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German Pages 380 [381] Year 2022
Schriften zum Strafrecht Band 384
Das Führen eines Fahrzeugs im Strafrecht Ein dogmatischer Neuansatz unter Betrachtung der strafrechtlichen Verantwortung von Nutzern automatisierter Fahrzeuge
Von
Stephan Berndt
Duncker & Humblot · Berlin
STEPHAN BERNDT
Das Führen eines Fahrzeugs im Strafrecht
Schriften zum Strafrecht Band 384
Das Führen eines Fahrzeugs im Strafrecht Ein dogmatischer Neuansatz unter Betrachtung der strafrechtlichen Verantwortung von Nutzern automatisierter Fahrzeuge
Von
Stephan Berndt
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-18462-0 (Print) ISBN 978-3-428-58462-8 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2021 von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis einschließlich Mai 2020 berücksichtigt. Die Erscheinung von Neuauflagen fand zumeist bis Juli 2021 Eingang. Als ich mich im Frühjahr 2016 erstmals meinem selbsterwählten Thema zuwandte, stellte sich dieses noch als zukunftsweisend dar. Sowohl in rechtlicher wie technischer Hinsicht war eine Fahrzeugführung nur durch die menschliche Hand möglich. Zwar befanden sich bereits erste „Autopiloten“ in der Felderprobung. Von der Serienreife vollautomatisierter oder gar autonomer Fahrerassistenzsysteme war jedoch noch keine Rede. Dies sollte sich während der Jahre meiner Forschung rapide ändern. Die (Zwischen-)Schritte des hoch- und vollautomatisierten Fahrens wurden geradezu im Eiltempo genommen, sodass die technische Bewältigung komplexer Fahraufgaben kaum noch futuristisch erscheint. Stattdessen gehört diese Technologie – zusammen mit der Elektromobilität – (fast) zum alltäglichen Straßenbild. Trotz des aufkommenden breiten gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurses bezüglich der Automatisierung des Individualverkehrs erlangten strafrechtliche Erwägungen anfänglich kaum an Bedeutung. Zwar sollte sich dies ändern, dennoch schienen die immer wieder gebetsmühlenartig vorgetragenen DilemmaSituationen deren Ausgangspunkt zu bilden. Der Gedanke, diese (begrenzte) strafrechtliche Entwicklung nunmehr begleiten und vielleicht auch voranbringen zu können, verlieh mir besondere Motivation. Gleichwohl war die Zeit der Abfassung der Dissertation keine durchweg von Erfolgen geprägte, sondern verlangte auch einige Entbehrungen und Kraftanstrengungen. Dies wurde aber glücklicherweise durch den mir zuteil werdenden breiten fachlichen und persönlichen Beistand abgefedert, wodurch die Realisierung dieser Arbeit durch mich überhaupt erst ermöglicht wurde. Allem voran gilt mein besonderer Dank meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Mitsch, der direkt die Betreuung meines Themas übernahm und mich stets und jederzeit mit fachlichen Anregungen und Diskussionen unterstüzte. Darüber hinaus hat die vertrauensvolle langjährige Zusammenarbeit an seinem Lehrstuhl, während derer er mir nicht nur die notwendigen Freiheiten für die Abfassung meiner Arbeit gewährte, sondern mich zugleich mit themenübergreifenden strafrechtlichen Problemstellungen betraute, meine Fähigkeiten zum wissenschaftlichen Arbeiten geschliffen. Dies, verbunden mit einer stets offenen Tür, trug zu dem positiven Arbeitsklima bei, welches mir den langen Weg der Abfassung der Arbeit vereinfachte.
8
Vorwort
Weiterer Dank gebührt meinem Zweitkorrektor, Herrn Prof. Dr. Georg Steinberg, welcher sein Gutachten in sehr kurzer Zeit und gleichwohl umfassenderweise erstellte. Darüber hinaus bedanke ich mich bei Frau Prof. Dr. Anna H. Albrecht, welche sich im Rahmen der Disputation mit offenem Ohr und regem Austausch beteiligte. Insgesamt bleibt zudem allen Prüfungsausschussmitgliedern für die unbedingte Förderung meines Promotionsverfahrens trotz bestehender Corona-Einschränkungen zu danken. Mein weiterer persönlicher Dank gebührt meiner Familie. Allem voran habe ich den erfolgreichen Abschluss meiner Lebensgefährtin, Frau Celina Serbest, zu verdanken, welche mir nicht nur beim Stocken des Fortschritts mit fachlichen Anregungen und Diskussionen „auf die Sprünge“ half, sondern auch jederzeit – und vor allem in längeren Arbeitsphasen – den Rücken freihielt. Auch habe ich ihr so manchen Gedanken zu verdanken, der sich in weiteren Überlegungen niederschlug. Meinem Bruder, Herrn Sebastian Berndt, habe ich für den stetig regen Austausch – etwa den stundenfüllenden Dialogen zum abstrakten Gefährdungsdelikt – zu danken. Des Weiteren habe ich meinen Eltern, Frau Dipl.-Ing. Andrea und Herrn Dipl.-Ing. Andreas Berndt, für die – auch finanzielle – Ermöglichung eines sorgenfreien Studiums als auch einer jederzeitigen Unterstützung während der Verfassung der Arbeit zu danken. Dieser Dank trifft auch meine Großeltern, die meinen Studienfortschritt stets fördernd verfolgten. Allen sei zudem für ihre unbedingte Bereitschaft zum Korrekturlesen gedankt, die noch so manchen Fehler eliminierten. Darüber hinaus möchte ich DOMBERTRechtsanwälte, inbesondere Herrn Prof. Dr. Klaus Herrmann, meinen Dank aussprechen. Neben der gewährten Flexibilität und den stets offenen Ratschlägen während meiner dortigen Tätigkeit wurde mir zeitlich wie finanziell die Teilnahme an Fachkonferenzen ermöglicht, die mir vertiefte und neue Untersuchungsansätze offenbarten. Zuletzt sei allen Freunden und Kollegen gedankt, die meine Arbeit als auch meine Freizeit bereichert und den Fortgang der Arbeit motivierend begleitet haben. Potsdam, im August 2021
Stephan Berndt
Inhaltsübersicht 1. Kapitel Einführung
27
A. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Kapitel Grundlagen der Fahrzeugführung
32
A. Die Fahrzeugführung als Regelungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Fahrer im Regelkreis – Die Bewältigung der Führungstätigkeit . . . . . . . . . . II. Das Fahrzeug im Regelkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Umwelt im Regelkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35 35 54 55
3. Kapitel Anwendungsbereich und technische Umsetzung des automatisierten Fahrens
56
A. Kategorisierung von Fahrerassistenzsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Begriff des Fahrerassistenzsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kategorisierung von Fahrerassistenzsystemen nach der BASt-Projektgruppe . . . III. Tätigkeitsanalyse der verschiedenen Fahrerassistenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57 59 60 64
B. Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Stauassistent mit Verfügbarkeitsfahrer – Staupilot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das autonome Valet-Parken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das autonome Fahrzeug ohne Verfügbarkeitsfahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68 70 72 74 76
4. Kapitel Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts
78
A. Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts und Straßenverkehrsstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 I. Die gesellschaftliche und technische Entwicklung des motorisierten Straßenverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
10
Inhaltsübersicht II. Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
B. Zusammenführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5. Kapitel Das historische Dogma des „aktiven Fahrers“ A. Die historischen (straf-)verkehrsrechtlichen Termini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Führen eines Kraftfahrzeugs im Kraftfahrzeuggesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Kraftfahrzeugführer im Kraftfahrzeuggesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das „In Betrieb setzen“ im Kraftfahrzeuggesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95 97 98 102 105
B. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 6. Kapitel Darstellung und Analyse der Auslegungs- und Spruchpraxis zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Führen eines Kraftfahrzeugs als tathandlungsbeschreibendes Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Exkurs: „Wer ein Fahrzeug führt“ – Die Theorie der Beschreibung des Tatsubjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Führen als Merkmal der Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Problemfelder der kasuistischen Auslegungs- und Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . I. Erstes Problemfeld: Das Abstellen auf den physischen Steuerungsvorgang . . . . II. Zweites Problemfeld: Die Eigenhändigkeit und der „Sonderdeliktscharakter“ als unverrückbare Prämisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Drittes Problemfeld: Die Untauglichkeit der Bezugnahme eines Bewegungsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
110 112 113 114 120 146 147 158 173 174
7. Kapitel Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
176
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Wortlautauslegung (Grammatikalische Auslegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die subjektiv-historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Objektiv-teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Auslegungsfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177 179 196 213 223 230
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags . . . . . . . . . . . . I. Die Neudefinition des Führens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die dogmatischen Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Resümee zum neuen Definitionsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
232 232 237 322
Inhaltsübersicht
11
8. Kapitel Die rechtliche Würdigung der Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens
325
A. Ausgangsszenario . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 B. Rechtliche Würdigung der Use-Cases . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Stauassistent mit Verfügbarkeitsfahrer – der Staupilot . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das autonome Valet-Parken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das autonome Fahrzeug ohne Verfügbarkeitsfahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
326 326 334 339 342
9. Kapitel Ergebnis der Untersuchung
344
Anhang 1 Nomenklatur der Automatisierungsstufen nach dem Standard SAE J3016
347
Anhang 2 Technische Umsetzung des automatisierten Fahrens A. Hardwarekomponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Digitalkamera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nachtsichtsysteme (Infrarotsichtsysteme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Lidar-Sensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Radarsensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ultraschall-Sensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Odometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Drehratensensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Global Positioning System (GPS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Externe Datenübermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
348 348 349 350 351 351 352 353 353 353 354
B. Softwareumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Einführung
27
A. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2. Kapitel Grundlagen der Fahrzeugführung
32
A. Die Fahrzeugführung als Regelungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Der Fahrer im Regelkreis – Die Bewältigung der Führungstätigkeit . . . . . . . . . . 35 1. Arten von Fahraufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Die Klassifizierung nach der Bedeutung (nach Bubb) . . . . . . . . . . . . . . . . 36 aa) Die primären Führungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 bb) Die sekundären Führungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 cc) Die tertiären Führungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Klassifizierung nach der Hierarchie (nach Donges) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 aa) Die Navigationsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 bb) Die Bahnführungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 cc) Die Stabilisierungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Die Bewältigung der Fahraufgabe durch den (menschlichen) Fahrer . . . . . . . 41 a) Die Informationsaufnahme (Wahrnehmung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 b) Die Informationsverarbeitung im engeren Sinne (Kognition) . . . . . . . . . . 46 aa) Die unbewusste Informationsverarbeitung (fertigkeitsbasierende Ebene) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 bb) Die bewusste Informationsverarbeitung – Die Stufen des bewussten Informationsverarbeitungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 cc) Die mentalen Belastungen während der Informationsverarbeitung . . . 51 dd) Zwischenergebnis: Die Leistungsanforderungen an den Fahrzeugführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 c) Die Informationsabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
14
Inhaltsverzeichnis 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Das Fahrzeug im Regelkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 III. Die Umwelt im Regelkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
3. Kapitel Anwendungsbereich und technische Umsetzung des automatisierten Fahrens
56
A. Kategorisierung von Fahrerassistenzsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I. Der Begriff des Fahrerassistenzsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 II. Kategorisierung von Fahrerassistenzsystemen nach der BASt-Projektgruppe . . . 60 III. Tätigkeitsanalyse der verschiedenen Fahrerassistenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Die Führungsaufgabe beim assistierten und teilautomatisierten Fahren (Automatisierungsebene 1 und 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Die Führungsaufgabe bei hochautomatisierten Assistenzsystemen (Automatisierungsebene 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Die Führungsaufgabe bei vollautomatisierten Assistenzsystemen (Automatisierungsebene 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 B. Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Der Stauassistent mit Verfügbarkeitsfahrer – Staupilot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Anforderungen an den Fahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Stand der Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Das autonome Valet-Parken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2. Anforderungen an den Fahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3. Stand der Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 III. Der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Anforderungen an den Fahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3. Stand der Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 IV. Das autonome Fahrzeug ohne Verfügbarkeitsfahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Anforderungen an den Fahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Stand der Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Inhaltsverzeichnis
15
4. Kapitel Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts
78
A. Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts und Straßenverkehrsstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 I. Die gesellschaftliche und technische Entwicklung des motorisierten Straßenverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 II. Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 B. Zusammenführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
5. Kapitel Das historische Dogma des „aktiven Fahrers“
95
A. Die historischen (straf-)verkehrsrechtlichen Termini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. Das Führen eines Kraftfahrzeugs im Kraftfahrzeuggesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Die Strafvorschriften des Kraftfahrzeuggesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Die Fahrerlaubnispflicht im Kraftfahrzeuggesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 II. Der Kraftfahrzeugführer im Kraftfahrzeuggesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 III. Das „In Betrieb setzen“ im Kraftfahrzeuggesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 B. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
6. Kapitel Darstellung und Analyse der Auslegungs- und Spruchpraxis zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
110
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 I. Das Führen eines Kraftfahrzeugs als tathandlungsbeschreibendes Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 II. Exkurs: „Wer ein Fahrzeug führt“ – Die Theorie der Beschreibung des Tatsubjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Die Befürwortung der §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB als Sonderdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Die Argumente gegen die Sonderdeliktstheorie der Führungsdelikte . . . . . . . 117 a) Der Wortlaut und der Wille des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Sinn und Zweck der Straßenverkehrsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Ergebnis zur Sonderdeliktstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
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Inhaltsverzeichnis III. Das Führen als Merkmal der Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Vorüberlegung: Das Führen eines Fahrzeugs als Grundvoraussetzung der Führungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Das Fahren als Äquivalent des Führens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Das Führen als Grundvoraussetzung aller Tatbestandsvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Die Auslegungspraxis zu den strafrechtlichen Verkehrstermini . . . . . . . . . . . 125 a) Die Definition des Führens und des Fahrzeugführers . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Kein Führen durch mündliche Anweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Die Mindestanforderungen des Führens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Die Einführung eines Bewegungselements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4. Der Dauertätigkeitscharakter des Führens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Die dogmatische Herleitung der Dauerdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Die Auslegung und Problematik des Führens als Dauertätigkeit . . . . . . . . 139 c) Weitere dogmatische Herleitung des Dauertätigkeitscharakters des Führens aus den Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 5. Das subjektive Element der Fahrzeugführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
B. Die Problemfelder der kasuistischen Auslegungs- und Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . 146 I. Erstes Problemfeld: Das Abstellen auf den physischen Steuerungsvorgang . . . . 147 1. Die Anwendungsdivergenz bei verschiedenen Fahrzeugarten . . . . . . . . . . . . . 147 2. Die Fahrlehrerentscheidungen in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3. Die Beifahrerentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Der Beifahrer als Führender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 b) In Abgrenzung: Der verkehrsfeindliche Inneneingriff durch den Beifahrer 154 4. Die Entscheidungen zum „Mit-sich-führen“ von Fahrzeugen . . . . . . . . . . . . . 156 5. Zwischenergebnis: Die Spannungsfelder der etablierten verrichtungsbezogenen Auslegungs- und Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Zweites Problemfeld: Die Eigenhändigkeit und der „Sonderdeliktscharakter“ als unverrückbare Prämisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Die Relativität der Rechtsbegriffe des § 1a Abs. 4 StVG . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Das Fehlen einer besonderen Pflichtenstellung des Fahrzeugführers . . . . . . . 164 4. Die Folge: Der Zirkelschluss der Auslegungspraxis mit dem Eigenhändigkeitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 5. Die Kollision des Dauertätigkeitscharakters mit dem Eigenhändigkeitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 III. Drittes Problemfeld: Die Untauglichkeit der Bezugnahme eines Bewegungsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
Inhaltsverzeichnis
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7. Kapitel Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
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A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Die Wortlautauslegung (Grammatikalische Auslegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Grundlegende Orientierung am Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Der Wortlaut des Führens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Der Rückgriff auf die Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 b) Der allgemeine Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Die wissenschaftlichen Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 aa) Die Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung („zur Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erheblichen Veränderung des Fahrprozesses“) . . . . . . . 187 (1) Die grundlegende Beschränkung auf die Bewältigung primärer Führungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (2) Die Indizwirkung der Bewältigung von Aufgaben der primären Navigation und der sekundären Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Die Bewältigung der Arbeitsaufgabe durch den Menschen („Betätigungen […] wahrnimmt“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (1) Notwendigkeit des inneren Zusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (2) Die Bewältigung primärer Führungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 cc) Die Zielgerichtetheit (das finale Moment „dient“) . . . . . . . . . . . . . . . . 193 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Systematische Stellung des Führens innerhalb des Strafgesetzbuchs . . . . . . . 198 3. Abgrenzung von ähnlichen (straf-)verkehrsrechtlichen Termini . . . . . . . . . . . 200 a) Abgrenzung zum (Fahrzeug-)Führer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 aa) Strafrechtsinterne systematische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 bb) Außerstrafrechtliche systematische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Abgrenzung zum Ingebrauchnehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 c) Abgrenzung zum Fahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 III. Die subjektiv-historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Die Entstehung des Führens als Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 3. Der Wandel der tatsächlichen Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) Die historisch angelegte Abgrenzung zwischen Führen und Führer . . . . . . 221 b) Die Dynamisierung des Begriffsverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
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Inhaltsverzeichnis IV. Objektiv-teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Teleologische Abgrenzung des Fahrzeugführers vom Führen . . . . . . . . . . . . . 224 2. Die definitorische eigene Verantwortung für den Fahrprozess („eigene Verantwortung“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 V. Auslegungsfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags . . . . . . . . . . . . 232 I. Die Neudefinition des Führens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Die Betätigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Der Fahrprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3. Das Dienen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 4. Die eigene Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 II. Die dogmatischen Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Keine Notwendigkeit von Stelleingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Dauertätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 3. Die Notwendigkeit des finalen Elements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 4. Kein Bewegungselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a) Etwas Statisches könne nicht geführt werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Die Gleichsetzung von Beginn und Beendigung der Führungstätigkeit . . . 247 c) Die Konsequenzen für die Versuchsstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 5. Der Verzicht auf die Eigenhändigkeitsdoktrin der Straßenverkehrsdelikte . . . 252 a) Erstes Eigenhändigkeitskriterium: Wortlaut der Straßenverkehrsdelikte
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b) Zweites Eigenhändigkeitskriterium: „Unmittelbar körperliche“ Verwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 c) Drittes Eigenhändigkeitskriterium: Zentralstellung des Führenden . . . . . . 258 d) Die Lösung über die Tatherrschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 6. Das Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 a) Vorüberlegung: Der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehörende Erfolg eines Tätigkeitsdelikts im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . 267 aa) Der unterlassungsstrafrechtlich relevante Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (1) Die enge Erfolgsinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (2) Die weite Erfolgsinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 (3) Keine abschließende Position der Rechtsprechung zum Erfolgsbegriff des § 13 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 bb) Der zum Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB gehörende Erfolg . . . . . . 278 (1) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (2) Die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (3) Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (a) Keine gefährdungsbegründende Eignung der Tathandlung . . . 283
Inhaltsverzeichnis
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(b) Die in § 316 Abs. 1 StGB sanktionslegitimierende abstrakte Gefährdungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 (c) Die gefährdungsbegründenden Außenweltveränderungen . . . . 287 b) Die Abgrenzung von Handlung und Unterlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 aa) Vorüberlegung: Die potenzielle Erfolgsbewirkung der Führungsdelikte durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 bb) Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (1) Der Übergang von der Führungstätigkeit in die Untätigkeit . . . . . 291 (2) Die Bewirkung von gefahrträchtigen Zuständen ohne Fortbewegungswillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 c) Die Garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 aa) Garantenstellung aus Gefahrquellenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . 295 (1) Der Verantwortungsbereich des aktiven Fahrzeugführenden . . . . . 296 (2) Der Verantwortungsbereich des Nutzers hoch- oder vollautomatisierter Fahrerassistenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (3) Zwischenergebnis zur Gefahrquellenverantwortung . . . . . . . . . . . . 299 bb) Garantenstellung aus Ingerenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 cc) Die Garantenpflichten gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 (1) Die Garantenpflicht aus familiärer Verbundenheit . . . . . . . . . . . . . 301 (2) Der Fahrlehrer als Garant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 (3) Die Begleitperson gemäß § 48a FeV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 (4) Täterschaftsfragen des Dritten als Garanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 dd) Die gebotenen und zumutbaren Handlungen zur Abwendung der Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (1) Die gebotenen und zumutbaren Handlungen eigenbegründeter Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 (a) Die Übernahmeaufforderung des Fahrerassistenzsystems bei Kraftfahrzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 (b) Kenntnis von gefahrträchtigen Verkehrssituationen . . . . . . . . . 308 (2) Die gebotenen und zumutbaren Handlungen zur Abwehr drittvermittelter Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 d) Die Entsprechungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 bb) § 316 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 (1) Die Handlungspflicht des Fahrzeugführenden . . . . . . . . . . . . . . . . 313 (2) Die Handlungspflicht des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 (3) Exkurs: (Kein) Wiederaufleben der Handlungspflicht über § 315b Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 cc) § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 dd) § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 (1) Das vorsätzliche unechte Unterlassen des §§ 315c Abs. 1 Nr. 2, 13 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
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Inhaltsverzeichnis (2) Das fahrlässige unechte Unterlassungsdelikt des §§ 315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, 13 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 III. Resümee zum neuen Definitionsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
8. Kapitel Die rechtliche Würdigung der Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens
325
A. Ausgangsszenario . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 B. Rechtliche Würdigung der Use-Cases . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 I. Der Stauassistent mit Verfügbarkeitsfahrer – der Staupilot . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 1. Die Betätigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 a) Die Aktivierung des Staupiloten als Betätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 b) Die Entledigung von der Führungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2. Der Fahrprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 3. Das Dienen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 4. Die Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 5. Ergebnis zum Staupiloten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 II. Das autonome Valet-Parken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 1. Die Betätigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 2. Der Fahrprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 3. Ergebnis zum automatisierten Valet-Parken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 III. Der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 1. Die Betätigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 2. Der Fahrprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 3. Das Dienen/Die Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 4. Ergebnis zum Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 IV. Das autonome Fahrzeug ohne Verfügbarkeitsfahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 1. Die Betätigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 2. Der Fahrprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 3. Ergebnis zum autonomen Fahrzeug ohne Verfügbarkeitsfahrer . . . . . . . . . . . 342
9. Kapitel Ergebnis der Untersuchung
344
Inhaltsverzeichnis
21
Anhang 1 Nomenklatur der Automatisierungsstufen nach dem Standard SAE J3016
347
Anhang 2 Technische Umsetzung des automatisierten Fahrens
348
A. Hardwarekomponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 I. Digitalkamera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 II. Nachtsichtsysteme (Infrarotsichtsysteme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 III. Lidar-Sensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 IV. Radarsensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 V. Ultraschall-Sensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 VI. Odometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 VII. Drehratensensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 VIII. Global Positioning System (GPS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 IX. Externe Datenübermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 B. Softwareumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
Abkürzungsverzeichnis a. A. abl. ABS Abs. a. E. AG AI Alt. Angekl. Anh. Anm. AnwK AöR ARSP Art. ASR AT ATS ATZ Aufl. ausf. AusfAnw. AW BA BASt BayObLG BayObLGSt
andere Ansicht/anderer Ansicht ablehnend Antiblockiersystem Absatz am Ende Amtsgericht Automobil-Industrie Alternative Angeklagte/Angeklagter Anhang Anmerkung Anwaltkommentar Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Antischlupfregelung Allgemeiner Teil Advances in Transportation Studies Automobiltechnische Zeitschrift Auflage ausführlich Ausführungsanweisung Automobil-Welt Blutalkohol Bundesanstalt für Straßenwesen Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen (Amtliche Sammlung) Bd. Band BeckOK Beck’scher Onlinekommentar Bespr. Besprechung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGH/BA/RA-FS Festschrift aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs für Strafsachen (Amtliche Sammlung) BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs für Zivilsachen (Amtliche Sammlung)
Abkürzungsverzeichnis BHHJ BinSchStrO BMW BR-Drs. Bsp. bspw. BT BT-Drs. B. v. BVerfG BVerfGE BVerfGK bzgl. bzw. ca. d. DAR d. h. diesbzgl. Einl. EL Entsch. Erl. ESP et al. etc. f./ff. FahrlG FeV FG Fn. Frankfurt a. M. FS GA gem. ggf. GPS grds. GS GS. 1850 Hans. OLG HK-GS h. M. HRR hrsg./Hrsg. HS i. d. F. i. E.
Burmann/Heß/Hühnermann/Janke Straßenverkehrsrecht Kommentar Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung Bayerische Motoren Werke Bundesrat-Drucksache Beispiel/Beispiele beispielsweise Besonderer Teil Bundestag-Drucksache Beschluss vom Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung) Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich beziehungsweise circa der/die/das Deutsches Autorecht das heißt diesbezüglich Einleitung Ergänzungslieferung Entscheidung Erläuterung Elektronisches Stabilitätsprogramm et alii (und andere) et cetera folgende Seite/folgende Seiten Gesetz über das Fahrlehrerwesen Fahrerlaubnis-Verordnung Festgabe Fußnote Frankfurt am Main Festschrift Goltdammer’s Archiv gemäß gegebenenfalls Global Positioning System (Globales Positionsbestimmungssystem) grundsätzlich Gedenkschrift Gesetzessammlung für die Königlich-Preußischen Staaten 1850 Hanseatisches Oberlandesgericht Handkommentar Gesamtes Strafrecht herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung herausgegeben/Herausgeber Halbsatz in der Fassung im Ergebnis
23
24 insb. i. S. d. i. V. m./i. Verb. m. JA Jg. JMBl. NW JR Jura JuS JW JZ Kap. KFG KG KK Km/h, km/std krit. KVR LG lit. Lit. LK LPartG LPK LS m. MAH MDR m. E. M/R MüKo m. V. a. m. w. N. N. NdsRpfl. NJ NJW NK NK-GVR Nr. NStZ NStZ-RR NuR NZV OLG/ObLG. OWiG Pkw PrFDG
Abkürzungsverzeichnis insbesondere im Sinne des/im Sinne der in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Jahrgang Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung Kapitel Kraftfahrzeuggesetz Kammergericht Karlsruher Kommentar Kilometer in der Stunde kritisch Kraftverkehrsrecht von A bis Z Landgericht littera Literatur Leipziger Kommentar Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft Lehr- und Praxiskommentar Leitsatz mit Münchener Anwaltshandbuch Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens Matt/Renzikowski Kommentar Strafgesetzbuch Münchener Kommentar mit Verweis auf mit weiterem Nachweis Nachweis/Nachweise Niedersächsischer Rechtspfleger Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nomos Kommentar Nomos Kommentar Gesamtes Verkehrsrecht Nummer/Nummern Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungsreport Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Personenkraftwagen Preußisches Gesetz betreffend den Forstdiebstahl
Abkürzungsverzeichnis RG RGBl. RGSt RGZ Rn. Rspr. S. SächsOLG SAE SchlHA schweiz. StR SeuffBl. SK sog./sogen. S/S SSW StGB StPO StR str. st. Rspr. StV StVG StVO/StrVerkO StVR StVR-HdB StVZO SVR t tatsächl. TMC u. u. a. usw. U. v. v. Var. VDI VerkMitt VGH vgl. Vor/Vorb VRR VRS wistra WÜ z. ZAP
25
Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (Amtliche Sammlung) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (Amtliche Sammlung) Randnummer/Randnummern Rechtsprechung Seite/Seiten/Satz Sächsisches Oberlandesgericht (Oberlandesgericht Dresden) Society of Automotive Engineers Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schweizerisches Strafrecht Seufferts Blätter für Rechtsanwendung in Bayern Systematischer Kommentar sogenannte Schönke/Schröder Strafgesetzbuch Kommentar Satzger/Schluckebier/Widmaier Kommentar zum Strafgesetzbuch Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafrecht streitig ständige Rechtsprechung Strafverteidiger Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrs-Ordnung Straßenverkehrsrecht Handbuch des Straßenverkehrsrechts Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung Blätter Straßenverkehrsrecht Tonnen tatsächlich Traffic Message Channel und unter anderem/und andere und so weiter Urteil vom von/vom Variante/Varianten Verein Deutscher Ingenieure Verkehrsrechtliche Mitteilungen Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vorbemerkung Verkehrsrechtsreport Verkehrsrecht-Sammlung Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr zu Zeitschrift für die Anwaltspraxis
26 z. B. zfs ZMMV ZRG GA ZRP ZStrR ZStW zust. ZVS z. Z.
Abkürzungsverzeichnis zum Beispiel Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift des Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Germanistische Abteilung Zeitschrift für Rechtspolitik Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zustimmend Zeitschrift für Verkehrssicherheit zur Zeit
1. Kapitel
Einführung „Merkwürdigerweise hat sich der Jurist bisher nur wenig oder in recht einseitiger Weise mit dieser Entwicklung beschäftigt. Während die neue Erfindung längst bei den Behörden, bei den Regierungen und bei unzähligen Vereinigungen in allen Ländern ein Gegenstand regsten Interesses geworden ist, eine Fülle von Büchern und Zeitschriften ins Leben gerufen und in die Hörsäle der Universitäten und technischen Hochschulen ihren Einzug gehalten hat, haben die Juristen sich bisher fast ausschließlich nur insoweit damit befaßt, als das Zivilrecht, insbesondere die Haftpflicht in Frage kommt.“1
A. Hinführung Zum Erstaunen des Lesers ist das obige Zitat nicht der aktuellen Debatte um die Einführung und Zulassung automatisierter Fahrzeuge zum öffentlichen Straßenverkehr entnommen; es entstammt dem Jahr 1905, der „heißen Phase“ des Erlasses einer ersten reichseinheitlichen Straßenverkehrsgesetzgebung. Das Automobil feierte zu diesem Zeitpunkt bereits sein 19. Jubiläum und eroberte das Straßenbild. Gleichwohl wurde es immer noch als neues Verkehrsmittel, welches neben den „bespannten Wagen“ trat, angesehen. Der historische Reichsgesetzgeber stellte insofern keine Ausnahme dar und schaute zunächst zu, wie sich die Sache entwickeln würde und überließ anfänglich den Provinzen und Bundesstaaten die Regelung des aufkommenden motorisierten Straßenverkehrs. Der damit verbundene Eindruck einer gänzlich passiven historischen Verkehrsentwicklung trügt jedoch. Das Verkehrswesen unterlag bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert einer stetigen technischen, gesellschaftlichen wie rechtlichen Entwicklung, die mit Verstreichen der Jahre immer rasanter voranschritt. Waren sich im Jahr 1825 die Gelehrten noch über die Gefahren der Nutzung der ersten Eisenbahn zur Personenbeförderung, die in England auf dem „Stockton and Darlington Railway“ ihren Betrieb aufnahm2, uneins, trat diese allen Widerstands zum Trotze ihren Siegeszug in Europa und Nordamerika an und vernetzte weite Teile der Staatsgebiete. Die Ingenieure setzten damit nicht nur einen technischen Meilenstein; sie waren und sind Teilhaber der bis heute andauernden gesellschaftlichen und politischen Mobilisierung. 1 2
Isaac, Das Recht des Automobils, S. III. Rossberg, Geschichte der Eisenbahn, S. 9 u. 22.
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1. Kap.: Einführung
Jahrzehnte später, im Jahr 1886, gelang dem Technikpionier Carl Benz der Durchbruch im motorisierten Individualverkehr. Mit seinem dreirädrigen PatentMotorwagen war der Grundstein der individuellen Fortbewegung, ohne auf animalische Kräfte angewiesen zu sein, gelegt. Die folgenden Jahrzehnte verliehen dem Automobil aufgrund weiterer technischer Errungenschaften und der fortschreitenden Industrialisierung den Status des wohl meistgenutzten Verkehrsmittels. Dem schloss sich eine grundlegend sonore Entwicklung an, wobei die technische Grundkonstruktion von 1886 bis heute erhalten blieb. Die Fortbewegungsart und der Fahrprozess sind seit der Entwicklung des Automobils fast unverändert. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts stand und steht der Individualverkehr nun vor einer weiteren Revolution – seiner Automatisierung. Der Fahrprozess wird dem Menschen aus der Hand genommen und immer weiter auf das technische Fahrerassistenzsystem übertragen. Während im kommerziellen Verkehr bereits autonome Systeme die Steuerung übernommen haben – zu denken sei nicht nur an etliche autonome Lagerlogistiksysteme und die sog. „peoplemovers“, die an einigen Flughäfen3 zwischen den Terminals Personen fahrerlos befördern, sondern auch an die seit 2008 in Betrieb befindliche einzige autonome U-Bahnlinie Deutschlands in Nürnberg4 – wird diese Technik nun vermehrt im Individualverkehr Einzug halten. Unerwarteterweise nahmen und nehmen dabei nicht die traditionellen Automobilhersteller, sondern IT-Konzerne und neu gegründete Automobilfirmen eine Vorreiterrolle ein. Vor allem der neu gegründete Fahrzeugfabrikant Tesla, der ausschließlich Elektrofahrzeuge vertreibt, als auch der bisher automobilferne IT-Konzern Google arbeiten aktiv an autonomen Fahrzeugen, während die etablierten Fahrzeughersteller nur zögerlich diesem Techniktrend folgen. Dennoch haben es heute verschiedene hoch- und vollautomatisierte Fahrerassistenzsysteme zur Serienreife geschafft. Dem geradezu konträr gegenüberstehend ist die (strafrechtliche) Verantwortung der Fahrzeugsteuerung seither allein dem menschlichen Fahrer übertragen. Dies ist kaum verwunderlich, bestand doch bisher nur wenig Anlass, diesen bis heute überdauernden Grundsatz zu hinterfragen. Erstmals mit dem Aufkommen hoch- und vollautomatisierter Fahrerassistenzsysteme verliert das Dogma des aktiven Fahrers seine absolute Geltung. Schließlich sind nun auch computergenerierte Steuerungsimpulse in der Lage, den Fahrprozess zu beeinflussen.5 Zugleich scheint sich die 3
Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 13: so z. B. am Sacramento International Airport, siehe http://www.airportimprovement.com/article/dual-trackpeople-mover-connects-landside-airside-facilities [abgerufen am 23. 11. 2017] und am London Heathrow Airport, siehe http://www.bombardier.com/en/transportation/projects/project.innovialondon-uk0.html?fregion=all&show-by-page=50&page=1&f-country=fr&f-segment=all&ftype=Metro&f-name=all [abgerufen am 23. 11. 2017]. 4 Siehe http://www.damit-deutschland-vorne-bleibt.de/Blickpunkt/Infrastruktur-aktuell/044 93/Artikel/Nuernbergs-U-Bahn-faehrt-auf-zwei-Linien-ganz-ohne-Fahrer/04106 [abgerufen am: 23. 11. 2017]. 5 Zum Gesamten Gasser, DAR 2015, 6, 6.
A. Hinführung
29
Situation, wie sie um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert im Bereich der Gesetzgebung bestand, erneut zu wiederholen. Die mit automatisierten Fahrzeugen verbundenen neuen Risiken haben den Gesetzgeber in eine zögerliche, abwartende Haltung versetzt. Freilich sind tödliche Verkehrsunfälle mit autonomen Systemen bereits Realität und werden auch zukünftig nicht gänzlich vermeidbar sein. Dennoch besteht die realistische Erwartung, dass sich bei einer weiten Verbreitung der Automatisierungstechnik im Individualverkehr durch Zurückdrängung menschlicher (Fahr-)Fehler die absolute Zahl der Verkehrsunfälle drastisch reduzieren lässt.6 Trotz dieser positiven Zukunftsaussichten agiert der Gesetzgeber bezüglich der Schaffung von Zulassungsregelungen für automatisierte Fahrerassistenzsysteme sehr träge. Dabei erkannte die Bundesregierung bereits 2015 das Potenzial und die Bedeutung der Technik für den Individualverkehr und die Wirtschaft: „Vor nicht einmal 15 Jahren eroberte das erste Connected Car den Massenmarkt. Heute ist ein moderner Serienwagen offline nicht mehr denkbar und hat bereits einen komplexeren Software-Code als ein Spaceshuttle. […] Technologien wie Brems- und Spurhalteassistenten sind längst in Serie. Das automatisierte und vernetzte Fahren führt diese Systeme zusammen und ist der nächste qualitative Schritt. Das ist der digitale Innovationszyklus – und seine Frequenz steigt.“
Im gleichen Atemzug wurden ambitionierte Leitziele, wie die Einleitung des Regelbetriebs des automatisierten Fahrens, ausgerufen: „Die entscheidenden Impulse für diese Innovationen kommen aus Deutschland. Wir wollen, dass das so bleibt – und Deutschland den digitalen Innovationszyklus bestimmt. Unser Land soll seine Position als Leitanbieter weiter ausbauen und Leitmarkt werden. Unser Ziel ist, dass Schlüsseltechnologien der Mobilität 4.0 in Deutschland entwickelt, erforscht, getestet und produziert werden.“7
Ein erstes ernsthaftes gesetzgeberisches Handeln zur Schaffung von Zulassungsmöglichkeiten automatisierter Fahrerassistenzsysteme ist dennoch erstmals 2017 mit dem 8. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes8, welches am 21. Juni 2017 in Kraft trat, zu Tage getreten. Darüber hinaus und seitdem ist in der Gesetzgebung wenig von dieser „Aufbruchstimmung“ zu spüren. Stattdessen werden die Politik und Kritiker nicht müde, die wohl in den seltensten Fällen auftretenden „Dilemma-Situationen“ für ihre Bedenken immer wieder zu bemühen. Die Angst, von einer „Maschine“ verletzt oder gar getötet zu werden, scheint weitaus tiefgreifender als die Tatsache von über 3.000 Verkehrstoten jährlich, die überwiegend auf menschliches Versagen zurückzuführen sind.9 Diese Vorbehalte (der Öffentlichkeit) zu beseitigen und angemessen zu berücksichtigen, ist jedoch gerade Aufgabe des Gesetzgebers. 6
Zum Gesamten BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 11. Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren, hrsg. vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, S. 3 f. 8 BGBl. Teil I, Nr. 38 v. 20. 06. 2017, S. 1648, 1648 ff. 9 Verkehr – Verkehrsunfälle 2018, S. 49. 7
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1. Kap.: Einführung
Natürlich besteht dabei die Herausforderung, dass das automatisierte Fahren eine weit verzweigte Rechtsmaterie betrifft. Die rechtlichen Fragestellungen gehen, insoweit beansprucht das einleitende Zitat auch heute noch Geltung, weit über die bloße zivilrechtliche Haftungsfrage hinaus. Vor allem der Wandel weg vom willensgetragenen Führen hin zu einer technischen Fahrzeugsteuerung lässt das grundlegend verhaltensbezogene Recht, wie das Straßenverkehrsrecht und nicht zuletzt das dieses sichernde Strafrecht, nicht unberührt. Die Fragen, welche Freiräume das automatisierte Fahrzeug (rechtlich) eröffnet als auch andererseits die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortung des Nutzers eines automatisierten Fahrerassistenzsystems fanden bisher nur wenig Beachtung. Zunächst oder zumindest zugleich zu den (zivilrechtlich) monetären Gesichtspunkten muss der Pflichtenkanon von Nutzern automatisierter Fahrzeug (auch im Vergleich zum von Menschenhand selbst geführten Fahrzeug) und die Notwendigkeit einer strafrechtlichen Flankierung definiert werden. Dazu soll diese Arbeit, aufgrund des schieren Umfangs dieser Thematik begrenzt auf die Führungsdelikte des 28. Abschnitts des Strafgesetzbuchs, einen Beitrag leisten. Dem – der rechtlichen Wertung – steht dabei eine (tatsächliche) Frage voran: Was ist das Fahrzeugführen überhaupt?
B. Zielsetzung Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Frage der Anwendbarkeit der strafrechtlichen Sanktionsnormen auf automatisierte und autonome Fahrzeuge. Ein Blick auf die Straßenverkehrsdelikte des 28. Abschnitts des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, insbesondere der §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 StGB, schien kaum Potenzial für strafrechtliche Überlegungen zu bieten. Erst eine vertiefte Betrachtung der Auslegungs- und Spruchpraxis ergab, dass es der Rechtsprechung keineswegs leicht fällt, das Führen als Tathandlung abstrakt zu erfassen. Eine eingängliche Definition als auch eine einheitliche Anwendung der Tathandlung des Führens ist nicht auszumachen. Bei einer chronologischen Betrachtung der Urteile stellt sich die heute wenig umstrittene und gebräuchliche Definition als Schmelztiegel verschiedener Einzelfallentscheidungen heraus. Es ist nicht zu übersehen, dass die Rechtsprechung stets „hart“ am Einzelfall eine Definitionspraxis herausbildete, die nun auf eine Welle weiterer neuer „Einzelfälle“ im Bereich des automatisierten Fahrens zusteuert. Damit war eine der zentralen Fragen dieser Arbeit geboren: Was macht das Führen eines Fahrzeugs aus? Deren Beantwortung ist primär sicherlich keine Aufgabe der Rechtswissenschaft. Gleichwohl gilt es dieser anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse nahezukommen, um überhaupt eine Grundlage für die Auslegung der Tathandlung als auch die Ermittlung des (strafrechtlich flankierten) Pflichtenkanons von Nutzern automatisierter Fahrzeuge erhalten zu können. Dazu waren zuvörderst andere Fachbereiche, die Psychologie und Ingenieurswissenschaften, heranzuziehen, um ein Verständnis von den psychologischen menschlichen Vorgängen beim Führen zu erlangen. Zu diesem hinzukommen mussten grundlegende Kenntnisse der
B. Zielsetzung
31
technischen Umsetzung des automatisierten Fahrens, um eine (straf-)rechtliche Einordnung der Verantwortungsbereiche treffen zu können. Der Aufbau dieses Werks gliedert sich entsprechend dem formulierten Erkenntnisgang. Die psychologischen Erkenntnisse zur Wahrnehmung der Führungstätigkeit werden im 2. Kapitel „Grundlagen der Fahrzeugführung“ zusammengetragen, wobei der Tätigkeitsanalyse eine Systematisierung und Kategorisierung der Fahraufgabe selbst vorausging. Im 3. Kapitel „Anwendungsbereich und technische Umsetzung des automatisierten Fahrens“ finden sich die technischen Grundlagen der automatisierten Fahrerassistenzsysteme. Natürlich stehen diese Erkenntnisse nicht losgelöst jeglicher rechtlichen Würdigung. Es bedarf daher ebenso eines rechtlichen Fundaments, welches sich im 6. Kapitel, „Darstellung und Analyse der Auslegungs- und Spruchpraxis zum Tatbestandmerkmal des Führens eines Fahrzeugs“, findet. Tatsächlich – und das Ergebnis vorwegnehmend – offenbarte sich zwischen dem rechtlichen und wissenschaftlichen Verständnis des Führens ein weiter Graben. Die Lösung dieser Divergenz ist aber nicht in einer erneuten Anpassung der bestehenden Definition zu erkennen. Stattdessen wird in einer unbefangenen und neutralen Anwendung der juristischen Methodik unter Zugrundelegung der wissenschaftlichen Erkenntnisse die Uhr sozusagen auf „null“ zurückgedreht und anhand des klassischen Auslegungskanons juristisch erforscht, welche inhaltliche Substanz dem tathandlungsbeschreibenden Tatbestandsmerkmal des Führens innewohnt. Dies ist im 7. Kapitel „Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext“ erfolgt. Bei einer umfassenden Anwendung des klassischen Auslegungskanons sind aber nicht nur psychologische und technische Erkenntnisse von Gewicht. Im Rahmen der systematischen Auslegung wird auf die Ausführungen des 5. Kapitels, „Das historische Dogma des ,aktiven Fahrers‘“ und im Rahmen der historischen Auslegung auf die des 4. Kapitels „Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts“ zurückgegriffen. Im Ergebnis und unter Berücksichtigung aller auslegungsrelevanten Umstände wurde ein neuer, einheitlicher Definitionsvorschlag des Führens entwickelt, der das Ergebnis dieser Arbeit bildet. Natürlich war es auch ein Anliegen, den vorgestellten Definitionsvorschlag auf das automatisierte Fahren anzuwenden und das entstehende Vakuum der bestehenden Auslegungs- und Spruchpraxis zu füllen. Diese rechtliche Würdigung findet sich im 8. Kapitel „Die rechtliche Würdigung der Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens“, dem im 9. Kapitel „Ergebnis der Untersuchung“ eine Ergebniszusammenfassung folgt.
2. Kapitel
Grundlagen der Fahrzeugführung Zum Begriff des Führens eines Kraftfahrzeugs hat sich eine weitreichende Judikatur herausgebildet, die auf eine jahrzehntelange Entwicklung zurückblickt. Der bisherige Fortschritt in der Fahrzeugtechnik ließ die Funktion des Menschen als Fahrzeugführer – auch aufgrund gesetzlicher Regelungen – bisher unberührt, sodass sich dieser Begriff kaum reformierte, sondern allenfalls evolutionierte. Bis heute ist der menschliche Fahrer erste als auch letzte Instanz des Fahrprozesses; er ist in diesen dauerhaft und letztentscheidend eingebunden.1 So entwickelte und erhielt sich in der Rechtsprechung die etablierte Ansicht, wonach derjenige Kraftfahrzeugführer ist, „[…] wer [das Fahrzeug] unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrtbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt […]. Der [Fahrzeugführer] muss sich selbst aller oder wenigstens eines Teils der wesentlichen Einrichtungen des Fahrzeugs bedienen, die für seine Fortbewegung bestimmt sind […]. Daher schließt es die Fahrzeugführereigenschaft zwar nicht aus, wenn mehrere Personen sich die Bedienung der notwendigen Funktionen teilen (in einem solchen Fall können beide als Fahrzeugführer anzusehen sein). Wer dagegen nicht einmal einen Teil der wesentlichen Einrichtungen des Fahrzeugs bedient, führt dieses im maßgeblichen Zeitpunkt nicht.“2
Heute ist eine Einwirkung auf die Stellelemente des Fahrzeugs nicht allein durch eine menschliche Bedienung möglich. Fahrerassistenzsysteme sind in der Lage, die Fahrzeugführung durch computerinitiierte Eingriffe (selbst) durchzuführen. Deren Entwicklung setzt aufgrund der direkten Verknüpfung zum menschlichen Fahrer ein tiefergehendes Verständnis des Fahrzeugführungsprozesses voraus. Schließlich müssen Mensch und Maschine zusammenwirken, sodass deren Schnittstelle, dem
1
Zwar ist dies bei den nicht übersteuerbaren Assistenzsystemen wie dem Antiblockiersystem (ABS), Elektronischen Stabilitätsprogrammen (ESP) oder Notbremsassistenten nicht der Fall. Diese beeinflussen aber nur über Sekunden einen Teil der Fahrzeugführung, diese jedoch nie im Gesamten. 2 BGHSt 59, 311, 314, m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124; BGHSt 36, 341, 343 f.; ähnlich BGHSt 35, 390, 393; 18, 6, 8 f.; OLG Stuttgart NJOZ 2016, 24, 25; OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1014; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; LG Münster zfs 2018, 169, 169 f. m. Anm. Krenberger; LG Köln NZV 1990, 445, 445; AG Landstuhl, B. v. 20. 10. 2016 – 2 OWi 4286 Js 10115/16, BeckRS 2016, 18521; unter Bezugnahme einer Handlungsalternative OLG Celle NZV 1988, 72, 73; u. a. BeckOK-StGB/Kudlich, § 315c, Rn. 10; MüKo-StGB/ Pegel, § 315c, Rn. 14; Franke, DAR 2016, 61, 62.
A. Die Fahrzeugführung als Regelungsprozess
33
sog. Human Machine Interface (HMI)3, wachsende Bedeutung zukommt. Gleichwohl kann die Nutzung automatisierter Assistenzsysteme die Fahraufgabe in ihrer Struktur verändern und diese zu einer menschlichen Kontrollaufgabe reduzieren. Bereits heutzutage bieten erste Fahrerassistenzsysteme dem Fahrer die Möglichkeit, seine Funktion als aktiver Fahrer („Maschinist“) oder passiver „Kontrolleur“ selbst zu wählen.4 Gleichzeitig bleibt jegliche technische Entwicklung von automatisierten Fahrerassistenzsystemen nutzlos, soweit nicht die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für deren Einsatz im öffentlichen Straßenraum vom Gesetzgeber geschaffen werden. Deshalb sind sowohl der Gesetzgeber als auch die Justiz aufgefordert, das bestehende Recht einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Dies ist allein deshalb von Nöten, weil sich die Straßenverkehrsdelikte des Strafgesetzbuchs als auch das gesamte Straßenverkehrsrecht auf die Annahme eines (stets) aktiven menschlichen Fahrers stützen. Grundlage der rechtlichen Würdigung sind die im Folgenden im gerafften Stil dargestellten Erkenntnisse über die Ausübung der Fahraufgabe eines Kraftfahrzeugs, die auf die Führung unmotorisierter Fahrzeuge übertragen werden können. Zwar kann die Beschreibung derselben ganze Bücherbände füllen; die folgende Darstellung soll aber für den vorliegenden Zweck auf das notwendige Maß reduziert werden.
A. Die Fahrzeugführung als Regelungsprozess Die Bewegung des Fahrzeugs und die Beförderung seiner Insassen ist, vereinfacht gesehen, das Resultat einer Maschinenbedienung. Die einzelnen Funktionen und Systeme des Kraftfahrzeugs arbeiten als Zusammenschluss unterschiedlichster technischer Einrichtungen innerhalb des Gesamtsystems „Kraftfahrzeug“ im Verbund. Begreift man den Fahrzeugführer als „Maschinist“, der dieses Gesamtsystem bedient, ist der Fahrzeugführungsprozess als Regelungsprozess5 aufzufassen. Aufgabe des Fahrers ist es, die auftretenden Führungsgrößen, die die Aufgabe „Fahrzeugführung“ ausmachen, in Einklang zu bringen.6 Grundlegend bilden zunächst drei Einflussgrößen den aus den Ingenieurswissenschaften stammenden sog. Regelkreis der Fahrzeugführung aus.7 Diesem Modell nach ist die Bewegung des Fahrzeugs Resultat des wechselseitigen Zusammenwirkens von Fahrer, Fahrzeug und Umweltbedingungen.8 Sie bedingen mit variablem 3
Jourdan/Matschi, NZV 2015, 26, 28. Jourdan/Matschi, NZV 2015, 26, 28. 5 Vgl. Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 7. 6 Zum Gesamten Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 27. 7 Winner/Wachenfeld, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 13.1, S. 268; Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.2, S. 19; Donges, AI 1982, 183, 184 f.; Deutschle, SVR 2005, 249, 250; vgl. Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 6. 8 Deutschle, SVR 2005, 249, 250. 4
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2. Kap.: Grundlagen der Fahrzeugführung
Gewicht den Bewegungsprozess des Fahrzeugs. Eingangsgröße dieses Regelkreises ist die Fahraufgabe, also das Bestreben des Fahrers, sein Fahrzeug innerhalb eines Zeitfensters von einem zum anderen Ort unter Ausgleich aller Einflussgrößen kollisionsfrei zu bewegen.9 Als Regler obliegt es dem Fahrer, die Einflussgrößen auszugleichen. Dies gelingt ihm durch den Abgleich und die Anpassung der sog. „SollWerte“ (subjektive Führungsgrößen), also der angestrebten Führungsgrößen wie geplante Geschwindigkeit, Fahrspur, Fahrweg, Lenkeinschlag etc., an die „IstWerte“ (objektiver Bewegungsbereich).10 Entspricht nur eine Führungsgröße nicht der Erwartung des Fahrers, entsteht ein Kontrollverlust, der in eine Kollision münden kann.11
Fahrer
Fahrzeug Fahrmanöver
Fahraufgabe
Umwelt U
Die im Modell identische Größe der Felder der drei fahrprozessbeeinflussenden Faktoren soll nicht über deren abstrakten als auch in jeder Verkehrssituation konkretvariablen Einfluss hinwegtäuschen. Eine kollisionsfreie Bewegung innerhalb des Straßenverkehrs ist grundsätzlich Resultat einer sicheren Bewältigung der Fahrzeugführungsaufgabe durch den Fahrer. Es wundert daher kaum, dass etwa 90 % der Unfälle auf menschliches Fehlverhalten oder Versagen zurückzuführen sind,12 was den Einflussfaktor Mensch als gewichtigste Größe innerhalb des Regelkreises ausweist. Mit besonderem Blick auf diesen Umstand wird seit längerem versucht, den Ausgleichskorridor der beiden übrigen Faktoren auszudehnen. Fahrfehler sollen 9
Zum Gesamten Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 6. Fastenmeier/Gstalter, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 198; vgl. Wimmer, MenschMaschine-Systeme, S. 6. 11 Abbildung Winner/Wachenfeld, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 13.1, S. 268. 12 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 11 m. w. N.; Jourdan/Matschi, NZV 2016, 26, 26; vgl. Verkehr – Verkehrsunfälle 2018, S. 49. 10
B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises
35
durch die Anpassung von Verkehrsflächen (Umwelt) und Einführung von Sicherheitssystemen als auch Fahrerassistenzsystemen in Fahrzeugen (Fahrzeug) kompensiert und Kollisionen vermieden werden. Erlangt eine Störung, unabhängig welchen Faktors, jedoch ein nicht mehr ausgleichbares Gewicht, etwa beim unerwarteten Ausfall von Fahrzeugsystemen oder beim Auftreten von extremen Naturbegebenheiten, ist der Regelkreis nicht mehr geschlossen; es tritt ein Kontrollverlust ein. Dieser muss in technischer Hinsicht aber nicht nur Folge des Ausfalls eines Systems sein. Auch der funktionsgerechte Eingriff eines unübersteuerbaren Sicherheitssystems oder Fahrerassistenzsystems, etwa des Elektrische Stabilitätsprogramms (ESP), Antiblockiersystems (ABS) oder auch Notbremsassistenten, kann den „Fahrer“ vom Regelkreis ausschließen, diesen mithin aufheben.13
B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises I. Der Fahrer im Regelkreis – Die Bewältigung der Führungstätigkeit Das Führen eines Kraftfahrzeugs ist für die meisten Menschen ein alltäglicher Vorgang. Ob zur Arbeitsstätte, zum Urlaubsort, zur Familie oder am Wochenende zum Freizeitpark – das Fahren auf öffentlichen Verkehrswegen stellt kaum einen geübten Fahrer vor eine Herausforderung, obwohl sich die Fahrzeugführung in eine Vielzahl verschiedenster Teilaufgaben aufsplittet. Der Steuerungstätigkeit liegt dabei als überwiegend informatorische Tätigkeit ein stetiger Informationsverarbeitungsprozess zugrunde, der in dauerhafter Wechselwirkung mit den Faktoren Fahrzeug und Umwelt steht.14 Dem Fahrer kommt die Aufgabe zu, die ihm verfügbaren Informationen seines Umfeldes zu detektieren, zu verarbeiten und unter entsprechender Betätigung der Bedienelemente auf diese zu reagieren, um das Fahrzeug innerhalb der ermittelten „Soll-Spur“ zu halten.15 Als Impulsgeber obliegt dem Fahrer die Verantwortung für das Gelingen dieser komplexen Regelungs- und Überwachungsaufgabe.16 1. Arten von Fahraufgaben Die Fahraufgabe setzt sich aus verschiedenen Teilaufgaben, die der Fahrer organisieren, koordinieren und erfüllen muss, zusammen.17 Der Fahrzeugführungsprozess ist die Summe der Bewältigung all dieser Teilaufgaben. Aufgrund der un13
Vgl. Deutschle, SVR 2005, 249, 251. Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, S. 4. 15 Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 27. 16 Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2, S. 18. 17 Fastenmeier/Gstalter, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 198; Wimmer, MenschMaschine-Systeme, S. 7. 14
36
2. Kap.: Grundlagen der Fahrzeugführung
terschiedlichen Natur der zu bewältigenden Arbeitsabläufe sind diese einer einheitlichen Einteilung kaum zugänglich. Unbenommen dessen etablierten sich verschiedene Kategorisierungsansätze, die die Fahrzeugführungstätigkeit in isolierte Aufgabenbereiche zerlegen.18 Während einige Ansätze die gesamte Fahrzeugführungsaufgabe beleuchten, dienen andere einem spezifischen Erklärungsziel und betrachten nur einen Ausschnitt dieser.19 Der Detailierungsgrad schwankt dabei nicht nur innerhalb der speziellen, sondern auch zwischen den allgemeinen Ansätzen.20 Zur Gewinnung eines umfassenden Bildes wird auf zwei Kategorisierungen zurückgegriffen, die auch in der Ingenieurswissenschaft eine weite Verbreitung fanden. Zum einen wird die Gesamtklassifizierung der Fahraufgabe nach der Bedeutung für den Fahrprozess durch Bubb21 (Gliederungspunkt a.), zum anderen die Klassifikation der Hierarchie der für den Fahrprozess relevanten Tätigkeiten nach Donges22 (Gliederungspunkt b)) herangezogen. a) Die Klassifizierung nach der Bedeutung (nach Bubb) Moderne Fahrzeuge bieten dem Fahrer eine Vielzahl von Handlungs- und Einstellungsmöglichkeiten, wobei nicht alle der Bestimmung der Führungswerte dienen. Eine Vielzahl der wahrgenommenen Tätigkeiten während der Fahrt steht mit der Führungsaufgabe in keinem Zusammenhang. Der Vorteil der Einteilung der Führungsaufgaben nach deren Bedeutung liegt daher auf der Hand: Der tatsächliche Fahrzeugführungsprozess wird aus der Unzahl der verschiedenen Tätigkeiten, die der Fahrer während der Fahrt bewältigt, extrahiert und lässt einen ungetrübten Blick auf die tatsächliche Führungsaufgabe zu. Die Einteilung in primäre, sekundäre und tertiäre Fahrzeugführungstätigkeiten lässt die diesem Ansatz zugrundeliegende Methodik bereits erkennen:23 aa) Die primären Führungsaufgaben Als primär werden alle Tätigkeiten bezeichnet, die für die Erfüllung des Fahrzwecks unerlässlich sind.24 Umfasst sind sämtliche Aufgaben, die unmittelbar der Längs- und Querführung des Fahrzeugs, mithin der Spurhaltung und dem Ziel der
18
Deutschle, SVR 2005, 249, 250. Freyer, Vernetzung von Fahrerassistenzsystemen, S. 24; vgl. Knappe/Keinath/Meinecke, in: Schade/Engeln, Fortschritte der Verkehrspsychologie, S. 238 f. 20 Vgl. Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.3, S. 11. 21 Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 28. 22 Donges, AI 1982, 183, 183. 23 Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.3, S. 11. 24 Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 28; Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.3, S. 11. 19
B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises
37
kollisionsfreien Ankunft am Zielort25 dienen26 und unmittelbar vom Straßenverlauf, durch das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer und den vorherrschenden Umweltbedingungen beeinflusst werden. Dazu gehören die typischen, seit Jahrzehnten unverändert gebliebenen grundlegenden Prozesse der Fahrzeugführung, insbesondere das Lenken, Gas geben und Bremsen des Fahrzeugs.27 bb) Die sekundären Führungsaufgaben Neben der primären Ebene sind vom Fahrer Aufgaben zu erfüllen, die zwar nicht unmittelbar der Fahrzeugführung dienen, aber im Rahmen der Fahraufgabe verkehrsund umweltbedingt zwingend anfallen.28 Diese sekundäre Ebene umfasst zwei unterschiedliche Aufgabenbereiche: Tätigkeiten als Reaktion auf bestimmte Umweltund Verkehrsbedingungen als auch die aktive Informationsabgabe nach Außen ohne oder unter Nutzung fahrzeugspezifischer Funktionen. Während ersterer die Bedienung aller der den Fahrer unterstützenden Systeme beinhaltet, gehören zweiterer vor allem die Aussendung optischer und akustischer Signale an.29 Das Spektrum der den Fahrer unterstützenden Systeme bleibt dabei weit zu fassen und reicht von der Aktivierung der Scheinwerfer oder der Scheibenwischer über das Einstellen des Navigationssystems bis hin zur Aktivierung der in modernen Fahrzeugen verbauten Fahrerassistenzsysteme wie der adaptiven Geschwindigkeitsregelanlage oder dem Spurhalteassistenten.30 Dem Bereich der aktiven Informationsabgabe gehören die Verwendung fahrzeugzugehöriger Funktionen, wie das Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers oder die Betätigung der Fahrzeughupe oder die Nutzung menschlicher Kommunikationskanäle, wie das Sprechen oder Gestikulieren, an.31 cc) Die tertiären Führungsaufgaben Dem letzten Bereich, den tertiären Handlungen, sind die übrigen Tätigkeiten zuzuordnen, die mit der eigentlichen Fahrzeugführung in keinem Zusammenhang stehen und den Fahrprozess nicht beeinflussen.32 Innerhalb dieses, vorwiegend von Infotainmentsystemen dominierten Bereichs, wird sowohl den Informations-, Un-
25
Knappe/Keinath/Meinecke, in: Schade/Engeln, Fortschritte der Verkehrspsychologie, S. 238. 26 Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 7. 27 Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.3, S. 11. 28 Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 28. 29 Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 31. 30 Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 28; Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.3, S. 11. 31 Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 7. 32 Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 28; Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 7.
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2. Kap.: Grundlagen der Fahrzeugführung
terhaltungs- und Kommunikationsbedürfnissen des Fahrers33 und der übrigen Fahrzeuginsassen entsprochen34, während im Bereich der ebenfalls zu benennenden Komfortsysteme35 deren Wohlbefinden gesteigert werden soll. Mit der Zeit wuchs die Zahl der Handlungs- und Einstellmöglichkeiten der verbauten Kommunikations-, Infotainment- und Komfortsysteme stetig an und reicht heute von der bereits wohlbekannten Einstellung der Lüftung oder Klimaanlage über die Bedienung des Infotainmentsystems (vom Radio über DVD-Player und Internetbrowser) und der Freisprecheinrichtung bis hin zur Aktivierung von Massagesitzen und der Getränkekühlung.36 Alle diese Teilaufgaben haben, wenngleich keinen direkten, zumindest einen indirekten Einfluss auf die Bewältigung der Fahrzeugführungsaufgabe, indem bei wachsender Anzahl und gesteigerter Komplexität dieser Systeme der Bedienaufwand und die damit verbundene Ablenkung ansteigt. Letztendlich zeichnet sich eine kollisionsfreie Fahrt durch die fehlerfreie Bewältigung der primären und sekundären Fahraufgaben aus, während die tertiären Fahraufgaben – insoweit leitet der Terminus „Fahraufgaben“ fehl – keinen unmittelbar-konkreten Einfluss auf die Fahrzeugführung besitzen. b) Klassifizierung nach der Hierarchie (nach Donges) Eine (anknüpfende) detaillierte Kategorisierung der konkreten Fahraufgabe bietet der Ansatz von Donges37, der den Blick ausschließlich auf die primäre Fahrzeugführungsaufgabe lenkt. Er splittet diese nach ihrer (zeitlichen) Priorität, ihrem zeitlichen Bewältigungsspielraum und ihrer Fehlertoleranz auf.38 Dazu ordnet er die primären Aufgaben drei elementaren Bereichen zu, die es zur sicheren Fahrzeugführung zu bewältigen gilt: Die Navigations-, Bahnführungs- und Stabilisationsebene (Drei-Ebenen-Modell).39 Diese Ebenen stehen jedoch nicht isoliert nebeneinander, sondern bedingen sich gegenseitig und bauen aufeinander auf.40 aa) Die Navigationsebene Auf der obersten Hierarchieebene, der Navigationsebene, erfüllt der Fahrer eine Planungsaufgabe, indem er die Wege des ihm bekannten Straßennetzes zum Errei33
Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 28. Christ/Baur, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 258. 35 Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.3, S. 11. 36 Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 28 f. 37 Donges, AI 1982, 183, 183. 38 Fastenmeier/Gstalter, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 198; Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.3, S. 11. 39 Donges, AI 1982, 183, 183; Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2.2, S. 19; Timpe, in: Jürgensohn/Timpe, Kraftfahrzeugführung, Kap. 1.2.3, S. 15; m. bildlicher Darstellung Geiser, ATZ 1985, 77, 77. 40 Vgl. Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 28; Deutschle, SVR 2005, 249, 250. 34
B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises
39
chen des Ziels verknüpft und sich für einen Fahrweg entscheidet.41 Zudem obliegt ihm das Abschätzen des benötigten Zeitbedarfs bis zum Erreichen des Ziels als auch eine Aktualisierungsaufgabe. Bei letzterem wandelt sich die Navigationsebene in eine Wahrnehmungs- und Abgleichaufgabe als auch, bei sich sehr kurzfristig ergebenden verändernden Randbedingungen, in eine Anpassungsaufgabe um.42 Neben Staus, Baustellen, Unfällen oder sonstigen Sperrungen oder Verkehrsbehinderungen können sich auch aufgrund veränderter Straßenführungen neue Fahrtrouten ergeben. Trotz der Informationsfülle und der stetigen Aktualisierung bleibt dem Fahrer zur Bewältigung der Navigationsaufgabe ein großer zeitlicher Spielraum.43 Fehler führen kaum zu kritischen Situationen, sodass dieser Aufgabe eine hohe Fehlertoleranz zukommt.44 Begünstigt wird dies von dem nur partiellen Auftreten der Navigationsaufgaben. Zudem kann diese Aufgabe dem Fahrer durch bereits ausgereifte verfügbare technische Hilfsmittel, den Navigationssystemen, großteils effektiv abgenommen werden.45 bb) Die Bahnführungsebene Die Realisierung der Fahrtroute erfolgt zunächst im Rahmen der Bahnführung.46 Auf Grundlage der Vorgaben der Navigationsebene versucht der Fahrer innerhalb seines überblickbaren unmittelbaren Umfelds von ca. 200 Metern in Ort und Zeit die Bewegung des Fahrzeugs festzulegen, um den entsprechenden Streckenabschnitt kollisionsfrei bewältigen zu können.47 Dazu bildet der Fahrer unter Berücksichtigung der objektiven Gegebenheiten im Zusammenspiel mit seinen Erfahrungen, Kenntnissen und wahrgenommenen Informationen über die vorgesehene Fahrtroute und die Fahrzeugumgebung eine gewünschte „Soll-Spur“ und „Soll-Geschwindigkeit“ heraus.48 Diese Werte sind nicht als absolute zu verstehen, sondern bilden den selbsterwählten einzuhaltenden subjektiven Korridor innerhalb des verfügbaren Bewegungsbereichs ab, den der Fahrer einhalten will.49 Ebenso wenig ist der Bewegungsbereich starr, sodass dem Fahrer auf der Bahnführungsebene ein kontinuierlicher Abgleich und eine stetige Anpassung der „Soll-Werte“ mit den sich verändernden „Ist-Werten“ abverlangt wird.50 Dadurch schafft der Fahrer möglichst 41
Deutschle, SVR 2005, 249, 250; Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 27; vgl. Geiser, ATZ 1985, 77, 78. 42 Deutschle, SVR 2005, 249, 250. 43 Vgl. Deutschle, SVR 2005, 249, 251. 44 Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.3, S. 11. 45 Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 30. 46 Deutschle, SVR 2005, 249, 250. 47 Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 28. 48 Geiser, ATZ 1985, 77, 78. 49 Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 7. 50 Donges, AI 1982, 183, 183.
40
2. Kap.: Grundlagen der Fahrzeugführung
günstige Vorbedingungen für seinen Verbleib innerhalb des ihm zur Verfügung stehenden Verkehrsraums.51 Die Bahnführungsaufgabe erstreckt sich zusammengefasst auf die intellektuelle Leistung der Wahl angemessener Fahrmanöver,52 also etwa die Spurhaltung, das Folgefahren, das Überholen oder die Reaktion auf Verkehrsanordnungen.53 Zur Bewältigung dieser steht dem Fahrer – je nach Fahrmanöver – noch ein Zeitraum von mehreren Sekunden bis zu mehreren Minuten zur Verfügung.54 Fehler münden deshalb nicht zwingend in unmittelbar gefahrträchtige Situationen ein. cc) Die Stabilisierungsebene Auf der hierarchisch folgend zu erfüllenden Stabilisierungsebene setzt der Fahrer die aus der Bahnführung gewählten Zielwerte der „Soll-Geschwindigkeit“ und „SollSpur“ kontinuierlich in Impulse der Längs- und Querregelung um, gibt also Gas, bremst und lenkt.55 Auch hierzu ist der ständige Abgleich der „Ist-“ mit den „SollWerten“ notwendig.56 Anders als bei der Bahnführung besteht die Zielsetzung auf der Stabilisationsebene jedoch nicht darin, die gewünschten „Soll-Werte“ anzupassen, sondern diese mit annähernder Genauigkeit zu erreichen.57 Die Stabilisierungsebene stellt sozusagen die Transformation des Intellektuellen ins Tatsächliche dar. Der Fahrer wirkt in einem engen, dynamischen Zusammenspiel mit dem Fahrzeug auf eine Reduzierung der Abweichungen der „Ist-Werte“ von den „Soll-Werten“ hin, sodass ein stabiler Bewegungszustand in möglichst großer Nähe zu den Führungsgrößen beibehalten wird.58 Aufgrund der unmittelbaren Wirkung der Handlungen auf den Fahrprozess steht dem Fahrer auf der Stabilisierungsebene nur ein sehr enger Bewältigungszeitraum, welcher teilweise nur Sekundenbruchteile umfasst, zur Verfügung.59 Fehler bergen aufgrund der geringen Zeitspanne für Korrekturen ein erhebliches Potenzial für kritische Verkehrssituationen, sodass nur eine geringe Fehlertoleranz besteht. Letztendlich muss der Fahrer zuvörderst den Aufgaben der Stabilisierungsebene nachkommen. Diese weisen die höchste Frequenz an (wiederkehrenden) Teilaufgaben auf. Entsprechend kann der Fahrer den vorgelagerten Aufgaben der Bahn-
51 52 53 54 55 56 57 58 59
Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 28. Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2.2, S. 19. Deutschle, SVR 2005, 249, 250; Geiser, ATZ 1985, 77, 78. Deutschle, SVR 2005, 249, 251. Geiser, ATZ 1985, 77, 77 f. Zum Gesamten Deutschle, SVR 2005, 249, 250. Donges, AI 1982, 183, 183. Donges, AI 1982, 183, 183 f. Deutschle, SVR 2005, 249, 251.
B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises
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führungs- und Navigationsebene nur dann nachkommen, soweit ihm über die Aufgaben der Stabilisierungsebene hinaus mentale Ressourcen verbleiben.60 2. Die Bewältigung der Fahraufgabe durch den (menschlichen) Fahrer Die Erforschung der menschlichen mentalen Vorgänge begegnet in der Psychologie noch erheblichen Schwierigkeiten. Anders als die Faktoren Umwelt und Fahrzeug, die überwiegend anhand von physikalischen Gesetzen begreifbar sind und als weitestgehend untersucht und als „Stand der Technik“ angesehen werden, kann sich die Verhaltensforschung beim Menschen aufgrund der enormen Komplexität menschlichen Verhaltens und der vorherrschenden inter- und intraindividuellen Unterschiede eines jeden Menschen lediglich auf psychologische Theorien stützen.61 Für diese Arbeit zum Vorteil gereicht jedoch, dass die Arbeitsaufgabe der Kraftfahrzeugführung – neben der Flugführung – zu den am besten untersuchten Tätigkeiten in einem Mensch-Maschine-System gehört.62 Der (kognitive) Arbeitsablauf des Fahrers bei der Wahrnehmung der Fahrzeugführungsaufgabe, mithin der menschliche Informationsverarbeitungsprozess,63 ist grundlegend bekannt. Im Bereich der Erforschung der menschlichen Informationsverarbeitung soll und kann diese Arbeit keine Pionierleistung erbringen. Dem Zweck der vorliegenden Arbeit dienend können daher nur die Erkenntnisse der Forschungen zusammengefasst werden. Grundlegend lässt sich anhand des modifizierten Fragebogens zur Arbeitsanalyse64 folgendes Anforderungsprofil der Fahrzeugführungsaufgabe ableiten, welches sicherlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben soll: I Informationsquellen, Sinnes- und Wahrnehmungsprozesse *
*
*
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60
Optische Anzeigen im Fahrzeug, wie z. B. Instrumente (bspw. Geschwindigkeitsanzeige), Stellung von Bedienelementen (bspw. heizbare Heckscheibe) und Informationen des Bordcomputers (bspw. Außentemperatur). Akustische Informationen, z. B. Sprachausgabe des Navigationssystems oder Martinshorn von Einsatz- und Rettungsfahrzeugen. Akustische Nebeninformationen, z. B. Radio und Gespräche mit Beifahrern oder über Telefon. Andere Verkehrsteilnehmer, z. B. Fahrzeuge oder Fußgänger. Charakteristik der Fahrstrecke (Streckensituation), z. B. Quer- und Längsverlauf der Strecke, Knotenpunkte, Fahrbahnbreite und Anzahl der Fahrstreifen.
Zum Gesamten Deutschle, SVR 2005, 249, 251. Vgl. Wolter, Ein hybrides Modell zur Kraftfahrzeugführung, S. 1. 62 Timpe, in: Jürgensohn/Timpe, Kraftfahrzeugführung, Kap. 1.2.1, S. 10: In der Zeit v. 1994 bis 2001 sind über 38 Forschungsvorhaben zur menschlichen Informationsverarbeitung allein von der BASt ausgeschrieben worden. 63 Zum Gesamten Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3, S. 286. 64 Fastenmeier, in: Fastenmeier, Autofahrer und Verkehrssituation, S. 65. 61
42
2. Kap.: Grundlagen der Fahrzeugführung *
*
Verkehrsschilder, z. B. Geschwindigkeitsbeschränkungen, Vorfahrtsregelungen und Wegweiser. Beschaffenheit der Fahrbahnoberfläche, Wetter und Sichtbedingungen, z. B. Nässe, Verschmutzung, Schnee, Glatteis, Gegenlicht, Regen- bzw. Schneefall und Nebel.
B Beurteilungsleistungen *
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Längsabstände zu oder zwischen anderen Verkehrsteilnehmern bzw. Objekten, z. B. zum vorausfahrenden Fahrzeug, zwischen zwei auf der benachbarten Spur fahrenden Fahrzeugen, zu Fußgängern, Radfahrern und Hindernissen auf der Fahrspur. Querabstände zu oder zwischen anderen Verkehrsteilnehmern bzw. Objekten, z. B. zu Fahrzeugen auf „gleicher Höhe“ oder zu Fahrzeugen am Fahrbahnrand. Geschwindigkeit des eigenen Fahrzeugs und anderer Fahrzeuge bzw. Verkehrsteilnehmer. Antizipation kritischer Verkehrssituationen, z. B. knappes Einscheren eines Fahrzeugs, Missachtung der Vorfahrtsregelungen durch andere.
E Entscheidungs- und Denkprozesse *
*
Auswahl geeigneter Handlungen zur Navigation des Fahrzeugs, z. B. Entscheidung, welche Fahrtroute gewählt wird, Richtungsentscheidung an Knotenpunkten. Auswahl geeigneter Handlungen zur Bahnführung des Fahrzeugs, z. B. Entscheidung über zu fahrende Geschwindigkeit und einzuhaltenden Längsabstand, Überholmanöver, Wahl des Fahrstreifens und der Querposition auf diesem.
F Fahrzeugbedienung *
Regelung der Fahrzeug-Längsbewegung zur Stabilisierung des Fahrzeugs, z. B. Gas geben, Bremsen und Schalten.
*
Regelung der Fahrzeug-Querbewegung zur Stabilisierung des Fahrzeugs, z. B. Lenken.
*
Bedienelemente für weitere Funktionen, z. B. für Licht, Scheibenwischer und Radio.65
Die Bewältigung der Führungstätigkeit ist im Ergebnis – wie jedes andere menschliche Verhalten – Resultat einer kontinuierlichen Informationsverarbeitung.66 Der Fahrer agiert dabei als Regler.67 Für das Verständnis dieser Regelungsaufgabe ist es unabdingbar, sich von der Vorstellung zu lösen, dass einzig gemeinhin als geistige Tätigkeiten bezeichnete Aktivitäten einem Informationsverarbeitungsprozess unterliegen. Der Mensch ist aus Sicht der kognitiven Psychologie nicht nur passiver Empfänger von Reizen und Informationen, sondern ein dynamisches System, das Informationen mit großer Flexibilität aufzusuchen, aufzunehmen, zu verarbeiten und umzusetzen vermag.68 Dies geschieht vor dem Hintergrund der Erfahrungen, des Wissens und der Erwartungen eines Menschen, wodurch auf verschiedenen Ebenen 65 Darstellung übernommen von Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.3, S. 12. 66 Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1, S. 4. 67 Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 7. 68 Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 94 u. 108.
B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises
43
eine zielgerichtete Interaktion (mit technischen Komponenten) ermöglicht wird.69 Anders ausgedrückt ist jedes Agieren des Menschen Resultat eines (bewussten oder unbewussten) Informationsverarbeitungsprozesses. Für das Verständnis der Bewältigung der Aufgabe der Kraftfahrzeugführung sind daher genaue Vorstellungen über die Möglichkeiten und Grenzen des menschlichen Informationsverarbeitungsprozesses, der sich in die Komponenten der Informationsaufnahme (Wahrnehmung), Informationsverarbeitung im engeren Sinne (Kognition) und Informationsabgabe (Motorik) aufspaltet, unabdingbar.70 Ausgangspunkt jedes bewussten und unbewussten Informationsverarbeitungsprozesses ist die Wahrnehmung.71 Jede verfügbare Information muss zunächst aufgenommen werden; sog. Perzeption oder frühe Prozesse.72 Der Vorgang der Informationsaufnahme umfasst zunächst die Gesamtheit aller Eingangsvariablen des Teilsystems Mensch innerhalb eines umfassenden Arbeitssystems bzw. innerhalb des Mensch-Maschine-Systems. Sämtliche Informationen, die den Menschen erreichen, stammen aus Reizen, die durch Sinnesleistungen zunächst zur Wahrnehmung verarbeitet werden müssen.73 Wie der Mensch über diesen grundlegenden Ansatz hinaus wahrnimmt, mithin auf welchen Informationen die menschliche Wahrnehmung basiert, ist von der Wissenschaft bis heute nicht eindeutig geklärt.74 Als gesichert gilt zumindest, dass die frühen Prozesse parallel ablaufen und auch die Vorbereitung und Ausführung von simultanen Handlungsabläufen mit vergleichsweise geringem mentalem Aufwand betrieben werden kann. Dementgegen läuft die Kognition bewusstseinspflichtiger Prozesse, die Informationsverarbeitung im engeren Sinne, tendenziell seriell ab.75 Im Grunde filtert der Fahrer zur Bewältigung der Fahrzeugführungsaufgabe in den frühen Prozessen informationstragende Signale unter Abtrennung von irrelevanten Signalen („Hintergrundrauschen“) heraus, identifiziert und ermittelt daraufhin innerhalb der zentralen Prozesse die Signalbedeutung und bildet sich im daran anschließenden Entscheidungsprozess ein Urteil, um schlussendlich seine Entscheidung im Rahmen der späteren Prozesse zu einem manipulierenden oder kommunikativen Handeln zu verwirklichen76 – also das Fahrzeug seiner Entscheidung nach zu steuern.
69
Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 113. Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3, S. 286. 71 Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 8. 72 Timpe, in: Jürgensohn/Timpe, Kraftfahrzeugführung, Kap. 1.3.1, S. 16; Schlick/Bruder/ Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3.1, S. 287; Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.1, S. 4. 73 Hajos, in: Schmidtke, Ergonomie, Kap. 2.1.1, S. 58. 74 Vertiefend m. weiteren Theorien Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 107. 75 Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3.2.2.3.1, S. 369. 76 Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3.1, S. 287. 70
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2. Kap.: Grundlagen der Fahrzeugführung
a) Die Informationsaufnahme (Wahrnehmung) Die erste Stufe des Informationsverarbeitungsprozesses, die Wahrnehmung, umfasst dabei mehr als die Summe aller physikalischen Einwirkungen von Reizenergien auf die Sinnesorgane.77 Ihr gehören alle Prozesse an, die mit dem Erkennen und Entdecken von Informationen zusammenhängen und sich schließlich in einer inneren Repräsentation der Umwelt niederschlagen.78 Dies umfasst sowohl Prozesse der Selektion, Reduktion, Kategorisierung als auch Synthese,79 welche zunächst die Wahrnehmung im engeren Sinne voraussetzen. Die Informationsaufnahme im engeren Sinne erfolgt über die Sinnesorgane des Menschen.80 Die unter dem Begriff des „Wahrnehmungssystems“ zusammengefassten einzelnen Sinnessysteme inklusive ihrer Anpassungsfähigkeit ermöglichen dem Menschen, physikalische Reize zu Wahrnehmungen zu verarbeiten.81 Schließlich ist als Wahrnehmung nicht ausschließlich die Reizung von Rezeptoren zu verstehen, sondern die Aktivierung von Wahrnehmungssystemen, die die Reizinformation bereits dekodieren.82 Dabei ist jedes Sinnesorgan auf spezifische (physikalische) Signalarten, d. h. eine bestimmte Reizform, sensibilisiert. Die Rezeptoren jedes einzelnen Sinnesorgans wandeln zu diesem Zwecke die physikalischen Reize, die die Reizwahrnehmungsschwelle übersteigen,83 in physiologische Empfindungen um.84 Für die Bewältigung der Fahraufgabe sind dabei vor allem visuelle, akustische, haptische und vestibuläre Wahrnehmungen von Bedeutung.85 Neben den Sinnesorganen selbst werden der Informationsaufnahme die sensorischen Speicher86 der einzelnen Wahrnehmungssysteme zugeordnet. In diesen werden Informationen, wie sie von den Sinnesorganen wahrgenommen wurden, über einen kurzen Zeitraum zwischengespeichert.87 Der sensorische Speicher erhält für
77
Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 100. Freyer, Vernetzung von Fahrerassistenzsystemen, S. 20 f.; Wimmer, Mensch-MaschineSysteme, S. 8; Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.1.1, S. 5. 79 Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 8. 80 Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.1.1, S. 5; Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3.2.1, S. 313. 81 Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 100. 82 Timpe, in: Jürgensohn/Timpe, Kraftfahrzeugführung, Kap. 1.3.1, S. 17; Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 108. 83 Freyer, Vernetzung von Fahrerassistenzsystemen, S. 21; vgl. Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 100. 84 Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 8. 85 Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.1.1, S. 5; Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 8. 86 Besser bekannt als „Ultrakurzzeitgedächtnis“; Bolte, Das aktive Stellteil, S. 12. 87 Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3.2.2.3.1, S. 366. 78
B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises
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eine kurze Zeit ein Abbild der Reizsituation.88 Die Zerfallszeit der Information korreliert dabei mit dem exponentiellen Abfall der Rezeptorerregung.89 Der Zugriff auf den sensorischen Speicher erfolgt für den Menschen unbewusst, sodass dieser nicht von der Zuweisung mentaler Ressourcen abhängig ist.90 In den sensorischen Speichern finden sich daher auch weitaus mehr Informationen, als das Arbeitsgedächtnis bewältigen kann.91 Die Vielzahl der im sensorischen Speicher zunächst aufgenommenen Informationen geht nach nur wenigen Zehntel-Sekunden verloren. Jede Sinnesmodalität besitzt dabei einen eigenen sensorischen Speicher. Visuelle Wahrnehmungen bleiben etwa im ikonischen Speicher für ca. 0,2 Sekunden – was der durchschnittlichen Zerfallszeit aller sensorischen Speicher entspricht –,92 auditive Wahrnehmungen im echoischen Gedächtnis hingegen für etwa 1,5 Sekunden erhalten.93 Der Wahrnehmung im engeren Sinne folgen die Prozesse der Selektion, Reduktion, Kategorisierung und der Synthese.94 So ist der Mensch bei einem beständigen Überangebot von Informationen bereits auf Wahrnehmungsebene zur Selektion zwischen irrelevanten und relevanten Informationsgehalten gezwungen. Wir haben schlicht nicht die kognitive Kapazität, sämtliche Signale bewusst wahrzunehmen und zu verarbeiten. Deswegen ist auf Ebene der Sinnesrezeptoren eine Einschränkung der Wahrnehmung notwendig. Die Wahrnehmung der Fahraufgabe geht deshalb mit einem stetigen Entscheidungsprozess zwischen miteinander konkurrierenden Informationsquellen einher.95 Als irrelevant erkannte Informationen werden bereits auf der Ebene der Informationsverarbeitung herausgefiltert. Dadurch können der nachgelagerten Kognition vorsortierte, verdichtete Resultate übergeben werden. Die Selektion läuft dabei sehr effizient ab. Sie beansprucht, weil sie der Kognition vorgelagert ist, keine kognitiven Ressourcen.96
88
Dörner, Problemlösen, S. 28. Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 10. 90 Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3.2.2.3.1, S. 367. 91 Vgl. Dörner, Problemlösen, S. 28. 92 Vgl. Lindsay/Norman, Human Information Processing, S. 313, die eine Zerfallszeit von wenigen Millisekunden annehmen. 93 Vgl. Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.1.1, S. 5; Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3.2.2.3.1, S. 367. 94 Siehe 2. Kap., Fn. 79. 95 Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.1, S. 4. 96 Zum Gesamten Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 8 f. 89
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2. Kap.: Grundlagen der Fahrzeugführung
b) Die Informationsverarbeitung im engeren Sinne (Kognition) An den Wahrnehmungsprozess schließt sich die kognitive Verarbeitung der Informationen an; sog. Kognition oder zentrale Prozesse.97 Dieser Ebene wird das Erkennen wahrgenommener Reize, das Erfassen und Vorhersagen der Eigen- und Umweltsituation durch die Assoziation und Verschmelzung der erkannten Reize sowie die Auswahl erforderlicher Handlungen zugeordnet.98 Basis der zentralen Prozesse ist das Gedächtnis,99 in dem der Mensch sein Wissen speichert. Zur Verarbeitung der wahrgenommenen Information gleicht das Gehirn diese mit dem im Gedächtnis gespeicherten Wissensbestand ab.100 In diesem Moment entscheidet sich, ob das von einem Rezeptor aufgenommene und aufbereitete Signal zu einer Reaktion führt (sog. aktiver Fall) oder ob die Information lediglich erduldet wird (sog. passiver Fall).101 Wie bereits angedeutet, fällt die Darstellung und Konzeptualisierung von inneren Vorgängen aufgrund des Fehlens von beweissicheren Messverfahren zur Feststellung der mentalen Belastung102 schwer.103 Eine Annäherung und Veranschaulichung der Erkenntnisse zu den komplexen inneren Vorgängen wird durch sog. Fahrermodelle, die die (innere) mentale Beanspruchung des Fahrers abzubilden versuchen, erreicht.104 Der schier unlösbaren Aufgabe geschuldet, ist es bis heute nicht gelungen, für die Simulation der Fahrzeugführung ein normatives Fahrermodell zu schaffen.105 Stattdessen entstand im Laufe der Zeit eine Vielzahl von Fahrermodellen.106 Um dennoch einen Einblick in den von außen verborgenen Ablauf des Informationsverarbeitungsprozesses zu erhalten, wird in dieser Arbeit das anerkannte Drei-Ebenen-Modell von Rasmussen aus dem Jahr 1983 vorgestellt, welches zwar 97 Timpe, in: Jürgensohn/Timpe, Kraftfahrzeugführung, Kap. 1.3.1, S. 16; Schlick/Bruder/ Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3.1, S. 287; Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.1, S. 4. 98 Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3.2.2, S. 360. 99 Bolte, Das aktive Stellteil, S. 12. 100 Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 10; vgl. Bolte, Das aktive Stellteil, S. 13. 101 Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.1.2, S. 7. 102 Nach der DIN EN ISO 10075 sind psychische Belastungen „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken“. Als psychische Belastung während der Arbeitsaufgabe wird deren „unmittelbare (nicht die langfristige) Auswirkung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien“ angesehen. Die mentale Beanspruchung ist ein Faktor der psychischen Beanspruchung und bezeichnet den Anteil der Gesamtbeanspruchung, der durch Belastungen aus Informationsaufnahme, -verarbeitung und -umsetzung hervorgerufen wird. Vgl. als auch weiterführend Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3, S. 392 ff. 103 Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaften, Kap. 3.3.3.2, S. 394. 104 Vgl. Wolter, Ein hybrides Modell zur Kraftfahrzeugführung, S. 4. 105 Timpe, in: Jürgensohn/Timpe, Kraftfahrzeugführung, Kap. 1.2.3, S. 16. 106 Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaften, Kap. 3.3.3.2, S. 394.
B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises
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nicht spezifisch den Fahrzeugführungsprozess, sondern den allgemeinen menschlichen Arbeitsprozess bei zielgerichteten Tätigkeiten abbildet, aber auf ersten als eben solche zielgerichtete Tätigkeit übertragbar ist.107 Rasmussen geht grundlegend von der Existenz zweier menschlicher Verarbeitungssysteme, der bewussten (kontrollierten) und der unbewussten (automatisierten) Informationsverarbeitung, aus.108 Insgesamt stehen dem Menschen – wie der Name Drei-Ebenen-Modell bereits andeutet – drei Verarbeitungsebenen zur Verfügung, wobei jede Ebene eine andere kognitive Belastung beansprucht.109 Während die unbewusste (automatisierte) Informationsverarbeitung – die fertigkeitsbasierende Ebene – keiner kognitiven Ressourcen bedarf, ist die bewusste (kontrollierte) Informationsverarbeitung auf der regelbasierenden Ebene und der wissensbasierenden Ebene mit einer (ansteigenden) psychischen Belastung verbunden. Die drei Verarbeitungsebenen werden im Folgenden näher erörtert. aa) Die unbewusste Informationsverarbeitung (fertigkeitsbasierende Ebene) Das fertigkeitsbasierende Verhalten wird durch den (erfahrenen) Fahrer unbewusst bewältigt. Diese Prozesse laufen parallel zur bewusstseinspflichtigen Informationsverarbeitung ab.110 Zur Anwendung kommt das fertigkeitsbasierende Verhalten bei der Bewältigung von regelmäßig auftretenden Fahrsituationen und Aufgaben. Solche Routinehandlungen vollzieht der Fahrer durch reflexartig und automatisiert ablaufende Reiz-Reaktions-Mechanismen.111 Vor allem bei der Bewältigung der primären Fahraufgabe ist ein hoher Automatisierungsgrad der motorischen Handlungen feststellbar.112 Da diese Verhaltensmuster dem Fahrer regelmäßig vertraut sind, laufen diese selbständig ab und bedürfen keiner bewussten Kontrolle,113 sodass dem Fahrer Raum für die Ausübung von anderen Tätigkeiten verbleibt.114 Voraussetzung für die fertigkeitsbasierende Bewältigung ist jedoch eine anforderungsgerechte und problemlose Wahrnehmung der Information.115 Der zügige Vollzug fertigkeitsbasierender Handlungen wird aufgrund der minimalen Abrufzeit des Menschen durch die Speicherung der Reiz-Reaktions-Mechanismen in107 Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2.1, S. 18; vgl. Fastenmeier/Gstalter, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 204; Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 114. 108 Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 107; von zwei Verarbeitungssystemen gingen vor Färber, Geteilte Aufmerksamkeit, S. 91 ff. bereits Treisman/ Gelade, Cognitive Psychology 1980, 97 ff. u. Posner, American Psychologist 1982, 168 ff. aus. 109 Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2.1, S. 18. 110 Timpe, in: Jürgensohn/Timpe, Kraftfahrzeugführung, Kap. 1.3.1, S. 17; Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 97. 111 Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2.1, S. 18. 112 Timpe, in: Jürgensohn/Timpe, Kraftfahrzeugführung, Kap. 1.3.2, S. 17. 113 Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 11. 114 Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2.1, S. 18. 115 Timpe, in: Jürgensohn/Timpe, Kraftfahrzeugführung, Kap. 1.3.2, S. 18.
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2. Kap.: Grundlagen der Fahrzeugführung
nerhalb des tertiären Langzeitgedächtnisses gewährleistet.116 Während der Wahrnehmung der Fahraufgabe nehmen fertigkeitsbasierende Verhaltensweisen deshalb zeitlich, wie der Intensität nach, keine bis geringstmögliche kognitive Ressourcen in Anspruch und belasten den Fahrer kaum.117 Ermöglicht wird die fertigkeitsbasierende Verarbeitung durch sog. mentale Modelle. Nach diesem Konzept, welches auch als „internes“ oder „inneres Weltmodell“ bezeichnet wird, repräsentieren Menschen Wissen und Lernerfahrungen in Form von vereinfachten Modellen.118 Dies beruht auf der Annahme, der Mensch würde in seinem Geist ein vereinfachtes Abbild über die Funktionen und Abläufe seiner Umwelt entwickeln.119 Ein einfaches mentales Modell ist etwa der Tritt auf das Gaspedal, welches mit der Beschleunigung des Fahrzeugs assoziiert wird.120 Mentale Modelle sind also nichts anderes, als kognitiv-emotionale Repräsentationen von Objekten, Objektbeziehungen und Prozessen, also innere Repräsentationen der externen Welt.121 Sie werden im Arbeitsgedächtnis122 erstellt und ermöglichen dem Menschen, Handlungsmöglichkeiten und ihre Folgen unbewusst zu simulieren. Dies ist notwendig, da die Komplexität der Umwelt und aller (technischen) Systeme es dem Menschen aufgrund der begrenzten Kapazität seines Arbeitsgedächtnisses schlichtweg nicht erlaubt, die (kausalen) Wirkzusammenhänge jedes Mal erneut umfassend zu erfassen und zu begreifen. Der Mensch könnte die Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung schlicht intellektuell nicht bewältigen, müsste er jede einzelne (Teil-)Aufgabe – wie eben den benannten Tritt auf das Gaspedal – neu und umfassend durchdenken.123 Natürlich sind mentale Modelle nicht angeboren, sondern müssen erlernt werden. Dies geschieht, indem der Mensch die Entitäten seiner Umwelt nacheinander in Einzelschritten kennenlernt, diese im Gehirn vereint und zu einem vereinfachten (kausalen) Systemverständnis zusammenführt. Dies ist Resultat der wissensbasierenden und/oder regelbasierenden Informationsverarbeitung. Jedes mentale Modell hat also zu seiner Entstehung die bewusste Informationsverarbeitung mindestens einmal durchlaufen. Mentale Modelle sind dementsprechend auch nicht starr, sondern unterliegen einem dynamischen Prozess.124 Sie passen sich an die Handlungsaufgabe als auch das Arbeitsumfeld durch Modifizierung oder Neustrukturierung an. Diese, als Lernfähigkeit bezeichnete Eigenschaft, ermöglicht es dem 116
Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 11. Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2.1, S. 18; Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 11. 118 Wolf, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 6.1, S. 103. 119 Wolf, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 6.3.1, S. 109 m. w. N. 120 Geiser, ATZ 1985, 77, 79. 121 Wolf, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 6.3.1, S. 109. 122 Auch Kurzzeitgedächtnis genannt. 123 Zum Gesamten Wolf, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 6.3.1, S. 109. 124 Vgl. Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 109. 117
B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises
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Menschen, nicht benötigte Handlungsmuster zu verlernen und gleichzeitig neue Fähigkeiten und ein neues Systemverständnis zu entwickeln.125 Diese Entwicklungsfähigkeit mentaler Modelle ist trotz ihres automatisierten Ablaufs, währenddessen der Mensch keine bewusste Beanspruchung mentaler Ressourcen benötigt, auch darauf zurückzuführen, dass der Mensch in begrenztem Umfang die Verarbeitungsresultate überwachen und kontrollieren kann.126 Während der Fahrzeugführung nutzt der Fahrer eine Vielzahl mentaler Modelle, die eine unbewusste Bewältigung von Einzelaufgaben ermöglichen. Ein weiteres Beispiel ist das Lenken. Der Fahrer verknüpft ein linksseitiges Drehen am Lenkrad mit dem entsprechenden Fahrtrichtungswechsel, ohne zuvor zu hinterfragen, wie das Lenkgestänge oder Lenkgetriebe seinen Steuerungsimpuls an die Achse bzw. die Räder weiterleitet. Dies ändert sich erst, wenn die erwartete Reaktion ausbleibt – etwa das Fahrzeug weiter geradeaus fährt. In diesem Fall geht der Informationsverarbeitungsvorgang vom Unbewussten ins Bewusste über. Zugleich bergen mentale Modelle auch Risiken. Wie sehr sich der Mensch auf innere Modelle verlässt und dadurch Gefahr läuft, Änderungen der Umwelt zu ignorieren, wird mit Blick auf die Häufung von Unfällen an Kreuzungen mit geänderter Vorfahrtsregelung ersichtlich.127 Ein ähnliches – oft fehlerhaftes, jedoch folgenloses mentales Modell – kann bei der Bedienung der Heizung aufgezeigt werden. Wird einem Fahrzeuginsassen kalt, stellt die überwiegende Zahl von Personen den Drehregler der manuellen Temperatursteuerung auf die höchste Stufe, um mit dem Zeitpunkt des Erreichens der Wohlfühltemperatur die Heizung wieder runterzuregeln oder abzuschalten. Die Fehlerhaftigkeit dieses mentalen Modells liegt in der Annahme begründet, nur durch das Aufdrehen der Heizung auf die höchste Stufe sei die Wohlfühltemperatur schnellstmöglich zu erreichen, obwohl auch in der mittleren Reglerposition dieses Ergebnis in gleicher Zeit erreicht werden kann. bb) Die bewusste Informationsverarbeitung – Die Stufen des bewussten Informationsverarbeitungsprozesses Die bewusste Informationsverarbeitung erfolgt nach dem Drei-Ebenen-Modell von Rasmussen auf den zwei ersten Ebenen – der wissensbasierenden und der regelbasierenden Ebene. Die Anforderungen reichen von einfachen Ausführungshandlungen über unerwartete Herausforderungen bis hin zu seltenen kritischen Störfällen.128 Im Folgenden wird die bewusste Informationsverarbeitung auf diesen Ebenen dargestellt. 125 Zum Gesamten Wolf, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 6.1, S. 104 u. Kap. 6.3.1, S. 109. 126 Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 98. 127 Geiser, ATZ 1985, 77, 79. 128 Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2.1, S. 18.
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2. Kap.: Grundlagen der Fahrzeugführung
Trifft der Fahrer unvorbereitet auf komplexe, unbekannte Verkehrsgegebenheiten, versucht er diese auf der Ebene des wissensbasierenden Verhaltens zu lösen. Für solche Situationen kann er nicht auf bereits bestehende Verhaltensmuster zurückgreifen – der Fahrer hat für diese Situation schließlich keine mentalen Modelle abgespeichert. Innerhalb eines gedanklichen Lösungsprozesses spielt er auf Basis seines vorhandenen oder noch zu erwerbenden Wissens verschiedene Handlungsalternativen und deren Konsequenzen durch und wählt nach einem Abwägungsprozess die für das angestrebte Ziel brauchbarste und effektivste aus.129 Im Falle eines erfolgreichen Fahrmanövers kann das neue Verhaltensmuster für zukünftige Fälle gespeichert und mit jedem weiteren Anwenden verfestigt werden, sodass es zukünftig als regelbasierende Verhaltensweise oder mit fortschreitender Anwendungszahl sogar als Reflexmechanismus (mentales Modell) angewandt werden kann. Intellektuell verlangt diese Verhaltensweise, die sowohl das langsamere sekundäre Langzeitgedächtnis als auch das Kurzzeitgedächtnis beansprucht, dem Fahrer die größtmögliche Nutzung kognitiver Ressourcen ab und ist die zeitlich aufwendigste Möglichkeit, eine Entscheidung zu treffen.130 Das bereits erwähnte, auf der Zwischenstufe stehende regelbasierende Verhalten unterscheidet sich vom Vorgenannten durch die Verfügbarkeit von (ähnlichen) gespeicherten Verhaltensmustern, die der Fahrer aufgrund vorhergehender Problemlösungsprozesse durch Anwendung seiner wissensbasierenden Fähigkeiten als zielführend entwickeln konnte. Dies ermöglicht ihm auf situative Gegebenheiten, die er bereits gleichermaßen oder ähnlich bewältigte, mittels der subjektiv als am effektivsten erkannten Verhaltensform zu reagieren. Die intellektuelle als auch zeitlich-kognitive Inanspruchnahme des Fahrers fällt im Vergleich zum wissensbasierenden Verhalten ungleich geringer aus. Zwar greift auch in diesem Fall der Fahrer auf sein langsameres sekundäres Langzeitgedächtnis zurück, kann aber auf bereits gespeicherte Verhaltensmuster, also auf ähnliche mentale Modelle ohne vorherigen Abwägungsprozess zugreifen.131 Dadurch sinkt die mentale Belastung des Fahrers bei der Bewältigung dieser Fahraufgabe im Verhältnis zu unbekannten Verkehrssituationen.132 Verdeutlicht wird das Fahrermodell nach Rasmussen mit der folgenden graphischen Darstellung:133
129
Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2.1, S. 18. Zum Gesamten Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 11; ebenso Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2.1, S. 18. 131 Zum Gesamten Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 11. 132 Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2.1, S. 18. 133 Siehe u. weiterführend Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2.1, S. 19. 130
B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises
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Fahraufgabe
Sensorische Information
Wissensbasierendes Verhalten Identifikation
Entscheidungsfindung
Planung
Regelbasierendes Verhalten Erkennung
Assoziative Zuordnung
Repertoire von Verhaltensregeln
Fertigkeitsbasierendes Verhalten Reiz-ReaktionsAutomatismen
Duldung / Motorische Aktion
cc) Die mentalen Belastungen während der Informationsverarbeitung Jede Verkehrssituation muss auf einer der Ebenen bewältigt werden. Welche Ebene genutzt werden kann, hängt dabei entscheidend vom Erfahrungsschatz und Wissensstand des Fahrers ab.134 Während die Bewältigung der Navigationsaufgabe aufgrund der Notwendigkeit einer bewussten Planung regelmäßig im Wege des wissensbasierenden Verhaltens erfolgt, werden Aufgaben der Bahnführung und Stabilisation mit steigendem Erfahrungsschatz weitgehend mittels Anwendung regelbasierenden oder fertigkeitsbasierenden Verhaltens realisiert. Nur Fahranfänger sind überwiegend auf die Anwendung von wissensbasierenden Verhaltensweisen angewiesen. Lediglich im Fall unbekannter Verkehrssituationen müssen alle Fahrer die Fahraufgabe auf wissensbasierender Ebene bewältigen.135 Entsprechend ist der zeitliche Aufwand für die Bewältigung jeder Teilaufgabe während der Fahrzeugführung für jede Fahrergruppe unterschiedlich hoch. Die Anzahl an Fahrstunden gibt dabei nur wenig Auskunft über die kognitive Beanspruchung. Bspw. sind langjährige Fahrer, die ihr Fahrzeug überwiegend auf Bundesautobahnen bewegen, im andersartigen Stadtverkehr höheren Belastungen ausgesetzt, als Stadtfahrer und umgekehrt. Die im jeweiligen Umfeld erlernten Ver134
S. 18. 135
Zum Gesamten Donges, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 2.1, Zum Gesamten Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 11.
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2. Kap.: Grundlagen der Fahrzeugführung
haltensweisen sind nicht stets auf die andersartige Umgebung übertragbar, sodass eine stärkere Belastungssituation entsteht. Die mentale Belastung ist also nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern auch in jeder Verkehrssituation verschieden. Zu einer hohen mentalen Belastung kommt es zumindest dann, wenn sog. kontrollierte (bewusste) Prozesse auf automatisierte Prozesse treffen. Diese als Response-Konflikt bezeichnete Situation entsteht, wenn die Ergebnisse des automatisierten Prozesses mit denen der kontrollierten Prozesse differieren.136 In einem solchen Fall muss die wahrgenommene Gesamtsituation in ihre Einzelereignisse aufgeteilt und ein neues Handlungsmodell konstruiert werden.137 Bewältigt der Fahrer den Konflikt, können die funktional gezogenen Schlüsse neue Regeln oder Ereignisse generieren, die im Rahmen der Lernfähigkeit zur Änderung des mentalen Modells führen.138 Unbenommen dessen gerät der Mensch in einer Situation der Inkongruenz unter Druck, sodass kritische Verhaltensweisen auftreten können. Problematischerweise kann der Fahrer der Entstehung des Konfliktfalls kaum entgegenwirken. Schließlich ist er nicht in der Lage, automatisierte Prozesse so zu unterdrücken, dass deren unerwünschte Ergebnisse von der bewussten Verarbeitung ausgeschlossen werden.139 Bspw. scheint es dem Menschen unmöglich, sich gänzlich auf einen von zwei visuellen Stimuli zu fokussieren, soweit beide Stimuli innerhalb eines Sehwinkels von weniger als einem Grad voneinander entfernt liegen.140 Der automatisierte Prozess der Informationsverarbeitung beider visueller Reize kann vom Menschen nicht zugunsten eines der beiden Reize unterdrückt werden. Abzugrenzen von der mentalen Belastung ist die emotionale Belastung. Sie resultiert vorwiegend aus den Ausführungsbedingungen wie Zeitdruck, Lärm, Klima oder wird durch zwischenmenschliche Beziehungen bestimmt. Emotionale Belastungen werden häufig als motivationale oder affektive Begleiterscheinung wie Langeweile, Angst oder Hilflosigkeit im Fahrprozess sichtbar.141 Entsprechend kann sie ebenfalls als Einflussgröße des Informationsverarbeitungsprozesses auftreten und zu einem emotionsgesteuerten Verhalten führen. Aufgrund der hohen individuellen Variationsbreite und des unregelmäßigen Auftretens von emotionalen Stresssituationen ist die emotionale Belastung keiner Verallgemeinerung zuführbar und kein ständig gleichbleibender Begleiter des Fahrers, sodass diese für die Beschreibung der Fahrzeugführungsaufgabe außer Betracht bleiben muss.
136
Zum Gesamten Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3.2.2.1, S. 361. Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 10. 138 Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 110 f.; Geiser, ATZ 1985, 77, 79. 139 Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3.2.2.1, S. 361. 140 Broadbent, Acts Psychologica 1982, 253, 277. 141 Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaften, Kap. 3.3.3.1, S. 394. 137
B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises
53
dd) Zwischenergebnis: Die Leistungsanforderungen an den Fahrzeugführer Die Fahrzeugführung stellt den Menschen vor verschiedenste Aufgaben, die er auf unterschiedliche Weise zu bewältigen versucht. Sie verlangt dem menschlichen Fahrer mit Ausnahme einzelner automatisierter Vorgänge seine ungeteilte Aufmerksamkeit ab. Das Führen ist daher nicht als bloßer Vorgang der Vornahme von Stelleingriffen zu verstehen. Vielmehr erfordert dieser als Basis eine nicht unerhebliche intellektuelle Leistung. Der Mensch hat während der Fahrzeugführung eine Unzahl von Informationen auszuwerten als auch abzugleichen und daraufhin Entscheidungen zu treffen. Dieser Informationsverarbeitungsprozess tritt aber kaum nach außen in Erscheinung. Dennoch wird er nicht nur durch die Vornahme von Stelleingriffen, sondern auch durch andere körperliche Bewegungen ersichtlich. c) Die Informationsabgabe Im letzten Schritt des Informationsverarbeitungsprozesses wird die innerhalb der Informationsverarbeitung im engeren Sinne gebildete Entscheidung, soweit die vorliegende Verkehrssituation nicht nur erduldet wird, in motorische Steuerungseingriffe umgesetzt, sog. Motorik oder späte Prozesse.142 Dem Fahrer ist eine Informationsabgabe durch motorische Bewegungsabläufe als auch durch akustische Ausgabe mittels Sprache möglich.143 Die physische Belastung bei der Vornahme von Steuerungseingriffen im Sinne einer arbeitspsychologischen Leistung ist im Gegensatz zu den Belastungen aus der Informationsaufnahme und -verarbeitung weitaus geringer.144 Die Bedienung der Fahrzeugeinrichtungen zur Erfüllung der primären oder sekundären Fahraufgabe stellt (erfahrene) Fahrer für gewöhnlich vor keine Herausforderung und bedarf – allein in Bezug auf die motorische Umsetzung – keiner besonderen Aufmerksamkeit. Schließlich laufen die Regelungseingriffe zur Längs- und Querführung aufgrund der regelmäßigen Verfügbarkeit mentaler Modelle für den Fahrer auf der fertigkeitsbasierenden Ebene ab, d. h. diese Stelleingriffe werden automatisiert vorgenommen. Gleiches gilt für sekundäre Fahraufgaben, soweit diese häufiger vorkommen145 und der Fahrer mit den Bedienelementen des Fahrzeugs vertraut ist. Die kurzen menschlichen Reaktions- und Bewegungszeiten, die im Bereich zwischen 20 bis 70 Millisekunden liegen, ermöglichen eine schnelle motorische Umsetzung.146 Die tatsächliche Steuerungstätigkeit nimmt damit innerhalb des gesamten Fahrzeugführungsprozesses nur geringe Ressourcen des 142 Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.1, S. 4 u. Kap. 1.1.3, S. 8; Timpe, in: Jürgensohn/Timpe, Kraftfahrzeugführung, Kap. 1.3.1, S. 16; Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3.1, S. 287. 143 Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3, S. 381. 144 Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.1.3, S. 8. 145 Zum Gesamten Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, S. 14. 146 Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3, S. 388.
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2. Kap.: Grundlagen der Fahrzeugführung
Fahrers in Anspruch.147 Der gesamte Vorgang von der sensorischen Wahrnehmung bis zur motorischen Umsetzung bedarf zudem lediglich eines Zeitfensters von ca. 100 Millisekunden für taktile, 160 Millisekunden für akustische und 220 Millisekunden für visuelle Reize, soweit keine qualitative oder quantitative Bewertung der Signale erforderlich wird.148 Im Gesamten kann der Informationsverarbeitungsprozess des Menschen als sehr effizient bezeichnet werden. 3. Zwischenergebnis Der Vorgang der Fahrzeugführung ist komplexer, als es der erste Anschein vermuten lässt. Die Einwirkung auf die Stellelemente stellt die geringsten Anforderungen an den Fahrer dar und weist eine geringe Fehleranfälligkeit auf. Die hauptsächliche Anstrengung ist vielmehr bei der bewussten Verarbeitung von Informationen zu verorten. Insofern stellt sich das „Führen“ eines Fahrzeugs, vor allem i. V. m. automatisierten Fahrerassistenzsystemen, nicht als eine motorisch anspruchsvolle, sondern überwiegend mit intellektueller Belastung versehene Arbeitsaufgabe dar.
II. Das Fahrzeug im Regelkreis Das Fahrzeug wird durch seine längs-, quer- und vertikaldynamischen Eigenschaften beschrieben. Durch dieses werden die vom Fahrer ausgegebenen Stelleingriffe in eine Fahrreaktion umgesetzt.149 Der Bewegungsvorgang ist von den Eigenschaften des Fahrzeugs abhängig, die nur zum Teil vom Fahrer beeinflusst werden können, jedoch diesem in aller Regel bekannt sind. Von der Konstruktion des Fahrzeugs, etwa dessen Fahrwerk, Aufhängung, Reifen und den technischen Systemen hängt es u. a. ab, mit welcher Höchstgeschwindigkeit das Fahrzeug einen bestimmten Kurvenwinkel durchfahren kann, wann es bei Nässe aufschwimmt und wie lang der Bremsweg ist. Zwar gibt es, heute vor allem im Bereich der Fahrwerke, Einstellungsmöglichkeiten, die indes auf den Fahrvorgang und die Stabilität des Fahrzeugs nur geringen Einfluss haben und überwiegend dem Komfort dienen. Folge der Eigenschaften eines Fahrzeugs kann die Konstruktion oder ein technisches System ein bestimmtes Fahrmanöver zulassen, während dies bei einem anderen zum Ausbrechen führt. Da diese vom Fahrer nur
147 Hingegen kann die Erfüllung tertiärer Fahraufgaben, vor allem bei unregelmäßiger Nutzung des Fahrzeugs und bei komplexer Menüstruktur in Zusammenhang mit der Bewältigung von primären und sekundären Fahraufgaben, zu einer Überforderungssituation führen, Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.4, S. 14. 148 Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, Kap. 3.3, S. 388 f. 149 Zum Gesamten Deutschle, SVR 2005, 249, 250.
B. Die einzelnen Faktoren des Regelkreises
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bedingt beeinflusst werden kann, bleiben sie, die Fahrzeugeigenschaften, im Folgenden für die Betrachtung der Fahrzeugführung außer Betracht.
III. Die Umwelt im Regelkreis Als dritter Faktor beeinflussen Umweltbedingungen, die auf den Fahrer und das Fahrzeug wirken, die Fahrzeugführung (z. B. Fahrwiderstände, Seitenwinde etc.). Zugleich schafft jeder Verkehrsteilnehmer durch sein Verhalten selbst Umweltfaktoren für die übrigen Fahrer (z. B. Veränderung der Fahrsituation).150 Umfasst sind alle Einflüsse der Umgebung, die auf die Eingangsgröße des Regelkreises – die Fahraufgabe – einwirken.151 So beeinflussen nicht nur die Witterungsbedingungen die Bewältigung der Fahraufgabe, sondern auch alle Faktoren, die den Fahrer in seinen Fähigkeiten beeinträchtigen. Dazu gehören beispielhaft neben den Bedingungen des Kurven- oder Steigungsverlaufs, dem Zustand der Straße und der Verkehrsinfrastruktur insgesamt auch die Sichtverhältnisse und die Handlungen und Verhaltensweisen anderer Verkehrsteilnehmer.152 Eine Einflussnahme auf die Umweltbedingungen ist dem Fahrer nicht möglich.
150 151 152
Deutschle, SVR 2005, 249, 250. Zum Gesamten Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 21. Deutschle, SVR 2005, 249, 250; vgl. Wimmer, Mensch-Maschine-Systeme, S. 11.
3. Kapitel
Anwendungsbereich und technische Umsetzung des automatisierten Fahrens Wurde das autonome Fahren noch vor wenigen Jahren mit Begriffen wie „Zukunftsvision“1, „Die Mobilität der Zukunft“2 und „Geisterauto“3 assoziiert oder gar als „Utopie“4 bezeichnet, ist mittlerweile die technische Entwicklung hin zum automatisierten und sogar autonomen Fahrzeug weit vorangeschritten. Die Fahrzeugführung als komplexer Vorgang menschlicher Informationsverarbeitung wird immer öfter aktiv von technischen Systemen begleitet und unterstützt oder in spezifizierten Anwendungsfällen sogar vom Fahrerassistenzsystem gänzlich übernommen. Dieser technische Fortschritt geht mit der übrigen Technologisierung einher. Der Gesellschaft ist Automatisierungstechnik keineswegs fremd. In vielen, auch öffentlichen Bereichen, treffen wir wie selbstverständlich auf selbststeuernde Systeme. Neben elektrischen Rolltreppen, Fahrstühlen und automatisierten Verkehrslenkungssystemen im Straßenverkehr kommen bei industriellen Fertigungsprozessen (voll-)automatisierte (Fertigungs-)Anlagen zum Einsatz.5 Im Bereich des industriellen Transportwesens kann die Automatisierungstechnik sogar auf eine weitreichende Geschichte zurückblicken. Bereits in den 1950er Jahren begann die Entwicklung selbststeuernder, automatisierter Transportsysteme;6 seit den 1970er Jahren werden diese selbst im Begegnungsbereich mit menschlichen Arbeitern
1 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14. 01. 2017, abrufbar unter http://media.daimler. com/marsMediaSite/de/instance/ko/Mobilitaet-der-Zukunft-Bosch-und-Daimler-kooperie ren-beim-vollautomatisierten-und-fahrerlosen-Fahren.xhtml?oid=16389692 [abgerufen am 30. 06. 2017]. 2 So von Bosch und Daimler 2017 bezeichnet, abrufbar unter http://media.daimler.com/ marsMediaSite/de/instance/ko/Mobilitaet-der-Zukunft-Bosch-und-Daimler-kooperierenbeim-vollautomatisierten-und-fahrerlosen-Fahren.xhtml?oid=16389692 [abgerufen am 30. 06. 2017]. 3 Vgl. Handelsblatt v. 15. 10. 2010, abrufbar unter http://www.handelsblatt.com/technik/for schung-innovation/autonomes-fahren-geisterautos-erobern-die-strasse/3563684.html [abgerufen am 30. 06. 2017]. 4 Süddeutsche Zeitung v. 21. 09. 2016, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/au to/verkehr-der-zukunft-autonomes-fahren-bleibt-eine-utopie-1.3170443 [abgerufen am 30. 06. 2017]. 5 Zum Gesamten vgl. Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 9. 6 Bspw. der autonome Gabelstapler „STILL FM-X autonom“, vgl. Wagner, in: Oppermann/ Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 11.
A. Kategorisierung von Fahrerassistenzsystemen
57
eingesetzt.7 Auch im Automobilbereich sind Automatisierungsbestrebungen nicht neu. Altbekannte und bewährte elektrische Assistenten wie das ABS oder ESP treffen bereits in modernen Serienfahrzeugen ab der Kompaktklasse auf aktive Fahrerassistenzsysteme wie den sog. „Park Assist“8, der sensorunterstützt eigenständig in Parklücken einzufahren fähig ist9 oder auf die adaptive Geschwindigkeitsregelanlage, welche die Fahrtgeschwindigkeit an die Verkehrssituation bzw. an das vorausfahrende Fahrzeug anpassen kann.10 Zum Verständnis des Funktionsprinzips dieser neuen aktiven Fahrerassistenzsysteme werden in diesem Kapitel die von der Wissenschaft definierten Automationsstufen dargestellt. Nur so ist ein Vergleich der Arbeitsanforderungen durch das technische System mit dem menschlichen Fahrzeugführungsprozess mit dem Ziel, den rechtlichen Begriff des „Führens“ respektive des „Fahrzeugführers“ als auch die vom Gesetzgeber im Übrigen formulierten Verhaltensanforderungen im sich wandelnden gesellschaftlichen Kontext zu reflektieren und juristisch zu bewerten, möglich.11 Natürlich muss sich die folgende technische Darstellung auf Grundsätzliches12 beschränken und kann aufgrund der zügig voranschreitenden technischen Weiterentwicklung nur eine Momentaufnahme darstellen.
A. Kategorisierung von Fahrerassistenzsystemen In den Entwicklungsprozess von automatisierten Fahrerassistenzsystemen sind eine Vielzahl von Fachbereichen involviert, die Hand in Hand agieren müssen. Von der technischen Skizze über die erste Probefahrt eines Prototypen bis hin zum straßenzugelassenen Einsatz eines Fahrzeugs oder Fahrerassistenzsystems vergehen Jahre bis Jahrzehnte, in denen die technischen, ingenieurwissenschaftlichen, informationswissenschaftlichen, sozialwissenschaftlichen und juristischen Fachbereiche – um nur einige zu nennen – zusammenarbeiten müssen. Grundlegende Voraussetzung dafür sind einheitliche Definitionen des automatisierten Fahrens als auch der Systemmerkmale der verschiedenen Automatisierungsgrade. Einschlägige Ar7
Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 10. Pressemitteilung der Volkswagen AG v. 25. 11. 2016, Nr. 474/2016, abrufbar unter https: //www.volkswagen-media-services.com/detailpage/-/detail/Einparken-leicht-gemacht-ein-Jahr zehnt-Park-Assist/view/4271186/7a5bbec13158edd433c6630f5ac445da?p_p_auth=GO2LiivG [abgerufen am 08. 03. 2018]. 9 Sog. Semiautomatische Einparksysteme, Katzwinkel/Brosig/Schroven/Auer/Rohlfs/ Eckert/Wuttke/Schwitters, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 45, S. 847. 10 Winner/Schopper, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 46, S. 852. 11 Vgl. Gasser, DAR 2015, 6, 7; BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 8. 12 Für den interessierten Leser findet sich im Anhang 2 eine Zusammenstellung der Hardwarekomponenten als auch der Softwareumsetzung. 8
58
3. Kap.: Anwendungsbereich u. technische Umsetzung automatisierten Fahrens
beitsgruppen als auch die Autohersteller und der Gesetzgeber sind entsprechend seit Jahren bemüht, einen einheitlichen Standard zu etablieren.13 Im Laufe der Zeit entwickelten sich so eine Vielzahl verschiedener Definitionsansätze und Kategorisierungen.14 Gleichwohl sei in diesem Zusammenhang, auch aufgrund der Ähnlichkeit vieler Definitions- und Gruppierungsversuche, auf eine umfassende Darstellung verzichtet15 und allein auf die Nomenklatur der BASt-Projektgruppe16 zurückgegriffen, die auch der Gesetzgeber17 anwendet. Diese Nomenklatur ist Ergebnis der im Jahr 2011 von der Bundesanstalt für Straßenverkehrswesen (BASt) eingesetzten Expertenkommission „Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung“.18 In ihrem Schlussbericht vom Januar 2012 identifizierte und klassifizierte die Expertenkommission fünf Automatisierungsgrade,19 die von der Abwesenheit von Fahrerassistenzsystemen bis hin zum vollautomatisierten Fahrzeug reichen.20 Einzig die letzte Automatisierungsebene, das autonome, also fahrerlose, Fahrzeug21 fand keinen Eingang in die Klassifikation.22 Ausgerichtet ist die Nomenklatur der BAStProjektgruppe an einer verhaltensrechtlichen Sichtweise.23 Als wesentliche Unterscheidungsmerkmale dienen zwei Kriterien: Die vom Fahrzeugführer geforderte Aufmerksamkeit auf das Verkehrsgeschehen und dessen Möglichkeiten bzw. Pflichten zur Übernahme der Fahrzeugsteuerung.24 Die arbeitsteilige Aufgabenwahrnehmung zwischen Mensch und System nimmt damit eine entscheidende Rolle ein.25 Zunächst und vor der Darstellung der Nomenklatur wird jedoch der Begriff des Fahrerassistenzsystems beleuchtet und definiert.
13
Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 14. Franke, DAR 2016, 61, 61. 15 Siehe weiterführend dazu u. a. Gasser/Seeck/Smith, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 3, S. 30; Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 14 ff.; vgl. u. weiterführend Gasser, DAR 2015, 6, 7 f. 16 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung; der Vollständigkeit halber wird auf die von der SAE International Organisation aus dem Jahr 2014 entwickelte internationale Norm SAE J3016 hingewiesen, die im Anhang 1 dieser Arbeit abgedruckt ist; weiterführend siehe u. a. Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 14 ff. 17 Vgl. BR-Drs. 69/17 v. 27. 01. 2017, S. 6. 18 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 3 u. 7. 19 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 3 u. 9. 20 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9. 21 Grund der Nichtberücksichtigung des Szenarios des autonomen Fahrens: „Von einer Umsetzung einer – offenbar vollständigen – Automatisierung wird teilweise sogar nicht vor dem Jahr 2050 ausgegangen.“, BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 7. 22 Vgl. Schema der BASt-Projektgruppe: BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9. 23 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 7. 24 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 3. 25 Zum Gesamten BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 8. 14
A. Kategorisierung von Fahrerassistenzsystemen
59
I. Der Begriff des Fahrerassistenzsystems Der Begriff des Fahrerassistenzsystems gehört seit Jahrzehnten zum üblichen Wissenschaftsjargon. Dennoch wird der Terminus selbst in der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht einheitlich gebraucht.26 Eine fachübergreifende Definition entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte nicht27 und ist auch allein aus dem Begriff des Fahrerassistenzsystems nicht herzuleiten. Somit entstand eine Vielzahl von Definitionen, die auf unterschiedlich ausdifferenzierten Grundlagen beruhen.28 Für die rechtswissenschaftliche und insbesondere strafrechtliche Auseinandersetzung empfiehlt es sich, die Intensität des Systemeingriffs i. V. m. dem Gesichtspunkt der Übersteuerbarkeit und Bedienungsmöglichkeit als Differenzierungsmerkmal zu wählen.29 Dieser Gedanke ist für die nachfolgenden Erwägungen leitend. Grundlage einer Definitionsfindung kann das Begriffsverständnis von Niggestisch sein, demnach Fahrerassistenzsysteme alle Systeme sind, „die den Kraftfahrer bei der Wegfindung und Fahraufgabe unterstützen oder zu einer Verbesserung des Komforts in Bezug auf seine Hauptaufgabe dienen […] oder diesbzgl. Aufgaben übernehmen“.30
Fahraufgabenbezogene Assistenzsysteme stellen nach Niggestisch nur eine Untergruppe von Fahrerassistenzsystemen dar.31 Bereits der Bremskraftverstärker, der die mechanisch vom Fahrzeugführer aufgebrachte Energie vervielfacht, ist nach dieser Ansicht begrifflich als Fahrerassistenzsystem zu qualifizieren. Aufgrund dieser Extensivität ist diese Definition für den hier verfolgten Zweck zu weitreichend. Stattdessen ist eine fahraufgabenbezogene Einschränkung vorzunehmen. Entsprechend bleibt allein die maschinelle Übernahme von Aufgaben, die einen Zusammenhang mit den primären und allenfalls sekundären Fahrtätigkeiten aufweisen, als Fahrerassistenzsystem zu definieren.32 Ausgehend davon muss der grundsätzlich auf dieser Unterscheidung aufbauenden Definition nach Engeln und Wittig gefolgt werden. Fahrerassistenzsysteme sind demnach terminologisch solche, die entscheidende Prozesse der menschlichen Kognition, also der Wahrnehmung und/oder Beurteilung- und Entscheidungsprozesse (Informationsverarbeitung), 26
S. 25. 27
Zum Gesamten Albrecht, DAR 2005, 186, 187; Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert,
Wörsdörfer/Maurer, in: Bargende/Wiedemann, Kraftfahrtwesen, S. 654; Engeln/Wittig, ATS 2005, 81, 82. 28 Vgl. u. weiterführend Engeln/Vratil, in: Schade/Engeln, Verkehrspsychologie, S. 275; Engeln/Wittig, ATS 2005, 81, 82; Vogt, NZV 2003, 153, 154; Bewersdorf, NZV 2003, 266, 266; ebenso weiterführend Albrecht, DAR 2005, 186, 187; Hammel, Haftung und Versicherung, S. 9 ff. 29 Albrecht, DAR 2005, 186, 189; vgl. Gasser, DAR 2015, 6, 7. 30 Niggestisch, ZVS 2002, 117, 117. 31 Niggestisch, ZVS 2002, 117, 117. 32 Vgl. Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 27; Schlag/Weller, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, S. 72.
60
3. Kap.: Anwendungsbereich u. technische Umsetzung automatisierten Fahrens
übernehmen können.33 Wie der Mensch, der durch die Nutzung seiner Wahrnehmungsorgane seine Umwelt zu erfassen fähig ist, muss ein Assistenzsystem selbst die notwendigen Informationen ermitteln und verarbeiten können, um (strafrechtlich) als Fahrerassistenzsystem zu gelten. Um dies zu veranschaulichen, bleibt die Definition von Engeln und Wittig um einen technischen Aspekt zu erweitern. Dazu kann die aus dem Jahr 1995 stammende Definition von Bouska zur Telematik in Bezug genommen werden. Dieser definiert Telematiksysteme als „die Gesamtheit der Maßnahmen, die mit Hilfe der Übermittlung und Zusammenführung von Informationen und anderen Daten zu einer Verbesserung der Sicherheit, des Ablaufs und der Umweltverträglichkeit des Verkehrs, insbesondere des Straßenverkehrs, beitragen“.34
Zusammenfassend werden als Fahrerassistenzsystem in der vorliegenden Arbeit solche technischen Systeme verstanden, die durch Übermittlung und Verarbeitung von selbst erfassten Informationen oder durch Übertragung anderer Daten (Teil-) Aufgaben der primären und/oder sekundären Fahrzeugführung übernehmen können.35
II. Kategorisierung von Fahrerassistenzsystemen nach der BASt-Projektgruppe Nachdem nun eine Definition des Fahrerassistenzsystems entwickelt wurde, bleiben die vorhandenen und denkbaren Anwendungsbereiche zu determinieren. Anknüpfend an die Anforderungsprofile der einzelnen Automatisierungsstufen werden zunächst die Ausgangspole ersichtlich. So kann die Fahrzeugsteuerung ausschließlich vom Menschen oder ausschließlich vom technischen System übernommen werden. Während die Realisierung letzteren Szenarios – das autonome Fahren – im Jahr 2012 als auch gegenwärtig unabsehbar und deshalb von der BAStProjektgruppe unberücksichtigt blieb,36 wurde der ausschließlich eigenhändigen Fahrzeugführung durch den Mensch, die ohne jegliche Automatisierung erfolgt, folgerichtig die Automatisierungsstufe 0 zugeordnet. Damit steht sie symbolisch außerhalb der Nomenklatur der Automatisierung. Zwischen diesen beiden Ausgangspolen verortet die BASt-Projektgruppe vier Automatisierungsstufen. Fahrzeuge der niedrigsten Automatisierungsstufe 1 unterstützen den Fahrzeugführer durch die kontinuierliche Übernahme einer Fahrfunk33 Engeln/Wittig, ATS 2005, 81, 82; vgl. Engeln/Vratil, in: Schade/Engeln, Verkehrspsychologie, S. 276 f.; Schlag/Weller, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, S. 72. 34 Bouska, DAR 1995, 353, 353; vgl. Berz, ZVS 2002, 1, 2. 35 Zusammenführend Engeln/Wittig, ATS 2005, 81, 82; vgl. Bouska, DAR 1995, 353, 353; vgl. Berz, ZVS 2002, 1, 2. 36 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 7.
A. Kategorisierung von Fahrerassistenzsystemen
61
tion, also entweder bei der Quer- oder Längssteuerung.37 Die Fahrfunktion wird als assistiertes Fahren beschrieben.38 Entsprechend verbleibt die jeweils andere Fahraufgabe umfassend und dauerhaft beim Fahrer.39 Derartige Fahrerassistenzsysteme sind bereits heutzutage ab der Kleinstwagenklasse zu finden, bspw. der adaptive Tempomat40 bei der Längs- und der Parkassistent bei der Querführung.41 Der zweiten Stufe, dem teilautomatisierten Fahren, gehören alle Fahrerassistenzsysteme an, die in der Lage sind, zeitgleich sowohl die Fahrzeugquer- als auch -längssteuerung innerhalb der voreingestellten Systemgrenzen für einen gewissen Zeitraum oder eine spezifische Situation zu übernehmen.42 Erst ab dieser Stufe kann von einer „Automatisierung“ der gesamten Fahraufgabe gesprochen werden.43 Beispiele für solche Fahrerassistenzsysteme sind der Stau- oder Autobahnassistent.44 Die vorletzte Stufe, die Stufe 3, beschreibt das hochautomatisierte Fahren. Hierbei übernimmt das Fahrerassistenzsystem die Quer- und Längsführung für einen gewissen Zeitraum oder über eine gewisse Fahrsituation hinweg.45 Gleich dem teilautomatisierten System ist das hochautomatisierte Fahrerassistenzsystem fähig, alle relevanten Informationen der Fahrzeugumgebung umfassend rechtzeitig zu erfassen und zu verarbeiten. Es unterscheidet sich von diesem aber durch die Fähigkeit, Systemgrenzen eigenständig erkennen zu können und den Fahrer mit einer (kurzen) Vorlaufzeit zur Übernahme der Fahrzeugsteuerung aufzufordern.46 Gleichwohl und wie die Existenz der Übernahmeaufforderung bereits erkennen lässt, sind aber auch die hochautomatisierten Fahrerassistenzsysteme nicht in der Lage, sämtliche auftretende Gefahrsituationen selbsttätig zu bewältigen.47 Ein Beispiel für ein hochautomatisiertes System ist der erweiterte Autobahnassistent (sog. AutobahnChauffeur), der über den teilautomatisierten Autobahnassistenten hinaus in der Lage ist, das Erreichen der Systemgrenzen zu erkennen und den Fahrer zur Übernahme der Fahrzeugsteuerung aufzufordern.48
37 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9; Gasser/Seeck/Smith, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, S. 30; Gasser, DAR 2015, 6, 8. 38 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9. 39 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9. 40 Vgl. Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 29. 41 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9. 42 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9 u. 34; Gasser/Seeck/Smith, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, S. 30; Gasser, DAR 2015, 6, 8. 43 Gasser/Seeck/Smith, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, S. 30. 44 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9. 45 Zum Gesamten BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9. 46 Gasser/Seeck/Smith, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, S. 31. 47 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 37. 48 Vgl. BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9.
62
3. Kap.: Anwendungsbereich u. technische Umsetzung automatisierten Fahrens
Auf der Automatisierungsstufe 4, der letzten Automatisierungsebene nach der BASt-Projektgruppe, steht das vollautomatisierte Fahren. Dies wird durch Fahrerassistenzsysteme ermöglicht, die über die Ausprägung der Stufe 3, der Hochautomatisierung, hinaus grundsätzlich sämtlichen Gefahrsituationen innerhalb des spezifischen Anwendungsszenarios begegnen können und, sollte dies dennoch einmal nicht der Fall sein, das Fahrzeug bei unterlassener Übernahme der Fahrzeugführung durch den Fahrer selbst in den sog. risikominimalen Zustand49 überführen, mithin den sicheren Stillstand des Fahrzeugs50 an einer geeigneten Stelle herbeiführen können.51 Für das bisher genutzte Beispiel des (erweiterten) Autobahnassistenten, der auf Ebene der Vollautomatisierung als „Autobahnpilot“ bezeichnet wird, bedeutet dies, dass das Fahrerassistenzsystem bei unterlassener Übernahme der Fahrzeugsteuerung selbsttätig den sicheren Stillstand auf dem Seiten- oder Standstreifen herbeiführen kann.52 In der folgenden Tabelle sind die Automatisierungsstufen der BASt-Projektgruppe schematisch zusammengefasst:53 Nomenklatur
Beschreibung des Automationsgrads und der Erwartung des Fahrers
Beispielhafte Systemausführung
Driver Only (Stufe 0)
Fahrer nimmt dauerhaft die Längsführung (Beschleunigen/ Verzögern) und die Querführung (Lenken) wahr.
–
Assistiert (Stufe 1)
Fahrer nimmt dauerhaft entweder Adaptive Cruise Control: die Quer- oder Längsführung wahr. – Längsführung mit adaptiver Die jeweils andere Fahraufgabe Abstands- und Geschwindigwird in gewissen Grenzen vom keitsregelung System ausgeführt. Parkassistent: • Das System ist dauerhaft über– Querführung durch Parkassiswachungsbedürftig. tent (automatisches Lenken in • Der Fahrer muss jederzeit zur Parklücke; dem Fahrer obliegt vollständigen Übernahme der die Längsführung.) Fahrzeugführung bereit sein.
49
Auch als sicherer Zustand bezeichnet: BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 33. Weiterführend BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 39. 51 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9, 33 u. 35; Gasser/Seeck/Smith, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, S. 30; Gasser, DAR 2015, 6, 8. 52 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9. 53 Nach BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9. 50
A. Kategorisierung von Fahrerassistenzsystemen Nomenklatur
Beschreibung des Automationsgrads und der Erwartung des Fahrers
63
Beispielhafte Systemausführung
Teilautomatisiert (Stufe 2)
Das System übernimmt Quer- und Autobahn-Assistent: Längsführung für einen gewissen – Automatische Längs- und Zeitraum und/oder in spezifischen Querführung Situationen. – Auf Autobahnen bis zu einer • Das System ist dauerhaft überoberen Geschwindigkeitswachungsbedürftig. grenze • Der Fahrer muss jederzeit zur – Fahrer muss das System dauervollständigen Übernahme der haft überwachen und bei ÜberFahrzeugführung bereit sein. nahmeaufforderung sofort reagieren. Hochautomatisiert Das System übernimmt Quer- und Autobahn-Chauffeur: Längsführung für einen gewissen – Automatische Längs- und (Stufe 3) Zeitraum und/oder in spezifischen Querführung Situationen. – Auf Autobahnen bis zu einer • Das System ist nicht überwaoberen Geschwindigkeitschungsbedürftig. grenze • Bei Bedarf wird der Fahrer zur – Fahrer muss nicht dauerhaft Übernahme der Fahraufgabe überwachen und nur bei Übermit ausreichender Zeitreserve nahmeaufforderung mit gewisaufgefordert. ser Zeitreserve reagieren.
Vollautomatisiert (Stufe 4)
• Systemgrenzen werden vom System erkannt. Das System ist nicht in der Lage, aus jeder Ausgangssituation den risikominimalen Zustand herbeizuführen. Das System übernimmt Quer- und Autobahnpilot: Längsführung vollständig in einem – Automatische Längs- und definierten Anwendungsfall. Querführung • Das System ist nicht überwa– Auf Autobahnen bis zu einer chungsbedürftig. oberen Geschwindigkeitsgrenze Fortsetzung nächste Seite
64
3. Kap.: Anwendungsbereich u. technische Umsetzung automatisierten Fahrens
Fortsetzung Tabelle Nomenklatur
Beschreibung des Automationsgrads und der Erwartung des Fahrers • Vor dem Verlassen des Anwendungsfalls oder bei Bedarf fordert das System den Fahrer mit ausreichender Zeitreserve zur Übernahme der Fahraufgabe auf. • Erfolgt dies nicht, wird das Fahrzeug in den risikominimalen Systemzustand zurückgeführt.
Beispielhafte Systemausführung
– Fahrer muss das System nicht überwachen. – Reagiert der Fahrer nicht auf eine Übernahmeaufforderung, bremst das Fahrerassistenzsystem selbsttätig in den sicheren Stillstand herunter.
• Systemgrenzen werden vom System erkannt. Das System ist in allen Situationen in der Lage, das Fahrzeug in den risikominimalen Systemzustand zu überführen.
III. Tätigkeitsanalyse der verschiedenen Fahrerassistenten Aus der Kategorisierung geht bereits hervor, dass jede Automatisierungsstufe eigene spezifische Arbeitsanforderungen an den Fahrer formuliert.54 Bereits ab dem Automatisierungsgrad der Teilautomatisierung wird dieser von der Führungstätigkeit entlastet und allein mit einer Kontrollfunktion betraut, die jedoch ebenfalls mit steigendem Automatisierungsgrad ab der Stufe 2 sukzessive gemindert wird. Im Folgenden wird der dem Fahrer bei jeder Automationsebene verbleibende Aufgabenbereich spezifiziert und veranschaulicht, um die jeweilige physische und mentale Belastung herauszustellen. Grundlage dessen ist, dass unabhängig von der Automatisierungsstufe von einer jederzeitigen Eingriffs- und Übersteuerungsmöglichkeit des Menschen auszugehen ist.55 Lediglich die Automatisierungsstufe 0 – „driver only“ – bedarf angesichts der bereits ausführlichen Analyse der Bewältigung der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung keiner weiteren Ausführung. Diese dient vorliegend jedoch als Referenz für die Anforderungsbeschreibung der übrigen Automatisierungsstufen.
54 55
BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 7. BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 14.
A. Kategorisierung von Fahrerassistenzsystemen
65
1. Die Führungsaufgabe beim assistierten und teilautomatisierten Fahren (Automatisierungsebene 1 und 2) Beim assistierten Fahren der Automatisierungsebene 1 verbleibt die gesamte Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung beim Fahrer. Das technische System unterstützt diesen lediglich auf der Bahnführungs- und/oder Stabilisationsebene56, ohne selbst in der Lage zu sein, das Kraftfahrzeug sicher zu steuern oder in den risikominimalen Zustand zu versetzen.57 Der Fahrer kann sich deshalb nicht der Führungsaufgabe entledigen, sondern bleibt durch die Steuerung der Quer- oder Längsführung stets aktiv am Fahrprozess beteiligt. Bezüglich der vom technischen System übernommenen Teilaufgaben der Fahrzeugführung tritt eine umfassende Überwachungsfunktion des Fahrers hinzu. Entsprechend muss er dauerhaft sämtliche fahrzeugführungsrelevante Informationen aufnehmen, verarbeiten und mit den Steuerungsimpulsen des technischen Systems abgleichen – also den gesamten Fahrzeugführungsprozess durchgängig wahrnehmen.58 Im Ergebnis unterscheidet sich das assistierte Fahren der Stufe 1 dadurch qualitativ kaum vom aktiven Fahren.59 Allein der (überwiegend physisch geprägte) Prozess der Informationsabgabe in Bezug auf die vom Fahrerassistenzsystem übernommene Teilausführung entfällt – der Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozess sind hingegen identisch und belasten den Fahrzeugführer gleichermaßen. Ähnliches gilt beim teilautomatisierten Fahren der Automatisierungsstufe 2. Zwar ist das technische System in der Lage, die gesamte Regelungsaufgabe sowohl auf Ebene der Quer- als auch Längsführung zeitweilig für einen spezifisch-räumlichen Bereich und für bestimmte Verkehrssituationen hinweg zu übernehmen.60 Dabei ist grundlegend davon auszugehen, dass das technische System zu einer weitgehend fehlerfreien Fahrzeugsteuerung imstande ist,61 also grundsätzlich den Führungsprozess umfänglich beherrscht. Gleichwohl kann die vollständige und rechtzeitige Erfassung aller Informationen der Fahrzeugumgebung oder deren richtige Verarbeitung nicht vom teilautomatisierten System gewährleistet werden.62 Entsprechend ist das teilautomatisierte Fahren auf die „Rückfallebene“63 des 56
Assistenzsysteme, die ausschließlich auf der Stabilisierungsebene wirken, bspw. das ABS, das ESP oder das ASR, bleiben beim assistierten Fahren gem. der Automatisierungsstufe 1 außer Betracht; BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 51. 57 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 35; wobei die Funktion, in einigen ausgewählten Situationen in den risikominimalen Zustand wechseln zu können, auch bei der Automatisierungsebene 2 nicht ausgeschlossen sein muss, vgl. BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 33. 58 Vgl. BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 12. 59 Vgl. BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 8. 60 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 33. 61 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 11. 62 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 62. 63 Dietmayer, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 20.1, S. 420.
