Die Rede von "Wiedergeburt" im Neuen Testament: Ein metapherntheoretisch orientierter Neuansatz nach 100 Jahren Forschungsgeschichte 9783161553400, 9783161553417, 3161553403

Ursula Ulrike Kaiser zeigt erstmals auf, dass die Erforschung der Rede von "Wiedergeburt" im Neuen Testament v

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German Pages 445 [463] Year 2018

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Titel
Vorwort
Inhalt
Abkürzungen
1. Einführung: Zu Fragestellung, Auf bau und Methodik der Untersuchung
1.1 „Wiedergeburt“: Eine Anknüpfung in der Gegenwart
1.2 „Gänsefüßchen“, die „auf Schritt und Tritt“ begegnen: Die Rolle der Anführungszeichen in dieser Untersuchung
1.3 „Wiedergeburt“ im Neuen Testament? Eine Suche nach sprachlichen Äquivalenten
1.4 „Wiedergeburt“ mit Vorgeschichte: Gewichtige theologische Prägungen eines Forschungsbegriffs
1.5 Noch ein weiteres Paar „Gänsefüßchen“: „Wiedergeburt“ als Metapher
1.6 Nur die Spitze des Eisbergs: Notwendige Verständigung über Metaphern
1.6.1 Metaphern als Textphänomene: Ursprungs- und Zielbereich, Fokuswörter
1.6.2 Metaphorische Interaktion und das nötige Wissen für ihr Gelingen: Enzyklopädie
1.6.3 Metaphernwissen auf der Metaebene: Konzeptuelle Metaphern
1.6.4 Einzelne metaphorische Aussagen in Texten und konzeptuelle Metaphern
1.6.5 Zwischen konzeptueller Metapher und konkretem Text: Zehn exegetische Leitsätze zur Auslegung von Metaphern in neutestamentlichen Texten
1.6.6 Zum Schluss: Gelungene und weniger gelungene Metaphern und der Einfluss der sprachlichen Konvention
1.7 „Wiedergeburt“ als Metapher: Worum geht es in der Forschung?
I. Darstellung der Forschungsgeschichte in metapherntheoretisch orientierter Perspektive
2. Exegetische Weichenstellungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts
2.1 Paul Gennrichs Untersuchung der „Lehre von der Wiedergeburt“ (1907)
2.2 Wilhelm Heitmüllers Artikel „Wiedergeburt“ in der ersten Auflage der RGG (1913)
2.2.1 „Wiedergeburt“ wörtlich: Ein Ansatzpunkt mit Schwierigkeiten
2.2.2 Heitmüllers Themenverschiebung vom „Wort“ zur „Sache“
2.2.3 Der Einfluss der Mysterien auf die neutestamentliche Vorstellung von der „Wiedergeburt“
2.2.4 Kritische Evaluation von Heitmüllers Neuansatz
3. Religionsgeschichtliche Herleitungen in der Debatte
3.1 Adolf von Harnack und die nicht vorhandene „Terminologie der Wiedergeburt“ (1918)
3.1.1 Harnacks Ansatz
3.1.2 Fazit aus Harnacks Beobachtungen im Hinblick auf Methode und Ansatz einer Untersuchung von „Wiedergeburt“
3.2 Otto Procksch und der Versuch einer alttestamentlichen Herleitung der „Wiedergeburt“ (1928)
3.3 Die zweite Auflage der RGG: Erwin Wißmanns Artikel „Wiedergeburt“ (1931)
3.4 Die Beiträge von Friedrich Büchsel im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament (1933)
3.4.1 γεννηθῆναι
3.4.2 ἀναγεννᾶν
3.4.3 παλιγγενεσία
3.4.4 Fazit
3.5 Vincenzo Jacono und eine weitgefasste „dottrina della rigenerazione“ (1934)
3.6 Die erste Monographie zum Thema: Joseph Deys Dissertation zu παλιγγενεσία in Tit 3,5 (1937)
3.6.1 Deys Forschungsansatz
3.6.2 Sprachgeschichtliche Untersuchung von παλιγγενεσία
3.6.3 „Vorstellungen von der Wiedergeburt“ in der Religionsgeschichte
3.6.4 Anwendung der sprach- und religionsgeschichtlichen Ergebnisse auf Tit 3,5
3.7 Erweiterung um eine dogmatisch-kirchliche Fragestellung: Wolfgang Schweitzers unveröffentlichte Dissertation (1943)
4. Zögerliche Neuanfänge nach dem 2. Weltkrieg
4.1 Mögliche jüdische Wurzeln der „Wiedergeburt“, näher betrachtet von Erik Sjöberg (1951)
4.1.1 Der Vergleich des gerade übergetretenen Proselyten mit einem Neugeborenen
4.1.2 Schöpfung und Geburt
4.1.3 Datierungsfragen
4.1.4 Sjöbergs zurückhaltendes Fazit
4.2 Buße und „Wiedergeburt“: Leonhard Goppelts Neuansatz in der dritten Auflage der RGG (1962)
4.3 Unpublizierte Qualifikationsarbeiten zur Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament
4.3.1 Marion Vann Murrells weitgefasstes „Concept of Regeneration in the New Testament“ (1964)
4.3.2 William D. Mounce auf der Suche nach dem Ursprung der neutestamentlichen „Wiedergeburts“-Metapher (1981)
5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“ im Neuen Testament seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts
5.1 Fred W. Burnetts Blick auf παλιγγενεσία in Mt 19,28 (1983)
5.2 „Neuschöpfung und Wiedergeburt“ in Hermann Lichtenbergers Antrittsvorlesung (1986 / 2008)
5.3 „Wiedergeburt“ als archetypisches Symbol bei Thomas Söding (1990)
5.4 „Theologie der neuen Geburt“ aus jüdischen Wurzeln bei Frédéric Manns (1995)
5.5 Peeter Roosimaas Gesamtschau auf die „Wiedergeburt nach dem Neuen Testament“ (1996)
5.6 „Wiedergeburt im Johannesevangelium“: Die einzige neuere Monographie zum Thema von Jae Woog Bae (2003)
5.7 Neubearbeitungen: Die Lexikonartikel zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament von Wiard Popkes (2004) und Jörg Frey (2005)
5.8 „Wiedergeburt“ und das „religiöse Klima“ des 1. Jahrhunderts bei Reinhard Feldmeier (2005)
5.9 Frances Backs Überblick über das „Wiedergeburtsmotiv“ in der römischen Kaiserzeit (2005)
5.10 „Wiedergeburt“ im theologischen „Geflecht“ des Ersten Petrusbriefes bei Elena Bosetti (2006)
5.11 Eine erneute Untersuchung von παλιγγενεσία in Tit 3, 5 durch Christiane Zimmermann (2009)
II. Metapherntheoretisch orientierte Revision der Frage nach „Wiedergeburt“: Von der Forschungsgeschichte zur Fragestellung dieser Untersuchung
6. „Wiedergeburt“? Dekonstruktion der Fragestellung
6.1 Dekonstruktion von „Wiedergeburt“ als „Sache“ bzw. Zielbereich
6.2 Dekonstruktion von „Wiedergeburt“ als „Begriff “ bzw. Ursprungsbereich
7. Neukonstituierung der Fragestellung
7.1 Eine konzeptuelle Metapher und ihre Instanziierungen als neuer Forschungsgegenstand
7.2 Überblick über die neutestamentliche Geburts- und Zeugungsmetaphorik, über ihre Zielbereiche und Möglichkeiten der Binnendifferenzierung
7.2.1 Das mehrdeutige Fokuswort παλιγγενεσία in Tit 3,5
7.2.2 Johanneische Texte mit Geburts- / Zeugungsmetaphorik
7.2.2.1 Das Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus: Geburts- / Zeugungsmetaphorik in Joh 3,3–8
7.2.2.2 Joh 1,13 und die Festlegung des Ursprungsbereiches auf Zeugung
7.2.2.3 Die „aus Gott Gezeugten“ in 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18
7.2.3 „Wiedergeburt“ in 1 Petr 1,3.23
7.2.4 Der „Fall“ Jak 1,18
7.2.5 Der metaphorische Einsatz von Geburt / Zeugung in Jak 1,15; 2 Tim 2,2 und Hebr 6,7
7.2.6 Ein weiterer Beleg für παλιγγενεσία in Mt 19,28
7.2.7 Paulus, der die Glaubenden „zeugt“ und „gebiert“
7.2.7.1 Paulus als „Vater“ der Gemeinde in Korinth: 1 Kor 4,14–16
7.2.7.2 Paulus und „sein Kind“ Onesimus: Phlm 10
7.2.7.3 Paulus in erneuten Wehen: Gal 4,19f.
7.2.8 Fazit: Die konzeptuelle Metapher als Kriterium für die Textauswahl und ihre Grenzen
7.3 Die Neukonstituierung der Fragestellung: Konsequenzen für die traditions- und religionsgeschichtliche Spurensuche
III. Die metaphorische Rede von einer grundlegenden Erneuerung des Lebens als Geburt/ Zeugung: Die Aussagen der Texte
8. „Wiedergeburt“ oder „Wiederentstehung“? Die Metaphorik in Tit 3,5 im Kontext
8.1 Erste Orientierung: Tit 3,5 im Kontext und die Forschungslage
8.1.1 Der unmittelbare Textzusammenhang von Tit 3,5
8.1.2 Einordnung des exegetischen Vorgehens in die Forschungssituation
8.2 Tit 3,1 f.8 als Rahmung von Tit 3,3–7 und der je unterschiedliche Blick auf die „Werke“
8.3 Tit 3,4–7: Eine kompakte Aussage über die Rettung
8.3.1 Tit 3,4–5 c und die Hauptaussage des Satzes: Gott allein rettet
8.3.2 Tit 3,5 d und die vielfältigen grammatischen Auslegungsoptionen
8.3.3 Tit 3,5 d–6 und die Frage, ob λουτρόν auf die Taufe referiert
8.3.4 Tit 3,7 und der Blick in die Zukunft
8.4 Λουτρόν und das Konzept der Reinigung im Titusbrief
8.5 Παλιγγενεσία als Teil der Metaphorik in Tit 3,5
8.5.1 Παλιγγενεσία als Ausdruck einer christlichen Vorstellung von „Wiedergeburt“: Notwendig Kritik an einer ungerechtfertigten Voraussetzung
8.5.2 Παλιγγενεσία als „Wiederentstehung“: Der mögliche stoische Hintergrund der Metaphorik
8.5.3 Postmortale Wiedergeburt der Seele als Hintergrund für die Metaphorik in Tit 3,5?
8.5.4 Die Suche nach einer „Mysterien-Wiedergeburt“ und ihrer Terminologie als Hintergrund für das Verständnis von παλιγγενεσία in Tit 3,5
8.5.5 Παλιγγενεσία als konventionalisierter Ausdruck grundlegender Erneuerungs- und Rettungserfahrungen
8.6 Παλιγγενεσία im Kontext des Titusbriefes: Ergebnisse
9. Wahres Leben als „aus Gott gezeugtes“ Leben: Die johanneischen Texte
9.1 „Aus Gott gezeugt“: Die Metaphorik in Joh 1,13 im Kontext
9.1.1 Die Aufnahme des Logos und der Glaube an seinen Namen (Joh 1,12 a.c) im Verhältnis zur Zeugung ἐκ θεοῦ (1,13 b)
9.1.2 Der Ursprungsbereich Zeugung näher betrachtet: Irdische Herkunft (Joh 1,13 a) versus göttliche Herkunft (1,13 b)
9.1.3 Τέκνα θεοῦ γενέσθαι (Joh 1,12 b) und der Ursprungsbereich der Zeugung und Vererbung
9.1.4 Die ἐξουσία des Sohnes und das Verhältnis von Joh 1,12 b zu 20,17
9.1.5 Wahres Leben als „aus Gott“ gezeugtes Leben: Die Leistung der Zeugungsmetaphorik in Joh 1,13
9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)
9.2.1 Die Gesprächseröffnung durch Nikodemus in Joh 3,1–2
9.2.2 Jesu „Antwort“ in Joh 3,3 und die Frage nach der Themenwahl
9.2.3 Der gescheiterte Deutungsversuch des Nikodemus in Joh 3,4: Zugleich eine Deutung von Joh 3,3
9.2.4 Die Struktur der zweiten Antwort Jesu in Joh 3,5
9.2.5 Wasser als Teil des Ursprungskonzeptes Geburt / Zeugung?
9.2.6 Joh 3,5 b als Referenz auf die Taufe und die Frage nach den Kommunikationsebenen des Textes
9.2.7 Wasser und Geist als Einheit: Eine innerjohanneische Lesart
9.2.8 Der unüberbrückbare Gegensatz zwischen der Zeugung „aus dem Fleisch“ und der Zeugung „aus dem Geist“ (Joh 3,6)
9.2.9 Die „aus Geist Gezeugten“ und der unverfügbare Geist (Joh 3,7–8)
9.2.10 Das Wissen um das „Woher“ und die bleibende Unverfügbarkeit des Geistes: Joh 3,8 d als Fazit des gesamten Abschnitts Joh 3,1–8
9.2.11 Bleibendes Missverständnis: Die letzte Nachfrage des Nikodemus (Joh 3,9) und Jesu dritte Antwort (3,10–12)
9.2.12 Die Ergebnisse der Auslegung von Joh 3,1–8: Eine Textparaphrase samt Rückblick auf Joh 1,12 f
9.3 Die „aus Gott Gezeugten“ im Ersten Johannesbrief
9.3.1 Die „aus Gott Gezeugten“: Beobachtungen zur sprachlichen Struktur und zur Metaphorik
9.3.2 Die Zeugungsmetaphorik in 1 Joh 3,9
9.3.3 Die Begründungsstruktur in 1 Joh 3,9 als Modell für die anderen Zeugungsaussagen des Briefes
9.3.4 „Aus Gott gezeugt sein“ und „in ihm bleiben“: Zeugungs- und Immanenzaussagen für die gleiche Aussageabsicht
9.3.5 Die „aus Gott Gezeugten“ als τέκνα θεοῦ
9.3.6 Die „aus Gott Gezeugten“ im Ersten Johannesbrief als Metapher auf dem Weg in die Konventionalisierung: Ergebnisse
9.4 Die Andersartigkeit und Unverfügbarkeit des „aus Gott gezeugten“ Lebens: Ergebnisse der Textanalysen zu den johanneischen Texten
10. Neue Familie und Anteil am Erbe: Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23 im Kontext
10.1 „Wiedergeburt“ im Ersten Petrusbrief als Deutung der Taufe? Ein Blick auf die Forschungslage
10.2 Die Konstruktion der Adressierten im Ersten Petrusbrief
10.3 Ὁ θεὸς ὁ ἀναγεννήσας ἡμᾶς: 1 Petr 1,3–5
10.3.1 Kontextuelle Verortung der metaphorischen Aussage
10.3.2 Zeugung oder Geburt? Gott als πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ und als ὁ ἀναγεννήσας ἡμᾶς in 1 Petr 1,3 a.b
10.3.3 Die erste Folge der erneuten Zeugung / Geburt: „Lebendige Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi“ (1 Petr 1,3 c)
10.3.4 Die zweite Folge der erneuten Zeugung / Geburt: „Unvergängliches Erbe in den Himmeln“ (1 Petr 1,4 f.)
10.4 Gehorsam dem Vater gegenüber: Die Fortschreibung der Metaphorik in 1 Petr 1,14–19
10.5 Die Adressierten als ἀναγεγεννημένοι ἐκ σπορᾶς ἀφθάρτου: Zuspruch und Anspruch in 1 Petr 1,22–25
10.5.1 Anknüpfungen an 1 Petr 1,3 und Neuansätze
10.5.2 Metaphorik der Gegensätze in 1 Petr 1,23–25 a: Vergänglicher Samen – lebendiges, bleibendes Wort
10.5.3 Die paränetische Einbindung der Metaphorik: Unvergänglicher Samen, bleibendes Wort und die anhaltende Liebe in 1 Petr 1,22
10.5.4 Referenz auf außertextliche Sachverhalte: 1 Petr 1,25 b
10.6 „Wie die gerade geborenen Kinder“: Weiterführung der Paränese und Variation der Metaphorik in 1 Petr 2,1–3
10.7 Die Erwählung der Adressierten als Rahmen für den ganzen Brief und für 1 Petr 1,1–2,10 im Besonderen
10.8 Die Leistung der Zeugungs- / Geburtsmetaphorik im Ersten Petrusbrief: Ergebnisse
11. „Er hat uns geboren durch das Wort der Wahrheit“: Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 in ihrem Kontext
11.1 Einführung: Der Text und die Forschungslage
11.2 „Jakobus, Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus, an die zwölf Stämme in der Diaspora“: Beobachtungen zur Kommunikationssituation
11.3 Kontextuelle Einordnung von Jak 1,18
11.4 Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,15
11.5 Erste Orientierung über die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18
11.6 Der schöpfungstheologische Ansatz
Exkurs: Die lexikalische Bedeutung von ἀπαρχή und mögliche, mittels ἀπαρχή aufgerufene Konzepte
11.7 Der nomistische Ansatz
11.8 Zwischenfazit
11.9 Die soteriologische Deutung
11.9.1 Das „Wort der Wahrheit“ als christliche Heilsbotschaft: Nötige Präzisierungen
11.9.2 „Nehmt das angeborene Wort an“: Klärungen zu Jak 1,21 im Kontext der Geburtsmetaphorik
11.9.3 Bestimmung zum „Erstling“: Die Einordnung von Jak 1,18 b in eine soteriologische Deutung
11.9.4 „Wort der Wahrheit“, Taufe und Schöpfungsbezug: Die Besonderheit der Geburtsmetaphorik im Jakobusbrief
11.10 Die Geschichte vom „Spiegelgucker“ (Jak 1,23–25) als weitere Instanziierung des Ursprungsbereiches Geburt
11.11 Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 in ihrem Kontext: Ergebnisse
12. Rückblick und Ausblick
Literaturverzeichnis
Stellenregister
Sachregister
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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) · James A. Kelhoffer (Uppsala) Tobias Nicklas (Regensburg) · J. Ross Wagner (Durham, NC)

413

Ursula Ulrike Kaiser

Die Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament Ein metapherntheoretisch orientierter Neuansatz nach 100 Jahren Forschungsgeschichte

Mohr Siebeck

Ursula Ulrike Kaiser, geboren 1971; 2005 Promotion; 2009–16 wissenschaftliche Mit­ arbeiterin am Institut für Neues Testament der Universität Hamburg bei Prof. Dr. Christine Gerber; 2016 Habilitation; seit 2016 Akademische Rätin am Institut für Evange­ lische Theologie der Universität Duisburg-Essen, Bereich Bibelwissenschaften. orcid.org/0000-0001-6425-5318

ISBN 978-3-16-155340-0 / eISBN 978-3-16-155341-7 DOI 10.1628/978-3-16-155341-7 ISSN 0512-1604 / eISSN 2568-7476 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­nal­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de ­abrufbar. © 2018 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer­halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags un­ zulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Sys­temen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­­papier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist die überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Wintersemester 2016 / 17 von der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg angenommen wurde. Dafür, dass dieser Satz nun am Anfang dieses Buches stehen kann, gebührt vielen Menschen Dank, die mich in der Zeit der Erarbeitung auf vielseitige Weise begleitet und unterstützt haben. An erster Stelle möchte ich Prof. Dr. Christine Gerber danken. Von ihr stammt nicht nur das umfangreiche Erstgutachten, dessen genaue Beobachtungen für manche Schärfung des Gedankengangs in der Druckfassung gesorgt haben, sondern auch der erste Anstoß zum Thema. Bei ihr war ich außerdem von 2009 bis 2014 als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig und habe von ihrer wissenschaftlichen Kompetenz und menschlichen Zugewandtheit in unsagbar vielen Hinsichten profitiert. Sie hat es vermocht, Vertrauen zu stärken, Freiräume zu geben und mit dem konstant hohen Anspruch, den sie sowohl an ihre eigene Arbeit als auch an die anderer stellt, das Gelingen meines Projektes wesentlich zu befördern. Für diese Begleitung und für die Freundschaft, die über die gemeinsame Arbeit hinaus entstanden ist, bin ich sehr dankbar. Großen Dank möchte ich an zweiter Stelle Prof. Dr. Jörg Frey sagen, der das instruktive Zweitgutachten erstellt hat. Als Herausgeber der „Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament“ hat er außerdem die Aufnahme meiner Untersuchung in diese Reihe befürwortet und ohne Verzug vorangetrieben. Einige Teile der Arbeit konnte ich mit ihm zuvor bereits auf der Tagung der Fachgruppe Neues Testament der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie in Berlin 2016 diskutieren. Ich danke auch allen anderen, die an dieser Diskussion teilgenommen haben, herzlich für die weiterführenden Fragen und die Bestätigung, mit meinem Forschungsprojekt einer wichtigen und lange vernachlässigten Frage auf der Spur zu sein. Dass ich im Rahmen dieser Tagung kurz vor Abschluss meiner Untersuchungen meine Ergebnisse vorstellen durfte, war mir eine große Ehre und hat der Fertigstellung einen letzten intensiven Motivationsschub gegeben. Zu einem wichtigen Ort ist mir während der sich fortwährend entwickelnden und manchmal auch verwickelten Frage nach der „Wiedergeburt“ das Institut für Neues Testament der Universität Hamburg geworden. Dessen äußerlich wenig charmante Räume in der Sedanstr. 19 gehören inzwischen nicht nur für mich persönlich, sondern auch durch den Umzug des Instituts der Vergan-

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Vorwort

genheit an, die umso größere Kollegialität aller dort damals oder noch immer Arbeitenden jedoch ganz sicher nicht. Namentlich nennen und danken möchte ich neben Christine Gerber hier Prof. Dr. Silke Petersen, Dr. Ralph Brucker, Dr. Christiane Krause, Dr. Anne Smets, Prof. Dr. Martina Böhm, Dr. des. Konrad Schwarz, Dr. Friederike Oertelt, Dr. Jens Gillner, Lukas Matthes, Tanja Forderer, Dr. Stephanie Schabow und nicht zuletzt Margot Wenk im Sekretariat. Sie alle waren mir für längere oder kürzere Zeiten der gemeinsamen Arbeit am Institut wichtige Wegbegleiter. Der Austausch mit ihnen und all den weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern des neutestamentlichen Forschungskolloquiums in Hamburg war für die Entstehung der vorliegenden Untersuchung vom allerersten Anfang bis zu Fertigstellung eine unschätzbar wertvolle Hilfe. Von generellen Anfragen an Vorgehen und Methode, über exegetische Einzelbeobachtungen bis hin zur Korrektur von Verschreibungen und Akzentfehlern bin ich ihnen allen zu großem Dank verpflichtet. Noch viel genauer ins Detail der Schreibweisen sowie der inneren und der äußeren Stimmigkeit ist Matthias Müller gegangen. Als wissenschaftlicher Lektor hat er mit großem theologischen Sachverstand und nicht geringerer Akribie die Druckvorlage erstellt. Ich danke ihm sehr für diese hervorragende Arbeit, für die immer wieder humorvolle Diskussion so mancher diffiziler Detailfrage und für seine zeitliche Flexibilität. Dem Verlag Mohr Siebeck und vor allem seinem Geschäftsführer Dr. Henning Ziebritzki danke ich für die sehr freundliche und kompetente Betreuung. Eine Sachbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglichte es mir, mich von 2014 bis 2016 auf einer „eigenen Stelle“ ausschließlich der Arbeit an meiner Untersuchung zu widmen. Auch dafür und für die gewährte Druckkostenbeihilfe bin ich sehr dankbar. Schließlich danke ich, last but not least, meinem Mann, Pfarrer Mathias Kaiser, und meinen Kindern Jonathan und Friedemann, für alle Begleitung in diesen letzten Jahren, vor allem aber für die große Geduld, die sie mit mir haben mussten. Sie waren, gewollt oder nicht, Teilhaber an sämtlichen Höhen und Tiefen, die ein solches, über Jahre dauerndes Projekt mit sich bringt. Sie hatten Zeiten meiner äußerlichen, aber auch meiner inneren Abwesenheiten zu überstehen und mussten immer wieder die Gewichtigkeit eines „Nicht stören!“-Schilds vor meiner Tür und die Dringlichkeit ihrer eigenen Angelegenheit abwägen – auch auf die Gefahr hin, dass mein Urteil in dieser Sache anders und mein Ton entsprechend ungehalten ausfallen könnte. Am Ende ist das vorliegende Buch, so glaube ich, ein Stück weit auch ein gemeinsames Projekt geworden, selbst wenn meine Kinder es nach wie vor für ziemlich unverständlich halten, dass man sich so lange mit nur einem Thema befassen kann, und sich sicher sind, dass sie das gewiss einmal nicht so machen werden. Wir werden sehen. Berlin, im September 2018

Ursula Ulrike Kaiser

Inhalt Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV 1. Einführung: Zu Fragestellung, Auf bau und Methodik der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 „Wiedergeburt“: Eine Anknüpfung in der Gegenwart. . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 „Gänsefüßchen“, die „auf Schritt und Tritt“ begegnen: Die Rolle der Anführungszeichen in dieser Untersuchung. . . . . . . . . . 2 1.3 „Wiedergeburt“ im Neuen Testament? Eine Suche nach sprachlichen Äquivalenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.4 „Wiedergeburt“ mit Vorgeschichte: Gewichtige theologische Prägungen eines Forschungsbegriffs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.5 Noch ein weiteres Paar „Gänsefüßchen“: „Wiedergeburt“ als Metapher. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.6 Nur die Spitze des Eisbergs: Notwendige Verständigung über Metaphern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.6.1 Metaphern als Textphänomene: Ursprungs- und Zielbereich, Fokuswörter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.6.2 Metaphorische Interaktion und das nötige Wissen für ihr Gelingen: Enzyklopädie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.6.3 Metaphernwissen auf der Metaebene: Konzeptuelle Metaphern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.6.4 Einzelne metaphorische Aussagen in Texten und konzeptuelle Metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.6.5 Zwischen konzeptueller Metapher und konkretem Text: Zehn exegetische Leitsätze zur Auslegung von Metaphern in neutestamentlichen Texten. . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.6.6 Zum Schluss: Gelungene und weniger gelungene Metaphern und der Einfluss der sprachlichen Konvention. . . . 24 1.7 „Wiedergeburt“ als Metapher: Worum geht es in der Forschung?. . . . 26

VIII

Inhalt

I. Darstellung der Forschungsgeschichte in metapherntheoretisch orientierter Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Exegetische Weichenstellungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts. . . . . . . . 35 2.1 Paul Gennrichs Untersuchung der „Lehre von der Wiedergeburt“ (1907). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.2 Wilhelm Heitmüllers Artikel „Wiedergeburt“ in der ersten Auf lage der RGG (1913) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.2.1 „Wiedergeburt“ wörtlich: Ein Ansatzpunkt mit Schwierigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.2.2 Heitmüllers Themenverschiebung vom „Wort“ zur „Sache“. . 43 2.2.3 Der Einfluss der Mysterien auf die neutestamentliche Vorstellung von der „Wiedergeburt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.2.4 Kritische Evaluation von Heitmüllers Neuansatz . . . . . . . . . . 47 3. Religionsgeschichtliche Herleitungen in der Debatte. . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.1

3.2 3.3 3.4

3.5 3.6

Adolf von Harnack und die nicht vorhandene „Terminologie der Wiedergeburt“ (1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.1.1 Harnacks Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.1.2 Fazit aus Harnacks Beobachtungen im Hinblick auf Methode und Ansatz einer Untersuchung von „Wiedergeburt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Otto Procksch und der Versuch einer alttestamentlichen Herleitung der „Wiedergeburt“ (1928) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Die zweite Auf lage der RGG: Erwin Wißmanns Artikel „Wiedergeburt“ (1931) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Die Beiträge von Friedrich Büchsel im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament (1933) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.4.1 γεννηθῆναι. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.4.2 ἀναγεννᾶν . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3.4.3 παλιγγενεσία . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.4.4 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Vincenzo Jacono und eine weitgefasste „dottrina della rigenerazione“ (1934). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Die erste Monographie zum Thema: Joseph Deys Dissertation zu παλιγγενεσία in Tit 3,5 (1937). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.6.1 Deys Forschungsansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.6.2 Sprachgeschichtliche Untersuchung von παλιγγενεσία. . . . . . 67 3.6.3 „Vorstellungen von der Wiedergeburt“ in der Religionsgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.6.4 Anwendung der sprach- und religionsgeschichtlichen Ergebnisse auf Tit 3,5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

Inhalt

3.7

IX

Erweiterung um eine dogmatisch-kirchliche Fragestellung: Wolfgang Schweitzers unveröffentlichte Dissertation (1943). . . . . . . 74

4. Zögerliche Neuanfänge nach dem 2. Weltkrieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.1

4.2 4.3

Mögliche jüdische Wurzeln der „Wiedergeburt“, näher betrachtet von Erik Sjöberg (1951). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.1.1 Der Vergleich des gerade übergetretenen Proselyten mit einem Neugeborenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4.1.2 Schöpfung und Geburt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4.1.3 Datierungsfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4.1.4 Sjöbergs zurückhaltendes Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Buße und „Wiedergeburt“: Leonhard Goppelts Neuansatz in der dritten Auf lage der RGG (1962). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Unpublizierte Qualifikationsarbeiten zur Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 4.3.1 Marion Vann Murrells weitgefasstes „Concept of Regeneration in the New Testament“ (1964). . . . . . . . . . . . . . 91 4.3.2 William D. Mounce auf der Suche nach dem Ursprung der neutestamentlichen „Wiedergeburts“-Metapher (1981). . . 92

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“ im Neuen Testament seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5.1 5.2

Fred W. Burnetts Blick auf παλιγγενεσία in Mt 19,28 (1983). . . . . . . 95 „Neuschöpfung und Wiedergeburt“ in Hermann Lichtenbergers Antrittsvorlesung (1986 / 2008). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5.3 „Wiedergeburt“ als archetypisches Symbol bei Thomas Söding (1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 5.4 „Theologie der neuen Geburt“ aus jüdischen Wurzeln bei Frédéric Manns (1995) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 5.5 Peeter Roosimaas Gesamtschau auf die „Wiedergeburt nach dem Neuen Testament“ (1996) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 5.6 „Wiedergeburt im Johannesevangelium“: Die einzige neuere Monographie zum Thema von Jae Woog Bae (2003). . . . . . . . . . . . 110 5.7 Neubearbeitungen: Die Lexikonartikel zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament von Wiard Popkes (2004) und Jörg Frey (2005). . 112 5.8 „Wiedergeburt“ und das „religiöse Klima“ des 1. Jahrhunderts bei Reinhard Feldmeier (2005). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5.9 Frances Backs Überblick über das „Wiedergeburtsmotiv“ in der römischen Kaiserzeit (2005). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 5.10 „Wiedergeburt“ im theologischen „Geflecht“ des Ersten Petrusbriefes bei Elena Bosetti (2006). . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 5.11 Eine erneute Untersuchung von παλιγγενεσία in Tit 3,5 durch Christiane Zimmermann (2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

X

Inhalt

II. Metapherntheoretisch orientierte Revision der Frage nach „Wiedergeburt“: Von der Forschungsgeschichte zur Fragestellung dieser Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6. „Wiedergeburt“? Dekonstruktion der Fragestellung. . . . . . . . . . . . . . . . 133 6.1 6.2

Dekonstruktion von „Wiedergeburt“ als „Sache“ bzw. Zielbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Dekonstruktion von „Wiedergeburt“ als „Begriff “ bzw. Ursprungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

7. Neukonstituierung der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 7.1 7.2

7.3

Eine konzeptuelle Metapher und ihre Instanziierungen als neuer Forschungsgegenstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Überblick über die neutestamentliche Geburts- und Zeugungsmetaphorik, über ihre Zielbereiche und Möglichkeiten der Binnendifferenzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 7.2.1 Das mehrdeutige Fokuswort παλιγγενεσία in Tit 3,5. . . . . . . 152 7.2.2 Johanneische Texte mit Geburts- / Z ‌ eugungsmetaphorik . . . . 154 7.2.2.1 Das Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus: Geburts- / ​Zeugungsmetaphorik in Joh 3,3–8. . . . . . . 154 7.2.2.2 Joh 1,13 und die Festlegung des Ursprungsbereiches auf Zeugung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 7.2.2.3 Die „aus Gott Gezeugten“ in 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 7.2.3 „Wiedergeburt“ in 1 Petr 1,3.23. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 7.2.4 Der „Fall“ Jak 1,18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 7.2.5 Der metaphorische Einsatz von Geburt / Z ‌ eugung in Jak 1,15; 2 Tim 2,2 und Hebr 6,7. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 7.2.6 Ein weiterer Beleg für παλιγγενεσία in Mt 19,28 . . . . . . . . . 165 7.2.7 Paulus, der die Glaubenden „zeugt“ und „gebiert“ . . . . . . . . 165 7.2.7.1 Paulus als „Vater“ der Gemeinde in Korinth: 1 Kor 4,14–16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 7.2.7.2 Paulus und „sein Kind“ Onesimus: Phlm 10. . . . . . . 168 7.2.7.3 Paulus in erneuten Wehen: Gal 4,19 f.. . . . . . . . . . . . 169 7.2.8 Fazit: Die konzeptuelle Metapher als Kriterium für die Textauswahl und ihre Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Die Neukonstituierung der Fragestellung: Konsequenzen für die traditions- und religionsgeschichtliche Spurensuche. . . . . . . . . . 174

Inhalt

XI

III. Die metaphorische Rede von einer grundlegenden Erneuerung des Lebens als Geburt/‌Zeugung: Die Aussagen der Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 8. „Wiedergeburt“ oder „Wiederentstehung“? Die Metaphorik in Tit 3,5 im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 8.1

8.2 8.3

8.4 8.5

8.6

Erste Orientierung: Tit 3,5 im Kontext und die Forschungslage. . . . 183 8.1.1 Der unmittelbare Textzusammenhang von Tit 3,5. . . . . . . . . 183 8.1.2 Einordnung des exegetischen Vorgehens in die Forschungssituation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Tit 3,1 f.8 als Rahmung von Tit 3,3–7 und der je unterschiedliche Blick auf die „Werke“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Tit 3,4–7: Eine kompakte Aussage über die Rettung. . . . . . . . . . . . . 189 8.3.1 Tit 3,4–5 c und die Hauptaussage des Satzes: Gott allein rettet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 8.3.2 Tit 3,5 d und die vielfältigen grammatischen Auslegungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 8.3.3 Tit 3,5 d–6 und die Frage, ob λουτρόν auf die Taufe referiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 8.3.4 Tit 3,7 und der Blick in die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Λουτρόν und das Konzept der Reinigung im Titusbrief. . . . . . . . . . 203 Παλιγγενεσία als Teil der Metaphorik in Tit 3,5. . . . . . . . . . . . . . . . 207 8.5.1 Παλιγγενεσία als Ausdruck einer christlichen Vorstellung von „Wiedergeburt“: Notwendig Kritik an einer ungerechtfertigten Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . 208 8.5.2 Παλιγγενεσία als „Wiederentstehung“: Der mögliche stoische Hintergrund der Metaphorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 8.5.3 Postmortale Wiedergeburt der Seele als Hintergrund für die Metaphorik in Tit 3,5?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 8.5.4 Die Suche nach einer „Mysterien-Wiedergeburt“ und ihrer Terminologie als Hintergrund für das Verständnis von παλιγγενεσία in Tit 3,5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 8.5.5 Παλιγγενεσία als konventionalisierter Ausdruck grundlegender Erneuerungs- und Rettungserfahrungen. . . . . 216 Παλιγγενεσία im Kontext des Titusbriefes: Ergebnisse. . . . . . . . . . . 220

9. Wahres Leben als „aus Gott gezeugtes“ Leben: Die johanneischen Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 9.1

„Aus Gott gezeugt“: Die Metaphorik in Joh 1,13 im Kontext. . . . . . 227 9.1.1 Die Aufnahme des Logos und der Glaube an seinen Namen (Joh 1,12 a.c) im Verhältnis zur Zeugung ἐκ θεοῦ (1,13 b). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

XII

9.2

9.3

Inhalt

9.1.2 Der Ursprungsbereich Zeugung näher betrachtet: Irdische Herkunft (Joh 1,13 a) versus göttliche Herkunft (1,13 b). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 9.1.3 Τέκνα θεοῦ γενέσθαι (Joh 1,12 b) und der Ursprungsbereich der Zeugung und Vererbung. . . . . . . . . 238 9.1.4 Die ἐξουσία des Sohnes und das Verhältnis von Joh 1,12 b zu 20,17. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 9.1.5 Wahres Leben als „aus Gott“ gezeugtes Leben: Die Leistung der Zeugungsmetaphorik in Joh 1,13. . . . . . . . 243 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 9.2.1 Die Gesprächseröffnung durch Nikodemus in Joh 3,1–2. . . . 246 9.2.2 Jesu „Antwort“ in Joh 3,3 und die Frage nach der Themenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 9.2.3 Der gescheiterte Deutungsversuch des Nikodemus in Joh 3,4: Zugleich eine Deutung von Joh 3,3. . . . . . . . . . . 253 9.2.4 Die Struktur der zweiten Antwort Jesu in Joh 3,5. . . . . . . . . 257 9.2.5 Wasser als Teil des Ursprungskonzeptes Geburt / ‌Zeugung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 9.2.6 Joh 3,5 b als Referenz auf die Taufe und die Frage nach den Kommunikationsebenen des Textes . . . . . . . . . . . . 262 9.2.7 Wasser und Geist als Einheit: Eine innerjohanneische Lesart. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 9.2.8 Der unüberbrückbare Gegensatz zwischen der Zeugung „aus dem Fleisch“ und der Zeugung „aus dem Geist“ (Joh 3,6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 9.2.9 Die „aus Geist Gezeugten“ und der unverfügbare Geist (Joh 3,7–8). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 9.2.10 Das Wissen um das „Woher“ und die bleibende Unverfügbarkeit des Geistes: Joh 3,8 d als Fazit des gesamten Abschnitts Joh 3,1–8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 9.2.11 Bleibendes Missverständnis: Die letzte Nachfrage des Nikodemus (Joh 3,9) und Jesu dritte Antwort (3,10–12). . . . 273 9.2.12 Die Ergebnisse der Auslegung von Joh 3,1–8: Eine Textparaphrase samt Rückblick auf Joh 1,12 f. . . . . . . . . . . . 274 Die „aus Gott Gezeugten“ im Ersten Johannesbrief . . . . . . . . . . . . . 276 9.3.1 Die „aus Gott Gezeugten“: Beobachtungen zur sprachlichen Struktur und zur Metaphorik. . . . . . . . . . . . . . . 278 9.3.2 Die Zeugungsmetaphorik in 1 Joh 3,9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 9.3.3 Die Begründungsstruktur in 1 Joh 3,9 als Modell für die anderen Zeugungsaussagen des Briefes. . . . . . . . . . . 282 9.3.4 „Aus Gott gezeugt sein“ und „in ihm bleiben“: Zeugungs- und Immanenzaussagen für die gleiche Aussageabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

Inhalt

9.4

XIII

9.3.5 Die „aus Gott Gezeugten“ als τέκνα θεοῦ. . . . . . . . . . . . . . . 287 9.3.6 Die „aus Gott Gezeugten“ im Ersten Johannesbrief als Metapher auf dem Weg in die Konventionalisierung: Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Die Andersartigkeit und Unverfügbarkeit des „aus Gott gezeugten“ Lebens: Ergebnisse der Textanalysen zu den johanneischen Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290

10. Neue Familie und Anteil am Erbe: Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23 im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 10.1 „Wiedergeburt“ im Ersten Petrusbrief als Deutung der Taufe? Ein Blick auf die Forschungslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 10.2 Die Konstruktion der Adressierten im Ersten Petrusbrief. . . . . . . . . 298 10.3 Ὁ θεὸς ὁ ἀναγεννήσας ἡμᾶς: 1 Petr 1,3–5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 10.3.1 Kontextuelle Verortung der metaphorischen Aussage. . . . . . 301 10.3.2 Zeugung oder Geburt? Gott als πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ und als ὁ ἀναγεννήσας ἡμᾶς in 1 Petr 1,3 a.b. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 10.3.3 Die erste Folge der erneuten Zeugung / ‌Geburt: „Lebendige Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi“ (1 Petr 1,3 c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 10.3.4 Die zweite Folge der erneuten Zeugung / ‌Geburt: „Unvergängliches Erbe in den Himmeln“ (1 Petr 1,4 f.). . . . . 307 10.4 Gehorsam dem Vater gegenüber: Die Fortschreibung der Metaphorik in 1 Petr 1,14–19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 10.5 Die Adressierten als ἀναγεγεννημένοι ἐκ σπορᾶς ἀφθάρτου: Zuspruch und Anspruch in 1 Petr 1,22–25. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 10.5.1 Anknüpfungen an 1 Petr 1,3 und Neuansätze. . . . . . . . . . . . . 315 10.5.2 Metaphorik der Gegensätze in 1 Petr 1,23–25 a: Vergänglicher Samen – lebendiges, bleibendes Wort. . . . . . . 317 10.5.3 Die paränetische Einbindung der Metaphorik: Unvergänglicher Samen, bleibendes Wort und die anhaltende Liebe in 1 Petr 1,22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 10.5.4 Referenz auf außertextliche Sachverhalte: 1 Petr 1,25 b. . . . . 323 10.6 „Wie die gerade geborenen Kinder“: Weiterführung der Paränese und Variation der Metaphorik in 1 Petr 2,1–3. . . . . . . . . . . 324 10.7 Die Erwählung der Adressierten als Rahmen für den ganzen Brief und für 1 Petr 1,1–2,10 im Besonderen. . . . . . . . . 330 10.8 Die Leistung der Z ‌ eugungs- / ‌Geburtsmetaphorik im Ersten Petrusbrief: Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

XIV

Inhalt

11. „Er hat uns geboren durch das Wort der Wahrheit“: Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 in ihrem Kontext. . . . . . . . . . . . . . . . . 337 11.1 Einführung: Der Text und die Forschungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 11.2 „Jakobus, Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus, an die zwölf Stämme in der Diaspora“: Beobachtungen zur Kommunikationssituation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 11.3 Kontextuelle Einordnung von Jak 1,18. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 11.4 Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,15. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 11.5 Erste Orientierung über die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18. . . . . . . 357 11.6 Der schöpfungstheologische Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

Exkurs: Die lexikalische Bedeutung von ἀπαρχή und mögliche, mittels ἀπαρχή aufgerufene Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . 361

11.7 Der nomistische Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 11.8 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 11.9 Die soteriologische Deutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 11.9.1 Das „Wort der Wahrheit“ als christliche Heilsbotschaft: Nötige Präzisierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 11.9.2 „Nehmt das angeborene Wort an“: Klärungen zu Jak 1,21 im Kontext der Geburtsmetaphorik. . . . . . . . . . . . . 374 11.9.3 Bestimmung zum „Erstling“: Die Einordnung von Jak 1,18 b in eine soteriologische Deutung . . . . . . . . . . . . . . 378 11.9.4 „Wort der Wahrheit“, Taufe und Schöpfungsbezug: Die Besonderheit der Geburtsmetaphorik im Jakobusbrief . . . . . 383 11.10 Die Geschichte vom „Spiegelgucker“ (Jak 1,23–25) als weitere Instanziierung des Ursprungsbereiches Geburt. . . . . . . . . . 387 11.11 Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 in ihrem Kontext: Ergebnisse. . 390 12. Rückblick und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Stellenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442

Abkürzungen Bibliographische Abkürzungen und Kürzel antiker Quellentitel einschließlich biblischer und verwandter Schriften orientieren sich an den „Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaft nach RGG 4 “ (Tübingen 2007). Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: Bauer

Walter Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, hg. von Kurt und Barbara Aland, Berlin 61988 BDR Friedrich Blass /Albert Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, bearbeitet von Friedrich Rehkopf, Göttingen 171990 CMT Conceptual Metaphor Theory L & N Johannes P. Louw / Eugene A. Nida, Greek-English Lexicon of the New Testament Based on Semantic Domains, 2 Bde., New York 1988 LSJ Henry G. Liddell / Robert Scott / Henry S. Jones, Greek-English Lexicon, with a Supplement, Oxford 91996 Ps Ign Eph Ps.-Ignatius, An die Epheser (Funk)

1. Kapitel

Einführung: Zu Fragestellung, Auf bau und Methodik der Untersuchung 1.1 „Wiedergeburt“: Eine Anknüpfung in der Gegenwart Von „Wiedergeburt“ zu reden oder davon, „wie neu geboren“ zu sein, ist in unserer gegenwärtigen Sprache durchaus gebräuchlich.1 Selten jedoch handelt es sich dabei um religiöse Zusammenhänge. In der Werbung erfreut sich diese Metapher vielmehr besonders in der Wellness-Branche großer Beliebtheit. Offenbar gibt der Ausdruck, „wie neu geboren“ zu sein, der Erfahrung von Veränderungen im Leben einen passenden Ausdruck. Menschen benutzen ihn im Anschluss an eine Fastenkur ebenso wie für die Erfahrung der Gesundung von einer schweren Krankheit oder für anders bedingte, positiv besetzte Veränderungen, die sie erfahren haben.2 Die Rede von der „Wiedergeburt“ lässt sich aber auch auf Dinge beziehen: Vorzugsweise sind es gesellschaftliche und politische Gebilde, seien es Regionen, Parteien, kulturelle Identitäten oder dergleichen, denen eine „Wiedergeburt“ bescheinigt wird.3 Begegnet die Rede von „Wiedergeburt“ in unserer gegenwärtigen Sprache dagegen doch in religiösen Zusammenhängen, dann lässt sich für den deutschsprachigen (und vermutlich auch für den europäischen Raum insgesamt) sagen, dass es sich dabei häufiger um die Adaption fernöstlicher Reinkarnationslehren in esoterischen Kontexten handelt als um ein christliches Verständnis von „Wiedergeburt“.4 Auch einen christlichen Gebrauch gibt es freilich, er beschränkt sich gegenwärtig aber fast vollständig auf evangelikal-pfingstkirchliche Richtungen (und dominiert als solcher die religiöse Sprache in außereuropäischen Kontexten in stärkerem Maße als innereuropäisch).5 Die Frage nach 1 Mit „gegenwärtiger Sprache“ beziehe ich mich dabei in erster Linie auf meinen eigenen muttersprachlichen, also deutschen Kontext. Viele Beobachtungen lassen sich meinem Eindruck nach aber auch in anderen modernen Sprachen des europäisch-nordamerikanischen Kulturraums machen. 2 Vgl. z. B. Karin Schutt, Wie neu geboren. Das große Buch zum Abnehmen, Entschlacken, Wohlfühlen, München 2000. 3 Vgl. z. B. Hermann Rudolph, Berlin – Wiedergeburt einer Stadt, Berlin 2014. 4 Auch eine Verbindung von beiden gibt es: Die Vorstellung der Seelenwanderung in der anthroposophischen Lehre Rudolf Steiners ist ein Beispiel dafür. Genuin christlich ist dieses Verständnis von „Wiedergeburt“ allerdings nicht. 5 Die Situation in den USA beschreibt Brenda Colijn (Images 102) z. B. so: „In contem-

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1. Einführung

„Wiedergeburt“ bezieht sich hier auf das persönliche Bekehrungserlebnis und das daraus folgende neue Leben. Sie verlangt nach einer affirmativen Antwort, einer persönlichen Erfahrung und in der Regel auch nach einem sehr konkreten Datum.6 In der volkskirchlich geprägten Frömmigkeit heutiger deutscher Gemeinden ist „Wiedergeburt“ dagegen kein Thema. Für die systematisch-theologischen Entwürfe des 20. und 21. Jahrhunderts sieht das ähnlich aus, obwohl der „Wiedergeburt“ in der Dogmengeschichte lange eine gewichtige Position im Prozess der Heilsaneignung zugemessen wurde (s. u. 1.3). Auch charismatische Prediger der Gegenwart holen ihre Behauptung, dass ein Leben als Christ ohne „Wiedergeburt“ nicht möglich sei, nicht aus dem luftleeren Raum, sondern beziehen sich dafür gern auf biblische Texte, allen voran auf das Gespräch Jesu mit Nikodemus in Joh 3, wo genau diese „Wiedergeburt“ gefordert sei.7 Innerhalb dieser Situation, in der der „Wiedergeburt“ divergierend sowohl höchste Relevanz für das Glaubensleben zugemessen wird als auch völlige Nichtbeachtung beschieden ist, kann eine neutestamentliche Untersuchung helfen, das biblische Fundament zu klären. In gewisser Weise wird das die folgende Untersuchung auch tun, allerdings vielleicht anders als zu erwarten – nämlich in Form einer fundamentalen Anfrage an den Begriff „Wiedergeburt“ überhaupt.

1.2 „Gänsefüßchen“, die „auf Schritt und Tritt“ begegnen: Die Rolle der Anführungszeichen in dieser Untersuchung In der folgenden Untersuchung wird „Wiedergeburt“ immer in Anführungszeichen gebraucht. Üblicherweise kennzeichnet man im Deutschen auf diese porary American culture, especially, the term ‚born again Christian‘ has become associated with a particular religious subculture. For some, the new birth expresses the truest picture of what it means to be a Christian. For others, it expresses very little besides a narrow-minded fundamentalism.“ 6 Billy Graham berichtet in seinem Buch „How to Be Born Again“ von 1977 z. B.: „I have had countless people tell me, in person and by letter, how they were born again and their lives were changed“ (Graham, Born Again 8). Für Graham selbst kann diese „Wiedergeburt“ mit einem konkreten Datum, aber auch mit einem Prozess verbunden sein: „This new birth happens in all kinds of ways. It may seem to happen over a period of time or in a moment“ (ebd. 10). 7 Graham (Born Again 8) kommt auf diesen Text z. B. gleich im Vorwort zu sprechen: „The expression ,born again‘ is not a new term, invented by modern journalists to describe recent religious trends. The term ,born again‘ is almost two thousand years old. One dark night, in the ancient city of Jerusalem, Jesus turned to one of the best-known intellectuals of his time and said, ,I say to you, unless one is born again he cannot see the kingdom of God‘ (John 3:3). In those words Jesus told us of both the necessity and the possibility of new birth – of spiritual transformation. Since that time untold millions throughout the ages have attested to the reality and the power of God in their lives through being born again.“

1.2 Die Rolle der Anführungszeichen in dieser Untersuchung

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Weise ein Zitat.8 Tatsächlich kann „Wiedergeburt“ auch im Folgenden zum Teil als Zitat verstanden werden. Wie noch deutlicher werden wird, wird damit aber kein neutestamentlicher Text, sondern theologische Forschungsliteratur zitiert.9 Den dort üblichen Gebrauch von „Wiedergeburt“ will die hier vorliegende Untersuchung jedoch nicht fortführen. Die Anführungszeichen sind im Folgenden daher auch und vor allem als modalisierende Zeichen gemeint,10 die in eine kritische Distanz zu dem treten, was zwischen den Zeichen steht.11 „Wiedergeburt“ – das sollen die Anführungszeichen „auf Schritt und Tritt“ markieren – ist ein in seinen Vorprägungen kritisch wahrzunehmender und zu hinterfragender Forschungsterminus. Die dekonstruierende Darstellung der Forschungsgeschichte in Kap. 2–6 wird ergeben, dass er sich als Leitbegriff für einen Neuansatz in der neutestamentlichen Forschung nicht eignet. Warum aber steht er dann dennoch so prominent im Titel? Warum suggeriert die vorliegende Untersuchung, dass ihr Gegenstand eben diese „Wiedergeburt“ sei – wenn auch in „Gänsefüßchen“? Genau genommen tut sie das nicht, denn der komplette Titel lautet (man achte auf die zitatmarkierenden Anführungszeichen!): „Die Rede von ‚Wiedergeburt‘ im Neuen Testament“ und nicht nur „‚Wiedergeburt‘ im Neuen Testament“. Gegenstand der Untersuchung – zumindest in ihrem ersten Teil – ist also nicht die „‚Wiedergeburt‘ im Neuen Testament“ als solche, sondern die Rede von ihr. Wer aber redet hier? Sub­ stantivierungen haben den Vorteil oder auch Nachteil, dass sie das offenlassen. Es könnten die neutestamentlichen Texte selbst sein – und genau so sieht das die bisherige Forschung. Die kritische Durchsicht dieser Beiträge in Teil I der vorliegenden Untersuchung wird aber zeigen, dass nur die Forschung so einheitsheischend von „Wiedergeburt“ redet, sich das für die neutestamentlichen Texte aber viel komplexer und weniger eindeutig darstellt. Deshalb ist es auch schwer, den Neuansatz, den die vorliegende Untersuchung initiieren will, auf einen ebenso kurzen, aber angemessenen Begriff zu bringen. Denn zuerst einmal muss geklärt werden, was sich hinter „Wiedergeburt“ als Forschungsgegenstand eigentlich verbirgt. Erst aus der kritischen Evaluation (Teil I) heraus kann der Neuansatz entwickelt werden (Teil II), der 8 Vgl.

Duden, Rechtschreibung § 94. ließen sich überhaupt nur Mt 19,28 und Tit 3,5 als Texte zitieren, die von „Wiedergeburt“ sprechen. Diese Übersetzung von παλιγγενεσία ist jedoch nicht die einzig mögliche und vielleicht auch nicht die passendste: s. u. 1.3, 7.2.1 und 8.6. 10 Auch auf diesen Gebrauch wird im Duden (Rechtschreibung § 94) kurz hingewiesen. 11 Corina Caduff spricht daher auch von „Distanz-Zeichen“: „Am interessantesten […] ist die Verwendung der modalisierenden Anführungszeichen zweifellos dort, wo es um Sprach- und Diskurskritik geht, dort, wo sie Denkmuster und Haltungen kritisieren, die bestimmten Formulierungen innewohnen und die mittels der Anführungszeichen zur Debatte gestellt werden“ (Caduff, Anführungszeichen 155). Caduff bezieht sich in ihrem Aufsatz im Übrigen auf einfache Anführungszeichen, die sie aber so versteht, wie die hier benutzten doppelten. Der Duden sieht eine Verwendung einfacher, im Duden-Jargon „halber“ Anführungszeichen in modalisierender Funktion nicht vor. 9 Neutestamentlich

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1. Einführung

dann an den relevanten Texten zu bewähren ist (Teil III). Bis dahin muss der Weg aber erst noch gebahnt werden. Die folgenden Teile dieses einleitenden Kapitels beziehen sich daher in stärkerem Maße auf die Aufgabe des ersten Teils, die verschlungenen Pfade der Forschungsgeschichte analytisch zu durchdringen. Methodische Erwägungen, die hierfür wichtig sind, vor allem metapherntheoretische Ansätze (s. u. 1.6), sind aber für die gesamte Untersuchung von Bedeutung und werden in den folgenden Teilen dann jeweils gezielt wieder aufgegriffen.

1.3 „Wiedergeburt“ im Neuen Testament? Eine Suche nach sprachlichen Äquivalenten Kurz vor Ende des letzten Abschnitts ist der Satz gefallen, dass die Suche nach der Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament ein komplexeres und weniger einheitliches Bild ergibt, als es die Rede von „Wiedergeburt“ in der Forschung suggeriert. Diese Differenz in der Wahrnehmung des Sachverhalts lässt sich vor allem daher erklären, dass „Wiedergeburt“ ein beschreibungssprachlicher und kein quellensprachlicher Terminus ist.12 Die neutestamentlichen Quellentexte kennen die Rede von der „Wiedergeburt“ nicht. Die wenigen Texte, die überhaupt wörtlich von etwas wie einem erneuten (oder auch von oben geschehenden) Geboren- bzw. Gezeugt-Werden schreiben (nämlich 1 Petr 1,3.23; Joh 3,3.7; Tit 3,5 und Mt 19,28), benutzen vielmehr verschiedene Begriffe und Syntagmen für den Ausdruck dieses Geschehens: Der Erste Petrusbrief (1 Petr 1,3.23) kreiert dafür den neutestamentlichen Neologismus ἀναγεννᾶν /-ᾶσθαι, der sowohl mit „Wiedergebären“ als auch mit „Wiederzeugen“ übersetzt werden kann: 1 Petr 1,3 Εὐλογητὸς ὁ θεὸς καὶ πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ ὁ κατὰ τὸ πολὺ αὐτοῦ ἔλεος ἀναγεννήσας ἡμᾶς εἰς ἐλπίδα ζῶσαν διʼ ἀναστάσεως Ἰησοῦ Χριστοῦ ἐκ νεκρῶν […].

Gelobt (sei) der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns aus seinem großen Erbarmen heraus wiedergeboren (bzw. wiedergezeugt) hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten […].

1 Petr 1,23 […] ἀναγεγεννημένοι οὐκ ἐκ σπορᾶς φθαρτῆς ἀλλ᾿ ἀφθάρτου διὰ λόγου ζῶντος θεοῦ καὶ μένοντος.

[…] da ihr nicht aus vergänglichem Samen, sondern aus unvergänglichem wiedergeboren (bzw. wiedergezeugt) seid durch das lebendige und bleibende Wort Gottes.

Der johanneische Jesus gebraucht im Gespräch mit Nikodemus in Joh 3,3.7 mit γεννᾶσθαι ἄνωθεν ebenfalls ein bis dahin nicht belegtes Syntagma. Neben der

12 Vgl. zur damit angesprochenen Problematik der Differenz zwischen Beschreibungsund Quellensprache ausführlicher: Breytenbach, Christus 437–440.

1.3 „Wiedergeburt“ im Neuen Testament?

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Doppelbedeutung von γεννᾶσθαι enthält der Text in Form des Adverbs ἄνωθεν außerdem noch eine weitere Doppeldeutigkeit: Joh 3,3 ἀπεκρίθη Ἰησοῦς καὶ εἶπεν αὐτῷ· ἀμὴν ἀμὴν λέγω σοι, ἐὰν μή τις γεννηθῇ ἄνωθεν, οὐ δύναται ἰδεῖν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ.

Jesus antwortete und sagte zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, wenn jemand nicht von oben (bzw. von Neuem) geboren (bzw. gezeugt) wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Joh 3,7 μὴ θαυμάσῃς ὅτι εἶπόν σοι· δεῖ ὑμᾶς Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von oben (bzw. von Neuem) γεννηθῆναι ἄνωθεν. geboren (bzw. gezeugt) werden.

Nur Tit 3,5 greift mit παλιγγενεσία ein geläufiges griechisches Wort auf, das dem deutschen Wort „Wiedergeburt“ scheinbar am nächsten kommt, allerdings ebenso auch „Wiederwerdung“ oder „Wiederentstehung“ bedeuten kann.13 Der Text ist damit in gewisser Weise weiter von „Wiedergeburt“ entfernt als die beiden zuvor genannten Texte. In einer bekenntnisartigen Passage gegen Ende des Briefes heißt es dort von Gottes Rettungstat: Tit 3,5 […] οὐκ ἐξ ἔργων τῶν ἐν δικαιο­ σύνῃ ἃ ἐποιήσαμεν ἡμεῖς ἀλλὰ κατὰ τὸ αὐτοῦ ἔλεος ἔσωσεν ἡμᾶς διὰ λουτροῦ παλιγγενεσίας καὶ ἀνακαινώσεως πνεύματος ἁγίου.

[…] nicht aus Werken der Gerechtigkeit, die wir getan haben, sondern aus seinem Erbarmen heraus rettete er uns durch das Bad der Wiedergeburt (bzw. Wiederentstehung) und Erneuerung durch den heiligen Geist.14

Damit sind jene drei neutestamentlichen Schriften genannt, die in den Untersuchungen zur „Wiedergeburt“ immer wieder aufgeführt werden, wenn es um die wörtliche Repräsentation von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament geht. Nur bisweilen wird in diesem Zusammenhang auch Mt 19,28 genannt, obwohl dort, wie in Tit 3,5 auch, von παλιγγενεσία die Rede ist. Allerdings steht die Aussage im Zusammenhang mit einer Schilderung des endzeitlichen Gerichts und unterscheidet sich außerdem in ihrer allgemeinen und nicht auf Einzelne bezogenen Rede von der παλιγγενεσία von den anderen Texten: Mt 19,28 ὁ δὲ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτοῖς· ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι ὑμεῖς οἱ ἀκολουθήσαντές μοι ἐν τῇ παλιγγενεσίᾳ, ὅταν καθίσῃ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ἐπὶ θρόνου δόξης αὐτοῦ, καθήσεσθε καὶ ὑμεῖς ἐπὶ δώδεκα θρόνους κρίνοντες τὰς δώδεκα φυλὰς τοῦ Ἰσραήλ.

Jesus sagte ihnen: „Wahrlich, ich sage euch, dass auch ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, bei der Wiedergeburt (bzw. Wiederentstehung), wenn der Menschensohn auf seinem Ehrenthron sitzen wird, auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten werdet.

Ein weiterer Text, der nur in manchen Untersuchungen erwähnt wird, ist Jak 1,18. Der Text ähnelt in vielem der Aussage von 1 Petr 1,23. Allerdings wird 13 Vgl.

Büchsel, γίνομαι 685 (s. u. 3.4.1), oder auch Zimmermann, Wiederentstehung 273 (s. u. 5.11). 14 Zu dieser Übersetzung (und zu den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten der aneinandergereihten Genitive in diesem Vers überhaupt) s. u. 8.3.2.

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1. Einführung

hier nicht von „Wiedergeburt“ gesprochen, sondern nur davon, dass Gott „uns“ geboren hat. Dafür kommt mit ἀποκύειν ein griechisches Verb zum Einsatz, das in den bislang erwähnten Texten nicht begegnet und das im Gegensatz zu allen auf γεννᾶν /-ᾶσθαι zurückgreifenden Syntagmen und Komposita eindeutig nur „gebären“ und nicht „zeugen“ bedeutet: Jak 1,18 βουληθεὶς ἀπεκύησεν ἡμᾶς λόγῳ ἀληθείας εἰς τὸ εἶναι ἡμᾶς ἀπαρχήν τινα τῶν αὐτοῦ κτισμάτων.

Aus seinem Willen heraus hat er uns geboren durch das Wort der Wahrheit, damit wir gewissermaßen Erstling seiner Geschöpfe seien.

Reflektiert man diesen Befund, dann weisen die beiden Texte Mt 19,28 und Jak 1,18 bereits auf ein methodisches Problem hin, das sich in der „Wiedergeburts“-Forschung immer dann zeigt, wenn beim Wortgebrauch der Quellentexte angesetzt wird: Die Suche nach sprachlichen Äquivalenten für „Wiedergeburt“ in den Quellentexten erweist sich nämlich als nicht so klar an formalen sprachlichen Kriterien orientiert, wie sie vorgibt. Vielmehr ist dieses Vorgehen in der Regel zugleich von inhaltlichen Vorgaben über den Aussagegehalt von „Wiedergeburt“ bestimmt, die zum Beispiel festlegen, dass mit „Wiedergeburt“ nur ein Erleben innerhalb des Lebens Einzelner gemeint ist, nicht aber endzeitliche kosmische Ereignisse, wie etwa in Mt 19,28. Auf diese Problematik wird innerhalb der Forschungsgeschichte noch mehrfach zurückzukommen sein. Warum aber hält die neutestamentliche Forschung überhaupt an einem beschreibungssprachlichen Begriff fest, der in den Quellentexten – zumindest wörtlich – so wenige Entsprechungen findet? Die Antwort hierauf liegt nicht so sehr in der neutestamentlichen Wissenschaft selbst, die sich erst seit rund 100 Jahren (s. u. Kap. 2) mit „Wiedergeburt“ befasst, sondern in der christlichen Tradition überhaupt. Denn diese spricht schon viel länger von „Wiedergeburt“.

1.4 „Wiedergeburt“ mit Vorgeschichte: Gewichtige theologische Prägungen eines Forschungsbegriffs Die Vorstellung von einer „Wiedergeburt“ innerhalb des Lebens eines Menschen ist Teil der christlichen Tradition, innerhalb derer sich ihre Bedeutung formte und veränderte. Über Jahrhunderte hinweg wurde „Wiedergeburt“ in erster Linie als dogmatischer Topos verhandelt. Blickt man allein auf die protestantische Entwicklung, so „gehörte die Lehre von der Wiedergeburt seit dem 17. bis in das 19. Jahrhundert hinein zum festen Bestandteil evangelischer Dogmatik“.15 Reformatorisch lässt sich „Wiedergeburt“ fassen als „Beginn des 15 Nüssel,

Wiedergeburt 18; vgl. auch Marquardt, Wiedergeburt 1531. Schoberth (Welt 151) betont dagegen relativierend, dass „in der lehrmäßigen Entfaltung der protestantischen Theologie, wie sie seit dem Ende der Reformationszeit unternommen wurde, […] die Wiedergeburtsvorstellung nur eine untergeordnete Rolle“ spiele.

1.4 „Wiedergeburt“ mit Vorgeschichte

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durch die Gnade Gottes geschenkten neuen Lebens in der Gemeinschaft mit Gott.“ 16 Als „Teilhabe des einzelnen am göttlichen Gnadenwirken“ 17 bekam sie unter dem lateinischen Terminus regeneratio dann einen Platz im ordo salutis zugewiesen und stand in enger Verbindung mit dem Topos der Rechtfertigung, wenn auch mit „schwankenden Ergebnissen“, sie „in das Begriffsschema der Heilsordnung einzustellen“, wie der Dogmatiker Otto Kirn zu Anfang des 20. Jahrhunderts resümierend feststellt.18 Zugleich gewann die „Wiedergeburt“ innerhalb bestimmter Strömungen der Frömmigkeitsgeschichte eine zentrale Stellung, insbesondere im Pietismus, der mit der durch die „Wiedergeburt“ „bewirkte[n] Veränderung beim Menschen und deren Erfahrbarkeit“ 19 besonders die subjektive Heilserfahrung betonte. Der Begriff wirkte von hier aus weiter: „Wiedergeburt“ als persönliches Erlebnis einer grundlegenden Veränderung und als „unmittelbare Folge einer Willensentscheidung, Jesus als ‚persönlichen Retter‘ anzunehmen“,20 spielt dabei heute fast ausschließlich in pfingstkirchlich-charismatisch geprägten Gemeinschaften eine wichtige Rolle (s. o. 1.1). In den dogmatischen Konzeptionen des 20. Jahrhunderts „verliert“ die Lehre von der Wiedergeburt dagegen „an Gewicht“.21 Das führt in der Konsequenz dazu, dass das Thema „Wiedergeburt“ gegenwärtig „im Kontext universitärer Theologie und eines landeskirchlichen Sprachgebrauchs ebenso unpopulär zu sein scheint, wie es etwa im nordamerikanischen Christentum verbreitet ist.“ 22 Die Analyse dieser gegensätzlichen Entwicklungen und ihre systematisch-theologische sowie praktisch-theologische Reflexion ist meines Wissens ein ähnliches Desiderat,23 wie es die hier im Folgenden zu leistende kritische Sichtung der Forschungsgeschichte zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament und die Erarbeitung eines exegetischen Neuansatzes darstellt.

16 Nüssel,

Wiedergeburt 14; vgl. z. B. FC SD 3,18–22. Wiedergeburt 1531. 18 Kirn, Wiedergeburt 247; vgl. auch Schoberth, Welt 151. 19 Nüssel, Wiedergeburt 16. 20 Pierard, Wiedergeburt 1532. 21 Nüssel, Wiedergeburt 18. Im 19. Jahrhundert dagegen spielt „Wiedergeburt“ z. B. bei Schleiermacher noch eine deutlich größere Rolle (siehe dazu u. a. die neueren Untersuchungen von Theissen, Geburt; Schmidtke, Lehre; Müller, Wiedergeburt). 22 Hofheinz, Wiedergeburt 48. Auch innerhalb des nordamerikanischen Christentums gibt es aber durchaus Vorbehalte gegen „Wiedergeburts“-Ideologien der „reborn Christians“, wie sie z. B. Canales (Rebirth 99) aus der Perspektive eines US-amerikanischen Katholiken formuliert (s. auch oben Anm. 5). 23 Vgl. dazu aktuell vor allem Schoberth, Welt, und Hofheinz, Wiedergeburt. 17 Marquardt,

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1. Einführung

1.5 Noch ein weiteres Paar „Gänsefüßchen“: „Wiedergeburt“ als Metapher Aus der bisherigen Forschung zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament lässt sich, bei aller kritischen Distanz, mit der ihr hier begegnet wird, dennoch ein wichtiger Hinweis auf das geeignete methodische Vorgehen entnehmen. Denn fast alle bisherigen Forschungsbeiträge betonen übereinstimmend, dass es sich bei „Wiedergeburt“ um ein „Bild“,24 ein „Symbol“ 25 oder – in letzter Zeit häufiger – eine Metapher 26 handle.27 Auch in diesem dritten Sinne sind die „Gänsefüßchen“ daher zu verstehen: Sie markieren „Wiedergeburt“ als Metapher.28 Im Unterschied zum Zitat, das die Setzung der Anführungszeichen notwendig erfordert (s. o. 1.2), und zum modalisierenden Gebrauch (ebd.), bei dem ihre Setzung im Interesse derer liegt, die sich von etwas erkennbar distanzieren wollen, sind Anführungszeichen bei metaphorischen Ausdrücken möglich, aber keineswegs geboten. Ähnlich verhält es sich mit Zusätzen, wie „gewissermaßen“ oder „im wahrsten Sinne des Wortes“, die auf den metaphorischen Charakter einer Äußerung besonders hinweisen, die aber nicht konstitutiv für 24 Vgl. Wissmann, Wiedergeburt 1912; Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 1; Schweitzer, Gotteskindschaft 336 u. ö. Bei Heitmüller (Wiedergeburt 2010), Harnack (Terminologie 116 und 140–143) sowie Procksch (Wiederkehr 12) lässt sich ein allgemeinerer Bezug auf verschiedene „Bilder“ feststellen. Lichtenberger (Neuschöpfung 313) und Roosima (Wiedergeburt 218) charakterisieren die Rede von „Wiedergeburt“ als „bildhaft“. 25 Vgl. Söding, Wiedergeburt 187 u. ö.; Bae, Wiedergeburt 1. 26 Vgl. Vann Murrell, Concept ii u. ö.; Mounce, Origin iv u. ö.; Manns, La théologie 118 u. ö.; Popkes, Wiedergeburt 10; Frey, Wiedergeburt 1529 f.; Feldmeier, Wiedergeburt 77 u. ö.; Back, Wiedergeburt 63; Bosetti, Parola 313; Zimmermann, Wiederentstehung 272; allgemeiner auch Söding, Wiedergeburt 168–172. Dass die ausdrückliche Charakterisierung von „Wiedergeburt“ als Metapher in der Forschung erst relativ spät greif bar wird, erklärt sich daher, dass der Beginn der dezidiert exegetischen Beschäftigung mit „Wiedergeburt“ in die ersten beiden Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts fällt und damit in eine Zeit, die sich weder allgemein theologisch noch im Bereich der Exegese durch ein positives Interesse für Metaphorik auszeichnete (vgl. für die Exegese z. B. die kritische Positionierung Adolf Jülichers in seinen einflussreichen „Gleichnisreden Jesu“, deren 2. Auf lage 1899 erschien). Erst in den 1970er Jahren gewann die Einbeziehung metapherntheoretischer Ansätze in die theologische Forschung mit den Beiträgen von Paul Ricœur und Eberhard Jüngel verstärkt an Bedeutung. Ein Umschwung in der allgemeinen Metapherntheorie lässt sich dagegen zumeist bereits an den Ansätzen von Ivor A. Richards in „The Philosophy of Rhetoric“ von 1936 festmachen. 27 Auch die übrigen Untersuchungen, die weder direkt von „Bild / b ‌ ildhaft“, von „Symbol“ oder von „Metapher“ sprechen, drücken das damit Gemeinte in der Regel auf irgendeine andere Art und Weise aus: vgl. z. B. Goppelt (Wiedergeburt 1697), der den „Begriff W[iedergeburt]“ u. a. als „stehende Bezeichnung für die Wirkung der Taufe“ charakterisiert, oder Dey, der neben der Verwendung von „Bild“ (s. o. Anm. 24) häufiger von einem „übertragenen Sinn“ (ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣIΑ 33 u. ö.) spricht; ebenso Gennrich, Lehre 4 u. ö. 28 Auch diese Möglichkeit, übertragen Gemeintes in Anführungszeichen zu setzen, beschreibt der Duden (Rechtschreibung § 94).

1.5 „Wiedergeburt“ als Metapher

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eine Metapher sind. Sie machen, wo sie auftauchen, nur zweifelsfrei klar, dass es sich um einen übertragenen Gebrauch handelt. Sie könnten aber, wie die Anführungszeichen auch, wegfallen. Meistens erkennen Menschen, die dem gleichen kulturellen Kontext angehören, dem eine bestimmte Aussage entstammt, auch ohne explizite sprachliche oder graphische Markierung, dass es sich um eine metaphorische Aussage handelt. Denn Metaphern zeichnen sich dadurch aus, dass das jeweils metaphorisch gebrauchte Wort (es können auch mehrere Wörter sein) in seiner üblichen Bedeutung zum vorhandenen Aussagezusammenhang in semantischer Spannung steht – also nur metaphorisch zu verstehen ist (s. u. 1.6.1): Menschen, die bereits geboren sind, können zum Beispiel nicht nochmals geboren werden.29 Von ihrer „Wiedergeburt“ innerhalb ihres bereits über mehr oder weniger lange Zeit andauernden Lebens zu sprechen,30 kann also keine Geburt im biologischen Sinne meinen. Viele metaphorische Ausdrücke werden durch ihren häufigen Gebrauch sogar so vertraut, dass sie kaum noch als solche wahrgenommen und dennoch in ihrem übertragenen Sinn verstanden werden. Die „Gänsefüßchen“ „auf Schritt und Tritt“ (beides wunderbare Beispiele für diese Tendenz zur Konventionalisierung von Metaphern; s. u. 1.6.2–3 und 5) sind dann tatsächlich nicht vonnöten und stören den Lesefluss eher, als dass sie ihn befördern. Auch „Wiedergeburt“ wird in der bisherigen exegetischen Forschungsliteratur üblicherweise nicht in Anführungszeichen gesetzt. In der vorliegenden Untersuchung wird auf die Anführungszeichen jedoch bewusst nicht verzichtet und eine Störung des Leseflusses damit nicht nur in Kauf genommen, sondern in gewisser Weise sogar intendiert. Denn um zu verstehen, was in der bisherigen neutestamentlichen Forschung unter dem Begriff „Wiedergeburt“ eigentlich alles verhandelt wird, braucht es den deutlichen Hinweis auf den metaphorischen Charakter des Leitbegriffs. Die Erkenntnis, dass es sich bei der Rede von „Wiedergeburt“ um metaphorische, bildliche bzw. symbolische (s. o.) Redeweise handelt, wurde in der Forschung bisher allein auf die untersuchten Quellentexte bezogen (wenngleich ohne deutliche methodische Profilierung, wie der Durchgang durch die Forschungsgeschichte zeigen wird: s. u. Teil I). Sie ist aber eine Erkenntnis, 29 Die

semantische Spannung, die hier entsteht, macht die Frage des Nikodemus in Joh 3,4 explizit: πῶς δύναται ἄνθρωπος γεννηθῆναι γέρων ὤν; μὴ δύναται εἰς τὴν κοιλίαν τῆς μητρὸς αὐτοῦ δεύτερον εἰσελθεῖν καὶ γεννηθῆναι; („Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er etwa ein zweites Mal in den Leib seiner Mutter hineingehen und geboren werden?“) 30 Für die Rede von einer postmortalen „Wiedergeburt“ im Sinne einer erneuten Reinkarnation ergibt sich die im Folgenden beschriebene semantische Spannung dagegen nicht; so auch Grünschloß (Diskurse 18), der in diesem Zusammenhang die „‚wörtliche‘ Bedeutung als postmortale Wiederverkörperung der Person (Personsubstanz, Seele)“ hervorhebt. Auf die Komplexität der umgangssprachlich meist mit „Seelenwanderung“ umschriebenen Vorstellungen kann hier nicht weiter eingegangen werden: vgl. dazu mehr bei Grünschloss, Diskurse, und sehr viel ausführlicher und umfangreicher bei Zander, Geschichte.

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1. Einführung

die zuerst reflexiv auf die Forschung selbst zurückgewandt werden muss, die diesen Leitbegriff benutzt: Es wird sich dabei zeigen, in welch verschiedener Weise der als metaphorisch charakterisierte Leitbegriff aufgegriffen wird und wie unklar durch die fehlende Reflexion ist, was genau die neutestamentliche Forschung unter der Überschrift „Wiedergeburt“ eigentlich untersucht. Bevor das anhand der einzelnen Forschungsbeiträge zur Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament deutlicher gemacht werden kann, sind einige allgemeine Erläuterungen zum Verständnis von Metaphern und einige Verabredungen zur im Folgenden benutzen Terminologie nötig.

1.6 Nur die Spitze des Eisbergs: Notwendige Verständigung über Metaphern Die in der geisteswissenschaftlichen Forschung gegenwärtig hochaktuelle Frage nach der Rolle von Metaphern 31 in Denken, Sprache und Handeln spiegelt sich auch in der neueren Exegese durch eine deutlich zunehmende Zahl von Arbeiten zu biblischen Metaphern. Der Theorieaufwand kann dabei von wenigen zusammenfassenden Bemerkungen bis zu sehr ausführlichen metapherntheoretischen Grundlegungen reichen 32 und steht nicht immer in einem direkten Verhältnis zum exegetischen Ertrag.33 Eine Durchsicht dieser Arbeiten 34 zeigt auch, dass es keine einheitliche Methodik gibt.35 Ebenso hat sich keine der aktuell diskutierten Metapherntheorien per se als besonders geeignet für eine exegetische Applikation herausgestellt.36 Die vorliegende Untersuchung kann sich für ihr Vorgehen also nicht einfach einer in der Exegese besonders etablierten Theorie und Methodik anschließen, weil es diese so nicht gibt. Im Folgenden geht es daher darum, an einen Grundkonsens anzuschließen, der 31 Vgl. Rolf, Metaphertheorien, für einen Theorieüberblick und Haverkamp, Theorie, für eine Zusammenstellung wichtiger Quellen. 32 So z. B. sehr knapp und doch instruktiv Bergmann, Childbirth 2–8; mit einem historischen Abriss von Platon bis Lakoff / ​Johnson, der nicht unmittelbar zielführend ist, dagegen z. B. Howe, Name 11–107. 33 Vgl. hier z. B. treffend die Kritik von van der Watt, Family xviii–xx. 34 Eine Darstellung, die die verschiedenen neueren Untersuchungen zu biblischen Metaphern vergleichend nebeneinanderstellt und vor allem im Hinblick auf die Theorieanbindung und die methodischen Konsequenzen analysiert, gibt es meines Wissens bisher nicht; vgl. auch die folgende Anmerkung. 35 Zimmermann, der mit Nachdruck die fehlende Methodendiskussion in der Exegese beklagt (Metapherntheorie 109 f.), schlägt eine allgemeine Vorgehensweise vor, die die metapherntheoretischen Erkenntnisse in den Dreischritt des synchronen Exegeseparadigmas von syntaktischer, semantischer und pragmatischer Analyse eingliedert (ebd. 129–132). 36 Manche Untersuchungen folgen ausdrücklich einer bestimmten Theorie (z. B. Aasgaard [Brothers 23–31] der Conceptual Metaphor Theory), andere beziehen sich auf verschiedene Aspekte aus unterschiedlichen Ansätzen (z. B. Gerber, Paulus).

1.6 Notwendige Verständigung über Metaphern

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sich in der Exegese trotz vieler Unterschiede im Einzelnen feststellen lässt (s. u. 1.6.1), und diese Sicht auf Metaphern dann (vor allem unter Zuhilfenahme der Interaktionstheorie und der konzeptuellen Metaphernforschung) so zu profilieren, dass sie für die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung ein möglichst gutes Analysewerkzeug bietet. 1.6.1 Metaphern als Textphänomene: Ursprungs- und Zielbereich, Fokuswörter Als Konsens lässt sich in der neueren exegetischen Beschäftigung mit Metaphern deutlich die Abkehr von einem rein rhetorischen Metaphernverständnis erkennen, das seit der Antike und bis ins 20. Jahrhundert hinein vorherrschend war.37 Während Metaphern dort vor allem als Wortfiguren betrachtet wurden, die zwar dem Schmuck der Sprache dienen, letztlich aber ohne inhaltliche Verluste als ersetzbar galten, wird Metaphern in der gegenwärtigen Forschung ein ganz eigenes Aussagepotenzial zugestanden: Sie „taugen nicht nur zur Illustration, sondern zur präzisen Prädikation; nicht nur ihre Wirkung, auch ihr Aussagegehalt ist vielfach größer als der argumentativer Abstraktionen.“ 38 Die theologische Bedeutsamkeit von Metaphern liegt unter anderem darin, dass sie nicht nur wahrheitsfähig sind,39 sondern auch religiöse Wahrheit und Erkenntnis hervorbringen können. Metaphern sind auch aus semantisch-strukturalistischer Sicht nicht nur eine „Wortfigur“; sie sind vielmehr als Textphänomene wahrzunehmen. Es kommt immer auf den Aussagezusammenhang an. So kann in einer Reportage über den Untergang der Titanic zum Beispiel ganz unmetaphorisch von der „Spitze des Eisbergs“ gesprochen werden. Eine Metapher wird daraus erst, wenn die Formulierung, wie in der Überschrift dieses Unterkapitels, kontextuell mit einem ganz anderen Sinnbereich zusammengebracht wird – hier konkret mit der Gesamtheit der Metapherntheorien, von denen im vorliegenden Zusammenhang nur ein kleiner Teil betrachtet werden kann und soll. In der Organisationsforschung und im Change-Management wird die Metapher vom Eisberg häufig gebraucht, „um deutlich zu machen, dass vieles in der Organisation im Verborgenen liegt.“ 40 In der Psychoanalyse und der Kommunikationsforschung dient das sogenannte Eisbergmodell zur Beschreibung des Verhältnisses von

37 Es ist u. a. durch textsemantisch-strukturalistische (Weinrich), hermeneutisch-philoso­ phische (Ricœur, Jüngel) und kognitive Zugänge (Lakoff / J‌ ohnson) abgelöst worden; siehe auch die vergleichende Gegenüberstellung verschiedener Paradigmen bei Zimmermann, Metapherntheorie. 38 Söding, Wiedergeburt 169. 39 Gerade die Wahrheitsfähigkeit wurde Metaphern als „uneigentlicher“ Rede mit einer Tendenz, die Dinge nicht klar zu benennen, sondern vielmehr zu verschleiern, in der langen Geschichte der Beschäftigung mit Metaphern oft abgesprochen. 40 Kühl, Metapher 68.

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bewussten und unbewussten Anteilen der menschlichen Psyche.41 In all diesen Beispielen wird von der Tatsache metaphorischer Gebrauch gemacht, dass nur die Spitze des Eisbergs über der Wasseroberfläche sichtbar ist. Was einen realen Eisberg sonst noch ausmacht (seine Konsistenz, dass er schwimmt, dass er eine von einem Gletscher abgebrochene Eismasse ist, dass er von den Klimaveränderungen bedroht ist etc.), spielt dagegen keine Rolle. Denn es geht mit der Erwähnung des Eisbergs eigentlich um etwas ganz anderes. Gehring spricht hier daher von einem „Kontextbruch“, der konstitutiv für die Metapher sei,42 Weinrich bezeichnet die vom Kontext durchkreuzte Möglichkeit, das verwendete Wort in seinem üblichen lexikalischen Sinn zu verstehen, als „Konterdetermination“.43 In jedem Fall stellt der Eisberg allein nur eine Hälfte dar, aus der erst im jeweiligen Kontext eine Metapher wird. Von der „Metapher des Eisbergs“ zu sprechen, bleibt daher ungenau; der Eisberg bzw. die Spitze des Eisbergs, ist noch nicht die Metapher, sondern vielmehr nur als Fokuswort oder Fokusausdruck 44 in einer metaphorischen Äußerungen zu bestimmen, mit dessen Hilfe ein ganzer Sinn- bzw. Konzeptbereich „Eisberg“ aufgerufen wird.45 In einer metaphorischen Äußerung wird dieser Konzeptbereich, den ein 41 Vgl. z. B. Gerrig / ‌Zimbardo, Psychologie 517. „Die Seele ist ein Eisberg“ titelte der „Spiegel“ 1959 anlässlich des 20. Todestages von Siegmund Freud (Der Spiegel, Nr. 51 vom 16.12.1959); mehr dazu s. u. Anm. 59. 42 Gehring, Erkenntnis 204: „Metaphern beruhen auf Kontextbruch. Genauer: Sie sind dieser Bruch.“ 43 Weinrich, Sprache 317 u. ö. 44 Der Begriff lehnt sich an die Terminologie von Black an; dieselben Termini verwendet auch Gehring (Erkenntnis 204.207 u. ö.). Gerber (Paulus 87 u. ö.) bezieht sich ebenfalls auf Black und spricht vom „Fokus“ bzw. von „fokalen Worten“. Insgesamt ist in der Metaphernforschung aber keine einheitliche Terminologie für jene Wörter festzustellen, die im Text den Ursprungs- bzw. Bildspendebereich repräsentieren. Dieses Fehlen ist symptomatisch und verweist auf eine gering ausgeprägte Aufmerksamkeit für die präzise analytische Beschreibung von Metaphern in vorliegenden Kontexten. Oft reicht es den Untersuchungen, von Metapher zu sprechen und damit nur das Fokuswort zu meinen. Parallel dazu verlagert sich mit der zunehmenden Rezeption und Weiterentwicklung der „Conceptual Metaphor Theory“ (s. u.) das Interesse überhaupt stärker auf die konzeptionelle Ebene und weg von konkreten Textvorkommen. Für exegetische Untersuchungen ist aber gerade die genaue Textwahrnehmung und entsprechend auch eine klare Terminologie zur Beschreibung metaphorischer Aussagen in Texten wichtig. 45 Weinrich (Sprache 283 f.) nennt diese Vorstellungs- oder Konzeptbereiche „sprachliche Sinnbezirke“. Skirl / ‌Schwarz-Friesel (Metapher 7) definieren Konzepte als „mentale Organisationseinheiten, in denen wir Wissen speichern.“ Das als Konzept beschriebene gesammelte Wissen ist mehr als die lexikalische Bedeutung des Wortes, das den Konzeptbereich bezeichnet. Es umfasst nicht nur „die wesentlichen Eigenschaften der Gegenstände, auf die man mit dem Ausdruck referieren kann“ (ebd.) – im Fall des Eisbergs laut Duden also eine „von einem Gletscher abgebrochene, im Meer schwimmende Eismasse mit aus dem Wasser herausragender Spitze“ (Universalwörterbuch 478), sondern z. B. auch das Wissen um die Gefahr, die für Schiffe von diesen unter Wasser verborgenen Eismassen ausgeht, das Wissen um den Untergang der Titanic aus genau diesem Grund usw. Bei der Rezeption einer metaphorischen

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oder mehrere Fokuswörter repräsentieren, mit einem ganz anderen Konzeptbereich auf semantisch spannungsvolle Weise syntaktisch gekoppelt. In den angeführten Beispielen lassen sich die folgenden Konzeptbereiche erkennen: zum einen die Metapherntheorie als großer, umfangreicher Wissenskomplex, zum anderen die menschliche Psyche und schließlich Organisationen bzw. Unternehmen in ihrer jeweiligen Komplexität. In der Theologie werden die beiden in Spannung zueinander stehenden Konzeptbereiche überwiegend als bildspendender und bildempfangender Bereich (oder verkürzt als Bildspender und Bildempfänger) bezeichnet.46 Mehr und mehr etablieren sich hier aber auch die im Folgenden verwendeten Termini Ursprungs- und Zielbereich, die vor allem von der „Conceptual Metaphor Theory“ (im Folgenden abgekürzt: CMT) nach Lakoff / J‌ ohnson geprägt wurden,47 die aber nicht auf diese Theorie beschränkt sind.48 Spätestens hier endet also der Konsens in der Forschung, auch wenn die generelle Richtung in beiden Fällen klar ist: Mit Hilfe des Ursprungsbereiches bzw. des Bildspenders wird etwas über den Zielbereich bzw. den Bildempfänger ausgesagt. Entsprechend lautet die Metapherndefinition der CMT auch: „The essence of metaphor is understanding and experiencing one kind of thing in terms of another“.49 Auffällig ist an dieser Definition gegenüber den zuvor beschriebenen Charakteristika einer metaphorischen Aussage, dass der Aspekt der semantischen Spannung hier nicht eigens erwähnt wird. Diese Eigenheit liegt vor allem im starken Interesse der CMT an Alltagsmetaphorik begründet, an metaphorischen Ausdrücken also, die so vertraut und häufig sind, dass eine Spannung kaum noch wahrgenommen wird. Einer der viel zitierten Modellsätze lautet zum Beispiel: „Er griff jeden Schwachpunkt in meiner Argumentation an.“ 50 Dieser Satz würde in einer realen Gesprächssituation vermutlich kaum bewusst als metaphorische Aussage wahrgenommen werden. Der CMT geht es bei der Betrachtung dieses Satzes, der das Äußerung werden also einerseits mehr oder weniger umfangreiche Konzepte aufgerufen, es wird andererseits aber lange nicht alles für das Verständnis der Metapher gebraucht. Gerber (Paulus 88) spricht mit Rückgriff auf Eco z. B. davon, dass im Sinnfindungsprozess bestimmte Züge aus den Konzepten regelrecht „narkotisiert“ werden können. 46 Diese Termini schließen an die sprachwissenschaftlichen Studien von Weinrich aus den 1960er und 70er Jahren an (vgl. bes. Weinrich, Sprache, und schon zuvor ders., Semantik) und sind vor allem durch die Arbeiten von Jüngel und Ricœur und durch die Gleichnisforschung in der Exegese etabliert worden (vgl. bes. Ricœur / Jüngel, Metapher). 47 Vgl. zu Ursprungs- und Zielbereich bzw. deren englischen Entsprechungen „source domain“ und „target domain“ ausführlich Kövecses, Metaphor 17–29, der meines Erachtens die (vor allem auch terminologisch) klarste Darstellung der CMT bietet. 48 Dem Begriffspaar „Ursprungsbereich“ – „Zielbereich“ (nach der CMT) entspricht nicht nur das Begriffspaar „bildspendender Bereich“ – „bildempfangender Bereich“ (nach Weinrich). Vergleichbar sind vielmehr auch „secondary subject“ – „primary subject“ (nach Black) oder „vehicle“ – „tenor“ (nach Richards). 49 Lakoff / ‌Johnson, Metaphors 5. Die deutsche Übersetzung lautet weniger prägnant: „Das Wesen der Metapher besteht darin, daß wir durch sie eine Sache oder einen Vorgang in Begriffen einer anderen Sache bzw. eines anderen Vorgangs verstehen und erfahren können“ (Lakoff / ‌Johnson, Leben 13); vgl. ähnlich auch Kövecses, Metaphor 176. 50 Lakoff / ‌Johnson, Leben 12.

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Argumentieren mit Hilfe des Konzeptbereiches Krieg ausdrückt 51 und insofern zweifellos metaphorisch ist, aber weniger um das erneute Sichtbarmachen einer semantischen Spannung zwischen den beiden gekoppelten Bereichen, sondern vielmehr um die Hervorhebung der generellen metaphorischen Strukturierung der Sprache und des Denkens auf der kognitiven Ebene.52 Diese Sicht auf Metaphern nimmt vor allem die Konzeptbereiche (und deren typische Kombinationen) in den Blick. Konkrete metaphorische Textbeispiele werden nur von dort her zur Verdeutlichung ausgewählt bzw. regelrecht konstruiert. Die neutestamentlich-­ exegetische Beschäftigung mit Metaphern ist dagegen immer mit einem bestimmten, relativ klar umrissenen Textkorpus und mit den dort vorfindlichen konkreten metaphorischen Äußerungen verbunden. Auch Fragen nach Metaphern, die auf der Konzeptebene ansetzen,53 bleiben auf dieses Textkorpus bezogen und sind somit immer stärker textorientiert als es die CMT insgesamt ist.

1.6.2 Metaphorische Interaktion und das nötige Wissen für ihr Gelingen: Enzyklopädie Eine Metapher ist also eine sprachliche Äußerung, die zwei verschiedene, semantisch in Spannung zueinander stehende Bereiche, den Ursprungs- und den Zielbereich, syntaktisch miteinander verbindet. Sinn gewinnt die Aussage nur, wenn es ihren Rezipientinnen und Rezipienten gelingt, auf einer neuen Ebene Beziehungen zwischen den beiden Bereichen herzustellen. Dieser Sinnfindungsprozess wird als metaphorische Interaktion bezeichnet.54 Zu erkennen gilt es, um bei einem der oben genannten Beispiele zu bleiben, inwiefern ein Eisberg etwas über die Psyche eines Menschen aussagen kann. Zu den signifikanten Merkmalen eines Eisbergs gehört es, dass nur seine Spitze über Wasser sichtbar ist, während sein weitaus größerer Teil unter der Wasseroberfläche verborgen bleibt. Dieses strukturelle Merkmal lässt sich sinnstiftend auch auf die menschliche Psyche übertragen: Auch hier gibt es die Anteile, die einem Menschen bewusst zugänglich sind, die aber lange nicht alles sind, was ihn 51 Die englische Version heißt bei Lakoff / J ‌ ohnson (Metaphors 4) und Kövecses (Metaphor 6) gleichlautend: „He attacked every weak point in my argument.“ 52 Mit der für die CMT typischen Markierung der Konzeptbereiche durch Kapitälchen lautet der Argumentationsgang im konkreten Fall so: „Argumentieren ist keine Spielart der Kriegsführung. Argumentation und Krieg sind zwei verschiedene Dinge – verbaler Diskurs und bewaffneter Konflikt –, und die jeweils ausgeführten Handlungen sind verschiedene Aktionsarten. Dennoch wird die Argumentation partiell in Begriffen des Krieges strukturiert, verstanden, ausgeführt und diskutiert. Das Konzept ist metaphorisch strukturiert, die Handlung ist metaphorisch strukturiert, und folglich ist die Sprache metaphorisch strukturiert. […] Unseren Gewohnheiten, wie wir über das Argumentieren sprechen, liegt eine Metapher zugrunde, die wir uns kaum jemals bewußt machen. Die Metapher ist nicht nur in den Worten präsent, die wir benutzen; sie ruht in unserem gesamten Konzept von Argumentation“ (Lakoff / ‌Johnson, Leben 13 f.). 53 Vgl. z. B. von Gemünden, Vegetationsmetaphorik. 54 Im Hintergrund dieser Bezeichnung steht die sogenannte Interaktionstheorie. Obwohl bereits Richards in seiner Metaphernanalyse von „interaction“ spricht (Philosophy 93), gibt erst Max Black viele Jahre nach Richards dieser Richtung ihren Namen; vgl. Black, Metaphor 285: „a type of analysis which I shall call an interaction view of metaphor.“

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ausmacht und bestimmt. Der größere Anteil ist vielmehr unbewusst und nicht direkt zugänglich. Im Hinblick auf die Struktur über und unter der „Oberfläche“ ergibt sich somit semantische Kohärenz, auch wenn die generellen Differenzen zwischen einem Eisberg und der menschlichen Psyche bestehen bleiben. In der Metapherntheorie wird dieser Vorgang der Übertragung bestimmter Aspekte des Ursprungsbereiches auf den Zielbereich häufig auch als Projektion 55 oder als „mapping“ 56 bezeichnet. Dabei bieten sich nie alle Aspekte des Ursprungsbereiches zur Übertragung auf den Zielbereich an. Die Kälte eines Eisbergs, seine spitzen Formen oder seine Bewegung spielen zum Beispiel keine Rolle, wenn er zur metaphorischen Beschreibung der Seele im psychoanalytischen Sinne benutzt wird. Für die Auswahl jener Aspekte des Ursprungsbereichs, die auf den Zielbereich sinnvoll übertragbar sind, kommt daher auch dem Zielbereich selbst eine wichtige Rolle zu.57 Daher ist es sinnvoll, den Prozess, der zum Verstehen einer metaphorischen Äußerung nötig ist, wie oben betont, als metaphorische Interaktion zwischen den beiden Bereichen zu beschreiben, und nicht allein als eine Übertragung vom Ursprungs- auf den Zielbereich.58 55 Vgl. z. B. Black, More about Metaphor 441–445; Pielenz, Argumentation 81 u. ö., aber auch Lakoff / ‌Johnson, Metaphors 29 u. ö.; zu Kövecses siehe die folgende Anmerkung. 56 Besonders in der CMT ist die Rede von „mappings“ üblich, vgl. z. B. Kövecses, Metaphor 7 u. ö.; aber bereits Black (More about Metaphor 445) bereitet diesen Sprachgebrauch vor. Kövecses (Metaphor 8 u. ö.) bietet für „mappings“ außerdem das Synonym „correspondences“ und erläutert „central mappings“ im Glossar als „mappings that are involved in projecting the main meaning focus (or foci) of the source onto the target“ (ebd. 323; Hervorhebung hinzugefügt). Fokus wird von Kövecses allerdings anders gebraucht als in der vorliegenden Untersuchung. 57 Versteht man den mit „Seele“ markierten Zielbereich hingegen nicht allein im Sinne psychoanalytischer Bewusstseinstheorien, sondern allgemeiner auf das Gefühlsleben eines Menschen bezogen, dann kann das Merkmal „Kälte“, über das der Eisberg verfügt, sehr wohl eine Rolle in der metaphorischen Interaktion spielen. Die geringe Temperatur eines Eisbergs wird dann übertragen auf die geringe Intensität von Gefühlen, die eine Person zeigt. Die konventionalisierte metaphorische Rede von „Gefühlskälte“ oder „Herzenskälte“ benutzt den Konzeptbereich Temperatur dafür in ganz direkter Weise (beide Wörter sind als Eintrag im Duden vorhanden) und trägt dazu bei, dass die Rede von der Seele eines Menschen als Eisberg in diesem Sinne verstanden werden kann. Allerdings reicht es dafür (und ist auch üblicher), von einer Person als Eisklotz zu sprechen. Denn dass nur die Spitze des Eisbergs aus dem Wasser aufragt, spielt für die eben beschriebene metaphorische Verbindung eines Eisbergs mit der Seele keine Rolle. 58 Dennoch bleibt die Übertragung gerichtet: Merkmale des Ursprungsbereiches werden auf den Zielbereich „projiziert“, um ihn metaphorisch zu strukturieren, aber nicht umgekehrt. Black dagegen beschreibt die Interaktion als einen Prozess, bei dem auch der Ursprungs­ bereich (bei ihm „the secondary subject“; s. o. Anm. 48) durch die Verbindung mit dem Zielbereich verändert wird: „In the context of a particular metaphorical statement, the two subjects ,interact‘ in the following ways: (i) the presence of the primary subject incites the hearer to select of the secondary subject’s properties; and (ii) invites him to construct a parallel ,implicative complex‘ that can fit the primary subject; and (iii) reciprocally induces parallel changes in the secondary subject“ (Black, More about Metaphor 442; Hervorhebung hinzugefügt).

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Damit diese metaphorische Interaktion gelingt, ist Wissen über die beiden beteiligten Konzeptbereiche nötig. Nur wenn man weiß, dass ein Eisberg zum größeren Teil verborgen unter Wasser liegt, lässt sich das sinnstiftend auch auf die Struktur des menschlichen Bewusstseins übertragen (s. o. 1.6.1). Man muss außerdem zumindest in Ansätzen schon einmal etwas von Freuds Theorie über das Bewusste und Unbewusste gehört haben.59 Wüsste man dagegen zum Beispiel nichts über Eisberge, wie das etwa für die ursprünglichen Rezipienten der neutestamentlichen Texte anzunehmen ist,60 dann bliebe auch die metaphorische Rede vom Eisberg im oben dargelegten Sinne unverständlich. Umgekehrt mag uns als heutigen Rezipienten damaliger Texte Ähnliches widerfahren: Da wir nicht Teil der damaligen Lebenswelt, Sprach- und Wissensgemeinschaft sind, kann unser Verstehen metaphorischer Äußerungen verhindert oder irregeleitet werden durch fehlendes und oder unzutreffend rekonstruiertes Wissen. Es geht – insbesondere beim Verstehen von Metaphern aus einer anderen Zeit und Kultur – jedoch nicht nur um Wissen allein, das sich durch geeignete Nachforschungen in Wörterbüchern und Lexika ermitteln lässt, sondern um möglichst gute Einblicke in das, was Eco die „Enzyklopädie“ nennt 61 – also um ein umfassendes lebensweltliches, zeit-, sprach- und kulturgeprägtes Wissen, über das ein Modell-Leser verfügen muss, um Texte überhaupt zu verstehen.62 59 Dass es sich dabei um eine Theorie Freuds handelt, ist genau genommen bereits zusätzliches Wissen, das zum Verstehen der Metapher nicht unbedingt nötig ist. Im Übrigen stammt weder der oben (siehe Anm. 41) aus dem „Spiegel“ zitierte Satz „Die Seele ist ein Eisberg“ von Freud, noch lässt sich bei ihm überhaupt die „Eisberg-Metapher“ zur Beschreibung des menschlichen Seelenlebens nachweisen, auch wenn sich diese Behauptung durch unzählige psychologische und kommunikationstheoretische Werke zieht. Hans Blumenberg hat die Herkunft dieser Behauptung und die „Eisberg-Metapher“ überhaupt einer sehr erhellenden Betrachtung unterzogen; vgl. Blumenberg, Quellen 175–178 (zu Freud und zum Spiegel-Titel von 1959) und 172–224 (zur „Eisberg-Metapher“ insgesamt). 60 Das neugriechische Wort παγόβουνο für „Eisberg“ gibt es im Altgriechischen nicht. 61 Vgl. z. B. Eco, Dictionary. Eco beschreibt das, was „Enzyklopädie“ meint, in deutlicher Gegenüberstellung zum Wörterbuch: „Roughly speaking, however, one can say that a dictionarylike representation should concern a merely linguistic competence while an encyclopedialike representation should take into account, as it is commonly said, the whole of our world knowledge. As we shall see, the world knowledge provided by an encyclopedia has nothing to do with our direct, physical, and frequently idiosyncratic experience of the world; it has on the contrary to do with other semiotic phenomena, with intertextual knowledge, with a chain of interpretants“ (Eco, Dictionary 255). Vgl. dazu auch Gerber, Paulus 88: „Diese Metapher Ecos von der ‚Enzyklopädie‘ erhält ihre Prägnanz durch ihr Gegenüber zum ‚Wörterbuch‘ als einer einfachen Kodierung jeden Wortes mit einer Bedeutung, das an einer Metapher bereits scheitert.“ 62 Die Enzyklopädie kann auch „falsches“ oder unpräzises Wissen enthalten. Black beschreibt z. B. (im Übrigen ohne den Begriff der Enzyklopädie zu benutzen), dass es zum Verstehen der metaphorischen Äußerung „Man is a wolf “ nicht darauf ankommt, möglichst genau über Wölfe Bescheid zu wissen, sondern dass es ausreichend ist, allgemeines kulturelles Wissen über Wölfe zu haben. Er nennt dies „the system of associated commonplaces“ (Black, Metaphor 287) und betont: „the system of commonplaces may include half-truths

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Das, was oben (siehe Anm. 45) über die Konzepte gesagt wurde, die eine metaphorische Äußerung aufruft, weist bereits in diese Richtung. 1.6.3 Metaphernwissen auf der Metaebene: Konzeptuelle Metaphern Auch Metaphern selbst sind Teil dieser Enzyklopädie. Neben dem lebensweltlichen Wissen darum, was ein Eisberg ist (also neben einem enzyklopädischen Wissen um den Ursprungsbereich), kann auch die Kenntnis von Eisberg-Metaphern (also von Beispielen, in denen der Eisberg als Ursprungsbereich fungiert) das Verstehen ähnlicher metaphorischer Äußerungen beeinflussen, indem sich nämlich bestimmte Übertragungen als bereits vorgeprägt und erprobt anbieten. Für den Eisberg als Ursprungsbereich erweist sich vor allem das signifikante Verhältnis zwischen sichtbaren und nicht sichtbaren Anteilen als metaphorisch „fruchtbar“: Dieser Aspekt stellt sowohl beim Bezug eines Eisbergs auf das menschliche Bewusstsein semantische Kohärenz her als auch beim Bezug des Eisbergs auf die Gesamtheit der Theorien über Metaphern (bzw. beim Bezug der Spitze des Eisbergs auf einen bestimmten Teil dieses insgesamt viel umfangreicheren Theoriebereiches: vgl. die Überschrift des Abschnitts 1.6). Jeweils geht es um ein nur teilweise bekanntes bzw. zu behandelndes Ganzes. Die CMT beschreibt dieses Wissen um Metaphern, das wiederum das Verständnis weiterer metaphorischer Äußerungen ermöglicht und beeinflusst, fast ausschließlich auf der Ebene der involvierten Konzepte und weniger auf der konkreten Textebene.63 Wiederkehrende Kombinationen von zwei Konzeptbereichen, die außerdem bestimmte wiederkehrende metaphorische Übertragungen zwischen den beiden Konzepten beinhalten, heißen hier konzeptuelle Metaphern oder Konzeptmetaphern 64 und werden nach dem gleichbleibenden Schema Konzeptbereich B als Konzeptbereich A gefasst.65 Hinter den geor downright mistakes“ (ebd.). Im Deutschen ist die Rede von „Rabeneltern“ ein solches Beispiel, das ein kulturelles Wissen abruft, welches gegen ein korrektes biologisches Wissen steht (denn Raben sind ihren Vogelkindern sehr gute Eltern). 63 Anders aber z. B. Turner, der sich in „Death Is the Mother of Beauty“ stärker auf literarische Metaphern konzentriert. 64 Vgl. z. B. Kövecses (Metaphor 327), der in seinem Glossar unter dem Stichwort „metaphor“ keine Erklärung, sondern nur einen Verweis auf „conceptual metaphor“ bringt. Diesen entsprechen auf der Textebene „metaphorical linguistic expressions“ (ebd.) als konkrete Realisierungen solcher Konzeptmetaphern. Kövecses verfährt mit dieser terminologischen Klärung (vgl. auch ebd. 4–6) im Übrigen konsequenter als Lakoff / J‌ ohnson (Metaphors). 65 Oben (Anm. 52) war bereits von der in der CMT häufig als Beispiel herangezogenen Konzeptmetapher Argumentation ist Krieg die Rede. Das englischsprachige B is A, wird in deutschen Übersetzungen häufig genau entsprechend als B ist A wiedergegeben, deutlicher wird die Metaphorisierung von B via A aber in der Wiedergabe durch als; so z. B. vorgeschlagen von Pielenz, Argumentation 69 Anm. 49; vgl. auch Skirl / ‌Schwarz-Friesel, Metapher 10 u. ö., wenngleich nicht durchgehend. In der vorliegenden Untersuchung erfolgt die Schreibung in Kapitälchen immer dann, wenn es ausdrücklich um Konzeptbereiche und um Konzeptkombinationen geht.

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nannten Beispielen lässt sich also die konzeptuelle Metapher Ein nur teilweise bekanntes Ganzes als Eisberg erkennen. In beiden Beispielen besteht ein wesentlicher Aspekt der Übertragung zwischen den Bereichen in dem signifikanten Verhältnis eines geringen sichtbaren Teils zu einem sehr viel größeren unsichtbaren Teil, die beide aber erst das Ganze bilden. Ohne Schwierigkeiten lassen sich auch mediale Berichterstattungen, die Betrugs- und Vertuschungsskandale wiederkehrend mit Titeln wie „Das ist erst die Spitze des Eisbergs“ kritisch ins Bewusstsein rücken, als Instanziierung der Konzeptmetapher Ein nur teilweise bekanntes Ganzes als Eisberg einordnen.66 Indem die bereits öffentlich gewordenen Fakten als „Spitze des Eisbergs“ bezeichnet werden, wird zugleich auf ein noch deutlich größeres, bislang nicht aufgedecktes Ausmaß von Unregelmäßigkeiten verwiesen.67 Je gebräuchlicher die metaphorische Verwendung eines bestimmten Ursprungsbereiches für die Beschreibung bestimmter Zielbereiche wird, umso leichter fällt die Deutung bestimmter metaphorischer Äußerungen bis dahin, dass man deren metaphorischen Charakter gar nicht mehr als solchen wahrnimmt. Zugleich verliert die Metapher dabei an Innovationskraft. Der Prozess der metaphorischen Interaktion verkürzt sich, die Suche nach sinnstiftenden Übereinstimmungen zwischen den Bereichen wird kaum mehr Kreatives, Neues hervorbringen, die Metapher erweist sich als konventionell.68 Die Rede von der „Spitze des Eisbergs“ gehört im gegenwärtigen deutschen Sprachraum ganz sicher dazu.

Die Klassifizierung und Sortierung von konkreten metaphorischen Äußerungen (kurz Metaphern) anhand ihrer Zuordnung zu konzeptuellen Metaphern (die hier im Folgenden, um Missverständnisse zu vermeiden, auch häufig Kon66 Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Kapitels war das z. B. der Abgasskandal bei VW: „Wir kennen nur die Spitze des Eisbergs“ titelte u. a. die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Online-Ausgabe vom 4.11.2015, http: // www.faz.net / aktuell / wirtschaft / vw-abgasskandal / gruene-fordern-nach-vw-abgas-skandal-strengere-vorgaben-13893131.html, abgerufen am 22.11.2015). 67 Als weiterer Aspekt der Übertragung spielt hier außerdem die Gefahr eine Rolle, die auf Seiten des Ursprungsbereiches dann besteht, wenn man die Anteile des Eisbergs unter Wasser unterschätzt (siehe Titanic), und die im Zielbereich ihre Entsprechung in der möglicherweise drohenden Katastrophe findet, wenn die Auf klärung über die verborgen gehaltenen Unregelmäßigkeiten nicht lückenlos erfolgt; siehe zu diesem Aspekt der Gefahr außerdem unten 1.6.6. 68 Unter Umständen kann der Sinnfindungsprozess sogar ganz entfallen. Dann liegt eine sogenannte lexikalisierte Metapher vor mit einer fixierten Bedeutung, die als solche ins Lexikon einer Sprachgemeinschaft eingegangen ist (z. B. das Wort „Kotflügel“). Man kann metaphorische Äußerungen daher auf einer imaginären Skala zwischen kreativ und konventionell einordnen, wobei der stärkste Grad von Konventionalisierung die lexikalisierte Metapher ist. Bisweilen wird hier auch von toten Metaphern (im Gegensatz zu lebendigen) gesprochen. „Tot“ impliziert aber mehr Endgültigkeit als nötig. Denn auch eine lexikalisierte Metapher lässt sich relativ leicht wieder „revitalisieren“, indem ein entsprechender Aussagekontext die ursprüngliche metaphorische Bedeutung erneut ins Bewusstsein hebt (vgl. Skirl / ‌Schwarz-Friesel, Metapher 29), z. B. in der Frage: „Wozu braucht ein Auto Kotflügel, wenn es doch gar nicht fliegen kann?“

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zeptkombinationen genannt werden) 69 ist nicht allein das Proprium der CMT. Auch Weinrich beschreibt mit der Verortung von Metaphern in einem Bildfeld bereits Vergleichbares,70 wenn auch stärker textsemantisch und weniger kognitivistisch ausgerichtet: „Im Maße, wie das Einzelwort in der Sprache keine isolierte Existenz hat, gehört auch die Einzelmetapher in den Zusammenhang ihres Bildfeldes. […] konstitutiv für die Bildfelder ist […], daß zwei Sinnbezirke durch einen geistigen, analogiestiftenden Akt zusammengekoppelt sind.“ 71 Die Rezeption Weinrichs in der exegetischen Forschung hat die Frage nach Bildfeldern aber nicht selten zu wenig von jener nach Wortfeldern differenziert und daher nur auf eine Seite der Metaphorik bezogen,72 womit der wesentliche Charakter einer Metapher, der in der (spannungsreichen) Koppelung zweier Konzepte besteht, verloren zu gehen droht. Die zugegebenermaßen etwas sperrige Bezeichnung von Metaphern nach dem Schema B als A lässt diese Reduktion nicht zu. Sie verbietet es, unpräzise zum Beispiel von einer Eisberg-Metapher zu sprechen, ohne dass dabei klar wäre, was für ein Zielbereich mit Hilfe des Eisbergs metaphorisch beschrieben werden sollte. Genau genommen lässt sich nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob der Eisberg in der nur unvollständig angedeuteten Metapher der Ursprungs- oder der Zielbereich ist. Denn in der Fügung „X-Metapher“ ist nicht per se festgelegt, für welchen der beiden Konzeptbereiche der Metapher X steht, auch wenn damit in der Praxis häufiger auf den Ursprungsbereich verwiesen wird.73 Im speziellen Fall 69 Wie schon mehrfach angedeutet, ist die Terminologie zur Beschreibung von Metaphern keineswegs einheitlich, was sich bereits am Begriff Metapher selbst zeigt. Ich richte mich mit dem oben vorgeschlagenen Gebrauch nach Skirl / ‌Schwarz-Friesel (Metapher 10), die in ihrer gut lesbaren Darstellung zur Metapher vorschlagen, „den Begriff Metapher weiterhin nur im Hinblick auf die sprachliche Ebene, nicht aber in Bezug auf konzeptuelle Strukturen“ zu gebrauchen, und für das, was bei Lakoff / J‌ ohnson oder auch Kövecses eine Metapher bzw. konzeptuelle Metapher ist, den Begriff „Konzeptkombination“ (ebd. 7 u. ö.) zu benutzen. 70 Vgl. auch Zimmermann, Geschlechtermetaphorik 42 f.: „Die Einsicht Weinrichs ist zwar verschiedentlich in der Metapherntheorie aufgenommen worden, eine mit der Bildfeldtheorie vergleichbare eigenständige ‚Weiterentwicklung‘ und Ausweitung dieses Denkansatzes ist allerdings erst im Rahmen der kognitiven Metapherntheorie (Lakoff / J‌ ohnson) zu erkennen.“ 71 Weinrich, Sprache 283 f. 72 So z. B. bei von Gemünden (Vegetationsmetaphorik), die trotz ausführlicher Weinrich-­ Rezeption (vgl. bes. ebd. 9–11) vom „Bildfeld ‚Vegetation‘“ (ebd. 2 u. ö.) redet und sich somit stark auf den Ursprungsbereich, weniger auf die Koppelung konzentriert. 73 So auch Gehring, Erkenntnis 211 f.: „Im metaphorologischen Alltag wird freilich – soll man sagen: pragmatisch? – sehr häufig doch allein der Fokusausdruck als Stellvertreter für die ganze Metapher genommen. […] Der Fokusausdruck gilt gleichsam als Kennmarke für den Rest der Stelle. So verschwindet freilich das Interaktionsphänomen.“ Es gibt allerdings auch Beispiele, die in der verkürzten Bezeichnung einer Metapher als X-Metapher mit X den Zielbereich benennen: siehe z. B. die alttestamentliche Untersuchung von „divine metaphors“ durch Basson (Metaphors) oder die Gegenüberstellung von „Sündenmetaphern und Liebesmetaphern“ in den „Gregorius“-Dichtungen bei Ohly (Metaphern 148). Mit „divine“,

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des Eisbergs ist es zwar eher unwahrscheinlich, dass dieser auch der Zielbereich sein könnte, denn Metaphorisierungen eines Eisbergs sind wohl eher selten.74 Für die vergleichbare Fügung „Wiedergeburts-Metapher“ (bzw. ähnliche Formulierungen, wie zum Beispiel „Wiedergeburt“ als Metapher) stellt sich das aber keineswegs so eindeutig dar (s. u. 1.7). „Wiedergeburt“ kann hier sehr wohl den Ursprungs- oder den Zielbereich der Metaphorik bezeichnen. Beide Ansätze gibt es in der Forschung zu beobachten, beide stehen unter demselben Leitbegriff nebeneinander und werden zum Teil auch direkt kombiniert (s. u. Teil I). Darum sind weder der Begriff „Wiedergeburt“ noch der so bezeichnete Forschungsgegenstand klar umrissen (s. u. Kap. 6). 1.6.4 Einzelne metaphorische Aussagen in Texten und konzeptuelle Metaphern Birgt die Einordnung von Metaphern anhand der von ihnen aufgerufenen Konzeptkombinationen also durchaus klärendes Potenzial, so gestaltet sich diese Einordnung in der exegetischen Praxis jedoch schwieriger, als es die vorauslaufende Beschäftigung mit der Theorie nach Lakoff / J‌ ohnson, Kövecses, Skirl / Schwarz-Friesel, Weinrich – um nur die hier vorrangig zitierten Namen zu nennen – ahnen lässt. Denn hier wird vorwiegend von den Konzeptbereichen her gedacht, und von dort aus werden dann passende sprachliche Beispiele gesucht. Geht man umgekehrt dagegen von den Texten aus, dann fällt schnell auf, dass sie ihre Metaphern nur selten in der handlichen Form „B als A“ bzw. „B ist A“ präsentieren. Kein einziger der oben angeführten „Wiedergeburts“-Texte (s. o. 1.3) passt ohne Umformulierungen in dieses Schema. Das spricht keineswegs dagegen, dennoch sorgfältig nach Ursprungsbereich und Zielbereich der jeweiligen metaphorischen Aussagen zu fragen. Auch diese präsentieren sich aber selten so klar, wie es die Theorie beschreibt. Außerdem bieten sich in der Regel mehrere Möglichkeiten an, die Konzeptbereiche größer oder kleiner, allgemeiner oder spezifischer zu bestimmen.75 Es liegt letztlich im Ermessen derer, die die Texte auslegen, die Extension dieser Bereiche im Hinblick auf das Untersuchungsziel festzulegen. Gerade für Vergleiche von verschiedenen metaphorischen Äußerungen ist der Blick auf wiederkehrende Konzeptkombi„Sünde“ bzw. „Liebe“ wird hier jeweils auf den Zielbereich der zu betrachtenden Metaphern verwiesen. 74 Überhaupt lässt sich feststellen, dass in Metaphern in der Regel konkretere, der Erfahrung leichter zugängliche Bereiche als Ursprungsbereiche dienen, um damit abstraktere, der Erfahrung weniger gut zugängliche Zielbereiche metaphorisch zu beschreiben; vgl. auch Kövecses, Metaphor 29: „the most common source domains are concrete, while the most common targets are abstract concepts. In this way, conceptual metaphors can serve the purpose of understanding intangible, and hence difficult-to-understand, concepts.“ Die Förderung des Verstehens gilt genauso auch für konkrete sprachliche Instanziierungen dieser Konzeptmetaphern. 75 Vgl. zur Frage der gewählten Abstraktionsebene auch Gehring, Erkenntnis 207 f.

1.6 Notwendige Verständigung über Metaphern

21

nationen zweifellos hilfreich. In der Freiheit, die Bereiche selbst bestimmen zu können, liegt aber zugleich die Gefahr, sich die Dinge passend zu machen.76 In jedem Fall hat die Analyse anzufangen bei der Suche nach den Fokuswörtern in einem Text und der Frage, welchen Ursprungsbereich sie aufrufen und welche Aspekte dieses Bereiches der Text eventuell besonders hervorhebt oder eher unterdrückt.77 Diese Analyse muss ergänzt werden von der Bestimmung des Zielbereichs, der im Text nicht immer direkt erwähnt ist, sondern oft nur aus kontextuellen Hinweisen zu erschließen ist, denn etwas den Fokuswörtern Entsprechendes gibt es für den Zielbereich nicht. Dabei spielt eine entscheidende Rolle, wie man Texte abgrenzt bzw. dass man metaphorische Äußerungen nicht zu stark vom Kontext isoliert. Der Satz ὑμεῖς ἐστε τὸ φῶς τοῦ κόσμου (Mt 5,14 a), der sich fast von selbst schon in der gesuchten Form A ist B präsentiert, benutzt „Licht“ offensichtlich in metaphorischer Weise, denn τὸ φῶς steht in semantischer Spannung zum Kontext. Es ist bezogen auf ein ὑμεῖς, woraus sich als vorläufige Formulierung die Konzeptkombination Menschen als Licht ergibt. Welche Aspekte des Konzeptes Licht auf diese vom Text angesprochenen Menschen bezogen werden sollen, wird aus dem kurzen zitierten Satz kaum deutlich, außer dass es einen Bezug dieses Licht-Seins zur Welt gibt.78 Zunächst bieten sich also viele Merkmale von Licht für die Übertragung auf die Angesprochenen und ihre Position in der Welt an: Licht bringt Helligkeit, Wärme, ermöglicht überhaupt erst Leben, erleuchtet dunkle Orte, kann aber auch blenden und sowohl positive wie negative Dinge sichtbar machen. Schaut man jedoch auf den nächsten Vers (und lässt den Satz in Mt 5,14 b über die Stadt auf dem Berg vorerst unbeachtet), dann sind weitere Fokuswörter zu finden (im Folgenden kursiviert): Mt 5,15 οὐδὲ καίουσιν λύχνον καὶ τιθέασιν αὐτὸν ὑπὸ τὸν μόδιον ἀλλ᾽ ἐπὶ τὴν λυχνίαν, καὶ λάμπει πᾶσιν τοῖς ἐν τῇ οἰκίᾳ.

Man zündet auch keine Lampe an und setzt sie unter ein Messgefäß, sondern auf den Lampenständer, damit sie allen, die im Haus sind, leuchtet.

Der Ursprungsbereich Licht wird durch diese neuen Fokuswörter stärker strukturiert. Außerdem hebt auch der Kontext bestimmte Aspekte von Licht besonders hervor: Dazu gehört, dass Licht leuchtet und dass es je nach Lage (auf dem Lampenständer oder unter dem Gefäß) eine unterschiedliche Reichweite hat. Zum zuletzt genannten Aspekt fügt sich gut auch der bislang übergangene Halbvers Mt 5,14 b von der Stadt auf dem Berg, die nicht verborgen bleiben kann, und die weite Perspektive, in der Mt 5,14 a das Licht beschreibt: als Licht der Welt. Worauf Fokuswörter und Kontext zielen, ist also vor allem die weite Sichtbarkeit des Lichtes. Wenn die mit „ihr“ Angesprochenen in Mt 5,14 a also als Licht prädiziert werden, 76 Vgl. sehr kritisch an dieser Stelle Gehring, Erkenntnis 204: „Metaphern [sind] Einzelstücke. Auch daraus folgt eine Warnung: Es gilt ausgesprochen genau hinzusehen, bevor man über ein ganz bestimmtes Stellenvorkommen hinaus etwas zu einer Metapher Gesagtes verallgemeinert. Metaphernidentität und Metaphernvergleiche sind von vornherein prekär. Damit umzugehen ist nicht einfach.“ 77 Mit Eco (Metaphor 1319) kann man auch vom Aktivieren und Narkotisieren von Merkmalen sprechen (vgl. auch ders., Lector 89). 78 So der Sache nach auch Luz, Matthäus I, 299: „‚Licht‘ ist eine ‚offene‘ Metapher, deren Sinn nur der Kontext erhellt.“ (Aus metapherntheoretischer Perspektive wäre hier allerdings präziser von Licht als Ursprungsbereich und weniger von Licht als „offener Metapher“ zu sprechen.)

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1. Einführung

dann geht es aufgrund des Kontextes um ihre Sichtbarkeit in der Welt.79 Der nächste Vers formuliert diese metaphorische Aussage nochmals in Form eines Imperativs: „So lasst euer Licht leuchten (λαμψάτω τὸ φῶς ὑμῶν) vor den Menschen“ (5,16 a). Mit der Fortsetzung des Satzes bietet der Text außerdem eine weitere Präzisierung: „[…] so dass sie eure guten Werke sehen“ (5,16 b). Aufgegriffen wird mit „sehen“ der Aspekt der Sichtbarkeit des Lichtes. Gesehen werden sollen aber nun nicht mehr die Menschen, die zuvor metaphorisch als Licht bezeichnet wurden, sondern ihre guten Werke. Damit lässt sich auch der Zielbereich der Metapher noch einmal genauer bestimmen: Es geht in der konkreten Instanziierung der konzeptuellen Metapher Menschen als Licht nicht um Menschen überhaupt als Licht, sondern um Menschen mit ihren Taten als Licht, und zwar im Hinblick auf ihre Sichtbarkeit für andere. Diese sehen schließlich nicht nur die als Licht prädizierten guten Taten und loben die Menschen dafür, sondern preisen vielmehr „euren Vater in den Himmeln“ (5,16 c). Wenn die Adressierten „ihr Licht“ leuchten lassen, führt das auch dazu, dass andere den erkennen, der hinter diesen guten Taten steht.

Das Beispiel zeigt, dass die Zuordnung einer metaphorischen Äußerung zu einer konzeptuellen Metapher noch lange nicht ausreicht, um die Äußerung selbst zu deuten. Der Textzusammenhang liefert vielmehr wesentliche Hinweise, welche Aspekte der involvierten Konzepte im vorliegenden Fall bedeutsam sind und grenzt damit auch ein, welche der von der Konzeptmetapher her prinzipiell möglichen Übertragungen im Prozess der metaphorischen Interaktion sinnvoll zu aktivieren sind. Kurz gesagt macht die Beachtung metapherntheoretischer Erkenntnisse eine genaue exegetische Analyse eines vorliegenden Textes nicht überflüssig, sondern muss vielmehr sinnvoller Teil dieser analytischen Arbeit an den Texten sein. Etwas ausführlicher ist das in den folgenden zehn exegetischen Leitsätzen formuliert. 1.6.5 Zwischen konzeptueller Metapher und konkretem Text: Zehn exegetische Leitsätze zur Auslegung von Metaphern in neutestamentlichen Texten 1. Metaphern sind Textphänomene. Auch wenn für den Vergleich verschiedener Texte der Wechsel auf die konzeptuelle Ebene hilfreich ist und konkrete Texte als Instanziierungen einer konzeptuellen Metapher gruppiert werden können, bleibt in einer exegetischen Untersuchung die konkrete sprachliche Umsetzung einer konzeptuellen Metapher in einem Text der Hauptbezugspunkt der Analyse. 2. Der Ursprungsbereich der Metaphorik wird durch Fokusausdrücke im Text aufgerufen. Dabei ist zu beachten, dass die Zuordnung nicht immer eindeutig ist und dass Zuordnungen auch davon abhängen, wie weit oder eng ein Konzeptbereich gefasst wird. Diese Entscheidung über die Extension eines 79 So sehr deutlich auch Sand, Matthäus 105. Luz (Matthäus I, 299) geht hier meines Erachtens den Weg der Metapherndeutung nicht ganz zu Ende, wenn er zu Mt 5,15 schreibt: „Der Sinn der Metapher ‚Licht der Welt‘ wird hier bereits ansatzweise deutlich; es ist die Helligkeit, die das Licht in der Welt verströmt, an die Matthäus denkt“, dann aber in der Auslegung zu Mt 5,16 (ebd. 300 f.) mit keinem Wort auf das „Sehen“ eingeht.

1.6 Notwendige Verständigung über Metaphern

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solchen Bereiches ist zwar sinnvollerweise anhand der Texte zu fällen, ist aber nicht objektiv von den Texten vorgegeben. Der jeweilige Ursprungsbereich muss vor dem Hintergrund der neutestamentlichen Zeit rekonstruiert werden und ist vor anachronistischen Eintragungen zu bewahren. Es ist im unmittelbaren Kontext der jeweiligen metaphorischen Äußerung präzise darauf zu achten, welche Aspekte des Ursprungsbereiches überhaupt aktiviert werden. Es ist also nach Signalen im unmittelbaren Kontext zu fragen, die das Verständnis der Metapher im konkreten Fall lenken und die metaphorische Interaktion bestimmen. Für die Bestimmung des Zielbereiches ist neben innertextlichen Hinweisen auch der situative Kontext eines Textes einzubeziehen, soweit insbeson­ dere die Einleitungswissenschaft dazu relevante Informationen liefern kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kenntnisse in der Exegese gerade hier oft lückenhaft sind und Rekonstruktionen von situativen Kontexten, Überlegungen zu den ursprünglich Adressierten, zur vorausliegenden Kommunikationssituation etc. oft hypothetisch bleiben. Das Verständnis von Metaphern wird auch durch die Kenntnis wiederkeh­ render Kombinationen von Ursprungs- und Zielbereich gelenkt. Je bekannter und häufiger die Instanziierung solcher konzeptuellen Metaphern in sprachlichen metaphorischen Äußerungen ist, desto weiter schreitet die Konventionalisierung einer Metapher voran und nimmt ihr Innovationsgrad ab. Die Exegese hat mit derart konventionalisierten Metaphern auch dann zu rechnen, wenn sie für die heutige Rezeption nicht mehr (oder anders) bekannt sind. Dass bestimmte Übertragungen zwischen Ursprungsund Zielbereich bereits geprägt sind, ist besonders dann zu erwägen, wenn der Textzusammenhang wenig Hinweise auf die zu aktualisierenden Aspekte des Ursprungsbereiches im Hinblick auf den Zielbereich liefert. Auch weithin bekannte konzeptuelle Metaphern können in innovativer Weise aufgegriffen werden. Für den konkreten Fall ist jeweils anhand der Kontextsignale zu prüfen, ob die Metaphorik konventionalisiert und abgeblasst ist oder ob sie spezifische Züge und innovatives Potenzial aufweist. Es ist außerdem traditionsgeschichtlich zu fragen, ob frühere Instanziierungen derselben konzeptuellen Metapher das Verstehen lenken und intertextuelle Bezüge vom Text her intendiert sind. Die Vermutung, dass auf Tradition zurückgegriffen wird, ist dabei immer zu korrelieren mit den Deutungshinweisen, die der Kontext der einzelnen metaphorischen Äußerung gibt und darf diese nicht dominieren. Jede Untersuchung, die sich auf bestimmte Metaphern konzentriert, muss darauf achten, neben dieser speziellen Fragestellung die Gesamtaussage der jeweiligen Texte zur Geltung zu bringen. Die auszulegenden Textabschnitte sind entsprechend umsichtig und ausreichend weit zu wählen. Konkret ist auch nach anderen Metaphern im Kontext zu fragen, die das

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1. Einführung

Verständnis vielleicht in stärkerem Maße leiten, und zu prüfen, wie sich die vordergründig untersuchte Metaphorik hier einfügt. 9. Die Interpretation von metaphorischen Texten stößt an Grenzen, die im Charakter der untersuchten Texte selbst begründet liegen. Jede Deutung einer Metapher steht in der Gefahr, das Prozesshafte, das eine lebendige Metapher ausmacht, als Ergebnis festzuschreiben und seiner Dynamik zu berauben. 10. Jede Auslegung metaphorischer Texte, die einer anderen Lebenswelt entstammen, ist mit einem begrenzten Wissen um Inhalte, Umstände und Kontexte konfrontiert, welches es zuweilen nötig macht, mehrere Deutungsmöglichkeiten nebeneinanderzustellen. 1.6.6 Zum Schluss: Gelungene und weniger gelungene Metaphern und der Einfluss der sprachlichen Konvention Wenn in der Kapitelüberschrift von der „Spitze des Eisbergs“ im Hinblick auf Metaphern die Rede ist (s. o. 1.6), dann soll damit angedeutet werden, dass die ganze Fülle der Theorien über Metaphern hier nicht näher beschrieben werden kann und muss, sondern nur ein bestimmter und für diese Untersuchung relevanter Teil davon thematisiert wird. Kommt man allerdings vom oben angeführten Beispiel eines Betrugsskandals her (s. o. 1.6.3), in dessen medialer Darstellung nicht selten Instanziierungen der konzeptuellen Metapher Ein nur teilweise bekanntes Ganzes als Eisberg begegnen, dann könnte die Frage auf kommen, ob die Metapher in der Überschrift tatsächlich so gut gewählt ist. Denn sie will auf den gesamten Eisberg der Metapherntheorien ja nur als etwas verweisen, das selbstverständlich auch da ist, wenn man von der „Spitze des Eisbergs“ spricht, sonst aber keine große Aufmerksamkeit darauf lenken. Im Fall von Betrugsskandalen soll mit der Eisbergmetapher dagegen gerade auf die verborgenen Wissensanteile verwiesen werden, die erst das ganze Ausmaß der zu kritisierenden Machenschaften erkennbar werden lassen (s. o. Anm. 67). Das aber ist nicht die Intention der Metapher in der Überschrift. Sie will weder Skandalöses aufdecken, noch implizit vor den drohenden Gefahren warnen, wenn die verborgenen Anteile des Eisbergs ignoriert werden. (Die Gefahr könnte eher darin bestehen, sich in dem schwierigen Unterfangen zu verlieren, nicht nur die Spitze, sondern den ganzen Eisberg betrachten zu wollen.) Aber wird das aus der Überschrift wirklich deutlich? Ist die Metapher wirklich gut gewählt? Oder ist unsere Wahrnehmung der Rede von der „Spitze des Eisbergs“ nicht viel zu stark vom wiederkehrenden Gebrauch im Kontext der Aufdeckung skandalöser Betrügereien geprägt, um noch andere Nuancen der Metapher entdecken zu können? Zwei Punkte lassen sich anhand dieser Überlegung noch einmal besonders hervorheben. Vom ersten war schon die Rede (s. o. 1.6.2): Die Kenntnis ähnlicher Metaphern (bzw. der auf der Metaebene zu identifizierenden konzeptuellen Metaphern) kann als Teil der Enzyklopädie tatsächlich in starkem Maße

1.6 Notwendige Verständigung über Metaphern

25

die Deutung einer metaphorischen Äußerung prägen, zumindest dann, wenn es sich um relativ gebräuchliche Konzeptkombinationen handelt. Gerade für antike Texte wird es an dieser Stelle aber schwierig. Denn das alltagssprachlich Gebräuchliche bringen auch umfassende Quellenstudien hier nicht zuverlässig zutage. Es ist daher schwer, den Konventionalisierungsgrad von Metaphern in biblischen Texten einzuschätzen, denn selbst wenn sie dort nur selten auftreten (vgl. die wenigen wörtlichen Repräsentationen von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament; s. o. 1.3), sagt das noch nichts über den sonstigen Gebrauch und die Bekanntheit aus. Als zweiter Punkt ist die Tatsache hervorzuheben, dass nicht alle Metaphern gelungene Metaphern sind. Die in gewisser Hinsicht möglicherweise nicht so treffend gewählte Metapher in der Kapitelüberschrift verweist darauf (und hat vielleicht schon deshalb ihre Berechtigung …). Dieser Gedanke mag in einer Untersuchung neutestamentlicher metaphorischer Texte zwar unüblich sein, sollte aber auch hier nicht völlig fehlen, bewahrt er doch vor möglicher Überinterpretation. Nicht jede Metapher ist automatisch eine in allen Zügen gelungene, stimmige Metapher, nur weil sie in der Bibel steht.80 Und nicht jede metaphorische Äußerung im Neuen Testament ist notwendig voller tiefgreifender Bedeutung und sagt Neues. Es ist sowohl mit der oben betonten konventionell geprägten Metaphorik zu rechnen (ohne sie jedoch immer genau zu kennen) als auch mit Brüchen, zum Beispiel wenn es durch die Kombination verschiedener Metaphern in einem Text 81 zu nur partiell stimmigen Übergängen zwischen verschiedenen Ursprungsbereichen kommt. Immerhin gibt es Indizien, die auch in antiken Texten noch auffindbar sind: Eine konventionell gebrauchte Metapher kann in einem Text ohne viel Erläuterung stehen und wird (vermutlich) auch so verstanden. Eine ungewöhnliche, neue oder anders als üblich gebrauchte Metapher verfügt in der Regel über mehr Kontextsignale, um die Rezeption in die gewünschte Richtung zu lenken. Mit diesem Plädoyer für die genaue Wahrnehmung metaphorischer Äußerungen in ihrem Kontext schließt sich der Kreis zum anfangs betonten Konsens in der neueren Exegese, Metaphern als Textphänomene wahrzunehmen (s. o. 1.6.1).

80 Wenn Paulus z. B. in 1 Kor 9,24 metaphorisch auf den Laufwettkampf Bezug nimmt, bei dem nur einer den Siegeskranz gewinnt, hilft das zwar zu verdeutlichen, dass es bei diesem Lauf um alles geht und alle Konzentration und Anstrengung auf nichts weniger als den Sieg gerichtet sein sollte. Wenn in 1 Kor 9,25 dann aber der irdische, vergängliche Siegeskranz dem unvergänglichen Kranz gegenübergestellt wird, um dessen Gewinn sich die Adressierten bemühen sollen, ist dieser Aspekt, dass nur einer gewinnen kann, nicht mehr im Blick. Die Vorstellung, dass es im Hinblick auf das ewige Heil um einen Konkurrenzkampf unter den Gläubigen gehen könnte, aus dem nur einer als Sieger hervorgeht, entspricht hier vermutlich nicht der Intention des Paulus, wurde von ihm selbst zuvor aber ausdrücklich als ein wichtiger Zug des gewählten Ursprungsbereiches der Metapher in 1 Kor 9,24 hervorgehoben. 81 Vgl. z. B. die Mischung von Geburts- und Kultmetaphorik Jak 1,18 (s. u. Kap. 11).

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1. Einführung

1.7 „Wiedergeburt“ als Metapher: Worum geht es in der Forschung? Nach der notwendigen Verständigung über Metaphern im Allgemeinen ist hier nun auf die Charakterisierung von „Wiedergeburt“ als Bild, Symbol oder Metapher zurückzukommen, die in der exegetischen Forschung so häufig begegnet (s. o. 1.5), bisher aber nicht selbstreflexiv auf den eigenen Umgang mit dem Leitbegriff „Wiedergeburt“ angewendet wurde. Dieses Defizit gilt es hier und vor allem im folgenden Teil I aufzuarbeiten, der sich mit der Forschungsgeschichte in metapherntheoretisch orientierter Perspektive befasst. Wenn, wie im letzten Abschnitt festgestellt, ein einzelnes Wort unabhängig von seinem Aussagezusammenhang nicht Metapher sein kann, dann kann es auch nicht korrekt sein, „Wiedergeburt“ als Metapher zu bezeichnen. Wenn die Forschung das dennoch tut, so muss man ihr jedoch zugutehalten, dass „Wiedergeburt“ in gewisser Weise einen Sonderfall darstellt. „Wieder-Geburt“ trägt bereits in sich eine semantische Spannung. Zumindest gilt das im Rahmen eines christlich geprägten Menschenbildes, das von der Einmaligkeit des Lebens ausgeht und nicht von der Möglichkeit wiederholter postmortaler Wiederverkörperungen im Sinne einer sogenannten „Seelenwanderung“ (s. o. Anm. 30). Denn dann gehört zu dem Konzept Geburt bereits dazu, dass es für jeden Menschen nur eine Geburt gibt. Die Zusammenfügung zu einem Wort „Wieder-Geburt“ ist in sich also bereits spannungsreich. Ist „Wiedergeburt“ darum aber bereits eine Metapher? Und wenn ja, was für eine und wie ließen sich dann Ursprungs- und Zielbereich bestimmen? In der Metapherntheorie wird bisweilen von „Wortmetaphern“ gesprochen.82 Dieser Terminus ist jedoch unscharf. Gemäß der präziseren Klassifizierung der metaphorischen Äußerungen „nach Wortarten und syntaktischer Realisierung“ bei Skirl / Schwarz-Friesel käme „Wiedergeburt“ einer „Kompositummetapher“ am nächsten 83 – jenem Typ der „Substantivmetapher“, der zwei Nomen zu einem Wort zusammenstellt, wobei „in der Regel das erste Nomen für den Zielbereich und das zweite für den Ursprungsbereich steht“,84 zum Beispiel in „Lebenslicht“.85 Allerdings ist „wieder“ kein Nomen; und während „Licht“ im Beispiel metaphorisch etwas über das Leben aussagt, sagt „Geburt“ nichts über „wieder“ aus.86 Wenn man also dem Muster der Kompositummetaphern entsprechend Geburt als Ursprungsbereich bestimmte, dann ergäbe sich aus dem verbleibenden „Wieder“ noch kein Zielbereich. 82 Die „Wortmetapher“ wird z. B. bei Zimmermann (Geschlechtermetaphorik 38) als Option neben „Kontextmetapher“ und „Erzählmetapher“ erwähnt. 83 Vgl. dazu insgesamt Skirl / Schwarz-Friesel, Metapher 20–27. 84 Skirl / ‌Schwarz-Friesel, Metapher 21 f. 85 Weinrich (Sprache) benennt auch viele Bildfelder durch solche Komposita, z. B. „Welttheater“, „Verstandeslicht“ „Lebensreise“, „Wortmünze“, „Redefluß“ (ebd. 285). Das ist zwar griffiger, als die komplizierten Beschreibungen in der Form B als A, arbeitet aber der oben (siehe Anm. 72 und Kontext) beschriebenen Gefahr zu, den entscheidenden Charakter des Bildfeldes als einer Koppelung zweier Sinnbezirke aus dem Blick zu verlieren. 86 Auch zu den „Adjektivmetaphern“ (vgl. Skirl / Schwarz-Friesel, Metapher 25 f.) weist

1.7 Worum geht es in der Forschung?

27

„Wiedergeburt“ lässt sich also nicht als Wort- bzw. Kompositummetapher einordnen. Dennoch behält die oben geschilderte Beobachtung, dass sich im Wort bereits eine semantische Spannung andeutet, ihre Berechtigung – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass zum Konzept der Geburt gehört, dass sie einmalig ist. Aber auch dann bleibt die Rede von „Wiedergeburt“ und der Hinweis auf ihren bildlichen oder metaphorischen Charakter ungenau. Häufig wird, wie schon beschrieben (s. o. 1.6.3), mit solcher Art ungenauer Metaphernbezeichnung auf den Ursprungsbereich verwiesen. Aber das muss nicht immer so sein (s. o. Anm. 73). Es kann sich auch um den Zielbereich handeln. Und noch eine weitere Unklarheit in der voraussetzungslosen Rede von „Wiedergeburt“ lässt sich ausmachen: Die eben angestellten Überlegungen haben gezeigt, dass die Kombination „Wieder-Geburt“ nur als spannungsvoll empfunden wird, wenn ein bestimmtes Konzept von Geburt vorausgesetzt wird. Ist also gar nicht „Wieder-Geburt“, sondern „Geburt“ das relevante Konzept? Und geht es der „Wiedergeburts“-Forschung also um Texte, die mit Hilfe von Geburtsaussagen eine grundlegende Veränderung im Leben der Gläubigen metaphorisieren, oder ist doch eine wie auch immer geartete Vorstellung von „Wieder-Geburt“ der Ursprungsbereich der Metaphorik? Konkret führt das unter anderem zurück zu der Frage, die schon kurz angeklungen ist (s. o. 1.3): Gehört die Aussage in Jak 1,18 a, dass Gott „uns geboren hat durch das Wort der Wahrheit“, in eine Untersuchung zur Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament oder nicht? Oder handelt es sich mit „Wiedergeburt“ am Ende doch eher um den Zielbereich, der durch metaphorisch gebrauchte Ausdrücke, die ganz anderen Ursprungsbereichen entstammen, näher erläutert wird und kommt es somit gar nicht auf wörtliche Entsprechungen von „Wiedergeburt“ in den neutestamentlichen Texten an? Mit diesem Fragenkatalog ausgerüstet ist es an der Zeit, die Forschungsgeschichte näher zu betrachten.

das Kompositum „Wiedergeburt“ gewisse Ähnlichkeiten auf. Als Beispiel zitieren Skirl / Schwarz-Friesel (ebd. 26) u. a. Thomas Mann mit: „kalte Traurigkeit“. Aber auch hier gilt erneut, dass „wieder“ kein Adjektiv ist und im Gegensatz zu „kalt“ für sich genommen keinen Konzeptbereich aufruft.

Teil I

Darstellung der Forschungsgeschichte in metapherntheoretisch orientierter Perspektive Nicht nur eine Forschungsgeschichte in metapherntheoretisch orientierter Perspektive, sondern überhaupt eine umfassende Darstellung der neutestamentlichen Forschung zur „Wiedergeburt“ ist bislang ein Desiderat. Ein wesentlicher Grund für das Fehlen eines solchen Überblicks liegt sicherlich darin, dass die Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament bislang vor allem in Form von Zeitschriftenaufsätzen, Beiträgen in Sammelwerken und Lexikonartikeln behandelt wurde, die den Raum für eine umfängliche Forschungsgeschichte nicht bieten, dagegen aber nur zwei Monographien zum Thema publiziert wurden. Eine davon, die Dissertation von Joseph Dey zu παλιγγενεσία in Tit 3,5, stammt außerdem bereits von 1937 und kann daher zeitbedingt nur auf einen kürzeren Abschnitt der Forschung zurückblicken.1 Die andere Arbeit, ebenfalls eine Dissertation, von Jae Woog Bae ist zwar wesentlich neueren Datums (2003), bietet aber mit einer von vornherein feststehenden traditionsgeschichtlichen These und einer aus dieser Perspektive nur eklektisch wahrgenommenen Forschungsgeschichte ebenfalls nicht den nötigen Überblick.2 Daneben gibt es interessanterweise deutlich mehr Qualifikationsarbeiten zur Frage nach „Wiedergeburt“ (bzw. „regeneration“ / „rebirth“) im Neuen Testament, die nicht publiziert wurden: Sieben Titel konnten ermittelt, drei davon auch eingesehen werden.3 Auch hier findet sich die Forschungsgeschichte allerdings nicht in der nötigen analytischen Tiefe aufgearbeitet.4 1 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ. Auch für den zeitlichen Abschnitt bis 1937 bietet Dey jedoch keinen forschungsgeschichtlichen Überblick im engeren Sinne – zu Dey insgesamt s. u. 3.6. 2 Bae, Wiedergeburt; ausführlicher s. u. 5.6. Baes Untersuchung kann außerdem nur cum grano salis als publiziert betrachtet werden, denn sie ist nicht als Verlagspublikation erschienen, sondern findet sich nur in einer sehr kleinen Zahl von Pflichtexemplaren in einigen wissenschaftlichen Bibliotheken. 3 S. u. 3.7 und 4.3. 4 Schweitzer (Gotteskindschaft 1–11) sichtet die vorausliegende Forschung nur knapp und dabei ganz unter dem Blickwinkel, wie die religionsgeschichtliche Herkunft behandelt wird – der Ansatz Harnacks (s. u. 3.1), der diese Frage zurückdrängt, wird dementsprechend z. B. nur mit wenigen Worten überhaupt bedacht. Vann Murrell (Concept ii) ist der Meinung, dass es seit Gennrichs Untersuchung der „Lehre von der Wiedergeburt“ von 1907 keine tiefgreifende Forschungsarbeit zum Konzept der „Wiedergeburt“ – so wie sie es verstehen möchte (zur Kritik dazu s. u. 4.3.1) – im gesamten Neuen Testament mehr gab. Mounce (Ori-

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I. Darstellung der Forschungsgeschichte

Insgesamt bleibt die Zahl der Forschungsbeiträge zur Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament auch unter Hinzurechnung der Aufsätze und umfassenderen Lexikonartikel überschaubar. Von ihrer Anfangszeit an bis hin zur Mitte des 20. Jahrhunderts ist die Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament jedoch eingebettet in die umfassendere religionsgeschichtliche Debatte um die Herkunft des Christentums überhaupt. Diese, gegen Ende des 19. Jahrhunderts maßgeblich von den Vertretern der sogenannten Religionsgeschichtlichen Schule angestoßene Diskussion, die in verschiedener Weise große Auswirkungen auf die neutestamentliche Forschung insgesamt hatte, kann hier nicht im Einzelnen dargestellt werden,5 wird aber immer wieder im Hintergrund der zu besprechenden Beiträge sichtbar werden. Auch die späteren Untersuchungen zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament vom Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts greifen die Frage nach der religionsgeschichtlichen Herkunft der entsprechenden griechischen Termini bzw. nach dem Ursprung der mit „Wiedergeburt“ verbundenen Vorstellungen immer wieder auf und führen so ein Stück der alten religionsgeschichtlichen Debatte fort. Aufs Ganze gesehen hat die Frage nach der religionsgeschichtlichen Herkunft der mit „Wiedergeburt“ verbundenen Vorstellungen sowie der quellensprachlichen Termini dabei bis heute keine eindeutige Antwort gefunden. Unverkennbar ist aber auf jeden Fall, dass die neutestamentlich profilierte Forschung zur „Wiedergeburt“ ihren Ausgangspunkt innerhalb der Religionsgeschichtlichen Schule nimmt. Für deren Vertreter (besonders für Wilhelm Heitmüller: s. u. 2.2) steht fest, dass die neutestamentliche Rede von „Wiedergeburt“ aus den hellenistischen Mysterien stammt. Bereits zeitgleich aber und an Zahl bald überwiegend mehren sich die Stimmen, die diese These höchst kritisch betrachten (s. u. 2.1 und Kap. 3). Auffällig ist dabei, dass jene Ansätze, die „Wiedergeburt“ im Neuen Testament nicht aus den Mysterien herleiten und erklären wollen, sich immer wieder an einer als dominierend dargestellten religionsgeschichtlichen Gegenposition abarbeiten, die im engeren Bezug auf die Frage nach „Wiedergeburt“ gar nicht in dieser Intensität und Vielzahl der Vertreter zu greifen ist. Vielmehr wird hier deutlich, wie stark die Fragestellung besonders in der Anfangszeit mit der gerade erwähnten allgemeinen religionsgeschichtlichen Debatte um die Herkunft des Christentums überhaupt, seines Kults und seiner Lehre verwoben ist. Für die Erhellung der Forschungsgeschichte deutet sich hier bereits eine wichtige Erkenntnis an: Offensichtlich sind es eher jene Untersuchungen, die ganz allgemein die religionsgeschichtlichen Wurzeln des Christentums klären wollen, die dabei auch die Vorstellung von der „Wiedergeburt“ als klaren Beleg für den Einfluss der hellenistischen gin 256–289) beschränkt seine forschungsgeschichtlichen Bemerkungen vor allem auf jene Titel, die sich mit der Herleitung der Vorstellung aus dem Alten Testament und dem Judentum befassen. 5 Vgl. Weiteres z. B. bei Hartenstein, Religionsgeschichtliche Schule.

I. Darstellung der Forschungsgeschichte

33

Religionen, insbesondere der Mysterien, werten.6 Untersuchungen, die sich spezieller nur mit „Wiedergeburt“ im Neuen Testament befassen, urteilen hier dagegen oft zurückhaltender. Mit der Kritik an der Verortung der „Wiedergeburt“ in den Mysterien und den Versuchen, stattdessen alttestamentlich-jüdische oder genuin christliche Ursprünge anzunehmen (s. u. bes. Kap. 4), ist die Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament jedoch noch lange nicht geklärt. Die neuere Forschung öffnet sich wieder einer breiteren Palette von Möglichkeiten (s. u. Kap. 5): Neben den beiden gerade genannten Alternativen wird auch der Einfluss der Mysterien aufs Neue diskutiert, vor allem aber kommt der Alltagssprache größere Aufmerksamkeit zu, ebenso auch einem allgemeinen „geistigen ‚Klima‘“,7 in dem sich die Rede von „Wiedergeburt“ offenbar als naheliegender und hilfreicher Ausdruck einer bestimmten Lebenserfahrung und -sehnsucht erwies – und zwar möglicherweise parallel in verschiedenen religiösen Kontexten, seien sie von Mysterienfrömmigkeit, jüdischen Traditionen und / o‌ der dem sich profilierenden christlichen Glauben geprägt. Zugleich gibt es in der neueren Forschung neben der allgemeinen Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament eine verstärkte Aufmerksamkeit für Einzeltexte zu beobachten.8 All das führt jedoch nicht zu einer Sicht auf „Wiedergeburt“ im Neuen Testament, die in irgendeiner Weise einheitlich wäre. Das Fehlen übereinstimmender Sichtweisen wird aber, wenn überhaupt, dann nur im Hinblick auf die religionsge­ schichtlichen Herkunftsthesen wahrgenommen. Überhaupt fällt innerhalb der gesamten Forschungsgeschichte auf, wie wenig die Beiträge aufeinander Bezug nehmen. Damit schließt sich der Bogen zum anfangs Gesagten: Eine Zusammenschau der bisherigen neutestamentlichen Forschung zur „Wiedergeburt“ ist dringend nötig – und nicht nur das: Aus der kritischen Durchsicht der bisherigen verstreuten Beiträge zum Thema „Wiedergeburt im Neuen Testament“ ist überhaupt erst das zu extrahieren, was dann als „Stand der Forschung“ gelten kann. Das zieht eine gewisse Ausführlichkeit bei der Darstellung der einzelnen Beiträge im Folgenden nach sich. Dabei wird sich zeigen, dass die Uneinheitlichkeit in der Forschung nicht nur der Ausdruck verschiedener Antworten auf vergleichbare Grundfragen ist, sondern vor allem auf einer tieferliegenden Unklarheit bezüglich des eigentlichen Forschungsgegenstandes beruht. Denn darüber, was „Wiedergeburt“ eigentlich ist und was unter der Themenstellung „Wiedergeburt im Neuen Testament“ genau verstanden wird, gibt es keine übereinstimmende Auffassung. Mehr noch gibt es auch kein Bewusstsein 6 So wird es etwa deutlich bei Perdelwitz, Mysterienreligion, und Reitzenstein, Mysterienreligionen. 7 Feldmeier, Wiedergeburt 80. 8 Vgl. zu Mt 19,28: Burnett, Παλιγγενεσία; zu Joh 3,3 ff.: Söding, Wiedergeburt, und Bae, Wiedergeburt; zu 1 Petr 1,3.23: Manns, La théologie; Feldmeier, Wiedergeburt, und Bosetti, Parola; zu Tit 3,5: Zimmermann, Wiederentstehung.

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I. Darstellung der Forschungsgeschichte

dafür, dass ein Konsens an dieser Stelle fehlt. Die scheinbar von allen Forschungsbeiträgen gleichermaßen untersuchte „Wiedergeburt“ gibt es vielmehr in so unterschiedlichen Ausprägungen, dass eine neuerliche Untersuchung des Themas hier nicht einfach anknüpfen kann. Auch deshalb kommt der Darstellung der Forschungsgeschichte ein entscheidendes Gewicht in der vorliegenden Untersuchung zu. Denn Teil I liefert die Voraussetzung für die notwendige Dekonstruktion und Neukonstituierung der Fragestellung in Teil II. Dort bündelt der einführende Abschnitt die Forschungsgeschichte noch einmal in sehr knapper und systematisierender Weise, während die Kapitel in Teil I ausführlicher und im Wesentlichen chronologisch vorgehen.

2. Kapitel

Exegetische Weichenstellungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts Ihren Anfang nimmt die klar neutestamentlich profilierte Forschung zur „Wiedergeburt“ vor einem reichlichen Jahrhundert 1913 in Form des gleichnamigen Artikels von Wilhelm Heitmüller im fünften Band der „Religion in Geschichte und Gegenwart“ (RGG). Kurz vor Heitmüller räumt jedoch bereits Paul Gennrich in seiner insgesamt eher dogmen- und religionsgeschichtlich ausgerichteten Untersuchung „Die Lehre von der Wiedergeburt“ von 1907 den neutestamentlichen Zeugnissen einen gewichtigen Platz ein. Dass die chronologisch angelegte Darstellung der Forschungsgeschichte daher mit ihm beginnt, ist dem Thema und seiner neutestamentlich orientierten Erforschung durchaus angemessen. Denn die theologische Frage nach dem Wie, Wann und den Wirkungen der „Wiedergeburt“ hatte zum Zeitpunkt des Erscheinens von Heitmüllers Artikel in der RGG bereits eine lange Vorgeschichte (s. o. 1.4). Gennrichs Untersuchung steht noch in vielem für die dogmatisch und frömmigkeitsgeschichtlich geprägte Fragestellung, repräsentiert aber zugleich auch erste Ansätze einer stärker exegetisch orientierten Erforschung der „Wiedergeburt im Neuen Testament“.1

2.1 Paul Gennrichs Untersuchung der „Lehre von der Wiedergeburt“ (1907) Die Untersuchung Paul Gennrichs trägt den vollständigen Titel „Die Lehre von der Wiedergeburt, die christliche Zentrallehre in dogmengeschichtlicher und religionsgeschichtlicher Beleuchtung“. Diesem Hauptthema seines Buches stellt Gennrich einen ersten, sehr ausführlichen Abschnitt voran, den er der „Lehre des Neuen Testaments“ widmet.2 Gennrich setzt dabei zuerst bei den wörtlichen Belegen für „Wiedergeburt“ im Neuen Testament an (s. o. 1.3) und verfährt hier strenger als alle Untersu­ 1 Möglicherweise hat diese Zwischenposition, die Gennrich somit einnimmt, damit zu tun, dass er weder systematischer Theologe noch Exeget ist, sondern zum Zeitpunkt des Erscheinens seiner „Lehre von der Wiedergeburt“ als Professor für Praktische Theologie in Breslau wirkt. Zeitgleich und später ist er dann ebenfalls in vielen höheren kirchlichen Ämtern tätig. 2 Vgl. Gennrich, Lehre 3–60.

36

2. Exegetische Weichenstellungen

chungen nach ihm: Nur das Nomen παλιγγενεσία in Mt 19,28 und Tit 3,5 lässt er als neutestamentliche Entsprechung zum beschreibungssprachlichen Wort „Wiedergeburt“ gelten. Das schafft zwar terminologische Klarheit auf der Ebene der Quellensprache, führt aber dazu, dass Gennrich mit Mt 19,28 und Tit 3,5 nur zwei und noch dazu sehr verschiedene Texte als Basis für eine neutestamentlich begründete „Lehre von der Wiedergeburt“ anführen kann. Die von hier aus naheliegende Frage, ob „die Lehre von der Wiedergeburt wirklich eine zentrale Stellung in der christlichen Religion ein[nimmt]“, die Gennrich daher gleich zu Beginn stellt,3 bleibt angesichts des affirmativen Gesamttitels der Arbeit allerdings eher rhetorisch. Das liegt vor allem daran, dass Gennrich am Ende nicht lange bei der auf die zwei παλιγγενεσία-Belege enggeführten quellensprachlichen Orientierung bleibt, sondern sehr schnell zu „Wiedergeburt“ als einem beschreibungssprachlichen Konzept wechselt. Immerhin formuliert er eingangs aber deutlich ein Bewusstsein dafür, dass es zwischen beiden Differenzen gibt, die nicht einfach übergangen werden können: Denn in dem „uns geläufigen Sinn eines Neubeginns unsers persönlichen Lebens“ 4 lässt sich „Wiedergeburt“ zumindest in Mt 19,28 nicht verstehen. Gennrich fragt daher als Nächstes nach den Bedeutungen von παλιγγενεσία im „griechischen Sprachschatz“ überhaupt und differenziert zwischen einem nicht übertragenen und einem übertragenen Sinn.5 Für beides findet er Belege in der Sprachgeschichte. Kurz zusammengefasst steht für Gennrich auf der einen Seite παλιγγενεσία im vor allem stoisch geprägten und von Philo aufgegriffenen „Sinne der künftigen Welterneuerung“, auf der anderen Seite übertragen als „die nach einem Zustand äußerer oder innerer Lebenshemmung eintretende Befreiung des Gemüts von schwerem Druck, die in dem freudigen Gefühl eines gesicherten Daseins wie eine Versetzung in den Stand einer neuen Existenz empfunden wird. So nennt Cicero seine Rückkehr aus der Verbannung, ähnlich Josephus (Ant. 11,3.9 [= 11,66]) die Rückkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft eine παλιγγενεσία.“ 6 Mt 19,28 weist für Gennrich klar den zuerst genannten, nicht übertragenen Sinn auf,7 aber auch im Hinblick auf weitere Belege von παλιγγενεσία in frühchristlichen Schriften findet Gennrich erst ab Clemens Alexandrinus den Aus3 Gennrich,

Lehre 3. Lehre 3 (Hervorhebung hinzugefügt). 5 Vgl. Gennrich, Lehre 3. 6 Gennrich, Lehre 4. 7 Vgl. Gennrich, Lehre 4–6. Gennrich bezeichnet diesen Sinn etwas später auch als den „eigentlichen genuin eschatologischen“ (ebd. 10). Dass es sich um einen nicht übertragenen Gebrauch handelt, ist für den deutschen Begriff „Wiedergeburt“ freilich nicht zutreffend, denn durch das aufgegriffene Bild der Geburt für die Wiederentstehung ist auch die Anwendung im eschatologischen Sinne eine metaphorische, für den griechischen Begriff παλιγγενεσία gilt das allerdings nicht gleichermaßen. Er wäre im gegebenen Zusammenhang zutreffender mit „Wiederwerdung“ oder „Wiederentstehung“ zu übersetzen. Gennrich verweist auf diese Differenzen zwischen Beschreibungs- und Quellensprache allerdings nicht. 4 Gennrich,

2.1 Paul Gennrich

37

druck „im Sinne einer geistigen Wiedergeburt, einer religiös-sittlichen Erneuerung“ gebraucht 8 (wobei er mögliche Überlegungen zum religiösen Gebrauch in den Mysterien mangels eindeutiger Belege nicht berücksichtigt).9 Damit steht für Gennrich fest, dass man dann auch für die Deutung von Tit 3,5 „streng an der eschatologischen Bedeutung des Begriffs παλιγγενεσία festhalten“ müsse.10 Erst nachdem der Versuch, Tit 3,5 tatsächlich mit dieser Bedeutung von παλιγγενεσία auszulegen, zu keinem überzeugenden Ergebnis geführt hat,11 erwägt Gennrich doch die Möglichkeit, von einer den Cicero- und Josephus-Belegen vergleichbaren übertragenen Deutung auszugehen. Auch diese stellt ihn aber nicht zufrieden, denn sie würde zum einen „in der altchristlichen Literatur einzig dastehen“ und hätte zum anderen als übertragene Bedeutung dann „wiederum eine Vertiefung erfahren […], die von einem anderen Ausgangspunkte zum ursprünglichen Sinn des Worts in eigentlicher Bedeutung zurückführt“.12 Die umständliche Formulierung zeigt bereits, für wie unwahrscheinlich Gennrich diese Möglichkeit hält. Gennrich kapituliert an dieser Stelle.13 Die Lösung liegt für ihn nun nicht mehr im wörtlichen Ausdruck von „Wiedergeburt“ (und damit auch nicht in einer Auslegung von Tit 3,5), sondern vielmehr in dem, was für viele vor und nach ihm das eigentlich Entscheidende an der „Wiedergeburt“ ist, nämlich die Sache,14 um die es mit dem Begriff geht: 8 Gennrich,

Lehre 7; er liefert allerdings nur wenige Textbelege. später behandelt Gennrich ausführlicher die Frage einer Abhängigkeit der christlichen „Wiedergeburts“-Lehre von den Mysterien, widerspricht einer solchen, aber sieht erst in einem späteren Entwicklungsstadium Beeinflussungen (in beide Richtungen!) gegeben, die er zugleich als Verflachung der christlichen Lehre deutet: vgl. Gennrich, Lehre 73–94 (hier ausdrücklich als Frage nach der Beeinflussung der frühchristlichen Schriften und Theologie durch die Mysterien) und 273–355 (hier weit über die frühchristliche Zeit hinausgehend unter der Überschrift: „Die indische Wiedergeburts-(Seelenwanderungs-)lehre im Gegensatz zur christlichen Lehre“). 10 Gennrich, Lehre 9. 11 Die entsprechende Deutung von Tit 3,5 ist für Gennrich vor allem deshalb problematisch, weil ein so verstandenes „Wiedergeburtsbad“ allein die eschatologische Verwirklichung der „durch den Geist gewirkten Erneuerung des Gläubigen“ garantiere (Gennrich, Lehre 9). Darauf reduziert wäre die Taufe aber laut Gennrich ein ins Magische tendierender Ritus, wie sie es aber erst unter dem Einfluss der Mysterien in der späteren christlichen Entwicklung werde. Diese Argumentation greift Gennrich später noch einmal ausführlicher auf. Dann wird deutlicher, was ihm auch hier schon fehlt: Dass nämlich die richtig verstandene christliche „Wiedergeburt“ nicht losgelöst vom Glauben zu sehen sei, der wiederum einen „totalen Umschwung des inneren Lebens bedeutete“ (ebd. 62). 12 Gennrich, Lehre 12. 13 „Jedenfalls ist soviel klar, daß sich die Titusstelle wenig eignet zum Ausgangspunkt einer Untersuchung über den Sinn der Wiedergeburt im Neuen Testament zu dienen“ (Gennrich, Lehre 12 f.). Mit dieser Bemerkung ist Gennrichs Betrachtung von Tit 3,5 abgeschlossen, er kommt (abgesehen von einem kurzen Verweis im Zusammenhang mit dem Wort ἀνα­ καίνωσις und Röm 6,4 [ebd. 26]) nicht mehr auf diesen Text zurück. 14 Vgl. zur Gegenüberstellung von Wort und Sache vor allem auch Heitmüller: s. u. 2.2.2. 9 Erst

38

2. Exegetische Weichenstellungen

Aber auf das Wort kommt es auch weniger an, sondern unsere Aufgabe ist, zu ermitteln, ob im Neuen Testament Vorgänge beschrieben werden – und wenn, wie sie beschrieben werden –, die unter den Begriff Wiedergeburt zunächst in dem ganz allgemeinen Sinn gehören, daß damit ein in das gegenwärtige Leben fallender neuer Lebensanfang in irgend welchem Sinne bezeichnet wird.15

Dieser „in das gegenwärtige Leben fallende neue Lebensanfang“ ist also als das eigentliche Thema der folgenden Untersuchung zu verstehen, für die das bislang Dargestellte nur die Einleitung war. Bereits hier, ganz zu Anfang des neutestamentlichen Abschnitts, schwenkt Gennrich in eine Betrachtungsweise ein, die klar von einer dogmen- und frömmigkeitsgeschichtlich geprägten Definition von „Wiedergeburt“ im „uns geläufigen Sinn eines Neubeginns unsers persönlichen Lebens“ 16 bestimmt ist. Gennrichs Untersuchung stellt folgerichtig andere Formulierungen für diesen erneuten Lebensanfang ins Zentrum und löst sich komplett von der Suche nach wörtlichen Repräsentationen von „Wiedergeburt“ in den neutestamentlichen Texten. Stattdessen steht die „Paulinische Vorstellung von dem Christen als einer neuen Schöpfung“ als erstes Kapitel an vorderster Stelle.17 Die Formulierung kommt bereits der Beschreibung einer konzeptuellen Metapher (s. o. 1.6) gleich: der Christ als neue Schöpfung. Zu sprechen kommt Gennrich in diesem Kapitel nicht nur auf 2 Kor 5,17, sondern unter anderem auch auf Röm 6,4; Kol 2,12 f.; Gal 3,27 etc., woraus bereits ersichtlich ist, dass er hier auch nicht enggeführt nach genauen Ausdrücken für „neue Schöpfung“ in den Texten sucht, sondern ein sehr weites Spektrum von Texten mit sehr verschiedenen Neuheits-Aussagen in den Blick nimmt. Auch das zweite Kapitel, in dem Gennrich mit 1 Petr 1,3.23; Jak 1,18; 1 Joh 3,9; 5,1 und anderen Stellen auf Texte zu sprechen kommt, die in vielen der folgenden „Wiedergeburts“-Untersuchungen als wörtliche Repräsentation von „Wiedergeburt“ betrachtet werden (s. o. 1.3), ist mit einer Überschrift versehen, die bereits wieder als konzeptuelle Metapher deutbar ist: „Die neutestamentlichen Vorstellungen vom Christenstand als einer Geburt oder Zeugung durch Gott“.18 Während aus metapherntheoretischer Sicht festzustellen ist, dass beide Kapitel 19 unterschiedliche Ursprungsbereiche zur metaphorischen Beschreibung des Christseins bzw. des Christenstandes ins Zentrum stellen, gehört für Gennrich im Hinblick auf den gemeinsamen Zielbereich alles zusammen und 15 Gennrich,

Lehre 13. Lehre 3; s. o. 17 Gennrich, Lehre 13. 18 Gennrich, Lehre 37 (Kapitälchen hinzugefügt). 19 In einem dritten Kapitel untersucht Gennrich die „Voraussetzungen der Wiedergeburtslehre in der Lehre Jesu nach den Synoptikern“ (Gennrich, Lehre 50–52), um sich dann der „Formulierung der Wiedergeburtslehre in Joh. 3“ zu widmen (ebd. 52–59). Inhaltlich läuft dieses Kapitel neben der Diskussion vieler exegetischer Detailfragen auf die Betonung der „Umwandlung des Sinnes“ hinaus (ebd. 50), die für Gennrich in starker Parallelität zum Glauben sowohl empfangen wird als auch aktiv gelebt werden muss (vgl. ebd. 58). 16 Gennrich,

2.2 Wilhelm Heitmüller

39

zwar unter der Hauptüberschrift „Die Lehre von der Wiedergeburt“. Was die „Wiedergeburt“ ist, hat Gennrich bereits unabhängig vom neutestamentlichen Textzeugnis als geläufigen Ausdruck für den „Neubeginn unsers persönlichen Lebens“ 20 definiert – hinzufügen könnte man jetzt noch: „Neubeginn unsers persönlichen Lebens als Christen“. Die Textbetrachtungen führen Gennrich noch zu weiteren definierenden Aussagen, die jedoch keineswegs präziser im Sinne von textbezogen ausfallen. Er beendet den neutestamentlichen Abschnitt schließlich mit folgendem allumfassenden Satz: „An Christum glauben und damit das haben, was Christus für uns bedeutet, das heißt also wiedergeboren sein, der Glaube selbst ist das neue Leben der Wiedergeburt.“ 21 So gesehen spricht dann eigentlich fast das ganze Neue Testament von nichts anderem als von „Wiedergeburt“. Für eine exegetische Untersuchung ist mit einem solchen „Wiedergeburts“-Begriff jedoch keine Klarheit gewonnen. Gennrich selbst setzt von hier aus seine Untersuchung mit dogmen-, kirchen- und religionsgeschichtlichen Betrachtungen fort.

2.2 Wilhelm Heitmüllers Artikel „Wiedergeburt“ in der ersten Auf lage der RGG (1913) 2.2.1 „Wiedergeburt“ wörtlich: Ein Ansatzpunkt mit Schwierigkeiten Wie oben in der Einführung zu diesem Kapitel bereits betont, ist es trotz des umfangreichen neutestamentlichen Abschnitts, mit dem Paul Gennrich seine Untersuchung zur „Lehre von der Wiedergeburt“ beginnt (s. o. 2.1), erst der RGG-Artikel von Wilhelm Heitmüller, der 1913 den Anfang einer klar neutestamentlich profilierten Forschung zur „Wiedergeburt“ markiert. Heitmüller gestaltet in seinem Beitrag in der ersten Auf lage der RGG insofern einen deutlichen Neuansatz in der Forschung, als er die Frage nach „Wiedergeburt“ aus der bis dahin vorherrschenden dogmengeschichtlich orientierten Betrachtung endgültig herauslöst und die Untersuchung der Quellentexte ins Zentrum rückt. Er entspricht damit einem wichtigen Anliegen der RGG, die das Lexikonprojekt der damals in ihrer Blüte stehenden Religionsgeschichtlichen Schule war 22 und zu deren Vertretern auch Heitmüller gehörte. 20 Gennrich,

Lehre 3; s. o. Lehre 60. 22 In einem 1908 erschienenen Prospekt, der das Erscheinen der RGG ankündigt, wird diese u. a. als Lexikon angepriesen, das mit „der Erweiterung der theologischen Arbeit durch die Methoden der modernen Religionswissenschaft, Historik und Philologie nach allen Seiten hin“ einem zuvor diagnostizierten Mangel abhelfen will (zitiert nach Lüdemann / ‌Schröder, Religionsgeschichtliche Schule 133). Heitmüller selbst fungiert für längere Zeit im Lexikon-­ Projekt der RGG als Redakteur und Leiter der gesamten Abteilung „Neues Testament“ (vgl. Özen, Religion 158.167 f.; zum Lebenslauf Heitmüllers vgl. außerdem Lüdemann / Schröder, Religionsgeschichtliche Schule 74). 21 Gennrich,

40

2. Exegetische Weichenstellungen

Schaut man vergleichend zum Beispiel auf die „Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche“ (RE), die kurz zuvor in ihrer dritten Auf lage erschien, und auf den dortigen Artikel „Wiedergeburt“ von 1908, dann zeigen sich sehr deutlich die Differenzen im Ansatz.23 In der RE nämlich beginnt der Dogmatiker Otto Kirn seinen Artikel mit einer Definition von „Wiedergeburt“: Der Ausdruck Wiedergeburt bezeichnet den Eintritt in den christlichen Heilsstand als einen neuen Lebensanfang und hebt damit ebenso den Abstand von der früheren Existenzweise wie die umfassende Tragweite der eingetretenen Wendung hervor.24

Erst später kommt Kirn – und zwar letztlich fast ausführlicher als Heitmüller – auf neutestamentliche Texte zu sprechen (s. u. Anm. 34). In der RGG dagegen steht der Abschnitt, den Heitmüller der „Wiedergeburt“ im Neuen Testament widmet, nicht nur programmatisch am Anfang, sondern dominiert den gesamten Artikel wesentlich.25 Heitmüller beginnt auch nicht mit einer Definition, sondern ganz formal mit dem Blick auf die neutestamentlichen Texte: Der Begriff der W[iedergeburt], später in der Dogmatik und in der Geschichte des religiösen Lebens so wichtig geworden, tritt in der nt.lichen Literatur auffallend selten und verhältnismäßig spät auf.26

Diese Beobachtung (vgl. auch oben 1.3), die eher einer Problemanzeige gleichkommt als dem Anfang eines Lexikonartikels zu einem klar umrissenen Thema, führt Heitmüller jedoch nicht dazu, die Frage nach „Wiedergeburt“ aus neutestamentlicher Sicht noch einmal grundsätzlich zu überdenken und den aus Dogmatik und Frömmigkeitsgeschichte vorgegebenen beschreibungssprach­lichen Begriff im Hinblick auf die quellensprachlichen Texte zumindest anzupassen oder zu präzisieren. Er widmet sich vielmehr sofort und ohne weitere Reflexion der Fragestellung jenen wenigen neutestamentlichen Texten, die in wörtlicher Weise von „Wiedergeburt“ sprechen, und zwar, indem er mit dem „Hauptwort“ beginnt, also mit Mt 19,28 und Tit 3,5, und mit dem „Zeitwort“ fortfährt, also mit Joh 3,3 ff.;27 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18.28 Neben dem bereits geschilder23 Der prospektive Verleger der RGG, Paul Siebeck, schreibt 1903 in einem Brief über die gerade in der dritten Auf lage erscheinende RE: „Wollte diese [sc. die RE] ein Concurrenz­ unternehmen [gemeint ist die geplante RGG] unmöglich oder überflüssig machen, so dürfte sie bei den Artikeln aus dem Gebiet der alt- und neutestamentlichen Theologie und Einleitung nicht auf ihrem verschwommenen und verwaschenen Standpunkt stehen bleiben“ (zitiert nach Özen, Religion 153). 24 Kirn, Wiedergeburt 146. 25 Auf „Wiedergeburt I. Im NT“ mit reichlich sechs Kolumnen (2008–2014) folgt „Wiedergeburt II. Dogmatisch“ mit nur knapp anderthalb Kolumnen (2014–2016). 26 Heitmüller, Wiedergeburt 2008. 27 Hier verweist Heitmüller (Wiedergeburt 2009) auch kurz auf Joh 1,13; 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18. 28 Heitmüller, Wiedergeburt 2008 f.

2.2 Wilhelm Heitmüller

41

ten Sachverhalt, dass diese Belege „auffallend selten“ und im Hinblick auf ihre Entstehungszeit „verhältnismäßig spät“ sind, kommt in der näheren Betrachtung hinzu, dass sich auch ihre Terminologie und ihr Bedeutungsspektrum nicht als einheitlich erweisen.29 So konstatiert Heitmüller zum Beispiel, dass die „Wiedergeburt“ nur bei Tit 3,5 und Joh 3,3 ff. in unmittelbarer Beziehung zur Taufe stehe, nicht aber in 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18. Er gesteht außerdem zu, dass Joh 3,3 ff. überhaupt nur in „eigentümlicher, wohlüberlegter Verschiebung“ 30 von „Wiedergeburt“ spreche.31 Mit einem starken Interesse an Vereinheitlichung bringt Heitmüller die Aussage der Texte aber trotz ihrer Unterschiedlichkeit auf einen gemeinsamen Nenner. Dieser bleibt allerdings auf einer sehr allgemeinen Ebene und fasst die Aussageabsicht der wörtlichen Verwendung von „Wiedergeburt“ in Tit 3,5 und von der „Neuzeugung oder Zeugung durch Gott“ in Joh 3,3 ff.; 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18 (sic) 32 zusammen als „Versetzung in eine neue, überirdische Daseinsform“.33 Gegenüber vorausliegenden Untersuchungen zur „Wiedergeburt“ aus dogmengeschichtlicher Perspektive ist hier keine größere Tiefe in der Wahrnehmung dieser Texte erreicht. Auch Kirn spricht zum Beispiel zusammenfassend vom „Gedanke[n] einer durch den gläubigen Anschluß an Christus eingetretenen Lebenserneuerung“ oder, speziell für das Johannesevangelium, vom „Versetztwerden auf eine neue Lebensstufe“.34 Nur die Erwähnung von παλιγγενεσία in Mt 19,28 lässt sich in dieser Formel von der Seinserneuerung nicht unterbringen. Heitmüller schließt den Text daher gleich zu Beginn seines Artikels in einem Halbsatz von der weiteren Betrachtung aus, da es hier um „die Erneuerung der Welt in der Endzeit“ gehe.35 Dieser Passus ist aufschlussreich, denn die Suche nach wörtlichen Ent29 Siehe

auch dazu bereits oben 1.3. Wiedergeburt 2009 (Hervorhebung hinzugefügt). „Verschiebung“ bezieht sich für Heitmüller darauf, dass die Formulierung mit ἄνωθεν doppeldeutig ist („von oben“ / „von neuem“), was der „Vorliebe des Johannes-Evangelisten für schillernde Ausdrücke“ entspräche (ebd.). Mit Verschiebung könnte zugleich auch gemeint sein, dass im Johannesevangelium ein verbaler Ausdruck anstelle eines Nomens verwendet wird. Das wird im Text nicht ganz deutlich. 31 Heitmüller, Wiedergeburt 2009. 32 Die exakte Formulierung in Jak 1,18, die mit der Verbform ἀπεκύησεν vom Gebären und nicht vom Zeugen Gottes spricht, erwähnt Heitmüller nirgends. 33 So lautet das inhaltliche Fazit für Tit 3,5 (Heitmüller, Wiedergeburt 2009). Fast identisch klingen die Ergebnisse für Joh 3,3 ff.: „Versetzung in eine neue, [nämlich] die himmlische (pneumatische) Sphäre oder Existenzweise“, und für 1 Petr 1,3.23 zusammen mit Jak 1,18: „Versetzung in eine neue Seinsweise […], die, vgl. I Petr 1,3, mit der göttlichen Herrlichkeit in engem Zusammenhange steht“ (ebd.). 34 Kirn, Wiedergeburt 247 und 249. Zuvor hatte Kirn (ebd. 247) im Übrigen ähnlich wie Heitmüller festgestellt: „Ein genaues Äquivalent von Wiedergeburt findet sich im NT nur an wenigen Stellen“ und dann, Heitmüller unter Ausnahme von Jak 1,18 ebenfalls vergleichbar, Tit 3,5; Mt 19,28; 1 Petr 1,3.23 und Joh 3,3 aufgelistet. 35 Heitmüller, Wiedergeburt 2008. 30 Heitmüller,

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2. Exegetische Weichenstellungen

sprechungen für „Wiedergeburt“ in den neutestamentlichen Texten, mit der Heitmüller – zumindest anfangs – scheinbar objektiven sprachlichen Kriterien folgt, wird hier unter der Hand um ein inhaltliches Kriterium erweitert. Gennrich (s. o. 2.1) hatte mit einem vergleichbaren Ansatz beim Wortgebrauch in den Quellentexten dagegen versucht, sich ganz streng an den vorfindlichen Formulierungen zu orientieren 36 – und war gescheitert, und zwar genau an der Einbeziehung der durch Mt 19,28 vertretenen eschatologischen Ausrichtung der „Wiedergeburt“. So gesehen, gibt es für Heitmüller also gute Gründe, diesen Weg nicht zu gehen. Er müsste angesichts seiner Suche nach dem „Begriff W[iedergeburt] in der nt.lichen Literatur“,37 mit der er seinen Artikel beginnt, aber zumindest erklären, warum „Wiedergeburt“ im Neuen Testament nicht die endzeitliche Erneuerung der Welt meinen könne, wenn doch Mt 19,28 unter Gebrauch von παλιγγενεσία genau das beschreibt. Oder umgekehrt: Heitmüller müsste offenlegen, dass es keineswegs nur um eine reine Suche nach dem Begriff geht, sondern bereits eine Annahme über den Aussagezusammenhang besteht.

Analysiert man Heitmüllers Vorgehen metapherntheoretisch, so beginnt er seine Suche nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament bei der Suche nach Texten, die eine nominale oder verbale Entsprechung zu „Wiedergeburt“ als Fokuswort aufweisen. Dass er Mt 19,28 dabei sofort wieder ausschließt, zeigt aber, dass er von vornherein auch den Zielbereich der jeweiligen metaphorischen Äußerungen sehr wohl im Blick hat: Mt 19,28 gebraucht „Wiedergeburt“, um die „Erneuerung der Welt in der Endzeit“ auszudrücken. Für Tit 3,5; Joh 3,3 ff.; 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18 ergeben die kurzen Textanalysen Heitmüllers 38 dagegen, dass sie alle „Wiedergeburt“ nutzen, um der „Versetzung in eine neue Seinsweise“ (s. o. Anm. 33) metaphorisch Ausdruck zu verleihen.39 Metapherntheoretisch umformuliert heißt das nichts anderes, als dass Heitmüller Tit 3,5; Joh 3,3 ff.; 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18 als Instanziierungen der konzeptuellen Metapher Versetzung in eine neue, höhere Seinsweise als Wiedergeburt einordnet. Heitmüller wendet sich nach dieser anfänglichen und durchaus ausbaufähigen Wahrnehmung der Texte auf Konzeptebene 40 – die damit freilich bereits systematischer analysiert ist, als Heitmüller dies tut – aber keineswegs den genannten Texten im Einzelnen zu. Der Fortgang des Artikels zeigt vielmehr, dass Heitmüller gar nicht auf eine differenzierte Auslegung dieser Texte hinauswill.41 Nicht „Wiedergeburt“ als „Wort oder […] Begriff “ interessiert 36 Ob

Gennrichs Vorgehen, nur παλιγγενεσία als Entsprechung zu „Wiedergeburt“ in den neutestamentlichen Texten gelten zu lassen, ein sachgerechteres ist, ist freilich fraglich und hängt mit der Frage nach der Eignung des Begriffs „Wiedergeburt“ zur Beschreibung des damit anvisierten neutestamentlichen Forschungsgegenstandes überhaupt zusammen, die hier noch nicht abschließend behandelt werden kann: s. u. Kap. 6. 37 Heitmüller, Wiedergeburt 2008 (Hervorhebung hinzugefügt). 38 Vgl. Heitmüller, Wiedergeburt 2008 f. 39 Zur weiteren kritischen Betrachtung und Dekonstruktion dieser (und noch anderer) Bestimmung(en) des Zielbereichs s. u. 6.1. 40 Vgl. dazu insgesamt Teil II, bes. 7.1. 41 Das bestätigt sich am Ende des Lexikonartikels. Dort kommt Heitmüller in aller Kürze noch einmal auf die genannten Texte vom Anfang zurück. Den johanneischen Belegen ge-

2.2 Wilhelm Heitmüller

43

ihn, auch nicht der damit aufgerufene Ursprungsbereich „Wiedergeburt“,42 sondern das, wovon diese Texte angeblich einheitlich handeln, also der Zielbereich, den er die „Sache“ nennt.43 2.2.2 Heitmüllers Themenverschiebung vom „Wort“ zur „Sache“ Diese „Sache“ findet sich laut Heitmüller nicht nur „selten“ und „verhältnismäßig spät“ im Neuen Testament ausgedrückt,44 sondern vielmehr „bereits in den ältesten, nämlich in den paulinischen Briefen“: Unvermeidlich müssen wir bei W[iedergeburt] an das paulinische Wort II Kor 5,17 denken: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung“, ein neu Geschaffenes. Und damit verknüpfen sich dann unwillkürlich und notwendig die rätselhaften Worte des Paulus vom „gestorben, gekreuzigt, begraben worden sein mit Christus“, vom „auferstanden, mit lebendig gemacht worden sein“, vom „neuen Leben mit Christus“, Gal 2,19 ff Röm 6,3 ff Kol 2,11 ff. 20 ff 3,1 ff (Gal 5,24). Diese eigentümlich sieghaften und tiefgreifenden Wendungen bezeichnen […] ein Geschehnis und Erlebnis, das der Vergangenheit des Christen angehört und eine den ganzen Menschen, auch seine Naturseite, umfassende Neuschöpfung bedeutet. Dies Erlebnis ist ermöglicht durch und geknüpft an das gleiche Erleben Jesu, mit dem der Gläubige aufs innigste zusammengewachsen ist, nämlich sein Sterben und Auferstehen. Und zwar wird es in erster Linie Röm 6,3 ff Kol 2,29 ff mit der Taufe verbunden, erscheint aber auch ohne unmittelbaren Zusammenhang mit diesem Akt als das eigentliche, grundlegende Erlebnis der Christen Gal 2,19 ff.45

Der beinahe mystisch anmutende Ton voller Assoziationen und der Hinweis auf eine höhere Notwendigkeit, mit denen Heitmüller die Textbelege einführt und charakterisiert, zeigt, dass er erst hier an dem Punkt ist, um den es für ihn unter der Überschrift „Wiedergeburt“ wirklich geht. Was hier vorliege, sei „nichts anderes als die Vorstellung der W[iedergeburt] in etwas anderer Form“. Nur weil Paulus das Wort „Wiedergeburt“ nicht verwende, was „wohl nur mehr Zufall“ sei, dürfe eine „Untersuchung der urchristlichen Vorstellung von der W[iedergeburt] diese paulinischen Aussagen nicht nur nicht umgehen, sondern muß sie in den Vordergrund stellen.“ 46 Das Problem, dass „Wiedergeburt“ sich aufgrund der wenigen, späten Belege als neutestamentlich nicht zentral herausstellen könnte, scheint mit dieser Wendung vom „Begriff “ zur „Sache“, von späten neutestamentlichen Texten zu Paulus, von wenigen, teilweise marginal erscheinenden Passagen zu zen­ tralen neutestamentlichen Theologumena geschickt gelöst. Das, was hier unter steht er immerhin zu, dass besonders in 1 Joh 3,9 „der ursprüngliche Sinn nicht ganz vergessen ist“ – soll heißen, dass etwas von der ursprünglichen Metaphorik der „Gottes-­Zeugung“ noch lebendig ist, während „das Bild“ in 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18 „[s]ehr viel abgeblaßter“ sei (Heitmüller, Wiedergeburt 2014). Tit 3,5 wird zum Schluss gar nicht mehr erwähnt. 42 Zur Dekonstruktion von „Wiedergeburt“ als Ursprungsbereich s. u. 6.2. 43 Heitmüller, Wiedergeburt 2009. 44 Heitmüller, Wiedergeburt 2008; s. o. 45 Heitmüller, Wiedergeburt 2009 f. 46 Heitmüller, Wiedergeburt 2010.

44

2. Exegetische Weichenstellungen

dem einen Leitbegriff „Wiedergeburt“ geschieht und die weitere neutestamentliche Forschung fortan mitbestimmt, stellt jedoch eine gewichtige Verschiebung innerhalb des Themas dar: Heitmüller war von Ausdrücken der „Wiedergeburt“ in verschiedenen neutestamentlichen Texten ausgegangen und also von „Wiedergeburt“ als Ursprungsbereich der Metaphorik. Jetzt jedoch nimmt er den Zielbereich, den er für diese Texte auf sehr allgemeiner konzeptueller Ebene ermittelt hat, zum Ausgangspunkt seiner Suche und findet diesen Zielbereich, die „Sache“, nämlich die „Versetzung in eine höhere Seinsweise“, in paulinischen Texten auf ganz andere Weise metaphorisch ausgedrückt. Metapherntheoretisch betrachtet ist eine Untersuchung, die bei einem gemeinsamen Ziel bereich verschiedener metaphorischer Äußerungen ansetzt, durchaus denkbar. Heitmüller wäre auch keineswegs der erste, der aufgrund der wenigen und nicht einheitlichen wörtlichen Belege für etwas wie „Wiedergeburt“ in den neutestamentlichen Quellentexten den Wechsel zu „Wiedergeburt“ als „Sache“ vornimmt. Kirn zum Beispiel hatte in seinem oben bereits zitierten RE-Artikel festgestellt, dass „sich im NT nur an wenigen Stellen“ ein „genaues Äquivalent von Wiedergeburt findet“,47 und hinzugefügt: „Der Gedanke einer durch den gläubigen Anschluss an Christus eingetretenen Lebenserneuerung ist aber nicht auf diese wenigen Stellen beschränkt; er liegt sachlich einer großen Anzahl neutestamentlicher Aussagen zu Grund.“ 48 Auch Gennrich (s. o. 2.1) war diesen Weg gegangen und hatte sich, nachdem der Ansatz beim „Wort“ gescheitert war, ganz auf die mit „Wiedergeburt“ beschriebenen „Vorgänge“ konzentriert.49

Heitmüller jedoch gibt den Ansatz beim Wort (und also beim Ursprungsbereich) nicht auf, um stattdessen beim zum Zielbereich, der „Sache“, anzusetzen, sondern verbindet beides: Anders als Kirn und Gennrich bestimmt er nämlich den Inhalt der „Sache Wiedergeburt“ nicht aus einem „uns geläufigen Sinn eines Neubeginns unsers persönlichen Lebens“ 50 oder gar aus der dogmengeschichtlichen Tradition heraus (vgl. Kirn), sondern setzt dafür – ganz Exeget und auf die Quellen konzentrierter Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule – bei den neutestamentlichen Texten selbst an. Tatsächlich ist das, was hier passiert, exegetisch aber in zweierlei Hinsicht problematisch. Zum einen hat Heitmüller nicht kritisch hinterfragt, ob die Quellentexte überhaupt einheitlich von etwas wie „Wiedergeburt“ sprechen. Die Themenstellung hat er (und mit ihm dann auch die ganze folgende neutestamentliche Forschung) sich vielmehr von der langen Tradition einer christlichen Rede von „Wiedergeburt“ vorgeben lassen. Bereits Mt 19,28 zeigt aber, dass die Einheitlichkeit für einen Ansatz beim „Wort“ nicht gegeben ist und auch für die verbleibenden 47 Kirn, Wiedergeburt 247. Aufgeführt werden, vergleichbar mit Heitmüller, Tit 3,5; Mt 19,28; 1 Petr 1,3.23; Joh 3,3 f. (Jak 1,18 erwähnt Kirn erst später als Parallele zu 1 Petr 1,3.23). 48 Kirn, Wiedergeburt 247 (Hervorhebung hinzugefügt). 49 Vgl. Gennrich, Lehre 13. 50 Gennrich, Lehre 3; s. o. 2.1.

2.2 Wilhelm Heitmüller

45

Texte nur in Form einer von Heitmüller sehr allgemein gefassten Aussage über die „Versetzung in eine neue Seinsweise“ (s. o. Anm. 33) zu erreichen ist. Diese ähnelt in manchem den Definitionen für „Wiedergeburt“, die auch andere, nicht primär exegetisch ausgerichtete Untersuchungen vor Heitmüller bereits ihrer Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament zugrunde legten. Heitmüller jedoch – und daraus ergibt sich die zweite Problematik – leitet diese Deutung aus den neutestamentlichen Texten selbst her und setzt in seiner Untersuchung der „Wiedergeburt“ damit doppelt an: beim „Wort“ und bei der „Sache“.51 Tit 3,5; Joh 3,3 ff.; 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18 werden in ihrer Aussage über „Wiedergeburt“ damit als hochgradig konventionell wahrgenommen.52 Sie metaphorisieren den Zielbereich, die „Sache Wiedergeburt“, indem sie auch wörtlich von „Wiedergeburt“ bzw. von einem „von neuem / v‌ on oben Geboren-Werden“ sprechen. Dagegen strahlen die paulinischen Aussagen von der „neuen Schöpfung“ (2 Kor 5,17) oder „vom ‚neuen Leben mit Christus‘, Gal 2,19 ff Röm 6,3 ff Kol 2,11 ff. 20 ff 3,1 ff (Gal 5,24)“ 53 eine ganz anders geartete Faszination aus und sagen mit ganz anderen metaphorischen Ausdrücken, was diese „Sache Wiedergeburt“ sei. Um zu verstehen, warum es Heitmüller „unwillkürlich und notwendig“ zur Betrachtung dieser Texte drängt, reicht die konventionelle Deutung von „Wiedergeburt“ als „Versetzung in eine höhere Daseinsweise“ als Schlüssel allerdings nicht aus. Es ist vielmehr Heitmüllers an den Mysterienreligionen orientiertes Verständnis von „Wiedergeburt“, das seinen Blick besonders auf die „rätselhaften Worte des Paulus vom ‚gestorben, gekreuzigt, begraben worden sein mit Christus‘, vom ‚auferstanden, mit lebendig gemacht worden sein‘, vom ‚neuen Leben mit Christus‘“ lenkt.54 2.2.3 Der Einfluss der Mysterien auf die neutestamentliche Vorstellung von der „Wiedergeburt“ Die Mysterien liefern Heitmüller die einzig gültige und für ihn plausible Antwort auf die Frage, „[w]oher […] dieser eigenartige Vorstellungskomplex, insbesondere das paulinische Gestorben- und Auferstandensein“ 55 kommt. Herleitungen aus dem Alten Testament (Heitmüller nennt besonders Ps 2,7) 51 Aufschlussreich ist der Vergleich der beiden bereits zitierten Passagen von Heitmüller und Gennrich, die den Wechsel vom Wort zur Sache beschreiben: Bei Heitmüller (Wiedergeburt 2009) heißt es, dass sich „Wiedergeburt“ als „Wort […] nur an diesen Stellen der jüngeren Schicht der nt.lichen Literatur [finde], die Sache indes bereits in der ältesten“, während Gennrich sagt, dass es „auf das Wort […] weniger an[komme]“, sondern vielmehr auf die Vorgänge (Gennrich, Lehre 13; Hervorhebung hinzugefügt). 52 Dass Heitmüller die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23 wie auch in Jak 1,18 ausdrücklich als „[s]ehr viel abgeblaßter“ bezeichnet, wurde schon (s. o. Anm. 41) zitiert. 53 Heitmüller, Wiedergeburt 2009; s. o. 54 Heitmüller, Wiedergeburt 2009; s. o. 55 Heitmüller, Wiedergeburt 2010.

46

2. Exegetische Weichenstellungen

und aus rabbinischen Schriften 56 schließt er dagegen ebenso aus wie die Vermutung, „daß in dem Begriff W[iedergeburt] eine echt christliche Schöpfung vorliege“.57 Die Herleitung der neutestamentlichen „Wiedergeburts“-Vorstellung aus den Mysterien birgt allerdings Problemfelder eigener Art.58 Heitmüller ist sich dessen durchaus bewusst: „Leider sind uns diese Mysterien [sc. Attis-, Isis-, Mithras-, hermetische Mystik] nicht so gut bekannt, wie es erwünscht wäre; auch hatten sie und ihre Anschauungen zu der Zeit, wo wir sie kennen lernen, bereits eine lange Entwicklung hinter sich.“ 59 Obwohl die Quellenlage also schwierig ist, partizipiert Heitmüller am Optimismus seiner altertums- und religionswissenschaftlichen Fachkollegen, die aus den wenigen bekannten Bruchstücken auf ein ganzes „Mysterienwesen“ und dessen Entwicklungsstränge zurückschließen zu können glaubten – ein Optimismus, der sich in der späteren Forschung bald verflüchtigt.60 Heitmüllers Position steht dabei in engem Zusammenhang mit dem starken Interesse, das es in der Religionsgeschichtlichen Schule an den Mysterienreligionen überhaupt gibt.61 Er hat auch keine Bedenken, direkte Verwandtschaften zwischen paulinischen Gedanken und Vorstellungen aus den Mysterien zu postulieren, selbst wenn 56 Siehe

zum Diktum vom Proselyten als gerade neugeborenes Kind, das Heitmüller zitiert, mehr unten 4.1. 57 Heitmüller, Wiedergeburt 2010. 58 Gennrich, der in seiner Untersuchung die damals aktuellen religionsgeschichtlichen Debatten ebenfalls thematisiert (s. o. 2.1), stellt sich, anders als Heitmüller, dezidiert gegen eine wie auch immer geartete Herleitung der „Lehre von der Wiedergeburt“ aus den Mysterien. Er begründet diese Ablehnung vor allem damit, dass die „Idee“ der „Wiedergeburt“ in den Mysterien „unzertrennlich mit den betreffenden kultischen oder gar sakramentalen Handlungen verbunden erscheint, während im Neuen Testament nicht davon die Rede sein kann“ (Gennrich, Lehre 40 f.). Ausdrückliche Gegenpositionen zu einer Herleitung aus den hellenistischen Mysterien formulieren später dann u. a. auch Harnack, Büchsel und Dey (s. u. 3.1, 3.4 und 3.6). 59 Heitmüller, Wiedergeburt 2010. 60 Vgl. zur heutigen Sicht u. a. die äußerst nüchterne Einschätzung von Gordon, Mysterienreligion 1639: „Man kann vieles, das lange als Erkenntnis über die verschiedenen Mysterienkulte galt, als spekulativ zurückweisen. Gesichert scheint lediglich das generelle Verbot der Bekanntgabe der Mysteriengeheimnisse zu sein. Er ist genau diese Regel, die dem heutigen Forscher das signifikante Wissen über die eigentlichen Erfahrungen der Mysten (Eingeweihten) verweigert. Was uns überliefert ist, sind weitgehend marginale oder kontextlose Bruchstücke oder aber die schwer einzuordnenden Darstellungen der christl. Apologetik“. 61 Vgl. vor allem die in unmittelbarer zeitlicher Nähe entstandene Untersuchung zu den Mysterienreligionen von Richard von Reitzenstein (1. Aufl. 1910), die großen Einfluss auf die gesamte Religionsgeschichtliche Schule hatte. Von ihm und von der einflussreichen Untersuchung zur sogenannten Mithrasliturgie von Albrecht Dieterich (1. Aufl. 1903; 2. Aufl. 1910) geprägt ist z. B. auch die Sicht, die Richard Perdelwitz in seinem Buch „Die Mysterienreligion und das Problem des 1. Petrusbriefes“ von 1911 präsentiert. Auch Heitmüllers eigene Untersuchung zu „Taufe und Abendmahl im Urchristentum“ von 1911 ist hier zu nennen.

2.2 Wilhelm Heitmüller

47

er die genauen Beeinflussungswege nicht nennen kann.62 Die vielfach hervorgehobenen Analogien und Parallelen 63 sind für ihn Beweis genug. Differenzen zu den Mysterien betont er vor allem hinsichtlich der „Versittlichung des hier vorliegenden Vorstellungskreises“ bei Paulus.64 Konkret bedeute zum Beispiel die Taufe (die sonst in Heitmüllers Darstellung keine übermäßige Betonung erfährt) nicht nur die „mystische […] Umwandlung“, sondern sie gipfle „in dem nun ermöglichten Kampf gegen die Sünde und ihrer Ueberwindung, in dem Gehorsam gegen Gott (Röm 6,12 ff ), in einem neuen, Gott geweihten Leben“ und repräsentiere damit einen deutlich wahrzunehmenden Unterschied in der ethischen „Höhenlage“ der übernommenen Bilder und Inhalte.65 2.2.4 Kritische Evaluation von Heitmüllers Neuansatz Im Gesamtblick lässt sich Heitmüller sehr wohl als derjenige bezeichnen, der die Frage nach „Wiedergeburt“ aus der dogmatisch-frömmigkeitsgeschichtlichen Verklammerung löst und sie als eine zentral neutestamentliche Fragestellung etablieren will. In seiner Herangehensweise ist er dabei aber keineswegs frei von diesen Traditionen, denn er übernimmt eine Fragestellung, für die er nicht klärt, ob sie auf die Quellentexte überhaupt sinnvoll anwendbar ist (s. o. 2.2.2). Er versucht den Begriff „Wiedergeburt“ inhaltlich freilich anders zu füllen, als es dogmatische oder frömmigkeitsgeschichtliche Vorgaben nahelegen. Heitmüllers Verständnis dessen, was mit „Wiedergeburt“ gemeint sei und was er formal als eine Deutung präsentiert, die sich aus der Analyse der neutestamentlichen Texte Tit 3,5; Joh 3,3 ff.; 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18 ergebe (s. o. 2.2.1), ist jedoch wesentlich durch das Bild bestimmt, das sich die Religionsgeschichtliche Schule von den Mysterienreligionen machte: Der Mythos von der sterbenden und wiederauferstehenden Gottheit, an deren Schicksal und deren Leben der Einzuweihende in der Initiation Teil bekommt, ist für Heitmüller der zentrale Bestandteil der Mysterien-Wiedergeburt. Nach einer so verstandenen „Wiedergeburt“ sucht er auch im Neuen Testament und findet sie in erster Linie bei Paulus, wenn auch nicht wörtlich als „Wiedergeburt“ bezeichnet, wohl aber als das, was Heitmüller die „Sache“ nennt. Nur formal vorangestellt ist der Betrachtung dieser Texte der Blick auf jene Texte (Tit 3,5; Joh 3,3 ff.; 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18), die nicht nur die „Sache“, sondern auch den „Begriff Wiedergeburt“ aufweisen. Ihre nähere exegetische Betrachtung bricht an der Stelle ab, wo Heitmüller gezeigt zu haben glaubt, dass sie mit dem Begriff inhaltlich genau das sagen, was auch die „Sache Wiedergeburt“ meint, nämlich die „Versetzung in eine neue Seinsweise“. An dieser Stelle schwenkt 62 Heitmüller schwächt die „Abhängigkeit“ dabei zum Teil wiederum ab: „Der Apostel wird nicht mit Bewußtsein Anleihen bei jenen Mysterien-Religionen gemacht haben. Aber es gibt auch mittelbare Abhängigkeiten“ (Heitmüller, Wiedergeburt 2013). 63 Vgl. z. B. das vierfache „hier wie dort …“ (Heitmüller, Wiedergeburt 2012 f.). 64 Heitmüller, Wiedergeburt 2014. 65 Heitmüller, Wiedergeburt 2014.

