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German Pages 293 Year 1996
SUSANNE BERGMANN
Der Schutz der Umwelt im französischen Recht
Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, BerHn
Band 73
Der Schutz der Umwelt im französischen Recht Eine Darstellung von Grundstrukturen privatrechtlichen, verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Umweltschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsverfolgungschancen Privater
Von
Susanne Bergmann
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Bergmann, Susanne:
Der Schutz der Umwelt im französischen Recht: eine Darstellung von Grundstrukturen privatrechtlichen, verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Umweltschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsverfolgungschancen Privater I von Susanne Bergmann. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 73) Zug!.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-08827-1 NE:GT
D 188 Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-08827-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 \9
In Erinnerung an meinen Onkel Karl-Olto Nickusch
Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 1995/1996 von dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt denen, die mich bei der Abfassung meiner Dissertation unterstützt haben. Zunächst Prof. Dr. Johann W. Gerlach, dem die Betreuung meiner Arbeit oblag, ferner Prof. Dr. Philip Kunig ft1r die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Prof. Dr. Michael Kloepfer danke ich ft1r die Aufnahme der Untersuchung in die Reihe "Schriften zum Umweltrecht". Prof. Jacqueline Morand-Deviller (Universite Paris I), Prof. Martine RemondGouilloud (Universite Paris I) sowie Prof. Jacques-Henri Robert (Universite Paris I) standen mir bei meinen Studien des französischen Rechts mit Rat zur Seite. Isabelle Cretaux danke ich im besonderen ft1r ihre stete Bereitschaft zu Austausch und Gespräch sowohl im Bereich des französischen wie auch im Bereich des deutschen Rechts. Ferner bin ich dem Land Berlin ft1r die Gewährung eines Promotionsstipendiums zu Dank verpflichtet. Meiner Familie und meinen Freunden danke ich ft1r die aufbauende persönliche Unterstützung während der Dauer der Untersuchung. Berlin, im Juni 1996 Susanne Bergmann
Inhaltsverzeichnis Einfilhrung ..................................................................................................................... 19 J. Teil Allgemeine Einführung in die Prinzipien und Strukturen des französischen Rechts
22
§ 1 Rechtsquellen ........................................................................................................... 22 § 2 Verwaltungsorganisation .......................................................................................... 24 § 3 Gerichtsorganisation ................................................................................................ 26 § 4 Prinzip der Gewaltenteilung ..................................................................................... 28 2. Teil
Privatrechtlicher Schutz bei Umweltbeeinträchtigungen .
30
§ 1 Überblick über die Systematik des privatrechtlichen Schutzes bei Umweltbeeinträchtigungen in Frankreich im Vergleich mit Deutschland ..................... 30 I. Frankreich ............................................................................................................ 30 11. Deutschland ......................................................................................................... 32 § 2 Haftungssystem ........................................................................................................ 34 I. Servitudes (Dienstbarkeiten) ............................................................................... 34 11. Deliktische und quasideliktische Haftung, Art. 1382, 1383 CC ........................ 35 III. Theorie des troubles de voisinage ...................................................................... 37 1. Begriff der voisinage ...................................................................................... 37 2. Art der Beeinträchtigungen ............................................................................. 38 3. Anorma/iti der Beeinträchtigung .................................................................... 39 IV. Gardien-Haftung ............................................................................................... 47 1. Allgemeine Voraussetzungen ......................................................................... 47 2. Anwendbarkeit im Nachbarrecht .................................................................... 48 V. Gesetzliche Gefllhrdungshaftung ....................................................................... 49 § 3 Rechtsschutzziele ..................................................................................................... 50 I. Anordnung der Einstellung und Unterlassung der Störung ................................ 50 1. Negatorischer Rechtsschutz durch die action negatoire ................................. 50 2. Negatorischer Rechtsschutz durch possessorische Klagen ............................. 51 a) Complainte ................................................................................................. 51 b) Denonciation de nouvel ceuvre .................................................................. 51 c) Reintegrande .............................................................................................. 52 d) Anwendbarkeit der Besitzschutzklagen bei Umweltbeeinträchtigungen .................................................................................................... 52 3. Negatorischer Rechtsschutz durch petitorische Ansprüche, insbesondere im Rahmen des Deliktsrechts ........................................................... 55 a) Grundsatz des pouvoir souverain d'appreciation ...................................... 55 b) Reserve des droits des tiers (Vorbehalt der Rechte Dritter) ....................... 56
10
Inhaltsverzeichnis
c) Das principe de separation des pouvoirs als Einschränkung des negatorischen Rechtsschutzes .............................................................. 57 d) Wirtschaftliche und soziale Faktoren als Einschränkungen des .................. . negatorischen Rechtsschutzes ................................................................... 60 4. Refere civil.. .................................................................................................... 62 11. Ausgleichsansprüche bei Versagung des Abwehranspruchs .............................. 62 III. Ersatz von ökologischen Schäden an Allgemeingütem ..................................... 64 § 4 Prozessuale Aspekte ................................................................................................. 65 I. [nteret et qualite ................................................................................................. 65 11. Beweiserleichterungen ....................................................................................... 67 III. Zwangsdurchsetzung der gerichtlichen Anordnung ........................................... 69 § 5 Vergleich mit dem deutschen privaten Umweltrecht ............................................... 70 I. Negatorischer Rechtsschutz ................................................................................ 70 l. § 1004 BGB .................................................................................................... 70 2. Duldungspflichten ........................................................................................... 71 a) § 906 BGB ................................................................................................. 71 aa) Begriff der Einwirkung ....................................................................... 72 bb) Merkmal der Wesentlichkeit und der anormalite ............................... 73 cc) Ortsüblichkeit und preoccupation collective ....................................... 77 dd) Verhinderung durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen ............... 80 b) Öffentlich-rechtliche Planungs- und Genehmigungsentscheidungen ........ 81 c) Gemeinwichtige Betriebe ........................................................................... 83 11. Ausgleichs- und Entschädigungsansprüche ....................................................... 84 1. Nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche ......................................................... 84 2. Deliktische Ansprüche .................................................................................... 86 3. Gefllhrdungshaftung........................................................................................ 87 III. Vergleichsergebnis der möglichen Anspruchsgrundlagen im Nachbarrecht... ... 89 IV. Schutz ökologischer Allgemeingüter ................................................................ 90 V. Verpflichtung zur Wiederherstellung ................................................................ 91 VI. Beweiserleichterungen ...................................................................................... 91 VII. Verbandsklagemöglichkeit ............................................................................... 94 3. Teil Verwaltungsrechtlicher Schutz bei Umweltbeeintrlchtigungen
95
§ 1 Strukturen des öffentlichen Umweltrechts in Frankreich ......................................... 95 I. Die klassischen Instrumente zur Bekämpfung von Umweltbeeinträchtigungen nach allgemeinem Ordnungsrecht ........................................................ 95 11. Überblick über die wichtigsten Umweltgesetze und deren Regelungsbereiche .............................................................................................................. 96 1. Naturschutzgesetz ........................................................................................... 97 2. Anlagengesetz ................................................................................................. 97 3. Gesetz zur Bekämpfung der Luftverunreinigung und der Gerüche .............. 101 4. Wassergesetze ............................................................................................... 102 5. Lännschutzgesetze ........................................................................................ 104 6. Weitere relevante UmweItgesetze ................................................................. 106 III. Raumplanungsrechtliche Vorschriften ............................................................. 108 IV. Berücksichtigung von Umweltbelangen in behördlichen Entscheidungen ...... 109
Inhaltsverzeichnis
II
I. "Mini-etude d'impact"................................................................................... 109 2. Notice d'impact ............................................................................................. 110 3. Etude d'impact .............................................................................................. 110 a) Die einer etude d'impact unterliegenden Projekte .................................... III b) Anforderungen an Inhalt und Form einer etude d'impact ........................ 113 c) Rolle der etude d'impact im Entscheidungsprozeß .................................. 115 d) Kontrolle der etude d'impact ................................................................... 116 § 2 Möglichkeiten des Bürgers und der Verbände zur Abwehr von Umweltbelastungen ............................................................................................................ 118 I. Mitwirkungsrechte und Einbeziehung der Bürger und Verbände im behördlichen Genehmigungsverfahren ........................................................ 118 I. Aktenzugangsrecht. ....................................................................................... 118 2. Debat public .................................................................................................. 122 3. EnquSte publique .......................................................................................... 123 4. Verbandsbeteiligung ..................................................................................... 125 11. Recours administratif ....................................................................................... 127 111. Mediateur ......................................................................................................... 127 IV. Gerichtlicher Schutz (recours contentieux) ..................................................... 131 l. Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ........................................................ 131 2. Klagearten ..................................................................................................... 132 a) Recours pour exces de pouvoir ................................................................ 133 b) Recours de pleinejuridiction ................................................................... 137 c) Das bisherige Fehlen einer Verpflichtungsklage ...................... :.............. 139 3. InterSt pour agir ............................................................................................ 140 a) InterSt pour agir beim recours pour exces de pouvoir .............................. 140 aa) Anforderungen an den interSt pour agir von Einzelpersonen .................................................................................................. 140 bb) Anforderungen an den interet pour agir von Verbänden ................. 142 b) Anforderungen an den interet pour agir beim recours de pleine juridiction des installations classees ............................................. 145 4. Klagefristen ................................................................................................... 146 5. Gerichtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen im Rahmen des recours pour exces de pouvoir ............................................................... 147 a) Der Ermessensbegriff............................................................................... 147 b) Kontrollintensität ..................................................................................... 149 6. Vorläufiger Rechtsschutz .............................................................................. 159 a) Caractere non suspensif des recours ........................................................ 160 b) Sursis Cl execution .................................................................................... 160 aa) Schwer wiedergutzumachender Schaden .......................................... 161 bb) Erfolgsaussichten der Hauptsache .................................................... 162 ce) Vollziehbarkeit des Administrativaktes ............................................ 163 dd) Ermessen des Richters ...................................................................... 164 ee) Aufhebung des sursis Cl execution ..................................................... 165 c) Die zwingende Vollzugsaussetzung im Rahmen spezialgesetzlicher Regelungen .................................................................................... 166 d) Refere administratif ................................................................................. 169 § 3 Verantwortlichkeit des Staates bei Umweltbeeinträchtigungen ............................. 169 I. Responsabilite pour faute de service ................................................................ 170
12
Inhaltsverzeichnis
11. Responsabilite sans faute .................................................................................. 171 1. Verantwortlichkeit des Staates rur dommages permanents des travaux publics ............................................................................................. 172 a) Begriff der travaux publics ...................................................................... 172 b) Merkmal der anormalite .......................................................................... 172 c) Merkmal der specialitti ............................................................................ 175 d) Auszugleichende Schäden ....................................................................... 176 2. Duldungspflichten ......................................................................................... 177 § 4 Vergleich mit dem deutschen öffentlichen Umweltrecht.. ..................................... 178 I. UmweltverträglichkeitsprUfung ........................................................................ 178 11. Zugang zu Informationen über die Umwelt ..................................................... 182 III. Mitwirkungsrechte und Verbandsbeteiligung .................................................. 186 IV. Der Konfliktmittler .......................................................................................... 189 V. Gerichtliche Durchsetzung ............................................................................... 191 1. Klagebefugnis ............................................................................................... 191 2. Kontrollintensität .......................................................................................... 198 3. Vorläufiger Rechtsschutz .............................................................................. 203 VI. Staatliche Verantwortlichkeit bei Umweltbeeinträchtigungen ......................... 206
4. Teil Strafrechtlicher Schutz bei Umweltbeeintrllchtigungen
212
§ 1 Strukturen des materiellen Umweltstrafrechts in Frankreich ................................. 212 § 2 Art. L. 232-2 Code rural.. ....................................................................................... 214
I. Schutzgut .......................................................................................................... 214 11. Verschmutzungsarten ....................................................................................... 216 III. Der subjektive Tatbestand des Art. L. 232-2 Code rural .................................. 217 § 3 Strafrechtliche Verantwortlichkeit in Betrieben und Unternehmen ....................... 218 § 4 Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Amtsträgern ............................................. 221 § 5 Verhältnis zwischen Umweltverwaltungs- und Umweltstrafrecht ......................... 223 § 6 RechtfertigungsgrUnde ........................................................................................... 224 § 7 Sanktionsmöglichkeiten ......................................................................................... 225 § 8 Struktur des umweltrechtlichen Strafprozesses unter besonderer BerUcksichtigung der action civi/e .................................................................................... 228 I. Funktionen der action civile ............................................................................. 229 11. Klagemöglichkeiten natürlicher Personen ........................................................ 230 1. Schutzzweck der umweltrechtlichen Strafnormen ........................................ 230 2. Rechtswidrigkeitszusammenhang ................................................................. 232 III. Klagemöglichkeiten juristischer Personen ....................................................... 233 1. Syndicats professionnels ............................................................................... 233 2. Associations ä but interesse .......................................................................... 233 3. Associations ä but desinteresse ..................... :............................................... 235 IV. Vorteile der action civile und ihre Bedeutung rur den Umweltschutz ............. 235 § 9 Vergleich mit dem deutschen Umweltstraf- und -strafprozeßrecht.. ...................... 237 I. Strukturen des materiellen Umweltstrafrechts .................................................. 237 11. Kausalitäts- und Verschuldensnachweis .......................................................... 240 III. Strafrechtliche Verantwortlichkeit in Betrieben und Unternehmen ................. 241 IV. Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Amtsträgern ....................................... 243
Inhaltsverzeichnis
13
V. VerknUpfung des Umweltstrafrechts mit dem Verwaltungsrecht... .................. 245 VI. Sanktionsmöglichkeiten ................................................................................... 246 VII. Prozessuale Strukturen .................................................................................... 247
5. Teil
Schlußbetrachtung
252
§ I Die Rechtsschutzmöglichkeiten ............................................................................. 252 § 2 Aktuelle Reformüberlegungen und Verbesserungsmöglichkeiten ......................... 257 § 3 Zusammenfassung .................................................................................................. 261 Literaturverzeichnis...................................................................................................... 263 Sachwortverzeichnis .................................................................................................... 291
Abkürzungsverzeichnis a.A. aaO ABI. AbfG Abs. AcP AG AGBG
AJ AJDA
AJPI aI. ALD Anm. AöR Art. AtomG AtomVtV Aufl. BauGB BauGBMaßnG BauNVO BauO BayVBI. BayVGH BBahnG BBergG Bd. BGB BGBI. BGH BGHZ BImSchG
BImSchV Bin BlnNatSchG
andere Ansicht am angebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Abfallgesetz Absatz Archiv für die civilistische Praxis Amtsgericht Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Actualit~ juridique Actualit~ juridique, droit administratif Actualit~ juridique, propri~t~ immobiliere alin~a
Dalloz Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Atomgesetz atomrechtliche Verfahrensverordnung Auflage Baugesetzbuch Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke Bauordnung Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bundesbahngesetz Bundesberggesetz Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen, durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundesimmissionsschutzgesetz) Verordnung zur Duchführung des BlmSchG Berlin Berliner Naturschutzgesetz
Actualit~ I~gislative
Abkürzungsverzeichnis BNatSchG BR-DS BremNatSchG BRS Bull.civ. Bull.crim. BT-DS BVerfGE BVerwGE
bzw. c
C.A. C.A.D.A. Cass.ch.reunies Cass.Civ. Cass.Crim. Cass.Req. CC C.E. chap. ch.corr. chron. C.J.E.G. CodeT.A. Code T.A.-C.A.A. C.P.E.N. C.P.P.
D.
D.A. Deb. ders. D.H. dies. DIT DÖV D.P. D.P.C.I. D.S. DVBI. EDF EG EGZPO Encycl. EuR
15
Bundesnaturschutzgesetz Bundesratsdrucksache Bremisches Naturschutzgesetz Baurechtssammlung Bulletin des arrets de la Cour de Cassation, chambres civiles Bulletin des arrets de la Cour de Cassation, chambres criminelles Bundestagsdrucksache Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise contre cour d'appel Commission d'acces aux documents administratifs Arret des chambres reunies de la Cour de cassation Arret de la chambre civile de la Cour de cassation Arret de la chambre criminelle de la Cour de cassation, Arret de la chambre des requetes de la Cour de Cassation Code Civil Conseil d'Etat chapter chambre correctionnelle chronique Cahiers juridiques de I'Electricite et du Gaz Code des tribunaux administratifs Code des tribunaux administratifs et cours administratives d'appel Code permanent environnement et nuisances Code de procedure penale Dalloz La revue administrative debats derselbe Dalloz, Recueil hebdomadaire dieselbe(n) Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung Dalloz, Recueil periodique Droit et pratique du commerce international Dalloz Sirey Deutsches Verwaltungsblatt Electricite de France Europäische Gemeinschaften Gesetz betreffend die Einführung der Zivilprozeßordnung Encyclopedie Europarecht
16
AbkUrzungsverzeichnis
f(ff)
folgende Seite(n) fascicule francs fran~ais Fluglärmschutzgesetz Fußnote Bundesfernstraßengesetz Goltdammer's Archiv Les grands arrc~ts du droit de l'urbanisme Gazette du Palais Gewerbearchiv Gewerbeordnung Grundgesetz Halbsatz Hamburgisches Naturschutzgesetz Handwörterbuch des Umweltrechts Hessisches Naturschutzgesetz Hessischer Verwaltungsgerichtshof herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz International Encyc10pedia of Comparative Law informations rapides im Sinn in Verbindung mit Jurisprudence Juris-c1asseur periodique (Semaine juridique) Journal ofticiel Juristische Rundschau Jurisprudence Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Legislative Landesbauordnung Landgericht Lindenmaier F./Möhring Ph., Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Les Petites Affiches Luftverkehrsgesetz Monatsschrift rur Deutsches Recht
fasc. FF FluglärmG Fn. FStrG GA G.A.D.U. Gaz.Pal. GewA GewO GG Halbs. HbmNatSchG HdUR HessNatSchG HessVGH h.M. Hrsg. Hs. I.E.C.L. inf.rap. i.S. i.V.m. J. J.C.P. J.O. JR Jur. Jura JuS JW JZ L LBauO LG LM LPA LuftVG MDR min. Münch.Komm. NatSchGLSA N.C.P. N.C.P.C. NJW NJW-RR
minist~re
MUnchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Naturschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt Nouveau Code Penal Nouveau Code de Procedure Civile Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungsreport
Abkürzungsverzeichnis nr. NStZ NuR NVwZ NWVBL OLG OLGZ OVG OWiG pan. PBefG P.O.S. R RabelsZ Rdnr.
RDP
Rec.
