziger Jahre hinein verwandte das BVerfG die Formel, "Art. 3 Abs. 2 GG verbietet, daß der Geschlechtsunterschied als beachtlicher Grund für eine Ungleichbehandlung im Recht herangezogen wird,,36. Nach dieser Formel verbot das Gleichberechtigungsgebot nicht die Anknüpfung am Geschlecht selbst, sondern die Begründung einer unterschiedlichen Regelung allein aufgrund des Geschlechtsunterschieds. D. h., wenn gewichtige Gründe bestanden, war die Anknüpfung nach dieser Argumentation gerechtfertigt. In der Tat machte das BVerfG Dürig, in: MaunzlDürig, Art. 3 Il, Rn. 2. Dürig, FamRZ 1954, S. 2 ff. Ähnlich Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 II, Rn. 1 f. 35 BVerfGE 3, 225 (241). Auch BVerfGE 5, 9 (12) folgerte, daß Differenzierungen, die auf anderen Unterschiedlichkeiten der Personen oder auf Unterschiedlichkeiten der Lebensumstände beruhen, von dem Differenzierungsverbot unberührt bleiben würden. 36 BVerfGE 84, 9 (17). Ähnlich BVerfGE 52,369 (374); 63, 181 (194). 33

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sich die Kausalitätsanforderung zu eigen und befand nach Geschlecht differenzierende Regelungen nicht als verfassungswidrig, wenn sie nicht "allein und unmittelbar an den Unterschied der Geschlechter,,37 anknüpfte 38 . bb) Fehlende Kausalität im Rahmen der Typisierung? Als das BVerfG im Urteil vom 26.1.1977 eine typisierende Regelung im Fremdrentengesetz rechtfertigen wollte, die Männer und Frauen unterschiedlich behandelte, berief es sich auf die Formel der alleinigen Anknüpfung. Die Regelung, die die Berücksichtigung des Rentenanspruchs und der -anwartschaft der Vertriebenen von außerhalb des Bundesgebiets ermöglichte, bediente sich eine Tabelle, anhand derer die Rentenbemessungsgrundlage ermittelt werden sollte. Diese Tabelle war für Männer und Frauen jeweils getrennt aufgestellt worden, wobei die weiblichen Versicherten einem geringeren Jahresarbeitsverdienst zugeordnet wurden als die Männer. Das BVerfG sah diese offenkundige Diskriminierung und eindeutige Anknüpfung an das Geschlecht nicht als alleinige und unmittelbare Anknüpfung an den Geschlechtsunterschied an. Es war der Meinung, daß der Gesetzgeber im Rahmen einer zulässigen Typisierung an die tatsächlichen Unterschiede zwischen durchschnittlichen Arbeitsentgelten von Männern und Frauen anknüpfen konnte39 . Bei diesem Urteil spielt gewiß die außerordentliche Problemlage eine Rolle, die ihren Ursprung in historischen Vorgängen hatte 4o . Jedoch ist anzuerkennen, daß das BVerfG hier einen Grundsatz anwandte, der das Anknüpfungsverbot hätte untermauern können, wenn er konsequent angewandt worden wäre. Denn das Differenzierungs- und Diskriminierungsverbot würde seines Sinnes beraubt, wenn der Gesetzgeber zulässigerweise anstatt an Geschlechtsunterschiede an die unterschiedliche Situation der beiden GeBVerfGE 43, 213 (225, 226). Das Verbot der unmittelbaren und alleinigen Anknüpfung macht über das im folgenden behandelte Problem hinaus eine gerichtliche Kontrolle der mittelbaren Diskriminierungen unmöglich. In diesem Sinne schloß das BVerfG einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG aus, wenn die Regelung an ein geschlechtsneutrales Kriterium anknüpft. Deswegen sah das BVerfG unter Berufung auf diese Formel keinen Anlaß dafür, die Beschränkung der Hinterbliebenenrente - d.h. sowohl Witwen- als auch Witwerrente - auf 60% der Versichertenrente im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 und 3 zu überprüfen. BVerfGE 48, 346 (365 f.). Jedoch betrifft die Anwendbarkeit des Gleichberechtigungsgebots auf eine mittelbare Diskriminierung einen weiteren Problemkreis, der über die Durchsetzung der Unerheblichkeitsthese hinausgeht. Bei dieser Problematik geht es um die Berechtigung, die Unerheblichkeitsthese selbst zugrunde zu legen. Dazu unten § 4, III. 39 BVerfGE 43, 213 (226 ff.). 40 Dieser Sachverhalt wurde später hervorgehoben, als das BVerfG die Tragweite dieser Entscheidung beschränken wollte. BVerfGE 57, 335 (344 f.). 37

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schlechter anknüpfen darf, die unmittelbar aus der vorangehenden Diskriminierungen stammt. Aufgrund dieses Arguments wäre es einem Arbeitgeber erlaubt, als Grund für die Lohndiskriminierung gegen die weiblichen Arbeitnehmer den niedrigeren Durchschnittslohn der Frau in der Gesellschaft vorzubringen. Später wurde diese Haltung durch den Beschluß des BVerfG vom 16.6.1981 korrigiert. In ihm stellte das BVerfG klar, daß die für die weiblichen Versicherten nachteil hafte Pauschalisierung der Bruttoarbeitsentgelte im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung gegen Art. 3 Abs. 2 GG verstoße. Das BVerfG sah die betreffenden Bestimmungen schlicht als "Regelungen, die allein nach dem Geschlecht der Begünstigten differenzieren,,41. In der Tat war die Verwendung der Formel der "alleinigen" Anknüpfung auch im Fremdrentenbeschluß schon fehl am Platz, weil man für die betreffende Regelung außer Diskriminierungsfolgen keinen anderen, "richtigen" Anknüpfungspunkt nennen konnte. Mit dem Beschluß von 1981 wurde festgestellt, daß der Typisierungszweck nicht die Anknüpfung an das Geschlecht rechtfertigte42. Als sich das BVerfG im Rentenalterbeschluß vom 28.1.1987 nochmals auf den Typisierungsgedanke berief und die Kausalitätsanforderung stellte, stellte sich die Sachlage noch komplizierter dar. Dort proklamierte das BVerfG einen neuen - glücklicherweise in dieser Form bis jetzt nicht wieder aufgegriffenen - Grundsatz, daß nach Art. 3 Abs. 2 GG der Gesetzgeber zu einer Ungleichbehandlung befugt sei, wenn er einen sozialstaatlich motivierten typisierenden Ausgleich von Nachteilen anordne, die ihrerseits auch auf biologische Unterschiede zuruckgehen. Darin liege keine Ungleichbehandlung "wegen des Geschlechts", sondern eine Maßnahme, die auf eine Kompensation erlittener Nachteile ziele43 . In dieser Entscheidung versucht das BVerfG, Teufel mit Beelzebub auszutreiben, indem es die ganze Errungenschaft der neueren Rechtsprechung in Frage stellte. Dies betraf auch die Kausalitäts- oder Finalitätsanforderung an die Differenzierung. Aus dem Wortlaut des Beschlusses konnte nämlich hergeleitet werden, daß eine unmittelbare Anknüpfung an das Geschlecht nicht unbedingt eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts darstelle, wenn die Regelung einen anderen Zweck verfolge. Diese Mißverständnisse oder Mißstände wurden erst fünf Jahre später durch den Nachtarbeitsbeschluß vom 28.1.1992 beseitigt. Dort nahm das BVerfGE 57, 335 (346). Abgesehen vom nächstgenannten Rentenalterurteil steht heute fest, daß eine Typisierung an sich nicht die Differenzierung aufgrund des Geschlechts rechtfertigt. Sachs, 1987, S. 461. Vgl. ferner lsensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 169. 43 BVerfGE 74, 163 (180). 41

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BVerfG ausdrücklich die Theorie des Anknüpfungsverbots an und stellte klar, daß die Zweckrichtung die betreffende Regelung nicht von vornherein gegen die verfassungsrechtliche Überprüfung anhand des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG immunisiere. "Das Geschlecht darf grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Das gilt auch dann, wenn eine Regelung nicht auf eine nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotene Ungleichbehandlung angelegt ist, sondern in erster Linie andere Ziele verfolgt,,44.

Nach diesem Beschluß steht fest, daß weder die Finalität noch die Kausalität für die Bestimmung des Bereichs, in dem Art. 3 Abs. 2 und 3 GG Anwendung findet, eine Rolle spielen kann. Die Zweckausrichtung einer Regelung kann erst im Rahmen der Begründung derselben berücksichtigt werden, aber nicht schon bei der Eingangsfrage nach dem Vorhandensein einer Differenzierung. cc) Ergebnis Somit ist hier festzuhalten, daß das BVerfG in bezug auf die normativen Folgen der Unerheblichkeitsthese während der ganzen Zeit, in der es die Vergleichbarkeitsprüfung anwandte, hin- und herschwankte. Das liegt daran, daß das BVerfG einerseits versuchte, die Einheitlichkeit des Art. 3 GG aufgrund der Willkürtheorie aufrechtzuerhalten, andererseits jedoch - insbesondere in der neueren Rechtsprechung - sich dazu gezwungen fühlte, die Unerheblichkeitsthese ernster zu nehmen und einen eigenen Normgehalt des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG zu entwickeln. Die Bemühung, die beiden Faktoren in Einklang zu bringen, war indessen von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Der Ausgangspunkt war nämlich falsch gewählt45 • Dürig ging davon aus, daß Differenzierungen nach den in Art. 3 Abs. 3 GG verpönten Merkmalen nur einen Willkürtatbestand darstellen, so daß das Gleichberechtigungsgebot theoretisch schon allein aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitet werden könnte. Bei dieser Sichtweise bezog sich die Unerheblichkeitsthese nicht auf eine eigenständige normative Entscheidung der Verfassungseltern, sondern auf eine automatische Subsumtion der Differenzierung unter das Willkürverbot. Das BVerfG folgte diesem Verständnis insoweit, als es von einer "Konkretisierung" sprach und gleichzeitig die Anwendung des Art. 3 Abs. 2 und 3 BVerfGE 85, 191 (206). Natürlich ist dieser Fehler historisch bedingt durch die damalige Situation, vor allem dadurch, daß die Vorstellung der Menschen durch das überlieferte Modell der Arbeitsverteilung zwischen Mann und Frau viel stärker als heute geprägt war. Deshalb darf er eigentlich nicht als Fehler bezeichnet werden. Im vorliegenden Zusammenhang geht es lediglich um normative Konsequenzen der damaligen Aussage. 44 45

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GG auf die Sachverhalte venneiden wollte, in denen sich Männer und Frauen - naturgemäß oder aufgrund einer gruppenspezifischen gemeinsamen Erfahrung - in einer tatsächlich unterschiedlichen Lage befinden. Jedoch war die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG als eigenständige nonnative Entscheidung schwerlich zu negieren. Der Normgehalt des Gleichberechtigungsgebots ging nämlich, wie sich schnell herausstellte, weit über das Willkürverbot hinaus. Dürig konnte im Jahr 1954 das Letztentscheidungsrecht des Ehemanns innerhalb der Ehe noch in Anbetracht des "vorgegebenen" Ehebilds der christlichen Kultur rechtfertigen46 ; das Stichentscheid-Urteil des BVerfG vom 29.7.1959 allerdings nicht mehr47 . Die Notwendigkeit einer letztentscheidenden Instanz im Rahmen einer Gemeinschaft und die Anknüpfung an ein vorgefundenes, überliefertes Institut könnte im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes als sachgerechter Grund gelten, im Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG jedoch nicht. Es ist vielmehr Sinn des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, dem Gesetzgeber die Berücksichtigung der vorgefundenen Überlieferungen zu verbieten. Dies verdeutlichen auch die Typisierungsfälle. Ein pauschalisierender Regelungsmodus ist im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 GG weitgehend der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers freigestellt, es besteht jedoch nicht die verfassungsrechtliche Hürde des Gleichberechtigungsgebots. Wenn sich somit der Nonngehalt des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nicht auf das Willkürverbot in einem speziellen Bereich reduzieren läßt, gerät die ganze Architektur ins Schwanken. Daher wäre es m. E. richtig gewesen, wenn man den eigenständigen Rechtsgehalt des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG in Anbetracht der nonnativen Entscheidung der Verfassungseltern für die Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede herausgearbeitet und seine Grundlage ohne Bezugnahme auf das Willkürverbot festgelegt hätte48 .

3. Bedeutungsidentität von Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG Die Merkmale, die nach der Entscheidung des Verfassunggebers nicht mehr als rechtlich relevante Differenzierungskriterien herangezogen werden dürfen, werden nicht in Art. 3 Abs. 2 GG, sondern in Abs. 3 aufgestellt. Daher war es folgerichtig, daß das BVerfG bald die beiden Absätze als gleichbedeutend ansah. Als es Arbeitszeitbeschränkungen zugunsten der weiblichen Erwerbstätigen - darunter auch das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen - im Urteil vom 25.5.1956 als verfassungsgemäß erachtete, proklamierte es die strukturelle Einheit von Art. 3 Abs. 2 und 3 GG49 . Seitdem 46

47 48

Dürig, FamRZ 1954, S. 4. BVerfGE 10, 59 (72 ff.). Dazu siehe unten § 4.

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wandte es die beiden Absätze manchmal gemeinsam und einheitlich5o , manchmal mit einem Absatz im Vordergrund an5!. In dieser Verwirrung war jedoch immer eines klar, daß nämlich der Inhalt des Art. 3 Abs. 2 GG "mit dem in Art. 3 Abs. 3 GG normierten Verbot einer Bevorzugung oder Benachteiligung wegen des Geschlechts übereinstimmt,,52. Diese Einheitlichkeitsthese ist neuerdings in die Kritik geraten. Diese bezieht sich darauf, daß Art. 3 Abs. 2 GG in seiner Bedeutung als Verfassungsauftrag zur Herstellung tatsächlicher Gleichberechtigung quasi hinweginterpretiert worden ist53 . Aufgrund dieser Erkenntnis versucht die Theorie des Dominierungsverbots, einen selbständigen Normgehalt des Art. 3 Abs. 2 GG herauszubilden, der sich vor allem in der Form eines Verbots gegenüber dem Staat darstellt, die überlieferten Rollenerwartung zu perpetuieren. Diese Theorie bezweckt damit den Ausschluß des Differenzierungsverbots in dem Bereich, in dem der Staat die tatsächliche Chancengleichheit für Frauen fördert. Sie räumt jedoch auch ein, daß sich in sonstigen Bereichen die normative Folge vom Dominierungsverbot mit der vom Differenzierungsverbot weitgehend deckt. Insoweit ist es erforderlich, zu untersuchen, was das Differenzierungsverbot aufgrund der Einheitlichkeitsthese in letzter Konsequenz leisten kann und wie es in Grenzsituationen modifiziert werden muß. Aus diesem Grund wird hier weiterhin von der Einheitlichkeitsthese ausgegangen.

49 BVerfGE 5, 9 (12). Dieses Urteil wurde im Ergebnis revidiert durch das Nachtarbeitsurteil vom 28.1.1992, BVerfGE 85, 191 (206 ff.). 50 BVerfGE 6, 55 (82); 6, 389 (421 ff.); 10, 59 (73); 11, 277 (281); 15, 337 (342 ff.); 17,38 (57); 17,99 (104); 21, 329 (343 ff.); 39,169 (185 ff.). 5! Anwendung des Abs. 2 = BVerfGE 9, 237 (248); 10, 129 (133); 11, 51 (56); 17, 1 (17); 17, 168 (171); 31, 1 (4 ff.); 34, 48 (51); 37, 217 (244 ff.). Im Jahr 1977 erfolgte eine KlarsteIlung dergestalt, daß als Prüfungsmaßstab Art. 3 Abs. 2 GG in Betracht kommt, dessen Inhalt mit Art. 3 Abs. 3 GG übereinstimmt. BVerfGE 43, 213 (225). Eine gewisse Zeit wurde Abs. 2 nach diesem MUf:ter angewandt BVerfGE 48, 327 (337); 48, 346 (365 f.); 52, 369 (374 ff.); 56, 363 (382); 57, 335 (342); 63, 181 (194 ff.); 68, 384 (390 f.); 74, 163 (179); 84, 9 (17 ff.) -, bis das BVerfG im Nachtarbeitsurteil vom 28.1.1992 anfing, seine Haltung zu ändern und die Erforderlichkeitsprüfung anzuwenden. Seitdem wird Art. 3 Abs. 3 GG angewandt. BVerfGE 85, 191 (206 ff.); 92, 91 (109 ff.). 52 Besonders hervorgehoben in BVerfGE 43, 213 (225). 53 Sacksofsky, 1996, S. 137; Kokott, NJW 1995, S. 1050. Es ist heute - spätestens seit Einführung des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG im Jahr 1994 - feststehende Erkenntnis, daß Art. 3 Abs. 2 GG in der weiteren Bedeutung einen Verfassungsauftrag zur Verwirklichung der tatsächlichen Chancengleichheit von beiden Geschlechtern beinhaltet. Dazu unten § 4, 11, 2, b). Nur Döring verneint den abwehrrechtlichen Norminhalt des Art. 3 Abs. 2 GG; Döring, Frauenquoten und Verfassungsrecht, 1996, S. 237 f. Da aber diese Ansicht darauf hinausläuft, dem Art. 3 Abs. 2 GG den Grundrechtscharakter zu rauben, kann ihr hier nicht gefolgt werden.

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a) Zulässigkeit der differenzierenden Ordnungsvorschriften? Art. 3 Abs. 3 GG verbietet nicht eine Ungleichbehandlung als solche; er verbietet nur eine "Bevorzugung" und "Benachteiligung". Dies könnte zur Annahme führen, daß der Gleichberechtigungsgrundsatz nur dort Anwendung findet, wo ein Geschlecht "benachteiligt" wird. Wenn der Begriff der Benachteiligung nochmals einschränkend im Sinne der "materiellen" Benachteiligung aufgefaßt wird, kann behauptet werden, daß Art. 3 Abs. 2 und 3 einer formellen Ordnungsvorschrift nicht entgegen stehe54 . Aufgrund dieses Gedankengangs versuchte ein Teil des Schrifttums und der Rechtsprechung, das Bestimmungsrecht des Mannes in allen mit der Ehe zusammenhängenden Angelegenheiten55 , Vorzug des Mannesnamens bei der Bildung des Ehe- und Familiennamens56 , Vorzug der Staatsangehörigkeit des Vaters bei der Bestimmung der Staatsangehörigkeit des Kindes 57 usw., zu rechtfertigen, mit der Begründung, solche Regelungen seien notwendig und zweckmäßig, um die Rechtssicherheit und Ordnung der Familie aufrechtzuerhalten. Dieser Position hat sich das BVerfG jedoch nicht angeschlossen. Vielmehr bemühte es sich, der Relativierung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG durch die Berufung auf die Ordnungsfunktion der Vorschrift entgegenzuwirken. Im Stichentscheid-Urteil vom 29.7.1959 hob das BVerfG die Benachteiligung der Mutter hervor, als es über die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift entscheiden mußte, die das Entscheidungsrecht in Ausübung der elterlichen Gewalt allein dem Vater anvertraute, wenn sich die Eltern nicht einigen konnten 58 . Das BVerfG sah die Benachteiligung vor allem darin, daß diese Regelung den Kern der Gleichordnung der Eltern betreffe und die Einigungsbereitschaft des Vaters mindere 59 . Auch in der weiteren Recht54 Typisch BGHZ 20, 313 (318). In diesem Beschluß hielt der BGH eine Vorschrift für verfassungsgemäß, die den gesetzlichen Wohnsitz des ehelichen Kindes dem des Vaters zuordnete. 55 § 1354 BGB in der Fassung vom 24.8.1896 (RGBl. 1896, S. 37). Diese Bestimmung wurde jedoch durch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18.1.1957 (BGBl. 1957 I, S. 609) abgeschafft. 56 § 1355 BGB in der Fassung vom 24.8.1896 (RGBl. 1896, S. 37) in der Fassung des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18.1.1957 (BGBl. 1957 I, S. 609) - Gegenstand des Verfassungswidrigkeitsbeschlusses des BVerfG vom 31.5.1978; BVerfGE 48, 327 - und in der Fassung des ersten Ehereformgesetzes vom 14.6.1976 (BGBl. 1976 I, S. 1421) - Gegenstand des Verfassungswidrigkeitsbeschlusses des BVerfG vom 5.3.1991; BVerfGE 84, 9. 57 § 4 Abs. 1 RuStAG vom 22.7.1913 in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 19.12.1963, BGBl. 1963 I, S. 982 - Gegenstand des Verfassungswidrigkeitsbeschlusses des BVerfG vom 21.5.1974; BVerfGE 37,217. 58 §§ 1628 f. BGB in der Fassung des Gleichberechtigungsgesetz vom 18.6.1957 (BGBl. 1957 I, S. 609).

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

sprechung bestand das BVerfG auf der sensiblen Ermittlung der Benachteiligung. In bezug auf die Staatsangehörigkeitsregelung, die den automatischen Erwerb der Staatsangehörigkeit des Vaters durch das Kind bei einer multinationalen Ehe vorsah, stellte das BVerfG fest, daß diese Regelung die Stellung der deutschen Mutter in der Familie und die Ausübung des Elternrechts durch sie beeinträchtige. Daher verstoße diese Regelung gegen Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG60 . Darüber hinaus wurde im Staatsangehörigkeitsbeschluß klargestellt, daß die Ordnungsfunktion einer Vorschrift nicht dem Vorliegen einer Benachteiligung entgegenstehe. Ein ordnungspolitischer Gesichtspunkt kann somit höchstens im Rahmen der normativen Prüfung Berücksichtigung finden, ob ein Zurücktreten des Gleichberechtigungsgrundsatzes gerechtfertigt ist61 . Diese Frage wurde im Staatsangehörigkeitsbeschluß negativ beantwortet, genauso im Beschluß über die Verfassungs widrigkeit der Kollisionsregelung, die für die Beurteilung des maßgeblichen Güterrechtsstatus an die Staatsangehörigkeit des Mannes anknüpft62 . Die Ordnungsfunktion des Namens als ausschlaggebenden Gesichtspunkt wurde auch in zwei namensrechtlichen Entscheidungen abgelehnt. Im Beschluß vom 31.5.1978 stellte das BVerfG fest, daß die Benachteiligung der Ehefrau durch die Regelung des Familiennamens nicht mit dem Hinweis auf die Ordnungsfunktion des Namens gerechtfertigt werden könne 63 . Im Beschluß vom 5.3.1991, der wiederum den Vorzug des Mannesnamens im Fall der Uneinigkeit der Ehegatten über ihren zukünftigen Ehenamen als verfassungswidrig erklärte, ging das BVerfG schlicht von dem Vorhandensein der Benachteiligung aus und fand die Ordnungsfunktion nicht der Erwägung wert64 .

b) Reduktion des Differenzierungsverbots auf ein Benachteiligungsverbot? Somit ist auf der einen Seite festzustellen, daß sich das BVerfG dafür eingesetzt hat, Art. 3 Abs. 2 und 3 GG vor einer Relativierung aufgrund des Hinweises auf die Ordnungsfunktion der Vorschrift zu schützen. Es ist jedoch auf der anderen Seite zu bemerken, daß das BVerfG das Vorliegen einer Benachteiligung stets als Voraussetzung für die Anwendung des Art. 3 BVerfGE 10, 59 (76 ff.). BVerfGE 37, 217 (244 ff.). 61 BVerfGE 37, 217 (257). 62 BVerfGE 63, 181 (195 f.). Vgl. BVerfGE 68, 384 (390). 63 BVerfGE 48, 327 (339). Hier ließ das BVerfG jedoch ausdrücklich offen, ob und inwieweit dem Gesichtspunkt der Ordnungsfunktion überhaupt verfassungsrechtliche Bedeutung zukommen kann. 64 BVerfGE 84, 9 (17 ff.). 59 60

I. Gleichberechtigungsgebot und allgemeiner Gleichheitssatz

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Abs. 2 und 3 GG betrachtet, wie es dies im Stichentscheid-Urteil zum ersten Mal klarstellte 65 . Diese Haltung kann sich für Angehörige einer Geschlechtsgruppe nachteilhaft auswirken, soweit die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß eine subjektiv empfundene Benachteiligung nicht als Benachteiligung im juristischen Sinne anerkannt wird. Dies zeigt der Beschluß vom 21.7.1960. Als ein unehelicher Vater die Pflicht zur Zahlung der Unterhaltsrente für das uneheliche Kind als eine Benachteiligung gegenüber der Mutter rügte, urteilte das BVerfG, daß keine Benachteiligung vorliege. Die von der Mutter allein geleistete persönliche Fürsorge sei als gleichwertig mit der primär vom Vater zu leistenden Rentenzahlung anzusehen66 . Einerseits ist dem Ergebnis dieses Beschlusses zuzustimmen, weil der Beschwerdeführer gerechterweise sein Recht aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nicht geltendmachen konnte. Auf der anderen Seite war der Rückgriff auf die fehlende Benachteiligung insoweit problematisch, als die zugrunde liegende Regelung die Fürsorgeleistung immer von der unehelichen Mutter verlangte und es unmöglich machte, daß der uneheliche Vater selbst die Fürsorge übernahm. Das restriktive Verständnis des Benachteiligungsbegriffs ermöglichte dem BVerfG also, die gesetzliche Verfestigung der traditionellen Rollenverteilung zu rechtfertigen. Das Erfordernis der Benachteiligung hatte im Urteil vom 26.7.1972 eine ähnliche Auswirkung. In diesem Fall ging es um die Zahlungs modalität des Kinderzuschlages für ein Beamtenehepaar, der solange dem Vater allein gewährt wurde, bis er auf Antrag eines Anspruchsberechtigten jedem Elternteil zur Hälfte gezahlt wurde. Obwohl die Mutter nur bis zur Hälfte, der Vater aber bei einer Vereinbarung zwischen den Eltern den vollen Betrag erhalten und daraus hinaus weitere finanzielle Vorteile erzielen konnte, sah das BVerfG in der betreffenden Regelung keine Verletzung des Art. 3 Abs. 2 GG. Das Gericht betrachtete es als Regelfall, daß jeder die Hälfte erhielt. Ein Problem für die Gleichberechtigung bestehe damit nicht, vor allem wenn der Kinderzuschlag zweckentsprechend verwendet werde 67 . Diese Annahme des BVerfG ist bereits problematisch, wenn das Beamtenehepaar getrennt wohnt und das Kind und die Mutter zusammen leben, weil für eine zweckentsprechende Verwendung eventuell Überweisungskosten entstehen. Hier wurde also eine Benachteiligung der Mutter nicht als solche anerkannt. Dieser Lösungsweg ist nur möglich und konsequent, wenn das BVerfG die Differenzierung an sich nicht negativ, sondern als ein Zeichen für die 65 66 67

BVerfGE 10, 59 (76). BVerfGE 11, 277 (281). BVerfGE 34, 48 (51 f.).

188

§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

Benachteiligung bewertet. Worauf es beim Gleichberechtigungsgrundsatz ankam, war für das BVerfG also nicht die Gleichbehandlung, sondern die Abwesenheit einer Verletzung bestimmter Rechtspositionen. Nicht die Unterscheidung selbst, sondern die unterschiedlichen Folgen der Unterscheidung waren also ausschlaggebend für die Prüfung, die das BVerfG im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG anwandte. Wenn die betreffende gesetzliche Regelung der Anforderung der Einzelfallgerechtigkeit genügte, fragte das BVerfG nicht weiter, ob die Unterscheidung selbst und die Tatsache, daß die Betroffenen aufgrund ihres Geschlechts unterschiedlich behandelt werden, ein Recht verletzt. Dogmatisch ist die These, daß die Ordnungsvorschriften nicht die Grundrechte aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG verletzen, als überholt anzusehen. Ebensowenig ist die einschränkende Betrachtungsweise der "Benachteiligung" heute vertretbar68 . Sachs zeigt überzeugend, daß eine rechtlich relevante Differenzierung entweder nur eine Bevorzugung oder Benachteiligung hervorbringen kann und daher immer am Gleichberechtigungsgebot zu messen ist. Ob eine Regelung bevorzugend oder benachteiligend wirkt, hänge von der Sicht der Betroffenen ab, sei aber für Art. 3 Abs. 3 GG gänzlich irrelevant, da er auch Bevorzugungen verbiete 69 . Somit deckt sich die Tragweite des Benachteiligungsverbots, streng genommen, mit der des Anknüpfungsverbots. Es ist hier nur festzustellen, daß das BVerfG, zumindest in seiner früheren Rechtsprechung, die Doktrin des Anknüpfungsverbots nicht in reiner Form vertrat, sondern deutlich mit einer gerechtigkeitsorientierten, materiellen Methode der Folgenabwägung vermischte. Diese Entwicklung zeigt, daß das BVerfG in seiner frühen Phase nicht von der These der Andersartigkeit von Männern und Frauen befreit war. Seinen Beitrag zum Abbau der Frauendiskriminierung konnte das BVerfG deswegen leisten, weil es sich darum bemühte, ohne Anknüpfung an polemische Begrifflichkeiten, wie z. B. die "Gleichwertigkeit", den präzisen juristischen Sinne des Art. 3 Abs. 2 GG zu erarbeiten7o . Dabei suchte es einen theoretischen Rahmen, innerhalb dessen es einerseits die normative Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede und andererseits die Notwendigkeit, die als naturgegeben erachteten Geschlechtsunterschiede zu berücksichtigen, in Einklang bringen konnte. Das wohl wichtigste Instrument zu diesem Zweck war die bekannte Formel der "biologischen und funktionalen Unterschiede" als Grenze des Gleichberechtigungsgebots.

68 69 70

Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 251. Sachs, 1987, S. 275 ff. Dies kam in BVerfGE 3, 225 (241) deutlich zum Ausdruck.

II. Vergleichbarkeitsprüfung

189

11. Vergleichbarkeitsprüfung Während die Idee der "natürlichen Unterschiede von Mann und Frau,,7l nur in der Anfangsphase die oberflächliche Argumentation des BVerfG maßgeblich beeinflußte72 , handelte es sich bei der Formel der "biologischen und funktionalen Unterschiede" um ein Kriterium, das bis zur Übernahme der Erforderlichkeitsprüfung in den neunziger Jahren die Geschichte der Gleichberechtigungsjudikatur begleitete. Schwerpunkt und Stellenwert der einzelnen Komponenten hatten sich im Laufe der Zeit ein wenig verlagert. Aber das BVerfG fand keinen Anlaß dafür, die Formel selbst und ihren Grundgedanken zu hinterfragen. Dies offenbar deswegen, weil diese Formel im bundesverfassungsgerichtlichen Verständnis des Gleichheitsgrundrechts so tief und fest verwurzelt war. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß die Rechtsprechung der Vorstellung der "natürlichen Verschiedenheit der beiden Geschlechter,,73 verhaftet geblieben war, solange sie die Formel der "biologischen und funktionalen Unterschiede" anwandte. Inzwischen sind jedoch die immanenten Grenzen dieser Betrachtungsweise offen zu Tage getreten. Diese Formel taugt in der heutigen Situation nämlich nicht als Kriterium, mit dem die zulässigen von den unzulässigen Differenzierungen unterschieden werden können. 1. Die Formel der "biologischen und funktionalen Unterschiede" im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung

a) Vergleichbarkeit als normative Folge der Gleichheit der Gleichen Es fragt sich zunächst, warum die objektiven "biologischen und funktionalen" Unterschiede überhaupt zu einer differenzierenden Behandlung im Recht führen dürfen. Da die biologischen und funktionalen Unterschiede gerade das Wesen der Geschlechtsunterschiede ausmachen, ist es fraglich, wieso man auf der einen Seite von der Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede im Recht ausgehen und auf der anderen Seite die rechtliche Erheblichkeit der biologischen und funktionalen Unterschiede postulieren kann, ohne dadurch in einen Widerspruch zu geraten. Als das Grundsatzurteil von 1953 die Formel der "objektiven biologischen und funktionalen (arbeitsteiligen) Unterschiede" einführte, sah das BVerfG es als selbstverständlich an, daß diese Unterschiede eine besondere 71 Deutlich formuliert in Beitzke, in: Die Grundrechte, Bd. 2, S. 208. Zu dieser Idee im allgemeinen Sacksofsky, 1996, S. 102 ff. 72 Deutlich BVerfGE 6,389 (423). Vgl. Sacksofsky, 1996, S. 80 m.w.N. 73 BVerfGE 6, 389 (423).

190

§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

rechtliche Regelung erlauben oder sogar notwendig machen würden 74 • So einfach war die Ausgangslage jedoch nicht und das BVerfG mußte in der späteren Rechtsprechung selbst ausführen, was es unter dieser Selbstverständlichkeit verstanden hatte. Im Homosexuellenurteil vom 10.5.1957 hielt das BVerfG die gesetzlichen Vorschriften für verfassungsgemäß, die nur die männliche und nicht die weibliche Homosexualität unter Strafe stellten. Dabei betrachtete es die beiden Tatbestände als unvergleichbare soziale Phänome und folgerte daraus, daß Art. 3 Abs. 2 und 3 GG in diesem Bereich nicht anwendbar sei 75 . In dieser Argumentation kam es darauf an, warum die biologischen und funktionalen Unterschiede differenzierende Regelungen erlauben. In diesem Punkt drückte sich das BVerfG folgendermaßen aus. "Wie der ganze Grundrechtsteil des Grundgesetzes hat auch Art. 3 GG den Menschen als sozialbezogene Persönlichkeit im Auge; daher gilt das Verbot der Differenzierung nach dem Vergleichspaar Mann-Frau nur dann, wenn der zu ordnende soziale Lebenstatbestand essentiell vergleichbar ist, d.h. wenn er, vom Geschlecht der Betroffenen abgesehen, weitere wesentliche Elemente umfaßt, die ihrerseits gleich sind. Es müssen also den für Mann und Frau zu vergleichenden Tatbeständen wesentliche Elemente gemeinsam sein, die verglichen werden können. (... ) Diese Voraussetzung für die Anwendung des Art. 3 Abs. 3 GG fehlt nicht nur, wenn gemeinsame Elemente überhaupt nicht vorhanden sind, sie ist auch dann nicht gegeben, wenn der biologische Geschlechtsunterschied den Lebenssachverhalt so entscheidend prägt, daß etwa vergleichbare Elemente daneben vollkommen zurücktreten. Auch dann sind für eine natürliche Auffassung vergleichbare Tatbestände nicht mehr gegeben, so daß die verschiedene Behandlung von Mann und Frau mit Art. 3 Abs. 3 GG gebrauchten Begriffen ,Benachteiligung' und ,Bevorzugung' nicht mehr sinnvoll zu erfassen ist - sie passen nicht mehr,,76.

Während aus dem Rückgriff auf die "sozialbezogene Persönlichkeit" über die Einschränkbarkeit ihrer Grundrechte hinaus kein konkreter normativer BVerfGE 3, 225 (242) - "es bedarf kaum eines Hinweises". BVerfGE 6, 389 (423-432). Hier führte das BVerfG aus, daß das Differenzierungsverbot nicht anwendbar sei, "weil die Eigenart der Frau als weibliches Geschlechtswesen und die Eigenart des Mannes als männliches Geschlechtswesen den Tatbestand so wesentlich und so entscheidend verschieden prägen, daß das vergleichbare Elemente, die anormale Wendung des Triebes auf das eigene Geschlecht, zurücktritt und lesbische Liebe und männliche Homosexualität im Rechtssinne als nicht vergleichbare Tatbestände erscheinen". Dabei stützte sich das Gericht nicht nur auf die vielen Klischees über die männliche und weibliche Sexualität, sondern ging auch - wiederum entgegen der heutigen Erkenntnis - davon aus, daß die Homosexualität Folge einer "Fehlprägung des sexuellen Empfindens" während der Pubertätsphase sei. Aus dieser Sicht erweckten die als für männliche Homosexualität typisch erachteten Phänome der "homosexuellen Verführung" besonderes gesellschaftliches Interesse. 76 BVerfGE 6, 389 (422 f.). 74 75

H. Vergleichbarkeitsprüfung

191

Gehalt abzuleiten war, gab die Berufung auf die "Vergleichbarkeit" Ansatzpunkte für die Schaffung eines weiteren theoretischen Rahmens. Die Formel der "objektiven biologischen und funktionalen Unterschiede" im hier dargestellten Sinne war eine Konkretisierung des allgemeinen Prinzips der Gleichheit, Gleiches gleich und Verschiedenes unterschiedlich zu behandeln. Wenn sich ein Mann und eine Frau jeweils in unterschiedlicher Lage befanden, lag nach der Doktrin des BVerfG keine Differenzierung von wesentlich Gleichem vor, so daß eine eventuelle Verletzung des Gleichheitsgrundrechts von vornherein nicht in Betracht kam. Kurzum: wenn und wo die biologischen und funktionalen Unterschiede die Lebensumstände entscheidend prägten, gab es für das BVerfG keine Vergleichbarkeit der Gegenstände, die die Anwendung des Gleichheitsgrundrechts voraussetzte. Der Zusammenhang mit der Willkürprüfung ist somit leicht ersichtlich. Die Vergleichbarkeitsprüfung diente dazu, den Willkürtatbestand bei einer rechtlichen Differenzierung aufgrund des Geschlechts zu ermitteln. Bei unterschiedlichen Regelungen für Mann und Frau, die nicht unmittelbar durch die tatsächlichen Unterschiede der Regelungsgegenstände bedingt waren, sprach die Vermutung dafür, daß Differenzierungen ausschließlich auf dem Geschlecht beruhen und damit als willkürlich anzusehen waren. Wenn sich dagegen eine Differenzierung unter Berufung auf objektive biologische oder funktionale Unterschiede begründen ließ, konnten sachliche Gründe angenommen werden. b) Die Vergleichbarkeitsprüfung als Garant der Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede

Auch wenn die Struktur der Vergleichbarkeitsprüfung durch das Prinzip des Willkürverbots - bewußt oder unbewußt - entscheidend geprägt war, wurde die Vergleichbarkeitsprüfung als ein Kriterium konzipiert, durch das die spezifische Anforderung des Gleichbehandlungsgebots und damit die verfassungsrechtliche Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede konkretisiert werden sollte. Dem entsprach es, daß die Vergleichbarkeitsprüfung im Bereich der Differenzierung aufgrund des Geschlechts enge Willkürgrenzen gezogen hat. Nach ihrem Wortlaut wurde die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in diesem Bereich einer zweifachen Einschränkung unterworfen. Zum einen durfte der Gesetzgeber nur dort die Rechtsunterworfenen je nach dem Geschlecht unterschiedlich behandeln, wo sich objektive biologische oder funktionale Unterschiede feststellen ließen. Zum anderen mußten die objektiven Unterschiede die betreffenden Lebenssachverhalte so entscheidend prägen, daß nicht mehr sinnvoll von "Bevorzugung" und "Benachteiligung" wegen des Geschlechts gesprochen werden konnte.

192

§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

Trotz der großen praktischen Bedeutung, die die Vergleichbarkeitsprüfung in der Rechtsprechung für den Abbau der rechtlichen Frauendiskriminierung spielte, war dieses Prüfungskriterium in ihrer normativer Struktur nicht so streng, wie es auf den ersten Blick scheint. Dies gilt für beide Prüfungsschichten. Soweit es das Vorhandensein "objektiver biologischer und funktionaler Unterschiede" betrifft, war die verlangte "Objektivität" nicht dazu geeignet, die klischeehaften Vorurteile auszuschließen. Dies zeigt schon das Homosexuellen-Urteil ganz deutlich. In diesem Urteil wurden, um die männliche und weibliche Sexualität als unvergleichbare Tatbestände darzustellen, viele angebliche biologische Unterschiede angeführt. Dies reichte vom Unterschied der physiologischen - für den Mann einer drängenden und fordernden, für die Frau einer hinnehmenden und zur Hingabe bereiten - Funktion bis hin zum Unterschied, daß "bei der Frau körperliche Begierde (Sexualität) und zärtliche Empfindungsfähigkeit (Erotik) fast immer miteinander verschmolzen sind, während beim Manne ... beide Komponenten vielfach getrennt bleiben,m. Um einen "objektiven biologischen Unterschied" zu ermitteln, war also für das BVerfG ein statistischer Unterschied ausschlaggebend, unabhängig davon, daß dieser Unterschied gerade die Folge der vorangehenden Diskriminierung sein konnte. Es reichte sogar für diesen Zweck aus, wenn sich ein angeblicher Unterschied gedanklich auf einen anatomischen Unterschied zurückführen ließ. Aufgrund dieser Argumentation konnte man praktisch fast alle diskriminierenden Vorurteile mit der "Objektivität" verkleiden. In dieser Lage war es folgerichtig, daß der Ausschluß der Willkürtatbestände bei der Vergleichbarkeitsprüfung - in der früheren Rechtsprechung im Unterschied zu der in den siebziger und achtziger Jahren - erst in ihrer zweiten Komponente Berücksichtigung fand, im Zusammenhang mit der Frage nach der maßgeblichen Prägung der Lebenssachverhalte durch die biologischen oder funktionalen Unterschiede. So ging das StichentscheidUrteil einerseits von einem funktionalen Unterschied in der verschiedenen, durch das Geschlecht bedingten Färbung in der Person des Vaters und der Mutter aus, betonte jedoch auf der anderen Seite, daß diese Verschiedenheiten die Beziehungen von Vater und Mutter zu den Kindern nicht entscheidend unterschiedlich prägen würden 78. Inwieweit die zweite Prüfungsschicht ein sicheres Kriterium darstellt, mit dem die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich der Differenzierung aufgrund des Geschlechts beschränkt werden kann, ist zurecht zu bezweifeln. Hier geht es nämlich nicht um eine Tatsachenermittlung, sondern 77 78

BVerfGE 6, 389 (425 f.). BVerfGE 10, 59 (75).

11. Vergleichbarkeitsprüfung

193

um die Überprüfung des gesetzgeberischen Werturteils. Wie entscheidend die biologischen oder funktionalen Unterschiede die betreffenden Lebenssachverhalte prägen sollen, kann kaum objektiviert werden. Hier setzte sich wieder die Struktur des Willkürverbots durch. In diesem theoretischen Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung konnte somit die normative Entscheidung der Verfassungseltem für die rechtliche Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede nur bedingt zum Tragen kommen.

2. "Funktionale" Unterschiede a) Traditionelle Rollenverteilung als "funktionaler Unterschied" Die Relativierung der Unerheblichkeitsthese durch die Anwendung der Vergleichbarkeitsprüfung im Sinne des BVerfG zeigt sich deutlicher im Bereich der "funktionalen" Unterschiede. In der früheren Rechtsprechung legte das BVerfG die überlieferte Rollenverteilung zwischen Mann und Frau innerhalb der Familie als "funktionalen (arbeitsteiligen) Unterschied" zugrunde, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob die rechtliche Unterstützung und Sanktionierung einer solchen Rollenverteilung eventuell gegen das Differenzierungsverbot verstößt. Diese Haltung des BVerfG kam am deutlichsten in den ersten Witwerrentenurteilen vom 24.7.1963 zum Ausdruck. In diesen Fällen ging es in erster Linie um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der erschwerenden Voraussetzung der Witwerrente im Vergleich zur Witwenrente. Das Angestelltenversicherungsgesetz machte die Gewährung der Witwerrente davon abhängig, daß die verstorbene Ehefrau den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat, während die Witwe ohne weiteres beim Tod des versicherten Ehemanns die Witwerrente erhielt. In dieser Situation sah das BVerfG in dieser unterschiedlichen Behandlung keinen Verstoß gegen das Gleichberechtigungsgebot aufgrund des Geschlechts. Ausschlaggebend für dieses Ergebnis war die Erkenntnis, daß "der Bedarf nach Ersatz der Unterhaltsleistungen des verstorbenen Versicherten bei Witwe und Witwer wesentlich verschieden" sei und das Sozialversicherungsrecht legitimerweise die typische Bedarfssituation berücksichtigen dürfe79 • 79 BVerfGE 17, 1 (17 ff.). Da das BVerfG an der Rolle des Mannes als "Familienernährer" festhielt (S . 20), hätte der Unterschied in der Bedarfslage leicht ermittelt werden können, wenn die "Unterhaltsleistungen" wesentlich auf die Geldleistungen beschränkt worden wären. Das BVerfG betonte jedoch den wirtschaftlichen Wert der von den Frauen als Mütter, Hausfrauen und Mithelfende erbrachten Leistungen (S. 12 ff.), so daß es auf die unterschiedlichen Folgen des Fortfalls der Unterhaltsleistung für den Unterhaltsstandard abstellen mußte (S. 19 ff.). Diese Argumentation führte im Zusammenhang mit der Waisenrente dazu, daß das BVerfG keine unterschiedliche Folge in bezug auf den Unterhaltsstandard erblickte. Daher

13 Nishihara

194

§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

Dabei nahm das BVerfG zum Ausgangspunkt, daß "der Frau die Haushaltsführung, der geltenden Anschauung entsprechend, vom Gesetz zur ersten Pflicht gemacht" ist. Wenn dies einmal angenommen wurde, konnten alle funktionalen Unterschiede von dieser Vorbedingung ohne jegliche Schwierigkeit abgeleitet werden. So konnte das BVerfG argumentieren, daß auch die erwerbstätigen Frauen in erster Linie durch die Haushaltsführung ihren primären Unterhaltsbeitrag leisten und dementsprechend beim Tod ihres Mannes - per definitionem - ohne Ausnahme eine materielle Einbuße am Unterhalts standard erleiden würden, während bei den Witwern der Verlust der häuslichen Dienste der Ehefrau normalerweise durch Fortfall der für sie notwendigen Geldleistung aufgewogen werde 8o . Das BVerfG selbst war nicht von dieser Argumentation völlig überzeugt, so daß es sich in diesem Zusammenhang nach der Grenze der verfassungsrechtlich zulässigen Typisierung fragte. Da es jedoch in der betreffenden Vorschrift nur eine bevorzugende Typisierung erblickte, konnte es zum Ergebnis gelangen, daß die Grenzen der zulässigen Typisierung nicht überschritten werden. Nach der zugrunde gelegten Statistik waren 7,5 % aller verheirateten und mit ihrem Mann zusammenlebenden "Haus"-Frauen erwerbstätig, so daß die Zahl derjenigen, die ohne inneren Grund von der typisierenden Vorschrift begünstigt wurden, lediglich in dieser Höhe besteht81 . Das Problem dieser bundesverfassungsgerichtlichen Argumentation zeigte sich noch deutlicher im am gleichen Tag verkündeten Urteil, das das Bundesversorgungsgesetz zum Gegenstand hatte. Dieses Gesetz verlangte, neben der überwiegenden Bestreitung der Unterhaltsleistung durch die Ehefrau, als weitere Voraussetzung der Witwerrente, daß diese Leistung der Ehefrau die Erwerbsunfähigkeit des Mannes als Grund hatte. Der Mann hatte also beim Tod seiner Ehefrau keinen Anspruch auf die Witwerrente, wenn er sich freiwillig dem Haushalt gewidmet hatte, ohne arbeitsunfähig zu sein. Um diese Regelung zu rechtfertigen, stützte sich das BVerfG auf die "sittlichen und gesellschaftlichen Anschauungen" im Sinne der alten im Zeitpunkt des Urteils längst revidierten - Fassung des § 1360 BGB, der den Mann generell und die Frau nur bei mangelnder Arbeitsfähigkeit des Mannes zur Unterhaltsbeschaffung verpflichtete. Sodann beruft es sich auf die - längst ausgeräumte - "farnilienrechtliche Verschiedenheit" mit der Folge, daß der versorgungsrechtliche Grundsatz "wer sich helfen kann, soll sich selbst helfen" voll zur Geltung kam 82 . Dazu steht allerdings im Gegenerklärte es die Beschränkung der Waisenrente beim Tod der Mutter, die nicht überwiegend den Unterhalt bestritten hat, als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG (S. 26 ff.). Ähnlich BVerfGE 17, 38 (58 ff.). 80 BVerfGE 17,1 (17 ff.); 17,38 (54). 81 BVerfGE 17, 1 (23 ff.). 82 BVerfGE 17, 38 (54 ff.); 17,62 (67).

11. Vergleichbarkeitsprüfung

195

satz, daß das BVerfG die Umstände aufzählte, unter denen die (Wieder-) Aufnahme der Erwerbstätigkeit den Witwen nicht zugemutet werden kann 83 . Das BVerfG wies nur darauf hin, daß die Ablehnung der Witwerrente aufgrund des Hausmannsdaseins selten vorkomme und die Folge durch die Anwendung der Härteklausel abgemildert werden könne 84 . Das Ergebnis dieser ersten Witwerrentenurteile wurde später bezüglich der erschwerenden Voraussetzungen für die Witwerrente Schritt für Schritt korrigiert. Zuerst wurde eine entsprechende Vorschrift im Hamburgischen Beamtengesetz unter Bezugnahme auf Art. 33 Abs. 5 GG deswegen als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG verurteilt, weil sich Beamte und Beamtinnen hinsichtlich des Anspruchs auf standesmäßigen Unterhalt für sich und ihre Familie nicht in unterschiedlicher Lage befänden 85 . In dieser Entscheidung gelangte das BVerfG zur Auffassung, daß die Hürden für die Witwerrente das Recht der weiblichen Versicherten betrafen. Parallel dazu erkannte das BVerfG an, daß ein erhöhter Verwaltungsaufwand allein nicht eine verschiedene Behandlung von Mann und Frau rechtfertige. So erkannte es das nur von Witwern verlangte Erfordernis der Wartezeit, das zur Ablehnung der Witwerrente auch in der für Witwen typischen Unterhaltsbedürftigkeit führte, als verfassungswidrig 86 . Im Zusammenwirken dieser beiden Erkenntnisse revidierte das BVerfG schließlich am 12.3.1975 die ersten Witwerrentenurteile: Zwar seien die Voraussetzungen im Angestelltenversicherungsgesetz bei einer verfassungsrechtlichen Überprüfung anhand des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG noch verfassungsgemäß, sie können aber in ihrer damaligen Gestalt auf Dauer nicht aufrechterhalten werden. Dabei war zweierlei ausschlaggebend. Einerseits konnte damals aufgrund der Meinungsveränderung nicht mehr aus § 1356 BGB gefolgert werden, daß die erwerbstätige Ehefrau in jedem Fall zur Haushaltsführung verpflichtet sei. Andererseits betrug zu dieser Zeit die Erwerbstätigkeitsquote der verheirateten Frauen rund 30%, so daß man nicht mehr einfach eine verfassungsrechtliche Hinnehmbarkeit unterstellen konnte 87 . Trotz dieser Veränderung der Betrachtungsweise gegenüber den erschwerenden Voraussetzungen für die Witwerrente ist festzustellen, daß das Mahnungsurteil den Argumentationsrahmen der ersten Witwerrentenurteile nicht in Frage stellte. Um seinen vorübergehenden Verfassungsmäßigkeitsspruch zu begründen, betonte das BVerfG - ohne irgendeine empirische ErBVerfGE 17, I (21). BVerfGE 17, 38 (57). Diese Ausnahme führte zum Ergebnis, daß die Grenze zulässiger Typisierung wiederum nicht überschritten wird, obwohl hier eine für Hausmänner nachteilige Typisierung in Frage stand. 85 BVerfGE 21, 329 (343 ff.). 86 BVerfGE 31, 1 (4 ff.) . 87 BVerfGE 39, 169 (185 ff.) . 83

84

13*

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

kenntnis grundlage vorzubringen -, daß sich eine grundsätzliche Abkehr vom früheren Rollenverständnis der Frau noch nicht in der Bevölkerung allgemein durchgesetzt habe 88 . Die Bezugnahme auf die allgemeine Anschauung in der Bevölkerung verdeutlicht die Struktur der "funktionalen Unterschiede". Soweit eine Gruppe in der Gesellschaft allgemein diskriminiert ist und diese Diskriminierung durch gesetzliche Vorschriften sanktioniert wird, gibt es "funktionale Unterschiede", die eine diskriminierende Behandlung der betreffenden Gruppenmitglieder rechtfertigen. b) "Funktionale Unterschiede" und das Gleichberechtigungsgebot im Sinne eines Freiheitsrechts vor staatlich aufgezwungener Geschlechterrolle

Bei dieser Lage wurde im Schrifttum frühzeitig erkannt, daß die Prüfungskomponente der "funktionalen Unterschiede" - nach der viel zitierten Bezeichnung von Bauer - als "pseudoverfassungsrechtliche Einbruchstelle für eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Frau,,89 anzusehen war. Diese Kritik traf den richtigen Kern, denn der Ausnahmetatbestand der "funktionalen Unterschiede" konnte die normative Wirkung des Gleichberechtigungsgebots aushebeln. Der normativen Entscheidung der Verfassungseltern für die rechtliche Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede wurde der wichtigsten Bedeutung beraubt, indem die vergleichbare Lage von Männern und Frauen zur Anwendungsvoraussetzung des Gleichberechtigungsgebots erhoben wurde, wobei die in der Gesellschaft feststell baren, je nach Geschlecht unterschiedlichen Rollenerwartungen als tatsächliche Unterschiede angesehen wurden, die die gesellschaftliche oder familienrechtliehe Situation der beiden Geschlechter nicht vergleichbar machen. Die Fälle, in denen das BVerfG das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG wegen vorhandener "funktionaler Unterschiede" nicht anwandte, betrafen - solange in den erschwerenden Voraussetzungen der Witwerrente nur eine bevorzugende Typisierung für berufstätige Frauen erblickt wurde - nie eine unmittelbare Benachteiligung der Frau9o . Im Urteil zum Bundesversorgungsgesetz konnte das BVerfG eine schwerwiegende Benachteiligung für die Hausmänner aufgrund des Geschlechts durch den Hinweis auf die Härtefallklausel relativieren. Diese Haltung zeigt, daß es für das BVerfG in erster Linie auf die diskriminierende, benachteiligende Auswirkung der differenzierenden Regelung ankam, dagegen weniger auf die Differenzierung selbst. Nach dieser ergebnisorientierten Betrachtungs88

89 90

BVerfGE 39, 169 (188).