48

2. Exegetische Weichenstellungen

Heitmüller über zur Betrachtung paulinischer Texte und kommt auch auf jene Texte nicht mehr zurück. Insofern bezieht sich auch die These, dass die „Wiedergeburts“-Vorstellung des Neuen Testaments von den Mysterien beeinflusst sei, bei Heitmüller fast ausschließlich auf paulinische Texte. Einflüsse aus der hermetischen Mystik, die die „Wiedergeburt“ als eine Gotteszeugung auffasse, wirkten außerdem im johanneischen „von oben“ bzw. „von Gott gezeugt werden“ nach.66 Heitmüller misst dem aber in seiner Darstellung keinen großen Stellenwert bei und bleibt bei wenigen Andeutungen.

Heitmüller ist daher nicht weniger von einer Vorannahme über die Bedeutung von „Wiedergeburt“ geprägt als andere Autoren vor ihm auch, nur dass sein Verständnis von „Wiedergeburt“ sich nicht aus der christlichen Tradition speist, sondern aus Vorstellungen der Religionsgeschichtlichen Schule über die Mysterienkulte. In methodischer Hinsicht erweist sich vor allem die Doppelung der Frage nach „Wiedergeburt“ als problematisch: Indem Heitmüller diese einmal als Suche nach dem „Wort oder de[m] Begriff “, zum anderen nach der damit bezeichneten „Sache“ versteht und miteinander verbindet,67 fragt er einmal nach „Wiedergeburt“ als Ursprungsbereich und sucht nach entsprechenden Fokusausdrücken in den neutestamentlichen Texten. Zum anderen fragt er nach „Wiedergeburt“ (gleichbedeutend mit einer „Versetzung in eine neue Seinsweise“) als Zielbereich metaphorischer Aussagen im Neuen Testament und findet unter dieser Fragestellung Texte, die andere Ursprungsbereiche metaphorisch einsetzen. Damit aber geraten jene Texte, die wörtlich von etwas wie „Wiedergeburt“ sprechen und immerhin den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden, fast völlig aus dem Fokus der Aufmerksamkeit. Die Untersuchung dieser Texte hält Heitmüller mit der sehr allgemeinen Bestimmung der „Sache“, von der sie sprechen, für abgeschlossen. Diese Sicht wird aber weder den Texten gerecht, noch klärt sie durch die Doppelung der Fragestellung, was unter der Überschrift „Wiedergeburt im Neuen Testament“ eigentlich untersucht wird. Die nachfolgende Forschung bleibt von dieser Unklarheit weitgehend geprägt, indem sie den Forschungsgegenstand „Wiedergeburt“ als gegeben übernimmt, die in ihm liegende Unschärfe aber nicht auf eine Reflexionsebene hebt. Vielmehr werden immer nur im Rahmen des jeweiligen Beitrags mehr oder weniger deutlich formulierte Entscheidungen über das Verständnis von „Wiedergeburt“ getroffen. Dementsprechend breit ist dann auch die Palette der Texte, die für die Frage nach „Wiedergeburt“ für relevant gehalten werden und mit denen sich die einzelnen Untersuchungen befassen.68

66 Vgl.

Heitmüller, Wiedergeburt 2012 (zur Gotteszeugung in der hermetischen Mystik) und 2014 (Zitat). Siehe auch oben Anm. 41. 67 Vgl. Heitmüller, Wiedergeburt 2009. 68 S. u. die Tabelle in 6.1.

3. Kapitel

Religionsgeschichtliche Herleitungen in der Debatte Die auf Wilhelm Heitmüller folgende neutestamentliche Forschung zur „Wiedergeburt“ ist in den Jahren zwischen den Weltkriegen vor allem geprägt von religionsgeschichtlichen Debatten um die Herkunft der Vorstellung von „Wiedergeburt“, allem voran die Diskussion einer Ableitung aus den Mysterienreligionen. Die hier zu besprechenden Beiträge führen damit, wie bereits betont (s. o. die Einführung zu Teil I), eine seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ganz allgemein über die Herkunft und Entstehung des Christentums geführte Debatte fort, die maßgeblich von den Vertretern der Religionsgeschichtlichen Schule angestoßen worden war. Deren Einfluss ist unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg „[i]nfolge der veränderten theol. Gesamtlage nach 1918 und nach dem Tod der meisten Vertreter der ersten Generation“ 1 jedoch bereits im Abnehmen begriffen. Auch davon zeugen die im Folgenden zu besprechenden Beiträge.

3.1 Adolf von Harnack und die nicht vorhandene „Terminologie der Wiedergeburt“ (1918) 3.1.1 Harnacks Ansatz Adolf von Harnack verortet seine Abhandlung über „Die Terminologie der Wiedergeburt und verwandter Erlebnisse in der ältesten Kirche“ ausdrücklich „in der gegenwärtigen ‚religionsgeschichtlichen‘ Kontroverse“ 2 und verfolgt mit ihr ein einziges, klar umrissenes Ziel. Er will zeigen, dass sich weder die Vorstellung von der „Wiedergeburt“ noch das Christentum überhaupt aus den Mysterien ableiten lassen. Dazu geht er, ähnlich wie Otto Kirn und Paul Gennrich, nicht vom Wort „Wiedergeburt“ und möglichen griechischen Äquivalenten aus, sondern setzt von vornherein konsequent bei der „Sache“ an: Allgemein waren sich die ältesten Christen bewußt, als Gläubige, d. h. eben durch den Glauben und in ihm, eine Erneuerung erfahren zu haben, deren Art und Bedeutung sie durch „Wiedergeburt“ oder durch Begriffe, die einem solchen Erlebnis nahe stehen, ausgedrückt haben.3

1 Hartenstein,

Religionsgeschichtliche Schule 322. Terminologie 143. 3 Harnack, Terminologie 97. 2 Harnack,

50

3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

Harnack liefert somit gleich zu Beginn eine Art Definition dessen, was er unter dem beschreibungssprachlichen Terminus „Wiedergeburt“ versteht. Allerdings ist diese Definition so weit gefasst, dass er im Folgenden über 100 Belege aus dem Neuen Testament und weiteren frühchristlichen Schriften anführen kann, die diese Erneuerungserfahrung „durch den Glauben und in ihm“ in ganz unterschiedlicher sprachlicher Weise zum Ausdruck bringen.4 Harnack präsentiert damit in der Forschungsgeschichte die bei Weitem umfangreichste Textsammlung zum Thema „Wiedergeburt“. Die fast erschlagende Textfülle ist dabei durchaus intendiert,5 denn Harnack will gerade mit der Menge der Texte und der Vielfalt ihrer sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten bestreiten, was der Titel seines Beitrags vorauszusetzen scheint: Er will bestreiten, dass es eine „Terminologie der Wiedergeburt“ gebe:6 Alles, was hier zusammengeordnet ist, sind termini technici und sind es doch nicht. Sie tauchen fast gleichzeitig auf – die Mehrzahl schon bei Paulus –, aber eklektisch, regellos, d. h. ohne Konstanz. Dort finden sie sich, hier nicht; dort erscheinen sie wie echte termini technici, hier als zufällig gewählte Ausdrücke. Ein Synonym tritt für das andere ein zum Beweise, daß keines gefordert, präzis und erschöpfend ist: […].7

Die folgende Aufzählung, die Harnack liefert, stellt eine gute Zusammenfassung dessen dar, was er zuvor anhand der über 100 konkreten Textstellen aufgeführt hat und was für ihn alles unter den beschreibungssprachlichen Überbegriff „Wiedergeburt“ gehört: […] die Gläubigen sind „wie“ die Kinder und sind „die Kinder“; sie sind Gottes, Christi, der Kirche Kinder, aber sie sind auch „Freunde und Hausgenossen“ Gottes bzw. Christi, und wiederum seine „Brüder“. Sie sind „erneuert“ oder vielmehr „neugeschaffen“ oder vielmehr „neugeboren“; sie sind „aus Gott“, oder vielmehr „aus dem Geiste geboren“; sie sind „geistlich“, „Geistträger“, „Gottträger“, „Christusträger“, aber wiederum „von Gott“, bzw. „vom Geist Getragene“. Das entscheidende Gut, welches sie besitzen, ist die „Sündenvergebung“ oder vielmehr „die Erkenntnis“, bzw. „die Wahrheit“ oder „das Licht“, oder die „Salbung“ oder vielmehr „die Gnosis und das ewige Leben“; sie sind „lebendig gemacht“, „unsterb4 Das geht z. B. so weit, dass Harnack auch Texte wie 2 Kor 3,17 b (οὗ δὲ τὸ πνεῦμα κυρί­ ου, ἐλευθερία) zitiert, weil dieser Freiheitsgedanke aus dem „Kindesbewußtsein und dem Kontrast zur früheren Sklaverei des Gesetzes und der Sünde“ herausgearbeitet worden sei (Harnack, Terminologie 104). 5 „[…] denn der Verkehrtheit des Tages in der Beurteilung geschichtlicher Dinge muß man große geschichtliche Massen entgegensetzen“ (Harnack, Terminologie 143). 6 Zwar teilt Harnack seine Textbelege anhand wiederkehrender griechischer Formulierungen grob in acht Untergruppen ein. Die Zusammenstellungen sind aber recht breit und dienen mehr der praktischen Bewältigung der Textfülle, als dass sie irgendeine Art von Terminologie andeuteten. Der hier am meisten interessierende Abschnitt, der auch die für die Forschung immer wieder zentral diskutierten Texte Tit 3,5; 1 Petr 1,3.23; Joh 3,3.7 enthält, steht z. B. unter der Überschrift, die „Κτίζεσθαι, Καινὴ κτίσις, Παλιγγενεσία, Ἀναγεννᾶσθαι, Γεννᾶσθαι (Γέννησις) ἐκ θεοῦ, Υἱοὶ (Τέκνα) τοῦ θεοῦ, Σπέρμα τοῦ θεοῦ“ zusammenfasst (Harnack, Terminologie 106). Man kann sich aber z. B. fragen, ob κτίζεσθαι nicht auch gut in die Gruppe mit ἀναπλάσσεσθαι (ebd. 101) gepasst hätte usw. 7 Harnack, Terminologie 140.

3.1 Adolf von Harnack

51

lich gemacht“, „vergottet“, zu „Christusen [sic] gemacht“; aber andrerseits sind sie nun erst „Menschen“ – „neue“, bzw. „vollkommene“, bzw. „geistliche“ Menschen, „Gottmenschen“ usw.8

Gibt es somit für Harnack keine erkennbare Terminologie der „Wiedergeburt“, sondern vielmehr eine große Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten für die „durch den Glauben und in ihm [erfahrene] Erneuerung“,9 so folgt daraus für ihn auch, dass „sich hier keine Mysterienreligion offenbart und kein Myste­ri­ um mit fester, geschlossener liturgischer Begriffs- und Bildersprache den Hintergrund bildet“.10 Harnack gesteht dabei ohne Weiteres zu, dass es Parallelen in der religiösen Umwelt gebe, und zwar in erster Linie „in den orientalisch-griechischen Religionen und in den Mysterien“, besonders im Mithrasdienst.11 Aber auch dort, wo sich „Vergleichspunkte“ zu den Texten des frühen Christentums böten, „läßt es sich nirgends erweisen oder auch nur mit Grund vermuten, daß eine einzelne orientalische oder griechische Religion oder ein einzelner Mysterienkult, mindestens nicht bis gegen Ende des 2. Jahrhunderts, irgendwelchen Einfluß auf die sich entwickelnde christliche Religion gehabt hat.“ 12 Das war es, was Harnack zeigen wollte: Die „christliche Religion […] mit ihrem originalen geschichtlichen Erlebnis“ lässt sich nicht aus den Mysterien herleiten, auch wenn sie in einer Zeit entsteht, die erfüllt ist „von dem Atem eines sublimierten religiösen Lebens und von den Dämpfen überhitzter und in einer Läuterung sich befindender Kulte“ und von hier durchaus ihre „Ausdrucksmittel und Form“ nimmt.13 Methodisch aber dürfe man sich „[w]eder bei Paulus noch bei Johannes usw. […] das Recht nehmen, aus Mysterien-Worten auf Mysterien im griechischen Sinn zurückzuschließen.“ Harnack fordert vielmehr ein umgekehrtes Vorgehen: Erst seien die „helle[n] Erlebnisse und klare[n] Gedanken“ zu ermitteln, die „in solche Worte gekleidet“ seien, bevor man vorsichtig prüfen könne, ob die von den frühchristlichen Schriftstellern gebrauchten „Bilder und Symbole ihnen mehr sind als Bild und Symbol.“ 14 Hier schließt sich der Kreis zum Anfang des Beitrags, denn Harnack macht hier indirekt noch einmal deutlich, warum er nicht bei einzelnen Wörtern in den Quellentexten ansetzt, sondern sich am gemeinsamen Zielbereich der (sehr verschiedenen) metaphorischen Ausdrücke orientiert. Und er macht vor allem auch deutlich, warum er den Ansatz bei einzelnen Wörtern in den Texten für so problematisch hält: Denn er führt, wie Harnack es in der zeitgenössischen Forschung erlebt, sofort weg vom konkreten textlichen und gedanklichen Kontext 8 Harnack,

Terminologie 140 f. Terminologie 97; s. o. 10 Harnack, Terminologie 141. 11 Harnack, Terminologie 139. 12 Harnack, Terminologie 139 f. 13 Harnack, Terminologie 141 f. 14 Harnack, Terminologie 142. 9 Harnack,

52

3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

der jeweiligen Wörter hin zur vom Text isolierten Frage nach der religionsgeschichtlichen Herkunft des jeweiligen Wortes bzw. Ausdrucks. Aus „Mysterien-­ Worten“ allein dürfe man sich aber nicht „das Recht nehmen, […] auf Mysterien im griechischen Sinn zurückzuschließen“.15 3.1.2 Fazit aus Harnacks Beobachtungen im Hinblick auf Methode und Ansatz einer Untersuchung von „Wiedergeburt“ Nun muss eine exegetische Untersuchung, die bei bestimmten Wörtern im Text ansetzt, aber keineswegs zwangsläufig diesen von Harnack kritisierten Weg von angeblichen „Mysterien-Worten“ im Text zur Mysterienreligion als dessen Ursprung nehmen. Teil III der vorliegenden Untersuchung wird das in den Textexegesen belegen. Zugleich zeigt sich an Harnacks Beitrag, dass der umgekehrte Ansatz, der – metapherntheoretisch gesprochen – nicht bei bestimmten Fokuswörtern eines bestimmten Ursprungsbereiches, sondern konsequent beim Zielbereich ansetzt, keineswegs weniger problematisch ist. In Harnacks Fall ist die Beschreibung dieses Zielbereichs als eine Erneuerungserfahrung „durch den Glauben und in ihm“ 16 so weit gefasst, dass er damit einen Grundzug christlicher Glaubenserfahrung überhaupt beschreibt, der in entsprechend vielen Texten seinen Ausdruck findet. Ein exegetisch klar umrissener Untersuchungsgegenstand ergibt sich so jedoch nicht (ausführlicher dazu s. u. 6.1). Eine engere Fassung des Zielbereichs könnte hier Abhilfe schaffen, lenkt den Blick aber damit genau auf das methodische Problem dieses Ansatzes: Woraus ergibt sich eigentlich die Beschreibung dieses Zielbereiches? Harnack führt seine Fassung dieses Zielbereichs auf ein allgemeines Bewusstsein der „ältesten Christen“ (s. o.) zurück. Aber woher weiß er davon? Aus den Texten natürlich, die Harnack zweifellos hervorragend kennt und aus denen er jenes allgemeine Bewusstsein zuvor extrahiert hat. Ein Zirkel, der von den Texten zu einer als allgemein beschriebenen und an den Anfang gesetzten Erfahrung und von dort aus wiederum zu den Texten führt, ist unumgänglich. Indem Harnack aber nur den zweiten Teil des Zirkels in seiner Untersuchung sichtbar macht – d. h. nur den Weg von der als allgemein postulierten Erfahrung zu den Texten beschreibt, die diese ausdrücken –, wird nicht deutlich, dass es sich überhaupt um einen Zirkel handelt. Denn dessen erster Teil bleibt verborgen. Dabei ist die Beschreibung einer allgemein vorhandenen Erfahrung der Erneuerung durch den Glauben, die Harnack als Ausgangspunkt wählt, genau genommen nur eine These über das, was die im Folgenden aufgeführten Texte ausdrücken. Sie müsste anhand der Texte wiederum überprüft und eventuell modifiziert oder im Falle von Harnacks ausgesprochen weiter Rede von Erneuerungserfahrung – die fast immer zutrifft – auf mögliche Präzisierungen hin überdacht werden (ausführlicher dazu s. u. 6.1). 15 Harnack, 16 Harnack,

Terminologie 142. Terminologie 97; s. o.

3.2 Otto Procksch

53

Das liegt freilich gar nicht in Harnacks Interesse. Wie gezeigt, will er ja gerade mit der Fülle der Texte, die sich aus dem weit gefassten Ausgangspunkt ergeben, seine Ablehnung einer Mysterienbeeinflussung begründen. Modifiziert man aber den Ausgangspunkt und fasst das mit „Wiedergeburt“ beschreibungssprachlich Gemeinte in Rückbindung an die neutestamentliche Zeit anders, gelangt man auch zu anderen und vor allem zu insgesamt weniger Textbelegen. Harnacks Argumentation gegen die Herkunft der christlichen „Wiedergeburts“-Vorstellung aus den Mysterien greift daher nur, wenn man seiner Anfangsthese folgt. Da er sie nicht als These, sondern als Feststellung präsentiert und „Wiedergeburt“ dabei geschickt zur Erneuerungserfahrung überhaupt erweitert und von bestimmten sprachlichen Ausdrücken loskoppelt, fällt es tatsächlich schwer, dieser so allgemeinen und nachvollziehbaren Aussage von der Erneuerung „durch den Glauben und in ihm“ kritisch zu begegnen. Allerdings hilft Harnacks Beitrag in seiner großen Erweiterung des Themas und der Textbelege dem näheren Verständnis von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament nicht wirklich weiter. Man kann ihm vorwerfen, dass er an dieser Frage auch nicht wirklich interessiert ist, sondern an viel größeren inhaltlichen Bögen. Die folgende Forschung rezipiert Harnacks Beitrag, wenn überhaupt, dann nur selektiv. Er wird als Beleg für die Ablehnung der Mysterienherkunft der christlichen „Wiedergeburts“-Vorstellung und die Vielfalt der Formulierungen angeführt,17 auf inhaltlicher und methodischer Ebene gibt es dagegen keine tieferen Einlassungen.

3.2 Otto Procksch und der Versuch einer alttestamentlichen Herleitung der „Wiedergeburt“ (1928) Auch der Alttestamentler Otto Procksch bestreitet in einem Festschriftbeitrag von 1928 unter dem Titel „Wiederkehr und Wiedergeburt“, dass die Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament sich aus den hellenistischen Religionen herleiten lasse. Anders als Harnack will er dies jedoch durch die Abhängigkeit der neutestamentlichen Vorstellung von „Wiedergeburt“ aus der alttestamentlichen Vorstellung von „Wiederkehr“ begründen: Die Wiedergeburt ist ein schöpferischer Gedanke des Neuen Testaments, der uns im Alten nicht begegnet. Die Wiederkehr ist dagegen ein alttestamentlicher Gedanke, der in das Neue hineinreicht. Es gilt, die Wurzel des Begriffs der Wiedergeburt in dem der Wiederkehr zu suchen, um den Glaubenszusammenhang zwischen dem Alten und Neuen Testament auch hier aufzuweisen. Gelingt dieser Versuch, dann ist der Gefahr begegnet, die neutestamentliche Wiedergeburt aus der Vorstellungswelt der hellenistischen Religionsgeschichte abzuleiten.18 17 Vgl.

Popkes, Wiedergeburt 9; s. u. 5.7. Wiederkehr 1.

18 Procksch,

54

3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

Bereits in diesem kurzen einleitenden Abschnitt begegnet „Wiedergeburt“ zum einen als „Begriff “, zum anderen als „Gedanke“ und außerdem absolut als „die neutestamentliche Wiedergeburt“. Ob es Procksch also um Texte geht, die eine wörtliche Entsprechung zu „Wiedergeburt“ enthalten, oder um Texte, die eine beschreibungssprachlich als „Wiedergeburt“ bezeichnete Vorstellung zum Ausdruck bringen, und wenn ja, was genau diese Vorstellung enthält, bleibt unklar. Dass die „Wurzel des Begriffs der Wiedergeburt“ tatsächlich in dem der „Wiederkehr“ liege, versucht Procksch über eine Kette von wörtlichen Entsprechungen und Verwandtschaften zu belegen, die oft im Behauptungsmodus verbleiben und daher letztlich nicht überzeugen können.19 So entspricht laut Procksch der alttestamentlichen Wiederkehr (‫„ ) ָׁשבּות‬genau die ἀποκατάσ­ τασις (Act 3,21).“ 20 Mit dem „Begriff der ἀποκατάστασις“ aber, dessen Bedeutung Procksch anhand von Apg 3,21 und den alttestamentlichen Bezügen dieser Stelle ausführt,21 sei „nun der der παλιγγενεσία nächst verwandt (Mt 19,28; Tit 3,5).“ 22 Hier interessiert ihn eigentlich nur Mt 19,28 und die Parallele bei Lk 22,28, die παλιγγενεσία allerdings gar nicht enthält, um von dort über kurze Verweise auf den Wortgebrauch von παλιγγενεσία bei Josephus und den Stoikern Folgendes festzustellen: „In erster Linie handelt es sich überall nicht um die Wiedergeburt des einzelnen, sondern der Gesamtheit“.23 Damit geht er den Schritt zum nächsten Unterpunkt: „Die neue Schöpfung“.24 Diese findet Procksch als Aufnahme alttestamentlich prophetischer Traditionen im Neuen Testament besonders in der Offenbarung des Johannes und bei Paulus,25 wobei Procksch all jene Paulus-Stellen aufführt, die sich in der „Wiedergeburts“-Forschung in ihrer Erweiterung um die Vorstellung bzw. „Sache“ immer wieder finden, allen voran 2 Kor 5,17. Der Abschnitt endet schließlich mit einem Zitat aus Hebr 8,13 und der Feststellung: „Damit grenzt aber der Begriff der neuen Schöpfung an die Wiedergeburt.“ 26 Diese Behauptung ergibt sich allerdings keineswegs zwangsläufig aus dem Vorhergehenden, sondern stellt maximal die Überleitung zum letzten Abschnitt „Die Wiedergeburt“ dar, der nun tatsächlich eine Art Definition des „Gedanke[ns] der Wiedergeburt als einer pneumatischen Schöpfung“ bringt.27 Auch diese Festlegung ist überraschend und durch den Verweis auf die Erzählung von der Taufe Jesu kaum gedeckt. Denn Procksch beruft sich hier allein auf die Lesart des Codex Bezae (D) von Lk 3,22, wo Ps 2,7 als Zitat ergänzt wird. Abgesehen davon wird aber immerhin deutlich, inwiefern neue Schöpfung und Wiedergeburt für Procksch aneinandergrenzen (s. o.). Es fällt allerdings schwer, aufgrund der gelieferten Textbelege, „Wiedergeburt“ so zweifelsfrei als „pneumatische Schöpfung“ zu verstehen und Prockschs Argumentationskette in überzeugender Weise an ihrem Ziel zu sehen. Zu eklektisch ist die Textauswahl, zu viel Beweislast liegt auf isolierten Wortbedeutungen, zu undeutlich bleibt schließlich das, was mit „Wiedergeburt“ im Neuen Testament als einem „schöpferischen Gedanken“ (s. o.) gemeint sein soll. 19 Zumindest partiell teilt auch Mounce (Origin 266 f.) diese Kritik: „Procksch’s discussion is at times difficult to assess because he does not always tie his arguments together.“ 20 Procksch, Wiederkehr 4. 21 Procksch, Wiederkehr 4. 22 Procksch, Wiederkehr 5. 23 Procksch, Wiederkehr 6. 24 Procksch, Wiederkehr 7. 25 Procksch, Wiederkehr 11. 26 Procksch, Wiederkehr 13. 27 Procksch, Wiederkehr 13.

3.3 Erwin Wißmann

55

3.3 Die zweite Auf lage der RGG: Erwin Wißmanns Artikel „Wiedergeburt“ (1931) Wie sein Vorgänger Heitmüller in der ersten Auf lage der RGG hält Erwin Wißmann in der zweiten Auf lage des Lexikons an der Herkunft der „Wiedergeburt“ aus den Mysterien fest. Allerdings gibt es in der Neuauf lage nun einen eigenen Abschnitt „Wiedergeburt I. Religionsgeschichtlich“ von Gerardus van der Leeuw, der dem neutestamentlichen Abschnitt vorausgeht. Wißmann kann daher an die dort bereits geschilderten hellenistischen „Wiedergeburts“-Vorstellungen der Mysterien als wichtiger Voraussetzung für die neutestamentliche Betrachtung anknüpfen, ohne selbst noch einmal tiefer auf das Thema einzugehen: „Nur auf dem Hintergrund der vorstehend unter I gekennzeichneten hellenistischen W[iedergeburt]svorstellungen sind auch die des NT.s richtig zu verstehen.“ 28 Im nächsten Satz schließt er alttestamentliche und „zeitgenössisch-jüdische Voraussetzungen“ außerdem kategorisch aus. Eine Begründung gibt Wißmann weder für die positive Anknüpfung auf der einen noch für die ausdrückliche Ablehnung auf der anderen Seite. Tatsächlich bleibt der behauptete religionsgeschichtliche Hintergrund aber von geringer Relevanz für Wißmanns Ausführungen. Diese entwickeln sich vielmehr vom Ausgangspunkt der „Wiedergeburt“ als „Gottesgeschenk des neuen Lebens“ her.29 Damit greift Wißmann zwar die Formulierung van der Leeuws von der „Erfahrung des von Gott neu geschaffenen Lebens“ 30 auf, aber nur in ihrer allgemeinsten Formulierung und weitgehend losgelöst von konkreten Mysterienzusammenhängen. Anders als Wilhelm Heitmüller setzt Wißmann damit gleich bei der „Sache“ ein 31 und kommt erst später auf „Redewendungen von einer Neugeburt oder einer Neuzeugung durch Gott“ 32 zu sprechen. Auf diese Weise kann er chronologisch vorgehen und erst Paulus, dann die weiteren Briefe und johanneischen Schriften und schließlich auch die Apostolischen Väter behandeln. Nur im Zusammenhang mit dem Johannesevangelium und dem Ersten Johannesbrief erwähnt er die Mysterien dann nochmals: „Hier spüren wir vielleicht noch stärker als bei den oben aufgeführten Bildern, Ausdrücken und Vorstellungen die unbestreitbaren Einflüsse der zeitgenössischen Mysterienreligionen.“ 33 Wie genau Wißmann sich die „Einflüsse“ denkt, bleibt dabei völlig offen. Sie scheinen sich für ihn aber eher in einer bloßen Entlehnung von sprachlichen Ausdrücken zu äußern als in der Übernahme tiefergreifender Vorstellungen oder gar kultischer Aspekte. Denn genau auf die sprachlichen Besonderheiten der 28 Wissmann,

Wiedergeburt 1912. Wissmann, Wiedergeburt 1912. 30 Van der Leeuw, Wiedergeburt 1911. 31 Auch Wißmann (Wiedergeburt 1912) spricht, wie Heitmüller (s. o. 2.2.2), von der „Sache“ in Unterscheidung zum „Wort“, das bei Paulus z. B. fehle. 32 Wissmann, Wiedergeburt 1913 (Hervorhebung hinzugefügt). 33 Wissmann, Wiedergeburt 1913. 29 Vgl.

56

3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

johanneischen Schriften geht Wißmann im Anschluss an den zitierten Satz ein. Das „Bild von der ‚W[iedergeburt]‘“ werde von Johannes „bis ins letzte hinein durchgedacht und krasser als bei den übrigen Schriftstellern des NT.s angewendet.“ 34 Damit lenkt Wißmann den Blick auf die vielfältigen Zeugungs- und Kindschafts-Metaphern im Johannesevangelium und den Johannesbriefen, die das „Bild“ – hier im Sinne von Ursprungsbereich gebraucht – in verschiedener Weise zur Geltung bringen und dessen metaphorisches Potenzial in diesem Sinne „krasser“ ausloten. Nimmt man dies zusammen mit Wißmanns Bemerkung vom Anfang seines Artikels, dass Jesu „Wort von der Umkehr zum Kindsein (Mtth 18,3 vgl. Mrk 10,15 Luk 18,17) […] mit der paulinischen oder johanneischen oder sonstigen nt.lichen Auffassung von der W[iedergeburt] nichts zu tun“ 35 habe, so zeigt sich, dass Wißmann sehr genau zwischen verschiedenen Texten differenziert, die alle von Kind-Sein bzw. -Werden sprechen, diesen Ursprungsbereich aber für unterschiedliche Aussageabsichten einsetzen.36 Allerdings hebt Wißmann diese praktisch vorgenommene Unterscheidung auf keine theoretisch reflektierte methodische Ebene. Dass diese Reflexionsebene fehlt, zeigt sich dann auch im Hinblick auf die paulinischen Texte. Hier führt Wißmann ohne jegliche Differenzierung all jene Texte an, die auch in anderen „Wiedergeburts“-Untersuchungen begegnen, nämlich die paulinische Rede von „der ‚Neuschöpfung‘ durch Gott (II Kor 5,17 vgl. Gal 6,15 Eph 2,8 ff )“, vom Christus-Anziehen in der Taufe (Gal 3,27), vom „neue[n] Christusleben […] als Gabe des Geistes“ (Röm 8,2.10), vom Wandel in einem neuen Leben (Röm 6,4.11) und vom Anziehen des neuen Menschen (Röm 13,4; Kol 3,9 f.; Eph 4,24).37 Hier nun sind nicht nur unterschiedliche Ursprungsbereiche metaphorischer Äußerungen bunt gemischt, sondern es bleibt auch die Zuordnung zur „Sache“, nämlich dem „Gottesgeschenk des neuen Lebens in Christus“,38 sehr allgemein und unspezifisch. So zeigt Wißmanns Artikel in der Summe Ansätze einer schärferen Wahrnehmung der Metaphorik, insbesondere im Hinblick auf den Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung bzw. Kindschaft, bleibt in anderen Zusammenhängen aber ganz den bisherigen Forschungsansätzen verhaftet. Entsprechend der dort vorherrschenden Unklarheit über das, was mit „Wiedergeburt“ gemeint ist, ordnet auch Wißmann einem recht weit gefassten und ohne Diskussion vorausgesetzten Verständnis von „Wiedergeburt“ als „Sache“ entsprechend viele verschiedene Texte zu, die dabei in ihrer je spezifischen metaphorischen Aussage nicht zum Tragen kommen. Auffällig ist an Wißmanns Artikel, dass die Herkunft der 34 Wissmann,

Wiedergeburt 1913. Wiedergeburt 1912. 36 Damit hebt er sich ab von nicht wenigen anderen Untersuchungen, die auch die synoptischen Aussagen über das Kind-Sein bzw. Kind-Werden dem Gesamtthema „Wiedergeburt“ zuordnen – so z. B. Procksch, Wiederkehr 14; Goppelt, Wiedergeburt 1698; Harnack, Terminologie 98–101. 37 Vgl. Wissmann, Wiedergeburt 1912. 38 Wissmann, Wiedergeburt 1912. 35 Wissmann,

3.4 Friedrich Büchsel

57

„Wiedergeburts“-Vorstellung aus den hellenistischen Mysterienreligionen nur mehr äußerlich behauptet wird, im Gegensatz zu Heitmüller in der ersten Auflage der RGG aber kaum inhaltliche Relevanz hat.39

3.4 Die Beiträge von Friedrich Büchsel im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament (1933) Die Beiträge von Friedrich Büchsel im ersten Band des „Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament“ (ThWNT) von 1933 unterscheiden sich von den bisher besprochenen insofern, als er nicht von dem übergreifenden Thema „Wiedergeburt“ herkommt, sondern – der Struktur des ThWNT gemäß – von griechischen Begriffen. Nachzuschlagen ist also bei jenen Wörtern, die in den neutestamentlichen Texten von der Forschung in der Regel als direkte Äquivalente zu „Wiedergeburt“ verstanden werden, d. h. unter den Stichworten παλιγγενεσία, ἀναγεννάω und γεννάω ἄνωθεν. Die beiden zuletzt genannten Lemmata finden sich als Teile des umfangreicheren Artikels zu „γεννάω, γέν­ νημα, γεννητός, ἀρτιγέννητος, ἀναγεννάω“,40 παλιγγενεσία ist dagegen – der sprachgeschichtlichen Herkunft folgend – in den Artikel „γίνομαι, γένεσις, γέ­ νος, γένημα, ἀπογίνομαι, παλιγγενεσία“ integriert.41 3.4.1 γεννηθῆναι Büchsel ordnet die johanneischen (aus Evangelium und Erstem Johannesbrief stammenden) Aussagen mit γεννηθῆναι ἐκ […] / ἄνωθεν unter die große Überschrift der „Zeugung durch die Gottheit“ ein.42 In der inhaltlichen Deutung bleibt Büchsel sehr zurückhaltend und legt besonderen Wert auf das „Geheimnis“ und den ganz eigenen „Wahrheitswert“ dieser Aussagen, die „für Joh nicht auf Erlebnissen, Erfahrungen u dgl beruhen, denn er sagt über die Geburt aus Gott aus, was aller seiner Erfahrung geradezu widerspricht 1 J 3,9 vgl 1 J 1,8– 10.“ 43 Durch die Betonung des Geheimnisvollen und des der Erfahrung Unzugänglichen blendet Büchsel den metaphorischen Charakter dieser Geburtsaussagen allerdings im Wesentlichen 39 Zum abnehmenden Einfluss der Religionsgeschichtlichen Schule und ihrer Thesen s. o. die Einführung zu Kap. 3. 40 Vgl. Büchsel, γεννάω. Der (kürzere) Abschnitt B des Artikels, der sich mit der „Vorstellung vom ‚Neuwerden‘ durch den Übertritt zur wahren Religion im Spätjudentum“ befasst (664–666) und von Karl Heinrich Rengstorf verfasst ist, kann hier unberücksichtigt bleiben, da er allein das „Neuwerden“ thematisiert (vgl. zu den von Rengstorf angeführten Textbeispielen ausführlicher außerdem Sjöberg, Wiedergeburt; s. u. 4.1). 41 Vgl. Büchsel, γίνομαι. 42 Büchsel, γεννάω 667–671. In seiner Betrachtung der johanneischen Texte spricht Büch­­sel dann aber ausschließlich von der Geburt aus Gott (vgl. ebd. 670). 43 Büchsel, γεννάω 670.

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3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

aus. Denn gerade indem diese Aussagen ein so allgemein vertrautes Konzept wie das der Geburt bzw. Zeugung als Ursprungsbereich verwenden, greifen sie ja auf die Erfahrung und das Wissen der Rezipienten zurück, um die „Gemeinschaft mit Gott, die an Gottes Wollen hängt“,44 verstehbar zu machen, auch wenn die eigene Zeugung und Geburt der unmittelbaren Erfahrung jeweils entzogen bleibt.

Konkreter wird Büchsel in der Beschreibung der „Folgen der Geburt“: Sie seien „religiös-sittlich“ und bestünden im „Tun der Gerechtigkeit 1 J 2,29, im Nichtsündigen 3,7 ff “ usw.45 Büchsel bleibt hier allerdings ganz beim Ersten Johannesbrief. Inwiefern diese sittlichen Konsequenzen auch für die Aussagen des Evangeliums zur „Geburt aus Gott“ gelten, bleibt offen. Auch dass die sittlichen Folgen nicht verstanden werden dürften als „Verleihung einer Kraft oder Zuständlichkeit, die dem Menschen für sich eignete“,46 bleibt ohne nähere Begründung und ist vom metaphorischen Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung her nicht ohne Weiteres plausibel. Büchsel ist insgesamt aber kaum am metaphorischen Charakter des Ausdrucks interessiert, sondern konzentriert sich im Folgenden vielmehr auf die Frage nach dem „Ursprung der joh Vorstellung“.47 Dieser Ursprung sei zwar „nur vermutungsweise festzustellen“, weise aber wohl am ehesten auf die Bezeichnung Jesu als Gottessohn, als γεννηθεὶς ἐκ θεοῦ, zurück. Die Übertragung dieser Bezeichnung auf die Gläubigen anzunehmen, bereite „keine Schwierigkeit“.48 Damit schlägt Büchsel die Brücke zurück zu Ps  2,7, den er bereits zuvor unter der Gesamtüberschrift der „Zeugung aus der Gottheit“ für den alttestamentlichen Abschnitt näher betrachtet hatte.49 Das Problem, dass die johanneischen Schriften Ps 2,7 nirgendwo explizit aufgreifen, umgeht Büchsel durch die Feststellung, dass der Glaube an die Gottessohnschaft Jesu zusammengehöre mit dem Glauben an die messianische Weissagung, „zu der Ps 2,7 für alle Christen gehörte“. Als Kronzeuge für diese Behauptung wird Apg 13,33 aufgerufen. Hier werde auch deutlich, dass „die Anwendung dieser Vorstellung auf Jesus […] unbestreitbar völlig unabhängig von den Mysterien“ sei.50 Daraus wiederum schlussfolgert Büchsel, dass das ähnlich auch für die johanneischen Geburtsaussagen zu gelten habe. Inhaltlich gewinnt Büchsel aus dieser Argumentationskette allerdings nicht viel Neues für ein genaueres Verständnis der johanneischen Textstellen.

44 Büchsel,

γεννάω 670. γεννάω 670. 46 Büchsel, γεννάω 670. 47 Büchsel, γεννάω 670. 48 Büchsel, γεννάω 670. 49 Vgl. Büchsel, γεννάω 667. 50 Büchsel, γεννάω 670. Ausführlicher, aber ebenso kritisch diskutiert Büchsel die möglichen Bezüge zwischen Mysterien und johanneischer Ausdrucksweise in seinem Buch „Johannes und der hellenistische Synkretismus“, vgl. dort bes. 62–66. 45 Büchsel,

3.4 Friedrich Büchsel

59

3.4.2 ἀναγεννᾶν Nur im Artikel zum Lemma ἀναγεννάω verwendet Büchsel den Ausdruck „Wiedergeburt“ häufig und in einer Art, die vielen Beiträgen der sonstigen „Wiedergeburts“-Forschung ähnelt: Abgeleitete Komposita, wie „Wiedergeburtsglaube“ und „Wiedergeburtsgedanke“, vermitteln durch den determinierten Gebrauch den Eindruck eines klar umrissenen und allseits bekannten Sachverhalts, der sich genau besehen jedoch nur auf die einzigen beiden neutestamentlichen Belege im Ersten Petrusbrief stützt. Deren Bedeutung versucht Büchsel vor allem aus einer recht genauen Paraphrase des Kontextes von 1 Petr 1,3–5 zu erhellen.51 Dabei betont er besonders den Aspekt der Hoffnung und der Zukünftigkeit dessen, was hier beginnt: „Die Wiedergeburt besteht im Grund darin, daß man hoffen darf um der Auferstehung Jesu willen. Man wird den Wiedergeburtsgedanken des 1 Pt nie verstehen, wenn man seine eschatologische Art verkennt“.52 Wichtig ist diese Betonung der noch ausstehenden Erfüllung der Hoffnung für Büchsel noch aus einem zweiten Grund. Er kann so den „Wiedergeburtsgedanken des 1 Pt“ klar von den Mysterien abgrenzen (was allein aus der Begriffsgeschichte des Verbs ἀναγεννᾶν heraus nicht so eindeutig möglich ist),53 denn: „Zur Mysterienfrömmigkeit, in der durch magische Weihungen jetzt aus einem Menschen ein Gott geworden ist, steht diese Frömmigkeit des Glaubens […]; der Hoffnung […] und der Furcht vor Gott […] in tiefem Gegensatze.“ 54 Ob damit die Mysterienfrömmigkeit in adäquater Weise dargestellt ist, sei hier dahingestellt.55 Klar ist, dass Büchsel ein mögliches magisches Missverständnis des „Wiedergeburtsgedankens“ im Ersten Petrusbrief, wie es aus einer behaupteten Nähe zu den Mysterien abgeleitet werden könnte, verhindern will, indem er den Aspekt der Hoffnung stark macht und die Rede von Geburt vor allem im Sinne eines Anfangs deutet, der nichts bereits Abgeschlossenes beschreibt (s. o.). Damit ist freilich nur ein Aspekt der metaphorischen Verwendung von Geburt in 1 Petr 1 aufgegriffen. Das Erbe zum Beispiel (vgl. 1 Petr 1,4) erwähnt Büchsel nur im Zusammenhang mit der Hoffnung, sieht es aber nicht in direktem Zusammenhang mit dem Ursprungsbereich Geburt, was aber

51 Vgl.

Büchsel, γεννάω 672 f. γεννάω 673. 53 Die Belege für ἀναγεννᾶν sind überhaupt sehr spärlich und (vgl. Sallust) zum Teil deutlich später als die neutestamentlichen Texte, so dass das lateinische renasci aus Apuleius, Metamorphoses 11,21 meist mit einbezogen wird, wie dies auch Büchsel tut (γεννάω 672). Er kommt dann zu dem Fazit: „ἀναγεννάω war also z Zt des NT ein, wenn auch nicht häufig, so doch allgemein und nicht nur in den Mysterienkulten gebrauchtes Wort, genau wie das lateinische renasci. Der Gebrauch des Substantivums ἀναγέννησις bestätigt dies“ (ebd.). 54 Büchsel, γεννάω 673. 55 Zeller (Mysterien 518 f.) beschreibt z. B. eher ein zeitweiliges Einswerden mit der Gottheit als eine bleibende Vergottung. 52 Büchsel,

60

3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

durchaus naheliegt.56 Wiederum (s. o. 3.4.1) bleibt Büchsels Wahrnehmung der Textbelege in ihrem metaphorischen Charakter auf wenige Aspekte beschränkt. Als Alternative zur Herkunft von ἀναγεννᾶν aus dem Sprachgebrauch der Mysterien, wie sie die zeitgenössische Forschung in der Wahrnehmung Büchsels so häufig verfolge, sucht er den „Ursprung dieses Wiedergeburtsglaubens im Judentum“ zu finden.57 Angesichts des Mangels an Belegen für ἀναγεννᾶν bringt Büchsel außerdem den Terminus παλιγγενεσία ins Spiel, auch hier ist die Zahl verwertbarer Textzeugnisse allerdings limitiert.58 Die beschriebenen Entwicklungslinien bleiben daher vage und Büchsel nennt schließlich den „allgemeinen Sprachgebrauch“, aus welchem dem Verfasser des Ersten Petrusbriefes wahrscheinlich „das Wort ἀναγεννᾶν zugekommen ist“. „Vor allem aber“, so schließt Büchsel, habe das Wort „eine neue Bedeutung gewonnen, als es die Christen zur Bezeichnung dessen verwandten, was Gott ihnen verliehen hatte.“ 59 Hier zeigt sich wiederum die auf einzelne Wörter konzentrierte Vorgehensweise Büchsels (und des ThWNT überhaupt), die mehr auf allgemein gültige Festlegungen als auf kontextuell bestimmte Wortbedeutungen orientiert ist. Es reicht für Büchsel nicht aus, die beiden einzigen neutestamentlichen Belege für ἀναγεννᾶν in 1 Petr 1 aus deren kontextueller Verwendung in eben diesem Text zu bestimmen. Er verallgemeinert vielmehr die auf diese Weise erschlossene Bedeutung und verbindet sie als spezifisch christliche Bedeutung fest mit dem Wort ἀναγεννᾶν selbst. 3.4.3 παλιγγενεσία Aus der Betrachtung der Wortbildung heraus („abzuleiten von πάλιν und γένε­ σις“) 60 gibt Büchsel die Hauptbedeutung von παλιγγενεσία nicht mit „Wiedergeburt“, sondern mit „Wiederentstehung“ an. In der zugehörigen Fußnote verstärkt er diese Tendenz sogar noch: „Die Vorstellung von der Geburt (eines Menschen), gar die von einer Geburt aufgrund geschlechtlicher Erzeugung ist in dem Wort ursprünglich nicht enthalten; ob und wie weit sie später eingedrungen ist, ist zu untersuchen“.61 Damit schließt Büchsel freilich zu vehement die im Wort zumindest auch angelegte Bedeutung „Wiedergeburt“ aus, wie die spätere Kritik von Christiane Zimmermann zeigt. Diese betont zwar einerseits genauso wie Büchsel, dass das Wort aus dem Adverb πά­λιν und dem Nomen γενεσία zusammengesetzt ist, „wobei γενεσία nicht von einem Verbum wie γεννᾶν / ‌erzeugen herzuleiten ist, sondern identisch ist mit γένεσις.“ 62 Dabei könne γενε­σία sich aber „sowohl auf das Entstehen der Welt als auch auf die des Menschen als auch 56 Siehe

mehr dazu unten 7.2.3. Büchsel, γεννάω 673. 58 Denn Philo, der hier die meisten Stellen liefert, ist nach Büchsel von „Mysterienweisheit“ beeinflusst (Büchsel, γεννάω 667) – also nicht der Zeuge, den Büchsel braucht. 59 Büchsel, γεννάω 674. 60 Büchsel, γίνομαι 685. 61 Büchsel, γίνομαι 685 Anm. 2. 62 Zimmermann, Wiederentstehung 273; vgl. auch Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 4. 57 Vgl.

3.4 Friedrich Büchsel

61

auf andere Dinge und Phänomene beziehen“, daher seien prinzipiell beide Bedeutungen, Wiederentstehung und Wiedergeburt, angelegt.63

Erst nach der Diskussion der Wortbildung und der Etymologie der Bestandteile kommt in Büchsels Darstellung auch „Wiedergeburt“ kurz ins Spiel, und zwar als einer von zwei Bedeutungssträngen: Zum einen bezeichne παλιγγενεσία laut Büchsel die „Rückkehr zum Dasein, Wiederkehr aus dem Tode zum Leben“ und zum anderen die „Erneuerung zu einem höheren Sosein“ – eben die „Wiedergeburt in dem uns geläufigen Sinne“.64 Damit wird deutlich, dass Büchsel das Wort „Wiedergeburt“ vorrangig als beschreibungssprachlichen Ausdruck einer allgemein bekannten, „uns geläufigen“ Vorstellung versteht, nicht so sehr als adäquate und schon gar nicht als einzige und zu präferierende Übersetzung von παλιγγενεσία. In der Folge redet Büchsel entsprechend auch nur selten von „Wiedergeburt“ und vermeidet damit weitgehend die im beschreibungssprachlichen Begriff liegenden Unklarheiten. Des Weiteren versucht Büchsel erneut mit Nachdruck, die Unabhängigkeit von den Mysterien zu begründen. Im Fall von παλιγγενεσία gelingt das etwas leichter als in den beiden zuvor besprochenen Fällen (s. o. 3.4.1–2). Denn παλιγγενεσία hat eine lange Begriffsgeschichte aufzuweisen, in der es – abgesehen von den hermetischen Texten, die zeitlich später als das Neue Testament einzuordnen sind – kaum einschlägige Texte gibt, die den Gebrauch von παλιγγενεσία in Mysterienkontexten eindeutig belegen könnten: „Daß παλιγ­ γενεσία in den Mysterien des 1 Jhdts n Chr eine Rolle spielte, ist jedenfalls nicht exakt zu beweisen.“ 65 Vielmehr zeigt Büchsel in der Begriffsgeschichte die stoische Prägung (eventuell sogar den dort liegenden Ursprung) des Begriffs als „Wiederentstehung“ nach dem Weltenbrand (ἐκπύρωσις) auf.66 Er führt dann Textbelege an, die mit παλιγγενεσία das Resultat der Seelenwanderung bezeichnen und betont schließlich die Entwicklung des Begriffs zum „Gemeingut der Gebildeten […], wobei es natürlich zu einem allgemeineren Sinn kam.“ 67 Hinter diesem nur angedeuteten „allgemeineren Sinn“ versteckt sich wiederum die von Büchsel nur wenig beachtete metaphorische Verwendung des Wortes. Für die neutestamentlichen Texte hält Büchsel allerdings keine dieser Bedeutungen, sondern die „Umwandlung der παλιγγενεσία-Vorstellung beim 63 Zimmermann,

Wiederentstehung 274 γίνομαι 685. 65 Büchsel, γίνομαι 686. Diese Einschätzung setzt voraus, dass die Plutarch-Texte, die von den Osiris- und Dionysos-Mythen berichten (Plutarch, De E apud Delphos 389 A; De esu carnium 389 A; De Iside et Osiride 364 F), wie Büchsel meint, selbst nicht den Mysterien zu­zuordnen seien; Zimmermann (Wiederentstehung 282 f.) sieht das z. B. anders. 66 Diese Prägung belegen neben sehr wenigen stoischen Originalquellen vor allem Texte Philos, den Büchsel als Überlieferer des stoischen Verständnisses einerseits darstellt, aber auch als Entwickler eigener übertragener Anwendungen für παλιγγενεσία andererseits (vgl. Büchsel, γίνομαι 686 f.). 67 Büchsel, γίνομαι 686. 64 Büchsel,

62

3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

Über­gang von der Stoa in das Judentum“ und den so entstandenen „neuen religiösen Inhalt“ für relevant.68 Das heißt für Mt 19,28: „Der jüdische Glaube an die Totenauferstehung und Welterneuerung wird in dieses Wort gekleidet.“ 69 Für Tit 3,5 nimmt Büchsel außerdem eine eigene „christliche Weiterbildung der jüdischen Ausgestaltung des stoischen Begriffs“ an. Παλιγγενεσία bezeichne hier den „Ertrag der Taufe, parallel zu ἀνακαίνωσις“. Sie sei dabei sowohl „als Gelangen zu einem neuen Dasein nach dem Ende des bisherigen“ und gleichermaßen „als sittliche Erneuerung zu fassen“.70 Mühe bereitet Büchsel dabei die Integration des sittlichen Aspektes in den Begriff der παλιγγενεσία. Aus der stoischen Herkunft des Wortes lässt er sich nicht erschließen. Aber auch für die „jüdische Ausgestaltung“ 71 kann Büchsel einen solchen Inhalt genau genommen nur postulieren. Dass sich der sittliche Aspekt vor allem aus der kontextuellen Einbettung von παλιγγενεσία ergeben könnte (vgl. Tit  3,1 f.8!) und nicht notwendig in das Wort selbst hineingedeutet werden muss, erwägt Büchsel nicht.72 Welche Bedeutungsgehalte die intendierten Leser des Titusbriefes bei der Erwähnung von παλιγγενεσία in Tit 3,5 nun aktualisieren sollten und welche die realen Leserinnen und Leser tatsächlich abriefen, bleibt auch angesichts der abschließenden Bemerkungen Büchsels eine offene Frage. Nochmals kommt Büchsel hier auf die seines Erachtens abzulehnende Ableitung von παλιγ­γε­ νεσία aus den Mysterien zu sprechen 73 – nun konkret bezogen auf die neutestamentlichen Schriften. Er führt als Grund wiederum die wenig ergiebige Quellenlage an, betont erneut aber auch, dass der Begriff in allgemeinerer Bedeutung „längst im Munde der Gebildeten“ war und „man wirklich nicht bis zu den Mysterien zu gehen hatte, um auf das Wort παλιγγενεσία zu stoßen“.74 Wenn dem aber so war, wie Büchsel hier andeutet (und es spricht einiges dafür), dann zeigt dieser allgemeine Sprachgebrauch 75 auf, dass die metaphorische Rede von παλιγγενεσία längst konventionalisiert war und schlicht eine grundlegende Erneuerung beschreiben konnte. Warum sollte das nicht auch eine ernstzunehmende Deutungsmöglichkeit für Tit 3,5 sein? Für Büchsel ist sie es jedenfalls nicht. Die zuvor konstruierte Bedeutung von παλιγγενεσία als „christliche Weiterbildung der jüdischen Ausgestaltung des stoischen Be68 Büchsel,

γίνομαι 687; vgl. auch Anm. 66. γίνομαι 687. 70 Büchsel, γίνομαι 688. 71 Büchsel, γίνομαι 688. 72 Hier zeigt sich, dass die Fixierung auf einzelne Begriffe, auf deren Begriffsgeschichte und Etymologie, wie sie einem Lexikon von der Art des ThWNT eigen ist, dazu neigt, zu viel Bedeutung in das einzelne Wort und zu wenig in dessen kontextuellen Gebrauch zu legen; s. u. 3.4.4. 73 Vgl. Büchsel, γίνομαι 688. 74 Büchsel, γίνομαι 688. 75 Joseph Dey (s. u. 3.6) führt dafür noch deutlich mehr Quellenbelege an. 69 Büchsel,

3.5 Vincenzo Jacono

63

griffs“ 76 erscheint ihm theologisch offenbar gewichtiger als eine schlichte allgemeine Bedeutung, deren tieferer Sinn sich erst durch die Wahrnehmung des Kontexts eröffnet.77 3.4.4 Fazit Bedingt durch die Struktur des ThWNT, das bei den griechischen Wörtern ansetzt und nicht bei einer beschreibungssprachlichen geprägten „Wiedergeburt“, bieten die entsprechenden Artikel von Büchsel einen Ansatz dafür, den Blick zu weiten und die Fixierung der Forschung auf den in sich unklaren Begriff der „Wiedergeburt“ aufzubrechen.78 Die Rezeption, die Büchsel in der nachfolgenden Forschung durchaus erfährt, lässt davon aber wenig erkennen. Zugleich zeigt Büchsels Betrachtungsweise auf andere Weise selbst Engführungen, die wiederum auch mit der Gesamtausrichtung des ThWNT und dessen Orientierung an Wortbedeutung und Begriffsgeschichte zusammenhängen: Indem Büchsel dem einzelnen Wort und dessen Herkunft sehr viel und dem jeweiligen Kontext kaum Gewicht für die Konstituierung der Bedeutung gibt, fehlt eine wesentliche Voraussetzung für die Wahrnehmung der jeweiligen Textstellen als metaphorische Aussagen.

3.5 Vincenzo Jacono und eine weitgefasste „dottrina della rigenerazione“ (1934) Der Beitrag Vincenzo Jaconos in der Zeitschrift „Biblica“ des Päpstlichen Bibelinstituts (Pontificio Istituto Biblico) in Rom reiht sich ein in die kritische Sicht der vorausgegangenen Forschungsbeiträge gegenüber einer Herleitung der neutestamentlichen Rede von „Wiedergeburt“ aus den Mysterien. Jacono beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung der verschiedenen Verwendungen von πα­λιγγενεσία im antiken Kontext und zählt knapp verschiedene Belege auf, die auch die Autoren vor ihm bereits mehr oder weniger ausführlich herangezogen hatten.79 Ausdrücklich wendet Jacono sich dabei gegen Wilhelm 76 Büchsel,

γίνομαι 688. dazu s. u. 78 Es fällt auch auf, dass Büchsel zur Erklärung der neutestamentlichen Texte, die παλιγ­ γενεσία, ἀναγεννᾶν oder γεννηθῆναι ἄνωθεν gebrauchen, nie von einem Text auf die jeweils anderen verweist. 79 Jacono, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 369–371. Erwähnt werden von Jacono (ebd. 369): Plutarch, Quaestiones convivales 722 D; Cicero, Epistulae ad Atticum 6,6 (im Original irrtümlich 6,7); P. Lond. 3,878 r; Philo, Post. 124 und Mos. 2,65; Josephus, Ant. 11,66 (die Stellenangaben sind zum Teil angepasst an die Zitierweise dieses Buches); aus dem Neuen Testament Mt 19,28 (korrigiert aus „Mt 19,18“). Ohne genaue Belege verweist Jacono auf παλιγ­γενε­ σία-Vorkommen bei den Stoikern, Pythagoreern, in Osiris- und Dionysos-Mysterien; in einer Anmerkung (ebd. 369 f. Anm. 3) erwähnt er außerdem Ber R 12,5; b Jev 22 a, 48 b, 62 a und 77 Mehr

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3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

Heitmüller und dessen positive Einschätzung einer Beeinflussung der neutestamentlichen „Wiedergeburts“-Auffassung (und insbesondere der paulinischen) durch die Mysterienreligionen.80 Eine nüchterne Analyse der Quellen gebe Heitmüller nicht Recht.81 In der zweiten Hälfte seines Beitrags geht Jacono dann noch einmal ausführlicher auf die Mysterien ein,82 kommt aber zu keinem anderen Ergebnis, wobei er unter anderem die späten Datierungen der Mysterienbelege hervorhebt.83 Die neutestamentlichen Textbetrachtungen 84 nehmen ihren Ausgangspunkt beim Titusbrief, den Jacono für authentisch paulinisch hält.85 Jacono bleibt aber nicht lange bei der Betrachtung dieser wörtlichen Repräsentation von „rigenerazione“. Über eine Deutung von Tit 3,5, die παλιγγενεσία vor allem über die Taufe erschließt,86 kommt er schnell zu Röm 6,3 ff., wo er „la dottrina della rigenerazione“ ebenfalls findet, allerdings nicht unter dem Terminus παλιγγενεσία, sondern vielmehr in der Kombination der Motive von Taufe, Gnade, Rechtfertigung und neuem Leben,87 die Jacono auch schon in Tit 3,5 und dessen Kontext hervorgehoben hatte. Auch Jacono geht somit nach einem Anknüpfungspunkt beim Wort παλιγγενεσία schnell zur „Sache Wiedergeburt“ über.88 Diese findet er – auch das ist in der bisherigen Forschung nicht neu – dann aber nicht nur in Tit 3,5, sondern in vielen anderen paulinischen Texten und umschreibt sie als „Vorstellungen von der Gnade, der Gerechtigkeit und vom neuen Leben.“ 89 wenige andere rabbinische Texte (ausführlicher s. u. 4.1), schließt sie aus der weiteren Betrachtung aber aus, weil die hebräischen Begriffe äquivalent zu παλιγγενεσία seien und mit ihnen keine spirituelle Wiedergeburt, sondern nur ein Neuanfang im juristischen Sinne beschrieben werde (vgl. auch die Ausführungen Sjöbergs zur rechtlichen Lage des Proselyten: s. u. 4.1.1). Auch die stoischen und pythagoreischen Texte berücksichtigt Jacono später nicht weiter, weil sie nicht zur Sache beitrügen (Jacono, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 383); zuvor (ebd. 372) schließt er bereits Mt 19,28 aus der weiteren Untersuchung aus, weil es hier um das zukünftige Schicksal der Welt gehe und also um ein endzeitliches Geschehen. 80 Siehe zu Heitmüller oben 2.2; Jacono bezieht sich allerdings nicht auf den RGG-Artikel, sondern auf Heitmüller, Taufe (vgl. Jacono, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 370 Anm. 3). 81 Jacono, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 371: „Lʼesame spassionato delle fonti non dà però ragione a Heitmüller.“ 82 Jacono, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 383–397. 83 In keinem anderen vorchristlichen Zeugnis fände man, wie Jacono (ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 397) betont, Belege über die zweite bzw. Wiedergeburt. 84 Jacono, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 371–382. 85 Das lässt bereits der Titel des Aufsatzes: „La ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ in S. Paolo e nellʼ ambiente pagano“ („Die ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ beim Heiligen Paulus und im paganen Umfeld“) ah­nen, denn anderswo als in Tit 3,5 lässt sich παλιγγενεσία im Corpus Paulinum nicht finden. 86 Vgl. Jacono, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 371–373. 87 Jacono, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 373 und 376. 88 Hier liegt Jacono ganz auf der Linie des in anderen Belangen kritisierten Heitmüllers; s. o. 2.2.2 und 2.2.4. 89 Jacono, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 376: „Queste idee della grazia, della giustizia, della nuova vita ricorrono in innumerevoli altri luoghi paolini“.

3.6 Joseph Dey

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Unter der Überschrift „Insegnamento di Gesù“ kommt Jacono ausführlicher auf Joh 3 und 2 Petr 1 zu sprechen. In diesen Texten glaubt er, jene „dottrina della rigenerazione“ zu finden, die schon längst allgemein bekannt war, als Paulus seine Briefe schrieb.90 Dass Jacono damit Annahmen über die frühe Überlieferung und Lehrbildung in Kombination mit apostolischer Autorschaft zugrunde legt, die die heutige historisch-kritische Forschung so nicht mehr teilt, ist offensichtlich und bedarf hier keiner weiteren kritischen Vertiefung. In der Diskussion von Joh 3 geht es Jacono dann vor allem darum, den Bezug des Textes auf die Taufe zu erhärten.91 Dazu werden verschiedenste neutestamentliche Texte zum Thema Taufe herangezogen,92 die Deutung des Syntagmas γεννηθῆναι ἅνωθεν besteht für Jacono allein in der Besiegelung dieses Zusammenhangs und im Rückgriff auf das bereits Gesagte zur „dottrina della rigenerazione“. Im Abschnitt zu 2 Petr 1 geht es Jacono schließlich um die „Teilhabe an der göttlichen Natur“ (vgl. 2 Petr 1,4: θείας κοινωνοὶ φύσεως).93 Nochmals wird die Diskussion um weitere neutestamentliche Texte erweitert. Jacono kommt hier schließlich auch auf den Ersten Petrusbrief zu sprechen – interessanterweise über die Brücke von 2 Petr 1,4 und nicht in erster Linie aufgrund der in 1 Petr 1,3.23 belegten Formen von ἀναγεννᾶσθαι. Zentral bleibt für ihn aber der Ausdruck θείας κοινωνοὶ φύσεως, zu dem er „Korrespondenzen“ in Gal 4,4–7; Röm 8,14 ff.; 1 Kor 1,9; 2 Kor 13,13 und 1 Joh 1,3 erkennt.94 Auch hier zeigt sich ein weiteres Mal, wie weit Jacono das ursprünglich durch die Frage nach παλιγγενεσία angestoßene Thema versteht und wie stark „rigenerazione“ als ein geprägtes Konzept der Beschreibungssprache (und offensichtlich nicht nur der deutschen!) die Untersuchung der Texte dominiert.

3.6 Die erste Monographie zum Thema: Joseph Deys Dissertation zu παλιγγενεσία in Tit 3,5 (1937) 3.6.1 Deys Forschungsansatz Mit Joseph Deys Freiburger Dissertation „ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ. Ein Beitrag zur Klärung der religionsgeschichtlichen Bedeutung von Tit. 3,5“ erschien 1937 90 Vgl. Jacono, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 376: „La dottrina di S. Paolo su la παλιγγενεσία è nuova per la chiesa primitiva? Tutt’altro! È invece dottrina comune, nota a tutti i fedeli nelle sue linee fondamentali.“ („Ist die Lehre des Heiligen Paulus über die παλιγγενεσία neu für die Urkirche? Ganz im Gegenteil! Es handelt sich vielmehr um eine allgemeine Lehre, die allen Gläubigen in ihren Grundlinien bekannt ist.“) 91 Jacono, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 377–380. 92 Mt 28,19; Apg 2,38; 8,36; 10,47 etc. gehören ebenso dazu wie auch jene synoptischen Texte, die im Zusammenhang mit dem Eingehen in die βασιλεία Vergleiche mit dem KindSein bringen (Mk 10,15 parr.; Mt 18,3), von Taufe aber gar nicht sprechen. 93 Jacono, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 380–382. 94 Vgl. Jacono, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 382.

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3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

die erste Monographie zum Thema „Wiedergeburt“. Sie nimmt die strittige religionsgeschichtliche Frage gleich im Titel auf. Dey will mit seiner Untersuchung zeigen, „wie Paulus dazu kam, das Wort Wiedergeburt zur Bezeichnung des von ihm gelehrten Heilsvorgangs zu wählen“,95 wobei er voraussetzt, dass es sich beim Titusbrief um einen genuinen Paulusbrief handelt. Er ermittelt in der Einleitung drei Problemfelder, mit denen er bei der Klärung dieser Frage umzugehen hat: Zum einen bleibt es auch unter der Voraussetzung, dass der Titusbrief von Paulus stammt, bei einem einzigen „paulinischen“ Beleg für eine wörtliche Bezugnahme auf „Wiedergeburt“. Dey markiert das deshalb als auffällig, weil „wir den Gedanken des neuen Lebens in den paulinischen Schriften ausgesprochen finden und sich darum auch die Vorstellung von einer Neugeburt leicht einstellen sollte“.96 Dass „Paulus“ diese Vorstellung aber nur einmal nutzt, sei so gesehen nicht nur verwunderlich, sondern mache es unmöglich, die Bedeutung von παλιγγενεσία in Tit 3,5 aus dem Vergleich mit weiteren paulinischen Belegen für den Gebrauch dieses Wortes zu erheben. Am Ende wird Dey aus dieser Situation dann die Konsequenz ziehen, παλιγγενεσία in Tit 3,5 anhand paulinischer Aussagen zu erklären, die andere sprachliche Ausdrücke benutzen – zum Beispiel das bereits erwähnte „neue Leben“ (mehr dazu s. u. 3.6.4). Zum anderen sieht Dey ein Problemfeld darin, „daß eine so allgemein menschliche und trotz ihrer Alltäglichkeit immer aufs neue wunderbare Tatsache wie die Hervorbringung eines Lebewesens der bildlichen Sprache des täglichen Umgangs wie des wissenschaftlichen Denkens in mannigfacher Übertragung Anschaulichkeit verleihen mußte, und alle Sprachen legen Zeugnis dafür ab, in wie weitem Umfange diese Übertragung stattgefunden hat. Wir werden also annehmen müssen, daß wir das Bild der Wiedergeburt in vielfacher Abstufung von der lebendigsten Wirklichkeit bis zur verblaßten Idee in der Denk- und Ausdrucksweise auf den verschiedensten Gebieten angewandt finden.“ 97 An der Beschreibung dieses zweiten Problemfeldes ist besonders bemerkenswert, dass Dey hier mit den vielfältigen Möglichkeiten, das „Bild der Wiedergeburt“ sprachlich einzusetzen, genau genommen nichts anderes als den metaphorischen Charakter dieser Redeformen beschreibt – ohne das selbst jedoch so zu nennen (vgl. aber die Rede von „Übertragung“). Mit dem Verweis auf die „Alltäglichkeit“ der „Hervorbringung eines Lebewesens“ konstatiert er nichts anderes als die allgemein vorauszusetzende Vertrautheit mit dem Ursprungsbereich der Metaphorik. Indem er diesen Ursprungsbereich außerdem als „Hervorbringung“ bezeichnet, deutet er zugleich an, dass das „Bild der Wiedergeburt“ eigentlich eher als Bild der Hervorbringung und also ohne Betonung auf dem „Wieder-“ zu verstehen ist. Indem er schließlich die „vielfa95 Dey,

ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 132. ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 1. 97 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 1. 96 Dey,

3.6 Joseph Dey

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che Abstufung“ in der Verwendung des „Bild[es] der Wiedergeburt […] von der lebendigsten Wirklichkeit bis zur verblaßten Idee“ anspricht, verweist er, metapherntheoretisch formuliert, auf unterschiedliche Grade der Konventionalisierung der Metapher. All diese vielversprechenden metaphernbewussten Ansätze spielen bei Dey am Ende aber keinerlei Rolle für die konkrete Texterschließung (s. u. 3.6.4). Als drittes Problemfeld benennt Dey die religionsgeschichtliche Fragestellung. In der Art, wie er formuliert, deutet sich bereits ein Ergebnis seiner noch folgenden Untersuchung an: Denn laut Dey „erschwert […] die weitverbreitete Auffassung, daß in der religiösen Umwelt des jungen Christentums die Wiedergeburt eine ganz selbstverständliche Vorstellung gewesen sei“, „das Erfassen des paulinischen Wiedergeburtsgedankens“.98 Für Dey ist dagegen erst einmal zu klären, „ob in anderen Religionen eine Wiedergeburtsvorstellung vorkam und wie sie dort aufgefasst wurde“ 99 (s. u. 3.6.3). Damit ist für Dey der Aufriss seiner Arbeit vorgegeben: Bevor Tit 3,5 im dritten Teil 100 genauer in den Blick kommen kann, widmet sich der umfangreichste zweite Teil einer Untersuchung der eben zitierten religionsgeschichtlichen Frage unter der Überschrift „Die Vorstellungen von der Wiedergeburt in der religiösen Umwelt des Urchristentums“.101 Dem stellt Dey in einem ersten Teil eine „Sprachgeschichtliche Untersuchung“ voran,102 denn: „Da wir ferner zu untersuchen haben, wie Paulus zur Wahl des Wortes παλιγγενεσία kam, wird auch eine philologische Erörterung nötig, in der die Bildung und Geschichte des Wortes zu behandeln ist.“ 103 Dey belegt in seiner Untersuchung somit die gleiche Doppelung der Frage nach „Wiedergeburt“ als Wort einerseits und als Vorstellung andererseits, wie sie sich von Anfang an durch die Untersuchungen zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament zieht (s. o. 2.2.2). 3.6.2 Sprachgeschichtliche Untersuchung von παλιγγενεσία Bereits im ersten  Teil vermischt Dey beide Fragestellungen, indem er nicht allein bei der Untersuchung des Wortes und seiner sprachgeschichtlichen Entwicklung bleibt, sondern von vornherein im Blick behalten will, „ob sich mit dem Wort der Sinn einer wesentlichen Erhöhung im Sein verbindet, wie es für eine religiöse Wiedergeburt ja gefordert werden muß.“ 104 Das kleine „ja“ ist 98 Dey,

ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 1 (Hervorhebung hinzugefügt). ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 1 (Hervorhebung hinzugefügt). 100 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 132–176. 101 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 36–131. 102 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 3–35. 103 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 2 (Hervorhebungen hinzugefügt). 104 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 4 (Hervorhebung hinzugefügt). Die Nähe der Formulierung zu Heitmüller (Wiedergeburt 2009; s. o. 2.2.1) ist auffällig, auch wenn Dey Heitmüllers RGG-­ Artikel nicht im Literaturverzeichnis aufführt, sondern nur die zwei Jahre zuvor erschienene Darstellung zu „Taufe und Abendmahl im Urchristentum“, aus der Heitmüller aber viele Formulierungen identisch in den späteren Lexikonartikel übernommen hat. 99 Dey,

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3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

aufschlussreich, denn es offenbart jene Vorannahmen, von denen Dey ohne weitere Diskussion oder auch nur Bewusstmachung ausgeht, nämlich dass es in Tit 3,5 mit παλιγγενεσία um „religiöse Wiedergeburt“ gehe, die eine „wesentliche Erhöhung im Sein“ beinhalte. Die Frage, die ihn im ersten Teil nun beschäftigt, ist, ob παλιγγενεσία in einem solchen Sinn bereits im philosophischen und allgemeinen Sprachgebrauch der Zeit zu finden ist 105 und dort also der Ursprung für die „paulinische“ Verwendung des Wortes zu finden sein könnte. Das Ergebnis ist letztlich ein negatives. Die dafür von Dey angelegte umfangreiche Textsammlung mit Belegen von παλιγγενεσία ist jedoch auch ohne die kritisch zu bewertende Zuspitzung seiner Fragestellung bis heute wertvoll. Sie zeigt noch breiter als das bereits bei Büchsel (s. o. 3.4.3) der Fall war, den vielfältigen Gebrauch von παλιγγενεσία in der Stoa,106 in der auf Pythagoras zurückgeführten Seelenwanderungslehre 107 und vor allem in der Alltagssprache auf,108 wo παλιγγενεσία in unterschiedlichster Weise angewendet wird: Die Möglichkeiten reichen vom Ausdruck wiedererlangter Freiheit nach der Rückkehr aus dem Exil bei Cicero (Epistulae ad Atticum 6,6 § 4) 109 über die Restitution des Gottesvolkes im Heimatland nach dem Babylonischen Exil bei Josephus (Ant. 11,66) bis hin zur merkwürdigen Geschichte von der toten Fliege, die mit Asche bedeckt zu neuem Leben erwacht bei Lukian (Muscae encomium 7). Philo kann Seth als παλιγγενεσία Abels bezeichnen (Post. 124), ebenso wie Plutarch (De Iside et Osiride 364 F) παλιγγενεσία zur Beschreibung der Wiederzusammensetzung und Belebung des zerstückelten Osiris benutzt oder aber Galen (De compositione medicamentorum secundum locos 13,83,15) von παλιγγενεσία redet, wenn eine bereits behandelte Krankheit erneut zum Ausbruch kommt.110

Dey kann in allen zusammengetragenen Belegen keine Entwicklung zu einem höheren Sein erkennen: „Es handelt sich immer um das Wiederbringen eines

105 Der „religiöse“ Sprachgebrauch wird zwar auch im ersten Teil schon betrachtet, kommt aber im zweiten Teil von Deys Untersuchung noch intensiver in den Blick, wobei dort die Konzentration auf der Vorstellung von „Wiedergeburt“ liegt und sich tatsächliche Belege für παλιγγενεσία fast ausschließlich im Hermetismus finden (s. u. 3.6.3). 106 Vgl. Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 6–13. Für die Lehre der älteren Stoiker gibt es nur Hinweise aus späteren Texten, besonders Philos Stoikerreferate werden hier daher, nicht nur von Dey, immer wieder zitiert, vgl. bes. Philo, Aet. 89 ff. 107 Vgl. Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 13–24. Auch zu Pythagoras gibt es keine direkten Quellen. Als frühsten Beweis, dass der Begriff παλιγγενεσία mit Anschauungen des Pythagoras zusammengebracht wird, erwähnt Dey das Scholion zu Sophokles, Electra 62, das er ins 1. Jahrhundert v. Chr. datiert (ebd. 16 f.). Eine wichtige Quelle für die Lehre von der Seelenwanderung ist sowohl bei Dey als auch bei anderen außerdem Plutarch (vgl. z. B. Plutarch, De esu carnium 998 C und 996 C; De Iside et Osiride 379 F). 108 Vgl. Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 25–30. 109 Im lateinischen Text des Briefes verweist Cicero auf seine metaphorische παλιγγενεσία in griechischen Buchstaben. 110 Bei Ps.-Galen (De theriaca ad Pamphilianum 14,305,10) wird auch die Genesung eines Todkranken als παλιγγενεσία bezeichnet (vgl. Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 28 f.).

3.6 Joseph Dey

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früheren Zustandes ohne wesentliche Änderung.“ 111 Die sprachgeschichtliche Entwicklung zeige insgesamt Folgendes: Ein festgeprägter Fachausdruck für die religiöse Wiedergeburt ist im ersten Jahrhundert v. Chr. noch nicht bezeugt. Παλιγγενεσία bedeutet als philosophischer Begriff bei den Stoikern Wiederentstehung und in der Seelenwanderungslehre Wiedergeburt. Darüber hinaus wird es in der Umgangssprache, wenigstens der Gebildeten, im Sinn einer Wiederentstehung, Wiederherstellung, Erneuerung gebraucht, und zwar für Sachverhalte und Vorgänge politischer, naturwissenschaftlicher, medizinischer, allgemeiner Natur. Besonders Philo macht von dem Wort mannigfachen Gebrauch. Es fehlt aber überall der Gedanke, daß durch diese Erneuerung auch eine Erhöhung des menschlichen Wesens bewirkt wird.112

Für Tit 3,5 ergibt sich darum laut Dey nur, dass das Wort „als Allgemeingut zur Verfügung“ stand und es nicht verwunderlich sei, wenn es daher auch im Neuen Testament vorkomme. Dey betont aber zugleich, dass das Wort im Neuen Testament „einen bestimmten, neugeprägten Sinn erhält.“ 113 Woher dieser spezifische Sinn kommt, bleibt hier freilich noch offen (vgl. dazu Deys dritten Teil, s. u. 3.6.4); worin er besteht, weiß man aus der eingangs zitierten Interessenlage Deys aber zumindest schon in groben Zügen, nämlich in einer „wesentlichen Erhöhung im Sein“ (s. o.). 3.6.3 „Vorstellungen von der Wiedergeburt“ in der Religionsgeschichte Im zweiten Teil seiner Untersuchung wendet sich Dey ganz den religionsgeschichtlichen Parallelen, vor allem den Mysterienreligionen zu, die die Forschung bis dahin immer wieder als Ursprung der Vorstellung von „Wiedergeburt“ diskutiert habe. Sein Ergebnis gestaltet sich in vielerlei Hinsicht kritisch gegenüber dieser These. Gleich zu Beginn betrachtet Dey die schwierige Quellenlage.114 Anders als noch Heitmüller und andere Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule in ihrer Blütezeit sieht Dey aus der zeitlichen Distanz besser, dass sich die hochgesteckten Hoffnungen nicht erfüllt haben und viele der postulierten Abhängigkeiten durch die weitere Erforschung der Quellen nicht überzeugend mit eindeutigen Textbelegen gestützt werden konnten. Die „unübersehbare Mysterienliteratur der letzten Jahrzehnte“ zeige zwar, „welche Anstrengungen die Wissenschaft gemacht hat, um die Geheimnisse der Mysterienreligionen zu entschleiern.“ Es sei aber kein Ergebnis erreicht worden, „das allgemein zur Zustimmung zwingt.“ 115 Dey schreibt das vor allem der „ungenügenden Über111 Dey,

ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 33. ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 125. Dey liefert an verschiedenen Stellen wiederholt Zusammenfassungen seiner bisherigen Ergebnisse. So bietet die Zusammenfassung am Ende des zweiten Teils, aus der Abschnitt hier zitiert ist, zugleich auch eine Zusammenfassung des ersten Teils. 113 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 33. 114 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 36–40. 115 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 36. 112 Dey,

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3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

lieferung“ zu und formuliert in diesem Zusammenhang Bedenken, die bis heute nicht an Berechtigung verloren haben:116 Wir haben keine Darstellung im Zusammenhang, sondern nur Bruchstücke […]. Dazu kommt, daß der antike Autor, der uns etwas überliefert, vielleicht selbst die Sache nicht richtig verstanden hat […]. Schließlich wissen wir auch nicht, ob Erscheinungen, die aus verschiedenen Zeiten getrennt bezeugt sind, jemals gleichzeitig zusammen bestanden […]. Mit Recht ist auch schon öfters auf die Zeit aufmerksam gemacht worden, aus der unsere Zeugnisse stammen; sie sind doch immerhin manchmal ziemlich weit, oft um Jahrhunderte, von der urchristlichen Zeit entfernt.117

Angesichts dieser Evaluation der Lage ist es fast erstaunlich, dass Dey sich im Folgenden dennoch ausführlicher mit einzelnen Mysterienreligionen näher befasst. Er tut dies ausdrücklich unter Betonung der dünnen Quellenlage und mit dem Interesse, solchen Hypothesen entgegenzutreten, die aus den Bruchstücken ganze Gedankengebäude rekonstruieren zu können meinen.118 Vielmehr gelte: „Wir haben uns darüber Rechenschaft zu geben, ob sich überhaupt der Gedanke [der ‚Wiedergeburt‘] findet, und bejahendenfalls, in welchem Sinn er aufzufassen ist“.119 Dey untersucht darauf hin ausführlich die verfügbaren Quellen zu den eleusinischen Mysterien, zum Taurobolium im phrygischen Kult, zur Isisweihe bei Apuleius, zum Mithrasdienst, zu den apollinarischen Spielen und dem Fest Pelusia und zur sogenannten „Mithrasliturgie“.120 Er widmet dann einen Abschnitt den Bildern und Worten, die in Philos Schriften „dem Denken und der Sprache der Mysterien entnommen sind“,121 und kommt schließlich in einem letzten Abschnitt auf den Hermetismus zu sprechen.122 Deys Erkenntnisse müssen hier nicht im Detail wiedergegeben werden. Vieles bleibt erwartungsgemäß (s. o.) vage oder kann aufgrund der Quellenlage nicht mit Sicherheit erschlossen werden. Insgesamt kann Dey in den Mysterienreligionen und den „anderen religiösen und soteriologischen Systeme[n] des Hellenismus“ „die Idee der Wiedergeburt“ 123 nicht finden, die das Neue Testament bzw. der Titusbrief dann hätten übernehmen können. Immerhin stellt Dey aber fest: „Wir 116 Dey ist allerdings auch nicht der erste, der solche Bedenken äußert, vgl. z. B. schon Büchsel (s. o. 3.4). 117 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 36 f. 118 Vgl. Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 39. Diesbezüglich kritisiert Dey besonders Reitzenstein sehr deutlich, dessen „methodische Prinzipien und Ausgangspunkte [es] auch nicht zu[lassen], seine Arbeiten öfter heranzuziehen“ (ebd. 39). Ähnlich fällt auch in neuerer Zeit die Kritik bei Zeller (Mysterien 504) aus: „Man darf auch nicht die Lücken in der Kenntnis eines [Mysterien-]Kultes durch Daten eines anderen oder aus Hermetik, Gnosis und Magie auffüllen, wie das in der Religionsgeschichtlichen Schule (Dieterich, Reitzenstein) üblich war.“ 119 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 40. 120 Siehe Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 40–109. 121 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 109. 122 Siehe Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 117–125. 123 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 132.

3.6 Joseph Dey

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können […] in die weitere Untersuchung den Eindruck mitnehmen, daß es sich in der Wiedergeburt um ein Menschheitsproblem der ausgehenden Antike handelt, um das Bewußtsein von einem folgenreichen Vorgang in der menschlichen Existenz.“ 124 Mit dieser Beobachtung liegt Dey auffällig nah bei dem, was Reinhard Feldmeier später dann als „geistiges ‚Klima‘“ der damaligen Zeit beschreiben wird, in welchem „diese Metapher [der Wiedergeburt] sozusagen ‚in der Luft‘“ gelegen habe.125 In seiner Zusammenfassung des zweiten Teils, in der Dey plötzlich wieder von der Vorstellung zum Wort παλιγγενεσία wechselt, geht er diesbezüglich jedoch wieder einen Schritt zurück: „Im religiösen Sprachgebrauch, d. h. als Bezeichnung für die Herstellung einer Beziehung zwischen den Menschen und der Gottheit, ist das Wort vor Paulus nicht bezeugt“.126 3.6.4 Anwendung der sprach- und religionsgeschichtlichen Ergebnisse auf Tit 3,5 Im dritten Teil seiner Untersuchung kommt Dey dennoch noch einmal auf die gedankliche Möglichkeit zurück, „daß Paulus ein Wort der Mysteriensprache übernommen und eine Mysterienvorstellung in sein System eingebaut hat.“ 127 Wieder orientiert er sich vorrangig am Wort und betrachtet als mögliche Herkunftsbereiche des „paulinischen“ παλιγγενεσία-Gebrauchs (obwohl zeitlich erst später bezeugt, s. o. 3.6.3) zuerst den Hermetismus, innerhalb dessen πα­ λιγ­γενεσία mehrfach belegt ist, nimmt dann auch die „Mithrasliturgie“ und die Beschreibungen der Isisweihe und der apollinarischen Spiele hinzu, kommt aber zu keinem tragfähigen Ergebnis. Auf der Seite des Hermetismus fehlen Dey „sittliche Gedanken“, die den Prozess der Vergeistigung begleiten, während eine Vorstellung der Vergottung wiederum bei „Paulus“ keinen Anhalt findet.128 Die „Mithrasliturgie“ weist für Dey zu viele magische Elemente auf, mit denen die Gottheit zum Handeln bewegt werden soll.129 Bei der Isisweihe gehe es vorrangig um die „Befreiung von der schädlichen Macht des Schicksals“.130 Bei den apollinarischen Spielen schlägt neben anderen Argumenten dann erneut, wie beim Hermetismus, der fehlende sittliche Gedanke negativ zu Buche. In der Betonung ethischer Aspekte als Differenzmerkmal zwischen der Mysterienwiedergeburt und der neutestamentlichen Vorstellung befindet sich Dey 124 Dey,

ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 132; vgl. ähnlich auch schon 127 f. Wiedergeburt 80 (mehr dazu s. u. 5.8). Auch Zeller (Mysterien 522) beschreibt die durch die Betrachtung der Mysterien in allgemeiner Weise deutlich werdende „Heilserwartung weiter Kreise und das Bedürfnis nach einer persönlichen Religion, in der das menschliche Dasein mit seinen Höhen und Tiefen aufgehoben ist.“ 126 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 125. 127 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 139. 128 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 139. 129 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 140. 130 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 141. 125 Feldmeier,

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3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

hier in auffälliger Übereinstimmung mit Heitmüller. Für diesen lag darin aber keineswegs ein Argument gegen die Mysterienherkunft der „Wiedergeburt“, sondern vielmehr nur der Beleg für die andere ethische „Höhenlage“, in der die übernommenen Bilder und Inhalte auftreten.131 Für Dey dagegen ist der „religionsgeschichtliche Versuch“ – wie er den ganzen Abschnitt 132 überschreibt – an dieser Stelle endgültig gescheitert. Er konstatiert: „Eine Übereinstimmung des jeweiligen Wiedergeburtsbegriffes besteht demnach nur bezüglich der formalen Elemente: Wiederholung der Entstehung oder Geburt, Erneuerung.“ 133 Und das heißt, „daß die den verglichenen Religionen gemeinsamen Elemente des Begriffes genau so im außerreligiösen Sprachgebrauch anzutreffen sind […]. Wenn man also an eine Übernahme des Wortes durch den hl. Paulus denken will, […] wird es richtiger oder wenigstens sicherer sein, zunächst an die Anwendungen in der Sprache des profanen Lebens zu denken.134 Damit ist Dey wieder beim Ergebnis seines ersten Teils angelangt (s. o. 3.6.2) und das heißt: Mit großer Wahrscheinlichkeit hat „Paulus“ in Tit 3,5 mit παλιγγενεσία ein Wort des „profanen Lebens“ übernommen, dessen dortiger Gebrauch keine spezifische religiöse Bedeutung erkennen lässt. Von hier aus hätte Dey nun in Aufnahme der oben (3.6.1) zitierten einleitenden Bemerkungen, die so viel von einem Metaphernbewusstsein erkennen ließen, entsprechend weiterarbeiten können. Die „formalen Elemente: Wiederholung der Entstehung oder Geburt, Erneuerung“, die Dey anführt,135 hätten erste Anhaltspunkte für die Erschließung des metaphorischen Gebrauchs von παλιγγενεσία in Tit 3,5 bieten können, um den „bestimmten, neugeprägten Sinn“ 136 an dieser Stelle zu ermitteln. Dey geht diesen Weg jedoch nicht, weil er nicht in Betracht zieht, dass der religiöse Sinn von παλιγγενεσία in Tit 3,5, nach dem er sucht, gar nicht im Wort liegen muss, sondern vielmehr aus dem Gebrauch in einem bestimmten Kontext erst entstehen könnte.137 Dey bleibt vielmehr fixiert auf das Einzelwort. Nachdem er die Mysterien als Quelle für den religiösen Sinn von παλιγγενεσία ausgeschlossen hat (und die Alltagssprache nur den ersten, jedoch zu unspezifischen Ausgangspunkt bildet), versucht er nun – wie in der „Wiedergeburts“-Forschung auch sonst zu beobachten –, „die neutestamentliche Wiedergeburtsvorstellung aus dem AT zu erklären“.138 Auch dieser Versuch scheitert, denn Dey findet hier nur „Weis131 Heitmüller,

Wiedergeburt 2014; s. o. 2.2.3. ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 139–141. 133 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 141. 134 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 141 135 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 141; s. o. 136 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 33; siehe dazu schon oben 3.6.2. 137 Hier trifft er sich mit Büchsel (s. o. 3.4.3), der ebenfalls herausgearbeitet hatte, dass πα­λιγγενεσία in übertragener Weise eine alltägliche Verwendung fand, dieser Erkenntnis aber für Tit 3,5 ebenfalls keine Relevanz einräumte. 138 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 142(–151). In diesem Zusammenhang setzt sich Dey vor allem mit den Thesen von Procksch (s. o. 3.2) kritisch auseinander. 132 Dey,

3.6 Joseph Dey

73

sagungen“ von „Wiederherstellung und Erneuerung der Welt in der Endzeit“, aber keine Deutung als „Erneuerung des einzelnen in der Gegenwart“,139 die als Quelle für das „paulinische“ παλιγγενεσία-Verständnis hätte dienen können. Er kommt als Nächstes daher zum Neuen Testament 140 und untersucht die dortigen „Wiedergeburtsvorstellungen“ anhand der bereits aus der übrigen „Wiedergeburts“-Forschung wohlbekannten Texte 1 Petr 1,3 f.23; Joh 3,3–8; 1,13; 1 Joh 2,29; 3,9 f.; 4,7; 5,1 f.4 und Jak 1,18. Im Wesentlichen orientiert er sich hier also an wörtlichen Äquivalenten zu „Wiedergeburt“, wobei die Texte aus dem Ersten Johannesbrief ebenso wie Jak 1,18 zeigen, dass einer Repräsentation des „Wieder-“ kein entscheidender Stellenwert zukommt.141 In der Summe führt Dey „die Wiedergeburtsvorstellungen in den Schriften des NT, die nicht von Paulus stammen“ und die er bis dahin immerhin als plurale Vorstellungen versteht, auf einen Gedanken zurück. Es handle sich um einen Gedanken, „der dem Urchristentum vertraut war. Wort und Begriff der Wiedergeburt müssen den Christen geläufig gewesen sein; andernfalls hätte gerade in den Briefen nicht ohne jede Erklärung von Wiedergeburt gesprochen werden können.“ 142 Auffällig ist (und wird später bei Goppelt 143 noch greif barer), dass dieses als vertraut und geläufig Beschriebene weitgehend ohne inhaltliche Präzisierung bleibt. Die Zusammenfassung der angeblich von „den Christen“ insgesamt geteilten Vorstellung reduziert sich auf den Hinweis, dass es sich um eine „Taufanschauung“ handle.144 Inhaltsschwerere Beschreibungen gibt es bezeichnenderweise immer nur dort, wo Dey zuvor die Einzeltexte bespricht.145 Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Bedeutung von παλιγγενεσία in Tit 3,5 auch anhand der anderen „Wiedergeburts“-Texte des Neuen Testaments noch nicht erschöpfend geklärt ist. Dey schließt vielmehr ein weiteres Kapitel an mit dem Versuch, „die Wiedergeburtsvorstellung bei Paulus aus seinen Gedanken und Sprachformen zu erklären.“ 146 Von Tit 3,5 ausgehend und hier vor allem vom Begriff der ἀνακαίνωσις, dehnt Dey seinen Blick auf das gesamte Corpus Paulinum aus. Das erweist sich als ergebnisreicher – allerdings nur deshalb, weil Dey die Fragestellung dabei von „Wiedergeburt“ zu „Erneuerung und Neuschöpfung“, „Auferstehung und neues Leben“ und „Gotteskindschaft“ 147 verschiebt. Mit diesem Wechsel zu anderen Ursprungsbereichen ist –

139 Dey,

ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 149. ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 151–156. 141 Das entspricht den Aussagen Deys in der Einleitung (s. o. 3.6.1). 142 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 156. 143 S. u. 4.2. 144 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 154. 145 Vgl. Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 151–155. 146 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 157(–175). 147 So lauten die Unterüberschriften bei Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 157.163.169. 140 Dey,

74

3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

wie so oft in der „Wiedergeburts“-Forschung 148 – zugleich der Wechsel vom Begriff zur „Sache“ vollzogen. Das Fazit Deys lautet wie folgt: Paulus gibt keine nähere Erklärung des Wortes an unserer Stelle. Soweit uns aber der Zusammenhang Aufschluß über seine Bedeutung gibt, zeigt sich sachliche Übereinstimmung mit Gedanken, die er sonst öfters ausspricht, mit der Lehre von der durch die Taufe vermittelten Neuschöpfung und Auferweckung.149

3.7 Erweiterung um eine dogmatisch-kirchliche Fragestellung: Wolfgang Schweitzers unveröffentlichte Dissertation (1943) Nur wenige Jahre nach Dey (s. o. 3.6), der seine Doktorarbeit 1937 an der Katholisch-Theologischen Fakultät Freiburg (Breisgau) einreichte, wird 1943 eine weitere Dissertation zum Thema „Wiedergeburt“ abgeschlossen, dieses Mal in Tübingen und von einem evangelischen Theologen.150 Wolfgang Schweitzer zeigt bereits im Titel seiner Arbeit, „Gotteskindschaft, Wiedergeburt und Erneuerung im Neuen Testament und in seiner Umwelt“, eine sehr breite thematische Perspektive an. Leitend bleibt für ihn dabei zwar die Frage nach „Wiedergeburt“, er will sie aber weniger exegetisch als vor allem „theologisch-­ kirch­lich“ auffassen. Als „willkürlich“ herausgegriffene Problemstellungen nennt er unter anderem folgende Fragen: In welcher Weise unterscheiden sich die Wiedergeborenen von den Nichtwiedergeborenen? Ist Wiedergeburt identisch mit der Taufe? Oder bezeichnet sie einen besonderen, geistgewirkten Bekehrungsvorgang? Wie verhält sie sich zur Rechtfertigung, zum Glauben, zur Eschatologie?151

Es sind aber nicht so sehr die Einzelfragen, die Schweitzer klären will: „Der Begriff der Wiedergeburt, um den es uns ja vor allem geht, hat nur dann einen legitimen Platz in der kirchlichen Verkündigung, wenn seine Stellung und sein Inhalt im NT unanfechtbar sind.“ 152

148 Mit Ausnahme von Büchsel ist diese Themenerweiterung und -verschiebung in allen bisher betrachteten Beiträgen festzustellen und wird auch nach Dey noch häufig zu beobachten sein. 149 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 175 (Hervorhebungen hinzugefügt). 150 Dass Schweitzers Arbeit unveröffentlicht bleibt, ist den politischen Umständen der Entstehungszeit geschuldet. Schon dass er sie überhaupt schreiben konnte, war alles andere als selbstverständlich. Als „Halbjude“ wurde Schweitzer 1940 während des Frankreichfeldzugs aus der Wehrmacht ausgeschlossen, durfte wegen seiner Herkunft aber auch sein Theologiestudium in Tübingen nicht offiziell fortsetzen. Studium und Promotion beendet er 1942 und 1943 daher ohne Genehmigung im Geheimen (vgl. zu den Lebensumständen Schweitzers ausführlicher Röhm / Thierfelder, Juden 490–509). 151 Schweitzer, Gotteskindschaft 1. 152 Schweitzer, Gotteskindschaft 380 (Hervorhebung hinzugefügt).

3.7 Wolfgang Schweitzer

75

Um diese Legitimität der kirchlichen Rede von „Wiedergeburt“ zu begründen, sieht sich Schweitzer vor die Aufgabe gestellt, das inhaltlich Einende herauszuarbeiten. Was dabei auf dem Spiel steht, formuliert er unmissverständlich deutlich: Hier geht es um die Frage nach der Einheit der n.t.-lichen Botschaft von der Wiedergeburt und Erneuerung. Denn nur, wenn eine solche Einheit vorhanden ist, haben wir theologisch das Recht, den offenbar erst spät in das N. T. eingedrungenen Begriff Wiedergeburt zu verwenden: Im andern Fall muß zumindest eine an Jesus und Paulus sich orientierende Theologie diesen Begriff als einen Fremdkörper aus den systematischen Erwägungen und der kirchlichen Verkündigung entfernen.153

Schweitzers exegetische Arbeit ist daher von vornherein unter eine klare Zielvorgabe gestellt, die sich jedoch nicht aus den Texten selbst, sondern aus einer übergeordneten dogmatischen Fragestellung ergibt. Bereits bei Heitmüller war zu beobachten gewesen, dass die dort erstmals so deutlich exegetisch profilierte Frage nach „Wiedergeburt“ sich letztlich einer vorauslaufenden dogmen- und frömmigkeitsgeschichtlichen Diskussion verdankt (s. o. 2.2.4). Während Heitmüller diese Ursprünge der Fragestellung aber nicht weiter reflektiert, sondern einfach zum Ausgangspunkt einer nun neutestamentlich orientierten (und für ihn damit notwendig auch religionsgeschichtlichen) Untersuchung macht, ist sich Schweitzer dieser in ihrem Kern eigentlich dogmatisch-kirchlichen Fragestellung deutlich bewusst und bleibt ihr auch bis zum Schluss seiner exegetischen Analysen als übergeordneter Frage verhaftet.154 Er kombiniert sie mit einer zweiten Fragestellung, die aus der bisherigen Forschung auch bereits gut bekannt ist, nämlich mit der Frage nach der religionsgeschichtlichen Verortung der christlichen „Wiedergeburts“-Vorstellung. Auch hier machen sich Schweitzers kirchlich-dogmatische Interessen aber von vornherein bemerkbar, indem er die religionsgeschichtliche Betrachtungsweise zwar für unerlässlich hält, sie zugleich jedoch klar der theologischen Fragestellung unterordnet:155 Die religionsgeschichtliche Arbeit sei „Dienerin einer 153 Schweitzer,

Gotteskindschaft 13. Schweitzer nach dem Krieg ab 1955 als Professor für systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Bethel tätig war (vgl. Röhm / ‌Thierfelder, Juden 507), überrascht kaum, denn dieses Interesse deutet sich bereits in seiner neutestamentlichen Dissertation allenthalben als Tendenz an. 155 Schweitzer äußert ein deutliches „Mißtrauen“ (Gotteskindschaft 14) gegenüber einem Ausufern und der Loslösung der religionsgeschichtlichen Arbeit vom Neuen Testament, wie er sie in der Betrachtung der bisherigen Forschungsgeschichte feststellen kann. Schwei­tzers Überblick über die damalige Forschungsgeschichte ist zwar knapp (ebd. 1–11), aber breit angelegt und berücksichtigt nicht nur Beiträge zur „Wiedergeburt“ im engeren Sinne, sondern vor allem auch religionsgeschichtlich orientierte Untersuchungen allgemeinerer Art (z. B. Reitzenstein, Mysterienreligionen; Perdelwitz, Mysterienreligion; Norden, Geburt). Eben-­ so wie er eine zu stark losgelöste religionsgeschichtliche Untersuchungsweise mit Befremden sieht, merkt er aber z. B. auch deutlich an, dass Harnacks „Terminologie der Wiedergeburt“ (s. o. 3.1) zwar einen „ausgezeichnete[n] Überblick über die mannigfaltigen Ausdruckswei154 Dass

76

3. Religionsgeschichtliche Herleitungen

Geschichte der Theologie, die ihr den rechten Platz und die Grenzen zuweist. Zu lange hat man die religionsgeschichtlichen Analogien nur ausserhalb [sic] des Hauses gesucht und sich drinnen nicht mehr zurecht gefunden.“ 156 In diesem Sinne versteht sich der erste Hauptteil von Schweitzers Untersuchung, der die „Gotteskindschaft, Wiedergeburt und Erneuerung in der Umwelt des Neuen Testaments“ betrachtet,157 als Vorarbeit für den zweiten, exegetischen Hauptteil, der mit einer großen Menge neutestamentlicher Texte aufwartet: Schweitzer geht hier von „Umkehr und Erneuerung in der Predigt Jesu“ aus,158 betrachtet weitere synoptische und Acta-Texte,159 behandelt die „Lehre des Paulus von der Gottessohnschaft und Erneuerung und ihre Annäherung an den Wiedergeburtsgedanken“ 160 und gelangt schließlich auch zu den im engeren, wörtlichen Sinne als „Wiedergeburts“-Texte zu bezeichnenden Passagen 1 Petr 1,3.23; Joh 3,3.7; Tit 3,5, zu denen bei Schweitzer auch Jak 1,18 und Barn 6,11 ff. hinzukommen.161 Dass Schweitzer zur Klärung der „Einheit der n.t.-lichen Botschaft von der Wiedergeburt“162 die Textbasis mittels der Aussagen zur Gotteskindschaft und Erneuerung beträchtlich erweitert, erscheint zuerst befremdlich. Denn Schweitzer handelt sich damit freiwillig eine sehr breite und gerade nicht einheitlich wirkende Textbasis ein, ohne zur Begründung dieser umfassenden Erweiterung des Themas mehr zu sagen, als dass Gotteskindschaft und Erneuerung „die wichtigsten ‚Nachbarbegriffe‘ zu sein“ scheinen.163 In der exegetischen Ausarbeitung zeigt sich dann aber, wie es schon bei anderen Untersuchungen zum Thema der Fall war,164 dass die breite Textbasis zugleich die Möglichkeit gibt, sen des N. T. und der ältesten Kirchenväter“ biete, dies aber unter „bewusster Ausschaltung der religionsgeschichtlichen Fragestellung“ (Schweitzer, Gotteskindschaft 5) tue. 156 Schweitzer, Gotteskindschaft 13. 157 Schweitzer, Gotteskindschaft 17–170. Neben den vieldiskutierten Belegen aus den Mysterienkulten bezieht Schweitzer ebenso auch die Rede von Gotteskindschaft und Erneuerung in alttestamentlichen Texten und frühjüdischen Quellen ein. 158 Schweitzer, Gotteskindschaft 171. 159 Schweitzer, Gotteskindschaft 180–227. 160 Schweitzer, Gotteskindschaft 228–305. 161 Schweitzer, Gotteskindschaft 305–367. Die religionsgeschichtlichen Vorarbeiten führen Schweitzer u. a. zu der Vermutung, dass Tit 3,5 „durch analoge Vorstellungen in den Mysterien“ zum Begriff der παλιγγενεσία gelangt sei (ebd. 315). Auch dass 1 Petr 1,3.23 „eben bekehrte Christen ‚Wiedergeborene‘“ nennt, erklärt sich für Schweitzer als Übernahme eines „Ausdruck[s] der Mysterien“ (ebd. 340), der hier allerdings auch noch beeinflusst sei durch den „spätjüdische[n] Vergleich eines Proselyten mit einem neugeborenen Kind“ (ebd.). – Diesen rabbinischen Vergleich (vgl. vor allem b Jev 22 a) betrachtet später Sjöberg (s. u. 4.1) ausführlicher. – Die Belege zur „Wiedergeburt“ bei Johannes erklärten sich nach Schweitzer dagegen „fast ausschließlich aus gnostischen Traditionen“ (ebd. 367). All das bleibt jedoch ohne eindeutige Belege und führt das Textverständnis nicht entscheidend weiter. 162 Schweitzer, Gotteskindschaft 13; s. o. 163 Schweitzer, Gotteskindschaft 12. 164 So besonders bei Harnack, Terminologie; s. o. 3.1.

3.7 Wolfgang Schweitzer

77

auf einer sehr allgemeinen Ebene entsprechend allgemeine Übereinstimmungen und breit angelegte Entwicklungslinien festzustellen. Um „Wiedergeburt“ geht es dabei nicht mehr so sehr im engeren Bezug auf wörtliche Ausdrücke, sondern – wie es die Erweiterung um die Themen der Gotteskindschaft und Erneuerung zeigt – in einem viel weiteren Sinne. Insgesamt ist somit auch Schweitzers Untersuchung von „Wiedergeburt“ stark von einem ungeklärten Nebeneinander der Fragen nach dem „Begriff “ und nach den „Anschauungen“ geprägt:165 Die festen Begriffe „Wiedergeburt“, „wiedergeboren“, „neugeboren“, „Geburt von oben“, „Geburt aus Gott“ usw. finden wir erst in den späten nt-lichen Schriften, nämlich in den Petrusbriefen, bei Johannes (Briefe und Evang.), im Jakobusbrief und im Titusbrief […]. Aber schon in den Synoptikern und in der Apostelgeschichte können wir wichtige Vorstufen dieser Lehre finden, ebenso bei Paulus. Bestimmte Anschauungen waren schon in der Urgemeinde vorhanden, ehe die in Frage kommenden Worte aufgenommen wurden und von diesen Anschauungen ihr spezifisches Gepräge erhielten.166

Am Schluss versucht Schweitzer alles zusammenzubinden, „Wiedergeburt“ als dogmatischen Topos und als kirchlichen Begriff zu erhalten, aber dabei auch die „Mannigfaltigkeit der nt-lichen Aussagen“,167 die die exegetische Betrachtung herausgestellt hat, nicht zu übergehen. Das kann letztlich aber nur mittels einer Relativierung des Begriffs gelingen: Den Geist Gottes können wir nicht einfangen in unsere Begriffe – weder in den Begriff „Wiedergeburt“ noch in den der „neuen Kreatur“. Solange es durch diese Begriffe hindurchleuchtet, daß es um eine Begegnung mit dem lebendigen Christus geht und um ein Leben in seiner Gegenwart, die uns umformt und uns die Gewißheit des ewigen Lebens gibt: solange diese entscheidenden Dinge deutlich sind, mögen die Begriffe wechseln wie sie wollen und mögen kommen, woher sie wollen. Ob man dann von Umkehr, Nachfolge, Adoption, Erneuerung, Geburt aus Gott oder Wiedergeburt spricht: Die Wirkung ist die gleiche – eben weil es der lebendige Christus ist, der hier an uns handelt.168

Metapherntheoretisch betrachtet heißt das nichts anderes, als dass auch Schwei­ tzer „Wiedergeburt“ vor allem als eine (als solche wiederum auch ersetzbare) Bezeichnung eines Zielbereiches versteht, für dessen metaphorische Elaborierung in den Texten ganz unterschiedliche Ursprungsbereiche eingesetzt werden können. Zu einer präziseren Wahrnehmung dessen, was mit der Rede von „Wiedergeburt“ in den neutestamentlichen Texten gemeint sein könnte, trägt diese Sicht nicht bei.

165 Siehe

dazu schon Heitmüller (oben 2.2.2) u. ö. in der Forschungsgeschichte. Gotteskindschaft 171. 167 Schweitzer, Gotteskindschaft 394. 168 Schweitzer, Gotteskindschaft 395. 166 Schweitzer,

4. Kapitel

Zögerliche Neuanfänge nach dem 2. Weltkrieg Die Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament wird nach dem Ende des 2. Weltkriegs nur sehr zögerlich wieder aufgenommen. Erik Sjöbergs Beitrag „Wiedergeburt und Neuschöpfung im palästinischen Judentum“ von 1951 (s. u. 4.1) ist genau genommen eher eine Quellenstudie, die der neutestamentlichen Forschung zuarbeiten will und in der Sjöberg sich eines Urteils ausdrücklich enthält und selbst keine Anwendung seiner Ergebnisse auf die neutestamentlichen Texte vornimmt. Erst Leonhard Goppelts Artikel zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament in der dritten Auf lage der RGG greift die Frage 1962 erneut dezidiert neutestamentlich auf (s. u. 4.2). Ansonsten bleibt es bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts ruhig um das Thema – zumindest im Hinblick auf publizierte Beiträge: Es gibt allerdings mehrere englischsprachige Qualifikationsarbeiten, die zum Thema „regeneration“ bzw. „rebirth“ in neutestamentlicher Perspektive in der zweiten Jahrhunderthälfte entstehen (s. u. 4.3), die aber alle nicht veröffentlich sind und daher auch im Rahmen der Forschungsgeschichte kaum eine Rolle spielen.

4.1 Mögliche jüdische Wurzeln der „Wiedergeburt“, näher betrachtet von Erik Sjöberg (1951) Erik Sjöberg nimmt es sich in seinem Beitrag „Wiedergeburt und Neuschöpfung im palästinischen Judentum“ vor, die von der Religionsgeschichtlichen Schule weithin vernachlässigten jüdischen Parallelen für die „urchristliche Vorstellung von der Wiedergeburt in der Taufe“ zu sichten.1 Mit den neutestamentlichen Texten selbst befasst er sich dabei nicht, übernimmt aber, wie in der Formulierung deutlich wird, die Annahme eines engen Zusammenhangs von „Wiedergeburt“ und Taufe. Ebenso folgt er der von der Forschung bereits vorgeprägten Zusammenstellung von „Wiedergeburt“ und „Neuschöpfung“ und sucht für beide Vorstellungen nach Parallelen im jüdischen Schrifttum. In der Regel differenziert er hier aber relativ deutlich und kommt auch in der Zusammenfassung am Ende seines Beitrags zu unterschiedlichen Ergebnissen: Während er für die neutestamentlichen Vorstellungen von der Neuschöpfung feststellen kann, dass diese „im Judentum bereit[lagen] und […] vom Ur1 Vgl.

Sjöberg, Wiedergeburt 44.

80

4. Zögerliche Neuanfänge

christentum übernommen und verwertet werden“ konnten, seien beim „Wiedergeburtsgedanken […] die Dinge komplizierter“:2 Die Herausforderungen beginnen damit, dass eine wörtliche Rede von „Wiedergeburt“ weder im Alten Testament noch im palästinischen Judentum nachweisbar ist,3 und setzen sich fort in der Frage, welche anderen Aussagen dann ähnlich und vergleichbar sein könnten, warum und in welcher Hinsicht. Hier liefert Sjöberg nicht nur eine wichtige Sammlung von Texten, die für die Frage nach der Herkunft der Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament zu bedenken sind, sondern auch hilfreiche Analysen dieser Texte. 4.1.1 Der Vergleich des gerade übergetretenen Proselyten mit einem Neugeborenen Sjöberg setzt in seiner Untersuchung bei der aus tannaitischer Zeit stammenden rabbinischen Aussage b Jev 22 a an, „der zum Judentum eben übergetretene Proselyt sei wie ein neugeborenes Kind.“ 4 Verschiedene Aspekte machen diesen in der Forschung vielzitierten Satz 5 attraktiv für den Vergleich mit der Rede von Wiedergeburt im Neuen Testament. Zum einen scheint es um eine ähnliche Situation zu gehen: Beschrieben wird je ein Übergang. Hier tritt, wie Sjöberg sagt, jemand ins Judentum über, dort tritt jemand „in die Kirche“ ein.6 Bei aller Ähnlichkeit, die Sjöberg dabei unterstellt, arbeitet er zugleich deutlich heraus, dass eine Parallelisierung von Beschneidung und Taufe kritisch zu sehen ist. Zwar gehört die Beschneidung für einen (männlichen) Proselyten zum Übertrittsgeschehen dazu. Aber Sjöberg betont, dass umgekehrt nicht jeder Beschnittene in den jüdischen Texten mit einem Neugeborenen verglichen werde. Ein jüdischer Junge gehört vielmehr schon durch seine Geburt zum „heiligen Gottesvolk“.7 Seine Beschneidung ist Zeichen des Bundes und bestätigt diese 2 Sjöberg,

Wiedergeburt 84. Sjöberg, Wiedergeburt 82: „Ein hebräisches oder aramäisches Wort für Wiedergeburt gibt es nicht. Das griechische παλιγγενεσία hat hier kein Gegenstück.“ 4 ‫ ;גר שנתגיר כקטן שנולד דמי‬vgl. Sjöberg, Wiedergeburt 44 mit Anm. 1. 5 Vor Sjöberg haben z. B. bereits Gennrich (Lehre 39), Kirn (Wiedergeburt 246) und Heitmüller (Wiedergeburt 2010) auf diesen Satz Bezug genommen, ihn aber als mögliche Quelle der neutestamentlichen Rede von „Wiedergeburt“ ausgeschlossen (bei Heitmüller entspricht die Stellenangabe XI,2 nicht b Jev 22 a, sondern b Jev 97 b, wo sich ein identischer Satz findet); positiver urteilt Schweitzer (Gotteskindschaft 73–76). Später kommen dann u. a. Goppelt (Wiedergeburt 1697) und Lichtenberger (Neuschöpfung 318) ebenfalls zu eher positiven Auffassungen der Beeinflussung. 6 Sjöberg, Wiedergeburt 84. Die Formulierung verhehlt allerdings, dass es in neutestamentlicher Zeit weder ein so einheitliches Judentum und noch viel weniger bereits eine „Kirche“ gibt, in die man so einfach eintreten könnte. Mit dem Verweis auf einen wie auch immer gearteten Eintritt wird die jeweilige Rede von der „Wiedergeburt“ damit bereits in einer bestimmten Art festgelegt, die die neutestamentlichen Texte gerade nicht deutlich erkennen lassen. 7 Sjöberg, Wiedergeburt 49. 3 Vgl.

4.1 Erik Sjöberg

81

Zugehörigkeit nur. Auch für den Proselyten besage der zitierte Satz aus b Jev 22 a aber nicht, dass die Beschneidung die „Wiedergeburt“ ist. Vielmehr werde er insgesamt „durch seinen Übergang zum Judentum“ wie ein Neugeborener.8 Eine Parallelisierung von Taufe und Beschneidung, die über die Brücke einer beiderseits behaupteten Gleichsetzung mit „Wiedergeburt“ hergestellt werden soll, ist nach Sjöberg Darlegungen also klar ausgeschlossen.9 Des Weiteren vergleichbar erscheint b Jev 22 a deshalb, weil hier ein deutlicher Neuansatz im Leben des Proselyten beschrieben wird. Eigentlich beginnt sein Leben erst jetzt, denn „der Proselyt hat wie das neugeborene Kind keine frühere Existenz hinter sich. Sein ganzes bisheriges Leben kommt nicht in Rechnung. Es ist verschwunden und er hat damit nichts, gar nichts zu tun. Er fängt vom Nullpunkt an genau wie das kleine Kind.“ 10 Diese Betonung des neuen Anfangs als eines „Nullpunktes“ steht in gewisser Spannung zu der von Sjöberg sehr wohl auch in den Blick genommenen Vergangenheit des Proselyten und der Betonung eines radikalen Bruchs, den die Bekehrung zum Judentum bedeute.11 Diese Rede vom radikalen Bruch findet sich in der „Wiedergeburts“-Forschung insgesamt häufig. Was mit Sjöbergs Hilfe aber eben schon angedeutet werden konnte und unten in den Einzelexegesen (s. u. Teil III) noch zu vertiefen sein wird, ist, dass die Metapher vom Neugeboren-Sein 12 8 Sjöberg,

Wiedergeburt 49. begründet dies später (Wiedergeburt 49 f.) auch noch einmal damit, dass Proselyt und neugeborenes Kind in b Jev 22 a nicht „darin ähnlich wären, dass beide eben einen Geburtsprozess durchgemacht hätten. Der Proselyt wird nicht in dieser Hinsicht mit dem Kind verglichen. Darum kann man aus diesem Satz nicht herauslesen, dass die Beschneidung und die Taufe des Proselyten eine Wiedergeburt bedeutete.“ 10 Sjöberg, Wiedergeburt 46. Sjöberg belegt und ergänzt diese Deutung des Satzes b Jev 22 a durch weitere rabbinische Aussagen. In diesen wird er u. a. benutzt, um zu begründen, dass die Sünden, die die Proselyten in ihrer heidnischen Zeit begangen haben, nicht bestraft würden, denn: „Dieser Teil des Lebens hat mit ihnen nichts mehr zu tun und kann nicht mehr beachtet werden“ (ebd. 47). Oder anders ausgedrückt: „[D]ie Gleichheit zwischen dem Neugeborenen und dem Proselyten besteht [darin]: keiner hat eine vorhergehende Existenz hinter sich, die seine Lage beeinflusst“ (ebd. 49). 11 Vgl. Sjöberg (Wiedergeburt 45) über den Proselyten: „Er hatte im Zustand der Unheiligkeit gelebt […]. Er war fern – von Gott – gewesen […]. Die Bekehrung zum Judentum bedeutete einen radikalen Bruch mit seiner Vergangenheit, eine durchgreifende Veränderung seiner ganzen Lebenssituation.“ 12 Sjöberg spricht hier allerdings nie von einer Metapher und betont immer wieder, dass es sich nur um einen Vergleich handle: „Der Proselyt gleicht einem Neugeborenen. Es wird nicht gesagt, dass er neugeboren ist“ (Sjöberg, Wiedergeburt 45; ähnlich noch öfter). Allerdings geht der Vergleich nicht so weit, dass gesagt wird, worin diese Gleichheit besteht. Der Prozess, das herauszufinden, ist daher nichts anderes als ein Prozess der metaphorischen Interaktion (s. o. 1.6.2). Die Bezeichnung als Metapher ist somit meines Erachtens gerechtfertigt. Insgesamt erweist sich weder Sjöbergs Überbetonung des Vergleichs noch seine bisweilen vorgenommene Differenzierung zwischen wörtlich und bildlich gemeinten Aussagen (insbesondere im Hinblick auf die Neuschöpfung: vgl. ebd. 63–66) als metapherntheoretisch konsistent. 9 Sjöberg

82

4. Zögerliche Neuanfänge

von ihrem Ursprungsbereich her eher den völlig neuen Anfang ohne jegliche Vergangenheit in den Blick rückt. Angesichts der Menschen, auf die diese Metapher angewendet wurde und die sehr wohl eine Vergangenheit hatten, besteht gerade darin die Radikalität dieser Metapher. Im lebensweltlichen Kontext der so beschriebenen Menschen geht es ganz sicher um Brüche und tiefgreifende Veränderungen. Mit der Metapher selbst aber wird der Neuanfang fokussiert, nicht der Bruch. Das gilt es auseinanderzuhalten, und bei Sjöberg finden sich neben Vermischungen dafür wichtige Ansätze. Aus dem Vergleich des Proselyten mit einem Neugeborenen ergibt sich eine weitere Folge: Rabbinische Diskussionen spezifizieren die metaphorisch umschriebene radikale Anfangssituation dahingehend, dass auch alte Verwandtschaftsbeziehungen nun nicht mehr gelten. Sjöberg diskutiert hier 13 vor allem Auseinandersetzungen zu Ehe- und Erbfragen bei Proselyten, wo aus der „Nullpunkt“-Situation 14 konkrete rechtliche Folgen abgeleitet werden. Die Vertreter der entsprechenden Positionen, die in den rabbinischen Diskussionen keineswegs unumstritten gewesen seien,15 bedienten sich gerade in der Debatte immer wieder des Satzes aus b Jev 22 a.16 Ähnlich wie bei der Rede vom „radikalen Bruch“ (s. o.) mit der Vergangenheit ist es hier aus der realen Situation der Proselyten heraus kaum vermeidlich, auf die alten Verwandtschaften zumindest in der Negation Bezug zu nehmen. Der im Vergleich mit dem neugeborenen Kind aufgegriffene Ursprungsbereich wird hier, wie oben schon betont, überschritten. Sjöberg markiert dies jedoch nicht eigens als Überschreitung. Er geht auch nicht darauf ein, dass die Neugeborenenmetapher von ihrem Ursprungsbereich her eine gute Möglichkeit böte, die (neue) Familie des so Bezeichneten metaphorisch zu elaborieren. Offenbar wird der Vergleich des Proselyten mit einem Neugeborenen in b Jev 22 a in der rabbinischen Literatur weder in diese noch in eine andere Richtung über die bisher genannten Aspekte hinaus weiter metaphorisch profiliert. Zum Beispiel kommt bei den von Sjöberg angeführten Textbeispielen auch nicht in den Blick, wer denn die (metaphorischen) Eltern des mit einem Neugeborenen vergleichbaren Proselyten seien. Hier liegt ein großer Unterschied zu den verbalen Aussagen in Joh 3,3.7; 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18, die sehr wohl das Subjekt der metaphorischen Geburt bzw. Zeugung benennen – nämlich Gott (bzw. auch das Wort),17 während 13 Sjöberg,

Wiedergeburt 47–49. Wiedergeburt 46; vgl. oben. 15 Vgl. etwa folgende Beispiele bei Sjöberg, Wiedergeburt 47: „Wenn zwei Brüder derselben Mutter Proselyten geworden sind, darf der eine die Frau des anderen heiraten. Im Verhältnis zu einander unterstehen sie nicht den Gesetzen über Leviratsehe und Chalisa. Sie können zusammen vor Gericht zeugen, ohne dass ihr Zeugnis ungiltig ist. Ein Proselyt, der als Heide Kinder gehabt hat, kann doch als Jude einen erstgeborenen, zu doppeltem Erblos berechtigten Sohn bekommen.“ – Alles das ist nach Meinung bestimmter Rabbinen möglich, weil sie nicht als Brüder gelten. 16 Vgl. Sjöberg, Wiedergeburt 48. 17 Siehe insgesamt ausführlicher die Textauslegungen in Teil III. 14 Sjöberg,

4.1 Erik Sjöberg

83

b Jev 22 a diesen Gedanken in keiner Weise nahelegt.18 Das heißt aber auch, dass b Jev 22 a keineswegs in allen Punkten mit der neutestamentlichen Rede von „Wiedergeburt“ vergleichbar ist. Wenn der Text und weitere rabbinische Bezugnahmen auf dieses Diktum in der „Wiedergeburts“-Forschung daher angeführt werden, müsste das differenzierter geschehen, als es in der Regel zu beobachten ist.19 Sjöberg gibt dafür Hinweise, leistet den Vergleich, wie schon gesagt, selbst aber nicht. Das von ihm zusammengetragene Material bietet sich daher auch für Bezugnahmen ohne kritische Differenzierung allzu leicht an. 4.1.2 Schöpfung und Geburt Das gilt zum Beispiel auch für die vermeintliche Nähe von Neuschöpfungs- und „Wiedergeburts“-Aussagen in den jüdischen Quellen. Tatsächlich führt Sjöberg hier Belege an, in denen Schöpfungs- und Geburtsmetaphorik nebeneinander stehen und austauschbar zu sein scheinen. So kann der Proselyt nicht nur mit einem Neugeborenen verglichen werden, sondern es kann auch gesagt werden: „Wer einen Menschen unter die Fittiche der Schekina bringt, dem rechnet man es an, als wenn er ihn geschaffen und geformt und gestaltet hätte“ (Shir R 1,3 § 3).20 Das rechtfertigt aber noch lange nicht, Schöpfungs- und „Wiedergeburts“-Metaphorik miteinander zu identifizieren, wie Sjöberg das tut.21 Nur der Aspekt des neuen Anfangs ist in beiden Aussagen im Ursprungsbereich der Metapher enthalten. Das Bedeutungspotenzial der jeweiligen Metapher erschöpft sich aber noch nicht in diesem einen Aspekt 22 und nimmt außerdem in ganz unterschiedlicher Weise einmal den Proselyten selbst als einen quasi 18 Zu dem aus jüdischer Sicht „unmögliche[n] Gedanke[n]“, dass „Gott etwas geboren hätte“ (Sjöberg, Wiedergeburt 75) siehe mehr unten. 19 Goppelt (Wiedergeburt 1697) z. B. führt b Jev 22 a affirmativ als Beleg für die jüdische Herkunft der „Wiedergeburts“-Vorstellung an. Er betont aber immerhin, dass mit dem Diktum vom Proselyten als gleichsam Neugeborenen keine „innere Umwandlung gemeint“ sei, sondern nur die „neue Stellung unter dem Gesetz“ (ebd.; siehe auch unten 4.2). Immer wieder finden sich auch in der Kommentarliteratur zu 1 Petr 1,3.23; Joh 3,3.7 und Tit 3,5 nicht näher ausgewertete und nur ungenau zitierende Hinweise, wie sie etwa Holtz bietet: „Im Judentum sind Aussagen häufig, der Proselyt sei beim Übertritt wie neugeschaffen und gleiche einem Neugeborenen, weil Gott ihm alle Sünden vergab“ (Pastoralbriefe 233 f. zu Tit 3,5). 20 Zitiert nach Sjöberg, Wiedergeburt 54. 21 Vgl. Sjöberg (Wiedergeburt 54), der ungerechtfertigt zusammenfasst: „Weil es sich dabei [sc. bei der Schöpfung des Menschen] um die Schöpfung des Menschen im Mutterleib handelt, fällt der Neuschöpfungsgedanke hier praktisch gesehen mit dem Wiedergeburtsgedanken zusammen.“ 22 Noch anders gelagert (und ebenso wenig als Beleg der Entsprechung geeignet) ist der folgende Ausspruch Rabbi Berechjas, in dem Geburts- und Schöpfungsmetaphorik zwar nebeneinander benutzt werden, der Zielbereich aber ein anderer ist als beim Vergleich des Proselyten mit einem Neugeborenen oder mit einem (Neu-)Geschaffenen. Denn hier geht es um die Beschreibung der Rettung aus Todesgefahr: „Wie einer, der an einen gefährlichen Ort ging und gerettet wurde. Sein Genosse begegnete ihm und sagte zu ihm: An diesem gefährlichen Ort bist du vorübergegangen! An welcher Gefahr du vorübergegangen bist! Jetzt hat

84

4. Zögerliche Neuanfänge

Neugeborenen in den Blick, das andere Mal stärker das Tun desjenigen, der den Übertritt maßgeblich befördert hat. Klarer ist Sjöbergs Differenzierung zwischen Neuschöpfung und „Wiedergeburt“ dort, wo er sie unter eschatologischem Vorzeichen betrachtet: Während die Vorstellung einer endzeitlichen Neuschöpfung sowohl des Menschen als des Kosmos dem Judentum geläufig ist, wird der Gedanke, dass die endzeitliche Erneuerung eine neue Geburt bedeutet, vom nicht-hellenistischen Judentum nur in sehr beschränktem Masse [sic] vertreten.23

Der Gedanke der Geburt liege schon deshalb fern, weil „die endzeitliche Erneuerung durch Gottes Tat zustande kommt,“ Gott nach jüdischem Verständnis aber „durch Schaffen“ handelt.24 Dennoch kann Sjöberg zwei Bereiche ausmachen, in denen noch auf andere Weise als oben im Hinblick auf den Proselyten Geburt und Schöpfung miteinander verbunden sind. Einmal handelt es sich dabei um die „Vorstellung von einer Geburt bei der Schöpfung im A. T.“, aber: „die Gebärende ist da die Erde“ und es geht um die erste Schöpfung, nicht um ein erneutes Entstehen oder Geborenwerden.25 Die Texte, die Sjöberg hier zusammenträgt,26 sind somit zweifellos wichtige Belege für die Möglichkeit, das Konzept von Geburt metaphorisch einzusetzen, weniger aber für Sjöbergs Frage nach alttestamentlich-jüdischen Ausdrücken für „Wiedergeburt“. Etwas näher liegen die Texte des zweiten Bereiches bei den neutestamentlichen „Wiedergeburts“-Formulierungen, weil sie „im abgeschliffenen und bildhaften Sinne“ den für das „genuine Judentum“ laut Sjöberg eigentlich „unmögliche[n] Gedanke[n]“ bezeugen, dass „Gott etwas geboren hätte“.27 Folgende Texte und Themenzusammenhänge führt Sjöberg an:28 Gott, der Jakob (d. h. Israel) bzw. den König geboren / g‌ ezeugt hat: Dtn 32,18; Ps 2,7; 110,3; vgl. auch 2 Sam 7,14; Gott als Vater der Israeliten (bzw. sie als Söhne / K ​ inder), aber ohne Geburts- / Z ​ eugungsaussage: Dtn 14,1 f.; 32,6.9 ff.15; Ps 80,16; Jes 1,2; Israel als erstgeborener Sohn Gottes: Ex 4,22; Erschaffung und Geburt der Weisheit: Spr 8,22 ff.

Auch hier zeigt sich aber schnell, dass die metaphorischen Äußerungen sich auf andere Sachverhalte beziehen, also – metapherntheoretisch ausgedrückt – einen anderen Zielbereich beschreiben. Es gilt somit das Gleiche wie für die zuerst genannte Textgruppe: Als Belege für den Gebrauch von Geburtsmetadich deine Mutter geboren […]! Welches Unglück an dir vorübergegangen ist! Hier bist du zu einem neuen Geschöpf geschaffen worden […]!“ (zitiert nach Sjöberg, Wiedergeburt 55). 23 Sjöberg, Wiedergeburt 74. 24 Sjöberg, Wiedergeburt 75. 25 Sjöberg, Wiedergeburt 75. 26 Ps 90,2; Hi 38,8; Jes 66,7 f.; Jes 51,1 f.; 4 Esr 5,43–55 (vgl. Sjöberg, Wiedergeburt 75 Anm. 1). Jes 51,1 f. ist als Textbeleg allerdings nur bedingt geeignet, da Geburt hier gar nicht metaphorisch gebraucht wird. 27 Sjöberg, Wiedergeburt 75. 28 Siehe Sjöberg, Wiedergeburt 75 f. Anm. 2.

4.1 Erik Sjöberg

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phorik sind die Texte interessant, für Sjöbergs Suche nach „Wiedergeburts“-­ Gedanken im Alten Testament und im jüdischen Schrifttum erweisen sie sich als wenig weiterführend. In einem dritten Bereich, den Sjöberg untersucht, stehen schließlich nicht Geburt und Schöpfung, sondern Geburt und Auferstehung parallel. Der Mensch erlebe in jenen frühjüdischen Texten, die Sjöberg hier aufzählt,29 „bei der Auferstehung etwas, was seiner Geburt entspricht.“ 30 Sjöberg schränkt diese Aussage aber sofort wieder ein, denn obwohl die „Auferstehung eine Wiederholung [der] Geburt“ sei, werde dennoch „die Auferstehung nicht als eine Geburt gedacht und nicht Wiedergeburt genannt.“ 31 Auch diese Textbelege sind also eher unter dem Aspekt der Geburtsmetaphorik insgesamt interessant, führen aber nicht in direkter Linie zur Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament. 4.1.3 Datierungsfragen Für eine Beurteilung möglicher Beeinflussungen neutestamentlicher Vorstellungen von „Wiedergeburt“ durch das rabbinische Judentum (und umgekehrt) ist schließlich auch die Frage der Zeit anzusprechen, aus der die jeweiligen Vorstellungen und Texte stammen, und inwiefern Übernahmen (in die eine oder auch die andere Richtung!) überhaupt denkbar wären. Sjöberg beschäftigt sich damit recht umfangreich im Hinblick auf den Neuschöpfungsgedanken,32 während er für die Frage nach der „Wiedergeburt“ nur kurz auf die Herkunft des Ausspruchs über den Proselyten aus tannaitischer Zeit verweist,33 ohne daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Ob er mit mündlichen Vorstufen vor der schriftlichen Fixierung rechnet, die dann bereits die neutestamentlichen Texte und die in ihnen transportierten Vorstellungen beeinflusst haben könnten, bleibt offen. Die Qumrantexte, die sich als zeitlich den neutestamentlichen Texten im Wesentlichen vorausgehende Belege anböten, fallen für Sjöberg als relevante Texte dagegen aus, da er dort eine „Wiedergeburts“-Vorstellung nicht sicher ausmachen kann.34 Anders positioniert sich wenige Jahre später dann zum Beispiel Leonhard Goppelt (s. u. 4.2), der über den gleichen Text, den auch Sjöberg anführt (1 QH XI,19–21), ganz anders urteilt. 4.1.4 Sjöbergs zurückhaltendes Fazit Am Ende seiner Untersuchung kommt Sjöberg hinsichtlich der Herkunft der „Wiedergeburtsvorstellung“ aus dem palästinischen Judentum zu einem sehr zurückhaltenden Ergebnis: „Die neutestamentliche Wiedergeburtsvorstellung 29 Vgl. 2 Makk 7,11.22 f.28 f.; Ber R 14 zu Gen 2,7; Wa R 14 zu Lev 12,2; b San 91 a (vgl. Sjöberg, Wiedergeburt 76 Anm. 1). 30 Sjöberg, Wiedergeburt 76 f. 31 Sjöberg, Wiedergeburt 77. 32 Vgl. Sjöberg, Wiedergeburt 69–74. 33 Sjöberg, Wiedergeburt 69. 34 Vgl. Sjöberg, Wiedergeburt 78–81.

86

4. Zögerliche Neuanfänge

lässt sich nicht einfach durch die Übernahme jüdischer Wiedergeburtsvorstellungen erklären.“ 35 Sjöberg hält die jüdische Beschreibung des gerade übergetretenen Proselyten als Neugeborenen zwar für einen „guten Ausgangspunkt“ für die Entwicklung der christlichen „Wiedergeburtsvorstellung“. Man komme aber „schwerlich nur mit diesem Material aus“, sondern müsse auch Einflüsse aus dem hellenistischen Bereich einbeziehen, wobei das hellenistische Judentum die „Brücke“ bilde.36 Dieses zu betrachten war freilich nicht Sjöbergs Thema, so dass seinem Beitrag dazu nicht viel zu entnehmen ist. Sjöberg erarbeitet vielmehr, wie schon mehrfach hervorgehoben, eine Textsammlung, die gerade auch im Hinblick auf den Gebrauch von Geburtsmetaphorik in den Texten des Alten Testaments und vor allem des palästinischen Judentums einen hilfreichen Überblick bietet.37 An vielen Stellen zeigen seine Textanalysen, dass Parallelisierungen mit neutestamentlichen Texten nur sehr bedingt angezeigt sind. Das gilt, wie gesagt, aber nur für die Frage nach einer Beeinflussung der „Wiedergeburts“-Vorstellung durch rabbinische Texte. Dadurch, dass Sjöberg gleichzeitig aber auch die Neuschöpfungs-Vorstellung untersucht, für die es viel deutlichere Linien vom Alten Testament über frühjüdische Texte zum Neuen Testament gibt, sind in der weiteren Forschungsgeschichte Sjöbergs kritische Töne hinsichtlich der viel weniger offensichtlichen Herleitung einer christlichen „Wiedergeburtsvorstellung“ aus dem Judentum zu oft überhört worden (vgl. die folgenden Kapitel).

4.2 Buße und „Wiedergeburt“: Leonhard Goppelts Neuansatz in der dritten Auf lage der RGG (1962) Leonhard Goppelts Artikel zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament in der dritten Auf lage der RGG bringt eine Mischung von Bekanntem und Neuem. Nicht neu ist es, dass ein Autor die Herleitung der neutestamentlichen Rede von „Wiedergeburt“ aus den Mysterien ablehnt. Neu ist jedoch, dass nun auch in der RGG durch Goppelt diese Abhängigkeit erstmals bestritten wird.38 Nur zu bekannt ist dann wiederum die Vermischung von Wort und Sache bei der Frage nach „Wiedergeburt“, die Goppelt jedoch mit eigenen Akzenten versieht. 35 Sjöberg,

Wiedergeburt 84. Wiedergeburt 84. 37 Die Zusammenfassung, die Sjöberg (Wiedergeburt 82 f.) von den verschiedenen Texten mit Geburtsmetaphorik am Ende gibt, bleibt allerdings viel zu ungenau. 38 Vgl. Goppelt, Wiedergeburt 1697. Insgesamt stellt sich die Neubearbeitung des Lemmas „Wiedergeburt“ aber als unausgeglichen dar, denn im ersten Abschnitt, „Wiedergeburt I. Religionsgeschichtlich“, behauptet dessen Autor Åke Hultkrantz (Wiedergeburt 1697): „Mit alten persischen (zoroastrischen) eschatologischen Gedanken verbunden hat dieser W[iedergeburts]glaube auch im Christentum Eingang gefunden.“ Daran schließt sich ein Verweis auf den folgenden Abschnitt von Goppelt an, der davon aber nichts erkennen lässt. 36 Sjöberg,

4.2 Leonhard Goppelt

87

Auch er setzt zuerst beim „Begriff W[iedergeburt]“ 39 an. Die geringe Zahl der neutestamentlichen Belege,40 auf die schon Heitmüller verwiesen hatte, wertet er dabei auf, indem er auf die unterschiedlichen Traditionsstränge verweist, in denen sie begegnen: „Die Stellen sind spärlich, jedoch so weit über unterschiedliche Traditionen gestreut, daß der Begriff seit der 2. Generation der ganzen griechischsprechenden Kirche geläufig war.“ 41 Das ist eine weitreichende Behauptung, die von der Verbreitung des „Begriffs“ auf verschiedene Traditionen spricht, aber schon deshalb nicht ausreichend gedeckt ist, weil es diesen einheitlichen „Begriff “ auf der Ebene der Quellensprache gar nicht gibt. Goppelt hält sich an diesen Details aber nicht auf und wechselt, wie in den „Wiedergeburts“-Untersuchungen schon oft beobachtet, vom „Begriff “ zur „Sache“. Erneut suggeriert er Einheitlichkeit, nun nicht auf terminologischer, sondern auf inhaltlicher Ebene: Das, was „der Begriff sachlich meint“, sei „dem ganzen NT geläufig“.42 Was er aber genau sachlich meint, verrät Goppelt nicht, sondern nur, dass das mit „Wiedergeburt“ Gemeinte im Neuen Testament „meist mit Worten aus anderen Vorstellungszusammenhängen umschrieben“ werde.43 Derart im Unklaren gelassen, wovon Goppelt sowohl terminologisch als auch inhaltlich spricht, ist auch den sich anschließenden Ausführungen nicht ganz leicht zu folgen. Hier geht es zuerst um die Herkunft der „Vorstellung der W[iedergeburt] bzw. der neuen Zeugung aus Gott“. Diese habe das Neue Testament, wie oben schon angedeutet, nicht „aus den Mysterien ‚übernommen‘, sondern aus eigenen Ansätzen und aus Anregungen der hellenistischen wie der jüd. Umwelt entwickelt.“ 44 Um das zu belegen, führt Goppelt eine Parallele zur „ältesten nt. Stelle“ in 1 Petr 1,3.23 aus Qumran an. Der zitierte Text 1 QH 3,19 ff. (= 1 QH XI,19–21) redet allerdings gar nicht von „Wiedergeburt“, sondern nutzt Schöpfungs-Terminologie, um die „Aufnahme in das Heilssystem der Sekte“ 45 zu beschreiben.46 Das räumt Goppelt zwar auch ein, meint aber dennoch, dass „die hinter 1 Petr stehende christliche Tradition“ den Begriff Wiedergeburt, 39 Goppelt,

Wiedergeburt 1697. führt Tit 3,5; 1 Petr 1,3.23; Joh 3,3.5 f.8; 1,13; 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18 an, nur in Klammern dagegen Jak 1,18; Mt 19,28 dagegen fehlt ohne jegliche Erläuterung und wird erst später im Artikel in einer Klammerbemerkung der eschatologischen Position des palästinischen Judentums zugeordnet (vgl. Goppelt, Wiedergeburt 1697). 41 Goppelt, Wiedergeburt 1697. 42 Goppelt, Wiedergeburt 1697. 43 Goppelt, Wiedergeburt 1697 (Hervorhebung hinzugefügt). 44 Goppelt, Wiedergeburt 1697. 45 Goppelt, Wiedergeburt 1697. 46 In Goppelts Wiedergabe lautet die Übersetzung: „Ich preise dich …; denn du hast mich aus dem Totenreich herausgeführt zu ewiger Höhe … Ich weiß, daß es eine Hoffnung gibt für den, den du (neu-)erschaffen hast aus dem Staube heraus zu ewiger Gemeinschaft …“ (Goppelt, Wiedergeburt 1697). Sjöberg (Wiedergeburt 81; s. o. 4.1.2) bemerkt zu diesem Text außerdem, dass er weniger die Neuschöpfung thematisiere, sondern dass vielmehr die Schöpfung „aus dem Staub heraus“ auf die erste Schöpfung zu deuten sei. 40 Goppelt

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4. Zögerliche Neuanfänge

„wohl angeregt durch das hellenistische Judentum, aufgegriffen und statt des hebr.-biblischen ‚neuschaffen‘ eingefügt“ habe.47 Dieser Traditionszusammenhang ist jedoch keineswegs so deutlich, wie Goppelt ihn darstellt.48 Inhaltlich sieht Goppelt zwischen den erwähnten jüdischen Traditionen und 1 Petr 1,3.23 außerdem eine Verbindung hinsichtlich der in unterschiedlicher Weise geforderten „radikalen ‚Umkehr‘“.49 Diese Formulierung erweist sich im Folgenden als zentral für Goppelts Verständnis von „Wiedergeburt“.50 Denn nachdem Goppelt auch Tit 3,5 ff. und Joh 3,3 ff. in die Nähe alttestamentlich-jüdischer Traditionen gerückt hat,51 bestimmt er als wesentlichen Ursprung der neutestamentlichen „Wiedergeburts“-Vorstellung Jesu Rede von der „Buße“: Die Buße, die er [sc. Jesus] forderte und zugleich wirkte, war eine einmalige und doch das ganze Leben umfassende totale Umwandlung, nämlich das Eingehen in ein neues Gottesverhältnis. […] In der Tat interpretiert und entfaltet die nt. Vorstellung von W[iedergeburt] ihrem Inhalt nach eine wesentliche Seite dessen, was Jesus mit Umkehr meinte.52

Laut Goppelt wolle Joh 3,3 ff. mit der Formulierung „von oben bzw. von neuem gezeugt werden“ nichts anderes, als mit einer „hellenistische Menschen ansprechende[n] Wendung […] wiedergeben, was Jesus mit ‚Buße‘ meinte (vgl. Mt 18,3 par)“.53 Genau die gleiche Motivation sieht Goppelt auch bei Paulus am Werk, wenn er „das für jüd. Menschen mißverständliche 54 und hellenisti47 Goppelt, Wiedergeburt 1697. Goppelt führt hier ebenfalls den Vergleich des Proselyten mit dem neugeborenen Kind aus der rabbinischen Literatur an (vgl. dazu schon oben 4.1.1 ausführlicher und differenzierter Sjöbergs Untersuchung, die Goppelt auch als Sekundärliteratur anführt). Er ist für Goppelt allerdings nicht weiterführend, weil er „den durch das Tauchbad aufgenommenen Proselyten lediglich auf Grund seiner neuen Stellung unter dem Gesetz ‚einem neuen Geschöpf‘ oder ‚einem eben geborenen Kind‘ vergleicht,“ die „innere Umwandlung“ aber nicht betont (Goppelt, Wiedergeburt 1697). 48 Auch Procksch (s. o. 3.2) hatte bereits in exegetisch wenig überzeugender Weise die alttestamentlich-jüdischen Vorstellungen von Wiederkehr und neuer Schöpfung mit „Wiedergeburt“ in Verbindung gebracht. Goppelt rezipiert Procksch allerdings weder hier noch später in seinem Kommentar zum Ersten Petrusbrief. 49 Goppelt, Wiedergeburt 1697. 50 In seinem Kommentar zum Ersten Petrusbrief, an dem Goppelt bis zu seinem Tod 1973 gearbeitet hat, der aber erst 1978 postum erschien, wiederholt er in einem Exkurs zur „Herkunft des Redens von der Wiedergeburt in 1 Petr 1,3.23“ im Wesentlichen die hier dargelegten Positionen (vgl. Goppelt, Petrusbrief 92–94). 51 Für Tit 3,5 geschieht dies über die zu παλιγγενεσία parallel stehende „Erneuerung“, durch die die „Wiedergeburt“ in jenem „eschatologischen Sinn“ interpretiert werde, „in dem bereits das palästinische Judentum den Begriff gebrauchte“ (Goppelt, Wiedergeburt 1697), wofür Goppelt aber einzig und allein Mt 19,28 als Beleg anführt. Für Joh 3,3 ff. konstatiert er den „nicht minder greif bar[en] bestimmende[n] Einfluß christlicher und at.-jüd. Traditio­ nen“ dagegen ganz ohne Belege und völlig allgemein (ebd.), so dass sich hieraus kaum präzise Schlussfolgerungen über konkrete einzelne Traditionszusammenhänge ziehen lassen. 52 Goppelt, Wiedergeburt 1698. 53 Goppelt, Wiedergeburt 1698. 54 Warum „Buße“ hier plötzlich auch als jüdischen Menschen missverständlich eingeschätzt wird, erklärt Goppelt nicht.

4.2 Leonhard Goppelt

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schen Menschen fremde Wort Buße vielfach ersetzt und z B von einem Mitsterben zum Mitleben (Röm 6,3–11; Kol 2,11–3,11) und von einem Neuwerden im eschatologischen Sinn (Röm 6,4; 12,2; 2 Kor 4,16), von der neuen Schöpfung (2 Kor 5,17; Gal 6,15)“ redet.55 Damit hat Goppelt, wenn auch auf anderem Wege, wieder all die Texte mit in die Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament eingebracht, die bei Heitmüller und anderen durch den Wechsel vom Wort zur Sache auf den Plan kamen. Methodisch ist Goppelts Vorgehen aber nicht weniger problematisch. Einerseits sprechen die wenigen frühjüdischen Texte, von denen er ausgeht und aus denen er den Gedanken der „radikalen ‚Umkehr‘“ (s. o.) entnimmt, nicht wirklich von „Wiedergeburt“ und belegen so kaum überzeugend einen Zusammenhang zwischen Jesu Rede von der Buße und der neutestamentlichen Rede von „Wiedergeburt“. Problematisch ist auch der Verweis auf Mt 18,3 (s. o.). „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder“ (ἐὰν μὴ στραφῆτε καὶ γένησθε ὡς τὰ παιδία) versteht Goppelt hier offensichtlich – ohne das jedoch ausdrücklich auszuführen – als Bestätigung der Verbindung zwischen „Buße“ (umkehren) und „Wiedergeburt“ (wie die Kinder werden).56 Er setzt damit die metaphorische Rede vom γενέσθαι ὡς τὰ παιδία mit der metaphorischen Verwendung von γεννηθῆναι ἄνωθεν, ἀναγεννᾶσθαι bzw. παλιγγενεσία gleich. Das wird den Texten und der jeweils gebrauchten Metaphorik aber in keiner Weise gerecht. Abgesehen davon bringt Goppelts Deutung von „Wiedergeburt“ als einer Art „Übersetzung“ für „Buße“ eine ausgesprochen aktive Note in das Verständnis ein, die nicht im Ursprungsbereich der Metaphorik liegt. Geburt / ‌Zeugung beschreibt vielmehr für die metaphorisch so Gezeugten / G ‌ eborenen ein Geschehnis, das ihnen ohne Möglichkeit der eigenen Steuerung widerfährt. Goppelt hingegen betont, von der Verbindung mit „Buße“ herkommend, stark die imperativischen, Glaube und Hoffnung fordernden Aussagen in den jeweiligen Kontexten der neutestamentlichen „Wiedergeburts“-Aussagen: So spricht er im Hinblick auf 1 Petr 1,3 und 1,13 zum Beispiel von „der Dialektik von Indikativ und Imperativ“.57 Im Ersten Johannesbrief macht er eine ebensolche Dialektik in Bezug auf die Aussagen bzw. Aufforderungen zum Nicht-Sündigen aus.58 Damit setzt Goppelt aber die Folge der „Wiedergeburt“, nämlich das metaphorisch neu entstandene Leben, das nun auch entsprechend zu gestalten 55 Goppelt,

Wiedergeburt 1698. Jesu Rede von der „Buße“ wäre sonst auch der Verweis auf Mt 4,17 in Frage gekommen, der in diesem Zusammenhang aber nicht vom Wie-die-Kinder-Werden spricht und gerade deshalb meines Erachtens auch von Goppelt hier nicht herangezogen wird. Vollends deutlich wird das Verständnis, das Goppelt von Mt 18,3 hat, in seiner „Theologie des Neuen Testaments“: Dort zitiert er Joh 3,3, um danach fortzufahren: „Dies ist in johanneischer Sprache das synoptische Logion Mt 18,3“ (67). 57 Goppelt, Wiedergeburt 1698. 58 Vgl. Goppelt, Wiedergeburt 1698. 56 Für

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4. Zögerliche Neuanfänge

ist, mit der „Wiedergeburt“ selbst in eins. Für die präzise Wahrnehmung der Texte und ihrer Metaphorik ist das nicht hilfreich. Nach diesen „dialektischen“ Ausführungen kommt Goppelt auf die Frage nach dem „Vollzug der W [iedergeburt].“ zu sprechen.59 Hier immerhin ist von einer möglichen Aktivität des Menschen nicht die Rede. In den Vordergrund rückt dagegen die Taufe: Während in Joh 3,5 f. und Tit 3,5 „die W[iedergeburt] unmittelbar durch die Taufe und den Geist gewirkt“ sei, zitiert Goppelt für 1 Petr 1,3 und 1,23 den jeweiligen Kontext der Verse, demgemäß die „Wiedergeburt“ „durch die Auferstehung Jesu aus den Toten“ (1,3) bzw. „durch unvergänglichen Samen, nämlich das lebendige und bleibende Wort Gottes“ (1,23 mit Verweis auf Jak 1,18) geschieht. Auch hier gehe es aber letztlich um Taufe, denn die „erwählende Berufung durch das Evangelium“ käme „für 1 Petr wie für das gesamte Urchristentum in dem Rettungsakt der Taufe zum Ziel“.60 In der Summe ist es in der Deutung Goppelts einerseits so, dass Gott und sein Wort bzw. der Geist und die Taufe die „Wiedergeburt“ wirken. Andererseits erhält dieses Verständnis durch die inhaltliche Gleichsetzung von „Wiedergeburt“ und „Buße“ als der „totale[n] Umwandlung“ eine starke Öffnung hin zum aktiven Tun des Menschen. Daher ist es kein Zufall, dass Goppelt diese „totale Umwandlung“ einmal aktiv als „das Eingehen in ein neues Gottesverhältnis“ beschreibt 61 und zum anderen als etwas, das „Gott durch den Geist wirkt“.62 Wovon das Neue Testament mit „Wiedergeburt“ spricht, wird durch Goppelts Beitrag nicht klarer.

4.3 Unpublizierte Qualifikationsarbeiten zur Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament Wie oben bereits erwähnt, gibt es einige wenige Qualifikationsarbeiten unterschiedlichen Umfangs zum Thema „rebirth“ bzw. „regeneration“ in englischer Sprache, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sind, aber nicht publiziert wurden. Die folgende Auf listung kann dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, denn sie ist abhängig von Stand der elektronischen Erfassung universitärer Bibliotheksbestände und deren Zugänglichkeit über das Internet:

59 Goppelt,

Wiedergeburt 1698. Wiedergeburt 1698. 61 Die Aussage bezieht sich auf Mt 18,3. Auch wenn Goppelt durch die Substantivierung („das Eingehen“) eine Aussage über das aktive Subjekt geschickt vermeidet, so formuliert Mt 18,3 doch klar imperativisch. Daran ändert sich auch nichts, wenn Goppelt davon spricht, dass Jesus die „Buße“ nicht nur fordere, sondern zugleich auch wirke (vgl. Goppelt, Wiedergeburt 1698). 62  Goppelt, Wiedergeburt 1698 (bezugnehmend auf die Taufe). 60 Goppelt,

4.3 Unpublizierte Qualifikationsarbeiten

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Panayotis Christou, The Idea of Regeneration in the New Testament, Th. D. Thesis, Boston University, Mass., 1950, 150 S. Daniel A. Schrock, The New Testament Doctrine of Regeneration, B. Div. Thesis, Trinity Seminary and Bible College Deerfield, Ill., 1956, 61 S. Marion Vann Murrell, The Concept of Regeneration in the New Testament, Ph. D. Thesis, University of Edinburgh, 1964, 445 S. Roger Clifton Inman, An Exegesis of Select New Testament Passages on the New Birth, M. A. Thesis, Abilene Christian College, Tex., 1974, 133 S. Samuel Parsons, We Have Been Born Anew. The New Birth of the Christian in the First Epistle of St. Peter (I Petr. 1.3, 23), Th. D. Thesis, Pontificia Studiorum Universitas a Sancto Thoma Aquinate in Urbe, Rom, 1978, 659 S. William D. Mounce, The Origin of the New Testament Metaphor of Rebirth, Ph. D. Thesis, University of Aberdeen, 1981, 367 S.

Im Folgenden kann nur auf die Untersuchungen von Marion Vann Murrell und William D. Mounce eingegangen werden, denn nur von diesen Arbeiten war es über die British Library möglich, elektronische Kopien der maschinenschriftlichen Manuskripte zu erhalten. Rezipiert werden die genannten Titel in der Forschung aufgrund ihrer eingeschränkten Zugänglichkeit kaum. Abgesehen davon, dass Mounce in Aberdeen die in Edinburgh entstandene Arbeit von Vann Murrell aufgreift, gibt es meines Wissens nur noch die Erwähnung von Panayotis Christou im EWNT-Artikel von Peter Trummer 63 sowie von Samuel Parsons bei Elena Bosetti 64 und Mounce,65 die aber beide jeweils nicht näher auf den Inhalt eingehen. 4.3.1 Marion Vann Murrells weitgefasstes „Concept of Regeneration in the New Testament“ (1964) Marion Vann Murrells Dissertation von 1964 weist methodisch einige Schwächen auf. Wie der Titel bereits sagt, setzt Vann Murrell beim Konzept von „regeneration“ an. Um einführend näher zu beschreiben, was sie unter diesem Konzept versteht, greift sie zurück auf παλιγγενεσία als griechisches Äquivalent zum englischen „regeneration“ und wechselt damit völlig unreflektiert von der Konzeptebene auf eine lexikalische Ebene und von der Beschreibungs- in die Quellensprache. Dort angekommen, schlägt sie ohne nähere methodische Reflexion ihres Vorgehens sogleich den Bogen zurück, indem sie die Grundbedeutung von παλιγγενεσία als „beginning again“ angibt und damit nicht nur wieder in die Beschreibungssprache wechselt sondern auch auf eine modifizierte Konzeptebene zurückkehrt, auf der „Wiedergeburt“ nun wesentlich als „Wiederanfangen“ gedeutet wird: „In this thesis the definition of beginning again shall be taken as the bedrock connotation of the concept of regeneration“.66 Damit gehören für Vann Murrell von vornherein Aussagen über eine 63 Trummer,

παλιγγενεσία 18. Parola 324 Anm. 40. 65 Mounce, Origin 9 f. Anm. 1. 66 Vann Murrell, Concept ii. 64 Bosetti,

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4. Zögerliche Neuanfänge

„neue Geburt“, eine „neue Schöpfung“ und eine „geistliche Auferstehung“ gleichermaßen zum „concept of regeneration“,67 das als solches aber komplett aus der Beschreibungssprache stammt und von außen an die biblischen Texte herangetragen wird. Unter diesen methodisch problematischen Voraussetzungen, mit denen Vann Murrell in der „Wiedergeburts“-Forschung allerdings nicht allein steht,68 kommt es im weiteren Verlauf der Untersuchung zu keiner präzisen Wahrnehmung und Klärung, was unter „Wiedergeburt“ im Neuen Testament zu verstehen ist. Hinsichtlich der Herkunft des Konzeptes von „regeneration“ lehnt Vann Murrell eine Herleitung aus den Mysterien ab 69 und präferiert alttestamentlich und frühjüdische Wurzeln des Konzepts, die dann freilich – kaum überraschend – eher im Bereich der „neuen Schöpfung“ zu finden sind.70 4.3.2 William D. Mounce auf der Suche nach dem Ursprung der neutestamentlichen „Wiedergeburts“-Metapher (1981) William D. Mounce klärt gleich zu Anfang seiner Untersuchung „The Origin of the New Testament Metaphor of Rebirth“, dass er nur jene Texte als Repräsentanten einer solchen Metapher versteht, die auch die entsprechende „Bildlichkeit“ („imagery“) aufweisen.71 Anders gesagt orientiert er sich wesentlich am Ursprungsbereich, drückt das methodisch und terminologisch aber wenig überzeugend durch eine schroffe Abgrenzung der „Bildlichkeit“ vom „Konzept“ („concept“) aus, wobei er „imagery“ nach eigenem Bekunden mit „metaphor“ gleichsetzt, während er „concept“ synonym zu „meaning“ gebraucht.72 Eine Metapher ist aber mehr als nur ihr „bildlicher“ Teil und bereits dieser (d. h. der Ursprungsbereich) ist als Konzept zu fassen (s. o. 1.6). Mounce wendet „concept“ im Sinne von „meaning“ dagegen wiederum nur für den Zielbereich der 67 Vgl. Vann Murrell, Concept ii: „[…] that the concept of regeneration in the New Testament contains three basic metaphors: new birth, new creation, and spiritual resurrection.“ 68 Erweiterungen des Themas und damit auch der Textbasis unter einem jeweils sehr weitgefassten Verständnis von „Wiedergeburt“ finden sich bereits bei Heitmüller (s. o. 2.2.2), aber auch bei Harnack (s. o. 3.1) und Procksch (s. o. 3.2) und sind ebenso bei Lichtenberger (s. u. 5.2), Bae (s. u. 5.6) u. a. zu beobachten. 69 Vann Murrell, Concept 44–46. 70 Vgl. Vann Murrell, Concept 153 f. u. ö. 71 Konkret befasst sich Mounce in seinem zweiten Teil (Origin 123–253) näher mit Joh 3,3–5; 1 Petr 1,3.23; Tit 3,5; Mt 19,28 und Jak 1,18, wobei er Mt 19,28 von den anderen Texten deutlich absetzt, „since it does not refer to personal renewal“ (ebd. 202). Mounce betrachtet in einem Unterkapitel außerdem Mt 18,3 (vgl. ebd. 208–213), weil dieser Text in der Forschung als mögliche Parallele für Joh 3,3 betrachtet wird (Mounce verweist hier besonders auf Joachim Jeremias), nimmt von diesem Gedanken aber Abstand – u. a. weil sich die metaphorischen Ausdrücke nicht entsprechen: „Although the statements ‚born anew‘ and ‚turn and become like children‘ might seem somewhat related, their imagery and meaning are substantially different“ (ebd. 209). 72 Vgl. Mounce, Origin 2 Anm. 3.

4.3 Unpublizierte Qualifikationsarbeiten

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Metaphorik an, verfolgt aber auch diese Definition von Konzept nicht konsequent, sondern unterscheidet bei der Formulierung seiner Untersuchungsziele bereits wenige Seiten später wiederum zwischen „meaning“ und „concept“.73 Diese mangelnde terminologische Klarheit schlägt sich auch in einer wenig präzisen Wahrnehmung der Metaphorik in der Untersuchung von Mounce nieder. Denn obwohl Mounce ein so starkes Gewicht auf die „Bildlichkeit“ legt und im Hinblick auf Tit 3,5 sogar noch einmal genauer zwischen „rebirth“ und „regeneration“ bzw. „regenesis“ unterscheidet 74 und feststellt, dass Tit 3,5 streng genommen keine „Wiedergeburts“-Metaphorik aufweist,75 trägt das für die Wahrnehmung der konkreten „Bildlichkeit“ der Metaphorik und ihrer offenbar wechselnd starken Betonung des Konzeptes Geburt bei Mounce erstaunlich wenig aus. Wichtiger ist es Mounce, sowohl in der Analyse von Tit 3,5, aber auch in seiner Exegese der anderen Texte zu betonen, dass es sich mit „rebirth“ bzw. „regenesis“ um „a metaphor for conversion and not for baptism“ handele.76 Diese These, die zweifellos hilfreich ist, um vorschnelle Engführungen der Textaussagen auf die Taufe zu verhindern, erweist sich aufgrund ihrer alternativlosen Gegenüberstellung von Taufe und Konversion aber als kaum haltbar. Die exegetischen Argumente, die Mounce zusammenträgt, machen zwar – ganz zu Recht – auch andere als die in den Kommentaren häufig dominierenden Tauf-Deutungen für die von ihm untersuchten Texte möglich, lassen sich aber durchaus auch mit einer Referenz der Texte auf die Taufe verbinden.77 Ausführlich beschäftigt sich Mounce dann vor allem mit der Frage der Herkunft der Metaphorik, die die Forschungsgeschichte schon seit ihren Anfängen umtreibt (vgl. die vorangehenden Kapitel). Bei der Suche nach Hinweisen auf eine „Wiedergeburts“-Metaphorik in den Mysterienkulten kommt Mounce zu 73 Vgl.

Mounce, Origin 9 f. Mounce, Origin 192 f. u. ö. 75 Vgl. Mounce, Origin 193: „If we are correct then Titus 3:5 is not using the metaphor of rebirth“; vgl. auch den späteren Beitrag von Zimmermann (Wiederentstehung; s. u. 5.11), mit einer ähnlichen These aber ohne Rezeption von Mounce. 76 Mounce, Origin 200 (in Bezug auf Tit 3,5); ähnlich auch die Aussage zum Ersten Petrusbrief (ebd. 184). In der allgemeinen Zusammenfassung formuliert Mounce diese These dann so: „Rebirth is a metaphor for conversion. […] It is equivalent in meaning to ,birth from God.‘ The metaphor has no connection, in its early stages, with baptism“ (ebd. 349). Eine Differenzierung zwischen „rebirth“, „regeneration“ oder „regenesis“ gibt es hier nicht mehr, obwohl zweifellos auch Tit 3,5 in diese Aussage mit eingeschlossen ist. In seinem Kommentar zu den Pastoralbriefen schreibt Mounce diese These dann für Tit 3,5 fort (s. u. 8.3.3). 77 Besonders die Thematik kultischer Reinigung greift Mounce angesichts der Erwähnungen von ὕδωρ (vgl. Joh 3,5) bzw. λουτρόν (Tit 3,5) immer wieder auf und stellt sie gegen die Taufdeutung; vgl. ähnlich auch Bae (Wiedergeburt; s. u. 5.6), wenn auch mit anderen Begründungen und keinerlei Bezugnahme auf Mounce. Dass sich im Fall von Tit 3,5 Reinigungsmetaphorik, Taufreferenz und Charakterisierung des Geschehens als παλιγγενεσία jedoch sinnvoll zu einer gemeinsamen Deutung verbinden lassen, zeigt die Auslegung von Tit 3,5: s. u. bes. 8.4 und 8.6. 74 Vgl.

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4. Zögerliche Neuanfänge

einem negativen Ergebnis,78 positiv schätzt er hingegen die Herleitung der neutestamentlichen Metapher aus dem alttestamentlichen und frühjüdischen Kontext ein.79 Wieder orientiert sich Mounce in seinem Vorgehen dabei ganz an der „Bildlichkeit“ der Metapher, deren Herkunft er weitgehend ohne Berücksichtigung dessen untersucht, was er als „concept“ oder „meaning“ bezeichnet. Hinter dieser vehementen Ablehnung, mit der Mounce einer Beschäftigung mit der „Bedeutung“ der Metapher entgegentritt, wird ein berechtigtes Unbehagen gegenüber einer Forschungsgeschichte deutlich, in der immer wieder ein in sich unklares Konzept von „Wiedergeburt“ bzw. „rebirth / r‌ egeneration“ zum Ausgangspunkt gewählt wird (s. o. 1.7). Sich allein auf die „Bildlichkeit“ der Metapher und deren Herkunft aus alttestamentlichen und jüdischen Quellen zu beschränken, kann das Problem aber nicht lösen.80 Denn die Feststellung, „Judaism […] could speak of God giving birth to ‚the drops of dew‘ and ‚the hoarfrost of heaven,‘ the nation Israel, the king, wisdom, the law, and the messiah“,81 klärt mit dem impliziten Hinweis auf die vielfältigen Möglichkeiten, die der Einsatz des Ursprungsbereiches Geburt bietet, weder die Herkunft noch die Leistung der neutestamentlichen Rede von „Wiedergeburt“ erschöpfend. Auch die Hinweise auf die Zielbereiche dieser metaphorischen Aussagen, die Mounce hier ganz gegen seine Ablehnung der Betrachtung von „meaning“ und „concept“ gibt, dass nämlich mit diesen metaphorischen Geburtsaussagen „the creative power of God“ oder „the inception of a new relationship with God“ 82 zum Ausdruck komme, begründen „The Origin of the New Testament Metaphor of Rebirth“ 83 noch nicht schlüssig aus alttestamentlich-jüdischen Traditionen.84

78 Mounce,

Origin 109–111. Origin 334–337. 80 Siehe mehr dazu unten 6.2 und 7.1. 81 Mounce, Origin 340. 82 Mounce, Origin 340. 83 So der Titel der Dissertation von Mounce. 84 Gegen Mounce, Origin 349: „Rebirth […] is an eschatological event which regene­ rates the essential man in line with the prophetic promises“ (Hervorhebung hinzugefügt). 79 Mounce,

5. Kapitel

Neues Interesse an der „Wiedergeburt“ im Neuen Testament seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts Seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ist innerhalb der neutestamentlichen Forschung ein neu erwachendes Interesse am Thema „Wiedergeburt“ zu beobachten, das im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends seinen Höhepunkt erreicht. Neben der Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament überhaupt, die nun aber nicht mehr in Zuspitzung auf eine bestimmte religionsgeschichtliche These behandelt wird, nehmen jene Beiträge an Zahl deutlich zu, die sich mit „Wiedergeburt“ in nur einem bestimmten neutestamentlichen Text befassen. In der Regel werfen sie dabei immer auch einen Blick auf „Wiedergeburt“ im Neuen Testament überhaupt. Das gilt am wenigsten für den Aufsatz von Fred W. Burnett von 1983, der sich mit „Παλιγγενεσία in Matt. 19:28“ beschäftigt (s. u. 5.1) und damit zugleich auch jenen Text in den Blick nimmt, der schon immer eine Sonderstellung annahm, wenn es um Texte mit wörtlichen Repräsentationen von „Wiedergeburt“ ging. Auf Joh 3 konzentrieren sich in besonderer Weise die Beiträge von Thomas Söding und Jae Woog Bae (s. u. 5.3 und 5.6). Der Erste Petrusbrief steht in den Aufsätzen von Frédéric Manns, Reinhard Feldmeier und Elena Bosetti im Zentrum (s. u. 5.4, 5.8 und 5.10). Mit Tit 3,5 befasst sich, wie schon 1937 Joseph Dey (s. o. 3.6), nun erneut Christiane Zimmermann (s. u. 5.11). Weniger an einem einzigen Text orientiert sind die Beiträge von Hermann Lichtenberger, Peeter Roosimaa und Frances Back (s. u. 5.2, 5.5 und 5.9). Und schließlich erscheint 2005 nicht nur die vierte Auf lage der RGG mit ihrem achten Band, in dem Jörg Frey den neutestamentlichen Abschnitt zu „Wiedergeburt“ ganz neu konzipiert, sondern ist 2004 auch das Nachfolgeprojekt der RE, die „Theologische Realenzyklopädie“ (TRE), beim Buchstaben W angelangt und bietet einen Beitrag von Wiard Popkes zu „Wiedergeburt II. Neues Testament“ (s. u. 5.7).

5.1 Fred W. Burnetts Blick auf παλιγγενεσία in Mt 19,28 (1983) Bereits der Titel von Burnetts Zeitschriftenaufsatz von 1983 ist im Kontext der sonstigen „Wiedergeburts“-Forschung auffällig. Er stellt nicht in Aussicht, ein wie auch immer geartetes „Wiedergeburts“-Verständnis oder eine Termino-

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5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

logie zu klären, sondern fragt anhand der Betrachtung von παλιγγενεσία in Mt 19,28 nach einem Zugang zur matthäischen Gemeinde: „Παλιγγενεσία in Matt. 19:28. A Window on the Matthean Community?“ In den ersten Abschnitten greift Burnett dazu einige der traditionsgeschichtlichen Herleitungen von παλιγγενεσία auf, die in der Forschung diskutiert werden, um das Auftreten eines so auffällig griechisch-hellenistischen Wortes in dem ansonsten so jüdischen Matthäusevangelium zu erklären.1 Besonders mit Büchsel (s. o. 3.4.3) setzt sich Burnett dabei kritisch auseinander, weil παλιγ-­ γενεσία seines Erachtens keineswegs nur auf die allgemeine Erneuerung des Kosmos ziele, sondern sich ebenso auf das ewige Leben in der Zuspitzung auf das Schicksal des Einzelnen beziehen könne.2 Von dieser Feststellung aus blickt Burnett auf den unmittelbaren Kontext von Mt 19,28, wo es (vgl. Mt 19,29.16) ebenfalls mehr um das ewige Leben als um die „Wiedergeburt“ der Welt geht. Als weiteres wichtiges Thema des Kapitels hebt er die Nachfolge hervor. In diesem Kontext erweist sich Mt 19,28 für Burnett als „a rude intrusion“, weil der Vers zum einen plötzlich und „in addition to eternal life“ die Zwölf mit Sonderzusagen ausstatte.3 Zum anderen stehe der Vers mit der Heraushebung der Zwölf als privilegierter Gruppe überhaupt gegen die sonstige Sicht des Evangeliums auf die Gemeinschaft der Nachfolgenden. Wie Burnett betont, lasse sich das Wort über die Zwölf dabei zwar als traditionell bestimmen (vgl. Lk 20,30 b, allerdings mit völlig anderem Kontext), zugleich zeige Mt 19,29 aber so starke Anzeichen matthäischer Redaktion, dass die Frage nach den Motiven dieser „groben Einfügung“ an genau dieser Stelle dringend werde. Hier nun macht Burnett den eschatologischen Kontext des Verses stark, zu dem die redaktionelle Zeitangabe ἐν τῇ παλιγγενεσίᾳ innerhalb des Verses Mt 19,28 passt. Burnett versucht so zu zeigen, dass die traditionelle Aussage über die herrschende Position der Zwölf dem matthäischen Konzept von Jüngerschaft zwar fremd bleibt, dass es in der Art und Weise, wie Matthäus sie aufgreift, aber doch zu einer Minimierung der Unterschiede innerhalb der Gemeinschaft der Nachfolgenden kommt. Das geschehe zum einen dadurch, dass Matthäus den Vers in einen Kontext einfüge, der von der Verheißung ewigen Lebens für alle Jünger spricht. Andererseits helfe bei dieser Minimierung ganz speziell die redaktionelle Hinzufügung ἐν τῇ παλιγγενεσίᾳ, weil sie die Sonderzusage an die Zwölf klar als eschatologische Zusage qualifiziere und so zugleich aktuellen Führungsansprüchen innerhalb der eigenen Gemeinde die Berechtigung nehme.4 1 Vgl.

Burnett, Παλιγγενεσία 60. Burnett, Παλιγγενεσία 61. Diese Doppelung der möglichen Bedeutung ist Burnett wichtig, auch wenn – oder gerade weil – er bezweifelt, dass die präzise Bedeutung von παλιγγενεσία im Matthäusevangelium überhaupt ermittelt werden könne. Es gehe vielmehr um die Funktion des Wortes im Kontext des Matthäusevangeliums (vgl. ebd. 62). 3 Burnett, Παλιγγενεσία 63. 4 Vgl. Burnett, Παλιγγενεσία 64. 2 Vgl.

5.2 Hermann Lichtenberger

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Hinter diesem für das Konzept von Nachfolge und Jüngerschaft im Matthäusevangelium relevanten Ergebnis deutet sich die Antwort auf die anfängliche Frage, warum in Mt 19,28 das Wort παλιγγενεσία benutzt wird, vorerst nur schemenhaft an. Um die Zukünftigkeit der in Mt 19,28 geschilderten Ereignisse zu betonen, wären auch andere Ausdrucksmöglichkeiten denkbar gewesen, Burnett selbst verweist auf mögliche Synonyme.5 Mit der von Burnett betonten Offenheit in der Bedeutung von παλιγγενεσία als „renewal of the cosmos“ und als „destiny of the individual soul after the world’s re-creation“ 6 zeigt sich παλιγγενεσία aber als anschlussfähig an den Kontext, der die Zusage ewigen Lebens an die Einzelnen thematisiert, und kann in Mt 19,28 selbst die Neuwerdung der Welt am Ende der Zeit bezeichnen. Es steht dabei völlig außer Zweifel, dass παλιγγενεσία nicht auf ein Ereignis im gegenwärtigen Leben referiert, sondern auf ein zukünftiges Geschehen. Das wiederum ist ein wichtiges Ergebnis im Hinblick auf die Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament. Burnetts Beitrag zu Mt 19,28 zeigt gut, wie sehr sich dieser Vers in seiner strikt endzeitlichen Ausrichtung von den anderen, sonst unter der Überschrift „Wiedergeburt im Neuen Testament“ verhandelten Texten unterscheidet, so dass es auch kein Zufall ist, dass diese bei Burnett nicht erwähnt werden. Zugleich wird deutlich, dass die Situationsangabe ἐν τῇ παλιγγενεσίᾳ in Mt 19,28 nicht die Hauptaussage des Textes bildet, der sich vielmehr mit Nachfolge und Jüngerschaft befasst, und dass somit nichts dafür spricht, die Frage nach παλιγγενεσία in Mt 19,28 traditionsgeschichtlich zu isolieren und in eine Reihe mit anderen „Wiedergeburts“-Aussagen zu stellen. In diesem Sinne kann Burnetts Beitrag helfen, den in der Forschung zur „Wiedergeburt“ zumeist nur im Nebensatz thematisierten Ausschluss von Mt 19,28 7 tiefergehend zu begründen. Die nachfolgende „Wiedergeburts“-Forschung rezipiert ihn jedoch kaum.

5.2 „Neuschöpfung und Wiedergeburt“ in Hermann Lichtenbergers Antrittsvorlesung (1986 / 2008) Hermann Lichtenbergers Aufsatz „Neuschöpfung und Wiedergeburt“ mit dem Untertitel „Überlegungen zu ihrer eschatologischen Bedeutung im Neuen Testament“ ist die schriftliche Fassung seiner 1986 gehaltenen (ersten) Tübinger Antrittsvorlesung, die erst 2008 in einer Festschrift gedruckt erschien.8 Bereits 5 Vgl. Burnett, Παλιγγενεσία 65: „The temporal phrase ἐν τῇ παλιγγενεσίᾳ […] is virtually synonymous with συντέλεια τοῦ αἰῶνος […]. In its immediate context ἐν τῇ παλιγγενεσίᾳ seems to be synonymous with the temporal phrase αἰῶνι τῷ ἐρχομένῳ“. 6 Burnett, Παλιγγενεσία 61 (Hervorhebungen hinzugefügt). 7 Vgl. z. B. Heitmüller, Wiedergeburt 2008, und dazu oben 2.2.1. 8 Vgl. Lichtenberger, Neuschöpfung 313 Anm. 1. In der Forschung ist der Beitrag von Lichtenberger daher bisher nur in der Dissertation von Jae Woog Bae rezipiert worden, die

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5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

der Titel, der „Neuschöpfung“ und „Wiedergeburt“ verbindet, ist bezeichnend für eine Sicht, die sich in der Forschung häufig findet und dazu tendiert, die Frage nach „Wiedergeburt“ mit anderen Themenstellungen, insbesondere der der „neuen Schöpfung“ zu ergänzen und nicht selten unter der Hand durch diese zu ersetzen.9 Lichtenberger dagegen benennt diese Doppelung der Fragestellung deutlich. Zugleich kritisiert er an der bisherigen Forschung aber auch die zu schematische Trennung, die sich vor allem nicht sinnvoll auf die vermuteten unterschiedlichen Herkunftsbereiche – aus alttestamentlich-jüdischer Überlieferung einerseits und hellenistisch-römischer Welt andererseits – berufen könne.10 Die Kombination der Vorstellungen von „Wiedergeburt“ und Neuschöpfung im frühen Christentum sieht Lichtenberger in Justins Diktum (1 Apol. 64,4–5) gegeben: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in die Herrschaft der Himmel eingehen“.11 Hier bringe Justin bereits „mühelos oder unbewußt den Gedanken der Neuschöpfung (‚Werden wie Kinder‘) mit dem der Wiedergeburt (‚von neuem geboren werden‘)“ zusammen.12 Das ist aber schon deshalb wenig überzeugend, weil nicht klar wird, wieso Lichtenberger ein „Werden wie Kinder“ als Vorstellung von Neuschöpfung versteht. Nicht rezipiert wird an dieser Stelle (und überhaupt im Aufsatz) dagegen der Beitrag von Sjöberg (s. o. 4.1.2), der genau diese Frage des Nebeneinanders von (Neu-)Schöpfungs- und (Wieder-)Geburtsformulierungen bereits ausführlicher für den jüdischen Bereich untersucht hat.13

2003 unter der Betreuung Lichtenbergers abgeschlossen wurde. Bae bezieht sich in seiner Arbeit (s. u. 5.6) noch auf die unveröffentlichte Fassung von Lichtenbergers Text (vgl. Bae, Wiedergeburt 14). 9 So etwa zu beobachten bei Heitmüller, Wißmann, Dey, Gennrich und mit Abstrichen auch bei Harnack (s. o. die entsprechenden Abschnitte in Kap. 2 und 3). 10 Vgl. Lichtenberger, Neuschöpfung 314. Lichtenberger moniert zu Recht, dass eine solche „schematische Trennung von Judentum und Hellenismus aus vielen und bekannten Gründen obsolet geworden ist“ (ebd.). Er stellt aber nicht heraus, an welchen Stellen der Forschung eine solche zu kritisierende Sicht auf falsche Wege geführt hat und was durch die umfassendere Wahrnehmung der Zusammenhänge anders zu betrachten wäre. Überhaupt erwähnt Lichtenberger nur wenig Forschungsliteratur: Kurz zuvor (ebd. 313 Anm. 3 und 4) hat er für das Thema Neuschöpfung nur allgemein auf Mell, Neue Schöpfung, und für das Thema „Wiedergeburt“ allgemein auf Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ, und den Sammelband zum Thema von Reinhard Feldmeier verwiesen. Auch auf diese Beiträge nimmt er im Folgenden aber keinen oder nur sehr knappen Bezug. 11 Zitiert nach Lichtenberger, Neuschöpfung 314. Lichtenberger meint, dass Justin hier Mt 18,3 und Joh 3,3 aufgreife und miteinander kombiniere. In der Forschung ist allerdings umstritten, ob Justin eine direkte Kenntnis der johanneischen Schriften hatte (kritisch z. B. Strecker, Evangelienharmonie 307; positiv z. B. Schnackenburg, Johannesevangelium I, 178). 12 Lichtenberger, Neuschöpfung 314. 13 Dass eine Inschrift im Mithras-Heiligtum unter Santa Prisca (Rom; Anfang 3. Jahrhundert) renatus und creatum zusammenbringt (vgl. Lichtenberger, Neuschöpfung 314 mit Anm. 6), kann die Argumentation einer Zusammenschau beider Vorstellungen, die „auch in den Mysterien […] zur Beschreibung des wandelnden und neumachenden Ereignisses dienen“ (ebd. 314), ebenfalls nicht auf breiter Linie stützen.

5.2 Hermann Lichtenberger

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Trotz der Warnung vor zu starker Trennung betrachtet Lichtenberger in seinem Beitrag die beiden Vorstellungsbereiche Neuschöpfung und „Wiedergeburt“ dann weitgehend separat voneinander. Im zweiten Teil wendet er sich zuerst der Betrachtung der Neuschöpfungsvorstellung im Neuen Testament zu. Hier führt Lichtenberger Stellen an, die auch schon aus der früheren Diskussion um die „Wiedergeburt“ im Neuen Testament bekannt sind,14 nämlich 2 Kor 5,17; Gal 6,15; Röm 6.15 Im Blick auf die Paulusschüler 16 differenziert er dann zwischen den paulinischen Aussagen Röm 13,14; Gal 3,27, die vom Christus-Anziehen sprechen, und den deuteropaulinischen Weiterbildungen in Kol 3,10; Eph 4,24, die mit Aufforderung, den neuen Menschen anzuziehen, „eine ethisierende Dimension“ in die soteriologisch orientierten Aussagen des Paulus brächten.17 Auch diese Texte begegneten bereits mehrfach in den Untersuchungen zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament, zum Beispiel bei Harnack und bei Wißmann. Lichtenberger differenziert aber deutlicher und unterscheidet alle diese Texte unter der Überschrift „Neuschöpfung“ klar von „Wiedergeburt“.

Der dritte Teil von Lichtenbergers Beitrag widmet sich dann dem „Themenkreis der Wiedergeburt“.18 Dabei setzt er bei den wörtlichen Entsprechungen zu „Wiedergeburt“ in den Texten an. Es handle sich um ein „sehr bildhaftes, terminologisch überschaubares Feld“.19 Lichtenberger betrachtet es zuerst nur allgemein und stellt noch vor der genaueren Analyse der Texte fest, dass der Wortgruppe „ἀναγεννάω, γεννηθῆναι ἄνωθεν, ἐκ θεοῦ γεννηθῆναι, ἀρτι­γέν­ νητος sowie dem von γίνομαι abzuleitenden Substantiv παλιγγενεσία“ gemeinsam sei, dass sie eine neue und die erste Geburt überbietende Geburt beschreibe, die „dem Menschen überhaupt erst Leben gibt. Wie bei den Neuschöpfungsaussagen ist vor der neuen Geburt der Mensch tot bzw. was er für Leben hält, ist Täuschung, Tod“.20 Lichtenberger beschreibt damit einerseits recht deutlich, dass es sich bei dem metaphorisch eingesetzten Konzeptbereich um Geburt und nicht um „Wiedergeburt“ handelt. Die Wahrnehmung des Ursprungsbereiches bleibt jedoch insofern unpräzise, als Lichtenberger auch die Vorstellung, dass der Mensch vor der neuen Geburt tot sei, hier verankert.21 Diese Sicht kann aber nur der Kontext einbringen, im Konzept von Geburt ist sie dagegen nicht enthalten: Vor der Geburt bzw. Zeugung ist man nicht tot, sondern gar nicht existent. 14 Siehe

etwa Heitmüller: oben 2.2.2. Lichtenberger, Neuschöpfung 314 f. 16 Vgl. Lichtenberger, Neuschöpfung 318–320. 17 Lichtenberger, Neuschöpfung 319. 18 Lichtenberger, Neuschöpfung 320. 19 Lichtenberger, Neuschöpfung 320. 20 Lichtenberger, Neuschöpfung 320. 21 Dass es bei der metaphorischen Rede von Neuschöpfung und „Wiedergeburt“ insbesondere um den Ausdruck des Übergangs vom Tod zum Leben gehe, hatte Lichtenberger schon eingangs betont, und zwar umgekehrt argumentierend: „Wenn wir im Neuen Testament nach diesem Übergang vom Tod zum Leben, von der ‚alten‘, der Sünde und damit dem Tod unterworfenen Existenz zum ‚neuen Leben‘ fragen, so rücken zwei Vorstellungsweisen in den Vordergrund: Neuschöpfung und Wiedergeburt“ (Lichtenberger, Neuschöpfung 313). 15 Vgl.

100

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

Lichtenbergers Haltung in der Debatte über die Herkunft der „Wiedergeburts“-Vorstellung aus den Mysterien, die sich ebenfalls im dritten Teil seines Beitrags findet, ist vorsichtig positiv: „[…] so verweisen uns Sprache und Vorstellungswelt auf den Bereich der Mysterienreligionen“.22 Lichtenberger macht deutlich, dass aufgrund der spärlichen Quellenlage genaues Wissen nicht verfügbar ist.23 Die daran anschließend aufgeführten wenigen Textstücke aus den Mysterienkulten bestätigen das eher diffuse Bild.24 Dementsprechend konstruiert Lichtenberger aus seinen Textbeobachtungen auch keine Abhängigkeit der neutestamentlichen Rede von „Wiedergeburt“ von den Mysterien, sondern spricht vielmehr nur von einer „Vorstellungswelt“ der Mysterien und davon, dass „uns die Mysterien – und sei es im Kontrast – helfen können, die neutestamentlichen Wiedergeburtstexte besser zu verstehen“.25 Inwiefern das tatsächlich so ist, bleibt freilich vage. Als vermittelnde Größe zwischen Mysterien und dem „Urchristentum“ nimmt Lichtenberger am Anfang des folgenden vierten Teils außerdem das Judentum in den Blick 26 und kommt dann – in ausgesprochen knapper Weise – auf die neutestamentlichen „Wiedergeburts“-Texte Joh 3,3 ff.; 1 Petr 1 und Tit 3,5 zu sprechen. Joh 3 steht für ihn dabei ohne weitere Diskussion im Zusammenhang mit der Taufe. In der paraphrasierenden Wiedergabe des Textes betont Lichtenberger besonders das Paradox der von Jesus beschriebenen Geburt von oben. Nikodemus habe in seiner oft als Missverständnis gedeuteten Antwort in Joh 3,4 die „Unmöglichkeit des Vorgangs“ ganz richtig verstanden. Er bleibe für ihn dennoch „unerklärbar“, denn nur dem von oben her wiedergeborenen Men22 Lichtenberger,

Neuschöpfung 320.

23 Lichtenberger wiederholt hier Argumente, wie sie z. B. schon aus Büchsels ThWNT-Bei-

trägen bekannt sind (s. o. 3.4) oder aus Deys Untersuchung (s. o. 3.6), und verweist besonders auf die Arkandisziplin, aufgrund derer wenig Informationen über die Kulte bekannt sind, und auf die zeitlich unterschiedlichen Entwicklungen und die Vielfalt der als Mysterien zusammengefassten Kulte (vgl. Lichtenberger, Neuschöpfung 320 f.). 24 Vgl. Lichtenberger, Neuschöpfung 321. Lichtenberger selbst betont hier, dass das „uns interessierende ‚Schlüsselwort‘ wiedergeboren werden, Wiedergeburt“ nur selten begegne. Die Textbelege dafür kommen aus einer von 376 n. Chr. stammenden Inschrift (CIL 6,510), die dem Attiskult zugerechnet wird und den Eingeweihten als „in aeternum renatus“ bezeichnet, aus der sogenannten Mithrasliturgie (vgl. Dieterich, Mithrasliturgie 14 f., bzw. PGrM 4,719 ff.), die allerdings umgekehrt vom Vergehen nach dem erneuten Gewordensein spricht (πάλιν γενόμενος ἀπογίγνομαι), aus dem schon erwähnten Mithras-Heiligtum in den römischen Katakomben unter Santa Prisca (frühes 3. Jahrhundert; s. o. Anm. 13) und aus dem elften Buch der Metamorphosen des Apuleius, das über die Isisweihen berichtet. Auf den Kybelekult schließlich, der den Tag des Tauroboliums als natalicium bezeichne, verweist Lichtenberger ohne eine Quellenangabe. 25 Lichtenberger, Neuschöpfung 321 f. 26 Vgl. Lichtenberger, Neuschöpfung 322. So haben es vor Lichtenberger bereits Büchsel und Sjöberg intensiver getan (s. o. 3.4 und 4.1). Allerdings bietet Lichtenberger im Gegensatz zu diesen beiden Autoren keine Texte, die auf dieser Spur weiterführen. Die Verse aus der Septuaginta, die Lichtenberger (Neuschöpfung 322) anführt, dienen allein dem Nachweis, dass das Judentum ganz allgemein Termini der Mysteriensprache übernommen hat.

5.2 Hermann Lichtenberger

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schen wird offenbar, dass „[d]urch die Geburt aus dem Geist […] die sarkische Existenz, an der jeder teilhat, aufgehoben“ wird.27 Mehr oder Genaueres zur metaphorischen Rede vom Geborensein erfährt man hier nicht, auch Bezüge zur Geburt aus Gott (Joh 1,13 bzw. mehrfach im Ersten Johannesbief ) stellt Lichtenberger nicht her, obwohl er ἐκ θεοῦ γεννηθῆναι ausdrücklich im „Wortfeld“ der „Wiedergeburt“ (s. o.) verankert hatte. Lichtenberger hebt im Folgenden vielmehr ganz auf die Wirkungen des Geistes ab, dessen Gabe – völlig zutreffend beobachtet – eine in Joh 3 noch zukünftige ist, da sie von Jesu Verherrlichung abhängt.28 Erst der Auferstandene gibt seinen Jüngern dann tatsächlich den Heiligen Geist, „indem er sie anbläst (20,22): ἀνεφύσησεν“.29 Da hier im Wortgebrauch auf Gen 2,7 LXX angespielt ist, nutzt Lichtenberger diese Brücke, um festzustellen, dass das Johannesevangelium „[d]‍urch den Geistgedanken […] beides zum Ausdruck bringen kann: Wiedergeburt und Neuschöpfung“.30 Der Neuschöpfungsgedanke bleibt dabei aber völlig blass und der unmittelbare Kontext der Aussage in Joh 20,22 weitgehend unbeachtet. Die anschließende Betrachtung der „Wiedergeburt“ im Ersten Petrusbrief ist wesentlich eine Paraphrase von 1 Petr 1,3–5.23 und 2,2. Lichtenberger verweist hier mehrfach auf die „Spannung zwischen der geschehenen Wiedergeburt und der Heilsvollendung“.31 Die „Geschichtlichkeit der Wiedergeburt“ begründe zwar den „Imperativ, auf den die Wiedergeborenen angesprochen werden“, ihre Existenz bleibe aber dennoch „eschatologische Existenz“. Wiedergeburt lasse sich somit „keinesfalls von der Eschatologie trennen.“ 32 Viel Neues ist für das Verständnis der metaphorischen Rede in 1 Petr 1,3.23 und 2,2 damit nicht gewonnen. Vor allem wird nicht deutlich, warum sich gerade diese Metapher als hilfreich erweist, und wie der Text mit den vielfältigen Aspekten des Ursprungsbereiches im Kontext weiterarbeitet.33 Die abschließenden Bemerkungen zu Tit 3,5 beginnen mit einer knappen Erwähnung der Herkunft des Begriffs παλιγγενεσία aus der stoischen Schulsprache und kurzen Erläuterungen zu seiner spezifischen endzeitlich-einmaligen Bedeutung in Mt 19,28.34 Beide Gedankenstränge bleiben weitgehend unverbunden neben der folgenden Übersetzung von Tit 3,4–7 stehen. Zum Text selbst macht Lichtenberger nur noch wenige Bemerkungen: Wiederum 27 Lichtenberger,

Neuschöpfung 323. Lichtenberger, Neuschöpfung 323; ausführlicher dazu s. u. 9.1.4. 29 Lichtenberger, Neuschöpfung 324. 30 Lichtenberger, Neuschöpfung 324. 31 Lichtenberger, Neuschöpfung 324. 32 Lichtenberger, Neuschöpfung 325. 33 Damit ist vor allem 1 Petr 1,14–19 gemeint (ausführlich dazu s. u. 10.4). Die Aussage in 1 Petr 2,2 dagegen, die Lichtenberger (Neuschöpfung 325) explizit aufgreift, lässt sich bei genauer Analyse der Metapher (ausführlich s. u. 10.6) nicht so auslegen, wie Lichtenberger das vorschlägt. Denn völlig unabhängig davon, ob ὡς in 1 Petr 2,2 einen Vergleich einleitet oder – mit Lichtenberger (vgl. Neuschöpfung 325) – die „präzise“ Aussage lauten müsse: „Als die eben Geborenen sollen sie nach der geistlichen (λογικός) und unverfälschten Milch begehren […]“ (ebd.; Hervorhebung hinzugefügt), so bleibt die Aussage doch metaphorisch. Als solche greift sie aus dem Ursprungsbereich Neugeborene ein bestimmtes Verhalten heraus. Es geht um das von Natur aus vorhandene Verlangen der Neugeborenen nach Milch, das auch die Adressierten des Briefes an den Tag legen sollen. Dass die Milch dabei als λογικός charakterisiert wird, verweist im Kontext ganz richtig (so auch Lichtenberger ebd.) auf das „verkündete Gotteswort“. Aber dass diese so zu verstehende Milch die Adressierten „auch zu Neugeborenen gemacht hat“ (ebd.; Hervorhebung hinzugefügt), liest die Metapher gewissermaßen verkehrt herum und stimmt eben nur für das als „Samen“ metaphorisierte „Wort“ und also nur für die metaphorische Aussage in 1 Petr 1,23, nicht aber für jene in 1 Petr 2,2. 34 Vgl. Lichtenberger, Neuschöpfung 326. 28 Vgl.

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5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

lasse sich feststellen, dass die bereits geschehene „Wiedergeburt“ in Spannung zur noch ausstehenden Heilsvollendung stehe. Wiederum (s. o. zu Joh 3) geschehe die „Wiedergeburt“ in der Taufe, ohne dass der spezielle metaphorische Ausdruck „Bad der Wiedergeburt“ eine intensivere Betrachtung erfährt.35 Im Gegenüber zu Corpus Hermeticum 13, wo „die Wiedergeburt Voraussetzung für die Rettung“ ist, allerdings einigen Auserwählten vorbehalten bleibt,36 hebt Lichtenberger hervor, dass nach Tit 3 die παλιγγενεσία „in der Taufe allen zuteil“ wurde und „der Heilige Geist […] reichlich ausgegossen“ ist. All das sei „ganz unmystisch und noch weniger mysterienhaft.“ 37 Der Anweg, den Lichtenberger mit dem Abschnitt über die Mysterien und die Vermittlung der „Wiedergeburtsvorstellung“ durch das Judentum (s. o.) genommen hat, ergibt somit für Tit 3,5 ein negatives Ergebnis. Das gilt nach Lichtenberger aber auch für die anderen beiden Texte: „Mit den spätantiken Mysterienkulten hat das neutestamentliche Reden von der Wiedergeburt kaum mehr als die Sprache gemeinsam.“ 38

Am Schluss, im fünften Teil, konstatiert Lichtenberger selbst: „Vieles konnte nur angedeutet werden.“ 39 Das angekündigte Fazit, das „zu einer Verhältnisbestimmung von Neuschöpfung und Wiedergeburt“ 40 führen sollte, beschränkt sich im Wesentlichen auf eine Beschreibung des gemeinsamen Zielbereiches, für den beide „Gedanken“ metaphorisch eingesetzt werden und der „das neue, in Christus geschaffene und geschenkte Sein der Glaubenden zum Ausdruck“ bringe.41 Dass der Vorstellung der Neuschöpfung dabei die „größere Anschaulichkeit“ gegenüber der „Wiedergeburt“ zukomme, wie Lichtenberger abschließend resümiert,42 stimmt jedoch nur, weil die ausgesprochen knappe Betrachtung von Joh 3; 1 Petr 1 und Tit 3,5 das Potenzial der jeweils verwendeten Metaphern nur ansatzweise auslotet.

5.3 „Wiedergeburt“ als archetypisches Symbol bei Thomas Söding (1990) Der Beitrag Thomas Södings zu „Wiedergeburt aus Wasser und Geist. Anmerkungen zur Symbolsprache des Johannesevangeliums am Beispiel des Nikodemusgesprächs (Joh 3,1–21)“ ist keineswegs nur auf das Johannesevangelium konzentriert,43 sondern enthält unter anderem auch einen allgemeineren Ab35 Vgl.

Lichtenberger, Neuschöpfung 326. Lichtenberger, Neuschöpfung 326. Corpus Hermeticum 13 hatte Lichtenberger im Zusammenhang mit den Mysterien (s. o.) bisher nicht erwähnt. 37 Lichtenberger, Neuschöpfung 327. 38 Lichtenberger, Neuschöpfung 327. 39 Lichtenberger, Neuschöpfung 327. 40 Lichtenberger, Neuschöpfung 314. 41 Lichtenberger, Neuschöpfung 327. 42 Vgl. Lichtenberger, Neuschöpfung 327. 43 Der umfangreiche Beitrag fasst im Nachgang zur Tagung der Deutschsprachigen Katholischen Neutestamentler im Jahr 1989 die Ergebnisse des dort abgehaltenen Seminars „Die Symbolik der Wiedergeburt“ zusammen (vgl. Söding, Wiedergeburt 168). Das Seminar 36 Vgl.

5.3 Thomas Söding

103

schnitt zum „Motiv der Wiedergeburt“.44 Hier kommen neben dem „religionsgeschichtliche[n] Kontext“ auch die „Neutestamentliche[n] Parallelen“ zu Joh 3 aus Mt 19,28; Tit 3,5 und 1 Petr 1,3.23 zur Sprache. In der methodischen Herangehensweise unterscheidet sich Söding von der bisherigen Forschung durch einen religionswissenschaftlichen Ansatz, der „Wiedergeburt“ in erster Linie als Symbol fasst.45 Im Folgenden wird es vor allem um die allgemeineren Anteile in Södings Beitrag gehen, um seine Ausführungen zu Methodik und sein Verständnis von „Wiedergeburt“, während die detailreichen Analysen zu Joh 3,1–21 46 stärker unten in der Einzelauslegung der johanneischen Texte Berücksichtigung finden (Kap. 9). Söding beginnt mit dem Hinweis auf die johanneischen Bildworte als Metaphern und betont in positiver Weise deren besondere Aussagekraft 47 und die starke Verankerung im jeweiligen Kontext.48 Terminologisch unklar wird es allerdings bereits kurz darauf, wenn Söding als ein Spezifikum der johanneischen Bildworte deren besondere „Bildfelder“ (ebd. 170) hervorhebt,49 die durch eine „hohe Konzentration auf einige wenige Grund-Metaphern: Licht und Finsternis, Geburt und Tod, Wasser, Brot, Lamm, Hirt und Herde (10,1–21), dann auch Weinstock und Reben (15,1–17)“ gekennzeichnet seien.50 Sowohl die „Bildfelder“ als auch die „Grund-Metaphern“ beschreiben genau genommen aber nur verschiedene Ursprungsbereiche von johanneischen Metaphern, keineswegs die „ganze“ Metapher oder ein Bildfeld im Sinne Weinrichs.51

Söding bleibt bei dieser Einordnung von „Wiedergeburt“ als Metapher jedoch nicht stehen, sondern geht noch einen Schritt weiter, indem er „Wiedergeburt“ als „archetypisches Symbol“ mit „mythologische[m] Hintergrund“ 52 bestimmt und dabei auf einen religionswissenschaftlichen Symbol- und Mythosbegriff zurückgreift.53 Methodisch erlaubt ihm das, die Frage nach „Herkunftsort“, „traditionellen Vorgaben“, „zeitgenössischen Parallelen und späteren Adaptionen“ 54 eines solchen archetypischen Symbols zwar zu stellen, sich bei der Beantwortung aber nicht auf direkte Übernahmen und Beeinflussungen fixiebehandelte neben Joh 3,1–9(12) als zentralem Text auch Clemens Alexandrinus, Excerpta ex Theodoto 76–80; Corpus Hermeticum 13 und Apuleius, Metamorphoses 11. 44 Söding, Wiedergeburt 186–194. 45 Söding, Wiedergeburt 172–182. 46 Söding, Wiedergeburt 194–216. 47 Vgl. Söding, Wiedergeburt 169: „Metaphern taugen nicht nur zur Illustration, sondern zur präzisen Prädikation; nicht nur ihre Wirkung, auch ihr Aussagegehalt ist vielfach größer als der argumentativer Abstraktionen. Dies gilt gerade bei den ‚letzten Fragen‘ um Gott, den Menschen und die Welt.“ 48 Söding, Wiedergeburt 169. 49 Söding, Wiedergeburt 170. 50 Söding, Wiedergeburt 171. 51 Zum Bildfeld bei Weinrich s. o. 1.6.3. 52 Söding, Wiedergeburt 187. 53 Vgl. Söding, Wiedergeburt 176–179. 54 Söding, Wiedergeburt 182.