REDI
Rep. de notariat req. Rev.dr.imm. Rev.dr.pen. Rev.fr.dr.aerien Rev.sc.crim. Rev. societes Rev.trim.dr.civ. RFAP RFDA RG RGZ
RJE
Rh.-Pf. SaarlNatSchG SachenRÄndG SächsNatSchG S.D. Sir. Soc. sog. somm. Sp. StrafRÄG StGB StPO suppt. T.A. TA Lärm 2 Bergmann
17
Nummer Neue Zeitschrift rur Strafrecht Natur und Recht Neue Zeitschrift rur Verwaltungsrecht Nordrhein-Westf'älische Verwaltungsblätter Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten panorama Personenbeförderungsgesetz plan d'occupation de sol Reglementaire Zeitschrift rur ausländisches und Internationales Privatrecht Randnummer Revue du droit public et de la science politique Recueil Lebon Revue d'economie et de droit immobilier Repertoire de notariat Defrenois requete Revue de droit immobilier Revue de droit penal et de criminologie Revue fran~aise de droit aerien Revue de science criminelle et de droit penal compare Revue des societes Revue trimestrielle de droit civil Revue fran~aise de I'administration publique Revue fran~aise de droit administratif Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revue juridique de I'environnement Rheinland-Pfalz Saarländisches Naturschutzgesetz Sachenrechtsänderungsgesetz Sächsisches Naturschutzgesetz schema directeur Sirey Arret de la chambre sociale de la Cour de Cassation sogenannt sommaires de jurisprudence Spalte Strafrechtsänderungsgesetz Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung supplement Tribunal administratif Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm
18
Abkürzungsverzeichnis
TA Luft T.C. T.G.I. T.I. Trib.corr. u.a. UIG UI-RL
Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft Tribunal de conflit Tribunal de grande instance Tribunal d'instance Tribunal correctionnel unter anderem Umweltinformationsgesetz Richtlinie des Rates über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt (90/313/EWG) Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität Gesetz über die Umwelthaftung Umwelt- und Planungsrecht Umwelt- und Technikrecht Umweltverträglichkeitsprüfung Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/EWG) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz Versicherungsrecht Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtshof vergleiche volume Vorläufiges Thüringer Naturschutzgesetz Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland Verwaltung und Fortbildung Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Wohnungseigentumsgesetz Wasserhaushaltsgesetz Zeitschrift rur Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wertpapiermitteilungen Zeitschrift rur ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift rur Umweltpolitik zitiert Zeitschrift rur Luftrecht und Weltraumfragen Zivilprozeßordnung Zeitschrift rur Rechtspolitik Zeitschrift fur die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift fur Umweltrecht
2.UKG UmweltHG UPR UTR UVP UVPG UVP-RL UWG VerkPBG VersR VerwA VGH vgl. vol. VorlThürNatSchG VRspr. VuF VwGO VwVfD WEG WHG wistra
WM
ZaöRV ZfU zit. ZLW ZPO ZRP ZStW ZUR
Einrührung Das französische Umweltrecht befmdet sich, ähnlich wie das deutsche Recht, seit einiger Zeit in einer Phase des Umbruchs und der Erneuerung. Als ein in Frankreich noch vor wenigen Jahren kaum beachtetes Randgebiet gewinnt diese Materie zunehmend an Bedeutung. Die französische Öffentlichkeit wird deutlich sensibler für Belange der Umwelt. Der Gedanke des Umweltschutzes rückt mehr und mehr in den Mittelpunkt rechtspolitischer Diskussionen, und auch in der Rechtspraxis und Rechtswissenschaft ist das Umweltrecht ein inzwischen viel behandelter Themenkomplex. Eine Vielzahl neuer Umweltgesetze wurde erlassen, Vorschriften wurden grundlegend geändert, weitere Reformen stehen an. Bei einem solchen in besonderer und laufender Entwicklung befmdlichen Rechtsgebiet ist für die Suche nach neuen besseren Lösungsmöglichkeiten ein Blick über die Grenzen der jeweiligen nationalen Rechtsordnung hinaus ergiebig. Auch im Zuge der zunehmenden Rechtsharmonisierung und -vereinheitlichung, insbesondere im Rahmen der Europäischen Union, besteht ein steigendes Bedürfnis an der Kenntnis der verschiedenen anderen Rechtsordnungen. Die rechtsvergleichende Untersuchung kann zum einen Lücken im eigenen Rechtssystem aufdecken, die es zu schließen gilt. Zum anderen können neue rechtspolitische Wege, die andere Länder zur Lösung vergleichbarer Probleme gewählt haben, in ihrer Bedeutung erkannt und zur kritischen Überprüfung der eigenen Lösungsansätze verwandt werden. Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über das System und die Besonderheiten des französischen Umweltrechts zu liefern und seine Stärken und Schwächen anband eines Vergleichs mit dem deutschen Recht herauszuarbeiten. Dabei sind Fragen des Rechtsschutzes von besonderer Bedeutung, denn die prozessuale Durchsetzbarkeit von Umweltbelangen ist mitentscheidend rur die Effektivität des gesamten Umweltrechts. Da Rechtsschutz sowohl vor den ordentlichen Gerichten als auch vor den Verwaltungsgerichten gewährt wird, kann es bei einem Vorgehen gegen Umweltbeeinträchtigungen zu Rechtsbehelfskonkurrenzen kommen. Dementsprechend muß das rechtliche Gesamtsystem, insbesondere das Zusammenwirken von Zivil- und Verwaltungs-, aber auch Strafrecht, berücksichtigt werden. Da die Rechtsordnungen Frankreichs und Deutschlands in einigen Teilbereichen länderspezifischen Besonderheiten folgen, kann nur im Wege einer Gesamtbetrachtung die Frage beantwortet 2*
20
Einführung
werden, ob sie zu gleichen, ähnlichen oder unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Während das französische Umweltrecht in einigen Gebieten noch erhebliche Lücken hat, weist es in anderen Bereichen sehr fortschrittliche Tendenzen auf und war teilweise Vorbild für gemeinschaftsrechtliche Vorschriften. Die Erfahrungen mit Regelungsmodellen in Frankreich, die dem deutschen Recht bisher unbekannt sind bzw. erst jüngst in das deutsche Recht umgesetzt wurden, sind in Deutschland für eine Weiterentwicklung der eigenen Rechtsordnung aufschlußreich. Doch sind bei der Frage nach Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit ausländischer Lösungsmodelle und Rechtsinstitute stets die Besonderheiten der jeweiligen nationalen Rechtsordnungen zu beachten. Eine rechtliche Lösung darf keinesfalls isoliert betrachtet werden, sondern ist jeweils in ihrem Funktionszusammenhang und im Lichte des rechtlichen, politischen und sozialen Umfeldes zu beurteilen. Dementsprechend beschränkt sich die Untersuchung nicht auf die bestehende Gesetzeslage, sondern bezieht zur Erfassung der Rechtswirklichkeit auch nicht-kodifizierte landesspezifische Rechtstraditionen und politische Grundhaltungen ein. Zum besseren Verständnis solcher zum Teil historisch bedingter Eigenheiten soll in dem ersten Teil der Arbeit ein kurzer Überblick über die Grundprinzipien und -strukturen des französischen Rechts gegeben werden, soweit sie rur das Umweltrecht und damit für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung sind. Der zweite Teil befaßt sich mit dem umweltrelevanten Zivil- und Zivilprozeßrecht. Hierbei werden sowohl die präventive Wirkung des Zivilrechts als auch dessen Funktion zum Schadensausgleich untersucht. Obwohl heute der Großteil der Umweltfragen im Rahmen des Verwaltungsrechts geregelt wird, soll das Umweltprivatrecht vorab untersucht werden, da ihm in Frankreich wie in Deutschland historisch zuerst die Rolle zukam, Umweltkontlikte zu lösen. Auch das Staatshaftungsrecht beider Länder hat sich teilweise daraus entwikkelt und greift darauf zurück. Der dritte Teil der Untersuchung beschäftigt sich mit dem Verwaltungsrecht. Dazu gehört zunächst eine Übersicht über die wichtigsten Umweltgesetze, deren Regelungsgehalt allerdings nur skizziert werden kann. Anschließend werden einige spezifische Probleme umweltrelevanter Genehmigungsverfahren behandelt, insbesondere die Berücksichtigung von Umweltinteressen bei der Entscheidungsfmdung sowie die Informations- und Mitwirkungsrechte der Bevölkerung. Anschließend folgt eine Analyse des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes mit eingehender Erörterung vor allem zur Klagebefugnis und gerichtlichen Kontrolldichte, zum einstweiligen Rechtsschutz und zur Staatshaftung.
Einführung
21
Gegenstand des vierten Teils sind das Umweltstrafrecht und das Strafprozeßrecht. Nach einem Überblick über die Regelungsstrukturen des materiellen Umweltstrafrechts und dessen Grundprinzipien sowie einer näheren Untersuchung der häufig angewendeten Vorschrift des Code rural zur Gewässerverunreinigung wird eine besondere Klageform des französischen Strafprozesses, die action civile, behandelt. Diese ermöglicht dem Verletzten, und vielfach auch Verbänden, ein Strafverfahren einzuleiten, daran aktiv mitzuwirken und in diesem Verfahren Schadensersatz geltend zu machen. Schließlich wird im ftlnften Teil der Arbeit eine Schlußbetrachtung angestellt, in der die Einzelgebiete in ihrem Gesamtzusammenhang beurteilt werden. Ferner wird auf aktuelle Reformüberlegungen und Verbesserungsmöglichkeiten hingewiesen.
1. Teil
Allgemeine Einf"tihrung in die Prinzipien und Strukturen des französischen Rechts § 1 Rechtsquellen Das französische Recht basiert in weiten Bereichen auf kodifiziertem Recht. Hierzu gehören neben der Verfassung der V. Republik vom 4. Oktober 1958 Parlamentsgesetze und Verwaltungsverordnungen. Gern. Art. 34 der Verfasssung ist dem Parlament die Zuständigkeit zum Erlaß von Gesetzen in denjenigen Bereichen vorbehalten, die fUr das Staatswesen von besonderer Bedeutung sind oder die in die Individualsphäre des Bürgers eingreifen I. Im übrigen ist die Exekutive regelungsbefugt. Bei den Verordnungen ist zwischen reglements d'application, reglements autonomes und ordonnances zu differenzieren. Die reglements d'application sind gesetzesausfUhrende Verordnungen, fUr welche die Exekutive eine generelle Ermächtigung besitzf. Sie werden als decrets bezeichnet, wenn sie vom Staatspräsidenten oder Premierminister erlassen werden, und als arretes. wenn sie von einem Minister, Präfekten oder Bürgermeister stammen. Die reglements autonomes, die den Rang eines Gesetzes einnehmen, wurden erst durch die Verfassung der V. Republik eingefUhrt. Regelungsbefugt ist gern. Art. 37 Abs. 1 der Verfassung die Exekutive, soweit ein Bereich nicht dem Gesetzgeber enumerativ zugewiesen isf. Die autonomen Verordnungen regeln demnach Bereiche, in denen das Parlament keine Zuständigkeit besitzt. Die ordonnances sind Verwaltungsverordnungen, bei denen das Parlament nach Art. 38 der Verfassung seine Regelungskompetenz eigens übertragen kann. Bei dieser Zuständigkeitsverteilung flUlt im Verhältnis zur deutschen Rechtsordnung insbesondere die starke Stellung der Exekutive auf. Während in Deutschland die Zuständigkeit der Verwaltung zum Erlaß von Rechtsverordnungen durch das Parlament bestimmt sein muß und durch Art. 80 Abs. 1 GG begrenzt ist, stellt sich in Frankreich die Situation umgekehrt dar. Dort besitzt
I
HübnerlConstantinesco, Einfilhrung in das französische Recht, S. 7.
Art. 21 der Verfassung. matieres autres que ceJles qui sont du domaine de la loi ont un caractere reglementaire" . 2
3 " •• .les
§ 1 Rechtsquellen
23
der Gesetzgeber nur eine bestimmte zugewiesene Zuständigkeit, im übrigen liegt die Verordnungskompetenz bei der Exekutive. Neben dem geschriebenen Recht spielt in Frankreich auch die Rechtsprechung eine wichtige Rolle, die in einigen Gebieten maßgeblich zur Rechtsfortbildung beigetragen hat4 • Insbesondere im Deliktsrecht, im Nachbarrecht und in Teilgebieten des Verwaltungsrechts nahm die Rechtsprechung die im Laufe der Zeit erforderlichen Anpassungen selbst vor und machte damit Gesetzesänderungen bzw. den Erlaß neuer Vorschriften überflüssig. So werden etwa Grundsatzurteile des Conseil d'Etat, der obersten Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit, von der Verwaltung respektiert und Verstöße dagegen genauso sanktioniert wie solche gegen geschriebenes Recht. Ferner kennt das französische Recht die von der Rechtsprechung entwickelten principes generaux de droit (allgemeinen Rechtsgrundsätze). Diese kommen in denjenigen Bereichen zur Anwendung, in denen keine umfassende Kodifikation bestehf. Das gilt besonders im Verwaltungsrecht. Zu nennen sind z.B. die materielle Gewährleistung der Freiheits- und Individualrechte, der Gleichheitssatz (principe d'egalite) sowie im Rahmen des Verwaltungs- und Verwaltungsprozeßverfahrens der Anspruch auf rechtliches Gehör und das Rückwirkungsverbot (principe de la non-retroactivite des lois)'. Eines der fundamentalen Prinzipien des französischen Verwaltungsrechts ist das principe de legalite (Legalitätsprinzip)1. Danach ist die Verwaltung an die 4 Hinzuweisen ist allerdings darauf, daß die Urteile der französischen Gerichte sehr kurz gefaßt sind. Im Gegensatz zu den Urteilen der deutschen Gerichte sind in Frankreich die EntscheidungsgrUnde dem Urteil kaum zu entnehmen mit der Folge, daß sich vielmals der Hintergrund fllr die Entscheidungsfindung und fllr rechtspolitische Erwägungen nur erahnen läßt. S Die Befugnis des Richters zur Rechtsetzung (pouvoir normatif du juge) ist von der französischen Rechtslehre inzwischen anerkannt. Dazu Gaudemet, Les methodes du juge administratif, S. 123; Hardy, Le statut doctrinal de lajurisprudence en droit administratiffran~ais, RDP 1990,453 ff,467. 6 Dazu Jarass, Besonderheiten des französischen Verwaltungsrechts im Vergleich, DÖV 1981,813,814. 7 Eine Übersicht über die allgemeinen Rechtsprinzipien findet sich bei Krech, Die Theorie der allgemeinen Rechtsgrundsätze im französischen öffentlichen Recht, S. 176 ff sowie bei VedellDelvolve, Droit administratif, Bd. 1, S. 469 ff. 8 Trotz seiner großen Bedeutung ist dieses Prinzip rechtlich nur schwach abgesichert. Es ist weder in der Verfassung verankert noch ist ihm der Rang eines principe general zugesprochen worden. Es handelt sich dabei lediglich um eine einfache Regel des Richterrechts (Schlette, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten in Frankreich, S. 145). Zum Gesetzmäßigkeitsprinzip in Frankreich näher Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht: Entstehung und Entwicklung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, Bd. 1, S. 198 f.
24
I. Teil: Allgemeine Einfllhrung
Gesamtheit der geschriebenen und ungeschriebenen Rechtsregeln gebunden und verpflichtet, diese zu beachten9 • Dazu gehören die Verfassung, formelle Gesetze, Verordnungen sowie das Richterrecht insbesondere mit seinen principes generaux de droit. Soweit aus dem Legalitätsprinzip folgt, daß die Verwaltung nicht im Widerspruch zu diesen Rechtsregeln handeln darf und sie zu beachten hat, entspricht es dem deutschen Prinzip des Gesetzesvorrangs lO • Den Begriff des Gesetzesvorbehalts in der Form, wie ihn das deutsche Verfassungsrecht versteht und fllr das Verwaltungsrecht vorgibt, kennt das französische Recht nichtII. Inwieweit Verwaltungshandeln einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf, wird in Frankreich nicht im Zusammenhang mit dem Legalitätsprinzip diskutiert, sondern als Problem der Gewaltenteilung angesehen und in erster Linie auf das Verhältnis zwischen Gesetz und Verordnung und damit zwischen Parlament und Regierung bezogen 12 • Die zentrale Frage, inwieweit Einzelakte der Verwaltung einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfen, bleibt in Frankreich jedoch überwiegend unerörtert13 • Tatsächlich läßt sich feststellen, daß in Frankreich das Erfordernis einer gesetzlichen Prädetermination des Verwaltungshandelns nicht in dem Maß besteht wie in Deutschland. Der Exekutive kommt demzufolge eine stärkere Stellung mit entsprechend größeren Entscheidungsspielräumen zu.
§ 2 Verwaltungsorganisation Im Gegensatz zur föderalistisch organisierten Bundesrepublik Deutschland ist Frankreich traditionell ein Einheitsstaat. An der fUr Frankreich charakteristi~ schen zentralistischen Organisation der öffentlichen Gewalt, die auf das Ancien Regime zurückgeht und durch Napoleon I. noch verschärft wurde, hat auch die Verfassung von 1958 festgehalten 14 • Die starke Zentralisierung mit einer Verwaltung Frankreichs durch Paris hat zu erheblichen Problemen politischer und wirtschaftlicher Art und zu entsprechender Kritik gefUhrt. Häufig wurde der Vorwurf laut, in Frankreich würden regionale Probleme ignoriert und lokale Eigenheiten übergangen. Eine Reform in den Jahren 1982/83 15 mit einer gewis9 Peiser, Droit administratif, S.25; Vedel/Delvolve, Droit administratif, Bd. I, S.445f. 10 Schlette, S. 146. 11 Zu diesem Themenkomplex Schielte, S. 148 ff; Schmitz, Rechtsstaat und Grundrechtsschutz im französischen Polizeirecht, S. 31, 173 ff. 12 Schielte, S. 149; Schmitz, S. 31. 13 Schlette, S. 152. 14 Art. 2: "La France est une Republique indivisible ", IS Die wichtigsten dazu ergangenen Gesetze sind das Gesetz vom 2, März 1982 relative aux droits et libertes des communes, des departements et des regions und das Ge-
§ 2 Verwaltungsorganisation
25
sen Dezentralisierung und Verlagerung der Entscheidungsbefugnisse vom Zentralstaat auf juristisch selbständige regionale und kommunale Verwaltungseinheiten sollte Abhilfe schaffen. Zwar filhrten diese Gesetzesänderungen durch eine Kompetenzverschiebung zugunsten lokaler Gebietskörperschaften (eolleetivites loeales) zu einer Ausweitung der Selbstverwaltungsbefugnisse. Gleichwohl fallen die wesentlichen Entscheidungen in Frankreich weiterhin zentral in der Hauptstadt l6 • Die unmittelbare Staatsverwaltung (fonetion publique d'Etat) wird von dem Staatspräsidenten und dem Premierminister geleitet. Die Ressortverwaltungen unterstehen den jeweiligen Fachministern. In den Regionen und Departements übernimmt der von der Regierung bestimmte Präfekt17 die Aufgabe der Vertretung des Staates. Die mittelbare Staatsverwaltung (fonetion publique territoriale) obliegt im wesentlichen den Regionen l8 , Departements und Gemeinden. Die Staatsaufsicht über die lokalen Körperschaften ist im Rahmen der Reform erheblich eingeschränkt worden. Während zuvor eine Opportunitäts- und Dienstaufsicht (tutelle administrative) bestand, ist nunmehr lediglich eine Rechtsaufsicht zulässig. Die Reform zur Dezentralisierung hat insbesondere bei der Städteplanung zu einer Kompetenzverlagerung zugunsten der Gemeinden l9 und bei der Raumordnung und Wirtschaftsllirderung zu einer Kompetenzverlagerung zugunsten der Regionen geführt. Der Kernbereich des Umweltrechts ist hingegen im wesentlichen Aufgabe der unmittelbaren Staatsverwaltung geblieben 20.
setz vom 7. Januar 1983 relative a la repartition des competences entre les communes, les departements, les regions et I'Etat. Ausführlich zu dieser Refonn Fromont, Die französischen Dezentralisierungsgesetze, DÖV 1983, 397 ff. 16 Fromont, Die französische Kommunalverfassung, DVBI. 1985,421,425. 17 Vorübergehend wurde er auch als commissaire de La Republique bezeichnet. 18 Die Regionen haben erst mit der Refonn von 1982 den Status einer Gebietskörperschaft erlangt, vgl. Art. 59 des Gesetzes vom 2. März 1982. Dabei handelt es sich um eine Selbstverwaltungseinheit, die für Angelegenheiten, die über die Grenzen der Departements hinausgehen, zuständig ist. Dazu Prieur, La politique regionale de I'environnement en France, RJE 1984, 107-113. 19 Die Gemeinden sind für die Erarbeitung von Bebauungsplänen und die Erteilung von Baugenehmigungen zuständig. 20 Prieur, Droit de I'environnement, nr. 258.