Bauer, JZ 1959, S. 444.

Zur Bedeutung dieses Sachverhalts vgl. Sacksofsky, 1996, S. 51.

11. Vergleichbarkeitsprüfung

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weise berührte die gesetzliche Verpflichtung der Ehefrauen zur Haushaltsführung solange nicht das Gleichberechtigungsgebot, als erstens keine unmittelbare Benachteiligung für Frauen daraus resultierte und zweitens die rechtliche und tatsächliche Gleichwertigkeit der "weiblichen" Tätigkeiten mit der Erwerbstätigkeit gewahrt blieb. Diese Orientierung an dem benachteiligenden Ergebnis ist Ausfluß des Willkürprinzips, das das BVerfG trotz der Unerheblichkeitsthese im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG zugrunde legte. Die Unerheblichkeitsthese verlangt jedoch deutlich mehr als diese ergebnisorientierte Betrachtungsweise. Wenn die Verfassung die rechtliche Irrelevanz der Geschlechtsunterschiede zum Prinzip erhebt, dann zielt diese Entscheidung der Verfassung auf die KlarsteIlung ab, daß die Geschlechtsunterschiede rechtlich nicht berücksichtigt werden dürfen. In dieser Hinsicht erlaubt der besondere Antagonismus der "funktionalen Unterschiede" gegenüber der Unerheblichkeitsthese einen Schluß auf die Frage, was das Gleichberechtigungsgebot eigentlich bezweckt. Nimmt man nämlich die Unerheblichkeit ernst, so ist die Anknüpfung am Geschlechtsmerkmal als potenzielle Rechtsverletzung zu betrachten. Um zu vermeiden, den Fehler des BVerfG zu wiederholen, muß man sich darüber im Klaren sein, daß der Geschlechtsunterschied nicht deswegen rechtlich irrelevant ist, weil die Anknüpfung an das Geschlecht meistens zur willkürlichen Folge führt. Bei diesem Verständnis hängt der Inhalt des Gleichberechtigungsgebots gerade von den Gerechtigkeitsvorstellungen der gesetzgebenden Mehrheit ab. Vielmehr gründet sich die Unerheblichkeitsthese auf ein Recht des Einzelnen, nicht je nach seiner Geschlechtszugehörigkeit unterschiedlich behandelt zu werden 91 . Insoweit ist das Gleichberechtigungsgebot in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG keine Konkretisierung des Willkürverbots in Art. 3 Abs. 1 GG. Die Berücksichtigung der "funktionalen Unterschiede" führt in diesem Zusammenhang gerade zu einem Eingriff in das durch das Gleichbehandlungsgebot geschützte Recht. Denn die Zugrundelegung der "funktionalen Unterschiede" läuft darauf hinaus, einen Einzelnen rechtlich zu einer Aufgabe zu verpflichten, die - für den Betroffenen völlig zufällig - in der Überlieferung seinem Geschlecht zugewiesen war. Dürig vertrat im Zusammenhang mit der ",Hausfrauenehe' als dispositives Leitbild" einst die These, daß die bloße Aufstellung eines unverbindlichen Regelungsmodells nicht gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG verstoße 92 . Es muß jedoch vom heuti91 Kirchhof versteht die Gleichheit in diesem Zusammenhang als "Recht auf Unterschiede und damit auf Freiheit". Kirchhof, in: HBdStR V, § 124, Rn. 107. Vgl. ferner Kirchhof, in: FS Lerche, S. 137 f. Dem schließt sich Sachs - in Abweichung von seiner früheren Position - an. Sachs, in: HBdStR V, § 126, Rn. 119. 92 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. 2 GG, Rn. 22.

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§ 3 Vergleichbarkeitsprtifung und ihre dogmatische Grundlage

gen Standpunkt aus festgestellt werden, daß alle - d. h. auch die scheinbar unverbindlichen - rechtlich wirksamen Modelle der geschlechts bezogenen Rollenzuweisung den Kern des Rechts auf Gleichbehandlung der beiden Geschlechter und damit den Wesensgehalt des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG verletzen. Rechtlich sanktionierte Rollenklischees - d. h. die gesetzliche Vorgabe des Ideals, wie eine Frau als Frau und ein Mann als Mann ihr Leben leben sollen - stellen ein Hindernis für die Entfaltung der Individualität aufgrund der freien persönlichen Entscheidung dar93 • Ganz in diesem Sinne äußerte das BVerfG die Ansicht, daß die Aufgabenteilung in der Ehe in erster Linie der freien Entscheidung der Ehegatten unterliege, die lediglich im Kindeswohl ihre Grenze finde 94 . Zumindest muß die Entscheidungsfreiheit der beiden Ehegatten von einer staatlichen Beeinflussung aufgrund eines gesetzlich sanktionierten Rollenklischees vollständig befreit sein. Das Recht auf Gleichbehandlung der beiden Geschlechter ist somit ein Stück Freiheitsrecht des Einzelnen. Es zielt darauf ab, daß der Einzelne nicht als Mitglied einer Geschlechtsgruppe, sondern als Individuum aufgrund seines persönlichen Wertes rechtlich beurteilt wird. c) Ausschluß der traditionellen Rollenerwartung

aus dem "funktionalen Unterschied"

Das Verständnis des Gleichberechtigungsgebots im Sinne des Rechts auf Gleichbehandlung war dem BVerfG solange völlig fremd, als es an dem Modell der Vergleichbarkeitsprüfung festhielt. Es hatte bis in die neunziger Jahre hinein die Formel der "funktionalen (arbeitsteiligen) Unterschiede" angewandt. Jedoch sah das BVerfG im Laufe der Zeit auch ein, daß das Verfassungsgebot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG "seine Funktion, für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen" verlöre, wenn "es inhaltlich darauf reduziert würde, die vorgefundene gesellschaftliche Wirklichkeit, etwa die vorhandenen Lohnunterschiede bei Männern und Frauen, hinzunehmen,,95, obwohl dies gerade die Funktion des Prüfungskriteriums "funktionaler Unterschied" war. Dementsprechend versuchte das BVerfG zwischen 1978 und 1991, den Anwendungsbereich der "funktionalen Unterschiede" zu beschränken. So erklärte das BVerfG im Beschluß vom 31.5.1978 die gesetzliche Übergangsregelung im Bereich des Ehenamens für verfassungswidrig, die 93 Die Bedeutung des hier vertretenen Gesichtspunktes im Zusammenhang mit der mittelbaren Diskriminierung Bieback, Die mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, 1997, S. 50. 94 BVerfGE 39, 169 (183) unter Bezugnahme auf die allgemeine Meinung; sodann BVerfGE 48, 327 (338). 95 BVerfGE 57, 335 (345 f.); 84, 9 (17).

11. Vergleichbarkeitsprüfung

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alle früher verheirateten Ehegatten von der Möglichkeit ausschloß, den Geburtsnamen der Frau zum Ehenamen zu bestimmen. Dabei hob das BVerfG hervor, daß es keine entscheidenden - also auch keine funktionalen - Unterschiede gebe, die die betreffende Regelung als zwingend geboten erscheinen lassen könnten96 . Diese Tendenz verdichtete sich im Hausarbeitstag-Beschluß vom 13.11.1979 zu einer individualisierenden Betrachtungsweise. Dort stellte das BVerfG - im Gegensatz zu der alten Rechtsprechung - klar, daß es nicht zu den geschlechtsbedingten Eigenheiten von Frauen gehöre, Hausarbeit zu verrichten. Die entsprechende Erwartung beruhe "allein auf der herkömmlichen Vorstellung". Diese Erkenntnis führte zur Verfassungswidrigkeit einer Regelung, die Arbeitnehmerinnen mit eigenem Hausstand bezahlte Hausarbeitstage gewährte, soweit sie die alleinstehenden weiblichen Arbeitnehmer gegenüber den - genauso mit Erwerbstätigkeit und Haushalt doppelt belasteten - alleinstehenden männlichen Arbeitnehmern bevorzugte97 . Das BVerfG lehnte in diesem Zusammenhang die rechtliche Erheblichkeit der "hergebrachten Vorstellung" bezüglich der Rollenverteilung der beiden Geschlechter ab und ordnete sie in den Bereich der bloßen Fakten. Damit wurde die Möglichkeit ausgeschlossen, eine gesetzliche Regelung unter Hinweis auf die "biologischen oder funktionalen Unterschiede" im Hinblick auf eine geschlechtsbezogene Erwartung zu rechtfertigen. Im Beschluß zur pauschalisierten Bruttolohntabelle im Rahmen des Angestelltenversicherungsgesetzes hieß es, daß die Doppelbelastung der Frau und ähnliche, für den Lohnabstand von beiden Geschlechtern bedeutsame Gründe "nicht funktional, sondern allenfalls traditionell arbeitsteilig geprägt" seien98 . Es wurde damals folgerichtig die Frage gestellt, was von den "funktionalen (arbeitsteiligen) Unterschieden" nach dem Ausschluß der "traditionell arbeitsteilig geprägten" Unterschiede noch übrig blieb99 . Das BVerfG warf auch die Frage auf, inwieweit "funktionale (arbeitsteilige) Unterschiede" überhaupt noch herangezogen werden können 100, beantwortete sie jedoch nicht. Im Schrifttum wurde im allgemeinen die These vertreten, daß die Rechtfertigung der gesetzlichen Anknüpfung am Geschlecht heute als "überholt" anzusehen sei 101. BVerfGE 48, 327 (337 f.). BVerfGE 52, 369 (376). 98 BVerfGE 57, 335 (344). 99 In der Tat verwendete das BVerfG die Adjektive "arbeitsteilig" in demselben Urteil doppelt, einmal als Bezeichnung für die relevanten, einmal für die irrelevanten Unterschiede. BVerfGE 57, 335 (342,344). 100 BVerfGE 84, 9 (18). 101 Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 273. Ähnlich Sachs, 1987, S. 367. 96

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200

§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

Dennoch hatte es eine besondere Bedeutung, daß das BVerfG bis zu diesem Zeitpunkt an der Formel festhielt. Das BVerfG begründete nämlich seine veränderte Position ständig durch den Hinweis auf die gesellschaftliche Veränderung 102. Bei der Postulierung der Entscheidungsfreiheit in der innerehelichen Aufgabenteilung stützte sich das BVerfG auf die "heutigen Gegebenheiten" 103. Zwar war diese Argumentation ohne Zweifel in erster Linie als Betonung der veränderten Situation im Vergleich zur Vergangenheit zu verstehen. Dennoch wies der Rückgriff auf die "Gegebenheiten" auch zukunftsorientiert auf die weiteren ideellen Voraussetzungen hin, die das BVerfG zugrunde legte. Der logischen Struktur nach entstehen und verschwinden die "funktionalen Unterschiede" mit der allgemeinen Vorstellung innerhalb des Gemeinwesens, die sodann in den Leitprinzipen der Rechtsordnung ihren rechtlichen Niederschlag finden. Soweit die gesetzliche Verpflichtung der Ehefrau zur Haushaltsführung im Sinne des § 1356 BGB in der Fassung von 1956 bestand, sah sich das BVerfG nicht imstande, über die durch diese gesetzliche Regelung bedingten "funktionalen Unterschiede" hinwegzusetzen. Im Hausarbeitstag-Beschluß ließ das BVerfG zwar offen, ob die Neuregelung des Familienrechts im Jahr 1976 104 eine rechtlich relevante Veränderung der Aufgabenteilung innerhalb der Ehe hervorrief105 , aber selbst wenn das BVerfG auf diese Problematik eingegangen wäre, hätte es nur die Abhängigkeit der "funktionalen Unterschiede" von den gesellschaftlichen Verhältnissen bekräftigt. Dies alles führt dazu, daß der Anwendungsbereich der "funktionalen Unterschiede" immer durch die vorgefundene Wirklichkeit bestimmt wurde. Wenn in dieser Lage die traditionellen Rollenklischees nochmals die gesetzgebende Mehrheit zurückgewinnen würden, müßte nach der Argumentation des BVerfG der Regelungsgehalt des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nochmals durch wiedererkannte "funktionale Unterschiede" eingeschränkt werden. Die Unanwendbarkeit des Gleichberechtigungsgebots beim Vorhandensein "funktionaler Unterschiede" ist tief im Gleichheitsverständnis des BVerfG 102 Das sieht man am deutlichsten im Witwerrentenbeschluß von 1975 BVerfGE 39, 169 (183) -, in dem auf die veränderte allgemeine Meinung und auf die gesetzgeberischen Reformbemühungen hingewiesen wird. 103 BVerfGE 48, 327 (338). 104 § 1356 BGB in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14.6.1976 (BGBl. 1976 I, S. 1421): ,,(1) Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen. Ist die Haushaltsführung einem der Ehegatten überlassen, so leitet dieser den Haushalt in eigener Verantwortung. (2) Beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein. Bei der Wahl und Ausübung einer Erwerbstätigkeit haben sie auf die Belange des anderen Ehegatten und der Familie die gebotene Rücksicht zu nehmen". 105 BVerfGE 52, 369 (378).

11. Vergleichbarkeitsprüfung

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verwurzelt. Solange das BVerfG an der Struktur der Vergleichbarkeit festhielt, bildeten die "funktionalen Unterschiede" einen notwendigen Bestandteil dieser Struktur. 3. "Biologische" Unterschiede

a) Gruppenbezogene Betrachtungsweise der "biologischen Unterschiede" Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß zwischen Mann und Frau biologische Unterschiede bestehen. Diese Unterschiede können unter Umständen rechtlich von Belang sein, so daß die Berücksichtigung dieser Unterschiede manchmal rechtlich zulässig, ja sogar rechtlich geboten sein kann. Wenn einer werdenden Mutter Mutterschaftsurlaub geWährleistet wird und einem werdenden Vater kein Vaterschaftsurlaub, dann folgt diese unterschiedliche Behandlung aus den biologischen Unterschieden bei der Personen. Diese Feststellung ist ein Gemeinplatz aller Theorien, die die Gleichberechtigung der beiden Geschlechter betreffen. Allerdings unterscheiden sich diese Theorien beträchtlich bezüglich der Antwort auf die Frage, wann diesen biologischen Unterschieden rechtliche Berücksichtigung gebührt. Im europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz kann - wie im Teil 1 festgestellt wurde - eine nationale Regelung die biologischen Unterschiede nur insoweit berücksichtigen, als die Berücksichtigung derselben in der primärrechtlichen oder sekundärrechtlichen Ausnahmeregelung ausdrücklich zugelassen ist und für die Verwirklichung der von diesen Ausnahmeregelungen verfolgten Zwecke geeignet und erforderlich ist. Wenn das BVerfG die "objektiven biologischen Unterschiede" als Zeichen für die fehlende Vergleichbarkeit ansah, handelte es sich um eine völlig andere argumentative Struktur des Gleichberechtigungsgebots. Es wurde bereits - anhand des Homosexuellenurteils - festgestellt, daß die "biologischen Unterschiede" im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung ursprünglich nur ein Durchschnittswert einer Geschlechtsgruppe sein durften. Als das BVerfG die Arbeitszeitbeschränkungen für weibliche Arbeitnehmer als verfassungsgemäß erachtete, konnte es sich einfach auf die pauschalisierte Feststellung stützen, daß diese Regelung der biologischen Besonderheit der Frau im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses schützend Rechnung trägt 106. Es kam nicht auf die konkrete Schutzbedürftigkeit an. Ähnlich rechtfertigte das BVerfG ständig die Beschränkung des Feuerwehrdienstes und damit der Feuerwehrabgabe auf männliche Einwohner "im 106 BVerfGE 5, 9 (12). Diese Betrachtungsweise hält natürlich nicht einer eingehenden Prüfung der Erforderlichkeit stand und mußte durch das Nachtarbeitsurteil revidiert werden. Vgl. BVerfGE 85, 191 (207 ff.).

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

Hinblick auf die Gefahren des Feuerwehreinsatzes" - bis zum Kammerbeschluß aus dem Jahr 1990 107 . Dabei stützte sich das BVerfG nie auf eine wissenschaftlich fundierte Liste der für Feuerwehreinsatz erforderlichen Eigenschaften, sondern lediglich auf die Vorurteile über die schwache Natur der Frauen. Die Problematik eines klischeehaften Vorurteils als Ermittlungsgrundlage für "biologische Unterschiede" wurde im zweiten Feuerwehrabgabenbeschluß vom 24.1.1995 ausdrücklich erkannt. Der Beschluß, der aufgrund der neuen Erforderlichkeitsprüfung die auf männliche Einwohner beschränkte Feuerwehrabgabe als verfassungswidrig erklärte, räumte einerseits allgemein "schwächeres Knochengerüst, geringere Muskelmenge und niedrigere kardiopulmonale Leistungsfähigkeit" der Frauen ein, lehnte andererseits aber die bisher oft gezogene Folgerung ab, daß diese Besonderheiten den generellen Ausschluß der Frauen von der Dienstpflicht verlangen würden. Das BVerfG verlangte vielmehr, daß solchen Besonderheiten durch eine auf die individuelle Konstitution abstellende Tauglichkeitsuntersuchung Rechnung getragen werden könnte und sollte 108. Vom heutigen Standpunkt aus gesehen verdient die gruppenbezogene Betrachtungsweise der "biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau" nicht die Bezeichnung "objektiv". Daher kann hier davon ausgegangen werden, daß die vorurteilhafte Berücksichtigung der angeblichen "biologischen Unterschiede" im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nicht eine differenzierende Regelung rechtfertigen kann. b) Individualisierende Betrachtungsweise der "biologischen Unterschiede" Das BVerfG ging zur individualisierenden Betrachtungsweise der "biologischen Unterschiede" schon lang vor der Aufnahme der Erforderlichkeitsprüfung über. Der Hausarbeitstagsbeschluß markierte den Wendepunkt. In diesem Beschluß wies das BVerfG die vorgebrachten Rechtfertigungsgründe - wie die Berücksichtigung der "geringeren Leistungsfahigkeit" oder die "besondere Schutzbedürftigkeit der Frauen" - zurück, mit der Begründung, daß die betreffende Regelung nicht auf die Erfüllung dieses Belangs abziele 109. Vielmehr versuchte das BVerfG, die Schutzbedürftigkeit je nach 107 BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 13.11.1979 - 1 BvR 768/79; 5.7.1983 - 1 BvR 1214/82 und 210/83; 11.12.1985 - 1 BvR 1277/85; 31.1.1987 - 1 BvR 1476/ 86; 9.2.1990 - 1 BvR 1614/89; 15.8.1990 - 1 BvR 914/90. Als dieses Problem zum ersten Mal das BVerfG erreichte, hielt das BVerfG die Legitimität dieser Beschränkung für so selbstverständlich, daß es die Regelung keiner ausführlichen verfassungsrechtlichen Überprüfung unterzog. BVerfGE 13, 167 (171). 108 BVerfGE 92, 91 (110).

H. Vergleichbarkeitsprüfung

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der tatsächlichen Lage zu individualisieren. Aufgrund dieser Betrachtungsweise konnte das BVerfG sodann zeigen, daß die unterschiedliche Behandlung zwischen der alleinstehenden Arbeitnehmerin und dem männlichen Arbeitnehmer völlig absurd erscheint. Diese Tendenz kann man jedoch bei näherem Hinsehen bis zum Hoferbenurteil zurückverfolgen. Dort ging das BVerfG zwar von der üblichen Arbeitsteilung aus und damit von einem Teil der "biologischen Unterschiede": Dem Mann obliege die Außenwirtschaft, die Frau besorge Innenwirtschaft mit Arbeit in Haushalt, Stall und Garten. Jedoch hob es hervor, daß die Leitung des Gesamtbetriebs, vom Außenbetrieb getrennt, der Frau zustehen könne. Das BVerfG wandte "biologische und funktionale Unterschiede" in der Tat nicht immer gruppenorientiert und extensiv an, auch nicht in den sechziger und siebziger Jahren. Während die Betonung der "funktionalen Unterschiede" fast ausschließlich in bezug auf die familienrechtlichen Regelungen und jene Vorschriften erfolgte, die diese Unterschiede zugrunde legten, war der Anwendungsbereich der "biologischen Unterschiede" gegenstandsmäßig begrenzt. Sie fanden nämlich vornehmlich dort Anwendung, wo es um die Schutzvorschriften zugunsten der Frau einschließlich der Befreiung der Frauen von staatsbürgerlichen Pflichten ging. Die Wendefunktion des Hausarbeitstagsbeschlusses zeigt sich genau in diesem Punkt. Wenn dieser Beschluß die "Schutzbedürftigkeit der Frauen" bis ins einzelne Schutzinteresse differenzierte, so geschah dies vermutlich deswegen, weil sich damals die Erkenntnis durchsetzte, daß die Schutzvorschriften nicht nur die Männer benachteiligen, sondern auch bei der Verwirklichung der tatsächlichen Chancengleichheit von Mann und Frau eher im Wege stehen. Dies war beim Hausarbeitstag ganz ersichtlich: Je mehr der Gesetzgeber die Doppelbelastung der Frau durch Schutzvorschriften berücksichtigt, desto mehr verfestigt er die überlieferten Geschlechtsrollen, indem er die männlichen Arbeitnehmer von der Erziehungs- und Haushaltsverantwortung befreit 1 10. Auch soweit das BVerfG die in Frage stehende Vorschrift unter Berufung auf "biologische Unterschiede" rechtfertigte, war die pauschalisierende Sichtweise in den achtziger Jahren bereits problematisch. Als das BVerfG die Beschränkung des Sorgerechts eines unehelichen Kindes auf die Mutter rechtfertigte, stellte es auf die Fälle ab, in denen das Geschlecht - d. h. die Beziehung zwischen Mutter und Kind einerseits und Vater und Kind andererseits - wirklich ausschlaggebend war: Die freie Entscheidung der bioBVerfGE 52, 369 (375 ff.). Insoweit war es nicht unproblematisch, daß das BVerfG ausschließlich die Benachteiligung der alleinstehenden Männem in Betracht zog und die Benachteiligung für die Arbeitnehmerinnen völlig außer Betracht ließ. 109 110

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

logischen Eltern habe im Kindeswohl ihre Grenze und das Kind habe Anspruch auf die Regelung seiner Rechtsverhältnisse gleich nach seiner Geburt!!!. Dieses Urteil wies darauf hin, daß die "natürliche Verbindung des ungeborenen Lebens mit dem der Mutter eine besonders geartete Beziehung ist, für die es in anderen Lebenssachverhalten keine Parallele gibt" II 2. Damit erweckt dieser Beschluß den Anschein, daß sich das BVerfG auf "biologische Unterschiede" stützen würde. Diese Argumentation beruhte jedoch in Wirklichkeit nicht auf der Unanwendbarkeit des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG im Fall von unvergleichbaren Lagen zwischen Mann und Frau, sondern auf der Erforderlichkeit für die Erreichung des von der gesetzlichen Regelung verfolgten Zwecks. Zusammenfassend ist hier festzustellen, daß sich das BVerfG spätestens seit Anfang der achtziger Jahre bemühte, "biologische Unterschiede" unter Ausschluß der verschiedenen Vorurteile einschränkend anzuwenden, um dem Gleichberechtigungs gebot zur wirkungsvollen Anwendung zu verhelfen. Soweit es die Frage betrifft, ob diese Veränderung mit der ursprünglichen, dogmatischen Struktur der Vergleichbarkeitsprüfung noch in Einklang steht, ist diese Frage eindeutig zu bejahen. Die Vergleichbarkeit ist ein offener Begriff und ein offener Rahmen, der durch Definition der verschiedenen Hilfsbegriffe - darunter vor allem "biologische Unterschiede" - ausgefüllt werden kann und soll. Diesem Prüfungskriterium war jedoch eine historische Last aufgebürdet. Da das BVerfG den Begriff der "biologischen Unterschiede" nicht einheitlich verwandte, verlor die Vergleichbarkeitsprüfung die Vertrauenswürdigkeit. c) Ausschließlichkeitsanforderung als Ergänzung für

"biologische Unterschiede"

Es war Sachs, der mit seiner Theorie der raffinierten Vergleichbarkeitsprüfung versuchte, den Mangel an dogmatischer Klarheit im normativen Gehalt des Art. 3 Abs. 2 GG zu beseitigen Il3 . Dabei ging er davon aus, daß ein unvergleichbarer Lebenssachverhalt sich auf Umstände beziehe, "die nur bei Personen des einen Geschlechts vorkommen, die zu einer Gruppe von durch ein gemeinsames Merkmal gekennzeichneten Männer und Frauen gehören". Die "ausschließliche Verwirklichung in einem Ge111 BVerfGE 56, 363 (388 ff.). Biologischer Vater und Mutter, die zusammenleben und sich gemeinsam um das Kind kümmern, müssen die rechtlichen Folgen hinnehmen, die daraus entstehen, daß sie auf den Trauschein und damit auf die Schließung der rechtlich verbindlichen Gemeinschaft verzichten (S. 384 ff.). 112 BVerfG 56, 363 (389 f.) unter Bezugnahme auf BVerfGE 39, 1 (42). 113 Sachs, 1987, S. 352 ff.

II. Vergleichbarkeitsprüfung

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schlecht" nennt er "Grundanforderung", anhand derer die Unvergleichbarkeit einigermaßen zuverlässig ermittelt werden könne. Als Grundlage für "Unvergleichbarkeit" scheiden durch diese Basisanforderung zuerst alle Formen der "funktionalen Unterschiede" aus, sodann die typische und durchschnittliche Verschiedenheit der Geschlechter. Nur wenn eine bestimmte Eigenschaft ausschließlich bei einem Geschlecht auftritt, gibt es "unvergleichbare Lebenssachverhalt,,114. Diese Ansicht versteht Art. 3 Abs. 2 und 3 GG als absolutes, striktes Differenzierungsverbot. So wird von Sachs verlangt, daß das Differenzierungsverbot prinzipiell keine Ausnahme zulasse, außer der Unvergleichbarkeit im Rahmen des Regelungsgegenstands. Damit bekommt die Vergleichbarkeitsprüfung theoretisch eine neue Grundlage, die maßgeblich von der Geltung der Unerheblichkeitsthese ausgeht. In der Tat knüpft Sachs bei der Ausführung seiner Theorie an den diskriminierungsfeindlichen Aspekt der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung an. Die Dogmatik des BVerfG hatte von Anfang an durchaus einen egalitären Aspekt, der vielfach durch die Betonung der natürlichen Verschiedenheit von Mann und Frau und der funktionalen Unterschiede verdeckt blieb. Er zeigte sich bereits darin, daß das BVerfG die Unerheblichkeitsthese - mit all ihrer Einschränkungen - postulierte. Sodann blieb es diesem Grundpostulat äußerlich treu und verlangte eine absolute Geltung dieser Verfassungsentscheidung: Das Gleichberechtigungsgebot gelte prinzipiell absolut, es sei denn, die zu regelnden Lebensumstände seien von "biologischen oder funktionalenUnterschieden" dermaßen geprägt, daß nicht mehr eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts vorliege. Daß diese oberflächliche Strenge durch großzügige Ermittlung der "biologischen und funktionalen Unterschiede" nicht richtig zum Tragen kam, braucht hier nicht mehr wiederholt zu werden. Dennoch ermöglichte die dogmatische Struktur des absoluten Anknüpfungsverbots, das Gleichberechtigungsgebot vor einem bestimmten Relativierungsversuch zu schützen: Eine differenzierende Regelung konnte im Rahmen dieser Dogmatik nicht als Verwirklichung eines höherrangigen Rechtsguts gerechtfertigt werden. Das BVerfG ließ sich nicht auf den Abwägungsgedanken ein, der die Wir114 In diesem Zusammenhang räumt Sachs ein, daß eine ungleiche Behandlung von Mann und Frau durch das Gesetz die Grundlage einer Unvergleichbarkeit sein kann, die das Merkmal der Ausschießlichkeit erfüllt - Beispiel: Beschränkung des Wehrdienstes auf Männer (S. 369). Dies läuft jedoch darauf hinaus, der Ausgestaltung des Gleichheitsgebots durch den einfachen Gesetzgeber einen Verfassungsrang zuzuerkennen, was Sachs mit Bezug auf § 1356 BGB a. F. heftig kritisiert (S. 67). Es ist hier unvermeidlich, die Frage nach dem verfassungswidrigen Verfassungsgesetz zu stellen.

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

kung des Gleichberechtigungsgebots von außen her beschränkt und damit relativiert hätte. Für die Argumentationsstruktur des BVerfG gab es keine Möglichkeit, daß ein Eingriff in das Gleichberechtigungsgebot unter Berufung auf konkurrierende Interessen "gerechtfertigt" wurde, es war nur möglich, daß ein äußerlich gleichberechtigungs widriges Gesetz durch Verweis auf tatsächlich bestehende Unterschiede in geregelten Lebensumständen "begründet" wurde. Wenn dem BVerfG der Verdienst anerkannt werden soll, zur Beseitigung der Frauendiskriminierung nach seiner Kraft beigetragen zu haben - man denke beispielsweise an das Hoferbenurteil und Stichentscheid-Urteil -, so ist dies darauf zurückzuführen, daß das Gericht der Unerheblichkeitsthese dort zur vollen Wirkung verhalf, wo es "biologische und funktionale Unterschiede" nicht als maßgeblich betrachtete. Sachs versuchte also, die Unerheblichkeitsthese des BVerfG im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung von der pauschalisierenden Betrachtungsweise zu reinigen, der sich das BVerfG vielerorts bei der Anwendung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG bediente. Dabei gründet er die absolute Geltung des Anknüpfungsverbots auf den Charakter des Gleichberechtigungsgebots als modales Abwehrrecht: Ein modales Abwehrrecht habe kein eigenes Schutzobjekt, das überhaupt "eingeschränkt" werden könne ll5 . So ist nach dieser Theorie für eine Abwägung kein Raum, weil das Gleichberechtigungsgebot als modales Abwehrrecht gegen kein konkurrierendes Interesse abzuwägen sei, weil ihm ein eigenes Gewicht fehlt. Vielmehr verletzte jede staatliche Anknüpfung an das Geschlecht das Recht der Diskriminierten. Nach der Meinung von Sachs gilt also das Gleichberechtigungsgebot entweder absolut oder gar nicht.

In dieser Hinsicht stellt die raffinierte Theorie der Vergleichbarkeit einen theoretischen Rahmen dar, der die ursprüngliche Intention des BVerfG beim Rückgriff auf die Vergleichbarkeit herausstellt und seine Rechtsprechung von dem historischen Ballast befreit, der aus der Anwendung der "biologischen und funktionellen Unterschiede" resultiert. Somit könnte sie als solide theoretische Grundlage der weiteren dogmatischen Entwicklung angesehen werden, wenn ihr nicht ein fatales, zentrales Problem innewohnen würde, das noch zu zeigen sein wird. 4. Grenzen der Vergleichbarkeitsprüfung

Das Problem aller Vergleichbarkeitstheorien zeigt sich beispielhaft am dogmatischen Chaos des Rentenalterbeschlusses des BVerfG vom 28.1. 1987. Einerseits nahm das BVerfG in diesem Urteil nochmals Abschied von der raffinierten Form der Vergleichbarkeitsprüfung und griff auf "biologi115

Sachs, 1987, S. 32. A. A. später Sachs, FS Friauf, 1996, S. 319.

H. Verg1eichbarkeitspTÜfung

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sche und funktionale Unterschiede" zurück, die in der objektiven Betrachtung nicht zu finden war. Daher kann man diese Entscheidung schlicht als "einmaliger Ausreißer,,116 betrachten und sich darüber hinwegsetzen. Andererseits zeigt dieser Beschluß jedoch exemplarisch das gemeinsame Problem, das alle Vergleichbarkeitstheorien unvermeidlich in sich tragen. a) Rentenaltersbeschluß des BVerfG

Die Frage, wie man die je nach Geschlecht unterschiedliche Regelung des Rentenalters am Maßstab der Gleichbehandlung von Mann und Frau beurteilen soll, stellt ein höchst subtiles Thema da. Das Gemeinschaftsrecht behandelt diesen Regelungsbereich als Ausnahme vom Gleichbehandlungsgrundsatz, aber diese Ausnahmeregelung ist dem EuGH ein Dom im Auge. Das BVerfG stellte sich die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einer solchen unterschiedlichen Rentenaltersregelung und beantwortete sie positiv. Es proklamierte einen ergänzenden Grundsatz, daß dem Gesetzgeber eine Ungleichbehandlung nicht verwehrt sei, wenn "er einen sozialstaatlich motivierten typisierenden Ausgleich von Nachteilen anordnet, die ihrerseits auch auf biologische Unterschiede zurückgehen": Dabei handele es sich um die "Kompensation erlittener Nachteile", nicht um Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts 117. Freilich ist der Gesetzgeber zur Berücksichtigung der Umstände befugt, daß manche Frauen nicht die notwendige Versicherungsdauer erfüllen können, weil sie für die Betreuung eigener Kinder ihre Beschäftigung unterbrechen. Das ist jedoch auch kein biologischer Unterschied, weil auch Väter sich der Kindererziehung widmen können. Deswegen müßte eine Regelung, die diese besonderen Umstände in Rechnung stellt, geschlechtsneutral so gestaltet sein, daß der Elternteil die Sonderregelung in Anspruch nehmen kann, der tatsächlich seine Erwerbstätigkeit für Erziehungszweck unterbrochen hat. In dieser Lage an das Geschlecht anzuknüpfen heißt, daß die Männer, die im Sinne der Gleichberechtigung die Lasten der Kindererziehung auf sich nehmen, später rentenrechtlich bestraft werden. Dennoch reduzierte das BVerfG die Sachverhalte, die zu einer verschlechterten Lage der Frauen im Rentenrecht führen können - z. B. Ausbildungsdefizite, Beschäftigung in unteren Lohngruppen und eben die Unterbrechung - auf die "Funktion oder jedenfalls die mögliche Stellung weiblicher Versicherter als Ehefrau und Mutter, also auf biologische Umstände" 11 8. Somit bekannte sich das BVerfG hier noch einmal zur "bio116

117 118

Sachs, NVwZ 1991, S. 440. BVerfGE 74, 163 (180). BVerfGE 74, 163 (181).

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

logischen" Aufgabe der Frauen zur Betreuung ihres Ehemanns und ihrer Kinder 1 19. Auf dieser Grundlage konnte sich das BVerfG getrost auf den "Ausgleich der Doppelbelastung" als Hauptzweck stützen, obwohl das unterschiedliche Rentenalter einerseits einen schlechten Ausgleich darstellt und andererseits die Zielgruppe sehr grob verfehlt - sowohl overinclusive in dem Sinne, daß auch die erwerbstätigen Frauen aus einem Haushalt, in dem die Hausarbeit wirklich zur Hälfte geteilt wird, begünstigt werden, als auch underinclusive, weil andere Erwerbstätige mit Doppelbelastung ausgeschlossen werden, darunter die oft diskriminierten alleinerziehenden Väter. Das BVerfG beging hier also einen doppelten Fehler. Er lag einmal darin, daß die Chance vertan wurde, die Überprüfung der Ausnahmevorschrift über die Rentenaltersregelungen in Art. 7 Abs. 1 a) der RL 79/7 in eigener Regie fortzuführen. Es mag zwar sein, daß sich die Ansicht, daß es sich bei der je nach Geschlecht unterschiedlichen Rentenaltersregelung um eine unmittelbare Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes handle, damals - drei Jahre vor dem Barber-Urteil des EuGH - noch nicht allgemein durchgesetzt hatte. In dieser Situation mögen die Privilegien der Frauen, die in der Möglichkeit gelegen haben, früher als die Männer in den Ruhestand treten zu dürfen, noch als unantastbar erschienen sein. Dennoch zeigte die betreffende Regelung auch eine für Frauen diskriminierende Wirkung, indem sie für ältere Arbeitnehmerinnen einen besonderen Anreiz schuf, sich aus der Arbeitswelt zurückzuziehen. Daher wäre es die einzige richtige Fortsetzung des Hausarbeitstagsbeschlusses gewesen, wenn das BVerfG die biologischen Unterschiede so einschränkend verstanden hätte, daß die Ausschließlichkeitsanforderung darin mit enthalten ist l20 . b) Soziale Unterschiede

Die Auffassung, daß die unterschiedliche Rentenaltersregelung den biologischen Unterschieden entspreche, war keineswegs überzeugend. Auch soweit dieser Beschluß im Schrifttum positiv aufgenommen wurde, hatten die meisten Autoren Schwierigkeit mit dieser Formel. So hat sich die Ansicht schnell durchgesetzt, daß hier mit "biologischen und funktionalen Unterschieden" nicht diese Art, sondern eine Dritte Kategorie von "Unterschieden" gemeint sei, nämlich die sozialen Unterschiede l21 . Nach diesem Ver119 Dazu, daß der Rentenaltersbeschluß der Perpetuierung eines stereotypen Rollenverständnisses Vorschub leistet, Kokott, NJW 1995, S. 1050; Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz, 1998, S. 205. 120 Maidowski meint, daß das BVerfG hier den Topos der biologischen Verschiedenheit bis zur Konturlosigkeit ausweitet. Maidowski, Umgekehrte Diskriminierung, 1989, S. 107. Ähnlich Sacksofsky, 1996, S. 78 ("Vergeistigung des Biologiebegriffs").

11. Vergleichbarkeitsprüfung

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ständnis bilden die historischen Nachteile "objektive Unterschiede", die es dem Gesetzgeber erlauben, eine diesen Unterschieden entsprechende Maßnahme im Sinne einer Kompensation zu treffen. Diese Theorie der sozialen Unterschiede überbrückt in der Tat die Kluft zwischen dem normativen Gleichberechtigungsgebot und der sozialen Wirklichkeit. In den achtziger Jahren lag das hauptsächliche Schlachtfeld im Kampf um die Gleichberechtigung nämlich nicht mehr in der rechtlichen Diskriminierung der Frau, weil sie damals schon als überwunden empfunden wurde 122. Vielmehr hatte man den Eindruck, daß das Gleichberechtigungsgebot in der strengen Anwendung nur noch die Männer begünstigen könne, weil das positive Recht schon längst von der frauenfeindlichen Diskriminierung gesäubert würde und nur noch einige historisch entstandene Privilegierungen enthielt 123. Die bis dahin erreichte rechtliche Gleichberechtigung entsprach jedoch nicht der tatsächlichen Gleichberechtigung, da die Frauen immer noch in wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Führungspositionen zu schwach vertreten waren. Nunmehr stand die Verfassungsmäßigkeit von geschlechtsbezogenen Maßnahmen in Frage, die diese tatsächliche Situation bewußt in Richtung der tatsächlichen Gleichstellung ändern wollten. Wenn in dieser Situation das Gleichberechtigungsgebot streng im Sinne des Differenzierungsverbots aufgefaßt werden sollte, müßten alle Versuche, die den Gegenstand der bewußten Förderung geschlechtsspezifisch zum Ausdruck bringen, als Verstoß gegen diesen verfassungsrechtlichen Gebot angesehen werden. Daher suchte man nach einen Mechanismus, der es dem Gesetzgeber erlaubt, bei der Herstellung der tatsächlichen Chancengleichheit gezielt die Frauen als benachteiligte Gruppe zu fördern. Die "sozialen Unterschiede", die man in den Rentenaltersbeschluß des BVerfG hineininterpretierte, entsprachen gerade diesem theoretischen Bedürfnis. Jedoch half dieser Versuch nicht weiter. "Soziale Unterschiede" im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung konnten nämlich kein Kriterium anbieten, mit dem man die verfassungsrechtlich zulässigen Frauenförderungsmaßnahmen von den unzulässigen unterscheiden konnte. Die Schwierigkeit beginnt schon bei der Ermittlung der "sozialen Unterschiede". Die Geschlechtsdiskriminierung ist auch deshalb ein strukturelles Problem, weil das überlieferte Rollenklischee durch die ganze Sozialisationsphase eines Mädchens hindurch ihr Verhalten und ihre Entscheidungen beeinflußt und steuert, so daß man die benachteiligenden Wirkungen nicht in ihren Einzelheiten feststellen kann. In dieser Lage beinhaltet die indivi121 122 123

Sacksofsky, 1996, S. 170 f. Schmitt Glaeser, DÖV 1982, S. 381. Sacksofsky, 1996, S. 91.

14 Nishihara

210

§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

duelle Betroffenheit durch die Diskriminierung kaum ein objektivierbares Kriterium für das Vorhandensein der "sozialen Unterschiede". Aufgrund dessen wird von "sozialen Unterschieden" stets im Verhältnis zweier Geschlechtsgruppen gesprochen, soziale Benachteiligung der Frauen im allgemeinen im Gegensatz zu Männern im allgemeinen. Dies führt zu einem doppelten Problem. Einerseits rechtfertigen "soziale Unterschiede" in dieser Konstellation immer die Maßnahme, die nicht das wirkliche Opfer begünstigt und nicht den wirklichen Täter belastet. Wenn die individuelle Betroffenheit für die Bedürftigkeit einer Kompensation keine Rolle mehr spielen soll, dann ist es nicht mehr vermeidbar, daß beispielsweise diejenigen Frauen aus den Frauenförderungsmaßnahmen den größten Gewinn ziehen, die innerhalb der Frauengruppe am wenigsten von der Diskriminierung betroffen sind und sich daher nicht in einer so benachteiligten Position befindet. Sie verdrängen dann diejenigen Männer, die meistens unter anderen benachteiligenden Bedingungen (zum Beispiel Armut) ihren Weg selbst erkämpfen müssen, ohne die anderen diskriminieren zu können. Hier liegt die viel beschworene Problematik, daß die Kompensation der historischen Nachteile nur "das frühere Unrecht durch ein neues Unrecht ersetzen kann,,124. Die Berufung auf "soziale Unterschiede" akzeptiert zwangsläufig eine solche Ungerechtigkeit in den Einzelfällen, unabhängig davon, ob ein vergangenheitsorientierter Kompensationsgedanke oder ein zukunftsorientiertes Konzept der Chancengleichheit einer staatlichen Maßnahme zugrunde liegt. Das zweite Problem der "sozialen Unterschiede" liegt nämlich darin, daß Art. 3 Abs. 2 und 3 GG als verfassungsrechtlicher Maßstab völlig ausgeschaltet wird, wenn "soziale Unterschiede" festgestellt werden. Wenn es "soziale Unterschiede" gibt, ist die Lage von Männer und Frauen nicht vergleichbar; so findet das Gleichberechtigungsgebot dort von vornherein keine Anwendung. Ob die vom Gesetzgeber gewählte Förderungsmaßnahme die Zielgruppe wirklich erreicht und ob sie nicht übermäßig die Position der anderen Betroffenen benachteiligt - das sind die Fragen, die im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung keine Berücksichtigung finden können. Damit ist das Kardinalproblem der Vergleichbarkeitsprüfung angesprochen. Diese Prüfung betrifft einen Bereich, in dem das Gleichberechtigungsgebot keine Anwendung findet. Diese Struktur führt zum Ergebnis, daß der Gesetzgeber innerhalb dieses Gebiets eine beliebige - allerdings unter Beachtung der Willkürgrenze - Differenzierung aufgrund des Geschlechts vornehmen darf. Eine Frauenförderungsmaßnahme bringt dabei normalerweise eine Verschlechterung der Wettbewerbschancen der konkur124

Maidowski, 1989, S. 128; Döring, 1996, S. 104 m. w.N.

11. Vergleichbarkeitsprüfung

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rierenden Männer mit sich, was das Beispiel einer Quotenregelung am deutlichsten zeigt. Hier wird die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit das Förderungsinteresse diese Benachteiligung der Männer rechtfertigt. Die Vergleichbarkeitsprüfung beinhaltet keinen Ansatzpunkt, von dem aus diese Frage zunächst richtig gestellt, geschweige denn beantwortet werden kann. Mit Hilfe der Vergleichbarkeit konnte man die Frage nach dem "Ob" beantworten - danach, ob der Gesetzgeber in einem bestimmten Bereich am Geschlechtsmerkmal anknüpfen konnte -, aber nicht die Frage nach dem "Inwieweit" in bezug auf die Grenze, innerhalb derer der Gesetzgeber die Position der anderen Betroffenen unter Berufung auf "soziale Unterschiede" verletzen darf. c) "Umgekehrte Willkürprüfung " im Rahmen der raffinierten Vergleichbarkeitsprüfung

Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Anwendung der Vergleichbarkeitsprüfung maßgeblich vom Werturteil gesteuert wird, das mit der Beantwortung der Frage zusammenhängt, wann die "Unterschiede" den betreffenden Lebensumstand entscheidend prägen. Ein Beispiel aus dem japanischen Arbeitsrecht: Es ist dort üblich, im Tarifvertrag nur für Arbeitnehmerinnen einen zusätzlichen Urlaubstag pro Monat anzuerkennen, der sogenannte physiologische Urlaub. Angesichts des frauenspezifischen Vorgangs der Menstruation beruht diese Frauenprivileg eindeutig auf "biologischen Unterschieden", obwohl die Praxis die unregelmäßige Inanspruchnahme seitens der Arbeitnehmerinnen, insbesondere im Bereich der Bürotätigkeit, als Anlaß nimmt, die Zweckmäßigkeit eines solchen Instituts in Zweifel zu ziehen. Wenn in dieser Lage angenommen wird, daß eine Forderung nach Erweiterung dieser Privilegien auf monatlich fünf Tage erhoben wird, stellt sich die Frage, was aus der Vergleichbarkeitsprüfung gefolgert werden kann? Eigentlich können hieraus keine Schlüsse gezogen werden. Ein Kriterium dafür, ob und wann ein festgestellter Unterschied rechtlich erheblich sein soll, kann der Vergleichbarkeitsprüfung nicht entnommen werden. Sachs greift bei der Folgerung der Unvergleichbarkeit aus dem Vorhandensein der "Unterschiede" auf die Formel der "umgekehrten Willkürgrenze" im Sinne von Dürig 125 zurück. Nach diesem Prinzip ist die Berücksichtigung der Geschlechtsunterschiede dem Gesetzgeber soweit verboten, bis die Nichtbeachtung der Unterschiede als willkürlich bewertet werden kann 126. Diese Ansicht, die die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit im Be125 126 14*

Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3, Abs. II, Rn. 2.

Sachs, 1987, S. 377; ders., in: HBdStR V, § 126, Rn. 36.

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§ 3 Vergleichbarkeitspriifung und ihre dogmatische Grundlage

reich der Beurteilung von Geschlechtsunterschieden auf Null reduziert, überzeugt indessen nicht 127 . Die Willkürgrenze kann man nur aus subjektiver Wertentscheidung gewinnen, so daß sich die Berufung darauf jeder dogmatischen Überprütbarkeit entzieht. So nachdrucksvoll Sachs sich für die Ausschließlichkeitsanforderung einsetzen mag, die Objektivität seiner Vergleichbarkeitsprüfung ist in diesem Punkt deutlich relativiert 128 . Die Unsicherheit der Vergleichbarkeitsprüfung zeigt sich auch darin, daß Sachs alle "sozialen Unterschiede" ablehnt. Da die frauen spezifische tatsächliche Benachteiligung in der Wirtschaft und Politik kein Merkmal ist, das das Ausschließlichkeitserfordernis erfüllen würde, ist Sachs insoweit in der Ablehnung aller gruppenbezogenen Anwendungen der "Unterschiede" konsequent. Für ihn ist die Frage damit beendet, da er die Vergleichbarkeitstheorie als Ausnahme vom Differenzierungsverbot nur im Fall der objektiven Unterschiede anerkennt. Jedoch kann man theoretisch weiterfragen, ob das Förderungsinteresse der Frauen doch noch rechtliche Berücksichtigung finden kann und eine geschlechtsspezifische Maßnahme - soweit sie in verhältnismäßiger Beziehung zur verdrängten Männerposition steht rechtfertigen kann. Die Vergleichbarkeitstheorie von Sachs kann dahingehend kritisiert werden, daß sie die praktische Dominanz der Männer verfestigt, indem sie einerseits die abwehrrechtliche Seite des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG - auch nachdem die rechtlichen Diskriminierungen beseitigt worden sind - streng anwendet und dadurch nur noch die Vorrechte der Frauen abbaut und andererseits die Maßnahmen für die Förderung der tatsächlichen Chancengleichheit durch den Vorzug des männlichen Abwehrrechts verfassungsrechtlich ausschließt 129 . Spätestens seit diese Kritik erhoben wurde, hätte die Theorie der Vergleichbarkeit in ihrer Gesamtstruktur überprüft werden müssen. Insgesamt ist hier daran festzuhalten, daß die Vergleichbarkeitsprüfung bei der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einer umgekehrten Diskriminierung versagt. Als Maßnahme für die Verwirklichung der tatsächlichen Chancengleichheit kommen oft eine Regelung in Betracht, die genau an dem verpönten Merkmal des Geschlechts anknüpft und nur die Frauen bevorzugt. Wenn die Vergleichbarkeitsprüfung auf eine solche Regelung angewandt wird, verhilft diese Prüfung nur der subjektiven Wertentscheidung des Interpreten über die Wünschenswertigkeit einer frauenfördernden Staatstätigkeit zur vollen Geltung. Die Anwendung der Vergleichbarkeits127 Zur Unübertragbarkeit des Willkürgedankens Maidowski, 1989, S. 109 ff. m. w. N. Sodann zur allgemeinen Kritik der Ableitung des Ungleichbehandlungsgebots aus dem Gleichheitssatz Rüjner, FS Kriele, S. 272 ff. 128 Sacksofsky, 1996, S. 153. 129 Diese Kritik ist allgemein an die "herrschende Lehre" gerichtet. Maidowski, 1989, S. 139 ff.; Sacksofsky, 1996, S. 156; Kokott, NJW 1995, S. 1057.