66
3. Kap.: Anwendungsbereich u. technische Umsetzung automatisierten Fahrens
menschlichen Fahrers angewiesen.64 Der Fahrer muss auch während der teilautomatisierten Fahrzeugführung unverändert seine gesamte Aufmerksamkeit ständig auf das Verkehrsgeschehen und die Systemüberwachung richten und sich jederzeit eingriffsbereit halten.65 Insbesondere beim Erreichen der Systemgrenzen des Anwendungsbereichs und im (jederzeit möglichen) Fehlerfall muss der Fahrer die Fahrzeugsteuerung übernehmen können.66 Dies gelingt ihm nur, wenn er neben dem System die Führungsaufgabe redundant-parallel, also zeitgleich, wahrnimmt.67 Insgesamt bleibt der Fahrer bei den Automatisierungsstufen 1 und 2 gleich dem aktiven Fahrer der Stufe 0 verpflichtet, jeden verkehrsrelevanten Umstand wahrzunehmen, zu verarbeiten und den richtigen Steuerungsimpuls zu eruieren. Schließlich bleibt der Fahrer im Verhältnis zum System stets in einer übergeordneten und letztentscheidenden Position.68 Die Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung bleibt damit bis einschließlich der Automatisierungsstufe 2 in ihren wesentlichen Grundzügen erhalten.69 2. Die Führungsaufgabe bei hochautomatisierten Assistenzsystemen (Automatisierungsebene 3) Erstmals mit dem Automatisierungsgrad 3 verändern sich die Anforderungen der Fahrzeugführungsaufgabe an den Fahrer. Aufgrund einer Automatisierung, die die Längs- und Querführung umfassend übernehmen kann und Systemgrenzen selbständig erkennt, bedarf es keiner durchgängigen Wahrnehmung des Verkehrsgeschehens durch den Fahrer. Stellt das Fahrerassistenzsystem hingegen das Erreichen der Systemgrenzen fest, fordert es diesen mit ausreichender zeitlicher Reserve, die einige Sekunden betragen wird, zur Übernahme der Fahrzeugsteuerung auf. Der Fahrer selbst muss die Notwendigkeit des Eingreifens nicht mehr erkennen.70 Erst mit Ablauf einer Vorlauf- bzw. Übernahmezeit oder mit der (jederzeit möglichen) selbsttätigen Übersteuerung71 fällt die Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung vollständig auf den Fahrer zurück. Eine redundant-parallele Aufgabenbewältigung wie im Falle der Teilautomatisierung ist während der hochautomatisierten Fahrt nicht notwendig. Ebenso wenig ist eine stetige Überwachung des Fahrerassistenzsystems 64
Vgl. BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 37. BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 14, 34 u. 47. 66 Zum Gesamten BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 3, 11 u. 37. 67 Gasser, DAR 2015, 6, 9; Maurer, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 5.1, S. 43. 68 Zum Gesamten Gasser, DAR 2015, 6, 9. 69 Gasser, DAR 2015, 6, 9. 70 Zum Gesamten BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 12 u. 37. 71 Die bei sämtlichen automatisierten Systemen der Stufe 2 bis 4 durch Betätigung eines Schalters, des Brems- oder Beschleunigungspedals oder einem starken Lenkeingriff erfolgen kann: BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 35. 65
A. Kategorisierung von Fahrerassistenzsystemen
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erforderlich.72 Der Fahrer darf sich lediglich nicht seiner Fähigkeit berauben, der Übernahmeaufforderung nachkommen zu können, da sich das Fahrzeug nicht selbst in den sog. risikominimalen Zustand versetzen kann.73 Diese (technische) Vorstellung wurde in das Straßenverkehrsgesetz transformiert. Diese Arbeitsweise eines Fahrzeugs mit aktiviertem hochautomatisiertem Fahrerassistenzsystem war für den Gesetzgeber handlungsleitend für den Erlass des § 1b Abs. 1 1. HS StVG. Dieser erlaubt dem Fahrer, sich bei aktiviertem Fahrerassistenzsystem der Automatisierungsstufe 3 oder 4 vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abzuwenden. Dass sich der Fahrer nicht mehr mit dem Verkehrsgeschehen befassen müsse und sich Nebentätigkeiten zuwenden könne,74 stellt jedoch auf tatsächlicher Ebene einen Trugschluss dar. Diese Wertung verkennt, dass zumindest das hochautomatisierte Fahrerassistenzsystem (Automatisierungsebene 3) technisch keine stetige regelkonforme Fahrzeugsteuerung gewährleisten kann. Die Verhaltensanforderungen der Verkehrsvorschriften und des Strafgesetzbuchs richten sich auch nicht an die Maschine, sondern an den menschlichen Fahrer. § 1b Abs. 1 1. HS StVG steht damit in Widerstreit. Der Fahrer ist dafür verantwortlich, keine Gefahrenlage oder gar Rechtsgutsverletzung durch sein Fahrzeug entstehen zu lassen, zumal das hochautomatisierte System nicht in der Lage ist, den risikominimalen Zustand selbst herzustellen. Die hiermit anklingende gesetzgeberische Vorstellung, dass Notsituationen, die hochautomatisierte Systeme an ihre Systemgrenzen bringen, stets mit Vorwarnung auftreten, entspricht schlicht nicht der Realität. Sind bspw. digitale Straßenkarten veraltet und erkennt die Digitalkamera eine (temporäre) Geschwindigkeitsanordnung nicht, obliegt es dem Fahrer als Herrscher über sein Fahrzeug, den regelkonformen Zustand durch Übersteuerung des Systems herzustellen. Gleiches gilt insbesondere beim Vorliegen verminderter Haftreibung. Eine technische Lösung, die den Schlupf der Reifen feststellen könnte, ist bisher nicht vorhanden, sodass es selbst bei aktiviertem Fahrerassistenzsystem Aufgabe des Fahrers bleibt, auf entsprechende Situationen (bspw. Eisglätte, Schneefall oder Ölspur) zu reagieren und die Fahrgeschwindigkeit (im Vorhinein) anzupassen.75 In beiden Fällen gelingt dies dem Fahrer aber nur, wenn er die Umweltund Verkehrsbedingungen (zuvor) beobachtet hat. Nichts anderes gilt im Übrigen auch bei einer Übernahmeaufforderung durch das Fahrerassistenzsystem. Bei deren Auftreten muss der Fahrer die Verkehrssituation innerhalb weniger Sekunden vollständig erfassen. Zwar geht der Übernahme eine sog. Orientierungsphase voraus, in der der Fahrer eruieren muss, wie die bis dahin automatisierte Fahrzeugsteuerung geeignet fortzuführen bleibt.76 Dies ist bei vorheriger vollständiger Unachtsamkeit in tatsächlicher Hinsicht aber kaum zu leisten. Bspw. ist die Wahrnehmung von den den 72 73 74 75 76
BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 12, 14 u. 38. Zum Gesamten Gasser, DAR 2015, 6, 9 f. Gasser, DAR 2015, 6, 9. Zu beiden Fallgestaltungen BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 37. Gasser, DAR 2015, 6, 9.
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3. Kap.: Anwendungsbereich u. technische Umsetzung automatisierten Fahrens
Streckenabschnitt regelnden Verbots-, Warn- oder Hinweiszeichen in tatsächlicher Hinsicht unmöglich, soweit der Fahrzeugführer bei deren Passieren unaufmerksam war. Ähnliches gilt bei Verkehrsleitungsmaßnahmen, bspw. bei der Anordnung der Sperrung eines Fahrstreifens durch am Seitenstreifen aufgestellte mobile Anzeigetafeln. Entsprechend wäre es dem Fahrer aufgrund seiner Unkenntnis dieser vorgelagerten Verkehrsanweisungen selbst bei einer mehrere Sekunden andauernden Orientierungsphase kaum möglich, verkehrskonform zu handeln. Eine gänzliche Abkehr vom Verkehrsgeschehen, wie § 1b Abs. 1 1. HS StVG dies vorsieht, ist aus verhaltensrechtlicher und technischer Sicht mithin fragwürdig. 3. Die Führungsaufgabe bei vollautomatisierten Assistenzsystemen (Automatisierungsebene 4) Erst ab einem Automatisierungsgrad der Stufe 4, dem Vollautomat, kann sich der Fahrer während der automatisierten Fahrt sowohl in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht gänzlich von der Fahrzeugführungsaufgabe abwenden. Schließlich ist ein solches System grundsätzlich in der Lage, sämtliche auftretende Verkehrssituationen zu bewältigen und, für den entgegengesetzten Fall, fähig, sich selbst in den risikominimalen Zustand zu versetzen. Das Fahrerassistenzsystem kann also jede Gefahrensituation potenziell mindestens ebenso gut wie ein menschlicher Fahrer bewältigen und sich bei unterlassener Übernahme der Fahrzeugsteuerung selbsttätig in den sicheren Zustand überführen.77 Mit einer Übernahmeaufforderung muss der Fahrer lediglich mit Erreichen des Endes des bestimmungsgemäßen Anwendungsfalls rechnen. Dieser wird, da das Fahrerassistenzsystem über alle Informationen des Anwendungsfalls verfügt, mit einer großen Zeitreserve angezeigt, sodass sich der Fahrer auf die Übernahme der Führungstätigkeit angemessen einstellen kann. Die zur Übernahme der Fahrzeugführung vorausgehende Orientierungsphase ist beim vollautomatisierten Fahrzeug daher zeitlich ausgedehnter, sodass dem Fahrer die Wahrnehmung aller (vorausgehenden) verkehrsrelevanten Umstände ermöglicht wird. Ebenso bedarf das vollautomatisierte System keiner dauerhaften Kontrolle. Dadurch wird der Fahrer gänzlich von der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung entlastet und kann sich Nebenbeschäftigungen, die die Wahrnehmungsbereitschaft gemäß § 1b Abs. 1 2. HS StVG nicht einschränken, widmen.
B. Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens Das automatisierte Fahren erhält durch die soeben dargestellte Nomenklatur der BASt-Projektgruppe ein recht abstraktes Bild. Die weit fassende Kategorisierung ist wenig anschaulich. Um die schier unendliche Variationsbreite der denkbaren individuellen Einsatzmöglichkeiten von Fahrerassistenzsystemen zu verdeutlichen, 77
Zum Gesamten BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 12, 33 u. 35.
B. Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens
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werden in der Wissenschaft deshalb fiktive Stellvertreter gebildet, die bestimmte Gruppen von Anwendungsfällen erfassen.78 Diese sog. Use-Cases bilden konkrete typische Einsatzszenarien ab, denen eine standardisierte, individualisierte und technische Funktionsbeschreibung zugrunde liegt. So kommt den Darstellungen von Einsatzszenarien und Anwendungsfällen,79 wie sie Wachenfeld u. a.80 vornahmen, ein eigener Erklärungswert zu. Die zur technischen Umschreibung und Visualisierung geformten Use-Cases dienen dabei vor allem der Vereinheitlichung. Sie schaffen eine gemeinsame Diskussionsgrundlage, die auch zur Klärung juristischer Fragestellungen herangezogen werden sollte. Neben realistischen, bereits bekannten Szenarien können die Use-Cases schließlich realistische Zukunftsvisionen darstellen, auf die sich der Gesetzgeber und die Justiz einstellen müssen. Ihrer Zweckbestimmung nach müssen Use-Cases als unumstößliche Gedankenannahmen verstanden werden. Sie bezeichnen keine detaillierten technischen Spezifikationen, sondern zeichnen ein grundlegendes Funktionsbild des Anwendungsfalls.81 Ebenso bleiben sich verändernde Umweltbedingungen und Systemfehler außer Betracht. Die geäußerten Bedenken bezüglich § 1b Abs. 1 1. HS StVG gegenüber den hochautomatisierten Fahrerassistenzsystemen spielen hier keine Rolle. Stattdessen wird jedem Use-Case unterstellt, dass die Erfolgsquote des jeweiligen Fahrerassistenzsystems der menschlichen Erfolgsquote überlegen oder zumindest gleichwertig ist.82 Vereinfacht ausgedrückt ist davon auszugehen, dass die beschriebenen Fahrerassistenzsysteme technisch ausgereift sind und ähnliche bis bessere Fahrleistungen als der Mensch erbringen können.83 Zugleich wird an jedes Anwendungsszenario die Fiktion geknüpft, dass sämtliche Rechtsvorschriften beachtet und angewandt werden.84 Natürlich werden die nachfolgenden Use-Cases auf das Notwendige dieser Arbeit beschränkt. Aspekte wie Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte, die zu erwartende gesellschaftliche Akzeptanz oder sich eröffnende Wirtschaftszweige – um nur einige Beispiele zu nennen – finden keine Berücksichtigung. Stattdessen werden die Auswirkungen der Fahrerassistenzsysteme auf die primären und sekundären Fahr78 Zum Gesamten Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.1, S. 10; BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 7. 79 Zum Gesamten Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 16. 80 Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2, S. 9 ff. 81 Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.2, S. 11. 82 Vgl. Gasser, DAR 2015, 6, 10; vgl. zum Unfallvermeidungspotenzial BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 11. 83 Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.2, S. 10. 84 Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.2, S. 12.
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3. Kap.: Anwendungsbereich u. technische Umsetzung automatisierten Fahrens
aufgaben dargelegt. Innerhalb dieser werden insbesondere die Übernahme als auch Einflussmöglichkeit des Fahrers auf der Navigations-, Bahnführungs- und Stabilisationsebene betrachtet. Besonderes Augenmerk wird auf die Aufgaben der Fahrer innerhalb der verschiedenen Szenarien als auch auf die Steuerungsfunktionen des Systems gelegt. Zu diesem Zwecke werden der Stauassistent mit Verfügbarkeitsfahrer (Staupilot), das autonome Valet-Parken, der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer und das Vehicle-on-Demand ohne Verfügbarkeitsfahrer vorgestellt. Während das erste Use-Case dem Automationslevel 3 – hochautomatisiert – entspricht, gehören das zweite und dritte Szenario dem Automationsgrad 4 – vollautomatisiert – und letzterer der (bisher unbenannten) Automationsebene – autonom/ fahrerlos – an.
I. Der Stauassistent mit Verfügbarkeitsfahrer – Staupilot 1. Definition Dem Staupiloten kommt die Aufgabe zu, auf Autobahnen und autobahnähnlichen Schnellstraßen85 in Stausituationen oder bei stockendem Verkehr bis zu einer voreingestellten Geschwindigkeitsbegrenzung eigenständig und ohne Stelleingriffe des Fahrers die Navigations-, Bahnführungs- und Stabilisierungsaufgabe, mithin die gesamte Fahrzeugsteuerung, zu übernehmen. Damit stellt sich der Staupilot als Vorstufe des Autobahnpiloten dar, der die gesamte Fahrstrecke auf Autobahnen und autobahnähnlichen Schnellstraßen zu realisieren vermag. Der Staupilot muss stets vom Fahrer aktiviert werden. Soweit die voreingestellten Beschreibungen des Anwendungsfalls von den Fahrzeugsensoren erfasst wurden (Umfeld, Geschwindigkeit, Verkehrsdichte etc.), initialisiert sich das System und übernimmt die Fahrzeugsteuerung. Erst mit dem Abschalten des Staupiloten, dem Erreichen des höchstzulässigen Anwendungsfalls, bspw. bei einsetzendem Unwetter oder mit der Auflösung der Stausituation, wird das System den Fahrer86 zur Übernahme der Fahraufgabe auffordern. Gleichfalls steht es dem Fahrzeugführer jederzeit offen, das System zu deaktivieren und selbst die Steuerung des Fahrzeugs zu übernehmen.87
85
Bspw. vierspurige Bundesstraßen mit baulicher Trennung. Dogmatisch richtig wäre es in diesem Zusammenhang vom „Passagier“ bzw. „Insassen“ zu sprechen, da der „Fahrer“ respektive „Fahrzeugführer“ während der autonomen Autobahnfahrt mit keiner Fahraufgabe betraut ist. Dennoch wird im Rahmen der Darstellung der Use-Cases auf den Begriff „Fahrer“ respektive „Fahrzeugführer“ zurückgegriffen, um eine Abgrenzung zu den Insassen ohne konkrete Eingriffsmöglichkeit zu gewährleisten. 87 Zum Gesamten vgl. Lüke/Fochler/Schaller/Regensburger, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 52, S. 999 ff. 86
B. Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens
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2. Anforderungen an den Fahrer Die Anforderungen an den Fahrer beschränken sich nach der Aktivierung des Staupiloten – unter Vernachlässigung der Kritik zur Abwendungsbefugnis des Fahrers bei hochautomatisierten Fahrt nach § 1b Abs. 1 1. HS StVG – auf eine minimale Aufmerksamkeitsbereitschaft, die lediglich in der Wahrnehmung der Übernahmeaufforderung liegt. Während der aktiven Übernahme der Fahraufgabe durch das System ist der Fahrer lediglich Passagier. Ein dauerhaftes umfassendes verkehrsbezogenes Situationsbewusstsein, etwa die durchgängige Überwachung des Systems und der Verkehrslage, wird von ihm nicht erwartet; es gilt die Definition des Levels 3 der Automation nach BASt. Damit erhält der Fahrer die Möglichkeit, sich anderen Aufgaben als der Fahrzeugführung zu widmen. Zwar sind auch steuernde Eingriffe des Fahrers während der automatisierten Fahrt möglich. Derartige Eingriffe sind aber zu keinem Zeitpunkt zwingend notwendig. Einzig im Falle der Überschreitung der Systemgrenzen oder zum Ende des Anwendungsfalls wird das System den Fahrer zur Übernahme der Fahraufgabe auffordern.88 3. Stand der Technik Im Rahmen des autobahn-pilotierten Reisens89 bieten Autohersteller schon heute Fahrerassistenzsysteme an, die auf Autobahnen und autobahnähnlichen Schnellstraßen die Steuerung übernehmen können. Stauassistenten sind ab der automobilen Mittelklasse als Zusatzausstattung lieferbar. Tatsächlich stellt sich der Staupilot technisch zumeist als vollwertiger Autobahnpilot heraus, der lediglich aus Verkehrssicherheits- und technischen Gesichtspunkten nicht freigeschaltet ist. Die technische Ausstattung ist üblicherweise dieselbe. Insbesondere die beschränkte Szenerie und die Begrenzung des Anwendungsfalls, die sich aus der baulichen Gestaltung von Autobahnen und autobahnähnlichen Fernstraßen ergibt, etwa dem Fehlen von Kreuzungen und von Lichtsignalanlagen als auch die Existenz einer richtungsgebundene Fahrbahnbegrenzung, sowie die Abwesenheit einer Vielzahl dynamischer Objekte, bspw. von Radfahrern, Fußgängern und Tieren, führen zu einer vereinfachten Umsetzung.90 Zudem reduziert die Anwendungsbegrenzung des Fahrerassistenzsystems auf eine bestimmte Höchstgeschwindigkeit als auch das sich gleichförmig bewegende Umfeld die Risiken. Insofern bietet sich die Autobahn als Verkehrsbereich, in dem zukünftig vollautomatisiertes Fahren zuvörderst realisiert werden kann, an.91 88 Zum Gesamten Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.3.1.2, S. 12 f. 89 Weiterführend insb. Lüke/Fochler/Schaller/Regensburg, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 52, S. 995 ff. 90 Vgl. BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 10. 91 So wurde im Jahr 2015 das Projekt „Digitale Testfeld Autobahn A 9“ vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz ins Leben gerufen. Auf einem bayerischen Teilstück
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3. Kap.: Anwendungsbereich u. technische Umsetzung automatisierten Fahrens
II. Das autonome Valet-Parken 1. Definition Das Fahrerassistenzsystem des autonomen Valet-Parken, welches entgegen seiner Bezeichnung lediglich den Automationsgrad vollautomatisiert nach Stufe 4 der BASt-Kategorisierung erfüllt,92 ermöglicht es dem Fahrer und seinen Mitinsassen, direkt am Zielort auszusteigen ohne das Fahrzeug vorher parken zu müssen. Die Parkplatzsuche und den Parkvorgang übernimmt nach dem Aussteigen und seiner Aktivierung das Fahrerassistenzsystem. Im nahen oder fernen Umfeld sucht sich das Fahrzeug unter Nutzung aktueller Verkehrsinformationen und aktueller Straßenkarten innerhalb eines ihm zugeordneten Bereichs eine geeignete oder nach seiner ihm fest zugewiesenen Parkposition, die der Fahrroboter daraufhin durch Übernahme der Steuerung des Fahrzeugs selbsttätig ansteuert. Der Valet-Parkpilot ist damit in der Lage, die Aufgaben der Navigations-, Bahnführungs- und Stabilisationsebene eigenständig zu bewältigen. Ebenso bleibt der Valet-Parkautomat während des Parkvorgangs aktiviert, sodass sich das Fahrzeug bei Erforderlichkeit selbst umparken kann. Dies ist insbesondere bei einem bestehenden oder entstehenden Platzbedarf aufgrund einer Kapazitätsüberlastung als auch zu Rettungszwecken denkbar. In einem solchen Fall sind die – soweit vorhanden – autorisierte Parkplatzverwaltung, die Polizeibehörden oder Rettungskräfte berechtigt, dem parkenden Kraftfahrzeug per Funk den Befehl zum Umparken zu erteilen. Daraufhin fährt das Kraftfahrzeug auf einen in der nahen Umgebung gelegenen Parkplatz. Wünscht der Fahrzeugführer die Abfahrt von seinem Aufenthaltsort, fährt der Fahrroboter auf funkgesteuerte Anfrage hin von seiner Parkposition automatisiert zu der ihm übermittelten Abholadresse.93 2. Anforderungen an den Fahrer Das System fordert dem Fahrer nur geringe Anstrengungen ab. Die Bedienung ist simpel und selbsterklärend. Einzig die Zuweisung einer (festen) Parkposition bzw. eines Parkbereichs obliegt dem Fahrer, bevor er sein Fahrzeug verlässt.94 Weitere Fahreinstellungen oder Voreinstellungen sind nicht notwendig. Der Fahrerassistent führt das Kraftfahrzeug auf der Strecke zwischen dem Ausstiegsort und der Parkposition selbständig. Auf Navigationsebene legt das Fahrerassistenzsystem vor der der A 9 hat das Bundesministerium die „Voraussetzungen für Industrie und Forschungseinrichtungen in einem idealtypischen Umfeld, [ein] so genannte[s] ,Labor unter Realbedingungen‘,“ geschaffen, abrufbar unter http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/DG/automati siertes-fahren.html [abgerufen am 30. 06. 2017]. 92 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 9. 93 Zum Gesamten Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.3.2.2, S. 15. 94 Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.3.2.2, S. 15.
B. Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens
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Übernahme der Steuerung entweder den Weg zu seiner zugewiesenen Parkposition, wobei eine Mitentscheidungsbefugnis des Aktivierenden nicht ausgeschlossen ist, fest.95 Daraufhin führt das Fahrerassistenzsystem unter Vornahme der notwendigen Stelleingriffe das Kraftfahrzeug zur vordefinierten Parkposition. Lediglich im Ausnahmefall, der darin besteht, dass das Fahrzeug keine Parkposition ausfindig machen kann, stoppt das Fahrerassistenzsystem das Fahrzeug an einer sicheren Stelle und fordert den Fahrer auf, dieses aufzusuchen und selbst zu parken. Die Möglichkeit eines Verfügbarkeitsfahrers, also eines Fahrers, der während des automatisierten Park(such)vorgangs auf dem Fahrersitz verweilt, wird in diesem Szenario ausgeschlossen. Dies ist schon allein mit Blick auf die sonst bestehende Missbrauchsgefahr erforderlich. Solange der Fahrer hinter dem Steuer sitzt, ist der Valet-Parkpilot nicht aktivierbar. 3. Stand der Technik Auch dieses Fahrerassistenzsystem ist auf ein begrenzt befahrbares Szenario beschränkt. Die geringe Fahrgeschwindigkeit und das auf eine gewisse Umgebung begrenzte Einsatzgebiet erleichtert die Umsetzung dieses Fahrerassistenzsystems. Zwar wird die geringe Fahrgeschwindigkeit, anvisiert sind etwa 35 km/h, zu einem geringeren Einsatz- und Verletzungsrisiko führen, sich aber auf Straßen mit höheren Geschwindigkeitsbegrenzungen in sein Gegenteil verkehren und zu Verkehrsbehinderungen und gefahrträchtigen Situationen führen.96 Ob daher aus technischer und rechtlicher Sicht eine Anpassung der fahrbaren Höchstgeschwindigkeit notwendig wird oder der Valet-Parkautomat in seinem Einsatzgebiet allein auf Straßen mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern zu begrenzen bleibt, erfährt an dieser Stelle keine Vertiefung. Der Valet-Parkpilot ist keine technische Vision, auch wenn eine Zulassung dieses Systems frühestens mittelfristig zu erwarten bleibt. Während einige wenige Fahrzeuge der Oberklasse die Möglichkeit bieten, eine Parklücke ohne die Anwesenheit 95
Insofern wird vom Use-Case in Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/ Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.3.2.2, S. 15 abgewichen. Dieses begrenzt das Szenario allein auf das autonome Aufsuchen eines vom Fahrer zuvor festgelegten Parkplatzes. Diese Ausgestaltung des Fahrerassistenzsystems führt jedoch zu Schwierigkeiten, wenn der vorgesehene Parkplatz nicht verfügbar ist, bspw. weil dort bereits ein anderes Fahrzeug (rechtswidrig) abgestellt wurde, dieser aufgrund der Einrichtung einer Baustelle nicht befahrbar ist oder das System diesen als zu klein erkennt. Würde in diesem Falle der Fahrerassistent in einen sicheren Zustand – den sog. „safe-exit“ – wechseln, würde das Fahrzeug mangels einer Alternative am Straßenrand zum Stehen kommen und unter Umständen ein Verkehrshindernis darstellen. Dies steht nicht nur im Widerspruch zum Zweck des Fahrerassistenzsystems, sondern mündet schließlich in eine Belastungssituation des Bedienenden, der das nun am Straßenrand verbliebene Fahrzeug schnellstmöglich aufsuchen und selbst parken müsste, ein. Insofern erscheint es aus diesem Grund notwendig, das Use-Cases des ValetParkautomaten um eine eigene Parksuchfunktion zu erweitern. 96 Zum Gesamten Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.3.2.2, S. 15.
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3. Kap.: Anwendungsbereich u. technische Umsetzung automatisierten Fahrens
eines Fahrers innerhalb des Fahrzeugs zu befahren, sind diese Fahrerassistenzsysteme bisher auf eine geradlinige Ein- und Ausfahrt beschränkt, die zudem vom Fahrer mittels des Fahrzeugschlüssels dauerhaft überwacht werden muss.97 Daneben existieren die seit Jahren bekannten aktiven Parkautomaten, die unter Übernahme der Querführung den Parkvorgang erheblich unterstützen, während dem Fahrer weiterhin die Längsführung des Fahrzeugs obliegt.98 Von einem gänzlich automatisierten Parksuchverkehr und Ein- bzw. Ausparkvorgang kann bei den bisher zugelassenen Systemen noch nicht gesprochen werden.
III. Der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer 1. Definition Der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer ist das erste Fahrerassistenzsystem der vier Szenarien, welches den Fahrvorgang mit Insassen gänzlich selbst übernehmen kann. Der Fahrroboter ist in der Lage, die Aufgaben der Navigations-, Bahnführungsund Stabilisationsebene vollumfänglich und potenziell über die gesamte Fahrzeit hinweg zu übernehmen. Jedoch ist der Einsatz des Fahrroboters (zunächst) auf für diesen freigegebene Fahrbereiche begrenzt, sodass dieser nur auf vorgesehenen Straßenabschnitten, die für die Nutzung des Vollautomaten zugelassen sind, aktiviert und genutzt werden kann. Für die Freigabe werden noch zu erstellende Voraussetzungsmerkmale erarbeitet werden müssen. Zwar wird zu erwarten sein, dass der Großteil des Straßennetzes für den Vollautomaten freigegeben werden kann; dies steht aber stets unter einem Einschränkungsvorbehalt. So sind neben permanenten auch temporäre Sperrungen von Streckenabschnitten für den Vollautomaten denkbar, die u. a. aufgrund der Einrichtung einer Baustelle, der Veränderung der Verkehrsführung, der Überlastung einer Strecke oder einer Gefahrenstelle (bspw. Bereiche mit einer hohen Fußgängerüberquerungsfrequenz zu bestimmten Tageszeiten oder
97 So etwa im BMW 7er (Baureihe G 11); BMW beschreibt diese Funktion auf seiner Homepage: „Mit dem Assistenzsystem Ferngesteuertes Parken lassen Sie parken. Während Sie bereits bequem ausgestiegen sind, parkt Ihr BMW selbstständig vorwärts in eine enge Parklücke oder Garage ein bzw. rückwärts aus. Sie drücken lediglich außerhalb des Fahrzeugs auf den BMW Display Schlüssel, um den Parkvorgang zu starten.“, abrufbar unter http://www.bmw.de/ de/topics/faszination-bmw/connecteddrive/fahrer-assistenz/intelligentes-parken.html [abgerufen am 02. 07. 2017]. 98 So etwa bei Volkswagen als „Park Assist“, abrufbar unter https://www.volkswagen-me dia-services.com/detailpage/-/detail/Einparken-leicht-gemacht-ein-Jahrzehnt-Park-Assist/ view/4271186/7a5bbec13158edd433c66-30f5ac445da?p_p_auth=GO2LiivG [abgerufen am 02. 07. 2017]; bei Mercedes-Benz als „Aktive Park-Assistent“, abrufbar unter http://m.merce des-benz.de/de_DE/active_parking/detail.html [abgerufen am 02. 07. 2017]; und bei BMW als „Active Park Distance Control (PDC) mit Einparkhilfe“, abrufbar unter http://www.bmw.de/de/ topics/faszination-bmw/connecteddrive/fahrer-assistenz/intelligentes-parken.html#parkassistent [abgerufen am 01. 07. 2017] bezeichnet.
B. Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens
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Unfall- respektive Pannenstelle) notwendig werden können.99 In einem solchen Fall wird der Fahrroboter den Fahrer zur Übernahme der Fahrzeugsteuerung auffordern und nur bei deren Ausbleiben in den „safe-exit“100, den risikominimalen Zustand, übergehen. Zusätzlich ist dem System eine Schnittstelle für externe Befehle von berechtigten Dritten zu implementieren. Rettungskräften und Polizeibehörden soll damit die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Navigations- und Bahnführungsebene ermöglicht werden, um von ihren Sonderrechten Gebrauch machen oder auf die Streckenplanung einzuwirken zu können (bspw. im Falle der Umfahrung einer Gefahrenstelle).101 Denkbar ist ebenso, dass Navigations- und Dienstleistungsanbietern die Möglichkeit des Zugriffs auf die Navigationsebene gestattet wird.102 2. Anforderungen an den Fahrer Der Fahrer wird in diesem Szenario weitgehend von der Übernahme der Fahrzeugführungsaufgabe befreit. Nur im Falle der (permanenten oder temporären) Sperrung eines Bereichs für den Vollautomaten muss er die Fahrzeugführung übernehmen. Andernfalls kommt ihm die Aufgabe zu, sich selbst im wahrnehmungsbereiten Zustand zu halten, sodass er Übernahmeaufforderungen nachkommen kann. Eines dauerhaften Situationsbewusstseins als auch einer dauerhaften Kontrolle des Vollautomaten bedarf es aus technischer Sicht nicht. Die Fahraufgabe ist nahezu vollständig auf den Fahrerassistenten delegiert, wobei der Fahrer dennoch jederzeit auf alle Ebenen der Fahrzeugführung zugreifen und die Befehle des Fahrerassistenzsystems übersteuern oder deaktivieren kann.103 3. Stand der Technik Dieses Anwendungsszenario kommt dem heutigen Vorstellungsbild des autonomen Fahrens sehr nahe. Die technischen Grundlagen existieren bereits. Ein entsprechend serienreifes zulassungsfähiges Fahrerassistenzsystem dieser Funktion ist jedoch noch nicht zu erwerben. Gleichwohl werden Vollautomaten in einigen 99 Zum Gesamten Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.3.3.2, S. 17. 100 Sicherer Zustand durch Halten am Straßenrand oder Einfahrt in eine Parklücke. 101 Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.3.3.2, S. 19. 102 Ob wie bei Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.3.3.3, S. 19, Drittanbietern eine Einflussmöglichkeit auf der Bahnführungsebene gestattet werden sollte, bleibt – nicht nur aus Sicherheitsgründen – fraglich. Eine Vertiefung der Thematik ist für den vorliegenden Zweck entbehrlich. 103 Zum Gesamten Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.3.3.2, S. 18 f.
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3. Kap.: Anwendungsbereich u. technische Umsetzung automatisierten Fahrens
Ländern auf öffentlichen Straßen im Rahmen von Pilotprojekten oder zu experimentellen Zwecken bereits erprobt.104
IV. Das autonome Fahrzeug ohne Verfügbarkeitsfahrer 1. Definition Der letzte Anwendungsfall ist das von der BASt-Kategorisierung nicht umfasste autonome Fahren. In diesem Szenario ist das Fahrzeug in der Lage, mit oder ohne Insassen von einem Ausgangspunkt zu seinem Zielort zu gelangen. Entsprechend kann das Fahrzeug auch als Kurier- oder Transportfahrzeug eingesetzt werden. Ein Fahrer ist zu keinem Zeitpunkt vorhanden. Alle Insassen sind lediglich Passagiere. Theoretisch ist ein ganztägiger und -jähriger Einsatz denkbar, der lediglich durch die Fahrenergieversorgung als auch Reparatur und Wartung des Fahrzeugs eingeschränkt wird.105 Ob in diesem Szenario der Kraftwagen als „Vehicle-on-Demand“ genutzt wird, also wie ein Taxi mehreren Personen oder gar allen im Einsatzgebiet befindlichen potenziellen Fahrzeugnutzern zu Verfügung steht, oder weiterhin als privates Fahrzeug eingesetzt wird, ist für die weiteren Ausführungen nicht von Relevanz, sodass von einer derartigen Unterscheidung abgesehen werden kann. 2. Anforderungen an den Fahrer Die einzige Aufgabe des Fahrzeugnutzers besteht darin, das autonome Fahrzeug anzufordern106 und diesem auf Navigationsebene sein Fahrziel mitzuteilen. Eine Eingriffsmöglichkeit auf die Bahnführungs- oder Stabilisationsebene besteht für die Insassen nicht. Die primäre und sekundäre Fahrzeugführung obliegt alleine dem Fahrerassistenzsystem. Einzig die Aktivierung des „safe-exit“, die Einleitung des risikominimalen Zustands, wird durch die Insassen möglich sein, sodass diese indirekt auf die Bahnführungsebene begrenzt Einfluss nehmen können.107 Zugleich wird die Aktivierung des „safe-exit“ von außen übersteuerbar sein, sodass die Letztentscheidungsgewalt nicht bei dem oder den Insassen liegt. Ein Übersteuerungsbefehl ist dabei vor allem im Bereich von Gefahrenstellen denkbar, bspw. innerhalb eines Tunnels oder auf einer engen Landstraße ohne Standstreifen und Abstellmöglichkeit. Aus Sicht der Nutzer ist das autonome Fahrzeug letztendlich mit 104 Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 58 u. 79; so bspw. mit Einschränkungen in den US-Bundesstaaten Nevada und Kalifornien als auch in Großbritannien. 105 Zum Gesamten Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.3.4.1, S. 19. 106 Wobei die direkte Anforderung eines autonomen Fahrzeugs auch Dienstleistern überlassen werden kann (sozusagen einer „Taxizentrale“). 107 Zum Gesamten Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.3.4.2, S. 20.
B. Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens
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dem heutigen Taximodell vergleichbar: Auch der Taxifahrer kann aus verkehrstechnischer Sicht gezwungen sein, den Ausstiegswunsch des Fahrgastes (vorerst) zu missachten und erst an einer sicheren Stelle zu halten. Ebenfalls wie beim Valet-Parkpiloten als auch beim Vollautomaten mit Verfügbarkeitsfahrer muss das autonome Fahrzeug über eine Schnittstelle verfügen, die es einer begrenzten Gruppe von Berechtigten ermöglicht, auf die Navigations- und Bahnführungsebene Einfluss zu nehmen (bspw. Rettungsdienste und Polizeibehörden). Diese müssten in diesem Use-Case aufgrund des Fehlens einer Eingriffsmöglichkeit durch die Passagiere umfassender als in den übrigen Anwendungsszenarien ausgestaltet sein. So ist der Zugriff durch eine zentrale Verkehrsleitungsbehörde, bestimmten Drittanbietern oder sogar unter den autonomen Fahrzeugen selbst erforderlich.108 3. Stand der Technik Die technischen Grundlagen und Voraussetzungen für das autonome Fahren sind, wie erste Versuche im öffentlichen Straßenverkehr zeigen, vorhanden. Gleichfalls unterscheidet sich das autonome Fahrzeug technisch kaum von einem Kraftfahrzeug mit einem Fahrerassistenzsystem der Automatisierungsstufe 4 (vollautomatisiert). Der Übergang vom vollautomatisierten Fahren zum autonomen Fahren wird aus technischer Sicht wohl keine größeren Schwierigkeiten bereiten und nur geringer Hardwaremodifikationen bedürfen.
108 Zum Gesamten Wachenfeld/Winner/Gerdes/Lenz/Maurer/Beiker/Fraedrich/Winkle, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 2.3.4.3, S. 20.
4. Kapitel
Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts Rückblickend beschreibt so mancher Autor den Prozess der Motorisierung Anfang des 20. Jahrhunderts, ganz im Gegensatz zur Geschichte der Eisenbahn, als „formlosen, ahistorischen Vorgang“1. Das Aufkommen des Kraftfahrzeugs besäße „fast wie ein Naturprozess“2 keinerlei historische Bedeutung, da sich dessen Eingliederung in das Verkehrsgeschehen jeglicher „gesellschaftspolitischer Entscheidung“3 entzogen habe.4 Diese Wertung sei, so meinen wiederum andere Autoren, auf eine unzureichende wissenschaftliche historische Aufarbeitung zurückzuführen.5 Tatsächlich habe die Entwicklung und vor allem die Etablierung des Automobils als Massenverkehrsmittel in Deutschland6 mühsam über einen langen Zeitraum hinweg gegen einen erheblichen Widerstand der Bevölkerung durch Druck von oben durchgesetzt werden müssen.7 Wahr ist wohl, dass das Straßenverkehrswesen als auch die Gesetzgebung seit der Entwicklung des „Patent-Motorwagens“8 durch Carl Benz einen umfassenden Entwicklungsprozess durchlief, der bis heute anhält und nun durch die Automatisierung erneut vorangetrieben wird. Bei der nun anstehenden und bereits teilweise verwirklichten nächsten (technischen) Revolution auf der Straße, dem automatisierten Fahren bis hin zum autonomen Fahren, bietet eine historische Betrachtung wertvolle Erkenntnisse über die Wurzeln unseres Straßenverkehrsrechts. Zwar ist die jetzige Weiterentwicklung des Individualverkehrs mit der damaligen Einführung des „Motorkraftwagens“ als gänzlich neue Form der Fortbewegung und der Neuorganisation der Straße – weg vom gesellschaftlichen Ort hin zum Verkehrsweg – kaum vergleichbar.9 Eine grundsätzliche Veränderung des Verkehrsbildes, wie sie Anfang 1
Radkau, Lippische Mitteilungen 1987, S. 24. Radkau, Lippische Mitteilungen 1987, S. 24. 3 Fack, Automobil, S. 19. 4 Vgl. dies erkennend, jedoch verneinend Radkau, Lippische Mitteilungen 1987, S. 23 f.; sehr krit. Merki, Der holprige Siegeszug des Automobils, S. 29 ff. 5 Vgl. Radkau, Lippische Mitteilungen 1987, S. 23; Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 13; Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, Geleitwort. 6 Vgl. u. a. Fraunholz, Motorphobia, S. 42 ff.; Fack, Automobil, S. 71 ff.; Merki, tg 1998, 233, 237; Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 185. 7 Radkau, Lippische Mitteilungen 1987, S. 24. 8 Siebertz, Karl Benz, S. 60. 9 Vgl. u. weiterführend Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 52 u. 66 f.; vgl. v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 1. 2
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des 20. Jahrhunderts von den Menschen erlebt wurde, ist durch die Einführung von automatisierten und zukünftig autonomen Fahrzeugen nicht zu erwarten. Schließlich bieten die heutigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und verkehrstechnischen Gegebenheiten die grundlegenden Voraussetzungen zur Etablierung des automatisierten Fahrens. Eine Wiederholung der Überrumpelungs- und Anpassungssituation, wie sie um die Jahrhundertwende bestand, ist durch die Zulassung automatisierter Fahrzeuge nicht zu erwarten. Gleichwohl stammt unser Straßenverkehrsrecht seinem Ursprunge nach aus der Zeit der Motorisierung des Individualverkehrs. Begrifflichkeiten wie die Fahrerlaubnis10, die Haftpflicht für Kraftfahrzeuge11, die Kennzeichnungspflicht von Kraftfahrzeugen und insbesondere auch im Strafrecht zu verortende Tatbestandsmerkmale wie die des Fahrzeugführers oder des Inbetriebsetzens eines (Kraft-) Fahrzeugs sind weit über 100 Jahre alt. Sie tauchten bereits in den ersten Verordnungen über den Verkehr mit (Kraft-)Fahrzeugen auf und blieben – teilweise unverändert – bis heute erhalten. Dabei leiten diese Termini ihre Prägung aus gesellschaftlichen, rechtlichen und sozialen Gegebenheiten und Randbedingungen der frühen 1900er Jahre ab. Für eine umfassende Betrachtung und strafrechtliche Würdigung der heute bestehenden Sanktionsnormen auf den automatisierten und künftig zu erwartenden autonomen Straßenverkehr kann eine historische Beleuchtung und dessen Bedeutung für die Gegenwart deshalb nicht ausbleiben. Es stellte sich mit Blick auf den historischen Hintergrund des Straßenverkehrsrechts die Frage, ob dieses der jetzigen „Revolution der Automatisierung“ gewachsen ist. Insbesondere sind dabei strafrechtliche Fragestellungen, die sich aus dem Konflikt zum das Straßenverkehrsrecht prägenden Dogma der „aktiven“ Fahrzeugsteuerung ergeben, aufzugreifen. Dieses Kapitel gibt entsprechend einen kurzen Abriss der Entwicklung des Straßenverkehrswesens und des Straßenverkehrsrechts seit 1850.
A. Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts und Straßenverkehrsstrafrechts Am Ende des „alten“ 19. Jahrhundert bis in die ersten Jahre des aufkommenden 20. Jahrhunderts hinein war ein ausdifferenziertes Straßenverkehrsrecht, so wie wir es heute kennen, nicht vorhanden. Ebenso spielte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts12 der motorisierte Individualverkehr noch eine untergeordnete Rolle im gesellschaftlichen Leben der Deutschen. Überwiegend wurde der (Individual-)Personenverkehr unter (bevorzugter) Nutzung von Fuhrwerken und unter bereits seit dem 19. Jahrhundert wachsender Beliebtheit des Fahrrads, bei weiter entfernt liegenden Zielen durch Massentransportmittel wie der Eisenbahn und der 10 11 12
Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 227. Weiterführend Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 199 ff. u. 212 ff. Vgl. Fraunholz, Motorphobia, S. 12 u. 32.
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(Binnen-)Schifffahrt, zuverlässig bewältigt.13 Gleichwohl war der Wandel im Personentransportwesen bereits zu spüren, schließlich prägten bereits elektrifizierte Straßenbahnen um die Jahrhundertwende das Straßenbild einiger Städte.14 Gleichwohl war die Entstehung und Fortentwicklung einer neuen Rechtsmaterie, des Straßenverkehrsrechts, mit dem Aufkommen motorisierter Fahrzeuge, die neben die den damaligen Straßenverkehr prägenden „bespannten Wagen“15 bzw. das Pferd und die Eisen- bzw. Straßenbahn als Transportmittel traten, eng verbunden. Die Mitte des 19. Jahrhunderts statuierten rechtlichen Grundsätze im Verkehrswesen wurden der neuen Verkehrssituation nicht mehr gerecht, sodass mit dem 20. Jahrhundert die Entwicklung unseres heutigen Straßenverkehrsrechts ihren Anfang nahm. Der sich zwischen den vorstehenden Zeilen versteckt aufdrängende Eindruck einer etwaigen Trägheit des historischen Gesetzgebers ist – dies sei vorweggenommen – sicherlich nicht gänzlich unbegründet. So wurde das erste reichseinheitliche Straßenverkehrsrecht erst 23 Jahre nach der Erfindung des Automobils im Jahr 1909 verabschiedet.16 Gleichwohl hatte das Deutsche Kaiserreich noch vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und vor dem massenhaften Auftreten des Automobils die Grundlagen für ein modernes Straßenverkehrsrecht geschaffen.17
I. Die gesellschaftliche und technische Entwicklung des motorisierten Straßenverkehrs Bis zum Aufkommen der ersten Kraftfahrzeuge kam dem Individualverkehr aufgrund der geringen Reichweite der vorhandenen Transportmittel keine entscheidende gesellschaftliche Bedeutung zu. Der Bewegungsradius der damaligen Bevölkerung ist mit dem der heutigen kaum vergleichbar. Selbst ein Pferd oder Fahrrad, mit welchen weitere Strecken zurückgelegt werden konnten, konnten sich nur die wenigsten leisten.18 Entsprechend träge entwickelte sich der (motorisierte) Individualverkehr.19 Weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich nahm das Kraftfahrzeug in Deutschland vor 1900 eine (entscheidende) Rolle ein.20 Dies ist auf 13
Fraunholz, Motorphobia, S. 34; vgl. Fack, Automobil, S. 91 f.; Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 19; zur Eisenbahn vgl. Radkau, Technik in Deutschland, S. 144 f. u. 156 f.; weiterführend zum Fahrradboom ab den 1890er Jahren Rabenstein, Radsport und Gesellschaft, S. 51 u. 58 f. 14 Saul, Umweltgeschichte, S. 205; Fack, Automobil, S. 91. 15 Vgl. Baudry de Saunier, Grundbegriffe des Automobilismus, S. 1. 16 Bereits 1905 die Trägheit des Gesetzgebers kritisierend Isaac, Das Recht des Automobils, S. III. 17 Fraunholz, Motorphobia, S. 214. 18 Vgl. Baudry de Saunier, Grundbegriffe des Automobilismus, S. 117. 19 Eckermann, Vom Dampfwagen zum Auto, S. 54; Fraunholz, Motorphobia, S. 12 u. 30. 20 Eckermann, Vom Dampfwagen zum Auto, S. 54; vgl. Isaac, Das Recht des Automobils, S. 22.
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verschiedenste Faktoren zurückzuführen: Bereits der Entwicklungsprozess neuer (motorisierter) Landfahrzeuge musste aufgrund des im 19. Jahrhundert vorherrschenden „natürlichen Monopols“21 der Eisenbahn, welches durch eine Vielzahl von Investitionen gefördert wurde, zurückstecken.22 Das Automobil wurde bis in die zweite Hälfte der 1890er Jahre von der Öffentlichkeit als „kurioses Gefährt ohne praktischen Nutzen“ wahrgenommen.23 Zudem trafen erste Automobile, die ihrer Form nach nicht mehr als motorisierte Kutschen darstellten, auf bestehende Ängste und Vorbehalte der Bevölkerung.24 Das Gewicht, die hohe Geschwindigkeit als auch die Reichweite, sozusagen die „Ausdauer“ des neuen Verkehrsmittels, dessen Nutzung aufgrund der überwiegend unbefestigten Straßen mit einer hohen Staubentwicklung sowie einer Abgas- und Lärmbelästigung einherging und Pferde ängstigte, verunsicherte die nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer, das sog. Publicum.25 Die Konfliktstellung des Publicums26 mit dem motorisierten Verkehr war aufgrund der sich wandelnden Gegebenheiten des Straßenverkehrs gesellschaftlich, sowohl in der Stadt- als auch Landbevölkerung, tief verankert.27 Selbst die Gerichtsbarkeit erkannte über die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hinweg eine vom Kraftwagen ausgehende potenziell hohe Gefährlichkeit zu Lasten der übrigen Straßennutzer: „[…] Das ergibt sich schon daraus, daß der Kraftwagen als ein wuchtiger Körper und bei seiner gegenüber dem sonstigen Straßenverkehr hohen Geschwindigkeit notwendig eine Unsicherheit für den Verkehr in sich birgt […].“28
21
So u. weiterführend Fack, Automobil, S. 71. Möser, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 159; Fraunholz, Motorphobia, S. 29; zur Historie der Kraftfahrzeugentwicklung vor dem PatentMotorwagen v. 1886 Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 16 ff. u. 140; Eckermann, Vom Dampfwagen zum Auto, S. 54 f. 23 Fack, Automobil, S. 97. 24 Fraunholz, Motorphobia, S. 30; einen Einblick in das öffentliche Bild des Automobils im Jahr 1903 liefert der Leserbrief „Vom Zorn der Menge“, AW 1903, 75, 75 f.; vgl. Zitat Carl Benz in Siebertz, Karl Benz, S. 64 ff.: „Mein erster Gedanke bei der Konstruktion des Motorfahrzeuges war einen Wagen in Gestalt der Pferdedroschken mit vier Rädern zu bauen.“ Gleichwohl basiert der Patent-Motorwagen auf einer eigenständigen Konstruktion – beruht also trotz seiner äußerlichen Ähnlichkeiten nicht auf einem Kutschwagen. 25 Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 51 u. 62; Merki, tg 1998, 233, 233; Fack, Automobil, S. 100. 26 Bspw. zu den Zuständen in Frankreich um die Jahrhundertwende Baudry de Saunier, Grundbegriffe des Automobilismus, S. 11 ff. u. vgl. S. 119 ff.; Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 141, 146 u. 151. 27 Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 247; vgl. zur Anfang des 20. Jahrhunderts angenommenen „ungewöhnlichen Gefährlichkeit“ des Kraftfahrzeugs Levin-Stölping, Jahrbuch der Automobil- und Motorboot-Industrie, S. 429 f. u. 432 ff. 28 RGSt 61, 120, 121, vgl. ebenso RG JW 1906, 681, 681. 22
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Jedoch führte das Reichsgericht zuvor im Jahr 1904 die übermäßige Gefahr des Automobils nicht allein auf dieses, sondern auch auf den übermütigen Fahrstil einzelner Fahrzeugführer zurück. So bringe: „[…] das Fahren der zu schnellster Bewegung eingerichteten Automobile in den Straßen einer Stadt die größte Gefahr für die dort verkehrenden Menschen mit sich […], eine größere, als selbst die Motorwagen der elektrischen Straßenbahn, da diese in fest bestimmter Linie der Schienengleise und in bestimmten räumlichen Abständen die Straßen passieren, jene aber oft in einer weit höheren Geschwindigkeit unerwartet den Passanten überraschen; […]. [Darüber hinaus sei] die offenkundige Neigung vieler Führer, sich über die bestehenden polizeilichen Vorschriften hinwegzusetzen und die Sicherheit des Straßenpublikums niedriger zu stellen als die Schnelligkeit ihrer Fuhrwerke [zu beobachten.]“29
Nicht weniger gefährlich war nach Ansicht des VI. Senats des Reichsgerichts der motorisierte Straßenverkehr für die Landbevölkerung. So sei bezugnehmend auf den Motorradverkehr 1908 zu statuieren: „Die tägliche Erfahrung lehrt nun, daß infolge des rücksichtslos raschen Fahrens vieler Fahrer von Kraftfahrzeugen auf der offenen Landstraße die meisten Menschen, wenn sie auf der Mitte der Straße schreiten und plötzlich das Hupenzeichen wenige Schritte hinter sich vernehmen, aufs heftigste erschrecken und durch einen Sprung nach der Seite der drohenden Gefahr zu entrinnen suchen. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, daß der Beklagte, wenn er so kurz hinter G. nochmals die Hupe ertönen ließ, vermöge dieser Erfahrung auf eine hastige und ungeschickte Bewegung des überraschten Mannes, die ihn vor das Rad bringen konnte, gefaßt sein [musste].“30
Das Automobil als auch Motorrad fügten sich schlicht nicht in den vertrauten Alltag der Bevölkerung ein, sondern erforderten ein Umdenken und eine Gewöhnungsphase,31 die nicht ohne Widerstand ablief.32 Von seinen Gegnern wurde dem Automobil deshalb ein „gefährlicher Charakter“ attestiert,33 der, geschuldet den damaligen verkehrstechnischen Umständen, nicht gänzlich abzustreiten war.34 Die entstehenden Vorurteile der (Land-)Bevölkerung, die Automobilisten als „Tollhäusler“, „Lümmel“,35 „Windlinge“, „PS-Protze“, „Raser“36 und „Neureiche“37 erkannten, tat sein Übriges. Infolge dessen erschienen der Bevölkerung die erwarteten 29
RG SeuffBl. 69 (1904), 328, 329; Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 242. RG JW 1908, 106, 106; Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 244. 31 Vgl. Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 248 f. m. w. N.; Levin-Stölping, Jahrbuch der Automobil- und Motorboot-Industrie, S. 433. 32 Vgl. Fraunholz, Motorphobia, S. 17; Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 51. 33 Zum Gesamten Möser, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 159 f. 34 Vgl. Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 51. 35 Baudry de Saunier, Grundbegriffe des Automobilismus, S. 122 f. 36 Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 57, 61 u. 64. 37 Vgl. Möser, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 159 u. 161; Leserbrief „Vom Zorn der Menge“, AW 1903, 75, 75 f. 30
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hohen sozialen Kosten, insbesondere in Gestalt von wachsenden Unfallzahlen,38 und Emissionen, die mit der Nutzung von Automobilen einhergehen würden, als nicht tragbar.39 So bestanden insbesondere im ländlichen Raum, der den motorisierten Straßenverkehr überwiegend als Durchgangsstation erlebte und selbst nur geringe Möglichkeiten der eigenen Partizipation besaß,40 erhebliche Vorbehalte, die sich noch bis in die 1930er Jahre durch Steinwürfe auf vorbeifahrende Autofahrer entladen sollten.41 Neben die Gefährdungswahrnehmung traten, wie ein Zeitgenosse im Jahr 1903 zu erkennen vermochte, subjektive Einwände wie der „Neid“ und der „Stumpfsinn“ der Menge, die der vorherrschenden Abneigung weiter Vorschub leisteten.42 Insgesamt führte die Angst43 vor neuer Technologie, welche aufgrund des behäbigen Designs44 erster deutscher automobiler Serienfabrikate45 nur sehr zögerlich entschwand, im Zusammenspiel mit hohen Anschaffungs- und Unterhaltskosten46 bei einer geringen Kaufkraft der Bevölkerung47 und nicht zuletzt die anfängliche Zurückhaltung und ablehnende Haltung des Adels und insbesondere des 38
Vgl. Fraunholz, Motorphobia, S. 211; Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 64; Fack, Automobil, S. 101; bereits 1907 wurden 4.864 Straßenverkehrsunfälle bei einer (am 01. 01. 1907) registrierten Zahl von insgesamt 27.026 motorisierten Fahrzeugen, also statistisch gerundet ein Unfall auf jedes 6. registrierte motorisierte Fahrzeug, polizeilich erfasst, Verkehr – Verkehrsunfälle 2007, S. 45; Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 238 f. mit weiteren statistischen Zahlen. 39 Merki, tg 1998, 233, 233 u. 238; weiterführend Merki, Der holprige Siegeszug des Automobils, S. 145. 40 Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 51 u. vgl. S. 65; Merki, tg 1998, 233, 239. 41 Fraunholz, Motorphobia, S. 12; weiterführend Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 146 ff.; weiterführend Merki, Der holprige Siegeszug des Automobils, S. 178 ff.; vgl. und weiterführend Radkau, Lippische Mitteilungen 1987, S. 9 f. u. 12, demnach sich der Kaiserliche Automobil-Klub 1906 bei der Preußischen Regierung über „Ausschreitungen gegenüber Automobilisten“, die sich „besonders“ durch Würfe von Steinen auf Fahrer – auch auf die Königliche Hoheit Prinz Heinrich von Preußen – manifestierten, beschwerte; vgl. Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 216 f. 42 Leserbrief „Vom Zorn der Menge“ AW 1903, 75, 75; Levin-Stölping spricht 1904 unter Zitation eines anderen Mitglieds des Juristentags von einer weitreichend bestehenden Abneigung gegenüber dem Automobil in juristischen Fachkreisen, in: Levin-Stölping, Jahrbuch der Automobil- und Motorboot-Industrie, S. 430 f. 43 Vgl. Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 187 f. 44 Vgl. Siebertz, Karl Benz, S. 88. 45 Fraunholz, Motorphobia, S. 31. 46 Krit. schon 1902 zur Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von Pferd und Motorwagen Baudry de Saunier, Grundbegriffe des Automobilismus, S. 116 ff.; ebenso Hilse, der bereits 1902 von einer Kostenersparnis von 40 – 60 % durch den Motorkraftwagen gegenüber dem Pferdefuhrwerk sprach, in: Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 245 m. w. N. 47 So verdiente ein durchschnittlicher Arbeiter etwa 60 Mark im Monat, Eckermann, Vom Dampfwagen zum Auto, S. 54; Fraunholz, Motorphobia, S. 31 und weiterführend S. 33 f.; Stahlmann, Die erste Revolution in der Autoindustrie, S. 61: Die hohen Anschaffungs- und Unterhaltungskosten eines Motorwagens lagen auch in der überwiegenden Produktion von Repräsentations- und Luxuswagen begründet.
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Kaisers des Deutschen Reichs, Wilhelm II.48, zu Akzeptanzproblemen49, die sich bis zur Jahrhundertwende in einem gehemmten Absatzmarkt niederschlugen.50 Zudem war das nicht für Kraftfahrzeuge konzipierte Verkehrswegenetz, welches seit dem umfangreichen Ausbau des Eisenbahnnetzes in den Jahren 1830 bis 1870 vernachlässigt wurde und bis über die 1920er Jahre hinweg aus überwiegend (verödeten) unbefestigten Straßenzügen mit einzelnen geteerten Abschnitten bestand, kein Fürsprecher der Massenmotorisierung.51 Dieser ablehnenden Grundhaltung trat gleichwohl um die Jahrhundertwende aufgrund des aufkommenden Motorsports eine erste Welle der Sympathie entgegen, die dem Kraftfahrzeug zu einer gewissen Verbreitung verhalf.52 Dessen Folge war eine erste nennenswerte, wenngleich weiterhin geringe, Absatzsteigerung zwischen den Jahren 1902 und 1910, wobei sich das Motorwagenaufkommen von 4.738 auf 49.941 Einheiten verzehnfachte.53 Dennoch war dem Automobil aufgrund des hohen Verkaufspreises54 bis in die 1920er Jahre kein Erfolg vergönnt. Dies änderte sich erst 48 Fraunholz, Motorphobia, S. 32 m. w. N.; vgl. Eckermann, Vom Dampfwagen zum Auto, S. 54; v. Bülow, Denkwürdigkeiten, S. 19: „Der naive Subjektivismus Wilhelms II., seine, um ein modernes Schlagwort zu gebrauchen, egozentrische Veranlagung zeigte sich auch gegenüber dem Automobil. Als die ersten Automobile Unter den Linden auftauchten, der Kaiser selbst sie aber noch nicht benutzte, ärgerte er sich über die Straßenfahrzeuge, die seine Pferde scheu machten. Er verlangte ihre polizeiliche Überwachung und Einschränkung und meinte vor mir: ,Ich möchte am liebsten jeden Chauffeur mit Schrot in den – schießen!‘ Als er dann aber selbst fuhr und seine eigenen Chauffeure lustig das Tatütata erschallen ließen, wurde er ein feuriger Lobredner und Anhänger des Automobilsports und betrachtete jede Kritik seiner Auswüchse fast als persönliche Beleidigung.“; ähnlich Radkau, Lippische Mitteilungen 1987, S. 10 f. 49 Fraunholz, Motorphobia, S. 17. 50 Fraunholz, Motorphobia, S. 32; vgl. Fack, Automobil, S. 78; siehe zur Imitation des aristokratischen Lebensstils durch das Bürgertum um die Jahrhundertwende u. a. Mayer, Adelsmacht und Bürgertum, S. 89 f.; Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 238. 51 Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 140 f.; Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 62: 1913 bestand das Straßenverkehrsnetz aus 88 % Schotterpisten, 12 % Pflasterstraßen und 0,1 % mit Bitumendecken versehenen Verkehrswegen; zum Ausbau der Verkehrswege in den Städten v. 1881 bis 1911 siehe Saul, Umweltgeschichte, S. 205. 52 Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 210; Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 57. 53 Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 185. 54 Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 60 f.: während sich der Kaufpreis für einen Motorwagen vor der Jahrhundertwende kaum über 5.000 Mark belief, erreichten diese nach 1900 Kauferlöse im unteren bis mittleren fünfstelligen Bereich; vgl. dementgegen zur Betrachtung des Preisverhältnisses zwischen Pferd und Motorwagen Baudry de Saunier, Grundbegriffe des Automobilismus, S. 121: „Eine andere, von den Widersachern des Automobils gern angeschlagene Saite ist dessen hoher Preis. So ein Fuhrwerk [Motorwagen] kostet gleich 10- bis 20.000 Kronen (Francs, Mark usw.) und mehr! Abgesehen davon, dass man auch viel billigere und doch ganz gute Motorwagen bekommen kann, möchten wir diesen Nörglern antworten, dass, wenn sie nicht vom Neuerungshasse befallen wären, sie auch über die kostbaren Luxuspferde zu 10 und 12.000 Kronen das Paar, über Viererzüge und Mail-Coaches zu 30.000 Kronen jammern müssten.“
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langsam mit der in Deutschland in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre eingeführten Fließ(band)arbeit,55 die die Produktionskosten und letztendlich die Verkaufspreise senkte und das Kraftfahrzeug für weitere Bevölkerungskreise erschwinglich machte.56 Zudem nahm die Akzeptanz des Automobils aufgrund der langsam zunehmenden kraftfahrzeugfreundlichen Politik zu.57 Dennoch sollte es noch bis ins Jahr 1933 andauern, bis die konsequente Förderung der Motorisierung – dann grundlegend aus militärischen Aspekten – zu einem Leitziel der Politik formuliert wurde und zu einer weitreichenden wohlwollenden gesellschaftlichen Technikbewertung führte.58 Natürlich sollte es auch angesichts des Zweiten Weltkriegs noch Jahrzehnte dauern, bis das Kraftfahrzeug zum individuellen Massenverkehrsmittel heranwuchs. Das private Kraftfahrzeug galt in Deutschland schließlich noch bis in die späten 1950er Jahre hinein als Luxusgut für betuchte Bürger.59 Gleichwohl fand das Automobil aufgrund der Modernisierung des Straßenverkehrs als auch aufgrund des Anstiegs der Stadtbevölkerung und ihrem Drang nach Fortbewegung seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts eine langsame, jedoch fortlaufende Verbreitung im Straßenbild.60 Dies führte unweigerlich zu Konflikten innerhalb des begrenzten Verkehrsraums, den sich das Automobil und das Motorrad mit den übrigen verbreiteten Mobilitätsformen, etwa der Droschke, Straßenbahn und Fußgängern, teilen mussten. So verwundert es kaum, dass der Widerstand gegen die Motorisierung erstmals spürbar in den 1920er Jahren abnahm,61 gleichwohl Radkau in den 1920er Jahren das Entbrennen eines „förmlichen Endkampfs auf der Straße“62 erkennt. Dieser Kampf um den Verkehrsraum war zu diesem Zeitpunkt aber kein neuer. Bereits im Preußischen Gesetz über die Polizeiverwaltung von 185063 und der
55
Fack, Automobil, S. 226. Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 60 f. 57 Radkau, Lippische Mitteilungen 1987, S. 21: Der Verkehrsreichsminister erklärte 1924: „Das Kraftfahrzeug ist ein für die Wirtschaft unentbehrliches Werkzeug geworden, dessen Einbürgerung nach Kräften gefördert werden muss.“. 58 Vgl. und weiterführend Sonnenberger, Zug der Zeit – Zeit der Züge, S. 34 f. 59 Fraunholz, Motorphobia, S. 12 u. vgl. S. 32; Merki, tg 1998, 233, 248; Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 288; vgl. Radkau, Lippische Mitteilungen 1987, S. 21 f. 60 Vgl. Fraunholz, Motorphobia, S. 13 u. 30; siehe Verkaufszahlen und Zahlen zum Kraftfahrzeugbestand in: Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 25, 34, 37, 41 u. 53; Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 51; ausf. zur Schweiz Merki, tg 1998, 233, 234 f. 61 Zum Gesamten Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 51 f.; vgl. Sonnenberger, Zug der Zeit – Zeit der Züge, S. 25 u. weiterführend S. 32 ff., demnach die pessimistische Sicht auf die Technik in Deutschland bis 1924 bestand. 62 Radkau, Lippische Mitteilungen 1987, S. 19; anders Isaac, Das Recht des Automobils, S. III, der bereits 1905 festhielt, dass „die Kinderjahre des Automobils, in denen der Fernstehende das neue Verkehrsmittel als unangenehme Modesache betrachtete und befehdete, [vorüber sind]“. 63 GS. 1850, S. 265; weiterführend Biermann, Privatrecht und Polizei in Preußen, S. 1 ff. 56
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Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund von 186964 war der leitende Gedanke der Aufsicht des Straßenverkehrs65 durch die Polizeibehörden verankert, wodurch der motorisierte Verkehr einer immer weitreichenderen Regulierung unterworfen wurde.66
II. Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts Innerhalb dieser Fronten – der Euphorie einerseits und der Angst andererseits – bestand nun die Aufgabe des Gesetzgebers, die Nutzung der Straße neu zu ordnen und die verschiedenen Interessen auszugleichen. Zwar traf das Automobil nicht auf einen gänzlich ungeregelten Bereich. Auf den Landstraßen kam zunächst noch das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 zur Anwendung, welches im Zweiten Teil unter dem 15. Titel Regelungen Von den Rechten und Regalien des Staats in Ansehung der Landstraßen, Ströhme, Hafen und Meeresufer statuierte. Insbesondere unter §§ 25 ff. des benannten 15. Titels des Zweiten Teils des Allgemeinen Preußischen Landrechts waren Vorschriften wegen des Ausweichens auf den Straßen erlassen worden.67
64 BGBl. des Norddeutschen Bundes 1869, Nr. 26 v. 21. 06. 1869, S. 245 ff.; die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund lebt bis heute in der Gewerbeordnung fort; Neubekanntmachung v. 22. 02. 1999, BGBl. Teil I, Nr. 9 v. 22. 02. 1999, S. 202. 65 Fraunholz, Motorphobia, S. 211. 66 Vgl. Fraunholz, Motorphobia, S. 212. 67 Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 187 f.; Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staates v. 1794: §. 25. Den nach §. 7. einem jeden freystehenden Gebrauch der Landstraßen muß ein jeder so ausüben, daß der Andere an dem gleichmäßigen Gebrauche des Weges nicht gehindert, noch, zu Zänkereyen oder gar Thätlichkeiten über das Ausweichen Anlaß gegeben werde. §. 26. Alle Fuhr- und Landleute, auch andere Reisende ohne Unterschied des Standes, müssen den ordinairen und Extraposten, wenn diese hinter ihnen kommen, oder ihnen begegnen, aus dem Wege fahren, und sie ohne Schwierigkeit vorbeylassen, sobald der Postillion ins Hörn stößt. §. 27. Außer diesen Fällen müssen ledige oder bloß mit Personen besetzte Wagen und Kutschen, allen mit Sachen und Effekten beladenen Wagen, wohin auch Kutschen, die Koffer oder sonstige Bagage führen, zu rechnen sind, ausweichen. §. 28. Begegnen sich zwey beladene oder zwey ledige Wagen: so müssen beyde auf der rechten Seite zur Hälfte ausweichen. §. 29. Kann einer rechter Hand nicht ausweichen: so muß dieses von dem andern ganz geschehen. §. 30. Fehlt es auch dazu am Raume: so muß in dem Falle des §. 27. derjenige, welcher zum Ausweichen verbunden ist, so wie in dem Falle des §. 28. der, welcher den andern zuerst gewahr wird, an einem schicklichen Orte so lange still halten, bis der andere Wagen vorüber ist. §. 31. Kommt ein Wagen von einem Berge oder von einer steilen Anhöhe herunter, und ein anderer Wagen fährt hinauf: so ist der letztere jederzeit zum Ausweichen verbunden; er mag schwerer beladen seyn, oder nicht.
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Dem preußischen Landrecht folgte das preußischen Gesetz über die Polizeiverwaltung von 185068 und die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund von 186969, die erstmals die Aufsicht und Unterhaltung des öffentlichen Straßenverkehrs den örtlichen Polizeibehörden unterstellte.70 Entsprechend wurde der Kraftfahrzeugverkehr gleich dem Fuhrwerksverkehr durch örtliche Polizeiverordnungen geregelt.71 Als wohl erstes Regelwerk des Straßenverkehrs72, welches insbesondere auch für den motorisierten Straßenverkehr Geltung beanspruchte, gilt die Berliner Straßenordnung vom 31. Dezember 1899.73 Diese Straßenordnung, die über die Jahre hinweg neue Fassungen erhielt, statuierte erste allgemeine Vorschriften des Fuhrwerksverkehrs für das Stadtgebiet Berlin74 und enthielt neben der ausdrücklichen Anordnung zur sinngemäßen Anwendung der Fuhrwerksvorschriften auf Kraftfahrzeuge einzelne zusätzliche Regelungen für diese.75 Am 15. Januar 1901 folgte eine überarbeitete Fassung der Berliner Verordnung über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, die daraufhin als Musterverordnung galt.76 Im Gleichlauf mit dem gesellschaftlichen Wandel und zur Senkung der verhältnismäßig hohen Unfallzahlen wurden in den Folgejahren in fast allen preußischen Provinzen nach dem Vorbild der §. 32. Bey hohlen Wegen, oder andern engen Pässen, muß jeder zuvor stille halten, und nach gegebenem deutlichen Zeichen mit dem Horne, mit der Peitsche, oder auf andere Art, so lange warten, bis er versichert ist, daß kein anderer Wagen sich schon darin befindet. §. 33. Ist der hohle Weg oder enge Paß von solcher Länge, daß die gegebenen Zeichen von einem Ende bis zum andern nicht deutlich gehört oder wahrgenommen werden können: so muß an solchen Plätzen, wo Raum zum Ausweichen ist, aufs neue gewartet, und das Zeichen wiederholt werden. §. 34. Außer den Posten, muß jeder vorfahrende Wagen dem hinten folgenden und schneller fahrenden, wenn dieser nicht anders vorbeykommen kann, und der Raum es erlaubt, auf ein gegebenes Zeichen, so weit ausweichen, als es nöthig ist, damit letzterer seinen Weg fortsetzen könne. […]. 68 GS. 1850, S. 265; weiterführend Biermann, Privatrecht und Polizei in Preußen, S. 1 ff. 69 BGBl. des Norddeutschen Bundes 1869, Nr. 26 v. 21. 06. 1869, S. 245 ff. 70 Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 187; Fraunholz, Motorphobia, S. 211. 71 Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 187; Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 124 f.; v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 1. 72 Vgl. und weiterführend zu den Inhalten und der Fortentwicklungen der Berliner Verkehrsverordnung Fraunholz, Motorphobia, S. 211; in der Lit. besteht keine Einigkeit über die erste Polizeiverordnung zum Straßenverkehr, nach Isaac, Das Recht des Automobils, S. 22, waren die ersten allgemeinen Verordnungen zum Straßenverkehr 1900 in Sachsen-Weimar und Koburg-Gotha erlassen worden. 73 Die Straßenordnung für den Stadtkreis Berlin v. 31. 12. 1899 i. d. F. v. 23. 01. 1911, in Auszügen abgedruckt in: Die Berliner Strassenordnung und der Automobilverkehr, Zeitschrift des Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins, 1912, 21 ff. 74 Fraunholz, Motorphobia, S. 211. 75 Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 190; Die Berliner Strassenordnung und der Automobilverkehr, ZMMV 1912, 21, 21; zum Gesamten und ausf. Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 270 f. 76 Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 270; nach Fack, Automobil, S. 168, stamme die neue Berliner Straßenverkehrsordnung v. 15. 04. 1901.
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4. Kap.: Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts
Berliner Verordnung77 Straßenverkehrsordnungen erlassen. Ebenso wurden in Bayern durch die Oberpolizeilichen Vorschriften über den Verkehr mit Motorfahrzeugen auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen vom 07. Mai 190278 und in den übrigen Bundesstaaten und den jeweiligen Kreisen des Deutschen Kaiserreichs im Rahmen erster Vereinheitlichungsbestrebungen harmonisierte Verkehrsverordnungen erlassen.79 Dabei wurden bis heute tragende verkehrsrechtliche Grundsätze, insbesondere (technische) Sicherheitsvorschriften,80 Verhaltensvorschriften, die Registrierungs-, Kennzeichnungs- und Führerscheinpflicht81 als auch insbesondere das Rücksichtnahmegebot in der Form, dass vermeidbare Beeinträchtigungen anderer Verkehrsteilnehmer durch das Verkehrsmittel zu vermeiden sind, statuiert.82 Flankiert wurden diese ersten Gesetzesbestrebungen durch Maßnahmen zur Verkehrslenkung, -sicherung und -erziehung. In Berlin leiteten bspw. erstmals am 19. Dezember 1902 acht preußische Polizisten abwechselnd nach Straßenzügen an der Friedrichstraße Ecke Unter den Linden den Wagen- und Fußgängerverkehr.83 Ebenso wurde die Gestaltung des Straßenverkehrsraums überdacht und dieser an die Bedürfnisse der verschiedenen Verkehrsteilnehmer angepasst.84 Die zunächst vielbefahrenen Plätze in Innenstädten, wie bspw. der Potsdamer Platz in Berlin, waren erste „Versuchspflaster“ zur Schaffung eines automobilgerechten Verkehrsraums85, welcher sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vor allem durch die Trennung der Verkehrsbereiche für Fußgänger, Fahrradfahrer und das Automobil durchsetzen sollte. Umrahmt wurden diese Maßnahmen durch Initiativen und Aufforderungen von Automobilclubs zur Verkehrserziehung des Publicums. So wurde bspw. in Preußen durch den Kultusminister 1906 eine schulische Verkehrserziehung initiiert und durch Verordnung eingeführt.86 Im Bereich der Erwachsenenbildung wurde 77
Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 124; Fack, Automobil, S. 108 u. 168 f. v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 1. 79 Isaac/Sieburg, Automobilgesetz, S. 87; Fraunholz, Motorphobia, S. 211; so im Jahre 1904: vgl. Levin-Stölping, Jahrbuch der Automobil- und Motorboot-Industrie, S. 424; weiterführend Isaac, Das Recht des Automobils, S. 22 f. 80 Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 52. 81 Zum Hintergrunde der Führerscheinpflicht siehe Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 126 f.; Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 284 ff. 82 Fraunholz, Motorphobia, S. 211; Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 52; vgl. und weiterführend Fack, Automobil, S. 108. 83 Fack, Automobil, S. 166; Erste Verkehrsregelung Deutschlands, Berlin Story v. 19. 12. 2012, abrufbar unter https://www.berlinstory.de/blog/erste-verkehrsregelung-deutsch lands/ [abgerufen am 19. 04. 2018]; Der Bauchnabel Berlins, in: Der Tagesspiegel v. 13. 03. 2010, abrufbar unter https://www.tagesspiegel.de/berlin/friedrichstrasse-der-bauchnabelberlins/1718242.html [abgerufen am 19. 04. 2018]. 84 Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 52 u. 62; vgl. weiterführend Fack, Automobil, S. 165 f. 85 Fack, Automobil, S. 247. 86 Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 152; weiterführend Saul, Umweltgeschichte, S. 208. 78
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zudem in Berlin 1907 eine Verordnung über den Fußgängerverkehr entworfen und als Merkblatt auf den Straßen verteilt.87 Andererseits zog sich der Staat, insbesondere die lokalen Straßenbaubehörden, aufgrund von damals vermeintlich vermeidbaren Kostenbelastungen zurück und überließ bspw. die Aufstellung von Warntafeln und Hinweisschildern in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts überwiegend den privaten Automobilclubs und -vereinen.88 Dies änderte sich erst 1925, als die Zuständigkeit der Verkehrsbeschilderung als staatliche Aufgabe formuliert wurde.89 Eine der ersten elektrifizierten Lichtzeichenanlagen Deutschlands wurde in den 1920er Jahren – bekanntermaßen auf dem Potsdamer Platz in Berlin – in Betrieb genommen.90 Tatsächlich verzeichneten die Verkehrsregulierungsmaßnahmen Erfolge. Obwohl die Zahl an registrierten Kraftfahrzeugen beständig wuchs, sanken die Verkehrsunfallzahlen überproportional zum Kraftfahrzeugbestand.91 Anders verhielt sich der Staat bei der Festsetzung von technischen Mindeststandards für Automobile. Von Anfang an mussten Kraftfahrzeuge bspw. über eine funktionstüchtige Lenkung, wirksame Bremsen, einen betriebssicheren Motor sowie zeitlich folgend über Signal- und Lichtvorrichtungen verfügen.92 Bei den ersten Verhaltensvorschriften war das Ziel des Verordnungsgebers hingegen nicht die Etablierung klarer Regeln, sondern die „Versöhnung oder Schlichtung“ von Verkehrskonflikten zwischen den Verkehrsteilnehmern, die auch heute noch als „Handlung, deren Absicht es ist, Konflikte abzuwehren oder auszusetzen, ohne Kapitulation zu verlangen oder anzubieten“93 verstanden wird, zu erreichen.94 Diese, heute seltsam anmutende gesetzgeberische Intention, wird jedoch mit dem damaligen Kampf der verschiedenen Nutzergruppen verständlich. Jede Nutzergruppe – die Kraftfahrer, Fuhrwerker bzw. Reiter und Fußgänger – sah sich von der jeweils anderen be- und verdrängt. Eine Regulierung und Disziplinierung aller Verkehrsteilnehmer war – der Neuheit des Automobils als auch der erheblichen Zunahme an Straßennutzern geschuldet – aufgrund der neuen Verkehrssituation zwingend er-
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Zum Gesamten Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 152 f.; siehe Polizeiliche Bekanntmachung über den Fußgängerverkehr i. d. F. v. 25. 01. 1917 in: Berliner StraßenPolizeiverordnung v. 25. 01. 1917, S. 87 f. 88 Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 141 f.; Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 325 f.; Fack, Automobil, S. 167 f. 89 Zum Gesamten Fack, Automobil, S. 253. 90 Fack, Automobil, S. 247 u. 250: Eine der ersten Lichtsignalsteuerungsanlagen war der im Zuge der Neugestaltung des Potsdamer Platzes in Berlin mittig aufgestellte Verkehrsturm v. 1924. 91 Siehe u. vgl. dazu Fack, Automobil, S. 317; Verkehr – Verkehrsunfälle 2007, S. 45. 92 Zum Gesamten Merki, Der holprige Siegeszug des Automobils, S. 321. 93 Turner, Theorien kollektiven Verhaltens, S. 190; Fack, Automobil, S. 19. 94 Fraunholz, Motorphobia, S. 211.
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4. Kap.: Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts
forderlich.95 So verwundert es nicht, dass die ersten Regelungen zum öffentlichen Individualverkehr überwiegend die Einhaltung von Rücksichtnahmegeboten enthielten.96 Der Reichsgesetzgeber blieb hingegen lange Zeit passiv, obwohl sich die bayerische Regierung bereits im Jahr 1901 für eine reichsübergreifende Regelung im Reichstag einsetzte.97 Stattdessen bestand eine Zeit der „Kleinstaaterei“, in deren Folge verschiedenste länderspezifische Verkehrsvorschriften auf dem damaligen Gebiet des deutschen Kaiserreichs existierten.98 Somit mussten Fahrer bei grenzüberschreitenden Fahrten verschiedene Verkehrsordnungen kennen und einhalten.99 Dies änderte sich erstmals im Jahr 1906, in welchem es auf Anregung des Kartells deutscher und österreichischer Rad- und Motorfahrerverbände und Bayerns durch den Bundesrat zur zweiten reichsweiten Vereinheitlichungswelle im Verkehrsrecht kam.100 Durch den Beschluss des Bundesrates vom 03. Mai 1906101 wurden sämtliche deutsche Staaten ersucht, die „Grundzüge betreffend den Verkehr mit Kraftfahrzeugen“ zu übernehmen und diese bis zum 01. Oktober 1906 in ländereigene polizeiliche Vorschriften umzusetzen.102 Vorbild für den Bundesratsbeschluss war erneut die Berliner Straßen-Polizeiverordnung.103 Die Folge war die Angleichung und der Neuerlass der Verkehrs-Polizeiverordnungen an diese Grundkonzeption.104 Faktisch waren damit weitgehend reichseinheitliche Regelungen geschaffen wor95
Vgl. u. weiterführend Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 52 u. 66 f.; v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 1. 96 Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 188; siehe auch Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten v. 1794, § 25, Fn. 67. 97 Fack, Automobil, S. 169; umfassende Aufzählung siehe Levin-Stölping, Jahrbuch der Automobil- und Motorboot-Industrie, S. 424. 98 Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 189 u. 193, demnach im Jahr 1902 etwa 30 Verkehrsverordnungen auf dem Gebiet des Deutschen Reichs existierten; Fraunholz, Motorphobia, S. 211: So existierten allein in Preußen 12 und in den übrigen Bundesstaaten 19 zum Teil verschiedene Verordnungen zum Autoverkehr. Ein Überblick der bestehenden preußischen, übrigen deutschen und wichtigsten internationalen Automobilverordnungen 1906 siehe Isaac, Das Recht des Automobils, S. 27 ff. 99 Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 125; zur mangelnden Einheitlichkeit der Verordnungen u. weiterführend Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 193 f. u. 196. 100 Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 270 f.; Isaac, Das Recht des Automobils, S. 23 f.; vgl. Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 221 f. u. 226; Merki, in: Niemann/Hermann, Geschichte der Straßenverkehrssicherheit, S. 55; Isaac/Sieburg, Automobilgesetz, S. 87. 101 Erste Beilage zum Deutscher Reichsanzeiger und Königlich Preußischer Staatsanzeiger v. 28. 05. 1906, Nr. 124: „Der Bundesrat hat beschlossen, die verbündeten Regierungen zu ersuchen, in ihren Gebieten den Verkehr mit Kraftfahrzeugen nach Maßgabe von Grundzügen zu regeln, die in der Ersten Beilage der heutigen Nummer des ,Reichs- und Staatsanzeigers‘ veröffentlicht werden.“; v. Gadow, Die Zähmung des Automobils, S. 112. 102 Fack, Automobil, S. 169; Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 240; weiterführend Isaac, Das Recht des Automobils, S. 24 ff.; Isaac/Sieburg, Automobilgesetz, S. 87 f. 103 Ausf. Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 271 f. 104 Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 226; Fack, Automobil, S. 169.
A. Entwicklung des Straßenverkehrsrechts und Straßenverkehrsstrafrechts
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den.105 Abgeschlossen waren die Vereinheitlichungsbestrebungen gleichwohl nicht. Wenige Jahre später entzog der Reichsgesetzgeber den Bundesstaaten durch den Erlass des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 03. Mai 1909106, dem sog. Kraftfahrzeuggesetz,107 teilweise die Gesetzgebungskompetenz.108 Mit diesem wurde nicht nur das Straßenverkehrsrecht kodifiziert, sondern der „Flickenteppich“ der Polizeiverordnungen der einzelnen Bundesstaaten und Provinzen auf Reichsebene beseitigt, sodass sich Autofahrer nicht mehr auf eine Unzahl von Verkehrsvorschriften einstellen mussten.109 Wenige Monate nach dem Erlass des Kraftfahrzeuggesetzes erließ der Bundesrat am 03. Februar 1910 die Verordnung über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen110, welche das Kraftfahrzeuggesetz näher ausführte und konkretisierte.111 Neben einer Vielzahl von Bestimmungen, die u. a. die Beschaffenheit von Fahrzeugen und Zulassungsfragen regelten, wurden unter der Abschnittsüberschrift C. Der Führer des Kraftahrzeugs112 im Unterabschnitt b. Besondere Pflichten des Fahrzeugführers113 umfassende Verhaltensanforderungen und die Verantwortlichkeiten des Fahrzeugführers statuiert.114 Der Begriff des Fahrzeugführers ist daher eng mit der Entstehung des (reichsübergreifenden) Straßenverkehrsrechts verbunden und existiert seit weit über 115 Jahren. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Juli 1914 wandelte sich das Kraftfahrzeug weg vom privaten Sport- und Luxusgefährt hin zum kriegswichtigen Gut.115 Dies bewirkte auch in der Gesetzgebung einen Wandel, der sich in einer Art rechtlichen Vorrangs des Kraftfahrzeugs niederschlug.116 So wurde mit Verordnung des Bundesrats vom 25. Februar 1915117 der private Kraftfahrzeugverkehr erheblich eingeschränkt und nur noch bei einem bestehenden öffentlichen Bedürfnis die Zu-
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Fack, Automobil, S. 169 m. w. N.; Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 125 f. 106 RGBl. 1909, Nr. 26 v. 03. 05. 1909, S. 437 ff.; zur Entwicklung zum KFG ab 1899 siehe weiterführend Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 239 ff. u. 245 ff.; ebenfalls zur Gesetzesentwicklung v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 1 f. 107 U. a. Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 238; OLG Dresden SächsOLG 35, 134, 134. 108 Vgl. v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 2. 109 Vgl. Fraunholz, Motorphobia, S. 212 u. vgl. S. 215. 110 RGBl. 1910, Nr. 5 v. 10. 02. 1910, S. 389 ff. 111 Fraunholz, Motorphobia, S. 213; Fack, Automobil, S. 170. 112 RGBl. 1910, Nr. 5 v. 10. 02. 1910, S. 395. 113 RGBl. 1910, Nr. 5 v. 10. 02. 1910, S. 396. 114 Fraunholz, Motorphobia, S. 214. 115 Vgl. Fraunholz, Motorphobia, S. 215; Radkau, Lippische Mitteilungen 1987, S. 18 f. 116 Vgl. Fraunholz, Motorphobia, S. 215. 117 Verordnung betreffend Zulassung von Kraftfahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Wegen und Plätzen v. 25. 02. 1915, RGBl. 1915, Nr. 27 v. 25. 02. 1915, S. 113 ff.
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4. Kap.: Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts
lassung eines privaten Kraftfahrzeugs erlaubt.118 Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich diese gesetzgeberische Tendenz zum Schutz des Straßenverkehrs, der seitdem stetig zunahm, fort.119 So wurden bspw. in der Berliner Polizeiverordnung über die Regelung des Straßenverkehrs vom 15. Januar 1929 im Zweiten Hauptteil Die Aufrechterhaltung der Ordnung auf der Straße weitergehende subsidiäre Strafvorschriften, etwa gemäß § 58 i. V. m. § 85 die Beseitigung, Änderung, Verdeckung oder Beeinträchtigung der Sichtbarkeit von Verkehrsschilder sowie die gemäß § 68 Abs. 2 i. V. m. § 85 die vermeidbare Lärmbelästigung, festgeschrieben.120 Grundlegend blieb jedoch das Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 03. Mai 1909 über Jahrzehnte Grundlage des Straßenverkehrsrechts. Dennoch traten bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs immer dezidiertere Regelwerke121 neben das Kraftfahrzeuggesetz. So einigten sich die Reichsregierung und die Länder 1926 auf eine Musterverordnung für den allgemeinen Straßenverkehr (Verordnung über den allgemeinen Verkehr auf öffentlichen Wegen)122, die auf die Bedürfnisse des motorisierten Straßenverkehrs angepasst war und fortan den Grundstein des Straßenverkehrsrechts der zum Teil verbliebenen Landesgesetzgebung bildete.123 Diese Vereinheitlichungstendenz setzte sich in den nächsten Jahren fort und mündete u. a. in der Reichs-Straßenverkehrs-Ordnung aus dem Jahr 1934, die am 01. Oktober desselben Jahres in Kraft trat.124 Bereits 1937 wurde diese zur Verordnung über das Verhalten im Straßenverkehr – der Straßenverkehrs-Ordnung – die am 01. Januar 1938 in Kraft trat, novelliert.125 Eine weitere Überarbeitung der Straßenverkehrsgesetzgebung ist in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu verzeichnen. Unser heute bekanntes Straßenverkehrsgesetz trat mit seinem Inkrafttreten am 23. Januar 1953 die Nachfolge des bis dahin geltenden Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen an.126 Dem folgte kurz darauf die erste Novelle der Straßenverkehrs-Ordnung127 als auch der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 24. August 1953.128 Als Kuriosum stellt sich der seit dem 23. Januar 1953 vorübergehende Wegfall der inner- wie
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Fack, Automobil, S. 171: Dieses öffentliche Bedürfnis bestand nur bei „Ausübung eines im öffentlichen Interesse liegenden Berufs“ oder wenn das Kraftfahrzeug zur Ausübung eines gewerblichen Betriebs unverzichtbar war. 119 Vgl. Fraunholz, Motorphobia, S. 215. 120 Berliner Straßenverkehrsordnung v. 15. 01. 1929, S. 55, 68 u. 85; Fraunholz, Motorphobia, S. 215. 121 Fack, Automobil, S. 248. 122 Fack, Automobil, S. 253. 123 Fack, Automobil, S. 248. 124 RGBl. 1934, Nr. 59 v. 30. 05. 1934, S. 455 ff. 125 RGBl. 1937, Nr. 123 v. 16. 11. 1937, S. 1179 ff. 126 BGBl. Teil I, Nr. 56 v. 19. 12. 1952, S. 837 ff. 127 BGBl. Teil I, Nr. 56 v. 03. 09. 1953, S. 1201 ff. 128 BGBl. Teil I, Nr. 56 v. 03. 09. 1953, S. 1166 ff.
B. Zusammenführung
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außerörtlichen Geschwindigkeitsbegrenzungen dar.129 Dieser Zustand dauerte bis zum 31. August 1957 an.130 Dem folgten in den weiteren Jahrzehnten noch eine Vielzahl von Novellen der Straßenverkehrsgesetze, auf deren Aufzählung an dieser Stelle verzichtet wird.
B. Zusammenführung Wie dieser historische Abriss zeigt, galt die Kritik und Ablehnung, die dem Automobil zunächst entgegenschlug, nicht primär diesem selbst. Anders als in der Literatur oftmals zu lesen, stand nicht die fortschrittliche Maschine Automobil in der gesellschaftlichen Kritik, sondern überwiegend die unzureichende Infrastruktur als auch insbesondere die (rücksichtslose) Führung der Gefährte, die mit verhältnismäßig hohen sozialen Kosten einherging.131 Dennoch schlug die Automobilfeindschaft der öffentlichen Meinung im Gesetzesentwurf von 1906, der schließlich am 03. Mai 1909 in das Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen münden sollte, ersichtlich durch.132 Gleichwohl blieben den Automobilisten trotz der verbreiteten gesetzlichen Abneigung absolute Restriktionen größtenteils erspart. Zwar waren zeitweise Automobilverbote auf einzelnen Streckenabschnitten oder an Sonntagen keine Seltenheit. Ein gänzliches Automobilverbot – wie es im Extremfall des Kanton Graubünden in der Schweiz bis ins Jahr 1925 bestand – war im Deutschen Reich jedoch nie ernsthaft diskutiert worden.133 Gleichwohl wurde die Intention, die Nutzung des Kraftfahrzeugs als reines Repräsentations-, Sport- und Luxusobjekt134 zu beschränken, erst in späteren Jahrzehnten zugunsten einer Normierung und insbesondere dem Erlass einer Gefährdungshaftung aufgegeben. Die damals entworfenen Beschränkungen wie die Einführung der Fahrerlaubnispflicht, die Verabschiedung von Verhaltenspflichten und die Kennzeichenpflicht, um Normenverstöße ahnden und Fahrzeugführer im 129 BGBl. Teil I, Nr. 56 v. 03. 09. 1953, S. 1166, 1201 ff.; so war ausschließlich gem. § 9 Abs. 4 StVO a. F. für Lastkraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 2,5 t eine inner- wie außerörtliche Höchstgeschwindigkeit von 40 bzw. 60 km/h vorgeschrieben worden. Die übrigen Kraftfahrzeugführer hatten gem. § 9 Abs. 1 StVO a. F. ihre Fahrgeschwindigkeit so anzupassen, dass sie jederzeit in der Lage waren, ihren Verpflichtungen im Verkehr nachkommen und das Fahrzeug jederzeit rechtzeitig anhalten können. 130 BGBl. Teil I, Nr. 34 v. 31. 07. 1957, S. 780, wonach gem. § 9 Abs. 4 StVO a. F. konkrete inner- wie außerörtliche Höchstgeschwindigkeitsbegrenzungen kodifiziert wurden. 131 Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 288. 132 Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 288. 133 Bspw. bestand im schweizerischen Kanton Graubünden seit 1900 entgegen dem Willen von Parlament und Regierung bis ins Jahr 1925 hinein ein absolutes Automobilverbot, Merki, tg 1998, 233, 245 f.; weiterführend Merki, Der holprige Siegeszug des Automobils, S. 147 ff.; vgl. Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 187. 134 Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 288.
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4. Kap.: Die historische Entwicklung des Straßenverkehrsrechts
Schadensfall haftbar machen zu können, blieben bis heute erhalten. Erstaunlicherweise wurden hingegen weitergehende gesetzgeberische Möglichkeiten wie die Begrenzung der Fahrzeugnutzung oder die Festschreibung von Leistungsgrenzen oder die technische Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit aufgrund der wachsenden und im wohlhabenden Bürgertum verhafteten Begeisterung kaum bemüht. So scheiterten frühere Initiativen zur technischen Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit von Kraftfahrzeugen an dem Widerstand der betuchten Bevölkerungsschichten.135 Die heutige Situation des Auftretens automatisierter Fahrzeuge ist hingegen eine gänzlich andere: Der Gesetzgeber geht heute davon aus, dass Fahrerassistenzsysteme den Fahrleistungen des Menschen zumindest gleichstehen oder diese sogar übertreffen und der Sicherheit auf unseren Straßen dienen werden. Es gilt also nicht, die Verkehrsteilnehmer von ausgehenden Gefahren des automatisierten Straßenverkehrs zu schützen, sondern primär um die Herstellung eines allgemeinen Vertrauens. Die Problemstellung, die um die Jahrhundertwende herum zum Erlass einer Vielzahl von Polizeiverordnungen136 und des Kraftfahrzeuggesetzes führte, war eine gänzlich andere, als die aktuell geführte Diskussion um die Zulassung von automatisierten Fahrzeugen zum öffentlichen Straßenverkehr. Die Gefahren der Führung eines Kraftfahrzeugs um 1900 bestehen nicht mehr oder sind erheblich minimiert. Vor allem infrastrukturelle Probleme, wie sie Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitet waren, existieren in dieser Form nicht mehr. In die heutige Infrastruktur fügt sich das automatisierte Fahrzeug ein. Ebenso „erschrickt“ das automatisierte Kraftfahrzeug bei seinem Annähern die übrigen Verkehrsteilnehmer nicht mehr. Insofern ist die mit den heutigen Regelungswerken zum Straßenverkehrsrecht bestehende Verkehrssituation von der historischen grundverschieden. Gleichwohl und kaum anders als um die Jahrhundertwende werden die sozialen Folgekosten, vor allem in Gestalt von Todesopfern durch „die Maschine“ erneut als Argument gegen die Neuerung vorgebracht. Vor allem die viel diskutierten Dilemmata-Konstellationen – die heute beim menschlichen Führen in gleicher Zahl auftreten und durch den Fahrer in einer Notsituation wohl keineswegs besser gelöst werden – prägen die Einführung des automatisierten Fahrens. Die Bewältigung von Dilemmata-Situationen durch einen vorprogrammierten Algorithmus trifft auch heute – wie die Angst vor dem Automobil Ende des 19. Jahrhunderts – auf (teilweise unbegründete) Ängste, die der Gesetzgeber durch weitsichtige Regelungen zu beseitigen hat.
135
Vgl. dazu zur Schweiz Merki, tg 1998, 233, 241 ff. Ein Überblick der bestehenden preußischen, übrigen deutschen und wichtigsten internationalen Automobilverordnungen siehe Isaac, Das Recht des Automobils, S. 27 ff. 136
5. Kapitel
Das historische Dogma des „aktiven Fahrers“ Seit Beginn der Verkehrsrechtsgesetzgebung besteht in der Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass es sich bei der Fahrzeugführung um einen vom menschlichen Willen getragenen Arbeitsprozess handelt. Daran, am Leitbild eines im Fahrzeug anwesenden aktiven Fahrers, richtete sich die Rechtsordnung seit über einem Jahrhundert aus.1 Nun wird erstmals mit der Zulassung hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge an diesem Dogma gerüttelt. Der Leitgedanke von einem ausschließlich menschlichen, mithin willensgesteuerten Führen eines Kraftfahrzeugs, trägt aufgrund des technischen Fortschritts nicht mehr absolut. Dass die Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung heute und zukünftig der menschlichen Hand immer weiter entzogen und auf ein technisches Fahrerassistenzsystem übertragen wird, fand bisher jedoch kaum Einschlag in der Gesetzgebung. Zugegebenermaßen gab es zuvor für den Gesetzgeber auch keinen Anlass dafür. Dass die Frage nach dem aktiven Fahrer dennoch nicht unbekannt ist, zeigt ein aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stammendes Urteil aus dem Jahr 2014 zu einem auf einer Unterrichtsfahrt befindlichen Fahrschullehrer. In diesem hielt der Bundesgerichtshof ausdrücklich fest: „Ein Fahrlehrer, der in der konkreten Situation nicht in die Ausbildungsfahrt eingreift, führt nach allgemeinen Kriterien – etwa i. S. d. §§ 315 c, 316 StGB – das Kraftfahrzeug nicht.“2
Ohne zunächst vertieft auf die aufgeworfene Rechtsprechung einzugehen – dies bleibt dem folgenden Kapitel vorbehalten – bezeugt diese aktuelle Auffassung des Bundesgerichtshofs die Gegenwärtigkeit und Tragweite des auch im Verkehrsstrafrecht verankerten Dogmas des „aktiven Fahrers“. Wenige Jahre später begann der Gesetzgeber mit dem 8. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 16. Juni 20173, welches am 21. Juni 2017 in Kraft trat, von diesem Leitgedanken vorsichtig abzurücken. Zwar wagte auch er sich bisher nicht an eine Neuformulierung, stellt jedoch ausdrücklich gemäß § 1a Abs. 4 StVG klar, dass Fahrzeugführer auch derjenige sein kann, der keine „aktive“ Steuerungstätigkeit vornimmt (§ 1a Abs. 4 StVG): 1
Lutz/Tang/Lienkamp, NZV 2013, 57, 57; vgl. Gasser, DAR 2015, 6, 10. BGHSt 59, 311, 313; zust. OLG Stuttgart NJOZ 2016, 24, 24; LG Münster zfs 2018, 169, 169 f. m. Anm. Krenberger; AG Landstuhl, B. v. 20. 10. 2016 – 2 OWi 4286 Js 10115/16, BeckRS 2016, 18521. 3 BGBl. Teil I, Nr. 38 v. 20. 06. 2017, S. 1648 ff. 2
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5. Kap.: Das historische Dogma des „aktiven Fahrers“ „Fahrzeugführer ist auch derjenige, der eine hoch- oder vollautomatisierte Fahrfunktion im Sinne des Absatzes 2 aktiviert und zur Fahrzeugsteuerung verwendet, auch wenn er im Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung dieser Funktion das Fahrzeug nicht eigenhändig steuert.“
In der Gesetzesbegründung wird dazu ausgeführt: „§ 1a Absatz [4] StVG […] dient der Klarstellung, dass bei hoch- und vollautomatisierten Fahrfunktionen – im Gegensatz zum autonomen Fahren – auf einen Fahrzeugführer nicht ganz verzichtet werden kann. Jedoch gibt es Fahrphasen, in denen das System das Fahrzeug steuert.“4
In der allgemeinen Begründung des 8. Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes ist hingegen zu lesen: „Insoweit kann sich der Fahrzeugführer bei bestimmungsgemäßer Nutzung einer diesen Anforderungen entsprechenden automatisierten Fahrfunktion auf deren Funktionsfähigkeit verlassen.“5
Dies, die gesetzliche Wertung des § 1a Abs. 4 StVG, widerspricht auf den ersten Blick dem Rechtsgedanken, den der Bundesgerichtshof in der oben zitierten Fahrlehrerentscheidung aus dem Jahr 2014 formulierte. Ob das 8. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes den Bruch des in der Gesetzgebung vorherrschenden Leitgedankens des „aktiven Fahrers“ zu Gunsten einer funktionellen Betrachtungsweise zur Folge hat,6 kann ein Blick auf den historischen Gesetzgeber erhellen. Bereits im Ursprung der Verkehrsrechtsgesetzgebung, dem Kraftfahrzeuggesetz7, findet sich unter § 3 Abs. 2 KFG eine ganz ähnliche Formulierung im Zusammenhang mit der Fahrschulausbildung: „Bei den Übungs- und Probefahrten, die gemäß der Vorschrift des Abs. 1 stattfinden, gilt im Sinne dieses Gesetzes der Begleiter als Führer des Kraftfahrzeugs.“
Bereits der vorkonstitutionelle Gesetzgeber übertrug die Fahrzeugführereigenschaft auf Personen, die nicht selbst Steuerungseingriffe vornahmen. Entsprechend war die (rechtliche) Fahrzeugführung bereits 1909 nicht (ausschließlich) mit der tatsächlichen Bedienung der Steuerelemente des Kraftfahrzeugs verknüpft. Dies wirft die Frage auf, ob der (historische) Gesetzgeber überhaupt den Leitgedanken des „aktiven Fahrers“ prägte oder ob dieser von der Rechtsprechung entwickelt wurde. Dies macht eine (historische) Betrachtung der verkehrsspezifischen Tatbestandsmerkmale des Strafgesetzbuchs wie das Führen8 bzw. der Fahrzeugführer9 und das Fahren10 als auch das zulassungsrechtliche Inbetriebsetzen11 unentbehrlich. 4
BR-Drs. 69/17 v. 27. 01. 2017, S. 14. BR-Drs. 69/17 v. 27. 01. 2017, S. 7. 6 Vgl. Lutz/Tang/Lienkamp, NZV 2013, 57, 57; Gasser, DAR 2015, 6, 10. 7 Abkürzung u. a. nach Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 238. 8 Heute u. a. § 315c Abs. 1 Nr. 1, § 316 Abs. 1 StGB. 9 Heute u. a. § 315d Abs. 1 Nr. 2 u. 3 StGB. 10 Heute u. a. § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b), c), d) u. f) StGB.
5
A. Die historischen (straf-)verkehrsrechtlichen Termini
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A. Die historischen (straf-)verkehrsrechtlichen Termini Wie aufgezeigt, ist der Begriff des Führens eines Kraftfahrzeugs bzw. des Kraftfahrzeugführers keine Schöpfung des nachkonstitutionellen Gesetzgebers. Diese entstammen, wie weitere tragende Begrifflichkeiten des Straßenverkehrsrechts, dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Seitdem sind diese Tatbestandsmerkmale fester Bestandteil deutscher Straf- und Verkehrsgesetzgebung. Reichsübergreifend fand mit dem Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 03. Mai 190912 das „Führen“13, der „Führer“14 und das „in Betrieb setzen“15 eines Kraftfahrzeugs Eingang in die Reichsgesetzgebung. Teil des Kraftfahrzeuggesetzes waren gleichsam erste Strafvorschriften.16 Bereits hierbei wurde um eine dezidierte Begriffswahl gerungen.17 Schließlich sprachen einige Polizeiverordnungen auch von der sog. „Leitung“ von Fuhrwerken und Kraftfahrzeugen.18 Eine einheitliche Begriffsverwendung war daher geboten. Natürlich wurden zunächst die Vorschriften für den Fuhrwerksverkehr sinngemäß19 auf das Kraftfahrzeug angewendet. Es blieb aber auch nicht aus, spezielle Vorschriften für Kraftfahrzeugführer in die bestehenden Straßenordnungen zu integrieren. Damit fand die Begrifflichkeit des Kraftfahrzeugführers neben dem Reiter und Fuhrwerk (teilweise wurde auch der Fuhrwerkslenker als Führer bezeichnet)20 schnell Eingang in die deutsche Gesetzessprache. Sicherlich ist den nachfolgenden Zeilen vorwegzunehmen, dass die Einbettung der verkehrsrechtlichen Termini im Kraftfahrzeuggesetz von 1909 auch auf Begriffsübernahmen aus den bestehenden Polizeiverordnungen zurückzuführen ist. Es 11
Heute u. a. § 1 Abs. 1 S. 1 StVG. RGBl. 1909, Nr. 26 v. 03. 05. 1909, S. 437 ff. 13 RGBl. 1909, Nr. 26 v. 12. 05. 1909, S. 437, u. a. §§ 2 Abs. 1 S. 1, 23 Abs. 1 S. 1 KFG. 14 RGBl. 1909, Nr. 26 v. 12. 05. 1909, S. 437, u. a. §§ 2 Abs. 2, 22 S. 1 KFG. 15 RGBl. 1909, Nr. 26 v. 12. 05. 1909, S. 437, § 1 Abs. 1 KFG: Kraftfahrzeuge, die auf öffentlichen Wegen oder Plätzen in Betrieb gesetzt werden sollen, müssen von der zuständigen Behörde zum Verkehre zugelassen sein. 16 RGBl. 1909, Nr. 26 v. 12. 05. 1909, S. 442 ff.; zur Historie der Gesetzesvorlage insb. zur Einbeziehung von Strafvorschriften siehe weiterführend Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 272 unter Fn. 86. 17 Bspw. siehe Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 249 ff.; vgl. Isaac, Das Recht des Automobils, S. 141. 18 Vgl. Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 270; Fack, Automobil, S. 168 f.; siehe bspw. §§ 29 ff. der Berliner Straßen-Polizeiverordnung v. 25. 01. 1917, in: Berliner Straßen-Polizeiverordnung v. 25. 01. 1917, S. 17 ff.; § 30 Berliner Straßenverkehrsordnung v. 15. 01. 1929, in: Berliner Straßen-Polizeiverordnung v. 25. 01. 1917, S. 37; Levin-Stölping spricht 1904 von der „Leitung des Betriebes“ eines Kraftfahrzeugs, in: Levin-Stölping, Jahrbuch der Automobil- und Motorboot-Industrie, S. 425. 19 Die Berliner Strassenverkehrsordnung und der Automobilverkehr, ZMMV 1912, 21, 21. 20 Vgl. Die Straßenordnung für den Stadtkreis Berlin v. 31. 12. 1899 i. d. F. v. 23. 01. 1911, in Auszügen abgedruckt in: ZMMV 1912, 21, 21 ff. 12
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5. Kap.: Das historische Dogma des „aktiven Fahrers“
wurden schlicht keine „neuen“ Rechtsbegriffe geschaffen, sondern diese vor allem aus dem gebräuchlichen Sprachjargon der Zeit und den existierenden Rechtsvorschriften entnommen. Insofern reicht sowohl die sprachliche als auch die gesetzgeberische Entstehungsgeschichte wesentlich weiter als bis in das Jahr 1909 zurück.21 Gleichwohl darf die Verwendung der straßenverkehrsrechtlichen Termini nicht als naturwüchsig abgewertet werden. Schließlich hat der Gesetzgeber erstmals anhand der gegebenen sprachlichen Möglichkeiten bewusst die verschiedenen Begriffe als Rechtstermini gebraucht und zur Abgrenzung und zur grundlegenden Reglementierung der Straßenverkehrszustände aktiv eingesetzt.22 Die damit einhergehende historische Auslegung, von deren Anhaften sich auch die heutigen Gesetzestexte nicht gänzlich freisprechen können, ist somit auch für die heutige Auslegung nicht unerheblich. So wirkt, obwohl die Materie des Straßenverkehrsrechts 1909 sozusagen noch in den Kinderschuhen steckte, die Verwendung der drei verkehrsrechtsspezifischen Termini im Kraftfahrzeuggesetz bereits routiniert und geflissentlich. So wundert es auch nicht, dass die differenzierte Verwendung dieser Tatbestandsmerkmale bis heute rechtsdogmatisch erhalten blieb.
I. Das Führen eines Kraftfahrzeugs im Kraftfahrzeuggesetz Der Natur der Sache nach wurde das Führen eines Kraftfahrzeugs um 1909 ausschließlich als aktive und eigenverantwortliche Tätigkeit der den Steuerungsprozess in den Händen haltenden Person verstanden.23 Die Übernahme der Führungsaufgabe war damals weit mehr als heutzutage mit einer (intensiven) körperlichen Betätigung verbunden. Es wundert daher nicht, dass der Terminus des Führens wie selbstverständlich vom Kraftfahrzeuggesetz im Zusammenhang mit dem aktiven Fahrzeugführungsprozess gebraucht wird. Dies spiegelt sich auch in der Definition des Führerbegriffs wieder, welcher damals faktisch synonym verwendet wurde. Diese im Kraftfahrzeuggesetz angelegte Deutung wurde von der vorkonstitutionellen Rechtsprechung aufgegriffen, sodass Führer war, „wer unter eigener Verantwortung das Fahrzeug leitet, das heißt diejenigen Verrichtungen ausführt, die erforderlich sind, damit die bestimmungsmäßigen Triebkräfte des Fahrzeugs auf dieses zwecks Fortbewegung einwirken.“24
21
Vgl. Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 238; weiterführend zur Gesetzgebung vor der Jahrhundertwende Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 185 ff.; Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 187 ff. u. 193 ff. 22 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 249 ff. 23 Bspw. Isaac, Das Recht des Automobils, S. 141 ff. u. 155, der bereits zu den Grundzügen betreffend den Verkehr mit Kraftfahrzeugen keine Deutung des Begriffs Führer vornimmt. 24 BayObLG HRR 1929, 1194, 1194; Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 2, Erl. B. I.; Hans. OLG DAR 1931, 47, 47; OLG Dresden DAR 1932, 269, 269.
A. Die historischen (straf-)verkehrsrechtlichen Termini
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Resultat war die Gleichstellung des Begriffs des Kraftfahrzeugführers mit dem der Kraftfahrzeugführung, sodass derjenige, der die Leitung des Fahrzeugs innehatte, dem Rechtsverständnis nach Fahrzeugführer war. Unumstößlicher Anknüpfungspunkt war die Lenkung und Handhabung der Maschine, also die Steuerung des Kraftfahrzeugs:25 „[…] [Die] Person, die in Wirklichkeit die Maschine des Kraftwagens gehandhabt und den Wagen gelenkt hat, ist als Führer anzusprechen […].“26
Schließlich hielt derjenige, der die Lenkung übernahm, die tragende Verantwortung für die Bedienung des Kraftfahrzeugs in den Händen.27 Ganz so einfach, wie die vorangegangenen Zeilen suggerierten, machte es sich der vorkonstitutionelle Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung gleichwohl nicht. Zwar blieben diesen aufgrund des unzureichenden Forschungsstands die psychischen Vorgänge der Fahrzeugführung verborgen. Dennoch wurde schon damals erkannt, dass sich das Führen nicht auf die körperliche Vornahme der Stelleingriffe beschränken muss. So wurde sich schon in vorkonstitutioneller Zeit mit der Frage befasst, wer bei der Bedienung durch mehrere Personen oder bei einer weisungsgebundenen Ausübung der Steuerungstätigkeit das Fahrzeug führte. Es setzte sich schließlich die enge Auffassung durch, die eine Teilung der Verantwortung für den Führungsprozess – anders als die heutige Rechtsprechung28 – ablehnte.29 Schließlich könne schlicht nur der Fortbewegungswille einer Person durch ein Fahrzeug umgesetzt werden: „Ist die Wahrnehmung der erwähnten Verrichtungen unter mehrere geteilt, so ist Führer, wessen Weisungen die anderen zu folgen haben; Teilung der Verrichtung auf verschiedene Personen dergestalt, daß diese alle einander gleichstehen, ist nicht möglich, weil der Mechanismus des Fahrzeugs in der Gesamtheit seiner Auswirkungen nur einheitlich gehandhabt werden kann; […].“30
Zugleich wurde damit die Frage, wer bei einer weisungsgebundenen Fahrzeugführung die Führungstätigkeit ausübte, beantwortet. Die vorkonstitutionelle Rechtsprechung beschränkte das Führen nicht auf das physische Element, sondern 25
v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 13 m. w. N. RGZ 90, 157, 158. 27 v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 14 m. w. N.; vgl. in der nachkonstitutionellen Rspr. KG VRS 12 (1957), 110, 113; Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 2, Erl. B. I.; RGZ 90, 157, 158; vgl. u. a. BayObLG HRR 1929, 1194, 1194. 28 BGHSt 13, 226, 227; 36, 341, 344; OLG Hamm VRS 37 (1969), 281, 281; BayObLG NJW 1984, 878, 878 f.; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 14; Eisele, JA 2007, 168, 168; LKStGB/König, § 315c, Rn. 37 m. w. N. 29 U. a. BayObLG HRR 1929, 1194, 1194; BayObLG, U. v. 23. 06. 1925 – I Nr. 215/25, m. zust. Anm. Witte, JW 1926, 2201; v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 14; sich selbst widersprechend Isaac/Sieburg, Automobilgesetz, S. 98 u. 434; dies offen lassend RGZ 90, 157, 158. 30 Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 2, Erl. B. I. m. w. N. auch bzgl. der a. A. 26
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5. Kap.: Das historische Dogma des „aktiven Fahrers“
erkannte die Verantwortung für den Fahrprozess als (weiteren) elementaren Anknüpfungspunkt. Diese Verantwortung konnte nicht allein durch die Vornahme unmittelbarer Stelleingriffe, sondern auch durch das Innehaben der Bestimmungsmacht31 für den Fahrprozess ausgefüllt werden: „Wenn trotzdem Rechtslehre und Rechtsprechung von der Einheit der Führerperson ausgehen, so wird das entscheidende Gewicht auf das Begriffsmerkmal der ,Verantwortung‘ gelegt […].“32
Maßgeblich war, wer seinen konkreten Fortbewegungswunsch unmittelbar umzusetzen vermochte; egal ob durch (teilweise) eigenhändige Bedienung oder durch die Hand weisungsgebundener Personen. Mit anderen Worten führte derjenige das Fahrzeug, der sich die Fortbewegungskräfte des Kraftfahrzeugs zu Nutze machen konnte. Lediglich wenn fraglich war, welche der Personen die Fahrzeugführung innehatte, wurde auf die Vornahme der physischen Tätigkeiten abgestellt: „Im Zweifel ist Führer, wer das Lenkrad bedient […].“33
Im Ergebnis konnte zwar die physische Führungstätigkeit der Fahrzeugführung geteilt werden – die Verantwortung für den Fahrprozess jedoch nicht.34 Die Führungsverantwortung konnte auch allein rechtlich übertragen sein. Dies war etwa bei der gemäß § 3 Abs. 2 KFG statuierten Fiktion der überwälzten Fahrzeugführung auf den Fahrlehrer, deren rechtsdogmatische Notwendigkeit nicht vertieft werden soll,35 der Fall: „Bei den Übungs- und Probefahrten, die gemäß der Vorschrift des Abs. 1 stattfinden, gilt im Sinne dieses Gesetzes der Begleiter als Führer des Kraftfahrzeugs.“
Im Kern wurde in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, wenngleich sicherlich unwissentlich, eine dezidierte Unterscheidung zwischen dem intellektuellen Element der Kraftfahrzeugführung und der physischen Steuerungsübernahme etabliert. 1. Die Strafvorschriften des Kraftfahrzeuggesetzes Das eng auszulegende, tätigkeitsbezogene Führen fand sich in den strafrechtlichen Vorschriften des Kraftfahrzeuggesetzes wieder. Dieses prägte die Vorstellung, 31
U. a. Hans. OLG DAR 1931, 47, 47; vgl., wenn auch nicht ausdrücklich RGZ 90, 157, 158; a. A. v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 14, die den Führer mit Ausnahme der Fiktion des Fahrlehrers gem. § 3 Abs. 2 KFG im Lenker erblicken; vgl. in der nachkonstitutionellen Rspr. KG VRS 12 (1957), 110, 113. 32 BayObLG HRR 1929, 1194, 1194. 33 Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 2, Erl. B. I. m. w. N. aus der Rspr. 34 v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 14 f., der m. V. a. BayObLG HRR 1929, 1194, 1194 im Falle dessen, dass die Bedienenden sich gegenseitig bei der Ausführung ihrer Entschlüsse stören, von mehreren Führern ausgeht. 35 Vgl. v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 13.
A. Die historischen (straf-)verkehrsrechtlichen Termini
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dass das Führen eines Kraftfahrzeugs die konkret willensgesteuerte tatsächliche Nutzbarmachung der Antriebskräfte (Verantwortung) erforderte.36 Dies ergab sich aus § 23 Abs. 1 S. 1 KFG37: „Mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Monaten wird bestraft, wer auf öffentlichen Wegen und Plätzen ein Kraftfahrzeug führt, das nicht von der zuständigen Behörde zum Verkehr zugelassen ist.“
und § 24 Abs. 1 KFG38: „Mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Monaten wird bestraft: 1. wer ein Kraftfahrzeug führt, ohne einen Führerschein zu besitzen; 2. wer ein Kraftfahrzeug führt, obwohl ihm die Fahrerlaubnis entzogen ist; […].“
Natürlich wurde dabei primär zunächst auf die physische Übernahme der Stelleingriffe abgestellt, unabhängig davon, ob der Führende eine entsprechende Berechtigung besaß. Als Sonderdelikte wurden die Strafvorschriften gleichwohl nicht verstanden: „Insbesondere ist Führer, wer das Fahrzeug tatsächlich führt, ohne Rücksicht, ob er der gewöhnlich mit der Führung Betraute, ob er Halter ist und ob er die behördliche Fahrerlaubnis hat. – Beginn der Führertätigkeit, Ingangsetzen der Maschine mit dem Ziel der Fortbewegung des Fahrzeugs, genügt.“39
Das Führen würde also als tätigkeitsbezogenes Tatbestandsmerkmal verstanden, war mithin nur erfüllt, wenn der Täter im Zeitpunkt der Tat die Leitung über das Kraftfahrzeug tatsächlich ausübte oder potenziell innehatte.40 2. Die Fahrerlaubnispflicht im Kraftfahrzeuggesetz Ebenso ergab sich eine Einschränkung der Führungstätigkeit aus der Erlaubnispflicht für das Führen von Kraftfahrzeugen. So bedurfte gemäß § 2 Abs. 1 KFG:
36 Vgl. BayObLG HRR 1929, 1194, 1194: „Führer eines Kraftfahrzeugs ist, wer unter eigener Verantwortung das Fahrzeug leitet, d. h. die Verrichtungen ausführt, die erforderlich sind, damit die bestimmungsmäßigen Triebkräfte des Fahrzeugs zwecks Fortbewegung einwirken. […] Daß sie [die Verrichtungen], eben wegen ihrer Vielheit, tatsächl. von verschiedenen Personen vorgenommen werden können, […], läßt sich nicht bezweifeln. […] Denkbar ist es aber immerhin, daß bei einer Fahrt über eine kürzere Strecke mehrere Personen sich in die Verrichtungen teilen, wobei natürlich die Möglichkeit besteht, daß der eine durch Ausführung seiner Willensentschlüsse jederzeit die Durchführung der Entschlüsse des anderen stört oder verhindert […]“; vgl. v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 13 ff. 37 RGBl. 1909, Nr. 26 v. 12. 05. 1909, S. 443. 38 RGBl. 1909, Nr. 26 v. 12. 05. 1909, S. 443. 39 Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 23, Erl. B. II. a). 40 U. a. Hans. OLG DAR 1929, 47, 47.
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5. Kap.: Das historische Dogma des „aktiven Fahrers“
„[wer] auf öffentlichen Wegen und Plätzen ein Kraftfahrzeug führen will, […] der Erlaubnis der zuständigen Behörden. […] [Sie] ist zu erteilen, wenn der Nachsuchende seine Befähigung durch eine Prüfung dargetan hat und nicht Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.“
Der Schutzzweck des § 2 Abs. 1 KFG bestand darin, die Verkehrsteilnehmer vor „Führern“ zu schützen, die aufgrund von körperlichen oder geistigen Mängeln „zum Führen nicht geeignet“ sind.41 Auch wenn dabei die Begriffe Führer und Führen vermengt wurden, ergab sich, dass die Fahrerlaubnis entscheidend von der sicheren Bewältigung der Arbeitsaufgabe der Kraftfahrzeugführung abhing. Der Führerschein war also Mittel zum Zweck, die körperliche als auch geistige Eignung für die Übernahme der Führungstätigkeit nachzuweisen.42 Entsprechend fand sich dieses „aktive“ Verständnis der Fahrzeugführung nicht nur in § 3 Abs. 1 S. 1 KFG: „Wer zum Zwecke der Ablegung der Prüfung (§ 2 Abs. 1 Satz 2) sich in der Führung von Kraftfahrzeugen übt, […]“,
sondern auch in der Rechtsprechung wieder, die festzustellen vermochte, dass: „[…] die sichere Führung eines Kraftfahrzeuges in ganz besonders hohem Maße die Fähigkeit erfordert, die geistigen und körperlichen Kräfte anzuspannen […].“43
Dies verdeutlicht, dass das Führen nicht allein tätigkeitsbezogen verstanden wurde, sondern sich in einen intellektuellen und physischen Aufgabenbereich aufspaltete – sich als zielgerichtete Tätigkeit darstellte.44 Diesem Verständnis folgend, konnte das Führen in der vorkonstitutionellen Rechtsprechung allein vorsätzlich begangen werden.45
II. Der Kraftfahrzeugführer im Kraftfahrzeuggesetz Der Begriff des Kraftfahrzeugführers war hingegen bereits im Kraftfahrzeuggesetz über das Führen hinaus mit einem weitgehenderen Pflichtenkanon verbunden. Dieser umfasste Pflichten, die abseits der konkreten Führungstätigkeit zu erfüllen waren. Die (Kraft-)Fahrzeugführereigenschaft umrahmte bildlich gesprochen die Führungstätigkeit.46 Unstrittig war derjenige Führer, der das Fahrzeug führte,47 also
41 42 43 44 45 46 47
Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 2, Erl. A.; vgl. BayObLG HRR 1929, 1194, 1194. So auch nachkonstitutionell OLG Stuttgart DAR 1963, 358, 359. RGSt 69, 364, 365. U. a. Irmscher, in: Jürgensohn/Timpe, Kraftfahrzeugführung, S. 121. Vgl. zur nachkonstitutionellen Rspr. OLG Stuttgart DAR 1963, 358, 359. v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 13 u. 91. Isaac/Sieburg, Automobilgesetz, S. 433 f.
A. Die historischen (straf-)verkehrsrechtlichen Termini
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das Fahrzeug in eigener Verantwortung bewegte.48 Die tatsächliche Bedienung der Steuervorrichtungen musste – wie § 3 Abs. 2 KFG belegt – entsprechend nicht für die Qualifikation als Kraftfahrzeugführer vorliegen: „Er [der Begleiter bzw. Fahrlehrer] hat also alle Pflichten, die das KFG oder die Ausführungsbestimmungen dem Führer auferlegen. Das gilt von der strafrechtlichen, wie von der zivilrechtlichen Verantwortung. […] [So ist] für die Beachtung der besonderen, den Führer als solchen treffenden Ge- und Verbote der Lehrer strafrechtlich verantwortlich […].“49
Darüber hinaus überdauerte die Fahrzeugführereigenschaft die Führungstätigkeit. Sie ging selbst dann nicht verlustig, wenn es dem Kraftfahrzeugführer zwischenzeitlich aus tatsächlichen Gründen, bspw. aufgrund seines Einschlafens, nicht möglich war, die Führungstätigkeit fortzuführen: „[…] Ließ er den Zustand des Schlafs bei seiner ihm obliegenden Verrichtung als angestellter Kraftwagenführer eintreten, wie er es festgestelltermaßen getan hat, so setzte er damit die Aufmerksamkeit außer Augen, zu welcher er nach den Umständen, seiner Fahrt auf offener Straße, und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet und imstande war, und vernachlässigte seine Vorsichtspflichten, wodurch er den strafbaren Erfolg herbeiführte. […].“50
Zudem reichte der Pflichtenkreis des Kraftfahrzeugführers über das Anlassen der Maschine zum Zwecke der Fortbewegung51 und deren Stillstand, mithin das Führen, hinaus: „Danach beginnt die Tätigkeit als Führer nicht erst mit dem Beginn der bestimmungsgemäßen Bewegung des Fahrzeugs, hervorgerufen durch Einwirkung der bestimmungsmäßigen Triebkräfte, und endet nicht schon mit dem Stillstand der Maschine; als Beginn der Führertätigkeit muss vielmehr im Sinne jener Ausführungen über den Betriebsbegriff hinaus der Augenblick gelten, wo das Fahrzeug bereitsteht, die bestimmungsmäßigen Triebkräfte zwecks Fortbewegung auf sich einwirken zu lassen und der Lenker auf dem Platz des Führers bereitsitzt mit der (ggf. aus den Umständen zu entnehmenden) Absicht, das Fahrzeug mittels der bestimmungsmäßigen Triebkräfte in Bewegung zu setzen. […] Als Ende der Führertätigkeit ist der Zeitpunkt anzusehen, in dem das Fahrzeug nach Stilllegung der Maschine zum Stillstand kommt (Auslaufen gehört zum Betrieb!) oder in dem bei dem während des Ganges des Motors zum Stillstand gekommenen Fahrzeug der Motor festgesetzt wird.“52
Die Kraftfahrzeugführereigenschaft endete und begann also nicht erst mit der tatsächlichen Nutzbarmachung der Antriebskräfte. Dies bestätigte das Reichsgericht 48
U. a. Hans. OLG DAR 1931, 47, 47; Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 2, Erl. B. I.; BayObLG HRR 1929, 1194, 1194; OLG Dresden DAR 1932, 269, 269; v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 14. 49 Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 3, Erl. D. 50 RGSt 60, 27, 29. 51 Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 23, Erl. B. II. a). 52 Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 2, Erl. B. I.
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5. Kap.: Das historische Dogma des „aktiven Fahrers“
1937, als es bei einem Möbelwagen-Anhänger, der vom Täter am Straßenrand abgestellt wurde, diesem die Kraftfahrzeugführereigenschaft bis zur Abholung zusprach: „[…] Die Strafkammer folgert aus ihren Feststellungen auch mit Recht, daß er die Verantwortlichkeit als Führer bis zum Zurückbringen des Wagens zum Wagenplatze gehabt habe. […].“53
Des Weiteren ist der Kraftfahrzeugführer im Kraftfahrzeuggesetz an Stellen anzutreffen, die mit den Pflichten der Fahrzeugführungstätigkeit in keinem unmittelbaren Zusammenhang standen. Beispielhaft dafür stand die Mitführungspflicht des Führerscheins gemäß § 2 Abs. 2 KFG: „Den Nachweis der Erlaubnis hat der Führer durch eine Bescheinigung (Führerschein) zu erbringen.“
Ebenso oblag es dem Pflichtenkreis des Fahrzeugführers, sein Fahrzeug vor Aufnahme der Fahrtätigkeit auf dessen Verkehrs- und Betriebssicherheit zu prüfen und gegebenenfalls erforderliche Nachbesserungen vorzunehmen:54 „[…] Nach dem § 5 Abs. 3 Satz 2 StrVerkO i. Verb. m. der AusfAnw. I dazu ist zwar der Führer dafür verantwortlich, daß sich das Fahrzeug in verkehrs- und betriebssicherem Zustande befindet; er hat namentlich für die ordnungsmäßige Beleuchtung zu sorgen. […].“55
Darüber hinaus treffen den Fahrzeugführer im Unglücksfall gesteigerte Pflichten, die in der umgangssprachlich pönalisierten „Fahrerflucht“ nach § 22 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 KFG zum Ausdruck kamen: „Der Führer eines Kraftfahrzeugs, der nach einem Unfalle (§ 7) es unternimmt, sich der Feststellung des Fahrzeugs und seiner Person durch die Flucht zu entziehen, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängnis bis zu zwei Monaten bestraft. […] Verläßt der Führer des Fahrzeugs eine bei einem Unfalle verletzte Person vorsätzlich in hilfloser Lage, so wird er mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft.“
Im Ergebnis stellte bereits das Kraftfahrzeuggesetz auf zwei Pflichtenkreise – den des Kraftfahrzeugführenden (ausschließlich aktiv geprägt; Verantwortung für den Fahrprozess) und den des Kraftfahrzeugführers (obligatorisch), der den Pflichtenkreis des Kraftfahrzeugführenden überschneidet – ab. Die Folge dessen war, dass die unmittelbare Ausübung der Steuerungstätigkeit nicht zwingend für die Qualifikation des Fahrzeugführers vorausgesetzt wurde.
53
RGSt 71, 182, 184. Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 21, Erl. C. II. d); v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 91. 55 RGSt 71, 182, 183. 54
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III. Das „In Betrieb setzen“ im Kraftfahrzeuggesetz Eine weitere rechtliche Differenzierung wird mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal „in Betrieb setzen“, über dessen Auslegung seit den Aussprachen zum Gesetzesentwurf des Kraftfahrzeuggesetzes gestritten bzw. keine zweifelsfreie Einigkeit hergestellt wurde56, deutlich. Wurde dieses Tatbestandsmerkmal zunächst als den Kraftwagen dem Verkehr auf öffentlichen Plätzen und Wege übergeben definiert57, wandelte sich die Definition nach 1909 fortwährend. Unstrittig scheint einzig, dass der Fahrzeugführungsprozess von der Inbetriebnahme umfasst war.58 Anderes gilt für alle darüber hinausgehenden Handlungen und Nutzungen.59 Von der Literatur wurde zunächst eine eng umrissene, (maschinen-)technische Auslegung bevorzugt.60 Ein Inbetriebsetzen lag demnach immer dann vor, „wenn und solange die Fortbewegung dienende Kraft wirksam ist“61, also entweder der Motor des Fahrzeugs lief oder sich das Fahrzeug aufgrund der Nachwirkung der Antriebskräfte des Motors noch in Bewegung befand.62 Entscheidend für diese Auffassung war, ob die bestimmungsgemäßen Triebkräfte des Fahrzeugs ihre Wirkung entfalteten.63 Auf eine Fortbewegungs- oder Beförderungsabsicht kam es für die (maschinen-)technische Auffassung nicht an.64 Später wurde die Auffassung auf die „eigentümliche“ Fortbewegung des Kraftfahrzeugs durch fremde Kräfte, bspw. die Schwerkraft, ausgedehnt, soweit der Führer das Kraftfahrzeug lenkte und sich dazu kraftfahrzeugeigentümlicher Maschinenteile (bspw. Kardanwelle oder Getriebe) bediente.65 Zudem wurden die Vorbereitungshandlungen und Verrichtungen, die zur Betriebstätigkeit (oder deren Beendigung) erforderlich waren, vom Rechtsbegriff des Inbetriebsetzens erfasst.66 Diese Auslegung angewandt, endet der Betrieb eines 56 Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 282 f.; Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 1, Erl. B. I.; Isaac/Sieburg, Automobilgesetz, S. 126 f. mit weitreichenden Auslegungsüberlegungen. 57 Isaac, Das Recht des Automobils, S. 93. 58 OLG Dresden DAR 1932, 269, 269. 59 Vgl. v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 13. 60 Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 283; dazu u. weiterführend Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 1, Erl. B. II.; siehe u. weiterführend zu den daneben existenten verkehrstechnischen und wirtschaftlichen Auffassungen v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 6 ff. m. w. N.; ebenso und ausf. Isaac/Sieburg, Automobilgesetz, S. 127, 129 f. u. insb. 133. 61 Oberländer/Betzold, Das Automobilrecht, S. 88, zitiert in: v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 6. 62 Isaac/Sieburg, Automobilgesetz, S. 133. 63 Zum Gesamten v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 6 f. m. w. N.; Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 283; Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 23, Erl. B. II. a); Isaac/Sieburg, Automobilgesetz, S. 95, 127 u. 129 f. 64 v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 7 u. 10 m. w. N. 65 v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 7 f.; vgl. Isaac/Sieburg, Automobilgesetz, S. 98, 127 u. 133 m. w. N. 66 v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 7; vgl. Isaac/Sieburg, Automobilgesetz, S. 129, 131 f. u. 134; verneinend, soweit das Ankurbeln des Motors allein der allgemeinen Prüfung und nicht der Vorbereitung einer zeitnah erfolgenden Fahrt dient SächsOLG 35, 134, 135 f.
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5. Kap.: Das historische Dogma des „aktiven Fahrers“
Kraftfahrzeugs nicht schon mit dem Abstellen der Maschine, sondern erst mit dem Erliegen der eigentümlichen Selbstbewegung des Kraftfahrzeugs.67 Dementgegen ging die Rechtsprechung frühzeitig wesentlich weiter und legte von Anfang an unter ausdrücklicher Ablehnung der (maschinen-)technischen Auffassung68 ein verkehrstechnisches Verständnis zugrunde.69 Dies stellte u. a. das Bayerische Oberlandesgericht 1926 heraus: „Das ObLG. hat auch schon in früheren Entsch. […] den freieren Standpunkt vertreten, daß es bei der Frage, ob ein Kraftwagen sich im Verkehre befindet, darauf ankommt, ob der Zweck, den der Führer mit seiner Fahrt erreichen will, erfüllt ist oder nicht.“70
Das Reichsgericht folgte ebenfalls der verkehrstechnischen Auffassung und erklärte in seinen Urteilen aus dem Jahr 191271 (hier zitiert) und 192972 ausdrücklich: „Zweifellos war der mitten auf der Fahrstrecke [ohne laufenden Motor] zum Stillstehen genötigte Wagen noch im Betriebe. Auch erscheint alles, was daraufhin geschah, um die unterbrochene Weiterfahrt aufzunehmen, wenigstens äußerlich als ein dem Betriebe des Wagens dienender Vorgang.“73
und konkretisiert in einem weiteren Urteil noch 1929: „[…] [Es] lässt sich […] wohl [nicht] in Abrede stellen, daß das Absteigen des Führers zum Betrieb eines Kraftfahrzeugs gehört. Denn ein solches Absteigen stellt einen notwendigen Betriebsvorgang dar, der sich aus dem Gesamtbetrieb nicht herauslösen lässt.“74
Ergänzend hielt das Reichsgericht 1934 fest: „[…] Das Vergehen der unbefugten Ingebrauchnahme eines Kraftfahrzeugs war zwar in dem Augenblick vollendet, in dem der Angeklagte, um ihn zum Fahren zu benutzen, den Kraftwagen […] in Betrieb gesetzt, den Motor in Gang gebracht hat. […] Der Ausdruck ,in Gebrauch nimmt‘ will nicht nur den Beginn des Gebrauchens, sondern die ganze Gebrauchsanmaßung bezeichnen […] Im Fahren mit dem Kraftwagen bestand […] das unbefugte Gebrauchen.“75
An dieser Stelle sei nicht verschwiegen, dass die VI. Zivilkammer des Reichsgerichts bereits 1916 klarstellte, dass nicht allein die Nutzung der Motorkräfte ein Inbetriebsetzen darstelle. Im Konkreten waren schadensbringende Schreckeffekte, 67
v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 8. BayObLG JW 1927, 2812, 2813. 69 Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 283; v. Hellingrath/Michel, Kraftfahrrecht, S. 9; u. a. RGZ 77, 348, 351; 95, 185, 186 f.; RG JW 1912, 650, 650; BayObLG JW 1927, 2812, 2813; vgl. RGZ 122, 270, 271 f.; RG JW 1929, 912, 912; 1929, 2055, 2055. 70 BayObLG JW 1927, 2813, 2813. 71 RG JW 1912, 650, 650. 72 RG JW 1929, 2055, 2055. 73 RG JW 1912, 650, 650. 74 RGZ 126, 333, 336. 75 RGSt 6, 216, 217. 68
A. Die historischen (straf-)verkehrsrechtlichen Termini
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die sich aus dem lauten Knallen beim Öffnen der Auspuffklappe bei den übrigen Verkehrsteilnehmern einstellen, als aus dem Inbetriebsetzen hervorgerufene Schäden anerkannt.76 Die notwendigen Verrichtungen, die zur Nutzung des Kraftfahrzeugs anfielen, gehörten ebenso zum Betrieb wie die primäre Nutzung der Antriebskräfte. Beispielhaft gehörten das Tanken, das Ein- und Aussteigen als auch das Parken des Kraftfahrzeugs dazu77: „Ein zu einer Rundfahrt benutzter Kraftwagen war auch z. Z. seines vorübergehenden Stillstandes im Betriebe. […] Das RG hat wiederholt ausgesprochen, daß die Abkurbelung des Motors, das Aufhören der Maschine im technischen Sinne nicht gleichbedeutend ist mit einer Außerbetriebsetzung des Fahrzeugs selbst, daß nunmehr bei Wiederankurbelung des Motors eine neue Inbetriebsetzung des Fahrzeugs […] anzunehmen wäre. […] Stand der Wagen daher bei einem solchen Kundenbesuch [im Rahmen einer Rundfahrt] auch mit abgekurbelten Motor still, ehe er aus unbekannter Ursache ins Rollen kam, so ist der […] durch das Fahrzeug zugefügte Schaden […] bei dessen Betriebe […] entstanden.“78
Erst wenn das Fahrzeug in völlige Betriebsruhe versetzt wurde, lag nach ständiger Rechtsprechung keine Inbetriebnahme mehr vor.79 In Folge dessen war das Inbetriebsetzen in der späteren Rechtsprechung des Reichsgerichts von 1942 nicht von der Nutzung der Antriebskräfte abhängig. Sie stellte stattdessen auf das darüber hinausgehende Gefährdungspotenzial eines jeden Kraftfahrzeugs ab: „Bei Erörterung der Haftung des Klägers aus § 7 KFG. geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, daß der Zusammenstoß zwischen dem Zug und dem Lastkraftwagen beim Betriebe des Wagens im Sinne des § 7 KFG. stattgefunden hat. Zwar konnte der Wagen zur Zeit des Zusammenstoßes nach dem Abreißen der Saugluftleitung mit eigener Kraft nicht mehr bewegt werden; aber er war von E. bis zur Unfallstelle gefahren worden, wo er dergestalt einsank, daß er mit dem rückwärtigen Aufbau in den Eisenbahnkörper hineinragte. Damit war beim Betrieb des Wagens die fortwirkende Ursache zum Zusammenstoß gesetzt worden. Solchenfalls ist der Unfall als beim Betrieb des Kraftfahrzeugs geschehen anzusehen. Daß noch im Augenblick des schädigenden Ereignisses die Antriebskraft auf die Bewegung des Wagens wirken kann, ist bei dieser Sachlage nicht erforderlich. […] [Die] Schadensursache [wurde] durch den Kraftwagen gesetzt […], als er noch seiner Antriebskraft unterstand.80
Zusammenfassend wurde im Nachschlagewerk des Reichsgerichts zur Rechtsprechung des § 7 KFG beschrieben: 76 RG v. 19. 10. 1916 – VI 225/16, in: Nr. 2 des Nachschlagewerks des RG zu § 7 KFG, Nr. 13, zitiert nach Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 283. 77 Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 283; abl. Isaac/Sieburg, Automobilgesetz, S. 134. 78 RG JW 1929, 912, 912. 79 RGZ 122, 270, 271 f. m. w. N.; RGZ 126, 333, 334; krit. u. weiterführend zur Rspr. Müller, Straßenverkehrsrecht, KFG, § 1, Erl. B. I.; dem zust. Isaac/Sieburg, Automobilgesetz, S. 134. 80 RGZ 170, 1, 16.
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5. Kap.: Das historische Dogma des „aktiven Fahrers“
„Ist bei dem Betriebe eines Kfz eine verkehrsgefährdende Lage herbeigeführt worden, so ist ein darauf zurückzuführender Verkehrsunfall als beim Betrieb des Kfz geschehen anzusehen, wenn auch im Augenblick des Unfalls die Antriebskraft des Fahrzeugs nicht mehr bestand.“81
Der Gesetzgeber eröffnete diesen Interpretationsraum: Schließlich war dieser Terminus gesetzgeberisch mit der Zulassung, also der behördlichen Genehmigung der Verwendung von Kraftfahrzeugen auf öffentlichen Straßen und Plätzen, verknüpft, sodass ein Inbetriebsetzen wohl keine aktive Nutzung der Antriebskräfte voraussetzte, mithin auch beim Parken des Kraftfahrzeugs gegeben sein konnte (§ 1 Abs. 1 KFG82): „Kraftfahrzeuge, die auf öffentlichen Wegen oder Plätzen in Betrieb gesetzt werden sollen, müssen von der zuständigen Behörde zum Verkehre zugelassen sein.“
Zudem statuiert das Kraftfahrzeuggesetz eine Haftpflicht, die bereits dann greift, wenn beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs einer anderen Person ein Schaden zugefügt wurde. Das Schadensereignis musste – folgt man der Schutzintention des Gesetzgebers – gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 KFG nicht zwingend aus dem Fahrprozess heraus entstanden sein: „Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter des Fahrzeugs verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“
Dem folgte schließlich auch die Literatur, die das Inbetriebsetzen als einen inneren Vorgang des Kraftfahrzeughalters zum Ausdruck der Nutzbarmachung bezeichnete: „[…] wirtschaftlich bedeutet ,ein Fahrzeug betreiben‘, es im Rahmen des Unternehmens zu verwenden, ein Fahrzeug laufen zu lassen; technisch werden die Vorgänge getroffen, die durch die Einwirkung der Triebkräfte ausgelöst werden. […] [Wer] ein Fahrzeug in Betrieb setzen will – innerer Vorgang –, bedarf einer Zulassung zum Verkehr – Verhältnis nach außen –.“
B. Zwischenergebnis Zusammenfassend führte in den Anfängen der Verkehrsgesetzgebung und -rechtsprechung derjenige ein Kraftfahrzeug, der die Verantwortung und die Bestimmungsmacht über den Steuerungsprozess innehatte. Würden diese Maßstäbe auch heute Anwendung finden, wäre der Umgang mit (hoch- und voll-)automatisierten Fahrerassistenzsystemen sicherlich ein anderer. Eine Abgabe der Verantwortung des Fahrprozesses ginge mit der Entledigung des mit dem Führen ver81 RG v. 01. 07. 1942 – III 2/42, in: Nr. 96 des Nachschlagewerks des RG zu § 7 KFG, Nr. 13, zitiert nach Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 283. 82 RGBl. 1909, Nr. 26 v. 12. 05. 1909, S. 437.
B. Zwischenergebnis
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bundenen Pflichtenkreises einher. Gleichwohl würde aber ein Inbetriebsetzen zu bejahen sein. Letztlich bezeugt die historische Gesetzesbetrachtung den sich gewandelten Umgang mit den Verkehrsrechtstermini.
6. Kapitel
Darstellung und Analyse der Auslegungsund Spruchpraxis zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs Das Straßenverkehrsrecht ist Resultat einer jahrzehntelangen Entwicklung und (Rechts-)Fortbildung. Die sich wandelnden tatsächlichen Gegebenheiten als auch die Rechtsgestaltung schliffen das Straßenverkehrsrecht in seine heutige Form. Es ist kein Produkt des Augenblicks, sondern historisch gewachsenes Recht. Gleiches gilt für die Begrifflichkeiten, die wir heute in den verkehrsrechtlichen Gesetzen und in den Tatbeständen des Strafgesetzbuchs vorfinden. Freilich ist diese gewachsene Struktur nicht entwicklungsfeindlich. Es bleibt nicht aus, dass Neuerungen im Straßenverkehrswesen den Fortentwicklungsbedarf des Straßenverkehrsrechts – und insbesondere der hier betrachteten flankierenden Strafvorschriften des Strafgesetzbuchs – immer wieder entfachen. Entbrannte einst das Bedürfnis der Regelung des Straßenverkehrs aufgrund des Aufkommens des Automobils, setzt nun der technische Fortschritt der Automobilindustrie neue Impulse. Die Zulassung von hoch- und vollautomatisierten Fahrzeugen zum öffentlichen Straßenverkehr seit dem 21. Juni 20171 stellt das Straßenverkehrsrecht und Straßenverkehrsstrafrecht mitsamt deren grundlegenden Prinzipien auf die Probe. Damit trifft eine neue Form des Individualverkehrs auf eine Rechtsordnung und Spruchpraxis, die nicht nur durch das seit dem Kraftfahrzeuggesetz aus dem Jahr 1909 bestehende Dogma eines aktiven Fahrzeugführers, sondern auch von einer kasuistischen Strafrechtspraxis2 geprägt wurde. Diese Arbeit soll einen Beitrag zur Einordnung der mit der (neuen) Automatisierungstechnik einhergehenden neuen Verhaltensweisen leisten und Fragen der Strafbarkeit der Nutzung automatisierter Fahrzeuge einem Klärungsversuch zuführen. Dabei bleibt es nicht aus, die seit Jahrzehnten unangetastete Auslegungs- und Spruchpraxis der strafrechtlichen Tathandlung des Führens zu hinterfragen und eine Abgrenzung zwischen strafbarem Verhalten hinter dem Steuer und Technikfehlern andererseits herauszubilden. Die Klärung dessen, wann ein Fahrzeugführer sein Fahrzeug im Sinne der §§ 315c und 316 StGB führt und sich eben potenziell einer Strafbarkeit aussetzt, ist aus Gründen der Rechtssicherheit unentbehrlich. Dazu ist es 1 8. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, BGBl. Teil I, Nr. 38 v. 20. 06. 2017, S. 1648, 1648 ff. 2 Vgl. Zimmermann, JuS 2010, 22, 23.