104

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

ren zu müssen, wie es die ältere religionsgeschichtliche Herangehensweise tat: „Die neuere Sprach- und Literaturwissenschaft verweist vielmehr auf die Notwendigkeit eines (synchronischen) Strukturvergleichs und einer pragmatischen Textanalyse“. Worum es religionswissenschaftlich gehe, sei „eine vergleichende Interpretation“.55 Diese Formulierung legt methodisch wenig fest. Auf Johannes bezogen beschreibt Söding das Interpretationsverfahren so: Es geht dann immer sowohl um die Frage, in welcher Gestalt einerseits Johannes, andererseits jede einzelne der Parallelen den Archetyp aufgreift, als auch um die Frage, in welcher Weise, auf welcher Basis und mit welcher Intention sich Johannes mit den zeitgenössischen, ihm und seinen Adressaten vertrauten Symbolen der Umwelt auseinandersetzt.56

Das geschilderte Vorgehen verlangt also, dass auch „jede einzelne der Parallelen“ ähnlich intensiv wie der Haupttext zu untersuchen ist. Weder für jene außerbiblischen Zusammenhänge, die den laut Söding „in der Spätantike weit verbreitet[en] […] Gedanke[n] der Wiedergeburt“ 57 belegen, noch für jene neutestamentlichen Texte, die wörtliche Repräsentationen von „Wiedergeburt“ aufweisen, kann Söding das aber in der gebotenen Ausführlichkeit leisten. Dominierend bleibt vielmehr die vorausgehende allgemeine religionswissenschaftliche Bestimmung des „Symbols der Wiedergeburt“,58 die Söding liefert. Dass er dort den „anthropologische[n] Anhaltspunkt“ des Symbols der „Wiedergeburt“ als „die natürliche Geburt“ bestimmt, ist zunächst einmal positiv hervorzuheben und trifft sich mit Beobachtungen zum Ursprungsbereich der Metaphorik, die unten näher dargestellt werden (6.2). Dass – wie Söding fortfährt – das „tertium comparationis […] in der Entstehung von Leben“ liege, führt die vielfältigen Möglichkeiten, wie sie sich im metaphorischen Gebrauch des Ursprungsbereiches Geburt (bzw. Zeugung) in den Texten konkret zeigen, dann allerdings auf nur einen Aspekt der Übertragung eng.59 Schließlich deutet Söding das „Symbol Wiedergeburt“ im Zusammenhang mit Übergangs- und Initiationsriten als „individuelle Kosmogonie“: „Im Vollzug der heiligen Handlung stirbt der Neophyt, indem er zusammen mit dem gesamten Kosmos in das Ur-Chaos eintaucht, und wird neu geboren, indem er Anteil an der Schöpfung der Welt gewinnt.“ 60 Aus dieser Sicht auf das „Symbol Wiedergeburt“ folgt dabei zum einen, dass neben der natürlichen Geburt als „anthropologische[m] Anhaltspunkt“ 61 auch der Tod als ein wesentlicher Aspekt des Symbols etabliert wird. Folgt man Södings Beobachtungen jedoch 55 Söding,

Wiedergeburt 183. Wiedergeburt 183 f. 57 Söding, Wiedergeburt 188. Aus religionsgeschichtlicher Perspektive betrachtet Söding hier besonders die Seelenwanderungslehre, die stoische Lehre vom Weltenbrand, Gnosis und Mysterien – vgl. ebd. 188–191. 58 Söding, Wiedergeburt 187. 59 Diese Engführung ist bereits in der Frage nach einem „tertium comparationis“ angelegt. 60 Söding, Wiedergeburt 188. 61 Söding, Wiedergeburt 187; s. o. 56 Söding,

5.3 Thomas Söding

105

nicht so sehr symbol-, sondern metapherntheoretisch, dann ist im „zentralen Motiv der Geburt“ 62 als Ursprungsbereich der Metaphorik der Aspekt eines vorauslaufenden Todes gerade nicht enthalten, sondern kann höchstens kontextuell – zum Beispiel durch die Verortung der Metapher in einem Übergangs- und Initiationsritus oder durch den explizit gemachten Gegensatz von altem und neuem Leben – hinzukommen.63 Mit der Deutung von „Wiedergeburt“ als „individueller Kosmogonie“ 64 öffnet Söding außerdem den Weg zur Gleichsetzung von „Wiedergeburt“ mit Neuschöpfung. Diese Tendenz konnte in der Forschung schon vor Söding des Öfteren beobachtet werden65 und hat sich nie als gewinnbringend für die Klärung dessen herausgestellt, was die Rede von „Wiedergeburt“ in den neutestamentlichen Texten leistet. Söding benutzt die Neuschöpfung immerhin nicht als Brücke, um von den wenigen und späten neutestamentlichen „Wiedergeburts“-­ Texten 66 weg und hin zu zentralen paulinischen Texten zu gelangen (vgl. zu diesem Verfahren erneut besonders Heitmüller).67 Dennoch bleibt kritisch anzumerken, dass die Erklärung von „Wiedergeburt“ mit Hilfe einer anderen Metapher letztlich immer eine Verschiebung bedeutet. Wenn Söding daher zur Metaphorik in Joh 3,3 zusammenfassend sagt:, dass „[d]as zentrale Motiv der Geburt schließlich […] vor Augen“ führe, „daß die eschatologische Rettung des Menschen die Dimension einer eschatologischen Neuschöpfung hat“,68 dann ist damit γεννᾶσθαι ἄνωθεν im Kontext von Joh 3 nicht gedeutet, sondern nur hin zur Frage nach der Deutung von Neuschöpfung verschoben und es bleibt kritisch nach dem Mehrwert dieser Ersetzung zu fragen. Vermutlich ist es zum einen der eschatologische Aspekt, der die Verschiebung hin zur Neuschöpfung bei Söding motiviert. Denn die Vorstellung von einer Neuschöpfung ist bereits in der alttestamentlich-jüdischen Tradition als ein Geschehen am Ende der Zeiten vorgeprägt, während „Wiedergeburt“ eine klare zeitliche Fixierung vermissen lässt und sich von den paganen Hintergründen her auch ein wiederholtes, zyklisch sich ereignendes Geschehen nahelegen könnte. Die Ersetzung von „Wiedergeburt“ durch Neuschöpfung kann ein sol62 Söding,

Wiedergeburt 208. der exegetischen Analyse von Joh 3,1–21, der Söding die gesamte zweite Hälfte seines Beitrags widmet, spielt der Aspekt des Todes in diesem Sinne dann auch tatsächlich keine Rolle. 64 Söding, Wiedergeburt 188; s. o. 65 Vgl. etwa Heitmüller (s. o. 2.2.2); aber auch Harnack (s. o. 3.1); Procksch (s. o. 3.2); Lichtenberger (s. o. 5.2) oder später dann z. B. Bae (s. u. 5.6). 66 Söding betrachtet hier neben Joh 3 in sehr knapper Weise Mt 19,28; Tit 3,5 und 1 Petr 1,3.23. Jak 1,18 erfährt dagegen keinerlei Erwähnung. 67 Söding zeigt insgesamt keinerlei ausgeprägtes Interesse an der bisherigen Forschung zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament. Erwähnt, wenn auch nicht inhaltlich aufgearbeitet, werden immerhin Büchsel, γίνομαι; Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ; Sjöberg, Wiedergeburt, und Bur­nett, Παλιγγενεσία. 68 Söding, Wiedergeburt 208. 63 Bei

106

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

ches Missverständnis zwar verhindern, aber nur um den Preis, dass eine dem Text fremde Metaphorik in ihn eingetragen wird und die vorhandene Metapher überschreibt. Zum anderen scheint Söding der metaphorischen Kraft der Geburtsmetaphorik nicht zu trauen und versucht, den in ihr bereits enthaltenen Neuheitsaspekt durch die Rede von Neuschöpfung nochmals zu verstärken (vgl. auch Anm. 77). Diese beiden im Hintergrund vermuteten Gründe für die Ersetzung zeigen sich auch in der gegenüber der nachfolgenden Behandlung von Joh 3 sehr viel kürzeren Betrachtung von Mt 19,28 und Tit 3,5.69 Söding fasst die Bedeutung von παλιγγενεσία in beiden Texten als „gnadenhafte Neuschöpfung durch Gott“ zusammen.70 Betrachtet man den Kontext, dann will Söding auf diese Weise für Mt 19,28 den „absoluten Neuanfang“ betonen, der sich endzeitlich apokalyptisch realisiert, und für Tit 3,5 die „Stiftung einer ganz neuen Identität“, die hier bereits präsentisch-eschatologisch erfahrbar werde.71 Diese beiden Texte im Sinne einer Neuschöpfung zu interpretieren, könnte dabei überzeugender sein, wenn Söding auf die differierende Terminologie eingegangen wäre. Denn anders als für γεννᾶσθαι ἄνωθεν ist der Bezug auf Geburt (bzw. Zeugung) im Wort παλιγγενεσία weniger eindeutig.72 Für Söding belegt das Auftreten von παλιγγενεσία in Mt 19,28 und Tit 3,5 aber genauso das „Symbol der Wiedergeburt“, wie es auch die Vorkommen von ἀναγεννᾶν in 1 Petr 1,3.23 (nur in einem kurzen Petit-Absatz behandelt 73) und von γεννᾶσθαι ἄνωθεν in Joh 3,3 tun.74 In der sich anschließenden längeren Analyse von Joh 3,1–2175 betont Söding neben vielen Einzelbeobachtungen 76 erneut mehrfach, dass „Wiedergeburt […] das Inbild der eschatologischen Neuschöpfung“ sei.77 Es wird viel über den jo69 Vgl.

Söding, Wiedergeburt 192–194. Wiedergeburt 193. 71 Söding, Wiedergeburt 193 f. 72 Gerade die stoische Ausprägung als Wiederwerdung der Welt nach dem Weltenbrand (auf die Söding auch kurz eingeht: vgl. Wiedergeburt 189) öffnet diese Perspektive hin zur Neuschöpfung. Söding sieht παλιγγενεσία dagegen aber „insbesondere mit den Erweckungserlebnissen in Mysterienkulten, mit dem Glauben an die Seelenwanderung und Reinkarnation verbunden“ (ebd. 192). 73 Siehe Söding, Wiedergeburt 192. 74 Vgl. Söding, Wiedergeburt 194. 75 Vgl. Söding, Wiedergeburt 194–216. 76 Sie werden an den entsprechenden Stellen in Kap. 9 aufgegriffen. 77  Söding, Wiedergeburt 210; ähnlich schon ebd. 208 (s. o.); vgl. außerdem ebd. 211, 212 und 213. Dass dem Menschen „ein neuer Ursprung eingestiftet; sein ganzes Wesen neukonstituiert“ wird und dass „durch Gott entsteht, was allein den Namen des Lebens tatsächlich verdient“ (ebd. 208), sind alles Textdeutungen, die fragen lassen, warum Söding hierfür den vom Text vorgegebenen Ursprungsbereich Geburt durch den dem Text fremden Bereich Schöpfung ersetzen zu müssen glaubt. Dass als „Sachparallele“ dann schließlich noch Joh 1,12 f. mit der Rede von der „Gotteskindschaft der Glaubenden“ angeführt wird (ebd.), fügt 70 Söding,

5.4 Frédéric Mann

107

hanneischen Dualismus 78 und die Rolle der ἐκ-Aussagen als „Ursprungs- und Herkunftsbezeichnungen“ gesagt, die laut Söding „letztlich nicht deterministisch gemeint“ seien.79 Die soteriologische Relevanz der Passage wird herausgestellt, die Geburtsmetaphorik gewinnt in diesem Rahmen jedoch als solche kein eigenes Profil. In der Summe bringt Södings Beitrag mit der ausdrücklichen Hochschätzung des „Symbols der Wiedergeburt“ als einer metaphorischen Redeweise einen neuen, wichtigen Blickwinkel in die Forschungsgeschichte ein, wenn auch mit terminologischen Unklarheiten. Zugleich erweist sich der religionswissenschaftliche Symbolbegriff in methodischer Hinsicht als relativ unscharf. Er hilft dabei, die Bedeutung der Suche nach genauen religionsgeschichtlichen Herleitungen des „Wiedergeburts“-Gedankens, die die Forschung trotz intensiver Bemühungen nicht sicher finden konnte, zu relativieren. Er vermag es aber nicht, die Rede von „Wiedergeburt“ (oder besser Geburt) auf der Textebene analytisch klar genug in den Blick zu nehmen. So kommt es, dass mit Neuschöpfung überschrieben wird, wovon Joh 3 mit Hilfe von Geburtsmetaphorik spricht, und dass Differenzen in der verwendeten Ausdrucksweise der Texte gar nicht eigens thematisiert werden.

5.4 „Theologie der neuen Geburt“ aus jüdischen Wurzeln bei Frédéric Manns (1995) Der Beitrag von Frédéric Manns in der franziskanischen Zeitschrift „Liber an­ nuus“ konzentriert sich in der Frage nach „Wiedergeburt“ vor allem auf den Ersten Petrusbrief und trägt den Titel: „La théologie de la nouvelle naissance dans la Première Lettre de Pierre“. Das Thema wird auf diese Weise groß aufgezogen: Es geht nicht nur um Vorstellungen, Gedanken oder die metaphorische Rede von „Wiedergeburt“, wie man es in anderen Beiträgen der Forschungsgeschichte zurückhaltender formuliert findet, sondern um die „Theologie der neuen Geburt“. Von deren Herkunft hat Manns klare Vorstellungen, die er gleich zu Anfang präsentiert: Die „Theologie der neuen Geburt“ gehe zurück auf das Judentum, welches ein Konzept des Vergehens und der Neuschöpfung entwickelt habe, das wiederum zur Ausprägung eines anthropologischen Konzepts geführt habe, in dem der Mensch eine neue Kreatur werde. Diese Idee sei dann christlich aufgegriffen worden im Licht der Auferstehung Christi.80 In diese theologischen Entwicklungsgänge, die Manns nirgendwo begründet, mit Kindschaft einen weiteren metaphorischen Ursprungsbereich hinzu, der besser differenziert zu behandeln wäre. 78 Söding, Wiedergeburt 203–207. 79 Söding, Wiedergeburt 205. 80 Vgl. Manns, La théologie 107.

108

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

sondern einfach voraussetzt, ordnet er nun auch den Ersten Petrusbrief und dessen „Theologie der neuen Geburt“ ein. Für die Klärung der Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament und näherhin im Ersten Petrusbrief ist aus diesem Vorgehen kein Gewinn zu ziehen. Vielmehr hat die Geschichte der Forschung, soweit sie hier bisher betrachtet worden ist, deutlich gemacht, dass jüdische Wurzeln für die neutestamentliche Rede von „Wiedergeburt“ keineswegs sicher auszumachen sind.81 Die Ansammlung von Stichwörtern wie „neue Schöpfung“ und „neue Kreatur“ hat sich darüber hinaus fast immer als der Punkt in den Untersuchungen erwiesen, an dem eine gewichtige Verschiebung innerhalb der Fragestellung stattfand. Manns gehört zwar nicht zu jenen, die sich damit zugleich von jenen Texten wegwenden, die wörtlich von etwas wie „Wiedergeburt“ sprechen.82 Dennoch betrachtet er 1 Petr 1,3.23 fast ausschließlich aus dem Blickwinkel alttestamentlicher und frühjüdischer Vorstellungen von Neuschöpfung, deren Darstellung den längsten Teil des Aufsatzes ausmacht 83 und die dann auf den Ersten Petrusbrief appliziert werden. Der Text selbst kommt mit seiner spezifischen Metaphorik dagegen kaum zum Tragen.84

81 Manns begibt sich aber nicht in die Diskussion mit der bisherigen Forschung. Er erwähnt von den Untersuchungen, die sich mit „Wiedergeburt“ im Neuen Testament befassen, allein Sjöberg (Wiedergeburt) und Schweitzer (Gotteskindschaft) und hätte zumindest aus Sjöbergs Darstellung eine zurückhaltendere Einschätzung der traditionsgeschichtlichen Linien herauslesen können. Umgekehrt wird auch Manns von der „Wiedergeburts“-Forschung mit Ausnahme von einem Zitat bei Bosetti (Parola 316 Anm. 7) nicht rezipiert. 82 Texte wie Eph 2,10.15; Gal 6,15; 2 Kor 5,17; Kol 3,10 erwähnt Manns aber auch, stellt die Verbindung allerdings vor allem über eine im christlichen Denken als bereits elaboriert anzunehmende Tauftheologie her (vgl. Manns, La théologie 109). In den gerade angeführten Texten begegne Taufe „comme recréation“ (ebd.). In Tit 3,5, der als genuiner Paulusbrief angesehen wird, werde Taufe „comme régénération“ gefasst (ebd.), nur in Joh 3,5 und 1 Joh 3,1–10 dagegen „comme renaissance“ (ebd.). Abgesehen davon, dass zumindest die johanneische Terminologie damit nicht präzise beschrieben ist, erforderte auch die Frage nach dem Bezug zur Taufe jeweils einer tiefergehenden Diskussion, die aber nicht stattfindet. In Röm 6,4 dagegen, wo der Tauf bezug zweifelsfrei feststeht, überrascht Manns mit der These, dass es hier um Taufe „comme une nouvelle naissance“ (ebd.) gehe. 83 Vgl. Manns, La théologie 111–135. 84 Von vornherein steht für Manns außerdem fest, dass in 1 Petr 1,3–12 ein Tauf hymnus vorliegt (vgl. La théologie 109). Eine exegetische Begründung dieser These, mit der Manns sich eher an die ältere Forschung zum Ersten Petrusbrief anschließt (mehr dazu s. u. 10.1), gibt es nicht. Stattdessen expliziert Manns die seines Erachtens trinitarische Gliederung des Hymnus in drei Strophen (1 Petr 1,3–5.6–9 und 10–12; vgl. ebd. 110) und bestimmt als dessen Inhalt: „L’hymne baptismal rappelle que le baptême est don de la vie nouvelle“ (ebd. 111).

5.5 Peeter Roosimaa

109

5.5 Peeter Roosimaas Gesamtschau auf die „Wiedergeburt nach dem Neuen Testament“ (1996) Der Festschrift-Aufsatz von Peeter Roosimaa, der sich dem Gesamtthema „Wiedergeburt nach dem Neuen Testament“ stellen will, ist innerhalb der Forschungsgeschichte ein (weiteres) deutliches Beispiel für den unklaren Gebrauch des beschreibungssprachlichen Terminus „Wiedergeburt“. Nach einführenden Fragen zur Bedeutung der „Wiedergeburt“ in den Baptistengemeinden,85 auf die er am Ende zurückkommt, bleibt Roosimaa anfänglich nah bei jenen Textstellen, die in der Forschung üblicherweise als wörtliche Repräsentationen von „Wiedergeburt“ angesehen werden. Auffällig ist, dass Roosimaa hier „ergänzend“ 86 auch 1 Kor 4,15 und Phlm 10 anführt, nachdem er bereits sämtliche Belegstellen für γεννᾶσθαι ἐκ θεοῦ aus dem johanneischen Schrifttum aufgezählt hat. Seine Textzusammenstellung ist somit auf Texte mit Geburts- und nicht nur mit ausdrücklicher „Wiedergeburts“-Metaphorik ausgerichtet und geht damit einen Schritt in die Richtung, die auch die vorliegende Untersuchung zur Neufassung der Fragestellung vorschlagen wird (s. u. besonders 6.2). Allerdings reflektiert Roosimaa dieses Vorgehen nicht methodisch, so dass er letztlich auch keinen exegetischen Gewinn daraus ziehen kann. Vielmehr wird die Gliederung des Aufsatzes und auch der Bezug auf die anfangs genannten Texte zunehmend undurchsichtiger und loser. Das zweite Kapitel widmet sich dem Ersten Petrusbrief, ohne in tieferer Weise die Metaphorik in 1 Petr 1 zu erfassen. Die übrigen anfangs genannten „Wiedergeburts“-Texte werden dagegen gar nicht mehr eigens behandelt, denn bereits im zweiten Kapitel hat Roosimaa den Wechsel von einer wörtlichen Repräsentation von „Wiedergeburt“ zur Vorstellung von „Wiedergeburt“ vollzogen und geht über zur Beschreibung von „Erlösung des Menschen“, „Versöhnung“, „Freiheit vom Gesetz“ etc.87 und verweist dafür im Folgenden auf viele andere neutestamentliche Texte, deren Bezug zur eigentlichen Themenstellung nur über assoziative Brücken und ohne tieferen exegetischen Anhalt hergestellt wird.88 85 Vgl.

Roosimaa, Wiedergeburt 211. Wiedergeburt 212. 87 Vgl. Roosimaa, Wiedergeburt 214: „Es ist ja wahr, daß man statt des Begriffs Wiedergeburt auch andere Ausdrücke für das ‚gläubig werden‘ benutzen könnte. So spricht man im NT von der Erlösung des Menschen, von der Versöhnung mit Gott, von der Freisprechung, vom Bekommen des Rechts, ein Gotteskind zu sein, von der Freiheit vom Gesetz, vom Versiegeln mit dem Heiligen Geist usw. Aber am besten paßt doch als Gesamtbegriff des Gläubigwerdens die Wiedergeburt und ihre Synonyme. Es ist wohl möglich, daß sich die Verwendung dieses Wortes erst mit der Zeit gebildet hat. Aber in ihrem Wesen war die Lehre von der Wiedergeburt doch seit den ersten Tagen der Gemeinde vorhanden.“ 88 So stellt Roosimaa (Wiedergeburt 221) z. B. vorerst ohne jegliche Nennung von Textbelegen folgende Behauptung auf: „Als menschenseitige Voraussetzungen der Wiedergeburt nennt die Heilige Schrift Buße und Glauben. Auf die Buße weist auch der Gedanke der Geburt aus Wasser in Joh 3,5, der sich mit der Taufe des Johannes verbindet.“ Darauf folgt – 86 Roosimaa,

110

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

5.6 „Wiedergeburt im Johannesevangelium“: Die einzige neuere Monographie zum Thema von Jae Woog Bae (2003) Sechzig Jahre nach Wolfgang Schweitzers Arbeit widmet sich in Tübingen erneut eine Dissertation dem Thema „Wiedergeburt“. Jae Woog Bae konzen­ triert sich dem Titel nach zwar auf „Wiedergeburt im Johannesevangelium“, bezieht aber auch Tit 3,5, Mt 19,28 und ganz am Rand 1 Petr 1,3.23 mit in seine Betrachtungen ein. Bae arbeitet ausschließlich traditionsgeschichtlich und folgt von Anfang an einer sehr engführenden These: „Die neutestamentlichen Wiedergeburtsvorstellungen müssen […] vor dem Hintergrund der Waschung und Erneuerung (Ez 36,25–27) verstanden werden, die im Zusammenhang mit dem Geist Gottes stehen (Ez 47,1–12; 1 QS 4,21; vgl. 3,4.9; 4,5; 1 QH 4,19; 19,11).“ 89 Der Versuch, die neutestamentliche Rede von „Wiedergeburt“ aus alttestamentlich-jüdischen Traditionen herzuleiten, ist, wie der bisherige Gang durch die Forschungsgeschichte gezeigt hat, nicht neu, wohl aber die ausschließliche Rückführung auf Ez 36,25–27; 47,1–12 und die erwähnten Qumrantexte, die alle um Reinigung und Erneuerung kreisen. Diese zentrale These von Baes Arbeit überzeugt jedoch aus verschiedenen Gründen nicht, von denen drei hier genannt seien: Zum einen entwickelt Bae seine These exegetisch nicht aus den Texten heraus. Vielmehr wird die Auslegung von Beginn an von der Annahme eines Traditionszusammenhangs dominiert, der als feststehend präsentiert wird. Auffällig ist, dass im zweiten Hauptteil von Baes Untersuchung,90 der vor allem der Auslegung von Joh 3 gewidmet ist, die These vom Anfang seiner Untersuchung, die die „Wiedergeburt“ vor allem in den Zusammenhang mit der Reinigung und insbesondere mit Ez 36,25–27 stellt, weitgehend in den Hintergrund rückt.91 Sie macht der neuen These Platz, die das „aus Wasser und Geist geborene Leben“ 92 über das „Besprengen mit reinem Wasser nach Hinweisen auf den nötigen Glauben und den „menschenseitigen Beschluß, sein Leben in die Hand Gottes zu legen“ (ebd.) – eine bunte Mischung von Texten, die vom „Reich Gottes“ (Lk 17,21), von „Gottes-Kind-Sein“ (Gal 3,26), von der Rettung als Gottes Geschenk (Eph 2,8), von der (metaphorischen) Zeugung des Onesimus durch Paulus (Phlm 10), vom Ruf zur Buße (Mk 1,15) und vom Buße-Tun und Sich-taufen-Lassen (Apg 2,38) sprechen (vgl. ebd. 221 f.). 89 Bae, Wiedergeburt 19. Direkt am Anfang bezieht Bae (ebd. 2) diese These in einer noch engeren Formulierung nur auf die johanneische „Wiedergeburtsvorstellung“ und deren Prägung durch Ez 36: „Für die Untersuchung des johanneischen Wiedergeburtsgedankens ist der alttestamentlich-jüdische Hintergrund maßgebend. Als Beleg läßt sich hier die Verheißung des Ezechiel anführen, daß Gott sein Volk mit Wasser reinigt und ihm einen neuen Geist schenkt (Ez 36,25–27).“ 90 Bae, Wiedergeburt 101–266. 91 Zu Joh 3,5 sagt Bae (Wiedergeburt 148 f.) nicht viel mehr, als dass „[m]an […] ähnliche Formulierungen bei Ez 36,25–27 [kennt], wo der Zusammenhang zwischen der Taufe und dem Geist gesehen werden kann“. Es folgt dann keine Begründung oder Explikation der These, sondern nur ein Zitat der genannten Ezechiel-Stelle. 92 Bae, Wiedergeburt 146.

5.6 Jae Woog Bae

111

in Ez 36,25“ mit dem „hervorquellende[n] Wasser unter der Schwelle (Ez 47,1–12)“ verbindet 93 und Bae schließlich zu einem eigenen Kapitel über Joh 7,37–39 führt.94 Letztlich aber werden die Bezüge, die Bae hier zur „Wiedergeburt“ herstellen will, ebenso wie das, was diese „Wiedergeburt“ im Johannesevangelium denn eigentlich sei, exegetisch nicht klar genug herausgearbeitet.

Zum anderen bleibt methodisch unklar, was genau Bae unter „Wiedergeburtsvorstellungen“ versteht. Die Analysen von Tit 3,5 und 1 Petr 1,3.22 f. im ersten Hauptteil orientieren sich offensichtlich an wörtlichen Entsprechungen zu „Wiedergeburt“ im Griechischen. Die in der Forschungsgeschichte häufig beobachtete Verschiebung der Themenstellung vom „Wort“ zur „Sache“ ist aber ebenso bereits vom Anfang der Untersuchung an präsent: „Obwohl in Qumran das Wort für ‚Wiedergeburt‘ fehlt, findet sich die Sache in Gestalt der Neuschöpfung der Menschen oder der Waschung und der Reinigung durch den Geist“.95 Damit deutet Bae ohne weitere Reflexion dieses Vorgehens „Wiedergeburt“ von vornherein als Entsprechung zu „Erneuerung“, „Waschung“ und „Neuschöpfung“.96 Überraschend ist im ersten Hauptteil von Baes Untersuchung, die sich der „Traditionsgeschichtliche[n] Untersuchung zur Vorstellung von Neuschöpfung und Wiedergeburt“ widmet,97 dass Bae trotz der Erweiterung des Themas um die „Neuschöpfung“, die in der „Wie­dergeburts“-Forschung in Regel dazu dient, auch alttestamentliche Belege in die Untersuchung der „Wiedergeburt“ einbringen zu können (s. o.), auch im Alten Testament bereits Aussagen zur „Wiedergeburt“ zu finden glaubt.98 Die Texte, die er hier anführt – neben dem bereits erwähnten Abschnitt Ez 36,25–27 sind es vor allem Gen 3,22–24 und Ps 51,12–15 – zeigen dann aber, dass „Wiedergeburt“ für Bae weitgehend in eins fällt mit der „Erneuerung des Menschen“.99 Für eine präzise Wahrnehmung der Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament und auch für deren traditionsgeschichtliche Herleitung einer Rede von „Wiedergeburt“ aus dem Alten Testament ist damit nichts gewonnen.100 93 Bae,

Wiedergeburt 152. Bae, Wiedergeburt 255–266. 95 Bae, Wiedergeburt 2 (Hervorhebungen hinzugefügt). 96 Wie schnell daraus eine regelrechte Ersetzung der Geburts- / ‌Zeugungsmetaphorik in Joh 3 durch eine dem Text nicht eignende Schöpfungsmetaphorik wird, zeigt sich – wie in der Forschungsgeschichte überhaupt an mehreren Stellen – so auch bei Bae: „Die Wiedergeburt aus dem Geist erschafft den Menschen von Grund auf als eine neue Existenz, die vom Geist bestimmt ist. Der Geist ist der Lebensodem Gottes, der ‚von oben her‘, von Gott herabkommt“ (Bae, Wiedergeburt 134; Hervorhebung hinzugefügt). 97 Vgl. Bae, Wiedergeburt 24–100. 98 Vgl. Bae, Wiedergeburt 24–35. 99 Bae, Wiedergeburt 22 f. 100 Das spiegelt sich dann auch darin, dass Bae unter diesen Voraussetzungen die neutestamentlichen „Wiedergeburts“-Texte Tit 3,5 und 1 Petr 1,3.23 nur als Teil der bereits zuvor behaupteten Traditionszusammenhänge deutet, aber kaum als eigenständige Aussagen über das, was die Exegese als neutestamentliche Vorstellung von „Wiedergeburt“ eigentlich erst ermitteln müsste (vgl. Wiedergeburt 83–100). Dabei ist die Verbindung von „Wiedergeburt“ mit dem Konzept der Reinigung, das Bae über Ez 36,25–27 immer wieder stark macht, gerade für Tit 3,3–7 ein durchaus vielversprechender Ansatz (s. u. 8.4). Dieser hängt allerdings 94 Vgl.

112

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

Zum dritten fehlt eine kritische Auseinandersetzung mit anderen Thesen zur Herkunft und Deutung der „neutestamentlichen Wiedergeburtsvorstellungen“, die Bae weitgehend ausblendet. Dieses selektive Vorgehen zeigt sich auch in der Art und Weise, wie Bae die Forschungsgeschichte darstellt: In einem recht knappen Kapitel 101 befragt er verschiedenen Forschungsbeiträge seit Anfang des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich im Hinblick auf deren traditionsgeschichtliche Positionierung und nimmt sie in ihren je eigenen Ansätzen damit nicht wirklich wahr.102 Auch traditionsgeschichtliche Herleitungen, die von Baes eigener These abweichen, werden aber kaum ausführlicher dargestellt. Abgesehen davon ist der Überblick über die Literatur keineswegs vollständig.103 Eine Aufarbeitung der Forschungsgeschichte zur Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament (s. o. die Einführung zu Teil I) leistet Baes einführendes Kapitel daher nicht.

5.7 Neubearbeitungen: Die Lexikonartikel zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament von Wiard Popkes (2004) und Jörg Frey (2005) Ähnlich wie schon zu Beginn der hier dargestellten Forschungsgeschichte (s. o. 2.2.1) erscheinen auch 2004 und 2005 in unmittelbarer zeitlicher Nähe die „Wiedergeburts“-Artikel in der TRE, als der Nachfolgerin der RE, und in der vierten Auf lage der RGG. Beide Artikel verweisen bereits im ersten Satz ausdrücklich auf den metaphorischen Charakter der Rede von „Wiedergeburt“ und markieren somit das in der Forschung schon immer mitschwingende Bewusstsein von „Wiedergeburt“ als „Bild“ in präziserer Weise.104 Die Präzision gerät allerdings auch schnell an Grenzen: So spricht Wiard Popkes in der TRE nachfolgend vom „dazugehörige[n] Wortfeld (im weiteren Sinn) – darunter: neu, einst / j‌ etzt, neue Schöpfung, Wiederweniger am Begriff παλιγγενεσία in Tit 3,5, sondern vielmehr an der mit λουτρόν im gleichen Vers aufgerufenen Reinigungsmetaphorik und an weiteren Instanziierungen dieser Metaphorik im restlichen Brief. In seiner traditionsgeschichtlichen Fixierung auf παλιγγενεσία sieht Bae diese Bezüge aber nicht. 101 Vgl. Bae, Wiedergeburt 5–19. 102 Bei Schweitzers umfangreicher Untersuchung (Gotteskindschaft; s. o. 3.7) geht Bae (Wiedergeburt 10) z. B. ausschließlich auf jenen Abschnitt ein, in dem es um den „alttestamentliche[n] Hintergrund für die neutestamentliche Lehre von der Gotteskindschaft, Wiedergeburt und Erneuerung“ (Schweitzer, Gotteskindschaft 17–42) geht. 103 Es fehlen die Aufsätze von Harnack, Procksch, Jacono, Manns und Roosimaa. Nur selektiv geht Bae auch auf Lexikonartikel ein, betrachtet z. B. die Artikel zu „Wiedergeburt“ von Goppelt und Hultkrantz in der dritten Auf lage der RGG, ignoriert aber die früheren Auflagen des Lexikons. Büchsels einschlägige Artikel im ThWNT werden zwar im Literaturverzeichnis angeführt, nicht aber als Beiträge zur Forschungsgeschichte behandelt. 104 Zu „Wiedergeburt“ als „Bild“ etc. siehe schon oben 1.5.

5.7 Wiard Popkes und Jörg Frey

113

herstellung, Kindschaft“ 105 und versteht unter „Wortfeld“ offensichtlich verschiedene Ursprungsbereiche metaphorischer Äußerungen mit „Wiedergeburt“ als Zielbereich. Dass er dabei positiv auf „Harnacks Liste“ verweist,106 bedeutet, dass er die größtmögliche Erweiterung des Themas, die die Forschungsgeschichte kennt, als Ausgangspunkt nimmt. Die Probleme folgen sogleich: Denn dieses „Wortfeld“ ist neutestamentlich „recht verbreitet, aber weder semantisch noch begriffs- bzw. motivgeschichtlich einheitlich“.107 Entsprechend verwirrend und vielfältig bleibt, was Popkes im Folgenden als „Wiedergeburt“ im Neuen Testament beschreibt. Er beginnt mit einem Abschnitt zu „[v]erbale[n] Aussagen, besonders im ersten Petrusbrief und in den johanneischen Schriften“,108 also mit dem, was sich am ehesten als wörtliche Entsprechungen des beschreibungssprachlichen Terminus „Wiedergeburt“ in den neutestamentlichen Texten deuten lässt. Im genannten und auch im folgenden Abschnitt,109 der unter der Überschrift „Der Terminus παλιγγενεσία“ steht, kommt Popkes neben den zu erwartenden Texten 1 Petr 1,3.23; Joh 3,3.7 und Tit 3,5, die er alle in Verbindung mit der Taufe einordnet, auch kurz auf Jak 1,18; Joh 1,13; 3,5.6.8; 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1 zu sprechen. Inhaltlich betont er für alle diese Texte wiederholt den Aspekt des neuen Lebens, den sie zum Ausdruck brächten. Das metaphorische Potenzial der Texte kommt ansonsten kaum genauer in den Blick, was auch zu der schon zuvor getroffenen Feststellung passt: „Der Aspekt der ‚Geburt‘ steht nur bedingt im Blick, überwiegend ist ‚neue Lebensmöglichkeit, Erneuerung, neue Verhältnisse‘ gemeint“.110 Der nächste Abschnitt widmet sich dann dem „[p]aulinische[n] Verständnis“.111 Wie nach dem eingangs hervorgehobenen Bezug auf Harnack (s. o.) kaum anders zu erwarten, präsentiert Popkes hier eine Fülle von Texten, die sich sehr unterschiedlicher Ursprungsbereiche bedienen. Allerdings beginnt Pop­kes mit paulinischen Aussagen, die Harnack in seiner umfangreichen Textzusammenstellung gerade nicht aufführt, nämlich mit der metaphorischen Beschreibung von Paulusʼ „eigene[r] Missionstätigkeit“ (1 Kor 4,15; Gal 4,19; Phlm 10). Für Popkes gehören auch diese Ausdrücke zur „Metaphorik der 105 Popkes,

Wiedergeburt 9. Harnack s. o. 3.1. 107 Popkes, Wiedergeburt 9. 108 Popkes, Wiedergeburt 10. 109 Vgl. Popkes, Wiedergeburt 10 f. 110 Popkes, Wiedergeburt 9. Mt 19,28 setzt Popkes von den bisher erwähnten Texten etwas ab, weil es „hier keinen soteriologischen Bezug“ (ebd.) gebe. Schwerer genau einzuordnen sind weitere Texte, die Popkes erwähnt, wie z. B. Apg 3,21 mit der Rede von der ἀπο­κατάστασις πάντων, die Popkes als Mt 19,28 „[ä]hnlich“ (ebd. 10) charakterisiert, oder 2 Petr 1,4, wo „sogar vom Teilhaben an der göttlichen Natur“ (ebd.) gesprochen werde. Ob diese Texte für Popkes auch zur Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament gehören oder sie diese nur vergleichend verdeutlichen sollen, bleibt unklar. 111 Vgl. Popkes, Wiedergeburt 11 f. 106 Zu

114

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

Wiedergeburt“.112 Er deutet die Metaphern, die Paulus besonders in Gal 4,19 ausgesprochen prägnant einsetzt (s. u. 7.2.7.3), aber relativ schwach als „zum Leben bringen“ und zeigt damit wenig Aufmerksamkeit für jene Züge des Ursprungsbereiches, die durch die jeweiligen Fokuswörter und den unmittelbaren Kontext als relevant für die metaphorische Interaktion hervorgehoben werden. Ähnliches lässt sich auch schon bei den zuvor erwähnten „Wiedergeburts“-Texten und deren Paraphrasierung durch Popkes beobachten.113 Es folgt die Aufzählung weiterer paulinischer Textbelege zur „Gotteskindschaft“ (Gal 4,5 ff. etc.), zum Stichwort ἀνακαίνωσις (Röm 12,2; vgl. 2 Kor 4,16), zur „Metamorphose“ (2 Kor 3,18; Röm 12,2) und zum „Subjektwechsel“ (Röm 8,9 ff.; Gal 2,20), die für Popkes offenbar immer noch alle unter die „Metaphorik der Wiedergeburt“ fallen.114 Anschließend an die Erwähnung der „Taufe in den Tod“, die zur „καινότης ζωῆς im christlichen Verhalten“ führe (Röm 6,3 ff.; 7,6), grenzt Popkes die „Metaphorik der Wiedergeburt“ dann doch von der „Metaphorik […] von Tod und Leben“ ab: Erstere entspreche letzterer „nur bedingt“, wobei nicht ganz klar wird, wohin Röm 6,3 ff. nun gehört. Offenbar aber versteht Popkes 2 Kor 5,17 und Gal 6,15 als Ausdrücke jener „Metaphorik […] von Tod und Leben“, denn: „Christlich gilt, und zwar sub specie crucis, die καινὴ κτίσις“.115 Daran schließen sich Ausführungen zum Verständnis der „neuen Schöpfung“ bei Paulus und in der Traditionsgeschichte an.116 Popkes wandelt hier ganz in den Spuren der älteren Forschung und ihrer Vermischung der „Wiedergeburts“- mit der Neuschöpfungs-Metaphorik. Dieser Linie, insbesondere der des Neu-Werdens, folgend, kann Popkes ohne Schwierigkeiten im nächsten Abschnitt auch Belege aus dem Kolosser- und dem Epheserbrief anführen.117 Etwas überraschend fragt der darauffolgende Abschnitt dann nach dem „Sitz im Leben von Wiedergeburts-Aussagen u. ä.“ und etabliert damit unter der Hand eine Art Gattung, deren genaue Merkmale aber nicht deutlich werden. Wenig überraschend ist dagegen, dass Popkes diesen „Sitz im Leben“ in der Taufe sieht. Er schließt einige traditionsgeschichtliche Überlegungen an, die im Rahmen der Forschungsgeschichte nichts Neues bieten, den Mysterienkulten eine Absage erteilen und stattdessen für das Neue Testament von einer „internen Gedankenentfaltung (vor allem im Zusammenhang mit der Taufe) unter dem Einfluß alttestamentlich-jüdischer Aussagen“ ausgehen.118 112 Popkes,

Wiedergeburt 11. Zusammenhang mit 1 Petr 1,3 erwähnt Popkes (Wiedergeburt 10) z. B. nur in Klammern und nur als Beleg für die in Aussicht stehende eschatologische Zukunft auch das in 1 Petr 1,4 erwähnte Erbe, stellt aber keinen Bezug zum metaphorischen Ursprungsbereich her. Bei der Betrachtung von Joh 3 bleibt das Ringen des Nikodemus um Verständnis, das so viel über die Metapher (und über mögliche Missverständnisse) enthüllt, völlig außer Acht (vgl. ebd.). 114 Popkes, Wiedergeburt 11. 115 Popkes, Wiedergeburt 11. 116 Vgl. Popkes, Wiedergeburt 11 f. 113 Im

5.7 Wiard Popkes und Jörg Frey

115

Auch der deutlich kürzere Artikel von Jörg Frey in der vierten Auf lage der RGG erweitert bereits im ersten Satz die Fragestellung signifikant, indem Frey nicht nur „Wiedergeburt“, sondern die „Metaphorik der W[iedergeburt] oder der ‚neuen‘ Geburt, der Gotteskindschaft, der ‚neuen‘ Schöpfung oder Wiederherstellung“ 119 zum Thema macht. Frey bezieht somit von Anfang an weitere Ursprungsbereiche in die Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament ein, ohne jedoch zu begründen, warum er das tut. Die auf diese Weise zu konstatierende Häufigkeit der Belege, auf die Frey im Fortgang des Satzes verweist, ist sicherlich nicht der Hauptgrund, denn zugleich betont er, dass sie „semantisch aber uneinheitlich verwendet“ würden.120 Käme die semantische Uneinheitlichkeit erst durch die Erweiterung der Textbasis zustande, hätte Frey sie ohne Weiteres vermeiden können. Indem er die unterschiedlichen semantischen Verwendungen als „seltener eschatologisch-kosmisch, zumeist jedoch für das individuelle ‚neue‘ Leben“ beschreibt,121 wird mit Blick auf die beiden einzigen παλιγγενεσία-Belege im Neuen Testament hingegen sofort klar, dass genau diese Uneinheitlichkeit bereits im Gebrauch des einzigen terminus technicus für „Wiedergeburt“ im Neuen Testament vorliegt. Was sich hier also im Hintergrund andeutet, ist offenbar ein grundsätzliches Problem mit der Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament, die Frey durch die Einbeziehung weiterer metaphorischer Ursprungsbereiche aber nicht löst, sondern höchstens verschiebt. Frey bietet also keinen Neuansatz für das mit „Wiedergeburt“ so unzureichend klar Beschriebene, konzentriert sich für den Rest seines Artikels aber in auffälliger Weise auf die in den Texten vorfindlichen griechischen Formulierungen: Nur in Tit 3,5 und in Mt 19,28 begegne der „terminus technicus palingenesía“ als Nomen,122 „verbal 1 Petr 1,3.23; als ‚von oben‘ / ‌‚von neuem‘ geboren werden Joh 3,3“.123 Auch bei Frey stößt man also vor allem auf die engere Zusammenschau wörtlicher Repräsentationen von „Wiedergeburt“, die er in Klammern um Hinweise auf Joh 3,5.8; 1,13; 1 Joh 2,29 etc. und Jak 1,18 ergänzt. Die anfangs hervorgehobene Erweiterung der Fragestellung um „Metaphern von Gotteskindschaft und neuer Schöpfung“ 124 kommt dagegen in ganzen sieben Zeilen zum Tragen, die hier folgen und in denen Frey äußerst knapp auf die paulinischen Texte Gal 4,5–7; Röm 8,14 f.23; Gal 2,20 und 2 Kor 5,17 eingeht. Danach kommt Frey nochmals auf die genannten Texte 1 Petr 1,3.23; Tit 3,5 und die johanneischen Geburtsaussagen zurück. In kurzen paraphrasierenden 117 Vgl.

Popkes, Wiedergeburt 12. Wiedergeburt 12. 119 Frey, Wiedergeburt 1529. 120 Frey, Wiedergeburt 1529. 121 Vgl. Frey, Wiedergeburt 1529. 122 Frey, Wiedergeburt 1529. 123 Frey, Wiedergeburt 1530. 124 Frey, Wiedergeburt 1530. 118 Popkes,

116

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

Deutungen bietet er nun doch eine semantisch durchaus einheitliche Beschreibung des Aussagegehaltes der Metaphern und schwenkt so wieder in einen Mainstream der Forschung ein:125 Alle Texte stehen für ihn im Zusammenhang mit Taufe. Alle beschreiben „eine neue Existenz aus dem Geist“ 126 bzw. das „neue, vom Geist bestimmte Leben“ 127 bzw. „das durch Jesu Auferweckung eröffnete neue Leben“.128 Allen geht es um Konsequenzen für das Handeln.129 Die wenigen Zeilen zu Paulus und die damit verbundene Erweiterung der Metaphorik um die Bereiche der „Gotteskindschaft“ und der „‚neuen‘ Schöpfung oder Wiederherstellung“ 130 bleiben daneben eher unverbunden stehen. Der einzige Bezug, den Frey selbst ausdrücklich herstellt, ist, dass das Subjekt all dieser Metaphern „stets Gott“ sei.131

5.8 „Wiedergeburt“ und das „religiöse Klima“ des 1. Jahrhunderts bei Reinhard Feldmeier (2005) Während rund 100 Jahre zuvor das Thema „Wiedergeburt“ aus der vorwiegend dogmengeschichtlichen Betrachtung herausgelöst und zum neutestamentlichen Untersuchungsgegenstand wurde, ist es nun, 2005, mit Reinhard Feldmeier ein Neutestamentler, der den bisher einzigen neueren Sammelband zur „Wiedergeburt“ in deutscher Sprache herausgibt. Im gleichen Jahr erscheint auch sein Kommentar zum Ersten Petrusbrief. Von diesem Brief herkommend identifiziert Feldmeier „Wiedergeburt“ offensichtlich als ein Thema, das eine breitere Betrachtung verdient, als „nur“ die neutestamentliche Perspektive mit ihren zumeist religionsgeschichtlichen Tendenzen. Interessant an den Beiträgen des Sammelbandes, die hier nicht alle im Einzelnen dargestellt werden sollen,132 ist die überwiegend rezeptionsgeschichtlich orientierte Perspektive. Das zeigt bereits Feldmeiers Einleitung, die beim umgangssprachlichen Verständnis von „Wiedergeburt“ ansetzt und hier sehr verschiedene Anwendungsbereiche und Intensitäten der Metapher ausmacht. Feldmeier geht von „Wiedergeburt“ als Ursprungsbereich der Metapher aus, wobei zugleich durchscheint, dass der relevante Vorstellungsbereich für die Ausdrucksstärke der Metapher (und daraus 125 Bezeichnenderweise

redet Frey nur hier (und zweimal im traditionsgeschichtlichen Abschnitt zu παλιγγενεσία) sehr unscharf von der „Wiedergeburtsvorstellung“ (Frey, Wiedergeburt 1530; Hervorhebung hinzugefügt). 126 Frey, Wiedergeburt 1530 (auf das Johannesevangelium bezogen). 127 Frey, Wiedergeburt 1530 (auf Tit 3,5 bezogen). 128 Frey, Wiedergeburt 1530 (auf 1 Petr 1,3.23 bezogen). 129 Frey, Wiedergeburt 1530 (am wenigsten deutlich wird das für den Ersten Petrusbrief ausgedrückt). 130 Frey, Wiedergeburt 1529. 131 Frey, Wiedergeburt 1530. 132 Siehe außer diesem Kapitel mit der Darstellung von Feldmeiers eigenem Beitrag im Buch außerdem unten 5.9 zu Back, Wiedergeburt.

5.8 Reinhard Feldmeier

117

folgend auch ein Grund für die weite umgangssprachliche Verbreitung) in der Vorstellung von Geburt liegt: „Wiedergeburt ist ein einigermaßen drastisches Bild: Ein einmaliger Vorgang – eben die Geburt – soll wiederholt werden.“ 133 Feldmeier unterscheidet daran anschließend zwei verschiedene Zielbereiche, die sich aus dem metaphorischen Gebrauch von „Wiedergeburt“ als Ur­sprungsbereich ergeben: Zum einen könne „der Akzent vor allem auf der Wiederholung der Geburt“ (a) liegen. Dann ließe sich der Zielbereich, den Feld­­ meier „die Pointe der Metapher“ nennt, bestimmen als „Erneuerung oder Wie­ derherstellung eines früheren Zustands“ (a 1) oder bezeichne „im kulturellen, gesellschaftlichen oder politischen Bereich die Wiederherstellung eines für besser gehaltenen früheren Zustandes“ (a 2).134 Auch in der Variante (a 1), die Feldmeier unter anderem mit dem Beispiel des Sich-wie-neugeboren-Fühlens als Prädikation einer „belebende[n] Selbsterfahrung des Subjektes“ verdeutlicht, geht es allerdings durchaus um die „Wiederherstellung eines für besser gehaltenen früheren Zustandes“.135 Die Unterschiede zwischen (a 1) und (a 2) liegen daher eher darin, dass sich die metaphorische Rede von Geburt einmal auf tatsächlich bereits geborene Wesen bezieht, die sich dieser Tatsache auch selbst bewusst sind, während im zweiten Fall eine neue Geburt für eine hypostasierte Größe ausgesagt wird, die weder jemals geboren wurde, noch selbst ein Bewusstsein davon hat (vgl. Feldmeiers Beispiel der „Wiedergeburt Schlesiens“).136

Zum anderen „[w]ird die erneute Geburt dagegen als Konkurrenz zur ersten und der durch sie konditionierten Daseinsbedingungen verstanden“ (b). Der Akzent liegt folglich „auf dem neuen Ursprung und damit auf der Überwindung des bisherigen Daseins“. Den so beschriebenen Zielbereich nennt Feldmeier die „Neukonstitution durch ein göttliches Gegenüber“.137 Nur um die „Rede von der Wiedergeburt“ in diesem Sinne (b) geht es den „Beiträgen der Theologen von der Exegese über die Systematik bis zur praktischen Theologie“ im von Feldmeier herausgegebenen Buch.138 133 Feldmeier,

Hinführung 7. Hinführung 7. 135 Feldmeier, Hinführung 7 (Hervorhebung hinzugefügt). 136 Siehe Feldmeier, Hinführung 7; vgl. zur dargestellten Differenz außerdem Kaiser, „Wiedergeburt“ 13 f. 137 Feldmeier, Hinführung 7. Durch die Erwähnung eines göttlichen Gegenübers trägt Feld­meier noch einen weiteren Aspekt ein, der nicht zwangsläufig in der metaphorischen Rede von der „Wiedergeburt“ im Sinne einer Neukonstituierung des Daseins liegt, aber häufig durch die konkrete Instanziierung der Metapher betont wird (vgl. nur 1 Petr 1,3, wo Gott ganz klar als Subjekt des Zeugens bzw. Gebärens benannt ist). Interessant wäre auch die – von Feldmeier nicht eigens verfolgte – Rückwendung dieses Aspektes auf Beispiele mit dem Zielbereich (a): Auch dort wäre es theoretisch möglich, in die metaphorische Aussagen einen Verursacher der „Wiederherstellung eines früheren Zustands“ einzutragen (etwa das Personal einer Wellnessanlage, oder den geliebten Menschen, der das neue Leben bringt). In der häufig zu beobachtenden Selbstreflexivität der Aussagen liegt es aber begründet, dass dieser Aspekt eher ausfällt. 138 Feldmeier, Hinführung 7. Ausgenommen ist dabei, wenn man die Formulierung sorg134 Feldmeier,

118

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

Durch diese vorausgeschickten klärenden Beobachtungen wird der metaphorische Gebrauch von „Wiedergeburt“ bzw. von nahestehenden verbalen Ausdrücken deutlicher in den Blick genommen als in allen Untersuchungen zuvor. Allerdings nutzen weder Feldmeier noch die Beiträgerinnen und Beiträger zu seinem Sammelband dies als eine methodische Chance eines neuen Herangehens an das Thema. Feldmeiers eigener Beitrag im Buch befasst sich mit „Wiedergeburt im 1. Petrusbrief “.139 Wie kaum anders zu erwarten, konzentriert er sich dabei insbesondere auf die Abschnitte 1 Petr 1,3 f. und 1,23–25 mit den zwei einzigen neutestamentlichen Belegen für ἀναγεννᾶν / -‌ ᾶσθαι, betrachtet aber auch 1 Petr 2,2 f. und überhaupt die „Einbindung in die Gottesvolktradition“ näher.140 Was die Rede von „Wiedergeburt“ im Ersten Petrusbrief meint, entwickelt Feldmeier im Wesentlichen aus dieser Konzentration auf den Text, auf dessen metaphorische Aussagen und deren kontextuelle Einbettung. Feldmeier geht zwar eingangs auf das „Motiv der Wiedergeburt in der religiösen Koine der späteren Antike“ ein 141 und stellt fest, dass der Erste Petrusbrief sich eines „Vorstellungskomplexes“ bedient, „der dezidiert nicht biblischen Ursprungs ist, wohl aber charakteristisch für das religiöse Klima dieser Epoche“.142 Er konstruiert aber keine klaren religionsgeschichtlichen Abhängigkeiten, sondern bleibt bei der Metapher vom „Klima“ und der Frage, wie der Erste Petrusbrief „in diesem geistigen ‚Klima‘ seine Heilsbotschaft unter Zuhilfenahme einer Metaphorik reformuliert, die seinen Zeitgenossen eher aus der jüdischen Religionsphilosophie oder aus den paganen Mysterien vertraut sein dürfte denn aus der biblischen Überlieferung“.143 Wichtig an diesem Vorgehen Feldmeiers ist, dass er zugleich die Zeitbedingtheit der Metapher (und damit auch die Enzyklopädie des Textproduzenten und der intendierten und realen Leser) im Blick behält wie auch die konkrete Instanziierung der Metapher und ihr Funktionieren im Text des Ersten Petrusbriefes. Ausdrücklich kritisiert Feldmeier auch das Vorgehen der bisherigen Forschung, „die Wiedergeburt im 1 Petr aufgrund von Joh 3,5 und Tit 3,5 kurzerhand mit der Taufe zu identifizieren und somit die Wiedergeburtsaussagen fältig liest, ganz zu Recht der erste Beitrag von Andreas Grünschloß, der sich dem Thema aus religionswissenschaftlicher Perspektive nähert und in den buddhistischen Vorstellungen von Reinkarnation z. B. nicht von einem göttlichen Gegenüber ausgehen kann (vgl. Grünschloss, Diskurse 20 f.) und auch nicht nur metaphorische Redeweisen von „Wiedergeburt“ betrachtet. Zur Einordnung in das religiöse Spektrum und zur Abgrenzung dessen, was in den dann folgenden Beiträgen verhandelt wird, ist dieser Eröffnungsaufsatz sehr hilfreich. 139 Feldmeier, Wiedergeburt 75–99. 140 Feldmeier, Wiedergeburt 91; vgl. dazu ausführlicher unten Kap. 10. 141 Feldmeier, Wiedergeburt 77–81. 142 Feldmeier, Wiedergeburt 77. 143 Feldmeier, Wiedergeburt 80.

5.8 Reinhard Feldmeier

119

einfach unter die neutestamentlichen Taufaussagen zu subsumieren, ohne weiter auf die Metaphorik einzugehen.“ 144 Diese Kritik, die sich auf den Umgang mit 1 Petr 1,3.23 in der einschlägigen Kommentarliteratur bezieht,145 ließe sich fast wortgleich auch für die „Wiedergeburts“-Forschung als solche formulieren. Feldmeier hat diese aber nicht im Blick 146 und richtet auch seinen nächsten Kritikpunkt, der wiederum fast für die gesamte Forschungsgeschichte zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament gelten kann, nur an die Forschung zum Ersten Petrusbrief, die häufig einer Tendenz folge, die „Wiedergeburtsvorstellung im 1 Petr […] durch andere Theologumena wie Neuschöpfung zu erklären, genauer: zu ersetzen“.147 Gegen dieses Vorgehen des vorschnellen Ersetzens und damit des Ausblendens 148 der im Text vorliegenden Metaphorik durch andere Deutungen und Metaphern stellt Feldmeier seine eigene Auslegung des Ersten Petrusbriefes. Die Aspekte der Metaphorik, die er hier betont, sind in kurzer Zusammenfassung die folgenden: Der Mensch als Wiedergeborener verdankt sich ganz und gar Gott.149 Wiedergeborene „sind Kinder“.150 Es besteht somit eine Verbindung zur Vorstellung von der Gotteskindschaft, die aber im Text des Ersten Petrusbriefes nicht explizit formuliert wird. Vielmehr ist wichtig, dass 1 Petr 1,4 über den Hinweis auf das bereitliegende „Erbe“ den Bezug „zur alttestamentlichen Gottesvolktradition“ herstellt.151 Das bedeutet, dass es eine (jenseitige) Heimat für die Adressierten gibt, mit der sie in der Gegenwart aber bereits eine „lebendige Hoffnung“ verbindet.152 Die metaphorische Rede vom Wiedergeboren-Sein in 1 Petr 1,3 macht mit der Ankündigung des Erbes also zum einen eine Zusage und erklärt zugleich, warum die Adressierten aufgrund ihrer andersartigen (metaphorischen) Herkunft in ihrer gegenwärtigen Welt Fremde sind.153 In 1 Petr 1,22 f. erhält die „Wiedergeburt“ nach Feldmeier schließlich auch eine „ethische Dimension“.154 Die Metaphorik wird außerdem variiert: 144 Feldmeier,

Wiedergeburt 78. Feldmeier, Wiedergeburt 78 Anm. 7. 146 Das gilt nicht nur für den Aufsatz im Buch, sondern auch für den Kommentar zum Ersten Petrusbrief und insbesondere den dortigen Exkurs zu „Wiedergeburt“ (Feldmeier, Petrus 84–87). Man könnte mutmaßen, dass es für Feldmeiers textnahen und metaphernbewussten Ansatz geradezu hilfreich war, nicht von den (Irr-)Wegen der Forschungsgeschichte beschwert zu sein. 147 Feldmeier, Wiedergeburt 78. Konkret richtet sich Feldmeier hier in der Fußnote gegen Goppelt, hat dabei allerdings nicht dessen RGG-Artikel (s. o. 4.2), sondern dessen Kommentar zum Ersten Petrusbrief vor Augen. 148 Vgl. Feldmeier, Wiedergeburt 81. 149 Feldmeier, Wiedergeburt 81. 150 Feldmeier, Wiedergeburt 82. 151 Feldmeier, Wiedergeburt 84. 152 Feldmeier, Wiedergeburt 85. 153 Vgl. bes. Feldmeier, Wiedergeburt 95. 154 Feldmeier, Wiedergeburt 88. 145 Vgl.

120

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

In der Entgegensetzung zum menschlichen vergänglichen Samen sind die Christen durch ein unvergängliches Lebensprinzip neu geworden. […] Der Mensch ist als (Neu-)Schöpfung durch das Wort, als creatura verbi (Luther) mit Gott verbunden und so wiedergeboren! 155

Dass Feldmeier die Geburt durch Gott (1,3) bzw. durch das Wort (1,23) dann aber doch nur mit Hilfe des Bildes der „(Neu-)Schöpfung“ verdeutlichen zu können glaubt, steht in Spannung zu seinen zuvor geäußerten Kritikpunkten an der Ersetzung und Ausblendung der tatsächlich vom Text verwendeten Metapher. Seine Auslegung des Textes, die wichtige Orientierungen für eine methodisch neu ausgerichtete Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament gibt, käme gut auch ohne diesen Schöpfungsbezug aus.156

5.9 Frances Backs Überblick über das „Wiedergeburtsmotiv“ in der römischen Kaiserzeit (2005) Frances Back deckt mit ihrem Beitrag zur „Wiedergeburt in der religiösen Welt der hellenistisch-römischen Zeit“ in Feldmeiers Buch (s. o. 5.8) jenen Teil ab, der in den meisten Untersuchungen zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament die religionsgeschichtliche Herkunft diskutiert. Die Beispiele, die Back hier vor allem aus der römischen Kaiserzeit bringt, sind nicht neu. Auffällig ist jedoch, dass Back (wie auch Feldmeier: s. o. 5.8) weniger am Nachweis von konkreten Abhängigkeiten der neutestamentlichen Rede von „Wiedergeburt“ aus dem religiösen Umfeld interessiert ist, sondern vielmehr ein „geistige[s] Klima der Zeit um die Zeitenwende“ beschreibt, für das „die Suche nach einer persönlichen Heilserfahrung […] bezeichnend war.“ 157 In dieser allgemeinen Suche nach Heil schon im gegenwärtigen Leben sieht Back auch die konkrete Rede von „Wiedergeburt“ verankert: Wie verbreitet der Wunsch nach einem solchen Neubeginn des irdischen Lebens war, wird daran sichtbar, dass die Wiedergeburt als Heilsvorstellung in Texten der griechisch-römischen, der jüdischen, der frühchristlichen, der hermetischen und der gnostischen Literatur auftaucht.158

Diese Formulierung geht allerdings von einem scheinbar sehr einheitlichen Verständnis von „Wiedergeburt als Heilsvorstellung“ aus, das Back erst eine Seite später wieder dahingehend relativiert, dass die Texte „auf die Fragen, wovon die neue Geburt den Menschen jeweils erlöst und worin das ‚wahre Leben‘ besteht, das man dadurch gewinnt, […] recht verschiedene Antworten geben“.159 155 Feldmeier,

Wiedergeburt 88 f. ließ sich auch schon bei Söding beobachten: s. o. 5.3. 157 Back, Wiedergeburt 47. 158 Back, Wiedergeburt 48. 159 Back, Wiedergeburt 49. 156 Ähnliches

5.9 Frances Back

121

Unter den Beispielen, die sie dann näher betrachtet, zeigen vor allem die Ausführungen zu „Joseph und Aseneth“,160 dass Back zumindest partiell von einem relativ weiten Verständnis von „Wiedergeburt“ ausgeht. Denn in der Textbetrachtung wird deutlich, dass sie auch die Vorkommen von ἀνακαινίζειν, ἀνα­πλάσσειν und ἀναζῳοποιεῖν in Jos As 15,5 als „Neugeburtsgedanken“ verstehen kann.161 Dieses Vorgehen ist aus metapherntheoretisch orientierter Sicht kritisch zu werten, denn es ist nicht hilfreich, einen Geburtsaspekt dort einzutragen, wo die Fokuswörter den Ursprungsbereich Geburt nicht aufrufen.162 Zuvor spricht Back im Hinblick auf Jos As 15,5.7 dagegen zutreffender (wenn auch im Einzelnen noch präzisierbar) von „Erneuerungsmetaphorik“.163 Dass Back sich ansonsten eher an Texten orientiert, deren sprachliche Formulierungen möglichst genaue Äquivalente zu „Wiedergeburt“ enthalten, zeigt ihre Behandlung der neutestamentlichen Texte mit dem „Thema der Wiedergeburt im engeren Sinn“, d. h. Joh 1,12 f.; 3,3–8; 1 Petr 1,3.23; 2,2 und Tit 3,5.164 Nur wegen des Begriffs παλιγγενεσία führt Back hier auch Mt 19,28 an, separiert diesen Text dann aber sogleich von den anderen, weil „es sich […] um eine ganz andere Vorstellung“ handle, die an ein ganz anderes Konzept anknüpfe, nämlich an „ein kosmisches Geschehen, die künftige Erneuerung der Welt“.165 Inhaltlich ist diese Entscheidung durchaus nachvollziehbar. Weniger nachvollziehbar ist dann aber aufgrund von Backs ausführlicher Beschäftigung mit Jos As 15 zuvor (s. o.), warum ein Vers wie Eph 2,5, der das Verb συζῳοποιεῖν und eine klare soteriologische Aussage enthält, nicht zu den neutestamentlichen Texten mit dem „Thema der Wiedergeburt im engeren Sinn“ 166 gehört. Ist das – und demnach dann auch Jos As 15,5 – nur „Wiedergeburt“ im weiteren Sinn? – Bei Back bleibt insgesamt zu verschwommen, welche Kriterien die Auswahl der relevanten Texte letztlich leiten. Auch der Verweis auf den mit der „Wiedergeburt“ angeblich „verwandte[n], aus dem Alten Testament und frühjüdischen Texten bekannte[n] Gedanke[n] der neuen Schöpfung“ 167 verstärkt die Unklarheit eher, denn er steht in seinem Kontext völlig unverbunden da und trägt zum Verständnis der folgenden Auslegung von Joh 3 nichts bei. Vielmehr scheint Back hier eher die in der Forschung immer wieder diskutierten Herleitungsversuche der „Wiedergeburt“ aus dem Alten Testament über den Umweg der Neuschöpfung wenigstens erwähnen zu wollen, ohne inhaltlich jedoch darauf einzugehen oder sich kritisch abzugrenzen. 160 Vgl.

Back, Wiedergeburt 53–55. Back, Wiedergeburt 54 f. 162 Möglicherweise erklärt sich die Geburtsterminologie, die Back hier einträgt, aus dem Einfluss des Vergleichs mit b Jev 48 b und dem dortigen Diktum vom gerade übergetretenen Proselyten als einem Neugeborenen, den Back hier ebenfalls bringt (vgl. Back, Wiedergeburt 54 f. – vgl. dazu ferner Sjöberg [s. o. 4.1], auf den Back, ebd., in Anm. 19 auch verweist). 163 Back, Wiedergeburt 54. 164 Back, Wiedergeburt 57. 165 Back, Wiedergeburt 57. 166 Back, Wiedergeburt 57 (s. o.) (Hervorhebung hinzugefügt). 167 Back, Wiedergeburt 58. 161 Vgl.

122

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

In einem Resümee 168 versucht Back die verschiedenen Beobachtungen zu bündeln. Sie redet hier zuerst nicht vom „Wiedergeburtsmotiv“, sondern vom „Motiv des ‚neuen Geburtstags‘“, um auszusagen, dass dieses Motiv „in den meisten der Texte, die hier exemplarisch besprochen wurden, mit dem Eintritt in eine religiöse Gemeinschaft verbunden ist“.169 Die Texte begegnen nach Back also „besonders häufig“, wenn auch nicht immer, in einem „Initiationskontext“.170 Dabei betont Back neben der Initiation besonders stark auch die dadurch geschehende Befreiung „aus einem als defizitär bezeichneten Zustand“.171 Es stimmt jedoch nicht, dass „[d]urch das Wiedergeburtsmotiv […] immer [sic] auch die Trennung von der Vergangenheit und dem früheren Leben hervorgehoben“ werde.172 Back denkt hier zu stark und einseitig vom Initiationskontext und zu wenig von den jeweiligen metaphorischen Aussagen der Texte und vom Ursprungsbereich Geburt her. Sie benennt an anderer Stelle aber auch Differenzen im „Wiedergeburtsmotiv“: So sei es je vom „Profil der jeweiligen religiösen Gemeinschaft, in die man eintritt oder eingegliedert wird“, abhängig, welcher Art das Leben ist, „das von einer Wiedergeburt verheißen und in Aussicht gestellt wird“.173 Wenn in der römischen Kaiserzeit also, wie Back betont, sowohl das Bedürfnis nach grundlegender Erneuerung des Lebens groß als auch die Rede von religiöser Wiedergeburt in diesem Zusammenhang entsprechend häufig war, die konkreten Vorstellungen vom Wie der Erneuerung und der Art des neuen Lebens aber differierten, dann bleibt für die neutestamentlichen Texte die Frage nach der jeweiligen näheren Deutung bestehen. Denn allein aus der Rede von etwas wie „Wiedergeburt“ ergibt sich diese Deutung noch nicht und auch nur bedingt aus dem Vergleich mit Texten aus der Umwelt.

5.10 „Wiedergeburt“ im theologischen „Geflecht“ des Ersten Petrusbriefes bei Elena Bosetti (2006) Elena Bosettis Festschrift-Beitrag befasst sich primär mit der „Rede von Wiedergeburt im Ersten Petrusbrief “ (so der Titel: „La Parola della rigenerazione nella Prima lettera die Pietro“) und reiht sich damit ein in die in neuerer Zeit zunehmenden Untersuchungen zu „Wiedergeburt“ in Einzeltexten.174 Während Bosetti jedoch vor allem nach den „Wiedergeburts“-Aussagen des Ersten Pe168 Back,

Wiedergeburt 69–73. Wiedergeburt 70. 170 Back, Wiedergeburt 70. Konkret hatte Back (vgl. ebd. 61 f.) auch in der Auslegung von Joh 3 den Taufzusammenhang stark gemacht. 171 Back, Wiedergeburt 72. 172 So aber Back, Wiedergeburt 72. 173 Back, Wiedergeburt 71. 169 Back,

5.10 Elena Bosetti

123

trusbriefes in ihrem Verhältnis zueinander fragt 175 und dafür das „Geflecht“ („intreccio“) 176 von Auferstehung, Wort und Taufe erhellen will, thematisiert sie in einem eigenen Abschnitt doch auch andere neutestamentliche Texte, die von „Wiedergeburt“ sprechen.177 Sie gelangt zu diesen Texten über eine kurze sprachliche Analyse von ἀναγεννᾶν und über eine Suche nach weiteren Belegen, die es für die Zeit vor dem Ersten Petrusbrief nicht gibt und die somit wenig austrägt.178 Bosetti lässt den lexikalischen Befund daher beiseite, und sucht den Ursprung des Ausdrucks ἀναγεννᾶν im Umfeld des Ersten Petrusbriefes. Ohne weitere Alternativen zu diskutieren, ist für Bosetti hier einzig die „Idee der neuen Schöpfung“ 179 relevant, wie sie sich als fundamental biblische Idee in Jes 43,19 u. ö. finde, aber auch zum Beispiel in Qumran.180 Für das Neue Testament listet Bosetti dann die verschiedenen griechischen Syntagmen auf, die sich in Joh 1,13; Joh 3,3.5 und 1 Joh 3,9 f.; 5,1; Tit 3,5 und Jak 1,18 finden, und versteht diese als „modi differenti“ 181 der zuvor erwähnten Neuschöpfungs-Idee. Eine nähere Erklärung dieser behaupteten Zusammenhänge gibt es nicht. Auch die jeweils unterschiedlich ausgedrückte „Wiedergeburt“ erfährt keine nähere Deutung. Vielmehr werden die johanneischen Stellen von Bosetti nur kurz aufgezählt, an Tit 3,5 interessiert sie im Hinblick auf den Ersten Petrusbrief nur der Taufzusammenhang, etwas ausführlicher geht sie dagegen auf Jak 1,18 ein, weil hier die Rolle des Wortes Ähnlichkeiten zur Aussagen in 1 Petr 1,23 aufweist. Für die Klärung, was „Wiedergeburt“ im Neuen Testament ist, führt all das nicht weiter. Forschungsgeschichtlich ist, wie die vorausgehenden Kapitel zeigen konnten, die Vermischung von „Wiedergeburt“ mit Neuschöpfung nicht selten. Nirgendwo aber erfolgte die Nebeneinanderstellung und Identifizierung beider miteinander mittels so weniger erläuternder Worte wie bei Bosetti. Für den Ersten Petrusbrief fällt die Analyse Bosettis dagegen umfangreicher und exegetisch gründlicher aus – wenn auch nicht in allen Einzelheiten überzeugend. So stellt Bosetti die „Wiedergeburts“-Aussagen zwar ganz zutreffend in den größeren Kontext von 1 Petr 1,3–2,10,182 misst der Fremdlings-Thematik und der Eingliederung der Adressierten in das Volk Gottes, für deren Begründung die „Wiedergeburts“-Metaphorik einiges 174 Siehe

schon Burnett, Παλιγγενεσία; Söding, Wiedergeburt; Manns, La théologie; Bae, Wiedergeburt; Feldmeier, Wiedergeburt. Bosetti selbst nimmt die Forschungsgeschich­ te allerdings nur im Hinblick auf Untersuchungen des Ersten Petrusbriefes wahr, nicht im Hinblick auf „Wiedergeburt“ überhaupt. 175 Vgl. Bosetti, Parola 313. 176 Bosetti, Parola 314 u. ö. 177 Vgl. Bosetti, Parola 315 f.; s. u. 178 Vgl. Bosetti, Parola 315. 179 Bosetti, Parola 315: „l’idea della ‚nuova creazione‘“. 180 Vgl. Bosetti, Parola 315 f. 181 Bosetti, Parola 316. 182 Bosetti, Parola 314 f.

124

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

leistet, allerdings keine weitere Bedeutung bei.183 In 1 Petr 2,2 wird von Bosetti sehr zutreffend das Lechzen nach τὸ λογικὸν ἄδολον γάλα als entscheidender Vergleichspunkt der metaphorischen Aussage erkannt.184

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Bosetti mit dem schon eingangs erwähnten „Geflecht“ metaphorisch nicht nur den engen Zusammenhang beschreibt, in dem ihrer Meinung nach die Aussagen über die „Wiedergeburt“ der Adressierten, die Auferstehung Christi, das Wort der Verkündigung und die Taufe im Ersten Petrusbrief stehen. Vielmehr wirft diese Metapher zugleich auch Licht auf Bosettis Verfahren, alle Aussagen miteinander zu verknüpfen 185 – und zwar so, dass am Ende alles mit allem zusammenhängt und sich „La Parola della rigenerazione nella Prima lettera die Pietro“ als Faden im Gesamtgeflecht allgemeiner theologischer Aussagen über den Ersten Petrusbrief verliert.

5.11 Eine erneute Untersuchung von παλιγγενεσία in Tit 3,5 durch Christiane Zimmermann (2009) Christiane Zimmermanns Untersuchung widmet sich in erster Linie dem Verständnis von Tit 3,5 im Kontext des Briefes. Nur kurz geht sie eingangs auch auf andere neutestamentliche Metaphern ein, die die „frühen Christen […] verwendet[en], um das sich durch Gott in Christus ereignende Heil für den Menschen und die mit dem Menschen damit verbundene Wende zu beschreiben“.186 Diese „Heilswende“ 187 sieht Zimmermann unter anderem durch die paulinischen Formulierungen von einer „neuen Schöpfung“ (2 Kor 5,17; Gal 6,15) und von der „Neuheit des Lebens“ (Röm 6,4) ausgedrückt, aber auch durch die verschiedenen johanneischen Geburts- bzw. Zeugungsmetaphern, durch die Formulierungen in 1 Petr 1,3.23 und in Jak 1,18.188 Tit 3,5 setzt sie von diesen Texten jedoch deutlich ab, indem sie in Frage stellt, „ob παλιγγενεσία wirklich synonym mit den eben genannten Geburtsmetaphern zu verstehen ist, was die stereotyp zu findende Übersetzung ‚Wiedergeburt‘ suggeriert“.189 Zim183 Bosetti verweist zwar auf die aus alttestamentlichen Traditionen stammenden Bezeich­ nung für Israel, die in 1 Petr 2,9 auf die „Wiedergeborenen“ („rigenerati“, Bosetti, Parola 315) bezogen werden, begründet in ihrer paraphrasierenden Textwiedergabe aber nicht, warum diese Titel nun auch für die nicht-jüdischen Adressaten des Briefes gelten können; mehr dazu s. u. Kap. 10. 184 Vgl. Bosetti, Parola 321 f.; ausführlicher s. u. 10.6. 185 Vgl. Bosetti, Parola 323 f., und hier bes. 324: „I diversi elementi non solo si intrecciano ma anche interagiscono mutuamente.“ („Die verschiedenen Elemente sind nicht nur miteinander verflochten, sondern interagieren auch miteinander.“) 186 Zimmermann, Wiederentstehung 272. 187 Zimmermann, Wiederentstehung 272. 188 Vgl. Zimmermann, Wiederentstehung 273. 189 Zimmermann, Wiederentstehung 273.

5.11 Christiane Zimmermann

125

mermann votiert vielmehr, wie es der Titel ihres Aufsatzes schon andeutet, für eine Wiedergabe von παλιγγενεσία mit „Wiederentstehung“ und kritisiert damit die kaum je hinterfragte Deutung genau jenes Textes, der in der bisherigen Forschung so häufig als einziger terminologisch zweifelsfreier Beleg für „Wiedergeburt“ angeführt wird.190 Dabei geht es Zimmermann – dem Fokus ihrer Untersuchung entsprechend – nicht um eine Revision der Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament überhaupt, sondern nur um eine von Vorfestlegungen auf „Wiedergeburt“ freie Deutung von Tit 3,5. Um diese zu etablieren, schaut sie nach einer ausführlicheren Textanalyse von Tit 3,3–7 191 erneut ausführlicher, wenn auch nicht so materialreich wie Dey, auf das antike Bedeutungsspektrum von παλιγγενεσία. Allerdings ist sie dabei weniger stark auf den Begriff selbst konzentriert, als es die Kapitelüberschrift „Παλιγγενεσία in zeitgenössischen paganen und jüdischen Quellen“ 192 suggeriert, denn sie betrachtet hier – in Anknüpfung an die Arbeiten der Religionsgeschichtlichen Schule – gerade auch Texte mit anderen metaphorischen (Wieder-)Geburtsformulierungen, insbesondere aus dem Bereich der Mysterien. Das zeigt sich zum Beispiel auch bei jenem Text, den Zimmermann neu in die religionsgeschichtliche Quellensammlung der „Wiedergeburts“-Forschung einbringt. Der Text, der auf einem orphisch-bacchischen Goldblättchen vom Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. erhalten ist und im Grab einer vermutlichen Mystin im thessalischen Pelinna erst 1985 gefunden wurde, lautet: „Jetzt bist du gestorben und jetzt bist du geboren worden … (νῦν ἔθανες καὶ νῦν ἐγένου)“.193 Er ist also kein Beleg für παλιγγενεσία, sondern beschreibt den Tod der Mystin vielmehr zugleich als Werden: Dass der Text sich auf ein Initiationsritual zurückbeziehe, das zu Lebzeiten bereits auf diese „Wiedergeburt“ hin orientierte, bleibt reine Vermutung.

Insgesamt bringt die Untersuchung der im Wesentlichen bereits bekannten Quellenbelege keine wirklich neuen Ergebnisse,194 nur andere Gewichtungen. So betont Zimmermann unter anderem die kosmischen, überindividuellen Aspekte des stoischen Verständnisses von παλιγγενεσία stark,195 stellt aber dann abschließend fest, dass „die Mysterienreligionen in der Tat die größten Konvergenzen zur Verwendung von παλιγγενεσία im Titusbrief zu bieten“ schei190 So besonders deutlich Gennrich, Lehre, aber auch Heitmüller, Wiedergeburt, u. a. Dass dabei Mt 19,28 als weiterer Beleg für παλιγγενεσία im Neuen Testament aufgrund seiner endzeitlichen Ausrichtung zugleich für Schwierigkeiten sorgt, wurde schon ausgeführt (s. o. 2.2.1). Kritisch gegen eine „Wiedergeburts“-Deutung von παλιγγενεσία in Tit 3,5 hatte sich bislang neben entsprechenden sprachgeschichtlichen Hinweisen bei Büchsel (s. o. 3.4.3) nur Mounce (s. o. 4.3.2) geäußert. Während Zimmermann Büchsel an dieser Stelle auch rezipiert, hat sie von der unpublizierten Untersuchung von Mounce offenbar keine Kenntnis. 191 Vgl. Zimmermann, Wiederentstehung 274–279 192 Zimmermann, Wiederentstehung 281. 193 Zitiert nach Zimmermann, Wiederentstehung 286. 194 Das gilt auch für den Versuch Zimmermanns, die hinlänglich bekannten Textbelege aus den Mysterien mit Hilfe neuerer archäologischer Erkenntnisse zu ergänzen: ausführlicher dazu s. u. 8.5.4. 195 Zimmermann, Wiederentstehung 287–289.

126

5. Neues Interesse an der „Wiedergeburt“

nen.196 Hier muss sie wiederum einräumen, dass die Quellenlage allerdings kaum verlässliche Urteile erlaubt.197 In ihrer Zusammenfassung greift Zimmermann dann aus fast allen geschilderten Bedeutungsspektren von παλιγγενεσία einzelne Aspekte auf.198 Das klingt nach einem etwas beliebigen Verfahren, dass die Sachverhalte möglichst passend macht, trägt aber der Situation Rechnung, dass die genaue Bedeutung von παλιγγενεσία für Verfasser und ursprüngliche Rezipienten des Titusbriefes aus der sprach- und zeitgeschichtlichen Analyse nicht mit Sicherheit zu ermitteln ist. Insofern ist tatsächlich eine Vielzahl von Deutungen möglich. Für eine neuerliche Untersuchung der Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament bestätigt sich von Zimmermanns Aufsatz her die Aufgabe, sehr genau nach den von den Texten tatsächlich gebrauchten Formulierungen zu schauen. Nur weil sie alle (in letztlich sehr unterschiedlicher Abgrenzung) von der Forschung unter „Wiedergeburt“ gefasst wurden, muss das nicht richtig sein. In Tit 3,5 nicht von „Wiedergeburt“, sondern von „Wiederentstehung“ zu sprechen, kann daher ein guter Anfang sein, festgefahrene Deutungsmuster sowohl für diesen Text wie auch für die Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament überhaupt aufzubrechen.

196 Zimmermann,

Wiederentstehung 289 f. Wiederentstehung 290. 198 „Παλιγγενεσία im Titusbrief beschreibt die persönliche, intramundane Heilswende, die eine Erneuerung des präsentischen Lebens darstellt. Dabei lässt sich der Aspekt der gemeinschaftskonstituierenden, überindividuellen, übernationalen und insofern kosmischen Funktion des Lexems, wie er durch die stoische Verwendung angelegt ist, jedoch in gewisser Weise auch in den Erzählungen aus dem Osiris- und Dionysos-Mythos zu finden ist, und auch in Mt 19:28 zum Tragen kommt, ebenfalls im Kontext des Titusbriefs wiederfinden“ (Zimmermann, Wiederentstehung 291). 197 Zimmermann,

Teil II

Metapherntheoretisch orientierte Revision der Frage nach „Wiedergeburt“: Von der Forschungsgeschichte zur Fragestellung dieser Untersuchung Fragt man nach dem, was in der bisherigen exegetischen Forschung zu „Wiedergeburt“ in besonders kontroverser Weise diskutiert wurde und wird, so ist das zweifellos die religionsgeschichtliche Herkunft: Ob die Vorstellung von „Wiedergeburt“ und das verwendete Vokabular sich eher aus den hellenistischen Mysterien herleitet oder aus alttestamentlich-jüdischen Traditionen oder ob die Ausdrucksweise ganz aus einer inneren Entwicklung des frühen Christentums heraus zu verstehen sei, ist dabei nach wie vor nicht entschieden. In der neueren Forschung lässt sich jedoch die Tendenz erkennen, diese Unentschiedenheit selbst als Antwort zu verstehen. Das heißt: Einflüsse aus der religiösen Umwelt werden in der Regel nicht für ausgeschlossen gehalten und mehr oder weniger ausführlich untersucht, im Ergebnis bleibt es aber häufig bei der Betonung der bloßen Möglichkeit eines religionsgeschichtlichen Zusammenhangs. Denn für die Mysterienkulte und das jüdische Proselytentauchbad ist die Quellenlage zum Beispiel zu dünn für sichere Nachweise,1 für den ursprünglich stoisch geprägten Begriff der παλιγγενεσία muss ein bereits erfolgter Übergang in andere Kontexte und nicht zuletzt in die Alltagssprache in Betracht gezogen werden,2 der neue inhaltliche Prägungen mit sich bringt usw. Dass ein neuerliches Aufgreifen der lang- und vieldiskutierten Frage nach den Wurzeln der Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament hier viel Neues zutage bringen könnte, ist kaum zu erwarten. Weder hat die Quellenlage sich entscheidend verändert, noch gibt es grundlegend neue methodische Ansätze für einen religionsgeschichtlichen Vergleich, der auf neue Ergebnisse hoffen ließe. Das heißt jedoch nicht, dass die Frage als solche obsolet ist. Im Rahmen der neukonstituier­ten Forschungsaufgabe (s. u. Kap. 7) wird die Frage nach dem Einfluss des religiösen Umfelds auf die Deutung der Metaphorik vielmehr unter dem methodischen Gesichtspunkt der Enzyklopädie (s. o. 1.6.2) immer wieder Berücksichtigung finden, allerdings nicht im Hinblick auf eine „Vorstellung“ von „Wiedergeburt“, die als allgemein vorhanden behauptet wird, 1 So hat es zuletzt für die Mysterien Zimmermann (Wiederentstehung 290) hervorgehoben; s. o. 5.11. 2 Das zeigen bereits die Belege, die Dey (ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 6–30) gesammelt hat; s. o. 3.6.

130

II. Revision der Frage nach „Wiedergeburt“

sondern konkret auf die Situation der jeweils betrachteten Texte bezogen. Außerdem stellt sich die Frage nach traditionsgeschichtlichen Linien aus dem Alten Testament neu (s. u. 7.3).

Wirft man einen zweiten Blick auf die exegetische Forschungsliteratur zu „Wiedergeburt“, so präsentiert sich die neutestamentliche Textgrundlage als mindestens ebenso uneinheitlich und diskussionswürdig. Welche Texte unter der Überschrift „Wiedergeburt“ zu verhandeln sind, wird – im Gegensatz zur religionsgeschichtlichen Debatte – jedoch nirgendwo als strittiges Thema wahr­genommen, obwohl die einzelnen Beiträge hier sehr unterschiedlich verfahren: Während die Texte 1 Petr 1,3.23; Joh 3,3.7 und Tit 3,5 in fast allen For­schungsbeiträgen erwähnt werden, weil sie griechische Entsprechungen zu „Wiedergeburt“ als nominale oder verbale Ausdrücke (also „Wiedergeburt“ als „Begriff  “) aufweisen, sind oft weitere neutestamentliche Texte in die Darstellungen einbezogen, die in ihrer Anzahl und Auswahl stark variieren und sich aus einer insgesamt uneinheitlichen Auffassung von „Wiedergeburt“ als „Sache“ ergeben. Metapherntheoretisch analysiert, werden hinter diesen beiden Wegen der Textauswahl zwei gegensätzliche Forschungsansätze sichtbar: Zum einen wird beim Ursprungsbereich angesetzt, der sich im „Begriff “ bzw. genauer in griechischen Entsprechungen von „Wiedergeburt“ in neutestamentlichen Texten manifestiert, und es wird nach der Bedeutung dieser metaphorischen Ausdrucksweise gefragt. Zum anderen fungiert eine bereits existierende Vorstellung von „Wiedergeburt“ (d. h. „Wiedergeburt“ als „Sache“ und nicht als Wort) als Zielbereich der zu analysierenden Metaphorik, und es wird nach verschiedenen metaphorischen Ausdrücken für diese „Sache“ gesucht. Häufig werden in der Forschung auch beide Ansätze miteinander kombiniert, ohne dass dieses in sich widersprüchliche Vorgehen theoretisch reflektiert würde (s. o. bes. 2.2.2 und 4) und ohne dass es eine Debatte über die zum Teil sehr unterschiedlich verstandene „Sache Wiedergeburt“ und die sie repräsentierenden Texte gäbe. Die entscheidende Frage, was unter der Überschrift „Wiedergeburt im Neuen Testament“ eigentlich zu verhandeln sei (und anhand welcher Texte), beantworten die Untersuchungen nie im Gesamtblick auf die verschiedenen Forschungsansätze, sondern immer nur weitgehend pragmatisch orientiert für das je eigene Vorgehen. Dass hier etwas strittig und höchst unklar ist, zeigen Tendenzen in der neueren Forschung aber immerhin vorsichtig an. Ein Indiz dafür ist die zunehmende Zahl jener Beiträge, die sich dezidiert nur mit der Auslegung eines einzigen Textes und dessen Rede von „Wiedergeburt“ beschäftigen. Sie dominieren die Forschungslandschaft seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts (s. o. Kap. 5), während der Gesamtblick auf „Wiedergeburt“ im Neuen Testament in neuerer Zeit vor allem den Lexikonartikeln vorbehalten bleibt. Auch hier gibt es aber Hinweise auf die mit dem Lemma verbundene Problematik: Denn sowohl Wiard Popkes in der TRE als auch Jörg Frey in der RGG 4 betonen am Anfang ihrer Darstellungen die semantische (und Popkes außerdem die begriffs- und traditionsgeschichtliche) Uneinheitlichkeit der Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament.3 Wichtige Beobachtungen stehen schließlich auch 3 Vgl.

Popkes, Wiedergeburt 9, und Frey, Wiedergeburt 1529; s. o. 5.7.

II. Revision der Frage nach „Wiedergeburt“

131

hinter der Warnung Reinhard Feldmeiers vor der zu schnellen Ersetzung der Metaphorik durch andere Theologumena 4 und hinter der Kritik Christiane Zimmermanns an der weithin unkritischen Subsumierung von παλιγγενεσία in Tit 3,5 unter „Wiedergeburt“ als Geburtsmetaphorik.5

Für eine neuerliche Untersuchung erscheint es daher nicht angezeigt, die schon oft gestellte Frage nach der religionsgeschichtlichen Herkunft der Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament nochmals zentral aufzugreifen. Es ist dagegen dringend an der Zeit, die Frage nach dem eigentlichen Forschungsgegenstand und der Textgrundlage einer Untersuchung von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament zu stellen, die bisher nie ernsthaft im Fokus der Forschung stand, weil sie – ebenso wie der verwendete Begriff – zu Unrecht für nicht klärungsbedürftig gehalten wurde. Die Analyse der Forschungsgeschichte (s. o. Teil I) hat dazu bereits einen ersten wichtigen Beitrag geleistet. Im Folgenden geht es um Konsequenzen daraus für die weitere Forschung und um eine Antwort auf die Frage nach dem Forschungsgegenstand, die in neuer Weise klar benennt, worum es eigentlich geht. Ein wichtiger Teil dieses Neuansatzes wird darin bestehen, sich soweit als möglich von dem Begriff der „Wiedergeburt“ zu lösen, da dieser in all seiner beschreibungssprachlichen Geprägtheit doch so mehrdeutig und unpräzise bleibt, dass er sich nicht dazu eignet, den Forschungsgegenstand klar genug zu beschreiben. Der Weg zu einer Neuformulierung führt über die Dekonstruktion der bisherigen Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament (s. u. Kap. 6) zu einer Neukonstituierung der Fragestellung (s. u. Kap. 7).

4 Vgl. 5 Vgl.

Feldmeier, Wiedergeburt 80; s. o. 5.8. Zimmermann, Wiederentstehung 273; s. o. 5.11.

6. Kapitel

„Wiedergeburt“? Dekonstruktion der Fragestellung Schon mehrfach ist in der vorliegenden Untersuchung von der grundlegenden Problematik die Rede gewesen, dass in der Forschungsliteratur mit „Wiedergeburt“ wechselnd der Ursprungs- und der Zielbereich metaphorischer Äußerungen in den Blick genommen wird. Theoretisch sind beide Ansätze je für sich genommen denkbar. Untersuchungen metaphorischer Äußerungen können sich, wenn sie mehrere Texte nebeneinander betrachten und vergleichen, dafür sowohl an einem gemeinsamen Ursprungs- als auch an einem gemeinsamen Zielbereich ausrichten und ebenso an bestimmten Kombinationen dieser Bereiche (d. h. an konzeptuellen Metaphern: s. o. 1.6.3). Ein und denselben Bereich als Ursprungs- und Zielbereich zu betrachten, ist metapherntheoretisch dagegen unsinnig.1 Denn es ist etwas völlig anderes, ob ein Konzeptbereich als Ursprungsbereich dazu dient, einen anderen Bereich metaphorisch zu beschreiben und zu strukturieren, oder ob ein Konzeptbereich als Zielbereich selbst metaphorisch näher beschrieben wird, indem ein oder mehrere andere Ursprungsbereiche zum Einsatz kommen. So hat zum Beispiel der Beginn der Motette „O Jesu Christ, meinʼs Lebens Licht“ von Johann Sebastian Bach (BWV 118) 2 mit der Beschreibung von Sonnenlicht, das durch ein Fenster „strömt“ und sich über Tisch und Wände „ergießt“, außer der gemeinsamen Erwähnung von „Licht“ nicht viel gemeinsam. Im ersten Fall handelt es sich um eine Instanziierung der konzeptuellen Metapher Christus als Licht, mit der etwas über die Bedeutung von Jesus Christus im Leben der Gläubigen ausgesagt werden soll. Das Konzept Licht, zu dem Vorstellungen von Helligkeit, Wärme und die Ermöglichung von Leben und Wachstum ebenso gehören wie der Gegensatz zur Finsternis, wird als Ursprungsbereich genutzt. Im zweiten Fall ist die Formulierung, dass Sonnenlicht durch ein Fenster strömt, als Instanziierung der konzeptuellen Metapher Licht als Flüssigkeit zu verstehen. Hier wird das Sonnenlicht mit Hilfe von Ausdrücken beschrieben, die semantisch eigentlich einem flüssigen Stoff vorbehalten sind, sich im vorliegenden Fall aber als hilfreich erweisen, um die ganz eigene Qualität von Licht sprachlich darzustellen. Licht ist hier der Zielbereich der Metaphorik.

Dass ein und derselbe Konzeptbereich sowohl als Ursprungs- als auch als Zielbereich von Metaphern auftritt, ist überhaupt ein eher seltener Fall.3 „Wieder1 Formalisiert würde ein solches Vorgehen im Fall von „Wiedergeburt“ die konzeptuelle Metapher Wiedergeburt als Wiedergeburt ergeben. 2 Der Text stammt von Martin Behm. 3 Es ist vor allem das Verdienst der Conceptual Metaphor Theory (CMT), deutlich herausgestellt zu haben, was eigentlich auf der Hand liegt: Dass nämlich in der Regel einfacher strukturierte, gut bekannte Konzeptbereiche zur Metaphorisierung (also als Ursprungsberei-

134

6. Dekonstruktion der Fragestellung

geburt“ aber könnte, wenn man den Spuren eines größeren Teils der Forschung folgt, beides sein. Beide Ansätze sind jedoch kritisch zu hinterfragen – und zwar nicht nur in ihrer Kombination, die aus metapherntheoretischen Gründen abzulehnen ist (s. o. Anm. 1), sondern auch je für sich genommen als separate Ansätze. Denn weder als Ursprungs- noch als Zielbereich ist mit der Bezeichnung als „Wiedergeburt“ klar genug bestimmt, worum es jeweils geht und welches methodische Vorgehen sich daraus ableitet. Die beiden folgenden Abschnitte explizieren und begründen diese These in Form einer doppelten Dekonstruktion. Zuerst geht es dabei um jene Forschungsansätze, die mit „Wiedergeburt“ vor allem den Zielbereich metaphorischer Aussagen meinen (s. u. 6.1), danach um die Dekonstruktion eines Ansatzes bei „Wiedergeburt“ als Ursprungsbereich (s. u. 6.2). In beiden Abschnitten lassen sich bereits erste Anhaltspunkte für eine Neufassung der Fragestellung festhalten, die zum nachfolgenden Kapitel (Kap. 7) überleiten.

6.1 Dekonstruktion von „Wiedergeburt“ als „Sache“ bzw. Zielbereich „Wiedergeburt“ eignet sich nicht als Bezeichnung des Zielbereiches der Metaphorik, weil nicht klar ist, was für ein Konzept damit gemeint ist. Diese These bestätigt sich, wenn man sich jene Untersuchungen anschaut, die vor allem in den ersten Jahrzehnten der neutestamentlichen Forschungsgeschichte (s. o. Kap. 2 und 3) „Wiedergeburt“ als „Sache“ (und somit als Zielbereich) auffassen 4 (und zwar in der Regel, nachdem sie zuvor nach sprachlichen Äquivalenten für den „Begriff Wiedergeburt“ gesucht haben, um danach zur Frage nach der „Sache“ zu wechseln). Denn alle diese Untersuchungen fühlen sich genötigt zu erklären, was sie unter dieser „Sache Wiedergeburt“ verstehen: […] unsere Aufgabe ist es, zu ermitteln, ob im Neuen Testament Vorgänge beschrieben werden […], die unter den Begriff Wiedergeburt zunächst in dem ganz allgemeinen Sinn gehören, daß damit ein in das gegenwärtige Leben fallender neuer Lebensanfang in irgend welchem Sinne bezeichnet wird. (Paul Gennrich) 5 che) von weniger gut greif baren, abstrakten Konzeptbereichen eingesetzt werden und nicht umgekehrt. Denn Metaphern wollen in der Regel etwas klären, etwas deutlicher machen oder überhaupt auszudrücken helfen (katachrestische Funktion), und nicht verschleiern. So dienen z. B. die alltäglichen, in sich vielfältig strukturierten Konzepte Weg und Reise häufig zur Beschreibung anderer, abstrakterer Konzepte, wie z. B. Leben oder Liebe. Umgekehrt dagegen gibt es kaum Instanziierungen der Konzeptmetapher Weg / ‌Reise als „X“. 4 So besonders deutlich ausgedrückt bei Kirn, Wiedergeburt 247; Heitmüller, Wiedergeburt 2010; Wissmann, Wiedergeburt 1912; Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 175, aber auch noch bei Goppelt, Wiedergeburt 1697. 5 Gennrich, Lehre 13 (Hervorhebung hinzugefügt). Mit dem „Begriff Wiedergeburt“ ist bei Gennrich hier nicht die wörtliche Entsprechung in neutestamentlichen Texten gemeint, sondern der Begriff, der die Vorstellung bezeichnet.

6.1 „Wiedergeburt“ als „Sache“ bzw. Zielbereich

135

Der Ausdruck Wiedergeburt bezeichnet den Eintritt in den christlichen Heilsstand als einen neuen Lebensanfang und hebt damit ebenso den Abstand von der früheren Existenzweise wie die umfassende Tragweite der eingetretenen Wendung hervor. (Otto Kirn) 6 Die W[iedergeburt] […] ist nicht etwa nur eine Umkehr oder Erneuerung des religiös-sittlichen Lebens, sondern eine den ganzen Menschen umfassende Neuschöpfung, eine Versetzung in eine höhere Daseinsweise oder doch die sichere Gewähr derselben. (Wilhelm Heitmüller) 7 Allgemein waren sich die ältesten Christen bewußt, als Gläubige, d. h. eben durch den Glauben und in ihm, eine Erneuerung erfahren zu haben, deren Art und Bedeutung sie durch „Wiedergeburt“ oder durch Begriffe, die einem solchen Erlebnis nahe stehen, ausgedrückt haben. (Adolf von Harnack) 8 Für Paulus handelt es sich hinsichtlich der W[iedergeburt] […] um das Gottesgeschenk des neuen Lebens in Christus. (Erwin Wißmann) 9

Formuliert man diese Erklärungen über „Wiedergeburt“ metapherntheoretisch um, so widmen sich sowohl Otto Kirn als auch Paul Gennrich einer Suche nach neutestamentlichen Texten, die das Zielkonzept Neuanfang im Leben metaphorisch umschreiben. Bei Wilhelm Heitmüller geht es um metaphorische Ausdrücke für eine umfassende Erneuerung und Seinserhöhung des Menschen, wobei er in seiner Definition mit „Neuschöpfung“ bereits auf einen möglichen Ursprungsbereich (nämlich Schöpfung) verweist, mit dessen Hilfe die „Versetzung in eine höhere Daseinsweise“ Ausdruck finden könnte. Adolf von Harnack sucht nach metaphorischen Umschreibungen einer Erneuerungserfahrung im und durch den Glauben, während der von Erwin Wißmann anvisierte (und von ihm nur auf paulinische Texte bezogene) Zielbereich als Erhalt neuen Lebens in der Christusbeziehung reformuliert werden könnte. Es zeigen sich einige Übereinstimmungen: Allen Erklärungen gemeinsam ist die Beschreibung von Neuheit bzw. Erneuerung des Lebens (nur Heitmüller qualifiziert sie zugleich deutlich als Erhöhung des Daseins),10 allen geht es dabei um ein sehr grundsätzliches und umfassendes, eher singuläres als wiederholbares Geschehen. Und auch wenn nicht in allen eben angeführten Zitaten direkt davon gesprochen wird, so wird doch jeweils aus dem Kontext klar, dass die Erneuerungserfahrung eine religiöse Erfahrung ist, die im Zusammenhang 6 Kirn,

Wiedergeburt 146 (Hervorhebung hinzugefügt). Wiedergeburt 2010 (Hervorhebung hinzugefügt). 8 Harnack, Terminologie 97 (Hervorhebung zum Teil hinzugefügt). 9 Wissmann, Wiedergeburt 1912 (Hervorhebung zum Teil hinzugefügt). 10 Vgl. ganz ähnlich auch Dey (ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 4), dessen Aussage aber ganz auf das Wort παλιγγενεσία bezogen ist und der von vornherein fragt: „ob sich mit dem Wort [sc. παλιγγενεσία] der Sinn einer wesentlichen Erhöhung im Sein verbindet, wie es für eine religiöse Wiedergeburt ja gefordert werden muß“ (s. o. 3.6.2). Dey bezieht am Ende (ebd. 157), nachdem diese Konzentration auf παλιγγενεσία für Tit 3,5 keine weiterführenden Erkenntnisse gebracht hat, vor allem die paulinische Rede von der Neuschöpfung mit in seine Betrachtungen ein, die seines Erachtens „mit der Wiedergeburtsvorstellung von Tit 3,5 in enger Beziehung steht und leicht zu ihr hinführen kann.“ 7 Heitmüller,

136

6. Dekonstruktion der Fragestellung

mit dem Glauben der von der Metaphorik jeweils beschriebenen Menschen steht. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass alle diese Untersuchungen, wenn sie nach „Wiedergeburt“ in den neutestamentlichen Texten fragen, eigentlich nach metaphorischen Instanziierungen einer grundlegenden (reli­ giösen) 11 Erneuerung des Lebens suchen, die sich als Zielbereich hinter der undeutlich bleibenden und deshalb Erläuterung erfordernden „Wiedergeburt“ verbirgt. Diese offensichtlichen Übereinstimmungen auf der Metaebene eines Zielbereiches führen dann jedoch zu sehr unterschiedlichen Textzusammenstellungen. Die folgende tabellarische Übersicht gibt einen Eindruck davon und zeigt zugleich, dass es in aller Verschiedenheit doch auch eine beträchtliche Zahl von Texten gibt, die immer wieder angeführt werden, und zwar nicht nur in der Frühzeit der Forschung, sondern in der gesamten Forschungsgeschichte bis in die Gegenwart.12

11 Der Zusatz „religiös“ in der Klammer, der die entsprechenden Hinweise aus der Forschungsliteratur zu bündeln sucht, ruft selbst wiederum ein Konzept auf, das stark zeitgeschichtlich geprägt ist und sich daher als nicht unproblematisch zur Beschreibung der neutestamentlichen Texte erweist (zumal sich ein religiöser Bereich in der Lebenswelt der Antike nicht klar von anderen gesellschaftlichen, politischen und sozialen Lebensbereichen abgrenzen lässt). Als Markierung dafür, dass die unter dem Begriff „Wiedergeburt“ zusammengestellten Texte in der Regel aber keine völlig allgemeinen Erneuerungserfahrungen beschreiben, sondern in der Forschungsliteratur mit Zusätzen wie „religiös-sittlich“ (Heitmüller), „Heilsstand“ (Kirn), „Glauben“ (Harnack) oder „Gottesgeschenk“ (Wißmann) versehen werden (s. o. die entsprechenden Zitate), wird der Zusatz „(religiös)“ im Folgenden vorerst beibehalten. Es wird sich aber zeigen (s. u. 7.1), dass im Hinblick auf die in dieser Untersuchung interessierenden neutestamentlichen Texte und ihre Metaphorik, eine Differenzierung zwischen religiösen und nicht-religiösen Erneuerungserfahrungen unnötig ist. 12 Die Auf listung ist cum grano salis zu verstehen, denn zum Teil führen die Beiträge auch Texte an, die nur zur Illustration eines bestimmten Aspekts der „Wiedergeburt“ dienen. Ob diese dann nach Meinung der Autoren auch im engeren Sinne zu den „Wiedergeburts“-­ Texten zu zählen sind, lässt sich den Beiträgen nicht immer eindeutig entnehmen.

137

6.1 „Wiedergeburt“ als „Sache“ bzw. Zielbereich

Tabellarische Darstellung: In verschiedenen „Wiedergeburts“-Untersuchun­gen erwähnte Texte (1) „Wiedergeburt“ Geburt / Zeugung aus Gott

Gennrich Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23 1 Joh 3,9; 4,7; 5,1 f.4.18 Joh 1,12 f. Jak 1,18

Kirn Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.18 Joh 1,12 f. Jak 1,18.21

Heitmüller Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18 Joh 1,13 Jak 1,18

Harnack Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23 1 Joh 2,29; 3,1 f.9 f.; 4,7; 5,1 f.4.18 Joh 1,12 f. Jak 1,18

Mt 19,28 2 Kor 5,17 Gal 6,15

Mt 19,28 a 2 Kor 5,17

Mt 19,28 a 2 Kor 5,17 Gal 6,15 Eph 2,10 Kol 3,9 f. Eph 4,22 ff. Röm 6,4 Röm 12,2 2 Kor 4,16

παλιγγενεσία neue Schöpfung

Mt 19,28 2 Kor 5,17

neuen Menschen / ‌ Christus anziehen

Eph 2,10 Kol 3,10 Eph 4,24 Gal 3,27

Neuheit, Neuwerden

Röm 6

Röm 6,3 ff. Röm 12,2

Röm 6,3 ff.

mit auferstanden u. lebendig gemacht

Kol 2,12 f.

Kol 2,11 f. Kol 3,3 Eph 2,5 Gal 2,19 f.

Kol 2,11 ff.20 ff. Kol 3,1 ff.

Paulus: Christus in mir / im Menschen b

Eph 2,5 f. Gal 2,20 Gal 4,19

Kol 3,10 Eph 4,22–24 Gal 3,27

Gal 2,20 Gal 4,19

Röm 8,9

Röm 8,2 Gal 3,5; 4,6 Mt 3,1 ff.

(1 Kor 4,15 Phlm 10 Gal 4,19) c Röm 8,14 f.23 Gal 3,26; 4,5–7 1 Petr 2,2 Mt 18,3 Mk 10,15 Lk 18,17 ja, aber ohne Textstellen Röm 8,29

weitere Texte

weitere Texte

weitere Texte

Paulus gebiert / ‌zeugt Röm 8,15.23 Gal 3,26 f.; 4,6 Gal 3,26 wie die Neugeborenen 1 Petr 2,1–5 1 Petr 2,1–3 Mt 18,3 wie die Kinder Paulus: Kindschaft

neues Leben als Gabe des Geistes Jesu Taufe; Jesu Sohnschaft weitere Texte …f

Gal 2,19 ff.

138

6. Dekonstruktion der Fragestellung

(2) „Wiedergeburt“ Geburt / Zeugung aus Gott

Procksch Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4 Joh 1,13 Jak 1,18.21

παλιγγενεσία neue Schöpfung

Mt 19,28 2 Kor 5,17 Gal 6,15

neuen Menschen / Christus anziehen

Kol 3,9 f. Eph 4,22–24

Neuheit, Neuwerden mit auferstanden u. lebendig gemacht Paulus: Christus in mir / im Menschen b

Wißmann Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23 1 Joh 2,29; 3,9 f.; 4,3 f.7; 5,1.4 f.18 f. Joh 1,13; 8,47 Jak 1,18 2 Kor 5,17 Gal 6,15 Eph 2,8 ff. Kol 3,9 f. Eph 4,24 Gal 3,27 Röm 13,[1]4 Röm 6,2 ff. Kol 2,12

Gal 4,19

Paulus gebiert / ‌zeugt 1 Kor 4,15 Phlm 10 Gal 4,19 Paulus: Kindschaft wie die Neugeborenen 1 Petr 2,1 f. Mt 18,3 wie die Kinder Mk 10,15 Lk 18,17 Röm 8,2.10 f. neues Leben als Gabe des Geistes Mt 3,13 ff. parr. Jesu Taufe; Jesu Sohnschaft weitere Texte …f weitere Texte

Dey Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23 1 Joh 2,29; 3,9 f.; 4,7; 5,1 f.4 Joh 1,13 Jak 1,18

Schweitzer Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7 f.; 5,1 ff.18 Joh 1,12 f. Jak 1,18

Mt 19,28 2 Kor 5,17 Gal 6,15

Mt 19,28 2 Kor 5,17 Gal 6,15 Eph 2,10 Kol 3,10 Eph 4,24 Gal 3,27 Röm 13,14 Röm 6 Röm 12,2 2 Kor 4,16 ff. Kol 2,12 Kol 3,1 ff. Eph 2,5 f. Gal 2,19 f.

Kol 3,(9–)10 Eph 4,(22–)24 Gal 3,27 Röm 13,14 Röm 6 Kol 2,10 ff. Kol 3,4 Eph 2,1–5 Gal 2,20 Gal 4,19 Phil 1,21 (1 Kor 4,15 Phlm 10) d Röm 8,15 f. Gal 4,4 f. 1 Petr 2,2

1 Kor 4,15 Phlm 10 Gal 4,18 f. Röm 8,14 ff.23 Gal 3,26; 4,4–6 1 Petr 2,2 Mt 18,3 Röm 8,9–11 Lk 3,22

weitere Texte

weitere Texte

6.1 „Wiedergeburt“ als „Sache“ bzw. Zielbereich

(3) „Wiedergeburt“ Geburt / Zeugung aus Gott

παλιγγενεσία neue Schöpfung

Goppelt Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23 1 Joh 2,29; 3,9 f.; 4,7; 5,1 f.4.18 Joh 1,13 f. (vgl. Jak 1,18)

(vgl. Jak 1,18)

(vgl. Mt 19,28) 2 Kor 5,17 Gal 6,15

Mt 19,28 a 2 Kor 5,17 Gal 6,15

neuen Menschen / Christus anziehen

Neuheit, Neuwerden

mit auferstanden u. lebendig gemacht

Röm 6,3–11 Röm 12,2 2 Kor 4,16 Kol 2,11–3,11

Lichtenberger Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23

Roosimaa Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23 1 Joh 3,1.9; 4,7; 5,1.18 Joh 1,13

Kol 3,10 Eph 4,24 Gal 3,27 Röm 13,14 Röm 6,4

2 Kor 5,17

Röm 6,6.8 Kol 2,13 Eph 2,5

Paulus: Christus in mir / im Menschen b Paulus gebiert / ‌zeugt

1 Kor 4,15 Phlm 10

Paulus: Kindschaft

Röm 8,15 f. Gal 3,26; 4,4–7

wie die Neugeborenen Mt 18,3 par. wie die Kinder

neues Leben als Gabe des Geistes Jesu Taufe; Jesu Sohnschaft weitere Texte …f

1 Petr 2,2

Röm 8,2 Mk 1,15 weitere Texte

weitere Texte

139

140

6. Dekonstruktion der Fragestellung

(4) Popkes Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1 Joh 1,13 Jak 1,18

Frey Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23 1 Joh 2,29; 3,1 f.; 5,1 Joh 1,12 f. (vgl. Jak 1,18)

παλιγγενεσία neue Schöpfung

Mt 19,28 a 2 Kor 5,17 Gal 6,15

Mt 19,28 2 Kor 5,17

neuen Menschen / Christus anziehen

Kol 3,9–11 Eph 4,22 ff.

Neuheit, Neuwerden

Röm 6,3 ff.

mit auferstanden u. lebendig gemacht

Kol 2,12

„Wiedergeburt“ Geburt / Zeugung aus Gott

Paulus: Christus in mir / im Menschen b

Eph 2,6 Gal 2,20 Gal 4,19

Back Tit 3,5 Joh 3,3 ff. 1 Petr 1,3.23

Joh 1,12 f. Mt 19,28 a

Gal 2,20

Paulus gebiert / ‌zeugt 1 Kor 4,15 Phlm 10 Röm 8,14 ff.23 ff. Gal 4,5 ff. wie die Neugeborenen 1 Petr 2,2 (Mt 18,3 wie die Kinder Mk 10,15 Lk 18,17) e neues Leben als Gabe des Geistes Lk 3,22 Jesu Taufe; Jesu Sohnschaft weitere Texte weitere Texte …f Paulus: Kindschaft

Röm 8,14 f.23 Gal 4,5–7 1 Petr 2,2

Anmerkungen: a  Die Angabe „Mt 19,28“ bedeutet, dass der Text in der entsprechenden Untersuchung zwar genannt, aber aus der Gruppe der „Wiedergeburts“-Texte zugleich ausdrücklich ausgeschlossen wird.   b  Gal 4,19 kommt entweder stärker unter dem Gesichtspunkt in den Blick, dass Christus im Menschen Gestalt gewinnt, oder im Hinblick auf Paulus’

6.1 „Wiedergeburt“ als „Sache“ bzw. Zielbereich

141

eigene Missionstätigkeit als metaphorisches Gebären (siehe nächste Tabellenzeile). Nur bei Harnack ist der Text unter beiden Aspekten aufgeführt.  c  Da Paulus so von sich spreche, sei es „vielleicht nur ein Zufall“, aber noch „wahrscheinlicher, daß er heidenchristlichen Lesern gegenüber von Gott das mythologisch klingende ‚γεννᾶν‘ nicht aussagen wollte“ (Har­nack, Terminologie 109).  d  Hier liegt nach Dey (ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 173) aber etwas anderes als die „sakramentale Wiedergeburt“ vor, nämlich die Vorstellung einer „geistigen Vaterschaft“.  e  Popkes erwähnt diese Texte, betont aber zugleich, dass es unsicher sei, ob diese Texte als innerneutestamentlicher Ausgangspunkt der „Wiedergeburts“-Vorstellung anzusehen sind (vgl. Popkes, Wiedergeburt 12).  f  Hinter der Angabe „weitere Texte“ verber­ gen sich jeweils unterschiedlich viele weitere Texte. Dort, wo in dieser Zeile keine Eintragung ist, erfasst die jeweilige Spalte dagegen alle von der Untersuchung genannten Texte.

Die tabellarische Übersicht lässt zum einen erkennen, dass der beschreibungssprachliche Terminus „Wiedergeburt“ ganz offensichtlich keine ausreichend kla­re Vorstellung liefert, aus der sich eine einheitliche Textzusammenstellung ergäbe. Nur Tit 3,5; 1 Petr 1,3.23 und Joh 3,3 ff. werden als wörtliche Repräsentationen von „Wiedergeburt“ ausnahmslos von allen Untersuchungen angeführt (und sind unten in 6.2 unter dem Gesichtspunkt des Ursprungsbereiches noch näher zu betrachten). Auch über diese Texte hinaus lässt sich in der Textzusammenstellung aber doch eine signifikante Häufung weiterer Texte beobachten: So wird (mit Ausnahme von Back) in allen von der Tabelle erfassten Untersuchungen die Beschreibung des Menschen als „neue Schöpfung“ (καινὴ κτί­σις) in 2 Kor 5,17 (und meist auch Gal 6,15) aufgegriffen. Sehr häufig findet auch die Rede vom „Ausziehen des alten und Anziehen des neuen Menschen“ (Kol 3,9 f. par. Eph 4,22–25),13 vom „Christus Anziehen“ (Gal 3,27) 14 und vom Wandeln in der „Neuheit des Lebens“ (Röm 6,4) Aufnahme in die Textzusammenstellung. Gleiches gilt auch für Kol 2,12 f. (und die nicht so häufig erwähnte Parallelstelle Eph 2,5 f.) mit der Zusage an die Gläubigen, dass Gott sie in der Taufe bereits mitauferweckt und mitlebendig gemacht habe (συν­ήγειρεν, συνεζωοποίησεν).15 Es lässt sich also eine auffällige Konzen­tration auf Texte

13 Es ist vor allem Heitmüller (Wiedergeburt 2009), der aus diesem Konsens ausschert. Mit der Stellenangabe Kol 3,1 ff. verweist er ziemlich sicher nur auf die folgenden Verse bis Kol 3,4, nicht bis einschließlich Kol 3,9 f.; Passagen aus dem Epheserbrief erwähnt Heitmüller gar nicht. Auch Gal 6,15 führt er als Parallele zu 2 Kor 5,17 nicht an. 14 Sehr viel seltener wird hier auch auf Röm 13,14 verwiesen, und zwar immer nur dann, wenn Gal 3,27 separat und nicht im Verbund mit Gal 3,26 angeführt wird. Denn die dortige Aussage über die Gotteskindschaft der Gläubigen findet in Röm 13,14 oder dem dortigen Kontext kein Echo. 15 Welchen Einfluss die übliche ungenaue Bestimmung des Terminus „Wiedergeburt“ innerhalb der Forschungsliteratur hat, zeigt z. B. der Aufsatz von Despotis zu Eph 2,8–10 und der patristischen Rezeption dieser Verse: Obwohl Despotis (Rechtfertigung 170) zu Recht festhält, dass die von ihm eingangs zitierte Interpretation durch Johannes Chrysostomus „eher eine Neuschöpfung als eine Wiedergeburt“ darstellt und es darum „geschickter“ wäre, das auch terminologisch klar zu differenzieren, behält er den Begriff „Wiedergeburt“ bei, „weil er bei den relevanten Wörterbüchern und Aufsätzen üblich ist.“

142

6. Dekonstruktion der Fragestellung

feststellen, die (zumeist auch wörtlich) ein Neu-Werden oder eine Neuheit ausdrücken.16 Der Zielbereich einer grundlegenden (religiösen) Erneuerung des Le­ bens, der oben als hinter der Vorstellung von „Wiedergeburt“ als „Sache“ stehend ermittelt wurde, wird von den hier angeführten Texten somit deutlich bestätigt. Er erweist sich auch über die frühe Forschungsperiode hinaus als leitend für eine wiederholt zu beobachtende Textauswahl. Warum diese Texte, die offensichtlich viel zutreffender unter dem Gesichtspunkt einer Erneuerung des Lebens zu fassen sind,17 aber dennoch bis in die Gegenwart unter dem Thema „Wiedergeburt“ verhandelt werden, lässt sich exegetisch nicht sinnvoll begründen, sondern erklärt sich nur aus der oben bereits ausführlicher beschriebenen Übernahme eines dogmatisch und frömmigkeitsgeschichtlich bereits lange vorgeprägten Themas in die Exegese.18 Exegetisch aber gibt es keinen Anlass, „Wiedergeburt“ als Leitbegriff beizubehalten. Das bestätigen auf ihre Weise auch die neueren Forschungsbeiträge, die eine zum Teil ähnliche thematische Breite bei den betrachteten Texten aufweisen, dafür aber von vornherein mehrere Konzeptbereiche nebeneinanderstellen und „Wiedergeburt“ um „Neuschöpfung“, „Erneuerung“, „Neu-Werden“ etc. ergänzen, an „Wiedergeburt“ selbst allerdings festhalten. Dabei formulieren sie den gemeinsamen Zielbereich der auf diese Weise erfassten Texte ganz ähnlich wie die ältere Forschung: 16 Auch die Beschreibung seines nach der Christusbegegnung völlig veränderten Lebens als ζῶ δὲ οὐκέτι ἐγώ, ζῇ δὲ ἐν ἐμοὶ Χριστός (Gal 2,20), und die Bemühungen des Paulus darum, dass Christus in den Galaterinnen und Galatern erneut „Gestalt gewinne“ (Gal 4,19: μέχρις οὗ μορφωθῇ Χριστὸς ἐν ὑμῖν) wird gerade in der älteren Forschung häufig als Ausdruck von grundlegender Erneuerung des Lebens mit angeführt. Mit einer gewissen Häufigkeit wird auch die (Gottes-)Kindschaft der Gläubigen (Röm 8,15; Gal 3,26; 4,4 ff.) in den Untersuchungen zur „Wiedergeburt“ aufgegriffen. Ansonsten weist das Untersuchungsfeld an seinen „Rändern“ eine beträchtliche Textvarianz auf, die auch die tabellarische Darstellung nur in Auszügen andeuten kann. 17 Das bestätigt sich auf andere Weise auch, wenn man die Betrachtungsrichtung einmal umdreht. Denn sobald jene Texte, die mit großer Häufigkeit unter der Frage nach „Wiedergeburt“ verhandelt werden, ohne wörtlich davon zu sprechen (also 2 Kor 5,17; Gal 6,15; Kol 3,9 f.; Eph 4,22–25; Gal 3,27; Röm 6,4), zum Ausgangspunkt exegetischer Untersuchungen werden, die nicht von vornherein nach „Wiedergeburt“ fragen, kommt „Wiedergeburt“ als Konzept in der Regel gar nicht ins Spiel. Viel eher (und viel zutreffender!) ist dann von „Neuheit“, „Erneuerung“ oder „neuer Schöpfung“ die Rede; vgl. z. B. Hoegen-Rohls, Neuheit; Buchegger, Erneuerung; Mell, Neue Schöpfung; Hubbard, New Creation; Jackson, New Creation; auch die Kommentarliteratur zu den entsprechenden Stellen bestätigt diese Beobachtung (vgl. zu Kol 3,9 f. etwa Wolter, Kolosser 178–184, oder Lindemann, Kolosserbrief 58; zu Eph 4,22–25: Hübner, Epheser 217–219; Schnackenburg, Epheser 203–205; zu Gal 6,15: Vouga, Galater 157; Becker, Galater 101 f.; zu Gal 3,27: Vouga, Galater 90 f.; Becker, Galater 59 f.; zu 2 Kor 5,17: Schmeller, Korinther I, 326–328; Lang, Korinther 300). 18 Siehe dazu bes. oben 2.2.4, aber auch schon 1.4.

6.1 „Wiedergeburt“ als „Sache“ bzw. Zielbereich

143

Wenn wir im Neuen Testament nach diesem Übergang vom Tod zum Leben, von der „alten“, der Sünde und damit dem Tod unterworfenen Existenz zum „neuen“ Leben fragen, so rücken zwei Vorstellungsweisen in den Vordergrund: Neuschöpfung und Wiedergeburt. Beide stellen auf verschiedene, aber bildhaft höchst anschauliche Weise Vorgang und Ergebnis des Neu-Werdens dar. (Hermann Lichtenberger) 19 „Wiedergeburt“ ist metaphorische Redeweise. Das dazugehörige Wortfeld (im weiteren Sinne) – darunter: neu, einst / jetzt, neue Schöpfung, Wiederherstellung, Kindschaft […] ist im Neuen Testament zwar recht verbreitet, aber weder semantisch noch begriffs- bzw. motivge­ schichtlich einheitlich […], überwiegend ist „neue Lebensmöglichkeit, Erneuerung, neue Verhältnisse“ gemeint. (Wiard Popkes) 20 Die Metaphorik der W[iedergeburt] oder der „neuen“ Geburt, der Gotteskindschaft, der „neuen“ Schöpfung oder Wiederherstellung ist im NT häufig, aber semantisch uneinheitlich verwendet: seltener eschatologisch-kosmisch, zumeist jedoch für das individuelle „neue“ Leben. (Jörg Frey) 21

Nur bei Christiane Zimmermann ist nicht ausdrücklich von „Erneuerung“ oder „neu“ die Rede, sondern von einer „Wende“,22 die den Gedanken einer Erneuerung aber zweifellos mit einschließt: Die frühen Christen haben die unterschiedlichsten Metaphern verwendet, um das sich durch Gott in Christus ereignende Heil für den Menschen und die mit dem Menschen damit verbundene Wende zu beschreiben […].23

Zimmermann deutet mit dem Hinweis auf „die unterschiedlichsten Metaphern“ aber zugleich auch an, dass sich für die Beschreibung der „Heilswende“ nicht nur viele, sondern vor allem auch sehr unterschiedliche Texte finden, die mit ihrer Metaphorik ebenso unterschiedliche (und daher sinnvollerweise zu differenzierende) Ursprungsbereiche aufgreifen. Das zeigt auch die obige Tabelle – 19 Lichtenberger,

Neuschöpfung 313 (Hervorhebung hinzugefügt); abschließend betont Lichtenberger nochmals, dass „die Gedanken der Neuschöpfung und Wiedergeburt eine unvergleichliche Möglichkeit boten, im Neuen Testament das neue, in Christus geschaffene und geschenkte Sein der Glaubenden zum Ausdruck zu bringen“ (ebd. 327; Hervorhebung hinzugefügt). 20 Popkes, Wiedergeburt 9 (Hervorhebung hinzugefügt). 21 Frey, Wiedergeburt 1529 (Hervorhebung hinzugefügt). Anführen ließe sich hier auch die Untersuchung von Brenda Colijn, die unter dem Gesamttitel „Images of Salvation“ eines von insgesamt zwölf thematischen Kapiteln der Untersuchung von „Regeneration, New Creation“ widmet (Images 102–120). Auch Colijn ist dabei weniger an einer klaren Differenzierung der Ursprungsbereiche, sondern vielmehr an einer Zusammenschau unter dem Leitgedanken der „Neuheit“ interessiert: „Newness is fundamental to the concept of regeneration, which refers to the activity of God in restoring the integrity of a creation that has been marred by sin. This restoration involves such a radical transformation that it can be called a new birth (in the Johannine literature) or a new creation (in Paulʼs letters)“ (ebd. 103). 22 Mit der Rede von einer „Wende“ im Leben kommt allerdings bereits die nächste Metapher ins Spiel: Genutzt wird hier die konzeptuelle Metapher vom Leben als Reise (vgl. Kövecses, Metaphor 34 f.), die weit verbreitet und in vielen ihrer Instanziierungen stark konventionalisiert ist. 23 Zimmermann, Wiederentstehung 272.

144

6. Dekonstruktion der Fragestellung

selbst dann, wenn man die seltener erwähnten und vom Zielbereich zum Teil auch weiter entfernt liegenden Texte an den „Rändern“ des Feldes ausschließt. In der Umarbeitung der Forschungsfrage weg von „Wiedergeburt“ als „Sache“ hin zur Formulierung eines Zielbereichs der grundlegenden (religiösen) Erneuerung des Lebens liegt somit noch nicht die Lösung des Problems. Es ist jedoch ein erster Ansatz, genauer und ohne Gebrauch von „Wiedergeburt“ zu beschreiben, welche Fragestellung sich in der Forschungsgeschichte eigentlich hinter der Frage nach „Wiedergeburt“ als „Sache“ verbirgt.

6.2 Dekonstruktion von „Wiedergeburt“ als „Begriff “ bzw. Ursprungsbereich Indem die meisten Untersuchungen zu „Wiedergeburt“ im Neuen Testament bei der Suche nach griechischen Äquivalenten für diesen beschreibungssprachlichen Begriff ansetzen, orientieren sie sich metapherntheoretisch gesprochen an „Wiedergeburt“ als Ursprungsbereich. Zuverlässig stoßen sie bei dieser Suche auf die Texte 1 Petr 1,3.23; Joh 3,3.7 und Tit 3,5.24 Aber rufen diese Texte mit den Fokusausdrücken ἀναγεννᾶν /-ᾶσθαι, γεννᾶσθαι ἄνωθεν und παλιγγενεσία tatsächlich ein Konzept von „Wiedergeburt“ auf ? Wie bereits hervorgehoben, trägt das Wort „Wieder-Geburt“ schon in sich eine für metaphorische Äußerungen typische semantische Spannung, denn in Bezug auf bereits geborene Menschen – und um solche geht es in allen von der „Wiedergeburts“-Forschung herangezogenen Texten – kann es innerhalb des bereits bestehenden Lebens keine erneute Geburt geben (s. o. 1.7). „Wiedergeburt“ lässt sich hier nur übertragen verstehen. Die Frage ist aber, ob im Rahmen dieses metaphorischen Verständnisses von den Fokuswörtern ein Konzept von „Wiedergeburt“ aufgerufen wird – also eine bereits geprägte Vorstellung solch einer weiteren, anders gearteten „Geburt“ – oder ob nicht eigentlich nur die natürliche Geburt als Konzept wirksam wird, wobei „wieder“ die semantische Spannung auf den Punkt bringt, indem mit diesem Wortbestandteil implizit auf die eine, einzige und bereits geschehene Geburt verwiesen wird. Dafür, dass es sich um Letzteres und also um das Konzept der Geburt (bzw. Zeugung) 25 handelt, das die Texte metaphorisch einsetzen, sprechen drei Beobachtungen, die auf verschiedenen Betrachtungsebenen liegen. 24 Eine

knappe Übersicht über die Texte findet sich bereits oben in 1.3. Erweiterung des Konzeptes Geburt um das Konzept von Zeugung legt sich bereits vom griechischen Verb γεννᾶν her nahe, das sowohl „zeugen“ als auch „gebären“ bedeuten kann, und bestätigt sich durch die im Folgenden vorerst nur knapp, in Teil III dann ausführlicher dargelegten Textbeobachtungen. Das schließt nicht aus, dass die für sich genommen mehrdeutigen Fokuswörter im jeweiligen Kontext metaphorisch nur eines der beiden Konzepte aufrufen (ausführlicher dazu s. u. 7.2). Vorerst interessiert aber die allgemeinere Beschreibungsebene. 25 Die

6.2 „Wiedergeburt“ als „Begriff“ bzw. Ursprungsbereich

145

Zum einen sind es die Texte selbst, die in der Art und Weise, wie sie die Metaphorik einsetzen, deutlich verschiedene Aspekte des Ursprungsbereiches Geburt / ‌Zeugung aktivieren. So geht es im Kontext von 1 Petr 1,3 und 1,23 auch um das Erbe (1,4), um den Gehorsam dem (neuen) Vater gegenüber (1,14–17) und um die Geburt / Zeugung der Gläubigen aus (unvergänglichem) Samen (1,23).26 In Joh 3 ist es vor allem Nikodemus, der mit seiner Nachfrage in Joh 3,4 die Vorstellung von Geburt evoziert. Nimmt man Joh 1,13 hinzu, verstärken sich außerdem die textlichen Hinweise auf Aspekte des Konzeptbereiches Zeugung.27 Nur in Tit 3,5 und im Umfeld dieses Verses sind Bezüge auf Geburt / Zeugung weniger offensichtlich, was aber damit zu tun hat, dass bereits παλιγγενεσία als Fokuswort nicht notwendig das Konzept Geburt / ‌Zeugung aufruft.28 Zum anderen weisen die Beiträge der bisherigen Forschung selbst an vielen Stellen darauf hin, dass sie eigentlich nicht in „Wiedergeburt“, sondern in Geburt bzw. Zeugung den wirksamen Vorstellungsbereich der metaphorischen Äußerungen sehen.29 So ist zum Beispiel ein ganzes Unterkapitel in Gennrichs „Lehre von der Wiedergeburt“ (s. o. 2.1) mit „Die neutestamentlichen Vorstellungen vom Christenstand als einer Geburt oder Zeugung durch Gott“ überschrieben.30 Joseph Dey betont die „so allgemein menschliche und trotz ihrer Alltäglichkeit immer aufs neue wunderbare Tatsache [der] Hervorbringung eines Lebewesens“, die „der bildlichen Sprache des täglichen Umgangs wie des wissenschaftlichen Denkens in mannigfacher Übertragung Anschaulichkeit verleihen mußte“.31 Jörg Frey spricht ausdrücklich von der „Metaphorik der W[iedergeburt] oder der ‚neuen‘ Geburt“.32 Christiane Zimmermann fasst Joh 3,3.5.7; 1 Joh 3,9; 4,7; 5,1.4.18; 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18 als „Geburtsmetaphern“ zusammen.33 Spätestens aber bei der häufigen Einbeziehung von Jak 1,18 in die am „Begriff Wiedergeburt“ orientierten Textzusammenstellungen von 1 Petr 1,3.23; Joh 3,3.7 und Tit 3,5 wird deutlich, dass es der Forschung mit der Suche nach „Wiedergeburts“-Äquivalenten als Fokusausdrücken oft gar nicht um ein wie auch immer geartetes Konzept von „Wiedergeburt“ geht. Denn in Jak 1,18 findet sich nur die Formulierung, dass Gott „uns geboren hat“ 26 Ausführlicher

s. u. 7.2.3. s. u. 7.2.2. 28 Ausführlicher s. u. 7.2.1. 29 Die Diskussion, ob es um Geburt oder Zeugung oder beides geht, wird eher selten geführt. 30 Gennrich, Lehre 37. 31 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 1 (Hervorhebung hinzugefügt). 32 Frey, Wiedergeburt 1529 (Hervorhebung hinzugefügt). 33 Zimmermann, Wiederentstehung 273. Popkes (Wiedergeburt 9) dagegen gewichtet den Aspekt der Geburt ausdrücklich schwächer. Es gehe mehr um „neue Lebensmöglichkeit, Erneuerung, neue Verhältnisse“ (ebd.). Damit formuliert Popkes aber bereits eine Aussage, die eher den Ziel- als den Ursprungsbereich betrifft. 27 Ausführlicher

146

6. Dekonstruktion der Fragestellung

(ἀπεκύησεν ἡμᾶς) ohne die Hinzufügung eines Ausdrucks von „wieder“, „erneut“ oder „zum zweiten Mal“. Schließlich wäre bei der Annahme von „Wiedergeburt“ als Ursprungsbereich nachzuweisen, dass es bereits für die damalige Zeit ein solches Konzept gab, das die Texte metaphorisch hätten aufgreifen können. Die Forschungsbeiträge, die beim Wortgebrauch ansetzen, diskutieren diese Problematik allerdings kaum auf der Konzeptebene, sondern vor allem in die Frage gekleidet, ob die neutestamentlichen Texte die Begrifflichkeit der „Wiedergeburt“ aus der Umwelt übernommen haben könnten. Letztlich setzt aber auch diese Frage ein entwickeltes Konzept voraus. Was die Antwort betrifft, so gilt alles, was bereits zu den unsicher bleibenden Herleitungen aus religionsgeschichtlichen Parallelen gesagt wurde (s. o. die Einführung in Teil II), auch hier: Der Nachweis eines solchen Konzeptes aus dem die „Begrifflichkeit“ der „Wiedergeburt“ stammen könnte, gestaltet sich schwierig. Insbesondere bei den Mysterienkulten, für die in der Regel die stärksten Ähnlichkeiten zu der auch von den neutestamentlichen Texten beschriebenen grundlegenden Erneuerung des Lebens angenommen werden, fehlen die überzeugenden textlichen Belege. Ein stoisches Konzept der Wiederentstehung ist dagegen einschließlich einer spezifischen Begrifflichkeit (παλιγγενεσία) gut nachweisbar, beschreibt aber weniger eine „Wiedergeburt“. Auch für die Vorstellung von einer postmortalen Seelenwanderung und Wiedereinkörperung ist die Rede von „Wiedergeburt“ belegbar. Ob dieses Konzept, das die „Wiedergeburt“ eher als eine zwanghafte Folge von Existenzen sieht, die es zu durchbrechen gilt, und das außerdem die frühere Lebensführung in starker Weise verantwortlich für den Status im nächsten Leben macht, aber tatsächlich hinter den neutestamentlichen Ausdrücken einer durch Gott gewirkten „Wiedergeburt“ in 1 Petr 1,3.23; Joh 3,3.7 und Tit 3,5 steht, ist fraglich.34 Zumindest für 1 Petr 1,3.23 und Joh 3,3.7 ist, wie oben schon betont, aufgrund der Aktivierung weiterer Aspekte von Geburt / ‌Zeugung im unmittelbaren Kontext vielmehr anzunehmen, dass in genau diesem Konzept auch der metaphorisch wirksame Ursprungsbereich der Metaphorik liegt (s. u. 7.2.2–3). Für Tit 3,5 dagegen wird noch einmal eigens zu diskutieren sein, ob das Fokuswort παλιγγενε­ σία überhaupt den Vorstellungsbereich von Geburt / ‌Zeugung aufruft oder ob sich die metaphorische Interaktion durch den möglichen Rückgriff der damaligen Rezipienten auf die philosophischen, religiösen und alltagssprachlichen Prägungen des Begriffs παλιγγενεσία anders gestaltete (s. u. 7.2.1 und 8.5).

Dass auch die neuere Forschung dennoch bis jetzt festgehalten hat an „Wiedergeburt“ als einem „Begriff “, für den es in den Texten sprachliche Äquivalente zu finden gelte, obwohl es auch nach eigenen Formulierungen (s. o.) eher um Geburt geht, liegt zum einen sicherlich daran, dass eine metapherntheoretisch orientierte Reflexion der Fragestellung bisher nicht stattgefunden hat. In „Wie34 Zu einer ausführlicheren Darstellung dieser Konzepte und einer Diskussion der Quellenbelege s. u. 8.5.

6.2 „Wiedergeburt“ als „Begriff“ bzw. Ursprungsbereich

147

dergeburt“ wird Geburt vielmehr selbstverständlich mitgedacht und als Ursprung der sprachlichen „Bilder“ betrachtet, und es wird keine Notwendigkeit gesehen, hier genauer zu differenzieren. Die Differenzierung ist aber vor allem deshalb wichtig, weil sich sonst immer wieder beschreibungssprachliche Konzeptualisierungen von „Wiedergeburt“ in die Untersuchung mischen, die nicht in die Zeit der Texte passen. Auch für den korrekter als Geburt / ‌Zeugung zu bestimmenden Ursprungsbereich gilt aber im Übrigen, dass er im Rahmen der damaligen Enzyklopädie zu rekonstruieren ist.35 Zum anderen ist mit dem Festhalten an „Wiedergeburt“ in der bisherigen Forschung jedoch noch ein weiterer Aspekt im Spiel, der durch den Wechsel zu einer Orientierung am Ursprungsbereich Geburt / Z ​ eugung nicht leichtfertig aufgegeben werden sollte: Mit der Rede von „Wiedergeburt“ ist in der Forschung immer bereits eine These über einen ganzen Aussagezusammenhang verbunden, die besagt, dass es in irgendeiner Weise in allen jeweils angeführten Texten um die Erneuerungserfahrung von Menschen geht (s. o. 6.1).36 Ersetzte man also die Suche nach sprachlichen Äquivalenten für „Wiedergeburt“ einfach durch die Suche nach Aussagen über eine metaphorisch zu verstehende Geburt (bzw. Zeugung), ginge diese Spezifik verloren. Dass „die Begierde Sünde gebiert“ (Jak 1,15 a), gehörte dann zum Beispiel auch zu den auf diese Weise zusammengestellten Texten. Die Aussage macht von der Geburtsmetaphorik inhaltlich aber offensichtlich einen ganz anderen Gebrauch.37 Will man daher an der grundsätzlichen Orientierung der bisherigen neutestamentlichen „Wiedergeburts“-Forschung festhalten, der es um den textlichen Ausdruck und die Deutung einer (religiösen) Erneuerungserfahrung von Menschen geht, muss eben jener Aspekt der grundlegenden Erneuerung des Lebens, der dem Zielbereich der Metaphorik zuzuordnen ist (s. o. 6.1), bei der Neukonstituierung der Fragestellung ebenfalls Berücksichtigung finden.

35 S. u.

bes. 9.1.2, 10.3.2 und 10.5.2. im häufigen Ausschluss von Mt 19,28 aus den „Wiedergeburts“-Untersuchungen (s. o. 1.3) bestätigt sich, dass die Suche nach bestimmten Fokuswörtern von einer Annahme über den generellen Aussagezusammenhang begleitet wird (vgl. dazu auch die Analyse von Heitmüllers Vorgehen, das stellvertretend für andere Untersuchungen steht: s. o. 2.2.1). Denn Mt 19,28 belegt wie auch Tit 3,5 mit παλιγγενεσία ein dem deutschen „Wiedergeburt“ sehr nahe kommendes Fokuswort. Im Textzusammenhang geht es aber nicht um eine „Wiedergeburts“-Erfahrung von Menschen in deren gegenwärtigem Leben, sondern um einen Ausblick auf das Ende der Welt und das Richten der Zwölf ἐν τῇ παλιγγενεσίᾳ. 37 Ausführlich dazu s. u. 11.4. 36 Auch

7. Kapitel

Neukonstituierung der Fragestellung 7.1 Eine konzeptuelle Metapher und ihre Instanziierungen als neuer Forschungsgegenstand Das vorige Kapitel hat gezeigt, dass „Wiedergeburt“ kein hinreichend klares und außerdem kein den Quellentexten entsprechendes Konzept ist, mit dem sich der Ursprungs- oder der Zielbereich metaphorischer Aussagen des Neuen Testaments zutreffend bezeichnen ließe. Soweit ist das Ergebnis ein klar negatives. Die Dekonstruktion der in der Forschung bisher verfolgten Ansätze hat aber auch offengelegt, welche Fragehorizonte sich hinter den so unterschiedlichen Untersuchungen von „Wiedergeburt im Neuen Testament“ jeweils verbergen und wo eine Neukonstituierung der Fragestellung ansetzen kann: Zum einen konnte ermittelt werden, dass sich hinter der Frage nach „Wiedergeburt“ als „Sache“ das theologisch höchst relevante Anliegen verbirgt, metaphorische Beschreibungen einer grundlegenden (religiösen) Erneuerung des Lebens in den neutestamentlichen Texten zu finden und zu deuten (s. o. 6.1). Die Fragestellung erwies sich jedoch als thematisch zu weit gefasst und das exegetische Herangehen als methodisch unklar. Zum anderen musste die Orientierung an „Wiedergeburt“ als „Begriff “ zwar hinsichtlich der unzureichenden Differenzierung zwischen Beschreibungs- und Quellensprache kritisiert werden, sie ließ sich im Hintergrund aber als eine Suche nach Instanziierungen des Ursprungsbereichs Geburt / ‌Zeugung in den neutestamentlichen Texten näher bestimmen (s. o. 6.2). Ein Erfolg versprechender Neuansatz liegt in der bewussten Kombination dieser beiden durch die Dekonstruktion präzisierten und metapherntheoretisch bereits reformulierten Ansätze. In konstruktiver Aufnahme der obigen Ergebnisse ist im Folgenden also nach neutestamentlichen Texten zu fragen, die mit Hilfe des Ursprungsbereiches Geburt / ‌Zeugung metaphorisch eine grundlegende (religiöse) Erneuerung des Lebens beschreiben. Dabei kann auf den Zusatz „religiös“ im Folgenden verzichtet werden.1 Denn die Durchsicht der Texte (s. u. 7.2) zeigt, dass in jenen Fällen, in denen neutestamentliche Texte mit dem Ursprungskonzept Geburt / Zeugung eine grundlegende Erneuerung metaphorisieren, diese Erneuerung immer auch als eine religiöse 1 Zur Problematik des Zusatzes „religiös“, der sich aus der Dekonstruktion bisheriger Forschungsansätze als Kompromissformulierung ergeben hatte; s. o. 6.1, Anm. 16.

150

7. Neukonstituierung der Fragestellung

qualifiziert werden kann.2 Die entsprechende konzeptuelle Metapher heißt demnach: grundlegende Erneuerung des Lebens als Geburt / ‌Zeugung. Sie übernimmt die Funktion, die der Begriff „Wiedergeburt“ in der bisherigen Forschung hatte, indem sie den Forschungsgegenstand bzw. die Forschungsfrage benennt. Sie tut dies aber in präziserer Weise, indem sie beide Seiten der Metaphorik im Blick hat und sowohl den unklaren Begriff „Wiedergeburt“ als solchen vermeidet als auch die Unentschiedenheit, welche Seite der Metaphorik er eigentlich beschreibt. Mit Hilfe der neukonstituierten Fragestellung lassen sich außerdem auf methodisch begründete Weise nicht wenige Texte und Themen aus der Untersuchung ausschließen, die in der bisherigen „Wiedergeburts“-Forschung in völlig unterschiedlicher Zusammenstellung unter dieser Überschrift verhandelt wurden (s. o. 6.1). Zum einen gehören sämtliche Texte, die auf andere Ursprungsbereiche als Geburt / ​Zeugung zurückgreifen, um (religiöse) Erneuerungserfahrungen im Leben auszudrücken, von vornherein nicht in den Fokus der folgenden Untersuchung. Das betrifft eine große Zahl von Texten, die den Menschen als „neue Schöpfung“ (καινὴ κτίσις, 2 Kor 5,17; Gal 6,15) bezeichnen, vom „Ausziehen des alten und Anziehen des neuen Menschen“ (Kol 3,9 f. par. Eph 4,22–25) oder vom „Christus Anziehen“ (Gal 3,27; Röm 13,14) sprechen oder ein Wandeln in der „Neuheit des Lebens“ (Röm 6,4) beschreiben etc. (s. o. 6.1) und die in vielen „Wiedergeburts“-Untersuchungen eine Rolle spielen und diese nicht selten sogar dominieren. Zum anderen lassen sich Textabgrenzungen auch aufgrund unterschiedlicher Zielbereiche treffen. Da die Bestimmung des Zielbereiches einer metaphorischen Aussage sich aber in der Regel weniger eindeutig gestaltet als jene des Ursprungsbereiches, ist ein genauerer Blick auf die Texte nötig. Welche Texte also als Instanziierungen der konzeptuellen Metapher der grundlegenden Erneuerung des Lebens als Geburt / ​Zeugung gelten können und welche von ihnen in Teil III näher untersucht werden, ist im folgenden Abschnitt zu ermitteln (s. u. 7.2). Zugleich ist dabei die Fassung der konzeptuellen Metapher, die aus der Dekonstruktion der bisherigen Forschungsansätze gewonnen wurde, noch einmal gezielt anhand der Texte zu überprüfen und von den Texten her als sinnvolle Abstraktion zu begründen. Damit ist ein zirkulierendes Verfahren angedeutet, auf dessen metapherntheoretisch begründete Notwendigkeit bereits hingewiesen wurde (s. o. 1.6.4). Denn wenn man nicht völlig auf der Ebene der Konzepte (und dann häufig auch bei deren gegenwartssprachlicher Prägung) bleiben und sich dazu passende Beispieltexte suchen (bzw. sogar eigens konstruieren) will – wie es im Rahmen der Conceptual Metaphor Theory häufig zu beobachten ist –, sondern vorgegebene und „fremde“ 3 Texte deuten will – wie im Falle einer exegetischen Untersuchung –, muss der Schwerpunkt bei den Texten und ihrer Welt liegen. Die Festlegung eines bestimmten Ur2 Dass

das außerhalb des neutestamentlichen Textkorpus nicht notwendig so sein muss, zeigen unten die Textbeispiele in 8.5.5. Weitere Beispiele für den Gebrauch von Geburtsmetaphorik für Erneuerungserfahrungen, die keineswegs immer religiöser Art sind, finden sich auch in der Rede von einem Wie-neu-geboren-Sein in der Gegenwartssprache (s. o. 1.1).

7.2 Die neutestamentliche Geburts- und Zeugungsmetaphorik

151

sprungsbereiches ist nur sinnvoll, wenn dieser sich von den Texten und den dort enthaltenen Fokusausdrücken her nahelegt. Aus den Texten sind auch die entscheidenden Hinweise für die Bestimmung des Zielbereiches der Metaphorik zu entnehmen.4 Erst im Abgleich mit dieser Grundlage kann die konzeptuelle Metapher tatsächlich als hilfreiche Abstraktion zur Beschreibung und Untersuchung einer bestimmten Gruppe von Texten gelten. Diesen Nachweis wird der folgende Abschnitt führen (s. u. 7.2) und zugleich auch die Grenzen verdeutlichen, auf die der Ansatz bei einer konzeptuellen Metapher notwendig stößt (s. u. 7.2.8). Denn auch wenn die Formulierung der konzeptuellen Metapher sorgfältig gewählt und mehrfach an den Texten überprüft ist, so bleibt sie doch eine Abstraktion auf der Metaebene der Konzepte und ist nicht dafür geeignet, die Individualität der einzelnen Texte abzubilden. Das gilt es im Blick zu behalten.5

7.2 Überblick über die neutestamentliche Geburtsund Zeugungsmetaphorik, über ihre Zielbereiche und Möglichkeiten der Binnendifferenzierung Ob ein Text einer bestimmten konzeptuellen Metapher zuzuordnen ist, kann in der Regel leichter für jenen Teil der metaphorischen Äußerung beurteilt werden, der den Ursprungsbereich betrifft, denn hier kann man sich an Fokuswörtern orientieren, die sich im Text identifizieren lassen.6 Darum setzen die Textbeobachtungen im folgenden Kapitel beim Ursprungsbereich Geburt / ​ Zeu­gung an und fragen von dort aus weiter nach dem damit vom Text verdeutlichten Zielbereich und den dabei aktivierten Übertragungen zwischen beiden Bereichen. Dies geschieht in kursorischer Weise, denn es geht vorerst 3 Zu dieser Charakterisierung neutestamentlicher Texte, insbesondere der Paulusbriefe, und zu methodischen Konsequenzen daraus vgl. Gerber, Apostolat 9–17. 4 Für gegenwartssprachliche metaphorische Äußerungen kann neben dem textlichen auch der situative Kontext zur Bestimmung der beteiligten Konzepte und der möglichen Übertragungen zwischen den Bereichen herangezogen werden. Bei antiken Texten dagegen ist deren situativer Kontext in der Regel nicht leicht zu rekonstruieren. Dass dieser eine nicht zu unterschätzende Rolle für das Verständnis bestimmter metaphorischer Äußerungen spielt, ist besonders im Fall der brieflichen Kommunikation zwischen Paulus und den von ihm adressierten Gemeinden anzunehmen, aber durchaus auch für stärker literarisch stilisierte Briefe oder andere Gattungen, wie z. B. die Evangelien, nicht völlig zu vernachlässigen. Praktisch heißt das, dass die gegenwärtige Exegese immer damit rechnen muss, nicht alle damals in die metaphorische Interaktion einfließenden Aspekte ermitteln zu können. Es bleibt dann bei einer gewissen Offenheit der Auslegung, mehrere Deutungen könnten möglich sein und sollten entsprechend auch diskutiert werden. Insgesamt gilt für alle Konzepte, dass sie als Teil der damaligen Enzyklopädie wahrzunehmen sind: Auch im Fall eines Konzeptes wie Geburt / Zeugung, das ein damals wie heute gebräuchliches ist, kann nicht einfach von einer die Zeiten überdauernden Entsprechung der damit verbundenen Vorstellungen ausgegangen werden. 5 Vgl. dazu bereits die exegetischen Leitsätze zur Auslegung von Metaphern: s. o. 1.6.5. 6 Darauf, dass auch diese Zuordnung nicht immer eindeutig ist, verweist der zweite der oben (s. 1.6.5) formulierten exegetischen Leitsätze.

152

7. Neukonstituierung der Fragestellung

nur um die Ermittlung der generellen Textbasis, während die genaueren Textanalysen der als relevant ermittelten Texte Teil III der vorliegenden Untersuchung vorbehalten sind. Die folgenden Abschnitte präsentieren somit einen Überblick über den Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung in der Breite seiner möglichen metaphorischen Anwendungen in den neutestamentlichen Texten (s. u. 7.2.1–7). Spezifischere Gruppierungen ergeben sich dann sowohl durch die Kombination dieses Ursprungsbereiches mit unterschiedlichen Zielbereichen (also durch die Zuordnung von Texten zu unterschiedlichen konzeptuellen Metaphern) als auch durch die Beobachtung, dass verschiedene Texte innerhalb jener konzeptuellen Metapher, die hier besonders interessiert (s. o. 7.1), die Struktur des Ursprungsbereiches in differierender Weise für metaphorische Übertragungen nutzen können. Besonders wird hier nach Gott zu fragen sein, der meistens, aber nicht immer (s. u. 7.2.7), in der Rolle des Zeugenden bzw. der Gebärenden begegnet. Abschließend kann festgestellt werden, welche Texte als Instanziierungen der konzeptuellen Metapher der grundlegenden Erneuerung des Lebens als Geburt / ‌Zeugung gelten können und welche von ihnen in Teil III näher untersucht werden (s. u. 7.2.8). 7.2.1 Das mehrdeutige Fokuswort παλιγγενεσία in Tit 3,5 Für die Durchsicht der neutestamentlichen Texte im Blick auf Instanziierungen von Geburt / ‌Zeugung als Ausdruck einer grundlegenden Erneuerung des Lebens legt es sich nahe, bei jenen Texten anzufangen, die auch in der „Wiedergeburts“-Forschung durchgängig Beachtung finden, da sie eine wörtliche Entsprechung zu „Wiedergeburt“ aufweisen (s. o. 6.2). An erster Stelle ist hier Tit 3,5 zu nennen. Nicht selten steht dieser Text am Anfang der Textauflistungen zu „Wiedergeburt“ im Neuen Testament, weil er mit der Rede vom λουτρὸν παλιγγενεσίας καὶ ἀνακαινώσεως πνεύματος ἁγίου, durch das Gott „uns“ rettet, scheinbar eine besonders genaue Entsprechung zum beschreibungssprachlichen Leitwort bietet.7 Παλιγγενεσία kann neben „Wiedergeburt“ aber auch „Wiederentstehung“ oder „Wiederwerdung“ bedeuten.8 Für Tit 3,5 stellt sich darum die Frage, ob es sich hier überhaupt um einen metaphorischen Einsatz von Geburts- bzw. Zeugungsvorstellungen handelt. Anders als es für 1 Petr 1,3.23 und Joh 3,3.7 zu zeigen sein wird (s. u. 7.2.2–3), gibt es auch im Textzusammenhang diesbezüglich kaum weiterführende Hinweise. Nur die Aussage, dass die Adressierten laut Tit 3,7 „Erben werden sollen gemäß der Hoffnung auf ewiges Leben“ (ἵνα […] κληρονόμοι γενηθῶμεν κατ᾽ ἐλπίδα ζωῆς αἰωνίου), könnte als metaphorische Fortführung einer vorausgehenden Geburts- / Z ‌ eugungsmetapher verstan7 So besonders deutlich bei Gennrich (s. o. 2.1), aber auch bei Heitmüller (s. o. 2.2.1), Ja­ cono (s. o. 3.5) u. a. 8 Besonders Büchsel (s. o. 3.4.3), Mounce (s. o. 4.3.2) und Zimmermann (s. o. 5.11) haben das in der Forschungsgeschichte betont; Zimmermann zieht daraus auch entsprechende Konsequenzen in ihrer Untersuchung zu Tit 3,5.

7.2 Die neutestamentliche Geburts- und Zeugungsmetaphorik

153

den werden. Auch das ist jedoch nicht sicher (ausführlicher s. u. 8.3.4). Denn im Zusammenhang mit der Verheißung ewigen Lebens begegnet die Rede vom „Erben“ auch in anderen frühchristlichen Texten (dort allerdings häufiger verbal: ζωὴν αἰώνιον κληρονομεῖν).9 Zu erben steht aber nicht notwendig im Zusammenhang mit einer vorausgehenden metaphorischen Aussage über die Geburt oder Zeugung derer, die „erben“ werden.

Alternativ sind andere zeitgenössische Prägungen des mit παλιγγενεσία aufgerufenen Konzeptes zu prüfen: So ist παλιγγενεσία zum Beispiel ein etablierter Terminus der stoischen Philosophie 10 und bezeichnet das Wiederentstehen der Welt nach ihrer Zerstörung im Weltenbrand. Auch wenn eine solche endzeitliche und kosmologische Deutung für den Kontext von Tit 3,5 nicht ohne Weiteres aufgeht, so besteht doch zumindest die Möglichkeit, dass der Autor des Titusbriefes dennoch dieses stoische Konzept von παλιγγενεσία aufgegriffen und im Text metaphorisch für seine Aussageabsicht eingesetzt haben könnte (s. u. 8.5.2). In ähnlicher Weise ist auch die Variante zu diskutieren, dass hinter παλιγγενεσία in Tit 3,5 die Vorstellung einer postmortalen „Wiedergeburt“ im Sinne der Seelenwanderung stehen könnte, wenngleich das wegen zu vieler genereller Differenzen im Konzept noch unwahrscheinlicher als eine stoische Prägung des Begriffs ist (s. u. 8.5.3). Schließlich ist παλιγγενεσία in neutestamentlicher Zeit längst losgelöst von spezifischen Verwendungen in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Auch das gilt es, ebenso wie die in der Forschungsgeschichte immer wieder vorrangig diskutierte Verortung im Kontext der Mysterienreligionen, als Möglichkeit für die Deutung der Metaphorik zu betrachten (s. u. 8.5.4–5). Angesichts aller dieser Optionen, die sich durch die Verwendung von παλιγγενεσία ergeben, ist es besonders wichtig, den Textzusammenhang der metaphorischen Aussage genau im Blick zu behalten und sich nicht zu stark auf die Frage nach dem Wort παλιγγενεσία und seiner Bedeutung zu fokussieren. Die metaphorische Rede von παλιγγενεσία in Tit 3,5 ist syntaktisch und inhaltlich dicht mit der Gesamtaussage von Tit 3,1–7 verwoben. Sie steht außerdem in unmittelbarem Zusammenhang mit einer weiteren metaphorischen Formulierung, die durch das Fokuswort λουτρόν in Tit 3,5 den Konzeptbereich der Reinigung aufruft. Die Suche nach der Deutung von παλιγγενεσία in Tit 3,5 ist von diesem Kontext nicht zu trennen. Ist Tit 3,5 somit kein Text, der mit Sicherheit als Instanziierung von Geburt / ​‌Zeugung einzuordnen ist, so lässt sich dagegen die metaphorische Aussage von Tit 3,5 hinsichtlich des Zielbereiches sehr gut als Beschreibung einer grundlegenden Erneuerung des Lebens verstehen. Die Erwähnung von πα­λιγγενεσία ist in Tit 3,5 eng mit dem Wort ἀνακαίνωσις verbunden. Ver9 Vgl. z. B. Mk 10,17 par. Lk 18,18; 10,25; Mt 19,29; häufiger und breiter über verschiedene neutestamentliche Textbereiche verteilt findet sich das Syntagma „das Reich Gottes erben“ (βασιλείαν θεοῦ κληρονομεῖν, vgl. Mt 25,34; 1 Kor 6,9 f.; 15,50; Gal 5,21; Eph 5,5; Jak 2,5). 10 S. o. 3.4.3 und 3.6.2.

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7. Neukonstituierung der Fragestellung

ändernde bzw. erneuernde Aspekte des Lebens werden auch im Kontext von Tit 3,5 vielfältig genannt: Es geht dort um die Rettung durch Gott (3,4), um die Ausgießung des Geistes (3,6) und um die Gerechtsprechung (3,7). Indem das Leben vor diesem Eingreifen Gottes in Tit 3,3 mit entsprechend finsteren (und stereotypen) Wendungen beschrieben wird, bildet sich zugleich ein Hintergrund, vor dem die grundlegende Erneuerung des Lebens besonders deutlich hervortreten kann. Unabhängig davon, ob παλιγγενεσία als metaphorischer Ausdruck von Geburt / ‌Zeugung oder eher allgemeiner von Entstehung oder im Rückgriff auf die bereits genannten Prägungen durch Stoa, Seelenwanderungslehre oder Mysterien zu verstehen ist, wird durch den Textzusammenhang außerdem unmissverständlich klar, dass Gott hier der allein Agierende ist, der rettet und eine durch ein „Bad“ vermittelte παλιγγενεσία ermöglicht. 7.2.2 Johanneische Texte mit Geburts- / Z ‌ eugungsmetaphorik 7.2.2.1 Das Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus: Geburts- / ​ Zeugungsmetaphorik in Joh 3,3–8 Eine wahre Fundgrube für Geburts- bzw. Zeugungsmetaphorik ist die Nikodemusperikope in Joh 3. Die „Wiedergeburts“-Forschung zeigt sich hier bisher vor allem auf Joh 3,3 und 3,7 mit dem Syntagma γεννηθῆναι ἄνωθεν fokussiert, erwähnt bisweilen auch Joh 3,5, geht aber selten intensiver auf die Geburts- bzw. Zeugungsaussagen der gesamten Perikope in ihrem Zusammenspiel ein. Mehr oder weniger intensiv wird in den einzelnen Beiträgen auch die Doppeldeutigkeit von ἄνωθεν thematisiert, denn an diesem Adverb und seiner Bedeutung hängt im vorliegenden Kontext immerhin, ob in Joh 3 wörtlich von „Wiedergeburt“ oder eher von einer Geburt „von oben“ die Rede ist, die zugleich auch als „Wiedergeburt“ zu verstehen sein könnte. Schon der Umstand, dass das Syntagma γεννηθῆναι ἄνωθεν vor Johannes so nirgends belegt ist,11 verweist jedoch darauf, dass hier eher kein geprägtes Konzept von „Wiedergeburt“ aufgegriffen wird. Als Fokuswort hat in Joh 3,3 und 3,7 (und dann entsprechend auch in Joh 3,4.5.6 und 8) vielmehr jeweils nur γεννηθῇ bzw. γεννηθῆναι zu gelten. Das Wort ἄνωθεν dagegen bestimmt als Adverb die metaphorisch zu verstehende Geburt / Z ‌ eugung näher und ist als solches nicht Teil des Fokusausdrucks. Es hat dennoch eine wichtige Funktion für die gesamte metaphorische Aussage, denn ἄνωθεν charakterisiert γεννηθῆναι in semantisch ungewöhnlicher Weise 12 und macht somit deutlich, dass die Rede von Geburt / ‌Zeugung hier nicht im Rahmen des üblichen Ver11 Auch

alle späteren Belege erweisen sich mehr oder weniger ausdrücklich als Bezugnahmen auf Joh 3. 12 Das gilt ebenso für die Spezifizierung der Geburt / Z ​ eugung durch ἐξ ὕδατος καὶ πνεύ­ ματος in Joh 3,5 und die kürzere Formulierung ἐκ τοῦ πνεύματος in Joh 3,6 b und 3,8.

7.2 Die neutestamentliche Geburts- und Zeugungsmetaphorik

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ständnisses, sondern metaphorisch zu deuten ist.13 Eine Geburt / ‌Zeugung „von oben“ gibt es innerhalb des Lebens von Menschen ebenso wenig wie eine erneute Geburt / ‌Zeugung.14 Dass in Joh 3,3.7 kein Konzept von „Wiedergeburt“, sondern vielmehr der Ursprungsbereich Geburt / Zeugung wirksam wird, legt sich auch von den weiteren Versen der Perikope her nahe. Denn hier wird dieser Ursprungsbereich noch mehrfach metaphorisch aufgegriffen. Joh 3,5 spricht vom Geboren- / Gezeugt-Werden „aus Wasser und Geist“ (ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος), Joh 3,6 b bringt eine ganz ähnliche, um das Element „Wasser“ verkürzte Aussage (τὸ γεγεννημένον ἐκ τοῦ πνεύματος πνεῦμά ἐστιν), Joh 3,8 ebenfalls (οὕτως ἐστὶν πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ πνεύματος).15 Besonders deutlich aber stellt Nikodemus mit seiner Nachfrage gleich am Anfang der Perikope in Joh 3,4 den Konzeptbereich Geburt vor das Auge der Leserinnen und Leser, wenn er feststellt: μὴ δύναται εἰς τὴν κοιλίαν τῆς μητρὸς αὐτοῦ δεύτερον εἰσελθεῖν καὶ γεννηθῆναι. Nikodemus löst zugleich die lexikalische Doppeldeutigkeit des Fokuswortes γεννηθῆναι zugunsten von Geburt auf, indem er einen weiteren Fokusausdruck, ἡ κοιλία τῆς μητρός, in den Text einbringt. Er beeinflusst damit in gewisser Weise auch die Rezeption der weiteren Verse. Genau genommen ist mit der kritischen Nachfrage des Nikodemus aber alles andere als sicher, dass die Formen von γεννᾶσθαι, die in den anderen Versen auftreten, tatsächlich ausschließlich auf den Konzeptbereich Geburt verweisen. Denn dafür gibt es keine weiteren Hinweise als in Joh 3,4 aus dem Mund des Nikodemus. Darin, dass Nikodemus Jesus missversteht, besteht in der Auslegungsgeschichte von Joh 3 aber kein Zweifel. Die strittige Frage ist vielmehr, was genau er missversteht (s. u. 9.2.3). Dass es auch die Deutung von γεννᾶσθαι als „geboren wer13 Dass ἄνωθεν nicht Teil des Fokusausdrucks ist, sondern vielmehr einen Hinweis auf den Zielbereich liefert, wird auch im Blick auf die johanneische Raummetaphorik deutlich, innerhalb derer Gott immer „oben“ verortet ist. Die in Joh 3,3 beschriebene metaphorische Geburt / ​Zeugung stellt somit ein Geschehen dar, das von Gott, nämlich „von oben“ (ἄνωθεν) ausgeht; mehr dazu am Ende dieses Abschnitts. 14 Die auffällig unpersönliche Formulierung in Joh 3,3 (siehe dazu auch unten 9.2.2) führt dazu, dass ἄνωθεν genau genommen überhaupt erst die metaphorische Spannung herstellt, indem so von einer erneuten oder von oben geschehenden Geburt / Zeugung die Rede ist. Ohne ἄνωθεν dagegen wäre Joh 3,3 eine vielleicht etwas merkwürdige, aber noch nicht notwendig metaphorische Aussage („Wenn jemand nicht geboren / gezeugt wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen“), denn sie könnte sich in ihrer unpersönlichen Möglichkeitsform auf noch nicht geborene Menschen beziehen. Für Joh 3,7 gilt das dagegen nicht gleichermaßen, denn hier wäre durch die direkte Anrede „ihr“ auch die bloße Forderung, „geboren / ​ gezeugt werden zu müssen“ (δεῖ ὑμᾶς γεννηθῆναι), ohne ἄνωθεν bereits metaphorisch zu deuten, da sie sich an schon geborene / gezeugte Menschen (ὑμεῖς) richtet. 15 In Joh 3,6 a dagegen (τὸ γεγεννημένον ἐκ τῆς σαρκὸς σάρξ ἐστιν) ist die Geburts- bzw. Zeugungsaussage nicht metaphorisch zu verstehen. Vielmehr steht σάρξ metonymisch für den Menschen als irdisches Wesen (im Gegensatz zum Geist in Joh 3,6 b).

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7. Neukonstituierung der Fragestellung

den“ sein könnte, wird in der Forschung dabei erstaunlich selten erwogen.16 Dabei lässt sich – gerade weil Nikodemus ein fragwürdiger Helfer bei Deutung der Metaphorik in Joh 3,3–8 ist – der von γεννᾶσθαι und seinen Formen aufgerufene Ursprungsbereich auch durch die partielle Eindeutigkeit in Joh 3,4 nicht in gleicher Weise für den gesamten Kontext auf Geburt festlegen (ausführlicher s. u. 9.2.3). Das logische Subjekt der passivischen Geburts- / ‌Zeugungsaussagen wird in Joh 3,3–8 nicht ausdrücklich genannt. Da mit der Rede von einem oberen Bereich (ἄνωθεν) in der johanneischen Theologie aber die göttliche Sphäre assoziiert wird und Joh 3,5.6 und 8 außerdem von einer Geburt / Z ‌ eugung ἐκ (τοῦ) πνεύματος sprechen, lässt sich festhalten, dass die Geburts- / Z ‌ eugungsmetaphorik benutzt wird, um ein Handeln Gottes zu beschreiben. Das bestätigt auch der Blick auf Joh 1,13, wo sich eine weitere Instanziierung des Ursprungsbereiches Geburt / ‌Zeugung findet. Joh 1,13 b spricht in großer Ähnlichkeit zu den ἐκ-Formulierungen in Joh 3,5.6.8 von jenen, die den λόγος aufnahmen (vgl. 1,12), als denen, die „aus Gott geboren bzw. gezeugt wurden“ (ἐκ θεοῦ ἐγεννήθησαν; s. u. 7.2.2.2). Im Hinblick auf die Frage nach dem Zielbereich der Metaphorik lässt sich insbesondere im Rückgriff auf Joh 3,3.5 erschließen, dass es in Joh 3,3–8 um eine sehr grundsätzliche Ausrichtung des Lebens geht, das via Geburt / ‌Zeugung „von oben“ bzw. „aus (Wasser und) Geist“ entweder den Zugang zur βασιλεία τοῦ θεοῦ erhält oder davon ausgeschlossen bleibt. Von Erneuerung des Lebens ist dabei nicht ausdrücklich die Rede: Ein früheres, anders ausgerichtetes Leben kommt nirgendwo in den Blick.17 Die Zuordnung der Aussagen in Joh 3 zur konzeptuellen Metapher einer grundlegenden Erneuerung des Lebens als Geburt / ‌Zeugung lässt sich somit nur unter der für konzeptuelle Metaphern immer geltenden Maßgabe begründen, dass damit die spezifischen Texte noch nicht in allen ihren Eigenheiten erfasst sind. In den folgenden beiden Teilkapiteln zu Joh 1,13 und zum Ersten Johannesbrief werden weitere Beobachtungen hinzukommen, die darauf verweisen, dass die geburts- / z‌ eugungsmetaphorischen Aussagen im Corpus Johanneum insgesamt eine sehr eigene Gruppe innerhalb der konzeptuellen Metapher bilden. 7.2.2.2 Joh 1,13 und die Festlegung des Ursprungsbereiches auf Zeugung Auf Joh 1,13 wird in der bisherigen „Wiedergeburts“-Forschung im Zusammenhang mit Joh 3,3.7 fast immer verwiesen,18 allerdings kommt weder der 16 Das zeigt z. B. auch die fast alternativlose Übersetzung von Joh 3, die den Text auf „Geburt“ festlegt, wie sie etwa in den meisten deutschen Bibelausgaben zu finden ist; vgl. dazu auch Menken, Translation 360. 17 Es geht im Johannesevangelium aber sehr wohl immer wieder um einen Gegensatz zur „Welt“, die anders lebt – wenn denn der Begriff „Leben“ hier überhaupt zutrifft: s. u. 7.2.2.2 und Anm. 23. 18 S. o. die Tabelle in 6.1.

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Text selbst mit seiner spezifischen Metaphorik noch sein näherer Kontext dabei intensiver in den Blick. Das ist im Rahmen einer auf „Wiedergeburt“ fixierten Forschungsfrage auch in gewisser Weise nachvollziehbar, denn wörtlich genommen erwähnt Joh 1,13 keine „Wieder-Geburt“, sondern spricht von jenen, die den λόγος aufnahmen (vgl. Joh 1,12), als denen, die „aus Gott gezeugt wurden“ (ἐκ θεοῦ ἐγεννήθησαν). Ein sprachlicher Ausdruck für „wieder“ fehlt. Mit ἐγεννήθησαν wird im vorliegenden Kontext außerdem nicht der Ursprungsbereich Geburt, sondern der Ursprungsbereich Zeugung aufgerufen. Am Verb allein lässt sich das, wie schon mehrfach betont, nicht festmachen: γεννᾶν wird zwar häufiger als „zeugen“ mit einem männlichen Agenten, aber ebenso, wenn auch seltener, für das Gebären durch eine Frau gebraucht.19 In der Kombination mit ἐκ beschreibt γεννᾶν in nicht-metaphorischem Gebrauch in der Regel die Zeugung durch den Mann „aus“ der Frau.20 Es gibt aber auch Belege für ἔκ τινος γεννᾶσθαι, bei denen auf ἐκ eine männliche Figur folgt.21 Legt es sich also bereits aus diesen allgemein-sprachlichen Beobachtungen nahe, dass mit ἐκ θεοῦ ἐγεννήθησαν in Joh 1,13 ein auf Zeugung eingeschränkter Ursprungsbereich aufgerufen wird (wobei aus der ἐκ-Formulierung weder eine klar weibliche oder klar männliche Rolle für Gott abzuleiten ist), so bestätigt vor allem der Zusammenhang mit den zuerst angeführten drei Negativaussagen in Joh 1,13 diese Entscheidung: Die drei ἐκ-Formulierungen, die besagen, dass die „aus Gott“ Gezeugten „nicht aus Blut, noch aus dem Willen des Fleisches heraus, noch aus dem Willen eines Mannes heraus“ gezeugt sind (οὐκ ἐξ αἱμάτων οὐδὲ ἐκ θελήματος σαρκὸς οὐδὲ ἐκ θελήματος ἀνδρός), lassen sich als Metonymien verstehen – ähnlich wie in Joh 3,6 a die Formulierung ἐκ τῆς σαρκός (s. o. Anm. 15). Mit „Blut“, dem „Willen des Fleisches“ und dem „Willen eines Mannes“ wird im Rahmen der damaligen Enzyklopädie auf Teilaspekte irdischen Zeugens verwiesen.22 Lässt sich der Ursprungsbereich der metaphorischen Aussage, dass die den Logos Aufnehmenden und an seinen Namen Glaubenden „aus Gott gezeugt“ 19 Vgl.

LSJ s. v. γεννάω: „mostly of the father, beget […]; of the mother, bring forth, bear“. z. B. Mt 1,3: Ἰούδας δὲ ἐγέννησεν τὸν Φάρες καὶ τὸν Ζάρα ἐκ τῆς Θαμάρ; entsprechend auch Mt 1,5 f.; vgl. ohne Angabe eines männlichen Zeugenden und dementsprechend passivisch ausgedrückt dagegen Mt 1,16: ἐξ ἧς [sc. Μαρίας] ἐγεννήθη Ἰησοῦς. 21 Vgl. z. B. Philo, Virt. 208, wo es über Isaak und dessen Söhne heißt, „aus dem anerkannten Erben wurden zwei Zwillinge geboren / gezeugt“ (ἐκ τοῦ δοκιμασθέντος κληρονόμου δύο δίδυμοι γεννῶνται); vgl. neben diesem noch weitere Belege bei Menken, Translation 361–363. Neutestamentliche Belegstellen gibt es für diesen Gebrauch allerdings nicht, worauf besonders Rusam (Gemeinschaft 112) verweist. Rusam betont des Weiteren, dass die Formulierung mit ἐκ als „Ursprungsbezeichnung“ anzusehen sei und außerdem eine „Zugehörigkeit“ einschließe (ebd., in Aufnahme einer Formulierung von J. Blank). Dass er daraus schlussfolgern zu müssen meint, „daß die Formulierung ‚ἐκ τοῦ θεοῦ γεννᾶσθαι‘ nicht von einer Zeugung, sondern von einer Geburt aus Gott spricht“ (ebd.), ist allerdings nicht nachvollziehbar. 22 Zu antiken Vorstellungen von der Zeugung (und vor allem zu der aus gegenwärtiger Sicht ungewöhnlichen Rolle des Blutes dabei) s. u. 9.1.2–3. 20 Vgl.

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sind, somit nicht nur allgemein dem Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung zuweisen, sondern sogar noch deutlicher auf Zeugung eingrenzen, so erweist sich die Festlegung des Zielbereiches auf eine grundlegende Erneuerung des Lebens dagegen als schwieriger. Denn anders als zum Beispiel in Tit 3,3 oder 1 Petr 1,14, wo auf frühere Lebensumstände der Adressierten Bezug genommen wird, die durch Gottes Eingreifen nun der Vergangenheit angehören, sind in Joh 1,13 die Gegensätze absoluter formuliert. Joh 1,13 beschreibt gerade keinen Übergang von einem zu einem anderen Zustand, sondern nur ein Entweder-oder. Es geht nicht so sehr um eine grundlegende Erneuerung, sondern eher um das grundlegende Anders-Sein dieses „aus Gott gezeugten“ Lebens überhaupt, so wie es in der johanneischen Sprache auch immer nur um Leben überhaupt geht und darum, es zu haben oder nicht.23 Im Hinblick auf die kontextuelle Verortung der metaphorischen Aussage ist der Blick über Joh 1,13 hinaus mindestens noch auf Joh 1,12 zu richten, denn Joh 1,13 steht syntaktisch und inhaltlich nicht für sich, sondern bildet als Relativsatz eine Ergänzung zur Aussage von Joh 1,12: Jene, die den λόγος aufnahmen, und die Joh 1,13 dann als „aus Gott“ Gezeugte näher bestimmt, werden in Joh 1,12 zuerst mit der Zusage versehen, dass „er ihnen Macht gab, Kinder Gottes zu werden“ (ἔδωκεν αὐτοῖς ἐξουσίαν τέκνα θεοῦ γενέσθαι). Die Zeugungsmetaphorik aus Joh 1,13 steht somit im unmittelbaren Kontext der metaphorischen Rede vom Kind-Gottes-Werden. Beide Verse beschreiben mit Hilfe der metaphorischen Aussage eine enge Beziehung zwischen Gott und einer bestimmten Gruppe von Menschen. Beide Verse benutzen dazu Ursprungsbereiche, die insofern nahe beieinander liegen, als die Zeugung eine natürliche Voraussetzung dafür darstellt, das Kind von jemandem zu sein bzw. zu werden.24 Dennoch sollten beide Metaphern nicht in eins gesetzt werden. Denn die metaphorische Rede davon, Kind Gottes zu sein oder zu werden, begegnet neutestamentlich (vgl. Röm 8,16; Gal 3,26; 4,5–7; 1 Joh 3,1 f.) eher unabhängig von Geburts- oder Zeugungsmetaphorik,25 ebenso wie Letztere auch nicht notwendig den aus der Geburt / Z ‌ eugung resultierenden Aspekt des Kind-Seins metaphorisch elaboriert. In Joh 1,12 f. besteht zwischen beiden zwar ein enger Zusammenhang, der noch näher analysiert wird (s. u. 9.1.3), insbesondere im Hinblick auf den neutestamentlichen Befund zur Kind-Gottes-Metaphorik wird aber zu zeigen sein, dass ein differenzierender Blick hier wichtig ist.26

23 Zu

diesem absoluten Gebrauch vgl. u. a. Joh 5,40 oder 20,31; mehr s. u. 9.1.5. zur Differenz zwischen Kind-Sein und Kind-Werden s. u. 9.1.3. 25 Für Paulus spielt dabei vielmehr das Konzept der Adoption als jenes von Geburt / ‌Zeugung eine wesentliche Rolle. 26 Der fehlt z. B. in der Forschungsliteratur zur „Wiedergeburt“ überall dort, wo unter dem weiten Blickwinkel von „Wiedergeburt“ als „Sache“ auch die eben genannten Texte Röm 8,16; Gal 3,26; 4,5–7; 1 Joh 3,1 f. angeführt werden, die nicht im Kontext von Geburts- oder Zeugungsmetaphorik stehen; s. o. 6.1. 24 Ausführlicher

7.2 Die neutestamentliche Geburts- und Zeugungsmetaphorik

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7.2.2.3 Die „aus Gott Gezeugten“ in 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18 Auch der Erste Johannesbrief spricht, wie Joh 1,13, in insgesamt sechs Versen vom Gezeugt- / G ‌ eboren-Werden aus Gott (γεννᾶσθαι ἐκ τοῦ θεοῦ bzw. ἐξ αὐτοῦ). In der bisherigen „Wiedergeburts“-Forschung wird auf diese Stellen häufig verwiesen (s. o. die Tabelle in 6.1), allerdings in unterschiedlicher Zusammenstellung und eher oberflächlich. Dominierend ist in 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18 die Verwendung von γεννᾶσθαι im Perfekt.27 Anders als in Joh 3,3–8 liegt das als Geburt / ‌Zeugung metaphorisierte Ereignis also eindeutig in der Vergangenheit, bestimmt jedoch in entscheidender Weise das gegenwärtige Leben der Adressierten. Um Aspekte dieses gegenwärtigen Lebens, vor allem ethischer Art, geht es in den genannten Versen. Die metaphorischen Geburts- / Z ‌ eugungsaussagen erscheinen dabei in ihren strukturell ähnlichen Wiederholungen weitgehend konventionalisiert und klingen fast wie eine Eigenbezeichnung der zur johanneischen Gemeinschaft Gehörenden. Im Textzusammenhang der Verse wird die Geburts- / ‌Zeugungsmetaphorik jeweils nicht weiter elaboriert. Nur in 1 Joh 3,9 begegnet mit σπέρμα ein weiteres Fokuswort aus dem Ursprungsbereich. Die Aussage, dass Gottes „Same“ in jedem „bleibt“, der „aus Gott gezeugt ist“, greift den Aspekt der Vererbung und Ähnlichkeit zwischen Vater und Kindern auf und engt den Ursprungsbereich auf Zeugung ein.28 Von 1 Joh 3,9 aus wird deutlicher, dass auch die anderen zeugungsmetaphorischen Aussagen vorrangig von diesem Aspekt der Ähnlichkeit bzw. von einer den Gezeugten innewohnenden Prädisposition her metaphorisch deutbar sind. Neben der Sündlosigkeit, die in 1 Joh 3,9 und seinem Kontext das Thema ist, beschreiben die anderen Textstellen die Ähnlichkeit der „aus Gott Gezeugten“ mit ihrem Urheber hinsichtlich der „Gerechtigkeit“ (δικαιοσύνη, 1 Joh 2,29), der Liebe (ἀγάπη, 1 Joh 4,7; vgl. auch 1 Joh 5,1) und des „Siegens über die Welt“ (νικᾶν τὸν κόσμον, 1 Joh 5,4). Auch für diese Verse liegt es daher nahe, die Formen von γεννᾶσθαι mit „gezeugt werden“ zu übersetzen.29 Da sich auch im Ersten Johannesbrief, wie schon bei den anderen besprochenen Stellen aus den johanneischen Schriften, keine Aussagen über eine Situation vor dieser Zeugung aus Gott finden, kann der Zielbereich der grundlegenden Erneuerung des Lebens die Spezifik der zeugungsmetaphorischen Aussagen im Ersten Johannesbrief wiederum nur annäherungsweise wiedergeben. Denn es geht es weniger um Erfahrungen einer Erneuerung, als vielmehr mehr um das grundlegende Anderssein dieses „aus Gott gezeugten“ Lebens überhaupt (s. o. 7.2.2.2), dessen Betonung die Adressierten gegenüber der „Welt“ als besondere Gruppe profiliert. 27 Ausführlicher

s. u. 9.3. Einschränkung leistet jedoch nicht das Fokuswort σπέρμα allein (vgl. dazu auch 1 Petr 1,23; s. u. 7.2.3), sondern die spezifische Verwendung im Sinne der „Vererbung“ von Anlagen. Hier ist im antiken Kontext eher an die Anlagen des Vaters zu denken. 29 Geht man davon aus, dass der Erste Johannesbrief das Evangelium voraussetzt (s. u. 9.3), lässt sich in diesem Sinne auch mit Joh 1,13 argumentierten (s. o. 7.2.2.2). 28 Diese

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7.2.3 „Wiedergeburt“ in 1 Petr 1,3.23 1 Petr 1,3.23 verwendet mit ἀναγεννᾶν / ‌ἀναγεννᾶσθαι als Fokuswort ein Kompositum, von dem der Bestandteil „wieder“ bzw. „erneut“ nicht abzutrennen ist. Zu fragen ist daher an erster Stelle, ob es sich nicht doch um einen terminus technicus einer spezifischen „Wiedergeburts“-Vorstellung handeln könnte, die sich nicht einfach auf Geburts- / Z ‌ eugungsmetaphorik zurückführen lässt. Eine solche These ist vor allem im Zusammenhang mit der Frage nach den Mysterienreligionen und einer dort vermuteten „Wiedergeburt“ (nicht nur als Wort, sondern auch als Ritual) immer wieder geäußert worden.30 Aber die Fixierung auf das einzelne Wort führt nicht weiter, denn ἀναγεννᾶν / ἀ ‌ ναγεννᾶσθαι kommt im Neuen Testament nur in 1 Petr 1,3.23 vor und ist auch im gesamten griechischen Sprachraum bis dahin fast gar nicht attestiert (s. u. 10.1). Ein Bezug zu den Mysterien lässt sich nicht sicher ausmachen. Das schließt im Übrigen nicht aus, dass auch in den Mysterien mit Hilfe des Ursprungsbereiches Geburt / ‌Zeugung eine grundlegende Erfahrung der Lebenserneuerung ausgedrückt werden konnte, die im Initiationsakt der jeweiligen Kulte rituell gebündelt wurde. Die wenigen Texte, die sich hierzu auswerten lassen, liefern allerdings keine eindeutigen Belege,31 um daraus Schlussfolgerungen für eine entsprechende Prägung des Verständnisses von ἀναγεννᾶν / -ᾶσθαι in 1 Petr 1,3.23 zu ziehen.

Berücksichtigt man den weiteren Kontext von 1 Petr 1,3.23, wird außerdem schnell deutlich, dass der Text mit dem Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung auch über diese beiden Verse hinaus weiterarbeitet. So ist vom Erbe die Rede (1,4), vom Gehorsam der Kinder gegenüber dem (neuen) Vater (1,14–17), vom Samen (1,23) und schließlich vom Verlangen der Neugeborenen nach Milch (2,2).32 Um zu verstehen, was mit ἀναγεννᾶν / -ᾶσθαι in 1 Petr 1,3.23 gemeint ist, erscheint in diesem Kontext der Rückgriff auf ein mysterienhaftes Konzept von „Wiedergeburt“ in keiner Weise zwingend. Vielmehr gibt hier die ganz alltägliche Vorstellung von Geburt bzw. Zeugung und ihren Folgen der metaphorischen Sprache ihr Profil. 30 Besonders Perdelwitz (Mysterienreligion) hat diese These als Gewissheit vertreten und auf den gesamten Ersten Petrusbrief bezogen, nicht nur auf die „Wiedergeburts“-Stellen in 1 Petr 1. In der „Wiedergeburts“-Forschung selbst findet sich die ausdrückliche Rückführung der Begrifflichkeit auf die Mysterien hingegen eher selten: hier besonders bei Heitmüller (s. o. 2.2.3), dessen allgemeine Mysterienthese sich allerdings vor allem auf paulinische Texte und kaum auf den Ersten Petrusbrief bezieht. Kritisch äußert sich neben vielen anderen z. B. Büchsel (s. o. 3.4.2). Auch in der übrigen Sekundärliteratur zum Ersten Petrusbrief wird eine Übernahme der Terminologie aus den Mysterien eher in den älteren Kommentaren positiv beurteilt, wenn auch eine inhaltliche Bezugnahme oft zugleich verneint wird – womit die ganze These in ihrer Aussagekraft fraglich wird (vgl. z. B. Schrage, Petrusbrief 70; Schelk­ le, Petrusbriefe 29–31; neueren Datums: Popp, Kunst 135 f.); mehr dazu s. u. 10.1. 31 Ausführlicher s. u. 8.5.4, wo im Zusammenhang mit der Auslegung von Tit 3,5 auf die möglichen Belegstellen aus den Mysterien noch einmal näher eingegangen wird. 32 Ausführlicher s. u. 10.3.4, 10.4, 10.5.2 und 10.6.

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Ein Blick auf die koptische Überlieferung des Neuen Testaments kann das zumindest für einen Ausschnitt aus der Wirkungsgeschichte des Textes bestätigen. Denn der Text kommt im Koptischen interessanterweise ohne das Element „wieder“ aus. Die entscheidenden Formulierungen ὁ […] ἀναγεννήσας ἡμᾶς (1 Petr 1,3) bzw. ἀναγεγεννημένοι (1,23) lauten in der sahidischen Übersetzung ⲡⲁⲓ ⲛ̅ⲧⲁϥ-ϫⲡⲟ-ⲛ bzw. ⲁⲩ-ϫⲡⲉ-ⲧⲏⲩⲧⲛ̅. Die Formen von ἀναγεννᾶν werden jeweils mit einem einfachen ϫⲡⲟ („gebären / zeugen“) wiedergegeben. Die koptische Übersetzung von 1 Petr 1,3.23 bietet also keine Entsprechung für das griechische ἀνα-, obwohl das sprachlich durchaus möglich gewesen wäre: In der koptischen Übersetzung von Tit 3,5 und Joh 3,3.7 wird ϫⲡⲟ zum Beispiel jeweils mit ⲛ̅̅ⲕⲉⲥⲟⲡ („ein weiteres Mal“) verbunden. In 1 Petr 1,3.23 aber empfand der koptische Übersetzer die Wiedergabe von ἀναγεννᾶν mit ϫⲡⲟ offenbar als ausreichend, um die metaphorische Aussage zu transportieren.33

In 1 Petr 1,23 legt sich durch die Erwähnung des Samens (σπορά), der hier ebenso wie ἀναγεγεννημένοι als Fokuswort zu bestimmen ist, außerdem nahe, dass der Ursprungsbereich damit auf Zeugung eingegrenzt wird. Zwar lässt sich die passive Formulierung ἀναγεγεννημένοι οὐκ ἐκ σπορᾶς φθαρτῆς ἀλλ᾿ ἀφθάρτου prinzipiell sowohl als „die nicht aus vergänglichem Samen, sondern aus unvergänglichem erneut Gezeugten“ übersetzen, als auch als „die […] Geborenen“, im Textzusammenhang wird aber vor allem die „Qualität“ (φθαρτός versus ἄφθαρτος) des Samens und dessen entsprechenden Einfluss auf das Leben der „aus“ ihm Entstandenen hervorgehoben (ausführlicher s. u. 10.5.2). Damit lässt sich hier tatsächlich Zeugung in enger Verbindung mit dem Konzept der Vererbung als relevanter Ursprungsbereich bestimmen. Dass diese Festlegung auf „zeugen“ aber nicht automatisch für alle mit γεν­ νᾶν verwandten Ausdrücke im gesamten Ersten Petrusbrief gilt, zeigt deutlich der bereits kurz auf 1 Petr 1,23 folgende Vers 2,2. Die dort in einem Vergleich erwähnten ἀρτιγέννητα βρέφη sind zweifellos als „gerade geborene“ und nicht als „gerade gezeugte Kinder“ zu verstehen, denn inhaltlich geht es um das Verlangen dieser Neugeborenen nach Milch.34 Weniger klar stellt sich die Lage wiederum in 1 Petr 1,3 dar, denn im unmittelbaren Kontext der dortigen geburts- / ‌zeugungsmetaphorischen Aussage ὁ […] ἀναγεννήσας ἡμᾶς ist zwar vom Vater die Rede. Die Bezeichnung Gottes als πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ ist im frühchristlichen Kontext jedoch geläufig.35 Πατήρ ist daher in erster Linie im Zusammenhang dieser konventionalisierten Rede von Gott als Vater Jesu Christi zu sehen (ausführlicher s. u. 10.3.2). Ohne größere Schwierigkeiten lässt sich indessen sagen, dass die metaphorischen Geburts- / ​Zeugungsaussagen in 1 Petr 1,3.23 ein Handeln Gottes beschreiben,36 das mit einer grundlegenden Erneuerung des Lebens der Adressierten in Zusammenhang steht: Von „neu“ ist dabei zwar nicht ausdrücklich die Rede, aber von mehreren Einzelaspekten (s. o.), die noch viel präziser dar33 Vgl.

dazu schon Kaiser, „Wiedergeburt“ 23. zu 1 Petr 2,3 s. u. 10.6. 35 Vgl. Röm 15,6; 2 Kor 1,3; 11,31; Eph 1,3. 36 1 Petr 1,3 drückt dies direkt aus, indem Gott Subjekt der metaphorischen Aussage ist, in 1 Petr 1,23 fungiert das Wort Gottes als logisches Subjekt. 34 Ausführlicher

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stellen, welche Veränderungen diese metaphorische Zeugung / G ​ eburt im Leben der Betroffenen bewirkt hat. Zum Teil wird dieser neue Zustand, ähnlich wie in Tit 3,5 (s. o. 7.2.1), dem früheren Leben gegenübergestellt (vgl. besonders 1 Petr 1,14; 4,3). In 1 Petr 1,23 wird die zeugungsmetaphorisch beschriebene grundlegende Erneuerung des Lebens außerdem in eine ursächliche Verbindung zur Erstverkündigung an die Adressierten gebracht, indem sie durch das „Wort“ (διὰ λόγου) gewirkt wird, welches dann in 1 Petr 1,25 b über ein Zitat aus Jes 40 gleichgesetzt wird mit dem „Wort, das euch verkündigt wurde“ (τοῦ­το δέ ἐστιν τὸ ῥῆμα τὸ εὐαγγελισθὲν εἰς ὑμᾶς). Wiederum ist es ganz klar Gott, der hier in der Rolle dessen begegnet, der die Gläubigen auf metaphorische Weise wiedergezeugt hat. 7.2.4 Der „Fall“ Jak 1,18 Auf Jak 1,18 wurde in der vorliegenden Untersuchung schon mehrfach verwiesen. Der Text begegnet in vielen, aber nicht allen „Wiedergeburts“-Untersuchungen, weil er zwar metaphorisch davon spricht, dass Gott „uns geboren hat durch das Wort der Wahrheit“ (ἀπεκύησεν ἡμᾶς λόγῳ ἀληθείας, Jak 1,18 a), aber keine Entsprechung zu „wieder“ aufweist (s. o. 1.3 und 6.2). Unter der veränderten Forschungsfrage, die nicht nach wörtlichen Äquivalenten für „Wiedergeburt“ sucht, sondern beim Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung ansetzt, besteht dagegen kein Zweifel, dass Jak 1,18 a mit dem Fokuswort ἀποκύειν zu den näher zu untersuchenden neutestamentlichen Passagen gehört. Durch den Gebrauch des Verbs ἀποκύειν lässt sich der Ursprungsbereich sogar noch spezifischer auf Geburt eingrenzen. Dieser wird im weiteren Textverlauf dann aber wieder erweitert um Aspekte des Sinnbereiches Zeugung und nochmals aufgegriffen in Jak 1,21 durch die Rede vom „angeborenen Wort“ (ὁ ἔμφυτος λό­γος), das „retten kann“,37 und vom „Gesicht des Ursprungs“ (τὸ πρόσωπον τῆς γενέσεως) in Jak 1,23. Dass mit der in Jak 1,18 a beschriebenen metaphorischen Geburt eine grundlegende Erneuerung im Leben von Menschen verbunden ist, lässt sich zumindest vermuten, auch wenn die Exegese des Textes (s. u. Kap. 11) den Zielbereich noch im Einzelnen näher zu bestimmen hat. Denn ähnlich wie bei den johanneischen Texten (s. o. 7.2.2) wird ein früheres Leben der Adressierten nicht ausdrücklich und kontrastierend jenem Leben gegenübergestellt, das sich der Geburt durch das Wort der Wahrheit verdankt. Es wird also zu prüfen sein, ob der „fehlende“ sprachliche Ausdruck für „wieder“ sich aus dem Kontext heraus logisch ergänzen lässt oder ob er im Text aus tieferen Gründen gerade nicht vorkommt, weil die metaphorische Geburt in ganz grundlegender Weise 37 Es rettet aus der tödlichen Abfolge von Begierde, Sünde und Tod, deren Zusammenhang Jak 1,15 (s. u. 7.2.5) wiederum unter Gebrauch von Zeugungs- und Geburtsmetaphorik beschreibt. Ähnlich wie in 1 Joh 3,9 der „Same“ in allen aus Gott Gezeugten „bleibt“, macht Jak 1,21 mit dem „angeborene Wort“ außerdem jenen Aspekt des Ursprungsbereiches stark, der die von Eltern (Vätern) an ihre Kinder weitergegebenen Veranlagungen beschreibt.

7.2 Die neutestamentliche Geburts- und Zeugungsmetaphorik

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das Leben überhaupt bestimmt und weniger auf die Beschreibung eines Wendepunktes und der damit verbundenen Folgen zielt. 7.2.5 Der metaphorische Einsatz von Geburt / ‌Zeugung in Jak 1,15; 2 Tim 2,23 und Hebr 6,7 In einem Kapitel zusammengefasst werden können die Betrachtungen zu dem oben (6.2) und gerade wieder (7.2.4) erwähnten Text Jak 1,15 sowie zu 2 Tim 2,23 und Hebr 6,7. Denn schon ein erster Blick macht deutlich, dass diese Texte in ihren metaphorischen Aussagen zwar den Ursprungsbereich Geburt / ​ ‌Zeugung nutzen, diesen aber nicht in Bezug auf Menschen einsetzen und also auch nicht, um deren grundlegender Lebenserneuerung Ausdruck zu geben. Dennoch kann ein Blick auf einen ganz anderen Umgang mit Geburt / ​ Zeugung die Wahrnehmung dieses Konzeptbereiches und dessen Einsatz im Kontext mit anderen Aussagen schärfen. In Jak 1,15 (εἶτα ἡ ἐπιθυμία συλλαβοῦσα τίκτει ἁμαρτίαν, ἡ δὲ ἁμαρτία ἀπο­ τελεσθεῖσα ἀποκύει θάνατον) rufen die beide Verben τίκτειν und ἀποκύειν deutlich den Ursprungsbereich Geburt auf. Die beiden Partizipien συλλαβοῦσα und ἀποτελεσθεῖσα erweitern als Fokusausdrücke den Bereich um Aspekte der Empfängnis und der Schwangerschaft (genauer: des Heranreifens des Em­ bryos). Es stellt sich hier also nicht die Frage, ob Geburt oder Zeugung als Ursprungsbereich festgelegt werden können. Vielmehr lassen sich anhand verschiedener Fokusausdrücke Zeugung und Geburt als Ursprungsbereich bestimmen. Das Ziel der Aussage, die formal eine Filiationsreihe ist (ausführlicher s. u. 11.4), liegt in der Beschreibung einer Folge, die sich aus einer bestimmten Ausgangssituation zwangsläufig ergibt und von ihr verursacht wird. Oder anders formuliert: Jak 1,15 ist eine Instanziierung der konzeptuellen Metapher Verursachung als Geburt / ‌Zeugung. Da Jak 1,15 in unmittelbarer textlicher Nähe zu Jak 1,18 steht und den gleichen Ursprungsbereich aufgreift, wird auch die von diesem Vers initiierte metaphorische Interaktion noch einmal näher zu betrachten und in die Gesamtaussage einzuordnen sein (s. u. 11.5 und 11). Eben dieser konzeptuellen Metapher Verursachung als Geburt / ‌Zeugung ist auch die metaphorische Aussage in 2 Tim 2,23 zuzuordnen, die dort allerdings für eine weniger dramatische Zusammenstellung von Ursache und Wirkung genutzt wird: „Die törichten und ungereimten Streitfragen aber weise ab, denn du weißt ja, dass sie Streitigkeiten hervorbringen (bzw. erzeugen: γεννῶσιν).“ Die Metaphorik dient hier eher der Bekräftigung eines bekannten oder doch zumindest offensichtlichen Zusammenhangs, als dass sie einen solchen überhaupt erst aussagen will, wie das für Jak 1,15 anzunehmen ist. Ob diese Aussage in den Ohren der damaligen Hörerinnen und Hörer eher das Entstehen (d. h. metaphorisch die Zeugung) oder den akuten Ausbruch von Streitigkeiten (d. h. metaphorisch die Geburt) beschrieben hat, ist aus der zeitlichen Distanz und der nicht mehr zu rekonstruierenden Kommunikationssituation heraus kaum sicher zu entscheiden.

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7. Neukonstituierung der Fragestellung

In Hebr 6,7 findet sich schließlich ein weiterer Beleg für den metaphorischen Gebrauch des Ursprungsbereiches Geburt / ‌Zeugung: Hebr 6,7 γῆ γὰρ ἡ πιοῦσα τὸν ἐπ᾽ αὐτῆς ἐρχόμενον πολλάκις ὑετὸν καὶ τίκτουσα βοτάνην εὔθετον ἐκείνοις δι᾽ οὓς καὶ γεωργεῖται, μεταλαμβάνει εὐλογίας ἀπὸ τοῦ θεοῦ·

Denn die Erde, die den häufig auf sie fallenden Regen trinkt und nützliches Kraut hervorbringt (genauer: gebiert) für jene, für die sie auch bestellt wird, empfängt Segen von Gott.

Da es üblich ist, bei Menschen und Tieren vom Gebären zu sprechen, liegt es nicht fern, eine solche Redeweise auch auf Pflanzen zu übertragen. Entsprechend weitverbreitet und konventionalisiert ist es, mit Hilfe von τίκτειν zu beschreiben, dass die Erde Pflanzen wachsen lässt.38 Der Hebräerbrief nutzt die Metaphorik auch ganz in diesem konventionellen Sinne. Das bestätigt sich unter anderem dadurch, dass der Ursprungsbereich Geburt / Z ‌ eugung im Text, abgesehen vom Fokuswort τίκτειν, in keiner Weise weitergehend aktiviert wird. Möglich wäre es zum Beispiel gewesen, die notwendige Voraussetzung für das metaphorische Gebären – den Regen (ὑετός) – mit Mitteln dieses Ursprungsbereiches auszudrücken und davon zu sprechen, dass die Erde den Regen empfängt. Indem die Erde den Regen aber „trinkt“ (πιοῦσα), wird ein ganz anderer Ursprungsbereich aufgerufen, der auf Hebr 6,4 zurückgreift. Dort ist es die „himmlische Gabe“, die die Gläubigen „geschmeckt haben“ (γευσάμενοι τε τῆς δωρεᾶς τῆς ἐπουρανίου). Über diese Metaphorik, die Essen und Trinken als Ursprungsbereich aufgreift,39 wird somit ein wichtiger Hinweis gegeben, wie der „Regen“ in Hebr 6,7 zu deuten ist. Wer die „himmlische Gabe“ geschmeckt hat, bringt – wie die Erde, die den Regen getrunken hat – Nützliches hervor und empfängt Segen (vgl. Hebr 6,7). Die beiden unterschiedlichen Ursprungsbereiche teilen einen gemeinsamen Zielbereich (Verursachung) miteinander. Hebr 6,8 führt dann die „Dornen und Disteln“ (ἀκάνθαι καὶ τρίβολοι) als Gegensatz zum „nützlichen Kraut“ an, womit – wiederum metaphorisch – etwas über die in Hebr 6,6 erwähnten „Abgefallenen“ (παραπέσοντες) gesagt wird, die keinen Segen, sondern Fluch empfangen. Denn auch die Abgefallenen haben einstmals die „himmlische Gabe“ empfangen, haben aber gerade nicht das zu erwartende „nützliche Kraut“ hervorgebracht. Die bereits für Jak 1,15 und 2 Tim 2,23 festgestellte konzeptuelle Metapher Verursachung als Geburt / ‌​ Zeugung wird hier also sowohl im positiven Sinne realisiert als auch in ihrer gewissermaßen „unnatürlichen“ Abirrung beschrieben.

38 Vgl.

z. B. Euripides, Cyclops 333 f.: ἡ γῆ δ’ ἀνάγκηι, κἂν θέληι κἂν μὴ θέληι, / τίκτουσα ποίαν τἀμὰ πιαίνει βοτά. („Die Erde bringt, ob sie will oder nicht, zwangsläufig Gras hervor, um meine Herde fett zu machen.“) Vgl. für weitere Beispiele außerdem LSJ s. v. τίκτω III. 39 Im „Schmecken“ ist außerdem auch der Aspekt der sinnlichen Wahrnehmung enthalten.

7.2 Die neutestamentliche Geburts- und Zeugungsmetaphorik

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7.2.6 Ein weiterer Beleg für παλιγγενεσία in Mt 19,28 Die Problematik, vor die sich die bisherige „Wiedergeburts“-Forschung mit dem Text Mt 19,28 gestellt sah, wurde schon ganz zu Anfang kurz beschrieben (s. o. 1.3): Wie Tit 3,5 benutzt auch Mt 19,28 das Wort παλιγγενεσία, beschreibt damit aber keine Erneuerung oder Veränderung im gegenwärtigen Leben von Menschen, sondern referiert auf die Endzeit.40 Aus den obigen Ausführungen zu Tit 3,5 (s. o. 7.2.1) ist außerdem deutlich geworden, dass nicht nur ein differierender Zielbereich Mt 19,28 von den bisher behandelten Texten unterscheidet, sondern auch der Ursprungsbereich durch das mehrdeutige Wort παλιγγενεσία nicht ohne Weiteres auf Geburt / ‌Zeugung festzulegen ist. Versteht man παλιγγενεσία vor stoischem Hintergrund 41 als Terminus, der die Wiederentstehung der Welt (und nicht nur des menschlichen Lebens) nach deren vorausgegangenem Untergang beschreibt,42 dann besteht nicht einmal Grund, Mt 19,28 überhaupt als metaphorische Aussage einzustufen. 7.2.7 Paulus, der die Glaubenden „zeugt“ und „gebiert“ Deutlich seltener als für Mt 19,28 wird in der bisherigen „Wiedergeburts“-Forschung diskutiert, ob jene drei Texte, in denen Paulus sein eigenes missionarisches Wirken metaphorisch als Gebären bzw. Zeugen der Gläubigen beschreibt (1 Kor 4,15; Phlm 10; Gal 4,19), auch zu den „Wiedergeburts“-Texten zählen sollten.43 Fragt man dagegen nicht nach „Wiedergeburt“, sondern zuerst einmal nach Instanziierungen des Ursprungsbereiches Geburt / ‌Zeugung, dann weisen alle drei Texte Fokusausdrücke auf, die sich eindeutig diesem Ursprungsbereich zuordnen lassen (im Folgenden kursiviert): 1 Kor 4,14 Οὐκ ἐντρέπων ὑμᾶς γράφω ταῦτα ἀλλ᾽ ὡς τέκνα μου ἀγαπητὰ νουθετῶ[ν]. 15 a ἐὰν γὰρ μυρίους παιδαγωγοὺς ἔχητε ἐν Χριστῷ ἀλλ᾽ οὐ πολλοὺς πατέρας· 15 b ἐν γὰρ Χριστῷ Ἰησοῦ διὰ τοῦ εὐαγγελίου ἐγὼ ὑμᾶς ἐγέννησα. 40 Ausdrücklich

Nicht um euch zu beschämen schreibe ich das, sondern als meine geliebten Kinder ermahne ich euch. Denn wenn ihr auch zehntausend Erzieher hättet in Christus, so doch nicht viele Väter. In Christus habe ich euch nämlich gezeugt durch das Evangelium.

erwähnt, aber als deutlich differierend von den übrigen „Wiedergeburts“-­ Texten charakterisiert wird Mt 19,28 bei Heitmüller, Wiedergeburt 2008; Harnack, Termi­ nologie 109 Anm. 1; Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 30; Lichtenberger, Neuschöpfung 326; Popkes, Wiedergeburt 10; Back, Wiedergeburt 57 f. Gar nicht erwähnt wird der Text nur bei Wiß­mann (Wiedergeburt) und Roosimaa (Wiedergeburt); s. o. die Tabelle in 6.1. 41 Siehe dazu – einschließlich der Rezeption bei Philo – schon oben 3.4.3 und 3.6.2. 42 Eine solche Hauptausrichtung des Verständnisses von παλιγγενεσία im matthäischen Kontext kann verschiedene konkrete Ausprägungen erhalten: Luz (Matthäus III, 129) favorisiert die „Totenauferstehung“ gegenüber der „endzeitliche[n] Wiederherstellung des Zwölfstämmevolks“ und der „Neuschöpfung der Welt“, bemerkt aber insgesamt: „Nicht leicht zu sagen ist, was sich Matthäus bei dem Hapaxlegomenon παλιγγενεσία gedacht hat“ (ebd.). 43 S. o. die Tabelle in 6.1 und dort bes. die Anmerkungen b und c.