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1. Teil: Allgemeine Einftlhrung
§ 3 Gerichtsorganisation Die Gerichtsbarkeit ist in Frankreich zweigeteilt und unterscheidet zwischen juridiction judiciare (ordentlicher Rechtsweg) und juridiction administrative (Verwaltungsrechtsweg). Zur Frage der Abgrenzung zwischen beiden Rechtszweigen hat der französische Gesetzgeber keine umfassende Regelung getroffen; es blieb Aufgabe der Rechtsprechung, die Abgrenzungskriterien zu entwickeln. Streitigkeiten, die sich aus Handlungen der Verwaltung ergeben, unterfallen naturgemäß der juridiction administrative. Bei der Frage, wann eine Verwaltungsstreitigkeit vorliegt, stößt man jedoch in Frankreich auf erhebliche Schwierigkeiten. Hierzu hat sich ein äußerst komplexes und facettenreiches System entwickelt, das in seinen Einzelheiten im öffentlich-rechtlichen Teil dieser Arbeit näher darzustellen isf l • Erwähnenswert ist, daß in Frankreich der Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit deutlich größer ist als in Deutschland. So flillt beispielsweise das gesamte Staatshaftungsrecht in die Kompetenz der Verwaltungsgerichte. Kommt es zwischen den verschiedenen Gerichtszweigen zu Kompetenzkonflikten, so entscheidet das tribunal de conflif2, ein in dieser Art in Deutschland unbekanntes Gericht. Oberstes Gericht in Zivil- und Strafsachen ist der cour de cassation (Kassationshof)23, der nur eine Überprüfung von Rechtsfragen vornimmt; die Beurteilung von Tatsachen obliegt dem Tatrichter (juge de jait). Der Kassationshof trifft keine Entscheidung in der Sache selbst, sondern kann das Urteil nur "kassieren" und die Sache an ein anderes Gericht, den cour de renvoi, zurückverweisen, das der Rechtsauffassung des obersten Gerichts allerdings nicht folgen muß. Sollte das untere Gericht abweichend vom Kassationshof entscheiden und dagegen ein Rechtsmittel eingelegt werden, gelangt die Sache vor die Vollversammlung (assemblee pleniere) des Kassationshofes, deren Entscheidung dann Bindungwirkung entfaltet. Unterhalb der Ebene des Kassationshofes bestehen die tribunaux d'instanc~4, die tribunaux de grande instanDazu unten Teil III § 2 IV. 1. Dazu ausftlhrlich Kutscher, Das französische Konfliktsgericht -sein Beitrag zur Kompetenzverteilung zwischen ordentlichen Gerichten und Verwaltungsgerichten in Frankreich; Joly, Ordentlicher Rechtsweg und Verwaltungsrechtsweg nach französischem Recht, DÖV 1968, 611 ff. 23 ZweigertlKölz, Bd. 1, § 9 I, S. 141. 24 Die tribunaux d'instance sind wie die Amtsgerichte nur mit einem Richter besetzt und bis zu einem Streitwert von 30.000 FF zuständig. Bei Streitwerten unter 13.000 FF befinden sie in erster und letzter Instanz. Ihre Entscheidung ist in diesem Fall nicht berufungsflihig, es besteht nur noch die Möglichkeit der immer zulässigen Kassationsbeschwerde. 21
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§ 3 Gerichtsorganisation
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ce"S und filr handelsrechtliche Streitigkeiten die tribunaux de commerce. Berufungsinstanz ist der cour d'appel unabhängig davon, von weIchem Gericht das angefochtene Urteil erlassen wurde26 • Bei den Strafgerichten wird differenziert zwischen den Untersuchungsgerichten Ouridiction d';nstruction) und den Spruchgerichten Ouridiction de jugement/7 •
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist seit 1989 dreistufig aufgebauf s• Oberstes Verwaltungsgericht ist der Conseil d'Etat (Staatsrat), der neben der Ausübung seiner rechtsprechenden Funktion auch mit beratenden Aufgaben filr die Regierung und die Verwaltung in Gesetzgebungs-, Verordnungsgebungs- und Vollzugsfragen betraut isf9 • Vorbehaltlich einiger Ausnahmen sind Eingangsgerichte die tribunaux administratifs (Verwaltungsgerichte), Berufungsgerichte die neu eingefilhrten cours administratives d'appel (Verwaltungsgerichtshöfe)30. Eine verfassungsgerichtliche Kontrolle erfolgt in Frankreich durch den Conseil constitutionnel (Verfassungsrat), der mit dem Bundesverfassungsgericht jedoch nicht zu vergleichen ist. Eine Normenkontrolle eines Parlamentsgesetzes kann der Conseil constitutionnel auf entsprechende Anrufung (saisine) nur vor Ausfertigung des Gesetzes durch den Präsidenten vornehmen. Ein bereits 25 Die tribunaux de grande instance sind dem Landgericht entsprecheride Kollegialgerichte, die bei einem Streitwert über 30.000 FF unmittelbar zuständig sind und denen in bestimmten Bereichen eine ausschließliche Kompetenz zukommt, z.B. bei Klagen, bei denen es um die zivilrechtliche Haftung im Bereich der Kernenergie geht oder bei Immobiliarstreitigkeiten. 26 ZweigertlKötz, Bd. I, § 9 I, S. 145. 27 Hierzu gehören als erstinstanzliche Gerichte die cour d'Assise, das tribunal correctionnel und das tribunal de police. Dazu Internationales Institut flIr Rechts- und Verwaltungssprache (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Rechts- und Verwaltungssprache, Strafprozeß, S. 58 ff. 28 Gesetz vom 31. Dezember 1987. Zu den Einzelheiten der umfassenden Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit Karwiese, Neue Struktur der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit durch Einfllhrung von Berufungsgerichten, DÖV 1989, 713-719; HuglolLepage-Jessua, La renovation du contentieux administratif, Gaz.Pal. 20.-22. November 1988, 2 ff. Interessant ist neben der Einfllhrung der cours administratives d'appel und den damit verbundenen Zuständigkeitsänderungen die Einfllhrung des renvoi pour avis (Art. 12 des Gesetzes vom 31. Dezember 1987). Danach können die unteren Gerichte vor der Entscheidung einer Streitsache eine Stellungnahme des Conseil d'Etat herbeiflIhren, wenn in dem zur Entscheidung stehenden Rechtsstreit eine neue Rechtsfrage mit erheblichem Schwierigkeitsgrad aufgeworfen wird, deren Beantwortung flIr eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung ist. Insbesondere flIr Massenverfahren kann der renvoi pour avis von Interesse sein. 29 Dazu ausflIhrIich Müller, Der Conseil d'Etat, AöR 117 (1992), S. 257 ff. 30 Die cours administratives d'appel übernehmen einen wesentlichen Teil der Berufungen und dienen der Entlastung des Staatsrates. In bestimmten Bereichen bleibt der Staatsrat jedoch weiterhin Berufungsgericht. Dazu HübneriConstantinesco, S. 19 f.
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I. Teil: Allgemeine Einführung
verkündetes Parlamentsgesetz kann nicht auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft und fUr verfassungswidrig erklärt werden31 •
§ 4 Prinzip der Gewaltenteilung Bei einer Betrachtung des Verhältnisses zwischen Exekutive und Judikative fällt auf, daß in Frankreich eine klare Trennung der Gewalten besteht. Das Gewaltenteilungsprinzip (principe de separation des pouvoirs) prägt das französische Recht maßgeblich, ohne ausdrücklich niedergelegt zu sein32 • Die besonders strenge Auffassung des Gewaltenteilungsprinzips ist historisch begründet. Zur Zeit der Revolution herrschte ein großes Mißtrauen gegenüber den parlements, den Vorläufern der ordentlichen Gerichte im Ancien Regime. Diese mit Adligen besetzten Gerichte hatten vielfach ihre Position mißbraucht und sich der Revolution gegenüber feindlich gezeigt, indem sie Reformversuche verhinderten. Aus diesen Gründen wollten die Revolutionäre die nunmehr neu organisierten ordentlichen Gerichte von der Kontrolle über Verwaltungsstreitigkeiten ausschließen. Sie verboten jegliche Einwirkung der Gerichte auf die Verwaltung 33 und wiesen der Exekutive selbst die Kontrolle über ihr Handeln zu, wodurch ihr sehr weitreichende Handlungsspielräume zufielen 34 • Zwar hat die Exekutive im Laufe der Zeit in vielen Bereichen Einschränkungen ihrer zu Revolutionszeiten weiten Befugnisse hinnehmen müssen, so daß sich aus der ursprünglich verwaltungsinternen allmählich eine unabhängige verwaltungsgerichtliche Kontrolle entwickelte33 • Doch auch heute noch nimmt die Verwaltung eine starke Stellung im StaatsgefUge Frankreichs ein. Das streng verstan-
31 Grasmann, in: David/Grasmann, Einführung in die großen Rechtssysteme der Gegenwart, S. 166; Spies, Verfassungsgerichtliche Kontrolle in Frankreich: der Conseil Constitutionnel, NVwZ 1990, 1040, 1042. 32 Chevallier, L'Elaboration historique du principe de separation de la juridiction administrative et de I'administration active, S. 16 f. 33 Art. 13 des 2. Teils des Gesetzes vom 16.-24. August 1790: "Les fonctions judieiaires sont et demeureront toujours separees des fonctions administratives. Les juges ne pourront, a peine forfaiture, troubler de quelque maniere que ce soit les operations des corps administratifs, ni eiter devant eux des administrateurs pour raison de leurs fonctions." 34 Da eine Verwaltungsgerichtsbarkeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestand, bezog sich diese Vorschrift lediglich auf die Zivilgerichte. 35 Diese Entwicklung führte in diesem Bereich zu einer Verschmelzung von Exekutive und Verwaltungsgerichtsbarkeit, die in Deutschland nicht existiert. So kommt dem Staatsrat, wie bereits erwähnt, eine Doppelfunktion zu: Er ist oberstes Verwaltungsgericht und gleichzeitig Berater der Regierung.
§ 4 Prinzip der Gewaltenteilung
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dene Gewaltenteilungsprinzip hat nur wenig von seiner ursprünglichen Bedeutung verloren. So gilt weiterhin, daß die ordentlichen Gerichte sich nicht in Verwaltungsstreitigkeiten einschalten dürfen, sondern dafiir die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig ist. Desweiteren bestimmt das principe de separation des pouvoirs maßgeblich das Verhältnis zwischen Verwaltungsgerichtsbarkeit und Verwaltung. Aus diesem Grund bestehen im französischen Verwaltungsprozeß verschiedene Besonderheiten. Hierzu gehörte vor allem das bislang geltende Verbot, der Verwaltung Anordnungen aufzugeben. Abgesehen von wenigen Ausnahmen konnten die Gerichte die Behördenentscheidung lediglich aufheben oder die Verwaltung zu Geldzahlungen verpflichten. Die Behörde zu einem Tun oder Unterlassen zu verurteilen, war den Gerichten nicht möglich36 ; dementsprechend konnte eine Verpflichtungsklage, wie sie im deutschen Rechtsschutzsystem existiert, nicht erhoben werden. Eine Reform im Jahre 1995 hat die Kompetenzen der Gerichte auf diesem Gebiet jedoch deutlich erweitert. Aufgrund der strikten Trennung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit spielt auch der Bereich der Ermessensverwaltung in Frankreich eine andere Rolle als in Deutschland. Der Umfang der gerichtlichen Überprüfung des Verwaltungshandelns ist mithin im allgemeinen deutlich geringef'. Im Laufe der Untersuchung wird sich zeigen, daß dieser das französische Recht bestimmende Gewaltenteilungsgrundsatz auch weitreichende Konsequenzen fiir das gesamte Umweltrecht und die Effektivität seiner Umsetzung hat. Das gilt nicht nur fiir den Bereich des öffentlichen Rechts, sondern auch fiir die Kompetenzen der ordentlichen Gerichte, etwa wenn es darum geht, andauernde Störungen zu unterbinden bzw. zukünftige zu verhindern. Andererseits hat das Gewaltenteilungsprinzip zur Folge, daß die zivilrechtliche bzw. zivilgerichtliche Entscheidung unabhängig vom öffentlichen Recht und seinen Genehmigungen getroffen wird.
36 Siehe C.E. 4. Februar 1976, Elissonde, Rec. 1069; Chapus, Droit du contentieux administratif, nr. 803 f; VedellDelvolve, Droit administratif, Bd. 2, S. 210. 37 Dazu unten Teil III § 2 IV. 5. b).
2. Teil
Privatrechtlicher Schutz bei Umweltbeeinträchtigungen § 1 Überblick über die Systematik des privatrechtlichen Schutzes bei Umweltbeeinträchtigungen in Frankreich im Vergleich mit Deutschland I. Frankreich
Das Kernstück des französischen Zivilrechts bildet der Code Civil, der aus dem Jahre 1804 stammt und unter der Herrschaft Napoleons erlassen wurde. Dieses Gesetzeswerk hat, mit Ausnahme einiger Reformen vorwiegend im Personen- und Familienrecht, bis heute seine Gültigkeit behalten. 1 Die aufgrund der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Veränderungen notwendigen Anpassungen wurden im wesentlichen von der Rechtsprechung vorgenommen. Dies fUhrte dazu, daß viele Grundsätze des französischen Zivilrechts keine direkte Grundlage im Code Civil fmden. Beispielhaft dafllr ist das im Code Civil nur rudimentär geregelte Deliktsrecht mit der Generalklausel der Art. 13822, 1383 3 CC. Darauf aufbauend hat die Rechtsprechung ein "case-Iaw" ähnliches Haftungsrecht entwickelt, das den heutigen Verhältnissen im wesentlichen Rechnung trägt. Auch der private Umweltschutz ist zu einem wesentlichen Teil Werk der Rechtsprechung zum Nachbarrecht. Zur Zeit der Erarbeitung des Code Civil herrschte noch unter dem Einfluß der Revolution ein individualistisch orientiertes Verständnis des Eigentums, wie sich auch in der Legaldefmition des Eigentumsbegriffs in Art. 544 CC zeigt. Hiernach ist Eigentum ein umfassendes dingliches Nutzungs- und VerfUgungsrecht an Sachen, dessen Ausübung nur den gesetzlichen Schranken und dem Mißbrauchsverbot unterliegt4. Gesetzliche Regelungen, die die Ausübung des Eigentumsrechts begrenzen und Bedeutung im privatrechtlichen Immissionsschutzrecht erlangen können, sind die sog. servitudes (Dienstbarkeiten), die 1 Dazu
Aubert, Introduction au droit et themes fondamentaux du droit civil, nr. 221. "Tout fait quelconque de l'homme, qui cause aautrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrive, a le reparer." 3 "Chacun est responsable de dommage qu'il a cause non seulement par son fait, mais encore par sa negligence ou son imprudence." 4 "La propriete est le droit de jouir et de disposer des choses de la maniere la plus absolue, pourvu qu'on n'en fasse pas un usage prohibe par les lois ou par les reglements." 2
§ 1 Überblick über die Systematik des privatrechtlichen Schutzes
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in den Art. 640 ff ce nonniert sind und sich im wesentlichen auf das Immobiliareigentum beziehen. Störungen dieser dinglichen Rechte können durch eine actio negatoria abgewehrt werden. Daneben ist das Deliktsrecht anwendbar, wonach gemäß der in Art. 1382, 1383 ce niedergelegten Generalklausel der Verschuldenshaftung derjenige haftet, der einem anderen pflichtwidrig und vorsätzlich oder fahrlässig einen Schaden zufügt. Davon zu unterscheiden ist der Fall, in dem ein pflichtwidriges, schuldhaftes Verhalten fehlt. Zur Lösung besonderer nachbarlicher Konfliktsituationen entwickelte die Rechtsprechung bereits 1844 die theorie des troubles de voisinage (Theorie der Nachbarstörungen), die bei Störungen maßgeblich ist, die das Maß der anormalite (d.h. die Schwelle der nicht mehr zu duldenden Beeinträchtigungen) erreicht haben. Diese Haftung für troubles de voisinage hat sich im Laufe der Zeit von dem Merkmal des Verschuldens wie der Pflichtwidrigkeit losgelöst und wird inzwischen allgemein als eine objektive Risikohaftung verstanden. Dabei ist zu beachten, daß diese Haftungsverantwortung sich nicht nur auf immobiliarbezogene Schäden erstreckt, sondern auch auf die vom allgemeinen Deliktsrecht geschützten sonstigen Güter. Dazu gehören sowohl Leben, Körper, Gesundheit als auch das Vennögen. Daneben kennt das französische Zivilrecht die in Art. 1384 Abs. 1, 2. Alt.
ces nonnierte Sachhalterhaftung. Danach ist der gardien (Halter) einer Sache
für den Schaden verantwortlich, der durch die Sache verursacht worden ist. Zwar kann der Halter sich von seiner Verantwortung exkulpieren, doch wurden die Anforderungen an den Entlastungsbeweis seit Ende des 19. Jahrhunderts derart erschwert, daß inzwischen im Rahmen der Sachhalterhaftung auf das Verschuldenserfordernis verzichtet wird. Die Loslösung vom Verschuldensbegriff hat dazu geführt, daß in Frankreich bis heute kein besonderes Bedürfnis an der Einführung von Geflihrdungshaftungen besteht6 • Die gardien-Haftung kann auch in bestimmten Fällen von Immissionen zur Anwendung kommen. Eine der Besonderheiten des französischen Umweltprivatrechts ist das Fehlen einer selbständigen Unterlassungs- oder Beseitigungsklage, abgesehen von der bereits erwähnten actio negatoria gegen Beeinträchtigungen von servitudes. Sonstige Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche sowie eine entsprechende gerichtliche Anordnung werden in Frankreich als Fonn des Schadensersatzes angesehen und unterliegen der Entscheidung des Tatrichters, der nach seinem Ennessen die am besten geeignete Rechtsfolge aussprechen soll. Die EntscheiS "On est responsable ... du dommage ... qui est cause par le fait...des choses que I'on a sous sa garde." 6 Lediglich im Bereich der Luftfahrt, der Kernenergie und der Verschmutzung des Meeres durch Öl sind Gefährdungshaftungstatbestände normiert worden.
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2. Teil: Privatrechtlicher Schutz bei Umweltbeeinträchtigungen
dungsfreiheit des Richters fmdet allerdings ihre Grenzen in Prinzipien und Erwägungen, aufgrund derer von einer Unterlassungs- oder Beseitigungsanordnung ganz abzusehen ist. Der Zivilrichter ist streng an den Gewaltenteilungsgrundsatz gebunden, so daß das Vorliegen öffentlich-rechtlicher Genehmigungen erhebliche Auswirkungen auf die zivilrechtliche Entscheidung haben kann. Ist der Beeinträchtigte zur Duldung der Störung verpflichtet, dann verbleibt ihm lediglich ein fmanzieller Ausgleich1 • 11. Deutschland
Eine Legaldefmition des Eigentums wie in Art. 544 ce enthält das BGB nicht. § 903 BGB legt allerdings den Inhalt der dem Eigentümer zustehenden Befugnisse fest. Danach kann der Eigentümer mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen. Bei den Rechtsbehelfen, die in Deutschland dem Eigentümer zur Abwehr oder zum Ausgleich von Einwirkungen Dritter auf das Eigentum zur Verftlgung gestellt werden, wird anders als in Frankreich stärker differenziert zwischen einerseits Abwehransprüchen (Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen einschließlich der Ansprüche auf Vornahme von Schutzmaßnahmen) und andererseits Schadensersatz- und Ausgleichsansprüchen. Der zentrale Abwehranspruch ist § 1004 BGB, der unmittelbar nur das Eigentum schützt. Entsprechender Rechtsschutz wird inzwischen auch zum Schutz aller anderen absoluten Rechtsgüter und vergleichbarer Rechtspositionen gewährt. Der Anspruch aus § 1004 BGB wird nach Absatz 2 bei Bestehen einer Duldungspflicht ausgeschlossen. Im Rahmen des Nachbarrechts ergibt sich eine der wichtigsten Duldungspflichten aus § 906 BGB. Nach dessen Abs. I Satz I kann sich der Eigentümer eines Grundstücks nicht gegen unwesentliche Immissionen wenden. § 906 Abs. 2 BGB enthält eine sog. privatrechtliche Duldungspflicht bei ortsüblichen Beeinträchtigungen, soweit dem Störer die zur Verhinderung notwendigen Schutzmaßnahmen wirtschaftlich nicht zumutbar sind8 • Der Abwehranspruch kann auch durch öffentlich-rechtliche Vorschriften ausgeschlossen werden, z.B. durch § 14 BImSchG, § 11 LuftVG oder § 7 Abs. 6 AtomG, wonach den betreffenden Genehmigungen eine entsprechende pri1 In einem spezialgesetzlich geregelten Fall im Bereich des Baurechts kann es sogar zum völligen Haftungsausschluß kommen (Art. 480-13 Code de l'Urbanisme). Dazu unten Teil 11 § 3 I. 3. c). 8 In diesem Fall hat der betroffene Immobiliarberechtigte gern. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB wegen der Nutzungsbeeinträchtigung einen Ausgleichsanspruch in Geld.