6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
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notwendig, die Auslegung der Tathandlung des Führens nicht mehr allein an rechtlichen Maßstäben auszurichten, sondern diese auf Basis der dargestellten tatsächlichen und psychologischen Erkenntnisse zu überdenken. Nur ein allgemeines Verständnis der Führungstätigkeit kann zu gerechten und widerspruchsfreien und vor allem vom genutzten Fahrzeug unabhängigen Ergebnissen führen. Dem geht in diesem Kapitel eine Analyse der vorhandenen Auslegungs- und Spruchpraxis als auch des Meinungsstands voraus. Bevor eine rechtliche Würdigung erfolgt, bleibt die Verwendung einiger Termini zu erläutern. Dies erscheint notwendig, da diese Arbeit aufgrund des Umfangs des Straßenverkehrsstrafrechts nur einen Teilbereich dessen zu beleuchten vermag, zugleich aber zusammenfassende, allgemeine Ergebnisse formuliert. Zudem finden einige der hier verwendeten Begrifflichkeiten im Strafgesetzbuch keine Entsprechung3, sodass diese einer Begriffsdetermination bedürfen. Im Rahmen dessen werden unter der Sammelbezeichnung der Straßenverkehrsdelikte nur die Straftatbestände erfasst, die im 28. Abschnitt des Strafgesetzbuchs ihren Eingang fanden. Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort gemäß § 142 StGB wird in dieser Arbeit von dem Begriff der Straßenverkehrsdelikte ebenso wenig umfasst wie die übrigen Delikte, die einen Verkehrsbezug aufweisen können. Wird auf die Gesamtheit aller Delikte mit Verkehrsbezug verwiesen, werden diese als Verkehrsdelikte bezeichnet. Einschränkend dazu umfasst der Begriff der Führungsdelikte lediglich die Straßenverkehrsdelikte, die das Führen eines Fahrzeugs als Tathandlung voraussetzen, namentlich §§ 315c und 316 StGB. Als weitere Ausprägung dieser werden die §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a) und 316 StGB als Trunkenheitsdelikte herausgegriffen. Hinsichtlich der Bezeichnung der handelnden Personen wurde sich an der Wortsemantik (lexikalische Semantik) orientiert. So wird im Folgenden der Begriff des Fahrers ohne rechtliche Würdigung als Funktionsumschreibung verwandt, während als Führender der die Fahrzeugsteuerung aktiv Ausübende und als Führer der statusrechtlich Verantwortliche bezeichnet wird. Den weiteren Ausführungen ebenso vorwegzunehmen bleibt, dass das zukünftig autonome Fahrzeug, welches womöglich nicht einmal mit analogen Steuerungselementen wie einer Pedalerie oder einem Lenkrad ausgestattet sein wird, der nachfolgenden Betrachtung nicht unterfällt. Wer sämtliche zur Fortbewegung erforderlichen Vorgänge einem autonomen Fahrzeug überlässt, führt dieses nicht.4 Die folgenden Ausführungen betreffen entsprechend allein die Zwischenstufen des automatisierten Fahrens der Stufe 3 und 4, also Fahrzeuge, bei denen der Nutzer zwar in bestimmten Verkehrslagen keinerlei Handgriffe mehr vornehmen muss, gleichwohl eine gänzlich automatisierte Fahrt zwischen zwei Zielen vom Fahrzeug nicht bewältigt werden kann und ein Eingriff in den Fahrprozess jederzeit möglich bleibt.
3 4
Ebenso Deichmann, Sonderstraftat, S. 190. Franke, DAR 2016, 61, 62; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 8.
112
6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal Die seit über einem Jahrhundert mit dem Begriff des Führens eines Fahrzeugs befasste Rechtsprechung und Literatur nahmen sich der Auslegung der verkehrsrechtlichen Termini anfänglich nur sehr zögerlich und einzelfallbezogen, quasi nur bei „Bedarf“, an. Eine kontrastreiche Auslegungspraxis sucht man vergebens. Die heute dem Grunde nach erhaltene, allgemein anerkannte Definition des Führens prägte der Bundesgerichtshof bereits in den 1950er Jahren aus,5 wobei sich dieser nah an der dargestellten historischen Auslegung der vorkonstitutionellen Gerichte orientierte. Eine grundlegend kritische Auseinandersetzung mit der Tathandlung des Fahrzeugführens blieb seitdem, trotz der sich stets und insbesondere seit den 2000er Jahren immer weiter verbreitenden technischen Fahrerassistenzsystemen, aus. Wahrnehmbar sind lediglich Auslegungskorrekturen und -erweiterungen. Dies ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass die bisherige Rechtsprechung und Literatur vom Dogma des aktiven Fahrzeugführers ausgehen konnte. Technische Systeme, die in der Lage sind, über einen längeren Zeitraum die Führungstätigkeit wahrzunehmen, sind erstmals seit dem 21. Juni 20176 im öffentlichen Straßenverkehr zulässig und auch heute nur sehr vereinzelt anzutreffen. Die nun mit der Automatisierungsstufe 3 einhergehende Veränderung der Fahraufgabe – weg von der menschlichen Aufgabenwahrnehmung, hin zu einem eigenständigen maschinellen Wirken – konnte aufgrund ihrer Neuartigkeit und mangels entsprechender Fälle in der Rechtsprechung noch keine Abbildung finden.7 Auch wenn die bisherige gefestigte Definition und Auslegung des Führens bestenfalls als nicht mehr zeitgemäß anzusehen ist, muss freilich zugestanden werden, dass bis zum 8. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes8 die Annahme, dass der hinter dem Steuer Sitzende die Führungsaufgabe wahrnimmt, also in strafrechtlicher Hinsicht Verantwortlicher für Rechtsgutsverletzungen und -gefährdungen ist, in aller Regel zutraf.9 Bei den bis 2017 zulassungsfähigen Fahrzeugen der Automatisierungsstufen 0 bis 2 stellte sich die Frage, ob der menschliche Fahrer die Fahrzeugführung vornahm, mangels hoch- und vollautomatisierter Fahrerassistenzsysteme nur in Sonderkonstellationen. Der letzte Steuerungsimpuls, der zum entsprechenden Fahrmanöver führte, konnte allein vom menschlichen Fahrer ausgelöst worden sein. Schließlich oblag es allein dem Fahrzeugführenden, essentielle Steuerungsimpulse an das Fahrzeug zu übermitteln. Dies ist heute mit dem Einsatz von hoch- und vollautomatisierten Fahrerassistenzsystemen nicht mehr gleichermaßen anzunehmen. Allein das Sitzen hinter dem Lenkrad spricht bei einem mo5
BGHSt 13, 226, 227. BGBl. Teil I, Nr. 38 v. 20. 06. 2017, S. 1648, 1648 ff. 7 Gasser, DAR 2015, 6, 10. 8 BGBl. Teil I, Nr. 38 v. 20. 06. 2017, S. 1648, 1648 ff. 9 Wobei auch die neueste Rspr. nicht auf den Nachweis des Führens besteht. Andererseits genügt das bloße Sitzen hinter dem Steuer nicht zur Bejahung der Fahrzeugführung, BGH NStZ-RR 2019, 60, 61. 6
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
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dernen Fahrzeug mit hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystemen keineswegs mehr dafür, dass die Person das Fahrzeug führt oder führte. Letztendlich überholten nun der technische Wandel als auch die aktuellen arbeits- wie verkehrspsychologischen Erkenntnisse die strafrechtliche Auslegungspraxis. Kam die Rechtsprechung durch das Dogma des aktiven Fahrzeugführers, in dessen Folge diese grundlegend auf äußerlich erkennbare Gegebenheiten10 abstellt, bereits bei den Fahrlehrer- und Abschleppentscheidungen sprichwörtlich ins Schleudern, versagt die gefestigte Definition des Führens bei der Nutzung hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge. Ein weiterer Grund dafür dürfte darin zu sehen sein, dass die Grundzüge und Leitgedanken der Auslegung des Führens auf dem Kenntnisstand des frühen 20. Jahrhunderts beruhen.
I. Das Führen eines Kraftfahrzeugs als tathandlungsbeschreibendes Tatbestandsmerkmal Eine Vielzahl der strafbaren Verhaltensweisen im Straßenverkehr unter dem 28. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, namentlich die für die vorliegende Betrachtung besonders relevanten §§ 315c und 316 StGB, knüpfen an der Tathandlung des Führens eines Fahrzeugs an. Hingegen findet das Tatbestandsmerkmal des „Kraftfahrzeugführers“ systematisch betrachtet nur eine sparsame gesetzgeberische Verwendung. Neben § 316a StGB, welcher vom „Führer eines Kraftfahrzeugs“ spricht, fand der Kraftfahrzeugführer erst vor wenigen Jahren über § 315d Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB Eingang in das Strafgesetzbuch.11 Die Straßenverkehrsdelikte beschränken sich dabei überwiegend – der restriktiven Funktion des Strafrechts entsprechend12 – auf im Verkehr vorgenommene gefährliche Handlungsweisen. Die Nutzung der Verbform „führen“ oder „fahren“ verdeutlicht die Handlungsbezogenheit der Tatbestände des §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1 lit. b), c), d), f), 316 Abs. 1 StGB, mithin das Anknüpfen der Strafbarkeit an der Vornahme der aktiven Führungstätigkeit. Mit dem neuen § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, welcher ungenehmigte Kraftfahrzeugrennen unter Strafe stellt, wurde der Kanon der verkehrsstrafrechtlichen Termini noch um das „Fortbewegen“ erweitert. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB knüpft damit anders als §§ 315c und 316 StGB nicht an einem konkreten Verhalten, sondern allein an der Aufrechterhaltung oder spiegelbildlich der Nicht-
10
Siehe BGH JR 2002, 163, 165 m. Anm. Wolters. Eingeführt durch Art. 1 des 56. Strafrechtsänderungsgesetz v. 30. 09. 2017, BGBl. Teil I, Nr. 67 v. 12. 10. 2017, S. 3532. 12 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 2, Rn. 64 ff. u. 69; Roxin/Greco, StR AT I, § 6, Rn. 1 f. u. 13. 11
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
beseitigung des strafwürdigen Zustands der verkehrswidrigen und rücksichtslosen Fahrt, das sog. Rasen, an.13 Bei einem weiteren Blick in das Strafgesetzbuch begegnen dem Leser das Führen und der Kraftfahrzeugführer im 3. Abschnitt, den Rechtsfolgenbestimmungen. Dort wird die Differenzierung zwischen der Ausübung der Kraftfahrzeugführung und der Pflichtenstellung des Kraftfahrzeugführers hervorgehoben. So heißt es in § 44 Abs. 1 S. 2 StGB zur Ermächtigung der Verhängung eines Fahrverbots: „Auch wenn die Straftat nicht bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde, kommt die Anordnung eines Fahrverbots […] in Betracht, […].“
Die identische Systematik findet sich bei § 69 Abs. 1 S. 1 StGB, der die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis bei Straftaten, die im oder im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangen wurden, anordnet: „Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.“
Die Verwendung einheitlicher Termini offenbart bereits nach einem ersten kursorischen Blick, dass der Gesetzgeber eine in sich geschlossene Anwendung und Auslegung der straßenverkehrsrechtlichen Termini des Führens und des Fahrzeugführers als Tatbestandsmerkmal anstrebte.
II. Exkurs: „Wer ein Fahrzeug führt“ – Die Theorie der Beschreibung des Tatsubjekts Diese einheitliche Gesetzesanwendung wurde bereits vor Jahrzehnten durch die nicht zur Meinungsherrschaft gelangte Ansicht durchbrochen, das Führen in §§ 315c und 316 StGB sei nicht Teil der Beschreibung des Tathandlungsmerkmals, sondern des Tatsubjekts. Das „Führen“ charakterisiere in der Tatbestandsformulierung „Wer ein Fahrzeug führt“ die §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB als Sonderdelikte.14 Dieser kurzlebige und heutzutage15 – mit zwei Ausnahmen16 – kaum be13 Zehetgruber, NJ 2018, 360, 364; Lackner/Kühl/Heger, § 315d, Rn. 5; vgl. BHHJ/Burmann, StGB, § 315d, Rn. 9; anders BeckOK-StGB/Kulhanek, § 315d, Rn. 35, demnach „das Führen […] mit nicht angepasster Geschwindigkeit erfolgen“ muss. 14 So auch Satzger, Jura 2011, 103, 105, der die Prüfung des Sonderdeliktscharakters vor der Begründung der Eigenhändigkeit empfiehlt. 15 Siehe dazu u. a. Deichmann, Sonderstraftat, S. 189; MüKo-StVR/Weidig, StVG, § 21, Rn. 20; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 5; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 14; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 985; BGHSt 59, 311, 314, m. w. N.; BGH NStZ 2013, 530, 531.
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
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achtete Streit17 entbrannte in den frühen 1960er Jahren. Als Ausgangspunkt kann das Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1955 identifiziert werden. In diesem erkannte der Bundesgerichtshof den Unterschied zwischen der Verwendung der Tathandlung „Teilnahme am Verkehr“ und „Führen“ darin, dass sich letztes ausschließlich an Fahrzeugführer richten würde.18 Indem die Rechtsprechung sich daraufhin einer weiteren Auseinandersetzung entzog, ließ sie ein gewisses Auslegungsvakuum zurück. Soweit der Sonderdeliktstheorie in den folgenden Jahrzehnten von der Wissenschaft überhaupt Beachtung geschenkt wurde, beschränkte sich die Diskussion überwiegend auf die Trunkenheitsdelikte. In diesem Zusammenhang standen Täterschafts- und Teilnahmefragen bezüglich der Personen, die bei den Trunkenheitsstraftaten des §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB das Fahrzeug selbst nicht führten, im Vordergrund.19 Eine Auseinandersetzung mit der Theorie des Sonderdeliktscharakters der Führungsdelikte ist gleichwohl nicht gänzlich unentbehrlich. Dies rührt aus der fast unwidersprochen gebliebenen Verquickung des Sonderdeliktscharakters mit dem Eigenhändigkeitserfordernis. Ein Fahrzeug führen könne nach herrschender Meinung schließlich nur der unmittelbar handelnde Täter, sodass über den Umweg der Eigenhändigkeit eine faktische Eingrenzung des Täterkreises vollzogen wurde.20 Zudem schärft die folgende Auseinandersetzung mit der Sonderdeliktstheorie die Konturen und das Verständnis der Straßenverkehrsdelikte im dogmatischen System des Verkehrsstrafrechts.
1. Die Befürwortung der §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB als Sonderdelikte Ausgangspunkt der Sonderdeliktstheorie der Führungsdelikte ist die Frage, ob mit der Formulierung „Wer ein Fahrzeug führt“ die Tathandlung oder das Tatsubjekt beschrieben wird. Die Autoren, die einen Sonderdeliktscharakter der §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB bejahen, müssen zunächst über die Hürde des das Tatsubjekt beschreibenden Wortlauts „Wer“, welcher ein Allgemeindelikt indiziert,21 hinwegkommen. Dies gelingt – wie die Vertreter der Sonderdeliktstheorie nicht verkennen – nur, wenn die Verwirklichung der angesprochenen Delikte von der 16
NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 7 u. 30, der einzig den Fahrzeugführer als tauglichen Täter eines Delikts nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 u. Nr. 2 StGB (mit Ausnahme der Variante lit. g)) ansieht; BHHJ/Hühnermann, StVG, § 24a, Rn. 2, welche ausführt, dass „die §§ 315c, 316 StGB alle Fahrzeugführer tatbestandlich erfassen“. 17 Siehe dazu Heidland, Die besonderen persönlichen Merkmale, S. 66 u. 101; Rudolphi, GA 1970, 353, 358 ff.; Schröder, FS v. Weber, S. 233, 240. 18 BGHSt 7, 315, 316. 19 Deichmann, Sonderstraftat, S. 189. 20 Deichmann, Sonderstraftat, S. 190; vgl. NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 7. 21 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 6, Rn. 38; Kindhäuser, StR AT, § 8, Rn. 15; Roxin/Greco, StR AT I, § 10, Rn. 129.
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
Erfüllung einer besonderen „Täterqualifikation“22, die regelmäßig in der Verletzung einer besonderen (außerstrafrechtlichen) Pflichtenstellung besteht, abhängig ist.23 Die Deliktsnatur eines Sonderdelikts zeichnet sich schließlich durch die Verbriefung eines besonderen Unrechts aus, dessen Unwert nur vom Sondersubjekt durch die Missachtung seiner besonderen höchstpersönlichen Vertrauensstellung hervorgerufen werden kann.24 Dies nehmen die Vertreter der Sonderdeliktstheorie unter der Bejahung einer besonderen Nähebeziehung25 der Fahrzeugführer zu den übrigen Verkehrsteilnehmern, kraft derer diesen eine besondere Einflussmöglichkeit auf die Rechtsgüter der Allgemeinheit oder Einzelner zukommen würde, an.26 Die besondere Vertrauensstellung der Fahrzeugführer, welche die Beschränkung des Täterkreises rechtfertige, ergäbe sich aus dem Straßenverkehrsrecht, welches nach Schröder (1963) „offenbar den Sinn [habe], klarzustellen, daß eine strafrechtliche sanktionierte Pflicht zur Sorgfalt und Rücksichtnahme nur denjenigen treffen soll, der […] in der aktuellen Verkehrssituation steht“.27
So ist – wie die schweizerische Strafrechtswissenschaft betont – freilich nicht abzustreiten, dass sich ein Teil der Verkehrsregeln unmittelbar und einzig auf die Art und Weise der Führung von (Kraft-)Fahrzeugen erstrecken. Dieser eingrenzbare Bereich des Verkehrsrechts stellt u. a. nicht nur Ge- und Verbote bezüglich des Zustands von Fahrzeugen und Fahrzeugführern, sondern auch Verhaltensge- und -verbote auf. Aus diesen Rechtsvorschriften ergäbe sich nach den Vertretern der Sonderdeliktstheorie die erforderliche Sonderverpflichtung der Kraftfahrzeugführer, die sie zum Sonderrechtssubjekt erhebt.28 Spezifisch statuierte Rudolphi 1970 darüber hinaus in Bezug auf die Alternativen der Trunkenheitsfahrten, dass Fahrzeugführer aufgrund ihrer besonderen Nähe zu den von ihnen eigenhändig verursachten Gefahren eine „erheblich gesteigerte“ Pflicht träfe, gerade diese – also die Gefahr einer Trunkenheitsfahrt – zu vermeiden.29 22
Roxin/Greco, StR AT I, § 10, Rn. 129; Schröder, FS v. Weber, S. 233, 234. Roxin/Greco, StR AT I, § 10, Rn. 129; Rudolphi, GA 1970, 353, 359; ausf. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 394 f. 24 Deichmann, Sonderstraftat, S. 236; Schünemann, FS Jung, S. 881, 886; vgl. Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 239. 25 Dem allgemeinen Gedanken zust. Deichmann, Sonderstraftat, S. 197; Miseré, Die Grundprobleme der Delikte mit strafbegründender besonderer Folge, S. 89. 26 Heidland, Die besonderen persönlichen Merkmale, S. 66 u. 101; vgl. Schröder, FS v. Weber, S. 233, 240, der dem Halter eines Kraftfahrzeugs eine „gesteigerte Verantwortlichkeit“ zuspricht. 27 Schröder, FS v. Weber, S. 233, 240. 28 Zum Gesamten Rehberg, FG Schultz, S. 72, 75 f. (zum schweiz. StR), der die Sonderdeliktsnatur am Bsp. der Untreue verneint. Selbst diese sei, obwohl diese die Verletzung der Treuepflicht gegenüber dem Vermögensinhaber voraussetzt, kein Sonderdelikt. Die Treuepflicht sei – in Entsprechung der Pflichten des Straßenverkehrsrechts – kein besonderes persönliches Merkmal, welches einen Sonderdeliktscharakter begründen könne. 29 Rudolphi, GA 1970, 353, 359. 23
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
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2. Die Argumente gegen die Sonderdeliktstheorie der Führungsdelikte Die Charakterisierung der Führungsdelikte als Sonderdelikte konnte sich richtigerweise nicht durchsetzen. Schließlich fehlt es für ein echtes Sonderdelikt an der dem Gesetzestext immanenten notwendigen gesetzlichen Beschränkung des Täterkreises.30 Hinzu kommt, dass der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 1962 eine mittelbare Täterschaft bei den Trunkenheitsdelikten aufgrund des Eigenhändigkeitserfordernisses ausschloss. In seiner Entscheidung hob er hervor, dass nur derjenige Täter sein könne, der das Fahrzeug selbst und unmittelbar in Bewegung setzt.31 Eine Klärung des Sonderdeliktcharakters der Straßenverkehrs- und Trunkenheitsdelikte wurde dadurch obsolet.32 Im Einzelnen spricht gegen den Sonderdeliktscharakter jedoch folgendes: a) Der Wortlaut und der Wille des Gesetzgebers Ein gesetzgeberischer Wille, §§ 315c und 316 StGB als Sonderdelikt auszugestalten, ist nicht ersichtlich.33 Es fällt den Vertretern der Sonderdeliktstheorie bereits schwer, über den Wortlaut der Führungsdelikte, welcher diese deutlich als Allgemeindelikt qualifiziert, hinwegzukommen. Diese Wortlauthürde mittels der Konstruktion einer besonderen Pflichtenstellung zu überwinden, ist wenig tragfähig. Sie übersieht, wie sogleich noch ausgeführt wird, dass sich die Pflichtenbindung der §§ 315c Abs. 1 und 316 StGB nicht an einen bestimmten abtrennbaren Personenkreis richtet, sondern gesetzgeberisch an eine (Tat-)Handlung geknüpft ist – das Führen.34 Deshalb findet sich in der Gesetzesbegründung35 auch kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung „Wer ein Fahrzeug führt“ ein besonderes persönliches Merkmal zur Begründung eines Sonderdelikts etablieren wollte,36 mithin nur derjenige, der im strafrechtlichen Sinne Fahrzeugführer sei, tauglicher Täter sein sollte.37 Durch die Formulierung „wer“ fehlt es am wesentlichen Kennzeichen eines echten Sonderdelikts. Die Führungsdelikte richten sich daher, wie die überwiegende Zahl der übrigen Tätigkeitsdelikte, an jeden, der die Tathandlung ausführt.38
30
Vgl. Rehberg, FG Schultz, S. 72, 76 (zum schweiz. StR). BGHSt 18, 6, 8. 32 Zum Gesamten Deichmann, Sonderstraftat, S. 190. 33 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 6, Rn. 38; vgl. Rehberg, FG Schultz, S. 72, 76 (zum schweiz. StR). 34 Ebenso Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 982. 35 BT-Drs. IV/651 v. 27. 09. 1962, S. 28 f. 36 Deichmann, Sonderstraftat, S. 202. 37 Vgl. Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 982. 38 Zum Gesamten Rehberg, FG Schultz, S. 72, 76 (zum schweiz. StR). 31
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
b) Sinn und Zweck der Straßenverkehrsdelikte Der Sinn und Zweck der Straßenverkehrsdelikte, der, unbesehen des Streits um das geschützte Rechtsgut, im allgemeinen Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs und – wobei dies nicht alle Autoren annehmen39 – dem Schutz der Individualrechtsgüter der einzelnen Verkehrsteilnehmer liegt, stützt das aus dem Wortlaut und der historischen Auslegung gewonnene Ergebnis.40 Überzeugend wies Miseré ergänzend darauf hin, dass die Straßenverkehrsdelikte jedenfalls nicht dem Schutz der persönlichen Pflichten der Fahrzeugführenden dienen. Die Pflichtverletzung wird also nicht ihrer selbst willen sanktioniert, um den Führenden vor anderweitiger Bestrafung oder einer zivilrechtlichen Haftung zu schützen und diesen an die Einhaltung der Verkehrsregeln zu mahnen. Für eine strafrechtlich flankierte straßenverkehrsrechtliche Pflichtenmahnung ist es in den Fällen, in denen die Schwelle der Strafbarkeit überschritten wurde, ersichtlich zu spät. Damit ist dem Argument der besonderen Pflichtenbindung, welches die Verfechter der Sonderdeliktstheorie der Führungsdelikte anführen, die Grundlage entzogen. Die Straßenverkehrsdelikte dienen letztlich dazu, Gefährdungen oder Verletzungen von Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit durch (grob) fehlerhafte Verhaltensweisen zu verhindern.41 Um dies umfassend zu erreichen, können die Führungsdelikte des §§ 315c und 316 StGB ihrem Sinn und Zweck nach nicht auf einen bestimmten Täterkreis begrenzt sein. Dies steht mit der Ansicht Heidlands in Einklang, der bereits 1971 betonte, dass die straßenverkehrsrechtlichen Normen strafrechtlichen Ge- und Verboten gleichstehen. Deren Verletzung verwirklicht gegenüber anderen Rechtsverletzungen keinen besonders bedeutsamen sittlichen Unwert, den ausschließlich Fahrzeugführer als (anteilig große) Gruppe der Verkehrsteilnehmer zu wahren verpflichtet wären.42 Die Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs ist keine 39
Str., so etwa S/S/Hecker, § 316a, Rn. 1, demnach der Schutz des Straßenverkehrs nur zusätzlich bezweckt werde; ebenso SK/Wolters, § 316a, Rn. 2, demnach allein der Schutz der Individualrechtsgüter Eigentum und Vermögen verwirklicht wird; Schünemann, in: Hefendehl/ v. Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 152 sieht im Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs eine Vorverlagerung des Individualgüterschutzes des einzelnen Verkehrsteilnehmers; ausf. Steinberg, NZV 2007, 545, 551; a. A. Rspr. – selbst der BGH hat in seinem benannten Urteil die Sicherheit des Straßenverkehrs als „zumindest gleichrangig“ neben dem Schutz der Individualrechtsgüter angesehen: BGHSt 49, 8, 11; aus der Überlappung der Schutzzwecke zieht Krüger den Schluss, dass der Führer „ebenso wie in den (übrigen) Straßenverkehrsdelikten zu interpretieren“ sei: Krüger, NZV 2004, 161, 164; Duttge/Nolden, JuS 2005, 193, 195 ziehen aus der systematischen Stellung unter dem 28. Abschnitt des StGB und der hohen Strafandrohung des § 316a StGB den Friedensschutz („Sicherheit des Straßenverkehrs“) als gewichtiges Schutzgut heran. 40 U. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 1 u. § 316, Rn. 1; Schönke/Schröder/Hecker, § 315c, Rn. 2 u. § 316, Rn. 1 m. w. N.; ausf. zum Rechtsgut der §§ 315c u. 316 StGB Deichmann, Sonderstraftat, S. 191 ff. 41 Zum Gesamten Miseré, Die Grundprobleme der Delikte mit strafbegründender besonderer Folge, S. 87 f. 42 Zum Gesamten Heidland, Die besonderen persönlichen Merkmale, S. 101.
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
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sog. höchstpersönliche außerstrafrechtliche Pflicht43, die allein Fahrzeugführer träfe.44 Zudem bringt, wie Deichmann 1994 zutreffend feststellt, weder die Allgemeinheit noch der Gesetzgeber Fahrzeugführern ein erhöhtes Vertrauen entgegen, welches diese durch die Verwirklichung einer Verkehrsstraftat massiv erschüttern würden.45 Bereits das massenhafte Auftreten von Ordnungswidrigkeiten und vor allem deren geringfügige und einkommensunabhängige Sanktionierung bezeugt, dass der Gesetzgeber Fahrzeugführenden kein besonderes gesteigertes Vertrauen gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern entgegenbringt. Tatsächlich wäre ein strenges Sanktionssystem anzunehmen, würde den Fahrzeugführern ein übermäßig pflichtbewusstes Verhalten abverlangt werden. Nicht zuletzt tragen die Straßenverkehrsvorschriften keinen Sonderpflichtcharakter in sich. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass den Normadressaten ein bestimmtes Ge- oder Verbot auferlegt wird, deren Befolgung den nicht von ihnen betroffenen Personengruppen freisteht.46 Dies ist dem Straßenverkehrsrecht nicht zu entnehmen. Vielmehr verpflichten die verkehrsrechtlichen Ge- und Verbote alle Verkehrsteilnehmer gleichermaßen. Die allgemeine Pflicht zur Einhaltung von Vorschriften – die von jedem Bürger erwartet wird – berechtigt nicht dazu, einzelnen Verpflichteten einen Sonderstatus aufzubürden.47 Eine aus der sozialen Position des Fahrzeugführers entspringende spezifische Pflichtensteigerung, die die Zuordnung als Sonderdelikt rechtfertigen würde, ist §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB und vor allem der Tatbestandsumschreibung „Wer ein Fahrzeug führt“, nicht immanent.48 Daran ändert der Verweis der Vertreter der Sonderdeliktstheorie darauf, dass der Fahrzeugführer einen größeren Einfluss auf die fremden Rechtsgüter ausübt, nichts. Diese Steigerung ist unbrauchbar und müsste andernfalls bei jeder Fahrzeugklasse unterschiedlich bewertet werden. Des Weiteren liegt es in der Natur der Sache, dass der unmittelbar selbst handelnde Täter dem hervorgerufenen Gefährdungsbereich näher steht als dies bei einem mittelbaren Täter oder Teilnehmer der Fall ist.49 Deshalb bildet die Begrenzung des Täterkreises durch die Eingruppierung als Sonderdelikt strafrechtsdogmatisch auch nicht den Regel-, sondern den Ausnahmefall. Dem Sonderdeliktscharakter kommt im Vergleich zu den Allgemeinde43 Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 303 ff.; LK-StGB/Schünemann/Greco, § 25, Rn. 43; vgl. auf Roxin verweisend: Rehberg, FG Schultz, S. 72, 77 (zum schweiz. StR). 44 Rehberg, FG Schultz, S. 72, 77 (zum schweiz. StR). 45 Deichmann, Sonderstraftat, S. 204 f.; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 987. 46 Deichmann, Sonderstraftat, S. 208. 47 Zum Gesamten Deichmann, Sonderstraftat, S. 208; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 987. 48 Deichmann, Sonderstraftat, S. 205 f.; Miseré, Die Grundprobleme der Delikte mit strafbegründender besonderer Folge, S. 89. 49 Deichmann, Sonderstraftat, S. 197; ausf. Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 986; vgl. Schubarth, ZStW 110 (1998), 827, 840; Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 295, der richtig feststellt, dass es unter Zugrundelegung dieser Annahme sonst bei den wenigsten Delikten eine mittelbare Täterschaft geben könne.
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
likten immer eine einschränkende, mithin reduzierende Wirkung zu.50 Eine solche Notwendigkeit ist hier nicht ersichtlich und dogmatisch nicht zu rechtfertigen. Die (begründbare) Annahme, das Kraftfahrzeug erhöhe den vom Täter geschaffenen Risikobereich, verkennt, dass sich die §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB nicht auf diese, sondern auf sämtliche Fahrzeuge beziehen. Der Risikobereich bei der Nutzung eines Fahrrads oder (unmotorisierten) Rollers ist – soweit man diesen Vergleich zur Begründung der Sonderstellung bemüht – zum Kraftfahrzeug erheblich vermindert. Hätte der Gesetzgeber die Kraftfahrzeugführenden besonders verpflichten wollen, hätten sich die §§ 315c und 316 StGB auf diese Gruppe der Verkehrsteilnehmer beschränken müssen. 3. Ergebnis zur Sonderdeliktstheorie Die Rechtsprechung und herrschende Literatur gehen – auch wenn dies nicht stets ausdrücklich betont wird – bei der Tatbestandsbeschreibung „Wer“ richtigerweise von der allgemeinen Beschreibung des Tatsubjektes aus, während das Führen eines Fahrzeugs das die Tathandlung beschreibende Tatbestandsmerkmal darstellt.51 Auch der Schutzzweck der Straßenverkehrsdelikte gebietet keine Begrenzung des tauglichen Täterkreises. Die in §§ 315c und 316 StGB sanktionierten Gefahrenlagen sind schlicht von allen Fahrzeugführenden und nicht nur von solchen, die formal den Status des Kraftfahrzeugführers innehaben, zu vermeiden. Darüber hinaus mangelt es an einer besonderen außerstrafrechtlichen Pflichtenbindung, die es rechtfertigen würde, Fahrzeugführende aus dem Kreis der Rechtsunterworfenen herauszugreifen, diesen eine besondere soziale Position zur Gefahrvermeidung aufzubürden und unter besonderer Strafandrohung von der Tatbegehung abzuhalten.52 Fahrzeugführenden kommt kein vertrauensbasierter besonderer sozialer Einflussbereich zu, der ihnen eine gesteigerte Möglichkeit der Einflussnahme auf die Rechtsgüter Dritter eröffnen würde.53 Die Führungsdelikte sind deshalb keine Sonderdelikte.
III. Das Führen als Merkmal der Tathandlung Obwohl die Straßenverkehrsdelikte zum Tagesgeschäft der Strafgerichte gehören und zahlenmäßig einen erheblichen Teil der Entscheidungen bilden,54 prägte sich
50
Vgl. Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 6, Rn. 39. Ebenso Deichmann, Sonderstraftat, S. 197; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 987. 52 Deichmann, Sonderstraftat, S. 197, 204 f. 53 Deichmann, Sonderstraftat, S. 205. 54 Maurach/Schroeder/Maiwald, StR BT 2, § 53, Rn. 12; ebenso Deichmann, Sonderstraftat, S. 189. 51
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
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(nur) eine kasuistische Auslegungs- und Spruchpraxis55 heraus. Dies ist wohl auf die Tatsache zurückzuführen, dass sich die (vor allem höchstrichterliche) Rechtsprechung nur in besonderen Konstellationen, die mit der gefestigten Auslegungs- und Spruchpraxis nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen sind, überhaupt mit der Auslegung des Führens als Tathandlung befasst. Als Resultat dessen umkreist die Rechtsprechung seit den 1950er Jahren das Führen als Tathandlung, ohne zugleich die etablierte Definition anzutasten oder diese einer allgemeinen einheitlichen Auslegung zuzuführen. Aufgrund der erheblichen Schwierigkeiten, die mentale Befassung des Täters mit dem Führungsprozess nachzuweisen,56 bildete die Rechtsprechung immer mehr äußerlich wahrnehmbare Anknüpfungspunkte und Modalitäten – die im Ergebnis nichts anderes als Indizien sind57 – heraus, um darüber, ob der Täter das Fahrzeug führte oder nicht, befinden zu können. Dass sich dabei Spannungsfelder herausbildeten, die sich mit dem Auftreten hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge noch verfestigen werden, ist kaum verwunderlich. 1. Vorüberlegung: Das Führen eines Fahrzeugs als Grundvoraussetzung der Führungsdelikte Anders als §§ 316 Abs. 1 und 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB setzen die Tatvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB, die sog. 7 Todsünden58, dem Wortlaut nach nicht das Führen eines Fahrzeugs voraus. Hingegen ist bei der überwiegenden Zahl der Tatvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB das Fahren als tathandlungsbeschreibendes Merkmal zu erkennen. Dies ist bei § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b) Alt. 2 StGB (wer bei Überholvorgängen falsch fährt), § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. c) StGB (wer an Fußgängerüberwegen falsch fährt), § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. d) StGB (wer an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt) und § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. f) Var. 2 StGB (wer auf Autobahnen entgegen der Fahrtrichtung fährt), der Fall. Die übrigen 7 Todsünden stellen hingegen auf die Tathandlungen des Nichtbeachtens der Vorfahrt (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. a) StGB), des falschen Überholens (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b) Alt. 1 StGB), des Nichteinhaltens der rechten Fahrbahn an unübersichtlichen Stellen (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. e) StGB), des Wendens auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. f) Var. 2 StGB) oder das Nichtkenntlichmachen von haltenden oder liegengebliebenen Fahrzeuge (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit g) StGB) ab. Daraus leitet sich die vorausgehende Fragestellung, ob die Tatvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB eine dem Führen identische Verhaltensanforderung voraussetzen, ab. 55
Zimmermann, JuS 2010, 22, 23. BGHSt 35, 390, 395 m. w. N. 57 Vgl. OLG Hamm NJW 1984, 137, 137. 58 U. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 44; Hentschel/König/Dauer, StGB, § 315c, Rn. 7; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 38; S/S/Hecker, § 315c, Rn. 12; BGH NZV 2003, 488, 488 f. m. krit. Anm. Seier/Hildebrand. 56
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
a) Das Fahren als Äquivalent des Führens Weder die Rechtsprechung noch die Literatur haben das Fahren als Tathandlung gesondert definiert. Es fehlt, soweit ersichtlich, an einer Auseinandersetzung mit der Abgrenzungsthematik. Soweit sich die Rechtsprechung überhaupt dazu äußert, legt diese das Fahren identisch zum Führen mit dem Ergebnis aus,59 dass auch die Tatvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b) Alt. 2, c), d), f) Var. 2 StGB strukturell die Vornahme einer Führungstätigkeit voraussetzen. Eine spezifisch juristische Bedeutung wird dem Fahren nicht zugesprochen. Zur Begründung wird allein darauf verwiesen, dass der Begriff des Führens mit dem des Fahrens sprachlich eng verwandt sei. Dies stellte zuerst das Amtsgericht Freiburg, als es sich mit der Frage befasste, ob § 316 StGB als Unternehmensdelikt ausgestaltet ist, in einer lehrbuchartigen Auslegung des Führens heraus. Das Fahren sei nach Ansicht des Amtsgerichts Freiburg das „Wurzelwort“ des Führens. Beide Begriffe würden ihrem eigentlichen Sinn nach so viel wie sich mittels „eines Fahrzeuges fortkommen machen“ bedeuten: „Das Wort ,Führen‘ ist abgeleitet von ,Fahren‘ und hat als solches den ursprünglichen Sinn ,in Bewegung setzen‘, ,fahren machen‘ […]. In Verbindung mit einem Fahrzeug erhält es die Bedeutung ,mittelst eines Fahrzeuges fortkommen machen‘ und kann hier für sein Wurzelwort ,fahren‘ stehen […]. Im heutigen Sprachgebrauch wird es gleichbedeutend mit Fahren, Steuern, Lenken oder Leiten verwendet, […].“60
Dieser Auslegung schloss sich kurze Zeit später der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung, in der er sich ausdrücklich die Auslegung des Amtsgerichts Freiburg zu eigen machte, an.61 Dem Ergebnis ist sicherlich teilweise zuzustimmen. Es ist nicht ersichtlich, warum an die regelwidrigen Verhaltensweisen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB, die auf das Fahren abstellen, ein anderer Bewertungsmaßstab angelegt werden müsste als an die übrigen Führungsdelikte. Bereits im § 315a a. F.62, welcher am 19. Dezember 1952 durch das Inkrafttreten des Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs in 59
BGHSt 35, 390, 393 m. V. a. AG Freiburg NJW 1986, 3151, 3152. AG Freiburg NJW 1986, 3151, 3152 m. V. a. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 1983, S. 442 u. Grimm, Deutsches Wörterbuch, 4. Bd. 1. Hälfte, 1878, S. 432, 440. 61 BGHSt 35, 390, 393. 62 Vgl. § 315a a. F., BGBl. Teil I, Nr. 56 v. 23. 12. 1952, S. 832 ff.: (1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er 1. […], 2. ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses geistiger Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, 3. ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge geistiger oder körperlicher Mängel sich nicht sicher im Verkehr bewegen kann und keine Vorsorge getroffen ist, daß er andere nicht gefährdet, oder 4. in grob verkehrswidriger und rücksichtsloser Weise die Vorfahrt nicht beachtet, falsch überholt oder an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen oder -einmündungen zu schnell fährt und dadurch eine Gemeingefahr (§ 315 Abs. 3) herbeiführt, wird mit Gefängnis bestraft. 60
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
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das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde und Elemente des heutigen § 315b StGB als auch § 315c StGB enthielt, war diese juristische Rhetorik angelegt.63 Diese hat sich bis in die heutigen Fassungen der Führungsdelikte fortgetragen. Zudem ist aus § 21 StVG, welcher als Fahren ohne Fahrerlaubnis betitelt ist, im Tatbestand aber durchweg vom Führen eines Fahrzeugs spricht, ersichtlich, dass der (Straf-)Gesetzgeber sich der sprachlichen Nähe der Tathandlungen des Führens und des Fahrens durchaus bewusst war und ist. Es ist also unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber, indem er innerhalb des § 315c Abs. 1 StGB sowohl die Tathandlung des Führens als auch des Fahrens in Bezug nimmt, unterschiedliche Tätigkeitskreise ansprechen wollte. Die Tatbestandsvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB, die die Tathandlung des Fahrens in Bezug nehmen, setzen nach der Rechtsprechung eine Tätigkeit im Sinne des Führens eines Fahrzeugs voraus. b) Das Führen als Grundvoraussetzung aller Tatbestandsvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB Ob das Führen eines Fahrzeugs hingegen bei den regelwidrigen Verhaltensweisen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB, die ein Fahren tatbestandlich nicht verlangen, ebenfalls der Natur nach vorausgesetzt wird64, ist bisher nicht geklärt. Denklogischerweise setzen die verkehrswidrigen Verhaltensweisen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB mit Ausnahme des lit. g)65 die Vornahme der Führungstätigkeit voraus.66 Diese Schlussfolgerung liegt auch nach § 44 Abs. 1 S. 2 StGB nahe. Schließlich erfasst die Literatur67 unter „im Zusammenhang mit dem Führen“ stehenden Straftaten auch die des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB – unbenommen deren einzelner tatbestandlicher Ausgestaltung. Zudem sind das Überholen (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b) StGB), das Einhalten der rechten Fahrbahnseite (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. e) StGB) als auch das Wenden (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. f) StGB) spezifische Ausprägungen der Führungstätigkeit. Schwierigkeiten bereitet lediglich die Beachtung der Vorfahrt (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. a) StGB) als auch die Pflicht zur Kenntlichmachung eines haltenden oder liegengebliebenen Fahrzeugs (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. g) StGB). Über dieses Problem geht die Literatur überwiegend hinweg und erklärt – zwar im Ergebnis richtig, jedoch ohne Begründung –: „Nummer 2a stellt das Fahren unter Missachtung der Vorfahrt unter Strafe.“68 63
NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 1. Deichmann, Sonderstraftat, S. 202. 65 Tatvariante des unterlassenen Kenntlichmachens haltender oder liegengebliebener Fahrzeuge. 66 Deichmann, Sonderstraftat, S. 211; BGHSt 42, 235, 239; das deutsche Recht setzte die Begriffe des Fahrens mit dem Fahrzeugführen gleich: Ternig, zfs 2016, 303, 304 u. 306. 67 BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 44, Rn. 5; NK-StGB/Böse, § 44, Rn. 9; vgl. BHHJ/Burmann, StGB, § 44, Rn. 6 m. V. a. § 69, Rn. 6, der die Begehung aller Verkehrsvergehen als „beim Führen“ verwirklicht versteht; ebenso MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg/ Huber, § 44, Rn. 6; keine ausdrückliche Zuordnung Lackner/Kühl/Kühl, § 44, Rn. 3. 68 LK-StGB/König, § 315c, Rn. 70. 64
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
Obwohl § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. a) StGB das Fahren nicht als Tatbestandsmerkmal enthält, lässt sich zu recht aus dem Begriff der Vorfahrt – nicht nur sprachlich – eine Abgrenzung zu dem Fußgängerverkehr herleiten. Dies ist schon der Vorfahrtsregelung der Straßenverkehrs-Ordnung selbst zu entnehmen. § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und insbesondere Abs. 2 S. 1 StVO69 heben hervor, das die Vorfahrtsregelung den Fahrzeugverkehr betrifft, sich mithin nur an Führende oder Fahrende eines Fahrzeugs richtet. Dies wird von der Rechtsprechung, die zwar nicht nur die „klassische“ Vorfahrt gemäß § 8 StVO zur Auslegung des Vorfahrtbegriffs des § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. a) StGB heranzieht, sondern jegliche durch Gesetz eingeräumte Vorfahrtslagen erfasst,70 grundsätzlich gestützt.71 Die einzige regelwidrige Verhaltensweise des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB, die keine (eigene) vorherige Führungstätigkeit zwingend voraussetzt, ist das Unterlassen der Kenntlichmachung eines haltenden oder liegengebliebenen Fahrzeugs gemäß lit. g). Als unechtes Unterlassungsdelikt72 kann eine Garantenpflicht auch bei der Person bestehen, die das Fahrzeug nicht zuvor geführt oder gefahren hat.73 Dieses Auslegungsergebnis deckt sich wiederum mit den Verkehrsvorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung, insbesondere § 15 StVO74 i. V. m. § 24 StVG, die bspw. auch dem mitfahrenden Halter des haltenden oder liegengebliebenen Fahrzeugs eine Sicherungspflicht auferlegen.75 Ebenso kann die Garantenpflicht kraft Ingerenz oder aufgrund einer Überwachungspflicht andere Personen als den vormaligen Fahrzeugführenden treffen, bspw. andere Unfallbeteiligte.76 Entsprechend ist § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. g) StGB die einzige Tatbestandsvariante, die ihrer Natur nach die vorherige Ausübung der Führungstätigkeit nicht voraussetzt. Obwohl im Ergebnis die Problemfelder des Führens bei § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. a) bis f) StGB ebenso zum Tragen kommen, ist deren Bedeutung bei den 7 Todsünden gering. Schließlich nehmen die § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB auf konkrete spezifische Regelverstöße Bezug, die ausschließlich während der Führungstätigkeit begangen werden können. Die Frage, ob der Täter die Führung des Fahrzeugs innehatte, stellt 69
§ 8 Abs. 2 S. 1 StVO: Wer die Vorfahrt zu beachten hat, muss rechtzeitig durch sein Fahrverhalten, […] erkennen lassen, dass gewartet wird. 70 U. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 47; S/S/Hecker, § 315, Rn. 14. 71 Insb. u. ausf. unter Bezugnahme der Gesetzesbegründung: BGHSt 11, 219, 221 ff.; 13, 129, 133 f.; deutlich von Fahrtvorrang sprechend: BGH NVZ 2009, 350, LS. 72 Siehe zur Einordnung als unechtes Unterlassungsdelikt: MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 75 m. w. N.; a. A. BeckOK-StGB/Kudlich, § 315c, Rn. 55; Fischer, StGB, § 315c, Rn. 11, die die Tatvariante des § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. g) StGB als echtes Unterlassungsdelikt qualifizieren. 73 LK-StGB/König, § 315c, Rn. 122; S/S/Hecker, § 315, Rn. 25; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 75 m. w. N. 74 Ausdrücklich KG Berlin VRS 58 (1980), 61, 61 f. 75 NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 53; BeckOK-StGB/Kudlich, § 315c, Rn. 55; vgl. Hentschel/König/Dauer, StVO, § 15, Rn. 10. 76 LK-StGB/König, § 315c, Rn. 129; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 53.
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
125
sich bei der Bejahung spezifischer Fahrfehler in der Regel deshalb nicht mehr. Die sprachliche Differenz ist mithin bei den aktuellen Gesetzesfassungen – wenngleich dogmatisch vorhanden – nicht tragend. Entsprechend betreffen die nachfolgenden Ausführungen mit Ausnahme von § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. g) StGB sämtliche in den §§ 315c und 316 StGB sanktionierten Verhaltensweisen. 2. Die Auslegungspraxis zu den strafrechtlichen Verkehrstermini Das Führen eines Fahrzeugs ist ein für viele Menschen alltäglicher Vorgang, der klar umrissen scheint. Jeder, der hinter dem Steuer eines Fahrzeugs Platz nimmt, wird wohl mit einer spontanen Umschreibung dieser Tätigkeit aufwarten können. Das Führen wird von der Allgemeinheit, an die sich die Strafgesetze richten, intuitiv bestimmt. Konsensfähig wäre wohl die vereinfachte Darstellung von Wolters, demnach ein Fahrzeug führt „wer es in Bewegung setzt (bzw. hält) und/oder lenkt“.77 Ob hingegen die umfassende herausgebildete juristische Definition auf Anhieb von jedem Rechtsunterworfenen inhaltlich erfasst wird, darf bezweifelt werden. Dahinter verbirgt sich bereits die Frage, wie alltägliche Handlungen juristisch ausgelegt werden können, ohne dass die Verständlichkeit abhandenkommt. Auf der anderen Seite ist die komprimierte Zusammenfassung von Wolters aus juristischer Sicht sicherlich zu abstrakt, um eine einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten. Zudem bildet diese das komplexe Geschehen beim Führen eines Kraftfahrzeugs nur unzureichend ab. Wie bereits aus der arbeits- und verkehrspsychologischen Betrachtung hervorging, setzt das Führen mehr als das Lenken des Fahrzeugs voraus. Die Rechtsprechung und Literatur versuchten diese Komplexität durch äußerlich wahrnehmbare Faktoren abzubilden. Entstanden ist dabei ein Auslegungskorridor, der sich je nach Einzelfall verschieben lässt. Von einer konkreten, einheitlich und rechtssicher anwendbaren Definition ist die aktuelle Auslegungspraxis daher weit entfernt. a) Die Definition des Führens und des Fahrzeugführers aa) Grundsätzliches Der Rechtsprechung und Literatur ging die Entwicklung einer Definition und Auslegung der Führungshandlung nicht einfach von der Hand. Vor allem die Rechtsprechung sucht seit den 1950er Jahren nach objektiven Anknüpfungspunkten, die eine Befassung des Täters mit der (subjektiv geprägten) Fahraufgabe nahelegen. Daraus etablierte sich die fast unwidersprochen gebliebene Definition, nach welcher derjenige ein Fahrzeug führt,
77 SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 6; ähnlich noch BGHSt 18, 6, 9, der auf das Lenken abstellte.
126
6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
„[…] wer es unter bestimmungsgemäßer Verwendung seiner Antriebskräfte allein- oder mitverantwortlich in Bewegung setzt oder es während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum lenkt.“78
Neben dieser existiert eine zweite, leicht variierte Definition: „Ein Fahrzeug führt, wer es selbst (eigenhändig) unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt, um es unter Handhabung essentieller technischer Vorrichtungen (die für seine Fortbewegung bestimmt sind,)79 während der Fahrbewegung ganz oder wenigstens zum Teil durch den Verkehrsraum zu leiten.“80
Diese Definitionen werden sowohl von der Rechtsprechung81 als auch der Literatur82 verwandt.83 Zudem gilt der herrschenden Meinung nach als gesichert, dass das Führen nur eigenhändig84 und in der Regel allein durch aktives Tun85 verwirklicht
78
OLG Saarbrücken, U. v. 30. 07. 2014 – 5 U 1/14, BeckRS 2015, 07370, Rn. 46; vgl. in Teilen ebenso BayObLG NZV 1988, 74, 74; ähnlich BGHSt 35, 390, 393. 79 Vgl. BGHSt 36, 341, 343 m. w. N.; Buchholz, JA 2017, 594, 595. 80 Scheidler, Anm. „pro“ z. OLG Bamberg NJW 2009, 2393, DAR 2009, 402, 403 f. m. w. N.; BGHSt 18, 6, 8 f.; vgl. ebenso BayObLGSt 20, 50, 54. 81 U. a. BGHSt 59, 311, 314, m. w. N.; 35, 390, 393; 18, 6, 8 f.; BGH NZV 1995, 364, 364; OLG Düsseldorf NZV 2013, 328, 329; OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1014; OLG Celle NJW 1965, 1773, 1773. 82 U. a. MüKo-StVR/Weidig, StVG, § 21, Rn. 20; Hentschel/König/Dauer, StVG, § 21, Rn. 10 u. StGB, § 316, Rn. 3; NK-GVR/Blum, StVG, § 21, Rn. 14; NK-GVR/Quarch, StGB, § 315c, Rn. 6; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 10; Küper/Zopfs, StR BT, Rn. 242; S/S/Hecker, § 316, Rn. 19 f.; BHHJ/Burmann, StGB, § 315c, Rn. 3; SSW-StGB/Ernemann, § 315c, Rn. 4; SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 6. 83 Anschaulich: Anm. Scheidler z. VGH München, B. v. 17. 11. 2014 – 11 ZB 14.1755, DAR 2015, 107, 108; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 14; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 10; ausf. Steinberg, NZV 2007, 545, 548 f. 84 Vgl. u. a. BGHSt 18, 6, 8 „selbst“; BGH NZV 1995, 364, 364; BGHSt 35, 390, 393 m. V. a. BGHSt 18, 6, 8; BGH StraFo 2007, 475, 475; AnwK-StGB/Burhoff, § 315c, Rn. 2 u. § 316, Rn. 4; Hentschel/König/Dauer, StVG, § 2, Rn. 28; Fischer, StGB, § 315c, Rn. 2 u. § 316, Rn. 2, 3 u. 49; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 10 u. § 316, Rn. 9a; SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 6 u. § 316, Rn. 15; BHHJ/Burmann, StGB, § 315c, Rn. 3 u. § 316, Rn. 2; S/S/ Hecker, § 316, Rn. 20; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 3 u. § 316, Rn. 2; MüKo-StVR/Hagemeier, StGB, § 315c, Rn. 12; SSW-StGB/Ernemann, § 315c, Rn. 1 u. § 316, Rn. 1; Schünemann, FS Jung, S. 881, 888; Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 327; Joerden, BA 2003, 104, 104 m. w. N.; König, DAR 2003, 448, 448; Rönnau, JuS 2010, 961, 962; vgl. Deichmann, Sonderstraftat, S. 211; Geppert, Jura 2001, 559, 561; weiterführend Rehberg, FG Schultz, S. 72, 77 ff. (zum schweiz. StR); str. Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 57; Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 310; a. A. LG Leipzig, unveröffentlichtes U. v. 27. 07. 2007 – 6 KLs 306 10292/07, S. 74, zitiert in Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 945; Miseré, Die Grundprobleme der Delikte mit strafbegründender besonderer Folge, S. 82 ff. m. w. N.; Schröder, FS v. Weber, S. 233, 239; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 988; sehr krit. Schubarth, ZStW 110 (1998), 827, 839 f.; die Rechtsfigur der Eigenhändigkeit bei den Straßenverkehrsdelikten grds. abl. Zimmermann, JuS 2010, 22, 25 f.; Satzger, Jura 2011, 103, 109; Hoyer, GA 2008, 711, 715 f.; vgl. AG Cottbus DAR 2003, 476, 476 f.; m. ausf. Begründung abl. Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 988; vgl. Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 295; Puppe, ZStW 120 (2008), 504, 515 f.;
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
127
werden kann. Schließlich sei aufgrund der besonderen Pflichtenstellung des Fahrzeugführers die Verwirklichung des § 315c als auch des § 316 StGB in uneigenhändiger Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft ausgeschlossen.86 Ob hingegen der Begriff des Führens auf objektiver Ebene ein finales Willenselement in Gestalt der willentlichen Fortbewegung87 voraussetzt oder dies allein auf subjektiver Tatbestandsebene88 zum Tragen kommt, ist nicht abschließend geklärt. Deckungsgleich zum Führen definiert die Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der Literatur89 den Fahrzeugführerbegriff. Führer eines Kraftfahrzeugs ist derjenige, „[…] der sich selbst aller oder wenigstens eines Teiles der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeuges bedient, die für seine Fortbewegung bestimmt sind, also das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt.“90
Andererseits ist nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2003 Führer im Sinne des § 316a StGB,
Eigenhändigkeit nur für § 315c Abs. 1 Nr. 1 u. (wohl) § 316 StGB gefordert und damit nicht dem Führen immanent: Lackner/Kühl/Heger, § 315c, Rn. 4 u. § 316, Rn. 3. 85 SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 6; Lackner/Kühl/Heger, § 315c, Rn. 4. 86 SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 24; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 117 f.; Fischer, StGB, § 315c, Rn. 2 erkennt die mittelbare Täterschaft als weitgehend ausgeschlossen an. 87 LK-StGB/König, § 315c, Rn. 34; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 28; S/S/Hecker, § 316, Rn. 19; vgl. MüKo-StVR/Hagemeier, StGB, § 315c, Rn. 11; AnwK-StGB/Burhoff, § 316, Rn. 4. 88 SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 6; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277. 89 U. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 14; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 8; LK-StGB/ König, § 315c, Rn. 10; S/S/Hecker, § 316, Rn. 20; Fischer, StGB, § 315c, Rn. 3a; LPK-StGB/ Kindhäuser, § 316, Rn. 2; NK-GVR/Koehl, StVG, § 2, Rn. 4; Hentschel/König/Dauer, StVG, § 2, Rn. 28; Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 327; Eisele, JA 2007, 168, 168; Anm. Heinrich u. Scheidler z. Bamberg NJW 2009, 2393, DAR 2009, 402, 403 f.; Hecker, JuS 2014, 756, 756; Blum, SVR 2015, 130, 130; Franke, DAR 2016, 61, 62; Hecker, JuS 2016, 1136, 1137; Jansen, NZV 2017, 214, 217; Anm. Scheidler zu VGH München, B. v. 17. 11. 2014 – 11 ZB 14.1755, DAR 2015, 107, 108. 90 BGHSt 36, 341, 343 f.; ebenso BGHSt 59, 311, 314; 35, 390, 393; 13, 226, 227; zuvor mit ähnlicher Formulierung BGHSt 18, 6, 8 f.; OLG Stuttgart NJOZ 2016, 24, 25; OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1014; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; LG Münster zfs 2018, 169, 169 f. m. Anm. Krenberger; LG Köln NZV 1990, 445, 445; AG Landstuhl, B. v. 20. 10. 2016 – 2 OWi 4286 Js 10115/16, BeckRS 2016, 18521; u. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 14 u. § 316, Rn. 6; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 38 u. § 316, Rn. 231; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 8; SK-StGB/Wolters, § 316, Rn. 15; AnwK-StGB/Burhoff, § 316, Rn. 4; Franke, DAR 2016, 61, 62.
128
6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
„wer das Kraftfahrzeug in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist.“91
Damit existieren zwei Definitionen desselben Tatbestandsmerkmals. Dieser Umstand verstärkt die bereits durch §§ 44 Abs. 1 S. 2 und 69 Abs. 1 S. 1 StGB geweckten Zweifel, ob das Führen und der Fahrzeugführer tatsächlich deckungsgleich auszulegen sind. Inhaltlich stellt die Definition des Führens bzw. (die erstgenannte Auslegung) des Fahrzeugführers auf die Verwirklichung einer von zwei alternativen Handlungsvarianten ab. Entweder setzt der Täter das Fahrzeug (selbst-)verantwortlichen mittels seiner Antriebskräfte92 in Bewegung oder handhabt zumindest einen wesentlichen Teil der technischen Vorrichtungen während des Fahrprozesses. Hingegen wird von einigen Stimmen in der Literatur dem „in Bewegung setzen“ keine eigene Bedeutung mehr beigemessen,93 sodass es nur noch auf die Verwirklichung der zweiten Alternative ankäme. Letztendlich stellt die Rechtsprechung heute primär auf die nach außen hin wahrnehmbare Handhabung der Steuerungselemente des Fahrzeugs ab. Die Bedienung der Pedalerie als auch das wörtlich benannte Lenken sind die anknüpfungsfähigen Ausführungshandlungen, die das Führen prägen sollen. bb) Kein Führen durch mündliche Anweisung Entsprechend und dem Wortlaut der Definition und dem unreflektierten Eigenhändigkeitsdogma94 folgend, genügt es für die Vornahme der Führungstätigkeit nach ganz herrschender Ansicht nicht, sich allein auf die Abgabe mündlicher Weisungen zu beschränken.95 Dies gilt selbst dann, wenn der Ausführende den Anweisungen bedingungslos Folge leistet.96 Schließlich bedient der Definition nach der Anweisende keinen wesentlichen Teil der technischen Einrichtungen des Fahrzeugs.
91 BGHSt 49, 8, 14; 50, 169, 171; BGH NStZ-RR 2006, 185, 185; LK-StGB/Sowada, § 316a, Rn. 20; NK-StGB/Zieschang, § 316a, Rn. 27; Roßmüller/Rohrer, NZV 1995, 253, 254 f. 92 Selbst die irrtümliche bzw. versehentliche Nutzbarmachung der Antriebskräfte des Fahrzeugs als ausreichend erachtend: LG Dortmund NZV 2010, 619, 620; a. A., die das Führen als zielgerichtete Fortbewegung verstehen: u. a. OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 198; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; S/S/Hecker, § 316, Rn. 20; NK-GVR/Blum, StVG, § 21, Rn. 14; NK-GVR/Quarch, StGB, § 315c, Rn. 6; Schrader, NJW 2015, 3537, 3539. 93 LK-StGB/König, § 315c, Rn. 10. 94 U. a. Hentschel/König/Dauer, StGB, § 316, Rn. 3 u. weiterführend 5. 95 H. M., u. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 27; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 41 m. w. N.; S/S/Hecker, § 316, Rn. 20; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 10 m. ausf. Darlegung; a. A. Hentschel, Trunkenheit, Rn. 347, soweit der Ausführende mangelhafte Fahrkenntnisse besitzt. 96 A. A. in diesem Fall Fischer, StGB, § 315c, Rn. 3a.
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
129
Absolut unbestritten ist diese Ansicht nicht geblieben, sodass einzelne Gegenpositionen in der – auch strafgerichtlichen – Rechtsprechung auszumachen sind. Für die Führung von Motorbooten genügt nach Ansicht des Oberlandesgerichts Schleswig aus dem Jahre 1970 etwa die Abgabe mündlicher Anweisungen und das Innehaben der Verantwortung für den Führungsprozess: „Der Angekl. blieb verantwortlicher Führer des Motorbootes, als sein Fahrgast den Motor bediente und dadurch das Boot steuerte. Nach den Feststellungen des LG steuerte der Zeuge das Boot nach den Anweisungen des Angekl., so daß der Angekl. ihm nur die Führung des Ruders (und zugleich des Motors), nicht aber die Führung des Bootes in allen Angelegenheiten des Schiffsführers übertragen hatte. Der Schiffsführer ist anders als der Halter eines Kraftfahrzeugs zu keiner Zeit bloß Mitfahrender, sondern bleibt auch bei Überlassung des Ruders an einen anderen für die Führung des Schiffes verantwortlich.“97
Die sachliche Rechtfertigung der Unterscheidung der Tathandlung des Führens zwischen einem Motorboot und einem Kraftfahrzeug soll nach Ansicht des Oberlandesgerichts Schleswig in der verschiedenartigen Pflichtenbindung liegen. Inwiefern sich diese von einem mündlich anweisenden Fahrzeugführenden eines Landfahrzeugs unterscheiden soll, bleibt offen. Die Divergenz des Urteils des Oberlandesgerichts Schleswig blieb bis heute in der Rechtsprechung unaufgelöst.98 Die damit verbundene Abweichung von der etablierten Definition, die zumindest die Bedienung eines wesentlichen Teils der technischen Einrichtungen voraussetzt, ist bis heute ungeklärt. Auch der Bundesgerichtshof für Zivilsachen99, namentlich der VI. Zivilsenat, hat sich 1977 mit der Frage der Vornahme der Führungstätigkeit durch mündliche Anweisung befasst und diese – anders als die strafrechtliche Rechtsprechung – bejaht. Auch wenn es sich hierbei um eine zivilrechtliche Entscheidung handelt, ist diese für die strafgerichtliche Praxis nicht irrelevant. Sie fand sogar im Jahre 2005 zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung Eingang in die Entscheidungsfindung der 3. Strafkammer des Oberlandesgerichts Dresden.100 In dem zugrundeliegenden Fall des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs hatte dieser über die Frage zu entscheiden, ob eine Person, die keine Fahrerlaubnis besaß, aber dennoch auf Zuruf die Lenkung eines liegengebliebenen Fahrzeugs übernahm, während der ursprüngliche Führende dieses mit Muskelkraft anschob, als Fahrzeugführer anzusehen sei. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschied, dass es sich bei den Lenkbewegungen – auf die die Definition der Strafgerichte konkret abstellt – um untergeordnete Hilfstätigkeiten handle,101 mithin keine Führungstätigkeit vorläge. Obwohl es sich beim Lenken um Verrichtungen von mitentscheidender Bedeutung 97
OLG Schleswig SchlHA 1970, 196, 196. OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1014. 99 Vgl. BGH VRS 52 (1977), 408, 408 ff. 100 OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1014. 101 BGH, VRS 52 (1977), 408, 409. 98
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
handeln würde und es für das Führen eines Fahrzeugs nicht darauf ankäme, auf welche Antriebsart die Fortbewegung zurückzuführen sei, scheide ein Führen mangels eigenen Entscheidungsspielraums und mangels eigenverantwortlicher Herrschaft102 des Lenkenden über das Fahrzeug aus.103 Das Innehaben eines Entscheidungsspielraums sei, so der VI. Zivilsenat weiter, für das Führen unabdingbar, sodass der Ausführende, der über die Art und Richtung der Bewegung des Fahrzeugs keine eigene willensgetragene Entscheidung treffe und sich dem Führungswillen eines anderen bedingungslos unterordne, nicht selbst Führender sein könne. Ein solcher sei lediglich Werkzeug des Weisungsgebenden.104 Diese Wertung ist natürlich von der herrschenden strafrechtlichen Rechtsprechung, die die Führungsdelikte als eigenhändige Delikte charakterisiert,105 nicht übernommen worden. Gleichwohl erinnert diese zivilrechtliche Würdigung, die sich am tatsächlichen Fahrzeugführungsprozess orientiert, an die Tendenzen der bereits dargestellten vorkonstitutionellen Rechtsprechung. Tatsächlich finden sich diese auch vereinzelt in (aktuellen) Strafgerichtsentscheidungen wieder.106 So erkannte das Oberlandesgericht Hamm noch vor dem VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs im Jahre 1968 die grundsätzliche Möglichkeit der Fahrzeugführung durch mündliche Anweisung an.107 Dem lag die Frage zugrunde, ob als Anknüpfungstat für eine Strafbarkeit des Vollrauschs eine Trunkenheitsfahrt in Frage kommt, wenn der Täter als beifahrender Halter des Kraftfahrzeugs dem Ausführenden lediglich mündliche (technische) Anweisungen erteilt. Dazu erklärte das Oberlandesgericht Hamm: „Entscheidend ist […], welchen Einfluss der Halter auf den Lenker durch Anweisungen vor und während der Fahrt und durch die zusätzliche Bedienung von Bewegungsvorrichtungen auf das technische Fahrgeschehen nimmt. Dazu reicht allerdings das bloße Anlassen des Motors und das Einlegen eines Gangs nicht aus. Hingegen beteiligt sich der Halter an der Führung des Kraftfahrzeugs, wenn die Fahrkenntnisse des Fahrzeuglenkers mangelhaft sind und sich der Lenker im wesentlichen nach den technischen Anweisungen des Halters richtet […].“108
Demnach übe grundsätzlich auch derjenige die Führungstätigkeit aus, der dem über mangelhafte Fahrkenntnisse verfügenden Steuernden Anweisungen erteilt, welchen letzterer bedingungslos Folge leistet. Schließlich hinge das gesamte
102 Ausdrücklich „Beherrschung“: BGHSt 36, 341, 344; BGH NZV 1995, 80, 80 m. Anm. Hauf; vgl. BayObLG, VRS 32 (1967), 127, 127 f. 103 BGH VRS 52 (1977), 408, 409. 104 Zum Gesamten BGH VRS 52 (1977), 408, 409. 105 Siehe 6. Kap., Fn. 84. 106 OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1014; OLG Hamm VRS 37 (1969), 281, 282. 107 OLG Hamm VRS 37 (1969), 281, 282: „Nicht richtig ist es jedenfalls, daß Führer nur sein könne, wer die Lenkung bediene. […].“ 108 OLG Hamm VRS 37 (1969), 281, 282.
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
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Fahrgeschehen in diesem Falle weitgehend vom Willen des Anweisenden ab, weshalb dieser als Führer des Kraftfahrzeugs anzusehen sei.109 Mit diesen Überlegungen setzte sich Jahre später das Oberlandesgericht Dresden auseinander. In seinem Beschluss aus dem Jahr 2005 bezog es sich auf die Grundsätze des VI. Zivilrechtssenats des Bundesgerichtshofs von 1977. Demnach sei zumindest nicht ausgeschlossen, dass:110 „[…] die das Steuer bedienende Person das Fahrzeug dann nicht [führe], wenn sie den Anweisungen der anderen Personen bedingungslos folgt, Art und Richtung der Bewegung des Fahrzeugs ganz dem anderen überlässt und nur ohne eigene Verantwortung dem anderen hilft, der dadurch selbst die Führung des Fahrzeugs übernommen hat.“111
Zuvor betonte das Oberlandesgericht Dresden, dass die mündliche Bestimmung des Fahrwegs und mündliche Fahrkorrekturen dafür nicht genügen würden. Im Ergebnis verneinte es die Führungstätigkeit des Fahrlehrers im vorliegenden Fall, weil dieser dem Fahrschüler die Fahrzeugführung nicht unter bedingungsloser Folgeleistung seiner mündlichen Anweisungen überlassen hatte,112 sodass dem Fahrschüler selbst ein gewisser Entscheidungsspielraum verblieben sei. Diese zaghaften strafrechtlichen Überlegungen wurden mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2014113, in welcher sich dieser der gegenteiligen rechtlichen Würdigung des Oberlandesgerichts Bamberg anschloss, obsolet. In seinem Beschluss verwies das Oberlandesgericht Bamberg zwar auf die Entscheidungen des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1977 und des Oberlandesgerichts Hamm aus dem Jahr 1968. Ebenfalls nahm auch der IV. Strafsenat des Bundesgerichtshofs an, dass ein nicht hinter dem Steuer sitzender Fahrbeteiligter – konkret der Fahrlehrer – Fahrzeugführer sein könne.114 Mündliche Anweisungen genügten für die Übernahme der Führungstätigkeit gleichwohl nicht. Eine Führungstätigkeit durch den Dritten sei erst gegeben, wenn er in die Lenk- oder Antriebsvorgänge eingreife.115 Dem schloss sich die ganz herrschende Meinung unter Verweis auf den Charakter der Führungsdelikte als eigenhändige Delikte an, sodass die Abgabe von Fahranweisungen an eine andere Person keine Führungstätigkeit darstellen würde.116 Es fehle schlicht an einer eigenhändigen, tatbestands109
Zum Gesamten OLG Hamm VRS 37 (1969), 281, 282. BGH VRS 52 (1977), 408, 409. 111 OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1014. 112 Zum Gesamten OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1013 f. 113 BGHSt 59, 311, 311 ff., m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124. 114 OLG Bamberg NJW 2009, 2393, 2393, m. Anm. „contra“ Heinrich u. „pro“ Scheidler, DAR 402, 402 ff. 115 BGHSt 59, 311, 314 u. vgl. 317 f. (zum § 23 Abs. 1a StVO), m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124. 116 U. a. OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1013; Blum/Weber, NZV 2007, 228, 228 f.; LKStGB/König, § 315c, Rn. 41; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 27; Lackner/Kühl/Heger, § 315c, Rn. 3; differenzierend: NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 8; Fischer, StGB, § 315c, Rn. 3a mit 110
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
begründenden Vornahme der Führungstätigkeit durch den Weisungsgeber.117 Die dagegen vorgetragene Mindermeinung verweist darauf, dass Fahrlehrer auch während der Zeit, in der sie keinen wesentlichen Teil der Vorrichtung des Fahrzeugs bedienen, durchgängig die Verantwortung für den Fahrprozess inne hätten und zum Erhalt ihrer jederzeitigen Eingriffsbereitschaft die Führungsaufgabe durchgängig wahrnehmen müssten. Der Fahrlehrer trüge schließlich unstrittig die eigentliche Verantwortung für die Fortbewegung des Fahrzeugs, sodass er seine jederzeitige Eingriffsmöglichkeit erhalten müsse, die er nur durch eine erhöhte Aufmerksamkeit sowohl gerichtet auf das Verkehrsgeschehen als auch den Fahrschüler gewährleisten könne.118 Wolters verweist zudem darauf, dass dem Fahrlehrer durch die doppelte Ausführung der Steuerungsvorrichtungen die jederzeitige technische (Mit-)Beherrschungsmöglichkeit, wenn nicht gar die Eingriffspflicht zukäme, sodass auch dieser als Führer des Fahrzeugs anzusehen sei.119 Fahrlehrer seien daher mit Fahrzeugführern, die mit eingeschaltetem Tempomat fahren, vergleichbar.120 Dem widerspricht ausdrücklich Pegel mit Verweis auf eine damit verbundene Überdehnung des Wortlauts. Pegel nimmt entsprechend der aufgezeigten herrschenden Meinung an, dass nur das aktive Eingreifen eine (Mit-)Täterschaft begründen könne.121 Obwohl sich die Erwägungen der Mindermeinung mit Blick auf die dargestellten verkehrs- und arbeitspsychologischen Erwägungen fruchtbar machen lassen, bleibt dennoch zu konstatierten, dass diese mit der gefestigten Definition der Fahrzeugführung, die allein auf die physische Bedienung abstellt, nicht vereinbar ist. In der bloßen Kundgabe von Weisungen liegt keine physische Bedienung von Steuerungsvorrichtungen. Deshalb kann diese Diskussion mit Blick auf die Tatsache, dass selbst kurzfristige Bedienungshandlungen kein Führen darstellen,122 nicht geführt wohl fehlerhaftem Verweis a. E., gemeint wird die Entscheidung BGH(Z) VRS 52 (1977), 408, 409 sein, welcher nach mündlichen Anweisungen dann als Führungstätigkeit angesehen werden, wenn die das Fahrzeug bedienende Person diesen bedingungslos folgt; Eisele, JA 2007, 168, 168, der die Tätereigenschaft des sich auf mündliche Anweisungen Beschränkenden verneint; a. A. AG Cottbus DAR 2003, 476, 476 m. abl. Bespr. König, DAR 2003, 448, 449 u. Joerden, BA 03, 104, 104 ff. 117 NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 10; u. a. BGHSt 59, 311, 314 f., m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124; vgl. BGHSt 18, 6, 8 „selbst“; OLG Düsseldorf NZV 2013, 328, 329; krit. OLG Bamberg NJW 2009, 2393, 2393, m. Anm. „pro“ Scheidler, DAR 2009, 402, 404; OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1014; OLG Celle NJW 1965, 1773, 1773; vgl. ebenso BayObLGSt 20, 50, 54; vgl. zudem Hentschel/König/Dauer, StVG, § 2, Rn. 28; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 10; S/S/Hecker, § 316, Rn. 20; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 27; AnwK-StGB/Burhoff, § 316, Rn. 8; SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 6 u. § 316, Rn. 15; Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 327; Geppert, Jura 2001, 559, 561. 118 Zum Gesamten Blum/Weber, NZV 2007, 228, 229. 119 SK-StGB/Wolters, § 316, Rn. 15; ebenso vgl. Blum/Weber, NZV 2007, 228, 229. 120 Blum/Weber, NZV 2007, 228, 229. 121 MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 27. 122 Vgl. KG VRS 12 (1957), 110, 113; OLG Hamm NJW 1969, 1975, 1976; OLG Köln NJW 1971, 670, 670; AnwK-StGB/Burhoff, § 316, Rn. 7; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 9; Fi-
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
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werden, ohne die gefestigte Definition des Führens anzutasten. Soweit kein Umdenken bei der Auslegung des Führungsbegriffs einsetzt, muss schlicht anerkannt werden, dass die juristische Auslegung entgegen den arbeits- und verkehrspsychologischen Erkenntnissen kein Führen durch bloße mündliche Anweisung zulässt.123 Führender ist in diesem Falle weiterhin derjenige, der unmittelbar physisch die technischen Steuerungselemente betätigt. Ein weisungsgebundenes menschliches Werkzeug – gleich der Mit- oder mittelbaren Täterschaft – genügt nicht.124 b) Die Mindestanforderungen des Führens Wenn das Geben mündlicher Weisungen nicht genügt, um die Vornahme der Führungstätigkeit anzunehmen, stellt sich die Frage, welche Schwelle die physische Steuerungstätigkeit überschreiten muss, um als strafrechtlich relevant zu gelten. Dazu hat sich die Rechtsprechung und Literatur ausgiebig geäußert. Die Definition des Führens eines Fahrzeugs setzt grundlegend voraus, dass zumindest ein wesentlicher Teil der technischen Einrichtungen des Fahrzeugs bedient wird.125 Dies ist immer dann anzunehmen, wenn der Täter unter eigener Allein- oder Mitverantwortung das Fahrzeug wenigstens teilweise leitet bzw. lenkt.126 Vorweggenommen sei, dass die Definition des Führens keine Anwesenheit der steuernden Person im Fahrzeug voraussetzt. Auch ein ferngesteuerter Zugriff, der eine Bedienung der Lenkung und/oder Pedalerie ermöglicht, genügt.127 Dies ist vor allem bei vernetzten automatisierten Fahrzeugen zu beachten. Bei der Frage, welche Intensität die wesentliche Bedienung der Steuerungseinrichtungen aufweisen muss, um als Führungstätigkeit zu gelten, wird ein besonderes Augenmerk – wie beim Kraftfahrzeuggesetz aus dem Jahr 1909 – auf die „Verantwortung“ gelegt. Im Ergebnis führt jeder ein Fahrzeug, der eine maßgebliche Funktion ausübt, ohne die eine zielgerichtete Fortbewegung des Fahrzeugs im Verkehr nicht realisierbar wäre.128 Es kommt also darauf an, ob der Täter durch seine Ausführungshandlung einen maßgeblichen Einfluss auf die Fortbewegung ausüben scher, StGB, § 315c, Rn. 3a; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 23; Lackner/Kühl/Heger, § 315c, Rn. 3; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 39a. 123 Vgl. OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1014; Blum/Weber, NZV 2007, 228, 228 f.; Eisele, JA 2007, 168, 168; a. A. AG Cottbus DAR 2003, 476, 476 m. abl. Bespr. König, DAR 2003, 448, 449 u. Joerden, BA 03, 104, 104 ff.; Lackner/Kühl/Heger, § 315c, Rn. 3. 124 Vgl. NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 10. 125 Siehe 6. Kap., Fn. 90. 126 U. a. BGHSt 59, 311, 314, m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124; BGHSt 36, 341, 343 f.; OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1014 m. Bespr. Bosch, JA 2006, 576, 576 ff. u. m. Bespr. Jahn, JuS 2006, 468, 468 f.; Fischer, StGB, § 315c, Rn. 3a; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 10; NKStGB/Zieschang, § 315c, Rn. 8; Frister, StR AT, 8. Kap., Rn. 19; Küper/Zopfs, StR BT, Rn. 242; S/S/Hecker, § 316, Rn. 19. 127 NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 8. 128 S/S/Hecker, § 316, Rn. 20; BGHSt 36, 341, 343 f.
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
kann.129 Er muss zumindest mitbestimmen können, ob und wohin sich das Fahrzeug bewegt. Auf die Art und Weise des Vorankommens kommt es dabei nicht an.130 Es wird nicht vorausgesetzt, dass sich das Fahrzeug aufgrund seiner spezifischen und üblichen Antriebsart fortbewegt. Entscheidend ist, ob der Bewegungsvorgang in seiner konkreten Gestalt den Ausführenden vor ähnliche Anforderungen stellt wie denjenigen, der das Fahrzeug unter Nutzung der spezifischen Antriebsart führt.131 Nicht notwendig ist zudem, dass ein Führender sämtliche Steuerungsvorrichtungen des Fahrzeugs bedient.132 Die Teilung der Fahrzeugführung ist von der Rechtsprechung und überwiegenden Literatur anerkannt. So kann bspw. die Anpassung der Fahrtgeschwindigkeit und das Lenken von zwei verschiedenen Personen bewältigt werden, die jeweils für sich – uneigenhändige Mittäterschaft ist aufgrund der Eigenhändigkeit der Führungstätigkeit ausgeschlossen133 – als Führende anzusehen sind.134 Voraussetzung der Teilung der Fahrzeugführung sei nach Ansicht einiger Stimmen in der Literatur und Rechtsprechung jedoch ein gegenseitiges Einverständnis der Führenden.135 Beispielhaft für ein arbeitsteiliges Führen136 steht das Abschleppen eines Fahrzeugs mittels Seil oder Abschleppstange, bei dem sowohl der Schleppende als auch der Geschleppte Führungsaufgaben wahrnehmen.137 Ebenso ist das sog. „Bier-Bike“ bzw. „Partybike“, bei denen mehrere Personen in die Pedale treten, also die Fahrgeschwindigkeit bestimmen, während nur eine Person die Lenkung und Bremse übernimmt, als arbeitsteilige Führungstätigkeit anerkannt.138
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NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 9; SSW-StGB/Ernemann, § 315c, Rn. 4. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 17; SSW-StGB/Ernemann, § 315c, Rn. 4; Fischer, StGB, § 315c, Rn. 3a; S/S/Hecker, § 316 Rn. 19; vgl. BeckOK-StGB/Kudlich, § 315c, Rn. 12; als in Grenzfällen genügend bezeichnend: Lackner/Kühl/Heger, § 315c, Rn. 3; BGHSt 14, 185, 187 ff. m. V. a. das Haftpflichtrecht, demnach für das Führen kein fahrzeugspezifischer Antrieb erforderlich ist. 131 MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 17; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 16. 132 MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 14; BGHSt 13, 226, 227; 18, 6, LS u. 8 f.; vgl. OLG Bamberg NJW 2009, 2393, 2393, m. Anm. „pro“ Scheidler, DAR 2009, 402, 403 f.; BayObLGSt 20, 50, 54. 133 SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 24; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 117 f.; Eisele, JA 2007, 168, 168; Fischer, StGB, § 315c, Rn. 2 bezeichnet die mittelbare Täterschaft als weitgehend ausgeschlossen. 134 BGHSt 13, 226, 227; 36, 341, 344, m. zust. Anm. Hentschel, JR 1991, 113, 113 ff.; 59, 311, 314; OLG Hamm VRS 37 (1969), 281, 281 f.; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 14; Eisele, JA 2007, 168, 168; M/R-StGB/Renzikowski, § 316, Rn. 3; SSW-StGB/Ernemann, § 315c, Rn. 4; MüKo-StVR/Hagemeier, StGB, § 315c, Rn. 12; AnwK-StGB/Burhoff, § 316, Rn. 7; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 9; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 37. 135 MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 23; OLG Hamm NJW 1969, 1975, 1976. 136 U. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 23; SSW-StGB/Ernemann, § 315c, Rn. 4. 137 U. a. NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 9; LPK-StGB/Kindhäuser, § 316, Rn. 2; MüKoStVR/Weidig, StVG, § 21, Rn. 20; AnwK-StGB/Burhoff, § 316, Rn. 10; BGHSt 36, 341, 343 f. 138 Huppertz, NZV 2012, 23, 24; 164, 165; Klenner, NZV 2011, 234, 236 f.; NK-StGB/ Zieschang, § 315c, Rn. 9. 130
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
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Abseits dieser umfangreichen Spezifikationsversuche ist in der Literatur und Rechtsprechung nicht geklärt, welche Intensität der konkrete (physische) Handgriff aufweisen muss, um als Bedienung eines wesentlichen Teils der technischen Einrichtungen qualifiziert werden zu können. Schließlich sollen – entgegen der ausdrücklichen Definition – nicht alle Bedienungen der technischen Steuerungselemente als Führungstätigkeit gelten. So sind das kurzzeitige Betätigen der Gangschaltung139 oder das kurzzeitige Eingreifen in das Lenkrad durch den Beifahrer „für einen Augenblick“140 nach der (älteren) Rechtsprechung als nicht tatbestandmäßig anerkannt worden.141 Diese nimmt sogar eine „nicht einverständliche und kurzfristige Beteiligung an den Bedienungsvorgängen“ aus dem Anwendungsbereich heraus.142 Hingegen wird das Eingreifen in das Lenkrad durch den Beifahrer zur Ermöglichung eines Überholvorgangs grundsätzlich aufgrund seiner Zielgerichtetheit als geeignet erkannt, um als Führungstätigkeit angesehen zu werden.143 Im Ergebnis muss der Eingriff wohl eine gewisse Wesentlichkeitsschwelle überschreiten, die bisher jedoch keine abstrakte Konkretisierung144 fand. 3. Die Einführung eines Bewegungselements Als weitere einschränkende Voraussetzung für die Bejahung der Führungstätigkeit setzt die (neuere) etablierte Rechtsprechung und herrschende Rechtslehre seit der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1988145 das Vorliegen eines (objektiven) Bewegungsvorgangs voraus.146 Dies wird aus den Ziel- und 139
KG VRS 12 (1957), 110, 113. AnwK-StGB/Burhoff, § 316, Rn. 7; OLG Köln NJW 1971, 670, 670; OLG Hamm NJW 1969, 1975, 1976, welches das Ergebnis u. a. damit begründet, dass die Eigenverantwortlichkeit bei kurzen Eingriffen gegen den Willen des verantwortlichen Führers nicht gegeben sei; Führungstätigkeit bei längerwährendem Eingriff bejahrend LK-StGB/Valerius, § 69, Rn. 54. 141 OLG Köln NJW 1971, 670, 670; OLG Hamm NJW 1969, 1975, 1976; SK-StGB/ Wolters, § 315c, Rn. 5; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 9; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 23; Fischer, StGB, § 315c, Rn. 3a; Lackner/Kühl/Heger, § 315c, Rn. 3; S/S/Hecker, § 316, Rn. 20; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 39a u. vgl. Valerius, § 69, Rn. 52; anders bei länger andauerndem Eingriff OLG Köln DAR 1982, 30, 30, LS „Wer als Halter nicht nur ,ganz kurz‘, sondern ,für etwas länger‘ ins Steuer greift, um das Fahrzeug zielgerichtet an eine Örtlichkeit zu lenken und dort abzustellen, wo der Fahrer nicht hinwill, ,führt‘ bei diesem Manöver das Kraftfahrzeug.“; BHHJ/Heß, StVO, § 2, Rn. 15; Hentschel, Trunkenheit, Rn. 347. 142 OLG Hamm NJW 1969, 1975, 1976. 143 BGH NZV 1995, 364, 364. 144 Konkretisierungsversuche: BGH NZV 1995, 364, 364 m. V. a. BGHSt 36, 341, 343 f. 145 BGHSt 35, 390, 393 ff.; zuvor in der Rspr. nicht vorausgesetzt, exemplarisch BayObLG, VRS 32 (1967), 127, 127 f. 146 Gefestigte Rspr., u. a. BGHSt 35, 390, 393 ff., m. krit. Anm. Hentschel, JR 1990, 30, 32; BGHSt 36 341, 343 f.; 42, 235 239 f., BGH NZV 1995, 364, 364; OLG Karlsruhe NZV 1992, 493, 493; BayObLG NZV 1989, 242, 1. LS; OLG Düsseldorf NZV 1989, 202, 202; ausf. AG Freiburg NJW 1986, 3151, 3152; herrschende Lit. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 15; BeckOK-StGB/Kudlich, § 315c, Rn. 10; LK-StGB/König, § 316, Rn. 9a u. § 315c, Rn. 11; SK140
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
Schutzzwecken der Straßenverkehrsdelikte gefolgert.147 Schließlich sollen §§ 315c und 316 StGB den abstrakten und konkreten Gefahren entgegenwirken, die für den Verkehr aus dem Zustand der Fahruntüchtigkeit des Fahrzeugführenden oder der Vornahme besonders gefahrträchtiger fehlerhafter Verhaltensweisen erwachsen. Ein stehendes Fahrzeug, welches keiner Beherrschung durch einen menschlichen Fahrzeugführenden bedürfe, könne eine entsprechende Gefährdungslage überhaupt nicht hervorrufen.148 In Folge dessen beginne die Führungstätigkeit erst mit der Bewegung des Fahrzeugs, also erst mit dem Anrollen der Räder.149 Trotz seiner Absolutheit ist dieser Befund nicht frei von Widersprüchen. Das Bewegungselement ist, wie bereits Steinberg feststellte, schwer mit der im Leiturteil des Bundesgerichtshofs festgehaltenen Argumentation vereinbar:150 „Wer zum Beispiel infolge seiner Fahruntüchtigkeit an dem stehenden Fahrzeug das Fernlicht einschaltet, kann schon dadurch – je nach Standort des abgestellten Fahrzeugs – eine Gefahr, etwa Blenden entgegenkommender Verkehrsteilnehmer, heraufbeschwören.“151
Auch über das Strafrecht hinaus ist schwer vermittelbar, inwiefern ein stehendes Fahrzeug keinen Gefahrenbereich schaffen könne. Hentschel wies, wenngleich dies nur mittelbar Geltung zu beanspruchen vermag, überzeugend auf § 7 StVG, der einen sehr weiten Begriff des „Betriebs des Fahrzeugs“ zugrunde legt, hin. Die weite zivilrechtliche Haftung zeugt davon, dass der historische Gesetzgeber von einem hohen Gefahrpotenzial eines stehenden Fahrzeugs überzeugt war.152 Eine davon abweichende Tendenz äußerte der Bundesgerichtshof in seinem benannten Leiturteil153, mit welchem fahrtvorbereitende Handlungen vom Führen gemäß §§ 315c und 316 StGB tatbestandlich ausgeschlossen werden.154 Etwas Statisches könne schlicht StGB/Wolters, § 315c, Rn. 6; SSW-StGB/Ernemann, § 315c, Rn. 4; LPK-StGB/Kindhäuser, § 316, Rn. 2; MüKo-StVR/Hagemeier, StGB, § 315c, Rn. 10; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 15 u. § 316, Rn. 17; S/S/Hecker, § 316, Rn. 19; Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 328; vgl. M/R-StGB/Renzikowski, § 316, Rn. 3; Detter, Verkehrsstrafrecht, S. 14; Geppert, Jura 2001, 559, 561; Zimmermann, JuS 2010, 22, 23; ausdrücklich das Fortbewegungserfordernis verneinend: BayObLG, VRS 32 (1967), 127, 127. 147 Krit. zu dieser Einengung der Auslegung bzgl. § 316 StGB, da die Rspr. selbst Gefahren ausgehend von stehenden Fahrzeugen für gegeben erachtet: Steinberg, NZV 2007, 545, 548 f. 148 BGHSt 35, 390, 394; a. A. siehe Anm. Hentschel, JR 1990, 30, 32 f. 149 U. a. BGHSt 35, 390, 394 f.; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 15; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 11; Eisele, JA 2007, 168, 168; Rengier, StR BT II, § 43, Rn. 3. 150 Steinberg, NZV 2007, 545, 549 f. 151 BGHSt 35, 390, 394. 152 BGHSt 35, 390, 393, m. krit. Anm. Hentschel, JR 1990, 30, 32. 153 BGHSt 35, 390, 394; zuvor bereits OLG Hamm NJW 1984, 137, 137; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 11. 154 U. a. BGHSt 35, 390, 393 f.; AG Freiburg NJW 1986, 3151, 3151; LPK-StGB/Kindhäuser, § 316, Rn. 2; Fischer, StGB, § 315c, Rn. 3b; abl. OLG Hamm VRS 37 (1969), 281, 282; Geppert, Jura 2001, 559, 561.
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
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nicht geführt werden.155 Diese Ansicht war bis 1988 umstritten. Bis dahin war von der Notwendigkeit eines Bewegungsvorgangs noch keine Rede.156 Erst mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1988 wurde die alte Rechtsprechung zugunsten des Bewegungselements aufgegeben. Seitdem dient das Bewegungselement als Abgrenzung zwischen (strafloser) Versuchs- und Vollendungsstrafbarkeit.157 Zurückzuführen ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs wohl auf die zuvor geäußerte Kritik,158 das Führen nicht auf Tätigkeiten vor der ersten Fahrtbewegung erstrecken zu können.159 Von einem berauschten Fahrer ginge solange keine abstrakte Gefahr, vor der § 316 StGB zu schützen sucht, aus, wie dieser das Fahrzeug nicht bewegt.160 Würden hingegen auch Handlungen, die nicht zur Bewegung des Fahrzeugs führten, strafbar gestellt, würde § 316 StGB zum Unternehmensdelikt umgeformt, sodass entgegen dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG Versuchshandlungen pönalisiert würden, obwohl § 316 StGB keine Versuchsstrafbarkeit kennt.161 Andererseits kann in dem Fortbewegungserfordernis das Fortleben des an Bedeutung verlorenen Definitionsmerkmals des in Bewegung setzens162 erkannt werden. Eine weitere Unstimmigkeit des Bewegungselements ist in der Tatsache zu erblicken, dass das Anrollen der Räder zwar den tatbestandlichen Beginn der Führungstätigkeit, deren Stillstand aber nicht spiegelbildlich dessen Beendigung markiert. Hierzu wird als späterer Anknüpfungspunkt auf das endgültige Abstellen des Motors bzw. die endgültige Einstellung der Weiterfahrt abgestellt.163 Damit ist das Bewegungselement allein für die rechtliche Würdigung der Vollendung, jedoch nicht zur Feststellung der Beendigung der Tatbestandsverwirklichung relevant. Ein nachvollziehbarer Grund, warum die Anknüpfungspunkte für die Vollendung der Tathandlung und Beendigung auseinanderfallen sollten – wobei in der Rechtspre155
BGHSt 35, 390, 393; Geppert, Jura 2001, 559, 561. U. a. ausdrücklich BGHSt 7, 315, 317; OLG Koblenz VRS 46 (1974), 352, 352; OLG Koblenz DAR 1972, 50, 51; OLG Hamm VRS 13 (1957), 450, 450. 157 U. a. LK-StGB/König, § 315c, Rn. 11; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 15 m. w. N.; S/S/Hecker, § 316, Rn. 19; restriktiv Schünemann, in: Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 152, der die Überschreitung einer bestimmten Gefahrenschwelle fordert, was erst mit dem Erreichen einer verletzungsgeeigneten Geschwindigkeit bejaht werden kann. 158 OLG Celle NStZ 1988, 411, 411; OLG Hamm NJW 1984, 137, 137; LG Hamburg VRS 74 (1988), 273, 273; AG Homburg VRS 74 (1988), 27, 27 f.; u. a. Janiszewski, NStZ 1987, 545, 546; m. w. N. zur damaligen Lit. Janiszewski, NStZ 1987, 270, 271; Janiszewski, NStZ 1984, 111, 113. 159 LK-StGB/König, § 315c, Rn. 11. 160 AG Freiburg NJW 1986, 3151, 3152; S/S/Hecker, § 316, Rn. 19. 161 OLG Hamm NJW 1984, 137, 137; AG Freiburg NJW 1986, 3151, 3152; Janiszewski, NStZ 1984, 111, 113. 162 Siehe 6. Kap., Fn. 93. 163 BGH VRS 49 (1975), 177, 177; 185, 185; BGH NJW 1983, 1744, 1744; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 281, 282, welches auf die Beendigung der Fahrt abstellt; MüKoStGB/Pegel, § 315c, Rn. 16; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 13. 156
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
chung und herrschenden Lehre ausdrücklich darauf verwiesen wird, dass das Starten des Motors nicht für die Vollendung des tatbestandlichen Führens genüge164 –, ist nicht ersichtlich. 4. Der Dauertätigkeitscharakter des Führens Die herrschende Literatur165 und Rechtsprechung166 resümieren aus der Auslegung der Tathandlung des Führens dessen Dauertätigkeitscharakter.167 Vom Anrollen der Räder an bis zum endgültigen Stillstand des Fahrzeugs wird das Führen bejaht.168 Entsprechend führt der Täter – soweit er kein hoch- oder vollautomatisiertes Fahrerassistenzsystem nutzt – ein Fahrzeug über den gesamten Fahrtzeitraum hinweg.169 a) Die dogmatische Herleitung der Dauerdelikte Die Qualifikation der Führungshandlung als Dauertätigkeit bedeutet nicht zugleich, dass sämtliche Führungsdelikte Dauerdelikte im dogmatischen Sinne sind. Das Führen stellt lediglich das tatbestandliche Handlungsfundament dar, welches ausschließlich von weiteren regelwidrigen Verhaltensweisen umrahmt zur Strafbarkeit führt. Allein das Führen eines Fahrzeugs ist – mit Ausnahme der Fahrzeugführung ohne Fahrerlaubnis gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG – schließlich nicht strafbar. Die Qualifikation des jeweiligen Führungsdelikts als Dauerdelikt hängt
164 MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 15; BeckOK-StGB/Kudlich, § 315c, Rn. 10.1 u. 13; Fischer, StGB, § 316, Rn. 3b; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 12; SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 6; BGH NStZ-RR 2019, 60, 61; BGHSt 35, 390, 393; OLG Hamm VRS 37 (1969), 281, 282; vgl. OLG Hamm NJW 1984, 137, 137. 165 Vgl. u. a. LK-StGB/König, § 316, Rn. 228; BeckOK-StGB/Kudlich, § 316, Rn. 19; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 16. 166 BGH VRS 48 (1974), 354, 355; 49 (1975), 177, 177; 185, 185; BGH NJW 1983, 1744, 1744; 1989, 1227, 1228; OLG Hamm NVZ 2008, 532, 532. 167 Resultat dessen, gleichwohl davon zu unterscheiden, ist der Dauerdeliktscharakter des § 316 StGB: BGHSt 21, 203, LS u. 204; 25, 72, 75; vgl. BGHSt 23, 141, 144; OLG Hamm NZV 2008, 532, 532; AG Lüdinghausen NZV 2007, 485, 485; Fischer, StGB, § 316, Rn. 56; Hentschel/König/Dauer, StGB, § 316, Rn. 86; LPK-StGB/Kindhäuser, § 316, Rn. 1; MüKoStGB/Pegel, § 316, Rn. 124; Lackner/Kühl/Heger, § 316, Rn. 3; LK-StGB/König, § 316, Rn. 2 u. 228; NK-GVR/Quarch, StGB, § 316, Rn. 21; AnwK-StGB/Burhoff, § 316, Rn. 2; BHHJ/ Burmann, StGB, § 316, Rn. 1; Klesczewski, StR BT, § 15, Rn. 23; Eisele, StR BT I, Rn. 1116; Eisele, JA 2007, 168, 172; Seier/Hembach, JuS 2014, 35, 35; Seier, NZV 1990, 129, 130 f. m. w. N.; Krumm, DAR 2017, 375, 375. 168 U. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 15 f.; LK-StGB/König, § 316, Rn. 228; BGH VRS 49 (1975), 177, 177; 185, 185; BGH NJW 1983, 1744, 1744; BayObLGSt 30, 13, 13 f.; a. A. OLG Koblenz DAR 1972, 50, 51. 169 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 6, Rn. 58; Roxin/Greco, StR AT I, § 10, Rn. 105.
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
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deshalb nicht allein von der Eingruppierung der Tathandlung, sondern (auch) von der Natur der hinzutretenden Tatbestandsmerkmale ab.170 Freilich kommt andererseits der Tathandlung eine prägende indizielle Bedeutung bei der Einordnung eines Delikts zum Kreis der Dauerdelikte zu. Die indizierte Wirkung kann jedoch durch konkretisierende Tatbestandsmerkmale oder durch die Abtrennung einzelner spezifischer regelwidriger Verhaltensweisen, wie dies in § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB geschehen ist, beseitigt werden. Es besteht somit eine beschränkte Abhängigkeit zwischen der Dauertätigkeit und dem Dauerdeliktscharakter. Letzteres zeichnet sich im Gegensatz zu den Zustandsdelikten durch die ununterbrochene Aufrechterhaltung und Nichtbeseitigung des vom Täter begründeten Zustands oder durch die fortgesetzte Verwirklichung der tatbestandserheblichen Handlungen aus.171 Entweder handelt der Täter über einen ausgedehnten Zeitraum hinweg oder der Erfolg der Tatbegehung realisiert sich in einer langanhaltenden oder sich stetig verstetigenden Rechtsgutsbeeinträchtigung.172 Das Zustandsdelikt zeichnet sich hingegen dadurch aus, dass es mit der Herbeiführung des Zustands, unabhängig von dessen Fortdauer, regelmäßig voll- als auch beendet ist.173 Beispielhaft kann die Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB benannt werden, welche in einem bestimmten Zeitpunkt durch eine bestimmbare Beschädigungs- oder Zerstörungshandlung vollendet und beendet wird. Dies ist beim Führen nicht der Fall. Das Führen eines Fahrzeugs setzt die stetige Vornahme von Steuerungseingriffen voraus, um den Fahrprozess aufrecht zu erhalten. Zudem wird mit dem Führen als neutrale Handlung weder ein abgeschlossener Zustand hergestellt, mit dem die Tat beendet wäre, noch bewirkt die Verwirklichung jeder einzelnen Steuerungshandlung für sich eine eigene neue Führungstätigkeit. b) Die Auslegung und Problematik des Führens als Dauertätigkeit Der Charakter des Führens als Dauertätigkeit ist kaum bestreitbar. Als einleitende Veranschaulichung und zur Abgrenzung zum Dauerdeliktscharakter kann die Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 Abs. 1 StGB dienen. Deren Verwirklichung dauert nicht über den Zeitraum der Fahrzeugführung, sondern solange diese im Zustand der Trunkenheit ausgeführt wird, an. Die Tatverwirklichung ist entweder beendet, wenn der Täter im rauschbedingten Zustand sein Fahrzeug endgültig abstellt, also die 170
Vgl. Roxin/Greco, StR AT I, § 10, Rn. 105; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 6, Rn. 58. 171 Jansen, NZV 2017, 214, 217 f.; MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52, Rn. 28; Lackner/Kühl/Kühl, Vorb §§ 52, Rn. 11; S/S/Sternberg-Lieben/Bosch, Vorb §§ 52 ff., Rn. 81; Roxin/Greco, StR AT I, § 10, Rn. 105. 172 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 6, Rn. 58; Letzteres ist freilich eine Fragestellung, die nur mit Blick auf den konkreten Tatbestand bzw. das geschützte Rechtsgut beurteilt werden kann. 173 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 6, Rn. 58; Heinrich, StR AT, Rn. 167; Jescheck, FS Welzel, S. 683, 687; Murmann, Grundkurs StR, § 14, Rn. 25; ausf. Rönnau, JuS 2010, 961, 962; Zieschang, FS Rissing-van Saan, S. 787, 787 f.
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
Dauertätigkeit des Führens aufgibt, oder wenn der Trunkenheitszustand – der tatbestandliche Gefahrzustand – aufgrund von Zeitablauf soweit nachgelassen hat, dass keine Fahruntüchtigkeit mehr vorliegt.174 Die Natur des Führens als Dauertätigkeit ist aus den Entscheidungsfindungen der Rechtsprechung, die eben nicht situationsgebunden prüft, ob im Gefährdungs- oder Verletzungszeitpunkt eine Steuerungstätigkeit vorgenommen wurde, ableitbar. In den Urteilen wird nicht darauf abstellt, ob oder gar welche konkreten physischen Steuerungseingriffe der Täter vornahm. Dies ist im Umkehrschluss seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1959 unausgesprochener Konsens: „Die Fortbewegung des Fahrzeugs hängt von mehreren Verrichtungen ab, die ineinander greifen. Fällt nur eine von diesen für den Bewegungsvorgang maßgeblichen Verrichtungen aus oder wird sie falsch vorgenommen, so besteht Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer; schon dann ist das Fahrzeug falsch geführt.“175
Im Jahr 1981 bekräftigte der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung zum Räuberischen Angriff auf Kraftfahrer, jedoch unter Bezugnahme auf das Bewegungserfordernis, seine Ansicht und betonte: „Das Führen eines Kraftfahrzeuges erfordert eine stetige Einwirkung des Fahrers auf den Antriebs- und Lenkmechanismus. Das Inganghalten des Fahrzeugs setzt auch nach einmal erfolgter Ingangsetzung immer wieder neuerlichen Krafteinsatz des Fahrers jedenfalls auf Gaspedal und Lenkung voraus. Das Fortsetzen der Fahrt stellt daher hier positives Tun dar.“176
Anderes scheint, wie bereits angedeutet und in den folgenden Zeilen noch vertieft wird, bei den Fahrlehrerentscheidungen statuiert worden zu sein. Fahrlehrer nehmen nach neuer Ansicht des Bundesgerichtshofs die Führungsaufgabe nur im Moment der physischen Betätigung der Steuerungselemente des Fahrzeugs wahr. Anders ausgedrückt genügt dem Bundesgerichtshof für die Feststellung des Fahrzeugführens, dass der Täter auf dem Fahrersitz saß und das Fahrzeug durch die Bedienung der Steuerungsvorrichtungen zumindest in Bewegung setzte; es sei denn, es handelt sich um einen Fahrlehrer auf dem Beifahrersitz. Nur in letzterem Falle spielt die Art und Weise als auch zeitliche Häufung der Vornahme von Steuerungshandlungen eine entscheidende Rolle für die Bejahung oder Verneinung der Führungstätigkeit. Damit stellte der Bundesgerichtshof selbst das Dauertätigkeitscharakteristikum des Führens – welches auf den Dauerdeliktscharakter des § 316 StGB durchschlägt – in Frage.
174 BayObLGSt 30, 13, 13 f.; LK-StGB/König, § 316, Rn. 228; BeckOK-StGB/Kudlich, § 316, Rn. 19. 175 BGHSt 13, 226, 227. 176 BGH DAR 1981, 226, 226.
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
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c) Weitere dogmatische Herleitung des Dauertätigkeitscharakters des Führens aus den Konkurrenzen Trotz der Problematik der Zuordnung der Führungstätigkeit zum Kreis der Dauertätigkeiten, wird die Dauerdeliktsqualität des § 316 StGB nicht hinterfragt. Die Auslegung als Dauertätigkeit findet stattdessen auch heute unreflektiert, insbesondere bei der Konkurrenzfrage, Eingang in die Dogmatik der Führungsdelikte. Entsprechend ausdrücklich wird die Trunkenheitsfahrt auch weiterhin gemäß § 316 StGB als Dauerdelikt qualifiziert.177 Sie beginnt, sobald der Täter berauscht die Räder des Fahrzeugs anrollen lässt und endet, wenn der Täter die Fahrt entweder endgültig einstellt oder die Fahruntüchtigkeit durch eine mit der Zeit verminderte Wirkung des Rauschmittels entfällt.178 Verkehrsbedingtes Halten unterbricht die Tatbegehung ebenso wenig, wie das Ausbleiben von Steuerungseingriffen über einen längeren Zeitraum aufgrund der Nutzung technischer Systeme.179 Überwiegend wird dies auch für die Trunkenheitsfahrt nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB angenommen, obwohl darüber tatsächlich ein Streit entbrannte,180 der jedoch nicht am Führen als Tathandlung anknüpft. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1988181 handelt es sich bei einer Trunkenheitsfahrt nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB nur um eine Tat, selbst wenn es bei dieser zu mehreren Gefährdungslagen für verschiedene Personen oder Sachen kam.182 Schließlich hält der Täter (bei einer Trunkenheitsfahrt) über den Zeitraum der konkreten Gefährdung hinaus den Gefährdungszustand für den Straßenverkehr aufrecht. Die entsprechend auftretenden konkret-individuellen Gefährdungslagen sind lediglich Resultat und Ausfluss der gesamtheitlich durch das Führen eines Fahrzeugs verwirklichten Gefährdungslage.183 Da die Führungsdelikte nach der Rechtsprechung primär die Sicherheit des Straßenverkehrs schützen,184 ist mithin von einer Tat auszugehen.185 Zu diesem Ergebnis gelangte der Bundesgerichtshof nur, indem er das Führen als Dauertätigkeit, 177
Siehe 6. Kap., Fn. 654. BGH VRS 49 (1975), 177, 177; BayObLGSt 30, 13, 13 f.; LK-StGB/König, § 316, Rn. 2 u. 228; MüKo-StGB/Pegel, § 316, Rn. 124; AnwK-StGB/Burhoff, § 316, Rn. 2; Eisele, JA 2007, 168, 172. 179 U. a. Klesczewski, StR BT, § 15, Rn. 23; S/S/Hecker, § 316, Rn. 30. 180 Weiterführend BGH NJW 1989, 1228, 1228 f.; Seier, NZV 1990, 129, 130 f. m. w. N.; MAH StVR/Schäpe, § 13, Rn. 125; StVR-HdB/Hentschel, Erl. 14, Kap. E., Rn. 13 f.; kein Dauerdelikt, wenn die Fortsetzung der Fahrt auf einem neuen Tatentschluss beruht: vgl. BGHSt 23, 141, 144; OLG Düsseldorf NZV 1999, 388, 388. 181 BGH NJW 1989, 1227, 1228. 182 Sehr umstritten u. a. LK-StGB/König, § 315c, Rn. 209 m. w. N.; Lackner/Kühl/Heger, § 315c, Rn. 4 u. 35 m. w. N.; S/S/Hecker, § 315c, Rn. 53. 183 Zum Gesamten BGH NJW 1989, 1227, 1228. 184 U. a. zu § 315c StGB: BGH NJW 1989, 1227, 1228; vgl. BGHSt 27, 40, 41; 23, 261, 263 f.; zu § 316 StGB: OLG Karlsruhe NJW 1985, 2905, 2905 m. w. N.; zu § 24 StVG: bereits BGHSt 13, 226, 227; zu § 24a StVG: KG NJOZ 2015, 840, 843. 185 BGH NJW 1989, 1227, 1228; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 209 m. w. N.; a. A. Lackner/ Kühl/Heger, § 315c, Rn. 4 u. 35 m. w. N. 178
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
mithin die gesamte Fahrt als eine langanhaltende Rechtsgutsgefährdung aufgrund der fortgesetzten Verwirklichung der tatbestandsbeschreibenden Handlung erkennt.186 Ob dies auch beim Fahrlehrer, der ausschließlich situativ eingreift und im Resultat der Ansicht des Bundesgerichtshofs, die Führungstätigkeit nach dem Eingriff wohl wieder aufgeben kann, Geltung beanspruchen kann, darf bezweifelt werden. Vielmehr offenbart sich hier ein offener Widerspruch. Natürlich ändert ein Blick auf § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB, dessen Tatvarianten als Erfolgsdelikt ohne Dauerdeliktscharakter ausgestaltet sind,187 nichts. Diese beziehen sich auf einzelne abtrennbare konkret-spezifische Begehungsweisen aus dem Kreis der Führungstätigkeit; sie werden, anders als das Fahren oder Führen, nur partiell verwirklicht.188 Die Führungstätigkeit selbst kann und wird in aller Regel sowohl vor als auch nach der konkret strafbaren Gefährdungssituation des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB ausgeübt. § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB kann daher keine Zweifel an dem Dauertätigkeitscharakter des Führens eines Fahrzeugs wecken. 5. Das subjektive Element der Fahrzeugführung Grundsätzlich sind dem objektiven Tatbestand subjektive Komponenten fremd. Gleichwohl ist in einigen wenigen Fällen die objektive Verwirklichung der Tathandlung ohne subjektiven Einschlag schwer denkbar. Das subjektive Element erfüllt dann auf der objektiven Ebene eine notwendige Unterscheidungsfunktion. Zu denken ist etwa an die Unterschlagung und deren subjektive Komponente bei der objektiven Zueignung189 als auch den Betrug und dessen Täuschungshandlung, wobei hier die Notwendigkeit eines subjektiven Elements in Gestalt des Bewusstseins der Unrichtigkeit des Behaupteten strittig190 ist. Beim Führen, das nach einhelliger Ansicht eine zielgerichtete Tätigkeit in Form einer willensgesteuerten Führungshandlung darstellt, gehen die Meinungen ebenfalls auseinander, wobei insgesamt ein Überhang auf Seiten der Befürworter des subjektiven Einschlags zu verzeichnen bleibt.191 Dieser wird weitläufig als „finales Element“ oder „finales 186 Vgl. Roxin/Greco, StR AT I, § 10, Rn. 105; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 6, Rn. 58. 187 Seit BGHSt 23, 141, 144 u. 147 f. wird an dem Dauerdeliktcharakter des § 315c StGB nicht mehr festgehalten; zuvor nahm der BGH noch zum § 315a Abs. 1 Nr. 2 StGB a. F. einen solchen an, BGH VRS 9 (1955), 350, 353; Krumm, DAR 2017, 375, 375; a. A. BayObLGSt 23, 96, 96; OLG Düsseldorf NZV 1999, 388, 388 f. 188 Vgl. BGHSt 23, 141, 147 f. 189 U. a. BeckOK-StGB/Wittig, § 246, Rn. 4 m. w. N.; krit. MüKo-StGB/Hohmann, § 246, Rn. 21. 190 Etwa BGHSt 18, 235, 237; Lackner/Kühl/Kühl, § 263, Rn. 6 m. w. N.; abl. etwa Fischer, StGB, § 263, Rn. 14; Mitsch, StR BT 2, Erl. 5.2.1.2.3, S. 263 m. w. N. zum Meinungsstand. 191 MüKo-StVR/Hagemeier, StGB, § 315c, Rn. 11; bejahend OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 281, 281; OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 198; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; BayObLGSt 20, 109, 109 ff.; NK-GVR/Blum, StVG, § 21, Rn. 14; Fischer, StGB, § 315c, Rn. 3c; Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 327; Schrader, NJW 2015, 3537, 3539; abl. vgl.
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
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Moment“ des Führens bezeichnet.192 Wird die Hürde der Existenz des subjektiven Elements genommen, ist auf zweiter Stufe dessen Ausprägung zu diskutieren. Fraglich ist, ob sich das Willenselement allein auf die Handlung als solche oder auch auf den Fortbewegungswillen bzw. -wunsch beziehen muss. Zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild: In der Literatur finden sich mehrere Stimmen, die das Führen oder die Führung eines Fahrzeugs als zielgerichtete Tätigkeit ohne Fortbewegungswunsch oder -absicht als begrifflich nicht denkbar erachten.193 Kommt das Fahrzeug ohne Willen der darin oder darauf sitzenden Person ins Rollen, kann darin kein tatbestandliches Fahrzeugführen erblickt werden.194 Es fehlt in diesen Fällen schlicht an einer zielgerichteten, also willensgesteuerten Fortbewegungstätigkeit. Die überwiegende Rechtsprechung stimmt – wenngleich diese das subjektive Element selten als solches ausdrücklich benennt195 – mit der überwiegenden Literatur überein. Seinen Ursprung nahm die Rechtsprechung zum finalen Moment jedoch zunächst im Tatbestandsmerkmal der Teilnahme am Verkehr. Bereits in den 1950er Jahren trat der Bundesgerichtshof der bisherigen Rechtsprechung zum Verhältnis der beiden Tatbestandsmerkmale der Teilnahme am Straßenverkehr und des Führens entgegen und forderte unter Durchbrechung der damaligen Gleichstellung der Auslegung beider Tatbestandsmerkmale für erstere sinngemäß ein subjektives Element: „Auszuscheiden hat daher alles, was nicht der alsbaldigen Fortbewegung des Fahrzeugs, sondern [anderen], etwa Prüfzwecken dient. Wer z. B. auf ebener Fahrbahn den Anlasser nur betätigt, um festzustellen, ob der Motor noch anspringt, nimmt nicht am Verkehr teil […].
BGHSt 19, 371, 372 f., demnach die Vornahme von Sicherungsmaßnahmen nach dem endgültigen Abstellen des Fahrzeugs, also zu einem Zeitpunkt, in welchem der Täter keinen Fortbewegungswillen mehr besitzt, zum Führen gehört; Karlsruhe NStZ-RR, 2006, 281, 282; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 16; Hagemeier sieht dieses Problem im subjektiven Tatbestand verortet: MüKo-StVR/Hagemeier, StGB, § 315c, Rn. 11. 192 MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 28; S/S/Hecker, § 316, Rn. 19; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 34; vgl. MüKo-StVR/Hagemeier, StGB, § 315c, Rn. 11; AnwK-StGB/Burhoff, § 316, Rn. 4; Hentschel, Anm. z. BGHSt 35, 390, 393, m. Anm. Hentschel, JR 1990, 30, 33; OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 198; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 281, 282. 193 Vgl. LK-StGB/König, § 315c, Rn. 34; Lackner/Kühl/Heger, § 315c, Rn. 3; SK-StGB/ Wolters, § 316, Rn. 8 u. § 315c, Rn. 6; ebenso vgl. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 28, der das Führen als nur vorsätzlich begehbar erachtet; Detter, Verkehrsstrafrecht, S. 14; a. A. NK-StGB/ Zieschang, § 315c, Rn. 16. 194 BayObLG VRS 39 (1970), 206, 206 f.; BayObLG bei Rüth, DAR 1980, 257, 266; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 1. LS u. 198; LG Düsseldorf VRS 82 (1992), 454, 1. LS u. 455; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 28; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 34 u. Valerius, § 69, Rn. 80; S/S/Hecker, § 316, Rn. 19; Lackner/Kühl/Heger, § 315c, Rn. 3; Fischer, StGB, § 315c; Rn. 3c; Hentschel, Trunkenheit, Rn. 346; a. A. NKStGB/Zieschang, § 315c, Rn. 16. 195 BayObLGSt 20, 109, 110 setzt eine „finale Handlung“ voraus; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 281, 282 verlangt ein „finales Moment“.
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
Am Verkehr nimmt jedoch teil, wer um zu fahren das Trieb- oder Fahrwerk des Fahrzeugs bedient, sei es durch Lösen der Handbremse, durch Gangschalten oder Einführen des Zündschlüssels. Diese Handlungen, mit dem Willen und im Zusammenhang mit der Absicht alsbaldiger Fortbewegung vorgenommen, dienen unmittelbar der Teilnahme am Verkehr […].“196
Zumindest dem Erfordernis eines subjektiven Elements schloss sich spätestens seit Mitte der 1960er Jahren die überwiegende Rechtsprechung an.197 Dies mag auch daran gelegen haben, dass der Bundesgerichtshof mit neuerlichem Beschluss aus dem Jahr 1964 nicht nur die bereits statuierte gleichartige Auslegung beider Tatbestandsmerkmale198, sondern auch deren subjektive Prägung erneut betonte. So erklärte der Bundesgerichtshof, dass: „[…] derjenige am Verkehr teilnimmt, der, um zu fahren, auf einer öffentlichen Straße das Trieb- oder Fahrwerk des Fahrzeugs bedient […].“199
Die Existenz des finalen Moments kam gleichwohl nur sehr subtil in den Entscheidungen der Rechtsprechung zum Tragen.200 Es klang in den Urteilen, wie aus den beiden zitierten Fundstellen bereits hervorgeht, lediglich an. Im Ergebnis dessen verneint die überwiegende Zahl der Strafgerichte die Führungstätigkeit, wenn sich das Fahrzeug ohne den Willen der darin oder darauf sitzenden Person bewegte.201 Darüber hinaus, und zur Ausprägungsfrage überleitend, erklärte das Oberlandesgericht Düsseldorf, wie schon aus der Umschreibung des Bundesgerichtshofs „um zu fahren“202 hervorgeht, das Vorliegen einer bloß bewusst (kausalen) Handlung für ausdrücklich nicht ausreichend zur Tathandlungserfüllung.203 Stattdessen kann nur eine solche Handlung tatbestandsmäßig sein, mit der der Täter das Fahrzeug in Bewegung setzen wollte: 196 BGHSt 7, 315, 317; alsbald auf das Führen übertragen, u. a. BGHSt 19, 371, 372 f. „um zu fahren“; OLG Celle NZV 1988, 72, 72; BayObLG NJW 1986, 182, 1822 m. w. N.; OLG Hamm NJW 1984, 137, 137 m. w. N.; ähnlich OLG Celle VerkMitt 1973, 19, 19. 197 OLG Stuttgart DAR 1963, 358, 359; BayObLGSt 20, 109, 109; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 198; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 281, 282. 198 An der identischen Auslegung beider Tathandlungen hielt die Rspr. nicht fest, vgl. u. a. OLG Hamm NJW 1984, 137, 137; AG Freiburg NJW 1986, 3151, 3152; vgl. OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 198. Der BGH selbst stellte erst 1988 klar, dass die vormalige Gleichstellung der Auslegung beider Tathandlungsbegriffe allein die Frage betraf, welche Maßnahmen nach dem Anhalten eines Fahrzeugs noch zum Führen gehören würden, BGHSt 35, 390, 392. 199 BGHSt 19, 371, 372 f. 200 Siehe 6. Kap., Fn. 195. 201 OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, LS, 198; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; BayObLGSt 20, 109, 110 f.; BayObLGSt 20, 109, 110 f.; zu § 24 Abs. 1 S. 1 StVG: OLG Stuttgart DAR 1963, 358, 358 f. 202 BGHSt 19, 371, 372; ebenso bspw. OLG Celle NdsRpfl 1973, 27, 27; AG Freiburg NJW 1986, 3151, 3151; bereits zum Tatbestandsmerkmal der Teilnahme am Verkehr BGHSt 7, 315, 317. 203 OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, LS, 198.
A. Das Führen als Tatbestandsmerkmal
145
„Es genügt demnach nicht eine bewußte Handlung, welche im späteren Kausalverlauf in einen Bewegungsakt des Fahrzeugs mündet; vielmehr muß die Bewegung als solche vom Willen des Fahrzeugführers getragen sein.“204
Die strafgerichtliche Rechtsprechung folgt damit im Gros der engeren Auffassung, die nicht nur eine bewusste Vornahme der Handlung fordert, sondern eine auf einem Fortbewegungswillen beruhende bewusste Tätigkeit voraussetzt.205 Der Täter müsse die Führungshandlung in der Erwartung vorgenommen haben, das Fahrzeug dadurch in Bewegung zu setzen. Die Grundlage des subjektiven Elements wird dabei in der Auslegung des Wortlauts der Tathandlung erkannt. Wird davon ausgegangen, dass es sich beim Führen um eine zielgerichtete Tätigkeit handelt, könne diese denklogisch nur mit dem Willen der Fortbewegung ausgeübt werden.206 Eine andere Auslegung verstieße nach Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf gegen das Verbot der täterbelastenden Analogie.207 Unter Berücksichtigung der soeben ausgeführten – nachvollziehbaren – Argumentation sind die als problematisch erkannten Konstellationen, in der der Täter bewusst ein Steuerungselement ohne Fortbewegungswillen oder unter Verkennung seiner Funktion bedient, ohne Weiteres zu lösen. Ein Blick über die Strafgerichtsbarkeit hinaus offenbart jedoch, dass sich eine einheitliche Rechtsprechung nicht etabliert hat. Beispielhaft sei eine Entscheidung des Landgerichts Dortmund benannt. Dieses hatte in einem versicherungsrechtlichen Zivilverfahren im Jahr 2010,208 in dem der „Fahrer“ den Wählhebel des Automatikgetriebes eines stehenden Fahrzeugs bei laufendem Motor versehentlich auf die Position „Revers“ (R) und nicht wie beabsichtigt auf „Neutral“ (N) stellte, wodurch sich das Fahrzeug kurze Zeit später und, nachdem er das Fahrzeug wieder verlassen hatte, ungewollt in Bewegung setzte, die Führungstätigkeit bejaht. Obwohl der „Fahrer“ aufgrund des zeitverzögerten unverhofften Anrollens des Wagens zwischen der Hebebühne und demselben eingeklemmt wurde, was dieser freilich nicht anstrebte, führte er nach Ansicht des Gerichts unter Verweis auf die Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs das Fahrzeug.209 Auf den Fortbewegungszweck käme es, wobei im Urteil auf die Ingebrauchnahme des Fahrzeugs abstellt wurde, nicht an.210 Allein die bewussten Bedienungshandlungen, namentlich das Betätigen des Zündschlüssels, um den Motor anzulassen, als auch das Betätigen des Automatikwählhebels, würden für die Bejahung der Fahrzeugführung genügen. Auch wenn die zivilgerichtlichen Entscheidungen auf die strafrechtliche Auslegung der Tatbestands204
OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, LS, 198. Insb. siehe BGH NStZ-RR 2019, 60, 61. 206 OLG Stuttgart DAR 1963, 358, 359; BayObLGSt 20, 109, 109 f.; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 198. 207 OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 198. 208 LG Dortmund NZV 2010, 619, 620. 209 BGH NJW 1963, 43, 43, welcher noch im Gleichklang mit den Strafsenaten des BGH den Führer bzw. das Führen am Begriff des StVG ausrichtete. 210 LG Dortmund NZV 2010, 619, 620. 205
146
6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
handlung des Führens keine unmittelbare Auswirkung besitzt, verdeutlicht dies das verschiedenartige Verständnis von der Tätigkeit der Fahrzeugführung. Zurückkommend zur Ausgangsfrage bedeutet dies, dass das subjektive Element des Führens in der neueren ständigen strafrechtlichen Rechtsprechung als auch in Teilen der Literatur anerkannt ist. Ein Führen liegt demnach nur vor, wenn ein bewusster Steuerungseingriff, der mit dem Willen der (baldigen) Fortbewegung vorgenommen wird, also unter einem (zielgerichteten) Fortbewegungswillen bzw. einer Fortbewegungsabsicht geschieht, vorgenommen wird.211 Eine Folge dessen ist auf objektiver Tatbestandsebene, dass nach konsequenter Ansicht der Rechtsprechung ein fahrlässiges Führen nicht möglich ist.212 Die Anordnung der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit des § 316 Abs. 2 StGB bezieht sich damit ausschließlich auf die Herbeiführung oder Verkennung des fahruntüchtigen Zustands, nicht aber auf die Vornahme der Tatbestandshandlung des Führens.213 Dies ist auf die Existenz des subjektiven Elements zurückzuführen.
B. Die Problemfelder der kasuistischen Auslegungsund Spruchpraxis Folge der bereits anklingenden einzelfallorientierten Rechtsprechung ist eine kasuistische, uneinheitliche und kaum noch auf einen Nenner zu bringende214 Judikatur.215 Die letzten 70 Jahre der Rechtsprechung stellen sich geradezu als eine Fallsammlung individueller Lösungsansätze dar, die in das Kostüm abstrakter Definitionen gezwängt wurden. Eine einheitliche Auslegungspraxis hat sich nicht entwickelt. Tatsächlich stößt die Rechtsprechung als auch Literatur bereits beim menschlichen Fahrzeugführer an ihre (Auslegungs-)Grenze. Die Konsequenz sind Strafbarkeitslücken und Widersprüche, die sich beim automatisierten Fahren verstetigen und ausprägen werden. Bevor die Nutzung automatisierter Fahrerassistenzsysteme in den 211 Neuere st. Rspr.: OLG Hamm NJW 1984, 137, 137; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 198; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 281, 282; AG Freiburg NJW 1986, 3151, 3151 f.; Hentschel/König/Dauer, StGB, § 316, Rn. 3 ff.; Lackner/ Kühl/Heger, § 315c, Rn. 3; AnwK-StGB/Burhoff, § 316, Rn. 4; Janiszewski, NStZ 1984, 111, 113; zur früheren Ansicht zum Tatbestandsmerkmal der „Teilnahme am Straßenverkehr“: BGHSt 7, 315, 316 f. 212 OLG Stuttgart DAR 1963, 358, 359; BayObLGSt 20, 109, 110; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 198; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 28; SKStGB/Wolters, § 315c, Rn. 8. 213 Ausf. OLG Stuttgart DAR 1963, 358, 359; BayObLGSt 20, 109, 109 f.; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; u. a. ebenso MüKo-StGB/Pegel, § 316, Rn. 106; Fischer, StGB, § 316, Rn. 42; zum § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB: OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 198. 214 LK-StGB/König, § 316, Rn. 9a. 215 Zimmermann, JuS 2010, 22, 23.
B. Die Problemfelder der kasuistischen Auslegungs- und Spruchpraxis
147
Blick genommen wird, werden die tragenden und zum Teil schon in den vormaligen Zeilen angedeuteten Problemfelder der aktuellen Auslegungs- und Spruchpraxis beim menschlichen Fahrzeugführenden aufgezeigt und diskutiert.
I. Erstes Problemfeld: Das Abstellen auf den physischen Steuerungsvorgang Den wohl wesentlichsten Anteil an der kasuistischen Rechtsprechung ist der über 100 Jahre alten verrichtungsbezogenen Auslegung des Führens zuzusprechen, welche der vorkonstitutionellen Rechtsprechung entspringt. Die Beschränkung auf physische Handlungen und vor allem auf allein „wahrnehmbare“ fahrtverändernde Steuerungseingriffe wird der tatsächlichen Führungstätigkeit im arbeits- und verkehrspsychologischen Sinne nicht gerecht. Gleichwohl entschied sich die Rechtsprechung – wohl aus dem Grunde der Vermeidung von Beweisschwierigkeiten – keine allzu wissenschaftlich-orientierte Definition auszuprägen. Schließlich werden, indem auf äußerlich feststellbare Ereignisse abgestellt wird, Feststellungen zur „schwer nachweisbare innere Einstellung des Täters“216 entbehrlich. Genau deshalb kommt die Rechtsprechung auch in Fallgestaltungen, die nicht dem sog. Schema F entsprechen, zu keinem gleichförmigen Ergebnis. Sie gelangt vielmehr aufgrund ihrer Verhaftung an wahrnehmbaren Steuerungseingriffen in den Fällen, in denen der Täter dem Fahrzeugführungsprozess folgt, jedoch keine unmittelbare Steuerungstätigkeit vornimmt, zu inkonsequenten Resultaten. 1. Die Anwendungsdivergenz bei verschiedenen Fahrzeugarten Zum Vorschein kam die in der verrichtungsbezogenen Auslegung angelegte Anwendungsdivergenz bei der rechtlichen Würdigung der Führung verschiedener Fahrzeugarten. Obwohl die etablierte Definition restriktiv ausgestaltet ist und insbesondere ausschließlich Bedienungen der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeugs ausreichen lässt, wird das Führen eines Wasserfahrzeugs von der Rechtsprechung anders bewertet als das solche eines Landfahrzeugs. Dies ist unter dem Umstand, dass die Rechtsprechung die strafrechtliche Auslegungsunabhängigkeit von verkehrsrechtlichen Normen ausdrücklich betont, kaum nachvollziehbar. Ausgangspunkt dieser Divergenz ist eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig aus dem Jahr 1970. In dieser erkannte der Strafsenat die Abgabe mündlicher Weisungen für die Führung eines (motorisierten) Wasserfahrzeugs als ausreichend an.217 Zwar ist sicherlich zu berücksichtigen, dass die Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung zwischen dem Schiffsführer und dem Rudergänger (vgl. 216 217
BGHSt 35, 390, 395 m. w. N. OLG Schleswig, SchlHA 1970, 196, 196; Buchholz, JA 2017, 594, 595.
148
6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
§§ 1.02, 1.03 Nr. 1, 3 und 5 und 1.09 BinSchStrO)218 unterscheidet. Diese verkehrsrechtliche Wertung fand jedoch keine Berücksichtigung bei der Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig. Das strafrechtliche Führen wird mithin unabhängig der (wasser-)verkehrsrechtlichen Vorschriften verstanden. Der letztgenannte Rechtsgedankengang, die strafrechtliche Auslegungsfreiheit des Führens, war und ist auch heute in der überwiegenden Rechtsprechung verankert. Dennoch ist damit keine einheitliche strafrechtliche Würdigung verbunden. Entgegen der benannten Entscheidung zur Führung von Wasserfahrzeugen betonte der IV. Strafsenats in seinem jüngst aus dem Jahr 2014 stammenden Beschluss, dass Fahrlehrer Fahrzeuge bei einer Ausbildungsfahrt nach allgemeinen strafrechtlichen Kriterien solange nicht führten, soweit sie nicht in den Fahrprozess aktiv eingriffen.219 Zwar war Ausgangspunkt dieser Entscheidung eine Ordnungswidrigkeit – die Nutzung eines Mobiltelefons durch einen Fahrlehrer während der Übungs- bzw. Ausbildungsfahrt gemäß § 23 Abs. 1a S. 1 StVO. Seine Wertungen erstreckte der IV. Strafsenat gleichwohl ausdrücklich gesetzesübergreifend auf §§ 315c und 316 StGB, mithin auf die strafrechtliche Würdigung des Führens. Damit negierte der Bundesgerichtshof ausdrücklich die Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm aus dem Jahr 1968,220 auf die sich die Vorinstanz noch im Jahr 2009 bezog.221 Stattdessen folgte er der Ansicht des Oberlandesgerichts Dresden, welches 2005 urteilte, dass ein Fahrlehrer, der seine Ausbildungstätigkeit „auf die Bestimmung des Fahrtwegs und 218 § 1.03 BinSchStrO: […] 3. Mitglieder der Besatzung und sonstige Personen an Bord, die vorübergehend selbstständig den Kurs und die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs bestimmen, sind insoweit auch für die Befolgung der Bestimmungen dieser Verordnung und der im Rahmen des § 1.22 erlassenen Verordnungen und Anordnungen vorübergehender Art verantwortlich. […] 5. Der Schiffsführer hat sicherzustellen, dass niemand selbstständig den Kurs und die Geschwindigkeit des Fahrzeugs bestimmt oder andere, für die sichere Teilnahme des Fahrzeugs am Verkehr notwendige Tätigkeiten ausübt, der 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft oder 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Atem- oder Blutalkoholkonzentration führt. § 1.09 BinSchStrO: 1. Auf jedem in Fahrt befindlichen Fahrzeug hat der Schiffsführer sicherzustellen, dass das Ruder mit einer hierfür geeigneten Person im Alter von mindestens 16 Jahren besetzt ist. […] 3. Zur sicheren Steuerung des Fahrzeugs muss der Rudergänger in der Lage sein, alle im Steuerstand ankommenden Informationen und Weisungen zu empfangen oder von dort Informationen zu geben. […]. […]. 219 BGHSt 59, 311, 314 m. w. N., m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124; zust. OLG Stuttgart NJOZ 2016, 24, 24; LG Münster zfs 2018, 169, 169 f. m. Anm. Krenberger; AG Landstuhl, B. v. 20. 10. 2016 – 2 OWi 4286 Js 10115/16, BeckRS 2016, 18521. 220 OLG Hamm VRS 37 (1969), 281, 282. 221 OLG Bamberg NJW 2009, 2393, 2393, m. Anm. „contra“ Heinrich u. „pro“ Scheidler, DAR 2009, 402, 402 ff.
B. Die Problemfelder der kasuistischen Auslegungs- und Spruchpraxis
149
eine mündliche Korrektur der Fahrweise“222 beschränke, das Fahrzeug nicht führe.223 Entsprechend kam der Bundesgerichtshof nicht umhin, die Regelung des § 2 Abs. 15 S. 2 StVG, demnach der Fahrlehrer bei Übungs- und Prüfungsfahrten im Sinne des § 2 Abs. 15 S. 1 StVG als Führer des Kraftfahrzeugs gilt, bei Ordnungswidrigkeitstatbeständen als auch den Straftatbeständen der §§ 315c und 316 StGB für nicht anwendbar zu erklären.224 § 2 Abs. 15 S. 2 StVG gelte, wie dieser ausdrücklich mit „im Sinne diesen Gesetzes“ statuiert, nur – und selbst dort nicht umfassend225 – für das Straßenverkehrsgesetz. Der Fahrlehrer trüge entsprechend nur die Verantwortung für die Erfüllung der Pflichten des Straßenverkehrsgesetzes und der diesem kompetenzrechtlich entspringenden Rechtsverordnungen, namentlich der Straßenverkehrszulassungsordnung, der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr und der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr, nicht aber für die während der Übungsfahrt verwirklichten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten.226 Die Auslegung des Tatbestandmerkmals Führen oder Fahrzeugführer im strafrechtlichen Sinne bliebe deshalb von der gesetzgeberischen Entscheidung des § 2 Abs. 15 S. 2 StVG unberührt. Ist nun aber das Führen strafrechtlich frei von verkehrsrechlichen Einschlägen, mithin ohne Ansehung der (spezifischen) Verkehrsvorschriften, zu verstehen, wäre eine fahrzeugübergreifende Definition- und Anwendungspraxis zu erwarten gewesen. Dies ist mit Blick auf die benannten Entscheidungen und trotz der in der Rechtsprechung herrschenden Erkenntnis, dass die Führung eines Motor- respektive Segelboots den Führenden vor identische oder gar höhere Leistungsanforderungen stellt wie den Führenden eines motorisierten Straßenfahrzeugs,227 nicht der Fall. Dass nun hingegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2014 die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Schleswig hat obsolet werden lassen, darf hingegen bezweifelt werden. Zum einen bezieht sich der Bundesgerichtshof konkret 222
OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1013. OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1013; a. A. Blum/Weber, NZV 2007, 228, 229; LKStGB/Valerius, § 69, Rn. 54 f. m. w. N. und, wenn auch sprachlich undifferenziert: SK-StGB/ Wolters, § 315c, Rn. 6, welche den Fahrlehrer neben dem Fahrschüler als Führer des Kraftfahrzeugs ansehen. 224 OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1013 f.; vgl. BGHSt 59, 311, 316, m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124; OLG Düsseldorf NStZ 2014, 645, 655, m. Anm. Ternig, NZV 2014, 328; AG Herne, U. v. 24. 11. 2011 – 21 OWi-64 Js 891/11 – 264/11, BeckRS 2012, 24594; AG Landstuhl, B. v. 20. 10. 2016 – 2 OWi 4286 Js 10115/16, BeckRS 2016, 18521; Hentschel/König/ Dauer, StVG, § 2, Rn. 28; Mitsch, NZV 2011, 281, 282; a. A. zum § 3 Abs. 2 a. F. StVG OLG Karlsruhe VRS 64 (1983), 153, 157; Scheidler, Anm. „pro“ z. OLG Bamberg NJW 2009, 2393, DAR 2009, 403, 404; vgl. BHHJ/Hühnermann, StVG, § 2, Rn. 53. 225 OLG Düsseldorf NStZ 2014, 645, 655, m. Anm. Ternig, NZV 2014, 328. 226 BHHJ/Hühnermann, StVG, § 2, Rn. 53; siehe OLG Düsseldorf NStZ 2014, 645, 655, m. Anm. Ternig, NZV 2014, 328; AG Landstuhl, B. v. 20. 10. 2016 – 2 OWi 4286 Js 10115/16, BeckRS 2016, 18521; a. A. OLG Bamberg NJW 2009, 2393, 2393, m. Anm. „contra“ Heinrich u. „pro“ Scheidler, DAR 402, 402 ff. 227 OLG Brandenburg NStZ-RR 2002, 222, 222; LG Hamburg, B. v. 11. 05. 2006 – 603 Qs 195/06, juris, Rn. 6 f.; AG Rostock NVZ 1996, 124, 125. 223
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
auf den Straßenverkehr ohne sich zur Anwendung auf Wasserfahrzeuge zu positionieren. Zum anderen wurde das Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig wohl nicht vom Bundesgerichtshof gesehen.228 Letztlich zeugen die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Schleswig und des Bundesgerichtshofs, obwohl sie von derselben Auslegungsgrundlage ausgehen, davon, dass die Rechtsprechung von einer einheitlichen Anwendungspraxis weit entfernt ist. 2. Die Fahrlehrerentscheidungen in der Rechtsprechung Über die fahrzeugartenübergreifende Divergenz hinaus ist selbst innerhalb einer Fahrzeugart eine unterschiedliche Definitionsanwendung zu verzeichnen. Diese ist aus den (wenigen) Fahrlehrerentscheidungen zu entlehnen, in welchen eine Privilegierung der Fahrlehrer mitschwingt. Zu sehen ist freilich, dass es sich bei Fahrlehrern unzweifelhaft um eine besondere Gruppe von Verkehrsteilnehmern handelt, welche sich aufgrund ihrer besonderen Funktion in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht schwer in das (straf-)verkehrsrechtliche Gefüge eingliedern lassen. Die noch weiter verzweigten besonderen haftungsrechtlichen Vorschriften seien an dieser Stelle bereits ausgeklammert. Andererseits ist ein Vergleich des Fahrlehrers zu einem Fahrzeugführenden, der sich zur Fahrzeugsteuerung der technischen (automatisierten) Assistenzsysteme des Fahrzeugs bedient, gar nicht fernliegend. Die nachfolgenden Zeilen werden dieses Spannungsfeld zu erfassen versuchen. Anders als alle übrigen Führenden von Straßenfahrzeugen üben Fahrlehrer bei exakter Lesart des Urteils des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2014 die Führungstätigkeit nur und ausschließlich im (zeitlichen) Moment der physischen Betätigung der Steuerungselemente aus. Dies wird aus der strengen Anwendung des verrichtungsbezogenen Elements der Definition, der Bedienung wesentlicher technischer Einrichtungen des Fahrzeugs, geschlussfolgert. Dies ist umso beachtlicher, als die Rechtsprechung andererseits die arbeitsteilige Führung eines Fahrzeugs durch mehrere Personen grundsätzlich anerkennt.229 Folge dieser Rechtsprechung ist, dass allein der Fahrlehrer aus dem Kreis der Führenden von Straßenfahrzeugen nicht vom Anrollen der Räder an bis zum Stillstand des Fahrzeugs strafrechtlich als Führender angesehen wird.230 Zugleich fällt auf, dass es dem Bundesgerichtshof in seinem Urteil aus dem Jahr 2014 nicht darauf ankam und ungeprüft blieb, ob der Fahrlehrer bereits zu einem (unmittelbar) früheren Zeitpunkt irgendeinen physischen Stelleingriff vornahm. Dies ist, da es der Rechtsprechung für die Bejahung der Füh228
BGHSt 59, 311, 313 ff., m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124. BGHSt 13, 226, 227; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 14 u. 23; SK-StGB/Wolters, 315c, Rn. 6 u. § 316, Rn. 15; Eisele, JA 2007, 168, 168. 230 U. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 15 f.; LK-StGB/König, § 316, Rn. 228; BGH VRS 49 (1975), 177, 177; 185, 185; BGH NJW 1983, 1744, 1744; BayObLGSt 30, 13, 13 f.; LG Münster zfs 2018, 169, 169 f., m. Anm. Krenberger; a. A. OLG Koblenz DAR 1972, 50, 51. 229
B. Die Problemfelder der kasuistischen Auslegungs- und Spruchpraxis
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rungstätigkeit beim Fahrlehrer exakt darauf ankommt, ob und wann er einen physischen Stelleingriff vorgenommen hat, inkonsequent. Letztlich sind die Fahrlehrer damit die einzigen Verkehrsteilnehmer, die sich ihrer Führungspflichten und der Führungstätigkeit während des Fahrprozesses selbstbestimmt entledigen können, obwohl eine führungsfähige und -berechtigte Person nicht anwesend ist. Dergleichen ist anderen Fahrzeugbedienern, etwa durch die Abgabe der Fahraufgabe an ein teilautomatisiertes System, grundsätzlich verwehrt. Im Ergebnis wird damit bezogen auf den aufgezeigten Dauertätigkeitscharakter des Führens ein unterschiedlicher rechtlicher Maßstab ausgehend vom Tatsubjekt angelegt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich auch einige Stimmen in der Literatur231 und zum Teil in der (früheren) Rechtsprechung232 herausbildeten, die beide, Fahrlehrer als auch Fahrschüler, nebeneinander als (potenzielle) Führende betrachten. Dies wurde und wird nicht nur mit der aufgezeigten Pflicht des Fahrlehrers, sich dauerhaft mit dem Verkehrsgeschehen und den Handlungen des Fahrschülers zu befassen, sondern, wie Wolters und Ernemann zutreffend darstellen, auch aus der technischen Möglichkeiten des Eingreifens in den Fahrvorgang begründet.233 Anders als der Beifahrer habe der Fahrlehrer stets „den Fuß auf dem Brems- oder Gaspedal“,234 wodurch er sich über den gesamten Fahrvorgang hinweg der Kontrolle des Fahrzeugs bemächtigen könne.235 Eine schlüssige Gegenargumentation, die die tatsubjektsbezogene Privilegierung zu stützen vermag, existiert hingegen nicht. Auch kann ein Vergleich zum soeben angesprochenen Beifahrer nicht bemüht werden. Der Beifahrer hat anders als der Fahrlehrer weder die Pflicht noch die vorbehaltlose technische Möglichkeit, in den Fahrprozess direkt und vor allem übersteuernd einzugreifen. Er, der Beifahrer, wird dies auch nur im Ausnahmefall tun. Der Eingriff des Fahrlehrers stellt sich hingegen als Regelfall und als Reaktion auf die ebenfalls wahrgenommenen und verarbeiteten Verkehrsgegebenheiten und nicht wie beim Beifahrer als Schreckreaktion dar. Ebenfalls verfängt das Argument, dass von einem (alkoholisierten) Fahrlehrer auf dem Beifahrersitz, der keinerlei Intention zeigt, in den Fahrprozess physisch einzugreifen, keine Gefahr ausginge, nicht. Neben der Frage der Gefährlichkeit des Verlusts der Kontrollfähigkeit über das Fahrzeug durch die gänzliche Übertragung der Fahrzeugsteuerung auf den (noch) unsicheren und nicht zur alleinigen Führung berechtigten Fahrschüler bleibt zu konstatieren, dass auch ein Fahrzeugbediener, der sich erst während der (teil-)automatisierten Fahrt in den Zustand der Fahruntüch231 Vgl. SSW-StGB/Ernemann, § 315c, Rn. 4; LK-StGB/Valerius, § 69, Rn. 55; SK-StGB/ Wolters, § 315c, Rn. 6 u. § 316, Rn. 15; Blum/Weber, NZV 2007, 228, 229. 232 AG Cottbus DAR 2003, 476, 476, m. abl. Bspr. König, DAR 2003, 448, 448 f.; i. S. d. § 23 StVO: OLG Bamberg NJW 2009, 2393, 2393. 233 SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 6 u. § 316, Rn. 15; SSW-StGB/Ernemann, § 315c, Rn. 4. 234 SSW-StGB/Ernemann, § 315c, Rn. 4. 235 SSW-StGB/Ernemann, § 315c, Rn. 4; OLG Bamberg NJW 2009, 2393, 2393, siehe dazu Scheidler, Anm. „pro“ z. OLG Bamberg NJW 2009, 2393, DAR 2009, 402, 404; vgl. Hentschel/ König/Dauer, StVG, § 2, Rn. 93 u. 95 m. w. N.