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7. Neukonstituierung der Fragestellung

Phlm 10 παρακαλῶ σε περὶ τοῦ ἐμοῦ τέκνου, ὃν ἐγέννησα ἐν τοῖς δεσμοῖς, Ὀνήσιμον

Ich bitte dich (sc. Philemon) um mein Kind, das ich in der Gefangenschaft geboren (bzw. gezeugt) habe, Onesimus.

Gal 4,19 τέκνα μου, οὓς πάλιν ὠδίνω μέχρις οὗ μορφωθῇ Χριστὸς ἐν ὑμῖν· 20 ἤθελον δὲ παρεῖναι πρὸς ὑμᾶς ἄρτι καὶ ἀλλάξαι τὴν φωνήν μου, ὅτι ἀποροῦμαι ἐν ὑμῖν.

Meine Kinder, mit denen ich abermals in Wehen liege, bis Christus in euch Gestalt annimmt, ich wünschte, jetzt bei euch zu sein und meinen Ton zu ändern, denn ich weiß euch gegenüber weder aus noch ein.

Blickt man auf den Zielbereich der Metaphern, so beschreibt Paulus mit Hilfe des Ursprungsbereiches Geburt / ‌Zeugung jeweils das Christusgläubig-Werden der von ihm Missionierten. Das wird besonders deutlich in 1 Kor 4,15 b (ἐν γὰρ Χριστῷ Ἰησοῦ διὰ τοῦ εὐαγγελίου ἐγὼ ὑμᾶς ἐγέννησα),45 aber auch, wenn man Phlm 10 im Zusammenhang mit Phlm 16 liest.46 In Gal 4,19 ist dieses Gläubig-Werden dagegen vor allem indirekt und als offenbar gefährdet im Blick, denn Paulus beschreibt metaphorisch einen erneuten Geburtsprozess (s. u. 7.2.7.3). Dass sich in allen drei Texten mit dem Christusgläubig-Werden auch eine grundlegende Erneuerung im Leben der von Paulus Adressierten verbindet, ist kaum zu bezweifeln. Eine prinzipielle Zuordnung zur konzeptuellen Metapher ist darum möglich. Dennoch erscheint das, worum es Paulus in diesen drei Texten geht, damit noch nicht adäquat erfasst, und ebenso wenig die Andersartigkeit dieser Texte im Vergleich zu all jenen, die in den vorangehenden Abschnitten bereits als Instanziierungen der konzeptuellen Metapher ermittelt wurden (s. o. 7.2.1–4). Denn Paulus betont in seinen Texten in erster Linie das Verhältnis, das er selbst als der metaphorisch Zeugende bzw. Gebärende zu seinen „Kindern“ hat. Paulus reklamiert damit eine Rolle für sich, die in 1 Petr 1,3.23; Joh 1,13; 3,3–8; 1 Joh 2,29 etc.; Tit 3,5 und Jak 1,18 (s. o. 7.2.1–4) Gott vorbehalten war.47 Er geht dabei keineswegs über den Rahmen hinaus, den der Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung bietet, denn hier gibt es prinzipiell mehrere Möglichkeiten der Rollenverteilung.48 Indem Paulus den Ursprungsbereich aber derart anders ausdeutet, verläuft auch die metaphorische Interaktion in anderer Weise. Das soll zunächst für alle drei Texte separat 44 Auch die Übersetzung „an“ wäre möglich, es ginge dann darum, eine sichtbare Christusförmigkeit der Galaterinnen und Galater zu erreichen (vgl. auch die Metaphorik in Gal 3,27 und ausführlich dazu Gerber, Paulus 478–484). 45 Vgl. Gerber (s. u. Anm. 55); mit einer stärkeren Betonung des kollektiven Aspekts außerdem Schrage, Korinther I, 355 f., und Wolff, Korinther 93. 46 Vgl. dazu u. a. Lampe, Philemon 217, und Wengst, Philemon 67. 47 Für Tit 3,5 ist diese aktive Rolle Gottes – je nach näherer Deutung von παλιγγενεσία – allerdings nicht notwendig die eines Zeugenden / e​ iner Gebärenden (s. o. 7.2.1). 48 Auch das In-Wehen-Liegen (vgl. Gal 4,19) ist zweifellos ein Aspekt des Sinnbereiches Geburt / ‌Zeugung.

7.2 Die neutestamentliche Geburts- und Zeugungsmetaphorik

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gezeigt werden (s. u. 7.2.7.1–3). Anschließend ist im Rahmen der Zusammenfassung aller hier geleisteten Textanalysen nochmals auf die paulinischen Texte zurückzukommen und insbesondere die Differenz innerhalb der konzeptuellen Metapher auszuwerten (s. u. 7.2.8). 7.2.7.1 Paulus als „Vater“ der Gemeinde in Korinth: 1 Kor 4,14–16 In 1 Kor 4,15 wird das Ziel der metaphorischen Aussage klarer durch die signifikante Erweiterung des Ursprungsbereiches um die Erwähnung der παιδαγωγοί.49 Im Gegensatz zu ihnen beansprucht Paulus als der, der die Angesprochenen „gezeugt“ hat, eine besondere Rolle. Der Vater ist einzig, παιδαγωγοί gibt es dagegen viele und die Zeit ihres Einsatzes ist beschränkt, während der Vater immer Vater bleibt 50 und als solcher Autoritätsperson ist. Aus den möglichen Implikationen, die sich aus der metaphorischen Zeugung der in Korinth Adressierten durch Paulus vom Ursprungsbereich her ergeben könnten, aktualisiert Paulus im gegebenen Kontext neben der Einzigkeit des Vaters vor allem diesen Aspekt der Autorität: Er weist seine „geliebten Kinder“ zurecht (1 Kor 4,14) und ermahnt sie schließlich zur Nachahmung seiner selbst (1 Kor 4,16: Πα­ρα­καλῶ οὖν ὑμᾶς, μιμηταί μου γίνεσθε).51 In der Sekundärliteratur wird hier nicht selten auf die traditionelle Beschreibung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses als Vater-Sohn-Verhältnis verwiesen (sei es in den Mysterien, in Philosophenschulen oder rabbinischer Lehrsitua­ tion), auf das die paulinische Metaphorik zurückgreife.52 Als Ursprungsbereich läge dem Text damit eher ein Vater-Kind-Verhältnis zugrunde, als das Konzept von Geburt / ‌Zeugung. So spricht Reidar Aasgaard zum Beispiel von der „parent / child metaphor“;53 Christian Wolff hebt das „Bild vom Vater“ hervor.54 Paulus selbst allerdings macht in 1 Kor 4,15 vor allem den Aspekt der Zeugung stark (ἐγὼ ὑμᾶς ἐγέννησα), während πατήρ zwar auch als Fokuswort begegnet, aber nicht direkt auf Paulus bezogen ist. Das Wort πατήρ kommt nicht einmal im Singular vor, der für die Argumentation aber doch so wichtig wäre, wenn diese denn allein auf der metaphorischen Selbstprädikation des Paulus als einzigem Vater der Gemeinde in Korinth beruhte und nicht – viel maßgeblicher – auf ἐγὼ ὑμᾶς ἐγέννησα. Gewicht legt der Text damit auf etwas, das in einem als Vater-Kind-Verhältnis bestimmten Ursprungsbereich zwar auch, aber nur unter anderem enthalten wäre, nämlich auf „den ursächlichen,

49 Vgl.

ausführlicher zur Rolle des παιδαγωγός Gerber, Paulus 407 f. Gerber, Paulus 411. 51 Vgl. dazu u. a. Aasgaard, Brothers 290, und Gerber, Paulus 409. 52 Vgl. z. B. Schrage, Korinther I, 354 f.; Aasgaard, Brothers 290 Anm. 24; Wolff, Korinther 93; siehe auch Schweitzer, Gotteskindschaft 292. 53 Aasgaard, Brothers 290. 54 Wolff, Korinther 93. 50 Vgl.

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7. Neukonstituierung der Fragestellung

initiativen Akt dieses Verhältnisses.“ 55 1 Kor 4,15 ist aufgrund von γεννᾶν als Fokuswort also mit voller Berechtigung dem Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung zuzuweisen, der sich aufgrund der kontextuellen Signale genauer als Zeugung präzisieren lässt.56 Durch die Erweiterung dieses Ursprungsbereiches um den Aspekt weiterer Personen im Umfeld des Kindes (παιδαγωγοί) und dadurch, dass Paulus selbst als Briefschreiber in der Rolle des Zeugenden präsent ist, wird auch der Zielbereich der metaphorischen Aussage noch einmal deutlicher: Es geht Paulus um die Begründung eines (neuen) Autoritätsverhältnisses, das es Paulus erlaubt, die Adressierten als seine „geliebten Kinder“ zurechtzuweisen, zur Nachahmung seiner selbst zu ermahnen und seinen einzigartigen Anspruch auch anderen (als παιδαγωγοί Metaphorisierten) gegenüber zu behaupten. 7.2.7.2 Paulus und „sein Kind“ Onesimus: Phlm 10 Ähnlich wie in 1 Kor 4,15 dient der Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung zwar auch in Phlm 10 der metaphorischen Umschreibung der Bekehrung des Onesimus durch Paulus,57 das Ziel der Aussage erschöpft sich darin aber nicht. Wieder geht es vielmehr um die Begründung einer Beziehung, die vor allem aus Sicht des Paulus in den Blick kommt.58 Onesimus ist laut Phlm  12 τὰ ἐμὰ σπλάγχνα, Paulusʼ Innerstes, sein Herz. Dieser Ausdruck lässt sich ohne Weiteres noch der Geburts- / Z ‌ eugungsmetaphorik in Phlm 10 als Fokusausdruck hinzurechnen.59 Das Kind wird als Teil des eigenen Leibes verstanden.60 Paulus identifiziert sich metaphorisch mit Onesimus und macht – anders als in 1 Kor 4,15 – vom Ursprungsbereich her gerade nicht das Autoritätsgefälle 55 Gerber, Paulus 404; vgl. auch ebd. Anm. 253. An gleicher Stelle bestimmt Gerber auch „die Missionsarbeit des Autors in Korinth als Bildempfänger“. 56 Dafür ist nicht entscheidend, dass Paulus selbst ein Mann ist (denn in Gal 4,19 kann er sich metaphorisch in einer eindeutig weiblichen Rolle beschreiben; s. u. 7.2.7.3), sondern vielmehr der bereits betonte Aspekt des ursächlichen Anfangs, den Paulus durch seine Missionstätigkeit gesetzt hat und der metaphorisch im Zeugen besser zum Ausdruck kommt als im Gebären. 57 Vgl. zu dieser als Konsens zu betrachtenden Deutung des Verses Lampe, Philemon 217: „Was mit dem Kind-Zeugen gemeint ist, erfährt der überraschte Philemon spätestens in V. 16: […] In seinem Gefängnis gewann Paulus ihn [sc. Onesimus] für das Evangelium.“ Vgl. ähnlich auch Wengst, Philemon 60. 58 Dass das Bekehrungsgeschehen als solches und die von Paulus angestrebte Rücksendung des Onesimus (vgl. Phlm 13 f.) zu seinen Diensten (einschließlich des Angebots an Philemon, für aufgetretenen Schäden durch Onesimus aufzukommen: Phlm 18) auch eine grundlegende Veränderung des Lebens für Onesimus bedeutet, ist damit unbenommen. Der Brief thematisiert das aber nicht eigens. 59 So ausdrücklich auch Gerber, Paulus 208. 60 Ob man die Aussage vielleicht sogar als „metaphorische Metonymie: Dies ist mein ‚Mut­terleib‘, d. h. mein ‚Geborenes‘“ deuten könnte (so erwogen von Gerber, Paulus 209 Anm. 287), bzw. ob Philemon und andere die Formulierung τοῦτ᾽ ἔστιν τὰ ἐμὰ σπλάγχνα so verstanden haben könnten, ist meines Erachtens schwer nachzuweisen.

7.2 Die neutestamentliche Geburts- und Zeugungsmetaphorik

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zwischen Eltern und Kindern stark. Er kehrt auch gegenüber Philemon nicht den Anspruch heraus, den er in der metaphorischen Elternrolle 61 gegenüber dem Kind hat, sondern bezeichnet Onesimus in Phlm 16 vielmehr – die Verwandtschaftsebenen signifikant wechselnd – als Bruder. Entsprechend möge nun auch Philemon verfahren (Phlm  16), ebenso wie Paulus Statusverzicht üben,62 den Sklaven als Bruder (und damit als Mitgläubigen) annehmen und ihn dann dem Paulus zurückschicken.63 Die geschickte Rhetorik des Philemonbriefes ist damit nur angedeutet, für den hier interessierenden Zusammenhang der Geburts- / ‌Zeugungsmetaphorik ist das Wesentliche aber gesagt: Sie arbeitet einer übergeordneten Argumentationsstrategie zu. Der Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung kommt zum Einsatz, um metaphorisch die Bekehrung des Onesimus durch Paulus zu beschreiben. Weiteres folgt daraus: Er ist nicht mehr nur der Sklave, der bei Paulus um Intervention im Streit mit seinem Herrn bittet, sondern gehört als dessen „Kind“ nun zu Paulus (Phlm 10: τὸν ἐμοῦ τέκνον); er ist selbst ein Stück von ihm (Phlm 12: τοῦτ᾽ ἔστιν τὰ ἐμὰ σπλάγχνα) und soll von Philemon entsprechend behandelt werden (vgl. u. a. Phlm 17: προσλαβοῦ αὐτὸν ὡς ἐμέ). Mit der Bekehrung ist somit auch eine grundlegende Erneuerung im Leben des Onesimus verbunden, die sich vor allem in veränderten Beziehungen ausdrückt. Wiederum ist es aber nicht die Beziehung zu Gott, sondern in erster Linie die Beziehung zu Paulus, die dann auch Einfluss auf die Beziehung zwischen Philemon und Onesimus hat und keineswegs „nur“ Veränderungen in „Glaubensdingen“ nach sich zieht, sondern ganz konkret den gesellschaftlichen Status des Onesimus betrifft. 7.2.7.3 Paulus in erneuten Wehen: Gal 4,19 f. Die Metaphorik in Gal 4,19 ist komplex, denn sie baut eine doppelte semantische Spannung auf: Deutlich ist zum einen, dass es nur metaphorisch zu verstehen sein kann, dass Paulus in Wehen liegt. Zum anderen verstärkt πάλιν die semantische Spannung zusätzlich, denn vom Ursprungsbereich her ist es unmöglich, dass man mit demselben Kind bzw. denselben Kindern ein weiteres Mal in Wehen liegt. Durch πάλιν wird, ohne dass dies direkt erwähnt wird, auch an die erste „Geburt“ der Adressierten erinnert,64 denn ohne einen 61 Gemeinhin

wird ἐγέννησα in Phlm 10 als „zeugen“ übersetzt. Eindeutig legt der Text dies jedoch nicht fest. Auch in diesem Sinne ist im Vergleich mit 1 Kor 4,15 also zu differenzieren. 62 Statusverzicht gegenüber Philemon hat Paulus bereits in Phlm 8 f. geübt (vgl. dazu z. B. Lampe, Philemon 216), das Thema ist an dieser Stelle des Briefes also nicht neu. 63 Mit Lampe (Philemon 207) und Wengst (Philemon 61–63) gegen Suhl (Philemon 33), der bestreitet, dass Paulus die Rücksendung des Onesimus bezwecke. 64 Der Ursprungsbereich lässt sich aufgrund von ὠδίνω klar als Geburt festlegen. Dass es in Gal 4,15 – u. a. mit Seitenblick auf 1 Kor 4,19 – darum gehe, dass Paulus „die Vaterschaft erneut erst wieder entstehen lassen muß“ (so z. B. Becker, Galater 68; Hervorhebung hinzugefügt), steht nicht in Einklang mit der verwendeten Metaphorik. Anders z. B. schon Schlier (Galater 214), der Paulus hier „auch als die Mutter der Gemeinden“ bezeichnet.

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7. Neukonstituierung der Fragestellung

entsprechenden Missionserfolg damals vor Ort gäbe es jetzt keinen Brief des Paulus an die „Gemeinden in Galatien“ (Gal 1,2). Dass die Metaphorik in Gal 4,19 daher nur einen einzigen, durch eine Wehenpause unterbrochenen Geburtsvorgang meinen könnte, wäre zwar vom Ursprungsbereich her möglich, ist vom Kontext her aber ausgeschlossen. Die „Kinder“ mit denen Paulus nun erneut in Wehen liegt, wurden vielmehr schon einmal von ihm „geboren“, d. h. zum Christusglauben gebracht.65 Dieser Christusglaube ist aus Sicht des Paulus aber nun derart in Gefahr (vgl. Gal 1,6 f.), dass er sich gezwungen sieht, in einen erneuten und aus der Perspektive des Ursprungsbereiches daher völlig widernatürlichen Geburtsvorgang einzutreten.66 Zu den Fokusausdrücken, die dem Bereich Geburt / ‌Zeugung zuzuordnen sind, gehört schließlich auch die Rede vom „Gestalt gewinnen“: Die in sich mehrdeutige Formulierung μέχρις οὗ μορφωθῇ Χριστὸς ἐν ὑμῖν (Gal 4,19 c) gibt das Ziel des Gebärprozesses an,67 nun aber in merkwürdiger Verschiebung, denn nicht die „Kinder“, mit denen Paulus erneut in Wehen liegt, sondern Christus soll Gestalt gewinnen „in“ oder „an ihnen“ (ἐν ὑμῖν).68 Der tatsächliche Ausgang dieses metaphorischen Geburtsprozesses bleibt offen. Ob es Paulus gelingt, wider alle Logik des Ursprungsbereiches die von ihm einstmals Bekehrten in Galatien ein zweites Mal zu „gebären“, ist ungewiss. Deutlich ist in jedem Fall, dass mit Hilfe des Ursprungsbereiches Geburt / ‌​ Zeugung, wie in Phlm 10 und 12 sowie in 1 Kor 4,15, das Gläubig-Werden der Adressierten durch das missionarische Wirken des Paulus beschrieben wird. Singulär ist in Gal 4,19 aber, dass mit dem metaphorischen Geburtsvorgang hier ein erneutes Zum-Glauben-Bringen beschrieben und auf die Erstbekehrung nur indirekt verwiesen wird. Um eine grundlegende Erneuerung des Lebens geht es bei der metaphorischen Beschreibung in Gal 4,19 daher zwar schon, der Duktus des Textes wird aber vor allem von der Gefahr be65 Als τέκνα (bzw. τέκνον) redet er auch in 1 Kor 4,14.17 (s. o. 7.2.7.1); Phlm 10 (s. o. 7.2.7.2); 1 Thess 2,11 und Phil 2,22 die von ihm Bekehrten an oder spricht in dieser Weise über sie; vgl. auch entsprechende τέκνον-Prädizierungen in den Pastoralbriefen: 1 Tim 1,2. 18; 2 Tim 1,2; 2,1; Tit 1,4; vgl. Gerber, Paulus 473. 66 Dass Paulus am Verhalten „seiner Kinder“ „irre“ zu werden droht und nicht mehr aus noch ein weiß (Gal 4,20: ἀποροῦμαι ἐν ὑμῖν) wird durch die metaphorisch inszenierte Widernatürlichkeit der Situation eindrücklich deutlich. 67 Wie Gerber (Paulus 273–276) ausführlich gezeigt hat, hebt die metaphorische Rede von Paulus, der in Wehen liegt, nicht auf die dabei empfundenen Schmerzen ab, die zweifellos auch Teil des Geburtsprozesses sind. Vielmehr wird der Geburtsprozess insgesamt, die Anstrengung des Paulus in diesem Prozess und die Ausrichtung auf sein Ziel (μέχρις οὗ μορφωθῇ Χριστὸς ἐν ὑμῖν) zur Gestaltung der Aussage genutzt. Anders z. B. Becker, Galater 70; auch viele Bibelübersetzungen betonen den Aspekt des Schmerzes und reduzieren das von der Metaphorik beschriebene aktive Geschehen zu einem „Geburtswehen erleiden“ (so z. B. die Einheitsübersetzung und die revidierte Elberfelder Bibel). 68 Die verschiedenen Deutungsoptionen (einschließlich der Frage, wer das logische Subjekt von μορφωθῇ ist) müssen hier nicht eigens diskutiert werden; vgl. dazu ausführlich Gerber, Paulus 477–486.

7.2 Die neutestamentliche Geburts- und Zeugungsmetaphorik

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stimmt, in der dieses in der Vergangenheit bereits hervorgebrachte neue Leben im Christusglauben steht. Zentral ist dabei wiederum die Rolle des Paulus, der sich hier um des Glaubens seiner „Kinder“ willen in einen vom Ursprungsbereich her widernatürlichen zweiten Geburtsprozess gedrängt sieht. 7.2.8 Fazit: Die konzeptuelle Metapher als Kriterium für die Textauswahl und ihre Grenzen Die vorigen Abschnitte dienten dazu, einen Überblick über die verschiedenen metaphorischen Verwendungen des Ursprungsbereiches Geburt / Z ‌ eugung in den neutestamentlichen Texten zu gewinnen. Zugleich ging es darum, Klarheit über die damit beschriebenen Zielbereiche zu erlangen und insbesondere jene Texte zu ermitteln, die sich als Instanziierungen der konzeptuellen Metapher der grundlegenden Erneuerung des Lebens als Geburt / ​Zeugung einordnen lassen und somit die Grundlage der weiteren Untersuchung bilden. Die Ergebnisse sind hier noch einmal zusammenzufassen und auch die Chancen und Grenzen der vorgenommenen Orientierung an einer konzeptuellen Metapher (s. o. 7.1) noch einmal zu reflektieren. Ein erstes und deutliches Ergebnis besteht darin, dass Geburts- / Z ‌ eugungsmetaphorik in den Texten keineswegs überall zum Ausdruck einer grundlegenden Erneuerung des Lebens eingesetzt wird. In Mt 19,28 ist wegen des uneindeutigen Fokuswortes παλιγγενεσία als der endzeitlichen Situierung des Textes sogar fraglich, ob es sich überhaupt um einen metaphorischen Ausdruck handelt. Eine eigene Gruppe bilden Jak 1,15; 2 Tim 2,23 und Hebr 6,7, die die metaphorische Geburt bzw. Zeugung im Gegensatz zu allen anderen behandelten Texten nicht auf Menschen beziehen und mit dem Einsatz der Metaphorik auf die Beschreibung eines notwendigen Hervorgehens zielen. Tit 3,5 teilt mit Mt 19,28 die Uneindeutigkeit des Fokuswortes παλιγγενεσία, das nicht notwendig auf den Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung, sondern möglicherweise allgemeiner auf ein Konzept von Entstehung verweist und das außerdem in spezifischer Weise stoisch (oder von den Mysterien her) 69 geprägt sein könnte. Anders als die Aussage in Mt 19,28 lässt sich jene in Tit 3,5 aufgrund ihrer textlichen Einbettung aber fraglos einer grundlegenden Erneuerung des Lebens zuordnen, die für die Adressierten bereits stattgefunden hat. Es ist daher eine genauere exegetische Betrachtung nötig (s. u. Kap. 8), um zu klären, welches Konzept Tit 3,5 mit παλιγγενεσία tatsächlich aufruft und in welcher Weise es metaphorisch eingesetzt wird. Einen spezifischen Umgang mit dem Ursprungsbereich weisen des Weiteren die johanneischen Texte auf, weil sie weniger den Aspekt der Neuheit des mit der Zeugung bzw. Geburt beginnenden Lebens stark machen und zur metaphorischen Übertragung nutzen, als dass im Evangelium und im Ersten Johan-

69 Ausführlicher

s. u. 8.5.

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7. Neukonstituierung der Fragestellung

nesbrief mit (Geburt /) Zeugung 70 der Ursprung des (wahren) Lebens überhaupt metaphorisch thematisiert wird. Für den Zielbereich hat das zur Folge, dass man nur bedingt von grundlegender Erneuerung des Lebens sprechen kann, da ein vorangegangener, zu erneuernder Zustand von den Texten kaum in den Blick genommen wird. Zumindest in Joh 3,4 wird aber deutlich, dass die Notwendigkeit einer Geburt / Z ‌ eugung „von oben“, mit der Nikodemus (und mit ihm auch die Leserschaft des Textes) hier konfrontiert wird, das „andere“, bisherige Leben derer, die diese Metapher zu deuten suchen, durchaus mit ins Spiel bringt. Im Rahmen der oft zu absoluten Formulierungen neigenden johanneischen Sprache ist dieses Leben aber gar kein Leben, weil es nur Leben oder kein Leben gibt. Jemand, der „aus Gott gezeugt“ ist (Joh 1,13 b; 1 Joh 3,9 u. ö.) bzw. „von oben“ (Joh 3,3.7) oder „aus (Wasser und) Geist“ (Joh 3,5.6.8) gezeugt / ​geboren ist, bekommt überhaupt erst das Leben. Was vorher war, verdient diese Bezeichnung nicht. Das lässt sich freilich erst im Nachhinein, also aus der Perspektive dieses (neuen) Lebens erkennen. Insofern lässt sich eine Einordnung der johanneischen Texte als Instanziierungen der konzeptuellen Metapher der grundlegenden Erneuerung des Lebens als Geburt / ​Zeugung zwar vertreten, zugleich wird deutlich, dass die Texte diese Erneuerung in einer sehr spezifischen Weise verstehen, die auf der allgemeinen Ebene der konzeptuellen Metapher nicht darstellbar ist. Auch für Jak 1,18 muss die Einzelexegese erst noch nachweisen, dass es im Text tatsächlich um den metaphorischen Ausdruck einer grundlegenden Erneuerung des Lebens geht, denn ein betonter Ausdruck von „wieder“ fehlt. Damit besteht die Möglichkeit, dass Jak 1,18 nicht auf ein Ereignis innerhalb des Lebens von Menschen referiert, sondern auf den Anfang überhaupt, und dass das Leben der Adressierten hier insgesamt als ein von Gott „durch das Wort der Wahrheit geborenes“ metaphorisch charakterisiert wird. Die Problematik, die sich bei der Zuordnung zur konzeptuellen Metapher ergibt, ist für Jak 1,18 somit eine deutlich andere als bei den johanneischen Schriften: Während bei diesen Texten, und zwar insbesondere bei Joh 1,13 im Kontext von 1,11 f., die Aufnahme (oder auch Nichtaufnahme) des Logos darauf verweist, dass die Geburts- / ​Zeugungsmetaphorik im Zusammenhang mit dem Gläubig-Werden der Adressierten steht, ist genau diese Feststellung für Jak 1,18 nicht ohne das exegetische Abwägen anderer Möglichkeiten zu treffen (s. u. 11.6–8). Relativ unproblematisch stellt sich die Zuordnung zur konzeptuellen Metapher dagegen für 1 Petr 1,3.23 dar, wobei auch hier in der Auslegung natürlich auf individuelle Ausprägungen zu achten sein wird. Für den Ersten Petrusbrief 70 In Joh 1,13 und bei den Belegen aus dem Ersten Johannesbrief (vor allem bei 1 Joh 3,9) lässt sich der Ursprungsbereich genauer als Zeugung bestimmen. Für Joh 3,3–8 ist das nicht so eindeutig der Fall. Eine alleinige Festlegung auf Geburt, die vor allem der Deutung von Nikodemus in Joh 3,4 folgt und die Forschungsliteratur und die Übersetzungen weitgehend dominiert, ist jedoch nicht textgemäß. Vor allem angesichts des ersten Auftretens der Metaphorik in Joh 1,13 liegt vielmehr auch in Joh 3 eine Zuspitzung auf Zeugung nahe.

7.2 Die neutestamentliche Geburts- und Zeugungsmetaphorik

173

ist dabei besonders die Verbindung mit weiteren Metaphern aus dem näheren Umfeld des Ursprungsbereiches Geburt / ‌Zeugung hervorzuheben (s. u. 10.4 und 10.6). Gleiches gilt im Übrigen auch für Jak 1,18 und den dort folgenden Abschnitt bis einschließlich Jak 1,25 (s. u. 11.9.2 und 11.10). Abschließend ist der Blick auf die drei paulinischen Texte 1 Kor 4,15; Phlm 10 und Gal 4,19 zu richten. Sieht man von der spezifischen Betonung bestimmter Aspekte des Ursprungsbereiches in diesen Texten erst einmal ab, so lässt sich allgemein sagen, dass Paulus hier mit Hilfe der Geburts- / Z ​ eugungsmetaphorik das Christusgläubig-Werden der von ihm Missionierten beschreibt. Auf dieser allgemeinen Ebene lässt sich ebenfalls feststellen, dass mit der Bekehrung zweifellos auch eine grundlegende Erneuerung des Lebens der von Paulus Adressierten verbunden ist und die Zuordnung der drei Texte zur konzeptuellen Metapher damit gerechtfertigt wäre (s. o. 7.2.7). Paulus geht es in seinen geburts- / ‌zeugungsmetaphorischen Aussagen allerdings vor allem um einen speziellen Aspekt dieser Erneuerung, nämlich darum, dass mit der Bekehrung eine exklusive Beziehung zu ihm als Erstmissionar begründet wurde, deren bleibende Relevanz (1 Kor 4,15) bzw. verändernde Kraft (Phlm 10) er den jeweils Adressierten einschärfen will oder um deren Wiederherstellung er kämpft (Gal 4,19). Ähnlich wie bei den johanneischen Texten (s. o.) wird deutlich, dass eine Wahrnehmung der drei paulinischen Texte unter dem alleinigen Blickwinkel der konzeptuellen Metapher der grundlegenden Erneuerung des Lebens als Geburt / Zeugung wesentliche Aussageabsichten der Texte außer Acht ließe. Während bei den johanneischen Texten aber außer Frage steht, dass Gott der Urheber des Lebens der metaphorisch Gezeugten ist und die Texte in diesem wesentlichen Aspekt mit 1 Petr 1,3.23; Jak 1,18 und Tit 3,5 übereinstimmen, begegnet in 1 Kor 4,15; Phlm 10 und Gal 4,19 Paulus in der Rolle des zeugenden Vaters bzw. der in Wehen liegenden und gebärenden Mutter. Ein Handeln Gottes hebt Paulus im Rahmen der Metaphorik dagegen nicht eigens hervor.71 Der paulinische Gebrauch der Geburts- / ​Zeugungsmetaphorik unterscheidet sich somit deutlich von jenem der anderen Texte. Auf der Metaebene der konzeptuellen Metapher lässt sich diese Differenz aber nur unzureichend abbilden. Denn wesentliche Unterschiede liegen innerhalb der konzeptuellen Metapher, nämlich in der Art und Weise, wie Paulus die Struktur des Ursprungsbereiches für seine Aussageabsichten nutzt. Allen als Instanziierung der konzeptuellen Metapher in Betracht gezogenen Texten (Joh 1,13; 3,3–8; 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18; 1 Petr 1,3.23; Jak 1,18; Tit 3,5 und 1 Kor 4,15; Phlm 10; Gal 4,19) ist gemeinsam, dass sie eine grundlegende Erneuerung oder Prägung des Lebens beschreiben, die in einem Zusammenhang mit dem Christusgläubig-Werden derer steht, die von den Tex71 Dabei steht sicher auch für Paulus außer Zweifel, dass letztlich Gott der Urheber jenes Glaubens ist, zu dem Paulus durch sein Wirken Menschen in Korinth, in Galatien und schließlich in der Haft den Onesimus bringt (vgl. z. B. 1 Kor 9,16; Röm 10,17).

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7. Neukonstituierung der Fragestellung

ten metaphorisch als Gezeugte bzw. Geborene bezeichnet werden. Wer dabei die Rolle des Zeugenden bzw. der Gebärenden einnimmt, Gott oder Paulus, und welche weiteren Züge des Ursprungsbereiches in welcher Weise metaphorisch genutzt werden, kann aber sehr verschieden sein. Einiges haben die Textanalysen (s. o. 7.2.1–4 und 7) bereits angedeutet. Auf der Ebene der konzeptuellen Metapher könnten hier nun noch die prinzipiell möglichen Übertragungen vom Ursprungs- auf den Zielbereich aufgefächert werden. Sinnvoller erscheint es jedoch, nun auf die Ebene der Texte zu wechseln und die tatsächlich realisierten Potenziale der Metaphorik in Tit 3,5; Joh 3,3–8; 1,13; 1 Joh 2,29 etc.; 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18 zu analysieren (s. u. Teil III). Denn gegenüber der individuellen Ausprägung der Metaphorik in den Einzeltexten bleibt die konzeptuelle Metapher notwendigerweise blass, da ihr heuristischer Wert in der Beschreibung des Allgemeinen liegt. So gesehen hat die konzeptuelle Metapher ihre Schuldigkeit bereits getan: Sie hat geholfen, eine Gruppe von metaphorischen Texten aufgrund ähnlicher Strukturierungen im Ursprungs- und Zielbereich zusammenzustellen und andere Texte als zu weit davon abweichend auszuschließen. Worum es der Auslegung in Teil III gehen wird, ist nicht mehr, die Übereinstimmung der Texte mit der konzeptuellen Metapher der grundlegenden Erneuerung des Lebens als Geburt / Zeugung zu erweisen (das hat bereits das vorliegende Kapitel geleistet), sondern darum, die Besonderheiten und Stärken der einzelnen Texte herauszuarbeiten, um diese am Ende (s. u. Teil IV) noch einmal vergleichend – und dann auch noch einmal mit einem Blick auf die konzeptuelle Metapher – betrachten zu können.

7.3 Die Neukonstituierung der Fragestellung: Konsequenzen für die traditions- und religionsgeschichtliche Spurensuche Bevor der Fokus der Untersuchung sich tatsächlich ausführlich auf die Einzeltexte richten kann, ist noch ein letzter forschungsgeschichtlich relevanter Aspekt modifizierend aufzugreifen, nämlich die traditions- und religionsgeschichtliche Herleitung der neutestamentlichen Rede von „Wiedergeburt“. Die Kritik am Forschungsgegenstand „Wiedergeburt“ und dessen Neukonstituierung (s. o. 7.1) führt auch hier zu einer Veränderung in der Suche nach möglichen relevanten Traditionen und Texten. Denn die Frage ist nun nicht mehr, ob es geprägte „Wiedergeburts“-Vorstellungen im antiken Umfeld einschließlich der alttestamentlich-jüdischen Traditionen gibt. Als Vergleichstexte bedeutsam erweisen sich vielmehr solche, die im damaligen Sprach- und Kulturraum ebenfalls die konzeptuelle Metapher der grundlegenden Erneuerung des Lebens als Geburt / ‌Zeugung instantiieren. Wo und wie wird mit Hilfe von Geburts- / ​Zeugungsmetaphorik auch außerhalb des Neuen Testaments eine grundlegende Erneuerung des Lebens beschrieben? Und lassen sich mög-

7.3 Konsequenzen für die traditionsgeschichtliche Spurensuche

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licherweise Einflüsse von dort auf den neutestamentlichen Gebrauch der Metaphorik erkennen? Eine Suche nach entsprechenden Textbelegen müsste beim Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung und sämtlichen Fokuswörtern ansetzen, die ihn aufrufen könnten. Da hier ausgesprochen viele Ausdrucksweisen in Frage kommen, die dann erst auf ihren metaphorischen oder nicht-metaphorischen Gebrauch und näherhin auf den damit beschriebenen Zielbereich zu überprüfen wären, ist die damit verbundene Aufgabe fast uferlos. Ein Vergleich mit weiteren Instanziierungen der konzeptuellen Metapher grundlegende Erneuerung des Lebens als Geburt / ‌Zeugung innerhalb der erhaltenen antiken Textzeugnisse ist daher nicht ohne Rückgriff auf entsprechende Vorarbeiten aus den (vor allem) philologischen Nachbardisziplinen zu leisten. Allerdings gibt es nur wenige einschlägige Untersuchungen zum Gebrauch von Geburts- / ‌Zeugungsmetaphorik in antiken Texten.72 Im Gegensatz zur religionsgeschichtlich orientierten Suche nach Vergleichstexten zur Rede von „Wiedergeburt“, die (insbesondere im Bereich der Mysterien) eher am Mangel einschlägiger Quellen leidet, steht eine Untersuchung der konzeptuellen Metapher grundlegende Erneuerung des Lebens als Geburt / ‌Zeugung und ihrer Instanziierungen eher vor dem Problem der Vielzahl von Texten und Ausdrucksmöglichkeiten. Die Schwierigkeit, die sich aus der Breite des Ursprungsbereiches Geburt / ​ Zeugung für eine erschöpfende Untersuchung seiner metaphorischen Einsatzmöglichkeiten zur Beschreibung einer grundlegenden Erneuerung des Lebens ergibt, lässt sich zugleich aber auch positiv interpretieren: Das Konzept Geburt / ‌Zeugung stellt gerade in dieser Fülle seiner möglichen Anwendungsgebiete und der allgemeinen Bekanntheit der damit aufgegriffenen Vorstellungen einen Ursprungsbereich dar, der, um Sachverhalte metaphorisch zu strukturieren und besser verständlich machen zu können, nicht notwendig schon geprägte konzeptuelle Metaphern voraussetzt. Vielmehr macht es die allgemeine Verfügbarkeit des Ursprungsbereiches sogar schwer, einen bestimmten, anderswo belegten metaphorischen Gebrauch als tatsächlich prägend für einen vorliegenden metaphorischen Ausdruck zu behaupten, wenn die entsprechende Deutung genauso auch durch einen lebendigen metaphorischen Interaktionsprozess auf Seiten der Rezipienten erlangt werden kann.73 72 Das gilt für die Fragestellung überhaupt, als auch für deren Beschränkung auf bestimmte Textkorpora oder Fokuswörter. Vor allem in der alttestamentlichen Forschung ist die metaphorische Rede von Geburt / ‌Zeugung mehrfach in Untersuchungen aufgegriffen worden. Hier zeigt sich, dass Geburts- / ‌Zeugungsmetaphorik keineswegs nur für den Zielbereich einer grundlegenden Erneuerung des Lebens gebraucht wird. Darauf verweist die Untersuchung von Bergmann z. B. bereits im Titel „Childbirth as a Metaphor for Crisis“. Aber auch bei Grohmann („Fruchtbarkeit und Geburt in den Psalmen“) und Dieckmann / ‌Erbele-Küster („‚Du hast mich aus meiner Mutter Leib gezogen‘. Beiträge zur Geburt im Alten Testament“) wird deutlich, wie Geburtsmetaphorik alttestamentlich mit anderen Zielbereichen verbunden werden kann. 73 Auf der Metaebene ist zu differenzieren zwischen konzeptuellen Metaphern, die als fes-

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7. Neukonstituierung der Fragestellung

Dennoch ist ein Vergleich verschiedener Einsatzmöglichkeiten der gleichen konzeptuellen Metapher zweifellos wichtig, und eine entsprechende Textzusammenstellung wäre wünschenswert. Zumindest partiell gibt es dafür auch bereits Material: Auf alttestamentliche Untersuchungen zu Geburts- bzw. ‌Zeugungsmetaphorik (die oft aber andere Zielbereiche aufweist) ist eben schon verwiesen worden (s. o. Anm. 72) und wird gleich nochmals zurückzukommen sein. Aber auch aus dem paganen und frühjüdischen Bereich geben eben jene Texte, die die bisherige „Wiedergeburts“-Forschung unter traditionsgeschichtlicher Fragerichtung als mögliche Ursprünge einer „Wiedergeburts“-Vorstellung zusammengestellt hat, bereits eine gute Basis für einen Vergleich ab. Denn nach der hier vertretenen Auffassung lässt sich die Rede von etwas wie „Wiedergeburt“ nicht nur in den dafür reklamierten neutestamentlichen Texten 1 Petr 1,3.23; Joh 3,3.7; Tit 3,5 und Jak 1,18 auf Geburts- / ‌Zeugungsmetaphorik zurückführen. Vielmehr gilt das auch für jene Texte außerhalb des Neuen Testaments, die als mögliche Ursprünge einer neutestamentlichen „Wiederge­ burts“-Vorstellung in der Forschungsgeschichte immer wieder diskutiert wurden. Besonders informativ ist hier die Untersuchung von Dey 74 mit ihrer Zusammenstellung der unterschiedlichen (metaphorischen) Einsatzgebiete von παλιγγενεσία,75 auf die vor allem im Zusammenhang mit Tit 3,5 zurückzukommen sein wird (s. u. 8.5.4–5). Bei der Suche nach alttestamentlichen Traditionen, die die neutestamentliche Rede von „Wiedergeburt“ geprägt haben könnten, hatte man in der Forschung dagegen keine Funde zu vermelden.76 Fragt man aber nach Geburts- oder Zeugungsmetaphorik, stellt sich auch alttestamentlich die Situation anders dar.77 Die Belege, die interessant sein könnten, reduzieren sich allerdings ebenfalls schnell wieder, wenn man den Zielbereich der grundlegenden Erneuerung des Lebens mit hinzunimmt. Dann bleibt letztlich nur Ps 2,7 zu betrachten, in dem JHWH zum König Israels sagt: υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε (Ps 2,7 LXX).78 Aber auch wenn dieses Ereignis, das in der Regel auf die te Koppelungen von zwei Konzeptbereichen definiert sind, und Traditionen im exegetischen Sinne, die meines Erachtens nur bestimmte Instanziierungen konzeptueller Metaphern sein können, während auf der allgemeineren Ebene der gekoppelten Konzepte eher von Motiven gesprochen werden sollte. Überhaupt bedarf die Frage, wie sich konzeptuelle Metapherntheorie und Traditionskritik zueinander verhalten, in der Exegese sowohl inhaltlich als auch terminologisch noch einer vertieften Diskussion. 74 Zu Dey s. o. 3.6.2; zur Diskussion der von Dey angeführten und anderer Belegstellen im Rahmen der Auslegung von Tit 3,5 s. u. 8.5. 75 Dabei ist nochmals darauf hinzuweisen, dass mit παλιγγενεσία nicht notwendig immer nur der Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung aufgerufen ist (s. o. 7.2.1 u. ö.). 76 Die Forschung hat meines Erachtens nicht zuletzt deshalb auf einer vermeintlich engen Verbindung von „Wiedergeburt“ und „Neuschöpfung“ beharrt, um wenigstens auf diese Weise eine Traditionslinie zwischen den alt- und neutestamentlichen Aussagen herzustellen. 77 Siehe schon oben Anm. 72. 78 Vgl. auch Ps 110,3 (‫ׁש ָחר ְלָך ַטל יַ ְל ֻד ֶתיָך‬ ְ ‫) ֵמ ֶר ֶחם ִמ‬. Grohmann (Fruchtbarkeit 96) übersetzt den Versabschnitt, in dem vor allem ‫ ְלָך ַטל‬schwer einzuordnen ist, mit „aus dem Schoß der

7.3 Konsequenzen für die traditionsgeschichtliche Spurensuche

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Thronbesteigung bezogen wird,79 zweifellos eine grundlegende Veränderung und Erneuerung im Leben des Königs impliziert, so zielt die Metaphorik hier doch eher auf die besondere In-Beziehung-Setzung des Königs zu Gott: Es ist die Inthronisation, die metaphorisch als Geburt oder Zeugung durch Gott beschrieben wird 80 und die als solche „fest in altorientalischen Königsvorstellungen verankert“ 81 ist. Außerdem bleibt die metaphorische Geburt / ‌Zeugung mit dem König auf einen einzelnen Menschen bezogen.82 Für die neutestamentlichen Texte, die die konzeptuelle Metapher grundlegende Erneuerung des Lebens als Geburt / ‌Zeugung instantiieren, eröffnet ein Rückgriff auf Ps 2,7 damit keine entscheidenden Deutungshorizonte. Wie die in Teil III folgenden Untersuchungen zeigen werden, verweist auch im unmittelbaren textlichen Umfeld der analysierten metaphorischen Äußerungen nichts auf Ps 2,7 als Intertext oder auf einen vergleichbaren Traditionshintergrund.

Morgenröte ist bei dir der Tau deiner Geburtlichkeit“. In der Septuaginta-Version (Ps 109,3) lautet der Teilvers klarer, aber auch unpoetischer: ἐκ γαστρὸς πρὸ ἑωσφόρου ἐξεγέννησά σε. 79 So z. B. Kraus, Psalmen 145 f.150 f.; Grund, Geburt 113; zurückhaltender beurteilt Groh­mann (Fruchtbarkeit 71) diese Deutung als „eine Interpretationsmöglichkeit neben anderen.“ 80 Ob ‫ ילד‬mit „zeugen“ oder „gebären“ zu übersetzen ist, stellt sich im Hebräischen vom Lexem her ebenso unentscheidbar dar, wie für γεννᾶν. Fast immer wird in Ps 2,7 aber „zeugen“ übersetzt. „Geradezu ‚klassisch‘ geworden ist für Ps 2,7 die Argumentationslinie Zeugung – enges Vater-Sohn-Verhältnis – Adoption des Königs durch JHWH – Thronbesteigungsakt“ (Grohmann, Fruchtbarkeit 74). Grohmann mahnt aber zu Recht an, dass die Präferenz für „zeugen“, die von dieser Argumentationslinie gestützt wird, kritisch zu überprüfen ist (ebd.). Sie tendiert deutlich zu einem Verständnis als „gebären“, u. a. deshalb, weil damit „die besondere Beziehungsqualität und Nähe“, die der Legitimierung des Königs diene, deutlich werde (ebd. 79). 81 Grohmann, Fruchtbarkeit 77. 82 Grohmann (Fruchtbarkeit 79) meint dagegen: „Der Vers kann auch als Anrede an jeden Leser oder jede Beterin gelten, sich als Kind Gottes angesprochen zu fühlen. Es geht also über das Verhältnis Gott – König hinaus um das Verhältnis Gott – Mensch“. Sie bringt dafür aber keine eigenen Argumente und beschreibt im Folgenden vielmehr die breite neutestamentliche Rezeption von Ps 2,7 im messianischen Sinn und somit wiederum den singulären Bezug auf Jesus.

Teil III

Die metaphorische Rede von einer grundlegenden Erneuerung des Lebens als Geburt/‌Zeugung: Die Aussagen der Texte Die Betrachtung der Forschungsgeschichte (s. o. Teil I) hat unter anderem gezeigt, wie stark ein beschreibungssprachlicher Leitbegriff die Wahrnehmung, Auswahl und Auslegung von Texten prägen kann. Die daraus abzuleitende Warnung vor nicht textgemäßen Einträgen und vor vorauslaufenden Festlegungen bei der Deutung von Texten gilt in vergleichbarer Weise aber auch für ein Vorgehen, das sich zu exklusiv an Konzeptbereichen und konzeptuellen Metaphern orientiert. Daher ist hier, vor Beginn der ausführlichen Textauslegungen, an die eingangs entwickelten exegetischen Leitsätze zur Auslegung von Metaphern in neutestamentlichen Texten zu erinnern (s. o. 1.6.5), die genau solche Engführungen und vorfestlegenden Eintragungen von außen zu vermeiden suchen. Diese Leitsätze müssen hier nicht nochmals wiederholt werden. Genauso wenig werden sie im Sinne eines Fragenkataloges in den folgenden Kapiteln „abgearbeitet“ werden. Sie stehen aber als wichtige Orientierung im Hintergrund aller folgenden Exegesen, denen es darum geht, die Texte selbst zum Sprechen zu bringen und dabei insbesondere deren metaphorischen Charakter im Blick zu behalten und enzyklopädisches Wissen um die involvierten Konzeptbereiche in adäquatem Maße in die Deutung einzubeziehen. Adäquat ist dabei das, was vom Text her als relevant hervorgehoben wird oder zumindest im Einklang mit den Aussagen im unmittelbaren Textzusammenhang der jeweiligen metaphorischen Äußerung steht. Das Prä liegt in Teil III somit immer beim Text. Inwiefern alle im folgenden untersuchten Texte als Gruppe einer gemeinsamen Aussage zuarbeiten und inwiefern sich also eine Gruppierung hermeneutisch als sinnvoll erweist, kann erst im Anschluss an die Einzelexegesen in Teil IV gefragt werden.

8. Kapitel

„Wiedergeburt“ oder „Wiederentstehung“? Die Metaphorik in Tit 3,5 im Kontext 8.1 Erste Orientierung: Tit 3,5 im Kontext und die Forschungslage 8.1.1 Der unmittelbare Textzusammenhang von Tit 3,5 Der zum Corpus Pastorale gehörende Titusbrief ist nach vorherrschender Forschungsmeinung ein pseudepigrapher Paulusbrief.1 Er ist geprägt von vielen Anweisungen, die „Paulus“ seinem Schüler „Titus“ 2 in diesem Brief erteilt und die dieser wiederum an die Christusgläubigen auf Kreta weitergeben und dort umsetzen soll (vgl. Tit 1,5). Die hier im Besonderen interessierende Rede von 1 Gemeinhin werden die Argumente, die gegen eine paulinische Verfasserschaft sprechen, in fünf Gruppen eingeteilt. Häfner (Pastoralbriefe 465–468) nennt „a) Biographische Daten“, „b) Sprache und Stil“, „c) Gegner und Gegnerpolemik“, „d) Gemeindeordnung“ und „e) Theologie“; vgl. mit differierenden Benennungen schon Dibelius, Pastoralbriefe 1–3. Dass Paulus nicht der Autor der Pastoralbriefe ist, hat sich in der deutschsprachigen neutestamentlichen Forschung seit längerem als Mehrheitsmeinung durchgesetzt (vgl. dazu u. a. Häfner, Pastoralbriefe 459), besonders in der älteren Forschungsgeschichte zur „Wiedergeburt“ wird diese Frage aber noch keineswegs einheitlich entschieden, ist jedoch nicht notwendig nur vom Alter der Untersuchungen abhängig: So gehen Kirn, Heitmüller, Wißmann und Schweitzer z. B. nicht von einer paulinischen Verfasserschaft aus, Gennrich, Jacono und Dey aber sehr wohl (s. o. Kap. 2–3). In der neueren englischsprachigen Forschung wird die paulinische Verfasserschaft der Pastoralbriefe dagegen wieder häufiger vertreten: vgl. z. B. Johnson, Titus; Mounce, Pastoral Epistles; Towner, Titus. Fee (Titus 23–26) arbeitet mit einer Sekretärshypothese; Wall (Titus 5) kritisiert die Frage nach der Authentizität überhaupt und setzt dieser einen „canonical approach“ entgegen. In der deutschsprachigen Forschung tritt neuerdings vor allem Herzer dafür ein, den Titusbrief als echten Paulusbrief wahrzunehmen (vgl. Herzer, Mythos 443–446.448 f.; und auch schon ders., Fiktion 534 f.). – Zur Datierung der Pastoralbriefe s. u. Anm. 77. 2 Der Adressat Titus ist mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso fiktiv entworfen wie Paulus als Briefschreiber: vgl. dazu z. B. Hasler, Titus 87; Merkel, Pastoralbriefe 7; Quinn, Titus 71; anders z. B. Herzer, Mythos 443–445. Der Titusbrief knüpft nur sehr allgemein daran an, dass Titus als Paulusbegleiter und -mitarbeiter aus den Protopaulinen bekannt ist (vgl. Gal 2,3; 2 Kor 2,13; 7,6.13.14; 8,6.16.23; 12,18), greift ansonsten aber keine der dort speziell mit Titus verbundenen Aufgaben auf. Auch auf eine Verbindung von Titus mit Kreta als Ort seines Wirkens und darauf, dass Paulus ihn dort zurückgelassen haben solle, deutet in den authentischen Paulusbriefen sowie in der Apostelgeschichte nichts; zur Frage der Lokalisierung siehe auch unten Anm. 139.

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

der durch Gott bewirkten Rettung διὰ λουτροῦ παλιγγενεσίας καὶ ἀνακαινώσεως πνεύματος ἁγίου in Tit 3,5 ist Teil eines längeren Satzzusammenhangs (3,3–7) gegen Ende des Briefes. Auch dieser bekenntnisartige Abschnitt ist wiederum eingebettet in Anweisungen an Titus, die der Brief vielfältig bereithält (hier konkret Tit 3,1 f. und 8): 1 Ὑπομίμνῃσκε αὐτοὺς ἀρχαῖς ἐξουσίαις ὑποτάσσεσθαι, πειθαρχεῖν, πρὸς πᾶν ἔργον ἀγαθὸν ἑτοίμους εἶναι, 2 μηδένα βλασφημεῖν, ἀμάχους εἶναι, ἐπιεικεῖς, πᾶσαν ἐνδεικνυμένους πραΰτητα πρὸς πάντας ἀνθρώπους. 3 ῏Ημεν γάρ ποτε καὶ ἡμεῖς ἀνόητοι, ἀπειθεῖς, πλανώμενοι, δουλεύοντες ἐπιθυμίαις καὶ ἡδοναῖς ποικίλαις, ἐν κακίᾳ καὶ φθόνῳ διάγοντες, στυγητοί, μισοῦντες ἀλλήλους 4 ὅτε δὲ ἡ χρηστότης καὶ ἡ φιλανθρωπία ἐπεφάνη τοῦ σωτῆρος ἡμῶν θεοῦ, 5 a οὐκ ἐξ ἔργων τῶν ἐν δικαιοσύνῃ ἃ ἐποιήσαμεν ἡμεῖς 5 b ἀλλὰ κατὰ τὸ αὐτοῦ ἔλεος 5 c ἔσωσεν ἡμᾶς 5 d διὰ λουτροῦ παλιγγενεσίας καὶ ἀνακαινώσεως πνεύματος ἁγίου, 6 οὗ ἐξέχεεν ἐφʼ ἡμᾶς πλουσίως διὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ σωτῆρος ἡμῶν, 7 ἵνα δικαιωθέντες τῇ ἐκείνου χάριτι κληρονόμοι γενηθῶμεν κατʼ ἐλπίδα ζωῆς αἰωνίου. 8 Πιστὸς ὁ λόγος· καὶ περὶ τούτων βούλομαί σε διαβεβαιοῦσθαι, ἵνα φροντίζωσιν καλῶν ἔργων προΐστασθαι οἱ πεπιστευκότες θεῷ· ταῦτά ἐστιν καλὰ καὶ ὠφέλιμα τοῖς ἀνθρώποις.

Erinnere sie, sich Mächten (und) Gewalten unterzuordnen, zu gehorchen, zu jedem guten Werk bereit zu sein, niemanden zu verleumden, friedfertig zu sein, nachsichtig, allen Menschen voll Sanftmut begegnend. Denn auch wir waren damals Unverständige, nicht Vertrauende, in die Irre Gehende, Begierden und vielfältigen Lüsten Dienende, in Bosheit und Verderben Lebende, Verhasste (und) einander Hassende. Als aber die Güte und die Menschenliebe unseres Retters, Gottes, offenbar wurde, [5 c] rettete er uns nicht infolge der Werke, die wir in Gerechtigkeit taten, sondern aus seinem Erbarmen heraus, durch das Bad der Palingenesia und Erneuerung des heiligen Geistes, den er reichlich auf uns ausgegossen hat durch Jesus Christus, unseren Retter, damit wir, gerechtgemacht durch dessen Gnade, Erben werden gemäß der Hoffnung auf ewiges Leben. Zuverlässig ist das Wort. Und deshalb will ich, dass du darauf bestehst, damit die darauf bedacht sind, sich um gute Werke zu bemühen, die zum Glauben an Gott gekommen sind: Das ist gut und nützlich für die Menschen.

Die hier präsentierte Gliederung und Übersetzung enthält unvermeidlich bereits inhaltliche Entscheidungen, die in der folgenden exegetischen Untersu-

8.1 Erste Orientierung

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chung näher begründet werden. Offengelassen ist aber bewusst die Deutung von παλιγγενεσία. Indem das Wort in der deutschen Übersetzung hier nur transkribiert erscheint, soll die traditionelle Festschreibung als „Wiedergeburt“ aufgebrochen werden, auf die besonders die ältere Forschung zu „Wiedergeburt“ im Neuen Testament und die verbreiteten deutschen Bibelübersetzungen stark fixiert sind. Es gilt vielmehr erst zu klären, welche Möglichkeiten der Deutung sich aus der Erwähnung der παλιγγενεσία für den ursprünglichen Empfängerkreis überhaupt ergaben und welche Übersetzung das am besten deutlich machen kann. Dabei ist zu beachten, dass die Rede von der παλιγγενεσία in Tit 3,5 nicht das Zentrum der Aussage bildet. Tit 3,5 ist kein Text über die „Wiedergeburt“. Vielmehr ist die Rede von der παλιγγενεσία in Tit 3,5, die vielleicht auch als „Wiedergeburt“ übersetzbar ist, Teil einer metaphorisch mehrschichtigen Rede von Gott, der „uns“ gerettet hat διὰ λουτροῦ παλιγγενεσίας καὶ ἀνακαινώσεως πνεύματος ἁγίου, die sich auch in den nächsten zwei Versen noch fortsetzt. Welches Konzept παλιγγενεσία in diesem Zusammenhang metaphorisch aufruft (siehe zu dieser Frage schon oben 7.2.1) und wie überhaupt die metaphorische Interaktion in diesem Vers und dessen Kontext gelenkt wird, ist im Folgenden zu untersuchen. 8.1.2 Einordnung des exegetischen Vorgehens in die Forschungssituation Das exegetische Vorgehen ist den Leitsätzen gemäß (s. o. 1.6.5) in erster Linie am Text orientiert. Für Tit 3,5 ist das in zwei Richtungen besonders zu betonen: Zum einen gegenüber der bisherigen „Wiedergeburts“-Forschung, die vor allem die Frage nach der Verortung und begrifflichen Klärung von παλιγ­ γενεσία im religionsgeschichtlichen Umfeld verfolgt hat, und dabei stark zur Isolierung des Wortes vom Textzusammenhang neigt.3 Demgegenüber soll es im Folgenden darum gehen, mögliche Konzepte, die das Wort παλιγγενεσία aufrufen könnte, konstruktiv mit der im Text vorfindlichen syntaktischen und metaphorischen Vernetzung von παλιγγενεσία und den weiteren Themen des Textes in einen Dialog zu bringen. Die religionsgeschichtliche Frage ist damit keineswegs abgetan (s. u. 8.5.2–4); angesichts der Quellenlage, die es kaum erlaubt, sichere Bezüge herzustellen, ist aber auch hier stärker vom Text her zu denken und mit mehrschichtigen Antworten zu rechnen. Mögliche Prägungen von παλιγ­γενεσία aus der damaligen Umwelt konnten das Verständnis des Textes beeinflussen, wenn sie denn zur Enzyklopädie eines damaligen Hörers oder einer damaligen Leserin gehörten und wenn sie nicht mit anderen vom Text vorgegebenen Lenkungen des Verständnisses kollidierten.4 Für die Beurteilung 3 So besonders zu beobachten bei Büchsel, γίνομαι (s. o. 3.4.3), aber auch bei Dey, ΠΑ­ ΛΙΓ­ΓΕΝΕΣΙΑ (s. o. 3.6.4), und Gennrich, Lehre (s. o. 2.1). 4 Damit soll nicht bestritten werden, dass der Text mit einer Autorintention verfasst wurde, die auf eine ganz bestimmte Deutung zielte. Die vielschichtige Forschungsdiskussion um das Verständnis von Tit 3,5 zeigt aber, dass diese Intention sich nicht eindeutig ermitteln

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

der zuerst genannte Bedingung lassen sich aus der zeitlichen Distanz nur noch annäherungsweise Indizien sammeln, für die zweite aber steht der Text direkt zur Verfügung. Zum anderen ist die primäre Orientierung am Text gegenüber einer Auslegungstradition stark zu machen, die die Aussagen des Titusbriefes (ebenso wie jene des Ersten und Zweiten Timotheusbriefes) lange Zeit vor allem am Maßstab der paulinischen Theologie gemessen und bewertet hat.5 Die neuere Forschung zu den Pastoralbriefen hat sich inzwischen zu Recht vom paulinischen Auslegungsparadigma gelöst und fragt verstärkt nach den Intentionen der Pastoralbriefe bei der Paulusrezeption.6 Sie interpretiert die Briefe dabei „stärker von ihrem eigenen Profil und Anspruch her“,7 wie es auch hier im Folgenden geschehen soll. Die aktuelle Forschung ist außerdem geprägt von der kontroversen Diskussion um die Zusammengehörigkeit der Pastoralbriefe als Korpus, um die Reihenfolge der Abfassung, die Gattungsbestimmung und das Phänomen der Pseudepigraphie überhaupt.8 Für die Auslegung der Metaphorik in Tit 3,5 ist diese neuere Entwicklung insofern von Relevanz, als sich damit der Deutungsrahmen für die Theologie des Titusbriefes gewandelt hat. Nicht mehr Paulus, sondern vielmehr die Pastoralbriefe selbst stehen als eigene Entwürfe zuerst im Interesse der Untersuchungen. Dabei wird, wie angedeutet, die Zusammengehörigkeit der drei Pastoralbriefe unterschiedlich rekonstruiert und gewichtet. Es ist daher angezeigt, dass die Exegese beim Titusbrief selbst in dessen eigenem (textlichen und situativen) Referenzrahmen zu beginnen hat, bevor der Brief auch im Zusammenhang der größeren Korpora wahrgenommen werden sollte, denen er im Laufe der Wirkungsgeschichte außerdem zugeordnet wurde. Dieses Vorgehen ist insbesondere im Hinblick auf den Textabschnitt Tit 3,1–7 gut zu begründen, denn inhaltliche Entsprechungen zu den beiden anderen Pastoralbriefen sind gerade hier nicht so stark ausgeprägt, wie sie im Titusbrief ansonsten vor allem zum Ersten Timotheusbrief bestehen. Auch der Gebrauch paulinischer Schlüsselwörter (z. B. δικαιωσύνη in Tit 3,5 a; s. u. 8.2) weist hier deutliche Differenzen zu Paulus auf, die zuerst nach einer eigenständigen Betrachtung rufen und nicht nur nach einer Auf listung der Abweichungen von den Homologumena, die am Titusbrief letztlich vorbeiginge. lässt (einschließlich der Frage, auf welchem enzyklopädischen Hintergrund der Verfasser πα­λιγ­γενεσία verstanden haben wollte). Daher ist es vielversprechender, aus rezeptionsästhetischer Perspektive verschiedene Möglichkeiten der Deutung in Betracht zu ziehen (s. u. 8.5). 5 Das lässt sich bis in die 90er Jahre hinein beobachten: Merkel (Pastoralbriefe 104) resümiert die Auslegung von Tit 3,1–7 z. B. wie folgt: „So zeigt sich, daß die theologische Grundlage der Pastoralbriefe mit Paulus übereinstimmt […]. Gewisse Zuspitzungen […] fehlen jedoch.“ 6 Vgl. u. a. Wolter, Pastoralbriefe; Merz, Selbstauslegung. 7 Herzer, Abschied 1280. 8 Vgl. besonders den Forschungsbericht von Herzer in der ThLZ mit der programmatischen Überschrift „Abschied vom Konsens?“; vgl. außerdem Merz, Selbstauslegung; Glaser, Paulus; Engelmann, Drillinge, u. a.

8.2 Tit 3,1 f.8 als Rahmung von Tit 3,3–7

187

8.2 Tit 3,1 f.8 als Rahmung von Tit 3,3–7 und der je unterschiedliche Blick auf die „Werke“ Wie bereits beschrieben (s. o. 8.1.1), ist der Abschnitt Tit 3,3–7 eingerahmt von Aufforderungen des „Paulus“ an „Titus“ in Tit 3,1 f. und 3,8. „Titus“ wiederum soll die Gläubigen in den Gemeinden daran erinnern, sich staatlichen Gewalten unterzuordnen, gute Werke zu tun etc. Während es in Tit 3,1 f. eine klare Hierarchie der Kommunikationsebenen gibt und die Gemeindeglieder nur als Objekt (αὐτούς) der Ermahnung vorkommen, werden im „Wir“ ab Tit 3,3 alle zusammengeschlossen.9 Das im folgende Satz (3,3–7) beschriebene Heilshandeln Gottes betrifft alle – „Titus“, „Paulus“ und die durch „Titus“ zu ordnenden und zu ermahnenden Gemeinden. Das „Wir“ greift sogar über diese Gruppe hinaus, denn Tit 3,4 spricht ganz allgemein von der φιλανθρωπία Gottes, die sich offenbart. Wie in Tit 2,11 bereits ausdrücklich formuliert, wird so die gesamte Menschheit in den Rettungswillen Gottes einbezogen. Zugleich begründet die Menschenliebe Gottes, die die Adressierten in ihrem Leben erfahren haben, auch das von ihnen geforderte Tun in Tit 3,1 f.: Wie Gott sollen auch sie sich „allen Menschen gegenüber“ (πρὸς πάντας ἀνθρώπους, 3,2) 10 sanftmütig, friedfertig und nachsichtig verhalten.11 Der insgesamt sehr kompakt formulierte, bekenntnisartige Abschnitt Tit 3,3–7 weist auffällige strukturelle und inhaltliche Ähnlichkeiten zu Tit 2,11–14 auf.12 Strukturell ist Tit 2,11–14 ebenso wie Tit 3,3–7 von ermahnenden Passagen eingerahmt: Paränese und Lehre sind eng miteinander verbunden. Ebenso wie im Übergang von Tit 3,1 f. zu 3,3 gibt es auch zwischen Tit 2,10 und 2,11 f. einen Wechsel der via „Titus“ zuerst nur in der 3. Person Plural Adressierten zum alle inkludierenden „Wir“: Der Teilvers Tit 2,10 a gehört noch zur an die Sklaven gerichteten haustafelartigen Mahnung, die „Titus“ etablieren soll. Mit Tit 2,10 b beginnt durch den possessiven Genitiv ἡμῶν im abschließenden Finalsatz (ἵνα τὴν διδασκαλίαν τὴν τοῦ σωτῆρος ἡμῶν θεοῦ κοσμῶσιν ἐν πᾶσιν) aber bereits die Wendung zum „Wir“. Die folgende Aussage in Tit 2,11, die ausdrücklich ein „allen Menschen“ (πᾶσιν ἀνθρώποις) geltendes Geschehen beschreibt, mündet in Tit 2,12 f. dann in ein explizites „Wir“ und beschreibt, welche Konsequenzen die offenbarte Gnade Gottes (2,11) im Leben der Gläubigen hat (bzw. haben sollte). Ein Satz über das Heilshandeln Jesu Christi, das in seiner Selbsthingabe liegt, 9 Ebenso, aber mit besonderer Betonung darauf, dass damit nicht nur „Paulus“ und „Titus“ gemeint seien, sondern der fiktive Paulus „vielmehr von ‚uns‘ Christen“ spreche, drückt es Oberlinner (Titusbrief 166) aus; vgl. ähnlich auch Hasler, Titus 95, u. a. 10 Dass mit der Rede von „allen Menschen“ die Grenzen der eigenen Gemeinschaft deutlich überschritten wird, betont auch Bassler, Titus 209: „With this phrase, which repeats the universal emphasis of 2:11, the author certainly includes all non-Christians“; ähnlich auch Oberlinner (Titusbrief 179), dort aber mit Blick auf den gesamten Text Tit 3,1–7. 11 Vgl. z. B. auch Brox (Pastoralbriefe 304), der in der Auslegung von Tit 3,2 betont, „daß das Handeln und Verhalten des Christen Ähnlichkeit haben soll mit Gottes Handeln an den Menschen, damit dadurch dem Tun Gottes vom Menschen her entsprochen und zugleich Gottes Güte und Menschenfreundlichkeit greif bar bezeugt werde.“ 12 Diese Beobachtung machen verschiedene Kommentatoren, gehen aber unterschiedlich intensiv darauf ein.

188

8. Die Metaphorik in Tit 3,5

schließt sich an (2,14).13 In Tit 2,15 kehrt der Text (wie auch in Tit 3,8) zum Duktus der Aufforderung an „Titus“ zurück: Ταῦτα λάλει καὶ παρακάλει καὶ ἔλεγχε μετὰ πάσης ἐπιταγῆς. Auf die inhaltlichen Bezüge zwischen den beiden Abschnitten Tit 3,3–7 und 2,11–14 wird im Folgenden jeweils im entsprechenden thematischen Zusammenhang (s. u. 8.3.1 und 4) einzugehen sein.

Tit 3,3 bildet zusammen mit Tit 3,4–7 ein Einst-Jetzt-Schema,14 das die frühere vorchristliche Lebensweise (Ἦμεν γάρ ποτε […], 3,3) dem gegenwärtigen Leben der Gläubigen gegenüberstellt, welches durch das Eingreifen Gottes (ὅτε δέ […], 3,4) verändert worden ist. Die Verse Tit 3,4–7 beschreiben dieses Wirken Gottes zur Rettung der Gläubigen in einem einzigen umfangreichen Satz. Das finite Verb des alles regierenden Hauptsatzes ist ἔσωσεν in Tit 3,5 c. Gott allein ist das Subjekt – selbst das Wirken Jesu Christi in Tit 3,6 ist ein von Gott her vermitteltes, auch wenn beide gleichermaßen als σωτὴρ ἡμῶν bezeichnet werden.15 Tit 3,5 a schließt außerdem ausdrücklich aus, dass eigene Werke der Menschen bei der Rettung eine Relevanz haben. Dabei spricht der Titusbrief beinahe überall sonst sehr positiv von guten Werken 16 und fordert sie ein (vgl. direkt zuvor Tit 3,1!) oder kritisiert umgekehrt die Unfähigkeit zu guten Werken (1,16). Umso auffälliger ist die Formulierung in Tit 3,5 a im Kontext des Titusbriefes. Sie wird in der Kommentarliteratur vor allem deshalb breit diskutiert, weil hier nicht von „guten Werken“ die Rede ist, sondern von „Werken, die wir in Gerechtigkeit getan hatten“. Der Schlüsselbegriff δικαιοσύνη in Kombination mit einer Verneinung von Werken und einer Rettungsaussage ruft schnell die sogenannte paulinische Rechtfertigungslehre auf den Plan. Die Schwierigkeiten folgen auf den Fuß.17 Denn Tit 3,5 a spricht den „in Gerech13 Ausführlicher

s. u. 8.4. (Formen 157) führt Tit 3,3–7 nicht unter den Einst-Jetzt-Schemata an (sondern nur Röm 6,17 f.20–23; 7,5 f.; Gal 5,1 und Kol 3,7). Er bestimmt Tit 3,3–7 formal vielmehr als „Begründungsteil“ nach einem vorangehenden „Mahnungsteil“ (3,1 f.). Zur Charakterisierung von Tit 3,3–7 als Einst-Jetzt-Schema vgl. dagegen aber Tachau, Einst 12 u. ö.; Brox, Pastoralbriefe 305; Merkel, Pastoralbriefe 101; Luz, Rechtfertigung 370; Läger, Christologie 99; Zimmermann, Wiederentstehung 276; Vegge, Phrases 546; Wall, Titus 359, u. a. Andere Kommentare sprechen nicht direkt von einem Einst-Jetzt-Schema, beschreiben Tit 3,3–7 aber inhaltlich als ein solches. So hebt z. B. Oberlinner (Titusbrief 166) die „Art der vergleichenden bzw. kontrastierenden Gegenüberstellung von vorchristlicher und christlicher Lebensführung“ hervor und Johnson (Titus 245) vergleicht Tit 3,3–7 mit anderen „conversion formulas“. 15 Schon in Tit 1,3 f. werden Gott als auch Christus in unmittelbarer textlicher Nähe zueinander σωτήρ genannt (vgl. dazu Läger, Christologie 123–136); ähnlich dann auch in Tit 2,11.13. 16 Die Rede von καλὰ ἔργα (Tit 2,7.14; 3,8.14) und von πᾶν ἔργον ἀγαθόν (1,16; 3,1) wechselt sich ab. 17 Eine Liste der üblichen (und über den oben erwähnten Zusammenhang noch hinausgehenden) Differenzpunkte, die für Tit 3,4–5 häufig angebracht werden, wenn der Text aus paulinischer Perspektive betrachtet wird, findet sich bei Buchegger (Erneuerung 255 f.). Er weist dieses Vorgehen zwar zurück: „Nach welchem Maßstab wird ein Text bemessen? Was ist ‚typisch Paulus‘?“ (ebd. 277). Die angeführten Probleme löst er dann aber nicht durch 14 Berger

8.3 Tit 3,4–7

189

tigkeit getanen Werken“ zwar jegliche Heilsrelevanz ab, scheint solche Werke an sich aber nicht für prinzipiell ausgeschlossen zu halten. Um das Anliegen des Titusbriefes zu verstehen, ist eine Loslösung vom paulinischen Paradigma daher angezeigt. Denn die Aussage in Tit 3,5–7 unterscheidet sich noch in anderen Punkten signifikant von der paulinischen Rechtfertigungsauffassung: So gibt es zum Beispiel die für Paulus häufiger zu beobachtende Gegenüberstellung von Werken und Glauben im Titusbrief nicht; im Brief sind mit den „in Gerechtigkeit getanen Werken“ offenbar auch nicht die ἔργα νόμου gemeint, zu denen Paulus in kritischer Distanz steht, sondern menschliche Werke, die die Rettung zwar nicht bewirken können, aber an sich durchaus positiv konnotiert sind.18 Das passt zur Rede von den Werken im restlichen Brief.19

Es bleibt daher schlicht festzustellen, dass die Formulierung in Tit 3,5 a dem Gesamtduktus von Tit 3,4–7 zuzuordnen ist, der allein Gottes Handeln zentral stellt und in unmissverständlicher Weise menschliches Mitwirken bei der Rettung ausschließt. Über „Werke“ als solche ist damit nichts prinzipiell Negatives gesagt. Ganz im Gegenteil fordern die rahmenden Verse Tit 3,1 f. und 8 ausdrücklich, „zu jedem guten Werk bereit zu sein“ (πρὸς πᾶν ἔργον ἀγαθὸν ἑτοί­μους εἶναι, 3,1) und „sich um gute Werke zu bemühen“ (καλῶν ἔργων προ­ ΐστασθαι, 3,8).

8.3 Tit 3,4–7: Eine kompakte Aussage über die Rettung Um die kompakte Beschreibung von Gottes rettendem Handeln an „uns“ in Tit 3,4–7 besser zu verstehen, ist bei der verbalen Aussage des Hauptsatzes in Tit 3,5 c anzusetzen. Von dort aus lassen sich die syntaktische Stellung und inhaltliche Funktion der anderen Satzbestandteile einschließlich der hier besonders interessierenden Erwähnung von παλιγγενεσία Stück für Stück näher erschließen. 8.3.1 Tit 3,4–5 c und die Hauptaussage des Satzes: Gott allein rettet Die Hauptaussage, dass Gott „uns rettete“ (Tit 3,5 c), wird zuerst näher bestimmt durch einen vorangestellten Temporalsatz in Tit 3,4: ὅτε δὲ ἡ χρηστότης καὶ ἡ φιλανθρωπία ἐπεφάνη τοῦ σωτῆρος ἡμῶν θεοῦ […]. Im Gegenüber zur Vergangenheit der Angesprochenen (3,3: ποτέ), markiert der mit ὅτε beginnende Teilsatz den entscheidenden Umschwung.20 Da der Text auf die Erscheinung der Güte und Menschenliebe Gottes als ein Ereignis in der Zeit zurückblickt einen von Paulus unabhängigeren Blick auf den Titusbrief, sondern vielmehr durch die Annahme paulinischer Verfasserschaft (ebd. 279). 18 So z. B. auch Hasler, Titus 96; Oberlinner, Titusbrief 171, oder Fee, Titus 203 f. 19 Insgesamt wird in der Forschung zu Tit 3,4–7 aber nicht nur auf die Differenz zur paulinischen Terminologie, sondern auch auf die Unterschiede zum sonstigen Vokabular der Pastoralbriefe hingewiesen (so z. B. Merkel, Pastoralbriefe 101). 20 Zum Einst-Jetzt-Schema s. o. Anm. 14.

190

8. Die Metaphorik in Tit 3,5

(ἐπεφάνη im Aorist), liegt es nahe, darin konkret eine Referenz auf Jesu Leben, Sterben und Auferstehen zu sehen.21 Bereits in Tit 2,11–14 (zu den strukturellen Ähnlichkeiten zwischen beiden Abschnitten s. o. 8.2), ist zweifach vom „Erscheinen“ die Rede. Mit der gleichen Verbform wie in Tit 3,4 setzt Tit 2,11 ein: Ἐπεφάνη γὰρ ἡ χάρις τοῦ θεοῦ σωτήριος πᾶσιν ἀνθρώποις. Hier ist es nicht „Güte und Menschenliebe“, sondern die „allen Menschen heilbringende Gnade Gottes“, die erschienen ist. Auch dieser Ausdruck verweist aber auf „das geschichtlich faßbare Eingreifen Gottes im Weg und Werk Jesu Christi“.22 Tit 2,13 referiert mit ἐπιφάνεια dagegen auf die zukünftige, endzeitliche ἐπιφάνεια τῆς δόξης τοῦ μεγάλου θεοῦ καὶ σωτῆρος ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ.23 Jouette Bassler nennt sie „a second epiphany or ,manifestation‘ (see also 1 Tim 6:14; 2 Tim 4:8)“.24

Zugleich wird im Gesamtzusammenhang des Textes aber deutlich, dass es in Tit 3,4 nicht nur um den Verweis auf ein zurückliegendes, im Leben und Sterben Jesu historisch greif bares Geschehen geht, sondern dass dieses Geschehen als Erscheinen der Güte und Menschenliebe Gottes gewichtige Auswirkungen auf die Gegenwart der Angesprochenen hat. „Man kann sagen: Die Möglichkeit, von der Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes als dem entscheidenden Heilsereignis zu sprechen, ergibt sich aus der Erfahrung und der Glaubensgewißheit der Menschen hier und heute.“ 25 21 So z. B. Mounce, Pastoral Epistles 438; Brox, Pastoralbriefe 306; Merkel, Pastoralbriefe 102; Fee, Titus 203; Quinn (Titus 212) legt Gewicht vor allem auf die Inkarnation. 22 Merkel, Pastoralbriefe 98. 23 Wie es ähnlich dann auch in Tit 3,5 d der Fall ist (s. u. 8.3.2), offerieren die aneinandergereihten Genitive hier verschiedene Deutungsmöglichkeiten, die wiederum von weitreichender Bedeutung für die Christologie des Titusbriefes sind. Denn je nach grammatischer Entscheidung wird Jesus Christus hier als Gott bezeichnet oder es ist von Gott und Christus die Rede. Im Rahmen der vorliegenden Fragestellung muss diese Problematik hier nicht vertieft werden, vgl. dazu aber z. B. ausführlich den Exkurs „Christology and the concept of ,epiphany‘“ bei Marshall, Pastoral Epistles 287–295, und auch Oberlinner, Titusbrief 136 f., oder Läger, Christologie 94–96. 24 Bassler, Titus 199. 25 Oberlinner, Titusbrief 170; vgl. ähnlich auch Fiore, Pastoral Epistles 219; Marshall, Pastoral Epistles 312; Wieland, Significance 219 f. Hasler (Titus 96) legt das Gewicht sogar vollständig auf „die den Hörer erreichende und ihn zum Glauben führende Botschaft“, und „nicht [auf ] das heilsgeschichtliche Faktum der Sendung Christi“. Anders dagegen betont Mounce (Pastoral Epistles 438) gegen den Mainstream der Forschung im Blick auf Tit 3,4: „,when the goodness and philanthropy of God … appeared‘ (v 4) does not refer to the time when a person believes.“ Die Sprache sei für eine solche Aussage nicht geeignet und auch die „corporate nature“ des bekenntnisartigen Textes (ebd. u. ö.) deute vielmehr nur auf „the possibility of salvation accomplished by Christ’s coming, his death, and resurrection.“ Ob das in der Rezeption des Textes aber tatsächlich so klar voneinander getrennt werden konnte und kann, ist meines Erachtens zweifelhaft. Für Mounce spielt dieses Argument jedoch deshalb eine so große Rolle, weil diese weniger individuelle Lesart des Textes zu jenen Punkten gehört, mit denen er seine Ablehnung der Taufdeutung des Textes (und insbesondere von λουτρόν in Tit 3,5) stützt (vgl. ebd. 439 f.; mehr s. u. 8.3.3).

8.3 Tit 3,4–7

191

Mit der Bezeichnung Gottes als σωτὴρ ἡμῶν ist in Tit 3,4 die verbale Rettungsaussage in Tit 3,5 c bereits vorbereitet. Tit 3,5 b nennt als Begründung für diese Rettung Gottes „Erbarmen“ (κατὰ τὸ αὐτοῦ ἔλεος) und schließt zuvor (3,5 a) jegliche menschliche Mitwirkung aus (s. o. 8.2).26 An die Rettungsaussage in Tit 3,5 c unmittelbar mit einer präpositionalen Wendung anschließend, erklärt Tit 3,5 d, wodurch die Rettung, die in Gottes Erbarmen gründet, erfolgte, nämlich διὰ λουτροῦ παλιγγενεσίας καὶ ἀνακαινώσεως πνεύματος ἁγίου (s. u. 8.3.2). 8.3.2 Tit 3,5 d und die vielfältigen grammatischen Auslegungsoptionen Der Teilvers Tit 3,5 d bietet diverse Möglichkeiten, die vier auf διά folgenden Genitive einander syntaktisch zuzuordnen und inhaltlich näher zu bestimmen.27 Παλιγγενεσίας ist einer dieser Genitive. Eine Klärung der grammatischen Optionen liegt daher im unmittelbaren Interesse der Frage nach der Bedeutung von παλιγγενεσία in Tit 3,5. Eingeleitet wird die Genitivkette von διά. Es liegt nahe, das erste der folgenden Nomina im Genitiv als Angabe des Mittels zu verstehen, mit dem Gott „uns“ gerettet hat, nämlich „durch das Bad“.28 Es bleibt aber zu erwägen, ob διά – ohne eigens wiederholt zu werden – noch einen weiteren der drei folgenden Genitive regiert (s. u. Variante c), oder ob diese alle als adnominale Genitive anzusehen sind und wenn ja, in Beziehung worauf und in welcher Aussagefunktion.29 Die Konjunktion καί vor ἀνακαινώσεως kann außerdem sowohl kopulativ als auch epexegetisch verstanden werden. Aus den angedeuteten Einzeloptionen ergeben sich je nach Zusammenstellung verschiedene Möglichkeiten, Tit 3,5 d syntaktisch zu deuten, die im Folgenden von (a) bis (d) zusammengefasst sind: 26 Möglich wäre es auch, die Teilverse Tit 3,5 a und 3,5 b noch auf Tit 3,4 zu beziehen und erst mit Tit 3,5 c den neuen Satz beginnen zu lassen. Dann wäre die „Selbstoffenbarung Gottes als Retter“ (3,4) als „Ausdruck seines Erbarmens“ (3,5 b) hervorgehoben, wie Oberlinner (Titusbrief 170) meint; vgl. auch Hasler, Titus 94. Ebenso wäre dann die Negativaussage in Tit 3,5 a auf die Offenbarung zu beziehen. Die Zusammenfassung Oberlinners zu dieser Lesart zeigt aber, dass die Unterschiede gegenüber einem Bezug von Tit 3,5 a.b auf die Rettungsaussage in Tit 3,5 c nicht sehr groß sind: „Daß die Initiative Gottes und sein Handeln ganz und gar unverdient und letztlich auch unverdienbar sind, das wird noch unterstrichen durch die [Tit 3,5 b] voranstehende Verneinung: ‚nicht aus Werken, nämlich solchen in Gerechtigkeit, die wir getan haben‘“ (Titusbrief 170 f.). 27 Ἁγίου als genau genommen fünfter Genitiv in der Reihe wird dabei als Attribut zu πνεύ­ματος verstanden. Diese Zuordnung ist nicht fraglich. 28 Zum Bedeutungsspektrum von λουτρόν und zur Frage der Referenz s. u. 8.3.3. 29 Theoretisch möglich wäre auch, dass λουτρόν sich adnominal auf παλιγγενεσία bezieht und διά den Genitiv παλιγγενεσίας regiert. Allerdings ergibt sich eine solche Lektüre kaum bei der ersten, der Reihenfolge der Wörter folgenden Lektüre und schon gar nicht beim Hören. Es müssten also gewichtige Argumente für ein solches Verständnis angeführt werden können, die es meines Erachtens nicht gibt; vgl. aber Quinn (Titus 218), der ein solches syntaktisches Verständnis zugrunde legt, ohne es selbst bewusst wahrzunehmen (s. u. Anm. 53).

192

8. Die Metaphorik in Tit 3,5

(a) Repräsentiert von Lutherbibel und Einheitsübersetzung, aber auch von vielen Kommentaren, ist im deutschen Sprachraum ein Verständnis dominierend, das παλιγγενεσίας καὶ ἀνακαινώσεως gleichermaßen als adnominale Genitive auf διὰ λουτροῦ bezieht und den Text als „[…] rettete er uns durch das Bad der Wiedergeburt und (der) Erneuerung im Heiligen Geist“ wiedergibt.30 Der Text wird also folgendermaßen strukturiert: διὰ λουτροῦ ← παλιγγενεσίας_καὶ_ἀνακαινώσεως ← πνεύματος ἁγίου Unentschieden (und in den Kommentaren zur Stelle auch nur teilweise geklärt) bleibt dabei jedoch, worauf genau sich der die Reihe beschließende Genitiv πνεύματος ἁγίου bezieht.31 Theoretisch gibt es drei Möglichkeiten: πνεύματος ἁγίου kann entweder nur auf den direkt vorausgehenden Genitiv ἀνακαινώσεως bezogen werden (a 1) 32 oder auf die beiden vorausgehenden und durch καί verbundenen Genitive (a 2) 33 oder auf den gesamten vorausgehenden Ausdruck (a 3):

(a 3)

(a 2)

(a 1)

διὰ λουτροῦ ← παλιγγενεσίας_καὶ_ἀνακαινώσεως ← πνεύματος ἁγίου Dabei ist πνεύματος ἁγίου jeweils am besten als Genitiv zu verstehen, der den Urheber angibt.34 Die Varianten (a 1) und (a 2) sind im Deutschen ohne zusätzliche Erläuterungen im Wortlaut der Übersetzung nicht zu unterscheiden und erscheinen gleichermaßen denkbar:

30 Vgl. ähnlich auch die Revidierte Elberfelder Bibel: „[…] durch die Waschung der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes“. Der Kommentar von Oberlinner ist einer der wenigen unter den deutschsprachigen, in dem sich eine ausdrückliche Bemerkung zu dieser Entscheidung findet: „Die beiden Genitive παλιγγενεσίας und ἀνακαινώσεως sind Explizierungen von λουτροῦ“ (Titusbrief 160 Anm. 3). Auch die gängigen englischen Bibelübersetzungen und Kommentare folgen im Wesentlichen diesem Textverständnis; in den Kommentaren wird allerdings häufiger die Grammatik des Verses diskutiert (vgl. Fee, Titus; Quinn, Titus; Marshall, Pastoral Epistles; Mounce, Pastoral Epistles; außerhalb der Kommentare z. B. Wieland, Significance 224 f.). 31 Das gilt für die gerade zitierte Übersetzung „im heiligen Geist“ ebenso wie für die Varianten „[…] des heiligen Geistes“ (vgl. z. B. Brox, Pastoralbriefe 303; Hasler, Titus 95; Merkel, Pastoralbriefe 100) und „[…] durch den heiligen Geist“ (vgl. z. B. Holtz, Pastoralbriefe 231; Hervorhebungen jeweils hinzugefügt). 32 Diese Sichtweise scheint den deutschsprachigen Kommentaren zugrunde zu liegen, obwohl die Frage dort selten eigens thematisiert wird: vgl. Holtz, Pastoralbriefe 233 f.; Mer­kel, Pastoralbriefe 103; Oberlinner, Titusbrief 173.175; vgl. auch Buchegger, Erneuerung 253; zu Hasler (Titus 96) s. u. Anm. 38. Dibelius (Pastoralbriefe 95) klärt dagegen ausdrücklich: „Der Genitiv πνεύματος […] gehört übrigens – da παλιγγενεσία im Gegensatz zu ἀνακαίνωσις einer Erläuterung nicht bedarf – wohl nur zu dem letzteren Substantiv.“ 33 Vgl. Zimmermann, Wiederentstehung 275. 34 Vgl. BDR § 163 . Die Schwierigkeit, diesen Genitiv genau zu bestimmen, sind in der 1 Forschung allerdings überdeutlich: Dibelius (Pastoralbriefe 95) nennt ihn „nicht […] Gen. obj., sondern causativus“; noch anders, aber inhaltlich ebenfalls vergleichbar meint Holtz, Pastoralbriefe 234: „der Genitiv wird genitivus auctoris sein, weswegen διά im Apparat überflüssig ist“; vgl. auch Marshall, Pastoral Epistles 321: „The genitive is one of author or cause“. (Die genannte Variante in der Textüberlieferung ist auch textkritisch nicht als ursprünglich einzuschätzen.) Quinn (Titus 218) zieht für das Verständnis von πνεύματος ἁγίου

8.3 Tit 3,4–7

193

„[…] durch das Bad der παλιγγενεσία und Erneuerung, die der heilige Geist bewirkt.“ In Variante (a 3) („[…] durch das Bad der παλιγγενεσία und Erneuerung, das der heilige Geist bewirkt“) wird λουτρόν dagegen von vornherein auf ein übertragen zu verstehendes spirituelles „Bad“ festgelegt. Inhaltlich, aber auch syntaktisch ist das wenig wahrscheinlich.35 (b) Eine zweite Möglichkeit der Zuordnung der Genitive in Tit 3,5 d fasst καί als epexegetisches καί auf,36 das den Genitiv παλιγγενεσίας näher erklärt:37 (b 1) διὰ λουτροῦ ← παλιγγενεσίας = καὶ ἀνακαινώσεως ← πνεύματος ἁγίου Zu übersetzen wäre also: „[…] rettete er uns durch das Bad der παλιγγενεσία, nämlich der Erneuerung(,) durch den heiligen Geist“.38 Das in Klammern gesetzt Komma deutet an, dass sich πνεύματος ἁγίου entweder nur auf die „Erneuerung“ (so die graphische Darstellung oben) oder aber – wie bereits für Variante (a) ausführlich beschrieben – auf παλιγγενεσίας καὶ ἀνακαινώσεως (b 2) oder aber auf das ganze Geschehen (b 3) beziehen kann:

insgesamt drei verschiedene Genitive in Betracht, von denen er die ersten beiden (Genitiv des Zweckes und der Richtung: BDR § 166, und genitivus appositivus: BDR § 167) zu Recht wieder ausschließt. Die Wahl fällt für Quinn dann auf den Genitiv der Herkunft (BDR § 162): „the text understands the Spirit to be in some sense the origin and possessor of ,regeneration and renewal‘“ (Titus 219). Was Quinn inhaltlich damit meint, kommt jedoch eher dem Genitiv zur Bezeichnung des Urhebers gleich (s. o.) und entspricht damit dem hier vertretenen Verständnis. Man könnte πνεύματος ἁγίου aber auch als genitivus subjectivus bezeichnen (BDR § 163); das inhaltliche Ergebnis ist ähnlich, vgl. Fiore, Pastoral Epistles 220: „A subjective genitive indicates that the Holy Spirit effects both the renewal and the rebirth.“ 35 Marshall (Pastoral Epistles 317) führt ebenfalls alle drei hier genannten Versionen an (gefolgt von einer vierten, die hier der unten noch näher erläuterten Variante [c] entspricht); allerdings decken sich seine grammatischen Entscheidungen nur bedingt mit seiner inhaltlichen Paraphrase des Texte: Zuerst schließt Marshall Variante (a 3) aus sprachlichen-syntaktischen Gründen aus („not an obvious rendering of the Greek“). Auch Variante (a 2) eliminiert er als „awkward“ – warum, bleibt offen. Trotz Bevorzugung von Variante (a 1) resümiert Marshall insgesamt aber: „We can assume without further ado that the author would have agreed that the Holy Spirit was associated with the whole process“ (ebd.; Hervorhebung hinzugefügt) und erklärt etwas später nochmals: „In any case, whether we link πνεύματος ἁγίου directly with λουτροῦ or, more probably, indirectly through ἀνακαινώσεως, the washing is the work of the Spirit“ (ebd. 318). Das führt zur oben beschriebenen Deutung des „Bades“ als spirituell: „The process is then equivalent to baptism in the Spirit“ (ebd.). Damit bevorzugt er inhaltlich aber doch Variante (a 3). 36 Vgl. BDR § 442,6. 37 Vgl. z. B. Wall, Titus 363: „,rebirth and renewal‘ are the same“; weniger emphatisch Mounce, Pastoral Epistles 449: „It is possible that the καί, ,and,‘ is epexegetical so that the ἀνα­καινώσεως, ,renewal,‘ is a commentary on παλιγγενεσίας, ,regeneration‘; it is preferable, however, to view καί as copulative, linking two aspects of the one event of conversion“. Quinn (Titus 219) dagegen hält die epexegetische Variante für „rhetorically forced and inappropriate“ (ebd. 220). 38 Fee (Titus 205) übersetzt: „,the washing of regeneration, that is, the renewal of the Holy Spirit‘“ (und gibt dieses Verständnis im Übrigen als eine Untervariante an zu dem, was oben als Möglichkeit [a] beschrieben wurde). Hasler (Titus 96) spricht von einer „interpretierende[n] Ergänzung der Wiedergeburt als Erneuerung durch den Heiligen Geist“ und deutet καί damit epexegetisch, wenngleich er das in seiner Übersetzung nicht deutlich macht.

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

(b 2 / 3) διὰ λουτροῦ ← παλιγγενεσίας = καὶ ἀνακαινώσεως ← πνεύματος ἁγίου (c) Eine dritte Variante des Textverständnisses geht davon aus, dass διά nicht nur λουτροῦ, sondern auch ἀνακαινώσεως regiert: Λουτρόν und ἀνακαίνωσις lägen somit auf der gleichen Ebene „with both words dependent on through and referring to two distinct realities“,39 was sich graphisch so darstellen lässt: διὰ λουτροῦ ← παλιγγενεσίας  καὶ  [διὰ] ἀνακαινώσεως ← πνεύματος ἁγίου Zu übersetzen wäre also: „[…] rettete er uns durch das Bad der παλιγγενεσία 40 und [durch] die Erneuerung des heiligen Geistes.“ Durch die gedachte Wiederholung der Präposition erscheint die Konstruktion zuerst parallel, ist es letztlich jedoch nicht, denn die Funktionen der jeweils an zweiter Stelle stehenden Genitive sind unterschiedlich zu bestimmen:41 Πνεύματος ἁγίου ist am besten als Genitiv zur Angabe des Urhebers zu verstehen („[…] durch die Erneuerung, die der heilige Geist bewirkt“),42 παλιγγενεσίας ist dagegen entweder ein „Gen. des Zweckes (oder der Wirkung)“ 43 („[…] durch das Bad, das zur παλιγγενεσία führt“) oder eventuell auch ein genitivus qualitatis 44 („[…] durch das Bad, das von einer παλιγγενεσία gekennzeichnet ist“).45 (Da die syntaktische Zuordnung διὰ λουτροῦ ← παλιγγενεσίας allen hier dargestellten Varianten [a] – [c] einschließlich der noch folgenden Variante [d] gemeinsam ist, wird auf diese Bestimmung des Genitivs abschließend am Ende dieses Unterkapitels noch einmal näher eingegangen.) (d) Eine weitere Variante sieht im Text eine chiastische Struktur gegeben.46 Die jeweils außenstehenden Glieder tragen den Hauptakzent und werden jeweils durch einen weiteren Genitiv näher bestimmt. διὰ λουτροῦ ← παλιγγενεσίας  καὶ  ἀνακαινώσεως → πνεύματος ἁγίου Zu übersetzen wäre also: „[…] rettete er uns durch das Bad der παλιγγενεσία und den heiligen Geist der Erneuerung“ oder, wie Procksch die chiastische Konstruktion eleganter aber auch schwerer verständlich übersetzt: „Er hat uns gerettet durch ein Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung heiligen Geist.“ 47 Der inhaltliche Unterschied zu Variante (c) ist marginal. 39 So beschreibt Fee (Titus 204) diese Variante des Textverständnisses, die er selbst aber nicht präferiert; ein Vertreter dieses Textverständnisses ist dagegen Mounce (Pastoral Epistles 442 f.), der die syntaktische Trennung in zwei Akte inhaltlich allerdings nicht ausgesprochen stark macht: „regeneration and renewal describe the same event (conversion) from two different points of view“. 40 Fee (Titus 204) gibt diese erste Genitivkonstruktion wieder als: „through the ,washing‘ found in rebirth“, wobei er offenbar bereits ein übertragenes Verständnis von λουτρόν als spirituelle Waschung voraussetzt. Jedenfalls wäre sonst die Formulierung inhaltlich kaum nachvollziehbar. 41 Vgl. auch Marshall, Pastoral Epistles 317: „The difficulties […] are the lack of a second διά and the fact that the two dependent genitives (παλιγγενεσίας, πνεύματος ἁγίου) have different functions.“ 42 S. o. zu Variante (a): BDR § 163 . 1 43 BDR § 166,1; Anm. 1 führt Tit 3,5 als Beispiel für diesen Genitiv des Zwecks an. 44 BDR § 165. 45 BDR § 165 führt in Anm. 2 als Beispiel u. a. Mk 1,4 an: βάπτισμα μετανοίας. 46 So z. B. Buchegger, Erneuerung 268 f.

8.3 Tit 3,4–7

195

Fasst man die verschiedenen Möglichkeiten der syntaktischen Sortierung von Tit 3,5 d etwas kompakter zusammen, dann stehen auf der einen Seite die Varianten (a) und (b), die διὰ λουτροῦ für dominierend halten und die übrigen Genitive diesem „Bad“ zuordnen. Die Varianten (c) und (d) sehen in der Genitivkette dagegen kein Gesamtgeschehen, sondern heben auf je eigene Weise das „Bad der παλιγγενεσία“ von einem weiteren „Akt“ im Rettungshandeln Gottes ab, der in einer Erneuerung durch den heiligen Geist besteht.48 Aus grammatischer Sicht sind alle diese Varianten möglich. Sollte es aber tatsächlich um zwei göttliche Rettungsakte gehen, wie es die Varianten (c) und (d) annehmen, wäre vom Text zu erwarten, dass er diese Sinnrichtung deutlicher markiert (zum Beispiel durch ein erneutes διά vor ἀνακαινώσεως).49 Für die Varianten (a) und (b) lässt sich außerdem als weiteres positives Argument ins Spiel bringen, dass sie bei der Sinnkonstruktion dem Text der Reihenfolge seiner Glieder entlang folgen und so sukzessive den Inhalt erschließen, wie es auf jeden Fall beim Hören des Textes (aber sicher auch wenigstens beim ersten Lesen) geschehen würde. Da grammatisch nichts gegen diese sukzessive Aneinanderreihung der Genitive spricht, müsste die Suche nach einem anderen Verständnis (und somit eine Relecture des Teilverses und eine entsprechende Umstrukturierung) vom weiteren Textverlauf inhaltlich motiviert werden. Dafür finden sich aber keine Hinweise (vgl. dazu auch die folgenden Abschnitte 8.3.3–4). Bezieht man die oben erfolgten Klärungen zur Art der adnominalen Genitive mit ein,50 ergibt sich somit als leicht paraphrasierende Übersetzung des Teilverses Tit 3,5 cd: „[…] rettete er uns durch das Bad, das zu einer παλιγγενεσία und Erneuerung führt, die der Geist bewirkt.“ 51 Die Kursivierungen zeigen die nach wie vor mehrdeutigen Stellen an: Ob παλιγγενεσία durch ἀνακαίνωσις näher erklärt wird (καί also epexegetisch zu deuten ist) oder ob beide Nomina gleichberechtigt nebeneinanderstehen und ob der Geist nur die „Erneuerung“ oder παλιγγενεσία und Erneuerung bewirkt, ist durch die grammatische Analyse des Teilverses nicht eindeutig zu klären (mehr dazu s. u. 8.6). 47 Procksch,

Wiederkehr 17. (Titus 219), der dieses Textverständnis selbst nicht vertritt, aber anführt, vermutet: „The reference on this reading might be to the sealing with the Spirit (Confirmation in a much later terminology) that followed the baptismal washing.“ Schwierig an einer solchen Sicht der Dinge ist, dass nichts im Titusbrief auf eine solche Versiegelung mit dem Geist hinweist (vgl. dagegen Eph 1,13; 4,30; ähnlich auch 2 Kor 1,22). 49 Kritisch gegenüber diesem Textverständnis äußern sich auch Marshall (s. o. Anm. 41) und Quinn (Titus 219 f.). 50 Vgl. zur Bestimmung von πνεύματος ἁγίου als genitivus objectivus zur Angabe des Urhebers (BDR § 1631) oben die Darstellung im Zusammenhang mit Variante (a 1) – (a 3); zur Deutung des auf λουτρόν bezogenen Genitivs παλιγγενεσίας als Genitiv des Zwecks (BDR § 166,1) oben Variante (c). 51 Vgl. ähnlich auch die Formulierung von Fiore, Pastoral Epistles 220: „The washing is the means of God’s saving action, and it brings rebirth and renewal, of which the Holy Spirit is the agent.“ Fiore begründet diese Textauffassung allerdings kaum durch syntaktische oder grammatische Erläuterungen. 48 Quinn

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

Abschließend ist ein Blick auf das παλιγγενεσία direkt betreffende Syntagma διὰ λουτροῦ παλιγγενεσίας zu werfen. Es bleibt als syntaktische Einheit in allen oben diskutierten Varianten erhalten. Erstaunlich wenige Kommentare und Untersuchungen zu Tit 3,5 legen aber dar, wie sie den adnominalen Genitiv παλιγγενεσίας verstehen. Eine Übersetzung mit „durch das Bad der Wiedergeburt“ oder „by the washing of regeneration“ umgeht die Entscheidung einfach und lässt damit inhaltliche Fragen offen. Oben wurde (im Zusammenhang mit Variante [c]) ein Verständnis als Genitiv des Zwecks vorgeschlagen,52 welches auch der eben gegebenen paraphrasierenden Übersetzung des Teilverses zugrunde liegt. Auch Ian Marshall führt diese Variante an als „(i) a washing that conveys new birth, in the sense of new life and moral renewal“. Er hält sie inhaltlich aber für nicht so wahrscheinlich: „it is hard to see how washing can convey new birth“.53 In Frage steht damit allerdings nicht nur die Plausibilität der Genitivdeutung, sondern der Sinn der metaphorischen Aussage über das „Bad der παλιγγενεσία und Erneuerung“ überhaupt, mit dessen Hilfe Gott „uns“ rettet. Ob die Paraphrase „(ii) a washing characterized by new life and renewal“,54 die Marshall favorisiert und die der oben ebenfalls erwähnten Deutung als genitivus qualitatis entspricht,55 diese Aussage nachvollziehbarer umschreibt, ist aber debattierbar. Hinzu kommt, dass Marshall neben der anderen Wiedergabe des Genitivs auch weitere Wörter im Kontext verändert. So hat er zwar Recht, wenn er danach fragt, wie eine Waschung eine neue Geburt vermitteln kann (s. o. Variante [i]), denn das ist tatsächlich auch in einem metaphorischen Sinne nicht sofort einsichtig. In Variante (ii) redet Marshall statt von neuer Geburt dagegen von neuem Leben. Setzt man das in Variante (i) ein, ist die semantische Spannung schon deutlich leichter aufzulösen. Variante (ii) ist für Marshall vermutlich aber auch deshalb zu präferieren, weil dann deutlicher ist, dass der Geist das ganze „Bad“ mit all seinen Erneue52 S. o. Anm. 43. Hilfreich zur Verdeutlichung dieses Genitivs ist auch das in BDR § 166,1 neben Tit 3,5 angeführte Beispiel aus Joh 5,29: εἰς ἀνάστασιν ζωῆς / κ ​ ρίσεως = zur Auferstehung zum Leben / ​zum Gericht. 53 Marshall, Pastoral Epistles 318. Quinn (Titus 218 f.) dagegen spricht sich für diese Verstehensvariante aus („through a washing that effects regeneration and renewal“) bestimmt diese grammatisch allerdings als genitivus objectivus (BDR § 163; s. o. Variante [a 1] – [a 3] zu πνεύματος ἁγίους). Das heißt aber – ohne dass Quinn das zu bemerken scheint –, dass λουτροῦ dieser genitivus objectivus sein muss und sich als solcher auf παλιγγενεσίας (καὶ ἀνακαινώσεως) bezieht. Διά würde demnach nicht λουτροῦ regieren, sondern erst den folgenden Genitiv. Angesicht dieser komplexen Strukturannahmen scheint ein inhaltlich ähnlich zu verstehender Genitiv des Zwecks (den Quinn auch anführt, aber zugunsten der anderen Variante abwählt) die einfachere Annahme. 54 Marshall, Pastoral Epistles 318. 55 S. o. Anm. 44 und 45. Marshall selbst benennt die jeweils angenommenen Arten von adnominalen Genitiven nicht eigens mit grammatischen Begriffen, sondern bleibt bei den inhaltlichen Umschreibungen.

8.3 Tit 3,4–7

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rungseffekten wirkt.56 Vermittelt dagegen bereits das „Bad“ die παλιγγενεσία und Erneuerung, wie Variante (i) es formuliert, gibt es eine gewisse Doppelung zum Wirken des Geistes am Ende der Genitivkette. Das muss aber nicht unbedingt ein Problem darstellen. Denn wenn man λουτρόν als Referenz auf die Taufe versteht – was auch Marshall nicht ausschließt, aber zugunsten einer spirituellen Deutung in den Hintergrund rückt (mehr dazu s. u. 8.3.3) –, wird auf diese Weise durchaus passend die untrennbare Kombination von wirkmächtigem Ritus und Geistwirkung ausgedrückt. Beide zusammen bewirken die παλιγγενεσία und die Erneuerung. Die metaphorische Aussage des Satzes ist damit aber noch nicht erschöpfend beschrieben. Als nächstes ist dafür nach der Referenz von λουτρόν im gegebenen Kontext (d. h. einschließlich des folgenden Verses Tit 3,6) zu fragen. 8.3.3 Tit 3,5 d–6 und die Frage, ob λουτρόν auf die Taufe referiert Das griechische Wort λουτρόν bezeichnet ein Bad oder eine Waschung 57 und steht (wie auch das verwandte Verb λούειν) für die „Gesamtreinigung des Körpers“ 58 im Gegensatz zu „νίζω being used of the hands and feet, πλύνω of clothes“.59 In Tit 3,5 d ist die Rede vom „Bad“ bzw. von der „Waschung“ jedoch vor allem metaphorisch zu verstehen, denn mit λουτρόν geht es nicht um den Akt des Waschens. Vielmehr hat Gott durch diese Waschung die vom Text Angesprochenen gerettet. Auch die nachfolgenden Genitive, die λουτρόν näher bestimmen (s. o. 8.3.2), machen deutlich, dass es hier um mehr geht als um körperliche Reinigung. Ob der Text mit λουτρόν dabei auf die Taufe referiert 60 oder aber ohne direkten Bezug auf eine bestimmte rituelle Waschung ganz auf der übertragenen Ebene bleibt,61 ist in der Forschung umstritten, wenn auch die deutliche Mehrheit für einen Tauf bezug votiert. Allein aus dem Wort λουτρόν geht ein Tauf bezug nicht eindeutig hervor.62 Neutestamentlich begegnet λουτρόν nur noch ein einziges weiteres Mal in Eph 56 Vgl. Marshall, Pastoral Epistles 318: „the washing is the work of the Spirit“; s. o. Anm. 35. 57 Auch die Badestelle oder das zur Waschung benutzte Wasser kann durch λουτρόν bezeichnet werden (vgl. LSJ s. v.), kommt im vorliegenden Zusammenhang aber nicht in Frage. 58 Oepke, λούω 298. 59 LSJ s. v. λούω. 60 So z. B. Merkel, Pastoralbriefe 102; Brox, Pastoralbriefe 305.307; Oberlinner, Titusbrief 172–175; Hasler, Titus 96; Quinn, Titus 217; Bassler, Titus 208; Fiore, Pastoral Epistles 219; Holtz, Pastoralbriefe 233 f.; Dibelius, Pastoralbriefe 94; Vegge, Phrases 545; zurückhaltender Marshall, Pastoral Epistles 318; Towner, Titus 782; Fee, Titus 205; Wieland, Significance 229. 61 Ausdrücklich gegen einen Tauf bezug stellen sich vor allem Mounce, Pastoral Epistles 439 u. ö.; Buchegger, Erneuerung 262 f. u. ö. Wall (Titus 363) nimmt eine Zwischenposition ein, indem er eine Taufdeutung des Textes einschätzt als „appropriate, even if unintended by the letter’s author.“ 62 Gegen Balz, λουτρόν 891, für den λουτρόν im „NT stets auf die Taufe bezogen“ ist;

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

5,26. Auf diesen Text verweist die Forschung häufig, um die Taufdeutung in Tit 3,5 zu stützen.63 Allerdings referiert auch Eph 5,26 nicht eindeutig auf die Taufe 64 und die Texte interpretieren sich nicht ohne Weiteres gegenseitig. Mehr über einen möglichen Tauf bezug von Tit 3,5 kann 1 Kor 6,9.11 aussagen, vor allem dann, wenn man über Tit 3,5 und die Erwähnung von λουτρόν hinaus auf Tit 3,6–7 blickt. Denn in 1 Kor 6,9.11 findet sich „eine vergleichbare Verbindung von ‚abwaschen‘, ‚gerechtgemacht werden‘ und ‚Erbschaft‘“.65 Die Reinigung ist hier verbal ausgedrückt (ἀπελούσασθε) und der Bezug zur Taufe zwar auch nicht eindeutig, durch die formelhafte Nennung des Namens (ἐν τῷ ὀνό­ματι τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ) aber doch sehr wahrscheinlich.66 Für Tit 3,5 ist somit ein Indiz gewonnen, das den Tauf bezug bestärken, jedoch nicht zweifelsfrei beweisen kann. Ein weiterer Blick ist auf die Rolle des heiligen Geistes zu werfen: Von πνεύ­ματος ἁγίου als letztem Glied der Genitivkette, die λουτρόν in Tit 3,5 d näher bestimmt (s. o. 8.3.2), hängt wiederum ein Relativsatz ab (3,6), der die Aussage über den Geist fortführt 67 und außerdem Jesus Christus als σωτήρ in anders z. B. Buchegger, Erneuerung 262. Fee (Titus 205) und Marshall (Pastoral Epistles 318) betonen besonders die spirituelle Waschung, die im Vordergrund stehe, was eine Referenz auf die Taufe im Hintergrund aber nicht ausschließe; überhaupt begründet die neuere Kommentarliteratur den Bezug von Tit 3,5 auf die Taufe weniger durch das Einzelwort λουτρόν, sondern vielmehr kontextuell. Belegt ist λουτρόν als eindeutig die Taufe bezeichnender Begriff erst bei Justin, 1 Apol. 61,3.10.12; 1,66,1; Dial. 13,1; 14,1; 18,2; 44,4. 63 Vgl. z. B. Fiore, Pastoral Epistles 219; Brox, Pastoralbriefe 307; Oberlinner, Titusbrief 172; Merkel, Pastoralbriefe 102; Bassler, Titus 208; Vegge, Phrases 545; Dibelius, Pastoralbriefe 94. 64 Eph 5,26 gehört in den größeren Zusammenhang von Eph 5,25–33. Innerhalb der Ermahnung an die Männer wird hier Christi Liebe zur ἐκκλησία als Beispiel gebraucht (5,25) und im Anschluss an eine Hingabeformel (ebd.) ausgedrückt, dass Christus damit die Gemeinde „heilige, indem er sie reinigt durch das Wasserbad im Wort“ (ἵνα αὐτὴν ἁγιάσῃ καθα­ ρίσας τῷ λουτρῷ τοῦ ὕδατος ἐν ῥήματι). 65 Zimmermann, Wiederentstehung 278; vgl. ähnlich auch Wedderburn, Baptism 61 f.; Luz, Rechtfertigung 371; Fee, Titus 206; partiell auch Fiore, Pastoral Epistles 219; zu Tit 3,7 und den Stichworten „gerechtgemacht werden“ und „Erbschaft“ s. u. 8.3.4. 66 Vgl. zu Taufe und Nennung des Namens des κύριος 1 Kor 1,13–15; außerdem Barth, Taufe 40–54; Schnelle, Taufe 665 f. 67 Das Relativpronomen im Genitiv erklärt sich als attractio relativi. Wieland (Significance 225 und 228) schlägt vor, οὗ nicht auf πνεύματος ἁγίου, sondern auf λουτροῦ zu beziehen. Das ist syntaktisch allerdings wenig wahrscheinlich, denn der Bezug auf πνεύματος ἁγίου liegt sowohl von der Satzstellung her als auch inhaltlich näher. Dafür sorgt vor allem das Adverb πλουσίως, denn dass durch Jesus Christus der heilige Geist reichlich auf „uns“ ausgegossen wird, ergibt viel mehr Sinn, als dass Gott durch Jesus Christus das Bad reichlich auf „uns“ ausgießt. Wieland schlägt dann vor, dass „the image of outpouring (ἐξέχεεν) is appropriate to both washing and the Holy Spirit“ (ebd. 229). Dass der Relativsatz sich aber auf beide Genitive, λουτροῦ und πνεύματος ἁγίου, beziehen soll („[a]pplied to both“, ebd.), scheint eher eine Verlegenheitslösung zu sein. Außerdem stimmt die Voraussetzung nicht, dass ἐκχεῖν sich ebenso gut auf λουτρόν beziehen könne. Eine Überprüfung des Syntagmas im TLG zeigt, dass beide Lexeme nur als Zitation von Tit 3,5 zusammen auftreten. Ebenfalls

8.3 Tit 3,4–7

199

das Geschehen einbringt:68 „Durch Jesus Christus“ (διά wie schon in Tit 3,5 d) wurde der Geist „reichlich auf uns ausgegossen“. In der Ausgießung des Geistes ἐφʼ ἡμᾶς findet sich ein weiteres, wenn auch wiederum nicht eindeutiges Argument dafür, dass λουτρόν in Tit 3,5 auf die Taufe referiert. Für die Rolle, die die Geistausgießung bzw. Geistgabe in der frühchristlichen Taufpraxis spielte, wird in der Forschung an erster Stelle auf Apg 2,17 f. verwiesen: Petrus zitiert hier in seiner Pfingstrede die Ankündigung der Geistausgießung aus Joel 3,1–5 LXX und deutet diese Weissagung dann als erfüllt in der Geistgabe bei der Taufe (Apg 2,33.38 f.). Mit Joel 3,1–5 ist aber auch ein möglicher Intertext für Tit 3,5 f. genannt,69 der selbst keinen Bezug zur Taufe hat. Ebenso spricht auch Ez 36,25–28 von einer Erneuerung, die mit der Gabe des Geistes und einer vorausgehenden Reinigung durch Gott verbunden ist. Die gemeinsame Erwähnung von Reinigung, Geistgabe und Erneuerung liegt nahe bei den von Tit 3,5 f. angesprochenen Themen. Ez 36,25–28 ist somit ein weiterer möglicher Intertext, in dem die Geistgabe ursprünglich keinen Bezug zur Taufe aufweist, der aber auch entsprechend christlich gedeutet werden konnte.70 Welcher alttestamentliche Text auch immer die jeweilige Rezeption beeinflussen mag – Tit 3,6 verbindet die Geistgabe eindeutig mit Jesus Christus, „durch“ den der heilige Geist „reichlich“ ausgegossen wurde, und gibt somit zumindest einen weiteren Anhalt für den möglichen Bezug von λουτρόν auf die Taufe. Auf das Textganze geblickt, könnte schließlich auch die Einbettung in das Einst-Jetzt-Schema, das Gottes rettendes Handeln (3,5 c) als den Wendepunkt im Leben der Adressierten beschreibt, für ein Verständnis von λουτρόν als Hinweis auf die Taufe sprechen.71 Dass Tit 3,3–7 einen Tauf hymnus oder eine nur sehr selten ist καταχεῖν im Zusammenhang mit λουτρόν belegt, hier allerdings ist es in der Regel (warmes) Wasser oder eine andere Flüssigkeit, die in ein Bad oder bei einem Bad ausgegossen wird, während λουτρόν nie direktes Objekt von καταχεῖν ist (vgl. Galen, In Hip­ po­cratis De victu acutorum commentaria [Kühn 15, 711.880]; De compositione medicamen­ torum secundum locos 12,517; Porphyrius, Antr. 12). Das Syntagma τὸ πνεῦμα ἐκχεῖν ist durch Joel 3,1 f. und Sach 12,10 LXX und deren frühchristliche Rezeption (siehe dazu oben gleich mehr) dagegen gut etabliert. 68 Vgl. bereits die entsprechende Prädikation Gottes als σωτήρ in Tit 3,4; s. o. Anm. 15. 69 Verweise auf diesen Text im Zusammenhang mit Tit 3,6 finden sich u. a. bei Brox, Pastoralbriefe 308; Hasler, Titus 96; Fee, Titus 206; Fiore, Pastoral Epistles 221; Marshall, Pastoral Epistles 322. Hinzu kommen oft Hinweise auf das Herabkommen des Geistes bei der Taufe Jesu (Mk 1,8 parr.), auf weitere Stellen aus der Apostelgeschichte etc.; vgl. z. B. Holtz, Pastoralbriefe 234: „Es war immer urchristliche Anschauung, daß die Taufe mit der Geistausgießung verbunden war (s. Matth. 3,16; Apg. 10,44 ff.)“; vgl. auch Barth, Taufe 55–66. 70 Bae (Wiedergeburt 83–100) hält in seiner Untersuchung (s. o. 5.6) den traditionsgeschichtlichen Rückgriff von Tit 3,4–7 auf Ez 36,25–27 für zweifelsfrei gegeben, kann außer einer tabellarischen Textgegenüberstellung (ebd. 86 f.), die einige Ähnlichkeiten zeigt, aber keine weiteren Argumente bringen, die diese These stützen. 71 Tachau (Einst 80) warnt hier aber zu Recht vor zu weitgehenden Schlussfolgerungen: „Da das Schema auf Grund seiner inhaltlichen Aussagen (die Wende im Leben der Christen) eine Verbindung zur Taufe nahelegt, wird die formgeschichtliche Zuordnung zu ‚Tauftexten‘

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

Tauf liturgie aufnehme (wofür gern 1 Petr 1,3–5 und Eph 2,1–10 herangezogen werden), bleibt dagegen Spekulation.72 Ist ein Tauf bezug in Tit 3,5 f. also nicht sicher, aber naheliegend, so ist damit doch weniger geklärt, als manche Kommentare und Auslegungen annehmen. Denn warum die Taufe hier in der vorliegenden Weise als λουτρὸν πα­λιγ­γενεσίας καὶ ἀνακαινώσεως πνεύματος ἁγίου bezeichnet wird und was diese metaphorische Umschreibung leistet, ist damit noch nicht erschöpfend geklärt 73 (mehr dazu s. u. 8.4). 8.3.4 Tit 3,7 und der Blick in die Zukunft Mit ἵνα am Anfang von Tit 3,7 schließt sich ein Finalsatz an, der das Ziel, „the ultimate purpose“,74 der Rettung beschreibt: ἵνα δικαιωθέντες τῇ ἐκείνου χάριτι κληρονόμοι γενηθῶμεν κατ᾽ ἐλπίδα ζωῆς αἰωνίου. Dass das ewige Leben noch aussteht, wird durch die etwas umständliche Formulierung zweifelsfrei deutlich, die „uns“ nicht einfach zu Erben des ewigen Lebens macht 75 und damit für ein präsentisches Missverständnis offen wäre,76 sondern zu „Erben gemäß der Hoffnung auf ewiges Leben“. Die Formulierung schlägt damit einen Bogen zum Präskript (1,1–4), in dem ebenfalls die Wendung ἐλπὶς ζωῆς αἰωνίου (1,2) begegnet. Dass die Erwartung des ewigen Lebens im Titusbrief immer nur im Modus der Hoffnung erscheint, ist möglicherweise als Ausdruck der notwendig zu modifizierenden Naherwartung zur Abfassungszeit 77 der Pasverständlicherweise häufig vermutet. Doch das Ergebnis einer Nachprüfung dieser Vermutung fällt negativ aus, denn nur in sehr geringem Maße ist ein Bezug zur Taufe zu entdecken“; Tit 3,3 ff. gehört für Tachau (ebd.) aber zu diesen wenigen Texten mit Tauf bezug. 72 So aber z. B. Hasler, Titus 97: „Aus einem Vergleich von 3,4–7 mit 1. Petr. 1,3–5; Eph. 2,1–10 wird deutlich, daß der Verfasser hier Elemente aus einer hellenistischen Tauf liturgie aufgenommen hat“; vgl. auch Luz, Rechtfertigung 370. Boismard (Quatre hymnes 15–23) sieht sogar „une dépendance littéraire“ zwischen 1 Petr 1,3–5 und Tit 3,4–7 (ebd. 19). Weder der Tauf bezug und noch viel weniger der Rückgriff auf liturgische Tradition steht für jeden einzelnen dieser Texte allerdings unstrittig fest. Daran ändert auch ein zirkulärer Bezug der Texte aufeinander nichts. 73 Das betont ähnlich auch Zimmermann, Wiederentstehung 279; vgl. auch Vegge, Phrases 549: „the rite of baptism itself and its experimental dimensions appear not to be emphasized, but rather the cognitive interpretation of it.“ 74 Marshall, Pastoral Epistles 323. 75 So übersetzt aber z. B. Johnson, Titus 242: „so that […] we might on the basis of hope become heirs of eternal life“ (Hervorhebung hinzugefügt). Bassler (Titus 208) betont dagegen ausdrücklich die eschatologische Spannung, die Tit 3,7 hier in Übereinstimmung mit der paulinischen Tradition bewahre: „for, though ,saved,‘ the believer possesses only the hope of eternal life (v. 7; see also 1:2; Rom 5:1–5), not its full reality“. 76 Die einfachere Formulierung ζωὴν αἰώνιον κληρονομήσειν findet sich dagegen mehrfach in Mk 10,17 par. Lk 18,18; 10,25 und Mt 19,29, dort ist durch die Verbform im Futur aber jeweils klar, dass es keine auf die direkte Gegenwart bezogene Aussage ist. 77 Werden die Pastoralbriefe als pseudepigraphisch angesehen, so geht man im deutschen Forschungskontext in der Regel von einer Abfassungszeit um 100 n. Chr. aus (vgl. z. B.

8.3 Tit 3,4–7

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toralbriefe zu deuten. Das heißt jedoch nicht, dass diese Hoffnung nicht bereits als solche die Gegenwart der Adressaten bestimmt.78 Tit 1,2 charakterisiert sie als besonders verlässlich, denn „Gott, der nicht lügt“ (ὁ ἀψευδὴς θεός), hat dieses erhoffte ewige Leben schon „vor ewigen Zeiten“ (πρὸ χρόνων αἰωνίων) verheißen. Nochmals begegnet die Hoffnung als μακαρία ἐλπίς in Tit 2,13 und damit innerhalb jenes Abschnitts Tit 2,11–14, dessen strukturelle und inhaltliche Parallelen zu Tit 3,3–7 schon hervorgehoben wurden.79 Allerdings begegnet die Hoffnung in Tit 2,13 ohne ausdrücklichen Bezug auf das ewige Leben. Sogar die Hoffnung selbst ist in diesem Vers noch nicht gegenwärtig, sondern wird – neben der parallel dazu erwähnten (endzeitlichen) Erscheinung Jesu Christi – erst erwartet (προσδεχόμενοι τὴν μακαρίαν ἐλπίδα καὶ ἐπιφάνειαν τῆς δόξης […] Ἰησοῦ Χριστοῦ). Es liegt jedoch nahe, ἐλπίς in Tit 2,13 als metonymischen Verweis auf den Inhalt der Hoffnung zu verstehen,80 also das ewige Leben,81 das auch in Tit 3,7 im Blick ist.

In der Forschungsliteratur wird unterschiedlich beurteilt, ob der ἵνα-Satz in Tit 3,7 das Gesamtziel des zuvor in verschiedenen Einzelaspekten beschriebenen Rettungsvorgangs benennt oder ob es speziell das „Bad“ ist oder die Geistausgießung oder auch das ganz knapp zum Ausdruck gebrachte Gerechtgemacht-Werden,82 das „uns“ zu Erben werden lässt. So meint Victor Hasler: „Zu Brox, Pastoralbriefe 58; Hasler, Titus 8; Merkel, Pastoralbriefe 10; Häfner, Pastoralbriefe 462); die englischsprachige Forschung tendiert (abgesehen von den dort auch häufiger anzutreffenden Echtheitsvertretern für die Pastoralbriefe: s. o. Anm. 1) eher zu einer etwas früheren Zeit: z. B. Quinn (Titus 19), der für einen Zeitraum zwischen 80 und 85 plädiert, oder Fiore (Pastoral Epistles 20) für 80 bis 90; vgl. auch Marshall, Pastoral Epistles 92: „the P[astoral] E[pistles] belong to the period shortly after the death of Paul.“ Auch eine spätere Abfassungszeit bis hin zur Mitte des 2. Jahrhunderts wird zum Teil vertreten (z. B. Standhartinger, Eusebeia 80); vgl. zu den Datierungsfragen überhaupt ausführlich Merz, Selbstauslegung 72–86; Häfner, Pastoralbriefe 468 f. 78 Vgl. Oberlinner in Bezug auf Tit 1,2: „Wenn der Autor den Paulus sprechen läßt von der ‚Hoffnung auf ewiges Leben‘, dann ist dies weniger Ausdruck einer ‚Zukunftsorientierung‘, die auf die Parusie Christi Ausschau hält, als vielmehr Kennzeichnung der Gegenwart, die als die Zeit der Bewährung des Glaubens von dieser Hoffnung bestimmt und getragen ist“ (Titusbrief 6; vgl. ganz ähnlich auch ebd. 178, in Bezug auf Tit 3,7). 79 S. o. in 8.2 und 8.3.1 die jeweils ersten Petit-Abschnitte. 80 So auch Marshall, Pastoral Epistles 273. 81 So ausdrücklich auch Oberlinner (Titusbrief 135), der „das […], was Gegenstand der Erwartung ist“, konkret als „das ewige Leben“ bestimmt. 82 Δικαιωθέντες τῇ ἐκείνου χάριτι ist wiederum (wie schon Tit 3,5 d) sehr kompakt formuliert. Das Verhältnis zum Kontext wird damit nicht eindeutig bestimmt. Als participium conjunctum (mit Bezug auf das nicht eigens genannte Subjekt „wir“: vgl. γενηθῶμεν) kann δικαιωθέντες wenigstens auf drei verschiedene Weisen, d. h. temporal, kausal oder modal aufgelöst werden (vgl. BDR § 417 f.). Ebenso gibt es für den Bezug von ἐκείνου zwei Möglichkeiten. Es kann sich sowohl um die Gnade Jesu Christi handeln, der im Vers direkt zuvor genannt ist, ἐκείνου kann sich aber auch auf Gott als Subjekt des gesamten Satzes beziehen, zumal bereits in Tit 2,11 von der χάρις τοῦ θεοῦ die Rede war. Allerdings war die Funktion der Gnade dort eine unterweisende (παιδεύουσα, 2,12), keine gerechtmachende. Näherliegend ist im doppelten Sinne des Wortes daher wohl der Bezug auf Christus in Tit 3,6 (anders

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

Erben werden die Getauften nicht durch die Taufe, sondern durch den reichlich ausgegossenen Heiligen Geist“.83 Aus den Formulierungen des Textes lässt sich das allerdings nicht mit Sicherheit entnehmen. Eine inhaltliche Erklärung für diese Position liefert Helmut Merkel, indem er sie aus paulinischen Texten ableitet: „Die Vorstellung, daß die mit dem Heiligen Geist Beschenkten ‚Erben‘ seien, ist ebenfalls bei Paulus zu finden (Gal 4,7; Röm 8,17).“ 84 Allerdings begründet sich in beiden herangezogenen Paulustexten das Erbe-Sein primär aus der Metaphorik des Kind-Seins.85 Dem Geist dagegen kommt eine wichtige Rolle zu in der Vermittlung der „Kindschaft“ (υἱοθεσία, vgl. Röm 8,15; Gal 4,5), die für das rechtmäßige Erbe vorauszusetzen ist.86 Die Kommentare differenzieren hier in der Regel zu wenig. Nur Norbert Brox vermutet im Zusammenhang mit der „Vorstellung vom Erbesein (vgl. z. B. Gal 4,7)“, „daß über den Begriff der ‚Wiedergeburt‘ (V. 5) auch der paulinische Gedanke der Sohnschaft hier mitspielt“.87 Unabhängig von der Überlegung, ob dieser Zusammenhang „unmittelbar der paulinischen Theologie und Überlieferung zu verdanken wäre“,88 interessiert im vorliegenden Untersuchungszusammenhang aber vielmehr, ob es in Tit 3,5 die als „Wiedergeburt“ verstandene παλιγγενεσία sein könnte, die die Voraussetzung der Kindschaft herstellt. Völlig ausgeschlossen ist eine solche Vermutung nicht, allerdings gibt der Text auch keinen weiteren Hinweis, der diese Sicht der Dinge bestärkt. Sowohl die Beschreibungen der Ausgießung des Geistes als auch des Erbe-Werdens sind metaphorisch konventionelle, aus der Tradition bekannte Topoi.89 Genau so z. B. Hasler, Titus 97, oder Oberlinner, Titusbrief 177). Vgl. zu den unklaren Bezügen des Verses in seinem Kontext auch die zutreffende Zusammenfassung von Brox, Pastoralbriefe 309: „Sprachlich bleibt nämlich in einem solchen Text manches mehrfach deutbar und darum umstritten.“ 83 Hasler, Titus 97. 84 Merkel, Pastoralbriefe 104. 85 Vgl. Röm 8,17: εἰ δὲ τέκνα, καὶ κληρονόμοι; Gal 4,7: εἰ δὲ υἱός, καὶ κληρονόμος. 86 Vgl. auch Frey, Gotteskindschaft 468: „Paulus erklärt die G[otteskindschaft] mit dem Rechtsbegriff der Adoption (Gal 4,5; Rö 8,23). Nach Rö 8,14–17 befreit der Geist zum Gebet zu Gott als einem Vater und vergewissert die Glaubenden ihrer G[otteskindschaft]. Wer Kind ist, der ist nicht mehr Sklave, sondern Erbe des Heils (Gal 4,7; Off 21,7) und Miterbe Christi (Rö 8,17)“. 87 Brox, Pastoralbriefe 310. Marshall vermerkt ganz ähnlich, wenn auch knapper: „The thought of sonship is implied“ (Pastoral Epistles 324). Quinn dagegen stellt die Erbe-Vorstellung in Tit 3,7 einerseits in die Nähe zu paulinischer Tradition, grenzt sie aber zugleich ab von einer Verbindung mit Kindschaft, wie es sie bei Paulus gibt: „The inheritance language of this pistos logos may represent again a creedal crystallization of an imagery and language that Paul used on occasion, notably in Rom 4:13–14 and 8:16–17, where (unlike here [sc. Tit 3,7]) the heirs are explicitly children (tekna) of the Father“ (Titus 228 f.). Was diese Bemerkung und weitere angeführte Stellen zum Stichwort κληρονομία für die Deutung von Tit 3,7 austragen, bleibt bei Quinn allerdings völlig offen. 88 Brox, Pastoralbriefe 310. 89 Zur Geistausgießung und den traditionellen Hintergründen s. o. 8.3.3; zum Erbe vgl. auch die Ausführungen zu 1 Petr 1,4 unten in 10.3.4. Vgl. auch Hahn (Taufe 105), der hervor-

8.4 Λουτρόν und das Konzept der Reinigung im Titusbrief

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führt der Text sie auch an, knapp und ohne weitere Erläuterungen, so dass ihr metaphorisches Potenzial vom Kontext nicht aktiviert wird. Der mögliche Zusammenhang mit dem „Bad der Wiedergeburt“ ist zu schwach und die Erwähnung der παλιγγενεσία zuvor ruft ebenfalls keineswegs eindeutig den Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung auf.90

8.4 Λουτρόν und das Konzept der Reinigung im Titusbrief Παλιγγενεσία begegnet in Tit 3,5 in einem über den Vers hinausreichenden komplexen Aussagezusammenhang, dessen syntaktische und inhaltliche Struktur im vorangegangenen Kapitel analysiert wurde. Auch metaphorisch ist die Aussage mehrschichtig. Παλιγγενεσία ist abhängig von λουτρόν. Wenn also die „Wiederentstehung (bzw. Wiedergeburt)“ der Angesprochenen durch ein „Bad“ bzw. eine „Waschung“ bewirkt wird (und auch der heilige Geist an diesem Vorgang mitbeteiligt ist), dann ist nicht nur zu fragen, welchen Ursprungsbereich παλιγγενεσία aufruft und was auf diese Weise über das veränderte Leben der Angesprochenen metaphorisch ausgesagt wird, sondern es ist zuerst der Zusammenhang mit dem „Bad“ zu beachten. Selbst wenn Tit 3,5 mit λουτρόν auf die Taufe referiert, wofür einiges spricht (s. o. 8.3.3), gibt es zu diesem Wort deutlich mehr zu sagen. Denn λουτρόν ist noch kein feststehender Begriff für die Taufe wie er es später dann bei Justin wird (s. o. Anm. 62). In Anknüpfung an paulinische Tradition wäre für einen Hinweis auf die Taufe eher mit βάπτισμα oder mit Formen von βαπτίζειν zu rechnen gewesen.91 Wenn Tit 3,5 auf die Taufe daher mit λουτρόν verweist, dann steht metaphorisch etwas anderes im Vordergrund, als es deren Bezeichnung mit βάπτισμα beschreiben würde. Nicht so sehr der Aspekt des Untertauchens in Entsprechung zum Tod Jesu Christi (vgl. Röm 6,4) ist für den Titusbrief zentral 92 – weder Tod noch Auferstehung Christi kommen in den bekenntnisartigen Versen Tit 3,4–7 überhaupt vor –, sondern der Aspekt der Reinigung, die ein Bad bewirkt. Es führt zu einer „Erneuerung“ (ἀνακαίνωσις, 3,5 d), die – erst einmal ganz konkret auf der Ebene des Ursprungsbereiches bleibend – die Erneuerung der körperlichen Reinheit beschreiben kann. Dass es in Tit 3,5 nicht um diesen rein körperlichen Aspekt geht, zeigt die Anfügung πνεύματος ἁγίου. hebt, dass die „Anwartschaft auf das κληρονομεῖν des endzeitlichen Heils“ in einem „Sachzusammenhang mit dem Taufgeschehen“ stehe. Er formuliert das allerdings nur im Hinblick auf 1 Kor 6,9–11 (zu Bezügen zwischen 1 Kor 6,9–11 und Tit 3,4–7 siehe aber oben 8.3.3). 90 Das ist für die allgemeine Wortbedeutung bereits dargelegt worden (s. o. 7.2.1 und auch schon 3.4.3 und 5.11); ausführlicher im Hinblick auf den Zusammenhang in Tit 3,3–7 s. u. in 8.4 den zweiten Petit-Absatz. 91 Vgl. für das Nomen βάπτισμα nur Röm 6,4, für Formen von βαπτίζειν dagegen Röm 6,3; 1 Kor 1,13–17; 10,2; 12,13; 15,29; Gal 3,27. 92 Ausführlicher dazu s. u. in 8.6 den Petit-Absatz.

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

Bedeutsam ist aber auch, dass das Thema Reinigung und Reinheit hier nicht zum ersten Mal im Brief begegnet, sondern bereits zuvor eine wichtige Rolle spielt: In Tit 1,15 stehen „die Reinen“, „denen alles rein ist“ (πάντα καθαρὰ τοῖς καθαροῖς), den „Befleckten“ gegenüber, die zugleich als „Ungläubige“ bezeichnet werden, „denen nichts rein ist“ (τοῖς δὲ μεμιαμμένοις καὶ ἀπίστοις οὐδὲν καθαρόν), sondern deren Verstand und Gewissen gleichermaßen befleckt ist (ἀλλὰ μεμίανται αὐτῶν καὶ ὁ νοῦς καὶ ἡ συνείδησις). Sie verleugnen Gott durch ihre Werke und sind überhaupt zu keinem guten Werk fähig (καὶ πρὸς πᾶν ἔργον ἀγαθὸν ἀδόκιμοι, 1,16). In dieser Beschreibung der „Befleckten“ scheint einiges auf, das auch die Vergangenheit der „Reinen“, die nun Glaubende sind, bestimmt hatte (vgl. 3,3).93 In Zusammenhang mit der Thematik der Reinheit / Unreinheit steht im Titusbrief auch das Wortfeld ὑγιαίνειν / ὑγιής. Von Anfang an bestimmt das Interesse an der Vermittlung der „gesunden Lehre“ und des „Gesundseins im Glauben“ den Titusbrief: In Tit 1,5 beginnen mit dem Brief korpus sogleich die den ganzen Brief bestimmenden Anweisungen für „Titus“, den „Paulus“ deshalb in Kreta zurückgelassen hat, damit er in seinem Sinne umsetze, was noch an „übriggebliebenen Dingen in Ordnung zu bringen“ sei (Τούτου χάριν ἀπέλιπόν σε ἐν Κρήτῃ, ἵνα τὰ λείποντα ἐπιδιορθώσῃ […] ὡς ἐγώ σοι διεταξάμην). Die Verse Tit 1,5–9 befassen sich dann zuerst mit der Aufgabe des Titus, Presbyter in den Gemeinden auf Kreta einzusetzen. Diese Amtsträger sollen neben dem untadeligen Leben, das von ihnen selbst gefordert wird (1,6–9 a), die anderen in der Gemeinde u. a. in der „gesunden Lehre ermahnen“ (παρακαλεῖν ἐν τῇ διδασκαλίᾳ τῇ ὑγιαινούσῃ) und „die Widersprechenden zurechtweisen“ (τοὺς ἀντιλέγοντας ἐλέγχειν, 1,9). Der nächste Abschnitt, Tit 1,10–16, ist polemischen Charakters. „Paulus“ wendet sich gegen „viele“, die „ganze Häuser durcheinanderbringen und lehren, was man nicht (lehren) soll“ (1,11).94 Insgesamt wird durch die in Tit 1,10–16 geschilderte Situation – auch wenn sie nur fiktiv sein mag – deutlicher motiviert, inwiefern die in Tit 1,5–9 bereits angeordnete Einsetzung der Presbyter zentral für das „gesunde“ Weiterbestehen der Gemeinden ist. Im Zusammenhang von Tit 1,10–16 wird zwar nur Titus selbst als jener angesprochen, der sich um die Zurechtweisung der Irrenden kümmern soll, „damit sie gesund seien im Glauben“ (ἵνα ὑγιαίνωσιν ἐν τῇ πίστει, 1,13). Eine ähnliche Aufgabe wurde zuvor aber auch für die Presbyter beschrieben (s. o. zu Tit 1,9). Das durch ὑγιαίνειν / ὑγιής repräsentierte Wortfeld erfährt in Tit 2,1 – nach den Ausführungen über die Reinen und Befleckten (s. o.) – seine Fortführung, indem nun „Titus“ direkt aufgefordert wird, die „gesunde Lehre“ zu verkünden: Σὺ δὲ λάλει ἃ πρέπει τῇ ὑγιαινούσῃ διδασκαλίᾳ und sich die haustafelartigen Mahnungen anschließen (2,2–10).95 93 Vgl.

auch Zimmermann, Wiederentstehung 276: „Der Zustand der Reinheit entspricht dem des Gläubig-Seins, während der vorgläubige oder ungläubige Zustand als der der Befleckung beschrieben wird, womit einerseits Terminologie aus den jüdischen Reinheitsgesetzen, jedoch auch aus der religiösen Sprache aufgenommen wird.“ 94 Unter diesen „Aufsässigen, leeren Schwätzern und Betrügern“ (Tit 1,10) werden noch einmal jene „aus der Beschneidung“ besonders hervorgehoben (μάλιστα οἱ ἐκ τῆς περιτομῆς). Die Bedrohungen für die Gemeinden werden also zumindest zu einem wesentlichen Teil auf jüdische oder judenchristliche Irrlehrer zurückgeführt, wobei die Vorwürfe (z. B. für puren Gewinn Falschlehren zu verbreiten, Tit 1,11 fin) aber plakativ bleiben und auch in der Warnung vor „jüdischen Fabeln und Geboten von Menschen“ (Ἰουδαϊκοὶ μύθοι καὶ ἐντολαὶ ἀνθρώπων, 1,14) kaum mehr Profil gewinnen. 95 Die Formulierung ὑγιαίνουσα διδασκαλία begegnet auch in 1 Tim 1,10 und 2 Tim 4,3.

8.4 Λουτρόν und das Konzept der Reinigung im Titusbrief

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Ein weiteres Mal begegnet die metaphorische Rede vom Reinigen am Ende des bekenntnisartigen Abschnitts Tit 2,11–14, der Tit 3,4–7 in manchen Aspekten ähnlich ist.96 Hier ist von Jesus Christus die Rede, „der sich selbst für uns hingegeben hat, damit er uns erlöse von aller Gesetzlosigkeit und sich ein Volk reinige, das um gute Werke eifert“ (ὃς ἔδωκεν ἑαυτὸν ὑπὲρ ἡμῶν, ἵνα λυτρώ­σηται ἡμᾶς ἀπὸ πάσης ἀνομίας καὶ καθαρίσῃ ἑαυτῷ λαὸν περιούσιον, ζηλωτὴν καλῶν ἔργων). Die Formulierung λαὸς περιούσιος, „Eigentumsvolk“, greift einerseits auf den Bundesschluss zurück (vgl. Ex 19,5; Dtn 7,6; 14,2; 26,18 LXX). Inhaltlich noch näher liegt jedoch Ez 37,23 LXX, wo Gott ankündigt, das Volk zu retten von der Gesetzlosigkeit und es zu reinigen, damit es (wieder) sein Volk werde (καὶ ῥύσομαι αὐτοὺς ἀπὸ πασῶν τῶν ἀνομιῶν αὐτῶν ὧν ἡμάρ­τοσαν ἐν αὐταῖς καὶ καθαριῶ αὐτούς καὶ ἔσονταί μοι εἰς λαόν καὶ ἐγὼ κύ­ριος ἔσομαι αὐτοῖς εἰς θεόν).97 Mit dem Verb καθαρίζειν ist in Tit 2,14 grammatisch nur die Folge der Reinigung verbunden, nämlich dass Christus „sich ein eigenes Volk reinigt“. Inhaltlich lässt sich aber auch die zuvor als Erlösung beschriebene Tat Christi und seine Selbsthingabe in das Bild des Reinigens einfügen: Er erlöst / r​ einigt „von aller Gesetzlosigkeit“, und zwar durch seinen Tod. Christiane Zimmermann spricht hier davon, dass „Jesu Tod in judaisierender Interpretation als Erlösung und Reinigung verstanden“ wird.98 Der Vergleich mit Tit 3,5 zeigt einige Entsprechungen: In Tit 3,5 ist es Gott, der „uns“ seinem Erbarmen gemäß (κατὰ τὸ αὐτοῦ ἔλεος) rettet und durch ein Bad reinigt (ἔσωσεν ἡμᾶς διὰ λουτροῦ), in Tit 2,14 gibt sich Jesus Christus „für uns“ hin (ὃς ἔδωκεν ἑαυτὸν ὑπὲρ ἡμῶν), damit er „uns“ erlöse (ἵνα λυτρώσηται ἡμᾶς) und sich ein eigenes Volk reinige (καὶ καθαρίσῃ ἑαυτῷ λαὸν περιούσιον). Wie bei der ersten Passage in Tit 1,15 f., die metaphorisch das Reinheitskonzept aufgreift, wird auch hier der Gegensatz zur Situation davor betont: Wovon die Gläubigen erlöst und gereinigt werden, bezeichnet Tit 2,14 umfassend als ἀνομία. Tit 3,4–7 dagegen nimmt die Schilderung dieses vorherigen Zustands des Unglaubens nicht direkt in die Rettungsaussage mit hinein, sondern konzentriert die Aussage stärker auf das, was Rettung und Reinigung im Hinblick auf Gegenwart und Zukunft der Gläubigen bewirken – nämlich eine grundlegende Erneuerung des Lebens, die in Tit 3,5 d–7 beschrieben wird.99 Die frühe96 Zur

Strukturähnlichkeit s. o. 8.2; zum Stichwort des „Erscheinens“ s. o. 8.3.1; zum Stichwort „Hoffnung“ s. o. 8.3.4, jeweils die Petit-Absätze. 97 Vgl. auch 2 Sam 7,23 LXX mit dem Syntagma λυτρώσασθαι αὐτῷ λαὸν. 98 Zimmermann, Wiederentstehung 277. Nicht ausdrücklich erwähnt wird in Tit 2,14 das Blut; es spielt jedoch beim Bundesschluss (vgl. Ex 24,8) eine wichtige Rolle und kann als Reinigungsmittel Teil bestimmter Reinigungsriten sein, z. B. am großen Versöhnungstag (Lev 16). Gerade weil Tit 2,14 aber nicht ausdrücklich vom Blut Christi, sondern „nur“ von seiner Selbsthingabe spricht, um die Adressierten aus der Gesetzlosigkeit zu erlösen, führt es entschieden zu weit, hier eucharistische Anklänge hineinzulesen, wie das z. B. Holtz (Pastoralbriefe 228) tut, indem er annimmt, dass der „eucharistische Gottesdienst […] der Hintergrund des Kapitels“ sei. 99 Siehe dazu schon oben 8.3.4 und nochmals unten 8.5.

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

re Situation des Unglaubens wird aber ausführlich in Tit 3,3 thematisiert und über das Einst-Jetzt-Schema (s. o. 8.2) mit dem Folgenden verbunden. Auch der knappe Hinweis auf das Gerechtgemacht-Sein in Tit 3,7 deutet den gegensätzlichen Zustand in der vergangenen Zeit an.100 Schließlich wird das Volk, das Christus sich laut Tit 2,14 zum Eigentum reinigt, dadurch charakterisiert, dass es eifrig um gute Werke bemüht ist. Genauso aber, wie den Werken in Tit 3,5 a eine Mitwirkung an der Rettung abgesprochen wird, beschreibt auch Tit 2,14 die guten Werke nur als Folge: Als gereinigtes Volk, das Christus gehört, ist es eifrig bemüht um gute Werke. Und vergleichbar schärft wiederum auch Tit 3,8 via „Titus“ den Adressierten ein: καλῶν ἔργων προΐστασθαι (s. o. 8.2). Von Tit 2,14 her ergibt sich auch ein letzter, bisher noch nicht diskutierter Hinweis, der παλιγγενεσία kontextuell mit dem Konzept Geburt in Verbindung bringen könnte: Denn in ein Volk wird man normalerweise hineingeboren. Dass Christus sich ein eigenes Volk „reinigt“, legt in Tit 2,14 den Schwerpunkt zwar gerade nicht auf natürliche Zugehörigkeit. Dass das in Tit 3,5 d nochmals aufgegriffene Konzept der Reinigung mit παλιγγενεσία verbunden wird, könnte aber so verstanden werden, dass hier die metaphorische Geburt in dieses Volk hinein gewissermaßen nachgereicht wird.101 Dieser Zusammenhang ist aber keineswegs eindeutig, und während Rettung und Reinigung in Tit 3 als Themen weiterhin präsent sind, ist es das Thema des Volkes nicht mehr.

Unterschiedlich ist in beiden Abschnitten vor allem die Perspektive, aus der Ergebnis und Ziel der Rettung und Reinigung beschrieben werden: In Tit 2,14 ist es die Perspektive Christi: Er reinigt sich ein „eigenes Volk“. Der historische Bezugspunkt ist seine Selbsthingabe. Sie geschieht zwar „für uns“, beschreibt das zentrale Heilsereignis aber in gewisser Weise absolut und als zurückliegendes Geschehen. In Tit 3,4–7 wird dagegen vor allem die Perspektive der Glaubenden eingenommen: Es ist ihre eigene Lebenswende, die dort als Rettung durch ein reinigendes Bad in den Blick kommt. Zwar bezieht sich die „Erscheinung der Güte und Menschenliebe Gottes“ (3,4) erst einmal ebenso wie in Tit 2,14 allgemein auf das Christusereignis (s. o. 8.3.1), spätestens bei der Erwähnung von λουτρόν und dessen sehr wahrscheinlicher Referenz auf die Taufe wird aber deutlich, dass mit dieser „Erscheinung“ auch der Zeitpunkt beschrieben wird, seit welchem dieses Heilsereignis im Leben der (nun) Gläubigen Relevanz gewonnen hat (siehe ebd.). Das Bad und der durch das Bad aufgerufene Ursprungsbereich der Reinigung dient zum metaphorischen Ausdruck dieser entscheidenden Lebenswende:102 Die „Befleckungen“ (vgl. 100 Vgl. hier auch nochmals den Zusammenhang von „Gewaschen-Sein“ (ἀπελούσασθε) und „Gerechtgemacht-Sein“ (ἐδικαιώθητε ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ καὶ ἐν τῷ πνεύματι τοῦ θεοῦ ἡμῶν) in 1 Kor 6,11 (s. o. 8.3.3). 101 Zimmermann sieht dagegen vor allem im Erbe-Werden (Tit 3,7) eine Parallelität zum „Eigentumsvolk“ gegeben: „wie Christus sich ein eigenes Volk konstituiert (λαὸν περιούσιον 2:14), so geschieht Vergleichbares durch die Einsetzung der Christen als ‚Erben‘ (κληρονόμοι 3:7)“ (Wiederentstehung 277). 102 Abgesehen vom Beitrag Zimmermanns (s. o. Anm. 93) gehen andere Untersuchungen und Kommentare zum Titusbrief auf den Sinnbereich der Reinheit und Reinigung meist nur

8.5 Παλιγγενεσία als Teil der Metaphorik in Tit 3,5

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1,15, aber auch 3,3) sind abgewaschen und ein neuer Zustand der Reinheit ist hergestellt, der Gemeinschaft mit Christus als dessen λαὸς περιούσιος gewährt (2,14) und der in Tit 3,5 d schließlich nochmals metaphorisch durch die Genitive παλιγγενεσίας καὶ ἀνακαινώσεως näher bestimmt wird (s. u. 8.5).

8.5 Παλιγγενεσία als Teil der Metaphorik in Tit 3,5 Was sagt der Genitiv παλιγγενεσίας Näheres über die rettende und reinigende Kraft des „Bades“ in Tit 3,5 und den Zustand, in den es die Gewaschenen versetzt?103 Die Antwort hängt davon ab, welches Konzept man mit παλιγγενεσία in Tit 3,5 assoziiert und welche Aspekte dieses Ursprungsbereiches im Textzusammenhang des Titusbriefes metaphorisch tatsächlich aktiviert werden. Die Forschung – sowohl jene zu Tit 3,5 als auch jene zu „Wiedergeburt“ im Neuen Testament überhaupt – hat sich immer stärker mit dem ersten Teil der Antwort, also der religionsgeschichtlichen Herkunft von παλιγγενεσία beschäftigt. Die Forschungsbeiträge und Kommentare zählen die Möglichkeiten auf, denen gemäß παλιγγενεσία als Wiederwerdung der Welt nach stoischer Lehre (s. u. 8.5.2), als (pythagoreischer) Terminus für die Seelenwanderung (s. u. 8.5.3) oder als Begriff aus den Mysterienkulten (s. u. 8.5.4) zu verstehen sein könnte. Sie verweisen in der Regel auch auf die Möglichkeit eines allgemeinsprachlich abgeflachten Gebrauchs von παλιγγενεσία für grundlegende Erneuerungserfahrungen im Leben von Menschen (s. u. 8.5.5). im Zusammenhang mit Tit 2,14 ein und auch dort in der Regel nur, indem auf die oben genannten alttestamentlichen Texte verwiesen wird. Einen Hinweis darauf, dass die Reinigungsmetaphorik mit λουτρόν in Tit 3,5 nochmals aufgegriffen wird, gibt es fast nie, und wenn, dann ist er nicht weiterführend: Towner (Titus 784) ist zwar prinzipiell zuzustimmen, wenn er im Zusammenhang mit Tit 3,5 betont, „[i]n so short a space of discourse, the cate­ na of Ezekiel texts recently summoned (2:14) will not have been forgotten“. Er sieht die Verbindung über Ezechiel dann aber mehr in der Wirkung des Geistes („the potency of the Spirit-tradition“, ebd.), nicht so sehr in der Reinigungsmetaphorik. Wall (Titus 364) dagegen vermischt die Aussagen von Tit 2,14 komplett mit Tit 3,5: „The effect of this bath is the spiritual cleansing of the Lord’s ,special people‘ for ,good works‘ (2:14; cf. Eph 5:26; see also the use of louō in Hebr 10:22).“ Damit wird die spezifische Aussage der Metaphorik in Tit 3,5 aber nicht adäquat wahrgenommen, sondern als eine „Reinigung zu guten Werken“ komplett mit Tit 2,14 überblendet. Buchegger schenkt der Reinheitsthematik sogar so viel Aufmerksamkeit, dass neben umfangreichen alttestamentlichen Bezügen (Erneuerung 274–276) auch Tit 1,15 mit erwähnt wird. Inhaltlich trägt das bei ihm aber wenig aus (vgl. ebd. 276 f.). Dass es „Sünde“ und „Schuld“ seien, die durch die mehrfach erwähnte Reinigung, aber besonders durch die „Waschung“ in Tit 3,5 abgewaschen würden (ebd. 262 f.), lässt sich am Text nicht festmachen. 103 Die Fortsetzung mit […] καὶ ἀνακαινώσεως πνεύματος ἁγίος bleibt vorerst im Wesentlichen noch ausgeblendet, da die involvierten Konzepte hier nicht so strittig und vielfältig sind; aber s. u. 8.6.

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

8.5.1 Παλιγγενεσία als Ausdruck einer christlichen Vorstellung von „Wiedergeburt“: Notwendig Kritik an einer ungerechtfertigten Voraussetzung Die Aufzählung der eben genannten Optionen, um den Deutungshorizont von πα­λιγγενεσία zu erhellen, hat besonders in den Kommentaren zum Titusbrief oft einen eher enzyklopädischen Charakter und beeinflusst die Textdeutung von Tit 3,5 kaum.104 Denn für die meisten Kommentare (und letztlich auch oft für die Beiträge zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament überhaupt) gilt, dass mit der Wiedergabe von παλιγγενεσία als „Wiedergeburt“ bzw. „rebirth / regeneration“ und mit der Engführung von λουτρόν als Referenz auf die Taufe die Deutung bereits gegeben scheint:105 Es gehe – so Helmut Merkel stellvertretend für viele – um „die Wirkung der Taufe als Wiedergeburt“.106 Das wird gern mit dem affirmativen Bezug auf andere neutestamentliche Texte noch zusätzlich begründet. So bezieht sich die eben zitierte Aussage von Merkel in ihrem Kontext nicht nur auf Tit 3,5, sondern lautet vollständig: „Auch andere neutestamentliche Spätschriften (1. Petr 1,3.23; Joh 3,3 ff.) und Kirchenväter des 2. Jahrhunderts (Justin, 1. Apologie 61,3.10; 66,1; Dialogus 138,2; Tatian, Oratio 5,3) bezeichnen die Wirkung der Taufe als Wiedergeburt.“ 107 Victor Hasler führt zuerst nur Joh 3,5 mit „Verbindung von Taufe, Geburt und Heiligem Geist“ an, später dann aber auch Justin, der „die Verbindung von Taufe und Wiedergeburt als festen und traditionellen Sprachgebrauch in der griechischen Kirche“ belege.108 Ian Marshall betont: „the three concepts of regeneration, renewal and the Spirit that are associated here [in Tit 3,5] with baptism are familiar elsewhere in the NT“ und vermerkt dazu in der Fußnote: „For regeneration and new birth see Jn 3.3–8; 1 Pet 1.3, 23; 2.2; 1 Jn 3.9; 5.18“.109 Ähnlich beurteilt Jouette Bassler den Zusammenhang von Wassertaufe, „rebirth, renewal, and the Holy Spirit“ als „common in early Christian writings (John 3:3–8; Rom 6:4; Eph 5:26; 1 Pet 1:3– 5)“.110 George M. Wieland hält es angesichts schwer zu ermittelnder anderer Hintergründe für παλιγγενεσία für fruchtbarer, „to explore the idea of rebirth in early Christianity, as, e. g., in John 3:3–8 and 1 Pet 1:3–5.“ 111 Benjamin Fiore differenziert immerhin die unterschiedlichen griechischen Ausdrücke: „The word [παλιγγενεσία] relates to similar NT expressions of the idea of rebirth such as ,to be born again‘ (1 Pet 1:3, anagennēsas, 23, anagegennēmenoi; 104 So z. B. bei Fiore (Pastoral Epistles 220), der nur resümiert: „a word from the Greco-­ Roman context thus applies to the Christian reality of an inner transformation.“ 105 Sie lässt sich auch gut ergänzen durch die Fortsetzung im Text von Tit 3,5: „und der Erneuerung durch den heiligen Geist.“ 106 Merkel, Pastoralbriefe 102 f. 107 Merkel, Pastoralbriefe 102 f. 108 Hasler, Titus 96. 109 Marshall, Pastoral Epistles 316 mit Anm. 54. Zu „renewal“ führt Marshall neben den erwartbaren Texten (Röm 6,4; 2 Kor 5,17; Gal 6,15) dann überraschenderweise auch Jak 1,18 an (ebd.). Sicherlich ist diese Zuordnung, auf die Marshall mit keinem Wort weiter eingeht, auf die Erwähnung von ἀπαρχή im zweiten Versteil zurückzuführen. Marshall folgt somit deutlich bestimmten ausgetretenen Pfaden der Forschung, die den erste Versteil von Jak 1,18 mit seiner Geburtsmetaphorik nicht im Kontext von „regeneration and new birth“ wahrnehmen (s. u. 11.1). 110 Bassler, Titus 208. 111 Wieland, Significance 226.

8.5 Παλιγγενεσία als Teil der Metaphorik in Tit 3,5

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John 3:3, 7, gennēthēnai anothen); ,to be born from God‘ (John 1:13; 1 John 5:1, ek theou gen­nēthēnai)“.112 Die Beispiele ließen sich fortsetzen.113

Damit ist inhaltlich aber praktisch nichts ausgesagt. Denn was heißt es, dass die Wirkung der Taufe in der „Wiedergeburt“ besteht? Der in der Kommentarliteratur wiederholt anzutreffende Verweis auf Joh 3,3–8 und 1 Petr 1,3.23 führt in einen Zirkel. Was „Wiedergeburt“ bedeutet, wird einfach als bekannt vorausgesetzt,114 erklärt sich aus den gegenseitigen Verweisen aber gerade nicht, sondern setzt – wie die kritische Analyse der „Wiedergeburts“-Forschung gezeigt hat (s. o. Kap. 2–6) – spätere, durch die christliche Tradition geprägte Vorstellungen voraus. Für den Titusbrief und sein ursprüngliches Publikum ist ein wie auch immer im Einzelnen geartetes christliches Konzept von „Wiedergeburt“ dagegen (noch) nicht verfügbar. Es muss daher im Folgenden geprüft werden, ob bestimmte mit dem Begriff παλιγγενεσία verknüpfte Konzepte der damaligen Zeit für die Deutung der Metaphorik in Tit 3,5 eine Rolle spielen könnten.115 8.5.2 Παλιγγενεσία als „Wiederentstehung“: Der mögliche stoische Hintergrund der Metaphorik Als stoischer Terminus beschreibt παλιγγενεσία das „Wiederentstehen“ der Welt nach deren vollständiger Vernichtung im „Weltenbrand“ (ἐκπύρωσις).116 112 Fiore,

Pastoral Epistles 220. z. B. auch Vegge, Phrases 548. Keinerlei Erwähnung von Joh 3,3–8 und 1 Petr 1,3.23 gibt es dagegen bei Wall (Titus). Mounce (Pastoral Epistles 448) wird sogar noch deutlicher: „παλιγγενεσία, ,regeneration,‘ is not technically rebirth, and therefore references to John 3 and 1 Peter are irrelevant.“ Es ist kein Zufall, dass beide Autoren auch eine Taufdeutung von Tit 3,5 dezidiert ablehnen. Das bewahrt sie offensichtlich davor, Tit 3,5 vorschnell über die Brücke der „Wiedergeburt“ mit anderen neutestamentlichen Texten zu harmonisieren. Aber ein Vergleich sollte auch möglich sein, ohne von einem Tauf bezug für Tit 3,5 Abstand zu nehmen. Differenzierter formuliert z. B. Oberlinner, Titusbrief 174: „Es zeigt sich zudem, daß die christliche Tauftheologie in nachpaulinischer Zeit eine sprachliche Gestaltung erfahren hat, die stark in die Nähe des Begriffes παλιγγενεσία kommt. So wird in Joh 3,3–8 die Taufe umschrieben als γεννηθῆναι ἄνωθεν, in 1 Joh 3,9; 5,1.18 steht γεν­­νη­θῆναι ἐκ τοῦ θεοῦ, und 1 Petr 1,3.23 verwendet das Verb ἀναγεννάω (= neu zeugen)“ (Hervorhebung hinzugefügt). Aus diesen Texten leitet Oberlinner dann auch keine Deutung für Tit 3,5 ab, sondern beschreibt die dortige Aufnahme von παλιγγενεσία als eigenständige Weise, um ein „Grundverständnis der Erneuerung“ (ebd.) zum Ausdruck zu bringen. 114 Findet sich in der Reihe der zu konsultierenden neutestamentlichen Texte auch Röm 6,4, dann ist außerdem nicht παλιγγενεσία, sondern ἀνακαίνωσις das Verbindungsglied zu Tit 3,5 und es geht, genau genommen, nicht einmal um ein Konzept von „Wiedergeburt“. 115 Auch manche Beiträge aus der „Wiedergeburts“-Forschung haben sich bereits ausführlicher der Frage nach der religionsgeschichtlichen Herkunft von παλιγγενεσία gewidmet: s. o. zu Büchsel (3.4.3), Dey (3.6) und Zimmermann (5.11). Die dort gebotenen Zusammenstellungen von antiken Vergleichstexten stellen für die folgenden Abschnitte (8.5.2–5) eine hilfreiche Grundlage dar. 116 Die Begriffe sind vor allem durch Philos Stoikerreferate überliefert (bes. Philo, Aet.): 113 Siehe

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

Es handelt sich um ein endzeitliches (wenn auch im stoischen Verständnis periodisch vorkommendes) Ereignis kosmischen Charakters. Alles vergeht und alles entsteht neu. Sollte mit Hilfe dieses Ursprungsbereiches die rettende und reinigende Wirkung des „Bades“ in Tit 3,5 beschrieben sein, dann läge ein starker Akzent auf dem völligen Neuanfang.117 „Die Wiederentstehung der Welt wird in der Stoa“, so Hans-Josef Klauck, allerdings „als numerisch identische Neuauf lage charakterisiert. Alles wiederholt sich genau so, wie es beim letzten Durchgang und allen Zyklen zuvor gewesen ist.“ 118 Mit der Beschreibung der Heilswende im Titusbrief ließe sich dieser Aspekt des Gleichbleibenden nicht gut in Einklang bringen, setzt Tit 3,4–7 im Gegenüber zu Tit 3,3 doch voraus, dass sich Grundlegendes im Leben der Angesprochenen geändert hat. Es gibt aber Anzeichen, dass diese Position zumindest in späteren Entwicklungen der stoischen Lehre modifiziert wird. So verweist Christiane Zimmermann auf Seneca als wichtigen Vertreter der kaiserzeitlichen Stoa, nach dessen Ansicht das wiederholte Vergehen und Wiederentstehen sehr wohl „zu einer Verbesserung der Welt“ führt und der „Mensch als Teil des Kosmos […] nach dieser Vorstellung an der kosmischen παλιγγενεσία, am Wiederentstehen der Welt“ partizipiert.119 Tit 3,5 ist zwar weder eschatologisch noch kosmisch orientiert, aber Zimmermann sieht den „gemeinschaftskonstituierenden, überindividuellen, übernationalen und insofern kosmischen“ Aspekt des Lexems durchaus im Einklang mit Positionen des Titusbriefes.120 Es wäre also durchaus denkbar, dass jemand mit Kenntnissen stoischer Lehrinhalte den Titusbrief und insbesondere Tit 3,5 zu Beginn des 2. Jahrhunderts so lesen konnte, dass er oder sie in παλιγγενεσία das Konzept der Wiederentstehung der Welt (mit der Option einer Verbesserung) aufgerufen sah. Im „Bad, das zur Wiederentstehung und Erneuerung“ führt, wäre dann auf metaphorische Weise besonders die grundlegende Neuwerdung des Menschen beschrieben. Es handelt sich mit παλιγγενεσία als Indikator einer Vorstellung von der Wiederentstehung der Welt auch keineswegs um abseitiges Spezialwissen. Klauck betont vielmehr für die späte Stoa der Kaiserzeit und besonders für das vgl. ausführlicher Büchsel, γίνομαι 685 f.; Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 6–13; Zimmermann, Wiederentstehung 287. 117 Auch die zugehörige Vernichtung im Feuer könnte in einen (vorsichtigen) Bezug zur mit λουτρόν verbundenen Reinigungsmetaphorik gebracht werden, denn auch Feuer reinigt. 118 Klauck, Umwelt 93. 119 Zimmermann, Wiederentstehung 287 f. Vgl. zur geschilderten Position bes. Seneca, Na­tu­rales quaestiones 3,30,8: Omne ex integro animal generabitur dabiturque terris homo in­scius scelerum et melioribus auspiciis natus. („Dann werden von neuem alle Lebewesen geschaffen, und die Erde bekommt ein Menschengeschlecht, das nichts von Freveln weiß und unter einem Glücksstern geboren ist“, Übers. Brok, Untersuchungen 241). Auch Leisegang (Palingenesia 143) verweist u. a. auf diesen Text Senecas, um zu betonen: „Diese Lehre von der gleichförmigen Wiederkehr aller Dinge in ewigem Kreislauf hindert nicht daran, die kommenden Zustände höher zu bewerten als die vergangenen.“ 120 Zimmermann, Wiederentstehung 291.

8.5 Παλιγγενεσία als Teil der Metaphorik in Tit 3,5

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2. Jahrhundert, dass „[s]toisches Gedankengut […] in wesentlichen Bestandteilen Allgemeingut geworden“ war.121 Auch über Philo (s. o. Anm. 116) könnte dieses Wissen vermittelt sein.122 Umgekehrt gibt es im Brief keine eindeutigen Signale, die genau diese stoisch orientierte Lektüre von Tit 3,5 fordern. In jedem Fall ginge es dann nicht um ein „Bad der Wiedergeburt“, sondern um die Umschreibung der geschehenen Rettung und Reinigung als Wiederentstehung und Erneuerung. 8.5.3 Postmortale Wiedergeburt der Seele als Hintergrund für die Metaphorik in Tit 3,5? Die in ihrem Ursprung Pythagoras zugewiesene Lehre von der Seelenwanderung verwendet παλιγγενεσία, um mit diesem Wort die postmortale „Wiedergeburt“ der Seele in einem anderen Körper zu beschreiben.123 Sie als Hintergrund der παλιγγενεσία-Vorstellung in Tit 3,5 anzunehmen, bereitet allerdings mehr Schwierigkeiten, als damit gelöst werden.124 Es ist weniger das Problem, dass es sich um ein postmortales Geschehen handelt – das ist, in kosmischer Ausweitung, auch bei der stoischen παλιγγενεσία-Auffassung der Fall (s. o. 8.5.2). Als schwierig erweist sich vielmehr die Art der Verbindung, die zwischen vergangenem und neuem Leben besteht. Meistens sind die Vorstellungen von einer Wiedereinkörperung der „Seele“ ausdrücklich ethisch profiliert: Wie man jetzt lebt, bestimmt in starkem Maße, ob man es im nächsten Leben besser oder schlechter haben wird.125 Tit 3,5 a dagegen schließt die Mitwirkung menschlichen Tuns an der Rettung kategorisch aus. Tit 3,3 beschreibt das alte Leben als dem neuen diametral entgegengesetzt. Würde durch παλιγγενεσία in Tit 3,5 das Konzept einer „Wiedergeburt“ im Sinne der Seelenwanderung aufgerufen, 121 Klauck,

Umwelt 79. stellt nicht nur dar, sondern rezipiert die παλιγγενεσία-Lehre auch auf seine eigene Weise (vgl. die Zusammenfassung bei Zimmermann, Wiederentstehung 288 f.). Als Hintergrund für die Vorstellung von παλιγγενεσία in Tit 3,5 führt Philo aber nicht weiter (vgl. ebd. 290). 123 Häufiger sind dafür allerdings die Begriffe der μετεμψύχωσις oder der μετενσωμάτω­σις anzutreffen oder andere verbale Umschreibungen (vgl. dazu ausführlich Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕ­ ΣΙΑ 14–18). Eindeutig findet sich der Gebrauch von παλιγγενεσία im Sinne der Seelenwanderung dann auf jeden Fall bei Plutarch (vgl. De esu carnium 998 C und 996 C; De Iside et Osiride 379 F). 124 Vielleicht wird sie deshalb auch häufig gar nicht unter den möglichen Optionen für die religionsgeschichtliche Verortung von παλιγγενεσία angeführt. 125 Insgesamt wird der Kreislauf der Seelen außerdem in der Regel als leidvoll empfunden; Ziel ist es, ihm zu entrinnen. „Bereits in den frühesten Zeugnissen hat die S[eelenwanderung] in Griechenland eine ethische Dimension: Sie wird als Strafe für eine frühere Schuld gedeutet, sei es für eine mythische Urschuld […] oder ein individuelles Vergehen“ (Riedweg, Seelenwanderung 329). Das wird z. B. gut deutlich im platonischen „Mythos von Er“ (Platon, Rep. 614 b–621 d). Platon spricht dort allerdings nicht von παλιγγενεσία, sondern beschreibt die Wiederkehr der Seelen in ein neues Leben als φέρεσθαι ἄνω εἰς τὴν γένεσιν (620 b). 122 Philo

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

hätte es ein metaphorischer Interaktionsprozess schwer, Aspekte aus diesem Ursprungsbereich zu finden, die sich sinnerschließend auf die grundlegende Lebenswende der Angesprochenen beziehen ließen. Gleichzeitig müssten zu viele andere Aspekte als nicht passend ausgeblendet werden, was ebenfalls nicht für diese Option spricht. 8.5.4 Die Suche nach einer „Mysterien-Wiedergeburt“ und ihrer Terminologie als Hintergrund für das Verständnis von παλιγγενεσία in Tit 3,5 Als letzte und zweifellos am meisten favorisierte religionsgeschichtliche Herkunft für das Wort παλιγγενεσία in Tit 3,5 ist hier auf die Mysterienkulte einzugehen. Wie für die „Wiedergeburts“-Forschung allgemein dargestellt (s. o. Teil I), waren dabei auch für die Auslegung von Tit 3,5 die Thesen der Religionsgeschichtlichen Schule einflussreich.126 So steht für Martin Dibelius in seinem Kommentar zu den Pastoralbriefen fest, dass der Titusbrief den Begriff παλιγγενεσία „aus einer anderen Welt“, nämlich der „Welt der Mysterien“ übernommen hat.127 Fasst man die aus sehr verschiedenen Stellen (Apuleius, Metamorphoses 11,16.21; Attis-Inschrift, CIL 6,510,17 ff.; Mithrasliturgie, PGrM 4,719 ff.;128 Corpus Hermeticum 13) gesammelten Aspekte zusammen und beachtet gleichzeitig auch die Abgrenzungen, die Dibelius vornimmt, so beschreibt παλιγγενεσία als aus den Mysterien übernommener Begriff in Tit 3,5 ein „dauerndes neues Leben im Geist“, das keiner „abermaligen erneuernden Wiedergeburt bedarf “, und mit dem „nicht eine besondere Art mystischen Christentums gemeint [ist], sondern der allen zugängliche Heilsstand“.129 Bereits hier wird deutlich, dass es sich – wenn die These denn stimmt – nicht um eine einfache Übernahme aus den Mysterien, sondern um eine bedeutsame Umgestaltung handelt. Wilhelm Heitmüller dagegen, der ebenfalls als entschiedener Verfechter einer Herleitung der „Wiedergeburt“ aus den Mysterien gelten kann, stellt deutlich mehr Übernahmen und Parallelen fest. Sie basieren aber wesentlich auf der Vorstellung von der leidenden, sterbenden und wieder auferstehenden Gottheit, die er bei Paulus ebenso wie in den Mysterien findet (s. Anm. 126) und die für Tit 3,5 wenig Profil gewinnt.

Die später folgenden Kommentare verhalten sich unterschiedlich zu dieser Vorgabe aus der Forschungsgeschichte. Eher selten sind positive Anknüpfungen 126 In der Regel steht weniger Tit 3,5 im Zentrum der Fragestellung als Röm 6; vgl. dazu bes. Heitmüllers Position (s. o. 2.2.3); vgl. auch Bultmann, Theologie 142: „die Taufe gibt teil am Tode und an der Auferstehung Christi. Diese Interpretation stammt zweifellos aus der hellenistischen Gemeinde, welche das ihr überlieferte Initiations-Sakrament nach Analogie von Initiations-Sakramenten der Mysterienreligionen versteht, deren Sinn der ist, den Mysten teilzugeben am Schicksal der Kultusgottheit, die den Tod erlitten hat und wieder zum Leben erwacht ist – wie Attis, Adonis und Osiris.“ 127 Dibelius, Pastoralbriefe 95 (zitiert wird hier die 2. Auf lage von 1931; die späteren Überarbeitungen des Kommentars durch Conzelmann zeigen diesbezüglich aber keine wesentlichen Veränderungen). Dibelius richtet sich an dieser Stelle ausdrücklich gegen Harnack (s. o. 3.1). 128 Dibelius zitiert statt PGrM die Ausgabe von Dieterich (Mithrasliturgie). 129 Dibelius, Pastoralbriefe 95.

8.5 Παλιγγενεσία als Teil der Metaphorik in Tit 3,5

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an die Mysterienthese.130 Häufiger dagegen sind die Ablehnungen 131 oder auch das völlige Übergehen einer möglichen Mysterienprägung von παλιγγενεσία.132 Manchmal endet die Aufzählung verschiedener religionsgeschichtlicher Herleitungen auch mit der favorisierten Deutung von παλιγγενεσία als Ausdruck einer bereits vorhandenen christlichen „Wiedergeburts“- oder Tauftradition (zur Kritik s. o. 8.5.1), wobei nicht deutlich wird, ob die zuvor erwähnten Bezüge hiermit abgetan sind oder als in die christliche Deutung eingeflossen verstanden werden.133 Geht man aber nicht davon aus, dass ein solches, auf die Beschreibung von Taufe und Konversion anwendbares „concept of new birth“ 134 für den Titusbrief bereits handlich zur Verfügung stand, dann muss noch einmal neu nach einer möglichen Prägung von παλιγγενεσία durch die Mysterienreligionen gefragt werden. Anders als bei der stoischen „Wiederwerdung“ der Welt (s. o. 8.5.2) und der durch die Seelenwanderung erlangten „Wiedergeburt“ (s. o. 8.5.3) geht es dabei nicht nur um die mögliche Prägung des Ursprungsbereiches, den παλιγγενεσία in Tit 3,5 innerhalb der metaphorischen Äußerung aufruft. Eine „Wiedergeburts“-Vorstellung aus den Mysterienreligionen wäre vielmehr in einigen Aspekten komplett auf die Situation des Gläubig-Werdens mit seiner rituellen Seite, der Taufe, übertragbar (und somit auch auf Tit 3,5). Denn auch in den Mysterien würde es – den Nachweis einer entsprechend früh in den Quellen belegbaren Vorstellung vorausgesetzt – bereits um ein metaphorisches Konzept gehen: Die Rede von „Wiedergeburt“ riefe den Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung auf, um mit dessen Hilfe eine bereits in diesem Leben erfahrbare grundlegende Erneuerung des Lebens durch die Initiation in die entsprechenden Mysterien zu beschreiben. Hinzu käme – so zumindest die häufige Annahme – ein Wasserritus, der die Rettung symbolisiert und diese dem Wirken der jeweiligen Gottheit zuschreibt. All diese Aspekte lassen sich tatsächlich auch in den Quellen nachweisen. Ein zuverlässiges Gesamtbild ergibt sich dennoch nicht: 130 So greift u. a. Merkel (Pastoralbriefe 103) auf die Mysterien, konkret aber nur auf die Metamorphosen des Apuleius zurück: Mit παλιγγενεσία „dürfte ein Interpretament aus der Umwelt aufgenommen sein“. Die „Sache“ sei aber schon bei Paulus vorhanden (zu diesem in der Forschungsgeschichte häufigen Wechsel zur „Sache“ s. o. Teil I, bes. 2.2.2). Ob das für Tit 3,5 eine Übernahme via Paulus bedeute, führt Merkel allerdings nicht aus. Positiv knüpft auch Holtz (Pastoralbriefe 233 f.) an die Mysterien an, entnimmt aber ebenso allen anderen möglichen religionsgeschichtlichen und philosophischen Herleitungen Aspekte zur Deutung von παλιγγενεσία, einschließlich der παλιγγενεσία-Erwähnung in Mt 19,28 und der rabbinischen Aussagen über den gerade übergetretenen Proselyten, der wie ein Neugeborener sei (s. o. 4.1.1). In dieser vielschichtig zusammengesetzten Form ist dies jedoch kaum wahrscheinlich. 131 So z. B. Oberlinner, Titusbrief 174; Brox, Pastoralbriefe 307; Towner, Titus 281 f.; Mounce, Pastoral Epistles 449. 132 So z. B. Hasler, Titus; Bassler, Titus; Fiore, Pastoral Epistles. 133 So z. B. Marshall, Pastoral Epistles 320; Fee, Titus 205. 134  Marshall, Pastoral Epistles 320.

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

Besonders im elften Buch der „Metamorphosen“ des Apuleius wird man fündig. Dort heißt es über den in die Isis-Mysterien initiierten Lucius, dass er renatus quodam modo sei (Metamorphoses 11,16.21).135 Äußeres Zeichen seiner Rettung, für die er der Isis in höchsten Tönen dankt (11,25), ist die (notwendig bereits vor seiner Initiation stattfindende) Wiedergewinnung seiner Menschengestalt (11,13). Als Vorbereitungen für den eigentlichen Einweihungsritus muss Lucius nicht nur mehrere Tage asketisch leben, sondern sich auch in einem Bad reinigen.136 Dieses Bad ist allerdings nicht der Initiationsritus selbst. Auch aus anderen Mysterienkulten lassen sich zwar Belege für Reinigungsbäder beibringen, der zentrale Ritus, der aufgrund der Arkandisziplin 137 sowieso nicht genau geschildert wird, lässt sich aber nicht mit Sicherheit als ein „Bad“ ausmachen. Noch späteren Datums als das Werk des Apuleius (ca. 123–170), sind fast alle weiteren Belege, die aus dem Bereich der Mysterien in der Forschung immer wieder angeführt werden, um die Vorstellung und Rede von „Wiedergeburt“ in den Mysterien nachzuweisen und eine Ahnung von kultischen Vollzügen zu gewinnen, nämlich Tertullian, Bapt. 5,1, eine Inschrift aus dem Attiskult (CIL 6,510), die sogenannte Mithrasliturgie (PGrM 4,719 ff.) und Sallust, De deis et mundo 4,10.138 Zimmermann zieht für die Diskussion eines Mysterienhintergrunds von παλιγ­γενεσία in Tit 3,5 außerdem archäologische Belege heran und verknüpft sie mit der Lokalisierung der vom Titusbrief Adressierten auf Kreta.139 So gibt es nicht nur Hinweise auf die Beheimatung des Isiskultes auf Kreta. Die Ausgrabungen in Gortyn (Südkreta) haben außerdem ein Iseum 135 Der

metaphorische Charakter der Aussage wird durch quodam modo sehr deutlich hervorgehoben. Vgl. auch bereits unmittelbar nach der Rückverwandlung des Lucius (Meta­mor­ phoses 11,13) die Bezeichnung der wiedergewonnenen menschlichen Stimme und Sprachfähigkeit als renata lingua (11,14). 136 Apuleius beschreibt in Metamorphoses 11,23, wie Lucius vom Priester in das nächstgelegene Bad geführt und nach einer üblichen Waschung unter Gebet und weiterer Besprengung gereinigt wird ([…] deducit ad proximas balneas et prius sueto lavacro traditum, prae­fatus deum veniam, purissime circumrorans abluit). Erst danach kehrt Lucius in den Isis-­Tempel zurück. 137 Vgl. dazu wiederum Apuleius, Metamorphoses 11,23. 138 Vgl. aber Zimmermann (Wiederentstehung 286) zum Text eines orphisch-bacchischen Goldblättchens vom Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. Die Aussagekraft dieses Belegs ist jedoch eher gering einzuschätzen (s. o. 5.11). Außerdem ist auf zwei Belegstellen für παλιγ­ γενεσία bei Plutarch (ca. 45–125) hinzuweisen. In De Iside et Osiride 364 F und De E apud Delphos 389 A beschreibt Plutarch mit παλιγγενεσία jedoch jeweils nicht die „Wiedergeburt“ eines Mysten oder ein Mystin, sondern allein die Wiederherstellung und Wiederbelebung der jeweiligen Gottheit, Osiris bzw. Dionysos. 139 Dabei bleibt allerdings zu fragen, ob Kreta überhaupt als reale oder nur als fiktive Adresse der vom Titusbrief Angesprochenen anzusehen ist. Kreta wird außer in Tit 1,5 nochmals explizit in Tit 1,12 erwähnt, wo „Paulus“ ein offenbar geläufiges Negativurteil über die Kreter zitiert: Sie seien „schon immer Lügner, böse Bestien, faule Bäuche“ (Κρῆτες ἀεὶ ψεῦσ­ται, κακὰ θηρία, γαστέρες ἀργαί). In der Kommentarliteratur wird diese Stelle kontro­ vers diskutiert und einerseits als Indiz dafür gedeutet, dass aufgrund dieser heftigen Beschimpfung Kreta nur eine fiktive Adresse sein könne (so z. B. Merkel, Pastoralbriefe 94; Hasler, Titus 87 f.; Brox, Pastoralbriefe 282 f.288; Quinn, Titus 21.109). Aber auch ohne Rückgriff auf das Zitat in Tit 1,12 halten die meisten Ausleger die auf Kreta lokalisierte Situation für fingiert (vgl. z. B. Oberlinner, Titusbrief 21). Andere stellen Kreta als realen Bestimmungsort des Briefes dagegen nicht in Frage (vgl. z. B. Marshall, Pastoral Epistles

8.5 Παλιγγενεσία als Teil der Metaphorik in Tit 3,5

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mit einer Krypta und einem Becken für rituelle Reinigungen zutage gefördert. Dessen genauer kultischer Gebrauch bleibt jedoch unbekannt 140 und ein Zusammenhang von Wasserritus und ritueller Wiedergeburt ist auch dort nicht nachweisbar.141

Auf welch schwieriges Terrain man sich mit der Auswertung des hier nur angedeuteten Befundes vorwagt, fasst Alexander J. M. Wedderburn ganz allgemein und nicht nur in Bezug auf die Frage nach „Wiedergeburt“ so zusammen: „That so many can raise the question of the influence of the mystery-cults on early Christianity and come to such very different answers is in itself eloquent testimony to the problems that beset any who would venture into this field.“ 142 Zusammenfassend lässt sich zur Frage einer Herkunft der „Wiedergeburts“-­ Vorstellung aus den Mysterien sagen, was in der vorliegenden Untersuchung schon mehrfach betont wurde:143 Die Belege sind spärlich und meist später als die neutestamentlichen Texte zu datieren. Vor allem aber geben sie kein annähernd komplettes Bild der Mysterienreligiosität und -praxis im 1. Jahrhundert. Ergänzungen des einen durch Aspekte eines anderen Kultes verbieten sich aus methodischen Gründen. Eine Aussage zur Beeinflussung von Vorstellungen in neutestamentliche Texten durch die Mysterien ist daher schwierig. Fragt man nach παλιγγενεσία in etwas weiter gefassten Mysterienzusammenhängen, so bleibt das dreizehnte Kapitel des Corpus Hermeticum mit gleich mehreren Belegen auf relativ engem Raum zu nennen. Die hermetischen Schriften werden zu Recht als „Lesemysterien“ 144 bezeichnet. Eine rituelle Seite der dort beschriebenen „Wiedergeburt“ gibt es nicht,145 sie ereignet sich vielmehr im Dialog mit dem Lehrer, dem Nachsinnen über seine Worte und der Anbetung der Gottheit im Schweigen.146 Damit rückt die zu erreichende Rettung, die „Rückkehr der Seele in ihre himmlische Heimat“,147 in die Nähe einer selbsterwirkten Rettung. Ab150 f.​202 f.; Fiore, Pastoral Epistles 197.201). Für die Vertreter der Authentizität des Titusbriefes (z. B. Mounce, Pastoral Epistles 385 f.) oder einer Sekretärshypothese (z. B. Holtz, Pastoralbriefe) gilt Kreta im Wesentlichen ebenfalls unhinterfragt als Bestimmungsort. 140 Gegen Wieland (Crete 349–351), der Beziehungen von Tit 3,5 f. zu den Wasserriten des Isiskultes ausgesprochen stark macht (und sich dabei auch konkret auf die Ausgrabungen in Gortyn bezieht). Letztlich kann auch er aber nur sehr allgemein die große Bedeutung von Wasser im Isiskult hervorheben, die sich aus der ägyptischen Prägung des Kultes und einer dementsprechend wichtigen (symbolischen) Rolle des an- und abschwellenden Nils ergibt. Vgl. auch Pearson (Baptism), der weniger archäologisch vorgeht, sondern vielmehr verschiedene Mysterienbeschreibungen mit den Mythen über deren zentrale Gottheiten zusammenzubringen versucht, um den Wasserriten auch in der Initiationshandlung selbst eine bedeutende Rolle zuzuweisen; vgl. kritisch in dieser Hinsicht dagegen Burkert, Mysterien 86. 141 So auch Zimmermann, Wiederentstehung 285. 142 Wedderburn, Baptism 90. 143 Zusammenfassend s. o. Kap. 6; vgl. aber bereits zuvor die entsprechenden kritischen Einschätzungen innerhalb der Forschungsgeschichte z. B. durch Gennrich (s. o. 2.1), Büchsel (s. o. 3.4), Dey (s. o. 3.6) oder Mounce (s. o. 4.3.2). 144 Tröger, Hermetica 750. 145 Insgesamt herrscht „eine Spiritualisierung kultischer Traditionen“ vor (Tröger, Hermetica 750). 146 Vgl. z. B. Ogd Enn NHC VI,6 p. 58,24–26; Corpus Hermeticum 13,16. 147 Tröger, Hermetica 750.

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

gesehen davon, dass die hermetischen Texte später als der Titusbrief anzusetzen sind,148 ist es vor allem die Nähe zur Selbsterlösung, die es unwahrscheinlich macht, dass παλιγγενεσία in Tit 3,5 ein solcherart hermetisch geprägtes „Wiedergeburtskonzept“ aufrufen sollte.

Insgesamt muss es angesichts der Quellenlage offenbleiben, ob Tit 3,5 tatsächlich vor einem Mysterien-Hintergrund gelesen und als metaphorische Beschreibung der Einweihung in den christlichen Kult durch einen rettenden Wasserritus verstanden werden konnte. 8.5.5 Παλιγγενεσία als konventionalisierter Ausdruck grundlegender Erneuerungs- und Rettungserfahrungen Lässt sich also weder eine Prägung des παλιγγενεσία-Verständnisses durch die stoische Lehre noch durch eine aus den Mysterien stammende konzeptuelle Metapher Initiation als Geburt für Tit 3,5 als sicher etablieren,149 bleibt als weitere Möglichkeit zu erwägen, ob παλιγγενεσία nicht viel allgemeiner und ohne den Rückgriff „auf den einen oder anderen technischen Wortsinn philosophischer oder religiöser Sondersprache“ 150 zu verstehen ist. Denn „auch die Umgangssprache kennt den Begriff in dem undifferenzierten Sinn von Wiederherstellung, Wiederentstehung, Erneuerung in den unterschiedlichsten (nicht nur religiösen) Zusammenhängen“.151 Ein Bezug auf umgangssprachliche Konventionen einer vergangenen Zeit stellt freilich vor die Schwierigkeit, dass sich solche Konventionen vor allem in der Mündlichkeit ausprägen und in schriftlichen Zeugnissen nur bedingt erhalten sind. Präziser wäre davon zu sprechen, dass sich anhand antiker Quellenbelege zu παλιγγενεσία auch ein (metaphorisch) konventionalisierter und nicht (mehr) dezidiert religiös oder philosophisch geprägter Gebrauch aufzeigen lässt. Einen direkten Zugriff auf die Umgangssprache erlangt man auch damit nicht, immerhin kann man anhand der Belege aber gut analysieren, welche Inhalte es sind, die – jenseits der oben bereits untersuchten religiösen und philosophischen Kontexte –mit Hilfe von παλιγγενεσία noch ausgedrückt werden, und kann im Anschluss daran die so gewonnenen Erkenntnisse für die Deutung von Tit 3,5 nutzen. Jene drei Untersuchungen, die sich in der älteren Forschungsgeschichte bereits intensiver mit der Herkunft von παλιγγενεσία befasst haben,152 stellen neben die oben bereits diskutierten Beispiele für die religiösen oder philosophischen Prägungen des Wortes ebenso auch Textbelege für den metapho-

148 Vgl.

zur Datierung der unterschiedlichen Traditionsstränge Tröger, Hermetica 749 f. weniger wahrscheinlich ist ein „Wiedergeburts“-Verständnis im Sinne der Seelenwanderung, wie schon gezeigt wurde (s. o. 8.5.3). 150 Brox, Pastoralbriefe 307. 151 Brox, Pastoralbriefe 307. 152 Gennrich, Lehre; Büchsel, γίνομαι; Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ. 149 Noch

8.5 Παλιγγενεσία als Teil der Metaphorik in Tit 3,5

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risch abgeblassten oder gar nicht metaphorischen „profanen“ 153 Gebrauch von παλιγγενεσία in antiken Texten. Die umfänglichste Textsammlung findet sich bei Joseph Dey. Die von Dey angeführten und bereits kurz zusammengefassten Texte (s. o. 3.6.2) sind hier nochmals aufzugreifen und um einige Belege zu erweitern: So bezieht sich zum Beispiel Cicero in einem Brief an Titus Pomponius Atticus auf seine wiedererlangte Freiheit nach der Rückkehr aus dem Exil als παλιγγενεσία ([…] propter hanc παλιγγενεσίαν […], Epistulae ad Atticum 6,6 § 4).154 Josephus nennt die Rückkehr und Wiederherstellung des Gottesvolkes im Heimatland nach dem Babylonischen Exil eine ἀνάκτησις καὶ παλιγγενεσία τῆς πατρίδος (Ant. 11,66). In der Legatio ad Gaium spielt Philo auf die Befreiung König Agrippas aus der Haft im Jahr 37 an und lässt ihn diese Erfahrung Kaiser Caligula gegenüber beschreiben, als habe dieser ihn „wie durch eine Wiederentstehung erweckt“ (καθάπερ ἐκ παλιγ­ γε­νε­σίας ἀνήγειρας, Legat. 41).155 Bei Ps.-Galen wird die Genesung eines Todkranken als πα­λιγ­γενεσία bezeichnet (De theriaca ad Pamphilianum 14,305,10). Chariton schließlich erzählt in seinem Roman Callirhoe, den Dey nicht erwähnt, wie die gleichnamige Heldin irrtümlich lebendig begraben und aus dieser Lage von Grabräubern befreit wird. Der Moment, als Kallirhoe aus ihrem scheintoten Zustand erwacht, wird mit den Worten τὰ δὲ περὶ Καλ­λι­ρόην δευτέραν ἄλλην ἐλάμβανε παλιγγενεσίαν eingeleitet (Callirhoe 1,8,1).156 – Alle diese Texte beschreiben mit Hilfe von παλιγγενεσία eine Rückkehr zu früheren Lebensmöglichkeiten, die durch widrige Umstände zeitweilig verloren waren.157 Das mit παλιγγενεσία beschriebene Erlebte liegt klar innerhalb des gegenwärtigen Lebens.158 Aspekte von Geburt, die παλιγγενεσία als Fokuswort für einen Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung einbringen könnte, sind nirgendwo stark ausgeprägt. 153 So die Überschrift bei Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 25: „Παλιγγενεσία als nichtphilosophischer Ausdruck des profanen Sprachgebrauchs.“ 154 Der Brief ist um den 3. August 50 v. Chr. zu datieren (vgl. Shackleton Bailey, Letters 162 f.). 155 Die gleiche Formulierung, καθάπερ ἐκ παλιγγενεσίας, findet sich auch bei Plutarch (Quaes­tiones convivales 722 D) im Zusammenhang mit einem Demokrit-Zitat. Dort ist sie allerdings nicht auf Menschen bezogen, sondern auf „neue Gedanken“, die Zeus mit dem „neuen Tag“ aufweckt: ἐγείρων […] καθάπερ ἐκ παλιγγενεσίας „νέα ἐφ’ ἡμέρῃ φρονέοντες“, ὥς φησι Δημόκριτος. Auch bei Longus ist παλιγγενεσία nicht auf Menschen bezogen, sondern beschreibt das sehnsüchtige Warten der Protagonisten auf die Wiederkehr des Frühlings (τὴν ἠρινὴν ὥραν ἀνέμενον ἐκ θανάτου παλιγγενεσίαν, Daphnis et Chloe 3,4). 156 Meckelnborg / ‌Schäfer (Kallirhoe 259) beurteilen die ungewöhnliche Formulierung als „unglückliche[n] Pleonasmus; gemeint ist einfach nur eine zweite Geburt bzw. eine Wiedergeburt. Möglich ist aber auch, dass δευτέραν eine versehentlich in den Text geratene Randbemerkung ist.“ Später bezieht sich Kallirhoe auf dieses Erlebnis in einem Gebet an Aphrodite noch einmal als ein Wiederauf leben (ἀνέζησα, Callirhoe 3,8,9). 157 Nur die Josephus-Stelle (Ant. 11,66) ist etwas anders, da hier die „Wiederentstehung / ​ Wiederherstellung des Vaterlands“ (παλιγγενεσία τῆς πατρίδος) nicht direkt auf die Wiedergewinnung von menschlichem Leben bezogen ist, sondern eine politisch-religiöse Größe in den Blick nimmt (vgl. schon oben Anm. 155 mit weiteren Beispielen). Weiter gefasst geht es aber auch hier um die erneuerten und wiedergewonnenen Lebensmöglichkeiten der Rückkehrer aus dem Exil. 158 Bei Kallirhoe könnte man aufgrund des scheintoten Zustands allerdings auch Anklänge an Vorstellungen einer postmortalen παλιγγενεσία vermuten.

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

Im Hinblick auf Inhalt und verwendete Metaphorik ist ein weiterer Text vergleichbar, den Dey vermutlich deshalb nicht anführt, weil er keinen Beleg für παλιγγενεσία darstellt. Es handelt sich um die Schilderung der Rettungstaten des Lucullus in dessen Lebensbeschreibung durch Plutarch. Hier wird die Befreiungserfahrung der Menschen, die Lucullus aus der Gefangenschaft führt, als „Rettung“ und außerdem als „Wiederbelebung und gewissermaßen zweite Geburt“ beschrieben, die die Rettung sogar noch übertrifft: οὐ σωτηρίαν, ἀλλ’ ἀνα­ βίωσιν καὶ δευτέραν τινὰ γέννησιν ἡ Λευκόλλου χάρις παρέσχεν (Lucullus 18,1 f.). Mit dem Fokuswort γέννησις wird hier zwar deutlicher als beim Einsatz von παλιγγενεσία der Sinnbereich Geburt / ​Zeugung aufgerufen. Auch hier werden Aspekte von Geburt / ‌Zeugung im Kontext aber nicht weiter metaphorisch elaboriert. Noch etwas anders gelagert ist die Verwendung bei Philo, der in De posteritate Caini die Geburt Seths „gleichsam als παλιγγενεσία Abels“ bezeichnet (Post. 124). Im ersten Moment scheint hier die Bedeutung von παλιγγενεσία als „Wiedergeburt“ besonders naheliegend. Ein wesentlicher Unterschied ist aber, dass es sich um ein postmortales Ereignis handelt, dass in gewisser Weise eher an Vorstellungen der Seelenwanderung erinnert (in Seth wird Abel wieder inkorporiert). Insgesamt kommt es im Aussagekontext darauf an, dass Seth an die Stelle des ermordeten Abel tritt und damit dessen Funktion als prospektiver Stammvater übernimmt. Wenn überhaupt, dann geht es in diesem Sinne eher sehr konkret und weniger metaphorisch um Zeugung und Geburt. Komplett gegensätzlich zum oben erwähnten Beleg bei Ps.-Galen scheint Galen selbst die Metaphorik einzusetzen, wenn er von der Wiederkehr einer bereits behandelten Krankheit als einer παλιγγενεσία redet (De compositione medicamentorum secundum locos 13,83,15).159 Die offensichtlich negative Erfahrung, die hier im Hintergrund steht, ist innerhalb der allgemeinen Verwendung von παλιγγενεσία eher selten (soweit die erhaltenen Quellen ein Urteil erlauben). Zu beachten ist aber außerdem, dass es um die παλιγγενεσία der Krankheit, nicht um die Beschreibung des Kranken selbst geht. Insofern funktioniert die Aussage genauso wie die obigen Beispiele auch: Die Krankheit kehrt zurück und gewinnt erneut an Einfluss. Auch hier spielt Geburt keine wesentliche Rolle im Ursprungsbereich.

Laut Dey handelt es sich in all den von ihm angeführten Beispielen „immer um das Wiederbringen eines früheren Zustandes ohne wesentliche Änderung.“ 160 Diese Zusammenfassung ist aber in der Tendenz zu negativ. Man wird den Zustand, zu dem die παλιγγενεσία jeweils führt, zwar sicherlich auch nicht als 159 Vergleichbar beschreibt auch der griechische Arzt Antyllus (2. / 3. Jahrhundert), der bereits Staroperationen am Auge durchführte (vgl. Nutton, Antyllos), die Wiederentste­hung einer talgigen Geschwulst bzw. Talgzyste (στεάτωμα) als παλιγγενεσία, wenn sie nicht in richtiger Weise entfernt wird (ὑπολειφθὲν γάρ τι μέρος αὐτοῦ παλιγγενεσίας αἴτιον καθί­στα­ ται; zitiert bei Oribasius, Collectiones medicae 45,2,7). 160 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 33. Dey bezieht diese Zusammenfassung sogar auf alle von ihm angeführten Verwendungsbereiche, nicht nur auf den oben besonders interessierenden „profanen“ Bereich. Von den Beispielen wiederum, die Dey unter „profan“ anführt, sind hier nicht alle aufgegriffen. Besonders die beiden Plutarch-Texte (De Iside et Osiride 364 F und De E apud Delphos 389 A), die Tod und Wiederherstellung des Osiris bzw. Dionysos beschreiben, gehören eher in den Schnittbereich zwischen Seelenwanderung und Mysterienkult, geht es doch um die postmortale Wiederbelebung zweier Mysteriengottheiten (vgl. dazu auch Zimmermann, Wiederentstehung 282 f.). Die παλιγγενεσία-Erwähnung bei Lukian, Mus­cae encomium 7, ist dagegen als Persiflage der platonischen Seelenwanderungslehre zu verstehen und auch nur bedingt ein Beispiel für den „profanen“ Gebrauch.

