Das Eigene und das Fremde: Identität und Fremdheit in den Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck 3050037466, 9783050037462

Das Eigene und das Fremde stellt ein in der Mediävistik zuletzt häufiger, allerdings auch höchst divergent behandeltes T

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German Pages 376 [380] Year 2002

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Table of contents :
1.Einleitung 9
1.1. Die Relationalität von Eigenem und Fremdem 10
1.2. Das Eigene und das Fremde im Mittelalter 11
1.3. Zur Auswahl der Texte 15
1.4. Zur Konkretisierung des Fremdheitsbegriffs 17
1.5. Kollektive Identitäten im Mittelalter 23
1.6. Fragestellung und Vorgehen 27
2. Adam von Bremen und die 'Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum' 30
2.1. Zu Autor und Werk 30
2.2. Die Selbstzuschreibungen Adams von Bremen 38
2.2.1. Das Erzbistum Hamburg-Bremen und die 'christianitas' 39
2.2.1.1. Die Entstehungs- und Frühzeit des Erzbistums Hamburg-Bremen 41
2.2.1.2. Das Erzbistum und die anderen: Konfliktfelder 47
2.2.1.2.1. Abgrenzungen gegenüber anderen Erzbistümern 48
2.2.1.2.2. Die sächsischen Herzöge 51
2.2.1.2.3. Die 'legatio gentium' 56
(a) Bischofsweihen 58
(b) Reisen 64
2.2.2. Reich und Region 72
2.2.2.1. 'Regnum' und 'Imperium' 73
2.2.2.2. 'Saxonia' und 'Saxones' 78
2.2.2.2.1. Die geo-ethnographische Einbindung Sachsens in die 'Gesta' 79
2.2.2.2.2. Sachsen und seine Bewohner 81
2.2.3. Ergebnisse 86
2.3. Die Fremdzuschreibungen Adams von Bremen 89
2.3.1. Die Strukturierung des geographischen Raumes 91
2.3.2. 'Nordalbingia' und 'Nordalbingi' 96
2.3.3. 'Sclavania' und 'Sclavi' 98
2.3.4. Dania und Dani 103
2.3.5. Der 'alter mundus' 110
2.3.5.1. 'Sueonia', 'Sueones' und die 'monstra' am Ende der Welt 113
2.3.5.2. 'Norguegia', 'Nortmanni' und die 'insulae' im Ozean 125
2.4. Zusammenfassung 135
3. Helmold von Bosau und die 'Chronica Slavorum' 138
3.1. Zu Autor und Werk 138
3.2. Die Selbstzuschreibungen Helmolds von Bosau 147
3.2.1. Das Bistum Oldenburg/Lübeck und die 'christianitas' 147
3.2.1.1. Die Gründung des Bistums Oldenburg 148
3.2.1.2. Die Bischöfe von Oldenburg/Lübeck 151
3.2.1.2.1. Slawenmission in Krisenzeiten 151
3.2.1.2.2. Die Bischöfe Vizelin und Gerold 154
3.2.1.2.3. Das Investiturproblem: Konfliktlinien 158
3.2.2. Reich und Region 168
3.2.2.1. 'Regnum' und 'Imperium' 169
3.2.2.2. 'Saxonia' und 'Saxones' 175
3.2.2.2.1. Die Herzöge von Sachsen 178
3.2.2.2.2. Herzog Heinrich der Löwe 180
3.2.2.3. Holstein-Stormarn und die 'Wagira' 186
3.2.3. Ergebnisse 192
3.3. Die Fremdzuschreibungen Helmolds von Bosau 195
3.3.1. 'Nordalbingia', 'Nordalbingi' und 'Holzati' 196
3.3.2. 'Dania' und 'Dani' 200
3.3.3. 'Slavania' und 'Slavi' 204
3.3.3.1. 'Slavania' - Die Strukturierung des geographischen Raumes 206
3.3.3.2. Kennzeichen des Fremden 208
3.3.3.3. 'Pruci' und 'Rani' 215
3.4. Zusammenfassung 219
4. Arnold von Lübeck und die 'Chronica Slavorum' 223
4.1. Zu Autor und Werk 223
4.2. Die Selbstzuschreibungen Arnolds von Lübeck 231
4.2.1. Die Bistümer, das Johanniskloster und die 'christianitas' 231
4.2.1.1. Die Bischöfe von Lübeck 232
4.2.1.2. "Äußere" Konflikte: Das Erzbistum Hamburg-Bremen und Herzog Bernhard von Sachsen 234
4.2.1.3. Das benediktinische Mönchtum - 'monachi' und 'canonici' 237
4.2.1.4. "Innere" Konflikte: Das Kloster St. Johannis 243
4.2.1.5. Die 'christianitas' und die Kreuzzüge 246
4.2.1.6. Die Livlandkreuzzüge und der Adressat der Chronik 253
4.2.2. Reich und Region 254
4.2.2.1. 'Regnum' und 'Imperium' 256
4.2.2.2. 'Saxonia', 'Nordalbingia' und 'civitas' 265
4.2.3. Ergebnisse 277
4.3. Die Fremdzuschreibungen Arnolds von Lübeck 281
4.3.1. 'Nordalbingia' und 'Nordalbingi' 282
4.3.2. 'Dania' und 'Dani' 285
4.3.3. 'Sclavia' und 'Sclavi' 287
4.3.4. Die 'peregrinatio' Heinrichs des Löwen 291
4.3.5. Die Kreuzzüge Friedrichs I. und Heinrichs VI. ins Heilige Land 309
4.3.6. Der Brief Konrads von Querfurt 316
4.3.7. Der Reisebericht Burchards von Straßburg 320
4.4. Zusammenfassung 328
5. Fazit 332
Anhang 341
Abkürzungsverzeichnis 341
Quellen- und Darstellungsverzeichnis 344
Register 370
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Das Eigene und das Fremde: Identität und Fremdheit in den Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck
 3050037466, 9783050037462

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Volker Scior Das

Eigene und das Fremde

Orbis mediaevalis

Herausgegeben von Hans-Werner Goetz Wilfried Hartmann Peter Segl Helmut G. Walther

Volker Scior

Das

Eigene und das Fremde

Identität und Fremdheit in den Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck

Í^K T^y Akademie

Verlag

Gedruckt mit

Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. D

Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. -

ISBN 3-05-003746-6 ISSN 1438-8669

© Akademie Das

Verlag GmbH, Berlin 2002

eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Photokopie. Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. -

-

Einbandgestaltung:

Jochen Baltzer Druck: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH. Bad Bindung: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach

Gedruckt in Deutschland

Langensalza

18

Vorwort

vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2002 Philosophie und Geschichtswissenschaft der Universität Hamburg