§ I Überblick über die Systematik des privatrechtlichen Schutzes
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vatrechtsgestaltende Wirkung zukommt, sog. öffentlich-rechtliche Duldungspflicht9 • Der Ausschluß privatrechtlicher Abwehransprüche kann sich auch aus dem Planfeststellungsrecht, Z.B. § 75 Abs. 2 Satz I VwVfG, ergeben. Darüber hinaus ist eine Duldungspflicht bei Störungen durch lebens- oder gemeinwichtige Betriebe, auch bei privatwirtschaftlicher Organisation, anerkannt. Hat der Gesetzgeber den Konflikt zwischen privatem und öffentlichem Umweltrecht nicht ausdrücklich geregelt, wird das Verhältnis in Rechtsprechung und Lehre kontrovers beurteilt, so vor allem im Bauplanungsrecht. Wird der Abwehranspruch infolge einer Duldungspflicht ausgeschlossen, so kommen Ausgleichs- und SchadensersatzansprUche in Betracht, etwa die verschuldensunabhängigen AnsprUche aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB oder § 14 Satz 2 BImSchG. Allgemeiner Haftungstatbestand ist die Deliktshaftung gern. §§ 823 ff BGB, die ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten voraussetzt. Der Kreis der durch das Deliktsrecht geschützten Güter geht über die nachbarrechtlichen Vorschriften hinaus. Anders als das Nachbarrecht schützen die §§ 823 ff BGB jeden Betroffenen ungeachtet eines Rechts an dem betroffenen Grundstück. Ferner sind diese Vorschriften nicht auf immobiliarbezogene Schäden beschränkt, sondern erfassen auch Körper- und Gesundheitsschäden. Bei UmweltschadensfiUlen erlangen vor allem Verkehrssicherungspflichten Bedeutung, die Rechtswidrigkeit und Verschulden konkretisieren. Verstößt ein Schädiger gegen ein Schutzgesetz, kommt speziell § 823 Abs. 2 BGB als Anspruchsgrundlage in Betracht. Zu den Schutzgesetzen gehören im Umweltbereich auch die drittschützenden Normen des öffentlichen Rechts. Da die Deliktshaftung mit dem Erfordernis von Rechtswidrigkeit und Verschulden nur einen begrenzten Schutz gibt und nachbarrechtliche Ausgleichswie ErsatzansprUche nur den Immobiliarberechtigten zugute kommen, bleibt eine beträchtliche Lücke im Haftungsschutz. Deshalb sind vor allem in neuerer Zeit besondere Tatbestände einer Gefilhrdungshaftung geschaffen worden, etwa § 22 WHG, § 33 LuftVG, § 1 UmweltHG.
9 In diesen Fällen besteht nur ein Anspruch auf Schutzvorkehrungen und im übrigen auf Schadensersatz, vgl. § 14 Satz 2 BImSchG.
3 Bergmann
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2. Teil: Privatrechtlicher Schutz bei Umweltbeeinträchtigungen
§ 2 Haftungssystem Wie der Überblick gezeigt hat, beruht das Haftungssystem in Frankreich auf verschiedenen Grundlagen, die im folgenden näher untersucht werden. I. Servitudes (Dienstbarkeiten)
Spezifische nachbarrechtliche Regelungen finden sich im Code Civil nur in den Art. 640 ff; diese legen sog. servitudes (Dienstbarkeiten) fest. Der Gesetzgeber hatte bereits bei Erlaß des Code Civil erkannt, daß der in Art. 544 normierte weite Eigentumsbegriff in der Praxis des Nachbarrechts auf Dauer keinen Bestand haben konnte. So wurden die Grundeigentümer gewissen Befugnisbeschränkungen in Form von Grunddienstbarkeiten unterworfen, die auch heute noch Geltung besitzen. Ähnlich wie im deutschen Recht existieren Regelungen über das Nachbarwasserrecht (Art. 640 ff CC), das Miteigentum an Grenzeinrichtungen (Art. 653 ff CC), die Einhaltung von Abstandspflichten (Art. 674 CC) und das Notwegerecht (Art. 682 ffCC)IO. Zur Zeit der Verabschiedung des Code Civil beschränkten sich die Störungen noch auf den überschaubaren nachbarlichen Bereich. Deshalb regeln die servitudes im wesentlichen die Beziehung zwischen unmittelbaren Grenznachbam. Darüber hinaus sind sie ausschließlich eigentumsbezogen und gelten nur tUr den Grundeigentümer und nicht rur den Pächter oder MieterlI. Mit ihrer räumlichen und personellen Begrenzung decken die Art. 640 ff CC somit nur einen Teil des Nachbarrechts ab und tragen den heutigen Konfliktsituationen, die im Zuge zunehmender Verstädterung und Industrialisierung und durch eine erhebliche Ausweitung der Umwelteinwirkungen geprägt sind, nicht mehr ausreichend Rechnung l2 . Deshalb haben die servitudes viel von ihrer ursprünglichen Bedeutung verloren l3 .
10 Abgesehen von diesen im Gesetz normierten Dienstbarkeiten können auch auf schuldrechtlicher Basis zwischen den Nachbarn servitudes vereinbart werden, die beispielsweise Einschränkungen oder Erweiterungen des Maßes der zulässigen Immissionen beinhalten und insoweit zu einer konkreten Ausgestaltung des Nachbarschaftsverhältnisses fUhren können. 11 Marty/Raynaud, Droit civil, Les obligations, Bd. I, Les sources, S. 528. 12 Nicolas, La protection du voisinage, Rev.trim.dr.civ. 1976,675,695, nr. 48. 13 Blaise, Responsabilite et obligations coutumieres dans les rapports de voisinage, Rev.trim.dr.civ. 1965,261,261.
§ 2 Haftungssystem
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11. Deliktische und quasideliktische Haftung l4 , Art. 1382, 1383 ce
Liegt einer Umweltbeeinträchtigung ein pflichtwidriges Verhalten zugrunde, wird die Verantwortlichkeit des Störers nach den allgemeinen klassischen Regeln des Zivilrechts festgestelltlS . Ersatzansprüche sind auf der Basis der Art. 1382, 1383 ce zu gewähren, wenn ein pflichtwidriges, vorwerfbares (schuldhaftes) Verhalten (faute), ein Schaden (dommage) und ein ausreichender Kausalzusammenhang (lien de causalite) zwischen Verhalten und Schaden bewiesen werden. Die faute einer Person wird abtrakt festgelegt. Bezogen auf den Grundstückseigentümer bedeutet dies, daß der Idealtyp eines sorgfliltigen Eigentümers bestimmt wird, der sowohl seine eigenen Interessen als auch die seiner Nachbarn ausreichend berücksichtigt. Wer diesem Maßstab nicht gerecht wird, handelt pflichtwidrig schuldhaft und löst eine Haftung nach Art. 1382, 1383 ce aus l6 • Im Rahmen dieser deliktischen Haftung gelten die allgemeinen Regeln zur Verantwortlichkeit ftlr durch Dritte verursachte Schädigungen. Relevant ist in diesem Zusammenhang insbesondere die in Art. 1384 Abs. 5 ce festgelegte Haftung des Geschäftsherrn (maUre oder commettant) ftlr den durch einen Gehilfen (domestique oder prepose) angerichteten Schaden. Gehilfe ist danach derjenige, der in einem Subordinationsverhältnis zu seinem Geschäftsherrn steht und von dessen Weisungen abhängig ist. Voraussetzung ftlr die Verantwortlichkeit ist, daß die Schadenszuftlgung durch den Gehilfen eine unerlaubte Handlung darstellt und im Rahmen der ihm übertragenen Aufgaben erfolgte l7 • Hierbei gilt eine unwiderlegbare Verschuldensvermutung, so daß kein Exkulpationsbeweis zugelassen wird. Anders als im deutschen Recht bei § 831 BGB kann der Nachweis einer ordentlichen Auswahl und Überwachung den Geschäftsherrn also nicht entlasten \8. Der Geschädigte kann sowohl den Ge-
14 Unter Delikt wird die vorsätzliche und rechtswidrige Schädigung verstanden, während als Quasidelikt die fahrlässige Schädigung bezeichnet wird; diese Unterscheidung zwischen deliktischer und quasideliktischer Haftung hat heute keine Bedeutung mehr. 15 Rapport Fabre zu Cass. Civ. 18. Juli 1972, J.C.P. 1972, 11, 17203; Martin, Le droit de r environnement: de la responsabilite civile pour faits de pollution au droit de I'environnement, nr. 11. 16 Weill/Ferre/Simler, Droit civil, Les biens, nr. 304. 17 FeridiSonnenberger, Das französische Zivilrecht, Bd. 2, 2 0 221 ff. 18 Der Unternehmer kann aber in Deutschland gegebenenfalls wegen "Organisationsverschuldens" aus § 823 BGB unmittelbar unter Umkehr der Beweislast haften, Kötz, Deliktsrecht, S. 134 ff; Kloepfer. Umweltrecht, § 4 Rdnr. 316.
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2. Teil: Privatrechtlicher Schutz bei Umweltbeeinträchtigungen
schäftsherm als auch den Gehilfen in Anspruch nehmen, da der Gehilfe daneben in solidum persönlich nach Art. 1382, 1383 CC haftet l9 • Im Nachbarrecht wird insbesondere in zwei Fällen auf die deliktische Haftung zurückgegriffen und das Vorliegen einer faute bejaht. Dazu gehört zunächst der sog. abus de droit (Rechtsrnißbrauch), der dem Tatbestand des § 226 BGB nahekommt. Ein abus de droit liegt vor, wenn eine Person ihre Rechte in an sich legitimer Weise ausübt, jedoch nur zu dem Zwecke, einen anderen zu schädigen (intention de nuire a autrui). Ausgangspunkt für diese Lehre vom abus de droit bildete ein Entscheidungsfall des cour d'appel Colmar aus dem Jahre 1855, in welcher der Nachbar des Klägers einen unbenutzbaren Kamin nur zum Schein errichten ließ, um dem Kläger den Ausblick zu versperren20 • Ein anderer bekannter Fall ist der Rechtsstreit "Clement-Bayard"21. Hier hatte der Beklagte eine Holzkonstruktion aufgestellt, um den Betrieb des auf dem Nachbargrundstück gelegenen Zeppelinflughafens zu stören. Die Absicht der Schadenszuftlgung wird in solchen Fällen aus einem mangelnden Eigeninteresse an der Ausübung des Rechts geschlossen22 . Diese Fälle einer willentlichen Schadenszuftlgung sind allerdings in der Praxis äußerst selten.
Ein weiterer Fall vonfaute liegt vor, wenn der Störer gegen gesetzliche Regelungen verstößf3 ; so ist Z.B. jeder Eigentümer gehalten, seine rechtlichen Befugnisse nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Verstößt er dagegen, indem er z.B. eine genehmigungspflichtige Anlage ohne Genehmigung in Betrieb nimmt, so löst diese Verletzung bei einem Schadenseintritt seine Haftungspflicht aus24• Obwohl das Umweltrecht größtenteils durch Rechtsvorschriften geregelt ist und Verstöße dagegen häufig vorkommen, wird die deliktische Haftung mit der notwendigen Feststellung der faute nur selten in einem Schadensfall in Anspruch genommen2S . Das liegt daran, daß darüber 19 Ferid/Sonnenberger, Bd. 2, 2 0 233. Bei der sog. obligatio in solidum handelt es sich um eine der Gesamtschuld ähnliche Institution. Deren Voraussetzungen sind erfUllt, wenn, ohne daß ein Fall der gesetzlichen Gesamtschuld vorliegt, mehrere Personen jeweils die ganze Leistung schulden, der Gläubiger diese aber nur einmal verlangen darf. Dem nach Art. 1384 CC in Anspruch genommenen Geschäftsherm steht ein voller Regreßanspruch gegen den schädigenden Angestellten zu, Ferid, Das französische Zivilrecht, Bd. 1,2 E 56, 2 E 94. 20 Colmar 2. Mai 1855, D. 1856, 2, l. 21 Cass. Req. 3. August 1915, D. 1917, 1,79. 22 Carbonnier, Droit civil, Bd. 3, nr. 167. 23 Cass. Civ. 7. Dezember 1960, Bull.civ. 745 (Ausschütten von Zyankali in einen Bach); Cass. Civ. 16. Juli 1969, D. 1970, somm., 47 (Betrieb einer Maschine entgegen den behördlichen Vorschriften). 24 Wei/llferre/Simler, nr. 305. 2S Prieur, Droit de I'environnement, nr. 933; Caballero, Essai sur la notion juridique de nuisance, S. 192 f.
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hinaus andere Anspruchsgrundlagen zur Verftlgung stehen, die keine faute voraussetzen. III. Theorie des troubles de voisinage
Mit der theorie des troubles de voisinage haben Rechtsprechung und Literatur ein von Rechtswidrigkeit und Verschulden unabhängiges Haftungsinstitut zum nachbarspezifischen Schutz herausgebilder6 • Dessen dogmatische Grundlage ist zwar noch immer stark umstritten27 , die Haftungsvoraussetzungen sind jedoch weitgehend gesichert. Eine Haftung ist demnach begründet, wenn ein Nachbar durch Beeinträchtigungen gestört wird, die eine durch das Merkmal der sog. anormalite festgelegte Toleranzschwelle überschreiten. 1. Begriff der voisinage Der Anwendungsbereich der theorie des troubles de voisinage wird zunächst maßgeblich davon bestimmt, wie der Begriff voisinage (Nachbarschaft) definiert wird. Ursprünglich umfaßte voisinage allein die Beziehungen zwischen Eigentümern angrenzender Grundstücke 28 • Inzwischen kann eine derart eingeschränkte Betrachtung den heutigen Verhältnissen nicht mehr gerecht werden; der Begriff der Nachbarschaft muß dementsprechend weiter defmiert werden 29 • So ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß Z.B. bei Wasserverschmutzungen trotz erheblicher räumlicher Distanz zwischen Störer und Geschädigtem 30 oder bei Lärmeinwirkungen durch Fluglärm]1 voisinage vorliegt und deshalb Scha26 Grundlegend war die Entscheidung des Kassationshofes aus dem Jahr 1844: Cass. Civ. 27. November 1844, Sir. 1844, 1,811, D.P. 1845, 1, 13. 27 Teilweise wird die Haftung an den Begriff der Jaute geknüpft. Die Jaute soll darin bestehen, daß der Störer sein Grundeigentum in exzessiver Weise nutzt und die Toleranzschwelle überschreitet. Andere sehen die theorie des troubles de voisinage als objektive Haftung in Form der Risiko- oder der Garantiehaftung an. Eine umfassende Übersicht zu dieser Kontroverse findet sich bei Le Tourneau, La Responsabilite civile, (3. Aufl.), nr. 2034 ffmit weiterfilhrenden Nachweisen. 28 Nicolas, Rev.trim.dr.civ. 1976,675,678, nr. 8. 29 Roux, Les rapports de voisinage entre particuliers, essai de synthese, S. 18, Harpillard, Les inconvenients du voisinage, S. 131; Capoulade, Rapport fran~ais sur les troubles de voisinage, in: Travaux de I'Association Henri Capitant, La protection du voisinage et de I'environnement, S. 93, 97 f; Rapport Fabre zu Cass. Civ. 18. Juli 1972, J.C.P. 1972, 11, 17203. 30 T.G.I. Bordeaux 28. Februar 1968, J.C.P. 1970,11, 16529, Anm. Despax (drei Kilometer Entfernung zwischen der Fabrik und der beeinträchtigten Forellenzucht). 31 T.G.I. Nice 9. Dezember 1964, D. 1965, 221, Anm. Derrida, J.C.P. 1965, 11, 14074, Anm. De luglart.