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
tigkeit versetzt, nicht darauf verweisen kann, dass das Assistenzsystem die Situation beherrsche und von ihm keine Gefahr für den Straßenverkehr ausginge, solange er nicht eingreife. § 1b Abs. 1 1. HS StVG ändert an dieser – sicherlich in tatsächlicher Hinsicht nur begrenzt belastbaren – vergleichenden Wertung nichts. Die darin zum Ausdruck kommende Entledigungsermächtigung des Nutzers eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems ist meines Erachtens aus den unter dem 3. Kap. Gliederungspunkt A. III. 2. benannten Gründen nicht mit einer Verantwortungsverlagerung auf das System gleichzusetzen. Möchte man den Vergleich dennoch zum Fahrlehrer-Fahrschüler-Verhältnis ziehen, kommt bildlich gesprochen hinzu, dass es sich beim Fahrschüler um ein nicht verkehrssicher agierendes „Fahrerassistenzsystem“ handelt. Der langen Rede kurzer Sinn: Soweit überhaupt die Pflichtenstellungen verschiedener Fahrzeugführender verglichen werden können, steht der Fahrlehrer dem (alleinigen) Führenden, der sich teil- oder hochautomatisierter Fahrerassistenzsysteme bedient, näher als dem (grundsätzlich pflichtenlosen) Beifahrer. Zuletzt lässt das Leiturteil des Bundesgerichtshofs offen, in welchem Zeitpunkt und durch welche (konkrete) Handlung die Übergabe der Fahrzeugführungsaufgabe durch den Fahrlehrer auf den Fahrschüler erfolgt und umgekehrt. Eine mündliche Anweisung dürfte zur Entledigung der Führungstätigkeit ebenso wenig genügen wie für deren Aufnahme.236 Es bleibt unter der bisherigen Auslegungspraxis deshalb lediglich eine physische Betrachtung möglich, sodass der Fahrlehrer immer dann die Fahraufgabe übernimmt, wenn er physisch tätig wird und sich dieser (sofort) wieder entledigt, sobald der physische Eingriff abgeschlossen ist. Diese zu den üblichen Fahrzeugführenden divergierende Wertung kann aufgrund der Schutzzwecküberlegung der Stellung von Fahrlehrern als Überwacher und Verpflichtete für die Sicherheit des Straßenverkehrs nicht überzeugen. Die etablierte Definition ist letztlich aufgrund ihres ausgerechnet bei den Fahrlehrern betonten verrichtungsbezogenen Auslegungsansatzes nicht in der Lage, deren Sonderstellung zu erfassen, sodass deren unreflektierte konsequente Anwendung (folgerichtig) zu der aufgezeigten strafrechtlichen Privilegierung führt. Die Verpflichtung der Fahrlehrer – unabhängig von § 2 Abs. 15 S. 2 StVG – stets bereit zu sein, um in den Fahrprozess einzugreifen zu können,237 wird von der Definition des Führens schlicht nicht erfasst. Ihr, der Definition, können entsprechend auch nicht die Grenzen der Führungstätigkeit des Fahrlehrers entnommen werden. Die Anknüpfung an der Bedienung der wesentlichen technischen Stellelemente ist mithin nicht tragfähig, da sie nicht an der tatsächlichen Pflichtenstellung der Fahrlehrer anzuschließen vermag. Insbesondere erwächst entgegen der oben benannten Ansicht238 natürlich jedem Fahrlehrer nicht nur dann eine herausgehobene Pflichtenstellung, wenn eine Verletzung der Pflichten des Straßenverkehrsgesetzes oder einer auf diesem beruhenden Rechtsverordnungen 236
BGHSt 59, 311, 314 m. w. N., m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124. Vgl. Scheidler, Anm. „pro“ z. OLG Bamberg NJW 2009, 2393, DAR 2009, 402, 404; vgl. Hentschel/König/Dauer, StVG, § 2, Rn. 93 u. 95 m. w. N. 238 Siehe 6. Kap., Fn. 226. 237
B. Die Problemfelder der kasuistischen Auslegungs- und Spruchpraxis
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durch den Fahrschüler bevor steht (vgl. § 2 Abs. 15 S. 2 StVG), sondern insbesondere, wenn der Fahrschüler eine Verkehrsordnungswidrigkeit oder gar -straftat zu begehen droht.239 Gerade dem Fahrlehrer obliegt es, über die gesamte Übungs- bzw. Ausbildungsfahrt hinweg dafür Sorge zu tragen, dass Rechtsgutsverletzungen Dritter vermieden werden. Der Rechtsgüterschutz ist neben dem Ausbildungszweck Hauptaufgabe des Fahrlehrers. Entsprechend kann er – tatsächlich wie juristisch – seine Verantwortung vom Fahrzeugführungsprozess nur dann gänzlich abgeben, wenn ein verkehrskonformer Führungszustand durch den Fahrschüler dauerhaft sichergestellt werden kann. Von einem solchen anhaltenden Zustand geht die Rechtsordnung als wohl auch die Gesellschaft bei einem in Ausbildung befindlichen Fahrschüler jedoch zu keinem Zeitpunkt aus. Der Fahrlehrer ist während einer Übungs- oder Ausbildungsfahrt daher nie passiver Beteiligter, der nach der letzten Eingriffshandlung von der Führungstätigkeit freizustellen wäre. 3. Die Beifahrerentscheidungen a) Der Beifahrer als Führender Ähnlich inkonsequent verhielt sich die Rechtsprechung240 sowie zum Teil die aktuelle Literatur241 bei der Bewertung von Eingriffen des Beifahrers in die Fahrzeugsteuerung. Soweit es sich lediglich um einen kurzzeitigen Eingriff seitens des Beifahrers handelt, wird ein Führen überwiegend verneint. Der abrupte Griff ins Lenkrad, selbst wenn dieser eine wesentliche Fahrtbewegungsänderung bewirkt und in der Regel auch geplant erfolgt, stelle keine (arbeitsteilige) Fahrzeugführung dar. Diese spezifische Abgrenzung übernahm der Bundesgerichtshof in einer wenig beachteten Entscheidung aus dem Jahr 1995 begrüßenswerterweise nicht: „Wer nur als Beifahrer im Fahrzeug sitzt, macht sich demnach grundsätzlich nicht der (mit) täterschaftlichen Beteiligung schuldig, es sei denn, er greift selbst in das Steuer, um das Fahrzeug zielgerichtet zu lenken.“242
In dem vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall waren zwei Angeklagte mit überhöhter Geschwindigkeit unter Vornahme gefährlicher Überholmanöver durch die Innenstadt gefahren. Welcher der beiden Angeklagten die Steuerungseingriffe vornahm, stellte das Ausgangsgericht nicht zweifelsfrei fest. Dies sei, da es sich beim Führen um ein eigenhändiges Delikt handle, jedoch Voraussetzung einer 239
Ebenso vgl. Scheidler, Anm. „pro“ z. OLG Bamberg NJW 2009, 2393, DAR 2009, 402, 404; a. A. OLG Düsseldorf NStZ 2014, 645, 655: keine „volle straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung des Fahrlehrers“, m. Anm. Ternig, NZV 2014, 328; BHHJ/Hühnermann, StVG, § 2, Rn. 53; AG Landstuhl, B. v. 20. 10. 2016 – 2 OWi 4286 Js 10115/16, BeckRS 2016, 18521. 240 OLG Hamm NJW 1969, 1975, 1976; OLG Köln NJW 1971, 670, 670. 241 NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 9; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 23; Fischer, StGB, § 315c, Rn. 3a; Lackner/Kühl/Heger, § 315c, Rn. 3; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 39a. 242 BGH NZV 1995, 364, 364 m. V. a. BGHSt 36, 341, 343 f.
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Verurteilung nach § 315c StGB. Der Beifahrer könne entsprechend nur dann Täter sein, wenn er selbst die Führungstätigkeit ausübte, also – wie der Bundesgerichtshof ausdrücklich klarstellt – das Fahrzeug zielgerichtet lenkte. Diese Wertung ist deshalb folgerichtig, weil die Rechtsprechung bei der auf dem Fahrersitz befindlichen Person auch keine qualitative oder quantitative Einschränkung für die Bejahung der Führungstätigkeit aufgestellt hat. Jede Steuerungshandlung, die zwischen dem Anrollen der Räder bis zum endgültigen Abstellen des Fahrzeugs vorgenommen wird,243 genügt, um die Führungstätigkeit auszuüben. Da nun auch der Beifahrer regelmäßig nur dann ins Steuer greifen wird, um auf den Fahrprozess zielgerichtet einzuwirken, ist die bisherige Strafbarkeitsabhängigkeit vom Sitzplatz des Täters aufzugeben. Ein versehentlicher Griff des Beifahrers in das Lenkrad dürfte hingegen die Ausnahme darstellen. Als ein Lichtblick ist zu erkennen, dass die im Urteil des Bundesgerichtshofs anklingende Tendenz bezüglich der Beifahrerentscheidungen zumindest mit den Fahrlehrerentscheidungen in Einklang steht. Schließlich gilt das, wenngleich nur einige wenige Sekunden andauernde, zielgerichtete physische Eingreifen in die Fahrzeugsteuerung als Wahrnehmung der Führungstätigkeit; auf die zeitliche Dauer des Eingriffs kommt es nicht an. b) In Abgrenzung: Der verkehrsfeindliche Inneneingriff durch den Beifahrer Freilich gilt das soeben Ausgeführte nur, wenn es sich bei dem Eingriff des Beifahrers um einen sog. Inneneingriff handelt.244 Dies stellt den Regelfall dar. Entsprechend ist eine Strafbarkeit nach § 315b StGB, der einen Eingriff von außen245 verlangt, kaum denkbar. Allein über die Ausnahme des verkehrsfeindlichen Inneneingriffs, der nach ganz herrschender Meinung von § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB mitumfasst wird,246 ist eine Ahndung auch für den Beifahrer247 eröffnet.248 Gleichwohl verwirklicht nicht jeder Zugriff des Beifahrers auf die Stellelemente des Fahrzeugs diesen Tatbestand. Aufgrund der Sperrwirkung des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB,249 der unter Aufzählung des Katalogs der sog. 7 Todsünden abschlie243 U. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 15 f.; LK-StGB/König, § 316, Rn. 228; BGH VRS 49 (1975), 177, 177; 185, 185; BGH NJW 1983, 1744, 1744; BayObLGSt 30, 13, 13 f.; a. A. OLG Koblenz DAR 1972, 50, 51. 244 BGH NZV 2003, 488, 488 f. m. Anm. Seier/Hildebrand; BGH NZV 2012, 249, 249; 2016, 345, 345 f.; vgl. u. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315b, Rn. 14; BeckOK-StGB/Kudlich, § 315b, Rn. 16 f.; NK-StGB/Zieschang, § 315b, Rn. 11 ff.; a. A. OLG Frankfurt DAR 1967, 222, 223. 245 BT-Drs. IV/651 v. 27. 09. 1962, S. 28; u. a. BGH NStZ 2007, 34, 35, Rn. 5; 1985, 263, 265; BeckOK-StGB/Kudlich, § 315b, Rn. 16; MüKo-StGB/Pegel, § 315b, Rn. 13. 246 Siehe 6. Kap., Fn. 244. 247 OLG Hamm NStZ-RR 2017, 224, 225; BeckOK-StGB/Kudlich, § 315b, Rn. 17. 248 NK-StGB/Zieschang, § 315b, Rn. 11. 249 MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 23; dazu ausf. Grupp/Kinzig, NStZ 2007, 132, 133; BGH NZV 2003, 488, 489 m. Anm. Seier/Hildebrand; BGHSt 48, 233, 237.
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ßend die strafbaren Verhaltensweisen fehlerhafter Verkehrsteilnahme benennt, ist es ausgeschlossen, andere, nicht unter § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB fallende verkehrsinterne Verkehrsverstöße unter Rückgriff auf § 315b StGB zum Außeneingriff umzudeuten und diese dadurch einer strafrechtlichen Sanktion zuzuführen.250 Bereits aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass § 315b StGB „vornehmlich Eingriffe in die Verkehrssicherheit von außen abwehren und im fließenden Verkehr begangene Handlungen nur insoweit erfassen soll, als sie nicht nur fehlerhafte Verkehrsteilnahme sind“.251
So gesehen steht die Eingruppierung, ob es sich um einen Außen- oder Inneneingriff handelt, nicht im Ermessen des Rechtsanwenders. Die Strafbarkeit des § 315b StGB ist damit nur eröffnet, soweit es sich beim Eingriff des Beifahrers252 um einen Außeneingriff in Gestalt eines verkehrsfeindlichen Inneneingriffs handelt. Dies erfordert eine sog. Pervertierung des Verkehrsvorgangs aus dem fließenden Verkehr heraus, mithin eine Zweckentfremdung des Fahrzeugs als Werkzeug.253 Dies ist gegeben, wenn der Täter das Fahrzeug nicht mehr zu seinem Gebrauchszweck nutzt, sondern dieses als Tatmittel missbraucht.254 Der Beifahrer müsste also in den Steuerungsvorgang eingreifen, um das Fahrzeug in Schädigungs- oder zumindest Nötigungsabsicht als Waffe oder Schadenswerkzeug zu gebrauchen.255 Entsprechend verlangt die Rechtsprechung seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2003 zumindest das Vorliegen eines bedingten Schädigungsvorsatzes,256 was in Teilen der Literatur auf erhebliche Kritik stieß.257 Dies ist bei den hier betrachteten Fällen, in denen etwa der (fahruntüchtige) Beifahrer in das Lenkrad greift, um einer (vermeintlich) erkannten Gefahr auszuweichen, offensichtlich nicht gegeben.258 Insofern sind die hier betrachteten Inneneingriffe der Beifahrer keine verkehrs-
250 Grupp/Kinzig, NStZ 2007, 132, 133; BT-Drs. IV/651 v. 27. 09. 1962, S. 28; OLG Frankfurt DAR 1967, 222, 223; vgl. u. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 13; NK-StGB/Zieschang, § 315b, Rn. 11. 251 BT-Drs. IV/651 v. 27. 09. 1962, S. 28. 252 Siehe 6. Kap., Fn. 245. 253 Zum Gesamten siehe 6. Kap., Fn. 244. 254 MüKo-StGB/Pegel, § 315b, Rn. 14. 255 OLG Hamm NStZ-RR 2017, 224, 225. 256 BGH NZV 2003, 488, 488 f. m. Anm. Seier/Hildebrand; BGH NStZ 2010, 391, LS u. 392; BGH NStZ-RR 2012, 123, 1. LS, 123 f.; BGH StV 2018, 430, 430; OLG München NJW 2005, 3794, 3794; OLG Hamm, B. v. 04. 06. 2013 – III-5 RVs 41/13, BeckRS 2013, 12328. 257 MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 18; BGH NZV 2012, 249, 249; 2016, 345, 345 f.; a. A. Dreher, JuS 2003, 1159, 1161 f.; Hecker, JuS 2010, 364, 365 f.; Hentschel, NJW 2004, 651, 659; König, NStZ 2004, 175, 176 f.; LK-StGB/König, § 315b, Rn. 12a; ausf. zur Kritik: MüKoStGB/Pegel, § 315b, Rn. 19. 258 Bereits auf den Zweck der Handlung abstellend: BGH NZV 1990, 35, 35; OLG Hamm NJW 1969, 1975, 1. LS u. 1976; OLG Köln NJW 1971, 670, 670; a. A. MüKo-StGB/Pegel, § 315b, Rn. 24, demnach ein Beifahrer, der auf den Fahrprozess nicht Einfluss nehmen darf, nicht dem Fahrzeugführer i. S. des privilegierenden § 315c StGB gleichgestellt werden darf.
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
feindlichen im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB.259 Letztere bleiben von der weiteren Betrachtung ausgeschlossen.260 4. Die Entscheidungen zum „Mit-sich-führen“ von Fahrzeugen Weitere Ungereimtheiten und Abweichungen von der verrichtungsbezogenen Auslegung ergeben sich aus dem bisher nur wenig beachteten „Mit-sich-führen“ von Fahrzeugen, bspw. eines Fahrrads.261 In aller Regel wird der Schiebende dieses durch den Griff am Lenker fortbewegen, sodass das Fahrrad streng genommen unter eigenverantwortlicher Handhabung seiner wesentlichen technischen Vorrichtungen durch den öffentlichen Verkehrsraum gelenkt wird.262 Auf die Antriebsart als auch auf den Umstand, ob sich die Person auf oder in dem Fahrzeug sitzend fortbewegt, kommt es für das Fahrzeugführen (anders als bei der Führung eines Kraftfahrzeugs) nicht an.263 Entsprechend müsste bei einheitlicher Rechtsanwendung das Schieben eines Fahrzeugs (ohne Motorkraftunterstützung) als Führen bewertet werden. Dass dieses Ergebnis nicht überzeugen kann und den Begriff des Führens überspannt, ist selbstredend offensichtlich.264 Vielmehr ist das Schieben von Fahrzeugen unter Einsatz von Muskelkraft als zu Fuß gehen gemäß § 25 Abs. 2 StVO, welcher das Mitführen von Fahrzeugen ausdrücklich regelt, zu verorten.265 Dieses Problem der Auslegungspraxis hat auch die Rechtsprechung erkannt. Um entsprechende Urteile zu vermeiden, verwiesen die Gerichte auf Schutzzwecküberlegungen.266 Die Tatsache, dass die Bedienung des Lenkers bzw. des Lenkrads zum Verrichten des Schubvorgangs erforderlich sei, trete hinter den Umstand, dass 259 So etwa in OLG Hamm NStZ-RR 2017, 224, 224 f., wobei der Beifahrer (Täter) die Tür des Fahrzeugs benutzte, um einen Fahrradfahrer „vom Rad zu holen“. 260 Abschließend sei angemerkt, dass eine gefestigte Rspr. zu den Eingriffen des Beifahrers aufgrund der speziell auf den Fahrer zugeschnittenen Spruchpraxis bzgl. der Zweckentfremdung und Verkehrsfeindlichkeit der Handlung gem. § 315b Abs. 1 StGB bis heute nicht existiert: Grupp/Kinzig, NStZ 2007, 132, 133. 261 Bspw. BayObLG VRS 65 (1983), 154, 154 f.; bzgl. des Schiebens eines Kraftfahrzeugs: OLG Oldenburg MDR 1975, 421, 421; auch differenzierend OLG Koblenz VRS 49 (1975), 366, 367 f.; vgl. Lackner/Kühl/Heger, § 315c, Rn. 3. 262 LK-StGB/König, § 315c, Rn. 11; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 11, der im Ergebnis die Führungstätigkeit vom Gewicht des Fahrzeugs abhängig macht. 263 LK-StGB/König, § 315c, Rn. 15; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 17; anders: BayObLG VRS 75 (1988), 127, 129, demnach beim sitzenden Abstoßen eines Kraftrads mit den Füßen aufgrund der Ähnlichkeit zum Schieben kein Führen vorläge. 264 Ebenfalls BayObLG VRS 75 (1988), 127, 128; BGH, B. v. 20. 05. 1969 – 1 StR 159/69, zitiert in: Martin, DAR 1970, 113, 113; OLG Oldenburg MDR 75, 421, 421; auch differenzierend OLG Koblenz VRS 49 (1975), 366, 367 f.; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 19; ausf. LK-StGB/König, § 315c, Rn. 14 u. 29; zust. SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 6; Lackner/Kühl/ Heger, § 315c, Rn. 3; S/S/Hecker, § 316, Rn. 19. 265 Vgl. OLG Oldenburg, MDR 1975, 421, 421; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 19; LKStGB/König, § 315c, Rn. 14 u. 29. 266 So etwa OLG Oldenburg MDR 1975, 421, 421.
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das Schieben an den Ausführenden geringere Geschicklichkeitsanforderungen als das Lenken eines in Eigenbewegung befindlichen Fahrzeugs stelle, zurück.267 Zudem dient das Fahrzeug beim „Mit-sich-führen“ nicht der (eigenen) Beförderung sondern wird selbst befördert, sodass die Führungseigenschaft zumindest dann, wenn das Fahrzeug auch getragen werden könnte, zu verneinen sei.268 Letztlich kommen diese Ansätze unter dem Deckmantel der Einschränkung aus Schutzzwecküberlegungen einer Umgehung der etablierten Definition gleich.
5. Zwischenergebnis: Die Spannungsfelder der etablierten verrichtungsbezogenen Auslegungs- und Spruchpraxis Seit Jahrzehnten – und genau genommen in Übereinstimmung mit der vorkonstitutionellen Rechtsprechung – kreisen Literatur und Rechtsprechung um denselben definitorischen Ansatz des Führens. Das Bedienen wenigstens eines Teiles der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeugs hat sich als die zentrale Voraussetzung der Fahrzeugführung etabliert. Treten missliebige Ergebnisse bei der Anwendung dieser Definition auf, hat sich die Praxis herausgebildet, die entsprechenden Fallkonstellationen unter teilweise kaum begründbaren Erklärungsversuchen von der Definition auszuschließen oder diese durch neue einschränkende Merkmale in diese einzubetten. Dies beginnt damit, dass das Führen von einer gewissen Geschwindigkeit269 oder einer gewissen zurückgelegten Wegstrecke270 abhängig gemacht wird und endet beim Versuch, die sich vom Boden mit den Füßen abstoßende Person deshalb nicht als Fahrzeugführenden eines Zweirads anzusehen, weil die durch Muskelkraft erzeugte Bewegungsenergie nicht für ein eigenes Weiterrollen des Fahrzeugs ausreicht.271 Letztlich geht dadurch aber nur die dogmatische Stringenz verloren. So ist die verrichtungsbezogene Auslegung mit dem ebenfalls verrichtungsbezogen verstandenen Eigenhändigkeitserfordernis, dem Dauertätigkeitscharakter und dem Schutzzweck der Straßenverkehrsdelikte nicht auf einen Nenner zu bringen. Letztlich lässt sich dieser rechtliche Widerspruch nur einseitig auflösen: Auch der Fahrlehrer ist nicht nur beim aktiven Eingreifen, sondern dauerhaft mit der Fahrzeugführung befasst, mithin ebenso Führender.272 Das gegenteilige Ergebnis „ge267
BayObLG VRS 75 (1988), 127, 129. NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 11. 269 So vgl. Hentschel, Trunkenheit, Rn. 149 u. 349; OLG Hamm DAR 1960, 55, 55 f. 270 Vgl. BayObLG VRS 67 (1984), 373, 373 f.; OLG Karlsruhe DAR 1983, 365, 365; a. A. BGHSt 14, 185, 189 „Die Länge der zurückgelegten Strecke ist unerheblich für die Feststellung, ob jemand ein Kraftfahrzeug ,geführt‘ hat oder nicht.“ 271 OLG Karlsruhe DAR 1983, 365, 365, LK-StGB/König, § 315c, Rn. 26; S/S/Hecker, § 316, Rn. 19; a. A. Hentschel, Trunkenheit, Rn. 352, der auch darin ein Führen erblickt, jedoch erst ab dem Einsetzen der Motorkraft die Kraftfahrzeugeigenschaft bejaht. 272 Siehe zur Berücksichtigung des Ausbildungsstands des Fahrschülers: OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1014; vgl. SSW-StGB/Ernemann, § 315c, Rn. 4 m. w. N. 268
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
lingt“ dem Bundesgerichtshof nur, indem dieser die Definition des Führens bei dem Führenden weit, beim Fahrlehrer hingegen restriktiv anwendet und den Charakter der Fahrzeugführung als Dauertätigkeit zugunsten des erstarkten Eigenhändigkeitserfordernisses ignoriert. Resultat dieser Rechtsprechung müsste eigentlich sein, dass derjenige, der physisch passiv hinter dem Steuer verweilt, sich seiner Führungstätigkeit entledigen könnte. Im Grunde ist es so: Entweder kommt es entscheidend darauf an, ob sich der Täter im Tatzeitpunkt „wenigstens eines Teiles der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeugs“273 bediente (Fahrlehrer) oder ob er während der Zeit zwischen dem Anrollen der Räder und deren Stillstand eine Führungshandlung vorgenommen hat, die den Fahrvorgang beeinflusste (übrige Fahrzeugführende). Unter Zugrundelegung der momentanen Spruchpraxis kommt es hingegen zugespitzt formuliert entscheidend darauf an, auf welchem Sitz der Täter Platz nahm.274 Diese unbegründet differenzierte, modifiziert-durchbrochene verrichtungsbezogene Auslegung kann aufgrund der Pflicht zur einheitlichen Rechtsanwendung nicht überzeugen und muss mit Aussicht auf die aufkommenden automatisierten Fahrerassistenzsysteme einer genauen Prüfung unterzogen werden.
II. Zweites Problemfeld: Die Eigenhändigkeit und der „Sonderdeliktscharakter“ als unverrückbare Prämisse Die Führungsdelikte des §§ 315c Abs. 1 und 316 StGB werden, mit Ausnahme des § 315c Abs. 1 Nr. 2 g) StGB, überwiegend und von der Rechtsprechung wie Literatur als eigenhändige Delikte verortet.275 Mit dem Inkrafttreten des 8. Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes276 am 21. Juni 2017 hat der Gesetzgeber jedoch eine Kerbe in das Eigenhändigkeitsdogma der Tathandlung des Führens geschlagen. Das Eigenhändigkeitserfordernis wurde durch § 1a Abs. 4 und § 1b Abs. 1 1. HS StVG in Frage gestellt. Schließlich wird in diesem ausdrücklich statuiert, dass Fahrzeugführer eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems auch derjenige ist, der das Fahrzeug nicht eigenhändig steuert. Diese rechtliche Würdigung des Straßenverkehrsgesetzes ist dem Strafrecht bisher fremd. Im Folgenden werden daher nach allgemeinen Erwägungen insbesondere die Konfliktfelder, die durch den Erlass des § 1a Abs. 4 und insbesondere des § 1b Abs. 1. 1. HS StVG geschaffen wurden, betrachtet. Vorsorglich sei klargestellt, dass diese Arbeit den Streit um die Existenzberechtigung (unechter) eigenhändiger Delikte nicht fortführen wird.277 Ebenfalls 273
Siehe 6. Kap., Fn. 90. Vgl. zur Bedeutung der Platzwahl: Janiszewski, NStZ 1984, 111, 113 m. V. a. OLG Hamm NJW 1984, 137, 137. 275 Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 975. 276 BGBl. Teil I, Nr. 38 v. 20. 06. 2017, S. 1648, 1648 ff.; siehe 6. Kap., Fn. 84. 277 Zur Existenzberechtigung des eigenhändigen Delikts: Schünemann, FS Jung, S. 881, 888; Miseré, Die Grundprobleme der Delikte mit strafbegründender besonderer Folge, 274
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werden die mit eigenhändigen Delikten verbundenen täterschaftlichen Zurechnungsfragen – insbesondere der (Mit-)Täterschaft und Teilnahme als auch der Täterschaft durch Unterlassen – nicht vertieft werden.278 Insoweit sei in diesem Zusammenhang auch auf die Erläuterungen zum (verneinten) Sonderdeliktscharakter der Führungsdelikte verwiesen, welche sich trotz der Unabhängigkeit beider Rechtsfiguren aufgrund deren historischer Verquickung teilweise auch bei den Erwägungen zur Eigenhändigkeit niederschlagen.279 Im Unterschied zu den Sonderdelikten knüpft die Eigenhändigkeit jedoch nicht an einer (außer-)strafrechtlich begründeten Pflichtenstellung an, die bereits vor der Tat besteht. Stattdessen wird die Eigenhändigkeit von dem Umstand geprägt, dass der Täter erst durch die Vornahme der pönalisierten Tathandlung die Verbindung zum geschützten Rechtsgut herstellt.280 1. Allgemeines Bevor im Konkreten das Problemfeld des Eigenhändigkeitserfordernisses der Führungsdelikte untersucht wird, sind allgemeine Feststellungen zu den eigenhändigen Delikten unentbehrlich. Schließlich ist zirkulär zu erkennen, dass sich die Definition und Auslegung der Tathandlung des Führens und das Eigenhändigkeitserfordernis gegenseitig bedingen. Der Ausschluss der mittelbaren Täterschaft wird einerseits aus der Tathandlung, dem Führen, entnommen. Andererseits wird die Auslegung und Definition der Tathandlung vom vordefinierten Eigenhändigkeitscharakter der Führungsdelikte beeinflusst.281 Richtigerweise müsste die Frage nach der Eigenhändigkeit der Auslegung der Tathandlung des Führens nach §§ 315c und 316 StGB nachgeordnet sein. Diese strikte Trennung wird nicht eingehalten, was zu Anwendungswidersprüchen bei den Führungsdelikten führt. Die Einstufung als eigenhändiges Delikt kann, wie die historische Betrachtung zeigt, grundsätzlich an zwei Kriterien, entweder einem beschränkten AdressatenS. 85 m. w. N.; Langrock, Eigenhändiges Delikt, S. 33 ff.; SK-StGB/Hoyer, § 25, Rn. 17 ff. u. 24; LK-StGB/Walter, Vor § 13, Rn. 61; Frister, StR AT, 25. Kap., Rn. 10; Puppe, ZStW 120 (2008), 504, 514 ff.; Satzger, Jura 2011, 103, 105; weiterführend Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 308 ff. m. V. a. Stratenwerth ZStrR 1997, 86, 86 ff.; Existenzberechtigung mit scharfer Kritik verneinend Schubarth, ZStW 110 (1998), 827, 839 m. V. a. Schubarth ZStrR 1996, 325, 325 ff.; ausf. dazu Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 288 ff. m. w. N.; umfassende Streitdarstellung zum Problem des eigenhändigen Delikts in Schall, JuS 1979, 104, 104 ff.; ausf. zur Aufgabe der Eigenhändigkeitsdoktrin der Straßenverkehrsdelikte in der Schweiz: Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 946 ff. 278 Weiterführend Miseré, Die Grundprobleme der Delikte mit strafbegründender besonderer Folge, S. 85 ff.; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 975. 279 Vgl. u. weiterführend zur Abgrenzung zwischen Sonderdelikt und eigenhändigem Delikt: Schall, JuS 1979, 104, 109; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 960; vgl. Satzger, Jura 2011, 103, 105 f. 280 Zum Gesamten Satzger, Jura 2011, 103, 105. 281 Zum Gesamten Deichmann, Sonderstraftat, S. 196.
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
kreis oder an einer besonderen höchstpersönlichen Tathandlung, anknüpfen.282 Da es sich bei den Führungsdelikten nicht um Sonderdelikte handelt, kann nur die Tathandlung die Eigenhändigkeit begründen. Die Charakterisierung als eigenhändiges Delikt verlangt, dass der Täter den besonderen Verhaltensunwert der Tat nur durch den unmittelbar-körperlichen Vollzug oder wenigstens höchstpersönlichen Vollzug hervorrufen kann.283 Voraussetzung dafür ist, dass die Tathandlung in nichts anderem gesehen werden kann, als in einem höchstpersönlichen körperlich-physischen Tätigwerden.284 Die Tathandlung muss sich auf eine körperliche Komponente reduzieren lassen. Dies scheint mit Blick auf die etablierte Definition des Führens gegeben zu sein. Das Führen wurde und wird auf die körperliche Vornahme der Steuerungseingriffe – bildlich das Lenken285 – reduziert. Der ganz herrschenden Auslegungspraxis ist zu entnehmen, dass nur derjenige, der das Fahrzeug lenkt, die Rechtsgüter Dritter gefährden könne.286 Die Eigenhändigkeit wird im Ergebnis mit einem aktiven Tun im Sinne einer Bedienung der Steuerungselemente „durch die eigene Hand“ gleichgesetzt.287 Dies überdehnt jedoch die Rechtsfigur des eigenhändigen Delikts. Natürlich mag es bei einzelnen Delikten und Deliktsgruppen schwierig sein, deren eigenhändige Natur festzustellen.288 Ist diese – wie bei den Führungsdelikten – nicht dem Wortlaut289 zu entnehmen, kann sich die Eigenhändigkeit aus dem höchstpersönlichen (Sonder-)Pflichtenkreis des Täters zum geschützten Rechtsgut,290 also aus der vom Täter bekleideten nicht delegierbaren zentralen Position, herleiten.291 Erklärt der Gesetzgeber, wenngleich außerstrafrechtlich, mit § 1a 282
Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 949 m. w. N. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 437, der es als „unmittelbar persönliche Vornahme der Tatbestandshandlung“ definiert; Maurach/Zipf, StR AT 1, § 21, Rn. 3; Jescheck/ Weigend, StR AT, S. 266; Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 56; Jakobs, StR AT, 21. Abschnitt, Rn. 19 u. 21; ausf. Langrock, Eigenhändiges Delikt, S. 11; differenzierter Baumann/ Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 6, Rn. 45; LK-StGB/Schünemann/Greco, § 25, Rn. 63; S/S/ Eisele, Vor §§ 13, Rn. 132 u. S/S/Heine/Weißer, Vor §§ 25 ff., Rn. 85; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 974; Schall, JuS 1979, 104, 109; sehr krit. Schubarth, ZStW 110 (1998), 827, 839 ff.; BGHSt 6, 226, 227 f., der eine eigenhändige Begehung als „eigenes verwerfliches Tun“ deutet; vgl. Miseré, Die Grundprobleme der Delikte mit strafbegründender besonderer Folge, S. 85. 284 Rehberg, FG Schultz, S. 72, 77 f. (zum schweiz. StR). 285 Siehe 6. Kap., Fn. 78. 286 So bereits im Ergebnis BGHSt 18, 6, 8 f. 287 So etwa MüKo-StGB/Pegel, § 316, Rn. 119 m. w. N., demnach § 316 StGB ein eigenhändiges, kein eigenmündiges Delikt sei; a. A. SK-StGB/Wolters, § 316, Rn. 13; Baumann/ Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 6, Rn. 45. 288 Vgl. ebenso Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 305. 289 Zur Wortlauttheorie siehe Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 289 f. m. w. N.; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 954. 290 Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 303, ausf. zur Körperbewegungstheorie: Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 291 ff. m. w. N.; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 951 ff. 291 Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 57; Satzger, Jura 2011, 103, 109. 283
B. Die Problemfelder der kasuistischen Auslegungs- und Spruchpraxis
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Abs. 4 StVG die eigenhändige Steuerungstätigkeit nicht mehr für die Begründung der Fahrzeugführereigenschaft für notwendig, fällt es schwer, aus dem Führen als Tathandlung ein Eigenhändigkeitsmerkmal herzuleiten. Dies gilt vor allem mit Blick darauf, dass der Gesetzgeber anders als bei § 2 Abs. 15 StVG (Fahrerlaubnis und Führerschein) offen ließ, ob die Wertung des § 1a Abs. 4 StVG ausschließlich für das Straßenverkehrsgesetz gilt. Es muss also in einem ersten Schritt geklärt werden, ob die Fiktion des § 1a Abs. 4 StVG bzw. deren Wertung bei der strafrechtlichen Auslegung zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung berücksichtigt werden muss. Dabei muss insbesondere die Rechtsprechung zum § 2 Abs. 15 StVG, die bereits zur Frage der Übertragbarkeit straßenverkehrsrechtlicher Würdigungen auf strafrechtlicher Ebene Bezug genommen hat, in den Blick genommen werden. 2. Die Relativität der Rechtsbegriffe des § 1a Abs. 4 StVG Natürlich ist die Auslegung strafrechtlicher Tatbestandsmerkmale nicht von den rechtlichen Wertungen des Straßenverkehrsgesetzes abhängig. Dennoch ergeben sich insbesondere durch den Erlass des § 1a Abs. 4 StVG besondere Reibungspunkte mit der Rechtsprechung zum bereits benannten § 2 Abs. 15 StVG. Es geht dabei um nichts Geringeres als die Einheit der Rechtsordnung. Hatte das Oberlandesgericht Karlsruhe noch im Jahr 2014 zum § 2 Abs. 15 StVG festgestellt, dass es keine Anhaltspunkte für die Beschränkung dieser Fiktion auf die zivilrechtliche Gefährdungshaftung des § 18 StVG und die Strafnorm des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 StVG erkennen kann,292 widersprach dem der Bundesgerichtshof kurz darauf nachdrücklich. Diesem nach sei der Rechtsgedanke des § 2 Abs. 15 S. 2 StVG nicht auf die Straftatbestände des Straßenverkehrsgesetzes oder andere Rechtsordnungen, etwa die Straßenverkehrs-Ordnung oder das Strafrecht, übertragbar.293 Zwar wäre eine Übertragung der Fiktion des § 2 Abs. 15 StVG insbesondere auf alle Normen des Straßenverkehrsgesetzes als auch insbesondere auf die Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung denkbar. Vor allem steht die Gesetzformulierung des § 2 Abs. 15 StVG „im Sinne diesen Gesetzes“ einer Übertragung auf die Ordnungswidrigkeitenvorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung nicht entgegen, da diese auf der Ermächtigungsgrundlage des § 6 Abs. 1 StVG, also einer gesetzesinternen Ermächtigungsgrundlage, beruht. Gleichwohl lehnt der Bundesgerichtshof die Übertragung der Fiktion aufgrund von Schutzzwecküberlegungen und andernfalls entstehenden Wertungswidersprüchen selbst zum Verkehrsstraf- und Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht ab. Schließlich wäre, so schließt der Bundesgerichtshof rück, die Fiktion des § 2 Abs. 15 StVG unnötig, wenn der Fahrlehrer bereits aus der gesetzgeberischen Konzeption als Fahrzeugführer anzusehen wäre. Die widersprüchliche Folge der Anwendung der Fiktion auf das Ordnungswidrigkeitenrecht wäre andernfalls, dass der volltrunkene Fahrlehrer bei seiner Regungslosigkeit zwar 292 293
OLG Karlsruhe, B. v. 20. 02. 2014 – 3 SsRs 607/13 AK 220/13, BeckRS 2014, 04655. Siehe 6. Kap., Fn. 224.
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
gemäß § 316 Abs. 1 StGB straflos, hingegen nach § 24a i. V. m. § 2 Abs. 15 StVG trotz identischem Schutzzweck ahndbar wäre. Zudem bemüht der Bundesgerichtshof historische Argumente. Er verweist auf die § 2 Abs. 15 StVG zugrundeliegende Ausgangsnorm des § 3 Abs. 2 KFG294 von 1909. Dieser könne sich aufgrund der in der Ursprungsfassung lediglich enthaltenen Haftungsregelungen (§ 18 KFG) und der Strafnorm des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 24 KFG) nur auf diese beziehen. Dass der Gesetzgeber die Fiktion auch auf die später hinzutretenden Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände des Straßenverkehrsgesetzes oder auf die Regelungen der auf der Ermächtigungsnorm des Straßenverkehrsgesetzes beruhenden Rechtsverordnungen erstrecken wollte, sei nicht ersichtlich. Deshalb sei eine Anwendung der Fiktion des § 2 Abs. 15 StVG über die Regelungen der zivilrechtlichen Gefährdungshaftung als auch der Strafnorm des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nicht geboten.295 Der Begründung des Bundesgerichtshofs haftet eine gewisse Erklärungsnot an. Es fällt ihm ersichtlich schwer, über den wörtlich angeordneten Anwendungsbereich des § 2 Abs. 15 StVG „im Sinne dieses Gesetzes“ hinwegzukommen und diese einzuschränken. Insbesondere kann das historische Argument in Bezug auf den erst im Jahre 2017 erlassenen § 1a Abs. 4 StVG nicht fruchtbar gemacht werden. Der Gesetzgeber hatte schlicht die Regelungen des Straßenverkehrsgesetzes und aller auf dessen Grundlage beruhenden Rechtsverordnungen vor Augen. Das Argument, die Regelung eines Gesetzes könne nur Wirkung für die Vorschriften desselben Gesetzes entfalten, soweit diese vor oder bei Erlass der jeweiligen Norm bestanden, ist methodisch nicht nachzuvollziehen. Dass der Gesetzgeber über 100 Jahre hinweg den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 15 StVG verkannt und sich beim Erlass neuer Regelungen in das Straßenverkehrsgesetz nicht über den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 15 StVG Gedanken gemacht habe, kann nur als vorgeschoben betrachtet werden. Die zum § 2 Abs. 15 StVG vorgetragenen Schutzzweckerwägungen und angeblichen Widersprüchlichkeiten zur etablierten strafrechtlichen Auslegungs- und Spruchpraxis bestehen hingegen auch beim § 1a Abs. 4 StVG. Der Gesetzgeber hat sich sogar gegen die bisher herrschende strafrechtliche Meinung positioniert. Schließlich ist in der Rechtsprechung geklärt, dass derjenige, der keinen wesentlichen Teil der Steuerungseinrichtungen bedient, das Fahrzeug nicht führt. Dennoch erlaubt der Gesetzgeber dem „Fahrzeugführer“ gemäß § 1b Abs. 1 S. 1 1. HS StVG296 sich während der Fahrt mittels hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktionen gemäß § 1a StVG vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abzuwenden. Beim neuen § 1a Abs. 4 StVG stellt sich nun erneut die Frage, ob dieser ausschließlich für (bestimmte) Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes – gleich dem 294 § 3 Abs. 2 KFG: Bei den Übungs- und Probefahrten, die gemäß der Vorschrift des Abs. 1 stattfinden, gilt im Sinne dieses Gesetzes der Begleiter als Führer des Kraftfahrzeugs. 295 Zum Gesamten BGHSt 59, 311, 316 f., m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124. 296 BGBl. Teil I, Nr. 38 v. 20. 06. 2017, S. 1648, 1648.
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§ 2 Abs. 15 StVG – gelten soll oder ob dessen rechtliche Wertung auch auf das Strafrecht durchgreift. Zu ersterem lässt sich die Problematik wohl kaum aufzulösen. Anhaltspunkte für eine beschränkte Anwendung des § 1a Abs. 4 StVG ausschließlich auf das Straßenverkehrsgesetz oder gar nur einzelne Normen finden sich sprachlich nicht. Stattdessen hat der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung hervorgehoben, dass auch unter Nutzung hoch- und vollautomatisierter Fahrfunktionen auf einen Fahrzeugführer nicht ganz verzichtet werden kann,297 ihm also alle Rechte und Pflichten, die jedem anderem Fahrzeugführer auch obliegen, zukommen. Dass sich dieser Gedanke nur schwer mit der ins Straßenverkehrsgesetz aufgenommenen gesetzgeberischen Regelung, dass sich der Führer während der hochoder vollautomatisierten Fahrt vom Verkehrsgeschehen abwenden darf (§ 1b Abs. 1 S. 1 1. HS StVG), (strafrechtlich) vereinbaren lässt, spricht sicherlich gegen eine Übertragbarkeit dieses Rechtsgedankens. Anderseits ist die Gesetzesbegründung von der Vorstellung der Existenz der Rückfallebene des menschlichen Fahrers geprägt. Der Gesetzgeber ist noch nicht bereit, die Verantwortung für den Führungsprozess gänzlich auf die Technik zu übertragen. Ausdruck dessen ist § 1a Abs. 4 StVG. Zudem würde eine beschränkte Anwendung des § 1a Abs. 4 StVG allein auf das Straßenverkehrsgesetz unausweichlich zu der vom Bundesgerichtshof zu vermeiden versuchten Widersprüchlichkeit führen, dass der über eine längere Strecke hinweg mittels aktivierter automatisierter Assistenzsysteme volltrunken fahrende Fahranfänger mangels Erfüllung des Eigenhändigkeitserfordernisses zwar nicht gemäß § 316 Abs. 1 StGB strafbar, jedoch nach § 24c StVG298 ahndbar wäre. Mit § 1a Abs. 4 StVG verfolgte der Gesetzgeber jedoch nicht den Zweck, die das Steuer an die technischen Assistenzsysteme übergebenden Fahrzeugführer von ihren ordnungs- (§ 24a StVG) wie strafrechtlichen Verantwortlichkeiten (§ 316 StGB) freizustellen. Ganz im Gegenteil unterstellte der Gesetzgeber beide Fahrzeugführer, also sowohl den unter Nutzung automatisierter Systeme Fahrenden als auch den manuell Steuernden, dem gleichen Pflichten- und Rechtskreis. Die mit dem Gesetzesvorhaben geäußerte Erwartung, dass sich der Fahrzeugführer bei bestimmungsgemäßer Nutzung auf die Funktionsfähigkeit des Assistenzsystems verlassen kann,299 ändert an dem gleichbleibenden Pflichtenkanon, den § 1a Abs. 4 StVG aufstellt, nichts. Deshalb liegt es materiell-rechtlich fern, den vom Gesetzgeber formulierten Rechtsgedanken des § 1a Abs. 4 StVG allein auf die Auslegung der Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes zu beziehen. Zudem bleibt auf die Einheit der Rechtsordnung, also das Ziel, auch gesetzesübergreifend eine einheitliche Rechtsanwendung sicherzustellen, hinzuweisen. Im Rahmen des Bestimmtheitsgebots muss für jeden Bürger klar ersichtlich sein, welche Verhaltensweise verboten und welche erlaubt ist. Ein Widerstreit zwischen zwei 297
BR-Drs. 69/17 v. 27. 01. 2017, S. 14. Die Wertung des § 1a Abs. 4 StVG schlägt bei exakter Wortlautauslegung nicht auf § 24a Abs. 1 StVG durch, da dieser – anders als § 24c Abs. 1 StVG – auf das Führen, nicht den Führer abstellt, weiterführend dazu u. a. Gliederungspunkt 8. Kap. B. III. 4. 299 BR-Drs. 69/17 v. 27. 01. 2017, S. 7. 298
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Gesetzen – hier dem Straßenverkehrsgesetz und der Spruch- und Rechtspraxis der Strafgerichtsbarkeit – darf nicht dem Rechtsunterworfenen zur Last fallen. Zwar würde der Ausschluss von Führern in hoch- und vollautomatisierter Fahrt befindlichen Fahrzeugen vom Straßenverkehrsstrafrecht an sich keinen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot begründen. Ebenso billigte das Bundesverfassungsgericht eine unterschiedliche Anwendung eines Rechtsbegriffs unter Berufung auf die „Relativität der Rechtsbegriffe“300 selbst innerhalb des Strafgesetzbuchs. Diese sog. „Begriffsspaltung“301 setzt jedoch eine methodisch zulässige Rechtfertigung, die etwa aus der Geschichte einer Norm oder aufgrund eines unterschiedlichen Sachzusammenhangs entstehen kann, voraus.302 Eine solche ist beim Rechtsbegriff des Führers oder des Führens nicht ersichtlich. Zudem wird eine einheitliche Rechtsanwendung des Verkehrsrechts vom Bundesgerichtshof angemahnt. Dem Urteil aus dem Jahr 2014 ist zu entnehmen, dass Wertungswidersprüche zwischen den Verkehrsgesetzen möglichst zu vermeiden sind.303 Im Ergebnis verlangt das Gebot der Einheit der Rechtsordnung eine Übertragung des Rechtsgedankens des § 1a Abs. 4 StVG auf die strafrechtliche Spruch- und Rechtspraxis.304 Zuletzt und tragend spricht die bei § 1a Abs. 4 StVG genutzte Gesetzestechnik gegen eine relative Anwendung des Tatbestandsmerkmals des Führens bzw. des Führers. Auf die Formulierung „gilt“, die eine gesetzliche Fiktion kennzeichnen würde oder den Zusatz „im Sinne dieses Gesetzes“, wie dieser bei § 2 Abs. 15 S. 2 StVG anzutreffen ist, wurde bei § 1a Abs. 4 StVG verzichtet. Ein gesetzgeberischer Wille zur eingeschränkten Anwendung des Rechtsgedankens des § 1a Abs. 4 StVG auf bestimmte Normen des Straßenverkehrsrechts ist damit nicht ersichtlich. Da der Gesetzgeber nach § 1a Abs. 4 StVG zumindest für den Erhalt der Fahrzeugführereigenschaft keine eigenhändige Steuerung mehr voraussetzt, muss die Zuordnung der „Führungsdelikte“ zum Kreis der eigenhändigen Delikte neu bewertet werden. Dementgegen scheint die ganz herrschende Rechtslehre und aktuelle Literatur weiter daran festzuhalten.305 3. Das Fehlen einer besonderen Pflichtenstellung des Fahrzeugführers Die ganz herrschende Rechtsprechung und Literatur verteidigt die Eigenhändigkeit der Führungsdelikte dennoch – und soweit sie sich überhaupt an eine Be-
300
BVerfG NStZ 2009, 83, 85 m. w. N. Siehe 6. Kap., Fn. 300. 302 Zum Gesamten Simon, Anm. z. BVerfG, BVerfGK 14, 177, NStZ 2009, 83, 85 m. w. N. 303 BGHSt 59, 311, 316 f., m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124. 304 Vgl. Simon, Anm. z. BVerfG, B. v. 01. 09. 2008 – 2 BvR 2238/07, NStZ 2009, 83, 85 zur Frage, ob ein Pkw eine Waffe i. S. d. § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StGB sein könne. 305 Zum Gesamten Deichmann, Sonderstraftat, S. 211; Miseré, Die Grundprobleme der Delikte mit strafbegründender besonderer Folge, S. 82 ff. m. w. N. 301
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gründung herantastet306 – mit dem Verweis auf die den Fahrzeugführenden treffenden (Sonder-)Pflichten.307 So ist insbesondere dem Argument Rehbergs, dass sich die Verkehrsregeln vernünftigerweise nur an denjenigen richten würden, der die Handlung vornimmt, ein wahrer Kern zu entnehmen. Folge dessen, so schlussfolgert Rehberg konsequent weiter, könne nur der Führer für die Verletzung der sich ausschließlich an ihn richtenden Verkehrsvorschriften (strafrechtlich) verantwortlich sein. Schließlich sei der Unrechtsgehalt nicht in der Vornahme der (neutralen) Führungstätigkeit, sondern in der Art ihrer gefahrsteigernden und verkehrsvorschriftenmissachtenden Durchführung zu erblicken. Entsprechend sei das Führen von Fahrzeugen nur strafbar, wenn der Führer die an ihn gerichteten Verhaltensanforderungen auf gravierende Weise missachtet oder sich im Zustand der Fahruntüchtigkeit hinter das Steuer setzt und dadurch die vom Verkehr ausgehenden Gefahren erheblich potenziert.308 Damit ginge einher, dass die von der herrschenden Ansicht angenommene Charakterisierung als eigenhändiges Delikt in ihrer konkreten Gestalt die Strafbarkeit der §§ 315c und 316 StGB auf bestimmte tatbestandsrelevante Verhaltensweisen reduziere, wodurch zugleich der Täterkreis eingeengt würde.309 Sicherlich bleibt zuzugestehen, dass den Fahrer in der Regel als unmittelbar Ausführenden die Pflichten der Straßenverkehrsgesetze – eben die Pflichten als Führer – treffen. Ebenso ist wohl unstrittig, dass regelmäßig der Fortbewegungswille und dessen Ausführung in einer Person zusammentreffen werden. Damit erscheint das (unechte) Eigenhändigkeitserfordernis zumindest diskutabel.310 Ein genauer Blick auf den „Sonderdeliktscharakter“ offenbarte jedoch, dass den Fahrzeugführer keine besondere Pflichtenstellung trifft, kraft derer er als besonders verpflichtetes Sondersubjekt gegenüber der Allgemeinheit auftritt. Es fehlt schlicht an einem besonderen sozialen höchstpersönlich anvertrauten Pflichtenkreis, der eine gehobene Verantwortungsbereitschaft der Führenden voraussetzt. Eine besondere Pflichtenstellung, kraft deren der Führende ein besonderes Vertrauen der Allge-
306
In der Rspr. ist keine tragende Begründung ersichtlich, dazu weiterführend Gerhold/ Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 948, 957 ff. u. 982 ff. m. w. N.; hingegen m. ausf. Auseinandersetzung: Rehberg, FG Schultz, S. 72, 75 ff. (zum schweiz. StR). 307 Rudolphi, GA 1970, 353, 358 f.; vgl. Herzberg, ZStW 82 (1970), 896, 926 f.; Miseré, Die Grundprobleme der Delikte mit strafbegründender besonderer Folge, S. 87 f. u. weiterführend S. 90 f.; dazu weiterführend Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 960 f.; Deichmann, Sonderstraftat, S. 195 f., 198; vgl. Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 303 ff.; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 437 ff. u. 882 ff., die Roxin als höchstpersönliche bzw. unechte eigenhändige Pflichtdelikte bezeichnet; vgl. Schünemann, FS Jung, S. 881, 886 ff.; Rehberg, FG Schultz, S. 72, 77 f. (zum schweiz. StR). 308 Zum Gesamten Rehberg, FG Schultz, S. 72, 78 f., 81 u. 86 f. (zum schweiz. StR). 309 Weiterführend Miseré, Die Grundprobleme der Delikte mit strafbegründender besonderer Folge, S. 85 ff.; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 943 ff. u. insb. 974 ff.; Deichmann, Sonderstraftat, S. 197 ff.; vgl. Rehberg, FG Schultz, S. 72, 76 (zum schweiz. StR). 310 Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 981 f.
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meinheit in Anspruch nimmt, ist nicht ersichtlich.311 Insbesondere bleibt hervorzuheben, dass auch derjenige, der nicht selbst mit begrifflich eigener Hand den Führungsprozess beherrscht, Rechtsgüter Dritter gefährden oder verletzten kann. Etwa können Beifahrer auf den Fahrprozess einwirken.312 Die dagegen vorgebrachte Argumentation, das Eigenhändigkeitserfordernis verfolge eine rein tatbestandlichfaktische Begrenzung des Täterkreises auf den häufigsten Fall verfängt deshalb nicht.313 Ebenso wenig rechtfertigt diese Argumentation eine Abweichung von der das Strafrecht beherrschenden Tatherrschaftslehre. Wieso eine mittelbare Täterschaft allein aufgrund der Charakterisierung des Führens als eigenhändige Tathandlung, welche zudem noch auf die Auslegung der Tathandlung durchschlägt, ausgeschlossen sein soll, erklärt sich so nicht.314 Der Verweis von Schünemann, der zumindest bezüglich des abstrakten Gefährdungsdelikts des § 316 StGB zu bedenken gibt, dass vor allem der Tatbestand eines abstrakten Gefährdungsdelikts aufgrund der ultima ratio und des Bestimmtheitsgebots des Strafrechts möglichst wenige konkrete Verhaltensweisen einschließen muss, damit der Bürger genau abgrenzen könne, was verboten und was erlaubt sei, kann das Eigenhändigkeitserfordernis in seiner heutigen Ausprägung nicht begründen. Andernfalls würde der Charakter als abstraktes Gefährdungsdelikt die Eigenhändigkeit bedingen, wofür keine dogmatische Grundlage existiert. Jedenfalls ist die Vermeidung der Ausuferung der Strafbarkeit der Trunkenheitsdelikte auf Gastgeber und Wirte, wie Schünemann richtig erkennt, keine Aufgabe der Rechtsprechung.315 Die Entscheidungskompetenz über den Täterkreis kommt ausschließlich dem Gesetzgeber zu, der eine Einschränkung durch die Umschreibung des Tatsubjekts deutlich zu machen hat. Stattdessen wurden die §§ 315c Abs. 1 und 316 Abs. 1 StGB, wie der Gesetzeswortlaut „Wer“ eindeutig belegt, als Allgemeindelikte erlassen. Auch statuierte der Gesetzgeber in den Straßenverkehrsdelikten kein Eigenhändigkeitserfordernis. Es ist nicht einmal eine Tendenz des Gesetzgebers ersichtlich, dass er die Führungsdelikte als nur eigenhändig begehbar ausgestalten wollte. Hinzu kommt, dass die insbesondere von § 315c Abs. 1 StGB geschützten Rechtsgüter wie Leben, Leib und Eigentum nach dem Schutzzweckgedanken umfassend und vor allen Gefährdungen bewahrt werden sollen. Ob diese durch physische Stelleingriffe oder mittels Abgabe mündlicher Anweisungen gegenüber einem weisungsgebundenen Ausführenden gefährdet oder verletzt werden, muss mit Blick auf die Tatherrschaftslehre für die Strafbarkeit irrelevant sein.316 Besonders anschaulich ist dies beim Fahrlehrer ge311
Ebenso Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 985. Ebenso Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 295. 313 Siehe Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 985. 314 Vgl. Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 296; vgl. u. weiterführend zur Frage der Vereinbarkeit der Nichtanwendbarkeit von § 28 Abs. 1 StGB auf die Straßenverkehrsdelikte mit dem Eigenhändigkeitserfordernis Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 985. 315 Zum Gesamten Schünemann, FS Jung, S. 881, 888. 316 Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 295; krit. zur Ansicht von Roxin: Schünemann, FS Jung, S. 881, 889 ff. 312
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geben, der seinen Schützling unter Ansehung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 Fahrschüler-Ausbildungsordnung nicht entgegen den Verkehrsvorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung und erst Recht nicht zu einem Verhalten entgegen der Strafgesetze, insbesondere der 7 Todsünden des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB, anweisen darf. Tut er dies kraft überlegenen Wissens oder kraft seiner Autorität dennoch, erklärt sich nicht, inwiefern die daraufhin eingetretene Rechtsverletzung oder -gefährdung (allein) vom Fahrschüler zu verantworten sein soll. Insofern ist es in Einzelfällen denkbar, dass die Gefährdung der geschützten Rechtspositionen nicht von derselben Person ausgeht, die letztendlich den tatsächlichen Steuerungseingriff vorgenommen hat. Letztlich prägt das von der Rechtsprechung begründete Eigenhändigkeitserfordernis der Führungsdelikte einen verkappten und faktischen (unechten) Sonderdeliktscharakter aus.317 Natürlich ist es so, dass nur oder erst die unmittelbare körperliche Steuerungstätigkeit zur unmittelbaren Rechtsgutsgefährdung oder -verletzung führt. Dies ist aber keine Besonderheit der Führungsdelikte. Wäre dem so, wäre das Strafgesetzbuch mit eigenhändigen Delikten übersäht. Im Regelfall steht der unmittelbar handelnde Täter der Rechtsgutsgefährdung oder -verletzung näher als der Hintermann oder Mittäter, dem die Tathandlung „nur“ zugerechnet wird. Damit wird aber nicht erklärt, inwiefern das Gefährdungspotenzial gerade bei den Führungsdelikten ausschließlich von dem aktiv physisch Bedienenden selbst ausgehen soll. Es muss mehr dazukommen, als die bloße These, der Steuernde schaffe durch seine Steuerungsimpulse die Gefährdungs- oder Verletzungssituation. Daran fehlt es – unbenommen des § 1a Abs. 4 StVG – bis heute. 4. Die Folge: Der Zirkelschluss der Auslegungspraxis mit dem Eigenhändigkeitserfordernis Das Kernproblem des soeben Erörterten liegt – unbenommen allen Streits um die Eigenhändigkeit – nach alldem nicht darin, dass die Tathandlung des Führens als eigenhändige Tätigkeit erkannt wird, sondern darin, dass das Eigenhändigkeitserfordernis die Auslegung der Tathandlung zirkelschlussartig bedingt. Die Funktion und der Begriff der Eigenhändigkeit stehen hierbei nicht isoliert nebeneinander, sondern in einer Wechselwirkung.318 Es wird nicht zuerst das Führen ausgelegt und daraufhin gefragt, ob es sich aufgrund des Auslegungsergebnisses um ein Delikt handelt, dessen Gefährdungspotenzial allein vom physisch-aktiv Ausführenden verwirklicht werden kann. Zwar wird einerseits aus der Definition des Führens auf die Eigenhändigkeit geschlossen. Zugleich werden – wie Deichmann anschaulich darlegt – Fragen der Täterschaft, mithin der Eingruppierung als Sonderdelikt, ver-
317
Siehe dazu Herzberg, ZStW 82 (1970), 896, 911. Vgl. zur Abgrenzung von „Begriff“ und „Funktion“ der Eigenhändigkeit: Langrock, Eigenhändiges Delikt, S. 9. 318
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
quickt.319 So wird die Verwirklichung des Führens per definitionem von der Bedienung zumindest „eines wesentlichen Teils der Steuerungselemente des Fahrzeugs“ durch die eigene Hand abhängig gemacht.320 Dieses verrichtungsbezogene Definitionselement, welches die Tathandlung auf eine körperliche Tätigkeit reduziert, ist unmittelbares Resultat der dogmatischen Vorentscheidung des eigenhändigen Delikts.321 Allein aufgrund dessen wird die Tathandlung des Führens abseits arbeits- und verkehrspsychologischer Erkenntnisse definitorisch auf die körperliche Komponente juristisch verkürzt. Selbst der Bundesgerichtshof ist dem Trugschluss der Abhängigkeit der Auslegung des Führens vom Eigenhändigkeitscharakter im Jahr 1995 erlegen: „Diese Feststellungen lassen bereits nicht erkennen, welcher der beiden Angekl. das Fahrzeug geführt hat. Dessen hätte es aber bedurft, weil § 315c StGB ein eigenhändiges Delikt ist. Täter kann deshalb nur sein, wer ein Fahrzeug selbst in Bewegung setzt oder es während der Fahrt lenkt.“322
Damit steht, bevor sich der Jurist an die Auslegung des Führens heranwagt, bereits fest, dass dieses begrifflich allein als körperliche Tätigkeit anzusehen ist. Verstärkt – wenn auch nicht ausdrücklich bestätigt – wird dieser Eindruck durch die Rechtsprechung323 und Literatur324, die die Strafbarkeit teilweise mangels tauglicher Täterschaft und nicht – wie dies folgerichtig wäre – mangels Erfüllung der Tathandlung verneint.325 Richtigerweise und wie bereits angeklungen müsste die Auslegung der Tathandlung, worin und in welcher Verhaltensweise die Strafbarkeit der Führungsdelikte zu sehen ist, unabhängig von der Qualifikation als eigenhändiges Delikt getroffen werden. Die Qualifikation als eigenhändiges Delikt darf schließlich kein dogmatisches Zufallsprodukt, also kein auslegungsbestimmendes Kriterium sein.326 Hingegen ist, bevor einem Delikt der Charakter der Eigenhändigkeit zugesprochen werden kann, unbelastet jeder Rechtscharakterisierung zu ermitteln, worin der spezifische Verhaltensunwert zu erblicken ist.327 Wie Müller bereits 1928 konstatierte, muss dazu zuerst die gesetzliche Ausführungshandlung ausgelegt und auf ihre
319
StR). 320
Deichmann, Sonderstraftat, S. 190; vgl. Rehberg, FG Schultz, S. 72, 81 f. (zum schweiz.
Vgl. Deichmann, Sonderstraftat, S. 196. Rehberg, FG Schultz, S. 72, 78 (zum schweiz. StR); vgl. BGHSt 59, 311, 314 f., m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124; BGH NZV 1995, 364, 364. 322 BGH NZV 1995, 364, 364 m. w. N. 323 Bspw. BGHSt 18, 6, 8 f.; BGH NZV 1995, 364, 364. 324 U. a. Eisele, JA 2007, 168, 168; Rudolphi, GA 1970, 353, 359. 325 Deichmann, Sonderstraftat, S. 196; vgl. NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 7. 326 Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 288 m. w. N.; Schall, JuS 1979, 104, 107 f. 327 Ebenso vgl. bereits Müller, Eigenhändige Verbrechen, S. 33, dargestellt u. weitergeführt in: Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 950. 321
B. Die Problemfelder der kasuistischen Auslegungs- und Spruchpraxis
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juristische Bedeutung und Tragweite hin untersucht werden.328 Dies beinhaltet, dass der Tatbestand und vor allem die Tathandlung daraufhin gewürdigt werden, ob diese nach ihrem Wortlaut regelmäßig nur denjenigen erfassen, der die tatbestandlich umschriebene Handlung vornimmt.329 Daraufhin muss das geschützte Rechtsgut330 und gegebenenfalls der soziale Schutzzweck331 der Norm ermittelt werden, bevor über die Beschränkung des Delikts als eigenhändiges entschieden werden kann.332 Denn nur aus den soeben benannten Faktoren kann die gesetzgeberische Entscheidung erwachsen, ob die Sozialschädlichkeit der Deliktsbegehung im Eintritt des Erfolges selbst oder gerade in der unmittelbaren Vornahme durch den Täter liegt.333 Dies ist bei den Führungsdelikten weder geschehen noch ersichtlich. Es ist bereits beispielhaft dargelegt worden, dass diese nicht an einen Sonderpflichtenkreis, also einer besonderen höchstpersönlichen Vertrauensposition,334 anknüpfen. Es ist ebenso wenig ersichtlich, dass nur und ausschließlich der die Steuerelemente des Fahrzeugs Bedienende Rechtsgutsverletzungen oder -gefährdungen Dritter im Straßenverkehr hervorrufen kann.335 Tatsächlich sind rechtsgutschädigende Inneneingriffe Dritter – bspw. durch den Beifahrer – denk- und durchführbar.336 Dies blieb der ganz herrschenden Meinung jedoch verschlossen, indem sie sich von dem selbsterwählten eigenhändigen Charakter des Führens bei der Auslegung der Tathandlung, insbesondere der Bestimmung der wesentlichen Ausführungshandlungen, leiten ließ. Bei unbeeinflusster Auslegung liegt es wesentlich näher, dass der Verhaltensunwert der Führungsdelikte nicht allein durch eine Einwirkung auf die Steuerungselemente verwirklicht werden kann.337 Da dem Führen als solches kein Unrechtsgehalt innewohnt und diesem nur i. V. m. weiteren, in den Straßenverkehrsdelikten verbrieften Tatbestandsmerkmalen ein Verhaltensunwert zukommt, ist grundsätzlich auf Ebene der Tathandlung eine Eingrenzung der Ausführungshandlungen auf die physische Vornahme von Stelleingriffen auch nicht geboten. Unzweifelhaft kann sich das Eigenhändigkeitserfordernis hingegen für einzelne Tatbestandsalternativen, etwa den §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB aus den hinzutretenden gefahrsteigernden Tatbestandsmerkmalen, insbesondere dem vorausgesetzten fahruntüchtigen Zustand, ergeben. Gleichwohl muss diese Würdigung 328
Müller, Eigenhändige Verbrechen, S. 37, zitiert in: Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 950. 329 Rehberg, FG Schultz, S. 72, 77 (zum schweiz. StR). 330 Vgl. Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 967. 331 Vgl. Schünemann, FS Jung, S. 881, 888. 332 U. a. Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 950 m. w. N. 333 Schall, JuS 1979, 104, 109. 334 Schünemann, FS Jung, S. 881, 886. 335 Vgl. Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 288 u. 295. 336 Ausf. zur Abgrenzung des Innen- (§ 315c StGB) und Außeneingriffs (§ 315b Abs. 1 StGB) dazu 6. Kap. B. I. 2. b). 337 Vgl. Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 57; sehr krit. Schubarth, ZStW 110 (1998), 827, 839 ff.
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
einer Gesamtbetrachtung des jeweiligen Tatbestands und dem Schutzzweck der Norm und eben nicht der neutralen Tathandlung des Führens vorbehalten bleiben. Abschließend trägt eine doppelte Beschränkung des Tatbestands – zunächst auf Anwendungs- (eigenhändiges Delikt) und daraufhin auf Auslegungsebene durch die Verkürzung der Tathandlung auf körperliche Einwirkungen auf die Stellelemente des Fahrzeugs – dem Führen als Bewältigung einer umfassenden Arbeitsaufgabe nicht Rechnung. Dies bestätigt ein Blick auf die arbeits- und verkehrspsychologische Tätigkeitsbeschreibung. Das Führen umfasst in tatsächlicher Hinsicht mehr, als die physische Vornahme der Steuerungstätigkeit. Diese steht allein als Resultat am Ende des umfassend durchlaufenen Informationsverarbeitungsprozesses, der auch unterschiedlichste Handlungen mitumfasst, die nicht zu einem direkten Steuerungsimpuls führten. Für die Feststellung der Tathandlung des Führens muss entsprechend insgesamt auf alle diejenigen objektiven Umstände abgestellt werden, die auf die Befassung mit der Führungstätigkeit – der Bewältigung der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung – schließen lassen.338 Zu denken ist insbesondere an Handlungen, die zur Wahrnehmung des Verkehrsgeschehens und zur Vorbereitung eines Steuerungsimpulses vorgenommen werden, bspw. das Drehen des Kopfes beim Schulterblick oder das Abstellen des Fußes auf dem Bremspedal, um eine jederzeitige Verzögerung auf der nächtlichen Fernstraße gewährleisten zu können. Diese als auch (unmittelbar) fahrvorbereitende Handlungen werden aber nur deshalb – und obwohl sie (starkes) Indiz der Wahrnehmung der Führungstätigkeit sind – nicht vom strafrechtlichen Fahrzeugführen umfasst, weil diese keinen unmittelbar physikalischmechanischen Einfluss auf den Fortbewegungsprozess des Fahrzeugs bewirken.339 Dies verkennt, dass umgekehrt allein die bloße Ausübung von physischer Energie auf die Bedienungselemente des Fahrzeugs an sich ebenso wenig Beweis für die Vornahme der Führungstätigkeit bietet. Die Bewertung der konkreten (Tat-)Handlung muss im Übrigen unabhängig davon erfolgen, ob es am Ende zu einem physischen Steuerungsimpuls kommt. Entsprechend müssen auch andere Arten der Befassung mit der Führungsaufgabe umfasst sein. Ist etwa der Einfluss einer anweisenden Person, die das Verkehrsgeschehen in einer konkreten Verkehrssituation beherrscht, umfassend und besteht für den Ausführenden kein eigener Entscheidungsspielraum, besteht kein Grund, den Anweisenden aus dem Anwendungsbereich der Tathandlung des Führens herauszunehmen.340 Dem anschaulichen Beispiel von Zimmermann, der eine willensbeugende Handlung wie das Zwingen zum Beschleunigen durch Vorhalten einer Waffe durch den Beifahrer als tatbestandsmäßig erachtet,341 kann das alltäglichere Beispiel der Anweisungen des Fahrlehrers, denen der unerfahrene Fahrschüler unwider338 Janiszewski, NStZ 1984, 111, 113, der daraus aber den Schluss zieht, dass der Sinngehalt des Führens erst gegeben sei, wenn sich die Räder tatsächlich bewegen. 339 Vgl. OLG Hamm NJW 1984, 137, 137. 340 Vgl. Zimmermann, JuS 2010, 22, 25; ebenso Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 295. 341 Zimmermann, JuS 2010, 22, 25 f.
B. Die Problemfelder der kasuistischen Auslegungs- und Spruchpraxis
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sprochen folgt, an die Seite gestellt werden. Wenn nun der Fahrlehrer trotz erkannter Wartepflicht seinen Schützling eindringlich anweist, den Wagen zu beschleunigen, woraufhin der Fahrschüler einem anderen grob verkehrswidrig und rücksichtslos die Vorfahrt nimmt (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. a) StGB), erklärt sich nicht, inwiefern nun ausschließlich der Fahrschüler als „eigenhändiger“ Täter in Betracht kommen soll, obwohl dieser diesen Entschluss nicht aufgrund der eigenen Informationsverarbeitung fasste und der Fahrlehrer die Verantwortung für den Steuerungsprozess innehielt. Die vom Nötigenden im ersten Beispiel und im zweiten vom Fahrlehrer ausgehende Risikobereitschaft ist – wie Zimmermann darlegt – nicht Ausdruck einer eigenverantwortlichen Tatbegehung. Der Ausführende kann in den Beispielsfällen keine eigene vorsichtigere Fahrweise – im ersten Fall mangels Willensfreiheit im zweiten Fall mangels Erfahrung – walten lassen.342 Damit schreibt die ganz herrschende Meinung der Rechtsfigur der Eigenhändigkeit einen definitorischen, gar wortwörtlichen Charakter zu und verkennt, dass das Führen eines Fahrzeugs im Kern nicht die Bedienung der Stellvorrichtungen, sondern das „in den Händen halten“ des Fahrprozesses darstellt.343 Daran ist die Auslegung der Tathandlung des Führens auszurichten. 5. Die Kollision des Dauertätigkeitscharakters mit dem Eigenhändigkeitserfordernis Ebenfalls steht die Charakterisierung des Führens als Dauertätigkeit dem Eigenhändigkeitserfordernis entgegen. Wie aufgezeigt muss der Natur des eigenhändigen Delikts nach der Täter die Tathandlung selbst (körperlich) oder zumindest höchstpersönlich vornehmen.344 Mit der Einordnung des Führens als Dauertätigkeit, welche nicht mit dem Dauerdelikt zu verwechseln bleibt, ist dies nicht in Einklang zu bringen. Schließlich wird die Steuerungstätigkeit nicht die gesamte Fahrt über aktiv vorgenommen. Gleichwohl wird allein in dem Bedienen der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeugs die Verwirklichung der Tathandlung erkannt. Ein Fahrzeugführer, der vorübergehend oder für einen längeren Zeitraum keine Steuerungseingriffe vornimmt, bleibt dennoch nach der Rechtsprechung – anders als Fahrlehrer und Beifahrer – Fahrzeugführender, obwohl er in diesen Momenten nicht auf die Stellelemente des Fahrzeugs einwirkt. Er wird in diesen physisch-passiven Phasen schlicht nicht körperlich oder höchstpersönlich tätig. Gleichwohl und entgegen der definitorischen Begrenzung auf physische Bedienungsvorgänge als auch entgegen dem Eigenhändigkeitsdogma erstreckt die Rechtsprechung das Führen stillschweigend auf den gesamten Fahrprozess. Es 342
Zum Gesamten Zimmermann, JuS 2010, 22, 26. Zimmermann, JuS 2010, 22, 25. 344 Insb. nach der Körperbewegungstheorie: LK-StGB/Schünemann/Greco, § 25, Rn. 66; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 951 ff. m. w. N.; BGHSt 6, 226, 227, der eine eigenhändige Begehung als „eigenes verwerfliches Tun“ deutete. 343
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
herrscht Einigkeit darüber, dass der Führende das Fahrzeug zwischen dem Anrollen der Räder und dessen endgültigem Stillstand führt. Das passive „Mitfahren“ während der adaptive Tempomat die Geschwindigkeit hält oder anpasst wird, genauso als Führungstätigkeit angesehen, wie das aktive Bremsen vor einem Aufprall. Zudem bleibt nach Wertung des Gesetzgebers ein Nutzer eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems gemäß § 1a Abs. 4 StVG Fahrzeugführer, obwohl er während dessen Nutzung tatsächlich keinen einzigen physischen Stelleingriff vornimmt. Letztlich prüft – außer bei den Fahrlehrern – aufgrund des Dauertätigkeitscharakters kein Gericht, ob der (konkreten) Gefährdung oder Rechtsgutsverletzung eine unmittelbare Steuerungstätigkeit durch den Fahrzeugführer vorausging. Dies kollidiert mit dem zugleich geltend gemachten Eigenhändigkeitserfordernis. Andernfalls müsste jedem Urteil die konkrete Feststellung der (eigenhändigen) Bedienung eines wesentlichen Stellelements des Fahrzeugs im Moment der Schadens- oder Gefährdungssituation entnommen werden können. Die ganz herrschende Auslegungspraxis vermag diesen Konflikt nicht aufzulösen. Dabei versucht sie unausgesprochen anzuerkennen, dass Fahrzeugführer dauerhaft und nicht nur im Moment der Vornahme von physischen Steuerungseingriffen mit der Führungstätigkeit betraut sind. Der Pflichtenkreis des Fahrers wird auch dann bejaht, wenn keine aktive Veränderung des Fahrprozesses vorgenommen wird. Zugleich soll die Fahraufgabe aber definitorisch und aus dem Eigenhändigkeitserfordernis heraus nur dann ausgeübt werden, wenn der Führende die wesentlichen Stellelemente des Fahrzeugs „aktiv“ bedient. 6. Zwischenergebnis Der Gesetzgeber hat die „eigenhändige“ Führungstätigkeit mit § 1a Abs. 4 StVG in Frage gestellt, indem er für die Übertragung der Kraftfahrzeugführereigenschaft keine eigenhändige Steuerung mehr verlangt. Es steht wohl außer Zweifel, dass derjenige, der sämtliche zur Fortbewegung erforderlichen Vorgänge einem automatisierten System überträgt, weder „seiner“ Führungsaufgabe nachkommt noch Fahrzeugführender sein kann.345 Ob das Führen eines Fahrzeugs über den Fahrprozess hinweg hingegen mit dem Fuß, der Hand oder mündlich erfolgt und mit passiven Fahrphasen verbunden ist, darf für die Bewertung der Ausübung der Führungstätigkeit indes keine Rolle spielen.346 Im Übrigen besteht auch keine Notwendigkeit, an der Eigenhändigkeit der Führungsdelikte festzuhalten. Die Tatherrschaftslehre kommt, wie noch aufgezeigt wird, zu gerechten Ergebnissen, ohne die Strafbarkeit ins unermessliche auszudehnen.
345
Franke, DAR 2016, 61, 62; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 8. Zum Gesamten Miseré, Die Grundprobleme der Delikte mit strafbegründender besonderer Folge, S. 93. 346
B. Die Problemfelder der kasuistischen Auslegungs- und Spruchpraxis
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III. Drittes Problemfeld: Die Untauglichkeit der Bezugnahme eines Bewegungsvorgangs Um in Einzelfällen zu einem als gerecht erachteten Ergebnis zu gelangen, hat sich die Rechtsprechung unter Zustimmung der Literatur entschlossen, ein weiteres objektives Element als Voraussetzung für die Führungstätigkeit zu definieren: Das Bewegungselement. Letztlich führe nur derjenige ein Fahrzeug, der dasselbe auch bewegt.347 Auch diese kasuistische Spruchpraxis engt das Führen auf führungsirrelevante Merkmale ein. Selbst bei der Anwendung dieses relativ neuen Auslegungsmerkmals ist die Rechtsprechung nicht konsequent. Indem sie das Bewegungsmoment aufweichte und minimale Fortbewegungen für nicht tatbestandsmäßig erachtet, verliert es seine spezifische Abgrenzungsfunktion. So führe nach Ansicht einiger Oberlandesgerichte derjenige, der sein festgefahrenes Fahrzeug durch zielgerichtete Fortbewegungsversuche selbst unter Erzielung geringfügiger Bewegungen nicht frei bekommt, dieses nicht.348 Dies mag zwar im Ergebnis, nicht aber der Begründung nach überzeugen. So stellt sich der Versuch der Wiederherstellung der Fahrtüchtigkeit des Fahrzeugs unter Aufwendung aller fahrzeugimmanenten Antriebskräfte als gleichsam wenn nicht gar weitaus riskanter als das kontrollierte Führen eines bewegungsfähigen Kraftfahrzeugs dar.349 Während der Fahrer beim üblichen Anfahren seine Antriebskräfte dosiert freisetzt, nutzt der sich (vorübergehend) festgefahrene Fahrer regelmäßig den kompletten Leistungsbereich seines Fahrzeugs aus. Bereits dies schafft eine erhöhte abstrakte Gefahr, die sich bei der Wiedererlangung der Mobilität realisieren kann. Die §§ 316 Abs. 1 und 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB versuchen jedoch den Straßenverkehr vor allen (abstrakten und konkreten) Gefahren zu schützen.350 In dem Zeitpunkt, in dem der festgefahrene Führende die Mobilität wiedererlangt, hat er ungleich und sofort diese (übermäßigen) Kräfte zu beherrschen. Die Anforderungen daran liegen weit über denen, die an den Fahrer eines bewegungsfähigen Fahrzeugs gestellt werden. Wurde beim Schieben eines Fahrzeugs noch betont, dass dann kein Führen angenommen werden könne, wenn die an den das Fahrzeug Schiebenden zu stellenden Geschicklichkeitsanforderungen geringer ausfallen als diejenigen, die an einen Fahrzeugführer eines in Eigenbewegung befindlichen Fahrzeugs gestellt werden,351 scheint der umgekehrte Fall beim festgefahrenen Fahrzeug keine Rolle zu spielen. Insoweit wird an den Fahrer eines (vorübergehend) festgefahrenen Fahrzeugs ein anderer Bewertungsmaßstab angelegt, als an Führende bewegungsfähiger Fahrzeuge, obwohl sich die Ausführungshandlungen gleichen, wenn nicht gar von ersterem intensiver wahrgenommen werden. Zudem 347
Siehe 6. Kap., Fn. 146. Zum Gesamten OLG Karlsruhe NZV 1992, 493, 493; OLG Brandenburg DAR 2006, 219, 219; frühere a. A. OLG Koblenz VRS 46 (1974), 352, 353. 349 Vgl. OLG Koblenz VRS 46 (1974), 352, 353. 350 OLG Koblenz VRS 46 (1974), 352, 353. 351 BayObLG VRS 75 (1988), 127, 129. 348
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6. Kap.: Analyse zum Tatbestandsmerkmal des Führens eines Fahrzeugs
wird die Führungstätigkeit sowohl von demjenigen, der sein Fahrzeug frei bekommt, gleichsam wie von demjenigen wahrgenommen, dem dies nicht gelingt. Die Rechtfertigung des Strafbarkeitsausschlusses bei identischer Handlungsvornahme – zumal es sich bei § 316 Abs. 1 StGB um ein Tätigkeitsdelikt handelt und der Tatbestand selbst kein Fortbewegungselement voraussetzt – bedarf sicherlich einer anderen als derjenigen, dass die Verwirklichung der Tathandlung von der Bewegung des Fahrzeugs abhängig sei. Faktisch hängt durch die Einführung des Bewegungselements die (Vollendungs-) Strafbarkeit von einem Erfolg ab. Dies ist bei § 316 Abs. 1 StGB als abstraktes Gefährdungs- und Tätigkeitsdelikt schwer erklärbar. Auf die Ausführungshandlung, also die Handhabung der Vorrichtungen des Fahrzeugs (mit zielgerichtetem Fortbewegungswillen) kommt es nämlich beim Misserfolg nicht an. Dies führt zu einer ungleichen Auslegung der Tathandlung gegenüber demjenigen, der versehentlich ein Fahrzeug in Bewegung setzt. So führe – soweit ein finales Element für nicht erforderlich gehalten wird – derjenige, der sich nicht umfassend mit der Führungstätigkeit befasst und nur versehentlich das Fahrzeug in Gang setzt, das Fahrzeug im strafrechtlichen Sinne, während derjenige, der bewusst und zielgerichtet alle Antriebskräfte des Fahrzeugs zur Erlangung der Bewegungsfähigkeit einsetzt, sich also umfassend mit der Führungstätigkeit befasst, dies nicht täte. Damit stellt die Rechtsprechung offensichtlich nicht mehr auf die typische Ausführungstätigkeit des Führens respektive Fahrens, sondern allein auf äußere Gegebenheiten ab.
IV. Zwischenergebnis Die bestehenden Mangelhaftigkeiten der Auslegungspraxis sind im Ergebnis auf zwei Betrachtungsfehler zurückzuführen: Zum einen wird ohne jede nähere Darlegung das Führen über die Rechtsfigur des eigenhändigen Delikts auf die physische Vornahme von Stelleingriffen reduziert. Zum anderen wurde und wird die Auslegungspraxis an Einzelfällen und nicht anhand einer abstrakt-umfassenden Definition ausgeprägt. Insbesondere das die Tathandlung beschreibende Tatbestandsmerkmal wurde über Einzelfallentscheidungen weiterentwickelt, was zu einer Verstetigung der kasuistischen und uneinheitlichen Spruchpraxis führte.352 So ist die Notwendigkeit eines Bewegungsprozesses als auch die Forderung nach einem finalen Moment, die erst im Laufe der Zeit entwickelt wurden, zu erklären. Zugleich werden die neu konstruierten Anknüpfungspunkte, die sich in das Gefüge des Führens nicht richtig einzugliedern vermögen, laufend relativiert. Geringfügige Bewegungen würden bei einem festgefahrenen Fahrzeug doch nicht genügen, um die Führungstätigkeit des Steuernden zu begründen.353 Ebenfalls sei derjenige, der auf einem Motorroller sitzend dieses per Fußkraft fortbewegt, nicht 352 353
Vgl. LK-StGB/König, § 316, Rn. 9a. Siehe 6. Kap., Fn. 348.
B. Die Problemfelder der kasuistischen Auslegungs- und Spruchpraxis
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Führender, solange er diesem keinen Schub verleihe, kraft dessen das Fahrzeug ohne weiteres Zutun mehrere Meter rollen könne.354 Die übrigen benannten Konstellationen, allen voran die Fahrlehrerentscheidungen, bezeugen, dass die Rechtsprechung als auch Literatur selbst über abstrakte Deliktseigenschaften wie den Dauerdeliktscharakter hinweggehen, um Einzelfallentscheidungen treffen zu können. Dabei halten sie an Dogmen wie der Eigenhändigkeit der Fahrzeugführung oder des „aktiven“ Fahrers fest, um sich selbst eine gewisse Sicherheit zu geben. Es ist aber vor allem mit Blick auf die aufkommenden automatisierten Fahrzeuge kaum zu verkennen, dass die bisherige widersprüchliche und einzelfallgeprägte Auslegungspraxis vor Hürden steht, die sie ohne eine grundlegende Reform der Auslegung des Führens nicht zu überwinden vermag.
354
Siehe 6. Kap., Fn. 271.
7. Kapitel
Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext Die aufgezeigten Wertungswidersprüche, die nicht erst mit dem Inkrafttreten des 8. Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes1, namentlich insbesondere mit §§ 1a Abs. 4 und 1b Abs. 1 1. HS StVG, sondern bereits in der kasuistischen Rechtsprechung angelegt sind, bilden die Grundlage der notwendigen Reform der Auslegungs- und Spruchpraxis des tatbestandlichen Führens. Nicht nur der gesellschaftliche wie technische Wandel und die neuen arbeits- wie verkehrspsychologischen Erkenntnisse, sondern insbesondere die kritikwürdige einzelfallbezogene Entwicklung der Definitionsbildung erfordert ein juristisches Umdenken. Tatsächlich – so viel sei vorangestellt – ist hingegen ein Tätigwerden des Strafgesetzgebers nicht zwingend notwendig, um auf die neue Situation des automatisierten Individualverkehrs zu reagieren. Die Nutzung automatisierter Fahrerassistenzsysteme kann sich in das System der Straßenverkehrsdelikte der §§ 315c und 316 StGB, welche an der Tätigkeit des Führens anknüpfen, grundsätzlich einfügen. Die strafrechtliche Definitions- und Auslegungspraxis ist die richtige Stellschraube, um den neuen Gegebenheiten des automatisierten Individualverkehrs gerecht werden zu können. Daneben wären Klarstellungstendenzen des Straßenverkehrsgesetzgebers außerhalb des Strafgesetzbuchs wünschenswert. Mit Blick auf die bereits dargestellte Analyse der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung muss diese Ausgangspunkt und Grundlage jeglicher (definitorischen) Neuorientierung sein. Da sich die Tätigkeit des Führens nicht von selbst erklärt, muss auf der zweiten Ebene gefragt werden, welche Anknüpfungspunkte auf die strafrechtlich relevante Befassung mit der Führungstätigkeit schließen lassen. Dies zu klären und in einen neuen Definitionsvorschlag einzukleiden, der sich auf das Führen als tathandlungsbeschreibendes Tatbestandsmerkmal zurückbesinnt und befreit von handlungsfremden Anknüpfungspunkten eine rechtssichere Anwendung bietet, ist Ziel dieser Arbeit. Natürlich kann vorliegend aufgrund der gesetzgeberischen Verbreitung des Rechtsbegriffs des Führens, welcher nicht nur in mehreren Strafvorschriften, sondern u. a. auch im Straßenverkehrsgesetz zu finden ist, nur dessen wesentliche definitorische Grundstruktur ohne normspezifische teleologische Einschränkungen dargestellt werden. Ziel ist es, der kasuistischen etablierten Auslegungspraxis eine sys1
BGBl. Teil I, Nr. 38 v. 20. 06. 2017, S. 1648, 1648 ff.
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
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tematische Betrachtung der Tathandlung gegenüberzustellen. Die darüber hinausgehende normspezifische Auslegung, die die jeweiligen Schutzzwecke und teleologische Gesichtspunkte der einzelnen Straf- bzw. Rechtsnormen berücksichtigt, bleibt davon natürlich unberührt.
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz Das Führen als Terminologie des Straßenverkehrs- und Straßenverkehrsstrafrechts hat in den letzten Jahrzehnten tiefe Gräben in der juristischen Methodik aufgewühlt. Ein roter Faden ist kaum noch zu erkennen. Stattdessen drückten nach und nach von der Rechtsprechung entschiedene Einzelfälle dem Rechtsbegriff des Führens ihr Gepräge auf. Dieser methodischen Auslegungspraxis muss nun mit dem Aufkommen einer neuen Generation von Fahrzeugen mit automatisierten Fahrerassistenzsystemen, die wiederum neue Fallkonstellationen hervorbringen werden, entgegengewirkt werden. Resultat ist der Vorschlag einer Neudefinition, der sich am klassischen Auslegungskanon2 und an einer von den bisherigen Vorgaben und normspezifischen (teleologischen) Besonderheiten losgelösten generellen Betrachtung orientiert. Das Führen wird dabei tatbestandsunspezifisch untersucht. Die dabei an der Verbform und der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung ausgerichtete Auslegung bietet den Vorteil einer trennscharfen Abgrenzung zwischen der Vornahme und dem Unterlassen der Führungstätigkeit. Nebeneffekt dessen ist, dass sich der automatisierte Individualverkehr in die Definition einfügt. Am Ende des Auslegungsprozesses steht als Ergebnis der nachfolgende Definitionsvorschlag, der zum Verständnis der folgenden Auslegungserwägungen diesen vorangestellt wird: 1
Ein Fahrzeug führt, wer sämtliche Betätigungen, die zur Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erheblichen Veränderung des Fahrprozesses eines Fahrzeugs dienen, in eigener Verantwortung wahrnimmt. 2Betätigung in diesem Sinne ist auch die Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen, die unter der unmittelbaren Möglichkeit der Beeinflussung des Fahrprozesses zielgerichtet vorgenommen wird.
Sicherlich vermag ein erster Blick auf die vorgeschlagene Definition kaum als Revolution der Spruch- und Auslegungspraxis erkannt werden. Die Änderungen zur etablierten Definition scheinen marginal, wirken sich aber sowohl auf die menschliche wie auch zukünftig technisch-assistierte Fahrzeugführung erheblich aus. Die Krux liegt im Detail. Der Definitionsvorschlag setzt sich aus 4 zentralen Merkmalen zusammen. Diese umfassen (1.) die „Betätigung“ als Handlungselement, (2.) die „Aufnahme, Auf2 v. Savigny, Römischen Rechts, S. 213 u. 215; MüKo-StPO/Kudlich, Einl., Rn. 584; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 437; Brugger, AöR 1994, 1, 21 m. w. N.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
rechterhaltung oder erhebliche Veränderung des Fahrprozesses“ als Bezugspunkt zur Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung, (3.) das „Dienen“ als Ausdruck der Zielgerichtetheit der Führungstätigkeit und (4.) die „eigene Verantwortung“ als Beschränkung der Tathandlung auf schutzgutrelevante Verhaltensweisen. Der zweite Definitionssatz ist deklaratorischer Natur und grenzt die strafbare Tathandlung von anderweitigen im Fahrzeug vorgenommenen Handlungen (etwa tertiären Aufgaben) ab, die nicht Bestandteil der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung sind. Zur Verdeutlichung des Aufbaus des Definitionsvorschlags kann das folgende Schema dienen: Tathandlung
Restriktion des Strafrechts Subjektive Tathandlungskomponente
Objektive Tathandlungskomponenten 1. Betätigung (Handlungselement) 2. Fahrprozess (Zweckrichtung)
3. Dienen (Willenselement)
Das Führen
Schutzgutrelevanz des pönalisierten Verhaltens
4. Verantwortung für den Fahrprozess
Deutlichstes Unterscheidungsmerkmal zur etablierten Auslegungspraxis ist die Abkehr von der Bedienung der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeugs. Dieses bisher tragende Definitionsmerkmal stammt noch aus einer Zeit, als allein die menschliche Kraftentfaltung auf die Stellelemente des Fahrzeugs zur Veränderung des Fahrvorgangs führen konnte. Heute ist es bereits möglich, Steuerungsimpulse, die über ein Aufrechterhalten der aktuellen Situation hinausgehen, an automatisierte Fahrerassistenzsysteme zu übertragen. Zu denken ist an Fahrerassistenzsysteme der Automatisierungsebenen 1 und 2. Der Nutzer kann nach der Übergabe an das hoch- oder vollautomatisierte System selbst nicht mehr abschätzen, wann und welchen Steuerungsimpuls dieses abgeben wird. Ihm ist insoweit mit Ausnahme der Übersteuerung keine Möglichkeit gegeben, auf die Antriebskräfte des Fahrzeugs einzuwirken. Deshalb ist das Extrahieren der Führungstätigkeit elementar für die Definitionsbildung. Das Führen muss daher als Arbeitsaufgabe, bestehend aus den sich gegenseitig bedingenden Bewältigungen der mentalen und physischen Aufgaben, verstanden werden. Damit rückt zudem der dynamische Aspekt der Fahrzeugführung, der meines Erachtens keine sinnvolle Abgrenzungsfunktion er-
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
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füllt, aus dem Betrachtungsfeld und lässt für eine handlungsbezogene Sichtweise Raum. Das tatsächliche Führen und deren Handlungsfolgen stehen damit im Zentrum dieses Definitionsansatzes. Letztlich stellt sich der hier vorgestellte Definitionsansatz als Ergebnis eines modernen, am Stand der Wissenschaft und Technik orientierten Auslegungsprozesses dar, der auf dem „klassischen Auslegungskanon“ von v. Savigny3 gründet.
I. Die Wortlautauslegung (Grammatikalische Auslegung) Grundlage einer jeden Normauslegung ist der dem Gesetz zugrundeliegende Wortlaut.4 Der Wortlaut bzw. der Wortsinn5 weist dabei die Schwierigkeit auf, dass er einerseits das Endresultat des Gesetzgebungsprozesses, andererseits Ausgangspunkt6 der Rechtsanwendung ist. Das Wort ist Medium der Legislative und Werkzeug der Judikative.7 Entsprechend ist der Wortlaut einer jeden (Straf-)Norm Quelle aller Überlegungen. In die folgenden Erwägungen mussten zum Erhalt des Verständnisses bereits systematische als auch historische Argumente einfließen. Schließlich ist die gesetzgeberische Wortwahl als auch der Wortsinn von diesen Faktoren beeinflusst worden. Eine strikte Trennung der einzelnen Auslegungsmethoden wäre daher wenig sinnvoll. 1. Grundlegende Orientierung am Wortlaut Der Wortlaut einer Norm, mithin eines jeden einzelnen Tatbestandsmerkmals, ist maßgebender und grundlegender Ausgangspunkt aller Auslegungsüberlegungen.8 Er ist Basis für die Feststellung, welcher Sinn nach dem Sprachgebrauch den Gesetzesworten zukommen kann.9 Fehlt es, wie im Strafrecht häufig, an einer gesetzlichen Legaldefinition,10 ist zunächst umstritten, ob sich der Wortsinn am juristischen oder allgemeinen 3 v. Savigny, Römischen Rechts, S. 213; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 437; Brugger, AöR 1994, 1, 21 m. w. N. 4 U. a. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 141. 5 Horn, Rechtswissenschaft, Rn. 178; ausf. zur Unterscheidung Simon, Gesetzesauslegung, S. 43 f. 6 BGHSt 3, 259, 262; 18, 151, 152; MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 88 m. w. N. 7 Vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 67. 8 BVerfG NJW 2002, 3693, 3694; BVerfGE 71, 108, 115 m. w. N.; MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 87; LK-StGB/Dannecker/Schuhr, § 1, Rn. 300; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 78 m. w. N.; Simon, Gesetzesauslegung, S. 45; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 67. 9 Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 35 f. u. 37. 10 Simon, Gesetzesauslegung, S. 45.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Sprachgebrauch orientieren muss.11 Art. 103 Abs. 2 GG gibt dafür keine Richtung vor.12 Auch aus dem Strafgesetzbuch selbst ergibt sich keine gesetzgeberische Wertung, welcher Sprachgebrauch heranzuziehen ist. Eine Tendenz für das eine oder das andere ist selbst den unter §§ 11 und 12 StGB formulierten Legaldefinitionen des 2. Teils des 1. Abschnitts des Strafgesetzbuchs – welcher mit „Sprachgebrauch“ überschrieben ist – nicht zu entnehmen. So findet sich bspw. unter dem Amtsträgerbegriff nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) StGB13 eine rechtsspezifische Legaldefinition, während etwa die Definition des Richters gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 3 StGB14 mit der des allgemeinen Sprachgebrauchs korreliert. Nach überzeugender Ansicht und entgegen einiger Stimmen in der Literatur15 und der wankelmütigen Rechtsprechung,16 die je nach Lage entweder den allgemeinsprachlichen17 oder rechtsspezifischen Sprachgebrauch18 zugrunde legt, muss der allgemeine Sprachgebrauch, soweit der juristische Sprachgebrauch nicht (bewusst) enger gehalten wurde,19 Richtschnur der grammatikalischen Auslegung sein.20 11
MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 87; sehr ausf. Simon, Gesetzesauslegung, S. 41 u. 82 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 39 knüpft wenig differenzierend am „Sprachgebrauch der Rechtsgemeinschaft“ an; zur alten Rspr.: BGHSt 14, 116, 118. 12 Simon, Gesetzesauslegung, S. 83. 13 NK-StGB/Saliger, § 11, Rn. 16: demnach die Definition eine rechtstechnische Funktion erfüllt; MüKo-StGB/Radtke, § 11, Rn. 16, der die Funktion der Legaldefinition auch darin sieht, sämtliche Personen, die für den öffentlichen Dienst – ohne Amtsträger zu sein – verpflichtet sind, zusammenzufassen; ebenso BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 11, Rn. 11. 14 NK-StGB/Saliger, § 11, Rn. 47: Begrenzung auf Berufs- und ehrenamtliche Richter ist abschließend, sodass sich dieser Begriff nicht auf sämtliche Personen bezieht, die zur Wahrnehmung von Aufgaben der rechtsprechenden Gewalt bei einem Gericht bestellt sind. 15 MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 87; Simon, Gesetzesauslegung, S. 82 m. V. a. Brugger, AÖR 1994, 1, 23: „Im Zweifel hat der juristische Sprachgebrauch Vorrang“, gleichwohl „die Gesetzessprache […] im Idealfall durch das allgemeine Sprachverständnis geprägt sein [sollte].“; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 439, der den Sprachgebrauch des Adressatenkreises, also des Personenkreises, der „praktisch von dem Gesetz betroffen sein“ wird oder den der Juristen, die die Norm „anzuwenden und durch Beratung dem juristischen Laien zu vermitteln haben“, zugrunde legt. Anderes gelte in Rechtsgebieten, in denen die Normbeachtung vom Normadressaten erwartet würde, wobei Bydlinski auf die Grundregeln des Straßenverkehrsrechts verweist, jedoch offen lässt, bei welcher Norm eine Beachtung durch den juristischen Laien nicht vom Gesetzgeber erwartet würde; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 741: Im Zweifel gilt aufgrund der richterlichen Gesetzesbindung der fachspezifische Sprachgebrauch. 16 Sehr ausf. Simon, Gesetzesauslegung, S. 84 ff. m. w. N. u. 111. 17 Bspw. Heranziehung u. a. der „allgemeinen Bedeutung“ zur Auslegung des Begriffs der Haft, BGHSt 4, 308, 309. 18 Bspw. orientiert sich die Auslegung des Begriffs der Schusswaffe am rechtlichen Sprachgebrauch, BGH NJW 1971, 1223, 1224. 19 Vgl. MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 87. 20 H. M.: Lackner/Kühl/Kühl, § 1, Rn. 6 m. w. N.; Horn, Rechtswissenschaft, Rn. 178; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 141; MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 87; BVerfGE 71, 108, 115: Wenn eine Norm „Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit […] für den Normadressat verlangt“, ist deren Wortsinn „aus der Sicht des Bürgers zu bestimmen“; andererseits BVerfGE 75,
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
181
Schließlich bedient sich die Gesetzessprache nicht nur selbst der Alltagssprache.21 Sie ist zur Legitimation22 und zur Wahrung der Erkennbarkeit des Strafbaren für den Gesetzesunterworfenen auch unentbehrlich.23 Üblicherweise ist im Strafrecht deshalb dem natürlichen Wortsinn, also dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens, Vorrang einzuräumen.24 Folge dessen kann es durchaus vorkommen, dass sich eine strafrechtlich gebräuchliche Bedeutung nicht mit der juristischen anderer Gesetze deckt.25 Ebenso kommt es vor, dass einem Begriff in der Alltagssprache aufgrund ihres (regionalen) Nuancenreichtums und ihrer Anpassungsfähigkeit kein eindeutiger überregionaler Wortsinn zugeordnet werden kann.26 In diesem Fall kann der Rückgriff auf den juristischen Sprachgebrauch eine bestimmte oder gar über den allgemeinsprachlichen Wortsinn hinausgehende Bedeutung umfassen.27 Dies ist aber nur dann erforderlich, wenn es einer notwendigen Klarheit und Rechtssicherheit bedarf. Natürlich trägt die Wortlautauslegung in diesem Zusammenhang zum Teil auch eine Vereinfachungstendenz in sich, indem schwierige fachspezifische Begriffe zur juristischen Anwendung verständlich nutzbar gemacht werden.28 Der Pkw, der nicht vom Tatbestandsmerkmal der Waffe im Sinne des § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB erfasst sei,29 ist ebenso eingeschränkt verstanden worden wie die „andere Straftat“, worunter etwa der nachfolgende Versicherungsbetrug im Sinne der schweren Brandstiftung des § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB30 nicht falle.31 Das Gegenteil, eine über den allgemeinen 329, 341 m. w. N.: „Wenn hiernach Strafvorschriften in der dargelegten Weise bestimmt sein müssen, so schließt dies nicht eine Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen.“; BGHSt 4, 144, 148 legt den allgemeinen Sprachgebrauch zugrunde; BGHSt 20, 235, 236, wobei der BGH im „geräuschlosen Hineingehen in ein Haus oder eine Wohnung zur Nachtzeit“ kein Einschleichen erkennen will; BGHSt 61, 48, 66, wobei der BGH das durch die Untreue gem. § 266 Abs. 1 StGB geschützte Treueverhältnis beschränkt, m. Anm. Saliger/Schweiger, NJW 2016, 2585. 21 Simon, Gesetzesauslegung, S. 82. 22 Brugger, AÖR 1994, 1, 23. 23 BVerfG NJW 2002, 3693, 3694; BVerfGE 71, 108, 115 u. 121; vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 141; a. A., zumindest wenn ein engerer juristischer Sprachgebrauch existiert: BGHSt 14, 116, 118; MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 87 m. w. N. 24 BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 1, Rn. 17; vgl. NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 80; siehe zur Rspr. 7. Kap., Fn. 857. 25 BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 1, Rn. 17. 26 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 141 f. 27 BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 1, Rn. 17. 28 BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 1, Rn. 17. 29 BVerfG NJW 2008, 3627, 3628, m. Anm. Simon, NStZ 2009, 83, m. Anm. Jahn, JuS 2009, 78; v. Heintschel-Heinegg, JA 2009, 68, 68 ff.; obwohl von der Rspr. anerkannt ist, dass ein Fahrzeug Waffenqualität erlangen kann, etwa wenn es als solches i. S. d. § 315b Abs. 2 StGB beim sog. verkehrsfeindlichen Inneneingriff „pervertiert“ wird, bspw. BGH 48, 233, 237 f.; BGH NStZ 2004, 625, 626. 30 BGHSt 51, 236, 239 ff., m. Anm. Radtke, NStZ 2007, 640. 31 Vgl. u. weitere Bsp.: BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 1, Rn. 17.1.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Sprachgebrauch hinausgehende juristische Deutung, kann der (extensive) Pflanzenbegriff des Bundesgerichtshofs im Rahmen des Betäubungsmittelgesetzes verdeutlichen. In diesem Urteil wurden Pilze, obwohl diese biologisch unstreitig eine eigenständige Kategorie von Organismen bilden, als vom Pflanzenbegriff des Betäubungsmittelgesetzes a. F. umfasst angesehen.32 Die Wortlautauslegung erfüllt über die Ermittlung der Wortbedeutung hinaus noch eine zweite, rechtssichernde und begrenzende Funktion. Der mögliche Wortsinn zieht die äußerste Grenze der Bedeutungsfindung33 – auch wenn dies bei dem soeben skizzierten und zu Recht kritisierten34 Urteil des Bundesgerichtshofs zum Betäubungsmittelgesetz nicht zu gelten schien. Alles, was vom Wortsinn nicht mehr gedeckt werden kann, stellt, soweit es nicht täterbegünstigend ist, eine verbotene täterbelastende Analogie dar.35 Der mögliche Wortsinn zieht damit „die rote Linie“ aller strafrechtlichen Auslegungsüberlegungen.36 Sicherlich stellt das tathandlungsbeschreibende Tatbestandsmerkmal des Führens besondere Anforderungen an die Wortlautauslegung. Es bietet im Vergleich zu anderen spezifischen Tathandlungen einige Besonderheiten. So kann es nicht auf eine einzelne definierbare Handlung reduziert werden, sondern umfasst eine Vielzahl von mentalen und physischen Tätigkeiten. Resultat dessen mangelt es dem Führen an einer gebräuchlichen und am Alltagssprachgebrauch orientierten Deutung. Selbst eloquente Menschen dürften auf die Frage hin, was unter dem Führen zu verstehen sei, wohl spontan keinen einheitlichen Konsens finden. Dies hat zur Folge, dass sich die Rechtsprechung und Rechtspraxis nicht auf ein allgemeinsprachliches Interpretationsverständnis37 stützen kann. Des Weiteren weist das Führen eine hohe, über das Straßenverkehrsrecht hinausgehende, Bedeutungsvielfalt auf. Auch im Strafgesetzbuch ist das Führen nicht allein im Bereich der Straßenverkehrsdelikte, sondern beispielhaft auch in § 132a Abs. 1 StGB, dem Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, anzutreffen.
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BGH NJW 2007, 524, 524; BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 1, Rn. 17. H. M.: BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 1, Rn. 17; HK-GS/Rössner, § 1, Rn. 8; Jähnke, BGH/BA/RA-FS, S. 393, 400; MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 79; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 143; Horn, Rechtswissenschaft, Rn. 179a; sehr ausf. Simon, Gesetzesauslegung, S. 100 ff. m. w. N.; st. Rspr. BVerfGE 71, 108, 115; BVerfGE 92, 1, 12; BGHSt, 3, 300, 303 „Grenze des sprachlich Möglichen“; sehr krit. BGHSt 10, 375, 375 f., welcher den LKW unter das „bespannte Fuhrwerk“ des § 3 Abs. 1 Nr. 4 PrFDG a. F. fasste. 34 MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 87. 35 St. Rspr.: BVerfGE 105, 135, 157 m. w. N.; BGHSt 42, 158, 160 f.; BeckOK-StGB/ v. Heintschel-Heinegg, § 1, Rn. 17. 36 St. Rspr. u. a.: BVerfGE 105, 135, 157 m. w. N.; BVerfGE 71, 108, 115; BGHSt 48, 355, 357; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 145; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 39. 37 MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 87. 33
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
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Die Wortlautauslegung stellt sich aufgrund dieser Hürden als komplex heraus. Gleichwohl kann der von der Rechtsprechung gefundene kleinste gemeinsame Nenner, das Führen mit den physisch wahrnehmbaren Handlungen der Führungsleistung gleichzusetzen, nicht überzeugen. Zumindest kann heute aus der Bewegung des Fahrzeugs selbst nicht mehr auf eine physische Betätigung des Führenden rückgeschlossen werden. Ob diese auf einen menschlichen oder systemgenerierten Steuerungsimpuls zurückgeht, ist von außen nicht erkennbar. Entsprechend muss sich die Rechtsprechung an eine Neujustierung wagen, deren Ausgangspunkt bei der Wortlautauslegung die arbeits-, kognitions- wie verkehrspsychologischen Erkenntnisse bilden müssen.38 2. Der Wortlaut des Führens Bei der Wortlautauslegung eröffnen sich verschiedene, zum Teil bereits angedeutete Quellen, die im Folgenden beleuchtet werden und zur Bedeutungsermittlung des Führens verhelfen sollen. Dabei wird auf die Deutschen Wörterbücher, den allgemeinen Sprachgebrauch als auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse zurückgegriffen. a) Der Rückgriff auf die Wörterbücher Will die Rechtsprechung und Rechtslehre die Bedeutung eines Tatbestandsmerkmals ermitteln, nehmen diese auf der ersten Stufe die deutschen Wörterbücher zur Hand.39 Das Amtsgericht Freiburg, auf dessen Urteil sich später der Bundesgerichtshof bezieht, wählte ebendiesen Weg.40 Der Bundesgerichtshof für Strafsachen greift neben Grimms Wörterbuch, den Duden, dem Deutschen Wörterbuch (Wahrig), Trübners Deutsches Wörterbuch, dem Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache, Das Deutsche Wort (Pekrun) und Compact Wörterbuch „Synonyme“ auch auf die großen Enzyklopädien von Brockhaus und Meyers und das Klinische Wörterbuch Pschyrembel zurück.41 Dies geschah zum Teil auch bei der Auslegung des Tatbestandmerkmals des Führens, wobei er mit Verweis auf die Auslegungserwägungen des Amtsgerichts Freiburg den Duden, das Deutsche Universalwörterbuch von 1983 als auch Grimms Deutsches
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Vgl. Maurach/Zipf, StR AT 1, § 9, Rn. 22. Ausf. Simon, Gesetzesauslegung, S. 64 ff.; siehe MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 88, wobei auch dies nicht stets zu einem einheitlichen Auslegungsergebnis führt, vgl., ob das Zahngold zum Begriff der Asche gehöre, einerseits bejahend OLG Bamberg NJW 2008, 1543, 1544 u. OLG Hamburg NJW 2012, 1601, 1606; andererseits verneinend OLG Nürnberg NJW 2010, 2071, 2073. 40 AG Freiburg NJW 1986, 3151, 3152; übernommen von BGHSt 35, 390, 393. 41 Simon, Gesetzesauslegung, S. 64 m. entspr. Belegen. 39
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Wörterbuch von 1878 heranzog.42 Ob dessen Ergebnis überzeugt, vermögen die weiteren Zeilen zu klären. Unter Nutzung der aktuellen Auflage des Dudens lässt sich eine eindeutige Deutung des Begriffs des Führens aufgrund seiner Bedeutungsvielfalt nicht extrahieren. Die Darstellung des Dudens umfasst insgesamt 12 Bedeutungen mit mehreren Unterbedeutungen.43 Wird die Wortlautauslegung dem Zweck der Straßenverkehrsdelikte nach auf den Fahrzeugverkehr beschränkt, wird das Führen vom Duden als der Amtssprache nach „(ein Fahrzeug) steuern, fahren“ oder, vor allem nach österreichischem Sprachgebrauch, „mit einem Fahrzeug befördern“ gedeutet.44 Aus den gleichsam benannten Beispielen „ein Flugzeug, einen Zug führen“ als auch „die Berechtigung, einen Lkw zu führen“ ergibt sich keine Konkretisierung der Führungshandlung.45 Ein ähnliches Bild zeichnet ein Blick in das Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm. Unter unzähligen Deutungsvarianten und Schreibweisen findet sich u. a. die Formulierung „[…] fahren […] grundbegrif: fahren machen“.46 Auf den weiteren Seiten findet sich als transitive Bedeutung unter 31 Varianten mit Untergruppierungen die Umschreibung „bewegen und so fortbringen“ und „durch sich fortkommend machen“, wobei es sich hierbei eher um das Resultat, nicht um die inhaltliche Ausprägung des Führens selbst handelt, wie die folgenden Beispiele „er vermochte sein Pferd nicht zu halten, es rannte davon und er wuste nicht, wohin es ihn führte“, „die flut (des meeres) führt jenen […] fort zweitausend meilen gut“ oder „die fähre führt die leute auf die andere seite des flusses“ verdeutlichen. Die wohl passendste Deutungsvariante in Grimms Wörterbuch findet sich unter Gliederungspunkt I. 12, wobei das Führen als „mittelst eines fuhrwerkes, eines fahrzeuges, auf einem reit- oder lastthiere fortkommen machen“ umschrieben wird. Als Unterdeutungen wird u. a. „mittelst eines fuhrwerkes. hier kann führen wie sein wurzelwort fahren stehn“47 und „mittels eines fahrzeuges. auch hier kann führen ganz wie fahren stehn“48 ausgewiesen. Eine Umschreibung der Tätigkeit des Führens ist hieraus aber ebenso wenig ableitbar. Erstmals im Wörterbuch Das Deutsche Wort wird ein erster Versuch der Handlungsdefinition ersichtlich. U. a. sei das Führen als „leiten“, „gelangen“ oder auch „handhaben“, „sich einer Sache bedienen“ zu ver-
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AG Freiburg NJW 1986, 3151, 3152 m. V. a. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 1983, S. 442 u. Grimm, Deutsches Wörterbuch, 4. Bd., 1. Hälfte, Sp. 432 u. 440; übernommen v. BGHSt 35, 390, 393. 43 Duden, Die Deutsche Rechtschreibung, online abrufbar unter: https://www.duden.de/ rechtschreibung/fuehren [abgerufen am 07. 05. 2019]. 44 Duden, Die Deutsche Rechtschreibung, online abrufbar unter: https://www.duden.de/ rechtschreibung/fuehren [abgerufen am 07. 05. 2019]. 45 Duden, Die Deutsche Rechtschreibung, online abrufbar unter: https://www.duden.de/ rechtschreibung/fuehren [abgerufen am 07. 05. 2019]. 46 Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 4, 1. Abt., 1. Hälfte, Sp. 432. 47 Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 4, 1. Abt., 1. Hälfte, Sp. 440. 48 Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 4, 1. Abt., 1. Hälfte, Sp. 442.
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
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stehen.49 Vor allem die beiden letztgenannten Umschreibungen legen eine weite grammatikalische Auslegung in Bezug auf die Umsetzung der Fahrzeugführung nahe. Das Leiten fand sogar Eingang in die bisher etablierte Definition. Hingegen findet sich die Deutung „fahren“ – dem von der Rechtsprechung eine dynamische Komponente zugeschrieben wird50 – nicht in der Aufzählung wieder.51 Eine eindeutige Zuordnung zum Fahren oder eine weitere Konkretisierung der Führungstätigkeit ergibt sich mithin auch aus dem Wörterbuch Das Deutsche Wort nicht. Stattdessen lässt das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache erste Zweifel an der Wortherkunft und Wortübereinstimmung des Führens zum Begriff des Fahrens, wie es der Bundesgerichtshof unter Berufung auf das Amtsgericht Freiburg erklärte, aufkommen. So sei das Führen zwar „dehnstufiges Kausativum zu fahren“52, also das Fahren das Verb der Veranlassung.53 Zugleich „ist [es] aber nicht ausgeschlossen, dass zwei homonyme Wurzeln“, die im „fahren“ oder „durchdringen, herüberbringen“ gesehen werden können, vorliegen.54 Nach dem Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache ist das Führen nicht ohne Zweifel vom Verb fahren abgeleitet. Das Führen als Verbform steht also für eine Vielzahl von Tätigkeiten und kann nicht eindeutig als dem Fahren entlehnt angesehen werden. Allen Fundstellen gemein ist zudem, dass sie die Tätigkeit der Fahrzeugführung im Kern nicht spezifizieren. Eine Basis für eine Definition ist den Wörterbüchern damit nicht zu entnehmen. Als einzige Erkenntnis ist aus den Wörterbüchern, insbesondere aus Grimms Wörterbuch aus dem Jahre 1878, zu gewinnen, dass das Führen vor dem Erlass des Kraftfahrzeuggesetzes im allgemeinen Sprachgebrauch bereits vorhanden war, sodass dieses im Jahr 1909 wie auch die nachfolgenden Gesetze daran anknüpfen konnten, wenngleich dessen inhaltliche Ausprägung fraglich bleibt. b) Der allgemeine Sprachgebrauch Aus dem zuvörderst zu betrachtenden allgemeinen Sprachgebrauch lässt sich für die Auslegung des Führens mangels eines allgemeinsprachlichen Interpretationsverständnisses55 nicht viel gewinnen. Zwar hat der Gesetzgeber beim Erlass des Kraftfahrzeuggesetzes im Jahre 1909 auf bereits bestehende Rechtsbezeichnungen
49 Pekrun, Das Deutsche Wort, S. 254; ebenso Hentschel, Anm. z. BGHSt 35, 390, JR 1990, 30, 33. 50 Siehe 6. Kap., Fn. 547. 51 Pekrun, Das Deutsche Wort, S. 254. 52 Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 322. 53 Duden, Die Deutsche Rechtschreibung, online abrufbar unter: https://www.duden.de/ rechtschreibung/Kausativ [abgerufen am 08. 05. 2019]. 54 Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 322. 55 MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 87.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
und den damals geläufigen Sprachgebrauch zurückgegriffen.56 Jedoch offenbart sich das dem allgemeinen Sprachgebrauch und der Umgangssprache innewohnende Problem, sich grundlegend flexibler Ausdrücke zu bedienen, die eine weite Bedeutungsbandbreite aufweisen.57 Entsprechend kann anhand des allgemeinen Sprachgebrauchs wohl nur die äußerste Wortsinngrenze ermittelt werden. Unabhängig detaillierterer Antworten wird unter dem Führen im Allgemeinen die Steuerung oder Lenkung des Fahrzeugs verstanden, wobei der Zeitpunkt der Aufnahme und des Endes nicht eindeutig ist. Wikipedia etwa umschreibt den Fahrzeugführer als denjenigen, der „ein Fahrzeug (zum Beispiel ein Kraftfahrzeug oder Fahrrad) unmittelbar lenkt oder steuert“.58
Gleichwohl wird im allgemeinen Sprachgebrauch wohl auch das untätige Abwarten an einer roten Ampel ebenso zur Führungstätigkeit gezählt wie das Lenken in einer Kurve. Der auf dem Fahrersitz Sitzende wird von der Gesellschaft ab dem Motorstart üblicherweise als derjenige angesehen, der das Fahrzeug führt. Darüber, ob derjenige, der mittels mündlicher Weisungen die Leitung über einen Fahrprozess innehat, das Fahrzeug führt, dürfte im allgemeinen Sprachgebrauch keine Einigkeit bestehen. Gleiches gilt für die Frage nach der Nutzung technischer Assistenzsysteme, etwa dem adaptiven Tempomaten. Das Bild der Tätigkeit des Führens ist in der Gesellschaft entsprechend ein Grobes, welches als Maßstab einer juristischen Würdigung nicht tragfähig ist. c) Die wissenschaftlichen Erkenntnisse Die Bestimmung dessen, was strafrechtlich als Führungstätigkeit angesehen werden muss, bleibt damit der bereits dargelegten wissenschaftlichen Analyse des Führungsprozesses vorbehalten. Damit muss auf die den rechtlichen Erwägungen dieser Arbeit vorangestellten arbeits-, kognitions- wie verkehrspsychologischen Erkenntnisse59 zurückgegriffen werden, die im Rahmen des möglichen Wortsinns unter Berücksichtigung des alltäglichen Sprachgebrauchs der grammatikalischen Auslegung zugrunde zu legen sind. Der grammatikalischen Auslegung kommt damit die Aufgabe zu, verschiedene Ansatzpunkte in sich zu vereinen. Sie muss die Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung spezifizieren, deren Bewältigung durch den Menschen konkretisieren und zuletzt den Ausschluss all derjenigen Handlungen rechtssicher zulassen, die offensichtlich nicht mit der Führung eines Fahrzeugs in 56 Vgl. Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 238; weiterführend zur Gesetzgebung vor der Jahrhundertwende: Zatsch, Staatsmacht und Motorisierung, S. 185 ff.; Haubner, Nervenkitzel und Freizeitvergnügen, S. 187 ff. u. 193 ff. 57 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 133. 58 Wikipedia zum Fahrzeugführer, abrufbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Fahrzeug führer [abgerufen am 07. 05. 2019]. 59 Vgl. Maurach/Zipf, StR AT 1, § 9, Rn. 22.
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
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Zusammenhang stehen, auch wenn ihr äußerer Anschein etwas anderes vermuten lässt. aa) Die Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung („zur Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erheblichen Veränderung des Fahrprozesses“) Bevor definiert werden kann, welche menschlichen Tätigkeiten das Fahrzeugführen im (rechtlichen) Sinne ausmachen, muss die Fahraufgabe spezifiziert werden. Schließlich ist nicht jede Tätigkeit hinter dem Steuer während des Fahrprozesses Teil der Führungstätigkeit. Eine Abgrenzung erlauben die Feststellungen zu den Arten von Fahraufgaben im 2. Kapitel unter Gliederungspunkt B. I. 1., auf die Bezug genommen wird. Für die Wertung, welche Aufgabenbewältigung als Teil der Führungsaufgabe anzusehen ist, muss entscheidend auf deren Relevanz für den Fahrzeugführungsprozess abgestellt werden. (1) Die grundlegende Beschränkung auf die Bewältigung primärer Führungsaufgaben Von der Führungstätigkeit können nur solche Handlungen erfasst werden, die zur Bewältigung der Fahraufgabe vorgenommen werden. In Anlehnung an das Wörterbuch Das Deutsche Wort muss das Führen auf alle Aufgaben beschränkt werden, die mit der unmittelbaren Handhabung bzw. Bedienung60 des Fahrzeugs als Fortbewegungsmittel zusammenhängen. Ausgangspunkt sind, weil einzig den Fahrprozess hervorrufend, aufrechterhaltend oder erheblich verändernd, die primären Fahraufgaben. Die diesem zuzuordnenden Handlungen, die zur Bahnführung und Stabilisierung des Fahrzeugs vorgenommen werden, müssen tatbestandlich erfasst sein, da diese den Kern der Führungsaufgabe bilden. Bei Handlungen, die hingegen der (primären) Navigationsebene zugerechnet werden müssen, fällt die Zuordnung zum Kreis der den Fahrprozess beeinflussenden Handlungen schon erheblich schwerer. Da diese allein die Entscheidung betreffen, welche konkreten Bahnführungs- oder Stabilisierungshandlungen zeitlich folgend ergriffen werden sollen, besitzt deren Bewältigung (noch) keinen unmittelbaren Einfluss auf den Fahrprozess. Deshalb können diese Handlungen kein Bestandteil der strafrechtlich relevanten Führungstätigkeit sein. Ihnen kommt aber, da diese geradezu am Scheitelpunkt zur Bewältigung der Führungstätigkeit stehen, eine Sonderstellung zu,61 die sogleich unter dem nächsten Gliederungspunkt besprochen wird. Gleiches gilt für die sekundären Fahraufgaben, die im Rahmen der Fahraufgabe verkehrs- und umweltbedingt anfallen,62 jedoch ebenso wenig eine direkte Auswirkung auf den Fahrprozess entfalten. Keine Relevanz für die Bewertung der Führungstätigkeit kommt hingegen den tertiären Aufgaben zu, da diese überhaupt keinen Zusammenhang mit 60 61 62
Pekrun, Das Deutsche Wort, S. 254. Siehe 2. Kap., Fn. 37. Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 28.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
dem Fahrvorgang aufweisen.63 Im Ergebnis können aus wissenschaftlicher Sicht sprachlich als Führungstätigkeit nur diejenigen Handlungen erfasst werden, die auf primärer Aufgabenebene der Bahnführungs- und Stabilisierungsebene angehören. (2) Die Indizwirkung der Bewältigung von Aufgaben der primären Navigation und der sekundären Ebene Obwohl sich die Bewältigung der Aufgaben der primären Navigationsebene als auch der sekundären Ebene nicht unmittelbar auf den Fahrprozess auswirken, kann deren Vornahme Indiz der Verwirklichung der Bahnführungs- und Stabilisierungsaufgaben, mithin die Verwirklichung der (primären) Führungstätigkeit, sein. Aus deren Vornahme kann sich i. V. m. den objektiven Gegebenheiten der Nachweis der Fahrzeugführung ergeben. Grundlage ist die Überlegung, dass die Aufgaben der primären Navigations- und der sekundären Führungsebene innerhalb der kontinuierlich vorgenommenen Führungstätigkeit mit den primären Führungsaufgaben zusammenfallen. Wer die Bahnführung und Stabilisierung des Fahrzeugs bewirkt oder bewirken will, nimmt in aller Regel auch die Aufgaben der (primären) Navigation und sekundären Ebene wahr. Dies ergibt sich aus Folgendem: Eine umfassende Wahrnehmung der Navigationsebene im Sinne des Drei-Ebenen-Modells,64 die über die Routenplanung hinausgeht, stellt sich als Teil der Führungstätigkeit heraus. Freilich ist dies nur dann der Fall, wenn diese dauerhaft und umfassend vorgenommen wird. Die stetige Aktualisierung der auf (primärer) Navigationsebene getroffenen Entscheidung wird stets zusammen mit den Bahnführungs- und Stabilisierungsaufgaben wahrgenommen, weshalb sich aus deren Vornahme ein Rückschluss auf die Wahrnehmung der primären Führungstätigkeiten erlaubt. Ähnliches, wenngleich differenzierter, gilt in Bezug auf die Tätigkeiten der sekundären Führungsebene. Hier bleibt die Relevanz für die Fahrzeugführung jedoch im Einzelfall zu prüfen. Sie bieten anders als die gänzliche Übernahme der (primären) Navigationstätigkeit im Sinne des Drei-Ebenen-Modells ein schwächeres Indiz für die Übernahme der Führungstätigkeit. Schließlich kann deren Vornahme auch anderen Zwecken als der Ermöglichung des Fahrprozesses dienen. Bspw. kann die Aktivierung des Scheibenwischers auch nur deshalb erfolgen, um eine freie Sicht zur Betrachtung der Landschaft herzustellen. Entsprechend können sekundäre Führungshandlungen von Fahrern im automatisierten Fahrbetrieb vorgenommen werden, ohne dass diese mit primären Führungsaufgaben befasst sind. Anderes gilt für Handlungen, die ausschließlich aus einer Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen entspringen können. So sind etwa kommunikative Mitteilungen des Führenden, etwa das Aufleuchtenlassen der Scheinwerfer (Lichthupe) zum Signalisieren des Verzichts auf die eigene Vorfahrt, klare Indizien für die Bewältigung der Führungstätigkeit. Diese Handlung lässt erkennen, dass sich der Zei63 64
Siehe 2. Kap., Fn. 41. Siehe 2. Kap., Fn. 48.
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chengebende mit dem Verkehrsgeschehen befasste und die konkrete Kommunikation Resultat der Bewältigung des umfassenden Regelungsprozesses der Fahrzeugführung ist. In diese Systematik lässt sich die Initialisierung oder Aktivierung eines Fahrerassistenzsystems, welches nur für bestimmte Anwendungsfälle aktiviert werden kann, einfügen. Schließlich muss sich der Aktivierende je nach Ausgestaltung des Fahrerassistenzsystems des Vorliegens aller Anwendungsvoraussetzungen bewusst sein, was in aller Regel die Kenntnis aller relevanten Verkehrs- und Umweltgegebenheiten beinhalten dürfte. Insofern stellt sich die Aktivierung des hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems als sekundäre Führungstätigkeit heraus, die indiziell auf die zeitgleich und zuvor wahrgenommene Führungstätigkeit schließen lässt. Anderseits kann in der Regel allein die Bewältigung einer sekundären Führungsaufgabe an sich keinen sicheren Nachweis der Befassung mit der Führungstätigkeit erbringen. Sie kann lediglich einen Anhaltspunkt dafür bieten und muss durch weitere objektive Umstände ergänzt werden. Denkbar ist etwa, dass die Vornahme mehrerer, aufeinander abgestimmter sekundärer Führungsaufgaben, wobei auch physische Stelleingriffe mit kommunikativen Mitteilungen verknüpft sein können, die Wahrnehmung der Führungstätigkeit belegen. Beispielhaft sei der in der Parklücke stehende Fahrer, der nach dem Starten des Motors zur Abendzeit unmittelbar sein Abblendlicht einschaltet und den linken Blinker setzt, genannt. Obwohl in diesem Falle noch keine primäre Führungstätigkeit vorgenommen wurde, ist aus der Abfolge der sekundären Führungsaufgaben die Befassung mit dem Führungsprozess und der Wille zur Aufnahme der Fahrt offensichtlich. In diesen Fällen kann aus dem Zusammenspiel der sekundären Führungsaufgaben die widerlegbare Vermutung der Wahrnehmung der Führungsaufgabe angenommen werden. bb) Die Bewältigung der Arbeitsaufgabe durch den Menschen („Betätigungen […] wahrnimmt“) Mit der Identifikation der Führungsaufgaben hat es natürlich nicht sein definitorisches Bewenden. Auf der zweiten Definitionsebene bleiben die Handlungen, die zur Bewältigung der Fahraufgabe vorgenommen werden, zu spezifizieren. Es stellt sich die Frage, welche Handlungen sich inhaltlich als Ausdruck der Bewältigung der primären oder indiziellen sekundären Fahraufgabe darstellen. Dies ist notwendig, um bestimmen zu können, welche Handlungen der Führungstätigkeit zuzuordnen sind. Dabei steht die grammatikalische Auslegung des Führens vor dem Problem, dass sich die Führungstätigkeit durch eine physische als auch mentale Bewältigung innerhalb eines kontinuierlich ablaufenden Informationsverarbeitungsprozesses auszeichnet. Die Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung wird zu einem Großteil durch innere (Gedanken-)Vorgänge verwirklicht. Insgesamt umfasst das Führen sowohl die
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Wahrnehmung und Kognition als innere Abläufe wie auch die letztlich nach außen tretende physische Motorik, wobei letztere als die Gesamtheit aller vom zentralen Nervensystem kontrollierten Bewegungsvorgänge,65 also vom Gehirn aus gesteuerten, koordinierten Bewegungen des menschlichen Körpers,66 verstanden wird. Diese drei Ebenen der Bewältigung der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung stehen in tatsächlicher Hinsicht in einer Wechselbeziehung, die auf rechtlicher Ebene ihren Niederschlag finden muss. Andernfalls würden Handlungen kriminalisiert, die keine Führungstätigkeit darstellen und auf andere Stimuli zurückzuführen sind. Die Schwierigkeit besteht also darin, dass der Rechtsanwender unter Zugrundelegung der nach außen tretenden Bewegungsvorgänge zu der Überzeugung gelangen muss, dass diese Resultate des kontinuierlich vorgenommenen Regelungsprozesses der Fahrzeugführung sind und eben nicht auf andere Impulse zurückgehen. Natürlich kann und soll nicht in Frage gestellt werden, dass allein äußerlich in Erscheinung tretende Verhaltensweisen Anknüpfungspunkt für ein strafrechtlich relevantes Verhalten sein können. Dies gründet auf dem Gedanken, dass ein bloß innerer Vorgang kein strafrechtlich relevantes Verhalten darstellen kann.67 Allein die Vornahme eines kontinuierlichen Informationsverarbeitungsprozesses genügt nicht, um von einem strafbaren Verhalten zu sprechen. Gleich demjenigen, der das vor sich liegende Küchenmesser begutachtet und gedanklich detailliert dessen Nutzung zur Tötung seiner Ehefrau durchspielt, kann auch derjenige, der rein mental die Führungstätigkeit durchdenkt, nicht strafbar sein. Zwar nimmt der Informationsverarbeitungsprozess im Rahmen der Führung eines Fahrzeugs einen anderen Stellenwert ein als die bloße deliktische Phantasie.68 Gleichwohl würde das Strafrecht zum Gesinnungsstrafrecht degradiert werden und sich vom rechtstaatlichen Tatstrafrecht entfernen, würde jedes gedankliche Fahrzeugführen eine Strafbarkeit begründen.69 Wie Mitsch richtig feststellt, kann ein Gesinnungsunwert nur dann strafbarkeitsbegründend sein, wenn aus diesem bereits strafwürdigkeitsrelevante objektive Umstände hervorgegangen sind.70 Entsprechend können auch beim Führen reine Gedanken und Gesinnungen ohne Umweltrelevanz keine Strafbarkeit begründen.71 65
Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, S. 1245. Duden, Die Deutsche Rechtschreibung, online abrufbar unter: https://www.duden.de/ rechtschreibung/Motorik [abgerufen am 09. 05. 2019]. 67 MüKo-StGB/Freund, Vor § 13, Rn. 139. 68 Bspw. BGHSt 59, 218, 233, „Unter Strafe gestellt sind somit nicht bestimmte Gedanken, sondern deren rechtsgutsgefährdende Betätigung.“ m. w. N. auf die ältere Lit.; MüKo-StGB/ Renzikowski, § 184j, Rn. 15; Putzke, JuS 2009, 985, 985. 69 Vgl. MüKo-StGB/Hoffmann-Holland, § 22, Rn. 104; Renzikowski, § 184j, Rn. 12 u. Freund, § 323, Rn. 3; Putzke, JuS 2009, 985, 985: es gibt keine „Gedankenpolizei“, vgl. Freund, JuS 2000, 754, 755 m. w. N.; BGHSt 1, 266, 268 f. 70 Mitsch, NZV 2019, 70, 73 u. Fn. 30 m. w. N.; vgl. Roxin/Greco, StR AT I, § 10 Rn. 78; ebenso in der Rspr. BGHSt 59, 218, 233. 71 Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 753 u. 761 f.; vgl. LK-StGB/Walter, Vor § 13, Rn. 30; MüKo-StGB/Freund, Vor § 13, Rn. 139 m. w. N. 66
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Letztlich kann die Rechtspraxis nur an Verhaltensweisen anknüpfen, die entweder am Ende des Informationsverarbeitungsprozesses als motorische Stelleingriffe in Erscheinung treten oder die auf die Befassung mit dem Fahrzeugführungsprozess mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schließen lassen. Der Begriff der Umweltrelevanz darf dabei natürlich nicht überdehnt werden und muss auf die Handlung selbst, nicht auf eine Bewegung des Fahrzeugs, bezogen werden. Es bedarf daher eines an dem Informationsverarbeitungsprozess anknüpfenden Verhaltens, einer „Betätigung“, die jedoch keinen Führungserfolg voraussetzt. Das Führen ist nicht erst dann verwirklicht, wenn die Führungshandlung die Fortbewegung bewirkte. In diesem Zusammenhang kommen die Darstellungen zu den psychologischen Erkenntnissen, insbesondere zum Informationsverarbeitungsprozess des 2. Kapitels unter Gliederungsebene B. I. 2. zum Tragen. (1) Notwendigkeit des inneren Zusammenhangs Das neue Definitionsmerkmal der „Betätigungen“ geht auf die Frage zurück, ob sich das vom Täter aufgezeigte Verhalten als Bewältigung der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung darstellt, also auf den inneren Zusammenhang des Informationsverarbeitungsprozesses zurückgeht. Erst der innere Zusammenhang zu den mentalen Bestandteilen der Fahrzeugführung kann die Vornahme einer Führungshandlung im Rechtssinne belegen. Verdeutlicht wird dies in der Definition nochmals mit den Worten, „die zur […] dienen“, die eine Anknüpfung an der inneren Erlebenswelt des Täters verdeutlichen. Nun könnte der Einwand erhoben werden, dass dieser innere Zusammenhang bei anderen Deliktshandlungen auch keine Rolle spielt. Der Grund für diese notwendige Verknüpfung liegt darin, dass ein und dieselbe Handlung sowohl Ausdruck einer Führungstätigkeit als auch Resultat eines anderen Reizes sein kann. Allein die Bewegung der Arme und Hände zur Bedienung des Lenkrades weist als solches nicht nach, dass der Täter das Fahrzeug innerhalb des Verkehrskorridors fortbewegen wollte. Bspw. wird diese Bewegung ebenso vorgenommen, um im Stand die Lenkung auf Ihre Funktion und Verschleißerscheinungen hin zu prüfen. Freilich mag dieses Beispiel situativ bedingt sein, da eine Lenkradbewegung während der Fahrt immer als Führungstätigkeit angesehen werden muss. Es verdeutlicht aber die Wechselwirkung zwischen mentaler und physischer Führungstätigkeit. Deshalb ist es notwendig, von der nach außen tretenden Handlung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände auf die Bewältigung der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung rechtssicher rückzuschließen. Gleiches gilt bei einer bloßen gedanklichen Vorstellung der Fahrzeugführung, etwa durch Kinder im Stand. Dergestalt vorgenommene primäre Führungsaufgaben fallen nicht erst beim Definitionselement der Zielgerichtetheit heraus. Ihnen fehlt bereits der innere Zusammenhang zum Regelungsprozess. Diesen Stelleingriffen liegt offensichtlich keine Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen zugrunde. Es sind damit keine „Betätigungen“ im Sinne der Ausführung der Führungstätigkeit.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
(2) Die Bewältigung primärer Führungsaufgaben Der weiteren Spezifikation der Führungstätigkeit im Wortsinne muss nochmals zweierlei vorausgeschickt werden: Zum einen muss die Fahrzeugführung als Arbeitsaufgabe verstanden werden, die vom Menschen durch verschiedenste mentale und physische Tätigkeiten wahrgenommen wird.72 Zum anderen muss die Fahrzeugführung als kontinuierliche Regelungsaufgabe73 betrachtet werden. Aufgabe des Fahrers ist es, stetig all das vorzunehmen, was der unmittelbaren Festlegung und Realisierung der Fahrtroute dient. Seine Zielsetzung besteht darin, die von ihm durchgehend aktualisierten Soll-Werte innerhalb des Verkehrskorridors bestmöglich zu erreichen.74 Dazu muss er unter stetigem Abgleich seiner selbst eruierten subjektiven Führungsgrößen – dem selbsterwählten Bewegungskorridor – mit dem objektiven Bewegungsbereich – den objektiven Gegebenheiten – Entscheidungen treffen und diese in nach außen relevante Steuerungseingriffe umsetzen.75 Genau diese Handlungen prägen die Führungstätigkeit. Erreicht werden kann dieses Ziel allein durch die Bewältigung der primären Führungsaufgaben. Nur diese beeinflussen die Bahnführungs- und Stabilisierungsebene des Fahrzeugs. Namentlich benannt handelt es sich hierbei grundsätzlich um das Gas geben, Bremsen, Schalten und Lenken. Das Beruhen auf einem vorherigen Informationsverarbeitungsprozess ist, soweit diese während der Fahrt vorgenommen werden, zu vermuten. Der unmittelbar die Stellelemente des Fahrzeugs Bedienende führt in aller Regel das Fahrzeug, sodass es üblicherweise keiner weiteren Feststellungen bedarf. Diese Vermutung ist, wie die Notwendigkeit eines inneren Zusammenhangs belegt, jedoch widerlegbar. Sie wird dann erschüttert, wenn die Gesamtumstände offensichtlich gegen eine Führungstätigkeit sprechen, also den von der Handlung selbst ausgehenden Schein der Bewältigung der Fahrzeugführung widerlegen. (3) Zwischenergebnis Die definitorischen Folgen der Begrenzung auf „Betätigungen“, die Ausfluss der Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen sein müssen, beschränkt das Führen auf seinen substanziellen Kern. Es wird nicht an physischen Merkmalen, sondern entscheidend an der Übernahme der Regelungsaufgabe in ihrer kognitiven wie physischen Form angeknüpft. Nur wenn dessen kontinuierliche, über eine gewisse Zeitspanne erfolgte Wahrnehmung der Fahraufgaben in allen ihren Teilen (Wahrnehmung, Kognition und Motorik) aufgrund der nach außen erkennbaren Verhaltensweisen ersichtlich wird, ist auch ein Führen im Rechtssinne gegeben. Zugleich bleibt der Betätigungsbegriff offen, sodass jede – und nicht nur die phy72 73 74 75
Eine Zusammenstellung der Teilaufgaben findet sich unter dem Kap. 2 A. I. 1. Siehe 2. Kap., Fn. 14. Siehe 2. Kap., Fn. 66. Siehe 2. Kap., Fn. 60.