Die

am

Fachbereich

als Dissertation Prof. Dr. Hansden Besuch Seminaren bei Sie wurde durch Herrn von angenommen. Werner Goetz angeregt, der trotz vielfältiger beruflicher Belastungen die Arbeit hervorragend und mit sehr großem Engagement betreut hat, in allen Phasen der Dissertation ein offenes Ohr hatte und Rat wußte. Ihm gilt daher auch mein erster Dank, sowohl für seine Tätigkeit als kritischer akademischer Lehrer mit dem Mut zu neuen Methoden in der mediävistischen Geschichtswissenschaft als auch für die zahlreichen Anregungen und Diskussionen, die sich auf das Thema der Dissertation bezogen. Wenngleich die Arbeit wesentlich auf mein Studium in Hamburg zurückgeht und dort betreut wurde, so entstand sie doch mit Hilfe eines von der DFG finanzierten Doktorandenstipendiums im Rahmen des Graduiertenkollegs „Reiseliteratur und Kulturanthropologie" an der Universität Paderborn. Aus diesem Kreis danke ich besonders meinem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Jörg Jarnut, der mich ebenfalls mit sehr großem Engagement betreut und in allen Phasen der Arbeit mit Rat und Tat unterstützt hat. Daß die vorliegende Untersuchung interdisziplinäre Forschungen einbezieht und kulturwissenschaftlich orientiert ist, habe ich wesentlich den zahlreichen Veranstaltungen und Diskussionen im Graduiertenkolleg zu verdanken, die eine Schärfung des eigenen theoretischen und methodischen Blickwinkels ermöglichten. Aus dem Kreis der Paderborner Professoren möchte ich besonders die langjährige Sprecherin des Kollegs, Frau Prof. Dr. Renate Schlesier, wegen ihres unermüdlichen Einsatzes für das Gelingen der Arbeit hervorheben, der sich von fruchtbaren Gesprächen über zentrale Begriffe, von Theorie- und Methodendiskussionen bis hin zu kleinsten Korrekturen erstreckte. Ihr sei dafür ebenso gedankt wie ihrem Stellvertreter, Herrn Prof. Dr. Ernst Bremer, der sich ebenfalls als wichtiger Ansprechpartner erwies und von dessen Anregungen ich wie von denen der anderen beteiligten Professoren und auch der Kollegiaten, die ich nicht alle namentlich aufzählen möchte, sehr profitiert habe. Für das Erscheinen der Dissertation in der Reihe Orbis mediaevalis danke ich den Herausgebern, Prof. Dr. Hans-Werner Goetz, Prof. Dr. Wilfried Hartmann (Tübingen), Prof. Dr. Peter Segl (Bayreuth) und Prof. Dr. Helmut G. Walther (Jena), die sich für eine rasche Aufnahme entscheiden konnten, sowie dem Lektor des Akademie Verlags, Herrn Manfred Karras, durch den ich mich bei der Drucklegung sehr gut betreut gefühlt habe. Mein letzter, dafür aber besonders ausdrücklicher Dank gebührt denjenigen, die sich mit dem Lesen der Arbeit in den unterschiedlichen Stadien und, zuweilen auch unter Zeitdruck, mit den Korrekturen beschäftigt haben. Ihre Anregungen haben an zahlreichen Stellen Eingang in die Untersuchung gefunden. Hier sind Frank Glashoff, Markus Späth, Andreas Mohr und last not least meine Frau Britta zu nennen. Gewidmet sei die Arbeit meinen Eltern. -

-

-

Inhalt

1. EINLEITUNG.9 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5. 1.6.

Die Relationalst von Eigenem und Fremdem.10 Das Eigene und das Fremde im Mittelalter.11 Zur Auswahl der Texte.15 Zur Konkretisierung des Fremdheitsbegriffs.17 Kollektive Identitäten im Mittelalter.23 Fragestellung und Vorgehen.27

2. Adam von Bremen und die Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum.30 2.1. Zu Autor und Werk.30

2.2. Die

Selbstzuschreibungen Adams von Bremen.38

2.2.1. Das Erzbistum Hamburg-Bremen und die christianitas.39 2.2.1.1. Die Entstehungs- und Frühzeit des Erzbistums Hamburg-Bremen.41 2.2.1.2. Das Erzbistum und die anderen: Konfliktfelder.47 2.2.1.2.1. Abgrenzungen gegenüber anderen Erzbistümern.48 2.2.1.2.2. Die sächsischen Herzöge.51 2.2.1.2.3. Die legatio gentium.56 (a) Bischofsweihen.58

(b) Reisen.64

2.2.2. Reich und Region.72 2.2.2.1. Regnum und Imperium.73 2.2.2.2. Saxonia und Saxones.78 2.2.2.2.1. Die geo-ethnographische Einbindung Sachsens in die Gesta.79 2.2.2.2.2. Sachsen und seine Bewohner.81 2.2.3. Ergebnisse.86

2.3. Die

Fremdzuschreibungen Adams von Bremen.89

2.3.1. Die Strukturierung des geographischen Raumes.91 2.3.2. Nordalbingia und Nordalbingi.96 2.3.3. Sclavania und Sclavi.98

2.3.4. Dania und Dani.103 2.3.5. Der alter mundus.110 2.3.5.1. Sueonia, Sueones und die monstra am Ende der Welt.113 2.3.5.2. Norguegia, Nortmanni und die insulae im Ozean.125

2.4.

Zusammenfassung.135

3. Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum.138 3.1. Zu Autor und Werk.138

3.2. Die

Selbstzuschreibungen Helmolds von Bosau.147

3.2.1. Das Bistum Oldenburg/Lübeck und die christianitas.147 3.2.1.1. Die Gründung des Bistums Oldenburg.148 3.2.1.2. Die Bischöfe von Oldenburg/Lübeck.151 3.2.1.2.1. Slawenmission in Krisenzeiten.151 3.2.1.2.2. Die Bischöfe Vizelin und Gerold.154 3.2.1.2.3. Das Investiturproblem: Konfliktlinien.158 3.2.2. Reich und Region.168 3.2.2.1. Regnum und Imperium.169 3.2.2.2. Saxonia und Saxones.175 3.2.2.2.1. Die Herzöge von Sachsen.178 3.2.2.2.2. Herzog Heinrich der Löwe.180 3.2.2.3. Holstein-Stormarn und die Wagira.186 3.2.3. Ergebnisse.192

3.3. Die

Fremdzuschreibungen Helmolds von Bosau.195

3.3.1. Nordalbingia, Nordalbingi und Holzati.196 3.3.2. Dania und Dani.200 3.3.3. Slavania und Slavi.204 3.3.3.1. Slavania -Die Strukturierung des geographischen Raumes.206 3.3.3.2. Kennzeichen des Fremden.208 3.3.3.3. Pruci und Rani.215

3.4.