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densersatz gewährt werden kann. Entsprechend wird die Frage, wer als Nachbar anzusehen ist, wie bei § 906 BGB allein nach Maßgabe des Wirkungsbereichs der Störungsquelle beurteilf2 • Allerdings flillt nicht jede Einwirkung in den Schutzbereich der theorie des troubles de voisinage. Voraussetzung ist zusätzlich eine gewisse Dauer und Häufigkeit der Störung33 • Bei der voisinage handelt es sich inzwischen um eine rein tatsächliche Beziehung, bei der die jeweiligen Eigentumsverhältnisse unbeachtet bleiben34 • Während ursprünglich auf beiden Seiten Eigentümer stehen mußten, können nunmehr auch der Mieter oder Pächter in Anspruch genommen werden bzw. Ansprüche geltend machen3s • Unter Berücksichtigung einer nötigen gewissen Dauer und Häufigkeit der Störung dürfte eine nur gelegentliche Betroffenheit etwa von Spaziergängern oder Besuchern nicht rur einen entsprechenden Anspruch ausreichen36 • 2. Art der Beeinträchtigungen In der Praxis kommt die theorie des troubles de voisinage bei unwägbaren Stoffen (Immissionen) wie Rauch37, Staub38, Gerüchen39, Geräuschen40 oder Dazu unten Teil 11 § 5 I. 2. a) aa). B1aise, S. 275; Caballero, Essai, S. 205. 34 Nicolas, Rev.trim.dr.civ. 1976, 675, 681, nr. 14; Caballero, Essai, S. 205; B1aise, S. 261, 272 f. 35 Thiron, Responsabi1it~ pour troubles de voisinage en droit public et en droit priv~, lC.P. 1976, I, 2802 nr. 15; Chartier, La r~paration du pr~judice, nr. 100; zu den Schadensersatzansprüchen eines Mieters etwa Cass. Civ. 18. Juli 1961, D. 1961,2,722. 36 Insoweit gibt es auch keine Gerichtsentscheidungen und relevante Literatur zu dieser Frage. 37 Cass. Req. 7. Dezember 1909, Sir. 1910, 1, 8; Cass. Req. 24. Januar 1944, D.A. 1944,45; Trib.civ. Troyes 20. Juli 1921, Gaz.Pal. 1924,2,560; Trib.civ. Lyon 17. Juni 1950, D. 1951, somm., 7; Bordeaux 15. Juli 1845, Sir. 1847,2,537. 38 Cass. Req. 17. November 1931, D.H. 1932, 1; Cass. Req. 19. April 1905, D.P. 1905,1,256; Cass. Civ. 13. Dezember 1932, D.H. 1933,37. 39 Cass. Req. 24. Januar 1944, DA 1944,45; Cass. Civ. 9. Juli 1954, D. 1954,683; Cass. Civ. 14. Juni 1967, D. 1967,674; Cass. Civ. 22. Januar 1970, Bull.civ. 11, nr. 27. 40 Cass. Civ. 3. Oktober 1956, Bull.civ. 11, nr. 490, lC.P. 1956, IV, 149 (Fabrikgeräusche); Cass. Civ. 18. Juli 1961, J.C.P. 1961,11, 12301, Anm. Esmein, Sir. 1962, , 2,1, Anm. Plancqueel (Radio); Cass. Civ. 14. Juli 1967, D. 1967,674 (Hundegebell); Cass. Civ. 8. Mai 1968, D. 1968,609, lC.P. 1968,11, 15595, Anm. De Juglart und Du Pontavice; Paris 19. März 1979, D. 1979, 429, Anm. R.R. (Fluglärm); Cass. Civ. 28. Januar 1975, 15. April 1975, D. 1976,221, Anm. Lamarque und Agostini (Lärmbeeinträchtigungen durch oberirdisches Bergbauvorhaben); Cass. Civ. 27. April 1979, J.C.P. 1980,11, 19408, Anm. Mourocq; Lyon 23. Dezember 1980, D. 1983,605, Anm. Aubert (Musikinstrumente). 32 33
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Erschütterungen41 , aber auch bei sog. Grobimmissionen42 , als Umweltbeeinträchtigungen (nuisances) zur Anwendung. Im französischen Recht werden im Gegensatz zum deutschen Recht auch sog. negative Einwirkungen wie Behinderung der Sicht, Entzug von Licht (privation de vue et de lumierer oder Störungen des Radio- und Femsehempfangs 44 als troubles de voisinage angesehen. Ursprünglich galten solche troubles nur im Falle eines abus de droit als haftungsbegrUndend45 • In einer Entscheidung aus dem Jahre 1972 billigte der Kassationshof jedoch einem Hauseigentümer auch ohne den Nachweis des Rechtsrnißbrauchs eine Entschädigung zu. Nach dem Bau eines im Einklang mit den städtebaulichen Vorschriften stehenden vierstöckigen Gebäudes auf dem Nachbargrundstück lag das Haus des Klägers völlig im Schatten46 • Schutz wird außerdem und wiederum im Gegensatz zum deutschen Recht bei ideellen Einwirkungen gewährt, z.B. bei Verletzung des ästhetischen oder moralischen Empfmdens durch den Betrieb eines Bordells auf dem Nachbargrundstück47, sog. troubles d'agrement (Beeinträchtigungen der Annehmlichkeiten). Der Schutz ist nicht auf immobiliarbezogene Nutzungsinteressen begrenzt. Anders als im deutschen Recht wird nicht differenziert, ob sich die Störung auf die Substanz des Grundstücks oder auf deren Bewohner auswirkt41 • Der zivilrechtliche Schutz umfaßt die persönlichen Rechtsgüter wie Leben, Körper und Gesundheit als auch das Vermögen. 3. Anormalite der Beeinträchtigung Eine Haftung im Bereich der troubles de voisinage setzt anormalite der Beeinträchtigung voraus. Ersatzfllhig sind nicht die "normalen" UnannehmlichkeiCass. Civ. 3. Oktober 1956, Bull.civ. 11, nr. 490. J.C.P. 1972,11,17203, Rapport Fabre. 43 Dazu ausllihrlich Martin, Droit au solei! et les troubles de voisinage, RJE 1979, 292-305; Sichtbehinderungen durch Pflanzen: Colmar 20. Januar 1964, D. 1964, 518; durch "Scheinkamin": Colmar 2. Mai 1855, D. 1856,2,9; durch Holzbohlen: Cass. Civ. 13. Oktober 1965, Bull.civ. I, nr. 544.; D. 1966, somm., 50; Cass. Civ. 26. Januar 1993, Gaz.Pal. 15. Juni 1993, Anm. Liet-Veau 44 Agen 2. Februar 1971, Gaz.Pal. 1971, 1,328. 4S Colmar 2. Mai 1855, D. 1856,2, 1. 46 Cass. Civ. 18. Juli 1972, Bull.civ. III, nr. 478, D. 1974,73, Anm. De La Marnierre, J.C.P. 1972,11,17203, Rapport Fabre, Rev.trim.dr.civ. 1974,637, Anm. Bredin. 47 Aix 11. Januar 1873, D. 1874,2,68. 48 Palmer, Die Entwicklung des deutschen privatrechtlichen Immissionsrechts im 19. Jahrhundert verglichen mit dem französischen Recht, zugleich ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des § 906 BGB, S. 190 f. 41
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ten, die sich aus dem nachbarschaftlichen Miteinander regelmäßig ergeben, sondern nur Beeinträchtigungen, die über dieses Maß hinausgehen49 • Eine darunter liegende Beeinträchtigung ist ersatzlos hinzunehmen. Mithin bestimmt die anormalite nicht nur den Umfang des Ersatzes, sondern entscheidet auch schon über den Anspruch dem Grunde nach50 • Die Beurteilung, welche Beeinträchtigungen hinzunehmen sind und welche die nachbarschaftliche Toleranzschwelle überschreiten, ist schwierig. Trotz umfangreicher Rechtsprechung ist keine eindeutige Klarheit und Definition zu erreichen, denn die anormaliM hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab sl . Unerheblich ist jedenfalls, ob die Tätigkeit, von der die Störung ausgeht, als anormale zu bewerten ist52 • Vielmehr wird auf die Wirkung im Bereich des Gestörten abgestellt. Bei der Frage, ob insoweit besondere, persönlich begründete Empfindlichkeiten (receptivite personnel/e) zu berücksichtigen sind, wird nach objektiven und subjektiven Kriterien unterschieden. Eine objektiv gegebene Empfindlichkeit, die mit der beruflichen Aktivität des Beeinträchtigten zusammenhängt, bezieht die Rechtsprechung in ihre Erwägungen im allgemeinen ein. So wird bestimmten Berufssparten ein besonderes Schutzbedürfnis an ihrer Umwelt mit einem entsprechenden Ersatzanspruch zuerkannf 3 , z.B. dem Inhaber einer durch Ruß immissionen beeinträchtigten WäschereiS\ einem durch den lauten Betrieb eines benachbarten Kinos gestörten Anwalfs und dem durch eine nahegelegene Fabrik gestörten Betreiber eines Krankenhauses 56 • Die besondere AnflUligkeit der beruflichen Tätigkeit kann also die Toleranzschwelle und damit den Maßstab der anormalite prägen und eventuell herabsetzen. Anders ist es bei subjektiven Empfindlichkeiten, die allein auf einem besonderen physischen oder psychischen Zustand des Gestörten beruhen, etwa bei Krankheiten oder besonderen Empfindlichkeiten (z.B. von Kindern oder alten Leuten). Diese werden bislang nicht berücksichtigf 7, denn die Gerichte stellen
49 Die von den Gerichten verwendeten Fonnulierungen variieren und sind insofern zum Teil verwirrend, als daß die Gerichte von anormalite des dommages, von anormalite des inconvenients, von trouble excedant la mesure des obligations ordinaires du voisinage oder von trouble anormal de voisinage sprechen. 50 Waline im Vorwort zu Henriot, Le dommage anormal, S. IX. 51 Girod, S. 74. 52 Martin, Responsabilite civile, nr. 34; Yocas, Les troubles de voisinage, S. 62. 53 Girod, S. 68; Le Tourneau, (3. Aufl.), nr. 2019 f. 54 Cour Royale de Colmar 16. Mai 1827, Devillineuve et Carette, Recueil General 1927, H, 368; Cass. Req. 15. Juli 1875, Sir. 1875, I, 325. 55 Cass. Civ. 12. Januar 1966, D. 1966,473. 56 Nancy 12. April 1923, Gaz.Pal. 1923, 1,743. 57 Zur Kritik an dieser Unterscheidung Caballero, Essai, S. 247.
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- wie auch in Deutschland - auf den Grad der Empfindlichkeit eines gesunden Durchschnittsmenschen ab58 • In sachlicher Hinsicht werden bei der anormalite auch die örtlichen Gegebenheiten auf der störenden wie auf der gestörten Seite berücksichtigt. Dies geschieht dadurch, daß die Rechtsprechung insofern auf die sog. preoccupation collective - einen Zentralbegriff bei der Ermittlung der anormalite - Bezug nimmt. So wird versucht, das Normale anband der in dieser Gegend vorhandenen üblichen Nutzung zu ermitteln und von der anormalite zu unterscheiden59 • Die preoccupation collective kann auch von einem einzelnen Grundstück bestimmt werden, wenn dieses seine Umgebung prägt, z.B. bei einem Flughafen60 oder einer vergleichbaren Großanlage. Dabei lassen die Gerichte die städtebaulichen Vorschriften und Raurnordungspläne ebenso wie öffentlich-rechtliche Planvorgaben rur die Nutzung außer Betracht 1 und richten sich allein nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Vergleichsgebiets. Die Nichtberücksichtigung öffentlich-rechtlicher Vorschriften steht mit dem Prinzip der separation des pouvoirs in Zusammenhang. Dieser seit der Revolution strikt geltende und das französische Rechtssystem beherrschende Grundsatz prägt auch die Abgrenzung und das Spannungsverhältnis zwischen privatem und öffentlichem Nachbarrecht. So wird das principe de separation des pouvoirs nicht nur in dem Sinn verstanden, daß sich die Zivilgerichte nicht in Angelegenheiten der öffentlichen Verwaltung einschalten dürfen, sondern auch umgekehrt dahin, daß die Zivilgerichte ihre Entscheidung unabhängig von öffentlichen Vorgaben treffen können62 • Das gilt ebenso im Hinblick auf Ver-
58 T.G.!. Riom 17. März 1965, D. 1965,547,548, Anm. G.A.; Cass. Civ. 22. Januar 1969, Bull.civ. 11, nr. 25; Rouen 12. Januar 1973, AJPI 1974,423; Demogue, Traite des obli~ations en general, Sources des obligations Bd. IV, nr. 731; Palmer, S. 196. 5 Ständige Rechtsprechung: Cass. Civ. 28. Februar 1848, D. 1848, 1, 122; Metz 25. August 1863, D.P. 1864, 2, 111; Bordeaux 5. März 1903, D.P. 1908, 2, 49, Anm. Capitant; Cass. Civ. 30. Januar 1963, Bull.civ. 11, nr. 100; Cass. Civ. 22. Januar 1969, Bull.civ. 11, nr. 25; bestätigt durch die h.M. in der Literatur: Nicolas, Rev.trim.dr.civ. 1976,675,689, nr. 35; Girod, S. 71, Harpillard, S. 142. Eine Differenzierung, ob die Ortsüblichkeit anhand der Gegebenheiten des beeinträchtigten oder des störenden Grundstücks festgelegt wird, ist der französischen Rechtsprechung nicht zu entnehmen. 60 Cass. Civ. 8. Mai 1968, J.c.P. 1968,11, 15595, Anm. De Juglart und Du Pontavice (Flughafen von Nizza). 61 Cass. Civ. 18. Juli 1972 J.C.P. 1972,11, 17203, Rapport Fabre; Cass. Civ. 27. April 1979, J.C.P. 1980,11, 19408, Anm. Mourocq; Nicolas, Rev.trim.dr.civ. 1976,675, 689, nr. 35. 62 Vgl. Cass. Civ. 17. Februar 1993, Bull.civ. 11 nr. 68. Für eine stärkere Berücksichtigung verwaltungsrechtlicher Vorschriften Nicolas, Rev.trim.dr.civ. 1976,675,689, nr. 35.
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waltungsvorschriften über Emissions- und Immissionswerte63 , an die die Gerichte nicht gebunden sind64 • Öffentlich-rechtliche Standards werden lediglich als Richtwerte herangezogen, die den Richter nicht in dem ihm zustehenden pouvoir souverain d'appreciation (Beurteilungsermessen) einschränken6S . Bis heute ist die Begründung rur die theorie de la preoccupation collective in der Literatur kontrovers, während die Gerichte diese Frage nicht erörtern. Anfangs wurde sie teilweise mit der acceptation du risque (Einwilligung in das Risiko) gerechtferti~: derjenige, der sich in einer bestimmten Umgebung niederlasse, kenne und akzeptiere damit die dort gegebenen Beeinträchtigungen. Dagegen ist jedoch einzuwenden, daß von einer "Einwilligung" nur die Rede sein kann, wenn der Betroffene bei der Niederlassung zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen kann, was keineswegs immer der Fall ist67. Deshalb erklärt die Mehrheit der Autoren diese Theorie mit einer kollektiven Unterwerfung unter die usages et traditions locaux (örtliche Gebräuche und Traditionen)61. Doch auch diese Begründung stößt auf Bedenken, weil sich nicht in jedem Gebiet örtliche Gebräuche und Traditionen entwickelt haben69 . Ferner wird der Gedanke der equite (Billigkeit) als Grundlage herangezogen. 7o Wer sich in einer Industriegegend niederlasse, habe daftlr weniger zu zahlen als derjenige, der in eine ruhige Wohngegend ziehe; das ftlhre bei einer zusätzlichen Entschädigung durch den Störer zu einer zweifachen fmanziellen Begünstigung. Aber auch dieses Argument triffi nicht immer zu, weil die Grund63 Bei Lärmbeeinträchtigungen: Cass. Civ. 23. November 1962, Bull.civ. 11, nr. 754, S. 551; T.G.I. Nice 9. Dezember 1964, D. 1965, 221, Anm. Derrida, lC.P. 1965, 11, 14074, Anm. De Juglart; Cass. Civ. 8. Mai 1968, J.C.P. 1968, 11, 15595, Anm. De Juglart und Du Pontavice; Cass. Civ. 8. Februar 1972, Bull.civ. III, nr. 89 S. 65; Cass. Civ. 17. Dezember 1974, Bull.civ. n, nr. 335, S. 276. Bei Verschmutzungen: Caen 22. Dezember 1952, lC.P. 1952, IV, 48; Cass. Civ. 19. Januar 1961, Bull.civ. 11, nr. 58, S. 41; Cass. Civ. 29. März 1962, Bull.civ. 11, nr. 365; T.G.I. Caen 21. März 1966, J.C.P. 1966, IV, 95; Toulouse 17. März 1970, lC.P. 1970, 11,16534, Anm. M. D. Bei Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Bauhöhe: Cass. Civ. 18. Juli 1972, D. 1974,73, Anm. De La Marnierre; Cass. Civ. 3. November 1977, D. 1978,434, Anm. Caballero. 64 Terzakis, Contribution a I'etude de la complexite du droit de I'environnement, S.323. 6S Cass. Civ. 15. April 1975, Bull.civ. III, nr. 124; Cass. Civ. 16. Juni 1976, Bull.civ. n, nr. 202. 66 Raymond, Anm. zu Cass. Civ. 22. Oktober 1964, D. 1965,344,345 f. 67 Bugge, Pollution industrielle, S. 111. 68 Capitant, Anm. zu Bordeaux 5. März 1903, D.P. 1908, 2, 49; Ripert, Anm. zu Cass. Civ. 18. Februar 1907, D.P. 1907, I, 385; Blaise, Rev.trim.dr.civ. 1965, 261, 290 f. 69 Caballero, Anm. zu Cass. Civ. 8. März 1978, D. 1978,433,438. 70 Leyat, La responsabilite dans les rapports de voisinage, S. 342.
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stückspreise bzw. Wohnungsmieten in Industriestädten inzwischen im Regelfall höher sind als in einer ländlichen Gegend. Inzwischen wird der Sinn und Zweck der theorie de la preoccupation collective auch grundsätzlich in Zweifel gezogen71 • Dieser Beurteilungsmaßstab trage dazu bei, bereits bestehende ökologische Belastungen und Ungleichheiten zu verstärken, indem sich ein Ersatzanspruch um so stärker reduziere, je mehr ein Betroffener schon Beeinträchtigungen ausgesetzt sei. Dadurch habe die Industrie auch weniger Interesse, die Umweltbelastungen zu verringern, als sie auf dem Niveau der preoccupation collective zu halten72 • Es ist jedoch nicht zu übergehen, daß die örtlichen Gegebenheiten eine gewachsene Realität darstellen und nicht ohne weiteres ignoriert werden können. Deshalb hält die Rechtsprechung, ungeachtet der Kritik der Lehre, weiterhin an diesem Beurteilungskriterium fest. Allerdings trifft es zu, daß die preoccupation collective - wie in Deutschland das Merkmal der Ortsüblichkeit - Gegebenheiten hinnimmt und damit einer Verbesserung entgegensteht. Zeitliche Umstände finden auf mehreren Ebenen Berücksichtigung. Das gilt zunächst in historischer Hinsicht. Die Entwicklungen von Technik, Verkehr und allgemeinen Lebensumständen können dazu fUhren, daß z.B. Störungen, die in früherer Zeit als anormale angesehen wurden, heute als normale gelten 73 • Es kann aber auch umgekehrt sein, daß früher als normale betrachtete Störungen heute wegen größerer Störungsempfmdlichkeit als anormale beurteilt werden. Alsdann kann es bei der Störung darauf ankommen, zu welcher Zeit sie erfolgt. So wird nächtlicher Lärm häufiger als excessif und damit als anormale eingestuft als Lärm am Tage 74 • Auch die Dauer einer Beeinträchtigung spielt eine große Rolle. Eine an sich hinzunehmende Beeinträchtigung kann anormale werden, wenn sie anhaltender Natur ist und sich häufig wiederholt'5. Früher wurde vereinzelt auch die zeitliche Priorität im Verhältnis zwischen dem Störer und dem Gestörten berücksichtigt. Der Gestörte, der sich in Kenntnis der Gegebenheiten etwa einer Fabrik in der Umgebung niedergelassen habe, habe an seiner Beeinträchtigung schuldhaft mitgewirkt und deshalb keinen Caballero, Essai, S. 266 ff; Prieur, Droit de I'environnement, nr. 900. Caballero, Essai, S. 268. 73 Girod, S. 73; Roux, La specificite de la theorie des troubles de voisinage ou le pouvoir reconnu au juge civil de statuer "en equite", in: Schwarz-Liebermann von Wahlendorf (Hrsg.), Exigence sociale, jugement de valeur et responsabilite civile en droit frantyais, allemand et anglais, S. 85. 74 Cass. Civ. 30. Mai 1969, Bull.civ. 11, nr. 170; Cass. Civ. 17. Juni 1971, Bul1.civ. 11, nr. 226 (nächtliche Ruhestörung); Nicolas, Rev.trim.dr.civ. 1976,675,688, nr. 34. 7S Cass. Civ. 15. Dezember 1971, Bull.civ. 11, nr. 345, D. 1972, somm., 96; Cass. Civ. 13. Januar 1972, Bull.civ. 11, nr. 17, D. 1972, somm., 91; Nicolas, S. 688, nr. 34. 71
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Ersatzanspruch76 ; er habe seine Störung bewußt hingenommen, so daß den Störer infolge seiner früheren Präsenz keine Ersatzpflicht treffe (sog. theorie de la preoccupation individuelle). Diese Ansicht hat sich jedoch nicht durchgesetzt. Vielmehr lehnen heute Rechtsprechung 77 und Lehre 7! einhellig eine solche Begünstigung des Störers ab und beurteilen die anormaliM unabhängig vom Zeitpunkt der Ansiedlung. Begründet wird das damit, daß bei der Anerkennung eines Prioritätsrechts des Störers der Gestörte nicht mehr nach Belieben mit seinem Grundstück verfahren könne und dieses faktisch mit einer servitude (Dienstbarkeit) belastet sei, die aber eine gesetzliche Grundlage oder eine diesbezügliche Vereinbarung voraussetze79 • Eine solche gesetzliche Grundlage gibt es ausnahmsweise in Art. 112-16 Code de construction et de I'habitation80, dessen Vorläufer Art. 421-9 Code de l'urbanisme war. Danach sind Ansprüche wegen einer Störung durch landwirtschaftliche, industrielle, handwerkliche und gewerbliche Tätigkeiten ausge. schlossen, wenn diese bereits vor Erteilung einer Baugenehmigung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften ausgeübt wurden und unverändert fortgesetzt werden. Grund filr den Erlaß dieser Vorschrift war die Vielzahl der Klagen von Städtern mit neuem Zweitwohnsitz auf dem Lande, die sich von den Auswirkungen der Landwirtschaft gestört filhlten 81 • Der Gesetzgeber hatte sich mit 76 Demolombe, Cours de Code Napoleon XII, Traite des servitudes ou services fonciers, Bd. 2, nr. 659, 659 bis. 77 Cass. Civ. 18. Februar 1907, D. 1907, 1,385; Cass. Civ. 4. Dezember 1935, Sir. 1936, 1,208, Gaz.Pal. 1935,2,950; Cass. Civ. 30. November 1961, D. 1962, 168, Sir. 1962,131; Cass. Civ. 19. Januar 1961, Bull.civ. 11, nr. 58; Cass. Civ. 20. Februar 1968, D. 1968,350; Cass. Civ. 13. Januar 1972, Bull.civ. 11, nr. 17, D. 1972, somm., 91; Cass. Civ. 29. Juni 1977, D. 1978, inf.rap., 35, Anm. Larroumet. Anders jedoch der Kassationshof in seiner Entscheidung vom 8. Mai 1968, D. 1968,609, 1.C.P. 1968, 11, 15595, Anm. De Juglart und Du Pontavice (Flughafen von Nizza), in der das Gericht die spätere Ansiedlung als/aute ansah. 78 Mazeaud/MazeaudITunc, Traite theorique et pratique de la responsabilite civile delictuelle et contractuelle, Bd. 1, nr. 601. 79 Cass. Civ. 20. Februar 1968, D. 1968, 350; Lambert-Pieri, La responsabilite envers les voisins du fait de la construction, Rev.dr.imm. 1980, 367, 378; Mazeaud/MazeaudITunc,nr.601,602. 80 "Les dommages causes aux occupants d'un biitiment par les nuisances dues ades activites agricoles, industrielles, artisanales ou commerciales, n'entralnent pas droit a reparation lorsque le permis de construire afferent au biitiment expose ades nuisances a ete demande ou ['acte authentique constatant I'alienation ou la prise de bai! etabli posterieurement a I'existence des activites les occasionnant des lors que ces activites s'exercent en conformite avec les dispositions legislatives ou reglementaires en vigueur et qu'elles se sont poursuivies dans les memes conditions. " 81 Declaration de M. Charles Beaupetit, 1.0. deb. senat, 7. März 1980, S. 726; Prieur, Le parlement contre l'environnement, RJE 1977, 131, 134; Caballero, Essai, S.273.