11. Vergleichbarkeitsprüfung

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prüfung führt nämlich zwangsläufig zur Verfassungsmäßigkeit entweder jeder oder keiner positiven Maßnahme. Wenn "soziale Unterschiede" als maßgeblich für die zu regelnden Lebensumständen anerkannt werden, scheidet das Gleichbehandlungsgebot als verfassungsrechtlicher Maßstab aus, weil die Voraussetzung seiner Anwendung - Vergleichbarkeit der Umstände, in denen sich Männer und Frauen befinden - nicht mehr vorhanden ist. Wenn dagegen "soziale Unterschiede" nicht als rechtlich erheblich angesehen werden, sind alle positiven Maßnahmen verfassungswidrig, weil sie vergleichbare Umstände je nach Geschlecht unterschiedlich behandeln. Dieses Dilemma der Vergleichbarkeitsprüfung angesichts der umgekehrten Diskriminierung beschränkt sich jedoch nicht auf den genannten Bereich. Vielmehr ist es in ihrer Natur begründet: Die Vergleichbarkeitsprüfung ist nicht geeignet für die Beantwortung der Frage, inwieweit Geschlechtsunterschiede trotz der normativen Entscheidung der Verfassungseltern für die rechtliche Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede in der gesetzlichen Regelung Beachtung finden dürfen.

5. Ergebnis Die Vergleichbarkeitsprüfung, wie sie das BVerfG im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG anwendet, stellt somit ein Kriterium dar, mit dem die Vereinbarkeit der jeweiligen gesetzlichen Regelung mit dem zugrunde gelegten Modell der Gerechtigkeit sichergestellt wurde. Es verstieß nur diejenige Ungleichbehandlung gegen das Gleichheitsrecht, die die vergleichbaren Sachverhalte unterschiedlich behandelte. Die fundamentale Unerheblichkeit der Geschlechterunterschiede wurde dabei nur in dem Bereich anerkannt, in dem die Lebenssachverhalte von Mann und Frau als vergleichbar angesehen wurden, d. h. dort, wo keine sachlichen biologischen oder funktionalen Unterschiede die Lebensumstände entscheidend prägen. Innerhalb dieses Modells kam dem Recht auf Gleichbehandlung der beiden Geschlechter lediglich eine zweitrangige Bedeutung zu. Das BVerfG sah in der Differenzierung selbst keine Diskriminierung, die das Recht des Diskriminierungsopfers beeinträchtigen würde. Es kam für das BVerfG nur auf das Recht an, nicht ohne Grund anders behandelt zu werden. Die Verfassungsrichter kamen nicht auf die Idee, daß die Anknüpfung am Geschlechtsmerkmale eine Rechtsverletzung darstellt, weil sie den Einzelnen je nach der Geschlechtszugehörigkeit beurteilten und nicht nach seinem persönlichen Wert. Hätte man jedoch die Unerheblichkeitsthese ernst genommen, so hätte man nicht umhinkönnen, sich mit dem fundamentalen Recht auf Gleichbehandlung der beiden Geschlechter auseinanderzusetzen. Die Entwicklung tendierte in den siebziger und achtziger Jahren eindeutig auf die Betonung

214

§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

der Individualität im Bereich der Gleichheit. Das BVerfG versuchte während dieser Zeit, durch die Verfeinerung der Vergleichbarkeitsprüfung das Gleichberechtigungsgebot strenger anzuwenden. Nachdem der Rentenaltersbeschluß das Bemühen des BVerfG um Individualisierung der biologischen Unterschiede und damit die Verfeinerung der Vergleichbarkeitsprüfung zunichte gemacht hatte, gab es kein Zurück mehr zur Vergleichbarkeitsprüfung. Somit hat die Vergleichbarkeitsprüfung ihre historische Aufgabe erfüllt. Dieser Prüfungsmaßstab war in einer Situation geeignet, in der die Erkenntnis der "natürlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau" auch in der Gleichberechtigungsdiskussion mitschwang. Anhand der Vergleichbarkeit konnte man relativ klar feststellen, wann die vorgebrachten Unterschiede keinen Einfluß auf den Regelungsgegenstand hatten, wobei diese Prüfung selbst stark vom damaligen patriarchalischen Gedanken mitgeprägt war. Die Vergleichbarkeitsprüfung ermöglichte in dieser Situation einerseits den Rückgriff auf die vom Konsens getragene Anschauung über das Wesen der bei den Geschlechter, ohne dabei den normativen Gehalt des Gleichberechtigungsgebots durch Abwägung zu relativieren. Die zweite Komponente der Vergleichbarkeitsprüfung, d.h. die Eigenschaft, daß diese Prüfung sich nicht auf eine Abwägung einließ und den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG absolut zu bestimmen vermochte, wurde sodann in den späteren siebziger und frühen achtziger Jahren als Chance verstanden. So wurden "biologische Unterschiede" auf die Fälle begrenzt, in denen die Voraussetzungen der Ausschließlichkeitsanforderung erfüllt waren. "Funktionale Unterschiede" wurden praktisch auf Null reduziert. Dieselbe Eigenschaft stand jedoch in den späten achtziger Jahren der Weiterentwicklung der Vergleichbarkeitsprüfung im Wege. Als die Verfassungsmäßigkeit der Frauenförderungsmaßnahmen in Frage stand, erwies sich die Vergleichbarkeitstheorie als funktionsunfahig, weil sie nicht die Frage nach dem richtigen Maß der Förderung beantworten konnte. Wenn eine staatliche Maßnahme an das Geschlecht anknüpft und dadurch ein äußeres Ziel erreichen will, ist ein Prüfungsmechanismus erforderlich, mit dem die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Maßnahme zur Erreichung des Ziels untersucht werden kann. Hierbei handelt es sich um die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Bevor noch auf die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Bereich des Gleichberechtigungsgebots eingegangen werden kann, ist die Klärung eines weiteren Problems notwendig: der individualrechtliche Charakter des Gleichberechtigungsgebots in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, wie er sich in der Rechtsprechung des BVerfG entwickelt hat. Zu diesem Zweck werden im nächsten Abschnitt nochmals rechtshisto-

III. Rechtsschutz bei der Verletzung des Gleichberechtigungsgebots

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risch die Folgen untersucht, die das BVerfG ihren Verfassungswidrigkeitsurteilen zugemessen hat.

111. Rechtsschutz bei der Verletzung des Gleichberechtigungsgebots Für die gerichtliche Durchsetzung des europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist es ausschlaggebend, daß das Diskriminierungsopfer die Begünstigungen zuerkannt bekommt, die ihm ohne diskriminierende Regelung zugestanden hätte, d. h. die Begünstigungen, die eine Person vom anderen Geschlecht in der gleichen Lage erhält. Der Normurheber kann in dieser Lage die Neuregelung treffen und das System der Begünstigung insgesamt revidieren, soweit eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ausgeschlossen bleibt. Bis zu dieser Reform wird das Recht des Diskriminierungsopfer der Rechtsposition des anderen Geschlechts angeglichen. Dieser Durchsetzungswille ist dem BVerfG im Bereich der Geschlechtergleichberechtigung völlig fremd. Die Interpretation des Gleichberechtigungsgebots durch das BVerfG zeigt bis zu den achtziger Jahren gewisse Affinität zu einem gerechtigkeitsorientierten Modell. Das BVerfG wurde nicht immer vom Rechtsschutzinteresse geleitet, sondern höchstens von der Aufgabe, die Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelung mit dem übergeordneten Prinzip der Gerechtigkeit anhand des Vergleichbarkeitskriteriums zu überprüfen. In manchen Fällen verweigerte das BVerfG die leitende Funktion beim Rechtsschutz des Diskriminierungsopfers, indem es den Gesetzgeber zur Lösung des Gesamtproblems verpflichtete und den konkreten Rechtsschutz erst im Rahmen des Reformgesetzes verwirklicht sehen wollte. Diese Tendenz zeigt sich am deutlichsten in den siebziger und achtziger Jahren 13o. Dies erlaubt möglicherweise eine Schlußfolgerung in bezug auf die Grenzen, die die Verfeinerung der Vergleichbarkeitsprüfung damals hatte. 1. Nichtigkeit als Folge des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG Daß eine gesetzliche Regelung nichtig ist, wenn sie vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig erachtet wird, gehört zum Gemeinplatz der 130 Diese Tendenz erreicht im Witwerrentenbeschluß vom 12.3.1975 den Höhepunkt, als das BVerfG feststellte, daß die erschwerende Voraussetzung für die Gewährung der Witwerrente noch nicht als verfassungswidrig erachtet werden könne, daß aber der Gesetzgeber verpflichtet sei, die "sich in Richtung auf Verfassungswidrigkeit hin bewegenden Wirkungen der gegenwärtigen Regelung" durch Wahrnehmung der Reformaufgabe zu beseitigen. BVerfGE 39, 169 (194).

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

heutigen Verfassungsgerichtsbarkeit. Diese Erkenntnis ist jedoch bei der Gleichheit problematisch. In der Situation, in der die Regelung eine Leistung gewährt und dabei an einer diskriminierenden Voraussetzung anknüpft, führt die Nichtigkeit der Regelung zur Abschaffung des Leistungssystems insgesamt. Das BVerfG erklärt in diesem Zusammenhang jedoch nur ungern die Nichtigkeit der einschränkenden Voraussetzung. Dies würde die Erweiterung des Empfängerkreises herbeiführen, was für den Staat eine finanzielle Mehrbelastung bedeuten würde. Das BVerfG meidet normalerweise diese Folge, indem es die Wiederherstellung der Gleichheit als Aufgabe des Gesetzgebers betrachtet und auf seinen Gestaltungsspielraum Rücksicht nimmt 13l . In Anbetracht dieser allgemeinen Zurückhaltung des BVerfG in der Nichtigkeitserklärung der gleichheitswidrigen Regelungen und angesichts der Zugrundelegung der "natürlichen Unterschiede von Mann und Frau" bei der Anwendung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG in den sechziger Jahren mag die Tatsache verwunderlich wirken, daß das BVerfG während dieser Zeit die Gesetze, bei denen es einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG annahm, stets für nichtig erklärte 132. In manchen Entscheidungen erachtete das BVerfG die Nichtigkeit der in Frage stehenden Regelung im Fall eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG als so selbstverständlich, daß es keinen Anlaß sah, in der Urteilsbegründung darüber ein Wort zu verlieren 133. Manche Entscheidungen betrafen dabei Materien, bei denen die Gleichberechtigung nach dem Fortfall der verfassungswidrigen Regelung quasi automatisch gesichert werden konnte. Die Nichtigkeit der Regelung, die den Stichentscheid des Vaters anerkannte 134, führte zur Gleichstellung beider Elternteile. Die notwendige Entscheidungskompetenz des Vormundschaftsgerichts bei einem Streitfall stellte in diesem Zusammenhang eine zwangsläufige Folge dieser Gleichstellung dar. Der Nichtigkeitsspruch beschränkte sich dennoch nicht auf das Gebiet, in dem die Gleichberechtigung automatisch wiederhergestellt werden konnte. 131 Im Bereich der Geschlechtergleichberechtigung kamen diese Erwägungen zum Tragen in BVerfGE 31, 1 (7); 52, 369 (376); 57, 335 (346). 132 BVerfGE 10,59 (88); 17, 1; 17,62; 21, 329 (340). Die einzige Ausnahme ist BVerfGE 15, 337. Dort war es ausschlaggebend, daß die betreffende Regelung aus dem Besatzungsrecht stammte. So stellte das BVerfG fest, daß die dem Gesetzgeber zur Beseitigung des verfassungswidrigen Besatzungsrechts einzuräumende Frist zu dem für die Entscheidung erheblichen Zeitpunkt noch nicht abgelaufen sei. BVerfGE 15, 337 (350 f.) . 133 BVerfGE 17, 1; 17, 62. Hier wurde die Nichtigkeit der Regelung als Folge des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nur in der Entscheidungsformel erwähnt. 134 BVerfGE 10, 59 (88).

III. Rechtsschutz bei der Verletzung des Gleichberechtigungsgebots

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Die ersten Witwer- und Waisenrentenurteile betrafen unter anderem die Vorschriften, die die Gewährung der Waisenrente im Todesfall einer weiblichen Versicherten erst ermöglichten. In dieser Situation erklärte das BVerfG die betreffenden Regelungen jedoch einfach für nichtig 135 . Die Nichtigkeit führte aber zu einer Lage, die mit dem Gleichberechtigungsgebot kaum vereinbaren war, weil eine Halbwaise einer verstorbenen Mutter auch dann keine Waisenrenten erhalten konnte, wenn der Unterhalt überwiegend von ihr bestritten wurde, während eine Halbwaise eines verstorbenen Vaters immer die Waisenrente erhielt. Damit hat sich die Diskriminierung nur vergrößert. Daß das BVerfG die diskriminierenden Vorschriften für nichtig erklärte, konnte also nicht als Ausdruck seines Willens angesehen werden, die Gleichberechtigung von Mann und Frau durch seine eigene Maßnahme wiederherzustellen. Vielmehr entspringt die Nichtigkeitserklärung einer unreflektierten Schlußfolgerung, die das BVerfG aus der erkannten Verfassungswidrigkeit zog. Die Aufgabe, die gleichheitswidrige Rechtslücke zu füllen, wurde somit dem Gesetzgeber auferlegt, der auf die Nichtigkeitserklärung reagieren mußte. 2. Gesetzgeberisches Wahlrecht zwischen verschiedenen Wegen zur Wiederherstellung der Gleichheit Nimmt man die Umstände ernst, daß die Nichtigkeit der betreffenden Regelungen beim Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG theoretisch zur vorübergehenden, stärkeren Diskriminierung führen kann, so ist Vorsicht bei der Nichtigkeitserklärung geboten. In den siebziger Jahren bedachte das BVerfG diese Problematik und beschränkte sich in manchen Fällen auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit. Das BVerfG hob dabei oft hervor, daß es Sache des Gesetzgebers sei, die gesetzliche Regelung mit der Verfassung in Einklang zu bringen l36 . Im Staatsangehörigkeitsbeschluß vom 21.5.1974 führte es aus: "Wenn eine gesetzliche Regelung, wie hier, unter Verstoß gegen Art. 3 GG eine Personengruppe benachteiligt, so kann das BVerfG grundsätzlich die Gleichheit nicht dadurch herstellen, daß es selbst diese Gruppe in die begünstigende Regelung einbezieht. Dies ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn mit Sicherheit angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde - hätte er den Verfassungsverstoß erkannt - die Regelung auf alle zu berücksichtigenden Gruppe erstreckt haben, oder wenn es verfassungsrechtlich geboten ist, den Verstoß gerade auf diese Weise zu beseitigen"l37. 135 136 137

BVerfGE 17, 1 (2); 17,62 (63). BVerfGE 31, 1 (7); 52, 369 (379); 57, 335 (347). BVerfGE 37, 217 (260).

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

Nach diesem Grundsatz durfte das BVerfG also den Rechtsschutz grundsätzlich nicht dadurch sicherstellen, daß es die Erweiterung der betreffenden Begünstigung auf die gleichheitswidrig ausgeschlossene Gruppe anordnet. Dabei stützte sich das BVerfG auf seine Präzedenzfalle im Bereich des allgemeinen Gleichheitssatzes \38. In dieser Hinsicht war für das BVerfG der Unterschied zwischen dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts ohne Belang, obwohl der erste Verfassungssatz dem Gesetzgeber einen weiteren Gestaltungsspielraum zuerkennt. Bei einer gleichheitswidrigen Leistungsvorschrift kann der verfassungsmäßige Zustand auf verschiedenen Wegen wiederhergestellt werden. Es bieten sich stets drei Möglichkeiten an: die Vergünstigung kann entweder auf die übergangene Gruppe erweitert oder insgesamt beseitigt oder aber an einem anderen Merkmal angeknüpft werden. In anderen Rechtsgebieten ist es ähnlich gelagert, so daß meistens verschiedene Wege zur (Wieder-)Herstellung der Gleichheit zur Verfügung stehen. Das BVerfG betont in diesem Zusammenhang die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers, gegenüber der das BVerfG aufgrund des Gewaltenteilungsprinzips Zurückhaltung üben müßte I39 . Der Gedanke, daß der Gesetzgeber in dieser Lage die Entscheidung treffen sollte, hing ursprünglich jedoch mit dem weiten Ermessensspielraum zusammen, der dem Gesetzgeber im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG zustand 140 . Zwar räumte sich das BVerfG die Möglichkeit ein, nur die einschränkende Voraussetzung für die Gewährung einer Vergünstigung für nichtig zu erklären und in dieser Weise die Gleichheit durch Inbezugnahme auf die ausgeschlossene Gruppe wiederherzustellen. Diese Möglichkeit wurde jedoch auf den Fall begrenzt, in dem mit Rücksicht auf einen zwingenden Verfassungsauftrag oder nach den sonstigen Umständen des Einzelfalls nur diese eine Möglichkeit zur Beseitigung des Verfassungsverstoßes in Betracht kam 141 . In diesem Rahmen erwähnte das BVerfG - neben dem Umstand, daß es mit Sicherheit angenommen werden kann, daß der Gesetzgeber die Gleichheit durch Erweiterung der Vergünstigung auf die übergangene Gruppe wiederherstellen würde 142 - stets die denkbare Fallkonstellation, in der dieser Lösungsweg verfassungsrechtlich zwingend geboten war 143 . Diese normative Notwendigkeit wurde jedoch nicht weiter konkreti138

139 140 141 142 143

BVerfGE 18, 288 (301 f.); 22, 349 (360 ff.); 23, 1 (10). BVerfGE 22, 349 (362). Deutlich BVerfGE 22, 349 (361). BVerfGE 22, 349 (362). Beispielsweise BVerfGE 22, 163 (175). BVerfGE 18,288 (302); 23, 1 (10); 37, 217 (260).

III. Rechtsschutz bei der Verletzung des Gleichberechtigungsgebots

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siert l44 • Das BVerfG ging im Ergebnis - ohne sich darüber weiter Gedanken zu machen - davon aus, daß das Rechtsschutzinteresse bei einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nicht diese normative Notwendigkeit begründet. Die Aufgabe wurde also nach dieser Rechtsprechung dem Gesetzgeber auferlegt, einen geeigneten Weg für die Wiederherstellung der Gleichberechtigung zu finden. Der Rechtsschutz konnte erst erfolgen, nachdem der Gesetzgeber diese Aufgabe erfüllt hatte. Das BVerfG hob in diesem Zusammenhang hervor, daß das vorlegende Gericht das Verfahren weiterhin aussetzen müsse, bis der Gesetzgeber eine den Anforderungen der Verfassung entsprechende Regelung getroffen habe l45 . Nach der Auffassung des BVerfG erfolgt diese Aussetzung im Interesse des Klägers bzw. des Beschwerdeführers, der eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts rüge, da ihm die Chance offengehalten werde, an einer etwaigen Erweiterung der begünstigenden Regelung durch den Gesetzgeber teilzuhaben l46 . Die Idee, daß das Diskriminierungsopfer bis zum Inkrafttreten der gleichheitsmäßigen Regelung vorübergehend die Vergünstigung genießen soll, die ihm ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zustehen würde, ist dem BVerfG völlig fremd. Somit entsteht eine Spannungslage zwischen dem Europarecht und Verfassungsrecht. Wenn ein Gericht in einer je nach Geschlecht differenzierenden Regelung einen Verstoß gegen Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = exArt. 119 EGV oder gegen die Gleichbehandlungsrichtlinien erblickt, kann und muß es den Rechtsschutz dadurch sicherstellen, daß es die ausgeschlossene Geschlechtsgruppe an der Begünstigung beteiligt, die das andere Geschlecht genießt. Wenn es dagegen in derselben Regelung einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG erblickt, darf es aus dieser Erkenntnis keinen weiteren Schluß ziehen. Dies führt zwangsläufig dazu, daß Gerichte unter Beachtung des Rechtsschutzinteresses vorzugsweise das Europarecht anwenden, so daß Art. 3 Abs. 2 und 3 GG als rechtliches Kriterium seine Bedeutung verliert.

144 Als Präzedenzfall gilt BVerfGE 15, 46 (76); aber diese Entscheidung bezog sich eher darauf, daß die Erweiterung des Begünstigtenkreises allein unter den zugrunde gelegten Umständen mit Art. 3 Abs. I GG vereinbar war. Ein normatives Kriterium, wann das Verfassungsrecht diesen Rechtsschutz zwingend gebietet, kann daraus nicht entnommen werden. 145 BVerfGE 31, 1 (9); 37, 217 (261). 146 BVerfGE 52, 369 (379). Im Bereich des Art. 3 Abs. 1 GG schon BVerfGE 22, 349 (363).

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

3. Aufstellung einer Auffangregelung für die Übergangszeit Der Grundsatz, daß das BVerfG in einem Normalfall die Erweiterung der Vergünstigung auf die benachteiligte Geschlechtsgruppe nicht anordnen darf, soweit verschiedene Möglichkeiten zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit zur Verfügung stehen, wird auch in den neunziger Jahren aufrechterhalten 147 . Auf der anderen Seite zeichnet sich jedoch eine neue Tendenz ab, die das Rechtsschutzinteresse der Betroffenen stärker berücksichtigt. Im Beschluß vom 5.3.1991 sah sich das BVerfG sachlich gezwungen, eine Auffangregelung selbst zu treffen. Dabei ging es um die Vorschrift, nach der der Mannesname von Gesetz wegen Ehename wurde, wenn die Ehegatten keinen von ihren Geburtsnamen zum Ehenamen bestimmten. Das BVerfG erklärte die Bevorzugung des Mannesnamens als unvereinbar mit Art. 3 Abs. 2 GG. Es hob jedoch dabei hervor, daß die Feststellung der Verfassungswidrigkeit nicht zu einem Ehehindernis führen dürfe, so daß eine Auffangregelung bis zur gesetzlichen Neuregelung erforderlich sei. Die vorläufige Anwendung der verfassungswidrigen Vorschrift sei jedoch nicht gerechtfertigt, weil sie zu neuen Verfassungs verstößen führen würde, die nicht durch die spätere Neuregelung oder doch nur unter erneuter Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen rückgängig gemacht werden könne 148 . Aus diesen Erwägungen traf das BVerfG selbst die Übergangsregelung, nach der die Ehegatten zunächst ihren Geburtsnamen - oder den Namen, den sie vor der Eheschließung geführt haben - behalten, wenn sie sich nicht auf ihren Ehenamen einigen können. Damit wurde vorübergehend, aber zum ersten Mal in der deutschen Geschichte die Abweichung von der Namenseinheit der Ehegatten rechtlich anerkannt. Dabei war es wichtig, daß das BVerfG sich das Interesse der Betroffenen zu eigen machte und die weitere Anwendung der verfassungswidrigen Vorschriften ausschloß. Das BVerfG brachte also den Willen zum Ausdruck, daß es auch in der Übergangszeit keine weitere Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dulde. Dabei wurden die Rechtsverletzungen, die durch die Anwendung der diskriminierenden Vorschrift hervorgerufen wurden, in den Vordergrund gestellt. In diesem Zusammenhang mag zwar die Besonderheit des Namensrechts eine Rolle gespielt haben, daß die einmal erfolgte Verletzung in diesem Gebiet im nachhinein nicht wiedergutzumachen ist. Jedoch repräsentiert die Betrachtungsweise, die auf die Beseitigung der Rechtsverletzungen aufgrund einer gleichheitswidrigen Regelung abzielt, einen Wandel in Richtung auf das neue Modell, in dem der subjektiv-rechtliche Aspekt eine größere Bedeutung erlangt. 147 148

BVerfGE 85, 191 (211 ff.). BVerfGE 84, 9 (22).

III. Rechtsschutz bei der Verletzung des Gleichberechtigungsgebots

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4. Schlußfolgerungen a) Die gesetzgeberische Befugnis zur Herstellung der Gleichheit als Folge des Willkürprinzips

Bei den Freiheitsrechten ist die Frage des Rechtsschutzes nicht so problematisch wie bei den Gleichheitsrechten. In jenem Gebiet genügt es, daß das BVerfG ein Gesetz für nichtig erklärt, weil dadurch die Zwangssituation und damit der Eingriff in die Freiheitssphäre des Einzelnen verschwindet. Dagegen verlangt die Beseitigung der Gleichheitsverletzung eine Wiederherstellung der beeinträchtigten Gleichheit. Aus dieser Verschiedenheit wird im allgemeinen ein Strukturunterschied zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechts abgeleitet. Meistens wird davon ausgegangen, daß sich die gerichtliche Garantie der Freiheitsrechte durch den Nichtigkeitsausspruch verwirklichen läßt, während die Verwirklichung der Gleichheit in erster Linie dem Gesetzgeber anheimgestellt werden sollte. Jedoch hat die vergleichende Untersuchung vom Europa- und dem deutschen Verfassungsrecht gezeigt, daß dieser Strukturunterschied größtenteils eine Folge des Gleichheitsverständnisses ist. Der Grundsatz, daß der Gesetzgeber die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten zur Herstellung der Gleichheit treffen soll, entspricht dem zugrunde gelegten, gerechtigkeitsorientierten Modell der Gleichheit. Wenn wesentlich Gleiches gleich behandelt werden soll, und wenn der Gesetzgeber den Maßstab setzt, was als wesentlich Gleiches gilt, dann ist er auch für die Korrektur des Maßstabs zuständig. Gerichte können in diesem Zusammenhang die Inkonsistenz des Maßstabs feststellen, wenn z. B. das gesetzliche Kriterium eine Zielgruppe nicht erfaßt, die eigentlich hätte eingeschlossen werden sollen. Sie dürfen jedoch den gesetzgeberischen Maßstab nicht durch ihren eigenen ersetzen, weil der Maßstab einen Ausgleich zwischen mehreren systematisch zusammenhängenden Gerechtigkeitsidealen und tatsächlichen Erwägungen darstellt. Die Zuständigkeit des Gesetzgebers für die Wiederherstellung der Gleichheit mag somit im Bereich des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 1 GG richtig sein. Dies besagt jedoch nicht, daß dieser Grundsatz auch im Bereich der Gleichberechtigung bei der Geschlechtern Anwendung finden soll. Die unmittelbare Anwendung desselben Grundsatzes, die das BVerfG stets befürwortet, ist eine Folge der Betrachtungsweise, die das Gleichberechtigungsgebot als ein Teilgebiet des allgemeinen Gleichheitssatzes im Sinne des Willkürverbots auffaßt. Ein Vergleich mit dem europarechtlichen Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes zeigt jedoch, daß der strukturelle Unterschied zwischen

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

Freiheits- und Gleichheitsrechten in der in Deutschland geläufigen Form durch die Auslegung des allgemeinen und besonderen Gleichheitssatzes bedingt ist. Der EuGH verlangt, daß ein Gleichbehandlungsdefizit immer mindestens bis zur systematischen Gesetzesnovelle - nach oben korrigiert werden soll. Dieser Grundsatz entspricht einem subjektiv-rechtlichen Verständnis des Gleichbehandlungsgrundsatzes, bei dem die Verletzung und der gerichtliche Schutz eines individuellen Rechts immer im Vordergrund stehen. Bei dieser Auffassung ist der Unterschied zu den Freiheitsrechten nicht mehr so gravierend, weil dort die Differenzierung aufgrund des Geschlechts als solche einen Eingriff in die geschützte Rechtssphäre darstellt. Der Rechtsschutz wird daher in der Beseitigung dieses Eingriffs gesehen, nämlich in der Außerkraftsetzung der Regelungen, die einer bestimmten Geschlechtsgruppe den Genuß einer Vergünstigung verweigern. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Befugnis des Gesetzgebers zur Wiederherstellung der Gleichheit eine interpretatorische Folge aus dem Willkürprinzip darstellt, so ist es möglich, daß man im Bereich des Gleichberechtigungsgebots in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG einen stärkeren Schutz des individuellen Rechts verlangt. Der Hervorhebung des individualrechtlichen Aspekts entspricht es, wenn das Diskriminierungsopfer auch im Rahmen des deutschen Verfassungsrechts seinen Anspruch auf die Art und Weise durchsetzen kann, daß ihm eine gleich vorteilhafte Behandlung zuerkannt wird, die nach der verfassungswidrigen Regelung allein der anderen Geschlechtsgruppe gewährt worden ist. Nimmt man die Unerheblichkeitsthese ernst, so ist die Anknüpfung am verpönten Kriterium des Geschlechts ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff. In dieser Lage kann die Wiederherstellung der Gleichberechtigung der bei den Geschlechter einfach durch die Aufhebung der Differenzierung aufgrund des Geschlechts erfolgen, wenn das BVerfG in einer gesetzlichen Regelung einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG erblickt. Es braucht nicht auf die gesetzgeberische Befugnis zum systematischen Ausgleich verschiedener Gerechtigkeitsideale Rücksicht zu nehmen, weil es hier nicht um die Verwirklichung der Gerechtigkeit und ihre gerichtliche Überprüfung geht, sondern um den Schutz der Rechtsposition eines Individuums, nicht allein aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit rechtlich beurteilt zu werden. Die Entwicklung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung tendiert in der Tat zur Verstärkung des individualrechtlichen Aspekts. In der Weiterführung dieser Entwicklungstendenz liegt die einzige Möglichkeit, Art. 3 Abs. 2 und 3 GG vor einem Bedeutungsverlust zu schützen.

III. Rechtsschutz bei der Verletzung des Gleichberechtigungsgebots

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b) Struktureller Unterschied zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten?

Der strukturelle Unterschied zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten in bezug auf die Möglichkeit des Rechtsschutzes erweist sich somit nicht als wesensmäßig vorgegeben. Vielmehr stellt dieser Unterschied eine künstliche Folge einer Interpretation dar. Geht man von dieser Erkenntnis aus, so kann man diesen angeblichen Unterschied auch hinsichtlich anderer besonderer Eigenschaften des Gleichheitsrechts in Frage stellen. Die These, daß es beim Gleichberechtigungsgebot keinen selbständigen Schutzgegenstand und damit keinen Rechtskern gebe, so daß man in diesem Gebiet nicht von einem Eingriff sprechen könne, muß in diesem Zusammenhang nochmals überprüft werden. Oben wurde bereits festgestellt, daß das Gleichberechtigungsgebot in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG einen individualrechtlichen Kern hat. Das Gleichberechtigungsgebot zielt auf die Gewährleistung eines individuellen Rechts ab, daß der Einzelne von der traditionell erzwungenen Geschlechterrolle befreit und aufgrund seiner individuellen Persönlichkeit beurteilt wird, die Ausdruck seiner Anlage und Folge von seiner selbstverantwortlichen Entscheidung ist. Dieses Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung bildet den Kern und die Grundlage des Gleichberechtigungsgebots 149. Legt man dieses Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung dem Verständnis des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG zugrunde, so stellt eine Differenzierung aufgrund des Geschlechts einen potenziellen Eingriff in dieses Recht dar. Nach diesem Verständnis des Gleichberechtigungsgebots reduziert sich der strukturelle Unterschied zwischen freiheits- und Gleichheitsrechten auf ein Minimum. Inhaltlich gewährleistet das Gleichberechtigungsgebot die rechtliche Freiheit, unabhängig von der überlieferten, gesellschaftlichen Rollenerwartung an eine Frau bzw. einen Mann, ihr/sein eigenes Leben zu leben. Es läßt sich ein Schutzbereich des Rechts auf geschlechtsneutrale Behandlung umschreiben, so daß ein Eingriff als solcher identifiziert werden kann. Da dieses Recht auch eigenes Gewicht besitzt, ist eine Abwägung möglich. Besonders erscheint die These fraglich, daß die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Bereich des Gleichberechtigungsgebots nicht an149 Vgl. Kirchhof, in: HBdStR V, § 124, Rn. 107; Sachs, in: HBdStR V, § 126, Rn. 119. Dagegen ist es natürlich nicht angebracht, ein Prima-facie-Recht auf absolute Gleichbehandlung anzuerkennen und jede Diskriminierung - aus welchem Grund auch immer - als rechtfertigungsbedürftigen Eingriff anzusehen. So aber Martini, Art. 3 Abs. 1 GG als Prinzip absoluter Rechtsgleichheit, 1997, S. 115 ff. Diese kaum ernst zu nehmende Position läuft auf ein prinzipielles Verbot der Rechtsnormen hinaus, die eine Rechtsfolge an einen erfüllten Tatbestand anknüpfen.

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§ 3 Vergleichbarkeitsprüfung und ihre dogmatische Grundlage

wendbar sei, weil die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ohne angegriffene individuelle Position nicht zu messen sei. Wie die verstärkte Aufmerksamkeit des BVerfG für die Notwendigkeit des individuellen Rechtsschutzes im Ehenamenbeschluß zeigt, ist der individualrechtliche Aspekt des Gleichberechtigungsgebots in den neunziger Jahren mehrmals in den Vordergrund getreten. In der Tat versucht das BVerfG, sich von der Berücksichtigung der "biologischen und funktionalen Unterschiede" zu verabschieden und ein neues Kriterium zu entwickeln. Im nächsten Kapitel wird darauf eingegangen, inwieweit die neueren dogmatischen Entwicklungen in der Rechtsprechung und im Schrifttum im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG durch Zugrundelegung des subjektiv-rechtlichen Gleichheitsmodells verständlich werden.

§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots I. Die Erforderlichkeitsprüfung des BVerfG in den neunziger Jahren 1. Die Erforderlichkeitsprüfung

In den neunziger Jahren mußte sich das BVerfG mit der Tatsache auseinandersetzen, daß seine Rechtsprechung nicht mehr mit dem strengen Maßstab des Europarechts in Einklang zu bringen war. Das BVerfG faßte bis zu den achtziger Jahren das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG als Konkretisierung des als Willkürverbots verstandenen allgemeinen Gleichheitssatzes auf und betrachtete "biologische und funktionale Unterschiede" als Ausnahmetatbestand im Rahmen der Vergleichbarkeitsprüfung. Mit dieser Theorie gelang es ihm jedoch nicht, eine konsequente Dogmatik des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG zu entwickeln. Zwar versuchte das BVerfG in den siebziger und achtziger Jahren, bei der Anwendung der "biologischen Unterschiede" der Ausschließlichkeitsanforderung gerecht zu werden und dadurch die Vergleichbarkeitsprüfung zu objektivieren. Nachdem es jedoch im Rentenalterbeschluß den Anwendungsbereich der "biologischen Unterschiede" wieder ins Uferlose erweiterte, war es nicht mehr möglich, das Vertrauen in die konsequent strenge Anwendung der Vergleichbarkeitsprüfung zurückzugewinnen. Gleichzeitig stellte sich langsam heraus, daß die Vergleichbarkeitsprüfung selbst - zumindest in der überlieferten Form, in der "biologische und funktionale Unterschiede" den wichtigsten Ausnahmetatbestand bildeten - nicht mehr die Herausforderungen der gegenwärtigen Gleichberechtigkeitsproblematik voll in den Griff bekam. Es war daher eine zwangsläufige Folge der Entwicklung, daß das BVerfG die verfassungsrechtliche Überprüfung der nach Geschlecht differenzierenden Regelung anhand der "biologischen und/oder funktionalen Unterschiede" aufgab. Nun fragt es sich, von welcher dogmatischen Tragweite diese bundesverfassungsgerichtliche Wende ist. a) Nachtarbeitverbotsurteil Das Urteil des ersten Senats über die Verfassungswidrigkeit des gesetzlichen Nachtarbeitsverbots für Arbeitnehmerinnen vom 28.1.1992 1 hat auf 15 Nishihara

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

die bisherige Argumentationsstruktur im Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG völlig verzichtet. Statt dessen verlangte dieses Urteil die Erforderlichkeit der betreffenden Differenzierung, um verfassungsmäßig zu sein. In diesem Fall wurde das BVerfG unausweichlich vor die Aufgabe gesteIlt, seine alte Rechtsprechung angesichts der neueren Entwicklung des Gemeinschaftsrechts zu revidieren. Auf der einen Seite mußte es anerkennen, daß das Steockel-Urteil des EuGH vom 25.7.1991 2 den Gegenstand maßgeblich entschied, da das in Stoeckel als europarechtswidrig erkannte Nachtarbeitsverbot nach dem französischen Recht sich nicht wesentlich vom dem des deutschen Rechts unterschied. So erkannte das BVerfG an, daß die betreffende Bestimmung des deutschen Rechts gemäß des Geltungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts unanwendbar sei 3 • Um dieses Ergebnis zu akzeptieren, war auf der anderen Seite für das BVerfG eine ausdrückliche Revidierung der Rechtsprechung notwendig, weil diese Interpretation seinem eigenen Beschluß vom 25.5.19564 deutlich widersprach. Um seine Rechtsprechung zu aktualisieren und das Ergebnis des Stoekkel-Urteils bei der Auslegung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG zu übernehmen, hätte sich das BVerfG weiter auf die Struktur der Vergleichbarkeitsprüfung berufen und nur noch das Vorhandensein der "biologischen Unterschiede" anband eines strengeren Kriteriums - unter Anwendung der Ausschließlichkeitsanforderung - prüfen können, wenn es unbedingt an dieser dogmatischen Struktur hätte festhalten wollen. Das Gericht beschritt jedoch nicht diesen Weg, sondern formulierte den notwendigen Prüfungsvorgang völlig neu. Wortlich zitiert heißt es dort: "Allerdings verstößt nicht jede Ungleichbehandlung, die an das Geschlecht anknüpft, gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Differenzierende Regelung können vielmehr zuläßig sein, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männem oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich ist"s.

Zwar erkannte das BVerfG in diesem Urteil, daß Art. 3 Abs. 2 GG einen über Art. 3 Abs. 3 GG hinausgehenden Regelungsgehalt besitzt. Dieser besteht darin, daß Absatz 2 ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses 1 BVerfGE 85, 191. Das BVerfG nahm bei der betreffenden Regelung über die Gleichberechtigungsproblematik hinaus - unter Anwendung der sogenannten "neuen Formel" - eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 1 GG an, weil die Regelung Arbeiterinnen ohne zureichenden Grund anders behandelt als weibliche Angestellte. Im vorliegenden Zusammenhang wird nicht darauf eingegangen. 2 EuGHE 1991,1-4047 - Rs. C-345/89 "Stoeckel". Vgl. oben § 2, I, 3, c), cc). 3 BVerfGE 85, 191 (203 ff.). 4 BVerfGE 5, 9. 5 BVerfGE 85, 191 (207).

I. Die Erforderlichkeitsprüfung des BVerfG in den neunziger Jahren

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auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt. Diese Feststellung war jedoch unerheblich für die Anwendung des Gleichberechtigungsgebots auf den vorliegenden Fall, weil es beim betreffenden Nachtarbeitsverbot, so formuliert das BVerfG, nicht um eine Angleichung der Verhältnisse, sondern um die Beseitigung einer rechtlichen Ungleichbehandlung gehe. So unterwarf das BVerfG die genannte gesetzliche Regelung einem strengen Gleichberechtigungskriterium aus Art. 3 Abs. 3 GG. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit anhand des neuen Kriteriums legte das Gericht die Ausschließlichkeitsanforderung zugrunde. So sah es weder in der körperlichen Konstitution der Frauen noch in der Doppelbelastung mit Arbeit und Familie einen hinreichenden Rechtfertigungsgrund für die geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung6 . Damit lehnt sich das BVerfG in diesem Punkt stillschweigend - unmittelbar ans Stoeckel-Urteil des EuGH 7 an. Ebenso wies das BVerfG, teilweise in ausdrücklicher Anlehnung an den EuGH, den vorgebrachten Rechtfertigungsgrund zurück, der sich auf den Schutzgedanken zugunsten der Frauen - einschließlich des Schutzes vor einem Überfall - gründets. Daß das BVerfG in diesem Zusammenhang von der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung sprach, gebührt Beachtung. Diese Argumentation markiert nämlich ganz deutlich den Kontrast zur traditionellen Vergleichbarkeitsprüfung. Nicht das Vorhandensein wesentlicher Unterschiede zwischen Mann und Frau in den geregelten Lebensumständen und die damit erwiesene Unvergleichbarkeit ist ausschlaggebend für die verfassungsrechtliche Prüfung. Vielmehr wird danach gefragt, ob die Notwendigkeit zur Lösung der geschlechtsspezifisch auftauchenden Problemen die Ungleichbehandlung rechtfertigt. In dieser Argumentationsstruktur wird die geschlechts bezogene Ungleichbehandlung als rechtfertigungsbedürftiger Tatbestand, als Prima-facie- Rechtsverletzung betrachtet. Das BVerfG untersucht zwar die Rechtfertigungsmöglichkeit der genannten Regelung mit Hilfe des Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 GG, allerdings getrennt von der - allgemeineren - Rechtfertigung aufgrund der Erforderlichkeit zur Lösung eines geschlechtsspezifischen Problems. Trotzdem ändert sich dadurch nichts an der Grundstruktur der Erforderlichkeitsprüfung. Die Ermittlung der Erforderlichkeit ist auch ein Vorgang der normativen Entscheidung, nicht der Tatsachenermittlung in bezug auf objektive Unterschiede. Sowohl bei der allgemeinen Erforderlichkeitsprüfung 6 BVerfGE 85, 191 (207 ff.). Dabei hob das BVerfG hervor, daß "die zusätzliche Belastung mit Hausarbeit und Kinderbetreuung kein hinreichendes geschlechtsspezifisches Merkmal [ist]". 7 EuGHE 1991, 1-4047 (Rn. 15, 17). 8 BVerfGE 85, 191 (209 0. Vgl. EuGHE 1991,1-4047 (Rn. 14 ff.). 15*

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

als auch bei der Rechtfertigung durch Art. 3 Abs. 2 GG kommt es auf Abwägungen an, nicht auf objektive Erkenntnisse.

b) Feuerwehrabgabenbeschluß Das neue Prüfungskriterium der Erforderlichkeit wurde im Beschluß des BVerfG über die Verfassungswidrigkeit der bayerischen und baden-württembergischen Feuerwehrabgabe vom 24.1.1995 9 weiterentwickelt. Entgegen der wiederholten Kammerbeschlüsse stellte dieser Beschluß nun fest, daß die auf Männer begrenzte Feuerwehrdienstpflicht und die darauf basierende Feuerwehrabgabe gegen Art. 3 Abs. 2 GG verstoße. Damit verschafft das BVerfG dem Urteil des EGMR vom 23.6.1994 in der Rechtssache Karlheinz Schmidt, das bereits in der baden-württembergischen Feuerwehrabgabe einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK erblickt hatte lO , die innerstaatliche Geltung für die der Bundesrepublik. Auch in diesem Beschluß wandte das BVerfG dieselbe Erforderlichkeitsprüfung an, wie sie durch das Nachtarbeitverbotsurteil entwickelt wurde. So kam das BVerfG zum Ergebnis, daß keine Gründe ersichtlich seien, die eine Beschränkung der Feuerwehrdienstpflicht auf Männer zwingend erforderlich machen, um Probleme zu lösen, die ihrer Natur nach entweder nur bei Männem oder bei Frauen auftreten 11. Die herkömmliche Annahme, daß Frauen wegen ihrer körperlichen Konstitution vom Feuerwehrdienst ausgenommen werden dürfen, wurde nicht als zureichender Grund erachtet. Auch wenn die Frauen generell der körperlichen Belastung, die bei Feuerwehreinsätzen auftreten würden, weniger gewachsen seien, sei der pauschale Ausschluß der Frauen von der Dienstpflicht nicht gerechtfertigt, weil dieser geschlechtsbezogenen Besonderheit durch eine auf die individuelle Konstitution abstellende Tauglichkeitsuntersuchung Rechnung getragen werden könnte. Eine strenge, individuumbezogene Anwendung der Vergleichbarkeitsprüfung wäre zu demselben Ergebnis gelangt. Der Unterschied in der körperlichen Konstitution betrifft nur einen Durchschnittswert und erfüllt keineswegs die Ausschließlichkeitsanforderung. Daher stellte die Unerheblichkeit der physischen Geschlechtsunterschiede keine für die Erforderlichkeitsprüfung spezifische Schlußfolgerung dar. Die Erforderlichkeit für die Problemlösung spielte damit in dieser Entscheidung keine ausschlaggebende Rolle. Dies lag an der Besonderheit der Fallkonstellation. In diesem Fall gab es nämlich kein geschlechtsspezifiBVerfGE 92, 91. EGMR, Serie A 291-B - Karlheinz SchmidtlDeutschland -, S. 32 f. 11 BVerfGE 92, 91 (l09).

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l. Die Erforderlichkeitsprüfung des BVerfG in den neunziger Jahren

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sches Problem, das gelöst werden mußte. Was bisher die Ungleichbehandlung begründete, war ein - vielleicht auf den Durchschnittswert der jeweiligen Geschlechtsgruppe bezogenes - klischeehaftes Vorurteil über die Leistungsfähigkeit der einzelnen Frauen. Unter diesen Umständen kann es schon vorkommen, daß die Erforderlichkeitsprüfung ähnlich ausfällt wie die Vergleichbarkeitsprüfung. Dies bedeutet jedoch nicht, daß sich die bei den Prüfungsarten im wesentlichen decken. Die Besonderheit der Erforderlichkeitsprüfung liegt vielmehr darin, von der normativen Perspektive aus zu überprüfen, ob angesichts eines zu lösenden geschlechts spezifischen Problems eine Abweichung von der Verfassungsentscheidung zugunsten der Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede zwingend erforderlich ist. Gleichzeitig ist festzustellen, daß die Durchführung der Erforderlichkeitsprüfung durch das BVerfG praktisch auch die Funktion hat, bei der Ermittlung eines geschlechts spezifischen Problems die Geltung der Ausschließlichkeitsanforderung zu unterstreichen. Zwar bekannte sich das BVerfG beispielsweise beim Hausarbeitstagsbeschluß zur individualisierten Anwendung der Vergleichbarkeitsprüfung. Es war jedoch extrem schwierig, im Rahmen der konsequenten Anwendung der Vergleichbarkeitsprüfung der Ausschließlichkeitsanforderung Geltung zu verschaffen, weil die Vergleichbarkeitsprüfung in früheren Jahren auch klischeehafte Ermittlungen der biologischen Unterschiede ermöglichte und schließlich im Rentenalterbeschluß als Grundlage einer stark pauschalisierten Ermittlung der Arbeitsumwelt der beiden Geschlechtern herangezogen wurde. Hierin zeigt sich die Grenze der - mit der Formel der "biologischen und funktionalen Unterschiede" kombinierten - Vergleichbarkeitsprüfung, auf die das BVerfG bis zum Jahr 1991 trotz der wiederholten Revidierungsmöglichkeiten beharrte. In dieser Situation bekräftigt die Erforderlichkeitsprüfung, die Entschlossenheit des BVerfG, Geschlechtsunterschiede nunmehr einer individualisierten Betrachtungsweise zu unterwerfen. Im Hinblick auf die einheitliche Strukturierung der Erforderlichkeitsprüfung trug der Feuerwehrbeschluß eher zur Verwirrung als zur KlarsteIlung bei, indem er die Abwägung mit kollidierenden Verfassungs gütern ausdrücklich von der Erforderlichkeitsprüfung trennte und neben sie stellte. Er erkannte nämlich die Möglichkeit an, daß eine anhand der Erforderlichkeitsprüfung nicht als zwingend erforderlich erachtete Regelung dann im Wege einer Abwägung mit kollidierenden Verfassungs gütern, insbesondere mit dem Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG, legitimiert wird. Der Sinn dieses zweistufigen Prüfungsvorgangs ist jedoch schwer einzusehen. In der heutigen Lage, in der das BVerfG vielfältigen Überlegungen die Qualität von "kollidierenden Verfassungsgütern" beimißt 12 , ist erstens die Unterscheidung zwischen einem verfassungsrechtlichen und einem einfachgesetzlichen Ziel weder möglich noch sinnvoll. Daß eine gesetzliche Rege-

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

lung eine Erwägung von verfassungsrechtlichem Rang zur Verwirklichung verhelfen soll, befreit diese Regelung sodann nicht VOn einer Zweck-MittelPrüfung. Auch im Zusammenhang mit einem verfassungsrechtlichen Normzweck muß die Regelung auf ihre Verhältnismäßigkeit hin geprüft werden. Die Trennung der Abwägung auf der Verfassungsebene VOn der Anwendung der Erforderlichkeitsprüfung im Feuerwehrbeschluß zeigt also eine gewisse Unsicherheit seitens des BVerfG. Obwohl in den beiden Prüfungssegmenten gefragt wird, ob die Ungleichbehandlung für die Verwirklichung eines legitimen Ziels erforderlich ist, unterscheidet das BVerfG die beiden Segmente. Darin kommt sein Unbehagen zum Ausdruck, seine Rechtsprechung im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG offenkundig radikal zu verändern und sich von der Struktur der Vergleichbarkeitsprüfung unbefangen zu verabschieden.

2. Die Erforderlichkeitsprüfung als Konkretisierung der "neuen Formel" a) Die sogenannte "neue Formel" Somit gilt es zu klären, VOn welcher Tragweite die Einführung der Erforderlichkeitsprüfung ist. Dabei verlangt vor allem die systematische Betrachtungsweise besondere Beachtung. Die Erforderlichkeitsprüfung steht nämlich in einem engen Zusammenhang mit der sogenannten "neuen Formel", die der Erste Senat des BVerfG neuerdings im Bereich des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 1 GG anwendet. Mit dieser Formel hat der Erste Senat die Gleichsetzung des allgemeinen Gleichheitssatzes mit dem formellrechtlichen Prinzip des Willkürverbots überwunden und dem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG einen substanziellen Gewährleistungskern zugeschrieben 13. Soweit der Struktur der Vergleichbarkeitsprüfung das Verständnis der rechtlichen Gleichheit im Sinne des Willkürverbots zugrunde lag, war eine Revidierung der ganzen Rechtsprechung nunmehr auch im Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG unumgänglich. Nach der "neuen Formel" ist das Gleichheitsgrundrecht "vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen 12 Dies zeigt sich vor allem bei der Grenzziehung der schrankenlosen Grundrechte. Vgl. beispielsweise BVerfGE 69, 1 (21 ff.) - Wehrgerechtigkeit. 13 Dazu, daß die Abkehr von der Reduzierung des Gleichheitssatzes auf das Verbot der einer Rechtfertigung nicht zugänglichen Willkürlichkeit in Wirklichkeit schon lange vor der Einführung der neuen Formel erfolgt war, vgl. Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung 2 , 1996, S. 307. Im vorliegenden Zusammenhang ist nur von Bedeutung, daß das BVerfG mit der Einführung der neuen Formel dieser Abkehr einen unverkennbaren Ausdruck verliehen hat.