Zusammenfassung.219

4. Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum.223 4.1. Zu Autor und Werk.223

4.2. Die

Selbstzuschreibungen Arnolds von Lübeck.231

4.2.1. Die Bistümer, das Johanniskloster und die christianitas.231 4.2.1.1. Die Bischöfe von Lübeck.232 4.2.1.2. „Äußere" Konflikte: Das Erzbistum Hamburg-Bremen und Herzog Bernhard von Sachsen.234 4.2.1.3. Das benediktinische Mönchtum -monachi und canonici.237 4.2.1.4. „Innere" Konflikte: Das Kloster St. Johannis.243 4.2.1.5. Die christianitas und die Kreuzzüge.246 4.2.1.6. Die Livlandkreuzzüge und der Adressat der Chronik.253 4.2.2. Reich und Region.254 4.2.2.1. Regnum und Imperium.256 4.2.2.2. Saxonia, Nordalbingia und civitas.265 4.2.3. Ergebnisse.277

4.3. Die 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.3.4. 4.3.5. 4.3.6. 4.3.7.

4.4.

Fremdzuschreibungen Arnolds von Lübeck.281

Nordalbingia und Nordalbingi.282 Dania ww&Dani.285

Sclavia und Sclavi.287 Dieperegrinatio Heinrichs des Löwen.291 Die Kreuzzüge Friedrichs I. und Heinrichs VI. ins Heilige Land.309 Der Brief Konrads von Querfurt.316 Der Reisebericht Burchards von Straßburg.320

Zusammenfassung.328

5. Fazit.332

Register.

Einleitung

1.

Mit dem Thema Das Eigene und das Fremde haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Untersuchungen in verschiedenen Disziplinen beschäftigt.' Zwar werden diese Arbeiten gemeinhin unter dem Begriff Fremdheitsforschung zusammengefaßt, jedoch zeichnen sie sich vor allem durch eine große Uneinheitlichkeit aus, die nicht nur darin begründet liegt, daß sich verschiedene Wissenschaften mit unterschiedlichen Traditionen und Erkenntnisinteressen dem Thema widmen. Die Untersuchungen divergieren auch innerhalb einzelner Disziplinen sowohl hinsichtlich ihrer methodischen Herangehensweisen als auch in der Verwendung zentraler Begriffe wie dem der Fremdheit. In Anbetracht der Forschungsflut kann deshalb kaum noch von einem eng umgrenzten Thema gesprochen werden als vielmehr von einem weiteren Themenkreis, in dem Eigene(s) und Fremde(s) lediglich häufig verwendete Termini unter zahlreichen weiteren darstellen. Trotz dieser Heterogenität der Forschung gibt es jedoch durchaus Aspekte, die als Bestandteile eines Konsenses bezeichnet werden können und den Ausgangspunkt theoretischer Überlegungen zur vorliegenden Arbeit bilden. Sie werden im folgenden skizziert und anhand der Mittelalterforschung konkretisiert, um hieraus Ziele, Fragestellung und Vorgehen der Untersuchung abzuleiten. etwa die folgenden Studien und interdisziplinären Sammelbände: Faszination und Schrecken des Fremden, hg. v. Rolf-Peter Janz, Frankfurt a.M. 2001; Horst Stenger, Soziale und kulturelle Fremdheit. Zur Differenzierung von Fremdheitserfahrungen am Beispiel ostdeutscher Wissenschaftler, in: Zs. f. Soziologie 27 (1998), S. 18-38; Europa und das Fremde. Die Entwicklung von Wahrnehmungsmustern, Einstellungen und Reaktionsweisen in der Geschichte unserer Kultur. Dokumentation einer Tagung der Evang. Akad. Loccum v. 25. bis 27. April 1997, hg. v. Jörg Calließ (Loccumer Protokolle 11/1997), Loccum 1998; Hartmut Kugler, Das Eigene aus der Fremde. Über Herkunftssagen der Franken, Sachsen und Bayern, in: Interregionalität der deutschen Literatur im europäischen Mittelalter, hg. v. Dems., Berlin-New York 1995, S. 175-193; Kulturthema Fremdheit. Leitbegriffe und Problemfelder kulturwissenschaftlicher Fremdheitsforschung, hg. v. Alois Wierlacher (Kulturthemen 1), München 1993; Friedhelm Guttandin, Die Relevanz des hermeneutischen Verstehens für eine Soziologie des Fremden, in: „Wirklichkeit" im Deutungsprozeß. Verstehen und Methoden in den Kultur- und Sozialwissenschaften, hg. v. Thomas Jung u. Stefan Müller-Doohm, Frankfurt a.M. 1993, S. 458-481; Das Fremde Aneignung und Ausgrenzung. Eine interdisziplinäre Erörterung, hg. v. Günter Einer u. Otto Saame, Wien 1991; Das Begehren des Fremden, hg. v. L.J. Bonny Duala-M'bedy (Beitrr. z. Xenologie 1; Tagungsber. 1991 d. Kaiserswerther Inst. f. Xenologie), Essen 1992; Peter J. Brenner, Die Erfahrung der Fremde. Zur Entwicklung einer Wahrnehmungsform in der Geschichte des Reiseberichts, in: Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur, hg. v. Dems., Frankfurt a.M. 1989, S. 14-49; Das Fremde und das Eigene. Prolegomena zu einer interkulturellen Germanistik, hg. v. Alois Wierlacher (Publl. d. Ges. f. Interkult. Germanistik 1), München 1985; Karlheinz Ohle, Das Ich und das Andere. Grundzüge einer Soziologie des Fremden (Sozialwissenschaftl. Studd. Schriftenreihe d. Seminars f. Sozialwiss. d. Univ. Hamburg 15), Stuttgart 1978; Ina-Maria Greverus, Kultur und Alltagswelt. Eine Einführung in Fragen der Kulturanthropologie, München 1978.

Vgl.

-

Einleitung

10

1.1.

Die Relationalität von Eigenem und Fremdem

Die Feststellung Peter J. Brenners von 1990, es gebe bislang kaum einen Versuch, den Terminus des Fremden präzise zu definieren,2 gilt auch noch heute. Nun kann das Fehlen einer allgemeingültigen Begriffsbestimmung zwar neben den angeführten Aspekten als eine der Ursachen für die Heterogenität der Forschung angesehen werden, jedoch scheint die Vielfalt der verwendeten Definitionen nachgerade aus einem Forschungskonsens erwachsen zu sein, denn es ist in zahlreichen Arbeiten hervorgehoben worden, daß die Benennung fremd grundsätzlich weder objektiv noch subjektiv einheitlich bestimmt ist.3 Der Begriff fremd ist, für sich allein genommen, überhaupt nicht zu definieren. Vielmehr kann das Fremde immer nur relational gedacht werden: Fremd ist keine Eigenschaft von Personen oder Gegenständen, sondern vielmehr Ausdruck einer Beziehung zu ihnen.4 Daher kann fremd immer nur etwas in Bezug zu einem Vergleichspunkt nicht-fremd sein. Hier bildet die Einsicht in die Wechselwirkung zwischen dem Fremden und dem Eigenen einen Grundkonsens der Forschung: Eigen und fremd sind als relationale Kategorien anzusehen, denn „die Definitionen des Eigenen und des Fremden greifen ineinander: Das eine wird im Hinblick auf das andere definiert und umgekehrt".5 Diese Relationalität von Eigenem und Fremdem ist auch in einem weiteren interdisziplinären Forschungsstrang betont worden, der mit der Thematik des Fremden eng verbunden ist und sich, verstärkt seit den 1980er Jahren, mit Identitäten beschäftigt hat.6 Auch die Identitätsforschung zeichnet sich durch eine große ...