§ 2 Haftungssystem
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dieser Regelung bewußt gegen die bisherige Rechtsprechung entschieden82, was zu erheblicher Kritik seitens der Lehre fUhrteIl. Caballero sah in der Vorschrift sogar einen "Rückschritt in das vorige Jahrhundert"84. Sie erfillle zwar insofern ihren Zweck, als sie zu mehr Vorsicht bei Neuansiedlungen filhre RS , sei jedoch in hohem Maße bedenklich, weil sie dem Störer ein besonderes Recht zur Umweltbelastung ohne Ersatzverpflichtung einräume. Damit werde auch die bisher abgelehnte theorie de la preoccupation individuelle bejaht und zugleich der Grundsatz der reserve des droits des tiers (Vorbehalt der Rechte Dritter) ausgehöhlt86, wonach öffentlich-rechtliche Genehmigungen grundsätzlich keine Auswirkungen auf zivilrechtliehe Anspüche haben können87 . Darüber hinaus wird ein Bedürfnis filr die Vorschrift bezweifelt, denn eine spätere Ansiedlung bleibe auch ohne diese Regelung als Mitverschulden zu berücksichtigen18 • Ein Mitverschulden schließe den Ersatzanspruch nicht gänzlich aus, sei aber bei der Beurteilung der Höhe des Schadensersatzes unter Berücksichtigung der konkreten Umstände einzubeziehen89 . Tatsächlich können die Zivilrichter im Anwendungsbereich des Art. 112-16 Code de construction et de l'habitation aufgrund der schematischen Bezugnahme auf den Zeitpunkt der Ansiedlung keine einzelfallgerechte Abwägung mehr vornehmen. Die Prüfung, ob dem Erstansiedler zu Recht sein Prioritätsrecht zugute gehalten werden kann, ist ihnen verwehrt90 • Der Kritik der Lehre ist auch insoweit zuzustimmen, als sich die Vorschrift als wirtschaftliche "Bremse" erweisen kann. Da sie nur den Betreiber privilegiert, der seine Tätigkeit unverändert
82 Roux, in: Schwarz-Liebermann von Wahlendorf (Hrsg.), Exigence sociale, jugement de valeur et responsabilite civile en droit fran~ais, allemand et anglais, S. 89. 83 Bergei, Propriete et droits reels, chronique, Rev.dr.imm. 1980,404,407; Ravanas, La reserve des droits des tiers en matiere foneiere, Rep. de notariat 1984, 529, 537 ff; Desgax, Droit de I'environnement, S. 47. 4 Caballero, Essai, S. 276. 85 Roux, in: Schwarz-Liebermann von Wahlendorf (Hrsg.), Exigence sociale, jugement de valeur et responsabilite civile en droit fran~ais, allemand et anglais, S. 89. 86 Prieur, Requiem pour lareserve des droits des tiers, RJE 1981,289,292. 87 Dazu unten Teil 11 § 3 I. 3. b). 88 Remond-Gouilloud, Du droit de detruire, S. 35. 89 Nancy 12. April 1923, Gaz.Pal. 1923, 1,743; Cass. Civ. 8. Mai 1968, D. 1968, 609; T.G.I. Pau, 24. Februar 1971, C.P.E.N., Installation c1assees, S. 5575: "Le montant des indemnites rec/amees par chacun des groupements doit etre reduit ( ..) il Y a Iieu de noter que les demandeurs ont installe leurs exploitations horticoles a proximite des etablissements industriels des societes deja en place "; Theron, I.C.P. 1976, I, 2802 nr. 62. 90 Dazu Roux, in: Schwarz-Liebermann von Wahlendorf (Hrsg.), Exigence sociale, jugement de valeur et responsabilite civile en droit fran~ais, allemand et anglais, S. 89.
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2. Teil: Privatrechtlicher Schutz bei Umweltbeeinträchtigungen
weiterführt91 , hält sie diesen von verändernden Modernisierungsmaßnahmen ab. Ein anderer Aspekt bei der Beurteilung der anormalite ist die Frage eines möglichen Vorteilsausgleichs, d.h. inwieweit die mit der Störung verbundenen Nachteile durch die ebenfalls daraus resultierenden Vorteile ausgeglichen werden können. Die Idee der compensation fmdet sich in mehreren Entscheidungen des Kassationshofes wieder. So nahm dieser z.B. an, daß die Vorteile der Lage eines Grundstücks in unmittelbarer Nähe eines Einkaufscenters die Nachteile des Lichtentzugs durch dieses Gebäude ausgleichen würden92 • Dagegen wird in der Literatur eingewendet93 , daß die Rechtsprechung einen solchen Vorteilsausgleich ohne den nötigen Sachzusammenhang vornehme. Ein Vergleich könne nur dann angestellt werden, wenn die positiven wie die negativen Veränderungen von gleichem ökologischen Wert seien. Lediglich in diesem Fall sei eine Vorteilsausgleichung gerechtfertigt; ökologische Beeinträchtigungen seien nicht allein durch wirtschaftlichen Nutzen aufzuwiegen94 • Auch diese Kontroverse zeigt die Schwierigkeit, den komplexen Begriff der anormalite jeweils zu konkretisieren. Die Vielzahl der maßgebenden Faktoren und die Tatsache, daß die Gerichte ihre Beurteilung unabhängig von verwaltungsrechtlichen Vorschriften vornehmen, machen die zu erwartende Entscheidung unsicher und können den Gestörten von einer Klageerhebung abhalten 95 • Hinzu kommt, daß die Ermittlung und Bestimmung der Toleranzschwelle als Tatfrage allein in der Hand der unteren Instanzen liegt, die über einen weiten Beurteilungsspielraum (pouvoir souverain d'appreciation) verfügen. Der Kassationshof ist auf die Entscheidung von Rechtsfragen beschränkt96 und überprüft deshalb nicht die Feststellung der anormalite, so daß sich dazu keine einheitliche Rechtsprechung entwickelt hat.
91
539.
Prieur, Droit de l'environnement, nr. 953; Ravanas, Rep. de notariat 1984, 529,
Cass. Civ. 11. Februar 1976, Bull.civ. 11, nr. 51. Caballero, Essai, S. 252 f. 94 In der Verwaltungsrechtsprechung hat sich diese Erkenntnis bereits durchgesetzt; dazu unten Teil III § 3 11. 1. b). . 95 Prieur, Droit de l'environnement, nr. 936; Mourgeon, Anm. zu Cass. Civ. 17. April 1979 und 30. Mai 1969, J.C.P. 1969,11, 16069. 96 Cass. Civ. 30. Januar 1963, D. 1963, 261, Rev.trim.dr.civ. 1963, 575, Chron. Bredin; Cass. Civ. 30. Mai 1969, J.C.P. 1969,11, 16069, Anm. Mourgeon; Cass. Civ. 17. Juni 1971, Bull.civ. 11, nr. 226, D. 1971, somm., 183; Cass. Civ. 3. November 1977, D. 1978. 434, Anm. Caballero. 92
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IV. Gardien-Haftung
Als Haftungsgrundlage im Bereich der Nachbarstörungen kommt auch die allgemeine Sachhalterhaftung nach Art. 1384 Abs. 1,2. Alt. ce in Betracht. 1. Allgemeine Voraussetzungen Art. 1384 Abs. 1, 2. Alt. ce begründet eine Haftungsverpflichtung filr Schäden, die von Sachen verursacht wurden, welche man als gardien (Hüter) unter seiner Verfilgungsgewalt hat. Der Aggregatzustand oder die Gefährlichkeit der schadensstiftenden Sache sind hierbei unerheblich97 • Um allerdings die Sachhalterhaftung nicht ausufern zu lassen, hat die Rechtsprechung die Verantwortlichkeit dahingehend eingeschränkt, daß die Sache cause generatrice, d.h. wesentlicher Faktor rur die Schädigung gewesen sein muß und nicht nur eine rein passive Rolle gespielt hat98 • In Anspruch genommen wird der gardien, der Halter der Sache. Die garde (Obhut) hat derjenige, der usage, direction et contr61e (Gebrauch, Leitung und Aufsicht) über die Sache hat99 • Ihm gegenüber kommt es bei Eintritt eines Schadens zu einer Haftungsvermutung hinsichtlich des Vorliegens einer faute, die nur unter sehr engen Voraussetzungen widerlegt werden kann. Die Anforderungen an den Entlastungsbeweis wurden im Laufe der Zeit zunehmend strenger. Der gardien ist nur entlastet, wenn der Schadenseintritt auf cas fortuit (Zufall) oder auf force majeure (höherer Gewalt) beruht, wenn ein schuldhaftes Verhalten des Geschädigten das Schadensereignis verursacht bzw. mitverursacht hat 100 oder wenn ein schuldhaftes Verhalten eines Dritten vorliegtlol. Es reicht mithin nicht aus, daß der gardien darlegt, keine schuldhafte Handlung oder Unterlassung begangen zu haben lO2 • Durch die Haftungsvermutung und die weite Auslegung der Tatbestandsmerkmale kommt diese Regelung einer Gefährdungshaftung des Halters fur alle Sachgefahren nahe. Deshalb besteht in Frankreich - im Unterschied zu Deutschland - bisher kaum ein Bedürfnis, besondere Tatbestände einer Gefährdungshaftung aufzustellen 103.
ZweigertlKötz, Bd. 2, § 19 III, S. 410. Cass. Civ. 9. Juni 1939, D.H. 1939, J, 449; Ferid/Sonnenberger, Bd. 2, 2 0 318. 99 Cass. ch.reunies, 2. Dezember 1941, D. 1942, 2, 25 ff, Anm. Ripert (arret "Frank"). 100 Cass. ch.reunies 13. Februar 1930, Sir. 1930, I, 121, (arret "Jand'heur"); Cass. Re~. 19. Januar 1914, Sir. 1914, I, 128. 01 Ferid/Sonnenberger, Bd. 2, 2 0 337. 102 Cass. ch.reunies 13. Februar 1930, Sir. 1930, I, 121, (arret "Jand'heur"). 103 ZweigertlKötz, Bd. 2, § 19 III, S. 409; Kötz, Deliktsrecht, S. 125 Rdnr. 335. 97
98
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2. Teil: Privatrechtlicher Schutz bei Umweltbeeinträchtigungen
2. Anwendbarkeit im Nachbarrecht Auf den ersten Blick stellt die gardien-Haftung eine vorteilhafte Haftungsgrundlage im Nachbarrecht dar, weil weder eine faute des Beklagten nachgewiesen werden muß noch die der Beeinträchtigung erforderlich ise 04 • Bei näherer Betrachtung der Rechtsprechung flillt jedoch auf, daß diese Regelung im Nachbarrecht keine verbreitete Anwendung fmdet. Verurteilungen auf dieser Grundlage sind nur in bestimmten Fallgruppen ergangen, wie bei BlätterfallIOs, Explosionen, plötzlichem Austritt von Gasen und anderen Stoffen lO6 , Ableiten von Wasser lO1 und Schädigungen durch Bauarbeiten lO8 • Eine Erklärung dafilr ist, daß die Anspruchsgrundlage der theorie des troubles de voisinage besser auf die im Nachbarschaftsverhältnis auftauchenden Konfliktsituationen zugeschnitten ist und deshalb bevorzugt wird,. Die dabei maßgebende rechtliche Interessenabwägung wird auch insoweit auf andere Anspruchsgrundlagen übertragen, als das Erfordernis der anormalite der troubles zusätzlich gilt, wenn es um einen Nachbarkonflikt gehe 09 • Demgemäß wird auch die an sich vom Merkmal der anormalite unabhängige Sachhalterhaftung bei einem Nachbarkonflikt entsprechend begrenzt. Hinzu kommt, daß die filr die gardien-Haftung bestimmten Einschränkungen - unter anderem keine Haftung, wenn die Sache nur eine rein passive Rolle gespielt hat oder force majeure vorliegt - bei der theorie des troubles de voisinage nicht maßgebend sind, so daß diese filr den Betroffenen regelmäßig vorteilhafter ist llo .
104 Martin, Chronique de la jurisprudence civile de la cour de cassation en matiere d'environnement, RJE 1979, 112, 115. lOS Limoges 20. Juni 1921, D.P. 1922, 2, 49, Anm. Lalou; Paris 22. Januar 1936, Gaz.Pal. 1936, 1,274; T.I. Limoges 13. Oktober 1959, D. 1960, somm., 2; Paris 13. Dezember 1960, D. 1961, 102; anders aber Cass. Civ. 21. Juli 1953, D. 1953, 573, Gaz.PaI. 1953, 2, 315. In dieser Entscheidung rügte der Kassationshof, daß ein Anspruch gern. Art. 1384 Abs. 1,2. Alt CC nur bei Überschreitung der anormaliM begründet sei. 106 Cass. Civ. 17. Dezember 1969, Bull.civ. nr. 353 (entweichende Gase töteten einen Fabrikarbeiter); Cass. Civ. 4. Dezember 1973, Gaz.Pal. 1974, 1., 444; Cass. Civ. 12. November 1975, Gaz. Pal. 1976,1. 174, Anm. Heno (Explosion einer Gasflasche). 107 Cass. Civ. 18. Dezember 1978, 1.C.P. 1979, IV, 74. 108 Cass. Civ. 20. Oktober 1971, D. 1972, 414; Cass. Civ. 8. März 1978, D. 1978, 641, Anm. Larroumet. 109 Cass. Civ. 21. Juli 1953, D. 1953, 573, 573; Durry, Chronique, Rev.trim.dr.civ. 1971,844,858 f; Larroumet, Anm. zu Cass. Civ. 8. März 1978, D. 1978,641,644. 110 Schreiber, Die Sachhalterhaftung des Art. 1384 Abs. 1 CC verglichen mit dem deutschen Recht, S. 9.
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Schließlich spielt es auch eine Rolle, daß der Kläger die rur die Beurteilung maßgebende Rechtsgrundlage bestimme 11, so daß der Richter - anders als im deutschen Zivilprozeß - nicht alle sonstigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen in die Prüfung einbeziehen darf' 12. Insoweit dominiert die theorie des troubles de voisinage auch in der Praxis. V. Gesetzliche Geflihrdungshaftung
Trotz der weitgehenden gardien-Haftung gibt es auch in Frankreich einige begrenzte Regelungen fUr eine besondere Gefährdungshaftung, die sich auf neuere technische Gefahren beziehen. So bestimmt Art. 142-2 Code de l'aviation civile ll3 eine Haftung der Fluggesellschaft rur die Schäden, die durch den Betrieb von Flugzeugen entstehen. Im Wege einer extensiven Auslegung wird diese Bestimmung auch bei den von Flugzeugen ausgehenden Lärmbeeinträchtigungen angewandt ll4 • Diese strenge und nur bei einer faute des Betroffenen entfallende Haftung hat die Rechtsprechung dadurch abgemildert, daß sie, wie bei der Haftung fUr troubles de voisinage, einen besonderen Schaden fordert, der die Schwelle der anormalite überschreitet lls • Weiter besteht eine Gefährdungshaftung im Bereich der Kernenergie ll6 , die durch den sog. Grundsatz der Kanalisierung (principe de canalisation) gekennzeichnet ist. In Übereinstimmung mit den internationalen Atomhaftungsübereinkommen wird damit die 111
322.
Marty/Raynaud, nr. 531; Viney, Anm. zu Cass. Civ. 27. Mai 1975, D. 1976, 318,
112 Cass. Civ. 21. November 1956, D. 1957,209, Anm. Savatier; Cass. Civ. 21. Januar 1970, D. 1970,525, Anm. Lambert-Faivre; Cass. Civ. 27. Oktober 1982, D. 1984, 292, Anm. Martin; Carbonnier, Droit civil, Bd. 4, nr. 290; Georgiades, Die Anspruchskonkurrenz im Zivilrecht und Zivilprozeßrecht, S. 43. 113 "L'exploitant d'un aeronef est responsable de plein droit des dommages causes par les evolutions de I'aeronef ou les objets qui s'en detacheraient aux personnes et aux biens situes a la surface. Cette responsabilite ne peut etre attenuee ou ecartee que par la preuve de la faute de la victime." 114 T.G.I. Nice 9. Dezember 1964, D. 1965, 221, Anm. Derrida, J.C.P. 1965, 11, 14074, Anm. De Jug/art. IIS T.G.I. Nice 9. Dezember 1964, D. 1965, 221, Anm. Derrida, J.C.P. 1965, 11, 14074, Anm. De Jug/art; Cass. Civ. 8. Mai 1968, J.C.P. 1968, 11, 15595, Anm. De Jug/art und Du Pontavice (Flughafen von Nizza). 116 Gesetz vom 30. Oktober 1968 relative a la responsabilite civile dans le domaine de l'energie nuc1eaire geändert durch das Gesetz vom 16. Juni 1990, das im Anschluß an folgende Übereinkommen ergangen ist: Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie; Zusatzübereinkommen vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie und Zusatzprotokoll vom 28. Januar 1964 (BTÜsseler Zusatzübereinkommen).
4 Bergmann
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2. Teil: Privatrechtlicher Schutz bei Umweltbeeinträchtigungen
gesamte Ersatzverantwortung auf den Anlageninhaber konzentriert ll7 • Schließlich existiert auch aufgrund eines internationalen Übereinkommens eine Gefllhrdungshaftung des Eigentümers eines Schiffes fUr Ölverschrnutzungsschäden ll8 • Diese Gefllhrdungshaftungstatbestände betreffen nur einen sehr begrenzten Gefahrenbereich. Bei Nachbarstörungen übernimmt das verschuldensunabhängige Haftungsinstitut der theorie des troubles de voisinage weitgehend eine entsprechende Funktion.
§ 3 Rechtsschutzziele I. Anordnung der Einstellung und Unterlassung der Störung
1. Negatorischer Rechtsschutz durch die action negatoire Präventiver Schutz kann in Frankreich zunächst durch die action negatoire erreicht werden, die zwar im Code Civil nicht eigens geregelt, aber von der Rechtsprechung entwickelt worden ist ll9 • Danach kann der Eigentümer eines Grundstücks gegen die Behauptung eines Dritten vorgehen, der sich einer servitude (Dienstbarkeit) oder eines usufruit (Nießbrauchsrechts) an diesem Grundstück berühmt. Primäres Ziel der Klage ist die Feststellung, daß das Grundstück frei von dem angemaßten Nutzungsrecht ist. Der Kläger muß dabei nur den Nachweis seines Eigentums erbringen, während dem Beklagten der Nachweis des in Anspruch genommenen Rechts zufllllt 120 • Dabei bietet die action negatoire allerdings keinen besonderen Schutz im Bereich von Umweltstörungen, so daß sie - anders als § 1004 BGB im deutschen Recht - auch nicht mit der Problematik der Nachbarstörungen in Verbindung gebracht wird l2l • Insoweit ist
Remond-Gouilloud, Du droit de detruire, S. 165. Gesetz vom 26. Mai 1977 relative a la responsabilite civile et a l'obligation d'assurance des proprietaires de navires pour les dommages resultant de la pollution par les hydrocarbures, entsprechend dem Internationalen Übereinkommen vom 29. November 1969 über die zivilrechtliche Haftung rur Ölverschmutzungsschäden. 119 Kranzbühler, Zur Zulässigkeit der Feststellungsklage im französischen Zivilprozeßrecht im Vergleich mit dem deutschen Recht, S. 65. 120 Hohloch, Die negatorischen Ansprüche und ihre Beziehung zum Schadensersatzrecht, S. 91. 121 Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch, S. 59; Baur, Der Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB. - Zugleich ein Beitrag zum Problem der Rechtswidrigkeit auf dem Gebiet des Güterschutzes, AcP 160 (1961),465,485 Fn. 72. 117 118
§ 3 Rechtsschutzziele
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allerdings ein entsprechender, jedoch beschränkter Schutz im Rahmen des Deliktsrechts entwickelt worden 122. 2. Negatorischer Rechtsschutz durch possessorische Klagen Auch die possessorischen Klagen bieten einen negatorischen Rechtsschutz, wobei deren Anwendbarkeit auf Umweltbeeinträchtigungen fraglich bleibt. In Frankreich stehen drei Besitzschutzklagen dem Immobiliarbesitzer zur VerfUgung: die complainte. die denonciation de nouvel auvre und die reintegrande, deren gemeinsames Ziel die Einstellung der vom Kläger behaupteten troubles possessoires (Besitzstörungen) ist.
a) Complainte Die complainte, die allgemeinste Form der Besitzschutzklagen, zielt auf die Abwehr eines trouble possessoire actuel, einer gegenwärtigen Störung des Besitzes, den der Kläger seit mindestens einem Jahr innehaben muß 123 • Die Klagevoraussetzungen sind erfUllt, wenn der Störer ein Besitzrecht dadurch negiert, daß er eine Handlungsweise erkennen läßt, die mit dem Besitzrecht des Gestörten unvereinbar ise 24 • Die Besitzbeeinträchtigung kann sowohl tatsächlicher (trouble de fait) 125 als auch rechtlicher Art (trouble de droitY26 sein. Auf einen Schaden kommt es nicht an 127 • Mithin kann einerseits ein trouble possessoire gegeben sein, ohne daß es zu einem Schaden kommt, und andererseits aus dem Eintritt eines Schadens noch nicht auf einen trouble possessoire geschlossen werden 128.