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sische Einwirkung auf die Stellelemente des Fahrzeugs – Tätigkeit, die Ausdruck der Regelungsaufgabe ist, erfasst bleibt. Sowohl die mündliche Aktivierung eines Assistenzsystems als auch die Führung mittels mündlicher Weisung bleibt damit grundsätzlich und vorbehaltlich der übrigen Definitionsmerkmale erfasst. cc) Die Zielgerichtetheit (das finale Moment „dient“) Als wissenschaftlich gesichert gilt, dass es sich bei der Führungstätigkeit um eine zielgerichtete Arbeitsaufgabe handelt.76 Eine ungewollte Übernahme dieser kontinuierlichen Regelungsaufgabe ist, wie schon die Ausführungen zum Definitionsmerkmal der „Betätigung“ und des Informationsverarbeitungsprozesses im 2. Kapitel unter Gliederungspunkt B. I. 2. b) verdeutlichten, nicht denkbar. Entsprechend muss sich das subjektive Element auf objektiver Ebene wiederfinden. Hierbei ergeben sich zur bisherigen, vom überwiegenden Teil der Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht des „finalen Moments“, die im 6. Kapitel unter Gliederungsebene A. III. 5. dargestellt ist, keine Unterschiede. Die dortigen Ausführungen sind auf diesen Definitionsansatz übertragbar und mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen vereinbar.77 Die Fahrzeugführung ist ohne willentliche Befassung mit der Regelungsaufgabe nicht vorstellbar.78 Entsprechend muss dieser subjektive Einschlag auf objektiver Ebene berücksichtigt werden. Schließlich ist die Möglichkeit des Normadressaten, dem gesetzgeberischen Verlangen entsprechen zu können, Grundvoraussetzung der Legitimation einer jeden Strafnorm.79 Der Normadressat kann deshalb auch nur dann normgerecht handeln, soweit er sich der Übernahme der Führungstätigkeit bewusst ist. Zudem verlöre das Führen seinen Unterscheidungswert zur Ingebrauchnahme (bspw. § 248b Abs. 1 StGB), welche als jede (bestimmungsgemäße) Benutzung (als Fortbewegungsmittel) definiert wird80 oder dem Bedienen (bspw. § 23 Abs. 1a S. 1 Nr. 2 lit. b) StVO), würde auf das subjektive Element verzichtet werden. Zugleich ist zu statuieren, dass es des Definitionsmerkmals der „Zielgerichtetheit“ in juristischer Hinsicht streng genommen nicht bedürfte. Es ist vielmehr deklaratorischer Art. Schließlich kann die Regelungsaufgabe der Fahrzeugführung nicht unbewusst vorgenommen werden, sodass das Beruhen auf einem Informationsverarbeitungsprozess bereits zur Bejahung des Definitionsmerkmals der Betätigung denknotwendig vorausgesetzt wird. Zumindest an dieser Stelle befindet sich 76
Siehe 2. Kap., Fn. 116. Eben zum subjektiven Element Detter, Verkehrsstrafrecht, S. 14; vgl. LK-StGB/König, § 315c, Rn. 34; Lackner/Kühl/Heger, § 315c, Rn. 3; ebenso MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 28, der das Führen als nur vorsätzlich denkbar ansieht; in der Rspr.: OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, LS u. 198; BayObLGSt 20, 109, 110 f.; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; OLG Stuttgart DAR 1963, 358, 359. 78 Insb. siehe BGH NStZ-RR 2019, 60, 61. 79 MüKo-StGB/Freund, Vor § 13, Rn. 134. 80 BGHSt 11, 47, 50. 77
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der vorgestellte Definitionsansatz auf Linie mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, welcher das Erfordernis des finalen Elements bereits dem allgemeinen Sprachgebrauch entnahm. Schließlich könne nur derjenige ein Fahrzeug führen, der die eigenverantwortliche Herrschaft über dasselbe ausübt.81 Dies hat der Bundesgerichtshof jedoch nicht aus der Wechselbeziehung zwischen dem „finalen Moment“ und der physischen Bewältigung der Führungstätigkeit, sondern – so gesehen einen Schritt weiter – aus dem Bestehen eines eigenen vorhandenen Entscheidungsspielraums geschlossen.82 Die Übereinstimmung mit dem hier vorgeschlagenen Definitionsvorschlag kommt dadurch zustande, dass das Bestehen eines Entscheidungsspielraums mit der mentalen Befassung der Verkehrs- und Umweltgegebenheiten korreliert. Entspringt die Bewegungsaufnahme nicht einem eigenen Willensentschluss, ist dieser kein Informationsverarbeitungsprozess vorausgegangen. Rollt das Fahrzeug entgegen aller Erwartung an, steht dem Betroffenen in diesem Moment mangels mentaler Befassung mit dem Verkehrsgeschehen keine Option, also kein Entscheidungsspielraum,83 zur Verfügung, deren er sich bedienen könnte. Nicht zu verwechseln ist die zielgerichtete Wahrnehmung der Führungstätigkeit mit der menschlich automatisierten, sprich der unbewussten, fertigkeitsbasierenden Bewältigung einzelner Teilaufgaben der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung.84 Zum einen sind auch automatisiert ausgeführte Führungstätigkeiten Resultat des umfassend und kontinuierlich ablaufenden Regelungsprozesses, sodass diese unzweifelhaft als Führungsbetätigung erfasst sind. Die fertigkeitsbasierende Verarbeitung einzelner Teilaufgaben der Fahrzeugführung kann auch nur dann erfolgen, wenn sich der Täter zielgerichtet und bewusst mit der Fahrzeugführung befasst. Bereits aus diesem Grunde sind fertigkeitsbasierende Verhaltensweisen Teil der zielgerichteten Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung. Hinzu kommt, dass eine gänzlich unbewusste, weil automatisiert bewältigte Fahrzeugführung durch den Menschen, nicht denkbar ist. Es sind nur vereinzelte, regelmäßig auftretende Fahrsituationen auf der fertigkeitsbasierenden Ebene zu bewältigen, keinesfalls die gesamte Führungstätigkeit als solche. 3. Zwischenergebnis Die an sprach- und kognitionswissenschaftlichen Erkenntnissen orientierte Wortlautauslegung als zentrales Kriterium des Auslegungskanons offenbart grundlegende Auslegungsdefizite der bisher etablierten Auslegungspraxis. Diese geht bis heute nicht zentral vom menschlichen Verhalten, dem Führen, sondern im Kern von den objektiven Zuständen des Fahrzeugs zu seiner Umwelt aus. Zum einen wird die 81 Ausdrücklich BGHSt 36, 341, 344; BGH NZV 1995, 80, 80 m. Anm. Hauf; vgl. BayObLG, VRS 32 (1967), 127, 127 f. 82 BGHSt 36, 341, 344 f. 83 Vgl. LK-StGB/König, § 315c, Rn. 36. 84 Siehe Kap. 2 B. I. 2. b).
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Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung überhaupt nicht angesprochen. Zum anderen stellt die bisherige Auslegungs- und Spruchpraxis, mit Ausnahme der Zielgerichtetheit, allein auf äußerlich erkennbare Umstände ab. Der Schwerpunkt des Führens als Bewältigung der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugsteuerung liegt hingegen nicht darin, ob und wie sich das Fahrzeug im Verkehrsraum bewegt, sondern wie sich der Mensch hinter dem Steuer in tatsächlicher Hinsicht verhält. Auf das menschliche Verhalten kommt es beim Führen an. Darauf stellt die Verbform des Führens in § 315c Abs. 1 Nr. 1 und § 316 Abs. 1 StGB auch ausdrücklich ab. Freilich muss auch dem vorgeschlagenen Definitionsansatz entgegengehalten werden, dass dieser nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch entspringt. Dies ist aber allein dem Umstand geschuldet, dass es an einem allgemein anerkannten Interpretationsverständnis mangelt und selbst ein Blick in die Wörterbücher zu keinem einheitlichen Ergebnis führt. Sowohl der allgemeine Sprachgebrauch als auch die Linguistik lassen einen sog. semantischen Spielraum,85 der nur durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung ausgefüllt werden kann. Entsprechend sind die aus den kognitionspsychologischen Erkenntnissen gewonnenen Kernpunkte des Definitionsansatzes als auch deren Auslegung stets innerhalb der äußeren Hülle, die durch den allgemeinsprachlichen Sprachgebrauch vorgegeben wird, zu betrachten. Nur so wird dem Vorrang des allgemeinen Sprachgebrauchs gegenüber der Fachsprache, die hier ohne Zweifel Eingang in die Auslegung finden muss, Geltung verliehen. Resultat dessen ist, dass sich der Definitionsansatz zentral an der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung ausrichtet. Zuletzt ergibt sich aus der Wortlautauslegung keinerlei Anlass, ein Bewegungselement zu fordern. Eine derartige Eingrenzung der Handlung ist sprachlich nicht zwingend und weder im allgemeinen noch wissenschaftlichen Sprachgebrauch angelegt. Auch ein stehendes Fahrzeug kann, wie Hentschel richtig festhält, der Beherrschung,86 also der Führungstätigkeit, bedürfen. Beispielhaft seien Fahrzeuge mit Automatikgetriebe benannt, deren Anrollen nur durch den Tritt auf das Bremspedal verhindert wird.87 Die Bewegung schafft nur den Schein der Bewältigung der Fahrzeugführungsaufgabe, die, mit Aufkommen der ersten hoch- und vollautomatisierten Fahrerassistenzsysteme, sowieso ihre bisher kaum vorhandene Abgrenzungsfunktion88 gänzlich verlieren wird. 85
Vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 70. Zum Gesamten Hentschel, Anm. z. BGHSt 35, 390, JR 1990, 30, 33. 87 Vgl. zur Rspr. des § 316a StGB: BGH, B. v. 27. 11. 2003 – 4 StR 338/03, BeckRS 2004, 39, demnach derjenige, der „das Automatikgetriebe auf Dauerbetrieb […] [belässt] und mit dem Fuß auf der Bremse [bleibt], um das Weiterrollen zu verhindern […] trotz des Anhaltens noch ,Führer‘ des Taxis [ist].“; ähnlich BGH NStZ 2018, 469, 470, demgemäß die Betätigung der Bremse eines Automatikfahrzeugs als Bewältigung eines Verkehrsvorgangs zu bezeichnen ist. 88 Vgl. ebenso krit. zum Bewegungselement Hentschel, Anm. z. BGHSt 35, 390, JR 1990, 30, 32. 86
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II. Systematische Auslegung Als weiterer Auslegungskanon sind systematische Erwägungen in die Bedeutungsherleitung eines Tatbestandsmerkmals einzustellen. Die Tathandlung des Führens bleibt dabei in den Gesamtzusammenhang der Gesetzessystematik, das äußere System,89 einzustellen.90 Dem widmen sich die folgenden Zeilen. Im Ergebnis wird sich zeigen, dass sich der vorgestellte Definitionsansatz in den gesetzgeberischen Gesamtkontext einzufügen weiß. 1. Allgemeines Aufgabe und Zweck der systematischen Auslegung ist es, aus Systemzusammenhängen Schlussfolgerungen für die Begriffsbedeutung eines Tatbestandsmerkmals zu ziehen.91 Zielsetzung ist, die Norm und das entsprechende Tatbestandsmerkmal in einen widerspruchsfreien Gesamtkontext zum Rechtssystem zu setzen.92 Der Sinn eines Wortes, eines Satzteils, eines Satzes oder eines Rechtssatzes ergibt sich zumeist erst dann, wenn die Gesamtheit der Regelungen betrachtet wird.93 Aus dem Gesamtkontext kann sich zudem die Bedeutung, die der Gesetzgeber einem Tatbestandsmerkmal zuschreibt oder zuschreiben wollte,94 also der gesetzgeberische Wille,95 offenbaren. Vornehmlich ist dazu die äußere Stellung im Gesetz, also unter welchem Abschnitt, Titel und den umrahmenden Tatbeständen die Norm oder das Tatbestandsmerkmal zu finden ist, zu deuten – freilich stets unter dem Vorbehalt, ob der Gesetzgeber die Gesetzessystematik selbst beachtet hat.96 So kann der Gesetzgeber durch die Zusammenfassung von Normen deren einheitliche Zielrichtung oder Schutzzweck verdeutlichen. Eine vom Wortlaut her mögliche weite Auslegung kann dadurch reduziert werden, wodurch Normen an Präzision gewinnen können.97 Neben dem Gesamtkontext nimmt in systematischer Hinsicht die gesetzgeberische Verwendung der Rechtstermini eine entscheidende Rolle ein. Aus gleichlautenden oder andererseits bewusst anderslautenden Gesetzesformulierungen ergeben 89 Simon, Gesetzesauslegung, S. 388; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 107a; BeckOKStGB/v. Heintschel-Heinegg, § 1, Rn. 18; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 47. 90 MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 90; Horn, Rechtswissenschaft, Rn. 180. 91 Simon, Gesetzesauslegung, S. 387; S/S/Hecker, § 1, Rn. 39; vgl. MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 90. 92 NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 107; siehe u. a. Kudlich/Christensen, JA 2004, 74, 76; MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 89; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 36. 93 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 146. 94 MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 89. 95 Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 36 f. m. V. a. v. Savigny, Römisches Recht, S. 214. 96 MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 89; vgl. BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 1, Rn. 18 u. weiterführend Rn. 20; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 147. 97 Zum Gesamten Simon, Gesetzesauslegung, S. 388 u. 475.
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sich Hinweise auf das Rechtsverständnis und die Rechtsanwendung eines Tatbestandsmerkmals.98 Zudem kommt es für die Qualität der systematischen Argumente auch darauf an, in welcher Konsequenz der Gesetzgeber das entsprechende Tatbestandsmerkmal im inneren System gebraucht.99 Findet sich ein Rechtsbegriff in anderen, dem Schutzzweck nach vergleichbaren Strafnormen, spricht dies für eine gleichartige Bedeutung und Anwendung, während eine abweichende Formulierung in einer schutzzweckähnlichen Norm auf eine verschiedenartige Auslegung hinweist; die sog. Einheit der Terminologie.100 Schließlich ist die Wahrung der sachlichen Übereinstimmung auch über Gesetze hinweg zentrales Anliegen des Gesetzgebers.101 Das Straßenverkehrsrecht bildet dabei keine Ausnahme. Beides, sowohl Wortidentitäten als auch Wortungleichheiten sind innerhalb des Straßenverkehrsstrafrechts auszumachen. So ist eine gleichartige Nutzung des Führens zwischen den Tatbeständen des § 315c Abs. 1 Nr. 1 und § 316 Abs. 1 StGB, andererseits das anderslautende tathandlungsbeschreibende Merkmal des Fahrens in der Mehrzahl der Tatvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB zu verzeichnen.102 Ebenso entschied sich der Gesetzgeber in § 316a Abs. 1 StGB, dem Räuberischen Angriff auf Kraftfahrer, den Begriff des Führers eines Kraftfahrzeugs als Statuseigenschaft zu implementieren und nicht an der Tätigkeit des Führens anzuknüpfen. Ein weiterer Blick auf den schutzzweckverschiedenen § 248b Abs. 1 StGB bringt zuletzt das mit der Nutzung eines Fahrzeugs verbundene tathandlungsbeschreibende Merkmal des Ingebrauchnehmens hervor. Die systematische Auslegung steht natürlich in einer engen Verbindung zu den übrigen Auslegungsmethoden, sodass auch an dieser Stelle eine trennscharfe Unterscheidung zwischen systematischen, historischen und grammatikalischen Erkenntnissen nicht möglich ist.103 Dies ist vor allem bei der systematischen Analyse ähnlicher oder gleicher Tatbestandsmerkmale auch unerlässlich. Schließlich erlangt deren Bedeutung beim systematischen Verständnis entscheidendes Gewicht für die rechtliche Würdigung. Teil dessen ist es eben auch, die Auswirkungen einer Interpretation eines Tatbestandsmerkmals auf die übrigen, wesensähnlichen Tatbestandsmerkmale hin zu prüfen.104 Vor allem ist in diesem Zusammenhang elementar, ob bei einer ungleichen Auslegung innerhalb des Rechtssystems systematische
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Simon, Gesetzesauslegung, S. 387; Brugger, AÖR 1994, 1, 24. U. a. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 439. 100 Simon, Gesetzesauslegung, S. 387; vgl. NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 107d; Krüger, NZV 2004, 161, 164; vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 146. 101 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 146. 102 Vgl. Jansen, NZV 2017, 214, 215, die aufgrund der systematischen Stellung des § 315d StGB bei den Verkehrsstraftaten die übliche Auslegung der mit § 315c StGB übereinstimmenden Tatbestandsmerkmale annimmt. 103 Simon, Gesetzesauslegung, S. 387; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 149. 104 S/S/Hecker, § 1, Rn. 39. 99
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Wertungswidersprüche entstünden.105 Dabei stehen die mit einem konkreten Tatbestand verwobenen Wertentscheidungen, Rechtsideen oder Rechtsprinzipien im Fokus der Betrachtung,106 die auch auf einzelne Tatbestandsmerkmale durchschlagen können. Diese Argumentationslinie zog der Bundesgerichtshof bereits zur streitbaren Verneinung einer gleichartigen Anwendung des Fahrzeugführerbegriffs des § 2 Abs. 15 StVG und dem strafrechtlich tathandlungsbeschreibenden Führen heran,107 obwohl es dieser aufgrund der Unterschiedlichkeit der Termini, wie noch aufzuzeigen sein wird, überhaupt nicht bedurft hätte. Zuletzt muss auf das Gewicht der systematischen Auslegung innerhalb des klassischen Auslegungskanons hingewiesen werden. Zuvörderst können Ergebnisse der systematischen Auslegung Kerngedanken anderer Auslegungsmethoden stützen oder in Zweifel ziehen,108 indem deren Erkenntnisse in den gesetzgeberischen Kontext gesetzt, logische Schlussfolgerungen gezogen und konsistenzsichernde Argumente gewonnen werden.109 Systematische Erwägungen können also die bereits gewonnenen grammatikalischen Auslegungsergebnisse stützen oder in Frage stellen. Sie bilden damit den konstrukturellen Rahmen der grammatikalischen Auslegung. 2. Systematische Stellung des Führens innerhalb des Strafgesetzbuchs Ein überschweifender Blick in das Strafgesetzbuch verrät, dass sich der Terminus des Führens aufgrund seiner mannigfaltigen linguistischen Deutungen in schutzgutverschiedenen Vorschriften wiederfindet. Das Führen wird in verschiedenen gesetzgeberischen Wortbedeutungen benutzt. So findet sich das Führen in wesensverschiedenen Strafnormen, u. a. im 7. Abschnitt der Straftaten gegen die öffentliche Ordnung (§ 132a StGB110), im 12. Abschnitt der Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie (§ 171 f. StGB), im 19. Abschnitt, den Diebstahlsdelikten (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) und b) StGB), im 20. Abschnitt, den Raubdelikten (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) und b) StGB) sowie im 24. Abschnitt, dem Insolvenzstrafrecht (§ 283 Abs. 1 Nr. 5, § 283b Abs. 1 Nr. 1 StGB), wieder. Für die grundsätzliche Bedeutungsfindung im Rahmen der Verkehrsdelikte ergibt sich daraus wenig. Andererseits ergibt sich aus der vielseitigen Verwendung dieses Terminus ein innerer 105 Simon, Gesetzesauslegung, S. 388; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 107c; vgl. Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 36 u. 43 f. 106 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 149; enger Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 440, die das (innere) Rechtssystem als axiologisches System verstehen; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 107c; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 149; vgl. Schleiermacher, Hermeneutik, S. 97. 107 Insb. BGHSt 59, 311, 316 f., m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124. 108 BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 1, Rn. 18 m. V. a. BGHSt 43, 346, 347 f.; vgl. Simon, Gesetzesauslegung, S. 387 f. 109 Simon, Gesetzesauslegung, S. 387. 110 Dazu siehe S/S/Sternberg-Lieben, § 132a, Rn. 17; SK-StGB/Stein, § 132a, Rn. 38; MüKo-StGB/Hohmann, § 132a, Rn. 27.
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Zusammenhang der (Straßen-)Verkehrsdelikte, namentlich der §§ 315c, 315d, 316 und 316a StGB. Der Gesetzgeber legte durch die Verwendung des Führens in verschiedenen Strafnormen mit verschiedenen Schutzzwecken eine deliktsbezogene Auslegung an. Damit ist aber noch nicht die Frage geklärt, ob der Gesetzgeber eine einheitliche Anwendung des Führens seinem Wortstamm nach innerhalb der (Straßen-)Verkehrsdelikte anstrebte. Die Zusammenfassung der (Straßen-)Verkehrsdelikte unter dem 28. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, welcher mit Gemeingefährliche Straftaten überschrieben ist, gibt darüber wenig Aufschluss. Bereits die weite Abschnittsbezeichnung als auch ein Blick auf die einzelnen darunter zusammengefassten Strafnormen offenbart, dass es sich bei den §§ 306 ff. StGB um Straftatbestände mit unterschiedlichen Schutzzwecken und Deliktsstrukturen handelt, die ihre Gemeinsamkeit allein im Allgemeinbezug aufweisen.111 Was letztendlich die Gemeingefahr auszeichnet, mithin die Delikte eint, ist bis heute nicht vollständig geklärt.112 Insofern lässt sich aus der systematischen Stellung der §§ 315c ff. StGB kaum etwa Verwertbares herleiten. Es kann lediglich negativ erkannt werden, dass der Gesetzgeber weder einen eigenen Abschnitt für Straßenverkehrsdelikte geschaffen noch diese einem eigenen Unterabschnitt oder Titel zugeordnet hat. Zugegebenermaßen ist letzteres der Gesetzessystematik im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs überwiegend fremd, sodass die aus dieser Feststellung folgende Argumentationskraft begrenzt ist. So finden sich nur unter dem 1. Abschnitt, Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, einzelne Titel, wobei sich deren Überschriften auf die Aufspaltung der Deliktsgruppen, die bereits in der Abschnittsüberschrift benannt sind, begrenzt (1. Titel: Friedensverrat, 2. Titel: Hochverrat, 3. Titel: Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates). Die Untergliederung in Titel ist daher keine übliche, vom Gesetzgeber genutzte Gesetzestechnik des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, sodass aus deren Fehlen im 28. Abschnitt des Besonderen Teils keine tragfähigen Schlüsse für das Bestehen eines besonderen inneren Zusammenhangs gezogen werden können. Lediglich die systematische Zusammenfassung aller (Straßen-) Verkehrsdelikte unter Verwendung einer Literarisierung der Paragraphen der hinzugekommenen Straftatbestände bezeugt den Entschluss des Gesetzgebers, die Straßenverkehrsdelikte zusammenhängend regeln zu wollen und grundsätzlich einer einheitlichen Anwendung zuzuführen.113 Damit ist bei den Tatbestandsmerkmalen 111
MüKo-StGB/Radtke, Vor § 306, Rn. 2; vgl. NK-StGB/Kargl, Vorb §§ 306 ff., Rn. 12. Ausf. Radtke, Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 114 ff.; ausf. m. ausdifferenziertem Erklärungsversuch Klesczewski, GS-Seebode, S. 117, 121 ff.; MüKo-StGB/Radtke, Vor § 306, Rn. 2. 113 Ebenso Jansen, NZV 2017, 214, 215; vgl. Roßmüller/Rohrer, NZV 1995, 253, 254 f., welche den systematischen Konflikt der undifferenzierten Verwendung der Rechtsbegriffe (wohl unbewusst) aufzeigen; ebenso Wolters, GA 2002, 303, 310, der jedoch aus den systematischen Erwägungen den Schluss einer Kongruenz der Termini Führen und Fahrzeugführer zieht; mit gleicher Argumentation Wolters, JR 2002, 163, 165; vgl. Simon, Gesetzesauslegung, S. 387; vgl. NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 107d. 112
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des Führens, Fahrens und Führers eine gewisse, wenn auch schwache innere strafrechtliche Konsistenz der Anwendung in der äußeren Gesetzgebungstechnik114 des Strafgesetzbuchs angelegt.115 Nachdem die äußere Stellung der Straßenverkehrsdelikte mithin systematisch wenig ergiebig ist, müssen auf letzter Stufe die einzelnen Tatbestände, namentlich die §§ 315c, 315d, 316 und 316a StGB auf ihren systematischen Gehalt hin untersucht werden. Aus ihrer Zuordnung zum 28. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, den Gemeingefährlichen Straftaten, ist zu erkennen, dass das Straßenverkehrsstrafrecht die Sanktion bestimmter, konkret gemeingefährlicher Verhaltensweisen bezweckt.116 Als gemeingefährliche Verhaltensweise werden alle Handlungen umfasst, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Gefahr der Verletzung einer unbestimmten und unvorhersehbaren Zahl individueller Rechtsgüter oder Rechtsträger erwarten lassen.117 Solche Verhaltensweisen, die eine wesentliche abstrakte oder konkrete (Individual-)Gefahr hervorrufen und geeignet sind, den Bestand oder die Sicherheit wichtiger Rechtsgüter zu beeinträchtigen,118 wurden aus dem überwiegend durch das Ordnungswidrigkeitenrecht geregelten Straßenverkehrssanktionsrecht ausgekoppelt und einer Strafandrohung unterstellt. Für die Auslegung der neutralen Tathandlung des Führens ergibt sich daraus allgemein nichts. Das regelgemäße Führen eines Fahrzeugs begründet schlicht in sich weder nach § 315c Abs. 1 noch nach § 316 Abs. 1 StGB ein Sanktionsbedürfnis. Schließlich wird das Führen eines Fahrzeugs bei entsprechender Befähigung als solches nicht als gefahrträchtig angesehen. Nur ein qualifiziert regelwidriges Führen oder – bei fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen, die gewisse Fähigkeiten und Verkehrsrechtskenntnisse zur sicheren Führung voraussetzen – ein solches ohne entsprechenden Befähigungsnachweis (§ 21 StVG) löst das Sanktionsbedürfnis aus.119
3. Abgrenzung von ähnlichen (straf-)verkehrsrechtlichen Termini Gleichlautende wie andererseits anderslautende Gesetzesformulierungen bieten die Möglichkeit, Schlüsse auf das Rechtsverständnis und die Rechtsanwendung eines Tatbestandsmerkmals zu erlangen.120 Durch die Analyse der verwandten und 114
Simon, Gesetzesauslegung, S. 388; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 107a; BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 1, Rn. 18. 115 Ausf. zur strafrechtlichen systematischen Auslegung Simon, Gesetzesauslegung, S. 388 ff. 116 S/S/Heine/Bosch, Vorb §§ 306 ff., Rn. 1a; weiterführend MüKo-StGB/Radtke, Vor § 306, Rn. 3. 117 Radtke, Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 150; MüKo-StGB/Radtke, Vor § 306, Rn. 3. 118 S/S/Heine/Bosch, Vorb §§ 306 ff., Rn. 1a. 119 Deichmann, Sonderstraftat, S. 199 f.; vgl. Rehberg, FG Schultz, S. 72, 75 (zum schweiz. StR). 120 Simon, Gesetzesauslegung, S. 387.
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
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wortstammgleichen Begriffe lässt sich überprüfen, ob das grammatikalische Auslegungsergebnis in einen logischen und teleologisch widerspruchsfreien Kontext mit den übrigen Normen zu setzen ist. Das einzelne Gesetzeswort steht schließlich in einer Wechselbeziehung zusammenhängender Äußerungen und Normen, die erst durch den gesetzlichen Bedeutungszusammenhang ihren Sinngehalt erhalten.121 Bereits Schleiermacher beschrieb insofern treffend: „innerhalb einer einzelnen Schrift kann das Einzelne nur aus dem Ganzen verstanden werden, […]“.122
Entsprechend muss, um die Bedeutung des Begriffs des Führens rechtssicher feststellen zu können, dieses im Verhältnis zu den übrigen, vor allem im Zusammenhang mit dem Verkehrsstrafrecht und der Nutzung von Fahrzeugen gebrauchten Gesetzesformulierungen ins Verhältnis gesetzt werden. a) Abgrenzung zum (Fahrzeug-)Führer Wichtig für die nachfolgenden Ausführungen ist, dass §§ 315c und 316 StGB nicht vom Fahrzeugführer, sondern stets vom Führen respektive Fahren, also in der Verbform, sprechen, hingegen § 316a Abs. 1 StGB (Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer) den Führer als Tatobjekt in Bezug nimmt. Damit erübrigt sich eigentlich und in Entsprechung der aufgezeigten Sonderdeliktsproblematik die Frage, ob §§ 315c und 316 StGB einen Fahrzeugführer voraussetzen. Diese strikte trennscharfe Begriffsunterscheidung setzte sich jedoch weder durchgängig in den Straßenverkehrsgesetzen noch in der Rechtsprechung durch. Aus der überwiegend undezidierten Rechtsprechung, die den (Fahrzeug-)Führer und das Führen gleichsetzt,123 könnte der Schluss gezogen werden, dass beide Termini vom Gesetzgeber synonym verwandt werden.124 Freilich liegt dieser Schluss aufgrund des gleichen Wortstamms nahe. Ebenso stützt das Studium einiger aktueller Gesetzesbegründungen, insbesondere zum Gesetz zur Einführung eines Alkohol121
Zum Gesamten Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 43 f. Schleiermacher, Hermeneutik, S. 97; ebenso siehe Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 438. 123 Siehe BGHSt 36, 341, 343 ff.; ebenso: BGHSt 59, 311, 316 f., m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124; BGHSt 35, 390, 393; 18, 6, 8 f.; OLG Stuttgart NJOZ 2016, 24, 25; OLG Dresden NJW 2006, 1013, 1014; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; LG Münster zfs 2018, 169, 169 f. m. Anm. Krenberger; LG Köln NZV 1990, 445, 445; AG Landstuhl, B. v. 20. 10. 2016 – 2 OWi 4286 Js 10115/16, BeckRS 2016, 18521; selbst der Gesetzgeber bewahrt keine strikte Trennung, wie die Gesetzesbegründung zu § 24c StVG verdeutlicht: Nach dem Wortlaut des § 24c Abs. 1 StVG handelt ordnungswidrig, wer in der Probezeit […] als Führer eines Kraftfahrzeugs […] alkoholische Getränke zu sich nimmt […]; hingegen ist der Gesetzesbegründung, StR BT-Drs. 16/5047 v. 20. 04. 2007, S. 8 f. u. zuvor BR-Drs. 124/07 v. 16. 02. 2007, S. 7 zu entnehmen: „§ 24c untersagt den Alkoholgenuss während des Führens eines Kraftfahrzeugs absolut.“ 124 Bspw. BHHJ/Hühnermann, StVG, § 24a, Rn. 2, welche ausführt, dass „die §§ 315c, 316 StGB alle Fahrzeugführer tatbestandlich erfassen“. 122
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
verbots für Fahranfänger und Fahranfängerinnen,125 diese Annahme. Der Gesetzgeber selbst hat eine Abgrenzung der Begriffe beim Erlass dieser Norm sicherlich nicht im Blick. Obwohl dem § 24c Abs. 1 StVG dem Wortlaut nach ordnungswidrig handelt, wer in der Probezeit […] als Führer eines Kraftfahrzeugs […] alkoholische Getränke zu sich nimmt […],
untersage der § 24c StVG der Gesetzesbegründung nach „[…] den Alkoholgenuss während des Führens eines Kraftfahrzeugs absolut.“126
Dies spricht für eine semantisch kongruente Verwendung beider Rechtsbegriffe. Diese Ungenauigkeit kann aber ebenso auf eine Unschärfe des aktuellen Gesetzgebers zurückzuführen sein. Schließlich ergeben sich aus der strafrechtsinternen Systematik des Strafgesetzbuchs als auch aus außerstrafrechtlichen Normen systematische Anknüpfungspunkte, die eine Begriffsverschiedenheit zwischen dem Führen als Tätigkeit und dem Führer als Eigenschaftszuschreibung nahelegen. aa) Strafrechtsinterne systematische Erwägungen Der Strafgesetzgeber nimmt in §§ 315c und 316 StGB bewusst das tathandlungsbeschreibende Tatbestandsmerkmal des Führens zum Anknüpfungspunkt der Sanktionsandrohung. Die Verwendung der Verbform geht bereits aus der historischsystematischen Betrachtung der Gesetzesbegründung des Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs aus dem Jahr 1952127 hervor. Durchgängig knüpft der historische Strafgesetzgeber an der Vornahme der Führungstätigkeit an: „Nach Absatz 1 Nr. 2128 fällt zunächst unter die Strafdrohung auch derjenige, der als Führer eines Fahrzeugs rücksichtslos fährt.“
125 126 127 128
BT-Drs. 16/5047 v. 20. 04. 2007. BT-Drs. 16/5047 v. 20. 04. 2007, S. 8 f. BGBl. Teil I, Nr. 56 v. 23. 12. 1952, S. 832. Im Gesetzesentwurf, StR BT-Drs. 2674 v. 10. 10. 1951, S. 4 lautete dessen Wortlaut
noch: „Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs oder des Betriebs einer Straßenbahn dadurch beeinträchtigt, daß er 1. […] 2. als Führer eines Fahrzeugs rücksichtslos fährt, 3. […] und durch ein solches Verhalten eine Gemeingefahr (§ 315 Absatz 3 [a. F.]) herbeiführt, wird mit Gefängnis bestraft.“ Verabschiedet wurde am 19. 12. 1952 die Fassung als Nr. 4 mit folgendem Wortlaut, BGBl. Teil I, Nr. 56 v. 23. 12. 1952, S. 832, 834: Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er 1. […]
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„Das gleiche gilt, wie Absatz 1 Nr. 3129 zum Ausdruck bringt, für denjenigen, der ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses geistiger Getränke oder anderer berauschender Mittel in der sicheren Führung des Fahrzeugs behindert ist.“ „Eine ähnliche Verkehrsgefahr stellt derjenige dar, der ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge geistiger oder körperlicher Mängel sich nicht sicher im Verkehr bewegen kann.“130
Die Formulierung „als Führer […] fährt“ legt nahe, dass sich der Pflichtenkreis des Fahrzeugführers über die Tätigkeitsvornahme des Führens oder Fahrens hinaus erstreckt. Es kommt für eine Strafbarkeit nicht auf die Eigenschaftszuweisung, sondern die Ausübung der Tathandlung an. Dem trat der damals angerufene Ausschuss für Verkehrswesen bei. In seinem schriftlichen Bericht zum Gesetzesentwurf betonte er: „Das Führen eines Kraftfahrzeugs, wenn der Fahrer infolge Alkoholgenusses nicht in der Lage ist, sein Fahrzeug sicher zu führen, muß daher auch dann schon als Vergehen mit strenger Strafe bedroht werden, wenn eine konkrete Gefährdung von Verkehrsteilnehmern oder eine sonstige Gemeingefahr nicht eingetreten ist.“131
Natürlich entspricht das Strafrecht nur mit der Pönalisierung eines strafwürdigen Verhaltens seinem grundlegend restriktiven Charakter. Es muss an konkret rechtsgutsgefährdenden Handlungen oder Rechtsgutsverletzungen anknüpfen.132 Es kann daher nur derjenige strafbar sein, der die Tathandlung des Führens im Gefährdungsoder Schädigungsmoment vornahm. Dass die §§ 315c und 316 StGB an der sta4. in grob verkehrswidriger und rücksichtsloser Weise die Vorfahrt nicht beachtet, falsch überholt oder an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen oder -einmündungen zu schnell fährt, und dadurch eine Gemeingefahr (§ 315 Abs. 3 [a. F.] herbeiführt, wird mit Gefängnis bestraft. 129 Im Gesetzesentwurf, StR BT-Drs. 2674 v. 10. 10. 1951, S. 4 lautete dessen Wortlaut noch: „Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs oder des Betriebs einer Straßenbahn dadurch beeinträchtigt, daß er 1. […] 3. ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses geistiger Getränke oder anderer berauschender Mittel in der sicheren Führung des Fahrzeugs behindert ist, 4. […] und durch ein solches Verhalten eine Gemeingefahr (§ 315 Absatz 3 [a. F.]) herbeiführt, wird mit Gefängnis bestraft.“ Verabschiedet wurde am 19. 12. 1952 die Fassung als Nr. 3 mit leicht modifizierten Wortlaut, BGBl. Teil I, Nr. 56 v. 23. 12. 1952, S. 832, 834: Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er 1. […] 2. ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses geistiger Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, 3. […] und dadurch eine Gemeingefahr (§ 315 Abs. 3 [a. F.] herbeiführt, wird mit Gefängnis bestraft. 130 Alle Zitate aus BT-Drs. 2674 v. 10. 10. 1951, S. 15. 131 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen, StR BT-Drs. 3774 ohne Datierung, S. 4 f. 132 S/S/Hecker, § 1, Rn. 11 spricht von einer „milden Auslegung“.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
tusbegründenden Eigenschaft des Fahrzeugführers anknüpfen, ist deshalb systematisch-normativ133 nicht erkennbar wie strafrechtsdogmatisch nicht begründbar. Zudem findet sich die gesetzgeberische Tendenz, zwischen dem Status des Fahrzeugführers und der konkreten Tathandlung des Führens zu unterscheiden, auch heute im Strafgesetzbuch wieder. Dies wird aus den Formulierungen der §§ 44 Abs. 1 S. 2 und 69 Abs. 1 S. 1 StGB, die ausdrücklich und in Übereinstimmung mit dem damaligen § 42m S. 1 StGB a. F. – der ebenfalls mit dem Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs aus dem Jahr 1952 Eingang in das Strafgesetzbuch fand – zwischen der Straftatbegehung „bei oder in Zusammenhang mit dem Führen“ – aktiv – und der Straftatbegehung durch die Verletzung der „Pflichten eines Kraftfahrzeugführers“ – passiv – unterscheiden. Ein Blick in die Regelungen zeigt, dass diese nicht zufällig entstand. Der Gesetzgeber selbst legte auf die Unterscheidung zwischen der Tathandlung des Führens und der Eigenschaftszuschreibung des Führers ausdrücklich Wert. Dies bezeugt die bereits oben zitierte Gesetzesbegründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Bekämpfung von Unfällen im Straßenverkehr zu § 42m S. 1 StGB a. F.134: „Die Tat muß ferner in Beziehung zu der Führung eines Kraftfahrzeugs durch den Täter stehen, gleichviel ob er sie bei oder im Zusammenhang mit der Führung eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der dem Führer eines Kraftfahrzeugs obliegenden Pflichten begangen hat. Eine Tat steht beispielsweise dann im Zusammenhang mit der Führung eines Kraftfahrzeugs, wenn der Täter sich mit dem Kraftfahrzeug an den Tatort begeben oder wenn er es benutzt hat, um nach der Tat die Beute wegzuschaffen. Gegen die dem Führer eines Kraftfahrzeugs obliegenden Pflichten kann der Täter auch durch Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften verstoßen, die sich auf die verkehrssichere Beschaffenheit oder auf das Aufstellen des Fahrzeugs vor oder nach der Fahrt beziehen.“135
Diese klare gesetzgeberische Unterscheidung ist bis heute erhalten geblieben. Dazu sei auf die Ausführungen des 6. Kapitels, Gliederungspunkt A. I., verwiesen. Ein weiteres strafrechtssystematisches Argument für eine semantisch differenzierte Betrachtung kann § 316a Abs. 1 StGB und dessen Entstehungsgeschichte entnommen werden. Auch dessen Einführung geht auf den Gesetzgebungsprozess des Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs von 1952 zurück.136 Der für die
133
Zum Gesamten ebenso Steinberg, NZV 2007, 545, 549. § 42m StGB a. F., BGBl. Teil I, Nr. 56 v. 23. 12. 1952, S. 832, 833: „Wird jemand wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung, die er bei oder in Zusammenhang mit der Führung eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der dem Führer eines Kraftfahrzeugs obliegenden Pflichten begangen hat, zu einer Strafe verurteilt oder lediglich wegen Zurechnungsunfähigkeit freigesprochen, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn er sich durch die Tat als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. […].“ 135 BT-Drs. 2674 v. 10. 10. 1951, S. 12. 136 § 316a StGB a. F. war zwar nicht im Gesetzesentwurf BT-Drs. 2674 v. 10. 10. 1951 enthalten, wurde aber im Laufe der Beratungen hinzugefügt, StR BT-Drs. 3774 ohne Datierung. 134
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Aufnahme des § 316a StGB a. F.137 ins Strafgesetzbuch plädierende Ausschuss stellte dabei heraus: „Die Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs charakterisiert gerade das Verbrechen der Autofallen und wurde deshalb als Voraussetzung in die Vorschrift aufgenommen, um nicht auch Fälle wie z. B. den zu treffen, daß ein Kraftfahrer in der Garage oder in einem Gasthaus überfallen wird.“138
Eine semantische Unterscheidung zwischen der Führungstätigkeit und der Führungseigenschaft war im Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs – zumal §§ 315a und 316a StGB a. F. zeitgleich mit dem Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs in das Strafgesetzbuch eingeführt wurden – angelegt.139 Mehr noch: Die Eigenschaft des (Kraft-)Fahrzeugführers blieb über die Führungstätigkeit hinaus erhalten. Ihn traf ein weitgehender Pflichtenkanon, wie der Erhalt der Kraftfahrzeugführereigenschaft in der „Garage oder in einem Gasthaus“ bezeugt. Der Räuberische Angriff auf Kraftfahrer nimmt damit tatbestandlich auf den statusrechtlichen Kraftfahrzeugführer als Opfereigenschaft140 Bezug.141 Anders als bei §§ 315c und 316 StGB ist es für die Bestimmung des Tatobjekts damit irrelevant, ob dieser im Moment des Angriffs konkrete Führungsaufgaben wahrnimmt. Dieser differenzierte Spracheinsatz bezeugt auf systematischer Ebene, dass beiden Rechtstermini im strafrechtlichen Kontext nicht dieselbe strafrechtlich-semantische Bedeutung zukommen sollte.142 Dies hat auch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil aus dem Jahr 2003 festgestellt, in welchem er den Fahrzeugführer im Sinne des § 316a Abs. 1 StGB einer eigenen, vom Führen des §§ 315c und 316 StGB abweichenden Definition unterstellte. Führer im Sinne des § 316a StGB sei: „wer das Kraftfahrzeug in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist.“143
Auf den ersten Blick fällt auf, dass diese Definition weiter reicht als die des Führens der §§ 315c Abs. 1 und 316 Abs. 1 StGB. Dieser Umstand hat bis heute jedoch kaum Beachtung gefunden. Stattdessen definiert selbst der Bundesge137
§ 316a S. 1 StGB i. d. F. v. 19. 12. 1952, BGBl. Teil I, Nr. 56 v. 23. 12. 1952, S. 832, 834: Wer zur Begehung von Raub oder räuberischer Erpressung (§ 255) einen Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs oder eines Mitfahrers unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs unternimmt, wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren, in besonders schweren Fällen mit lebenslangem Zuchthaus bestraft. 138 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen, StR BT-Drs. 3774 ohne Datierung, S. 6. 139 Krüger, NZV 2004, 161, 164. 140 Insb. zum Führer als Tatopfer: BGHSt 49, 8, 12 ff. 141 Krit. zur Auslegungspraxis des Begriffs „Führer“: MüKo-StGB/Sander, § 316a, Rn. 17. 142 Ebenso Duttge/Nolden, JuS 2005, 193, 196; a. A. zum § 316a StGB Mitsch, StR BT 2, Erl. 11.2.2.1.5, S. 646, der im Führer die Substantivierung des Führens erblickt. 143 U. a. BGHSt 49, 8, 14; Fischer, StGB, § 316a, Rn. 4; MüKo-StGB/Sander, § 316a, Rn. 18.
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richtshof in seiner Fahrlehrerentscheidung unter Gleichstellung des Führerbegriffs der §§ 315c, 316 StGB mit § 23 StVO und ohne Rücksicht auf den Führerterminus des § 316a Abs. 1 StGB: „Ein Fahrlehrer, der in der konkreten Situation nicht in die Ausbildungsfahrt eingreift, führt nach allgemeinen Kriterien – etwa iSd §§ 315 c, 316 StGB – das Kraftfahrzeug nicht. […] Führer eines Kraftfahrzeugs ist, wer es unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrtbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt […]“144
In Folge dessen wurden zwischen §§ 315c und 316 StGB und § 316a StGB – vielleicht von der Rechtsprechung sogar unbeabsichtigt – unterschiedliche, normspezifische Auslegungen des (Kraft-)Fahrzeugführers etabliert, obwohl §§ 315c und 316 StGB die Führereigenschaft überhaupt nicht tatbestandlich voraussetzen.145 Dabei darf bezweifelt werden, dass der Gesetzgeber eine normspezifisch verschiedene Begriffsbestimmung identischer Termini, noch innerhalb einer schutzzweckähnlichen Deliktskategorie, billigte.146 Die räumliche Zusammenfassung der Verkehrsdelikte als auch ein Blick auf §§ 44 Abs. 1 S. 2 und 69 Abs. 1 S. 1 StGB sprechen für eine einheitliche, nicht divergente, Anwendung der Termini. bb) Außerstrafrechtliche systematische Erwägungen Ein weiterer systematischer Anknüpfungspunkt liegt im außerstrafrechtlichen Begriffsverständnis. Dem bleibt voranzustellen, dass das straßenverkehrsrechtliche Begriffsverständnis im Sinne des Straßenverkehrsgesetzes oder der StraßenverkehrsOrdnung nicht Ausgangspunkt der restriktiven strafrechtlichen Bedeutungsbestimmung und Auslegung ist.147 Dass ein und demselben Rechtsbegriff an unterschiedlichen Stellen verschiedener Gesetze eine unterschiedliche Bedeutung zukommen kann, ist kaum zu bestreiten. Dennoch sollte dies zum Erhalt der Einheit der Rechtsordnung die Ausnahme, nicht den Regelfall darstellen und bedarf deshalb im Falle dessen einer ausreichenden (semantischen) Begründung.148 Eine solche ist vorliegend für die verkehrsstrafrechtlichen Termini nicht ersichtlich.
144 BGHSt 59, 311, 314, m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124; weitere N. siehe 6. Kap., Fn. 577. 145 Vgl. Geppert, Jura 1995, 310, 312; LK-StGB/Sowada, § 316a, Rn. 20; Steinberg, NZV 2007, 545, 549; sehr krit. zum Paradigmenwechsel Duttge/Nolden, JuS 2005, 193, 196. 146 Vgl., wenn auch mit anderem Ergebnis Wolters, GA 2002, 303, 310; ebenso Wolters, JR 2002, 163, 165. 147 Vgl. Hentschel, JR 1990, 30, 32 m. Anm. z. BGHSt 35, 390, 393 zur Übernahme zivilrechtlicher Begriffsbestimmungen; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 142 zur Möglichkeit verschiedenartiger Bedeutungen eines Begriffs innerhalb eines Gesetzes; vgl. S/S/Hecker, § 1, Rn. 11. 148 Zum Gesamten Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 142 f.
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
207
Eine Bezugnahme der Strafrechtspraxis und -lehre auf außerstrafrechtliche Normen im Straßenverkehrsrecht ist keineswegs unüblich. So wird etwa der Fahrzeugbegriff, den das Straßenverkehrsrecht gemäß §§ 1 Abs. 2 StVG und 4 Abs. 1 StVZO konkretisiert, zur Auslegung des § 248b Abs. 4 StGB herangezogen.149 Selbst der Strafgesetzgeber bezieht sich auf die außerstrafrechtlichen Verkehrstermini, etwa in der Begründung zum Gesetz zur Bekämpfung von Unfällen im Straßenverkehr im Jahre 1951: „Den Ausdruck ,Straßenverkehr‘ verwendet die Vorschrift ebenso wie die StraßenverkehrsOrdnung […]“150
Zudem hat sich der Bundesrat zum Zweiten Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen des Wortlauts im § 315a StGB a. F. in Bezug auf die Straßenverkehrs-Ordnung für einen anderen Wortlaut ausgesprochen, um Wertungswidersprüche mit den außerstrafrechtlichen Verkehrsvorschriften zu vermeiden. Dies bezeugt, dass der Gesetzgeber durchaus ein widerspruchsfreies (Straßen-)Verkehrsrecht anstrebte: „Durch die Fassung sollen Auslegungsschwierigkeiten vermieden werden, die sich aus § 8 Abs. 2 StVO [a. F.] ergeben können; nach dieser Vorschrift müssen Fahrzeuge unter den dort angeführten Voraussetzungen die äußerste rechte Fahrbahn einhalten. Durch die Neufassung soll klargestellt werden, daß es für die Auslegung des Buchstaben e nicht auf die in § 8 Abs. 2 StVO151 getroffene Regelung ankommt, sondern nur darauf, daß die rechte Fahrbahnhälfte eingehalten wird.“152,
Eine strafrechtliche Bezugnahme auf straßenverkehrsrechtliche Grundbegriffe ist demnach eher die Regel als die Ausnahme. Das Strafrecht kann sich also nicht von jeglichem Bezug zu verkehrsrechtlichen Vorschriften freimachen. Es wäre deshalb inkonsequent und willkürlich, genau bei der semantischen und systematischen strafrechtlichen Begriffsbestimmung des Führers und des Führens diese Trennlinie zu ziehen. Dem stünde auch die Fahrlehrerentscheidung des Bundesgerichtshof entgegen, in welcher dieser – umgekehrt – zur Auslegung des § 23 StVO auf die strafrechtliche Auslegung der §§ 315c Abs. 1 und 316 Abs. 1 StGB verweist, mithin
149 H. M.: BGHSt 39, 249, 250; Duttge/Nolden, JuS 2005, 193, 196 f.; MüKo-StGB/Sander, § 316a, Rn. 16; Hentschel/König/Dauer, StGB, § 316a, Rn. 4; kein Verweis auf das StVG oder § 248b StGB: NK-StGB/Zieschang, § 316a, Rn. 25. 150 BT-Drs. 2674 v. 10. 10. 1951, S. 15. 151 § 8 Abs. 2 StVO i. d. F. v. 29. 03. 1956; BGBl. Teil I, Nr. 19 v. 30. 04. 1956, S. 271, 330: Soweit nicht besondere Umstände entgegenstehen, haben Führer von Fahrzeugen auf der rechten Seite der Fahrbahn rechts zu fahren; sie dürfen die linke Seite nur zum Überholen benutzen. Führer langsam fahrender Fahrzeuge haben stets die äußerste rechte Seite der Fahrbahn einzuhalten. Auf unübersichtlichen Straßen haben die Führer aller Fahrzeuge die äußerste rechte Seite der Fahrbahn zu benutzen. Die Vorschriften dieses Absatzes gelten auch für Straßen, auf deren Fahrbahn der Verkehr nur in einer Richtung bestimmt ist (Einbahnstraßen). 152 BT-Drs. 2368 v. 05. 01. 1961, S. 35.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
das Führen gesetzesübergreifend auslegt.153 Entsprechend sinnvoll ist es, die im Straßenverkehrsgesetz und in der Straßenverkehrs-Ordnung grundlegend angelegte Unterscheidung zwischen der Pflichtenbindung des Fahrzeugführers und der Handlung des Führens auch im strafrechtlichen Kontext beizubehalten. Dennoch gibt es immer wieder selbst vom Gesetzgeber ausgehende Unstimmigkeiten, die an einer verkehrsrechtsidentischen Auslegung eines Rechtsbegriffs zweifeln lassen. Verdeutlicht hat dies bereits das Beispiel des § 24c Abs. 1 StVG. Verstärkt wird dieser Eindruck mit Blick auf § 24a Abs. 1 StVG (0,5 PromilleGrenze), der wiederum anders als § 24c Abs. 1 StVG auf das Führen in seiner Tätigkeitsbeschreibung abstellt. Andererseits werden die straßenverkehrsrechtlichen Grundbegriffe in den außerstrafrechtlichen verkehrsrechtlichen Regelungen überwiegend einheitlich verwendet.154 Aus der Zusammenschau der verkehrsrechtlichen Vorschriften wird deutlich, dass sich die Definitionen des Führens und des Fahrzeugführers zwar überschneiden, aber nicht identisch sind.155 Das Straßenverkehrsrecht statuiert an mehreren Stellen einen Pflichtenkreis des Fahrzeugführers, der über Verhaltensvorschriften während der Ausübung der Führungstätigkeit hinausgeht. Ein kleiner Ausschnitt dieses Pflichtenkreises soll dies verdeutlichen: § 15 S. 1 und S. 2 StVO verpflichtet dazu, ein liegengebliebenes Fahrzeug mit einem auffällig warnenden Zeichen (Einschalten des Warnblinklichts und Aufstellen eines warnenden Zeichens) gut sichtbar in ausreichender Entfernung zu sichern. Zwar überträgt § 15 StVO diese Pflichtenstellung nicht ausdrücklich dem Fahrzeugführer, diesem wird diese Aufgabe gleichwohl zuteil, soweit er diese nicht delegiert oder sich einer seiner Mitinsassen dieser annimmt.156 Eine andere statusbezogene Pflichtenstellung ist in der Pflicht des § 31b StVZO, der zuständigen Person auf Verlangen die aufgezählten sicherheitsrelevanten Gegenstände vorzuzeigen und zur Prüfung des vorschriftsgemäßen Zustands auszuhändigen (bspw. nach § 31b Nr. 2 StVZO das Erste-HilfeMaterial), zu sehen. Weitere Aushändigungspflichten sind etwa in §§ 19 Abs. 4 und 22 Abs. 3 Nr. 1 StVZO statuiert. Ebenso ist die Pflicht gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 StVO für die gute Lesbarkeit der Kennzeichen zu sorgen, keine der Führungstätigkeit immanente. Gleiches gilt wohl für die Pflicht des einen Anhänger Abstellenden gemäß § 43 Abs. 4 StVO, diesen mit einer Park-Warntafel zu versehen. Diese Pflichten beruhen nicht auf der Führungstätigkeit, sondern auf der Statuszuschreibung als Fahrzeugführer. Diese differenzierende Auslegung wurde im 8. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes157 im Rahmen der Zulassung hoch- und vollautomatisierter Fahrerassistenzsysteme fortgeführt. Nicht nur der Fahrschullehrer in § 2 153 154 155 156 157
Siehe insb. BGHSt 59, 311, 313 ff., m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124. Burhoff, VRR 2007, 371, 372. Vgl. Duttge/Nolden, JuS 2005, 193, 196 f. Vgl. NK-GVR/Quarch/Titz, StVO, § 15, Rn. 3. BGBl. Teil I, Nr. 38 v. 20. 06. 2017, S. 1648, 1648 ff.
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
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Abs. 15 StVG, der die Fiktion der Fahrzeugführung statuiert, sondern insbesondere der seit 2017 in Geltung erwachsene § 1a Abs. 4 StVG, der die tatsächlich nicht steuernde Person zum Fahrzeugführer des in hoch- oder vollautomatisierter Fahrt befindlichen Fahrzeugs erklärt, bestätigt die den situativen Steuerungsprozess überdauernde Pflichtenstellung des (Kraft-)Fahrzeugführers. Über die Führungstätigkeit selbst sagt § 1a Abs. 4 StVG hingegen nichts aus. Dies ist nur konsequent und setzt sich sprachlich im § 63a Abs. 1 StVG, der die Speicherungspflicht von Zeitund Positionsdaten bei der Übernahme der Fahrzeugsteuerung zwischen dem Fahrzeugführer und dem hoch- oder vollautomatisierten System regelt, fort. Dadurch macht der Gesetzgeber deutlich, dass auch derjenige, der den Pflichten des Straßenverkehrsgesetzes unterworfen ist, die in § 1b StVG näher beschriebene Aufsichtspflicht über das System inne hält. Wäre niemand statusrechtlich Fahrzeugführer, was nach Art. 8 Abs. 1 WÜ rechtlich unzulässig wäre, gäbe es keine gesetzlich benennbare Person, an die sich die Übernahmeaufforderung des hoch- oder vollautomatisierten Assistenzsystems richten könnte. Entsprechend gibt es stets einen Fahrzeugführer im Fahrzeug, der dauerhaft der Pflichtenstellung der Straßenverkehrsgesetze unterworfen ist, auch wenn er das Fahrzeug selbst nicht führt. Schließlich darf er sich während der hoch- oder vollautomatisierten Fahrt gemäß § 1b Abs. 1 1. HS StVG vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abwenden.158 Zuletzt erlangen teleologische Gesichtspunkte betreffend den Rechtsterminus des Fahrzeugführers eine systematische Bedeutung. Steinberg etwa sieht in einer weiten Auslegung des (strafrechtlichen) Führers, spezifisch des § 316a Abs. 1 StGB, die Notwendigkeit begründet, diese durch teleologische Argumente zu relativieren. Dem ist mit Blick auf den Schutzzweck des § 316a StGB zuzustimmen.159 Gleichwohl ist kein Grund ersichtlich, den Fahrzeugführerbegriff als solchen einer deliktsunspezifischen Einschränkung zu unterwerfen. Die Einschränkung folgt bereits aus den vom Gesetzgeber in den Verkehrsnormen statuierten Rechten und Pflichten. Die Rechtsfolge der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) knüpft am umfassenden Pflichtenkreis an, sodass eine grundsätzliche Eingrenzung des Begriffs des Fahrzeugführers, welche notwendigerweise mit einer strafrechtlichen Eingrenzung des verkehrsrechtlich vorgesehenen Pflichtenkreises einherginge, nicht tragfähig ist. Der Gesetzgeber hat es in der Hand, den Pflichtenkreis des Fahrzeugführers zu bestimmen. Davon hat er Gebrauch gemacht, sodass sich dieser Pflichtenkreis als Ausgangspunkt der Bedeutungsfindung des Begriffs des Fahrzeugführers darstellen muss. Andernfalls wäre ein widerspruchsfreier Gesamtkontext des Rechtssystems, wie er gerade durch eine systematisch-konsequente Auslegung gewahrt werden soll, nicht zu erhalten.160 158
Zum Umfang der Abwendungsbefugnis des Fahrers zur Ursprungsfassung des § 1b StVG siehe Berndt, SVR 2017, 121, 124 f. 159 Zum Gesamten Steinberg, NZV 2007, 545, 549 f. 160 NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 107; Kudlich/Christensen, JA 2004, 74, 76; MüKoStGB/Schmitz, § 1, Rn. 89.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Im Ergebnis bestätigten die gesetzessystematischen Erwägungen, dass die Fragen danach, wer die Fahrzeugführereigenschaft innehält und wer das Fahrzeug in einer konkreten Situation führt, unterschiedlicher Natur sind. Auch wenn beides bisher beim ausschließlich manuell steuerbaren Fahrzeug in der Regel in einer Person zusammenfiel, ist dies in Zukunft nicht zwingend der Fall.161 Die semantische Begriffs-162 oder Anwendungsinkongruenz, die bereits dem Wortlaut entlehnt wird, vermag die systematische Verwendung im Gesetz zu bestätigen. b) Abgrenzung zum Ingebrauchnehmen Ein weiteres Tatbestandsmerkmal, welches im Strafgesetzbuch im Zusammenhang mit der Nutzung von Fahrzeugen verwendet wird, ist das Ingebrauchnehmen des § 248b StGB. Auch dieses findet sich aufgrund seiner Bedeutungsvielfalt an mehreren Stellen im Strafgesetzbuch, u. a. beim unbefugten Gebrauch von Pfandsachen, § 290 StGB. Verstanden wird unter der Ingebrauchnahme jede nutzbare Verwendung des (Pfand-)Gegenstandes, die mit dessen Beschaffenheit verträglich ist.163 Das Ingebrauchnehmen des § 248b Abs. 1 StGB unterliegt demgegenüber freilich einer deliktsspezifischen Auslegung.164 So flossen in dessen Auslegung teleologische Überlegungen ein, sodass bei dieser vor allem der Schutzzweck des § 248b Abs. 1 StGB Berücksichtigung fand. Im Einzelnen unterscheidet sich das Ingebrauchnehmen vom Führen in folgender Hinsicht: Der substanzielle Kern des Ingebrauchnehmens, also die Nutzung des Gegenstands, ist bei § 248b Abs. 1 StGB erhalten geblieben. Es wird primär auf die Nutzung des Fahrzeugs abgestellt, jedoch zusätzlich verlangt, dass dieses als Fortbewegungsmittel verwandt wird.165 Dabei genügt die Benutzung des Fahrzeugs zur selbständigen Fahrt.166 Eine exakte Unterscheidung zwischen dem Führen und dem Ingebrauchnehmen scheint deshalb auf den ersten Blick schwer. Zwar kann in jedem Führen ein Ingebrauchnehmen erblickt werden.167 Es bleibt aber zu beachten, dass die Tathandlung des Führens nicht am durch § 248b Abs. 1 StGB pönalisierten Entzug der Verfügungsmöglichkeit des Fahrzeugs,168 sondern der Art und Weise der Herstellung des Fortbewegungsprozesses anknüpft. 161
Ebenso u. weiterführend Steinberg, NZV 2007, 545, 549; ausf. zur Begriffsinkongruenz aus dem systematischen Kontext Duttge/Nolden, JuS 2005, 193, 196 f. 162 Steinberg, NZV 2007, 545, 549 mit eigenem Definitionsvorschlag. 163 BGHSt 11, 47, 48 f.; MüKo-StGB/Maier, § 290, Rn. 3. 164 BGHSt 11, 47, 49 f. 165 BGHSt 11, 47, 49 f.; MüKo-StGB/Hohmann, § 248b, Rn. 13; S/S/Bosch, § 248b Abs. 1, Rn. 4; NK-StGB/Kindhäuser, § 248b, Rn. 3; Lackner/Kühl/Kühl, § 248b, Rn. 3; BeckOKStGB/Wittig, § 248b, Rn. 3; NK-GVR/Titz, StGB, § 248b Abs. 1, Rn. 7. 166 NK-StGB/Kindhäuser, § 248b, Rn. 3. 167 Vgl. Ternig, zfs 2016, 303, 306. 168 MüKo-StGB/Hohmann, § 248b, Rn. 14.
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
211
Das Ingebrauchnehmen stellt hingegen allein auf den Zustand des Fahrzeugs ab, also ob das Fahrzeug zu Fortbewegungszwecken genutzt wird. Die Unterscheidung wird vor allem beim Einsatz vollautomatisierter oder autonomer Fahrzeuge ersichtlich, die für die Bewältigung (einzelner) Fahraufgaben keines Führenden bedürfen. In diesen Fällen kann ein Fahrzeug aufgrund der Nutzung als Fortbewegungsmittel zwar im Sinne des § 248b Abs. 1 StGB in Gebrauch genommen werden, ohne zugleich durch Menschenhand geführt werden zu müssen. Entsprechend erfüllt vor allem das subjektive Element des Führens die notwendige entscheidende Abgrenzungsfunktion. c) Abgrenzung zum Fahren Eine letzte Abgrenzung ist aufgrund dessen enger Verwebung innerhalb des § 315c Abs. 1 StGB zwischen dem Führen und Fahren vorzunehmen. Während § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB auf das Führen abstellt, werden die Vielzahl der Tatvarianten der sog. 7 Todsünden des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB durch das Fahren verwirklicht. Daraus leitet sich die Frage ab, ob das Führen und Fahren eine identische semantische Bedeutung aufweisen, mithin dieser unterschiedliche Sprachgebrauch allein auf rhetorische Gründe zurückzuführen ist. Anders als die Rechtsprechung, die das Fahren dem Führen gleichstellt,169 sind mit Blick auf die Gesetzessystematik entscheidende Unterschiede festzustellen. Ohne nun das Fahren als Tathandlung einer ähnlich umfassenden Auslegung wie das hier besprochene Führen zu unterziehen, ergibt der Blick auf die benannten Tatvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB eine klare Verknüpfung des Fahrens mit dynamischen Elementen. Das Fahren wird im Gegensatz zum Führen bei den Tatvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB mit einem jeweils konkret beschriebenen dynamischen Vorgang des fließenden Verkehrs verbunden, etwa dem falschen Fahren bei Überholvorgängen (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b) StGB) und an Fußgängerüberwegen (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. c) StGB), dem zu schnellen Fahren an unübersichtlichen Stellen, Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. c) StGB) und dem rückwärtigen Fahren oder Fahren entgegen der Fahrtrichtung (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. d) StGB). In diesem Sinne ist auch das Beachten der Vorfahrt (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. a) StGB) als Vorgang des fließenden Verkehrs170 einzuordnen. Ihre Bestätigung findet diese Annahme darin, dass § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB anders als §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB nicht mit dem Tatbestandsmerkmal des Fahrzeugs verknüpft ist. Während §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB vom „Fahrzeug führt“ sprechen, setzt das Fahren wohl die Fortbewegung per Fahrzeug sprachlich voraus. Vom Gesetzgeber wurden damit alle Tatvarianten, die Vorgänge des fließenden Verkehrs 169 Bspw. AG Freiburg NJW 1986, 3151, 3452; BGHSt 35, 390, 393 verweisend auf das Urteil des AG Freiburg; Ternig, zfs 2016, 303, 304. 170 Vgl. BT-Drs. 2368 v. 05. 01. 1961, S. 15.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
betreffen, mit der Tathandlung des Fahrens verknüpft. Gesetzessystematisch wird damit dem Rechtsbegriff des Fahrens eine dynamische Komponente verliehen. Dass der Gesetzgeber hingegen einzig das Einhalten der rechten Fahrbahnseite (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. e) StGB) als dynamischen Vorgang nicht mit der Tathandlung des Fahrens verknüpfte, ist wohl auf die Einwendung des Bundesrats zum Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs171 zurückzuführen. War in der ursprünglichen Fassung noch formuliert worden „wer im Straßenverkehr an unübersichtlichen Straßen nicht rechts fährt“,172 wich diese Formulierung dem an § 8 Abs. 2 StVO a. F. orientierten Formulierungsvorschlag des Bundesrats.173 Der Bundesrat war bestrebt, den neuen § 315a StGB a. F. in einen stimmigen Gesamtkontext mit der Straßenverkehrs-Ordnung zu setzen. Im Gegenteil dazu knüpft das allgemeinere Führen der Tatbestände des § 316 Abs. 1 und 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht an Verhaltensweisen des fließenden Verkehrs an, sondern umfasst die gesamte Führungstätigkeit. Aus systematischer Sicht wird damit dem Fahren über die Verknüpfung zu den den fließenden Verkehr betreffenden Tatvarianten ein dynamisches Element zugeordnet, während das Führen nach der hier vertretenen Definition ohne entsprechende Anknüpfungspunkte auskommen muss. Damit ist der Rechtsprechung und Literatur zwar zuzustimmen, soweit sie dem Fahren eine dynamische Komponente zuschreibt,174 jedoch zu widersprechen, soweit dies, wie vom Bundesgerichtshof und Amtsgericht Freiburg geschehen, auf die Auslegung der (weitreichenderen) Tathandlung des Führens übertragen wird.175 Die Gesetzessystematik legt hingegen Nahe, dass die dynamische Komponente das entscheidende Abgrenzungsmerkmal zwischen dem tatbestandlichen Fahren und Führen darstellt. 4. Zwischenergebnis Aus der systematischen Betrachtung wird ersichtlich, dass sich – zumindest der frühere – Gesetzgeber bemühte, die Strafvorschriften in einen widerspruchsfreien Wertungszusammenhang mit den übrigen Verkehrsvorschriften zu setzen. Dies ist bis heute im Strafgesetzbuch erhalten geblieben. Zudem ergibt sich aus der Gesetzessystematik, dass sich das Führen von den ebenfalls verwandten Termini des Fahrens, Führers und Ingebrauchnehmens unterscheidet. Diesen wohnen im Gesetz angelegte Besonderheiten inne, die im Rahmen der Auslegung zu beachten bleiben. In systematischer Hinsicht bestätigte sich die aus der (sprachwissenschaftlichen) Auslegung entspringende Tendenz, dass das Führen als Tathandlung kein dynami171
BT-Drs. 2368 v. 05. 01. 1961. BT-Drs. 2368 v. 05. 01. 1961, S. 3. 173 Stellungnahme Bundesrat in BT-Drs. 2368 v. 05. 01. 1961, S. 35: „an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält“. 174 Siehe 6. Kap., Fn. 633. 175 BGHSt 35, 390, 393 m. V. a. AG Freiburg, NJW 1986, 3151, 3152. 172
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
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sches Element erfordert. Anderes gilt, wie die Rechtsprechung richtig ausführte, für die Tathandlung des Fahrens.176 Selbst unter der Annahme der (strittigen) Abstammung des Führens vom Fahren ist eine Übertragung des dynamischen Elementes, mithin eine Gleichstellung des Führens zum Fahren, nicht tragfähig. Stattdessen lässt das Fahren in den Varianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b), c), d), f) und unter Einbeziehung der „Vorfahrt“ des lit. a) StGB den Schluss zu, dass dieses enger verstanden wird als das Führen. Zudem bestätigt sich die Notwendigkeit des subjektiven Elements, welches zur Abgrenzung von der Tathandlung der Ingebrauchnahme erforderlich ist. Anders als die bloße Nutzung des Fahrzeugs als Fortbewegungsmittel verlangt das Führen mehr als die Feststellung des in Bewegung setzens des Fahrzeugs. Natürlich darf nicht verschwiegen werden, dass die systematischen Erwägungen allein eine grobe Einordnung eines Tatbestandsmerkmals, insbesondere, wenn es sich in mehreren Normen und Gesetzen wiederfindet, zulässt.177 Für die Feinjustierung bleibt für jede Norm noch erheblich Raum.178 Insofern stellen die vorliegenden systematischen Erwägungen allein das unverrückbare Mindestmaß der Auslegung des Führens dar. Bspw. ist es durchaus und mit Blick auf § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB denkbar, dass das Führen aufgrund anderer Tatbestandsmerkmale einer Norm in einen dynamischen Kontext gesetzt wird. Andererseits ist eine Verneinung des subjektiven Elements aufgrund der Möglichkeit des Gesetzgebers, andere Termini zu verwenden, nicht denkbar. Insofern weisen die vorliegenden Erwägungen die Grundlage jeder spezifischen Auslegung dar, die trotz ihrer strafrechtlichen Prägung eine gewisse Ausstrahlungswirkung auf den gesetzesübergreifenden sachlichen Gesetzeszusammenhang besitzen.
III. Die subjektiv-historische Auslegung179 Das Führen als Tatbestandsmerkmal im Bereich der Straßenverkehrsdelikte begleitet den Gesetzgeber und die Justiz seit nunmehr über 110 Jahren.180 Das (Straßen-)Verkehrsrecht entspringt einer Zeit, in der das Automobil nach der noch nicht abgeschlossenen Integration des Fahrrads als weiteres Individualverkehrsmittel in das Straßenbild eindrang und den Treffpunkt und Aufenthaltsort Straße neu definierte. Die historischen Gesetzgeber antworteten auf diese neue Gegebenheit Anfang des 20. Jahrhunderts zunächst mit dem Erlass von versplitterten Regelungen, die 176
Siehe 7. Kap., Fn. 169. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 148. 178 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 148 f. 179 S/S/Hecker, § 1, Rn. 41, verorten diese Auslegungsmethode als Teil der teleologischen Auslegung; siehe ausf. zum Widerstreit zwischen der objektiven und subjektiven Theorie: Simon, Gesetzesauslegung, S. 209 ff. 180 Vgl. MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 96: Überzeugungskraft subjektiv-historischer Interpretation schwindet mit der Zeit. 177
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
1909 durch den Reichsgesetzgeber im reichseinheitlichen Kraftfahrzeuggesetz zusammengefasst wurden. Aus der nachfolgenden Zeit stammen die ersten Definitionen der vorkonstitutionellen Rechtsprechung zu den ersten sich entwickelnden allgemeinen Grundbegriffen des Straßenverkehrsrechts. Ihr Gepräge erhielten sowohl das Kraftfahrzeuggesetz als auch die einzelnen Definitionen der Rechtsprechung aufgrund der Gefahrträchtigkeit des Straßenverkehrs, sodass der Wille des Gesetzgebers, diese Gefahren zu bannen, ersichtlich die Gesetzgebungsprozesse dominierte. Nachdem sich der Schrecken des Zweiten Weltkriegs langsam legte und die Bedeutung des Automobils für den Individualverkehr zunahm, folgten in den 1950er und 1960er Jahren zwei Gesetzgebungswellen betreffend das Straßenverkehrsrecht, die als „Erstes“181 und Zweites182 Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs bekannt werden sollten. Was sich historisch hinter diesem Gesetzgebungsprozess verbirgt und welchen Regelungswillen der historische Gesetzgeber verfolgte, soll in den nachfolgenden Zeilen erhellt werden. Die Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre etablierte Definition des Führens schaffte im Jahre 1962 über den Bundesgerichtshof den Sprung in die nachkonstitutionelle höchstrichterliche Rechtsprechung. In diesem Urteil183 definierte der Bundesgerichtshof erstmals das Führen als Tatbestandsmerkmal im Sinne der vorkonstitutionellen Rechtsprechung, ohne jedoch auf diese184 zu verweisen. Zuvor hatte sich der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus dem Jahr 1959185 zum § 24 Abs. 2 StVG a. F. ausdrücklich mit der vorkonstitutionellen Auslegung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1937186 befasst. Bei diesem handelte es sich jedoch nur um die Frage, ob die Fahrzeugführung von mehreren ausgeübt werden kann, wobei der Bundesgerichtshof von der Ansicht des Reichsgerichts, welches eine geteilte Fahrzeugführung für nicht möglich erachtete, abwich. Diese Grundzüge, sowohl die an der vorkonstitutionellen Rechtsprechung angelehnte Definition des Führens als auch die Bejahung einer geteilten Fahrzeugführung, wurden von der Rechtsprechung bis heute fortgetragen. Entsprechend ist es unentbehrlich, nicht nur die gesellschaftlichen Zustände und Entwicklungen als auch die Gesetzesentstehung, wie sie im 4. und 5. Kapitel zusammengetragen wurden, bei der Auslegung zu berücksichtigen, sondern auch die veränderten Lebensumstände auf ihre Relevanz bezüglich der Auslegungspraxis hin zu untersuchen.
181 182 183 184 185 186
BGBl. Teil I, Nr. 56 v. 23. 12. 1952, S. 832 ff. BGBl. Teil I, Nr. 59 v. 02. 12. 1964, S. 921 ff. BGHSt 18, 6, 8 f. Siehe 5. Kap., Fn. 429. BGHSt 13, 226, 227. Der BGH verwies zur Klärung dieser Rechtsfrage auf das RG HRR 1937, Nr. 987.
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
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1. Allgemeines Ziel der historischen Auslegung ist zweierlei: Zum einen kann der Gesetzestext auf den ursprünglich zugrundeliegenden Willen des historischen Gesetzgebers, die sog. genetische Interpretation,187 und zum anderen auf seine objektiven Entstehungsgeschichte,188 also seinem Traditionsstrang, in den die historisch-legislative Entscheidung eingebettet ist,189 untersucht werden.190 Grundsätzlich sind Gesetze und Tatbestandsmerkmale nach dem Willen des Gesetzgebers, der bei deren Erlass zugrunde lag, zu interpretieren191 und danach zu fragen, welcher (historische) Sinn in den Wortlaut hineingelegt wurde.192 Grundlage dessen muss denklogischerweise das Sprachverständnis seiner Zeit sein.193 Der Wille des historischen Gesetzgebers darf dabei aber nicht als „psychischer“ Wille eines einzelnen Abgeordneten oder eines Gesetzgebungsorgans fehlverstanden werden.194 Stattdessen gilt es aufgrund der historischen Verhältnisse zu erkennen, welche Lösung eines spezifischen Entscheidungsproblems der Gesetzgeber mit der konkreten Gesetzesfassung zu erreichen versuchte.195 Übliche Ausgangsmaterialien sind entsprechend die Gesetzesentwürfe, Gesetzesbegründungen und Plenarprotokolle, der Wortlaut der untersuchten Norm selbst als auch die bei Gesetzeserlass bestehende Rechtslage.196 Um 187 U. a. Brugger, AÖR 1994, 1, 26; MüKo-StPO/Kudlich, Einl., Rn. 588; Kudlich/Christensen, JA 2004, 74, 77; ausf. Simon, Gesetzesauslegung, S. 258 ff. 188 MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 91; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 108; vgl. Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 41 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 150 f. 189 Brugger, AÖR 1994, 1, 26. 190 MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 91; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 108; vgl. Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 42; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 150 f. 191 S/S/Hecker, § 1, Rn. 41; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 62. 192 NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 108b; vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 149; a. A. damals entgegen der aktuellen Rspr. noch BGHSt 1, 74, 76, nach dessen Ansicht – gleichwohl differenzierend – der „sogenannte Wille des Gesetzgebers regelmäßig keine Beachtung finden“ kann, da es „kein verläßliches Mittel gibt, das seine zweifelsfreie Feststellung ermöglicht“; ähnlich LK-StGB/Dannecker/Schuhr, § 1, Rn. 315, demnach der Wille des historischen Gesetzgebers häufig sehr unzuverlässig hergeleitet werden kann, mithin schwer feststellbar ist. 193 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 144 u. 151. 194 Windscheid, Pandektenrecht, S. 99, der es als das Hineindenken „unter Beachtung aller Momente“ an der „Stelle des Gesetzgebers“ umschreibt; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 108c; Simon, Gesetzesauslegung, S. 227; BVerfGE 1, 299, 2. LS u. 312; hingegen BGHSt 2, 99, 103 f., demnach der Zweck der Vorschrift durch die protokollierten Inhaltsvorstellungen der Abgeordneten in den Aussprachen des Reichstags erhellt werden kann; BGHSt 11, 171, 173 stellt in Frage, „ob es neben dem Gesetz überhaupt Willens- und Meinungsäußerungen des gesetzgebenden Organs geben kann, die den Richter als ,konkrete Entscheidung‘ des Gesetzgebers binden“. 195 Loos, FS Wassermann, S. 123, 125 m. w. N.; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 108c; Horn, Rechtswissenschaft, Rn. 179; vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 151. 196 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 151; MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 91; Lackner/ Kühl/Kühl, § 1, Rn. 6; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 108; Eisele, Strafrecht BT I, Rn. 15; vgl. weiterführend zum „Wille des Gesetzgebers“: Larenz/Canaris, Methodenlehre,
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
aussagekräftige Ergebnisse zu erlangen, muss die gesamte Entstehungsgeschichte197 betrachtet und der Legislativakt zu den Umständen der Zeit und zu den damaligen Werte-, Kultur- und Sozialvorstellungen ins Verhältnis gesetzt werden.198 Teil dessen ist die Feststellung, welchen vernünftigen Zweck der Gesetzgeber dem Gesetz beimaß.199 Dabei ist nicht nur von Interesse, auf welcher sozialen, gesellschaftlichen, technischen und rechtlichen Basis der historische Gesetzgeber ein Gesetz oder eine Norm, gar nur ein Tatbestandsmerkmal, erließ, sondern, ob diese Basis dem objektiven Willen des Gesetzes auch heute noch innewohnt oder sich gewandelt hat.200 Freilich kann die subjektiv-historische Auslegung nur dann tragfähige Erwägungen hervorbringen, wenn sich der gesetzgeberische Wille im Gesetzeswortlaut niederschlug.201 Die im Strafrecht unüberwindliche Wortlautgrenze kann eine andere als im Wortlaut angelegte Auslegung nicht rechtfertigen.202 Nun scheint es schwierig, über 110 Jahre alte historische Erwägungen bezogen auf ein einziges Tatbestandsmerkmal fruchtbar zu machen. Hinzu kommt, dass nicht nur das aufgehobene Kraftfahrzeuggesetz von 1909, sondern umfangreiche Gesetzesnovellen zu verzeichnen sind. Bereits aufgrund des Ablaufs der Zeit in Anbetracht der gewandelten gesellschaftlichen und technischen Gegebenheiten scheint eine Übertragung der Bedeutung, die der historische Gesetzgeber dem Kraftfahrzeug-
S. 149 f.; vgl. Loos, FS Wassermann, S. 123, 124 f. u. Windscheid, Pandektenrecht, S. 99 f., welche zudem den historischen Regelungszustand vor dem Gesetzeserlass und die über diesen geführten „Debatten“ der Judikatur und Rechtswissenschaften heranziehen; ebenso Horn, Rechtswissenschaft, Rn. 179. 197 Vgl. u. a. BGHSt 6, 385, 388; 14, 116, 119 ff. 198 S/S/Hecker, § 1, Rn. 41; MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 93. 199 S/S/Hecker, § 1, Rn. 41. 200 Lackner/Kühl/Kühl, § 1, Rn. 6; a. A. u. a. LK-StGB/Dannecker/Schuhr, § 1, Rn. 296, 317 u. 354 m. w. N., der der subjektiv-historischen Auslegung Vorrang einräumt, da nur diese dem Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip gerecht werde; KK-OWiG/Rogall, § 3, Rn. 77, der die gesetzgeberische Zweckvorstellung als „in erster Linie“ richtungsweisend erachtet; ähnlich Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 149, demnach „die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die von ihm in Verfolgung dieser Absicht erkennbar getroffenen Wertentscheidungen […] für den Richter verbindliche Richtschnur [bleiben], auch wenn das Gesetz im Wege teleologischer Auslegung oder Rechtsfortbildung neuen, vom Gesetzgeber nicht vorausgesehenen Umständen angepaßt oder […] ergänzt [werden muss]“; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 108b messen der subjektiv-historischen Auslegung zumindest eine tragende Bedeutung bei; dementgegen treffend S/S/Hecker, § 1, Rn. 41, der bei einer einseitigen Berücksichtigung des Willens des historischen Gesetzgebers eine Gefahr der Fortentwicklung des Rechts erkennt, sodass das Recht nicht mit den äußeren Verhältnissen mitwachsen kann; vgl. MüKo-StGB/ Schmitz, § 1, Rn. 96; Simon, Gesetzesauslegung, S. 475 u. ausf. zum Wert der historischen Auslegung S. 226 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 20 ff. 201 MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 91; Windscheid, Pandektenrecht, S. 99, Fn. 4a; Horn, Rechtswissenschaft, Rn. 179a. 202 MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 94 m. w. N.; vgl. BVerfG wistra 2003, 255, 258; Simon, Gesetzesauslegung, S. 475.
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gesetz bei dessen Erlass beimaß,203 schwierig. Je älter eine Vorschrift ist und sich den ursprünglichen sozialen, gesellschaftlichen und rechtlichen Verhältnissen entzieht, desto eher verliert die subjektiv-historische Auslegung an Bedeutung.204 Dies gilt auch angesichts dessen, dass der Gesetzgeber das Führen als Tatbestandsmerkmal immer weiter verwandte und dessen Interpretation, ohne es legal zu definieren, seit über 110 Jahren der Rechtsprechung und Lehre205 überließ. Folglich müssen die subjektiv-historischen Erwägungen stets im Lichte der Zeit betrachtet werden, da andernfalls eine angemessene Fortentwicklung des Rechts nicht möglich wäre.206 In einem derartigen Zwiespalt steht das Führen als sprichwörtlicher Fels in der Brandung, welches seit Anbeginn der Schaffung des Straßenverkehrsrechts Verwendung findet. 2. Die Entstehung des Führens als Tatbestandsmerkmal Die Gründe für den Erlass des Kraftfahrzeuggesetzes und die Formulierung des Führens als tathandlungsbeschreibendes Tatbestandsmerkmal lassen sich aus den historischen Begebenheiten ableiten. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war die Straße ein sozialer und kultureller Sammelpunkt. Dort kamen die Menschen zusammen und tauschten sich aus, Kinder spielten auf den noch überwiegend unbefestigten Wegen und Güter wurden transportiert. Dieser soziale Ort wurde nun durch Motorkraftwagen, deren Nutzung mit einem erheblichen Geschwindigkeitszuwachs einherging, beeinträchtigt. Ein an das Kraftfahrzeug angepasstes Verkehrswegenetz, wie wir es heute kennen, existierte noch Jahrzehnte nach dem Erlass des Kraftfahrzeuggesetzes nicht. In dieses Sozialsystem drang das Automobil ein und trat in einen Wettkampf mit den übrigen Straßennutzern. Daraus resultierte ein hohes Gefahrenpotenzial. Die damit aufkommende Gefährdungslage war Ursprung des Erlasses des Kraftfahrzeuggesetzes. Die meisten Gesetzgeber verkannten dabei nicht den Zusammenhang zwischen der rücksichtslosen Fahrweise einiger Fahrzeuglenker und 203 MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 91 u. 96; vgl. S/S/Hecker, § 1, Rn. 41; NK-StGB/ Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 109a; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 62. 204 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 7, Rn. 78; vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 171; Eisele, Strafrecht BT I, Rn. 15; Murmann, Grundkurs StR, § 20, Rn. 9; NKStGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 108 u. weiterführend Rn. 108d; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 21; vgl. Horn, Rechtswissenschaft, Rn. 179a; von der Rspr. werden neue Gesetze häufiger auf ihre Entstehungsgeschichte untersucht als ältere: Simon, Gesetzesauslegung, S. 207 m. w. N. 205 Jähnke, BGH/BA/RA-FS, S. 393, 397 u. 400; S/S/Hecker, § 1, Rn. 42; siehe ausf. zur Maßgeblichkeit des Willens des historischen Gesetzgebers: Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 62 ff. 206 S/S/Hecker, § 1, Rn. 41; Simon, Gesetzesauslegung, S. 281; vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 64; krit. MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 96, da es vorrangige Aufgabe des gegenwärtigen Gesetzgebers sei, die Gesetzeslage an die gesellschaftlichen Bedürfnisse anzupassen.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
der unzureichend regulierten Nutzung der Straße.207 Nur wenige Gesetzgeber, wie etwa das schweizerische Graubünden, hatten allein in der Nutzung des motorisierten Fahrzeugs eine nicht durch Rechtsnormen zu relativierende bzw. zu beseitigende Gefahrenquelle erkannt und dessen Nutzung (zunächst) gänzlich verboten. Gleichwohl ging die Betonung der bis dato existierenden provinziellen und bundesstaatlichen Gesetzgebung bereits dahin, die aus dem Kraftfahrverkehr erwachsenen Gefahren für die Allgemeinheit möglichst umfassend abzuwenden. Resultat war nicht nur die Statuierung der Fahrerlaubnispflicht in einer Vielzahl der zersplitterten Straßenordnungen, sondern auch die rasche Einführung von technischen Mindeststandards, die Kennzeichenpflicht als auch der Erlass von Verhaltenspflichten. Selbst temporäre oder räumliche Fahrverbote wurden diskutiert und verhängt. Ebenso war der Ersatz von Schäden aus der Nutzung von Kraftfahrzeugen von besonderer Bedeutung und sollte sich letztlich durch Erlass einer Gefährdungshaftung im Kraftfahrzeuggesetz niederschlagen. Ziel der Verordnungsgeber war dennoch die „Versöhnung und Schlichtung“208 von Verkehrskonflikten durch die Straßenverkehrsnormen. Es entsprach damit dem Willen der vormaligen Verordnungs- als auch des Reichsgesetzgebers, das Kraftfahrzeug in die bestehende Infrastruktur einzugliedern. Das konkrete Tatbestandsmerkmal des Führens reiht sich in diesen historischen gesetzgeberischen Kontext ein. Der historische Gesetzgeber versuchte nicht, punktuell einzelne Gefahrenbereiche auszuschließen, sondern hielt von Beginn an an einer umfassenden Straßenverkehrsnormierung fest. Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber nicht einzelne gefahrträchtige Verhaltensweisen verbot. Das Führen als sämtliche Handlungen der Fahrzeugsteuerung umfassender Begriff geht in diesem Kontext auf. Damit stellte der historische Gesetzgeber heraus, dass die gesamte Führungstätigkeit die Beachtung besonderer Sorgfaltspflichten und Verhaltensweisen voraussetzt. Dies kam bereits in den Strafvorschriften des Kraftfahrzeuggesetzes zum Ausdruck, indem bspw. allein das Führen ohne den Führerschein zu besitzen (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 KFG) oder, obwohl die Fahrerlaubnis entzogen wurde (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 KFG), unbesehen dessen, ob eine Gefährdungs- oder Schadenslage eintrat, strafbar gestellt wurde. Gleiches gilt nach § 23 Abs. 1 S. 1 KFG für das Führen eines nicht zugelassenen Fahrzeugs – unabhängig davon, ob es den gesetzlichen technischen Vorgaben entsprach. Insgesamt unter Zugrundelegung der unregulierten, gefahrträchtigen und angespannten Situation auf der Straße, dem umfassenden Regelungswillen des historischen Gesetzgebers und den einzelnen formulierten Straftatbeständen des Kraftfahrzeuggesetzes, die allein auf eine abstrakte Gefährdung, also als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgestaltet waren, bestätigt die subjektiv-historische Auslegung sowohl den Umfang als auch die aus dem Wortlaut des Führens entspringenden 207 Vgl. etwa RG JW 1908, 106, 106; Schubert, ZRG GA 117 (2000), 238, 244; siehe zudem Kap. 4 A. I. 208 Turner, Theorien kollektiven Verhaltens, S. 190; Fack, Automobil, S. 19.
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Grenzen. Jegliche Tätigkeit, die mit der Steuerung des Fahrzeugs verbunden war, also jegliche Betätigung, die die Verantwortung für den Fahrprozess barg,209 sollte vom Tatbestand erfasst werden. Jede andere Tätigkeit, die außerhalb dessen lag und eben keine Gefahren für den Straßenverkehr in sich trug, wurde hingegen nicht erfasst. Gleichwohl steht ebenso fest, dass das Gewicht der subjektiv-historischen Auslegung gemindert ist. Es fehlt an einem Nachweis einer bewussten Wortwahl des historischen Gesetzgebers. Mit Blick auf das Kraftfahrzeuggesetz aus dem Jahr 1909 darf bezweifelt werden, dass dieser unter Abwägung anderer (Rechts-)Begriffe genau dem Führen den Vorzug gab. Tatsächlich steht zu vermuten, dass der Gesetzgeber den Begriff dem damaligen allgemeinen Wortgebrauch der vormaligen Straßen- bzw. Verkehrsordnungen der einzelnen Bundesstaaten, Kreise und Provinzen entnahm. Dass der historische Gesetzgeber eine konkrete Abgrenzung zu anderen Formulierungen, etwa dem Fahren oder Ingebrauchnehmen, zu etablieren suchte, ist mithin nicht zu belegen. 3. Der Wandel der tatsächlichen Verhältnisse Die Verhältnisse um 1909 als auch noch bis in die 1950er Jahre hinein waren wesentlich andere, als wir sie heute im Straßenverkehr vorfinden. Damit geht die Frage einher, ob dieser Wandel der Verhältnisse einen berücksichtigungsfähigen Faktor bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals des Führens darstellt. Schließlich sind die Normen anhand der aktuellen Lebenssituation zu interpretieren, da ihre Legitimitätsgrundlage nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart liegt.210 Aus den gesellschaftlichen und technischen Randbedingungen können die entscheidenden Motive des Gesetzgebers hergeleitet werden, die zum Erlass und zur Fortentwicklung des Kraftfahrzeuggesetzes führten.211 Zum einen war eine einheitliche Regelung und Organisation des Straßenverkehrs aufgrund des ansteigenden Anteils an Kraftfahrzeugen im Individualverkehr unausweichlich, wollte man nicht wie im Kanton Graubünden in der Schweiz den motorisierten Kraftverkehr gänzlich verbieten. Zum anderen ist dessen Erlass auf die bereits benannten Lebensverhältnisse, insbesondere auf das hohe Gefährdungspotenzial, rückführbar. Anders als 1909 prägt der motorisierte Individualverkehr das heutige alltägliche Leben der Menschen, selbst wenn diese nicht motorisiert unterwegs sind. Die Straße ist auch grundsätzlich kein alltäglicher Treff- und Gesellschaftspunkt mehr. Ebenso hat sich die Verkehrsinfrastruktur erheblich dezidiert, sodass die verschiedenen Verkehrswege durch bauliche Trennungen voneinander abgegrenzt wurden. Hinzu 209
Bspw. BayObLG HRR 1929, 1194, 1194. Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 20; krit. Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 63, nur das Tätigwerden, nicht das Schweigen des Gesetzgebers kann eine normändernde Wirkung entfalten. 211 Vgl. Simon, Gesetzesauslegung, S. 475. 210
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
kommt zuletzt der technische Fortschritt, vor allem in Gestalt von automatisierten Fahrerassistenzsystemen. Eine grundsätzliche Ablehnung des Autos aufgrund der von ihm ausgehenden Gefahren ist nicht mehr existent. Das gesamte gesellschaftliche wie nun auch technische Umfeld, unter dem das Kraftfahrzeuggesetz zustande kam, hat sich damit entscheidend gewandelt, sodass einige Schutzziele, die der historische Gesetzgeber verfolgte, erreicht wurden. Nun könnte aus diesen Ausführungen der Schluss gezogen werden, der heutige Gesetzestext müsste anders interpretiert werden als noch vor über 100 Jahren. Schließlich stellt das Rechtssystem selbst keine konstante Größe dar, sodass die stetigen gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen mit dem Gesamtkontext der Rechtsordnung in Einklang gebracht werden müssen. Dies gelingt dem Richter und Rechtsanwender nur, wenn er die strafrechtlichen Begriffe stetig neu durchdenkt und an die aktuellen Gegebenheiten anpasst.212 Historische Erwägungen können dabei bei gleichgebliebenen oder ähnlichen Rahmenbedingungen für eine gleichartige Gesetzesauslegung wie zum Erlasszeitpunkt sprechen, während elementare Veränderungen der gesellschaftlichen, technischen und rechtlichen Grundlage eine Neujustierung und Neuorientierung rechtfertigen können.213 Infolge dessen rechtfertigen historische Überlegungen nicht nur eine am Willen des historischen Gesetzgebers getragene Auslegung, sondern auch eine aufgrund des „Wandels der Verhältnisse“ gebotene Überwindung des ursprünglichen gesetzgeberischen Willens.214 Zusammenfassend formulierte Hirsch treffend: „Normen sind statisch, formuliert vor dem Erkenntnishorizont des historischen Gesetzgebers, das Leben aber fließt.“215
Der Bundesgerichtshof selbst erklärte bereits im Jahre 1957 ganz auf dieser Linie: „Kein Gesetz verträgt eine starre Begrenzung seiner Anwendbarkeit auf solche Fälle, die der vom Gesetzgeber ins Auge gefaßten Ausgangslage entsprechen; denn es ist nicht toter Buchstabe, sondern lebendig sich entwickelnder Geist, der mit den Lebensverhältnissen fortschreiten und ihnen sinnvoll angepaßt weitergelten will […]“216
Die zentrale Fragestellung lautet also, ob eine Auslegung am Willen des historischen Gesetzgebers aufgrund der heutigen aufgezeigten stark veränderten Umstände noch vertretbar sein kann oder ob gerade aufgrund dieser eingetretenen Veränderung eine Anpassung der Auslegungsmodalitäten erforderlich ist. Dies korreliert mit der Frage, ob der (historische) Gesetzgeber eine Dynamisierung des Begriffsverständnisses zuließ,217 also ob das Führen nach heutigen Erkenntnissen in
212 213 214 215 216 217
Hirsch, ZRP 2006, 161, 161; vgl. S/S/Hecker, § 1, Rn. 42. Siehe 7. Kap., Fn. 204; BGHZ 46, 74, 80 f.; Simon, Gesetzesauslegung, S. 289 ff. Simon, Gesetzesauslegung, S. 207, 280 ff. u. 293; vgl. BGHSt 28, 224, 230. Hirsch, ZRP 2006, 161, 161. BGHSt 10, 157, 159 m. V. a. RGSt 12, 371, 371 f. Simon, Gesetzesauslegung, S. 292 u. 294.
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die Vorstellung des historischen Gesetzgebers integrierbar ist und somit vom Gesetzeswortlaut mitgetragen wird.218 a) Die historisch angelegte Abgrenzung zwischen Führen und Führer Zunächst soll sich der Frage zugewendet werden, ob die im historischen Gesetzestext angelegte Unterscheidung zwischen dem Führen und dem (Fahrzeug-)Führer den heutigen tatsächlichen wie rechtlichen Verhältnissen entspricht. In diesem Zusammenhang ist insbesondere der verkehrsrechtliche Gesamtkontext zum historischen Rechtskontext ins Verhältnis zu setzen. Dieser offenbart, dass sich der Wille des historischen Gesetzgebers, zwischen den Pflichten des Fahrzeugführers und den Führungsaufgaben zu unterscheiden, bis heute erhalten hat. Aus der Betrachtung des Kraftfahrzeuggesetzes wird, ähnlich zum heutigen Verkehrsrechtssystem, ersichtlich, dass die Führereigenschaft schon damals mit einem über das Führen hinausgehenden Pflichtenkanon versehen war. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des 5. Kapitels, Gliederungsebene A. II. wird verwiesen. Etwa war schon nach dem Kraftfahrzeuggesetz der Fahrzeugführer für den verkehrssicheren Zustand des Fahrzeugs und insbesondere dessen ordnungsgemäße Beleuchtung verantwortlich.219 Zudem trafen den Kraftfahrzeugführer auch nach § 22 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 KFG in Entsprechung des heutigen § 142 StGB besondere Pflichten im Unglücksfall, also dann, wenn der Führungsprozess bereits beendet war. Im Ergebnis ist in der historischen Gesetzesfassung eine Abgrenzung der Termini des Führers vom Führen angelegt. Ob es jedoch dem bewussten Willen des historischen Gesetzgebers entsprach, diese trennscharfe Abgrenzung vorzunehmen, kann nicht mehr ermittelt werden. Auf dieses historische, zugegebenermaßen schwache Argument, welches sich jedoch in die übrigen Auslegungsergebnisse einreiht, kann nur aus dem Gesetzestext und dem Umstand, dass der Gesetzgeber nach dem Entstehen einer abgrenzenden vorkonstitutionellen Rechtsprechung nicht legislativ reagierte, geschlossen werden. b) Die Dynamisierung des Begriffsverständnisses Aus den bereits vorgetragenen historischen Verhältnissen wird ersichtlich, dass sich der historische Gesetzgeber nicht nur veranlasst sah, den Gefahren des nun um das Automobil bereicherten Straßenverkehrs durch den Erlass von (einheitlichen) Rechtsvorschriften entgegenzuwirken. Der Rückgriff auf die Umgangssprache war wohl zur umfassenden Regulierung der Problemstellung von Nöten, um bei Gesetzeserlass keine Rechtslücken zu provozieren. Zudem konnte der historische Gesetzgeber im Jahr 1909 auch nicht davon ausgehen, dass Automobile eines Tages durch Computertechnik gesteuert werden würden und der Fahrzeugführer nur noch 218 219
Vgl. MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 96. Vgl. RGSt 71, 182, 183.
222
7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
die Funktion eines Kontrollorgans ausfüllt. Der Erkenntnisgewinn aus dem Gesetzestext ist entsprechend gering. Zumindest implementierte der historische Gesetzgeber ein dynamisches Begriffsverständnis im Kraftfahrzeuggesetz, indem er einen grundsätzlich umfassenden und nicht juristischen Terminus verwandte. Das Führen als zielgerichtete Tätigkeit, ohne jeden einzelnen Handgriff benennen zu müssen, umfasste einen komplexen menschlichen Arbeitsprozess. Der Sprachgebrauch des Führens hat sich seit 1909 auch nicht maßgeblich verändert.220 Insofern kann nicht von einer Dynamisierung des Begriffsverständnisses gesprochen werden. Dies scheint auf den ersten Blick zu den vorherigen Ausführungen gegenteilig. Tatsächlich hat sich die Führungsaufgabe, die bei der Implementierung des Führens im Kraftfahrzeuggesetz vorlag, bis heute kaum verändert. Das Führen als Wahrnehmung der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung wurde damals wie gegenwärtig – mit Ausnahme der jetzt auftretenden hochund vollautomatisierten Fahrerassistenzsysteme – gleichermaßen ausgeübt. Dass computergesteuerte Fahrerassistenzsysteme nun die Abwendung vom Steuerungsprozess erlauben, ändert an der Arbeitsaufgabe selbst nichts. Einzig die Gewinnung von technischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie die Fahraufgabe vom aktiven Fahrzeugführer wahrgenommen wird, ist bei der Auslegung des Begriffs zu berücksichtigen. Gleichwohl fällt damit weder mehr noch weniger unter das Führen als noch 1909, sodass das Führen keine „neuen“ Erscheinungsformen umfasst. Der Frage nach der Dynamisierung bedarf es daher nicht. In Bezug auf die nachkonstitutionelle Gesetzgebung ergibt sich nichts anderes. Als mit dem Zweiten Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26. November 1964221 die Straftatbestände des Straßenverkehrsstrafrechts überarbeitet wurden und insbesondere § 315c StGB eingefügt wurde, waren automatisierte Fahrzeuge zwar noch nicht denkbar. Gleichwohl wurde allein das Führen unter den Voraussetzungen des §§ 315c und 316 StGB strafbar gestellt – nicht das passive Mitfahren in einem (automatisierten) Fahrzeug. Schließlich waren beim Zweiten Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs ebenso Erwägungen der Gefahrabwehr, welche an den von der (beeinträchtigten) menschlichen Führungstätigkeit ausgehenden Risiken anknüpften, eingeflossen.222 Zudem ist den Gesetzesmaterialien mit Ausnahme der bereits zitierten Einwendung des Bundesrats223 keine Auseinandersetzung mit dem Begriff des Führens oder des Fahrzeugführers zu entnehmen.224 Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung und Erweiterung der Straßenverkehrsgesetze durch das Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs und dem Zweiten Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs auf dem vorhandenen Rechts-
220 221 222 223 224
Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 144 f. BGBl. Teil I, Nr. 59 v. 02. 12. 1964, S. 921 ff. BT-Drs. 2368 v. 05. 01. 1961, S. 22 f.; BT-Drs. IV/651 v. 27. 09. 1962, S. 28 f. BT-Drs. 2368 v. 05. 01. 1961, S. 35. BT-Drs. 2368 v. 05. 01. 1961; BT-Drs. IV/651 v. 27. 09. 1962.
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zustand aufbauen und an ihm festhalten wollte.225 Eine Dynamisierung dergestalt, dass dem Tatbestandsmerkmal des Führens neue Handlungsalternativen unterfallen würden, die 1909 oder zu einem späteren legislatorischen Akt nicht vorhersehbar waren, ist damit nicht gegeben. 4. Zwischenergebnis Die historischen Erwägungen bestätigen die aus der grammatikalischen und systematischen Auslegung gewonnenen Erkenntnisse. Im Gesetzeswortlaut des Kraftfahrzeuggesetzes von 1909 ist der historische Gesetzgeberwille angelegt, zwischen dem Führen und der Führereigenschaft zu unterscheiden. Für einen gesetzgeberischen Willen, der auf eine bewusste Formulierung des Führens, also auf eine bewusste Wortwahl, rückschließen lässt, ist hingegen nichts ersichtlich. Hingegen ist das gesetzgeberische Ziel in Anbetracht der damals erheblich verschiedenen gesellschaftlichen, technischen und rechtlichen Verhältnisse erkennbar, sämtliche Handlungen, die der unmittelbaren Fahrzeugsteuerung dienen, tatbestandlich zu erfassen. Dies geht mit der aus dem historischen Kontext sich ergebenden Erkenntnis einher, dass das Führen als Tatbestandsmerkmal keiner Dynamisierung bedarf. Heute wie vor 110 Jahren ist strafbar, wer unter Hinzutreten der in §§ 315c und 316 StGB benannten Tatbestandsmerkmale ein Fahrzeug führt. Wer die Tätigkeit des Führens nicht ausübt, führt hingegen das Fahrzeug nicht. Die technischen Neuentwicklungen wirken sich entsprechend nicht auf das Führen als Tatbestandsmerkmal aus.
IV. Objektiv-teleologische Auslegung Als maßgebliches Auslegungskriterium des Auslegungskanons wird überwiegend die teleologische Gesetzesinterpretation angesehen.226 Unter dieser wird die Auslegung nach dem erkennbaren Zweck und dem Grundgedanken einer Regelung 225 So unter Zugrundelegung des Maßstabes der Entscheidung BGHSt 30, 98, 102 f.: „Da der Gesetzgeber 1953 bei der Einführung des § […] in das Jugendgerichtsgesetz bewußt auf die Regelung der Notverordnung von 1932 zurückgegriffen hat, ist davon auszugehen, daß er sie auch so einführen wollte, wie sie in der Praxis gehandhabt worden war […]“; weiterführend und krit. Simon, Gesetzesauslegung, S. 292 u. 294. 226 Simon, Gesetzesauslegung, S. 471; Maurach/Zipf, StR AT 1, § 9, Rn. 15; u. a. BGHSt 27, 236, 238 m. w. N.: „Die anhand des Wortlauts gewonnenen Ergebnisse sind aber am Sinn und Zweck der Bestimmung zu messen.“ Ebenso BGHSt 30, 98, 101: „Zwar kommt es bei der Auslegung einer Bestimmung nicht allein auf ihren Wortlaut an, sondern entscheidend auf ihren Sinn und Zweck“; vgl. BGHSt 3, 300, 303; 4, 144, 148; 14, 152, 154: „Dem Sinn und dem vom Gesetzgeber mit der Schaffung des § 223 a StGB beabsichtigten Zweck werde nur die weite Auslegung des Waffenbegriffs gerecht […]“; a. A. Brugger, AöR 1994, 1, 20, der m. w. N. eine Hierarchisierung der Methoden als gescheitert ansieht; den Streit zusammenfassend: MüKoStPO/Kudlich, Einl., Rn. 591 m. w. N.; Kudlich/Christensen, JA 2004, 74, 81 ff.; Velten/Mertens, ARSP 90, 516, 516 m. w. N.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
verstanden. Danach ist ein Tatbestandsmerkmal seinem möglichen Wortsinn unter Berücksichtigung des Bedeutungszusammenhangs des Gesetzes nach dergestalt auszulegen, wie es den verfolgten Zwecken bestmöglich entspricht.227 Aufgabe der teleologischen Auslegung ist es festzustellen, welchen der widerstreitenden Interessen der Gesetzgeber in einem bestimmten oder begrenzten Umfang Vorrang einräumen wollte.228 Unabhängig der dominanten Rolle der teleologischen Auslegung fällt die Bestimmung des Sinns und Zwecks bei einem einzelnen Tatbestandsmerkmal, welches nicht nur gesetzesintern, sondern im gesamten Bereich einer Rechtsmaterie anzutreffen ist, schwer. Nach dem Telos wird danach gefragt, welches von mehreren Auslegungsergebnissen dem objektiven Sinn des Gesetzes bzw. der Norm am ehesten entspricht.229 Das einzelne Tatbestandsmerkmal kann dazu allenfalls einen Beitrag leisten, jedoch kaum in sich selbst den Sinn und Zweck einer Norm aufnehmen. Erst durch die Frage nach dem objektiven Sinn der gesamten Norm in der Gegenwart, von Dannecker/Schuhr etwa als Gegenwartssinn230 bezeichnet, kann der Gesamtkontext erschlossen werden.231 In objektiv-teleologischer Hinsicht bleiben zwei Aspekte hervorzuheben: Zum einen ist dies die Abgrenzung der Begrifflichkeiten des Führens vom Fahrzeugführer, welche schon aus der Gesetzessystematik und dem historischen Kontext hervorgeht. Zum anderen muss nach dem Telos die Tathandlung des Führens nach dem Schutzzweck der Straßenverkehrsdelikte und zur Vermeidung eines Gesinnungsstrafrechts auf Handlungen beschränkt werden, die ein Gefahrenpotenzial für den Fahrprozess nicht in sich tragen. 1. Teleologische Abgrenzung des Fahrzeugführers vom Führen Das Führen und der Fahrzeugführer sind, wie sich schon zeigte, keine Synonyme. Das Führen als aktive Tätigkeit unterscheidet sich vom Tatbestandsmerkmal des Fahrzeugführers dadurch, dass der Status des Führers auch über die aktive Führungstätigkeit hinaus erhalten bleibt. Diese Abgrenzung ist grundlegend in der strafrechtsinternen wie -externen Gesetzessystematik angelegt. Dies ist auch mit Blick auf die gegenwärtigen Fragen und Interessen,232 insbesondere mit Blick darauf, dass auch den sich vom Verkehrsgeschehen abwendenden Fahrer eine Pflichten227
Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 153. Horn, Rechtswissenschaft, Rn. 182. 229 Vgl. u. a. BVerfGE 20, 56, 111; BVerfGE 107, 339, 361; Horn, Rechtswissenschaft, Rn. 182; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 7, Rn. 75; Maurach/Zipf, StR AT 1, § 9, Rn. 21; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 109, auch weiterführend u. sehr krit. zur „teleologischen Reduktion“. 230 LK-StGB/Dannecker/Schuhr, § 1, Rn. 316. 231 Vgl. MüKo-StGB/Schmitz, § 1, Rn. 95. 232 S/S/Hecker, § 1, Rn. 43. 228
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
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stellung als (Kraft-)Fahrzeugführer trifft, wie es § 1b Abs. 1 1. HS i. V. m. § 1a Abs. 4 StVG vorsieht, unausweichlich. Soweit der Gesetzgeber in § 1b Abs. 1 1. HS StVG das Recht des Fahrzeugführers statuiert, sich vom Verkehrsgeschehen abwenden zu dürfen, er mithin nach § 1a Abs. 4 StVG das Fahrzeug nicht eigenhändig steuern muss, kann das Strafrecht keinen anderen Pflichtenmaßstab in §§ 315c und 316 StGB etablieren, der diesen gesetzgeberischen Willen konterkariert.233 Schutzgut ist schließlich die Sicherheit des Straßenverkehrs, die der Gesetzgeber nicht durch die Nutzung hoch- oder vollautomatisierter Fahrzeuge bedroht sieht. Nicht jeder Fahrzeugführer führt damit sein Fahrzeug im Sinne der §§ 315c und 316 StGB. 2. Die definitorische eigene Verantwortung für den Fahrprozess („eigene Verantwortung“) Zuletzt müssen objektiv einschränkend die tatsächlichen Auswirkungen der konkreten Handlung auf die Umwelt in die Bestimmung dessen, was als tathandlungsverwirklichende Tätigkeit bewertet werden muss, eingestellt werden. Dieses Definitionselement kommt immer dann zum Tragen, wenn die Führungstätigkeit vorliegt, also die Definitionsmerkmale bejaht wurden, aus diesen aber keine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs hervorgeht. Auf die vorkonstitutionelle Rechtsprechung und das bisher einzigartig gebliebene Urteil des Kammergerichts aus dem Jahr 1957234 zurückblickend, könnte die Verantwortung für den Fahrprozess mit der Bestimmungsmacht gleichgesetzt werden. Derjenige, der die Bestimmungsmacht ausübt, wäre zugleich für den Fahrvorgang, also für die Einwirkung auf den Straßenverkehr, verantwortlich.235 Dieser Einfachheit kann heute nicht mehr gefolgt werden. Es kann für die Strafbarkeit nicht auf eine außerhalb jeglicher Handlung liegende psychische Befehlsgewalt ankommen. In diesem Bereich hat die Rechtsprechungspraxis bereits Pionierarbeit geleistet. So ist dem Oberlandesgericht Köln nur zuzustimmen, soweit in Abkehr vom Gesinnungsstrafrecht nicht allein der Wille, ein Fahrzeug zu führen, sondern nur die sich manifestierende Betätigung dieses Willens nach außen Grundlage einer Bestrafung sein kann.236 Zwar setzt die Verantwortung über den Fahrprozess die Entscheidungsgewalt über die Antriebskräfte voraus.237 Die Bewertung dessen muss gleichwohl an der Tathandlung selbst anknüpft. Diese ist immer dann gegeben, wenn der Täter durch die Übernahme der Führungstätigkeit den von ihm ausgehenden Gefahrenbereich durch die Beherrschung der Antriebs- und Fortbewegungskräfte 233
Vgl. u. weiterführend Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 155. KG VRS 12 (1957), 110, 113. 235 Vgl. 5. Kap., Fn. 436. 236 OLG Köln NJW 1964, 2026, 2026 noch zum Tatbestandsmerkmal der Teilnahme am Verkehr. 237 BGHSt 36, 341, 344 f. 234
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
eröffnet. Ob sich das Fahrzeug hingegen bewegte, muss dafür grundsätzlich unerheblich sein. Diese teleologische Einschränkung orientiert am Schutzzweck der §§ 315c und 316 StGB ist bereits bei der Auslegung der Tathandlung notwendig, um eine Kriminalisierung von Führungshandlungen, die keinerlei Auswirkungen auf die Sicherheit des (Straßen-)Verkehrs oder dahinter stehender Individualrechtsgüter besitzen, auszuschließen. Zwar wurde vom Gesetzgeber seit nunmehr über 110 Jahren auf eine Implementierung eines Handlungserfolgs bewusst verzichtet. Gleichwohl hat sich ein solcher in der Judikatur, spezifisch im Bewegungserfordernis, eingeschlichen. Die Überlegung Zieschangs, dass etwas „absolut Ungefährliches“ nicht sanktionswürdig sein kann,238 ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Diesen Zwiespalt gilt es anhand teleologischer Überlegungen aufzulösen. Bisher verkannten die Rechtsprechung und Literatur den Ansatzpunkt für eine notwendige Restriktion der (Straßen-)Verkehrsdelikte der §§ 315c Abs. 1 und 316 Abs. 1 StGB und nahm die Zustandseigenschaften des Fahrzeugs zum Ausgangspunkt der Tatbestandsreduktion, was letztlich nichts anderes als die Einführung eines verkappten Handlungserfolgs zum Ergebnis hat. Richtigerweise muss eine Restriktion – vor allem beim abstrakten Gefährdungsdelikt des § 316 Abs. 1 StGB, welches keinen tatbestandlichen Erfolg vorsieht – ihren Ausgangspunkt bei der pönalisierten Tathandlung selbst nehmen. Dabei ist der Gedanke, dass das Führen als zielgerichtete Tätigkeit auf die Fortbewegung eines Fahrzeugs gerichtet ist, der Richtige. Die Delikte, die das Führen als Tathandlung beinhalten, bedingen den Schutz des (Straßen-)Verkehrs,239 der letztlich einen Großteil des öffentlichen Raumes bedeckt und von jedermann fast täglich genutzt wird und genutzt werden muss. Die umfassende Inbezugnahme des Führens, also einer Tathandlung, die für sich selbst keinen Handlungserfolg vereinnahmt, verdeutlicht den hohen Schutzmaßstab. Anderes wäre sicherlich bei Tathandlungen wie dem in Bewegung setzen, Fortbewegen oder Inbetriebnehmen diskutabel. Die Ausprägung des § 316 Abs. 1 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt macht darüber hinaus deutlich, dass der Gesetzgeber die „Sicherheit des Verkehrs, soweit diese über die allgemeine Betriebsgefahr hinaus“ durch einen fahruntüchtigen Fahrer als gefährdet ansieht und240 unabhängig von einem Handlungserfolg für sanktionswürdig erachtet.241 Die Vornahme der Tathandlung ruft nach Einschätzung des Gesetzgebers bereits eine sanktionswürdige „potenzielle Gefahr“ hervor.242 Es kommt bei der rechtlichen Würdigung des Führens also nicht darauf an, ob ein Rechtsgut überhaupt beein238
NK-StGB/Zieschang, § 316, Rn. 4. Welcher zudem den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr schützt, vgl. u. a. OLG München NZV 2006, 277, 278; BayObLG NZV 1992, 453, 453; S/S/Hecker, § 316, Rn. 1; LK-StGB/ König, § 316, Rn. 3; Fischer, StGB, § 316, Rn. 2, 3; MüKo-StGB/Pegel, § 316, Rn. 1. 240 BayObLG NZV 1992, 453, 453. 241 MüKo-StGB/Pegel, § 316, Rn. 1. 242 OLG München NZV 2006, 277, 278. 239
A. Die Neujustierung des Führens – der Lösungsansatz
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trächtigt werden kann.243 Deshalb muss es an dieser Stelle ebenso irrelevant sein, ob die Betätigungen in Gestalt der Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen, die in Führungshandlungen mündeten, Auswirkung auf die Fortbewegung des Fahrzeugs fanden. Ziel des Gesetzgebers ist es durch die Verwendung der weitumfassenden Verbform des Führens potenziell (fahruntüchtige) Täter von jeglicher Aufnahme der Führungstätigkeit abzuhalten. Dies gründet auf dem Gedanken, dass fahruntüchtige Führende den von ihnen ausgehenden Gefahrenkreis nicht zulasten der Allgemeinheit entfesseln dürfen. Die anfangs von Zieschang vorgebrachte Forderung, absolut ungefährliche Tatausführungen vom Anwendungsbereich auszuschließen, traf deshalb berechtigt auf viel Widerspruch.244 Dennoch und zum Ausgangpunkt zurückkehrend, ist Zieschang insoweit zuzustimmen, als dass eine staatliche Legitimation zur Sanktionierung absolut ungefährlicher Handlungen innerhalb einer als abstrakt gefahrträchtig erachteten Verhaltensweise nicht gerechtfertigt sein kann.245 Es ist deshalb die Frage aufzuwerfen, wann die Übernahme der Führungstätigkeit absolut ungefährlich ist. Zur Beantwortung ist entsprechend dogmatisch an der Führungstätigkeit anzuknüpfen. Potenziell ungefährlich ist demnach die Übernahme der Fahrzeugführung, wenn eine Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs nicht befürchtet werden kann und muss. Dies ist ausschließlich bei einem absolut fahrunfähiges Fahrzeug gegeben. Nur dann kann der Täter durch die Führungstätigkeit seinen Fortbewegungswunsch nicht umsetzen, mithin eine Gefährdung für die Sicherheit des Straßenverkehrs nicht hervorrufen. Worauf der Zustand der absoluten Bewegungsunfähigkeit beruht, ist dann belanglos. Denkbar sind jedenfalls technische oder praktische Umsetzungshindernisse. Zu letzteren gehören u. a. auch solche Betätigungen, die keine Handlungshoheit genießen, etwa weil diesen ein unüberwindbarer Widerstand entgegensteht. Bspw. sei das Treten des Gaspedals benannt, welches aufgrund des energischen Ziehens des Beifahrers an der Handbremse zu keinem oder nur minimalen Anfahren führt. Zu den technischen Umsetzungshindernissen zählen etwa eine festgerostete Bremse, ein laufunfähiger Motor246 wie auch umweltgegebene Faktoren, etwa das Zustellen des Fahrzeugs durch sog. Zweite-Reihe-Parker. Gleiches gilt bei einem hoffnungslos festgefahrenen Fahrzeug, welches objektiv ohne fremde Kraftquelle nicht befreit werden kann.247 Insofern ist dem von der Rechtsprechung
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So richtig NK-StGB/Zieschang, § 316, Rn. 4, der daraus aber die fehlerhafte Forderung ableitet, „absolut Ungefährliches“ aufgrund der Unvereinbarkeit mit dem Schuldprinzip straflos zu stellen. 244 U. a. S/S/Hecker, § 316, Rn. 1; MüKo-StGB/Pegel, § 316, Rn. 1. 245 NK-StGB/Zieschang, § 316, Rn. 4. 246 Anders noch die ältere Rspr., die bei leicht behebbaren technischen Mängeln die Führungstätigkeit trotz kurzfristiger Fortbewegungsunmöglichkeit bejahte, OLG Hamm DAR 1959, 54, 54 m. w. N. 247 Vgl. OLG Brandenburg DAR 2006, 219, 219; OLG Karlsruhe NZV 1992, 493, 493; BayObLGSt 36, 13, 14.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
geprägten Pathos mit einer Ergänzung Geltung zu verleihen: Etwas absolut Statisches, das keinem Bewegungsvorgang zugänglich ist, kann nicht geführt werden.248 In diesen Fällen bleibt der mit der Führung angestrebte Fortbewegungszweck des (Kraft-)Fahrzeugs (das subjektive Element des Führens) trotz Vornahme der Tathandlung ein bloßes Gedankenspiel, welches vom Führenden nicht oder nicht ohne das Treffen weiterer Vorkehrungen umgesetzt werden kann. Damit besteht, soweit ist dem Bundesgerichthof zuzustimmen, keine Gefahr für eines der Schutzgüter der Straßenverkehrsdelikte.249 Die, wenn auch umfassend wahrgenommene Führungshandlung, ist schlicht untauglich, einen Fahrprozess, über den der Führende verantwortlich entscheiden kann, zu erwirken.250 Dies gilt selbst dann, wenn die Räder (durch-)drehen oder sich das Kraftfahrzeug minimal vor und zurück bewegt.251 Ein Führen liegt im Ergebnis also nur dann vor, wenn der Täter aufgrund einer objektiv bestehenden Einwirkungsmöglichkeit den Fortbewegungsprozess aufgrund seiner Entscheidung beeinflussen kann, also die eigene, wenn auch nicht alleinige Verantwortung, inne hält. Diese Einschränkung wird im Definitionsvorschlag durch die „eigene Verantwortung“ berücksichtigt. Gerechtfertigt wird diese objektive Einschränkung durch die Zweckbindung des Führens, deren Gefahrenpotenzial eben in der willentlichen Herbeiführung eines Bewegungsvorgangs erblickt werden muss, welche sich jedoch aufgrund der absoluten Bewegungsunfähigkeit des Fahrzeugs nicht realisieren lässt. Während der (noch) parkende Führende jederzeit den Fortbewegungsvorgang auslösen kann,252 ist dies dem absolut festgefahrenen Führenden nicht möglich. Bei letztem bleibt freilich die Versuchsstrafbarkeit eröffnet. In diesem Zusammenhang sei auch noch einmal ein Wort zur vorkonstitutionellen Rechtsprechung verloren: Diese knüpfte bereits wie die vorgeschlagene Definition an dem Definitionselement der Verantwortung an. Die Verantwortung über den Fahrprozess läge dieser nach bei demjenigen, der die Bestimmungsmacht über das Fahrzeug ausübt. Unter dem Begriff der Macht wird in der Soziologie nach Weber die Chance verstanden, „den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“253 Die Macht – also vorliegend die Bestimmungsmacht – besitzt nach Weber also derjenige, der in der Lage ist „seinen Willen in einer gegebenen Situation durchzusetzen.“254 248
Geppert, Jura 2001, 559, 561; vgl. BGHSt 35, 390, 393. BGHSt 35, 390, 393 f.; ebenso LK-StGB/König, § 315c, Rn. 17; nicht zustimmungsfähig ist OLG Hamm DAR 1959, 54, 54, demnach die Fortbewegungsabsicht bereits beim Vorliegen eines leicht behebbaren Mangels am Motor zur Bejahung der Führungstätigkeit ausreicht. 250 Siehe 7. Kap., Fn. 246. 251 OLG Karlsruhe NZV 1992, 493, 493; OLG Brandenburg DAR 2006, 219, 219. 252 Vgl. BayObLG VRS 32 (1967), 127, 127 f.; OLG Koblenz VRS 46 (1974), 352, 353. 253 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28. 254 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28 f. 249
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Dies kann und muss auf den Bereich der Fahrzeugführung übertragen werden. Dabei muss beachtet werden, dass die Verantwortung über den Fahrprozess eine existente Einflussmöglichkeit, den Bewegungsfortgang des Fahrzeugs mit Gewissheit herbeiführen oder (wesentlich) beeinflussen zu können, voraussetzt.255 Die eigene Verantwortung über den Fahrvorgang ist mithin nicht an rechtlichen, sondern objektiv-tatsächlichen Gegebenheiten zu messen. Derjenige, der den Führungsprozess tatsächlich in der Hand hält, führt das Fahrzeug im strafrechtlichen Sinne. Deshalb kann auch derjenige, der eines entscheidenden Einflusses auf die konkrete Verkehrssituation mächtig ist und diesen geltend macht, ein Fahrzeug führen, selbst wenn sich dazu nicht der Steuerungselemente bedient.256 Die von der vorkonstitutionellen Rechtsprechung vertretene Ansicht, die Bestimmungsmacht, mithin die Verantwortung über den Fahrprozess, könne nur einer Person obliegen, findet in der grammatikalischen Auslegung hingegen keine Stütze. Aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Bewältigung der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung kann dies nicht hergeleitet werden. Eine effektive Teilung der Fahrzeugsteuerung ist in tatsächlicher Hinsicht durchaus denkbar und durchführbar, sodass eine Aufteilung der Verantwortung möglich ist. Beispielhaft verdeutlicht dies das Tandem: Erklärt sich der auf dem hinteren Platz Sitzende bereit, allein in die Pedale zu treten und der auf dem vorderen Platz Sitzende, die Lenkung zu übernehmen, tragen beide für einen bestimmbaren Teil des Fahrprozesses die Verantwortung.257 Sie können innerhalb ihres eigenen Machtbereichs Einfluss ausüben und eigene Führungsentscheidungen umsetzen. Zwar könnten sich beide gegenseitig übersteuern, der Vordermann durch das Ziehen der Bremse, der Hintermann durch das Unterlassen des Tretens in die Pedale. Dies ändert aber nichts daran, dass bis zum Eintritt dieser Übersteuerung beide Fahrradfahrenden den Fahrprozess in ihren Händen halten und beiden eine wesentliche und entscheidende (Teil-)Verantwortung zukommt. Damit ist eine Teilung der Verantwortung, eine eigene (Mit-)Verantwortung, gegeben, auch wenn sich das Fahrrad physisch nur in eine Richtung bewegen kann. Zweck dieses letzten einschränkenden Definitionsmerkmals der „eigenen Verantwortung“ ist schlicht der Ausschluss all derjenigen in Erscheinung getretenen Führungshandlungen, die entweder keiner technischen oder tatsächlichen Umsetzung fähig sind, nur eine geringe, gar vom Zufall abhängende Umsetzungswahrscheinlichkeit aufweisen oder keinen erheblichen Einfluss auf den Fahrprozess entfalten (können). Dies betrifft sowohl mündliche Äußerungen, die mangels Weisungsgebundenheit des Ausführenden keiner gesicherten Umsetzung zugänglich sind als auch jegliche physische Einwirkung auf die Stellelemente des Fahrzeugs, die 255 Vgl. Zimmermann, JuS 2010, 22, 25; Duden, Die Deutsche Rechtschreibung, online abrufbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/Macht [abgerufen am 09. 05. 2019]. 256 Ebenso zum Gesamten Zimmermann, JuS 2010, 22, 25. 257 Bejahend Hentschel/König/Dauer, StGB, § 316, Rn. 5; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 38; S/S/Hecker, § 1, Rn. 43; richtig differenzierend MüKo-StGB/Pegel, § 316, Rn. 119 u. § 315c, Rn. 24.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
den Fahrprozess nur unwesentlich beeinflussen. Ein unerheblicher Eingriff liegt etwa vor, wenn der Beifahrer durch die Bedienung des Schaltstockes den Gang herausnimmt und somit nur den Kraftschluss unterbindet, ohne jedoch aktiv eine Bremsung einzuleiten. 3. Zwischenergebnis Weitere objektiv-teleologische Erkenntnisse müssen mangels allgemeingültiger Erkenntnisse der normspezifischen Auslegung vorbehalten bleiben.258 Es kann an dieser Stelle nur ein unvollständiges Bild verbleiben, um dem Rechtsanwender genügend Spielraum für diese zu belassen. Der Gedankengang von Canaris, der betonte, dass die teleologische Auslegung immer dann den entscheidenden Ausschlag gebe, „wo die bisher erörterten Kriterien noch keine zweifellose Antwort zu geben vermögen“,259 greift hier. Eine abschließende Antwort, welche Auslegung sachgemäß ist,260 kann allein aus den teleologischen Erwägungen zu einem Tatbestandsmerkmal nicht gewonnen werden. Diese ist nur unter normspezifischer Betrachtung zu erzielen. Dabei sind u. a. das geschützte Rechtsgut der konkreten Norm, gesetzgeberische Wertung wie der Strafrahmen oder die kriminalpolitischen Erwägungen261 und übergreifende Gesichtspunkte wie der „objektive Zweck des Rechts“262 zu berücksichtigen.263
V. Auslegungsfazit Mit dem Aufkommen erster hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge ist es nun an der Zeit, einmal inne zu halten und danach zu fragen, was das Führen eigentlich auszeichnet und ob dieses, so wie es vor 100 Jahren verstanden wurde, auch heute noch ausgelegt werden muss. Dem heutigen, den des historischen Gesetzgebers weit überwiegenden Erkenntnisstand, ist durch eine neutrale Würdigung des Führens Rechnung zu tragen. Die Auslegung der straßenverkehrsrechtlichen Grundbegriffe, insbesondere die hier besprochene Tathandlung des Führens, muss nüchtern und ohne Ansehung etwaiger Einzelfälle betrachtet werden. Nach Brugger, der an den Begriffen des Soziologen Weber anknüpft, muss sich darauf rückbesonnen werden, dass die Rechtsordnung den Grundsätzen praktischer Vernunft oder praktischer 258
Vgl. S/S/Hecker, § 1, Rn. 43; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 148. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 153 f. 260 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 154. 261 Dies offenlassend, da es sich hierbei zwar um außergesetzliche Erwägungen handelt, die aber andererseits nicht der Verschleierung der „wahren“ Gründe dienen: Simon, Gesetzesauslegung, S. 476. 262 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 153. 263 NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1, Rn. 109; weiterführend Simon, Gesetzesauslegung, S. 475 f. 259
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Rationalität entsprechen sollte.264 Diese Maximen müssen die Auslegung prägen und die Diskussion dorthin zurückgeführt werden. Was der Wortlaut, die Historie und die Gesetzessystematik dazu hergeben, haben die vorherigen Zeilen zusammengetragen. Nun muss dies in einer Neuausrichtung der Auslegungs- und Spruchpraxis resultieren. Ein „weiter so“ der kasuistisch geprägten Rechtsprechung und Literatur ist weder angezeigt noch notwendig. Die Ausführungen zur Auslegung des Führens offenbaren zugleich, dass die Strafnormen der Straßenverkehrsdelikte, insbesondere der Führungsdelikte, grundsätzlich keiner gesetzgeberischen Anpassung bedürfen. Sie bringen das juristische Werkzeug, um den Straßenverkehr auch zukünftig zu schützen, mit. Dies mag daran liegen, dass sich die Führungsaufgabe, soweit sie vom Menschen weiterhin wahrgenommen wird, seit 110 Jahren nicht verändert hat. Entsprechend sind die Straßenverkehrsdelikte auch weiterhin auf denjenigen, der die Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung wahrnimmt, ohne Weiteres anwendbar – unabhängig vom genutzten Fahrzeug. Ein Wandel der Verhältnisse, der den Gesetzgeber zwingen würde, die Straßenverkehrsdelikte und insbesondere die Führungsdelikte zu novellieren oder die Rechtsprechung zur dynamischen Würdigung der Rechtsbegriffe anhalten würde, ist nicht erkennbar. Neu ist lediglich, dass die Führungstätigkeit vom technischen Assistenzsystem übernommen werden kann. Diesem Umstand wurde durch den Erlass neuer Regelungen in den Verkehrsgesetzen und -ordnungen Rechnung getragen. Dieser Weg, die neuen Verhaltensanforderungen der Nutzung hoch- oder vollautomatisierter Fahrerassistenzsysteme außerhalb des Strafgesetzes zu statuieren und gegebenenfalls zunächst durch Ordnungswidrigkeitentatbestände zu flankieren, erscheint auch für die nahe Zukunft zielführend. Der Ball liegt nun also bei der Rechtsprechung, die sich von ihrer etablierten undezidierten Einzelfallauslegung lösen muss. Die Neuregelungen der §§ 1a und 1b StVG halten die Rechtsprechung an, darüber nachzudenken, ob die etablierte strafrechtliche Spruchpraxis den wissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt noch entspricht oder sich von diesen immer weiter entfernt. Da Letzteres zu verzeichnen ist, muss die bisherige Jurisprudenz auf den Prüfstand gestellt werden, bevor weitere kuriose Entscheidungen wie die Fahrlehrerentscheidungen, die den (fahruntüchtigen) Fahrlehrer strafrechtlich die Ausübung der Ausbildungstätigkeit grundsätzlich erlaubt, diesen aber zur Vermeidung strafrechtlicher Sanktionen zum passiven Verhalten im Gefahrenfall zwingt, getroffen werden. Zweifelsohne ist bereits zu verhindern, dass der Fahrlehrer überhaupt im fahruntüchtigen Zustand neben dem Fahrschüler Platz nimmt und Ausbildungsanweisungen erteilt. Praktisch ist dies mit dem hier vorgeschlagenen Definitionsvorschlag, der mündliche Weisungen nicht grundsätzlich von der Führungstätigkeit ausschließt und sich näher am Schutzzweck der Straßenverkehrsdelikte orientiert, erreichbar.
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Brugger, AöR 1994, 1, 2.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags Mit dem Definitionsvorschlag und der Abkehr von einigen, die Auslegungspraxis prägenden Leitgedanken, gehen freilich dogmatische Veränderungen einher. In den Darstellungen zur etablierten Auslegungs- und Spruchpraxis und den Auslegungserwägungen des vorgestellten Definitionsansatzes klangen diese bereits an. An dieser Stelle werden die dogmatischen Veränderungen der Neuinterpretation umfassend vertieft und die Anwendungsunterschiede herausgearbeitet.
I. Die Neudefinition des Führens Die vorgestellte Neudefinition des Führens geht nicht nur mit einer sprachlichen Umbildung der etablierten Definition einher. Insgesamt löst sich dieser von den Vorstellungen der etablierten Spruch- und Auslegungspraxis. Bevor die dogmatischen Auswirkungen betrachtet werden, seien die Definitionsmerkmale und deren inhaltliche Substanz, die sich größtenteils bereits aus den Erwägungen zur Auslegung ergeben, systematisiert und vertieft. Dem sei die vorgeschlagene Definition erneut vorangestellt: 1
Ein Fahrzeug führt, wer sämtliche Betätigungen, die zur Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erheblichen Veränderung des Fahrprozesses eines Fahrzeugs dienen, in eigener Verantwortung wahrnimmt. 2Betätigung in diesem Sinne ist auch die Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen, die unter der unmittelbaren Möglichkeit der Beeinflussung des Fahrprozesses zielgerichtet vorgenommen wird.
Grundsätzlich prägen die Neudefinition 4 Merkmale, die zusammengefasst als „Betätigung“ (1.), die Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erhebliche Veränderung des „Fahrprozesses“ (2.), das „Dienen“ (3.) und als „eigene Verantwortung“ (4.) umschrieben werden. 1. Die Betätigungen Das Definitionsmerkmal der Betätigungen erfüllt in seiner pluralischen Verwendung eine Doppelfunktion. Als Handlungselement eröffnet es ein weites Verständnis von der Führungstätigkeit und grenzt diese nicht auf bestimmte Steuerungshandlungen ein. Durch das Pronomen „sämtliche“, welches dem Definitionsmerkmal der Betätigungen vorangestellt ist, wird verdeutlicht, dass sich das Führen als Gesamthandlung bestehend aus verschiedensten Einzelhandlungen zusammenfügt. Des Weiteren wird dadurch der Dauertätigkeitscharakter herausgestellt. Die Vielfältigkeit und Komplexität der Führungstätigkeit kommt mit dem Begriff der Betätigungen zum Ausdruck, der vom Duden sowohl als „das Tätigsein, Tä-
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tigkeit“ als auch als „das Bedienen, das Ingangsetzen“265 verstanden wird. „Bedienen“ wiederum wird vom Duden u. a. als „handhaben, steuern“ definiert.266 Der Terminus der Betätigungen erlaubt – anders als die bisher vorausgesetzte „Handhabung der wesentlichen technischen Vorrichtungen“267 – eine Rückbesinnung auf die Tathandlung, das Führen. Entsprechend wird der Blick auf die Tätigkeitsvornahme, nicht deren Ergebnis gelenkt. Zudem wird das Handlungselement mit der vorausgehenden mentalen Entscheidungsfindung der Führungstätigkeit vereint. Gleichwohl kann dieser komplexe Zusammenhang kaum in Gänze durch den Begriff der „Betätigung“ erfasst werden. Dies macht den klarstellenden zweiten Definitionssatz notwendig, der die Betätigung zumindest als „Befassung mit den Verkehrsund Umweltbedingungen, die unter der unmittelbaren Möglichkeit der Beeinflussung des Fahrprozesses zielgerichtet veranlasst wird“, beschreibt. Dadurch verliert das Führen als Rechtsbegriff keineswegs an Kontur. Diese bleibt durch die Verknüpfung zur „Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erheblichen Veränderung des Fahrprozesses“ und durch den klarstellenden zweiten Satz des Definitionsvorschlags erhalten. In dem Definitionsvorschlag werden damit die verkehrspsychologischen und kognitionswissenschaftlichen Erkenntnisse, die im 2. Kapitel eingehend untersucht wurden, fruchtbar gemacht. Erkennbar werden durch die Formulierung „Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen“ entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs268 solche Handlungen vom Begriffsverständnis mit umfasst, die den konkreten Steuerungsimpulsen vorangehen und die Tätigkeit des Führens als Zusammenspiel vieler einzelner Handlungen verschiedenster Ebenen prägen. So ist etwa auch der Schulterblick vor der ersten Bedienung der Steuerungselemente des Fahrzeugs als Betätigung von der Tathandlung umfasst. Zudem wird damit der jeder Führungshandlung zugrundeliegende Informationsverarbeitungsprozess in Bezug genommen. Schließlich kann eine Erfüllung der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung nur zielgerichtet vorgenommen werden, was eine (umfassende) Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen voraussetzt. Letztlich ist das Führen damit ein Gebilde aus allen dem Informationsverarbeitungsprozess resultierenden motorischen Bewegungen, egal ob diese zur Informationswahrnehmung, Informationsverarbeitung oder Informationsabgabe vorgenommen werden. 265 Duden, Die Deutsche Rechtschreibung, online abrufbar unter: https://www.duden.de/ rechtschreibung/fuehren [abgerufen am 03. 07. 2019]. 266 Duden, Die Deutsche Rechtschreibung, online abrufbar unter: https://www.duden.de/ rechtschreibung/bedienen [abgerufen am 10. 07. 2019]. 267 U. a. LK-StGB/König, § 315c, Rn. 11; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 11, der im Ergebnis die Führungstätigkeit vom Gewicht des Fahrzeugs abhängig macht; vgl. u. a. BGHSt 35, 390, 393; 36, 341, 343; 59, 311, 314, m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124. 268 Ausdrücklich BGHSt 42, 235, 239 f. m. w. N.: „Es [das Führen] beginnt erst mit dem Bewegungsvorgang des Anfahrens selbst […]. Dazu genügt nicht einmal, daß der Täter in der Absicht, alsbald wegzufahren, den Motor seines Fahrzeugs anläßt und das Abblendlicht einschaltet […]. Um so mehr muß eine Ausdehnung auf zeitlich vorgelagerte Handlungen nach der gesetzlichen Umschreibung der Tathandlung ausscheiden.“
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
2. Der Fahrprozess Das weitere Definitionsmerkmal der „Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erheblichen Veränderung des Fahrprozesses“ ist als objektives Zweckbestimmungselement zu verstehen. Es dient u. a. dazu, das Definitionsmerkmal der Betätigung auf die führungsimmanenten Bestandteile zu beschränken. An dieser Stelle erfolgt die Abgrenzung der Führungsaufgaben von den übrigen oder führungsähnlichen Tätigkeiten im Fahrzeug. Im Kern sind nur die Betätigungen von der Tathandlung umfasst, die der primären Führungsaufgabe, streng genommen nach Donges269 der Bahnführungs- und Stabilisationsebene, zuzuordnen sind. Dies verdeutlicht der Begriff des „Fahrprozesses“, der nur durch Betätigungen der primären Führungsaufgaben aufgenommen, aufrechterhalten oder erheblich verändert werden kann. Die Übernahme der (primären) Navigationsaufgaben und der sekundären Führungsaufgaben kann hingegen – wie aufgezeigt – lediglich ein (starkes) Indiz der zugleich vorgenommenen primären Führungsaufgaben sein. Bisher war aufgrund des Dogmas der aktiven Fahrzeugführung diese Unterscheidung der Fahraufgaben nicht notwendig. Schließlich war allein der menschliche Fahrzeugführer in der Lage, einen Steuerungsimpuls zu übermitteln. Mit dem Aufkommen hoch- und vollautomatisierter Systeme ändert sich diese Sachlage. Der Nutzer eines solchen Fahrerassistenzsystems kann sich, während die primären Führungsaufgaben durch das Fahrerassistenzsystem bewältigt werden, Aufgaben der sekundären Ebene zuwenden, ohne dass diese Ausfluss der Führungsaufgabe sind. Die objektiv als sekundäre Führungsaufgabe wahrnehmbare Handlung steht dann in keinerlei Zusammenhang mit dem Fahrprozess. Daraus erklärt sich der lediglich indizielle Gehalt der sekundären Führungsaufgaben. Entsprechend kann die Übernahme allein sekundärer Führungsaufgaben lediglich ein widerlegbares Indiz dafür bieten, dass sich die Person hinter dem Steuer zugleich den primären Führungsaufgaben widmet. Letztlich legt der Definitionsvorschlag den Gerichten die Verpflichtung auf, die Führungstätigkeit konkret festzustellen, um der strafprozessualen Sachaufklärungspflicht zu genügen. Zuletzt sei noch ein Wort zu den drei Führungsmodalitäten verloren. Während die definitorische „Aufnahme“ des Fahrprozesses und dessen „Aufrechterhaltung“ stets eine umfassende Kontrolle in Gestalt der Beherrschung sowohl der Quer- als auch Längsführung des Fahrzeugs voraussetzen, ist eine definitorische „Veränderung“ des Fahrprozesses auch durch eine weniger intensive Betätigung realisierbar. Als Beispiel sei die Handhabung der Schaltung durch den Beifahrer benannt, während der Führende sowohl die Pedalerie als auch das Lenkrad bedient. In diesem Falle liegt zwar eine Veränderung des Fahrprozesses vor. Jedoch darf nicht jede Veränderung zugleich als Übernahme der Führungstätigkeit erkannt werden. Dies wird durch die Etablierung einer Erheblichkeitsschwelle gewährleistet. Nur eine solche Übernahme der Führungsaufgabe, die den Betroffenen in eine selbstbeherrschende Lage versetzt, 269
Donges, AI 1982, 183, 183.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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genügt, um diesen als Führenden des Fahrzeugs anzusehen. Dies ist nur dann gegeben, wenn der Fahrprozess erheblich beeinflusst wird. Für den soeben geschilderten Sachverhalt bedeutet dies, dass die Übernahme der Schalttätigkeit, die grundsätzlich zum Bereich der primären Führungsaufgaben gehört, mangels wesentlichen Einflusses auf die Quer- oder Längsführung keine Führungstätigkeit im Sinne des Definitionsvorschlags darstellt.270 Die Veränderung des Fahrprozesses bedarf hingegen einer gewissen Erheblichkeit, um als strafbarkeitsbegründende Einflussnahme auf denselben gelten zu können. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass die Betätigung den Handelnden zumindest in die Lage versetzen muss, die Queroder Längssteuerung eigenmächtig beherrschen zu können. Dieses Potenzial erreicht die Übergabe des Schaltstocks an den Beifahrer nicht. 3. Das Dienen Auf objektiver Ebene der Führungstätigkeit findet sich das subjektiv geprägte Definitionselement des „Dienens“, welches durch die „Zielgerichtetheit“ im 2. Satz des Definitionsmerkmals seinen Wesensgehalt erhält. Das bereits in der überwiegenden Spruch- und Auslegungspraxis anerkannte subjektive oder auch „finale Element“271 des objektiven Tatbestands findet sich entsprechend der kognitionswissenschaftlichen Erkenntnisse in dem Definitionsvorschlag wieder. Das „Dienen“ verlangt einen Führungswillen in Gestalt eines Fortbewegungswillens. Dies wird durch die Verknüpfung zum „Fahrprozess“ und die Beschreibung des 2. Satzes „unter der unmittelbaren Möglichkeit der Beeinflussung des Fahrprozesses zielgerichtet veranlasst“ deutlich. Damit werden solche Handlungen von der Tathandlung des Führens ausgenommen, die nicht auf einen Führungswillen in Gestalt eines abstrakten Fortbewegungswillens rückführbar sind. Sie sind nicht Ausfluss der Regelungsaufgabe der Fahrzeugführung. Dies geht auf die Ausgangsüberlegung, dass die Führungstätigkeit als Arbeitsaufgabe allein zielgerichtet, d. h. willentlich übernommen werden kann, zurück. Will der Täter überhaupt keine Fortbewegung erzielen, sondern startet er das Fahrzeug etwa zu Motorkontrollzwecken oder betätigt er aus Versehen eine Stelleinrichtung, wodurch das Fahrzeug anrollt, liegt kein Führen vor. Natürlich ist diese Wertung, wie die Auslegungserwägungen betonten, bereits in dem Merkmal der „Betätigung“ enthalten, da sich ein Prüfender als auch der versehentlich Bedienende in aller Regel nicht mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen befasst. Gleichwohl ist diese Klarstellung innerhalb der Definition geboten und als Resultat des wissenschaftlichen Verständnisses des Führens unentbehrlich.