2

3

Peter J. Brenner, Der Reisebericht in der deutschen Literatur. Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte (Internat. Archiv f. Sozialgesch. d. dt. Lit., Sonderheft 2), Tübingen 1990, S. 26. Vgl. z. B. das Vorwort von Eifler u. Saame, in: Das Fremde Aneignung und Ausgrenzung, S. 12: „Die generalisierende Rede über das Fremde erweckt leicht den falschen Eindruck, als handele es sich um ein einheitliches objektives Tatbestandsmerkmal, das in der gleichfalls für einheitlich gehaltenen Perspektive eines Erfahrungssubjektes eben als fremd interpretiert wird. In Wirklichkeit kann man weder objektiv noch subjektiv von einheitlicher Bestimmtheit sprechen." Vgl. etwa Ortfried Schäffter, Modi des Fremderlebens. Deutungsmuster im Umgang mit Fremdheit, in: Das Fremde. Erfahrungsmöglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung, hg. v. Dems., Opladen 1991, S. 11-42, der S. 13 Fremdheit als „Beziehungsmodus" definiert, „mit dem wir externen Phänomenen begegnen". Zur Relationalität des Fremden vgl. bereits Georg Simmel, Exkurs über den Fremden, in: Der Gast, der bleibt. Dimensionen von Georg Simmeis Analyse des Fremdseins, hg. v. Almut Loycke (Ed. Pandora 9), Frankfurt a.M.-New York 1992, S. 9-16 (zuerst 1908). Justin Stagl, Grade der Fremdheit, in: Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit, hg. v. Herfried Münkler (Studd. u. Materialien d. Interdiszipl. Arbeitsgruppe ,Die Herausforderung durch das Fremde' d. Berlin-Brandenburg. Akad. d. Wiss.), Berlin 1997, S. 85-114, hier S. 93; Alois Wierlacher, Kulturwissenschaftliche Xenologie. Ausgangslage, Leitbegriffe und Problemfelder, in: Kulturthema Fremdheit, S. 19-112, hier S. 63; vgl. a. Ohle, S. 64. Vgl. neuerdings etwa die Beiträge in den interdisziplinären Sammelbänden Kulturelle Identität. Über den Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung und Zukunftserwartung für die Konstruktion Kollektiver Identitäten, hg. v. Steffen Bründel (Les travaux du Centre Marc Bloch 18), Berlin 2000; Das Bild vom Anderen. Identitäten, Mentalitäten, Mythen und Stereotypen in multiethnischen europäischen Regionen, hg. v. Valeria Heuberger, Arnold Suppan u. Elisabeth Vyslonzil, 2., durchges. Aufl., Frankfurt a.M. 1999; Grenzgänger zwischen Kulturen, hg. v. Monika Fludernik u. Hans-Joachim Gehrke (Identitäten und Alteritäten 1), Würzburg 1999 sowie Jan -

'

6

11

Das Eigene und das Fremde

Heterogenität aus, und wie in der Fremdheitsforschung sind zentrale Begriffe durch einen „sehr hohe[n] Grad an Dunkelheit und Problemverwirrung" gekennzeichnet.7 Jedoch herrscht auch hier wenngleich unter anderer Perspektive Übereinstimmung hinsichtlich des angesprochenen Zusammenhangs zwischen dem Eigenen und dem Fremden: So wird hervorgehoben, daß die Konfrontation mit Fremdem eine Bedingung für das Herausbilden der eigenen Identität darstellt und die Begegnung mit Fremdem geradezu eine Voraussetzung für das Erkennen des Eigenen bildet. -

-

1.2.

Das

Eigene und das Fremde im Mittelalter

Die Grundeinsicht der interdisziplinären Forschung in den Zusammenhang zwischen dem Eigenen und dem Fremden hat auch Eingang in geschichtswissenschaftliche Arbeiten gefunden.8 In ihnen hat sich gegenüber älteren Untersuchungen, deren Interesse in erster Linie darauf zielte, aus mittelalterlichen Texten die Geschichte und Lebensverhältnisse fremder Völker zu rekonstruieren, ein Perspektivwechsel vollzogen: Vor allem mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen boten einen veränderten Zugang, indem sie den Blickwinkel von den Beschriebenen auf die Schreibenden verlagerten: Ausgehend von der Feststellung, daß Texte mehr über ihre Verfasser und deren kulturelle Bindungen aussagen als über die Beschriebenen und deren Lebenswelt, belegten zahlreiche Untersuchungen den Zusammenhang zwischen dem Eigenen und dem Fremden auf konkrete Weise. Sie zeigten auf, daß das jeweilige Eigene als „wahrnehmungs- und urteilskonstituierendes Muster bei der Erfahrung des Fremden" mitwirkt.10 Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992 u. Identity: Personal and Socio-Cultural, A Symposium,

hg. v. Anita Jacobson-Widding (Acta Universitatis Upsaliensis; Uppsala Studies in Cultural Anthropology 5), Stockholm 1983. Dieter Henrich, „Identität" Begriffe, Probleme, Grenzen, in: Identität, hg. v. Odo Marquard u. Karlheinz Stierte (PuH 8), München 1979, S. 133-186, hier S. 133 zur Verwendung des Identitätsbegriffs in der Forschung. Zur Übertragbarkeit des Terminus .Identität' auf das Mittelalter vgl. -

unten. etwa Die Begegnung mit dem Fremden. Wertungen und Wirkungen in Hochkulturen vom Altertum bis zur Gegenwart, hg. v. Meinhard Schuster (Colloquia Raurica 4), Stuttgart-Leipzig 1996. Zu dem Thema als Schwerpunkt der Hist. Anthropologie vgl. Gert Dressel, Historische Anthropologie. Eine Einführung, Wien-Köln-Weimar 1996, bes. S. 128-132 u. 180-184. Für die Neuzeit vgl. den Überblick bei Albrecht Classen, Das Fremde und das Eigene, Neuzeit, in: Euro-

Vgl.

päische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen

in

Einzeldarstellungen, hg. v.