Dazu unten Teil 11 § 3 I. 3. Art. 1264 N.C.P.C. 124 Ausgenommen vom Anwendungsbereich der complainte sind gewaltsame Besitzentziehungen, bei denen der spezielle Rechtsbehelf der reintegrande einschlägig ist.; dazu unten Teil 11 § 3 I. 2. c). 125 Z.B. das regelmäßige Überqueren eines fremden Grundstücks, Cass. Civ. 15. Juli 1845, D. 1845, 1,312. 126 Z.B. die Behauptung eines Rechts an einem Grundstück vor Gericht. 127 Cass. Civ. 25. November 1957, Bull.civ. I, nr. 452; Solus, Propriete et droits reels, Rev.trim.dr.civ. 1929,467,468. 121 SoluslPerrot, Droitjudiciaire privee, Bd. I, nr. 185. 122
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b) Denonciation de nouvel reuvre
Die denonciation de nouvel reuvre hat im Gegensatz zur complainte nicht die Abwehr einer gegenwärtigen, sondern einer zukünftig drohenden Störung zum Ziel und ist deshalb ein echtes vorbeugendes Rechtsmittel. Klassisches Beispiel fUr deren Anwendungsbereich ist der Fall, daß ein Nachbar auf seinem Grundstück Arbeiten vornimmt, die nach ihrer Vollendung einen trouble possessoire actuel darstellen würden. Ohne die Fertigstellung abwarten zu müssen, kann mit Hilfe der denonciation de nouvel reuvre gegen die Arbeiten vorgegangen werden 129• Allerdings ist damit nur die Einstellung der Arbeiten und nicht die Beseitigung des bereits ausgefUhrten Bauwerkes zu erreichen. c) Reintegrande
Die action en reintegrande ist der Rechtsbehelf, der die gewaltsame Besitzentziehung (depossession) sanktioniert 130; bloße Besitzstörungen werden von ihr nicht erfaßt. Anders als bei der complainte ist ein einjähriger Besitz vor der Entziehung nicht erforderlich. d) Anwendbarkeit der Besitzschutzk/agen
bei Umweltbeeinträchtigungen
Den Besitzschutzklagen kommt - über die spezielle Klageform der denonciation de nouvel oeuvre hinaus - insofern eine allgemeine vorbeugende Wirkung zu, als das die Gerichte im Zusammenhang mit diesen Rechtsbehelfen Anordnungen zum Schutz gegen künftige Besitzstörungen treffen können. 1m Hinblick darauf könnten diese Rechtsbehelfe auch zur Abwehr von nuisances (Umweltbeeinträchtigungen) genutzt werden. Allerdings kann dies nur unter der Voraussetzung gelten, daß die abzuwehrenden nuisances als troubles possessoires anzusehen sind. Eine Anwendung der Besitzschutzklagen zum Schutz gegen Umweltbeeinträchtigungen ist bisher nur in wenigen Fällen erwogen und von der Rechtsprechung alsdann verneint worden. So wurde ein Besitzschutz gegen die Beeinträchtigung durch einen Ofen, der unmittelbar an eine Grenzmauer herangebaut war und eine starke Hitze ausstrahlte l3l , sowie gegen die durch ein Nachbarge-
129 130
So!usIPerrot, Bd. I, nr. 198. Art. 1264 N.C.P.C.: " ... !'action en reintegrande contre !'auteur d'une voie de
lait... u. 131 Trib.civ. Lyon 8. Dezember 1928, Gaz.Pall929, 1,560.
§ 3 Rechtsschutzziele
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bäude hervorgerufenen Licht- und Belüftungsbeeinträchtigungen132 abgelehnt. In eine ähnliche Richtung ging die Entscheidung des Kassationshofes 133, in der eine Besitzstörung bei der Beeinträchtigung einer Wäscherei durch den Rauch einer Lokomotive verneint wurde. Auch das Ausschütten von Stoffen, das die Verunreinigung eines Brunnens zur Folge hatte 134, wurde nicht als trouble possessoire eingestuft. Entsprechend entschied der cour de Lyon, daß bei Einleitung verunreinigten Wassers keine complainte gegeben sei, weil es dabei an dem fUr einen trouble possessoire erforderlichen Widerspruch zum Besitzrecht des Gestörten fehle l3S • Diese Entscheidung hat in der Literatur zum Teil erhebliche Kritik erfahren. Martin wendet ein, daß dem Wasseranlieger durch das Einleiten die Möglichkeit genommen werde, das Wasser fUr seine eigenen Aktivitäten zu nutzen. Der Verschmutzer entziehe insoweit dem Wasser einen Teil seiner natürlichen Qualitäten, so daß er es sich gleichsam selbst aneigne. Darin liege die fUr einen trouble possessoire erforderliche Infragestellung eines fremden Besitzrechts 136 • Für diese Ansicht spricht eine Entscheidungen der unterinstanzlichen Rechtsprechung 137 • In dieser ging es vornehmlich um die Rechtsnatur des Nutzungsrechts, das Art. 644 CC 138 den Anliegern von fließenden, nicht öffentlichen Gewässern gewährt. Indem das Gericht dieses Recht als "Quasi-Besitz" qualifizierte l39 , bejahte es konsequenterweise die Möglichkeit einer Besitzschutzklage für den in seiner Nutzung beeinträchtigten Anlieger. Auch der Kassationshof ging in einer Entscheidung vom 9. Februar 1982 140 von einem ähnlichen Standpunkt aus. So rügte er, daß die untere Instanz nicht genügend Nachforschungen über das mögliche Risiko der Verschmutzung angestellt habe, die das Nutzungsrecht einschränken und damit zu einer Besitzstörung führen könnte. Lamarque und Agostini beziehen eine ähnliche Position wie Martin und sehen in den Besitzschutzverfahren ein angemessenes Mittel, bei Umweltbeein-
C.A. Versailles, 8. Juli 1981, Gaz. Pa\. 1982, I, somm., 187, 188. Cass. Civ. 1. Februar 1864, Sir. 1864, 1,353 mit anonymer Anmerkung. 134 Soc. 21. Februar 1947, D. 1947,239. Im gleichen Sinne: Cass. Civ. 17. Dezember 1912, D.P. 1913, 1,72. In diesem Fall trat ein dem Beklagten gehörender Fluß über die Ufer, wodurch ein Schaden auf den anliegenden Wiesen entstand. 135 Lyon 15. November 1973, D. 1974,588, Anm. Prevault. 136 Martin, Responsabilite civile, nr. 138. 137 Rennes 15. Februar 1980, D. 1983, inf.rap., 13, obs. Robert. 138 "Celui dont la propriete borde une eau courante, ... , peut s'en servir a son passage pour l'irrigation de ses proprietes. Celui dont l'eau traverse l'heritage, peut meme en user dans l'intervalle qu'elle y parcourt, mais a la charge de la rendre, a la sortie de ses fonds, ason cours ordinaire." 139 "L'usage des eaux courantes constitue une quasi-possession." 140 J.C.P. 1982, IV, 154. 132 133
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2. Teil: Privatrechtlicher Schutz bei Umwe\tbeeinträchtigungen
trächtigungen schnell und einfach Rechtsschutz zu gewähren l41 • Als richtungsweisend erachten sie eine Änderung des Art. 2282 CC 142 , die eine erhebliche Erweiterung des Klägerkreises bei actions possessoires zur Folge hatte. Danach kann jetzt auch der bloße Gewahrsamsinhaber (detenteur) Besitzschutzklagen erheben, allerdings nicht gegenüber demjenigen, von dem er den Besitz ableitet l43 • Darin sehen sie eine wesentliche Erleichterung ftlr den Gestörten, gegen Umweltbeeinträchtigungen vorzugehen. Caballero l44 bezweifelt allerdings, daß diese Gesetzesänderung tatsächlich eine derartige Entwicklung zur Folge hat, da sie allein den Kreis der möglichen Kläger betrim. Das eigentliche Problem, inwieweit Umweltbeeinträchtigungen als Besitzstörungen qualifiziert werden könnten, werde nach seiner Ansicht dadurch nicht gelöst; vielmehr erfordere ein trouble possessoire weiterhin die Infragestellung eines fremden Besitzrechts, was keinesfalls bei jeder nuisance der Fall sei. Welche Position die Rechtsprechung bei diesem Problem in Zukunft einschlagen wird, bleibt abzuwarten. Die von Martin, Lamarque und Agostini vertretene Auffassung hat bisher keinen besonderen Widerhall gefunden. Die Gerichte, die bei Umweltbeeinträchtigungen auf eine der drei Besitzklageformen zurückgreifen, sind in der Minderzahl geblieben. Bei Störungen infolge Nichteinhaltung städtebaulicher Vorschriften (sog. servitudes d'urbanisme) hat der Kassationshof seine Position zur Anwendbarkeit des Besitzschutzes inzwischen deutlich gemacht. In Abkehr von einer früheren Entscheidung 145 geht er nunmehr davon aus, daß in diesen Fällen keine Besitzschutzklagen in Betracht kommen l46 , und begründet dies mit der Rechtsnatur der servitudes d'urbanisme. Anders als die zivilrechtlichen Dienstbarkeiten würden die servitudes d'urbanisme zur städtebaulichen Entwicklung im Allgemeininteresse aufgestellt und dienten keinem einzelnen herrschenden Grundstück. Insoweit könne hierauf auch kein Besitzschutz gegründet werden l47 • 141 Lamarque und Agostini, Anm. zu den Entscheidungen Cass. Civ. 28. Januar und 15. April 1975, Cass. Civ. 28. April 1975, D. 1976,221,224. 142 Durch das Gesetz vom 9. Juli 1975. 143 Art. 2282 Abs. 2 CC: " .. .Ia protection possessoire est pareillement accordee au detenteur contre tout autre que celui de qui il tient ses droitS. " 144 Caballero, Essai, S. 183. 145 In dieser Entscheidung ließ der Cour de Cassation zur Abwehr einer Störung infolge einer Verletzung einer servitude d'urbanisme eine action possessoire zu, CasS. Civ. 9. Juni 1959, Bull.civ. I, nr. 291 ("S. C.!. Terrasse Royale"). 146 Cass. Civ. 23. Juni 1971, J.C.P. 1972, 11, 16965, Anm. Goubeaux, Rev.trim. dr.civ. 1975, 110, 111, Anm. Durry; Cass. Civ. 13. Oktober 1974, Rev.trim.dr.civ. 1975,336, Anm. Giverdon; Cass. Civ. 27. Januar 1976, Bull.civ. nr. 37. 147 Dazu Jacquot, Droit de I'urbanisme, S. 704 f; Durry, Chronique, Rev.trim.dr.civ. 1975,106,110 f.
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3. Negatorischer Rechtsschutz durch petitorische Ansprüche, insbesondere im Rahmen des Deliktsrechts Das Fehlen einer eigenständigen Unterlassungsklage, wie sie in Deutschland mit § 1004 BGB geregelt ist, sowie die begrenzte Anwendbarkeit der actio negatoria und der Besitzschutzverfahren sind im Zusammenhang damit zu sehen, daß die französische Rechtsprechung Beseitigungs- und Unterlassungsanordnungen aus anderen rechtlichen Grundlagen ableitet. a) Grundsatz des pouvoir souverain d'appreciation Hierzu dient insbesondere die außerordentlich weite Generalklausel ftlr deliktische Verantwortlichkeit nach Art. l382 CC 148 . Da diese Norm und auch die ergänzenden Vorschriften der Art. 1383 ff CC keinerlei Regelungen über den Inhalt des Schadensersatzes enthalten, bleibt den Gerichten ein erheblicher Spielraum zu dessen Bestimmung. Der Grundsatz vom sog. pouvoir souverain d'appreciation ist Charakteristikum des französischen Schadensersatzrechts l49 . Bei der Auswahl der Sanktionen - Naturalrestitution, Geldersatz oder Leistung eines anderen Äquivalents - soll der Richter den Schadensersatz in der Weise bestimmen, die zur Konfliktlösung am besten geeignet erscheintl'o. Hierbei ist er an den Antrag des Geschädigten nicht gebunden m . Der Begriff der Naturalrestitution wird dabei sehr weit gefaßt l'2 und umschließt auch Beseitigungs- und Unterlassungsanordnungen l'3. Gerade Nachbarstörungen werden als .Beispiel daftlr genannt, daß eine entsprechende Naturalrestitution erfolgen kann. Die insoweit möglichen Anordnungen sind vielflUtig, z.B. eine laut störende Maschine durch eine leisere zu ersetzen l'4, eine Kläranlage zu bauen m, eine beeinträchtigende Aktivität einzuschränken bzw.
141 Hohloch, Die negatorischen Ansprüche, S. 108; Baur, Der Beseitigungsanspruch, AcP 160 (1961), 465, 485 f. 149 Magnus, Schaden und Ersatz, S. 52. ISO Cass. Civ. 3. Oktober 1974, D. 1975, 151; Cass. Civ. 17. Februar 1972, Bull.civ. 11, nr. 50, D. 1972, somm., 157. 1'1 Giese, "Dommages-int~rets" Schaden und Schadensersatz im französischen Recht, S. 123. 1'2 StoII, Consequences ofLiability: Remedies, I.E.C.L., Torts, vol. XI, eh. 8-64. 1'3 Lang, Grundfragen des privatrechtlichen Immisssionsschutzes in rechtsvergleichender Sicht, AcP 174 (1974), 381, 398. 1'4 EI Kholy, La r~paration en nature en droit franyais et en droit ~gyptien, S. 142. m Cass. Civ. 12. Februar 1974, J.C.P. 1975,11,18106, Anm. Despax.
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2. Teil: Privatrechtlicher Schutz bei Umweltbeeinträchtigungen
ganz einzustellen I56 , die Störungsquelle durch Abriß zu beseitigen oder eine Antenne auf dem den Sendeempfang störenden Gebäude aufzustellen lS7, schließlich auch die Entfernung von lärmenden Tieren lS8 • Weiterhin bleibt die Möglichkeit von Schutzmaßnahmen im Bereich des Gestörten. Solche stehen aber unter zwei Vorbehalten: die angeordneten Maßnahmen dürfen ihrerseits keine weiteren unerträglichen Störungen mit sich bringen, und diese Lösung muß leichter zu realisieren sein als die Unterbindung der Beeinträchtigung beim Störer l59 • Davon geht man insbesondere bei Lärmbeeinträchtigungen aus, die durch Schallschutzmaßnahmen beim Gestörten kostengünstiger und angemessener abgemildert werden können l6O • Allgemein ist jedoch festzustellen, daß die Rechtsprechung mit Beseitigungs- und Unterlassungsanordnungen zurückhaltend verfll.hrt. Insbesondere wenn die störende Tätigkeit öffentlich-rechtlich genehmigt ist bzw. wenn dem beeinträchtigten individuellen Interesse ein Allgemeininteresse gegenübersteht, neigt die Rechtsprechung dazu, Schadensersatz nur in Form einer Geldzahlung zu gewähren. b) Reserve des droits des tiers (Vorbehalt der Rechte Dritter)
Eine entscheidende Grundsatzfrage im Rahmen von Ansprüchen im privaten Rechtsverhältnis ist die Wirkung einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung. In Frankreich besteht seit dem 19. Jahrhundert das Prinzip der reserve des droits des tiers, wonach eine öffentlich-rechtliche Genehmigung nur unter dem Vorbehalt der Rechte Dritter erteilt wird l61 • Dieser Grundsatz ist in allen wesentlichen Umweltgesetzen wie im Anlagengesetz l62 , im Wassergesetz l63 und im Ab156 Colmar 2. Mai 1855, D. 1856, 2, 9; Cass. Civ. 30. Mai 1969 J.C.P. 1969, 11, 16069, Anm. Mourgeon; Rouen 4. März 1986, Gaz.Pa!. 1987, 2, somm., 312 (Schließung einer Diskothek). 157 Agen 2. Februar 1971, Gaz. Pa!. 1971, 1,328; D. 1971, somm., 183. 158 Versailles 4. Juli 1986, D. 1986, inf.rap., 476; Dijon 2. April 1987, Gaz.Pa!. 1987, 2, 60 I, Anm. Goguey. 159 Le Tourneau, (2.Aufl.), nr. 1596 ff; Martin, Responsabilite civile, nr. 152. 160 Martin, Responsabilite civile, nr. 152. 161 Cass. Req. 18. November 1884, Sir. 1885, 1,69; Cass. Req. 7. Dezember 1909, D.P. 1910, 1,95; Cass. Req. 19. Oktober 19\0, D.P. 1912, 1,507; Cass. Civ. 22. Oktober 1964, D. 1965, 344, Anm. Raymond, Rev.trim.dr.civ. 1965, 375, Chron. Bredin; Cass. Civ. 11. Mai 1966, D. 1966,753, Anm. Azard. 162 Art. 8 des Gesetzes vom 19. Juli 1976 relative aux installations c1assees pour la protection de \' environnement: .. Les autorisations sont accordees sous reserve des droits des tierS." So auch bereits in Art. 12 des Vorläufergesetzes vom 19. Dezember 1917.