8.5 Παλιγγενεσία als Teil der Metaphorik in Tit 3,5

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eine „Erhöhung des Seins“ bezeichnen können, nach der Dey eigentlich auf der Suche ist.161 Jedoch ist in den Texten, in denen παλιγγενεσία sich auf das Leben von Menschen bezieht – und das ist die deutliche Mehrzahl –, dieses wiederentstandene Leben nicht einfach das gleiche, sondern wird als „gerettet“ aus schwieriger Situation empfunden. Eine ganz ähnliche Situation lässt sich auch im Kontext von Tit 3,5 erkennen (s. u. 8.6). Paraphrasieren lässt sich demnach, dass mit παλιγγενεσία in Bezug auf Menschen eine grundlegende neue Lebensmöglichkeit beschrieben wird, die die Adressierten nach einer Rettung aus widrigen Umständen erfahren haben. Als Übersetzung von παλιγγενεσία ist „Wiederentstehung“ einer „Wiedergeburt“ deutlich vorzuziehen, denn Aspekte von Geburt werden in den oben besprochenen Texten metaphorisch nicht weiter elaboriert – und, wie bereits gezeigt,162 auch in Tit 3 nicht. Metapherntheoretisch formuliert lassen sich die Texte zusammenfassen als Instanziierungen der konzeptuellen Metapher neue Lebensmöglichkeit als Wiederentstehung. Welche speziellen religiösen oder philosophischen Konzepte am Anfang des Prozesses der Konventionalisierung gestanden haben mögen, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Gut vorstellbar ist aber, dass es sich um die vermutlich älteste Verwendung von παλιγγενεσία im Kontext der stoischen Lehre 163 handelt, die metaphorisch dann im Bezug auf intramundane, innerhalb des Lebens erfahrbare Neuanfänge Anwendung und zunehmende Verbreitung fand. Für die konventionell gewordene Metapher und ihre Instanziierungen ist eine konkrete gedankliche Aktivierung des einstmals vielleicht stoisch geprägten Ursprungskonzeptes aber nicht mehr erforderlich. Παλιγγενεσία im Sinne von „Wiederentstehung“ erscheint überhaupt kaum mehr metaphorisch. Genau betrachtet lässt sich eine semantische Spannung aber dennoch ermitteln, denn es geht in allen genannten Beispielen um das Leben bzw. den Menschen insgesamt, dem eine παλιγγενεσία zugeschrieben wird. Leben, das bereits früher entstanden ist und bereits da ist, kann aber nicht in Gänze wiederentstehen. Diesen grundsätzlichen Zug beinhaltet der Gebrauch von παλιγγενεσία auch dort noch, wo er allgemeinsprachlich und kaum mehr metaphorisch erscheint, denn alle Beispiele verwenden παλιγγενεσία nur im Zusammenhang mit gravierenden Erneuerungserfahrungen, denen etwas Einmaliges anhaftet.164

Ob die „Rettungserfahrung“, die im konventionalisiert-metaphorischen Gebrauch von παλιγγενεσία im Hintergrund steht, auf einer Selbst- oder Fremdrettung beruht, wird auf der Ebene der konzeptuellen Metapher neue Lebensmöglichkeit als Wiederentstehung nicht näher festgelegt. Ebenso wird auch die Art des neuen Lebens durch das Fokuswort παλιγγενεσία und den damit aufgerufenen Ursprungsbereich noch nicht weiter qualifiziert. Der durch den konventionalisierten Gebrauch abgekürzte metaphorische Interaktions161 Vgl.

bes. Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 4.33.125. 8.3.4 und 8.4 (dort der zweite Petit-Absatz). 163 Siehe dazu bes. Büchsel, γίνομαι 686 (s. o. 3.4.3). 164 Nicht zufällig ist es eben der zuvor Todkranke, der eine „Wiederentstehung“ erfährt (Ps.-­Galen, De theriaca ad Pamphilianum 14,305,10; s. o.), während παλιγγενεσία zur Beschreibung jeglicher Erholungserfahrung nach diversen kleineren Erkrankungen offenbar (soweit die Quellen hier ein Urteil zulassen) zu umfassend wäre. 162 S. o.

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

prozess betont vor allem das „Wieder“: Leben ist wieder möglich – als ob es zum zweiten Mal begänne. Wie genau, warum, durch wessen Initiative und mit welchen Folgen, kann nur die jeweilige Instanziierung der Metapher und ihre textliche Einbettung näher beschreiben. Für Tit 3,5 bedeutet das, dass sich genau hier, in der kontextuellen (d. h. metaphorischen) Einbindung von πα­ λιγγενεσία dann auch eine tiefere theologische Prägung der Aussage finden lässt,165 nach der in der Forschung so häufig nur im Wort gesucht wird.

8.6 Παλιγγενεσία im Kontext des Titusbriefes: Ergebnisse Das vorige Kapitel hat gezeigt, dass παλιγγενεσία im zeitgenössischen Kontext zwar verschiedene spezielle Prägungen haben kann, dass sich für den metaphorischen Gebrauch von παλιγγενεσία in Tit 3,5 aber keine dieser Möglichkeiten als sicherer Verstehenshintergrund etablieren lässt. Das schließt nicht aus, dass damalige Leserinnen und Leser ein bestimmtes, in ihrer jeweiligen Enzyklopädie vorhandenes παλιγγενεσία-Verständnis in die Lektüre einbringen konnten.166 Näherliegend und aufgrund verschiedener Textbelege aus der Umwelt auch durchaus wahrscheinlich ist jedoch ein metaphorisch bereits konventionalisierter Gebrauch, der παλιγγενεσία in sehr allgemeiner Weise und aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen zur Beschreibung eines grundlegenden Neuanfangs innerhalb des Lebens nutzt und dabei ohne Rückgriff auf bestimmte philosophische und religiöse Wortprägungen auskommt. Darzustellen ist nun abschließend, wie die durch παλιγγενεσία als Fokuswort aufgerufene, aber bereits weithin konventionalisierte metaphorische Beschreibung neuer Lebensmöglichkeit als Wiederentstehung innerhalb des gegebenen Textzusammenhangs im Titusbrief (s. o. 8.3 und 8.4) Bedeutung entfaltet. Zu beachten ist dabei an erster Stelle, dass παλιγγενεσία in Tit 3,5 d nicht nur syntaktisch auf λουτρόν bezogen ist, sondern damit auch im Kontext der durch λουτρόν aufgerufenen Reinigungsmetaphorik steht, die im Brief bereits an zwei Stellen zuvor begegnete (Tit 1,15 und 2,14; s. o. 8.4). Ein Bad, das der Reinigung dient, kann dabei sowohl hinsichtlich dessen, wovon es reinigt, als auch im Hinblick auf den damit erreichten Zustand hin profiliert werden. In Tit 3,5 ist es deutlich der zuletzt genannte Aspekt, der zentral ist: Indem das „Bad“ als λουτρὸν […] ἀνακαινώσεως näher bestimmt wird, wird deut165 Während Dey und Büchsel auf der Suche nach dieser tieferen religiösen Prägung das entsprechende Defizit der allgemeinen, profanen Verwendung deutlich markieren, steht in den Kommentaren ein positiver Bezug auf allgemeinsprachliche Gegebenheiten oft unvermittelt neben der oben bereits kritisch erwähnten „Vorstellung von Wiedergeburt“, deren Konzeptstatus mit Verweis auf Joh 3,3–8 und 1 Petr 1,3.23 behauptet wird. 166 Es wurde bereits diskutiert, in welcher Weise sich eine stoische Prägung oder ein (vermuteter) Gebrauch von παλιγγενεσία in den Mysterien in den Kontext von Tit 3,5 inhaltlich einfügen könnte (s. o. 8.5.2 und 4).

8.6 Ergebnisse

221

lich, dass es vom Ursprungsbereich her weniger auf den Schmutz ankommt, den ein Bad abwäscht, als auf die Erneuerung der Reinheit, die es bringt.167 Dieser neue bzw. erneuerte Zustand, der durch das Bad bewirkt wird und der als Zielbereich der Metapher noch recht unbestimmt ist, bekommt nun durch den Genitiv παλιγγενεσίας ein deutlicheres Profil. Denn παλιγγενεσία dient in bereits konventionalisierter Weise zur Beschreibung einer neuen Lebensmöglichkeit infolge der Überwindung einer lebensbedrohlichen oder lebensfeindlichen Situation (s. o. 8.5.5). Dieser Bedeutungshorizont verbindet sich mit der zweiten, bereits erwähnten Näherbestimmung des „Bades“ durch „Erneuerung“ und präzisiert diese in sehr deutlicher Weise. Denn während ein λουτρὸν ἀνα­καινώσεως sowohl konkret als auch metaphorisch wiederholbar erscheint und das Ausmaß der konkreten wie metaphorisch gefassten „Erneuerung“, die durch das „Bad“ bewirkt wird, beschränkt sein kann, wird durch die Bestimmung als λουτρὸν παλιγγενεσίας deutlich, dass es um eine sehr grundlegende und eher einmalige „Erneuerung“ des Lebens geht. So gesehen kommt παλιγγενεσία gegenüber ἀνακαίνωσις der entscheidende Anteil an der metaphorischen Profilierung des „Bades“ und seiner Wirkung zu.168 In der Übersetzung lassen sich beide Wörter daher gut zusammenfassen zu „[…] rettete er uns durch das Bad, das zu einer grundlegenden Erneuerung des Lebens führt“ (s. u.). Auch ἀνακαίνωσις hat aber, wie oben gezeigt, durchaus eine eigene Funktion innerhalb der Metaphorik, indem das Wort deutlich macht, dass es um eine Reinigung hin zu einem neuen Zustand und nicht so sehr um eine Reinigung von etwas (zum Beispiel Sünden; s. u.) geht. Das ist umso mehr zu betonen, als mit der Referenz auf die Taufe, die für Tit 3,5 mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann (s. o. 8.3.3), schnell auch der Gedanke an Umkehr und Sündenvergebung präsent ist, wie er in anderen Texten über die Taufe durchaus eine Rolle spielt. In Tit 3,4–7 ist er aber nicht zu finden. Vielmehr ist der Blick nicht zurück, sondern nach vorn gerichtet (vgl. dann besonders auch Tit 3,7!), und gerade die Kombination von παλιγγενεσία mit ἀνακαίνωσις verstärkt diesen Aspekt noch. Wenn in der Forschung daher anhand von ἀνακαίνωσις häufig eine Brücke zu Paulus und insbesondere zu Röm 6,4 und dem Wandel ἐν καινότητι ζωῆς als Folge der Taufe geschlagen 167 Gegen

Mounce, der die „Erneuerung“ von der „Reinigung“ trennt und behauptet: „Conversion consists negatively of a cleansing and positively of a renewal brought about by the Holy Spirit“ (Pastoral Epistles 448; vgl. ähnlich nochmals ebd. 450). 168 Vgl. ähnlich auch Oberlinner, Titusbrief 175: „der Gedanke der ‚Erneuerung‘ ist Bestandteil früher Tauftheologie (vgl. Röm 6,4) und bringt im Vergleich zu ‚Wiedergeburt‘ keinen neuen Inhalt ein“ (zum von Oberlinner angedeuteten Zusammenhang von ἀνακαίνωσις mit der Taufe und Röm 6,4 siehe gleich noch ausführlicher). Auch Jacono (ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 372) betont: „la rinnovazione [ἀνακαίνωσις] in questo luogo non dice nulla di più della rigenerazione, specificandone solo la qualità“. Er versteht ἀνακαίνωσις dann aber mehr oder weniger im Sinne der Wiederherstellung der iustitia originalis („il ripristino cioè dell’antico stato di grazia al quale l’uomo era stato elevato e ne era decaduto per il peccato dei progenitori“, ebd.), womit er den Text dogmatisch überfrachtet.

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

wird, dann ist das nur so lange hilfreich, wie damit nicht zugleich auch das Mitsterben mit Christus in der Taufe mit in den Titustext eingetragen wird, denn davon spricht Tit 3,5 nicht. So tut es aber zum Beispiel Gordon D. Fee, der bereits παλιγγενεσία mit Röm 6 verknüpft und den Gedanken dann auch auf ἀνακαίνωσις erweitert: „The idea here, of course [!], reflects Paul’s ,death, burial, new life‘ metaphor found in Romans 6:4–14. The term renewal occurs only in Paul (cf. Rom. 12:2) […]. Thus the two words are twin metaphors for the same spiritual reality“.169 Weniger absolut, in der Tendenz aber ähnlich formuliert Oberlinner, dass „in jedem Fall Einfluß der paulinischen Tauftheologie anzunehmen“ sei, „deren Grundgedanke auch mit dem Aspekt […] der Erneuerung der Existenzweise durch den Tod hindurch (Röm 6,4)“ verbunden ist.170 Zutreffend ist ein inhaltlicher Vergleich mit Röm 6,4 dagegen wirklich nur, wenn im Zentrum der Aufmerksamkeit allein der Gedanke der „Neuheit des Lebens“ steht, die man als Folge der Taufe auch in Tit 3,5 durch παλιγγενεσία und ἀνα­καίνωσις ausgedrückt findet.171 Mehr Unterschiede als Übereinstimmungen in der Metaphorik gibt es auch zwischen Tit 3,5 d und der Rede von der καινὴ κτίσις bei Paulus (2 Kor 5,17; Gal 6,15), so dass es nicht reicht, wenn viele Kommentare mit oft nur wenigen Worten auch diese Texte anführen und über das Stichwort „Neuheit“ deren Einfluss auf den Gedankengang in Tit 3,5 behaupten.172 Dass die neutestamentliche Rede von „Wiedergeburt“ in der Forschungsgeschichte gern mit jener von der neuen Schöpfung verbunden wurde und wie wenig dies zur klaren Wahrnehmung der jeweils vorliegenden Metaphorik im Text beitrug, hat der Gang durch die Forschungsgeschichte in Teil I bereits ausführlich gezeigt (siehe außerdem auch oben 6.1).

Auch die Interpretation, dass durch die Anspielung auf die Taufe als λουτρόν ein Abwaschen der Sünden mitgemeint sei, muss zumindest relativiert werden. Denn die konkrete Instanziierung der Reinigungsmetaphorik in Tit 3,5 stellt, wie oben gezeigt wurde, gerade nicht den Aspekt der Reinigung von etwas (Schmutz, Befleckung oder „Sünde“) ins Zentrum, sondern die „Erneuerung“.173 Durch die mit dem Fokuswort παλιγγενεσία aufgerufene Konzeptmetapher neue Lebensmöglichkeit als Wiederentstehung ist zwar im 169 Fee,

Titus 205. Titusbrief 174. – Auch der häufige Verweis auf das Vorkommen des vor Paulus nicht belegten Nomens ἀνακαίνωσις in Röm 12,2 hilft der Deutung von Tit 3,5 nicht entscheidend weiter. 171 So zutreffend Vegge, Phrases 547: „the imagery used of baptism is not the distinctive Pauline image of being buried with Christ, and the exhortations are not explicitly based on an identification with the burial and resurrection of Christ“. 172 So z. B. Oberlinner, Titusbrief 174; Brox, Pastoralbriefe 308; Merkel, Pastoralbriefe 103; Marshall, Pastoral Epistles 318. 173 Anders aber z. B. Buchegger, Erneuerung 263: „Warum also der Begriff λουτρόν an dieser Stelle? […] Im Zusammenhang mit dem Heil (τοῦ σωτῆρος ἡμῶν θεοῦ V. 4 und ἔσωσεν V. 5) und durch die Nennung des Heiligen Geistes (V. 5–6) muss [!] dem Leser genügend deutlich werden, dass dieser Ausdruck in erster Linie auf den geistlichen Vorgang der Sündenvergebung hinweisen will.“ Auch der auf ein einziges Partizip verkürzte Hinweis auf die Gerechtmachung (Tit 3,7: δικαιωθέντες) reicht nicht aus, um begründet behaupten zu können, dass in Tit 3,3–7 ein starker Akzent auf der Sündenvergebung liege. Der ganze Titusbrief spricht im Übrigen nirgendwo überhaupt von ἁμαρτία. 170 Oberlinner,

8.6 Ergebnisse

223

Hintergrund die Beseitigung eines lebensfeindlichen Zustands mitgedacht und auch Tit 3,3 liefert eine schematisierte Beschreibung des früheren Lebens der Adressierten, im Vordergrund von Tit 3,4–7 stehen aber eindeutig Rettung und Neuanfang.174 Was den Urheber der Rettung angeht, lässt der Titusbrief keine Zweifel daran, dass die Angesprochenen ihre παλιγγενεσία allein Gott und dessen Handeln durch das „Bad, das zu Wiederentstehung und Erneuerung führt“, zu verdanken haben. Andere, „profane“ Verwendungen der παλιγγενεσία-Metaphorik schreiben die Rettung samt neuer Lebensmöglichkeit dagegen keineswegs nur göttlichen Mächten zu,175 bisweilen ist die Ursache, die die Rettung bewirkt hat, auch gar nicht im Blick.176 Zum anderen beschreibt Tit 3,5 die neue Lebensmöglichkeit nicht nur durch die mit παλιγγενεσία aufgerufene Metaphorik, sondern sieht „Wiederentstehung und Erneuerung“ außerdem durch den heiligen Geist gewirkt, der reichlich auf die Geretteten ausgegossen ist durch Jesus Christus, der hier neben Gott ebenfalls als σωτήρ bezeichnet wird (s. o. 8.3.3).177 Das neu ermöglichte Leben steht somit unter dem Einfluss des heiligen Geistes und ist nicht einfach nur eine Rückkehr zu früheren Lebensmöglichkeiten, die durch widrige, lebensfeindliche Umstände zeitweilig verloren gegangen waren. Vielmehr wird in Tit 3,3 das gesamte frühere Leben als solch ein Zustand der Verlorenheit und Lebensfeindlichkeit beschrieben (Ἦμεν γάρ πο­τε καὶ ἡμεῖς […] πλανώμενοι, […] ἐν κακίᾳ καὶ φθόνῳ διάγοντες etc.), aus dem die Erscheinung von Gottes Güte und Menschenliebe die Betroffenen gerettet hat (3,4 f.). Mit παλιγγενεσία ist im Kontext von Tit 3,3–7 daher keinesfalls nur „das Wiederbringen eines früheren Zustandes ohne wesentliche Änderung“ 178 beschrieben als vielmehr ein grundlegender Neuanfang überhaupt. 174 Wenn

Marshall (Pastoral Epistles 318) daher feststellt, „,[w]ashing‘ implies the forgiveness and removal of the sins described in v. 3“, dann muss diese Lesart, die den im Ursprungsbereich Reinigung auch enthaltenen Aspekt der „Reinigung von etwas“ im weiteren Rahmen des Einst-Jetzt-Schemas von Tit 3,3–7 aktiviert, dringend ergänzt werden um die Feststellung, dass im engeren Kontext von λουτρόν in Tit 3,5 wichtiger ist, wohin die Reinigung führt. 175 Das mag beispielsweise noch am ehesten der Fall bei Josephus, Ant. 11,66, sein, wo die Juden Gott für die Ermöglichung der Rückkehr danken (εὐχαριστοῦσι μὲν τῷ θεῷ πάλιν αὐτοῖς ἀποδιδόντι τὴν πάτριον γῆν), bevor sie die παλιγγενεσία des Vaterlandes feiern; in Philo, Legat. 41, ist der Retter dagegen Caligula; in Plutarch, Lucullus 18,1 f., der titelgebende Heerführer etc. (s. o. 8.5.5). 176 So z. B. bei Cicero, Epistulae ad Atticum 6,6 § 4 (s. o. 8.5.5): Dass Cicero aus dem Exil zurückkehren und sein neues Wirken als seine παλιγγενεσία feiern kann, mögen günstige Umstände, aber wohl auch seine eigene Aktivität befördert haben – der Brief an Atticus gibt darüber keine Auskunft. 177 Ob sich die Rolle der einzelnen göttlichen „Akteure“ genauer gegeneinander abgrenzen lässt, scheint fraglich und ist vom Text möglicherweise weniger intendiert, als dass durch diese Überbestimmung nochmals deutlich gemacht werden soll (siehe schon Tit 3,5 a!), dass hier an keiner Stelle von menschlichen Aktivitäten die Rede ist. 178 Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 33; s. o. 8.5.5.

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8. Die Metaphorik in Tit 3,5

Das Leben zerfällt in die Phase eines verlorenen, fehlgeleiteten Lebens früher und eines wahren, geisterfüllten Lebens nach und infolge der Rettung durch Gott und durch das „Bad, das zu einer grundlegenden Erneuerung des Lebens führt, die der Geist wirkt“ (3,5). All das bis hier Gesagte fügt sich ohne Weiteres in eine Lesart von Tit 3,4–7 ein, die mit einer Referenz des Textes auf die Taufe rechnet (s. o. 8.3.3). Im Hinblick auf die Frage nach der Deutung von παλιγγενεσία in Tit 3,5 ist es aber wichtig zu betonen, dass nicht der Rückgriff auf die Taufe (und auch kein Verweis auf Joh 3,3–8 und 1 Petr 1.3.23) den Gebrauch von παλιγγενεσία in Tit 3,5 erklärt, sondern umgekehrt παλιγγενεσία zur Verdeutlichung dessen dient, was Menschen im Zusammenhang mit der – außerdem als λουτρόν metaphorisierten – Taufe erlebten.179 Παλιγγενεσία steht dabei nicht für eine wie auch immer verstandene „Wiedergeburt“, sondern beschreibt die Erfahrung einer grundlegend neuen Lebensmöglichkeit, die der Geist wirkt und die zur begründeten Hoffnung der Adressierten führt, zu Erben des ewigen Lebens zu werden.

179 Offen

bleibt, ob ein solches Erleben der Taufe und des damit verbundenen Prozesses des Gläubig-Werdens als einer grundlegenden Erneuerung tatsächlich bei allen Adressierten vorauszusetzen ist oder ob das, was in erster Linie eine deskriptive Aussage zu sein scheint, nicht vielmehr auch präskriptiv gemeint sein könnte.

9. Kapitel

Wahres Leben als „aus Gott gezeugtes“ Leben: Die johanneischen Texte Aus dem gesamten Corpus Johanneum kommt in der bisherigen „Wiedergeburts“-Forschung besonders Joh 3,3 und 3,7 zentrale Bedeutung und Aufmerksamkeit zu, da in beiden Versen ausdrücklich von einem γεννηθῆναι ἄνωθεν die Rede ist. Daneben finden häufig auch Joh 3,5, und unter Umständen noch weitere Verse aus dem Nikodemusgespräch in Joh 3, sowie Joh 1,13 und einzelne Verse aus dem Ersten Johannesbrief Erwähnung, wenn auch mit deutlich weniger Aufmerksamkeit versehen.1 Verlagert man dagegen das Forschungsinteresse, wie in der vorliegenden Untersuchung vorgeschlagen, auf Geburts- und Zeugungsmetaphorik, die der Beschreibung einer grundlegenden Erneuerung des Lebens dient, so rücken auch andere johanneische Textstellen gleichberechtigt neben Joh 3,3.7. Das hat erhebliche Folgen für die Textwahrnehmung: Zunächst setzen sich die Einzelverse aus Joh 3 zu einem Textganzen zusammen und machen den Blick frei für das Gespräch, innerhalb dessen sich die Metaphorik entwickelt. Nicht nur der johanneische Jesus trägt dazu bei, sondern auch Nikodemus.2 1 S. o. die Tabelle in 6.1. Nur bedingt gilt diese Einschätzung für die Beiträge von Söding und Bae, die sich beide zentral mit „Wiedergeburt“ im Johannesevangelium beschäftigen. Hier kommt der Gesamtzusammenhang von Joh 3,1–12 deutlicher in den Blick, allerdings fallen die Bezugnahmen auf Joh 1,13 und die relevanten Passagen aus dem Ersten Johannesbrief auch in diesen beiden Untersuchungen ausgesprochen knapp aus: Söding erwähnt Joh 1,12 f. an zwei Stellen als „Parallele“ bzw. „Sachparallele“ (Wiedergeburt 199 und 208), Joh 1,13 und die Belege aus dem Ersten Johannesbrief sehr allgemein im Zusammenhang mit jenen „Grund-Metaphern“, von denen „die johanneische Bildsprache eine hohe Konzentration“ aufweise, konkret jener von „Geburt und Tod“ (ebd. 171 mit Anm. 8). Dass es aber weder in Joh 1,13 noch in den relevanten Texten aus dem Ersten Johannesbrief um Tod geht, wurde bereits kritisch angemerkt (s. o. 5.3) und wird sich in der folgenden Auslegung auch bestätigen. Bae kommt ebenfalls nur an zwei Stellen auf Joh 1,13 zu sprechen und führt die Stelle zusammen mit den Belegen aus dem Ersten Johannesbrief ohne weitere Analyse als „Synonyme“ zu γεννηθῆναι ἄνωθεν an (Wiedergeburt 253, vgl. ähnlich 132; s. o. 5.6). Auch Back, die in ihrem Beitrag Joh 3 einen längeren Abschnitt widmet (s. o. 5.9), verweist nur marginal darauf, dass „das Thema bereits im Prolog in Joh 1,12 f. angeklungen“ sei (Wiedergeburt 58–64, Zitat ebd. 58). Anders stellt sich die Lage allein bei Schweitzer dar, der sein Kapitel zu den johanneischen Texten mit einer Betrachtung von Joh 1,12 f. beginnt (Gotteskindschaft 341) und diese Passage auch in die Betrachtung von Joh 3 stärker einfließen lässt. 2 Mit Jesus und Nikodemus sind im Folgenden immer die literarischen Figuren des Evangelientextes gemeint. Eine Aussage über die Historizität ihres Dialogs ist damit nicht verbunden. Die Auslegungsperspektive ist vielmehr rezeptionsorientiert.

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9. Die johanneischen Texte

Zwar missversteht dieser offensichtlich, was mit γεννηθῆναι ἄνωθεν bzw. γεννηθῆναι ἐξ ὔδατος καὶ πνεύματος gemeint ist. Dennoch hat sein Einwurf in Joh 3,4, dem die bisherige „Wiedergeburts“-Forschung kaum Beachtung schenkt, Einfluss auf das Textverständnis. Insgesamt erweist sich Joh 3,1–12 3 damit nicht nur als ein Text, der den Ursprungsbereich Geburt / Zeugung metaphorisch einsetzt und für seine Zwecke elaboriert, sondern zugleich als ein Text, der auf der Metaebene das Verstehen – oder eher Missverstehen – der Metaphorik thematisiert. Anders als Nikodemus haben die Rezipientinnen und Rezipienten des Evangeliums außerdem bereits im Prolog vom „Gezeugt-Werden aus Gott“ (ἐκ θεοῦ γεννηθῆναι, vgl. Joh 1,13) gehört. Nicht auf der Ebene der Figuren, wohl aber auf der Ebene der Rezeption kann die dortige Aussage somit auch bei der Deutung von Joh 3,3–8 ins Spiel kommen.4 Daher folgt das vorliegende Kapitel im Unterschied zu (fast) 5 allen bisherigen Untersuchungen zur „Wiedergeburt“ der Reihenfolge des Evangeliums 6 und setzt mit einer Analyse von Joh 1,13 nebst Kontext ein (s. u. 9.1). Zugleich legt eine solche Lektüre nahe, den in Joh 1,13 auf Zeugung eingegrenzten Ursprungsbereich durch die Wiederaufnahme des Fokusausdrucks γεννηθῆναι (ἐκ) in Joh 3,3–8 auch weiterhin vor allem als Aktivierung des Konzeptes Zeugung, weniger als eine Erweiterung um den Aspekte der Geburt zu deuten, auch wenn (oder gerade weil) Nikodemus in Joh 3,4 das anders sieht (s. u. 9.2.3). Unter Annahme der Mehrheitsmeinung, dass der Erste Johannesbrief das Evangelium voraussetzt (s. u. Anm. 193), werden in einem weiteren Abschnitt (s. u. 9.3) die zeugungsmetaphorischen Aussagen aus diesem Brief betrachtet. Abschließend sind die Ergebnisse der drei Untersuchungsgänge (siehe die Teilzusammenfassungen in 9.1.5, 9.2.12 und 9.3.6), nochmals gemeinsam in den Blick zu nehmen (s. u. 9.4).

3 Die Abgrenzung nach hinten ließe sich auch anders vornehmen. Sie orientiert sich hier allein an der formalen Beobachtung, dass Jesus in Joh 3,12 das letzte Mal eine direkte Anrede formuliert, die dort schon nicht mehr nur Nikodemus gilt, sondern einem unbestimmteren „Ihr“. Spätestens an dieser Stelle verschwindet Nikodemus völlig aus dem Fokus des Textes, der nun in einen Monolog Jesu übergeht. Für einen weiter gefassten Überblick über den Text s. u. 9.2. 4 Innerhalb von Joh 3,1–12 sind es im engeren Sinne die Verse Joh 3,3–8, in denen die metaphorische Rede von der Geburt / Zeugung „von oben“ bzw. „aus (Wasser und) Geist“ ein­gebracht und entwickelt wird. 5 Anders nur Schweitzer: s. o. Anm. 1. 6 Die vorliegende Analyse bezieht sich im Wesentlichen auf jenen Text des Johannesevangeliums, den Nestle-Aland in der 28. Auf lage bietet, und diskutiert Forschungspositionen zu einer mehrstufigen Entwicklung des Textes oder seiner „Unordnung“ nur dort in Ansätzen, wo literarkritische Entscheidungen die zu untersuchende Metaphorik direkt betreffen: s. u. zu Joh 1,13 (9.1.2) und Joh 3,5 (9.2.4).

9.1 Die Metaphorik in Joh 1,13 im Kontext

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9.1 „Aus Gott gezeugt“: Die Metaphorik in Joh 1,13 im Kontext Als Teil des Johannesprologs ist Joh 1,13 eng mit seinem unmittelbaren textlichen Umfeld verwoben. Syntaktisch hängt der Vers mit Joh 1,12 zusammen, dieser ist aufgrund des Gegensatzes zwischen Nicht-Aufnehmen und Aufnehmen mit Joh 1,11 verbunden. Wer das in der Verbform ἦλθεν integrierte Subjekt von Joh 1,11 a ist, lässt sich wiederum nur aus den vorangehenden Versen erschließen: Es ist das in die Welt gekommene „Wort“, das auch das „Licht“ ist (vgl. Joh 1,9 f.) und durch das die Welt geworden ist. 11 a εἰς τὰ ἴδια ἦλθεν, 11 b καὶ οἱ ἴδιοι αὐτὸν οὐ παρέλαβον.   12 a ὅσοι δὲ ἔλαβον αὐτόν, 12 b ἔδωκεν αὐτοῖς ἐξουσίαν τέκνα θεοῦ γενέσθαι,   12 c τοῖς πιστεύουσιν εἰς τὸ ὄνομα αὐτοῦ, 13 a οἳ οὐκ ἐξ αἱμάτων οὐδὲ ἐκ θελήματος σαρκὸς οὐδὲ ἐκ θελήματος ἀνδρὸς 13 b ἀλλ᾽ ἐκ θεοῦ ἐγεννήθησαν.

Er (sc. der Logos) kam in das Seine und die Seinen nahmen ihn nicht auf.   Wie viele ihn aber aufnahmen – er gab ihnen Macht,7 Kinder Gottes zu werden,  denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus Blut, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott gezeugt wurden.

Die hier besonders interessierende Formulierung ἐκ θεοῦ ἐγεννήθησαν, die das Fokuswort enthält und den Ursprungsbereich Zeugung aufruft,8 präsentiert sich im Textganzen nicht als Hauptaussage, wohl aber als gewichtiger Schlusspunkt des gesamten Satzes Joh 1,12 f. Mit der Aussage ἐκ θεοῦ ἐγεννήθησαν endet eine Reihe von Aussagen über jene, die – so der Anfang des Satzes in 7 Man könnte ἐξουσία hier auch mit „Vermögen“ übersetzen; vgl. Bauer s. v. 2.: „d. Fähigkeit zu handeln […], d. Vermögen, d. Macht, d. Gewalt […]. M. flgd. Inf., um d. Sache zu bez., die man zu tun vermag“; Weiteres dazu s. u. 9.1.4, bes. Anm. 62 und 63. 8 Zur Eingrenzung des Ursprungsbereiches auf Zeugung ohne die sonst häufig gegebene Offenheit hin zu Geburt siehe bereits ausführlicher oben 7.2.2.2 und nochmals unten 9.1.2– 3. Auch Joh 1,14 greift mit der Bezeichnung des Logos als μονογενῆς und Gottes als πατήρ nochmals Wörter auf, die sich dem Ursprungsbereich Geburt / Zeugung zuordnen lassen (vgl. auch Joh 1,18). Zugleich aber ist die in Joh 1,14 beschriebene Inkarnation des Logos gerade keine mit menschlichen Verhältnissen vergleichbare Geburt und also von der vorhergehenden Metaphorik deutlich zu unterscheiden (siehe zu Joh 1,14 nochmals unten den ersten Petit-Abschnitt in 9.1.2). Weithin übereinstimmend identifiziert die Kommentarliteratur außerdem einen inhaltlichen Einschnitt im Prolog zwischen Joh 1,13 und 1,14. Anders urteilt dagegen Gerigk (Wahlverwandtschaften 246), die ἐγεννήθησαν in Joh 1,13 b mit μονογενοῦς in Joh 1,14 parallelisiert. Sie bleibt dabei aber zu stark auf die Wortsemantik fixiert und verfolgt insgesamt eine „Sinnlinie Herkunft / Verwandtschaft“ von Joh 1,12 aus über Joh 1,13.14 bis 1,18, die im Einzelnen konstruiert wirkt. Denn die Behauptung, dass „μονογενὴς θεός (1,18) […] mit υἱὸς τοῦ θεοῦ paraphrasiert werden“ könne, „so dass sich eine Analogie von τέκνα θεοῦ und υἱὸς τοῦ θεοῦ bilden lässt“ (ebd.), bringt mit υἱὸς τοῦ θεοῦ ein Syntagma in den Zusammenhang ein, das erst in Joh 1,34 erstmals begegnet und daher keinen angemessenen Bezugspunkt darstellt, um die Metaphorik in Joh 1,12–18 präzise wahrzunehmen.

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9. Die johanneischen Texte

Joh 1,12 a – den in die Welt gekommenen Logos aufnahmen. Syntaktisch ist die gesamte Konstruktion sperrig. Der Hauptsatz in Joh 1,12 b nimmt das Subjekt ὅσοι 9 des vorangehenden Relativsatzes Joh 1,12 a nur als Objekt (αὐτοῖς) wieder auf. Subjekt ist jetzt der (nicht eigens genannte) Logos. Joh 1,12 c bietet ein mit Artikel angeschlossenes Attribut zu αὐτοῖς. Der mit οἵ in Joh 1,13 a eingeleitete Relativsatz schließt sich dann an dieses Attribut in Joh 1,12 c an und bezieht sich damit zugleich auch auf das Bezugswort des Attributs, auf αὐτοῖς, in Joh 1,12 b.10 Eine klare Hierarchisierung der Aussagen wird aus Syntax und Zeitformen nicht deutlich. Die Vergabe der „Macht, Kinder Gottes zu werden,“ in Joh 1,12 b scheint auf die Aufnahme des Logos in Joh 1,12 a zwar eher zu folgen, ob jedoch das, was danach kommt – der Glaube an „seinen Namen“ (1,12 c) –, die Voraussetzung dafür ist oder parallel geht, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Ähnliches gilt auch für die in Joh 1,13 getroffenen Feststellungen des Textes. Alle in Joh 1,12 f. zu findenden Aussagen über die, die anders als die in Joh 1,11 b dargestellten ἴδιοι handeln, tragen vielmehr gemeinsam zu einer Gesamtbeschreibung dieser Gruppe von Menschen bei, die darin mündet, dass sie „von Gott gezeugt“ seien (1,13 b). Diese Aussagen sind zuerst in ihrem Verhältnis zueinander näher zu untersuchen (s. u. 9.1.1). Daran anschließend wird anhand von Joh 1,13 der Ursprungsbereich Zeugung in seiner zeitgeschichtlich-enzyklopädischen Prägung näher betrachtet (s. u. 9.1.2). Schließlich wird zu fragen sein, wie sich die vom Ursprungsbereich her ähnlichen, aber nicht identischen metaphorischen Ausdrücke des Gezeugt-Werdens aus Gott und des Kinder-Gottes-Werdens zueinander verhalten (s. u. 9.1.3–4). Auch dort wird noch einmal der Ursprungsbereich Zeugung, insbesondere in Verbindung mit dem Konzept der Vererbung Thema sein. 9.1.1 Die Aufnahme des Logos und der Glaube an seinen Namen (Joh 1,12 a.c) im Verhältnis zur Zeugung ἐκ θεοῦ (1,13 b) Die in Joh 1,12 f. in den Blick tretenden Menschen werden sowohl in ihrem aktiven Tun als auch durch Geschehnisse beschrieben, die ihnen ohne eigenes Zutun und Wollen „passieren“. Dass Menschen den in die Welt gekommenen Logos aufnehmen (1,12 a), ist zunächst ein aktives Handeln.11 Auch dass sie an seinen Namen glauben, wird mit einem Partizip Präsens Aktiv beschrieben 9 Auffällig ist ein gewisser Widerspruch zwischen der scheinbar umfassenden Aussage in Joh 1,11, dass „die Seinen“ in ihrer Gesamtheit den Logos nicht aufnahmen, und der nun in Joh 1,12 a nachgereichten Notiz, dass es unter den Seinen doch Menschen gibt, die das tun; vgl. dazu z. B. Dietzfelbinger (Johannes I, 29): „Wir haben es hier mit einer antithetischen Sprachfigur zu tun, die wir auch in 3,19.21; 3,32 f antreffen, die also überlegt angewendet wird: Der Allgemeinheit werden die wenigen Ausnahmen entgegengesetzt […]. In ihnen symbolisiert sich die ganz andere Möglichkeit der Welt.“ 10 Thyen (Johannesevangelium 88) geht dagegen von einer „Constructio ad sensum anstelle eines ἅ“ aus, bestimmt als Bezugspunkt also die τέκνα θεοῦ; vgl. ähnlich z. B. auch Schnackenburg, Johannesevangelium I, 238. 11 Dieses Aufnehmen kann auf der Erzählebene auch konkret werden (z. B. in Joh 12,1 f.);

9.1 Die Metaphorik in Joh 1,13 im Kontext

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(1,12 c). Hier muss sich die Grammatik aber bereits vom ausgesagten Inhalt hinterfragen lassen, ob tatsächlich jeder und jede das aktiv wollen und also glauben kann oder ob der Glaube nicht in erster Linie eine Gabe und erst dann ein eigenes Tun ist. Auch für die Aufnahme des Logos in Joh 1,12 a könnte eine solche Frage schon angebracht sein.12 Völlig passiv gestalten sich dann die Aussagen in Joh 1,13: Gezeugt zu werden, widerfährt Menschen zweifellos ohne eigenes Zutun.13 Das gilt auch für eine metaphorische Zeugung „aus Gott“ (1,13 b). Joachim Kügler fragt angesichts dieser Beobachtungen am Text daher: „Sind nicht die, die den Logos glaubend aufnehmen, schon vorher Kinder Gottes? Macht etwa diese Kindschaft sie überhaupt erst fähig, den Sohn als ihresgleichen aufzunehmen?“ 14 Aus der Syntax des Satzes geht das nicht eindeutig hervor, ein klares Zeitverhältnis der Aussagen ist, wie schon gesagt, nicht durchgängig erkennbar (s. o. 9.1). Inhaltlich gibt es für Küglers Überlegung aber nachvollziehbare Ansatzpunkte. Am deutlichsten drückt Joh 1,12 b in Verbindung mit Joh 1,13 b dieses Ineinander von eigenem Tun und vorauslaufendem Handeln Gottes aus: In Joh 1,13 b wird mit der Zeugung aus Gott ein Geschehen beschrieben, durch das die Gezeugten ohne eigene Beteiligung in ein Verhältnis gesetzt werden, dass man in aller Vorsicht als Kinder-Gottes-Sein bezeichnen könnte. Die Vorsicht ist einerseits deshalb geboten, weil der Text in Joh 1,13 sicherlich nicht zufällig die Zeugung fokussiert und dabei gerade nicht vom Kind-Sein spricht. Zum anderen legt sich die Vorsicht nahe, weil eine Verwechslung und Gleichsetzung mit Joh 1,12 b, wo vom Kinder-Gottes-Werden (τέκνα θεοῦ γενέσθαι) die Rede ist, dann allzu leicht geschieht. Joh 1,13 b sagt aber nicht einfach dasselbe aus wie Joh 1,12 b, denn schon im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis von aktivem und passivem Verhalten, deutet die Formulierung in Joh 1,12 b einen Prozess des Kind-Werdens an, der ein aktives Tun der „aus Gott“ Gezeugten erfordert, während die Gotteszeugung in Joh 1,13 b ihrem eigenen Wollen entzogen bleibt.15 vgl. auch Merklein, Geschöpf 252: „Sachlich kann mit dem ‚Kommen‘ des Logos nur sein geschichtliches Auftreten in Jesus gemeint sein.“ 12 Texte wie Joh 6,44 (οὐδεὶς δύναται ἐλθεῖν πρός με ἐὰν μὴ ὁ πατὴρ ὁ πέμψας με ἑλκύ­ σῃ αὐτόν […]) legen solche Gedanken durchaus nahe. Überhaupt ist zu bedenken, dass λαμβά­νειν im physischen Sinne des Aufnehmens (korrespondierend zum Gekommen-Sein des Logos in Joh 1,11) nur für die erste Generation anwendbar ist, während sich für alle Nachfolgenden die Bedeutung zu einer Annahme des Logos als „Wort“ von ihm und über ihn wandelt. 13 So z. B. auch Schnelle, Johannes 38: „die Zeugung aus Gott ist allein Gottes Tat (vgl. Joh. 3,3.5; ferner 1 Joh. 2,29; 3,9; 4,7).“ 14 Kügler, Würde 170. 15 Edith Zingg (Reden 38) spitzt es im Hinblick auf den Glauben in folgender Weise zu: „So kann die Gotteskindschaft als Ursache und Folge des Glaubens bezeichnet werden, insofern eine Verbindung besteht zwischen dem von Gott geschenkten Kind-Gottes-Sein (universaler Heilswille Gottes – vgl. Joh 3,16) und dem von der menschlichen Glaubensentschei-

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9. Die johanneischen Texte

In der Kommentarliteratur herrscht in der Frage, wie sich die verschiedenen Aussagen in Joh 1,12 f. im Hinblick auf Ursache und Wirkung, auf Voraussetzung und Folge verhalten, keine Einigkeit: Hartwig Thyen geht davon aus, dass die verschiedenen Aussagen in Joh 1,12 sich „wechselseitig“ interpretierten und weist vehement zurück, dass man die „hymnisch ausgesprochene Erfahrung des Glaubens und der Liebe Gottes“ als „Bedingung“ oder als „Ursache“ einander über- bzw. unterordnen könne.16 Klaus Wengst, der die Frage, woher der Glaube der in Joh 1,12 Erwähnten kommt, nicht ausdrücklich thematisiert, konstatiert schlicht: „Aktiv und Passiv, Handeln Gottes und Handeln der Menschen sind hier unauf löslich miteinander verbunden.“ 17 Christian Dietzfelbinger schließlich betont einerseits, dass es für das „Wunder“, dass es nach der negativen Aussage in Joh 1,11 laut 1,12 nun doch Glaubende gibt, die den Logos aufnehmen, keine Erklärung im Text gebe. Andererseits werde eine Erklärung aber doch „angedeutet, indem das Wunder des Glaubens in der von Gott gewährten Vollmacht begründet wird: Die den Logos aufnahmen, konnten Gottes Kinder werden“.18 Ähnlich strukturiert ist auch Dietzfelbingers Auskunft im Hinblick auf Joh 1,13: Zum einen besage die dreifach negative Abgrenzung von einer irdischen Zeugung in Joh 1,13 a „in ihrer Wortfülle lediglich das Eine, daß menschliches Wollen bei dem Akt des Kind-Gottes-Werdens nichts zu bestellen hat“. Das meine andererseits aber nicht, „daß bei dem Geschehen, das Menschen zu Gottes Kindern werden läßt, Willenlosigkeit des Menschen vorausgesetzt ist.“ 19

Angesichts solcher letztlich unbestimmt bleibender Auskünfte in den Kommentaren formuliert Kügler im Anschluss an seine fragenden Überlegungen (s. o.) sehr viel deutlicher, dass in Joh 1,12 f. „in einer deterministischen Sprache die göttliche Herkunft als Grundlage und Ursache des Glaubens formuliert“ werde.20 Diese Position, die sich nicht scheut, im Zusammenhang mit dem Johannesevangelium von Determinismus zu sprechen (was die oben zitierten Kommentare offensichtlich vermeiden), kann in gewisser Weise auch vom Ursprungsbereich der Metaphorik her plausibilisiert werden: Gezeugt-Werden ist von Passivität auf Seiten derer geprägt, die gezeugt werden.21 Beschrieben wird ein grundsätzlicher, initialer Vorgang, ein Anfang, den man selbst nicht beeinflussen kann und vor dem nichts liegt. Auch ein solches Geschehen kann man metaphorisch zwar auf ein Ereignis mitten im Leben beziehen, im Gegensatz zu Tit 3,3–7 und 1 Petr 1,3.23 scheint das in Joh 1,12 f. aber nicht gemeint zu sein. Denn ein bisheriges Leben unter irdischen Bedingungen kommt gerade nicht in den Blick – auch nicht als ein vorausliegender und einer grundlegendung bestimmten Kind-Gottes-Werden.“ Das aktive Verständnis des Ausdrucks τέκνα θεοῦ γενέσθαι ist aber nicht unumstritten: s. u. 9.1.3. 16 Thyen, Johannesevangelium 87. 17 Wengst, Johannesevangelium I, 65. 18 Dietzfelbinger, Johannes I, 29. In dieser Formulierung erscheint der Vorgang, Kinder Gottes zu werden, als abgeschlossen; aber s. u. 9.1.3 zu der Dynamik, die in Joh 1,12 b erkennbar ist. 19 Dietzfelbinger, Johannes I, 30. 20 Kügler, Würde 170 (Hervorhebung hinzugefügt). 21 Vgl. auch Wengst, Johannesevangelium I, 65: „Die Passivität, dass der Mensch zu seiner eigenen Geburt nicht beiträgt, und die Aktivität, das Aufnehmen, wo Nicht-Annahme das zu Erwartende und Übliche ist, liegen beim Entstehen von Gemeinde ineinander.“

9.1 Die Metaphorik in Joh 1,13 im Kontext

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den Erneuerung des Lebens gewichener Zustand –, vielmehr wird der Ursprung (d. h. die Zeugung) des irdischen Lebens in seiner Relevanz für diejenigen, die den Logos aufgenommen haben, komplett negiert. Die Gotteszeugung beschreibt demnach auch keinen Zeitpunkt, von dem an das Leben als verändert und erneuert gelten kann, sondern eher den Moment der Erkenntnis, dass auch das bisherige Leben schon anfänglich ein „von Gott gezeugtes“ Leben war.22 Immer nur im Nachhinein erschließen sich so auch die als aktiv beschriebene Aufnahme des Logos und der Glaube an seinen Namen als Handlungsmöglichkeiten, die bereits durch diese Zeugung prädisponiert waren.23 Bis zum Moment der Annahme wussten die einzelnen Gläubigen davon aber nichts. Sind sie damit also für den Glauben vorherbestimmt (und andere – siehe Joh 1,11 – sind es nicht)? Mit Klaus Wengst 24 macht man es sich vermutlich leichter, diese Vermischung der Zeitebenen, die Verschränkung von Aktiv und Passiv, von Gotteshandeln und menschlichem Tun, nicht mit den beschreibungssprachlichen Topoi der „Determination“ oder auch „Prädestination“ zu bezeichnen, sondern vielmehr auf die Erfahrung der Adressierten zu verweisen. Diese besagt schlicht – so wie es der Text auch im Übergang von Joh 1,11 b zu 1,12 a deutlich macht –, dass einige glauben und viele nicht.25 Warum das so ist, klärt der Text an dieser Stelle nicht.26 Das Johannesevangelium beschreibt diese Erfahrung vorhandenen oder nicht vorhandenen Glaubens allerdings an vielen Stellen auf eine Weise, die sich durchaus als deterministisch oder prädestinatorisch bezeichnen ließe: Man vergleiche nur Joh 6,44: οὐδεὶς δύναται ἐλθεῖν πρός με ἐὰν μὴ ὁ πατὴρ ὁ πέμ­ψας με ἑλκύσῃ αὐτόν […].27 Der Vers zeigt in seiner zweiten Hälfte ([…] κἀγὼ ἀναστήσω αὐτὸν ἐν τῇ ἐσχάτῃ ἡμέρᾳ) zugleich sehr deutlich, dass es dabei keineswegs um eine nebensächliche Frage, sondern um endzeitliche Rettung und Leben schlechthin geht. Wird so, wenn auch auf Kosten einer Eigenaktivität des Menschen, die Sou­veränität Gottes in vollem Maße gewahrt, so gibt es doch im Johannesevangelium ebenso auch Aussagen, die zum aktiven Glauben und Sich-Entscheiden aufrufen: Schon im Vers Joh 6,45, der dem eben zitierten Text direkt folgt, ist vom aktiven Hören und Zu-Jesus-Kommen 22 Christina Urban (Menschenbild 447) setzt dagegen eine „wesenhaft im Menschen angelegte Möglichkeit seiner Neukonstituierung“ gleich mit seiner „Veränderbarkeit“, ohne jedoch nachzuweisen, dass der Text an einer Beschreibung der Veränderung als solcher interessiert wäre. Meines Erachtens ist der Begriff daher nicht passend gewählt. 23 Zur Prädisposition im Zusammenhang mit dem Ursprungsbereich Zeugung siehe noch­mals unten 9.1.3. 24 Vgl. Wengst, Johannesevangelium I, 65; s. o. Anm. 21. 25 Wengst, Johannesevangelium I, 65: „Hatten die V. 10 f. von umfassender Ablehnung Jesu als des Wortes gesprochen, so wissen die V. 12 f. doch auch von Ausnahmen. Es gibt solche, die ihn aufgenommen haben, es gibt die Glaubenden. Der Evangelist weist damit die Gemeinde auf sich selbst hin, auf die eigene Erfahrung.“ 26 Merklein (Geschöpf 251) formuliert es in Bezug auf Joh 1,5 und den Gegensatz von Licht und Finsternis ähnlich: „Woher diese fast tragische Gespaltenheit des Menschen kommt, wird nicht gesagt. Von einem Sündenfall ist nicht die Rede, wahrscheinlich ist auch nicht daran gedacht. Der Hymnus beschreibt rein phänomenologisch menschliche Existenz.“ 27 Weitere Textbeispiele bringt z. B. Schnelle, Theologie 674 f.

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die Rede. Schließlich ist von Joh 20,31 her das ganze Evangelium als eine einzige Aufforderung zum Glauben zu verstehen, denn es wurde aufgeschrieben, ἵνα πιστεύ[σ]ητε ὅτι Ἰησοῦς ἐστιν ὁ χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ. Dass man aber glaubt, ist laut Joh 6,29 wiederum „Werk Gottes“ (τοῦτό ἐστιν τὸ ἔργον τοῦ θεοῦ, ἵνα πιστεύητε εἰς ὃν ἀπέστειλεν ἐκεῖνος). Aktiv und Passiv bleiben spannungsvoll aufeinander bezogen, das vorauslaufende Handeln Gottes wird als solches erst im eigenen Handeln und Glauben als deren Ermöglichungsgrund erkannt. Udo Schnelle drückt es so aus: „Was sich bei Johannes auf der theologischen Reflexionsebene als Vorherbestimmung zeigt, ist auf geschichtlicher Ebene der nachträgliche Erklärungsversuch der Erfahrung, dass es Glauben und Unglauben gibt. Ein solcher Erklärungsversuch muss notwendigerweise an Grenzen stoßen, weil in ihm der Mensch sich gewissermaßen an die Stelle Gottes setzt, Einblicke in Gottes Geheimnisse erlangen will. Prädestinationsaussagen sind immer theologische Grenzaussagen, sie dienen dazu, die Unverfügbarkeit Gottes zu wahren und nicht Menschen von vornherein auf Heil oder Unheil festzulegen.“ 28

Für Joh 1,11–13 heißt das: Menschen können sehr wohl den Logos aufneh­men und dies als ein eigenbestimmtes Tun erleben und gestalten. Gottes Handeln geht dem aber dennoch voraus. Die Metaphorik in Joh 1,13 lässt daran keinen Zweifel: Ihren Ursprung können Menschen nicht selbst setzen.29 9.1.2 Der Ursprungsbereich Zeugung näher betrachtet: Irdische Herkunft (Joh 1,13 a) versus göttliche Herkunft (1,13 b) Besonders die Aussagen in Joh 1,13 a machen deutlich, dass zeitspezifisches enzyklopädisches Wissen nötig ist, um die Metaphorik im Sinne des Textes verstehen zu können. In dreifacher Weise wird metonymisch auf die irdische Zeugung Bezug genommen. Dass jemand aus Blut gezeugt wird, ist dabei zweifellos die Aussage, die für heutige Ohren besonders fremdartig klingt. Im Rahmen antiker Zeugungsvorstellungen ist der Gedanke jedoch weit verbreitet, dass der Embryo aus Blut entsteht, welches als „Grundstoff, aus dem das 28 Schnelle, Theologie 676. Vgl. ganz anders Trumbower (Anthropology 76), der wiederholt von „fixed origins“ spricht. Er meint damit „fixed categories of human beings which exist even before the coming of the savior“; „[…] believers are […] ,born from God,‘ ,born from above,‘ and ,not from this world just as Jesus is not from this world.‘ When the author uses these categories, he is talking about something which is fixed and determinative“. Trumbower weist dem Autor damit eine Perspektive zu, die über die bloße Erfahrung von Glaube und Unglaube und über deren nachträgliche Erklärungsversuche (s. o. Schnelle) in Form einer „deterministischen Sprache“ (s. o. Kügler; Anm. 20) weit hinausgeht. Das belegt auch Trumbowers Gesamteinschätzung, „that the principal author of the Gospel, far from being a ,de-gnosticizer,‘ was actually interpreting his sources, like the prologue, in a gnosticizing direction“ (ebd. 141). Damit ist zwar klar, was gemeint ist, die Kategorie „gnostisierend“ hilft in ihrer Unschärfe jedoch nicht weiter. Sie erklärt im Hinblick auf die Forschungsgeschichte zu den johanneischen Schriften allerdings, warum bereits Formulierungen wie jene Küglers von der „deterministischen Sprache“ häufig gemieden werden. Denn schon sie erscheinen in der Tendenz als „gnostisch“, wobei sie doch nur benennen, was sich im Johannesevangelium tatsächlich findet, aber deswegen noch lange nicht „gnostisch“ ist. Direkte Kritik an Trumbowers „fixed origins“ übt Keck, Derivation 275 f. u. ö. 29 Auffällig ist: Der Text enthält sich an dieser Stelle einer negativen Aussage über jene, die den Logos nicht aufnahmen (Joh 1,11). Er kommt nicht auf sie zurück und spekuliert auch nicht über deren (metaphorischen) Ursprung (anders z. B. aber Joh 8,44).

9.1 Die Metaphorik in Joh 1,13 im Kontext

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Leben stammt,“ 30 angesehen wird. Auch im unmittelbaren biblischen Umfeld lässt sich eine solche Vorstellung nachweisen, wenn König Salomo in Sap Sal 7,1 f. die folgenden Worte in den Mund gelegt werden: Sap Sal 7,1 f. εἰμὶ μὲν κἀγὼ θνητὸς ἄνθρωπος ἴσος ἅπασιν καὶ γηγενοῦς ἀπόγονος πρωτοπλάστου καὶ ἐν κοιλίᾳ μητρὸς ἐγλύφην σὰρξ δεκαμηνιαίῳ χρόνῳ παγεὶς ἐν αἵματι ἐκ σπέρματος ἀνδρὸς καὶ ἡδονῆς ὕπνῳ συνελθούσης.

Auch ich bin ein sterblicher Mensch, allen gleich, und Nachkomme des erdgeborenen ersten Menschen und wurde im Verlauf von zehn Monaten im Mutterleib zu Fleisch geformt, geronnen im Blut aus dem Samen des Mannes und durch die Lust, die im (Bei-)Schlaf hinzukam.

Zwischen dem Blut, das von der Frau kommt,31 und dem Samen des Mannes, wird hier deutlich unterschieden. In dieser auch als „Einsamenlehre“ oder „Epigenese“ bezeichneten Vorstellung, die in der Antike besonders durch Aristoteles und seine Theorien über die Entstehung der Tiere (einschließlich der Menschen) Verbreitung fand 32 und vermutlich auch den Hintergrund der johanneischen Zeugungskonzeption bildet,33 kommt von der Frau allein der Stoff 30 Theobald,

Johannes 125. Sap Sal 7,2 begegnet ebenso wie in Joh 1,13 a „Blut“ im Plural. Es geht dabei nicht, wie bisweilen aus dem Plural gefolgert, um die „Blutsvermischung der Eltern“ (so u. a. Wilckens, Johannes 31), sondern es handelt sich vielmehr um einen „in dieser konkreten Bedeutung von ‚Frauenblut‘“ auch in anderen Texten anzutreffenden und für den Zusammenhang geläufigen Plural (Hofrichter, Blut 47); ähnlich auch Weissenrieder, Spirit 78 mit Anm. 68. 32 Vgl. ausführlich Lesky, Vererbungslehren 1349–1383. Daneben kennt die Antike auch andere Theorien, um die Genese des Lebens zu erklären, z. B. die Zweisamenlehre bzw. Pan­genesistheorie, die prominent u. a. im Corpus Hippocraticum vertreten wird (vgl. ebd. 1294–1343) und dem Namen gemäß davon ausgeht, dass auch die Mutter Samen produziert (wobei der weibliche Einfluss bei der Entwicklung des neuen Lebens dennoch geringer eingestuft wird), die Parthenogenese (nicht nur als Vorstellung einer Jungfrauengeburt, sondern häufiger vor allem auf Pflanzen bezogen), oder den Performationismus bzw. die Ho­mun­culus-Theorie; vgl. zur Diskussion der verschiedenen antiken Entstehungs- und Abstammungslehren im Bezug auf das Johannesevangelium ausführlich: Seim, Motherhood 101–105.110–120; Reinhartz, Epigenesis 87–100, und Rothschild, Embryology 125–146 (in kritischer Auseinandersetzung mit Seim und Reinhartz); wesentlich knapper: Theobald, Fleischwerdung 243. Einen Überblick über die verschiedenen Theorien seiner Zeit bietet u. a. auch Ps.-Plutarch (Placita philosophorum 906 C–E) im Zusammenhang mit der Frage, warum Kinder ihren Eltern ähneln. 33  So u. a. Kügler, Würde 174 f.; Theobald, Fleischwerdung 243; Seim, Motherhood, und Reinhartz, Epigenesis; kritisch dagegen Rothschild, Embryology 132–137, und Weissenrieder, Spirit 75 f. Beide vermuten als Hintergrund der johanneischen Konzeption nicht die aristotelische Epigenese, sondern rücken andere antike Texte und Theorien in den Fokus, die vor allem den mütterlichen Anteil stärker hervorheben. So deutet Annette Weißen­ rieder (Spirit 77) die Erwähnung des Geistes / Windes in Joh 3,3–8 als „refer[ring] to the nourish­ment of the embryo with πνεῦμα and the solidifying of the embryo, as well as to the embryonic puff of πνεῦμα“ (ausführlicher dazu s. u. Anm. 144). Die Auswirkungen dieser These auf die Deutung von Joh 1,13 bleiben jedoch schemenhaft (ebd. 78), da Weißenrieders Fokussierung auf πνεῦμα und das Verb ἐμφυσᾶν (Joh 20,22) hier keinen textlichen Anhalt haben. Anders dagegen rekonstruiert Clare K. Rothschild (Embryology 137–149) die Funktion des πνεῦμα im Rahmen der johanneischen Zeugungsvorstellungen, indem sie auf die Theorie 31 In

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9. Die johanneischen Texte

(ἡ ὕλη), aus dem der Embryo entsteht, die Formung geschieht hingegen durch den männlichen Samen.34 Den ganzen Vorgang vergleicht Aristoteles mit der Wirkung, die Lab auf Milch hat, so dass Letztere gerinnt und feste Form annimmt (De generatione animalium 729 a 9–13):35 ἐπειδὴ τὸ μὲν ἄρρεν παρέχεται τό τε εἶδος καὶ τὴν ἀρχὴν τῆς κινήσεως, τὸ δὲ θῆλυ τὸ σῶμα καὶ τὴν ὕλην, οἷον ἐν τῇ τοῦ γάλακτος πήξει τὸ μὲν σῶμα τὸ γάλα ἐστίν, ὁ δὲ ὀπὸς ἢ ἡ πυτία τὸ τὴν ἀρχὴν ἔχον τὴν συνιστᾶσαν.

Denn das Männliche verleiht die Form und das Prinzip der Bewegung, das Weibliche aber den Körper, also die Materie. Gleichermaßen ist bei der Gerinnung der Milch die Milch der Körper, der Feigensaft oder das Lab aber beinhaltet das Prinzip(, das) zum Festwerden (führt).

Die dreiteilige Aussage von Joh 1,13 a wechselt nach der ersten Negation (οὐκ ἐξ αἱμάτων) auf eine andere Ebene, indem sie mit dem Aufgreifen des „Willens“ (τὸ θέλημα) den Bereich der materiellen Entstehung des Lebens verlässt. Der „Wille des Fleisches“ kann die Zeugung als solche nicht bewirken. Er bildet, indem er auf den Geschlechtsakt zielt, aber die notwendige Voraussetzung, dass Zeugung überhaupt stattfinden kann. Wird mit οὐκ ἐξ αἱμάτων demnach zunächst die materielle Basis negiert, aus der menschliches Leben nach zeitgenössischen Vorstellungen entsteht, so verneint οὐδὲ ἐκ θελήματος σαρκός daran anschließend auch, dass dem Willen, der zum Geschlechtsakt führt und aus dem der Embryo überhaupt erst hervorgehen kann, eine Bedeutung zukommt. Nochmals negiert wird schließlich der „Wille des Mannes“ (οὐδὲ ἐκ θελήματος ἀνδρός), der damit für die Herkunft der Parthenogenese zurückgreift. Hier sieht sie besonders in dem Syntagma γεννηθῆναι ἐκ (τοῦ) πνεύματος in Joh 3,5.8 eine Anspielung auf die Rolle des Windes bei der (pflanzlichen) Befruchtung (s. u. Anm. 145). Für Joh 1,13 a dagegen hält Rothschild (Embryology 136) eine Anspielung auf die aristotelische Epigenese insbesondere in der Erwähnung des Blutes für wahrscheinlich, leitet aus der Negation der Aussage auf der Textebene aber auch für die Metaebene der Konzepte ab, dass diese nicht von dieser Theorie bestimmt sein könne und somit auch keinen Deutungshintergrund für die metaphorische Aussage über die „göttliche Zeugung“ in Joh 1,13 b bilde. Diese Schlussfolgerung ist jedoch keineswegs zwingend. Vielmehr spricht viel dafür, dass die aristotelische Vorstellung einer Zeugung durch das Zusammentreffen von männlichem, formgebenden Samen und weiblichem, stoffgebenden Blut, die mit Joh 1,13 a (aller Wahrscheinlichkeit nach) aufgerufen wird, gerade weil sie damit im Text bereits präsent ist, auch die Deutung der metaphorischen Aussage über die Zeugung ἐκ θεοῦ bestimmt – und zwar völlig unabhängig von der Negation in Joh 1,13 a, die ja die Relevanz irdischer Zeugung überhaupt bestreitet, nicht aber eine bestimmte Theorie zur Erklärung ihrer Mechanismen. 34 Aristoteles unterscheidet in De generatione animalium 716 a 5–7 als männliche Grundlage der Zeugung jene, welche über „das Prinzip der Bewegung und Zeugung verfügt“ (τὸ μὲν ἄρρεν ὡς τῆς κινήσεως καὶ τῆς γενέσεως ἔχον τὴν ἀρχήν), von der weiblichen, die über das Prinzip „der Materie“ verfügt (τὸ δὲ θῆλυ ὡς ὕλης); vgl. auch Lesky, Vererbungslehren 1350; Seim, Motherhood 102, und Theobald, Fleischwerdung 243. 35 Vgl. dazu auch Kügler, Würde 175, und Lesky, Vererbungslehren 1361. Wichtig ist für Aristoteles dabei, dass der männliche Samen nicht selbst in die Materie eingeht, die zum Embryo geformt wird, sondern alleingestaltendes Prinzip bleibt – siehe dazu nochmals unten Anm. 221.

9.1 Die Metaphorik in Joh 1,13 im Kontext

235

derer, die den Logos aufgenommen haben und an seinen Namen glauben, als irrelevant gekennzeichnet ist. Die Formulierung ist analog zum „Willen des Fleisches“ zu verstehen und fokussiert noch einmal speziell das sexuelle Begehren des Mannes im Rahmen des Zeugungsaktes, während mit σάρξ metonymisch Mann und Frau gleichermaßen gemeint sind.36 Diese Zuspitzung ist insofern nachvollziehbar, als dem Mann auch die entscheidendere Rolle im Zeugungsprozess und insbesondere hinsichtlich der Formung des Embryos zukommt.37 Der dreifachen und auf diese Weise mit großem Gewicht versehenen Negierung irdischer Zeugung(sumstände) steht in Joh 1,13 b die Zeugung ἐκ θεοῦ positiv entgegen. Nicht ihre irdische Herkunft, sondern allein ihr Ursprung ἐκ θεοῦ ist für die in Joh 1,12 f. beschriebenen Menschen entscheidend. Textkritisch ist hier die Singular-Lesart ὅς […] ἐγεννήθη statt οἵ […] ἐγεν­νήθησαν in Joh 1,13 zu erwähnen. Ihre äußere Bezeugung ist zwar spärlich,38 ihr inhaltliches Gewicht jedoch erheblich. Denn wenn die Singularlesart tatsächlich ursprünglich wäre, dann bezögen sich nicht nur die Negativaussagen in Joh 1,13 a, sondern auch das Gezeugtwerden aus Gott in Joh 1,13 b nicht auf die Gläubigen, sondern allein auf den Logos, von dessen Inkarnation dann zweifellos der folgende Vers Joh 1,14 spricht. Michael Theobald ergänzt diese These noch um die literarkritische Überlegung, dass Joh 1,13 ursprünglich Kommentar zu Joh 1,14 und erst als solcher in den Textzusammenhang von Joh 1,12 und 1,14 eingefügt worden sei.39 Dafür gibt es jedoch keinerlei textliche Spuren; die Einfügung müsste also vor der Fixierung des jetzt belegten Textes stattgefunden haben und lässt sich daher (wenn überhaupt) nur literarkritisch begründen: Die Feststellung eines Bruchs zwischen Joh 1,12 und 1,13, die sich am unklaren Bezug von οἵ festmacht, ist aber nicht zwingend (s. o. 9.1). Gegen die Singularlesart in Joh 1,13 sprechen neben der schwachen äußeren Bezeugung ansonsten auch die inneren Kriterien: Denn eine Veränderung vom Plural zum Singular ist eher vorstellbar als die umgekehrte Entwicklung – unter anderem deshalb, weil mit der Singularlesart nicht nur im Matthäus- und Lukasevangelium, sondern auch johanneisch ein Hinweis auf die Jungfrauengeburt vorhanden wäre, der ansonsten fehlt.40 36 So

auch Kügler, Würde 165. sich οὐκ ἐξ αἱμάτων als erstes Glied der dreiteiligen Negation insbesondere auf den weiblichen „Stoff “ im Zeugungsprozess bezieht und σάρξ als mittlerer Teil beide Geschlechter einschließt, bildet der „Wille des Mannes“ als drittes Glied in gewisser Weise eine Entsprechung zum ersten Glied der Aussage. Es legt sich dennoch nicht nahe, die Tatsache, dass zwar die von der Frau kommende ὑλή, nicht aber das männliche σπέρμα negiert im Text auftaucht, tiefergehend darauf hin zu deuten, dass besonders die Abstammung des Menschen aus der Frau abgewiesen und gegen die Zeugung aus Gott gestellt werden solle. Vgl. zu Optionen dieser Art, die u. a. bei einigen Kirchenvätern zu finden sind und häufig einen „gnostischen“ Sophiamythos im Hintergrund assoziieren, den es abzuwehren gelte, Hofrichter, Blut 50–52. Dagegen ist Turid K. Seim (Motherhood 114) zuzustimmen: „The vers simply seems to present a comprehensive list of factors involved in the process of human procreation, which by necessity includes both male and femal elements.“ 38 Nestle-Aland vermerkt die Variante in der 28. Auf lage gar nicht mehr im Apparat; in der 27. Auf lage wird immerhin auf den wichtigsten altlateinischen Zeugen b (Codex Veronensis) und auf Tertullian verwiesen. Schnackenburg (Johannesevangelium I, 240) meint: „Schon Justin könnte so gelesen haben, ferner Hippolyt, sicher Irenäus, auch die Epist. Apostolorum“. 39 Theobald, Fleischwerdung 244–247; so z. B. aber bereits Harnack. 40 So argumentiert u. a. auch Schnackenburg, Johannesevangelium I, 240. 37 Da

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9. Die johanneischen Texte

Es wurde bereits herausgestellt, dass sich aus der ἐκ-Formulierung im Zusammenhang mit γεννηθῆναι nicht darauf schließen lässt, ob Gott hier eine eher männliche oder eher weibliche Rolle im metaphorischen Zeugungsprozess einnimmt (s. o. 7.2.2.2). Im Hinblick auf die vorangegangene dreifache Negierung irdischer Zeugungsumstände, die sowohl weibliche als auch männliche als auch gemeinsame Aspekte in den Blick nimmt, liegt es nahe, in der positiv bündelnden Aussage in Joh 1,13 b ebenfalls beide Rollen aufgegriffen zu sehen. Zugleich aber werden beide Rollen auch aufgehoben, da der Text in seiner Gegenüberstellung der Negativaussagen von Joh 1,13 a und deren positiver Fassung in Joh 1,13 b darauf zielt, sämtliche irdischen Kategorien in der Zeugung aus Gott hinter sich zu lassen. Es ist ein besonderes Merkmal der Metaphorik in Joh 1,13 b, dass sie einen Ursprungsbereich aufgreift, der durch die kontextuelle Verbindung mit Joh 1,13 a zugleich genauer beschrieben und für irrelevant erklärt wird. Die zentrale Aussage der Metapher in Joh 1,13 b ist in diesem Kontext daher zweifellos, dass die durch Zeugung bestimmte irdische Herkunft der Gläubigen durch die ganz anders geartete Zeugung ἐκ θεοῦ überschritten und durch einen ganz anderen Ursprung ersetzt wird. Dass durch die deutliche Negation der irdischen Zeugung die Heilsrelevanz einer irdischen Abstammung im Sinne einer jüdischen Abstammung bestritten werden soll,41 ist keinesfalls sicher nachzuweisen. Grundlegend für diese Ansicht ist die kontrovers diskutierte Frage, worauf τὰ ἴδια und οἱ ἴδιοι in Joh 1,11 referieren – „auf das jüdische Land und Volk“? 42 Aber auch wenn es so wäre,43 dann folgt daraus noch immer nicht notwendig, dass mit der Negation der irdischen Abstammung in Joh 1,13 a insbesondere die jüdische Abstammung als irrelevant zurückgewiesen werden soll.44

41 So z. B. Gese, Johannesprolog 166; ähnlich Schnackenburg (Johannesevangelium I, 236), der diese Deutung – allerdings nur auf der redaktionellen Ebene des Evangelisten – für möglich, aber für „nicht zwingend“ hält. Anders z. B. Theobald, Fleischwerdung 242. 42 So Thyen, Johannesevangelium 84 (Hervorhebung hinzugefügt); vgl. auch Wilckens, Johannes 30. Wengst (Johannesevangelium I, 57 f.) dagegen stellt die Möglichkeit eines Is­rael­bezugs gleichberechtigt neben die Deutung von „das Seine“ als „die Welt und alle Menschen in ihr“ (ebd. 57); Dietzfelbinger (Johannes I, 29) versucht ebenfalls beide Deutungsvarianten zu integrieren und sieht „im jüdischen Volk […] die Menschheit überhaupt“ dargestellt; völlig gegen einen Israelbezug stellt sich u. a. Bultmann, Johannes 34: „Mit τὰ ἴδια ist also die Menschenwelt gemeint, die ihm als Schöpfer zu eigen gehört, und die ἴδιοι sind eben die Menschen“; vgl. u. a. auch Theobald, Fleischwerdung 242. 43 Viel spricht meines Erachtens für die Sicht von Wengst (vgl. die vorige Anmerkung), den Vers als eher unterdeterminiert anzusehen und sowohl Welt als auch Israel als mögliche Referenzen in Betracht zu ziehen. 44 Vgl. hierzu nochmals Wengst (Johannesevangelium I, 60), der dieser Deutung in Joh 1,13 trotz in Betracht gezogenen Israelbezugs in Joh 1,11 nicht folgt. Theobalds Einwand (Fleischwerdung 242), dass dann zu erwarten wäre, dass „die Negationen in diesem Sinn auch präzisiert sind“, hat ebenfalls Gewicht, auch wenn hierfür meines Erachtens eher auf entsprechend deutlichere Formulierungen in Joh 8 zu verweisen wäre, während die von Theobald (ebd.) angeführte paulinische Differenzierung „zwischen den τέκνα τοῦ θεοῦ und dem σπέρμα Ἀβραάμ bzw. den τέκνα τῆς σαρκός“ für Johannes wenig austrägt.

9.1 Die Metaphorik in Joh 1,13 im Kontext

237

Um diesen ganz anderen Ursprung und das aus dieser Zeugung folgende Leben inhaltlich noch genauer bestimmen zu können, ist es schließlich nötig, noch ein weiteres Mal auf den Ursprungsbereich der irdischen Zeugung zu blicken und nicht nur die vom Text negierten Aspekte herauszuheben, sondern auch nach positiven Übertragungen innerhalb der verwendeten Metapher zu fragen.45 Dabei zeigt sich, dass es doch eher die Rolle des Vaters ist, anhand derer sich im vorliegenden Kontext Deutungspotenzial entfalten lässt.46 Überhaupt werden der Mutter im Rahmen des damaligen (vermutlich vor allem von der aristotelischen Einsamenlehre dominierten) embryologischen Verständnisses (s. o. Anm. 33) neben der Bereitstellung der materiellen Basis (s. o.) und der Ernährung des Embryos nach der erfolgreichen Befruchtung in der Regel keine weiteren prägenden Einflüsse auf den Embryo zugestanden. Die Rolle des Vaters hingegen eröffnet vom Ursprungsbereich her sinnvermittelnde Übertragungsmöglichkeiten, die sich mit der metaphorischen Rede vom Kind-Werden in Joh 1,12 b verbinden lassen und daher auch im Zusammenhang mit diesem Teilvers betrachtet werden sollen (s. u. 9.1.3).47 Zugleich bleibt aber zu beachten, dass Gott in Joh 1,12 f. nicht „Vater“ genannt wird. In Joh 1,14 ist er der „Vater“ nur in Bezug auf den μονογενής. Im ganzen Evangelium bleibt es bei dieser klaren Differenzierung: „Vater“ ist Gott nur für den „Sohn“. Erst der auferweckte Jesus spricht in Joh 20,17 von Gott als „Vater“ der Jüngerinnen und Jünger (ἀναβαίνω πρὸς τὸν πατέρα μου καὶ πατέρα ὑμῶν). Was in Joh 1,12 f. also sowohl in der Zeugungsmetaphorik von Joh 1,13 als auch in der Rede vom τέκνα θεοῦ γενέσθαι (1,12 b) bereits ange45 Vgl. dazu bereits oben die kritische Auseinandersetzung mit Rothschild (Embryology 136 f.) in Anm. 33. 46 In Joh 16,21 gibt es dagegen einen Beleg dafür, dass im Evangelium auch die Rolle der Mutter im Geburtsprozess metaphorisch aufgegriffen werden kann. Die Aussage will dort aber mit Hilfe der Freude (χαρά) der Mutter über das (neu-)geborene Kind, die sie alle vorangegangenen Schmerzen und Mühen (λύπη und θλῖψις) vergessen lässt, betonen, dass der Schmerz der Jünger über die Trennung von Jesus Teil eines Prozesses ist, der in Freude münden wird. Diese Instanziierung einer klar den Ursprungsbereich Geburt nutzenden Metaphorik (als Fokuswörter lassen sich u. a. γυνή, ἡ ὥρα αὐτῆς, τίκτειν, λύπην ἔχειν, γεννᾶν, παιδίον bestimmen) hebt somit völlig andere Aspekte hervor, als das in Joh 1,12 f. der Fall ist. In Joh 1,13 b ist außerdem Gott Subjekt der Zeugungsaussage, während die Frau, von der in Joh 16,21 geredet wird, metaphorisch die Situation der Jünger beschreibt (vgl. 16,22: καὶ ὑμεῖς οὖν […]). 47 Eva-Maria Gerigk (Wahlverwandtschaften 253) reduziert die in Joh 1,13 elaborierte Metapher hingegen allein auf „Wissensbeziehungen“. Die Formulierungen in Joh 1,13 a betonten demnach „die Determinationsstrukturen der gottfernen Wirklichkeit“, während „die Metapher ‚aus Gott geboren‘ (vgl. 1,12) die durch den Logos vermittelten heilsrelevanten Wissensbeziehungen der Kinder Gottes“ bezeichne (ebd.). Damit ist zwar sicher ein Teil dessen beschrieben, was aus der Zeugung „aus Gott“ folgt, nämlich eine andere Art des Wissens, als sie in Joh 3 dann z. B. Nikodemus zeigt. Darin erschöpft sich die Metaphorik in Joh 1,13 aber nicht. Gerigk jedoch zeigt – in einer Untersuchung, die sich explizit der „Herkunftsund Verwandtschaftsmetaphorik“ widmen will – erstaunlich wenig Aufmerksamkeit für den relevanten Ursprungsbereich.

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9. Die johanneischen Texte

legt ist, erfährt seine Erfüllung erst am Ende des Evangeliums. Die Auslegung hat die Zeugungs-, Kind- und Vater-Metaphern also im Bezug zueinander, aber nicht vermischt miteinander wahrzunehmen. 9.1.3 Τέκνα θεοῦ γενέσθαι (Joh 1,12 b) und der Ursprungsbereich der Zeugung und Vererbung Wer gezeugt und schließlich geboren wurde, ist damit Kind derer, die ihn gezeugt haben. Die Aussage in Joh 1,12 b könnte also als vorweggenommene Konsequenz der Zeugungsaussage in Joh 1,13 b angesehen werden. Allerdings steht dem sowohl die Bemerkung entgegen, dass der Logos den damit Angesprochenen erst die „Macht“ bzw. das „Vermögen“ (ἐξουσία) gab, „Kinder Gottes zu werden“, als auch der gerade zitierte Satzabschluss selbst, der nicht vom Kind-Sein,48 sondern vom Kind-Werden (γενέσθαι) spricht.49 Kügler fragt daher ganz zu Recht: „Bedeutet also Kind Gottes zu werden etwas anderes als aus Gott gezeugt zu sein?“ 50 Und er beantwortet diese Frage auch ganz zu Recht mit einem „Ja“. Dass es einen Zusammenhang zwischen beiden Aussagen gibt, ist damit keinesfalls bestritten, abzulehnen ist aber eine Gleichsetzung. Damit ist die Aufgabe gestellt, das Verhältnis zwischen Joh 1,13 b und 1,12 b zu klären. Kügler blickt dafür nochmals auf den Ursprungsbereich Zeugung und die damit verbundenen Vorstellungen von Vererbung im antiken Rahmen. Wie schon dargestellt (s. o. 9.1.2), ist es nach der weit verbreiteten Einsamenlehre der männliche Samen, der dem Embryo die Form gibt. Daraus folgt dann auch, dass bei „diesem als Prägevorgang verstandenen Geschehen […] dem Kind die wesentlichen Eigenschaften des Vaters weitergegeben [werden]. Der Regelfall müssen also Söhne sein, die ihrem Vater gleichen.“ 51 Dass dieser Regelfall in der Realität nur in verschiedenen Abstufungen eintritt und dass be48 Dann wäre statt τέκνα θεοῦ γενέσθαι vielmehr τέκνα θεοῦ εἶναι zu erwarten; vgl. präsentisch z. B. Röm 8,16: αὐτὸ τὸ πνεῦμα συμμαρτυρεῖ τῷ πνεύματι ἡμῶν ὅτι ἐσμὲν τέκνα θεοῦ. 49 Manche Kommentare ebnen diese Nuance bereits in ihrer Wiedergabe des Textes ein und messen ihr dementsprechend auch keine Bedeutung bei. So spricht z. B. Wilckens (Johannes 25) von „Gotteskindern, die durch das Wunder göttlicher Zeugung zu Kindern Gottes geworden sind (V. 12 f.)“ (Hervorhebung hinzugefügt). Der Infinitiv Aorist Passiv γενέσθαι ist jedoch nachzeitig zum Hauptverb ἔδωκεν zu verstehen, mit Steyer, Satzlehre § 45 DD (weniger deutlich ausgedrückt in BDR § 338,2) und gegen Thyen, Johannesevangelium 88: „Von irgendeiner Vorzeitigkeit des ἐγεννήθησαν dem γενέσθαι gegenüber kann überhaupt nicht die Rede sein.“ Thyen verweist zur Begründung darauf, dass die Aoriste in Joh 1,12 konfektive Bedeutung hätten und führt dazu BDR § 333,6 an. Dort geht es aber nur um finite Verbformen im Aorist mit konfektiver Bedeutung, für Infinitive ist diese jedoch nicht gleichermaßen geltend zu machen. 50 Kügler, Würde 170. 51 Kügler, Würde 175. Lesky (Vererbungslehren 1374) beschreibt den „Idealtyp der Ver­erbung“ nach Aristoteles als „Repetition des Erzeugers in allen seinen Individual-, Geschlechts- und Arteigenschaften in einem neuen Individuum“.

9.1 Die Metaphorik in Joh 1,13 im Kontext

239

reits die Entstehung eines weiblichen Embryos eine Abweichung vom Idealfall bedeutet, ebenso dass Ähnlichkeiten mit der Mutter einer gesonderten Erklärung bedürfen, gehört zu den Herausforderungen, die die Einsamenlehre mehr oder weniger überzeugend klärt, die hier jedoch nicht im Einzelnen verfolgt werden müssen.52 Wichtig für einen sinnstiftenden Rückgriff auf das Konzept Zeugung und Vererbung in Joh 1,12 b ist vielmehr der Grundgedanke, dass der Sohn erst zum wahren Sohn des Vaters heranwachsen muss. Ob er das am Ende wirklich ist, zeigt sich darin, wie ähnlich er dem Vater geworden ist. Dass hierbei nicht nur Vererbungsaspekte eine Rolle spielen, sondern zum erhofften, dem Vater ähnlichen Heranwachsen vor allem auch Erziehung notwendig ist, betonen die antiken Texte ebenfalls. So beschreibt Sir 30,4 das Ergebnis gelungener 53 Erziehung beispielsweise so: Sir 30,4 ἐτελεύτησεν αὐτοῦ ὁ πατήρ καὶ ὧς οὐκ ἀπέθανεν ὅμοιον γὰρ αὐτῷ κατέλιπεν μετ᾽ αὐτόν.

Starb auch sein (sc. des Sohnes) Vater – (es ist) wie: Er starb nicht. Denn er hinterließ sein Abbild.

Dass dabei nicht an äußerliche Ähnlichkeit gedacht ist, geht aus dem Kontext zweifelsfrei hervor.54 Es wird ebenfalls deutlich, dass die „biologische Verwandtschaft […] keinesfalls als ausreichende Basis für eine ordnungsgemäße Vater-Sohn-Relation angesehen“ werden kann. „Es gilt vielmehr den Sohn zu erziehen, ihn zu sozialisieren, zu einem gemeinschaftsfähigen und gemeinschaftstauglichen Menschenwesen zu machen.“ 55 Aus Gott gezeugt zu sein (Joh 1,13 b) und Kind Gottes zu werden (1,12 b), lässt sich vor diesem enzyklopädischen Hintergrund also sehr wohl inhaltlich voneinander unterscheiden.56 Vom Ursprungsbereich her als irreversibel und unverlierbar einzuschätzen ist die Zeugung aus Gott. Sie gibt den Gezeugten zugleich eine Prägung mit, aus der heraus sie sich dann in ihrem Leben auch als Kinder Gottes erweisen können und müssen. Diese Deutung, die davon ausgeht, „dass Kind-Sein einerseits vorgegeben ist, andererseits in der Lebenspraxis sich bewähren muss“,57 fügt sich gut ein in die bereits aufgezeigte span-

52 Vgl. dazu ausführlicher Lesky, Vererbungslehren 1374–1379 u. ö. Hierin zeigt sich u. a., in welch starkem Maße die antike und insbesondere die aristotelische Zeugungs- und Vererbungslehre grundlegend von einer Inferiorität der Frau ausgeht. Positiv fällt immerhin auf, dass Joh 1,12 b von τέκνα und nicht von υἱοί spricht. 53 Dass die erzieherischen Maßnahmen, die zu diesem Gelingen führen sollen, aus heutiger Sicht fraglich erscheinen (vgl. etwa Sir 30,1–3), kann hier nicht Thema sein, sei aber am Rande zumindest vermerkt. 54 Vgl. zu Sir 30,1–10 ausführlich Kügler (Sohn), der vor allem auch die ägyptischen Entsprechungen und Bezüge zu dieser Sicht auf Erziehung und die Vater-Sohn-Beziehung herausarbeitet. 55 Kügler, Sohn 91. 56 Siehe dazu bereits erste Erwägungen oben in 9.1.1, die vor allem die Differenz von aktivem Verhalten und passivem Geschehen in den Blick nahmen. 57 Kügler, Würde 176.

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9. Die johanneischen Texte

nungsvolle Zusammenstellung von aktivem Verhalten und passivem Bestimmtwerden der in den Versen Joh 1,12–13 beschriebenen Menschen (s. o. 9.1.1). 9.1.4 Die ἐξουσία des Sohnes und das Verhältnis von Joh 1,12 b zu 20,17 Unverbunden neben der dargestellten Deutung für Joh 1,12 b (s. o. 9.1.3) steht bisher die Rede von der ἐξουσία, die der Logos denen gab (1,12 b), die ihn aufnahmen (1,12 a). Denn die nötigen Voraussetzungen, um Kind Gottes werden zu können, erhalten die „aus Gott“ Gezeugten ja bereits aus dieser Zeugung selbst. Welche Funktion hat im Rahmen dieses Konzeptes dann die zusätzliche Verleihung einer ἐξουσία, die noch dazu vom Logos kommt? Kügler löst die Spannung meines Erachtens noch nicht vollständig, wenn er auch den Logos als Sohn in das bereits beschriebene Ursprungskonzept der Zeugung und Vererbung einordnet: Als der Erstgeborene Gottes kann er denen, die sich ihm zuordnen, die Qualität weitergeben, die er selbst besitzt. Nur weil er selbst Sohn und Abbild Gottes ist, kann er seinerseits denen, die sich ihm anschließen, die Würde als Sohn und Abbild vermitteln.58

Vom Ursprungsbereich her ist es dagegen nicht plausibel, dass der erstgeborene Sohn an die weiteren Kinder seine „Qualität“ und seine „Würde als Sohn und Abbild“ weitergibt.59 Um das zu können, muss der Ursprungsbereich überschritten werden und muss der Logos noch mehr und anderes sein als der erstgeborene Sohn. Tatsächlich ist er das in der Konzeption des Johannesevangeliums auch: Schon der folgende Vers Joh 1,14 beschreibt das Werden des μονογενής gerade nicht in den irdischen Kategorien von Zeugung, die in Joh 1,13 aufgegriffen wurden, sondern als Fleischwerdung. Joh 1,18 betont im direkten Anschluss daran außerdem die singuläre Rolle des μονογενής 60 im Hinblick auf Erkenntnisse über Gott, wie sie dann auch im weiteren Verlauf des 58 Kügler,

Würde 169. der „Würde“, die Kügler besonders hervorhebt, wird außerdem ein Konzept an den Text herangetragen, das dieser selbst nicht aufruft. (Auch die Erwähnung der δόξα des μονογενής in Joh 1,14 evoziert im Verein mit dem im Evangelium noch mehrfach auftretenden Verb δοξάζειν ein dynamischeres Konzept, das auf den Weg des Sohnes bezogen ist [vgl. Joh 7,39; 12,16.23 u. ö.; mehr dazu s. u.].) Kügler leitet die durch den Logos vermittelte „Würde“ vor allem aus Überlegungen zur Königsherrschaft Gottes ab, aus der die besondere „Würde der Gotteskindschaft“ für ihn folgt (Würde 164). Van der Watt greift einen ähnlichen Gedanken im Zusammenhang mit Joh 3,3.5 auf, wo immerhin tatsächlich von der βασιλεία τοῦ θεοῦ die Rede ist, und schließt aus der engen Verbindung, in der die Basileia dort mit der Erwähnung der Geburt stehe: „This implies that this is not just the birth of a child, but birth as child of a king“ (van der Watt, Family 174). Dieser Aspekt steht meines Erachtens aber nicht im Fokus von Joh 3, wo vielmehr von γεννηθῆναι ἄνωθεν bzw. ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος die Rede ist. Auch van der Watts nochmals wiederholte und verallgemeinerte Feststellung, „[b]eing born into a kingdom means to become the child of the king“ (ebd. 175), ist vom Ursprungsbereich her nicht plausibel, denn lange nicht alle, die in ein Königreich hinein geboren werden, sind deswegen schon Kinder des Königs. 60 Das gilt unabhängig von der theologisch brisanten Entscheidung, ob in Joh 1,18 μονο­ γενὴς θεός oder μονογενὴς υἱός zu lesen ist. 59 Mit

9.1 Die Metaphorik in Joh 1,13 im Kontext

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Evangeliums wieder aufgegriffen und in Erinnerung gerufen wird: Wer ihn sieht, der sieht den, der ihn gesandt hat (12,45); niemand kommt zum Vater, denn durch ihn (14,6) etc. Was verbirgt sich dann aber hinter der ἐξουσία τέκνα θεοῦ γενέσθαι, die der Logos denen gab, die ihn aufnahmen? Die Entscheidungen für dezidiert kraftvolle Übersetzungen mit „Macht“ 61 oder „Vollmacht“, bei denen bisweilen sogar ein rechtlicher Aspekt betont wird,62 klären das Problem nicht.63 Strukturell vergleichbare Formulierungen aus anderen neutestamentlichen Texten, in denen auf ἐξουσία ebenfalls ein Infinitiv folgt, zeigen, worin das Hauptproblem liegt: Wenn hier die ἐξουσία zum Beispiel verliehen wird, um Dämonen auszutreiben und zu heilen (vgl. Mt 10,1 par. Lk 9,1) oder das Gericht zu vollziehen (vgl. Joh 5,27; 17,2), dann handelt es sich um aktive Handlungen, für die die jeweils Angesprochenen mit (Voll-)Macht ausgestattet werden, um dann entsprechend zu handeln. Inwiefern aber lässt sich diese Beobachtung auch auf das Ziel, Kind zu werden, beziehen? Dafür lässt sich nicht in vergleichbarer Weise (Voll-)Macht geben. Vielmehr liegt in den „aus Gott“ Gezeugten bereits durch die Aussage in Joh 1,13 b die Veranlagung und Prägung, tatsächlich auch zu Kindern Gottes werden zu können (s. o.). Im Hinblick auf diesen Zusammenhang lässt sich ἐξουσία am passendsten mit „Vermögen“ übersetzen. Die Bedeutung von ἐξουσία muss aber auch in Bezug auf den Logos geklärt werden, denn er ist es, der über sie verfügt, um sie anderen geben zu können.64 Was also ist diese ἐξουσία, die an der Gabe durch den Logos hängt? 61 So übersetzen wohl die meisten Kommentare und Bibelausgaben, vgl. z. B. Schnelle, der im Kommentartext zum Vers dann aber ohne weitere Erläuterung von „Gabe Gottes“ spricht (Schnelle, Johannes 38). Beobachtungen wie diese zeigen die Schwierigkeit der eindeutigen Bestimmung von ἐξουσία auf. 62 So z. B. Thyen (Johannesevangelium 87), der meint, dass in Joh 1,12 b ἔδωκεν αὐτοῖς ἐξουσίαν „nicht lediglich eine ‚Möglichkeit‘ ein[räume], sondern […] den gültigen Rechtsakt [beschreibe]“, der dies aber einzig und allein mit zwei Verweisen auf Sir 17,2 und Joh 5,27 begründet, aus denen das nicht ersichtlich ist. Auch für den Rechtsakt der Adoption, an den man vielleicht ebenfalls denken könnte (so z. B. Theobald, Johannes 124), wäre eher mit einem Begriff wie υἱοθεσία zu rechnen, wie ihn Paulus mehrfach metaphorisch zur Beschreibung der Gotteskindschaft der Gläubigen benutzt (Röm 8,15.23; 9,4; Gal 4,5; vgl. auch Eph 1,5). Zingg (Reden 36 Anm. 44) sieht neben den Bedeutungen „Möglichkeit, Erlaubnis und Freiheit zum Handeln“ für ἐξουσία auch etwas wie ein „Heimatrecht bei Gott mitschwingen“. 63 Wengst (Johannesevangelium I, 67) versucht eine Ableitung aus dem hebräischen ‫ ְרׁשּות‬, das „die Bedeutung von ‚Erlaubnis‘, ‚Bevollmächtigung‘, ‚Berechtigung‘ enthält.“ Aber auch eine „Berechtigung“ zur Gotteskindschaft bleibt letztlich eine erklärungsbedürftige Vor­stellung, die auch durch den folgenden Satz bei Wengst nur eloquent umschrieben ist: „Er, der im Evangelium als ‚der Sohn‘ schlechthin bezeichnet und beschrieben werden wird, der mit ‚dem Vater‘ in vollkommener Willenseinheit steht, berechtigt die zur Gotteskindschaft, die sich auf den in ihm zu Wort kommenden Vater einlassen“ (ebd.). 64 Nicht selten wird diese Differenz zwischen Gott und Logos in den Kommentaren durch ungenaue Paraphrasen des Textes eingeebnet; vgl. z. B. Dietzfelbinger (Johannes I, 29), der „das schlechthin nicht zu erwartende Wunder“, dass in Joh 1,12 Menschen doch den Logos aufnehmen, zumindest andeutungsweise erklärt sieht, „indem das Wunder des Glaubens in

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9. Die johanneischen Texte

Um Kind Gottes und damit auch Kind des Vaters zu werden, gibt es im Johannesevangelium – neben der bereits besprochenen Zeugung aus Gott – eine weitere wichtige Vorbedingung: Der Sohn – und zwar der einzige Sohn, der im Verlauf der Erzählung Gott seinen Vater nennt – muss seinen Weg vollendet haben. Das wurde oben (9.1.2) bereits angedeutet: Erst nachösterlich wird Gott das erste Mal als „Vater“ der Jüngerinnen und Jünger bezeichnet (Joh 20,17).65 Für die Gabe des Geistes gilt ein ähnlicher Vorbehalt: Auch wenn Joh 3,5 bereits von der Zeugung ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος spricht,66 so wird doch spätestens in Joh 7,39 deutlich: οὔπω γὰρ ἦν πνεῦμα, ὅτι Ἰησοῦς οὐδέπω ἐδοξάσθη. Auf die Verherrlichung Jesu läuft alles zu. Erst nach seinem Tod am Kreuz, die johanneisch als Erhöhung (3,14) angesehen wird, und seiner Auferstehung, kann Jesus den Geist geben (20,22).67

Nur weil der Logos seinen Weg vollendet hat und verherrlicht wurde, gibt es für die an ihn Glaubenden die volle Gotteskindschaft.68 Deshalb kann der Logos in Joh 1,12 b auch über die ἐξουσία verfügen, die denen, die ihn aufnahmen, zusagt, Kinder Gottes zu werden. Um Kind Gottes zu werden (Joh 1,12 b) müssen also zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Man muss aus Gott gezeugt sein (1,13 b) und der Sohn muss seinen Weg bis zu seiner Verherrlichung (s. Anm. 65) vollendet haben. Die erste Voraussetzung versteht und erklärt sich voll und ganz im Rahmen der Zeugungsund Vererbungsmetaphorik. Sie impliziert via Zeugung zugleich auch eine Beziehung des Menschen zu (wenigstens) einem Elternteil – naheliegend aus dem Kontext in Joh 1 ist Gott als Vater. Auf der Erzählebene aber ist Gott vorerst nur als Vater des μονογενής im Blick (1,14.18) und Joh 1,12 b stellt mit der Gabe des „Vermögens, Kinder Gottes zu werden“, anfangs nur eine Zusage dar, der von Gott [sic] gewährten Vollmacht begründet wird: Die den Logos aufnahmen, konnten Gottes Kinder werden“; ähnlich auch bei Schnelle: s. o. Anm. 61. 65 Vgl. Zingg, Reden 48: „in der Auferstehung – so legt Joh 20,17 nahe –, im Gehen des Auf­erstandenen zu seinem ‚Vater‘ eröffnet sich das ‚Vater‘-Sein Gottes für die Jünger/innen (bzw. die Glaubenden).“ Siehe auch Zimmermann, Namen 122: „die präexistente Vaterschaft Gottes in Bezug auf Jesus [ist] grundlegende Bedingung für die Vaterschaft den ‚Kindern‘ gegenüber.“ Ganz anders stellt sich das z. B. im lukanischen und matthäischen Erzählzusammenhang beim Vater-Gebet mit der dezidierten Anrede Πάτερ (ἡμῶν) dar (Lk 11,2 par. Mt 6,9). 66 Mehr dazu s. u. 9.2.7. 67 Vgl. Zimmermann (Namen 122), die Joh 3,3–8 in ihre Überlegungen zum vollständigen Eintritt in den Status der Gotteskindschaft mit einbezieht: „erst durch den Geist stehen die Glaubenden, deren exemplarische Vertreter die Jünger sind, nach Tod und Auferstehung Jesu endgültig im Status der Gotteskindschaft“. Vgl. ähnlich auch Zingg, Reden 49: „In Joh 1,12 wird in Aussicht gestellt, dass die Glaubenden durch Jesus zu τέκνα θεοῦ werden, dies erfüllt sich an Ostern“. 68 Vgl. auch Back (Gott 192), die in die Überlegungen zur Rahmung durch Prolog und Osterereignisse auch noch die nachfolgende Thomasperikope mit einbezieht und die Perspektive dann über die Erzählebene hinaus auf die Rezeptionsebene weitet: „Wie in Joh 20,29 b die Seligpreisung jedem gilt, der glaubt, gilt die Verheißung der Gotteskindschaft in Joh 1,12 auch allen Glaubenden. Die Beziehung zu Gott als Vater ist nicht an die eigene Anwesenheit bei den in Joh 20,11–18 und 19–28 geschilderten Osterereignissen, sondern an den Christusglauben gebunden.“

9.1 Die Metaphorik in Joh 1,13 im Kontext

243

die erst in den österlichen Ereignissen ihre Erfüllung findet (vgl. Joh 20,17).69 Die Erzählung, die das Evangelium bietet, lässt bereits in den vorösterlichen Ereignissen immer wieder eine nachösterliche Perspektive aufscheinen.70 Wie eben gezeigt, ist eine klare Differenzierung aber möglich und nötig. 9.1.5 Wahres Leben als „aus Gott“ gezeugtes Leben: Die Leistung der Zeugungsmetaphorik in Joh 1,13 Die zeugungsmetaphorische Aussage in Joh 1,13 lässt sich nicht losgelöst von ihrem unmittelbaren Kontext in Joh 1,11 f. wahrnehmen. Vielmehr beschreibt Joh 1,13 b eine wichtige Voraussetzung, die das Leben derjenigen prägt, die laut Joh 1,12 a den Logos aufgenommen haben: Sie sind „aus Gott gezeugt“ (ἐκ θεοῦ ἐγεννήθησαν). Wann sich diese metaphorische Zeugung ereignet hat und in welcher Weise, wird vom Text nicht präzisiert. Dafür, dass Joh 1,13 b als Referenz auf die Taufe zu lesen sei, wie es in der Forschung immer wieder vorgeschlagen wird,71 gibt es keine klaren Hinweise. (Die Frage nach dem Verhältnis zur Taufe wird im Zusammenhang mit Joh 3,5 allerdings nochmals aufzugreifen sein: s. u. 9.2.6.) Vom Ursprungsbereich Zeugung her legt sich für Joh 1,13 vielmehr nahe, dass hier etwas metaphorisch umschrieben wird, das – johanneisch gesprochen – bereits „im Anfang“ geschehen ist, das jedoch nur in der Retrospektive erkannt werden kann – genauso wie auch die eigene Zeugung nur rückblickend als ein Ereignis wahrgenommen werden kann, das stattgefunden hat, sich aber der eigenen Erfahrung und auch dem eigenen Wollen entzieht. Dennoch lässt sich aus Joh 1,12 f. kein strenger Determinismus ableiten. Passives Bestimmt-Sein und aktives Verhalten bleiben vielmehr spannungs69 Frances Back (Gott 199) spricht im Hinblick auf das Verhältnis der Glaubenden zu Gott als Vater von einem „Gesamtkonzept […], dessen Eckpunkte Joh 1,12 und 20,17 bilden“; vgl. ähnlich auch Zimmermann, Namen 121: „Erst nach der Auferstehung Jesu wird also ‚mein Va­ter‘ auch zu ‚euer Vater‘.“ Diese Entwicklung versteht Christiane Zimmermann ausdrücklich als durch Joh 1,12 „vorbereitet“. 70 Im unmittelbaren Textzusammenhang von Joh 1,12 f. findet sich diese nachösterliche Perspektive z. B. im plötzlichen Wechsel zum „Wir“ in Joh 1,14: Καὶ ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο καὶ ἐσκήνωσεν ἐν ἡμῖν, καὶ ἐθεασάμεθα τὴν δόξαν αὐτοῦ […]. 71 So zu Joh 1,13 z. B. Schnackenburg, Johannesevangelium I, 239; ähnlich auch Wilckens, Johannes 31: „Zweifellos assoziieren die christlichen Leser hier die Taufe, die als Geburt ‚von oben‘ bzw. ‚von neuem‘ (Joh 3,3–8; 1. Joh 5,1.18), als Zeugung durch Gottes Wort (1. Petr. 1,3.23; Joh 1,18; 1. Kor 4,15) gedeutet wurde, als das gnadenhafte Wunder neuen Lebens durch den lebensschaffenden Geist Gottes (vgl. Gal 4,6 f.; Röm 8,16 f.; 1. Joh 3,1).“ Weder der Tauf bezug aller hier von Wilckens erwähnten Texte kann aber als sicher gelten, noch der Umstand, dass damalige Leserinnen und Leser mit diesem Wissen Joh 1,13 rezipiert haben. Auch Becker (Johannes 100) deutet Joh 1,13 im Rahmen seiner Entstehungstheorie des Johannesevangeliums als Teil der sogenannten „Kirchlichen Redaktion“ und in deren Rahmen als „Verweis auf die sakramentale Geburt aus Gott“, die – in Form der Taufe – als „heilsnotwendig […] zum Glauben (V. 12 c) hinzukommen“ müsse. Insgesamt fällt auf, dass bei Taufdeutungen von Joh 1,13 häufig auch die Gotteskindschaft aus Joh 1,12 b mit der Gotteszeugung Joh 1,13 b unkritisch in eins gesetzt wird (zur nötigen Differenzierung s. o. 9.1.3).

244

9. Die johanneischen Texte

voll aufeinander bezogen. In der Aufnahme des Logos in Joh 1,12 a wird das deutlich: Hier lässt sich das Handeln der „aus Gott“ Gezeugten als ein aktives, selbstbestimmtes Tun begreifen, das zugleich aber im vorausliegenden Wirken Gottes gründet, der sie gezeugt und mit den Fähigkeiten ausgestattet hat, die sie nun ergreifen. Während die Zeugung „aus Gott“ metaphorisch ein irreversibles Geschehen beschreibt, das die so Gezeugten bereits zu Kindern dieses Vaters macht, muss sich – der enzyklopädischen Prägung des Ursprungsbereiches gemäß (s. o. 9.1.3) – ein Prozess des Kind-Werdens anschließen. Dieser Prozess deutet sich in der Aussage in Joh 1,12 b an. Zugleich bildet Joh 1,12 b zusammen mit Joh 20,17 eine erzählerische Klammer um das Evangelium, die das Kind-Werden außerdem unter den Vorbehalt stellt, dass der Sohn erst seinen Weg vollenden muss, um die Kindschaft für alle Glaubenden zu ermöglichen (s. o. 9.1.4). Dieser Vorbehalt gilt jedoch nur auf der Ebene des Erzählten, nicht mehr für die nachösterlich Lesenden. Festzuhalten bleibt, dass sich die Zeugungsmetaphorik in Joh 1,13 und die metaphorische Rede vom τέκνα θεοῦ γενέσθαι in Joh 1,12 b aufgrund ihrer nahe beieinanderliegenden Ursprungsbereiche zwar gegenseitig ergänzen, dass sie aber nicht miteinander vermischt werden dürfen. Beachtet man das nicht, läuft man Gefahr, entweder die (passiven) Voraussetzungen des Glaubens oder das aktive Handeln der Glaubenden in den Vordergrund zu stellen, während doch beide Aspekte wesentliche Bestandteile des wahren, „aus Gott gezeugten“ Lebens sind. Spezifisch an der johanneischen Ausgestaltung der Zeugungsmetaphorik in Joh 1,13 ist schließlich die schroffe Abgrenzung, die sie leistet. Der Konzeptbereich Zeugung wird in Joh 1,13 a in dreifacher Weise aufgegriffen und in Bezug auf die Glaubenden zugleich komplett negiert. Als hätte es für die Glaubenden eine irdische Zeugung nie gegeben, profiliert Joh 1,13 b die metaphorische Zeugung ἐκ θεοῦ als eine ganz anders geartete Zeugung. Einen Übergang gibt es nicht, nur ein Entweder-oder. Es geht daher auch nicht um eine grundlegende Erneuerung, die mit Hilfe des Ursprungsbereiches Geburt / Zeugung ausgedrückt wird (s. o. 7.1), sondern um das grundlegende Anders-Sein dieses „aus Gott gezeugten“ Lebens überhaupt. Nur dieses Leben ist – johanneisch absolut gesprochen – Leben, das diesen Namen verdient.72 Es als „wahres Leben“ zu umschreiben, wie es in der Überschrift dieses zusammenfassenden Abschnitts und des gesamten neunten Kapitels geschieht, ist somit bereits eine Anpassung an nicht-johanneische Sprache,73 die hier deutlich markiert werden soll. Im johanneischen Sinne nur von „Leben“ zu sprechen, würde im Kontext 72 Vgl. ähnlich Rusam (Gemeinschaft 118) in Bezug auf den Ersten Johannesbrief: „Nur wer aus Gott geboren ist, lebt, d. h. wer nicht aus Gott geboren ist, kann gar nicht leben; seine Existenz hat die Qualifikation ‚Leben‘ gar nicht verdient“. Das Zitat wird ausführlicher nochmals in der Zusammenfassung (s. u. 9.4) aufgegriffen. 73 Wenn überhaupt, dann wird ἡ ζωή im Johannesevangelium nur durch αἰώνιος näherbestimmt: vgl. z. B. Joh 3,15 f.36; 4,14.36 u. ö. Absolut begegnet ἡ ζωή in Bezug auf die Glaubenden z. B. in Joh 6,53; 11,25; 20,31. Als Gegensatzpaar profiliert z. B. Joh 5,24 oder

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

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einer Untersuchung, die noch weitere Texte in den Blick nimmt, aber unter Umständen zu wenig deutlich machen, worum es dem Johannesevangelium dabei geht.

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12) In Joh 3 entwickelt sich die metaphorische Rede von Zeugung in Form eines Gesprächs.74 Zur Deutung ist es daher wichtig, dem Lauf des Gesprächs zu folgen und nicht allein, wie gerade in der „Wiedergeburts“-Forschung häufig zu beobachten, nur einzelne Verse der Jesusrede herauszugreifen. Denn auch wer Nikodemus ist und was er zum Gespräch beiträgt, ist von Relevanz für das Gesamtverständnis. Zwar drücken die Einwürfe des Nikodemus vor allem sein Missverstehen aus. Dennoch hilft es für das Verständnis des Textes weiter, auch das deutlich wahrzunehmen, worum es offenbar nicht geht, wenn Jesus die grundlegende Bedeutung einer Zeugung „von oben“ hervorhebt, und was genau Nikodemus daran missversteht.75 Was in Joh 3,1 ff. als Dialog beginnt, geht schnell in einen Monolog Jesu über. Spätestens in Joh 3,12 verschwindet Nikodemus als Gesprächspartner aus dem Fokus des Textes (s. o. Anm. 3), nachdem seine Beiträge bereits zuvor immer kürzer und inhaltsärmer geworden sind. Auch die Thematik einer ‌Zeugung „von oben“ bzw. „aus (Wasser und) Geist“ begegnet bereits in Joh 3,8 das letzte Mal. In der folgenden Analyse wird das Hauptaugenmerk daher auf Joh 3,1–8 liegen. Insgesamt ist der Textauf bau nicht schwer zu überschauen und sei hier stichpunktartig bis einschließlich Joh 3,21 in Erinnerung gerufen: 11,25 nicht wahres und falsches Leben, sondern vielmehr „(ewiges) Leben“ (ζωὴ [αἰώνιος]) und Sterben (ἀποθνῄσκειν). In diese Sinnlinie ist auch die Umschreibung „wahres Leben“ einzuordnen. 74 Die Eingrenzung des Ursprungsbereiches auf Zeugung, die sich vor allem aus der Lektüre von Joh 1,13 auch für das Wiederaufgreifen der Metaphorik in Joh 3,3–8 nahelegt, wurde schon eingangs kurz thematisiert (s. o. 9.1). Zur differierenden Deutung durch Nikodemus s. u. 9.2.3. 75 Ein genauer Blick auf die Auslegungsgeschichte des Textes zeigt, dass für die Deutung des Textes oft unbewusst Entscheidungen aufgenommen werden, die mit Nikodemusʼ Deutung konformgehen, obwohl doch klar ist, dass er das Gemeinte nicht wirklich versteht. So lässt sich z. B. die weitgehend zu findende und selten begründete Wahl von „geboren werden“ als Übersetzung von γεννᾶσθαι maßgeblich auf die entsprechende Entscheidung des Nikodemus in Joh 3,4 c zurückführen. Auch die Frage danach, wie eine solche erneute „Geburt“ sich denn ereignen könne, auf die Nikodemus keine Antwort findet, lenkt unter Umständen in eine falsche Richtung, wenn sie im Gefolge von Nikodemus vor allem als Frage nach der Bedingung für den Zugang zum Reich Gottes verstanden wird, die eine gewisse Erfüllbarkeit von menschlicher Seite impliziert, während die verwendete Metaphorik eher auf einen nicht steuerbaren Vorgang verweist. Ein Bewusstsein für diese unterschwellige Len­kung durch die Nikodemus-Perspektive findet sich in der Forschung kaum, nur Frey (Eschatologie 257 Anm. 83) deutet sie zumindest für Justins Interpretation von ἄνωθεν im Lichte von Joh 3,4 an.

246

9. Die johanneischen Texte

3,1–2 3,3

Nikodemus kommt und eröffnet das Gespräch. Jesus antwortet ein erstes Mal und betont die grundlegende Bedeutung eines γεν­ νηθῆναι ἄνωθεν, um die βασιλεία τοῦ θεοῦ sehen zu können. 3,4 Nikodemus fragt, wie das geschehen könne: Niemand könne in den Mutterleib gehen und ein zweites Mal geboren werden. 3,5–8 Jesus antwortet ein zweites Mal, modifiziert die Metaphorik zu γεννᾶσθαι ἐξ ὕδα­ τος καὶ πνεύματος, bringt als Gegensatz γεννᾶσθαι ἐκ τῆς σαρκός ein (3,6) und redet in einem Bildwort von der Unverfügbarkeit des Geist-Windes (3,8). 3,9 Nikodemus fragt erneut, wie das geschehen kann. 3,10–12 Jesus spricht Nikodemus als „den Lehrer Israels“ an und konstatiert auf eine Mehrheit bezogen (2. Person Plural) die Nichtannahme und den Unglauben gegenüber seinem Zeugnis (3,11 f.), obwohl es bislang nur die irdischen und noch gar nicht die himmlischen Dinge betraf.

An dieser Stelle verschwindet Nikodemus endgültig aus dem Fokus der Erzählung.76 Der Charakter des Gesprächs ändert sich zum Monolog, Jesus redet von sich nicht mehr in der Ich-, sondern in der Er-Form. Die Themen des Monologs sind, kurz zusammengefasst, die Folgenden: 3,13

Jesus spricht über den zum Himmel aufgefahrenen und herabgekommenen Menschensohn. 3,14–16 Die Erhöhung der Schlange (vgl. Num 21,8 f.) wird zum Bild für die Erhöhung des Menschensohnes, die den Glaubenden ewiges Leben bringt (Joh 3,15), für die Liebe Gottes zur Welt und die Gabe seines einzigen Sohnes (3,16). 3,17–21 Gericht und Rettung werden in ein Verhältnis zu Glauben und Unglauben in Hinblick auf den Namen des einzigen Sohnes gebracht. Durch die Gleichsetzung des Lichtes, das in die Welt kam, mit dem Gericht, und dem Hinweis auf die Menschen, die die Finsternis mehr liebten, stellt der Text einen deutlichen Rückbezug zum Prolog her.

Mit Joh 3,22 setzt die Erzählhandlung wieder ein. Es gibt einen Ortswechsel, die Jünger kommen als Figuren hinzu, die Handlung beschreibt die Taufpraxis Jesu und Johannes des Täufers und sich daran entzündende Auseinandersetzungen. 9.2.1 Die Gesprächseröffnung durch Nikodemus in Joh 3,1–2 Nikodemus ist, als er nachts zu Jesus kommt, innerhalb der Welt des Textes noch nicht bekannt, wohl aber die Gruppierungen, denen er zugeordnet wird: Er ist Pharisäer und er wird als ein ἄρχων τῶν Ἰουδαίων vorgestellt (3,1).77 Warum er kommt, wird vom Text nicht ausdrücklich bekannt gemacht. Es lässt sich also nur über das, was Nikodemus sagt, ermitteln: Nikodemus’ Anrede an Jesus in Joh 3,2 ist ehrerbietig.78 Er bezeichnet Jesus als ῥαββί, greift diese Bezeichnung inhaltlich sogleich noch einmal auf und führt sie fort in der Fest76 Mit diesem Wechsel verbinden sich in der Forschungsgeschichte zum Teil auch literarkritische Operationen, die hier aber nicht weiter diskutiert werden müssen. 77 Pharisäer werden bereits in Joh 1,24 erwähnt, οἱ Ἰουδαῖοι noch häufiger in Joh 1,19; 2,6.13.18.20.

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

247

stellung, dass Jesus ein von Gott gekommener Lehrer sei (οἴδαμεν ἀπὸ θεοῦ ἐλήλυθας διδάσκαλος).79 Auffällig ist, dass Nikodemus hier nicht nur von sich selbst spricht. Auf wen sich das pluralische οἴδαμεν bezieht, ist allerdings nicht eindeutig zu klären. Man könnte an die Zuordnung des Nikodemus zu den Pharisäern und zu den Obersten der Juden denken.80 Möglich scheint auch, dass Nikodemus es auf diese Weise vermeidet, in unbescheidener Weise nur von sich zu reden.81 Häufig wird Nikodemus auch in ein Verhältnis zu den πολλοί aus Joh 2,23 gesetzt, die die Zeichen Jesu sahen und glaubten (2,23 b: πολλοὶ ἐπίστευσαν εἰς τὸ ὄνομα αὐτοῦ θεωροῦντες αὐτοῦ τὰ σημεῖα ἃ ἐποίει), und wird als deren Vertreter verstanden.82 Tatsächlich gibt es eine auffällige Beziehung zwischen Joh 2,23 und 3,2, denn jenes Wissen (οἴδαμεν), auf das Nikodemus in Joh 3,2 verweist, begründet er mit den Zeichen (τὰ σημεῖα), die Jesus tut und von denen in Joh 2,23 zuletzt die Rede war.83 Es liegt also nahe, Nikodemus als Teil dieser Jerusalemer Menge zu betrachten, die Jesus am Passafest erlebte und dessen Zeichen sah. Was Nikodemus dann in Joh 3,2 sagt, lässt sich aber nicht ohne Weiteres mit dem Glauben in Übereinstimmung bringen, zu dem die πολλοί aufgrund der Zeichen kamen.84 Denn Nikodemus spricht nicht vom „Glauben“, sondern vom „Wissen“. Weder der Umstand, dass Nikodemus zu wissen meint, dass Jesus ein von Gott gekommener Lehrer sei, noch seine abschließende Bemerkung, dass Gott mit Jesus sein müsse, wenn er solche Zei-

78 Für Becker (Johannes 157) stellt die erste Redeeinheit des Nikodemus „äußerlich eine Art captatio benevolentiae dar“. 79 Zu den Anreden ῥαββί und διδάσκαλος vgl. u. a. Thyen, Johannesevangelium 187. 80 Mit einem ähnlichen „Wir“ tritt Nikodemus auch in Joh 7,50 f. auf. Dort ist er allerdings ein Pharisäer unter weiteren anwesenden Pharisäern, während das „Wir“ in Joh 3,2 keine solche Entsprechung im Text hat. 81 Schnackenburg (Johannesevangelium I, 380) verbindet diese Überlegung mit der Zuordnung des Nikodemus zu den Pharisäern: „Eine höfliche Übertreibung wird es sein, wenn er seine Standesgenossen in sein Urteil einschließt (οἴδαμεν). Sie haben ihn schwerlich zu Jesus geschickt, er kommt aus eigenem Antrieb.“ 82 Belege s. u. Anm. 85. Auch die Textabgrenzung, die die Perikope bereits mit Joh 2,23, nicht erst mit Joh 3,1 beginnen lässt, spiegelt bei einigen Kommentatoren diese These wider (vgl. z. B. Wengst, Theobald und Thyen). 83 Vgl. σημεῖα im Zusammenhang mit ποιεῖν in Joh 2,23 und 3,2. 84 Die Verbform ἐπίστευσαν in Joh 2,23 kann als ingressiver Aorist gedeutet werden, so übersetzt z. B. Becker, Johannes 150. Wilckens (Johannes 64) deutet die Verbform zwar auch so, übersetzt aber anders (ebd. 63). Zu dem wichtigen, wenn auch kontrovers bewerteten Zusammenhang von Zeichen-Sehen und Glauben im Johannesevangelium siehe auch Joh 4,48 (dort aber ἰδεῖν im Gegensatz zu θεωρεῖν in Joh 2,23). Nach Schnackenburg (Johannesevangelium I, 373) bleibt der Glaube der πολλοί dagegen „ein unzulänglicher Wunderglaube (vgl. 4,45.48), den Jesus als solchen durchschaut“; vgl. ähnlich auch Merklein, Gott 265: „Im Sinn des Evangelisten ist dies kein zureichender Glaube, bestenfalls der Anlaß für die eigentliche Glaubensentscheidung (vgl. Joh 4,48).“ Weniger kritisch urteilen dagegen aber z. B. Schnelle, Johannes 67, und Wengst, Johannesevangelium I, 125.

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9. Die johanneischen Texte

chen tun könne, ist gleichzusetzen mit dem Glauben, zu dem die „Vielen“ in Joh 2,23 kommen.85 Nikodemus präsentiert sich mit diesen Aussagen vielmehr als (heimlicher?) 86 Sympathisant Jesu,87 dem er große Hochachtung entgegenbringt und für den er sich auch später noch einsetzt (vgl. Joh 7,50 f. und 19,38–42), den er aber nicht als den zu erkennen vermag, als den ihn das Evangelium den Glaubenden darstellt.88 Ein „christologische[s] Bekenntnis“ 89 ist Nikodemus’ 85 So auch Hofius, Wunder 34; differenzierend ebenso Buch-Hansen, Understanding 277 f.: „The signs performed by Jesus during Easter in Jerusalem have called many Jews to faith (2:23) and stirred others, among them Nicodemus.“ Anders eigentlich alle neueren Kommentare (und weitere Sekundärliteratur): So meint z. B. Thyen (Johannesevangelium 187), dass Nikodemus in Joh 3,2 als ein „Sprecher jener ‚Vielen‘ Jerusalems erscheint, die aufgrund der Zeichen Jesu ‚an seinen Namen glaubten‘“. Schnelle (Johannes 67) betont, dass mit dem Erscheinen von Nikodemus „aus der anonymen Menge […] nun eine prominente Gestalt heraus[trete]“; vgl. ähnlich auch Wilckens, Johannes 65; Merklein, Gott 265, oder Bae, Wiedergeburt 127. Auch Wengst (Johannesevangelium I, 131), der Nikodemus insgesamt sehr kritisch als einen beurteilt, der „durchaus verstanden hat, aber im Entscheidenden nicht verstehen will“, sieht Nikodemus in Joh 3,2 noch als potenziell Glaubenden (vgl. ebd. 129). Aber genau dieses Stichwort des Vertrauens bzw. Glaubens (vgl. ἐπίστευσαν in Joh 2,23) fällt im Zusammenhang mit Nikodemus kein einziges Mal! Erst in Joh 3,12, wo der Dialog bereits in einen Monolog Jesu übergegangen ist und nicht mehr nur Nikodemus angesprochen ist, taucht es (verneint!) auf. 86 Dass Nikodemus in der Nacht zu Jesus kommt (im Gegensatz zur Mittagsstunde in Joh 4,6), könnte darauf verweisen. Allerdings kann der Text an anderer Stelle und in Bezug auf eine andere Figur, nämlich Joseph von Arimathia, auch ausdrücklich die Heimlichkeit der Situation schildern (ὢν μαθητὴς τοῦ Ἰησοῦ κεκρυμμένος, Joh 19,38). Wäre das wichtig für Joh 3, dann könnte man es also auch hier erwarten. Nikodemus aber setzt sich in Joh 7,50 f. öffentlich für Jesus ein, wenngleich im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen. Die Nacht könnte daher schließlich ebenso als typischer und geeigneter Zeitpunkt für ein Lehrgespräch gedeutet werden (so z. B. Hofius, Wunder 36 f.; ähnlich auch Thyen, Johannesevangelium 185; dagegen z. B. Theobald, Johannes 246) oder auf das bleibende Nicht-Verstehen des Nikodemus verweisen (vgl. etwa den bewusst eingesetzten Hinweis in Joh 13,30 in Bezug auf Judas: ἦν δὲ νύξ, und die Symbolik von Licht und Finsternis im gesamten Evangelium). 87 So bezeichnet auch Wengst (Johannesevangelium I, 125) Nikodemus, sieht damit aber vor allem eine Gruppe beschrieben, die in der nachösterlichen „Zeit des Evangelisten eine Rolle spielt: heimliche Sympathisanten, die kein offenes Bekenntnis wagen und sich bedeckt halten, die die mögliche Konsequenz scheuen, im Glauben mit dem gekreuzigten Jesus in irgendeiner Weise konform gemacht zu werden.“ 88 Vgl. ähnlich auch Frey, der Nikodemus zwar für einen der πολλοί aus Joh 2,23 ansieht, dessen „‚Bekenntnis‘ (V. 2) […] die wahre Würde Jesu allerdings nur unzureichend zum Ausdruck bringt, obwohl es nichts Falsches enthält“ (Frey, Eschatologie 255). 89 So Thyen, Johannesevangelium 188 (siehe dazu nochmals unten 9.2.2). Nikodemus äußere in Joh 3,2 ein „solenne[s] Bekenntnis“, und es werde „der Sache nach wohl von niemandem eine höhere Christologie als die gefordert, die sich in dem Bekenntnis des Nikodemus ausspricht“ (ebd. 187). Damit geht Thyen noch über seine bereits zitierte Zuschreibung des Zeichenglaubens der „Vielen“ aus Joh 2,23 an Nikodemus hinaus (s. o. Anm. 85), indem er ihn sogar zum unüberbietbaren Christusbekenner macht. Ähnlich spricht zwar auch Theobald (Johannes 248) vom „christologischen ‚Bekenntnis‘“ des Nikodemus, das es „ernst zu nehmen“ gelte, hält es aber für „ganz offen formuliert“ und in diesem Sinne für keineswegs vollständig. Auch Becker (Johannes 157) nennt Nikodemusʼ Anrede ein „Bekenntnis“, ver-

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

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Anrede in Joh 3,2 daher ganz sicher nicht: Vom entscheidenden Mangel an Glauben, an dessen Stelle bei Nikodemus das Wissen steht, war eben schon die Rede (siehe außerdem unten 9.2.9 zu Joh 3,8). Auch mit der Ansicht, dass Jesus „von Gott“ (ἀπὸ θεοῦ) komme, schwebt Nikodemus vermutlich eher die „Vorstellung eines ‚von Gott‘ berufenen Propheten vor“,90 während Jesus von sich selbst in Joh 8,42 sagt: ἐγὼ γὰρ ἐκ τοῦ θεοῦ ἐξῆλθον καὶ ἥκω.91 Ebenso bleibt die Wahrnehmung Jesu als Lehrer weit hinter dem zurück, was der wahre Glaube in Jesus sieht 92 – man vergleiche nur den Erkenntnisweg, den die samaritanische Frau im unmittelbar folgenden Kapitel Joh 4 zu gehen bereit ist und der von Ἰουδαῖος (4,9) über προφήτης (4,19) zu ὁ χριστός (4,29) und vom Wissen über den Messias (οἶδα, 4,25) zum Glauben an ihn (ἐπίστευσαν, 4,41) führt. 9.2.2 Jesu „Antwort“ in Joh 3,3 und die Frage nach der Themenwahl In Joh 3,3 „antwortet“ Jesus: ἀπεκρίθη Ἰησοῦς καὶ εἶπεν αὐτῷ. Genau genommen hat Nikodemus aber gar keine Frage gestellt. Dass mit „antworten“ ein Redebeitrag eingeleitet wird, der keiner ausdrücklichen Frage folgt, lässt sich auch an anderen Stellen im Johannesevangelium beobachten.93 Gekennzeichnet wird in Joh 3,3 also in erster Linie der Wechsel des Sprechers im Dialog. Dennoch ist damit, wie ein Blick auf jene anderen Stellen zeigt, in der Regel keine völlig zusammenhanglose Einlassung verbunden, sondern sehr wohl eine Reaktion Jesu auf Worte oder Geschehnisse zuvor. Gerade dieser Zusammenhang ist im Übergang von Joh 3,2 auf 3,3 aber nicht sofort offensichtlich. Verschiedene Optionen werden in der Forschung diskutiert, am häufigsten der eher lose Zusammenhang, der Nikodemus in ehrerbietiger Weise das Gespräch 94 eröffnen sieht (s. o. 9.2.1), aber Jesus die Themenwahl überlässt. Auch dann steht es aber ebenfalls nicht als vollgültig im johanneischen Sinne, weil es „in der irdischen Sphäre“ verbleibt (ebd. 158). 90 Theobald, Johannes 248. 91 Vergleichbare Formulierungen finden sich auch in Joh 3,13 (ὁ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβάς); 8,23 (ἐγὼ ἐκ τῶν ἄνω εἰμί) und in 6,33.41 f.50 f. (hier jeweils in Bezug auf das Brot, das als ὁ καταβαίνων ἐκ τοῦ οὐρανοῦ oder ähnlich bezeichnet wird). Nur in Joh 13,3 findet sich (neben einer negierten Formulierung in Joh 7,28) ein einziges Mal: […] καὶ ὅτι ἀπὸ θεοῦ ἐξῆλ­θεν καὶ πρὸς τὸν θεὸν ὑπάγει (vgl. außerdem einen weiteren Beleg in Joh 16,30, hier aber im Mund der Jünger; ansonsten dominieren in den Abschiedsreden die Formulierungen mit παρά: vgl. Joh 16,27 f.; 17,8). 92 Vgl. auch Back, Wiedergeburt 63: „Mit seinem Versuch, Jesus mit menschlichen Maßstäben zu messen und ihn als Propheten, Wundertäter und begabten Lehrer zu fassen, verkennt Nikodemus Person und Wesen Jesu grundsätzlich. Aus johanneischer Perspektive kann nur im Glauben an Jesus zutreffend erkannt und bekannt werden, wer Jesus ist.“ 93 Z. B. Joh 5,17.19; 12,30; in Joh 10,32 „antwortet“ Jesus auf eine Handlung. 94 Thyen (Johannesevangelium 195) charakterisiert das Gespräch im Rückblick von Joh 3,9 f. aus als „typisches Schulgespräch“, wobei sein Augenmerk weniger auf dem Dialog selbst als auf der rahmenden gegenseitigen Bezeichnung des je anderen als διδάσκαλος liegt; vgl. auch Becker, Johannes 157: „Lehrmeinungen werden also durch Standesvertreter ausgetauscht.“

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9. Die johanneischen Texte

bleibt aber die Themenwahl Jesu zu erklären. Wieso spricht er plötzlich in einem negierten Konditionalsatz von einer unumgehbaren Voraussetzung, um die βασιλεία τοῦ θεοῦ sehen zu können, obwohl doch von der βασιλεία zuvor noch nie die Rede war und auch danach – anders als bei den Synoptikern – nur noch ein einziges Mal in Joh 3,5? Nimmt Jesus also tatsächlich „keinerlei Bezug auf das, was Nikodemus gesagt hat“, wie Wilckens und mit ihm auch andere Ausleger meinen,95 oder gibt es doch Verbindungen zwischen Joh 3,3 und 3,2? Schnackenburg versucht eine solche Verknüpfung mit Hilfe einer Verallgemeinerung herzustellen: „Jesus versteht das Anliegen des Nikodemus als die jeden Juden bewegende Frage: ‚Was muß ich tun, um Anteil an der kommenden Welt zu erlangen?‘“ 96 Dass es sich damit tatsächlich um eine damals „jeden Juden bewegende Frage“ handelt, greift zwar deutlich zu weit,97 für Nikodemus aber, der als Pharisäer in den Text eingeführt wird, ist diese Frage sicherlich als relevant einzuschätzen.98 Für den Gesprächsverlauf hieße das, dass Jesus mit seiner Antwort keineswegs an Nikodemus vorbeiredet, sondern ein durchaus naheliegendes Thema anschneidet. Allerdings tut er dies auf eine Weise, die Nikodemus offensichtlich (Joh 3,4) nicht weiterbringt.

95 Wilckens, Johannes 65; vgl. auch Wengst, Johannesevangelium I, 129: „Auf die bloße Anrede des Nikodemus hin fängt Jesus in V. 3 an zu sprechen. Er redet ungefragt und bestimmt damit auch das Thema.“ Vgl. auch Becker, Johannes 155: „Nikodemus ist typisiert, seine Rolle als Gesprächspartner dürftig. […] Jesus setzt nicht nur eigenständig das Thema der Rede fest (V 3), sondern eigentlich monologisiert er, indem er V 3 benutzt, um alsbald von sich selbst zu reden.“ Johannes Schneider meint sogar, dass Nikodemus in seiner fragenden Absicht, noch „ehe er seine Gedanken entwickeln kann“, von Jesus regelrecht unterbrochen wird (Schneider, Johannes 91). Noch anders geht Bergmeier vor: Mit Rückgriff auf vermutete Traditionen behauptet er nicht nur, dass Jesus mit seiner Antwort gar nicht auf Nikodemus eingehe, sondern dass „Joh 3,3–10 […] vielmehr wie ein Intermezzo“ wirke (Bergmeier, Gottesherrschaft 63) und aus jener Tradition stamme, die auch in Joh 3,25 ff. begegne (ebd. 64). Die Antwort, die Nikodemus erhalte, gehöre demnach eigentlich zu der Frage, die ein namenloser Jude in Joh 3,25 stellt und dort nicht beantwortet bekommt, und liefere Auf klärung über die „Notwendigkeit der ‚Reinigung‘ durch die christliche Taufe“ (ebd.). Dass es in Joh 3,3–10 im Wesentlichen um Reinigung gehe, ist allerdings ebenso wenig plausibel, wie auch die Traditionsanalyse Bergmeiers hypothetisch bleibt (vgl. zur Kritik u. a. Thyen, Studien 464 f.). 96 Schnackenburg, Johannesevangelium I, 380; vgl. ganz ähnlich auch Dietzfelbinger, Johannes I, 80. 97 Vgl. dazu Camponovo, Königtum 437: „Die Untersuchung der Stellen in der frühjüdischen Literatur, welche von Gott als König oder von seiner Königsherrschaft handeln, bestätigt […], dass in den uns erhaltenen Schriften das Thema keine hervorragende Rolle spielt.“ 98 Vgl. nochmals Camponovo (s. vorige Anm.), der im Hinblick auf das insgesamt nicht als zentral einzustufende „Symbol“ die Gruppe der „Frommen“ in gewisser Weise ausnimmt und betont, dass „der Glaube an das Königtum Gottes in gesetzestreuen jüdischen Kreisen, welche zu den Chassidim gehörten, und bei ihren gemässigten Nachfolgern, den Pharisäern“ lebendig war (Camponovo, Königtum 442). Vgl. zum Basileiaverständnis außerdem unten den Petit-Abschnitt in 9.2.3.

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

251

Es gibt jedoch auch andere Überlegungen, die zwischen Joh 3,2 und 3,3 einen noch weitergehenden Zusammenhang herstellen. Hartwig Thyen hält bereits in Nikodemus’ Anrede an Jesus in Joh 3,2 die christologische Debatte für eröffnet,99 die Jesus mit seiner Antwort in Joh 3,3 durch eine weitere christologische Aussage über sich selbst (!) „präzisiert“.100 Diese christologische Deutung von Joh 3,2 wurde bereits inhaltlich kritisiert (s. o. 9.2.1). Auch der daran anschließenden These Thyens über Joh 3,3 ist nicht ohne Weiteres zu folgen: Dass Jesus in Joh 3,3 nur über sich rede, ist aufgrund der unpersönlichen Formulierung des Konditionalsatzes zweifellos möglich, aber nur schwer stichhaltig zu begründen. Thyen macht hierfür gegen „[f ]ast alle Ausleger“, die Joh 3,3 und 3,5 „als nahezu synonyme Aussagen“ begriffen, geltend, dass ein Sehen der βασιλεία τοῦ θεοῦ nur eine für Jesus geltende Möglichkeit sei (so Joh 3,3), während es für alle anderen darum ginge hineinzukommen (so Joh 3,5).101 Bei aller Zustimmung zu einer differenzierten Wahrnehmung der Aussagen von Joh 3,3 und 3,5, lässt sich die eher ungewöhnliche Rede vom Sehen der βασιλεία in Joh 3,3 aber auch aus Joh 3,2 ableiten, und somit ebenso als ein Eingehen auf das verstehen, was Nikodemus gesagt hat, denn dort verweist Nikodemus auf die Zeichen Jesu, die die Menschen laut Joh 2,23 gesehen haben. In Joh 3,5 begegnet dann die eher traditionelle und aus den Synoptikern bekannte Formulierung vom Eingehen in die βασιλεία, die wiederum etwas von dem aufgreift, was Nikodemus unmittelbar zuvor gesagt hat (ausführlicher s. u. 9.2.4). Auch Joh 3,7 steht gegen den singulären Bezug von Joh 3,3 auf Jesus. Denn dort greift Jesus die Aussage aus Joh 3,3 ausdrücklich nochmals auf (μὴ θαυμάσῃς ὅτι εἶπόν σοι), auch wenn er sie nur partiell wiederholt, und bezieht sie nun ganz deutlich auf eine Mehrzahl (δεῖ ὑμᾶς γεννηθῆναι ἄνωθεν), was gegen die christologische Engführung in Joh 3,3 steht.102

Positiv ist an Thyens Ansatz hervorzuheben, dass er die Aussage von Nikodemus in Joh 3,2 nicht für so übergehbar hält, dass sie in dem Moment für die Gesamtauslegung des Textes fallengelassen werden kann, in dem Jesus in Joh 3,3 erst das ‚eigentliche‘ Thema des Gesprächs zwischen beiden festlegt. Joh 3,2 ist vielmehr für die Gesamtstruktur von Joh 3,1 ff. keineswegs unerheblich, wenn auch aus anderen als den von Thyen angeführten Gründen: Direkt aufgenommen wird von Jesus in seiner „Antwort“ an Nikodemus vorerst neben der Erwähnung Gottes nur ein scheinbar inhaltsloses Wort: δύναται, und zwar in seiner Verneinung (3,2: οὐδείς, 3,3: οὐ), und die ebenso verneinte konditionale Konjunktion: ἐὰν μή. Ein genauerer Blick zeigt, dass der Aussage Jesu damit 99 Thyen,

Johannesevangelium 187; siehe dazu schon oben Anm. 89. Johannesevangelium 189. Auch Seims Deutung geht in diese Richtung, indem sie innerhalb der Gesprächseröffnung in Joh 3,2 überhaupt nur Nikodemusʼ Aussage über Jesu Herkunft hervorhebt, die dann sofort korrigierend aufgegriffen werde: Joh 3,3 „twists the understanding of origin implied in Nicodemus’s words“ (Motherhood 115). 101 Vgl. Thyen, Johannesevangelium 188. Auch Judith M. Lieu (Mother 75–77) versteht die Antwort Jesu in Joh 3,3 als auf ihn selbst bezogen, ist im Anschluss daran aber eher an der Frage interessiert, wie sich dann die κοιλία-Erwähnung durch Nikodemus mit Jesu Verhältnis zu seiner Mutter verbinden lässt, bietet jedoch keine weiterführende Erklärung an und korreliert einen so verstandenen Vers Joh 3,3 (und 4) auch nicht mit der Aussage in Joh 3,5. 102 Thyens eigene Erläuterung zu Joh 3,7 ist gerade auch in Kombination mit seiner vorausliegenden Deutung zu Joh 3,3 meines Erachtens nicht überzeugend (vgl. Thyen, Johannesevangelium 194). 100 Thyen,

252

9. Die johanneischen Texte

in chiastischer Verkehrung genau jene Struktur zugrunde liegt, die der Satz des Nikodemus vorgibt:103 2 b οὐδεὶς γὰρ δύναται ταῦτα τὰ σημεῖα ποιεῖν ἃ σὺ ποιεῖς, 2 c ἐὰν μὴ ᾖ ὁ θεὸς μετ᾽ αὐτοῦ 3 b ἐὰν μή τις γεννηθῇ ἄνωθεν, 3 c οὐ δύναται ἰδεῖν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ.

Inhaltlich entwickeln die chiastisch auf Joh 3,2 b.c bezugnehmenden Satzteile in Joh 3,3 c.b die zuvor von Nikodemus getroffenen Aussagen weiter: Spricht Nikodemus in Joh 3,2 b von den Zeichen, die Jesus getan hat (und die die Menschen in Joh 2,23 sahen), so geht Jesus darüber hinaus, und verweist auf das Sehen der βασιλεία.104 Die Aussage von Joh 3,2 c, mit der Nikodemus die Gottesbeziehung eines so besonderen Menschen wie Jesus als ὁ θεὸς μετ᾽ αὐτοῦ charakterisiert, wird in Joh 3,3 b durch Jesus ebenfalls aufgenommen und weitergeführt, indem er mit γεννηθῆναι ἄνωθεν eine noch viel stärkere Beziehung ausdrückt. Beide Satzteile lassen sich in diesem Sinne auch als kritische Korrekturen der Nikodemus-Aussage durch Jesus werten. Hinter der bloßen Struktur verbirgt sich bereits eine Aussage. Beide doppelt negierten Konditionalsätze hätten ebenso gut positiv ausgedrückt werden können. Aber Nikodemus sagt im Text eben gerade nicht einfach: „Denn nur wer von Gott kommt, kann solche Zeichen tun, die du tust.“ Ihm wird vielmehr eine komplizierte Formulierung 105 in den Mund gelegt, die zugleich viel über ihn als den um verlässliches, abgesichertes Wissen Ringenden aussagt.106 Im Fortgang des Textes greift Jesus diese Satzstruktur auf: Er sagt nicht: „Nur wer ἄνωθεν geboren wird, kann die βασιλεία τοῦ θεοῦ sehen.“ Stattdessen drückt er es ebenso negativ verklausuliert aus wie Nikodemus,107 und über die ganze Szene legt sich so von Anfang an der Eindruck des Unmöglichen, des Nicht-Könnens. Als ein Nicht-Verstehen wird es in Joh 3,4 manifest.

103 In

Joh 3,5 wiederholt sich diese konditionale Satzstruktur dann nochmals. der Jesustradition findet sich auch in Lk 11,20 ein Hinweis darauf, dass es eine enge Beziehung zwischen den Wundertaten des Menschensohnes und der βασιλεία τοῦ θε­οῦ gibt: εἰ δὲ ἐν δακτύλῳ θεοῦ [ἐγὼ] ἐκβάλλω τὰ δαιμόνια, ἄρα ἔφθασεν ἐφ᾽ ὑμᾶς ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ. 105 Dazu gehört die inverse Stellung der beiden Teile des Konditionalsatzes und die nach Verneinung beider Satzteile nun insgesamt doch positive Aussage, die aber dennoch unpersönlich in der 3. Person Singular bleibt, obwohl Nikodemus doch Jesus direkt anspricht. 106 Diese intensive Suchbewegung des Nikodemus wird von einigen Kommentatoren hervorgehoben, vgl. z. B. Schnelle, Johannes 68: „Nikodemus führt das aufrichtige Suchen nach Wahrheit zu Jesus.“ 107 Frey (Eschatologie 256), der zu den wenigen gehört, die dieser strukturellen Entsprechung zwischen Joh 3,2 und 3,3 überhaupt Beachtung schenken, deutet diese „auffällige Umkehrung des Bedingungsgefüges“ so: „Nicht Jesus hat sich (durch seine Taten) zu legitimieren, vielmehr kann er – in der Vollmacht des ‚Lehrers von Gott‘ – die Bedingungen benennen, die für Nikodemus und jeden Menschen für die Teilhabe am eschatologischen Heil bestehen.“ Einen Hinweis auf die chiastische Struktur bietet auch Popkes, Theologie 196. 104 Innerhalb

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

253

9.2.3 Der gescheiterte Deutungsversuch des Nikodemus in Joh 3,4: Zugleich eine Deutung von Joh 3,3 Dass Nikodemus in Joh 3,4 an der Deutung der Antwort Jesu aus Joh 3,3 scheitert, ist unübersehbar. Darüber, was er eigentlich nicht versteht und warum nicht, herrscht in der Forschung jedoch keine Einigkeit. Zu kurz greift es, wenn Nikodemus unterstellt wird, er habe den metaphorischen Charakter der Aussage Jesu nicht verstanden.108 Kein Mensch kann ein zweites Mal gezeugt oder geboren werden. Das ist so klar,109 dass es gegen die Textlogik spräche, wenn man Nikodemus, der im Text als Pharisäer und Mitglied des Synhedriums (3,1) und schließlich auch noch als ὁ διδάσκαλος τοῦ Ἰσραήλ (3,10) vorgestellt wird,110 nicht zutrauen wollte, dass er sich über die rein physische Ebene hinaus um ein übertragenes Verständnis des Satzes Jesu bemüht hätte. Dennoch bleibt er an genau dieser Stelle „hängen“ und macht damit deutlich, dass er dem von Jesus beschriebenen γεννηθῆναι ἄνωθεν keinen metaphorischen Sinn abgewinnen kann. Ein genauer Blick auf den Text zeigt, was Nikodemus in seiner missverstehenden Antwort in Joh 3,4 auf Jesu Bemerkung in Joh 3,3 aufgreift (unterstrichen) und was er als eigene Interpretationen hinzufügt (kursiv) bzw. modifiziert (fett): 3 a ἀπεκρίθη Ἰησοῦς καὶ εἶπεν αὐτῷ· ἀμὴν ἀμὴν λέγω σοι, 3 b ἐὰν μή τις γεννηθῇ ἄνωθεν, 3 c οὐ δύναται ἰδεῖν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ.

4 a λέγει πρὸς αὐτὸν [ὁ] Νικόδημος· 4 b πῶς δύναται ἄνθρωπος γεννηθῆναι γέρων ὤν; 4 c μὴ δύναται εἰς τὴν κοιλίαν τῆς μητρὸς αὐτοῦ δεύτερον εἰσελθεῖν καὶ γεννηθῆναι;

Augenfällig ist, und dies gilt meist als die Hauptursache von Nikodemusʼ Nichtverstehen, dass er ἄνωθεν (3,3 b) als δεύτερον (3,4 c) versteht. Doppeldeu­tige Ausdrücke sind nicht selten die Quelle des Missverständnisses in johanneischen Dialogen. Das Adverb ἄνωθεν, das sowohl „von neuem“ als auch „von oben“ bedeuten kann, ist im johanneischen Kontext eher räumlich zu verstehen: „Für Johannes ist ausweislich 3,31; 8,23; 19,11.23 und 3,12 f. letztlich das lokale Verständnis angemessen.“ 111 Ausschließlich für die Bedeutung „von oben“ votiert Schnackenburg.112 Für Rudolf Bultmann kann ἄνωθεν in Joh 3,3.7 dagegen „nur ‚von neuem‘ bedeuten“, da sich seines Erachtens die johanneischen Missverständnisse nie daran festmachen, dass „eine Vokabel zwei Wortbedeutungen hat“.113 Tatsächlich lässt sich das Missverständnis des Nikodemus in Joh 3,4 nicht allein auf ein falsches 108 So aber z. B. Theobald, Johannes 250: „Dass die Geburt des Menschen, von der Jesus spricht, auf einer anderen Ebene angesiedelt ist als der physisch-geschöpflichen, hat Nikodemus nicht begriffen.“ 109 Vgl. schon die entsprechende Bemerkung bei Justin, 1 Apol. 61,4. 110 Zu den unterschiedlichen Nuancen, die man in der Bezeichnung des Nikodemus als „Lehrer Israels“ in Joh 3,10 wahrnehmen kann, s. u. Anm. 189. 111 Söding, Wiedergeburt 199; so etwa auch Brown, John 130; Merklein, Gott 266; Dietz­felbinger, Johannes I, 80; Frey, Eschatologie 258; Popkes, Theologie 200. 112 Schnackenburg, Johannesevangelium I, 381 f. 113 Bultmann, Johannes 95 Anm. 2.

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9. Die johanneischen Texte

Verstehen von ἄνωθεν zurückführen (dazu unten gleich mehr), gleichwohl – und gegen Bultmann – scheint die Doppeldeutigkeit des Adverbs in Joh 3,3 durchaus bewusst eingesetzt zu sein.114 Nikodemus aber arbeitet sich weniger an ἄνωθεν ab, sondern insgesamt an der Frage, wie eine zweite Geburt als Bedingung zum Sehen der βασιλεία sinnvoll metaphorisch zu deuten wäre. Dass Nikodemus ἄνωθεν in Joh 3,3 „ganz einfach überhört zu haben [scheint]“, wie Schnackenburg meint,115 ist nicht plausibel. Der Versuch von Klaus Wengst, mit der Übersetzung „von oben her neu geboren“ die Mehrschichtigkeit des griechischen Ausdrucks auch im Deutschen wiederzugeben,116 ist ebenfalls nicht weiterführend, denn diese Übersetzung stellt keine Doppeldeutigkeit her, sondern betont neben der räumlichen Deutung außerdem den Charakter der beschriebenen „Geburt“ als „neu“. Sowohl die Festlegung auf „Geburt“ als auch der Fokus auf ein damit verbundenes Neu-Werden scheinen aber eher der von Nikodemus in Joh 3,4 angebotenen Deutung zu folgen als dem vom Text viel eher intendierten Hinweis auf den (unverfügbar bleibenden) Ursprung der Glaubenden „von oben“.

Nikodemusʼ Antwort offenbart aber noch mehr: Sie engt nämlich nicht nur die Bedeutung von ἄνωθεν ein, sondern trifft auch bezüglich des Ursprungsbereiches der Metapher eine Entscheidung. In Jesu Aussage ist anhand von γεννηθῇ nicht sicher zwischen Geburt oder Zeugung zu entscheiden. Denkt man an Joh 1,13 zurück (was für Nikodemus im Text keine Option ist, wohl aber für alle Leserinnen und Leser),117 dann spricht einiges dafür, auch in der metaphorisch ähnlichen Aussage in Joh 3,3 mit γεννηθῇ vor allem den Sinnbereich Zeugung assoziiert zu finden (s. o. 7.2.2.2 und 9.1.2–3). Zumindest aber gibt es keinen Grund, prinzipiell nur an Geburt zu denken.118 Nikodemus trägt mit der Rede vom „Mutterleib“, in den man, einmal geboren, nicht mehr hineingehen könne, jedoch nicht nur einen Aspekt in die Metaphorik ein,119 der den Ursprungsbereich in diesem Sinne festlegt,120 son114 Darauf verweisen u. a. auch Thyen, Johannesevangelium 188 f.; Schnelle, Johannes 69; Trumbower, Anthropology 71 f.; Frey, Eschatologie 253. 115 Schnackenburg, Johannesevangelium I, 282. 116 Wengst, Johannesevangelium I, 123. 117 Diesen Bezug betont auch Seim ausdrücklich: „The language is reminiscent of 1:13 and refers to the same generation that is from God, here expressed as ‚from above‘“ (Mo­ therhood 116). 118 Deutlich für ein Verständnis des Verbs im Sinne von Zeugung votieren z. B. Brown, John 130, und Keck, Derivation 276 Anm. 9. 119 Für Rothschild verdeutlicht Nikodemusʼ missverstehende Rede vom Mutterleib dagegen einen ganz anderen Sachverhalt: „If, however, ἡ κοιλία τῆς μητρὸς αὐτοῦ in John 3:4 represents συνεκδοχή for all theories of physical generation involving a womb, divine birth is misunderstood if connected in any way with womb theories – epigenesis, pangenesis, or performationism“ (Embryology 136). Meines Erachtens lassen sich aus dem Missverständnis des Nikodemus aber keine Schlussfolgerungen ziehen, die es rechtfertigen, bestimmte antike Zeugungstheorien als prinzipiell irrelevant für die Konstruktion des Ursprungsbereiches Zeugung zu erklären, da Text- und Konzeptebene hierbei unzulässig vermischt werden (siehe dazu schon oben Anm. 33). Nikodemusʼ Antwort ist vielmehr aus ihrem unmittelbaren Textzusammenhang heraus zu deuten. 120 Diese Festlegung allein würde das Verständnis von Jesu Aussage kaum unmöglich machen. Denn der wichtige Aspekt der Unverfügbarkeit, den die Zeugungsmetaphorik in Joh 3,3 und dann vor allem wieder in Joh 3,8 hervorhebt, ist sowohl im Konzept der Zeugung als auch der Geburt enthalten. (Der eindeutig mit Zeugung in Verbindung stehende Aspekt

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

255

dern konzentriert sich damit auch in irrtümlicher Weise auf die Frage des Könnens: δύναται aus Joh 3,3 c wird von ihm gleich zweimal aufgegriffen (3,4 b.c). Nikodemus verbindet es mit dem von ihm ebenfalls zweifach aufgegriffenen γεννηθῆναι: Zuerst fragt er: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist?“ (3,4 b). Dann gibt er sich selbst die Antwort: „Er kann nicht […]“ (3,4 c). In der Aussage Jesu ist δύναται jedoch mit dem Sehen der βασιλεία τοῦ θεοῦ verbunden, nicht mit γεννηθῆναι. Während Nikodemus also darüber nachdenkt, wie man ein zweites Mal (δεύτερον) geboren werden kann und weder im übertragenen noch im natürlichen Sinne zu einem sinnvollen Ergebnis kommt, hat Jesus über ein γεννηθῆναι ἄνωθεν gesprochen. Er hat damit außerdem (und für das Verständnis der Metaphorik wichtiger) nicht über ein menschliches Vermögen gesprochen, denn δύναται gehört nicht zur Protasis, sondern beschreibt erst innerhalb der Apodosis eine Möglichkeit, die aus dem Vordersatz, aus dem „Geboren- / Gezeugt-Werden von oben“, folgt. Auch vom Ursprungsbereich Zeugung (ebenso wie Geburt) her lässt sich nur bekräftigen, dass weder die eigene Geburt noch die eigene Zeugung vom Menschen gewollt werden können. Sie liegen nicht im Bereich dessen, was man aktiv hervorrufen, sondern immer nur im Nachhinein als etwas ohne eigenes Zutun Geschehenes wahrnehmen kann. Jesus beschreibt mit Hilfe des Ursprungsbereiches (Geburt bzw.) Zeugung in Joh 3,3 somit etwas doppelt Unverfügbares: Weil niemand die eigene Geburt oder Zeugung aktiv wollen kann (vgl. die Protasis des Satzes), bleibt auch die in der Apodosis formulierte Folge, die Basileia zu sehen, außerhalb des menschlichen Zugriffs. Das Missverständnis des Nikodemus liegt vor allem darin, dass er in der Aussage Jesu eine Aufforderung hört, die – unter Auf hebung der Negationen – so lautet: „Wenn du die βασιλεία τοῦ θεοῦ sehen willst, dann musst du ein zweites Mal geboren werden“. Wie das gehen soll, bleibt ihm verborgen, weil er es als aktives Vermögen des Menschen auffassen will, wovon Jesus aber nicht gesprochen hat.121 Mit keinem Wort erwähnt Nikodemus die βασιλεία τοῦ θεοῦ. Sie ist dennoch im Hintergrund seiner Antwort zu erahnen, denn nur aus dem Bezug auf das Reich Gottes ergibt sich auch die Dringlichkeit, die Aussage Jesu zu verstehen, die ja eine Voraussetzung für den Zugang zur Basileia formuliert. einer grundlegenden Prägung des Lebens, dessen vorangelegte Möglichkeiten dann durch einen entsprechenden Lebenswandel aktiv ergriffen werden können, spielt in Joh 3,3–8 im Gegensatz zu Joh 1,12 f. keine hervorgehobene Rolle.) 121 So formuliert es ähnlich auch Trumbower, Anthropology 71: „The author is not making a personal offer to Nicodemus, but rather is describing a state of affairs.“ Allerdings ist die dahinterliegende Begründung eine andere, denn Trumbower deutet die in Joh 3 (und schon in Joh 1,13) gemachten γεννᾶσθαι(-ἐκ)-Aussagen als „origins language which is fixed and determinative“ (ebd. 72 f.) und räumt Nikodemus von daher weder eine Chance auf Verstehen noch auf himmlischen Ursprung ein: „he is outside the pale; he is not and cannot be born ,from above‘“ (ebd. 73); zur Kritik an dieser Sicht auf Prädestination im Johannesevangelium s. o. 9.1.1, bes. Anm. 28.

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9. Die johanneischen Texte

Als Pharisäer lassen sich der Figur des Nikodemus im Text bestimmte Vorstellungen von der βασιλεία τοῦ θεοῦ zuschreiben. Etwas vom eschatologischen Heil (schon in diesem Leben?) sehen zu können, verbindet sich dabei unweigerlich mit einem Leben im Einklang mit dem Gotteswillen. Von der Eschatologie des Septuagintapsalters her beschreibt Martina Böhm diesen Zug frühjüdischer Gottesreichshoffnung so: „Gelingendes Menschsein in lebensspendender Gottesnähe und eschatologisches Heil wird denen zugesagt, die sich mit ihrer ganzen Person auf Gottes Willen, wie er in der Tora verkündigt wird, ausrichten. So konnte und kann sich für Israel jetzt und dann Gottes Königsherrschaft erschließen“.122 Konkret auf Joh  3 bezogen verweist Otfried Hofius darauf, dass sich für Nikodemus die Frage nach dem Heil „selbstverständlich im Horizont der Tora“ stellt. „Mit der Tora aber ist der Mensch mit seinen Möglichkeiten im Blick – so, wie diese in der Frage des reichen Jünglings Mk 10,17 b zum Ausdruck kommt: ‚Was muß ich tun, damit ich das ewige Leben erbe?‘“ 123

Aber dass man, um die βασιλεία τοῦ θεοῦ zu sehen, ein zweites Mal geboren werden müsse, ergibt für Nikodemus offenbar keinen Sinn. Möglicherweise überspitzt er auch deshalb seine Nachfrage und fügt in Joh 3,4 b den „Greis“ (γέρων) hinzu,124 was kaum biographisch auf ihn selbst zu beziehen ist.125 Es lenkt die Aufmerksamkeit vielmehr auf das im γεννηθῆναι (ἄνωθεν) enthaltene Neuwerden und damit möglicherweise auf den Punkt, an dem Nikodemus im Bemühen um ein metaphorisches Verständnis der Worte Jesu scheitert. Denn wie sollte dann – selbst wenn Nikodemus die zweite Geburt übertragen als Neuanfang zu verstehen sucht – auch für einen alten Menschen genug Zeit sein, um diesen Neuanfang aktiv zu leben?126 Dass die Aussage Jesu dagegen gerade nicht auf ein Tun zielt, sondern eine Voraussetzung für das Sehen der βασιλεία beschreibt, die sich menschlichem Wollen und Können entzieht (s. o.), erschließt sich Nikodemus im Horizont seiner pharisäischen Gottesreichsvorstellung nicht.127 122 Böhm,

Himmelreich 43. Wunder 40. 124 Schnackenburg (Johannesevangelium I, 382) sieht, wie auch andere, hierin nur einen für rabbinischen Schulbetrieb typischen Einwand, der möglichst paradox formuliert ist, um „Jesus ad absurdum zu führen“. Der Zusammenhang wäre damit nur auf einer rhetorischen, nicht auf einer inhaltlichen Ebene gegeben. Bae ignoriert vorhandene Verbindungen dagegen völlig, wenn er meint, dass die Frage des Nikodemus: „‚Wie ist es möglich, daß ein Mensch geboren wird, wenn er alt ist?‘ […] keinen Bezug auf die Aussage Jesu“ nehme (Bae, Wiedergeburt 135, Hervorhebung hinzugefügt). 125 Anders z. B. EWNT s. v. γέρων. Als Greis gilt man in der Antike in der Regel zwischen 60 und 80 (vgl. Bauer s. v. γέρων); Spr 17,6 LXX oder Hi 32,9 LXX verdeutlichen das hohe Alter, das gemeint ist. Nikodemus könnte zwar alt sein, es gibt im Text aber keinen direkten Hinweis darauf, denn offenbar ist das Alter des Nikodemus nicht von Bedeutung. 126 So auch Wengst (Johannesevangelium I, 133), der Nikodemusʼ Bemerkung in Joh 3,4 b als „Einwand“ bezeichnet, „der die Unmöglichkeit eines echten Neubeginns am Beispiel des mit seiner langen Geschichte belasteten Greises demonstrieren will“. 127 Wengst (Johannesevangelium I, 131) dagegen beschreibt Nikodemus als „nüchterne[n] Realist[en]“, der „begriffen [hat], dass Jesu Aussage von V. 3 einen in seiner Radikalität nicht mehr zu überbietenden Neuanfang meint. Aber er schiebt solchen Neuanfang ins Illusionäre.“ Er ziehe seine Konsequenz „unter der ebenso selbstverständlichen Nichtbeachtung der Wirklichkeit Gottes, wie sie in Jesus – irdisch und das Irdische verändernd – auf den 123 Hofius,

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

257

9.2.4 Die Struktur der zweiten Antwort Jesu in Joh 3,5 Die zweite Antwort Jesu in Joh 3,5 ist bis auf wenige Elemente identisch mit seiner ersten Entgegnung auf Nikodemus in Joh 3,3. Unterstrichen ist in der Textdarstellung wiederum (s. o. 9.2.3) das, was aufgegriffen und fortgeführt wird, fettgedruckt das, was modifiziert wird; kursiviert sind jene Zusätze, die Nikodemus in Joh 3,4 erst einbringt und die in der Jesus-Antwort in Joh 3,5 nicht aufgegriffen und also auch nicht als gültig bestätigt werden: 3 a ἀπεκρίθη Ἰησοῦς καὶ εἶπεν αὐτῷ· ἀμὴν ἀμὴν λέγω σοι, 3 b ἐὰν μή τις γεννηθῇ ἄνωθεν, 3 c οὐ δύναται ἰδεῖν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ.

4 a λέγει πρὸς αὐτὸν [ὁ] Νικόδημος· 4 b πῶς δύναται ἄνθρωπος γεννηθῆναι γέρων ὤν; 4 c μὴ δύναται εἰς τὴν κοιλίαν τῆς μητρὸς αὐτοῦ δεύτερον εἰσελθεῖν καὶ γεννηθῆναι;

5 a ἀπεκρίθη Ἰησοῦς· ἀμὴν ἀμὴν λέγω σοι, 5 b ἐὰν μή τις γεννηθῇ ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος, 5 c οὐ δύναται εἰσελθεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ.

Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass Joh 3,5 nicht nur eine leichte Modifikation von Joh 3,3 darstellt, sondern auch auf Joh 3,4 Bezug nimmt. Zumindest die zweite Veränderung, die in Joh 3,5 c gegenüber 3,3 c zu konstatieren ist, greift jenes Verb auf, das Nikodemus in Joh 3,4 c neu in die Diskussion eingebracht hatte: εἰσελθεῖν. Joh 3,5 c bietet mit dem Ausdruck εἰσελθεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ die bei den Synoptikern geläufigere Formulierung,128 wenn es um die Aussicht auf das künftige Leben im Reich Gottes geht. Die Zuspitzung, die in Nikodemusʼ Verweis auf den alten Menschen liegt, nimmt die Antwort Jesu dagegen nicht auf, ebenso wenig wie die Festlegung auf den Ursprungsbereich Geburt durch die Erwähnung des Mutterleibes in Joh 3,4 c. Vielmehr wird in der Antwort Jesu das von Nikodemus (fälschlich) als δεύ­ τερον gedeutete ἄνωθεν nochmals modifiziert. Die verneinte Apodosis lautet nun in Joh 3,5 b: ἐὰν μή τις γεννηθῇ ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος. Zumeist wird in „Wasser und Geist“ in der Forschungsliteratur eine Anspielung auf die Taufe gesehen. Wäre damit – entgegen der oben (9.2.3) angebotenen Deutung von Joh 3,3 als einer Aussage über eine von Menschen nicht aktiv zu beeinflussende Voraussetzung für die Teilhabe an der βασιλεία τοῦ θεοῦ – doch eine Handlungsmöglichkeit angedeutet, die der Mensch, hier Nikodemus, bewusst ergreifen kann? Die Metaphorik spricht nach wie vor eher dagegen: Gezeugt oder geboren zu werden kann man nicht aktiv bewirken wollen. Die Taufe dagegen kann man sehr wohl gezielt anstreben und erbitten. Aber welche Rolle Plan getreten ist. […] Dass Jesus für diese Wirklichkeit Gottes steht, darauf will Nikodemus offenbar nicht sein Vertrauen setzen. Darin allein besteht sein Unverständnis“ (ebd. 132). 128 Vgl. zu εἰσελθεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ / ‌τῶν οὐρανῶν: Mt 5,20; 7,21; Mk 10,15 parr. Mt 18,3; Lk 18,17; Mk 10,23–25 parr. Mt 19,23 f.; Lk 18,24 f. sowie Mt 23,13; Mk 9,47 und Apg 14,22; die Formulierung τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ ἰδεῖν begegnet dagegen nur noch in Mk 9,1 parr. Mt 16,28; Lk 9,27.

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9. Die johanneischen Texte

spielt der Geist in ihr? Joh 3,8 macht in Anschluss an Joh 3,5 zumindest unmissverständlich deutlich, dass der Geist in seiner Wirksamkeit unverfügbar bleibt: „Sein Wirken kann vom Menschen nicht festgelegt werden – auch nicht durch die Taufe.“ 129 Einige zentrale Reibungspunkte, die eine Deutung von Joh 3,5 b als Referenz auf die Taufe erzeugt, sind damit bereits deutlich geworden. Rudolf Bultmann versuchte sie zu lösen, indem er ὕδατος καί aus dem ursprünglichen Text eliminierte und der „kirchlichen Redaktion“ zuschrieb,130 hat mit dieser Meinung aber auch in jenem Teil der Johannesforschung, die ebenfalls stark literarkritisch arbeitet, keine große Resonanz gefunden.131 Folgt man der Bultmann’schen Option also nicht, dann bleibt zum einen zu diskutieren, ob auch ohne Ausschluss von ὕδατος καί Joh 3,5 b überhaupt notwendig auf die Taufe referiert (s. u. 9.2.5). Zum anderen ist bei einem positiv eingeschätzten Bezug zur Taufe auf die verschiedenen Zeit- und Kommunikationsebenen zu achten: Hier muss die Perspektive des Nikodemus im Text von der nachösterlichen Perspektive der Adressatinnen und Adressaten des Evangeliums unterschieden werden (s. u. 9.2.6), um zu klären, wie sich ein Tauf bezug auf die Deutung der Metapher des γεννηθῆναι ἄνωθεν auswirkt.132 9.2.5 Wasser als Teil des Ursprungskonzeptes Geburt / ‌Zeugung? Neben dem zweifellos dominierenden Verständnis von γεννηθῆναι ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος in Joh 3,5 b als Referenz auf die (christliche) Taufe (s. u. 9.2.6), gibt es in der Forschung auch Stimmen, die die Erwähnung von Wasser und Geist voneinander separieren und als Verweise auf die natürliche Geburt / Zeugung zum einen und auf die Geistgeburt /-zeugung zum anderen verstehen.133 129 Wengst, Johannesevangelium I, 135. Auch in der Apostelgeschichte, die den Konnex von Taufe und Geistgabe stark macht, gibt es mit der Cornelius-Geschichte (Apg 10 f.) eine prominente Erzählung, in der die Geistgabe der Taufe deutlich vorausgeht; umgekehrt schildert Apg 8,16, dass die Geistbegabung der Taufe auch erst folgen kann. 130 Vgl. Bultmann, Johannes 98 Anm. 2. Textkritisch gibt es für einen solchen Textausschluss kaum Indizien. Einzig der Vulgata-Codex Harleianus und ein Teil der Origenes-­ Über­lieferung könnten ihn stützen, sind aber kaum als gewichtig genug für so einen folgenreichen Texteingriff einzuschätzen (so u. a. auch Schnelle, Johannes 70; Schnackenburg, Johannesevangelium I, 383 Anm. 1). Auch dass der folgende Vers Joh 3,6 nur noch von τὸ γε­γεννημένον ἐκ τοῦ πνεύματος spricht, ist kein ausreichendes Argument, um ὕδατος καί im vorangehenden Vers literarkritisch auszusondern. 131 Vgl. anders als Bultmann z. B. Becker (Johannes 163), der ὕδατος καί nicht aus dem Text ausschließt, sondern den Vers vielmehr insgesamt als dem Evangelisten (E) bereits vorliegende Tradition (mit Tauf bezug) beurteilt. Klar sei aber auch, „daß E solche Theologie nicht vertritt“ (ebd. 164); vgl. zur Kritik an diesem Schichtenmodell sehr pointiert Thyen, Studien 462. 132 Vgl. dazu auch Frey, Eschatologie 247: „Grundsätzlich ist zu beachten, daß auch in Joh 3 eine mehrschichtige Kommunikation vorliegt, einerseits auf der fiktionalen Ebene der erzählten Geschichte zwischen Nikodemus und Jesus […], andererseits zwischen dem johanneischen Autor und seinen Lesern.“ 133 Dass Joh 3,6 diese These einer Trennung durch die Rede von zwei zwar parallelen,

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

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Da der Ursprungsbereich (Geburt bzw.) Zeugung bereits in Joh 3,3–4 eine deutliche Rolle spielt und von Joh 1,13 a zuvor in einigen Details entwickelt wurde (s. o. 9.1.2), stellt es prinzipiell keineswegs eine abwegige Annahme dar, dass in Joh 3,6 ein weiterer Fokusausdruck begegnen könnte, der ebenfalls diesem Ursprungsbereich zuzuordnen wäre.134 Allerdings müsste dazu stichhaltig nachgewiesen werden, dass γεννηθῆναι ἐξ ὕδατος die irdische Geburt / Z ‌ eugung beschreiben kann, und außerdem erläutert werden, was mit ὕδωρ innerhalb des Ursprungsbereiches Geburt / ‌Zeugung gemeint sein sollte. Charles K. Barrett, der insgesamt eher eine Deutung von Joh 3,6 im Rahmen von Taufe vertritt, diskutiert in seinem Kommentar aber dennoch als mögliche andere Variante ein Verständnis von ὕδωρ als Samen: Geburt „aus Wasser“ könnte verstanden werden (auf der Grundlage des Gebrauchs von ‫טיפה‬ [ein Tropfen; Ab 3,1 u. a., spätere Stellen; vgl. hebr Hen 6,2] im rabbinischen Hebräisch für Samen) in der Bedeutung physische Geburt; das καί ist dann verstärkend: Ein Mensch muß selbstverständlich aus Wasser geboren werden im gewöhnlichen Lauf der Natur, aber auch aus dem Geist.135

Die wenigen Belege aus rabbinischen Schriften, die den Umweg über ‫טיפה‬ („Tropfen“) nehmen, können aber nicht wirklich überzeugend darlegen, dass ὕδωρ in Joh 3,5 b als Samen zu deuten sei und dass eine Referenz auf die Taufe somit umgehbar wäre. Die Deutung von Wasser als Samen könnte nach Barrett auch mit der Erwähnung des Geistes zusammengenommen und insgesamt auf eine geistige Geburt bezogen werden. Auch damit wäre ein Tauf bezug des Verses vermeidbar, aber nicht dadurch, dass „Wasser“ – als „Sa­men (-Tropfen)“ verstanden – direkt auf eine irdische Zeugung bezogen würde, sondern metaphorisch auf eine geistige: „Eine andere Erklärung beruht auf derselben möglichen Bedeutung von Wasser (= Same), nimmt aber Wasser und Geist eng zusammen: der Mensch muß nicht aus irdischem, sondern aus geistlichem Samen geboren werden (vgl. 3,8–12; 1 Joh 3,9; 1 Petr 1,23). Dieser geistliche Same könnte verglichen (vielleicht auch gleichgesetzt) werden mit dem Ur-Wasser vom Himmel, welches Leben hervorbringt (Gen 1,2; Corp Herm I,17; Thomasakten 52).“ 136 Auch diese Variante hängt aber an der fraglichen Deutung von Wasser als Samen über das hebräische ‫ טיפה‬und gewinnt auch durch die Hinweise auf das „Ur-Wasser“ nicht mehr Plausibilität im gegebenen Kontext.137 aber zu unterscheidenden Geburtsweisen aus Fleisch und aus Geist bestätige, weil dort dann nur noch von der geistlichen Weise die Rede sei (so z. B. Thyen, Johannesevangelium 193), lässt sich als Argument nicht aufrechterhalten. Umgekehrt könnte man ebenso argumentieren, dass Wasser und Geist in Joh 3,5 b so eng zusammengehören, dass es in Joh 3,6 ausreichend ist, nur eins der beiden Glieder zu nennen und diese Geistzeugung /-geburt der fleischlichen gegenüberzustellen. 134 Dass die „Deutung des ἐξ ὕδατος auf die natürliche Geburt“ sich verbiete, „weil Joh 3 durchweg soteriologisch argumentiert“, wie Söding (Wiedergeburt 210 f.) urteilt, bleibt dagegen zu einseitig auf eine bestimmte Sicht auf den Text beschränkt, um diese These bereits begründet abzulehnen. 135 Barrett, Johannes 230. 136 Barrett, Johannes 230. Seim (Reflections 726 f.) zeigt ebenfalls einige Sympathien für diese Deutungsvariante. 137 In der von Barrett ebenfalls angeführten Stelle 1 Petr 1,23 (s. u. 10.5) wird der dort aus-

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9. Die johanneischen Texte

In direkter Auseinandersetzung mit Barrett versucht Margaret Pamment in γεν­ νηθῆναι ἐξ ὕδατος dagegen eine Referenz auf das Fruchtwasser zu sehen und auf diese Weise in Joh 3,5 b die natürliche Geburt in ein Gegenüber zur Geistgeburt zu bringen.138 Allerdings bietet sie für diese Deutungsvariante keinerlei Belege.139 Ben Witherington, der diese These etwas später nochmals aufgreift, präsentiert dann zwar einige Texte, kann die Deutung von ὕδωρ als „Fruchtwasser“ mit deren Hilfe aber ebenfalls nicht überzeugend nachweisen.140 Blickt man umgekehrt darauf, wie antike Texte, die den Geburtsvorgang beschreiben, das „Fruchtwasser“ bezeichnen (was in keinem der erwähnten Beiträge geschieht), so zeigt sich zum Beispiel bei Aristoteles, dass es dafür spezifische Begriffe gibt, und ὕδωρ allein zu allgemein bleibt. So wird das, was im Deutschen das „Fruchtwasser“ ist, von Aristoteles in seiner Historia ani­malium als „wässrige oder blutige Flüssigkeit“ bezeichnet, „die von den Frauen ‚das Vorgebrachte‘ genannt wird“ (ὑγρότης ὑδατώδης ἢ αἱματώδης, ὁ καλούμενος ὑπὸ τῶν γυναικῶν πρό­φορος).141 Historia animalium 587 a 6 redet von ὕδρωψ („Wasserschwall“).142 Soranus von Ephesus bezeichnet die Flüssigkeit, die bei der Geburt kurz vor der eigentlichen Entbindung austritt, schlicht als περίσσωμα, als „Überflüssiges“ bzw. „Ausscheidungsprodukt“.143

drücklich erwähnte Samen im Übrigen nur mit dem Wort Gottes parallelisiert, von Wasser ist an dieser Stelle nicht die Rede. 138 Vgl. Pamment, Water 190: „The experience or the breaking of the water in natural birth makes sense of the double expression ,of water and spirit‘ as a description of birth and re­birth.“ 139 Vor allem um dieses Manko auszugleichen, scheinen die Editoren eine Anmerkung mit altbabylonischen Analogien hinzugefügt zu haben (vgl. Pamment, Water 190 Anm. 1), die für eine schlüssige Begründung aber viel zu weit hergeholt sind. 140 Vgl. Witherington, Waters 156–158. Die beiden Texte Spr 5,15–18 und Hhld 4,12– 15 hält Witherington für ausreichend, um die begründete Frage zu stellen, „whether or not in John 3 water might refer to birth or the process that leads to birth“ (ebd. 156). Überzeugend ist das aber nicht, denn Witherington führt mit dieser Deutung die viel allgemeiner angelegte Metaphorik der zitierten Texte auf Geburt eng. Als Nächstes bringt Witherington den rabbinischen Beleg Av 3,1 (vgl. ebd. 157), der schon oben im Zusammenhang mit Barrett als wenig aussagekräftig im Hinblick auf Joh 3,5 einzuschätzen war; gleiches gilt für 3 Hen 6,2. Aber auch 4 Esr 8,8; Hippolyt, Haer. 4,43, die altbabylonischen Belege, die schon in der Anmerkung zu Pamments Artikel erwähnt wurden (s. o. Anm. 139), und 1 QH XI,9 f. (vgl. Witherington, Waters 157 f.) bleiben in ihren jeweiligen Bezugnahmen auf Wasser viel zu allgemein, um eine Deutung von γεννηθῆναι ἐξ ὕδατος in Joh 3,5 b als Beschreibung natürlicher Geburtsumstände zu stützen. Dem Gesamtfazit, „that there is more than enough evidence that water could be a synonym for various facets of procreation, child-bearing, and child birth“ (ebd. 158), lässt sich daher nicht zustimmen. 141 Historia animalium 586 a 29 f.; vgl. ähnlich auch 586 b 32–34. 142 Vgl. LSJ s. v. ὕδρωψ 3. 143 Soranus, Gynaeciorum libri IV 1,57,6: Dieses „Überflüssige“ bewirkt, „daß der Em­ bryo leichter wird und daß es [sc. τὸ περίσσωμα] sich bei der Geburt, wenn das Chorion zerreißt, zuvor ergießt und die Geschlechtsteile zuvor anfeuchtet, um sie gleitfähig zu machen“ (τὸ περίσσωμα τοῦτο καὶ εἰς τὸ προανακουφίζειν τὸ ἔμβρυον καὶ εἰς τὸ κατὰ τὰς ἀποτέξεις ῥηγ­νυμένου τοῦ χορίου προεκχεῖσθαι καὶ τὰ μέρη προδιαβρέχειν εἰς ὄλισθον, Übers. Kollesch / ‌Nickel, Heilkunst 119).

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

261

Das schließt freilich nicht gänzlich aus, dass im johanneischen Text bewusst ein offenes und damit metaphorisch anschlussfähiges Wort gewählt ist; der Blick auf die antike medizinische Terminologie nötigt hier aber zumindest zu kritischen Nachfragen.144 Dass man ὕδωρ in Joh 3,5 b im Sinne von Samen(-Tropfen) oder Fruchtwasser auffassen sollte, erscheint somit eher weit hergeholt,145 obwohl der Ursprungsbereich (Geburt /) Zeugung im textlichen Kontext zweifellos präsent ist. Gegen diese Deutung spricht aber vor allem, dass die Kombination von „Wasser und Geist“ im frühchristlichen Kontext vermutlich auch ohne weitere direkte Hinweise sehr schnell den Gedanken an die Taufe nahelegte.146 Dennoch – und darauf verweist die Suche nach alternativen Verstehensmodellen in Joh 3,5 b – bietet auch die Taufdeutung im vorliegenden Kontext einige Reibungspunkte, auf die schon kurz verwiesen wurde (s. o. 9.2.4) und die nun 144 Weißenrieder geht sogar noch über die Deutung von ὕδωρ als Fruchtwasser hinaus und versteht auch πνεῦμα in Joh 3,5 als Referenz auf die natürliche Geburt. Anhand komplexer Analysen antiker medizinischer Texte, die das Wachsen des Embryos vor der Geburt und den Geburtsvorgang selbst beschreiben und bei denen sich Weißenrieder (Spirit 65–69) vor allem mit dem Vorkommen des Verbs ἐμφυσᾶν beschäftigt (vgl. auch Gen 2,7 LXX; Joh 20,22), kommt sie zu dem Ergebnis, dass hinter der πνεῦμα-Erwähnung in Joh 3,5 ein Verweis zu sehen sei „to the nourishment of the embryo with πνεῦμα and the solidifying of the embryo, as well as to the embryonic puff of πνεῦμα“ (ebd. 77). Daraus folgt laut Weißenrieder dann für γεννηθῆναι ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος: „the terms together refer to giving birth“ (ebd.). Ob diese Deutung von πνεῦμα aber, wenn man deren Möglichkeit innerhalb der Enzyklopädie antiker Leserinnen und Leser einmal voraussetzt, vom Kontext in Joh 3 tatsächlich gestützt wird, ist meines Erachtens die entscheidende Frage (zur Kritik am Verständnis von ὕδωρ als Fruchtwasser s. o.). Weißenrieder schlussfolgert aus ihrer Rekonstruktion der Bedeutung von γεννηθῆναι ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος: „John clearly emphasizes the role of the mother in this passage“ (ebd. 77). Eine solche Betonung der Mutterrolle müsste aber vor allem auch aus dem Textzusammenhang deutlich werden, um das referierte Verständnis zu ermöglichen, und nicht umgekehrt als These an den Text herangetragen werden. Im Text aber liefert nur Nikodemus in Joh 3,4 einen Hinweis auf die Mutter, die aber auch dort gerade nicht in einer aktiven Rolle begegnet. 145 Ebenfalls weit hergeholt ist meines Erachtens auch die auf der Theorie der Parthenogenese beruhende Deutung Rothschilds (siehe schon oben Anm. 33), die in πνεῦμα einen Hinweis auf die notwendige Rolle des Windes bei der Genese von Pflanzen sieht, während Wasser für die Entstehung von tierischem (resp. menschlichem) Leben notwendig sei, um die Vermischung der männlichen und weiblichen Bestandteile zu ermöglichen. Daraus folge dann: „If divine birth in the Gospel of John is interpreted according to this biological model, then to be born from above (cf. δεῖ ὑμᾶς γεννηθῆναι ἄνωθεν) is to allow the mixed male and female components of the ‚soul‘ (or human aspect susceptible to truth) to be carried like a seed on the wind to a natural landing place in which it can be generate and grow. An individual is born of water to become animal, but born of wind to become (as plant) disciple (vv. 5–6)“ (Rothschild, Embryology 138). Fraglich scheint mir vor allem, ob die Signale im Text tatsächlich ausreichen, um damalige Rezipientinnen und Rezipienten des Johannesevangeliums zu einer derart ausgefeilten Deutung zu führen. 146 Schnackenburg (Johannesevangelium I, 383) übertreibt vermutlich, wenn er zu Joh 3,5 schreibt: „Jeder christliche Hörer oder Leser des Ev mußte dabei sofort an die Taufe denken.“ Aber die Tendenz ist damit sicherlich getroffen.

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9. Die johanneischen Texte

(9.2.6) ausführlicher zu betrachten sind. Auch ein weiteres alternatives Deutungsmodell für die Erwähnung des Wassers in Joh 3,5 b, das aus dem Johannesevangelium (Joh 7,38 f.) selbst stammt, wird dabei zu diskutieren sein (s. u. 9.2.7). 9.2.6 Joh 3,5 b als Referenz auf die Taufe und die Frage nach den Kommunikationsebenen des Textes Wenn Joh 3,5 b also vermutlich in erster Linie auf die Taufe referiert, dann ist nicht nur interessant, was das für das Textverständnis (und das Taufverständnis) genau heißt. Vielmehr ist für die hier verfolgte Frage nach der Deutung der Zeugungsmetaphorik in Joh 3 zentral, wie sich dieser Bezug und die Formulierung ἐὰν μή τις γεννηθῇ ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος zur Zeugung „von oben“ (3,3 b) und „aus Gott“ (1,13 b) verhält. Zugleich sind die Zeit- und Kommunikationsebenen im Blick zu behalten. Auf der Ebene der Rezeption mag sich von Wasser und Geist her leicht auf die christliche Taufe schließen lassen. Auf der Ebene der Erzählung hingegen wäre es, wie Thyen ganz zu Recht bemerkt, eine schwierige Annahme, wenn der Text Nikodemus als „dem ἄρχων τῶν Ἰουδαίων zumutete, in dem γεννηθῆναι ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος eine Anspielung an die christliche Taufe, womöglich gar in deren durch das πνεῦμα begründeter Unterschiedenheit von der Johannestaufe als bloßer Wassertaufe zu erkennen.“ 147 Dass eine solche Annahme aber – so Thyen weiter – gegen „den ausgeprägten Sinn unseres Erzählers für das Verisimile seiner Erzählung“ spreche und daher auch eine Taufdeutung komplett abzulehnen sei,148 liest den Text zu stark allein auf der Erzählebene. Denn dass der Text in seiner Textpragmatik tatsächlich darauf zielt, dass Nikodemus – zumindest theoretisch – zum Verstehen kommen kann, ist zu bezweifeln. Nikodemus ist vielmehr nur das Medium und sein Missverstehen gibt dem Gespräch die vom Erzähler beabsichtigte Richtung,149 in die es die Leserinnen und Leser führen soll. So betont auch Jörg Frey: Nikodemus ist […] nicht der Adressat des johanneischen Textes, und dessen Ziel besteht nicht darin, den nur noch literarisch präsenten Nikodemus vom unvollkommenen zum vollkommenen Glauben zu führen, vielmehr geht es in der vorliegenden Komposition allein 147 Thyen,

Johannesevangelium 192. Johannesevangelium 192 f. Thyen folgt hier ohne weitere Diskussion der Argumente dem Votum Pamments (s. o. 9.2.5) für den Bezug auf eine natürliche Geburt. 149 Rahner (Mißverstehen 216) beschreibt diese Rolle so: „Der Mißverstehende ist so nicht einfach der naiv Unwissende oder der in seinem Unglauben unbemerkt Überführte, sondern sein Mißverstehen erfährt durch die im Mißverständnis selbst auf brechende Frage nach dem eigentlichen Verständnis eine beabsichtigte Offenlegung und Auf lösung.“ Ob der „Mißverstehende“ dabei selbst zum Glauben kommt oder im Unglauben verharrt, ist für die Textpragmatik nicht wirklich entscheidend. Bei Nikodemus lässt sich das gar nicht mit Sicherheit entscheiden (obwohl vieles für ein anhaltendes Nichtverstehen spricht), denn er verschwindet nach Joh 3,9 unbemerkt aus dem Fokus der Erzählung. 148 Thyen,

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

263

um die Leser des Evangeliums, die durch die Mittel des konfrontativen Dialogs und des kerygmatischen Monologs zum richtigen Glaubensverständnis geführt und in diesem gefestigt werden sollen.150

Wechselt man also auf die übergreifende Perspektive der Rezeption, lässt sich ein Bezug von Joh 3,5 b auf die Taufe auch dadurch stützen, dass die Leserinnen und Leser des Johannesevangeliums seit Joh 1,33 aus dem Munde Johannes des Täufers 151 wissen, dass Jesus der ist, der mit heiligem Geist taufen wird (οὗτός ἐστιν ὁ βαπτίζων ἐν πνεύματι ἁγίῳ), während Johannes nur mit Wasser tauft. Aufgenommen wird das Taufthema dann erneut gegen Ende von Joh 3, wobei auch dort das Element Wasser wiederum nur in eine betonte Beziehung zu Johannes gesetzt wird.152 Dass Jesus, von dem in diesem Zusammenhang ebenfalls ausdrücklich gesagt wird, dass er taufe (ἐβάπτιζεν, Joh 3,22), das allerdings mit etwas anderem als Wasser tut, wird aus dem Text ebenso wenig deutlich. Von Joh 1,33 her könnte vermutet werden, dass er (auch) mit heiligem Geist tauft. Spätestens Joh 7,39 stellte sich dieser Annahme dann aber rückwirkend in den Weg.153 Denn dort heißt es vom Geist, den die an Jesus Glaubenden empfangen sollen: οὔπω γὰρ ἦν πνεῦμα, ὅτι Ἰησοῦς οὐδέπω ἐδοξάσθη. Die Taufe mit heiligem Geist erweist sich somit als Ereignis, das erst nachösterlich seine Realisierung erfahren kann, wenn Jesus verherrlicht ist und seinen Jüngern in Joh 20,22 den heiligen Geist eingehaucht hat (ἐνεφύσησεν καὶ λέγει αὐτοῖς· λάβετε πνεῦμα ἅγιον).154 Auch darin zeigt sich noch einmal deutlich, dass Nikodemus nicht der intendierte Hörer von Joh 3,5 ist und aus seiner Per150 Frey, Eschatologie 247 f. Vgl. ähnlich, aber allgemeiner zu den Dialogen und Missverständnissen im Johannesevangelium insgesamt auch Theobald, Johannes 26. 151 Diesen Beinamen trägt er im Johannesevangelium allerdings nie. 152 Der Ort Ainon, an dem Johannes laut Joh 3,23 tauft, ist gerade dadurch gekennzeichnet: ὅτι ὕδατα πολλὰ ἦν ἐκεῖ. 153 Vielleicht dient auch die kurze Notiz in Joh 4,2, dass Jesus doch nicht selbst taufte, sondern seine Jünger, der Korrektur eines solchen möglichen Missverständnisses von Joh 3,22. Die Taufe, die die Jünger Jesu (oder auch Jesus) vornehmen, kann im Erzählkontext nur als eine der Johannestaufe vergleichbare Wassertaufe interpretiert werden. In der Kommentarliteratur findet man relativ wenig Aufmerksamkeit für diese Frage. Zumindest Thyen (Johannesevangelium 239 f.) belegt eine der hier vorgetragenen Deutung entsprechende Sicht. Siehe außerdem Schnackenburg, Johannesevangelium I, 449 f.: „Jesus kann dieser Taufe nur einen vorbereitenden Charakter, den Sinn des Anschlusses an ihn und der Bereitschaft zum Hören auf seinen Ruf, zugemessen haben; […]. Man kann sie weder der Taufe des Johannes gleichsetzen noch mit der späteren christlichen Taufe in Verbindung bringen. Nach der Auffassung des Evangelisten kann es noch nicht die Geisttaufe sein (vgl. 7,39); […]. Man darf vermuten, daß Jesu Jünger, die ja aus der Täuferschule kamen, im Geiste ihres ehemaligen Meisters die Taufe fortsetzten“. 154 So auch Coloe, Dwelling 134: „In the Johannine narrative, the Spirit is already given to Jesus (1:32) but is not yet a living power in the life of the believers. The Spirit will only be released upon the community in the hour of Jesus’ glorification (19:30; 20:22).“ Wichtig ist dabei, worauf das Zitat von Mary L. Coloe mit dem Hinweis auf Joh 19,30 auch verweist: dass die Verherrlichung im johanneischen Verständnis bereits vorösterlich beginnt, da schon die Kreuzigung als Erhöhung zu verstehen ist (vgl. Joh 3,14).

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9. Die johanneischen Texte

spektive gar nicht verstehen kann, worum es geht, sondern ein nachösterliches Publikum angesprochen ist.155 9.2.7 Wasser und Geist als Einheit: Eine innerjohanneische Lesart Joh 7,39 ist noch in einer weiteren Hinsicht von Bedeutung für Joh 3,5, denn der dort erwähnte Geist wird gleichgesetzt mit dem unmittelbar zuvor in Joh 7,38 beschriebenen lebendigen Wasser, das in Strömen vom Leib Jesu fließt: 38 καθὼς εἶπεν ἡ γραφή, ποταμοὶ ἐκ τῆς κοιλίας αὐτοῦ 156 ῥεύσουσιν ὕδατος ζῶντος. 39 τοῦ­το δὲ εἶπεν περὶ τοῦ πνεύματος ὃ ἔμελλον λαμβάνειν οἱ πιστεύσαντες εἰς αὐτόν.

Daraus ergibt sich rückwirkend noch eine andere Leseart für Joh 3,5 b: Wasser und Geist könnten demnach als so eng verbunden zu denken sein, dass sie quasi als identisch aufzufassen wären, und das Wasser, das in den auf Joh 3,5 folgenden Versen (vielleicht deshalb?) nicht mehr erwähnt wird, wäre bereits hier weniger ein Hinweis auf das Taufwasser als vielmehr auf den Geist. Ein Zusammenhang mit der Taufe ist auch dabei nicht ausgeschlossen, aber ebenfalls nicht zwingend.157 Eine weitere Brücke zwischen Joh 7,38 f. und Joh 3 bildet außerdem der Terminus κοιλία. Nikodemus hatte ihn in Joh 3,4 als κοιλία τῆς μητρός in die Diskussion eingebracht. Von Joh 7,38 f. her wird deutlich: Nicht in den Mutterleib muss der Mensch ein zweites Mal eingehen, um die βασιλεία τοῦ θεοῦ sehen zu können, Joh 7,38 spricht vielmehr von Jesu Leib als κοιλία, von dem Ströme lebendigen Wasser ausgehen, die mit dem Geist gleichgesetzt werden, der nach der Verherrlichung Jesu den Glaubenden gegeben wird. Erst am Kreuz, nach Jesu Tod, als das vollbracht ist (Joh 19,30), was den Glaubenden das Leben bringt (vgl. Joh 3,14 f.), fließen Wasser und Blut aus seiner Seite heraus (Joh 19,34). Erst am Tag der Auferstehung gibt er seinen Jüngerinnen und Jüngern den Geist (Joh 20,22).158 Wenn jemand nicht aus diesem lebendigen Wasser 155 Vgl. auch Back, Wiedergeburt 64: „Nikodemus kann nicht verstehen, wer Jesus ist. Die Erkenntnis, dass Jesus der aus dem Himmel stammende und in ihn zurückkehrende Sohn Gottes ist, der den Glaubenden ewiges Leben vermittelt, ist eine Einsicht, die erst nach Ostern und nur durch die Gabe des göttlichen Geistes möglich ist.“ 156 Der Bezug dieses nicht eindeutig zuzuordnenden Schriftzitats (vgl. dazu z. B. Zimmermann, Christologie 151 f.) kann sich, je nach Satzabgrenzung im Übergang von Joh 7,37 zu 7,38, auch auf den beziehen, der an Jesus glaubt. Vom Leib des Glaubenden würden demnach die Ströme lebendigen Wassers ausgehen. Wahrscheinlicher ist mit dem erklärenden Anschluss von Joh 7,39 aber ein Bezug auf Jesus (so z. B. auch Dietzfelbinger, Johannes I, 226). Wengst (Johannesevangelium I, 303) verweist aber zu Recht darauf, dass auch dann wenn es sich um die an Jesus Glaubenden handelte, „der in den ‚Strömen lebendigen Wassers‘ ins Bild gesetzte Geist, der von ihnen ausgeht, nicht ihr eigener Geist [wäre]. Nach 20,22 f. gibt ihn Jesus als Auferweckter seinen Schülern“. 157 Vgl. zur Wassersymbolik in Joh 7 auch Zimmermann, Christologie 149–153. Mit Joh 7,37–39 (insbesondere im Verhältnis zu Ez 36 und 37) beschäftigt sich auch Bae (Wiedergeburt 255–266) ausführlicher, wenn auch in der Argumentation oft ungenau (s. o. 5.6). 158 Die Formulierung in Joh 20,22 ruft Gen 2,7 als Intertext auf (vgl. Joh 20,22: ἐνεφύσησεν

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

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und Geist gezeugt ist, kann er nicht in die βασιλεία τοῦ θεοῦ eingehen oder – anders formuliert und den Zusammenhang von Joh 20,22 mit 1,12 b aufgreifend – nicht „Gottes Kind“ werden.159 In Joh 3,5 einen Bezug zur Taufe zu sehen, ist somit zweifellos begründbar. Zugleich sind Wasser und Geist im Kontext des gesamten Evangeliums so mit Jesus und seiner Verherrlichung verbunden und unabhängig von jeglicher Anspielung auf die Taufe als lebensspendende Gaben profiliert,160 dass eine Engführung auf die Taufe allein nicht sachgemäß wäre. Dieser Befund spiegelt sich auch in Teilen der Sekundärliteratur zu Joh 3,5 insofern wieder, als ein Tauf bezug häufig angenommen, zugleich aber nicht als Zentrum des Textes be­stimmt wird. So konstatiert Thomas Söding im Hinblick auf Joh 3,5 einerseits: „Der Vers bezieht sich auf die christliche Taufe“.161 Zugleich aber relativiert er diese Aussage: „Auch ohne diese Wörter [sc. ὕδατος καί] läge der Gedanke an die Taufe nahe; auch mit ihnen bleibt er verhalten. Eine sakramentalistische Neuinterpretation wäre wohl eindeutiger ausgefallen.“ 162 Frey verweist darauf, dass im „Fortgang des Gesprächs (vgl. 3,11–13) nicht die Thematik von Taufe und ‚Wiedergeburt‘, sondern die dualistische Redeweise von oben / u​ nten bzw. πνεῦμα / ​ σάρξ weitergeführt wird.“ 163 Ähnlich stellt Enno Edzard Popkes heraus, dass der „weitere Gesprächsverlauf der Nikodemusperikope […] nicht die Korrespondenz von πνεῦμα und καὶ λέγει αὐτοῖς· λάβετε πνεῦμα ἅγιον, mit Gen 2,7 LXX: ἐνεφύσησεν εἰς τὸ πρόσωπον αὐ­ τοῦ πνοὴν ζωῆς). Daher dringt in der Sekundärliteratur besonders von hier aus – aber auch allgemeiner über die Charakterisierung des Geistes als Lebensspender (vgl. bes. Joh 6,63) – nicht selten Schöpfungsterminologie in die Deutung von Joh 3,5 b ein und überschreibt die Zeugungsmetaphorik in einer aus der „Wiedergeburts“-Forschung bereits bekannten Art und Weise (s. o. Teil I). So beschreibt z. B. Wilckens (Johannes 69) dass der Mensch, der „ganz Fleisch ist“ (vgl. Joh 3,6 a), „einer Veränderung dieser seiner Herkunft [bedarf ], um sein Gottesverhältnis und damit sein ganzes Sein zu erneuern. Dies ist nur durch ein schöpferisches Handeln Gottes selbst möglich, der – wie im Schöpfungsakt Gen 2,7 – durch seinen Geist-Hauch dem Menschen die Zugehörigkeit zu Gott gibt: Das ist mit ‚Zeugung von oben‘ gemeint.“ Schnelle wiederum stellt die ebenfalls aus der „Wiedergeburts“-Forschung gut bekannte Verbindung zu 2 Kor 5,17 her: „So wie für Paulus die καινὴ κτίσις letztlich gleichbedeutend mit dem Sein ἐν Χριστῷ bzw. ἐν πνεύματι ist (vgl. 2. Kor. 3,17; 5,17), beschreibt auch die Neugeburt ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος bei Johannes eine umfassende Neuschöpfung, die sich in der Taufe mit Wasser vollzieht und in ein vom Geist bestimmtes Leben führt“ (Schnelle, Johannes 71). 159 Vgl. ähnlich Seim (Motherhood 119–121), die ebenfalls die Bezüge zu Joh 7,38 f.; 19,34 und 20,22 herausstellt, allerdings stärker auf einer Deutung von πνεῦμα als göttlichem Samen beharrt und es offensichtlich vermeidet, ausdrücklich von Taufe zu sprechen: „Sharing in his Father’s life-giving capacity, the Son, sent by the Father, fulfils his mission by generating and empowering further children of God through the divine spirit-sperm which shapes and forms them. This may refer to a ritual of initiation whereby those who believe in him are begotten by God to become his children – and call him their Father“ (ebd. 121). 160 Vgl. zum Wasser z. B. Joh 4,14: τὸ ὕδωρ ὃ δώσω αὐτῷ γενήσεται ἐν αὐτῷ πηγὴ ὕδατος ἁλλομένου εἰς ζωὴν αἰώνιον; vgl. zum Geist z. B. Joh 6,63: τὸ πνεῦμά ἐστιν τὸ ζῳοποιοῦν. 161 Söding, Wiedergeburt 211. 162 Söding, Wiedergeburt 210 Anm. 130. 163 Frey, Eschatologie 249.

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9. Die johanneischen Texte

ὕδωρ, sondern die Antithetik von πνεῦμα und σάρξ (Joh 3,6–8)“ fokussiere.164 Wengst betont neben der (christlichen) Taufdeutung: „War so zunächst im Blick auf den Begriff ‚Wasser‘ der unübersehbare Bezug auf die Taufe herauszustellen – nicht zuletzt wegen des oft belegten Zusammenhangs von Taufe und Geistbegabung –, so ist doch auch zu beachten, dass die Zusammenstellung von Wasser und Geist in Verbindung mit einem erneuernden Handeln Gottes schon biblisch vorgegeben ist und in der jüdischen Tradition aufgenommen wird.“ 165 Johannes Büchsel vermutet: „Die Geburt aus Gott ist also ein an dem Worte Gottes gemachtes Erlebnis. Die Verbindung zwischen ihr und der Taufe ist wohl nur das zweite.“ 166 Anders urteilt dagegen zum Beispiel Schnelle: „Es gibt keinen anderen Zugang zum Reich Gottes als die Taufe. Allein die Taufe vermittelt die eschatologische Heilsgabe des Geistes. Wie bei Paulus […] und in der Apostelgeschichte […] ist in Joh. 3,5 die Geistverleihung an die Taufe gebunden.“ 167 Mit Turid Karlsen Seim lässt sich eine solche absolute Festlegung von Joh 3,5 auf die Taufe aber bereits im Hinblick auf die Frage nach der damaligen Praxis zumindest relativieren: „When speaking of baptism in the Fourth Gospel it is therefore important not to be confined by the ritualization of water baptism as it established itself in a more or less unified practice from the Third and Fourth Century onward.“ 168

Die folgenden Verse Joh 3,6–8 führen die Rede vom γεννηθῆναι ἐκ τοῦ πνεύ­ ματος fort und tragen rückwirkend Weiteres zum Verständnis bei. Die Betrachtung von Joh 3,5 hier zu verlassen, heißt daher nicht, dass schon alles zu diesem Vers gesagt wäre (besonders zur Frage der Taufe siehe nochmals unten 9.2.10). 9.2.8 Der unüberbrückbare Gegensatz zwischen der Zeugung „aus dem Fleisch“ und der Zeugung „aus dem Geist“ (Joh 3,6) Joh 3,6 schließt inhaltlich unmittelbar an Joh 3,5 an, greift von der metaphorischen Zeugungsaussage γεννηθῆναι ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος allerdings nur noch das zweite Element auf und wechselt (wie dann im Ersten Johannesbrief vorherrschend) ins Perfekt. Vorangestellt wird der Aussage über eine Zeugung aus Geist in völlig paralleler Formulierung nun das erste Mal innerhalb von Joh 3 auch im Munde Jesu eine Aussage über die irdische Zeugung aus Fleisch. Sie erinnert partiell an Joh 1,13 a, ist im Gegensatz zu jener Aussage aber nicht negiert:169 6 a  τὸ γεγεννημένον ἐκ τῆς σαρκὸς σάρξ ἐστιν, 6 b καὶ τὸ γεγεννημένον ἐκ τοῦ πνεύματος πνεῦμά ἐστιν.