270 271
Ebenso bereits KG VRS 12 (1957), 110, 113. Siehe 6. Kap., Fn. 679.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
4. Die eigene Verantwortung Das letzte Definitionsmerkmal der „eigenen Verantwortung“ für den Fahrprozess weist keinen unmittelbaren Zusammenhang zur Ausübung der Führungstätigkeit auf. Dieses ist, wie bereits erläutert, Ausfluss teleologischer Erwägungen. Es kann also nur dann zum Tragen kommen, wenn die Führungstätigkeit aufgrund der übrigen drei Definitionsmerkmale bereits bejaht wurde. Sinn und Zweck der „Verantwortung“ für den „Fahrprozess“ ist der Ausschluss von Betätigungen, die aufgrund äußerer Umstände nicht zu einer Fortbewegung führen können. Dies ist aus kriminalpolitischen und Schutzzweckerwägungen erforderlich als auch ausreichend. Ist der Vornahme der Führungstätigkeit von vornherein der Bewegungserfolg versagt, entfällt der Sanktionsgrund. Dies ist ausschließlich dann der Fall, wenn das Fahrzeug absolut bewegungsunfähig ist. Anders gesagt bedeutet die Einschränkung lediglich: Wer nicht einmal die Chance besitzt, das Fahrzeug in Fahrt zu versetzen oder auf den Fahrvorgang einzuwirken, kann keine Verantwortung über den (dynamischen) Fahrprozess erlangen. Nur dann ist das Fahrzeug von jeder Gefahrenwirkung für die Sicherheit des Straßenverkehrs oder dahinter stehende Individualrechtsgüter befreit, sodass eine Sanktion nicht legitimierbar ist. Sicherlich ist dieser Ausschluss restriktiv zu handhaben. Entsprechend ist ein Tatbestandsausschluss dann gegeben, wenn die Möglichkeit, das festgefahrene Fahrzeug durch die „richtigen“ Führungshandlungen selbst zu befreien, vorhanden war. Schließlich war die Nichtaufnahme der Fortbewegung des Fahrzeugs lediglich zufällig unterblieben, mithin die Sicherheit des Straßenverkehrs durch die Vornahme der pönalisierten Tathandlung potenziell gefährdet. Dies wird mit Blick auf § 316 Abs. 1 StGB, welches als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet ist, deutlich. Dem Strafgrund des § 316 Abs. 1 StGB liegt die gesetzgeberische Vermutung zugrunde, dass bereits die Vornahme der tatbestandlichen Handlung bei fehlender Fahrtüchtigkeit generell gefährlich ist.272 Der Vollzug der typischerweise gefährlichen Handlung stellt deshalb in sich die Vollendung des Delikts dar.273 So ist es auch nur verständlich, dass der Gesetzgeber nicht das „in Bewegung setzen“ oder „Anfahren“ eines Fahrzeugs, sozusagen den hinter der Führungstätigkeit stehenden (Bewegungs-)Erfolg, sondern die Handlung des Führens im fahruntüchtigen Zustand selbst strafbar stellte. Die (konkrete) Gefährlichkeit der Tathandlung ist kein Tatbestandsmerkmal des § 316 Abs. 1 StGB.274 Dem Bundesgerichtshof ist deshalb nur zuzustimmen, soweit er erklärt:
272 273 274
Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 44. Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 24, Rn. 52. Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 44.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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„Das Führen eines Fahrzeugs ist aber nicht gleichbedeutend mit Verursachen der Bewegung.“275
Insofern bedarf es einer gesonderten Rechtfertigung, wenn bestimmte Handlungsformen oder Verhaltensweisen, die den Tatbestand grundsätzlich erfüllen, aus der Strafbarkeit ausgenommen werden sollen. Dies ist der Grund, weshalb die vorgeschlagene Definition explizit auf die Tathandlung, nicht den verkappten Erfolg der Fortbewegung, abgestellt. Diese Wertung ist auch bei der Anwendung des Definitionsmerkmals der „eigenen Verantwortung“ zu beachten. Es darf nicht dazu führen, dass es zu einer wie durch das Bewegungserfordernis erfolgten verdeckten Umformung des Tätigkeitsdelikts in ein Erfolgsdelikt kommt. Dies überschreitet die Kompetenz der Judikative. Die Entscheidung, ob § 316 Abs. 1 StGB weiterhin die abstrakte Gefährdung strafbar stellt oder ob die Strafbarkeit einen „Erfolg“ der Fortbewegung voraussetzt, obliegt der Bewertung des Gesetzgebers. Dieser hat sich für ersteres entschieden, was nicht durch die erfolgsorientierte Auslegung des tathandlungsbeschreibenden Merkmals konterkariert werden darf. Folge dessen darf ein tatbestandliches Verhalten nur dann, wenn die Vornahme der Handlung gänzlich kein Gefährdungspotenzial aufweist, straffrei gestellt werden.276 Entsprechend kann nur der (tatbestandliche) Ausschluss von objektiv unwiderleglich ungefährlichen Führungshandlungen legitimiert werden.277 Dies ist nur bei den soeben beschriebenen Umständen der Fall.
II. Die dogmatischen Konsequenzen Aus den vorgestellten Definitionsmerkmalen ergeben sich von der bisherigen herrschenden Lehre und Rechtsprechung abweichende dogmatische Folgen. Die wesentlichsten Änderungen werden folgend dargestellt. 1. Keine Notwendigkeit von Stelleingriffen Entgegen der etablierten Auslegungspraxis stellt der vorliegende Definitionsvorschlag nicht auf die „Handhabung essentieller technischer Vorrichtungen“278 ab, sondern erstreckt sich auf jede Betätigung, die Ausdruck der Befassung mit der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung ist. Durch die Begrifflichkeit der „Betätigung“ kommt bereits zum Ausdruck, dass es zumindest einer physischen Tätigkeit bedarf, die aus dem Informationsverarbeitungsprozess resultiert. Eine Einwirkung auf die 275 BGHSt 42, 235, 239; der BGH zog daraus aber den rechtsirrigen Schluss, dass das Führen deshalb erst „mit dem Bewegungsvorgang des Anfahren“ beginnen würde; ähnlich bereits BayObLGSt 16, 142, 143. 276 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 24, Rn. 52. 277 Zu weitgehend BGHSt 35, 390, 393 f., welcher den Telos erst bei der Bewegung des Fahrzeugs als gegeben ansieht. 278 Siehe 6. Kap., Fn. 567.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
technischen Vorrichtungen des Fahrzeugs wird hingegen nicht verlangt. Das Führen erstreckt sich damit auf alle Bewegungen, die aufgrund oder zur Bewältigung der Regelungsaufgabe vorgenommen werden und einen Einfluss auf den Fahrprozess besitzen. Solange die mentale Befassung mit der Führungstätigkeit nicht durch eine motorische Betätigung erkennbar hervortritt, ist eine Führungstätigkeit (mangels Nachweisbarkeit) zu verneinen. Die Erstreckung auf alle im Rahmen der Führungsaufgabe vorgenommenen motorischen Tätigkeiten geht auf den Gedanken zurück, dass sich diese als Zusammenspiel vieler einzelner Teilaufgaben darstellt. Fehler auf Ebene der Informationswahrnehmung wirken sich nicht selten auf die folgenden Aufgabenbereiche aus, sodass sich die in diesen angelegten Risiken erst auf der Ebene der Informationsabgabe realisieren. Deshalb muss jeder Teilbereich der Führungsaufgabe von den Führenden sorgsam erfüllt werden. Die Prozesse der Selektion, Reduktion, Kategorisierung als auch Synthese auf Ebene der Informationsaufnahme sind elementare Bestandteile der Bewältigung der Fahrzeugführung, die oftmals motorische Bewegungen erfordern. Jede motorische Betätigung, die zur Bewältigung der Führungstätigkeit vorgenommen wird, muss deshalb Anknüpfungspunkt für die Feststellung der Führungstätigkeit sein. Im Ergebnis ist damit der Schulterblick vor dem ersten Anfahren mit laufendem Motor ebenso Teil der Führungstätigkeit wie der daraufhin folgende Tritt auf das Gaspedal. Die letztendliche Frage, welche Auswirkung diese Ausdehnung der Tatbestandsmäßigkeit gegenüber der etablierten Auslegungspraxis für die menschliche Fahrzeugsteuerung enthält, ist sicherlich erst auf den zweiten Blick ersichtlich. Zum einen werden mündliche Anweisungen ebenso wie die Gestensteuerung den direkten Einwirkungen auf die Stellelemente des Fahrzeugs gleichgestellt.279 Für den Führenden bedeutet dies, dass auch mündliche Weisungen gegenüber dem technischen System wie auch gegenüber einem weisungsgebundenen Ausführenden als Teil der Führungstätigkeit anzusehen sind. Letztlich nähert sich die Definition der Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig zu den Boots- bzw. Schiffsführern aus dem Jahr 1970 an: „Der Schiffsführer ist anders als der Halter eines Kraftfahrzeugs zu keiner Zeit bloß Mitfahrer, sondern bleibt auch bei Überlassung des Ruders an einen anderen für die Führung des Schiffes verantwortlich.“280
Kognitionspsychologisch ist dieser Ansatz folgerichtig. Für die Ausübung der Führungstätigkeit macht es keinen Unterschied, ob der Führende den Tempomaten per Tastendruck oder per Sprachanweisung aktiviert oder ob er seinen konkreten Führungswillen gegenüber einem weisungsgebundenen Ausführenden mit dem Befehl „Geschwindigkeit um 20 Kilometer die Stunde erhöhen“ Geltung verleiht. 279
716. 280
Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 981, dort Fn. 210 m. V. a. Hoyer, GA 2008, 711, OLG Schleswig SchlHA 1970, 196, 196; Buchholz, JA 2017, 594, 595.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Zum anderen bringt die Neudefinition die Fahrlehrer- und Beifahrerentscheidungen in Einklang mit den üblichen Fahrzeugführenden. Aufgrund des Merkmals der „Betätigung“ kommt es nicht darauf an, ob der Fahrlehrer respektive Beifahrer ein Stellelement bedient. Es genügt jede Betätigung, die auf den Fahrprozess – die primären Fahraufgaben der Bahnführung und Stabilisierung – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Einfluss ausüben kann. Mündliche Anweisungen, die der weisungsgebundene Fahrschüler respektive Führende pflichtbewusst und vorbehaltlos ausführt, sind gleichbedeutend mit dem eigenvorgenommenen Stelleingriff. Natürlich wird der Beifahrer anders als der Fahrlehrer auch weiterhin nur im Ausnahmefall als Führender in Erscheinung treten. Die Voraussetzungen, um mündliche Anweisungen als Führungstätigkeit zu qualifizieren, werden vom Beifahrer wohl nur im Ausnahmefall erfüllt sein. So bedarf es nicht nur einer berechtigten Chance, auf den Fahrprozess durch die mündliche Weisung „erheblich verändernd“ einzuwirken. Die Anweisung muss zudem klar formuliert sein, darf dem Angewiesenen keinen Spielraum eröffnen und muss sich als Ergebnis der Bewältigung der Führungsaufgabe darstellen. Nun ist der Führende in aller Regel gegenüber dem Beifahrer bereits weder weisungsgebunden noch bereit, dessen mündliche Weisungen vorbehaltlos auszuführen. Die mündliche Weisung des Beifahrers weist damit in aller Regel nicht die berechtigte Chance auf, tatsächlich umgesetzt zu werden. Zudem liegt keine Führungstätigkeit vor, soweit der Beifahrer lediglich Empfehlungen ausspricht, mithin keine konkreten Führungsvorgaben vorgibt. In diesen Rahmen ordnete sich etwa das begleitende Fahren eines Pkw ab 17 Jahren gemäß § 48a Abs. 4 FeV ein, da der Begleiter von Gesetzes wegen ausschließlich eine beratende Funktion ausübt.281 Die vorgestellte Definition erweitert die Führungstätigkeit natürlich nicht allein auf mündliche Weisungen. Auch physische Betätigungen, die sich als Resultat des Informationsverarbeitungsprozesses, etwa zur Erlangung einer Eingriffsmöglichkeit, vorgenommen werden, sind Bestandteil der Bewältigung der Führungstätigkeit. Verdeutlichen kann dies folgendes Beispiel: Unterlässt es der Fahrlehrer, an einer Kreuzung zur Vorfahrtsgewährung in der Erwartung, der Fahrschüler würde das Stoppschild noch erkennen, frühzeitig zu bremsen, behält sich aber durch ein Versetzen seines Fußes (motorische Betätigung) auf sein Bremspedal den Verzögerungseingriff vor, geht er der Führungstätigkeit nach. Bereits mit dem Abstellen des Fußes auf dem Bremspedal verschafft sich der Fahrlehrer aufgrund der Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen die vom Fahrschüler unüberwindbare Möglichkeit, auf den Fahrprozess einzuwirken. Verschätzt sich der Fahrlehrer trotz dieser bestehenden Einwirkungschance etwa bei der Distanz, bremst trotz drohender Gefahr nicht oder erkennt der Fahrschüler tatsächlich noch selbst im „letzten Moment“ seinen Fehler, ändert dies an der (bereits vorgenommenen) Betätigung als Ausfluss der Wahrnehmung der Führungsaufgabe des Fahrlehrers zur potenziellen Steuerung des Fahrzeugs nichts. Die Gefahr für den Straßenverkehr besteht ab dem 281
Blum/Weber, NZV 2007, 228, 229; NK-GVR/Lempp, FeV, § 48b, Rn. 4.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Zeitpunkt, in dem sich der Führende eine konkrete Einwirkungsmöglichkeit verschafft. Damit wird der Fahrlehrer dem Führenden gleichgestellt, der ebenfalls unter eingeschaltetem Tempomat auf der Autobahn den Fuß in der Erwartung auf der Bremse abstellt, ein auf der rechten Spur fahrendes Fahrzeug könnte noch vor ihm auf die linke Spur ziehen. Ob die motorische Betätigung hingegen einen Handlungserfolg erzielte, ist für die Verwirklichung der Tathandlung des Führens nicht von Belang. Kommt es hingegen – selbst unter der Bewältigung der frühen und zentralen Prozesse – nicht einmal zur Aufrechterhaltung der frühen Prozesse zu einer motorischen Betätigung,282 ist die Regelungsaufgabe der Fahrzeugführung unvollständig, mithin nicht vollendet. Nur in dieser seltenen (und der Aufgabe des Fahrlehrers nicht gerecht werdenden) Konstellation muss eine Führungstätigkeit verneint werden. Identisches gilt für Nutzer von automatisierten Fahrerassistenzsystemen: Übergibt er die Verantwortung für den Fahrprozess dem Fahrerassistenzsystem oder gibt er diese während der Fahrt endgültig auf, liegt keine Führungstätigkeit (mehr) vor. Von einer aktiven Führungstätigkeit kann dann keine Rede sein. Damit steht der (vormals) Fahrzeugführende, der den Fahrprozess aus den Händen gibt, dem gleich, der etwa aus dem fahrenden Fahrzeug herausspringt. Auch dieser gibt, wenngleich auf andere Art, die Verantwortung über den Fahrprozess absolut auf. In diesen Konstellationen kommt je nach den konkreten Umständen neben einer möglichen Strafbarkeit aus § 315b Abs. 1 Nr. 2 (Hindernis bereiten) oder Nr. 3 StGB (ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff, insbesondere in Gestalt des verkehrsfeindlichen Inneneingriffs283) nach der hier vertretenen Ansicht eine Unterlassungsstrafbarkeit, die unter dem Gliederungspunkt B. II. 6. dieses Kapitels angesprochen wird, in Betracht. 2. Dauertätigkeit Dass sich das Führen als Dauertätigkeit, also als Verknüpfung verschiedenster Einzelakte, herausstellt, haben bereits die Wortlautauslegung und systematische Gesichtspunkte ergeben. Das Führen überdauert, auch dies kann als gesichert gelten, bei einem Fahrzeug der Automatisierungsebenen 0 bis 2 den gesamten Fahrvorgang. In der vorgeschlagenen Definition wird dies durch die Nutzung des Plurals „Betätigungen“ und die Inbezugnahme des gesamten Zeitraums des Fahrvorgangs, bezugnehmend durch den Terminus des „Fahrprozesses“, verdeutlicht. Das Führen setzt sprachlich voraus, dass der Täter über den gesamten Fahrvorgang oder bei automatisierten Fahrzeugen der Ebene 3 und 4 zumindest über einen 282
Bereits die motorische Bewegung zur Erfüllung der Wahrnehmungsaufnahme genügt dem Definitionsmerkmal der Betätigung, soweit sich diese selbst als Resultat des bewältigten Informationsverarbeitungsprozesses darstellt. Etwa ist der Schulterblick als später Prozess Ergebnis der Kognition (zentraler Prozess), sich der Verkehrsgegebenheiten versichern zu wollen, mithin (Teil-)Resultat der Führungstätigkeit. 283 Siehe 6. Kap. B. I. 2. b), dort 6. Kap., Fn. 731.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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länger definierbaren Zeitraum hinweg die subjektiven Führungsgrößen eruiert und mit dem objektiven Bewegungsbereich abgleicht.284 Nach dem kombinierten Stufenund Ressourcenmodell wird die Führungsaufgabe durch dauerhafte Verarbeitung mehrerer Stimuli bewältigt.285 Die Prozesse der sequenziellen Informationsverarbeitung laufen dabei parallel zu den immer wiederkehrenden automatisierten Prozessen ab.286 Eine klare Abtrennung einzelner Teilaufgaben ist bereits kognitionspsychologisch schwierig, sodass eine rechtliche Ausdifferenzierung einzelner Führungstätigkeiten nicht zu bewältigen ist. Die Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung stellt sich deshalb als Verzahnung vieler Informationsverarbeitungsprozesse dar. Diese Arbeitsaufgabe erfüllt der Führende nicht umfassend, wenn er sich über einen längeren Zeitraum einer oder mehreren anderen Aufgabe widmet. Mit steigendem Zeitablauf brechen immer mehr einzelne Verarbeitungsprozesse weg, bis die Herrschaft über den Fahrprozess verloren geht. In diesem Falle ermittelt der Führende keine aus dem stetig ablaufenden Informationsverarbeitungsprozess stammenden subjektiven Führungsgrößen, die mit den tatsächlichen Gegebenheiten abgeglichen und durch Steuerungsimpulse umgesetzt werden können. Ob das Fahrzeug innerhalb des Verkehrskorridors verweilt, hängt dann allein vom Zufall, nicht mehr von der Beherrschung des Führungsprozesses ab. Nicht zu verwechseln ist der Dauertätigkeitscharakter des Führens mit dem Dauerdeliktscharakter des einzelnen Delikts. Ob das Führen einem Delikt einen Dauerdeliktscharakter verleiht, ist entscheidend von den übrigen Tatbestandsmerkmalen abhängig. Durch die Charakterisierung als Dauertätigkeit ist die Dauerdeliktsfähigkeit für die konkrete Norm jedenfalls eröffnet, sodass einschränkende Tatbestandsmerkmale – etwa die gesetzgeberische Voraussetzung einer konkreten Gefährdungslage in § 315c Abs. 1 StGB – den Dauerdeliktscharakter beseitigen können. Wäre die Tathandlung des Führens sprachlich als partielle Tathandlung aufzufassen, was bereits aufgrund der Verzahnung mehrerer Informationsverarbeitungsprozesse zu einer Regelungsaufgabe nicht möglich erscheint, müsste der Täter stetig und mit jedem Steuerungsimpuls einen neuen Handlungswillen bilden. Dies ist beim Führen als stetiger und aufeinander aufbauender sequenzieller und multipler Informationsverarbeitungsprozess, der in regelmäßiger Wechselwirkung mit den Umweltgegebenheiten steht,287 nicht gegeben. Damit stimmt die vorgeschlagene Definition grundsätzlich der etablierten Auslegungs- und Spruchpraxis zu, sodass sich keine Veränderungen ergeben. Der Rechtsanwender und die Gerichte müssen also nicht die konkrete Betätigung des Führenden identifizieren, sondern nur anhand der bezeichneten motorischen Aus284
Siehe 2. Kap., Fn. 60. Weiterführend Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.1, S. 4; ein Verweis auf weitere Informationsverarbeitungsmodelle findet sich in Muthig, in: Hoyos/Zimolong, Enzyklopädie der Psychologie, S. 97. 286 Fastenmeier/Gstalter, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 205. 287 Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, S. 4. 285
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
prägungen des Führungsprozesses die Wahrnehmung der Person mit der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung nachweisen. Anders als die heutige Rechtsprechung annimmt, bleibt der Dauertätigkeitscharakter jedoch nicht vom Anrollen der Räder bis zum endgültigen Stillstand – das endgültige Abstellen des Motors bzw. die endgültige Einstellung der Weiterfahrt288 – zwingend erhalten. Durch eine bewusste und nach außen hin erkennbare Haltung des Führenden, auf sich verändernde äußere Umwelt- und Verkehrsfaktoren nicht (mehr) mit entsprechenden Steuerungsimpulsen reagieren zu wollen oder mit der Zuwendung zu führungsfremden anderen Aufgaben entledigt er sich der Führungstätigkeit. Ob dies berechtigt geschah, etwa weil der Führende die Regelungsaufgabe an das Fahrerassistenzsystem übertrug, ist dann eine Frage der Unterlassungsstrafbarkeit. 3. Die Notwendigkeit des finalen Elements Der grammatikalischen Auslegung nach ist ein Führen und, wie es die Rechtsprechung beschreibt, ein Beherrschen des Fahrzeugs,289 nur denkbar, wenn der Führende seine Aufmerksamkeit dem Informationsverarbeitungsprozess zuwendet. Das Führen ist eine zielgerichtete Tätigkeit, die eine eingehende Befassung mit einer Vielzahl an verkehrstechnischen Faktoren voraussetzt. Im Definitionsvorschlag wird das subjektive Element durch das „Dienen“ und die „Zielgerichtetheit“ aufgegriffen. In Anbetracht dieser Wortwahl wird das Gewicht des finalen Elements deutlich. Anders als das Ingebrauchnehmen oder das Fortbewegen setzt das Führen die Umsetzung der aus dem Informationsverarbeitungsprozess gewonnenen subjektiven Führungsgrößen unter Abgleich der objektiv vorliegenden Führungsgrößen voraus. Dieser Informationsverarbeitungsprozess und der davon umfasste Abgleich kann nur willentlich erfolgen. Das Ziel des Führenden ist es, aufgrund der von ihm nach dem Informationsverarbeitungsprozess eruierten subjektiven Führungsgrößen das Fahrzeug im Verkehrsraum kollisionsfrei und möglichst ohne Abweichung von der Sollspur zu bewegen.290 Diese dynamische Zielstellung wird durch die Inbezugnahme des Fahrprozesses, dem die Betätigung des Führenden „dienen“ muss, gerecht. Entsprechend erstreckt sich das finale Element nicht auf die konkrete Vorstellung oder den konkreten Fortbewegungswunsch des Führenden, sondern allein auf den abstrakten Willen, die Führungsaufgaben wahrnehmen zu wollen, um eine Fortbewegung zu erzielen. Demgemäß ist auch bei einem gänzlich ungeübten Führenden, etwa beim Fahrschüler in seiner ersten Fahrstunde, das finale Element zu bejahen, obwohl dieser die Wirkung und das Handling des Fahrzeugs in aller Regel 288 MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 16; vgl. LK-StGB/König, § 315c, Rn. 13; BGH VRS 49 (1975), 177, 177; 185, 185; BGH NJW 1983, 1744, 1744; vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 281, 282. 289 Ausdrücklich BGHSt 36, 341, 344; BGH NZV 1995, 80, 80 m. Anm. Hauf; AG Bingen ZfS 1989, 105, 105; vgl. BayObLG VRS 32 (1967), 127, 127 f. 290 Vgl. zur Zielgerichtetheit: LK-StGB/König, § 315c, Rn. 34; OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 198; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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noch nicht einzuschätzen weiß. Das finale Element ist schlicht der Wille, sich der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung widmen zu wollen. Auf das Ergebnis, also ob der konkrete Fortbewegungswunsch tatsächlich umgesetzt wird, kommt es nicht an. Fehleinschätzungen, Fehldeutungen und fehlerhafte Ausführungen, die zu einem vom konkreten Fortbewegungswunsch des Täters abweichenden Ergebnis führen, lassen das finale Element unberührt. Das Einhalten der Ist- zur Sollspur ist mithin kein Kriterium des finalen Elements. Genauso geht eine (kurzweilige) Entledigung des Willens der Fahrzeugführung nicht mit einer Entledigung der Führungstätigkeit einher. Ausschließlich die endgültige Aufgabe der Führungstätigkeit, also das dauerhafte ersichtliche Erlöschen des Willens, dem Aufgabenprofil der Fahrzeugführung nachkommen zu wollen, lässt das finale Element entfallen. Die rechtliche Konsequenz dessen ist ein teilweises Überlappen der Vorsatzfrage mit dem objektiven Tatbestand. Bestandteil des subjektiven Tatbestands bleibt hingegen die Feststellung der (konkreten) Vorsatzform des Führens als auch der Vorsatz bezüglich der weiteren Tatbestandsmerkmale. Zugleich wird durch das finale Element ein fahrlässiges Führen bereits auf objektiver Ebene ausgeschlossen.291 Anders als bei der Verletzung von Sorgfaltspflichten, bei denen der Unrechtsgehalt nicht im Zweck der Handlung, sondern in der Art ihrer Durchführung zu erblicken ist, liegt das verpönte Unrecht beim Führen allein in der bewussten und zielgerichteten Vornahme der Führungstätigkeit trotz fehlender Fahrtauglichkeit oder unter Hinzutreten des weiteren tatbestandlichen Fehlverhaltens. Das strafrechtlich sanktionierte Unrecht der Führungsdelikte verwirklicht sich nicht durch eine sorglose Ausübung der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung, sondern in dessen bewusster Vornahme.292 Ein fahrlässiges Führen ist deshalb sowohl aufgrund der Ausprägung als zielgerichtete Tätigkeit als auch aufgrund der Schutzrichtungen der §§ 315c und 316 StGB ausgeschlossen.293 Die Anordnung der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit etwa des § 316 Abs. 2 StGB erstreckt sich damit ausschließlich auf die Herbeiführung oder Verkennung des fahruntüchtigen Zustands, nicht aber auf die Vornahme der Tatbestandshandlung des Führens.294 Das hiergegen zu erwartende Argument, dass ein Fahrzeugführender, der sich seiner Handlung als Führungstätigkeit überhaupt nicht bewusst ist, die Fortbewegung also nicht bewusst herbeiführt, gefährlicher sei, als ein Fahruntüchtiger, der sich bewusst dieser hingibt, verfängt nicht. Die Schaffung einer höheren Gefahrintensität setzt voraus, dass dem fahrlässig, also sorgfaltswidrigen Handeln, zumindest eine der 291
OLG Stuttgart DAR 1963, 358, 359; BayObLGSt 20, 109, 110; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 198; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 28; SKStGB/Wolters, § 315c, Rn. 6 u. 33. 292 Zum Gesamten Rehberg, FG Schultz, S. 72, 79 (zum schweiz. StR). 293 SK-StGB/Wolters, § 316, Rn. 8; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 28; OLG Stuttgart DAR 1963, 358, 359; a. A. NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 16. 294 Vgl. OLG Stuttgart DAR 1963, 358, 359; BayObLGSt 20, 109, 109 f.; OLG Frankfurt NZV 1990, 277, 277; OLG Düsseldorf NZV 1992, 197, 198; SK-StGB/Wolters, § 316, Rn. 8 u. § 315c, Rn. 6 u. 33.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
zielgerichteten Ausübung gleichwertige Gefahrenlage innewohnt. Nun ist es zum einen nicht nur so, dass sich der unverhofft Fortbewegende in aller Regel zügig bemühen wird, das Fahrzeug wieder zum Halten zu bringen, sobald er die Fortbewegung bemerkt. Zum anderen ist kaum bestreitbar, dass die Führung einer Person, die sich aufgrund von Alkohol- oder Drogenkonsum selbst enthemmt, überschätzt und eine wesentlich geringere Reaktionsfähigkeit besitzt, eine höhere Gefahrintensität birgt, als die des versehentlich Losrollenden. Der vom Fahrzeug ausgehende Gefahrenbereich fächert sich bei einer bewussten Nutzbarmachung des Leistungsspektrums des Fahrzeugs weitaus breiter aus als beim versehentlichen Anrollen. Während bei der zielgerichteten Bedienung ein Gefahrenkreis bewusst geschaffen wird, der bei Erfüllung der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen der Führungsdelikte mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht beherrscht wird, entsteht dieser bei einer Fahrlässigkeit – wenn überhaupt – zufällig. Dem zielgerichtet handelnden Täter steht zudem anders als dem fahrlässig Losrollenden der gesamte Leistungsbereich des Fahrzeugs zur Verfügung, den er eben nur vermeintlich beherrscht. Vergleichbar ist die Situation mit zwei Schützen. Während der eine, erfahrene Sportschütze meint, trotz des Konsums von 5 Bier an dem Schießstandwart, der gerade den Kugelfang leert, gezielt und knapp vorbeischießen zu können, legt der zweite ungeübte Schütze seine Waffe „nur“ ungesichert am Schießstand ab, wodurch sich in Folge einer Unachtsamkeit beim Aufstützen ein Schuss löst. Es wird kaum zu verneinen sein, dass die Wahrscheinlichkeit der Verletzung des Schießstandwarts beim ersten Schützen erheblich höher ausfällt als beim Zweiten. Bei Erstem entfalten sich die dem Schießsport innewohnenden Gefahren umfassend, während die Gefahrintensität des zweiten Schützen mangels Zielgerichtetheit gemindert ist. Der Schießstandwart ist weder im Visier, noch bewegt sich die versehentlich abgeschossene Kugel in einem vordefinierten, zwingend zu beherrschenden, Korridor. Den zweiten Schützen nun wegen vorsätzlicher Körperverletzung oder Tötung zu bestrafen, soweit der versehentlich gelöste Schuss den Schießstandwart trifft, ist kaum denkbar. Bei ersterem, der bewusst den Schuss abgab, von einer Fahrlässigkeit zu sprechen, ist hingegen ebenso indiskutabel. Beim Fahrzeugführen verhält sich dies gleichermaßen – nur eben vorgezogen bereits bei der Bestimmung der objektiven Tathandlung. Die Bedienung einer grundsätzlich gefahrträchtigen Maschine trotz bestehender (erheblicher) persönlicher Mängel oder unter gröblichstem Fehlverhalten ergibt ein höheres Gefahrenpotenzial als deren versehentliche Ingangsetzung. Insofern fehlt dem Fahrlässigkeitsvorwurf bzgl. der Tathandlung der erforderliche Anknüpfungspunkt. Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass aufgrund des subjektiven Elements keine Strafbarkeitslücken zu befürchten sind, da sich der fahrlässig Führende bei Personenschäden zumindest der Strafbarkeit der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 229 StGB oder gar fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB aussetzt. Es ist also jeder, der sich auf den Fahrersitz setzt, aus seinem ihm gegenüber anderen aus dem Strafgesetzbuch bestehenden Verhaltensgeboten gehalten, alle Sorgfaltsmaßnahmen zu ergreifen, um ein versehentliches Anrollen zu vermeiden.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Im Ergebnis schließt ein fehlender abstrakter Fortbewegungswille die Tatbestandsmäßigkeit aus.295 Dem steht gleich, wer trotz der Bedienung wesentlicher technischer Einrichtungen des Fahrzeugs nicht dessen Fortbewegung hervorrufen will, etwa weil sich die Betätigung des Gaspedals allein zum Zwecke der Prüfung des Motorenlaufs erweist.296 Für die bisherige Rechtsanwendung ergibt sich, da die Rechtsprechung und Literatur selbst überwiegend ein finales Element fordern, keine Änderung. 4. Kein Bewegungselement Die Herleitung des Bewegungselements, welches von der Rechtsprechung und überwiegenden Literatur seit dem Leiturteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1988297 herangezogen wird, ist dogmatisch schwierig. Mit der Arbeitsaufgabe der (Kraft-)Fahrzeugführung steht dieses Kriterium in keinem auslegungsrelevanten Zusammenhang. Wenngleich der vom Bundesgerichtshof herausgestellte Gedanke, die den Führungsdelikten innewohnenden Ziel- und Schutzzwecke seien erst mit der Aufnahme der Fahrbewegung gefährdet, nicht gänzlich fern liegt,298 ist dieser bei der Auslegung der Tathandlung des Führens fehlverortet. Unabhängig einer inhaltlichen Wertung dieser Annahme, ist es andererseits in tatsächlicher Hinsicht auch nicht so, dass mit dem (vorübergehenden) Stillstand des Fahrzeugs der Führende von seiner Pflichtenbindung und seiner Arbeitsaufgabe freigestellt wäre und diese erst wieder mit dem in Gang setzen der Räder erneut aufnimmt. Spätestens mit der jeglichen Auslegungsbezug vermissenden Begründung, sich mit dem Erfordernis eines Bewegungsvorgangs primär von Beweisschwierigkeiten freimachen zu wollen, wandelt der Bundesgerichtshof abseits dogmatischer Pfade.299 Äußerlich feststellbare Gegebenheiten als maßgeblich für den Nachweis der Ausübung der Tathandlung zu erachten, um Feststellungen zur „schwer nachweisbare innere Einstellung des Täters“300 zu vermeiden, ist dogmatisch weder tragfähig noch wird dies der Führungstätigkeit als zielgerichteter Tätigkeit gerecht.
295 LK-StGB/König, § 315c, Rn. 12; so auch die ältere Rspr.: BGHSt 7, 315, 317; BayObLGSt 16, 142, 143; BayObLG VRS 32 (1967), 127, 127 f.; BayObLGSt 36, 13, 13 f.; BayObLG VRS 75 (1988), 127, 128; vgl. OLG Köln NJW 1964, 2026, 2026; OLG Düsseldorf VerkMitt 1971, 16, 16; OLG Koblenz DAR 1972, 50, 51; OLG Celle NdsRpfl 1973, 27, 27; BayObLG VRS 66 (1984), 202, 203. 296 Insb. BGHSt 7, 315, 317; OLG Celle VerkMitt 1973, 19, 19. 297 BGHSt 35, 390, 393 ff. 298 Vgl. Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, Rn. 328; BGHSt 35, 390, 393 ff. 299 BGHSt 35, 390, 395 m. w. N. 300 BGHSt 35, 390, 395 m. w. N.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
a) Etwas Statisches könne nicht geführt werden Die Phrase, etwas Statisches können nicht bewegt werden,301 auf der das etablierte verkappte Erfolgselement der Führungsdelikte, das Bewegungselement, beruht, trägt eher den Charakter einer selbsterfüllenden Prophezeiung als einer auslegungsdogmatischen Erkenntnis. Natürlich kann dieses Erfordernis im Rahmen einer normspezifischen Auslegung als einschränkendes Merkmal teleologisch bestehen; dem tathandlungsbeschreibenden Tatbestandsmerkmal des Führens selbst ist dies aber nicht immanent. Die Verwirklichung der Führungstätigkeit hängt nicht davon ab, ob die Räder des Fahrzeugs (an-)rollten, sondern, ob sich der Täter der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung zuwendet. Die Führungstätigkeit ist schließlich nach Ansicht der Rechtsprechung und überwiegenden Literatur auch nicht beendet, sobald die Räder zum Stehen kommen, sondern erst, wenn der Motor endgültig abgestellt oder die Fahrt endgültig eingestellt wird.302 Dieser Widerspruch ist bis heute nicht ausgeräumt worden. Es ist inkonsequent, einerseits die Vollendung des Führens vom Beginn eines Bewegungsvorganges abhängig zu machen, zugleich jedoch den Stillstand der Räder nicht als Beendigung derselben zu werten.303 Dies gilt sowohl für den Führenden, der gerade erst losfahren will, wie für denjenigen, der einen verkehrsimmanenten Stopp einlegt. Beide nehmen (mitunter dieselben) fahrtvorbereitenden Handlungen vor. Beispielhaft käme die Rechtsprechung und Literatur wohl kaum auf die Idee, demjenigen die Führungstätigkeit abzusprechen, der an einer roten Ampel auf die Freigabe der Kreuzung wartet. Derjenige, der hingegen abfahrtbereit unter Vornahme aller notwendigen Führungseingriffe nach einer günstigen Gelegenheit Ausschau hält, um sich aus seiner Parklücke in den fließenden Verkehr einzuordnen, also das in Bewegung setzen des Fahrzeugs initiieren will, soll sich hingegen bis zur Bewegung desselben „nur“ im Versuchsstadium befinden.304 Dies überzeugt nicht. Insofern ist das Kriterium des Bewegungsvorgangs wohl allein zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten eingeführt worden, mithin zur Feststellung eines Tatverhaltens willkürlich gewählt worden. Natürlich kann dem Führen ein dynamischer Aspekt nicht gänzlich abgesprochen werden. Dieses ist jedoch nicht auf objektiver Seite, sondern allein auf subjektiver Ebene zu verorten. Innerhalb des bereits ausgeführten subjektiven Elements des objektiven Tatbestands kommt dies zum Tragen. Die ausgeübte Führungstätigkeit muss schließlich dem Zweck der „Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erheblichen Veränderung des Fahrprozesses […] dienen“. Insofern ist die Ausübung der ziel301
BGHSt 35, 390, 393; Geppert, Jura 2001, 559, 561. BGH VRS 49 (1975), 177, 177; 185, 185; BGH NJW 1983, 1744, 1744; vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 281, 282; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 13; MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 16. 303 A. A. LK-StGB/König, § 315c, Rn. 13, der Beginn und Beendigung der Tathandlung an den gleichen Modalitäten ausrichtet. 304 So u. a. SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 6 u. 24; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 12; SSWStGB/Ernemann, § 315c, Rn. 4 m. w. N.; BGHSt 35, 390, 394. 302
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gerichteten Führungstätigkeit nur denkbar, wenn der Täter auch einen Bewegungsvorgang hervorrufen will. Ob die zur Erzielung dieses Zwecks getätigten Handlungen, sprich auch fahrtvorbereitende Handlungen, tatsächlich ein Anrollen der Räder bewirken, ist für die rechtliche Würdigung des tatrelevanten Verhaltens hingegen irrelevant.305 b) Die Gleichsetzung von Beginn und Beendigung der Führungstätigkeit Die Frage der rechtlichen Konsequenz des Fehlens eines Bewegungselements ist sicherlich umfangreich, jedoch mit Verweis auf die Rechtsanwendung vor dem Jahr 1988 zu beantworten. Letztlich erlangt an Bedeutung, dass die mentalen als auch physischen Anforderungen beim Fahren von der Bewegung des Kraftfahrzeugs unabhängig sind.306 Könnte etwas Statisches nicht geführt werden, hätte jeder verkehrsimmanente Halt, wie aufgezeigt, die Beendigung und jedes Anfahren die erneute Aufnahme der Führungstätigkeit zur Folge. Dies ist mit dem Charakter der Führungstätigkeit nicht vereinbar. Deutlich wird dies am bereits herangezogenen Beispiel des Automatikfahrzeugs. Diese setzen nach dem Motorstart und der Wahl des Fahrmodus in aller Regel den Tritt auf das Bremspedal voraus, um das „Auskuppeln“ durch die Automatik, also den Stillstand des Wagens, sicherzustellen.307 Der Stillstand, das Statische, beruht dann allein auf der aus dem Informationsverarbeitungsprozess entspringenden willentlichen und bewussten Betätigung des Bremspedals308 durch den Führenden. Löst dieser die Bremse hingegen, würde sich der Wagen im Standgas fortbewegen. Damit ist die tragende Ansicht des Bundesgerichtshofs, ein stehendes Fahrzeug bedürfe grundsätzlich nicht der Beherrschung,309 widerlegt.310 c) Die Konsequenzen für die Versuchsstrafbarkeit Der Entfall des Bewegungselements geht im Vergleich zur etablierten Rechtsprechung mit einer Vorverlagerung der Vollendungsstrafbarkeit einher, wie sie 305
Ebenso alte Rspr. zur „Teilnahme am Verkehr“: OLG Köln NJW 1964, 2026, 2026. Vgl. OLG Koblenz VRS 46 (1974), 352, 352. 307 Siehe 7. Kap., Fn. 87. 308 Anderes gilt natürlich dann, wenn der Tritt auf das Bremspedal allein und ohne Ansehung des Verkehrsgeschehens dazu dient, den Stillstand sicherzustellen. Dies wäre immer dann der Fall, wenn sich der Führende während des Stillstandes noch tertiären Fahraufgaben, etwa dem Einstellen des Navis, widmet. In diesem Falle sprechen die nach außen für einen allwissenden objektiven Beobachter ersichtlichen Gegebenheiten gegen eine willentliche Aufnahme des Fahrprozesses. Es fehlt am finalen Element. Dies verdeutlicht noch einmal die Notwendigkeit einer Einzelfallbetrachtung. 309 Ausdrücklich BGHSt 36, 341, 344; BGH NZV 1995, 80, 80 m. Anm. Hauf; AG Bingen ZfS 1989, 105, 105; vgl. BayObLG VRS 32 (1967), 127, 127 f. 310 BGHSt 35, 390, 394. 306
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bereits vor dem Leiturteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1988311 bestand. Für § 316 Abs. 1 StGB bedeutet dies im Vergleich zur etablierten Auslegungspraxis eine Ausdehnung der Strafbarkeit, da eine Versuchsstrafbarkeit durch § 316 StGB nicht angeordnet wird. Zudem ist § 316 Abs. 1 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt und zugleich Tätigkeitsdelikt312 ausgestaltet, sodass der Vollendung des Führens eine tatbestandskonstitutive Wirkung zukommt.313 Dies geht mit dem Willen des Gesetzgebers, der einem Erfolgseintritt vorgelagert das Führen im fahruntüchtigen Zustand aufgrund seiner generellen Gefährlichkeit pönalisieren wollte, einher.314 Grund für die erfolgsunabhängige Sanktionierung sind bei abstrakten Gefährdungsdelikten und eben auch bei § 316 Abs. 1 StGB Standardisierungsbestrebungen zur Ordnung massenhaft auftretenden gleichartigen Verhaltens, welches aufgrund seiner Gefahrträchtigkeit bereits im Voraus tatbestandlich vertypt werden (muss).315 § 316 StGB dient der Aufrechterhaltung der Gesamtordnung. Dem Gesetzgeber ist es schlicht nicht möglich, die einzelnen Gefahren des Führens in fahruntüchtigem Zustand zur wirksamen Abwehr von Rechtsgutsverletzungen zu pönalisieren. Das Gesetz kann den unterschiedlichen konkreten Einzelgefahren nur durch die Sanktionierung der „Großstörung“316 unabhängig vom individuellen Rechtsgut entgegentreten, um genau diese hinter der Gesamtordnung stehenden individuellen Rechtsgüter zu schützen.317 So liegt es bei § 316 StGB. Die in dem Bereich der Norm agierenden Akteure sind nach Ansicht des Gesetzgebers aufgrund der Komplexität der Führungsaufgabe nicht in der Lage, derart steuernd einzugreifen, dass sie allen denkbaren Einzelstörungen, letztlich jeder einzelnen aus der gefahrträchtigen Situation herrührenden Rechtsgutsgefährdung oder -verletzung, entgegentreten können.318 Hingegen muss der Gesetzgeber davon ausgehen, dass die im abstrakten Gefährdungsdelikt pönalisierte Vornahme der strafbewehrten Handlung mit einiger 311
BGHSt 35, 390, 393 ff. NK-StGB/Zieschang, § 316, Rn. 9; LK-StGB/König, § 316, Rn. 2; BeckOK-StGB/ Kudlich, § 316, Rn. 1. 313 Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung, S. 57 f. m. w. N.; S/S/Hecker, § 316, Rn. 2 u. 21; § 316 StGB als Tätigkeitsdelikt erkannt: NK-StGB/Zieschang, § 316, Rn. 9; LK-StGB/ König, § 316, Rn. 2; richtig MüKo-StGB/Pegel, § 316, Rn. 1: selbst Fälle „absoluter Ungefährlichkeit im Einzelfall“ lassen die Tatbestandsmäßigkeit nicht entfallen; ebenso SK-StGB/ Wolters, § 316, Rn. 2: „Erwägungen des Richters auch darüber, ob die Tat nicht ,wenigstens‘ eine ,abstrakte Gefahr‘ bewirkt hat, wären mithin fehl am Platz“; vgl. Langrock, Eigenhändiges Delikt, S. 40 f.; Gerhold/Conrad, JA 2019, 358, 361. 314 Roxin/Greco, StR AT I, § 10, Rn. 124; Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung, S. 57 f. m. w. N.; Radtke, Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 65 u. vgl. S. 150 ff. 315 Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung, S. 58. 316 „Eine aus zahlreichen Einzelstörungen bestehende Gesamtheit, von deren Elementen (z. B. den einzelnen Beteiligungsakten des § 227) eine im Einzelnen nicht bestimmbare Gefahr des Erfolgseintritts ausgeht.“, Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 283. 317 Zum Gesamten u. weiterführend Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 283 f. 318 Jakobs, StR AT, 6. Abschnitt, Rn. 86a; Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 276 ff.; Radtke, Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 6. 312
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Wahrscheinlichkeit die Verletzung eines Schutzobjekts bewirken wird.319 Daraus zieht § 316 StGB seine Legitimation. Im Grunde ist es dem etwa trunkenen Täter, nachdem er sich der Führungstätigkeit zuwendet, nicht mehr möglich, alle Geschehensabläufe richtig einzuschätzen, sodass selbst auf Basis einer sorgfältigen Tätigkeitsübernahme unerwartete Ergebniskombinationen auftreten können, die er nicht zu beherrschen fähig sein wird.320 Die Frage ist also, ab welchem Zeitpunkt diese Gefährdung der Gesamtordnung hervorgerufen wird. Dies ist nicht erst mit der ersten Fortbewegung gegeben, sondern bereits dann, wenn dem Täter Einwirkungsmöglichkeiten auf den Straßenverkehr gegeben sind. Es wurden bereits Fallgestaltungen benannt, etwa das Festhalten des Automatikfahrzeugs als auch die Einwirkung auf den Straßenverkehr durch grelle Lichtzeichen, in denen der Täter durch seine aktive Führungstätigkeit, trotz unterbliebenen Anrollens der Räder, Gefährdungen für den Straßenverkehr hervorrufen kann. Mit dem Entfall des Bewegungserfordernisses und dem Abstellen auf die Vornahme der Führungstätigkeit tritt die Vollendung zwar vor der ersten Bewegung des Fahrzeugs ein. Dies ist mit Blick auf den Straßenverkehr, der durch § 316 StGB vor sämtlichen Führungstätigkeiten trunkener und fahruntüchtiger Fahrzeugführender, unabhängig deren Erfolgs in Gestalt der Fortbewegung, geschützt werden muss, um dessen Gesamtordnung effizient und global zu schützen, legitim. Bei § 315c Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 StGB verschiebt sich hingegen die Grenze zwischen Vollendung und Versuch. Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit ist die Tathandlung des Führens. Sobald diese unter Hinzutreten der übrigen in § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB benannten Tatbestandsmerkmale verwirklicht wurde, ist eine Vollendungsstrafbarkeit gegeben. Die Bejahung der Vollendung des § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB fällt dabei aufgrund des Erfordernisses eines konkreten Gefährdungserfolgs nicht mit dem Beginn der Führungstätigkeit zusammen. Die Auswirkungen des Fehlens eines Bewegungselements sind bei § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprechend geringfügig und bei den Tatvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB überhaupt nicht gegeben, da diese mit Ausnahme des lit. g) nur dynamische Fahrsituationen erfassen und darüber hinaus der Tathandlung des Fahrens ein dynamisches Element innewohnt. Doch auch bei § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB wird in aller Regel eine konkrete Gefährdungslage nur aus einem dynamischen Fahrprozess heraus eintreten. Zwar sind auch Fälle einer konkreten Gefährdung anderer im Stillstand des Fahrzeugs denkbar, diese dürften aber die Ausnahmen bilden. Beispielhaft dafür steht der aufgrund von Trunkenheit nicht über alle Sinne verfügende Führende, der das Fernlicht einschaltet, um unmittelbar daraufhin loszufahren und dadurch noch vor dem Anfahren einen entgegenkommenden Fahrzeugführer erheblich blendet.321 Letztlich hat die Aufgabe des Bewegungserfordernisses keinen Verlust einer trennscharfen Abgrenzung zwischen der Versuchsstrafbarkeit und der Vollendung 319 320 321
Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung, S. 57 m. w. N. Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 278. A. A. BGHSt 35, 390, 394.
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des § 315c Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StGB als auch des § 316 Abs. 1 StGB (der mangels Anordnung keine Versuchsstrafbarkeit kennt) zur Folge. Auf Seiten des subjektiven Tatbestands des Versuchs, dem Tatentschluss,322 ergibt sich durch den Verzicht auf das Bewegungserfordernis keine Veränderung. Vorsatzfragen werden davon nicht berührt. Das insbesondere bei der Anordnung der Versuchsstrafbarkeit des § 315c Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StGB beherrschende Problem des Nachweises des Gefährdungsvorsatzes bleibt sowohl mit als auch ohne Bewegungselement erhalten.323 Die Versuchsstrafbarkeit des § 315c Abs. 2 StGB offenbart sich deshalb, wie eine Recherche der Rechtsprechung ergibt, bereits heute als theoretisches Problem. Schließlich müsste das Gericht dem Täter nachweisen, alle Umstände gekannt zu haben, die die Herbeiführung des Gefahrerfolgs naheliegend erscheinen lassen. Dies gelingt in aller Regel nur dann, wenn es aufgrund der Fahrweise des Täters bereits zu gefahrträchtigen Situationen, sog. Beinahe-Unfällen, kam und es sich daher dem Täter aufdrängen musste, dass er weitere konkrete Gefahrenlagen schaffen würde.324 Aufgrund dieses begrenzten Anwendungsbereichs der Versuchsstrafbarkeit wird § 315c Abs. 2 StGB sogar als „totes Recht“ bezeichnet.325 Auf die Versuchsstrafbarkeit des § 315c Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StGB hat ein Absehen von dem Bewegungselement mithin keine Auswirkungen. Auf Seiten des objektiven Tatbestands der Versuchsstrafbarkeit, dem unmittelbaren Ansetzen,326 hat das Bewegungselement hingegen bisher einen umgangssprachlichen Bärendienst geleistet. Schließlich setzt die Versuchsstrafbarkeit voraus, dass der Täter die pönalisierte Handlung begonnen hat,327 oder, soweit es an einer Teilverwirklichung mangelt, unmittelbar der Tathandlung vorgelagerte Handlungen vollzog.328 Die Feststellung des unmittelbaren Ansetzens muss am Tatverhalten des Täters anknüpfen. Mit der in § 22 StGB getroffenen Formulierung, der Täter muss „nach seiner Vorstellung von der Tat“ zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt haben, erhob der Gesetzgeber zudem nach herrschender Ansicht die individuell-objektive Tätervorstellung zum maßgeblichen Kriterium.329 Es muss aus Sicht des Täters unter Berücksichtigung der realen Gegebenheiten geprüft werden, ob er, der Täter, davon ausging, durch sein Verhalten in die Nähe der Tatbestands-
322
MüKo-StGB/Hoffmann-Holland, § 22, Rn. 35. Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1956, 1043, 1044; S/S/Hecker, § 315c, Rn. 44; MüKo-StGB/ Pegel, § 315c, Rn. 120; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 191 f. 324 Vgl. BGH NStZ-RR 2010, 120, 121; LK-StGB/König, § 315c, Rn. 192. 325 LK-StGB/König, § 315c, Rn. 197; BeckOK-StGB/Kudlich, § 315c, Rn. 78; MüKoStGB/Pegel, § 315c, Rn. 120. 326 MüKo-StGB/Hoffmann-Holland, § 22, Rn. 102. 327 MüKo-StGB/Hoffmann-Holland, § 22, Rn. 105; S/S/Eser/Bosch, § 22, Rn. 37. 328 Gössel, in: Maurach/Gössel/Zipf, StR AT 2, § 40, Rn. 50; S/S/Eser/Bosch, § 22, Rn. 40. 329 MüKo-StGB/Hoffmann-Holland, § 22, Rn. 103; S/S/Eser/Bosch, § 22, Rn. 32/34; vgl. ausf. Hillenkamp, FS Roxin, S. 689, 703 ff.; BGH NStZ 2008, 209, 209; 465, 466; zu § 315a StGB a. F.: OLG Düsseldorf NJW 1956, 1043, 1044. 323
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verwirklichung zu rücken oder ob er die Tathandlung bereits vorgenommen hat.330 Dies erfordert, unabhängig der subjektiven Beurteilungsgrundlage, eine nach außen erkennbare Aufnahme der Handlung des Täters.331 Ob der Täter aber die Führungshandlung aufgenommen hat, kann nicht anhand der Bewegung des Fahrzeugs beurteilt werden. Der Bewegungsvorgang des Fahrzeugs gibt schließlich keine Auskunft darüber, ob dieser auf einen bewussten Steuerungsimpuls, also eine sanktionswürdige Handlung, oder ein Versehen zurückzuführen ist. Zudem ist beim Einsatz eines hoch- oder vollautomatisierten Systems, welches im Stand aktiviert wurde, von außen nicht mehr erkennbar, ob der Bewegungserfolg auf einem systemimmanenten oder einem menschlichen Steuerungsimpuls beruht. So wird eine Vollendungsstrafbarkeit etwa beim Betrug auch nicht bereits deshalb angenommen, weil der Geschädigte objektiv einem Irrtum unterlag, sondern nur, wenn der Täter diesen durch eine Täuschungshandlung hervorrief. Nur dann, wenn dem Täter eine Täuschungshandlung oder der Versuch einer solchen nachgewiesen werden kann, ist er strafbar. Beim Führen gilt nichts anderes. Auch nach der etablierten Auslegungsund Spruchpraxis müsste aufgrund der Anknüpfung der Versuchsstrafbarkeit am Handlungsunwert, nicht Erfolgsunwert, an der Tathandlung, nicht am Bewegungserfolg, angeknüpft werden. Warum die Abgrenzung von Versuch und Vollendung beim Führen derartig problematisch ist, liegt wohl daran, dass sich das Führen als gleichförmiges Gesamtgeschehen entpuppt. Mehrere einzelne Handlungen, die nicht voneinander zu trennen sind und nahtlos ineinander übergehen, zeichnen das Führen aus. Eine konkret nach außen tretende Zäsur zur Vollendung in Gestalt von formalen Kriterien ist schwer auszumachen. Entsprechend ist es unausweichlich, wie Eser und Bosch formulieren, einen Annäherungsbereich, in welchem noch vom unmittelbaren Ansetzen zum Führen gesprochen werden kann, zu definieren. Insofern muss bei der Bestimmung des Versuchsbeginns als auch des Zeitpunktes des Vollendungsbeginns die Frage gestellt werden, ob es sich „schon“ oder „noch“ um zur Tathandlung zusammengehörige Zwischenakte handelt.332 Dies wird kaum einer Verallgemeinerung zugänglich sein. Nur so viel steht fest: Das Versuchsstadium des Führens ist vor allem dann (noch) anzunehmen, wenn sich der Täter sekundären Fahraufgaben zuwendet, die (noch) nicht der unmittelbaren Bewältigung primärer Fahraufgaben dienen. Beispiele dafür sind etwa das Einschalten des Abblendlichts oder der Scheibenwischer nach dem Starten des Motors, ohne sich bereits mit den Verkehrsgegebenheiten befasst zu haben. Freilich kann die zeitliche Spanne zwischen dem strafbaren Versuch und der straflosen Vorbereitung nur sehr eng gefasst werden, sodass nur solche Handlungen dem Versuchsstadium zuzuordnen sind, die der Aufnahme der (primären) Führungsaufgaben unmittelbar und ohne weitere Zwi-
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MüKo-StGB/Hoffmann-Holland, § 22, Rn. 104. MüKo-StGB/Hoffmann-Holland, § 22, Rn. 105; S/S/Eser/Bosch, § 22, Rn. 37. Zum Gesamten S/S/Eser/Bosch, § 22, Rn. 41; siehe auch BGH NJW 1980, 1759, 1759.
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schenschritte vorangehen.333 Die Übernahme tertiärer Fahraufgaben, etwa die Aktivierung des Navigationssystems oder die Einstellung der Heizung bieten hingegen keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Täter ohne weitere Zwischenschritte der primären Führungsaufgaben widmen wollte. Demgemäß sind, nur der Vollständigkeit halber, nach dem vorliegenden Definitionsvorschlag das Anlassen des Motors,334 das Einstecken des Zündschlüssels335 oder das Einnehmen des Fahrersitzes,336 die in aller Regel ohne Ansehung der Verkehrsgegebenheiten vorgenommen werden und denen regelmäßig kein Informationsverarbeitungsprozess im Sinne der Führungstätigkeit vorausgeht, also noch weiterer Zwischenakte zur Verwirklichung der Führungstätigkeit bedürfen, als Vorbereitungshandlungen anzusehen.337 Gleiches gilt ebenso für das Aufsteigen auf ein noch nicht unmittelbar fahrbereites Zweirad,338 soweit dieses weder eine unmittelbar fahrvorbereitende Tätigkeit darstellt noch die Fahrbereitschaft des Zweirades unmittelbar selbst herstellt.339 5. Der Verzicht auf die Eigenhändigkeitsdoktrin der Straßenverkehrsdelikte Es sollte anzunehmen sein, dass das Eigenhändigkeitserfordernis, welches von der herrschenden Ansicht derart unstrittig bei den Führungsdelikten der §§ 315c Abs. 1 und 316 Abs. 1 StGB angenommen wird, dem Delikt sprichwörtlich auf die Stirn geschrieben steht. Dem ist aber mitnichten so. Stattdessen mangelt es, wohl auch aufgrund allgemein wenig ausdifferenzierter Abgrenzungskriterien, an einer den Führungsdelikten anhaftenden individuell-deliktspezifischen Feststellung der Eigenhändigkeit.340 Ein griffiger Begründungsansatz hat sich bisher nicht herausgebildet.341 Dies vermag, ohne diesen Zustand zugleich zu rechtfertigen, auch daran liegen, dass allgemeine Kriterien, die die Eigenhändigkeit auszeichnen, bisher nicht einheitlich formuliert wurden. Einigkeit besteht darüber, dass die Eigenhändigkeit solche Delikte auszeichnet, deren Unrechtsgehalt in der Vornahme der tatbestandlichen Handlung verortet wird.342 Die Tathandlung muss von solchem Charakter sein, dass nur diese aus sich 333
St. Rspr., u. a. BGHSt 26, 201, 203; 28, 162, 163 f.; BGH NStZ 2008, 209, 209. LK-StGB/König, § 315c, Rn. 197; S/S/Eser/Bosch, § 22, Rn. 44. 335 Vgl. zur „Teilnahme am Verkehr“ bejaht: BGHSt 7, 315, 317; SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 24. 336 Vgl. OLG Köln NJW 1964, 2026, 2026; SK-StGB/Wolters, § 315c, Rn. 24. 337 Siehe MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 121. 338 NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 11. 339 Das Einsteigen in ein fahrbereites Fahrzeug abl. BGHSt 35, 390, 394. 340 Vgl. u. a. Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 57; Schall, JuS 1979, 104, 106 f. 341 Vgl. Satzger, Jura 2011, 103, 107; Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 288. 342 Puppe, ZStW 120 (2008), 504, 514 f.; Frister, StR AT, 25. Kap., Rn. 10; LK-StGB/ Schünemann/Greco, § 25, Rn. 63. 334
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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heraus die (Sonder-)Beziehung zum geschützten Rechtsgut herstellt.343 Das Handlungsunrecht muss alleiniger oder weit überwiegender Sanktionsgrund sein. Darin ist das Charakteristikum des Eigenhändigkeitsdelikts zu sehen. Die Bezugnahme zu einem geschützten Rechtsgut ist dabei auch bei einem Tätigkeitsdelikt notwendig, da die handelnde Person nicht ohne „höheres Ziel“ einer staatlichen Strafbarkeit ausgesetzt sein kann. Schließlich ist ein jeder Sanktionsgrund im Rechtsgüterschutz zu erblicken, sodass auch schlichte Tätigkeitsdelikte ihre Legitimation aus der (strafrechtlich vorgelagerten) Vermeidung einer Rechtsgutsgefährdung oder -verletzung ziehen.344 Ein Automatismus, demnach ein Tätigkeitsdelikt nur eigenhändig verwirklicht werden könnte, existiert mithin nicht. Die Bewertung, ob zwischen dem Tatausführenden und dem (dahinterstehenden) Rechtsgut eine solche Sonderbeziehung, die an der Tathandlung anknüpft und von deren Vornahme abhängig ist, besteht, muss deliktsspezifisch festgestellt werden.345 Sicherlich ist mit diesen allgemeinen Ausführungen noch nicht viel für die Zuordnung eines Delikts zum Kreis der Eigenhändigen gewonnen. Schließlich ist, wie Rehberg richtig feststellt, immer zu bedenken, dass die Tatbestände des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs nach ihrem Wortlaut in aller Regel nur denjenigen erfassen wollen, der die darin umschriebene Handlung selbst vornimmt.346 Eine Zurechnung fremden Verhaltens wird hingegen über den Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, namentlich des § 25 Abs. 1 Alt. 2 und Abs. 2 StGB, statuiert.347 Darüber hinaus ist eine Einschränkung der Täterschaft über das Konstrukt der Eigenhändigkeit grundsätzlich nicht vorgesehen. Soweit die Qualifikation als eigenhändiges Delikt daher eine dogmatische Funktion erfüllen soll, muss diese besonders begründbar sein. Dies kann nur dann der Fall sein, wenn der Tatbestand eine Tathandlung pönalisiert, die (vom Gesetzgeber) nur im Rahmen eines höchstpersönlichen Vollzugs strafbar gestellt wurde.348 Nun soll und kann diese Arbeit keinen Lösungsansatz präsentieren, der trennscharfe Abgrenzungskriterien des eigenhändigen Delikts benennt. Von der Darstellung der dominierenden Begründungsansätze, allem voran der Wortlauttheorie, der Körperbewegungstheorie als auch der Theorie von den höchstpersönlichen Pflichtdelikten,349 sei deshalb und aufgrund dessen, dass deren Begründungsstränge, wie Satzger zutreffend erkennt, nebeneinander stehen, an dieser Stelle verzichtet.350 343
Satzger, Jura 2011, 103, 105. Zum Gesamten Satzger, Jura 2011, 103, 108; vgl. Schall, JuS 1979, 104, 107 f. 345 Satzger, Jura 2011, 103, 105. 346 Rehberg, FG Schultz, S. 72, 77 (zum schweiz. StR); Satzger, Jura 2011, 103, 107. 347 Vgl. u. a. MüKo-StGB/Joecks/Scheinfeld, § 25, Rn. 13; LK-StGB/Schünemann/Greco, Vor §§ 25, Rn. 12 u. § 25, Rn. 43 ff.; Kühl, JA 2014, 668, 669 f. 348 Lackner/Kühl/Kühl, § 25, Rn. 3; Satzger, Jura 2011, 103, 106. 349 Weitere Begründungsansätze finden sich zusammengefasst in Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 961 ff.; LK-StGB/Schünemann/Greco, § 25, Rn. 64 ff. 350 Siehe u. a. Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 951 ff.; Satzger, Jura 2011, 103, 107 ff. 344
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Stattdessen wird das von Satzger herausgestellte, sich an diesen Theorien orientierende Abstufungsmodell, welches sich wie ein Leitfaden liest, zugrunde gelegt. Diesem nach ist primär zu untersuchen, ob die Eigenhändigkeit aus dem Wortlaut der Norm selbst erwächst.351 Dabei ist nur eine Entlehnung aus der Tatbestandsumschreibung denkbar, da der Gesetzgeber mit Ausnahme des § 160 Abs. 1 StGB352 keine Umschreibung von eigenhändigen Delikten vornahm.353 So ist etwa bei § 323a Abs. 1 StGB, der ein „sich […] in Rausch versetzen“ verlangt, ein sprachlicher Anhaltspunkt für die Zuordnung zum Kreis der eigenhändigen Delikte gegeben.354 Findet sich ein solcher im Gesetzestext nicht, kann sich das eigenhändige Delikt auf zweiter Stufe durch seinen unmittelbar eigenhändigen körperlichen oder wenigstens höchstpersönlichen Vollzug auszeichnen.355 Schließlich kann nur dann von einem eigenhändigen Delikt gesprochen werden, wenn ausdrücklich der Handlungsunwert zum Sanktionsgrund erhoben wird.356 Dies ist der Fall, wenn aus der Auslegung der Tathandlung selbst der soeben zum Maßstab genommene pönalisierte Sonderstatus zum geschützten Rechtsgut hervorgeht. Der Gesetzgeber muss also, wie Schall richtig festhält, über den Wortlaut der Norm bzw. der Tathandlung zu erkennen gegeben haben, einzig und allein die selbstverwirklichte Verletzung oder Gefährdung des jeweiligen Rechtsguts strafen zu wollen.357 Ist auch dies nicht ersichtlich, kann die Eigenhändigkeit nur noch auf der dritten Stufe, der Theorie der höchstpersönlichen Pflichtdelikte, die hier über die Vorstellung Roxins hinausgeht, erwachsen.358 Dies ist gegeben, wenn dem Täter nach dem Wortlaut des Delikts und der Tathandlung eine unverrückbare, nicht delegierbare situative Zentralstellung für das hinter diesem stehende Rechtsgut zukommt.359 Dies beinhaltet die Frage, ob allein der Täter über den durch seine Handlung geschaffenen Gefahrenkreis bestimmen kann und dadurch eine Sonderbeziehung zum geschützten Rechtsgut aufbaut. In diesem Falle kann ein Delikt kraft Sonderverpflichtung als Eigenhändiges erkannt werden. Zuletzt ist die Zuordnung zum Kreis der eigenhändigen Delikte, unabhängig davon, welches der oben benannten Kriterien erfüllt ist, von einer übergeordneten 351
Satzger, Jura 2011, 103, 109; hingegen sehr weitgehend vgl. KG NJW 1977, 813, 817 f. S/S/Heine/Weißer, § 25, Rn. 50; Frister, StR AT, 25. Kap., Rn. 12; vgl. MüKo-StGB/ Müller, § 153, Rn. 16; Satzger, Jura 2011, 103, 105. 353 So richtig Müller, Eigenhändige Verbrechen, S. 37, zitiert in: Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 950; S/S/Heine/Weißer, Vorb §§ 25 ff., Rn. 85 u. § 25, Rn. 50 auch m. w. krit. N.; Satzger, Jura 2011, 103, 105; BGHSt 6, 226, 227 f.; BGHSt 15, 132, 133; vgl. KG NJW 1977, 817, 818. 354 Satzger, Jura 2011, 103, 109; krit. Puppe, ZStW 120 (2008), 504, 515. 355 Siehe 6. Kap., Fn. 770. 356 U. a. Jescheck/Weigend, StR AT, S. 266; Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 56; Satzger, Jura 2011, 103, 103. 357 Schall, JuS 1979, 104, 109. 358 Roxin will die Auslegung des einzelnen Tatbestands vermeiden: Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 449. 359 Satzger, Jura 2011, 103, 109; vgl. Schall, JuS 1979, 104, 108. 352
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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materiell-rechtlichen Fragestellung abhängig. Für mein Dafürhalten ist die in der Eigenhändigkeit angelegte Durchbrechung des in § 25 StGB angelehnten Tatherrschaftsprinzips360 entscheidend von dessen mangelnder Tragfähigkeit abhängig. Nur soweit die Anwendung der Tatherrschaftslehre zu nicht verantwortungsgerechten Ergebnissen führt, ist für die Anwendung des restriktiveren Täterbegriffs Raum. Die Zuordnung zum Kreis der eigenhändigen Delikte setzt damit voraus, dass die allgemeine Tatherrschaftslehre nicht zu legitimierbaren Ergebnissen kommt.361 Gelingt hingegen über diese eine klare Abgrenzung, verliert die Eigenhändigkeit ihre Abgrenzungsfunktion – einer Einschränkung der Täterschaft bedarf es in diesem Falle materiell-rechtlich nicht. Das Ergebnis vorwegnehmend, ist bei der Tathandlung des Führens kein Kriterium einschlägig. Woraus sich die besondere Sonderbeziehung zum hinter den Führungsdelikten stehenden Rechtsgut ergeben soll, bleibt offen. Zudem kommt das Tatherrschaftsprinzip zu gerechten und legitimierbaren Ergebnissen. Eine Abkehr von diesem ist deshalb bei den Führungsdelikten durch die Charakterisierung der Tathandlung als eigenhändige nicht angezeigt. Letztlich handelt es sich beim heutigen von der Rechtsprechung und der überwiegenden Literatur gestützten Eigenhändigkeitsdogma bei den Führungsdelikten, um die Worte von Roxin zu nutzen, um ein „dogmatisches Zufallsprodukt“,362 nicht um ein materiell-rechtlich begründetes Paradigma. a) Erstes Eigenhändigkeitskriterium: Wortlaut der Straßenverkehrsdelikte Aus dem Wortlaut der Straßenverkehrsdelikte des §§ 315c Abs. 1 und 316 Abs. 1 StGB lässt sich nichts für die Zuordnung zum Kreis der eigenhändigen Delikte gewinnen. Auch die Rechtsprechung und Literatur ziehen die Eigenhändigkeit nicht aus der Tatbestandsformulierung der Führungsdelikte, sondern aus der Tathandlung.363 Ebenso wenig hat der Gesetzgeber durch die Verwendung eines Reflexivums, wie er es etwa beim Vollrausch des § 323a Abs. 1 StGB „sich […] in einen Rausch versetzen“ oder beim Unerlaubten Entfernen vom Unfallort des § 142 Abs. 1 StGB „sich […] entfernen“ verwandte,364 seinen Willen kundgetan, nur den unmittelbaren Täter strafen zu wollen.
360
Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 974; vgl. Satzger, Jura 2011, 103, 107 f. Vgl. Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 944. 362 Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 288. 363 Zimmermann, JuS 2010, 22, 25. 364 Satzger, Jura 2011, 103, 109; Puppe, ZStW 120 (2008), 504, 515, wobei sie selbst die Nutzung des Reflexivums nicht als tragfähigen Anhaltspunkt für ein eigenhändiges Delikt ansieht, da auch diese Tathandlung der Transformationsklausel des § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB unterworfen werden kann. 361
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
b) Zweites Eigenhändigkeitskriterium: „Unmittelbar körperliche“ Verwirklichung Als Anknüpfungspunkt für die Kategorisierung als eigenhändiges Delikt kommt die Ausschließlichkeit der körperlichen Vornahme oder – soweit dies als zweite Gruppe der eigenhändigen Delikte vertreten wird – der höchstpersönliche Vollzug365 in Betracht. Freilich kann darüber nur die Auslegung der Tathandlung des Führens Aufschluss geben. Es ist also danach zu fragen, ob durch das tatbestandliche Führen eine Sonderbeziehung zu den hinter den Straßenverkehrsdelikten stehenden Rechtsgütern dergestalt herstellt wird, dass allein deren persönliche Verrichtung als sanktionswürdiges Handlungsunrecht erscheint. Nach dem Maßstab der Eigenhändigkeit ist zunächst in Anlehnung an das oben Gesagte festzustellen, dass das Führen nach der Auslegung insbesondere aufgrund des Zusammentreffens, Zusammenwirkens und der Wechselwirkung des subjektiven und objektiven Elements der Tathandlung eine solche darstellt, die in sich allein von demjenigen verwirklicht werden kann, der sich mit beiden Komponenten der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung kontinuierlich auseinandersetzt. Kernstück ist die Kausalität zwischen der subjektiven und objektiven Tathandlungskomponente, sodass ein Führen nur dann bejaht werden kann, wenn die objektive Tatkomponente auf einem vorherigen intellektuellen Gedankenergebnis ursächlich beruht. Dementsprechend steht fest, dass ein Betätigen der Steuerelemente des Fahrzeugs ohne die hier vorgeschlagene definitorische (subjektive) Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen – dem Informationsverarbeitungsprozess – nicht tatbestandlich sein kann. Es fehlt in diesem Fall schlicht an der Zielgerichtetheit der Aufgabenwahrnehmung. Nun dürfte offensichtlich sein, dass die subjektive Tathandlungskomponente nicht „unmittelbar-körperlich“ vollzogen werden kann. Dies gilt selbst dann, wenn der Auffassung von Mitsch gefolgt wird. Er betont zu Recht, dass die Eigenhändigkeit nicht von der Vornahme der Tathandlung mit den Händen abhängig sein kann – man denke insbesondere an die Aussagedelikte der §§ 153 ff. StGB – sondern jegliche körperliche Bewegung, eben auch das Sprechen, vom Eigenhändigkeitsdogma umfasst wird.366 Dies ist nicht nur bei der Frage, ob sprachliche Anweisungen als Tathandlungsausübung angesehen werden können, relevant. Doch auch diese Herangehensweise kann nicht darüber hinweghelfen, dass die subjektive Komponente der Führungstätigkeit in keinem Falle körperlich ausgeführt wird. Eine teilweise körperliche Verwirklichung genügt hingegen nicht, um ein Delikt als eigenhändig zu qualifizieren. Andernfalls müsste beim Führen von einem unreinen eigenhändigen Delikt die Rede sein, welches sich nur auf Seiten der objektiven Komponente als eigenhändig erweist. Von solchen Gratwanderungen ist abzusehen. Die andernfalls entstehende Konsequenz, die Führungstätigkeit auf die objektive 365
Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 437; Jescheck/Weigend, StR AT, S. 266. Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 6, Rn. 45; a. A. MüKo-StGB/Pegel, § 316, Rn. 119, demnach § 316 StGB ein eigenhändiges, kein eigenmündiges Delikt sei. 366
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Seite der Tathandlung zu reduzieren, widerspricht dem der Wortbedeutung nach bestehenden Anforderungsprofil der zielgerichteten Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung. Das Führen in den von §§ 315c Abs. 1 und 316 Abs. 1 StGB statuierten Fällen erhält erst in seiner Gesamtheit sein gefahrträchtiges Gepräge, also erst durch das kausale Beruhen der objektiven Ausführung auf den subjektiven Steuerungsimpulsen. Eine Abtrennung und ein Abstellen allein auf die objektiven Tathandlungselemente ist mithin nicht zu rechtfertigen. Wird hingegen der höchstpersönliche Vollzug, wie von Jescheck,367 als ausreichend erachtet, würde das Vorliegen der subjektiven Tathandlungselemente nicht zu einem Ausschluss der Eigenhändigkeit führen. Gleichwohl fehlt es auch in diesem Fall an den notwendigen, der Eigenhändigkeit zugrundeliegenden Voraussetzungen. Denn auch dann ist nicht ersichtlich, dass sich die Sonderbeziehung des Führenden zu den geschützten Rechtsgütern aus der Tathandlung ableitet. Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass die Tathandlung in sich, um die Eigenhändigkeit begründen zu können, von solchem Charakter sein müsste, dass erst deren Vornahme die (Sonder-) Beziehung zum geschützten Rechtsgut herstellt.368 Dies würde bedeuten, dass allein aus der Vornahme des Führens, insbesondere bei den Tatvarianten im fahruntüchtigen Zustand, die Gefährdung für die hinter den Straßenverkehrsdelikten des §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB stehenden geschützten Rechtsgütern hervorgerufen würde. Der pönalisierte Handlungsunwert ergibt sich aber nicht aus der Finalität des Führens,369 sondern aus der Nutzung des gefahrgeneigten Mittels (Fahrzeug) im fahruntüchtigen Zustand bzw. unter bestehenden geistigen oder körperlichen Mängeln (§§ 316 Abs. 1 und 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder in besonders gefahrträchtiger Weise (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB). Die Sonderbeziehung zu den Rechtsgütern entspringt also nicht der (neutralen) Tathandlung des Führens selbst, sondern „nur“ deren Verbindung zu erheblich gefahrsteigernden Tatbestandsmerkmalen. Dies erkennt auch Rehberg und erklärt, die Eigenhändigkeit entspringe gerade der Anhaftung der Eigenschaft der Fahruntüchtigkeit am Täter selbst, wobei diese Eigenschaft sich nicht „durch“ eine Handlung verwirklichen lässt.370 Trotzdem bejaht Rehberg die Eigenhändigkeit, weil dieser annimmt, dass das Bindeglied zwischen dem persönlichen Mangel und der Führungstätigkeit, der von ihm als Eigenschaft beschriebene Umstand, keiner Beherrschung eines Dritten zugänglich sei. Das Gegenteil ist hingegen, vor allem im enthemmten Zustand nach eingehendem Drogenkonsum, der Fall. Insgesamt bildet nicht die Vornahme der Tathandlung selbst den Schwerpunkt der Pönalisierung. Zum einen ist die Tathandlung aufgrund ihrer untrennbaren Zweiteilung in subjektive und objektive Tatelemente nicht vollumfänglich körperlich verwirklichbar. Doch selbst wenn ein höchstpersönlicher Vollzug für ausreichend 367 368 369 370
Jescheck/Weigend, StR AT, S. 266. Satzger, Jura 2011, 103, 105. Rehberg, FG Schultz, S. 72, 78 (zum schweiz. StR). Rehberg, FG Schultz, S. 72, 79 (zum schweiz. StR).
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
erachtet würde, besteht zum anderen zwischen dem Führen und den von den hinter den Führungsdelikten stehenden Rechtsgütern keine Sonderbeziehung. Diese Sonderbeziehung ist Resultat der Verbindung der miteinander in Zusammenhang stehenden gefahrträchtigen Umstände (fahruntüchtiger Zustand – Fahrzeug – Führungstätigkeit), die das Führen erst zu einer nicht mehr hinnehmbaren Gefahr für die Allgemeinheit erwachsen lassen. Die bestehenden Nahtstellen zwischen den gefahrträchtigen Merkmalen der §§ 315c Abs. 1 und 316 Abs. 1 StGB bilden Einfallstore für eine Beherrschung von außen, sodass die Ausübung der Tathandlung des Führens allein keine Sonderbeziehung zu den hinter den Führungsdelikten stehenden Rechtsgütern aufbaut. Damit befindet sich das Führen im Anwendungsbereich der Tatherrschaftslehre. c) Drittes Eigenhändigkeitskriterium: Zentralstellung des Führenden Als letzter Anknüpfungspunkt des Eigenhändigkeitsdogmas kann eine bestehende Sonderpflichtenstellung angesehen werden. Der spezifische Handlungsunwert kann sich aus einer allein den Täter treffenden Sonderpflicht ergeben.371 Als Grundlage dessen muss dem Täter eine unverrückbare, nicht delegierbare Zentralstellung über das geschützte Rechtsgut zukommen. Bei der Frage nach der Sonderdeliktsqualität wurde bereits ausführlich dargelegt, dass den Führenden keine wie auch immer geartete Sonderpflicht des Straßenverkehrsrechts trifft. Die bereits dargestellte Argumentation von Rehberg372 übersieht, dass die Führungsdelikte nicht einen bestimmten Personenkreis ansprechen, sondern an einer Handlung anknüpfen.373 Jeder, egal welcher Berechtigung, macht sich der Führungsdelikte strafbar, wenn er die in diesen statuierte Tathandlung verwirklicht. So kommt es für die Verwirklichung des § 316 Abs. 1 StGB beim alkoholisierten Führen eines Kraftfahrzeugs nicht darauf an, ob der Täter die entsprechende Fahrerlaubnis besitzt. Auch besteht der Zweck der Führungsdelikte nicht darin, die straßenverkehrsrechtlich vorgeschriebenen Verhaltensweisen strafrechtlich zu flankieren, sondern abstrakte und konkrete Gefährdungssituationen ausgehend vom Straßenverkehr zum Schutze der dahinterstehenden Rechtsgüter zu vermeiden. Entsprechend richten sich die Verhaltensanforderungen der Verkehrsgesetzgebung nicht beschränkend an einen bestimmten Personenkreis, sondern verpflichten alle Verkehrsteilnehmer und alle Personen, die Verkehrsvorgänge beherrschend „in den Händen halten“, gleichermaßen. Den Führenden daher als Zentralgestalt aufzufassen, dem eine unverrückbare und nicht delegierbare Stellung zukommen würde, trägt nicht. Dies würde, wie 371 Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 239; Höpfner, ZStW 22 (1902), 205, 208 f.; ausf. Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 958 ff. m. w. N.; ähnlich Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 437 ff. u. 882 f., der als „unechte eigenhändige Delikte“ die von ihm selbst als Pflichtdelikte bezeichneten Vergehen, deren Pflichtenverletzung einzig durch den unmittelbaren Täter möglich sei, erblickt. 372 Rehberg, FG Schultz, S. 72, 81 f. (zum schweiz. StR). 373 Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 982.
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Satzger richtig feststellt, andernfalls bedeuten, dass für den konkreten Verkehrsvorgang allein der Führende verantwortlich wäre, somit keinen anderen Verkehrsteilnehmer eine „Zuständigkeit“ für den Erhalt der Verkehrssicherheit träfe.374 Dem ist jedoch nicht so. Schon gemäß § 1 Abs. 2 StVO hat sich jeder, der am Verkehr teilnimmt, so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Natürlich richten sich die Führungsdelikte als auch die an Fahrzeugführende gerichtete Verhaltensvorschriften zunächst an den unmittelbar handelnden Täter. Eine Beherrschung des (konkreten) Verkehrsgeschehens durch einen Dritten – dem zweiten Aspekt der Zentralstellung – ist bei den Führungsdelikten jedoch keineswegs ausgeschlossen.375 Dem Gesetzgeber kam es auch anders als bei §§ 142 Abs. 1 StGB und 323a Abs. 1 StGB überhaupt nicht darauf an, nur Gefahren von dem selbst Führenden für den Straßenverkehr zu vermeiden, sondern jegliche Gefahr aus dem sowieso abstrakt gefährlichen Gebrauch eines Fahrzeugs auszuschließen. Im Kern ist es so: Natürlich dehnt der fahruntüchtig Führende den sowieso bestehenden abstrakten Gefahrenbereich des Fahrzeugs durch die Übernahme der Führungstätigkeit aus. Die Kontrolle sowohl über den Gefahrenbereich des Fahrzeugs als auch den fahruntüchtigen Zustand kann aber nicht nur dem ausführenden Täter obliegen, sondern steht einer Bemächtigung durch Dritte potenziell offen. Aufgrund dieser Einwirkungsmöglichkeit auf den Führenden, seinen Zustand und den Gefahrenbereich des Fahrzeugs selbst, ist die Stellung des Führenden, wie Satzger richtig formuliert, nicht so absolut, wie häufig angenommen.376 d) Die Lösung über die Tatherrschaftslehre Die Richtigkeit des bisherigen Ergebnisses wird durch die materiell-rechtlichen Erwägungen zum Spannungsfeld des Eigenhändigkeitsdogmas zur Tatherrschaftslehre und der Handlungszurechnung des § 25 StGB deutlich. Nach Puppe handelt es sich bei § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB um eine Transformationsregel, die es zulässt, Handlungen unter einen Tatbestand zu subsumieren, welche ohne § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB nicht unter diesen zu subsumieren wären.377 Dem ist wohl nicht zu widersprechen. Zentrales Charakteristikum dieser Handlungszurechnung ist, gleich der unmittelbaren Täterschaft unter Zugrundelegung des herrschenden materiellen Täterbegriffs, das Bestehen der Tatherrschaft.378 Diese besteht nach ihrem Begründer Lobe379 374
Satzger, Jura 2011, 103, 109. Ebenso Zimmermann, JuS 2010, 22, 25 f. 376 Satzger, Jura 2011, 103, 110. 377 Puppe, ZStW 120 (2008), 504, 515. 378 U. a. Blei, StR AT, 18. Aufl., S. 253; Bockelmann/Volk, StR AT, S. 179; Renzikowski, in: Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 47, Rn. 85; Jakobs, StR AT, 21. Abschnitt, Rn. 63; Darstellung der Ansichten zur Täterschaft: LK-StGB/Schünemann/Greco, § 25, Rn. 9 ff., zur Tatherrschaft Rn. 43 ff.; Lackner/Kühl/Kühl, § 25, Rn. 2; Jescheck/Weigend, StR AT, S. 663 m. w. N. 375
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„nicht nur [beim] Vorliegen eines Willens des Inhaltes, die Tat als eigene zu begehen, sondern die Verwirklichung dieses Willens muss weiter auch dadurch erfolgen, dass er ausgeführt wird unter seiner Herrschaft, dass der Wille auch die seiner Verwirklichung dienliche Ausführung beherrscht und lenkt.“380
Die beiden, auch in der von Roxin381 fortgeführten Tatherrschaftslehre, subjektivobjektiven Merkmale,382 die Herrschaft über den Geschehensverlauf und der Tatwille, bilden den elementaren Gehalt der in der Rechtsprechung und Literatur herrschenden383 Tatherrschaftslehre. Damit geht eine Abkehr vom restriktiven Täterbegriff, welche sich auch in § 25 StGB niederschlug,384 einher. Nur der extensive Täterbegriff385 rechtfertigt überhaupt eine Handlungszurechnung.386 Es ist nach der strafrechtlichen Dogmatik des § 25 StGB eben nicht so, dass nur derjenige, der die im Tatbestand beschriebene Handlung unmittelbar körperlich vollzieht, Täter sein kann.387 Soweit nun durch das Dogma der Eigenhändigkeit von dem extensiven zugunsten des restriktiven Täterbegriffs abgewichen werden soll, bedarf dies einer materiell-rechtlichen Rechtfertigung.388 Entsprechend müssen sich eigenhändige Delikte ihrer Tathandlung nach durch mehr als eine Ansprache an den unmittelbar handelnden Täter auszeichnen, um sich der Handlungszurechnung des § 25 StGB entziehen zu können. Das entscheidende Unrecht darf nicht in der Herbeiführung eines Erfolgs, sondern muss in dem eigenen verwerflichen Tun liegen.389 Wann diese Schwelle überschritten ist, ist bisher und wie aufgezeigt nicht eindeutig geklärt.390 So bestehen etwa keine Bedenken, das Wegnehmen beim Diebstahl, die Zueignung bei der Unterschlagung oder das Täuschen beim Betrug auf einen mittelbar handelnden Täter nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB anzuwenden, obwohl auch diese Delikte ihrem Wortlaut nach eine unmittelbare Vornahme durch den handelnden Täter nahe legen.391 Allein, dass der unmittelbare Täter dem Gefah379
Siehe LK-StGB/Schünemann/Greco, § 25, Rn. 10; Jescheck/Weigend, StR AT, S. 651 f. LK-StGB/Lobe, 5. Aufl., Einl., S. 123 zitiert in LK-StGB/Schünemann/Greco, § 25, Rn. 10. 381 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 768 ff.; Satzger, Jura 2011, 103, 104. 382 LK-StGB/Lobe, 5. Aufl., Einl., S. 123 zitiert in LK-StGB/Schünemann/Greco, § 25, Rn. 10. 383 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 768 ff. m. w. N. 384 Vgl. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 612 f. 385 U. a. S/S/Eisele, Vorb § 24, Rn. 30. 386 U. a. MüKo-StGB/Joecks, Vor § 25, Rn. 9; Satzger, Jura 2011, 103, 104; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 401 f.; vgl. Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 951 f. 387 Satzger, Jura 2011, 103, 105. 388 Vgl. Schall, JuS 1979, 104, 106 f. 389 BGHSt 6, 226, 227. 390 Puppe, ZStW 120 (2008), 504, 515; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 24, Rn. 31. 391 Puppe, ZStW 120 (2008), 504, 515; Hirsch, FS Nishihara, S. 88, 102; Hoyer, GA 2008, 711, 715. 380
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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renbereich näher steht als der mittelbare Täter oder Teilnehmer, liegt in der Natur der Sache und rechtfertigt, wie oben aufgezeigt, die Zuordnung einer Tathandlung oder eines Deliktes zum Kreis der eigenhändigen Delikte nicht.392 Bereits Gerhold und Kuhne bemängelten deshalb 2012 zu Recht das unsubstantiierte und unreflektierte Überdauern des Eigenhändigkeitsdogmas der Führungsdelikte in der Rechtsprechung. Dieses wird allein durch den stetigen Verweis auf die frühere Rechtsprechung über Jahrzehnte am Leben gehalten und überdauerte sogar das 2. Strafrechtsreformgesetz vom 04. Juli 1969,393 mit welchem erstmalig die mittelbare Täterschaft im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs statuiert wurde.394 Eine dogmatische Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld der das gesamte Strafrecht durchziehenden Tatherrschaftslehre und der Eigenhändigkeit erfuhren die Straßenverkehrsdelikte wenn überhaupt nur sehr vereinzelt.395 Aller Kritik zum Trotz müssen Puppe als auch Gerhold und Kuhne die Auslegungsergebnisse des Führens entgegengehalten werden. Das Führen weist die – mit dem Täuschen des § 263 Abs. 1 StGB396 oder der Zueignung des § 246 Abs. 1 StGB397 ähnliche – Besonderheit auf, dass sich die Tathandlung nach der hier vorgeschlagenen Definition in in Wechselwirkung stehende subjektive und objektive Tathandlungselemente aufspaltet. Beide Bestandteile, die objektiven wie subjektiven, müssen zur Verwirklichung der Führungstätigkeit in der Person des Täters zusammenfallen. Es existieren auch keine von der Handlung ablösbaren (Einzel-) Handlungsakte, sodass nur die Gesamtheit der Einzelakte die Führungstätigkeit als solche zu charakterisieren vermag.398 Gleichwohl versagen die Handlungszurechnung des § 25 StGB als auch das Tatherrschaftsprinzip beim Führen nicht, sodass meines Erachtens dem Rückgriff auf den restriktiven Täterbegriff durch das Eigenhändigkeitserfordernis die Legitimation entzogen wird. Der Fall, dass das Tatherrschaftsprinzip399 aufgrund der besonderen Ausformung der Tathandlung nicht
392
Siehe Fn. 536. BGBl. Teil I, Nr. 56 v. 10. 07. 1969, S. 717 ff.; in Kraft getreten am 01. 01. 1975, BGBl. Teil I, Nr. 63 v. 02. 08. 1973, S. 909. 394 Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 943 f.; jedoch berechtigt Frister, StR AT, 25. Kap., Rn. 10, wonach mit § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB die Kodifikation der Rspr. im Vordergrund stand. 395 So grds. Puppe, ZStW 120 (2008), 504, 515; Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 943, die auf Puppe verweisen. 396 Etwa BGHSt 18, 235, 236 f.; Lackner/Kühl/Kühl, § 263, Rn. 6 m. w. N.; LK-StGB/ Tiedemann, § 263, Rn. 23, Fn. 46 m. w. N.; Fischer, StGB, § 263, Rn. 18; Mitsch, StR BT 2, Erl. 5.2.1.2.3, S. 263. 397 „Manifestation des Zueignungswillens“, m. umfassenden N. Mitsch, StR BT 2, Erl. 2.2.1.4.1, S. 171; LK-StGB/Vogel, § 246, Rn. 22; zum Gesamten BGHSt 18, 235, 237. 398 Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 238. 399 Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 974. 393
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
anwendbar wäre, weil das mit diesem verknüpfte Verantwortungsprinzip400 nicht zum gerechten Ergebnis führen würde, besteht schlicht nicht. Nun mag es nach diesen kritischen Zeilen zunächst überraschen, dennoch ist das Ergebnis des Ausschlusses einer Handlungszurechnung richtig. Dies hat aber nichts mit der Eigenhändigkeit zu tun, sondern ist Ergebnis der Anwendung des § 25 StGB unter Zugrundelegung der in dieser Arbeit vorgeschlagenen Definition.401 Zentrales Stichwort ist die bereits benannte Tatherrschaft. Diese zeichnet sich ungeachtet des umfassenden Theorienstreits durch das objektive Kriterium der Tatherrschaft, welche als Möglichkeit der Beherrschung des Tatgeschehens,402 der sog. arbeitsteiligen funktionellen Tatherrschaft403 bei der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB und der Willens-, Wissens- oder Organisationsherrschaft bei der mittelbaren Täterschaft des § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB,404 verstanden wird, aus. Auf subjektiver Seite muss der Tatherrschaftswillen,405 welcher sich bei der Mittäterschaft durch den gemeinsamen Tatplan406 oder bei der mittelbaren Täterschaft durch die Wissens- und Willensherrschaft407 auszeichnet, hinzukommen. Voraussetzung der Anwendung der Tatherrschaftslehre ist dabei freilich die Annahme, dass menschliche Handlungen von Dritten beherrscht werden können, sodass das in der Handlung des Vordermanns verwirklichte Gemeinunrecht dem Hintermann zugerechnet werden kann.408 Zurückkommend zum objektiven Element der Tatherrschaft, auf dessen Ebene das Verantwortungsprinzip409 zum Tragen kommt, lässt § 25 StGB beim mittelbaren Täter (Abs. 1 Alt. 2) als auch Mittäter (Abs. 2) dann eine Handlungszurechnung zu, wenn dieser die vollständige Erfüllung der Tatbestandsmerkmale veranlasste und das (konkrete) Geschehen beherrscht.410 Schließlich ist jeder für seine Fehlleistung selbst verantwortlich, wobei die eigene Verantwortung dort endet, wo der Verantwortungsbereich eines anderen beginnt.411 Dies bedeutet, dass die kausale Kontrolle des 400
LK-StGB/Walter, Vor § 13, Rn. 103; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 10, Rn. 65 m. w. N.; S/S/Eisele, Vorb §§ 13 ff., Rn. 92a; vgl. BGHSt 37, 179, 182. 401 Wird hingegen die etablierte Spruch- und Auslegungspraxis herangezogen, stünde einer Handlungszurechnung aufgrund der (unnatürlichen) Teilung der Tathandlung über § 25 StGB nichts entgegen. 402 Marlie, JA 2006, 613, 615; Frister, StR AT, 26. Kap., Rn. 20. 403 Weiterführend Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 307 ff. 404 Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 806. 405 Rengier, StR AT, § 41, Rn. 16; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 25, Rn. 29; ausf. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 351 ff. 406 Haft, StR AT, S. 206; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 25, Rn. 29. 407 Kühl, StR AT, § 20, Rn. 41; Rengier, StR AT, § 41, Rn. 13; vgl. differenzierend Roxin, StR AT II, § 25, Rn. 46; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 25, Rn. 29. 408 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 451 ff. 409 LK-StGB/Walter, Vor § 13, Rn. 103. 410 Gerhold/Kuhne, ZStW 124 (2012), 943, 981. 411 OLG Rostock NStZ 2001, 199, 200; Otto, FS Lampe, S. 491, 498; LK-StGB/Walter, Vor § 13, Rn. 103; vgl. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 342 ff.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Täters über den durch seine Handlung angestoßenen Kausalverlauf die strafrechtliche Zurechnung eröffnet.412 Grundlage der Handlungszurechnung ist also die auf objektiver Seite bestehende Herrschaft des (Kausal-)Geschehens, die sog. funktionelle Tatherrschaft.413 Dies umrissen, wird die schwierige Frage aufgeworfen, was die Beherrschung des (Kausal-)Geschehens auszeichnet.414 Im Grunde wird auch heute noch auf den von Maurach begründeten Herrschaftsbegriff abgestellt. Dieser formulierte zutreffend: „Tatherrschaft ist das vom Vorsatz umfasste In-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufes, die dem Handelnden bewußte Möglichkeit finaler tatbestandsgestaltender Steuerung. Tatherrschaft hat jeder Mitwirkende, der in der tatsächlichen und ihm bewußten Lage ist, die Tatbestandsverwirklichung je nach seinem Willen ablaufen lassen, hemmen oder abbrechen zu können.“415
Die Tatherrschaft wird also in dem Sinne verstanden, dass nur derjenige Täter sein kann, der den Hergang und Erfolg der Tat seinem Willen unterwerfen kann.416 Tatherrschaft kann also nur dann bestehen, wenn das zu beherrschende Geschehen einer exakten Definition durch den Täter zugänglich ist.417 Dies setzt eine gewisse Vorhersehbarkeit und Einflussmöglichkeit des Geschehensverlaufes voraus. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn der Täter als Zentralgestalt das Tatgeschehen nach seinem Willen hemmen oder vorantreiben kann.418 Die für die Führungsdelikte zentrale Frage ist also, ob der Täter die Führungstätigkeit eines anderen beherrschen kann. Beim Führen ist eine Beherrschung der Tathandlung – anders als des Gefährdungsbereichs – nach der hier vorgestellten Definition nicht denkbar. Die Herrschaft über die stetig aktualisierte Führungstätigkeit als auch insbesondere den Fahrstil des unmittelbar Ausführenden kann nicht von einem Dritten erlangt werden,419 weil er sich dann entweder selbst mit der Führungstätigkeit umfassend befasst und etwa konkrete verbale Anweisungen erteilt muss, sodass es keiner Handlungszurechnung bedarf, oder die Führungstätigkeit bewusst „aus seiner Hand“ gibt. Schließlich kann es für die Tatherrschaft nicht allein darauf ankommen, dass der Hintermann oder 412
v. d. Meden, JuS 2015, 22, 23. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 307 ff. 414 Ausf. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 141 ff. 415 Maurach, StR AT, § 47, III. B. 2. b), S. 627; ebenso Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 25, Rn. 28; Heinrich, StR AT, Rn. 1206; Rengier, StR AT, § 41, Rn. 11; Kühl, StR AT, § 20, Rn. 26; Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 806. 416 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 342 ff.; vgl. u. a. BGH JR 1955, 304, 305; BGHSt 8, 393, 396; 9, 370, 380; 14, 123, 129; BGH NJW 1960, 1821, 1822. 417 MüKo-StGB/Freund, Vor § 13, Rn. 472. 418 Marlie, JA 2006, 613, 615; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 25, Rn. 28; Heinrich, StR AT, Rn. 1206; Rengier, StR AT, § 41, Rn. 11; Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 806; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 120 u. 346 ff. 419 Vgl. Zimmermann, JuS 2010, 22, 25. 413
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Mittäter auf das Rechtsgut in irgendeiner Form einwirkt. Ihm muss eine konkrete Einwirkungsmöglichkeit zukommen. Beim Führen eines Fahrzeugs kann ein Dritter hingegen nur auf das „Ob“ der Tatbestandsverwirklichung, nicht jedoch das „Wie“ Einfluss nehmen, ohne selbst konkrete Steuerungsimpulse anzuweisen. Anders als bei den übrigen Tatbestandsmerkmalen, die den Unrechtsgehalt der Straßenverkehrsdelikte des §§ 315c Abs. 1 und 316 Abs. 1 StGB prägen, namentlich der fahruntüchtige Zustand, die geistigen oder körperlichen Mängel oder die Vornahme einer bestimmten gefahrträchtigen Fahrweise, ist die Tathandlung des Führens weder vorhersehbar noch beherrschbar, solange sich der Hintermann oder Mittäter selbst mit der Führungsaufgabe überhaupt nicht befasst. Im Ergebnis kommt es entscheidend darauf an, ob die Führungstätigkeit des Ausführenden auf seinen intellektuellen Entscheidungen oder denen des Anweisenden beruht. Beim erstgenannten ist der Ausführende – auch wenn er zur Übernahme der Führungstätigkeit gezwungen wird – unmittelbarer Täter, bei zweitgenannten ist es der Hintermann. Verdeutlicht hat dies bereits Zimmermann,420 der zwar oberflächlich, aber im Kern doch treffend erkennt, dass sich das Führen in der Kontrolle des Fahrzeugs innerhalb des Verkehrsgeschehens erschöpfe. Auf die Ausübung der Kontrolle komme es entscheidend an. Diese übe nur derjenige aus, so Zimmermann weiter, der den Fahrvorgang in den Händen hält. Unter Befolgung des vorgestellten Definitionsansatzes bedeutet dies, dass ein „in den Händen halten“ der Tat nur dann bejaht werden kann, wenn der Täter die subjektive wie objektive Komponente des Führens in seiner Person verwirklicht. Der Handlungszurechnung über § 25 StGB bedarf es dann für die Entstehung der Täterschaft nicht mehr. Als Beispiel nutzt Zimmermann den Geiselnehmer, der den Führenden durch das Vorhalten einer Waffe zwingt, das Fahrzeug immer weiter zu beschleunigen. Nach der vorgestellten Definition übt der Geiselnehmer nur dann in eigener Person den subjektiven wie objektiven Teil der Führungstätigkeit aus, wenn er dem Steuernden konkrete Führungsanweisungen ohne Belassung eines eigenen Entscheidungsspielraums erteilt. Damit ist der Geiselnehmer unmittelbarer Täter. Die „Tat“ des Steuernden stellt sich hingegen als nichts anderes als eine Handlungsausführung dar, die sich nicht als Ergebnis der Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen darstellt. Ihm fehlt das für die Führungstätigkeit notwendige Beruhen des Eingriffs auf einem eigenen selbsteruierten Informationsverarbeitungsprozess. Die sich an diese Ausführungen anschließende Frage, ob eine Handlungszurechnung der gesamten Führungstätigkeit möglich ist, kann aufgrund des Tatherrschaftsprinzips nicht anders beantwortet werden. Zwar mag Eisele – und so wohl auch Roxin – Recht gegeben werden, soweit sie das Merkmal der Beherrschung des Geschehensablaufes als vages Kriterium bezeichnen, weil auch der unmittelbare Täter nicht stets die Dinge völlig im Griff haben kann.421 Beim Führen liegt der Fall 420
Zimmermann, JuS 2010, 22, 25 f. Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 25, Rn. 33; vgl. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 121 ff., 346 ff. u. 374; vgl. S. 733 f. 421
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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jedoch anders: Irgendjemand (oder das Fahrerassistenzsystem) hat die Dinge fest „in der Hand“ – andernfalls ist das Fahrzeug führungslos. Entsprechend kann auch nur demjenigen, der die subjektive und objektive Führungskomponente in seiner Person vereint, die tatherrschaftliche Verantwortung für den konkreten Fahrprozess und die konkrete Einwirkung auf das Rechtsgut der Sicherheit des Straßenverkehrs oder der dahinter stehenden konkreten Rechtsgüter der übrigen Verkehrsteilnehmer übertragen sein. Eine Beherrschung dieses Kausalglieds von außen, also das Beruhen des objektiven Stelleingriffs auf dem subjektiven Informationsverarbeitungsprozess, ist schlicht nicht möglich. Die intellektuelle mentale Leistung des einen kann nicht mit der objektiven Führungstätigkeit des anderen verknüpft werden. Weder der mittelbare Täter noch Mittäter können, ohne sich mit dem Führungsprozess zu befassen, den Geschehensablauf „in den Händen halten“, sondern allenfalls abstrakt lenken oder lediglich veranlassen. Sie können ein Ziel benennen oder abstrakte Fahrkommandos geben, jedoch nie selbst auf die konkrete Fahrweise oder die Geistesgegenwart422 des Ausführenden beherrschend, also konkret tatbestandsgestaltend, einwirken. Allein die Veranlassung der Übernahme der Tathandlung als auch die abstrakte Anweisung zur Einhaltung einer bestimmten Fahrweise genügt für die Bejahung der Tatherrschaft nicht. Auch in diesen Fällen ist der konkrete Stelleingriff des Ausführenden auf dessen mentale, subjektive Entscheidung zurückzuführen, also auf dessen Beherrschung der Verkehrsumstände. Damit steht fest, dass nur derjenige, der der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung, also dem Informationsverarbeitungsprozess und der kausal auf diesem beruhenden Impulsabgabe umfassend nachkommt, die Tatherrschaft über das Geschehen ausüben kann. Diese kann kein anderer als der Führende besitzen. Dies folgt jedoch nicht aus der Eigenhändigkeit des Führens, sondern aus der Anwendung des § 25 StGB. Die Tatherrschaftslehre kommt damit zwar zu dem gleichen Schluss wie die Einschränkung durch das Paradigma des eigenhändigen Delikts, ohne jedoch eine darüber hinausgehende tatbestandliche Einschränkung zu erreichen. Dies wird sogleich bei den Ausführungen zum Unterlassen erkennbar. 6. Das Unterlassen Die befürwortete Abkehr vom Eigenhändigkeitsdogma des Führens hat zur Folge, dass über die Unterlassungsstrafbarkeit423 diskutiert werden kann und muss.424 Diese 422
Zimmermann, JuS 2010, 22, 25. Zur Unterlassungsstrafbarkeit abstrakter Gefährdungsdelikte Heinrich, GA 1999, 72, 75 ff. m. w. N.; abl. hingegen Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 288; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 63; MüKo-StGB/Pegel, § 316, Rn. 120; in Sonderfällen denkbar: Fischer, StGB, § 316, Rn. 49; LK-StGB/König, § 316, Rn. 9a; Hentschel/König/Dauer, StGB, § 316, Rn. 3 u. 95; SK-StGB/Wolters, § 316, Rn. 11; BayObLGSt 1978, 128, 132, m. krit. Anm. Horn, JR 1979, 289, 290 f. 424 Bei § 316 StGB stellt sich zudem die Frage, ob dieses als Tätigkeitsdelikt eine Unterlassungsstrafbarkeit zulässt. Diese Problematik erfährt bei der Entsprechungsklausel ihre 423
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
ist, wie überwiegend aus der Eigenhändigkeit resümiert, nicht von vornherein ausgeschlossen.425 Gleichwohl bedarf die ausdifferenzierte Unterlassungsdogmatik, zumal sich die Führungsdelikte durch unterschiedliche Deliktsnaturen auszeichnen, der sich anschließenden Würdigung. Bis vor wenigen Jahren war – auch aufgrund der noch heute üblichen „vereinfachten“ Definition – die Führungstätigkeit nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht eng mit dem Fahrvorgang und vor allem mit der Bewegung des Fahrzeugs verbunden. Kein Fahrzeug konnte sich ohne die (willentliche) menschliche Betätigung der Stellelemente überhaupt in Gang setzen. Deshalb war es bisher ein Leichtes, von der Bewegung des Fahrzeugs auf eine menschliche Führungstätigkeit rückzuschließen. Diese Einfachheit ist mit dem Aufkommen hoch- und vollautomatisierter Fahrerassistenzsysteme entwichen. Diese sind in der Lage, die für die (sichere) Fahrzeugfortbewegung notwendigen Steuerungsimpulse selbst zu eruieren und abzugeben. Diesem technischen Fortschritt konnte sich freilich auch der Gesetzgeber nicht entziehen. Mit dem 8. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes426 trägt er, insbesondere über § 1b Abs. 1 1. HS als auch § 1a Abs. 4 StVG, wobei letzter eine fiktive Fahrzeugführereigenschaft statuiert, die Frage nach einer unechten Unterlassungsstrafbarkeit gemäß § 13 Abs. 1 StGB an die Strafrechtspraxis und -lehre heran. Dem (fiktiven) Fahrzeugführer eines solchen, im hoch- oder vollautomatisierten Fahrbetrieb befindlichen Fahrzeugs hat der Gesetzgeber sogar freigestellt, sich der Führungstätigkeit während der automatisierten Fahrt zu entledigen. Diese Abwendungsbefugnis vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung (§ 1b Abs. 1 S. 1 1. HS StVG) ist ein rechtliches Novum. Sie beschränkt nicht nur den bisher die Straßenverkehrsgesetzgebung beherrschenden Gedanken des stets aktiven Fahrzeugführers, sondern erlaubt erstmals die Entledigung der Führungstätigkeit eines in Bewegung befindlichen Fahrzeugs – also nichts anderes als das Unterlassen jeglicher Führungstätigkeit. Die Diskussion der Begehung der Führungsdelikte durch unechtes Unterlassen ist natürlich auch aus einem weiteren Grund notwendig: Die Unterscheidung von Tun und Unterlassen ist keine bloße Förmlichkeit, sondern abseits der fakultativen Strafmilderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2 StGB aufgrund der dogmatischen Unterschiede zwischen Begehungs- und (unechten) Unterlassungsdelikt unent-
Vertiefung. Siehe grds. dazu Joerden, BA 03, 104, 105; bejahend vgl. BGH NStZ 1997, 545, 546 (zu § 326 Abs. 1 StGB); Lackner/Kühl/Heger, § 13, Rn. 6 m. w. N.; vgl. Fischer, StGB, § 13, Rn. 2 m. w. N.; LK-StGB/König, § 316, Rn. 9a; verneinend noch LK-StGB/Jescheck, 11. Aufl., § 13, Rn. 2; Jescheck, FS Tröndle, S. 795, 796, demnach der Gesetzgeber den § 13 StGB ausschließlich auf Erfolgsdelikte erstreckte. 425 U. a. SK-StGB/Wolters, § 316, Rn. 11; Nitze, Entsprechungsklausel, S. 39 unter V. a. Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 288. 426 BGBl. Teil I, Nr. 38 v. 20. 06. 2017, S. 1648, 1648 ff.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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behrlich.427 So ist letztes nur unter den zusätzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Abs. 1 StGB strafbar.428 Prämisse dessen ist, wie Struensee treffend formuliert, dass „die abstrakte Beschreibung des tatbestandlichen Verhaltens in Handlung und Unterlassung zerfällt“.429
Letztlich wird damit die Frage nach Verbot und Gebot der Führungsdelikte aufgeworfen. a) Vorüberlegung: Der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehörende Erfolg eines Tätigkeitsdelikts im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB Ausgangspunkt einer unechten Unterlassungsstrafbarkeit ist die Existenz eines (abwendbaren) Erfolgs. Für denjenigen, der rechtlich dafür einzustehen hat, dass ein Erfolg nicht eintritt, eröffnet § 13 Abs. 1 StGB die Unterlassungsstrafbarkeit. Bei den Führungsdelikten ist dieses Problemfeld430 ausschließlich beim abstrakten Gefährdungs- und reinen Tätigkeitsdelikt des § 316 Abs. 1 StGB relevant. § 315c Abs. 1 StGB trägt hingegen nach der herrschenden Literatur431 und entgegen der überschaubaren Rechtsprechung432 als konkretes Gefährdungsdelikt einen nach § 13 Abs. 1 StGB anknüpfungsfähigen „Erfolgssachverhalt“ in sich.433 427 OLG Düsseldorf JMBl. NW 1983, 199, 200; M/R-StGB/Haas, § 13, Rn. 7; NK-StGB/ Gaede, § 13, Rn. 4; Roxin, StR AT II, § 31, Rn. 69; Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 1155; Frister, StR AT, 22. Kap., Rn. 5; anders Struensee, FS Stree/Wessels, S. 133, 134, welcher keine dogmatischen Konsequenzen erkennt; ähnlich Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 26, welcher bei einem tatbestandsmäßigen Verhaltensmerkmal, welches sowohl durch Tun als auch Unterlassen verwirklicht werden kann, keine Abgrenzungsnotwendigkeit erblickt. 428 Vgl. Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 1154; S/S/Bosch, Vor §§ 13 ff., Rn. 158; NKStGB/Gaede, § 13, Rn. 4; Ransiek, JuS 2010, 490, 493; vgl. LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 5. 429 Struensee, FS Stree/Wessels, S. 133, 135. 430 MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 227; S/S/Bosch, § 13, Rn. 3; eingehend Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 347 ff.; BayObLGSt 1978, 128, 132; abl. Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 285, demnach nur bei Individualdelikten denkbar, die dem Täter die Pflicht zur Steuerung eines individuellen – nicht abstrakten – Kausalgeschehens übertragen. 431 S/S/Bosch, § 13, Rn. 3; ausf. zum Streitstand: BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13, Rn. 9.1 m. w. N.; Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 37 f. m. w. N.; Jakobs, StR AT, 29. Abschnitt, Rn. 2; Heinrich, GA 1999, 72, 77. 432 BGHSt 26, 176, 181: „Die Aussage, eine Handlung habe ein Rechtsgut in Gefahr gebracht, enthält nicht die Feststellung einer durch die Tat herbeigeführten Veränderung in der Außenwelt; sie ist vielmehr ein auf die gesamten äußeren und inneren Tatumstände gegründetes, nachträgliches Wahrscheinlichkeitsurteil über die naheliegende Möglichkeit des Eintritts eines schädlichen Erfolges, der aber in der Wirklichkeit nicht eingetreten ist.“; vgl. zum „Erfolg“ eines abstrakten Gefährdungsdelikts im Kontext zu § 9 StGB: BGH NStZ 2015, 81, 82, Rn. 8: „Dieser [der Erfolg] muss vielmehr in einer von der tatbestandsmäßigen Handlung räumlich und/oder zeitlich abtrennbaren Außenweltsveränderung bestehen. […] [Der] Erfolg [muss] zum Tatbestand der Strafnorm gehören […].“ m. krit. Anm. Hecker, JuS 2015, 274, 275 f. 433 S/S/Bosch, § 13, Rn. 3; Ransiek, JuS 2010, 490, 495.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Natürlich kann die an dieser Stelle vorausgesetzte Auseinandersetzung zum unterlassungsrelevanten Erfolgsmerkmal schlichter Tätigkeits- und/oder abstrakter Gefährdungsdelikte keiner umfassenden allgemeinen Betrachtung unterzogen werden.434 Die nachfolgenden Zeilen spiegeln daher nur den für die Unterlassungsstrafbarkeit des § 316 Abs. 1 StGB notwendigen Ausschnitt der Gesamtthematik wider. aa) Der unterlassungsstrafrechtlich relevante Erfolg Bei der Betrachtung des unterlassungsstrafrechtlich relevanten Erfolgs ist ein mehrgliedriges Vorgehen erforderlich. Zunächst bleibt das Erfolgsverständnis des § 13 Abs. 1 StGB zu untersuchen. Dieses ist im Kern zweier Interpretationsmöglichkeiten zugänglich; einem engen als auch einem weiten Verständnis. Erst dieser rechtlichen Auseinandersetzung kann sich eine Bestimmung des Erfolgselements des § 316 Abs. 1 StGB anschließen. (1) Die enge Erfolgsinterpretation Die enge Erfolgsinterpretation435 begrenzt die Anwendung der unechten Unterlassungsstrafbarkeit unter Berufung auf den Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB, der Täter habe einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, auf reine Erfolgsdelikte.436 Sie orientiert sich an der Tatbestandslehre.437 Für diese Auffassung scheint vordergründig, wie von Tenckhoff zusammengestellt, auch ein Blick in die historischen Gesetzesmaterialien zu sprechen.438 Die Verfasser des § 13 Abs. 1 StGB stellten in ihrer Entwurfsbegründung ausdrücklich heraus: „[dass] keine rein moralischen Pflichten genügen, sondern Rechtspflichten gegeben sein müssen, […]. An der Formulierung, daß diese Pflichten auf Erfolgsabwendungen bezogen sein müssen, wird festgehalten, um eine sichere Abgrenzung von bloßen Tätigkeitspflichten der echten Unterlassungsdelikte zu gewährleisten.“439
434 Zum Streitstand siehe u. a.: Heinrich, GA 1999, 72, 75 ff.; Martin, ZRP 1992, 19, 19 ff.; Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 348 ff. jeweils m. w. N. 435 Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 356 m. w. N.; Jescheck, FS Tröndle, S. 795, 796. 436 Siehe: LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 14; weitergehend: BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13, Rn. 4 u. 9; Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 349 f. m. w. N.; Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 30 m. w. N.; vgl.: Bockelmann/Volk, StR AT, S. 133; Kudlich/Berberich, NStZ 2019, 633, 636 m. w. N. 437 Vgl. NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 2; Sieber, NJW 1999, 2065, 2069 u. 2072 f.; Hoven, ZWH 2018, 97, 105. 438 Ausf. zu historischen Erwägungen: Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 351 f.; verweisend auf diesen: Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 34 439 Niederschriften, Anh. S. 159; Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 359; verweisend auf diesen: Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 34.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Dass die Verfasser damit die Festschreibung des engen Erfolgsbegriffs bezweckten, ist angesichts der nachfolgenden zwei Begründungssätze jedoch zweifelhaft. Sie verdeutlichen eher, dass dem § 13 Abs. 1 StGB im Kern keine grundsätzliche Beschränkung der Unterlassungsstrafbarkeit auf reine Erfolgsdelikte innewohnen sollte440 : „Es bleibt der Lehre und Rechtsprechung auch künftig überlassen, den Erfolgsbegriff genügend weit zu bestimmen. So ist z. B. für den, der Beihilfe durch Unterlassen zum Meineid leistet, der Erfolg, daß der andere meineidig wird, obwohl hier die Haupttat kein Erfolgsdelikt im engeren Sinne, sondern ein sogen. ,schlichtes Tätigkeitsdelikt‘ ist […]441.“
Jedenfalls in der dem Gesetzesverfahren zugrundeliegenden Bundestagsdrucksache hieß es relativierend, dass „Tatbestände, die […] durch schlichtes Tätigwerden verwirklicht werden, […] durch Unterlassen grundsätzlich nicht begehbar“442
seien.443 Wie das Wort „grundsätzlich“ der Gesetzesbegründung des 2. Strafrechtsreformgesetzes bezeugt, hat der Gesetzgeber keine abschließende Entscheidung treffen wollen. Dies könnte dem Umstand geschuldet sein, dass den Abgeordneten zwar ein (strafwürdiges) Unterlassen eines schlichten Tätigkeits- bzw. abstrakten Gefährdungsdelikts nur schwerlich vorstellbar erschien,444 diese die unechte Unterlassungsstrafbarkeit aber dennoch nicht gesetzlich ausschließen wollten. Zudem darf die Zielsetzung des Gesetzgebers bei Erlass des 2. Strafrechtsreformgesetzes nicht außer Acht gelassen werden. Diese lag darin, die bis dato ungeregelte unechte Unterlassungsstrafbarkeit im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs gesetzlich zu verankern.445 Hingegen ging es dem Gesetzgeber mitnichten darum, eine abschließende Entscheidung über die bestehenden dogmatischen Streitfragen zum unechten Unterlassungsdelikt, mithin auch nicht über die Diskussion der Begehbarkeit abstrakter Gefährdungs- bzw. schlichter Tätigkeitsdelikte durch Unterlassen, herbeizuführen.446 Insgesamt dürfte aus den historischen Materialien daher kein gesetzgeberischer Entschluss für die eine oder andere Erfolgsinterpretation abzuleiten sein.
440
Siehe Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 359, der über weitere historische Gesetzesmaterialien selbst zwischenzeitliche Zweifel des Gesetzgebers an einem aus der Formulierung hervorgehenden engen Verständnis aufzeigt. 441 Niederschriften, Anh. S. 159. 442 BT-Drs. IV/650 v. 04. 10. 1962, S. 126. 443 Zur Gesetzgebungsgeschichte: Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 359 f.; ebenso einen weiten Wortlaut annehmend: Sieber, NJW 1999, 2065, 2068 ff. 444 Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 32 m. V. a. Jescheck, Niederschriften, S. 274. 445 Lackner/Kühl/Heger, § 9, Rn. 1. 446 BGHSt 36, 227, 277 f. „Die Aufnahme der Vorschrift [§ 13 StGB] in den Allgemeinen Teil bezweckte auch keine Änderung der bisherigen Handhabung.“; Lackner/Kühl/Heger, § 9, Rn. 1; vgl. Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 347 f.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Die Vertreter des engen Erfolgsverständnisses verweisen darüber hinaus auf systematische Erwägungen, insbesondere auf den gleichsam in § 9 Abs. 1 Var. 3 und 4 StGB (Ort der Tat) und § 78a S. 2 StGB (Beginn der Verfolgungsverjährung) zu findenden Wortlaut.447 § 9 Abs. 1 Var. 3 und 4 StGB nach wird der Tatort u. a. an dem Ort begründet, an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach Vorstellung des Täters eintreten sollte. Dies sei nicht irgendein (oder jeder) Geschehensort, sondern nur der Ort, an dem sich die im Tatbestand konkret bezeichnete Tatfolge realisiert hat oder realisieren sollte.448 Damit hat der Gesetzgeber nach überwiegendem Verständnis den § 9 Abs. 1 Var. 3 und 4 StGB ein Erfolgsverständnis im Sinne des Bewirkens einer Außenweltveränderung zugrunde gelegt.449 Die obergerichtliche Rechtsprechung scheint nicht abgeneigt, diesen bezüglich § 9 Abs. 1 StGB450 angenommenen engeren Erfolgsbegriff – ohne jedoch auf einen Erfolg im Sinne der Tatbestandslehre abzustellen – auf das Unterlassen übertragen zu wollen. So fordert der Bundesgerichtshof auch für den Unterlassungserfolg (relativierend) eine „von der tatbestandsmäßigen Handlung räumlich und/oder zeitlich abtrennbare Außenweltveränderung“ mit der Folge, dass „jedenfalls [der] Ort, an dem die hervorgerufene abstrakte Gefahr in eine konkrete umschlagen oder gar nur umschlagen kann“ nicht als „zum Tatbestand gehörender Erfolg“451 anzusehen sei.452 Dieses systematische Argument trägt nur bedingt.453 Anders als § 13 Abs. 1 StGB unterscheidet § 9 Abs. 1 StGB in seinen zwei Alternativen zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsort. So ist das enge Erfolgs(ort)verständnis des § 9 Abs. 1 StGB nicht ausschließlich grammatikalisch bedingt, sondern Folge des normspezifisch-systematischen Aufbaus der Vorschrift. Schließlich liefe bei einem weiten Erfolgsverständnis des § 9 Abs. 1 Var. 3 und 4 StGB die gesonderte Ausweisung des Handlungsorts der Var. 1 und 2 leer.454 Zudem wird das sich aus der Systematik der Norm selbst ergebende enge Erfolgs(ort)verständnis nicht absolut eingehalten. So werden nach herrschender Ansicht von § 9 Abs. 1 Var. 3 und 4 StGB auch objektive Strafbar447
Hilgendorf, ZStW 113 (2001), 650, 668 f.; weiterführende und umfassende Zusammenstellung der systematischen Argumente: Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 32 ff. m. w. N.; a. A. Heinrich, GA 1999, 72, 78. 448 Bzgl. § 9 Abs. 1 StGB: BGHSt 44, 52, 56; 45, 97, 100; NK-StGB/Böse, § 9, Rn. 8 f.; vgl. S/S/Eser/Weißer, § 9, Rn. 6; a. A. Sieber, NJW 1999, 2065, 2068 ff.; vgl. Lackner/Kühl/Heger, § 9, Rn. 2; weiterführend Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 357 f. 449 MüKo-StGB/Ambos, § 9, Rn. 16; ausf. zum Erfolgsbegriff Sieber, NJW 1999, 2065, 2069, 2072 f. 450 Ausf. zum Erfolgsort des abstrakten Gefährdungsdelikts des § 86a StGB siehe BGH NStZ 2015, 81, 82 m. V. a. BGHSt 42, 235, 242; Hoven ZWH 2018, 97, 105 m. w. N. 451 Zu sämtlichen Zitaten: BGH NStZ 2017, 146, 147; BGH NStZ 2015, 81, 82, Rn. 8. 452 Vgl. BGH NStZ-RR 2013, 253, 253; BGH NJW 2018, 2742, 2743; zuvor noch unentschieden, vgl. BGHSt 46, 212, 221; Kudlich/Berberich, NStZ 2019, 633, 637. 453 A. A. Heinrich, GA 1999, 72, 77 ff. 454 MüKo-StGB/Ambos, § 9, Rn. 16; Hilgendorf, ZStW 113 (2001), 650, 668 f.; a. A. Heinrich, GA 1999, 72, 79.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
271
keitsbedingungen, also Umstände außerhalb des Unrechtstatbestands im engeren Sinne, umfasst.455 Anderes dürfte bezüglich des ebenfalls ins Feld geführten § 78a S. 2 StGB gelten. Dieser Norm nach fällt der Beginn der Verfolgungsverjährung nach S. 1 mit der Beendigung der Tat und, nach S. 2, soweit dies zeitlich später erfolgt, mit dem Eintritt des zum Tatbestand gehörenden Erfolgs zusammen.456 Sehen auch bei § 78a S. 2 StGB eine Vielzahl von Stimmen457 den Erfolgsbegriff als eng an, hat die Rechtsprechung458 den für den Verjährungsbeginn maßgeblichen Erfolg nach § 78a S. 2 StGB hingegen weit verstanden.459 Dieser nach knüpft der Beginn der Verfolgungsverjährung an die Beendigung der mit der Ausführungshandlung hervorgerufenen Gefährdung und nicht an der Realisierung aus dieser etwaig erwachsenden Verletzungen an.460 Relevant wurde dies bei der Feststellung des Verjährungsbeginns eines abstrakten Gefährdungsdelikts, bei dem nach Ansicht des Bundesgerichtshofs der Erfolg der Tat mit dessen Begehung, mithin dem Entstehen der Gefährdungslage, eintritt. Ein erst später aufgrund dieser Gefährdungslage entstandener Verletzungserfolg ist hingegen nicht als den Verjährungsbeginn verzögernder Erfolg im Sinne des § 78a S. 2 StGB anerkannt worden.461 Doch selbst wenn der in § 78a StGB zugrunde gelegte Erfolg als – ebenso wie bei § 9 Abs. 1 StGB – eng verstanden würde, wird dieses Verständnis durch die von der herrschenden Ansicht ebenso gebilligte Anknüpfung an außerhalb des Tatbestands liegenden objektive Strafbarkeitsbedingungen relativiert.462 Unabhängig davon, welcher Norm ein enges oder weites Erfolgsverständnis zugesprochen würde, bezeugt die systematische Auseinandersetzung, dass §§ 9, 78a und 13 StGB jeweils eine grundverschiedene Ratio zugrunde liegt.463 Damit ist einer aus dem identischen Wortlaut der drei Normen ausgehenden systematisch-einheitlichen Verständnisgrundlage der Boden entzogen und jede Vorschrift für sich zu würdigen, sodass sich die aus §§ 9 Abs. 1 und 78a S. 2 StGB gewonnenen Auslegungserkenntnisse nicht unreflektiert auf § 13 Abs. 1 StGB übertragen lassen. 455 Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 358 m. w. N.; auf Tenckhoff verweisend: Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 32. 456 NK-StGB/Saliger, § 78a, Rn. 8. 457 S/S/Bosch, § 78a, Rn. 13/14; LK-StGB/Greger/Weingarten, § 78a, Rn. 15 m. w. N.; SKStGB/Wolter, § 78a, Rn. 2; BeckOK-StGB/Dallmeyer, § 78a, Rn. 5; vgl. BGHSt 32, 389, 391 ff. bzgl. Verletzung einer Aufsichtspflicht gem. § 130 OWiG; vgl. MüKo-StGB/Mitsch, § 78a, Rn. 10 m. w. N., demnach der Eintritt der objektiven Bedingung der Strafbarkeit ausnahmsweise den Beginn der Verjährung bewirkt; ebenso NK-StGB/Saliger, § 78a, Rn. 8 u. 31. 458 BGHSt 32, 293, 294; 36, 255, 257. 459 Sieber, NJW 1999, 2065, 2068 ff. m. w. N. 460 Hecker, JuS 2015, 274, 275 m. w. N.; vgl. Lackner/Kühl/Kühl, § 78a, Rn. 3 m. w. N.; a. A. NK-StGB/Saliger, § 78a, Rn. 8. 461 BGHSt 36, 255, 257 m. w. N. 462 Siehe Fn. 457. 463 Tenckhoff, FS Spendel, S. 47, 358.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Soweit dem engen Erfolgsverständnis bei § 13 Abs. 1 StGB der Vorrang eingeräumt wird, scheidet die Begehung eines abstrakten Gefährdungs- respektive schlichten Tätigkeitsdelikts durch Unterlassen aus. Deren Tatbestand ist kein von der Tathandlung abtrennbarer unrechtskonstituierender, mithin tatbestandlicher, Erfolg zu entnehmen.464 Selbst wenn diese Delikte eine isolierbare Außenweltveränderung in sich trügen oder begründen würden, stünde diese dem engen Erfolgsverständnis nach qualitativ, da dieser „Handlungsvollzugserfolg“ kein unrechtsbildender (tatbestandlicher) Umstand, sondern lediglich „eine unselbständige, naturgesetzlich bedingte Folgeerscheinung“ bildet,465 nicht gleichwertig gegenüber. Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit des schlichten Tätigkeitsdelikts ist schließlich das pönalisierte Verhalten an sich, also die Vornahme der an abstrakten Maßstäben festgelegten gefahrträchtigen Tathandlung, die allein ihrer Intensität und Modalität sowie der Umstände, unter denen sie vorgenommen wird, tatbestandlich umschrieben werde.466 Deshalb entfällt die Strafbarkeit selbst dann nicht, wenn die Verwirklichung der pönalisierten Tathandlung im konkreten Fall keine (Rechtsguts-)Verletzungseignung aufweist.467 Deshalb könne nach dem engen Erfolgsverständnis einem abstrakten Gefährdungsdelikt kein Erfolgselement innewohnen. (2) Die weite Erfolgsinterpretation Neben der engen Erfolgsinterpretation entwickelte sich bezüglich § 13 Abs. 1 StGB ein weites Erfolgsverständnis,468 welches im Wesentlichen ohne erkennbare umfassende materiell-rechtliche Auseinandersetzung469 im Laufe der Zeit wohl zur herrschenden Ansicht in der Literatur470 erwuchs. Allein die am engen Erfolgsverständnis angebrachte Kritik oder die als (kriminalpolitisch) unsachgerecht empfundene Folge des Ausschlusses abstrakter Gefährdungs- respektive schlichter Tätigkeitsdelikte von der Unterlassungsstrafbarkeit471 kann die Anwendung des weiten Verständnisses wohl nicht legitimieren.472 Andererseits sprechen das Prinzip der restriktiven Anwendung des Strafrechts und der Orientierung am (äußersten) Wortsinn, der „die rote Linie“ aller strafrechtlichen Auslegungsüberlegungen be464
Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 38. Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 36 f. 466 Lackner/Kühl/Heger, Vor § 13, Rn. 32; BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13, Rn. 10; differenzierend Kudlich/Berberich, NStZ 2019, 633, 636. 467 Weitergehend BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13, Rn. 10. 468 MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 232; weiterführend Sieber, NJW 1999, 2065, 2068 ff. m. w. N. 469 Vgl. zum Gesamten Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 349 m. w. N. 470 U. a. NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 2; M/R-StGB/Haas, § 13, Rn. 25; BeckOK-StGB/ Heuchemer, § 13, Rn. 4; S/S/Bosch, § 13, Rn. 3; MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 232; i. E. wohl BayObLGSt 1987, 128, 132; eingeschränkt: Lackner/Kühl/Heger, § 13, Rn. 6 m. w. N.; Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 29; a. A. Jescheck, FS Tröndle, S. 795, 796. 471 Tenckhoff, FS Spendel, S. 361; Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 30. 472 Vgl. ebenso Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 362. 465
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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schreibt,473 nicht gegen eine extensive Auslegung. Das somit grammatikalisch nicht ausgeschlossene weite Verständnis findet zudem im Rechtsgüterschutzgedanken474 eine nachvollziehbare Grundlage. Das weite Erfolgsverständnis unterliegt in der Rechtswissenschaft einer breiten Verständnisvarianz,475 die vom Eintritt einer von der Tathandlung abgrenzbaren tatbestandlich umschriebenen Wirkung476 (folgend als restriktiv-weiter Erfolg benannt) bis hin zu einem extensiven Verständnis in Gestalt der allgemeinen Erfüllung des Straftatbestands477 reicht (folgend als extensiver Erfolg benannt).478 Die Formulierung des § 13 Abs. 1 StGB, der Täter müsse einen zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehörenden Erfolg abwenden, bietet für diesen Streit keinen Erkenntnisgewinn.479 Dieser ist nach hiesiger Auffassung lediglich negativ zu entnehmen, dass § 13 Abs. 1 StGB nicht zwingend ein enges Erfolgsverständnis zugrunde liegt.480 Demnach eröffnet § 13 Abs. 1 StGB, indem er auf einen – und nicht den – zum Tatbestand des Strafgesetzes gehörenden Erfolg abstellt, über den unbestimmten Artikel einen auslegungsfähigen, wenn nicht gar auslegungsbedürftigen, Wertungs- und Interpretationsspielraum.481 Folge dessen ist bei jedem unechten Unterlassen unabhängig des Delikts und dessen Deliktscharakter zunächst die Konkretisierung des dem Begehungsdelikt innewohnenden (intendierten)482 Erfolgs zu leisten. Mag dies bei den sog. reinen Erfolgsdelikten aufgrund des von der Tathandlung tatbestandlich entkoppelten Erfolgsmerkmals grundsätzlich leichter fallen483 als bei anderen Deliktstypen, etwa den schlichten Tätigkeits- oder abstrakten 473 St. Rspr. u. a.: BVerfGE 105, 135, 157 m. w. N.; BVerfGE 71, 108, 115; BGHSt 48, 355, 357; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 145; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 39. 474 BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13, Rn. 4; Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 361; vgl. M/RStGB/Haas, § 13, Rn. 25. 475 Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 326 u. 340; Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 32. 476 Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 30 m. w. N. 477 Maurach/Zipf, Strafrecht AT I, S. 276; Heinrich, GA 1999, 72, 79; Stratenwerth/Kuhlen, StR AT, § 13, Rn. 65; vgl. Horn, Anm. z. BayObLGSt 1978, 128, 128 ff., in: JR 1979, 289, 292; differenzierende Kritik am weiten Erfolgsbegriff Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 31 m. w. N. u. 36; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 326. 478 Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 356 m. w. N.; so bereits 1974 Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 326; Kritik siehe Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 35 f. 479 A. A. Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 35 m. w. N., demnach der abzuwendende Erfolg Bestandteil des Tatbestands sein muss und nicht dessen Verwirklichung selbst sein kann. Zugleich spricht Güntge (S. 36) den Tätigkeitsdelikten nicht die Existenz eines Erfolgsereignisses ab. 480 Vgl. weiterführend Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 30; Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 358; BayObLGSt 1978, 128, 132. 481 Vgl. ebenso Sieber, NJW 1999, 2065, 2068 m. w. N. 482 Dazu weiterführend MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 154. 483 Siehe zur Schwierigkeit der Bestimmung des Erfolgs eines Begehungsdelikts anhand des im Erfolgsmerkmals verbürgten Rechtsguts: MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 154; Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 30 m. w. N.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Gefährdungsdelikten, kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass letzteren von vornherein keine für die Unterlassungsstrafbarkeit relevante (rechtsgutsrelevante) Erfolgskomponente enthielten.484 Nun könnte gegen diese Argumentation vorgebracht werden, dass die Nutzung eines unbestimmten Artikels zur Umschreibung des tatbestandlichen Erfolgs auf eine gesetzgeberische Ungenauigkeit zurückgeführt werden könnte. Dies dürfte mit Blick auf die übrige Formulierung des § 13 Abs. 1 StGB aber nicht der Fall sein. Die in § 13 Abs. 1 StGB ebenso tatbestandlich vorausgesetzte Einstandspflicht (Garantenpflicht) knüpft über einen grammatikalisch bestimmten Artikel, demnach derjenige, der rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, am (zuvor) konkretisierten Erfolgselement an. Sollte § 13 Abs. 1 StGB von vornherein nur den tatbestandlich umschriebenen Erfolg erfassen, hätte dies gleichermaßen durch die Verwendung eines bestimmten Artikels am Anfang des § 13 Abs. 1 StGB angezeigt werden können.485 Da dem nicht so ist, lässt der Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB grundsätzlich die Erfassung alle Erfolge im realen Sinn,486 mithin des gesamten tatbestandsmäßigen Geschehens,487 zu. Das weite Erfolgsverständnis der Unterlassungsstrafbarkeit ist dem Wortlaut nach aber nicht nur nicht ausgeschlossen,488 sondern aus teleologischen Erwägungen vorzugswürdig. Hierbei erlangt der bereits angeklungene Gedanke des Rechtsgüterschutzes, der dem Strafrecht seine Legitimation verleiht,489 Bedeutung. Abstrakte Gefährdungs- bzw. schlichte Tätigkeitsdelikte stellen insoweit keine Ausnahme dar.490 Schließlich sanktionieren diese ein Verhalten nicht seiner selbst willen.491 Der Gesetzgeber hat hingegen die der Tathandlung innewohnende besondere Gefahrträchtigkeit für schützenswerte Rechtsgüter, welcher nicht durch konkrete Verletzungs- oder konkrete Gefährdungsdelikte in ausreichendem Maße begegnet werden kann,492 zum Anlass genommen, bereits die Vornahme der gefahrträchtigen Hand484
Vgl. Sieber, NJW 1999, 2065, 2068 ff. m. w. N. Anstatt: Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, wäre in § 13 Abs. 1 StGB die Wortwahl: Wer es unterläßt, den Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört denkbar gewesen. 486 M/R-StGB/Haas, § 13, Rn. 34; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 326 f.; vgl. BGH NJW 2010, 1087, 1091. 487 M/R-StGB/Haas, § 13, Rn. 5; BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13, Rn. 4; Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 29, der den Erfolg als „Geschehnis, das den Strafbarkeitsvorwurf begründet“, beschreibt. 488 Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 32. 489 NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 109 m. w. N.; MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 153 m. w. N.; Freund, Erfolgsdelikt, S. 10 m. w. N.; Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 56. 490 MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 228; S/S/Bosch, § 13, Rn. 3; weiterführend Martin, ZRP 1992, 19, 19 ff.; Heinrich, GA 1999, 72, 77 ff. 491 Vgl. Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 56. 492 Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 361. 485
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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lung zu pönalisieren.493 Allein dieser, der Vornahme der sanktionsbedrohten Handlung, wird damit eine gefahrträchtige Außenweltwirkung für ein dahinterstehendes Rechtsgut zugesprochen.494 Sanktionslegitimierend ist also auch bei abstrakten Gefährdungs- und schlichten Tätigkeitsdelikten, obwohl sich diese „nur“ auf ein gefahrträchtiges (Vor-)Verhalten beziehen, der dahinterstehende Rechtsgüterschutz. Dieser Gedanke korreliert mit der Legitimation der Sanktionierung des Unterlassens.495 § 13 Abs. 1 StGB umfasst Tatsituationen, in denen die Handlungspflicht des Garanten aus der objektiv bestehenden Gefahr der Entstehung eines tatbestandsmäßigen Sachverhalts erwächst.496 Der Erfolg der Unterlassungsstrafbarkeit ist deshalb nicht nur regelmäßig beim Entstehen einer konkreten Gefahr, sondern bereits ab dem Zeitpunkt der Existenz einer (zugespitzten) Gefährdungssituation für das Rechtsgut gegeben.497 Damit liegt selbst der Entstehung der unterlassungsrechtlich relevanten Handlungspflicht, mithin dem Handlungsaufruf an den Garanten, keine Erfolgssituation, sondern eine (bloß) aktive Gefährdungslage zugrunde.498 Des Weiteren kann die durch das enge Erfolgsverständnis einhergehende Beschränkung der Unterlassungsstrafbarkeit auf strafrechtliche Deliktskategorien ihrem Sinn und Zweck nach nicht gerecht werden.499 Schließlich bildet die Deliktsgruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte nicht den „Gegenbegriff“ zu den Erfolgsdelikten.500 Wie Freund richtig erkennt, ist die Einteilung in Tätigkeitsdelikte und Erfolgsdelikte eher phänomenologischer Natur.501 Entsprechend vermochten die
493
Zum Gesamten u. weiterführend vgl. Heinrich, GA 1999, 72, 79; BGHSt 46, 212, 221. Zum Gesamten vgl. MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 228; weiterführend Freund, Erfolgsdelikt, S. 5, Fn. 25; Walter, GA 2001, 131, 132 f.; Jakobs, StR AT, 29. Abschnitt, Rn. 2; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 2 m. w. N.; SK-StGB/Stein, Vor § 13, Rn. 4; vgl. S/S/Bosch, § 13, Rn. 3; BGHSt 46, 212, 222; a. A. Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 38 m. w. N. 495 Vgl. Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 361; Heinrich, GA 1999, 72, 79; Martin, ZRP 1992, 19, 20; Kudlich/Berberich, NStZ 2019, 633, 636. 496 Roxin, StR AT II, § 31, Rn. 178; LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 62. 497 Vgl. Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 357; Welzel, Strafrecht, S. 211; a. A. wohl LK-StGB/ Weigend, § 13, Rn. 62, der eine konkrete Gefahr fordert, aber nach Rn. 80 einen „mittleren Punkt“ auf dem Zeitstrahl zwischen dem ersten Auftreten der Handlungspflicht und dem letzten Augenblick vor dem Erfolgseintritt, wörtlich auf „den Eintritt einer nahen (konkreten) Gefahr des Erfolgseintritts“ für das unmittelbare Ansetzen des Versuchs durch Unterlassen abstellt. 498 M/R-StGB/Haas, § 13, Rn. 25; vgl. BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13, Rn. 4, der eine konkrete Gefährdung aus der Gesamtheit des tatbestandlichen Geschehens fordert; Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 349. 499 MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 232; S/S/Bosch, § 13, Rn. 3; weiterführend Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 356 f. m. w. N. 500 Kudlich/Berberich, NStZ 2019, 633, 636. 501 MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 228; siehe BayObLGSt 1978, 128, 132; Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 349; weiterführend Martin, ZRP 1992, 19, 19 ff.; insoweit führt eine Unterteilung abstrakten Gefährdungsdelikte in erfolgsverbundene Tätigkeitsdelikte nicht weiter: vgl. Lackner/Kühl/Heger, Vor § 13, Rn. 16 u. 32; ähnlich Rönnau, JuS 2010, 961, 961, der die 494
276
7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Rechtsprechung und Literatur bezüglich einiger abstrakter Gefährdungsdelikte eine von der Tathandlung abgrenzbare Außenwirkung auch nicht stets zu verneinen.502 Ein anschauliches Beispiel bietet die vom Bundesgerichtshof503 erwogene teleologische Reduktion des abstrakten Gefährdungsdelikts der schweren Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB (n. F.)504. Eine Strafbarkeit kann nach dessen sog. „Minimalrisikolösung“505 ausscheiden, wenn sich der Täter vor dem Inbrandsetzen oder der Brandlegung eines kleinen, mit einem Blick überschaubaren Wohngebäudes zuverlässig und lückenlos davon überzeugt hat, dass sich dort kein Mensch aufhält, mithin eine Gefährdung von Menschen ausgeschlossen ist. Diese am Rechtsgut des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB ausgerichtete teleologische Reduktion ist bei einem abstrakten Gefährdungsdelikt nur dann möglich, wenn diesem ein Erfolgselement zugesprochen wird; andernfalls kann diesem diese erfolgsorientierte Würdigung nicht anhaften. Das Erfolgselement wird wohl, wie Hecker feststellt, bezüglich § 306a Abs. 1 StGB im Risiko der Rechtsgutverletzung zu erkennen sein.506 Im Ergebnis sprechen die aufgezeigten dogmatischen Erwägungen für ein abseits der Tatbestandslehre, jedoch an einer isolierbaren Außenweltveränderung anknüpfendes, restriktiv-weites Erfolgsverständnis, sodass auch abstrakte Gefährdungs- und schlichte Tätigkeitsdelikte nicht mangels tatbestandlichen Erfolgsmerkmals von vornherein von einer unechten Unterlassungsstrafbarkeit ausgenommen sind. (3) Keine abschließende Position der Rechtsprechung zum Erfolgsbegriff des § 13 StGB Bis heute hat sich die Rechtsprechung bezüglich des Erfolgsverständnisses nicht abschließend positioniert. Obwohl ihr wie aufgezeigt eine von § 9 Abs. 1 StGB ableitbare Tendenz zum engen Erfolgsverständnis zu entnehmen ist, verschließt sich die neuere Rechtsprechung der weiten Auslegung nicht gänzlich. Dies wird aus einem Beschluss des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2014507 deutlich, in welchem das weite Erfolgsverständnis angesprochen, eine Entscheidung über dasselbe aber offen gelassen wurde. Inhalt dieser Entscheidung war der vom Bundesgerichtshof in
Einteilung in Erfolgs- und Tätigkeitdelikte als Ausfluss einer „rein formalen, allein den Tatbestand in den Blick nehmende Betrachtungsweise“ erkennt. 502 BGHSt 46, 212, 222 m. w. N.; vgl. BGHSt 38, 325, 338 f.; OLG Stuttgart NuR 1987, 281, 281 (bzgl. § 327 Abs. 2 Nr. 2 StGB a. F.); MüKo-StGB/Alt, § 326, Rn. 117; S/S/Bosch, § 13, Rn. 3; „in engen Grenzen“: Lackner/Kühl/Heger, § 13, Rn. 6 u. § 326, Rn. 7a jeweils m. w. N.; ausf. Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 360 f.; Martin, ZRP 1992, 19, 19 ff.; Rogall, NStZ 1992, 561, 562; Hecker, NStZ 1990, 326, 328. 503 In jüngerer Zeit vom 3. Strafsenat unter ausdrücklichem Verweis auf den Charakter als abstraktes Gefährdungsdelikt offengelassen: BGH NStZ 2014, 404, 406. 504 Vormals § 306 Nr. 2 StGB a. F. 505 BGHSt 26, 121, 123 f.; 34, 115, 118 f.; MüKo-StGB/Radtke, § 306a, Rn. 44 m. w. N. 506 Zum Gesamten BGHSt 26, 121, 123 f.; Hecker, JuS 2015, 274, 276. 507 BGH NStZ 2015, 81, 82, Rn. 8.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
277
seiner Entscheidung aus dem Jahr 2017508 nicht mehr aufgegriffene Gedanke, dass der Erfolgsort einer über die Tatbestandslehre hinausgehenden Auslegung zugänglich wäre. So sei die Ansicht „[…], dass die Frage nach dem Erfolgsort im Sinne des § 9 I StGB normspezifisch am Schutzzweck der jeweiligen Strafvorschrift ausgerichtet werden muss […], die Regelung mithin nicht nur auf Erfolgsdelikte im Sinne der allgemeinen Deliktslehre abstellt, […]“509
wohl nicht von vornherein abwegig. In diese aus § 9 Abs. 1 StGB entlehnte Richtung rückt – ungewöhnlich deutlich – auch eine frühere Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Verbreitung der Ausschwitzlüge aus dem Jahr 2000. In dieser wurde zumindest abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten grundsätzlich die Existenz eines Erfolges zugebilligt: „[Bei] abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten […] [trete] ein Erfolg im Sinne des § 9 StGB dort [ein], wo die konkrete Tat ihre Gefährlichkeit im Hinblick auf das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut entfalten kann.“510
Als anknüpfungsfähiger Erfolgsort wurde die konkrete Eignung zur Friedensstörung erkannt: „Für die Eignung zur Friedensstörung ist deshalb zwar der Eintritt einer konkreten Gefahr nicht erforderlich […]. Vom Tatrichter verlangt wird aber die Prüfung, ob die jeweilige Handlung bei genereller Betrachtung gefahrengeeignet ist […]. Notwendig ist allerdings eine konkrete Eignung zur Friedensstörung; sie darf nicht nur abstrakt bestehen und muss – wenn auch auf Grund generalisierender Betrachtung – konkret festgestellt sein […].“511
Darüber hinaus finden sich lediglich in der älteren und mit der neueren kaum in Einklang zu bringenden Judikatur sehr vereinzelt konkrete Ausführungen zur Erfolgskomponente des § 13 Abs. 1 StGB. Hervorzuheben ist eine Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, welches den Erfolgsbegriff des § 13 Abs. 1 StGB im Jahr 1978 unter Bezugnahme auf die damalige Literatur weit auslegte: „[…] [Es] ist anerkannt, daß § 13 Abs. 1 StGB nicht nur reine Erfolgsdelikte erfaßt, [sondern] vielmehr unter einem zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehörenden ,Erfolg‘ im Sinne der genannten Vorschrift jede Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsgutes zu verstehen ist.“512
Ebenso hatte das Oberlandesgericht Stuttgart 1986 keine Bedenken an der Verwirklichung eines abstrakten Gefährdungsdelikts durch Unterlassen:
508 509 510 511 512
BGH NStZ 2017, 146, 147. BGH NStZ 2015, 81, 82, Rn. 8. BGHSt 46, 212, 221. BGHSt 46, 212, 218; weiterführend Hoven ZWH 2018, 97, 105. BayObLGSt 1978, 128, 132.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
„Daß es sich bei der Vorschrift des § 327 StGB [a. F.] um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt […], steht dem nicht entgegen. Erfolg im Sinne von § 13 StGB ist auch die Verwirklichung eines Gefährdungstatbestandes, um ein Erfolgsdelikt muß es sich nicht handeln […].“513
Tatsächlich dürfte die weite Erfolgsauslegung, welche wie selbstverständlich von der obergerichtlichen Rechtsprechung in den älteren Entscheidungen zugrunde gelegt wurde, damals anerkannt gewesen sein. Andernfalls wären nicht nur in den Entscheidungsgründen selbst, sondern auch in der Anmerkung von Horn zur Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts eine kritische Auseinandersetzung zu erwarten gewesen. Stattdessen wurde die Einschränkung der unechten Unterlassungsstrafbarkeit auf Ebene der Reichweite der Verantwortlichkeit, der Garantenpflicht, diskutiert.514 Insgesamt hat sich die (neuere) Rechtsprechung zwar tendenziell für ein enges Erfolgsverständnis ausgesprochen, eine weite Auslegung aber nicht gänzlich ad acta gelegt. Ein derart weites Verständnis, wie es die zitierten Oberlandesgerichte zugrunde legten, mithin jedes abstrakte Gefährdungsdelikt als durch Unterlassen begehbar anzusehen, dürfte von der neueren Rechtsprechung jedoch nicht mehr als vertretbar angesehen werden. bb) Der zum Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB gehörende Erfolg Auch bei der Anwendung des restriktiv-weiten Erfolgsverständnisses muss die dem einzelnen abstrakten Gefährdungs- bzw. schlichten Tätigkeitsdelikt zugrunde liegende unterlassungsrechtlich anknüpfungsfähige, von der Tathandlung zeitlich und/oder räumlich abtrennbare Außenweltveränderung untersucht werden. Ein, wie dem extensiven Verständnis zukommender, Anwendungsautomatismus des § 13 Abs. 1 StGB ist schließlich ausgeschlossen. Die extensive Ansicht ist bereits deshalb abzulehnen, weil sie dem Erfolgsmerkmal des § 13 Abs. 1 StGB eine eigene Bedeutung abspricht. Inhaltsleer ist die unterlassungsrechtliche Bezugnahme auf den zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehörenden Erfolg jedoch nicht. (1) Die Rechtsprechung Entsprechend rar wie Entscheidungen zum Erfolgsbegriff sind (normspezifische) Ausführungen zum Erfolgselement des § 316 Abs. 1 StGB. Die zur Volksverhetzung 513
OLG Stuttgart NuR 1987, 281, 281. Horn, Anm. z. BayObLGSt 1978, 128, 128 ff., in: JR 1979, 289, 292: „Wegen ,unechter‘ Unterlassung kann bekanntlich nur bestraft werden, wer Garant ist für den unversehrten Fortbestand des durch den jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts. Bei abstrakten Gefährdungsdelikten – zu denen § 316 gehört – reduziert sich dieser Ansatz darauf, daß der Unterlassende jedenfalls Garant sein muß dafür, daß sich der betreffende Tatbestand nicht verwirklicht. (Damit ist etwas klarer gesagt, was auch das BayObLG meinte, wenn es – höchst vage und floskelhaft – ausführt, unter,Erfolg‘ i. S. des § 13 sei ,jede Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsguts zu verstehen‘).“ 514
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
279
gemäß § 130 Abs. 1 StGB (a. F.) entwickelten Erwägungen können jedenfalls nicht unbesehen auf das schlichte Tätigkeitsdelikt des § 316 Abs. 1 StGB übertragen werden. Wesentlich ist aber, dass der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung dem schlichten Tätigkeits- und abstrakten Gefährdungsdelikt – insbesondere auch bei der schweren Brandstiftung im Rahmen der „Minimalrisikolösung“515 – eine Erfolgsanknüpfung an von der Tathandlung räumlich und/oder zeitlich isolierbaren Außenweltveränderungen zuspricht. Zum § 316 Abs. 1 StGB selbst ist hingegen die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts aus dem Jahr 1978,516 welches der Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 1 StGB unter Zugrundelegung des weiten Erfolgsverständnisses einen Erfolg zusprach, einzigartig geblieben. Doch selbst dieser ist kein Erkenntnisgewinn bezüglich des dem § 316 Abs. 1 StGB innewohnenden konkreten Erfolgssachverhalts zu entnehmen. Dies mag auch daran liegen, dass sich die Ausführungen des Gerichts in der Feststellung, der Anknüpfungspunkt der Unterlassungsstrafbarkeit läge in der fehlenden Entledigung des Besitzes des Fahrzeugs vor der Versetzung in den fahruntüchtigen bzw. den der Entscheidung zugrundeliegenden schuldausschließenden Zustand (omnissio libera in causa), erschöpfen. Ein konkret gefährdetes Rechtsgut benennen die Urteilsgründe nicht.517 Doch unbenommen dessen hat der Bundesgerichtshof unlängst (unbewusst) ein Erfolgselement, also eine räumlich von der Tathandlung abtrennbare Außenweltveränderung, in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1988518 im Tathandlungsmerkmal des Führens verortet bzw. in dieses implementiert. Es wurde bisher nur nicht als solches erkannt oder benannt. Der Entscheidung lag eine ausführliche Auseinandersetzung der Auslegung des Führens zugrunde, wobei diese letztlich um das oben diskutierte519 (objektive) Bewegungselement erweitert wurde. Demnach sei das tatbestandliche Führen eines Fahrzeugs nur dann erfüllt, wenn sich dasselbe (nicht nur geringfügig) fortbewege. Dem etablierten Bewegungselement kommt dabei die Funktion der Verobjektivierung des Führens über die Einführung eines faktischen bzw. Quasi-Erfolgselements zu. Es dient allein dazu, die Tatverwirklichung über eine äußerlich wahrnehmbare Außenweltveränderung greifbar zu machen. Somit kann der herrschenden Auffassung nach – und ungeachtet der vorgetragenen fehlenden Nachvollziehbarkeit des Bewegungselements520 – § 316 Abs. 1 StGB entgegen dem heute etablierten Verständnis nicht als „erfolgloses“ Delikt angesehen werden. Der Eintritt dieser isolierbaren Außenweltveränderung, also das Anrollen der Räder, wurde vom Bundesgerichtshof 1988 sogar als gefahrbegründendes Momentum be-
515 516 517 518 519 520
Siehe Ausführungen unter 7. Kap. B. II. 6. a) aa) (2), insb. N. unter 7. Kap., Fn. 506. BayObLGSt 1978, 128, 128 ff. Siehe zum Gesamten 7. Kap., Fn. 512. BGHSt 35, 390, 393 ff. Siehe unter 6. Kap. A. III. 3. Siehe 7. Kap. B. II. 4.