Peter Dinzelbacher,

Stuttgart 1993, S. 429-450. Abzulesen ist diese Haltung beispielsweise und letztlich nationalistischen Motiven

an den heftigen, mit großer Emotionalität geführten entspringenden Auseinandersetzungen um Helmold von

Bosaus sogenannte „Slawenchronik". Vgl. dazu unten, Kap. 3.1. Michael Harbsmeier, Reisebeschreibungen als mentalitätsgeschichtliche Quellen: Überlegungen zu einer historisch-anthropologischen Untersuchung frühneuzeitlicher deutscher Reisebeschreibungen, in: Reiseberichte als Quellen europäischer Kulturgeschichte. Aufgaben und Möglichkeiten der historischen Reiseforschung, hg. v. Antoni Maczak u. Hans Jürgen Teuteberg (Wolfenbütteler Forsch. 21), Wolfenbüttel 1982, S. 1-31; vgl. a. Bernd Thum, Frühformen des Umgangs mit,Fremdem' und ,Fremden' in der Literatur des Hochmittelalters. Der ,Parzival' Wolframs von Eschenbach als Beispiel, in: Das Mittelalter unsere fremde Vergangenheit. Beitrr. d. -

Einleitung

12

Das Interesse der Mediävistik an der Thematik des Fremden äußert sich in einer großen Anzahl von Arbeiten." Fast ausnahmslos widmeten sich diese den mittelalterlichen Darstellungen entfernter, außereuropäischer Fremde. Zunächst naheliegend, wurden hauptsächlich Reise-, Pilger- und Gesandtenberichte mit ihrer Vielzahl von Angaben über Fremde ausgewertet. Wenngleich sich auch die mediävistische Forschung durch eine große Heterogenität, durch die Verwendung unterschiedlicher Fremdheitsbegriffe und unterschiedliche Erkenntnisinteressen auszeichnet,12 so lassen sich doch im Hinblick auf die behandelten Untersuchungs(zeit)räume deutliche Priori-

Stuttgarter Tagung v. 17. bis 19. Sept. 1987, hg. v. Joachim Kuolt, Harald Kleinschmidt u. Peter Dinzelbacher (Flugschrr. d. Volkshochschule Stuttgart, N.F. 6), Stuttgart 1990, S. 315-352, hier S. 317: „Die Definition des ,Fremden' beinhaltet also immer auch eine offene oder verschwiegene Definition des ,Eigenen'". Vgl. a. Brenner, Reisebericht, S. 27 mit Verweis auf den Zweig der Interkulturellen Germanistik. Vgl. etwa Christian LObke, Fremde im östlichen Europa. Von Gesellschaften ohne Staat zu verstaatlichten Gesellschaften (9.-11. Jahrhundert) (OVG 23), Köln-Weimar-Wien 2001; HansHenning Kortüm, Advena sum apud te et peregrinus. Fremdheit als Strukturelement mittelalterlicher conditio humana, in: Exil, Fremdheit und Ausgrenzung in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. v. Andreas Bihrer, Sven Limbeck u. Paul Gerhard Schmidt (Identitäten u. Alteritäten 4), Würzburg 2000, S. 115-135; Marina Münkler, Erfahrung des Fremden. Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhunderts, Berlin 2000; Dies. u. Werner Röcke, Der orcto-Gedanke und die Hermeneutik der Fremde im Mittelalter: Die Auseinandersetzung mit den monströsen Völkern des Erdrandes, in: Die Herausforderung durch das Fremde, hg. v. Herfried Münkler (Interdiszipl. Arbeitsgruppe ,Die Herausforderung durch das Fremde' [Interdiszipl. Arbeitsgruppen, Forschungsberr. 5, hg. v. d. Berlin-Brandenburg. Akad. d. Wiss.]), Berlin 1998, S. 701-766; The Stranger in Medieval Society, hg. v. F.R.P. Akehurst u. Stephanie Cain Van D'Elden (Medieval Cultures 12), Minneapolis, Minn. 1998; Fremdheit und Reisen im Mittelalter, hg. v. Irene Erfen u. Karl.-Heinz Spieß, Stuttgart 1997; Fremdes wahrnehmen fremdes Wahrnehmen. Studien zur Geschichte der Wahrnehmung und zur Begegnung von Kulturen in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. v. Wolfgang Harms u. C. Stephen Jaeger, Stuttgart-Leipzig 1997; Felicitas Schmieder, Europa und die Fremden. Die Mongolen im Urteil des Abendlandes vom 13. bis in das 15. Jahrhundert (BzGQdMA 16), Sigmaringen 1994; Lutz von Padberg, Unus populus ex diversis gentibus. Gentilismus und Einheit im früheren Mittelalter, in: Der Umgang mit dem Fremden in der Vormoderne. Studien zur Akkulturation in bildungshistorischer Sicht, hg. v. Christoph Lüth, Rudolf W. Keck u. Erhard Wiersing (Beitrr. z. Hist. Bildungsforsch. 17), Köln-Weimar-Wien 1997, S. 155-193; Ders., Geschichtsschreibung und kulturelles Gedächtnis. Formen der Vergangenheitswahrnehmung in der hochmittelalterlichen Historiographie am Beispiel von Thietmar von Merseburg, Adam von Bremen und Helmold von Bosau, in: ZfK 105 (1994), S. 156-177; vgl. a. die Beitrr. in: Die Begegnung des Westens mit dem Osten, Kongreßakten des 4. Symposions des Mediävistenverbandes in Köln 1991 aus Anlaß des 1000. Todesjahres der Kaiserin Theophanu, hg. v. Odilo Engels u. Peter Schreiner, Sigmaringen 1993; Gerd Tellenbach, Eigene und fremde Geschichte. Eine Studie zur Geschichte der europäischen Historiographie, vorzüglich im 15. und 16. Jahrhundert, in: Landesgeschichte und Geistesgeschichte. FS f. Otto Herding z. 65. Geb., hg. v. Kaspar Elm, Eberhard Gönner u. Eugen Hillenbrand (Veröffentll. d. Komm. f. geschichtl. Landeskunde in Baden-Württemberg B 92), Stuttgart 1977, S. 295-316. Dies bemängelt z. B. Harry KÜHNEL, Das Fremde und das Eigene. Mittelalter, in: Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen, hg. v. Peter Dinzelbacher, Stuttgart 1993, S. 415-428, hier S. 415; vgl. a. Klaus Herbers, Papst Nikolaus I. und Patriarch Photios. Das Bild des byzantinischen Gegners in lateinischen Quellen, in: Die Begegnung des Westens mit dem Osten, S. 51-74, hier S. 52f. u. 55. -

Das

13

Eigene und das Fremde

täten ausmachen: Denn besondere

Berücksichtigung

fanden

aufgrund

der

günstigen

Überlieferungssituation spätmittelalterliche Berichte über Asien, namentlich über China