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fallgesetz l64 normiert und gilt auch im Baurecht fi1r die Baugenehmigung l6s • Mithin entlastet die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften einschließlich der Genehmigung mit ihren Auflagen den Schädiger nicht von seiner privatrechtlichen Verantwortlichkeit gegenüber einem beeinträchtigten Dritten. Der Grundsatz des Vorbehalts der Rechte Dritter wird damit begründet, daß die Verwaltung bei der Erteilung der Genehmigung die privaten Interessen nicht umfassend in die Abwägung einbeziehe, sondern vornehmlich andere Belange berücksichtige 166. In jedem Fall sei die reserve des droUs des tiers Ausdruck der traditionellen Unabhängigkeit des Privatrechts und der Zivilrechtsprechung vom öffentlichen Recht und der Verwaltung und eine besondere Ausprägung des Gewaltenteilungsprinzips l67. c) Das principe de separation des pouvoirs als Einschränkung des negatorischen Rechtsschutzes
Die reserve des droUs des tiers bedeutet allerdings nicht, daß die Zivilrechtsprechung völlig unabhängig vom öffentlichen Recht und einer entsprechenden Genehmigung entscheidetI 68 • Das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung hat zumindest eine indirekte Bedeutung für die Zivilgerichte. Vornehmlich im Bereich der genehmigungspflichtigen Anlagen und im Baurecht hat sie praktisch zur Folge, daß die Gerichte die Gewährung von Geldersatz gegenüber dem negatorischen Rechtsschutz bevorzugen. Darin liegt eine Art rechtspolitischer Komprorniß, da einerseits die reserve des droUs des tiers gilt und andererseits die Genehmigungsentscheidungen der Verwaltung nicht von den Zivilgerichten korrigiert werden dürfen. Nach dem Anlagengesetz vom 19. Juli 1976 169 unterliegen die darin aufgefilhrten sog. installations classees (klassifizierten Anlagen) einer Genehmi-
Art. 10 Abs. 6 des Gesetzes vom 3. Januar 1992. Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes vom 15. Juli 1975. 16S Marand-Deviller, Pennis de construire et regles de droit prive, Rev.dr.imm. 1983, 293,300. 166 Mazeaud/MazeaudITunc, nr. 607; Lafferriere, Le droit de propriete et le pouvoir de police, S. 30 f. 167 Dazu oben Teil I § 4. 168 Zu diesem Problem der Einschränkung der Regel der reserve des draits des tiers ausfllhrlich Ravanas, Rep. de notariat 1984, 529 ff, 593 ff. . 169 Bereits seit dem decret napoleonien vom 15. Oktober 1810 unterliegen in Frankreich gesundheitsschädliche und geflihrliche Anlagen einer speziellen Gesetzgebung; dazu näher unten Teil III § 1 II. 2. 163
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2. Teil: Privatrechtlicher Schutz bei Umweltbeeinträchtigungen
gungs- bzw. Anzeigepflicht je nach dem Grad ihrer Schädlichkeit und Geflihrlichkeit. Für die Erteilung der Genehmigung ist im allgemeinen der Präfekt zuständig, der durch Auflagen sicherstellen muß, daß die gesetzlich geschützten Rechtsgüter l70 nicht geflihrdet oder beeinträchtigt werden. Würde der Zivilrichter ungeachtet der Genehmigung und der Einhaltung aller Vorschriften und Auflagen eine Stillegung oder erhebliche Einschränkung des Betriebes anordnen, so hätte das zwangsläufig einen Widerspruch zur behördlichen Genehmigungsentscheidung zur Folge. Deshalb hat das tribunal de conjlit bereits 1927 unter Heranziehung des Gedankens der Einheit der Rechtsordnung - entschieden l7l , daß die Zivilgerichte bei klassifizierten Anlagen nur solche Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Störungen anordnen dürfen, die den von der Verwaltung im öffentlichen Interesse getroffenen Auflagen nicht widersprechen 172 • Der den Zivilgerichten danach verbleibende Raum rur Beseitigungs- und Unterlassungsanordnungen ist damit zwangsläufig eng begrenzt. Doch selbst diesen nutzen die Richter nur selten, indem sie es im allgemeinen vorziehen, Geldersatz zu gewähren 173. Insoweit wollen sie sich nicht in die im Verhältnis zwischen der Verwaltung und dem Betreiber bestimmten Regelungen einschalten und vertrauen auf die ausreichenden Sachkenntnisse der Verwaltungsbehörden l74 • Diese richterliche Handhabung ft1hrt bei den klassifizierten Anlagen als den bedeutendsten Gefahrenquellen zu einem nahezu umfassenden Bestandsschutz nach Maßgabe des öffentlichen Rechts mit einem entsprechenden Ausfall des privaten Störungsschutzes. Für einen wirklichen negatorischen Rechtsschutz ist lediglich bei Kleinbetrieben, die keiner Genehmigungspflicht unterliegen, noch Raum 175 • Ähnlich verhält es sich bei Nachbarstörungen, die von einem Bauwerk ausgehen, ft1r das ein permis de construire (Baugenehmigung) erteilt wurde. Auch in diesem Bereich wirkt sich das Vorliegen der behördlichen Entscheidung wesentlich auf den Nachbarschutz aus. Der Abriß des störenden Bauwerks wird selbst dann nicht angeordnet, wenn die erteilte Genehmigung den baurechtli170 Das sind die Nachbarschaft, die öffentliche Gesundheit und Sicherheit, die Landwirtschaft, der Natur- und Umweltschutz sowie Erhaltung der Landschaft und Gebäude, Art. 3 Abs. 2 des Anlagengesetzes vom 19. Juli 1976. 171 T.C. 23. Mai 1927, Sir. 1927,3,94. 172 "Les tribunaux judiciaires ont competence pour se prononcer.. . sur les mesures propres afaire cesser le prejudice que cet etablissement pourrait causer dans I'avenir, condition que ces mesures ne contrarient pas les prescriptions edictees par I'administration dans ['interet de la surete et de la salubrite pub/ique ". Dazu auch Cass. Civ. 19. Januar 1961, Bull.civ. 11, nr. 58; Viney, Traite de droit civil, Bd. 5, Les obligations, la responsabilite: effets, nr. 38. 173 Azard, Anm. zu T.G.I. Pau, 12. November 1965, D. 1966,301,303. 174 Girod, S. 164; Martin, Responsabilite civile, nr. 87. m Remond-Gouilloud, Du droit de detruire, S. 287 f.
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ehen Vorschriften widerspricht. Diese Fälle hatte der Kassationshof ursprünglich anders entschieden, indem er trotz erteilter Genehmigung eine Abrißanordnung ausgesprochen hat, wenn geltendes Baurecht nicht beachtet wurde und einem Nachbarn dadurch ein Schaden entstanden war 176 • Dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber 1976 durch die EinfUhrung des Art. L. 480-13 Code de l'urbanisme l71 jedoch ein Ende gesetzt. Nach dieser Regelung können Zivilgerichte den Eigentümer eines gemäß der Bauerlaubnis errichteten Hauses wegen eines Verstoßes gegen baurechtliehe Vorschriften nur noch dann zum Abriß verurteilen, wenn zuvor die Bauerlaubnis annulliert oder deren Illegalität vom Verwaltungsgericht in einem recours en appreciation de validire l7l festgestellt worden ist. Entspricht das Gebäude der erteilten Baugenehmigung, muß der Zivilrichter das Verfahren bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts aussetzen, so daß er gehindert ist, seinerseits Maßnahmen gegen die Störung zu veranlassen 179. Diese Gesetzesbestimmung wird in der Literatur heftig kritisiert l10 • Für den Nachbarn gestalte sich die Durchsetzung seiner Interessen als ein juristisches "steeple-chase" (Hindernisrennen)lBI. Die Aussicht, ein zweifaches Verfahren selbst bei offensichtlichen Verstößen gegen die Bauvorschriften durchfUhren zu müssen ll2 , halte viele Betroffene davon ab, sich entsprechend zu wehren. Da den Verwaltungsgerichten ferner keine Fristen gesetzt seien, über die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung zu entscheiden, könnten die Verfahren erheblich in die Länge gezogen und der Zivilprozeß völlig paralysiert werden lB3 • Es komme hinzu, daß der Erfolg nicht einmal bei einer fUr den beeinträchtigten Nachbarn positiven verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gesichert sei, denn bei Aufhebung der Baugenehmigung könne sogleich eine Ausnahmegenehmi176 Cass. Civ. 13. Januar 1965, D. 1965, somm., 86; Cass. Civ. 6. Juni 1966, Bull.civ. I, nr. 345;Cass. Civ. 7. Juni 1979, Bull.civ. III, nr. 124; Cass. Civ. 18. Februar 1981, Bull.civ. III, nr. 38. 177 "Lorsqu'une construction a ete edifiee conformement a un permis de construire. le proprietaire ne peut etre condammne par un tribunal judiciaire la reparation du prejudice cause par la meconnaissance des regles d'urbanisme ou des servitudes d'uti/ite pub/ique que si. prealablement. le permis a ete annute pour exces de pouvoir ou son iltega/ite a ete constatee par lajuridiction administrative . .. 178 Eine Feststellungsklage zur Klärung der Rechtswirksamkeit eines VerwaItungsaktes. 179 Cass. Civ. 19. Februar 1988, Bull.civ. III, nr. 144; Cass. Civ. 18. Oktober 1989, J.C.P. 1989, IV, 404; Cass. Civ. 19. Februar 1992, J.C.P. 1992, IV, 1153. 110 Lambert-Pieri, Construction immobiliere et dommages aux voisins, S. 101 f; Caballero, Essai, S. 280 f; Ravanas, Rep. de notatriat 1984, 529, 548 ff; Gilli, Le juge judiciaire et le droit de I'urbanisme, AJDA 1993, 55, 60. 181 Caballero, Essai, S. 280 f. 182 Saint-AlaryISaint-Alary Houin, Droit de la construction, S. 217. 183 Ravanas, Rep. de notatriat 1984, 529, 552.
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2. Teil: Privatrechtlicher Schutz bei Umweltbeeinträchtigungen
gung erteilt werden. Schließlich hänge der Verwaltungsrechtsschutz und damit auch die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Klage davon ab, daß der Nachbar die ab Erteilung der Genehmigung laufenden Fristen fUr die Einlegung des Widerspruchs im Verwaltungsverfahren eingehalten habe l84 • In der Praxis fUhrt diese Vorschrift dazu, daß das Privatrecht trotz der reserve des droits des tiers fUr Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche weitgehend wirkungslos bleibt und der Betroffene mit einer entsprechenden Duldungspflicht belastet wird. d) Wirtschaftliche und soziale Faktoren als Einschränkungen des negatorischen Rechtsschutzes
Die Zivilgerichte lassen sich bei der Wahl ihrer Anordnungen zum Schadensersatz auch oft von wirtschaftlichen und sozialen Überlegungen leiten l8 '. Treten persönliche Belange Einzelner mit weitergehenden ökonomischen Interessen in Konflikt, wirkt sich dies häufig zum Nachteil des individuellen Rechtsschutzes aus. So vermeiden es die Gerichte, die Schließung eines Betriebes anzuordnen, wenn dieser ftlr eine ganze Region von wirtschaftlicher Bedeutung ist und durch Stillegung zahlreiche Beschäftigte arbeitslos wÜfden l86 • Gleiches gilt, wenn der Betrieb fUr die Versorgung der Bevölkerung wichtig ist, sei es ein Großbetrieb wie der Betrieb einer Fluggesellschaft187 , sei es der Kleinbetrieb des einzigen örtlichen Bäckers l81 • Ferner spielt die Höhe der Kosten fUr vorzunehmende Schutzmaßnahmen bei der richterlichen Beurteilung eine Rolle. Stehen die Kosten außer Verhältnis zum Nutzen ftlr den Einzelnen, so wird von einer entsprechenden Anordnung abgesehen 189 • Die Auswahl des zu bestimmenden Schadensersatzes hängt ferner maßgeblich von der jeweiligen Haftungsgrundlage ab. Eine Beseitigungs- und Unterlassungsanordnung wird eher ausgesprochen, wenn eine faute oder ein abus de droit seitens des Störers vorliegt l90 , er also gegen öffentlich-rechtliche VorDazu unten Teil III § 2 IV. 4. Girod, S. 170; Le Tourneau, (3. Aufl.), nr. 2029. 186 Trib.corr. 14. Januar 1966, zitiert bei Despax, La pollution des eaux et ses problemesjuridiques, S. 17, Anm. 37. 187 T.G.I. Nice 9. Dezember 1964, D. 1965, 221, Anm. Derrida, J.C.P. 1965, H, 14074, Anm. De lug/art. 118 Paris, ch.corr. 16. Mai 1970, J.C.P. 1970, H, 16399. 189 Nancy 31. Dezember 1886, Gaz.Pal. 1888, I, supp!., 54 (das Gericht lehnte es ab, den Störer zur Erhöhung seiner Schornsteine zu verurteilen und gewährte dem Geschädigten nur Schadensersatz). 190 Roujou de BouMe, Essai sur la notion de reparation, S. 232; Girod, S. 159; Martin, Le droit au soleil et les troubles de voisinage, RJE 1979,292,297; Beispiele: Co 1184
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schriften verstoßen oder seine Rechte mißbraucht hat. Entsprechend wird dieser Schutz häufiger versagt, wenn es sich um eine von Fehlverhalten unabhängige Haftung rur troubles de voisinage strictu senso handelt l91 • In diesen Fällen lehnen es die Gerichte im allgemeinen ab, den Betrieb einer Störungsquelle stillzulegen l92 • Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich die Zivilgerichte bei der Entscheidung über das Für und Wider des negatorischen Rechtsschutzes in erheblichem Maße von Opportunitäts- und Nützlichkeitserwägungen leiten lassen. Die Abwägung flillt dabei in der Praxis überwiegend zu Lasten des Gestörten aus, dem dadurch eine Duldungspflicht auferlegt wird; ihm verbleibt nur noch ein fmanzieller Ausgleich. Diese Rechtspraxis wird in der Literatur nur vereinzelt gebilligt, so von Lambert-PieriI93 , die insbesondere bei der Störung durch Bauwerke einen Störungsschutz auf der Grundlage der theorie des troubles de voisinage generell ablehnt. Ein Störungsschutz widerspreche schon der Legaldefmition des Eigentums in Art. 544 CC9\ denn die Anordnung des Abrisses eines im übrigen rechtmäßig errichteten Bauwerks belege das betreffende Grundeigentum praktisch mit einer servitude non aedificandi (Bauverbot), die allein durch Gesetz oder Vertrag begründet werden könne. Mit einer Anordnung zur Beseitigung der Störungsquelle werde das Gleichgewicht zwischen den Interessen der Nachbarn empfmdlich beeinträchtigt, weil der Störer durch die Beseitigung einen stärkeren Eingriff erleide als der Nachbar durch die Verursachung der Störung. Unter Beachtung dieses herzustellenden Gleichgewichts, das gerade Ziel der theorie des troubles de voisinage sei, müsse der Rechtsschutz des Gestörten auf einen Schadensersatz in Geld beschränkt werden. Demgegenüber spricht sich ein Teil der Literatur gegen diese Rechtsprechung aus, in der sie ein großes Hindernis ftlr einen effektiven privaten Umweltschutz in Frankreich sieht l95 •
mar 20. Mai 1855, D. 1856,2,9 (Scheinkamin); Trib.Sedan 17. Dezember 1901, Sir. 1904,2,217, Anm. Appert (Mauer, die nur errichtet wurde, um das Nachbarhaus zu verdunkeln); Cass. Civ. 20. Januar 1964, Gaz.Pal. 1964, I, 350 (Farne von enormer Höhe, die zum gleichen Zweck gepflanzt wurden). 191 Lambert-Pieri, Lareponsabilite, Rev.dr.imm. 1980,367,386. 192 Gabolde, Les installations cJassees pour la protection de l'environnement, nr. 462. 193 Lambert-Pieri, Construction immobiliere, S. 105. 194 Dazu oben Teil II § I I. 195 Caballero, Essai, S. 285; Martin, Responsabilite civile, nr. 93.
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2. Teil: Privatrechtlicher Schutz bei Umweltbeeinträchtigungen
4. Refere civil Ein spezielles Rechtsmittel des vorläufigen Rechtschutzes vor einer Entscheidung in der Hauptsache ist der sog. refere civil, ein vereinfachtes und beschleunigtes Verfahren vor einem Einzelrichter des tribunql d'instance. Auf der Basis des Art. 809 Abs. 1 N.C.P.C. kann der Richter, wenn ein unmittelbarer Schaden droht (dommage imminent) oder eine offensichtlich widerrechtliche Beeinträchtigung (trouble manifestement illicite) vorliegt, die zur Erhaltung oder Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes notwendigen Anordnungen treffen l96 • Mit dem refere civil können also Z.B. Bauarbeiten vorläufig untersagt werden, wenn anderenfalls ein irreparabler Schaden entstünde l97 • Die Bedeutung dieses Rechtsbehelfs hat zwar in den letzten Jahren zugenommen, jedoch hat der refere civil bisher nicht zu einem umfassend wirksamen präventiven Rechtschutz gefllhrt l91 , da auch· sein Anwendungsbereich durch Art. L. 480-13 Code de l'urbanisme verkürzt wird l99 • 11. Ausgleichsansprüche bei Versagung des Abwehranspruchs
Wird dem Nachbarn ein Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung der Störung aufgrund einer Duldungspflicht versagt, fmdet ein Schadensausgleich in Geld statt. Beim Ausgleich von abgeschlossenen Schäden geht das französische Recht vom Berechnungsgrundsatz der reparation integrale aus 2oo• Danach ist der Geschädigte nach Möglichkeit in die Lage zu versetzen, in der er sich ohne das schädigende Ereignis befunden hätte20I • Bei der Bemessung der Höhe des Schadensersatzes sind die französischen Gerichte zurückhaltend und sprechen den Geschädigten im allgemeinen nur geringe Summen zu. Da das Zivilgericht eine überschießende Bereicherung nicht zusprechen darf02, bleibt ein eventueller Vorteil, den etwa ein Anlagenbetreiber aus einer Verschmutzung zieht, von vornherein unberücksichtigt. Das fllhrt dazu, daß viele Betreiber eine Hertin, Refere civil, in: Encycl. Dalloz, Repertoire de procedure civile, nr. 204. Cass. Civ. 20. Oktober 1976, Gaz.Pal. 1977, pan., 23; Cass. Civ. 14. Dezember 1976, Gaz.Pal. 1977, pan., 97. 198 GiIIi, AIDA 1993, 55, 60. 199 Cass. Civ. 23. November 1983, J.C.P. 1984, IV, 38; Hertin, Refere civil, in: Encycl. Dalloz, Repertoire de procedure civile, refere civil, nr. 204-2°. Zu den Auswirkungen des Art. 480-13 Code de I'urbanisme oben Teil 11 § 3 I. 3. c). 200 Gaertner, Verschuldensprinzip und objektive Haftung bei nachbarlichen Störungen (trouble de voisinage) nach französischem Recht verglichen mit dem deutschen Recht, S. 162. 201 Vgl. etwa Cass. Civ. 12. Februar 1975, Gaz.Pal. 1975, somm., 67; Giese, S. 100. 202 Cass. Crim. 6. Juni 1946, D. 1947, 234, Anm. Savatier; Azard, Anm. zu T.G.I. Pau 12. November 1965, D. 1966,301,304. 196
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zivilrechtliche Verurteilung bewußt in Kauf nehmen und auf teure Umweltschutzmaßnahmen verzichten203 • Ein generalpräventiver Charakter, der der Geldersatzleistung neben ihrer kompensatorischen Funktion zukommen sollte, entfällt dadurch größtenteils204 • Wenn der Schadensausgleich auf der Basis der verschuldensunabhängigen theorie des troubles de voisinage erfolgt, wird der prejudice normale - der Schaden, der unterhalb der Grenze zur anormalite liegt - nicht ersetzt, sondern allein der Schaden, der durch die Überschreitung der Toleranzschwelle eintritf°5• Handelt es sich um eine andauernde oder zukünftig sicher zu erwartende Störung und kann aufgrund einer Duldungspflicht eine Beseitigungs- oder Unterlassungsanordnung nicht getroffen werden, so können die Gerichte regelmäßige Zahlungen in Form von Renten veranlassen206 • Allerdings ist zum Zeitpunkt der Bemessung der Rente vielmals noch nicht abzusehen, in welchem Maße sich die Beeinträchtigung tatsächlich auswirken und auf welche Höhe sich der Schaden belaufen wird. Aus diesem Grund wählen die Richter bei der Schadensberechnung häufig einen anderen Ansatzpunkt. Sie berücksichtigen nicht den in Zukunft zu erwartenden Schaden, sondern die durch die Störung bereits defmitiv eingetretene Wertminderung des Grundstücks des Geschädigten. Auf der Basis eines Sachverständigengutachtens wird ein fmanzieller Ausgleich berechnet, der in Form einer einmaligen Kapitalabfmdung erfolgf°7. Da diese Lösung jedoch die Eigentümerstellung des Gestörten voraussetzt, versagt sie, wenn etwa nach der theorie des troubles de voisinage der Pächter oder Mieter gegen eine Störung vorgeht. Außerdem hat die einmalige Zahlung den Nachteil, daß kein dauerhafter Druck auf den Störer ausgeübt werden kann, da er sich von einer weiteren Haftung befreit sieht und daher auch in Zukunft die Störungen nicht unterlassen wird. In den Fällen, in denen kein Ende einer unerträglichen Beeinträchtigung abzusehen
Rabinovitch, Anm. zu T.G.!. Albertville 26. August 1975, lC.P. 1976, 11, 18384. Martin, Responsabilite civile, nr. 76. 205 Blaise, Rev.trim.dr.civ. 1965,261,269; Girod, S. 47; Thiron, lC.P. 1976, I, 802, nr. 48; Förster, Die Unterlassungsklage als Mittel des vorbeugenden Schutzes nach französischem Recht, S. 18. 206 Diese Möglichkeit wurde 1904 vom Kassationshof als zulässig anerkannt, Cass. Req. 5. Dezember 1904, D.P. 1905, 1,77. Dazu Stefani, La nature de la responsabilite en matieres des troubles de voisinage, S. 108 f. Diese Form des Schadensersatzes darf nicht mit der astreinte verwechselt werden, eine von jeglichem Schaden losgelöste Beugestrafe, auf die später in Teil 11 § 4 111. eingegangen wird. . 207 Cass. Civ. 22. Januar 1970, Bull.civ. 11, nr. 27, D. 1970, somm., 131; Aix 1. Februar 1971, Gaz.Pal. 1971, 1,303, Rev.trim.dr.civ. 1971,673, Anm. Bredin; Cass. Civ. 28. Januar 1975, lC.P. 1976,6231-98, D. 1976,221. 203
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und diese auch nicht abzuwehren ist, gewähren die Zivilgerichte dem Gestörten vereinzelt die Erstattung von Umzugs- und Neuansiedlungskosten2oB • Jede dieser Lösungen läuft letztlich darauf hinaus, dem Störer ein droit de polluer contre indemnit