280
7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
zeichnet. Zurückgeführt wird dieses Ergebnis dabei nicht allein auf den Wortlaut,521 sondern entscheidend auf Schutzzwecküberlegungen: „Auch die zweckorientierte Auslegung der Vorschrift führt dazu, daß von dem Begriff des ,Führens‘ nur Bewegungsvorgänge im Verkehr erfaßt sein sollen. […] Durch ein stehendes Fahrzeug, das der Beherrschung durch einen Fahrzeugführer nicht bedarf, tritt eine Gefährdung des Straßenverkehrs indessen nicht ein. Die bloße Einnahme der Fahrerposition, das Anlassen des Fahrzeugs im Leerlauf oder das Einschalten des Stand- oder Abblendlichtes stellen Tätigkeiten dar, die einen Gefahrenzustand in aller Regel noch nicht herbeiführen. […] Diese klare Entscheidung des Gesetzgebers ist zu beachten. Tatbestandsmäßig i. S. von § 316 StGB ist danach […] erst der Bewegungsvorgang des Abfahrens selbst, der durch das Anrollen der Räder nach außen in Erscheinung tritt.“522
Insoweit erschöpft sich das im abstrakten Gefährdungs- und schlichten Tätigkeitsdelikt des § 316 Abs. 1 StGB pönalisierte Unrecht nach der Rechtsprechung keineswegs in der Vornahme der gefahrträchtigen Tathandlung selbst, sondern ist erst mit Eintritt der Fortbewegung des Fahrzeugs erfüllt und sanktionswürdig. Dem nun der unechten Unterlassungsstrafbarkeit entgegengesetzten Einwand der Rechtsprechung, § 316 Abs. 1 StGB trüge keine „von der tatbestandsmäßigen Handlung räumlich und/oder zeitlich abtrennbare Außenweltveränderung“ in sich,523 ist daher mit dem seit 1988 in der Praxis nicht kritisierten Bewegungserfordernis die Grundlage entzogen. (2) Die Literatur Auch in der Literatur haben sich einzelne Autoren der Konkretisierung des Erfolgsunwerts des § 316 Abs. 1 StGB gewidmet. Derartige Versuche finden sich – ähnlich wie in der Rechtsprechung – eher in älteren Schriften. Einige Autoren erkannten insoweit bei den schlichten Tätigkeitsdelikten, die eine „Tätigkeit als handelnde Einwirkung auf ein Objekt“ beschreiben, die Realisierung der Einwirkung auf das Handlungsobjekt als Erfolg an. Entsprechend wird auch von Jakobs noch 1991 die Einwirkung auf die Stellelemente des Fahrzeugs bei § 316 Abs. 1 StGB als anknüpfungsfähiger Erfolgssachverhalt angesehen.524 Der Ausgangspunkt dieser Ansicht findet sich regelmäßig zeitlich vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1988,525 mithin als dem Führen von der Rechtsprechung noch kein Bewegungselement beigemessen wurden. Als die Rechtsprechung das dynamische Element in die Auslegung des Führens implementierte, nahm wiederum die Literatur immer weiter Abstand vom Gedanken einer dem § 316 Abs. 1 StGB innewohnenden, von der Tathandlung isolierbaren Außen521 522 523 524 525
Siehe 6. Kap. A. III. 1. a), N. unter Kap. 6, Fn. 59. Siehe 7. Kap., Fn. 451. Zu sämtlichen Zitaten BGH NStZ 2017, 146, 147; 2015, 81, 82, Rn. 8. Zum Gesamten Jakobs, StR AT, 29. Abschnitt, Rn. 2. BGHSt 35, 390, 393 ff.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
281
weltveränderung. So wurde zwar noch 1995 von Güntge das Einwirken auf das Fahrzeug als sprachlich anknüpfungsfähiger Erfolg rekapituliert. Er selbst sprach aber der engen Auffassung zu und sah die Einwirkung als „unselbständige, naturgesetzlich bedingte Folgeerscheinung“ an, die ohne Bedeutung für die Tatbestandserfüllung sei, sodass sie für die Bejahung des verwirklichten Unrechts keine Relevanz besäße.526 In jüngerer Zeit griff sogar ein rechtsgutorientierter Ansatz Raum. Diesen nahm noch im Jahr 2001 Stree auf, der die Frage, ob die durch den Tatbestand des abstrakten Gefährdungsdelikts abzuwendende Folge, vor dessen Eintritt das Gesetz durch die Pönalisierung der gefahrträchtigen Handlung zu schützen sucht, als Erfolg im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB anzusehen sei, formulierte.527 (3) Eigene Auffassung Weder die Literatur noch die Rechtsprechung isolieren den Kern des dem § 316 Abs. 1 StGB innewohnenden „Erfolgs“ im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB. Soweit unter Anwendung des restriktiv-weiten Erfolgsverständnisses überhaupt greifbare Anknüpfungspunkte eruiert werden, sind diese mit Ausnahme des letztgenannten Ansatzes von Stree528 meist Resultat einer tatsächlichen Betrachtung. Eine solche kann den rechtlichen Begriff des Erfolgs529 jedoch nicht ausfüllen. Hingegen muss das (objektivierbare) Risiko der Rechtsgutverletzung, wie es bei der „Minimalrisikolösung“ der schweren Brandstiftung bereits herangezogen wurde, Ausgangspunkt der Betrachtung sein.530 Grundsätzlich wäre daher die Befassung mit der Auslegung der Rechtsprechung, mit dem Bewegungserfordernis, entbehrlich, würde diesem nicht der richtige Ansatz zugrunde liegen. Lediglich der aus der schutzzweckgeprägten Auslegung gezogene Schluss, die abstrakte Gefährdungslage des § 316 Abs. 1 StGB durch eine konkrete Außenweltveränderung sichtbar machen zu wollen, überzeugt nicht. Mag die darin liegende Intention der Bundesrichter, Strafgerichten im Interesse einer rechtseinheitlichen und rechtssicheren Würdigung des § 316 Abs. 1 StGB ein greifbares und beweissicheres531 strafbarkeitsbegründendes Moment an die Hand zu geben, nachvollziehbar sein, wird § 316 Abs. 1 StGB dadurch wider seiner Deliktsnatur zum verkappten Erfolgsdelikt verklärt. Sicherlich vermag die Feststellung der Vollendung der Trunkenheitsfahrt, namentlich die sanktionslegitimierende Übernahme der schwer greifbaren Führungstätigkeit, mangels konstitutiven Erfolgsmerkmals schwer fallen. Es ist aber ein Trugschluss, eine abstrakte Gefahrenlage über eine von 526
Zum Gesamten Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 36 f. S/S/Stree, 26. Aufl., § 13, Rn. 3. 528 Siehe 7. Kap., Fn. 527. 529 BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13, Rn. 3. 530 Siehe 7. Kap., Fn. 506. 531 Zur Kritik des Ansinnens, Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, siehe 7. Kap. B. II. 4. u. Fn. 703. 527
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
der Tathandlung losgelöste bestimmte Außenweltveränderung abbilden oder umreißen zu wollen. Der Erfolgsweite, die der Gesetzgeber abstrakten Gefährdungsdelikten mitgibt, kann so nicht Rechnung getragen werden. Allerdings und anders als das Auslegungsergebnis, verdient der von der Rechtsprechung aufgegriffene Auslegungsansatz Zustimmung. Er räumt der juristischen Methodik unter Berücksichtigung der abstrakten Gefährdungslage den notwendigen Raum ein, der für die Erfassung des Gefahrunwerts, mithin des unterlassungsrechtlich relevanten „Erfolgs“, notwendig ist. So sind stets die hinter dem Tatbestand einer jeden Norm stehenden normspezifischen Schutzzweck-532 und Rechtsgütererwägungen für das Verständnis des pönalisierten Unrechts heranzuziehen. Insofern ist es nur folgerichtig, wenn der Bundesgerichtshof zugleich die (abstrakt) gefahrbegründende Eignung der Tathandlung teleologisch auslegt und abstrakte Gefährdungs- und/oder schlichte Tätigkeitsdelikte ihrer Natur nach nicht zwingend als „erfolgsentleerte“ Delikte ansieht. Des daraus geschlussfolgerten Rückgriffs auf eine naturalistische Betrachtung bedarf es aber nicht. Das Ergebnis vorweggenommen, ist der „Erfolg“ des § 316 Abs. 1StGB im Eindringen und Einwirken eines deliktsspezifisch ausgedehnten Gefahrenkorridors533 in und auf den Straßenverkehr anzusehen. Vermag dieser „Erfolg“ zunächst ebenso abstrakt erscheinen wie die abstrakte Gefährdungslage selbst, findet dieser in den folgenden Zeilen seine Konkretisierung. Letztlich ist es auch nicht der „Erfolg“ des § 316 Abs. 1 StGB selbst, der in die unterlassungsstrafrechtlich (objektiven) Außenweltveränderungen einmündet; er wird vielmehr vom Eintritt dieser hervorgerufen. Die Entstehung der (gefahrauslösenden) Außenweltveränderungen ist folglich notwendiger, dem „Erfolgssachverhalt“ anhaftender, Bestandteil. Die Herleitung dieses „Erfolgs“ beruht auf dem nachfolgenden Dreiklang: Zunächst muss herausgestellt werden, dass allein der Vornahme der Tathandlung selbst keine pönalisierte Gefährdungswirkung anhaftet. Andernfalls wäre die Herleitung einer von dieser zeitlich und/oder räumlich abtrennbaren Außenweltveränderung kaum möglich (a). Dem schließt sich eine Spezifizierung der abstrakten Gefährdungslage des § 316 Abs. 1 StGB an, die von anderen verkehrsrechtlichen und -technischen Gefährdungssphären abzugrenzen ist (b). Nur so können die Außenweltveränderungen, die in der Entstehung der deliktsspezifisch-abstrakten Gefährdungslage aufgehen, von anderen gefahrträchtigen (Verkehrs-)Zuständen unterschieden werden. Dieser letzte Schritt, die Konkretisierung der unterlassungsrechtlich relevanten Außenweltveränderungen des § 316 Abs. 1 StGB, folgt unter Gliederungsebene (c).
532
Siehe 7. Kap., Fn. 507. Dieser setzt sich wiederum – wie im Folgenden aufgezeigt wird – aus der Fahruntüchtigkeit und den fahrzeugimmanenten Gefahren zusammen. 533
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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(a) Keine gefährdungsbegründende Eignung der Tathandlung Grundvoraussetzung, um eine von der Tathandlung des schlichten Tätigkeitsdelikts zeitlich und/oder räumlich abtrennbare Außenweltveränderung überhaupt feststellen zu können, ist, dass die Vornahme der Tathandlung selbst keine unmittelbar sanktionsprägende Gefahrenwirkung entfaltet. Andernfalls resultiert die abstrakte Gefährdungslage aus der Vornahme der Tathandlung selbst, sodass ihr das pönalisierte Gefährdungspotenzial anhaftet. In diesem Fall hinge die Entstehung der abstrakten Gefährdungslage untrennbar mit der Vornahme der Tathandlung zusammen, sodass etwaigen Außenweltveränderungen keine gefährdungsbegründende Wirkung zukommen könnte. Dies ist bei § 316 Abs. 1 StGB, dessen (neutrale) Tathandlung zwei Gefahrensphären miteinander verbindet, nicht so. Allein die Tätigkeitsvornahme begründet, wie aufgezeigt,534 ein verantwortbares, sozialadäquates Risiko. Sanktionslegitimierendes Gewicht besitzen hingegen die in § 316 Abs. 1 StGB über die übrigen Tatbestandsmerkmale beschriebenen Gefährdungssphären, die zusammen den missbilligten Gefahrenkorridor, das Gefährdungsunrecht, bilden. Über die Tätigkeitsvornahme werden diese Gefahrenkreise, namentlich die dem Führenden anhaftende Fahruntüchtigkeit und die fahrzeugimmanenten Gefahren, „lediglich“ miteinander gekoppelt. Im Kern ist die Vornahme der tatbestandlichen Tathandlung damit bloßes Mittel, über welches die den gefahrträchtigen Umständen entspringenden Gefahrwirkungen auf den öffentlichen Straßenverkehr einwirken.535 (b) Die in § 316 Abs. 1 StGB sanktionslegitimierende abstrakte Gefährdungslage Die Abgrenzung der von § 316 Abs. 1 StGB pönalisierten abstrakten von anderen, sozial gebilligten Gefährdungslagen setzt deren Abgrenzbarkeit und Spezifizierbarkeit voraus. Nur dann, wenn sich der deliktsspezifische Gefährdungsbereich von anderen gesetzlich gebilligten Gefahrenkreisen abgrenzen lässt, können die sanktionsanknüpfenden Umstände ermittelt werden. Natürlich zeichnet der Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB dabei kein Ereignis vor, welches als „das“ Erfolgsmerkmal bezeichnet werden könnte. Die abstrakte Gefährdungslage selbst erhält gerade durch ihre weite Ausstrahlungswirkung auf verschiedenste Rechtsgüter ihr Gepräge. Diese (abstrakte) Gefährdungsvielfalt durch einzelne Umstände zu bündeln, kann nicht gelingen. Dies bedeutet aber nicht, dass die Entstehung oder Aufrechterhaltung der durch § 316 Abs. 1 StGB pönalisierten abstrakten Gefährdung ohne Außenweltveränderung geschehe. Die Grundlage dieser Überlegungen findet sich nicht in der grundsätzlich (gefahrneutralen) Tathandlung, sondern in den Schutzzweck- und Rechtsgutserwägungen des § 316 Abs. 1 StGB. Basis dessen muss die abstrakte Gefährdungslage, 534
Vgl. 6. Kap. B. II. 3. u. 7. Kap. B. II 5. b). Vgl. BGHSt 35, 390, 393 f.: „Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Bestimmung der abstrakten Gefahr entgegenwirken, die dem Verkehr daraus erwächst, daß der Fahrzeugführer infolge der genannten Mängel sein Fahrzeug nicht zu beherrschen vermag.“ 535
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
die den Unrechtsgehalt des Delikts charakterisiert, sein. Demnach ist grundlegendes Ziel des § 316 Abs. 1 StGB die Sicherheit des Straßenverkehrs von bestimmten unbeherrschbaren Gefährdungssphären freizuhalten. Global-rechtlich betrachtet ist § 316 Abs. 1 StGB damit Teilglied des allgemeinen und umfassenden Schutzes der Sicherheit des Straßenverkehrs.536 Unabhängig davon, ob diesem darüber hinaus ein Individualrechtsgüterschutz zugesprochen werden kann,537 ist die Sicherheit des Straßenverkehrs auch kein Selbstzweck, sondern entfaltet über den universellen Schutz vor ungeeigneten Fahrzeugführenden individualschützende Wirkung für alle übrigen Verkehrsteilnehmer.538 Hintergrund dessen ist, dass der öffentliche Straßenverkehr, in dessen Bereich sich eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern, noch mit unterschiedlichen Fortbewegungsmitteln, begegnen, ein existenzielles Gefährdungsniveau aufweist. Dieses Gefährdungsniveau wird durch verschiedene Faktoren gesteigert, wobei das Maß der abstrakten Gefahr des § 316 Abs. 1 StGB die strafbarkeitsbegründende Schwelle zieht. Entsprechend ist die abstrakte Gefährdungslage, die § 316 Abs. 1 StGB umschreibt, keine allgemein strukturlose, sämtliche verkehrs- oder führungsrelevante Gefahrfaktoren umfassende unspezifische Gemengelage. Sie umreißt vielmehr ein bestimmtes Gefährdungsniveau. Freilich ist sich der Gesetzgeber dabei über die allgemeine Gefahrträchtigkeit des (Straßen-)Verkehrs bewusst gewesen. Bereits der Nutzung von (Kraft-)Fahrzeugen, die ein (wesentlich) über der menschlichen Kraftentfaltung liegendes Energiepotenzial aufweist, wohnt in sich ein hohes Gefährdungspotenzial inne. Führende von (Kraft-)Fahrzeugen bringen Gefahrenquellen in den öffentlichen Verkehrsraum ein, denen insbesondere nichtmotorisierte bzw. zu Fuß gehende Verkehrsteilnehmer nur bedingt oder überhaupt nicht begegnen können. Andererseits ist eine Vermeidung des öffentlichen Straßenverkehrs im täglichen Leben undenkbar. Ein jeder Bürger muss sich allein schon für existenzielle Besorgungen den Gefahren des Straßenverkehrs aussetzen. Die Schaffung von Einwirkungsmöglichkeiten auf die eigenen Rechtsgüter durch Dritte ist mithin keine freiwillige Entscheidung des Individuums, sondern Grundvoraussetzung der alltäglichen Lebensgestaltung und der gesellschaftlichen Teilhabe. Gleiches gilt jedoch auch umgekehrt. Soll an der Fortbewegung mittels Fahrzeug partizipiert werden, gelangen die von diesem ausgehenden eigentümlichen Gefahren in den öffentlichen Straßenverkehr unweigerlich hinein. Den vom Fahrzeug ausgehenden Gefahrenkreis kann der Führende auch nicht (physikalisch) auf null reduzieren. Aus dieser Unvermeidlichkeit der Einflussnahme aller Verkehrsteilnehmer auf die Rechtsgüter anderer folgt die (historisch ableitbare) gesetzgeberische Intention der Gefährdungsminimierung, also den von einem jeden Verkehrsteilnehmer ausgehenden Gefahrenbereich so zu reduzieren, dass dieser einen möglichst geringen oder gar geringstmöglichen, mithin verantwortbaren, 536
U. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 1 u. § 316, Rn. 1; S/S/Hecker, § 315c, Rn. 2 u. § 316, Rn. 1 m. w. N.; ausf. zum Rechtsgut der §§ 315c u. 316 StGB: Deichmann, Sonderstraftat, S. 191 ff. 537 Siehe dazu 6. Kap., Fn. 39. 538 BVerfGK 13, 7, 21 m. w. N.; MüKo-StGB/Pegel, § 316, Rn. 1.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Gefahrenbereich ausstrahlt. Kurzum: Ein sicherer Straßenverkehr ist allein dadurch realisierbar, dass ein jeder Verkehrsteilnehmer die jeweils aus der genutzten Fortbewegungsart bzw. -mittel erwachsenden Gefahren beherrscht. Teil dieser gesetzlichen Schutzplanken ist § 316 Abs. 1 StGB. Nun vermag § 316 Abs. 1 StGB, wie angedeutet, jedoch nicht vor sämtlichen, mit der Nutzung von Fahrzeugen als Fortbewegungsmittel einhergehenden Gefahrensphären zu schützen. Die abstrakte Gefahrenlage, deren Vermeidung über § 316 Abs. 1 StGB sanktionsbewährt ist, setzt sich ihren Konturen nach von den übrigen, im Straßenverkehr und der Fahrzeugnutzung auftretenden Gefahrensphären deutlich ab – woraus ihre Sanktionsbedürftigkeit auch hergeleitet wird. Dies bedeutet aber nicht, dass keine anderen, das Gefahrenniveau des § 316 Abs. 1 StGB erreichenden oder übersteigernden Gefahrenzustände – mithin Erfolge im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB – denkbar wären. Mit § 316 Abs. 1 StGB hat der Gesetzgeber konkret die Schaffung des Gefahrenkreises dort verortet, wo der Täter den dem „Fahrzeug“ innewohnenden Gefahrenbereiche unbeherrschbar potenziert. Tatbestandlich umrissen wird diese „rote Linie“ durch die (Regelkreis-)Faktoren Fahrzeug und Fahruntüchtigkeit, letzterer als Teil der persönlichen Eigenschaften des Fahrzeugführenden (obwohl er infolge Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, § 316 Abs. 1 StGB). Bildlich gesprochen geht von jedem Fahrzeug ein dieses umhüllender rechtlich gebilligter Gefahrenkorridor, innerhalb dessen die Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer einer potenziellen Gefährdung oder Verletzung preisgegeben sind, aus. Allein dessen Eröffnung ist aber nicht strafwürdig und unter Beachtung der Verhaltensnormen und technischen Vorschriften sozialadäquat. Baut der Führende jedoch diesen (sozialadäquaten) Gefahrenkorridor dergestalt aus, dass er die fahrzeugimmanenten Gefahren nicht mehr beherrschen kann, wird der sozial nicht mehr hinnehmbare Gefahrenunwert realisiert. Zurückkommend zu der bildlichen Darstellung ist dies dann der Fall, wenn sich der das Fahrzeug umhüllende Gefahrenkreis in qualitativer wie quantitativer Hinsicht derart erweitert, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer unvermeidlich erscheint. Insofern ist die abstrakte Gefährdungslage des § 316 Abs. 1 StGB auch keine bloß graduelle Steigerung einer beliebigen Gefährdungssphäre, sondern begründet einen eigenen quantifizierbaren Gefährdungskorridor. Der soeben herausgearbeitete abstrakte Gefahrenkorridor ist auch im Tatsächlichen visualisierbar. So können Sachverständige anhand von Referenzwerten,539 welche u. a. die Leistungsfähigkeit fahrtüchtiger Führender abbilden, den mit der Fahrzeugnutzung als Fortbewegungsmittel verbundenen (variablen) Gefährdungsbereich bestimmen.540 Gleiches gilt für das genutzte Fahrzeug, bspw. dessen Bremsweg oder den Aquaplaning-Eigenschaften der genutzten Reifen. Anschauliches Beispiel sind etwa die Reaktionszeiten, die als Faktor der Berechnung des 539 540
Geigel Haftpflichtprozess/Freymann, Kap. 27, Rn. 102 m. w. N. d. Rspr. So etwa BGH, Urt. v. 28. 04. 1967 – 4 StR 108/67 – juris, Rn. 6.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Anhaltewegs herangezogen werden. Der Bundesgerichtshof in Zivilsachen selbst hat eine Sekunde541 als regelmäßige Reaktionszeit angenommen.542 Dieser, aus der zeitlichen Verzögerung erwachsende Gefährdungsbereich, wird dem Führenden als unvermeidbar zugesprochen – ist mithin strafrechtlich irrelevant. Ein dem § 316 Abs. 1 StGB gleichwertiger Erfolg im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB liegt in der Existenz eines durch von der Tathandlung isolierbare Außenweltveränderungen hervorgerufenen Gefahrenbereichs, welcher dem der Fahruntüchtigkeit entspricht oder diesen gar überwiegt – objektiv vergleichbar u. a. über die entsprechenden Reaktionswerte. Diese Vorgehensweise hat auch der Bundesgerichtshof für Strafsachen 1967 gewählt, um das Vorliegen der Fahruntüchtigkeit nachzuweisen. Dazu grenzte er die sich aus dem zugrundeliegenden Unfallgeschehen darbietenden Werte mit den Referenzwerten der allgemeinen Verkehrsgefahr – den Reaktionswerten fahrtüchtiger Fahrzugführer – ab: „Gegen ihn [den Schluss der bestehenden Fahruntüchtigkeit] wäre nichts einzuwenden, wenn feststünde, daß der Angeklagte nicht schneller als 90 km/std und das Kraftrad nicht langsamer als 50 km/std gefahren sind. Bei einem Geschwindigkeitsunterschied von 40 km/ std (= ungefähr 11 m/sec) und einer Sichtweite von 30 bis 40 m hätte der Angeklagte das Schlußlicht des Kraftrades spätestens 2 1/2 Sekunden vor dem Aufprall sehen können und müssen. Unter Berücksichtigung der Reaktionszeit hätte diese Zeitspanne auch ausgereicht, um dem Motorrad auszuweichen. Indessen steht bisher nicht fest, daß der Angeklagte nicht schneller als 90 km/std und das Kraftrad nicht langsamer als 50 km/std gefahren ist. Beides hat das Landgericht, wie die Urteilsgründe erkennen lassen, nur zugunsten des Angeklagten angenommen. Diese Annahmen können sich aber hier für die Frage, ob der Angeklagte infolge Alkoholbeeinflussung in seiner Sehkraft, Aufmerksamkeit und Konzentration geschwächt war, zu seinem Nachteil ausgewirkt haben. War der Geschwindigkeitsunterschied zwischen den beiden Fahrzeugen erheblich größer als 40 km/std, so war wegen der festgestellten geringen Sichtweite die Spanne zwischen dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte das Rücklicht des Motorrades auch bei angespannter Aufmerksamkeit frühestens erkennen konnte und dem Zusammenstoß wesentlich geringer als 2 1/2 Sekunden. Es ist dann fraglich, ob sie für eine Ausweichbewegung noch ausgereicht haben würde. Die Einlassung des Angeklagten, daß er das Kraftrad erst unmittelbar vor dem Aufprall als plötzlich auftauchenden Schatten gesehen habe, könnte alsdann ihre natürliche Erklärung auch in der für die schlechten Sichtverhältnisse viel zu hohen Geschwindigkeit des Angeklagten finden und brauchte nicht unbedingt als Anzeichen einer alkoholbedingten Verminderung der Sehkraft und der Konzentration gedeutet zu werden.“543
Visualisiert besteht der erfolgsrelevante pönalisierte Gefährdungskorridor, wenn der Täter den fahrzeugtypischen Risikobereich nicht nur „nach vorne“ verlagert, 541 BGH NJW 1954, 1415, 1415; bei einer Fahrweise mit gespannter Aufmerksamkeit werden dem Führenden sogar nur 0,8 Sekunden als Reaktionszeit zugesprochen, BGH VersR 1966, 829, 830. 542 BGH NJW 2000, 3069, 3070; Geigel Haftpflichtprozess/Freymann, Kap. 27, Rn. 102 m. w. N. d. Rspr. 543 BGH, Urt. v. 28. 04. 1967 – 4 StR 108/67 – juris, Rn. 5 f.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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sondern den bestehenden fahrzeugimmanenten Gefährdungsbereich auf das pönalisierte Niveau hebt. Dieser mit § 316 Abs. 1 StGB verknüpfte abstrakte Gefährdungskorridor lässt sich über wissenschaftliche Erkenntnisse und Referenzwerte objektiv bestimmen und von den „üblichen“ verkehrsrelevanten Gefahrenbereichen abgrenzen. (c) Die gefährdungsbegründenden Außenweltveränderungen Zuletzt müssen die Außenweltveränderungen,544 die den § 316 Abs. 1 StGB innewohnenden missbilligten Gefahrenkorridor eröffnen, konkretisiert werden. Diese, die den Gefahrenkorridor auslösenden Umstände, sind nur über eine Einzelfallwürdigung feststellbar. Sie sind, anders als von der Rechtsprechung angenommen, einer Verallgemeinerung nicht zugänglich. Es sind eine Vielzahl von anknüpfungsfähigen Außenweltzuständen denkbar, die einen dem § 316 Abs. 1 StGB gleichwertigen Gefahrenkorridor eröffnen. Freilich und spätestens ist dieser gefahrauslösende Zustand dann zu bejahen, wenn sich die Gefahr in einem – wenn auch für die Strafbarkeit des § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht genügenden – Erfolg, etwa dem Streifen eines geringwertigen Verkehrsleitpfostens am Straßenrand, realisiert. Doch auch wenn ein solcher Erfolg fehlt, ist die Feststellung der Existenz des vorbenannten deliktsspezifischen Gefährdungskorridors aufgrund dessen Bestimmbarkeit anhand von Referenzwerten und Umständen leistbar. Am eindringlichsten wird die Existenz und Einwirkung des Gefahrenkorridors auf den Straßenverkehr durch die – von der Rechtsprechung angenommene – (unverhoffte und unbeabsichtigte) Bewegung des Fahrzeugs begründet. Ebenso kann aber auch bereits die Herstellung der Fahrbereitschaft des Fahrzeugs, etwa durch die versehentliche Betätigung des Startknopfes bei zündschlosslosen Fahrzeugen, wodurch dem (trunkenen) Betroffenen die Nutzung der Lichtanlage ermöglicht wird, diesen gefahrauslösenden Zustand, die Außenweltveränderung, herbeiführen. Ebenso sind von hoch- und vollautomatisierten Fahrerassistenzsystemen herbeigeführte (Fahr-) Situationen denkbar, die einen dem § 316 Abs. 1 StGB gleichwertigen Gefahrenkorridor eröffnen. Beispielhaft ist dann etwa die systemeigene Deaktivierung des Fahrerassistenzsystems nach Ablauf der Übernahmezeit, also die unkontrollierte Bewegung oder gegebenenfalls auch der gefahrträchtige Stillstand des Fahrzeugs im Verkehrsraum, die erfolgsanknüpfende Außenweltveränderung. Zuletzt sind gefahrbegründende Situationen ausgelöst von (schutzbedürftigen) Dritter denkbar, die den deliktsspezifischen Gefahrenkorridor hervorrufen, sodass es dem Garanten obliegt, entweder die diesen auslösenden Außenweltveränderungen erst gar nicht entstehen zu lassen oder diese zu beseitigen.
544
Siehe Kap. 7, Fn. 451.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
b) Die Abgrenzung von Handlung und Unterlassung Die soeben skizzierten vielgestaltigen Außenweltveränderungen, die die Gefährdungslage des § 316 Abs. 1 StGB (und ggf. des § 315c Abs. 1 StGB) auslösen, durch ein Unterlassen hervorzurufen, ist auf den ersten Blick zwar nur in seltenen Fällen vorstellbar. Ausgeschlossen ist dies – insbesondere bei den hoch- und vollautomatisierten Fahrzeugen – dennoch nicht. Für die Abgrenzung von Tun und Unterlassen selbst ergeben sich insoweit kaum Schwierigkeiten. Dies begründet sich darin, dass das unechte Unterlassen nicht am Tathandlungsmerkmal, sondern am unterlassungsrechtlichen Deliktserfolg anknüpft. Nicht das Führen, sondern im Falle des § 316 Abs. 1 StGB die Trunkenheitsfahrt und bei § 315c Abs. 1 StGB die konkrete Gefahrenlage, muss durch Unterlassen verwirklicht werden. Somit geht es bei der Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen nicht darum, der Führungstätigkeit eine Handlungspflicht gegenüber zu stellen, sondern die Begehungsweisen der Erfolgsbewirkung, Tun und Unterlassen, abzugrenzen. Letztlich unterscheiden sich dabei § 316 Abs. 1 StGB und § 315c Abs. 1 StGB nicht voneinander, da beide trotz ihrer verhaltensgebundenen Begehungsweisen einen von der Tathandlung abtrennbaren unterlassungsrechtlich relevanten Erfolg besitzen. aa) Vorüberlegung: Die potenzielle Erfolgsbewirkung der Führungsdelikte durch Unterlassen An der Erfolgsbewirkung der Führungsdelikte durch Unterlassen bestehen keine grundsätzlichen Bedenken. Dass die Sicherheit des Straßenverkehrs durch ein Unterlassen gefährdet oder verletzt bzw. die mit ihr nach dem Bundesverfassungsgericht545 verbundene individualschützende Wirkung durch eine Unterlassungshandlung realisiert werden kann, ist denkbar. Vor allem der über die hoch- und vollautomatisierten Fahrerassistenzsysteme aufkommende Gedanke der Entledigung der Führungsaufgabe (§ 1b Abs. 1 1. HS StVG) im Fahrbetrieb verdeutlicht dies: Mit der Verlagerung der Führungstätigkeit auf das System entzieht der Führende zwar dem öffentlichen Straßenverkehr die von ihm ausgehenden Gefahrenquellen, mithin den Faktor „Fahrer“ des Regelkreises der Fahrzeugführung. Damit verbunden, erwachsen dem Nutzer aber neue Handlungspflichten, etwa bei Fehlfunktionen oder beim Auftreten von vom Fahrerassistenzsystem nicht zu bewältigenden Fahrsituationen, die in gefährdungsgleiche unkontrollierbare Verkehrslagen einmünden können, einzugreifen. Ebenso kann sich aber auch – unabhängig davon, dass ihm dies nicht erlaubt ist – der manuell Steuernde seiner Führungstätigkeit entledigen546 und die (weiterhin) wirkenden Kräfte des Fahrzeugs auf den öffentlichen Straßenverkehr unbeherrscht einwirken lassen. Der von einer solchen Tatausführung ausgehende 545
BVerfGK 13, 7, 21 m. w. N. Beim Fahrrad ist dies schwer denkbar, da i. d. R. mit der Führungstätigkeit auch die stabilisierenden Kreiselkräfte und der Ausgleich des Gleichgewichts entfallen. 546
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Gefährdungskorridor entspricht dem oder übersteigt den pönalisierten Gefährdungskorridor der §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 bzw. 316 Abs. 1 StGB. Schließlich werden in beiden Fällen, im ersten mangels Vornahme der Führungstätigkeit und im zweiten mangels persönlicher Eignung zum gefahrlosen Führen, die Kräfte des Fahrzeugs unkontrolliert in den öffentlichen Straßenraum eingebracht. Für die Sicherheit des Straßenverkehrs ist es dabei belanglos, ob diese (konkrete oder abstrakte) Gefährdungslage durch eine erheblich fehlerhafte (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder im fahruntüchtigen Zustand vorgenommene Führungstätigkeit (§§ 316 Abs. 1 und 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder durch Unterlassen einer von den Straßenverkehrs- und Strafgesetzen vorausgesetzten Führungspflicht hervorgerufen wird. Natürlich ist bei verhaltensgebundenen Delikten, insbesondere bei Tätigkeitsdelikten wie dem § 316 Abs. 1 StGB, wegen der Bindung der (Gefährdungs-)Wirkung an ein bestimmtes Verhalten die Erfolgsverwirklichung bereits beim aktiven Tun nicht durch jede beliebige Handlung pönalisiert.547 Für die Erfolgsentstehung des § 316 Abs. 1 StGB bedeutet dies, dass nicht jede den Gefahrenkorridor hervorrufende Handlung oder Unterlassung einer Sanktion zugänglich ist. Diese Gleichwertigkeitsproblematik, das Handlungsentsprechen, wird bei § 13 Abs. 1 StGB aber erst auf Ebene des Entsprechens, welche die strafrechtliche Verhaltensgleichwertigkeit ohne Ansehung des Erfolges untersucht, relevant.548 Die grundsätzliche Frage nach der Erfolgsbewirkung durch Unterlassen wird dadurch nicht berührt. bb) Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen Voraussetzung der unechten Unterlassungsstrafbarkeit ist ein Unterlassen entgegen einer Handlungspflicht. Bei den Führungsdelikten bedarf dabei der Abgrenzung, wann ein aktives Tun und wann ein Unterlassen angenommen werden muss. Dies ist eine Wertungsfrage.549 Schließlich ist auch der Handlungsbegriff kein ontologischer, sondern ein rechtlicher.550 Es bedarf also der Wertung, ob die pönalisierte Außenweltveränderung durch Tun oder durch Unterlassen herbeigeführt wurde. Hierbei erlangt der Charakter der Führungsdelikte als verhaltensgebundene Straftaten prägendes Gewicht, da nur eine gänzliche Nichterfüllung der tatbestandlichen Handlung einer Unterlassung überhaupt Raum gibt.
547
Vgl. Jakobs, StR AT, 29. Abschnitt, Rn. 2; Kühl, JuS 2007, 497, 498. Kühl, JuS 2007, 497, 498. 549 OLG Düsseldorf JMBl. NW 1983, 199, 200; Blei, StR AT, S. 278 m. w. N.; Roxin, StR AT II, § 31, Rn. 75 m. V. a. Mezger/Blei, StR AT, S. 76; Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 1159; krit. MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 5, demnach diese Formel dazu verleitet, „naturalistische Phänomene aufgrund eines Gefühlsurteils in ihr Gegenteil zu verkehren, ohne die normativ relevanten Wertungsgesichtspunkte herauszuarbeiten“; ähnlich SK-StGB/Stein, Vor § 13, Rn. 77; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 7; BGH NStZ 2003, 657, 657. 550 Siehe 7. Kap., Fn. 529; a. A. vgl. Nitze, Entsprechungsklausel, S. 38 unter V. a. Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 277; vgl. BGHSt 48, 77, 93. 548
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen ist zwar nicht erst seit dem legislativen Bestehen der Unterlassungsstrafbarkeit mit dem Inkrafttreten des 2. Strafrechtsreformgesetzes551 am 01. Januar 1975552 ein umstrittenes Problem.553 Erleichternderweise stellt die Rechtsprechung und Literatur die Vielzahl der Fälle vor keine allzu hohen Hürden. Üblicherweise kann bereits am (kausalen) Energieaufwand554 oder an naturalistischen Umschreibungen wie Aktivität und Passivität oder erfolgsbewirkendes Tun und Untätigkeit angeknüpft werden,555 um zu rechtssicheren Ergebnissen zu gelangen.556 Wird bereits durch dieses „natürliche Verständnis der Dinge“557 ein klares Ergebnis erzielt, bedarf es regelmäßig keiner weiterführenden wertenden Betrachtung. Bei den Führungsdelikten ist dies nicht anders. Ein Tun ist immer dann zu bejahen, wenn die Tathandlung, die Führungstätigkeit oder das Fahren, vorgenommen wird. Darüber hinaus existieren auch bei den Führungsdelikten Bereiche, in denen das natürliche Verständnis der Dinge an seine Grenzen stößt. Tatsächlich liegen die Problemfelder aber nicht bei den sog. mehrdeutigen oder doppelrelevanten Verhaltensweisen,558 bei denen sowohl ein Tun als auch ein Unterlassen in einem Sachverhalt zusammenfallen. Beispiel dafür ist das zu nahe Überholen eines Radfahrers, wobei sich das Vorbeifahren als aktive (Führungs-)Handlung, die Nichteinhaltung des Seitenabstands hingegen als Unterlassen darstellt.559 Derartige Differenzierungsprobleme ergeben sich bei den Führungsdelikten nicht, weil es zu deren Verwirklichung nicht auf die Intensität der Übernahme der Führungstätigkeit ankommt. Die spezifische tatbestandliche Ausgestaltung der Führungsdelikte, bei § 316 Abs. 1 StGB das Führen und bei § 315c Abs. 1 StGB je nach Tatvariante das Führen oder Fahren, begrenzen das sanktionswürdige Unterlassen auf die Nichterfüllung der Tathandlung im Gesamten, nicht auf einzelne (Neben-)Pflichten aus dem Kreis der Führungsaufgaben. Insofern ist das Unterlassen einzelner oder selbst einer Vielzahl von führungsrelevanten Handlungspflichten während der Fahrt keine von der pönalisierten Handlungsvornahme abgrenzbare Unterlassungshandlung. Es gibt schlicht keine zu geringfügige Führungstätigkeit, die die Ausübung der Füh551
BGBl. Teil I, Nr. 63 v. 02. 08. 1973, S. 909. BGBl. Teil I, Nr. 56 v. 10. 07. 1969, S. 717, 719. 553 Roxin, StR AT II, § 31, Rn. 69; MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 4; Wessels/Beulke/ Satzger, StR AT, Rn. 1159; Lackner/Kühl/Heger, § 13, Rn. 1. 554 Lackner/Kühl/Heger, § 13, Rn. 3; vgl. SK-StGB/Stein, Vor § 13, Rn. 8 m. w. N. 555 Roxin, StR AT II, § 31, Rn. 73. 556 MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 9; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 7; LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 7; SK-StGB/Stein, Vor § 13, Rn. 76; vgl. Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 1157; BGH StV 1982, 516, 517. 557 Jescheck/Weigend, StR AT, S. 603. 558 NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 4; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 27; Stratenwerth/Kuhlen, StR AT, § 13, Rn. 2; Seelmann, JuS 1987, L 33, 34 f.; Wessels/Beulke/ Satzger, StR AT, Rn. 1157; S/S/Bosch, Vor §§ 13 ff., Rn. 158, auch als „ambivalente Verhaltensweisen“ bezeichnet; Lackner/Kühl/Heger, § 13, Rn. 3 m. w. N. 559 Roxin, StR AT II, § 31, Rn. 73 f.; siehe BGHSt 11, 1, 1 ff. 552
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rungstätigkeit zu einer Untätigkeit degradieren würde. Daraus resultierend ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten, die vor allem auf objektiver Ebene bei der Entledigung der Führungsaufgabe (1) und im Bereich des finalen Elements bei der Zielgerichtetheit (2) der Tathandlung zu finden sind. (1) Der Übergang von der Führungstätigkeit in die Untätigkeit Problematisch – und der in objektive und subjektive Bestandteile zerfallenden Tathandlung des Führens respektive Fahrens geschuldet – ist die Feststellung, wann eine verkehrsbedingte Passivität des Führenden in eine unterlassungsrelevante Untätigkeit umschlägt. Zur Veranschaulichung sei der auf der gerade verlaufenden Autobahn über Minuten hinweg mit eingeschaltetem Tempomat und aktivem Spurhalteassistenten (jeweils Fahrerassistenzsysteme der Stufe 1) Fahrende angebracht, der über Kilometer hinweg mangels Notwendigkeit keinerlei Steuerungsimpuls abgibt, seine Aufmerksamkeit aber dennoch vollständig der Führungstätigkeit zuwendet. Die Anwendung der Theorie des positiven Energieaufwands560 als auch die Sichtweise von Aktivität und Passivität gelangt hier zu keinem befriedigenden Ergebnis. Insofern muss auf die etablierten Abgrenzungstheorien zurückgegriffen werden. Die dominierende Theorie des Schwerpunkts der Vorwerfbarkeit561 stellt darauf ab, „wogegen der rechtliche Vorwurf sich jeweils richtet“.562 Dieser nach kommt es entscheidend darauf an, „wo bei normativer Betrachtung und bei Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns der Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens liegt“.563
Die Bewertung der Tat als Tun oder Unterlassen stellt damit keine Tatsache, sondern eine (einzelfallbezogene) Wertungsfrage dar.564 Dem schloss sich die Rechtsprechung mit der sog. „Schwerpunkt“-Formel an. Sie stellt ebenfalls auf den „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“565 ab. Kriterien oder ein einheitlicher Lösungs560
Siehe 7. Kap., Fn. 554. Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 1159; MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 5; Struensee, FS Stree/Wessels, S. 133, 136 ff.; LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 7; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 7 m. w. N.; befürwortend S/S/Bosch, Vor §§ 13 ff., Rn. 158a m. w. N.; umfassender Überblick bei Stoffers, Abgrenzung Tun und Unterlassen, S. 12 ff. 562 Zitiert in Roxin, StR AT II, § 31, Rn. 75 m. V. a. Mezger/Blei, StR AT, S. 76; krit. u. abl. Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 27 f., welcher die Problematik der Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen als Konkurrenzfrage verortet; ebenso SK-StGB/Rudolphi/Stein, Vor § 13, Rn. 77; krit. NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 7; Struensee, FS Stree/Wessels, S. 133, 137, demnach die Schwerpunkttheorie keinen Beitrag zur Abgrenzung leistet; m. w. N. Lackner/Kühl/Heger, § 13, Rn. 3. 563 Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 1159; vgl. Blei, StR AT, S. 310 f.; Roxin, StR AT II, § 31, Rn. 75; krit. Struensee, FS Stree/Wessels, S. 133, 137 f. 564 Siehe 7. Kap., Fn. 549. 565 U. a. BGH bei Holtz, MDR 1982, 623, 624; BGH NStZ 2005, 446, 447; BGH NJW 2011, 3528, 3529; OLG Karlsruhe GA 1980, 429, 431; OLG Düsseldorf JMBl. NW 1983, 199, 200; 561
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
ansatz, an denen der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit zu messen wäre, konnten sich aufgrund des wertenden Charakters dieser Abgrenzungstheorie jedoch nicht entwickeln, sodass die Beurteilung von der Würdigung der Umstände des Einzelfalls abhängig ist.566 Eine andere Herangehensweise hat sich in Teilen der Literatur entwickelt. Dort wird ein abgestuftes Vorgehen567 priorisiert, welches auf erster Ebene danach fragt, ob der Betroffene eine erfolgsverursachende Handlung vorgenommen hat.568 Ist dies zu verneinen, muss auf zweiter Stufe geprüft werden, ob eine dem Täter potenziell mögliche Handlung in der Lage gewesen wäre, den Erfolg zu vermeiden.569 Der Anwendung beider Theorien wird bei verhaltensgebundenen Delikten Grenzen gesetzt. Eine Wertung im Sinne der Theorie des Schwerpunkts der Vorwerfbarkeit wird bereits dadurch unmöglich, dass jede aktive (Führungs-)Handlung den Tatbestand verwirklicht. Eine Zwischenstellung, die anhand einer Wertung zu ermitteln wäre, existiert schlicht nicht. Die Frage nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit stellt sich anders als bei den Erfolgsdelikten damit nicht. Es kann nur eine absolute Betrachtung existieren. Ähnliches gilt bei der von der Literatur angebrachten Theorie, da die Anknüpfung an der erfolgsverursachenden Handlung die führungsrelevante objektive Passivität aufgrund verkehrstechnischer Umstände nicht von der tatsächlichen Untätigkeit abzugrenzen vermag. Die Trennlinie zwischen Tun und Unterlassen kann deshalb nur anhand einer absolut-wertenden Einzelfallwürdigung gezogen werden. Hierbei erlangt der rechtliche Begriff des Unterlassens sein Gewicht. Es ist danach zu fragen, ob sich der Täter der Führungstätigkeit entledigt hat. Liegt dieser (objektive) Entledigungsakt vor, etwa in Gestalt der nach § 1b Abs. 1 1. HS StVG (dauerhaften) Abwendung vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung, beispielsweise indem der Täter das hoch- oder vollautomatisierte Fahrerassistenzsystem aktiviert und sich seiner Zeitschrift zuwendet, liegt eine Untätigkeit vor. Gleiches gilt, wenn sich der Fahrzeugführende eines Fahrzeugs ohne hoch- oder vollautomatisierte Fahrzeugtechnik vom Steuer seines Fahrzeugs entfernt, etwa wenn der Betroffene bei eingeschalteter Geschwindigkeitsregelanlage das Steuer seines Wohnmobils verlässt, um sich einen Kaffee zu kochen.570 Freilich dürfte dieser Entledigungsakt bei manuell gesteuerten OLG Frankfurt GA 1987, 549, 551; OLG Saarbrücken NJW 1991, 3045, 3046; vgl. OLG Köln JR 1991, 523, 525 m. Anm. Sack; Stoffers, Abgrenzung Tun und Unterlassen, S. 14; Lackner/ Kühl/Heger, § 13, Rn. 3 m. w. N. 566 Vgl. Rengier, StR AT, § 48, Rn. 10; Roxin, StR AT II, § 31, Rn. 75; anders Struensee, FS Stree/Wessels, S. 133, 136 ff., der das Tun und Unterlassen Kriterien zuzuordnen versucht. 567 SK-StGB/Rudolphi/Stein, Vor § 13, Rn. 77 m. w. N.; Stein, JR 1999, 265, 267 m. w. N.; MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 8. 568 Kargl, GA 1999, 459, 475; MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 8; vgl. LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 6. 569 MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 10. 570 Frei nach einer Internetlegende, dieser nach ein amerikanischer Wohnmobilfahrer infolge eines Unfalls im Wege der Produkthaftungsklage Schadensersatz erstritten haben soll, vgl.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Fahrzeugen, da sich der vormals Führende selbst erheblichen Gefahren aussetzt, nur sehr selten zu beobachten sein. Bei der Bewertung dessen können dennoch einzelne Komponenten, die am rechtlichen Verständnis des Führens anschließen, Bedeutung erlangen. Etwa kann einem zeitlichen Faktum eine tragende Rolle zukommen. So kann zwar nicht jede (kurzfristige) Abwendung vom Verkehrsgeschehen – etwa zugunsten tertiärer Aufgaben – im Sinne des sozialen Handlungssinns als Unterlassen der Fahrzeugführung verstanden werden. Anderes dürfte indiziell aber dann anzunehmen sein, wenn sich der Führende gänzlich oder über eine längere Zeit vom Verkehrsgeschehen abgewendet und sich (bewusst oder fahrlässig) dadurch der Möglichkeit beraubt hat, aktiv auf (neue) Verkehrsgegebenheiten reagieren zu können – also das Fahrzeug sich selbst überlässt. Der Verlust der Herrschaft über den Fahrprozess (zugunsten einer anderen Tätigkeit) beschreibt den Grenzverlauf zwischen Handlung und Unterlassen. Ist der vormals Führende nicht mehr in der Lage, zielgerichtete Steuerungshandlungen veranlassen zu können, fehlt es an der Ausübung der Regelungsaufgabe, sodass hierin ein Unterlassen zu erblicken ist. Dies ist spätestens dann gegeben, wenn der Führende den letzten Ortspunkt, den er zuletzt noch überblicken und bewerten konnte, überfahren hat. Gleiches gilt im Stand, soweit die Aufnahme der Führungstätigkeit vom Täter erwartet werden kann. Beispielhaft ist das Beiseitefahren eines im Stau stehenden Fahrzeugs zugunsten eines mit Martinshorn heraneilenden Rettungsfahrzeugs zu nennen. Nimmt der vormals Führende, der sich aufgrund der langen Standzeit zwischenzeitlich anderen Tätigkeiten verschrieben hat, die Fahraufgabe nicht wieder auf und bereitet dem Einsatzfahrzeug keinen Platz, ist dies als Unterlassen zu werten. Davon abzugrenzen bleibt die aktive Passivität, etwa wenn der Führende an einer Ampel auf die Freigabe der Kreuzung wartet. Nähert sich in dieser Situation ein Rettungsfahrzeug mit Martinshorn von hinten und bleibt er bewusst stehen, etwa weil sich keine Möglichkeit zum Beiseitefahren bietet oder dieser meint, das Rettungsfahrzeug würde auf anderem Wege effektiver an ihm vorbeikommen, liegt keine Untätigkeit vor. Dann ist der weiterhin erhaltene Stillstand, etwa durch das Treten des Bremspedals, Resultat einer aktiven Führungsentscheidung. Sicherlich stellt diese absolut-wertende Sicht an die Strafverfolgungsbehörden neue Beweisanforderungen. Dennoch dürfte sich das Problem nur in Grenzfällen ergeben, da in der Regel genügend Anzeichen für eine Fahrzeugsteuerung vorliegen. Auch existiert keine Wahlmöglichkeit des Täters zwischen Tun oder Unterlassen, da eine zeitweise Abwendung der Aufmerksamkeit keiner Einstellung der Führungstätigkeit gleichkommt. Das Führen steht, auch nach der absoluten Betrachtung der Dinge, nicht in der sekundengenauen Disposition des Führenden. Dies gilt nicht nur für das abstrakte Gefährdungsdelikt des § 316 Abs. 1 StGB, sondern auch für § 315c Abs. 1 StGB. Schließlich kommt es auch bei diesem nicht darauf an, mit welcher Intensität die Führungstätigkeit ausgeübt wurde. Das Führen respektive Fahren verliert durch die Begrenzung des § 315c Abs. 1 StGB auf konkrete Gefährdungshttps:// www.spiegel.de/wirtschaft/internet-legenden-kaffee-kochen-bei-voller-fahrt-voraus-a284877.html.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
situation nicht seinen Charakter als Dauertätigkeit. Es umrahmt vielmehr die konkrete Gefährdungslage. Insofern ergeben sich zum § 316 Abs. 1 StGB keine Unterschiede. Natürlich wird das daraus resultierende strengere Nachweiserfordernis dazu führen, dass insbesondere die aktive Tatbegehung nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB unter Nutzung hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge nicht mehr in allen Fällen beweissicher nachgewiesen werden kann. Gleichwohl wird dies – vor allem bei den Trunkenheitsdelikten – nicht zu wesentlichen Strafbarkeitslücken führen. Zum einen bleibt eine Strafbarkeit nach § 316 Abs. 1 StGB stets bestehen, da heutzutage noch kein hoch- oder vollautomatisiertes Fahrzeug selbständig den Führungsprozess aufnehmen kann. Es bedarf also stets einer (einleitenden) Führungstätigkeit des Fahrzeugführers, die erst mit dem Erreichen des Anwendungsbereichs des Fahrerassistenzsystems abgegeben werden kann. Zum anderen wird es nur wenige Fälle geben, die keinerlei Hinweis auf die Übernahme der Führungstätigkeit zulassen. Bereits das Hinterherfahren über eine kurze Strecke (auch vor oder nach der konkreten Gefährdungslage) bietet in der Regel genügend (indizielle) Anhaltspunkte in Gestalt von äußerlich wahrnehmbaren Steuerungsimpulsen, die den Schluss einer menschlichen Befassung mit der Führungsaufgabe zulassen. Lediglich dann, wenn keinerlei Anzeichen für die Übernahme der Führungstätigkeit ersichtlich sind oder diese nicht als Steuerungsimpuls des Fahrerassistenzsystems auszuschließen sind (insofern kommt dem Auslesen der „Black-Box“ eines mit hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystemen ausgestatteten Fahrzeugs nach § 63a Abs. 2 S. 1 StVG Bedeutung zu), ist es unausweichliche Folge, nicht wegen aktiven Tuns zu verurteilen. (2) Die Bewirkung von gefahrträchtigen Zuständen ohne Fortbewegungswillen Die zweite unterlassungsrechtlich relevante Fallgestaltung ist das versehentliche in Bewegung setzen des Fahrzeugs oder die versehentliche Bedienung führungserheblicher Fahrzeugeinrichtungen. Schließlich verursacht die führerlose Bewegung eines Fahrzeugs oder die Nutzung der fahrrelevanten Einrichtungen (bspw. Fernlicht) ebenso einen den Gefahrenkreisen der §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB identischen oder übersteigenden Gefährdungskorridor. Die Abgrenzung zum Unterlassen fällt hierbei deutlich leichter, da die Fortbewegung des Fahrzeugs oder die Nutzung der Fahrzeugeinrichtungen zu keinem Zeitpunkt vom finalen Element, einem Fortbewegungswillen, getragen war. Insoweit kann sich allein eine (Führungs-)Pflicht, die die Beseitigung der Gefahrenquelle zum Inhalt hat, ergeben.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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c) Die Garantenstellung Täter eines unechten Unterlassungsdelikts kann nach § 13 Abs. 1 StGB nur derjenige sein, den eine Handlungspflicht trifft.571 Ihm muss eine besondere soziale Stellung zukommen, kraft derer er über die jedermann zukommenden Solidaritätsund Beistandspflichten hinaus den Nichteintritt eines Erfolgs zu verantworten hat.572 Ob dem (fiktiven) Führenden eines (sich im automatisierten Fahrbetrieb befindlichen) Kraftfahrzeugs eine solche Pflichtenbindung trifft, ist entscheidend von den diesen treffenden Handlungspflichten abhängig. aa) Garantenstellung aus Gefahrquellenverantwortung Eine Handlungspflicht aus Garantenstellung kann sich bei der Nutzung eines Fahrzeugs aus der Beherrschung einer Gefahrenquelle ergeben.573 Dies begründet sich auf dem Rechtsgedanken, dass Eigentümer und Besitzer (gefahrträchtiger) Sachen oder Maschinen die von diesen ausgehenden Gefahren zu kontrollieren und einzugreifen haben, wenn eine Schädigung fremder Rechtsgüter droht.574 Das (Kraft-)Fahrzeug oder, treffender formuliert, dessen Betrieb abstrakt als Gefahrenquelle anzusehen, ist in tatsächlicher Hinsicht wohl unstreitig. Deshalb muss der Führende grundsätzlich den Gefahrenkreis, der vom (in Bewegung befindlichen) Fahrzeug ausgeht, überwachen, sodass aus dessen Zustand oder Verwendung keine Gefahren für andere entstehen.575 Ohne Zweifel besteht für den Führenden etwa die Pflicht, in gefährlichen Situationen abzubremsen.576 Dennoch kann die Gefahrquellenverantwortung nicht allein auf den abstrakten Gefahrbereich, den das (Kraft-)Fahrzeug eröffnet, zurückgeführt werden. Weitere Voraussetzung dieser Garantenpflicht ist die berechtigte Erwartung der Allgemeinheit, dass der über die Sache Herrschende die Gefahrenquelle kontrolliert und gegebenenfalls Gefahren verhindert.577 Diese Erwartung ist nach der Rechtsprechung immer dann berechtigt, wenn durch die Eröffnung der Gefahrenquelle eine Verletzung von fremden Rechtsgütern nahe liegt.578 Der Straßenverkehr selbst dürfte sich aufgrund seiner umfassenden Regulierung, soweit sich alle Verkehrsteilnehmer an die Straßenverkehrsregeln halten, als weitgehend ungefährlich erweisen. Dieser 571
Roxin, StR AT II, § 31, Rn. 183. Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 50. 573 Vgl. BayObLG NZV 1992, 453, 453, welches an der „allgemeinen Betriebsgefahr“ anknüpft. 574 S/S/Bosch, § 13, Rn. 43 m. w. N.; Frister, StR AT, 22. Kap., Rn. 27. 575 S/S/Bosch, § 13, Rn. 43 m. w. N.; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 46; Schünemann, Unechte Unterlassungsdelikte, S. 305 ff. 576 RG JW 1937, 2645, 2645 f.; BayObLG VRS 19 (1960), 128, LS u. 129; vgl. BGHSt 17, 223, 225 f.; Roxin, StR AT II, § 32, Rn. 112. 577 NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 46 m. w. N.; LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 48. 578 U. a. BGHSt 61, 21, 23 f.; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 46. 572
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Blickwinkel überzeugt jedoch nicht und zäumt sprichwörtlich das Pferd von hinten auf. Die (weitgehende) Ungefährlichkeit des Straßenverkehrs ist schließlich Resultat dessen, dass alle oder immerhin der überwiegende Teil der Verkehrsteilnehmer ihren (Zustands- und Verhaltens-)Pflichten nachkommen. Vor allem dem Straßenverkehrsgesetz ist aus seinen Haftungsregelungen (§§ 7 ff. StVG), insbesondere der Gefährdungshaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG, zu entnehmen, dass zumindest das Kraftfahrzeug als besondere Gefahrenquelle angesehen wird. Stelle man sich vor, es gäbe keine Straßenverkehrsvorschriften, würde wohl niemand behaupten, das Kraftfahrzeug sei ungefährlich. Dieses Szenario existierte bereits. Vor dem Jahr 1900, also vor einer umfassenden Verkehrsregelung und letztlich bis 1909, dem Erlass des Kraftfahrzeuggesetzes im Deutschen Reich, war die Nutzung eines Kraftfahrzeugs aufgrund der geringen Regelungsdichte besonders gefahrträchtig, weshalb die (weitere) Regulierung des Straßenverkehrs erforderlich wurde. Bei einem Kraftfahrzeug handelt es sich somit grundsätzlich um eine gefahrträchtige Sache. Zudem stelle man sich vor, ein solches würde führerlos, also unkontrolliert, in den geregelten Straßenverkehrsraum eindringen. In diesem Fall stellt es offensichtlich eine Gefahrenquelle dar, die eine Rechtsgutsverletzung erwarten lässt. Letztes gilt natürlich, wenn auch in geringerem Umfang, für alle nicht mit Motorkraft betriebenen Fahrzeuge. Das (Kraft-)Fahrzeug ist mithin grundsätzlich eine gefahrträchtige Sache, deren Ungefährlichkeit von der Einhaltung der Straßenverkehrsvorschriften abhängt. Die Straßenverkehrssicherheit ist deshalb Resultat der Ausübung der einem jeden Verkehrsteilnehmer zukommenden Handlungsverpflichtung, nicht einer Ungefährlichkeit des Fahrzeugs selbst. (1) Der Verantwortungsbereich des aktiven Fahrzeugführenden Die fehlende Beherrschung, das Unterlassen der Führungstätigkeit, stellt das hier in Rede stehende Gefahrpotenzial dar. All diejenigen, die durch das in Bewegung setzen ihrer Fahrzeuge einen Gefahrbereich für andere schaffen, trifft die soziale, wenngleich nicht (Sonder-)Stellung, eine Rechtsgutsbeeinträchtigung über die jedermann zukommenden Solidaritäts- und Beistandspflichten hinaus zu vermeiden.579 Der Führende respektive Nutzer muss sich stets der Kontrolle und Herrschaft des Fahrzeugs erhalten. Dieser über die Garantenpflicht strafrechtlich flankierte Verantwortungsbereich resultiert aus der Nutzung des Fahrzeugs. (2) Der Verantwortungsbereich des Nutzers hoch- oder vollautomatisierter Fahrerassistenzsysteme An dieser Stelle kann kaum verborgen bleiben, dass eine Gleichstellung zwischen dem aktiven und dem fiktiven Fahrzeugführenden eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems aufgrund der unterschiedlich ausgeprägten außerstrafrechtlichen Verhaltenspflichten nicht bestehen kann. Es ist ein entscheidender Unterschied, ob eine Person eine gefahrträchtige Sache oder Maschine, das (Kraft-) 579
Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 50.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Fahrzeug, unkontrolliert auf das geordnete Verkehrsgeschehen einwirken lässt oder ob dies unter Anwendung zugelassener und ausgereifter hoch- oder vollautomatisierter Fahrerassistenzsysteme, die selbst Gefahren erkennen und darauf reagieren können, passiert. Im Grunde geht es um die Frage, ob das Kraftfahrzeug mit der Aktivierung des hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems überhaupt noch eine Gefahrenquelle darstellt. Grundlage dieser Überlegung ist die vom hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystem ausgehende Anwendungssicherheit, die sich in § 1a Abs. 2 StVG niederschlägt. Nach Nr. 1 muss das hoch- als auch vollautomatisierte Fahrerassistenzsystem in der Lage sein, die Fahraufgaben umfassend bewältigen, als auch nach Nr. 2 die Verkehrsvorschriften einhalten zu können. Zudem muss es gemäß Nr. 4 die Grenzen seines Anwendungsbereichs selbst erkennen können und nach Nr. 5 den Fahrzeugführer im Sinne des § 1a Abs. 4 StVG mit ausreichender Zeitreserve auf die Übernahme der aktiven Steuerung hinweisen. Nutzt der Kraftfahrzeugführer ein solches hoch- oder vollautomatisiertes Fahrerassistenzsystem anwendungskonform, unternimmt dieser alles, was zum sicheren, gefahrvermeidenden Gebrauch des Fahrzeugs erwartet werden kann. Damit kommt er dem Führenden, der sich an sämtliche Verkehrsgebote und -verbote hält, gleich. Man könnte gar davon sprechen, dass die hoch- oder vollautomatisierte Fahrt gegenüber der manuellen ein höheres Sicherheitspotenzial bietet, da menschliche (Fahr-)Fehler, die die Hauptursache von Rechtsgutsgefährdungen und -verletzungen im Straßenverkehr bilden, eliminiert werden. In diesem Zusammenhang darf der bereits angesprochene § 1b Abs. 1 1. HS StVG nicht unerwähnt bleiben, der für Nutzer hoch- und vollautomatisierter Fahrerassistenzsysteme eine Lockerung der Gefährdungsverantwortlichkeit vorsieht. Der Gesetzgeber hat den Verantwortungsbereich des sich im hoch- oder vollautomatisierten Fahrmodus befindlichen Kraftfahrers klar umrissen. Neben dem Gesetzestext finden sich weitere Klarstellungen sowohl in der Begründung zum 8. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes580 als auch in der durch Bundestagsbeschluss übernommenen581 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur.582 Gemäß § 1b Abs. 1 1. HS StVG dürfen sich Fahrzeugführer während der Fahrt mittels hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktionen, die den Anforderungen des § 1a StVG entsprechen, vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abwenden. Dies begründet sich wohl auf dem gesetzgeberischen Leitgedanken, dass der Nutzer auf die Funktionsfähigkeit des hoch- oder vollautomatisierten Systems vertrauen darf. Dies kann aus der Gesetzesbegründung, demnach dem Fahrzeugführer eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrzeugs gestattet ist, 580
BGBl. Teil I, Nr. 38 v. 20. 06. 2017, S. 1648, 1648 ff. Plenarprotokoll 18/228 der 228. Sitzung des Deutschen Bundestages v. 30. 03. 2017, S. 22921 (D). 582 BT-Drs. 18/11776 v. 29. 03. 2017. 581
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
„im Rahmen der Systembeschreibung die Hände vom Lenkrad [zu] nehmen, den Blick von der Straße [abzu]wenden und anderen Tätigkeiten nachzugehen, etwa dem Bearbeiten von Mails im Infotainment-System“,583
geschlossen werden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass das nach § 1a StVG zulassungsfähige hoch- oder vollautomatisierte Fahrerassistenzsystem ausgereift ist und zumindest ebenso gut wie, wenn nicht sogar sicherer, als der menschliche Fahrer arbeitet, sodass letzter als Kontrollinstanz nicht durchgängig verfügbar sein muss. Dies legitimiert die damit einhergehende Einschränkung des Verantwortungsbereichs des Nutzers hoch- oder vollautomatisierter Fahrerassistenzsysteme. Dies klärt jedoch nicht die Frage, ob sich der Fahrzeugführer während des hochoder vollautomatisierten Fahrbetriebs fahrtüchtig halten muss oder ob sich dieser etwa durch Alkoholkonsum seiner Fahrtüchtigkeit berauben darf, solange er sich seine Wahrnehmungsbereitschaft erhält. Positivrechtlich statuierte der Gesetzgeber nur letztes gemäß § 1b Abs. 1 2. HS und Abs. 2 StVG. Der Fahrzeugführer muss demgemäß im hoch- oder vollautomatisierten Fahrmodus derart wahrnehmungsbereit bleiben, dass er der Aufforderung zur Übernahme der Steuerung durch das Fahrerassistenzsystem nachkommen oder im Falle des Vorliegens offensichtlicher Umstände, die eine von der Bestimmung abweichende Anwendung der Fahrfunktion darbieten, eingreifen kann. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur umschreibt den Verantwortungsbereich in seiner Beschlussempfehlung, die sich der Gesetzgeber mit deren Annahme zu eigen machte,584 wie folgt: „Er [der Fahrzeugführer] muss aber so wahrnehmungsbereit bleiben, dass er die in [§ 1b] Absatz 2 [StVG] geregelten Situationen erfassen und die Fahrzeugsteuerung dann wieder übernehmen kann (etwa: Hören einer akustischen Übernahmeaufforderung nach Absatz 2 Nummer 1). Die gemäß Absatz 2 Nummer 2 zu erkennenden Umstände müssen so offensichtlich sein, dass diese auch beim Abwenden von der Fahrzeugsteuerung und dem Verkehrsgeschehen erkennbar sind. Davon wäre beispielsweise auszugehen, wenn der Fahrer durch das Hupen anderer Fahrzeuge auf Fahrfehler und damit auf technische Störungen des Systems aufmerksam gemacht wird oder wenn das System ohne äußeren Anlass eine Vollbremsung durchgeführt hat. In diesen Situationen muss der Fahrer auch dann die Fahrzeugsteuerung wieder übernehmen, wenn es keine Übernahmeaufforderung durch das System gegeben hat.“585
Ob der (fiktive) Fahrzeugführer eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems (§ 1a Abs. 4 StVG) im Sinne der §§ 316 Abs. 1 und 315c Abs. 1 StGB darüber hinaus fahrtüchtig bleiben muss, geht aus § 1b Abs. 1 2. HS StVG nicht ausdrücklich hervor. Dieser besagt, dass er derart wahrnehmungsbereit bleiben [müsse], dass er seine Pflicht nach Absatz 2 [die Übernahme der Führungstätigkeit im Falle der Übernahmeaufforderung durch das Fahrerassistenzsystem oder aufgrund offensichtlicher Umstände] jederzeit nachkommen kann. 583 584 585
BT-Drs. 18/11776 v. 29. 03. 2017, S. 10. Siehe 7. Kap., Fn. 581. BT-Drs. 18/11776 v. 29. 03. 2017, S. 10 f.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Die Gesetzesformulierung „jederzeit“ des § 1b Abs. 1 2. HS StVG verdeutlicht zumindest, dass die Wahrnehmungsfähigkeit über den gesamten automatisierten Fahrprozess hinweg erhalten bleiben muss. Dies gilt zudem unabhängig davon, ob es sich bei dem Fahrerassistenzsystem um ein solches der Hoch- oder der Vollautomatisierung handelt. Gleichwohl ist weder ein ausdrückliches Alkoholverbot oder eine Promillegrenze statuiert noch die Verletzung der Vorschrift des § 1b Abs. 1 2. HS StVG strafrechtlich flankiert. Es fällt daher schwer, eine Einstandspflicht des Nutzers eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems in Form einer Garantenstellung aus der Beherrschung einer Gefahrenquelle herzuleiten, da dieser durch die Nutzung desselben alles Notwendige zur Gefahrvermeidung getan hat. Aus § 1b Abs. 1 2. HS StVG eine strafrechtliche Garantenpflicht herzuleiten und den Nutzer eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems rechtlich dafür verantwortlich zu machen, für einen vom technischen System ermittelten und von ihm nicht einmal konkret vorhersehbaren bestimmten Führungsimpuls strafrechtlich eintreten zu müssen,586 ist kaum begründbar. Gleichwohl wäre eine sanktionsrechtliche Flankierung der Pflicht zum Erhalt der Wahrnehmungsbereitschaft bspw. in Gestalt eines neu zu erlassenden § 24d StVG, der in sprachlicher Anlehnung an § 24c StVG dem (fiktiven) Fahrzeugführer eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrzeugs im Sinne des § 1a Abs. 4 StVG den Konsum von Alkohol über die 0,5 Promille-Grenze hinaus verbietet, nicht nur wünschenswert, sondern auch ein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber den Nutzer eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems nicht gänzlich aus der (strafrechtlichen) Verantwortung entlässt. § 24a Abs. 1 StVG, welcher auf die Tathandlung des Führens abstellt, ist auf Fahrzeugführer im Sinne des § 1a Abs. 4 StVG im hoch- oder vollautomatisierten Fahrbetrieb sicherlich nicht anwendbar. Der Gesetzgeber hat sich dazu aber bisher nicht verhalten. (3) Zwischenergebnis zur Gefahrquellenverantwortung Letztlich sind zwei unterschiedliche Gefahrquellenverantwortlichkeiten gesetzgeberisch determiniert. Der aktiv Führende eines Fahrzeugs hat durch die Beachtung aller Straßenverkehrsvorschriften und insbesondere des Rücksichtnahmegebots des § 1 Abs. 1 StVO den Gefahrenkreis, welcher der Nutzung des Fahrzeugs entspringt, möglichst gering zu halten. Den im hoch- oder vollautomatisierten Fahrbetrieb befindlichen (fiktiven) Fahrzeugführer treffen hingegen keine Gefahrabwendungspflichten. Seinem Verantwortungsbereich obliegt es, seine Wahrnehmungsbereitschaft aufrecht zu erhalten. Dies erschöpft sich darin, in (zufällig) erkannten offensichtlichen Fällen der Fehlfunktion oder Unregelmäßigkeiten des Fahrverhaltens einzugreifen und die in der Systembeschreibung beschriebenen Anwendungsgrenzen einzuhalten.587 Eine umfassende Garantenpflicht zur verkehrsrechtskonformen 586 587
BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13, Rn. 33. Dazu BR-Drs. 69/17 v. 27. 01. 2017, S. 16.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Beherrschung des Fahrzeugs trifft somit nur den aktiv Führenden. Im Kern ist es so, dass der ein hoch- oder vollautomatisiertes Fahrerassistenzsystem Nutzende mit dessen Aktivierung alles ihm Mögliche getan hat, um den Gefahrenbereich des Fahrzeugs bestmöglich zu minimieren – solange er die technischen Anlagen des Fahrzeugs in verkehrsgerechtem Zustand erhält.588 bb) Garantenstellung aus Ingerenz Ein weiterer, sich auch überschneidender589 Anknüpfungspunkt einer Garantenstellung ist, soweit es zu einer Rechtsgutsverletzung kam, das überwiegend anerkannte590 gefahrbegründende Vorverhalten,591 die sog. Ingerenz.592 Der dieser Garantenstellung zugrundeliegende Gedanke ist, dass sich der Mensch selbst derart unter Kontrolle halten muss, dass andere nicht Opfer des fehlerhaften Gebrauchs seines gefahrträchtigen Handlungsvermögens werden. Wer durch sein Verhalten eine Gefahr verursacht, die die naheliegende Möglichkeit in sich trägt, den tatbestandlichen Erfolg zu realisieren, muss für den Nichteintritt des Erfolgs rechtlich einstehen. Dabei kann (im Straßenverkehr) nur ein pflichtwidriges Vorverhalten, nicht irgendein Verhalten, Anknüpfungspunkt der Garantenstellung aus Ingerenz sein.593 Ein solches gefahrbegründendes Vorverhalten kann unbenommen einer vorzunehmenden Einzelfallbetrachtung in der Aktivierung eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems außerhalb dessen Anwendungsbereichs oder im Entzug der Wahrnehmungsbereitschaft erblickt werden. In diesen Fällen erstarkt die durch die pflichtwidrige Verhaltensweise potenzierte fahrzeugimmanente Gefahrenquelle zu einer eigenen, die Ingerenzhaftung begründenden, Gefahrenlage, da entweder das hoch- oder vollautomatisierte Fahrerassistenzsystem für den Anwendungsbereich keine sichere Führung gewährleisten kann oder der (fiktive) Fahrzeugführer sich selbst der Möglichkeit beraubt, auf gefahrträchtige, vom Fahrzeug 588
Roxin, StR AT II, § 32, Rn. 110. BGHSt 25, 218, 221 f.; Fischer, StGB, § 13, Rn. 54; vgl. S/S/Bosch, § 13, Rn. 12/13. 590 Eine Garantenstellung aus Ingerenz abl. Schünemann, Unechte Unterlassungsdelikte, S. 313 ff.; weitere N. siehe MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 119, Fn. 169; krit. Baumann/Weber/ Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 70, der die Garantenstellung aus Ingerenz als „ratio sine lege“ bezeichnet. 591 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 70; Roxin, StR AT II, § 32, Rn. 143; S/S/Bosch, § 13, Rn. 32; MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 119; vgl. BGHSt 19, 152, 154; zuvor a. A. Ansicht: BGHSt 4, 20, 22. 592 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 70 m. w. N.; Roxin, StR AT II, § 32, Rn. 143; Heinrich, StR AT, Rn. 953; Kühl, JuS 2007, 497, 499 u. 503; u. a. BGHSt 38, 356, 358; vgl. BGHSt 48, 147, 149. 593 Zum Gesamten Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 70 u. 72; S/S/Bosch, § 13, Rn. 12/13 u. 32; MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 119 f.; Roxin, StR AT II, § 32, Rn. 161; Kühl, JuS 2007, 497, 499 u. 503; BGHSt 37, 106, 115 ff.; 34, 82, 84; 25, 218, 218 u. 220 ff.; 19, 152, 154; vgl. wohl noch a. A.: BGHSt 4, 20, 22; als alleiniges Kriterium abl. LK-StGB/ Weigend, § 13, Rn. 44. 589
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erkannte Situationen zu reagieren. Tritt der (Gefährdungs-)Erfolg aufgrund eines solch vorausgegangenen Fehlverhaltens ein, muss der (fiktive) Fahrzeugführer aufgrund seines gefahrträchtigen Verhaltens für diesen strafrechtlich einstehen. cc) Die Garantenpflichten gegenüber Dritten Neben der Schutzverantwortlichkeit der eigenen Person können rechtliche und tatsächliche Schutz- und Beaufsichtigungsverpflichtungen Dritter bestehen. Dies ist nicht nur bei Personen, die in enger familiärer Beziehung stehen, sondern auch bei den Ausbildungsfahrten im Verhältnis des Fahrlehrers zum Fahrschüler, möglich. (1) Die Garantenpflicht aus familiärer Verbundenheit Einem Dritten kann aus sozialer oder auch sog. „institutioneller“594 Garantenstellung eine Garantenpflicht zukommen. Diese, zuvörderst aus „enger persönlicher Verbundenheit“595 hergeleiteten und gesetzlich verankerten familiären Obhutspflichten, lassen zwischen Familienmitgliedern Garantenstellungen im Rahmen der (Mindest-)Solidarität zum Schutze der Rechtsgüter des Schutzwürdigen entstehen.596 Das aus der familiären Verbundenheit erwachsende Maß der geschuldeten Einstandspflicht ist jedoch je nach Ausprägung der zugrundeliegenden familiären Beziehung verschieden. So bestehen zwischen Ehegatten und eheähnlichen Lebenspartnern ein niedrigeres Schutzniveau als zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern.597 Ehe- und Lebenspartner schulden, da diese mit Verstandesreife versehene eigenverantwortlich handelnde Personen sind, im Rahmen der von ihnen begründeten Fürsorgepflichten nur begrenzten Schutz. Auch § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB für Eheleute und § 2 S. 2 LPartG für eingetragene Lebenspartner statuieren insoweit keine über die aus dem tatsächlichen gegenseitigen Vertrauensverhältnis598 hinausgehende Schutzverantwortung (welche potenziell auch bei eheähnlichen Lebensgemeinschaften entsteht).599 Diese verpflichtet zum Schutz der Kern-Rechtsgüter, mithin Gefährdungen von wichtigen höchstpersönlichen Rechtsgütern wie Leib, Leben, Freiheit, Ehre oder erhebliche Eigentums- und Vermögenspositionen des Ehegatten oder Lebenspartners entgegenzutreten.600 Eine aus Fürsorge grundsätzlich erwachsende Handlungspflicht, den Ehe- oder Lebenspartner zur Vermeidung einer strafrechtlichen Sanktion oder von Gefährdungen von der Verwirklichung von Straftaten 594
LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 25. NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 55; S/S/Bosch, § 13, Rn. 17 m. w. N.; vgl. BGHSt 19, 167, 168 f., 48, 301, 302. 596 Kühl, StR AT, § 18, Rn. 47. 597 Mitsch, Jura 2017, 792, 797; vgl. Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 1180. 598 NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 59. 599 LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 28. 600 NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 58; LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 28. 595
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
abzuhalten, besteht nach allgemeiner Auffassung hingegen nicht.601 Zwar setzt der fahruntüchtige Ehe- bzw. Lebenspartner seine Kern-Rechtsgüter durch die Verwirklichung eines Führungsdelikts selbst potenziell erheblichen Gefährdungen aus. Die Garantenpflicht des Partners findet aber in der freiverantwortlich getroffenen Entscheidung des Ehe- oder Lebenspartners ihre Grenze.602 Wenn selbst der freiverantwortliche Suizid keine Garantenpflicht des Ehe- oder Lebenspartners auslöst,603 kann es bei der freiverantwortlich getroffenen Entscheidung, im (schuldfähigen) fahruntüchtigen Zustand ein Fahrzeug zu führen oder gefahrträchtige Fahrmanöver vorzunehmen zu wollen, nicht anders sein. Gegenüber den eigenen minderjährigen Kindern,604 die aufgrund ihrer Unreife nicht nur für sich, sondern auch für andere (strafbare) Gefahren hervorrufen können, besteht hingegen eine sich mit steigerndem Alter und wachsender Verstandesreife des Kindes vermindernde, über die Garantenpflicht strafrechtlich flankierte, Beaufsichtigungspflicht der Eltern.605 Diese ergibt sich als Kehrseite aus der (tatsächlichen) elterlichen Sorgepflicht, die gesetzlich in §§ 1618a, 1626 und 1631 BGB manifestiert ist.606 Eltern sind daher verpflichtet, von ihren Kindern ausgehende Gefährdungen – auch für die Allgemeinheit – zu unterbinden607; andernfalls müssen Sie für diese einstehen. Natürlich ist das Maß der Ausübung der Aufsichtspflicht vom Alter und der Verstandesreife des minderjährigen Kindes abhängig. Entsprechend stellt die Entlassung eines sozial angepassten Jugendlichen aus dem Einwirkungskreis der Eltern für einige Stunden oder für einen Abend, selbst wenn in dieser Zeit mit der Begehung „altersüblicher“ Straftaten zu rechnen ist, keine unterlassungsrechtlich relevante Aufsichtspflichtverletzung dar.608 Für die vorliegend betrachteten Führungsdelikte bedeutet dies, dass Eltern ihre Kinder ab einem gewissen Alter und bei ausreichender Belehrung und verkehrstechnischer Erfahrung auch unter der Nutzung von Fahrzeugen allein in den öffentlichen Straßenverkehr entlassen dürfen. Eine dauerhafte Kontrolle oder gar Begleitung bis zur Volljährigkeit verlangt die Obhutspflicht nicht. Insofern sind 601 OLG Stuttgart NJW 1986, 1767, 2. LS u. 1768 f.; LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 28; NKStGB/Gaede, § 13, Rn. 51; SK-StGB/Stein, § 13, Rn. 59; vgl. MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 171, demnach aus der Beschützergarantenstellung keine „Rundumverteidigung“ folgt; Roxin, StR AT II, § 32, Rn. 126; für eine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten des Ehegatten noch BGHSt 6, 322, 323. 602 LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 28; SK-StGB/Stein, § 13, Rn. 71. 603 LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 28; SK-StGB/Stein, § 13, Rn. 59; a. A. BGHSt 2, 150, 154; vgl. zum freiverantwortlichen Suizid S/S/Eser/Sternberg-Lieben, Vor §§ 211 f., Rn. 41 ff. m. w. N. 604 Die Garantenstellung aus familiärer Verbundenheit endet mit der Volljährigkeit des Kindes: NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 59 m. w. N.; vgl. S/S/Bosch, § 13, Rn. 18 f. 605 LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 27. 606 MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 176 m. w. N. 607 NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 51; ausf. Kühl, StR AT, § 18, Rn. 49 f. 608 Zum Gesamten LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 27.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Aufsichtspflichtverletzungen, die in verkehrsspezifische Gefährdungen einmünden, insbesondere der fahruntüchtige Zustand des Kindes, allein theoretischer Natur. Schließlich wird – zivilrechtlich – bereits (geübten) schulpflichtigen Kindern ab Vollendung des 6. Lebensjahres,609 spätestens aber ab dem 10. Lebensjahr,610 die notwendige Einsichtsfähigkeit zur unbeaufsichtigten Führung von führerscheinfreien Fahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr zugesprochen. Anderes gilt hinsichtlich der Obhutspflichten bei von den Eltern erkannten Rechtsverstößen. Zwar können sie bei führerscheinpflichtigen Fahrzeugen, deren Nutzungseignung der Gesetzgeber auch Minderjährigen über die Erteilungsmöglichkeit der entsprechenden Fahrerlaubnis vor dem Erreichen der Volljährigkeit zuspricht, davon ausgehen, dass ihr minderjähriges Kind auch ohne elterliche Kontrolle der aus der Führungsverantwortung erwachsenden Pflichtenstellung gerecht werden wird. Selbst beim begleiteten Fahren ab dem 17. Lebensjahr gemäß § 48a Abs. 4 FeV wird dem minderjährigen Führenden die Eignung und Fähigkeit, allen verkehrsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, zugesprochen und der begleitenden Person lediglich eine beratende Funktion übertragen.611 Die unterlassungsrechtlich relevante Schutzpflicht lebt jedoch dann auf, wenn die Eltern aktive Kenntnis von der Vornahme eines (konkreten) rechtswidrigen Verhaltens erhalten.612 Zwar muss auch hier eine – wie zwischen Ehe- oder Lebenspartnern bestehende – (bisher wenig diskutierte) Pflichtengrenze existieren, da auch § 1626 Abs. 2 BGB, der an den wachsenden Fähigkeiten und Bedürfnisse des Kindes anknüpft, mithin nicht das „behütete Kind“ bis zum 18. Lebensjahr als Idealvorstellung formuliert,613 keine umfassende Aufsichtspflicht statuiert. Somit begründen selbst negative Erfahrungen der Eltern, dass der minderjährige Jugendliche (regelmäßig) leichte Verkehrsverstöße begeht, keine Pflicht zur Nutzungsuntersagung führerscheinpflichtiger Fahrzeuge oder gar des Fahrrades, zumal insoweit das staatliche Sanktionsrecht die notwendige Pflichtenmahnung bietet. Bei der Wahrnehmung eines alkoholisierten oder berauschten Zustands dürften sich die Eltern jedoch nicht unter Berufung auf das staatliche Sanktionssystem zurückziehen. Der Besonderheit des Alkoholverbots und der Reichweite der aus alkoholbedingten Beeinträchtigungen entstammenden Gefährdungen geschuldet, ist keine Fallgestaltung denkbar, in denen Eltern dem Jugendlichen die erzieherische „Erprobung“, im angetrunkenen respektive berauschten oder gar fahruntüchtigen Zustand ein Fahrzeug bewegen zu wollen, gestatten dürfen. Insbesondere ist die Gesellschaft nicht im Rahmen der Sozialadäquanz verpflichtet, ein solches Risiko aus der Nichtbeachtung der elter609 OLG Koblenz, B. v. 21. 01. 2009 – 12 U 1299/08, juris, Rn. 1 m. w. N.; vgl. Staudinger/ Bernau, BGB, § 832, Rn. 137 m. w. N. 610 LG Berlin, Urt. v. 29. 10. 1998 – 58 S 445/97, juris, LS; ausf. vgl. Staudinger/Bernau, BGB, § 832, Rn. 138 m. w. N. 611 Blum/Weber, NZV 2007, 228, 229; NK-GVR/Lempp, FeV, § 48b, Rn. 4; Hentschel/ König/Dauer, FeV, § 48a, Rn. 21. 612 Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 1195. 613 Kühl, StR AT, § 18, Rn. 51.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
lichen Kindessorge hinzunehmen oder gar als erzieherische Maßnahme zu dulden. Insbesondere bei der Nutzung von Kraftfahrzeugen kann Eltern auch bei erkannter geringer Alkoholisierung, die noch nicht die Fahruntüchtigkeit herbeiführt, aufgrund der allgemein bekannten 0,0 Promille-Grenze des § 24c Abs. 1 StVG ein garantenpflichtiges Einschreiten zugemutet werden. Dabei dürfte es bezüglich der Nutzung von Kraftfahrzeugen genügen, wenn der Elternteil sichere Kenntnis vom vorherigen Alkoholkonsum oder der Einnahme berauschender Mittel des minderjährigen Kindes hat. Gleiches gilt im Übrigen für das erkennbare Ansetzen ihres Zöglings, eine der 7 Todsünden des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklichen zu wollen. (2) Der Fahrlehrer als Garant Ebenfalls können Dritte durch Übernahme von Schutzpflichten in eine (Beschützer-)Garantenstellung einrücken.614 Zwar sind, wie aufgezeigt, Erwachsene grundsätzlich selbst für ihre (strafbaren) Handlungen verantwortlich.615 Dies ändert sich jedoch dann, wenn sich diese in Autoritätsbereiche616 bzw. Weisungsbereiche begeben, in denen die Verantwortlichkeiten kraft besseren Wissens und/oder überlegener Sachherrschaft anders verteilt sind. Fahrschüler, unabhängig ihres Alters, sind, da sie die Kräfte eines Kraftfahrzeugs nicht sicher beherrschen (können), gerade auf die Eingriffsbereitschaft und Weisungen des Fahrlehrers angewiesen. Entsprechend müssen sich Fahrlehrer unter ständiger Beobachtung des Fahrschülers und der Verkehrsbegebenheiten ihre unmittelbare Eingriffsfähigkeit erhalten.617 Zugleich ist die Fahrausbildung nur unter (weisungsgebundener) Übertragung der Betriebsgefahren des gefahrträchtigen Gegenstands Kraftfahrzeug möglich. Somit ist der Fahrlehrer aus rechtlicher618 und tatsächlicher Übernahme nicht nur Garant gegenüber seinem Fahrschüler, sondern auch gegenüber der Allgemeinheit.619 (3) Die Begleitperson gemäß § 48a FeV Die gesetzliche Stellung des Begleiters des minderjährigen Fahrzeugführers gemäß § 48a FeV begründet hingegen keine (Beschützer-)Garantenstellung. Als
614
MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 170. LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 55 m. w. N.; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 51. 616 S/S/Bosch, § 13, Rn. 52; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 51. 617 Zum Gesamten, ausf. u. weitergreifend Hentschel/König/Dauer, StVG, § 2, Rn. 93 u. 95 jeweils m. w. N., vgl. zivilrechtliche Urt. KG VersR 1975, 836, 2. LS u. 837. 618 Vgl. § 12 FahrlG. 619 Mitsch, Anm. z. BGHSt 59, 311, NStZ 2015, 409, 411 m. w. N.; MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 170; M/R-StGB/Haas, § 13, Rn. 71 m. w. N.; S/S/Bosch, § 13, Rn. 52; NK-StGB/ Gaede, § 13, Rn. 51; vgl. OLG Stuttgart NJOZ 2016, 24, 26, Rn. 23; krit. LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 55, Fn. 219, der die Garantenpflicht des Fahrlehrers als Ausfluss der Pflicht zur Überwachung einer Gefahrenquelle, nämlich des Fahrschulfahrzeugs, ansieht. 615
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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lediglich mit beratender Funktion versehener Begleiter620 bleibt sie Beifahrer.621 Eine Übernahme der Schutzverantwortlichkeit sowohl gegenüber dem begleiteten Minderjährigen als auch gegenüber der Allgemeinheit überträgt § 48a Abs. 4 FeV der Begleitperson nicht. Die gegebenenfalls gemäß §§ 1618a, 1626 und 1631 BGB für den elterlichen Begleiter weiterhin bestehende „institutionelle“ Garantenpflicht bleibt davon freilich unberührt. (4) Täterschaftsfragen des Dritten als Garanten Eine täterschaftliche Unterlassungsstrafbarkeit des garantenpflichtigen Dritten kommt nur dann in Betracht, wenn dieser die Tatausführung auch selbst in der Hand hält, mithin mit Tatherrschaft handelt. Hierzu wird auf die Ausführungen zur Täterschaft verwiesen.622 Eine Täterschaft kann entsprechend einzig für den Fall des Fahrlehrers, der nicht nur die Fahrtroute durch Anweisungen bestimmt, sondern auch eine stetige Eingriffsmöglichkeit durch die doppelte Ausführung der Stellelemente besitzt, gegeben sein. Bei der „institutionellen“ Garantenpflicht dürfte sich eine täterschaftliche Stellung nur bei der unterlassenen Aufsicht, nicht aber als begleitender Beifahrer nach § 48a Abs. 4 FeV mangels Kontrolle des Tatgeschehens ergeben. Die Möglichkeit der Teilnahme an Straftaten des Führenden bleibt davon freilich unberührt. Zunächst ist (auch ohne Garantenstellung) – sowohl neben als auch unabhängig der Verletzung der Halterverantwortlichkeit nach §§ 69 Abs. 5 Nr. 3 i. V. m. 31 Abs. 2 StVZO – eine Beihilfe durch aktives Handeln eröffnet, soweit der Gehilfe dem erkannt Fahruntüchtigen oder erheblich in seiner Fahreignung Eingeschränkten die Verfügungsgewalt über ein (Kraft-)Fahrzeug in der Gewissheit verschafft, dieser werde es in seinem Zustand nutzen.623 Daneben ist ohne Ansehung der Verfügungsgewalt oder Haltereigenschaft bzgl. des Fahrzeugs eine psychische Beihilfe durch Bestärken des Fahruntüchtigen denkbar.624 Doch auch abseits der Förderung eines Führungsdelikts kommt unter den soeben erörterten Strafbarkeitsmerkmalen des § 13 Abs. 1 StGB eine Beihilfe durch Unterlassen in Betracht.625 Diese ist nach einigen Stimmen in der Literatur nur dann gegeben, wenn das Dazwischentreten des 620 Blum/Weber, NZV 2007, 228, 229; NK-GVR/Lempp, FeV, § 48b, Rn. 4; MüKo-StGB/ Pegel, § 315c, Rn. 27. 621 NK-GVR/Lempp, FeV, § 48b, Rn. 4. 622 Siehe 7. Kap. B. 5. d). 623 NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 51; differenzierend Müko-StGB/Freund, § 13, Rn. 143 f.; ausf. Freund, Erfolgsdelikt, S. 232 ff.; BGHSt 11, 353, 355, welcher keine Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit der Gefahr für die Entstehung der Garantenstellung voraussetzt. 624 MüKo-StGB/Joecks/Scheinfeld, § 27, Rn. 5 u. 7; M/R/Haas, § 27, Rn. 23 m. w. N. d. Rspr.; NK-StGB/Schild, § 27, Rn. 9; BeckOK-StGB/Kudlich, § 27, Rn. 10; SSW-StGB/ Murmann, § 27, Rn. 5 m. w. N.; BGHSt 40, 307, 315 f.; BGH NStZ 2016, 463, 463 f.; 2017, 401, 403. 625 Ausf. zu Existenz und Umfang der Beihilfe durch Unterlassen LK-StGB/Schünemann/ Greco, § 27, Rn. 61 ff.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Gehilfen den Eintritt des Erfolges verhindert hätte.626 Die Rechtsprechung lässt hingegen ein Erschwernis der Tatvollendung genügen.627 Da pflichtgerechten und zumutbaren Handlungen in aller Regel die Eignung zukommen wird, die Tatverwirklichung zu verhindern, besitzt dieser Streit keine existenzielle Bedeutung. Insoweit dürfte den nachfolgend dargestellten, gebotenen und zumutbaren Handlungen stets die Eignung, die Herstellung oder weitere Verwirklichung des Erfolgs zu verhindern, innewohnen. dd) Die gebotenen und zumutbaren Handlungen zur Abwendung der Gefahren Im Rahmen der betrachteten Garantenstellungen ergeben sich grundlegend zwei Fallkonstellationen, aus denen eine Gefahrabwendungspflicht entstehen kann. Diese sind in der Abwehr eigenbegründeter und drittvermittelter Gefahren zu erkennen. Grundlegend gilt freilich, dass der Garant nur insoweit verpflichtet sein kann, wie ihm eine Möglichkeit zur Verhinderung des Erfolges zukommt.628 Die Handlungspflicht, die den Garanten als Person trifft, wird daher von vornherein von dessen individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten bestimmt.629 Eröffnen sich für den Garanten entsprechende Anzeichen für eine Handlungspflicht, muss dieser alles Geeignete und Erforderliche unternehmen, um den Erfolg zu verhindern.630 Grenze dessen ist die Zumutbarkeit.631 Bei Dauerdelikten, wie der Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 Abs. 1 StGB, bleibt die gebotene Handlungspflicht dabei solange bestehen, bis der rechtswidrige Zustand aufgehoben ist.632 Die folgenden Zeilen umreißen differenzierend nach der Garantenstellung den zumutbaren Pflichtenkanon. Dies wird zur Konkretisierung und Verdeutlichung der soeben beschriebenen Handlungspflichten, da eine herrschende Ansicht, ob die
626
MüKo-StGB/Joecks/Scheinfeld, § 27, Rn. 115; S/S/Heine/Weißer, § 27, Rn. 19; vgl. LK-StGB/Schünemann/Greco, § 27, Rn. 62, der eine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Erfolgsabwendung verlangt. 627 BGH NJW 1953, 1838, 1838; MüKo-StGB/Joecks/Scheinfeld, § 27, Rn. 114 m. w. N. d. RG. 628 BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13, Rn. 86; BGHSt 4, 20, 22 f.; 6, 46, 57; vgl. Lampe, ZStW 79 (1967), 476, 504. 629 LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 65. 630 LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 63. 631 BGHSt 3, 203, 206; 4, 20, 23; 11, 135, 137 f.; LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 68; Lackner/ Kühl/Heger, § 13, Rn. 5; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 17; M/R-StGB/Haas, § 13, Rn. 29 ff.; Kühl, StR AT, § 18, Rn. 33, der eine Zuordnung zur Schuldebene angelehnt an § 35 StGB vertritt; a. A. MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 193 ff., der bei einer „übermäßigen Belastung“ des Garanten bereits die Entstehung der Handlungspflicht auf tatbestandlicher Ebene verneint. 632 LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 62, Fn. 255.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Zumutbarkeit Bestandteil der Schuld633 oder des Tatbestands634 ist, nicht mehr auszumachen ist, ohne Ansehung dieses Streits zur Wahrung des Zusammenhangs an dieser Stelle erörtert. (1) Die gebotenen und zumutbaren Handlungen eigenbegründeter Gefahren Bei eigenbegründeter Gefahrschaffung ergibt sich hinsichtlich des Dauerdelikts des § 316 Abs. 1 StGB als auch des konkreten Gefährdungsdelikts des § 315c Abs. 1 StGB bei Fahrzeugen ohne hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsysteme, solange der Betroffene die Führungstätigkeit wahrnimmt, keine Unterlassungsstrafbarkeit, da sich der Begehungstäter nicht zugleich einer Unterlassungsstrafbarkeit schuldig machen kann. Nur wenn sich der Täter bewusst der Führungstätigkeit entledigt, kann aus § 316 Abs. 1 StGB eine Handlungspflicht in Gestalt der (Wieder-)Übernahme der Führungstätigkeit entstehen, da der Betroffene über die Kontrolllosigkeit des Fahrzeugs einen Gefahrenkorridor eröffnet, der dem des fahruntüchtig Führenden gleich kommt. Ihm – dem fahrtüchtigen Führenden – ist es auch zumutbar, die Führungstätigkeit wieder aufzunehmen oder das Fahrzeug kontrolliert in den sicheren Stillstand zu versetzen. Diese Handlungspflicht, mithin sich während der Fahrtbewegung der Führungstätigkeit zu widmen, gibt §§ 316 Abs. 1 i. V. m. 13 Abs. 1 StGB über den restriktiv-weiten Erfolgsbegriff jedem Führenden auf. Unbenommen anderweitiger strafrechtlicher Verantwortungen wird diese Handlungsaufforderung über §§ 315c Abs. 1 i. V. m. 13 Abs. 1 StGB gesteigert, soweit der sich der Fahraufgabe entledigte Betroffene die Entstehung einer konkreten Gefährdungs- oder gar Verletzungslage erkannte, aber dennoch seinen Führungspflichten nicht nachkommt. Anderes gilt für den skizzierten Fall der Entledigung der Fahraufgabe bei einem hoch- oder vollautomatisierten Fahrzeug. Beraubt sich der Täter während der automatisierten Fahrt seiner Fahrtüchtigkeit oder erkennt er den bevorstehenden Eintritt einer konkreten Gefährdungslage aufgrund eines „Fahrfehlers“ des Fahrerassistenzsystems (vgl. § 1b Abs. 2 Nr. 2 StVG), kann sich dieser nicht mit Verweis, das Fahrerassistenzsystem werde die Situation bewältigen, zurückziehen. Es bleibt insoweit zwischen den beiden Situationen zu differenzieren. (a) Die Übernahmeaufforderung des Fahrerassistenzsystems bei Kraftfahrzeugen Das Geeignete und Erforderliche, die zumutbare Handlung, um den Gefahrenkreis des Fahrzeugs möglichst klein zu halten, hat der Nutzer eines hoch- oder 633 BGHSt 6, 47, 57 f.; BGH NStZ 1984, 164, 164: SK-StGB/Wolter, Vor § 13, Rn. 51; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 21, Rn. 103 m. V. a. die a. A.; m. ausf. V. auf den Streitstand: NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 17; Lackner/Kühl/Heger, § 13, Rn. 5. 634 So OLG Hamburg NStZ 1996, 557, 559; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 17 m. w. N.; LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 68; Fischer, StGB, § 13, Rn. 81; M/R-StGB/Haas, § 13, Rn. 29 m. w. N. d. Rspr.; vgl. BGH NStZ 1985, 24, 24, welcher diese als Teil der Garantenpflicht anspricht.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems grundsätzlich mit dessen Aktivierung getan. Hoch- und vollautomatisierte Fahrerassistenzsysteme sind in der Lage, auf alle Verkehrssituationen reagieren zu können. Aus diesem Grund verpflichtet der Gesetzgeber über § 1b Abs. 1 2. HS StVG nur zum Erhalt seiner Wahrnehmungsbereitschaft, die sich im Kern auf die Wahrnehmung der Übernahmeaufforderung beschränkt. Versetzt sich der Nutzer nun unter Erhalt seiner Wahrnehmungsbereitschaft in den Zustand der Trunkenheit, hat er alles getan, um die sichere Steuerung des Fahrzeugs zu gewährleisten. Gleichwohl und nicht anders als der manuell steuernde Führende bringt aber auch der Nutzer eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems eine Gefahrenquelle – die fahrzeugimmanente Kraft, die der ständigen Beherrschung bedarf, in den geschützten Straßenverkehrsraum ein. Sollte die technische Fahrzeugsteuerung versagen oder ihren Anwendungsfall überschreiten, unterscheiden sich das hoch- vom vollautomatisierte System voneinander: Während letztes bei fehlender Übernahme der Führungstätigkeit oder bei dessen Aktivierung635 den sicheren Zustand selbsttätig herbeiführen kann, sodass es zu keinem Zeitpunkt eines menschlichen Eingriffs zur Erhaltung der Sicherheit des Straßenverkehrs bedarf, ist das hochautomatisierte Fahrerassistenzsystem dazu nicht in der Lage. Entsprechend gestaltet sich die Handlungspflicht aus: Selbst wenn der Nutzer eines vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems die Übernahme der Führungstätigkeit verweigert, entlässt er die Kräfte des Fahrzeugs nie vergleichbar dem Gefährdungskorridor, den § 316 Abs. 1 StGB umschreibt, in den Straßenverkehrsraum. Damit existiert keine denkbare Fallgestaltung, in denen eine Verweigerung der Führungsübernahme in einer Eröffnung des pönalisierten Gefährdungskorridors einmündet. Die Kontrolle des Fahrzeugs ist stets gesichert. Entsprechend existiert auch keine geeignetere Maßnahme, als das vollautomatisierte Fahrerassistenzsystem zu aktivieren und diesem die Steuerung, notfalls bis zum sicheren Stillstand, zu überlassen. Beim hochautomatisierten Fahrerassistenzsystem ist dies anders zu bewerten. Mangels technischer Möglichkeit, selbsttätig in den risikominimalen Zustand überzugehen, entsteht spätestens in der Situation, in der das hochautomatisierte Fahrerassistenzsystem der konkreten Verkehrssituation nicht mehr effektiv begegnen kann – also spätestens mit Ablauf der Übergabezeit – eine Handlungspflicht: Andernfalls und im Verweigerungsfall entsteht eine dem § 316 Abs. 1 StGB identische oder gar übersteigende Gefahrensituation. (b) Kenntnis von gefahrträchtigen Verkehrssituationen Für beide Automatisierungsgrade unberührt bleibt freilich die Handlungspflicht, eigens erkannten konkreten Gefährdungslagen im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB zu begegnen. In diesem (aufgrund der gesetzgeberischen Anforderungen an die hoch- und vollautomatisierten Fahrerassistenzsysteme nach § 1a 635 Die Aktivierung des risikominimalen Zustands, des „safe-exit“ stellt keine Führungstätigkeit dar, siehe folgend 8. Kap. B., dort insbesondere Gliederungsebene III. 4.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Abs. 2 StGB) seltenen Fall ist das Belassen der Fahrzeugsteuerung beim Fahrerassistenzsystem nicht die geeignete erfolgsvermeidende Maßnahme. Dann lebt die Handlungspflicht zur eigenen Übernahme der Fahrzeugführung wieder auf. Dies setzt jedoch voraus, dass der Nutzer die Verkehrsbeobachtung nicht gänzlich eingestellt hat oder von anderen Verkehrsteilnehmern auf eine Fehlfunktion aufmerksam gemacht wird. In prozessualer Hinsicht dürfte der Nachweis der Kenntnisnahme von den gefahrbegründenden Umständen als auch der des Gefährdungsvorsatzes im Rahmen des Unterlassens bzgl. §§ 315c Abs. 1 i. V. m. 13 Abs. 1 StGB kaum möglich sein. Folge dieser rechtlichen Würdigung ist eine – dem Gesetzgeber unbewusste – mittelbar strafrechtlich verbürgte Pflicht (fiktiver) Fahrzeugführer von im hochautomatisierten Betrieb befindlichen Fahrzeuge, sich ihrer Fahrtüchtigkeit zu erhalten. Andernfalls schaffen sie durch ihre Fahruntüchtigkeit ein in ihrer Person liegendes Risiko, auf etwaige vom Fahrerassistenzsystem ausgehende Gefährdungen nicht geeignet reagieren zu können. Anders ist dies – wie angesprochen – bei vollautomatisierten Fahrerassistenzsystemen zu bewerten. Aufgrund deren Eigenschaft, den „safe-exit“ selbst herbeiführen zu können als auch (potenziell) auf jede Verkehrssituation angemessen reagieren zu können, verpflichtet der Entzug der Fahrtüchtigkeit den Nutzer positiv, die Fahrzeugsteuerung nicht zu übernehmen. Letztlich liegt der Fall dann nicht anders, als beim fahruntüchtigen Fahrlehrer, der nach der Rechtsprechung in keinem Fall die Stellelemente bedienen darf.636 Anders als der Fahrlehrer wird der fiktive Fahrzeugführer über § 1b Abs. 1 1. HS StVG jedoch zum Unterlassen legitimiert. (2) Die gebotenen und zumutbaren Handlungen zur Abwehr drittvermittelter Gefahren Regelmäßig, und so auch bei den Führungsdelikten der §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB, geht der drittvermittelten637 Gefahrensituation ein Handlungsaufruf an den Garanten voraus.638 Dieser vermag sich bei den vorliegend betrachteten Führungsdelikten zwar eher konkludent durch die situativen Gegebenheiten und nicht als ausdrücklicher Hilferuf auszeichnen; dessen Eindringlichkeit dürfte aber insbesondere bei Eltern kaum geringer ausfallen. Schließlich steht die Herbeiführung des volltrunkenen und fahruntüchtigen Zustands des minderjährigen Zöglings an sich schon den elterlichen Fürsorgepflichten entgegen. Hingegen werden sich Tathandlungen gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB, also die Verwirklichung einer der 7 Todsünden, nur in seltenen Fällen ankündigen. Dies dürfte, wenn überhaupt, Situationen während einer Ausbildungs- oder begleiteten Fahrt betreffen, wobei es in aller Regel an einer grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Gesinnung, die et636 Eingängig LG Münster zfs 2018, 169, 169 f. m. Anm. Krenberger u. NVZ 2018, 243, 243 m. Anm. Kerkmann. 637 Vgl. Freund, Erfolgsdelikt, S. 227 ff. 638 LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 63; Kühl, StR AT, § 18, Rn. 30.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
waigen Verkehrsrechtsverstößen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB zugrunde liegen muss, fehlen dürfte. Das Gewicht der folgenden Betrachtung wird entsprechend den sog. Trunkenheitsfahrten des Schutzbefohlenen beigemessen. Sowohl von Fahrlehrern als auch von Eltern wird nicht nur verlangt, den fahruntüchtigen Schutzbefohlenen an der Eröffnung und Einwirkung des von seiner Fahruntüchtigkeit ausgehenden Gefahrenkorridors – dem Erfolg des § 316 Abs. 1 StGB – oder der Entstehung der konkreten Gefahrenlage – dem Erfolg des § 315c Abs. 1 StGB – über den Entzug der Zugriffsmöglichkeit auf das (Kraft-) Fahrzeug zu verhindern, sondern im Falle der Verwirklichung zumindest des Dauerdelikts des § 316 Abs. 1 StGB den gefahrträchtigen Zustand schnellstmöglich durch ein aktives Eingreifen zu beenden. Diese aus der persönlichen Beziehung vermittelte Obhutspflicht ist dabei anders als die aktive Beihilfe nicht von den Eigentums- oder Halterverhältnissen des entsprechenden Fahrzeugs abhängig. Beispielhaft dafür steht das Wegnehmen der (auch der im Eigentum des minderjährigen Kindes stehenden) Fahrzeugschlüssel oder das Wegschließen des Fahrzeugs, etwa des Fahrrads als auch die Ausschöpfung erzieherischer Maßnahmen. Ob dem (Beschützer-)Garanten jedoch entsprechend der Rechtsprechung zum Lebensschutz auch eine gefahrträchtige aktive Verhinderung639 zugemutet werden kann, wenn das Vorbenannte nicht genügt, um den Schutzbefohlenen von der Tatverwirklichung abzuhalten, muss vor allem bei den Führungsdelikten – wobei der Betrachtung der Rettungschancen aufgrund des weiten Erfolgs keine nennenswerte Bedeutung zukommt – einer wertenden Einzelfallabwägung vorbehalten bleiben.640 Vor allem das Versperren des Wegs wird in aller Regel seine Grenze in der konkreten Gefährdung eigener Kernrechtsgüter finden, sodass sich kein Elternteil unter erheblicher Gefährdung von Körper und Gesundheit641 vor das anfahrende (Kraft-)Fahrzeug stellen muss. Schließlich schließt bereits die Parität des preiszugebenden Interesses zum drohenden (konkreten) Übel die Zumutbarkeit aus.642 Vorliegend wird der Garant – wenn überhaupt – nur zur Hinnahme kleinerer Verletzungen verpflichtet sein.643 Hingegen ist eine mögliche Einwirkung auf die eigenen Rechtsgüter, etwa auf das im Eigentum des Garanten stehende Fahrzeug, indem unter Angriff auf dessen Substanz die Fahrunfähigkeit hergestellt wird, zumutbar.644 Der Fahrzeugwert selbst dürfte 639
BGH NJW 1994, 1357, 1357. BGHSt 6, 46, 57; 43, 381, 398 f.; BGH NStZ 1984, 164, 164; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 18; M/R-StGB/Haas, § 13, Rn. 30; S/S/Bosch, Vor §§ 13 ff., Rn. 156; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 17; Lackner/Kühl/Heger, § 13, Rn. 5 m. w. N. 641 Vgl. BGH NJW 1994, 1357, 1357; LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 69; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 18; Kühl, StR AT, § 18, Rn. 141. 642 BGHSt 4, 20, 23; BGH NJW 1973, 861, 862; BGH NStZ 1984, 164, 164; S/S/Bosch, Vor §§ 13 ff., Rn. 156; differenzierend M/R-StGB/Haas, § 13, Rn. 32, wobei der Verweis auf die etwaige Gegenansicht m. E. nicht trägt. 643 So im Zusammenhang mit dem Lebensschutz: LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 69; vgl. S/S/Bosch, Vor §§ 13 ff., Rn. 156 m. w. N. 644 Vgl. S/S/Bosch, Vor §§ 13 ff., Rn. 156 in Bezug auf Ingerenz, wobei die Grenze bei der Gefährdung der finanziellen Existenzgrundlage gezogen wird, die bei der Beschädigung des 640
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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dabei keine Rolle spielen;645 wohl aber die von dieser Einwirkungshandlung ausgehenden Gefahren für den Schutzbefohlenen selbst. So dürfte das Zerstechen der Reifen im Stand anders zu bewerten sein, als etwa das Auffahrenlassen auf oder Abdrängen durch ein vom Garanten selbst gesteuertes Fahrzeug. Gleiches dürfte für den realitätsnäheren Fall der Nutzung eines (motorisierten) Zweirades gelten. Hier dürfte das Hervorrufen der erheblich ausgeweiteten Gesundheitsgefahren, die durch das Herunterreißen des Schutzbefohlenen (während der Fahrt) entstehen können, bereits nicht verhältnismäßig sein. Hingegen dürfte insbesondere bei Erfolglosigkeit der garanteneigenen Abwendungsmaßnahmen und insbesondere, wenn die Entstehung konkreter Gefährdungslagen zu befürchten ist, die Einschaltung von staatlichen Stellen trotz der damit verbundenen (abwägungsfähigen) Gefahr der Strafverfolgung für den schutzbefohlenen Angehörigen oder den Garanten selbst646 als zumutbar angesehen werden. d) Die Entsprechungsklausel Die sog. Entsprechungsklausel des § 13 Abs. 1 a. E. StGB, deren Bedeutung und Reichweite umstritten ist,647 erlangt anders als bei reinen Erfolgsdelikten,648 bei verhaltensgebundenen Straftatbeständen und Tätigkeitsdelikten ihre eigenständige Bedeutung.649 Im Rahmen des Handlungsentsprechen ist bei diesen Tatbeständen, die die Strafbarkeit von der Einwirkung einer bestimmten Verhaltensweise abhängig machen, zu prüfen, ob die Unterlassung ein sanktionslegitimierendes Korrelat zur Art und Weise der Begehungshandlung bildet.650 Die nachfolgenden Zeilen betrachten den verhaltensspezifischen Einschlag der Führungsdelikte, denen allgemeine Erwägungen vorangestellt werden. Fahrzeugs wohl nie überschritten werden wird; ebenso Kühl, StR AT, § 18, Rn. 141 m. V. a. die a. A. 645 Kühl, StR AT, § 18, Rn. 141; M/R-StGB/Haas, § 13, Rn. 32; vgl. NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 18. 646 BGHSt 6, 46, 57 f.; 43, 381, 399; 48, 77, 89; BGH NJW 1998, 1568, 1574: M/R-StGB/ Haas, § 13, Rn. 32 f.; S/S/Bosch, Vor §§ 13 ff., Rn. 156 m. w. N. der obergerichtlichen Rspr.; Kühl, StR AT, § 18, Rn. 141; noch anders BGHSt 11, 135, 138. 647 MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 202 m. w. N.; Fischer, StGB, § 13, Rn. 85; Baumann/ Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 87 m. w. N.; krit. Roxin, FS Lüderssen, S. 577, 580 ff. 648 Bei diesen begründet bereits die Garantenpflicht abschließend die Gleichstellung von Tun und Unterlassen; BGHSt 48, 77, 93; BGH NStZ 2016, 95, 97; BGH NJW 2015, 3047, 3048 f.; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 19; Fischer, StGB, § 13, Rn. 86; Lackner/Kühl/Heger, § 13, Rn. 16; Frister, StR AT, 22. Kap., Rn. 3; Roxin, StR AT II, § 32, Rn. 225; Baumann/ Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 88 m. w. N.; vgl. Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 1205; a. A. MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 203 ff.; im speziellen Einzelfall BGHSt 48, 77, 96. 649 U. a. S/S/Bosch, § 13, Rn. 4; differenzierend LK/Weigend, § 13, Rn. 77; Wessels/Beulke/ Satzger, StR AT, Rn. 1205 m. w. N.; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 89. 650 Vgl. Jakobs, StR AT, 29. Abschnitt, Rn. 2 u. 78.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
aa) Allgemeines Entgegen dem Anwendungsbereich der Entsprechungsklausel ist deren materiellinhaltliche Substanz kaum geklärt.651 Zwar setzt § 13 Abs. 1 StGB scheinbar klar voraus, dass das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entsprechen muss. Ein Blick auf die einschlägige Literatur und Rechtsprechung gibt jedoch kaum Aufschluss darüber, was darunter zu verstehen ist.652 Diese können lediglich eine Annäherung an deren Sinngehalt bieten. Dennoch soll für die folgende Spezifikation der vorliegend betrachteten Deliktskategorie der Führungsdelikte der Versuch einer Verallgemeinerung unternommen werden. Bei den verhaltensgebundenen Delikten, also solchen, die nur durch eine spezifisch unrechtsprägende Handlung verwirklicht werden können,653 entspricht ein Unterlassen nach der heute herrschenden Modalitätsäquivalenz654 einem aktiven Tun dann, wenn eine qualitative Übereinstimmung zum Deliktstypus des Begehungsdelikts besteht.655 Die unechte Unterlassungsstrafbarkeit der verhaltensgebundenen Delikte muss durch die Modalitätenäquivalenz656 auf solche Fälle der Untätigkeit beschränkt werden, die denselben sozialen Sinngehalt, mithin denselben Handlungsunwert, wie das tatbestandlich beschriebene positive Tun aufweisen.657 Allein die qualitative Gleichwertigkeit des Strafwürdigkeitsgehalts – hier die Gleichwertigkeit der Gefährdungslage – genügt hingegen nicht, um ein unechtes Unterlassungsdelikt zu begründen.658 Die Bewertung dessen ist einzig durch die folgende Auslegung des jeweiligen Tatbestands des Besonderen Teils zu leisten.659 bb) § 316 Abs. 1 StGB Bezüglich des Tatbestands des § 316 Abs. 1 StGB muss zwischen den folgend beschriebenen Handlungspflichten des Handelnden selbst und der garantenpflichtigen Dritten unterschieden werden. 651
LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 77; Roxin, StR AT II, § 32, Rn. 218. Ausf. zum Verständnisproblem des Gesetzestextes Roxin, StR AT II, § 32, Rn. 218; lediglich feststellend: BGH NStZ 2016, 95, 97; BGH NJW 1995, 3194, 3195. 653 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 89; Roxin, StR AT II, § 32, Rn. 225. 654 Roxin, StR AT II, § 32, Rn. 225; Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 1205; MüKoStGB/Freund, § 13, Rn. 202; LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 77. 655 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 87. 656 Stratenwerth/Kuhlen, StR AT, § 13, Rn. 66; ausf. Darstellung der Theorien der Modalitätenäquivalenz Nitze, Entsprechungsklausel, S. 26 ff. 657 U. a. Lackner/Kühl/Heger, § 13, Rn. 16; LK/Weigend, § 13, Rn. 77; Fischer, StGB, § 13, Rn. 85 f.; Kühl, StR AT, § 18, Rn. 123; vgl. Nitze, Entsprechungsklausel, S. 39; Kargl, ZStW 119, 250, 254 m. w. N. 658 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 87; siehe dazu ausf. Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 57 ff. 659 Roxin, StR AT II, § 32, Rn. 225; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 90; Nitze, Entsprechungsklausel, S. 39 unter V. a. Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 287. 652
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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(1) Die Handlungspflicht des Fahrzeugführenden Unabhängig von dem Streit, ob Tätigkeitsdelikte aufgrund der Entsprechungsklausel überhaupt durch Unterlassen verwirklicht werden können,660 ist eine Unterlassungsstrafbarkeit des § 316 Abs. 1 StGB aufgrund der tatbestandlich engen Verquickung der Tathandlung mit dem Schutzzweck der Norm ausgeschlossen. Die besondere Gefährdungslage, die über die abstrakte Gefährdungslage im Schutzzweck der Norm ihre Konkretisierung fand, wird einzig durch eine Handlungsvornahme im fahruntüchtigen Zustand hervorgerufen. Die durch die Tathandlung spezifisch miteinander verbundenen Gefahrenkreise des Fahrzeugs und der Fahruntüchtigkeit formen den Deliktstypus des § 316 Abs. 1 StGB. Dementsprechend wird explizit die Unterlassung der gefahrenverknüpfenden Tathandlung unter Strafandrohung formuliert. Ein Handlungsäquivalent auf Ebene des Unterlassens, welches eine unrechtsgleiche Handlungspflicht, die der konkreten Tathandlungsvornahme entspricht, hervorrufen könnte, ist nicht vorstellbar. Mitsch formuliert insoweit treffend, dass sich die spezifische Gefährlichkeit des Drogen- und Alkoholkonsums im Straßenverkehr gerade aus der „unheilvollen Liaison, die der alkoholisierte Zustand mit dem Menschen eingeht“,661 ergibt. Die gegenüberstehende Handlungspflicht könnte nur darin liegen, den fahrtüchtigen Zustand wieder herzustellen. Nun ist der Betroffene aber nicht in der Lage, über seinen Zustand der Fahrtüchtigkeit selbst zu disponieren. Ihm fehlt es an einer an dieser Pflichtenstellung anknüpfenden Handlungsmöglichkeit. § 316 Abs. 1 StGB stellt damit ein absolutes Handlungsverbot auf, dem kein der Begehung strafrechtlich entsprechendes Handlungsgebot gegenübersteht. Damit verschließt sich § 316 Abs. 1 StGB einer Umdeutung als Unterlassungsdelikt. Dies ist auch aufgrund des Schutzzwecks des § 316 Abs. 1 StGB und des Bestimmtheitsgebots folgerichtig: Eine Unterlassungsstrafbarkeit hätte zur Konsequenz, dass die Rechtsgesellschaft die hinter § 316 Abs. 1 StGB stehenden Rechtsgüter gerade solchen Personen anvertrauen würde, die aufgrund von Trunkenheit oder körperlichen oder geistigen Mängeln nicht in der Lage sind, ein Fahrzeug sicher zu steuern.662 Dem ist natürlich nicht so, was sich im Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB ausdrücklich manifestierte. Zudem sanktioniert § 316 Abs. 1 StGB ausschließlich den Eingriff desjenigen, der sich aufgrund der Einnahme berauschender Mittel seiner Fahrtüchtigkeit entledigt hat. Ein darüber hinausgehender Schutzgedanke, der die Sicherheit des Straßenverkehrs aus einer jedermann treffenden solidarischen Pflichtenstellung heraus sicherstellen will, ist § 316 Abs. 1 StGB nicht zu entnehmen. Ein Unterlassen des Führens im fahruntüchtigen Zustand ist damit sozusagen das unverrückbare zentrale Gebot des § 316 660 Die Unterlassungsstrafbarkeit bei Tätigkeitsdelikten abl. Frister, StR AT, 22. Kap., Rn. 4; LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 15 m. w. N. unter Rn. 77; eingehend Tenckhoff, FS Spendel, S. 347, 347 ff.; BayObLGSt 1978, 128, 132, m. Anm. Horn, JR 1979, 289, 291 f. 661 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 6, Rn. 46; vgl. ähnlich Deichmann, Sonderstraftat, S. 199 f.; Rehberg, FG Schultz, S. 72, 75 f. 662 Deichmann, Sonderstraftat, S. 201.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Abs. 1 StGB, sodass dieses – das Unterlassen – nicht Strafgrund für eigenvermittelte Gefahrensituationen sein kann. (2) Die Handlungspflicht des Dritten Trotz des Fehlens einer der Begehung gleichwertigen Handlungspflicht des § 316 Abs. 1 StGB beim (fahruntüchtig) Führenden, ist aufgrund der regelmäßigen Existenz einer doppelten Garantenstellung als Überwacher- wie auch Beschützergarant eine Strafbarkeit aus Unterlassen möglich. Aus ersterer erwächst die Pflichtenstellung gegenüber der Gesellschaft.663 Eine über die Überwachungsgarantenpflicht hinausgehende solidarische Schutzpflicht kann § 316 Abs. 1 StGB jedoch nicht vermitteln. Grundsätzlich ist ein Dritter nicht gemäß §§ 316 Abs. 1 i. V. m. 13 Abs. 1 StGB verpflichtet, den (vermutet) Fahruntüchtigen an der Übernahme der Führungstätigkeit zu hindern. § 316 Abs. 1 StGB kann eine – die Handlungspflicht einzig begründende – solidarische Schutzpflicht des Straßenverkehrs nicht entnommen werden. Zumindest steht sie, wie bereits dargelegt, der in § 316 Abs. 1 StGB statuierten Pflicht des (fahruntüchtigen) Fahrzeugführenden, den Straßenverkehr vor gefahrträchtigen Führungshandlungen zu schützen, nicht gleichwertig gegenüber.664 Der unrechtsprägende Charakter665 des § 316 Abs. 1 StGB zeichnet sich allein durch die Ausübung der pönalisierten Handlung im fahrunsicheren Zustand aus. Eine allgemeine Hilfs- und Schutzpflicht zeichnet hingegen einen gänzlich anderen, vom Tätigkeitsdelikt des § 316 Abs. 1 StGB abweichenden Deliktstypus, der in Richtung der ausdrücklich sanktionierten Unterlassenen Hilfeleistung des § 323c Abs. 1 StGB rückt. Dessen durch Schuldspruch und Strafe sanktioniertes Unrecht liegt in dem ausdrücklich rechtlich missbilligten Verhalten der unterlassenen Hilfeleistung.666 Seine strafrechtliche Legitimation zieht die in § 323c Abs. 1 StGB statuierte Hilfspflicht (auch) aus dem Aspekt der „sozialen Stabilität“, wobei sich hinter der Fassade des überindividuellen Schutzzwecks letztlich das (berechtigte) Interesse verbirgt, die in der jeweiligen Situation konkret bedrohten Individualrechtsgüter vor Schaden zu bewahren.667 Dem Deliktscharakter des § 316 Abs. 1 StGB als Tätigkeitsdelikt entspringt ein – dem § 323c Abs. 1 StGB nahekommender – gleichrangiger intendierter (solidarischer) Rechtsgüterschutz nicht. Die mit § 316 Abs. 1 StGB begründete bestimmte Pflichtenstellung, den Straßenverkehr nicht durch eigene erhebliche, verkehrsrechtsverletzende Verhaltensweisen zu gefährden, ist von einer wesentlich anderen Qualität als eine (ungeschriebene) Jedermanns663
Siehe 7. Kap., Fn. 607. SK-StGB/Stein, Vor §§ 13 ff., Rn. 4. 665 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, StR AT, § 21, Rn. 89; Roxin, StR AT II, § 32, Rn. 225. 666 MüKo-StGB/Freund, § 323c, Rn. 3. 667 MüKo-StGB/Freund, § 323c, Rn. 3; SK-StGB/Stein, § 323c, Rn. 2 m. w. N.; OLG Frankfurt NJW-RR, 1989, 794, 795 beschrieb den Schutzzweck des § 323c StGB als „Interesse der Allgemeinheit an solidarischer Schadensabwehr“. 664
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Pflicht zur vorbeugenden Hilfs- bzw. Schutzleistung. Dies gilt auch deshalb, weil eine etwaige Abwendungspflicht des Dritten – selbst im Vergleich zu § 323c Abs. 1 StGB – der Rechtsgutsbeeinträchtigung des § 316 Abs. 1 StGB nochmals vorgelagert wäre. Sie entstünde bereits (weit) vor der Übernahme der Führungstätigkeit durch den fahrunsicheren Dritten. Das Gleiche muss auch dann gelten, wenn der Dritte Halter des genutzten Fahrzeugs, mithin Überwachergarant, ist. Zwar legt § 31 Abs. 2 StVZO dem Halter die Pflicht auf, die Inbetriebnahme von Fahrzeugen nur geeigneten (und gegebenenfalls qualifizierten) Personen zu übertragen bzw. zu erlauben. Insofern begründet die Prüfung der Eignung zur selbstständigen Leitung des Fahrzeugs eine planmäßige Aufsichts- und Überwachungspflicht.668 Diese ist jedoch ausschließlich über §§ 69a Abs. 5 Nr. 3 i. V. m. 31 Abs. 2 StVZO sanktionsrechtlich flankiert. Insoweit statuiert §§ 316 Abs. 1 i. V. m. 13 Abs. 1 StGB keine darüber hinausgehende stetige und dauerhafte, gar lückenlose Überwachungspflicht des Halters. Zwar führt auch § 31 Abs. 2 StVZO, soweit der Halter von der Fahruntüchtigkeit des Führenden Kenntnis erlangt, zu keiner anderen als der hier diskutierten Handlungsverpflichtung. Der Halter muss diesen von der Inbetriebnahme abhalten. Natürlich könnte zudem eine strafrechtliche Sanktion neben die des § 69a Abs. 5 Nr. 3 StVZO treten. Doch auch dieser Verweis hilft nicht darüber hinweg, dass eine solche Überwachungs- und Aufsichtspflicht einen zum § 316 Abs. 1 StGB verschiedenen Deliktstypus in sich trägt. Eine Strafbarkeit des Dritten – auch als Halter des Fahrzeugs – aus Unterlassen ist somit ausgeschlossen. (3) Exkurs: (Kein) Wiederaufleben der Handlungspflicht über § 315b Abs. 1 StGB Jedoch ist, zumindest für die eigenvermittelte Gefahrenschaffung in Gestalt der Entledigung der Führungstätigkeit, eine Strafbarkeit nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB potenziell eröffnet.669 In diesem Falle entfällt mit dem Fortfall der subjektiven Führungselemente auch der gezielte Fortbewegungswille, sodass die Dynamik des vormals selbst gesteuerten Fahrzeugs gefahrträchtig, mithin zweckwidrig, in den Verkehrsraum einwirkt. Freilich bleibt dabei der von der Rechtsprechung voraus668
OLG Bamberg zfs 2018, 652, 652 f. m. w. N.: „Ihre Erfüllung setzt auch bei einer wirksamen Delegation auf qualifiziertes Personal zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung mit Blick auf die besonderen Gefahren, die von entsprechenden Verstößen gegen die Ladungssicherheit für den öffentlichen Straßenverkehr ausgehen, deshalb nicht nur voraus, dass der insoweit Verantwortliche bei der Auswahl und Schulung der Fahrzeugführer die erforderliche Sorgfalt walten lässt und diese mit den notwendigen Unterweisungen versieht. Erforderlich ist etwa auch, dass die Beachtung der Weisungen durch gelegentliche – auch unerwartete – Kontrollen überprüft wird, weil nur so eine wirksame, nicht lediglich auf zufällig entdeckte Verstöße beschränkte, planmäßige Überwachung gewährleistet ist […]. Danach hat der Halter u. a. dafür Sorge zu tragen, dass nur solche Personen mit Ladungssicherungsaufgaben betraut werden, die körperlich und geistig gesund sind, über ausreichende Fach- und ggf. Sprachkenntnisse verfügen […] und ihre Befähigung zur zuverlässigen Aufgabenerfüllung nachgewiesen haben […].“ 669 Vgl. Ausführungen unter 6. Kap. B. I. 3. b).