Mit diesem Vers kehrt der Text zur Betrachtung der Ursprünge des Lebens in realer und metaphorischer Beschreibung zurück. Was beschrieben wird, erscheint selbstverständlich. Die Ähnlichkeitsbeziehung zwischen dem Ge164 Popkes,

Theologie 203. Johannesevangelium I, 133. 166 Büchsel, Johannes 59. 167 Schnelle, Johannes 70. 168 Seim, Reflections 731. 169 Wie die Aussagen in Joh 1,13 a ist auch der Satz in Joh 3,6 a nicht metaphorisch, sondern beschreibt metonymisch die irdische Herkunft (s. o. 7.2.2.1) und dass diese Herkunft das Sein der derart Gezeugten bestimmt. 165 Wengst,

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

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zeugtem und seinem Ursprung lässt sich sowohl im Rahmen des Ursprungsbereiches Zeugung nachvollziehen (ausführlich s. o. 9.1.2–3) als auch leicht auf eine übertragene Ebene transferieren. Ohne Negation klingt der Vers zwar weniger drastisch als Joh 1,13, ist formal aber als „antithetische[r] Parallelismus membrorum“ 170 einzuschätzen: Es gibt auch hier inhaltlich keine Brücke zwischen Joh 3,6 a und 3,6 b. Ein aus Geist Gezeugter kann nicht zugleich ein aus Fleisch Gezeugter sein, das drücken vor allem die knappen Satzschlüsse aus: Es gilt entweder σάρξ ἐστιν oder πνεῦμά ἐστιν. Wieder wird also (wie schon in Joh 1,13) die irdische Herkunft der Geistgezeugten durch die antithetische Gegenüberstellung letztlich negiert. Es werden auch keine Übergänge geschildert. Ebenso wenig kommt ein früheres, von der irdischen Herkunft bestimmtes Leben der „aus Geist Gezeugten“ in den Blick. Einzig der Ursprung „von oben“ und „aus (Wasser und) Geist“ zählt.171 Im Duktus ist Joh 3,6 schlicht konstatierend. Die Frage danach, wie das von Jesus in Joh 3,3 in den Raum gestellte γεννηθῆναι ἄνωθεν geschehen könne, die Nikodemus umtreibt und auf die Joh 3,5 durch den mitklingenden Verweis auf die Taufe immerhin das Angebot einer Antwort macht (wenn auch für Nikodemus nicht auf lösbar), ist nicht mehr bestimmend. Das wirkt auch auf Joh 3,5 zurück. Die dort in der Referenz auf die Taufe kurz aufscheinende Möglichkeit, ein γεννηθῆναι ἄνωθεν doch in gewisser Weise aktiv erlangen zu können, bleibt auf diesen einen Vers beschränkt. Dass die Verbform in Joh 3,6 nun ins Perfekt wechselt, bestätigt das auf eigene Weise: Nicht das Ereignis der Geistzeugung kommt in den Blick, vielmehr wird etwas über die γεγεννημένοι ἐκ τοῦ πνεύματος gesagt – über die also, die bereits aus Geist gezeugt sind. Wie das geschehen ist, wird nicht beschrieben. Nicht wie, sondern dass es geschehen ist, spielt eine Rolle. 9.2.9 Die „aus Geist Gezeugten“ und der unverfügbare Geist (Joh 3,7–8) Der kurze Vers Joh 3,7, der schließlich auf den geheimnisvoll klingenden Satz in Joh 3,8 hinführt, lenkt die Aufmerksamkeit zunächst zurück auf Joh 3,3 und 3,5 und auf das, was Jesus dort gesagt hat, wobei durch das Aufgreifen von γεννηθῆναι ἄνωθεν der Bezug auf Joh 3,3 stärker ist als jener auf Joh 3,5:

170 So

Hofius, Wunder 50. Kontext ist es naheliegend, Nikodemus auf der Seite der σάρξ zu verorten. Damit lässt sich die Doppelaussage in Joh 3,6 auch als Aussage über die Möglichkeit des Verstehens oder Missverstehens deuten, die in direktem Verhältnis zu den jeweiligen Ursprüngen aus πνεῦμα bzw. σάρξ steht. Nicht gesagt ist damit freilich, dass die „aus Geist Gezeugten“ in vollständiger Weise an der Perspektive des Geistes partizipieren. Joh 3,12 dagegen wirft Nikodemus als „dem Lehrer Israels“ (3,10) und einer nicht näher bestimmten Mehrzahl (2. Person Plural in Joh 3,11 und 3,12) vor, nicht einmal Jesu Zeugnis über „die irdischen Dinge“ (τὰ ἐπίγεια) anzunehmen und zu glauben, ganz zu schweigen von den himmlischen (τὰ ἐπουράνια). 171 Im

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9. Die johanneischen Texte

3 a / 5 a ἀμὴν ἀμὴν λέγω σοι 3 b ἐὰν μή τις γεννηθῇ ἄνωθεν […] 7 a μὴ θαυμάσῃς ὅτι εἶπόν σοι· 7 b δεῖ ὑμᾶς γεννηθῆναι ἄνωθεν.

Mit der 2. Person Singular bringt die Erzählung außerdem Nikodemus als Gesprächspartner wieder in den Fokus: Er wird von Jesus direkt angesprochen. Der zweite Teil des Verses, Joh 3,7 b, wechselt dann jedoch in den Plural, ohne dass genau deutlich wird, wer mit „ihr“ gemeint ist (vgl. ähnlich dann auch Joh 3,11 und 3,12). Die aus Joh 3,3 b wiederholte Bedingung für das Sehen der βασιλεία τοῦ θεοῦ wird somit auch hier sprachlich von Nikodemus distanziert, der sich maximal als einer der im Plural Angesprochenen wiederfinden kann.172 In Joh 3,8 kehrt der Text mit der 2. Person Singular erneut zur direkten Ansprache an Nikodemus zurück. Es ist bezeichnenderweise das von Nikodemus selbstbewusst vorgetragene οἴδαμεν aus Joh 3,2, das Jesus in Joh 3,8 c aufgreift und ins Negative kehrt: οὐκ οἶδας. In beiden Fällen steht Wissen bzw. Nicht-Wissen im Zusammenhang mit einer Aussage über das Kommen: 8 a τὸ πνεῦμα ὅπου θέλει πνεῖ   8 b καὶ τὴν φωνὴν αὐτοῦ ἀκούεις,   8 c ἀλλ᾽ οὐκ οἶδας πόθεν ἔρχεται   καὶ ποῦ ὑπάγει· 8 d οὕτως ἐστὶν πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ πνεύματος.

2 […] οἴδαμεν ὅτι ἀπὸ θεοῦ ἐλήλυθας […]

Die 2. Person Singular in Joh 3,8 b.c wird von den meisten Kommentaren kaum eigens gewürdigt, geschweige denn auf Nikodemus bezogen, da das Bild vom Wind die Ausführungen zu diesem Vers dominiert und οὐκ οἶδας meist unterschwellig als ein Teil davon verstanden wird.173 Joh 3,8 jedoch gehört insgesamt zur Antwort Jesu an Nikodemus, die in Joh 3,5 begann (ἀπεκρίθη Ἰη­ σοῦς), und es liegt daher nahe, sowohl ἀκούεις als auch οὐκ οἶδας in erster Linie auf Nikodemus zu beziehen. Für das Gesamtverständnis des häufig als gleichnisartig 174 aufgefassten Textes von Joh 3,8 hat diese Entscheidung einige 172 Sowohl in Joh 3,3 als auch in Joh 3,5 ist der Konditionalsatz nicht an Nikodemus direkt gerichtet, sondern allgemeiner (ἐὰν μή τις) formuliert (s. o. 9.2.2); vgl. zu Joh 3,7 auch Trumbower (Anthropology 75), dessen deterministische Grundthese hier allerdings nicht geteilt wird: „with ὑμᾶς the author again avoids addressing Nicodemus directly with the possibility that he might be born ἄνωθεν.“ 173 Vgl. z. B. die Paraphrase von Dietzfelbinger, Johannes I, 82: „wie man das Brausen des Windes hören und seine Gewalt spüren kann, so kann man […].“ Wilckens wiederum übernimmt an dieser Stelle seines Kommentars das „Du“ als eine die Leserschaft allgemein ansprechende Form in seine eigene Rhetorik (vgl. Wilckens, Johannes 67). Zwar könnte, wie z. B. Schnelle (Johannes 71) betont, Joh 3,8 weisheitlich beeinflusst sein und sich das auch in der Form spiegeln. Aber in Spr 30,4 und Pred 11,5, auf die Schnelle u. a. verweist, gibt es zwar eine Anrede an den impliziten Leser in der 2. Person Singular, allerdings handelt es sich dort insgesamt nicht um einen Dialog, das „Du“ kann sich also auch nicht auf einen im Erzählkontext vorhandenen Gesprächspartner beziehen. 174 Die Charakterisierung dieses Verses variiert in der Sekundärliteratur: Dietzfelbinger (Johannes I, 82) bestimmt ihn als „eine[s] der vielen johanneischen Bildworte“; Wengst (Jo-

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

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Auswirkungen. Sie nimmt zunächst einmal ernst, dass es zwischen Joh 3,8 a und 3,8 b.c eine Veränderung im Duktus gibt. Nur der erste Satz, τὸ πνεῦμα ὅπου θέλει πνεῖ, spricht nämlich direkt vom Geist-Wind. Die folgenden beiden Teilverse sind dagegen Wahrnehmungen dieses Geist-Windes aus der Beobachterperspektive, die als Anrede in der 2. Person Singular Nikodemus zugeschrieben werden. Joh 3,8 a–c haben somit keine einheitliche Struktur und sind auch kein Gleichnis oder Vergleich. Joh 3,8 a ist vielmehr eine metaphorische Aussage über den Geist, die nur deshalb, weil πνεῦμα im Sinne von „Geist“ bereits in den vorhergehenden Versen begegnete, auch als solche wahrnehmbar ist. (Ansonsten wäre sie einfach eine nicht-metaphorische Aussage über πνεῦ­μα als „Wind“, der „weht“.) Die Verse Joh 3,8 b.c beziehen sich auf diese Aussage und lassen sich ebenso nicht-metaphorisch (πνεῦμα als „Wind“) wie metaphorisch (πνεῦμα als „Geist“) lesen. Joh 3,8 a sagt demnach mit Hilfe des Ursprungsbereiches Wind etwas über die Freiheit des Geistes aus,175 nämlich dass von menschlicher Seite das Wirken des Geistes ebenso wenig zu beeinflussen ist wie das Wehen des Windes.176 Joh 3,8 b wechselt nun zu Aussagen über Nikodemus: Indem Jesus ihm unterstellt, dass er das Geräusch des Windes hört, spricht er ihm auf der metaphorischen Ebene immerhin auch zu, dass er die Stimme des Geistes hört.177 hannesevangelium I, 135) redet von einem „bildliche[n] Vergleich“; nur von „Vergleich“ spricht Hofius (Wunder 52); Schnackenburg (Johannesevangelium I, 387) bezeichnet Joh 3,8 als „kleines Gleichnis“ mit einem „Kerngedanken“; Bae (Wiedergeburt 153) spricht nur von „Gleichnis“; Thyen (Johannesevangelium 195) bleibt unbestimmt, warnt aber vor der „längst fragwürdig gewordenen Reduktion auf ein einziges tertium“. 175 Dass der Wind tatsächlich nicht einfach „weht, wo er will“, und dass über Ursachen von Winden auch den damaligen Leserinnen und Lesern möglicherweise mehr bekannt war, spielt dabei keine Rolle. Der Ursprungsbereich muss keine naturwissenschaftlich korrekten Sachverhalte voraussetzen, sondern arbeitet hier einfach mit der allgemein verfügbaren Erfahrung, dass Wind so erlebt wird, dass er plötzlich auftritt und „weht, wo er will“. 176 Diese Sicht trifft sich partiell mit derjenigen Rothschilds, die für die Deutung von Joh 3,8 erneut (s. o. Anm. 145) die Theorie der Parthenogenese ins Spiel bringt und am Ende zusammenfasst: „the spirit – like the wind in parthenogenesis – does not fertilize but provides the invisible, activating impetus for generation in lieu of copulation“ (Rothschild, Embryology 140). Weitere Fragen, die Joh 3,8 für sich genommen und im Textzusammenhang der vorangehenden Verse aufwirft und die im Folgenden (9.2.9–10) zu erörtern sind, klärt Rothschild damit allerdings nicht, sondern bleibt allein auf die Frage der Zeugungsvorstellung fokussiert. 177 Mit Bezug auf πνεῦμα taucht φωνή im Johannesevangelium nicht mehr auf. Am häufigsten beziehen sich Aussagen über das Hören der Stimme auf Jesu Stimme, der dabei bildlich als Bräutigam (Joh 3,29) oder als Hirte (10,3 f.), aber auch direkt (10,27; 18,37) bzw. als Sohn Gottes und Menschensohn (5,25.28) bezeichnet werden kann. Das Hören ist an den genannten Stellen immer positiv konnotiert. Ambivalent sind die Reaktionen dagegen auf die φωνὴ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ in Joh 12,28, die von den Anwesenden zwar gehört, aber lange nicht von allen als die Verherrlichungsaussage verstanden wird, die sie verkündet (vgl. 12,29). In Bezug auf Nikodemus in Joh 3,8 b scheint eher diese Passage als Parallele angebracht, zumal „Wind“ wie auch „Donner“ (vgl. 12,29: βροντή) auf Naturgewalten verweisen. Auch Buch-Hansen (Understanding 299 f.) betont ausdrücklich die Doppeldeutigkeit nicht nur des

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9. Die johanneischen Texte

Aber Nikodemus weiß nicht, so Joh 3,8 c, woher der Wind – und damit auch der Geist – kommt und wohin er geht. Damit greift Jesus auf die Anrede von Nikodemus in Joh 3,2 zurück (οἴδαμεν ὅτι ἀπὸ θεοῦ ἐλήλυθας) und stellt ihr sein οὐκ οἶδας πόθεν ἔρχεται entgegen. Diese Aussage bezieht sich in Joh 3,8 c zwar auf den Geist-Wind und nicht auf Jesus, aus dem Kontext ist aber klar, dass der Geist, der in Joh 3,5 an die Stelle von ἄνωθεν tritt und in Joh 3,6 deutlich vom Bereich des Fleisches unterschieden wird, zu der Sphäre gehört, aus der auch Jesus gekommen ist. Der abschließende Teilvers Joh 3,8 d lässt sich, wie gleich noch zu zeigen sein wird, nur mit Schwierigkeiten als „Sachhälfte“ des Gleichnisses 178 oder „Anwendung des Vergleichs“ 179 charakterisieren, weil damit die komplexe Struktur und die unterschiedlichen Sprechakte der vorangehenden Verse Joh 3,8 a–c nivelliert werden. Tatsächlich ist nicht klar, worauf sich das Joh 3,8 d einleitende οὕτως ἐστὶν bezieht. Wenn es in Joh 3,8 d heißt: „so ist ein jeder, der aus dem Geist gezeugt ist“, verlangt das nach einer vorausgehenden Erläuterung des Wie, auf das der Satz sich mit οὕτως beziehen kann. Joh 3,8 a–c beschreibt aber nicht, wie die Geistgezeugten sind, sondern nur, wie der Geist ist (3,8 a) und wie er wahrgenommen wird (3,8 b.c).180 Die Kommentare deuten Joh 3,8 d darum bereits in der Übersetzung häufig so, wie er sich auch in der Luther‌mit und der Einheitsübersetzung findet: „So ist es bei /  jedem, der aus dem Geist geboren 181 ist.“ 182 Diese Formulierung gibt die Freiheit, die TeilverLexems πνεῦμα, sondern auch des Lexems φωνή, zeigt für die anderen Auffälligkeiten des Verses dagegen aber keine besondere Aufmerksamkeit, so dass ihre Deutung hier ansonsten nicht weiter referiert wird. 178 So aber Theobald, Johannes 254. 179 So aber Hofius, Wunder 52. 180 Auf was für Schwierigkeiten die Textdeutung stößt, wenn man diese Aussagen über den Geist und dessen Wahrnehmung dennoch auf die aus Geist Gezeugten bezieht und Joh 3,8 a–c als dreiteilige „Bildseite“ auffasst, zeigt die Auslegung von Wengst (Johannesevangelium I, 135). Das erste Problem bereitet Joh 3,8 a: „Es ist nicht zu erkennen, welchen Sinn es machen soll, von den aus dem Geist Geborenen, den Mitgliedern der Gemeinde, als solchen zu reden, die wirken, wo sie wollen“ (ebd.). Wengst lässt Joh 3,8 a daher aus der Deutung heraus und konzentriert sich auf Joh 3,8 b.c: „Wie man das Rauschen des Windes hören kann, also seine Existenz und Wirksamkeit wahrnimmt, ohne jedoch seine Herkunft und sein Ziel zu kennen, so können auch Außenstehende die wirksame Existenz der Gemeinde nicht übersehen, müssen sie registrieren“ (ebd.). Damit hat er unter der Hand aber den Zielbereich, über den die Verse Joh 3,8 b.c laut 3,8 d eigentlich eine metaphorische Aussage machen sollen – nämlich über die „aus Geist Gezeugten“ (bzw. bei Wengst: Geborenen) –, ersetzt durch eine Aussage über „Außenstehende“ und deren Blick auf die „Gemeinde“. Bae dagegen bezieht auch Joh 3,8 c direkt auf „den Geistgezeugten als ‚Gleichnis‘“ (Bae, Wiedergeburt 153) und kommt zu der Aussage: „Wie der Mensch nicht weiß, woher das πνεῦμα (der Wind / ‌Geist) kommt und wohin es geht, so ist jener auch nicht zu verstehen, der aus dem Geist geboren ist, wie der Geist selbst.“ Aus wessen Perspektive der, „der aus Geist geboren ist,“ dabei „nicht zu verstehen sei“ und was genau an einem solchen Menschen nicht zu verstehen sei, bleibt allerdings völlig offen. 181 Die Differenzen zwischen „geboren“ und „gezeugt“ seien hier vorerst ausgeblendet. 182 Als einer der wenigen bietet Hofius (Wunder 52) für diese Übersetzung auch eine Er-

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

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se Joh 3,8 a–c zuvor nicht allein auf die Geistgezeugten beziehen zu müssen,183 sondern sie als Beschreibungen des Geistes selbst und der Geisterfahrungen der Geistgezeugten ansehen zu können. Dass sich der Duktus des Textes zwischen Joh 3,8 a und 3,8 b grundlegend ändert und zur Ansprache an eine 2. Person wechselt, wird dabei meist überspielt. Hingenommen wird außerdem auch, dass zu den Geisterfahrungen der Geistgezeugten nicht nur die Freiheit und Unverfügbarkeit des Geistes gehört – soweit unproblematisch –, sondern auch, dass sie vom Woher und Wohin des Geistes nichts wissen. Das ist meines Erachtens aber weder im Kontext von Joh 3 noch im Kontext des ganzen Evangeliums plausibel, das eine stark gewichtete Raummetaphorik aufweist und viele Aussagen dazu bietet, woher Jesus kommt und wohin er geht und wohin die Seinen ihm nachfolgen werden.184 Auch woher der Geist kommt, der in den Glaubenden wirkt, legen Passagen wie Joh 14,26 und 20,22 deutlich offen.185 Es ist vielmehr Nikodemus, der nicht weiß, „woher der Geist kommt und wohin er geht“. Genau das sagt Jesus ihm in Joh 3,8 c in ganz direkter Weise: „du weißt nicht […]“. Ist die Deutungsvariante, die insbesondere in Joh 3,8 c in erster Linie einen Bezug auf Nikodemus sieht, daher die einzige, die sich vom Wortlaut und vom Kontext her sinnvoll anbietet, so kann sich Joh 3,8 d unmöglich als „Anwendung“ auf ein unmittelbar vorauslaufendes „Gleichnis“ beziehen. Für die Auslegung dieses Teilverses ist vielmehr der Gesamtkontext von Joh 3,3 bis 3,8 zu beachten (s. u. 9.2.10). 9.2.10 Das Wissen um das „Woher“ und die bleibende Unverfügbarkeit des Geistes: Joh 3,8 d als Fazit des gesamten Abschnitts Joh 3,1–8 Joh 3,8 d stellt formal zunächst das Ende einer Antwort Jesu (an Nikodemus!) dar, die bereits in Joh 3,5 mit einer Aussage über die Zeugung „aus (Wasser und) Geist“ begann. Innerhalb dieser Antwort gibt es wiederum einen ausdrücklichen Rückbezug auf das, was Jesus noch vor dieser Antwort gesagt hat, nämlich in Joh 3,3.186 Da das zurückverweisende οὕτως, mit dem Joh 3,8 d klärung: „In der durch οὕτως eingeleiteten Anwendung des Vergleichs haben wir eine Metonymie zu erkennen, die anstelle der Ursache die Wirkung benennt. Gemeint ist: ‚so geht es, wenn einer aus dem Geist geboren wird‘, ‚so verhält es sich mit der Geburt aus dem Geist‘.“ 183 Aber vgl. Wengst: s. o. Anm. 180. 184 In die gleiche Richtung weist meines Erachtens ein Zitat bei Theobald (Johannes 254): „Schon der Basisspruch 3,3 hatte ja das jeglicher Anschaulichkeit entzogene ‚Woher‘ der neuen Existenz des Getauften in die geheimnisvolle Rede des ‚von oben‘ gekleidet. Sein ‚Wohin‘ ist, 3,5 zufolge, das ‚Reich Gottes‘, in das er eingeht, bzw. das ‚ewige Leben‘, das ihm glaubend schon jetzt zuteil wird.“ Damit sind Woher und Wohin – wenn auch mit einem debattierbaren Grad von „Anschaulichkeit“ – benannt, aber sie sind doch immerhin benannt. Theobald betont mit dem Geheimnisvollen im gleichen Zusammenhang dagegen aber eher das Unbekannte. 185 Auch ἄνωθεν in Joh 3,3 kann als solcher Hinweis gelesen werden. 186 Zum Rückbezug von Joh 3,7 auf 3,3 s. o. 9.2.9.

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9. Die johanneischen Texte

beginnt, nicht ohne Weiteres einen klaren Bezugspunkt in den unmittelbar vorangehenden Teilversen findet (s. o. 9.2.9), ist daher der Gesamtzusammenhang von Joh 3,3–8 in die Deutung einzubeziehen: 3 a ἀπεκρίθη Ἰησοῦς καὶ εἶπεν αὐτῷ· ἀμὴν ἀμὴν λέγω σοι, 3 b ἐὰν μή τις γεννηθῇ ἄνωθεν, 3 c οὐ δύναται ἰδεῖν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ. […] 5 a ἀπεκρίθη Ἰησοῦς· ἀμὴν ἀμὴν λέγω σοι, 5 b ἐὰν μή τις γεννηθῇ ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος, 5 c οὐ δύναται εἰσελθεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ. 6 a  τὸ γεγεννημένον ἐκ τῆς σαρκὸς σάρξ ἐστιν, 6 b καὶ τὸ γεγεννημένον ἐκ τοῦ πνεύματος πνεῦμά ἐστιν. 7 a μὴ θαυμάσῃς ὅτι εἶπόν σοι· 7 b δεῖ ὑμᾶς γεννηθῆναι ἄνωθεν. 8 a τὸ πνεῦμα ὅπου θέλει πνεῖ   8 b καὶ τὴν φωνὴν αὐτοῦ ἀκούεις,   8 c ἀλλ᾽ οὐκ οἶδας πόθεν ἔρχεται καὶ ποῦ ὑπάγει· 8 d οὕτως ἐστὶν πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ πνεύματος.

Der Textüberblick macht schnell deutlich, dass das Thema der Zeugung „aus dem Geist“ bzw. „von oben“ durch den gesamten Abschnitt Joh 3,3–8 entfaltet wird. Nach Joh 3,8 und Nikodemusʼ letztem Einwurf in Joh 3,9, wechselt dagegen das Thema (s. u. 9.2.11). Joh 3,8 d lässt sich somit gut als Abschluss des gesamten thematischen Blocks über die Zeugung „von oben“ bzw. „aus (Wasser und) Geist“ verstehen. In der Weise, wie es dieser ganze Abschnitt der Rede Jesu dargestellt hat, so ist ein jeder, der aus dem Geist gezeugt ist: οὕτως ἐστὶν πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ πνεύματος. Es besteht kein Anlass, den Text derart zu deuten, dass ein aus dem Geist Gezeugter nichts vom Woher oder Wohin des Geistes wisse. „So“ heißt nach den hier vorgelegten Analysen zu Joh 3,8 (s. o. 9.2.9) und zu Joh 1,13; 3,3 und 3,5 vielmehr gerade, dass ein „aus dem Geist Gezeugter“ von seinem ganz anderen, nicht-irdischen Ursprung weiß. Dieser Ursprung bleibt als solcher dennoch unverfügbar, wie der Geist auch. Weder kann man diesen Ursprung selbst erlangen, noch kann man über den Zeitpunkt bestimmen, der dem Einzelnen diesen Ursprung offenbart, noch lässt sich das Wie dieser Zeugung „von oben“ (Joh 3,3.7) bzw. „aus Gott“ (1,13) anders als metaphorisch beschreiben. Dass die Taufe ein Ort ist, an dem sich die Geisterfahrung für die Rezipienten des Johannesevangeliums bündeln lässt, legt Joh 3,5 nahe. Dass der Geist in seinem Wirken dennoch frei bleibt, betont Joh 3,8 a. Dass aufgrund von Joh 3,5 und der dortigen Zusammenstellung von Wasser und Geist die Taufe „den konkreten irdischen Ort an[gibt], an dem die Geburt aus dem Geist geschieht“, wie zum Beispiel Klaus Wengst meint,187 kann daher nur unter starker Be187 Wengst, Johannesevangelium I, 133; vgl. u. a. auch Schnelle, Johannes 71; Wilckens, Johannes 66. Noch stärker betont Söding (Wiedergeburt 211) nicht nur die Verbindung von „Wiedergeburt“ und Taufe, sondern auch den aktiven Anteil des Menschen daran: „Die Wiedergeburt ereignet sich grundlegend in der verbindlichen Entscheidung für Jesus, die als Ausdruck des Glaubens die Taufe begehrt.“

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

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tonung des „Irdischen“ gelten. Eher ist die Taufe ein Ort, an dem die bereits vorausliegende, aber erst rückwirkend erkannte Zeugung „aus Gott“ bzw. „von oben“ einen öffentlichen und rituell begangenen Ausdruck findet. Dass dabei die Formulierung noch einmal variiert und nach der Zeugung „aus Gott“ (Joh 1,13) und „von oben“ (3,3) in Joh 3,5 von einer Zeugung ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος geredet wird, ist dabei nicht zufällig. Einerseits spiegelt sich darin sicherlich etwas vom allgemein geteilten frühchristlichen Taufverständnis, in dem neben dem Wasser auch der Geist eine wichtige Rolle spielt.188 Andererseits gewinnt im johanneischen Kontext die Zeugungsmetaphorik auf diese Weise ein dynamisches Element hinzu, denn der Geist ist, wie Joh 7,39 im Zusammenhang mit Joh 20,22 deutlich macht, nicht von Anfang an da, und Joh 3,8 a beschreibt ihn in der Freiheit seines Wirkens. Der raummetaphorischen Aussage in Joh 3,3 ist ein solcher dynamischer Aspekt dagegen nicht eigen. Nur der Menschensohn durchschreitet die Räume (vgl. Joh 3,13) und verschafft den an ihn Glaubenden damit die Möglichkeit, auch in die βασιλεία τοῦ θεοῦ (Joh 3,5) einzugehen, in die „Wohnungen in meines Vaters Haus“ (Joh 14,2 f.), und sich als „von oben Gezeugte“ zu wissen. Erst sein Weg vom und zum Vater und seine Verherrlichung ermöglicht die Geistgabe (s. o. 9.1.4). In der dynamischeren Beschreibung als Zeugung ἐκ τοῦ πνεύματος, die zu den bereits zuvor gebrauchten Formulierungen ἐκ θεοῦ und ἄνωθεν nun hinzutritt, mag die jeweilige Lebenssituation, in der jemand getauft und in die Gemeinschaft aufgenommen wird, daher ihren passenderen Ausdruck finden. Sie schildert die entsprechenden Erlebnisse des Zum-Glauben-Kommens als Geisterfahrungen. Wie genau man sich jedoch die Taufe in johanneischen Gemeinden vorzustellen hat, lässt sich aus Joh 3,1–8 kaum im Einzelnen entnehmen, denn die Taufe ist, wie schon betont (s. o.), zweifellos nicht das Hauptthema dieser Verse. 9.2.11 Bleibendes Missverständnis: Die letzte Nachfrage des Nikodemus (Joh 3,9) und Jesu dritte Antwort (3,10–12) Mit Joh 3,8 findet das Thema der Zeugung „von oben“ bzw. „aus Wasser und Geist“ seinen Abschluss (s. o. 9.2.10). Nikodemus reagiert in Joh 3,9 noch ein letztes Mal, trägt aber inhaltlich nichts mehr zum Gespräch bei. Seine Nachfrage, die seine Einlassung aus Joh 3,4 einfach verkürzt wieder aufgreift, zeigt vielmehr, dass er keinen Erkenntnisgewinn aus der Antwort Jesu in Joh 3,5–8 ziehen konnte: 188 Damit ist die Mehrheitsmeinung skizziert, mit der in der Kommentarliteratur in aller Regel die Veränderung der Formulierung von Joh 3,3 b zu 3,5 b beschrieben und in ihrem Gefolge die Zeugung „von oben“ mit der Zeugung „aus Wasser und Geist“ gleichgesetzt und allein in der Taufe verortet wird (siehe auch Anm. 187). Trumbower (Anthropology 74) versucht eine andere, wenn auch fragliche Differenzierung: „in contrast to the ,birth from above‘ which is fixed and determinative, ,birth from (water and) the spirit‘ is indeed a re-birth“. Zur Kritik an Trumbowers deterministischer Sicht siehe bereits oben Anm. 28.

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9. Die johanneischen Texte

4 a λέγει πρὸς αὐτὸν [ὁ] Νικόδημος· 4 b πῶς δύναται […] 9 a ἀπεκρίθη Νικόδημος καὶ εἶπεν αὐτῷ· 9 b πῶς δύναται ταῦτα γενέσθαι;

Jesus thematisiert genau dieses fehlende Verständnis in Joh 3,10 in einer kritischen Anfrage an Nikodemus als ὁ διδάσκαλος τοῦ Ἰσραήλ.189 Inhaltlich wird so nicht mehr die zuvor verhandelte Sache selbst, sondern die Metaebene betrachtet: Die Verse Joh 3,10–12 reden vom Wissen (οἴδαμεν, 3,11) 190 und Nicht-Verstehen (οὐ γινώσκεις, 3,10), vom Bezeugen (μαρτυροῦμεν, 3,11), vom Nicht-Annehmen des Zeugnisses (τὴν μαρτυρίαν ἡμῶν οὐ λαμβάνετε, 3,11) und vom Nicht-Glauben (οὐ πιστεύετε, 3,12). Nikodemus gerät mit Joh 3,11, wo ein letztes Mal ein ἀμὴν ἀμὴν λέγω σοι an ihn gerichtet ist, endgültig aus dem Fokus der Erzählung.191 Auch wenn im Fortgang des Textes einige Aspekte aus Joh 3,1–11 aufgegriffen und weitergeführt werden,192 ist eine nähere Betrachtung für die Frage nach der speziellen Zeugungsmetaphorik in Joh 3 daher nicht erforderlich. 9.2.12 Die Ergebnisse der Auslegung von Joh 3,1–8: Eine Textparaphrase samt Rückblick auf Joh 1,12 f. Joh 3,1 f. beginnt mit der Vorstellung eines neuen Akteurs der Erzählung: Nikodemus wird als ein Mensch präsentiert, der sich aufrichtig um religiöses Wissen bemüht. Von der Haltung des Glaubens (vgl. Joh 2,23), die nach johanneischer Überzeugung heilsrelevant ist (vgl. z. B. Joh 11,25 f.), ist diese Suche nach Wissen jedoch deutlich zu unterscheiden. Daher reagiert Jesus in Joh 3,3 auf die ehrerbietige Anrede des Nikodemus, indem er dessen negative Konditionalphrase, mit der Nikodemus den Inhalt seines Wissen vorsichtig umschrieben hatte (Joh 3,2 b.c), strukturell aufgreift und dabei zugleich korrigiert: „Wenn jemand nicht von oben gezeugt wird, kann er das Reich Gottes 189 Der Text greift damit auf Nikodemusʼ Anrede an Jesus als διδάσκαλος in Joh 3,2 zurück. Unterschiedlich bewertet wird in der Forschung, was mit der Bezeichnung des Nikodemus als ὁ διδάσκαλος τοῦ Ἰσραήλ bezweckt werden soll: Hofius (Wunder 55 f.) begreift die Formulierung einerseits als „Auszeichnung“ und repräsentativ für die „positivsten, höchsten, edelsten Möglichkeiten, die im Bereich der σάρξ denkbar sind“, und sieht in ihr doch zugleich ausgedrückt, „daß auch Israel in seiner höchsten menschlichen wie religiösen Möglichkeit das rettende Wirken Gottes ‚aus eigener Vernunft und Kraft‘ nicht zu verstehen vermag.“ Ausgewogener zu beiden Seiten hin und weder zu viel aus dem „Lehrer Israels“ herauslesend noch zu allgemein die Erkenntnismöglichkeit Israels insgesamt kritisierend urteilt Wengst (Johannesevangelium I, 137 f.). 190 Das Wissen war auch schon als rahmend für den Abschnitt Joh 3,2–8 Thema: s. o. 9.2.9. 191 Bereits in der zweiten Hälfte wechselt Joh 3,11 zur 2. Person Plural, die nach Joh 3,12 aber gänzlich der 3. Person Singular weicht. 192 In der Rede von den ἐπίγεια im Gegensatz zu den ἐπουράνια in Joh 3,12 setzt sich eine Gegenüberstellung fort, die an jene von der Zeugung ἐκ σαρκός und ἐκ τοῦ πνεῦματος in Joh 3,6 anknüpft. Die Rede vom Menschensohn in Joh 3,13 als ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβάς erinnert an das γεννηθῆναι ἄνωθεν aus Joh 3,3 etc.

9.2 Jesus und Nikodemus (Joh 3,1–12)

275

nicht sehen“ (3,3 b.c). Mit Hilfe der Zeugungsmetaphorik, die bereits in Joh 1,13 eingeführt wurde, macht Jesus hier die Unverfügbarkeit des Gottesreiches deutlich, zu dem ein Zugang gerade nicht durch Wissen oder ein bestimmtes menschliches Handeln zu erlangen ist. Genau diesen Aspekt missversteht Nikodemus aber. Er sucht Jesu Antwort nach einer darin enthaltenen Handlungsoption ab und scheitert damit. Das Ergebnis (Joh 3,4) ist eine auch für Nikodemus unsinnig klingende und daher als rhetorische Frage bereits negativ beschiedene Paraphrase dessen, was Jesus in Joh 3,3 gesagt hatte, bei der Nikodemus außerdem die raummetaphorische Bedeutung von ἄνωθεν nicht wahrnimmt. Damit entgeht ihm, dass Jesus von einem Wirken Gottes gesprochen hat, welches als Voraussetzung für das Sehen des Gottesreiches unabdingbar, aber eben auch unverfügbar ist. Sein Versuch, im γεννηθῆναι ἄνωθεν eine aktiv zu ergreifende menschliche Möglichkeit zu erkennen, geht daher in die Irre und muss misslingen. In einer zweiten Antwort an Nikodemus in Joh 3,5 variiert Jesus die Metaphorik. Der Ausdruck ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος, der das Adverb ἄνωθεν ersetzt, kann im Gesamtkontext des Evangeliums als Hinweis auf die Taufe gedeutet werden. Denn bereits in Joh 1,33 wird Jesus als zukünftiger Geisttäufer vorgestellt. Von der Geistgabe selbst, die die Verherrlichung Jesu voraussetzt (vgl. Joh 7,38 f.), wird in Joh 20,22 erzählt. Als Figur innerhalb der Erzählung verfügt Nikodemus freilich nicht über diese nachösterliche Perspektive, textpragmatisch bietet Joh 3,5 somit nicht für ihn, sondern vielmehr nur für die Leserinnen und Leser des Evangeliums eine weiterführende Aussage. Die Anspielung auf die Taufe ist jedoch nicht sakramentalistisch engzuführen. Der Geist bleibt unverfügbar. Das betonen insbesondere die folgenden Verse, die sich weiter mit der Notwendigkeit der Geistzeugung befassen und die „aus Geist Gezeugten“ näher charakterisieren. Dabei ist es für das Textverständnis wichtig, Nikodemus als Dialogpartner nicht aus dem Blick zu verlieren. Jesus spricht ihn in Joh 3,7 a direkt an (μὴ θαυμάσῃς) und auch die Aussage οὐκ οἶδας in Joh 3,8 c ist klar auf ihn bezogen. Nikodemus ist es, der nicht weiß, woher der Wind-Geist kommt und wohin er geht, weil sich die Herkunft des Geistes und dementsprechend auch die Herkunft eines jeden γεγεννημένος ἐκ τοῦ πνεύματος seinem auf Wissen fixierten Suchen (siehe Joh 3,2) nicht erschließt. Sie erschließt sich aber dem Glauben. Unzutreffend ist daher die häufig zu findende Auslegung, die das „Du“ in Joh 3,8 c allgemeiner im Sinne eines „Man“ versteht, und in Kombination mit Joh 3,8 d daraus eine Aussage über den Geist als auch über die „aus Geist Gezeugten“ macht, deren Ursprung im Unbestimmten bleibe. Gegen eine solche Deutung spricht sowohl der tatsächliche Wortlaut als auch die Textlogik. Denn nur für Nikodemus stellt sich das so dar. Sogar für Nikodemus sind aber die πνεῦμα-Wirkungen wahrnehmbar (τὴν φω­νὴν αὐτοῦ ἀκούεις), ebenso wie auch die erste Aussage in Joh 3,8 a sowohl für Nikodemus als auch für die nachösterlich Lesenden gilt: τὸ πνεῦμα ὅπου

276

9. Die johanneischen Texte

θέ­λει πνεῖ. Unverfügbarkeit bedeutet aber nicht Ursprungslosigkeit. Nur Nikodemus bleibt hier im Unklaren, während die abschließende Bemerkung in Joh 3,8 d den gesamten Abschnitt Joh 3,3–8 zusammenfasst: So, wie es hier insgesamt beschrieben wird, sind die „aus Geist Gezeugten“. Sie haben einen Ursprung, der in völligem Gegensatz zur Herkunft aus dem Irdischen steht (vgl. Joh 3,6). Ähnlich wie in Joh 1,13 a diese irdische Herkunft für die Glaubenden völlig negiert wird, um in Joh 1,13 b die wahre Herkunft ihres Lebens zu beschreiben, dient auch in Joh 3,3–8 die Zeugungsmetaphorik vor allem der Betonung dieser ganz anderen Herkunft, die das Leben der „aus Geist Gezeugten“ prägt und bis zum Eingehen in das Gottesreich (3,5 c) profiliert. Dass die Taufe für die vom Johannesevangelium Adressierten ein besonderer Ort solcher Geisterfahrung war, lässt sich vor allem aus der Formulierung in Joh 3,5 b schließen, darf aber nicht von den vorangehenden und folgenden Versen und vor allem nicht von der Aussage in Joh 3,8 a isoliert werden, die die Unverfügbarkeit des Geistwirkens betont. Ganz in diesem Sinne ist in Joh 3,3.5–8 auch an keiner Stelle von einem eigenen Handeln der „von oben“ oder „aus (Wasser und) Geist“ Gezeugten die Rede. Dass Nikodemus nach einer solchen Handlungsoption sucht, ist der entscheidende Grund für sein fundamentales Missverstehen. Darin sollten Rezipientinnen und Rezipienten des Textes ihm nicht folgen. Insofern erweisen sich die Analyse seiner Figur und die präzise Wahrnehmung seines Irrtums hilfreich für die Deutung des Textes. Dass die „von oben“ Gezeugten als solche auch Handelnde sind und sich in Entsprechung zu ihrem göttlichen Ursprung aktiv verhalten können (und sollen), wird aus dem Zusammenhang der Zeugungsmetaphorik in Joh 3,3–8 mit jener in Joh 1,13 und der dortigen Verbindung mit Joh 1,12 deutlich (s. o. 9.1.5). Ihre Zeugung „von oben“, „aus Geist“ bzw. „aus Gott“ können sie aber nicht selbst bewirken, sondern nur im Nachhinein erkennen.

9.3 Die „aus Gott Gezeugten“ im Ersten Johannesbrief Im Ersten Johannesbrief begegnet in insgesamt sechs Versen (1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18), zum Teil sogar innerhalb des Verses wiederholt, die Rede von den Adressierten als den „aus Gott Gezeugten“:   2,29 a ἐὰν εἰδῆτε ὅτι δίκαιός ἐστιν, b γινώσκετε   c ὅτι καὶ πᾶς ὁ ποιῶν τὴν δικαιοσύνην   d ἐξ αὐτοῦ γεγέννηται.

  Wenn ihr wisst, dass er gerecht ist, erkennt ihr,   dass auch jeder, der die Gerechtigkeit tut,   aus ihm gezeugt ist.

  3,9 a Πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ θεοῦ b ἁμαρτίαν οὐ ποιεῖ, c ὅτι σπέρμα αὐτοῦ ἐν αὐτῷ μένει, d καὶ οὐ δύναται ἁμαρτάνειν,   e ὅτι ἐκ τοῦ θεοῦ γεγέννηται.

  Jeder, der aus Gott gezeugt ist, begeht keine Sünde, denn sein Samen bleibt in ihm. Und er kann nicht sündigen,   weil er aus Gott gezeugt ist.

9.3 Die „aus Gott Gezeugten“ im Ersten Johannesbrief

277

4,7 a Ἀγαπητοί, ἀγαπῶμεν ἀλλήλους,   b ὅτι ἡ ἀγάπη ἐκ τοῦ θεοῦ ἐστιν,   c καὶ πᾶς ὁ ἀγαπῶν d ἐκ τοῦ θεοῦ γεγέννηται e καὶ γινώσκει τὸν θεόν.

Geliebte, lasst uns einander lieben,   denn die Liebe ist aus Gott.   Und jeder, der liebt, ist aus Gott gezeugt und kennt Gott.

  5,1 a Πᾶς ὁ πιστεύων ὅτι Ἰησοῦς   ἐστιν ὁ Χριστὸς, b ἐκ τοῦ θεοῦ γεγέννηται,   c καὶ πᾶς ὁ ἀγαπῶν τὸν γεννήσαντα d ἀγαπᾷ [καὶ] τὸν γεγεννημένον ἐξ αὐτοῦ.

  Jeder, der glaubt, dass Jesus der   Christus ist, ist aus Gott gezeugt.   Und jeder, der den liebt, der gezeugt hat, liebt [auch] den, der aus ihm gezeugt ist.

  5,4 a ὅτι πᾶν τὸ γεγεννημένον ἐκ   τοῦ θεοῦ b νικᾷ τὸν κόσμον· c καὶ αὕτη ἐστὶν ἡ νίκη ἡ νικήσασα τὸν κόσμον,   d ἡ πίστις ἡμῶν.

  […], denn alles, was aus Gott gezeugt ist, besiegt die Welt. Und dies ist der Sieg, der die Welt besiegt hat:   unser Glaube.

5,18 a Οἴδαμεν b ὅτι πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ θεοῦ   c οὐχ ἁμαρτάνει,   d ἀλλ᾽ ὁ γεννηθεὶς ἐκ τοῦ θεοῦ    τηρεῖ αὐτόν e καὶ ὁ πονηρὸς οὐχ ἅπτεται αὐτοῦ.

Wir wissen, dass jeder, der aus Gott gezeugt ist,   nicht sündigt.    Vielmehr bewahrt ihn der aus Gott   Gezeugte, und der Böse hält ihn nicht fest.

Abgesehen von einer Ausnahme in 1 Joh 5,1, wo Gott selbst als ὁ γεννήσας bezeichnet wird, ist das Fokuswort γεννᾶσθαι in seinen verschiedenen Formen immer mit der Ergänzung ἐκ τοῦ θεοῦ bzw. ἐξ αὐτοῦ versehen. Die Formulierung greift somit die aus Joh 1,13 b bereits bekannte Formulierung auf,193 während die variierenden Ausdrücke γεννηθῆναι ἄνωθεν und γεννηθῆναι ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος bzw. γεννηθῆναι ἐκ τοῦ πνεύματος aus Joh 3,3.5–8 im Ersten Johannesbrief nicht begegnen. Fast ausschließlich wird das Verb im Ersten Johannesbrief außerdem im Perfekt Passiv verwendet.194 Geredet wird

193 Mit der Mehrheit der Forschung wird hier davon ausgegangen, dass der Erste Johannesbrief das Evangelium voraussetzt, wobei dies zum Teil mit der Annahme eines mehrstufigen Entstehungsprozesses für das Evangelium verbunden ist. Für eine Kenntnis des Johannesevangeliums (oder zumindest von Vorstufen) votieren z. B. Klauck, Johannesbrief 46 f.; Balz, Johannesbriefe 159–161; Vouga, Johannesbriefe 11–13; Painter, John 61; Beutler, Johannesbriefe 19, und Theobald, Fleischwerdung 421–437 (hier nur auf die jeweiligen Pro­loge fokussiert). Yarbrough (John 15) erwägt auch die schon alte, aber in der gegenwärtigen Forschung eher selten vertretene These, dass hinter dem Evangelium und dem Ersten Johannesbrief derselbe Autor steht. Anders dagegen z. B. Strecker, Johannesbriefe 26: „Daß die Verfasser der Joh das vierte Evangelium benutzt haben, läßt sich nicht zur Evidenz erheben; vgl. auch Schnelle (Johannesbriefe 9–19, bes. 15–17), für den der Erste Johannesbrief vor dem Evangelium entstanden ist. 194 Im Evangelium dagegen tritt das Perfekt nur in Joh 3,6 auf: τὸ γεγεννημένον ἐκ τῆς σαρ­κὸς σάρξ ἐστιν, καὶ τὸ γεγεννημένον ἐκ τοῦ πνεύματος πνεῦμά ἐστιν.

278

9. Die johanneischen Texte

somit davon, wie diese Zeugung ἐκ τοῦ θεοῦ, die als solche bereits zurückliegt, das gegenwärtige Leben der „aus Gott“ Gezeugten bestimmt.195 9.3.1 Die „aus Gott Gezeugten“: Beobachtungen zur sprachlichen Struktur und zur Metaphorik An den zeugungsmetaphorischen Aussagen des Ersten Johannesbriefes fällt auf, dass sie fast immer in stereotypen Formulierungen mit πᾶς ὁ auftreten. Es gibt sie in zwei Varianten (wobei der Kontext hier vorerst unberücksichtigt bleibt, s. u. 9.3.2): Variante 1 3,9 ab Πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ θεοῦ ἁμαρτίαν οὐ ποιεῖ 5,18 bc πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ θεοῦ οὐχ ἁμαρτάνει 196 5,4 ab πᾶν τὸ γεγεννημένον ἐκ τοῦ θεοῦ νικᾷ τὸν κόσμον Variante 2 2,29 cd πᾶς ὁ ποιῶν τὴν δικαιοσύνην ἐξ αὐτοῦ γεγέννηται 4,7 cd πᾶς ὁ ἀγαπῶν ἐκ τοῦ θεοῦ γεγέννηται 5,1 ab Πᾶς ὁ πιστεύων ὅτι Ἰησοῦς ἐστιν ὁ Χριστὸς, ἐκ τοῦ θεοῦ γεγέννηται

In Variante 1 ist πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ θεοῦ jeweils das Subjekt eines Satzes, der aussagt, was „jeder aus Gott Gezeugte“ tut bzw. nicht tut: „Jeder aus Gott Gezeugte sündigt nicht“ (1 Joh 3,9; 5,18) und „besiegt die Welt“ (5,4). Variante 2 ist genau umgekehrt strukturiert: Das mit πᾶς ὁ gebildete Subjekt variiert jeweils und beschreibt unterschiedliches Verhalten, das immer in die gleiche verbale Aussage mündet „[…] ist aus Gott gezeugt.“ In beiden Varianten jedoch werden mit Hilfe des wiederkehrenden πᾶς ὁ Merkmale beschrieben, die für alle „aus Gott Gezeugten“ gelten und die so der eigenen Prüfung und „Vergewisserung über die eigene Herkunft“ dienen können 197 und in ihrer stereotypen Wiederholung fast wie eine Selbstbezeichnung der zur Gemeinschaft Gehörenden klingen.198 Abstufungen und Schattierungen gibt es nicht. 195 In 1 Joh 5,18 d referiert das Aorist-Partizip ὁ γεννηθείς dagegen auf Christus, der Gebrauch der Tempora ist offensichtlich sorgfältig abgestimmt. 196 Vgl. auch 1 Joh 3,6 a: πᾶς ὁ ἐν αὐτῷ μένων οὐχ ἁμαρτάνει. Mehr zu inhaltlichen Entsprechungen zwischen zeugungsmetaphorischen und Immanenz-Aussagen im Ersten Johannesbrief s. u. 9.3.4. 197 So Klauck, Johannesbrief 247, zu 1 Joh 4,7. Vgl. auch Yarbrough (John 170) in Bezug auf 1 Joh 2,29: „those who remain steadfast know that their righteous stand verifies their divine parentage. It is at once both a credit to the one they know to be righteous (2:29 a) and a confirmation that they have been born of God (2:29 b).“ Vgl. außerdem Judith M. Lieu (Study 225), die im direkten Vergleich mit dem Johannesevangelium bemerkt: „In I John the focus of attention has changed; the decision [to believe in Christ] is past but the consequences are present and eternal for through that decision the believer is shown to be a child of God (cf. Jn. i 12–3).“ Siehe auch unten Anm. 234. 198 Vgl. zu Anrede der im Ersten Johannesbrief Adressierten ausführlicher Jutta Leonhardt-­ Balzer (Pseudepigraphie 739–742), die allerdings nicht direkt auf die πᾶς-ὁ-Formulierungen

9.3 Die „aus Gott Gezeugten“ im Ersten Johannesbrief

279

Entweder man tut, was beschrieben ist, voll und ganz (bzw. im Fall des Sündigens gerade nicht) 199 und gehört zu den „aus Gott Gezeugten“ – oder man tut es nicht und gehört auch nicht dazu: Das, was als Merkmal für die „aus Gott Gezeugten“ in absoluter Weise gilt, kann, wenn es nicht erfüllt wird, auch genauso zum Merkmal werden, dass man „nicht aus Gott ist“ (οὐκ ἔστιν ἐκ τοῦ θεοῦ, 1 Joh 3,10),200 bzw. noch drastischer: ὁ ποιῶν τὴν ἁμαρτίαν ἐκ τοῦ δια­ βόλου ἐστίν (1 Joh 3,8). Wie man an beiden Beispielen aber schon sieht,201 sind diese Negativaussagen insgesamt weniger stereotyp formuliert und begegnen auch nicht notwendig an allen oben zitierten Stellen, die eine positive Aussage über die „aus Gott Gezeugten“ enthalten. Die immer wieder mit πᾶς ὁ eingeleiteten Zeugungsaussagen bewirken dagegen in ihrer Formalisierung, dass die darin enthaltene Metapher abgeblasst erscheint. Auch die kontextuelle Einbettung der Aussagen trägt dazu bei. Denn außer im Fall von 1 Joh 3,9 wird ein lebendiger metaphorischer Interaktionsprozess hier nirgendwo in Gang gesetzt. Nur in 1 Joh 3,9 wird durch die Erwähnung eines weiteren Fokuswortes aus dem Ursprungsbereich, nämlich σπέρμα, das Konzept Zeugung überhaupt stärker ins Bewusstsein gerückt.202 Diesen Vers gilt es daher zunächst in seinem Kontext zu analysieren (s. u. 9.3.2), wobei das Hauptaugenmerk auf der Metaphorik liegt. Von hier aus lassen sich dann gezielt weitere Beobachtungen zu den anderen Zeugungsaussagen und deren Kontext anschließen (s. u. 9.3.3–4).

mit Zeugungsmetaphorik eingeht, aber immerhin Bezug auf die „ihr seid aus Gott“-Aussagen nimmt (vgl. z. B. 1 Joh 4,4.6; s. u. 9.3.4, bes. Anm. 227–228). 199 Dass diese fehlende Abstufung gerade bei der Frage nach dem Sündigen bzw. der Sündlosigkeit der „aus Gott Gezeugten“ zu Aussagen führt, die nicht nur mit den realen Erfahrungen in Kollision geraten, sondern sich auch im Brief selbst als ungelöste Spannungen manifestieren, zeigt besonders das Gegenüber von 1 Joh 3,9 zu 1,7–2,2 (aber auch 1 Joh 5,16–18); vgl. dazu ausführlicher u. a. Klauck, Johannesbrief 195–197; Rusam, Gemeinschaft 137–147; Schnelle, Johannesbriefe 122–124; Beutler, Johannesbriefe 88 f.; siehe zum Thema Sündlosigkeit auch unten 9.3.2, bes. Anm. 214. 200 Diese Aussage in 1 Joh 3,10, die vollständig lautet: πᾶς ὁ μὴ ποιῶν δικαιοσύνην οὐκ ἔσ­τιν ἐκ τοῦ θεοῦ, καὶ ὁ μὴ ἀγαπῶν τὸν ἀδελφὸν αὐτοῦ, bildet zugleich einen Gegensatz zu 1 Joh 2,29 (πᾶς ὁ ποιῶν τὴν δικαιοσύνην […]) und zu 1 Joh 4,7 (πᾶς ὁ ἀγαπῶν […]). Einen Gegensatz zu 1 Joh 4,7 bietet, auf fehlende Erkenntnis zugespitzt, auch 1 Joh 4,8: ὁ μὴ ἀγα­ πῶν οὐκ ἔγνω τὸν θεόν. Vgl. dazu auch Scholtissek (Sprache 344), der die oben zitierten, „mit πᾶς + ὁ + Partizip eingeleiteten Sätze“ insgesamt zu den „Regelsätzen“ zählt und als charakteristische Verstärkungen dieser Sätze u. a. „Oppositionen, Kontrastregeln bzw. Antithesen“ anführt. 201 Siehe zu 1 Joh 3,7–10 insgesamt mehr unten in 9.3.2. 202 Zur verwandten (aber nicht identischen!) metaphorischen Rede von den Kindern Gottes in 1 Joh 3,1 f.10 und 5,2, die in unmittelbarer Nähe zu den Zeugungsaussagen in 1 Joh 2,29; 3,7 und 5,1 auftritt, selbst aber auch bereits eine gewisse Konventionalisierung aufweist, s. u. 9.3.5.

280

9. Die johanneischen Texte

9.3.2 Die Zeugungsmetaphorik in 1 Joh 3,9 1 Joh 3,9 ist in den kleineren Abschnitt 1 Joh 3,7–10 eingebettet. Er beginnt mit einer Aufforderung in 1 Joh 3,7 a (Τεκνία, μηδεὶς πλανάτω ὑμᾶς) und ist im Folgenden sowohl durch die Wiederaufnahme gleicher Begriffe als auch durch Gegensätze und durch die Wiederholung von Formulierungen ähnlicher Art geprägt, wie eine gegliederte Darstellung gut verdeutlichen kann: wie bzw. woher jemand ist 7 b 7 c.d 8 a 8 b.c 8 d

δίκαιός ἐστιν, ἐκ τοῦ διαβόλου ἐστίν

was jemand tut

ὁ ποιῶν τὴν δικαιοσύνην ὁ ποιῶν τὴν ἁμαρτίαν

8 e 9 a.b 9 c 9 d 9 e 10 a 10 b 10 c 10 d.e

Πᾶς ὁ γεγεννημένος ἁμαρτίαν οὐ ποιεῖ ἐκ τοῦ θεοῦ

ὅτι ἐκ τοῦ θεοῦ γεγέννηται.

οὐκ ἔστιν ἐκ τοῦ θεοῦ,

καὶ οὐ δύναται ἁμαρτάνειν,

πᾶς ὁ μὴ ποιῶν δικαιοσύνην καὶ ὁ μὴ ἀγαπῶν τὸν ἀδελφὸν αὐτοῦ.

‌Sohn Gegensätze (Gott /  Got­tes vs. Teufel bzw. Kinder Got­tes vs. Kinder des Teufels) καθὼς ἐκεῖνος δίκαιός ἐστιν· ὅτι ἀπ᾽ ἀρχῆς ὁ διάβολος ἁμαρτάνει. εἰς τοῦτο ἐφανερώθη ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ, ἵνα λύσῃ τὰ ἔργα τοῦ διαβόλου. ὅτι σπέρμα αὐτοῦ ἐν αὐτῷ μένει,

ἐν τούτῳ φανερά ἐστιν τὰ τέκνα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ τέκνα τοῦ διαβόλου·

Gerahmt wird der Abschnitt in 1 Joh 3,7 b und 3,10 c durch zwei fast identische Formulierungen, die das Tun der Gerechtigkeit thematisieren.203 Innerhalb des Rahmens bestimmt dann die Frage nach dem Tun bzw. Nicht-Tun der Sünde den Inhalt. Mit 1 Joh 3,7 a beginnt aber kein streng abgegrenzter Abschnitt, denn sowohl das Tun der Gerechtigkeit als auch das Tun der Sünde waren bereits zuvor Thema, und zwar jeweils in einer mit πᾶς ὁ ποιῶν beginnenden Formulierung (1 Joh 2,29 und 3,4). Das Tun der Gerechtigkeit führte in 1 Joh 2,29 dabei zu der Zusicherung, dass jeder, der sie tut, „aus ihm gezeugt ist“. Auch die Vorstellung, dass jemand aus Gott gezeugt ist, begegnet in 1 Joh 3,9 also 203 Der syntaktisch nachklappende Teilvers 1 Joh 3,10 e führt bereits aus dem Abschnitt heraus und leitet mit seinem neuen Thema der Bruderliebe schon zum nächsten Abschnitt über (so auch Klauck, Johannesbrief 190).

9.3 Die „aus Gott Gezeugten“ im Ersten Johannesbrief

281

nicht das erste Mal. Nur hier, im Zentrum des Abschnitts 1 Joh 3,7–10, wird die aus der Gotteszeugung folgende Handlungsweise aber unter Rückgriff auf einen weiteren Aspekt aus dem Ursprungsbereich Zeugung auch begründet. Jeder, der aus Gott gezeugt ist, begeht keine Sünde, sagt der Text (3,9 ab), weil „sein Samen in ihm bleibt“ (3,9 c). Der Teilvers beinhaltet zwei Uneindeutigkeiten, die aber nicht schwer zu klären sind. Zum einen lässt sich αὐτοῦ in σπέρμα αὐτοῦ sprachlich-syntaktisch sowohl als Referenz auf Gott deuten als auch auf πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ θεοῦ. Letzteres ergibt aber keine sinnvolle Lesart des Textes.204 Es kann sich also nur um den „Samen Gottes“ handeln.205 Die zweite Uneindeutigkeit betrifft die Übersetzung von σπέρμα. Dass σπέρμα hier nicht im Rahmen des Ursprungsbereiches Zeugung als „Samen“, sondern allgemeiner als „Nachkommenschaft“ zu deuten wäre (und ἐν αὐτῷ sich dann auf Gott bezöge), wie in der Exegese zum Teil erwogen wurde,206 ist allerdings wenig wahrscheinlich. Zwar ist das im Johannesevangelium zweifellos bei σπέρμα Δαυίδ (Joh 7,42) und σπέρμα Ἀβραάμ (Joh 8,33.37) der Fall. Der Ausdruck in 1 Joh 3,9 c ist damit aber nicht einfach zu parallelisieren.207 Ganz zu Recht urteilt Klauck: „Man würde erwarten, daß der Verf., wenn er das gemeint haben sollte, nicht vom Samen Gottes, sondern mit seinem bevorzugten Paradigma von Kindern Gottes spricht.“ 208

Aufgerufen ist in 1 Joh 3,9 a–c die Vorstellung von der Zeugung des Kindes durch den Samen und vor allem von der bleibenden Prägung des Kindes durch den formgebenden Samen des Vaters (ausführlicher dazu s. o. 9.1.3). Diese Vorstellung wird metaphorisch auf die Glaubenden übertragen, denen qua Zeugung die gleiche Sündlosigkeit als Veranlagung mitgegeben ist, wie sie auch Gott auszeichnet.209 Über Gott gibt es im Ersten Johannesbrief genau genommen keine solche Aussage der Sündlosigkeit – sie versteht sich wohl von selbst. Aber vom Sohn Gottes wird kurz zuvor in 1 Joh 3,5 gesagt: καὶ ἁμαρτία ἐν αὐτῷ οὐκ ἔστιν. Außerdem ist er laut 1 Joh 3,8 c–e auch jener, der „die Werke des Teufels auf löst“, welcher „von Anfang an sündigt“. Für die „aus Gott Gezeugten“ heißt das in letzter Konsequenz, wie es der Text in 1 Joh 3,9 d auch ausdrückt, dass sie gar nicht sündigen können (οὐ δύναται ἁμαρτάνειν). Das wird – im Argument zirkulierend – dann nochmals mit der Zeugung aus Gott (3,9 e) begründet. Gestärkt wird die Aussage wiederum durch die Betonung des 204 So

z. B. auch Menken, Translation 364 f. urteilen die meisten Ausleger, vgl. z. B. Schnelle, Johannesbriefe 122; Painter, John 224; Beutler, Johannesbriefe 88. 206 Siehe die Verweise bei Klauck, Johannesbrief 193 Anm. 448 und 449. 207 Auch Vouga (Johannesbriefe 55) lehnt den Bezug auf Israel nachdrücklich ab, deutet σπέρ­μα dann aber ohne weiteres Eingehen auf die Metaphorik des Verses als „die göttliche Bestimmung der Glaubenden, vgl. Joh 4,36 f; Corp. Herm. XIII,1 f “ (ebd.). Weder ist damit aber 1 Joh 3,9 genau wahrgenommen, noch lässt sich die Metaphorik von Joh 4,36 f., die den Ursprungsbereich von Saat und Ernte aufgreift (so auch von Gemünden, Vegetationsmetaphorik 395), erklärend für 1 Joh 3,9 einbringen. 208 Klauck, Johannesbrief 193; vgl. ähnlich auch Menken, Translation 365. 209 Vgl. auch Rusam (Gemeinschaft 121), der allerdings keinen Bezug auf pagane Quellen nimmt: „Genauso wie die Entwicklung eines Kindes abhängig ist vom Sperma des Erzeugers (Sap Sal 7,1), vollzieht sich die Entwicklung der Glaubenden gemäß dem Sperma ihres Erzeugers.“ 205 So

282

9. Die johanneischen Texte

Gegenteils:210 „Wer Sünde tut, ist aus dem Teufel“ (ὁ ποιῶν τὴν ἁμαρτίαν ἐκ τοῦ διαβόλου ἐστίν, 3,8 ab).211 Dabei ist das kleine Wort ἐστίν bemerkenswert. Zwar kann der Erste Johannesbrief variierend davon sprechen, dass jemand „aus Gott gezeugt ist“ oder einfach „aus Gott ist“,212 in Bezug auf den Teufel aber gibt es nur die Formulierung mit εἶναι ἐκ. Das ist sicherlich kein Zufall. Die mit γεννᾶν verbundene Potenz wird dem Teufel bewusst nicht zugestanden.

Vom Ursprungsbereich her muss freilich einschränkend ergänzt werden, dass es der erhoffte Idealfall ist, wenn das Kind tatsächlich in allem den mitgegebenen Prägungen gerecht und dem Vater ähnlich wird. Auch die antiken Zeugungs- und Vererbungstheorien wissen darum, dass die Realität anders aussehen kann (s. o. 9.1.3). Dass diese Einschränkung ebenfalls das Nicht-Sündigen im Ersten Johannesbrief betrifft, zeigt sich unter anderem in 1 Joh 1,7–2,2 in der Warnung davor, sich für sündlos zu halten, und der sich anschließenden Aufforderung zum Bekenntnis der eigenen Sünden, damit sie vergeben werden können. Im Gegensatz dazu konstatiert 1 Joh 3,9 a.b, dass „jeder aus Gott Gezeugte keine Sünde tut“ (s. o.). Dass dieses spannungsvolle Nebeneinander von behaupteter (und metaphorisch ererbter) Sündlosigkeit und der Notwendigkeit des Sündenbekenntnisses und der Sündenvergebung im Text nicht aufgelöst wird (siehe auch 1 Joh 5,16–18),213 liegt zu einem wesentlichen Teil sicherlich an der absoluten, Graustufen nicht einschließenden johanneischen Sprache.214 9.3.3 Die Begründungsstruktur in 1 Joh 3,9 als Modell für die anderen Zeugungsaussagen des Briefes Auch die anderen Zeugungsaussagen im Ersten Johannesbrief bieten strukturell ähnliche Beschreibungen dessen, was die „aus Gott Gezeugten“ tun (s. o. 9.3.1): Sie tun die Gerechtigkeit (2,29), sie lieben einander (4,7), sie besiegen die Welt (5,4) und sie glauben, dass Jesus der Christus ist (5,1). Zwar findet sich hier nirgends eine 1 Joh 3,9 vergleichbare explizite Begründung, warum das so ist (bzw. sein sollte), implizit ist sie mit dem Aufgreifen der Zeugungsmetaphorik aber ebenfalls gegeben und lässt sich von 1 Joh 3,9 her an den anderen Stellen analog ergänzen: Wie in 1 Joh 3,9 lässt sich das jeweils geschilderte (bzw. verlangte) Verhalten der „aus Gott Gezeugten“ auch dort daraus 210 Zum

häufigen Auftreten von Gegensätzen im Ersten Johannesbrief s. o. 9.3.1. Gegensatz zwischen den τέκνα τοῦ θεοῦ und den τέκνα τοῦ διαβόλου s. u. 9.3.5. 212 Mehr dazu s. u. 9.3.4, bes. Anm. 227. 213 Siehe dazu auch schon oben Anm. 199. 214 Vgl. ähnlich auch Lieu (Study 224) zur Absolutheits-Tendenz des Autors des Ersten Johannesbriefes, hier konkret im Hinblick auf 1 Joh 5,16–18: „it belongs to his own style and probably to the thought of the community to state things absolutely, ‚We know that everyone born of God does not sin, but he who was born of God keeps him and the evil one does not touch him‘ (v 18). He knows too that the absolute does not always apply – someone may still see his brother committing sin (v 16) – but his theology does not give him scope to modify the absolute.“ 211 Zum

9.3 Die „aus Gott Gezeugten“ im Ersten Johannesbrief

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begründen, dass Gott so handelt und die „aus ihm Gezeugten“ also in sich die entsprechende Prägung und Veranlagung tragen, ebenso zu agieren. Tatsächlich enthält der unmittelbare Kontext der anderen Zeugungsaussagen jeweils eine entsprechende Aussage zu Gott bzw. Jesus Christus: So erfährt die Aussage, πᾶς ὁ ποιῶν τὴν δικαιοσύνην ἐξ αὐτοῦ γεγέννηται (2,29), ihre Grundlegung wenige Verse später in 1 Joh 3,7 b–d: ὁ ποιῶν τὴν δι­­καιοσύνην δίκαιός ἐστιν, καθὼς ἐκεῖνος δίκαιός ἐστιν. Ebenso hat die Liebe zueinander (4,7) ihre Ursache in Gott, „denn er hat uns geliebt“ (ὅτι αὐτὸς ἠγά­ πησεν ἡμᾶς, 4,10); und auch der unmittelbare Kontext der Zeugungsaussage in 1 Joh 4,7 (unterstrichen) bietet noch weitere Aussagen, die diese Thematik aufnehmen (kursiv hervorgehoben): 4,7 Ἀγαπητοί, ἀγαπῶμεν ἀλλήλους, ὅτι ἡ ἀγάπη ἐκ τοῦ θεοῦ ἐστιν, καὶ πᾶς ὁ ἀγαπῶν ἐκ τοῦ θεοῦ γεγέννηται καὶ γινώσκει τὸν θεόν. 8 ὁ μὴ ἀγαπῶν οὐκ ἔγνω τὸν θεόν, ὅτι ὁ θεὸς ἀγάπη ἐστίν.

In der unmittelbaren Folge der Zeugungsaussage von 1 Joh 5,4 (πᾶν τὸ γεγεννη­ μένον ἐκ τοῦ θεοῦ νικᾷ τὸν κόσμον) wird mit dem Hinweis darauf, dass Jesus Christus ἐν τῷ ὕδατι καὶ ἐν τῷ αἵματι in die Welt gekommen sei (1 Joh 5,6), auf seinen Tod 215 und damit die Vollendung seines irdischen Weges verwiesen.216 Auch das Besiegen oder Überwinden der Welt ist also etwas, das den „aus Gott Gezeugten“ bereits vorausläuft in der Geschichte Jesu Christi und sich ihnen durch metaphorische Zeugung als Prägung mitteilen kann. Das gilt ähnlich schließlich auch für den Glauben daran, „dass Jesus der Christus ist“ (ὅτι Ἰησοῦς ἐστιν ὁ Χριστός, 1 Joh 5,1), denn auch dieses Bekenntnis basiert auf dem vorausliegenden Zeugnis Gottes über seinen Sohn (ὅτι αὕτη ἐστὶν ἡ μαρ­ τυρία τοῦ θεοῦ ὅτι μεμαρτύρηκεν περὶ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ, 1 Joh 5,9). Nur in 1 Joh 3,9 wird der Ursprungsbereich Zeugung durch die Erwähnung des „Samens“ als eines weiteren Fokuswortes neben γεγεννημένος und γε­γέννηται deutlicher aktiviert. Auch ohne Erwähnung des „Samens“ lässt sich bei den anderen Zeugungsaussagen aber unschwer erkennen, wie eben gezeigt, dass der aus dem Ursprungsbereich aufgegriffene Aspekt der Prägung des Gezeugten durch den Vater 217 wirksam ist. Allerdings wird, wie gleich auszuführen sein wird (s. u. 9.3.4), im Ersten Johannesbrief die daraus resultierende Entsprechung im Verhalten der „aus Gott Gezeugten“ nicht nur durch Zeugungsmetaphorik ausgedrückt und begründet.

215 Vgl. die Beschreibung des Todes Jesu in Joh 19,33 f., bes. 19,34: […] καὶ ἐξῆλθεν εὐθὺς αἷμα καὶ ὕδωρ, sowie insgesamt das Verständnis des Todes Jesu im Johannesevangelium als Erhöhung (3,14) und Teil der Verherrlichung (7,38 f.). 216 Noch deutlicher drückt es Joh 16,33 aus: ἐγὼ νενίκηκα τὸν κόσμον. 217 Dass die Gestaltung und Prägung des Embryos nach antikem Verständnis in der Regel nur mit den entsprechenden Kräften des männlichen Samens verbunden gedacht wird, wurde bereits ausgeführt (s. o. 9.1.2). Zur Konstruktion von γεννᾶσθαι mit ἐκ zur Angabe des Vaters s. o. 7.2.2.2.

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9. Die johanneischen Texte

In der Auslegung von 1 Joh 3,9 weiter zu fragen, wie genau σπέρμα αὐτοῦ aufzufassen sei – „als Wort Gottes oder […] als Geist Gottes“ 218 – ist für das Verständnis der metaphorischen Aussage nicht vonnöten und rückt diese entweder in die Nähe einer Allegorie oder ist umgekehrt ein Zeichen dafür, dass die Metaphorik vom Zeugen überhaupt nicht in die Auslegung einbezogen wird.219 Dass der „Samen“ auch in 1 Petr 1,23 als Teil einer metaphorischen Zeugungsaussage begegnet (dort allerdings nicht durch σπέρμα, sondern durch σπορά wiedergegeben; s. u. 10.5), wo er mit dem „Wort“ gleichgesetzt wird, lässt sich ebenfalls nicht als Argument für eine entsprechende Deutung in 1 Joh 3,9 heranziehen.220 Denn die im Ersten Petrusbrief festzustellende Zuspitzung der Metaphorik auf vergänglichen versus unvergänglichen Samen und die Verbindung mit dem „lebendigen und bleibenden Wort Gottes“ (διὰ λό­γου ζῶντος θεοῦ καὶ μένοντος, 1 Petr 1,23) gibt wenig Anlass zum Vergleich mit dem Ersten Johannesbrief. Auch das jeweilige Auftreten von μένειν ist unterschiedlich profiliert: In 1 Petr 1,23 steht es in Zusammenhang mit ἄφθαρτος, in 1 Joh 3,9 geht es um ein „Bleiben in“, das im johanneischen Sprachgebrauch als Immanenzaussage ein ganz eigenes soteriologisches Gewicht hat (s. u. 9.3.4).

9.3.4 „Aus Gott gezeugt sein“ und „in ihm bleiben“: Zeugungs- und Immanenzaussagen für die gleiche Aussageabsicht Auffällig an der metaphorischen Verwendung des Ursprungsbereiches in 1 Joh 3,9 ist die Aussage, dass der „Samen“ in dem Gezeugten „bleibt“. Denn eigentlich ist innerhalb des Konzeptes Zeugung die lebensschaffende und prägende Kraft des Samens wichtig; dass der Samen als solcher hingegen im Menschen bleibt, ist vom Ursprungsbereich her eher nicht angelegt.221 Daher stimmt es zwar, wenn Klauck meint, dass hier das Bild „gesprengt“ sei. Dass damit die Zeugung aus Gott, die man „punktuell verstehen“ könne (d. h. „einmal gesche218 Klauck,

Johannesbrief 194. z. B. Beutler (Johannesbriefe 88), der verschiedene Forschungsoptionen (Wort Got­ tes, Evangelium, Wahrheit, Christus, Heiliger Geist) anführt und sich dann für „neues Le­ bensprinzip bzw. das neue Leben in Christus“ ausspricht; Painter (John 224) dagegen nennt überhaupt nur die beiden Deutungen des Samens als „word of God“ und „Holy Spirit“, zwischen denen aber nicht eindeutig zu entscheiden sei. 220 So aber Klauck (Johannesbrief 194), kritisch dagegen z. B. Rusam (Gemeinschaft 121 mit Anm. 96). 221 Das lässt sich zumindest für ein materialiter verstandenes Bleiben des Samens im Rahmen einer aristotelisch geprägten Sicht auf die Zeugung und Bildung des Embryos belegen. Maximal ist hier, wie Lesky (Vererbungslehren 1371) ausführt, „im weiblichen Katamenienstoff auch eine materielle Kontinuität gewahrt,“ die sich damit aber „nur auf den einen Elter [beschränkt]. Und nicht auf ihr liegt der Schwerpunkt im Vererbungsgeschehen nach Ar[istoteles], sondern vielmehr auf der Form- und Bewegungsübertragung durch den männlichen Samen. Dieser tritt aber in keine stoffliche Beziehung zur nächsten Generation ein, denn seine körperliche Substanz verflüchtigt sich“. Aristoteles verdeutlicht diese prägende Kraft des männlichen Samens, der aber nicht materiell in die Bildung des Embryos involviert ist, am Bild des Holzhandwerkers, von dem selbst auch nichts über- oder eingeht in das von ihm bearbeitete Holz, sondern von dem vielmehr nur ἡ μορφὴ καὶ τὸ εἶδος kommen (ὥσπερ οὐδ’ ἀπὸ τοῦ τέκτονος πρὸς τὴν τῶν ξύλων ὕλην οὔτ’ ἀπέρχεται οὐθέν […] ἀλλ’ ἡ μορφὴ καὶ τὸ εἶδος ἀπ’ ἐκείνου ἐγγίγνεται διὰ τῆς κινήσεως ἐν τῇ ὕλῃ, De generatione animalium 730 b 11–15). 219 So

9.3 Die „aus Gott Gezeugten“ im Ersten Johannesbrief

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hen und dann vorbei“), zu einer „neuen Metapher“ werde,222 trifft aber nur bedingt zu. Denn das, was Klauck als neu an dieser Metapher hervorhebt, dass nämlich „der Akt der Zeugung weiterwirkt und die Existenz des so erzeugten Geschöpfes durchgehend bestimmt“,223 beschreibt Aspekte, die im Ursprungsbereich Zeugung bereits enthalten sind. Auch ohne Sprengung des Bildes lässt sich mit diesem Konzept und konkret mit Hilfe des Fokuswortes σπέρμα das aussagen, was Klauck als „neue Metapher“ bezeichnet – und zwar vor allem weil Zeugung eben keineswegs nur „punktuell“ zu verstehen ist. „Bleiben“ lässt sich daher viel eher als ein Eintrag in die Metaphorik verstehen, der nicht diese selbst verändert, sondern vielmehr im Einklang mit dem Ursprungsbereich ein Lexem einbringt und besonders hervorhebt, dass auch sonst eine zentrale Rolle im johanneischen Ideolekt spielt 224 und mit dessen Hilfe der Erste Johannesbrief ganz ähnliche Aussagen trifft, wie mit Hilfe der Zeugungsmetaphorik. Das heißt mit anderen Worten: Der Erste Johannesbrief kann die Überzeugung, dass etwas, das Gott eignet, auch den Glaubenden eignet, weil sie metaphorisch „aus ihm gezeugt“ sind, ebenso durch eine Immanenzaussage ausdrücken, die vom Bleiben Gottes in den Adressierten und deren Bleiben in Gott in Bezug auf eine bestimmte Eigenschaft bzw. Handlungsweise spricht. Beides fällt in 1 Joh 3,9 zusammen, denn σπέρμα ist durch die auffällige Zusammenstellung mit μένειν nicht nur als Teil des Ursprungsbereiches Zeugung zu verstehen, sondern stellt als σπέρμα αὐτοῦ, das in den Gottgezeugten bleibt, zugleich auch einen metonymischen Hinweis auf Gott dar, womit 1 Joh 3,9 c deutlich in die Nähe der anderen Immanenzaussagen des Briefes rückt.

Die folgende Übersicht ordnet den Zeugungsaussagen (fett hervorgehoben) jeweils entsprechende Immanenzaussagen (kursiv hervorgehoben) zu: (a) glauben / bekennen 5,1 ab Πᾶς ὁ πιστεύων ὅτι Ἰησοῦς ἐστιν ὁ Χριστὸς, ἐκ τοῦ θεοῦ γεγέννηται 4,15 Ὃς ἐὰν ὁμολογήσῃ ὅτι Ἰησοῦς ἐστιν ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ, ὁ θεὸς ἐν αὐτῷ μένει καὶ αὐτὸς ἐν τῷ θεῷ. (b) nicht sündigen 3,9 ab Πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ θεοῦ ἁμαρτίαν οὐ ποιεῖ 5,18 bc πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ θεοῦ οὐχ ἁμαρτάνει 3,6 a πᾶς ὁ ἐν αὐτῷ μένων οὐχ ἁμαρτάνει (c) lieben 4,12 ἐὰν ἀγαπῶμεν ἀλλήλους, ὁ θεὸς ἐν ἡμῖν μένει […]. 4,16 ὁ μένων ἐν τῇ ἀγάπῃ ἐν τῷ θεῷ μένει καὶ ὁ θεὸς ἐν αὐτῷ μένει. 4,7 πᾶς ὁ ἀγαπῶν ἐκ τοῦ θεοῦ γεγέννηται 222 Klauck,

Johannesbrief 193. Johannesbrief 193. 224 „1 Joh erhebt die Sprache der Immanenz zum zentralen Leitmotiv seines Argumentationsprofils“ (Scholtissek, Sprache 339). Neben μένειν ἐν gehören auch die Ausdrücke mit εἶναι ἐν zur „Sprache der Immanenz“ (vgl. ebd. 1). Sie spielen für den hier interessierenden Zusammenhang aber keine vergleichbar wichtige Rolle. 223 Klauck,

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9. Die johanneischen Texte

Auffällig ist an den angeführten Immanenzaussagen im Hinblick auf die Zeugungsmetaphorik die Parallelität der Aussagen.225 Um auszudrücken, dass das von den Adressierten erwartete Verhalten gewissermaßen in ihrer „Natur“ liegt und nichts fordert, was nicht auch in Gott selbst begründet ist – bzw. um umgekehrt auszudrücken, dass dieses Verhalten Rückschlüsse auf die Zugehörigkeit der entsprechend Handelnden zu Gott zulässt –, bedient sich der Briefautor sowohl des Konzeptes der Zeugung als auch einer mit μένειν ἐν realisierten Raummetaphorik.226 Durch diese Doppelung verliert die Zeugungsmetaphorik an Aussagekraft, denn was damit beschrieben werden soll, lässt sich auch über andere, strukturell und inhaltlich ähnliche Aussagen des Briefes erschließen und bedarf keiner größeren metaphorischen Interaktion und kreativen Auseinandersetzung mit dem Ursprungsbereich Zeugung. Diese Zeichen einer Abschwächung und Konventionalisierung der Metaphorik waren bereits im Zusammenhang mit dem relativ häufigen, aber stereotypen Auftreten der Zeugungsaussagen zu beobachten (s. o. 9.3.1). Auch Belege, die die Herkunft der Glaubenden mit der Formulierung ἐκ τοῦ θεοῦ εἶναι beschreiben, kommen in ähnlicher Weise wie die Immanenzaussagen den Zeugungsaussagen sehr nahe.227 Die inhaltliche Parallelität und die damit einhergehende metaphorische Nivellierung der Zeugungsmetaphorik lässt sich sogar noch weiter verfolgen: In zweifellos ähnlich deutlicher Weise wird in den Immanenz- und εἶναι-ἐκ-τοῦ225 Vgl. auch Rusam, Gemeinschaft 156: „Die Formulierung ‚aus Gott geboren sein‘ und ‚in Gott (Christus) sein (bleiben)‘ können natürlich unterschiedliche Akzentuierungen tragen, sie haben aber die gleichen Implikationen: Sündlosigkeit (vgl. 1 Joh 3,6 mit 3,9), Bruderliebe (vgl. 1 Joh 2,10; 4,12 mit 4,7), Bekenntnis zum Sohn (vgl. 4,15 mit 5,1).“ Nur zu 1 Joh 5,1 (die Welt besiegen) lässt sich keine ganz so deutlich parallele Immanenzaussage finden, zumindest im Ansatz ähnlich ist aber in der Anrede an die jungen Männer in 1 Joh 2,14 die Feststellung καὶ ὁ λόγος τοῦ θεοῦ ἐν ὑμῖν μένει καὶ νενικήκατε τὸν πονηρόν. Auch zum Tun der Gerechtigkeit, das einen Menschen als „aus Gott Gezeugten“ ausweist (1 Joh 2,29), gibt es keine regelrecht parallele Aussage mit „bleiben“. Hier kann aber auf 1 Joh 3,6 a verwiesen werden (s. o.), wo im Kontext „die Gerechtigkeit tun“ und „die Sünde nicht tun“ Entsprechungen bilden. Insofern kann 1 Joh 3,6 a auch als inhaltlich parallele Aussage zu 1 Joh 2,29 angesehen werden. 226 Genauer lässt sich „Bleiben in“ auch als „Gefäß-Metapher“ verstehen (vgl. Lakoff / ​ ‌Johnson, Leben 39–43); vgl. ebenso Zimmermann (Christologie 375–377), der sich allerdings auf die Immanenzaussagen des Evangeliums und insbesondere auf Joh 10 konzentriert. Dennoch lässt sich seine Beobachtung auch auf das Nebeneinander von Zeugungsmetaphorik und Immanenzaussagen im Ersten Johannesbrief anwenden: „Das reziproke ‚In-Sein‘ von Gott und Jesus wie auch von Jesus und seinen Jüngern braucht zwar in der Regel weitere und konkretere Bildbereiche wie z. B. die Vater-Sohn-Beziehung oder den Vorstellungskreis vom Weinstock (Joh 15,1–8), um für die Leser ‚be-greif bar‘ und dabei mit tieferem Sinn gefüllt werden zu können; die ‚In- / Aus-Formulierungen‘ werden jedoch bereits auf der Ebene des basalen ‚Behälter-Konzepts‘ für die Leser verständlich“ (ebd. 377). 227 „Für die These, daß der 1 Joh γεννᾶσθαι ἐκ τοῦ θεοῦ und εἶναι ἐκ τοῦ θεοῦ parallel gebraucht, sprechen die Folgerungen, die der 1 Joh aus beiden Formulierungen zieht; diese Folgerungen sind nahezu identisch: ‚die Welt überwinden‘ (vgl. 1 Joh 4,4 mit 1 Joh 5,4), und ‚Gott kennen‘ (vgl. 1 Joh 4,7 mit 4,6)“ (Rusam, Gemeinschaft 118).

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θεοῦ-Aussagen der Aspekt der Nähe und der engen Beziehung zwischen den Glaubenden und Gott, den auch die Zeugungsaussagen hervorheben, metaphorisch verdeutlicht.228 Keine Entsprechung findet in den Immanenzaussagen jedoch der initiale Aspekt von Zeugung, wie er zum Beispiel in Joh 1,13 b als Beschreibung des Ursprungs der Glaubenden im Gegenüber zu einer als irrelevant eingeschätzten irdischen Zeugung zentral ist (s. o. 9.1). Tatsächlich spielt aber auch in den zeugungsmetaphorischen Aussagen des Ersten Johannesbriefes der mit der Zeugung gesetzte Anfang keine hervorgehobene Rolle. In 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18 wird vielmehr immer auf eine solche Weise von den „aus Gott Gezeugten“ gesprochen, dass im Ausdruck selbst und im unmittelbaren Kontext deren gegenwärtiger Glaubensstatus in den Blick kommt. Das, was Menschen jetzt tun oder nicht tun, zeigt, ob sie „aus Gott Gezeugte“ sind. Die in der Vergangenheit liegende metaphorische Zeugung selbst erhält dagegen kein eigenes Gewicht. Auch in 1 Joh 3,9, wo das zusätzliche Fokuswort σπέρμα eine solche Betonung ermöglichen könnte, geht es nicht um den initialen Akt der Zeugung, sondern, wie schon mehrfach betont, um das Bleiben des Samens. Ebenso erklärt sich die Bezeichnung Gottes als „der, der gezeugt hat“ (ὁ γεννήσας, 1 Joh 5,1 c) nicht so sehr aus einem besonderen Interesse am zeugenden Handeln Gottes. Sie dient vielmehr einer auch im Gleichklang der Wörter hörbar werdenden Begründung der Geschwisterliebe (1 Joh 5,1 d; vgl. auch 5,2) die aus der Gottesliebe gewissermaßen natürlich folgt: 5,1 c καὶ πᾶς ὁ ἀγαπῶν  τὸν γεννήσαντα 5,1 d  ἀγαπᾷ [καὶ] τὸν γεγεννημένον ἐξ αὐτοῦ.

9.3.5 Die „aus Gott Gezeugten“ als τέκνα θεοῦ Ähnlich wie in Joh 1,12 b findet sich auch in 1 Joh 3,1 f.; 3,10 und 5,2 jeweils im unmittelbaren Kontext der zeugungsmetaphorischen Aussagen die Rede von den τέκνα θεοῦ (vgl. 1 Joh 2,29; 3,9; 5,1). Begründet wird diese metapho­rische Kindschaft aber nicht aus dem metaphorischen Zeugungsakt heraus, sondern vielmehr mit der Liebe des „Vaters“ (1 Joh 3,1): ἴδετε ποταπὴν ἀγάπην δέδωκεν ἡμῖν ὁ πατὴρ, ἵνα τέκνα θεοῦ κληθῶμεν, καὶ ἐσμέν.229 Durch die enge kontextuelle Zusammenstellung können sich beide Vorstellungen – die Zeugung aus Gott und das Kind-Gottes-Sein – freilich auch gegenseitig interpretieren, dennoch sollten sie nicht miteinander vermengt werden. Auch die Vater-Be228 Unter der Überschrift „Äquivalente zu den Immanenz-Aussagen“ beschreibt auch Schol­tissek (Sprache 347) die große Ähnlichkeit der Immanenzaussagen zu den εἶναι-ἐκFor­­mulierungen (vgl. ebd. 347). Die Aussagen mit γεννᾶν / ‌γεννᾶσθαι ἐκ sind für ihn dabei offensichtlich so ähnlich, dass er sie gar nicht als eigenes Äquivalent aufführt, sondern vielmehr unter ἐκ τοῦ θεοῦ εἶναι subsumiert (ebd.): „Wer ‚aus Gott ist (ἐκ τοῦ θεοῦ εἶναι)‘ bzw. wer ‚aus Gott gezeugt ist‘ (vgl. Joh 1,13), der ist von dieser Herkunft, von dieser ‚Wiedergeburt‘ (vgl. Joh 3,3–12), in seinem Wesen bestimmt. Wer ‚aus Gott (geboren) ist‘, der ist ‚in Gott‘.“ Etwas mehr Differenzierung ist im Einzelnen allerdings angebracht. 229 So auch Zimmermann, Namen 125: „Das Kindschaftsverhältnis wird konstituiert durch die ἀγάπη Gottes“.

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9. Die johanneischen Texte

zeichnung für Gott, die im Ersten Johannesbrief (wie auch im Evangelium) als Gottesbezeichnung dominiert,230 ruft einen Ursprungsbereich auf, der sich theoretisch (!) eng mit der Zeugungsmetaphorik verknüpfen ließe. Allerdings nutzt der Verfasser des Briefes diese Möglichkeit nicht und bringt den „Vater“ nie ausdrücklich mit der Zeugungsmetaphorik in Zusammenhang. Das gilt auch für die Verbindung von Kind-Gottes-Sein und Gott als Vater. Nur im bereits zitierten Vers 1 Joh 3,1 gibt es hier einen engeren, wenn auch nicht direkten Zusammenhang, ansonsten aber gilt, dass der Erste Johannesbrief „zwar das Kindschaftsverhältnis für die Christen unter der besonderen Akzentuierung der Liebe Gottes aus[baut], jedoch verwendet er die Vaterbezeichnung in diesem Zusammenhang nicht weiter. Sie bleibt an das exklusive Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Gott und Christus gebunden.“ 231 Wiederum gibt es im Text auch zu den „Kindern Gottes“ einen Gegensatz: In 1 Joh 3,10 stehen den τέκνα τοῦ θεοῦ die τέκνα τοῦ διαβόλου gegenüber.232 Ebenso lässt sich auch eine Parallelaussage finden, die die Formulierungen γεννᾶσθαι ἐκ bzw. εἶναι ἐκ benutzt und jene ἐκ τοῦ θεοῦ Gezeugten (1 Joh 3,9 a.e) von den ἐκ τοῦ διαβόλου Seienden (1 Joh 3,8 b) anhand ihres Tuns abgrenzt:233 Wer die einen und wer die anderen sind, offenbart sich am Tun bzw. Nicht-Tun der Gerechtigkeit (vgl. 1 Joh 3,7.10 c.d): ἐν τούτῳ φανερά ἐστιν τὰ τέκνα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ τέκνα τοῦ διαβόλου· πᾶς ὁ μὴ ποιῶν δικαιοσύνην οὐκ ἔστιν ἐκ τοῦ θεοῦ (3,1 0 a–d).234

230 Vgl. Zimmermann, Namen 125: „Besonders in 1 Joh findet diese Dominanz der Vaterbezeichnung ihre Entsprechung innerhalb der joh. ‚Schule‘. ‚Vater‘ ist die erste im Brief überhaupt begegnende Gottesbezeichnung und erscheint insgesamt 12 mal. ‚Vater‘ ist neben der Gattungsbezeichnung θεός die einzige Gottesbezeichnung, die 1 Joh überhaupt verwendet (außer der partizipialen Umschreibung ὁ γεννήσας 5,1).“ 231 Zimmermann, Namen 126. Dagegen gibt es eine Parallelisierung in der Formulierung, die den „Sohn“ so nahe an die „Kinder“ heranrückt, wie es im Evangelium in vergleichbarer Weise nicht geschieht, denn in 1 Joh 5,18 d wird auch der Sohn zumindest einmal ὁ γεννηθεὶς ἐκ τοῦ θεοῦ genannt. 232 Vgl. zu diesem Gegensatz auch Joh 8,44, dort wird τέκνα τοῦ διαβόλου aber direkt auf die Gesprächspartner, die Ἰουδαίοι, bezogen, im Ersten Johannesbrief gibt es eine solche problematische Zuspitzung nicht. 233 Siehe dazu schon oben in 9.3.2 den zweiten Petit-Absatz in seinem Kontext. 234 Eine ähnliche Beobachtung macht Zingg (Reden 131) zu Joh 8 und beschreibt daran anschließend Konsequenzen für diejenigen, die das Evangelium rezipieren: „in Joh 8,31–59 [wird] deutlich, dass die ‚Vaterschaft‘ Gottes nur für sich beanspruchen kann, wer entsprechend handelt und lebt. […] Was in Joh 8,31–59 als Auseinandersetzung und Herausforderung ‚den Juden‘ galt, kann zur kritischen Infragestellung der Lesenden werden: Auch an ihrem Handeln und ihrer Lebensweise wird erkennbar, wessen Kinder sie sind. Ein nicht der Art Gottes entsprechendes Tun macht sichtbar, dass sie die Gotteskindschaft nicht zu Recht von sich behaupten können.“ Der Erste Johannesbrief ist ein gutes Beispiel für eine solche Lesart von Joh 8.

9.3 Die „aus Gott Gezeugten“ im Ersten Johannesbrief

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9.3.6 Die „aus Gott Gezeugten“ im Ersten Johannesbrief als Metapher auf dem Weg in die Konventionalisierung: Ergebnisse Die wiederholte Rede von den „aus Gott Gezeugten“ im Ersten Johannesbrief, entweder in der Form πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ θεοῦ oder in der Form πᾶς ὁ […] ἐκ τοῦ θεοῦ γεγέννηται (s. o. 9.3.1), wirkt in ihrem metaphorischen Potenzial abgeblasst. Dazu trägt neben den stereotypen Formulierungen vor allem bei, dass es inhaltlich vergleichbare Aussagen auch mit ἐκ τοῦ θεοῦ εἶναι statt γεν­νᾶσθαι und als Immanenzaussagen mit dem Ausdruck μένειν ἐν τῷ θεῷ bzw. reziprok als ὁ θεὸς ἐν αὐτῷ μένει gibt (s. o. 9.3.4). Ausgedrückt wird auf diese Weise eine sehr enge Beziehung der Glaubenden zu Gott. Auf den Anfangspunkt dieser Beziehung wird aber weder durch den Verweis auf ein konkretes Ereignis – sei es das Gläubig-Werden oder die Taufe 235 – näher eingegangen noch wird er durch eine entsprechende Ausgestaltung der Metaphorik in besonderer Weise hervorgehoben. Wichtig ist vielmehr das gegenwärtig von dieser Beziehung zu Gott bestimmte Leben, während ein früheres Leben, das dem Leben im Glauben vorausging, nirgendwo in den Blick kommt. Weitere Aspekte des Ursprungsbereiches Zeugung werden nur in 1 Joh 3,9 mit dem zusätzlichen Fokuswort σπέρμα aufgerufen, indem hier auf die mit der Zeugung durch den „Samen“ verbundene Prägung der Kinder durch den Vater und in Entsprechung zu dessen Eigenschaften verwiesen wird. Dass der „Samen“ in jedem „bleibt“, der „aus Gott gezeugt wurde“, verweist erneut auf die Gegenwart der Glaubenden und ihre enge Beziehung zu dem, der sie gezeugt hat (ὁ γεν­νήσας, 1 Joh 5,1 c). In dieser Bezeichnung Gottes klingt die Ähnlichkeit zur wiederholten Benennung der Glaubenden als „aus Gott gezeugt“ bzw. als „aus Gott Gezeugte“ deutlich an und verstärkt den Eindruck, der bereits aus dem stereotypen Gebrauch der Formulierung entstand, dass es sich hier um eine Art Selbstbezeichnung der johanneischen Gemeinschaft handelt.236 Diese Selbstbezeichnung lässt sich gut mit Passagen aus dem Evangelium korrelieren, in denen, wie oben gezeigt wurde (siehe 9.1–2), die Zeugungsmetaphorik (noch) in lebendigerer Weise ihr Aussagepotenzial entfaltet. 235 Überhaupt ist die Taufe ein Thema, das – wenn überhaupt, dann – an Stellen des Briefes auftritt, die mit den Belegen für Zeugungsmetaphorik in keinem solchen Zusammenhang stehen, dass sich die Zeugung als mit der Taufe verbunden zeigte. Zur Frage, ob und in welcher Weise und Intensität sich mit den Erwähnungen von χρῖσμα in 1 Joh 2,20.27 Bezüge zur Taufe auftun, äußern sich eher zurückhaltend z. B. Klauck, Johannesbrief 159 f.168; Strecker, Johannesbriefe 125–128; Painter, John 197 f. Einen deutlichen Tauf bezug sehen hier dagegen z. B. Balz, Johannesbriefe 183; Schnelle, Johannesbriefe 106; keine Verbindung zur Taufe benennt z. B. Beutler, Johannesbriefe 73. Ungleich komplexer ist die Diskussion um 1 Joh 5,6 a (οὗτός ἐστιν ὁ ἐλθὼν δι᾽ ὕδατος καὶ αἵματος, Ἰησοῦς Χριστός), die hier nicht aufgegriffen werden muss – vgl. dazu nur die umfangreichen Literaturangaben, die Strecker (Johannesbriefe 270 Anm. 1) liefert. 236 Zur Theozentrik des Ersten Johannesbriefes passt es gut, dass sich diese Quasi-Eigen­ bezeichnung auf Gott und dessen Handeln und nicht, wie etwa οἱ Χριστιανοί (vgl. Apg 11,26), auf Christus bezieht.

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9. Die johanneischen Texte

9.4 Die Andersartigkeit und Unverfügbarkeit des „aus Gott gezeugten“ Lebens: Ergebnisse der Textanalysen zu den johanneischen Texten In allen untersuchten Textabschnitten aus Evangelium und Erstem Johannesbrief hat sich bestätigt, was sich schon zuvor andeutete (s. o. 7.2.2): Mit der metaphorischen Zeugung „aus Gott“, „von oben“ oder „aus (Wasser und) Geist“ wird keine grundlegende Erneuerung innerhalb des Lebens der Glaubenden angesprochen, sondern die grundlegende Andersartigkeit dieses Lebens und dessen Prägung durch Gott überhaupt. Wie es der Ursprungsbereich Zeugung auch nahelegt, können die „aus Gott Gezeugten“ diesen Ursprung ihres wahren Lebens weder aktiv mitgestalten noch überhaupt hervorrufen wollen. Ebenso kommt ein bisheriges, dieser metaphorischen Zeugung vorausliegendes Leben in den johanneischen Texten nirgendwo in den Blick – auch nicht als ein inzwischen überwundener und der grundlegenden Erneuerung des Lebens gewichener Zustand. Ganz im Gegenteil wird für die von den johanneischen Texten angesprochenen Glaubenden vielmehr komplett negiert, dass für ihr Leben eine Zeugung „aus Blut“, „aus dem Willen des Fleisches“ und „aus dem Willen des Mannes“ von irgendwelcher Relevanz sein könnte (vgl. Joh 1,13 a). Natürlich sind die Angesprochenen wenigstens in ihrer physischen Existenz zweifellos aus einer solchen irdischen, fleischlichen Zeugung hervorgegangen. Die Aufnahme des Logos, wie sie Joh 1,12 schildert, wird vom Text aber nicht als grundlegende Erneuerung eines bisherigen Lebens profiliert, wie dies etwa in Tit 3,3–7 der Fall ist oder wie es im Zusammenspiel der metaphorischen Geburts- / Zeugungsaussagen in 1 Petr 1,3.23 mit dem Rückblick auf das frühere Leben in 1 Petr 1,14.18 geschieht.237 Die Zeugung ἐκ (τοῦ) θεοῦ (Joh 1,13; 1 Joh 3,9 u. ö.), ἄνωθεν (Joh 3,3.7) oder ἐξ (ὕδατος καὶ) πνεύματος (Joh 3,5.6.8) beschreibt demnach auch keinen Moment der Veränderung oder Erneuerung, sondern lässt in der – wiederum metaphorisch umschriebenen – Aufnahme des Logos in das eigene Leben (vgl. Joh 1,12) nur den Zeitpunkt erkennen, an dem man sich über diesen Ursprung bewusst wird. Dass man diese, das eigene Leben grundlegend bestimmende Herkunft immer erst im Nachhinein als schon vorausliegende Tat Gottes erkennt, nimmt wiederum spezifische Aspekte des Ursprungsbereiches Zeugung auf, für den ebenfalls gilt, dass die Tatsache der Zeugung erst im Nachhinein wahrnehmbar wird, die Zeugung als solche aber verborgen und dem Menschen selbst unverfügbar bleibt.238 Festmachen kann sich dieses rückblickende Erkennen der 237 Abgesehen davon, dass für παλιγγενεσία in Tit 3,5 der Aspekt der Geburt nicht notwendig den Hauptton gegenüber einer allgemeiner gefassten Entstehung trägt, findet sowohl in Tit 3,5 als auch in 1 Petr 1,3.23 nicht zufällig das Element „wieder“ einen sprachlichen Ausdruck, der zusätzlich zur Gesamtaussage auf die Gegenüberstellung einer erneu(er)ten Existenz zu einem früheren Leben verweist. In den johanneischen Schriften aber fehlt ein „wieder“, da auch ἄνωθεν in Joh 3,3.7 viel eher den Akzent „von oben“ trägt (s. o. 9.2.3).

9.4 Ergebnisse

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eigenen Herkunft „aus Gott“ vermutlich – wie es die mehrfache Betonung des Geistes in Joh 3,5.6.8 nahelegt – an Erfahrungen mit dem Wirken des Geistes, die die Glaubenden in ihrem Leben gemacht haben.239 Der Erste Johannesbrief nennt darüber hinaus noch verschiedene Verhaltensweisen, die zeigen können (und damit Vergewisserung bieten), dass jemand aus Gott gezeugt ist: nämlich, wer die Geschwister liebt (1 Joh 4,7), wer an Jesus als den Christus glaubt (1 Joh 5,1), wer die Gerechtigkeit tut (1 Joh 2,29) und nicht sündigt (1 Joh 3,9; 5,18). Insgesamt zeigt der Umgang mit der Zeugungsmetaphorik, die das Johannesevangelium in Joh 1,13 und 3,3–8 in unterschiedlicher Weise vor allem zur Profilierung der Andersartigkeit des „aus Gott“ gezeugten Lebens und zur Betonung der Unverfügbarkeit dieser Herkunft einsetzt, im Ersten Johannesbrief bereits eine starke Konventionalisierung. In den hier fast formelhaft begegnenden Formulierungen wird der initiale Aspekt einer Zeugung ἐκ (τοῦ) θε­οῦ kaum mehr wirklich metaphorisch aktiviert. Vielmehr ist das gegenwärtige Leben der Glaubenden im Blick, deren besonderes Verhältnis zu Gott sich nicht nur als ein Gezeugt-Sein aus Gott (im Perfekt!), sondern ebenso als ein „Sein“ aus Gott und als ein wechselseitiges Ineinander-Bleiben ausdrücken lässt. Dieses Leben wird, wie bereits im Evangelium, radikal von einem Leben abgegrenzt, das anderen Bindungen und Beziehungen verpflichtet ist oder sich allein irdischen Zeugungsprinzipien verdankt. Nur wer aus Gott geboren ist, lebt, d. h. wer nicht aus Gott geboren ist, kann gar nicht leben; seine Existenz hat die Qualifikation „Leben“ gar nicht verdient. […] „Leben“ – wie es die johanneische Literatur versteht – gibt es nur für diejenigen, die aus Gott geboren sind, die eine Geburt aus Gott an sich erfahren haben. Deshalb spricht der 1 Joh auch nie von einer Wiedergeburt.240

Was Dietrich Rusam hier für den Ersten Johannesbrief feststellt, gilt auch für das Evangelium: Da es nur eine Art von Leben überhaupt geben kann, gibt es in der Konsequenz der zu Verabsolutierungen neigenden johanneischen Vorstellungswelt auch nur eine Zeugung. Die dreifache Negation irdischer Zeugungsparameter in Joh 1,13 a zeigt das sehr deutlich. Die johanneischen Schriften unter der Kategorie „Wiedergeburt“ zu fassen, geht somit bereits unabhängig von aller forschungsgeschichtlichen Kritik bezüglich des unklaren Leitbegriffs (s. o. bes. Kap. 6) am Aussagegehalt der Zeugungsmetaphorik in Evangelium und Erstem Johannesbrief vorbei, die gerade kein „wieder“ kennen, sondern nur ein Entweder-oder.

238 Die Formen von γεννᾶν sind daher treffend mit „zeugen“ zu übersetzen, auch wenn diese Bedeutung sich nur in Joh 1,13 und in 1 Joh 3,9 anhand weiterer Kontextsignale direkt absichern lässt. 239 Die Taufe kann vermutlich ein solches Erlebnis sein, aber sicherlich (vgl. Joh 3,8 a) nicht das einzige (s. o. 9.2.10). 240 Rusam, Gemeinschaft 118 (siehe in verkürzter Form schon oben Anm. 23).

10. Kapitel

Neue Familie und Anteil am Erbe: Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23 im Kontext 10.1 „Wiedergeburt“ im Ersten Petrusbrief als Deutung der Taufe? Ein Blick auf die Forschungslage Der Erste Petrusbrief wurde in der älteren Forschung oft als eine erst sekundär brieflich gerahmte Taufansprache charakterisiert.1 Damit stand von vornherein fest, dass auch die Aussagen in 1 Petr 1,3.23, die davon sprechen, dass die Adressierten von Gott „wieder“ bzw. „erneut geboren / ‌gezeugt wurden“,2 als Aussagen über die Taufe zu deuten seien. Von dieser These der Taufansprache und den mit ihr verbundenen literarkritischen Operationen ist die Forschung zum Ersten Petrusbrief inzwischen seit längerem abgerückt.3 Neuere Beiträge stellen vielmehr die Problematik des Fremdseins der christusgläubig Gewordenen in der Welt und die damit verbundene Suche nach neuer Identität als leitendes Thema des Ersten Petrusbriefes ins Zentrum.4 Auch unter diesen veränderten 1 So besonders prägnant Perdelwitz, Mysterienreligion 19: „das älteste, uns erhaltene Beispiel einer altchristlichen Kasualrede“; vgl. auch Windisch, Die katholischen Briefe 76 f.​ 82; Windisch / ‌Preisker, Die katholischen Briefe 157. Von einer im Hintergrund des Ersten Petrusbriefes stehenden Tauf-Liturgie geht z. B. Boismard (Quatre hymnes) aus. Ausführlich stellt Horn (Beitrag 411–415) die Genese und Weiterentwicklung dieser Thesen in der Forschung dar. 2 Zur gegliederten Darstellungen und Übersetzung dieser Verse in ihrem unmittelbaren Textzusammenhang s. u. 10.3.1 und 10.5.1. 3 Vgl. z. B. Schrage, Petrusbrief 61 f.; Goppelt, Petrusbrief 38–40; Brox, Petrusbrief 35; Achtemeier, Peter 61.91.93; Elliott, Peter 7–9; Knoch, Petrusbrief 16; Feldmeier, Petrus 20 f. Der neueste deutschsprachige Kommentar zum Ersten Petrusbrief von Vahrenhorst geht auf diese alte literarkritische These dagegen gar nicht mehr ein. Eine Ablehnung der These von der Taufansprache und entsprechenden literarkritischen Scheidungen sagt jedoch im Einzelnen noch nichts darüber, wie die jeweiligen Ausleger einen Tauf bezug von 1 Petr 1,3 beurteilen. 4 Vgl. bes. die Monographien Elliott, Home; Feldmeier, Christen, und mehrere Sammelbände zum Thema: Feldmeier, Heiden; du Toit, Bedrängnis; Ebner / ‌Häfner / ‌Huber, Petrusbrief; vgl. aber auch schon Goppelt, Petrusbrief 41 f. Feldmeier (Petrus 29) zeigt außerdem, dass „die zentrale Bedeutung der Kategorie der Fremdlingschaft für das Sein der Christen in der Welt […] von den frühchristlichen Gemeinden über das Mönchtum in seinen verschiedensten Ausprägungen, die Erweckungsbewegungen und Erbauungsliteratur, das christliche Liedgut bis hin zu Gestalten unserer Tage“ eine große Rolle gespielt hat.

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10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

Prämissen wird in der Kommentar- und übrigen Sekundärliteratur zum Ersten Petrusbrief insbesondere für die Aussagen in 1 Petr 1,3 und 1,23 ein Bezug zur Taufe aber nach wie vor häufig hergestellt.5 Da das erste Kapitel des Ersten Petrusbriefes insgesamt die Veränderungen im Leben der Adressierten in den Blick nimmt, die sich durch deren Hinwendung zum Christusglauben ergeben haben, liegt die Annahme tatsächlich nicht fern, dass der Text damit auch Erinnerungen an die Taufe wecken konnte. Kritik ist jedoch gegenüber all jenen Auslegungen angebracht, die die metaphorische Rede vom erneuten Gezeugt- bzw. Geboren-Werdens in 1 Petr 1,3.23 ausschließlich als Umschreibungen des Taufgeschehens verstehen und diese Deutung vor allem durch einen Vergleich mit anderen neutestamentlichen „Wiedergeburts“-Texten zu begründen suchen. In den Kommentaren zum Ersten Petrusbrief zeigt sich dabei häufig eine zirkuläre Argumentation, die entsprechend auch in Kommentaren und Auslegungen zu Tit 3,5 und Joh 3,3–8 (und seltener zu Jak 1,18.21) zu beobachten ist: Für alle diese Texte wird die Taufe als der relevante Bezugs- und Deutungsrahmen etabliert, indem dazu auf die jeweils anderen Texte verwiesen wird. Konkret für den Ersten Petrusbrief heißt das: Weil in Tit 3,5 und Joh 3,3–8 mit Hilfe der Rede von „Wiedergeburt“ die Taufe metaphorisiert werde, müsse das auch für 1 Petr 1,3.23 gelten.6 Gerade der Tauf bezug steht aber für keinen der genannten Texte zweifelsfrei fest.7 Die Argumentation bietet daher weder für 1 Petr 1,3.23 noch für Tit 3,5; Joh Hervorzuheben ist hier besonders die Wahrnehmung der Thematik in sozialgeschichtlicher und politischer Zuspitzung. 5 Vgl. z. B. Goppelt, Petrusbrief 95; Brox, Petrusbrief 61 f.; Frankemölle, Petrusbrief 33.40; Knoch, Petrusbrief 42.56; Elliott, Peter 332; Donelson, Peter 53; Popp, Kunst 133.​179 u. ö.; Giesen, Gott 139.141; Williams, Doctrine 134; Ostmeyer, Taufe 150. Kosala (Taufverständnis 16) behauptet sogar: „U. E. ist der ganze Brief nur von der Tauftheologie des Vf. her zu verstehen“. Zurückhaltender beurteilt einen Tauf bezug dagegen (bes. bezüglich 1 Petr 1,23) Achtemeier, Peter 91.94; vgl. auch Schrage, Petrusbrief 70.108; etwas undeutlich in der eigenen Position bleibt Vahrenhorst, Petrus 72; ausdrücklich kritisch gegenüber einem Tauf bezug äußern sich z. B. Schweizer, Petrusbrief 24; Feldmeier, Petrus 20 u. ö.; Horn, Beitrag 411–419. 6 In den Kommentaren zu 1 Petr 1,3.23 ist besonders häufig der Hinweis auf Tit 3,5 und Joh 3,3–8 zu finden: z. B. Schelkle, Petrusbriefe 28 f.; Schrage, Petrusbrief 70; Goppelt, Petrusbrief 95; Brox, Petrusbrief 62; Frankemölle, Petrusbrief 32; Knoch, Petrusbrief 42; zu Elliott (Peter 333) vgl. ausführlicher die folgende Anmerkung. 7 Siehe 8.3.3, 9.2.6, 9.2.10 und 11.9.4. Knoch (Petrusbrief 42) dagegen bestimmt die genannten und weitere Texte alle als „verwandte Taufformeln wie: von oben / von neuem geboren werden (Joh 3,5.7), aus Gott geboren werden (Joh 1,13; 1 Joh 2,29); Wiedergeburt (Tit 3,5); (neu) gebären (Jak 1,18); zur Sache s. Eph 2,4 f; vgl. auch Röm 6,4–8.“ Elliott (Peter 333), dessen Textliste ebenfalls umfangreich ist und Joh 3,3–8; Röm 6,4; 2 Kor 5,17; Tit 3,5 f. und Jak 1,18 umfasst, die für ihn alle in die Tauf katechese der frühen Kirche gehören, räumt in seinem „General Comment“ zum gesamten Abschnitt 1 Petr 1,3–12 aber immerhin ein: „1 Peter contains only one explicit reference to baptism (3:21), but influence of this common baptismal tradition and its constellation of motifs is evident throughout the letter“ (ebd. 351).

10.1 Ein Blick auf die Forschungslage

295

3,3–8 oder Jak 1,18.21 eine stichhaltige Begründung dafür, dass allein aufgrund der jeweils gewählten Formulierung der Tauf bezug zentral zu stellen wäre. In den Forschungsbeiträgen zur Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament (s. o. Teil I) ist eine solche Engführung auf die Taufe insgesamt seltener zu beobachten. Die alte Forschungsthese vom Ersten Petrusbrief als Taufansprache wird nirgends rezipiert. Gerade die älteren Autoren postulieren kaum einen Tauf bezug von 1 Petr 1,3.23,8 während erst die neueren Beiträge deutlich häufiger in diese Richtung tendieren.9 Dabei wird die Taufe auch hier in der Regel nur als ein Bezugspunkt im insgesamt umfassenderen Bekehrungsgeschehen gesehen.10 Diese Textwahrnehmung ist zweifellos zutreffend, denn weder in 1 Petr 1,3 noch in 1 Petr 1,23 noch im unmittelbaren Kontext dieser beiden Stellen lassen sich eindeutige Hinweise auf die Taufe finden. Jens Herzer bringt es so auf den Punkt: „Wo in 1 Petr von Wiedergeburt die Rede ist (1,3.23; 2,2), begegnet keine Taufterminologie und umgekehrt.“ 11 Die Taufe wird innerhalb des Ersten Petrusbriefes überhaupt nur in 1 Petr 3,20 f. ausdrücklich erwähnt.12 Auch dort liefert der Brief freilich keine umfassende Tauftheologie, sondern wehrt in erster Linie die Meinung ab, dass die Taufe das „Fleisch“ von Beschmutzung reinige. Die Sintflutgeschichte dient dabei als Typos für die Taufe, wobei in der Kürze der Anspielung die vielen Eigenheiten der im Hintergrund zu erahnenden Vorstellung andeutungshaft bleiben. So ist zum Beispiel die Rolle des Wassers auffällig, denn in der Sintflut bringt es eigentlich das Verderben. 1 Petr 3,20 formuliert dagegen, dass Noah und die Seinen „durch das Wasser gerettet wurden“ (διεσώθησαν δι’ ὕδατος) und schließt hier den Vergleich mit der Taufe an. Ungewöhnlich ist auch die Bedeutung, die dem „guten Gewissen“ (συνείδησις ἀγαθή) in 1 Petr 3,21 im Kontext der Taufe und der mit ihr verbundenen Rettung zugemessen wird. Dieser Zug des Textes wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Hinzu kommt, dass 1 Petr 3,21 auch syntaktisch schwierig ist und schon daher verschiedene Möglichkeiten der Deutung bietet. Insgesamt weist 1 Petr 3,20 f. somit auffällige Eigenheiten im Verständnis der Taufe auf,13 die davor warnen sollten, aus anderen neutestamentlichen Texten einzutragen, was in 1 Petr 3,20 f. für ein vollständiges Bild von Taufe fehlt. Eine Deutung von 1 Petr 1,3.23 im Zusammenhang mit der Taufe stellt daher auch methodisch vor besondere Herausforderungen, denn gerade der Blick auf 1 Petr 3,20 f. zeigt, dass ein allzu einheitlich rekonstruiertes frühchristliches Verständnis von Taufe mit jenen Vorstellungen, die sich hinter dem Ersten Petrusbrief erahnen lassen, gerade nicht in allen Punkten konform geht.

8 So

ausdrücklich nur Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 152, und Goppelt, Wiedergeburt 1698. Söding, Wiedergeburt 194; Manns, La théologie 109 u. ö.; Bae, Wiedergeburt 94 f.; Popkes, Wiedergeburt 10; Frey, Wiedergeburt 1530; Bosetti, Parola 323 f. 10 Anders und sehr einseitig auf Taufe orientiert bleiben dagegen vor allem Manns und partiell auch Bosetti (siehe die vorangehende Anm.). 11 Herzer, Petrus 218. Dass auch 1 Petr 2,2 zu den Stellen zähle, in denen von „Wiedergeburt“ die Rede sei, wird im Folgenden (s. u. 10.6) allerdings kritisch zu beurteilen sein. 12 Zu Forschungspositionen, die allein aufgrund der Formulierung διʼ ἀναστάσεως Ἰησοῦ Χριστοῦ, die sowohl in 1 Petr 3,21 als auch in 1 Petr 1,3 begegnet, den Bezug von 1 Petr 1,3 auf die Taufe für gegeben halten, s. u. Anm. 59 und den zugehörigen Haupttext. 13 Vgl. zur kontroversen Diskussion um das Verständnis der Taufe anhand von 1 Petr 3,20 f. bes. Herzer, Petrus 197–215; Ostmeyer, Taufe 145–161; Vahrenhorst, Petrus 159–165. 9 Vgl.

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10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

Ein weiterer Strang innerhalb der Forschung zum Ersten Petrusbrief sieht den Gebrauch von ἀναγεννᾶν / ‌ἀναγεννᾶσθαι in 1 Petr 1,3.23 nicht allein auf die (christliche) Taufe bezogen, sondern will diese spezifische Terminologie aus religionsgeschichtlichen Parallelen herleiten. Hier spielen besonders die Mysterienkulte eine wichtige Rolle. Die genauere Betrachtung der wenigen verfügbaren Informationen über die Initiationsriten in den Mysterien 14 führt in der neueren Literatur zum Ersten Petrusbrief wie auch in den Beiträgen zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament weitgehend zu einer Ablehnung direkter Abhängigkeiten.15 Vor allem in der älteren Kommentarliteratur wird dagegen auch eine positivere Bezugnahme postuliert. Häufig wird dann jedoch eine Übernahme der Begrifflichkeit aus den Mysterien ohne tiefere Bezugnahme auf die vermuteten Inhalte behauptet. So drückt es besonders deutlich Wolfgang Schrage im Hinblick auf den Gebrauch von „wiedergeboren“ in 1 Petr 1,3 aus: „Die Verwandtschaft dieser Ausdrucksweise zur Sprache und Vorstellungswelt hellenistischer Mysterienkulte, die das Sterben des alten und die Geburt eines neuen Menschen verhießen, ist unbestreitbar. Der Sinn ist freilich ein anderer.“ 16 Was mit einer solchen vermuteten Übernahme einer Ausdrucksweise ohne den zugehörigen Inhalt für die Deutung des Ersten Petrusbriefes gewonnen sein soll, bleibt allerdings ebenso fraglich, wie die Beweisbarkeit einer solchen Übernahme überhaupt. Schrage selbst nennt für die Herkunft der Vorstellung einer „Wiedergeburt“ aus den Mysterien keinen einzigen Beleg.17 Neben den spärlich vorhandenen Quellen zur Initiation in den Mysterien macht auch das in 1 Petr 1,3.23 gebrauchte Verb ἀναγεννᾶν / ‌ἀναγεννᾶσθαι, das nur hier im Neuen Testament begegnet, Herleitungsversuche schwierig, denn es handelt sich um ein Verb, das auch sonst 14 Zum möglichen Einfluss der Mysterien auf die Vorstellung von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament und zur Frage verfügbarer Quellen siehe ausführlich schon oben Kap. 2–3, partiell auch 5.2, 5.8–9 und 5.11, und zusammenfassend die Einleitung zu Teil II. 15 So bereits Brox, Petrusbrief 62; später dann u. a. Achtemeier, Peter 94 Anm. 19; Elliott, Peter 332, und Vahrenhorst, Petrus 72 Anm. 67. Mit einem allgemein im zeitgeschichtlichen Kontext kursierenden „Wiedergeburts“-Gedanken rechnet innerhalb der aktuellen Forschung zum Ersten Petrusbrief vor allem Feldmeier (Petrus 85; ders., Wiedergeburt 79 f.; s. o. 5.8), betont aber zugleich, dass eindeutige Bezüge zu den Mysterien schwer auszumachen seien. 16 Schrage, Petrusbrief 70; ähnlich optiert auch Schelkle, Petrusbriefe 29 f.; in der neueren Forschung auch Popp, Kunst 135. 17 Mit der Rückführung der Rede von „Wiedergeburt“ auf Vorstellungen aus Qumran vertritt Goppelt sowohl in seinem RGG-Artikel zur „Wiedergeburt“ (s. o. 4.2) als auch in seinem Kommentar zum Ersten Petrusbrief eine weitere religionsgeschichtliche Option: „Das Reden von einer Wiedergeburt in 1 Petr 1,3 geht demnach auf einen Motivzusammenhang aus dem Selbstverständnis der Qumrangemeinde [siehe 1 QH XI,19–23] zurück. […] Der den hellenistischen Menschen fremde Terminus ‚Neuschöpfung‘ wurde durch den allgemein verständlichen Begriff ‚Wiedergeburt‘ ersetzt. Diese Anpassung wurde durch die innerchristliche Tradition vom Sohnesverhältnis der Getauften zu Gott dem Vater gefördert (vgl. Gal 4,6 f.28 f.), obgleich beide Vorstellungen von Hause aus voneinander unabhängig sind“ (Goppelt, Petrusbrief 94). Zur Kritik an dieser Herleitung s. o. 4.2.

10.1 Ein Blick auf die Forschungslage

297

höchst selten ist. Neben dem Ersten Petrusbrief ist es nur an zwei weiteren Stellen belegt: Josephus benutzt ἀναγεννᾶσθαι in Bell. 4,484 im Zusammenhang mit der Beschreibung des verwüsteten Sodomiterlandes und der sogenannten Sodomsäpfel: „Man erzählt, […] dass die Schatten der fünf Städte (noch) zu sehen sind, außerdem auch die Asche, die in jenen Früchten aufs Neue erzeugt wird (ἔτι δὲ κἀν τοῖς καρποῖς σποδιὰν ἀναγεννωμένην), die zwar eine Farbe haben, die essbaren (Früchten) gleicht, die sich aber in Rauch und Staub auf lösen, wenn sie mit der Hand gepflückt werden.“ Seit der wissenschaftlichen Erschließung der Herculaneum-Papyri gibt es für das Verb außerdem einen weiteren Beleg bei Philodemus, von dem allerdings nur die Buchstaben ΑΝΑΓΕΝ[.]Α[. . . . .] sicher erhalten sind.18 Da der Kontext ebenfalls lückenhaft bleibt, lässt sich über das Bedeutungsspektrum jedoch kaum etwas ermitteln.19

Ob und, wenn ja, welche tauftheologischen oder anderen traditions- und religionsgeschichtlichen Vorgaben die Lektüre des Ersten Petrusbriefes gegen Ende des 1. Jahrhunderts lenken konnten, ist somit kaum sicher zu ermitteln. Für die folgende Analyse von 1 Petr 1,3.23 ergibt sich daraus die Aufgabe, die Geburts- / ‌Zeugungsmetaphorik in 1 Petr 1,3.23 zuerst und vor allem im vorliegenden Textzusammenhang des Briefes zu erklären. Dabei ist die Metaphorik vor allem auch in Verbindung mit der bereits erwähnten Fremdheits- und Identitätsthematik wahrzunehmen,20 die den ganzen Ersten Petrusbrief inhaltlich bestimmt (s. o.). Zu zeigen wird sein, dass der metaphorische Einsatz von ἀνα­ γεννᾶν / ἀναγεννᾶσθαι in diesem Rahmen der Begründung einer neuen Beheimatung für die Adressierten dient, die durch ihr Christusgläubig-Werden ihrer alten Welt und ihren einstigen sozialen Bezügen entfremdet wurden. Es legt sich daher nahe, noch vor der genaueren Analyse der Verse 1 Petr 1,3.23 in ihrem Kontext einen Blick auf die Konstruktion der vom Brief Adressierten und deren Situation zu werfen. 18 Philodemus,

De ira 2,19. Indelli, Philodemus 106–108. 20 „Identität“ ist hier nur ein beschreibungssprachlicher Behelf, um das Gemeinte mit einem Wort auszudrücken; es handelt sich dabei um kein quellensprachliches Konzept; vgl. ausführlicher zur „Identitätskonstruktion im Ersten Petrusbrief “ und zur Nutzbarmachung sozial- und kulturwissenschaftlicher Identitätstheorien für die Auslegung den gleichnamigen Aufsatz Gudrun Guttenbergers. Insgesamt spielt die Geburts- / ‌Zeugungsmetaphorik aus 1 Petr 1,3.23 allerdings eine überraschend geringe Rolle in Guttenbergers Analyse der Identitätskonstruktion (vgl. Guttenberger, Identitätskonstruktion 112). Wenig präzise nimmt Guttenberger hier vor allem die aus der „Wiedergeburts“-Forschung einschlägigen Texte aus den johanneischen Schriften, aus Mt 19,28 und Tit 3,5 wahr, die im Aufsatz den Bezug auf die Taufe begründen sollen. Diesen Tauf bezug will Guttenberger schließlich u. a. auch mit Röm 6,4 und 2 Kor 5,17 stützen, die sie (neben Jak 1,18) als Belege dafür anführt, dass die „Metapher der Geburt […] frühchristlich breit an die Taufe gebunden“ sei (ebd.). Weder Röm 6,4 noch 2 Kor 5,17 reden aber von Geburt, der Tauf bezug von 2 Kor 5,17 (und von Jak 1,18) ist ebenfalls nicht explizit vorhanden. Bemerkenswert ist an dieser Inanspruchnahme von Texten vor allem, dass hier einmal nicht – wie so oft in der Forschungsgeschichte festzustellen war (s. o. Kap. 2–6) – die Geburts- / ‌Zeugungsmetaphorik mit Schöpfungsmetaphorik überschrieben, sondern umgekehrt die Schöpfungsmetaphorik von 2 Kor 5,17 unter Geburt subsumiert wird. Zutreffender ist das allerdings nicht. 19 Vgl.

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10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

10.2 Die Konstruktion der Adressierten im Ersten Petrusbrief Wer sind eigentlich jene, die der (fiktive) Verfasser 21 des Ersten Petrusbriefes als Wiedergeborene bzw. Wiedergezeugte anspricht? Ein erstes Rätsel gibt deren Lokalisierung διασπορᾶς Πόντου, Γαλατίας, Καππαδοκίας, Ἀσίας καὶ Βι­θυ­νί­ας (1 Petr 1,1) auf. Diskutiert werden in der Forschung hierzu vor allem folgende Fragen: Sind Provinzen oder Landschaften gemeint? Warum werden Pontus und Bithynien aufgezählt, die doch eine Doppelprovinz bildeten, und warum stehen sie dann weit auseinandergerückt am Anfang und am Ende der Aufzählung? Gibt die Reihenfolge den Weg eines Briefüberbringers wieder? Hat der Verfasser überhaupt konkrete Gemeinden im Blick?22

Für die Untersuchung der Metaphorik interessieren all diese Fragen jedoch weniger als die Frage danach, wie die (fiktiven) Adressierten vom (ebenfalls fiktiven) Verfasser entworfen werden. Gleich im ersten Satz der Eulogie (1,3), mit der der Brief nach dem Präskript (1,1–2) einsetzt, preist der Verfasser Gott als den, „der uns erneut geboren / g‌ ezeugt hat“ (ἀναγεννήσας ἡμᾶς). Während er sich selbst und die Adressierten hier noch in einem verbindenden ἡμεῖς zusammenschaut, wechselt dies bereits im nächsten Vers zu einer den Brief fast vollständig dominierenden 2. Person Plural.23 Diese bestimmt auch die zweite Textstelle, in der Geburts- / Z ‌ eugungsmetaphorik begegnet. Anders als in 1 Petr 1,3 beschreibt der Verfasser in 1 Petr 1,23 mit ἀναγεγεννημένοι nur noch die Situation seiner Adressatinnen und Adressaten und bezieht sich selbst nicht mehr mit ein. Das lässt rückblickend auch für 1 Petr 1,3 vermuten, dass dort von einem Geschehen die Rede ist, das für den Ersten Petrusbrief im Wesentlichen ein die Adressierten betreffendes ist. Bestätigt wird dies in 1 Petr 1,4: Das Erbe, das neben der lebendigen Hoffnung eine zweite Folge des ἀναγεννᾶν durch Gott ist, wird nur noch als „für euch auf bewahrt“ geschildert. Das „Wir“ in 1 Petr 1,3 dagegen verdankt sich vermutlich dem Interesse an einem inkludierenden Anfang, der Absender und Adressierte gemeinsam in den Lobpreis Gottes einstimmen lässt,24 dann jedoch schnell einer ausschließlich auf die Adressierten gerichtete Perspektive weicht. Wie die in Einst-Jetzt-Schemata gefassten oder als Lasterkatalog gestalteten Rückblicke auf die Vergangenheit der Adressierten zeigen (vgl. 1,14; 2,10 25 21 Mit dem Gros der Auslegungen wird hier nicht von einer tatsächlichen Verfasserschaft des Petrus ausgegangen, sondern unbestimmter von einem (durch die Petrus-Fiktion männlich zu imaginierenden) Verfasser gesprochen. 22 Vgl. zum gesamten Fragenkomplex ausführlicher u. a. Brox, Petrusbrief 25 f.; Feldmeier, Petrus 33 f.; Schmidt, Mahnung 193–197; Guttenberger, Passio 70–77. 23 Nur in 1 Petr 2,24 begegnet innerhalb des Christushymnus zweifach die vermutlich aus der Bekenntnistradition übernommene 1. Person Plural und in 1 Petr 4,17 ein ἀφ’ ἡμῶν, das ebenfalls allgemeinerer Art ist. 24 Vgl. auch Feldmeier zum Wechsel der Personen: „Dies dient der Intensivierung der Anrede“ (Petrus 42).

10.2 Die Konstruktion der Adressierten im Ersten Petrusbrief

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und 4,3), werden sie vom Brief als Menschen mit nicht-jüdischer Herkunft entworfen. Die Rückblicke verwenden topisches Material, das auch aus anderen neutestamentlichen Schriften (vgl. z. B. Kol 3,5–8) bekannt ist. Es ist trotz dieser Textabschnitte, die deutlich eine pagane Vergangenheit der Adressierten vor Augen stellen, dennoch nicht auszuschließen, dass es in den Gemeinden, in denen der Erste Petrusbrief kurz nach seiner Abfassung gelesen wurde, Christusgläubige jüdischer Herkunft gab.26 Der Brief differenziert hier aber nicht. Ebenso wenig kommt in den Blick, dass es bei einer Entstehungszeit des Ersten Petrusbriefes, der der Mehrheitsmeinung nach in die 80er oder frühen 90er Jahre (d. h. in die Regierungszeit Domitians) zu datieren ist,27 auch Menschen gegeben haben wird, die bereits in christusgläubige Familien hineingeboren wurden und für die der Rückblick auf die heidnische Vergangenheit genauso wenig wie für die Gemeindemitglieder jüdischer Herkunft eine eigene Erfahrung darstellte. Entscheidend für die Lektüre des Briefes ist aber nicht, dass die mit Hilfe von Geburt / Zeugung evozierte religiöse Wende für alle Rezipientinnen und Rezipienten tatsächlich so stattgefunden hat. Vielmehr kommt es auf die metaphorische Beschreibung und gleichzeitige theologische Deutung dieses Umbruchs an, als hätte es ihn gegeben. Im Folgenden wird zu zeigen sein, wie die metaphorische Rede von einem erneuten Gezeugt- bzw. Geboren-Sein hier ihr Potenzial entfalten kann. Genaugenommen muss im Folgenden daher immer dort, wo von den Adressierten die Rede ist, das Adjektiv fiktiv mitgedacht werden. Für den Verfasser ist durch die Petrus-Fiktion dagegen eine jüdische Abstammung impliziert.28 Durch das durchgängige ὑμεῖς gerät diese Verschiedenheit der religiösen Herkunft jedoch nicht als Differenz zwischen Absender und Adressierten in den Blick,29 wiewohl das Verhältnis der aus dem Bereich der 25 Tachau bestimmt anhand formaler Merkmale nur 1 Petr 2,10 (ebenso wie 1 Petr 2,25) als Einst-Jetzt-Schema, während er 1 Petr 1,14 nur als „ähnlich“ klassifiziert (Einst 12). 26 So u. a. auch Feldmeier, Petrus 29; Brox, Petrusbrief 25. 27 Vgl. z. B. Gielen, Petrusbrief 524 f., und Schrage, Petrusbrief 64. Die Regierungszeit Trajans mit einschließend votiert dagegen Vahrenhorst (Petrus 40 und 50 f.) für den größeren Zeitraum zwischen den Jahren 81 und 117; ähnlich auch Frankemölle, Petrusbrief 15. 28 Sie muss deswegen nicht mit der tatsächlichen ethnisch-religiösen Herkunft des realen Briefautors übereinstimmen. Zumindest, dass der Verfasser wie Petrus ein „palästinischer Judenchrist“ war, ist angesichts der Tatsache, dass er sich „bei biblischen Anspielungen und Zitaten fast ausnahmslos am Wortlaut der Septuaginta […] orientiert“ (Gielen, Petrusbrief 516), aber unwahrscheinlich. Vgl. auch Doering (Volk 107), der „einen in der Schrift bewanderten, aber zugleich mit christlichen, insbesondere ‚judenchristlichen‘, und (wie auch immer vermittelten) jüdischen Traditionen vertrauten realen Autor“ vermutet. „Dafür muss er selbst nicht unbedingt geborener Jude gewesen sein.“ 29 Insgesamt klingt im Brief wenig „Persönliches“ von „Petrus“ überhaupt an; vgl. Schmidt, Mahnung 186: „Nur an wenigen Stellen leuchtet die individuelle Biographie des Petrus durch. Er ist Apostel (vgl. 1 Petr 1,1), Mitältester und Zeuge der Leiden Christi (vgl. 1 Petr 5,1). Über die Gegenwart des Apostels erfährt man sonst fast nichts“. Siehe zur Autorfiktion ausführlich auch Doering, Apostle.

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10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

Heiden stammenden Christusgläubigen zum Gottesvolk im Brief eine wesentliche Rolle spielt. Nicht nur die im Folgenden näher zu untersuchende Rede von ἀναγεννᾶν / ‌ἀναγεννᾶσθαι (s. u. 10.3 und 5) bietet eine metaphorische Nä­ her­bestimmung dieses Verhältnisses. Bereits im Präskript greift die Anrede der Adressierten als ἐκλεκτοί, die durch die Bezeichnung als „auserwählte Fremdlinge in der Zerstreuung“ (ἐκλεκτοῖς παρεπιδήμοις διασπορᾶς, 1,1) noch ergänzt wird, Israelterminologie auf.30 Damit wird ein Rahmen eröffnet, der erst in 1 Petr 2,9 f. seinen Abschluss findet, wo die Adressierten unter anderem als „auserwähltes Geschlecht“ und „heiliges Volk“ bezeichnet werden.31 Dass die Geburts- / ‌Zeugungsmetaphorik nur innerhalb dieses Rahmens begegnet und sich dort von 1 Petr 1,3–5 über 1,14–19 bis 1,23–25 und 2,2 erstreckt,32 ist sicherlich kein Zufall, sondern verweist darauf, dass das Konzept Geburt / ‌Zeugung und die Vorstellung von „Erwählung“ interagieren und gemeinsam zur Situationsdeutung für die (fiktiven) Adressierten beitragen.33 Zugleich ist mit der Charakterisierung der Adressierten als παρεπίδημοι die in der Sicht des Ersten Petrusbriefes untrennbar mit der Erwählung verbundene Kehrseite angesprochen, die die Adressierten zu Fremden in ihrer einstmals vertrauten Umgebung macht (4,4),34 die deshalb Verleumdungen ausgesetzt sind und als Christen (vgl. 4,16: ὡς Χριστιανός) leiden müssen, wie es erstmals bereits in 1 Petr 1,6 anklingt.35 Zum Erdulden dieser Leiden aufzurufen, ja sie 30 So z. B. auch Doering, Volk 106: „Der 1 Petr überträgt in starkem Maße Kategorien Israels auf die Adressaten“; vgl. auch Klein, Bewährung 407–409. Vgl. zum Bedeutungsspektrum von διασπορά ausführlicher die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Präskript des Jakobusbriefes (s. u. 11.2). 31 Ausführlicher dazu s. u. 10.7. 32 1 Petr 1,14–19 und 2,2 sind dabei nicht als Instanziierungen des Ursprungsbereiches Geburt / ‌Zeugung zu verstehen, sondern elaborieren verwandte Sinnbereiche metaphorisch (mehr dazu s. u. 10.4, 10.6 und 10.8). 33 Auch im Folgenden geht es bei jeder Nennung der Adressierten genau genommen immer um die vom Brief entworfenen Adressierten als fiktive Briefempfänger, nicht um reale Erst- oder Zweitleser bzw. -hörer des Briefes. Wer den Ersten Petrusbrief direkt nach seiner Abfassung tatsächlich gelesen hat, ist aus gegenwärtiger Sicht einerseits nicht mehr zu ermitteln, andererseits aber auch für die Lektüre des Briefes nicht notwendig zu wissen. Wesentlich ist vielmehr, dass der Brief Menschen anspricht, die als solche vorgestellt werden, die vor kurzem aus nicht-jüdischem Kontext heraus christusgläubig geworden sind. 34 So auch Gielen, Petrusbrief 517. 35 1 Petr 4,16 wird viel diskutiert hinsichtlich einer Spezifizierung der Leiden, denen die Adressaten des Ersten Petrusbriefes ausgesetzt sind. Gefragt wird, ob ein Leiden ὡς Χρισ­ τιανός auf Denunzierung und behördliche Verfolgung schließen lässt, wie sie etwa in der Korrespondenz zwischen Plinius und Kaiser Trajan bezeugt ist. Dann wären auf diese Weise vielleicht Hinweise für eine genauere Datierung des Briefes gefunden (s. o. Anm. 27). Vermutlich wird 1 Petr 4,16 damit aber zu viel Beweislast aufgebürdet. Denn es ist zu erwägen, dass diese Spezifizierung des Leidens ὡς Χριστιανός im Brief deshalb so spät kommt, weil anfangs erst die Eingliederung der christusgläubigen Heiden in das Gottesvolk beschrieben wird und das Leiden aufgrund ihrer Erwählung. Nachdem dies zugrunde gelegt ist und mit

10.3 Ὁ θεὸς ὁ ἀναγεννήσας ἡμᾶς: 1 Petr 1,3–5

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positiv als Zeichen des gerade im Leid gegenwärtigen Heils zu deuten,36 ist ein zentrales Anliegen des Ersten Petrusbriefes (vgl. 2,19; 3,14.17 u. ö.). Für die im Folgenden zu analysierende Metaphorik spielt die Thematik des Leidens jedoch nur am Rand eine Rolle.

10.3 Ὁ θεὸς ὁ ἀναγεννήσας ἡμᾶς: 1 Petr 1,3–5 10.3.1 Kontextuelle Verortung der metaphorischen Aussage Die Aussage, dass Gott die im Ersten Petrusbrief Adressierten „erneut geboren“ bzw. „erneut gezeugt“ habe (1 Petr 1,3),37 steht im Kontext der Eingangseulogie des Briefes (1,3–12). Syntaktisch bilden die Verse 1 Petr 1,3–12 einen einzigen großen Satzzusammenhang. Den engeren Kontext für 1 Petr 1,3 stellt 1 Petr 1,3–5 dar: 3 a Εὐλογητὸς ὁ θεὸς καὶ πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ   3 b ὁ κατὰ τὸ πολὺ αὐτοῦ ἔλεος   ἀναγεννήσας ἡμᾶς   3 c εἰς ἐλπίδα ζῶσαν    διʼ ἀναστάσεως Ἰησοῦ Χριστοῦ    ἐκ νεκρῶν,   4 a εἰς κληρονομίαν ἄφθαρτον καὶ   ἀμίαντον καὶ ἀμάραντον   4 b τετηρημένην ἐν οὐρανοῖς εἰς    ὑμᾶς     5 a τοὺς ἐν δυνάμει θεοῦ φρουρουμένους   διὰ πίστεως 5 b εἰς σωτηρίαν ἑτοίμην ἀποκαλυφθῆναι 5 c ἐν καιρῷ ἐσχάτῳ

Gelobt (sei) der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus,   der uns aus seinem großen Erbarmen  heraus erneut geboren / gezeugt hat   zu einer lebendigen Hoffnung    durch die Auferstehung Jesu Christi    von den Toten,   zu einem unvergänglichen und unbefleck  ten und unverwelklichen Erbe,    das auf bewahrt ist in den Himmeln   für euch,    die ihr mit der Kraft Gottes bewahrt werdet   durch Glauben für die Rettung, die bereit ist offenbart zu werden in der letzten Zeit

Mit 1 Petr 1,5 c endet der Satz zwar noch nicht, es lässt sich aber eine Zäsur erkennen.38 In den folgenden Versen, die bis einschließlich 1 Petr 1,12 syntakdem Christusvorbild im Leiden (2,21–24) und weiteren Ermahnungen zum Erdulden verbunden wurde, kann nun, am späteren Ort, von einem Leiden „als Christ“ die Rede sein. Unter diesen Leiden sind weniger staatlich organisierte Verfolgungen zu verstehen, als vielmehr die alltäglichen Probleme und Anfeindungen unter den „Bedingungen einer familiären, nachbarschaftlichen, kommunalen Aggression gegen die Minderheit der ‚Diaspora‘-Christen (1,1)“ (Brox, Petrusbrief 31). 36 Vgl. ähnlich Vahrenhorst, Petrus 147: „wer ‚ungerechtfertigter Weise‘ leidet, der darf sich schon in der Gegenwart glücklich preisen, denn er steht auf der richtigen Seite“; siehe auch Feldmeier, Christen 146. 37 Zur schwierigen Entscheidung zwischen einer Übersetzung mit „zeugen“ oder „gebä­ ren“ s. u. 10.3.2. 38 In der 27. Auf lage des Nestle-Aland wird hier tatsächlich ein Punkt gesetzt, die 28. Auf-

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tisch eng miteinander verknüpft bleiben,39 kommt bereits die schon erwähnte Bewährung des Glaubens im Leiden in den Blick (1,6–7; s. o. 10.2), zugleich aber auch das Jubeln (ἀγαλλιᾶν, 1,6.8) über die σωτηρία, die bereit liegt (1,5 bc) und als Ziel (1,9 f.) klar vor Augen steht. Denn das, was die Propheten nur voraussehen konnten – dass nämlich der „Geist Christi in ihnen“ auf die Zeit des Leidens und die nachfolgende Herrlichkeit Christi vorausweist (1,10 f.) –, ist es, das „nun“, in der Gegenwart, den Adressierten verkündigt wurde (ἃ νῦν ἀν­ ηγ­γέλη ὑμῖν διὰ τῶν εὐαγγελισαμένων ὑμᾶς ἐν πνεύματι ἁγίῳ ἀποσταλέντι ἀπ᾽ οὐρανου, 1,12). Auf deutliche Weise wird also auch im Proömium bereits die missionierende Verkündigung angesprochen, die die Adressierten zum Glauben brachte und auf die dann erneut in 1 Petr 1,23–25 Bezug genommen wird (s. u. 10.5). 10.3.2 Zeugung oder Geburt? Gott als πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ und als ὁ ἀναγεννήσας ἡμᾶς in 1 Petr 1,3 a.b Das Subjekt des in 1 Petr 1,3 beginnenden Satzes ist Gott. Er kommt zuerst passiv in den Blick als der, der gelobt sein soll bzw. gelobt ist (εὐλογητός, 1 Petr 1,3 a),40 und zwar als ὁ θεὸς καὶ πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ. Schon in 1 Petr 1,2 wurde Gott als θεὸς πατήρ tituliert und 1 Petr 1,3 a somit vorbereitet. In 1 Petr 1,17 wird der Gedanke von Gott als Vater dann nochmals ausdrücklich aufgegriffen (καὶ εἰ πατέρα ἐπικαλεῖσθε […]) und fortentwickelt. Darauf wird nach der Analyse von 1 Petr 1,3 im engeren Kontext nochmals zurückzukommen sein (s. u. 10.4). Vorerst aber geht es um 1 Petr 1,3 b und die Rolle, die Gott dort zugeschrieben wird. Erlaubt es die eben anhand von 1 Petr 1,2.3 a.17 festgestellte Betonung Gottes als Vater auch, das Verb ἀναγεννᾶν, das für sich genommen sowohl „erneut zeugen“ als auch „erneut gebären“ bedeuten kann, in 1 Petr 1,3 b auf „erneut zeugen“ festzulegen? So verfährt mit eben dieser Begründung Martin Vahrenhorst („von Neuem gezeugt“).41 Auch Reinhard Feldmeier, Otto Knoch und Norbert Brox übersetzen vergleichbar,42 ohne diese Entscheidung jedoch intensiver zu diskutieren. Im Kommentartext reden alle drei Kommentatoren dann sowohl von „Neuzeugung“ als auch „Wiedergeburt“.43 Paul J. Achtemeier belage korrigiert diese im Hinblick auf die ältesten Handschriften ohnehin sekundäre Zeichensetzung dagegen (vgl. für den Ersten Petrusbrief insbesondere 𝔓72) und markiert ein Satzende erst mit Abschluss von 1 Petr 1,9. 39 1 Petr 1,6 z. B. schließt relativisch mit ἐν ᾧ an 1 Petr 1,5 an (siehe zur Frage der Satzstrukturierung schon die vorige Anmerkung). Auch die weiteren Verse des Proömiums bilden vor allem durch relativische Bezüge dieser Art ein dichtes Text-Geflecht. 40 Da kein Verb im Teilsatz vorhanden ist, lässt sich nicht sicher sagen, ob er indikativisch oder imperativisch zu verstehen sein soll. Beides ist möglich. 41 Vahrenhorst, Petrus 72. 42 Vgl. Feldmeier, Petrus 42–44; Knoch, Petrusbrief 41 f., und Brox, Petrusbrief 59–61. 43 Vgl. ähnlich auch Michaels (Peter 15.17 f.) und Elliott (Peter 328), die in 1 Petr 1,3 b zwar „gave us new birth“ bzw. „caused us to be born again“ übersetzen, im Kommentartext aber ebenfalls unentschieden bleiben.

10.3 Ὁ θεὸς ὁ ἀναγεννήσας ἡμᾶς: 1 Petr 1,3–5

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gründet seine Präferenz für „begetting anew“ dagegen mit dem Verweis auf 1 Petr 1,23 und die dortige Erwähnung von σπορά, woraus für ihn offensichtlich auch die Bedeutung in 1 Petr 1,3 rückwirkend festgelegt wird.44 Völlig unentschieden zwischen „divine rebirthing“, „begetting again“, „new birth“, „rebirth or regeneration“ etc. bleibt Martin Williams, obwohl er das entsprechende Kapitel unter die Überschrift „Rebirthed unto salvation“ stellt.45 Wolfgang Schrage wiederum verfährt in Übersetzung und Kommentar einheitlich und redet ausschließlich von „wiedergeboren“ bzw. „Wiedergeburt“, auch er allerdings ohne Diskussion anderer Optionen.46 Auch Leonhard Goppelt deutet 1 Petr 1,3 b als „zweite Geburt“.47 Noch anders verfährt Eduard Schweizer in seiner Auslegung von 1 Petr 1,3, indem er ausdrücklich die Doppeldeutigkeit des Verbs betont und diese dann unter dem gemeinsamen Dach von „Neuschöpfung“ adäquat wiedergegeben sehen will,48 obwohl weder in 1 Petr 1,3 noch im ganzen Brief jemals von „Neuschöpfung“ die Rede ist. Heinz Giesen argumentiert dagegen für eine Wiedergabe mit „neu zeugen“, indem er auf den „total neuen Anfang“ und den „Geschenkcharakter“ verweist, den eine Übersetzung mit „wiedergebären“ abschwächen würde.49 Dass eine Geburt jedoch in geringerem Maße die Setzung eines neuen Anfangs und das Geschenk des Lebens verdeutlichen könne als eine Zeugung, ist keineswegs plausibel – vielmehr nur eine Frage der Perspektive – und liefert keine stichhaltige Begründung für diese Übersetzungsentscheidung.

Tatsächlich bietet der Text unterschiedliche Ansatzmöglichkeiten, die eine sichere Entscheidung über die zutreffende Übersetzung von 1 Petr 1,3 b schwierig machen: Syntaktisch ist zuerst zu beachten, dass πατήρ in 1 Petr 1,3 a nicht allein steht, sondern als Zusatz zu ὁ θεός. Im folgenden Teilsatz 1 Petr 1,3 b bezieht sich ἀναγεννήσας durch die Wiederholung des Artikels ὁ daher auf die gesamte Phrase in 1 Petr 1,3 a: ὁ θεὸς καὶ πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χρισ­τοῦ. Das Partizip ἀναγεννήσας ist also syntaktisch nicht exklusiv mit dem Vater verbunden, sondern beschreibt allgemeiner ein Handeln Gottes, der laut 1 Petr 1,3 a zwar der (metaphorische) Vater Jesu Christi ist, damit aber noch nicht notwendig der (metaphorische) Vater der Adressierten. Hinzu kommt, dass die vorangehenden Vaterprädikationen Gottes – einmal offener als θεὸς πα­τήρ in 1 Petr 1,2, einmal spezifischer als πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χρισ­­­τοῦ – frühchristlich bereits geläufig und in ihrer Metaphorik daher abgeblasst sind.50 Mit anderen Worten wird hier bei den damaligen Leserinnen und 44 Achtemeier,

Peter 94 Anm. 18. Doctrine 127–137. Unbestimmt bleibt das Verhältnis z. B. auch bei Popp (Kunst 135), der in den wechselnden Bezeichnungen – wie so viele andere – keine näher zu erörternde Frage sieht: „Die mit seiner [sc. Gottes] Vaterschaft und Barmherzigkeit verknüpfte Metapher der Wiedergeburt expliziert sein Heilshandeln auf eindrückliche Weise. Die Wiedergeburt ist kein Akt der Glaubenden, sondern Gott hat die Christinnen und Christen neu gezeugt“ (Hervorhebungen hinzugefügt). 46 Schrage, Petrusbrief 69 f. 47 Goppelt, Petrusbrief 92 (Hervorhebung hinzugefügt). 48 „Er hat uns ‚wiedergeboren‘, genauer: ‚neu gezeugt‘ (so auch 1,23!). […] Neuschöpfung ist Zeugung und Geburt!“ (Schweizer, Petrusbrief 24). 49 Giesen, Gott 141. 50 Die Vatermetaphorik für Gott, die bereits alttestamentlich begegnet und neutestamentlich eine deutliche Verstärkung erfährt (vgl. Lk 11,2 par. etc.), darf auch bei den Rezipien45 Williams,

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Lesern kein intensiver metaphorischer Interaktionsprozess in Gang gesetzt, der mögliche Aspekte des Konzeptes Vater erst mit dem Konzept Gott abgleicht, um die Aussage verstehen zu können. Dennoch wird vermutlich die Vaterrolle zuerst einmal die Wahrnehmung der metaphorischen Aussage in 1 Petr 1,3 b dominieren, indem man in die Lektüre von 1 Petr 1,3 b durch eine doppelte Prädikation Gottes als „Vater“ in 1 Petr 1,2 und 1,3 a hineingeführt wird. Πατήρ kann als Fokuswort in den durch ἀναγεννᾶν aufgerufenen Ursprungsbereich einbezogen werden, der sich dann als Zeugung bestimmen lässt, die Zuordnung ist aber nicht eindeutig, d. h. sie könnte durch die weitere Lektüre auch noch einmal modifiziert werden.51 Schaut man auf den Fortgang des Satzes in 1 Petr 1,3 c–5, so gibt es dort zwar ebenfalls keine eindeutigen Signale, die den Ursprungsbereich deutlicher festlegen könnten, die Perspektive wechselt aber und nimmt nun diejenigen in den Blick, die Gott erneut geboren / g‌ ezeugt hat: Und zwar hat Gott sie „erneut geboren / ‌gezeugt zu einer lebendigen Hoffnung“ (εἰς ἐλπίδα ζῶσαν, 1,3 c) und „zu einem unvergänglichen Erbe“ (εἰς κληρονομίαν ἄφθαρτον, 1,4 a). Damit rückt stärker das mit der Geburt sichtbar begonnene Leben in den Blick, denn Hoffnung kann sich nur dort realisieren, das Erbe ist für die Angesprochenen sogar erst „in den Himmeln auf bewahrt“ (τετηρημένην ἐν οὐρανοῖς εἰς ὑμᾶς, 1,4 b). Nichts deutet hier darauf hin, dass mit Hilfe von Zeugungsmetaphorik eine Veranlagung 52 der Adressierten zur Hoffnung beschrieben werden soll. Auch für das Erbe-Sein ist im antiken Rahmen viel eher die Eingliederung eines Kindes in den Sozialzusammenhang der Familie bei der Geburt entscheidend als die (letztlich immer auch unsicher bleibende) Herkunft qua Zeugung.53 Ruft ten des Ersten Petrusbriefes als bekannt vorausgesetzt werden (vgl. konkret zur Prädikation Gottes als πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ Röm 15,6; 2 Kor 1,3; 11,31; Eph 1,3). Die Belege für Gott als Vater, die diese Vaterschaft nicht ausdrücklich auf Christus beziehen, sind noch deutlich zahlreicher. 51 Auch biblisch ist Gott keineswegs auf eine väterliche Rolle festgelegt: In Jes 42,14 schreit Gott z. B. wie eine Frau in Wehen. In der Rolle einer Hebamme begegnet Gott in Ps 22,10 f. In Ps 2,7 schließlich führt die Doppeldeutigkeit des hebräischen ‫( ילד‬LXX: γεννᾶν) zu ebenso unterschiedlichen Übersetzungsmöglichkeiten, wie dies in 1 Petr 1,3 für das göttliche ἀναγεννᾶν der Fall ist (s. o. 7.3). Dass Vahrenhorst (Petrus 72 Anm. 67) Ps 2,7 daher als Begründung für die Übersetzung von (ἀνα)γεννᾶν mit „zeugen“ anführt, ist nicht wirklich beweiskräftig. 52 Siehe zu diesem Aspekt des Konzeptes Zeugung bereits ausführlicher oben 9.1.3 und nochmals unten 10.5.2. 53 Dabei sollte man aufgrund der sehr offenen Adresse des Ersten Petrusbriefes nicht zu stark an bestimmte, vor allem im Bereich des römischen Rechts bekannte Regelungen denken, nach denen der Vater das auf den Boden gelegte Neugeborene erst (im doppelten Sinne) aufnehmen musste, damit es als sein rechtmäßiges Kind gelten konnte (vgl. dazu u. a. Eyben, Sozialgeschichte 324). Zu beachten ist aber, dass der tatsächlichen Aufnahme eines Neugeborenen in einen Familienzusammenhang auch erbrechtlich entscheidendes Gewicht zukam, einer (damals) nie sicher nachzuweisenden Zeugung dagegen keines. Vgl. dazu auch Seim, Motherhood 99, und Gerber, Father 956: „The term ,father‘ (πατήρ) designates a

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das Fokuswort ἀναγεννήσας daher – von der doppelten Prädizierung Gottes als πατήρ in 1 Petr 1,2 und 1,3 a her beeinflusst – zuerst eher den Ursprungsbereich Zeugung auf, so wird durch den Fortgang des Textes der Fokus stärker auf die Sozialzusammenhänge dieses neu entstandenen Lebens gelenkt.54 Der Ursprungsbereich weitet sich also spätestens mit 1 Petr 1,3 c auch auf Geburt aus. Idealerweise müsste eine Wiedergabe des Textes im Deutschen daher die Offenheit des griechischen ἀναγεννήσας in beide Richtungen wahren.55 Da das mit Hilfe eines einzigen Wortes nicht möglich ist, wird im Folgenden die Angabe beider Übersetzungsmöglichkeiten beibehalten und sachlichen Gründen damit der Vorrang vor sprachlicher Eleganz gegeben. 10.3.3 Die erste Folge der erneuten Zeugung / ‌Geburt: „Lebendige Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi“ (1 Petr 1,3 c) Mit εἰς wird anschließend an ἀναγεννήσας ἡμᾶς in 1 Petr 1,3 c erläutert, wohin die (in der Vergangenheit liegende) erneute Zeugung / G ‌ eburt der Adressaten als Erstes führt: εἰς ἐλπίδα ζῶσαν διʼ ἀναστάσεως Ἰησοῦ Χριστοῦ ἐκ νεκρῶν. Das ist eine überraschende Aussage. Vom Ursprungsbereich her wäre zu erwarten, dass aus Zeugung und Geburt Leben folgt. Der Text in 1 Petr 1,3 c wandelt Leben aber ab zu „lebendiger Hoffnung“. Durch die Modifikation des zu Erwartenden wird ausgedrückt, worauf es bei dem durch Gott „erneut gezeugten / ‌geborenen“ Leben besonders ankommt: auf Leben, das seine vollständige Fülle erst noch erhofft. Mit ἐλπίς wird eine Zukunftsebene in den Text eingezogen, die auch im Ursprungsbereich der Metaphorik durchaus vorhanden ist: Geburt / ‌Zeugung beschreibt den Anfang des Lebens, noch nicht seine Entfaltung. Die Aussage in 1 Petr 1,3 c macht mit Hilfe der metaphorischen Aussage somit deutlich: Jenes Leben, das die Adressierten schon jetzt durch die erneute Zeugung / ‌Geburt durch Gott haben, ist Leben, das in begründeter Hoffnung auf seine Entfaltung und Fülle lebt.56 relation between a man and one or several children. Lasting for a lifetime, this relation is characterized by asymmetrical exclusiveness and biological descent: A child has only one father (despite the fact that the father is semper incertus). Fatherhood, though primarily a biological relation, is determined by social and cultural factors“. 54 Das gilt vor allem auch für 1 Petr 1,14–19: s. u. 10.4. 55 Die in den Kommentaren häufig festzustellende Unentschiedenheit zwischen „wiedergeboren“ und „wiedergezeugt“ (s. o. Petit-Abschnitt) kann als ein Ausdruck dieser Textbeobachtung gelten, wirkt oft allerdings eher zufällig, da eine Begründung für den Wechsel in der Übersetzung meist fehlt. 56 Die meisten Kommentare und Untersuchungen verlassen die metaphorische Deutungsebene dagegen bereits, indem sie unter Loslösung vom durch ἀναγεννήσας aufgerufenen Ursprungsbereich nach der Bedeutung von ἐλπὶς ζῶσα fragen; so z. B. Williams, Doctrine 154: „The hope that Peter is talking about, then, is resurrection hope“. Vgl. auch Schweizer, Petrusbrief 25: „Sie [sc. die Hoffnung] ist kein Besitz, den man vorzeigen kann und jederzeit in der Hand hat, und ist doch reale Wirklichkeit, die ein Menschenleben und dessen ganze Umgebung verändern kann.“ Die so erzielten Deutungen sind in der Regel zwar auf

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Auffälligerweise wird nicht gesagt, worin diese Hoffnung genau besteht bzw. worauf gehofft wird.57 Das ergibt sich vielmehr indirekt aus der Beschreibung, worauf die Hoffnung gründet: Hoffnung gibt es – so sagt es die unmit­ tel­bar anschließende präpositionale Wendung – „durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.“ 58 Das Leben, das Gott den Glaubenden durch die erneute Zeugung / G ‌ eburt gibt, ist mit diesem Verweis auf Jesu Tod und Auferstehung noch in einer zweiten Weise gekennzeichnet, die aus dem Ursprungs­ bereich allein nicht ableitbar ist: Es ist Leben, das den Tod überwindet; es ist Leben, das „bleibt“. Dass hierin ein Verweis auf die Taufe liege, weil auch der einzige explizite Taufverweis im Brief in 1 Petr 3,21 mit der identischen Formulierung δι᾽ ἀναστάσεως Ἰησοῦ Χριστοῦ endet, wie es in manchen Auslegungen vertreten wird,59 ist nicht stichhaltig. Vor allem Herzer hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Bezug dieser Wendung jeweils eher in dem zu suchen ist, was direkt zuvor steht.60 In 1 Petr 1,3 c begründet der Verweis auf die Auferstehung daher – wie schon gesagt – die Hoffnung,61 in 1 Petr 3,21 motiviert sie die an Gott gewandte Bitte um ein gutes Gewissen.62 Weder „Wiedergeburt“ noch Taufe geschehen von den Formulierungen her also „durch die Auferstehung Jesu Christi“; die nicht vorhandene Parallelität der Aussagen gibt daher auch keinen Anlass zur Identifikation von „Wiedergeburt“ mit Taufe. Damit ist keineswegs ausgeschlossen, dass das, was 1 Petr 1,3 mit ἀναγεννήσας ἡμᾶς metaphorisch umschreibt, bei den Adressierten als Erinnerung an ihre Taufe gelesen und gehört werden konnte. Da es der Aussage in 1 Petr 1,3–5 aber keineswegs nur um ein punktuelles Ereignis, sondern vielmehr um die Folgen des so entstandenen Lebens geht, wäre eine Engführung auf den Akt der Taufe der Intention des Textes nur bedingt entsprechend.

Diese Unvergänglichkeit des erneut geborenen Lebens wird in 1 Petr 1,3 vorerst nur angedeutet. An späterer Stelle, in 1 Petr 1,23, wird dieses Thema dagegen einer allgemeinen Ebene durchaus nachvollziehbar, beschreiben damit aber teilweise (siehe Williams) nur Einzelaspekte des vom Text mit seiner Metaphorik beschriebenen Lebens oder hätten mit Rückbezug auf die Metaphorik leichter erklärt werden können (siehe Schweizer). 57 Vgl. zu einer möglichen Erklärung dieser Unbestimmtheit auch unten in Anm. 68 den Hinweis auf Wolter. 58 Achtemeier (Peter 95) betont in diesem Zusammenhang besonders die Differenz dieser in der Auferstehung Jesu Christi gründenden christlichen Hoffnung zu „futile hope“, die somit auch unterschieden sei von einem gemein-antiken Verständnis von Hoffnung als „merely an assertion in the face of despair“ (ebd. 94 f.). Der Text selbst verweist allerdings nicht ausdrücklich auf eine solche Differenz. 59 Vgl. z. B. Frankemölle, Petrusbrief 33; Schweizer, Petrusbrief 24 f.; Knoch, Petrusbrief 42; Bosetti, Parola 323 f.; vgl. etwas zurückhaltender, dennoch aber die Brücke zur Taufe in 1 Petr 3,21 schlagend auch Michaels, Peter 20. 60 Vgl. Herzer, Petrus 219. 61 Herzer (Petrus 219 f.) paraphrasiert 1 Petr 1,3 daher wie folgt: „Gott hat uns nach seinem reichen Erbarmen wiedergeboren zu einer Hoffnung, die auf Grund der Auferstehung Jesu Christi von den Toten die Perspektive des Lebens begründet“. 62 Zwar betont auch Elliott, Peter 334: „The phrase ,through the resurrection of Jesus Christ‘ is linked most immediately with ,living hope‘“. Er bezieht die Phrase dann aber doch auf alle Aussagen zuvor und danach (335) und behauptet auf diese Weise ebenfalls eine Verbindung zur Taufe in 1 Petr 3,21 a.

10.3 Ὁ θεὸς ὁ ἀναγεννήσας ἡμᾶς: 1 Petr 1,3–5

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mit dem Fokuswort ἀναγεγεννημένοι, das einen klaren Rückverweis auf 1 Petr 1,3 darstellt, mit Hilfe eines zweiten Fokuswortes, σπορά, und einer weiteren, den Ursprungsbereich wiederum überschreitenden Ergänzung, σπορὰ ἄφθαρ­ τος, weiter elaboriert (s. u. 10.5). Als „unvergänglich“ wird aber im unmittelbaren Kontext von 1 Petr 1,3 das erhoffte und bereitliegende Erbe im folgenden Vers qualifiziert. 10.3.4 Die zweite Folge der erneuten Zeugung / ‌Geburt: „Unvergängliches Erbe in den Himmeln“ (1 Petr 1,4 f.) Dem Wirken Gottes, der die Adressierten erneut gezeugt / g‌ eboren hat, wird in 1 Petr 1,4 mit einem weiteren εἰς eine zweite Folge asyndetisch angeschlossen: ὁ ἀναγεννήσας […] εἰς κληρονομίαν ἄφθαρτον καὶ ἀμίαντον καὶ ἀμάραντον. Gleich dreifach wird das verheißene Erbe näher bestimmt. Das erste und dritte dieser Epitheta, die alle mit einem alpha privativum anlauten,63 führen das bereits in 1 Petr 1,3 mit der Auferstehung Jesu von den Toten begonnene Thema des Lebens fort, das den Tod überwindet.64 Außerdem wird ein weiterer Aspekt des Ursprungsbereiches Geburt / ‌Zeugung aktualisiert: Durch die erneute Geburt / ‌Zeugung erlangen die Adressaten als Kinder 65 einen Anspruch auf das Erbe.66 Allerdings ist das Erbe „in den Himmeln“ für sie auf bewahrt, es ist gegenwärtig also noch nicht verfügbar. Auf den damit beschriebenen eschatologischen Charakter des Erbes verweisen die meisten Kommentare.67

63 Vgl.

ausführlicher zu diesen drei Attributen u. a. Klein, Bewährung 431. letzte der drei Adjektive, ἀμάραντος, ist im Griechischen insgesamt selten (vgl. LSJ s. v.) und kommt im Neuen Testament nur hier vor (vgl. nur noch 1 Petr 5,4 mit dem verwandten ἀμαράντινος). Eine Fabel Aesops über die gleichnamige Pflanze Amarant und die Rose gibt den Bedeutungsgehalt gut wieder: Der Amarant bewundert und beneidet die Rose für ihren Duft und ihre Schönheit. Die Rose verweist darauf hin auf ihr kurzes Leben, im Vergleich zu dem die nie endende Blüte und bleibende Frische des Amarants viel erstrebenswerter erscheint (σὺ δὲ ἀνθεῖς ἀεὶ, καὶ ζῇς οὕτω νέον, Fabulae 384). 65 Dass die Adressierten durch den sie erneut gebärenden / zeugenden Gott zu dessen Kindern werden, bleibt vom Text allerdings unausgesprochen; aber s. u. 10.4 zu dieser Zuspitzung der Metaphorik auf das „Wie-Kinder-Sein“ der Adressierten in 1 Petr 1,14. 66 Dass die Rede vom Erbe nicht notwendig eine metaphorische Geburtsaussage voraussetzt, ist im Zusammenhang mit Tit 3,7 bereits thematisiert worden (s. o. 8.3.4). Vgl. zu 1 Petr 1,4 a vor allem Eph 1,14 mit dem Verweis auf die κληρονομία, die den Adressierten im Zusammenhang mit ihrem Gläubig-Werden (πιστεύσαντες, Eph 1,13) zugesprochen wird. Das „Erbe“ wird dort aber nicht mittels Geburtsmetaphorik mit dem Bekehrungsgeschehen in Verbindung gebracht, sondern durch die „Versiegelung mit dem heiligen Geist“, der als „Angeld unseres Erbes“ bezeichnet wird (ἐσφραγίσθητε τῷ πνεύματι […] τῷ ἁγίω ὅ ἐστιν ἀρρα­ βὼν τῆς κληρονομίας ἡμῶν). 67 Goppelt (Petrusbrief 96) sieht vor allem durch das alpha privativum der drei Epitheta den Hinweis auf den eschatologischen Charakter des Erbes gegeben: „Was das Eschaton bringt, kann vom Innerweltlichen her immer nur via negationis beschrieben werden.“ 64 Das

308

10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

Auffällig ist wiederum, dass – wie schon bei ἐλπίς in 1 Petr 1,3 c – nicht genau gesagt wird, worin das Erbe besteht.68 Für die nähere Bestimmung dessen, was durch κληρονομία in 1 Petr 1,4 metaphorisiert wird, ist also zuerst der nähere Kontext zu konsultieren: Partiell parallel ist die Konstruktion in 1 Petr 1,5 bc, die daher auch ein Licht auf 1 Petr 1,4 werfen kann:69 Dort werden durch einen partizipialen Anschluss die von Gott Gezeugten und Geborenen näher bestimmt als die, die „mit der Kraft Gottes durch Glauben bewahrt werden zur Rettung“. Diese Rettung wird wiederum präzisiert als „Rettung, die bereit ist, offenbart zu werden in der letzten Zeit“: 4 ab εἰς κληρονομίαν […], τετηρημένην 5 bc εἰς σωτηρίαν ἑτοίμην ἀποκαλυφθῆναι

ἐν οὐρανοῖς εἰς ὑμᾶς ἐν καιρῷ ἐσχάτῳ

Diese Zusammenschau legt nahe, das in den Himmeln auf bewahrte Erbe in en­gem Zusammenhang mit jener Rettung zu sehen, die für die Adressierten bereit liegt.70 Der Teilvers 1 Petr 1,5 c beschreibt das Noch-Ausstehen der Rettung zeitlich; 1 Petr 1,4 b lokalisiert das Erbe an einem Ort, der gegenwärtig ebenfalls noch nicht zugänglich ist.71 Damit kommt eine weitere konzeptuelle Metapher ins Spiel, die Zeit als Raum, bzw. konkreter: zukünftige Ereignisse als entfernten Raum darstellt. Damit wird vom Text in doppelter Weise deutlich gemacht, dass die Fülle des Lebens, seine Unvergänglichkeit, das Erbe und die Rettung noch ausstehen: Zum einen geschieht dies durch die Geburts- / ​ Zeugungsmetaphorik, von der hier besonders der zeitliche Aspekt des sich von der Geburt an erst entwickelnden Lebens wichtig wird und die außerdem weitergeführt wird in der metaphorischen Rede vom Erbe, das konzeptionell ebenfalls eine zeitliche Erstreckung zwischen Zusage und späterer Einlösung 68 So auch Achtemeier, Peter 95: „the content of the inheritance is not defined here“. Nach Wolter (Entwicklung 29) kann darin auch ein Hinweis auf den bereits vollzogenen (oder sich vollziehenden) Übergang von einer Bekehrungs- zu einer Traditionsreligion gesehen werden, in der der Inhalt der eschatologischen Hoffnung nicht mehr notwendig benannt werden muss, da er inzwischen zum enzyklopädischen Wissen der Glaubenden gehört. Wolter diskutiert diese Veränderungen allerdings nur im Hinblick auf die paulinische Theologie und deren Modifizierung in den deuteropaulinischen Briefen, nicht in Bezug auf den Ersten Petrusbrief. 69 Vgl. zu dieser Entsprechung auch Vahrenhorst, Petrus 76. 70 Vgl. Goppelt, Petrusbrief 96: „Das Erbe ist […] nach dem parallelen Kontext V. 5 die σωτηρία, das ‚Heil‘.“ 71 Zur Rechten Gottes, ἐν οὐρανοῖς, ist gegenwärtig vielmehr nur Christus zu verorten: vgl. 1 Petr 3,22. Ob mit dem Auf bewahrungsort „in den Himmeln“ in 1 Petr 1,4 auch ein Ort beschrieben werden soll, an dem das Erbe besonders sicher vor Zerstörung ist, wie Michaels meint (Peter 21: „safe from damage and decay“; vgl. ähnlich auch Vahrenhorst, Petrus 74 f., mit Rückgriff auf Calvin), bleibt meines Erachtens spekulativ. Die Texte Mt 6,19 f. par. Lk 12,33, die Michaels hier anführt, können das zumindest kaum überzeugend belegen. Denn sie unterscheiden sich zum einen in ihrer gesamten Pragmatik, mit der die Adressierten zu einem aktiven „Schatz-im-Himmel-Sammeln“ aufgefordert werden (vgl. Mt 6,20: θησαυρίζετε δὲ ὑμῖν θησαυροὺς ἐν οὐρανῷ), deutlich von 1 Petr 1,4 f. Zum anderen entspricht das Konzept Schatz keineswegs dem Konzept Erbe.

10.3 Ὁ θεὸς ὁ ἀναγεννήσας ἡμᾶς: 1 Petr 1,3–5

309

beinhaltet. Zum anderen wird das Noch-Ausstehen der verheißenen Heilsgüter mit der Verortung des Erbes ἐν οὐρανοῖς und somit durch die eben benannte räumliche Metapher verdeutlicht.72 Zwei weitere Stellen im Ersten Petrusbrief sprechen ebenfalls vom Erben: 1 Petr 3,9 ist dabei wenig erhellend für den Zusammenhang in 1 Petr 1,3–5. Hier wird festgestellt, dass die Adressaten berufen seien, Segen zu erben (ἐκλήθητε ἵνα εὐλογίαν κληρονομήσητε). Diese spezifische Zuspitzung erklärt sich aus dem dortigen Kontext, in dem die Briefempfänger aufgefordert werden, nicht Böses mit Bösem zu vergelten etc., sondern zu segnen. Erben ist hier metaphorisch eher abgeblasst für „in Zukunft erhalten“ gebraucht. Kurz zuvor, in 1 Petr 3,7, werden die Ehemänner ermahnt, ihre Frauen als Miterbinnen (συγ­κληρονόμοι) der Gnade des Lebens (χάρις ζωῆς) zu achten.73 Hier greift der Erste Petrusbrief in abgewandelter Form ein Syntagma auf, das auch in anderen neutestamentlichen Schriften ähnlich zu finden ist: „das (ewige) Leben zu erben“ (ζωήν αἰώνιον κληρονομεῖν, vgl. Mk 10,17 par. Lk 18,18; Lk 10,25; Mt 19,29). Nahe liegt dann auch, wie zum Beispiel Michaels ausführlich darstellt, der Gedanke an Texte wie 1 Kor 6,9 f.; 15,50; Gal 5,21; Mt 25,34 (vgl. auch Eph 5,5; Jak 2,5), die die βασιλεία τοῦ θεοῦ als den Inhalt des Erbes bezeichnen.74 Dennoch bleibt festzuhalten, dass 1 Petr 1,4 das „Erbe“ gerade nicht ausdrücklich in diesem Sinne näher bestimmt.

Neben den möglichen kontextuellen Bezügen, die sich innerhalb des Ersten Petrusbriefes und unter Einbeziehung weiterer neutestamentlicher Aussagen zum Erbe anbieten, ist aber vor allem auch die alttestamentliche Prägung des Begriffs nicht zu vergessen. Aus der Fülle der Schriftbezüge, die der Erste Petrusbrief aufweist, lässt sich schließen, dass dieser bei seinen fiktiven Adressatinnen und Adressaten, auch wenn er deren heidnische Vergangenheit mehrfach betont, eine gute Schriftkenntnis voraussetzt. Die Erwähnung der κληρονομία ruft dann aber zweifellos Gottes Verheißung des Landes zum Erbbesitz (‫)נַ ֲח ָלה‬ Israels in Erinnerung (vgl. Num 26,52–56; Dtn 4,37 f. u. ö.).75 Dem hebräischen Wort ‫ נַ ֲח ָלה‬entspricht in der Septuaginta in der Regel das Nomen κληρονομία oder abgeleitete Formen.76 72 Die Zeit als Raum-Metapher spielt im Ersten Petrusbrief insgesamt allerdings eine wesentliche geringere Rolle als z. B. im Epheserbrief, vgl. ausführlich Rantzow, Christus. 73 Dass nicht nur Söhne, sondern auch Töchter erbberechtigt sind, was alttestamentlich nur als Sonderfall galt (vgl. Num 27,1–11), verändert sich zwar unter hellenistisch-römischem Einfluss (vgl. Gerber / ‌Vieweger, Erbe 114), hat aber auch im Römischen Reich noch nicht zu einer wirklichen Gleichstellung der Töchter geführt: „Töchter hatten prinzipiell Anteil am Erbe, erhielten aber nicht unbedingt genau so viel wie ihre Brüder“ (ebd. 115). Die ausdrückliche Ausweitung des Erbes auf die Frauen, die 1 Petr 3,7 formuliert, ist für die damaligen Hörerinnen und Leserinnen des Briefes auch in ihrer Rückwirkung auf die Metaphorik in 1 Petr 1,4 daher nicht unerheblich (das betont bes. Howe, Name 288). 74 Vgl. Michaels, Peter 20. 75 Diese Sicht ist vor allem in den neueren Kommentaren präsent: vgl. z. B. Elliott, Peter 335; Feldmeier, Petrus 47 f.; Vahrenhorst, Petrus 74 f., aber auch schon Achtemeier, Peter 96. In älteren Kommentaren (z. B. Windisch, Goppelt, Frankemölle, Michaels, Knoch) sucht man einen Hinweis auf die ‫ נַ ֲח ָלה‬dagegen oft vergeblich. 76 Vgl. Vahrenhorst, Petrus 74.

310

10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

Zu einseitig wird dieser Rückbezug des Textes auf das Konzept des Erbbesitzes allerdings von Brox gedeutet, wenn er behauptet: „Die Vorstellung vom ‚auf bewahrten Erbe‘ stammt aus der atl.-jüdischen Land- bzw. Paradieserwartung, nicht – wegen der ‚Wiedergeburt‘ (V 3) – aus der Assoziation an Familie und Erbbeziehung.“ 77 Ein Ausspielen der alttestamentlichen Prägung von κληρονομία gegen das metaphorische Konzept des Erbe(n)s, das in enger Verbindung mit dem in 1 Petr 1,3 aufgegriffenen Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung steht, ist aber weder nötig, noch wird eine solche Sicht dem Text gerecht. Brox verkennt vielmehr die Leistung der Geburts- / ​Zeugungsmetaphorik, die gerade erst begründet, warum die als ursprünglich heidnisch geschilderten Adressierten in die Verheißung der ‫  נַ ֲח ָלה‬/ ‌κληρονομία an Israel einbezogen sein können: Sie sind durch Gottes Wirken erst hineingeboren in diese „Erbengemeinschaft“.

Auch die Figur, die alttestamentlich am Anfang aller Landverheißungen steht, nämlich Abraham,78 spielt im Ersten Petrusbrief eine wichtige Rolle.79 In 1 Petr 3,6 wird er namentlich erwähnt,80 aber Abraham ist auch ohne direkte Namensnennung als der prototypische Fremde im Ersten Petrusbrief präsent: Das biblisch seltene Wort παρεπίδημος für den Fremden, der zeitweilig und ohne Bürgerrecht vor Ort lebt,81 begegnet in der Septuaginta nur zweimal: in Gen 23,4 LXX zusammen mit dem ebenfalls im Ersten Petrusbrief verwendeten πάροικος in Bezug auf Abraham und in Ps 38,13 LXX in Bezug auf die Fremdheitserfahrung der Väter.82 Neutestamentlich gibt es nur drei Belege: Neben Hebr 11,13 (auch dort auf die Patriarchen bezogen) sind dies die Verse 1 Petr 1,1 und 2,11, die zur Charakterisierung der Lage der Adressaten dienen. In 1 Petr 2,11 wird dabei ausdrücklich auf die spezifische Zusammenstellung von πάροικος und παρεπίδημος aus Gen 23,4 LXX zurückgegriffen. Beschrie77 Brox,

Petrusbrief 62. Verheißung des Landbesitzes wird auf die Patriarchen, bes. auf Abraham zurückgeführt (vgl. Dtn 6,10)“ (Friedrich, κληρονομέω 741). Auf Gen 12 und Abraham verweist z. B. auch Williams (Doctrine 155) ausdrücklich, stellt dann jedoch keine Verbindung zur Rolle Abrahams im Ersten Petrusbrief überhaupt her. 79 Ein Bezug auf Abraham ist für den Ersten Petrusbrief möglicherweise nicht nur wegen seiner gleich noch näher zu schildernden alttestamentlichen Beschreibung als „Fremder“ wichtig, sondern auch insofern für die Argumentation stützend, als er im frühen Judentum als Vater der Proselyten galt: „Abraham eröffnete durch seine Beschneidung im Alter von 99 Jahren allen Menschen die Möglichkeit, Proselyten zu werden (Mekh Sh 101 b) und machte auch selbst viele zu Proselyten (Ber R 39,14). Er gilt daher als Vater der Proselyten (Tan B 32 a) und als Stammvater aller Nationen (b Shab 105 a)“ (Schmitz, Abraham 383). Als solcher könnte Abraham (ebenso wie Sara) sich auch für die aus dem paganen Bereich stammenden Glaubenden, die durch die Erwählung und die Zeugung / ‌Geburt durch Gott in das Gottesvolk eingegliedert werden, als besonders geeignete Vorbildfigur eignen. 80 Im Zusammenhang mit der Ermahnung der Ehefrauen innerhalb der Haustafel geht es hier allerdings weniger um Abraham als um seine Frau Sara, die als besonderes Beispiel der geforderten Unterordnung dargestellt wird. 81 Vgl. Feldmeier, Christen 8–12. 82 Vgl. 1 Petr 1,17; 2,11. Vgl. zum Konzept, das sich alttestamentlich und frühjüdisch-hellenistisch mit παρεπίδημος und πάροικος verbindet, und dazu, wie es metaphorisch verwendet wird, ausführlich Feldmeier, Christen 39–74. 78 „Die

10.3 Ὁ θεὸς ὁ ἀναγεννήσας ἡμᾶς: 1 Petr 1,3–5

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ben wird mit diesem intertextuellen Bezug auf Abraham und auf seinen Status als Fremdling in 1 Petr 2,11 (und auch in 1 Petr 1,1) allerdings nicht so sehr die konkrete rechtliche Lage der Adressierten – auch wenn mit konkreten Repressalien aus ihrem Umfeld zu rechnen ist, die auch zu Eigentumsverlust bzw. Verlust von Geschäfts- und somit Lebensgrundlagen führen konnten –,83 sondern vielmehr noch geht es um „die Distanz zu bzw. den Konflikt mit der Mitwelt als Folge der Erwählung durch Gott und die Zugehörigkeit zu dessen Volk“.84 Wie schon beschrieben (s. o. 10.1–2), zeigt sich hier die Doppelseitigkeit der Erwählung, die die Adressierten in gesellschaftliche Entfremdung einerseits und neue Beheimatung andererseits führt. Die Rede von der κληρονομία […] τετηρημένη ἐν οὐρανοῖς εἰς ὑμᾶς stellt sich vor dem geschilderten traditionsgeschichtlichen Hintergrund als eine Verheißung dar, die gerade für die Adressaten des Ersten Petrusbriefes als Fremde wie Abraham gilt und ihnen zukünftig eine Heimat verheißt, während sie gegenwärtig fremd sind. Blickt man genauer auf die Entsprechungen zwischen der Geschichte Abrahams und der der Adressaten, dann lässt sich eine Spiritualisierung und Eschatologisierung dieser Geschichte feststellen. Während Abraham auf Gottes Ruf hin aus seiner Heimat wegzieht und schließlich als Fremder in dem Land weilt, das später Israels Besitz sein wird, sind die Adressaten des Ersten Petrusbriefes aufgrund der Erwählung Gottes an den Orten zu Fremden geworden, wo sie zuvor etabliert und integriert waren. Ihr Auszug aus der alten Heimat ist ein spiritueller. Ihr Erbe wird auch nicht das Land sein, in dem sie nun als Fremde (bzw. eher als Entfremdete) leben, sondern es ist „in den Himmeln auf bewahrt“ (1,4 b). In Form der lebendigen Hoffnung und der Bewahrung im Glauben bestimmt das, was ihnen am Ende der Zeiten als Erbe zugesagt ist, bereits gegenwärtig ihr Leben. Sie sind durch ihre erneute – und zwar metaphorische – Geburt schon jetzt Erben.85 83 Vor allem Elliott hat die sozialgeschichtliche Komponente des Terminus πάροικος stark gemacht und gegen eine vorschnelle metaphorisch-spirituelle Deutung des Ersten Petrusbriefes verteidigt. Seiner Meinung nach beschreibt πάροικος die reale „social condition of the addressees“ (Home 24). Insgesamt bleibt die konkrete (Leidens-)Situation der Adressaten aber entsprechend der weitgefassten Anrede offen für verschiedene Interpretationen. Deutlich werden eher Verleumdungen (siehe 1 Petr 2,12; 3,16) und ähnliche Konfliktsituationen, weniger die konkreten Lebensumstände. Auch die insgesamt breitere Wortbedeutung von πάροικος steht gegen die einseitige Interpretation Elliotts als Hinweis auf den „sozialen Status als Nicht-Bürger (mit den entsprechenden rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Nachteilen)“ – so die Kritik von Feldmeier, Christen 206; siehe insgesamt die Auseinandersetzung mit Elliotts Ansatz ebd. 203–210. 84 Feldmeier, Petrus 34. 85 Ganz ähnlich auch Vahrenhorst, Petrus 74: „Die Glieder der Gemeinde sind in dieser gegenwärtigen Welt Fremde, weil ihre naḥalah an einem anderen Ort ist. Sie wird nämlich ‚in den Himmeln‘ auf bewahrt. Damit werden die Jenseitigkeit und die Zukünftigkeit betont, allerdings ohne das Diesseits und die Gegenwart zu vergessen, denn das Erbe ist ja schon vorhanden.“

312

10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

10.4 Gehorsam dem Vater gegenüber: Die Fortschreibung der Metaphorik in 1 Petr 1,14–19 Der Abschnitt 1 Petr 1,14–21, der nach einem Übergangssatz (1,13) direkt auf das Proömium folgt,86 greift in mehreren Punkten auf die Metaphorik von 1 Petr 1,3 zurück und entwickelt sie weiter.87 Besonders interessieren im Folgenden die Verse 1 Petr 1,14–18, von denen 1 Petr 1,19 syntaktisch nicht zu trennen ist. In der Textwiedergabe sind jene Fokuswörter kursiv hervorgehoben, die den Ursprungsbereich Vater-Kind-Relation aufrufen:88 14 ὡς τέκνα ὑπακοῆς μὴ συσχηματιζόμενοι ταῖς πρότερον ἐν τῇ ἀγνοίᾳ ὑμῶν ἐπιθυμίαις, 15 ἀλλὰ κατὰ τὸν καλέσαντα ὑμᾶς ἅγιον καὶ αὐτοὶ ἅγιοι ἐν πάσῃ ἀναστροφῇ γενήθητε, 16 διότι γέγραπται· ἅγιοι ἔσεσθε, ὅτι ἐγὼ ἅγιος.   17 a καὶ εἰ πατέρα ἐπικαλεῖσθε   17 b τὸν ἀπροσωπολήμπτως    κρίνοντα κατὰ τὸ ἑκάστου ἔργον, 17 c ἐν φόβῳ τὸν τῆς παροικίας ὑμῶν χρόνον ἀναστράφητε 18 εἰδότες  ὅτι οὐ φθαρτοῖς, ἀργυρίῳ ἢ χρυσίῳ, ἐλυτρώθητε ἐκ τῆς ματαίας ὑμῶν ἀναστροφῆς πατροπαραδότου 19 ἀλλὰ τιμίῳ αἵματι ὡς ἀμνοῦ ἀμώμου καὶ ἀσπίλου Χριστοῦ.

Als Kinder des Gehorsams gestaltet euch nicht den früher durch eure Unwissenheit (bestehenden) Begierden gleich, sondern werdet, wie der, der euch berufen hat, heilig ist, auch selbst heilig in eurem ganzen Lebenswandel. Denn es ist geschrieben: „Seid heilig, denn ich bin heilig.“   Und wenn ihr den als Vater anruft,    der ohne Ansehen der Person richtet    nach dem Werk eines jeden, (so) führt euer Leben in Furcht in der Zeit eurer Fremdlingschaft, wissend,  dass ihr nicht mit vergänglichen Dingen, Silber oder Gold, losgekauft seid aus eurem nichtigen, von den Vätern übernommenen Lebenswandel, sondern durch das kostbare Blut Christi als eines untadeligen und fehlerlosen Lammes.

Nach der Beschreibung der Adressierten als von Gott erneut Gezeugte / G ‌ eborene und der Erläuterung, welche Zusagen und Verheißungen damit verbunden sind (1,3–5; s. o. 10.3), folgen nun erste Erläuterungen über die Verpflichtungen 86 1 Petr 1,13 greift die in der Offenbarung Jesu Christi (zu) den Adressaten gebrachte Gnade (ἡ φερομένη ὑμῖν χάρις) auf, von der bereits in 1 Petr 1,10 ff. die Rede war. 87 So z. B. auch Donelson, Peter 42: „The image of ,obedient children‘ recalls the language of rebirth in 1:3 and anticipates the discussion of God as father in 1:17.“ Auf diesen Zusammenhang verweisen die meisten Kommentare, beziehen ihn aber zum Teil nur sehr wenig in die Deutung ein. 88 Howe betont noch stärker die ethischen Ermahnungen und nennt die hier relevante Konzeptmetapher daher „Morality Is Childlike Obedience“ (Name 286). Sie räumt aber zugleich ein: „but the specific entailments of that metaphor as it is used in 1 Peter are keyed to a child’s relationship with the father in the socio-cultural model with which the text works“ (ebd.; mehr zur Kritik an Howes konzeptmetaphorischem Ansatz nochmals unten in Anm. 159).

10.4 Die Fortschreibung der Metaphorik in 1 Petr 1,14–19

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als Kinder. Die Anrufung Gottes als Vater (1,17) zusammen mit dem Vergleich der Adressaten mit Kindern (1,14) setzt nicht zwangsläufig eine metaphorische Aussage über die erneute Geburt / ‌Zeugung durch Gott voraus, sondern stellt eine in den frühen Gemeinden übliche Gottesprädikation dar.89 Sie lässt sich im vorliegenden Kontext aber kaum von den vorausgehenden Aussagen aus 1 Petr 1,3–5 trennen. Die Bezeichnung als τέκνα ὑπακοῆς (1,14) greift dabei den bereits in 1 Petr 1,2 gefallenen Begriff des „Gehorsams“ auf und präzisiert ihn nun sowohl im Hinblick auf den Inhalt dieses Gehorsams als auch auf seine Bezugsperson, nämlich Gott als „Vater“. In 1 Petr 1,3–5 waren die Adressaten hinsichtlich ihrer erneuten Zeugung / ​ ‌Geburt vorerst nur Objekt und Gott der Handelnde. Nun sind sie – ausdrücklich als „Kinder“ metaphorisiert – selbst in der aktiven Rolle und ihrem metaphorischen Vater (1,3.17) Gehorsam schuldig.90 Inhaltlich geht es in der Umsetzung dieses Gehorsams darum, nicht mehr der früheren Lebensweise zu folgen, die in 1 Petr 1,14 knapp durch ἄγνοια und ἐπιθυμίαι gekennzeichnet wird,91 sondern Gott entsprechend zu leben, der heilig ist. Die Aufforderung καὶ αὐτοὶ ἅγι­οι ἐν πάσῃ ἀναστροφῇ γενήθητε (1,15) wird mit einem Zitat aus dem Heiligkeitsgesetz (Lev 19,2 b LXX) in 1 Petr 1,16 unterstrichen.92 Auch die in Lev 19,3 folgende Ermahnung, ἕκαστος πατέρα αὐτοῦ καὶ μητέρα αὐτοῦ φοβείσθω, findet sich in 1 Petr 1,17 wieder, allerdings nicht als Zitat, sondern metaphorisch gewendet in der Zuspitzung auf Gott als Vater: εἰ πατέρα ἐπικαλεῖσθε […] ἐν φόβῳ […] ἀναστράφητε.93 Es lässt sich somit eine Doppelstrategie erkennen, die das neue Verhalten der „Kinder“ plausibilisieren soll: Einmal geht es darum, so zu werden (und entsprechend zu handeln), wie der „Vater“ ist (1,15 f.), nämlich „heilig“.94 Zum anderen wird mit dem Stichwort φόβος im 89 Vgl.

nur den Beginn des „Vaterunsers“ Mt 6,9 par. Lk 11,2 oder die wiederholte Bezeichnung der Gläubigen als „Kinder“ in den johanneischen Briefen. Insgesamt gilt, dass „die Vaterbezeichnung die häufigste Bezeichnung für Gott im NT überhaupt“ ist (Zimmermann, Namen 74). 90 Vgl. die entsprechende Haustafelermahnung in Kol 3,20 par. Eph 6,1 (Τὰ τέκνα, ὑπ­ ακού­ετε τοῖς γονεῦσιν […]), die für die Antike allgemein gültige Vorstellungen aufgreift: „There would be precedent for this in secular society, where the primary characteristic of children was obedience to their parents, something firmly embedded in Roman law“ (Achtemeier, Peter 119 f.). 91 Von ἄγνοια redet in einem ähnlichen Bezug auf das Verhalten der „Völker“ (τὰ ἔθνη) auch Eph 4,17–19; 1 Thess 4,5 stellt die ἐπιθυμίαι als Kennzeichen heidnischen Verhaltens heraus, Tit 3,3 charakterisiert – insgesamt am nächsten an 1 Petr 1,14 heranrückend – das frühere Verhalten der Adressierten selbst als „unverständig“ und von „Begierden“ geprägt (Ἦμεν γάρ ποτε καὶ ἡμεῖς ἀνόητοι, […] δουλεύοντες ἐπιθυμίαις καὶ ἡδοναῖς ποικίλαις […]). 92 Auch Lev 11,44 enthält die zitierte Formulierung, allerdings in einem Kontext (Verbot des Essens unreiner Tiere), der für den Ersten Petrusbrief kein Gewicht hat; vgl. dazu auch Achtemeier, Peter 122. 93 Dass auch 1 Petr 1,17 sich noch auf Lev 19 LXX bezieht, wird in sämtlichen hier konsultierten Kommentaren nicht wahrgenommen. 94 Dabei geht es unter  anderem um die schon zuvor mit anderen Worten (μὴ συσχηματι­

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10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

Rahmen der verwendeten Metaphorik ein von Kindern gegenüber ihren Eltern (oder allgemeiner von sozial niedriger Stehenden gegenüber Höherrangigen) gefordertes Verhalten abgerufen.95 Gott, der Vater, wird in 1 Petr 1,17 außerdem zugleich als der Richtende (ὁ ἀπροσ­ωπολήμπτως κρίνων κατὰ τὸ ἑκάστου ἔργον) beschrieben. Die Pointe der Aussage, die ebenfalls im Zusammenhang mit dem Ursprungsbereich Vater-­ Kind-Relation wahrzunehmen ist,96 liegt darin, dass Gott auch als Vater nicht nach dem Ansehen der Person (ἀπροσωπολήμπτως) richtet 97 und „die Kinder“ somit nicht prinzipiell auf ein genehmeres Urteil hoffen dürfen.98 Das schließt eine gnädige Zuwendung Gottes keineswegs aus. Dennoch gehört in 1 Petr 1,17 der Aspekt der „vertrauensvollen Hinwendung zu Gott als Vater“,99 der ganz allgemein zweifellos ein Bestandteil der „Gottesfurcht“ sein kann, nicht zu den von der Metaphorik aktualisierten Bestandteilen des Ursprungsbereiches. Vielmehr wird den Adressaten der verpflichtende Aspekt ihrer Kindschafts-Beziehung und die Objektivität dieses zugleich richtenden Vaters eingeprägt.100 ζό­μενοι, 1 Petr 1,14) verlangte Abgrenzung vom unheiligen, früheren Leben und insgesamt zwei­fellos um mehr als „nur“ um ethisch korrektes Verhalten (vgl. ähnlich auch Achtemeier, Peter 121: „the word ‚holy‘ does not contain etymologically any necessary connotation of mo­ra­lity“). Mehr zur Frage der Erfüllbarkeit dieser Forderung im Kontext der Geburts- / Z ‌ eugungsmetaphorik s. u. in diesem Abschnitt und in 10.5.2. 95 Vgl. Balz, φοβέω 190: „[D]ie gegebenen Autoritätsverhältnisse in der Erziehung u[nd] im Zusammenleben in der Gemeinschaft verlangen als angemessene Haltung die Reaktion des Sich-Fürchtens. […] φοβέομαι meint par αἰσχύνομαι die Ehrfurcht gegenüber dem Vater“. Deutlich wird dieses Verständnis von φόβος auch im Ersten Petrusbrief selbst in den Forderungen an die Sklaven, sich ihren Herren (1 Petr 2,18), und an die Frauen, sich ihren Männern ἐν (παντὶ) φόβῳ unterzuordnen (ὑποτάσσεσθαι) (3,1 f.). Die sich in 1 Petr 3,7 anschließende, kürzere Ermahnung an die Männer redet – deren übergeordnetem Status entsprechend – dagegen weder von Unterordnung noch von Furcht. 96 Gegen Brox (Petrusbrief 79), der „mit dem Richter eher ein neues, abgetrenntes Motiv“ einsetzen sieht. 97 Dass Gott die Person nicht ansieht, formuliert u. a. auch Apg 10,34 (οὐκ ἔστιν προσ­ ωπολήμπτης ὁ θεός). Hier ist es ausdrücklich auf die irrelevant werdende Volkszugehörigkeit bezogen, der gegenüber einzig zählt, „wer ihn [sc. Gott] fürchtet und Gerechtigkeit übt“ (Apg 10,35: ὁ φοβούμενος αὐτὸν καὶ ἐργαζόμενος δικαιοσύνην); vgl. dazu auch Vahrenhorst, Petrus 89. 98 Wenig Anhalt am Text hat die Verbindung, die Holloway (Predjudice 145) zur Verheißung des Erbes in 1 Petr 1,4 herstellt: „Fathers had the right to divide this sum as they saw fit, which in fact no doubt lies behind the warning at 1 Pet 1:17 that God is a ,father who impartially judges each according to his or her merits.‘“ Die Aussage in 1 Petr 1,4 legt aber in keiner Weise nahe, dass es um ein Erbe geht, das zwischen verschiedenen Kindern und darüber hinaus abhängig von deren Verhalten unterschiedlich verteilt werden wird. 99 Feldmeier, Petrus 76; vgl. ähnlich auch Achtemeier, Peter 125. 100 Auch die Richterrolle Gottes sollte man gegenüber der Vaterrolle nicht überbetonen, sonst entsteht die Tendenz, die in 1 Petr 1,13 beschriebene Haltung der Hoffnung auf die Gnade (ἐλπίσατε ἐπὶ τὴν φερομένην ὑμῖν χάριν) in besonderer Weise mit dem Vater und die Haltung der Furcht (φόβος) in 1 Petr 1,17 allein mit dem Richter zu verbinden; vgl. z. B. Achtemeier (Peter 124), mit der ausdrücklichen Betonung des Kontrastes „between God as

10.5 Zuspruch und Anspruch in 1 Petr 1,22–25

315

Dass ihre Situation dennoch nicht hoffnungs- und gnadenlos ist (vgl. vielmehr 1 Petr 1,3.13.21!), wird in 1 Petr 1,18 f. mit dem entsprechend kostbaren (τί­μι­ος) Preis, der für ihre Befreiung gezahlt wurde, christologisch begründet und zugleich wieder familienmetaphorisch (πατροπαράδοτος) eingebunden. Denn die nicht mit vergänglichen Dingen, Silber oder Gold (οὐ φθαρτοῖς, ἀρ­γυ­ ρίῳ ἢ χρυσίῳ) gewirkte Befreiung, die die Metaphorik der Vater-Kind-Relation nun noch mit dem Konzept des Loskaufs aus der Sklaverei als Ursprungsbereich verbindet,101 kauft die Adressaten wie Sklaven aus ihrer Bindung an den Besitzer aus ihren alten Familienbeziehungen frei. An die Stelle der bisherigen Väter und der von ihnen überkommenen Sitten und Verhaltensweisen, die gemeinhin in der Antike einen hohen Stellenwert einnahmen und zu denen „auch die ‚pietas‘, die Frömmigkeit gegenüber den Göttern gehörte“,102 ist nun die neue Familie mit Gott als Vater getreten (vgl. 1,3 und 1,17), in der andere Maßstäbe gelten (vgl. 1,14–16). „Schärfer kann man den Bruch der Gemeindeglieder mit ihrem Herkunftsumfeld und die Entfremdung von ihm wohl kaum beschreiben“.103 Dass es dabei um mehr als nur um eine Veränderung im gesellschaftlich-familiär vorgegebenen Sozialgefüge geht, zeigt das nochmalige Aufgreifen der Geburts- / ‌Zeugungsmetaphorik in 1 Petr 1,23 (s. u. 10.5). Auch auf die Forderung, in der Lebensführung „heilig zu werden“ (1,15), und vor allem auf die Basis für ihre Erfüllbarkeit wird dann noch einmal zurückzukommen sein.

10.5 Die Adressierten als ἀναγεγεννημένοι ἐκ σπορᾶς ἀφθάρτου: Zuspruch und Anspruch in 1 Petr 1,22–25 10.5.1 Anknüpfungen an 1 Petr 1,3 und Neuansätze Die Aussage in 1 Petr 1,23 knüpft mit dem erneuten Gebrauch von ἀναγεννᾶν – hier nun im Passiv – deutlich an die Metaphorik in 1 Petr 1,3 an, elaboriert mit der Betonung von σπορά aber zugleich einen bislang nicht aufgerufenen Aspekt des Ursprungsbereiches.   22 a Τὰς ψυχὰς ὑμῶν ἡγνικότες   ἐν τῇ ὑπακοῇ τῆς ἀληθείας   εἰς φιλαδελφίαν ἀνυπόκριτον,

  Indem ihr euer Herz gereinigt habt im   Gehorsam der Wahrheit (gegenüber)   zu aufrichtiger Geschwisterliebe,

benevolent Father and as impartial judge of the world“. Bei Goppelt (Petrusbrief 119 f.) führt diese Betrachtungsweise zu einer regelrechten Dialektik: Die Anrede Gottes als Vater als „unmittelbarster Ausdruck der Gottesgewißheit“ wird dem „Erschrecken im Blick auf die Rechenschaft vor Gott“ gegenübergestellt und daraus gefolgert: „Diese Furcht ist […] die notwendige dialektische Antithese zu christlichem Hoffen“ (ebd. 120). 101 Vgl. die deutlichere Loskaufmetaphorik in 1 Kor 6,20 a u. ö.: ἠγοράσθητε γὰρ τιμῆς. 102 Vahrenhorst, Petrus 90 f. 103 Vahrenhorst, Petrus 91.