1. Die Erforderlichkeitsprüfung des BVerfG in den neunziger Jahren

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Nonnadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten,,14. In der weiteren Entwicklung dieser Fonnel unterscheidet der Erste Senat des BVerfG zwischen Ungleichbehandlung von Personengruppen einerseits und verhaltensbezogenen Unterscheidungen andererseits. So unterwirft er den Gesetzgeber bei den personenbezogenen Differenzierungen einer strengeren Bindung. Nach dieser Prüfungsstruktur ist die Bindung des Gesetzgebers um so enger, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten annähern und je größer deshalb die Gefahr ist, daß eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt. Dies gilt auch dann, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt l5 . Erstmals in Folge dieses Gedankengangs ist es dem BVerfG gelungen, einen grundrechtlichen Kern des allgemeinen Gleichheitssatzes herauszubilden. Der Erste Senat betont, daß die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern solll6. Dabei dient die Nähe des in Frage stehenden Differenzierungskriteriums zu den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG als Ansatzpunkt für die Umschreibung der personenbezogenen Ungleichbehandlung. Auch im Bereich der verhaltensbezogenen Differenzierung weist der Erste Senat darauf hin, daß das Maß der Bindung gegenüber dem Gesetzgeber davon abhängt, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Erfüllung des Differenzierungskriteriums zu beeinflussen 17. Somit ist die Ungleichbehandlung wegen persönlicher Eigenschaften die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme, wie dies Kirchhof zutreffend zum Grundsatz erhebt 18. 14 BVerfGE 55, 72 (88); 60, 329 (346); 68, 287 (301); 75, 348 (357); 81, 156 (205); st. Rspr. des Ersten Senats. 15 BVerfGE 88, 87 (96). Überdies wurde in diesem Beschluß festgestellt, daß dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers um so engere Grenzen gesetzt seien, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken könne. Diese stark von der bundesamerikanischen Gleichheitsjudikatur beeinflußte Betrachtungsweise hat jedoch für den vorliegenden Zusammenhang keine besondere Bedeutung. Daher wird auf diesen Gehalt der "neuen Formel" im folgenden nicht mehr zurückgegriffen. 16 BVerfGE 88, 87 (96). 17 BVerfGE 88, 87 (96). Aus diesem Grund gilt die engere Bindung des Gesetzgebers nicht nur bei den personenbezogenen Differenzierungen, sondern auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Ebenda. 18 Kirchhof, Die Verschiedenheit der Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz, 1996, S. 14; ders., in: HBdStR V, § 124, Rn. 196.

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

Eine Ungleichbehandlung aufgrund einer persönlichen Eigenschaft, auf die der Merkmalsträger keinen oder nur einen geringen Einfluß hat und die er deswegen nicht zu verantworten hat, stellt grundsätzlich eine Verletzung seines Gleichheitsgrundrechts dar. Dies ist die Grundvoraussetzung, von der Art. 3 Abs. 3 GG ausgeht l9 . Einigkeit bestand somit seit jeher über die prinzipielle Ungerechtigkeit der Differenzierung aufgrund einer geburtsbedingten persönlichen Eigenschaft. Während die Kausalitätsanforderung in der früher herrschenden Auslegung des Art. 3 Abs. 3 GG die verfassungsrechtliche Entscheidung zugunsten der rechtlichen Unerheblichkeit der verpönten Merkmale in den Hintergrund treten ließ, geht die "neue Formel" nunmehr davon aus, daß die Ungleichbehandlung aufgrund einer persönlichen Eigenschaft potenziell eine Rechtsverletzung darstellt. Damit wird das Recht, nicht aufgrund persönlicher Eigenschaften anders behandelt zu werden, nicht im Rahmen des dafür zugeschnittenen Art. 3 Abs. 3 GG, sondern im Bereich des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 1 GG vom BVerfG zum ersten Mal in dieser klaren Form proklamiert2o . Dieser Vorgang kann unmöglich ohne Wirkung auf die Interpretation des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG bleiben. Wenn Differenzierungen aufgrund persönlicher Merkmale Prima-facie- Verletzungen eines Gleichheitsrechts darstellen, gilt diese dogmatische Struktur erst recht für Diskriminierungen aufgrund der in Art. 3 Abs. 3 GG verpönten Kriterien. Aufgrund systematischer Erwägungen ist ein subjektiv-rechtlicher Kern des Gleichheitsrechts auch im Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG anzuerkennen. Dieser besteht im Recht jedes Einzelnen, nicht aufgrund einer persönlichen Eigenschaften anders behandelt zu werden 21 . Nach diesem Verständnis handelt es sich bei der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts um eine Verletzung des Rechts auf Geschlechtergleichbehandlung, die in Abwesenheit eines zwingenden Rechtfertigungsgrundes als Verstoß gegen die Verfassung bewertet werden muß. 19 Dürig brachte diesen Umstand durch den Begriff der "Freiheit, anders zu sein" zum Ausdruck. Geschützt werde "die Freiheit, in Gleichheit anders sein zu können". Anknüpfungspunkt sei dabei conditio humana des "Hineingeborensein". Dürig, in: MaunzlDürig, Art. 3 III, Rn. 34,39. 20 Zum Begriff der Statusgleichheit vgl. Kirchhof, in: HBdStR V, § 124, Rn. 201 f. 21 Daneben erwähnt Art. 3 Abs. 3 GG Eigenschaften, die sich aus der Ausübung eines fundamentalen Grundrechts ergeben (Glaube, religiöse oder politische Anschauung). Die "neue Formel" versucht auch dieser Komponente gerecht zu werden, indem sie die intensivierte Prüfung auch dort anwendet, wo die gesetzliche Regelung eine Benachteiligung in der Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheitsrechte hervorruft. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich jedoch auf die geborenen persönlichen Eigenschaften, weil sie in besonderem Maße eine Analogie zu der Differenzierung aufgrund des Geschlechts zulassen.

I. Die Erforderlichkeitsprüfung des BVerfG in den neunziger Jahren

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Hier ist somit daran festzuhalten, daß die Einführung der "neuen Formel" die gesamte Systematik des Art. 3 GG dahingehend konkretisiert, daß die verfassungsrechtliche Gleichheit in ihrem Kern das Recht gewährleistet, aufgrund einer persönlichen Eigenschaft, die einer Person so eigen ist, daß er sie nicht zu verantworten hat, nicht anders behandelt zu werden. Das Geschlecht stellt typischerweise eine solche Eigenschaft dar. Der Einzelne ist zufällig als Frau oder Mann geboren. Rechtliche Bewertungen aufgrund dieser zufälligen Gruppenzugehörigkeit bedeuten also einen Verzicht auf die individuelle Betrachtung seiner Leistungen, Fähigkeiten und Handlungen. Somit muß eine gesetzliche Differenzierung aufgrund des Geschlechts als Verletzung seiner Individualität und seiner Menschenwürde angesehen werden, was die Verletzung seines Gleichheitsrechts zur Folge hat. b) Rechtfertigungsgründe im Sinne der "neuen Formel"

Die Abkehr des BVerfG von der Willkürformel fordert eine strengere Überprüfung der Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen. Es besteht jedoch keine Einigkeit über die angemessene Ausgestaltung dieser erhöhten Anforderung. Auf der einen Seite erblicken einige Autoren in der "neuen Formel" eine durchgängige Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung 22 . Diese Ansicht wird jedoch auf der anderen Seite heftig von Autoren kritisiert, die die einheitliche Einführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die Struktur des Gleichheitsrechts verhindert sehen23 . Diesem Streit liegt die strukturelle Verschiedenheit von Willkürverbot und Verhältnismäßigkeitsprinzip zugrunde. Hier sei daran erinnert, daß das Willkürverbot mit der gerechtigkeitsorientierten Betrachtungsweise der Gleichheit zusammenhängt. Daher wird im Rahmen der Willkürprüfung thematisiert, ob sich eine gesetzliche Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Unterschiede in den Regelungsgegenständen begründen läßt. Es geht mit anderen Worten darum, ob wesentlich Gleiches unterschiedlich oder aber wesentlich Ungleiches nach seinem Wesensunterschied unterschiedlich behandelt wird. In dieser Lage steht die Entscheidung über die zugrunde zu legende Perspektive grundsätzlich dem Gesetzgeber frei. Diese Betrachtungsweise folgt aus dem Wesen des Rechts. Der Sinn der Rechtsordnung besteht nämlich gerade darin, zwei Sachverhalte zu unterscheiden, um verschiedene Rechtsfolgen daran anzuknüpfen. Daher kann eine gesetzliche Differenzierung im allgemeinen nicht als rechtfertigungsbedürftiges Übel angesehen werden. Ein allgemeines Recht auf Gleichbehandlung - auch ein Prima-facie-Recht - kann es deswegen nicht geben. Ein solches Recht kann 22 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 3, Anhang, Rn. 10; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 33. 23 Z.B. Sachs, JuS 1997, S. 129.

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lediglich im Zusammenhang mit bestimmten persönlichen Eigenschaften in Anspruch genommen werden. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung fragt dagegen, ob ein Eingriff in ein Prima-facie-Recht im Hinblick auf seine Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit, kurz: im Hinblick auf seine Zweckmäßigkeit, noch gerechtfertigt werden kann. Hierbei geht es mit anderen Worten darum, ob eine Differenzierung - oder in den überwiegenden Fällen ein Eingriff in den Schutzbereich eines Freiheitsrechts - gerechtfertigt ist, und nicht darum, ob sie sich sachlich begründen läßt. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt es also immer auf das hinreichende Maß des Zweck-MittelVerhältnisses im Rahmen der gesetzgeberischen Zweckverfolgung, nicht auf den Gerechtigkeitsgehalt einer Regelung an. Diese Prüfung legt die an sich negative Wertung der Ungleichbehandlung zugrunde, die es nun als notwendiger Eingriff in das Prima-facie-Gleichheitsrechts zu rechtfertigen gilt. Im Hinblick auf diesen Strukturunterschied von Willkürverbot und Verhältnismäßigkeitsprüfung läßt die "neue Formel" in der ursprünglichen Fassung zwei entgegengesetzte Interpretationen zu. Das Erfordernis, daß ein wesentlicher Unterschied in den Eigenschaften der Personen "von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten", benennt nämlich nicht ausdrücklich den Bezugsrahmen, in den dieses Erfordernis eingebettet werden kann. Dieses Erfordernis kann einerseits so verstanden werden, daß es sich auf eine Abwägung bezieht und einen schwererwiegenden Grund verlangt, um die Ungleichbehandlung im Hinblick auf einen externen Zweck zu rechtfertigen24 . Es läßt sich andererseits dahingehend auslegen, daß der tatsächliche Unterschied, um einen wesentlichen Unterschied im Sinne der Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem auszumachen, groß und von normativer Bedeutung sein soll. Soweit allerdings das Gebot der verhältnismäßigen Gleichheit im Zusammenhang mit der "neuen Formel" in der Lehre vertreten wird, geht diese Anforderung nicht soweit, daß sie eine konsequente gerichtliche Überprüfung der gesetzgeberischen Differenzierung anhand der streng angewandten Verhältnismäßigkeitsprüfung verlanges. Die "neue Formel" ist darauf ange24 Im Bereich des allgemeinen Gleichheitssatzes wird die "neue Formel" überwiegend in dieser Richtung verstanden: Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 3, Anhang, Rn. 6; Osterloh, in: Sachs, Art. 3, Rn. 14. 25 So besteht Einigkeit darüber, daß die "neue Formel" und die dadurch eingeführte intensivere Prüfung nicht das Prinzip des Willkürverbots ersetzt, sondern nur ergänzt. Herzog, in: MaunzlDürig, Art. 3, Anhang, Rn. 10; Osterloh, in: Sachs, Art. 3, Rn. 25; Jarass, NJW 1997, S. 2546. Vgl. ferner Söllner, Die Bedeutung des Gleichberechtigungsgrundsatzes in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1994, S. 10.

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legt, je nach dem Differenzierungskriterium und den Auswirkungen der Differenzierung verschiedene Kontrolldichten anzuwenden, so daß bei der untersten Stufe - d. h. bei sachbezogenen Differenzierungen, die keinen grundrechtlichen Bezug aufweisen - eine bloße Evidenzkontrolle für den verfassungsrechtlichen Kontrollzweck ausreichen würde. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung schließt jedoch in dieser Hinsicht gerade nicht die Evidenzkontrolle aus. Da diese Prüfungsart - nach dem Muster der Stufentheorie26 - im Zusammenhang mit abgestufter Kontrolldichte herangezogen werden kann, kann die Evidenzkontrolle als die unterste Stufe aufgefaßt werden. Nach diesem Verständnis ist die "neue Formel" ein konsequentes System der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die je nach dem Differenzierungskriterium und den tatsächlichen Auswirkungen der betreffenden Regelung unterschiedlich streng anzuwenden ist27 . Wenn dagegen darauf hingewiesen wird, daß die unterschiedliche Kontrolldichte schon im Rahmen des Willkürverbots möglich war und praktiziert wurde 28 , wird die "neue Formel" als Entwicklungsform des Willkürverbots eingestuft. In dieser Gestalt kommt es nicht auf das Zweck-MittelVerhältnis an, das eine an sich negativ zu beurteilende Ungleichbehandlung rechtfertigt. Vielmehr bildet dabei der Gerechtigkeitsgehalt der Differenzierung als solcher den Prüfungsgegenstand. Es wird also danach gefragt, ob und inwieweit die gesetzliche Differenzierung der vorgefundenen, tatsächlichen Verschiedenheit der Regelungsgegenstände entspricht29 . Inzwischen hat das BVerfG in bezug auf diese unterschiedlichen Auffassungen der "neuen Formel" eine Klarstellung gebracht. Es räumt nämlich nunmehr ein, daß bei der verfassungsrechtlichen Prüfung anhand des Art. 3 Abs. 1 GG, zumindest in einem Teilgebiet, das Verhältnismäßigkeitsprinzip zum Tragen kommt. Es führt aus, daß sich "aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber [ergebenl, die vom bloßen Zuerst im Apothekenurteil, BVerfGE 7, 377 (404 ff.). So ausdrücklich Osterloh, in: Sachs, Art. 3, Rn. 33. Sie sieht für die Prüfung des eigenständigen Willkürverbots keinen Raum mehr. 28 Sacksofsky vertritt die These, daß die Abkehr von dem Verständnis des Willkürverbot in dem Sinne, daß ein Gesetz nur als Verstoß gegen den Gleichheitssatz aufgehoben werden könne, wenn sich überhaupt kein rechtfertigender Grund für die Differenzierung finden lasse, in der alten Rechtsprechung schon längst angelegt war und praktiziert wurde. Sacksofsky, 1996, S. 307. 29 Fuchsloch vertritt die These, daß die "neue Formel" danach fragt, ob ein innerer Zusammenhang zwischen dem Unterschied der Gruppen und der Differenzierung besteht. Fuchsloch, Das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung, 1995, S. 105. Sie bringt jedoch auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip hiermit in Zusammenhang. 26 27

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Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen,,3o. Auch wenn mit dieser Klarstellung die Interpretation der "neuen Formel" im Sinne einer abgestuften Kontrolldichte im Rahmen des Willkürverbots ausgeschlossen wird, ist die Frage noch nicht beantwortet, wie sich die beiden Prüfungsmodi - "bloßes Willkürverbot" und "strenge Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse" - verhalten. Ob sie einheitlich als verschiedene Stufen der Verhältnismäßigkeitsprüfung oder aber als zwei völlig andersartige Prüfungen aufgefaßt werden sollen, die zusammen oder nacheinander angewandt werden sollen, ist noch zu klären. Gegen die Annahme der einheitlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung spricht die Tatsache, daß diese Prüfung eine bestimmte Fallkonstellation voraussetzt. Da diese Prüfung auf die Kontrolle des Zweck-Mittel-Verhältnisses abstellt, ist sie nur anwendbar, wo die Ungleichbehandlung die Verwirklichung eines legitimen - äußeren - Zwecks zum Ziel hae 1• In dieser Hinsicht ist mit Huster zwischen internem und externem Zweck zu unterscheiden. Er unterscheidet zwischen zwei Arten der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen. Bei der ersten Fallgruppe werde eine formelle Ungleichbehandlung im Hinblick auf einen Gerechtigkeitsmaßstab als materielle Gleichbehandlung gerechtfertigt. Bei dieser Konstellation werde nicht Gleiches ungleich, sondern lediglich Ungleiches ungleich behandelt. Eine solche Regelung verfolge einen internen Zweck, der darin bestehe, gerecht zu sein. Hier sei die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht möglich, weil es nicht auf ein Zweck-Mittel-Verhältnis ankomme und die Verhältnismäßigkeitsprüfung deswegen leerlaufe. Anzuwenden sei lediglich die Entsprechungsprüfung, die danach fragt, ob die in Frage stehende Ungleichbehandlung der Verschiedenheit der Regelungsgegenstände und damit dem im betreffenden Sachbereich tragenden Gerechtigkeitsmaßstab entspreche. Dagegen gebe es Fallgruppen, bei denen eine Ungleichbehandlung nicht aufgrund eines umfassenden Gerechtigkeitsmaßstabs, sondern nur in bezug auf einen externen Zweck gerechtfertigt werden könne. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung sei erst in dieser Abwägungssituation angebrache 2 . Legt man den Unterschied zwischen Entsprechungs- und Verhältnismäßigkeitsprüfung zugrunde und betrachtet man auf dieser Grundlage die "neue Formel", so fällt einem sofort auf, daß die Maßstäbe für die erhöhte BVerfGE 88, 87 (96). Es ist in diesem Zusammenhang zu bemerken, daß die ehemalige Bundesverfassungsrichter Kirchhof darauf hinweist, daß die Verhältnismäßigkeitsprufung eine Struktur des "Eingriffs" voraussetze und eine einheitliche Einführung des Übermaßverbots auch für Gleichheitseinschränkungen die Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit überfordere. Kirchhof, in: FS Lerche, S. 144. 32 Huster, Rechte und Ziele, 1993, S. 165 ff. 30 31

I. Die Erforderlichkeitsprüfung des BVerfG in den neunziger Jahren

237

Kontrolldichte nicht den Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeitsprüfung entsprechen. Es ist in dieser Hinsicht nicht geglückt, wenn das BVerfG von einer Abstufung "vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse" spricht, da die beiden nicht notwendigerweise als zwei Pole in einer eindimensionalen Abstufung verstanden werden können. Wahrscheinlich geht das BVerfG davon aus, daß sich Differenzierungen aufgrund eines personenbezogenen Merkmals, weil sie normalerweise rechtlich unerheblich sind, in der Regel auf keinen Gerechtigkeitsmaßstab stützen können, so daß im Ergebnis nur die Verhältnismäßigkeit - und zwar in der relativ strengen Form - angewandt werden soll. Mag diese Vermutung richtig sein und in der Praxis nur die beiden Prüfungsmodi in Betracht kommen, so ist es notwendig, Klarheit über die Anwendung von Entsprechungs- und Verhältnismäßigkeitsprüfung in einem zweidimensionalen System zu schaffen. In diesem Zusammenhang liegt die Ansicht nahe, welche die "neue Formel" als Entsprechungsprüfung vor der Verhältnismäßigkeitsprüfung anwenden möchte. Nach dieser Ansicht liegt kein Eingriff in das Gleichheitsrecht vor, soweit eine differenzierende Regelung den Verschiedenheiten des Gegenstandes entspricht, so daß die Frage nach den Rechtfertigungsgründen gar nicht gestellt zu werden braucht. Nur wenn die differenzierende Regelung nicht aufgrund der Verschiedenheiten der Regelungsgegenstände begründet wird, verwirklicht sie den Tatbestand einer "Ungleichbehandlung" im Sinne eines Eingriffs in ein Prima-facie-Recht und muß deshalb als "Eingriff in das Gleichheitsgrundrecht" im Hinblick auf die Verfolgung externer Zwecke gerechtfertigt werden 33 . In diesem Kontext fragt es sich, was eigentlich den Inhalt der Entsprechungsprüfung ausmacht. Huster beschränkt die Tragweite der Entsprechungsprüfung auf ein Minimum, indem er interne Differenzierungen lediglich einer schwachen gerichtlichen Kontrolle unterwirft und sich zu diesem Zweck mit dem Kriterium des Willkürverbots zufrieden gibt. Er begründet diese Position damit, daß in dem Bereich, in dem die Entsprechungsprüfung Anwendung finde, der jeweilige Gerechtigkeitsmaßstab in der Gleichheitsprüfung mehr oder weniger nicht hinterfragt vorausgesetzt werden müsse 34 . Indessen überzeugt diese Auffassung nicht. Wie das Beispiel der Vergleichbarkeitsprüfung zeigt, die das BVerfG bis zu den achtziger Jahren im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG anwandte, ist eine strenge Form der Entsprechungsprüfung nicht nur möglich, sondern auch geboten. Um 33 Sachs, FS Friauf, 1996, S. 320; ders., JuS 1997, S. 129. Diese Ansicht vertritt mit Huster die These, daß das Prima-facie-Gleichheitsrecht darin besteht, eine Person im Verhältnis zu anderen Personen entsprechend den anerkannten Gerechtigkeitsmaßstäben zu behandeln. Huster, 1993, S. 214. 34 Huster, 1993, S. 224, 226 ff.

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

den Rekurs des Gesetzgebers auf einen scheinbaren Gerechtigkeitsmaßstab zu verhindern, der in Wirklichkeit einen Ausdruck des Vorurteils gegenüber einer bestimmten Personen gruppe darstellt, ist es - vor allem wenn die Differenzierung an einen personenbezogenen Merkmal anknüpft - unbedingt notwendig, den zugrunde gelegten Maßstab der materiellen Gleichbehandlung näher zu analysieren und auf seinen Gerechtigkeitsgehalt hin zu überprüfen35 . Wenn die "neue Fonnel" eine um so stärkere Kontrolle vornimmt, je deutlicher eine Rechtsfolge an persönliche Eigenschaften anknüpft, so gilt dies in seiner logischen Struktur nicht nur für die Rechtfertigung in bezug auf einen externen Zweck, sondern erst recht für die Begründung einer Differenzierung im Hinblick auf einen internen Zweck der materiellen Gleichbehandlung36 . Wie die strengere Fonn der Entsprechungsprüfung bei einer Differenzierung aufgrund eines höchstpersönlichen Merkmals aussehen soll, ist eine Frage, die hier nur aufgeworfen, jedoch im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht beantwortet werden kann. 3. Die Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung a) Die Erforderlichkeitsprüfung in der neuen Systematik des Art. 3 GG

Es ist nun zu fragen, ob die "Erforderlichkeit für die Lösung eines geschlechtsspezifischen Problems" im Sinne des neuen Prüfungsmaßstabs, den das BVerfG neuerdings anwendet, sich auf ein Zweck-Mittel-Verhältnis oder aber auf die tatsächliche Vergleichbarkeit der Regelungsgegenstände bezieht. Im ersten Fall handelt es sich bei der Erforderlichkeitsprüfung um eine Spielart der Verhältnismäßigkeitsprüfung, im letztgenannten Fall um eine besondere Fonn der Vergleichbarkeitsprüfung. Auf den ersten Blick scheint die Erforderlichkeitsprüfung der Ausschließlichkeitsanforderung zu entsprechen, die beispielsweise Sachs bei der strengen Anwendung des Vergleichbarkeitsprinzips verlangt. Gemäß dieser Anforderung beschränkt sich der Anwendungsbereich der Vergleichbarkeitsprüfung auf das Gebiet, in dem tatsächliche biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen erforderlicherweise bei der Regelung berücksichtigt werden müssen. Wenn zur Lösung eines geschlechtsspezifisch 35 Dazu, daß eine "fundierte Gerechtigkeitsvorstellung der Gemeinschaft", wenn sie als Gerechtigkeitsmaßstab herangezogen wird, nur die faktische Diskriminierung reproduziert, vgl. Hufen, Gleichheitssatz und Bildungsplanung, 1975, S. 96. 36 Die beiden Bundesverfassungsrichter Söllner und Kirchhof, die sich zu dieser Thematik geäußert haben, vermeiden die Umschreibung der "neuen Formel" mit dem Vokabular des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, obwohl sie sich der Abkehr des BVerfG vom Willkürprinzip im überlieferten Sinne voll bewußt sind. Söllner, 1994, S. 10; Kirchhof, 1996, S. 14 f.

I. Die Erforderlichkeitsprüfung des BVerfG in den neunziger Jahren

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auftretenden Problems die Berücksichtigung der tatsächlichen Geschlechtsunterschiede unbedingt notwendig ist, ist eine differenzierende Behandlung zulässig. Die Differenzierung entspricht der unterschiedlichen Lage, in der sich Männer und Frauen befinden. Im Rahmen dieser Betrachtungsweise ist es konsequent, wenn Sacksofsky die neue Erforderlichkeitsprüfung des BVerfG als "modeme Fassung der objektiven biologischen Unterschiede" versteht37 . Das Verständnis der Erforderlichkeitsprüfung als Vergleichbarkeitsprüfung legt den Schwerpunkt bei der Analyse des bundesverfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs auf ein "geschlechtsspezifisches Problem". Dabei erscheint die Anforderung der Erforderlichkeit als notwendiger Annex für die KlarsteIlung der Ausschließlichkeit. Der Begriff der Erforderlichkeit weist jedoch die Verbindung zu der zweiten Prüfungskomponente im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daß das BVerfG im Bereich des allgemeinen Gleichheitssatzes nunmehr im Rahmen der "neuen Formel" ausdrücklich die Anwendbarkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung anerkennt. Wenn die Nähe des gesetzlichen Anknüpfungspunkts zu den in Art. 3 Abs. 3 GG aufgeführten Merkmalen die Anwendung der strengeren Form der Verhältnismäßigkeitsprüfung auslöst, ist es nur konsequent, diese Prüfung auch im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG als möglich und unter Umständen als zwingend anzusehen. Anderenfalls entstünde die unbefriedigende Situation, daß die Verwendung eines ähnlich dem in Art. 3 Abs. 3 GG verpönten - eines sozusagen quasi verpönten - Merkmals einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterworfen würde, wobei die Anknüpfung an die verpönten Kriterien selbst nicht eine entsprechende Prüfungsdichte auslösen würde. Aus der gesamten Systematik der "neuen Formel" ergibt sich also, daß die Erforderlichkeitsprüfung zumindest eine "strenge Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordemisse" einschließt. b) Vergleichbarkeitsprüfung im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung?

Eine weitere Frage lautet, ob bei diesem Verständnis der Erforderlichkeitsprüfung im Sinne der Nachtarbeits- und Feuerwehrentscheidungen des BVerfG auch die Vergleichbarkeitsprüfung vor der Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist. Da die letztere Prüfungsart voraus37 Sacksofsky, 1996, S. 388. Ihre Position ist auch insoweit konsequent, als sie in der "neuen Formel" weitgehend nur die schon im Rahmen der alten Willkürformel praktizierte Stärkung der Kontrolldichte und nicht eine Wendung zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erblickt. So bleibt der systematische Zusammenhang zwischen der "neuen Formel" im Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 GG und der Erforderlichkeitsprüfung im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG erhalten. Vgl. a.a.O., S. 307.

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

setzt, daß die Ungleichbehandlung den Rechtfertigungsgrund in der Verfolgung eines äußeren Ziels sucht, liegt die Ansicht nahe, daß - wie die Anwendung der Entsprechungsprüfung im Bereich des Art. 3 Abs. 1 GG vor der Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - vor der Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung geprüft werden soll, ob die Ungleichbehandlung je nach Geschlecht im Hinblick auf die Wesensunterschiede zwischen Mann und Frau begründet ist. Die Anwendung der Entsprechungsprüfung im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG gerät jedoch mit der fundamentalen Verfassungsentscheidung zugunsten der rechtlichen Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede in Widerspruch. Diese Prüfung thematisiert nämlich, ob die in Frage stehende Ungleichbehandlung aufgrund eines Gerechtigkeitsmaßstabs als gerechte, wesensmäßige Behandlung der jeweils zu differenzierenden Sachverhalte begründet werden kann. Dabei geht diese Prüfung, wenn sie im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG angewandt wird, davon aus, daß ein Gerechtigkeitsmaßstab vorhanden sein kann, nach dem die Ungleichbehandlung von Mann und Frau einen gerechten Ausgleich darstellt. Auch wenn der Umstand, den ein kleiner Teil der Geschlechtsgruppe gemeinsam hat, im einzelnen die Gerechtigkeit der unterschiedlichen Behandlung von kleinen Subkategorie begründen mag, ist es der allgemeine Ausgangspunkt des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, daß es keinen rechtlich vertretbaren Gerechtigkeitsmaßstab gibt, nach dem die beiden Geschlechter um der Gerechtigkeit willen unterschiedlich behandelt werden sollen38 • Daher ist die einzige Konsequenz aus der Entscheidung der Verfassungseltern zugunsten der rechtlichen Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede, daß anerkannt wird, daß es keinen Gerechtigkeitsmaßstab geben kann, aufgrund dessen man die Gerechtigkeit einer Ungleichbehandlung von Mann und Frau postulieren könnte. Ohne die Entsprechungsprüfung vorzuschalten, soll also allein die Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden, wenn eine gesetzliche Regelung Mann und Frau unterschiedlich behandelt. Erst mit der Ausschaltung der Entsprechungsprüfung wird es möglich, einen unmittelbaren Rückgriff des Gesetzgeber auf eine angebliche "Gerechtigkeitsvorstellung der Gesellschaft" auszuschließen, die in Wirklichkeit nichts anderes als eine diskriminierende Abneigung der herr38 Es wurde schon oben festgestellt, daß die Vergleichbarkeitspriifung in dieser Hinsicht keine konsequente Lösung anbieten konnte, weil die zweite Komponente dieser Prüfung - d.h. die Frage, ob ein objektiver Unterschied die zu regelnden Lebensverhältnisse so entscheidend prägt, daß nicht mehr von "Bevorzugung" oder "Benachteiligung" sinnvoll die Rede sein kann - die verfassungsrechtliche Legitimität eines gesetzgeberischen Werturteils voraussetzt, das sich nicht an der jeweiligen Schutzbedürftigkeit der bestimmten Personengruppe, sondern am Geschlecht orientiert und daher eigentlich durch die Entscheidung zugunsten der Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede ausgeschlossen werden müßte. Vgl. oben § 3, 11, 1, b).

I. Die Erforderlichkeitsprüfung des BVerfG in den neunziger Jahren

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schenden Gruppe gegenüber einer weniger dominierenden Gruppe darstelle 9 . Das ist auch die Haltung, die das europäische Gemeinschaftsrecht einnimmt. In diesem Rechtssystem ist die differenzierende Regelung nur dann zulässig, wenn eine Ausnahmeregelung dies ausdrücklich erlaubt und das gewählte Mittel für die Verwirklichung des mit der Ausnahmeregelung verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich ist4o . Wenn man bedenkt, daß die Einführung der Erforderlichkeitsprüfung durch die Weiterentwicklung des europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes bedingt war und gerade in den Fällen praktiziert wurde, in denen die Kollision der deutschen Rechtsprechung mit dem europarechtlichen Standard ein kritisches Niveau erreichte, ist die alleinige Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung 1m Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG auch rechtsvergleichend fundiert. c) Eiforderlichkeitsprüfung als Beschränkung

der gesetzgeberischen Ziele

In diesem neuen System der Verhältnismäßigkeitskontrolle kommt der Ausschließlichkeitsanforderung ein neuer Stellenwert zu. Die Hervorhebung durch das BVerfG, daß das zu lösende Problem geschlechtsspezifisch entweder nur bei Frauen oder bei Männern auftreten muß, sagt nach dem Verständnis der Erforderlichkeitsprüfung nichts über die Vergleichbarkeit der Situation aus, in der sich Männer bzw. Frauen befinden. Vielmehr beschränken die Anforderungen an geschlechts spezifische Probleme die Ziele, die der Gesetzgeber mit der Einführung einer je nach Geschlecht differenzierenden Regelung in verfassungsrechtlich legitimer Weise verfolgen da.rfl 1. Die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung setzt immer das Vorhandensein eines legitimen Ziels voraus, in Verhältnis zu dem ein gewähltes Mittel - hier die Ungleichbehandlung von Mann und Frau - geeignet, erforderlich und zumutbar sein soll. Auf der ersten Stufe verlangt die Ausschließlichkeitsanforderung, daß eine Differenzierung aufgrund des Geschlechts nur zur Überwindung von geschlechtsspezifischen Problemen verwendet wird. Dies besagt, daß eine typisierende und pauschalisierende Regelung nicht am Merkmal des Geschlechts anknüpfen darf, auch wenn die Verwirklichung der Verwaltungseffizienz oder eines solchen Zwecks dafür spricht. Diese Schlußfolgerung ergibt sich daraus, daß eine Ungleichbehandlung als Zu dieser Problematik vgl. Hufen, 1975, S. 95 ff. Vgl. oben § 2, I, 2-3. 41 Daher stellt weder die Berücksichtigung der körperlichen Konstitution der Frau noch die der Doppelbelastung - um mit dem Nachtarbeitsbeschluß des BVerfG zu sprechen - ein legitimes Ziel dar. Vgl. oben § 4, I, 1, a). 39

40

16 Nishihara

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

Verletzung des Prima-facie-Gleichheitsrechts aufgefaßt wird. Das grundlegende Recht auf Gleichbehandlung der bei den Geschlechter stellt darauf ab, daß jedes Individuum unabhängig von seiner zufälligen Zugehörigkeit zu einer Geschlechtsgruppe aufgrund seiner individuellen Leistung, Handlung oder Schutzbedürftigkeit rechtlich behandelt wird. Eine bestimmte Behandlung eines Individuums aufgrund der Tatsache, daß seine Geschlechtsgenossen zwar meistens, aber eher zufällig zu einem Regelungsobjekt gehören, wird nach der Ausschließlichkeitsanforderung und damit nach der neuen Erforderlichkeitsprüfung des BVerfG nicht als legitimes Ziel betrachtet. Lediglich die Erforderlichkeit zur Lösung eines geschlechts spezifisch auftretenden Problems rechtfertigt die Berücksichtigung des Geschlechts. Der Grundsatz der Geschlechtergleichbehandlung bedeutet in der heutigen Gesellschaft, daß nicht ein beliebiger Geschlechtsunterschied als Rechtfertigung einer rechtlichen Ungleichbehandlung herangezogen werden darf. Durch Einführung der Erforderlichkeitsprüfung in der Gestalt der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wird sichergestellt, daß nur diejenigen Geschlechtsunterschiede zur Ungleichbehandlung führen dürfen, die ein geschlechtsspezifisches Problem lösen. Diese Beschränkung hat eine ähnliche Funktion wie die Berufung auf die ausdrücklichen Ausnahmeregelungen im Rahmen des europäischen Gemeinschaftsrechts. Nicht nur ein verhältnismäßiger Zusammenhang mit einem staatlich verfolgten Ziel schränkt die legitime Anknüpfung am Merkmal des Geschlechts durch den Gesetzgeber ein, sondern auch die Qualifikation des durch die Ungleichbehandlung verfolgten Ziels als rechtlicher Lösungsversuch eines geschlechtsspezifischen Problems. Probleme, die entweder nur bei Frauen oder nur bei Männern auftreten, beruhen nicht notwendigerweise auf einem biologischen Unterschied. Vielmehr stellt das Erfordernis des geschlechtsspezifischen Problems einen geeigneten Rahmen dar, in dem beispielsweise die Notwendigkeit berücksichtigt werden kann, die darin besteht, die tatsächliche Chancengleichheit herzustellen, wenn sich die Frauen weiterhin mit der strukturellen Diskriminierung konfrontiert sehen. Diese Beschränkung des legitimen Zwecks für den Gesetzgeber ermöglicht den Gerichten, zu ermitteln, welches Ziel eine solche positive Maßnahme verfolgen darf und inwieweit sie eine Belastung für Männer mit sich bringen darf. Damit kann dem Fehler vorgebeugt werden, den das BVerfG im Rentenalterbeschluß begangen hat, daß nämlich eine angebliche Frauenförderungsmaßnahme mit einem falschen Regelungsziel in Zusammenhang gebracht wird und dadurch ein Gericht die tatsächliche Diskriminierung zum rechtlichen Normalfall erhebt42 .

42

BVerfGE 74,163 (180 f.). Dazu oben § 3, II, 4, a).

I. Die Erforderlichkeitsprüfung des BVerfG in den neunziger Jahren

243

d) Eiforderlichkeit für die Problemläsung

Die Bedeutung der Erforderlichkeitsprüfung als Spielart der Verhältnismäßigkeitsprüfung liegt darin, daß anhand des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG thematisiert werden kann, inwieweit und in welchem Ausmaß eine differenzierende Regelung zulässig ist. Oben wurde festgestellt, daß die Vergleichbarkeitsprüfung gerade in dieser Hinsicht einen Mangel aufweist. Beim Vorhandensein eines objektiven biologischen Unterschieds hilft die Vergleichbarkeitsprüfung nicht weiter, wenn gefragt wird, inwieweit dieser Unterschied rechtlich berücksichtigt werden soll. Auch im Fall einer Frauenförderungsmaßnahme hilft die Vergleichbarkeitsprüfung wenig weiter, weil sie nicht die Frage beantworten kann, inwieweit eine solche Maßnahme zur Herstellung der tatsächlichen Chancengleichheit für Frauen eine Belastung für Männer rechtfertigt43 . In dieser Lage setzt die Verhältnismäßigkeitsprüfung ein. Die Belastung, die eine Maßnahme zur Lösung eines geschlechtsspezifischen Problems mit sich bringt, muß geeignet und erforderlich für diesen Zweck sein. Das Recht eines Mannes auf Gleichbehandlung darf beispielsweise bei einer Frauenförderungsmaßnahme nicht mehr als unbedingt notwendig eingeschränkt werden. Sowohl das BVerfG in seiner Erforderlichkeitsprüfung als auch der EuGH stellen bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf die Eignung und Erforderlichkeit ab und sehen von der Anwendung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, d.h. der Zumutbarkeit des Rechtseingriffs im konkreten, ab. Dies hängt sicherlich damit zusammen, daß das als legitim angesehene Ziel bei der Beschränkung des sexuellen Gleichheitsrechts von vornherein eingeschränkt ist, so daß die Abwägung zwischen den Rechtsgütern auf der ersten Stufe bereits vorgenommen worden ist. Darüber hinaus ist das Moment der konkreten Abwägung auch bei der Ermittlung der Erforderlichkeit einzubeziehen. Insgesamt stellt das Verhältnismäßigkeitsprinzip in der Form der Erforderlichkeitsprüfung einen angemessenen Prüfungsmodus dar, mit dem die verfassungsmäßige Zulässigkeit eines Eingriffs in das Gleichheitsrecht ermittelt werden kann. Daß diese Prüfung die Frage nach dem Ausmaß des legitimen Eingriffs beantworten kann und damit geeignet ist, im Kontext der Frauenförderungsmaßnahme zur Problemlösung beizutragen, ist der große Vorteil der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Unter den heutigen Bedingungen läßt sich nur diese Prüfungsart einheitlich im gesamten Bereich der Geschlechtergleichheit anwenden.

43 16*

Vgl. oben § 3, 11, 4, b).

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

4. Ergebnis Auch wenn das BVerfG im Feuerwehrabgabenbeschluß die Erforderlichkeitsprüfung und die Abwägung mit kollidierenden Verfassungsgütern getrennt behandelte und dadurch sein Unbehagen zeigte, die Kontinuität seiner Rechtsprechung auf diesem Gebiet ausdrucklieh aufzugeben, entwikkelte sich seine Rechtsprechung deutlich auf die einheitliche Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprufung hin. Die erhöhte Kontrolldichte bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung und die ihr zugrunde liegende Doktrin, daß der Einzelne ein Recht auf Gleichbehandlung in bezug auf seine höchstpersönlichen Eigenschaften hat, verlangt die Durchsetzung der dort angewandten Verhältnismäßigkeitsprufung auch auf die Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts. Durch die einheitliche Einführung der Verhältnismäßigkeitsprufung kann das BVerfG in seiner Rechtsprechung auch den Standard verwirklichen, den sich der EuGH im Laufe der Zeit im Bereich des Geschlechtergleichbehandlungsgrundsatzes zu eigen gemacht hat. Daß das BVerfG im Fall des Nachtarbeitsverbots ein neues Kriterium formuliert hat und formulieren mußte, zeigt, wie schwer die Anpassungsaufgabe für das BVerfG war. Sieht man seine Beweggrunde im wesentlichen in diesem Anpassungsdruck, so vollzieht sich diese Anpassung erst durch eine vollständige und umfassende Einführung der Verhältnismäßigkeitsprufung. Die Einführung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG bringt gewisse Relativierungen mit sich. Das Anknüpfungsverbot galt in seinem Anwendungsbereich unbedingt und absolut, wobei sein Anwendungsbereich durch die Formel der "objektiven biologischen und funktionalen Unterschiede" eng umschrieben wurde. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip hat dagegen zur Folge, daß Ausnahmen vom Anknüpfungsverbot unter Umständen zulässig sind. Gerade deswegen bemüht sich das BVerfG wie der EuGH, den legitimen gesetzgeberischen Zweck effektiv einzuschränken. Das Erfordernis der geschlechtsspezifischen Problemlage ist aus dieser Intention heraus zu erklären. Mit ihr kann das BVerfG im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprufung vermeiden, daß z.B. vorgefundene Durchschnittswerte als Grundlage einer differenzierenden Regelung herangezogen werden und eine typisierende Regelung rechtfertigen. Das BVerfG stellte 1981 im Rahmen der Vergleichbarkeitsprufung fest, daß ein unterschiedliches Durchschnitteinkommen von Männern und Frauen nicht zu den objektiven biologischen Unterschieden gehöre und daher nicht die nachteilige Behandlung der Frau in der tabellierten Bemessungsgrundlage für die Rentenhöhe rechtfertige44 • Um das Ergebnis im Rahmen der 44

BVerfGE 57, 335 (342 ff.).

11. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 245

Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erzielen, ist es noch nicht ausreichend, von einer je nach Geschlecht differenzierenden Regelung einen gewissen Grad an Zweck-Mittel-Relation zu verlangen, weil diese stets bei einer typisierenden Regelung hinsichtlich ihrer Effizienz besteht. Vielmehr ist es notwendig, auch den Umfang des als legitim anerkannten Zwecks zu beschränken. Dies leistet das Erfordernis der geschlechtsspezifischen Problemlage. Mit dieser Vorkehrung ist eine Relativierung des Anknüpfungsverbots unter dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht mehr zu befürchten. In dieser Lage überwiegt der Vorteil der Verhältnismäßigkeitsprüfung, daß sie nämlich die Frage nach dem notwendigen Maß des Rechtseingriffs handhaben kann. Unter den heutigen Bedingungen ist ein verfassungsrechtlicher Maßstab vonnöten, der zur Ermittlung des zulässigen Ausmaßes der Frauenförderungsmaßnahme geeignet ist. Da es dabei um einen Abwägungsvorgang geht, stellt die Verhältnismäßigkeitsprüfung den geeigneten Prüfungsrahmen dar.

11. Die Herstellung der tatsächlichen Chancengleichheit für Frauen und verfassungsrechtliche Grenzen der Förderungsmaßnahme 1. Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung

Die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung wird in der Tat schon längst in der Lehre unter bestimmter Problernkonstellation vertreten und auch in der Rechtsprechung teilweise verwirklicht. Die verfassungsrechtliche Überprüfung von Förderungsmaßnahmen zugunsten der tatsächlichen Chancengleichheit beider Geschlechter stellt einen zentralen Bereich dar, in dem die Verhältnismäßigkeitsprüfung von vielen Autoren unterstützt wird. Anhand der verfassungsdogmatischen Diskussion in diesem Problemfeld wird im folgenden untersucht, welche Konstellation sich zur optimalen Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung eignet und inwieweit sich die verfassungsrechtlichen Grenzen der Ungleichbehandlung aufgrund dieser Prüfung genau beschreiben lassen. a) Art. 3 Abs. 2 GG als Veifassungsauftrag zur Herstellung der tatsächlichen Chancengleichheit

Es ist heute eine allgemein anerkannte Feststellung, daß Frauen in Deutschland immer noch in ihrem Berufsleben mit einer strukturellen Diskriminierung konfrontiert sind. Unterrepräsentanz der Frauen vor allem in den höheren Stellen der Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ist ein unbestreitbares Faktum. Dies legt die Annahme nahe, daß - trotz der Durchset-

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

zung rechtlicher Gleichberechtigung - noch ein Gleichheitsdefizit besteht45 . Wenn davon ausgegangen wird, daß die Neutralität des Rechts gegenüber Geschlechtsunterschieden nicht wirksam dem Problem der strukturellen Diskriminierung begegnen kann, sind Maßnahmen erwägenswert, die nicht mehr geschlechtsneutral wirken und speziell die Frauen bevorzugen, um ihnen zur tatsächlichen Chancengleichheit zu verhelfen. Mit dieser Feststellung ist jedoch die Frage verbunden, inwieweit eine positive Maßnahme zugunsten der tatsächlichen Chancengleichheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Eine solche Maßnahme gerät nämlich zwangsläufig in Widerspruch zum Recht des Mannes auf Gleichbehandlung. Wenn sie geschlechtsspezifisch formuliert ist und nur für Frauen eine Sonderbehandlung - beispielsweise eine besondere Ausbildungsveranstaltung nur für Frauen in einer unterrepräsentierten Tätigkeit - vorsieht, sind Männer vom Genuß dieser Ausbildungsmöglichkeit ausgeschlossen. Da dies unter unmittelbarer Anknüpfung an das Geschlechtsmerkmal geschieht, stellt es einen Eingriff in das Recht auf Gleichbehandlung dar. Die theoretisch denkbare positive Maßnahme reicht bis zu einer Quotenregelung, aufgrund derer nur die weiblichen Bewerber angestellt werden dürfen, bis die Arbeitnehmerinnen im betreffenden Tätigkeitsbereich 50% der gesamten Beschäftigten erreichen. Unter diesem Blickwinkel wird im folgenden das Spannungsverhältnis zwischen dem Differenzierungsverbot und der staatlichen Förderungsaufgabe im Sinne der tatsächlichen Chancengleichheit behandelt. Dabei konzentriert sich die Untersuchung vornehmlich auf den Bereich der Quotierungen im Rahmen des öffentlichen Dienstes. Regelungen, die quotierte Anstellung und Beförderung im privatwirtschaftlichen Bereich verlangen, sind zwar denkbar, stoßen aber auf dogmatische Schwierigkeiten, die bei den Quotenregelungen im öffentlichen Dienstrecht nicht auftauchen. Aus demselben Grund wird hier auch nicht auf die Diskussion zu Art. 33 Abs. 2 GG eingegangen. aa) Objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates zur Frauenförderung Bei der Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der Quotenregelung wird oft hervorgehoben, daß es sich bei dieser Problematik um einen Ausgleich zwischen zwei verschiedenen Komponenten des verfassungsmäßigen Gleichheitsgebots geht46 . Dieser Umstand trägt weitgehend zur Forderung 45 Zur Feststellung der faktischen Unterrepräsentanz der Frauen insbesondere in der Führungsposition als Grundlage einer verfassungsdogmatischen Aussage Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen zugunsten von Frauen im öffentlichen Dienst, 1986, S. 2 ff.; Pfarr, Quoten und Grundgesetz, 1988, S. 122 ff.; Raaseh, Frauenquoten und Männerrechte, 1991, S. 21 ff.

11. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 247

bei, daß in diesem Bereich die Verhältnismäßigkeitsprüfung Anwendung finden soll. Dieser Gedankengang war geprägt durch die historische Entwicklung der Quotendiskussion. Die Aufgabe in den siebziger Jahren war es, eine formelle Gleichheit der beiden Geschlechter herzustellen. Damals wurden die Frauendiskriminierungen nicht in hinreichendem Maße rechtlich bekämpft. Eine augenscheinliche Lohndiskriminierung wurde seit der Defrenne-II-Entscheidung des EuGH auch in Deutschland effektiv ausgeschlossen, aber sie war nur die Spitze des Eisbergs 47 . Auch im Bereich der Anstellungsdiskriminierung blieben die rechtlichen Vorkehrungen meistens ineffektiv. Um das Diskriminierungsverbot in der RL 761207 umzusetzen, wurde zwar § 611 a BGB a.F. durch das arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz vom 13.8.1980 eingeführt. Er konnte jedoch Diskriminierungen im privaten Sektor keineswegs wirkungsvoll sanktionieren. Die Schadensersatzpflicht des diskriminierenden Arbeitgebers wurde auf den Vertrauensschaden beschränkt; das Gebot eines geschlechtsneutralen Stellenangebots wurde nur durch die Soll-Vorschrift des § 611 b BGB a. F. konkretisiert, mit dem nach dem damaligen Verständnis keine rechtliche Sanktion verbunden war48 . Unter diesen Umständen war es die zuerst zu erfüllende Aufgabe, die Diskriminierung im privaten - und auch im öffentlichen49 - Sektor wirksam zu verbieten. Im Laufe der achtziger Jahre wuchs jedoch das Bewußtsein, daß allein die formelle rechtliche Gleichstellung nicht zur Verbesserung der tatsächlichen Lage der berufstätigen Frauen führt. Vorschläge zur Einführung der Quotenregelungen waren eine Antwort auf diese Erkenntnis. Zuerst wurden Landesverwaltung und -gesetzgeber tätig. Nachdem verschiedene Pläne für die Förderung der weiblichen Bediensteten im Rahmen des öffentlichen Dienstes zuerst durch verwaltungsinterne Richtlinien seit Mitte der achtziger Jahren in Gang gesetzt worden waren50 , legten die Landesgesetzgeber verschiedene Frauenförderungsmaßnahmen gesetzlich fest. Diese Maßnahmen reichten von einer leistungsbezogenen Quote mit dem absoluten Vor46 Vgl. u. a. Friauj, Gleichberechtigung der Frau als Verfassungsauftrag, 1981, S. 29; Benda, 1986, S. 123 ff.; Maidowski, Umgekehrte Diskriminierung, 1989, S. 126; PfarrlFuchsloch, NJW 1988, S. 2203 f. 47 Noch 1980 berichten PfarrlBertelsmann vom Vorhandensein der strukturellen Lohndiskriminierungen, PfarrlBertelsmann, Lohngleichheit, 1980, S. 61 ff. 48 Zu dieser und ähnlicher Problematik siehe oben § 1, III, 2, a). 49 Dem von Colson-Beschluß des EuGH liegt eine Anstellungsdiskriminierung im Jahr 1982 in einem öffentlichen Arbeitsverhältnis an einer Justizvollzugsanstalt zugrunde. EuGHE 1984, 1891 (Rn. 23) - Rs. 14/83 "v. Colson". Dies besagt, daß Art. 3 Abs. 2 und 3 GG und die darauf basierenden rechtlichen Regelungen damals auch nicht im öffentlich-rechtlichen Verhältnis die Geschlechtsdiskriminierung rechtswirksam ausschließen konnten. 50 Dazu näher Raaseh, 1991, S. 91 ff.