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gesetzte bedingte Schädigungsvorsatz, der bei einem unkontrollierten Entlassen der fahrzeugspezifischen Kräfte in den schutzwürdigen Verkehrsraum regelmäßig zu bejahen sein dürfte, zu beachten.670 Aufgrund des den § 316 Abs. 1 StGB erheblich übersteigenden und mit § 315c Abs. 1 StGB identischen Strafrahmens des § 315b Abs. 1 StGB dürften sich insoweit keine Sanktionslücken für eigenvermittelte gefahrträchtige Verhaltensweisen ergeben. Hingegen kann für drittvermittelte Gefährdungslagen keine Handlungspflicht eines Dritten über eine Strafbarkeit als mittelbarer Täter gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 StGB erwachsen. Zwar ist die Tatbestandserfüllung des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB durch pflichtwidriges Unterlassen grundsätzlich eröffnet.671 Eine Sonderstellung des Dritten kann über diesen „Umweg“ aber nicht konstruiert werden. An dieser Stelle präsentiert diese Arbeit keine neuen Erkenntnisse, da auf den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b StGB als Allgemeindelikt die allgemeinen Grundsätze von Täterschaft und Teilnahme Anwendung finden.672 Mangels Eigenhändigkeitserfordernis673 des § 315b StGB richtet sich damit die mittelbare Täterschaft nach der anerkannten Tatherrschaftslehre,674 wobei es in der angesprochenen Tatsituation (mittelbare Täterschaft durch Unterlassen) stets an der notwendigen Herrschaft des Dritten über das tatbestandsmäßige Geschehen mangeln dürfte. Tatbestandlich setzt § 315b Abs. 1 StGB zudem einen Außeneingriff voraus, der in einer die Verkehrssicherheit tatsächlich beeinträchtigenden gefahrträchtigen Handlung liegen muss.675 Zwar genügt dafür die Vornahme einer abstrakt riskanten Handlung; die Strafbarkeit entsteht dennoch erst, wenn sich die dieser Handlung innewohnende Gefährlichkeit für die Verkehrssicherheit in einem konkreten Gefahrerfolg niedergeschlagen hat.676 Allein eine abstrakte Gefährdung, die in keiner inneren Verbindung mit der Dynamik des Straßenverkehrs steht, kann, selbst wenn diese später in eine konkrete Gefahr umschlagen sollte, keine Strafbarkeit begründen.677 Das Gewährenlassen eines Fahruntüchtigen ist jedoch noch keine auf die Dynamik des Straßenverkehrs einwirkende Gefährdung, sondern dieser allenfalls vorgelagert.
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Siehe dazu ausf. 6. Kap. B. I. 3. b). U. a. MüKo-StGB/Pegel, § 315b, Rn. 41; S/S/Hecker, § 316b, Rn. 13 m. w. N. 672 OLG Hamm DAR 2017, 391, 1. LS u. 392; LK-StGB/König, § 315b, Rn. 92; BeckOKStGB/Kudlich, § 315b, Rn. 38; Burhoff, ZAP 2018, 907, 915. 673 OLG Hamm DAR 2017, 391, 392. 674 OLG Hamm DAR 2017, 391, 1. LS u. 392; LK-StGB/König, § 315b, Rn. 92 m. V. a. a. A. Krumme, KVR von A bis Z, Verkehrsgefährdung Hindernisbereiten, Erl. 1, Bl. 21 demnach eine Tatverwirklichung der § 315b Abs. 1 Nr. 2 u. Nr. 3 StGB durch verkehrsfeindliches Fahrverhalten nur eigenhändig möglich sei. 675 MüKo-StGB/Pegel, § 315b, Rn. 38; LK-StGB/König, § 315b, Rn. 2. 676 LK-StGB/König, § 315b, Rn. 2; vgl. BGH, B. v. 03. 04. 2007 – 4 StR 108/07, BeckRS 2007, 6620, Rn. 2. 677 MüKo-StGB/Pegel, § 315b, Rn. 53; Burhoff, ZAP 2018, 907, 915; BGHSt 48, 119, 122. 671
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Dies leitet beim hier betrachteten Unterlassen wie beim abstrakten Gefährdungsdelikt des § 316 Abs. 1 StGB zur Frage nach einer abstrakt-allgemeinen Pflicht zum Schutz des Straßenverkehrs, mithin zur Frage der Modalitätenäquivalenz des Unterlassens, über. Die dort angebrachten Erwägungen tragen auch bei § 315b Abs. 1 StGB. Dieser statuiert seinem Schutzzweck nach und unter Verweis auf die obigen Ausführungen ebenfalls keine allgemeine Schutzpflicht gegenüber den konkret geschützten Rechtsgütern als auch dem überindividuellen Schutzgut der allgemeinen Verkehrssicherheit.678 Des Weiteren bereitet der (garantenpflichtige) Dritte, indem er den (vermutet) Fahruntüchtigen nicht von der Aufnahme der Führungstätigkeit abhält, weder ein Hindernis (Nr. 2) noch verübt er (selbst) einen den § 315b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff (Nr. 3) in den Straßenverkehr. Unabhängig von der Tatvariante kann der Betroffene als mittelbarer Täter schlicht nicht wissen, allenfalls abschätzen, inwiefern sich die Fahruntüchtigkeit des Dritten im Straßenverkehrs auswirken wird, sodass er weder bezüglich des „Ob“ noch des „Wie“ Tatherrschaft679 ausüben kann, mithin das tatbestandliche Geschehen nicht beherrscht.680 Bereits daran scheitert eine Täterschaft. Insgesamt kann – auch nicht über § 315b StGB – dem Einzelnen keine allgemeine Pflicht, stets für die Sicherheit des Straßenverkehrs einzustehen, aufgebürdet werden. Unberührt davon bleiben freilich aktive Tatbeteiligungen, die nach den allgemeinen Grundsätzen zwar auch nur schwerlich eine Tatherrschaft des nicht das Fahrzeug Steuernden, jedoch eine strafbare Teilnahme des Dritten eröffnen. cc) § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB Obwohl es sich bei § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB anders als bei § 316 Abs. 1 StGB nicht um ein reines Tätigkeitsdelikt handelt, gilt das oben Ausgeführte auch für diesen Straftatbestand. § 315c Abs. 1 Nr. 1 und § 316 Abs. 1 StGB sind als verhaltensgebundene Führungsdelikte insoweit materiell-rechtlich inhaltsgleich. Eine der Begehungstat ihrem Deliktstypus nach qualitativ gleichwertige Unterlassungshandlung kann es bei eigenvermittelter Gefahrschaffung auch bei § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht geben. Hingegen dürfte es bei drittvermittelten Gefahrenlagen, wobei die über die (Beschützer-)Garantenstellung entstehende qualifizierte Aufsichtspflicht681 sowohl gegenüber dem Schutzbefohlenen682 als auch gegenüber der 678 Müko-StGB/Pegel, § 315b, Rn. 1 m. w. N.; umfassende Darstellung m. w. N. in: LKStGB/König, § 315b, Rn. 3 ff. 679 Siehe 7. Kap. B. II. 5. d). 680 Vgl. Burhoff, ZAP 2018, 907, 915. 681 MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 176; vgl. BGHSt 41, 113, 11; BGH NJW 2015, 3047, 3047, Rn. 29 f. 682 Kühl, StR AT, § 18, Rn. 48 m. w. N. „Unterlassen Eltern die erforderlichen Schutzmaßnahmen, erfüllen sie ihre Sorge- und Aufsichtspflichten nicht, so ist das für das Kind ebenso gefährlich wie ein aktiver Angriff auf seine Rechtsgüter.“
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Allgemeinheit683 an die Stelle der Handlungspflicht rückt, in aller Regel am Gefährdungsvorsatz des Unterlassungstäters fehlen. dd) § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB Ein anderes Bild zeichnet sich bei den sog. 7 Todsünden des Straßenverkehrs des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB ab. Anders als bei §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB ist im Unterlassen eine der Begehung qualitativ gleichwertige Handlungspflicht erkennbar. Zunächst bleibt zu konstatieren, dass § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB trotz seiner Bezugnahme auf verschiedene spezifische Einzelführungsakte (Vorfahrt beachten, Überholen, Wenden etc.) im Grunde auf das Führen respektive Fahren abstellt. Vor allem die Tathandlung des Fahrens, die sich gegenüber dem Führen tatsächlich um die Bereicherung einer Bewegungskomponente auszeichnet, nimmt die Führungstätigkeit vollständig in sich auf.684 Auch § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB knüpft damit an die Modalitäten der Ausübung der Führungstätigkeit an. (1) Das vorsätzliche unechte Unterlassen des §§ 315c Abs. 1 Nr. 2, 13 Abs. 1 StGB Anders als §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB stehen die Tatvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB in keinem Zusammenhang mit dem Verlust der Fahrtüchtigkeit. Die besondere Gefahrträchtigkeit beruht auf der Verletzung einzelner Verkehrsregeln. Insgesamt ist es für die Verwirklichung einer der Tatvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB unerheblich, ob die konkrete Gefährdungslage aus einem aktiv ausgeübten oder unterlassenen Steuerungsimpuls entstammt. Solange sich das Fahrzeug bewegt, hat der Fahrzeugführende die Pflicht, die aus den aufgezählten Verkehrsverstößen resultierenden konkreten Gefährdungen von fremden Rechtsgütern fern zu halten. Freilich sei an dieser Stelle erwähnt, dass dem unechten Unterlassungsdelikt des §§ 315c Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. 13 Abs. 1 StGB im Verhältnis zum Begehungsdelikt in der Praxis kein relevanter Anwendungsbereich verbleiben wird. Schließlich müsste auch der Unterlassungstäter vorsätzlich bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale, mithin bezüglich der konkreten Gefahrenlage, handeln.685 Auch der Unterlassungstäter muss die Umstände, die die Verwirklichung des Unrechtstatbestands begründen, kennen und sich angesichts dessen zu seinem Unterlassen entscheiden.686 Dass eine Person unabhängig, ob diese selbst oder als Überwacherga683 NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 51 m. w. N.; S/S/Bosch, § 13, Rn. 52; SK-StGB/Stein, § 13, Rn. 51. 684 Siehe 6. Kap. A. III. 1. 685 U. a. MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 235; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 20; Kühl, StR AT, § 18, Rn. 126; Rengier, StR AT, § 49, Rn. 35 f. 686 MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 236 m. w. N.; NK-StGB/Gaede, § 13, Rn. 20 m. w. N.; Stratenwerth/Kuhlen, StR AT, § 13, Rn. 72 ff. m. w. N.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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rant, die Führungstätigkeit im oben genannten Sinn in Anbetracht der unmittelbar bevorstehenden konkreten Gefahrenlage einstellt und zur Untätigkeit übergeht, ist kaum mehr als ein Gedankenspiel. Gleiches dürfte für das Ignorieren einer Übernahmeaufforderung durch das hochoder vollautomatisierte Fahrerassistenzsystem gelten, woraufhin eine nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB pönalisierte Verkehrssituation entsteht. Auch hierbei dürfte es regelmäßig am Vorsatz fehlen, eine konkrete Gefahrensituation durch das Unterlassen der Übernahme heraufbeschwören zu wollen. Die einzigen, ebenfalls kaum zu erwartenden Anwendungsfälle sind darin zu erblicken, dass der Fahrzeugführende ein Fahrerassistenzsystem bewusst bestimmungswidrig einsetzt oder der fiktive Fahrzeugführer (§ 1a Abs. 4 StVG) zufällig während der automatisierten Fahrt einen fehlerhaften Steuerungsimpuls des Fahrerassistenzsystems erkennt, welcher zu einem Fahrmanöver im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB führt, aber dennoch nicht einschreitet und dadurch eine konkrete Gefahrenlage in Kauf nimmt. Beispielhaft dafür steht der Autobahnpilot, der auf der Landstraße aktiviert wird und die Fehlanwendung technisch nicht erkennt. Leitet das Fahrerassistenzsystem dann einen Überholvorgang ein, wodurch nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b) StGB ein entgegenkommendes Fahrzeug zum Ausweichen gezwungen wird, käme eine Strafbarkeit durch Unterlassen in Betracht, wenn der Täter dieses gefahrträchtige Überholmanöver bei der Aktivierung des Fahrerassistenzsystems zumindest billigend in Kauf nahm. In diesem Fall, in dem sich der Nutzer eines falschen Fahrerassistenzsystems (bewusst) zweckwidrig bedient, um sich der Führungstätigkeit auch auf Strecken zu entledigen, für die dieses nicht konzipiert ist, etwa weil er keine Lust hat, auf der geradlinigen Landstraße selbst zu steuern, muss die qualitative Kongruenz zum Begehungsdelikt bejaht werden. Hier handelt der Nutzer seiner qualitativen Wertigkeit nach nicht anders, als wenn er selbst das pönalisierte Fahrmanöver vorgenommen hätte, da er mit dieser Handlung die Systemgrenzen aus grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Gesichtspunkten überschreitet. Das grob verkehrswidrige Verhalten selbst, also ein besonders schwerwiegend erscheinender Verkehrsverstoß,687 ist schließlich objektiv zu würdigen,688 sodass es nicht darauf ankommt, ob das Fahrerassistenzsystem oder der Fahrzeugführende selbst diesen einleitete. Abzugrenzen davon ist die schlichte Unaufmerksamkeit und das Augenblicksversagen, die bei der bewusst fehlerhaften Aktivierung eines Fahrerassistenzsystems nicht mehr angenommen werden können.689 Die praktische Relevanz dürfte aber auch in diesen Fällen an zwei Punkten scheitern: Zum einen müssen hoch- und vollautomatisierte Fahrerassistenzsysteme ihre Anwendungsgrenzen selbst erkennen (vgl. § 1a Abs. 2 Nr. 6 StVG) und die 687
MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 78; NK-StGB/Zieschang, § 315c, Rn. 34; SK-StGB/ Wolters, § 315c, Rn. 18; S/S/Hecker, § 315c, Rn. 27. 688 MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 78; S/S/Hecker, § 315c, Rn. 27. 689 MüKo-StGB/Pegel, § 315c, Rn. 84; Eisele, JA 2007, 168, 170; BGHSt 5, 392, 396; OLG Düsseldorf NZV 2000, 337, 338; OLG Stuttgart SVR 2018, 151, 152 f.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
Verkehrsvorschriften einhalten können (§ 1a Abs. 2 Nr. 2 StVG). Eine Fehlanwendung ist damit bereits technisch weitestgehend ausgeschlossen. Zum anderen dürfte in solchen Konstellationen ebenfalls der Nachweis des Gefährdungsvorsatzes schwerfallen, da kaum feststellbar sein wird, ob der (fiktive) Fahrzeugführer (§ 1a Abs. 4 StVG) das Fahrerassistenzsystem bewusst oder versehentlich falsch verwendet hat. (2) Das fahrlässige unechte Unterlassungsdelikt des §§ 315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, 13 Abs. 1 StGB Eine wesentlich höhere praktische Relevanz wird hingegen §§ 315c Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. 13 Abs. 1 StGB, der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit, zukommen. Hier spielt sich auch das zuletzt skizzierte Fallbeispiel der fehlerhaften Anwendung des hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems ab. Schließlich können auch fahrlässige Erfolgsdelikte unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 StGB durch Unterlassen begangen werden.690 Die Strafbarkeit begründet sich aus der mangelhaften Aufmerksamkeit des Handlungspflichtigen.691 Zunächst muss die bei der Garantenstellung dargestellte Unterscheidung zwischen dem aktiv Führenden und dem das hoch- oder vollautomatisierte Fahrerassistenzsystem Nutzenden berücksichtigt werden. Erster, der aktiv Führende, der schlicht seine Aufmerksamkeit vom Verkehrsgeschehen (längerfristig) und im oben dargestellten Sinne endgültig abwendet und sich anderen Tätigkeiten zuwendet, handelt zumindest grob fahrlässig, wenn er das sich fortbewegende Fahrzeug sich selbst überlässt. Insofern steht in diesem Zusammenhang eher die Frage zu beantworten, wann die bewusste Fahrlässigkeit eines solchen Verhaltens in den dolus eventualis einmündet. Dieses Problem des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs soll hier jedoch keine Vertiefung erfahren. Kommt es jedenfalls zu einer in § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB pönalisierten Verkehrssituation, ist das grob verkehrswidrige und rücksichtslose Verhalten dann im Unterlassen der Erhaltung der Eingriffs- und Abwendungsmöglichkeit trotz gefahrträchtiger Nutzung des Fahrerassistenzsystems zu sehen. Die bewusste Aufgabe jeglicher Führungstätigkeit steht der aktiven Aufhebung der Fahrsicherheit durch die aktive fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs, vor der die Tatvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB schützen, in seiner Handlungsqualität in nichts nach.
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LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 97; vgl. u. a. BGH NJW 1995, 3194, 3195; nach der a. A., die vorliegend zum gleichen Ergebnis gelangt, wohnt dem Fahrlässigkeitsdelikt selbst ein Unterlassungsmoment inne, sodass es auf eine Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen nicht ankäme: Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 166 ff.; eindringlich Herzberg, JZ 1988, 573, 579: „Es hat einfach niemand zur rechten Zeit entdeckt, daß der für die Gefahrenquelle allein allerverantwortlichste Aktivtäter hinsichtlich der Erfolgsvermeidung ein Garant par excellence ist und in jedem Begehungsdelikt als minus ein unechtes Unterlassungsdelikt mit allen seinen Merkmalen verborgen liegt.“; dazu krit. MüKo-StGB/Freund, § 13, Rn. 55 f. 691 LK-StGB/Weigend, § 13, Rn. 97.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Beim Nutzer des hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems ist dies – auch mit Blick auf § 1b Abs. 1 1. HS StVG – anders zu bewerten. Hat dieser alles in seinem Verantwortungsbereich Notwendige unternommen, also die korrekte Anwendung des Fahrerassistenzsystems bei dessen Aktivierung geprüft und sich daraufhin grundsätzlich wahrnehmungsbereit gehalten, fehlt es bereits an einer anknüpfungsfähigen Garantenstellung. Zudem ist in der ordnungsgemäßen Nutzung des automatisierten Fahrerassistenzsystems und der rechtlich zulässigen Abwendung vom Verkehrsgeschehen nach § 1b Abs. 1 1. HS StVG kein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten gemäß §§ 315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 i. V. m. 13 Abs. 1 StGB zu erkennen. Natürlich kann das ordnungsgemäße Handeln nicht qualitativ einem pönalisierten Begehungsdelikt gleich stehen, sodass ein Nutzer eines Fahrzeugs im hoch- oder vollautomatisierten Fahrbetrieb sich nicht des Unterlassens eines Führungsdelikts strafbar machen kann. Eine andere Bewertung ergibt sich nur bei einem sorgfaltswidrigen oder fehlerhaften Verhalten, etwa wenn der Nutzer den Anwendungsbereich des automatisierten Fahrerassistenzsystems mangels Lektüre der Betriebsanleitung oder mangels Kontrolle nach der Aktivierung fehlerhaft einschätzt, etwa den Autobahnpiloten auf der Landstraße mangels Kenntnis des Anwendungsbereichs aktiviert. Gleichsam ist die zufällige Wahrnehmung eines (grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen) Fahrfehlers des automatisierten Fahrerassistenzsystems zu bewerten, welchen der (fiktive) Fahrzeugführer trotz erkannter Vermeidungsmöglichkeit aus Gleichgültigkeit hinnimmt. Andererseits ist das Vorliegen eines bloßen Kontrollfehlers, bspw. wenn der Nutzer versehentlich das falsche Fahrprogramm auswählt, kein der fahrlässigen Begehung gleichwertiges Verhalten im Sinne der 7 Todsünden. Dieses sorgfaltswidrige Verhalten bleibt seiner Intensität nach weit hinter dem des § 315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 StGB zurück. e) Ergebnis Grundsätzlich ist eine Unterlassungsstrafbarkeit nach der vorgestellten Definition auch bei Delikten, die das Führen eines Fahrzeugs als konkrete Tathandlung zum Gegenstand haben, eröffnet. Gleichwohl ist § 316 Abs. 1 StGB mangels Handlungsentsprechen bei eigenverantwortlichen Gefährdungslagen nicht durch Unterlassen begehbar. Schließlich statuiert § 316 Abs. 1 StGB gerade das Verbot des Führens im fahruntüchtigen Zustand, sodass dieser nicht spiegelbildlich handlungsäquivalent das Gebot zum Fahrzeugführen im besagten Zustand enthalten kann. Das der Begehung unrechtskongruente Gebot der Wiederherstellung der Fahrtüchtigkeit kann der Betroffene hingegen aus tatsächlichen Gründen nicht erfüllen. An diese Stelle kann lediglich die qualifizierte Aufsichtspflicht des Beschützergaranten treten. Gleiches gilt für § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB. Im Ergebnis können deshalb nur die Tatvarianten des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB als unechte Unterlassungsdelikte verwirklicht werden. Schließlich kann es für den Eintritt der konkreten Gefährdungslage nicht darauf ankommen, ob der Täter diese durch eine aktive Tathandlung
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
oder durch seine handlungsentsprechende pflichtwidrige Abwendung vom Verkehrsgeschehen heraufbeschwor. Die Relevanz in der Praxis ist und wird sicherlich gering bleiben. Vor allem über Strafbarkeitslücken aufgrund der Verneinung des § 316 Abs. 1 StGB braucht (noch) keine Sorge bestehen. Schließlich kann weder das hoch- noch das vollautomatisierte Fahrzeug eine Fahrstrecke gänzlich selbst bewältigen, sodass eine aktive Fahrzeugführung zumindest zu Beginn oder zum Ende der Fahrt notwendig ist. Es könnte allenfalls zu Beweisschwierigkeiten kommen, wenn der Täter behauptet, sich erst während der automatisierten Fahrt berauscht zu haben. Hierbei müsste dann die Spruchpraxis zum Nachtrunk Anwendung finden.692
III. Resümee zum neuen Definitionsansatz Die etablierte Auslegungs- und Spruchpraxis muss sich die Frage stellen, ob sie sich aufgrund ihrer einzelfallorientierten Fortentwicklung in einer Sackgasse befindet. Die Etablierung verschiedenster strafrechtlicher Dogmen bereits auf Tatbestandsebene, etwa die Eigenhändigkeit, das Bewegungserfordernis oder die Begrenzung auf physische Stelleingriffe hat die etablierte Definition des Führens ihrer Flexibilität und allgemeinen Anwendbarkeit beraubt und sich weit von den kognitionspsychologischen Erkenntnissen als auch einer ausgewogenen Anwendung der Auslegungskanones entfernt. Einzelne Kanones erhielten für die einheitliche Auslegung des strafrechtlichen Führens eines Fahrzeugs ein deutliches Übergewicht, etwa die teleologische Auslegung, wodurch nun eine verzerrte rechtliche Vorstellung von der Tathandlung des Führens existiert. Es ist nun an der Zeit, sprichwörtlich die Uhr auf null zu stellen und das tathandlungsbeschreibende Tatbestandsmerkmal des Führens im strafrechtlichen Kontext unvoreingenommen zu werten. Wie die rechtliche Würdigung zeigt, bietet die hier vorgeschlagene Definition ein breiteres Anwendungsfundament. Sie ist, anders als die dem Dogma des aktiven Fahrzeugführers verhaftete Auslegungs- und Spruchpraxis, nicht nur näher an den kognitionspsychologischen Erkenntnissen der Führungstätigkeit, sondern auch auf die kommenden Verkehrsgegebenheiten anwendbar. Relikte wie die Eigenhändigkeit oder das Bewegungselement, die als Resultat der kasuistischen Spruchpraxis nach und nach Eingang in die Auslegung fanden und keine weitere Reflexion erfuhren, müssen, da sie keine auslegungsrelevante Stütze finden, einer offeneren Rechtsanwendung weichen.
692
MüKo-StGB/Pegel, § 316, Rn. 81 ff.; S/S/Hecker, § 316, Rn. 17; LK-StGB/König, § 316, Rn. 82 u. 84; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1850h; u. a. OLG Koblenz DAR 2015, 402, 403 ff. zu den Anforderungen der Beweiswürdigung bei Nachtrunkbehauptungen; OLG Bamberg DAR 2011, 268, 269 ff.; OLG Karlsruhe DAR 2005, 104, 105; OLG Frankfurt NZV 1997, 239, 239 f.
B. Die rechtlich-dogmatischen Auswirkungen des Definitionsvorschlags
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Insgesamt ist das Rechtssystem der Straßenverkehrsdelikte für die neuen Herausforderungen, die die Automatisierung des Individualverkehrs an dieses stellen wird, gerüstet. Dies bedeutet zwar nicht, dass kein Regelungsbedarf besteht. Exemplarisch wurde auf die Pönalisierung der Berauschung des Kraftfahrzeugführers eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrzeugs hingewiesen. Grundlage dieser Überlegung ist § 1a Abs. 4 StVG, der dem ein hoch- oder vollautomatisiertes Fahrzeug Nutzenden fiktiv die Kraftfahrzeugführereigenschaft verleiht. Die Führungstätigkeit selbst nimmt dieser jedoch nicht wahr. Er darf sich dieser gemäß § 1b Abs. 1 1. HS StVG entledigen. Seinem Verantwortungsbereich unterfällt es gemäß § 1a Abs. 4 i. V. m. § 1b Abs. 1 1. HS StVG lediglich, sich wahrnehmungsbereit zu halten. Nun verlangen jedoch alle Trunkenheitstatbestände mit Ausnahme des § 24c Abs. 1 StVG,693 dass der Täter das Fahrzeug im alkoholisierten Zustand führt. Zwar erschließt sich aus dem gesunden Menschenverstand, dass sich auch der im automatisierten Fahrtbetrieb befindliche (fiktive) Fahrzeugführer nicht seiner Fahrtauglichkeit berauben sollte. Schließlich muss er damit rechnen, die Führungstätigkeit wieder übernehmen zu müssen (§ 1b Abs. 2 StVG). Gleichwohl, verboten ist dies nach dem Gesetz heute nicht. Streng genommen darf der fiktive Fahrzeugführer während der automatisierten Fahrt so viel Alkohol konsumieren, wie er will, solange er weiterhin wahrnehmungsbereit bleibt. Reichert sich nun aber sein Blutalkoholwert auf über 0,5 Promille an, dürfte er nach dem Strafgesetzbuch und Straßenverkehrsgesetz einer Übernahmeaufforderung des Fahrerassistenzsystems nicht mehr Folge leisten, § 24a Abs. 1 StVG bzw. § 316 Abs. 1 StGB. Der rechtliche Konflikt ist vorprogrammiert. Es wäre nun für die Strafgerichte sicherlich ein Einfaches, die Wahrnehmungsbereitschaft ab 0,5 Promille Blutalkoholkonzentration zu verneinen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Verletzung der Pflichten aus § 1b Abs. 1 1. HS StVG nicht strafrechtlich sanktioniert ist. Selbst wenn der (fiktive) Fahrzeugführer seine Pflicht zur Erhaltung seiner Wahrnehmungsbereitschaft verletzt, droht ihm keine strafrechtliche Sanktion. Zudem ließe sich bei einer derartigen Rechtsanwendung die Unterscheidung zwischen der relativen und absoluten Fahruntüchtigkeit kaum noch legitimieren. Wenn bereits bei 0,5 Promille Blutalkoholkonzentration die Wahrnehmungsbereitschaft verneint würde, wäre unklar, wieso eine Führungstätigkeit, vorgenommen in diesem Zustand, lediglich als relative Fahruntüchtigkeit aufgefasst werden und grundlegend als Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG geahndet werden kann. Auch wenn das aufgeworfene Problemfeld hier keiner Lösung zugeführt werden kann – eine legislative Klarstellung wäre wünschenswert. Darüber hinaus scheint es aus legislativer Sicht notwendig, den Sprachgebrauch der Verkehrstermini, vor allem zwischen dem Strafgesetzbuch und Straßenverkehrsgesetz, unter dem Faktum, dass das Gesetz fiktive Fahrzeugführer vorsieht, die 693 § 24c Abs. 1 StVG: Ordnungswidrig handelt, wer in der Probezeit nach § 2a oder vor Vollendung des 21. Lebensjahres als Führer eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr alkoholische Getränke zu sich nimmt oder die Fahrt antritt, obwohl er unter der Wirkung eines solchen Getränkes steht.
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7. Kap.: Das Führen automatisierter Fahrzeuge im strafrechtlichen Kontext
selbst nicht die Führungstätigkeit ausüben, zu harmonisieren. Nur dies schafft Rechtssicherheit. Soweit dieser Mangel des Straßenverkehrsrechts und Straßenverkehrsstrafrechts behoben wird, sind unter Zugrundelegung der vorgeschlagenen Definition wesentlich geringfügigere Reibungspunkte mit der neuen Automatisierungstechnik zu erwarten.
8. Kapitel
Die rechtliche Würdigung der Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens Zuletzt bleibt die vorgestellte Definition an den Anwendungsfällen des hoch- oder vollautomatisierten Fahrens, den vorgestellten Use-Cases, zu messen. Die Anwendung auf den aktiv Führenden wurde bereits ausführlich im 7. Kapitel erörtert, wohingegen die Anwendung auf den automatisierten Fahrbetrieb bisher nur sporadisch besprochen wurde. In den folgenden Zeilen wird dies nun vervollständigt. Soweit die etablierte Definitions- und Spruchpraxis Eingang in die folgenden Zeilen findet, geschieht dies zu Vergleichszwecken mit der vorgestellten Definition. Letztere bildet die Grundlage für die rechtliche Würdigung. Deren Wortlaut sei noch einmal vorangestellt: 1
Ein Fahrzeug führt, wer sämtliche Betätigungen, die zur Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erheblichen Veränderung des Fahrprozesses eines Fahrzeugs dienen, in eigener Verantwortung wahrnimmt. 2Betätigung in diesem Sinne ist auch die Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen, die unter der unmittelbaren Möglichkeit der Beeinflussung des Fahrprozesses zielgerichtet vorgenommen wird.
Die Prüfungspunkte bei den Automatisierungsszenarien sind entsprechend die in der Definition enthaltenen. Dies umfasst (1) die „Betätigung“ als Handlungselement, (2) die „Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erhebliche Veränderung des Fahrprozesses“ als Zweckbestimmungselement, (3) das „Dienen“ als Ausdruck der Zielgerichtetheit der Führungstätigkeit und (4) die „eigene Verantwortung“ als schutzzweckorientierte Beschränkung des Tatbestands. Die rechtliche Würdigung wird sich auf den objektiven Tatbestand, mithin diese vier Definitionsmerkmale, beschränken.
A. Ausgangsszenario Der jeweiligen Betrachtung wird das zugrundeliegende Szenario, welches seiner Ausprägung nach im 3. Kapitel, Gliederungspunkt B., beschrieben wurde, vorangestellt. Fehlanwendungen wie Funktionsdefekte werden nicht berücksichtigt. Es ist bei jedem Fahrerassistenzsystem davon auszugehen, dass dieses die Anforderungen des § 1a Abs. 2 StVG uneingeschränkt erfüllt. Ebenso werden die Verhaltensanforderungen, die §§ 1a Abs. 4 i. V. m. 1b Abs. 1 1. HS StVG an den Kraftfahrzeug-
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8. Kap.: Rechtliche Würdigung der Anwendungsfälle automatisierten Fahrens
führer stellen, Ausgangspunkt der Strafbarkeitsprüfung sein. Es geht insoweit um den Regelfall der Anwendung eines technisch einwandfreien hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems. Das betrachtete tatsächliche Grundszenario zeichnet sich durch einen alkoholisierten Führenden respektive Nutzer aus, der eine Blutalkoholkonzentration von über 1,2 Promille aufweist. In diesem Zustand bedient der hier zu betrachtende Täter entweder das Fahrzeug oder aktiviert das hoch- oder vollautomatisierte Fahrerassistenzsystem. Natürlich werden zu den einzelnen Use-Cases individuelle Spezifikationen hinzutreten, die bei dem jeweiligen Anwendungsfall in die Betrachtung einbezogen werden müssen.
B. Rechtliche Würdigung der Use-Cases Die Reihenfolge des 3. Kapitels, Gliederungspunkt B., die mit einem steigenden Automatisierungsgrad einhergeht, wird folgend beibehalten. Entsprechend wird zunächst der Stauassistent mit Verfügbarkeitsfahrer – der Staupilot – und zuletzt das (bisher noch nicht serienreife) autonome Fahrzeug ohne Verfügbarkeitsfahrer betrachtet. Die Darstellung wird sich auf eine schematische Ansprache jedes Definitionsmerkmals beschränken, um den substanziellen Gehalt der Neudefinition aufzuzeigen. Fragen des Erfolgsdelikts, namentlich des § 315c Abs. 1 StGB, wie die Kausalität und objektive Zurechnung als auch des Allgemeinen Teils betreffend die Rechtfertigung und Schuld werden hier nicht thematisiert.
I. Der Stauassistent mit Verfügbarkeitsfahrer – der Staupilot Der Staupilot stellt sich als ein typisches hochautomatisiertes Fahrerassistenzsystem (Automatisierungsstufe 3) dar, welches in der Lage ist, Verkehrssituationen auf Autobahnen bzw. Fernverkehrsstraßen bis zu einer bestimmten Regelungsgeschwindigkeit zu bewältigen. Das Fahrerassistenzsystem übernimmt von seiner Aktivierung an bis zum Erreichen der Regelungsgrenzen oder dessen Deaktivierung sowohl die Längs- als auch Quersteuerung des Fahrzeugs. Freilich ist die aktive Handhabung aller wesentlichen Vorrichtungen des Fahrzeugs vor als auch nach der Nutzung des Staupiloten unproblematisch der menschlichen Führungstätigkeit zuzuordnen. Ebenso ist in aller Regel ein Übersteuerungseingriff, soweit er nicht auf ein Versehen oder eine Schreckreaktion zurückzuführen ist, als menschliche Führungstätigkeit zu bewerten. Insoweit besteht in praktischer Hinsicht Einigkeit mit der etablierten Auslegungs- und Spruchpraxis.1 Einer genaueren Betrachtung bedürfen 1 Freilich ist der Beginn als auch die Beendigung der Führungstätigkeit definitionsspezifisch verschieden. Ebenso differiert die Zuordnung einzelner Handlungen zum Kreis der
B. Rechtliche Würdigung der Use-Cases
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hingegen die Aktivierung des Staupiloten als auch die Tätigkeiten, die der Nutzer während der automatisierten Fahrt ausübt. 1. Die Betätigungen Der Fahrzeugführer nimmt auch über die Aktivierung des Staupiloten hinaus die Führungstätigkeit wahr, soweit er sich – durch motorische Bewegungen ersichtlich – den Herausforderungen der Führungsaufgabe hingibt. So endet die Führungstätigkeit des Nutzers nicht mit der Aktivierung des Staupiloten, sondern erst mit der endgültigen Aufgabe der Führungstätigkeit. In dem Zeitpunkt, in dem er sich entschließt, die Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung nicht mehr vorzunehmen und seine motorische Aktivität nicht mehr auf die Befassung mit der Verkehrs- und Umweltsituation ausrichtet, gibt er die Fahrzeugführung endgültig auf. Andernfalls bewältigt der Nutzer weiterhin die Führungsaufgabe – parallel-redundant zum technischen Fahrerassistenzsystem. Diese Anwendung ist konsequent. Zwar mag der Bewegungszustand des Fahrzeugs nur noch von den Steuerungsimpulsen des Fahrerassistenzsystems abhängig sein, sodass die Tätigkeit des nicht eingreifenden Nutzers ohne sichtbare Auswirkungen auf diesen bleibt. Die Tathandlung des Führens verlangt einen solchen „Erfolg“ aber auch nicht, sondern nur deren Vornahme. Wie bereits zitiert, erklärte selbst der Bundesgerichtshof, wenn auch mit einer fehlerhaften Schlussfolgerung: „Das Führen eines Fahrzeugs ist […] nicht gleichbedeutend mit Verursachen der Bewegung.“2
Bei der Betrachtung dessen, ob der Täter die Tathandlung des Führens verwirklicht, kommt es also nicht darauf an, ob sich diese in einem Steuerungs- oder Fortbewegungserfolg manifestiert. a) Die Aktivierung des Staupiloten als Betätigung Die Aktivierung des Staupiloten muss also nicht zwingend mit der Beendigung der Führungstätigkeit einhergehen. Der Betroffene hat die Fahrzeugführung zumindest solange in der Hand, bis der Staupilot einen eigeneruierten Steuerungsimpuls abgibt, wobei jeder systemgenerierte Steuerungsimpuls, etwa die Beibehaltung von Geschwindigkeit und Spur, genügt. Solange die konkrete Längs- und Querführung auf einen Steuerungsimpuls vom Führenden zurückzuführen ist, beruht diese auf der (subjektiven und objektiven) Bewältigung der Führungstätigkeit. Gleiches gilt, wenn die Aktivierung des Fahrerassistenzsystems nur zu einem vordefinierten, vom Betroffenen erkannten Steuerungsimpuls führen kann. Dies ist etwa Führungstätigkeiten. Bei der hier zugrunde gelegten praktischen Ausgangslage ist dies jedoch irrelevant, weshalb eine Vertiefung m. V. a. die Ausführungen des 7. Kap. unterbleiben kann. 2 BGHSt 42, 235, 239; weitere N. siehe 7. Kap., Fn. 275.
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8. Kap.: Rechtliche Würdigung der Anwendungsfälle automatisierten Fahrens
der Fall, wenn der Betroffene kurz vor einem unvermeidbaren Unfall oder einer unmittelbar bevorstehenden Gefahrenlage, einem sog. Beinahe-Unfall, den Staupiloten bewusst aktiviert, wobei dieser mangels anderweitiger Vermeidungsmöglichkeit nichts anderes als eine starke Verzögerung, also eine Notbremsung, einleiten kann.3 In solchen Fällen kann sich der Betroffene nicht mit der Einlassung entlasten, nicht er, sondern das Fahrerassistenzsystem, habe den letzten Steuerungseingriff abgegeben. Die motorische Tätigkeit der Aktivierung des Staupiloten, die aus der Befassung der Verkehrs- und Umweltbedingungen erwuchs, also Resultat des eigenen Informationsverarbeitungsprozesses war, steht in diesem Fall dem eigenen Tritt auf das Bremspedal gleich. Es macht also keinen Unterschied, wie der Betroffene die Vollbremsung einleitet – ob mit einem Tritt auf das Bremspedal oder durch Einschaltung des Staupiloten. Bis zur Auflösung der Gefahrensituation bzw. bis zum Unfall wirkte die motorische Betätigung des Führenden fort, sodass auch der konkrete, unmittelbar nach der Aktivierung des Staupiloten erfolgte Steuerungseingriff Teil der Führungstätigkeit des Handelnden – nicht des technischen Systems – bleibt. Dies dürfte in Übereinstimmung mit der etablierten Definition stehen. Liegt hingegen zumindest ein systemgenerierter Steuerungseingriff zwischen der Aktivierung des Staupiloten und dem Beinahe-Unfall, ist der Betroffene immer dann entlastet, wenn sich dieser nach § 1b Abs. 1 1. HS StVG bereits seiner Führungstätigkeit entledigt hat. Dann hat er keine Betätigung im definitorischen Sinn vorgenommen. Nach der etablierten Definitionspraxis müsste ein Führen hingegen unmittelbar mit der Abgabe der Führungstätigkeit an den Staupiloten mangels folgendem physischem menschlichen Stelleingriff verneint werden. b) Die Entledigung von der Führungstätigkeit Als weitere Ausprägung der hier präferierten tätigkeitsbezogenen Auslegung kommt es beim Definitionsmerkmal der Betätigungen nicht darauf an, ob diese mit einem Handlungserfolg in Gestalt eines (wirksamen) Steuerungsimpulses einhergehen. Solange sich der Täter trotz aktivem Staupiloten sämtlichen Betätigungen der Führungstätigkeit in seiner Person widmet, führt er (auch) das Fahrzeug. Für den Betätigungsbegriff ist es irrelevant, ob das Fahrerassistenzsystem zeitgleich (parallel-redundant) sämtliche Steuerungsimpulse der Quer- und Längsführung implementiert. Ab dem Zeitpunkt, in dem sich der fiktive (fahruntüchtige) Fahrzeugführer gemäß § 1a Abs. 4 StVG der Führungstätigkeit widmet, schafft er die tathandlungsspezifische Gefahr. Auch aus teleologischer Sicht bestehen dagegen keine Bedenken. So sind die motorischen Fähigkeiten eines fahruntüchtigen Führenden in aller Regel eingeschränkt, sodass es auch zu ungewollten Eingriffen kommen kann, die durch die Ausübung der Führungstätigkeit begünstigt oder erst möglich werden. Stellt der betrunkene Führende etwa seinen Fuß auf dem Brems3 Regelmäßig sind Fahrzeuge mit Staupiloten aufgrund der Nutzung identischer Technik auch mit Notbremsassistenten ausgestattet.
B. Rechtliche Würdigung der Use-Cases
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pedal ab, um im Falle des zu nahen Auffahrens abbremsen zu können und kommt er nur wenig später auf den Gedanken, das Radio lauter zu stellen, kann es aufgrund der alkoholbedingten Beeinträchtigung der Motorik zu einer ungewollten Betätigung der Bremse kommen. Damit realisiert sich die Gefahr, die der Täter durch die Wahrnehmung der Führungstätigkeit schuf. Elementar ist dies bei der Bewertung des § 316 Abs. 1 StGB, welcher als abstraktes Gefährdungsdelikt bereits die Übernahme der Führungstätigkeit im fahruntüchtigen Zustand pönalisiert. Ähnliches erkannte der Bundesgerichtshof bereits im Jahre 1959.4 Das Abstellen des Fußes auf dem Bremspedal, um auf die gleichsam beachteten Verkehrsbedingungen reagieren zu können, ist Ausdruck der Übernahme der Führungstätigkeit. Zudem sind Schreckbewegungen, ganz zu schweigen von Fehlinterpretationen, aufgrund von Fehlwahrnehmungen bei Betrunkenen erheblich öfter zu erwarten, als bei nüchternen Menschen. Deshalb ist ihnen gemäß § 316 Abs. 1 StGB die Übernahme der Führungstätigkeit gänzlich und unabhängig von einem Handlungserfolg untersagt. Dabei muss natürlich berücksichtigt werden, dass das schreckhafte Bedienen der Stellelemente des Fahrzeugs selbst aufgrund des Fehlens der Zielgerichtetheit letztlich mangels Verknüpfung der objektiven Seite mit der subjektiven Seite der Tathandlung kein tatbestandliches Führen darstellt. Einer Schreckhandlung kommt keine strafrechtliche Relevanz zu. Dies gilt aber nur für den Tritt selbst, nicht aber für das vorherige Abstellen des Fußes auf der Pedalerie. Solange sich der Fahrzeugführer mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen befasst, nimmt er die Führung des Fahrzeugs auch bei aktiviertem Staupiloten wahr. Letztlich muss sich der Betroffene im Unterschied zur etablierten Definition der Führungstätigkeit entledigen, um nicht mehr Führender des Fahrzeugs zu sein. Dies muss bewusst und ohne Vorbehalt geschehen. Der Gesetzgeber selbst hat in § 1b Abs. 1 StVG das „Abwenden“ als aktives Entledigungsmoment angesprochen. Geschieht dies nicht, befasst sich der Nutzer des Staupiloten also weiterhin mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen und richtet seine Motorik auf diese aus, nimmt er weiterhin die Führungstätigkeit im strafrechtlichen Sinne wahr. Zugleich kann sich der Betroffene die Steuerungsimpulse des Stauassistenten selbst zu Eigen machen und an diese mit jeder neuen motorischen Handlung anknüpfen. Der Nutzer eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems ist bei der Betrachtung der tatbestandlichen Tätigkeit damit nicht anders zu bewerten als der Führende, der ein Fahrerassistenzsystem der Automatisierungsebene 2 oder niedriger einsetzt oder dem fahrerassistenzlosen Fahrzeugführer, der sein Fahrzeug über eine längere Strecke rollen lässt, mithin „nichts“ macht. Die vorgestellte Definition lässt eine einheitliche Anwendung zu. Nur wenn sich der Fahrzeugführende der Führungsaufgabe endgültig entledigt, wobei es völlig irrelevant ist, welche Ausstattung das jeweils genutzte Fahrzeug aufweist, liegt keine Führungstätigkeit mehr 4 BGHSt 13, 226, 227: „Die Fortbewegung des Fahrzeugs hängt von mehreren Verrichtungen ab, die ineinander greifen. Fällt nur eine von diesen für den Bewegungsvorgang maßgeblichen Verrichtungen aus oder wird sie falsch vorgenommen, so besteht Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer; schon dann ist das Fahrzeug falsch geführt.“
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vor. Geschieht dies, kommt der Nutzung eines Fahrerassistenzsystems auf Unterlassungsebene Relevanz zu. Schließlich hat der Gesetzgeber mit § 1b Abs. 1 1. HS und Abs. 2 StVG den solche Fahrerassistenzsysteme Nutzenden einem anderen Verantwortungsbereich unterworfen als die übrigen Fahrzeugführenden. Anders formuliert darf sich ein Fahrzeugführender eines Fahrzeugs der Automatisierungsstufe 2 oder niedriger aufgrund seiner Garantenstellung aus der Verantwortung über diese Gefahrenquelle nicht seiner Führungsverantwortung entziehen. Tut er dies dennoch, macht er sich unter den zusätzlichen Voraussetzungen des jeweiligen Führungsdelikts i. V. m. § 13 Abs. 1 StGB strafbar. Beim Nutzer eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems ist dies anders zu bewerten. Dieser darf sich nach § 1b Abs. 1 1. HS StVG vom „Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abwenden“. Ihn trifft bei ordnungsgemäßer Anwendung des Fahrerassistenzsystems deshalb grundsätzlich keine mit einer Unterlassungsstrafbarkeit bedrohte Handlungspflicht zum Führen. Nun stellt sich freilich die vorgelagerte Frage der Abgrenzung von Handlung und Unterlassen auch beim Staupiloten. Bei exakter definitorischer Anwendung bereitet dies aber kaum Probleme. Ein Unterlassen ist während der Nutzung des Staupiloten immer dann gegeben, wenn der Betroffene eine Gefahrenquelle oder -situation erkennt, auf diese aber nicht mit der Übernahme der Führungstätigkeit reagiert. Das Beispiel des einscherenden Fahrzeugs mag dies verdeutlichen: Beobachtet der Betroffene aufmerksam die Verkehrs- und Umweltbedingungen und erkennt deshalb, dass der vor ihm fahrende Wagen unmittelbar ausscheren könnte und stellt deshalb seinen Fuß auf das Bremspedal ab, um eine jederzeitige Übersteuerung des Staupiloten erreichen zu können, liegt eine Betätigung – mithin ein aktives Handeln – vor. Erblickt er hingegen, zeitungslesend hinter dem Steuer sitzend, diese Gefahrenquelle zufällig zwischen dem Umblättern zweier Seiten, ignoriert diese jedoch und wendet sich ohne jegliche motorische Betätigung wieder seiner Zeitung zu, begründet dies ein Unterlassen. Letzterer hat die Führungstätigkeit schließlich trotz erkannter Handlungsnotwendigkeit nicht aufgenommen. Realisiert sich daraufhin eine in § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB statuierte Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs, ist eine Tatverwirklichung durch Unterlassen grundsätzlich eröffnet. Anschaulicher mag die Situation, in der das Fahrzeug im hoch- oder vollautomatisierten Fahrbetrieb aufgrund einer temporär stark verwitterten Fahrbahnmarkierung an einer unübersichtlichen Stelle nicht die rechte Seite der Fahrbahn einzuhalten fähig ist und daraufhin einen entgegenkommenden Fahrzeugführer gefährdet (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. e) StGB), sein. Solange der Nutzer des hochautomatisierten Systems die Situationen nicht wahrnimmt, etwa weil er sich gemäß § 1b Abs. 1 1. HS StVG berechtigt vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abgewendet hat, fehlt es an der für eine Unterlassensstrafbarkeit notwendigen Pflichtwidrigkeit. Im Ergebnis ist unabhängig davon, welches Fahrzeug der Täter benutzt und in welchem Modus sich dieses befindet, auf der Ebene der Betätigung „nur“ zu prüfen, ob der Täter Handlungen vornahm, die zur oder mit der Befassung mit Verkehrs- oder
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Umweltbedingungen im Zusammenhang stehen. Ist dem nicht so, liegt keine Führungstätigkeit vor. 2. Der Fahrprozess Auf der Ebene des Definitionsmerkmals der „Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erheblichen Veränderung des Fahrprozesses“, dem Zweckbestimmungselement, im Folgenden kurz Fahrprozess, werden alle Betätigungen von der Tathandlung ausgeschlossen, die keinerlei Auswirkung auf die Bahnführungs- oder Stabilisierungsebene besitzen. Entsprechend werden nur Betätigungen, die den primären Fahraufgaben zuzuordnen sind, erfasst. Während der Nutzung eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems hat dieser Definitionspunkt hauptsächlich den Ausschluss sekundärer und tertiärer Führungsaufgaben zur Folge. Als Besonderheit entfällt während des automatisierten Fahrprozesses die indizielle Wirkung sekundärer Führungsaufgaben. Aus deren Vornahme kann schlicht nicht mehr zweifelsfrei auf die Übernahme der primären Führungsaufgaben, die vom Fahrerassistenzsystem vorgenommen werden, geschlossen werden. Es liegt hingegen durchaus nahe, dass auch sekundäre Führungsaufgaben zur Komfortsteigerung vorgenommen werden. Dies ist etwa beim Einschalten des Scheibenwischers zur Beobachtung der Landschaft oder das Aufblenden der Scheinwerfer zum Grüßen eines anderen Verkehrsteilnehmers während der automatisierten Fahrt anzunehmen. Gleichwohl ist im Rahmen dieses Definitionsmerkmals abstrakt als auch im Konkreten die Aktivierung des Fahrerassistenzsystems selbst, hier des Staupiloten, als Führungshandlung zu thematisieren. Dazu muss sich in Erinnerung gerufen werden, dass als primäre Fahraufgaben all diejenigen bezeichnet werden, die zur Erfüllung des Fahrzwecks unerlässlich sind.5 Sekundäre Fahraufgaben sind hingegen solche, die im Rahmen der Fahraufgabe verkehrs- und umweltbedingt anfallen,6 letztlich der Bewältigung der primären Fahraufgabe zuträglich sind. Das Aktivieren des Staupiloten kann sich nur als sekundäre Führungsaufgabe herausstellen. Sie ist Resultat der Erkenntnis des Führenden, dass der Anwendungsbereich des Staupiloten eröffnet ist und die Verkehrsgegebenheiten dessen Aktivierung zulassen. Mit der Aktivierung des Staupiloten wird der Fahrprozess auch nur übergeben, nicht direkt beeinflusst. Die Aktivierung eines Fahrerassistenzsystems geht in der Regel schlicht nicht mit einem bestimmten oder bestimmbaren Steuerungsimpuls einher. Der Führende weiß – mit Ausnahme der ausweglosen Situation – nicht, welchen Steuerungsimpuls das Fahrerassistenzsystem als nächsten in den Fahrprozess implementieren wird. Zugleich ist die Aktivierung für die Aufrechterhaltung des Fahrprozesses nicht unerlässlich. Als sekundäre Fahraufgabe unterfällt diese damit 5 Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 28; Abendroth/Bruder, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 1.3, S. 11. 6 Bubb, in: Der Fahrer im 21. Jahrhundert, S. 28.
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definitorisch nicht dem Fahrprozess. Sie, die Aktivierung des Fahrerassistenzsystems, bewirkt nicht unmittelbar die Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erhebliche Veränderung des Fahrprozesses. Gleichwohl kann die Aktivierung des Staupiloten nur im Zustand der manuellen Steuerung des Fahrzeugs vorgenommen werden, sodass die Betätigung des Staupiloten selbst als Indiz für die zu diesem Zeitpunkt (noch) ausgeübte Fahrzeugführung dienen kann. Damit unterscheidet sich das Ergebnis der hier vorgestellten Definition von dem der etablierten Definitionspraxis. Diese setzt voraus, dass das Fahrzeug unter „bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung [gesetzt wird] oder das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigsten zum Teil [gelenkt wird].“7
Die Aktivierung eines Fahrerassistenzsystems während der Fahrt stellt im Sinne der etablierten Definition unproblematisch bereits als solche eine Handhabung der technischen Vorrichtungen, welche für die Fortbewegung bestimmt ist,8 dar. 3. Das Dienen Als subjektive Tathandlungskomponente muss das Definitionsmerkmal des „Dienens“ beim objektiven Tatbestand Berücksichtigung finden. Alle Betätigungen, die zur unmittelbaren Beeinflussung des Fahrprozesses zielgerichtet veranlasst werden, sind davon umfasst. Vor allem während der automatisierten Fahrt müssen die vorgenommenen Betätigungen auf der Bewältigung des Informationsverarbeitungsprozesses beruhen. Das bloße Festhalten am Lenkrad genügt dem ebenso wenig wie das Abstellen des Fußes neben der Pedalerie zum Zwecke der Entspannung. Diese Handlungen beruhen nicht auf dem führungsrelevanten Informationsverarbeitungsprozess. Wird der Fuß hingegen wie beschrieben als Resultat des Informationsverarbeitungsprozesses zur Herstellung der Eingriffsbereitschaft auf dem Bremspedal abgestellt, dient diese Handlung (potenziell) dem Fahrprozess. 4. Die Verantwortung Eine Einschränkung der Tathandlung über das Definitionsmerkmal der „Verantwortung“ ist beim Staupiloten nicht denkbar. Das Fahrzeug muss schließlich, um auf die Autobahn oder Fernverkehrsstraße gelangt zu sein, bereits bewegungsfähig gewesen sein. Insofern ist kein „absolut ungefährlicher“ Zustand denkbar.
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BGHSt 36, 341, 343 f.; ebenso BGHSt 59, 311, 314; weitere N. siehe 6. Kap., Fn. 90. U. a. BGHSt 59, 311, 314 m. w. N., m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124; BGHSt 18, 6, 8 f.; Franke, DAR 2016, 61, 62. 8
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5. Ergebnis zum Staupiloten Dem fiktiven Kraftfahrzeugführer gemäß § 1a Abs. 4 StVG ist es auch während der automatisierten Fahrt möglich, die Führungstätigkeit weiterhin auszuführen. Die Aktivierung des Staupiloten geht nicht automatisch mit einer endgültigen Entledigung der Führungsaufgabe einher. Andererseits ist die Aktivierung des Staupiloten selbst keine taugliche Führungshandlung, sodass diese als sekundäre Führungsaufgabe selbst kein Führen darstellt und nur ein (starkes) Indiz für die zuvor und (auch) zeitgleich ausgeübte Führungstätigkeit bietet. Natürlich ist zuzugeben, dass ein Nachweis, dass der Täter während der automatisierten Fahrt die Betätigungen zur Erfüllung der Führungsaufgabe bewältigte, schwerlich zu erbringen sein wird. Letztlich kann sich der Täter stets darauf berufen, das Fahrzeug im Sinne des § 1b Abs. 1 1. HS StVG gebraucht und sich vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abgewandt zu haben. Eine anderslautende richterliche Überzeugung wird sich kaum begründen lassen. Ebenso kann aus einer wahrgenommenen Betätigung, bspw. dem Schulterblick, selbst nicht geschlossen werden, dass dieses Resultat der Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen ist. Dafür wäre eine Beobachtung über einen längeren Zeitraum notwendig, welche die Strafverfolgungsbehörden nicht stets sicherstellen können. Die praktische Relevanz des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB ist während der Nutzung hoch- oder vollautomatisierter Fahrerassistenzsysteme daher sehr begrenzt. Gleiches gilt für den Fall des Unterlassungsvorwurfs, da auch hier der Nachweis, der (fiktive) Fahrzeugführer habe nach § 1a Abs. 4 StVG die Gefahrensituation zufällig erkannt und dennoch nicht gehandelt, selten, wenn überhaupt durch das Zeugnis anderer Mitfahrenden, zu erbringen sein wird. In Bezug auf die Trunkenheitsdelikte des §§ 316 Abs. 1 und 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB steht bei der Nutzung des Staupiloten jedoch fest, dass das Fahrzeug nur durch menschliche Steuerungseingriffe auf die Autobahn oder Fernverkehrsstraße gelangt sein kann. Somit ist eine Strafbarkeit gemäß § 316 Abs. 1 StGB auch dann eröffnet, wenn der Führende fahruntüchtig während der automatisierten Fahrt angetroffen wird. Durch das Auslesen der Zeitangaben des Datenspeichers nach § 63a Abs. 2 StVG kann der Zeitpunkt der Übergabe der Fahrzeugsteuerung an das technische System exakt nachvollzogen werden. Dies lässt den Beweis, dass der Täter das Fahrzeug in irgendeinem vorangegangenen Zeitpunkt geführt hat, zu. Probleme ergeben sich lediglich bei dem Einwand des Führenden, erst während der automatisierten Fahrt den Rauschzustand hervorgerufen zu haben. Dann muss über die Berechnung des Nachtrunks9 die Blutalkoholkonzentration zu Fahrtbeginn festgestellt werden. Eine Begehung des § 316 Abs. 1 StGB als auch § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB durch Unterlassen ist hingegen ausgeschlossen.
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Siehe 7. Kap., Fn. 692.
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II. Das autonome Valet-Parken Das autonome Valet-Parken, im Folgenden als Valet-Parkpilot bezeichnet, nimmt als vollautomatisiertes Fahrerassistenzsystem der Stufe 4 dem Führenden die Notwendigkeit der Suche nach einem geeigneten Parkplatz ab. Das Fahrzeug ist nach der Aktivierung des Fahrerassistenzsystems selbst und ohne eine anwesende Person im Fahrzeug in der Lage, den Parksuch- und Parkvorgang auszuführen. Zudem bleibt der Valet-Parkpilot auch nach dem Abschluss des Parkvorgangs aktiviert, um bei Bedarf ein etwaiges Umparken eigenständig durchführen zu können. Bei diesem Fahrerassistenzsystem ergibt sich die Besonderheit, dass während der Fahrt keine Person im Inneren des Fahrzeugs verweilt. Der gesamte Fahrvorgang erfolgt ohne Personenbeteiligung. Ob daher bereits nach der etablierten Spruch- und Auslegungspraxis die Aktivierung dieses Assistenzsystems als Handhabung der wesentlichen technischen Vorrichtungen des Fahrzeugs angesehen werden kann, muss bezweifelt werden. Schließlich dient die Aktivierung des Valet-Parkpiloten, welche alleine im Stillstand des Fahrzeugs erfolgen kann, nicht einem bestimmbaren Fortbewegungsimpuls, sondern aktiviert zunächst nur das Fahrerassistenzsystem, welches erst durch eine systemeigene Umfeldanalyse zeitverzögert einen konkreten Steuerungsimpuls eruiert. Die Aktivierung hat mithin nicht die unmittelbare Fortbewegung des Fahrzeugs zur Folge.10 Nach der etablierten Definition wird die Bedienung des Valet-Parkpiloten daher wohl nicht als Führungstätigkeit zu subsumieren sein. Zu diesem naheliegenden Ergebnis gelangt auch die vorgestellte Definition. Die Begründung beruht jedoch auf anderen Erwägungen. Dabei ist allein dessen Aktivierung zu betrachten, da darüber hinausgehende menschliche Steuerungsimpulse nicht existieren.
1. Die Betätigungen Die Aktivierung des Valet-Parkpiloten stellt sich in der Regel (noch) als Betätigung der Führungstätigkeit heraus. Schließlich muss der Führende nicht nur den Anwendungsbereich des Valet-Parkpiloten feststellen, sondern auch die ungehinderte Abfahrt des Fahrzeugs sicherstellen. Nur wenn die Bahnführung des Fahrzeugs überhaupt möglich ist, kann der Valet-Parkpilot die Führung des Fahrzeugs übernehmen. Dies betrifft etwa nicht den Fall des Ausstiegs an einem Ort, der nur durch menschliches Zutun vom Fahrzeug verlassen werden kann. Beispiel dessen ist ein Parkhaus, dessen Schranke sich nur durch das Einführen eines Parktickets öffnen lässt. Ebenso sind die Fälle einer Aktivierung in einem Verbotsbereich zu bewerten, etwa innerhalb einer Fußgängerzone. Ebenso wenig erlaubt ist dessen Aktivierung auf einem Autobahnrastplatz, da in diesem Fall die Gefahr bestünde, dass das Fahrerassistenzsystem nur unter Bruch von Verkehrsvorschriften oder unter Über10
Siehe 2. Kap., Fn. 11.
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schreitung seines Anwendungsbereichs seine Aufgabe erfüllen kann. Daher muss der Führende vor der Aktivierung aufgrund einer eigenen Informationsverarbeitung sicherstellen, dass dem Valet-Parkpiloten eine anwendungsgerechte Ab- und Ausfahrt zur Verfügung steht. Dies setzt eine Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen voraus. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Valet-Parkpilot noch im Fahrzeug durch einen Stelleingriff, einen Sprachbefehl, die Bedienung des Schlüssels oder eine Smartphoneeingabe außerhalb des Fahrzeugs aktiviert wird. Alle genannten Handlungen unterfallen dem Betätigungsbegriff. Gleiches gilt für die Anforderung von Dritten gegenüber dem Fahrzeug, etwa dem Parkplatzbetreiber oder Rettungsdiensten, woraufhin der Valet-Parkpilot die Parkposition verlässt und eine neue Parkmöglichkeit sucht. Anderes gilt bei der Anforderung des Fahrzeugs. Betätigt der Nutzer den Schlüssel des Fahrzeugs oder gibt eine Aufforderung per Smartphone an sein Fahrzeug heraus, geschieht dies ohne Kenntnis der das Fahrzeug umgebenden Verkehrs- und Umweltbedingungen. Der Tastendruck ist mithin nicht Ausdruck der Befassung mit dem (aufzunehmenden) Fahrprozess, sondern einzig Resultat des Abholwunsches. Eine Betätigung als Teil der Führungstätigkeit ist darin nicht zu erkennen. Gleiches gilt für sämtliche Steuerungsimpulse, die das Fahrzeug nach der Aktivierung des Valet-Parkpiloten ausführt. Diese beruhen auf den von der Software ausgegebenen Steuerungsimpulsen. Zwar gleicht die automatisierte Fahrt dem menschlichen Führungsprozess, der sich in die Informationswahrnehmung, -verarbeitung und -ausgabe aufsplittet. Anders als beim Staupiloten ist es dem Nutzer jedoch nicht möglich, auf das Fahrgeschehen nach der Aktivierung des ValetParkpiloten bestimmend einzuwirken. Natürlich kann der Nutzer das System durch einen Tastendruck außerhalb des Fahrzeugs deaktivieren. Dies beruht dann aber nicht auf einer umfassenden Beobachtung der Verkehrs- und Umweltbedingungen, sondern allenfalls auf situativen verkehrsunabhängigen Wahrnehmungen oder anderen Gründen, etwa weil der Nutzer etwas im Fahrzeuginnern vergessen hat. Eine Betätigung im Sinne der Fahrzeugführung liegt nach der Aktivierung des Valet-Parkpiloten nicht vor. Ein Missbrauch des Valet-Parkpiloten ist in diesem Szenario hingegen ausgeschlossen, weil dieses nur dann seinen Dienst aufnimmt, wenn sich keine Person im Fahrzeuginnern befindet. Letztlich stellt sich die Aktivierung des Valet-Parkpiloten als Betätigung im Sinne der vorgestellten Definition dar. Die übrigen, nachfolgenden Steuerungsimpulse können hingegen nicht auf eine (umfassende) menschliche Befassung mit den Verkehrs- und Umweltbedingungen zurückgeführt werden, sodass ihnen die Führungsqualität abgesprochen werden muss.
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2. Der Fahrprozess Die als Betätigung der Führungstätigkeit anzusehende Aktivierung des ValetParkpiloten ist als Komfort-Fahrerassistenzsystem nicht dem Bereich der primären Fahraufgaben zuzuordnen. Entsprechend bleibt zu beachten, dass sich die Aktivierung des Valet-Parkpiloten nicht als mit der Fahrzeugsteuerung verquickte Tätigkeit herausstellt. Die Aktivierung steht in keinerlei direktem Zusammenhang mit den Aufgaben der (primären) Navigations-, Bahnführungs- oder Stabilisierungsebene. Diese werden vom Fahrerassistenzsystem selbst eruiert. Der allein mittelbare Zusammenhang zur Bahnführungsebene – dem Prüfen der Anwendungsvoraussetzungen – genügt nicht, um diese Tätigkeit als primäre Führungsaufgabe zu qualifizieren. Aufgrund seiner Initialisierung im Zustand des Stillstands kann der ValetParkpilot anders als der Staupilot11 auch nicht auf vorherige menschliche Steuerungsimpulse aufbauen. Der Valet-Parkpilot dient ausschließlich als Komfortsystem, weshalb dessen Aktivierung mangels Zusammenhang zur Fahraufgabe dem Bereich der tertiären Fahraufgaben zuzuordnen bleibt. Dies hat zur Folge, dass aus der Aktivierung des Valet-Parkpiloten nicht auf eine in diesem Zeitpunkt ausgeübte manuelle Fahrzeugsteuerung indiziell geschlossen werden kann. Beispielhaft sei der Fall benannt, indem der Führende das Fahrzeug abstellt und seinem bereits angetrunkenen Beifahrer, dem er bereits den Fahrzeugschlüssel zur Aufbewahrung übergeben hat, bittet, durch einen Tastendruck die Aktivierung des Valet-Parkpiloten vorzunehmen. An dieser Stelle stimmt das Ergebnis der vorgestellten mit dem der etablierten Definition überein. Gleichwohl und nur der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass die etablierte Definition Raum für eine entgegengesetzte Auslegung lässt. Der Bundesgerichtshof setzt schließlich, wie Ternig bereits richtig feststellte, entweder das in Bewegung setzen des Fahrzeugs durch die bestimmungsgemäße Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung oder die Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum voraus.12 Von zweitem, der Handhabung der wesentlichen Vorrichtungen des Fahrzeugs während der Fahrbewegung, kann im Stand mangels Fahrbewegung wohl nicht gesprochen werden. In der Folge kommt Ternig in wörtlicher Anwendung des Merkmals der Allein- bzw. Mitverantwortung der etablierten Definition zu dem Schluss, dass die erste Alternative, das verantwortliche in Bewegung setzen, erfüllt sein müsste.13 Aufgrund des in den letzten Jahren betonten Bedeutungsverlusts des Definitionselements des in Bewegung setzens,14 dürfte allein diese Tatausführung nicht für eine Tatverwirklichung genügen. Der Bundesgerichtshof erklärte selbst, dass sich der Täter „wenigstens eines Teiles 11 12 13 14
Entsprechend dem Bsp. des Missbrauchs des Staupiloten als Notbremsassistent. Siehe 8. Kap., Fn. 7. Ternig, zfs 2016, 303, 307. LK-StGB/König, § 315c, Rn. 10.
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der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeuges“15 bedienen müsse. Die Aktivierung eines Fahrerassistenzsystems im Stand dürfte daher nur dann unter die etablierte Definition fallen, soweit das Definitionselement des verantwortlichen in Bewegung setzens reaktiviert würde. Davon ist auch aufgrund der Klarstellung in der Rechtsprechung, dass fahrtvorbereitende Handlungen, wozu die Aktivierung eines Fahrerassistenzsystems im Stand letztlich zählt, nicht der Führungstätigkeit zugeordnet würden,16 nicht auszugehen. 3. Ergebnis zum automatisierten Valet-Parken Die Aktivierung als auch die Ausführung des Fahrprozesses durch den ValetParkpiloten sind keine Führungshandlungen. Eine Tatverwirklichung der §§ 315c Abs. 1 und 316 Abs. 1 StGB ist mangels menschlich verwirklichter Tathandlung ausgeschlossen. Es könnte lediglich an eine Tatbegehung gedacht werden, wenn nach § 316 Abs. 1 StGB der Betroffene das Fahrzeug zum Ausgangspunkt führte oder, wenn dieser nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. g) StGB das sich aufgrund des Fehlens einer Parkmöglichkeit in den risikominimalen Zustand versetzte Fahrzeug unbekümmert und ungesichert im Verkehrsraum stehen lässt. Bei letzterem dürfte es aufgrund der Unkenntnis des Nutzers vom konkreten Abstellort in aller Regel aber an einem Gefährdungsvorsatz mangeln. Der Vollständigkeit halber sei zuletzt die bisher fehlende Zulassungsfähigkeit des Valet-Parkpiloten erwähnt, weshalb dieses Fahrerassistenzsystem nicht zeitnah auf unseren Straßen anzutreffen sein wird. Schließlich bedarf jedes sich in Bewegung befindliche Fahrzeug gemäß Art. 8 Abs. 1 WÜ eines Führers. Dahinter steht die Frage, ob der sich außerhalb des Fahrzeugs befindliche Nutzer gemäß § 1a Abs. 4 StVG (und Art. 8 Abs. 1 WÜ) Kraftfahrzeugführer sein kann. § 1a Abs. 4 StVG ordnet insoweit in Entsprechung zu Art. 8 Abs. 1 WÜ,17 ohne den Begriff des Fahrzeugführers zu definieren,18 jedem Fahrzeug einen (Kraft-)Fahrzeugführer19 zu. Aus der Gesetzesbegründung geht jedoch hervor, dass der Gesetzgeber von einem im Fahrzeug befindlichen Nutzer ausgeht: „[§ 1a Abs. 4 StVG] (neu) dient der Klarstellung, dass bei hoch- und vollautomatisierten Fahrfunktionen – im Gegensatz zum autonomen Fahren – auf einen Fahrzeugführer nicht 15 U. a. BGHSt 59, 311, 314, m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124; BGHSt 35, 390, 393; 18, 6, LS u. 8 f., weitere N. siehe 6. Kap., Fn. 90. 16 U. a. BGHSt 35, 390, 393 f.; AG Freiburg NJW 1986, 3151, 3151; LPK-StGB/Kindhäuser, § 316, Rn. 2; Fischer, StGB, § 315c, Rn. 3b; abl. OLG Hamm VRS 37 (1969), 281, 282; Geppert, Jura 2001, 559, 561. 17 Art. 8 Abs. 1 WÜ: Jedes Fahrzeug und miteinander verbundene Fahrzeuge müssen, wenn sie in Bewegung sind, einen Führer haben. 18 Ternig, zfs 2016, 303, 304; Art. 8 Abs. 3 bis Abs. 5 WÜ beschreiben die Eigenschaften des Fahrzeugführers, die dieser zu erfüllen hat. 19 Art. 8 Abs. 1 WÜ spricht nur vom Führer eines Fahrzeugs, § 1a Abs. 4 StVG vom Kraftfahrzeugführer.
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ganz verzichtet werden kann. Jedoch gibt es Fahrphasen, in denen das System das Fahrzeug steuert.“20
Dem nicht unmittelbar anwesenden Nutzer eines Fahrerassistenzsystems die Eigenschaft des Kraftfahrzeugführers zu übertragen, ist vom Wortlaut bereits nicht gedeckt. In tatsächlicher Hinsicht ist nicht erklärbar, inwiefern derjenige, der keinerlei unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug besitzt, als Kraftfahrzeugführer qualifiziert werden soll. Vor allem ein Blick auf § 316a Abs. 1 StGB, der die Führer von Kraftfahrzeugen unter Schutz stellt, offenbart, dass es sich dem (strafrechtlichen) Terminus nach nicht um eine beliebige, sondern um eine im oder zumindest in unmittelbarer Nähe zum Fahrzeug befindliche Person handeln muss.21 Dies resultiert auch aus der Pflichtenstellung des Fahrzeugführers. Dieser entspringen Aufgaben, die über die primären Führungstätigkeiten hinausgehen, gleichwohl aber nur bei Anwesenheit im oder am Fahrzeug bewältigt werden können. Dies betrifft etwa § 11 Abs. 3 StVO, der bei einem Verzicht auf den Vorrang in besonderen Verkehrslagen eine Verständigung voraussetzt. Dies ist etwa beim Aufeinandertreffen von 4 Fahrzeugen an einer 2-achsigen Kreuzung unter der Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO (rechts-vor-links) der Fall. Eine Verständigung ist dabei nur möglich, wenn sich die Beteiligten über das weitere Verhalten eindeutig und schlüssig einigen.22 Dies setzt, solange das automatisierte Fahrzeug keine entsprechenden Kommunikationsmodalitäten besitzt, noch eine menschliche Teilhabe voraus. Ähnliches gilt für § 15 S. 2 StVO, der dazu verpflichtet, ein liegengebliebenes Fahrzeug mindestens mit einem auffällig warnenden Zeichen gut sichtbar in ausreichender Entfernung zu sichern. Zwar überträgt § 15 S. 2 StVO diese Pflichtenstellung nicht ausdrücklich dem Fahrzeugführer. Dieser kann das hoch- oder vollautomatisierte Fahrzeug aber nicht selbst nachkommen; sie ist nur von einem Menschen erfüllbar. Ungeachtet dessen scheitert die Zulassungsfähigkeit wohl auch an den Zulassungsvoraussetzungen des § 1a Abs. 2 S. 1 StVG. Voraussetzung dessen ist nach Nr. 3 StVG die manuelle Übersteuerungs- oder Deaktivierungsmöglichkeit des Fahrerassistenzsystems. Der Gesetzgeber verzichtete auf eine Kumulation und sprach sich für die Alternativität der Voraussetzungen aus. Eine jederzeitige Deaktivierbarkeit des Valet-Parkpiloten durch einen Tastendruck auf dem Fahrzeugschlüssel oder über das Smartphone ist zwar ohne Weiteres denkbar. Gleichwohl geht der Gesetzgeber, wie aus den Straßenverkehrsvorschriften insbesondere des Straßenverkehrsgesetzes, der Straßenverkehrs-Ordnung und der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung hervorgeht,23 von der Anwesenheit des Nutzers im oder zumindest in unmittelbarer Nähe des Fahrzeugs aus. So sieht § 1a Abs. 2 S. 1 Nr. 5 StVG vor, 20
BR-Drs. 69/17 v. 27. 01. 2017, S. 14. Siehe 8. Kap., Fn. 24. 22 BHHJ/Heß, StVO, § 11, Rn. 5. 23 Lutz/Tang/Lienkamp, NZV 2013, 57, 60; Gasser, DAR 2015, 6, 10 geht sogar darüber hinaus und erkennt etwa in § 1 Abs. 2 StVO u. § 41 Abs. 1 StVO die Pflicht zum menschlichen Fahrzeugführen verankert, sodass eine maschinelle Steuerung gesetzlich nicht vorgesehen sei. 21
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dass das Fahrerassistenzsystem das Erfordernis der eigenhändigen Fahrzeugsteuerung mit ausreichender Zeitreserve vor der Abgabe der Fahrzeugsteuerung an den Fahrzeugführer optisch, taktil oder sonst wahrnehmbar anzeigen muss. Freilich ist dies auch durch ein Fahrzeug möglich, welches sich nicht am Ort des Nutzers befindet, etwa durch die Vibration oder durch akustische Warnsignale des Fahrzeugschlüssels. Gleichwohl kann der Valet-Parkpilot nicht sicherstellen, dass der Nutzer seinen Fahrzeugschlüssel stetig bei sich führt. Zum anderen verlöre § 1a Abs. 2 S. 1 Nr. 5 StVG seine Funktion, soweit der Übernahmeaufforderung aufgrund der Abwesenheit des Fahrzeugführers nicht gefolgt werden kann. Der Gesetzgeber will derzeit auch schlicht noch nicht auf die Rückfallebene des menschlichen Fahrers verzichten. Eine ausdrückliche Anweisung des Gesetzes, dass sich der Nutzer in der Nähe oder im Fahrzeug aufhalten muss, fehlt dennoch.24 Insgesamt ergibt sich aus dem Wortlaut des (Kraft-)Fahrzeugführers als auch dessen in der Rechtsordnung verbrieften Pflichtenkreises eine Anwesenheitspflicht am oder im Fahrzeug. Damit ist der Valet-Parkpilot nach heutigem Rechtsstand nicht zulassungsfähig.
III. Der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer Der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer als eines der höchstentwickelten Fahrerassistenzsysteme der Automatisierungsebene 4 ist in der Lage, die gesamte Fahraufgabe zu bewältigen. Der Nutzer als Kraftfahrzeugführer gemäß § 1a Abs. 4 StVG fungiert lediglich als Rückfallebene für besonders gefahrträchtige Verkehrssituationen und Wetterlagen oder für die Steuerung in nicht für die automatische Steuerung freigegebenen Verkehrsbereichen. Im Regelfall kann der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer die üblichen Verkehrssituationen umfassend bewältigen. 1. Die Betätigungen Bezüglich der Aktivierung des Vollautomaten mit Verfügbarkeitsfahrer sind zwei verschiedene Szenarien zu unterscheiden: Das Aktivieren während der Fahrt und die Aktivierung im Stillstand. Beides wurde bereits bei den vormaligen Fahrerassistenzsystemen erörtert. Während die erste Situation der Aktivierung des Staupiloten gleicht (8. Kapitel, Gliederungspunkt B. I. 1. a)), gilt für das Aktivieren im Stillstand das zum Valet-Parkpiloten Ausgeführte (8. Kapitel, Gliederungspunkt B. II. 1.).
24 Aus Art. 8 Abs. 1 WÜ […] einen Führer haben […] schlussfolgert etwa Ternig die Anwesenheitspflicht des Führers im Fahrzeug; eine mittelbare Anwesenheit würde seiner Ansicht nach auch mit der subjektiv-historischen Auslegung des WÜ nicht übereingehen: Ternig, zfs 2016, 303, 304.
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8. Kap.: Rechtliche Würdigung der Anwendungsfälle automatisierten Fahrens
Aufgrund der Anwesenheit eines Kraftfahrzeugführers gemäß § 1a Abs. 4 StVG kann dieser auch während der automatisierten Fahrt der Führungstätigkeit nachkommen, ohne auf den Fahrprozess einzuwirken. Hierzu gilt das beim Staupiloten Erörterte (8. Kapitel, Gliederungspunkt B. I. 1. b)). Während der Nutzung des Vollautomaten ist damit die Übernahme der Betätigungen, die mit der Befassung der Verkehrs- und Umweltbedingungen einhergehen, möglich. 2. Der Fahrprozess Die Unterscheidung zwischen der Aktivierung im Fahrbetrieb als auch im Stand hat ebenfalls bei der Bewertung des Definitionsmerkmals der Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erheblichen Veränderung des Fahrprozesses seine Auswirkung. Während die Aktivierung – wie beim Staupiloten – dem Bereich der sekundären Fahraufgaben angehört, ist dieselbe Tätigkeit im Stillstand, wie beim Valet-Parkpiloten, dem Bereich der tertiären Fahraufgaben zuzuordnen. In beiden Fällen scheitert eine Verwirklichung der Führungstätigkeit mangels Einwirkung auf die primären Führungsaufgaben am Merkmal des Fahrprozesses. Einzig für den Fall der (missbräuchlichen) Anwendung in unvermeidbaren Situationen, wie sie beim Staupiloten beschrieben wurde, kann die Aktivierung als primäre Fahraufgabe bewertet werden. 3. Das Dienen/Die Verantwortung Nur für den Fall der missbräuchlichen Anwendung als Notbremsassistent oder unter der parallel-redundanten Ausübung der Führungstätigkeit während der automatisierten Fahrt müssen die Definitionsmerkmale des Dienens, also der Zielgerichtetheit und der einschränkenden Verantwortung betrachtet werden. Die Ausführungen zum Staupiloten erlangen auch hier aufgrund der Identität der Anwendungsfälle Geltung (8. Kapitel, Gliederungspunkt B. I. 3. und 4.). 4. Ergebnis zum Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer Auch während der automatisierten Fahrt ist, identisch zum Staupiloten, die Verwirklichung der Tathandlung des Führens möglich. Eine Strafbarkeit nach §§ 315c Abs. 1 und 316 Abs. 1 StGB ist damit grundlegend eröffnet. Bezüglich des Nachweises der Übernahme der Führungstätigkeit, vor allem nach § 316 Abs. 1 StGB, ist jedoch anders als beim Staupiloten eine erhöhte tatsächliche Hürde gegeben. Wird der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer im Stand aktiviert und während der automatisierten Fahrt nicht deaktiviert oder übersteuert, was über eine Datenauslese nach § 63a Abs. 2 StVG ermittelbar ist, müssen die Strafverfolgungsbehörden dem Fahrzeugführer die Befassung mit primären Fahraufgaben
B. Rechtliche Würdigung der Use-Cases
341
nachweisen. Allein aus dem Antreffen des Fahrzeugführers im Fahrzeug kann auf eine vormalig vorgenommene Fahrzeugführung nicht geschlossen werden. Zu denken bleibt zuletzt an den Zwiespalt, dem ein im fahruntüchtigen Zustand befindlicher Fahrzeugführer ausgesetzt ist, wenn dieser nach der ausschließlich automatisierten Fahrt von Polizeibeamten angehalten wird. Um dem Haltewunsch Folge leisten zu können, müsste der Fahrzeugführer gemäß § 1a Abs. 4 StVG die Fahrzeugführung übernehmen, was ihm jedoch gemäß § 316 Abs. 1 StGB unter Strafandrohung untersagt ist. Die Übernahme der Steuerung ist aber auch nicht notwendig. Als Fahrerassistenzsystem der Stufe 4 ist der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer in der Lage, selbst in den risikominimalen Zustand überzugehen. Der sichere Stillstand wird dann vom Fahrerassistenzsystem selbst hergestellt. Nutzt der Fahrzeugführer diese Funktion, führt er das Fahrzeug nicht. Der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer ermöglicht es dem Fahrzeugführer damit ohne eine einzige Führungsbetätigung den Fahrprozess aufzunehmen, aufrecht zu erhalten und zu beenden. Die Nutzung eines Vollautomaten mit Verfügbarkeitsfahrer ist deshalb durch einen Fahruntüchtigen nicht unzulässig. Sowohl § 24a Abs. 1 StVG als auch § 316 Abs. 1 StGB verlangen das Führen als Tathandlung. Führt der Kraftfahrzeugführer nach § 1a Abs. 4 StVG das Fahrzeug zu keinem Zeitpunkt, liegt keine Tatverwirklichung vor. Anderes gilt nur für Fahranfänger nach § 24c Abs. 1 StGB. Demnach handelt ordnungswidrig, wer in der Probezeit oder vor Vollendung des 21. Lebensjahres als Führer eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr alkoholische Getränke zu sich nimmt oder die Fahrt antritt, obwohl er unter der Wirkung eines solchen Getränkes steht. Durch die Bezugnahme des § 24c Abs. 1 StVG auf den Führer eines Kraftfahrzeugs unterfällt auch der (fiktive) Kraftfahrzeugführer des § 1a Abs. 4 StVG dieser Regelung. Hingegen knüpfen die §§ 24a Abs. 1 StVG, 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316 Abs. 1 StGB an der Vornahme der Tathandlung des Führens und nicht an der Eigenschaftszuschreibung des (Kraft-)Fahrzeugführers gemäß § 1a Abs. 4 StVG an. Daraus resultiert, dass sich Fahranfänger bei der alkoholisierten Nutzung eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems, auch wenn sie zu keinem Zeitpunkt selbst die manuelle Fahrzeugführung übernahmen, gemäß § 24c Abs. 1 StVG ordnungswidrig verhalten. Eine Strafbarkeit nach § 316 Abs. 1 StGB ist aber auch bei diesen mangels Erfüllung der Tathandlung nicht möglich. Ob dieses Ergebnis, vor allem vor dem Hintergrund der „ersten Erprobung“ hochund vollautomatisierter Systeme und der Tatsache, dass der Fahrzeugführer nach § 1a Abs. 4 StVG als Kontroll- und Eingriffsinstanz verbleiben soll, richtig sein kann, obliegt der Entscheidungskompetenz des Gesetzgebers. Aus § 1b Abs. 1 2. HS StVG lässt sich kein ausdrückliches Alkoholverbot oder eine Promille-Grenze herleiten. Ebenso ist eine Gleichstellung zwischen der Eigenschaftszuschreibung des Kraftfahrzeugführers und der Tathandlung des Führens, wie begründet dargestellt, nicht vorzugswürdig.
342
8. Kap.: Rechtliche Würdigung der Anwendungsfälle automatisierten Fahrens
IV. Das autonome Fahrzeug ohne Verfügbarkeitsfahrer Nur der Vollständigkeit halber muss der letzte, nicht von der BASt-Kategorisierung umfasste Automatisierungsgrad, das autonome Fahrzeug, betrachtet werden. Die bisher dargelegten Erörterungen finden auch bei diesem Anwendung, sodass keine Abweichungen zu erwarten sind. Freilich ist ein solches Fahrzeug heute nicht zulassungsfähig. Dies belegt schon der Gesetzestext des § 1a Abs. 2 StVG, der ausschließlich von hoch- und vollautomatisierten Fahrzeugen spricht. Zudem verlangen Art. 8 Abs. 1 WÜ als auch § 1a Abs. 4 StVG einen zumindest in räumlicher Nähe zum Fahrzeug befindlichen Kraftfahrzeugführer. Eine wie im Use-Case beschriebene Nutzung als fahrerloses Kurier- oder Transportfahrzeug wäre deshalb ausgeschlossen. Insofern ist dieses Szenario als hypothetisch anzusehen. 1. Die Betätigungen Freilich sind auch beim autonomen Fahrzeug Betätigungen der Fahrzeugführung möglich. Auf deren Fortbewegungserfolg kommt es nicht an. Entsprechend gilt das zu den Betätigungen während der automatisierten Fahrt Erörterte auch hier. Die Aktivierung des autonomen Fahrzeugs stellt hingegen keine Betätigung dar, da diese stets im Stand und unabhängig von den Verkehrs- und Umweltbedingungen geschieht. Das beim Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer Gesagte gilt auch hier. 2. Der Fahrprozess Anders als bei allen anderen Fahrerassistenzsystemen existieren beim autonomen Fahrzeug keine Stelleinrichtungen, die dem Nutzer einen Eingriff auf den Fahrprozess erlauben. Selbst wenn sich dieser Betätigungen zur Führung widmet, können diese mangels Existenz von Stelleinrichtungen niemals die Qualität als primäre oder sekundäre Führungsaufgabe erlangen. Sie besitzen keine Auswirkungen auf den Fahrprozess. Die Deaktivierung des Fahrzeugs ist gleich den Erörterungen zum Vollautomaten mit Verfügbarkeitsfahrer keine Einwirkung auf den Fahrprozess. Selbst wenn diese unter der Befassung mit dem Verkehrs- und Umweltgeschehen erfolgen sollte, wird der risikominimale Zustand durch systemgenerierte Impulse eingeleitet und ausgeführt. Die Deaktivierung hat mithin keine Wirkung auf die primäre Führungsaufgabe, die weiterhin vom System ausgefüllt wird. 3. Ergebnis zum autonomen Fahrzeug ohne Verfügbarkeitsfahrer Mangels der Möglichkeit, auf die Aufnahme, Aufrechterhaltung oder erhebliche Veränderung des Fahrprozesses einzuwirken, fehlt es den Insassen eines autonomen Fahrzeugs an der tatsächlichen Möglichkeit, primäre und sekundäre Führungsauf-
B. Rechtliche Würdigung der Use-Cases
343
gaben zu bewältigen. Selbst wenn diese Betätigungen, die sich als Befassung mit der Führungsaufgabe darstellen, vornehmen, kann darin kein strafrechtlich relevantes Verhalten erkannt werden. Diese können auf den Fahrprozess nicht einwirken. Tatbestände, die das Führen als Tathandlung beinhalten, können von Insassen autonomer Fahrzeuge nicht verwirklicht werden. Dies führt ebenso zu dem beim Vollautomaten mit Verfügbarkeitsfahrer beschriebenen Ergebnis, dass nur die Tatbestände, die den Kraftfahrzeugführer in Bezug nehmen, eröffnet sein können. An dieser Stelle bleibt sicherlich zu bedenken, dass eine Gefahrschaffung mangels Einwirkungsmöglichkeit jedoch zu keinem Zeitpunkt ernsthaft besteht. Insofern ist fraglich, ob beim autonomen Fahrzeug noch ein (fiktiver) Fahrzeugführer im Sinne des § 1a Abs. 4 StVG notwendig ist bzw. existieren kann.
9. Kapitel
Ergebnis der Untersuchung Die vorliegende Arbeit hat sich den Führungsdelikten nicht primär aus einer juristischen, sondern kognitionspsychologischen, mithin tatsächlichen Sichtweise angenähert. Ausgangspunkt waren nicht juristische Dogmen, sondern die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Bewältigung der Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung. Diese Herangehensweise erlaubte eine (juristisch) neutrale Anwendung des klassischen Auslegungskanons, um das rechtlich-inhaltliche Substrat der Tathandlung des Führens herauszufiltern. Die bisher etablierte Definition, die überwiegend an äußeren Zustandsmerkmalen anknüpft und ihr Gepräge aus Einzelfällen erhielt, wird bei den nun zulassungsfähigen hoch- und vollautomatisierten Fahrzeugen an ihre Grenzen stoßen. Weitere kasuistische Definitionsmerkmale werden nur zu weiteren Anwendungsschwierigkeiten führen, sodass ein Verhaften an der etablierten Definitionspraxis nicht zielführend erscheint. Die vorgestellte neutrale (Neu-)Betrachtung des Führens ist mithin notwendig, um eine rechtssichere und einheitliche Anwendung des Tatbestandsmerkmals des Führens für die Zukunft gewährleisten zu können. Wie aus der arbeitspsychologischen Analyse der Arbeitsaufgabe der Kraftfahrzeugführung im 2. Kapitel hervorgeht, liegt das Gewicht deren Bewältigung in der mentalen Verarbeitung der verkehrserheblichen Informationen. Der Schwerpunkt der (Kraft-)Fahrzeugführung ist also nicht in der physischen Umsetzung der Stelleingriffe, sondern in den diesen vorgelagerten mentalen (frühen und zentralen) Prozessen zu erkennen. Ein Pedal treten kann schlicht ausgedrückt jeder – deshalb führt er noch lange kein Fahrzeug im (arbeitspsychologischen) Sinn. Das Führen erfolgt durch sensorische Prozesse hin zur kognitiven Verarbeitung – vorwiegend über die (unbewusste) Anwendung mentaler Modelle, wobei Erwartungen, Annahmen, Wissen und motivale Prozesse jede Steuerungsentscheidung mit beeinflussen. Der Informationsverarbeitungsprozess beansprucht bei der Fahrzeugführung die meisten mentalen Ressourcen. Die Vornahme der Stelleingriffe steht hingegen „lediglich“ als (wahrnehmbares) Ergebnis am Ende der Aufgabenbewältigung. Deren physische Vornahme stellt für den Fahrzeugführenden kaum eine Belastung dar. Aus der Analyse der Erfüllung der Arbeitsaufgabe der (Kraft-) Fahrzeugführung ging zudem kein Anhaltspunkt hervor, dass die Bewältigung der Führungsaufgabe einen Bewegungsvorgang voraussetzt. Inwiefern der Rechtsprechung und einem Großteil der Literatur nach die Tätigkeit des Führens erst mit dem
9. Kap.: Ergebnis der Untersuchung
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Anrollen der Räder verwirklicht sein soll,1 ist nicht nachvollziehbar. Sowohl die mentalen als auch physischen Aufgaben der Führungstätigkeit schlagen sich schließlich nicht stets in einer konkreten Bewegung wieder.2 Anders formuliert, bewältigt der stillstehende (Kraft-)Fahrzeugführende die Arbeitsaufgabe unter gleichen mentalen und physikalischen Leistungsanforderungen wie der in Bewegung Befindliche. Die Wertung des Bundesgerichtshofs, ein stehendes Fahrzeug bedürfe nicht der Beherrschung durch einen Fahrzeugführenden,3 ist deshalb leicht – und unter Hinweis auf die Rechtsprechung zum § 316a Abs. 1 StGB4 – durch das Beispiel der Führung eines Automatikfahrzeugs zu widerlegen. Die Fahraufgabe wird auch von demjenigen ausgeübt, der das Fahrzeug gezielt im Stillstand hält. Vor allem aber sind auch Situationen der Bewegungslosigkeit nicht gänzlich frei von Führungshandlungen. Der Informationsverarbeitungsprozess dauert auch über Stillstandzeiten hinaus an und beginnt regelmäßig (weit) vor dem ersten Bewegungsvorgang, sodass bereits vor dem Anfahren die Führungstätigkeit (umfassend) wahrgenommen wird. Neben dem Bewegungserfordernis brannte sich das Dogma des „aktiven Fahrzeugführers“ in der Judikatur ein. Entsprechend standen in den ersten Jahrzehnten der Rechtsprechung als auch heute die wahrnehmbaren physischen Verrichtungen, etwa das Lenken und die Handhabung der technischen Vorrichtungen, im Vordergrund der Betrachtung. Resultat dessen wird die Übernahme der Führungstätigkeit durch Abgabe mündlicher Weisungen bis heute kategorisch abgelehnt. Obwohl mittlerweile ein Umdenken einsetzt, scheint sich die Rechtsprechung, wie aus der zitierten Fahrlehrerentscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2014 anschaulich hervorgeht, nicht gänzlich von der Vorstellung des aktiven Fahrzeugführers lösen zu wollen. Führender ist und bleibt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs derjenige, der auf dem Fahrersitz Platz nimmt und – wie auch immer – Steuerungsvorrichtungen bedient. Schließlich führe auch der Fahrlehrer nur dann das Kraftfahrzeug, wenn er selbst „in die Ausbildungsfahrt eingreift“.5 Beim automatisierten Fahren kann diese Auslegungspraxis keinen Raum fassen. Anknüpfungsfähig ist zwar, dass nur der aktive Fahrzeugführende das Fahrzeug führt und nicht die Person, der von Gesetzes wegen diese Eigenschaft zugesprochen wird. Es ist mithin Aufgabe der Rechtsprechung festzustellen, ob der Betroffene sich dieser Aufgabe widmete, nicht, ob sich das Fahrzeug bewegt oder ob dieser physische Stelleingriffe vornahm. Denn selbst letztere bieten für sich genommen keine Gewähr dafür, dass diese aus der Bewältigung der Führungsaufgaben herrühren. Die Wahrnehmung der Tathandlung des Führens muss wieder Kern der Betrachtung werden. 1
Siehe 6. Kap., Fn. 149. Vgl. OLG Koblenz VRS 46 (1974), 352, 352. 3 U. a. BGHSt 35, 390, 393 f.; BGH, B. v. 20. 05. 1969 – 1 StR 159/69, zitiert in Martin, DAR 1970, 113, 113. 4 Siehe 7. Kap., Fn. 87. 5 BGHSt 59, 311, 313, m. Anm. Gübner, NJW 2015, 1124. 2
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9. Kap.: Ergebnis der Untersuchung
Die weitere, mit dem nächsten Technologiefortschritt, dem automatisierten bis hin zum autonomen Fahren, aufkommende Fragestellung, ob die Führungsdelikte der §§ 315c und 316 StGB überhaupt in ihrer heutigen Form weiter von Bestand sein können, kann bejaht werden. Nicht die Tatbestandsausgestaltung, sondern die Auslegung und Anwendung des tathandlungsbeschreibenden Tatbestandsmerkmals des Führens respektive des Fahrens ist die Stellschraube, die von der Justiz und Rechtslehre gedreht werden muss. Im Strafgesetzbuch ist, anders als in anderen Straßenverkehrsgesetzen, eine einheitliche Terminologie angelegt, die die vorgeschlagene und strafrechtlich vorzugswürdige verhaltensgebundene Anwendung nahelegt. Führender und (statusrechtlicher) Fahrzeugführer muss mithin nicht zwingend dieselbe Person sein. Ersichtlich wird dies aus §§ 44 Abs. 1 S. 2 und 69 Abs. 1 S. 1 StGB, in welchen sich die Systematik der §§ 315c Abs. 1 und 316 Abs. 1 StGB einfügt. Dabei muss aber stets berücksichtigt werden, dass nach §§ 315c Abs. 1 und 316 Abs. 1 StGB die Vornahme der Tathandlung, das Führen, nicht die Übertragung der Fahrzeugführereigenschaft, strafbar ist. Diese Unterscheidung muss zukünftig exakt erfolgen. Dazu kann die hier vorgeschlagene Definition, die zum Teil der etablierten Definitionspraxis entspricht, dieser aber auch deutlich widerspricht, ihren Teil beitragen. Gleichwohl ist die Legislative damit nicht „aus dem Schneider“. Der Novellierungsbedarf des Gesetzgebers ist im außerstrafrechtlichen Bereich, etwa §§ 24a Abs. 1 sowie 2 und 24c Abs. 1 StVG als auch den hier außer Betracht gelassenen § 21 Abs. 1 StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis), welche, mit Ausnahme des § 23c Abs. 1 StVG, nur durch die Überdehnung Ihres Wortlauts auf das automatisierte und autonome Fahren anwendbar sind, zu sehen. Stilblüten wie die sprachliche Divergenz zwischen § 24a Abs. 1 und § 24c Abs. 1 StVG sollten beseitigt werden. Dies würde zu einer begrüßenswerten gesetzesübergreifenden einheitlichen Anwendung der verkehrsrechtlichen Termini beitragen. Die Neuerungen des 8. Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, etwa die Fiktion des Kraftfahrzeugführers über § 1a Abs. 4 StVG, genügen dafür sicherlich nicht. Freilich steht es dem Gesetzgeber auch nach der hier vertretenen Ansicht frei, das flankierende Sanktionsrecht zu erweitern oder an die Situation anzupassen. Fragen nach einem Alkohol- und Drogenverbot eines Fahrzeugführers nach § 1a Abs. 4 StVG stellen sich ebenso, wie eine Sanktion der Beraubung der Wahrnehmungsfähigkeit gemäß § 1b Abs. 1 1. HS StVG. Bisher ist keine Vorschrift ersichtlich, die den (fiktiven) Kraftfahrzeugführer eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystems nach § 1a Abs. 4 StVG unter Strafandrohung verpflichtet, stets Wahrnehmungsbereit zu bleiben und nicht etwa zu schlafen. Ebenso wenig sollte diesem Problem über die angesprochene unechte Unterlassungsstrafbarkeit begegnet werden.
Anhang 1
Nomenklatur der Automatisierungsstufen nach dem Standard SAE J3016
Anhang 2
Technische Umsetzung des automatisierten Fahrens A. Hardwarekomponenten So unterschiedlich und umfassend die Einsatzbereiche automatisierter Systeme auch sein mögen, sie beruhen alle auf derselben technischen Grundlage. Auch moderne Fahrerassistenzsysteme greifen zum Teil auf altbewährte Technologien und Algorithmen zurück.1 Allen immanent ist der Einsatz von Sensoren,2 Kameras und/ oder Radarsystemen, die dem automatisierten System erst die maschinelle Wahrnehmung ermöglichen.3 Nur durch Scannen, Messen, Wägen und andere maschinelle Registrierungen4 kann die Maschine die zur Steuerung notwendigen Umgebungsinformationen erfassen. Freilich liegen zwischen den „einfachen“ Fahrerassistenzsystemen wie der (adaptiven) Geschwindigkeitsregelanlage und dem autonomen Fahrzeug mehr als nur ein paar Sensoren und Kameras.5 Die zurzeit verfügbare Technologie genügt gegenwärtig nicht, um ein dauerhaft sicheres autonomes Fahren auf öffentlichen Straßen unter allen erdenklichen Verkehrs- und Umweltbedingungen zu gewährleisten.6 Die Fusion und Auswertung aller Sensorinformationen eines Fahrzeugs stellt sich als äußerst rechenintensiver Vorgang dar, der mit heutigen Hardwarekomponenten und bekannten Algorithmen nicht durchgängig zuverlässig ausgeführt werden kann.7 Schließlich sind die den automatisierten Systemen in Kraftfahrzeugen zur Verfügung stehenden Rechenleistungen begrenzt. Faktoren wie die verfügbare Energieversorgung, Größe und Gewicht der Hardwarekomponenten als auch ökonomische Belange wie etwa eine effiziente Datenverarbeitung schränken die Möglichkeiten der Fahrzeughersteller ein. Zugleich stellt sich die Entwicklung 1
Vgl. Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 3. Weiterführend zur Sensorik in automatisierten Fahrerassistenzsystemen vgl. Kap. 15 bis 19 in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, S. 221 ff. 3 Dietmayer, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 20.1, S. 420; Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 121. 4 Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 122. 5 Natürlich reichen die in modernen Serienfahrzeugen mit teilautomatisierten Fahrerassistenzsysteme verbauten Sensoren keinesfalls aus, um ein vollautomatisiertes oder autonomes Fahren sicher zu ermöglichen. Mit wachsendem Automatisationsgrad steigen in quantitativer wie qualitativer Hinsicht die Anforderungen an die Sensor-, Kamera- und Radartechnik als auch Programmierung; vgl. Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 23. 6 Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 7. 7 Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 30. 2
A. Hardwarekomponenten
349
effizienter Algorithmen als besondere Herausforderung dar.8 Entsprechend sind Autohersteller zwar bereits heute in der Lage, ihre Fahrzeuge mit teil-, hoch- oder vollautomatisierten Fahrerassistenzsystemen und gar einzelne Prototypen mit autonomen Fahrerassistenzsystemen auszustatten. Serienreife autonome Fahrerassistenzsysteme sind aber noch nicht absehbar. Die vorhandenen hoch- wie vollautomatisierten Fahrerassistenzsysteme sind hingegen auch heute noch auf die Existenz einer „Rückfalloption“,9 den menschlichen Fahrer, angewiesen.10 Die Basis für ein sicheres autonomes Fahren ist damit aber geschaffen. Grundlegende Aufgabe der im automatisierten Fahrzeug verbauten Hardware ist die physikalische Ermöglichung der „Wahrnehmung“ durch das System und die Informationsverarbeitung derselben. Dabei stehen den Automobilherstellern verschiedene Sensoren-, Kamera- und Radarsysteme zur Verfügung, die eine Erfassung der Umgebung für das automatisierte Fahrerassistenzsystem ermöglichen.11 Im Folgenden wird deren Arbeits- und Anwendungsweise kurz dargestellt und aufgezeigt, wie das Fahrzeug die Umgebungs- und Verkehrsinformationen gewinnen kann.
I. Digitalkamera Die Technik der Digitalkamera ist uns aus dem Bereich der Fotographie vertraut und wird auch im Automobil nicht neu erfunden. Gleichwohl gestattet nur die Verwendung von Stereokamerasystemen – ähnlich wie zur Aufnahme eines 3DFilms und analog des menschlichen visuellen Sinneskanals – dem Fahrerassistenzsystem ein dreidimensionales, räumliches Sehen.12 Der Anwendungsbereich dieser Systeme ist aufgrund der – hinter dem menschlichen Auge weit zurückbleibenden – Auflösung und dem ebenfalls geringen Dynamikbereich13 sehr begrenzt. So liefern Stereokameras u. a. bei starkem Gegenlicht, sich plötzlich verändernden Lichtverhältnissen, spiegelnden Fahrbahnen und bei Dunkelheit nicht zuverlässig brauchbare Bilder.14 Sie kommen entsprechend als ergänzende (Sicherheits-)Einrichtung in Betracht und können die übrige Sensorik unterstützen, jedoch keinesfalls allein die maschinelle Wahrnehmung15 sicherstellen. 8
Zum Gesamten Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 24. Wolf, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 6.2.1, S. 105. 10 Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 9. 11 Siehe Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 19. 12 Siehe Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 19. 13 Der Dynamikbereich (auch unter dem Begriff des Kontrastumfangs bekannt) bezeichnet die Differenz zwischen dem hellen und dunklen Helligkeitswert, also das Spektrum, innerhalb dessen zwischen hellen und dunklen Bereichen im Bild ein Unterschied feststellbar ist: vgl. Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 19 f. 14 Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 20. 15 Dietmayer, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 20.1, S. 420; Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 121. 9
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Anhang 2: Technische Umsetzung des automatisierten Fahrens
Ein allein auf Digitalkameras basierendes selbststeuerndes Fahrerassistenzsystem, welches nicht allein zur Abwehr von Gefahrensituationen, also als Notbremssystem fungiert, ist bisher nicht realisierbar. Heutzutage werden Digitalkameras daher überwiegend zur Unterstützung des Fahrers, etwa als Rückfahrkamera oder zur Fußgängererkennung, verbaut.16
II. Nachtsichtsysteme (Infrarotsichtsysteme) Grundlegend existieren mehrere technische Systeme, sog. Nachtsichtsysteme, die in der Dunkelheit mehr Informationen erfassen können als das menschliche Auge.17 Dies sind u. a. Restlichtverstärker, Nah- und Ferninfrarotsysteme, die – ohne ins Detail abzugleiten – im Folgenden kurz beschrieben werden. Restlichtverstärker wandeln durch einen Photodetektor geringe Lichtintensitäten in einen Elektronenstrom um, der vom System verstärkt und über einen grünen Bildschirm an den Nutzer sichtbar ausgegeben werden kann. Während dieses System eine überwiegende militärische Anwendung findet, ist es in Kraftfahrzeugen aufgrund der Vielzahl an Lichtquellen im Straßenverkehr, die ebenfalls vom System verstärkt werden und das Bild überstrahlen, was die Bildinformation weitestgehend unbrauchbar macht, kaum verbreitet.18 Entsprechend kommen in zivilen Fahrzeugen überwiegend Infrarotsysteme zu Einsatz. Nahinfrarotsysteme arbeiten aktiv und senden Infrarotstrahlung im Wellenbereich zwischen 800 bis 1100 Nanometer aus. Damit wird der Bereich vor dem Fahrzeug fernlichtartig ausgestrahlt. Das von den angestrahlten Objekten reflektierte Infrarotlicht wird dann von einer Infrarotkamera erfasst, dem Assistenzsystem weitergeleitet und/oder über ein Schwarz-Weiß-Abbild für den Fahrer sichtbar gemacht. Im Ergebnis arbeitet das Nahinfrarotsystem mittels Reflexion. Gleichwohl wird auch das Nahinfrarotsystem durch hohe Lichtintensitäten, etwa durch Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge, beeinträchtigt, sodass nur ein überstrahltes Bild erfasst werden kann.19 Ferninfrarotsysteme, auch als Thermo- oder Wärmebildsysteme bezeichnet, nutzen als passiv ausgestaltete Systeme die sog. Planck’sche Strahlung, die praktisch jedes Objekt ausstrahlt. Erfasst wird diese von Thermo- bzw. Wärmebildkameras am Fahrzeug. Eine eigene „Beleuchtung“ benötigen Ferninfrarotsysteme nicht. Auch diese Systeme erzeugen – wie das Nahinfrarotsystem – ein Schwarz-Weiß-Bild, welches dem Fahrerassistenzsystem und/oder dem Fahrer zur Verfügung gestellt 16
Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 19. Khanh/Huhn, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 44, S. 832 f. 18 Khanh/Huhn, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 44, S. 833. 19 Zum Gesamten Khanh/Huhn, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 44, S. 833 f.: Der Dynamikbereich moderner Infrarotkamerasysteme reicht noch nicht aus, um eine Überstrahlung des Bildes vermeiden zu können. 17
A. Hardwarekomponenten
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werden kann. Beeinträchtigungen sind kaum zu erwarten, gleichwohl das eingefangene Bild kein detailreiches ist (so werden u. a. Beschriftungen von Straßenschildern als auch Fahrbahnmarkierungen sehr schlecht erfasst). Anders als das Nahinfrarotsystem, welches auf der Basis der Messung der Reflexionsintensität beruht, stellt das Ferninfrarotsystem die Wärmeabstrahlung von Objekten dar. Sind beim Nahinfrarotsystem die Objekte mit der höchsten Reflexion vorgehoben, sind es beim Ferninfrarotsystem die in der Umgebung Wärmsten. Der Vorteil des Ferninfrarotsystems liegt in seiner geringen Störanfälligkeit und seiner Sichtweite von ca. 300 Metern.20
III. Lidar-Sensorik Ein Lidar-Sensor ist in aller Regel ein rotierender, laserbasierter Entfernungsmesser, der die Umgebung zentimetergenau abmessen kann. Mit hoher Geschwindigkeit werden in festen Winkelschritten Laserstrahlen ausgesandt, die an festen Objekten der Umgebung reflektieren und mittels Zeitdifferenz zwischen Aussendung und Empfang eine Abstandsbestimmung zulassen. Je nach Bauart und der verwendeten Rotationseinheiten kann aus den Werten eine zwei- oder dreidimensionale Punktwolke – also ein punktuelles Abbild der Umgebung – erzeugt werden.21 Aufgrund der hohen Reflexionsrate – selbst kleinste Partikel reflektieren das Laserlicht – ergibt sich ein hochauflösendes Abbild der Umgebung. Die Reichweite des Lidar-Sensors ist aber beschränkt, sodass diese ausschließlich das Nahfeld erfassen können. Zudem wird deren Einsatz durch Witterungsverhältnisse eingeschränkt, da sowohl Nebel, Schnee- und Regenfall als auch eine starke Staubentwicklung Reflexionen hervorrufen, die die Erstellung eines zuverlässigen Abbilds der Umgebung beeinträchtigen können. Gleichfalls sind Fehlmessungen, sog. Kantenschüsse, nicht auszuschließen, da aus dem breiten Laserbereich die zur Entfernungsbestimmung erfassten Punkte stets gemittelt werden. Zuletzt kann das Laserlicht durch den Infrarotlichtanteil des Sonnenlichts gestört werden, woraus bei hoher Tageslichtintensität Fehlmessungen resultieren können. Gleichwohl ist der Lidar-Sensor zur Nahfelderfassung ein effektives System.22
IV. Radarsensorik Als weiteres effektives System zur Umfelderfassung können Radarsensoren eingesetzt werden. Diese senden innerhalb eines Frequenzbereichs von 76 bis 20 Zum Gesamten Khanh/Huhn, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 44, S. 833 ff. 21 Zum Gesamten Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 20. 22 Siehe Anhang 2, Fn. 21.
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Anhang 2: Technische Umsetzung des automatisierten Fahrens
77 Gigahertz Millimeterwellen aus, die ebenfalls wie beim Lidarsensor an Partikeln der Umgebung reflektieren. Aus der Zeitdifferenz zwischen der Entsendung und des Empfangs der reflektierten Millimeterwellen kann das Computersystem die Entfernung zu Objekten ermitteln. Zudem kann mithilfe des Radarsensors unter Nutzung des Dopplereffekts die Geschwindigkeit des reflektierenden Objekts bestimmt werden.23 Die Radarsensoren können in Kombination mit den Lidar-Sensoren ein umfassendes Bild der Umgebung zeichnen. Radarsensoren liefern zwar deutlich unschärfere Werte und bieten eine vielfach geringere Winkelauflösung. Dementgegen ist die Reichweite von Radarsensoren ungleich höher und die Witterungsanfälligkeit erheblich geringer. Dies macht deren Einsatz selbst bei schwierigen Witterungsverhältnissen wie Schnee- oder Regenfall, Nebel oder starken Staubaufwirbelungen ohne Weiteres möglich.24 Radarsensoren werden entsprechend schon heute bei den vielverbreiteten adaptiven Geschwindigkeitsregelanlagen25 eingesetzt.26
V. Ultraschall-Sensorik Als weiterer Baustein der maschinellen Wahrnehmung27 stehen Ultraschallsensoren zur Verfügung. Mittels Entsendung und Empfang von reflektierten Ultraschallwellen kann das System Abstände zu Objekten bestimmen. Der Anwendungsbereich dieser Technik ist überschaubar. Die Genauigkeit der Entfernungsbestimmung als auch die Winkelauflösung ist im Gegensatz zu den übrigen Systemen sehr gering und die Reichweite auf das Nahfeld von wenigen Metern begrenzt. Gleichwohl kommen diese Sensoren, eingelassen in die Stoßstange, Kotflügel und/oder den Rahmen des Kfz-Nummernschilds, bei den verbreiteten Parkassistenten als auch bei der den Fahrzeugführer ohne jede Steuerungstätigkeit unterstützenden „Park-Distanz-Control“-Systemen zum Einsatz.28
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Zum Gesamten siehe Anhang 2, Fn. 21. Zum Gesamten siehe Anhang 2, Fn. 21. 25 Auch „Distronic-System“ oder „adaptive cruise control“ (ACC) genannt, die unter Vorgabe einer voreingestellten Geschwindigkeit unter eigenständiger Verminderung der Geschwindigkeit den gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug einzuhalten und zur anschließenden Beschleunigung auf das gewünschte Tempo fähig sind. 26 Siehe Anhang 2, Fn. 21. 27 Dietmayer, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 20.1, S. 420; Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 121. 28 Zum Gesamten Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 20 f. 24
A. Hardwarekomponenten
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VI. Odometer Odometer sind in der Lage, Drehbewegungen von Rädern zu bestimmen. Die in diesen integrierten Inkrementalgeber können durch die Erfassung der Radumdrehungszahl die Fahrstrecke der einzelnen Räder, mithin Kurvenfahrten, erkennen.29 Die Messwerte werden regelmäßig bei fehlendem Schlupf, also durchdrehenden oder rutschenden Rädern, gestört.30 Eingesetzt wird diese Technik seit Jahrzehnten beim bekannten ABS,31 welches das Blockieren der Räder beim Verzögerungsvorgang unterbindet als auch beim ESP,32 welches ein Ausbrechen des Fahrzeugs in Kurven durch Initiierung einzelner Bremseingriffe an einzelnen Rädern verhindert.
VII. Drehratensensorik Mittels der Messwerte des Drehratensensors wird dem System die Feststellung der Beschleunigung in Bezug auf alle drei räumlichen Achsen ermöglicht. Diese Sensoren sind neben den Odometern Standard in modernen Automobilen. Sie ermöglichen das Ausbrechen des Fahrzeugs zu erkennen.33
VIII. Global Positioning System (GPS) Des Weiteren ist das satellitengestützte GPS zu benennen. Die freie Sicht auf mehrere Satelliten vorausgesetzt, kann das System aus den Signallaufzeiten zwischen mindestens 4 Satelliten seine Position berechnen.34 Die Genauigkeit der Ortbestimmung ist bis auf wenige Meter genau, wobei die Genauigkeit mit der Anzahl an Referenzstationen – also sichtbaren Satelliten – steigt.35 Breite Anwendung findet das GPS in heutigen Navigationssystemen. Gleichwohl ist aufgrund der lediglich auf wenige Meter beschränkten Genauigkeit eine spurgenaue Ortsbestimmung nicht möglich.36 Hinzu kommt, dass Häuserwände, Tunnel und andere Umgebungsobjekte die freie Sicht auf die Satelliten stören, sodass vor
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Zum Gesamten: Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 21. Mörbe, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 15, S. 228; Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, S. 21. 31 Deutschle, SVR 2005, 249, 251. 32 Deutschle, SVR 2005, 249, 251. 33 Zum Gesamten siehe Anhang 2, Fn. 29. 34 Kleine-Besten/Kersken/Pöchmüller/Schepers/Mlasko/Behrens/Engelsberg, in: Winner u. a., Handbuch Fahrerassistenzsysteme, Kap. 15, S. 1051 f. 35 Siehe Anhang 2, Fn. 29. 36 Siehe Anhang 2, Fn. 29. 30
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Anhang 2: Technische Umsetzung des automatisierten Fahrens
allem in Städten keine dauerhaft zuverlässige Ortsbestimmung gewährleistet werden kann.37
IX. Externe Datenübermittlung Zuletzt können Fahrerassistenzsysteme auf externe Datenübermittlungen – etwa über Funk – zurückgreifen. Bekannt ist dies bei den Trafic Message ChannelEmpfängern (TMC) von Navigationsgeräten, die über Radiowellen Verkehrsinformationen erhalten und die Routenberechnung entsprechend anpassen. Im Rahmen der Übertragung digitaler Karten und anderer Verkehrsinformationen kann dem Fahrerassistenzsystem ein weiterer Informationskanal – bspw. mit Informationen zu Kurvenradien und Fahrstreifenverläufen – eröffnet werden.38 Jedoch ist das Fahrerassistenzsystem bei der Bereitstellung dieser Datensätze auf eine bestehende Funkverbindung angewiesen, die an abgelegenen oder abgeschirmten Orten (bspw. Tunneln) nicht stets gewährleistet werden kann. Entsprechend ist dieser Informationskanal als zusätzliche Informationsquelle, nicht aber als Hauptinformationsgeber, geeignet.
B. Softwareumsetzung Allein die maschinelle Wahrnehmung39 der Umgebung genügt freilich nicht, um automatisiertes Fahren zu verwirklichen. Darüber hinaus muss das Fahrerassistenzsystem die gewonnenen Umgebungsdaten „geeignet interpretieren und daraus kontinuierlich sichere Handlungen ableiten und ausführen [können]“.40 Teil eines jeden automatisierten Fahrerassistenzsystems, wie auch eines jeden modernen Automobils, ist neben den physischen Entitäten der Mechanik und Elektronik eine Softwareimplementierung. Erst eine ausgereifte Softwareumsetzung als rein logische Entität ermöglicht die Umsetzung des automatisierten Fahrens.41 Dies realisieren effiziente Algorithmen, die in einem ersten Schritt sämtliche gewonnenen Umgebungsinformationen der verschiedenen Sensor-, Kamera-, Radarund sonstigen Messsysteme miteinander in Verbindung setzen (sog. Sensorfusion42)
37 BASt-Berichte, Fahrzeugautomatisierung, S. 34; vgl. Wagner, in: Oppermann/StenderVorwachs, Autonomes Fahren, S. 20. 38 Vgl. Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 122. 39 Dietmayer, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 20.1, S. 420; Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 121. 40 Dietmayer, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 20.1, S. 420. 41 Zum Gesamten Johanning/Mildner, in: Volker/Mildner, Car IT kompakt, Kap. 5.2, S. 78. 42 Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 122.
B. Softwareumsetzung
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und ein dynamisches Fahrzeugumfeldmodell43 erstellen. In einem zweiten Schritt werden die in Echtzeit übermittelten externen Datensätze (Informationen über Verkehrsschilder, Mittelinseln, Bordsteine, Fahrbahnmarkierungen, Verkehrssituationen etc.) mit den vom Fahrzeug selbst verarbeiteten Umgebungsinformationen abgeglichen und ein maschinelles Szenenverständnis entwickelt.44 Mithilfe einer ebenfalls einprogrammierten Situationsprädiktion wird dem Fahrerassistenzsystem daraufhin die Berechnung verschiedener zeitlicher Entwicklungen, sog. Episoden, ermöglicht.45 Eine zuverlässige Prädiktion – eine „Vorausschau“ des Systems – ist aber zeitlich auf wenige (wohl nicht mehr als zwei bis drei) Sekunden begrenzt.46 Das Fahrerassistenzsystem „weiß“ sozusagen, wo es sich befindet und was auf dieses „zukommen könnte“. In einem dritten Schritt muss die Programmierung aus dem so gewonnenen dynamischen Fahrzeugumfeldmodell47 und den erkannten Episoden entlang der einprogrammierten Algorithmen die erforderlichen Steuerungsimpulse berechnen.48 Im Rahmen einer übergeordneten Handlungsplanung49 werden verschiedene Führungsmöglichkeiten bestimmt. Unter Abgleich der verschiedenen Handlungsoptionen wird daraufhin die sicherste und/oder komfortabelste Variante vom System entlang seines Algorithmus ermittelt und entsprechend angewandt. Die vorgenannten Schritte werden im Rahmen der Programmierung fortlaufend und simultan, also mit der sensorischen Erfassung schritthaltend, ausgeführt. An seine Grenzen stößt das System, wenn der Algorithmus für die erkannte Verkehrssituation keine Lösungsmöglichkeit vorsieht. Ist dies der Fall, versagt das Fahrerassistenzsystem.50 Besondere Beachtung fand deshalb in den letzten Jahren die Programmierung „lernender“ Maschinen51. Maschinen haben schließlich keine eigene Intuition52 und können nicht aufgrund eigner Erfahrungen von sich aus neue Lösungsstrategien über Ihre Programmierung hinaus entwickeln. Dieses Manko soll durch Algorithmen, die selbst neue Lösungsstrategien zu entwickeln fähig sein sollen – sich sozusagen selbst fortschreiben – gelöst werden. Erste erfolgsversprechende Ansätze sind aus der Robotik bereits bekannt.
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Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 122. Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 123. 45 Siehe Anhang 2, Fn. 44. 46 Dietmayer, in: Maurer u. a., Autonomes Fahren, Kap. 20.1, S. 421; Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 123. 47 Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 122. 48 Vgl. Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 122. 49 Siehe Anhang 2, Fn. 44. 50 Zum Gesamten Minx/Dietrich, Autonomes Fahren, S. 122 f. 51 Siehe Anhang 2, Fn. 43. 52 Siehe Anhang 2, Fn. 43. 44
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Stichwortverzeichnis 2. Strafrechtsreformgesetz 261, 269, 290 7 Todsünden des Straßenverkehrs 121, 124, 167, 211, 305, 309, 318, 321 – Sperrwirkung 154 8. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes 95, 110, 297, 346 ABS 32 (Fn. 1), 35, 65 (Fn. 56), 353 Abwendungsbefugnis 67, 266, 297 Adaptive Cruise Control 62 Aktiver Fahrer (Dogma) 33, 95 ff., 112, 175, 234, 266, 345 Algorithmus 349, 354 f. Alkoholverbot 201 f., 299, 341 f., 346 Allgemeindelikt 115, 117, 119 f., 166, 316 Allgemeine Verkehrsgefahr 286 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten 86 f. Amtsträger, Begriff 180 Analogie 145, 182 Anschaffungskosten 83, 84 (Fn. 54) Anwendungsfälle siehe Use-Cases Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung 41, 51, 65 ff., 170, 178, 187, 189 ff., 195, 222, 229 ff., 233, 241 f., 327, 344 f. – wissenschaftliche Analyse 186, 344 Arbeitsgedächtnis siehe Gedächtnis ASR 65 (Fn. 56) Assistiertes Fahren 61, 211 f. Augenblicksversagen 319 Ausbildungsfahrt siehe Fahrschulausbildung Auslegung 110 ff., 146, 179 ff., 322, 345 – historische ~ 159 f., 168 f., 202 f., 213 ff. – klassische ~ 177 ff., 345 – normspezifische ~ 206 – Systematik 196 ff., 206 ff. – teleologische ~ 223 ff., 236 f., 282 – teleologische Reduktion 226, 276 – Wortlaut 115, 128, 132, 160 f., 179 ff., 189 ff., 192, 194, 202, 242, 280 – Wortlautgrenze 216
Außenweltveränderung siehe unter Erfolg Äußere Gesetzgebungstechnik 200 Autobahnassistent siehe Stauassistent Autobahn-Chauffeur 61, 63 Autobahnpilot 63, 319 Automatisierung 28 – Technik 29 – Transportsysteme 55 Automobilclub 88 f. Automobilverbote 93, 218 f. Autonomes Fahren 56, 58, 60, 70, 76 ff., 111, 211, 342 f., 348 f. – Anforderungsprofil an den Fahrer 76 f. – Definition 76 – technischer Stand 77 Bahnführungsebene 38 ff., 51, 65, 70, 74 ff., 187 f., 192, 234, 239, 331, 336 Begleitetes Fahren 303 ff., 309 f. Beifahrer 130, 151, 155 f., 166, 169, 230, 234, 305 – durch Unterlassen 305 f. – Entscheidungen 153 ff., 175, 239 Beihilfe 305 f., 310 – physische ~ 305 Beinahe-Unfall 250, 328 Beistandspflicht siehe Solidaritäts- und Beistandspflicht Besonderes persönliches Merkmal 117 Bestimmtheitsgebot 137, 163, 180, 313 Bestimmungsmacht 100, 225, 228 f. Betätigungen 177 f., 189 ff., 232 ff., 237 ff., 325, 327, 330 f., 334 f., 339 f., 342 – kurzzeitig 135 Betäubungsmittelgesetz 182 Bewegungselement 135 ff., 173 ff., 178, 183, 195, 226, 245 ff., 279, 281, 318, 322, 327, 344 f. Beweisschwierigkeiten 147, 245 f. Bier-Bike 134 Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung 147 f.
Stichwortverzeichnis Black-Box siehe Speicherungspflicht von Zeit- und Positionsdaten Boot siehe Motorboot Carl Benz
28, 78
Datenspeicher siehe Speicherungspflicht von Zeit- und Positionsdaten Dauerdelikt 138 f., 142, 175, 306 f., 310 Dauertätigkeit 138 ff., 157 f., 171 f., 232, 240 ff., 294 Dienen 17, 232, 235, 242, 325, 332 Dilemma-Situation 29, 94 Drehratensensorik 353 Drei-Ebenen-Modell 38, 46 ff., 187 Dynamisches Element siehe Bewegungselement Dynamisierung des Begriffsverständnisses 220 ff. Eigenhändigkeit 115, 117, 126 ff., 153 f., 157 f., 162, 164 ff., 252 ff., 265 f., 322 – Definition 252 ff. – Wortlaut der Norm 255 Einflussgrößen der Fahrzeugführung 33 ff. Einheit der Rechtsordnung 150, 158, 161, 163, 206 Einheit der Terminologie 197 Eisenbahn 27, 79 ff., 84 Emotionale Belastung 52 Entledigung der Führung siehe unter Führen Entsprechensklausel siehe unter Unterlassen Erfolg 260, 267 ff., 277, 282 ff. – Auslegung 274 ff. – Außenweltveränderung 270 ff., 278 ff., 286 ff., 289 f. – Begriff 267 ff. – enges Verständnis 268 ff., 276 f. – Erfolgselement 246 – Erfolgsunwert 251, 280 – Handlungserfolg 226, 240 – restriktiv-weites Verständnis 273, 276, 278, 281, 307 – Tatbestandslehre 268, 270, 276 – weites Verständnis 271 ff., 276 f., 279 Erfolgsort 270, 277 Erster Weltkrieg 91 f. ESP 32 (Fn. 1), 35, 65 (Fn. 56), 353
375
Fahranfänger 163, 202, 341 Fahraufgabe siehe Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung Fahraufgaben 34 ff., 187 ff. – Bewältigung 41 – Klassifikation 36 ff. – primär 36, 53, 54 (Fn. 147), 59 f., 76, 187 f., 191 f., 234 f., 239, 251 f., 331, 326, 338, 341 ff. – sekundär 36 f., 53, 54 (Fn. 147), 59 f., 76, 187 ff., 234, 251, 338, 340 ff. – tertiär 36 ff., 54 (Fn. 147), 187, 252, 293, 336, 340 Fahren 122 f., 144, 185, 201, 203, 212 f., 249, 290, 293 f., 318, 346 – Abgrenzung 122 f., 211 ff. – Begriff 96 Fahrer 145 – als Regelkreisfaktor 33 ff., 35, 41, 285 – Begriff 111 Fahrerassistenzsysteme 59 ff. – Anwendungsgrenzen 319 f. – Aufsichtspflicht 209 – Definition 59 f. – fahraufgabenbezogene ~ 59 – Fehlfunktion 288, 298 ff., 309 – hoch- und vollautomatisierte ~ 28, 96, 108 f., 111 f., 121, 152, 158, 172, 178, 195, 208 f., 222, 230, 234, 251, 266, 287 f., 292 ff., 296 ff., 307 ff., 319 ff., 326, 330, 338, 344, 346, 349 – hochautomatisierte ~ 61, 63, 66 ff., 70 – Initialisierung 189, 211 – Kategorisierung 57, 60 ff. – Serienreife 28 – teilautomatisierte ~ siehe Teilautomatisation – vollautomatisierte ~ 62 f., 68 ff., 70, 334 Fahrerflucht siehe Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort Fahrerlaubnis 79, 93, 101 f., 161, 218, 258 – Eignung zum Führen 102 Fahrermodelle 46, 50 Fahrlässigkeit 146, 243 f., 320 Fahrlehrer 131 ff., 140 f., 148, 157 f., 166 f., 170 f., 231, 240, 309 f., 345 – Entscheidung 140, 150 ff., 206 f., 239, 345
376
Stichwortverzeichnis
– Fiktion als Führer 100, 103, 149, 162, 164, 208 – Privilegierung 150 ff. – Schutzaufgabe 152 Fahrprozess 177 f., 187, 228 ff., 232 ff., 238 ff., 293, 325, 331, 336 f., 340, 342 Fahrrad 79, 156, 213 Fahrschulausbildung 96 – Übungs- und Ausbildungsfahrten 96, 100, 148, 153, 309 f., 345 Fahrschüler-Ausbildungsordnung 167 Fahruntüchtigkeit 140 f., 151 f., 165, 169, 226 f., 257 f., 264, 279, 283, 285, 309, 323 Fahrverbot 123, 128 Fahrvorbereitende Handlungen 105, 136 f., 233, 246, 247, 337 Fahrzeug 186 – Akzeptanzprobleme 84 – als Regelkreisfaktor 33 ff., 41, 54, 285 – festgefahren 173, 227 f. Fehlverhalten, menschlich 34 Fertigkeitsbasierende Ebene 47 f., 51, 53, 194 Finales Element 142 ff., 174, 192, 194, 211 ff., 228, 234, 242 ff., 246, 294 Fließbandarbeit 85 Fortbewegungswille 99, 143, 163, 228 (Fn. 249), 235, 245, 294 ff., 315 Führen 112 ff., 176 ff., 201 ff., 249, 278 ff., 289 ff., 327, 345 – Abgrenzung 122, 221 f. – als Regelungsaufgabe 33, 42, 65, 189 ff., 241, 293 – Auslegung 112 ff., 125 ff., 147 ff., 179 ff., 201 ff., 213 ff., 282, 322 – Beendigung 137, 172, 246 f. – Beginn 103, 172 – Begriff 96 ff., 111, 207 – Definition 32, 112, 125 ff., 336, 344 – Definitionsvorschlag 176 ff., 226, 232 ff., 237 ff. – durch Unterlassen 289 ff. – Entledigung 151 f., 158, 266, 288, 291 f., 307, 328 ff. – Mit-sich-Führen 156 ff. – redundant-parallel 66, 340 – subjektives Tathandlungselement 178, 256, 264, 291, 315, 332
– Tatherrschaft beim ~ 263 f. – Teilung 99 f., 134 f., 153, 214, 229 Führer (Kraftfahrzeugführer) 101, 104, 201 ff., 337 ff., 346 – Abgrenzung 221 – Auslegung 113 ff., 125 ff., 201 ff. – Begriff 91, 96 ff., 111, 207, 209, 212 – Definition 32, 125 ff., 205 – Fiktion 100, 103, 161 f., 266, 298 ff., 309, 319, 323, 340 ff., 346 – Pflichtenkanon 102 ff., 114, 163, 172, 203, 208 f., 221, 224 f., 309, 338 f. – (Status-)Eigenschaft 172, 197, 204 Führerschein(-pflicht) 88, 104, 161 Führungsaufgabe siehe Arbeitsaufgabe der Fahrzeugführung Führungsgrößen 40 Garant 124, 274, 278, 287, 295 ff., 320 f., 330 – Beschützergarant 301 ff., 314, 321 – Fahrlehrer 304, 309 f. – Gefahrquellenverantwortung 295, 297 – gegenüber Ehegatten 301 f. – gegenüber Jugendlichen 303 f. – gegenüber Kindern 302 f., 309 – Ingerenz 124, 300 f., 310 (Fn. 644) Gedächtnis 46 – Arbeitsgedächtnis 45, 48 – echoisches ~ 45 – ikonisches ~ 45 – Kurzzeitgedächtnis 48 (Fn. 122) – Langzeitgedächtnis 48, 50 Gefährdungsdelikt 249 – abstraktes ~ 174, 226, 236, 248, 267 ff., 277 ff., 293, 317, 329 – abstrakt-konkretes ~ 277 – Gefährdungsvorsatz 250, 318, 320 – konkretes ~ 249, 267, 288, 293 Gefährdungshaftung 93, 161, 218, 296 Gefährdungsminimierung 284 Gefahrenkorridor 283, 285, 289 – abstrakter ~ 287, 295 Gemeingefährliche Straftaten 199 f. Geschwindigkeitsregelanlage 62, 132, 348, 352 (Fn. 24) Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen siehe Kraftfahrzeuggesetz
Stichwortverzeichnis
377
Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs 214 Gesetzgeber 95 – nachkonstitutionell 97, 202 f. – vorkonstitutionell 96, 99, 147, 221 f., 230 f. Gesinnung 190 Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund von 1869 86 f. Gewöhnungsphase 82 GPS 353 f.
Kasuistische Rechtsprechung 110, 121, 146, 322, 344 Kategorisierung(-sprozess) 44 f. Kennzeichenpflicht 79, 88, 93, 218 Kleinstaaterei 90 Kognition siehe Informationsverarbeitung Komfortsysteme 38 Konkurrenzen 141 Kraftfahrzeuggesetz 91 ff., 96, 98, 100 f., 105 ff., 133, 185, 214, 216 ff., 296 Kurzzeitgedächtnis siehe Gedächtnis
Haftreibung 67 Haftung 107, 136, 162 – Haftpflicht 79, 162 Halten, verkehrsbedingt 141 Halter 130, 135 (Fn. 141) Halterverantwortlichkeit 305, 315 Handlungsunrecht 253 Handlungsunwert 251, 254, 257 f. Hardware 348 ff. Höchstpersönliche Vertrauensstellung 119, 169 Human Machine Interface 33
Längs- und Querführung 36, 40, 61, 65 f., 74, 234 f., 326, 328 Langzeitgedächtnis siehe Gedächtnis Legaldefinition 180 Leitziele (politisch) 29 – historisch 85 Lenken 37, 125, 127 f., 133, 153, 160, 168, 192, 206, 345 Lernfähigkeit 48 f. Lidarsensoren 351
116,
Inbetriebnahme 79, 105 ff., 315 Inbetriebsetzen 96 f., 107 Informationsverarbeitungsprozess 41 ff., 170, 189 ff., 233, 237 ff., 241 f., 252, 256, 264 f., 328, 332, 335, 344 – Informationsabgabe 37, 43, 53 f., 190 f., 192, 238, 329 – Informationsaufnahme 43 ff., 59, 190, 192, 238, 240 (Fn. 282) siehe auch Wahrnehmung – Informationsverarbeitung 43, 45 ff., 59, 190, 192, 240 Infotainmentsysteme 38 Infrarotsichtsysteme siehe Nachtsichtsysteme Ingebrauchnahme 145, 193, 197, 210 ff. Ingerenz siehe unter Garant Inneres Rechtssystem 197 ff., 202 Ist-Werte 34, 39 f., 241 f. Kaiserreich 90 Kamera 348 ff. Karl Benz siehe Carl Benz
Maßregel der Sicherung und Besserung 114, 128, 346 Mensch-Maschine-System 41, 43 Mentale Befassung 43, 238, 345 Mentale Modelle 48 ff., 344 Minimalrisikolösung 276, 279, 281 Mittäterschaft siehe unter Täterschaft Mittelbare Täterschaft siehe unter Täterschaft Motorboot 129, 147 ff., 238 Motorik siehe Informationsabgabe Motorrad 82 Motorsport 84 Mündliche Anweisungen 128 ff., 149, 151 ff., 166, 170 f., 186, 193, 229 ff., 238 f., 264 f., 345 – Weisungsgebundenheit 99 f. Musterverordnung für den allgemeinen Straßenverkehr 92 Nachtrunk 322, 333 Nachtsichtsysteme 350 f. Nähebeziehung 116 Navigationsebene 38 f., 51, 70, 74 ff., 187, 336
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Stichwortverzeichnis
Navigationssysteme siehe GPS Nomenklatur BASt 58 ff., 342 Notbremsassistent 32 (Fn. 1), 35 Objektive Führungsgrößen siehe Ist-Werte Objektive Strafbarkeitsbedingung 270 f. Odometer 353 Omnissio libera in causa 279 Ordnungswidrigkeit 148 f., 153, 163, 202 Parkassistent 62, 334 ff., 352 Parkautomat siehe Valet-Parken Partybike 134 Patent-Motorwagen 28, 78, 81 (Fn. 22) Pervertierung des Straßenverkehrs 155 Pflichtdelikte 165 (Fn. 307), 253 f., 258 (Fn. 371) Politik 85 Polizeibehörden 75, 77, 86 f. Polizeiliche Verordnungen siehe Straßenordnung Preußisches Gesetz über die Polizeiverwaltung von 1850 85, 87 Prozesse siehe auch Informationsverarbeitungsprozess – automatisierte ~ 52 – bewusstseinspflichtige ~ 43, 48 f., 52 – frühe ~ siehe Informationsaufnahme – späte ~ siehe Informationsabgabe – unbewusst 47 ff. – zentrale ~ siehe Informationsverarbeitung Publicum 81 f., 88 Querführung siehe Längs- und Querführung Radarsystem 348, 351 f. Reaktionszeiten 53 f., 286 Reduktion 44 f. Reflexmechanismus 50 Regelbasierende Ebene 47 ff., 51 Regelkreis der Fahrzeugführung 33 ff., 54 f., 285, 288 Regelungsprozess siehe Führen als Regelungsaufgabe Reichsgericht 81 f. Reichsgesetzgeber 27, 90 f., 214 Reiz-Reaktions-Mechanismus 47, 51 Relativität der Rechtsbegriffe 161 ff.
Response-Konflikt 52 Rettungskräfte 75, 77 Richter, Begriff 180 Risikominimaler Zustand 62, 64, 65 (Fn. 57), 67 f., 73, 75 f., 308, 337, 341 f. Rückfallebene 65 f., 163, 339, 349 Rücksichtnahmegebot 88, 90 Rudergänger 147 SAE J3016 58 (Fn. 16), 347 Safe-exit siehe Risikominimaler Zustand Schädigungsvorsatz (bedingter) 155, 316 Schlupf siehe Haftreibung Schutzzweck 169, 282 – der Straßenverkehrsdelikte 120, 135 f., 156 f., 166, 224 ff., 231, 236, 243, 245, 280, 283 f., 313 – des Straßenverkehrsrechts 161 Selektion 44 f. Sensoren 348 Sensorfusion 354 f. Sensorische Speicher 44 f. Sicherer Stillstand siehe Risikominimaler Zustand Sicherheit des Straßenverkehrs 118, 265, 289, 317 Sicherheitsvorschriften 88 ff. Sinnesorgane 44 Sinnesprozesse siehe Wahrnehmungsprozesse Sinnesrezeptoren 45 Software 354 f. Solidaritäts- und Beistandspflicht 296, 313 f. Soll-Werte 34, 39 f., 192, 241 ff. Sonderdelikt 101, 114 ff., 158 ff., 165 ff. Sonderdeliktstheorie 115 ff. – Telos 118 – Wortlaut 117 Sozialadäquanz 285, 303 f. Soziale Kosten 83, 93 Speicherungspflicht von Zeit- und Positionsdaten 209, 294, 333, 341 Sprachgebrauch 179 ff., 194, 211, 222 Stabilisierungsebene 38, 40, 51, 65, 70, 74, 187 f., 192, 234, 239, 331 Stauassistent 61, 63, 326 ff. – Aktivierung 327
Stichwortverzeichnis
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– Anforderungsprofil an den Fahrer 71 – Definition 70 f., 157 – mit Verfügbarkeitsfahrer 70 – technischer Stand 71 Staupilot siehe Stauassistent mit Verfügbarkeitsfahrer Straßenbahn 80, 82, 85 Straßenordnung 82, 88, 90, 94, 97 – Berliner ~ 87 f., 90, 92 Straßenverkehrsgesetz 67 Straßenverkehrs-Ordnung 167, 207 f. – Reichsgesetzgeber 92 Straßenverkehrsrecht 76 ff. – Entstehung 86 ff. – Vereinheitlichungsbestrebungen 88, 90 ff. Subjektive Führungsgrößen siehe Soll-Werte Subjektives Element siehe finales Element Synthese 44 f. Systemgrenzen 66 – Überschreitung 71
Übungsfahrt siehe Fahrschulausbildung Ultraschall-Sensorik 352 f. Umwelt als Regelkreisfaktor 33 ff., 41, 55 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort 104 Unfallzahlen 83, 87, 89 Unterhaltskosten 83 Unterlassen 265 ff., 294 ff., 330, 333 – abgestuftes Vorgehen 292 – Abgrenzung Tun und Unterlassen 288 ff. – Deliktstypus 312 ff., 317 – doppelrelevante Verhaltensweisen 290 f. – Entsprechensklausel 289, 311 ff. – Erfolg 278 ff., 301, 310 – Modalitätenäquivalenz 312, 317 – Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit 291 f. – Schwerpunktformel 291 f. – Täterschaft 305 f. – unechtes 124, 266 ff., 285, 318, 346 – Zumutbarkeit 306 ff., 310 Unternehmensdelikt 122, 137 Use-Cases 68 f., 325 ff.
Tandem 229 Täterschaft 127, 167 f., 259 ff., 316 f. – beim Unterlassen 305 f. – funktionelle Tatherrschaft 262 f. – Mittäterschaft 127, 167, 265 – mittelbare ~ 127, 133, 261 f., 265, 316 f. – Tatherrschaftslehre 166, 172, 255, 258 ff., 265, 316 – Tatherrschaftswille 262 – Zurechnung 253, 259 ff., 264 Tätigkeitsdelikt 117, 174, 237, 248, 253, 268 ff., 278 ff., 289, 311 ff. – erfolgsverbundenes ~ 275 (Fn. 501) Teilautomatisierung 61, 63, 65, 349 Teilnahme am Verkehr 115, 143, 146 (Fn. 211), 225 (Fn. 236), 247 (Fn. 305) Telematik 60 Tempomat siehe Geschwindigkeitsregelanlage
Valet-Parken 72 ff., 334 ff. siehe auch Parkassistent – Anforderungsprofil an den Fahrer 71 f. – Definition 72 – technischer Stand 73 f. Vehicle-on-demand 76 Verantwortung 99, 103, 133, 163, 171, 296, 325, 332 – Allein- oder Mitverantwortung 133 – für den Fahrprozess 100 f., 108 f., 129, 132, 225 ff., 228 f., 232 – im Definitionsvorschlag 177 f., 232, 236 ff. – Wesentlichkeitsschwelle 133 ff., 234 f. Verfolgungsverjährung 270 f. – Beginn 270 f. Verhaltensforschung 41 Verhaltensgebundene Delikte 289, 311, 317 Verhaltensgleichwertigkeit siehe Entsprechensklausel Verkehrserziehung 88 f. Verkehrsfeindlicher Inneneingriff 154 ff., 169 Verkehrslenkung 88 Verkehrssicherung 88 Verkehrswegenetz 84
Übernahmeaufforderung 66 ff., 71, 75, 209, 297 f., 307 f., 319, 323, 339 – Orientierungsphase 67 f. – Vorlauf- und Übernahmezeit 66, 287, 297 Überwachungsaufgabe 65, 71, 74
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Verordnung über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen 91 Versuch 137, 247 ff. – Beginn 251 – Tatentschluss 250 – unmittelbares Ansetzen 250 f. Vertrauensstellung siehe Höchstpersönliche Vertrauensstellung Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer 74 ff., 339 ff. – Anforderungsprofil an den Fahrer 75 – Definition 74 f. – technischer Stand 75 f. Vollendung 137 f., 174, 246 ff., 281 – Beginn 251 Vollrausch 130 Vorfahrt 123 f. Vorsatz 193 (Fn. 77), 243 – dolus eventualis 320 – Gefährdungsvorsatz 250, 318, 320 Wahrnehmung 189 siehe auch Informationsaufnahme – akustische ~ 44 – haptische ~ 44 – maschinelle ~ 352
– Prozesse 41 – vestibulär 44 – visuell 44 Wahrnehmungsbereitschaft 68, 75, 298 ff., 308, 321 ff., 346 Wandel der Verhältnisse 219 ff., 231 Weisungsgebundenheit siehe Mündliche Anweisungen Wertungswidersprüche 198 Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr 209, 337, 342 Wirt 166 Wissensbasierende Ebene 47 ff., 51 Wortidentitäten 197 Zielgerichtete Tätigkeit 102, 135, 142 ff., 154, 177 f., 193 f., 226, 233, 235, 242 ff., 256 f., 291, 325, 329, 340 Zulassung 108, 342 – hoch- und vollautomatisierter Fahrerassistenzsysteme 110, 297, 337 f. Zustandsdelikt 139 Zweiter Weltkrieg 85, 92 Zweites Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs 207, 212, 222