316

10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

22 b ἐκ καθαρᾶς καρδίας ἀλλήλους ἀγαπήσατε ἐκτενῶς 23 a ἀναγεγεννημένοι οὐκ ἐκ σπορᾶς φθαρτῆς 23 b ἀλλʼ ἀφθάρτου   23 c διὰ λόγου ζῶντος θεοῦ   23 d καὶ μένοντος. 24 διότι πᾶσα σὰρξ ὡς χόρτος καὶ πᾶσα δόξα αὐτῆς ὡς ἄνθος χόρτου· ἐξηράνθη ὁ χόρτος καὶ τὸ ἄνθος ἐξέπεσεν· 25 a τὸ δὲ ῥῆμα κυρίου μένει εἰς τὸν αἰῶνα. 25 b τοῦτο δέ ἐστιν τὸ ῥῆμα τὸ εὐαγγελισθὲν εἰς ὑμᾶς.

liebt einander anhaltend aus reinem Herzen, die ihr nicht aus vergänglichem Samen erneut gezeugt seid, sondern aus unvergänglichem,    durch das lebendige Wort Gottes    und das bleibende. Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle seine Herrlichkeit wie die Blüte des Grases: Das Gras ist verdorrt und die Blüte abgefallen, das Wort des Herrn aber bleibt bis in Ewigkeit. Und dies ist das Wort, das euch als Evangelium verkündigt wurde.

Im antiken Sprachgebrauch wird mit σπορά in erster Linie das Säen als Vorgang bezeichnet,104 erst nachgeordnet auch das, was gesät wird. Häufiger kommt σπορά außerdem in agra­rischen Zusammenhängen vor, kann aber ebenso in Bezug auf menschliche Zeugungsvorgänge Anwendung finden.105

Im Unterschied zu 1 Petr 1,3(–5) engt der Fokusausdruck, der sich in 1 Petr 1,23 aus ἀναγεγεννημένοι und aus ἐκ σπορᾶς zusammensetzt, den Ursprungsbereich deutlich auf Zeugung ein.106 Das Subjekt dieses Geschehens, das in 1 Petr 1,3 mit ὁ θεὸς καὶ πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ ausdrücklich genannt wurde, tritt in der passivischen Formulierung von 1 Petr 1,23 dagegen nicht in den Blick. Betont wird nicht, wer hier metaphorisch zeugend wirkt, sondern vielmehr der Samen (σπορά), durch den dies geschieht. Wie der Aorist in 1 Petr 1,3 zeigt aber auch das resultative Perfekt der Verbform in 1 Petr 1,23 an, dass es nicht primär um das Ereignis der metaphorischen Neu-Zeugung der Adressierten selbst geht, das bereits zurückliegt,107 sondern vielmehr um dessen Folgen. 104 Vgl.

u. a. Bauer s. v. zur Wortbedeutung ausführlich z. B. Williams, Doctrine 141 f. Zum Syntagma γεν­νᾶν ἐκ, das für die johanneische Geburts- / ​Zeugungsmetaphorik von Bedeutung ist und eine deutliche strukturelle Nähe zum Fokusausdruck ἀναγεγεννημένοι […] ἐκ σπορᾶς in 1 Petr 1,23 aufweist, siehe schon oben 7.2.2.2. 106 So u. a. auch Achtemeier (Peter 139), der außerdem ganz zu Recht die Differenzen zu jenem Ursprungsbereich hervorhebt, den das nachfolgende Jesaja-Zitat mit „Gras“ und „Blüte“ aufruft: „While σπορά can be used either of plant or of human reproduction, in this context [sc. 1 Petr 1,23] the latter metaphor is surely in view, since it is a reference to the rebegetting of the readers; the reference to plants in the ensuing quotation from Isa 40:6–7 concerns durability, not reproduction.“ Anders (und nicht zutreffend) urteilt dagegen Schmidt (Mahnung 220), der 1 Petr 1,23 b im Zusammenhang mit dem folgenden Jesaja-Zitat in 1 Petr 1,24.25 a als „Vegetationsbeispiel“ bzw. „Vegetationsbild“ verstehen will, das erst in 1 Petr 2,1–3 auf den Menschen übertragen werde. 107 Siehe dazu nochmals unten 10.5.4. 105 Vgl.

10.5 Zuspruch und Anspruch in 1 Petr 1,22–25

317

Im Kontext von 1 Petr 1,23 liegen diese Folgen nun vor allem in einem bestimmten Verhalten, das von den Adressierten gefordert wird.108 Damit schließt 1 Petr 1,22–25 gut an 1 Petr 1,14–19 an. Anders aber als dort, wo dieses Verhalten vor allem familienmetaphorisch aus dem „Gehorsam“ dem Vater gegenüber begründet wurde (s. o. 10.4), wird in 1 Petr 1,23 mit dem Verweis auf die besondere Qualität des „Samens“ ein Aspekt der Zeugungsmetaphorik aufgegriffen, der weniger die Verpflichtung der neuen Familienangehörigen auf das neue Ethos betont, sondern vielmehr die mit der besonderen Zeugung verliehenen Voraussetzungen zur Erfüllung dieses Ethos beschreibt. Wie dies genau geschieht, analysiert der folgende Abschnitt. 10.5.2 Metaphorik der Gegensätze in 1 Petr 1,23–25 a: Vergänglicher Samen – lebendiges, bleibendes Wort In 1 Petr 1,23 wird die Aussage über die Adressaten zuerst negativ formuliert: ἀνα­γεγεννημένοι οὐκ ἐκ σπορᾶς φθαρτῆς. Die metaphorische Spannung tritt dabei auf zweierlei Weise zutage. Zum einen wird – wie schon in 1 Petr 1,3 – die Wiederholung eines an sich einmaligen Geschehens im Menschenleben behauptet (noch zusätzlich betont durch die Vorsilbe ἀνα-). Zum anderen wird negiert, was für die erste, biologische Zeugung, selbstverständlich ist: Gezeugt wird jeder Mensch aus vergänglichem Samen. Dieser biologischen Zeugung, die im Werden sogleich das Vergehen miteinschließt, stellt 1 Petr 1,23 b jene Zeugung entgegen (ἀλλά), die aus unvergänglichem Samen heraus (ἐκ [σπορᾶς] ἀφθάρτου) geschieht,109 und zwar διὰ λόγου ζῶντος θεοῦ καὶ μένοντος. Im Gegensatz zu Joh 1,13 a, wo in dreifacher Weise die Umstände irdischer Zeugung für die dort Angesprochenen (d. h. für die, die den Logos aufgenommen haben) komplett negiert werden, als wären diese Menschen nie in physischer Weise gezeugt und geboren worden,110 ist in 1 Petr 1,23 durch das Verb ἀναγεννᾶσθαι klar, dass es sich um eine neuerliche – metaphorische – Zeugung handelt, die die natürliche Zeugung nicht prinzipiell negiert und als völlig irrelevant darstellt, sondern diese vielmehr übersteigt und das aus ihr entstehende Leben in ganz anderer Weise prägt (s. u.).

Analog zur biologischen Zeugung, die aus vergänglichem Samen auch vergängliche Lebewesen hervorbringt, deren Endlichkeit das Zitat aus Jes 40,6 f. LXX in 1 Petr 1,24 für πᾶσα σάρξ in der Parallelisierung mit dem verdorrten Gras und der abgefallenen Blüte nochmals deutlich vor Augen stellt, lässt sich für die aus unvergänglichem Samen Gezeugten schließen, dass sie auch an der 108 Vgl.

1 Petr 1,22 (s. u. 10.5.3) und außerdem auch 1 Petr 2,1 (s. u. 10.6). negative Formulierung (οὐκ […] ἀλλά) erlaubt es dem Verfasser, σπορά nicht nochmals wiederholen zu müssen. So, wie Gott selbst als Zeugender durch die passive Formulierung nicht erwähnt wird, bleibt auf diese Weise auch der „Samen“ vom Gedanken der Zeugung durch Gott möglichst weit entfernt. Dass auf diese Weise die Vorstellung „allzumenschlicher“ Zeugungsaktivitäten von Gott ferngehalten wird, ist zweifellos bewusst so gestaltet. 110 Ausführlicher dazu s. o. 9.1.2. 109 Die

318

10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

Unvergänglichkeit dieses Samens Anteil bekommen. Das Zitat aus Jes 40,6–8 LXX untermauert allerdings allein den Gegensatz (δέ), der zwischen menschlicher Endlichkeit und dem Bleiben des Wortes Gottes εἰς τὸν αἰῶνα besteht, und kennt keinerlei Möglichkeit eines Übergangs von der einen zur anderen Seite. Diesen Übergang stellt allein die Zeugungsmetaphorik in 1 Petr 1,23 her, indem sie die Wiedergezeugten aus der Vergänglichkeit allen Fleisches herausnimmt und auf die Seite des lebendigen, bleibenden Wortes Gottes stellt.111 Gerade durch die begründende Verbindung (διότι) mit dem Jesaja-Zitat wird aber klar, dass der irdische „Normalfall“ anders aussieht. Allein dem Wirken des Wortes Gottes verdanken es die vom Ersten Petrusbrief Adressierten, dass sie aus dem System der trennenden Gegensätze herausgenommen sind (ἀναγεγεννημένοι […] διὰ λόγου […] θεοῦ) und ihre Vergänglichkeit negiert wird. Als zeugender Samen metaphorisiert, stattet der λόγος θεοῦ 112 die von ihm Gezeugten nach 1 Petr 1,23 b–d ebenso mit seinen Eigenschaften (ἄφθαρτος, ζῶν, μένων) aus, wie der menschliche Samen im Zeugungsvorgang das entstehende Leben durch die ihm innewohnenden Eigenschaften prägt. Nach der vorherrschenden aristotelischen Einsamenlehre ist es im Wesentlichen der Vater, dessen Samen die prägenden Kräfte mit sich bringt, während die Mutter allein nährende Funktionen für den entstehenden Embryo hat; nach der hippokratischen Zweisamenlehre verfügt dagegen auch die Mutter über Samen. Welches Konzept im Hintergrund des Ersten Petrusbriefes zu vermuten ist und in der Enzyklopädie der ursprünglichen Leserinnen und Hörer des Briefes stärker verankert war, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Dass in 1 Petr 1,23 von σπορά nur im Singular die Rede ist, lässt sich jedenfalls nicht im Sinne einer Präferenz für die aristotelisch geprägte Einsamenlehre auswerten, denn der Singular wird vom Zielbereich, dem Wort Gottes, in den metaphorischen Ausdruck eingebracht. Da es dem Text in seiner passivischen Formulierung aber gar nicht auf eine Näherbestimmung ankommt, wer hier eigentlich in welcher Weise zeugt (s. o.), ist eine Entscheidung über aristotelische versus hippokratische Fortpflanzungs- und Vererbungstheorien zur Deutung der Metaphorik auch gar nicht erforderlich. Wichtig ist nur, dass den Gezeugten wesentliche Merkmale des Samens, der sie gezeugt hat, mitgegeben worden sind (siehe dazu auch schon ausführlich oben 9.1.2–3).

Insgesamt sind es drei Eigenschaften, die im Text der nur einfach ausgedrückten Vergänglichkeit des (menschlichen) Samens entgegengestellt werden: 111 Auch

Feldmeier (Wiedergeburt 89) betont die spezifische Indienstnahme des Jesaja-­ Zitats im Ersten Petrusbrief: „Jetzt wird diese prophetische Passage zum Schriftbeleg für den Gegensatz zwischen dem menschlichen ‚Dasein zum Tode‘ und der unzerstörbaren göttlichen Lebendigkeit. Dieser Hintergrund ist zentral für die Wiedergeburt, deren Pointe […] gerade in der von Gott ermöglichten Teilhabe des Menschen an der ihm sonst unerreichbaren göttlichen Sphäre besteht“. 112 Ein Vergleich des Wortes Gottes mit einem „Samen“ begegnet auch in der Deutung des Gleichnisses vom Sämann (vgl. Mk 4,14 parr.). Allerdings bleibt das Bild in Mk 4,3–10 parr. ganz im Agrarischen und die sich anschließende Deutung in Mk 4,14–20 parr. legt fast alle metaphorischen Potenziale des zuvor erzählten Gleichnisses in allegorischer Weise fest. Im Hinblick auf 1 Petr 1,23 ist der Verweis auf Mk 4,1–20, der sich in den Kommentaren bisweilen findet, daher von sehr beschränkter Aussagekraft.

10.5 Zuspruch und Anspruch in 1 Petr 1,22–25 (1)  23 a […] ἐκ σπορᾶς φθαρτῆς (2) (3)

319

23 b ἀλλʼ ἀφθάρτου 23 c διὰ λόγου ζῶντος θεοῦ 23 d καὶ μένοντος.

Das Attribut ἄφθαρτος markiert sowohl inhaltlich durch das alpha privativum als auch syntaktisch in der direkten Gegenüberstellung (1) am deutlichsten den Gegensatz, der zwischen der irdischen Zeugung in ihrer Vergänglichkeit und der erneuten metaphorischen Zeugung der Adressierten besteht.113 Angeschlossen mit διά wird diese Zeugung aus unvergänglichem Samen zusätzlich näher bestimmt als eine „durch das lebendige und bleibende Wort Gottes“ gewirkte.114 Dem Wechsel der Präpositionen von ἐκ zu διά ist keine große Bedeutungsverschiebung zuzuschreiben.115 Die Formulierung mit ἐκ erklärt sich vielmehr aus dem vom Ursprungsbereich vorgegebenen Syntagma γεννᾶσθαι ἐκ;116 die Formulierung διὰ λόγου ζῶντος θεοῦ καὶ μένοντος (1,23 cd) gibt dagegen Hinweise auf den Zielbereich und benutzt hier eine gebräuchlichere Präposition dafür, dass etwas durch das Wort Gottes bewirkt wird.

Die beiden Attribute zu λόγος in 1 Petr 1,23 cd ergänzen den ersten Gegensatz um zwei weitere, die jedoch unterschiedlich zu beurteilen sind: μένων (3) unterstützt die erste semantische Opposition auf ganzer Linie und verbindet darüber hinaus die Metapher mit dem Kontext, nämlich mit μένει in 1 Petr 1,25 a und mit ἐκτενῶς in 1 Petr 1,22 b (mehr dazu s. u. 10.5.3). Der λόγος ζῶν  (2) bildet dagegen bei genauerem Hinsehen keinen so klaren Gegensatz zur σπορὰ φθαρτής, denn zum Konzept des Samens gehört, wie der Ursprungsbereich es nahelegt, dass auch ein vergänglicher Samen lebendig ist. Allerdings ist er das nur für eine beschränkte Zeitspanne, und er kann vor allem auch nur Leben hervorbringen, das endlich und vergänglich ist. Diese Eigenschaft des Samens betont der Text ausdrücklich. Dass auch dem „vergänglichen Samen“ in 1 Petr 1,23 a das Attribut „lebendig“ in gewisser Weise zuzugestehen ist, hat für den Text dagegen keine Relevanz und bleibt unbetont. Einzig das Wort Gottes ist ein λόγος ζῶν. Wie schon das Adjektiv ἄφθαρτος greift auch das attributive Partizip ζῶν dabei nicht zufällig eine Charakterisierung auf, die bereits 113 Bereits in 1 Petr 1,4 wurde die zweite Folge der erneuten Zeugung / G ‌ eburt der Adressierten näher bestimmt als εἰς κληρονομίαν ἄφθαρτον (s. o. 10.3.4). 114 Grammatisch gesehen können die im Genitiv stehenden Partizipien ζῶντος und μένον­ τος sowohl θεός als auch λόγος attributiv näher bestimmen. Im Einklang mit den meisten Kommentatoren wird hier ein Bezug auf λόγος aber als sinnvoller erachtet; so z. B. Achte­ meier (Peter 139 f.), Brox (Petrusbrief 87) oder Goppelt (Petrusbrief 132), der zur Begründung auf 1 Petr 1,25 verweist, wo „bleiben“ ebenfalls auf das „Wort“ bezogen ist (hier allerdings ῥῆμα statt λόγος). 115 So z. B. auch Achtemeier, Peter 139: „both intend to describe the means by which the Christians’ new lives were begun.“ Viele Kommentare gehen auf die verschiedenen Präpositionen gar nicht näher ein; vgl. dagegen die ausführlichere Diskussion, die z. B. Williams (Doctrine 140 f.) führt, um dann aber zu eben dem oben präsentierten Ergebnis zu kommen: „Thus the difference between ἐκ and διά here is more formal than substantial“ (ebd. 141). 116 S. o. 7.2.2.2.

320

10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

im Kontext des ersten Auftretens der Geburts- / Z ‌ eugungsmetaphorik in 1 Petr 1,3 f. (εἰς ἐλπίδα ζῶσαν […] εἰς κληρονομίαν ἄφθαρτον) eine Rolle spielte. Aus der metaphorischen Aussage in 1 Petr 1,23 f. lässt sich also schließen, dass die „aus unvergänglichem Samen erneut Gezeugten“ ein unvergängliches und bleibendes Leben erhalten. Wiederum wird das Leben als Folge der Zeugung aber – wie schon in 1 Petr 1,3 – nicht direkt genannt. Der eschatologische Vorbehalt, dass sich dieses Leben in seiner Fülle erst ἐν καιρῷ ἐσχάτῳ (1,5 c) offenbaren wird und vorerst als „lebendige Hoffnung“ präsent ist (1,3 c; s. o. 10.3.3), wird somit auch von 1 Petr 1,23 nicht aufgehoben. Das Leben der Adressierten ist jedoch schon jetzt in besonderer Weise geprägt, denn sie sind bereits von Gott (1,3) aus „unvergänglichem Samen“ (1,23) gezeugt. Das heißt, dass ihr „Wandel“ nicht allein äußerlich, sondern auch innerlich von diesem Vater geprägt ist. Greift man den Gedankengang von 1 Petr 1,14–16 (s. o. 10.4) hier auf, so erhält die dort aus dem Heiligkeitsgesetz zitierte Forderung rückwirkend eine Grundierung, die sie weniger steil erscheinen lässt: Weil der Vater heilig ist, sollen die Kinder es auch sein, aber sie können es auch, weil sie als Kinder die Anlagen des Vaters in sich tragen.117 Der Erste Petrusbrief verlangt seinen Adressaten daher in all seinen ethischen Forderungen keinen Lebenswandel ab, dessen Möglichkeiten nicht auch in ihnen lägen.118 Das ist nun auch für 1 Petr 1,22 zu zeigen. 10.5.3 Die paränetische Einbindung der Metaphorik: Unvergänglicher Samen, bleibendes Wort und die anhaltende Liebe in 1 Petr 1,22 Blickt man auf den Kontext von 1 Petr 1,23, so zeigt sich, dass für die wiederholte Einbringung der Metapher von der erneuten Zeugung durch Gott (bzw. hier genauer der erneuten Zeugung aus unvergänglichem Samen) dem Sachverhalt des Bleibens eine besondere Rolle zukommt. Das wird deutlich im Zitat von Jes 40,8 LXX (1 Petr 1,25 a), das mit der Formulierung τὸ δὲ ῥῆμα κυρίου μένει εἰς τὸν αἰῶνα die Wendung διὰ λόγου […] θεοῦ […] μένοντος aus 1 Petr 1,23 untermauert und dabei μένειν wiederholend hervorhebt.119 Aber auch zum 117 Die Vater-Kind-Metaphorik eignet sich daher besonders gut, um den Gedanken der Heiligkeit Gottes und der Anteilgabe samt Verpflichtung aus der zitierten Passage aus dem Heiligkeitsgesetz zu explizieren, wie ihn Achtemeier (Peter 121) formuliert: „The point is not that the readers are to make themselves holy; God accomplished that when they were chosen (cf. 1:1–2 ἐκλεκτοῖς … ἐν ἁγιασμῷ). Rather, the point is that they must conform their behavior to their new status“. 118 Nur in diesem Sinne lässt sich meines Erachtens auch die ansonsten unverständlich bis zynisch wirkende Behauptung innerhalb der Sklavenparänese in 1 Petr 2,19 f. verstehen, dass das geduldige Ertragen von ungerechten Leiden Gnade (χάρις) sei. Gnade liegt keineswegs in der Situation selbst und auch nicht in der Möglichkeit der Bewährung, die eine solche Situation bietet, sondern vielmehr in der Befähigung, eine solche ungerechte Leidenssituation aushalten zu können. Durch die als erneute Zeugung metaphorisch beschriebene Lebensveränderung ist diese Befähigung als eine von Gott gegebene in die Gläubigen gelegt. 119 Das im 1 Petr 1,25 singuläre ῥῆμα ist dabei aus Jes 40,8 LXX übernommen und steht

10.5 Zuspruch und Anspruch in 1 Petr 1,22–25

321

vorangehenden Satz in 1 Petr 1,22 gibt es einen Bezug. Gefordert wird dort: ἀλ­λή­λους ἀγαπήσατε ἐκτενῶς. Das Adverb ἐκτενῶς kann sowohl die Intensität als auch das Andauern einer Handlung betonen;120 der vorliegende Kontext legt nahe, hier eher an die Dauer zu denken.121 Das schließt die Intensität zwar nicht aus, begründet wird im Folgenden, wie schon gezeigt, aber allein das Element der Dauer, und zwar mittels der Zeugungsmetaphorik: Die Adressaten sind zu der geforderten anhaltenden Liebe in der Lage, weil sie als ἀναγεγεννημένοι […] διὰ λόγου ζῶντος θεοῦ καὶ μένοντος auch an den Eigenschaften dieses Wortes teilhaben, nämlich an Unvergänglichkeit und Dauer über alle irdischen Verhältnisse hinaus.122 Die Forderung der anhaltenden Liebe untereinander ist darum eine, die die Adressaten aufgrund ihrer durch den Wort-Samen in sie gelegten „Erbanlagen“ auch tatsächlich erfüllen können.123 Auffällig ist, dass in 1 Petr 1,22 neben der Aufforderung zum Einander-Lieben auch der Begriff der φιλαδελφία fällt,124 diese Geschwisterliebe aber vom Text nicht direkt in einen Zusammenhang mit der Geburts- / Z ‌ eugungsmetaphorik gebracht wird. Es lässt sich vielmehr nur indirekt schließen, dass aus der Zeugung / ‌Geburt durch Gott (1,3) und dem daraus resultierenden Vater-­KindVerhältnis, wie es 1 Petr 1,14.17 deutlich in den Blick rückt, ebenso ein Geschwisterverhältnis der Adressierten untereinander folgt. Da sowohl die Anrede als Schwestern und Brüder 125 als auch die Aufforderung zu φιλαδελφία ebenso in anderen neutestamentlichen Schriften in übertragener Weise be­gegnet, ist eine solche Rekonstruktion des Gedankens aber vermutlich nicht notwendig.126 hier gleichbedeutend neben λόγος. Das legt auch die übereinstimmende Qualifikation von ῥῆμα in 1 Petr 1,25 a und λόγος in 1 Petr 1,23 c als „bleibend“ nahe (zur Diskussion um die Zuordnung der Attribute in 1 Petr 1,23 cd zu λόγος und nicht zu θεός s. o. Anm. 114). 120 Vgl. PGL s. v.: „fervently, perseveringly“. 121 So u. a. auch Feldmeier, Petrus 81. 122 In den Kommentaren wird dieses Verhältnis, das zwischen der Forderung ἀλλήλους ἀγαπήσατε ἐκτενῶς und der Qualifikation des Wortes Gottes als „bleibend“ besteht, eher selten gesehen; vgl. aber zumindest Achtemeier (Peter 139), der im Hinblick auf die erneut Gezeugten in 1 Petr 1,23 festhält: „Such rebegetting, in contrast to their original begetting, comes from imperishable seed, with the result that the ensuing life shares the characteristics of the divine and imperishable rather than the human and thus perishable world, again showing how the kind of love commanded in v. 22 is now possible.“ 123 Von der Metaphorik nicht expliziert und begründet wird die Forderung von „ungeheuchelter“ (ἀνυπόκριτος) Liebe; vgl. dazu Martin (Metaphor 172 f.) mit antiken Textbelegen für die Problematik geheuchelter Liebe, wie sie immer wieder gerade in familiären Zusammenhängen aufzutauchen scheint. 124 Beide Aussagen, εἰς φιλαδελφίαν ἀνυπόκριτον und ἀλλήλους ἀγαπήσατε ἐκτενῶς, beziehen sich dabei aufeinander und erläutern sich gegenseitig; ähnlich z. B. auch 1 Thess 4,9 oder Röm 12,10 und Goppelt, Petrusbrief 129. 125 Vgl. etwa die häufige Bezeichnung der Adressaten als ἀδελφοί in den Paulusbriefen, den Deuteropaulinen, im Jakobus- oder Hebräerbrief; vgl. auch die Apostelgeschichte; zum Ersten Johannesbrief s. u. Anm. 129. 126 Vgl. auch Röm 12,10; 1 Thess 4,9; Hebr 13,1; 2 Petr 1,7. Während ἀδελφός auch außerbiblisch in übertragener Weise benutzt wird, ist „[ü]bertragener Gebrauch von φιλαδελφία

322

10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

Allerdings geht der Erste Petrusbrief auch hier (wie schon bei der Deutung der Taufe; s. o. 10.1) eigene Wege. Denn die in den frühen Gemeinden offenbar weit verbreitete gegenseitige Anrede als Geschwister fehlt im Ersten Petrusbrief fast vollständig: Nur Silvanus wird in seiner speziellen Rolle als Briefüberbringer (5,12) als Bruder bezeichnet.127 In 1 Petr 2,11 und 4,12 redet der Verfasser die Adressaten des Ersten Petrusbriefes dagegen mit ἀγαπητοί an.

Die gegenseitige Liebe, die der Brief von den Angesprochenen fordert, wird neben 1 Petr 1,22 auch noch in 1 Petr 2,17 und 3,8 als „Geschwisterliebe“ spezifiziert. Das Potenzial der Metaphorik, dass die Adressaten durch die erneute Zeugung und Geburt durch Gott auch untereinander zu Geschwistern geworden sind, wird vom Ersten Petrusbrief auch dort aber weder aktualisiert noch argumentativ benutzt, um die Forderung der Liebe untereinander zu begründen.128 Die Liebe untereinander grenzt die Gemeinden auch nicht als Sondergemeinschaften von ihrem Umfeld ab.129 Dies geschieht eher von außen, indem die Adressaten durch ihre Zuwendung zum Christusglauben mit entsprechenden Konsequenzen für die Lebensführung als fremd wahrgenommen werden (vgl. vor allem 1 Petr 4,4) und darauf hin mit Ausgrenzungen, Anfeindungen und Leiden konfrontiert sind. Die vom Ersten Petrusbrief geforderte Geschwisterliebe begegnet daher zumeist in Kontexten, die nicht auf eine Innensicht der Gemeinde beschränkt bleiben:130 So reiht 1 Petr 2,17 die Aufforderung τὴν ἀδελφότητα ἀγα­ πᾶ­τε ein in eine gestufte Reihe anderer, nach außen gerichteter Aufforderungen, die allen Menschen und besonders dem Kaiser gegenüber zwar nicht Liebe, aber doch Ehrerbietung verlangen, und Gott gegenüber Ehrfurcht.131 Ähnliches lässt sich in 1 Petr 3,8 beobachten. Von der dortigen innergemeindlichen Perspektive (πάντες ὁμόφρονες, συμπαθεῖς, φιλάδελ­ und φιλάδελφος […] außerhalb der christlichen Literatur bisher nicht belegt“ (von Soden, ἀδελ­φός 146). Dennoch partizipiert der Erste Petrusbrief hier bereits an der in den frühen Gemeinden gebräuchlich gewordenen metaphorischen Erweiterung des Geschwisterverständnisses auf das Verhältnis der Gemeindeglieder untereinander; gegen Vahrenhorst (Petrus 95), der mit Rückgriff auf Münch (ebd. Anm. 171) durch eine Verbindung mit der Geburts- / Z ‌ eugungsmetaphorik eine Besonderheit für den Ersten Petrusbrief herausstellen will. 127 Ob diese Angabe literarische Fiktion ist und, wenn ja, zu welchem Zweck, muss hier nicht diskutiert werden, vgl. dazu u. a. Feldmeier, Petrus 169. 128 Anders z. B. Achtemeier (Peter 137), der die Metaphorik über die tatsächlichen Aussagen des Textes hinaus fortschreibt: „Christians have been incorporated into a new family by their rebegetting, and are thus to regard other Christians similarly as members of that family“. Daraus leitet er die Verpflichtung zu „familial affection“ und „familial devotion to one another“ ab (ebd.). 129 Das betont z. B. auch Feldmeier, Petrus 81. – Ganz anders stellt sich beispielsweise die Situation im Ersten Johannesbrief dar (s. o. 9.3). Allerdings ist es auch dort nicht die Geschwister-Anrede (ἀδελφοί begegnet nur einmal in 1 Joh 3,13, ἀγαπητοί dagegen sechsmal als Anrede), wohl aber das mehrfach betonte Gezeugtsein-aus-Gott, das die Adressierten zusammenbindet und nach außen abgrenzt. Neben ἀγαπητοί ist daher auch die Anrede τεκνία (7 ×) im Ersten Johannesbrief wichtig und metaphorisch motiviert. Im Ersten Petrusbrief dagegen begegnet τεκνία ebenso wenig wie die Bezeichnung der Adressierten als τέκνα. 130 Dass der Erste Petrusbrief „keine reine Konventikelethik formuliert, die das Weltverhältnis ausblendet“, betont auch Klein, Bewährung 416. 131 Ohne Aufforderung zur Liebe begegnet der Terminus ἀδελφότης noch in 1 Petr 5,9 zur Bezeichnung der Christusgläubigen weltweit (ἐν [τῷ] κόσμῳ), mit denen sich die Adressaten im Ertragen der παθήματα verbunden wissen sollen.

10.5 Zuspruch und Anspruch in 1 Petr 1,22–25

323

φοι, …) wird in 1 Petr 3,9 der Blick sofort wieder nach außen auf das dort nötige Verhalten gelenkt.132 Die Aussage in 1 Petr 4,8 fordert schließlich Liebe untereinander ein, ohne Geschwistermetaphorik zu benutzen.

10.5.4 Referenz auf außertextliche Sachverhalte: 1 Petr 1,25 b In 1 Petr 1,25 b wird das aus Jes 40,6–8 LXX aufgenommene Zitat mit einem deutenden Abschluss versehen (τοῦτο δέ ἐστιν), der einen Bezug zur außertextlichen Lebenswelt der Adressaten herstellt. Das Wort Gottes, das als Samen metaphorisiert an der erneuten Zeugung der vom Brief Angesprochenen maßgeblich beteiligt war (1 Petr 1,23), wird nun mit jenem Wort gleichgesetzt, das als Verkündigung des Evangeliums das Christwerden der Adressierten bewirkte: τοῦτο δέ ἐστιν τὸ ῥῆμα τὸ εὐαγγελισθὲν εἰς ὑμᾶς. Auch hier könnte im Hintergrund der Formulierung noch Jes 40 stehen, wo εὐαγγελίζειν als Partizip begegnet, das die Überbringer der Freudenbotschaft beschreibt: ἐπ᾽ ὄρος ὑψη­λὸν ἀνά­βηθι ὁ εὐαγγελιζόμενος Σιων ὕψωσον τῇ ἰσχύι τὴν φωνήν σου ὁ εὐαγγελιζόμενος Ιερου­ σαλημ ὑψώσατε μὴ φοβεῖσθε εἰπὸν ταῖς πόλεσιν Ιουδα ἰδοὺ ὁ θεὸς ὑμῶν (Jes 40,9 LXX).133

Dass εὐαγγελίζειν im vorliegenden Kontext in 1 Petr 1,25 b noch spezifischer als das reine „Verkündigen“ einer Freudenbotschaft die Verkündigung der Heils­botschaft von Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi meint, ist stark anzunehmen. Ein Hinweis darauf könnte darin liegen, dass in 1 Petr 1,25 a die aus Jes 40,8 LXX vorgegebene Formulierung τὸ δὲ ῥῆμα τοῦ θεοῦ ἡμῶν zu τὸ δὲ ῥῆμα κυρίου abgewandelt ist.134 Der Genitiv κυρίου kann dabei sowohl als genitivus subjectivus als auch objectivus verstanden werden. Sowohl die Worte Jesu selbst als auch die Botschaft über ihn bilden die Verkündigung, durch die die Adressierten zum Glauben kamen.135 Mit der Formulierung im Aorist (εὐαγγελισθὲν εἰς ὑμᾶς) blickt der Text auf dieses Ereignis dabei ebenso zurück, wie auch die erneute Zeugung (1 Petr 1,23) in der Vergangenheit liegt. Im Ursprungsbereich begründet ist aber, was auch ἀναγεγεννημένοι als Perfekt-Partizip verdeutlicht, dass dieses Ereignis nämlich von andauernder Bedeutung für das gegenwärtige Leben der Adressierten ist bzw. dass deren neues, von Gott hervorgebrachtes Leben (vgl. auch 1 Petr 1,3) dort erst begann. 132 So

u. a. auch Feldmeier, Petrus 124; Goppelt, Petrusbrief 228. auch Vahrenhorst, Petrus 97. 134 Gegen Brox (Petrusbrief 89), der es vor allem wegen 1 Petr 1,23 c (bei ihm 1,23 b) für „unwahrscheinlich“ hält, „daß κυρίου eine Christologisierung darstellt.“ Achtemeier (Peter 141) dagegen betont: „it is equally likely that the substitution of κυρίου, often used for Jesus in this letter, is motivated by the desire to show that already in Isaiah the coming eternal gospel was announced (so v. 25 b).“ 135 Achtemeier (Peter 141 f.) argumentiert hier ganz zu Recht: „The context in Isa 40:5 argues for the former [sc. gen. subj.], and while either understanding would be appropriate for the application in v. 25 b, its use there to describe the content of the gospel probably argues for the latter use [sc. gen. obj.]. Such a description is supported by the tendency in Christian tradition to identify the message Jesus spoke and the message spoken about Jesus“. 133 So

324

10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

Wiederum gibt es, wie schon in 1 Petr 1,3–5, keinen deutlichen Bezug auf die Taufe. Es kann aber als sicher angenommen werden, dass die Taufe als ein wichtiges Ereignis in den hier beschriebenen Prozess des Christwerdens mit hineingehörte. Allerdings befördert die verwendete Metaphorik keine Festlegung auf einen bestimmten Punkt. Weder von der Evangeliumsverkündigung ist notwendig anzunehmen, dass sie sofort beim ersten Hören zur Bekehrung führte, noch eignet sich der in 1 Petr 1,23 deutlich auf Zeugung eingeengte Ursprungsbereich zur Metaphorisierung der Taufe. Denn im Gegensatz zur Geburt, die ein äußerlich sichtbares und für die Einordnung in Familie und Gesellschaft relevantes Ereignis darstellt (und sich daher besser zur Beschreibung der Taufe eignete), bleibt die Zeugung als solche verborgen und wird erst im Nachhinein in ihren Auswirkungen erkennbar.

10.6 „Wie die gerade geborenen Kinder“: Weiterführung der Paränese und Variation der Metaphorik in 1 Petr 2,1–3 Mit 1 Petr 2,1 beginnt kein völlig neuer Abschnitt. Vielmehr wird in den Versen 1 Petr 2,1–3 jene ethische Ausrichtung fortgesetzt, die zuvor besonders in 1 Petr 1,22 präsent war, wozu aber auch die Verse 1 Petr 1,23–25 insofern dazuzuzählen waren, als in ihnen die wesentliche Grundlage für die Möglichkeit ethischen Handelns überhaupt beschrieben wurde (s. o. bes. 10.5.2).136 Auch strukturell ähneln sich beide Abschnitte: Ein paränetisch ausgerichteter Satzbeginn (vgl. 2,1 mit 1,22 a) mündet jeweils in einen Imperativ (vgl. 2,2: ἐπιποθήσατε, mit 1,22 b: ἀγαπήσατε), der mit einer metaphorischen Aussage verbunden ist (2,2; 1,23). Abgeschlossen wird der Abschnitt jeweils von einem Schriftzitat (2,3; 1,24 f.).137 136 Besonders deutlich wird der Zusammenhang der Abschnitte z. B. bei Goppelt (Petrusbrief 127) und Frankemölle (Petrusbrief 39), die beide 1 Petr 1,22–2,3 unter der Überschrift „Bruderliebe“ zusammenfassen; Feldmeier (Petrus 41) umschreibt mit der Überschrift: „Die Wiedergeburt 1,3–2,3“ sogar einen noch größeren Bereich. Der Zäsur zwischen 1 Petr 1,25 und 2,1, die durch die mittelalterliche Kapiteleinteilung vorgeschlagen ist, folgen dagegen die meisten anderen Kommentare mit mehr oder weniger großer Betonung eines Einschnitts: weniger hervorgehoben z. B. bei Achtemeier, Peter 143; Schweizer, Petrusbrief 40; Elliott, Peter 394; stärker herausgestellt z. B. bei Vahrenhorst, Petrus 97, oder Windisch, Die katholischen Briefe 58 (nach Windisch beginnt in 1 Petr 2,1 vielmehr ein bis einschließlich 1 Petr 2,10 reichender „Hymnus auf die heilige Bestimmtheit der Christenheit […] in vier Strophen“). 137 Der Aufruf zum „Ablegen“ (ἀποτίθεσθαι) schlechter Verhaltensweisen in 1 Petr 2,1 korrespondiert außerdem jener noch weiter zurückliegenden Aufforderung zum Anlegen (der Kleidung) und Sich-Gürten in 1 Petr 1,13 und knüpft nach Popp (Kunst 187 f.) „das Netzwerk der Kleidungsmetaphorik weiter“. Noch stärker metaphorisch vernetzend wirkt aber zweifellos die an die Zeugungsmetaphorik in 1 Petr 1,23 anschließende metaphorische Aussage in 1 Petr 2,2.

10.6 Weiterführung in 1 Petr 2,1–3   1 Ἀποθέμενοι οὖν πᾶσαν κακίαν   καὶ πάντα δόλον   καὶ ὑποκρίσεις   καὶ φθόνους   καὶ πάσας καταλαλιὰς 2 ὡς ἀρτιγέννητα βρέφη τὸ λογικὸν ἄδολον γάλα ἐπιποθήσατε, ἵνα ἐν αὐτῷ αὐξηθῆτε εἰς σωτηρίαν,   3 εἰ ἐγεύσασθε    ὅτι χρηστὸς ὁ κύριος.

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  Indem ihr nun ablegt alle Bosheit   und alle Falschheit   und Heucheleien   und Neid   und alle Verleumdungen, verlangt wie die gerade geborenen Kinder nach der unverfälschten Wort-Milch,138 damit ihr durch sie wachst hin zur Rettung,   wenn ihr geschmeckt habt,    dass der Herr freundlich ist.

Mit den Fokuswörtern ἀρτιγέννητα βρέφη, γάλα, ἐπιποθεῖν und αὐξάνειν wird in Weiterführung der Metaphorik aus 1 Petr 1,23 nun nicht mehr der Ursprungsbereich Zeugung, sondern der Ursprungsbereich Neugeborene aufgerufen. Zwischen beiden Bereichen besteht eine natürliche Verbindung: Auf Zeugung folgt Geburt. Es geht im Text aber nicht darum, die Adressierten als metaphorisch erneut Gezeugte (1,3.23) nun biologisch folgerichtig in ihrem Sein als neugeborene Kinder weiter zu beschreiben. Vielmehr greift 1 Petr 2,2 nur einen einzigen Aspekt aus dem Ursprungsbereich der Neugeborenen heraus: Es geht darum, wie zielstrebig und ausschließlich neugeborene Kinder nach Milch verlangen, um leben und wachsen zu können.139 Beachtet man diese Ausrichtung der Metapher in 1 Petr 2,2, erspart man sich einige der Irritationen, die in der Forschung zum Teil mit einigem Aufwand diskutiert werden. So meint zum Beispiel Paul A. Holloway, dass die Reihenfolge der metaphorisch aufgegrif­ fenen Aspekte, die von der Zeugung / G ‌ eburt (1,3) über die Kinder, die ihrem Vater Gehorsam schulden (1,14.17), bis zur Liebe gegenüber den Mitgeschwistern (1,22) führt und dann zurück zu den gerade Geborenen, die nach Milch verlangen (2,2), in Unordnung sei und hinsichtlich der Logik auseinanderzubrechen drohe.140 Das stimmt jedoch nur, wenn man zu einseitig auf die Ursprungsbereiche und zu wenig auf die jeweils damit verbundenen Zielbereiche achtet, für die die Einhaltung korrekter Entwicklungsabläufe nicht relevant ist.141 An 138 Zur

Übersetzung s. u. Anm. 158. sich anhand des verwendeten Ursprungsbereiches dennoch auch eine Assoziation einstellen könnte, die dem Säuglingsalter selbst eine besondere Qualität beimisst, und es „auf­grund der antithetischen Gegenüberstellung mit dem lasterhaften Leben als schuldlose, reine Zeit, als Neubeginn“ wahrnimmt, wie Schmidt (Mahnung 221) betont, ist dabei nicht völlig ausgeschlossen. Gerade die Eröffnung vielfältiger möglicher Assoziationen ist eine Stärke metaphorischer Sprache. Dennoch darf die lenkende Funktion des Kontextes für die Konstruktion der Bedeutung nicht übersehen werden. Die Bemerkung in 1 Petr 2,2 verweist mit ὡς direkt auf jenen Aspekt aus dem Ursprungsbereich, um den es in der metaphorischen Aussage geht. Das auf diese Weise deutlich fokussierte Begehren der Säuglinge nach Milch kommt in Schmidts Wahrnehmung des Textes gegenüber der Betonung der „schuldlosen, rei­nen Zeit“ (s. o.) aber zu kurz. 140 Vgl. Holloway, Prejudice 168: „the progression of metaphors […] is obviously out of sequence, and at one level the original logic of the metaphor cluster is clearly beginning to break down.“ 141 Das räumt Holloway (Prejudice 168) dann selbst ein: „Nevertheless there is a discernible logic if we attend to what the author is trying to say about Christians“, wobei er 139 Dass

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10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

der Aussageabsicht der metaphorischen Äußerung in 1 Petr 2,2 geht auch die Beobachtung von Troy W. Martin vorbei, dass es im Hinblick auf den Lasterkatalog in 1 Petr 2,1 auffällig sei, „that all of these vices are lacking in newborn babies“.142

Es geht in 1 Petr 2,2 nicht um die Adressierten in ihrem Sein und ihrer Herkunft als neugeborene Kinder (wie es in 1 Petr 1,3.23 tatsächlich um sie als von Gott bzw. aus unvergänglichem Samen Gezeugte geht), sondern nur darum, dass sie wie (ὡς) 143 die neugeborenen Kinder nur nach dem einen verlangen sollen, was für diese gut ist und zum Wachsen dient: nach Milch.144 Vergleichspunkt ist allein dieses besondere Verhalten.145 Der gegebenen Kontext liefert dabei zwei, eventuell auch drei Gründe, warum der Verfasser des Textes hier gerade den Ursprungsbereich Neugeborene wählt und in spezifischer Weise aktiviert:

allerdings meint, dass diese Logik nur möglich wäre unter Absehung von „the metaphorical means by which he [sc. der Autor] says it“ (ebd.). Auffällig ist an Holloways Beanstandung mangelnder logischer Reihenfolge im Übrigen auch, dass er dabei die metaphorische Äußerung in 1 Petr 1,23 übergeht, die die natürliche Abfolge der Ereignisse mit einem Rückgriff auf die Zeugung ebenfalls bereits verlässt. Offensichtlich scheint es dem Ersten Petrusbrief also nirgendwo tatsächlich um eine ordentlich gereihte Beschreibung des „Aufwachsens“ der zum Glauben Gekommenen zu gehen, sondern immer wieder um Einzelaspekte, die sich nicht entwicklungsphysiologisch oder -psychologisch ordnen lassen. 142 Martin, Metaphor 174 f. Die Beobachtung wird u. a. von Müller (Zusammenspiel 152 f.) positiv aufgegriffen, der meint, dass „[d]urch den Lasterkatalog […] die ‚semantische Impertinenz‘ der Kleinkindermetaphorik verstärkt“ werde (ebd. 153); ähnlich argumentiert auch Popp, Kunst 196. 143 So z. B. auch Brox, Petrusbrief 92: „Das ὡς heißt hier ‚wie‘, nicht ‚als‘“. 144 So auch Bosetti, Parola 321: „Il paragone non descrive la situazione attuale dei destinatari ma il loro modo di bramare il latte spirituale: poiché sono veramente ,rinati‘ (1,23), i cristiani hanno bisogno di alimentare la nuova vita come i neonati, per i quali succhiare il latte materno è questione di vita o di morte.“ („Der Vergleich beschreibt nicht die aktuelle Situation der Empfänger, sondern die Art, wie sie die geistige Milch begehren: Weil sie wirklich ‚wiedergeboren‘ sind [1,23], haben die Christen Verlangen, sich mit dem neuen Leben zu nähren wie die Neugeborenen, für die das Säugen der mütterlichen Milch eine Frage von Leben oder Tod ist.“) – Dass es in 1 Petr 2,2 vor allem um dieses Begehren nach Milch geht, das metaphorisch eingesetzt wird, betonen auch Mounce, Origin 170; Vahrenhorst, Petrus 98; Brox, Petrusbrief 91, und Achtemeier, Peter 145. Popp dagegen, der ebenfalls auf das „leidenschaftliche Begehren der ‚Wortmilch‘“ eingeht, „das an das ungestillte, fortgesetzt heftige Verlangen eines hungrigen Säuglings nach Muttermilch denken lässt“, stellt es – ohne dass das vom Text tatsächlich in einen solchen Zusammenhang gebracht würde – als Verhalten hin, das die „Gier […] substituiert“, an die „als Kennzeichen des früheren heidnischen Lebens“ mit den Verweisen auf „‚Trunksucht‘ (οἰνοφλυγία) und ‚Trinkgelage‘ (πότος) in 4,3“ zu denken sei (Kunst 197). 145 Auch schon in 1 Petr 1,14, wo der Text ebenfalls mit ὡς anfängt (ὡς τέκνα ὑπακοῆς), geht es um bestimmte Verhaltensweisen und nicht um das prinzipielle Sein der Angesprochenen als Kinder. In beiden Zusammenhängen, 1 Petr 1,14 und 2,2, funktioniert die metaphorische Aussage auch ohne vorausgehende metaphorische Zeugung / G ‌ eburt der Angesprochenen.

10.6 Weiterführung in 1 Petr 2,1–3

327

Zum einen greift er damit einen Bereich auf, der der zuvor elaborierten Geburts- / ‌Zeugungsmetaphorik nahesteht und somit verdeutlicht, dass der Gedankengang aus 1 Petr 1,3–25 noch nicht zu Ende ist. Zum anderen eignet sich der Vergleich mit dem Begehren der Neugeborenen nach Milch sehr gut für das, wozu die Adressierten aufgerufen werden sollen: Die aus dem Ursprungsbereich damals wie heute als gut bekannt vorauszusetzende Vehemenz und Beharrlichkeit der Säuglinge, mit denen sie nach der Milch 146 verlangen, die sie zum Wachsen brauchen, verdeutlich hervorragend, wie sich die Adressierten im Hinblick auf die – gleich noch näher zu betrachtende – „unverfälschte Wort-Milch“ verhalten sollen und auch, was bei solcher Konzentration alles keinerlei Rolle spielt (vgl. 2,1)! Damit ist bereits ein dritter Grund angedeutet, aus dem heraus sich die verwendete Metaphorik außerdem als geeignet angeboten haben könnte: Es handelt sich um die Vorstellung, „mit der Mutter-M[ilch] würden moralische Prinzipien weitergegeben“.147 Falls diese Vorstellung tatsächlich im Hintergrund des Textes stehen sollte (und für Verfasser und Adressaten gleichermaßen zum hier aktualisierten enzyklopädischen Wissen über den Ursprungsbereich gehörte), hätte sie eine ähnliche Funktion wie σπορά in 1 Petr 1,23 b, indem sie auf gewisse vorgeprägte Eigenschaften hinwiese. Gerade die ethische Ausrichtung fügte sich gut in den Zusammenhang mit 1 Petr 2,1. Allerdings sollte man diesen Aspekt, der vor allem nach der Eigenart der Milch fragt, für die Auslegung von 1 Petr 2,2 auch nicht überbetonen und auf keinen Fall von der metaphorischen Gesamtaussage isolieren. Als metaphorisch relevanter Ursprungsbereich ist in 1 Petr 2,2 vielmehr, wie schon gesagt, die Lebenswelt der Neugeborenen zu bestimmen. Vom Kontext konkret aktualisiert wird deren Begehren nach Milch. Das aber heißt eben nicht, „the central focus of vv. 2 and 3 falls upon ,milk‘ as the primary metaphor“, wie Philip L. Tite meint.148 Die Frage nach der besonderen Bedeutung von Milch derart zu separieren, wie 146 Im Zusammenhang mit den neugeborenen Kindern geht es im Übrigen in antiken Texten immer um Mutter- bzw. Ammenmilch, nie um Milch nicht-menschlicher Herkunft (also Tiermilch etc.): vgl. Stewart, Milch 795. 147 Stewart, Milch 786. Relevante Quellentexte sind hier vor allem Favorinus (bei Stewart ohne Quellenangabe; siehe aber Gellius, Noctes Atticae 12,1; vgl. dazu ausführlich Tite, Nurslings 383 f.) und Plutarch, Cato Maior 20,3. Der Hinweis auf Barn 6,17, den Stewart hier ebenfalls bringt, führt zwar zu einer Stelle, die die übertragene Bedeutung von Milch behandelt, aber nicht von der Übermittlung moralischer Qualitäten spricht. Vgl. ausführlicher zum Thema „Milk and Moral Development in a Greco-Roman Context“ den entsprechend überschriebenen Abschnitt bei Tite (Nurslings 378–386), der aber insgesamt mehr Allgemeines zur Praxis des Stillens und der Auswahl der Amme darstellt als konkret zur damit verbundenen moralischen Entwicklung der Gestillten. Gerade die von Tite zitierten medizinischen Texte lassen nicht immer klar erkennen, ob es bei der Forderung nach einer ordentlichen Lebensführung einer Amme schlicht um die Qualität der Milch und die Zuverlässigkeit der Bezugsperson überhaupt geht oder um mit der Milch vermittelte moralische Werte (kritisch sieht das auch Stewart, Milch 786). 148 Tite, Nurslings 387.

328

10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

es in der Forschungsliteratur mit unterschiedlich ausführlich herangezogenen Belegen nicht selten geschieht,149 drängt den Text vielmehr in eine allegorische Richtung, die nicht zu einem adäquaten Textverständnis führt. Zum Beispiel diskutieren viele Untersuchungen, indem sie vor allem 1 Kor 3,1–3 und Hebr 5,13 berücksichtigen, ob Milch in 1 Petr 2,2 für die „Anfangsgründe“ der Lehre stehen könnte,150 kommen aber (ganz zu Recht!) dann meist zu einem negativen Urteil.151 Denn anders als etwa in 1 Kor 3,1–3 oder Hebr 5,13 geht es in 1 Petr 2,2 nicht darum, dass die Angesprochenen noch keine feste Nahrung vertragen könnten.152 Neben weiteren Texten, wie Od Sal 8,16; 19,1–4 und dem schon erwähnten Abschnitt Barn 6,17 (siehe Anm. 147), die in der Literatur herangezogen werden 153 und die in ihrer Verschiedenheit letztlich nicht wirklich vergleichbar sind, wird im Zusammenhang mit der Milch auch erneut der mögliche Bezugsrahmen der Mysterienreligionen diskutiert. Die generellen Schwierigkeiten, die sich aus der dünnen Quellenlage für jede Frage nach einer Abhängigkeit oder Bezugnahme ergeben, betreffen freilich auch Belege für den Gebrauch von Milch im Zusammenhang mit Einweihungsritualen in die Mysterien. Wenn Holloway die Mysterien dennoch als „[t]he closest analogy to 1 Peter’s use of this image“ erscheinen,154 so steht dem zu Recht die Mehrheit der Forschung kritisch gegenüber.155 Auch wer die Milch gibt, wird im Übrigen in 1 Petr 2,2 nicht spezifiziert.156

Wie die Milch im Kontext von 1 Petr 2,2 zu verstehen sein soll, macht der Text vielmehr selbst deutlich, indem er sie, den Ursprungsbereich überschreitend, mit zwei Attributen versieht, die Hinweise auf den Zielbereich geben: τὸ λο­ 149 Eine Übersicht über Deutungen von γάλα in der Forschung, wenn auch mit sehr eklektischer Wahrnehmung der deutschen Forschungspositionen, bietet Tite, Nurslings 373–378. 150 Vgl. Clemens Alexandrinus, Paedagogus 1,39,1: τὰ πρῶτα μαθήματα. 151 So z. B. Goppelt, Petrusbrief 134; Vahrenhorst, Petrus 98; Michaels, Peter 88; Mül­ler, Zusammenspiel 153 f. 152 Das betont ganz richtig u. a. auch Lichtenberger, Neuschöpfung 325: „Milch ist hier nicht wie in 1 Kor 3,1–3 und Hebr 5,12 ‚Anfängerspeise‘, sondern verkündetes Gotteswort“. Er schließt aber daran an, dass dieses verkündete Gotteswort „sie [sc. die in 1 Petr 1,23 Angesprochenen] auch zu Neugeborenen gemacht hat.“ Damit überträgt er einen Aspekt aus der Metaphorik in 1 Petr 1,23 auf die metaphorische Äußerung in 1 Petr 2,2, und verdeutlicht auf diese Weise unfreiwillig, dass diese Übertragung schnell an Grenzen gerät, denn Milch „macht“ keine Neugeborenen, sondern nährt sie nur, nachdem sie geboren wurden. 153 So z. B. bei Michaels, Peter 88; Müller, Zusammenspiel 153 f.; Goppelt, Petrus-­ brief 134. 154 Holloway, Prejudice 171. 155 Ausdrücklich ablehnend gegenüber einer Erklärung von γάλα in 1 Petr 2,2 aus den Mys­terien äußern sich z. B. Williams, Doctrine 128 f.; Achtemeier, Peter 146; Goppelt, Petrusbrief 134; Schweizer, Petrusbrief 42; Elliott, Peter 399. 156 Gegen Janse van Rensburg (Metaphors 420 f.), für den eine besondere semantische Spannung in 1 Petr 2,2 darin liegt, dass es der Vater sei, der die Milch gibt. Weder Vater noch Mutter (noch eine für die Antike durchaus übliche Amme) werden vom Text aber als relevant aus dem Ursprungsbereich hervorgehoben. Auch im Hinblick auf 1 Petr 1,3 besteht für Janse van Rensburg im Übrigen bereits eine Spannung darin, dass „a father who gives new birth“ dargestellt werde (ebd. 420), ohne dass er die Möglichkeit erwägt, dass ἀναγεννᾶν auch „erneut zeugen“ bedeuten könnte und die semantische Spannung in 1 Petr 1,3 sich an einer anderen Stelle auf baut.

10.6 Weiterführung in 1 Petr 2,1–3

329

γικὸν ἄδολον γάλα. In der Beschreibung der Milch mit ἄδολος liegt zweifellos ein beabsichtigter Gegensatz zu δόλος im Vers zuvor. Auch λογικός greift vermutlich auf die Erwähnung des „Wortes“ (λόγος) in 1 Petr 1,23 c zurück,157 obwohl das in der Forschung kontrovers diskutiert wird.158 In gleicher Weise vehement, beharrlich und allein konzentriert auf die Milch, wie es die Neugeborenen sind, sollen also auch die Adressierten nach dem „Wort“ verlangen, d. h. nach dem, was ihnen (vgl. 1,25 b) als Evangelium verkündigt wurde. Da dieses zugleich ohne Falsch (ἄδολος, 2,2) ist und damit in klarem Gegensatz zu zumindest einem der in 1 Petr 2,1 genannten „Laster“ steht, lässt sich schließen, dass mit der völligen Konzentration und Orientierung an diesem „Wort“ auch insgesamt ein Verhalten eingeübt und erlangt wird, das mit dem geforderten „Ablegen“ der negativen Verhaltensweisen in 1 Petr 2,1 fast automatisch einhergeht. Wie die Milch den Säuglingen alle nötigen Nährstoffe zum Zunehmen und Wachsen gibt (vgl. 2,2 b: αὐξάνειν), so wird auch den Adressierten durch ihr Begehren nach der „Wort-Milch“ eine Entwicklung hin zum Heil (εἰς σωτηρίαν) in Aussicht gestellt, für die sie weitere „Zutaten“ nicht benötigen.159 Wie in 1 Petr 1,5 ist die σωτηρία auch hier 157 So z. B. auch Achtemeier, Peter 145; Goppelt, Petrusbrief 136; Popp, Kunst 196; Vahrenhorst, Petrus 99; Brox, Petrusbrief 92; Knoch, Petrusbrief 58; Schweizer, Petrusbrief 42; Tite, Nurslings 389; Elliott, Peter 399–401. 158 Hieraus ergeben sich auch unterschiedliche Übersetzungsvorschläge. Zweifellos lässt sich λογικός als „vernünftig“ (so z. B. die Lutherübersetzung) oder „geistig“ (so z. B. die Einheitsübersetzung) übersetzen. Das lässt die konkrete Füllung dieser Begriffe im Kontext von 1 Petr 2,2 aber weitgehend offen. „Wort-Milch“ versucht dagegen in der Übersetzung, wie vorgeschlagen (s. o. 10.5.1), den Bezug zum vorher erwähnten „Wort Gottes“ deutlich zu machen (vgl. ähnlich z. B. Feldmeier, Petrus 84, mit „Logosmilch“), wobei auch hier natürlich nach der konkreten Füllung dieses Wortes zu fragen bleibt. Sie liegt in dem, was den Adressierten als τὸ ῥῆμα κυρίου (1,25 b) verkündet wurde (siehe dazu schon oben Anm. 135 und den zugehörigen Haupttext). 159 Auch diesen Aspekt der Metapher sollte man nicht dahingehend überfrachten, dass man die Adressaten als noch klein und am Anfang ihrer „Glaubens-Biographie“ stehend charakterisiert sieht. Die Metaphorik in 1 Petr 2,2 besagt auch nicht, dass die „Gemeindeglieder […] ihr Leben lang Kinder im Wachstumsstadium“ bleiben (so aber Vahrenhorst, Petrus 99). Genauso wenig geht es dem Text darum, sie als Gegenbild zum „antiken Idealbild des wehrhaften Mannes“ hinzustellen, indem sie als Säuglinge „auf gewaltfreie Weise durch die worthafte Milch gestärkt“ werden (so aber Popp, Kunst 196; Hervorhebungen hinzugefügt). Ganz im Gegensatz zur Überbetonung des Säuglingsstatus nimmt Howe (Name 286) die metaphorische Aussage in 1 Petr 2,2 völlig im Kontext der für ihre Untersuchung zentralen konzeptuellen Metapher „Morality Is Childlike Obedience“ wahr (s. o. Anm. 88). Sie deutet sie dann einzig dahingehend, dass die Neugeborenen groß genug werden müssen, um wirklich als τέκνα ὑπακοῆς (1,14) aktiv handeln zu können: „,Infants‘ (2.2) […] cannot literally obey. For the obedience metaphor to work, the babies have to become children (τέκνα 1.14)“. Das Hauptaugenmerk sollte aber nicht darauf liegen, dass die auf der Metaebene festgestellte „obedience metaphor“ funktioniert, sondern dass der vorliegende Text interpretiert wird (s. o. 1.6.4). Insgesamt zeigt sich an Howes Untersuchung, die sich stark an der Conceptual Metaphor Theory und am Conceptual Blending orientiert, dass der Text des Ersten Petrusbriefes

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10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

noch nicht gegenwärtig, steht aber als Ziel des Wachstumsprozesses schon jetzt in einer Verbindung zu den Adressierten. In 1 Petr 2,3 wird schließlich ein weiterer und bisher nicht betonter Aspekt aus dem Ursprungsbereich der Metaphorik in 1 Petr 2,2 aufgegriffen, nämlich das (Wohl-)Schmecken der Milch. Die Verbindung mit dem Psalmzitat (vgl. Ps 33[34],9) 160 lockert aber zugleich die Verbindung zum Ursprungsbereich aus 1 Petr 2,2, der hier nur noch als Stichwortgeber fungiert. Beschrieben wird so eine weitere Erfahrung derer, die nach der Wort-Milch verlangen und zur Rettung hin wachsen: Sie erfahren (schmecken) die „Güte des Herrn“.161 Insgesamt ist für 1 Petr 2,2 und seine metaphorische Aussage festzustellen, dass sie nicht im engeren Sinne als Geburts- / Z ‌ eugungsmetaphorik gelten kann. Der Ursprungsbereich der Neugeborenen, aus dem besonders der Aspekt des nachdrücklichen, ausdauernden und allein auf Milch gerichteten Verlangens hervorgehoben wird, greift vielmehr einen Ursprungsbereich auf, der sehr nahe bei Geburt / Z ‌ eugung liegt, und stellt somit einen Zusammenhang auf der Ebene der metaphorischen „Bildlichkeit“ her, der im Hinblick auf den solchermaßen metaphorisierten Zielbereich nicht überbewertet werden darf. Die Aussage in 1 Petr 2,2 beschreibt keine grundlegende Erneuerung des Lebens als Geburt / ‌Zeugung. Sie leitet vielmehr mit Hilfe seiner metaphorischen Aussage dazu an, nach dem Einzigen zu verlangen, was gut für die mit den Neugeborenen verglichenen Adressierten ist, nämlich das Wort der Verkündigung. So können sie wachsen und zu jener Rettung (σωτηρία) gelangen (vgl. 2,2 b), die für ihre endzeitliche Offenbarung schon bereitliegt (vgl. 1,5 bc).

10.7 Die Erwählung der Adressierten als Rahmen für den ganzen Brief und für 1 Petr 1,1–2,10 im Besonderen Parallel zur erbrechtlichen Zuspitzung der Metaphorik in 1 Petr 1,4 (s. o. 10.3.4) findet sich kurz zuvor im Präskript des Ersten Petrusbriefes mit der Anrede ἐκ­λεκ­τοί (1,1) 162 ein weiteres Stichwort, das eine ähnliche Aussage über die Adressierten vermitteln will, wie es 1 Petr 1,3 f. durch die Zeugungs- bzw. hier zum Teil mehr zu Erläuterung der Theorie dient, als dass umgekehrt die Theorie den Text zu deuten hilft. 160 Zu den leichten Anpassungen des Psalmwortlautes an den Kontext im Brief vgl. z. B. Elliott, Peter 403. 161 Nur weil Ps 33,9 LXX später in Zusammenhängen mit dem Herrenmahl begegnet (zu Belegen vgl. Goppelt, Petrusbrief 138 Anm. 58), kann eine solche Verbindung für 1 Petr 2,3 aber noch keineswegs vorausgesetzt werden. So z. B. auch Elliott, Peter 403: „This la­ter liturgical usage, however, provides no proof that the psalm already had a ,eucharistic sense‘ in our author’s time“; allerdings nimmt Elliott unmittelbar darauffolgend und gegen die Abendmahlsdeutung gerichtet an, dass 1 Petr 1,22–2,3 insgesamt die Erfahrung der Taufe in den Blick nehme, was ebenfalls nicht mit Sicherheit gesagt werden kann (s. o. 10.5.4). 162 S. o. 10.2.

10.7 Die Erwählung der Adressierten als Rahmen

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Geburtsmetaphorik und das zusätzliche Fokuswort „Erbe“ tut. Die Bezeichnung als ἐκλεκτοί nimmt alttestamentlich-jüdische Erwählungsterminologie auf 163 und schließt diesen Bogen im Postskript durch den Gruß der fiktional in Rom (?) 164 situierten Gemeinde als ἡ ἐν Βαβυλῶνι συν-εκλεκτή (5,13). Die Adressierten sind durch Gottes Erwählung also Teil des Gottesvolkes geworden, wie es auch 1 Petr 2,9 f. unter Aufnahme von Ex 19,5 f.; Jes 43,20 f. und Hos 1,9; 2,25 deutlich ausdrückt. Schon bei Abraham und auch in den weiteren alttestamentlichen Aussagen über Israels Erwählung gehören diese Erwählungsaussagen aber mit der Verheißung des Erbes (‫ )נַ ֲח ָלה‬durch Gott und dem Bund zwischen ihm und seinem Volk zusammen.165 Nicht anders ist es im Ersten Petrusbrief: Κατὰ πρόγνωσιν θεοῦ πατρός sind die Adressierten 166 „zum Gehorsam und zur Besprengung mit dem Blut Jesu Christi“ erwählt (1,2).167 Es liegt nahe, in der Formulierung εἰς ὑπακοὴν καὶ ῥαν­τισμὸν αἵματος Ἰησοῦ Χριστοῦ in 1 Petr 1,2 eine Anspielung auf den Bundesschlussritus aus Ex 24 zu sehen (vgl. Ex 24,3–8),168 auch wenn der Begriff ῥαν­τισμός (oder verbale Formen von ῥαντίζειν) in Ex 24,8 LXX selbst nicht begegnet, sondern die Besprengung des Volkes mit dem Blut des Bundes durch Mose mit dem in der Septuaginta einmaligen κατασκεδαννύναι ausgedrückt wird.169 Auffällig ist ebenso die Entsprechung, die die wiederholte Selbstverpflichtung des Volkes auf Gottes Worte in Ex 24,3.7 LXX (ποιήσομεν καὶ ἀκου­σόμεθα) in der Erwähnung von ὑπακοή in 1 Petr 1,2 findet. Der Bezug zum Bundesschluss 170 ist auch deshalb plausibel, weil die Anrede der Adressierten als ἐκλεκτοί in 1 Petr 1,1 diese Stelle mit 1 Petr 2,9 und 163 Vgl. z. B. Dtn 4,37; 7,7; 10,15 LXX u. ö.; Jes 44,2 LXX u. ö.; Neh 9,7 LXX etc. mit ἐκ­λέγειν; vgl. Rendtorff, Theologie 27–29. 164 Zur Diskussion, ob mit der Absenderangabe Babylon Rom gemeint sei, vgl. u. a. Guttenberger, Passio 69 f. (kritisch), und Feldmeier, Petrus 27 f. (positiv). 165 Vgl. Rendtorff, Theologie 41: „Die Erwählung und Berufung des ‚Vaters Israels schlechthin‘ ist untrennbar verbunden mit dem Land, in das die ersten Schritte der geschichtlichen Anfänge Israels führen. Dabei ist von grundlegender Bedeutung für das Selbstverständnis Israels, daß es dieses Land nicht als festen Besitz von allem Anfang an betrachtet, sondern als Erfüllung einer göttlichen Verheißung. Diese Verheißung […] kann geradezu als wesentlicher Inhalt der Bundeszusage Gottes an Israel gelten (Gen 17,7 f.).“ 166 Dass sich 1 Petr 1,2 insgesamt auch auf Πέτρος ἀπόστολος in 1 Petr 1,1 beziehen könnte, ist syntaktisch möglich, aber inhaltlich wenig sinnvoll; so z. B. auch Feldmeier, Petrus 35 Anm. 30; und Achtemeier, Peter 86. 167 Die syntaktische Zuordnung der Satzglieder ist im gesamten Vers nicht eindeutig. Die hier favorisierte Deutung folgt u. a. Achtemeier, Peter 87 f.; anders z. B. Guttenberger, Pas­sio 11 f. Anm. 12. 168 So z. B. Feldmeier, Petrus 38; Achtemeier, Peter 88; Breytenbach, Christus 450; in Abstufungen Goppelt, Petrusbrief 87; anders z. B. Guttenberger, Passio 11 f. Anm. 12. Zu Guttenberger und Goppelt siehe außerdem unten Anm. 170. 169 Das Wort ῥαντισμός ist als Septuaginta-Neologismus überhaupt nur viermal in Num 19 LXX in Verbindung mit ὕδωρ als Reinigungswasser belegt. Im masoretischen Text stehen jedoch sowohl in Num 19 als auch in Ex 24,8 Formen von ‫„( זרק‬besprengen“). 170 Ob die Bezugnahme rein inhaltlich ist oder auch auf einen entsprechenden Ritus an-

332

10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

der dortigen Bezeichnung als γένος ἐκλεκτόν in Beziehung setzt. In 1 Petr 2,9 wird mit βασίλειον ἱεράτευμα, ἔθνος ἅγιον außerdem Ex 19,6 LXX zitiert und somit eine Textstelle aufgegriffen, die direkt vor dem Dekalog und dem Bundesbuch situiert ist und den Bundesschluss vorbereitet, während der Bundesschluss selbst in Ex 24 diese gesamte Handlungssequenz abschließt. Der Erste Petrusbrief erstellt mittels des Lexems ἐκλεκτός somit nicht nur einen Rahmen um den gesamten Brief, sondern schlägt mit den Bezügen auf den Bundesschluss auch einen Bogen von 1 Petr 1,1 bis 2,10. Für die Zeugungs- / ‌Geburtsmetaphorik hat diese Rahmung tragende Bedeutung, denn die hier im Besonderen wichtigen Aussagen in 1 Petr 1,3.23 (samt Kontext) finden sich nur innerhalb dieses geschilderten Rahmens, und zwar in deutlicher Beziehung zu den Erwählungsaussagen: Am Anfang (1,1 f.) geht der Text von der Erwählung der „Fremdlinge“ in der „Diaspora“ aus und führt zur Aussage über deren „erneute Zeugung / G ‌ eburt“ in 1 Petr 1,3(–5); zum Ende hin führt der in 1 Petr 1,22 beginnenden Satz, der die Adressierten als ἀνα­γεγεννημένοι bezeichnet (1,23), über ein Schriftzitat (1,24 f.) und die sich thematisch eng anschließende Neugeborenenmetaphorik (2,1–3) wiederum zur Erwählungsthematik zurück, die bereits in 1 Petr 2,4 mit der Metapher vom (Eck-)Stein und den lebenden Steinen einsetzt 171 und in 1 Petr 2,10 den Rahmen schließt. Beiden Themen sind also deutlich aufeinander bezogen. Sie fallen dennoch nicht in eins. Es zeigt sich vielmehr, dass die Eingliederung der Christusgläubigen nicht-jüdischer Abstammung in das Gottesvolk und damit die auch ihnen geltende Verheißung des Erbes vom Ersten Petrusbrief doppelt beschrieben und begründet wird. Jeweils ist es die Tat Gottes, der einmal metaphorisch als der beschrieben wird, der die Christusgläubigen erneut ‌zeugt bzw. gebiert, und zum anderen als der, der erwählt, wobei die traditionsgeschichtlich ältere Vorstellung des erwählenden Gottes in Verbindung mit dem Bundesschluss die innovativere Vorstellung von der erneuten Geburt / ‌Zeugung einrahmt. Während in der Forschung die rahmende Funktion des Erwählungsthemas in 1 Petr 1,1 f. und 2,9 f. immer wieder betont wird, ist es vor allem Feldmeier, spielt (und, wenn ja, welchen), ist umstritten. Guttenberger (Passio 11 f.) sieht darin eine Anspielung auf die Taufe (aber – s. o. Anm. 168 – ohne Bezug auf den Bundesschlussritus), ebenso Goppelt, Petrusbrief 87 ( jedoch mit Bezug auf Ex 24). Brox (Petrusbrief 57) findet hingegen nur in der „Heiligung durch den Geist“ (ἐν ἁγιασμῷ πνεύματος) einen Hinweis auf die Taufe und trennt davon „Gehorsam und Besprengung mit dem Blut Christi“ als Bezug auf den Bundesschlussritus. Das in Ex 24,8 erwähnte αἷμα τῆς διαθήκης lässt sich jedoch auch mit dem Herrenmahl in eine Beziehung bringen, jedenfalls wird auf die Exodustradition ansonsten eher in diesem Kontext (vgl. z. B. Mk 14,24) als in Verbindung mit der Taufe angespielt (darauf verweist u. a. Breytenbach, Christus 450). 171 Zweifach taucht hier bereits der Erwählungsgedanke auf (1 Petr 2,4.6), der primär zwar auf den einen (Eck-)Stein, nämlich Christus, bezogen ist, aber durch die so eingerahmte metaphorische Bezeichnung der Adressaten als „lebende Steine“ in 1 Petr 2,5 auch schon deren ausdrückliche Erwählung in 1 Petr 2,9 vorbereitet.

10.8 Ergebnisse

333

der ebenso auch die gerade beschriebene Verschränkung von Erwählungsaussagen und Zeugungs- / ‌Geburtsmetaphorik deutlich wahrnimmt: Die Gottesvolkthematik spielt also im Briefeingang und im Schlussteil des ersten Hauptteils eine dominante Rolle und rahmt damit jenen Block 1,3–2,3, der von den Aussagen zur Wiedergeburt bestimmt ist. Die Verzahnung beider Motive macht deutlich, dass sie vom 1 Petr komplementär aufeinander bezogen sind.172

Die „Rede von Wiedergeburt und Seelenheil“ vertritt für Feldmeier dabei mehr die „himmlische, gleichsam ‚vertikale‘ Dimension der Soteriologie“ und dient der „Überwindung des Elends der conditio humana“. Die „Gottesvolkthematik“ dagegen mache die „kriminalisierten Fremden“ wieder zu „Gliedern einer Gemeinschaft“.173 Misst man aber dem bereits gegenwärtig relevanten, familiär eingliedernden Aspekt der zeugungs- / g‌ eburtsmetaphorischen Aussagen größeres Gewicht zu und versteht diese nicht zu stark eschatologisch orientiert, wird die Verknüpfung beider Motivbereiche noch enger. Die aus den ἔθνη stammenden Adressatinnen und Adressaten werden nicht „einfach so“ eingegliedert in eine Gemeinschaft, sondern werden zu „geborenen“ Mitgliedern dieser schon seit langem bestehenden und mit spezifischen Verheißungen versehenen Gottes-„Familie“.

10.8 Die Leistung der Z ‌ eugungs- / ‌Geburtsmetaphorik im Ersten Petrusbrief: Ergebnisse Wie gerade dargestellt (s. o. 10.7), stellen die Verse 1 Petr 1,1 f. und 2,9 f. einen Rahmen dar, innerhalb dessen sich sämtliche Vorkommen von Zeugungs- / G ‌ eburtsmetaphorik (1,3.23) und deren Weiterführungen bzw. Variationen (1,14– 19 und 2,1–3) finden. Dieser Rahmen betont durch die Applikation von Israelterminologie, durch Anspielungen auf den Bund und durch entsprechende alttestamentliche Zitate die Eingliederung der vom Brief Adressierten in das Volk Gottes, zu dem sie aufgrund ihrer (fiktiven) 174 nicht-jüdischen Herkunft ursprünglich nicht gehörten.175 Dieser Intention des Textes, die den Adressierten eine neue Identität angesichts aktueller Fremdheitserfahrungen anbietet,176 arbeitet innerhalb des Rahmens auch die Zeugungs- / G ‌ eburtsmetaphorik auf spezifische Weise zu. Mit ihrer Hilfe verdeutlicht der Erste Petrusbrief den als 172 Feldmeier,

Wiedergeburt 92 f. Wiedergeburt 93. 174 S. u. Anm. 177. 175 Vgl. auch Doering, Volk 106: „Auffällig ist die pointierte ethnische Identitätskonstruktion, die in 1 Petr 2,9 zum Ausdruck kommt. Sie lässt sich einordnen in die Herausbildung eines durch den Begriff γένος gekennzeichneten Verständnisses und Selbstverständnisses der Christen an der Wende zum 2. Jahrhundert.“ Siehe zur ethnischen Identitätskonstruktion insgesamt auch Horrell, Race. 176 Zum beschreibungssprachlichen Identitätsbegriff siehe schon oben Anm. 20. 173 Feldmeier,

334

10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

ἐκλεκτοὶ παρεπίδημοι διασπορᾶς Adressierten (1,1), dass sie infolge ihrer metaphorisch verstandenen erneuten Zeugung / G ‌ eburt durch Gott nun vollgültige Mitglieder dieses Volkes sind. Anstelle ihrer alten gesellschaftlichen, sozialen, religiösen und familiären Bindungen, denen sie durch ihr als Erwählung beschriebenes Christusgläubig-Werden entfremdet worden sind, haben sie im Gottesvolk eine neue Familie und Beheimatung gefunden. Dennoch (oder auch gerade deshalb) spielt der Gegensatz zu ihrem alten Leben, das die Adressierten hinter sich gelassen haben (sollten), im Ersten Petrusbrief durchgängig eine große Rolle. Die metaphorische Zeugung bzw. Geburt durch Gott ist im Brief daher nicht nur deshalb mit der Vorsilbe ἀνα- ganz zutreffend als erneuter Vorgang gekennzeichnet, weil eine erste, biologische Zeugung / ‌Geburt für die Adressierten bereits vorauszusetzen ist, sondern weil dieses erste Leben als altes und in seinen vielfältigen Bezügen nun nicht mehr bestimmendes immer wieder in den Blick kommt.177 Anders als in den johanneischen Schriften, wo die Geburts- / ​Zeugungsmetaphorik zwar sehr wohl der Qualifizierung des auf diese Weise entstandenen Lebens diente, aber kaum den Gedanken einer Erneuerung im Sinne einer Abgrenzung und Veränderungen gegenüber früheren Lebensweisen erkennen ließ, sind die metaphorischen Aussagen in 1 Petr 1,3.23 mit vollem Recht als Instan­ ziierungen der konzeptuellen Metapher der grundlegenden Erneu erung des Lebens als Geburt / ‌Zeugung einzuordnen. Allerdings ist damit, wie für konzeptuelle Metaphern schon festgestellt (s. o. 1.6.4 und 7.2.8), nur eine allgemeine Einordnung gegeben, die die besondere Leistung der konkreten metaphorischen Äußerungen im Text keinesfalls schon erschöpfend beschreibt. So dienen die Rückblicke auf das alte Leben der Adressierten in 1 Petr 1,14.18; 4,3 f. nicht nur der Verdeutlichung des durch die Zeugung und Geburt durch Gott neu begonnenen Lebens, sondern sie erklären auch (so besonders deutlich in 1 Petr 4,3 f.) das anhaltende Leid der Adressierten, das ihnen aufgrund ihrer Abgrenzung und Abwendung von diesem alten Leben (und in Gestalt von Menschen, die ihnen noch vor kurzem nahestanden und nun angesichts ihres neuen Verhaltens selbst befremdet sind,) entsteht. Aus dem Ursprungsbereich Geburt / ‌Zeugung greift der Erste Petrusbrief außerdem neben dem bereits betonten und zentralen Aspekt der familiären Eingliederung in das Volk Gottes als neues Identitätsangebot weitere Züge heraus, die metaphorisch elaboriert werden. So haben die Adressierten als vollgültige Familienmitglieder auch Anteil am Erbe (1,4 a), das in Anlehnung an das alttestamentliche Konzept des Erb177 Dabei ist in Erinnerung zu rufen, dass die reale Situation der Briefempfängerinnen und -empfänger durchaus abweichen konnte von dieser Adressatenfiktion, die ausschließlich früher nicht-jüdisch lebende und nun neu zum Christusglauben berufene Menschen beschreibt (s. o. 10.2). Die Pragmatik des Textes und insbesondere seine Zeugungs- bzw. Geburts- und Vatermetaphorik, die auf Abgrenzung von diesem „heidnischen“ Leben zielt und dagegen die mit Verheißungen und Gaben qualifizierte Zugehörigkeit zur Gottes-Familie metaphorisch elaboriert, kann jedoch auch dann greifen, wenn es ein solches heidnisches Vorleben gar nicht für alle gab.

10.8 Ergebnisse

335

besitzes (‫ ;נַ ֲח ָלה‬s. o. 10.3.4) bereits in alttestamentlich-frühjüdischer Weiterentwicklung eine spirituelle Komponente erhalten hat und auf eine Behei­matung ἐν οὐρανοῖς (1,4 b) zielt. Leben haben die Adressierten durch die erneute Zeugung / ‌Geburt durch Gott also schon jetzt. Es ist aus „unvergänglichem Samen“ gezeugt, wie 1 Petr 1,23 b durch das Aufgreifen eines weiteren Aspektes aus dem Ursprungsbereich festhält. Aber es ist, wie die unerwartete Wendung in 1 Petr 1,3 c zeigt, Leben in Form „lebendiger Hoffnung“. Und so folgt aus der Begeg­nung mit dem „lebendigen Wort Gottes“ (1,23 c), das den Adressierten als gute Botschaft verkündet wurde (τὸ ῥῆμα τὸ εὐαγγελισθὲν εἰς ὑμᾶς, 1,25 b) und durch das sie als „erneut Gezeugte“ (1,23) zum Glauben kamen, die Aufgabe, dieses neue Leben in seiner Erstreckung bis zu seiner Vollendung ἐν και­ρῷ ἐσχάτῳ (1,5 c) entsprechend zu gestalten. Sie sind dafür mit jenen Anlagen ausgestattet, die das als σπορὰ ἀφθαρτός metaphorisierte „lebendige und bleibende Wort Gottes“ (1,23) ihnen dauerhaft mitgegeben hat.178 Die Konsequenzen, die sich aus der erneuten Zeugung (bzw. Geburt) der Adressierten für deren neuen Lebenswandel ergeben, werden in den Abschnitten 1 Petr 1,14–19 und 2,1–3 wiederum unter Zuhilfenahme von Metaphern beschrieben und begründet. Die beiden genannten Textzusammenhänge, 1 Petr 1,14–19 und 2,1–3, bieten keine Instanziierungen von Zeugungs- / G ‌ eburtsmetaphorik im engeren Sinne, sondern formulieren vielmehr neue metaphorische Aussagen, für die sie aber auf Ursprungsbereiche zurückgreifen, die naturgemäß nahe bei Zeugung / ‌Geburt liegen. Das kreiert eine eigene „metaphorische Logik“ des Textes. Die auf metaphorische Weise getroffenen Textaussagen erscheinen als sinnvolles und sich gegenseitig bestärkendes Ganzes, denn ihre Ursprungsbereiche hängen ja bereits naturgemäß zusammen. Dass damit auch die Gefahr besteht, die metaphorische Variationsbreite des Textes in eine Variationsfreiheit bei der Deutung umzuwandeln, die nicht mehr genau genug wahrzunehmen vermag, welche Aspekte des Ursprungsbereiches die metaphorischen Aussagen jeweils aufgreifen, haben unter anderem die Analysen zu 1 Petr 2,1–3 gezeigt (s. o. 10.6).

Die Aussage in 1 Petr 1,14–19 nutzt den Ursprungsbereich des Vater-Kind-Verhältnisses, um metaphorisch das Verhältnis und die Verpflichtung der Adressierten gegenüber Gott zu verdeutlichen und zugleich eine Abgrenzung von den früher geltenden Verpflichtungen gegenüber den irdischen Vätern zu begründen (vgl. 1,18). In 1 Petr 2,1–3 wird aus dem Ursprungsbereich der Neugeborenen deren konzentriert ausgerichtetes und ausschließliches Verlangen nach Milch aufgegriffen, wobei diese Milch, die das einzige für Neugeborene geeignete Nahrungsmittel darstellt, um wachsen zu können, metaphorisch die Bedeutung des „Wortes“ für die Adressierten herausstellt und sie zugleich zu einem vergleichbar konzentrierten „Verlangen“ nach der „Wort-Milch“ auffordert. 178 In ähnlicher Weise bringt auch der Jakobusbrief die Wirksamkeit des Wortes (in Jak 1,18.21 als λόγος ἀληθείας bzw. λόγος ἔμφυτος bezeichnet) metaphorisch zum Ausdruck (s. u. 11.9.2).

336

10. Die Metaphorik in 1 Petr 1,3.23

Angesichts der ethischen Ausrichtung, die besonders die Abschnitte 1 Petr 1,14–19 und 2,1–3 bestimmt (siehe aber auch 1 Petr 1,22), bleibt zum Schluss festzuhalten, dass die beiden für die Zeugungs- bzw. Geburtsmetaphorik zentralen Textstellen 1 Petr 1,3–5 und 1,23–25 (noch) frei von ethischen Zuspitzungen sind. Diese ergeben sich vielmehr erst in der Konsequenz aus der erneuten metaphorischen Zeugung und Geburt der Adressierten. Es liegt in der Natur des Ursprungsbereiches begründet, dass Zeugung / ‌Geburt sich aufgrund des passiven Verhaltens derer, die da gezeugt und geboren werden, mehr für den Ausdruck des Heilsindikativs eignet, als für den Imperativ. Folgerichtig entwickelt der Erste Petrusbrief daher die Metaphorik über den Bereich Zeugung / ‌​ Geburt hinaus fort.

11. Kapitel

„Er hat uns geboren durch das Wort der Wahrheit“: Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 in ihrem Kontext 11.1 Einführung: Der Text und die Forschungslage Mit Jak 1,18 kommt ein Vers in den Blick, der in bisherigen Untersuchungen zur „Wiedergeburt“ im Neuen Testament nicht notwendig berücksichtigt wurde. Jak 1,18 ist Teil eines längeren Abschnitts, dessen genaue Untergliederung und Abgrenzung in der Forschung umstritten sind (s. u. 11.3). Im Folgenden wird der Text von Jak 1,13–25 präsentiert, denn die Verse Jak 1,13 und 1,14 bereiten Jak 1,15 vor, wo bereits ein erstes Mal im Brief der Ursprungsbereich Geburt metaphorisch aufgegriffen wird.1 In ganz anderer Weise arbeitet dann Jak 1,18 mit diesem Ursprungsbereich weiter. Eine Fortsetzung findet die Metaphorik außerdem in Jak 1,21 und 1,23 f. Die Fokuswörter, die den Ursprungsbereich Geburt aufrufen, sind im folgenden Text kursiv hervorgehoben: 13 a Μηδεὶς πειραζόμενος λεγέτω ὅτι   ἀπὸ θεοῦ πειράζομαι· 13 b ὁ γὰρ θεὸς ἀπείραστός ἐστιν κακῶν, πειράζει δὲ αὐτὸς οὐδένα. 14 ἕκαστος δὲ πειράζεται ὑπὸ τῆς ἰδίας ἐπιθυμίας ἐξελκόμενος καὶ δελεαζόμενος· 15 a εἶτα ἡ ἐπιθυμία συλλαβοῦσα τίκτει ἁμαρτίαν, 15 b ἡ δὲ ἁμαρτία ἀποτελεσθεῖσα ἀποκύει θάνατον. 16 Μὴ πλανᾶσθε, ἀδελφοί μου ἀγαπητοί. 17 a πᾶσα δόσις ἀγαθὴ καὶ πᾶν δώρημα τέλειον ἄνωθέν ἐστιν καταβαῖνον ἀπὸ τοῦ πατρὸς τῶν φώτων,   17 b παρʼ ᾧ οὐκ ἔνι παραλλαγὴ ἢ   τροπῆς ἀποσκίασμα. 18 a βουληθεὶς ἀπεκύησεν ἡμᾶς λόγῳ ἀληθείας 1 Siehe

Keiner, der versucht wird, sage:   Ich werde von Gott versucht. Denn Gott lässt nicht versuchen zum Bösen und er versucht auch niemanden. Ein jeder wird vielmehr von seinen eigenen Begierden versucht, fortgerissen und geködert. Dann gebiert die Begierde, nachdem sie empfangen hat, Sünde, die Sünde aber gebiert, nachdem sie vollendet ist, Tod. Irrt euch nicht, meine geliebten Geschwister! Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben vom Vater der Lichter,   bei dem keine Veränderung noch ein   Schatten eines Wechsels ist. Aus seinem Willen heraus hat er uns geboren durch das Wort der Wahrheit,

dazu schon oben 7.2.5 und ausführlicher unten 11.4.

338

11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

  18 b εἰς τὸ εἶναι ἡμᾶς ἀπαρχήν τινα   τῶν αὐτοῦ κτισμάτων. 19 Ἴστε, ἀδελφοί μου ἀγαπητοί· ἔστω δὲ πᾶς ἄνθρωπος ταχὺς εἰς τὸ ἀκοῦσαι, βραδὺς εἰς τὸ λαλῆσαι, βραδὺς εἰς ὀργήν· 20 ὀργὴ γὰρ ἀνδρὸς δικαιοσύνην θεοῦ οὐκ ἐργάζεται. 21 διὸ ἀποθέμενοι πᾶσαν ῥυπαρίαν καὶ περισσείαν κακίας ἐν πραΰτητι, δέξασθε τὸν ἔμφυτον λόγον   τὸν δυνάμενον σῶσαι τὰς ψυχὰς ὑμῶν. 22 Γίνεσθε δὲ ποιηταὶ λόγου καὶ μὴ μόνον ἀκροαταὶ   παραλογιζόμενοι ἑαυτούς.   23 a ὅτι εἴ τις ἀκροατὴς λόγου ἐστὶν   καὶ οὐ ποιητής, 23 b οὗτος ἔοικεν ἀνδρὶ   κατανοοῦντι τὸ πρόσωπον τῆς γενέσεως   αὐτοῦ ἐν ἐσόπτρῳ· 24 κατενόησεν γὰρ ἑαυτὸν καὶ ἀπελήλυθεν καὶ εὐθέως ἐπελάθετο   ὁποῖος ἦν.   25 ὁ δὲ παρακύψας εἰς νόμον τέλειον   τὸν τῆς ἐλευθερίας   καὶ παραμείνας,    οὐκ ἀκροατὴς ἐπιλησμονῆς    γενόμενος    ἀλλὰ ποιητὴς ἔργου, οὗτος μακάριος ἐν τῇ ποιήσει αὐτοῦ ἔσται.

  damit wir gewissermaßen Erstling seiner   Geschöpfe seien. Wisst, meine geliebten Geschwister: Ein jeder Mensch sei schnell, wenn es um das Hören geht, langsam, wenn es um das Reden geht, langsam, wenn es um den Zorn geht. Denn der Zorn eines Mannes bringt nicht die Gerechtigkeit Gottes hervor. Daher legt in Demut alle Unreinheit ab und allen Überfluss an Schlechtem und nehmt das angeborene Wort an,   das die Kraft hat, euch zu retten. Und werdet Täter des Wortes und nicht allein Hörer,   die sich selbst (damit) betrügen.   Wenn jemand ein Hörer des Wortes ist   und nicht Täter, gleicht dieser einem Mann,  der das Gesicht seines Ursprungs im   Spiegel betrachtet. Er hat sich nämlich betrachtet und ist weggegangen und hat sogleich vergessen,   was für einer er war.   Wer aber in das vollkommene Gesetz   der Freiheit hineingeschaut hat   und (dabei) geblieben ist,    indem er kein vergesslicher Hörer   wurde,    sondern ein Täter des Werks, dieser wird in seinem Tun selig sein.

Dieser erste Überblick über den Text zeigt, dass sich die Geburtsmetaphorik von Jak 1,15 über 1,18 und 1,21 bis zu 1,23 f. erstreckt und daher sinnvoller­ weise auch in diesem Zusammenhang wahrgenommen werden sollte. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Kontext aber zweifellos Jak 1,18 (s. u. 11.3). Konzentriert man sich daher bei der Evaluation der Forschungslage vorerst auf Jak 1,18 und darauf, wie die Metaphorik dieses Verses aufgefasst wird, so zeigt die bisherige „Wiedergeburts“-Forschung mit ihrer unterschiedlichen Beachtung oder Nichtbeachtung dieses Verses 2 bereits an, dass dessen Deutung im Sinne einer erneuten Geburt (die auf das Gläubigwerden der Adressierten referiert) offensichtlich nicht alternativlos ist. Darüber hinaus bietet die „Wiedergeburts“-Forschung hier nicht viel inhaltlich Weiterführendes. Alle Beiträge, die Jak 1,18 erwähnen, setzen die eben geschilderte Grundentscheidung voraus, dass es im Text um eine erneute Geburt geht, die metaphorisch das Neuwerden der 2 S. o.

die Tabelle in 6.1.

11.1 Der Text und die Forschungslage

339

Adressierten durch die Wende zum Christusglauben umschreibt. Sie reflektieren diese Entscheidung allerdings nicht als eine solche, zu der es auch ernstzunehmende Alternativen in der Forschung gäbe.3 Häufig erscheint Jak 1,18 überhaupt nur als eine Art „Anhang“ zur Erwähnung von 1 Petr 1,3.23 mit dem Hinweis auf die Ähnlichkeit der Aussagen.4 Auch die ausführlichen Untersuchungen des Themas „Wiedergeburt“ in den Monographien von Paul Gennrich und Joseph Dey zeigen wenig Interesse an einer vertieften Beschäftigung mit Jak 1,18.5 Nur Wolfgang Schweitzer stellt hier einen Ausnahme dar,6 hebt Jak 1,18 aber ausdrücklich von einer „Wiedergeburtslehre“ ab, weil in diesem Vers zum einen „nicht der Gedanke der Erneuerung zum Ausdruck“ komme und zum anderen „die eschatologische Beziehung […] nicht im Vordergrund“ stehe.7 Für jene Beiträge innerhalb der „Wiedergeburts“-Forschung, die Jak 1,18 vollständig übergehen,8 kann schließlich nur vermutet werden, dass der Text dort bereits aufgrund der rein formalen Beobachtung aus dem Wahrnehmungsraster herausgefallen ist, dass er keine sprachliche Repräsentation für „wieder“ aufweist.9

Worum also geht es in Jak 1,18 mit der Aussage, dass Gott „uns geboren hat durch das Wort der Wahrheit“? Was soll metaphorisch mit dieser Geburt umschrieben werden? In der Forschung zum Jakobusbrief werden hier insgesamt drei verschiedene Deutungsansätze verhandelt. Der erste Ansatz ist schöpfungstheologisch orientiert: „Gott hat uns geboren durch das Wort der Wahrheit“ wird dabei interpretiert als „Gott hat uns geschaffen durch das Wort der Wahr3 Das

ist in der älteren Forschung zu „Wiedergeburt“ fast durchgängig der Fall: vgl. Genn­rich, Lehre 41 f.; Kirn, Wiedergeburt 249; Heitmüller, Wiedergeburt 2009; Har­ nack, Terminologie 112; Procksch, Wiederkehr 16; Wissmann, Wiedergeburt 1913; Dey, ΠΑ­­ΛΙΓ­ΓΕΝΕΣΙΑ 155. Edsman (Schöpferwille 13) fasst 1939 für die ihm vorausliegende Forschung zusammen: „Die Ansicht, daß άποκυεῖν hier [sc. in Jak 1,18] für Wiedergeburt anstatt etwa ἀναγεννᾶν metaphorisch gebraucht ist, ist so altbezeugt und so oft wiederholt worden, daß diese Erklärung fast etwas Selbstverständliches geworden ist und bei den Auslegern keine Bedenken hervorruft.“ Später begegnet Jak 1,18 in der Forschung zur „Wiedergeburt“ kurz paraphrasiert bei Bosetti (Parola 6), ansonsten nur in Verweisen auf den Text als solchen bei Goppelt, Wiedergeburt 1697; Lichtenberger, Neuschöpfung 325; Popkes, Wiedergeburt 10; Frey, Wiedergeburt 1530, und Zimmermann, Wiederentstehung 273. 4 Frey (Wiedergeburt 1530) erwähnt Jak 1,18 dagegen im Zusammenhang mit dem Ersten Johannesbrief, aber ebenfalls nur am Rande. 5 Vgl. Gennrich, Lehre 41 f. (Zitat s. u. Anm. 277), und Dey, ΠΑΛΙΓΓΕΝΕΣΙΑ 155. 6 Schweitzer, Gotteskindschaft 320–327. 7 Schweitzer, Gotteskindschaft 327. Besonders auf die Beobachtung, dass in Jak 1,18 und Kontext keinerlei Schwerpunkt auf Erneuerung liegt, wird nochmals zurückzukommen sein (s. u. 11.9.4). 8 Vgl. Roosimaa, Wiedergeburt; Back, Wiedergeburt. Auch die Abschnitte, in denen Söding (Wiedergeburt) und Bae (Wiedergeburt) über die Betrachtung der johanneischen Textstellen hinaus auf „Wiedergeburt“ blicken, enthalten keinen Hinweis auf Jak 1,18. – Völlig anders gelagert sind die zwei Beiträge von Edsman (Schöpferwille) und Elliott-Binns (Creation), die sich allein mit Jak 1,18 und der Frage beschäftigen, ob in diesem Text von „Wiedergeburt“ oder Schöpfung die Rede sei, ohne diese Frage als eine allgemeine nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament auszuführen. (Daher sind sie auch nicht Teil des Forschungsüberblicks in Teil I, sondern werden erst im vorliegenden Kapitel in die Betrachtung einbezogen.) 9 S. o. 1.3, 6.2 und 7.2.4.

340

11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

heit“. Im Hinblick auf die Metaphorik stellt sich hier unter anderem die Frage, warum dann nicht direkt von Schöpfung, sondern von Geburt die Rede ist und worin der Mehrwert dieser Ausdrucksweise liegen könnte. Die zweite, nomistische Deutungsvariante 10 sieht in der Geburt „durch das Wort der Wahrheit“ dagegen einen Hinweis auf die Erwählung Israels und die Gabe des Gesetzes. Damit wäre der Kreis der Adressierten wesentlich in einem judenchristlichen Milieu zu suchen, in dem dieser Rückbezug besondere Relevanz hätte. Abgesehen von der Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer solchen Eingrenzung der Adressierten 11 muss hier unter anderem geklärt werden, inwiefern Geburt als metaphorischer Ausdruck für die Erwählung sinnstiftendes Potenzial enthalten und diese Deutungshypothese begründen könnte.12 Die dritte, soteriologische Deutung, von der bereits im Rückblick auf die Behandlung von Jak 1,18 in der bisherigen „Wiedergeburts“-Forschung kurz die Rede war, versteht den Vers als Rede von einer erneuten Geburt, die das Gläubigwerden der Adressierten metaphorisch ausdrückt. Tatsächlich sprechen auch fast alle Untersuchungen und Kommentare zu Jak 1,18 – unabhängig davon, ob sie der soteriologischen Deutung als solcher zuneigen oder sie eher kritisch referieren 13 – von „Wiedergeburt“ (bzw. „rebirth“).14 Wie immer im Zusammenhang mit die­ sem Terminus ist durch eine derartige „Etikettierung“ aber auch an dieser Stelle nicht viel gewonnen, da die Geburtsmetaphorik im Begriff selbst nach wie vor enthalten ist (s. o. 1.7). Was mit diesem speziellen metaphorischen Ausdruck für das Gläubigwerden der Adressierten an Bedeutung gewonnen ist, bleibt daher nach wie vor zu fragen.

Alle drei Deutungsrichtungen sind im Folgenden zu untersuchen (s. u. 11.6–7 und 9). Aus allen drei Ansätzen werden dabei sowohl bedenkenswerte Aspekte als auch zu vermeidende Engführungen und Überschreibungen der vom Text belegten Geburtsmetaphorik herauszuarbeiten sein. Die Ergebnisse dieser kritischen Betrachtungen werden schließlich zu einer Gesamtdeutung zusammenge10 Die Bezeichnung für diese Deutungsvariante variiert in der Forschung stärker als für die anderen beiden. Sie wird z. B. auch „heilsgeschichtlich“ (Popkes, Jakobus 123), „jüdisch-­ nomistisch“ (Ludwig, Wort 157) oder „jüdisch-partikularistisch“ (Klein, Bewährung 369) genannt oder durch einen Hinweis auf den Bund charakterisiert (vgl. z. B. die Kurzzusammenfassung aller drei Deutungsvarianten bei Johnson, James 205, als „creation, covenant, and grace“). 11 Siehe zu dieser Option in der Adressatenfrage mehr unten (11.2). 12 Sowohl im schöpfungstheologischen als auch im nomistischen Ansatz wird die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 in der Regel nicht mit der Erfahrung des Christusgläubig-Werdens in Zusammenhang gebracht. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel: vgl. daher Klein (Werk 131; s. u. 11.7) und in Ansätzen auch Laws (James 78; s. u. 11.6). 13 Alle drei genannten Deutungsvarianten werden u. a. ausführlicher diskutiert bei Johnson, James 205; Klein, Bewährung 369–380; Laws, James 75 f.; Popkes, Jakobus 123–127; nur zwei Varianten debattieren dagegen z. B. Dibelius, Jakobus 135–139; Frankemölle, Jakobus 297–305; Schnider, Jakobusbrief 44 f.; White, Erstlingsgabe 251 f. – jeweils mit unterschiedlichen Präferenzen im Fazit. 14 So z. B. Dibelius, Jakobus 135; Frankemölle, Jakobus 300; Hartin, James 105; Klein, Werk 129 f.133; Laws, James 76; Popkes, Jakobus 123; White, Erstlingsgabe 251.

11.2 Beobachtungen zur Kommunikationssituation

341

führt (s. u. 11.11), die der soteriologischen Deutungsvariante am nächsten steht, aber keineswegs vollständig in den bereits vorhandenen Entwürfen aufgeht. Dass mit der Konzentration auf die Stichhaltigkeit der Geburtsmetaphorik keineswegs eine marginale und nur im Kontext der vorliegenden Untersuchung speziell interessierende Fragestellung ins Zentrum rückt, zeigt bereits die breite Verteilung der verschiedenen geburtsmetaphorischen Aussagen über den gesamten Textbereich von Jak 1,13–25 (s. o. die Textdarstellung): Der Ursprungsbereich Geburt und seine metaphorischen Verwendungen sind von grundlegender Bedeutung für den Textabschnitt. Der Abschnitt Jak 1,13–25 wiederum hat grundlegende Bedeutung für das Gesamtverständnis des Briefes. Weichenstellend ist insgesamt die Auslegung von Jak 1,18 a. Wenn bereits hier die Geburtsmetaphorik nivelliert oder ersetzt wird, lassen sich auch die folgenden beiden Instanziierungen des Ursprungsbereiches Geburt in Jak 1,21 und 1,23 f. kaum mehr als solche erkennen. Denn ἔμφυτος in Jak 1,18 kann auch „eingepflanzt“ heißen; τὸ πρόσωπον τῆς γενέσεως in Jak 1,23 verweist mit dem „Ursprung“ ebenfalls nicht notwendig nur auf Geburt. Für eine solche Wahrnehmung ist vielmehr der kontextuelle Zusammenhang mit der Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 a entscheidend. Der Annäherung an diesen Vers und seine Auslegung dienen die nächsten drei Abschnitte: Zunächst stehen Überlegungen im Vordergrund, die die Empfänger- und Verfasserfiktion des Jakobusbriefes betreffen, da das Verständnis metaphorischer Äußerungen nicht unwesentlich von der Enzyklopädie ihrer Produzenten und Rezipienten abhängt (11.2). Des Weiteren wird ein kursorischer Durchgang durch das gesamte erste Kapitel des Jakobusbriefes geboten, um die strukturelle Zentralstellung von Jak 1,18 im Kontext dieses Kapitels aber auch im Hinblick auf den ganzen Brief herauszuarbeiten (11.3). Schließlich wird es um den spezifischen Einsatz der Geburtsmetaphorik in Jak 1,15 und damit um kontextuelle Weichenstellungen für die Lektüre von Jak 1,18 a gehen (11.4).

11.2 „Jakobus, Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus, an die zwölf Stämme in der Diaspora“: Beobachtungen zur Kommunikationssituation Mit der Mehrheit der Forschung wird der Jakobusbrief hier für ein pseudepi­ graphisches Schreiben gehalten.15 Das legt sich zum einen nahe durch die sprachliche Gestalt des Briefes, „ein Griechisch mit literarischer und rhetori15 Vgl.

eine ausführliche Zusammenstellung der Vertreter dieser Sicht der Dinge bei Schnelle, Einleitung 466 Anm. 16. Mit ihr verbunden ist eine Datierung des Briefes, die vom Todesjahr des Herrenbruders (62 n. Chr.) nicht als terminus ante quem, sondern eher als ter­minus post quem ausgeht. Je nach Bewertung und Gewichtung bestimmter Sach- und Mo-

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

scher Aura“,16 das zum Herrenbruder Jakobus auch unter Voraussetzung einer weithin praktizierten Zweisprachigkeit in Galiläa und Judäa im 1. Jahrhundert nicht passt.17 Zum anderen wäre das Fehlen jeglicher kultischer Aspekte des Gesetzes mit dem historischen Jakobus, wie er in Apg 15,13–21 oder auch im Hintergrund von Gal 2,12 erscheint, nur bedingt erklärbar.18 In der Forschung werden daneben noch weitere, vor allem kanongeschichtliche 19 und traditionsgeschichtliche 20 Argumente diskutiert, die hier nicht breiter dargestellt werden müssen.21 Im Vergleich zu anderen pseudepigraphischen Texten aus der Zeit des frühen Christentums und insbesondere zu den Deuteropaulinen fällt beim Jako­ busbrief auf, dass die Autorfiktion nur sehr schwach ausgeprägt ist. Einzig der Name Jakobus und die (fiktive) Lokalisierung in Jerusalem, die sich indirekt aus der Adresse des Briefes an die „zwölf Stämme in der Diaspora“ (Jak 1,1: ταῖς δώδεκα φυλαῖς ταῖς ἐν τῇ διασπορᾷ) ableiten lässt, weisen auf den Herrenbruder. Keinerlei Verwandtschaftsverhältnis zu Jesus oder ein be­sonderer Status des Absenders innerhalb der Jerusalemer Gemeinde werden erwähnt,22 tivparallelen zu anderen Schriften vom Ende des 1. und der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. wird eine Abfassungszeit „wohl um die Jahrhundertwende“ für wahrscheinlich gehalten (so Frankemölle, Jakobus 61, mit besonderer Konzentration auf das Verhältnis zum Sirachbuch; vgl. eine ähnliche, „großen Spielraum“ lassende Datierung auch bei Theissen, Intention 55, mit besonderer Berücksichtigung der Nähe zum Matthäusevangelium, zum Ersten Petrusbrief und zum Hirt des Hermas). Konradt (Jakobusbrief 510) plädiert dagegen für einen konkreteren Zeitraum „zwischen 70 und 80 / 85 n. Chr.“ (unter der Annahme, dass der Judasbrief den Jakobusbrief kennt), um nur einige Möglichkeiten zu nennen. 16 Theissen, Intention 55. 17 So z. B. auch Burchard, Jakobusbrief 4; Popkes, Jakobus 67; Frankemölle, Jakobus 52 f.; Tsuji, Glaube 41 f.; Jackson-McCabe, Politics 621–623; anders dagegen z. B. Hartin, James 24 f. (mit der Option eines Sekretärs und der Verfassung des Briefes „shortly after the death of James at Jerusalem“); Mussner, Jakobusbrief 7 f. (mit einer Übersetzerhypothese durch einen „griechisch sprechenden Mitarbeiter“), oder Johnson, James 93. 18 Vgl. dazu ausführlich Frankemölle, Jakobus 47–51; des Weiteren u. a. Theissen, Intention 55; Schrage, Jakobusbrief 10 f.; Popkes, Jakobus 4 f.67; Tsuji, Glaube 42. 19 Dass der Jakobusbrief erst ab dem 3. Jahrhundert in Zitaten belegt ist und breitere Geltung erlangt, spricht laut Theißen (Intention 55) gegen die Annahme, dass der Brief tatsächlich „von dem 62 n. Chr. hingerichteten Herrenbruder Jakobus stammen und von Anfang an mit dessen Autorität verbunden gewesen sein“ sollte; vgl. ähnlich z. B. auch Frankemölle, Jakobus 94–100; Schnelle, Einleitung 465; anders dagegen z. B. Stuhlmacher, Theologie 60. 20 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Popkes, Jakobus 27–44. 21 Vgl. neben Theißen (Intention) auch die ausführliche Diskussion der Pro- und Kontra­ argumente bei Konradt, Jakobus 576–590. 22 Vgl. etwa den Ehrentitel als „Säule“ (στῦλος, vgl. Gal 2,9), der hier ebenso wenig erscheint wie eine Spezifizierung als Ἰάκωβος ὁ ἀδελφὸς τοῦ κυρίου (Gal 1,19). Dass „Jakobus“ sich als „Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus“ (θεοῦ καὶ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ δοῦλος) vorstellt, betont hinter der offensichtlichen Niedrigkeit des Ausgesagten freilich durchaus seine besondere Würde (so z. B. Frankemölle, Jakobus 128–130), lässt sich aber nicht spezifisch mit dem Herrenbruder Jakobus in Verbindung bringen.

11.2 Beobachtungen zur Kommunikationssituation

343

es gibt keinen Hinweis auf Ereignisse im Leben des Jakobus 23 und auch ein Eigenhändigkeitsvermerk, wie etwa in Kol 4,18, fällt aus, weil ein brieflicher Schluss überhaupt fehlt. Es stellt sich also nicht nur die in der Forschung regelmäßig verfolgte Frage, was mit der pseudonymen Zuschreibung des Briefes an Jakobus, den Herrenbruder, erreicht werden sollte,24 sondern auch die Frage, warum „Jakobus“ dabei zugleich so blass bleibt.25 Was als unüberbrückbare Spannung erscheinen mag, könnte eine bewusste Strategie der Autorfiktion sein: Durch die „Unbestimmtheit“, in der der pseudonyme Absender verharrt, lässt sich eine größere Gruppe intendierter Leser erreichen.26 Wer viel von Jakobus wusste und hielt, konnte dieses Wissen ohne Weiteres ergänzend in die Lektüre einfließen lassen. Aber da Jakobus – ebenso wie Paulus – im frühen Christentum nicht unumstritten war,27 mochte es nicht ungeschickt sein, Erinnerungen an die damit verbundenen Konflikte (siehe Gal 2,11–14) nicht direkt aufzurufen.28 Sollte es dem Brief samt seiner Autorfiktion 23 Bisweilen wird in Jak 5,6, wo von der Verurteilung und Ermordung „des Gerechten“ die Rede ist, eine Anspielung auf den historischen Jakobus gesehen (so z. B. Frankemölle, Jakobus 663–665). Der Bezug bleibt aber vage. Die Passage ist außerdem direkt an „die Reichen“ (Jak 5,1) gerichtet und vermittelt eher generelle Kritik, wie sie sich ähnlich auch in Ps 36,32 LXX und Sap Sal 2,20 finden lässt, als konkrete historische Erinnerung. 24 Vgl. dazu ausführlich Theissen, Intention. 25 Angesichts der Tatsache, dass Jakobus im 1. Jahrhundert ein weitverbreiteter jüdischer Name war, ist in der Forschung zum Teil auch die These verfolgt worden, dass es sich um einen anderen, uns heute unbekannten Jakobus handeln könnte: So z. B. schon Luther in sei­ner Vorrede auf den Jakobusbrief (WA.DB 7, 384–386): „[…] Das mich düncket / es sey jr­gent ein gut frum Man gewesen / der etliche Sprüche von der Aposteln Jünger gefasset / vnd also auffs Papir geworffen hat“. Neueren Datums u. a. Penner (James 277), der die Vermutung, dass der Verfasser „an authoritative leader and teacher“ sei, mit einer Frühdatierung des Briefes in die 40er Jahre des 1. Jahrhunderts verbindet. 26 Vgl. Gerber (Briefe 313), die für den Epheserbrief zeigt, dass dieser es „in seiner unspezifischen Ausrichtung geradezu darauf anlegt, die identifikatorische Lektüre unterschiedlicher Menschen zu eröffnen.“ 27 Dass der Jakobusbrief in der Forschung häufig auch ganz direkt in diese Auseinandersetzung um unterschiedliche theologische Ansätze eingeordnet wurde, vor allem das Verhältnis von Glaube und Werken betreffend, zeigt sich besonders in einer entsprechend „kontroverstheologischen“ Auslegung von Jak 2,14 ff. (vgl. etwa Hengel, Jakobusbrief; Tsuji, Glaube 187–199), zu der es jedoch auch Alternativen gibt (z. B. Theissen, Intention 73–77, oder Popkes, Jakobus 36–39). 28 Vgl. Theissen, Intention 61: „Konnten oder sollten die Leser des Jakobusbriefes dieses [sc. konfliktbezogene] Wissen um den historischen Jakobus aktivieren? Zunächst möchte man sagen: Nein! Der Jakobusbrief will zwar von der führenden Gestalt des Judenchristentums geschrieben sein, aber er betont nur wenig speziell judenchristliche Züge, die den Unterschied zum Heidenchristentum bilden.“ Eine Korrektur dieser Beobachtungen, wie sie sich im betonten „Zunächst“ andeutet, folgt allerdings nicht, sondern vielmehr eine Weiterführung des Gedankengangs: Nicht der in Auseinandersetzungen um die Aufrechterhaltung eines ritualistischen Judenchristentums verwickelte Jakobus solle im Brief wieder lebendig werden, sondern „der führende Judenchrist Jakobus“ als Vertreter eines „ethische[n] Christentum[s] von hohem Niveau“ (ebd. 62 f.).

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

darum gegangen sein, ein verändertes Jakobusbild und damit zugleich eine neue Sicht auf judenchristliche Positionen zu propagieren, wie Gerd Theißen meint,29 wäre diese Unbestimmtheit ein wichtiges Mittel. Diese vermutete Strategie korrespondiert schließlich auch mit der Konstruktion der Adressatinnen und Adressaten, die im Präskript als „die zwölf Stämme in der Diaspora“ angesprochen werden.30 Schon die unterschiedlichen Deutungen, die diese Formulierung in der Forschung erfahren hat, zeigen, dass sie ebenfalls offen ist für unterschiedliche inhaltliche Füllungen. Sie lässt sich in größtmöglicher Weite verstehen als „an die Gesamtheit der Christen außerhalb Palästinas gerichtet“.31 Dagegen steht am anderen Ende des Spektrums die Meinung, dass es sich vielmehr um eine innerjüdisch zu verstehende Adresse handle und nur Judenchristen angesprochen seien.32 Die zuletzt genannte Position stützt sich häufig auf die Untersuchung von Willem Cornelis van Unnik zum Begriff διασπορά.33 Den Analysen van Unniks zufolge ist das zuvor eher unübliche griechische Nomen 34 erst durch die Septuaginta-Übersetzung zu seiner spezifisch jüdischen Bedeutung gekommen. Indem διασπορά die Situation (oder auch den Akt) der Zerstreuung des Gottesvolkes bezeichnet, von der der hebräische Text unter Verwendung verschiedener Wortstämme redet, wurde von den Übersetzern ein Begriff geschaffen, der neben dem Blick in die Vergangenheit zugleich deren eigene aktuelle Lebenssituation in Worte zu fassen half.35 Dabei ergibt die diachrone Analyse van Unniks, dass diese Bezogenheit von διασπορά auf die (geographische) Zerstreuung der Juden, auf ihr Leben fern von Jerusalem unter Heiden und die Beurteilung dieser Situation als „im allgemeinen ungünstig als Strafe“ 36 bis zu den Kirchenvätern zu verfolgen ist. Eine allgemeine Übertragung von διασπορά auf die Situation der Christen kann van Unnik dort hingegen nicht feststellen. Gegen van Unnik ist damit aber dennoch nicht ausgeschlossen, dass sowohl Christusgläubige mit jüdischer Herkunft als auch solche mit paganer Vergangenheit sich in der Anrede „an die zwölf Stämme in der Diaspora“ wie-

29 Vgl. Theissen, Intention 63: „Man konnte das Jakobusbild am besten korrigieren, wenn man Jakobus selbst seine Meinung ‚revidieren‘ ließ, um ebenso seine Anhänger für eine andere Meinung zu gewinnen wie seine Gegner zu einer Revision ihres ‚Feindbildes‘ zu bewegen.“ 30 Vgl. ähnlich Jackson-McCabe (Politics 614), der ebenfalls einen Zusammenhang zwischen dem relativ unbestimmt bleibenden Autor und der offenen Adresse sieht: „But the letter’s failure to situate its author in personal relationships or situations may simply be a function of its wide-open address ,to the twelve tribes in the Diaspora‘ (1:1) rather than to some particular, localized community.“ 31 So Schnelle, Einleitung 467, stellvertretend für viele andere. 32 So in den Kommentaren u. a. vertreten von Davids, James 64; Hartin, James 27; Martin, James 9; McKnight, James 67 f.; in der Tendenz auch Mussner, Jakobusbrief 62; vgl. außerdem Ludwig, Wort 159; White, Erstlingsgabe 243. 33 Siehe van Unnik, Selbstverständnis. 34 Das Verb διασπείρειν weist dagegen eine häufige Verwendung auf, vgl. van Unnik, Selbstverständnis 76. 35 Vgl. van Unnik, Selbstverständnis 80–85. 36 Van Unnik, Selbstverständnis 79.

11.2 Beobachtungen zur Kommunikationssituation

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derfinden konnten,37 zumal die Erwähnung eines aus zwölf Stämmen bestehenden Israels spätestens seit 722 v. Chr. auf keine real existierende Größe mehr referiert und in jedem Falle eine Übertragungsleistung forderte.38

Mit van Unnik ist zwar zu Recht davor zu warnen, den Begriff διασπορά völlig von seiner Israelbezogenheit zu lösen und einfach als Beschreibung der Minderheitensituation der christlichen Gemeinden an den verschiedensten Orten des Römischen Reiches gegen Ende des 1. Jahrhunderts zu verstehen. Das belegt aber umgekehrt noch nicht, dass der Jakobusbrief mit seiner Adresse auf eine rein judenchristliche Leserschaft zielt.39 Damit Menschen, die nicht aus dem Judentum stammten, sich durch die alttestamentlich-jüdisch geprägten Begriffe der Adresse ebenso angesprochen fühlen konnten wie jüdischstämmige Rezipienten, ist nur vorauszusetzen, dass sie sich durch ihre Zuwendung zum Christusglauben auch als Teil des Gottesvolkes verstanden.40 „Zwölf Stämme“ und „Zerstreuung“ sind daher weder losgelöst von Israel zu verstehen, noch exklusiv allein auf Israel bezogen.41 Dazu passt, dass auch die inhaltlichen Schwerpunkte des Briefes sich gut einem jüdisch geprägten Milieu zuordnen lassen, aber wiederum nicht so spezifisch sind, dass sie andere Lektüren aus stärker pagan beeinflussten Perspektiven ausschließen. Folgt man Theißen, dann geht es dem Brief unter anderem gerade darum, auch „nach außen“ denen gegenüber, die judenchristliche Positionen allein mit einem starren Ritualis37 So

z. B. Burchard, Jakobusbrief 6; Theissen, Intention 60. (Brief 50 Anm. 172) spricht davon, dass „in ἐν τῇ διασπορᾷ zumindest metaphorische Obertöne mitzuhören sind“. 39 So z. B. auch Konradt, Jakobusbrief 510: „Die stark jüdische Prägung des Briefes und das in 1,1 artikulierte Israelbewusstsein sind keine hinreichenden Gründe, um in den Adressaten ausschließlich Judenchristen zu sehen.“ 40 Vgl. Niebuhr (Jakobusbrief 423), der mit der Formulierung, dass der Jakobusbrief an diejenigen gerichtet sei, „die sich als Glieder der Jesusbewegung dem biblischen Gottesvolk zurechnen“, zugleich die Rede von „Judenchristen“ bzw. „Heidenchristen“ vermeiden will, da diese in unzutreffender Weise „klare Konturen und Trennlinien zwischen beiden Gruppen“ suggeriere, die „für die im Jakobusbrief vorausgesetzten Adressaten nicht aufweisbar“ seien. – Die Frage nach dem Bedeutungsspektrum von διασπορά stellt sich vergleichbar auch für die Adresse des Ersten Petrusbriefes. Dass die intendierten Leser hier von der Forschung mehrheitlich als heidenchristlich bestimmt werden und dass der Erste Petrusbrief zugleich deren Integration ins Gottesvolk beschreibt (s. o. 10.2 und 10.7), bestätigt indirekt auch die oben vorgeschlagene Sicht auf den Jakobusbrief; vgl. auch Konradt, Brief 51, mit dem zusätzlichen Blick auf mögliche gemeinsame Traditionen beider Briefe: „Der im NT nur in Jak 1,1; 1 Petr 1,1 mit Bezug auf die christlichen Gemeinden begegnende Gebrauch von διασπορά ist offenbar dem die beiden Schriften verbindenden Traditionsreservoir zuzuweisen, ja ‚Diasporaexistenz‘ und Israelbewusstsein gehören als ekklesiologische Eckpfeiler zum gemeinsamen Traditionsfundament von Jakobusbrief und 1. Petrusbrief.“ 41 Eine vergleichbare Position, die Menschen nicht-jüdischer Herkunft nicht ausschließt, dies aber unlösbar mit deren Integration in bestimmte jüdische Traditionen verbunden wissen will, lässt sich bereits dem Herrenbruder Jakobus zuschreiben; vgl. dazu ausführlich Konradt, Brief. 38 Konradt

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

mus gleichsetzen, eine andere Sicht des Judenchristentums anzubieten.42 Hatte sich schon von der Autorfiktion her eine Perspektive, die sich stark an Positionen des historischen Jakobus orientiert,43 nicht als notwendige Voraussetzung für die vom Brief implizierte Lektüre erwiesen (s. o.), so bestätigt sich dies also auch von der Analyse der intendierten Adressaten her.44 Aus dieser Einschätzung der Kommunikationssituation ergibt sich, dass die vom Brief bei seinen impliziten Leserinnen und Lesern vorausgesetzte Enzyklopädie relativ unbestimmt bleibt und die Deutung der Metaphorik in Jak 1,18 (und Umfeld) somit vor allem auf textinterne Signale der Verständnislenkung angewiesen sein wird. Vor allem für die Frage, auf welche textexternen Ereignisse im Leben der Adressierten die metaphorischen Äußerungen referieren könnten, bietet der Brief aufgrund der geschilderten Offenheit wenig Konkretes. Die entsprechend breit ausfallenden Deutungsvorschläge, die zu diskutieren sein werden (s. u. 11.6–9), spiegeln diese Wahrnehmung.

11.3 Kontextuelle Einordnung von Jak 1,18 Nachdem dem Jakobusbrief über längere Zeit jegliche planvolle Gliederung überhaupt abgesprochen wurde,45 bemüht sich die Forschung inzwischen intensiv und mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen um die Klärung des Briefauf baus, die sich oft auch mit rhetorischen Analysen verbindet.46 42 Vgl.

Theissen, Intention 62 u. ö.; siehe auch oben Anm. 28 am Ende. geht es sowohl um Positionen, die der Herrenbruder tatsächlich vertreten hat, als auch um solche, die ihm zugedacht wurden. 44 Vgl. auch Klein, Bewährung 225: „Wahrscheinlich entstammt der Vf. judenchristlichem Milieu, aber hat er seinen Brief auch partikularistisch auf Judenchristen zugeschnitten? Oder gestaltete er ihn vielmehr absichtlich so, dass er – ohne seinen eigenen Hintergrund zu verleugnen – von allen Christen gelesen und akzeptiert werden konnte? Wenn das Schreiben noch heute diametral entgegenstehende Interpretationen hervorrufen kann, sollte man dies dann nicht auch hinsichtlich der Erstleser annehmen dürfen?“ 45 Vgl. die einflussreiche Einschätzung von Dibelius (Jakobus 14), dass „in dem ganzen Schriftstück der gedankliche Zusammenhang“ fehle (vgl. ähnlich z. B. auch Mussner, Jakobusbrief 58 f.; Schrage, Jakobusbrief 7–9). In ähnliche Richtung geht schon Luthers Urteil, dass der Jakobusbrief „kein ordo noch methodus“ habe: „Jtzt sagt er von kleidern, bald von zorn, fellet immer von einem auff das ander“ (WA.TR 5, 157). 46 Vgl. den Überblick bei Popkes, Jakobus 44–54. Dass dem Jakobusbrief ein Briefcha­ rakter gänzlich abzusprechen sei (so u. a. Dibelius, Jakobus 15), wird in der neueren Forschung kaum noch vertreten. Im Vordergrund steht vielmehr der Vergleich mit hellenistischen Briefformularen (vgl. z. B. Hoppe, Jakobusbrief 171–175), besonders mit dem frühjüdischen Diasporabrief als möglicher Gattungsvorlage (vgl. dazu ausführlich Klein, Bewährung; Tsuji, Glaube 5–50; Niebuhr, Jakobusbrief; kritisch u. a. Hoppe, Jakobusbrief 173–175), und die Zusammenschau des Jakobusbriefes mit anderen zeitgenössischen Briefen unter dem Blickwinkel der Pseudepigraphie (vgl. z. B. die einschlägigen Beiträge zum Jakobusbrief in Frey, Pseudepigraphie). 43 Dabei

11.3 Kontextuelle Einordnung von Jak 1,18

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Da hier vor allem Jak 1,18 in seinem näheren Kontext interessiert, kann auf die verschiedenen Gliederungsvorschläge, die den ganzen Brief betreffen, nicht im Einzelnen eingegangen werden. Zu verweisen ist vor allem auf die strukturellen und exegetischen Analysen Matthias Konradts,47 der Jak 1,18 nicht nur im Rahmen des ersten Kapitels des Briefes und speziell im Kontext von Jak 1,13–25 eine zentrale Rolle zumisst (s. u.), sondern auch für den gesamten Brief. Denn indem Jak 1,13–25 von Konradt als „Theologische Grundlegung“ des Hauptteils (1,13–5,6) bestimmt wird,48 hat die zentrale Aussage dieser Grundlegung entsprechend auch Gewicht für den ganzen Brief (s. u. Anm. 78).

Die folgende Struktur- und Inhaltsanalyse, die sich auf das erste Kapitel des Briefes konzentriert, wird zeigen, wie stark die metaphorische Geburtsaussage in Jak 1,18 mit ihrem näheren Kontext vernetzt ist – sowohl im Hinblick auf die Metaphorik selbst, als auch bezüglich der Themen, die das erste Kapitel insgesamt anspricht (siehe dazu auch oben die Textpräsentation von Jak 1,13–25 in 11.1). Nach dem bereits erwähnten Präskript Jak 1,1 (s. o. 11.2), dessen Abgrenzung keine Schwierigkeiten bereitet, beginnt ein einleitender Abschnitt, der in der Literatur unterschiedlich bezeichnet wird.49 Im Blick auf den Inhalt wird er aber verhältnismäßig einheitlich als eine Art knappe Vorstellung von mehreren Themen verstanden, die im Brief später dann noch intensiver behandelt werden. Strittig ist allerdings sowohl das Ende dieses einleitenden Abschnitts als auch dessen innere Struktur. Gemäß der längeren Variante reicht die Einleitung von Jak 1,2 bis zum Ende des ersten Kapitels in Jak 1,27 (wobei Jak 1,26 f. bisweilen als Übergangsabschnitt zum Folgenden abgetrennt wird).50 Die kürzere Variante sieht den Übergang zum Hauptteil des Briefes bereits mit Jak 1,12 oder 1,13 gegeben.51 Ein weiterer Vorschlag zur Gliederung setzt eine Zäsur direkt nach Jak 1,18.52 Für alle diese Entscheidungen gibt es erwägenswerte Gründe. Alle Einteilungen tangieren die Stellung und somit Bedeutung von Jak 1,18 im Kontext des Briefanfangs. 47 Vgl.

bes. Konradt, Wort, und ders., Jakobusbrief 502–505. Konradt, Jakobusbrief 505. 49 Die Vielzahl der Vorschläge ist beachtlich: Einleitung, Disposition, Eröffnung, Prolog, Propositio etc. (vgl. auch den Forschungsüberblick bei Popkes, Jakobus 44–53). 50 Vgl. z. B. Tsuji (Glaube 60) und Hartin (James 28), die in Jak 1,2–27 die „Einleitung“ respektive „introduction“ des Briefes sehen; vgl. ähnlich auch Johnson, James 174 f.: „I take chapter one as something of an epitome of the work as a whole“. 51 Mit Jak 1,12 lässt z. B. Burchard (Jakobusbrief 67) den Hauptteil des Briefes beginnen, mit Jak 1,13 z. B. Konradt (Jakobusbrief 502–505). Anders Davids (James 25, siehe auch 78), der das Kapitel zwar in Jak 1,2–11 und 1,12–25 unterteilt, beide Abschnitte aber als „the double opening statement“ zusammenfasst. 52 So z. B. Thurén (Rhetoric 272 f.), der den Abschnitt Jak 1,19–27 jedoch noch nicht dem Hauptteil zuordnet, sondern ihn nach dem exordium (1,1–18) als propositio identifiziert; ähnlich Klein (Werk 39), bei dem Jak 1,2–18 und 1,19–27 gemeinsam die „[d]oppelte propositio“ bilden. Frankemölle (Jakobus 321 f.) sieht den Prolog einerseits mit Jak 1,18 für beendet an, betont aber zugleich den engen Zusammenhalt mit dem nächsten Abschnitt, der in seiner Gliederung den Hauptteil des Briefes eröffnet. Noch stärker verweist Popkes (Jakobus 54–58) auf den Zusammenhalt des Textes und votiert gegen eine zu statische Abschnitts48 Vgl.

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

Die Formulierung in Jak 1,2 setzt mit einer „steilen“ Aufforderung ein, die zugleich ein wichtiges Stichwort für die später folgenden Verse Jak 1,12–14 bringt, nämlich πειρασμοί: Die als ἀδελφοί angesprochenen Geschwister sollen es als lauter Freude ansehen, wenn sie in vielfältige Anfechtungen fallen. Denn – so versichert Jak 1,3 f. – hier kann sich die Echtheit des Glaubens in Geduld bewähren 53 und zum Ziel gelangen, nämlich zur Vollkommenheit des aus dem Glauben entstehenden Werkes und zur eigenen Vollkommenheit: ἵνα ἦτε τέλειοι (1,4). Wem es jedoch an Weisheit (σοφία, 1,5) zu dieser Lebensund Glaubenspraxis mangele – und angesichts der hohen Forderung, Freude an den Anfechtungen zu empfinden, mag diese Möglichkeit nicht weit hergeholt sein –, solle Gott darum bitten, der das Erbetene auch willig und ohne Vorwurf geben werde. Das Stichwort τέλειος wird dann erneut in Jak 1,17 aufgegriffen, wo von der vollkommenen Gabe (δώρημα τέλειον) gesprochen wird, die allein von oben, von Gott, kommt.54 Der Zweifelnde jedoch, der in seiner Seele Zerrissene (δίψυχος, 1,8), der nicht im Glauben bittet (vgl. 1,6), empfängt nichts (1,7). Der Jakobusbrief vergleicht dessen Situation mit einem von Wind und Wellen umhergetriebenen Menschen, der unstet (ἀκατάστατος, 1,8) seiner Wege geht (1,6–8),55 und liefert damit ein erstes von vielen Bildern, die im Laufe des Briefes noch folgen und immer wieder für eine plastische Verdeutlichung des Gesagten sorgen. Insgesamt fällt am Jakobusbrief auf, dass ausgesprochen häufig Bilder, Metaphern, Beispiele und Vergleiche benutzt werden.56 Allein im ersten Kapitel des Briefes wird in Jak 1,6 und 1,23 zweimal explizit verglichen (ἔοικεν), in Jak 1,10 wird der Bezug auf Jes 40,6–8 mit ὡς eingeleitet und in Jak 1,11 mit οὕτως καί auf den Punkt gebracht. In Jak 1,18 schließlich wird die Bestimmung der von Gott Geborenen, „Erstling“ zu sein, durch ein Indefinitpronomen („gewissermaßen Erstling“) als Vergleich kenntlich.57 Das heißt, dass der Text selbst immer wieder auf seinen vergleichenden, metaphorischen Charakter hinweist. Metaphorische Äußerungen stehen im Jakobusbrief selten als monolithischer Block da, sondern werden weitergeführt, entwickelt und in anderen Bildern weitergeführt. Immer wieder greifen die einteilung, die er daher eher nur „aus praktischen Gründen“ (ebd. 56) überhaupt vornehme. Einen Einschnitt sieht er dabei bereits nach Jak 1,15 (ebd. 74). 53 Dieser positive Aspekt fehlt in der ab Jak 1,13 intensivierten Rede vom Versucht-Werden und von Versuchungen jedoch, so dass manche Ausleger hier eine „semantische Veränderung“ konstatieren, so z. B. Popkes, Jakobus 103. Gegen eine solche semantische Bedeutungsverschiebung, die für die Leser nur schwer nachvollziehbar wäre, spricht sich dagegen Klein (Bewährung 296–299) aus. 54 Außerdem wird in Jak 3,13–4,12 das Thema der Weisheit von oben (vgl. bes. 3,13–18) und des richtigen Bittens (vgl. bes. 4,2 f.) erneut aufgegriffen. 55 Wiederum tauchen markante Stichworte aus diesem Abschnitt später im Brief auf: δί­ ψυχος in Jak 4,8, ἀκατάστατος im Zusammenhang mit der Rede über die Zunge in Jak 3,8 und als Substantiv in Jak 3,16 (s. o. Anm. 54). 56 Siehe Popkes (Jakobus 14) mit einer Übersicht über die „Bildgeber“ der „reiche[n] Metaphorik“. Vgl. auch Klauck, Brief literatur 255: „Der Verf. des Jak […] schreibt ein ele­gantes Griechisch, […] verwendet Redefiguren, prägt schöne Vergleiche und Metaphern“. 57 So auch Konradt, Existenz 60.

11.3 Kontextuelle Einordnung von Jak 1,18

349

vergleichend und metaphorisch genutzten Ursprungsbereiche ineinander. Das ist in der Auslegung zu beachten (s. o. den achten exegetischen Leitsatz in 1.6.5).

Der an Jak 1,2–8 anschließende Abschnitt (1,9–11) wechselt schließlich zu einem Thema, für das der Jakobusbrief nicht zu Unrecht bekannt ist: die Kritik an den Reichen. Diese Kritik wird hier prägnant untermalt mit dem aus Jes 40,6–8 stammenden Bild vom Menschen, der wie die Blume des Grases abfällt und vergeht.58 In Jak 1,11 jedoch wird diese Aussage nicht wie in Jes 40,6 LXX auf „alles Fleisch“ (πᾶσα σάρξ) bezogen, sondern nur auf den Reichen (οὕτως καὶ ὁ πλούσιος […]). Jak 1,12 geht mit der Seligpreisung dessen, der in der Anfechtung standhaft bleibt, wieder ins Allgemeinere über und kann aufgrund der deutlichen Rückbezüge zu Jak 1,2 f. mit diesen Versen zusammen als eine Rahmung des gesamten Abschnitts Jak 1,2–12 verstanden werden.59 Zugleich wird mit dem Stichwort πειρασμός aber in den folgenden zwei Versen intensiv weitergearbeitet. Die Debatte um eine Zäsur an dieser Stelle ist daher mehr als verständlich und wird gleich, im Zusammenhang mit Jak 1,18, nochmals aufzugreifen sein. Die Verse Jak 1,13 f. kommen in weniger optimistischer Weise, als dies in Jak 1,2–4 der Fall war (s. o. Anm. 53), erneut auf die Versuchungen zu sprechen.60 Es geht nun um den Ursprung der Versuchungen, der ganz bei den Menschen selbst zu suchen ist und nicht bei Gott (1,13), wie man aufgrund der zuvor stark gemachten Ansicht, dass die Versuchungen die Möglichkeit zur Bewährung des Glaubens böten (vgl. 1,2 f.), vielleicht irrtümlich denken könnte. In Jak 1,13 b wird Gott aber ausdrücklich als der beschrieben, der – anders als die Menschen – „nicht zum Bösen versucht werden kann und auch selbst niemanden versucht“ (ὁ γὰρ θεὸς ἀπείραστός ἐστιν κακῶν, πειράζει δὲ αὐτὸς οὐδένα). Während Gott also laut Jak 1,13 b ursächlich nichts mit den Versuchungen zu tun hat, die Menschen erleben, hebt Jak 1,17 hervor, dass alle gute Gabe ein Geschenk Gottes „von oben“ (ἄνωθεν) ist – und zwar ohne jeglichen aktiven Anteil der Menschen daran. Die Charakterisierung der Menschen in Jak 1,14 f. steht insgesamt in starkem Kontrast zu jener Gottes in Jak 1,17 f.: Gott erscheint in großer Höhe und Erhabenheit als „Vater der Lichter“ (πατὴρ τῶν φώτων),61 „bei dem es 58 Auch in 1 Petr 1,23–25 wird Jes 40,6–8 aufgegriffen, allerdings in stärkerer Verbindung mit der Geburts- / Zeugungsmetaphorik, als das im Jakobusbrief der Fall ist. Während die Ver­wendung von Jes 40,6–8 im Ersten Petrusbrief inhaltlich auf das bleibende Wort Gottes zielt, das einen deutlichen Kontrapunkt zu aller irdischen Vergänglichkeit darstellt, ist das Zitat in Jak 1,11 allein auf den Aspekt der Vergänglichkeit konzentriert. 59 Vgl. ὑπομένειν (1,12) – ὑπομονή (1,3); πειρασμός (1,12) – πειρασμοί (1,2) und δόκιμος (1,12) – δοκίμιον (1,3). 60 Der Jakobusbrief konkretisiert hier nicht, worin diese πειρασμοί bestehen, vgl. Popkes, Jakobus 101. Reichtum (vgl. Jak 1,9–11) ist sicherlich eine mögliche Gestalt, in der die „Versuchungen“ erscheinen können, wenn auch nicht die einzige. 61 Die Vater-Bezeichnung schafft gerade keine Vertrautheit und Verbindung, denn es ist

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

keinen Wechsel oder Schatten der Veränderung gibt“ (1,17).62 Sein Tun steht im Einklang mit seinem Wollen (βουληθείς, 1,18 a).63 Auf menschlicher Seite dagegen „wird ein jeder versucht von seinen eigenen Begierden, mitgerissen und geködert“ (ἕκαστος δὲ πειράζεται ὑπὸ τῆς ἰδίας ἐπιθυμίας ἐξελκόμενος καὶ δελεαζόμενος, 1,14).64 Auch wenn es sich mit ἐξελκόμενος καὶ δελεαζόμενος um Passivpartizipien handelt, so macht Jak 1,14 doch sehr deutlich, dass der Mensch sich nicht damit herausreden kann, dass er fremdbestimmt oder gar von Gott versucht worden sei (vgl. 1,13 a), denn es sind seine eigenen Begierden, die ihn hin- und herreißen und von denen er sich zu seinem Unheil bestimmen lässt.65 Dieses Unheil beschreibt Jak 1,15 darauf hin unter erneuter Aufnahme des Wortes ἐπιθυμία bis in seine letzte tödliche Konsequenz in einer Filiationsreihe:66 Mit τίκτειν und ἀποκύειν wird das Hervorgehen von Sünde aus der Begierde und vom Tod aus der Sünde jeweils metaphorisch als Geburtsvorgang geschildert. Die in ihrer Grundstimmung ganz anders geartete Geburtsmetaphorik von Jak 1,18 wird hier bereits vorbereitet. Die Formulierung in Jak 1,16 setzt mit Μὴ πλανᾶσθε, ἀδελφοί μου ἀγαπητοί dann zwar neu ein,67 dass die Verse Jak 1,17–18 aber zugleich die Verbindung zum vorhergehenden Abschnitt halten, indem auf verschiedene Weise Gegensätze zu den Versen Jak 1,13–15 konstruiert werden, ist eben bereits gezeigt eben nicht vom Vater der Gläubigen, sondern vom „Vater der Lichter“ die Rede; vgl. auch Popkes, Jakobus 121 f.: „Die Vater-Aussage über Gott klingt ganz anders als die in 1,27 und 3,9“. 62 Man mag an den aristotelischen ersten unbewegten Beweger denken, die Kommentare bieten weitere mögliche Traditionen an, die im Hintergrund stehen könnten (vgl. z. B. ausführlich Dibelius, Jakobus 131–134, oder Schnider, Jakobusbrief 43 f.). Weder der πατὴρ τῶν φώτων noch die Formulierung οὐκ ἔνι παραλλαγὴ ἢ τροπῆς ἀποσκίασμα lässt sich letztlich aber eindeutig traditionsgeschichtlich herleiten. Inhaltlich läuft die Aussage darauf hinaus, dass sich Gott – anders als die Gestirne – nicht bewegt und sich auch nicht wandelt: Auf seine guten Gaben ist daher Verlass. 63 Ähnlich auch Burchard, Jakobusbrief 77. 64 Die Formulierung ὑπὸ τῆς ἰδίας ἐπιθυμίας wird hier als logisches Subjekt zu den beiden Partizipien gedeutet (mit Burchard, Jakobusbrief 73), syntaktisch möglich ist aber auch eine vergleichbare Zuordnung zu πειράζεται. Popkes (Jakobus 105) will beide Lesarten verbinden: „Jak liest den Satz offenbar als Einheit.“ 65 Klein (Bewährung 299) verweist darauf, dass diese Betonung der eigenen Begierden, deren Herkunft im Text nicht wirklich geklärt wird (vgl. dazu auch Schnider, Jakobusbrief 42), mit unterschiedlichen Ansatzpunkten rechnet, die die Begierde bei je unterschiedlichen Menschen findet. 66 Häufig auch als Kettenreihe bezeichnet: ausführlich s. u. 11.4. 67 Die Geschwisteranrede, die im Laufe des Briefes immer wieder die Ansprache intensiviert, begegnet erstmals in Jak 1,2 und unmittelbar nach dem hier betrachteten Abschnitt erneut in Jak 1,19. Frankemölle versteht sie als „emotional Gemeinschaft einwerbende Anrede“ (Jakobus 290) und schreibt dem Vers im Kontext eine „Scharnierfunktion“ zu (ebd. 288). Theißen (Intention 62) deutet die wiederholten Anreden als „Mittel […], um die pseudepigraphe Intention zu unterstreichen: Der Leser soll immer wieder daran erinnert werden, dass kein anderer als Jakobus spricht und dass dieser Jakobus um Konsens bei seinen ‚geliebten Brüdern‘ wirbt.“

11.3 Kontextuelle Einordnung von Jak 1,18

351

worden. Erst Jak 1,18 führt die getrennten Welten 68 wieder zusammen und schafft eine ausdrückliche Verbindung zwischen Gott und Mensch. Der doppelten metaphorischen Geburtsaussage aus Jak 1,15, die in pervertierter Weise nicht zum Leben, sondern zum Tod führt, steht die Aussage entgegen, dass Gott „uns“ (die Adressierten einschließlich des Verfassers) „geboren hat durch das Wort der Wahrheit“. Es wird nicht ausdrücklich gesagt, lässt sich im Einklang mit all den anderen gegensätzlichen Aussagen der beiden Abschnitte aber unschwer schließen: Diese Geburt geschieht nicht zum Tod, sondern zum Leben.69 Indirekt greift Jak 1,18 damit auch auf Jak 1,12 zurück, wo jenem Mann, der der Versuchung geduldig standhält, der „Siegeskranz des Lebens“ (στέφανος τῆς ζωῆς) verheißen wird.70 Der Vers Jak 1,12 dient damit in doppelter Weise (vgl. 1,2–12) der Abschnittsrahmung und verbindet Textteile nach vorn und nach hinten.71 Die Aussage in Jak 1,19 ist erneut durch eine Anrede an die Adressierten geprägt: Ἴστε, ἀδελφοί μου ἀγαπητοί […] (vgl. 1,16). Wiederum intensiviert die direkte Ansprache damit vor allem die Beziehung zwischen dem fiktiven Autor und den fiktiven Lesern (s. o. Anm. 67) und führt den Gedankengang eher fort, als dass sich zwischen Jak 1,18 und 1,19 ein größerer Einschnitt auftäte.72 Inhaltlich wird der Schwerpunkt zwar vom Tun Gottes auf das erforderliche Handeln des Menschen verlagert, beides hängt für den Jakobusbrief aber so eng zusammen, dass eine Trennung nicht dem Denken des Briefes entspräche.73 68 S. o. Anm. 61. Es ist auffällig, dass Jak 1,17 zwar von den guten Gaben von oben spricht, dabei aber nichts von den Empfängern sagt. 69 Auf diese „inverse Parallelität von V. 13–15 zu V. 17 f.“ verweist z. B. auch Klein (Bewährung 370): „Bringt die Sünde den Tod hervor, gebiert das ‚Wort der Wahrheit‘ Leben“; vgl. ähnlich Frankemölle, Jakobus 293; Hartin, James 93 und 105; Konradt, Existenz 41; Schrage, Jakobusbrief 20. 70 Die Kommentare nehmen diese Beziehung eher selten wahr; in Ansätzen anders Popkes, Jakobus 102: „Die Notiz in V. 12 […] ist eine der wenigen soteriologischen Aussagen bei Jak; sachlich entspricht sie 1,18.21 und teilweise 1,4.“ Konradt (Existenz 20), hält den Prolog zwar mit Jak 1,12 für beendet, verweist aber dennoch auf eine Verbindung von Jak 1,12 mit dem Folgenden durch die „Antithese στέφανος τῆς ζωῆς – θάνατος (1,12.15)“ und somit gewissermaßen auf die Negativvariante der hier betonten Bezüge zwischen Jak 1,12 und 1,18. 71 So betont auch Burchard (Jakobusbrief 69) zum einen, dass Jak 1,12 „isoliert lesbar“ sei, und zum anderen: „Zusammenhang lässt sich nach oben (Mehrheitsmeinung) wie nach unten finden.“ Er nimmt dabei aber keinen speziellen Bezug auf das Verhältnis von Jak 1,12 zu 1,18. 72 Für Konradt (Existenz 42) hat Jak 1,18 „Zentralstellung […] im Gesamtduktus des Briefes“. Der Vers gehört nach Konradts Gliederung sowohl zum Abschnitt Jak 1,13–18 als auch zum Abschnitt Jak 1,18–25 (vgl. Konradt, Jakobusbrief 505). 73 Frankemölle (Jakobus 322) umschreibt den Zusammenhang vom Tun Gottes und dem der Menschen „unter semantischen Gesichtspunkten […] mit den Begriffen ‚Wesen‘ und ‚Handeln‘ der Christen. […] Klassisch formuliert: Dem Indikativ der Heilszusage folgt der Imperativ der Heilsbewährung.“ Konradt (Jakobusbrief 505) beschreibt den Inhalt des Ab-

352

11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

Der folgende Vers Jak 1,20 schafft weitere Vernetzungen, indem er als eine Art verkürzte Filiationsreihe strukturell sowohl auf Jak 1,3 anspielt ( jeweils wird das Hervorgehen mit κατεργάζειν ausgedrückt) 74 als auch auf Jak 1,15 (hier wie dort kann aus einem negativ zu bewertenden Ursprung nichts Gutes kommen). Wichtig wahrzunehmen ist des Weiteren, dass die Aufforderungen an die Adressierten, schnell zum Hören, aber langsam zum Reden und zum Zorn zu sein (1,19) in Jak 1,21 b erneut auf „das Wort“ hinlaufen (δέξασθε τὸν ἔμ­φυτον λόγον τὸν δυνάμενον σῶσαι τὰς ψυχὰς ὑμῶν).75 Das „Wort der Wahrheit“ (λόγος ἀληθείας), das in Jak 1,18 a unmittelbar an der „Geburt“ der Adressierten beteiligt war, wird nun in Jak 1,21 wieder aufgegriffen als ἔμφυτος λό­γος, als „angeborenes Wort“,76 das retten kann. Auch in Jak 1,22–23 a bleibt „das Wort“ thematisch bestimmend (s. o. Anm. 75), wenn es darum geht, nicht nur Hörer dieses Wortes, sondern vor allem Täter zu sein. Die kleine Geschichte, die Jak 1,23 b–24 von dem Menschen erzählt, der „das Angesicht seines Ursprungs“ im Spiegel sah, um gleich darauf beim Fortgehen zu vergessen, wie er aussah, verdeutlicht, welch merkwürdige Figur der Nur-Hörer abgibt.77 Die Episode greift mit der Formulierung τὸ πρόσ­ωπον τῆς γενέσεως außerdem nochmals den Ursprungsbereich Geburt auf: Es geht um die Gesichtszüge des Menschen, die ihm von seinem Ursprung her angeboren und unverlierbar sind (s. u. 11.10). Die Metaphorik aus Jak 1,18 wird somit in konsequenterer Weise, als die meisten Kommentare das wahrnehmen, auch nach hinten hin weiterentwickelt und steht nicht nur im Zusammenhang mit den vorangehenden Versen.78 In Jak 1,25 finden die Überlegungen zum Verhältnis von Hören und Tun ihren Abschluss, indem der Text die Ebene der kleinen Geschichte vom Spiegelgucker wieder verlässt und zur Applikation wechselt. Vom „Wort“ ist nun schnitts Jak 1,18–25 als „Annahme des Wortes in Hören und Tun des Werks als dem Heilshandeln Gottes entsprechendes Verhalten des Christen“. 74 Zur Gattung der Filiationsreihe siehe ausführlich unten 11.4. 75 Vgl. die ganz ähnliche Argumentation von Konradt (Existenz 18) gegen eine zu starke Zäsur zwischen Jak 1,18 und 1,19: „Gegen diese Abgrenzung spricht aber, daß die Einführung des λόγος ἀληθείας in 1,18 deutlich die Grundlage für 1,21 b ff bildet“; vgl. auch ebd. 41 f. und 76 (dort mit zusätzlicher redaktioneller Theorie); siehe auch unten das Zitat von Popkes in Anm. 79. 76 Häufiger wird ἔμφυτος in der Forschungsliteratur als „eingepflanzt“ übersetzt und gedeutet, näherliegend ist aber, dass mit ἔμφυτος im Sinne von „angeboren“ in Jak 1,21 die Geburtsmetaphorik aus Jak 1,18 a fortgeführt wird; ausführlicher dazu s. u. 11.9.2. 77 Es geht ausdrücklich um einen Vergleich, wie das Verb ἔοικεν in Jak 1,23 b zeigt (s. o. 11.3). 78 Vgl. ähnlich auch Konradt (Existenz 42; Jakobusbrief 503.505.511 u. ö.), für den allerdings weniger die Metaphorik als die Wort-Theologie des Jakobusbriefes im Zentrum des Interesses steht: „Der Jak vertritt eine im Wort zentrierte Theologie. Jak 1,18 ist nicht nur formal das Zentrum der theologischen Grundlegung in 1,13–25, sondern als solches zugleich der soteriologische Basissatz der theologischen Konzeption des Briefes“ (Konradt, Jakobusbrief 511).

11.4 Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,15

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nicht mehr die Rede, vielmehr vom „vollkommenen Gesetz der Freiheit“ (ὁ νό­μος τέλειος ὁ τῆς ἐλευθερίας),79 das jener nicht mehr vergisst, der hineingeschaut hat und dabei geblieben ist und so zum Täter des „Werkes“ (ἔργον) geworden ist. Eine Seligpreisung beendet den Vers und bildet zusammen mit Jak 1,12 einen Rahmen um den Abschnitt.80 Aus den geschilderten Beobachtungen zum Textauf bau ergibt sich als Gliederung des ersten Kapitels eine Zweiteilung: Der erste Abschnitt reicht von Jak 1,2–12, wobei Jak 1,12 auch den nächsten Abschnitt Jak 1,12–25 eröffnet.81 Für die Untersuchung der Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 ist dieser Abschnitt in besonderer Weise relevant. Die Verse Jak 1,26 f. können dagegen bereits als Übergang zu den ab Jak 2,1 folgenden „materialeren“ Ausführungen angesehen werden, die dann schildern, wie die anzustrebende „reine und unbefleckte Gottesverehrung“ (θρησκεία καθαρὰ καὶ ἀμίαντος, 1,27) im Leben der Gläubigen nach Meinung des Jakobusbriefes konkret aussehen soll.82 Die Ausführungen in Jak 1,18–25 liefern dafür in anthropologischer und soteriologischer Hinsicht die Grundlage.

11.4 Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,15 Nachdem die engen Bezüge zwischen den Unterabschnitten Jak 1,12–15 und 1,16–18 deutlich geworden sind (s. o. 11.3), ist zuerst die Geburtsmetaphorik in Jak 1,15 näher zu betrachten. Formal handelt es sich in Jak 1,15 um eine Filiationsreihe: „Eine Tugend (ein Laster) geht aus der anderen hervor, so daß sich eine ganze Genealogie von Müttern und Töchtern ergibt.“ 83 Belege für diese 79 Es besteht aber durchaus ein enger Zusammenhang mit der Rede vom λόγος zuvor: „Der durch V. 21–23 hergestellte nahtlose Übergang zwischen dem Wort der Wahrheit (V. 18) und dem vollkommenen Gesetz der Freiheit (V. 25) zeigt, daß es sich nicht um zwei verschiedene Worte handelt“ (Konradt, Existenz 71); vgl. auch Popkes (Jakobus 124), der schon im Anschluss an Jak 1,18 betont: „Kontextuell ist zu berücksichtigen, daß λόγος der tragende Terminus auch für V. 21–23 ist, bevor Jak dann in V. 25 mit νόμος den Gedanken aufgreift“. Zum inhaltlichen Verhältnis zwischen λόγος und νόμος in diesen Versen s. u. 11.7–8. 80 So auch Burchard, Jakobusbrief 69. 81 Dieser lässt sich, ohne damit allzu starke Trennungen postulieren zu wollen, in die Un­ terabschnitte Jak 1,12–15; 1,16–18 und 1,19–25 teilen. 82 Vgl. Konradt (Jakobusbrief 503) und Burchard (Jakobusbrief 91), denen die oben vorgeschlagene Gliederung insgesamt in wesentlichen Punkten entspricht. Dass Jak 1,26 f. noch zu den vorhergehenden Versen zu ziehen ist, vertreten z. B. Popkes (Jakobus) und Frankemöl­ le (Jakobus). 83 Berger, Formen 211. In der Sekundärliteratur zum Jakobusbrief wird im Zusammenhang mit Jak 1,15 häufiger der Begriff der „Kettenreihe“ gebraucht, vgl. ausführlich den Exkurs bei Dibelius, Jakobus 125–129. Damit ist aber nichts grundsätzlich anderes gemeint; siehe auch Konradt (Existenz 86), der Jak 1,15 als „klimaktischen Kettenschluß“ bezeichnet; vgl. außerdem unten Anm. 87.

354

11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

Form der Argumentation, die „durch ihre Geschlossenheit die notwendige Folge“ suggeriert,84 gibt es sowohl im Neuen Testament als auch im antiken literarischen Umfeld 85 und bis in die Gegenwart.86 Die folgenden Beispiele zeigen nicht nur, dass die Reihen unterschiedlich lang, positiv oder negativ, einförmig oder variierend formuliert sein können, sondern dass es dabei auch sehr unterschiedliche sprachliche Möglichkeiten gibt, das Hervorgehen auszudrücken: Jak 1,15 εἶτα ἡ ἐπιθυμία συλλαβοῦσα τίκτει ἁμαρτίαν, ἡ δὲ ἁμαρτία ἀποτελεσθεῖσα ἀποκύει θάνατον. Röm 5,3 b.4 ἡ θλῖψις ὑπομονὴν κατεργάζεται ἡ δὲ ὑπομονὴ δοκιμήν ἡ δὲ δοκιμὴ ἐλπίδα.87 2 Petr 1,5–7 Καὶ αὐτὸ τοῦτο δὲ σπουδὴν πᾶσαν παρεισενέγκαντες ἐπιχορηγήσατε ἐν τῇ πίστει ὑμῶν τὴν ἀρετήν, ἐν δὲ τῇ ἀρετῇ τὴν γνῶσιν, ἐν δὲ τῇ γνώσει τὴν ἐγκράτειαν, ἐν δὲ τῇ ἐγκρατείᾳ τὴν ὑπομονήν, ἐν δὲ τῇ ὑπομονῇ τὴν εὐσέβειαν, ἐν δὲ τῇ εὐσεβείᾳ τὴν φιλαδελφίαν, ἐν δὲ τῇ φιλαδελφίᾳ τὴν ἀγάπην. Polyk 3,3 ἥτις [sc. ἡ πίστις] ἐστὶν μήτηρ πάντων ἡμῶν, ἐπακολουθούσης τῆς ἐλπίδος, προαγούσης τῆς ἀγάπης τῆς εἰς θεὸν καὶ Χριστὸν καὶ εἰς τὸν πλησίον. („er [sc. der Glaube] ist unser aller Mutter, dem die Hoffnung folgt und die Liebe zu Gott, Christus und dem Nächsten vorangeht.“) 88 Lysis-Brief § 5 Τᾶς μὲν ὦν ἀκρασίας ἐξεβλάστασαν ἄθεσμοι γάμοι καὶ μέθαι καὶ φθοραὶ καὶ παρὰ φύσιν ἁδοναὶ καὶ σφοδραί τινες ὁρμαὶ μέχρι βαράθρων καὶ κρημνῶν ἐκδιώκουσαι. 84 Berger,

Formen 157. bes. die Verweise bei Berger, Gattungen 1065. 86 Vgl. z. B.: „Da war der Wunsch der Vater des Gedankens“ oder „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“ (vgl. Röhrich, Lexikon s. v. „Mutter“, mit vielen weiteren Beispielen). Während umgangssprachliche und sprichwörtlichen Fassungen wie diese häufig nur eingliedrig und im strengen Sinne keine Reihen sind, kennt die Gegenwartssprache auch „echte“ Filiationsreihen, so z. B. in Joanne K. Rowlings Bestseller „Harry Potter and the Half-­Blood Prince“ (London 2005, 415): „Greatness inspires envy, envy engenders spite, spite spawns lies“. 87 In vielem ähnlich formuliert Jak 1,3–4 a: […] τὸ δοκίμιον ὑμῶν τῆς πίστεως κατεργάζε­ ται ὑπομονήν. ἡ δὲ ὑπομονὴ ἔργον τέλειον ἐχέτω. Diese Filiations- bzw. Kettenreihe wird im Vergleich (und vielleicht gerade auch wegen des möglichen Vergleichs) mit Röm 5,3 f. (als auch mit 1 Petr 1,6 f.) in der Forschung zum Jakobusbrief zum Teil prominenter wahrgenommen (vgl. z. B. Frankemölle, Jakobus 183–186; Theissen, Intention 64; Konradt, Existenz 107–109) als jene in Jak 1,15, die dem Gattungsmuster strukturell viel besser entspricht. Denn in Jak 1,3 f. wird die strenge Form der Reihe durch das imperativische ἐχέτω aufgebrochen und ihr zwangsläufiger Ablauf somit in signifikanter Weise an ein Mittun der Adressaten gebunden; vgl. dazu auch Popkes, Jakobus 84: „Der indirekte Imperativ (‚soll haben‘) impliziert als logisches Subjekt doch wohl die Adressaten; d. h. es liegt an ihnen, daß die Ausdauer zum gewünschten Ergebnis führt.“ 88 Text und Übers. Lindemann / Paulsen, Die Apostolischen Väter 246 f. (Hervorhebungen hinzugefügt). 85 Vgl.

11.4 Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,15

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(„Der Zuchtlosigkeit also entsprossen ungesetzliche geschlechtliche Verbindungen und Trunksucht und Verführungen und widernatürliche Lüste und bestimmte heftige Triebe, die die Menschen bis in die tiefsten Abgründe jagen.“) 89

Die Textzusammenstellung zeigt, dass keineswegs jeder Text, der formal als Fi­li­ationsreihe eingeordnet werden kann, tatsächlich auf biologische Abstam­ mungs-­Terminologie im engeren Sinne zurückgreift. Dass immer zwei der unterschiedlich vielen Bestandteile einer solchen Reihe in einem Ursache-­Fol­ ge-­Verhältnis zusammenhängen, lässt sich zum Beispiel durch ein einfaches „Hervorbringen“ (κατεργάζειν, Röm 5,3; Jak 1,3) oder „Folgen“ (ἐπακο­λου­ θεῖν, Polyk 3,3) ausdrücken, aber eben auch durch pflanzlich konnotiertes „Hervorsprossen“ (ἐκβλαστάνειν, Lysis-Brief ) oder durch ein „Mutter Sein von“ (μήτηρ ἐστίν + Genitiv, Polyk 3,3).90 Es erscheint daher sinnvoll, eine Bin­nendifferenzierung innerhalb der Filiationsreihen anhand der Ursprungsbereiche vorzunehmen, derer sich die jeweils verwendete Metaphorik für den Ausdruck des Hervorgehens bedient. Im hier interessierenden Fall von Jak 1,15 wird das Konzept Geburt als Ursprungsbereich gebraucht. Fragt man nach dem Zielbereich auf konzeptueller Ebene, so ist dieser – wie bei allen anderen Filiationsreihen auch – als Verursachung zu fassen. Ausgedrückt werden soll in jedem Glied der Filiationsreihe, dass ein Bestandteil der Reihe folgerichtig aus dem anderen hervorgeht. Die metaphorische Aussage in Jak 1,15 lässt sich somit als Instanziierung der Konzeptmetapher Verursachung als Geburt 91 begreifen.92 Dass es den Filiationsreihen darum geht, nicht nur irgendeine, sondern eine notwendige Folge (s. o.) hervorzuheben – oft auch verbunden mit einem „zum Ende hin […] deutliche[n] Gefälle in Richtung auf Sichtbarkeit und Auswirkungen“ 93 –, kann durch die gewählte Metaphorik noch zusätzlich unterstützt werden: Formulierungen, die sich biologischer Abstammungsterminologie bedienen, wirken stärker als allgemeinere Ausdrücke des Hervorgehens, denn auf 89 Text

und Übers. Städele, Briefe 156 f. (Hervorhebung hinzugefügt). auch im Lysis-Brief § 4 (Städele, Briefe 156 f.). 91 Damit wird auf die Benennung einer konzeptuellen Metapher zurückgegriffen, die Mark Turner im Rahmen seiner literaturwissenschaftlichen Untersuchung von Verwandtschaftsmetaphorik geprägt hat. Turner nennt sie: „causation is progeneration“ (vgl. Turner, Death 143 u. ö.) oder auch: „causes are parents and effects are offspring“ (ebd. 24). Turner arbeitet, wie dies in vielen von der Conceptual Metaphor Theory bestimmten Untersuchungen der Fall ist, stärker auf der Ebene der kognitiven Konzepte. Erkenntnisse aus seiner Analyse typischer Verwandtschaftsmetaphorik werden daher zwar auch an vielen Stellen der vorliegenden Untersuchung im Hintergrund wirksam, tragen für die konkrete Textauslegung jedoch nicht unmittelbar etwas aus. 92 Der Lysis-Brief, der mit dem Fokuswort ἐκβλαστάνειν („auf keimen, ausschlagen, her­vorsprossen“; vgl. Bauer s. v.) den Bereich der pflanzlichen Vermehrung aufgreift, lässt sich auf vergleichbare Weise der spezifischeren Konzeptmetapher Verursachung als pflanz­liche Vermehrung zuordnen. 93 Berger, Formen 212. 90 Ähnlich

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

der Seite des Ursprungsbereiches steht hier fest: Eltern gebären nicht irgendwelche Kinder, aus Pflanzen sprossen nicht beliebige Triebe. Es gibt vielmehr einen natürlichen Zusammenhang, eine Übereinstimmung der Gattung, eine Ähnlichkeit etc. Dabei kann es unterschiedlich sein, ob die jeweilige metaphorische Aussage mit Hilfe der Filiationsreihe Elemente miteinander koppelt (genauer: auseinander hervorgehen lässt), deren Zusammenhang den Rezipienten bereits deutlich war, aber vielleicht nicht in der letzten Konsequenz – das wäre für Jak 1,15 anzunehmen –, oder ob der Zusammenhang durch die Filiationsreihe überhaupt erst behauptet wird. Ein solcher Fall erfordert eine stärkere Mitarbeit der Rezipienten, denn die metaphorische Interaktion kann hier leicht scheitern, wenn sich kein sinnvoller Zusammenhang zwischen den Gliedern entdecken lässt.94

Die Notwendigkeit der Folge wird zugleich auch, wie oben schon zitiert, durch die „Geschlossenheit“ der Reihe suggeriert. Die Formulierung in Jak 1,15 realisiert diese Geschlossenheit, indem zwei Geburts-Aussagen syntaktisch parallel aufeinander folgen. Genau genommen liegt in Jak 1,15 also eine doppelte Instanziierung der Konzeptmetapher Verursachung als Geburt vor.95 Der Vers Jak 1,15 greift jedoch nicht allein Geburt als Ursprungsbereich auf, sondern auch Empfängnis und Schwangerschaft: εἶτα ἡ ἐπιθυμία συλλαβοῦσα τίκτει ἁμαρτίαν, ἡ δὲ ἁμαρτία ἀποτελεσθεῖσα ἀποκύει θάνατον. Das erhöht den Eindruck der Zwangsläufigkeit der geschilderten Filiationsreihe: Wenn die Begierde erst einmal „empfangen hat“ (συλλαβοῦσα), muss die Geburt nach entsprechender Zeit folgen. Es bleibt dabei allerdings kontextuell unbestimmt, durch wen die Begierde eigentlich ihr „Kind“ empfangen hat; „daran haftet nicht das Interesse, sondern an der Zwangsläufigkeit.“ 96 Syntaktisch parallel zu συλλαβοῦσα steht im zweiten Glied der Reihe ἀποτελεσθεῖσα. Vor allem in den älteren Kommentaren wird diese Entsprechung gern zur rein „rhetorischen Parallele“ heruntergestuft, die „die Auswirkung der Sünde am ganzen Menschen“ bezeichne.97 Damit wird jedoch ignoriert, dass ἀποτελεσθεῖσα nicht nur 94 Ein bewusst abstrus konstruierter Satz, wie z. B.: „Das gelbe Auto zeugte den Ball und der Ball gebar die Fichte“, ist zwar formal auch eine Filiationsreihe, die Notwendigkeit der Folge ist aber durch fehlende gemeinsame Eigenschaften kaum ersichtlich. Dementsprechend ist es auch schwer, dieser Aussage einen tieferen Sinn abzugewinnen (es sei denn, sie rekurriert auf spezielles Wissen, das nur innerhalb einer bestimmten Gruppe verfügbar ist). Eine solche metaphorische Aussage, die ungewöhnliche Sachverhalte zusammenbringt, kann, wenn sie zu einer gelingenden metaphorischen Interaktion führt, jedoch auch besonders stark wirken und neue Sichtweisen eröffnen, wie etwa das titelgebende Zitat von Turners Buch „Death Is the Mother of Beauty“. Es stammt aus einem Gedicht von Wallace Stevens und ist im englischsprachigen Raum vermutlich bekannter, wirkt in der deutschen Übersetzung aber zunächst überraschend, weil es in ungewohnter Weise Tod und Schönheit zusammenbringt. 95 Das ist die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt eine Reihe gibt und nicht nur eine eingliedrige Aussage (s. o. Anm. 86). Aber das Hervorgehen muss dabei nicht in jedem Glied der Reihe durch Geburtsmetaphorik ausgedrückt sein, vgl. z. B. Polyk 3,3 (s. o.). 96 Popkes, Jakobus 108. 97 Dibelius, Jakobus 125. Bisweilen wird in Jak 1,14 f. auch ein Hinweis auf die Versu-

11.5 Erste Orientierung über Jak 1,18

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strukturell, sondern auch inhaltlich in Bezug zu συλλαβοῦσα steht. Aber sollte ἀποτελεσθεῖσα dann bedeuten, „die Sünde wäre ihrerseits geschlechtsreif geworden“, wie etwa Wiard Popkes mit einigen Zweifeln fragt?98 Möglich ist das durchaus, meines Erachtens kann aber eher noch mit einem verkürzten Ausdruck gerechnet werden, der eine Entsprechung zu συλλαβοῦσα wie im ersten Glied der Reihe unausgesprochen voraussetzt und mit ἀποτελεσθεῖσα die Vollendung des bereits empfangenen „Embryos“ im „Mutterleib“ der Sünde beschreibt.99 Ebenso zwangsläufig wie in Jak 1,15 a führt auch diese Schwangerschaft zur Geburt, und zwar zur Geburt des Todes. Die Reihe mündet somit in eine paradoxe Aussage: Geboren wird nicht neues Leben, sondern Tod. Daß „der Tod geboren“ wird, ist eine contradictio in adiecto. Es handelt sich um die „Tod-Geburt“ schlechthin, nicht um eine „Totgeburt“, die gleichsam nur ein bedauerlicher Betriebsunfall der Natur ist. Das Bild ist bewußt anstößig.100

Neben der Unausweichlichkeit wird anhand der geschilderten Vorgänge so auch die Perversion des eigentlich für natürlich zu Erachtenden hervorgehoben.

11.5 Erste Orientierung über die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 Die Geburtsmetaphorik aus Jak 1,15 wird in 1,18 a durch das Fokuswort ἀπο­ κύειν erneut aufgegriffen. Dennoch unterscheidet sich Jak 1,18 a in vielerlei Hinsicht von Jak 1,15: 15 a εἶτα ἡ ἐπιθυμία συλλαβοῦσα 15 b ἡ δὲ ἁμαρτία ἀποτελεσθεῖσα 18 a βουληθεὶς

τίκτει ἁμαρτίαν ἀποκύει θάνατον ἀπεκύησεν ἡμᾶς λόγῳ ἀληθείας

Strukturell ist Jak 1,18 a nur eine einfache Geburtsaussage und keine Filiationsreihe. Der Aussage fehlt daher auch die starke Zwangsläufigkeit, die in der Abfolge der Geburten in Jak 1,15 liegt. Dieser Beobachtung entspricht des Weiteren, dass es in Jak 1,18 keinerlei Reminiszenzen an eine vorausgehende Empfängnis oder Schwangerschaft gibt. Geboren wurden die hier Angesprochungsgeschichte aus Gen 3 gesehen (so z. B. Mussner, Jakobusbrief 89; White, Erstlings­ gabe 247; etwas zurückhaltender Popkes, Jakobus 108), wofür es im Text aber keine deutlichen Anhaltspunkte gibt. 98 Popkes, Jakobus 108. 99 Jak 1,15 wäre dann also folgendermaßen zu verstehen: „Dann gebiert die Begierde, nachdem sie empfangen hat, Sünde, die Sünde aber gebiert, nachdem sie (empfangen hat und darin) vollendet ist, Tod.“ Vgl. die Verwendung von τελειοῦσθαι in einem vergleichbaren Zusammenhang bei Galen (De naturalibus facultatibus 3,3), hier allerdings auf den Embryo selbst, nicht auf die Schwangere bezogen: Μησὶ γὰρ ἐννέα που ταῖς πλείσταις τῶν γυναικῶν ἐν αὐταῖς τελειοῦται τὰ κυήματα („Denn bei den meisten Frauen kommt die Leibesfrucht innerhalb der Gebärmutter in neun Monaten zur Vollendung“, Übers. Schubert / Huttner, Frauenmedizin 352 f., Hervorhebungen hinzugefügt). 100 Popkes, Jakobus 109.

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

chenen, denen der Verfasser sich ebenfalls zuordnet (ἀπεκύησεν ἡμᾶς), laut Jak 1,18 a vielmehr aus einem reinen Willensakt Gottes heraus (βουληθείς). Diese Geburt ist alles andere als das zwangsläufige Ende eines längeren Prozesses wie in Jak 1,15, dessen tödliche Konsequenz die Adressierten in ihrer Gegenwart immer wieder bedroht (vgl. τίκτει und ἀποκύει im Präsens). Die Geburt, auf die Jak 1,18 a als etwas bereits Geschehenes zurückblickt (ἀπεκύησεν im Aorist), ist vielmehr der Anfang von etwas (siehe Jak 1,18 b). Sie führt nicht zum Tod, sondern zum Leben (s. o. 11.3) und sie ist keineswegs Teil eines erwartungsgemäßen Ablaufs, sondern sprengt diesen durch das unerhörte Handeln Gottes aus seinem Willen heraus. Aber welches Handeln Gottes wird im Jakobusbrief auf diese Weise umschrieben, und referiert die Geburtsmetapher auf ein bestimmtes außertextliches Erlebnis oder eine spezifische Erfahrung der Adressierten? In den drei Deutungsrichtungen, die sich in der exegetischen Forschung zum Jakobusbrief abzeichnen (s. o. 11.1), werden diese Fragen unterschiedlich beantwortet. Im Hintergrund stehen wiederum drei exegetische Entscheidungen, die das Textverständnis in entscheidender Weise lenken, und ihr Zusammenspiel: (1) Welches „Wort“ meint der Dativ λόγῳ ἀληθείας in Jak 1,18 a? (2) Wie ist es zu deuten, dass die in Jak 1,18 a Angesprochenen in Jak 1,18 b zur ἀπαρχὴ τῶν αὐ­τοῦ κτισμάτων bestimmt sind? (3) Auf wen genau referiert die doppelte Erwähnung der 1. Person Plural in diesem Vers? Wenn der schöpfungstheologische, der nomistische und der soteriologische Ansatz im Folgenden im Hinblick auf diese drei Grundentscheidungen näher analysiert werden (s. u. 11.6–9), wird es jedoch nicht nur um die daraus erwachsenden Vorschläge zur Deutung der Geburtsmetapher in Jak 1,18 gehen, sondern zugleich auch um deren Plausibilität im größeren Textzusammenhang von Jak 1,18–25. In der Forschung wird in diesem Zusammenhang vor allem die Sinnlinie Logos (1,18.21–23) – Nomos (1,25) über Jak 1,18 hinaus weiterverfolgt.101 Selten wird dagegen wahrgenommen, dass auch die in diesen folgenden Versen auftretenden Metaphern und der Vergleich mit dem Menschen, der in den Spiegel schaut (1,23 f.; s. u. 11.10), mit der Geburtsmetaphorik aus Jak 1,18 zusammenhängen und ebenso zu einem Gesamtverständnis des Abschnitts Jak 1,18–25 beitragen.

11.6 Der schöpfungstheologische Ansatz Betrachtet man den unmittelbaren Kontext von Jak 1,18 a, dann ist ein Schöpfungsbezug auf den ersten Blick durchaus plausibel.102 Bereits in Jak 1,17 lässt 101 Vgl.

z. B. Allison, James 279: „λόγος (Jas: 5 ×) becomes a catchword holding this part of James together (Jas 1.18, 21, 22, 23).“ 102 Der schöpfungstheologische Ansatz wird in unterschiedlichen Ausprägungen vertreten von: Edsman, Schöpferwille; Elliott-Binns, Creation; Frankemölle, Jakobus z. St.; Jack­

11.6 Der schöpfungstheologische Ansatz

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sich die Bezeichnung Gottes als „Vater der Lichter“ als Hinweis auf den Schöpfergott verstehen (vgl. Gen 1,14–19).103 Die Aussage in Jak 1,18 b schließlich verweist durch das Stichwort „seine Geschöpfe“ (αὐτοῦ κτίσματα) nochmals auf die Schöpfung.104 Deutet man dementsprechend das „Wort der Wahrheit“ im ersten Halbvers als das erschaffende Wort des Schöpfers, wozu sich gut das betonte βουληθείς am Anfang des Verses fügt,105 dann lässt sich Jak 1,18 a im schöpfungstheologischen Verständnis paraphrasieren als: „Aus seinem Willen heraus hat er uns geschaffen (oder: uns ins Leben gerufen) durch sein wirkmächtiges Schöpfungswort.“ Dieser Deutung stehen aber auch einige Schwierigkeiten entgegen: Zuerst einmal ist die Formulierung „Wort der Wahrheit“ zur Bezeichnung jenes Wortes Gottes, das die Schöpfung hervorbringt, in alttestamentlichen, frühjüdischen und frühchristlichen Schriften nicht einschlägig. Textstellen, wie sie zum Beispiel Leonard E. Elliott-Binns zum Nachweis anführt (vgl. vor allem Ps 32,6.9; 134,6; 148,5 LXX), beschreiben zwar Gottes erschaffendes Wirken durch das Wort,106 gebrauchen dafür aber nicht λόγος ἀληθείας. Das exakte Syntagma λόγος ἀληθείας wiederum begegnet alttestamentlich und frühjüdisch nicht in eindeutigen Schöpfungszusammenhängen.107 Auch die vier neutestamentlichen Stellen, die vom „Wort der Wahrheit“ sprechen (2 Kor 6,7; Kol 1,5; Eph 1,13; 2 Tim 2,15), unterstützen keine schöpfungstheologische, sondern vielmehr eine soteriologische Deutung (s. u. 11.9). son-­McCabe, Logos 233–239; Laws, James, und partiell von Tsuji, Glaube 68–70.108 f. (aber s. u. 11.7) und Martin, James 39–41. 103 Das Syntagma selbst ist allerdings selten und in dieser Form nur noch in Apk Mos 36,3 belegt. Als Hinweis auf die Schöpfung wird die Passage dennoch auch von Exegeten vertreten, die für die Deutung von Jak 1,18 keinen schöpfungstheologischen Ansatz präferieren, z. B. McKnight, James 127; Popkes, Jakobus 122. Tsuji (Glaube 69) liest bereits in Jak 1,13–15 via negativa (sc. Gott habe die Begierde nicht geschaffen) einen Schöpfungsbezug hinein, der dort aber nicht ausdrücklich vorliegt. 104 Zu beachten ist jedoch, dass beide Formulierungen nicht das Zentrum der jeweiligen Aussage bilden. In Jak 1,17 wird vielmehr betont, dass von Gott nur Gutes kommt (1,17 a), wozu auch der Bezug auf die Unveränderlichkeit Gottes und auf die Schöpfung in Jak 1,17 b dient: „Der zweite Halbvers trägt also kein eigenes Gewicht“ (Klein, Bewährung 370; vgl. auch Konradt, Existenz 42 f.). In Jak 1,18 b kommt durch die Erwähnung der „Geschöpfe“ lediglich zum Ausdruck, wovon die Erstlinge genommen sind: „Die ‚Erstfrucht‘ kann sich auf Menschen, Tiere und Pflanzen beziehen; insofern ist die Verbindung mit ‚Geschöpfe‘ in Jak 1,18 die übliche“ (Popkes, Jakobus 125). 105 Für den Zusammenhang von Gottes Willen und dem Wort verweist Frankemölle (Jakobus 301) u. a. auf Sir 43,26: „Durch seine Worte schafft er, was er will“; vgl. dazu auch El­liott-Binns, Creation 149–152. Allgemeiner urteilt Burchard, Jakobusbrief 77: „Daß der Schöpfer sein Werk wollte oder durch bloßen Willen schuf, ist gemeinantik“. Die Rolle des λόγος ἀληθείας bei der „Geburt“ hält er allerdings nur für „analog zum Schöpferwort oder -atem“ (ebd. 78). 106 Vgl. Elliott-Binns, Creation 149–152. 107 Vgl. λόγος ἀληθείας in Ps 118,43 LXX; Spr 22,21; Pred 12,10 und Test Gad 3,1.

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

Alle drei Deutungsrichtungen verstehen den Genitiv ἀληθείας zumeist als genitivus qualitatis und weniger als Angabe über den Inhalt des so spezifizierten λόγος. „Dieses schöpferische Wort heißt nicht ‚Wort der Wahrheit‘ (vgl. 2. Kor. 4,2 und 6,7), weil es ein Wort über die Wahrheit wäre, sondern darum, weil es selbst die Wahrheit bringt und auf leuchten läßt, d. h. die Heilsbotschaft“. In diesem Zitat aus Wolfgang Schrages Kommentar 108 wird zugleich deutlich, dass dem „Wort der Wahrheit“ in schöpfungstheologischer und in soteriologischer Perspektive auch ein performativer Charakter zugeschrieben werden kann.109 Neben dem qualitativen Aspekt sieht Wiard Popkes im Genitiv ἀληθείας außerdem die Herkunft des „Wortes“ beschrieben (vgl. BDR § 162), „das aus der Wahrheit stammt und Wahrheitsqualität besitzt“ 110 (s. u. 11.9.1).

Als nächstes ist kritisch zu fragen, auf wen im schöpfungstheologischen Deutungsansatz die 1. Person Plural referiert. Schaut man auf den Textzusammenhang, so werden im unmittelbar folgenden Vers Jak 1,19 die „geliebten Geschwister“ angesprochen (Ἴστε, ἀδελφοί μου ἀγαπητοί), die auch in Jak 1,16 kurz zuvor bereits die Adressierten waren. Kontextuell liegt es also nahe, im „Wir“ von Jak 1,18 ebenfalls diese Personengruppe zu sehen, in die sich der Verfasser hier ausdrücklich mit einbezieht.111 Wenn aber mit βουληθεὶς ἀπ­ εκύησεν ἡμᾶς λόγῳ ἀληθείας tatsächlich Gottes grundlegendes Handeln als Schöpfer in den Blick käme, dann wäre Jak 1,18 a eine Aussage, die etwas beschriebe, das nicht nur für den Verfasser und die Adressierten, sondern für alle Geschöpfe Gottes gälte. Neben der kontextuellen Verankerung, die einem Verständnis entgegensteht, das im „Wir“ von Jak 1,18 a alle Geschöpfe eingeschlossen sieht, lässt aber auch Jak 1,18 b eine solche „globale“ Lösung nicht zu, sondern erfordert eine Differenzierung dieser Annahme. Denn dieser Halbvers macht klar, dass die in Jak 1,18 a Beschriebenen „geboren“ werden, um „Erstling (ἀπαρχή) seiner Geschöpfe zu sein“. Sie können somit nur ein Teil aller Geschöpfe sein. Die Anhänger der schöpfungstheologischen Deutung versuchen diese Problematik in der Regel so zu lösen, dass sie unter der 1. Person Plural in Jak 1,18 a alle Menschen verstehen, so dass es in Jak 1,18 b um eine Vorrangstellung der Menschen im Hinblick auf die übrigen (nicht-menschlichen) Geschöpfe gehe.112 108 Schrage,

Jakobusbrief 20 f. und performativer Charakter verbinden sich z. B. auch bei Frankemölle (Jakobus 301), der mit Rückgriff auf Ps 118,142.160 LXX betont: „Wahr ist Gottes Wort, weil es verläßlich Wirklichkeit und Heil schafft“. 110 Popkes, Jakobus 127; siehe nochmals unten Anm. 187. 111 So ausdrücklich auch Konradt, Existenz 43. Tsuji (Glaube 70) ignoriert die Geschwisteranrede am Anfang von Jak 1,19 dagegen völlig und versteht das folgende ἔστω δὲ πᾶς ἄνθρωπος als eine Mahnung, die sich „an ‚jeden Menschen‘“ richte und damit der Schöpfungsaussage von Jak 1,18 entspreche. 112 Vgl. Elliott-Binns, Creation 156: „The reference in James [1,18] is, I believe, to the original creation of which man was the crown and the promise“; vgl. ähnlich auch Laws, James 75; Jackson-McCabe, Logos 237, und Frankemölle, Jakobus 310. Frankemölles Position ist in sich allerdings unentschieden. Während Jak 1,18 a für ihn einerseits von der „Existenz der Christen“ einschließlich des Autors spricht, kann er andererseits die Aussage 109 Qualitativer

11.6 Der schöpfungstheologische Ansatz

361

Diese Festlegung von ἀπαρχή als Ausdruck eines Herausgehoben-Seins aus einem Ganzen macht es nötig, genereller nach den Möglichkeiten fragen, die sich für ein Verständnis von ἀπαρχή im Rahmen der metaphorischen Aussage von Jak 1,18 b anbieten. Exkurs: Die lexikalische Bedeutung von ἀπαρχή und mögliche, mittels ἀπαρχή aufgerufene Konzepte. Das Wort ἀπαρχή kann in der griechischen Koine mit sehr verschiedenen Bedeutungen gebraucht werden. Der Überblick wird dadurch erschwert, dass die entsprechenden Einträge in den einschlägigen Wörterbüchern unterschiedlich viele Denotationen aufführen und auch bei deren Klassifizierung als wörtliche oder übertragene Bedeutung differieren.113 Die hier deutlich werdende Problematik ist in der Exegese noch wenig aufgearbeitet.114 Angesichts dieser Forschungssituation kann der folgende Exkurs nur einen groben Überblick bieten. Zuerst ist ein Blick auf das Bedeutungsspektrum von ἀπαρχή überhaupt zu werfen: Häufig steht ἀπαρχή in einem kultischen Kontext und bezeichnet dort entweder den Anfang einer Opferhandlung überhaupt oder die Erstlingsgabe, das Erstlingsopfer.115 Dieses wird vor allem von agrarischen Produkten geleistet: von den ersten Erträgen der Felder, den erstgeborenen Tieren; betrifft aber auch die menschliche Erstgeburt,116 die freilich in der Regel ausgelöst 117 und nicht selbst geopfert wird.118 Das Wort ἀπαρχή steht aber genauso auch für auch auf alle Menschen beziehen, denen das Menschsein überhaupt nur als Geschenk Gottes sola gratia gegeben sei (Jakobus 297 f.). Wenn Frankemölle ἀπαρχή darauf hin in Anlehnung an Sir 24,9; Röm 16,5 und 1 Kor 16,15 so versteht, dass mit dieser Bezeichnung „qualitativ die zeitlich begründete Vorzugsstellung der Genannten“ betont werde (ebd. 303), dann setzt das allerdings wieder eine Deutung voraus, die das „Wir“ in Jak 1,18 auf eine kleinere Gruppe bezieht, denn im zeitlichen Sinne stehen die Menschen in der Schöpfung Gottes nicht an erster Stelle und können also auch keine ἀπαρχή in diesem Sinne sein. 113 LSJ listet insgesamt sieben Bedeutungen für ἀπαρχή auf, nur zwei Hauptbedeutungen werden dagegen in PGL und Bauer unterschieden (siehe Weiteres dazu unten in Anm. 115.120.122.124). Das Lexikon von Louw / ‌Nida führt ἀπαρχή in drei unterschiedlichen semantischen Bereichen an (vgl. L & N §§ 53.23, 57.171 und 61.8; s. u. Anm. 124–125). 114 Hier sind vor allem Aune (Meanings) und White (Erstlingsgabe) mit ihren Forschungsbeiträgen zu nennen, wobei Whites Untersuchung analytisch oft unscharf bleibt. 115 Pagane Belege untersucht z. B. Aune, Meanings 118–121; siehe auch LSJ s. v. 1.: „beginning of a sacrifice, primal offering“; 2. „firstlings for sacrifice or offering, first-fruits“; zum alttestamentlich-jüdischen Bereich vgl. ausführlicher White, Erstlingsgabe 17–66. Fast alle Vorkommen von ἀπαρχή in der Septuaginta belegen einen wörtlichen Gebrauch im kultischen Sinne und stehen fast ausschließlich im Plural. Alle neutestamentlichen Belege benutzen ἀπαρχή dagegen im Singular. 116 Aune (Meanings 104.116 u. ö.) arbeitet heraus, dass in der Septuaginta ἀπαρχή im wörtlichen kultischen Sinne nie für die Erstlinge bzw. Erstgeborenen von Mensch oder Tier gebraucht wird, und kritisiert die häufig zu beobachtende Ungenauigkeit neutestamentlicher Untersuchungen in diesem Zusammenhang. Auch für den paganen Bereich ist die Rede von der „Darbringung von Menschen als ἀπαρχή“ eher selten (so Delling, ἀπαρχή 483); eines der wenigen Beispiele findet sich bei Plutarch, Theseus 16,2,5 f. 117 Vgl. Ex 13,13.15; 34,20; Num 18,15 (siehe Moster, Firstborn). 118 Vgl. in der alttestamentlich-jüdischen Tradition hierzu die grundlegende Geschichte der verhinderten Isaaksopferung (Gen 22,1–19), hinter der zugleich die Möglichkeit einer damals auch anders geübten Praxis aufscheint (so z. B. Lev 18,21).

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

Opfergaben überhaupt, ohne den besonderen Schwerpunkt auf Erstlingsgaben,119 und kann „die ‚Teilgabe vom Erwerb oder Besitz des frommen Gebers‘, dann die ‚Gabe des Dankes für irgendeinen Erfolg‘ und endlich […] das Geschenk an die Gottheit, ihre Diener oder das Heiligtum überhaupt“ bezeichnen.120 Gemeinsam ist all diesen kultischen Verwendungen, dass von einem Ganzen ein Teil genommen und der Gottheit als ihr Anteil zugeeignet, geheiligt, wird, wodurch der größere Rest des Ganzen für den profanen Gebrauch frei wird. Dass Gott, bzw. den Göttern, solche Abgaben zustanden, lässt sich als weithin anerkannte und von verschiedenen Religionen der Antike geteilte Vorstellung ansehen.121 Im Anschluss an dieses kultische Verständnis kann mit Hilfe von ἀπαρχή als Fokuswort das Konzept Erstlingsgabe metaphorisch aufgegriffen werden, wobei im Einzelnen zu klären ist, welche Züge des Ursprungsbereiches ein spezieller Text jeweils aufruft, um etwas über den Zielbereich auszusagen. Lexikalisch lassen sich solche Bedeutungen nur sinnvoll aufführen, wenn es sich um wiederholte und metaphorisch abgeblasste Verwendungen handelt, die eine spezifische metaphorische Interaktion zur Sinnfindung im jeweiligen Text nicht mehr erfordern. Als eine solche Bedeutung wird häufig die Verwendung von ἀπαρχή im Sinne von „Erste/r /s in einer Folge oder Reihe“ gewertet.122 Ob es sich mit „the first of a set, often in relation to something being given – ,first‘“,123 aber tatsächlich um eine abgeblasste metaphorische Verwendung handelt,124 die sich aus der kultischen Bedeutung entwickelt hat, ist nicht sicher auszumachen und durchaus fraglich. Denn auffällig ist – wenn es auch in der Behandlung von ἀπαρχή sowohl im Zusammenhang mit Jak 1,18 b als auch andernorts häufig ignoriert wird –, dass Erstlinge im kultischen Sinne zwar oft die ersten Erträge oder Erst-Geborenen sind, als solche aber keine Reihe oder Folge begründen. Bedeutsam ist vielmehr, dass sie ausgesondert werden von einer größeren Menge, um einer ganz anderen Bestimmung zugeführt zu werden als der Rest. Indem die Erstlinge der profanen Sphäre entzogen und der Gottheit geheiligt werden, wird der Rest frei für einen profanen Gebrauch.125 119 So

z. B. in Ex 25,2 f. LXX als Wiedergabe des hebräischen ‫רּומה‬ ָ ‫„( ְּת‬Abgabe“). ἀπαρχή 483; Delling verweist außerdem darauf, dass diese Bedeutung als „Sondergabe oder regelmäßige Leistung“ bis dahin reicht, dass ἀπαρχή sogar für „Erstlingsgabe an den Staat, Erbschaftssteuer“ (ebd.) stehen kann; so auch LSJ s. v.: „tax on inheritances“. 121 Vgl. Aune, Meanings 119: „In Rome, as in ancient Israel, the produce of a new harvest could not be eaten until the offering of first-fruits had been made (Pliny Hist. nat. 18,8).“ In Dtn 26,1 f. wird das Anrecht Gottes auf Erstlingsgaben damit begründet, dass Gott das Land zum Erbbesitz gegeben hat und also auch das Anrecht darauf hat, dass ihm die Erstlinge des Landes gegeben werden (Dtn 26,2 LXX: λήμψῃ ἀπὸ τῆς ἀπαρχῆς τῶν καρπῶν τῆς γῆς σου). White betont im Anschluss an eine längere Darstellung alttestamentlicher und frühjüdischer Erstlingsbelege (Erstlingsgabe 17–65), „dass die Auffassung und Handhabung von Erstlingsgaben, wie sie im AT dargestellt werden, für die Zeit unmittelbar vor und während der Entstehung des NT bestimmend war. Große Veränderungen oder Entwicklungen machen sich nicht bemerkbar; ἀπαρχή hat das gleiche Bedeutungsspektrum wie im AT“ (ebd. 66). Leider lässt White den paganen Kontext völlig unberücksichtigt. 122 Vgl. bes. deutlich Bauer s. v.: „D. urspr. Bed. ist stark verblaßt, so daß ἀ[παρχή] fast = πρῶτος ist“; ähnlich auch PGL s. v. 123 L & N § 61.8. 124 So Bauer s. v.; anders L & N § 61.8. Dort gehört die zitierte Denotation vielmehr zur semantischen Domäne „Sequence“, genauer zu: „sequence of a non-numerical nature“ (§ 61 mit Anm. 1), ohne Hinweis auf irgendeine Art übertragener Verwendung. 125 So auch Klein, Werk 132; vgl. außerdem die im semantischen Bereich „Religious Ac­ ti­vities“ (L & N § 53) aufgeführte Denotation für ἀπαρχή in L & N § 53.23: „the first portion 120 Delling,

11.6 Der schöpfungstheologische Ansatz

363

Will man also die Beziehung beschreiben, die zwischen den Erstlingen und dem Rest der Gesamtmenge besteht, von der sie genommen sind, dann ist es gerade die Differenz (ihre Aussonderung, ihr anderer Gebrauch), in der die Bedeutung der Erstlinge für den größeren Rest liegt. Dagegen verweist ἀπαρχή als Bezeichnung für den Ersten in einer Folge darauf, dass es eine grundlegende Übereinstimmung bezüglich dessen gibt, wozu der Erste und die restlichen Glieder der Folge bestimmt sind bzw. was ihnen widerfährt. Dieses Verständnis von ἀπαρχή ist daher nicht sinnvoll als abgeblasste metaphorische Verwendung des zuvor beschriebenen kultischen Konzepts zu erklären. Wie im Hinblick auf den Jakobusbrief zu zeigen sein wird, ist es auch für Jak 1,18 b nicht das naheliegende Verständnis.126

Der Exkurs zeigt, dass ein metaphorisches Verständnis von ἀπαρχή in Jak 1,18 b, das auf das Herausgehoben-Sein aus einem Ganzen zielt, vom Ursprungsbereich her durchaus möglich ist. Wird dies jedoch, wie die schöpfungstheologische Deutungsrichtung es in der Regel tut, auf das Verhältnis von allen Menschen zu den nicht-menschlichen Geschöpfen bezogen, so ist kritisch festzustellen, dass eine besondere Rolle des Menschen im Gegenüber zu den restlichen Geschöpfen Gottes im Jakobusbrief nirgendwo sonst Thema ist. Diese Deutung von Jak 1,18 b hätte somit keinen Anhalt und auch keine weiterreichende Funktion,127 weder in den unmittelbar folgenden Versen noch im gesamten Brief, und ist daher als eher unwahrscheinlich einzuschätzen.128 Als schwierig erweist es sich schließlich auch, die Festlegung von λόγος ἀλη­θείας auf das Schöpfungswort Gottes in den folgenden Versen fortzuführen,129 denn in Jak 1,21 b liegt die Funktion des Wortes deutlich im Retten und of something which has been set aside and offered to God before the rest of the substance or objects can be used“. 126 S. u. in 11.9.3 den Petit-Abschnitt zur Auseinandersetzung mit entsprechenden Positionen innerhalb des soteriologischen Deutungsansatzes. 127 So auch Klein (Bewährung 370 f.), der zu Recht kritisch anmerkt: „Die Frage, zu welchem Zweck Jak hier auf die Erschaffung der Welt zu sprechen kommen sollte, wird zumeist ausgeblendet“ (ebd. 371 Anm. 736). 128 Jackson-McCabe (Logos 233–238) kommt zu dem Ergebnis, dass es in Jak 1,18 um die Schöpfung der gesamten Menschheit gehe, noch aufgrund ganz anderer Erwägungen. Für ihn ist λόγος im Jakobusbrief wesentlich stoisch bestimmt und gehört als angeborene Vernunft oder Naturgesetz ursprünglich zum Menschen (vgl. insbesondere das zweite Kapitel „Law as implanted logos“ [ebd. 29–86] und die dort angeführten Textbelege). Die „Geburt durch das Wort der Wahrheit“ in Jak 1,18 a erklärte sich somit gewissermaßen ganz „natürlich“ als „God’s ,implanting‘ of logos in humanity when he created them“ (ebd. 237; ähnlich schon 192.196). Hieraus leitet Jackson-McCabe dann auch die Vorrangstellung vor allen anderen Geschöpfen ab (Jak 1,18 b): „The human possession of logos, in fact renders humanity second only to the gods on the Stoic scale of nature“ (Logos 237). Auch hier stellt sich aber (neben der zu kritisierenden Überschreibung von Geburts- durch Schöpfungsterminologie) die Frage nach der Funktion dieser Aussagen innerhalb des Jakobusbriefes. Außerdem sind die stoischen Bezüge, die Jackson-McCabe besonders für die Rede vom ἔμφυτος λό­γος in Jak 1,21 herstellt, für sich genommen zwar beachtenswert, ob sie aber mit der Fähigkeit zu retten zusammenpassen, die der Jakobusbrief diesem „Wort“ zuschreibt, bleibt kritisch zu fragen (so auch Klein, Bewährung 371). 129 So auch Konradt, Existenz 43; vgl. außerdem Allison, James 282.

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

nicht im Erschaffen von Leben. Spätestens aber in der sich anschließenden Mahnung, nicht nur Hörer, sondern Täter des Wortes zu werden (Γίνεσθε δὲ ποιηταὶ λόγου καὶ μὴ μόνον ἀκροαταί, 1,22), lässt sich λόγος kaum noch sinnvoll als das Schöpfungswort verstehen. Dass es sich in Jak 1,18 a; 1,21 und 1,22 f. daher um ein jeweils anders zu verstehendes Wort handele – so der Lösungsversuch von Elliott-Binns 130 –, ist wenig überzeugend. Weitere Ansätze, die sich in der Sekundärliteratur zur Klärung dieses Problems finden, zeigen eine auffällige Tendenz hin zur soteriologischen Deutungsvariante: So schlägt Sophie Laws zum Beispiel vor, die Bedeutung von λόγος insgesamt weniger auf das Schöpfungswort allein zu fixieren (obwohl sie insgesamt an der schöpfungstheologischen Deutung von Jak 1,18 festhält): „because for him [sc. James] reference to the word of creation [in Jak 1,18] suggests also the word of the gospel, the language of the latter has come into reference to the former. Here [1,21], conversely, it may be said that the reference is primarily to the word of the gospel, yet because of this interaction of ideas, and because the creation word of v. 18 is still in mind, the word of the gospel is described in terms of the word of creation, part of the nature of man from his birth.“ 131 Der schöpfungstheologischen Deutung, wie sie Laws verfolgt, ist somit eine soteriologische zugleich mit eingeschrieben und das „Wort“ ist Schöpfungswort und Evangelium in einem, wenn auch mit wechselnden Gewichtungen und gewissen Unklarheiten, die für die Auslegung daraus folgen. Ähnlich, wenn auch anders in der Durchführung, optiert auch Frankemölle: Mit Jak 1,18 a und b und genauer mit dem „Wort der Wahrheit“ liege „eine sogenannte Unbestimmtheits- bzw. Leerstelle vor, die erst im Verlauf des Briefes durch Amplifikationen inhaltlich konkretisiert wird.“ 132 Die Unbestimmtheit löst Frankemölle dann so auf, dass „Jakobus in 18 a.b noch schöpfungstheologisch denk[t]“, während in Jak 1,21 b das „‚eingepflanzte Wort‘ in christlich verstandenem Sinn im Kontext des Briefes das Evangelium“ meint.133 An der schöpfungstheologischen Auslegung von Jak 1,18 hält Frankemölle vor allem deshalb fest, weil eine soteriologische Deutung in der Forschung häufig parallel mit einer tauftheologischen läuft, er jedoch weder Jak 1,18 noch 1,21 auf die Taufe festgelegt wissen will.134 Dieser Engführung soll der schöpfungstheologische Ansatz wehren.135 Schöpfung versteht Frankemölle dabei außerdem nicht als jene am Anfang, sondern identifiziert Jakobus vielmehr als

130 Elliott-Binns (Creation 151) versucht, die Erwähnung von λόγος in Jak 1,21 weitgehend unabhängig von Jak 1,18 zu erklären, und begründet das zum einen mit „the writer’s habit of using the same word with different shades of meaning“ und zum anderen mit dem Verweis auf die vielfältigen möglichen Bedeutungen von λόγος überhaupt. 131 Laws, James 83. 132 Frankemölle, Jakobus 298. Auch der Kommentar z. St. bleibt dadurch nicht selten unbestimmt zwischen verschiedenen Optionen stehen, wie schon oben in Anm. 112 deutlich wurde. 133 Frankemölle, Jakobus 298. 134 Vgl. Frankemölle, Jakobus 298. Auch Tsuji (Glaube 69) wehrt mit dem Votum für eine schöpfungstheologische Deutung explizit den Bezug auf die Taufe ab. 135 Der Kommentar von Martin (James 39–41) zeigt jedoch, dass auch eine Interpretation des „Wortes der Wahrheit“ in Jak 1,18 a als „the spoken word which God uttered at creation“ (ebd. 40) nicht sicher davor schützt, am Ende bei der Taufe herauszukommen. Der Gedankengang, der Martin von dem einen zu dem anderen führt, basiert allerdings wesentlich auf einer unkritischen Gleichsetzung von Schöpfung mit neuer Schöpfung.