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

rang der weiblichen Bewerber in der bremischen Form, die allerdings später vom EuGH für EG-rechtswidrig erachtet wurde, bis zu einer weniger einschneidenden Verpflichtung zur Aufstellung eines Frauenförderplans51 . Auf Bundesebene wurden 1988 Vorschläge zu einem Gleichstellungsbzw. Antidiskriminierungsgesetz von der SPD52 und den Grünen 53 , sodann 1993 erneut von der SPD54 eingebracht. Diese Gesetzesentwürfe hatten zum Teil auch die Privatwirtschaft zum Gegenstand55 . Der Entwurf von den Grünen sprengte darüber hinaus den Rahmen einer leistungsbezogenen Quote im Einstellungsbereich, indem er anstatt gleicher Qualifikation lediglich "die formal notwendige Qualifikation" als Voraussetzung einer vorrangigen Einstellung verlangte56 . Ähnlich knüpfte der zweite SPD-Entwurf die vorrangige Behandlung der Frauen bei der Vergabe der Ausbildungsplätze nicht an die gleiche Qualifikation 57 . Unter den damaligen Bedingungen sorgte jedoch die leistungsbezogene Quote auf Landesebene für genügend politische und verfassungsrechtliche Streitpunkte, so daß die weit darüber hinausgehenden Vorschläge auf der Bundesebene nicht die Mehrheit gewinnen konnten. Diese Entwicklung der staatlichen Frauenförderungsmaßnahmen wurde kontinuierlich durch die verfassungsdogmatische Diskussion begleitet. Am Anfang gaben die Gutachten von Friauj von 1981 und Schmitt Glaeser von 1982, sodann von Benda von 198658 ausschlaggebende Anstöße zur Einführung der Frauenförderungsmaßnahme in verschiedenen Ländern. Die drei befürworteten, jeweils mit unterschiedlicher Nuancierung, die Herstellung der tatsächlichen Chancengleichheit für Frauen durch positive Aktionen als legitimierte Wahrnehmung einer verfassungsrechtlich gewollten Staatsauf51 Zur Typologie der Frauenförderungspläne der Länder siehe Laubinger, VerwArch 1996, S. 315 ff. 52 BT-Drucks. 11/3728. 53 BT-Drucks. 11/3266. 54 BT-Drucks. 12/5717. 55 Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes von den Grünen, BT-Drucks. 11/ 3266, S. 4; Entwurf eines Gleichstellungsgesetz von der SPD, BT-Drucks. 12/5717, S. 6 f. 56 BT -Drucks. 11/3266, S. 4. Diese Milderung des Qualifikationserfordernisses stützt sich auf die Position von Pfarr und Fuchsloch, die nur die "Mindestqualifikation für die Stelle" verlangen. PfarrlFuchsloch, NJW 1988, S. 2206. Vgl. ferner, Fuchsloch, NVwZ 1991, S. 444, die weiterhin die Unzulänglichkeit der leistungsbezogenen Quoten vertritt. 57 BT-Drucks. 12/5717, S. 7. 58 Friauf, 1981 = Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesministerium des Inneren; Schmitt Glaeser, Abbau des tatsächlichen Gleichberechtigungsdefizits der Frauen durch gesetzliche Quotenregelungen, 1982 = Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesministerium des Inneren; Benda, 1986 = Gutachten im Auftrag der Leitstelle Gleichstellung der Frau der Freien und Hansestadt Hamburg.

II. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 249

gabe59 . In dieser Argumentationsweise wurde der Grundstein zur Einführung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in diesem Problemgebiet gelegt. bb) Verfassungsauftrag, Sozialstaat, Teilhaberecht Erst seit Fiauf hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß Art. 3 Abs. 2 GG auch in seiner alten Fassung positive Verpflichtungen an den Staat zur aktiven Förderung und Unterstützung der Gleichberechtigung der Frau beinhaltet6o . Er vertrat diese These aufgrund seiner umfassenden Grundrechtstheorie, die er zehn Jahre vorher entwickelte. Dort hob er die Notwendigkeit hervor, den Schutzbereich der Grundrechte um "die positive Pflicht des Staates, die grundrechtlich gewährleistete Freiheitsbetätigung durch aktive Förderung und Unterstützung zu sichern", auszudehnen61 . Dementsprechend konstruierte er die Förderungspflicht nicht als subjektives Recht einzelner Bürger, sondern als generelle Handlungs- und Gewährleistungspflicht des Gesetzgebers, die in ihrer Natur bloße objektive Rechtspflicht sei62 . Damit versuchte er, einerseits der objektiv-rechtlichen Verpflichtung des Gesetzgebers zur Herstellung der tatsächlichen Chancengleichheit Nachdruck zu verleihen. Diese Erkenntnis war notwendig, wenn man nicht wünscht, die Kluft zwischen rechtlicher Gleichberechtigung beider Geschlechter und tatsächlicher Ungleichheit verfassungsdogmatisch außer acht und weiter vergrößern zu lassen. Andererseits vermied er es, den subjektivrechtlichen Bedeutungsgehalt des Gleichheitsgrundrechts mit verschiedenen Wunschvorstellungen zu belasten. Damals war die Diskussion über die "Uminterpretation,,63 der Grundrechtsbestimmungen zugunsten origineller Leistungsansprüche noch nicht zu Ende geführt; die Tragweite der Numerus-Clausus-Entscheidung 64 des BVerfG befand sich noch im grundrechtstheoretischen Streit. In dieser Lage lehnte es Friauf ab, die staatliche Förderungspflicht in die subjektiv-rechtliche Bedeutungsschicht des Art. 3 Abs. 2 GG hineinzuinterpretieren, was zur Relativierung des Differenzierungsverbots geführt hätte. Vielmehr blieb er weitgehend in der zusätzlichen, objektiv-rechtlichen Dimension. Dennoch spielte sein Gutachten eine große Rolle, indem es die objektivrechtliche Verpflichtung zur Förderung der tatsächlichen Gleichberechtigung herausstellte. Nach seiner Meinung handelt es sich hierbei um rechtFriauf, 1981, S. 29; Schmitt Glaeser, 1982, S. 32; Benda, 1986, S. 123 ff. Friauf, 1981, S. 29. 61 Friauf, DVBl. 1971, S. 677. 62 Friauf, 1981, S. 15. 63 Typisch Rupp, JZ 1971, S. 402; ders., AöR 101, S. 178. Vgl. ferner Häherle, VVDStRL 30, S. 43 ff. 64 BverfGE 33, 303. 59

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

liche Verpflichtungen. Zwar falle die Auswahl der in Betracht kommenden Maßnahmen in die Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers65 . Nur "in ganz besonders gelagerten, extremen Ausnahmefällen" sei diese Verpflichtung gerichtlich durchsetzbar, und zwar dadurch, daß das Fehlen einer bestimmten Stützungsmaßnahme als unmittelbare Grundrechtsverletztung bewertet werde 66 . Das Gutachten von Schmitt Glaeser wandte sich gerade gegen diese Annahme der rechtlichen Verpflichtung. Er hob hervor, daß sich ein Gesetzgebungsgebot aus den Grundrechten und speziell aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG allgemein nicht begrunden lasse. Mit dieser Feststellung versuchte er zu vermeiden, daß das Gleichberechtigungspostulat zu einem "Über-Grundrecht" uminterpretiert wird, das Vorrang gegenüber anderen Grundrechten und vor allem dem subjektiv-rechtlichen Bedeutungsgehalt des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG selbst - beanspruchen könnte. Daher verleihe Art. 3 Abs. 2 und 3 GG auf seiner objektiven Seite, so fuhr Schmitt Glaeser fort, dem Gesetzgeber nicht den Auftrag, sondern nur die Aufgabe, zur Reduzierung der faktischen Gleichberechtigungsdefizite tätig zu werden 67 . Von den bei den Autoren wurde also die Gefahr richtig erkannt, die die Anerkennung eines subjektiv-rechtlichen Anspruchs auf eine bestimmte staatliche Maßnahme zur Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit für bei den Geschlechter mit sich bringen könnte. Wenn das verfassungsrechtlich legitimierte Staatsinteresse auf Förderung der faktischen Gleichberechtigung verfassungsdogmatisch als Rechtsanspruch gefaßt wird, wird einerseits die Funktion des Gesetzgebers in einem freien politischen Prozeß usurpiert68 . Andererseits ist auch zu befürchten, daß die bisher entwickelte Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG relativiert wird. Ein Anspruch auf eine bestimmte Förderungsmaßnahme wäre nicht mit dem Anknüpfungsverbot in Einklang zu bringen, so daß die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG völlig neu überdacht werden müßte. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Friauf und Schmitt Glaeser - trotz der gänzlich entgegengesetzten theoretischen Ausgangspunkte - lediglich quantitativ, indem Friauf die subjektiv-rechtliche Begrundung der Rechtspflicht ablehnt und Schmitt Glaeser rechtliche Verpflichtungen insgesamt in Abrede stellt. Gerichtliche AusfühFriauf, 1981, S. 33. Friauf, 1981, S. 33. 67 Schmitt Glaeser, 1982, S. 31 ff.; ders., DÖV 1982, S. 386 f. 68 Dies betont u. a. Hesse wiederholt, auf den die bei den Gutachter Bezug nehmen. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland2o, 1995, S. 132; ders., EuGRZ 1978, S. 434 ("Der systematische Widerspruch zwischen Grundrechten als originären Teilhaberechten und demokratischer Ordnung"); ders., in: Benda/Maihofer/Vogel, S. 97. Vgl. ferner Böckenförde, in: Bäckenfärdel Jekewitz/Ramm, S. 13. 65

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II. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 251

rungen einer verfassungsrechtlich begründeten Pflicht des Staates zur Frauenförderung ist für beide kaum vorstellbar. Die bei den Autoren waren darüber hinaus auch in der Auffassung einig, daß es sich bei der Förderung der faktischen Chancengleichheit um eine Staatsaufgabe handelt, die in der "Richtlinienfunktion,,69 des Art. 3 Abs. 2 (und 3) GG begündet ist. Zwar bestreitet Schmitt Glaeser den rechtlichen Charakter dieser Aufgabe, aber er erkennt auch an, daß sich der Gesetzgeber bei der Reduktion der Gleichberechtigungsdefizite auf ein durchgängiges einheitliches Prinzip der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Verfassung berufen kann 7o . Somit gebietet Art. 3 Abs. 2 und 3 GG zwar nicht, rechtfertigt aber den Gesetzgeber, zur Herstellung der tatsächlichen Gleichberechtigung tätig zu werden. Die Bedeutung der gesetzgeberischen Förderungspflicht bei Friauf liegt auch nicht in erster Linie in der Begründung eines gerichtlich einklagbaren und durchsetzbaren Anspruchs auf eine bestimmten Maßnahme, sondern eher in der Rechtfertigung des gesetzgeberischen Tätigwerdens. Auch in dieser Hinsicht unterscheiden sich die zwei Gutachten nicht wesentlich. Diese Rechtfertigungsfunktion des Art. 3 Abs. 2 GG ist seitdem weitgehend anerkannt71. Dabei wird diese Funktion je nach dem grundrechtstheoretischen Ausgangspunkt des Autors unterschiedlich bezeichnet. Manche Autoren finden im Begriff des Verfassungsauftrags einen geeigneten Ausdruck72 . Diese Position wird dagegen gelegentlich als "ungerechtfertigte Überbewertung" kritisiert73 . Dieser Streit führt jedoch nicht zu einer praktischen Konsequenz, da die beiden Diskussionsparteien mit verschiedener Begrifflichkeit dasselbe Ergebnis erzielen wollen. Unter einem Verfassungsauftrag wird nicht eine konkrete Pflicht zur Einführung einer bestimmten Maßnahme verstanden 74. Auch wenn der Begriff des Teilhaberechts herangezogen wird 75 , ändert sich nichts am Ergebnis. Auf der anderen Seite behauptet die Gegenposition nicht, daß sich das Gleichberechtigungsgebot in Art. 3 Abs. 2 GG in der Gewährleistung rechtlicher Gleichheit erschöpfe, so daß es der faktischen Ungleichheit der beiden Geschlechter gleichgültig gegenüberstehen würde 76 . Vielmehr erkennen sie an, daß auch die DurchSchmitt Glaeser, 1982, S. 32. Schmitt Glaeser, 1982, S. 32; ders., DÖV 1982, S. 387. 71 Vgl. auch Sacksofsky, 1996, S. 166. 72 Bejahend Benda, 1986, S. 107; Pfarr, 1988, S. 73. 73 Maidowski, 1989, S. 113. 74 Dies hängt damit zusammen, daß bei der Wahrnehmung eines Verfassungsauftrags nach dem allgemein anerkannter Verständnis die Wahl eines geeigneten Mittels zur Erreichung vorgegebener Ziele dem Gesetzgeber anheimgestellt ist. Vgl. Benda, 1986, S. 107. 75 Benda, 1986, S. 126. 69 70

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des G1eichberechtigungsgebots

setzung der Gleichberechtigung in der tatsächlichen Situation der Gesellschaft mit dem Grundgedanken des Art. 3 Abs. 2 GG in Verbindung zu setzen sei. Damit rechtfertigt Art. 3 Abs. 2 GG - eventuell in Verbindung mit der Sozialstaatsklausel77 -, daß der Gesetzgeber bei der Einführung einer positiven Maßnahme zur Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit innerhalb bestimmter Grenzen vom absoluten Anknüpfungsverbot abweicht7s . Diese Erkenntnis machte sich auch das BVerfG zu eigen. Im Rentenalterbeschluß stellte sich das BVerfG die Frage, ob und inwieweit der Gesetzgeber aus Art. 3 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet sein könnte, die Voraussetzung für eine faktische Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen zu schaffen79 . Es beantwortete diese Frage damals nicht, sondern erst im Nachtarbeitsbeschluß. Hier stellte es klar, daß "der über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 2 GG darin besteht, daß er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt"so.

76 Das Gesagte gilt grundsätzlich auch für Starck. Er betont zwar seit 1985, Art. 3 Abs. 2 GG verpflichte den Staat nur zur rechtlichen Gleichstellung der Frauen und der Männer und gebe nicht in Auftrag, faktische Gleichheit herzustellen. Mangoldtl KleinlStarck, Das Bonner Grundgesetz, 1985, Rn. 209 ff. Jedoch erkennt er auch an, daß durch das Sozialstaatsprinzip eine Staatszielbestimrnung hinsichtlich der Herstellung faktischer Gleichheit begründet sein könne, was allerdings den Gesetzgeber nicht von der Beachtung der Grundrechte dispensiere. Ebd. Rn. 210, 225. 77 Für die Betonung, daß die gesetzgeberische Befugnis zu Frauenförderungsmaßnahmen nicht unmittelbar aus Art. 3 Abs. 2 GG, sondern erst aus dem Sozialstaatsprinzip herzuleiten ist, Benda, 1986, 153; MangoldtlKleinlStarck, 1985, Rn. 225. 78 Döring vertritt die These, daß sich die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 GG im Förderungsgebot gegenüber dem Staat erschöpft. Döring, Frauenquoten und Verfassungsrecht, 1996, S. 237 f. Es ist jedoch fraglich, ob diese Pflicht getrennt von einem subjektiven Gleichheitsrecht aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 GG abzuleiten ist. Darüber hinaus verliert Art. 3 Abs. 2 GG seinen rechtlichen Gehalt, wenn man ihm folgt. Das von ihm vertretene Förderungsgebot verpflichtet nämlich den Gesetzgeber nicht zu einer bestimmten Maßnahme, sondern berechtigt nur den Gesetzgeber, tätig zu werden, um die tatsächliche Chancengleichheit herzustellen, soweit dies nicht einem anderen Grundrecht zuwiderläuft. Der Gesetzgeber ist jedoch von vornherein berechtigt, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten alles zu unternehmen. 79 BVerfGE 74, 163 (179 f.). Damals sah das BVerfG keine Notwendigkeit, diese Frage zu beantworten, weil es die vorliegende gesetzliche Maßnahme als "Kompensation erlittener Nachteile" eingestuft hat. Dazu, daß dies nicht ganz glücklich geschah, vgl. unten § 4, II, 1, d), bb). 80 BVerfGE 85, 191 (206 f.).

H. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 253

cc) Einfügung des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG Im Jahr 1994 hat diese Erkenntnis einen Niederschlag im verfassungsrechtlichen Text gefunden. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG bestimmt nunmehr: "der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin". Damit wurde zum Ausdruck gebracht, daß es sich bei den staatlichen Förderungsmaßnahmen zugunsten der tatsächlichen Chancengleichheit von Frauen und Männern um die Wahmehmung eines Verfassungsauftrages handelt 81 . In dieser Lage wird zum Teil die These vertreten, daß sich die diesbezügliche Verfassungslage durch die Novelle grundlegend geändert hat. So verfechtet Schweizer die Ansicht, daß aus Art. 3 Abs. 2 GG a. F. lediglich eine Richtlinienaufgabe im Sinne einer Gestaltungsbefugnis zum Ergreifen von Maßnahmen mit dem Ziel faktischer Gleichberechtigung zu folgern, Art. 3 Abs. 2 GG n. F. dagegen als ein verbindlicher Auftrag zu verstehen sei 82 . Ob und inwieweit sich eine normative Änderung durch die Verfassungsnovelle vollzogen hat, ist jedoch fraglich. Das BVerfG geht davon aus, daß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG nichts zur bisherigen Rechtslage hinzugefügt, sondern lediglich eine bereits vollzogene Verfassungsentwicklung in den Verfassungstext aufgenommen habe 83 . Auch theoretisch ist die Erneuerung kaum zu begründen. Fest steht, daß Art. 3 Abs. 2 GG nunmehr einen Verfassungsauftrag zur Förderung der tatsächlichen Chancengleichheit beinhaltet. Jedoch begründet dieser Auftrag nach dem allgemeinen Meinungsstand - abgesehen vom Ausnahmefall einer krassen Vernachlässigung dieses Auftrags - nur eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates und keinen subjektiv-rechtlichen Anspruch auf eine bestimmte Förderungsmaßnahme 84 . Schweizer meint selbst, daß die Entscheidung über das "Ob" der Frauenförderung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers entzogen ist85 . Dies reicht freilich nicht zur Annahme eines subjektiven Anspruchs. Soweit der Verfassungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG den Gesetzgeber nicht zu einer bestimmten Maßnahme verpflichtet, gibt er lediglich ein Ziel vor, das er 81 Zur Entstehungsgeschichte des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG siehe Limbachi Eckertz-HöJer (Hrsg.), Frauenrechte im Grundgesetz des geeinten Deutschland, 1993, S. 21 ff.; Zur Sache 2/96, Bd. 1, S. 501 ff., 829 ff., 955 ff.; Bd. 2, S. 251 ff.; Bd. 3, S. 497 ff. 82 Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz, 1998, S. 93. 83 BVerfGE 92, 91 (109): "Das ist inzwischen durch die Anfügung von Satz 2 in Art. 3 Abs. 2 GG ausdrücklich klargestellt worden". Vgl. ferner Kokott, NJW 1995, S. 1051. 84 Ausdrücklich SacksoJsky, 1996, S. 401. 85 Schweizer, 1998, S. 93 f.

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

rechtsverbindlich verfolgen soll. Bei der Verfolgung dieses Ziels steht dem Gesetzgeber jedoch ein gewisser Gestaltungsspielraum zu. In dieser Hinsicht steht die Rechtfertigungsfunktion des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG weiter im Vordergrund, im Vergleich zu seiner rechtlichen Verpflichtungsfunktion.

b) Grundrechtskonkurrenz und Herstellung der praktischen Konkordanz Somit besteht Einigkeit darüber, daß Art. 3 Abs. 2 GG n. F. den Gesetzgeber nicht zur Einführung der Quotenregelung verpflichtet. In dieser Lage statuiert Art. 3 Abs. 2 GG - auch nicht in der neuen Fassung - kein "Super-Grundrecht,,86, das vor allen anderen Grundrechten, insbesondere vor dem Recht auf Gleichbehandlung in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, absoluten Vorrang genießen würde. Damit kommt ein Spannungsverhältnis zwischen der in Art. 3 Abs. 2 GG hervorgehobenen Förderungspflicht zugunsten der tatsächlichen Chancengleichheit von Männern und Frauen einerseits und dem individuellen Gleichheitsgrundrecht im Sinne eines Differenzierungsverbots in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG andererseits zustande. Dieses Spannungsverhältnis wurde bereits frühzeitig erkannt und hat unter dem polemischen Begriff der "umgekehrten Diskriminierung" die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nach sich gezogen 87 . Seitdem ist es der allgemeine Ausgangspunkt, daß Maßnahmen zum Zweck der Frauenförderung nicht immer die Nachteile für Männer rechtfertigen können. Solche Maßnahmen müssen der verfassungsrechtlichen Anforderung genügen und vor allem vor dem Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG standhalten. In dieser Lage gilt es, die verfassungsrechtliche Grenze der zulässigen Frauenförderung zu ziehen. Der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Gleichheitsgrundrecht kommt gerade in diesem Kontext besondere Bedeutung zu. Am Anfang herrschte keine Klarheit. Schmitt Glaeser betonte zwar den Ausnahmecharakter einer Regelung, die trotz der "Durchbrechung" des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots gerechtfertigt sein könnte. Ein Prüfungskriterium deduzierte er jedoch nicht aus diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis, sondern aus der Vergleichbarkeitsprüfung des BVerfG. So hob er hervor, daß die Bevorzugung des benachteiligten Geschlechts nur dort gerechtfertigt werden kann, wo die faktische Ungleichheit so groß ist, daß die rechtliche Gleichbehandlung zur reinen Theorie wird88 . Schmitt Glaeser, 1982, S. 33. Schmitt Glaeser wies schon 1982 auf das ,,spannungsverhältnis" hin und meinte, daß die Quotierungen nicht zu einer "umgekehrten Diskriminierung" führen dürfe. Schmitt Glaeser, 1982, S. 33 f.; ders., DÖV 1982, S. 387. 88 Schmitt Glaeser, 1982, S. 34; ders., DÖV 1982, S. 387. 86 87

II. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 255

In dieser Lage brachte Benda klar zum Ausdruck, daß das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ein sinnvolles Prüfungskriterium darstellt. Dabei geht er davon aus, daß Maßnahmen zur Verwirklichung der Chancengleichheit nicht durch die Anführung der biologischen oder funktionalen Unterschiede zwischen Mann und Frau gerechtfertigt werden können 89 . Damit ist der Weg verschlossen, das Spannungs verhältnis zwischen Förderungsgebot und Differenzierungsverbot im Rahmen der für Art. 3 Abs. 2 und 3 GG spezifischen Struktur im Wege der Vergleichbarkeitstheorie zu lösen. Daher sucht er die Lösung in der allgemeineren Dogmatik der Grundrechtskonkurrenz. Er lehnt dabei die bloße Güterabwegung ab und verlangt eine Methode, in der auch die schwächere Nonn nur insoweit zurückgedrängt wird, wie das logisch und systematisch zwingend erscheint, nämlich die Methode der Herstellung "praktischer Konkordanz ..90•91 . In Anwendung dieses Prinzips beschränkte er den Umfang der zulässigen Quotierung auf leistungsbezogene, nicht schematisierende Quoten, die sich erst bei einem unerträglichen Defizite faktischer Gleichheit durchsetzen 92 • Vom Gebot der Herstellung praktischer Konkordanz zur Verhältnismäßigkeitsprüfung ist es nur ein kleiner Schritt. Pfarr griff 1988 auf diese Prüfungsart zurück, indem sie die Verwirklichung des Gleichstellungsauftrags als bedingte, zeitlich befristete Einschränkung des individuellen Grundrechts aus Art. 3 Abs. 2 GG auffaßte 93 . Ihr folgten Fuchsloch 94 , Battis95 und zuletzt das BAG in der Vorlageentscheidung im Fall Kalanke 96 . So genießt die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Kollision zwischen der subjektiv-rechtlichen Bedeutungsschicht des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG im Sinne des Differenzierungsverbots und dem objektiv-rechtlichen Förderungsauftrag eine breite Zustimmung97 • c) Zwischenbetrachtung: Verhältnismäßigkeitsprinzip und

"Eingriff" in das Gleichheitsrecht

Es bietet sich also die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips an, wenn es darum geht, zu ennitteln, inwieweit eine FrauenförderungsmaßBenda, 1986, S. 117. Zum Begriff der "praktischen Konkordanz" vgl. Hesse, 1995, S. 142 f. 91 Benda, 1986, S. 134 f. 92 Benda, 1986, S. 155 ff., 179, 191 ff. 93 Pfarr, 1988, S. 82. 94 Pfarr/Fuchslach, NJW 1988, S. 2203; Fuchslach, NVwZ 1991, S. 444. 95 Battis, DVBl. 1991, S. 1173. 96 BAGE 73, 269 (283). In Anwendung dieser Argumentationskette kam es zum Schluß, daß die bremische Quotenregelung mit Art. 3 Abs. 3 GG vereinbar sei. 97 Siehe darüber hinaus auch Kruse, DÖV 1991, S. 1008. 89

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

nahrne, die mit dem Differenzierungsverbot kollidiert, verfassungsrechtlich zuläßig ist. Obwohl diese Technik von der traditionellen Argumentationslinie des BVerfG im Bereich der Gleichheit stark abweicht, findet sie heute breite Zustimmung. Dies hat seinen Grund darin, daß die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung gleichsam am Mündungspunkt zweier theoretischen Strömungen steht. Im Bereich der Grundrechtstheorie, namentlich in bezug auf Freiheitsrechte, unterscheiden sich methodisch bedingt zwei Strömungen. Einerseits wird aufgrund eines eher rechtspositivistisch verwurzelten Bereichsdenkens - oder was Smend einst kritisch "räumlich-statisches Denken" nannte98 der Eingriffscharakter einer gesetzlichen Freiheitsbeschränkung in den Vordergrund gerückt. Andererseits gibt es Bemühungen um den "schonenden Ausgleich" bei der verfassungsrechtlichen Interessenkollision99 . Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im Bereich der Gleichberechtigung von Mann und Frau zeichnet sich dadurch aus, daß es als Konsequenz aus beiden Denkweisen begriffen werden kann. Bei der Postulierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung wird auf der einen Seite stets auf den Ausnahmecharakter der "durchbrechenden" Frauenförderungsmaßnahme hingewiesen. In dieser Betrachtungsweise stellt sich das Differenzierungsverbot als Regel dar, die Förderungsmaßnahme dagegen als Ausnahme, die nur als notwendiges Mittel zur Erreichung eines verfassungsrechtlichen Ziels gerechtfertigt werden kann. Die Prüfung der Eignung und Erforderlichkeit einer Förderungsmaßnahme in einem Zweck-Mittel-Verhältnis gliedert sich also in das "Verteilungsprinzip" 100, in dem die übergreifende Geltung eines individuellen Rechts den Ausgangspunkt bildet. Auf der anderen Seite wird die Verhältnismäßigkeitsprüfung mit dem Prinzip der Herstellung praktischer Konkordanz in Zusammenhang gebracht. Dieses Prinzip stammt nicht aus einem "Bereichsdenken" oder einer Eingriffsdogmatik, sondern eher aus einer entgegengesetzten theoretischen Grundhaltung. Hier kommt es in erster Linie nicht auf die "Grenzziehung", sondern auf den schonenden Ausgleich an, wobei diese Methode die Einheit der Verfassung zur Grundlage hat lOl • Als ein Versuch, praktische Konkordanz zwischen dem Auftrag zur Verwirklichung der Chancengleichheit auch für Frauen und dem Differenzierungsverbot herzustellen, darf eine Förderungsmaßnahme nicht weiter als notwendig die Rechtsposition der Männer verletzen. Die Möglichkeit, die Einzelfallgerechtigkeit bei der Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, S. 128. Typisch Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, 1962, S. 23. Er sieht in der Ausgestaltung der Grundrechte durch den Gesetzgeber einen "Ausgleich und Vereinheitlichung". 100 Schmitt, Verfassungslehre5 , 1928, S. 126. 101 Hesse, 1995, S. 28, 142. 98

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II. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 257

Durchsetzung der Quotenregelung zu bewahren, trägt - wie es Benda besonders hervorhob lO2 - entscheidend zur Rechtfertigung einer Maßnahme im Rahmen der praktischen Konkordanz bei. Dieses Ergebnis ist aber auch als Vorkehrung zu verstehen, die die Vernachlässigung der Männerrechte durch eine absolute und automatische Quoten vermeidet. Hier muß kein abschließendes Wort über die Herleitung der Verhältnismäßigkeitsprüfung getroffen werden. Vielmehr interessiert im vorliegenden Zusammenhang, daß sich in dieser Diskussion das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG von der bisherigen dogmatischen Struktur verabschiedet. Während es bis zu den siebziger Jahren eine Konkretisierung des gerechtigkeitsorientierten Kriteriums des Willkürverbots darstellte 103, ist es heute ein Recht jedes Einzelnen. In der traditionellen Dogmatik wurde die Gleichberechtigung der bei den Geschlechter nicht als ein Primafacie-Recht behandelt, in das überhaupt eingegriffen werden kann. Es kam nie auf die Intensität der Rechtsverletzung bei einer Differenzierung aufgrund des Geschlechts an. Vielmehr wurde Art. 3 Abs. 2 und 3 GG ein subjektiv-rechtlicher Charakter nur insoweit zuerkannt, als er zur gerichtlichen Durchsetzung der eher objektiv-rechtlichen Willkürfreiheit verhalf. Es gab nur (verfassungsmäßige) unterschiedliche Behandlungen unterschiedlicher Tatbestände und (verfassungswidrige) unterschiedliche Behandlungen vergleichbarer Tatbestände. Soweit das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bei Quotenregelungen angewandt wird, hat sich dieses dogmatische Fundament grundlegend geändert. Die Ungleichbehandlung bei der Geschlechter wird nun als Prima-facie-Verletzung eines individuellen Rechts aufgefaßt, die in Abwesenheit der rechtfertigenden Gründen zur Verfassungswidrigkeit führt. In der authentischen Form der Verhältnismäßigkeit wird die Intensität der Verletzung mit dem Gewicht des durch die eingreifende Regelung verfolgten Ziels verglichen und in ein Verhältnis gebracht. Bekanntlich wurde das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im Bereich der Freiheitsrechte entwickelt. Dies gründet sich auf das Verständnis der menschlichen Freiheit im Sinne eines Prima1acie-Rechts, das in der staatlichen Tätigkeit soweit wie möglich beachtet werden soll, jedoch bei Kollision mit gleich- oder höherrangigen verfassungsrechtlich legitimierten Werten eingeschränkt werden muß. Bei der Einführung der praktischen Konkordanz in den Bereich der Gleichberechtigung mußte Benda deswegen auf den ideellen Zusammenhang von Gleichheit mit der Freiheit hinweisen 104 . Der freiheitliche Charakter des Rechts auf Gleichbehandlung im Bereich des öffent102 103 104

Benda, 1986, S. 191 f. Siehe oben, § 3, I, 1 ff. Benda, 1986, S. 135 f.

17 Nishihara

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

lichen Dienstes ist naheliegend, weil dabei die berufliche Entfaltungschance der eigenen Persönlichkeit im staatlichen Dienstverhältnis im Zentrum steht. Jedoch beschränkt sich dieser freiheitliche Charakter nicht auf diesen Kontext. Um die Eingriffsintensität ermitteln zu können, damit die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung überhaupt stattfinden kann, braucht das Gleichheitsgrundrecht eine eigene Substanz. Wenn man dagegen - wie Sachs es tat lO5 - das Gleichberechtigungsgebot als modales Abwehrrecht auffaßt, dann muß man auf die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips überhaupt verzichten, da es nicht möglich wäre, dieses Recht mit anderen Rechtsgütern abzuwägen und in Verhältnis zu bringen. Diese Betrachtungsweise wird jedoch inzwischen von der herrschenden Meinung nicht mehr geteilt, soweit sie die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung bejaht. Dies hat auch gute Gründe, weil das Gleichberechtigungsgebot für beide Geschlechtern einen unmittelbaren individuell- und subjektiv-rechtlichen Bezug aufweist. Oben wurde schon festgestellt, daß der subjektivrechtliche Kern des Rechts auf Gleichbehandlung in der Freiheit des Einzelnen liegt, unabhängig von der überlieferten Rollenerwartung an eine Frau bzw. einen Mann seine eigene Persönlichkeit zu entfalten lO6 • Die Lehre und Rechtsprechung erkannte also zunehmend an, daß das Recht auf formale Gleichbehandlung der bei den Geschlechter den Wesensgehalt des in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG garantierten, geschlechtlichen Gleichheitsgrundrechts ausmacht. Bei einer Grundrechtskonkurrenz besonders in diesem Bereich stellt diese Erkenntnis eine angemessene Grundlage für die Problembewältigung dar. Die Entwicklung des europarechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung von Mann und Frau zeigt, daß das subjektivrechtliche Modell der Geschlechtergleichheit besser geeignet ist, wenn es gilt, die verfassungsrechtliche Grenze der Maßnahmen zu ermitteln, die die tatsächliche Chancengleichheit für die beiden Geschlechter verwirklichen sollen, um der besonderen Schutzbedürftigkeit der Frauen, insbesondere bei Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit, gerecht zu werden. Mit dem gerechtigkeitsorientierten Modell bleibt diese Grenzlinie verfassungsrechtlich immer diffus, so daß die gesetzgeberische Entscheidung einfach hingenommen werden müßte, auch wenn Bedenken besteht, daß das Recht eines Mannes auf Gleichbehandlung eventuell mehr als notwendig verkürzt worden ist.

105 Sachs, 1987, S. 32. Daß Sachs auf die Verhältnismäßigkeitspriifung verzichtet und auf die Anwendung der Vergleichbarkeitspriifung besteht, hat in diesem theoretischen Ausgangspunkt seinen Grund. Gegen dieses Verständnis ausdrücklich Kirchhof, HBdStR V, § 124, Rn. 276. 106 Oben § 3,11, 2, b) und § 3, III, 4, b).

11. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 259

d) Ziele der Quotenregelungen

Nach dem Gesagten soll bei einer Grundrechtskonkurrenz die Verhältnismäßigkeitsprüfung Anwendung finden. Dies gilt vor allem dann, wenn eine Maßnahme zur Herstellung der tatsächlichen Chancengleichheit mit dem Recht eines Mannes auf Gleichbehandlung kollidiert. Mit dieser Feststellung ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, in welcher Weise die Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden soll. Eine der Schwierigkeiten bei der Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung liegt in der Begrenzung von dem, was als legitimes gesetzgeberisches Ziel betrachtet werden kann. Dies hängt mit dem allgemeinen Problem der Verhältnismäßigkeitsprüfung zusammen. Sie läuft nämlich zwangsläufig leer, wenn das Regelungsziel so eng aufgefaßt wird, daß es sich praktisch mit dem Mittel deckt !07. Wenn beispielsweise als Ziel einer Quotenregelung die "Förderung der Frauen" angegeben würde, wären alle möglichen Arten von Frauenquoten geeignet und erforderlich, um dieses Ziel zu erreichen, wobei das Ziel selbst, wenn es im Sinne der unbedingten Bevorzugung einer Geschlechtsgruppe vor der anderen verstanden werden sollte, nicht mehr mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen wäre. Unter dieser Bedingungen ist die richtige Formulierung des Regelungsziels von entscheidender Bedeutung. Dabei kommt es in erster Linie darauf an, inwieweit das Ziel selbst verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann. Soweit die Diskriminierungsabsicht noch eine Rolle spielt, darf sie sich nicht im Regelungsziel niederschlagen. Insoweit bringt der EuGH diesen Sachverhalt zutreffend zum Ausdruck, wenn er von den rechtfertigenden objektiven Faktoren bei der mittelbaren Diskriminierung verlangt, daß sie nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben dürfen. Die Verwirklichung der tatsächlichen Chancengleichheit für beide Geschlechter ist im vorliegenden Zusammenhang ein - sich im Verfassungstext niederschlagender - Oberbegriff verschiedener Zielvorstellungen. Nun gilt es, dieses Ziel zu präzisieren und dabei zwischen verfassungsrechtlich legitimen und illegitimen Komponenten zu unterscheiden. 107 Diese Schwierigkeit hob Bundesverfassungsrichter Henschel in seinem Sondervotum zur Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des einheitlichen Familiennamens vom 8.3.1988 hervor. Hier wies er darauf hin, daß "Mittel und Zweck sich annähern und schließlich verschmelzen, je stärker die Zielsetzung präzisiert wird". BVerfGE 78, 38 (56). Gerade deswegen darf m.E. die gesetzgeberische Wahl des eingesetzten Mittels nicht von der gerichtlichen Überprüfung anhand verfassungsrechtlicher Kriterien befreit werden. Vielmehr muß sichergestellt werden, daß sich eine in der Gesellschaft vorherrschende Diskriminierungsintention gegenüber einer Gruppe nicht in einer rechtlichen Regelung niederschlägt.

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

aa) Geschlechterparität Die Frage nach dem legitimen Regelungsziel bei der Frauenförderung bezieht sich darauf, inwieweit die Aufgabe reicht, die Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG dem Staat auferlegt. Bei der Beantwortung dieser Frage kommt es weiter darauf an, worin Gleichheitsdefizite der heutigen Gesellschaft gesehen werden, mit anderen Worten, worin ein Gleichheitsideal erblickt wird. Das geläufige Begriffspaar Chancengleichheit/Ergebnisgleichheit erlangt hier Bedeutung. Es gibt in diesem Zusammenhang eine extreme Position, die die zahlenmäßige Parität von Männern und Frauen in der beruflichen und gesellschaftlichen Stellung zum Ziel hat. Slupik verfolgt das Ziel der "Herstellung eines Gleichgewichts im gesellschaftlichen Kräfteverhältnis zwischen den Geschlechtern", indem sie den Paritätsgrundsatz normativ auf die tatsächliche Ebene bezieht lO8 • Dabei geht sie vom "gemeinsamen Sozialschicksal der Gruppe der Frauen" aus und versteht die staatliche Frauenförderungspflicht im Sinne der objektiv-rechtlichen Dimension des Art. 3 Abs. 2 GG kollektivrechtlich lO9 . Ähnlich bezeichnet Raasch das Ziel als Machtbalance zwischen den Geschlechtern 11 0. In der Tat läßt sich die Parität nicht aus einem Individualgrundrecht ableiten. Der Paritätsgedanke stützt sich auf eine Gerechtigkeitserwägung 111 . Mit der rechtlichen Garantie der Geschlechterparität soll - nach der Intention dieser Theorie - vermieden werden, daß sich die dominierende Position einer Geschlechtsgruppe, nämlich der Männer, reproduziert und weiter verfestigt. Der Paritätsgedanke ist nur verständlich, wenn man die beiden Geschlechtergruppe als einheitliche Substanz auffaßt und die Gesellschaft als Kampffeld der beiden Gruppen gegeneinander l12 . In der bisherigen Diskussion stellte sich jedoch heraus, daß die Parität an sich wenig mit der grundrechtlichen Gleichheit zu tun hat, so daß sie nicht unter die Förderungspflicht des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG subsumiert werden 108 Slupik, Die Entscheidung des Grundgesetzes für Parität im Geschlechterverhältnis, 1988, S. 85. 109 Slupik, 1988, S. 95. 110 Raaseh, 1991, S. 160. 111 Slupik, JR 1990, S. 318; dies., 1988, S. 134 f. 112 Bei der Theorie von Pfarr kommt der Paritätsgedanke nur mittelbar zum Tragen, indem sie die Parität der Geschlechter als anzustrebendes Ziel bei der Bestimmung der Bezugsgröße einer Quotenregelung versteht (Pfarr, 1988, S. 221) und bei der Verfechtung dieser These eine gruppenrechtliche Betrachtungsweise zugrunde legt (ebd., S. 34). In der Tat handelt es sich beim Ziel der "faktische Gleichstellung der beiden Geschlechter" um einen Schmelztigel verschiedener Zielvorstellungen, in dem auch der Paritätsgedanke eine gewisse Rolle spielt.

11. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 261

kann 113. Die Parität zwingt den Einzelnen zu Verhaltensweisen, die zufällig seiner Geschlechtsgruppe freistehen. Ein solcher Gedanke ist für das Recht des Einzelnen auf freie Entfaltungschancen genauso schädlich wie eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, da er den Einzelnen nur als Glied einer Geschlechtsgruppe betrachtet und seine Individualität völlig ignoriert. In einer Gesellschaft, in der individuelle Bemühungen und Leistungen zählen, soll die Wahl der persönlichen Laufbahn grundsätzlich der freien Entscheidung des Individuums vorbehalten sein. Diesem Prinzip steht es entgegen, daß der Paritätsgedanke das Ergebnis der freien Selbstbestimmung des Einzelnen durch einen zahlenmäßigen Idealzustand korrigieren will. Slupik beruft sich auf die Menschenwürde I 14, aber die Forderung nach der Geschlechterparität stellt einen krassen Widerspruch zur Menschenwürde dar, soweit die Parität den Einzelnen nur als Glied der Geschlechtergruppe auffaßt und seine individuelle Entscheidung nur unter einem Vorbehalt der gruppenmäßigen Machtbalance anerkennen will. bb) Kompensation erlittener Nachteile Genauso problematisch ist die Annahme, daß die Förderungsmaßnahme zugunsten der Frauen dem Ziel dient, die von Frauen erlittenen Nachteile zu kompensieren. Da dieses Verständnis einen Gemeinplatz in der amerikanischen Diskussion über die "affirmative action" bildet, hat es auch in die deutsche Lehre und Rechtsprechung Eingang gefunden. So formuliert das BVerfG im Rentenalterbeschluß, daß die Regelung über das je nach Geschlecht unterschiedliche Rentenalter als Maßnahme zu verstehen sei, die "auf eine Kompensation erlittener Nachteile zielt" 115. Jedoch hat sich inzwischen die Ansicht durchgesetzt, daß diese Betrachtungsweise nicht einen angemessenen Rahmen für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Frauenförderungsmaßnahme darstellt. Das Kompensationsmodell ist auf die Lage der afrikanischen Amerikaner in den sechziger Jahren zugeschnitten. Sie erlitten damals weiterhin eine nachteilige Behandlung, infolge der Sklaverei und Entrechtung in der amerikanischen Geschichte bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im vorliegenden Zusammenhang sei die Frage dahingestellt, ob diese einmalige Situation der Schwarzen wirklich eine Maßnahme zur "Kompensation" rechtfertigt. Auf jeden Fall ist der Kompensationsgedanke nicht auf die 113 Starck, 1985, Rn. 209; Sachs, NJW 1989, S. 555 f.; Ebsen, Jura 1990, S. 519 f.; Huster, 1993, S. 340 ff.; ders., AöR 118 (1993), S. 123 ff.; Döring, 1996, S. 234; Schweizer, 1998, S. 132. 114 Slupik, 1988, S. 81. 115 BVerfGE 74, 163 (180).

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Lage der Frauen in Deutschland und in anderen fortgeschrittenen Staaten übertragbar. Huster brachte zutreffend zum Ausdruck, daß die kompensierenden Maßnahmen tendenziell darauf hinauslaufen würden, "früheres Unrecht durch neues Unrecht zu ersetzen,,116. In der Tat teilt das Kompensationsmodell mit dem Paritätsgedanken die gruppenbezogene Betrachtungsweise des Menschen. So werden die Nachteile, die die Urgroßmütter erlitten haben, durch Bevorzugung ihrer Enkeltöchter ausgeglichen, indem nun die Söhne der zur Diskriminierung verantwortlichen Urgroßväter vom Genuß bestimmter Vorteile ausgeschlossen werden. Dabei schießt das Kompensationsmodell an der Zielgruppe vorbei, weil nicht der Nachweis verlangt wird, daß die in Frage stehende Bewerberin Opfer der früheren Diskriminierung ist bzw. unter der langdauernden Auswirkung leidet 117 . Insoweit läßt sich die Kompensationsmaßnahme nur dann rechtfertigen, wenn sie sich nicht an der individuellen Chancengleichheit, sondern an der Machtbalance zweier Gruppe orientiert. Daher stellt eine kompensierende Quote eine "Fehde" im Rahmen des Geschlechterkampfs dar, beim Kampf von zwei Geschlechtsgruppen gegeneinander um die gesellschaftliche Führungsposition. Diese Betrachtungsweise setzt ihrerseits die Auffassung der Geschlechtsgruppe als einer geschlossenen, homogenen Gruppierung voraus. Wie oben festgestellt wurde, ist diese Gruppenorientierung kaum mit den Grundrechten in Einklang zu bringen 118.

cc) Ausgleich der gegenwärtigen Benachteiligungen Bei der Suche nach einer angemessenen Grundlage für die staatliche Frauenförderung kommt es somit auf die Herausarbeitung eines individualrechtlichen Bezugsrahmens an. Diese Aufgabe ist wichtig und schwierig zugleich. Einerseits ist der Auftrag zur Verwirklichung der tatsächlichen Chancengleichheit der bei den Geschlechter angesichts der gegenwärtigen Gleichheitsdefizite allgemein anerkannt, wie ihm Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG nunmehr verfassungsrechtlichen Ausdruck verleiht. Andererseits darf sich der Staat bei der konkreten Wahrnehmung dieses Auftrags nicht von einem gruppenrechtlichen Gesichtspunkt leiten lassen, weil dies zur Verabsolutierung des Gruppenegoismus auf Kosten der individuellen Gleichheits- und Freiheitsgrundrechte und damit auf Kosten der Menschenwürde der einzelnen Persönlichkeiten führt. In dieser Lage ist ein Bezugsrahmen für die angemessene Ermittlung der gegenwärtigen Gleichheitsdefizite vonnöten. 116 Huster, 1993, S. 329 f.; ders ., AöR 118 (1993), S. 115. Dieser Ausdruck findet sich auch bei Döring, 1996, S. 108,233 f. 117 Huster, 1993, S. 329 f.; ders., AöR 118 (1993), S. 115; Döring, 1996, S. 108. 118 Vgl. Benda, 1986, S. 122; Battis, DVBI. 1991, S. 1168.

11. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 263 Worum es hier geht, ist jedoch nicht die Kompensation des Unrechts, das in der fernen Vergangenheit liegt. Was von Frauen als Störung ihrer Entfaltung empfunden wird, ist nicht die zahlenmäßige Unausgewogenheit. Was ihr Recht verletzt, ist vielmehr der Sachverhalt, daß eine Frau oft nicht als Individuum nach ihrer Fähigkeiten und Leistungen bewertet wird. Der Unterrepräsentanz von Frauen im Berufsleben, insbesondere in den Führungspositionen, kommt daher nur insoweit Bedeutung zu, als sie das Vorhandensein einer strukturellen Diskriminierung indiziert. Somit kann sich die Frauenförderungsmaßnahme ausschließlich auf die Beseitigung der gegenwärtigen Hindernisse beziehen, die die freie Selbstbestimmung und Entfaltungschance der Frauen tatsächlich belasten. Das ist die Position, die der EuGH im Marschall-Urteil vertreten hat. Hier ging der EuGH von der bestehenden Tendenz aus, aufgrund der Vorurteile über die Rolle und die Fähigkeit von Frauen männliche Bewerber vorrangig zu befördern. In dieser Lage stelle die Quotenregelung mit einer Öffnungsklausel ein angemessenes Gegengewicht zu den nachteiligen Auswirkungen aus der genannten Tendenz dar. Insoweit diene die Quote allein dem Ziel, die in der sozialen Wirklichkeit bestehende faktische Ungleichheit zu verringen 119 . Diese Auffassung zeichnet sich dadurch aus, daß die Wirkung der Quotenregelung dort angesetzt wird, wo Nachholbedarf in der Gewährleistung tatsächlicher Chancengleichheit besteht. Zwar wird der Nachweis nicht verlangt, daß die betreffende Bewerberin aufgrund einer strukturellen Diskriminierung wirklich benachteiligt wurde; die tatsächlich vorgekommene Benachteiligung ist in diesem Kontext auch überhaupt nicht beweisbar, weil die Diskriminierung tief im Unterbewußtsein verwurzelt ist. Bei einer krassen Unterrepräsentanz der Frauen in der betreffenden Position liegt jedoch die Vermutung nahe, daß ein struktureller Nachteil im Spiel ist. In dieser Situation ist der Gesetzgeber berechtigt, mit einem "Gegengewicht" gegenzusteuern. dd) Verwirklichung der Chancengleichheit in der Zukunft Von diesem Ausgleich der gegenwärtig bestehenden Benachteiligungen ist die Zielsetzung, in Zukunft die Chancengleichheit der beiden Geschlechter zu verwirklichen, zu trennen. Der Ausgleich der gegenwärtigen Benachteiligung ist natürlich der erste Schritt auf dem Weg zu diesem Fernziel. Aber dieser Ausgleich bezieht sich auf die individuelle Frau, die jetzt vermutlich einer Benachteiligung ausgesetzt ist. Dagegen sucht die Quotenre119

EuGHE 1997, 1-6363 (Rn. 29 ff.) - Rs. C-409/95 "Marschall". Vgl. oben

§ 2, I, 3, d).