Mongolen, sowie über Arabien und das Heilige Land.13 Bis in die jüngste Vergangenheit hinein hat die Forschung bei der Behandlung mittelalterlicher Auseinandersetzungen mit dem Fremden hauptsächlich zwei Blickrichtungen verfolgt: Zum einen maß sie Fremddarstellungen an ihrem Realistischen Gehalt'. Dies zeigt sich besonders deutlich, aber keineswegs ausschließlich, in der Beurteilung mittelalterlicher Beschreibungen der monstra am Ende der Welt, bei der sich die (modernen) Geister an der Frage schieden, ob diese als fabulös oder realistisch zu gelten habe.14 Zum anderen untersuchte die Forschung die mittelalterliche Toleranz gegenüber Fremden, die Fähigkeit, Fremdes anzuerkennen und dadurch überhaupt erst als solches wahrzunehmen. Meist fielen die Beurteilungen negativ aus,15 mit der Folge, daß ,das mittelalterliche Weltbild' durch zwei Aspekte gekennzeichnet wurde: durch einen radikalen Ethnozentrismus,16 der die Anerkennung des Fremden unmöglich gemacht habe, und durch die Unfähigkeit, Wirkliches von Unwirklichem zu unterscheiden oder gar Erfahrungswissen der Tradition vorzuziehen. Damit entstand in der Forschung der Eindruck einer insgesamt monolithischen Sichtweise ,des Mittelalters' auf,das Fremde'. Diese Ansicht wurde noch durch Äußerungen wie diejenige Harry KÜHNELs verfestigt, der Gegensatz von Eigenem und Fremdem manifestiere sich von der Antike bis zum Mittelalter „als eine starre soziale, kulturelle und vor allem auch religiöse Entgegensetzung".17 Es stellt sich jedoch die Frage, ob die skizzierten Ergebnisse, die gängige Forschungsmeinungen darstellen, in ihrem generalisierenden Anspruch überhaupt ,das mittelalterliche Weltbild' charakterisieren oder ob sie nicht eher als eine Folge theoretiund die

scher und methodischer Prämissen anzusehen

sind, die einer differenzierten Sichtweise

Vgl. etwa Rainer Christoph Schwinges, Die Wahrnehmung des Anderen durch Geschichtsschreibung. Muslime und Christen im Spiegel der Werke Wilhelms von Tyrus (f 1186) und Rodrigo Ximénez' de Rada (f 1247), in: Toleranz im Mittelalter, hg. v. Alexander Patschovsky u. Harald Zimmermann (VuF 45), Sigmaringen 1998, S. 101-127; Gert Melville, Die Wahrheit des Eigenen und die Wirklichkeit des Fremden. Über frühe Augenzeugen des osmanischen Reiches, in: Europa und die osmanische Expansion im ausgehenden Mittelalter, hg. v. Franz-Reiner Erkens (ZHF, Beih. 20), Berlin 1997, S. 79-101; Axel Klopprogge, Ursprung und Ausprägung des abendländischen Mongolenbildes im 13. Jahrhundert. Ein Versuch zur Ideengeschichte des Mittelalters (Asiatische Forsch. 122), Wiesbaden 1993; Reinhold Jandesek, Das fremde China. Berichte europäischer Reisender des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Weltbild u. Kulturbegegnung 3), Pfaffenweiler 1992; Ders., Der Umgang mit dem „Fremden" in den Berichten mit-

14

15

16 17

telalterlicher Chinareisender, in: Die Begegnung des Westens mit dem Osten, S. 89-98; Folker E. Reichert, Begegnungen mit China. Die Entdeckung Ostasiens im Mittelalter (BzGQdMA 15), Sigmaringen 1992; s.a. die in Anm. 11 aufgeführten Arbeiten v. Münkler u. Schmieder. Vgl. zur Kritik dieser Forschungshaltung Münkler/ Röcke u. unten, Kap. 2.3.5.1. Das Messen mittelalterlicher Darstellungen an einem nach modernen Kriterien bestimmten, vermeintlich objektiven Realitätsgehalt betrifft ebenso die Beschreibungen von Sitten, Verhaltensweisen u. Aussehen Fremder wie auch geograph. Angaben (zu letzteren vgl. unten). Vgl. z. B. Bernd Thum, der (S. 349) pauschal die m.E. fragwürdige Ansicht vertritt, im Mittelalter sei Fremdes zwar erkannt und benannt, aber durch Analogiebildung und „ein universalistisches Konzept von Menschheit und Kultur vereinnahmt" oder gar „vernichtet" worden.

Vgl. z.B. Kühnel, S. 415 u. 419.

Kühnel, S. 415, der hier Bezug nimmt auf ein Zitat Peter J. Brenners, Erfahrung, S. 19.

Einleitung

14 von

vornherein hinderlich sind. Denn es erscheint bereits problematisch, mittelalterliche

Textaussagen an einer (angeblich) objektiven Wirklichkeit oder heutigen Toleranzvorstellungen zu messen.18 Beiden Zugangsweisen ist die unreflektierte Übertragung moderner Begriffe und Sichtweisen auf das Mittelalter gemeinsam. Nicht selten wird daher in Studien auch der Eindruck einer zivilisatorischen Weiterentwicklung von der archaischen, ethnozentrisehen und intoleranten zur modernen, toleranten Welt-Gesellschaft vermittelt.19 Die Behauptung einer typisch mittelalterlichen, monolithischen Sicht auf das Fremde und, im Umkehrschluß, einer ebenso typischen, statischen Identität,

speist sich also auch aus dem wertbeladenen Vergleich zweier ,Epochen'. Zudem unterliegt die Forschung jedoch auch einem theoretisch-logischen Fehlschluß: In ihrem Allgemeingültigkeitsanspruch suggeriert diese Ansicht, daß grundsätzlich alle mittelalterlichen Individuen dieselbe Auffassung vom Eigenen und Fremden hatten. Dies

erscheint nicht nur äußerst unwahrscheinlich, es würde im Umkehrschluß sogar bedeuten, daß man ganz im Gegensatz zu dem überzeugenden Grundkonsens der Forschung sehr wohl zu einer objektiven Definition von Identität und Fremdheit im Mittelalter gelangen könnte. Vor dem Hintergrund dieser Forschungssituation scheint es dringend geboten, sich dem Thema des Eigenen und des Fremden auf differenziertere Weise zu widmen. Um Aussagen über mittelalterliche Fremddarstellungen zu treffen, ist der Blick deutlicher als bislang geschehen zunächst einmal auf mittelalterlichen Texte, ihr Umfeld und ihre Verfasser zu richten. Denn um zu generalisierenden Aussagen über typisch mittelalterliche Einstellungen gegenüber dem Fremdem zu gelangen, ist grundsätzlich von den Vorstellungen einzelner Autoren, von ihren Auffassungen vom Eigenen und vom Fremden auszugehen. Ausgerechnet an solchen Studien aber fehlt es. Hier setzt die vorliegende Arbeit an, die sich somit auch als Beitrag zur Geschichte hochmittelalterlicher Vorstellungen versteht.20 Sie geht von der grundsätzlichen Relationalität des Eigenen und des Fremden aus und fragt nach dem Verhältnis beider in den Darstellungen hochmittelalterlicher Autoren. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Untersuchung möglicher Funktionen von Fremdbeschreibungen. Es scheint erstaunlich, daß die mediävistische Fremdheitsforschung den Gründen, aus denen Fremde auf eine bestimmte Art und Weise dargestellt wurden, bislang kaum einmal Beachtung -