11.6 Der schöpfungstheologische Ansatz

365

einen „Vertreter der creatio continua“ alttestamentlicher Prägung.136 Die Aussage von Jak 1,18 besteht laut Frankemölle demnach darin, dass den „Christen“, die „‚durch das Wort der Wahrheit geboren‘ […] ‚eine Art Erstlingsfrucht‘ von Gottes Geschöpfen“ sind, „so ein ganz neues Selbstverständnis hinsichtlich ihrer Existenz im Glauben geschenkt worden“ ist.137 Aber ist diesem „neuen Selbstverständnis im Glauben“, das durch das gegenwärtige schöpferische Handeln Gottes hervorgerufen wurde, nicht auch schon ein deutlicher soteriologischer Zug eigen, wie er auch bei Laws zu beobachten war? Und liegt ein Zusammenhang mit der Christusbotschaft, die das Leben der Adressierten von Grund auf verändert, nicht näher als ein etwas mühsamer Bezug auf eine creatio continua? Dass damit noch keine Engführung auf die Taufe als punktuelles Ereignis verbunden sein muss, bleibt unten (11.9.4) zu zeigen. Schließlich kommt auch Elliott-Binns ohne eine gewisse Öffnung hin zu soteriologischen Deutungen nicht aus. Um zu erklären, in welcher Weise der Mensch gegenüber den anderen Geschöpfen eine Vorrangstellung habe, schlägt er eine Brücke, die von „(a) Creation“ über „(b) Man’s redemption“ endlich zu „(c) the Redemption of all things“ führt. Für deren spätere Elaboration öffne der Jakobusbrief freilich nur den Weg.138 Auch die vorsichtige Formulierung verhindert dabei aber nicht, dass in die Interpretation von Jak 1,18 a als Schöpfungsaussage auf diese Weise bereits der Gedanke einer rettenden Neuschöpfung mit eingetragen wird.139

Problematisch ist an der Fixierung auf eine Schöpfungsdeutung für Jak 1,18 schließlich und wesentlich, dass die im Text tatsächlich greif bare Geburtsmetaphorik mit einer dem Text nicht inhärenten Metaphorik überschrieben wird. Damit wiederholt sich für Jak 1,18 a ein Muster, das sich in der Forschungsgeschichte zur Rede von „Wiedergeburt“ im Neuen Testament bereits mehrfach feststellen ließ (s. o. Teil  I). Selbst wenn Jak 1,18 a mit dem Fokuswort ἀποκύειν tatsächlich das Konzept Schöpfung aufrufen wollte, wäre zu klären, warum der Jakobusbrief dabei von Gottes Gebären spricht, statt einschlägiges Schöpfungsvokabular zu benutzen.140 Die Auskünfte, die die Sekundärliteratur 136 Frankemölle,

Jakobus 304. Dass sich hierin letztlich ein Neuschöpfungsgedanke verbirgt, der außerdem gewisse Affinitäten zur nomistischen Deutungsrichtung aufweist, zeigt das von Frankemölle angefügte Janowski-Zitat. Janowski spricht dort im Hinblick auf die „Konstituierung des JHWH-Volkes“, die mit der „Errichtung des Heiligtums am Sinai“ im Zusammenhang steht, von „Züge[n] einer ‚Schöpfung in der Schöpfung‘ bzw. einer ‚Neuschöpfung‘ Israels“ (Janowski, Tempel 63 [in Aufnahme eines Zitats von Blum]; vgl. Frankemölle, Jakobus 304). 137 Frankemölle, Jakobus 322. 138 Elliott-Binns, Creation 159. Eine Verbindung von ursprünglicher Schöpfung mit Neuschöpfung vertritt auch Hoppe, Jakobusbrief 180. 139 Elliott-Binns sieht dies an anderer Stelle seines Aufsatzes auch deutlich und beschreibt es als ein wesentliches Moment der Wirkungsgeschichte von Jak 1,18, hält sich selbst und die ursprüngliche Intention des Jakobusbriefes aber für frei davon: „he [sc. James] knows nothing of any ,new‘ creation or rebirth, though both these ideas were undoubtedly developed at a later date and in different circles within the early Church. To read them back into i. 18 was only natural“ (Creation 156). Die hier immerhin noch erwähnte Vorstellung von „re-birth“ verliert sich im Laufes des Kapitels (156–159) komplett zugunsten von „new creation“. 140 Eine Ersetzung von ἀποκύειν durch ποιεῖν (vgl. Gen 1,26 f. LXX) findet sich in der handschriftlichen Überlieferung von Jak 1,18 tatsächlich, aber so marginal, dass Nestle-­ Aland diese Variante in der 28. Auf lage nicht mehr im Apparat aufführt (vgl. ausführlich

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

dazu bietet, sind mager: Frankemölle versteht die Ausdrucksweise mit Hinweis auf Jak 1,15 einfach als kontextuell bedingt; Laws geht ähnlich vor.141 In vergleichbarer Weise meint auch Manabu Tsuji zu wissen, dass „Jakobus statt ‚schaffen‘ den Ausdruck ‚gebären‘ (ἀποκύω) benützt“ mit dem einzigen Ziel, den „Kontrast“ zu Jak 1,15 hervorzuheben.142 Elliott-Binns listet biblische und andere antike Vergleichsstellen auf, in denen ἀποκύειν benutzt wird, kommt einem tieferen Verständnis der Metapher im Kontext von Jak 1 damit aber nicht näher, als dass er feststellt: „the phrase suits either creation or redemption“.143 Ein eigenes Sinnpotenzial wird dem Ursprungsbereich Geburt in keiner der schöpfungstheologischen Deutungen zugemessen.

11.7 Der nomistische Ansatz Die zweite Variante, Jak 1,18 auszulegen, ist gekennzeichnet durch die Gleichsetzung von λόγος ἀληθείας mit „Gesetz“.144 Die dafür herangezogenen Belegtexte (an erster Stelle meist Ps 118,43 LXX; Test Gad 3,1 und Ps Sal 16,10; bisweilen 1 Hen 14,1; 99,2; 104,9 f.; z. T. auch Spr 22,21 LXX; Mal 2,6 LXX u. a.) 145 können die Formulierung λόγος ἀληθείας aber ebenso wenig als einEditio critica maior 14). Einen Sonderweg geht Edsman (Schöpferwille), der aufgrund antiker Belege für ἀποκύειν einen „Gebrauch unseres Verbums in rein übertragenem Sinne“ nicht für belegbar hält (ebd. 15; vgl. auch 23). Er deutet die Rede vom Gebären Gottes in Jak 1,18 vielmehr unter Rückgriff auf den „ursprünglich primitiven Gedanken einer mannweiblichen Urgottheit“ (ebd. 28) gnostischer Prägung. Diese Position ist sowohl religionsgeschichtlich als auch im Hinblick auf das zugrundeliegende Metaphernverständnis unhaltbar. Spätestens mit der Schlussbehauptung aber, dass der Jakobusbrief „häufig Begriffe und Ausdrücke auf[greife], ohne ihren eigentlichen Sinn und ihre Tragweite zu verstehen“ (ebd. 44), dürfte Edsman eher die Ratlosigkeit des Exegeten als eine für den Jakobusbrief gültige Beobachtung beschreiben. 141 Vgl. Frankemölle, Jakobus 297, und Laws, James 75. 142 Tsuji, Glaube 68. 143 Elliott-Binns, Creation 151. 144 Vgl. z. B. Tsuji, Glaube 109; Lautenschlager, Gegenstand 167; Ludwig, Wort 159 und 169; Klein, Werk 137. Konradt, der sich mit dieser Gleichsetzung von „Wort der Wahrheit“ und Gesetz ausführlich und kritisch auseinandersetzt (vgl. Konradt, Existenz 67–74), bezweifelt zu Recht, dass mit Gesetz hier bei allen Vertretern dieser Deutungsrichtung „Tora als Einheit von Heilserzählung und darin eingebetteter Gabe von Weisungen für das Leben im Bund“ gemeint ist. Es gehe vielmehr um Gesetz „im Sinne von ethischer Forderung“ (ebd. 68). Lautenschlager (Gegenstand 169) sieht daneben in den „inhaltlichen Konkretionen jener Gesetzesforderung“ auch die „zahlreichen Anklänge an Herrenworte – und hier vor allem Aussagen der Bergpredigt“ mit eingeschlossen. Der Begriff „Gesetz“ ist innerhalb der nomistischen Deutung also erklärungsbedürftig. 145 Während die zuerst genannten Texte immerhin vom λόγος oder den λόγοι ἀληθείας sprechen, wobei die Identifikation mit dem Gesetz keineswegs eindeutig ist, belegt Spr 22,21 ἀλη­θὴς λόγος; in Mal 2,6 wird gar vom νόμος ἀληθείας gesprochen. Ludwig (Wort 151) führt über die oben genannten Stellen hinaus „alle mir zugänglichen Belege der Wendung ‚Wort(e)

11.7 Der nomistische Ansatz

367

schlägig für die Rede vom Gesetz erweisen,146 wie dies bereits bei der Deutung als Schöpfungswort der Fall war. Es bleibt daher der Blick auf die kontextuellen Verknüpfungen zu richten. Hier lässt sich im Gegensatz zur schöpfungstheologischen Deutung feststellen, dass eine lineare Lektüre des Briefes vom Anfang an bis zu Jak 1,18, nicht speziell auf das Thema Gesetz einstimmt. Anders als dort jedoch, wo das Verständnis vom „Wort der Wahrheit“ als Schöpfungswort sich vor allem als schwierig für die folgenden Verse erwies (s. o.), lässt sich mit einer Interpretation von λόγος im Sinne von „Gesetz“ in Jak 1,19–25 gut weiterarbeiten: Zwar bleibt in Jak 1,21 – wie in alle drei Deutungsrichtungen gleichermaßen – die inhaltliche Spannung bestehen, dass etwas bereits Inhärentes (ὁ ἔμφυτος λόγος) dennoch der ausdrücklichen Annahme durch die Adressierten bedarf (δέξασθε). Die Rede vom „eingepflanzten Wort“ 147 selbst aber könnte auf die Vorstellung rekurrieren, dass die Tora den Menschen von Gott nahe an bzw. in ihr Herz gelegt wird.148 Dass das „eingepflanzte Wort“ als solches auch noch „anzunehmen“ ist, lässt sich aus dieser Vorstellung heraus wie folgt erklären: „[D]adurch, daß das Gesetz ins Herz gelegt ist, ist es noch nicht getan, sondern nur erst das Tun ermöglicht.“ 149 Die Rede von den „Tätern des Wortes“ (ποιηταὶ λόγου) in Jak 1,22 f. könnte als Fortführung dieses Gedankens verstanden werden. In Jak 1,25 begegnet dann schließlich in Anknüpfung an die Aufforderung von Jak 1,21 direkt (und erstmalig im Jakobusbrief ) das Stichwort „Gesetz“ (ὁ δὲ παρακύψας εἰς νόμον τέλειον τὸν τῆς ἐλευθερίας […]).150 der Wahrheit‘ und ‚Gesetz(e) der Wahrheit‘ in antiker jüdisch-christlicher Tradition“ an, wodurch das Argument für eine nomistische Deutung von λόγος ἀληθείας in Jak 1,18 aber nicht stärker wird. Das sieht im Ansatz auch Ludwig selbst so, erklärt diese Schwierigkeit aber mit Hilfe der fraglichen Prämisse, dass Jak 1,18 eine Schöpfungsaussage sei (ebd. 151; ähnlich 157) und daher von allen angeführten Belegen differiere, worauf hin eine Deutung „auf jüdisch-nomistischem Boden“ (ebd. 157) von ihr zu der dem Jakobusbrief am meisten entsprechenden erklärt wird. 146 Vgl. das entsprechende Ergebnis der kritischen Durchsicht, die Konradt (Existenz 69–71) für die am häufigsten angeführten Textbelege vorgenommen hat. 147 Eine Wiedergabe von ἔμφυτος mit „angeboren“ und eine entsprechende Verbindung mit der Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 findet sich innerhalb der nomistischen Deutungsrichtung nicht; siehe dagegen aber unten 11.9.3. 148 Vgl. Tsuji, Glaube 109: „Freilich findet er [sc. der Ausdruck ὁ ἔμφυτος λόγος] sich nicht in der LXX, entspricht aber sachlich der Vorstellung des Gesetzes im Menschenherzen (Dtn 30,14; Jer 31,33; 1 QH 4,10 [= 1 QH XII,10]: ‚dein Gesetz, das du in mein Herz gegraben hast‘)“; vgl. ähnlich Lautenschlager, Gegenstand 167. Klein (Werk 136) argumentiert differenzierter, indem er Dtn 30,11–14 zitiert, Jer 31,33 (38,33 LXX) aber herausnimmt, weil es im Jakobusbrief um eine eschatologisch erst einzulösende Verheißung gehe. Anhand eines Gebetes aus Qumran (4 Q Dib Ham [4 Q 504] II,12–14) verweist er außerdem auf die dortige Beschreibung der Tora, die ins Herz gepflanzt wird. Ludwig (Wort 162–164) führt noch weitere Belege an, die u. a. das Bild des Einpflanzens deutlicher enthalten, sich allerdings nicht immer ausdrücklich auf das Gesetz beziehen. 149 Klein, Werk 137. 150 Von den Vertretern dieser Deutungsrichtung (vgl. Klein, Werk 68; Tsuji, Glaube 71;

368

11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

Die zentrale Frage ist daher, ob sich auch in Jak 1,18 die Deutung von λόγος ἀληθείας als Gesetz bereits so anbietet, dass die Lektüre des folgenden Textes wie geschildert weiterlaufen kann. Die Jak 1,18 vorausliegenden Verse arbeiten diesem Verständnis, wie bereits gesagt, nicht ausdrücklich zu. Aber auch in Jak 1,18 selbst müssen die Hinweise, die eine solche Lektüre ermöglichen sollen, eher mühsam zusammengestellt werden. Im alttestamentlich-jüdischen und frühchristlichen Kontext gibt es keine direkten Parallelen: Eine metaphorische Aussage, die besagt, dass Gott „uns“ 151 durch das Gesetz gebiert, ist nicht belegt. Dass ein solches Verständnis von Jak 1,18 a dennoch naheliegen könnte, versucht Martina Ludwig unter Hinzuziehung von Jak 1,18 b durch die Bestimmung der im Vers Angesprochenen zur ἀπαρχή nachzuweisen,152 kann den gewünschten Zusammenhang aber letztlich nur postulieren. Unter der Überschrift „Ἀπαρχή τις τῶν αὐτοῦ κτισμάτων“ führt Ludwig dazu verschiedene Texte aus der jüdischen Tradition zum Vergleich an, die aber keineswegs alle von ἀπαρχή sprechen.153 Er gruppiert sie wie folgt: Die erste Gruppe spricht von Israel (bzw. Ephraim) als Gottes Erstgeborenem (πρωτότοκος bzw. πρωτόγονος).154 Eine zweite Gruppe belegt das (Selbst-)Verständnis Israels als Gottes Eigentum,155 eine dritte die Erwählung Israels durch Gott,156 eine vierte die Gabe des Gesetzes an Israel,157 eine fünfte den direkten Gebrauch von ἀπαρχή im metaphorischen Bezug auf Israel.158 Die Aussagen dieser verschiedenen Texte ernichts dazu bei Ludwig) wird auch darauf verwiesen, dass das Stichwort „vollkommen“ be­ reits in Jak 1,17 (πᾶν δώρημα τέλειον) und 1,4 (ἔργον τέλειον) fällt. 151 Näheres zur Referenz der 1. Person Plural innerhalb der nomistischen Deutung s. u. 152 Vgl. Ludwig, Wort 157–159. Zum Bedeutungsspektrum von ἀπαρχή s. o. den Exkurs in 11.6. 153 Vgl. Ludwig, Wort 157. Deutlich näher am Text bleibt hier Klein (Werk 132 f.), der ἀπ­αρχή in Übereinstimmung mit einem Teil der Vertreter der soteriologischen Deutungsrichtung (s. u. 11.9.3, bes. Anm. 215 und Kontext) so versteht, dass damit die von Gott Geborenen herausgehoben sind als „Gemeinschaft, die im besonderen Gottes Eigentum ist“ (ebd. 133), womit er die Christen meint (s. u.). 154 Ludwig (Wort 157 f.) führt hier Ex 4,22 LXX; Jer 38,9 LXX; Sir 36,11; Ps Sal 18,4 und ein Fragment aus Qumran (4 Q 504) an. Sie erwähnt außerdem noch fünf weitere Belege aus frühjüdischen Schriften für Jakob, das Volk bzw. den Samen Jakobs als Gottes Erstgeborenen. Lautenschlager (Gegenstand 168) verweist auf die Geburt Israels durch Gott anhand von Dtn 32,18 LXX. 155 Vgl. Ex 19,5; Dtn 7,6; 14,2; 26,18; Ps 135,4 (siehe Ludwig, Wort 158). Klein (Werk 132) begründet den für seine Interpretation von Jak 1,18 zentralen Gedanken, dass die Adressierten Gottes Eigentum sind, dagegen ganz aus dem metaphorischen Gebrauch von ἀπαρχή (s. o. Anm. 153) und sieht hier eine besondere Nähe zu Jer 2,3 (s. u. Anm. 158) und Apk 14,4. Ludwig dagegen bleibt in ihren vielen Textvergleichen immer auf der Textoberfläche und zeigt keine Aufmerksamkeit für die Besonderheiten metaphorischer Sprache. 156 Vgl. Dtn 7,6; 14,2; Ps 135,4; Jes 41,8 f.; 44,1 f.; Jub 2,19 f.; Lib Ant 35,2; 4 Q 504 III,5 f. (siehe Ludwig, Wort 158). 157 Vgl. 4 Esr 3,19; 5,27; 2 Bar 77,3; 18,4 (siehe Ludwig, Wort 158). 158 Vgl. Jer 2,3 (hier allerdings nur ἀρχή); Ass Mos 1,13 (hier allerdings nur im Rückschluss aus dem Lateinischen inceptio); Philo, Spec. 4,180 (siehe Ludwig, Wort 158 f.). Auf den Philo-Text, der mit ἀπαρχή die „Würdestellung Israels“ hervorhebt, verweist auch Lautenschlager, Gegenstand 168.

11.7 Der nomistische Ansatz

369

geben aber erst, indem sie auf einer Metaebene gemeinsam gelesen werden, den Zusammenhang, dass Gott Israel zu seinem Erstgeboren macht, indem er das Volk gebiert, und dass er es damit vor anderen auserwählt, zu seinem Eigentum bestimmt und dass zu dieser Auserwählung und Besonderheit auch die Gabe des Gesetzes zählt. Ludwig meint, diesen Zusammenhang mittels eines eher assoziativen Umgangs mit dem, was durch ἀπαρχή in Jak 1,18 b angesprochen sein könnte, begründen zu können, ohne diese Deutung von ἀπαρχή jedoch metapherntheoretisch begründet an den vorhandenen Text in Jak 1,18 und dessen Kontext zurückzubinden.159 Was die von Ludwig zusammengestellten Texte somit gerade nicht beweisen, ist ein ausdrücklicher Zusammenhang zwischen Gott, der Israel gebiert, und der Gabe des Gesetzes, und schon gar nicht die Vorstellung, dass Gott Israel durch das Gesetz gebiert.

Folgt man der nomistischen Deutung trotz berechtigter Anfragen an die Gleichsetzung von λόγος mit νόμος in Jak 1,18 a weiter, dann lässt der stark exklusive Bezug auf Israel 160 schließlich danach fragen, an wen der Jakobusbrief innerhalb dieser Deutungsrichtung und im Lichte eines so verstandenen Verses Jak 1,18 eigentlich gerichtet ist und welche Pragmatik Jak 1,18 verfolgt. Für Ludwig sind es „christliche Jüdinnen und Juden“, die der Verfasser in Jak 1,18 „auf ihre jüdischen Verheißungen anspricht und sich einschließt“.161 Nicht-jüdische Leserinnen und Leser hat der Jakobusbrief nach Ludwig nicht im Blick.162 Eine konkrete Situation im Leben der Adressierten, in der diese Ansprache auf die jüdischen Verheißungen hin stattgefunden haben sollte, wird bei Ludwig nicht sichtbar (genauso wenig deren Ziel). Ausdrücklich von „Christen“ als Adressaten spricht dagegen Martin Klein. Er geht außerdem davon aus, dass sich die Aussage „offenbar auf den Vorgang des Christ-Werdens durch die Wirkung des wahren Wortes Gottes“ bezieht und „auch für den Jakobusbrief mit der Taufe verbunden“ war.163 Da diese aber keine weitere Betonung erfahre, könne sie hier für den Jakobusbrief auch nicht besonders wichtig sein.164 „Isoliert betrachtet könnte dieser Vers [1,18] ebensogut jüdisch sein und das Volk Israel meinen“.165 Wenn der situative Hintergrund aber doch, wie Klein sagt, in Konversion und Taufe zu finden ist, dann ist auch die Engführung des „Wortes“ auf das Gesetz zumindest zu lockern.166 159 Metapherntheoretisch ausgedrückt wäre zu fragen, welche durch das Fokuswort ἀπαρ­ χή aufgerufenen Aspekte des Ursprungsbereiches (d. h. welche der von Ludwig angeführten Assoziationen durch Intertexte) tatsächlich durch den vorliegenden Kontext im Jakobusbrief aktiviert werden und welche eher nicht. Ludwig dagegen bringt alle zusammen. 160 Klein (Bewährung 369) bezeichnet diesen Deutungsansatz daher nicht zu Unrecht als jüdisch-partikularistisch; s. o. Anm. 10. 161 Ludwig, Wort 159. 162 Zur kritischen Diskussion dieser Einschränkung der Adressierten auf Menschen mit jüdischen Hintergrund s. o. 11.2. 163 Klein, Werk 131 u. ö. 164 Klein, Werk 131. Sowohl Lautenschlager (Gegenstand 167 f.) als auch Tsuji (Glaube 69; s. o. Anm. 134) lehnen einen Bezug auf den Vorgang des Christwerdens und die Taufe dagegen kategorisch ab; vgl. ähnlich auch Ludwig, Wort 157. 165 Klein, Werk 133 f. 166 Dass mit λόγος ἀληθείας auch auf das Evangelium angespielt sein könnte, zieht Klein

370

11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

Blickt man abschließend auf den Umgang mit der Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 a, so ersetzt auch die nomistische Auslegung diese zum Teil durch die Vorstellung der Erschaffung 167 und gewinnt ihr insgesamt kein aussagekräftiges Bedeutungspotenzial ab. Dass auch Jak 1,21 und 1,23 f. die Metaphorik noch fortsetzen, wird zugunsten einer Fixierung auf das „Wort“ und dessen (in sich nicht eindeutiger) 168 Bestimmung als Gesetz komplett übersehen. Ludwig paraphrasiert Jak 1,18 zum Beispiel wie folgt: „Gott hat uns durch das Wahrheits-­ Wort, das Gesetz, geboren, erschaffen [sic], damit wir eine Art Erstling, das Hervorragendste, seiner Geschöpfe, der ganzen Menschheit seien.“ 169 Geburt bleibt hier neben Erschaffung als Metapher stehen.170 Für die Funktion des Verses, die Adressierten (wie oben bereits zitiert) auf ihre „jüdischen Verheißungen“ hin anzusprechen, gewinnt die Metaphorik bei Ludwig aber kein Gewicht.171 Tsuji ist in seinem Umgang mit der Geburtsmetaphorik von vornherein stark dem schöpfungstheologischen Ansatz verhaftet (s. o. 11.6). Die Geburt durch Gott meint bei ihm Schöpfung.172 Andererseits versteht er dabei λόγος ἀληθείας nicht, wie in diesem Ansatz üblich, als Schöpfungswort Gottes, sondern verschiebt fast unmerklich die Bezüge: Aus dem Schöpfungswort, wird das Wort des Schöpfers, genauer noch: „ein unbestimmtes Wort Gottes, das den Willen des Schöpfers der Menschheit zeigt.“ 173 Damit ist der Weg bereitet für die direkte Gleichsetzung mit dem Gesetz, die dann später auch ausdrücklich erfolgt, die Tsuji aber nicht mehr inhaltlich mit der zuvor zur Schöpfung umgedeuteten Geburtsmetaphorik in Beziehung setzt, wodurch er eine schlüssige Gesamtdeutung schuldig bleibt.174 Anders deutet Klein die Metaphern des Verses. Ihm gelingt es – trotz der Feststellung, dass „der Abschnitt 1,16–18 primär Gott als den Schöpfer und Geber der guten Gaben im Blick“ habe –, ἄπεκύησεν dennoch nicht durch Schöpfungsterminologie zu überschreiben. Die Metaphorik Jak 1,18 a erklärt sich für Klein allerdings komplett als „etwas gewaltsam[e]“ Übertragung aus Jak 1,15.175 In einer Paraphrase von Jak 1,18 ersetzt Klein die Metapher des (Werk 131) durchaus in Betracht, bleibt aber skeptisch, da die Evangeliumsbotschaft vor allem Kreuzestod und Auferweckung einschließe, von denen im Jakobusbrief aber gerade nichts zu lesen sei. 167 Das ist besonders bei Ludwig (Wort) und Tsuji (Glaube) zu beobachten. 168 Siehe dazu schon oben Anm. 144. 169 Ludwig, Wort 159. 170 Zuvor hat Ludwig (Wort 156) ohne weitere Begründung einfach konstatiert: „Jak 1,18 […] ist eine Schöpfungsaussage, in der λόγος ἀληθείας als Mittel der Schöpfung durch einen Dativus instrumentalis ausgedrückt wird.“ 171 Dass das Zentrum der Aussage in Jak 1,18 a für Ludwig auch an ganz anderer Stelle liegt, als beim metaphorisch gebrauchten finiten Verb, zeigt die Formulierung, mit der sie den zweiten Halbvers einführt: „Die Fortführung der Aussage über den λόγος ἀληθείας in Jak 1,18 lautet […]“ (Ludwig, Wort 157, Hervorhebung hinzugefügt). 172 So spricht Tsuji (Glaube 70) z. B. von der „Schöpfungsaussage von V. 18“. 173 Tsuji, Glaube 69. 174 In einer Paraphrase fasst Tsuji (Glaube 109) den gesamten Abschnitt Jak 1,13–25 wie folgt zusammen: „Um die Begierde zu überwinden und sich von Versuchungen fernzuhalten, soll man am Gotteswort festhalten, durch das er uns geschaffen [sic] hat. Dieses Wort Gottes ist jedoch nichts anderes als das Gesetz“. Zu weiteren Unstimmigkeiten in Tsujis Analyse siehe schon oben Anm. 103 und 111. 175 Klein, Werk 133.

11.8 Zwischenfazit

371

Gebärens dann aber doch durch die Rede von der „Wirkung des wahren Wortes Gottes“.176 Worin diese Wirkung besteht, findet sich kurz darauf wie folgt beschrieben: „Auf Grund ihrer ‚Geburt‘ durch Gottes wahres Wort sind die Christen aus der übrigen Schöpfung herausgehoben als die Gemeinschaft, die im besonderen Gottes Eigentum ist.“ 177 Damit deutet Klein aber vor allem die mit ἀπαρχή verbundene Metaphorik aus Jak 1,18 b, während „Geburt“ in Anführungszeichen stehenbleibt und nicht weiter entfaltet wird.

11.8 Zwischenfazit Die kritische Sichtung des schöpfungstheologischen und des nomistischen Ansatzes zur Deutung von Jak 1,18 hat gezeigt, dass nur Teilaspekte dieser beiden Interpretationsrichtungen für die geburtsmetaphorischen Aussagen in Jak 1,18 und für deren Kontext plausible Deutungen bieten. Zu erwähnen ist hier einerseits, dass eine Verbindung der Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 a mit Gottes schöpferischem Handeln vom Kontext in Jak 1,17 und 1,18 b her durchaus naheliegt. Wie genau, wird jedoch noch zu prüfen sein, denn Jak 1,18 a beschreibt Gottes Tun zweifellos nicht zufällig als Gebären. Es kann also nicht darum gehen, Gebären einfach als Erschaffen zu verstehen. Vielmehr ist der kontextuelle Hinweis auf Gott als Schöpfer in die Geburtsmetaphorik einzubeziehen. Die Ursprungsbereiche decken sich etwa darin, dass sie beide die Entstehung des Lebens beschreiben und Aspekte des Anfangs, der Neuheit wie auch der Irreversibilität enthalten (s. u. 11.9.4). Zum anderen ist dem nomistischen Deutungsansatz positiv zu entnehmen, dass das „Wort der Wahrheit“ zwar nicht notwendig identisch mit dem Gesetz ist (das ja auch in der nomistischen Deutung selbst unterschiedlich verstanden wird: s. o. Anm. 144), aber doch zweifellos Aspekte des Gesetzes enthalten kann (s. u. 11.9.1). Das macht zumindest im Fortgang des Textes die Auslegung von Jak 1,21 ff. leichter, wo von den Adressierten ein aktives Verhalten dem Wort gegenüber verlangt wird. Dass aber auch dieses Verhalten erst auf die metaphorische Geburt durch das „Wort der Wahrheit“ folgt und durch sie daher eine unverzichtbare und unverlierbare Grundlage erhält, wurde von der nomistischen Deutungsrichtung nicht herausgearbeitet, sondern eher durch textexterne Rückbezüge auf den Bund, die Gesetzesgabe oder auf das ins Herz gegebene Wort in Dtn 30,14 und Jer 31,33 zu begründen versucht. 176 Klein,

Werk 131 (Hervorhebung hinzugefügt). Werk 133 (Hervorhebung hinzugefügt); vgl. auch Lautenschlager (Gegenstand 168 f.) mit einer ähnlichen Deutung der Metaphorik des Verses als Erwählung, wenn auch in der Argumentation insgesamt wesentlich schwächer: „In Jak 1,18 bezeichnet die Geburt durch das Wort der Wahrheit also die in der Offenbarung des göttlichen Gesetzes bestehende Erwählung, die die zu ‚Jahwes heiligem Besitz, seiner Erstlingsfrucht‘ (Jer 2,3) Erwählten zu einem Leben im Gehorsam gegen eben dieses Gesetz verpflichtet“ (Hervorhebungen hinzugefügt). 177 Klein,

372

11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

All die positiven Ansätze sind nun (s. u. 11.9) mit dem dritten noch zu betrachtenden Deutungsansatz, dem soteriologischen, zu einer schlüssigen Gesamtdeutung zu verbinden. Auch manche Züge der soteriologischen Deutung, wie sie sich in der Forschungsliteratur darstellt, werden dabei kritisch zu bewerten sein.

11.9 Die soteriologische Deutung Als soteriologische Deutung lassen sich alle Interpretationen von Jak 1,18 bezeichnen, denen gemäß sich der Vers auf die Begegnung der Adressierten mit der rettenden Christusbotschaft bezieht. Das „Wort der Wahrheit“ in Jak 1,18 a wird in der Kommentar- und Forschungsliteratur entsprechend als die Verkündigung, häufig auch als die Erstverkündigung des Evangeliums an die Adressierten verstanden.178 Diese Deutung steht im Einklang mit den vier weiteren neutestamentlichen Belegen für λόγος ἀληθείας (Kol 1,5; Eph 1,13; 2 Kor 6,7 und 2 Tim 2,15), die damit ebenfalls auf die (missionarische) Verkündigung der Christusbotschaft zielen,179 und ist somit einschlägiger als das bereits diskutierte Verständnis von λόγος ἀληθείας als Schöpfungswort bzw. als Gesetz (s. o. 11.6–7). Der Wortgebrauch an anderen neutestamentlichen Stellen kann aber weder die Bedeutung des Syntagmas im Jakobusbrief hinreichend begründen, noch ist damit die soteriologische Deutung im Kontext von Jak 1,18 a bereits plausibilisiert.180 Wie in den vorausgegangenen Abschnitten (11.6–7) muss auch hier weiter gefragt werden, wie gut sich dieses Verständnis vom „Wort der Wahrheit“ als christliche Heilsbotschaft zu den Erwähnungen des λόγος in den folgenden Versen fügt (s. u. 11.9.1–2). Außerdem muss die Extension des „Wir“ in Jak 1,18 geklärt werden und die Bestimmung dieser Gruppe 178 Eine in diesem Sinne soteriologische Deutung von Jak 1,18 (ff.) vertreten u. a. Burchard, Jakobusbrief 78–80; Davids, James 89; Dibelius, Jakobus 135–139; Hartin, James 105; Klein, Bewährung 373–378; Konradt, Existenz 44 u. ö. (vgl. aber z. B. auch ders., Wort 3); McKnight, James 129–132; Mussner, Jakobusbrief 95–97; Popkes, Jakobus 123–127; Schnider, Jakobusbrief 45; Schrage, Jakobusbrief 20; vgl. alternierend mit einer schöpfungstheologischen Deutung auch Laws, James 78. Unentschieden zwischen allen drei Deutungsmöglichkeiten bleibt Johnson (James 205), allerdings mit leichter Tendenz zu einer soteriologischen Ausrichtung, zumindest was das Verständnis des „Wortes der Wahrheit“ angeht: „In the context, the most likely referent would be the Gospel“ (ebd.). 179 Tsuji bestreitet diese Deutung ausdrücklich und begründet sein Urteil damit, dass sich anhand der genannten Texte λόγος ἀληθείας nicht als „ feste Wendung für Evangelium“ etablieren ließe (Tsuji, Glaube 69, Hervorhebung hinzugefügt). Er schlussfolgert daraus aber zu Unrecht, dass sich das Syntagma in Jak 1,18 deshalb überhaupt nicht auf die christliche Verkündigung beziehen könne. 180 So aber z. B. Davids, James 89: „only Christian and post-Christian [sic] sources provide real parallels to James’s ,bringing forth by the word of truth.‘ This fact secures the reference to the gospel and regeneration.“

11.9 Die soteriologische Deutung

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zur ἀπαρχή τῶν αὐτοῦ κτισμάτων in Jak 1,18 b eine Deutung finden, die sich in das soteriologische Deutungsmuster insgesamt einfügt (s. u. 11.9.3). 11.9.1 Das „Wort der Wahrheit“ als christliche Heilsbotschaft: Nötige Präzisierungen Soll der λόγος ἀληθείας in Jak 1,18 a mit der christlichen Heilsbotschaft identifiziert werden, ist näher zu klären, was unter dieser Heilsbotschaft zu verstehen ist. Zu einer solchen Klärung verhilft unter anderem die Kritik, die aus nomistischer Deutungsperspektive geäußert wird: Das Evangelium könne schon deshalb nicht gemeint sein, behauptet zum Beispiel Markus Lautenschlager, da Jak 1,22 f. zum Tun des Wortes auffordere (Γίνεσθε δὲ ποιηταὶ λόγου). Einen „Täter des Evangeliums“ aber gebe es nicht.181 Abgesehen davon, dass das Syntagma εὐαγγέλιον ποιεῖν bzw. εὐαγγελίου ποιητής tatsächlich weder im Jakobusbrief noch im gesamten Neuen Testament belegt ist,182 stimmt Lautenschlagers Satz aber dennoch nur, wenn man so, wie er das tut, das Evangelium auf das „Evangelium vom Heilstod und der Auferweckung Jesu Christi“ beschränkt.183 Denn dann gibt es tatsächlich keinen „auszuführenden, ‚tubaren‘ Inhalt“.184 Aber es nötigt nichts dazu, das „Wort der Wahrheit“ in Jak 1,18, durch dessen Verkündigung die Adressierten aus Sicht der soteriologischen Deutungsrichtung christusgläubig wurden, auf ein „Evangelium“ zu reduzieren, das nur Jesu Tod und Auferweckung,185 nicht aber Jesu eigene Botschaft und deren Implikationen für die Lebenspraxis beinhaltet hätte. Gerade für die profilierte ethische Position, die der Jakobusbrief innerhalb der frühchristlichen Schriften vertritt, wäre eine solche Engführung nicht zu erwarten. Matthias Konradt betont daher ganz zu Recht: „Zur christlichen Heilsbotschaft aber gehört die ethische Einweisung in die Leben bedeutende christliche Existenzweise.“ 186 Tatsächlich wird das jedoch überall dort nicht ausreichend klar, wo innerhalb einer soteriologischen Deutung λόγος ἀληθείας in Jak 1,18 ohne inhaltliche Näherbestimmung mit „Evangelium“, „Heilsbotschaft“ oder Ähnlichem gleichgesetzt wird.187 181 Lautenschlager, Gegenstand 167; vgl. ähnlich z. B. auch die Argumentation von Lud­wig, Wort 18: „ein Wort kann nur getan werden, wenn es einen auszuführenden, ‚tubaren‘ Inhalt hat, d. h. eine Aufforderung, ein Gebot enthält.“ 182 Immerhin kann man nach Joh 3,21 aber „die Wahrheit tun“ (ὁ δὲ ποιῶν τὴν ἀλήθειαν); vgl. auch 1 Joh 1,6. Zur Kritik an Lautenschlager siehe auch Konradt, Existenz 71 Anm. 214. 183 Lautenschlager, Gegenstand 167. 184 Ludwig, Wort 18 (s. o. Anm. 181). 185 Vgl. in dieser Zuspitzung am deutlichsten 1 Kor 15,1–4. Im Jakobusbrief dagegen ist das Wort εὐαγγέλιον gar nicht belegt. Was eine Gleichsetzung von λόγος ἀληθείας mit εὐαγ­ γέ­λι­ον hier inhaltlich bedeutet, lässt sich am Wortgebrauch somit nicht festmachen, sondern muss anhand breiter angelegter Textbeobachtungen bestimmt werden. (Im Fehlen von εὐαγ­ γέ­λιον im Jakobusbrief sollte man umgekehrt aber auch nicht vorschnell ein argumentum e silentio gegen eine soteriologische Deutung sehen.) 186 Konradt, Existenz 72. 187 Vgl. etwa die allgemein bleibende Aussage von Dibelius (Jakobus 137), dass sich

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

11.9.2 „Nehmt das angeborene Wort an“: Klärungen zu Jak 1,21 im Kontext der Geburtsmetaphorik In der Regel bringt erst die erneute Erwähnung des „Wortes“ in Jak 1,21 b eine Präzisierung der bei der Betrachtung von Jak 1,18 meist allgemein bleibenden Identifizierung von λόγος ἀληθείας mit „Evangelium“ und „Heilsbotschaft“.188 Denn in Jak 1,21 b wird, noch bevor in Jak 1,22 dann ausdrücklich von „Tätern des Wortes“ gesprochen wird (s. o. 11.9.1), ein aktives „Annehmen“ des „Wortes“ gefordert. Nicht immer wird die Auslegung dieses Verses aber deutlich auf Jak 1,18 zurückbezogen, obwohl Jak 1,21 innerhalb der soteriologischen Deutung eine wichtige Rolle spielt, um den bereits für Jak 1,18 vorausgesetzten Bezug zur Situation des Christusgläubig-Werdens weiter zu untermauern: So wird in der Sekundärliteratur häufig darauf verwiesen, dass das Syntagma τὸν λόγον δέχεσθαι noch mehrfach im Neuen Testament begegnet, um die Annahme der Missionsbotschaft zu beschreiben (vgl. besonders Apg 8,14; 11,1; 17,11; 1 Thess 1,6; 2,13).189 Auch die bereits im Halbvers zuvor, in Jak 1,21 a, ausgesprochene Mahnung zum „Ablegen“ (ἀποτίθεσθαι) kritikwürdiger Verhaltensweisen,190 verbunden mit der Aufforderung, ein anderes Verhalten „anzunehmen“, lässt sich neutes­ tamentlich mehrfach als Aufforderung an die (gerade) gläubig Gewordenen finden (vgl. Röm 13,12; Kol 3,8–10; Eph 4,22–25; 1 Petr 2,1 f.).191 Die Meta„λό­­γος ἀληθείας zweifellos auf das Evangelium [bezieht].“ Ähnlich unkonkret, im positiven Tauf bezug aber differierend von Dibelius, bleibt auch Mußner (Jakobusbrief 95) in der Deutung von λόγος ἀληθείας als „das ‚Evangelium‘ […], das die Hörer einst (im Taufunterricht) vernommen haben“. Anders, wenngleich ebenfalls nicht im Hinblick auf ethische Implikationen präzisiert, umschreibt Popkes (Jakobus 127) das „Wort der Wahrheit“ als Gottes „schöpferisches Wort, das aus der Wahrheit stammt und Wahrheitsqualität besitzt, d. h. das Evangelium“. Dass damit eine Reibung zum Gebrauch von λόγος in Jak 1,21 bestehen bleibt (s. u. 11.9.2), markiert Popkes selbst, lässt das Problem aber unaufgelöst (vgl. ebd. 135). 188 Vgl. z. B. Mußner (s. o. Anm. 187), der im Kommentar zu Jak 1,18 von „Evangelium“ redet und erst im Zusammenhang mit Jak 1,21 genauer wird: „Näherhin kann dann damit nur die Bekanntgabe der christlichen Grundwahrheiten gemeint sein, die nicht bloß christologisch-soteriologischen, sondern auch ethischen Inhalts sind“ (Mussner, Jakobusbrief 102). 189 Hier wird auch oft (vgl. z. B. Mussner, Jakobusbrief 101 Anm. 11; Burchard, Jakobusbrief 83) auf Lk 8,13 hingewiesen, wo im Sämanngleichnis der Ausdruck τὸν λόγον λαμ­ βάνειν aus Mk 4,16 (par. Mt 13,20) als τὸν λόγον δέχεσθαι begegnet (aber s. u. Anm. 199). 190 Jak 1,21 bleibt hier mit der Rede von „allem Schmutz und allem Übermaß an Bosheit“ (πᾶσα ῥυπαρία καὶ περισσεία κακίας), die abgelegt werden sollen, recht allgemein und bildhaft (vgl. dagegen z. B. die viel präzisere Aufzählung aufzugebender Laster in Kol 3,8 f.). 191 Allerdings sind diese Texte kaum so eindeutig „typisch für Taufparänese“, wie z. B. Schrage (Jakobusbrief 22) das meint; zur Kritik vgl. z. B. Frankemölle, Jakobus 331 (s. o. 11.6). Nach Berger (Formen 190–196) sind alle genannten Textstellen als Teile einer „postconversionalen Mahnrede“ einzuordnen, zu deren vielfältigen gemeinsamen Elementen u. a. das „Ablegen (sc. des Alten) /Anziehen (sc. des Neuen, des Christus)“ gehören (ebd. 191). Den Vers Jak 1,21 erwähnt Berger allerdings weder im Kontext der postkonversionalen Mahn­ rede noch überhaupt in seiner umfassenden Gattungsanalyse der neutestamentlichen Texte.

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phern differieren jedoch insofern, als sie die beiden Aspekte des „Ablegens“ und nachfolgenden „Anlegens“ mit Hilfe jeweils unterschiedlich gewählter Ursprungsbereiche unterschiedlich stark zusammenbinden. Die Abschnitte Kol 3,8–10 und Eph 4,22–25 greifen auf den Ursprungsbereich des Ablegens und Anziehens von Kleidung zurück, Röm 13,12 auf jenen des Ab- und Anlegens von Waffen; alle drei Texte gebrauchen dafür das Wortpaar ἀποτίθεσθαι – ἐνδύεσθαι. Die Textstellen 1 Petr 2,1 f. (Ἀποθέμενοι […] τὸ λογικὸν ἄδολον γάλα ἐπιποθήσατε) und Hebr 12,1 (ἀπο­θέμενοι […] τρέχωμεν τὸν προκείμενον ἡμῖν ἀγῶνα) führen die Rede vom Ablegen der Bosheit bzw. Sünde dagegen nicht mit Hilfe von Gewand- oder Rüstungsmetaphorik fort, sondern kombinieren sie mit anderen Sinnbereichen. Das Ablegen kann auch für sich stehen, ohne von einer entsprechenden metaphorischen Aussage des Anziehens, Anlegens etc. ergänzt zu werden, wie etwa 1 Clem 13,1 zeigt. Umgekehrt kennt Gal 3,27 zwar die Metapher vom Anziehen Christi (in Verbindung mit der Taufe), korreliert dies aber nicht mit einem vorausgehenden Akt des Ablegens von Begierden, Sünde etc.

Die Kombination von ἀποτίθεσθαι mit δέχεσθαι, die Jak 1,21 belegt, ist im Vergleich mit diesen Texten ebenso speziell wie die Qualifizierung des anzunehmenden Wortes als λόγος ἔμφυτος. Es ist daher zwar anhand der angeführten Texte mit gutem Grund zu vermuten, dass Jak 1,21 Formulierungen aufgreift, die zu dieser Zeit innerhalb der entstehenden christlichen Gemeinden mehr und mehr geläufig werden, um die Situation des Gläubigwerdens und dessen lebenspraktische Folgen metaphorisch zu beschreiben.192 Es bleibt aber ebenso festzuhalten, dass Jak 1,21 in seiner Eigenheit damit noch nicht erschöpfend wahrgenommen ist.193 Besonders die bereits (s. o. 11.6–7) als spannungsvoll herausgestellte, „logisch schwierige […] Kombination“,194 mit der in Jak 1,21 b die zuvor von Gott „durch das Wort der Wahrheit“ Geborenen dazu aufgefordert werden, ein Wort „anzunehmen“, das ihnen bereits „angeboren“ bzw. „eingepflanzt“ ist, lässt sich traditionsgeschichtlich nicht so leicht erklären. Denn ἔμφυτος ist ein neutestamentliches Hapaxlegomenon.195 Zur Klärung wird häufig auf Barn 1,2 und 9,9 verwiesen.196 Diese beiden Belege können zweifellos die soteriologische Deutung von λόγος gegenüber jenen Textstellen stärken, die innerhalb der nomistischen Deutungsrichtung angeführt wurden (s. o. 11.7), um zu belegen, dass „Jak 1,21 b […] vielmehr die ‚Einpflanzung‘ der Tora ins Menschenherz im Blick“ habe.197 Aber zur Klä192 Zur

besonderen Eignung metaphorischer Sprache, um neue, zuvor nicht dagewesene Situationen und Erlebnisse zu beschreiben; s. o. 1.6. 193 Vgl. ähnlich auch Konradt, Existenz 75 f. 194 Popkes, Jakobus 135. 195 Zur Übersetzung als „angeboren“ s. u. 196 Barn 1,2 spricht von ἔμφυρος τῆς δωρεᾶς πνευματικῆς χάρις; Barn 9,9 von ἡ ἔμφυτος δωρεὰ τῆς διδαχῆς. Auf diese Stellen verweisen u. a. Burchard, Jakobusbrief 83; Schnider, Jakobusbrief 48; Schrage, Jakobusbrief 22. Popkes (Jakobus 134) erwähnt außerdem Röm 6,5 (dort allerdings σύμφυτοι), von Gemünden (Vegetationsmetaphorik 270) den später zu datierenden Beleg Ps Ign Eph 17,2. 197 Lautenschlager, Gegenstand 167. Ähnliches behauptet auch Ludwig, Wort 164: „Der Jak gibt in 1,21 der formal christlichen Wendung δέχεσθαι τὸν ἔμφυτον λόγον durch

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rung, warum der λόγος ἔμφυτος außerdem noch angenommen werden muss, helfen diese Texte nicht weiter. Hierfür finden sich in der Kommentarliteratur unter der fast ausnahmslos vertretenen Annahme, dass ἔμφυτος „eingepflanzt“ bedeute,198 vielmehr Umschreibungen, die diese agrarische Metapher jedoch kaum als solche berücksichtigen.199 Vielmehr wird die geforderte „Annahme“ des „eingepflanzten Wortes“ paraphrasiert als „to welcome it by putting it into action“ 200 oder als: „[to] allow it to become the norm for their existence, just as it is the basis of their existence“ 201 oder als „die Gabe aufgreifen, nutzen und praktizieren.“ 202 Martin Dibelius spielt die Bedeutung der Wendung gegenüber den restlichen Satzbestandteilen überhaupt herunter und stellt fest, dass „der Mahnung δέξασθε τὸν λόγον [sic, ohne ἔμφυτος] hier keine einschneidende Bedeutung zukommen“ könne.203 Diese Auskunft und auch die zuvor zitierten Umschreibungen bleiben für die Auslegung der in sich spannungsreichen Forderung δέξασθε τὸν ἔμφυτον λόγον in Jak 1,21 b unbefriedigend. Hilfreich für das Verständnis erweist sich vielmehr die Deutung von ἔμφυτος als „angeboren“ und somit als ein weiteres Fokuswort im Rahmen der Geburtsmetaphorik. Diese wird bereits in Jak 1,15 eingeführt (s. o. 11.4), spielt in Jak 1,18 a eine zentrale Rolle und reicht über Jak 1,21 b noch hinaus bis zu Jak 1,23 f. (s. u. 11.10). In der Kommentar- und Forschungsliteratur wird dieses metaphorische „Netz“ aber nur selten wahrgenommen und sinnstiftend in die Auslegung eingebracht.204 Dabei ist Jak 1,21 b mit 1,18 a auch anderweitig verknüpft, denn in Verbindung mit der Geburt durch Gott wurde in Jak 1,18 a auch den Kontext einen jüdischen Hintergrund, der das Gesetz assoziieren läßt.“ Die vielen Textbelege, die Ludwig zuvor bringt, aber nur in Ansätzen deutet und einordnet, können diese Einschätzung jedoch nicht untermauern; s. o. Anm. 148. 198 „Eingepflanzt“ erscheint bei Bauer und im EWNT überhaupt als einzige Denotation für ἔμφυτος. LSJ wie auch PGL führen s. v. dagegen zuerst die Bedeutung „inborn, natural“ an; dennoch bringt LSJ einen expliziten Verweis auf Jak 1,21 erst unter dem Denotat „implanted“. 199 Anders ist das nur in manchen Kommentaren, die (meist in Ermangelung direkt vergleichbarer Texte, die ἔμφυτος gebrauchen) das Gleichnis vom Sämann heranziehen (s. o. Anm. 189). Auf diese Weise kommt der agrarische Ursprungsbereich der Metapher zwar stärker in den Blick, führt aber zugleich wiederum weit weg vom eigentlichen Kontext in Jak 1,21. Liest man z. B. Schniders Deutung ohne den Hinweis auf die gemeinte Textstelle, käme man wahrscheinlich kaum auf den Gedanken, dass es um Jak 1,21 geht: „Der Christ ist der Acker, in den Gott sein Wort als Same (vgl. Mk 4,3–8.14–20) bzw. als Pflanze hineingegeben hat“ (Jakobusbrief 48). Ähnlich weit über Jak 1,21 hinaus geht auch die Interpretation von Mussner, Jakobusbrief 102: „Weil das Wort ‚eingepflanzt‘ ist, soll es Frucht tragen, was vom Verhalten jener abhängt, in die es eingepflanzt ist.“ Es folgt wiederum ein Verweis auf das Sämanngleichnis. In Jak 1,21 selbst verweist aber nichts außer dem Fokuswort ἔμφυτος auf den Ursprungsbereich des Pflanzenanbaus. Noch weniger Hinweise gibt es im Kontext von Jak 1,21 auf die Erweiterung in Richtung Wachstum oder Ernte. 200 Hartin, James 107. 201 Johnson, James 205 (ähnlich schon 202). 202 Popkes, Jakobus 135. 203 Dibelius, Jakobus 145.

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das „Wort“ als entscheidende Größe bereits eingeführt.205 „Durch das Wort der Wahrheit“ (λόγῳ ἀληθείας), durch die christliche Heilsbotschaft (s. o. 11.9.1), sind die Adressierten überhaupt erst zu dem geworden, was sie sind.206 Im Bild bleibend ist das „Wort der Wahrheit“, das bei ihrer metaphorischen Geburt mitgewirkt hat (1,18), ihnen dadurch „angeboren“ (ἔμφυτος), wie es in Jak 1,21 betont wird. Es ist ihnen als eine gute Veranlagung „eingestiftet“,207 es ist als „lebendig machende Kraft“ 208 in ihnen angelegt.209 Solche Veranlagung, solche Befähigung zum Leben, wird aber nur erkennbar, wenn sie auch tatsächlich gelebt wird. In Jak 1,21 wird die Metapher aus Jak 1,18 in diesem Sinne wieder aufgegriffen und mit ihrer Hilfe um eine den geschenkten Anlagen entsprechende Umsetzung im Leben der Angesprochenen geworben.210 Gefordert 204 Anders

bes. Burchard, Jakobusbrief 83; Konradt, Existenz 77 f., und ders., Wort 4 f.; Wenger, Kyrios 146. Nicht zuletzt spielt auch die Gliederung des ersten Brief kapitels hier eine große Rolle (s. o. 11.3). Wird Jak 1,18 als Abschnittsende verstanden, wie es häufig geschieht, lässt sich insbesondere der Zusammenhang zwischen Jak 1,18 und 1,21 (ff.) nur schwer wahrnehmen. 205 So auch Konradt, Wort 5: „Konzeptionell zu verstehen ist die Rede vom ἔμφυτος λό­γος so oder so von der Geburtsaussage in 1,18 her“. Vorsichtigere Ansätze zu einer entsprechenden Wahrnehmung finden sich bei Popkes, Jakobus 135: „Die Metaphorik oszilliert zwischen ‚Pflanzung‘ (Agrikultur) und ‚Erzeugen / Gebären‘ (vgl. V. 18)“. Vgl. auch Klein, Bewährung 375 f. Anm. 757: „[…] könnte man darin eine bewusste Wiederaufnahme der Geburtsmetaphorik aus 1,18 erblicken.“ 206 Dabei geht es meines Erachtens nicht um eine Versetzung vom Tod ins Leben, wie Konradt (Existenz 46–58) annimmt (vgl. auch Wenger, Kyrios 136 f., in direktem Anschluss an Konradt), sondern im Einklang mit dem Ursprungsbereich Geburt um den Anfang des Lebens überhaupt; s. u. 11.11. 207 Vgl. Konradt, Existenz 79: „Gott hat die Christen geboren, ins ‚Leben‘ geführt, indem er ihnen das Wort eingestiftet hat“ (vgl. auch ders., Wort 5). Zu „eingepflanzt“ bestehe damit, wie Konradt (Existenz 77 f.) hervorhebt, „kein signifikanter Unterschied“, wichtig sei aber, dass das im Griechischen für beide Bedeutungsnuancen offene Syntagma ἔμφυτος λόγος „nicht als Vegetationsmetapher, sondern auf der Linie der Geburtsmetaphorik von 1,18“ gelesen werde (ebd. 78). 208 Wenger, Kyrios 146; vgl. ganz ähnlich auch Konradt, Existenz 80. 209 Manche Ausleger wählen die Wiedergabe von ἔμφυτος als „eingepflanzt“ aber auch in bewusstem Gegensatz zu „angeboren“, um ein mögliches Missverständnis abzuwehren, denn „wenn ἔμφυτος hier […] ‚angeboren‘, ‚natürlich‘ hieße, so müßte man stoischen Gedanken folgend, etwa an den jedem gegebenen Teil der Weltvernunft denken“ (Dibelius, Jakobus 145). Mit dieser Bedeutung könne man aber „in diesem Fall nichts anfangen“, womit sich für Dibelius eine weitere Diskussion um „angeboren“ erübrigt hat. Auch Klein (Werk 135) argumentiert in ähnlicher Weise für „eingepflanzt“, um den Eintrag stoischer Inhalte abzuwehren; vgl. dagegen aber den Ansatz von Jackson-McCabe (Logos; s. o. Anm. 128). Auch von Gemünden (Vegetationsmetaphorik 271) schließt einen stoischen Hintergrund für den Jakobusbrief nicht aus, „wenn dieser bei ihm auch umgeprägt ist.“ Zugleich bleibt sie aber bei dem Verständnis von ἔμφυτος als „eingepflanzt“, da dieses „weiterem christlichen Sprachgebrauch“ entspreche, wofür sie freilich nur Barn 1,2 und Ps Ign Eph 17,2 anführen kann (ebd. 270; s. o. Anm. 196). 210 Vgl. mit einer ähnlichen Argumentation auch Eph 2,10, wo die Adressierten aufge-

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wird nichts Unmögliches, sondern eigentlich nur das, was naheliegt. Außerdem steht motivierend die „Rettung des Lebens“ in Aussicht (σῶσαι τὰς ψυχὰς ὑμῶν, 1,21 b), die dieses „angeborene Wort“ leisten kann. Gefahr droht dabei vor allem durch die „Begierden“, die dem Menschen ebenfalls eigen sind (ὑπὸ τῆς ἰδίας ἐπιθυμίας, 1,14) und die eine völlig gegensätzliche „Kettenreaktion“ in Gang setzen können (vgl. 1,15), die zum Tod führt.211 11.9.3 Bestimmung zum „Erstling“: Die Einordnung von Jak 1,18 b in eine soteriologische Deutung Zu fragen bleibt, wie sich die Bestimmung der durch Gott und das „Wort der Wahrheit“ Geborenen, ἀπαρχή zu sein (1,18 b), in den Gesamtzusammenhang nach soteriologischer Sicht einordnet. Wie bei der schöpfungstheologischen und nomistischen Deutungsrichtung werden auch hier in allen Untersuchungen mehr oder weniger viele Textbelege für ἀπαρχή im biblischen, seltener auch im außerbiblischen Gebrauch angeführt. Während sich aber sowohl in der schöpfungstheologischen als auch in der nomistischen Interpretation fast immer der alttestamentlich-kultische Kontext als maßgeblicher Ursprungsbereich für die Deutung der Metapher erwies,212 lässt sich in den soteriologischen Deutungsentwürfen eine andere Tendenz feststellen. Hier wird der Gebrauch von ἀπαρχή zwar nicht völlig von kultischen Zusammenhängen losgekoppelt, es werden jedoch stärker die neutestamentlichen, in der Regel als übertragen angesehenen Belege für ἀπαρχή in die Auslegung eingebracht. Schwierig daran ist, dass die neutestamentlichen Texte ἀπαρχή in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen verwenden (die auch keinesfalls alle als metaphorisch einzustufen sind).213 Dass sie für die Deutung von Jak 1,18 b eine entscheidende Hilfe sein können, ist zu bezweifeln.214

rufen werden, die Werke zu tun, die Gott zuvor bereitet hat (hier interessanterweise mit Schöpfungsterminologie verbunden: κτισθέντες ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ ἐπὶ ἔργοις ἀγαθοῖς οἷς προ­­ ητοί­μασεν ὁ θεός); vgl. eventuell auch Mt 5,15 mit der Aufforderung, das Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. 211 S. o. 11.4; vgl. zum Verhältnis des „Wortes“ in Jak 1,18 und 1,21 zur „Begierde“ in Jak 1,15 außerdem ausführlich Konradt, Existenz 85–100; siehe aber auch oben Anm. 206. 212 Aus schöpfungstheologischer Sicht wird hier betont, dass es um die Besonderheit und das Herausgehoben-Sein der Erstlinge im Gegensatz zu den übrigen Geschöpfen gehe (s. o. 11.6). Für die nomistischen Deutung ist die besondere Beziehung der Erstlingsgabe zu Gott zentral, wie sie bereits in Jer 2,3 (allerdings unter Gebrauch von ἀρχή) und bei Philo (Spec. 4,180) metaphorisch auf Israel Anwendung findet (s. o. 11.7). 213 Eine kritische Sichtung sämtlicher ἀπαρχή-Belege im Neuen Testament, die das zeigen könnte, ist ein Forschungsdesiderat. Die oben (siehe den Exkurs in 11.6) bereits erwähnte Untersuchung von White leistet die nötige Differenzierung nicht (s. o. Anm. 114); Aune (Meanings) wiederum legt so viele und breit gestreute Quellen zugrunde, dass die Betrachtung der neutestamentlichen Texte sehr kurz ausfällt. 214 Siehe ausführlicher unten den Petit-Absatz am Ende von 11.9.3.

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Auch innerhalb einer soteriologischen Sichtweise ist zur Deutung von Jak 1,18 b daher beim alttestamentlich geprägten Ursprungsbereich anzusetzen, d. h. bei der kultischen Aussonderung der Erstlingsgabe für Gott: „Wie die Erstlinge Gott zum Eigentum ausgesondert sind, so die Christen aus den übrigen Kreaturen.“ 215 Eine vergleichbare metaphorische Verwendung des Ursprungsbereiches Erstlingsgabe findet sich auch in Jer 2,3,216 bei Philo (Spec. 4,180) und in 1 Clem 29,3.217 In diesen drei Texten ist es das jüdische Volk, das metaphorisch als „Erstlingsgabe“ bezeichnet wird, die Gott 218 aus der „Mitte der Völker“ (1 Clem 29,3) bzw. aus dem „ganzen Menschengeschlecht“ (Philo, Spec. 4,180) aussondert und in spezielle Beziehung zu sich stellt. Den Gedanken fortführend werden in 1 Clem 29,3 die Mitglieder der eigenen christusgläubigen Gemeinschaft als die „Allerheiligsten“ (ἅγια ἁγίων) bezeichnet, die aus dem zuvor als ἀπαρχή beschriebenen Volk hervorgehen. Christoph Burchard überlegt im Anschluss an diese Texte, ob mit dem Gebrauch von ἀπαρχή in Jak 1,18 (ähnlich wie auch in Jak 1,1) „ein Israelprädikat angeeignet“ sein könnte.219 Auch Popkes vermutet, dass im Jakobusbrief an 215 Konradt, Existenz 60, vgl. insgesamt ebd. 59–66; außerdem Wenger, Kyrios 139 f., und Burchard, Jakobusbrief 79. Bei den wenigen anderen Autoren, die aus soteriologischer Perspektive ebenfalls die „Deutung von ἀπαρχή als Gottes ausgesondertes Eigentum“ vertreten (Klein, Bewährung 379; vgl. auch White, Erstlingsgabe 253 f.; Popkes, Jakobus 123.125), ist dagegen eine Vermischung mit weiteren Aspekten zu konstatieren, die sich aus dem Text nicht ohne Weiteres begründen lassen. Das betrifft besonders die Verbindung mit der Überzeugung, „dass Jakobus […] die eschatologische Neuschöpfung im Blick hat (vgl. 2 Kor 5,17; Gal 6,15; Eph 2,15; 4,24)“ (White, Erstlingsgabe 253; vgl. auch Popkes, Jakobus 127, und in Ansätzen Klein, Bewährung 379). Bereits im nomistischen Ansatz (s. o. 11.7) konnte eine generelle Affinität zur Deutung von ἀπαρχή als Gottes ausgesondertes Eigentum beobachtet werden, allerdings in der Regel auf Israel bezogen, nicht auf die Christen (anders nur Klein, Werk 132 f.; s. o. Anm. 153). 216 Hier wird in der Septuagintaübersetzung zwar nicht ἀπαρχή, sondern das weniger spezifische ἀρχή gebraucht, der masoretische Text legt den kultischen Kontext aber nahe (dort ist vom „Erstling seiner Ernte“, ‫אׁשית תבואתה‬ ִ ‫ ֵר‬, die Rede); der Abschnitt AssMos 1,13 dagegen, den Ludwig (Wort 158) und wenige andere außerdem heranziehen, belegt inceptio und ist meines Erachtens nicht klar als kultische Metapher zu deuten; s. o. Anm. 158. 217 Auf diese Texte, besonders auf Philo, verweisen im Rahmen der soteriologischen Deu­ tung einige Untersuchungen und Kommentare. Neben Konradt (Existenz 60 f.) beziehen aber nur Wenger (Kyrios 140 Anm. 833), Burchard (Jakobusbrief 79 f.), White (Erstlingsgabe 253) und Popkes (Jakobus 125) diese Texte tiefergehend in die Auslegung ein. 218 Im Ersten Clemensbrief wird diese Aktivität deutlich Gott zugewiesen, Philo formuliert passiv. Auch die Situation in Jak 1,18 b ist durch die Konstruktion mit εἰς τὸ εἶναι nicht eindeutig mit Gott als Subjekt verbunden, folgt aber zweifellos aus dem durch Gott gewirkten Geschehen in Jak 1,18 a; siehe auch Anm. 224. McKnight (James 131), der insgesamt ein anderes Verständnis des Verses vertritt (s. u. Anm. 232 und 234), verweist darauf, dass in der Art und Weise, wie Jak 1,18 b das kultische Konzept der Erstlingsgaben aufgreift, eine Vertauschung der Akteure zu beobachten ist, indem es nicht die Menschen sind, die etwas für Gott absondern und opfern, sondern vielmehr Gott die von ihm Geborenen zum Erstling für das Wohl der Welt aussondert. 219 Burchard, Jakobusbrief 79.

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

dieser Stelle „alte Israel-Tradition“ übernommen sei.220 Soll sich diese Vermutung als tragfähig erweisen, reicht es aber nicht, auf den Begriff ἀπαρχή allein zu blicken, der als spezifisches „Israelprädikat“ nicht einschlägig genug ist. Vielmehr muss sich eine solche Überlegung innerhalb des gesamten Verses Jak 1,18 bewähren, wo die Bestimmung zum Erstling mit der vorausgehenden Geburt durch Gott verbunden ist. In Jer 2,3; 1 Clem 29,3 und bei Philo (Spec. 4,180) wird dieser Konnex nicht hergestellt. Die Sonderstellung Israels wird hier nicht durch eine Geburt durch Gott oder anhand eines Kindschaftsverhältnisses des Volkes zu Gott begründet. Dass Israel von Gott geboren bzw. sein Erstgeborener sei, verdeutlichen aber andere alttestamentliche Texte durch den metaphorischen Gebrauch von πρωτότοκος bzw. πρωτόγονος für Israel.221 Diese Termini werden im Jakobusbrief aber gerade nicht gebraucht. Wäre es in Jak 1,18 daher um die Aufnahme eines „Israelprädikats“ gegangen, wären passendere geprägte Formulierungen verfügbar gewesen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass das bedeutungsoffenere ἀποκύειν in Jak 1,18 a in Kombination mit ἀπαρχή in Jak 1,18 b bei der Lektüre die Vorstellung von Israel als Gottes Erstgeborenem aufrufen konnte. Auffällig ist auf jeden Fall, dass ἀπαρχή in Jak 1,18 b im Singular auftritt.222 Es schließt die Gruppe der Adressierten, in die sich der Verfasser durch ein kollektives „Wir“ mit einbezieht, in starkem Maße zu einer Einheit zusammen. Die Geburtsmetapher könnte in Verbindung mit der metaphorischen Rede vom Erstling im Singular von den Rezipienten des Jakobusbriefes somit durchaus so verstanden worden sein, dass geprägte Israeltitulatur hier in modifizierter Weise auf die Gemeinschaft der Christusgläubigen übertragen wurde. Die Lektüre hätte den Text dann etwa so deuten können: Die Geburt durch Gott, die keine Erstgeburt ist, macht die Adressierten dennoch zu einer Art Erstling. Sie macht sie zu einer Gruppe, die in einem besonderen Eigentumsverhältnis zu Gott steht und die in Jak 1,18 b eine Benennung findet, die an geprägte Israeltitulatur zwar erinnert, aber keinen exklusiven Bezug auf Israel herstellt, und die somit für alle von Gott Geborenen, egal ob aus dem Judentum stammend oder nicht, offen sein konnte. In jedem Fall übernimmt das Verständnis von „Erstling“ in Jak 1,18 b den zentralen Aspekt der Erstlingsgabe alttestamentlicher Prägung, wie er sich auch in zumindest drei anderen Texten alttestamentlicher, frühjüdischer und frühchristlicher Provenienz bereits metaphorisch aufgegriffen findet: Die Erstlinge gehören Gott und werden zu diesem spezifischen Zweck ausgesondert. Die Metapher in Jak 1,18 b lässt sich innerhalb ihres unmittelbaren Textzusam220 Popkes, Jakobus 127. Konradt (Existenz 60 Anm. 145) sieht einen Bezug ursprünglicher „Würdeprädikate Israels direkt auf die Gemeinde“ dagegen nur in Jak 1,1 gegeben. 221  Ex 4,22 LXX; Jer 38,9 LXX; Sir 36,11 LXX; Ps Sal 18,4; 4 Q 504 III,5 f.; vgl. Ludwig, Wort 157 f. 222 Dieser Singular wird in den Kommentaren oft unter der Hand zum Plural (vgl. z. B. Dibelius, Jakobus 138; Mussner, Jakobusbrief 96; Hartin, James 105).

11.9 Die soteriologische Deutung

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menhangs somit in zwei Richtungen lesen: Einmal betont sie die besondere Beziehung, in die die Angesprochenen durch ihr Christusgläubig-Werden zu Gott gesetzt sind – und zwar passiv, wie es auch im Einklang mit der Geburtsmetapher in Jak 1,18 a steht. Zum anderen verdeutlicht sie eine „Dissoziation von der ‚Welt‘“.223 Die von Gott Geborenen sind als ἀπαρχή zwar Teil der Geschöpfe Gottes; indem sie von ihnen genommen werden, sind sie aber zugleich von ihnen unterschieden. Diese im Rahmen des Ursprungsbereiches auch als Heiligung beschreibbare Trennung von der profanen Welt kann auf der Seite des Zielbereiches bereits den Ansatz für einen aktiven Aspekt legen, mehr jedoch (noch) nicht.224 Denn dass aus der herausgehobenen Beziehung zu Gott bereits folge, dass die „Christen […] sich deshalb heilig halten müssen“,225 geht über die Aussagemöglichkeiten der Metapher des „Erstlings“ streng genommen hinaus.226 Es liegt jedoch in ihrer unmittelbaren Folge. Dass Jak 1,19 ff. diesen Gedanken dann explizit aufgreift und ein rechtes Verhalten in verschiedenen Situationen fordert und dies an den Maßstab der vor Gott geltenden Gerechtigkeit bindet (vgl. 1,20: δικαιοσύνη θεοῦ),227 zeigt aber, dass die Metapher auf diese Weiterführung hin angelegt ist und dass die vorgeschlagene Deutung der Erstlings-­ Metapher als Ausdruck des besonderen Eigentumsverhältnisses zu Gott somit auch über Jak 1,18 hinaus plausibel kontextuell eingebunden ist. 223 Konradt, Existenz 64; vgl. auch Burchard, Jakobusbrief 79: „Trennung von der Welt“; Popkes, Jakobus 127: „Distanz zur Welt“. 224 In Jak 1,18 a ist eindeutig Gott das Subjekt (βουληθεὶς ἀπεκύησεν ἡμᾶς), in Jak 1,18 b schließt sich daran der finale Infinitiv εἰς τὸ εἶναι ἡμᾶς ἀπαρχήν […] an, der formal nun in der 1. Person Plural sein Subjekt hat. „Erstling (ἀπαρχή) zu sein“, ist dabei zwar offen in Richtung eines aktiven Seins, beschreibt hier aber vorerst eher einen Zustand, der aus dem Geschehen in Jak 1,18 a resultiert. Das passt auch zum kultischen Ursprungsbereich (vgl. oben den Exkurs zu ἀπαρχή in 11.6), denn wenn die Erstlinge erst einmal bestimmt sind (ohne ihr eigenes Zutun), gibt es auch nichts Weiteres, das von ihnen verlangt würde, damit sie ihren Status als Erstlinge behalten oder ihm gar erst gerecht werden. 225 Burchard, Jakobusbrief 79 (Hervorhebung hinzugefügt). 226 So aber neben Burchard (s. o. Anm. 225) z. B. auch Wenger, Kyrios 140: „Die (neu-) geborenen Christen sind wie die atl. Erstlingsgaben als ‚Erstlinge‘ der übrigen Schöpfung für Gott beiseite gestellt; sie sind ihm als sein Eigentum geweiht, weshalb sie auch ihm verpflichtet leben sollen.“ Besonders stark ist diese Deutungsrichtung bei White, Erstlingsgabe 257: Jakobus wolle „seine judenchristlichen Leser vor der Gefahr der Verführung zur Sünde warnen und sie zu einer heiligen Lebensführung verpflichten. Das Bild der Erstlingsgabe dient ihm dazu als Veranschaulichung.“ Auch Konradt (Existenz 64) betont: „Makellosigkeit ist ein elementares Anforderungsmerkmal der ἀπαρχή!“ Damit wird meines Erachtens aber zu viel aus dem Ursprungsbereich Erstlingsgabe herausgelesen und auf den Zielbereich übertragen, da Makellosigkeit generell von Opfergaben gefordert wird, während die Erstlinge im Wesentlichen durch ihren Ernte- bzw. Geburtszeitpunkt definiert sind. 227 Gott hat einen Anspruch auf die Erstlingsgabe. Metaphorisch kann dieser Aspekt des Ursprungsbereichs als Anspruch auf das Leben, und das heißt: auf eine entsprechende Lebensführung der Adressierten verstanden werden.

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

Viele Auslegungen im Rahmen des soteriologischen Deutungsansatzes beziehen sich allerdings in keiner Weise nur auf das, was sich aus den Textsignalen einerseits und einem genauen Blick auf den Ursprungsbereich Erstlingsgabe andererseits als Bedeutung der Metapher in ihrem vorliegenden Kontext ermitteln lässt. Leitend scheint hier dagegen die Grundannahme zu sein, dass Erstlinge die Ersten einer größeren Menge sind 228 und dies der relevante Ursprungsbereich der metaphorischen Verwendung von ἀπαρχή in Jak 1,18 b sei. Die sich daran häufig anschließende Deutung, dass „die Christen“ als ἀπαρχή in Jak 1,18 b auch den „Anfang der endzeitlichen neuen Schöpfung“ darstellten,229 den „Auftakt zu der Neuschöpfung der ganzen Welt“,230 „the first fruits of a new creation“ 231 etc.,232 lässt sich aber weder mit der metaphorischen Verwendung von ἀπαρχή überhaupt noch konkret aus dem Kontext in Jak 1,18 begründen.233 Auch die Annahme, dass die bereits jetzt durch Gott Geborenen als „Erstling“ ein „einstweiliges Unterpfand“ seien, „dem die übrig bleibenden Glieder der Gattung noch nachfolgen sollen“,234 erklärt sich nicht aus dem vorfindlichen Wortlaut in Jak 1,18, sondern aus einem Verständnis von ἀπαρχή, das 1 Kor 15,20.23 und Röm 8,23 zum 228 Dass dies prinzipiell eine mögliche Bedeutung von ἀπαρχή ist, hat der Exkurs zu ἀπ­ αρ­χή (s. o. 11.6) herausgearbeitet. Es ist aber nicht die einzige und vom Kontext in Jak 1,18 her auch nicht die nächstliegende. 229 Schneider, Neuschöpfung 73. 230 Dibelius, Jakobus 138. 231 Hartin, James 105. 232 Vgl. des Weiteren z. B. Mussner, Jakobusbrief 95: „Mit Sicherheit kann man sagen, daß Jak an die eschatologische Schöpfung, in der die Christen gewissermaßen die ἀπαρχή sind, denkt.“ Schrage (Jakobusbrief 21) verweist auf die „umfassende Neuwerdung alles Geschöpflichen“. McKnight (James 131) beschreibt „the ecclesial community as the ,first fruits‘ of God’s large-scale redemption of the world.“ Auch Harnack (Terminologie 112), erwähnt im Zusammenhang mit Jak 1,18 die „kosmische Neuschöpfung“ und spricht davon, dass „in den Christgläubigen […] bereits jetzt der Anfang gemacht“ ist. Davids (James 90) trägt außerdem den Gedanken der Ernte mit ein: „James, like Paul (Rom. 8:18–25), sees Christians […] as that part of creation first harvested by God as part of his new creation.“ Weniger auf die eschatologische Neuschöpfung aller als auf die individuelle Neuschöpfung im Rahmen des Gläubigwerdens bezogen, meint Schnider (Jakobusbrief 45), „daß der Akt der Geburt durch Gott, in dem er uns zur Erstlingsfrucht seiner Geschöpfe macht, auf jene Neuschöpfung Gottes zu beziehen ist, die durch die Annahme des Evangeliums vollzogen wird.“ Dass Konversion und Neuschöpfung zusammenfallen, betont auch Popkes (Jakobus 127), deutet so aber, die Geburtsmetaphorik überschreibend, bereits Jak 1,18 a: „Gerade die Qualifizierung durch ‚Wahrheit‘ pointiert das Besondere an diesem Geschehen, das über die ‚übliche‘ Schöpfung hinausreicht, nämlich das, was in der jüd.-christlichen Tradition Neuschöpfung (καινὴ κτίσις) heißt.“ Mit Blick auf Jak 1,18 b und auf „das Motiv des ‚erwählten Volkes‘“ grenzt er dann aber ein: „Inwiefern er [sc. Jakobus] damit auch eine universale, soteriologische und eschatologische Perspektive verbindet, bleibt ungesagt und steht somit jedenfalls nicht im Vordergrund.“ 233 So auch die deutliche Kritik Konradts (Existenz 60), der gegen die Deutung als eschatologische Neuschöpfung mit folgenden Punkten argumentiert: (1) Es gibt keinen Anhalt im Gesamttext des Jakobusbriefes, vielmehr ist diese Deutung eher „ein Fremdkörper“, wenn „man Jakobusʼ Sorge um das Heil selbst der Adressaten“ bedenkt. (2) Traditionsgeschichtlich liegen Jak 1,18 andere Traditionen zugrunde als die der Neuschöpfung. (3) In Jak 1,18 fehlt „eine Näherbestimmung von κτίσματα als neuen Geschöpfen“. (4) Ein temporaler Sinn der Erstlingsmetapher ist zwar möglich, aber „keineswegs zwingend“. 234 Dibelius, Jakobus 137; vgl. ähnlich z. B. auch Hartin, James 105: „As ,the first fruits‘

11.9 Die soteriologische Deutung

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Vorbild nimmt. Dibelius macht diese textliche Anleihe bei Paulus ebenso explizit 235 wie Schrage: Die „schöpferische Kraft [des Wortes der Wahrheit] aber läßt alte zu neuen Menschen werden und damit zu ‚Erstlingen‘ [sic, Pluralwiedergabe trotz Singular in Jak 1,18 b]. So wie Christus als der ‚erste‘ der von den Toten Erweckten (1. Kor. 15,20.23) und der Geist als ‚Erstling‘ und Unterpfand (Röm. 8,23) die zukünftige Totenerweckung und universale Neuschöpfung verbürgen, so sind die neugeschaffenen Christen Gottes Bürgschaft für die Erneuerung aller Menschen oder wahrscheinlicher für die umfassende Neuwerdung alles Geschöpflichen (vgl. Röm. 8,18 ff.; Offb. 21,1 ff.): Christen sind als ‚neue Kreatur‘ (2. Kor 5,17) göttliches Zeichen und Versprechen einer neuen Schöpfung.“ 236 Auch aus der Formulierung ἀπαρχὴ τῶν αὐτοῦ κτισ­μάτων lässt sich ein Bezug auf die eschatologische Neuschöpfung aber nicht herauslesen. Der partitive Genitiv beschreibt vielmehr nur, wovon der „Erstling“ genommen ist.237 Der Text sagt dagegen mit keinem Wort, dass die durch Gott Geborenen als Erstlinge für die restlichen Geschöpfe eine bestimmte Funktion hätten.238 Eine solche Aussage lässt sich auch dem Ursprungsbereich Erstlingsgabe nicht entnehmen (s. o. den Exkurs in 11.6).

11.9.4 „Wort der Wahrheit“, Taufe und Schöpfungsbezug: Die Besonderheit der Geburtsmetaphorik im Jakobusbrief Geht man – wie das soteriologische Paradigma es mit guten Gründen tut – davon aus, dass λόγος ἀληθείας in Jak 1,18 a auf das Evangelium referiert,239 dann liegt es auch nahe, dass die metaphorische Aussage in Jak 1,18 a insgesamt in einer Verbindung zum Gläubigwerden der Adressierten steht. In diesen Lebenszusammenhang gehört dann zweifellos auch die Taufe. Dennoch ist auffällig, dass sie im Text mit keinem Wort erwähnt wird.240 Die metaphorische Geburt durch Gott in Jak 1,18 a zielt offenbar auf mehr als eine bloße Umschreibung des punktuellen Ereignisses der Taufe.241 implies, others must follow“; McKnight, James 130: „the messianic community as a harbinger of a universal ecclesial community – perhaps even the kingdom of God“. 235 Vgl. Dibelius, Jakobus 137. Das von 1 Kor 15,20.23 und Röm 8,23 her bestimmte Verständnis von ἀπαρχή ist aber auch im Hintergrund anderer Kommentarnotizen zu vermuten, die diesen Bezug nicht ausdrücklich so vermerken. 236 Schrage, Jakobusbrief 21. 237 So z. B. auch Popkes, Jakobus 125 (siehe schon oben Anm. 104). 238 Siehe dazu bereits oben (11.6) die kritische Darstellung der vergleichbaren Deutung der Erstlings-Metapher im schöpfungstheologischen Ansatz. 239 Aber s. o. 11.9.1 zur nötigen Präzisierung dessen, was mit „Evangelium“ gemeint ist. 240 Im Jakobusbrief wird die Taufe allerdings auch dort nicht direkt genannt, wo „der über euch angerufene gute Name“ (τὸ καλὸν ὄνομα τὸ ἐπικληθὲν ἐφʼ ὑμᾶς, Jak 2,7) mit hoher Wahrscheinlichkeit als Bezug auf die Taufe (z. B. Apg 2,38 u. ö.; Mt 28,19; Röm 6,3) zu verstehen ist (mit Konradt, Existenz 61) und nicht nur im Rahmen alttestamentlich-frühjüdischer Traditionen (z. B. Dtn 28,10 LXX; 2 Makk 8,15) interpretiert werden sollte. Allerdings handelt es sich in Jak 2,7 um eine wörtlich zu nehmende Referenz auf einen Teil des Taufritus, wovon sich die Aussage in Jak 1,18 a in ihrem metaphorischen Charakter deutlich unterscheidet. 241 Vgl. zu einem entsprechend umsichtigen, nicht überbetonenden Bezug auf die Taufe vor allem Konradt, Existenz 61–63.

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

Insgesamt hat die ältere Forschung den Bezug auf die Taufe pointierter in den Vordergrund gestellt, als es die neuere Forschung zum Jakobusbrief tut. Sie hat diesen Bezug in der Regel aber immer stärker an Jak 1,21 als an Jak 1,18 festgemacht.242 Die Heftigkeit, mit der aus schöpfungstheologischer und nomistischer Sicht gegen eine Engführung der Deutung von Jak 1,18(.21) auf die Taufe polemisiert wird (s. o. Anm. 134 und 164), geht an den neueren Forschungsbeiträgen mit soteriologischer Ausrichtung daher vorbei, weil der Tauf bezug hier keineswegs mehr im Zentrum der Argumentation steht.243

Betrachtet man die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 a mit Blick auf die anderen bereits näher untersuchten Texte aus dem Titusbrief und dem Ersten Petrusbrief (s. o. Kap. 8 und 10), so fällt nicht nur auf, dass in Jak 1,18 a ein sprachlicher Ausdruck für „wieder“ fehlt,244 sondern auch, dass dementsprechend ein früherer, dem Gläubigwerden der Adressierten vorausgehender Lebensabschnitt keine ausdrückliche Betonung erfährt.245 In der Geburtsmetapher in Jak 1,18 geht es – anders als Konradt meint – auch nicht um „das Verständnis der Christwerdung als Versetzung aus dem Tod, in dem sich die Gottfernen in ihren Sünden befanden, ins Leben“.246 Die Verkettung von Begierde, Sünde und Tod (vgl. 1,15; s. o. 11.4) ist vielmehr auch im Leben der durch Gott Geborenen nach wie vor eine reale 242 So bemerkt Schrage (Jakobusbrief 22) im Zusammenhang mit Jak 1,21: „Jak. denkt of­fenbar an die Taufe (vgl. 1. Kor. 3,6; Barn. 1,2), bei der wie in V. 18 […] dem Wort die entscheidende Bedeutung zukommt.“ Mußner (Jakobusbrief 101) argumentiert: „Eine formgeschichtliche Betrachtung des V 21 läßt erkennen, daß in ihm typische Topoi der apostolischen Mahnrede, näherhin der urchristlichen Taufparänese begegnen.“ Schnider (Jakobusbrief 49) formuliert etwas zurückhaltender: „Verschiedene Vorstellungen und Formulierungen von 1,21 stammen wahrscheinlich aus der Taufparänese frühchristlicher Gemeinden (vgl. Röm 6,5; 1 Kor 3,6; 1 Petr 1,22–2,2; Barn 1,2 […]).“ Er betont auch: „Bei Jak geht es aber nicht um einen einmaligen Aufruf anläßlich der Taufe der Christen, sondern um einen steten Aufruf zu einem kontinuierlichen Verhalten des Christen aus dem tätigen Glauben heraus“ (ebd.). Im Zusammenhang mit Jak 1,18 redet Schnider im Übrigen nicht von der Taufe. 243 Bereits Dibelius, dessen Kommentar in der älteren Forschung von großem Einfluss war, betont, dass es in Jak 1,18 um „Bekehrung zum Christentum“ allgemein gehe, nicht notwendig um Taufe (Dibelius, Jakobus 136). Auch Jak 1,21 sieht er ausdrücklich nicht in einem Tauf-Kontext (ebd. 145 f.). Innerhalb der neueren Beiträge mit soteriologischer Ausrichtung lässt Popkes (Jakobus 124.133) zwar verschiedene Optionen offen, steht einem direkten Tauf bezug der Verse aber eher kritisch gegenüber: Jak 1,21 beziehe sich „auf konversionale Tradition“, aber es liege „kein Hinweis auf irgendeinen Taufsakramentalismus“ vor (ebd. 133; die frühere Position von Popkes rechnet allerdings mit einem stärkeren Tauf bezug: vgl. Popkes, Adressaten 146–155). Konradt (Existenz 62) betont: „In 1,18 trägt der Taufritus jedenfalls keinen Ton, er sollte ihn daher auch in der Auslegung nicht bekommen“. Keinerlei Deutung in Richtung Taufe findet sich z. B. bei Johnson, James 197–203. 244 Jak 1,18 kommt daher in einigen „Wiedergeburts“-Untersuchungen gar nicht vor; s. o. 11.1 und die Tabelle in 6.1 (vgl. auch 7.2.4 und 1.3). 245 Einen solchen Hinweis auf ein früheres Leben der Adressierten könnte man höchstens in der Aufforderung zum „Ablegen“ (ἀποτίθεσθαι) schlechter Verhaltensweisen und zum „An­nehmen“ (δέχεσθαι) des „angeborenen Wortes“ in Jak 1,21 sehen. Ein betontes „Einst“, wie es z. B. Kol 3,7 in einem ähnlichen Text bietet (vgl. auch Tit 3,3; s. o. 8.2), gibt es hier aber nicht. Die Grenze zu einem anderen Leben wird eher qualitativ als zeitlich markiert. 246 Konradt, Existenz 56.

11.9 Die soteriologische Deutung

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Gefahr. Konradt sieht das im Prinzip ähnlich, wenn er den Tod nicht als „die eschatologische Verdammnis der Sünder“ auffasst, sondern als „die bereits gegenwärtige Unheilssituation“ (wie sie sich auch in dem Fall des Sünders, des sogenannten „Apostaten“, in Jak 5,20 dramatisch zeigt), und wenn er ebenso das in Jak 1,18 geschenkte Leben als das „gegenwärtige Leben“ versteht.247 Dass die Geburtsmetapher die Versetzung vom Tod ins Leben beschreibe, begründet Konradt vielmehr traditionsgeschichtlich:248 Es sei dort häufig eine Verbindung der „Konversion mit der Vergebung der den Tod bewirkenden Sünden“ festzustellen.249 Dass die Umkehr, die die Rettung vom Tod bewirkt, auch innerhalb des Jakobusbriefes mit Sündenvergebung in Zusammenhang gebracht wird, lässt sich an Jak 5,20, der einzigen weiteren Erwähnung von θάνατος im Jakobusbrief neben Jak 1,15, tatsächlich zeigen. Konradt versteht diese Darstellung der Umkehr in Jak 5,20 als „zur Konversion analoge Deutung“ und begründet hieraus noch einmal (neben seiner traditionsgeschichtlichen Argumentation) die These, dass „1,18 als metaphorische Aussage für die Versetzung des Konvertiten aus dem Tod ins Leben zu verstehen“ sei.250 Aber da der Sünder als einer, der abirrt vom rechten Weg (vgl. ἐκ πλάνης ὁδοῦ αὐτοῦ, 5,20), doch vermutlich bereits zu den von Gott Geborenen zu zählen ist (und das heißt nach Konradt, vom Tod ins Leben versetzt wurde), wird er dann, wenn er jetzt gerettet und vom Tod ins Leben zurückgebracht wird und dies analog (s. o.) zu Jak 1,18 zu deuten ist, auch erneut metaphorisch geboren? Oder ist hier bereits die Grenze der Analogie erreicht? Eine (nochmals) wiederholte Geburt passt kaum zum Konzept des Ursprungsbereiches,251 wie sich auch der Gedanke des Vom-Tod-ins-Leben-versetzt-Werdens nur schwer im Ursprungsbereich Geburt verankern lässt. Denn wer geboren wird, ist zuvor nicht tot, sondern existiert einfach noch nicht. Über das Leben vor dem Gläubigwerden macht der Jakobusbrief dementsprechend gar keine Aussage. Auch in Jak 1,15 geht es – hier wieder mit Konradt – bereits um die Christusgläubigen.252 Sie sind es, die mit dieser Aussage angesprochen sind. In Jak 1,15 wird keine generelle Aussage über die conditio humana gemacht. Ist Jak 1,15 somit aber auch keine Aussage über das Leben der Adressierten vor ihrer Bekehrung zum Christusglauben, wird dieses vorige Leben hier auch weder als Tod noch anders negativ qualifiziert, sondern kommt vielmehr gar nicht in den Blick.253

In dieser Hinsicht ähnelt die Geburtsmetaphorik im Jakobusbrief der Zeugungsmetaphorik in den johanneischen Schriften (s. o. Kap. 9). Denn dort wird diese ebenfalls nicht zur Schilderung eines Übergangs und der damit verbundenen Veränderungen beim Wechsel von einem früheren zu einem neuen Leben eingesetzt.254 Allerdings liegt ein Schwerpunkt der johanneischen Ausgestaltung 247 Konradt,

Existenz 58. Konradt, Existenz 47–56. 249 Konradt, Existenz 48. 250 Konradt, Existenz 48. 251 Dass es nach Meinung des Jakobusbriefes aber prinzipiell die Möglichkeit der Umkehr auch nach der von Jak 1,18 metaphorisch beschriebenen „Geburt“ und einem sich daran anschließenden Abirren gibt, d. h. „daß dem Apostaten die Rückkehr in die ‚Lebenssphäre‘ nicht verschlossen ist“ (Konradt, Existenz 299), ist damit keineswegs bestritten. Daraus lässt sich meines Erachtens aber nicht ableiten, dass die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 die Versetzung vom Tod ins Leben beschreibe. 252 Vgl. Konradt, Existenz 99. 253 Vgl. dazu maximal die Ansätze in Jak 1,21 a; s. o. Anm. 245. 254 Mit der Ergänzung um ἄνωθεν wird die metaphorische Zeugung in Joh 3,3.7 nicht temporal, sondern qualitativ spezifiziert; s. o. 7.2.2.1 und 9.2.3. 248 Vgl.

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

der Geburts- / ​Zeugungsmetaphorik in der Betonung der völligen Andersartigkeit des ἐκ θεοῦ bzw. ἄνωθεν gezeugten Lebens (s. o. 9.4). Die damit einhergehende radikale Negation jeglicher Relevanz von irdischen Herkunftsverhältnissen, wie sie besonders Joh 1,13 formuliert, lässt sich in Jak 1,18 a dagegen nicht finden. Ähnlich ist aber wiederum der Verweis auf Gott den Schöpfer, der sich im unmittelbaren Kontext der Geburtsmetaphorik in Jak 1,17 findet (vgl. für Joh 1,13 entsprechend Joh 1,1 ff.) 255 und mit dessen Hilfe Gottes grundlegendes, Leben überhaupt erst schaffendes Handeln betont wird. Was aber heißt das für die Deutung der Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 a und für einen möglichen Bezug auf die Taufe? Zuerst einmal verweisen der Schöpfungszusammenhang in Jak 1,17 (vgl. auch 1,18 b), das betonte βουληθείς am Anfang von Jak 1,18 a und die gewählte Metapher selbst darauf, dass allein Gott hier handelt. Die von ihm λόγῳ ἀληθείας Geborenen bleiben vorerst passiv. Die ausdrückliche Betonung der metaphorischen Geburt durch die Mitwirkung des „Wortes der Wahrheit“ lässt jedoch vermuten, dass hier durchaus auf außertextliche Erfahrungen mit der Verkündigung und der „Annahme“ (vgl. 1,21 b) eben dieses „Wortes“ angespielt wird. Stellt ein Bezug von Jak 1,18 a auf die Taufe also durchaus eine plausible Lektüre dar, so bleibt doch festzuhalten, dass in diesem Geschehen, wie es Jak 1,18 a schildert, allein Gottes Handeln den Anfang setzt – wie auch schon in der Schöpfung, auf die im Kontext nicht zufällig Bezug genommen wird. Jener Gott, der die in Jak 1,18 a im „Wir“ zusammengefassten Menschen „geboren hat durch das Wort der Wahrheit“, und ihnen damit die Möglichkeit der Rettung schenkt (vgl. σῶσαι in 1,21 b), ist kein anderer als der Schöpfergott, der bereits uranfänglich durch das Wort Leben schuf. Erst die Fortführung des Satzes in Jak 1,18 b und vor allem die Wiederaufnahme der Geburtsmetaphorik in Jak 1,21 b verweist auf die aktiv zu ergreifenden Möglichkeiten, die sich für die Adressierten aus dieser metaphorischen Geburt ergeben. Gerade für den Jakobusbrief insgesamt, dem immer wieder eine Überbetonung der Ethik und das Fehlen eines Heilsindikativs vorgeworfen wurde, ist diese Textbeobachtung wichtig, die Perspektiven einer veränderten Wahrnehmung der „strohernen Epistel“ zu eröffnen vermag. Zweifellos ist und bleibt die Aufforderung zum glaubensgemäßen Tun ein zentraler Aspekt des Briefes, aber es gibt grundlegende Voraussetzungen, die den Adressierten von Gott her „angeboren“ sind. Zusammengefasst heißt das: Mit Hilfe der Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 a und ihrer kontextuellen Einbettung wird die Erfahrung des Christusgläubig-­ Werdens, der Taufe und die Forderung nach einem entsprechenden Leben (als „Annahme des angeborenen Wortes, das retten kann“, 1,21 b) beschrieben – und zwar in Bezug auf Gott, den Schöpfer, von dem „jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk“ kommt (1,17) und dessen initiales Handeln das „Ablegen“ von „aller Unreinheit und allem Überfluss an Schlechtem“ (1,21 a) 255 Ähnlich wie bei der raummetaphorischen Verortung des göttlichen Bereichs im Johannesevangelium wird Gott auch in Jak 1,17 ausdrücklich „oben“ (ἄνωθεν) lokalisiert.

11.10 Die Geschichte vom „Spiegelgucker“ (Jak 1,23–25)

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überhaupt erst ermöglicht. Im Jakobusbrief werden die Mahnungen zu einem entsprechenden Lebenswandel aber nicht, wie etwa in Tit 3,3–7 oder 1 Petr 1,14 ff., aus der Gegenüberstellung zu einem früheren Leben heraus verdeutlicht. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass der Jakobusbrief sich auch nicht an einen dezidiert als heidenchristlich entworfenen Empfängerkreis richtet, wie es im Titusbrief und im Ersten Petrusbrief der Fall ist. Durch den deutlichen Verweis auf Gott, den Schöpfer, und die fehlende Profilierung der Geburtsmetapher als grundlegender Wendepunkt innerhalb des Lebens, kann der Jakobusbrief Menschen mit jüdischem wie paganem Hintergrund gleichermaßen ansprechen.

11.10 Die Geschichte vom „Spiegelgucker“ (Jak 1,23–25) als weitere Instanziierung des Ursprungsbereiches Geburt Auch die in Jak 1,23 f. folgende kleine Geschichte von jenem Menschen, der in den Spiegel schaut, gleich danach aber sein Aussehen vergisst, greift nochmals den Ursprungsbereich Geburt auf. In der Forschungsliteratur wird das nur selten gesehen. Hier wird zwar überall auf die auffällige Formulierung τὸ πρόσωπον τῆς γενέσεως in Jak 1,23 verwiesen, sie wird aber nicht ausdrücklich mit der Geburtsmetaphorik aus Jak 1,18.21 zusammengebracht. Dabei liegt eine einfache Erklärung für diesen bemerkenswerten Ausdruck darin, dass es sich mit dem „Gesicht der Geburt oder des Ursprungs“ um das angeborene Aussehen handelt, das sich zwar im Laufe des Lebens verändert, in seinen Grundzügen aber von Geburt an gegeben ist.256 Es gehört zu einem Menschen unverlierbar dazu, ist aber für den Einzelnen nur mit dem Hilfsmittel des Spiegels zu sehen. Dennoch ist es eher unwahrscheinlich, dass jemand sein Aussehen vergisst, wenn er oder sie nicht mehr in den Spiegel schaut, und schon gar nicht „sogleich“ (εὐθέως) beim Weggehen, wie Jak 1,24 es schildert.257 Darin liegt vermutlich die Pointe der Geschichte, die der Jakobusbrief erzählt: Normalerweise verhält sich so niemand!258 Genau mit einem solchen merkwür256 So vor allem bei Burchard (Jakobusbrief 85 f.) und Konradt (Wort 9 f., und Existenz 174 f.) mit deutlichem Rückbezug auf Jak 1,18. Ohne Bezug auf Jak 1,18 betont auch Schnider (Jakobusbrief 50) völlig zutreffend: „In Verbindung mit dem Wort Gesicht meint [γένε­ σις] hier das natürliche Gesicht, das der individuelle Mensch von Geburt an hat.“ 257 Ähnlich fragt auch Burchard, Jakobusbrief 86: „Aber vergißt ein Spiegelgucker in der Regel sofort?“ Er zieht daraus aber keine weiteren Schlüsse für die Auslegung, sondern vermutet: „Jak dürfte andeuten, daß der Mann merkte, daß er auf das Gesehene hin etwas tun müßte, das aber (über seinen Geschäften, vgl. 1,8.11?) vergaß oder verdrängte“ (ebd.). Dass etwas zu tun sei, zieht aber einen Aspekt aus den umgebenden Versen in die Geschichte selbst hinein; auch von Gründen für das Vergessen ist in der Geschichte selbst nicht die Rede. Der Fokus liegt vielmehr auf dem so merkwürdigen Vergessen selbst, nicht auf irgendwelchen zu imaginierenden Gründen dafür. 258 Anders dagegen Konradt (Existenz 174), für den in dieser Geschichte der „Normal-

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

digen Menschen vergleicht der Jakobusbrief aber denjenigen, der nur „ein Hörer“, aber kein „Täter des Wortes“ ist (siehe Jak 1,22). In dieser Vergleichsgeschichte liegt daher vermutlich weniger eine Mahnung als eine Aufforderung, das eigentlich Selbstverständliche auch zu tun: So, wie ein Mensch sein Aussehen normalerweise nicht sofort vergisst, wenn er vom Spiegel weggeht, lässt sich auch das Verhältnis der Adressierten zum Wort beschreiben. Wer es nur hört und nicht tut, verhält sich so merkwürdig und unnatürlich wie einer, der sein eigenes Gesicht sofort vergisst, nachdem er es im Spiegel gesehen hat.259 In der Kommentar- und Forschungsliteratur gibt es verschiedene Varianten zur Deutung der Geschichte vom Spiegelgucker. Dominierend sind dabei Deutungen von Teilaspekten der kleinen Begebenheit. So konzentrieren sich die Untersuchungen wechselnd auf die Frage nach der tieferen, übertragenen Bedeutung des Genitivs in τὸ πρόσωπον τῆς γενέσεως, des Sich-Anschauens im Spiegel oder des Spiegels überhaupt oder sie thematisieren die Problematik, die im Weggehen des Spiegelguckers liegen könnte. Insgesamt bekommt die Auslegung damit etwas von einer Allegorese. Einzelne Glieder werden mit einer bestimmten Bedeutung versehen, der Gesamtzusammenhang aber vernachlässigt. Da im Jakobusbrief selbst jedoch keine Zug-um-Zug-Deutung geliefert wird, wie es zum Beispiel bei der Auslegung des Sämanngleichnisses in Mk 4,13–20 parr. geschieht, sind die Möglichkeiten der Ausdeutung partieller Züge der kleinen Erzählung vielfältig. Entsprechend werden in der Sekundärliteratur dann auch jeweils verschiedene Teildeutungen vorgeschlagen, die zum Teil gegeneinander stehen. Der Spiegel etwa wird sowohl positiv als auch negativ bewertet: Patrick J. Hartin meint, er könne tatsächlich zur Erkenntnis des eigenen Aussehens und damit übertragen zur Selbsterkenntnis und moralischen Besserung führen.260 Als Sinnbild der Vergänglichkeit wird der Spiegel dagegen von Konradt gesehen und kritisch bewertet.261 Des Weiteren gibt die Formulierung τὸ πρόσωπον τῆς γενέσεως Anlass zu Vermutungen über den tieferen Sinn dieses Ausdrucks. Für Ralph P. Martin steht hier zum Beispiel Gen 1,26 f. im Hintergrund: Im Wort sei wie in einem Spiegelbild der Mensch als imago Dei zu erkennen.262 fall“ geschildert ist: „Wer sich im Spiegel beschaut, geht danach weg und denkt nicht mehr daran, wie er aussah, sondern ‚vergißt‘ dies.“ „Vergessen“ ist aber mehr als „nicht mehr daran denken“. Auch die Formulierung in Jak 1,24 (zu vergessen „was für einer er war“, καὶ εὐθέ­ ως ἐπελάθετο ὁποῖος ἦν) scheint auf einen tieferen Eindruck des „von Geburt bestehenden Aussehens“ zu verweisen als den rein äußerlichen Eindruck des Spiegelbildes, ohne dass damit sogleich allegorisierende Deutungen von τὸ πρόσωπον τῆς γενέσεως ins Spiel kommen müssten (siehe dazu unten Anm. 262). 259 Die Argumentation in Jak 2,15 f. funktioniert ähnlich: Wer andere Glaubensgeschwister, die unzureichend bekleidet und hungrig sind, allein mit den Worten fortschickt: ὑπάγετε ἐν εἰρήνῃ, θερμαίνεσθε καὶ χορτάζεσθε, hilft nicht, sondern handelt unsinnig. 260 Vgl. Hartin, James 108: „Just as the mirror shows how to improve one’s appearance, so reflection on the law can lead to moral improvement.“ Vergleichbar bewertet Schnider (Jakobusbrief 50) den Spiegel als Mittel der Selbsterkenntnis, zieht daraus dann aber andere Schlussfolgerungen für die Deutung des Textes als Hartin. 261 Vgl. Konradt (Existenz 174 Anm. 18) mit Bezug auf Test Hiob 33,8. 262 Vgl. Martin, James 46.50. Schnider (Jakobusbrief 50) fasst weitere Möglichkeiten der Deutung zusammen: „Nach M. Dibelius, H. Windisch, P. Davids u. a. hat der Ausdruck […] einen übertragenen Sinn und meint den Ursprung, die Natur, das Urbild, nach E. M. Sittebottom und B. Reicke die göttliche Berufung des Menschen. Auf sie soll das genaue Betrachten den Menschen hinführen.“

11.10 Die Geschichte vom „Spiegelgucker“ (Jak 1,23–25)

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Franz Schnider wiederum stellt Überlegungen dazu an, an welcher Stelle genau der Mann etwas falsch macht: „Das Negative besteht entweder darin, daß der Mann auf hört, sich im Spiegel zu betrachten, und weggeht und, weil er weggeht, vergißt, wer er war, oder darin, daß er, nachdem er weggegangen ist – was kein Fehlverhalten ist –, vergißt, wer er war.“ 263 Popkes schließlich bleibt im Gegensatz zu vielen Überinterpretationen von Einzelzügen eher unterbestimmt in seiner Deutung. Der Vergleich ziele allein auf „das Vergängliche, das sich im Vergessen ausprägt“.264

Im Anschluss an die kleine Geschichte in Jak 1,23 f. wird in Jak 1,25 der Gedanke aus Jak 1,22 noch einmal positiv aufgegriffen: „Wer in das vollkommene Gesetz der Freiheit hineingeschaut hat und dabei bleibt“ – wer also nicht vergisst, was er gehört hat, was ihm als gute Veranlagung mitgegeben und unverlierbar in ihm ist (s. o.) –, der ist „kein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter des Werks“ und wird in seinem Tun seliggepriesen. Die variationsreiche Rede vom „Wort“ in Jak 1,18.21–23 mündet hier in die Rede vom „vollkommenen Gesetz der Freiheit“.265 Wie der Spiegel fungiert dieses „vollkommene Gesetz der Freiheit“ als Mittel, etwas zu erkennen, das zwar im Menschen ist, das aber – wie das eigene „Gesicht des Ursprungs“ nicht ohne Spiegel – nicht ohne die Hilfe dieses Gesetzes gesehen werden kann. Diese „Applikation“ der Geschichte vom Spiegelgucker stellt eine Verbindung vor allem über das „Hineinschauen“ (παρακύψας, 1,25) her. Dabei bleibt der Spiegel innerhalb der kleinen Geschichte aber bloßes Instrument, das vom Text in Jak 1,23 f. nicht weiter gewertet wird,266 während das „Gesetz“ durch den Zusatz von τέλειος und ἐλευθερία eine deutlich positive Deutung erfährt. Das Stichwort παραμένειν verweist in Jak 1,25 außerdem darauf, dass es nicht auf das Hineinschauen ankommt (denn vor einem Spiegel kann man nicht auf Dauer „bleiben“), sondern auf das, was man beim jeweiligen Hineinschauen erkannt hat. Innerhalb der Geschichte vom Spiegelgucker ist es das „Gesicht seines Ursprungs“ (1,23 b), das der dort beschriebene Mann wahrnimmt. Im Weggehen „vergisst“ er dann aber „sofort“ nicht nur dieses Gesicht, sondern – tiefer ausgedeutet – „was für einer er war“ (ὁποῖος ἦν, 1,24). In Jak 1,25 wird dagegen nicht genau gesagt, was beim Hineinschauen in das „Gesetz der Freiheit“ erkannt wird und wobei der in seinem Bleiben Seliggepriesene eigentlich bleibt. In den Auslegungen des Textes wird hier in der Regel ein Bezug zum „Gesetz der Freiheit“ selbst hergestellt. Das ist zweifellos eine Option, die der Text bietet. Achtet man jedoch auch hier noch einmal genauer auf den Vergleich mit dem Spiegelgucker und setzt nicht sofort das Mittel des Betrachtens (d. h. Spiegel bzw. Gesetz) mit dem in eins, was beim Hineinschauen erkannt wird und bei dem der Mensch bleiben sollte,267 dann bietet sich als Lesart neben dem 263 Schnider,

Jakobusbrief 50. Jakobus 138. 265 Vgl. ausführlicher zu diesem Syntagma im Kontext des Jakobusbriefes z. B. Burchard, Jakobusbrief 88–90. 266 Dass Spiegel in der Antike aufgrund ihres Materials oft keine klaren Abbilder lieferten, zeigt z. B. 1 Kor 13,12. Dass Spiegel unterschiedlich konnotiert werden konnten (in Verbindung mit Erkenntnis, aber auch als Ausdruck von Eitelkeit, Vergänglichkeit, Flüchtigkeit), hat bereits der Petit-Abschnitt oben thematisiert. In Jak 1,23 f. steht dagegen nicht der Spiegel, sondern der Mensch, der sich in ihm betrachtet (κατανοεῖν), im Vordergrund. 267 Denn im Fall des Spiegelguckers führt genau eine solche rückübertragene Gleichsetzung zu der (unsinnigen) Frage, ob der Fehler des Mannes in Jak 1,24 darin gelegen haben 264 Popkes,

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

Rückbezug auf den eigenen „Ursprung“ (γένεσις, 1,23) und der Erkenntnis, „was für einer man selbst ist“ (vgl. 1,24), vor allem die „Freiheit“ an, die im eben daher so treffend benannten νόμος τέλειος ὁ τῆς ἐλευθερίας (1,25) erkannt wird, bzw. das Gesetz selbst, das sich erst diesem tieferen Blick als „vollkommenes Gesetz der Freiheit“ darstellt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass auch in Jak 1,23–25 von den Rezipienten nichts ihnen Fremdes gefordert wird, sondern ein Verhalten, das sich gleichsam „naturgemäß“ aus ihrer metaphorischen Geburt durch Gott ergibt. Auch für die Deutung von Jak 1,23–25 ist die Wahrnehmung des Zusammenhangs mit Jak 1,18 a daher zentral. Aber genau so, wie die dort beschriebene metaphorische Geburt λόγῳ ἀληθείας nur der Anfang des Lebens ist, entwickelt sich der Gedankengang von Jak 1,18 aus weiter. Das heißt: Nicht so sehr die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 a für sich genommen, sondern ihre Vorbereitung in Jak 1,15 und ihre Weiterentwicklung über Jak 1,21 hinaus bis hin zu Jak 1,25 eröffnet ein Verständnis für das, worum es im Jakobusbrief geht, wenn davon gesprochen wird, dass Gott die Adressierten „durch das Wort der Wahrheit geboren hat“.

11.11 Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 in ihrem Kontext: Ergebnisse Forschungsgeschichtlich hat die Auslegung von Jak 1,18 viel unter strikten Alternativen gelitten, die dann doch oft, wie oben gezeigt, nicht ganz ohne Anleihen bei der einen oder anderen Auslegungsoption auskommen.268 Insgesamt hat sich der soteriologische Deutungsansatz als der tragfähigste erwiesen: Die Geburtsmetapher in Jak 1,18 ist sicherlich am ehesten im Zusammenhang mit dem Gläubigwerden der Adressierten zu sehen. Damit ist über die Auslegung des Verses freilich noch lange nicht alles gesagt. Der Durchgang durch die verschiedenen Forschungspositionen und Auslegungsvorschläge hat gezeigt, dass viel in der Diskussion um das Verständnis von Jak 1,18 nach wie vor an der Deutung einzelner Wörter und Syntagmen hängt, unter ihnen an erster Stelle λόγος ἀληθείας und ebenso auch ἀπαρχὴ τῶν αὐτοῦ κτισμάτων. Deutlich geringere Aufmerksamkeit für die Gesamtdeutung erfährt in der Forschung dagegen das Verb ἀποκύειν. Dabei ist es neben der Wiederaufnahme von λόγος in Jak 1,21–23 gerade die Geburtsmetaphorik, die nicht nur in Jak 1,18 die Aussage bestimmt. Der Ursprungsbereich Geburt vernetzt vielmehr von Jak 1,15 an den Text bis hin zur Geschichte vom Spiegelgucker in Jak 1,23 f. Das wird in der Forschung kaum in dieser Konsequenz gesehen.269 Vielmehr sind könnte, dass er aufgehört habe, sich zu betrachten und vom Spiegel weggegangen sei, statt dort zu bleiben (so Schnider, Jakobusbrief; s. o. Anm. 263). 268 Popkes (Jakobus 123) spricht von „exegetischen Koalitionen“. 269 Anders vor allem Konradt (Existenz), dessen Analyse des Jakobusbriefes die vorliegende Untersuchung an vielen Stellen positiv aufgreift.

11.11 Ergebnisse

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die meisten Kommentare und Untersuchungen an der Formulierung, dass „Gott uns geboren hat durch das Wort der Wahrheit“ nicht mehr interessiert, sobald sie dieses meist als auffällig empfundene weibliche Bild von Gott 270 als biblisch (dennoch) gut begründet eingeordnet haben,271 und ersetzen die Rede von der Geburt in der Folge oft durch Schöpfungsaussagen. Was im Text dagegen zu entdecken ist, wenn die Geburtsmetapher nicht vorschnell nivelliert und dann weitgehend vergessen wird, soll im Folgenden noch einmal zusammengefasst werden. Wie oben beschrieben (11.4–5), wird die Geburtsmetapher in Jak 1,18 durch Jak 1,15 bereits vorbereitet. Zugleich gab es signifikante Unterschiede zu konstatieren. Dennoch wirkt etwas von der Filiationsreihe in Jak 1,15 auch in Jak 1,18 nach. Es ist, wie gezeigt, nicht die Zwangsläufigkeit der Geschehnisse, die dort in den Tod führt, sondern eher der völlige Gegensatz dazu: Gottes Handeln zugunsten der Adressierten ist von keinerlei Zwang geprägt, sondern entspringt allein seinem Willen, und bringt nicht den Tod, sondern Leben. Mit der Wiederholung von ἀποκύειν greift Jak 1,18 somit zwar auf Jak 1,15 zurück, dennoch funktioniert die Metapher in Jak 1,18 völlig anders als die Filiationsreihe in Jak 1,15 und verlangt bei der Lektüre nach einer erneuten Auseinandersetzung mit dem, was mit Hilfe des Ursprungsbereiches Geburt hier überhaupt ausgesagt werden soll.272 Ein Aspekt ist schon benannt: Zum Konzeptbereich Geburt gehört der Gedanke des Lebensanfangs. Der bereits benannte Gegensatz zu Jak 1,15 bestätigt, dass dieser Aspekt des Ursprungsbereiches für die metaphorische Interaktion in Jak 1,18 relevant ist. Ferner ist auch die Rede von Gott als dem „Vater der Lichter“ in Jak 1,17 eine metaphorische Aussage, die durch ihren Ursprungsbereich Zeugung / ‌Hervorbringung nahe beim Ursprungsbereich Geburt in Jak 1,18 a liegt, aber mit diesem nicht identisch ist. Der Vater steht hier metaphorisch für den Verursacher und Hervorbringer, von dem alles kommt (ἄνωθέν ἐσ­τιν καταβαῖνον, 1,17). Dass im folgenden Vers Jak 1,18 von Gottes Gebären gesprochen wird, zeigt deutlich, dass sowohl Vater- als auch Mutterrolle metaphorische Zuweisungen sind. Gott auch in Jak 1,18 als Zeugenden zu sehen und dies unter anderem mit dem „Wort der Wahrheit“ zu begründen, durch welches die Geburt in Jak 1,18 eigentlich geschehe, wie Burchard dies vorschlägt, ist durch die Formulierung im Text dagegen nicht 270 Johnson

(James 197) bezeichnet es als „one of the most striking female images for God in the NT“. 271 Vgl. z. B. Frankemölle, Jakobus 299 f.: „Den Glauben, daß Menschen aus Gott gezeugt / geboren würden (umschrieben durch das etwas offenere Verbum gennan: zeugen / gebären), kannte im übrigen bereits das AT (vgl. Dtn 32,18 […]; Jes 42,14 […]; Hos 11,4.8; Hi 38,28 f.). Die Bibel hegt keine Bedenken, Gott mütterliche Gefühle und Regungen zuzuschreiben.“ So zutreffend diese Einschätzung auch ist, fällt doch auf, dass Metaphern für Gott, die in ihrem Ursprungsbereich eher männliche Verhaltensmuster aufgreifen, in der Forschungsliteratur deutlich seltener für erklärungsbedürftig gehalten werden. 272 Es geht daher am Text vorbei, wenn einige Untersuchungen (u. a. Laws, James 75; Fran­kemölle, Jakobus 297; Klein, Werk 130; Davids, James 89) ἀποκύειν in Jak 1,18 mit dem Verweis auf Jak 1,15 für erklärt halten.

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

gedeckt, sondern entspringt vor allem dem textexternen Interesse, Gott möglichst weit von der Handlung des „Gebärens“ fernzuhalten.273

Dass in Jak 1,18 a von Gott gesagt wird, ἀπεκύησεν ἡμᾶς λόγῳ ἀληθείας, bringt ein Element ein, das über die Geburtsmetapher hinausreicht,274 und gibt somit den deutlichsten Hinweis auf die außertextliche Referenz des metaphorisch beschriebenen Geschehens. Dort, wo Menschen mit dem „Wort der Wahrheit“, und das heißt mit der christlichen Verkündigung 275 in Berührung kamen und ihr Leben durch dessen Wirkung eine Veränderung erfuhr, erlebten sie etwas, das mit der Geburtsmetapher deutend umschrieben werden konnte. Zugleich kommt noch ein weiterer Aspekt des Ursprungsbereiches Geburt in Jak 1,18 a zum Tragen, der durch die Fortsetzung der Geburtsaussage in Jak 1,18 b und der dabei gebrauchten Erstlingsmetapher aktiviert wird. Denn die Ursprungsbereiche beider Metaphern überlappen darin, dass sie beide ein Eigentumsverhältnis begründen: Die geborenen Kinder werden in ein Verhältnis zu den Eltern gesetzt, das nach antikem Verständnis des Ursprungsbereiches keineswegs nur ein biologisches ist, sondern viel zentraler eine soziale und rechtliche Zuordnung schafft: Kinder sind Eigentum der Eltern. Für die Erstlinge gilt, dass sie durch ihre Aussonderung vom Rest Gott zugeeignet werden. Die oben (11.9.3) präferierte Deutung von ἀπαρχή in Jak 1,18 b bestätigt sich somit hier noch durch eine weitere Beobachtung im unmittelbaren Kontext der Aussage. Für die von Gott Geborenen heißt das, dass sie nicht nur ihr Leben Gott und der Wirkung des „Wortes der Wahrheit“ verdanken, sondern dass sie selbst Gott in besonderer Weise zugeordnet und zu seinem Eigentum bestimmt sind. Jak 1,18 beschreibt das mit Hilfe der beiden verwendeten Metaphern vorerst als ein Geschehen, das den Adressierten ohne viel eigenes Zutun widerfährt. Dass es aber in der Konsequenz der Geburtsmetapher liegt, dass dieses Leben in seiner zeitlichen Erstreckung auch zu gestalten ist, trifft sich wiederum mit Folgerungen aus der Erstlingsmetapher: Hier beschreibt die Aussonderung der Erstlingsgaben im Ursprungsbereich zwar auch ein die Erstlinge passiv treffendes Geschehen. Im Bezug dieses Konzeptes auf die Adressierten lässt sich aber gerade ihre damit metaphorisch beschriebene Distanz zur profanen Welt nur aufrechterhalten, wenn die Metapher im Sinne eines entsprechend aktiven Verhaltens weitergedacht wird. Genau dieses Verhalten thematisieren die folgenden Verse ab Jak 1,19 mit zunehmender Konkretion. Wie wichtig diese Mahnungen zum adäquaten Verhalten sind, hat Jak 1,2–4 bereits im Rekurs auf die „vielfältigen Anfechtungen“ (πειρασμοὶ ποικίλοι, 1,2) einführend deut273 Vgl. Burchard, Jakobusbrief 78: „Da das ἀποκύειν hier durch (kaum: für) ein Wort Gottes geschieht, ist er nicht als Gebärer(in) vorgestellt, sondern als Erzeuger“. Das „Wort der Wahrheit“ nimmt nach Burchard aber ebenfalls nicht die Rolle der Mutter ein, Gott sei vielmehr als Erzeuger „wie oft ohne Partnerin“ (ebd.). 274 Die Aussage ist bereits ohne diesen Genitiv komplett, Subjekt („er“) und Objekt („wir“) des Geburtsvorgangs sind genannt. 275 Zur inhaltlichen Präzisierung dieser Verkündigung s. o. 11.9.1.

11.11 Ergebnisse

393

lich gemacht. Besonders drastisch jedoch beschreibt die Filiationsreihe in Jak 1,15 die Bedrohung durch die eigenen Begierden (1,14), die in der Konsequenz bis zum Tod führen. Bereits die Zeitformen der Gebär-Verben zeigen an (s. o. 11.5), dass diese Bedrohung auch durch die in Jak 1,18 geschilderte Geburt durch Gott nicht beseitigt ist, sondern gegenwärtig andauert. Wenn also durch die Geburt durch Gott und das „Wort der Wahrheit“ kein für alle Zeit sicherer Heilsstand beschrieben ist und das Wort „kein Selbstläufer [ist], das den Christen verzaubert“,276 so vermittelt die Geburtsmetapher in dieser schwierigen Lage aber doch Gewissheit und Orientierung: Ein durch Geburt gesetztes Verhältnis bleibt bestehen, auch wenn der Lebensweg sich von diesem Ursprung entfernen sollte. Das „Wort der Wahrheit“, das diese Geburt mitbewirkt hat, ist den Adressierten laut Jak 1,21 „angeboren“. Dass sie dennoch dazu aufgefordert werden, es auch „anzunehmen“ (δέχεσθαι), heißt im Sinne des Ursprungsbereiches, dass sie diese seit ihrer „Geburt“ in ihnen verankerte Veranlagung nicht brachliegen lassen, sondern umsetzen sollen. In diesem Licht gesehen, verliert Jak 1,21 den warnenden Charakter, der diesem Vers zum Teil unterstellt wird.277 Der Imperativ δέξασθε gewinnt vielmehr einen fast werbenden Klang. Es geht darum, die Adressierten dazu zu bewegen, das in ihnen bereits positiv Angelegte auch wirklich zur Entfaltung zu bringen. Auch die Geschichte vom Spiegelgucker dient pragmatisch gesehen dieser Motivierungsstrategie, denn das „Gesicht des Ursprungs“ ist für diejenigen, die Gott durch das „Wort der Wahrheit“ geboren und zu seinem Eigentum bestimmt hat (1,18), ebenso unverlierbar, wie ihnen das Wort angeboren ist (1,21). Der Jakobusbrief fordert somit nichts, was die Adressierten nicht auch könnten, ja was ihnen – vom Ursprungsbereich Geburt her betrachtet – völlig natürlich ist. Sie müssen es aber trotzdem erst noch in ihrem Leben umsetzen. Das rechte Tun hat daher einen hohen Stellenwert in der Paränese des Brie276 Konradt,

Existenz 100. geht es vor allem darum, wie das Potenzial des Wortes, „retten zu können“ (ὁ λό­γος ὁ δυνάμενος σῶσαι τὰς ψυχὰς ὑμῶν, Jak 1,21 b), verstanden wird. Die Auslegung divergiert an dieser Stelle. „Klassisch“ ist jene Deutung, die die Rettung deutlich an die Vorbedingung des Ablegens von allem Schmutz und aller Fülle der Bosheit (Jak 1,21 a) und das Annehmen des Wortes (1,21 b) knüpft und den Jakobusbrief somit „werkgerecht“ versteht; so z. B. Schrage, Jakobusbrief 22 f., oder auch Gennrich, Lehre 42: „Nur sofern sie [sc. die Christen] sich durch den ἔμφυτος λόγος zu sittlicher Betätigung antreiben lassen, vermag er ihre Seele zu retten.“ Das führt bei Gennrich rückwirkend auf Jak 1,18 zu einer völligen Sinnentleerung der dortigen Geburtsmetaphorik, und zwar ausdrücklich gegen das Zeugnis des Textes: Zwar sei „den Christen“ eine Kraft zur Erfüllung des Willens Gottes gegeben, „jedoch ohne daß diese, wie der Ausdruck ἀποκυεῖν erwarten ließ, in einem von Gott selbst hergestellten neuen Verhältnis zu ihm (sc. dem Kindschaftsverhältnis) unmittelbar begründet gedacht wird“ (ebd.). Die neueren Kommentare tendieren zu einem weniger stark konditionalen Verständnis von Jak 1,21, das die Fähigkeit des Wortes zu retten nicht abhängig von der Annahme dieses Wortes (in Form erkennbarer Taten) macht. Dass das Wort retten kann, sei als eine „Macht“ oder „Kraft“, nicht nur als eine „Möglichkeit“ zu verstehen, betonen z. B. Burchard (Jakobusbrief 83) und Popkes (Jakobus 135) gleichermaßen. 277 Dabei

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11. Die Geburtsmetaphorik in Jak 1,18

fes oder, wie Jak 2,17 es in bekannterer und oft auch einseitig verstandener Weise ausdrückt: „Der Glaube, wenn er keine Werke hat, ist tot in sich selbst“ (ἡ πίστις, ἐὰν μὴ ἔχῃ ἔργα, νεκρά ἐστιν καθ᾽ ἑαυτήν). Dass diese Werke, für deren Überbetonung der Jakobusbrief so oft gescholten und für unevangelisch gehalten wurde, aber nicht ohne eine Voraussetzung gefordert werden, die den Adressierten jenseits eigener Vorleistungen zukommt, verdeutlicht die geburtsmetaphorische Aussage in Jak 1,18 a. Im Verein mit deren Weiterführung in Jak 1,21 und 1,23 f. gelingt es dem Briefautor durch die Wahl genau dieses Ursprungsbereiches, sowohl das Handeln Gottes, das allem Handeln der Adressierten vorausgeht, als positives Gut unverlierbar in ihnen selbst zu verankern 278 als auch die Notwendigkeit zu betonen, dieses Leben aktiv zu gestalten.279 Durch den deutlichen Verweis auf Gott, den Schöpfer,280 und die fehlende Profilierung der Geburtsmetapher als grundlegenden Wendepunkt im Leben der Adressierten (s. o. 11.9.4) gelingt es auf diese Weise außerdem, Menschen mit jüdischem wie paganem Hintergrund gleichermaßen anzusprechen. Hierzu passt, was oben (11.2) bereits über die eher unspezifische Adresse des Briefes gesagt wurde und dass die Bestimmung der Adressierten zur ἀπαρχή in Jak 1,18 b möglicherweise als eine Art neue Bezeichnung für die Christusgläubigen zu verstehen sein könnte, die in Verbindung mit der Geburtsmetaphorik in Jak 1,18 a in modifizierter Weise Beschreibungen Israels als des Erstgeborenen und Auserwählten Gottes aufnimmt (s. o. 11.9.3).

278 Das leisten die Rede von Geburt (1,18 a), vom „angeborenen Wort“ (1,21) und vom „Gesicht des Ursprungs“ (1,23 b). 279 Das leisten die Forderungen, das „angeborene Wort auch anzunehmen“ (1,21) und nicht nur „Hörer, sondern Täter des Wortes“ zu werden (1,22). 280 Vgl. bes. Jak 1,17, aber auch die Stichworte βουληθείς und κτίσματα in Jak 1,18.

12. Kapitel

Rückblick und Ausblick Die vorliegende Untersuchung hat „Wiedergeburt“ vom ersten Kapitel an durchgängig in Anführungszeichen gesetzt und als einen beschreibungssprachlichen Terminus gekennzeichnet, der in seinen inhaltlichen Vorprägungen kritisch wahrzunehmen und zu hinterfragen ist (s. o. 1.2). Die hier erstmals in ihrer Breite analysierte Forschungsgeschichte der letzten 100 Jahre – seit eine dezidiert exegetische Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament identifizierbar ist (s. o. Teil I) – hat die Notwendigkeit einer solchen inhaltlichen Klärung bestätigt. Mit einem konsequent metapherntheoretisch orientierten Vorgehen (s. o. 1.6) wurde ein neuer Weg beschritten, die wissenschaftlich zwar etablierte, in Hinblick auf ihren eigentlichen Forschungsgegenstand jedoch unklare Frage nach „Wiedergeburt“ im Neuen Testament zu dekonstruieren und methodisch reflektiert neu zu formulieren (s. o. Teil II). Ein zentraler Punkt des Neuansatzes bestand darin, nicht mehr nach „Wiedergeburt“ zu fragen, sondern nach dem Konzept Geburt bzw. Zeugung (s. o. Kap. 7) und danach, wie in den neutestamentlichen Texten mit Hilfe dieser Konzeptbereiche die grundlegenden Veränderungen des Lebens durch das Christusgläubig-Werden der Adressierten metaphorisch beschrieben werden. Nachdem die Ergebnisse der ausführlichen Textanalysen (s. o. Teil III) nun vorliegen,1 gilt es hier abschließend, einen Bogen zum Anfang zu schlagen. Was bleibt von der ursprünglichen Forschungsfrage nach „Wiedergeburt“? Was verbindet die in Teil III näher untersuchten Texte Tit 3,5; Joh 1,13; 3,3–8; 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18; 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18? Worin besteht die spezifische Leistung der Geburts- / Zeugungsmetaphorik und inwiefern ist es wichtig, sie in klarer Abgrenzung von metaphorischen Formulierungen wahrzunehmen, die von „neuer Schöpfung“ (2 Kor 5,17; Gal 6,15), vom „Anziehen des neuen Menschen bzw. Christi“ (Kol 3,9 f. par. Eph 4,22–25; Gal 3,27) oder vom „Mitlebendig-­gemacht-Werden“ (Kol 2,13 par. Eph 2,5) etc. sprechen und die in der „Wiedergeburts“-Forschung des Öfteren als vergleichbare Aussagen behandelt werden (s. o. 6.1)? Weshalb scheint die Geburts- / Zeugungs-Metaphorik gerade erst in jenen auf das Ende des 1. Jahrhunderts zu datierenden neutestamentlichen Texten zu „zünden“ (s. u. Anm. 20), ist bei Paulus aber zum Beispiel nicht in gleicher Weise zu finden? Und wie lässt sich zukünftig noch von „Wieder1 Einen konzentrierten Überblick über die Erträge, die die exegetischen Analysen für die einzelnen Texte erbracht haben, bieten jeweils die bilanzierenden Abschnitte in Teil III: s. o. 8.6, 9.1.5, 9.2.12, 9.3.6, 9.4, 10.8 und 11.11.

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12. Rückblick und Ausblick

geburt“ sprechen angesichts der Ergebnisse dieser Untersuchung, die zu einem kritischen Umgang mit vielen Thesen der Forschungsgeschichte und vor allem mit dem unklaren Forschungsgegenstand „Wiedergeburt“ mahnen? Fängt man mit der letzten Frage an und geht – ganz gegen das sonstige Verfahren der vorliegenden Untersuchung – doch noch einmal versuchsweise von einem durch die christliche Tradition und Frömmigkeitsgeschichte geprägten Verständnis von „Wiedergeburt“ aus, wonach der Terminus auf ein grundlegendes religiöses Erneuerungserlebnis referiert (s. o. 1.4),2 so lassen sich auch die in Teil III näher untersuchten Texte einem solchen „Wiedergeburts“-­Ver­ ständnis durchaus zuordnen. Denn zweifellos wird in ihnen in metaphorischer Weise etwas beschrieben und gedeutet, das mit einem religiös bedingten Umbruch im Leben der implizierten Adressierten in Zusammenhang steht. Vergleichbares geschieht aber in vielen neutestamentlichen Texten. Die Analyse der Forschungsgeschichte hat gezeigt, dass sich mit einem solchen „Wiedergeburts“-Verständnis keine spezifische Gruppe von Texten ermitteln lässt, sondern vielmehr ein breites Feld eröffnet wird, das fast beliebig erweiterbar erscheint und in das in großer Regelmäßigkeit nicht nur die bereits genannten Belege einer metaphorischen Rede von „neuer Schöpfung“, vom „Christus-­ Anziehen“, vom „Mit-lebendig-gemacht-Werden“ etc. mit einbezogen werden, sondern das bis hin zum „Verwandelt-Werden“ (μεταμορφοῦσθαι, 2 Kor 3,18) 3 oder zur Erzählung von der Taufe Jesu (Mk 1,9–11 parr.) reichen kann, um nur einige Beispiele zu nennen.4 Die besondere Rolle, die Tit 3,5; Joh 3,3.7; 1 Petr 1,3.23 (und weniger häufig auch Jak 1,18) innerhalb dieser Zusammenstellungen zugeschrieben wird, besteht darin, dass in diesen Texten auch wörtlich von etwas wie einer „Wiedergeburt“ gesprochen wird.5 Diese Besonderheit der Texte wird aber – vor allem in der älteren Forschung und dort am deutlichsten bei Wilhelm Heitmüller (s. o. 2.2.2) – nach kurzer Betrachtung schnell als eher uninteressante Konventionalität abgetan, denn in den Texten scheint von „Wiedergeburt“ ja schlicht als „Wiedergeburt“ gesprochen zu werden. Eine kreative und die nähere exegetische Betrachtung lohnende metaphorische Aussage belegen diese Texte unter einer solchen Perspektive auf „Wiedergeburt“ also nicht. 2 Mit Otto Kirn (Wiedergeburt 146; s. o. 2.2.1) könnte man auch von einem „neuen Lebensanfang“ und einer „Wendung“ von „umfassende[r] Tragweite“ sprechen, die einen deutlichen „Abstand von der früheren Existenzweise“ darstellt, mit Adolf von Harnack (Terminologie 97; s. o. 3.1.1) von einer Erneuerung „durch den Glauben und in ihm“ – siehe insgesamt oben 6.1. 3 Vgl. Popkes, Wiedergeburt 11 (s. o. 5.7). 4 S. o. die Tabelle in 6.1. Besonders eindrucksvoll ist die lange Liste der Texte, die Har­ nack (Terminologie; s. o. 3.1.1) gesammelt hat und die u. a. bei Popkes (Wiedergeburt 9; s. o. 5.7) aufgegriffen wird. 5 S. o. 1.3. Die uneinheitliche Behandlung von Jak 1,18 hängt vor allem damit zusammen, dass der Text kein sprachliches Äquivalent zu „wieder“ aufweist; s. o. 7.2.4 und 11.1.

12. Rückblick und Ausblick

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Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Diese Texte (und zwar genauer Joh 1,13; 3,3–8; 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18; 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18) 6 benutzen gerade kein bereits vorhandenes Konzept von „Wiedergeburt“. Sie beschreiben vielmehr auf ausgesprochen lebendige und vielseitige metaphorische Weise einen religiösen Umbruch im Leben der Adressierten und nutzen dazu nicht nur – wie es der beschreibungssprachliche Terminus „Wiedergeburt“ nahelegt – das Konzept Geburt als Ursprungsbereich, sondern ebenso auch das Konzept Zeugung (s. u. Anm. 9). Die Texte stehen somit am Anfang einer Entwicklung, die erst später zu jenem Gebrauch von „Wiedergeburt“ führt, wie er sich dann in der christlichen Tradition und besonders in den Erweckungsbewegungen zeigt und von dort aus wiederum auch die exegetische Forschung so nachhaltig beeinflusst hat. Gab es aber noch gar kein bereits geprägtes Konzept von „Wiedergeburt“ innerhalb des neutestamentlichen Diskursuniversums,7 das in den Texten als Ursprungsbereich metaphorischer Formulierungen nutzbar gemacht werden konnte, so sollte auch die exegetische Beschreibungssprache die Existenz eines solchen nicht evozieren. Vielmehr ist es angebracht, den Ursprungsbereich der Metaphorik präzise zu benennen und dementsprechend also nach dem metaphorischen Einsatz des Konzeptes Geburt bzw. Zeugung zu fragen, wie es die vorliegende Untersuchung auch getan hat. Denkbar wäre die Beibehaltung der forschungsgeschichtlich etablierten Rede von „Wiedergeburt“ höchstens im Hinblick auf den Zielbereich – und zwar in eben jenem Sinne der inzwischen konventionalisierten Bedeutung als Umschreibung für religiöse Umbruchsund Erneuerungserfahrungen (s. o.). Unter dieser Perspektive würde (ganz zu Recht) deutlich, dass es sehr wohl eine Gemeinsamkeit zwischen Texten gibt, die zum Beispiel von „neuer Schöpfung“ (vgl. 2 Kor 5,17; Gal 6,15) oder von einer „erneuten Geburt / Zeugung“ (vgl. 1 Petr 1,3.23) sprechen – nämlich jene, dass es in beiden Fällen darum geht, die umfassende Lebensveränderung, die durch das Christusgläubig-Werden der jeweils implizierten Adressierten geschehen ist, zu beschreiben und zu deuten. Die kritische Betrachtung der Forschungsgeschichte hat aber gezeigt, wie oben schon erwähnt wurde, dass diese Gemeinsamkeit zu allgemein ist, um die metaphorisch gestalteten Aussagen einzelner Texte in ihren spezifischen Zügen präzise wahrnehmen und theologisch würdigen zu können. Ob mit einem als „Wiedergeburt“ beschriebenen Zielbereich tiefergehende exegetische Erkenntnisse befördert werden, ist und bleibt daher fraglich. Kritisch zu beurteilen ist ein solcher Zuschnitt der Forschungsfrage unter Beibehaltung des Oberbegriffs „Wiedergeburt“ aber nicht nur aufgrund der zu großen Allgemeinheit des Konzeptes, sondern zugleich auch aufgrund spezifischer inhaltlicher Festlegungen, die dem Terminus in seiner traditionellen Prägung eignen und sich in seiner Applikation auf die neutestamentlichen Texte 6 Zur 7 Zur

Sonderstellung von Tit 3,5 s. u. Rolle der Enzyklopädie für das Verstehen metaphorischer Aussagen s. o. 1.6.2.

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12. Rückblick und Ausblick

schnell als Engführungen erweisen. Abschließend sollen diese beschreibungssprachlich transportierten Fixierungen in der Rede von „Wiedergeburt“ an dieser Stelle als Ausgangspunkte kritischer Nachfragen genutzt werden, um die deutlich umfassendere und kreative Leistung der Geburts- / Zeugungsmetaphorik in den Quellentexten zusammenfassend zu würdigen. Eine erste zu hinterfragende terminologische Prägung liegt in der Engführung der Rede von „Wiedergeburt“ auf die Vorstellung von Geburt. Selbst mit einem hohen Grad an methodischer Klarheit, die „Wiedergeburt“ allein als Beschreibung des Zielbereichs festgelegt weiß (s. o.), ist eine unbewusste Rückwirkung auf den Ursprungsbereich nicht auszuschließen. Den quellensprachlichen Formulierungen wird damit schnell eine Lesart aufgedrängt, die von der Möglichkeit, dass mit den jeweiligen Fokuswörtern auch Aspekte von Zeugung aktiviert werden sollen, kaum etwas sichtbar werden lässt.8 Dabei ist gerade dieser Vorstellungsbereich für die Deutung der johanneischen Texte und des Ersten Petrusbriefes (hier insbesondere 1 Petr 1,23) in besonderer Weise relevant.9 Keineswegs in allen in Teil III näher untersuchten Texten findet man außerdem eine deutliche Betonung des alten, vergangenen Lebens im Gegensatz zum neuen Leben im Christusglauben, wie es ein konventionelles Verständnis von „Wiedergeburt“ nahelegt. Vielmehr sind die johanneischen Schriften und auch der Jakobusbrief stärker an der Betonung der besonderen Qualität und völligen Andersartigkeit dieses christusgläubigen Lebens interessiert als daran, einen bestimmten Wendepunkt und einen von dort aus möglichen Rückblick auf ein früheres Leben zu beschreiben. Das lässt bereits die sprachliche Gestaltung der Texte erkennen: In Jak 1,18 fehlt ein Element für „wieder“ völlig (s. o. Anm. 5) und auch die johanneischen Schriften sprechen nicht ausdrücklich von einer erneuten Zeugung.10 In Joh 1,13 wird von denen, die den Logos aufgenommen haben (1,12), vielmehr gesagt, dass sie ἐκ θεοῦ gezeugt seien und gerade nicht ἐξ αἱμάτων, ἐκ θελήματος σαρκός und ἐκ θελήματος ἀνδρός. Ein Leben, das sich diesen irdischen Zeugungsbedingungen verdankt (s. o. 9.1.2), wird somit 8 Da es im Deutschen eher unüblich ist, von „Wiederzeugung“ zu sprechen, ist die Engführung auf Geburt hier besonders deutlich. Das Nebeneinander von „rebirth“ und „regeneration“ in der englischsprachigen Forschung bietet dagegen, ebenso wie z. B. das in italienischen Beiträgen zum Thema dominierende „rigenerazione“, mehr Offenheit im Hinblick auf die Ursprungskonzepte Geburt und Zeugung. Für die oben (3.5, 4.3.1–2, 5.10) analysierten Studien konnte allerdings nicht gezeigt werden, dass sich diese größere Weite in der Begrifflichkeit methodisch entsprechend niedergeschlagen hätte. 9 Hier ist besonders auf die Vorstellung von der formgebenden Kraft des Samens zu verweisen, die das Kind bereits vorgeburtlich prägt und somit die Möglichkeit eröffnet, diese Anlagen im späteren Leben zu entwickeln und ihnen gemäß zu leben; ausführlich s. o. 9.1.2–3, 9.2.3, 9.3.2, 10.3.2 und 10.5.2. 10 Davon, dass es unmöglich sei, ein „zweites Mal“ in den Mutterleib zu gehen und geboren zu werden, spricht nur Nikodemus in Joh 3,4 (s. o. 9.2.3). Zur Deutung von ἄνωθεν (Joh 3,3.7) als „von oben“ siehe ebenfalls 9.2.3.

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völlig negiert und kommt nicht eigens in den Blick. Johanneisch gesprochen, verdient überhaupt nur jenes aus Gottes Wirken hervorgegangene Leben diese Bezeichnung (s. o. 9.1.5). Wird der Gegensatz von „Einst“ und „Jetzt“ dagegen deutlicher herausgestellt, wie es im Ersten Petrusbrief und im Titusbrief geschieht, so spielt auch dort zweifellos eine wichtige Rolle, von welcher besonderen Qualität das durch Gottes Wirken hervorgebrachte (neue) Leben der Christusgläubigen ist. Für die Profilierung dieses neugewonnenen Lebens, nutzen beide Texte aber auch das vorausliegende Leben als Negativfolie. In der Ausgestaltung der Metaphorik wird so auf deutlichere Weise als in den johanneischen Schriften und im Jakobusbrief ein Wendepunkt im Leben markiert. Anders jedoch als in der späteren christlichen Tradition, die die „Wiedergeburt“ als eine Station auf dem Heilsweg versteht (wenn auch mit teils unterschiedlichen Einordnungen; s. o. 1.4) und also als grundlegende Veränderung innerhalb der christlichen Existenz, wird im Ersten Petrusbrief im Einklang mit der Adressatenfiktion (s. o. 10.2) diese Wende klar als eine beschrieben, die von einem heidnischen zu einem christusgläubigen Leben führt. In Entsprechung zu der so erfahrenen Entfremdung von der ursprünglichen Herkunft und Sozialisation spielt im Ersten Petrusbrief die Eingliederung der ursprünglich nicht aus dem Judentum stammenden Adressierten in das bestehende Gottesvolk und die Begründung ihrer Teilhabe an den zuvor nur für Israel geltenden Verheißungen eine große Rolle. Dass sich hierfür der metaphorische Ursprungsbereich Geburt / Zeugung hervorragend eignet, liegt angesichts der Möglichkeiten, mit seiner Hilfe (Volks-)Zugehörigkeit qua Abstammung zu konstruieren, auf der Hand (s. o. 10.7–8). Im Titusbrief, wo besonders durch den Lasterkatalog in Tit 3,3 das frühere Leben der fiktiven Adressierten (einschließlich des fiktiven Verfassers) 11 ebenfalls durch Stereotypen heidnischer Lebensweise beschrieben wird,12 verläuft die Argumentation dagegen anders. Denn die Erwähnung der παλιγγενεσία in Tit 3,5 zielt nicht auf eine solche Eingliederung qua Geburt / Zeugung. Das ist aber kaum überraschend, wenn man sich klar macht, dass mit dem überhaupt nur hier begegnenden Fokuswort παλιγγενεσία 13 eine metaphorische Aussage gestaltet wird, die sich auch sonst von den anderen in Teil III untersuchten Texten abhebt. Denn es fehlen jegliche Kontextsignale, die die weithin übliche Übersetzung von παλιγγενεσία in Tit 3,5 als „Wiedergeburt“ begründen 11 Vgl.

῏Ημεν γάρ ποτε καὶ ἡμεῖς […] am Anfang von Tit 3,3. in Tit 3,3 aufgezählten Handlungsweisen bleiben aber so allgemein, dass sie nicht eindeutig nur als „heidnisch“ zu bestimmen sind. Das passt zu der inklusiven Formulierung (siehe vorige Anmerkung), die den fiktiven Verfasser Paulus mit in dieses „Einst“ einbezieht, und zu der in der Forschung weithin geteilten Einschätzung, dass die „Gemeinden der Past[o­ralbriefe] […] sich aus Heidenchristen, aber auch zu einem erheblichen Teil aus Judenchristen zusammen[setzten]“ (Schnelle, Einleitung 412; vgl. ähnlich z. B. auch Merkel, Pas­toralbriefe 13). 13 Zum einzigen weiteren neutestamentlichen Beleg für παλιγγενεσία in Mt 19,28, der 12 Die

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könnten, und somit auch alle Hinweise auf Aspekte einer neuen familiären Einbindung (s. o. 7.2.1). Vielmehr bietet sich ein allgemeineres Verständnis des Wortes als „Wiederentstehung“ an. Im Gegensatz zu ihrem alten Leben und dessen Verlorenheit bestärkt Tit 3,5 die Christusgläubig-Gewordenen darin, dass sie durch das „Bad der Wiederentstehung und Erneuerung“ die Chance eines völlig neuen Anfangs bekommen haben.14 Dass sie damit auch in eine neue Gemeinschaft eingegliedert sind, wird dagegen weder mit dem (vom Text gar nicht aufgerufenen) Vorstellungsbereich Geburt / Zeugung, noch mit Hilfe des Konzeptes der Wiederentstehung ausgedrückt. Hierzu dient vielmehr die Reinigungsmetaphorik, in die die παλιγγενεσία-Aussage in Tit 3,5 eingebunden ist und die eine Vernetzung des Abschnitts Tit 3,4–7 mit 2,11–14 leistet, wo es heißt, dass „Christus sich ein Eigentumsvolk reinigte“ (2,14; s. o. 8.4). Kein Rekurs auf Zeugung oder Geburt, sondern die „Reinigung“ durch Christus, auf die auch das „Bad der Wiederentstehung“ in Tit 3,5 zurückverweist, macht die Adressierten metaphorisch zu Teilen dieses „Eigentumsvolkes“. Die Einordnung von Tit 3,5 unter den Leitbegriff „Wiedergeburt“ ist daher in besonderer Weise kritisch zu hinterfragen, denn sie lenkt die Wahrnehmung der spezifischen Metaphorik dieses Verses allzu leicht in eine falsche Richtung und überdeckt die Vernetzung mit den reinigungsmetaphorischen Aussagen des unmittelbaren Kontextes.15 Anders als im Ersten Petrusbrief sind die in den johanneischen Schriften und im Jakobusbrief implizierten Leserinnen und Leser als Menschen zu bestimmen, die sowohl aus dem jüdischen als auch aus dem nicht-jüdischen Bereich stammen. Betont wird von den Texten daher, wie oben schon hervorgehoben, nicht die Abgrenzung zu einem „Einst“, das je nach Herkunft unterschiedlich aussehen müsste, sondern ein gänzlich neuer, von Gott bewirkter Ursprung aller, der die neue Gemeinschaft begründet und alle gleichermaßen integriert. Auch hier lässt sich die von den Texten imaginierte Herkunft der Adressierten somit genau korrelieren mit der Art und Weise, wie in den Texten die Konzepte von Geburt bzw. Zeugung metaphorisch eingesetzt werden und welcher Pragmatik sie dienen.16 Die Geburts- / Zeugungsmetaphorik wird außerdem dafür genutzt, dieser neuen Identität einen Namen zu geben. Im Ersten Johannesbrief handelt es sich um die bereits völlig konventionalisiert erscheinende jedoch nicht auf eine grundlegende Veränderung im gegenwärtigen Leben der Adressierten referiert, sondern vielmehr auf endzeitliche Geschehnisse; s. o. 7.2.6. 14 S. o. 8.5.5 mit zeitgenössischen Textbeispielen, die dieses Verständnis stützen. 15 Tit 3,5 müsste somit viel eher als Jak 1,18 eine Sonderstellung im Kreis jener Texte erhalten, die in der Forschungsgeschichte aufgrund ihrer wörtlichen Äquivalente für „Wiedergeburt“ immer wieder zusammengestellt wurden, weil hier keinerlei Vorstellung von „Geburt“ abgerufen wird, während für die Marginalisierung von Jak 1,18 bereits das Fehlen eines Ausdrucks für „wieder“ ausreichte (s. o. Anm. 5). 16 Wiederum geht dieses Verständnis nicht ohne Weiteres konform mit einem konventionell frömmigkeitsgeschichtlich geprägten Konzept von „Wiedergeburt“ als religiöser Wende innerhalb desselben Glaubens.

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Bezeichnung der Adressierten als „aus Gott Gezeugte“ (πᾶς ὁ γεγεννημένος ἐκ τοῦ θεοῦ, 1 Joh 3,9 u. ö.; s. o. 9.3.6). Im Jakobusbrief kann in der Bestimmung der „aus Gottes Willen durch das Wort der Wahrheit“ Geborenen zur ἀπαρχή ein solcher Versuch gesehen werden, alle Adressierten unabhängig von ihrer jeweiligen religiösen Vorprägung gleichermaßen in eine neue Selbstbezeichnung einzubeziehen, die in kreativer Weise an alttestamentlichen Bezeichnungen für Israel anknüpft, diese aber neu zusammenstellt und somit ein Identitätsangebot für Menschen verschiedener Herkunft macht (s. o. 11.9.3). Sichtbar wird zugleich, dass die Geburts- / Zeugungsmetaphorik in den oben untersuchten Texten keineswegs nur dem Ausdruck und der Vergewisserung einer individuellen Erfahrung von Veränderung und Erneuerung des Lebens dient, wie es für ein späteres, frömmigkeitsgeschichtlich geprägtes Verständnis von „Wiedergeburt“ zumeist der Fall ist.17 Es geht vielmehr um die metaphorisch vermittelte Plausibilität, dass mit der Wende zum Christusglauben auch die Eingliederung in eine (neue) Gemeinschaft stattfindet, innerhalb derer das neue Leben Gestalt gewinnen kann. Es geht außerdem darum, einer grundlegenden Veränderung im Leben, die nach außen hin vor allem im (Eintritts-)Ritus der Taufe punktuell sichtbar wurde, in Form der Rückbesinnung auf dieser Wende, auf ihren Urheber und die Folgen bleibende Kraft zu verleihen. Die Geburts- / Zeugungsmetaphorik erweist sich auch hier als produktiv. Sie kann jene durch den Christusglauben neu gewonnene Beziehung zu Gott und das grundlegend veränderte Leben zum einen als jenen Teil eines Geburts- / Zeugungsgeschehens beschreiben, der nicht in der Verfügbarkeit derer liegt, die geboren werden, und der sich einer äußeren Sichtbarkeit partiell entzieht. Sowohl die mitgegebenen Anlagen, die als „(unvergänglicher) Samen“ (1 Petr 1,23; 1 Joh 3,9), als „angeborenes Wort“ (Jak 1,21) oder auch als „Gesicht des Ursprungs“ (Jak 1,23) metaphorisch aufgegriffen werden, als auch die auf diese Weise konstituierte Zugehörigkeit zu einer neuen familiären Gemeinschaft (s. o.) bestimmen dabei in unverfügbarer und unverlierbarer Weise das Dasein der so Gezeugten und Geborenen. Zum anderen lässt sich mit diesem Ursprungsbereich Geburt / Zeugung zugleich der Beginn eines Lebens beschreiben, das es erst noch im Einklang mit dessen Voraussetzungen und Prägungen zu gestalten gilt. Die konkreten Aufforderungen zu einer entsprechenden Lebensweise, die sich im Umfeld der geburts- / zeugungsmetaphorischen Aussagen jeweils finden, weisen deutlich darauf hin.18 Im wahrsten Sinne des Wortes grundlegend

17 Diese „einseitige Ausrichtung auf das Individuum“ (Nüssel, Wiedergeburt 17) wird besonders in der „Wiedergeburts“-Auffassung des Pietismus deutlich und prägt von dorther auch spätere Erweckungsbewegungen und charismatische Frömmigkeitsrichtungen. 18 Vgl. etwa 1 Petr 1,14–17; 2,1; Jak 1,19–22; 1 Joh 3,7–10 etc.; weniger konkret formuliert sind die Aufforderungen des Johannesevangeliums, finden sich im näheren Umfeld der Geburts- / Zeugungsmetaphorik aber indirekt z. B. in der Beschreibung derer, die „den Logos aufnahmen“ (Joh 1,12) oder jener, die „die Wahrheit tun“ (3,21).

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bleibt jedoch das Verhältnis zu jenem durch Gottes Wirken gesetzten Anfang, den die Geburts- / Zeugungsmetaphorik beschreibt.19 Lässt sich das komplexe Verhältnis von Heilsindikativ und -imperativ und die folgenreiche Eingliederung in eine neue Gemeinschaft besonderer Qualität (bzw. Dignität) mit Hilfe der Geburts- / Zeugungsmetaphorik somit zugleich prägnant und in verschiedene Richtungen differenzierbar ausdrücken, warum „zündet“ die Metapher dann erst in den späteren Texten des Neuen Testaments? Reinhard Feldmeier, der diese Frage im Hinblick auf den Ersten Petrusbrief stellt,20 nimmt dabei vor allem das zeit- und religionsgeschichtliche Umfeld mit in den Blick. Wird die Geburts- / Zeugungsmetaphorik von irgendwoher übernommen und erklärt sich ihr Auftreten zu einem bestimmten Zeitpunkt und nur in bestimmten neutestamentlichen Texten auf diese Weise? Feldmeier verweist auf das allgemeine geistige „Klima“ im 1. Jahrhundert n. Chr., in dem sich die Rede von „Wiedergeburt“ offenbar für „religiöse Gruppen ganz unterschiedlicher Provenienz“ 21 als aussagekräftig erwiesen habe, während in der älteren Forschung hier zumeist nur auf die Mysterienreligionen geblickt und eine Anleihe bei dortigen „Wiedergeburts“-Vorstellungen vermutet wurde. Nachweisen lassen sich Anleihen dieser Art jedoch kaum, weil einschlägige Quellenbelege nach wie vor weitgehend fehlen und selbst dann die Frage, warum (und mit welchem inhaltlichen Gewinn) nur wenige neutestamentliche Texte eklektisch Teile solcher Vorstellungen übernommen haben sollten, nicht geklärt wäre (s. o. die Einführung in Teil II). Belegen lässt sich vielmehr, dass Erfahrungen einer allgemeinen Lebensbewahrung oder neuer, unerwarteter Lebensmöglichkeiten in zeitgenössischen Texten durchaus als eine erneute oder zweite Geburt / Zeugung (oder noch allgemeiner als παλιγγενεσία im Sinne einer Wiederentstehung) beschrieben werden können (s. o. 8.5.5). Die vorliegende Untersuchung hat außerdem deutlich gemacht, dass mit der Veränderung der Fragestellung weg von einem fixierten Konzept „Wiedergeburt“ hin zu einem Konzept Geburt / Zeugung ein Ursprungsbereich in den Blick kommt, der sich (auch ohne bereits in konzeptuelle Metaphern eingebunden sein zu müssen) als Ursprungsbereich metaphorischer Aussagen anbietet, weil er auf allseits bekannte Vorgänge rekur19 Im

systematisch-theologischen Teil des TRE-Artikels zu „Wiedergeburt“ benennt Friederike Nüssel einige Punkte, die sie im Umgang mit diesem Begriff in der Gegenwart für „dogmatisch sinnvoll“ hält und die sich hier inhaltlich gut anschließen: „Der Ausdruck Wiedergeburt signalisiert als solcher, daß sich der Mensch nicht selbst zu diesem Geschehen seiner Neukonstitution bestimmen kann. […] Die Aneignung der in der Wiedergeburt geschenkten neuen Existenz ist […] als Prozeß zu verstehen“ (Nüssel, Wiedergeburt 18 f.). Damit bewegt sich Nüssel freilich weniger im „Anschluss an die neutestamentliche Begrifflichkeit“, als sie selbst meint (ebd. 18; Hervorhebung hinzugefügt), vielmehr greift sie Implikationen der neutestamentlichen Metaphorik auf, wie es im Ergebnis der vorliegenden Untersuchung auch als allein sinnvoll und möglich erscheint. 20 Feldmeier, Wiedergeburt 80; s. o. 5.8. 21 Feldmeier, Wiedergeburt 80.

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riert, grundsätzliche Lebenserfahrungen eines breiten Publikums abruft und in seinem Facettenreichtum auf sehr verschiedene Weise einsetzbar ist. Die in Teil III näher untersuchten Texte benutzen also weder eine für ihre Zeit völlig singuläre Metaphorik 22 noch elaborieren sie einen Ursprungsbereich, der so exzeptionell wäre, dass man sein Aufgreifen ausführlich begründen müsste. Die Aussagen in Joh 1,13; 3,3–8; 1 Joh 2,29; 3,9; 4,7; 5,1.4.18; 1 Petr 1,3.23 und Jak 1,18 sind außerdem auch nicht die frühsten neutestamentlichen Zeugnisse für den metaphorischen Gebrauch von Geburt / Zeugung zur Beschreibung von Aspekten des Christusgläubig-Werdens. Hier ist vielmehr auf Paulus zu verweisen, der die entscheidende Wende vom heidnischen Leben zum Christusglauben, die die von ihm Missionierten erlebt haben, ebenfalls mit Hilfe von Geburts- / Zeugungsmetaphorik beschreiben kann.23 Er besetzt die „Rollen“ in diesem Geschehen jedoch signifikant anders und versteht nicht Gott, sondern sich selbst als den Zeugenden und Gebärenden (s. o. 7.2.7). In eine entsprechend andere Richtung zielt dann auch die auf diese Weise von Paulus gestaltete metaphorische Aussage, denn die Gläubig-Gewordenen sind demnach „seine Kinder“ und ihm als „Vater“ und dem von ihm verkündeten Evangelium in besonderer und bleibender Weise verpflichtet.24 Dieselbe Metaphorik dann auch für das Bekehrungsgeschehen im Hinblick auf die Beziehung zu Gott zu verwenden, ist für Paulus damit vermutlich bereits ausgeschlossen.25 Es verwundert somit nicht, dass er für die Deutung der grundlegenden Veränderungen des Lebens, die mit dem Christusgläubig-Werden einhergehen (und die nicht in spezifischer Weise mit dem Verhältnis zu ihm als dem Erstverkündiger des Evangeliums zu tun haben), andere metaphorische Ursprungsbereiche nutzt. Dass der Zielbereich solcher paulinischen Aussagen, wie zum Beispiel jener von der καινὴ κτίσις, die nun an die Stelle des vergangenen alten Seins bzw. der Orientierung an περιτομή und ἀκροβυστία getreten ist (vgl. 2 Kor 5,17; Gal 6,15), jenem der in Teil III untersuchten metaphorischen Aussagen durchaus ähnelt (s. o.), verwundert ebenso wenig. Das heißt aber, wie oben schon gesagt, nicht, dass es deshalb sinnvoll und erkenntnisfördernd 22 Breiter angelegte Quellenstudien zum Gebrauch von Geburts- / Zeugungsmetaphorik in antiken Texten würden hier vermutlich noch weiteres Material zutage fördern, sind aber ein Desiderat (s. o. 7.3). 23 Daneben nutzt Paulus freilich auch andere Ursprungsbereich, z. B. jenen der Schöpfung (2 Kor 5,17; Gal 6,15), der oben bereits kurz erwähnt wurde. 24 Die in Teil III untersuchten Texte, die alle als pseudepigraphisch einzuschätzen sind (und auch aus einer späteren Zeit als die authentischen Paulusbriefe stammen), kennen eine derart exklusive Beziehung zwischen Missionar und Missionierten dagegen nicht. 25 „Kind“ in Bezug auf Gott wird man nach Paulus vielmehr durch göttliche Adoption (vgl. insbesondere die Rede von υἱοθεσία in Röm 8,23). Dass Paulus hierfür gerade nicht die Vorstellung von einer natürlichen, biologischen Geburt / Z ‌ eugung als Ursprungsbereich nutzt, entspricht der kritischen Haltung, die er gegenüber solchen Abstammungsmodellen z. B. in Gal 3 einnimmt, indem er die wahre Abrahamskindschaft gerade nicht genealogisch, sondern auf Gottes Verheißung beruhend konstruiert (vgl. ähnlich auch noch einmal Gal 4,22–31).

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12. Rückblick und Ausblick

wäre, alle diese Texte unter einen Oberbegriff einzureihen. Genauso wenig erweist es sich im Übrigen als geboten, alle metaphorischen Aussagen des Neuen Testaments, die den Ursprungsbereich Geburt / Zeugung nutzen (s. o. 7.2), zusammenzufassen, auch wenn der Vergleich der in Teil III untersuchten Texte mit der von Paulus in 1 Kor 4,15; Gal 4,19 und Phlm 10 eingesetzten Geburts- / ​ Zeugungsmetaphorik partiell aufschlussreich ist. Vielmehr wird hier noch einmal deutlich, wie wichtig es bei der Untersuchung metaphorischer Redeweise ist, sowohl den Ursprungs- als auch den Zielbereich genau im Blick zu behalten (s. o. 1.6–7) und vor allem nicht beide – wie in der „Wiedergeburts“-Forschung so lange geschehen – unter demselben Oberbegriff miteinander zu vermengen. Wichtiger noch, als mögliche Gruppierungen anhand bestimmter Konzepte zu diskutieren, bleibt es jedoch, die Quellentexte selbst in ihrer metaphorischen Lebendigkeit wahrzunehmen (s. o. 1.6.5).

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Stellenregister Altes Testament Genesis 1,2 1,14–19 1,26–27 2,7 3 3,22–24 12 17,7–8 22,1–19 23,4

259 359 365, 388 85, 101, 261, 264–265 357 111 310 331 361 310

Exodus 4,22 13,13 13,15 19,5 19,6 24 24,3–8 24,3 24,7 24,8 34,20

84, 368, 380 361 361 205, 331, 368 332 331–332 331 331 331 331–332 361

Levitikus 11,44 12,2 18,21 19 19,2 19,3 25,2–3

313 85 361 313 313 313 362

Numeri 18,15

361

19 26,52–56 27,1–11

331 309 309

Deuteronomium 4,37–38 4,37 6,10 7,6 7,7 10,15 14,1–2 14,2 26,1–2 26,2 26,18 28,10 30,11–14 30,14 32,6 32,9 ff. 32,15 32,18

309 331 310 205, 368 331 331 84 205, 368 362 362 205, 368 383 367 367, 371 84 84 84 84, 368, 391

2. Samuel 7,14 7,23

84 205

Nehemia 9,7

331

2. Makkabäer 7,11 7,22–23 7,28–29 8,15

85 85 85 383

426 Psalmen 2,7

Stellenregister

22,10–11 32,6 LXX 32,9 LXX 33,9 LXX 36,32 LXX 38,13 LXX 51,12–15 80,16 90,2 110,3 118,43 LXX 118,142 LXX 118,160 LXX 134,6 LXX 135,4 148,5

45, 54, 58, 84, 176–177, 304 304 359 359 330 343 310 111 84 84 84, 176–177 359, 366 360 360 359 368 359

Sprüche 5,15–18 8,22 ff. 17,6 22,21 30,4

260 84 256 359, 366 268

Prediger 11,5 12,10

268 359

Hoheslied 4,12–15

260

Hiob 32,9 38,8 38,28–29

256 84 391

Sapientia Salomonis 2,20 343 7,1–2 233 7,1 281 7,2 233 Sirach 17,2 24,9

241 361

30,1–10 30,1–3 30,4 36,11 43,26

239 239 239 368, 380 359

Psalmen Salomos 16,10 18,4

366 368, 380

Hosea 1,9 2,25 11,4 11,8

331 331 391 391

Joel 3,1–5 3,1–2

199 199

Sacharja 12,10

199

Maleachi 2,6

366

Jesaja 1,2 40 40,6–8 40,6–7 40,6 40,8 40,9 41,8–9 42,14 43,19 43,20–21 44,1–2 44,2 51,1–2 66,7–8

84 162, 323 318, 323, 348–349 316–317 349 320, 323 323 368 304, 391 123 331 368 331 84 84

Jeremia 2,3 31,33 38,9 LXX 38,33 LXX

368, 371, 378–380 367, 371 368, 380 367

427

Stellenregister Ezechiel 36 36,25–28 36,25–27

110, 264 199 110–111, 199

36,25 37 37,23 47,1–12

111 264 205 110–111

Frühjüdische Texte außerhalb der Hebräischen Bibel und der Septuaginta Apokalypse des Mose 36,3 359

Liber antiquitatum biblicarum 35,2 368

Assumptio Mosis 1,13

368, 379

2. Baruch 18,4 77,3

368 368

4. Esra 3,19 5,27 5,43–55 8,8

Philo Aet. 89 ff. Legat. 41 Mos. 2,65 Post. 124 Spec. 4,180 Virt. 208

68 217, 223 63 63, 68, 218 368, 378–380 157

368 368 84 260

1. Henoch 14,1 99,2 104,9–10

366 366 366

Qumran 1 QH IV,19 XI,9–10 XI,19–23 XI,19–21 XII,10 XIX,11

110 260 296 85, 87 367 110

1 QS III,4 III,9 IV,5 IV,21

110 110 110 110

4 Q 504 II,12–14 III,5–6

367 368, 380

Testament Gads 3,1

359, 366

Testament Hiobs 33,8

388

3. Henoch 6,2

259–260

Joseph und Aseneth 15 121 15,5 121 15,7 121 Josephus Ant. 11,66 Bell. 4,484

36, 63, 68, 217, 223 297

Jubiläen 2,19–20

368

428

Stellenregister

Rabbinische Texte 14 39,14

85 310

Avot 3,1

259–260

b Jevamot 22 a 48 b 62 a 97 b

63, 76, 80–83 63, 121 63 80

b Sanhedrin 91 a

85

b Shabbat 105 a

Tanchuma (Buber) 32 a 310

310

Bereshit Rabba 12,5

Wajjiqra Rabba 14

63

Mekhilta deRabbi Shim‘on bar Jochai 101 b 310 Shir HaShirim Rabba 1,3 83

85

Neues Testament Matthäus 1,3 157 1,5–6 157 1,16 157 3,1 ff. 137 3,13 ff. 138 3,16 199 4,17 89 5,14 21 5,15 21–22, 378 5,16 22 5,20 257 6,9 242, 313 6,19–20 308 6,20 308 7,21 257 10,1 241 13,20 374 16,28 257 18,3 56, 65, 88–90, 92, 98, 137–140, 257 19,16 96 19,23–24 257 19,28 3–6, 33, 36, 40–42, 44, 54, 62–64, 87–88

19,28

19,29 23,13 25,34 28,19

92, 95–97, 101, 103, 105–106, 110, 113, 115, 121, 125–126, 137–140, 147, 165, 171, 213, 297, 399 96, 153, 200, 309 257 153, 309 65, 383

Markus 1,4 1,8 1,9–11 1,15 4,1–20 4,3–10 4,3–8 4,13–20 4,14–20 4,14 4,16 9,1 9,47

194 199 396 110, 138 318 318 376 388 318, 376 318 374 257 257

Stellenregister 10,15 10,17 10,23–25 14,24 Lukas 3,22 8,13 9,1 9,27 10,25 11,2 11,20 12,33 17,21 18,17 18,18 18,24–25 20,30 22,28

56, 65, 137–138, 140, 257 153, 200, 256, 309 257 332 54, 138, 140 374 241 257 153, 200, 309 242, 303, 313 252 308 110 56, 137–138, 140, 257 153, 200, 309 257 96 54

Johannes 1 242 1,1 ff. 386 1,5 231 1,9–10 227 1,10–11 231 1,11–13 227, 232 1,11–12 172, 243 1,11 227–232, 236 1,12–18 227 1,12–13 106, 121, 137–138, 140, 158, 225, 227–228, 230–231, 235, 237–238, 240, 243, 255, 274–276, 278 1,12 156–158, 227–232, 235, 237–244, 265, 276, 287, 290, 398, 401 1,13–14 139 1,13 40, 73, 87, 101, 113, 115, 123, 137–138, 140, 145, 156–159, 166, 172–174, 209, 225–245, 254–255

1,13

429

259, 262, 266–267, 272–273, 275–276, 287, 290–291, 294, 317, 386, 395, 397–398, 403 1,14 227, 235, 237, 240, 242–243 1,18 227, 240, 242–243 1,19 246 1,24 246 1,32 263 1,33 263, 275 1,34 227 2,6 246 2,13 246 2,18 246 2,20 246 2,23 247–248, 251–252, 274 3 2, 65, 95, 100–103, 105–107, 110–111, 114, 122, 145, 154–156, 172, 209, 225, 237, 240, 245, 255–256, 259–264, 266, 271, 274 3,1 ff. 245, 251 3,1–21 102–103, 105–106 3,1–12 103, 225–226, 245–276 3,1–11 274 3,1–9 103 3,1–8 245, 271–276 3,1–2 246–249, 274 3,1 246–247, 253 3,2–8 274 3,2 246–252, 268, 270, 274–275 3,3 ff. 33, 40–42, 44–45, 47, 88, 100, 137–141, 208 3,3–12 287 3,3–10 250 3,3–8 73, 121, 154–156, 159, 166, 172–174, 208–209, 220, 224, 226, 233, 242–243, 245, 255, 271–272

430

Stellenregister

Johannes (Fortsetzung) 3,3–8 276, 291, 294–295, 395, 397, 403 3,3–5 92, 257 3,3–4 259 3,3 2, 4–5, 50, 76, 82– 83, 87–89, 92, 98, 105–106, 113, 115, 123, 130, 144–146, 152, 154–156, 161, 172, 174, 209, 225, 229, 240, 249–257, 262, 267–268, 271–276, 290, 385, 396, 398 3,4 9, 100, 145, 154– 156, 172, 226, 245, 250, 252–257, 261, 264, 273–275, 398 3,5–8 273, 276 3,5–6 87, 90, 261 3,5 93, 108–110, 113, 115, 118, 123, 145, 154–156, 172, 208, 225–226, 229, 234, 240, 242–243, 250–252, 257–268, 270–273, 275–276, 290–291, 294 3,6–8 266 3,6 113, 154–157, 172, 258–259, 265–267, 270, 274, 276, 290–291 3,7–8 267–271 3,7 4–5, 50, 76, 82–83, 113, 130, 144–146, 152, 154–156, 161, 172, 174, 209, 225, 251, 253, 267–268, 271–272, 275, 290, 294, 385, 396, 398 3,8–12 259 3,8 87, 113, 115, 154–156, 172, 234, 245, 249, 254, 258, 267–273, 275–276, 290–291 3,9–10 249

3,9 3,10–12 3,10 3,11–13 3,11 3,12–13 3,12 3,13–21 3,13 3,14–15 3,14 3,15–16 3,16 3,19 3,21 3,22 3,23 3,25 ff. 3,25 3,29 3,31 3,32–33 3,36 4 4,2 4,6 4,9 4,14 4,19 4,25 4,29 4,36–37 4,36 4,41 4,45 4,48 5,17 5,19 5,24 5,25 5,27 5,28 5,29 5,40 6,29 6,33 6,41–42 6,44

262, 272–274 273–274 253, 267, 274 265 267–268, 274 253, 274 226, 245, 248, 267–268, 274 246 249, 273–274 264 242, 263, 283 244 229 228 228, 245, 373, 401 246, 263 263 250 250 269 253 228 244 249 263 248 249 244, 265 249 249 249 281 244 249 247 247 249 249 244 269 241 269 196 158 232 249 249 229, 231

431

Stellenregister 6,45 6,50–51 6,53 6,63 7 7,28 7,37–39 7,37 7,38–39

231 249 244 265 264 249 111, 264 264 262, 264–265, 275, 283 7,38 264 7,39 240, 242, 263–264, 273 7,42 281 7,50–51 247–248 8 288 8,23 249, 253 8,31–59 288 8,33 281 8,37 281 8,42 249 8,44 232, 288 8,47 138 10 286 10,1–21 103 10,3–4 269 10,27 269 10,32 249 11,25–26 274 11,25 244–245 12,1–2 228 12,16 240 12,23 240 12,28 269 12,29 269 12,30 249 12,45 241 13,3 249 13,30 248 14,2–3 273 14,6 241 14,26 271 15,1–17 103 15,1–8 286 16,21 237 16,22 237 16,27–38 249 16,30 249 16,33 283

17,2 17,8 18,37 19,11 19,23 19,30 19,33–34 19,34 19,38–42 19,38 20,11–18 20,17 20,19–18 20,22–23 20,22 20,29 20,31

241 249 269 253 253 263–264 283 264–265, 283 248 248 242 237, 240–244 242 264 101, 233, 242, 261, 263–265, 271, 273, 275 242 158, 232, 244

Apostelgeschichte 2,17–18 2,38 3,21 8,14 8,16 8,36 10,34 10,35 10,44 ff. 10,47 11,1 11,26 13,33 14,22 15,13–21 17,11

199 65, 110, 383 54, 113 374 258 65 314 314 199 65 374 289 58 257 342 374

Römerbrief 4,13–14 5,1–5 5,3–4 5,3 6 6,2 ff. 6,3 ff. 6,3–11

202 200 354 355 99, 137–138, 211, 222 138 43, 45, 64, 114, 137, 140 89, 139

432

Stellenregister

Römerbrief (Fortsetzung) 203, 383 6,3 222 6,4–14 294 6,4–8 6,4 37–38, 56, 89, 108, 124, 137, 139, 141–142, 150, 203, 208–209, 221–222, 294, 297 375, 384 6,5 6,6 139 139 6,8 56 6,11 47 6,12 ff. 188 6,17–18 188 6,20–23 7,5–6 188 114 7,6 8,2 56, 137–139 114 8,9 ff. 8,9–11 138 137 8,9 8,10–11 138 56 8,10 65, 138, 140 8,14 ff. 202 8,14–17 115, 137, 140 8,14–15 138–139 8,15–16 137, 142, 202, 241 8,15 8,16–17 202, 243 158, 238 8,16 202 8,17 383 8,18 ff. 382 8,18–25 140 8,23 ff. 115, 137–138, 140, 8,23 202, 241, 382, 403 137 8,29 173 10,17 89, 114, 137–139, 12,2 222 321 12,10 56 13,4 374–375 13,12 99, 138–139, 141, 13,14 150 161, 304 15,6 361 16,5

1. Korintherbrief 1,9 1,13–17 1,13–15 3,1–3 3,6 4,14–16 4,14–15 4,14 4,15 4,16 4,17 6,9–11 6,9–10 6,9 6,11 6,20 9,16 9,24 9,25 10,2 12,13 13,12 15,1–4 15,20 15,23 15,29 15,50 16,15 2. Korintherbrief 1,3 1,22 2,13 3,17 3,18 4,2 4,16 ff. 4,16 5,17

6,7 7,6

65 203 198 328 384 167–168 165 167, 170 109, 113, 137–140, 165–170, 173, 243, 404 167 170 203 153, 309 198 198, 206 315 173 25 25 203 203 389 373 382 382 203 153, 309 361 161, 304 195 183 50, 265 114, 396 360 138 89, 114, 137, 139 38, 43, 45, 54, 56, 89, 99, 108, 114–115, 124, 137–142, 150, 208, 222, 265, 294, 297, 379, 383, 395, 397, 403 359–360, 372 183

433

Stellenregister 7,13 7,14 8,6 8,16 8,23 11,31 12,18 13,13 Galaterbrief 1,2 1,6–7 1,19 2,3 2,9 2,11–14 2,12 2,19 ff. 2,19–20 2,20 3 3,5 3,26–27 3,26 3,27 4,4 ff. 4,4–7 4,4–6 4,4–5 4,5 ff. 4,5–7 4,5 4,6–7 4,6 4,7 4,18–19 4,19–20 4,19 4,20 4,22–31 4,28–29 5,1 5,21

183 183 183 183 183 161, 304 183 65 170 170 342 183 342 343 342 43, 45, 137 137–138 114–115, 137–138, 140, 142 403 137 137 110, 137–139, 141–142, 158 38, 56, 99, 137–139, 141–142, 150, 166, 203, 375, 395 142 65, 137, 139 138 138 114, 140 115, 140, 158 202, 241 243, 296 137 202 138 166, 169–171 113–114, 137–138, 140, 142, 165–166, 168–170, 173, 404 170 403 296 188 153, 309

5,24 6,15

43, 45 56, 89, 99, 108, 114, 124, 137–142, 150, 208, 222, 379, 395, 397, 403

Epheserbrief 1,3 161, 304 1,5 241 1,13 195, 307, 359, 372 1,14 307 2,1–10 199–200 2,1–5 138 2,4–5 294 2,5–6 137–138, 141 2,5 121, 137, 139, 395 2,6 140 2,8 ff. 56, 138 2,8–10 141 2,8 110 2,10 108, 137–138, 377 2,15 108, 379 4,17–19 313 4,22 ff. 137, 140 4,22–25 141–142, 150, 374–375, 395 4,22–24 137–138 4,24 56, 99, 137–139, 379 4,30 195 5,5 153, 309 5,25–33 198 5,25 198 5,26 198, 207–208 6,1 313 Philipperbrief 1,21 2,22

138 170

Kolosserbrief 1,5 2,10 ff. 2,11 ff. 2,11–3,11 2,11–12 2,12–13 2,12 2,13 2,20 ff.

359, 372 138 43, 45, 137 89, 139 137 38, 137, 141 138, 140 139, 395 43, 45, 137

434

Stellenregister

Kolosserbrief (Fortsetzung) 2,29 ff. 43 3,1 ff. 43, 45, 137–138, 141 3,3 137 3,4 138, 141 3,5–8 299 3,7 188, 384 3,8–10 374–375 3,8–9 374 3,9–11 140 3,9–10 56, 137–138, 141–142, 150, 395 3,10 99, 108, 137–139 3,20 313 4,18 343 1. Thessalonicherbrief 1,6 374 2,11 170 2,13 374 4,5 313 4,9 321 1. Timotheusbrief 1,2 170 1,10 204 1,18 170 6,14 190 2. Timotheusbrief 1,2 2,1 2,15 2,23 4,3 4,8

170 170 359, 372 163–164, 171 204 190

Titusbrief 1,1–4 200 1,2 200–201 1,3–4 188 1,4 170 1,5–9 204 1,5 183, 204, 214 1,6–9 204 1,9 204 1,10–16 204 1,10 204 1,11 204

1,12 214 1,13 204 1,14 204 1,15–16 205 1,15 204, 207, 220 1,16 188, 204 2,1 204 2,2–10 204 2,7 188 2,10 187 2,11–14 187–188, 190, 201, 205, 400 2,11–12 187 2,11 187–188, 190, 201 2,12–13 187 2,12 201 2,13 188, 190, 201 2,14 188, 205–207, 220, 400 2,15 188 3 102, 206 3,1–8 184 3,1–7 153, 186–187 3,1–2 62, 184, 187–189 3,1 188–189 3,2 187 3,3 ff. 200 3,3–7 111, 125, 184, 187–189, 199, 201, 203, 222–223, 230, 290, 387 3,3 154, 158, 187–189, 204, 206–207, 210–211, 223, 313, 384, 399 3,4–7 101, 188–203, 205–206, 210, 221, 223–224, 400 3,4–5 188–191, 223 3,4 154, 187–191, 199, 206, 222 3,5 ff. 88 3,5–7 189, 205 3,5–6 197–200, 215, 222, 294 3,5 3–5, 31, 33, 36–37, 40–45, 47, 50, 54, 62, 64–74, 76, 83, 87, 90, 92–93, 95

Stellenregister 3,5

3,6–7 3,6 3,7 3,8 3,14 Philemonbrief 8–9 10 12 13–14 16 17 18

100–103, 105–106, 108, 110–113, 115–116, 118, 121, 123–126, 130–131, 135, 137–141, 144–147, 152–154, 160–162, 165–166, 171, 173–174, 176, 183–224, 290, 294, 297, 395–397, 399, 400 198 154, 188, 197–199, 201 152, 154, 198, 200– 203, 206, 221–222, 307 62, 184, 187–189, 206 188 169 109–110, 113, 137–140, 165–166, 168–170, 173, 404 168–170 168 166, 168–169 169 168

Hebräerbrief 5,12 328 5,13 328 6,4 164 6,6 164 6,7 163–164, 171 6,8 164 8,13 54 10,22 207 11,13 310 12,1 375 13,1 321 Jakobusbrief 1 1,1–18

366 347

1,1 1,2–27 1,2–18 1,2–12 1,2–11 1,2–8 1,2–4 1,2–3 1,2 1,3–4 1,3 1,4 1,5 1,6–8 1,6 1,7 1,8 1,9–11 1,10 1,11 1,12–25 1,12–15 1,12–14 1,12 1,13–5,6 1,13–25 1,13–18 1,13–15 1,13–14 1,13 1,14–15 1,14 1,15

1,16–18 1,16 1,17–18 1,17 1,18–25 1,18

435 342, 344–345, 347, 379–380 347 347 349, 351, 353 347 349 349, 392 349 347–350, 392 348, 354 349, 352, 355 348, 351, 368 348 348 348 348 348, 387 349 348 348–349, 387 347, 353 353 348 347, 349, 351, 353 347 337–338, 341, 347, 352, 370 351 350–351, 359 349 337, 347–350 349, 356 337, 350, 378, 393 147, 162–164, 171, 337–338, 341, 348, 350–358, 366, 370, 376, 378, 384–385, 390–391, 393 353, 370 350–351, 360 349–351 348–351, 358–359, 368, 371, 386, 391, 394 351–353, 358 5, 6, 25, 27, 38, 40–43, 45, 47, 73, 76, 82, 87, 90, 92

436

Stellenregister

Jakobusbrief (Fortsetzung) 1,18 105, 113, 115, 123–124, 137–140, 145, 162–163, 166, 172–174, 176, 208, 294–295, 297, 335, 337–398, 400, 403 1,19 ff. 381 1,19–27 347 1,19–25 353, 367 1,19–22 401 1,19 350–352, 360, 392 1,20 352, 381 1,21 ff. 352 1,21–23 353, 358, 389–390 1,21 137–138, 162, 294– 295, 335, 337–338, 341, 351–352, 358, 363–364, 367, 370, 374–378, 384–387, 390, 393–394, 401 1,22–23 352, 364, 367, 373 1,22 358, 364, 374, 388–389, 394 1,23–25 387–390 1,23–24 337–338, 341, 352, 358, 370, 376, 387, 389–390, 394 1,23 162, 341, 348, 352, 358, 387, 389–390, 394, 401 1,24 387–390 1,25 173, 352–353, 358, 367, 389–390 1,26–27 347, 353 1,27 347, 350, 353 2,1 353 2,5 153 2,7 383 2,14 ff. 343 2,15–16 388 2,17 394 3,8 348 3,9 350 3,13–4,12 348 3,13–18 348 3,16 348 4,2–3 348 4,8 348

5,1 5,6 5,20 1. Petrusbrief 1 1,1–2,10 1,1–2 1,1 1,2 1,3–2,10 1,3–2,3 1,3–25 1,3–12 1,3–5 1,3–4 1,3

1,4–5 1,4

1,5 1,6–9 1,6–7 1,6 1,8 1,9–10 1,9 1,10 ff. 1,10–12 1,10–11

343 343 385 59–60, 100, 102, 109, 160 330–333 298, 310, 320, 332–333 298–301, 311, 330–332, 334, 345 302–305, 313, 331 123 324, 333 327 108, 294, 301 59, 101, 108, 200, 208, 300–311, 313, 316, 324, 332, 336 73, 118, 320, 330 4, 33, 38, 40–45, 47, 50, 65, 76, 82–83, 87–90, 92, 103, 105–106, 108, 110–111, 113–117, 119–121, 124, 130, 137–141, 144–146, 152, 160–162, 166, 172–174, 176, 208– 209, 220, 224, 230, 243, 290, 293–336, 339, 395–397, 403 307–311 59, 114, 119, 145, 160, 202, 298, 304, 307–309, 311, 314, 319, 330, 334–335 301–302, 308, 320, 329–330, 335 108 302, 354 300, 302 302 302 302 312 108 302

Stellenregister 1,12 1,13 1,14 ff. 1,14–21 1,14–19 1,14–17 1,14–16 1,14

1,15–16 1,15 1,16 1,17 1,18–19 1,18 1,19 1,21 1,22–2,3 1,22–2,2 1,22–25 1,22–23 1,22 1,23–25 1,23

1,24–25 1,24

301–302 89, 312, 314–315, 324 387 312 101, 300, 305, 312–315, 317, 333, 335–336 145, 160, 401 315, 320 158, 162, 290, 298– 299, 307, 313–314, 321, 325–326, 329, 334 313 313, 315 313 302, 310, 312–315, 321, 325 315 290, 334 312 315 324, 330 384 315–324 119 317, 319–325, 332, 336 118, 300, 302, 317–320, 324, 336, 349 4–5, 33, 38, 40–45, 47, 50, 65, 73, 76, 82–83, 87–88, 90, 92, 101, 103, 105– 106, 108, 110–111, 113, 115–116, 119–121, 123–124, 130, 137–141, 144– 146, 152, 159–162, 166, 172–174, 176, 208–209, 220, 224, 230, 243, 259, 284, 290, 293–336, 339, 395–398, 401, 403 324, 332 316–317

1,25 2,1–5 2,1–3 2,1–2 2,1 2,2–3 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,9–10 2,9 2,10 2,11 2,12 2,17 2,18 2,19–20 2,19 2,21–24 2,24 2,25 3,1–2 3,6 3,7 3,8 3,9 3,14 3,16 3,17 3,20–21 3,20 3,21 3,22 4,3–4 4,3 4,4 4,8 4,12 4,16 4,17 5,1 5,4

437 162, 316, 319–321, 323–324, 329, 335 137 137, 316, 324–330, 332–333, 335–336 138, 374–375 317, 324, 326–327, 329, 401 118 101, 121, 124, 137– 140, 160–161, 208, 295, 300, 324–330 161, 324, 327, 330 332 332 332 300, 331–333 124, 331–333 298–299, 324, 332 310–311, 322 311 322 314 320 301 301 298 299 314 310 309, 314 322 309, 323 301 311 301 295 295 294–295, 306 308 334 162, 299, 326 300, 322 323 322 300 298 299 307

438

Stellenregister

1. Petrusbrief (Fortsetzung) 5,9 322 5,12 322 5,13 331 2. Petrusbrief 1 1,4 1,5–7 1,7 1. Johannesbrief 1,3 1,6 1,7–2,2 1,8–10 2,5 2,10 2,14 2,20 2,27 2,29

3,1–10 3,1–2 3,1 3,4 3,5 3,6 3,7 ff. 3,7–10 3,7 3,8 3,9–10 3,9

65 65, 113 354 321 65 373 279, 282 57 309 286 286 289 289 40, 58, 73, 87, 113, 115, 137–140, 159, 166, 173–174, 229, 276, 278–280, 282–283, 286–287, 291, 294, 395, 397, 403 108 137–138, 140, 158, 279, 287 139, 243, 287–288 280 281 278, 285–286 58 279–281, 401 279–280, 283, 288 279, 281–282, 288 73, 123, 137–139 38, 40, 43, 57, 87, 113, 137–140, 145, 159, 162, 172–173, 208–209, 229, 259, 276, 278–291, 395, 397, 401, 403

3,10 3,13 4,3–4 4,4 4,6 4,7–8 4,7

4,8 4,10 4,12 4,15 4,16 5,1 ff. 5,1–2 5,1

5,2 5,4–5 5,4

5,6 5,9 5,16–18 5,16 5,18–19 5,18

279–280, 287–288 322 138 279, 286 279, 286 138, 283 40, 73, 87, 113, 137–140, 145, 159, 173, 229, 276–279, 282–283, 285–287, 291, 395, 397, 403 279 283 285–286 285–286 285 138 73, 137–139 38, 40, 87, 113, 123, 137–140, 145, 159, 173, 209, 243, 276–279, 282–283, 285–289, 291, 395, 397, 403 279, 287 138 40, 73, 87, 137–139, 145, 159, 173, 276–278, 282–283, 286–287, 395, 397, 403 283, 289 283 279, 282 282 138 40, 87, 137–139, 145, 159, 173, 208– 209, 243, 276–278, 282, 285, 287–288, 291, 395, 397, 403

Johannesapokalypse 14,4 368 21,1 ff. 383 21,7 202

439

Stellenregister

Frühchristliche Texte außerhalb des Neuen Testaments Barnabasbrief 1,2 6,11 ff. 6,17 9,9

375, 377, 384 76 327–328 375

1. Clemensbrief 13,1 29,3

375 379–380

Clemens Alexandrinus Excerpta ex Theodoto 76–80 103 Paedagogus 1,39,1

328

Hippolyt Refutatio omnium haeresium 4,43 260 Justin Apologia prima 61,3 61,4 61,10 61,12 64,4–5 66,1

198, 208 253 198, 208 198 98 198, 208

Dialogus cum Tryphone 13,1 198 14,1 198 18,2 198 44,4 198 138,2 208 Oden Salomos 8,16 19,1–4

328 328

Polykarpbrief 3,3

354–356

Ps.-Ignatius Epheserbrief 17,2

375, 377

Tatian Oratio 5,3

208

Tertullian De baptismo 5,1

214

Thomasakten 52

259

Weitere antike Texte Aesop Fabulae 384

307

Apuleius Metamorphoses 11 100, 103 11,13 214 11,14 214 11,16 211, 214 11,21 59, 211, 214 11,23 214 11,25 214

Aristoteles De generatione animalium 716 a 5–7 234 729 a 9–13 234 730 b 11–15 284 Historia animalium 586 a 29–30 260 586 b 32–34 260 587 a 6 260

440 Chariton Callirhoe 1,8,1 3,8,9

Stellenregister

217 217

Cicero Epistulae ad Atticum 6,6 63, 68, 217, 223 Corpus Hermeticum 1,17 259 13 102–103, 211, 215 13,1–2 281 13,16 215 De Ogdoade et Enneade (NHC VI,6) p. 58,24–26 215 Euripides Cyclops 333–334

164

Galen De compositione medicamentorum secundum locos 12,517 199 13,83,15 68, 218 De naturalibus facultatibus 3,3 357 In Hippocratis De victu acutorum commentaria 199

Philodemus De ira 2,19

297

Platon De re publica 614 b–621 d 620 b

211 211

Plinius Naturalis historia 18,8

362

Plutarch Cato Maior 20,3

327

De E apud Delphos 389 A 61, 214, 218 De esu carnium 389 A 996 C 998 C

61 68, 211 68, 211

De Iside et Osiride 364 F 61, 68, 214, 218 379 F 68, 211 Lucullus 18,1–2

218, 223

Quaestiones convivales 722 D 63, 217

Gellius Noctes Atticae 12,1

327

Longus Daphnis et Chloe 3,4

217

Lukian Muscae encomium 7 68, 218 Lysis-Brief § 4 § 5

Oribasius Collectiones medicae 45,2,7 218

355 354

Theseus 16,2,5–6

361

Porphyrius De antro nympharum 12 199 Ps.-Galen De theriaca ad Pamphilianum 14,305,10 68, 217, 219

441

Stellenregister Ps.-Plutarch Placita philosophorum 906 C–E 233

Sophokles Electra 62

Sallust De deis et mundo 4,10 214

Soranus Gynaeciorum libri IV 1,57,6 260

68

Seneca Naturales quaestiones 3,30,8 210

Inschriften, Papyri CIL 6,510

100, 211, 214

P. Lond. 3,878 r

63

PGrM 4,719 ff.

100, 211, 214

Sachregister

Bekehrung, Konversion – zum Christusglauben  2, 74, 76, 93, 168–170, 173, 213, 295, 307–308, 324, 369, 382, 384–385, 403 – zum Judentum  81, siehe auch Proselyt – postkonversionale Mahnrede  374 Beschneidung  80–81, 204, 310 Beschreibungssprache  4, 6, 36, 40, 50, 53–54, 61, 63, 65, 91–92, 109, 113, 131, 141, 144, 147, 152, 181, 231, 297, 333, 395, 397–398 Blut – Blut Jesu  264, 331–332 – als Zeugungsstoff  157, 232–234, 290 – Blut des Bundes  205, 331 Bund, Bundesschluss  80, 205, 331–333, 340, 366, 371

Eisbergmetapher  11–12, 14–20, 24 Eltern  17, 82, 162, 169, 233, 242, 314, 356, 392 Endzeit  6, 41–42, 64, 73, 84, 97, 101, 106, 125, 147, 153, 165, 171, 190, 201, 203, 210, 231, 330, 382, 400 Erbe, Erbbesitz (‫ )נַ ֲח ָלה‬59, 114, 119, 145, 152–153, 157, 160, 200–202, 206, 224, 256, 298, 304, 307–311, 314, 331–332, 334, 362 Ernte  281, 376, 379, 381–382 Erstgeborener  82, 84, 240, 361, 368–369, 380, 394 Erstlingsfrucht, -gabe, -opfer  359, 361–363, 365, 371, 378–383, 392 Erwählung  102, 300, 310–311, 331–334, 340, 368–369, 371, 382, 394 Erweckungsbewegungen  293, 401, siehe auch Frömmigkeit, Pietismus Erziehung, Erzieher (παιδαγωγός)  165, 167–168, 239, 314 Eschatologie  36–37, 42, 59, 74, 84, 86–89, 94, 96–97, 101, 105–106, 114–115, 143, 200, 210, 252, 256, 266, 307–308, 311, 320, 333, 339, 367, 379, 382–383, 385 Ethik, ethisches Verhalten – in Differenz zu den Mysterien  47, 71–72 – als Aspekt des neuen Lebens  119, 159, 196, 312, 314, 320, 322, 324, 327, 336, 373–374, 386 – und Gesetz  343, 366 – und Seelenwanderung  211 ewiges Leben  50, 77, 96–97, 152–153, 200–201, 224, 245–246, 256, 264, 271, 309

Diaspora  300–301, 332, 341–346 Dionysos  61, 63, 126, 214, 218

Familie  82, 299, 301, 304, 310, 315, 317, 321–322, 324, 333–334, 400–401

Abraham  310–311, 331 – Abrahamskindschaft  403 Adonis 212 Ähnlichkeit – zwischen Eltern und Kindern  159, 239, 282 – zwischen Gezeugtem und Ursprung 266, 356 – zwischen Gläubigen und Gott  159, 187 Alltagssprache  25, 33, 68, 72, 129, 146 apollinarische Spiele  70–71 Attis  46, 100, 212, 214 Auferstehung  73, 85, 196 – Jesu  59, 90, 107, 123–124, 203, 212, 242–243, 264, 305–307 – der Toten  62, 165 – geistliche Auferstehung  92

Sachregister

443

– familienmetaphorisch  315, 317 Filiationsreihe  163, 350, 352–357, 391, 393 Frömmigkeit  2, 33, 59, 315 – Frömmigkeitsgeschichte  7, 35, 38, 40, 47, 75, 142, 396–397, 400–401

Hermetik  46, 48, 61, 68, 70–71, 102–103, 120, 212, 215–216 Hoffnung (auf neues/erneuertes/ewiges Leben)  59, 87, 89, 119, 152, 200– 201, 224, 256, 298, 304–306, 308, 311, 314, 320, 335, 354

Gehorsam  47, 145, 160, 313, 317, 325, 331–332, 371 Genese  233, 261 – Epigenese  233–234, 254, siehe auch Samen – Pangenesistheorie  233, 254 – Parthenogenese  233–234, 261, 269 Gesetz  50, 82–83, 88, 109, 204, 248, 250, 340, 342, 353, 358, 363, 366–372, 376, 389–390 – Heiligkeitsgesetz  313, 320 – Gesetzlosigkeit, ungesetzlich  205, 355 Gesundung, gesund  1, 204 Gleichnis, gleichnishaft, Gleichnisforschung  8, 13, 268–271, 318 – Gleichnis vom Sämann  374, 376, 388 Gnosis, gnostisch  50, 70, 76, 104, 120, 232, 235, 366 Gottesreich, siehe Reich Gottes

Identität  1, 106, 293, 297, 333–334, 400–401 Immanenz(aussagen)  278, 284–287, 289 Initiation  47, 101, 105, 122, 125, 160, 212–216, 265, 296 Inkarnation  190, 227, 235 Isis  46, 71, 100, 214–215 Israel  84, 94, 124, 176, 236, 256, 253, 256, 267, 274, 281, 300, 309–311, 331, 333, 340, 345, 362, 365, 368–369, 378–380, 394, 399, 401

Heil  25, 120, 124, 143, 202–203, 222, 232, 252, 256, 301, 308, 329, 333, 360, 382 – Heilsaneignung, -erfahrung  2, 7, 120 – Heilsbotschaft, -erzählung  118, 323, 360, 366, 372–374, 377 – Heilsereignis, -vorgang, -wende  66, 124, 126, 143, 190, 206, 210 – Heilserwartung  71 – Heilsgabe, -güter  266, 309 – Heilshandeln, -wille, -zusage  187, 229, 303, 351, 352 – Heilsindikativ  336, 386, 402 – Heilsordnung, -system, -weg, heilsgeschichtlich  7, 87, 190, 340, 399 – Heilsrelevanz, heilsnotwendig  189, 236–237, 243, 274 – Heilsstand  40, 135–136, 212, 393 – Heilstod  373 – Heilsvollendung  101–102 Heiligkeitsgesetz, siehe Gesetz

Kleidungsmetaphorik  324, 375 – Aus- und Anziehen  56, 99, 137–141, 150, 374–375, 395–396 Konversion, siehe Bekehrung Krankheit  1, 68, 217–219 Kult  32, 216, 342, 361–363, 378–379, 381, siehe auch Adonis, Attis, Dionysos, Erstlingsfrucht, Isis, Kybele, Mithras, Mysterien, Osiris, Taurobolium – Kultmetaphorik  25, 379 Kybele  100 Leben, siehe ewiges Leben Magie  37, 59, 70–71 Milch  101, 160–161, 234, 325–330, 330, 335 Mithras  46, 51, 70, 98, 100 – Mithrasliturgie  46, 70–71, siehe auch im Stellenregister unter PGrM Moral, siehe Ethik Mutter  82, 84, 169, 173, 233, 237, 239, 251, 261, 318, 328, 353–355, 391–392 – Mutterleib  9, 83, 168, 175, 233, 246, 251, 254, 257, 264, 357, 398 Mysterien, -religion, -kult  32–33, 37, 45–49, 51–53, 55, 57–64, 69–72, 76, 86–87, 92–93, 98, 100, 102, 104, 106, 114, 118, 125, 129, 146, 153–154,

444

Sachregister

160, 167, 171, 175, 207, 212–216, 218, 220, 296, 328, 402, siehe auch Adonis, Attis, Dionysos, Erstlingsfrucht, Isis, Kult, Kybele, Mithras, Osiris, Taurobolium Neuschöpfung, siehe Schöpfung Neuwerden (des Menschen)  57, 89, 114, 137–140, 142–143, 210, 254, 256, 338 Osiris  61, 63, 68, 126, 212, 214, 218 Paränese  187, 320, 324, 393 – Taufparänese  374, 384 pfingstkirchlich, charismatisch  1–2, 7, 401, siehe auch Frömmigkeit Philo  36, 60–61, 69–70, 165, 211, siehe auch im Stellenregister Pietismus  7, 401, siehe auch Erweckungsbewegungen, Frömmigkeit Prädestination  231–232, 255 Proselyt  64, 310 – als gleichsam Neugeborener  46, 76, 81–86, 88, 121, 213 – Proselytentauchbad  88, 129 Pythagoras, pythagoreisch  63–64, 68, 207, 211 Quellensprache  4, 32, 36, 40, 87, 91, 149, 297, 398 Raummetaphorik  155, 254, 271, 273, 275, 286, 386 Reich Gottes (βασιλεία)  65, 110, 153, 155–156, 240, 245–246, 250–257, 264–266, 268, 271–274, 309 Reinigung, Reinheit  93, 110–111, 143, 197–199, 203–207, 210–211, 214–215, 220–223, 250, 295, 331, 400 – Reinigungsmetaphorik  93, 112, 207, 210, 220, 222, 400 Reinkarnation, siehe Seelenwanderung Religionsgeschichtliche Schule  32, 39, 44, 46–49, 57, 69–70, 79, 125, 212 Rüstungsmetaphorik  375 Samen  90, 101, 120, 145, 160–161, 233–234, 238, 259–261, 265, 281, 283–284, 287, 289, 316–321, 323,

326, 335, 368, 398, 401, siehe auch Genese – Einsamenlehre  233, 237–239, 318 – Zweisamenlehre  233, 318 Schöpfung  83–85, 87, 104, 339–340, 358–359, 361, 363–365, 370–371, 381, 386, 403 – neue Schöpfung  38, 43, 45, 54, 56, 73–74, 79, 81, 83–89, 92, 98–99, 101– 102, 105–108, 111–112, 114–116, 119–121, 123–124, 135, 137–143, 150, 165, 176, 222, 265, 296, 303, 364–365, 379, 382–383, 395–397 – Schöpfungsmetaphorik  83, 111, 114, 297 – Schöpfungsterminologie  265, 363, 370, 378 – schöpfungstheologisch  339–340, 358–360, 363–364, 366, 370–372, 378, 383–384 – Schöpfungswort  359, 363–364, 367, 370, 372 – Geschöpf  88, 285, 359–360, 363, 365, 370, 378, 381–383 – Schöpfer  236, 359–360, 370­­–371, 386–387, 394 Seelenwanderung, Reinkarnation  1, 9, 26, 37, 61, 68–69, 104, 106, 118, 146, 153–154, 207, 211, 213, 216, 218 Sohn, Sohnschaft  82, 84, 157, 202, 238, 239, 296, 309 – Sohn Gottes, Gottessohn(schaft)  58, 76, 264, 269, 280–281 – Menschensohn  246, 252, 269, 373, 274 – Jesus als Sohn  137–140, 229, 237, 240–242, 244, 246, 283, 286, 288 – erstgeborener Sohn  84, 240, siehe auch Erstgeborener – Vater-Sohn-Verhältnis  167, 177, 239, 286, 288, 303, 334, siehe auch Vater Stoa  36, 61–62, 64, 68, 101, 104, 106, 125–126, 129, 146, 153–154, 165, 171, 207, 209–211, 213, 216, 219–220, 363, 377 Symbol  8–9, 26, 51, 102–107, 215, 248, 264

Sachregister Taufe  8, 37, 41, 43, 47, 56, 62, 64–65, 74, 79–81, 90, 93, 100, 102, 108, 110, 113–114, 116, 118, 123–124, 141, 197–200, 202–203, 206, 208–209, 212–213, 221–222, 224, 243, 250, 257–259, 261–267, 272–273, 275–276, 289, 293–297, 306, 322, 324, 330, 332, 364–365, 369, 375, 383–384, 386, 401 – des Johannes  109, 246, 262–263 – Jesu  54, 137–140, 396 Taurobolium  70, 100 Vater  145, 159–160, 162, 237–239, 241, 281–283, 289, 303–304, 310, 313–315, 317–318, 320, 325, 328, 335, 349, 354, 391 – Abraham als Vater  310, 331 – Gott als Vater  22, 84, 161, 202, 237, 241–244, 273, 287–288, 296, 302–304, 313–315, 320, 349–350, 359, 391 – Paulus als Vater  141, 167, 169, 173, 403

445

– Vater-Kind-Verhältnis, Vater-(Kind-) Metaphorik  167, 238, 303, 312, 314–315, 320–321, 335, siehe auch Sohn Vererbung(slehren), siehe Genese Verheißung  96, 110, 153, 242, 309–312, 314, 331–334, 367, 369, 377, 399, 403 Volk  205–206, 313–314, 379, 399–400 – Gottesvolk, Volk Israel, jüdisches Volk  68, 80, 110, 118–119, 165, 205, 217, 236, 288, 300, 310–311, 331–334, 344–345, 365, 368–369, 379–380, 382, 399, siehe auch Israel Wasserritus  213, 215–216 Wellness  1, 117 Weltenbrand (ἐκπύρωσις)  61, 104, 106, 153, 209 Wende, Lebenswende, religiöse Wende 124, 126, 143, 163, 199, 206, 210, 212, 299, 339, 387, 394, 398–401, 403 Wiederentstehung  5, 36, 60–61, 69, 125– 126, 146, 152, 165, 203, 209–211, 216–220, 222–223, 400, 402