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gelung ihre Rechtfertigung, wenn sie als Mittel zur künftigen Verwirklichung der Chancengleichheit verstanden wird, in der Zukunftsdimension. Die letztere Position ist in der heutigen Diskussion in Deutschland weit verbreitet. Einen entscheidenden Anstoß zu diesem Meinungsstand gab Benda in seinem Gutachten. Er bezeichnete das zu berücksichtigende Interesse im Rahmen der praktischen Konkordanz als Ziel, "das Gebot der Gleichwertigkeit der Geschlechter so nachhaltig und so bald wie möglich in der sozialen Wirklichkeit zu realisieren" 120. Durch diese Formulierung kommt die Ausrichtung auf die zukünftige gesellschaftliche Lage deutlich zum Ausdruck. Hier kommt es nicht auf den Schutz vor einer gegenwärtigen Benachteiligung an, sondern darauf, daß mit Hilfe der Quotenregelungen die Lage der gesellschaftlichen Realität in der möglichst nahen Zukunft geändert wird. Diese Zukunftsdimension wurde durch Huster theoretisch weiter konkretisiert. Er sieht den Rechtfertigungsgrund der Quotenregelung in der ModelI funktion der quotierten Frauen: Nicht die Quotierung selbst, sondern erst die durch sie ausgelösten gesellschaftlichen Einstellungsveränderungen stellen die Chancengleichheit her, so daß die durch eine Quotenregelung konkret bevorzugten Frauen nur Instrumente einer sozialpolitischen Maßnahme seien 121. Wenn man das Endziel nicht in der Parität, sondern in der individuellen Chancengleichheit sucht und die Quotenregelung als Mittel zur Erreichung dieses Ziels einstufen will, bietet die Modellfunktion eine angemessene Erklärung, wie die zu verfolgende Veränderung der gesellschaftlichen Realität zustande kommen soll. Diese konkrete Analyse der Zukunftsdimension macht jedoch auch die Problemlage erkennbar. Es ist nämlich nur zu hoffen, daß sich die Quote in diese Richtung positiv auf die Chancengleichheit auswirkt. Eine Gewähr dafür gibt es nicht. Es ist sogar manchmal die Prognose geäußert worden, daß die Quote eher umgekehrt die Diskriminierung verfestigt. Die Quote speist unter Umständen das klischeehafte Vorurteil gegen Frauen mit dem Augument, daß sich die Frauen nicht selbst helfen könnten, sondern des staatlichen Schutzes bedürften, um im Berufsleben einigermaßen gut voranzukommen 122 . In dieser Lage ist es nicht einfach, die Eignung und Erforderlichkeit der Quotenregelung für die Verwirklichung des genannten Ziels nachzuweisen. Damit hängt ein weiteres, prinzipielles Problem zusammen. Zwar ist das Ziel, in der Zukunft die Chancengleichheit bei der Geschlechter zu verwirkBenda, 1986, S. 147. Huster, 1993, S. 334; ders., AöR 118 (1993), S. 119. 122 In der deutschen Diskussion weist Kokott auf die mögliche "Kontraproduktivität" der Quotenregelung hin. Kokott, NJW 1995, S. 1052. 120

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lichen, individualrechtlich begründbar, weil es auf die Entfaltungschance jeder einzelnen Frau ankommen kann. Dieses individualrechtliche Moment bezieht sich jedoch nicht auf die individuelle Frau, die jetzt strukturell diskriminiert ist, sondern auf Frauen, die irgendwann in der Zukunft als Individuum die Chancengleichheit genießen werden, nachdem also die Diskriminierung gegen die Gruppe der Frauen aufgehoben worden ist. Insoweit ist der Unterschied zwischen individualrechtlichen und gruppenrechtlichen Argumentationen in diesem Zusammenhang lediglich quantitativ, jedoch nicht qualitativ. e) Eignung und Erforderlichkeit für die Zielverwirklichung

Nach dem oben Gesagten ist daran festzuhalten, daß die Ziele der Geschlechterparität und der Kompensation der von der Gruppe "Frauen" erlittenen Nachteile als verfassungsrechtlich legitimes Regelungsziel wegen ihrer Ausrichtung auf das Gruppenrecht ausscheiden. Individualrechtlich begründbar sind die Ziele des Ausgleichs von bestehenden Benachteiligungen. Die Zielrichtung, die Quoten als Mittel zur Verwirklichung der Chancengleichheit in der Zukunft dienlich zu machen, kann man zwar mit einem individualrechtlichen Gesichtspunkt in Verbindung bringen. Diese Verbindung bleibt jedoch hypothetisch, weil es nicht auf die Chancengleichheit der konkreten, quotierten Frau ankommt. Deshalb muß, wenn die Quotenregelung aufgrund dieser Erwägung gerechtfertigt wird, bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips genau überprüft werden, ob dieses Mittel wirklich geeignet und erforderlich ist, um das eng aufzufassende, individualrechtliche Ziel zu erreichen. Wenn dieser Nachweis nicht gelingt, liegt die Vermutung nahe, daß diese individualrechtliche Ziel richtung nur vorgeschoben wird, um die wahre Zielrichtung zu verdecken, die in der Verwirklichung der paritätischen Machtbalance liegt. In dieser Lage ist es schwierig, in der Quotenregelung ein erforderliches Mittel zur Verwirklichung der Chancengleichheit in der Zukunft zu erblikken. In der heutigen Situation, wo offene faktische Diskriminierungen noch nicht ganz unterbunden sind, wo sehr viele rechtliche und institutionelle Hemnisse bei der Vereinbarung von Familie und Beruf bestehen - davon sei hier nur die mangelhafte öffentliche Betreuungsmöglichkeit der Kleinkinder unter 3 Jahre zu nennen -, läßt sich bezweifeln, ob es wirklich notwendig ist, voreilig eine drastische Maßnahme wie Quotierungen zu ergreifen, die zwangsläufig mit der Rechtsposition von ausgeschlossenen Männern kollidiert 123. Wenn das Ziel der Quotenregelung in der Verwirklichung 123 Sachs hat insoweit recht, als er meint, daß "vielfältige Möglichkeiten genutzt werden, geschlechts spezifisch wirksame Hemmnisse durch Regelung abzubauen, die vorbeugend oder kompensierend tatbestandlich genau an diese Hemmnisse anknüp-

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der Chancengleichheit der bei den Geschlechter erblickt wird, gibt es immer Mittel, die das Recht der männlichen Mitbewerber nicht gerade wegen seines Geschlechts verkürzen. Dies ist anders bei der Verfolgung des Ziels, die gegenwärtige Benachteiligung auszugleichen. Hier steht eine konkrete Frau im Mittelpunkt, die vermutlich - gegenwärtig systematisch benachteiligt wird. Das Versprechen von zukünftiger Chancengleichheit hilft ihr wenig, so daß eine aktuelle Förderung notwendig ist. Bei dieser Konstellation ist ein drastisches Mittel wie die Quotenregelung leichter als geeignet und erforderlich darzulegen. Insoweit wird die Argumentation des EuGH im Marschall-Urteil am ehesten der Notwendigkeit einer individualrechtlichen Begründung von Quotenregelungen gerecht. Gleichwohl sei hier noch auf zwei Fragen einzugehen. Die erste liegt im Vorliegen einer Benachteiligung. Diese Argumentation des Zweck-MittelVerhältnisses setzt einfach die unkorrigierbare Vermutung voraus, daß eine Frau bei der gegenwärtigen Lage der Unterrepräsentanz der Frauen im Berufsleben einer Benachteiligung ausgesetzt ist. Dann fragt es sich natürlich, ob man zutreffenderweise diese Vermutung immer zugrunde legen kann. Um diese Frage zu beantworten, beruft sich der EuGH auf die "Tendenz, männliche Bewerber vorrangig vor weiblichen Bewerbern zu befördern". Als Grund dieser Tendenz verweist der EuGH einerseits auf eine "Reihe von Vorurteilen und stereotypen Vorstellungen über die Rolle und die Fähigkeit der Frau im Erwerbsleben", andererseits auf die Befürchtungen seitens der Arbeitgeber, daß "Frauen ihre Laufbahn häufiger unterbrechen, daß sie ihre Arbeitszeit aufgrund häuslicher und familiärer Aufgaben weniger flexibel gestalten oder daß sie durch Schwangerschaft, Geburten und Stillzeit häufiger ausfallen" 124. Angenommen, daß diese Erkenntnis richtig ist und die Tendenz zur Benachteiligung der Bewerberinnen tatsächlich besteht, ist zu fragen, ob diese Erkenntnis es rechtfertigt, die Bewerberin vorrangig zu behandeln, die so gut wie ihre männlichen Konkurrenten qualifiziert ist. Die Befürchtung der Arbeitgeber kann sich nämlich auf die statistischen Daten beziehen und insoweit nachvollziehbar sein. In dieser Lage geht der EuGH davon aus, daß auch eine statistisch begründbare Befürchtung in bezug auf die weitere Laufbahn der Arbeitnehmerinnen eine Benachteiligung darstellt, die einen Ausgleich durch Bevorzugung im Wege der Quotenregelung rechtfertigt. Hier vertritt der EuGH eine streng individualistische Sichtweise, in der es für die Anstellungs- und Beförderungsentscheidung völlig irrelevant ist, was andere Frauen machen. fen, statt immer wieder auf die Geschlechtsstereotype zurückzugreifen". Sachs, NJW 1989, S. 557. 124 EuGHE 1997,1-6363 (Rn. 29) - Rs. C-409/95 "Marschall".

11. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 267

Diese Sichtweise ergibt sich konsequent aus dem Recht, nicht als Mitglied einer Geschlechtsgruppe, sondern als Individuum aufgrund der individuellen Leistung, Fähigkeit und des Willens bewertet zu werden. Daß sich der Arbeitgeber auf die statistischen Daten stützen kann, liefert keine Rechtfertigung für die Benachteiligung einer einzelnen Bewerberin, sondern begründet umgekehrt die Vermutung, daß sie prinzipiell benachteiligt ist. Die Benachteiligung, die Quotenregelungen ausgleichen wollen, besteht somit, solange das Vorurteil über die Laufbahn einer durchschnittlichen Arbeitnehmerin statistisch begründet werden kann. Ein anderes Problem der Verhältnismäßigkeit im Sinne des Marschall-Urteil liegt darin, ob das Vorhandensein einer Öffnungsklausel die Quotenregelung erforderlich macht, die in Abwesenheit einer solchen Klausel - wie im Fall von Kalanke 125 - die Grenze der in Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 vorgesehenen Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung überschreitet. Bei dieser Frage geht es unmittelbar um die Ermittlung der Erforderlichkeit. Das nordrhein-westfalische Beamtengesetz, das die bevorzugte Behandlung der weiblichen Bewerber bei einer Patt-Situation im Qualifikationsvergleich vorsieht, enthält einen Vorbehalt, daß dies sofern nicht gilt, als "nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen". Der Generalanwalt Jacobs behauptet in seinen Schlußanträge, daß dieser Vorbehalt nichts am Diskriminierungscharakter der genannten Regelung ändere l26 . Es fragt sich somit, ob sich das nordrhein-westfälische Gesetz in seiner Erforderlichkeit zur Zielverwirklichung so wesentlich vom bremischen Gesetz ohne Öffnungsklausel im Sinne des Kalanke-Urteils unterscheidet. Der EuGH richtet sich bei der Beantwortung dieser Frage an der Charakteristik der bremischen Quote als Gewährung eines absoluten und unbedingten Vorrangs aus 127. Die Position des EuGH ist - trotz mancher vor dem Marschall-Urteil geäußerten, entgegengesetzten Stellungnahmen 128 - nachvollziehbar, weil die Öffnungsklausel die Berücksichtigung des Geschlechts nur im Rahmen der vielfältigen Hilfskriterien einstuft, wobei die Quote ohne Öffnungsklausel das Kriterium des Geschlechts in einer Patt-Situation im Qualifikationsvergleich verabsolutiert. Beim letzteren Fall ist die Berücksichtigung einer anderen Benachteiligung ausgeschlossen. Diese Verabsolutierung des GeEuGHE 1995, 1-3051 (Rn. 22) - Rs. C-450/93 "Kalanke". EuGHE 1997,1-6363 (S. 6375). 127 EuGHE 1997, 1-6363 (Rn. 32). Vgl. EuGHE 1995, 1-3051 (Rn. 22). Zu den Ansichten, die die Bedeutung des Automatismus beachten und zwischen dem brernisehen und nordrhein-westflilischen Gesetz einen wesentlichen Unterschied sehen: Colneric, BB 1996, S. 268. 128 Z.B. Schmidt, NJW 1996, S. 1725 f. 125

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schlechts als Hilfskriterium greift zu stark in das Männerrecht ein, weil auch für sie gilt, daß "allein die Tatsache, daß zwei Bewerber unterschiedlicher Situation gleich qualifiziert sind, nicht bedeutet daß sie gleiche Chancen haben,,129. In diesem Fall ist das Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung mehr als notwendig verkürzt. Somit ist hier daran festzuhalten, daß die leistungsbezogene Quotenregelung im Bereich des öffentlichen Dienstverhältnisses nur dann als verfassungsmäßig erforderliche Maßnahme zur Verwirklichung eines legitimen Ziels aufgefaßt werden kann, wenn das Ziel ganz individualrechtlich im Ausgleich der gegenwärtig bestehenden Benachteiligungen für die einzelne Frau erblickt wird und bei der Konkretisierung des Mittels diese Erwägung nicht verabsolutiert, sondern mit anderen berechtigten Hilfskriterien ebenbürtig ist. 2. Besondere Schutzrichtung des Art. 3 Abs. 2 GG? a) Relativierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei gerichtlicher Überprüfung des Zweck-Mittel-Verhältnisses im kompensatorischen Kontext?

Wenn man im Gegensatz zum individualrechtlichen Verständnis daran festhält, die Quotenregelung als Mittel aufzufassen, das in Zukunft das Ziel der Chancengleichheit von beiden Geschlechter verwirklicht, wird eine andere Argumentation notwendig, die sich nicht am Ausgleich gegenwärtiger Benachteiligungen orientiert. Insbesondere muß man bei dieser Argumentation die oben festgestellte Schwierigkeit überwinden, daß die positive Auswirkung der Quotenregelung und die Wahrscheinlichkeit der Zielverwirklichung in der Zukunftsdimension liegt, so daß man sie schwer nachweisen kann. In dieser Lage versucht Kokott, einen andersartigen Argumentationsrahmen anzubieten, der die Verbindlichkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips für das Gericht relativiert 130. Sie versteht die Rechtsprechung des BVerfG seit dem Rentenalterbeschluß dahingehend, daß sie eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts grundsätzlich einem besonders hohen Rechtfertigungsdruck unterwirft, im Fall einer "umgekehrten" Diskriminierung dagegen einen niedrigeren Kontrollrnaßstab anwendet. Bei der Anwendung des letzteren Maßstabs wird nach dieser Unterscheidung die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zugrunde gelegt. Dieser niedrigere Kontroll129 EuGHE 1997, 1-6363 (Rn. 30). Eigentlich heißt es anstatt "Situation" natürlich "Geschlecht". 130 Kokott, NJW 1995, S. 1051.

11. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 269 maßstab lasse sich mit der spezifischen Schutzrichtung des Verbots der Geschlechterdiskriminierung begründen, und zwar im Zusammenhang mit der wesentlichen Aufgabe des gerichtlichen Rechtsschutzes, daß nämlich das BVerfG vornehmlich diejenigen schützen solle, die ihre Interessen im politischen Prozeß nicht hinreichend durchzusetzen vermöchten. Es ist zwar richtig, daß das Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht die Frage abschließend beantwortet, inwieweit die Verhältnismäßigkeit von einem Gericht streng überprüft werden kann und soll. Wie Kokott zutreffend in Betracht zieht, hat das BVerfG dem Gesetzgeber einen gewissen Prognosespielraum zuerkannt, wenn es um die Einschätzung der zukünftigen Auswirkungen einer bestimmten Regelung geht l3l . Dies ist selbstverständlich notwendig, weil der Gesetzgeber nicht in der Lage ist, alle möglichen Effekte und Nebeneffekte einer gesetzlichen Regelung vorauszusehen, jedoch gehalten ist, tätig zu werden. Im Bereich der Freiheitsrechte orientiert sich das Niveau der verlangten Zweck-Mittel-Prüfung an der jeweiligen Sachmaterie, der Möglichkeit gesetzgeberischer Urteilsbildung und der Bedeutung der beeinträchtigten Rechtsgüter 132 • Dementsprechend variiert die Strenge der anzuwendenden Verhältnismäßigkeitsprüfung im Bereich des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. I GG je nach dem, inwieweit das Unterscheidungskriterium sich Kriterien in Art. 3 Abs. 3 GG nähert und grundrechtlich geschützte Interessen im Spiel stehen. Deshalb ist die Position rein theoretisch vertretbar, daß auch im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG die Verhältnismäßigkeitsprüfung abgemildert werden kann, wenn der Gesetzgeber nicht aus einer diskriminierenden Absicht, sondern aus der Kompensations- und Förderungserwägungen am Kriterium des Geschlechts anknüpft. Die Einführung der funktionsrechtlichen Relativierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Bereich der Geschlechterdiskriminierung bringt jedoch eine eigene Schwierigkeit mit sich. Die Theorie von Kokott stellt nämlich auf die Minderheitenstellung ab, wenn es gilt, den angemessenen Umfang der gerichtlichen Überprüfung zu bestimmen. Dabei liegt eine Auffassung über den politischen Prozeß zugrunde, in der jede Interessengruppe die größtmögliche Erweiterung ihres Einflußbereichs anstreben. Das Gericht kontrolliert lediglich, ob der Machtausgleich zwischen diesen Interessengruppen in Form eines Gesetzes fair zustande gekommen ist, und greift erst ein, wenn die Minderheitenstellung der Gruppe, die das Gesetz negativ trifft, gegen diese Annahme spricht 133 . Innerhalb dieser Argumentation ist Typisch BVerfGE 25, 1 (12 f.); 30, 250 (263). BVerfGE 50, 290 (332 f.); 73, 40 (92). Vgl. Sachs, in: Sachs, GG, 1996, Art. 20, Rn. 99. 133 Bei dieser Betrachtungsweise steht Kokott unter dem Einfluß des amerikanischen "representation-reinforcing approach". Als repräsentative Darstellung vgl. Ely, 131

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die Gewährleistung der individuellen Chancengleichheit ziemlich fremd. Vielmehr orientiert sich diese Argumentation an der gerechten Machtverteilung zwischen verschiedenen Gruppen. Wenn auf dieser Grundlage zwischen diskriminierenden und kompensierenden Anknüpftungen am Geschlechtsmerkmal unterschieden wird, liegt die Vermutung nahe, daß es hier im Endeffekt nicht um die Chancengleichheit des einzelnen Individuums geht. Insoweit ist diese funktionsrechtliche Beschränkung der gerichtlichen Verwerfungskompetenz nicht dazu geeignet, Mißbräuchen der Kompensationserwägung zugunsten eines rein gruppenrechtlichen Paritätsideals vorzubeugen. Diese Argumentation stellt eine neue Form des Willkürverbots dar, indem das Gericht sich bei einer Kompensationsmaßnahme auf die Evidenzkontrolle zurückzieht und jede politische Entscheidung des Gesetzgebers über die gerechtigkeitsorientierte Zielsetzung akzeptiert 134. Die Tatsache, daß gerade diese gerechtigkeitsorientierte Zielbestimmung das Einfallstor für klischeehafte Diskriminierungen darstellt, wird hier ignoriert. Hier ist es nicht mehr sichergestellt, daß die Frauenförderungsmaßnahme von den Faktoren getragen wird, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Die Theorie, die grundsätzlich die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt, aber bei einer kompensatorischen Regelung diese Prüfung abmildert, wird somit m. E. der Konstellation nicht gerecht, die die Abkehr vom Prinzip des Willkürverbots und die Einführung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in den Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG notwendig machte. Kokott mißt in dieser Hinsicht dem Rentenalterbeschluß des BVerfG zuviel Bedeutung für die gegenwärtige dogmatische Struktur bei, obwohl er selbst den zu überwindenden Endpunkt der Vergleichbarkeitsprüfung und des zugrunde liegenden Willkürverbots darstellt.

Democracy and Distrust, 1980. Vgl. ferner die berühmte Fußnote Nr. 4 im Caroline Product-Drteil des amerikanischen Supreme Court. 304 D.S. 144 (1938), S. 152 f. \34 Kokott selbst verneint die Verfassungsmäßigkeit einer Quote, die eine "schlechtere" Frau einem "besseren" Mann vorzieht. Begründet wird diese Beurteilung jedoch nicht und die Begründung ist im Rahmen ihrer dogmatischen Struktur höchst schwierig, da nach ihrer Meinung gerade "davon ausgegangen werden kann, daß deren Interesse [der Männer), sofern sie sich von denen der Frauen unterscheiden, im politischen Prozeß hinreichend artikuliert und nicht majorisiert wurden". Kokott, NJW 1995, S. 1051 f.

11. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 271

b) Dominierungsverbot?

aa) Theorie des Dominierungsverbots Die kokottsche Relativierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung bildet gleichsam die Brücke von der Verhältnismäßigkeitstheorie zur Theorie des Dominierungsverbots, die jetzt zu behandeln ist. Es ist ein Verdienst vor allem von Sacksofsky, die konsistente Theorie des Dominierungsverbot erarbeitet und damit eine Alternative zur herrschenden Interpretation des Art. 3 Abs. 2 GG aufgestellt zu haben. Während Kokott die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Bereich der Geschlechtergleichberechtigung prinzipiell anerkennt und nur abschwächt, lehnt die Theorie des Dominierungsverbots die Anwendung des Differenzierungsverbots und damit der Verhältnismäßigkeitsprüfung in jenem Bereich ab, in dem der Staat Maßnahmen erläßt, die auf die Verbesserung der Lage der Frau zielen. Dieses Ergebnis erzielt Sacksofsky dadurch, daß sie Art. 3 Abs. 2 GG asymmetrisch mit dem Ziel verbindet, "eine Gesellschaft zu schaffen, in denen Frauen tatsächlich die gleichen Möglichkeiten offenstehen wie Männern", und diesem Absatz gegenüber dem im Sinne des Differenzierungsverbots aufgefaßten Art. 3 Abs. 3 GG die Stellung eines lex specialis im genannten Bereich zuerkennt 135 . Auch Sacksofsky geht dabei davon aus, daß sich ein besonderer gleichheitsrechtlicher Schutz nur zugunsten von Gruppen rechtfertige, die selbst in der politischen Mehrheit nicht ausreichend vertreten sind. Diese Asymmetrie wird mit dem Hinweis auf den gruppenbezogenen Diskriminierungsbegriff begründet. Sie definiert die Diskriminierung als Vorgang, bei dem "die Vorurteile und abwertenden Ansichten, die gegenüber seiner Gruppe bestehen, auf ihn übertragen" werden. Aus diesem Gruppenbezug der Diskriminierung ergibt sich für Sacksofsky der Gruppenbezug des Rechts aus Art. 3 Abs. 2 GG 136 , ohne daß das Gleichberechtigungsgebot dadurch den individualrechtlichen Charakter verliert und zu einem Gruppenrecht wird 137. Auf dieser Grundlage führt sie aus, daß Art. 3 Abs. 2 GG ein Dominierungsverbot enthalte, nach dem untersagt werde, erstens Frauen auf die traditionelle Rolle festzulegen bzw. die Wahrnehmung der traditionellen Rolle durch die Frau zu perpetuieren und sodann an die Wahrnehmung der traditionellen Rolle ungerechtfertigte Nachteile zu knüpfen 138. In dem Bereich, in dem eine Norm Männer und Frauen aufgrund des überkommenen 135 Sacksofsky, 1996, S. 351, 378. Im europarechtlichen Kontext auch Colneric, FS Gnade, 1992, S. 644. 136 Sacksofsky, 1996, S. 312 ff., 417. 137 Sacksofsky, 1996, S. 335. 138 Sacksofsky, 1996, S. 352 ff.

272

§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

Rollenbilds unterscheidet, würden sich somit das Dominierungsverbot in Art. 3 Abs. 2 GG und das Differenzierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 GG dekken, so daß bei dieser Norm die Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden soll. bb) Geltungsvorrang des Art. 3 Abs. 2 GG im Bereich der Frauenförderung? Die größte Schwierigkeit der Theorie des Dominierungsverbot liegt in dem Geltungsvorrang des als Dominierungsverbot verstandenen Art. 3 Abs. 2 GG im Bereich der Frauenförderung. Es fragt sich, ob dieser Geltungsvorrang sich wirklich konsequent aus dem Interpretationsrahmen dieser Theorie ableiten läßt.

In Gegensatz zur kokotschen Position, die sich im Ergebnis auf die gerechtigkeitsorientierten Erwägungen einläßt, versucht Sacksofsky, eine klare rechtliche Grenzlinie aufzustellen, indem sie die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 GG als Verfassungspflicht zur Herstellung der tatsächlichen Chancengleichheit bzw. als kollektives Förderungsgebot ablehnt 139 . Wie die von Sacksofsky vorgeschlagene Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung zeigt, versteht sie das Gleichheitsgrundrecht als subjektives Recht des Einzelnen, das nur in bezug auf den konkreten Schutzgegenstand Gruppenbezug aufweist. Insoweit hat die Argumentation mit der hier vertretenen Position einige Gemeinsamkeiten. Um so weniger überzeugt der Geltungsvorrang des wie immer verstandenen Art. 3 Abs. 2 GG als lex specialis im Bereich der Frauenförderung vor dem Differenzierungsverbot. In diesem Zusammenhang ist als lex specialis kein subjektives Recht der einzelnen Frau bzw. der Gruppe der Frauen vorhanden, da Sacksofsky selbst verneint, daß aus Art. 3 Abs. 2 GG ein konkretes, einklagbares subjektives Recht abgeleitet werden kann. Das Dominierungsverbot hat nach ihrem Verständnis in erster Linie den Charakter eines Abwehrrechts, das sich gegen die Perpetuierung der tatsächlichen Diskriminierung wendet. Es kollidiert nicht der subjektiv-rechtliche oder gar rechtliche Gehalt des Dominierungsverbots einerseits und das Differenzierungsverbot andererseits, sondern lediglich der "Schutzzweck" von beiden Normen, wie Sacksofsky selbst zutreffend zum Ausdruck bringt 140 . Sie räumt somit ein, daß der "Schutzzweck" des Dominierungsverbots - also ein rein politisches Programm oder höchstens ein objektiv-rechtliches Gebot, das zuerst durch den Gesetzgeber konkretisiert werden soll, bevor es angewandt werden kann - gegenüber dem subjektiven Recht auf ge139 140

Sacksofsky, 1996, S. 192 ff., 343 ff. Sacksofsky, 1996, S. 374, 376.

11. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 273

schlechtsneutrale Behandlung vorgezogen werden soll. In diesem Fall kann sie sich nicht auf den allgemeinen Grundsatz des Geltungsvorrangs des lex specialis vor dem lex generalis berufen. Auf der Verfassungsebene wird die Sachmaterie im Bereich der Frauenförderung nicht durch Art. 3 Abs. 2 GG abschließend geregelt. Wenn also nur ein objektiv-rechtlicher Auftrag vorliegt, ist es nicht möglich, die grundrechtliche Bindung durch das Differenzierungsverbot bei der Ausgestaltung des Förderungsgebots zugunsten der Frauen außer Kraft zu setzen. cc) Grenze der zulässigen Quotenregelung aus der Sicht des Dominierungsverbots Freilich will Sacksofsky auch nicht das Interesse der Frauenförderung verabsolutieren. Sie bemüht sich vielmehr darum, auch hinsichtlich des zulässigen Umfangs der Frauenförderungsmaßnahme klare rechtliche Konturen zu gewinnen, anstatt alles der unkontrollierten Abwägung zu überlassen 141 • Da sie jedoch aufgrund des Geltungsvorrangs von Art. 3 Abs. 2 GG in diesem Bereich die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung ablehnt, kann sie sich hierbei auf die Überprüfung des von einer Quotenregelung verfolgten Ziels beschränken. So sieht sie die Grenzen der Zulässigkeit von Frauenförderungsmaßnahme dadurch berücksichtigt, daß Art. 3 Abs. 2 GG nur soweit Spezialität beanspruchen kann, wie sein Schutzzweck reicht. Daher sei Besitzstandswahrung kein zulässiger Zweck von Frauenförderungsmaßnahmen, ebensowenig wie Regelungen, die die Frau in ihrer traditionellen Rolle bevorzugen. Darüber hinaus sei eine Frauenförderungsmaßnahme nur vorübergehend zulässig und die Höhe der Quote dürfe nie 50% übersteigen 142 . Die Schwierigkeit, auf die Sacksofsky hier stößt, ist auch Ausdruck des oben geschilderten Problems. Entgegen ihrer ursprünglichen Intention bietet die Zweckprüfung keine Grundlage für die juristische Urteilsbildung an, die die subjektiv gefärbte Abwägung einigermaßen objektiv überprüfbar macht. In dieser Lage gerät die Theorie des Dominierungsverbots unausweichlich in ein Dilemma. Wenn man einerseits dem Gesetzgeber einen weitreichenden Gestaltungsspielraum einräumt, dann verläßt das Dominierungsverbot die Eigenschaft eines Individualrechts und wird Einfallstor aller gruppenrechtlichen Ansprüche der Partikularinteressen 143 . Wenn andererseits die 141 Gerade mit dieser Zie1richtung lehnt sie die Verhältnismäßigkeitsprüfung ab. Sacksofsky, 1996, S. 418. 142 Sacksofsky, 1996, S. 378. 143 Colneric beispielsweise stützt sich auf die Theorie des Dominierungsverbots, baut jedoch keinen Kontrollmechanismus für die Begrenzung der zulässigen Quotenregelung ein. Colneric, FS Gnade, 1992, S. 644 f. 18 Nishihara

274

§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

vom Gesetzgeber verfolgten Ziele einer strengen gerichtlichen Kontrolle unterworfen werden, dann unterscheidet sich die hier angewandte Prüfung kaum von der Vehältnismäßigkeitsprüfung. In der Tat läßt Sacksofsky den Schutzzweck des Art. 3 Abs. 2 GG nur insoweit gelten, als sie in dem vom Marschall-Urteil des EuGH in den Vordergrund gestellten Nachteilsausgleich das einzig legitime Regelungsziel erblickt. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, bietet die Überprüfung des ZweckMittel-Verhältnisses im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips eine viel sichere, weil objektivierbare, Prüfungsmethode an. Daß die bei den Prüfungsmodi zu demselben Ergebnis kommen, verwundert nicht, weil Sacksofsky den Geltungsbereich des Art. 3 Abs. 2 GG als Ausnahme vom Differenzierungsverbot eng auffaßt und insoweit das Regel-Ausnahme-Verhältnis, das bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ausschlaggebend ist, zum Tragen kommt. Mit anderen Worten erfaßt Sacksofsky die Frauenförderungsmaßnahme als rechtfertigungsbedürftige Ausnahme!44. Die Wahl der Prüfungsmethode ist dabei bedingt durch den Geltungsvorrang des Art. 3 Abs. 2 GG, der jedoch - wie oben festgestellt - nicht im Sinne eines zwingenden Förderungsgebots herangezogen werden kann. Sie lehnt die Geltung des Recht auf Gleichberechtigung auf diesem Gebiet insgesamt aufgrund der juristisch kaum begründbaren Spezialität des "Schutzzwecks" von Art. 3 Abs. 2 GG ab. Bei der Theorie des Dominierungsverbots ist somit die Ablehnung einer Eingriffssituation in das Recht auf Gleichbehandlung Ausgangspunkt und Ergebnis zugleich. Eine sichere Grenzziehung der verfassungsrechtlich zulässigen Frauenförderungsmaßnahmen ermöglicht diese Theorie jedoch nicht. Denn der Umfang dessen, was aus Art. 3 Abs. 2 GG abgeleitet werden kann, läßt sich angesichts der knappen Formulierung dieses Artikels 144 In diesem Zusammenhang ist zu fragen, ob das Marschall-Urteil vom EuGH im Sinne der sacksofskyschen Position oder aber als Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung verstanden werden kann. Das Urteil spricht nämlich nirgends von der Verhältnismäßigkeit bzw. Erforderlichkeit, sondern hebt nur die Notwendigkeit hervor, Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 als Ausnahme des in der Richtlinie verankerten individuellen Rechts eng auszulegen. Dies erlaubt rein theoretisch die Schlußfolgerung, daß in diesem Urteil die Überprüfung des vom Gesetzgeber verfolgten Ziels im Sinne von Sacksofsky vorgenommen wurde. Jedoch ist hier darauf aufmerksam zu machen, daß sich der EuGH, als er im Kalanke-Urteil zuerst die enge Auslegung des Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 vertrat, ausdrücklich auf das lohnston-Urteil (EuGHE 1986, 1651 - Rs. 222/84 "lohnston Bezug nahm, wo er die Verhältnismäßigkeit als prinzipielle Grundlage der engen Auslegung der Ausnahmeregelung einführte. EuGHE 1995, 1-3051 (Rn. 21) - Rs. C-450/93 "Kalanke u • Daher kann m. E. das Marschall-Urteil so verstanden werden, daß der EuGH dort nicht die Verhältnismäßigkeitsprüfung ausschließen wollte, sondern im Gegenteil die einzelnen Schritte der Überprüfung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip im Hinterkopf unternommen hat. U

)

11. Chancengleichheit für Frauen und Grenzen der Förderungsmaßnahme 275 auch unter Berücksichtigung von Satz 2 - mit juristischen Interpretationsmethoden kaum abschließend bestimmen. Wenn es sich dabei um einen objektiv-rechtlichen Auftrag handelt, der die Beschränkung oder Verdrängung des individualrechtlichen Anspruchs auf geschlechtsneutrale Behandlung rechtfertigt, dann ist es methodisch konsequenter, einen Eingriff in das genannten Recht zu erkennen und die Verhältnismäßigkeitsprüfung anzuwenden.

3. Ergebnis Somit ist hier festzuhalten, daß die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips die einzige Möglichkeit darstellt, um zu bestimmen, inwieweit der Gesetzgeber berechtigt ist, das Recht auf Gleichbehandlung im Sinne des Differenzierungsverbots zu beschränken und eine Frauenförderungsmaßnahme zu erlassen. Die Schwierigkeiten der Auffassungen, die die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung ablehnen, sind in der Anerkennung der Asymmetrie begründet. Auch wenn die politische Entscheidung bei der Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags zur Förderung der tatsächlichen Chancengleichheit nur zugunsten diskriminierten und benachteiligten Gruppe gefällt wird 145 , darf man die Grundrechte mit einer einseitigen "Schutzrichtung" belasten. Aus einem Mehrheitsverhältnis darf nie geschlossen werden, wer zur Ausübung eines Grundrechts berechtigt ist, zumal es kein so klar erkennbares "Mehrheitsverhältnis" gibt. Frauen haben kein einheitliches Interesse, ebensowenig wie die Männer sich in der Erweiterung ihres Machtbesitzes einigen können. Vielmehr bestehen die Gruppen von Frauen und Männem jeweils aus unzähligen Teilgruppen und -segmenten. Eine Frauenquote wirkt sich in dieser Lage möglicherweise dahingehend aus, daß das von vornherein privilegierte Segment der Frauen auf Kosten der unterprivilegierten und unterdrückten Teilgruppe der Männer ihre Macht erweitert. In dieser Lage ist die Berücksichtigung der Gruppenzugehörigkeit bei der Interpretation des Gleichheitsgrundrechts nicht gerechtfertigt. Wie Sacksofsky zurecht bemerkt, stellt die Diskriminierung eine nachteilige Behandlung aufgrund eines auf die Betroffenen projizierten klischeehaften Vorurteils gegenüber einer Gruppe von Personen dar, die gemeinsam eine bestimmte Eigenschaft - Geschlecht, Rasse, Nationalität, usw. - besitzen. Bei der Ermittlung dieser Persönlichkeitsverletzung kommt es streng genommen nicht darauf an, ob die zugehörige Gruppe insgesamt der Dominanz einer anderen Gruppe in jeder Hinsicht unterliegt. 145 Bei der Formulierung des Ausnahmebereichs, beispielsweise in Art. 2 Abs. 4, verwendet die RL 761207 auch einen geschlechtlich einseitigen Ausdruck mit der Bekräftigung "insbesondere".

18*

276

§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

Dennoch relativiert Kokott die Verhältnismäßigkeitsanforderung und Sacksofsky verneint die Eingriffssituation. Beide versuchen, die Frauenförderung - zumindest soweit sie zum gegenwärtigen Nachteilsausgleich dient - als Bereich zu konstruieren, in dem das Differenzierungsverbot nicht oder nur abgemildert gilt. Damit wird der Geltungsbereich der verfassungsrechtlichen Entscheidung zugunsten der rechtlichen Irrelevanz von Geschlechtsunterschieden eingeengt. Dieser Gedankengang ist jedoch charakteristisch für die Vergleichbarkeitprüfung und das dort zugrunde gelegte Prinzip des Willkürverbots. Obwohl Sacksofsky bei der Herausarbeitung des Kerngehalts des Dominierungsverbots streng subjektiv-rechtlich argumentiert, bleibt sie bei der Grenzziehung von Frauenförderungsmaßnahmen ihrer Grundhaltung nicht treu. Daß die gerechtigkeitsorientierte Betrachtungsweise bei der Bestimmung des zulässigen Umfangs von diesen positiven Maßnahmen nicht weiterhilft, ist oben bereits wiederholt festgestellt worden. In dieser Lage taugt allein die subjektiv-rechtliche Betrachtungsweise für die Problemlösung. Wenn ein individuelles Grundrecht - hier das Recht auf eine geschlechtsneutrale Behandlung - zugunsten einer staatlichen Maßnahme weichen muß, die sich ihrerseits nur auf objektiv-rechtlich aus der Verfassung deduzierbare Aufträge, Aufgaben und Kompetenzen berufen kann, handelt es sich um einen Eingriff. Um zu bestimmen, inwieweit der Eingriff gerechtfertigt ist und das betreffende Recht eingeschränkt werden darf, kann das Prinzip der Verhältnismäßigkeit sinnvolles leisten.

111. Mittelbare Diskriminierung Der größte dogmatische Vorzug der Theorie des Dominierungsverbots liegt indessen nicht im Bereich der Frauenförderung, sondern in der Begründung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung. Dieser Theorie gelang zum ersten Mal in der deutschen Verfassungslehre, die mittelbare Frauendiskriminierung, d.h. jene, die nicht ausdrücklich am Geschlechtsmerkmal anknüpfen, sondern ein anderes Unterscheidungskriterium vorschiebt, als Problem des Art. 3 Abs. 2 GG zu konstruieren. Sie ermöglicht es in dieser Weise, den theoretischen Unterschied in den Interpretationsrahmen des europarechtlichen und deutschen Diskriminierungsverbots zu überbrücken. Wie bereits festgestellt 146 , konnte das Europarecht die Frauendiskriminierung viel effektiver bekämpfen, als dies aufgrund der deutschen Verfassungstheorie möglich war. Diesem Erfolg liegt der Diskriminierungsbegriff 146

Vgl. oben § 2, 11.

III. Mittelbare Diskriminierung

277

zugrunde, aufgrund dessen die mittelbare Diskriminierung unter das Diskriminierungsverbot subsumiert werden kann. Die deutsche Grundrechtslehre vermochte jedoch bisher nicht, diese europarechtliche Entwicklung auch bei der Interpretation des Art. 3 Abs. 2 GG unmittelbar fruchtbar zu machen. Deshalb gilt es nun, die Theorie des Dominierungsverbots aus der in der vorliegenden Arbeit vertretenen subjektiv-rechtlichen Sicht fortzuschreiben. 1. Mittelbare Diskriminierung als Problem des allgemeinen Gleichheitssatzes?

Bevor das Ergebnis der Dominierungsverbotstheorie behandelt werden kann, soll zunächst analysiert werden, warum die herrschende Lehre bisher die Figur der mittelbaren Diskriminierung nicht im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG anerkennen konnte. Die Antwort auf diese Frage liegt klar auf der Hand: Weil die herrschende Lehre Art. 3 Abs. 2 und 3 GG als Anknüpfungsverbot auffaßte, gerät alles aus dem Blickfeld, was nicht am Geschlechts- und sonstigen genannten Merkmal anknüpft 147. Die mittelbare Diskriminierung erfüllt begriffsnotwendig nicht die Voraussetzung der unmittelbaren Anknüpfung. Sachs hat sich auf diese Doktrin gestützt und sie konsequent weiterentwikkelt. Dabei hob er hervor, daß die Regelungen, die durch die Verwendung neutraler Merkmale in erster Linie Träger eines verbotenen Merkmals bewußt treffen wollen, nicht mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, sondern mit Art. 3 Abs. 1 zu bekämpfen seien. Dies liege in der Konsequenz eines im Sinne des Anknüpfungsverbots verstandenen Unterscheidungsverbots. Einen hinreichenden Schutz biete dabei Art. 3 Abs. 1 GG, weil die Einwirkung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG als "objektiver Wertmaßstab" bei der Interpretation des in Art. 3 Abs. 1 GG normierten Willkürverbots in Betracht zu ziehen sei 148 .

Es ist richtig, daß die Interpretation von Art. 3 Abs. 1 GG durch den Normgehalt von anderen Grundrechten und insbesondere des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG beeinflußt werden soll. Das Problem der Position von Sachs liegt jedoch in der Frage, was als "objektiver Gehalt" des Anknüpfungsverbots bei der Interpretation des Art. 3 Abs. 1 GG in bezug auf eine mittelbare Frauendiskriminierung berücksichtigt werden soll. Da Sachs - damals - das Anknüpfungsverbot rechtspositivistisch als modales Abwehrrecht verstand und keine darüber hinausgehende Begründung anführte, ist es wenig über147 Selbst der Begriff der "Finalität" im Rahmen der Auslegung von Art. 3 Abs. 2 GG bedeutet nicht, daß die wahre Absicht des Normsetzers in Frage gestellt werden soll. Dürig, in: MaunzlDürig, Art. 3 III, Rn. 155; Rüjner, FS Friauf, 1996, S. 333. 148 Sachs, 1986, S. 480-486; ders., in: HBdStR V, § 126, Rn. 40, 88 ff. Vgl. Rüjner, FS Friauf, 1996, S. 334 f.

278

§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

zeugend, wenn er meint, Art. 3 Abs. 1 GG könne einen hinreichenden Schutz - von wem vor was? - sichern. Wenn sich seine Theorie letztendlich gerechtigkeitsorientiert auf das Prinzip des Willkürverbots stützt, dann kann eventuell eine krasse Diskriminierung - beispielsweise Diskriminierungen, die durch ein vorgeschobenes, neutrales Unterscheidungskriterium verdeckt sind, aber absichtlich aufgrund eines Vorurteils die Frauen gezielt benachteiligen - durch Art. 3 Abs. 1 GG ausgeschlossen werden. Dieses Ergebnis liegt jedoch völlig in der Logik des allgemeinen Gleichheitssatzes. In diesem beschränkten Umfang bringt die Inhaltsausfüllung des Art. 3 Abs. 1 durch Abs. 2 und 3 GG wenig neues. Das ist auch eine Konsequenz aus der Methode, die sich lediglich auf den Verfassungswortlaut stützt und sich keinen darüber hinausgehenden Gedanken über die Struktur, den Inhalt und die innere Rechtfertigung des in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG verankerten Rechts macht. Die Bedeutung der mittelbaren Diskriminierung in der von EuGH anerkannten Gestalt erschöpft sich jedoch nicht im Verbot einer krassen, absichtlichen Diskriminierung. Wie bereits oben festgestellt worden ist 149 , kommt es bei der Ermittlung der mittelbaren Diskriminierung in erster Linie auf die je nach dem Geschlecht unterschiedliche Auswirkung der betreffenden Regelung an. Dies reicht weit über die Folgen aus dem Prinzip des Willkürverbots hinaus. 2. Mittelbare Diskriminierung im Rahmen des Dominierungsverbots a) Benachteiligungsverbot bei der Wahrnehmung der traditionellen Frauenrolle

Um dieses unzureichende Resultat der herrschenden Auffassung zu korrigieren, entwickelt die Theorie des Dominierungsverbots einen dogmatischen Rahmen für die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung. Danach verbietet Art. 3 Abs. 2 GG - neben der Perpetuierung der traditionellen Rollenerwartung -, an die Wahrnehmung der traditionellen Rolle ungerechtfertigte Nachteile zu knüpfen 150. Damit schließt Sacksofsky die mittelbare Diskriminierung in die durch Art. 3 Abs. 2 GG verbotenen Normen ein, die die Frauen als Gruppe nachteilig betreffen. Diese Subsumtion begründet sie mit dem Hinweis, daß die gruppenmäßige Betroffenheit auch dann besteht, wenn das Differenzierungsmerkmal ganz überwiegend nur Frauen trifft 151 . Ähnlich versteht Colneric die vom EuGH entwickelte Rechtsfigur der mit149

150 151

Vgl. oben § 2, II, 1 ff. Sacksofsky, 1996, S. 354. Sacksofsky, 1996, S. 361 f.

III. Mittelbare Diskriminierung

279

tel baren Diskriminierung im Sinne des Dominierungsverbots und bezieht sie auf den Schutz der traditionell benachteiligten Gruppe der Frauen vor ungerechtfertigter Schlechterstellung 152 . Mit dem System des Dominierungsverbots versucht diese Theorie, eine zweifache Unzulänglichkeit der herrschenden Meinung zu überwinden. Diese Unzulänglichkeit erwächst aus der Situation der tatsächlichen Frauendiskriminierung. Es gibt nämlich heutzutage nur wenig offene Diskriminierungen, die ausdrücklich am Geschlechtsmerkmal anknüpfen. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß das Problem der Frauendiskriminierung schon gelöst wäre. Die Normgeber verfolgen ganz umgekehrt weiterhin den diskriminierenden Effekt und stützen sich dabei auf andere, scheinbar neutrale Kriterien, die in Wirklichkeit überwiegend von einem bestimmten Geschlecht erfüllt werden. Wenn in dieser Lage das Gleichberechtigungsgebot als Anknüpfungs- und damit Differenzierungsverbot aufgefaßt wird, ziehen tendentiell nur Männer daraus Vorteile, weil lediglich im Bereich des Frauenschutzes noch am Geschlechtsmerkmal angeknüpft wird. Dagegen werden - bewußte oder strukturell bedingt - verdeckte Diskriminierungen nicht vom so verstandenen Gleichberechtigungsgebot berührt. Soweit sie sich auf objektive Unterschiede zwischen den Gruppen der Merkmalsträger stützen können, werden sie von der verfassungsrechtlichen Überprüfung aufgrund eines gerechtigkeitsorientierten Gleichheitsverständnisses weitgehend befreit. Ohne die Annahme des Verbots der mittelbaren Diskriminierung läuft heute das Gleichberechtigungsgebot also weitgehend leer. Die Theorie des Dominierungsverbots versucht in dieser Lage klarzustellen, welche Sachverhalte gegenwärtig des Schutzes bedürfen. Zu diesem Zweck stellt sie auf den "Schutzzweck der Norm" ab l53 . Erst so kann sie die mittelbare Diskriminierung als Problem des Art. 3 Abs. 2 GG begreifen. b) Einseitige Schutzrichtung beim Verbot der mittelbaren Diskriminierung?

Daß sich die Theorie des Dominierungsverbot bei der Begründung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung am besonderen Schutzzweck des Gleichberechtigungsgebots ausrichtet, enthält Vor- und Nachteile zugleich. Auf der einen Seite werden die Frauen im durch diese Theorie entwickelten dogmatischen Rahmen auch vor Diskriminierungen geschützt, die durch Anknüpfung an einem scheinbar neutralen Kriterium das Differenzierungsverbot umgehen. Dies ist gewiß als Fortschritt in der deutschen Gleichheitslehre zu bezeichnen. Die Theorie des Dominierungsverbots kann sich je152 153

Colneric, FS Gnade, 1992, S. 640. Sacksofsky, 1996, S. 361.

280

§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

doch auf der anderen Seite nicht von der Kritik befreien, die ihre Einseitigkeit aufgrund der gruppenbezogenen Sichtweise hervorhebt. Dieser Sachverhalt führt zur Unsicherheit in bezug auf den Umfang der mittelbaren Diskriminierung. Sacksofsky bringt die mittelbare Diskriminierung mit dem Verbot, die Frauen wegen der Wahrnehmung der traditionellen Rolle Nachteile aufzuerlegen, in Zusammenhang. Dieses Verbot deckt aber nur einen kleinen Teil der mittelbaren Diskriminierungen ab, die vom EuGH in Anwendung seiner konsequenten Definition als solche erachtet werden. Der EuGH beruft sich dabei ausschließlich auf die Auswirkung einer Regelung in der Gestalt, daß sie prozentual wesentlich mehr Frauen belastet als Männer l54 . Der Zusammenhang von dieser überproportionalen Betroffenheit der Frauen mit der Geltung der überlieferten Rollenerwartung spielt dabei keine Rolle.

Wenn Sacksofsky in dieser Lage mit Pfarr/Bertelsmann l55 ein zusätzliches Kriterium anerkannt und verlangt hätte, daß die überwiegende Betroffenheit der Frauen durch das Rollenklischee bedingt sein soll, so wäre sie konsequent geblieben. Mit ihrer Grundannahme würde diese Anforderung übereinstimmen, zumal sie von der Benachteiligung von Frauen spricht, die die traditionelle Rolle wahrnehmen. Es ist in der Tat zumeist der Fall, daß die Doppelbelastung von Beruf und Familie die Entfaltungschancen der Frauen wesentlicher verengt als bei den Männern, was zu den weiteren, fast frauenspezifischen Arbeits- und Lebensbedingungen wie die Teilzeitarbeit führt. Es ist deshalb besonders ungerecht, wenn die Frauen in ihrer dorthin gedrängten Position nochmals schlechter behandelt werden. Dennoch lehnt Sacksofsky die Anforderung für die mittelbare Diskriminierung ab, daß die je nach Geschlecht unterschiedliche Betroffenheit auf die vorangehende Diskriminierung zurückgeht l56 . Ihrem Ergebnis ist hier zuzustimmen. Es kommt nämlich nicht entscheidend darauf an, ob der Normgeber an die Folgen der Diskriminierung anknüpft. Vielmehr geht es um das Unwerturteil gegenüber der Gruppe der Merkmalsträger wegen der Zugehörigkeit von Frauen zu ihrem überwiegenden Teil. Diese Konstellation berechtigt die Merkmalsträger und damit überwiegend Frauen zum Anspruch auf Schutz vor dieser Verletzung. Im Rahmen des Dominierungsverbots ist die rein mathematische Erkenntnismethode der mittelbaren Diskriminierung jedoch problematisch, weil damit der Ausgangspunkt von Sacksofsky ins Schwanken gerät. Die AusrichVgl. oben § 2, 11, 1, a). PfarrlBertelsmann, Gleichbehandlungsgesetz, 1985, S. 95 ff. Ähnlich Kyriazis, Die Sozialpolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in bezug auf die Gleichberechtigung männlicher und weiblicher Erwerbstätiger, 1990, S. 97. 156 Sacksofsky, 1996, S. 362. 154

155

III. Mittelbare Diskriminierung

281

tung an der Schlechterstellung durch die Ausübung der traditionellen Rolle setzt sich hier nicht durch. Dann wird die gesamte Systematik im Rahmen des Dominierungsverbots auf die asymmetrische Schutzrichtung des Art. 3 Abs. 2 GG zurückgeführt, was allerdings alle Risiken der gruppenrechtlichen Argumentationsweise nochmals ins Feld führt. Sacksofsky räumt selbst ein, daß die Umstände des Einzelfalls eine genaue Analyse der im konkreten Fall heranzuziehenden Vergleichsgruppe erfordere 157. Die Gefahr besteht gerade darin, daß sich diese Analyse durch die einseitige Schutzrichtung des Dominierungsverbots leiten läßt und allzuschnell in der mathematischen Disproportionalität der negativ Betroffenen eine Schlechterstellung "der Frau als Gruppe" erkannt wird ls8 . Die negative Auswirkung stellt jedoch nicht zwangsläufig eine Folge der bewußten oder unbewußten strukturellen Diskriminierung dar. Die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß sich die unterschiedliche Betroffenheit von Männern und Frauen nur aus der tatsächlichen Disproportionalität ergibt, die zufällig - also anders als Teilzeitarbeit - aus mehreren freien Entscheidungen von den betreffenden Personen resultiert. Mit der zahlenmäßigen Disproportionalität allein läßt sich die mittelbare Diskriminierung nicht ermitteln. In dieser Lage ist die theoretische Begründung dieser Rechtsfigur notwendig. Wenn sich die Theorie des Dominierungsverbots jedoch nicht konsequent auf das Verbot stützt, an die Wahrnehmung der traditionellen Frauenrolle ungerechtfertigte Nachteile anzuknüpfen, droht die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung sich ins Uferlose zu erweitern. 3. Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung und Verbot der mittelbaren Diskriminierung a) Ermittlung der mittelbaren Diskriminierung und faktische Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen

Der Versuch von Sacksofsky, das Verbot der mittelbaren Diskriminierung konsequent im System des als Dominierungsverbot aufgefaßten Art. 3 Abs. 2 GG einzuordnen, setzt sich somit nicht durch. Ein Grund dafür liegt schon in der Struktur des Art. 3 Abs. 2 GG. Er ist lex specialis gegenüber Sacksofsky, 1996, S. 362. Bieback hebt hervor, daß das Verbot der mittelbaren Diskriminierung zwar Recht mit kollektiven Aspekten, aber dennoch Individualrecht und kein Gruppenrecht darstellt. Bieback, Die mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, 1997, S. 50 f. Fuchsloch vertritt auch die These, daß das Verbot der mittelbaren Diskriminierung auf die Neutralität des Rechts ziele und daher nicht einseitig im Sinne des Dominierungsverbots zu verstehen sei. Fuchsloch, 1995, S. 130, 149 f. 157 158

282

§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

Abs. 1 und beruht auf einem vom Verfassunggeber konkretisierten Gleichheitsideal, sei es im Sinne des Schutzes der Frauen als Gruppe vor Unterdrückung aufgrund der Dominanzstellung der Männer, sei es im Sinne der rechtlichen Irrelevanz der Geschlechterunterschiede im Rahmen des Willkürverbot oder aber im Rahmen der subjektiv-rechtlichen Betrachtungsweise des Gleichbehandlungsprinzips. Auf jeden Fall setzt Art. 3 Abs. 2 (und 3) GG ein verfassungsrechtliches Werturteil voraus, daß eine Frau nicht wegen der Zugehörigkeit zu ihrer Geschlechtsgruppe in ihrer Entfaltungschance schlechter gestellt werden darf. Dieses Werturteil kann nur teilweise das Phänomen der mittelbaren Diskriminierung in den Griff bekommen. Denn sie zeichnet sich dadurch aus, daß sie sich auf Unterschiede stützt, die oberflächlich gesehen geschlechtsneutral erscheinen. Gelegentlich steckt hinter dieser Unterscheidung eine diskriminierende Absicht oder zumindest die Inkaufnahme der diskriminierenden Auswirkung durch den Normgeber. In den anderen Fällen versucht der Normgeber jedoch lediglich, den faktischen Unterschieden im Sachverhalt des Regelungsbereichs gerecht zu werden. Bei der Ermittlung der mittelbaren Diskriminierung kommt es daher auf die Unterscheidung der beiden Fälle an. Worum es hier geht, ist also die Frage, ob zwei Gruppen vOn Personen Unterschiede aufweisen, die die unterschiedliche Behandlung der beiden Gruppen rechtfertigt. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auf diesen Zweck nicht zugeschnitten, ebensowenig wie die Vergleichbarkeitsprüfung in der traditionellen Form. Wie schon erwähnt, setzt das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine Struktur voraus, die nicht überall vorhanden ist 159 . Es greift nur gegenüber einer Regelung, die der Normgeber trotz des grundrechtlichen Bedenkens als notwendiges Mittel zur Erreichung eines höherrangigen Ziels zu rechtfertigen sucht. Wo dagegen eine Regelung nicht aufgrund des Zweck-Mittel-Verhältnisses, sondern aus ihrem Gerechtigkeitsgehalt heraus begründet wird, ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip völlig machtlos. Wenn zwei Gruppen von Personen unterschiedlich behandelt werden, weil zwischen ihnen ein so großer Unterschied besteht, der die Schlußfolgerung erlaubt, daß die unterschiedliche Behandlung gerecht ist, dann bietet die Verhältnismäßigkeit kein Kriterium an, aufgrund dessen die Richtigkeit dieser Begründung festgestellt werden kann. So ist ein zweifacher Prüfungsvorgang notwendig, um festzustellen, ob die statistisch als mittelbare Diskriminierung erkannte Behandlung dann trotz dieser je nach Geschlecht unterschiedlichen Belastung gute Gründe hat bzw. gerechtfertigt ist. Insgesamt wird hier also zusammen mit der Identifikation der mittelbaren Diskriminierung aufgrund der statistisch ein159

Vgl. oben § 2, H, 4, b).