-

in: Toleranz im Mittelalter. Thum, S. 349-351, sieht im Vergleich zum Mittelalter einen m.E. in Zweifel zu ziehenden Unterschied in der modernen Einstellung gegenüber anderen Kulturen, denen heute grundsätzlich eine eigene existentielle Qualität zugestanden werde. Zudem betrachtet er die von ihm konstatierte Differenz rückblickend (und m.E. ebenso zweifelhaft) unter dem Aspekt der zivilisatorischen Weiter- (und Besser-)entwicklung (vgl. z. B. S. 349, wo er von „Erkenntnisfortschritt" spricht). Diese Behauptung hält allerdings einer Überprüfung an heutigen fremdenfeindlichen Einstellungen oder an der Haltung zahlreicher Pauschaltouristen kaum stand. Zum Ansatz vgl. Hans-Werner Goetz, „Vorstellungsgeschichte": Menschliche Vorstellungen und Meinungen als Dimension der Vergangenheit. Bemerkungen zu einem jüngeren Arbeitsfeld der Geschichtswissenschaft als Beitrag zu einer Methodik der Quellenauswertung, in: AKG 61 (1979), S. 253-271; vgl. a. Ders., Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung, Darmstadt 1999, S. 264-276 sowie Hans-Henning Kortüm, Menschen und Mentalitäten. Einführung in Vorstellungswelten des Mittelalters, Berlin 1996.

Vgl. dagegen zum mittelalterl. Toleranzbegriff (in theoret. Schriften) die Beitrr.

Das Eigene und das Fremde

15

geschenkt hat. Zur Differenzierung des skizzierten Forschungsbildes bietet sich eine Einbeziehung dieses Aspekts geradezu an, da eine etwaige, potentiell durchaus unterschiedlich denkbare Funktionalisierung der Fremde direkt auf das jeweilige Eigene verweist. So sind die Gründe für die jeweiligen Fremdbeschreibungen als ein Bindeglied zwischen dem Fremden und dem Eigenen anzusehen. Im Gegensatz zu Untersuchungen, die das ,Bild' einer Fremdgruppe über einen längeren Zeitraum hinweg behandeln (und damit häufig a priori bestimmen, was unter Fremde[n] zu verstehen ist), fokussiert die vorliegende Arbeit auf die Darstellung der Fremde(n) in ihrer Vielschichtigkeit. Stärker als bisher ist deshalb den Äußerungen mittelalterlicher Autoren selbst Rechnung zu tragen und das Hauptaugenmerk auf ihre Vorstellungen vom Fremden zu legen. Da die Forschung die Relationalität zwischen Eigenem und Fremdem herausgestellt und überzeugend geltend gemacht hat, daß das Eigene bei der Betrachtung der Fremde als Folie dient, ohne welche Fremddarstellungen nicht erklärt werden können, ist zudem dasjenige in die Untersuchung einzubeziehen, was die Verfasser als ihr Eigenes ansehen. Auch hinsichtlich des jeweiligen Eigenen wird entgegen der überwiegenden Forschungsmeinung von einer prinzipiell möglichen Komplexität ausgegangen. Daher ist das, was jeweils als fremd und eigen aufgefaßt wird, erst zu eruieren. Im Unterschied zu den oben skizzierten Äußerungen, welche als repräsentativ für den gegenwärtigen Forschungsstand gelten können, ist die vorliegende Untersuchung nicht darauf angelegt, zu allgemeingültigen Ergebnissen für ,das Mittelalter' zu gelangen, im Gegenteil: Zur Überprüfung der verfestigten Forschungsmeinung von einer typisch mittelalterlichen Einstellung gegenüber dem Fremden muß vielmehr eine detaillierte Betrachtung einzelner Texte erfolgen, die nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch Unterschiede im Verhältnis von Eigenem und Fremdem in den Blick nimmt. Auf diese Weise will die vorliegende Arbeit Möglichkeiten hochmittelalterlicher Fremddarstellungen aufzeigen und diese durch die Rückbindung an das jeweilige Eigene erklären. Denn so können überhaupt erst unterschiedliche Ausformungen von Fremdheit und Identität in den Blickpunkt geraten. Damit dient die Untersuchung zugleich der notwendigen Differenzierung des in der Forschung erweckten Eindrucks von einem statischen mittelalterlichen Weltbild.

1.3.

Zur Auswahl der Texte

Im Mittelpunkt der Arbeit stehen drei Werke aus der Zeit zwischen dem Ende des 11. und dem Anfang des 13. Jahrhunderts: die Hamburgische Kirchengeschichte Adams von Bremen21 (ca. 1075/80), die sogenannte „Slawenchronik" Helmolds von Bosau22 (1168/72) und die Chronik Arnolds von Lübeck23 (1210). Sie eignen sich in besonderem Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis Ecclesiae Pontificum, ed. Bernhard Schmeidler, MGH SSrG 2, Hannover-Leipzig 31917 (ND 1993). Helmold von Bosau, Chronica Slavorum, ed. Bernhard Schmeidler, MGH SSrG 32, Hannover 31937, S. 1-218. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SSrG 14, Hannover 1868 (ND 1995); ed. Johann Martin Lappenberg, MGH SS 21, Hannover 1869 (ND Leipzig 1925), S. 100-250.

16

Einleitung

Maße für eine Untersuchung über das Eigene und das Fremde, da die bisherige Forschung mehrfach aus der verhältnismäßig ausführlichen Behandlung fremder Länder und Völkerschaften auf ein besonders großes Interesse der Autoren an der Fremde geschlossen hat,24 ohne die Thematik des Fremden in den Werken jedoch auch inhaltlich zu untersuchen. Ein Vergleich dieser Texte bietet sich in mehrfacher Hinsicht an: 1. entstammen sie alle dem