III. Mittelbare Diskriminierung

283

seitigen Belastungen eine drei stufige Prüfung angewandt. Zuerst wird die mittelbare Diskriminierung aufgrund eines mathematischen Auswirkungsvergleichs grob identifiziert. Dann muß untersucht werden, ob sich die unterschiedliche Behandlung von zwei Gruppen auf die Verschiedenheit der Situation stützen kann, in der sich die Zugehörigen der beiden Gruppen befinden. Erst wenn diese Frage negativ beantwortet worden ist, greift die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Entscheidung darüber, ob ein Merkmal als gerechtes Unterscheidungskriterium für eine gesetzliche Regelung herangezogen werden darf, ist ursprünglich Gegenstand der Vergleichbarkeitsprüfung. Hier wird geprüft, ob "der zu ordnende soziale Lebenstatbestand essentiell vergleichbar ist", so daß eine unterschiedliche Behandlung von zwei Gruppe berechtigt ist 160 • Dennoch ist die Vergleichbarkeitsprüfung in der traditionellen Form bei der Beurteilung der mittelbaren Diskriminierung wenig von Nutzen. Denn diese Prüfung geht, wenn im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG angewandt, von der grundsätzlichen, rechtlichen Irrelevanz der Geschlechtsunterschiede aus und erblickt allein in objektiven biologischen Unterschieden die Ausnahme, während es bei der mittelbaren Diskriminierung gerade auf die Relevanz eines Anknüpfungspunkts ankommt. Die traditionelle Vergleichbarkeitsprüfung läßt nur erkennen, wann eine Vergleichbarkeit nicht besteht, so daß zwei Gruppen unterschiedlich behandelt werden können. Für das Urteil, wann die Vergleichbarkeit besteht und eine unterschiedliche Behandlung von zwei Gruppen ungerecht erscheint, bietet die traditionelle Vergleichbarkeitsprüfung keine Hilfe.

b) Zweistujige Prüfung aufgrund des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG aa) Entsprechungsprüfung Um die mittelbare Diskriminierung richtig in den Griff zu bekommen, ist somit eine Prüfung notwendig, die die Entscheidung ermöglicht, ob die in einer gesetzlichen Regelung getroffene Unterscheidung normativ vertretbar ist. Für diesen Zweck bietet sich die Entsprechungsprüfung an.

Huster entwickelte die theoretische Grundlage für diesen PrüfungsmodUS 161 • Die Entsprechungsprüfung findet nach seiner Systematik dort statt, wo die Ungleichbehandlungen mit Aspekten begründet wird, die den Personen zugeschrieben werden kann, d.h. dort, wo zwischen Unterscheidungsmerkmal und den differenzierenden Regelungen jeweils ein innerer Zusam160 161

BVerfGE 6, 389 (422 f.). Vgl. oben § 3, II, 1, a). Huster, 1993, S. 164 ff.

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

menhang besteht. In dieser Konstellation komme es nicht auf die Zweckmäßigkeit, sondern darauf an, ob eine Ungleichbehandlung auf den anerkannten Gerechtigkeitsmaßstäben beruhe. So ist bei der Anwendung des Art. 3 GG eine doppelte Prüfung notwendig: Eine Ensprechungsprüfung auf der Schutzbereichsebene und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der Stufe der Schranken -Schranken 162. Huster vertritt diese Systematik aufgrund eines einheitlichen Verständnisses von Art. 3 GG. Dabei postuliert er als Grundlage des gesamten Gleichheitsmodells das Prima-facie-Recht, nicht entsprechend den anerkannten Gerechtigkeitsmaßstäben von einer anderen Person unterschiedlich behandelt zu werden. Er sieht mit anderen Worten den Kern der rechtlichen Gleichheit im subjektiven Recht auf materielle Gleichheit, wobei er die Konkretisierung der materiellen Gleichheit, d. h. die Entscheidung über die normative Relevanz eines faktischen Unterschieds prinzipiell dem Gesetzgeber anvertraut l63 . Ein Recht auf Gleichbehandlung lehnt er insgesamt ab, auch im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG I64 .

Diese Konstruktion hat gegenüber dem einfachen Anknüpfungsverbot den Vorteil, daß bei der Abwägung auf das zugrundegelegte subjektive Recht zurückgegriffen werden kann, so daß die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs im Sinne einer materiell gleichheitswidrigen Ungleichbehandlung wirksam in Frage gestellt werden kann. Das Problem liegt dagegen darin, daß diese Position dazu führt, die vom Gesetzgeber gesetzten Gerechtigkeitsmaßstäbe nicht hinterfragt akzeptieren zu müssen l65 . Da dies zur unkontrollierte Reproduktion der in der Gesellschaft vorhandenen Vorurteilen führen kann, wurde oben bereits abgelehnt, die Interpretation des unmittelbaren Gleichberechtigungsgebots in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG durch die Einführung der Entsprechungsprüfung furchtbar zu machen. Bei der Ermittlung der mittelbaren Diskriminierung hat dagegen die Entsprechungsprüfung im husterschen Sinne einiges zu bieten. Wenn die zahlenmäßig stärkere Betroffenheit einer Geschlechtsgruppe den Zweifel der mittelbaren Diskriminierung erweckt, dann ist zuerst - bevor die Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf ein äußeres Ziel in Frage gestellt werden kann - festzustellen, ob die Differenzierung zwischen zwei Personengruppen als konsequente Anwendung eines Gerechtigkeitsmaßstabs sachlich begründbar ist. Da diese Prüfung im Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Geschlechtergleichheit stattfindet, ist bei der Anwendung der Entsprechungsprüfung darauf zu achten, daß der als Bezugs162 163 164 165

Huster, 1993, S. 242. Huster, 1993, S. 214. Huster, 1993, S. 319 ff. Vgl. dazu oben § 4, I, 2, b).

III. Mittelbare Diskriminierung

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rahmen angeführte Gerechtigkeitsmaßstab seinerseits nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat und insbesondere kein Unwerturteil von Personen enthält, die zu einer überwiegend aus einer Geschlechtsgruppe zusammengesetzen Personengruppe gehören. bb) Entsprechungsprüfung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 und 3 GG Will man die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung, wie sie vom EuGH entwickelt worden ist, ins deutsche Verfassungsrecht einführen, so braucht man eine angemessene verfassungsrechtliche Stellung. Bei der Suche ist davor zu warnen, daß das Verbot der mittelbaren Diskriminierung durch die Unterwerfung unter die Dogmatik des Willkürverbots seiner Wirksamkeit beraubt wird. In dieser Hinsicht wurde oben die Position von Sachs bereits abgelehnt. Beim Verbot der mittelbaren Diskriminierung handelt es sich um eine Konkretisierung des allgemeineren Recht, nicht aufgrund des Geschlechts unterschiedlich von anderen Personen behandelt zu werden. Das Ziel der Entsprechungsprüfung ist daher dergestalt zu ermitteln, ob ein Eingriff in dieses Recht vorliegt, und nicht, ob gesetzgeberische Willkür festzustellen ist. Bei der Anwendung dieser Prüfung darf die Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, der das Recht auf die geschlechtsneutrale Behandlung verankert, nicht verloren gehen. Die Entsprechungsprüfung setzt jedoch eine Struktur voraus, die sich nicht unmittelbar aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG entnehmen läßt. Diese Bestimmungen sind auf die mittelbare Diskriminierung nicht zugeschnitten. Im Rahmen der hier vertretenen Auslegung gewährleisten sie das individuelle Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung. Ein unmittelbarer Eingriff in das Recht - d. h. die unmittelbare Anknüpfung am Geschlechtsmerkmal - kann hier auf seine Rechtfertigung hin untersucht werden. Die dafür eingesetzte Verhältnismäßigkeitsprüfung gehen jedoch hierbei von der rechtlichen Unerheblichkeit der Geschlechtsunterschiede aus, so daß sie kein Kriterium beinhaltet, nach dem der Gerechtigkeitsgehalt der differenzierenden Behandlung beurteilt werden kann. Bei der Ermittlung der mittelbaren Diskriminierung kommt es dagegen darauf an, ob zwischen zwei Gruppen gerecht unterschieden werden darf. Die gerechtigkeitsorientierte Kontrolle der gesetzgeberischen Differenzierung ist die Aufgabe des Art. 3 Abs. 1 GG. Im Bereich des allgemeinen Gleichheitssatzes gibt es, wie bereits festgestellt wurde, kein Recht auf Gleichbehandlung 166 . Die Prüfung, ob die vom Gesetzgeber getroffene Differenzierung den Unterschieden in den Lebensverhältnissen der betreffen166

Vgl. oben § 4, I, 2, b).

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§ 4 Individualrechtliches Verständnis des G1eichberechtigungsgebots

den Personen entspricht und das der Differenzierung zugrunde gelegte Werturteil nicht auf eine Diskriminierung hinausläuft, kann nur im Bereich des Art. 3 Abs. I GG durchgeführt werden. Die Feststellung der mittelbaren Diskriminierung ist nicht mit einer Willkürprüfung gleichzusetzen. Wenn eine Regelung eine Geschlechtsgruppe überproportional belastet, ist der Verdacht der Diskriminierung nicht einfach vom Tisch zu wischen. Die zweite Prüfungsstufe setzt hier ein. Bei der Feststellung, ob die Regelung trotz einseitiger negativer Auswirkungen auf eine Geschlechtsgruppe doch als gerechte Unterscheidung von zwei unterschiedlich gelagerten Gruppen begründbar ist, bildet Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG das Prüfungskriterium. Nachdem sich das BVerfG allgemein von der Konstruktion des Willkürverbots verabschiedete und die "neue Formel" anerkannte, gibt es keinen großen Unterschied in der Wahl des Prüfungskriteriums mehr. Je näher der Unterscheidungsmaßstab an die heranrückt, die in Art. 3 Abs. 3 GG aufgeführt sind, desto strenger wird geprüft, ob diese Unterschiedung in ihrem Gerechtigkeitsgehalt und in ihrer Zweckmäßigkeit die verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllt 167 . Wenn dabei die zahlenmäßig stärkere Betroffenheit der einen Geschlechtsgruppe den Verdacht auf eine mittelbare Diskriminierung lenkt, wird mit der "neuen Formel" geprüft, ob zwischen beiden unterschiedlich behandelten Gruppen "Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten" 168. Wenn die unterschiedliche Behandlung nicht solcherart gerechtigkeitsorientiert begründet werden kann, wird in der nächsten Stufe geprüft, ob die mittelbare Diskriminierung als notwendiges Mittel zur Erreichung eines äußeren Ziels gerechtfertigt werden kann. Diese Prüfung unterscheidet sich nicht von der, die bei der unmittelbaren Anknüpfung an Geschlechtsmerkmale angewandt wird.

4. Ergebnis In der heutigen Gesellschaft hängt die Wirksamkeit des verfassungsrechtlichen Gleichberechtigungsgebot der beiden Geschlechter weitgehend davon ab, wie die mittelbare Diskriminierung als solche identifiziert und verboten werden kann. Dies gründet sich auf die Tatsache, daß sich der Normgeber in der Regel nicht mehr von unmittelbar diskriminierenden Absichten leiten läßt, aber gelegentlich durch ein bewußtes oder unbewußtes, jedoch klischeehaftes und nicht begründetes Unwerturteil beeinflußt wird, das er geVgl. oben § 4, I, 2, a). Vgl. oben § 4, I, 2, a). Vgl. ferner BVerfGE 55, 72 (88); 60, 329 (346); 68, 287 (301); 75, 348 (357); 81, 156 (205); st. Rspr. des Ersten Senats. 167 168

III. Mittelbare Diskriminierung

287

genüber einer Personengruppe hat. Wenn dieses Unwerturteil jedoch durch die überwiegende Zugehörigkeit eines Geschlechts zu dieser Gruppe bedingt ist, handelt es sich hierbei um nichts anders als eine Spielart der Diskriminierung des betreffenden Geschlechts. Sie verletzt genauso das Recht des Einzelnen darauf, als Einzelner aufgrund seiner individuellen Fähigkeiten, Leistungen und Bedürfnisse und nicht aufgrund seiner von ihm nicht beeinflußbaren Zugehörigkeit zu einer Geschlechtsgruppe rechtlich behandelt zu werden. Somit bezweckt das Verbot der mittelbaren Diskriminierung den Schutz eines Individualrechts. Zwar nimmt die Ermittlung der mittelbaren Diskriminierung die zahlenmäßige Betroffenheit eines Geschlechts zum Ausgangspunkt, aber dies sagt nichts über den gruppenrechtlichen Charakter der verbotenen Diskriminierung. Vielmehr hat die statistische Auswirkung nur Indizwirkung für die Frage, ob die Regelung die betroffenen Personen wirklich als Individuum behandelt. Da das Geschlecht ein typisches Merkmal darstellt, das durch das klischeehafte Vorurteil belastet ist, erweckt die disproportionale negative Betroffenheit einer Geschlechtsgruppe den Verdacht einer Diskriminierung. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung stellt also ein Korollarium des Rechts auf geschlechtsneutrale Behandlung dar. Das Verbot zeigt in dieser Hinsicht auch keine besondere Schutzrichtung. Daß der EuGH bisher nur in jenen Fällen eine mittelbare Diskriminierung angenommen hat, in denen die Frauen benachteiligt waren, geht auf die Situation zurück, daß in der heutigen Gesellschaft nur die überwiegend von Frauen zusammengesetzten Personengruppen negativen klischeehaften Vorurteilen ausgesetzt sind. Die einseitige Schutzrichtung in den bisherigen Fällen ist also nur durch die konkrete Fallkonstellation bedingt und hängt nicht mit einer normativen Entscheidung mit Verfassungsrang zugunsten einer besonderen Schutzrichtung zusammen. Wenn die in geschlechtlicher Hinsicht disproportionale Auswirkung den Verdacht einer Diskriminierung weckt, wird die Regelung nicht dem großzügigen Willkürverbot, sondern im Geltungsbereich des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 und 3 GG einer erhöhten Entsprechungsprüfung unterworfen. Dort wird geprüft, ob die gesetzliche Differenzierung im Hinblick auf die tatsächlichen Unterschiede im Lebenssachverhalt der betreffenden Personen sachlich begründbar ist. Bei dieser Prüfung des Gerechtigkeitsgehalts der differenzierenden Behandlung kommt es, gestützt auf das Grundanliegen der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung, in erster Linie darauf an, ob nicht ein klischeehaftes Vorurteil im Spiel ist. Nachdem durch Anwendung der Entsprechungsprüfung festgestellt wird, daß die betreffende Regelung nicht als Folge der gerechten Unterscheidung von unterschiedlichen Sachverhalten sachlich begründet ist, geht es schließlich um

288

§ 4 Individualrechtliches Verständnis des Gleichberechtigungsgebots

die Rechtfertigung. Hier wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip angewandt und danach gefragt, ob die Regelung als erforderliches Mittel zur Erreichung eines höher- oder gleichrangigen Ziels gerechtfertigt werden kann. Diese Prüfung entspricht der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die im Bereich der unmittelbaren Anknüpfung am Geschlechtsmerkmal unter Art. 3 Abs. 2 und 3 GG stattfindet. Der dreistufige Prüfungsvorgang entspricht m. E. am ehesten der Struktur der mittelbaren Diskriminierung. Bei der unmittelbaren Anknüpfung geht es um die Rechtfertigung eines Eingriffs in ein subjektives Recht, wenn der Kern des Gleichberechtigungsgebot im Recht des Einzelnen gesehen wird, individuell und nicht aufgrund des Geschlechts behandelt zu werden. Hier gilt uneingeschränkt das subjektiv-rechtliche Modell der Geschlechtergleichbehandlung. Dagegen kann der Eingriffstatbestand bei der mittelbaren Diskriminierung nicht einfach vorausgesetzt werden. Wenn die differenzierende Behandlung als gerechte Unterscheidung von zwei unterschiedlichen Sachverhalten begründbar ist, dann gibt es von vornherein keinen Eingriff in das subjektive Recht. Das subjektive Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung setzt die Entscheidung des Verfassungsgebers zugunsten der rechtlichen Irrelevanz von Geschlechtsunterschieden voraus. Diese notwendige Voraussetzung für das subjektiv-rechtliche Modell besteht gerade nicht bei der mittelbaren Diskriminierung, so daß die Vorbedingung für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erst durch die vorausgeschickte Entsprechungsprüfung geschaffen werden muß. Ob die Verhältnismäßigkeitsprüfung dann im Geltungsbereich des Art. 3 Abs. 1 GG oder aber des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG angewandt wird, ist eine Frage, der nach der Einführung der "neuen Formel" durch das BVerfG keine kardinale Bedeutung mehr zukommt.

Schlußfolgerungen I. Subjektiv-rechtliches Modell der Geschlechtergleichberechtigung 1. Hintergrund der Modellkonkurrenz

Es wurde festgestellt, daß die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG in der traditionellen Fonn angesichts der Entwicklung des Europarechts in Deutschland nicht mehr beizubehalten ist. Dies hat schon das BVerfG richtig erkannt. Die Konstruktion der Vergleichbarkeitspriifung mit ihrem Bezug zu "objektiven biologischen Unterschieden" wurde in den neunziger Jahren völlig aufgegeben. Das BVerfG hat die Erforderlichkeitspriifung eingeführt und sich dann vorsichtig in eine neue Richtung bewegt!. Die Grundlage für diese Entwicklung bildet der Geltungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht. Aufgrund dieses Prinzips haben die deutschen Gerichte, einschließlich des BVerfG2 , in ihrer Stellung als Anwendungsorgan des Gemeinschaftsrechts die Auslegung der europarechtlichen Bestimmungen durch den EuGH aufzunehmen und ihnen zur Geltung im Einzelfall zu verhelfen. Die deutschen Gerichte konnten den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau nur im Lichte des subjektiv-rechtlichen Modells auslegen, das der EuGH in seiner Rechtsprechung entwickelt hat. In dieser Lage konnte das BVerfG nicht umhin, dieses Modell auch bei der Interpretation des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG zu beriicksichtigen. Wenn das Gemeinschaftsrecht Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV jedoch nur auf die Wirtschaftspolitik bezogen hätte, hätten die deutschen Gerichte die Lohngleichheit von Männern und Frauen als vereinzelte Bestimmung im Bereich des Arbeitsrechts zu betrachten. So hätte dieser Artikel keine Auswirkung auf die Interpretation der nationalen Verfassung gehabt. Diese Bestimmung wurde jedoch in der Tat im Sinne eines echten Grundrechts verstanden, so daß dieses Verständnis auch die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG beeinflußte. Dies geschah in einer Zeit, in der sich die Gemeinschaft um ihre grundrechtliche Legitimität kümmern mußte.

1

2

Vgl. oben § 4, I, 1. Sander, DÖV 2000, S. 588 ff.

19 Nishihara

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Schlußfolgerungen

Damals war der Geltungsvorrang des Gemeinschaftsrechts nicht überall anerkannt. Das BVerfG bedrohte ihn, indem es sich die Möglichkeit vorbehielt, sich über die Rechtsprechung des EuGH hinwegzusetzen, wenn der Schutz eines Individualrechts dies erfordert3 • In dieser Lage mußten die Gemeinschaftsorganen, vor allem die echten Gemeinschaftsorgane wie die Kommission und der Gerichtshof, um den Ausbau des Grundrechtsschutzes im Rahmen des Gemeinschaftsrechts bemüht sein. Auf der legislativen Ebene hat die Gemeinschaft im Bereich der Geschlechtergleichberechtigung eine Reihe von Richtlinien erlassen, die "die Gleichbehandlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern" zum Ziel hatten4 . Jedoch war es der EuGH, der beim Ausbau des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsstandards die leitende Rolle spielte. Er formulierte, daß die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Gemeinschaftsrechtsordnung gehören, die der EuGH zu wahren hat, und daß er bei der Gewährleistung dieser Rechte von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten auszugehen hats. Der Grundsatz der Gleichbehandlung der beiden Geschlechter wurde im Sinne dieser grundrechtsfreundlichen Rechtsprechung des EuGH ausgelegt. Zuerst wies der EuGH in DeJrenne-II auf die sozialpolitische Zielrichtung der Lohngleichheit in Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV hin 6 , damit er diese Bestimmung von ihrer Stellung als nur wirtschaftlich motivierte Einzelregelung befreien konnte. Sodann erkannte der EuGH in DeJrenne-III ausdrücklich an, daß die Wahrung der Grundrechte des Menschen Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts sei, deren Einhaltung der EuGH zu sichern habe, und die Beseitigung der auf dem Geschlecht beruhenden Diskriminierungen zu den Grundrechten gehöre 7 . Damit wurde der Grundrechtscharakter des Gleichbehandlungsgrundsatzes voll zur Geltung gebracht. Als der EuGH zum Schluß in Razzouk den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Geschlechtergleichbehandlung in einer theoretisch klaren Form herausarbeitete und dabei Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV sowie die Gleichbehandlungsrichtlinien unter diesem Grundsatz vereinheitlichteS, wurde der letzte Schritt zur grundrechtlichen Betrachtungsweise des Gleichbehandlungsgrundsatzes vollzogen. BVerfGE 37, 271 (285). Präambel der RL 76/207. Zum Inhalt der einzelnen Richtlinien vgl. oben § I. 5 EuGH 1974, 491 (Rn. 13) - Rs. 4/73 "Nold u • Vgl. bereits EuGHE 1969, 419 (Rn. 7) - Rs. 29/69 "Stauder"; 1970, 1125 (Rn. 4) - Rs. 11/70 "Internationale Handelsgesellschaft"· 6 EuGH 1976,455 (Rn. 8/11) - Rs. 43/75 "Defrenne-ll". Vgl. oben § 1, I, 2. 7 EuGH 1978, 1365 (Rn. 26/29) - Rs. 149/77 "Defrenne-lll". Vgl. oben § 1, I, I. 8 EuGH 1984, 1509 (Rn. 17) - Rs. 75 & 117/82 "Razzouk". Vgl. oben § 1, I, I. 3

4

I. Subjektiv-rechtliches Modell der Gesch1echterg1eichberechtigung

291

Da dieser Grundsatz zuerst europarechtlich im Drittwirkungsbereich in Erscheinung trat, hat sich das Verständnis nur langsam durchgesetzt, daß es sich hierbei um ein echtes Grundrecht handelt. Die RL 79/7 hatte jedoch schon das staatliche System der sozialen Sicherheit zum Gegenstand gehabt. Daher mußte die grundrechtliche Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes früher oder später erkannt werden. Inhaltlich bezieht sich dieser Grundsatz von Anfang an auf das allgemeine Postulat der Gleichberechtigung der beiden Geschlechtern. 2. Subjektiv-rechtliches Modell des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Gemeinschaftsrecht Daß das Gemeinschaftsrecht das gundlegende Prinzip mit dem Begriff der Gleichbehandlung zum Ausdruck brachte, war ausschlaggebend für die weitere Konkretisierung seines Inhalts. Dieser Grundsatz richtet sich nicht auf eine irgendwie geartete "Gleichberechtigung", sondern allein auf eine "Gleichbehandlung". Es wird nicht danach gefragt, was für eine Behandlung der jeweiligen Geschlechtsgruppe "rechtens" ist. Vielmehr lehnt das Gemeinschaftsrecht im Ansatz die Gleichwertigkeitstheorie ab und stellte allein auf die Geschlechtsneutralität des Rechts ab. In der weiteren Entwicklung ist das Gemeinschaftsrecht dieser Grundintention treu geblieben. In der vorliegenden Untersuchung wurde seine Ausrichtung an der Geschlechtsneutralität anhand von drei Erscheinungsformen anschaulich gemacht: Der Grundsatzcharakter der Gleichbehandlung und die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips für die Ermittlung der zulässigen Ausnahme9 ; die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung als erweiterte Erkenntnismethode der verdeckten - bewußten und unbewußten - Rechtsverletzung lO ; der Rechtsschutz bei der rechtswidrigen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Gewährung der Rechtsposition, die ohne Diskriminierung dem Diskriminierungsopfer zugestanden hätte 11. Bei diesen Problemfeldern kommt das subjektiv-rechtliche Modell klar zum Vorscheinen. Die Aufnahme dieses Modells durch den EuGH ist als Folge der grundrechtlichen Betrachtungsweise zu interpretieren. Freilich zeigen sich nationale Unterschiede zwischen dem, was man unter dem Begriff des Grundrechts versteht. Im Gemeinschaftsrecht wird bei dem Verständnis vom Gleichbehandlungsgrundsatz auf die Diskriminierung im Sinne von Rechtsverletzung und Abhilfe abgestellt. In dieser Konstellation ist es für das GeOben § 2, I. Oben § 2, 11. 11 Oben § 2, 111.

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10

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292

Schlußfolgerungen

meinschaftsrecht einfacher, den Geltungsbereich des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf das spezielle Gleichheitsgrundrecht zu erweitern, obwohl dieses Prinzip bis vor kurzem in seinem Ursprungsland, Deutschland, nur im Zusammenhang mit dem Freiheitsrecht betrachtet wurde. Der Ausrichtung an der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts liegt aber eine eigene Auffassung der rechtlichen Gleichheit zugrunde. Da das Gemeinschaftsrecht nicht vom europarechtlichen allgemeinen Gleichheitssatz auszugehen hat, mußte der EuGH nur einzelne besondere Diskriminierungsverbote - neben dem Gebot der Gleichbehandlung beider Geschlechtern vor allem das Verbot der Ausländerdiskriminierung in Art. 6 = Art. 12 EUV - dogmatisch behandeln. In dieser Lage verwundert es nicht, daß der EuGH das Recht auf Gleichbehandlung zum Ausgangspunkt nimmt. Als dogmatischer Kern des allgemeinen Gleichheitssatzes (wie in Art. 3 Abs. 1 GG) funktioniert das Recht auf Gleichbehandlung nicht, jedoch sehr wohl im Rahmen des speziellen Bereichs der Gleichbehandlung von beiden Geschlechtern. Das subjektiv-rechtliche Modell der Geschlechtergleichbehandlung, das in der vorliegenden Untersuchung als Alternative zur deutschen Systematik des Willkürverbots entwickelt wurde, ist also die Antwort auf die Frage, was eigentlich den dogmatischen Kern des Gleichbehandlungsgrundsatzes bildet. Die Rechtsprechung des EuGH, die diesen Grundsatz konkretisiert, läßt sich einem einheitlichen System zuordnen, wenn das subjektive Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung im Sinne der Freiheit zugrunde gelegt wird, nicht aufgrund der - mit lauter Klischees und Vorurteilen belasteten Zughörigkeit zur Geschlechtsgruppe, sondern als Individuum, das mit seinen Fähigkeiten, Leistungen und Bedürfnissen zum Gegenstand rechtlicher Regelungen gemacht zu werden 12.

3. Subjektiv-rechtliches Modell der Geschlechtergleichberechtigung im deutschen Verfassungsrecht Es gibt nationale Unterschiede bei dem, was man unter dem Begriff des Grundrechts versteht. Insoweit kann es kein "richtiges" und "falsches" Grundrechtsverständnis geben. Der Grundrechtsbegriff gehört auf der theoretischen Ebene zum Bereich der kulturellen Pluralität. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden, wenn beim Geltungsvorrang des Gemeinschaftsrechts von den deutschen Gerichten verlangt wird, bei der Anwendung des 12 Hier ist lediglich vom gemeinschaftsrechtlichen Modell die Rede. Auf die Frage, unter welchen (nationalen) Einflüssen sich dieses Modell herausgebildet hat und welche Rolle die deutsche Verfassungsdogmatik dabei spielte, wird in der vorliegenden Arbeit nicht eingegangen.

I. Subjektiv-rechtliches Modell der Geschlechtergleichberechtigung

293

Gemeinschaftsrechts die Auslegung des EuGH zu akzeptieren. Dabei ist es theoretisch durchaus möglich, daß beispielsweise das BVerfG das Gleichberechtigungsgebot in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG und den Gleichbehandlungsgrundsatz im Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts jeweils auf ein unterschiedliches System des Gleichheitsgrundrechts zurückführt und unterschiedlich interpretiert. Dies würde jedoch die Unsicherheit in der Auslegung und Anwendung der nationalen Verfassung vergrößern. Daher muß die deutsche Dogmatik auch bemüht sein, die gemeinschaftsrechtliche Systematik, soweit möglich, in die bisherige Entwicklung der nationalen Diskussion einzufügen. In der vorliegenden Untersuchung wird jedoch über den Anpassungsdruck aufgrund des Gemeinschaftsrechts hinaus die Notwendigkeit verfochten, die bisherige gerechtigkeitsorientierte Auslegung des Gleichberechtigungsgebots zugunsten des subjektiv-rechtlichen Modells zu überwinden. Diese Notwendigkeit gründet sich auf die Schwierigkeit, in der sich das traditionelle Modell angesichts der neuen Problemlage befindet. Wenn es darauf ankommt, inwieweit die Ausnahme vom Differenzierungsverbot zulässig sein soll, um die tatsächlichen Gleichheitsdefizite seitens der weiblichen Arbeitnehmer zu kompensieren, hilft die Vergleichbarkeitsprüfung und das ihr zugrunde liegende, gerechtigkeitsorientierte Willkürprinzip nicht weiter l3 . Diese Schwierigkeit ist darauf zurückzuführen, daß die Grundentscheidung des Verfassungsgebers im Sinne der rechtlichen Unerheblichkeit von Geschlechtsunterschieden bei der Theorie des Willkürverbots nicht ausreichend berücksichtigt wurde, so daß die Gleichwertigkeit der beiden Geschlechter als Interpretationsrahmen des Gleichberechtigungsgebots mitschwebte. Die Gleichwertigkeit, welche eine gewisse Andersartigkeit beider Geschlechtern zugrunde legt, taugt jedoch keineswegs mehr als berechtigte Grundlage für die Interpretation des Gleichberechtigungsgebots. Die Erkenntnis, daß sich Frauen für Küche und Kinderbetreuung besser eignen würden, darf heute nicht als Ausgangspunkt der Verfassungsinterpretation herangezogen werden, weil nun allgemein anerkannt ist, daß diese Aussage in einer so allgemeinen Form nicht stimmt. In dieser Lage wurde noch 1997 die Stimme erhoben, die wehmütig an die Zeit erinnerte, in der die von der öffentlichen Gewalt vorgefundenen gesellschaftlichen Lebensverhältnisse neben den biologischen Unterschieden als Differenzierungsgrund zugelassen waren 14 • Dabei geht es nicht um das Verhältnis von Normativität der Grundrechtsbestimmungen und Faktizität, wie der Autor behauptete. Vielmehr handelte es sich dabei lediglich um Nostalgie. Früher - bis in die achtziger Jahre hinein, wie der Autor richtig 13 14

Vgl. oben § 3, III, 4. Di Fabio, AöR 112 (1997), S. 441.

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Schlußfolgerungen

erkennt - konnten die Männer ihre Dominanzposition dahingehend ausnutzen, daß die faktischen Diskriminierung zur Verfassungsnorm erhoben werden konnten 15 • Verfassungstheoretisch ist diese Zeit hoffentlich endgültig vorbei. Es gibt jedoch noch Stimmen, die die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verfassungsrechtlich zu institutionalisieren versuchen. Solange dies noch zutrifft, macht es Sinn, hervorzuheben, daß das Gleichberechtigungsgebot in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG ein subjektives Recht des Einzelnen darstellt. Dieses Recht richtet sich nicht auf einen irgendwie gearteten, gerechten Ausgleich zwischen den Interessen von zwei entgegengesetzten Geschlechtsgruppen. Diese Betrachtungsweise, sei es in Form des gerechtigkeitsorientierten Willkürverbots, sei es in der Form der ebenso gerechtigkeitsorientierten Paritäts anforderung 16, konnte die Diskriminierung nicht konturenscharf als solche erkennen. Vielmehr ist es nun notwendig, das subjektiv-rechtliche Modell zugrunde zu legen und die Diskriminierung als Verletzung jenes Rechts zu bezeichnen, geschlechtsneutral als Individuum behandelt zu werden 17.

11. Rückfolgerungen auf den gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz 1. Die praktische und theoretische Bedeutung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung

Die kritische Haltung von einem Teil der deutschen Autoren gegenüber der europarechtlichen Entwicklung des Gleichbehandlungsgrundsatzes scheint durch die Art und Weise veranlaßt zu sein, wie der EuGH das Verbot der mittelbaren Diskriminierung handhabt. Die Kritik des Bötel-Urteils und der ihm folgenden Entscheidungen 18 zur Betriebsratstätigkeit von Teilzeitbeschäftigten fand in Deutschland einigen Anklang 19. Diese Tendenz beruht auf der Unsicherheit in bezug auf den Umfang der mittelbaren 15 Die "funktionalen Unterschiede" im Sinne des Ausnahmetatbestands ermöglichten, die in der Gesellschaft vorgefundene Diskriminierung rechtlich zu akzeptieren. Nicht auf diesen Begriff, jedoch auf diese Struktur wurde bis zum Rentenaltersbeschluß (BVerfGE 74, 163) zurückgegriffen. Vgl. oben § 3, III, 4. 16 Zur gerechtigkeitsorientierten Ausrichtung der Paritätsanforderungen oben § 4. II. 1. d). aa). 17 Zur ethischen Einheit von Freiheit und Gleichheit Kirchhof, in: HBdStR V, § 124, Rn. 59. Vgl. ferner die neue Ansicht von Sachs. in: HBdStR V. § 126. Rn. 119. 18 EuGHE 1992, 1-3589 - Rs. C-360/90 "Bötei"; 1996. 1-243 - Rs. C-457/93 "Lewark"; 1996,1-1165 - Rs. C-278/93 "Freers". 19 Zitiert oben § 2, II, 2, b).

11. Rückfolgerungen auf den Gleichbehandlungsgrundsatz

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Diskriminierung, die die Rechtsprechung des EuGH bisher nicht deutlich aufzeigen konnte. An der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung ist jedoch nichts zu beanstanden. Vielmehr muß ihre Bedeutung im Prozeß der Herstellung der tatsächlichen Chancengleichheit wiederholt hervorgehoben werden. Sie setzt gerade dort ein, wo die Frauen in der heutigen Gesellschaft aufgrund der klischeehaften Vorurteile ihre Entfaltungschance verkürzt sehen: bei der - bewußten oder unbewußten - verdeckten Diskriminierung. Die Bedeutung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung ist nicht nur in dieser praktischen Hinsicht, sondern auch im theoretischen Gesichtspunkt zu betonen. Wenn man den Kern der rechtlichen Gleichheit von Mann und Frau darin erblickt, daß jeder Einzelne unabhängig von seinem Geschlecht als Individuum behandelt wird, dann stellt die mittelbare Diskriminierung genauso eine krasse Verletzung dieses Rechts dar wie die unmittelbare. Wenn beispielsweise die Qualität der Arbeit, die eine Personengruppe leistet, wertloser eingeschätzt wird als Arbeit einer anderen Gruppe, weil jene Gruppe überwiegend von Frauen - und zu einem kleinen Teil von "frauenähnlichen" Männern - zusammengesetzt ist, handelt es sich dabei um nichts anderes als eine verfeinerte Form der Frauendiskriminierung. Ohne dieser Form der Verletzung entgegenzuwirken, kann man dem Recht auf geschlechtsneutrale Behandlung nicht zur vollen Geltung verhelfen. 2. Einschaltung der Entsprechungsprüfung bei der Ermittlung der mittelbaren Diskriminierung

Die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung ist also nicht zu beanstanden, die vom EuGH angewandte Erkenntnismethode jedoch sehr wohl. Der EuGH wendet eine zweistufige Prüfung an, in der zuerst die disproportionale Belastung für eine Geschlechtsgruppe festgestellt und sodann anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips ermittelt wird, ob die betreffende Regelung ein legitimes Ziel verfolgt. Freilich hat es eine Bedeutung im Rahmen der Beurteilung von Legitimität des vorgebrachten Zwecks, ob er nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat. Diese zweifache Prüfung stellt jedoch ausschließlich auf das Zweck-Mittel-Verhältnis ab, was zu einer unsicheren Lage führt. Wie bereits festgestellt, ist es bei der Ermittlung der mittelbaren Diskriminierung notwendig, zu überprüfen, ob die Differenzierung den faktischen Unterschieden in den Regelungsgegenständen entspricht und insoweit aufgrund eines anerkannten Gerechtigkeitsmaßstabs begründet werden kann.

296

Schlußfolgerungen

Diese notwendige Entsprechungsprüfung findet jedoch nicht im Rahmen der Rechtsprechung des EuGH statt. Die Kritik des Bötel-Urteils in Deutschland etwa beruht auf dem diesbezüglichen Unzulänglichkeitsgefühl. In der deutschen Lehre wird die unterschiedliche Behandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten bei der Betriebsratstätigkeit, daß nämlich jene die Vergütung in Form der bezahlten Arbeitsfreistellung und diese dagegen nichts erhalten, als Ausfluß eines System begründet, das von der Unentgeltlichkeit der Betriebsratstätigkeit ausgeht20 . Dagegen sieht der EuGH in dieser Vergütung ein Entgelt im Sinne des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = ex-Art. 119 EGV, so daß er ohne weiteres die mittelbare Diskriminierung anerkennen konnte 21 . Die Kritik dieser Rechtsprechung basiert auf die Erkenntnis, daß die betreffende Regelung vollkommen die Anforderungen der Systemgerechtigkeit und Folgerichtigkeit erfüllt, so daß von keiner Diskriminierung die Rede sein kann 22 . Ob die Systemgerechtigkeit wirklich frei von der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts herzustellen ist, ist zwar, wie bereits erwähnt, zu bezweifeln23 . Dennoch ist richtig an der Kritik seitens der deutschen Lehre, daß das vom EuGH angewandte Prüfungskriterium keinen Maßstab beinhaltet, an dem die Sachgerechtigkeit der Differenzierung auf ihren Gerechtigkeitsgehalt hin thematisiert werden kann. Im Kontext der deutschen Verfassungsdogmatik wird in der vorliegenden Untersuchung die Prüfung vorgeschlagen, bei der Ermittlung einer mittelbaren Diskriminierung vor der Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Entsprechungsprüfung einzuschalten, in der die Sachgerechtigkeit angesichts der faktischen Unterschiede innerhalb der Regelungsgegenstände beurteilt werden kann 24 • Dem würde im gemeinschaftsrechtlichen System entsprechen, wenn bei der mittelbaren Diskriminierung, die statistisch ermittelt worden ist, zuerst gefragt wird, ob sie nur unterschiedliche Sachverhalte unterschiedlich behandelt oder doch vergleichbare Sachverhalte. Es kommt bei der Feststellung der mittelbaren Diskriminierung immer auf die Wahl des Referenzsystem an. Es verunsichert diese Feststellung, wenn jederzeit die Differenzierung ins System eingeordnet wird, in dem ein statistischer Vergleich in der Zusammensetzung der betroffenen Gruppen ausschlaggebend ist.

Vor allem BAGE 74,351 (358 f.). Dazu näher oben § 2, II, 2, b). EuGHE 1992, 1-3589 (Rn. 20); 1996, 1-243 (Rn. 20 ff.); 1996, 1-1165 (Rn. 18 ff.). 22 Di Fabio, AöR 122 (1997), S. 435 ff.; SchiejerlErasmy, DB 1992, S. 1484. 23 Oben § 2, II, 2, b). 24 Vgl. oben § 4, III, 3. 20 21

11. Rückfolgerungen auf den Gleichbehandlungsgrundsatz

297

Dies gilt auch für die Differenzierung aufgrund eines Merkmals, das ausschließlich bei einem Geschlecht verwirklicht wird. Der EuGH behandelt die Differenzierung aufgrund der Schwangerschaft als unmittelbare Diskriminierung, weil sie nur die Frauen betrifft25 . Dennoch wurde schon oben darauf hingewiesen, daß im Rahmen der besonderen Regelungen zugunsten oder zu Ungunsten der Schwangerschaft Fälle denkbar sind, in denen die Differenzierung als gerechte Berücksichtigung der besonderen Situation der Schwangerschaft sachlich begründet ist26 . Davon geht auch Art. 2 Abs. 3 der RL 761207 aus, der die Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft, aus dem Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots ausnimmt. Während es sich beim Mutterschutz mancherorts um ein äußeres Ziel handelt, das eine Verhältnismäßigkeitsprüfung auslöst, kann er unter Umständen ein in sich gerechtes Unterscheidungsmerkmal darstellen. Bei einer Regelung, die an einem Kriterium anknüpft, das - wie die Schwangerschaft - ausschließlich bei einem Geschlecht vorkommt, muß zuerst untersucht werden, ob die Differenzierung der unterschiedlichen Lage entspricht und sachlich begründet ist. Die Notwendigkeit der Entsprechungsprüfung gilt darüber hinaus für die Bildung der Vergleichsgruppen bei der Ermittlung von Entgeltdiskriminierungen zweier gleichwertiger Arbeiten. In diesem Zusammenhang verhält sich der EuGH vorsichtiger als im Fall der normalen mittelbaren Diskriminierung 27 • Auch in diesem Bereich kommt es auf die Gleichwertigkeit, also auf die Vergleichbarkeit der Arbeit an. Das Urteil über den Wert einer Arbeit setzt jedoch immer einen gerechtigkeitsorientierten Maßstab voraus. Daher gilt es, einerseits Maßstäbe auszuschließen, in denen sich klischeehafte Vorurteile widerspiegeln und daher diskriminierend wirken, andererseits den Vergleich einigermaßen objektiv kontrollierbar zu machen und vorzubeugen, daß eine völlig andersartige Tätigkeit als Vergleichsgruppe herangezogen wird. Diesem Zweck dient allein die Entsprechungsprüfung. Wenn dagegen die Befürchtung geäußert werden soll, daß die Einschaltung der Entsprechungsprüfung bei der Ermittlung der mittelbaren Diskriminierung ihren Umfang allzu sehr einschränke und die bisherigen Bemühungen des EuGH zunichte werden lasse, ist gegen diesen Einwand zweierlei zu bemerken. Erstens ist bei der Anwendung der Entsprechungsprüfung immer darauf zu achten, daß der Verdacht der Diskriminierung aufgrund des Geschlecht schon statistisch begründet ist und daher die erhöhte Anforderung an die Sachgerechtigkeit verlangt wird. Diese Entsprechungsprüfung 25 EuGHE 1990, 1-3941 (Rn. 22) - Rs. C-I77/88 "Dekker"; 1994, 1-1657 (Rn. 23 ff.) - Rs. C-421192 "Habermann-Beltermann"; 1994,1-3567 - Rs. C-32/93

"Webb"; st. Rspr. 26

27

Oben § 1, III, 1, b). Vgl. oben § 2, 11, 3, c).

298

Schlußfolgerungen

ist nicht mit der Willkürprüfung gleichzusetzen. Im Unterschied zur zuletztgenannten Prüfungsart ist bei der Entsprechungsprüfung ein hohes Maß an Systemgerechtigkeit notwendig, um eine scheinbar mittelbare Diskriminierung als sachgerecht begründen zu können. Wenn die diskriminierende Intention oder Inkaufnahme der diskriminierenden Auswirkungen durch den Normgeber im Spiel ist, kann die betreffende Regelung die Prüfung nicht bestehen. Kommt man wieder zum Beispiel des Bötel-Urteils zurück, so ist oben schon dargelegt worden, daß trotz der Kritik auf deutscher Seite doch kein konsistentes Bezugssystem in der betreffenden Regelung vorhanden war28 , so daß diese Regelung an der Systemgerechtigkeitsanforderung scheitern mußte. Wenn in dieser Weise die Entsprechungsprüfung streng angewandt wird, dann ist die Hälfte der genannten Befürchtung gegenstandslos. Zum anderen könnte die hier vorgeschlagene Entsprechungsprüfung dazu führen, den Umfang zu beschränken, in dem die mittelbare Diskriminierung ermittelt wird. Dies ist auch notwendig, weil sonst ein Dilemma droht: Entweder muß der EuGH ein augenscheinlich ungerechtes Ergebnis in Kauf nehmen und auf die zweistufige, mathematische und dann zweckrationale Prüfung bestehen oder sich auf theoretisch unbegründete Gerechtigkeitserwägungen einlassen, um diese Irrationalität zu vermeiden. Insbesondere im Bereich der Differenzierung aufgrund der mit Schwangerschaft zusammenhängenden Tatbestände arbeitet der EuGH neuerdings nur sehr vorsichtig bei der Definition des Diskriminierungsbegriffs. In Pedersen sah der EuGH keine Diskriminierung in der Nichtgewährung des bezahlten Urlaubs beim gewöhnlichen Zustand der Schwangerschaft, der nicht zur Arbeitsunfähigkeit oder zur besonderen Gefahr für das ungeborenes Kind führt 29 • Diesem Ergebnis ist voll zuzustimmen, aber man verrnißt hier eine systematische Begründung. Wenn es auf die Vergleichbarkeit der Vergleichsgruppen ankommt, ist ein Prüfungskriterium notwendig, das ermöglicht, die Vergleichbarkeit angemessen aufgrund eines konsequenten Systems zu beurteilen.

III. Grundrechtliche Systemkonkurrenz Die vorliegenden Untersuchung hat einen Modellkonflikt zwischen dem europäischen Gleichbehandlungsgrundsatz und der traditionellen, gerechtigkeitsorientierten Auffassung der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter in Deutschland festgestellt. Da dieser Konflikt in einem Bereich stattfindet, in dem das Gemeinschaftsrecht schon weitgehend die Regelungszuständigkeit für sich in Anspruch nahm, mußte sie zugunsten des 28 29

Vgl. oben § 2, II, 2, b). EuGHE 1998,1-7327 (Rn. 48 f.) - Rs. C-66/96 "Pedersen".

III. Grundrechtliehe Systemkonkurrenz

299

Geltungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts gelöst werden. Die grundsätzlichen Entscheidungen sind schon gefallen, für die deutsche Verfassungsdogmatik bleibt nur noch die Frage, wie das gemeinschaftsrechtliche Modell in die bisherige Diskussion eingefügt werden kann. Für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter hat diese Entwicklung durchaus positive Auswirkungen. Die bisherige Struktur der Vergleichbarkeitsprüfung hemmte die Durchsetzung der Gleichberechtigung, insbesondere wenn bei der Ermittlung der Unzulänglichkeiten in der gegenwärtigen Lage das tragende Recht darin erblickt wird, daß jeder Einzelne berechtigt ist, unabhängig von seinem Geschlecht als Individuum rechtlich behandelt zu werden und seine Persönlichkeit zu entfalten. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ermöglicht in dieser Hinsicht eine bahnbrechende Entwicklung in Deutschland. Die Anpassung der Interpretation des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist jedoch kein abgeschlossenes Ereignis, sondern ein Prozeß der Wechselwirkung, der weitergeht. Der EuGH versucht, die dogmatische Aussage auf den Bereich zu begrenzen, in dem sie für die Lösung des Streitfalls notwendig ist, und zieht die Herstellung der Einzelfallgerechtigkeit der sauberen Systematik vor. Obwohl die Grundtendenz schon sichtbar ist, befindet sich die weitere Konkretisierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes noch in der Entwicklung. Das gemeinschaftsrechtliche System ist teilweise, wie hier in bezug auf die mittelbare Diskriminierung festgestellt worden ist, auch verbesserungsbedürftig. Dieser Prozeß der Wechselwirkung in der Herausarbeitung des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsstandards beschränkt sich aber keineswegs auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Vielmehr ist ein verbindlicher europäischer Grundrechtskatalog mit konkreten Inhalten gerade im Entstehen. Dabei ist darauf zu achten, daß dieser Prozeß nicht ganz friedlich vorläuft, wie das Beispiel des Modellkonfliktes im Bereich der Gleichberechtigung zeigt. Es ist eine Konkurrenz, ja ein Kampf zwischen den Grundrechtssystemen. Was man unter dem Begriff des Grundrechts versteht, ist durch die jeweilige Rechtskultur geprägt und in jedem Rechtssystem anders definiert. Auf dem europäischen Boden sind die Unterschiede innerhalb der verschiedenen Rechtssysteme eher gering, weil ein Grundkonsens über den Inhalt und die Tragweite der Grundrechte prinzipiell besteht. Dennoch bedeutet die grundrechtliche Systernkonkurrenz eine Anstrengung für die deutsche Dogmatik, die 50 Jahre lang unter der Herrschaft des BVerfG ein eher statisches System gebildet hat. Dies betrifft vor allem die Grundrechte, die in ihrem subjektiv-rechtlichen Bedeutungskern von der starken objektiv-rechtlichen bzw. institutionellen Bedeutungsschicht überlagert sind. Das gerechtigkeitsorientierte Modell der Gleichberechtigung in Art. 3 Abs. 2 und 3

300

Schlußfolgerungen

GG ist ein typisches Beispiel hierfür. Daneben denke man etwa an das deutsch-spezifische Verständnis der Rundfunkfreiheit als "dienende" Freiheieo, die mit der Freiheit im Sinne eines subjektiven Freiheitsrechts nur den Namen gemeinsam hat, jedoch in dieser Spezialität mit dem gemeinschaftsrechtlichen System des - eher auf das subjektiv-rechtliche Modell der Rundfunkfreiheit basierenden - Rundfunkwesens im Widerspruch steht3l . So subtil die Unterschiede zwischen den nationalen Strukturen der Grundrechtsgarantie auch sein mögen, die Konkurrenz zwischen diesen Strukturen führt zu einem Kampf um die Anerkennung im System des Gemeinschaftsrechts und somit ums Überleben. In diesem Kampf hilft der Bundesverfassungsgerichtspositivismus nicht mehr weiter. Vielmehr ist eine Methode vonnöten, die die dogmatische Struktur in Deutschland relativiert, sie mit anderen Systemen, wie das des Gemeinschaftsrechts oder das der Rechtsordnung von den anderen Mitgliedstaaten, vergleicht, schließlich die grundlegenden normativen Entscheidungen herausarbeitet, die ausschlaggebend für die Struktur waren und auch im Prozeß der europäischen Grundrechtsintegration nicht verloren gehen dürfen, und diesem Normgehalt zur Durchsetzung im Gesamtbereich der Europa verhilfe 2 . Die Schaffung des gesamteuropäischen Grundrechtsstandards bringt Geburtswehen mit sich. Das ist jedoch die Herausforderung am Anfang des neuen Milleniums.

BVerfGE 57, 295 (320); 83, 238 (296). Die Präambel der Fernsehrichtlinie (RL 89/552, ABI. 1989, L 298123, geändert duch die RL 97/36, ABI. 1997, L 202/60) faßt die Fernsehtätigkeit als Dienstleistung im Sinne des EGV und als eine spezifische gemeinschaftsrechtliche Ausprägung der Meinungsäußerungsfreiheit auf, wie sie in Art. 10 EMRK verankert ist. Diese Auffassung gründet sich auf die Rechtsprechung des EuGH. VgI. EuGHE 1974, 409 (Rn. 14) - Rs. 155/73 "Sacchi"; 1980, 833 (Rn. 15) - Rs. 52/79 "Debauve"; 1988, 2085 (Rn. 36) - Rs. 352/85 "Bond van Adverteerders"; 1991, 1-2925 (Rn. 20) - Rs. C-260/89 "ERT"; 1991, 1-4007 (Rn. 22 ff.) - Rs. C-288/89 "Stichtung Collectieve Antennevoorziening Gouda"; st. Rspr. 32 Wenn sich der EuGH zur Methode der "wertenden" Rechtsvergleichung bekennt, ist diese Methode auch im Rahmen der europarechtlichen Diskussion vorzuziehen. VgI. Oppermann, Europarecht 2, 1999, S. 186,255. 30 31

Zusammenfassung: Sieben Thesen zur Geschlechtergleichberechtigung vor dem EuGH und dem BVerfG 1. Der EuGH sieht in der Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts einen Eingriff in den Schutzbereich eines Individualgrundrechts, der anhand der Verhältnismäßigkeitsprüfung gerechtfertigt werden muß. Im Anwendungsbereich des Art. 141 Abs. 1 und 2 EGV = Ex-Art. 119 EGV und der Gleichbehandlungsrichtlinien ist nach der Rechtsprechung des EuGH die differenzierende Behandlung nur im Rahmen der ausdrücklichen Ausnahmeregelungen zulässig, und zwar nur insoweit, als die Differenzierung für die Erreichung des mit der Ausnahmeregelung verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Dasselbe gilt auch für mittelbare Diskriminierungen. Sie können nur durch objektive Faktoren gerechtfertigt werden und müssen, um dieses Erfordernis zu erfüllen, geeignet und erforderlich für die Erreichung eines legitimen Ziels sein. 2. Das BVerfG verstand den Grundsatz der Geschlechtergleichberechtigung als Konkretisierung eines Gerechtigkeitsprinzips. Deswegen unterwarf es eine differenzierende Behandlung bis vor kurzem einer Vergleichbarkeitsprüfung, um festzustellen, ob sie sachlich begründet ist. Das BVerfG erblickte in den Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Dabei verstand es diesen Grundsatz zwar im Sinne des Anknüpfungsverbots, aber die Betrachtungsweise war geprägt durch die Gerechtigkeitsmaxime, "Gleiches gleich, Verschiedenes nach seinem Wesensunterschied zu behandeln". Daher galt das Anknüpfungsverbot nur dort, wo die zu regelnden Lebensverhältnisse vergleichbar waren. Um dies festzustellen, fragte das BVerfG danach, ob eine differenzierende Behandlung einem biologischen oder funktionalen Unterschied entsprach. 3. Unter dem Einfluß vom EuGH und EGMR entwickelte das BVerfG eine neue Erforderlichkeitsprüfung. Es hat sich jedoch noch nicht geklärt, ob es sich beim neuen Prüfungskriterium um eine Spielart der Verhältnismäßigkeitsprüfung handelt oder aber um eine Verfeinerung der Vergleichbarkeitsprüfung. Manches spricht für das letztere Verständnis. Seit 1992 wendet das BVerfG eine neue Prüfung auf die Ungleichbehandlungen an. Danach soll eine differenzierende Regelung zur Lösung eines geschlechtsspezifischen Problems erforderlich sein. Damit stellt das BVerfG klar, daß Regelungen gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG verstoßen, die nur durch einen Unterschied im Durchschnittswert begründet werden können. Bei diesem Wandel stand das BVerfG unter einem Anpassungsdruck an die Rechtsprechung des EuGH (Nachtarbeitsverbot - "Stoeckel") und des EGMR (Feuerwehrabgabe - "Karlheinz

302

Zusammenfassung: Sieben Thesen

Schmidt"). Jedoch ist es noch nicht klar, ob das neue Prüfungskriterium der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne des EuGH entspricht oder aber eine Kontinuität zur alten Rechtsprechung aufweist. Da das BVerfG diese Erforderlichkeitsprüfung von der Abwägung mit den kollidierenden Verfassungsgütem unterscheidet, ist das letztere Verständnis näherliegend.

4. Dieser Unterschied veranlaßt uns zur Reflexion über die dogmatische Struktur des Gleichheitssatzes im Bereich der Geschlechtsdiskriminierung, da die Kluft zwischen den Gleichheitsverständnissen des BVerfG einerseits und der europäischen Gerichte andererseits im Laufe der weiteren Rechtsentwicklung einen Störfaktor darstellen kann. Trotz der Annäherung von Seiten des BVerfG ist der gegenwärtige dogmatische Stand nicht als Endzustand anzusehen. Vielmehr ist einerseits eine weitere Anpassung des BVerfG an die Entwicklung auf der Gemeinschaftsebene notwendig, wenn nicht die Gleichberechtigung in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG in seiner Intensität weit hinter dem europäischen Gleichbehandlungsgebot zurückbleiben und als verfassungsrechtlicher Maßstab versagen soll. Auf der anderen Seite ist zu fragen, ob das Gleichheitsverständnis des EuGH als Grundlage der weiteren Entwicklung funktionieren kann, zumal Art. 2 EGV = ex-Art. 2 EGV die Gleichstellung beider Geschlechter zur Aufgabe der EG erhebt, so daß sich der Anwendungsbereich der Geschlechtergleichheit in der Zukunft erweitern wird.

5. Das BVerfG muß die individualrechtliche Sicht der Gleichberechtigung verstärken und sein neues Prüfungskriterium weiterentwickeln, damit Ungleichbehandlungen der Verhältnismäßigkeitsprüfung unterworfen werden können. In bezug auf die Theorie des BVerfG ist zu fragen, ob seine Grundannahme, daß das Gleichberechtigungsgebot nur dort Anwendung findet, wo die zu regelnden Lebensverhältnisse vergleichbar sind, zur weiteren Entwicklung taugt. Der Geschlechtsunterschied ist, wie das BVerfG wiederholt betont, vom GG als rechtlich irrelevant erklärt worden. Dann geht es nicht darum, ob Frauen und Männer aufgrund der rechtlich relevanten Wesensunterschiede unterschiedlich behandelt werden sollen, sondern darum, ob die unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf einen äußeren Schutzzweck gerechtfertigt werden kann. Gerade danach fragt die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Durch die Anwendung dieser Prüfung soll auch hervorgehoben werden, daß es sich beim Gleichberechtigungsgebot um ein Individualrecht handelt.

6. Im Bereich der mittelbaren Diskriminierung braucht der EuGH einen Mechanismus, der ihm ermöglicht, nach der Vergleichbarkeit der Regelungsgegenstände und nach der Systemgerechtigkeit der Differenzierung zu fragen. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Bereich der mittelbaren Diskriminierung kann eine verhängnisvolle Bedeutung entfalten, wenn das Gemeinschaftsrecht den Wirkungsbereich des Gleichbehandlungsprinzips erweitert. Im Bereich der mittelbaren Diskriminierung geht es oft nicht um einen Eingriff in den Schutzbereich eines Individualrechts, weil das prozentsatzmäßige Verhätnis zwischen verschiede-

Zusammenfassung: Sieben Thesen

303

nen Gruppen eine ausschlaggebende Rolle spielt. Dann muß unter anderen auch danach gefragt werden, ob zwischen den Vergleichspaaren ein wesentlicher Unterschied besteht, der es notwendig macht, Unterschiede im Sachverhalt als rechtlich relevant zu beurteilen. Dazu ist die Entsprechungsprüfung geeignet.

7. Das zugrunde liegende Individualrecht ist die gleiche Freiheit zur Autonomie. Das zugrunde liegende Individualrecht ist die gleiche Entscheidungsfreiheit, d.h. das Recht, nicht anhand eines äußeren Merkmals, sondern aufgrund seiner persönlichen Entscheidung rechtlich beurteilt zu werden. Dasselbe Individualrecht fungiert auch als Grundlage der Abwägung, wenn die Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt und dadurch das Vorhandensein eines höherrangigen Interesses festgestellt werden soll. Der freiheitsrechtliche Charakter des Rechts auf geschlechtsneutrale Behandlung erklärt, warum der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hier zum Tragen kommt.

Rechtsprechungsverzeichnis Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Sig. Datum (Kammer) 1963, 1 05.02.1963 1969,419 12.11.1969 1970, 1125 17.12.1970 1971,445 1972, 345

25.05.1971 07.06.1972 (11)

1972, 363 1974, 153 1974,491 1975, 221 1975, 235 1976,455 1977, 1753

07.06.1972 (11) 12.02.1974 14.05.1974 20.02.1975 (11) 20.02.1975 (11) 08.04.1976 19.10.1977

1977, 1795

19.10.1977

1978,417 1978, 1365 1978, 1991

16.02.1978 15.06.1978 25.10.1978

1979,2645

12.07.1979

1979, 3767 1980, 1275 1981, 767 1981,911 1982,53 1982, 359 1982,555 1982,2175 1982,2601 1983,3273

14.12.1979 27.03.1980 11.03.1981 31.03.1981 19.01.1982 09.02.1982 16.02.1982 09.06.1982 06.07.1982 26.10.1983

Rs. 26/62 " Van Gend & Loos/Niederland" 29/69 ..Erich StauderlStadt Ulm" 11/70 "Internationale Handelsgesellschaft/Einfuhrund Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel" 80/70 ..Gabrielle Defrenne/Belgien" (Defrenne-l) 20/71 ..Luisa Sabbatini-BertonilEuropäisches Parlament" 32/71 ..Monique Chollet-Bauduin/Kommission der EG" 152/73 ..Giovanni Maria SotgiulDeutsche Bundespost" 4/73 ..J. Nold/Kommission der EG" 21/74 "Jeanne AirolalKommission der EG" 37/74 "Chantal Van den Broeck/Kommission der EG" 43/75 "Gabrielle DefrennelSabena" (Defrenne-ll) 117/76, 16/77 .. Ruckdeschel & Co. u. a./Hauptzollamt Hamburg u. a." 124/76, 20/77 "S. A. Moulins u. a./Office National Interprofessionnel des Cen!ales u. a. " 61/77 .. Kommission der EG/lrland" 149/77 "Gabrielle Defrenne/Sabena " (Defrenne-lll) 125/77 "Koninklijke Scholten-Honig NV u. a./Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten" (Isogulkose) 237/78 "Caisse regionale d'assurance maladialDiamante Toia" 257/78 "Evelyn Kenny-Levick/Kommission der EG" 129/79 .. Macarthys Ltd./Wendy Smith" 69/89 "Susanne J. Worringham u.a./Lloyds Bank Ltd." 96/80 ..J. P. Jenkins/Kingsgate Ltd." 8/81 "Ursula Becker/Finanzamt Münster-Innenstadt" 12/81 "Eileen Garland/British Rail Engineering Ltd." 19/81 "Arthur Burton/British Railways Board" 58/81 .. Kommission der EG/Luxemburg" 61/81 .. Kommission der EG/Großbritanien" 163/82 .. Kommission der EG/ltalien"

Rechtsprechungsverzeichnis 1983, 3431 1984, 1509

08.l1.1983 20.03.1984

1984, 1891

10.04.1984

1984, 1921 1984, 3047 1984,3225

10.04.1984 12.07.1984 18.09.1984

1985,427 1985, 1459 1986, 703 1986,723

30.01.1985 21.05.l985 26.02.1986 26.02.1986

1986,773

26.02.1986

1986, 1607 1986, 1651

13.05.1986 15.05.1986

1986, 1995 1986,2101 1986,3855

24.06.1986 (IV) 01.07.1986 04.12.1986

1987, 1453

24.03.1987

1987,2497

11.06.1987 (VI)

1987, 2865 1987,4753

24.06.1987 (11) 03.12.1987

1988, 673 1988, 1601

04.02.1988 08.03.l988 (11)

1988, 3559 1988,6315 1989, 1963

30.06.1988 25.10.1988 27.06.1989 (11)

1989,2743

13.07.1989 (VI)

1989,3199

17.10.1989

1989,4311

13.12.1989 (V)

1990,1-1889 17.05.1990 20 Nishihara

305

165/82 .. Kommission der EGIGroßbritanien" 75 & 117/82 "C. Razzouk und A. Beydoun/Kommission der EG" 14/83 "Sabine von Colson u. a.lLand NordrheinWestfalen" 79/83 "Doris HarzIDeutsche Tradax GmbH" 184/83 "Ulrich HofmannlBarmer Ersatzkasse" 23/83 "W. G. M. Liefting u. a.lUniversiteit van Amsterdam u. a. " 143/83 .. Kommission der EGIDänemark" 248/83 .. Kommission der EGIDeutschland" 151/84 .. loan RobertslTate & Lyle Industries Ltd. " 152/84 "M. H. MarshalllSouthampton and South-West Hampshire Area Health Authority" (Marshall-I) 262/84 ,,vera Mia Beets-Proper/Van Lanschot Bankiers NV" 170/84 .. Bilka-Kaujhaus GmbH/Karin Weber von Hartz" 222/84 "Marguerite lohnstonlChief Constable of the Royal Ulster Constabulary" 150/85 "Jacqueline DrakelChief Adjudication Officer" 237/85 "Gisela RummlerlDato-Druck GmbH" 71/85 "Die Niderlandel Federatie Nederlandse Vakbeweging" 286/85 "Norah McDermott u. a.lMinister for Social Welfare u. a." (McDermott-I) 30/85 "J. W. TeulinglBestuur van de Bedrijfsvereniging voor de Chemische Industrie" 384/85 "Jean Borrie ClarkelChief Adjudication Officer" 192/85 "George Noel NewsteadlDepartment of Transport u. a." 157/86 "Mary Murphy u. a.lAn Bord Telecom Eireann" 80/87 "A. Dik u. a.lCollege van Burgemeester en Wethouders Amheim u. a." 318/86 .. Kommission der EGIFrankreich" 312/86 .. Kommission der EGIFrankreich" 48, 106 & 107/88 "J. E. G. Achterberg-te Riele u. a.l Sociale Verzekeringsbank" 171/88 "Ingrid Rinner-KühnlFWW Spezial-Gebäudereinigung" 109/88 "Handels- og Kontorfunktionreremes Vorbundl Dansk Arbejdsgiverforening (für Danfoss AIS)" C-102/88 "M. L. Ruzius-WilbrinklBestuur van de Bedrijfsvereniging voor Overheidsdiensten" C-262/88 "D. H. BarberlGuardian Royal Exchange Assurance Group"

306

Rechtsprechungsverzeichnis

1990,1-2591 27.06.1990 (VI) C-33/89 "Maria KowalskalFreie und Hansestadt Hamburg" 1990,1-3313 12.07.1990

C-188/89 "A. F oster u. a./British Gas plc."

1990,1-3941 08.11.1990 1990,1-397908.11.1990

C-177/88 "Elisabeth J. P. DekkerlJVJ-Centrum" C-179/88 "Handels- og Kontorfunktionreremes Forbund (für Hertz)/Dansk Arbejdsgiverforening"

1990,1-4243 21.11.1990

C-373/89 "Caisse d'assurances sociales pour travailleurs independants ,/ntegrity'/Nadine Rouvroy"

1991,1-297 07.02.1991 (VI) C-184/89 "Helga NimzIFreie und Hansestatd Hamburg" 1991,1-1155 13.03.1991 C-377/89 "Ann Cotter und Norah McDermott/Minister for Social Welfare u. a." (McDermott-Il). 1991, 1-2205 07.05.1991 C-229/89 "Kommission der EG/Belgien" C-31/90 "Elsie R. Johnson/Chief Adjudication Offi1991,1-3723 11.07.1991 cer" (Johnson-I) 1991,1-3757 11.07.1991

C-87, 88 & 89/90 "A. Verholen u. a./Sociale Verzekeringsbank"

1991,1-4047 25.07.1991 1991,1-4269 25.07.1991

C-345/89 "Strafverfahren gegen Stoeckel" C-208/90 "Theresa EmmottlMinister for Social Welfare u.a. "

1991,1-5357 19.11.1991 C-6, 9/90 "Andrea Franeovieh u.a./ltalien" 1992,1-467 04.02.1992 (VI) C-243/90 "The Queen/Secretary of State for Social Security, ex parte: Florence Rose Smithson" 1992,1-3589 04.06.1992 (VI) C-360/90 "Arbeiterwohlfahrt der Stadt Berlin/Monika Bötei" 1992,1-4297 07.07.1992

C-9/91

"The Queen/Secretary of State for Socia! Security, ex parte: Equal Opportunities Comrnission"

1992, 1-4737 16.07.1992

C-63 & 64/91 "Sonia Jackson u.a./Chief Adjudication Officer"

1992,1-5943 19.11.1992 (11) C-226/91 "J. Molenbroek/Bestuur van de Sociale Verzekeringsbank" 1993,1-673 17.02.1993 C-173/91 "Kommission der EG/Belgien" 1993,1-1247 30.03.1993 (VI) C-328/91 "Secretary of State for Social Security/Evelyn Thomas u. a." 1993,1-3811 01.07.1993 (VI) C-154/92 "Rerni van Cant/Rijksdienst voor pensioenen" 1993,1-4287 02.08.1993 1993,1-4367 02.08.1993

C-158/91 "Strafverfahren gegen Jean-Claude Levy" C-271/91 "M. H. Marshall/Southampton and South West Hampshire Health Authority" (Marshall-Il)

1993,1-4879 06.10.1993

C-109/91 "G. C. Ten Oever/Stichting Bedrijfspensioenfonds"

1993,1-5435 27.10.1993

C-337/91 "A. M. van Gemert-Derks/Bestuur van de Nieuwe IndustrieIe Bedrijfsverebiging"

1993,1-5475 27.10.1993

C-338/91 "H. Steenhorst-Neerings/Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Detailhandel, Ambachten en Huisvrouwen"

Rechtsprechungsverzeichnis 1993,1-5535 27.10.1993 1993,1-5579 1993,1-6185 1993,1-6591 1993,1-6935 1994,1-371 1994,1-571

09.11.1993 (11) 30.11.1993 14.12.1993 22.12.1993 03.02.1994 (VI) 24.02.1994 (VI)

1994,1-1657 05.05.1994 (VI) 1994,1-3191 07.07.1994 (V) 1994,1-3567 14.07.1994 (V) 1994,1-4389 28.09.1994 1994,1-4435 28.09.1994 1994,1-4471 28.09.1994 1994,1-4527 28.09.1994 1994,1-4541 28.09.1994 1994,1-4583 28.09.1994 1994,1-4661 05.10.1994 1994,1-5483 06.12.1994 1994,1-5727 15.12.1994 (VI) 1995,1-1275 31.05.1995 1995,1-2131 13.07.1995 (IV) 1995,1-2521 11.08.1995 (VI) 1995,1-3051 17.10.1995 1995,1-3407 19.10.1995 (VI) 1995,1-4625 14.12.1995 1995,1-4741 14.12.1995 1996,1-179 01.02.1996 (VI)

20'

307

C-127/92 "Dr. P. M. Enderby/Frenchay Health Authority u. a." C-132/92 "Birds Eye Walls Ltd.lFriedel M. Roberts" C-189/91 "Petra Kirsammer-Hack/Nurhan Sidal" C-llO/91 "Michael MoronilCollo GmbH" C-152/91 "David Neath/Hugh Steeper Ltd." C-13/93 "Office national de l'emploi/Madeleine Minne" C-343/92 "M. A. Roks u. a.lBestuur van de Bedrijfsvereniging vor de Gezondheid etc. u. a." C-421/92 "Gabriele Habennann-Beltennann/Arbeiterwohlfahrt" C-420/92 "Elizabeth Bramhill/Chief Adjudication Officer" C-32/93 "Carole Louise WebblEMO Air Cargo Ltd." C-200/91 "Coloroll Pension Trustees/James Richard Russel u.a." C-408/92 "Constance Christina Ellen Smith/ Avdel Systems Ltd." C-7/93 "Allgemeen burgerlijk pensioenfonds/G. A. Beune" C-28/93 "M. N. G. van den Akker u. a.lStichting Shell Pensioenfonds" C-57/93 "Anna A. Vroege/NCIV Instituut u. a." C-128/93 "Geertruida C. FisscherlVoorhuis Hengelo u.a." C-165/91 "Sornon J. M. van Munster/Rijksdienst voor Pensioenen" C-410/92 "Elsie R. Johnson/Chief Adjudication Officer" (Johnson-I1) C-399, 402,455/92,34,50 & 78/93 "Stadt Lengerich u. a.l Angelika Helmig u. a." C-400/93 "Specialarbejderforbundet/Dansk Industri (für Royal Copenhagen A/S)" C-116/94 "Jennifer Meyers/Adjudication Officer" C-92/94 "Secretary of State for Social Security/Rose Graham u. a." C-450/93 "Eckbard Kalanke/Freie Hansestadt Bremen" C-137/94 "The Queen/Secretary of State for Health, ex parte: Cyril Richardson" C-317/93 "Inge Nolte/Landesversicherungsanstalt Hannover" C-444/93 "Ursula Megner u.a.llnnungskrankenkasse Vorderpfalz" C-280/94 "Y. M. Posthuma-van Damme u.a.lBestuur van de Bedrijfsvereiniging voor Detailhandel etc. u.a."

308

Rechtsprechungsverzeichnis

1996,1-243 06.02.1996 1996, 1-273 08.02.1996 (IV) 1996,1-475

13.02.1996

1996,1-1165 07.03.1996 (VI) 1996,1-2143 30.04.1996 1996,1-3633 11.07.1996 1996,1-4895 10.10.1996 (V) 1996, 1-5223 24.10.1996 (VI) 1996,1-5689 07.11.1996 (V) 1997,1-549 30.01.1997 (V) 1997,1-2057 17.04.1997 (VI) 1997,1-2163 22.04.1997 1997,1-2757 29.05.1997 (VI) 1997,1-5253 1997,1-5289 1997, 1-6363 1997,1-6869 1997,1-7153

02.10.1997 02.10.1997 11.11.1997 04.12.1997 11.12.1997

(VI) (VI) (V) (VI)

1998,1-621 17.02.1998 1998, 1-2011 30.04.1998 (VI) 1998,1-2105 30.04.1998 (VI) 1998,1-3739 17.06.1998 (VI) 1998,1-4185 1998,1-5199 1998,1-6173 1998, 1-6401

30.06.1998 22.09.1998 22.10.1998 (VI) 27.10.1998

1998, 1-7327 19.11.1998 (VI)

1998,1-7835 01.12.1998

C-457/93 "Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation/Johanna Lewark" C-8/94 "C. B. Laperre/Bestuurscommissie beroepszaken in de provincie Zuid-Holland" C-342/93 "Joan Gillespie u.a./Northern Health and Social Service Board u. a." C-278/93 "Edith Freers u.a./Deutsche Bundespost" C-13/94 "P./S. u.a." C-228/94 "Stanley Charles Atkins/Wrekin District Council" C-245 & 312/94 "Ingrid Hoever u.a./Land NordrheinWestfalen" C-435/93 "Francina 1. M. Dietz/Stichting Thuiszorg Rotterdam" C-77/95 "Bruna-Alessandra Züchner/Handelskrankenkasse Bremen" C-139/95 "Livia Balestra/lnstituto nazionale della previdenza sociale" C-145/95 "DEI/Efthimios Evrenopoulos" C-66/95 "The Queen/Secretary of State for Social Security ex parte: Eunice Sutton" C-400/95 "Handels- og Kontorfunktionrerernes Forbund (für H. E. Larsson)lDansk Handel & Service" C-l/95 "Hellen Gerster/Freistaat Bayern" C-100/95 "Brigitte Kording/Senator für Finanzen" C-409/95 "Hellrnut Marschall/Land Nordrhein-Westfalen" C-207/96 "Kommission der EG/ltalien" C-246/96 "Mary Teresa Magorrian u.a./Eastern Health and Social Services Board u. a." C-249/96 "Lisa J. Grant/South-West Trains Ltd." C-136/95 "CNAVTStEvelyne Thibault" C-377 bis 384/96 "August De Vriendt u.a./Rijksdienst voor Pensioenen u. a." C-243/95 "Kathleen Hili u.a./The Revenue Commissioners u. a." C-394/96 "Mary Brown/Rentokil Ud." C-185/97 "Belinda Jane Coote/Granada Hospitality Ltd." C-154/96 "Louis Wolfs/Office National de Pensions" C-41l/96 "Margaret Boyle u. a./Equal Opportunities Commission" C-66/96 "Handels- og Kontorfunktionrerernes Forbund i Danmark (für Berit Hlilj Pedersen) u. a./Frellesforeningen for Danmarks Brugsforeninger (für Kvickly Skive) u. a." C-326/96 "B. S. LevezlT. H. Jennings (Harlow Pools) Ud."

Rechtsprechungsverzeichnis 1999,1-623

309

09.02.1999

2000,1-743 2000,1-799

C-167/97 "Regina/Secretary of State for Employment, ex parte: Nicole Seymour-Smith u. Laura Perez" 11.05.1999 C-309/97 "Angestelltenbetriebsrat der Wiener Gebietskrankenkasse/Wiener Gebietskrankenkasse " 09.09.1999 (V) C-281/97 "Andrea Krüger/Kreiskrankenhaus Ebersberg" 16.09.1999 (V) C-218/98 "Oumar Dabo Abdoulaye u.a.lRegie nationale des usines Renault SA" 26.10.1999 C-273/97 "Angela Maria SirdarlThe Army Board & Secretary of State for Defence" 16.12.1999 (V) C-382/98 "The Queen/Secretary of State for Social Security, ex parte: John Henry Taylor" 11.01.2000 C-285/98 "Tanja Kreil/Bundesrepublik Deutschland" 03.02.2000 (VI)C-207/98 "Silke-Karin Mahlburg/Land MeckJenburgVorpommern" 10.02.2000 (VI)C-50/96 "Deutsche Telekom AG/Lilli Schröder" 10.02.2000 (VI)C-234 & 235/96 "Deutsche Telekom AG/Agnes Vick

2000, 1-929

10.02.2000 (VI)C-270 & 271/97 "Deutsche Post AG/Elisabeth Sivers

1999,1-2865 1999,1-5127 1999,1-5723 1999,1-7403 1999,1-8955 2000, 1-69 2000,1-549

u.a,"

u.a."

2000,1-1875 28.03.2000 2000,1-2189 30.03.2000 2000, 1-2447 06.04.2000 2000, 1-3201 16.05.2000 2000,1-3625 23.05.2000 2000,1-3701 23.05.2000 2000, 1-4039 25.05.2000 2000, 1-5539 06.07.2000 2000,1-1099707.12.2000 2001,1-0000 04.10.2001

C-158/97 "Georg Badeck/der Hessische Ministerpräsident u.a." (VI)C-236/98 "Jämställdhetsombudsmannen/Örabro läns landsting" (VI)C-226/98 "Birgitte Jjilrgensen/Foreningen af Speciallreger u.a." C-78/98 "Shirley Preston u. a.lWolverhampton Healthcare NHS Trust u. a." C-I04/98 "Johann Buchner u.a.lSozialversicherungsanstalt der Bauern" C-196/98 "Regina Virginia Hepple u.a.lAdjudication Officer" (V) C-50/99 "Jean-Marie Podesta/Caisse de retraite par repartition des ingenieurs cadres & assimiles u. a." (V) C-407/98 "Katarina Abrahamsson u. a.lElisabeth Fogelqvist" (VI)C-79/99 "Julia Schnorbus/Land Hessen" (V) C-109/00 "Tele Danmark/Handels og Kontorfunktionrerernes Forbund i Danmark (für M. BrandtNielsen)"

Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften Slg. 1992, II-33

Datum(Kammer) Rs. 28.01.1992 (V) T-45/90 "Alicia Speybrouck/Europäsiches Parlament"

Rechtsprechungsverzeichnis

310

Bundesverfassungsgericht BVerfGE 1, 15 3,225 5, 9 6, 55 6, 389 7, 377 9,237 10,59 10, 129 11,51 11,277 13, 167 15,46 15, 337 17, I

Datum (Senat) 23.10.1951 (I) 18.12.1953 (I) 25.03.1956 (I) 17.01.1957 (I) 10.05.1957 (I) 11.06.1958 (I) 14.04.1959 (I) 29.07.1959 (I) 06.10.1959 (I) 05.04.1960 (I) 21.07.1960 (I) 17.10.1961 (I) 06.11.1962 (I1) 20.03.1963 (I) 24.07.1963 (I)

17,38 17,62 17,99 17, 168 18,288 21, 329 22, 163 22, 349 23, 1 25, 1 30, 250 31, 1 33, 303 34,48 37,217 37,271 39, 1 39, 169 43,213 48,327 48, 346 49, 280

24.07.1963 24.07.1963 25.07.1963 26.11.1963 12.01.1965 11.04.1967 11.07.1967 28.11.1967 13.12.1967 18.12.1968 09.03.1971 31.03.1971 18.07.1972 26.07.1972 21.05.1974 29.05.1974 25.02.1975 12.03.1975 26.01.1977 31.03.1978 06.06.1978 10.10.1978 06.12.1978 01.03.1979

50, 290

Südweststaat Gleichberechtigung Arbeitszeitordnung Steuersplitting Homosexualität Apotheke Stichentscheid Lastenausgleichsgesetz Feuerwehrabgabe (1)

(I)

Hoferbe Witwer- und Waisenrente (1, Angestelltenversicherungsgesetz) Witwer- und Waisenrente (2, BVersG a.F.) Witwer- und Waisenrente (3, BVersG n. F.)

(I) (I)

einheitliche Ehename

(11) (11)

Witwerrente (4, Beamtengesetz HH)

(I)

(I) (I) (I)

(I)

Kinderfreibeträge Mühlengesetz

(11) (I)

(I)

Witwerrente (5, Reichsversicherungsordnung) Numerus Clausus

(11)

(I) (11)

(I) (I)

Staatsangehörigkeit Solange-1 Schwangerschaftsabbruch 1 Beamtenpension

(I) (I)

Familiennamen

(I) (11) (I) (I)

Zeugenentschädigung (AusschußbeschI. 1 BvR 722/77) Mitbestimmung

Rechtsprechungsverzeichnis 52, 369 55,72 56, 363 57,295 57, 335 60, 329 63, 181 68,287 68, 384 69, 1 73,40 74, 163 75, 348 78,38 81, 156 84, 9 85, 191 85,238 88,87 89, 155 89, 276 92,91

13 .11.1979 13.11.1979 07.10.1980 24.03.1981 16.06.1981 16.06.1981 04.03.1982 22.02.1983 05.07.1983 28.11.1984 08.01.1985 24.04.1985 11.12.1985 14.07.1986 28.01.1987 31.01.1987

311

Hausarbeitstag (AusschußbeschI. 1 BvR 768/79) Präklusion im Zivilprozeß

(I)

(I) (I) (I)

(I)

3. Rundfunk-FRAG

(I)

(I) (I) (AusschußbeschI. 1 BvR 1214/82 und 210/82)

(I)

(I) (I) Kriegsdienstverweigerung (AusschußbeschI. 1 BvR 1277/85) Parteispenden III Rentenalter (KammerbeschI. 1 BvR 1476/86)

(I1) (I1)

(I) (1-2)

gemeinsame Ehenamen

08.03.1988 (I) 23.01.1990 (I) 09.02.1990 (1-1) 05.03.1991 (I) 28.01.1992 (I) 11.02.1992 (I) 26.01.1993 (I) 12.10.1993 (I1) 16.11.1993 (I) 24.01.1995 (I)

1 BvR 1614/89. Ehename Nachtarbeitsverbot Transsexuelle II Maastricht § 611a BGB Feuerwehrabgabe (2) Bundesgerichtshof

BGHZ 30, 50

Az. V BLw 47/58

Dautm (Senat) 05.05.1959 (Z-V)

Bundesarbeitsgericht BAGE 1,258 1, 348 53, 161 73,269 74, 351 82,211 85, 224

Datum (Senat) 15.01.1955 (I) 06.04.1955 (I) 14.10.1986 (III) 22.06.1993 (I) 20.10.1993 (VII) 05.03.1996 (I) 05.03.1997 (7)

Az. 1 AZR 1 AZR 3 AZR 1 AZR 7 AZR 1 AZR 7 AZR

305/54 365/54 66/83 Sachentscheidung "Bilka-Kaufhaus" 590/92 Vorlagebeschluß "Kalanke" 581/92 (A) Vorlagebeschluß "Lewark" 590/92 (A) Sachentscheidung "Kalanke" 581/92 Sachentscheidung "Lewark"

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Sachverzeichnis § 1356 BGB 21, 175, 195,200,205

Abschlagsklausel 52-53, 163 Abwägung 129, 159, 170, 205-206, 214, 223, 228-230, 234, 236, 243245, 273, 284, 302-303 Abwehrrecht 30, 37, 131, 161, 168, 206,212,258,272,277 Adoption 91, 115 affirmative action 261 Alleinerziehender Vater 208 Allgemeiner Gleichheitssatz 22, 98-99, 170-173, 176-178, 183, 218, 221, 225-226, 230-232, 234-235, 239, 269, 278, 285, 292, 301 Allgemeiner Rechtsgrundsatz 25-28, 33-34,55,99,106,290 Alters- -grenze 70, 77, 125, 154 - -pension 79 - -versorgung 41, 76 Amsterdamer Vertrag 25,28,93, 123 Angestelltenversicherungsgesetz 193, 195, 199 Anknüpfungsverbot 131-132, 169, 180, 182, 188, 205-206, 244-245, 250, 252,277,284,301 Anspruch auf Beitritt s. Beitrittsanspruch Antidiskriminierungsgesetz 248 Arbeits- -bedingung 29, 31, 34, 54, 57, 59, 66-67, 73, 118, 141, 151, 168 - -losenversicherung 147 - -Iosigkeit 81, 157 - -platzteilung 142 - -unfähigkeit 62, 75, 142, 147-148, 157-158, 298

- -unfall 81 - -zeitbeschränkung 20, 183, 201 Aufstieg 46,57, 67, 123, 141 Ausbildung 54, 57, 108, 122, 125, 150-151, 207, 246, 248 Ausbildungsanforderung 54, 151 Ausnahme- -regelung 42-43, 47, 73, 75-77, 7980,84, 104, 106-107, 109, 111, 114115, 117-118, 121, 126-127, 129131, 154, 161, 168, 201, 207, 241242, 274, 301 - -vorschrift 43 Ausschließlichkeits- -anforderung 118-119, 204, 208, 212, 214, 225-229, 238, 241-242 - -erfordernis 118, 212 HAG 38, 127, 138-140, 159, 163,255 Beamtenrecht 98 Beförderung 46-47, 58-59, 123, 141, 246, 266 Beitragspflicht 40, 99 Beitrittsanspruch 41,45 Benachteiligungsverbot 59, 186, 188, 278 Berufs- -ausbildung 124, 149-151, 153, 155156 - -krankheit 81 Beschäftigungspolitik 57 Bestandsgarantie 168 Betriebliches System der sozialen Sicherheit 39, 41, 45, 85 Betriebs- -rat 46, 138-140, 157, 159, 294, 296 - -rente 37,42, 153 - -zugehörigkeit 42, 54, 153

318

Sachverzeichnis

Beweislast- -regelung 55, 87 - -umkehrung 56, 88-89 BGH 176-178 Biologischer Unterschied 170, 181, 192, 201-204, 206-208, 211, 214, 225-226, 229, 238-239, 242-244, 283, 289, 293 Bordstewardeß 35 Bruttolohn 40, 199 Chancengleichheit 58-59, 64, 72-73, 93-94, 113, 120-123, 125-126, 129, 155, 184, 203, 209-210, 212, 242243, 245-246, 248-256, 258-260, 262-266, 268, 270, 272, 275, 295 Dienst- -jahre 142 - -zeit 141-142 Differenzierungs- -kriterium 231,235 - -verbot 129,173, 178-179, 184, 190, 193, 205, 209, 212, 246, 249, 254257, 271-272, 274-276, 279, 293 Diskriminierungsverbot 20-22, 24, 34, 37, 47, 58-60, 74, 98-99, 104, 110, 130, 133-134, 137, 143, 169, 173, 179-180, 218, 228, 247, 252, 276277, 292, 297 Dorninierungsverbot 152, 184, 271274, 276-281 Doppelbelastung 114, 149, 199, 203, 208, 227, 241, 280 Doppe1verdienertum 129 Drittwirkung 38, 49, 163, 291 Durchschnittswert 53, 109, 201, 228229, 244, 301 Ehename 185-186,198,220,224 Eingriff 128, 130-131, 159-161, 168169, 172, 197, 206, 221-223, 234, 236-237, 243, 246, 256, 258, 274, 276, 284-285, 288, 301-302 Einkommensvoraussetzung 147-148

Einschätzungsprärogative 268 Einstellung 57-60, 62-64, 78, 80, 109110, 125-126, 154,248, 264 Einzelfallgerechtigkeit 123, 128-129, 188, 256, 299 Elternurlaub 90-91 Entgelt- -begriff 29, 39-41, 46-47, 140 - -diskriminierung 30, 32-33, 51, 55, 104, 106, 136, 149, 151, 155-156, 166, 297 - -gleichheit 25, 28-39, 41-42, 44, 47-57,87,93, 121, 134, 137, 149 Entlassung 27, 42, 46, 62, 64-66, 6972, 78, 129, 165 Entlohnungskriterium 149 Entsprechungsprüfung 160, 236-237, 240, 283-285, 287-288, 296-298, 303 Erfahrung 124, 126, 141-142, 149, 156,177, 183 Erforderlichkeitsprüfung 120, 159-160, 184, 189, 202, 227-230, 238-239, 241-244, 289, 301-302 Ergänzungsrente 42 Ergebnis- -gleichheit 123, 125, 260 - -quote 124 Ermessensspielraum 157, 164,218 Ersatzrente 40 Erwerbs- -bedingung 57 - -bevölkerung 81, 85 - -tätigkeit 22, 81-82, 85, 87, 126, 145, 195, 197, 199-200,207 - -unfähigkeit 79, 194 Erziehungs- -geld 83 - -urlaub 91,116-117 Europäisches Parlament 86 Evidenzkontrolle 235, 270 Existenzminimum 75, 148, 157, 160

Sachverzeichnis Farnilien- -ernährer 148, 193 - -name 185-186,259 - -rente 75 - -stand 58, 74, 97, 105, 126, 147 - -vorstand 26 Feuerwehrabgabe 21, 177, 201-202, 228,244,301 Finalität 178,181-182,277 Flexibilität 149, 156 Förderungs- -aufgabe 246 - -auftrag 128-129, 255 - -maßnahme 210, 245, 250, 253, 256, 261 - -pflicht 249, 251, 254, 260 Frauen- -diskriminierung 188, 192, 206, 247, 276-277, 279, 295 - -förderung 30, 120, 128, 209-210, 214, 242-243, 245, 247-248, 251256, 260-263, 270, 272-276 Freiberufliche Tätigkeit 85 Freier Dienstleistungsverkehr 113 Freizügigkeit 24, 143 Fremdrentengesetz 180 Funktionaler Unterschied 21, 170, 177, 188-194, 196-201, 203, 205-208, 213, 224-225, 229, 244, 255, 294, 301 Gemeinsamer Markt 24, 36, 56, 58 Gerechtigkeitsmaßstab 236-238, 240, 284, 295 Gerechtigkeitsorientiertes Modell 169170, 215, 221, 258, 299 Gerichtlicher Rechtsschutz 54-56, 5859, 61, 74, 161, 165, 167-168,269 Geringfügige Beschäftigung 137, 143, 157 Geschlechtsneutralität 291 Gesetzliches System der sozialen Sicherheit 39, 75, 163 Gewaltenteilungsprinzip 218

319

Gleichbehandlungs- -defizit 222 - -richtlinie 25, 27-28, 34, 56, 91, 100, 106, 113, 167,219, 290, 301 Gleichheit, formelle 113, 247 Gleichheitsdefizit 122, 246, 260, 262, 293 Gleichstellungsauftrag 255 Gleichwertige Arbeit 29, 49-50, 52, 55-56, 93, 149, 151, 156,297 Gleichwertigkeitstheorie 174-175,291 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit s. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grundsatz des gleichen Entgelts s. Entgeltgleichheit Härtefall 124, 127, 196 Hausarbeitstag 199-200, 202-203, 208, 229 Hausfrauenehe 22, 74, 154, 197 Haushalts- -erwägung 157, 160 - -führung 22, 175, 194-195, 197,200 Hausmann 195-196 Hebamme 107, 109, 114 Hinterbliebenenrente 28, 41, 43, 7980, 83-84, 180 Hoferbe 176, 203, 206 Homosexualität 190 Horizontale Wirkung 38-39, 48--49, 71, 118 Invaliditäts- -rente 74, 76, 78, 80, 148 - -versorgung 75 Job-Sharing 142 lustitiabilität 55 Kausalität 178, 180-182, 232 Kinder- -erziehung 76, 207 - -geld 143 - -zuschlag 187

320

Sachverzeichnis

Kindeswohl 198, 204 KJagefrist 165-166 Kommission 36, 38, 44, 55, 72, 76, 80, 87-88, 90-91, 104-105, 109-110, 122-123, 162, 290 Kompensation 126, 181, 207, 209-210, 252, 261-263, 265, 269-270 Kontrolldichte 235-237, 239, 244 Körperliche Konstitution 227-228, 241 Kostenargument 156 Krankenkasse 63, 114 Krankheitsrisiko 64 Kündigungs- -schutz 66, 68, 144 - -verbot 90 Landwirtschaft 85 Langzeitarbeitslose 148, 157, 160 Lebenssachverhalt 110, 190-193, 204205, 213, 287 Leichtlohngruppe 52-53 Leistungsanspruch 249 Leistungsbezogene Quote 123-124, 126, 129, 247-248, 255, 268 Lohn- -diskriminierung 33, 35, 37, 39, 44, 52,54, 101, 136, 149, 163, 181, 247 - -fortzahlung 46, 63, 115, 136, 158 - -politik 55, 133-134 - -zulage 55 Maastrichter Vertrag 88, 90, 121 Machtbalance 260-262, 265 Menschenwürde 172,233,261-262 Militärischer Dienst 111-113 Mithelfende Ehegatte 85-86 Mittelbare Diskriminierung 41, 46, 51, 53-54, 58, 66, 69, 74-75, 82-83, 8689, 91, 96-97, 100, 103, 105, 126, 132-156, 158-161, 168, 170, 180, 198, 259, 276-288, 291, 294-299, 301-302 Multinationale Ehe 186 Mutter-Kind-Beziehung 115-118

Mutterschafts- -geld 114 - -schutz 113 - -urlaub 62-63, 65-69, 84, 89-90, 101, 114-115, 118, 201 Mutterschutz 67-70, 85, 89, 91, 297 Nachtarbeitsverbot 20-21,63,66, 117, 119, 183, 225-227, 244, 301 Neue Formel 22, 172, 226, 230-239, 286,288 Nichtigkeit 163,216-217,221 Öffentliche Sicherheit 108, 113 Öffentlicher Dienst 38, 122, 124, 246247,258,268 Öffnungsklausel 124, 127-129,263,267 Ordnungsvorschrift 185, 188 Parität 260, 262, 264, 270, 294 Pauschalisierung 155, 181 Personenbezogene Differenzierung/Ungleichbehandlung 231, 244 Persönliche Eigenschaft 232-234, 238, 244 Positive Maßnahme 121-122, 213, 242, 246, 252, 276 Praktische Konkordanz 129, 255-257, 264 Prima-facie-Recht 172, 223, 233-234, 237,257,284 Primäres Gemeinschaftsrecht 19, 2426,28,55,84,92,99 Privilegierung 69, 209 Quotenregelung 122-130, 211 , 246247, 254-255, 257, 259-260, 263268,273 Quotierung 123,246,254-255,264-265 Rat 49, 57, 73, 83-85, 88-90, 93-94, 120-123 Rechtfertigungsgrund 61, 66, 72, 75, 104, 138, 140-143, 146, 150-151,

Sachverzeichnis

155, 157-158, 202, 227, 232, 237, 240, 264 Rechtsschutzinteresse 162, 164-165, 215, 219-220 Renten- -alter 41-43, 47-48, 70-72, 76-80, 83-84, 99, 105, 167, 181, 206-209, 214, 225, 229, 242, 252, 261, 268, 270, 294 - -anwartschaft 67 - -system 35, 39-41, 45, 48, 72, 7778, 104, 137, 153 Rezeptgebühr 79 Richtlinie - RL 751117 25, 32, 38-39, 44, 4951,54-56, 58, 63, 91, 166 - RL 761207 25, 46-47, 55, 57-61, 64, 66-67, 69-74, 85, 87, 89-90, 94, 97, 100, 106-125, 127-128, 130, 141, 150, 247, 267, 274-275, 290, 297 - RL 79/7 25, 28, 43, 48, 70, 73-77, 79-83, 85, 93-94, 97, 113, 130, 142143, 154, 163, 166, 208, 291 - RL 86/378 25, 41-43, 47-48, 83-85, 93,97, 104-105, 153 - RL 86/613 25, 85-87, 97 - RL 92/85 25, 65-69, 89-90 - RL 96/97 25,84-85, 105 - RL 97/80 25,55, 88-89, 134 Rollen- -erwartung 116, 145, 184, 196, 223, 258, 278, 280 - -klischee 198, 200,209,280 - -verteilung 39, 116, 152, 175, 187, 193, 199 Schadensersatzanspruch 44, 60, 165 Schule 72 Schutz- -bedürftigkeit 114-116, 118, 144, 160,201-203,240,242,258 - -bereich 128, 130, 168-169, 171172,223,234,249,284,301-302 - -pflicht 37-38, 60 21 Nishihara

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- -richtung 108, 131, 152, 269, 275, 281, 287 - -vorschrift 114, 117-118, 120, 203 Schwangerschaft 27, 58, 62-69, 87, 89-90, 101 , 113-114, 116-117, 258, 266, 297-298 Schwerbehindertengeld 77 Sekundäres Gemeinschaftsrecht 20, 25, 39, 49, 92 Selbständige 81, 85-87, 158 Sozialer Unterschied 208-210, 212 Soziales Dumping 47 Sozialisation 209 Sozialpolitik 29-31, 34, 57, 64-65, 75, 88,90, 121, 139, 157-158 Sozialpolitisches Ziel 30-31, 35, 37, 47-49,57,148,155,157-158,160 Sozial staats- -klausel 30, 252 - -prinzip 252 Sozialversicherungssystem 40, 78 Staatsangehörigkeits- -diskriminierung 25, 133 - -regelung 186 Staatsaufgabe 249, 251 Stichentscheid 183, 185, 187, 192, 206, 216 Streitkräfte 111-112 Subjektiv-rechtliches Modell 168, 224 Tarif- -partei 29, 37, 52, 131 , 137, 165, 167 - -vertrag 42,58, 137, 163, 211 Tauglichkeitsuntersuchung 202, 228 Teilhaberecht 250-251 Teilzeit- -beschäftigte 35, 41, 46, 133, 135138,140-145,156,158-160,294,296 - -beschäftigung 136-137, 141-142, 144-147, 152-153 typisierende Regelung s. Typisierung Typisierung 155, 158, 180-181, 183, 194-196, 241, 244

322

Sachverzeichnis

Überbrückungsrente 99 Übergangs geld 46, 136 Überstunde 137-138, 159 Umgekehrte Diskriminierung 94, 212213, 254 Unerheblichkeitsthese 172-180, 182, 193, 197,205-206,213, 222 Unterhaltsverpflichtung 75, 147-148 Unterrepräsentanz 30, 122, 245-246, 263,266 Vater-Kind-Beziehung 115, 118 Verdeckte Diskriminierung 133, 279, 295 Verfassungs- -auftrag 128, 184,218, 251, 253 - -novelle 121,253 - -überlieferung 19-20, 26, 290 Vergleichbarkeits- -kriterium 99-101, 104,215 - -prüfung 21-22, 170, 182, 191-193, 198, 201, 204-206, 209-215, 225230, 237-240, 243-244, 254, 258, 270, 282-283, 289, 293, 299, 301 Vergünstigung 40--41, 46, 69, 93, 102, 121, 124-125, 218-220, 222 Vergütungs gruppe 46, 141 Verhaltensbezogene Differenzierung/ Ungleichbehandlung 231 Verhältnismäßigkeits- -grundsatz 106-108, 111-112, 114, 118-120, 131, 147, 150, 159, 238240, 245, 303 - -kontrolle 241 - -prinzip 233, 235, 243-244, 249, 255, 258, 265, 268, 270, 274-275, 282, 288, 291-292, 295 - -prüfung 22,96, 106-108, 112, 117120, 127-128, 130-131, 135, 139, 143-144, 150-151, 155, 159-161, 168-169, 214, 223, 233-241, 243-

245, 247, 254-259, 269-275, 282285, 288, 296-297, 301-303 Versicherungs- -dauer 77, 207 - -mathematischer Faktor 104-105 - -system 39, 63-64 Versorgungs system 39-40, 42-43, 4547, 84-85, 104 Verteilungsprinzip 256 Vertragsverletzungsverfahren 44, 55, 109-110, 115 Vertretungsdienst 87 Verwaltungsaufwand 195 Vorabentscheidungsverfahren 82 Wanderarbeitnehmer 57, 143 Wettbewerbs- -nachteil 32 - -verzerrung 32, 35, 48 Wettbewerbsverzerrende Praxis s. Wettbewerbsverzerrung Willkür- -prüfung 172, 179, 191, 233, 286, 298 - -tatbestand 179,182,191-192 - -verbot 171-172, 176, 178, 182-183, 191, 193, 197, 221, 225, 230, 233237, 257, 270, 276-278, 282, 285287, 292-294 Wirtschafts- und Sozialausschuß 55, 73, 88, 93, 104, 123 Wirtschaftspolitisches Ziel 32, 36, 4749, 56, 58 Witwerrente 22, 27, 43, 180, 193-196, 200, 215 Wöchnerin 66, 89 ZieJvorgabe 29, 124, 159 Zölibatklausel 129 Zweck-Mittel-Verhältnis 148, 234-236, 238, 256, 266, 274, 282, 295