Hochmittelalter, das in der Forschung vielfach als Auf-

bruchsepoche bezeichnet wurde,

auch weil die Begegnung mit Fremden durch den aufkommenden Fernhandel stark anstieg. Für diesen Zeitraum liegen zudem keine vergleichbaren Arbeiten vor. 2. entstanden die Texte im Norden des regnum, einer Region, die sich im Untersuchungszeitraum einerseits durch die Möglichkeit zu Kontakten mit Fremden infolge fortschreitender Missionierung und Besiedelung auszeichnete, andererseits als Sphäre konkurrierender Interessen verschiedener Länder gekennzeichnet war. Daher berichten die Autoren in einem hohen Maß über eine Vielzahl von religiösen, ethnischen, (prä)nationalen und anderen Gegensätzen. 3. handelt es sich bei den drei Texten um Chroniken. Sie wurden nicht vorrangig in der Absicht verfaßt, über Fremde zu berichten, weisen jedoch eine gemeinsame historiographische Grundstruktur auf. 4. nehmen Fremddarstellungen in allen drei Werken einen großen Raum ein. Adam von Bremen reiste gar, wenn man ihm Glauben schenken darf, zum dänischen König Svend Estridson, um Informationen über die von ihm beschriebenen Regionen in Erfahrung zu bringen. Er bietet insbesondere in seinem vierten Buch eine Beschreibung Nord- und Nordosteuropas bis zum Ende der Welt und nennt, in einer für das 11. Jahrhundert einzigartigen Ausführlichkeit, über einhundert dem christlichen Europa' teilweise unbekannte Ländern und Völkerschaften. Helmold von Bosau, der von sich behauptet, den Lübecker Bischof auf einer Visitationsreise in slawisch besiedelte Gebiete begleitet zu haben, trifft eine engere Auswahl, indem er sich im wesentlichen auf die Beschreibung der Slavi und Dani beschränkt. Ein Vergleich mit Adam von Bremen ist methodisch zwingend, da die Forschung nachgewiesen hat, daß die Hamburgische Kirchengeschichte Helmolds Hauptquelle für seine ethnographischen Berichte und für die Schilderung der Ereignisse bis 1066 darstellt.25 Arnold von Lübeck schließlich, der nach seiner Selbstaussage die Chronik Helmolds für unvollendet hielt und sie fortsetzen wollte, nimmt die ansässigen Slavi in den Blickpunkt, richtet sein Augenmerk jedoch auch auf die Dania, die Livonia (Livland) und entferntere Regionen im Mittelmeerraum. Ein Vergleich mit dem nur rund vierzig Jahre zuvor schreibenden Helmold ist schon deshalb von Interesse, weil die fortgeschrittene Mission sich auf die Bewertungen der Slavi und die machtpolitischen Veränderungen im südlichen Ostseeraum auf die Bewertungen der Dani ausgewirkt haben könnte. Bieten so sämtliche hier angeführte Texte Angaben über Westslawen und Dänen, so sind doch auch wesentliche Unterschiede in der Auswahl der beschriebenen Fremde festzustellen, die jeweils zu begründen sind. Sämtliche Untersuchungen über die Thematik des Fremden stehen vor dem Problem Tellenbach, S. 300; vonPadberg, Geschichtsschreibung, S. 165.

Vgl. dazu unten, Kap. 3.1.

17

Das Eigene und das Fremde

Fremdheitsbegriffs, dessen mannigfaltige Verwendung, wie ein wesentliches Merkmal auch der mediävistischen Forschung eingangs erwähnt, darstellt. Die Unmöglichkeit einer allgemeingültigen Definition der/s Fremde/n und aufgrund der Relationalität beider Begriffe der/s Eigenen muß indes nicht dazu führen, daß man sich, wie es zuweilen geschieht, dem Definitionsproblem gänzlich entzieht oder den Begriff fremd durch die Aneinanderreihung von Termini ersetzt.26 Schon aus dem Ziel, einen Beitrag zur Differenzierung des Forschungsstandes leisten zu wollen, ergibt sich für die vorliegende Arbeit die methodische Notwendigkeit, Fremdbezeichnungen und -konzeptionen der hier behandelten Autoren zu erfassen und nicht, wie in vielen Fällen, von einer geradezu selbstverständlich anmutenden Gegenüberstellung der eigenen europäischen Welt und der außereuropäischen Fremde einer Definition des

-

-

auszugehen.27 1.4.

Zur Konkretisierung des

Fremdheitsbegriffs

jüngeren interdisziplinären Fremdheitsforschung ist besonders ein räumlicher Aspekt von Fremdheit hervorgehoben worden: Danach wird alles außerhalb der Eigensphäre einer Gruppe Liegende als fremd aufgefaßt.28 Von diesem Aspekt ausgeIn der

hend kann der Terminus fremd unterschiedlich bestimmt und etwa zur rechtlichen, ethnischen oder religiösen Kategorisierung angewandt werden, je nachdem, was als das bestimmende Kennzeichen des Gruppe angesehen wird.29 Auch im räumlichen Aspekt

Vgl. z. B. August Nitschke, Das Fremde und das Eigene, in: Grundkurs Geschichte. Der Mensch in elementaren Situationen, hg. v. Dems. u. Peter Schmoock, Weinheim-Basel 1993, S. 251-280. Die Gegenüberstellung von eigener europäischer und fremder außereuropäischer Welt erscheint in ihrer Selbstverständlichkeit zunächst einmal modern, wenngleich für das Deutungsschema christl. Europa versus Nichteuropa der Einschnitt im 13. Jh. und seine Folgen für den geographischen Orientierungsrahmen des lat. Westens zu bedenken sind. Der Bedeutungsgehalt des Terminus Europa für die hier behandelte Zeit, auch in Abgrenzung zu anderen Begriffen, bedürfte noch einer eingehenden Untersuchung (s. dazu bislang Basileios Karageorgos, Der Begriff Europa im Hoch- und Spätmittelalter, in: DA 48 [1992], S. 137-164; für die frühere Zeit vgl. Jürgen Fischer, Oriens Occidens Europa. Begriff und Gedanke „Europa" in der späten Antike und im frühen Mittelalter [Veröffentll. d. Inst. f. Europ. Gesch. Mainz 15; Abt. Universalgesch.], Wiesbaden 1957). Zudem mündet die Gegenüberstellung eines eigenen Europa und eines fremden Außereuropa auffallend häufig in die Umgehung einer Definition des komplexen Fremdheits- u. Identitätsbegriffs. Ein paradigmatisches Beispiel bildet die Arbeit Ekkehard Witthoffs, Grenzen der Kultur. Differenzwahrnehmung in Randbereichen (Irland, Lappland, Rußland) und europäische Identität in der Frühen Neuzeit (EuHSchrr 111/ 758), Frankfurt a.M. 1997, in der von einer europ. Identität gesprochen wird, ohne zu klären, was das Europäische denn eigentlich ausmacht. Vgl. hierzu u. zum Folgenden etwa Münkler/ Röcke, S. 710; Schäffter, S. 14; Stagl, S. 88f. sowie Klaus E. Müller, Das magische Universum der Identität. Elementarformen sozialen Verhaltens. Ein ethnologischer Grundriß, Frankfurt a.M. 1987, bes. S. 141. Im weitesten Sinne wäre hier sogar all jenes fremd, was außerhalb eines ,Ich' liegt. Geht man von einer rechtlich, ethnisch oder religiös bestimmten Definition aus, wäre der Fremde ein von den jeweiligen, sich nach diesen Kriterien definierenden Gruppen Ausgeschlossener. Vgl. z.B. LÜBKE, Fremde, S. 109f, der sich für eine Kombination der einzelnen Kategorien ausspricht. Die von ihm als sehr weitgefaßt bezeichnete .soziale Definition', nach der unter dem Fremden das Nichtmitglied einer Eigengruppe verstanden wird, bildet letztlich eine übergeordnete -

-

18

Einleitung

Fremdheit, der sich in der Trennung zwischen innen und außen manifestiert, kommt eine identitätsstiftende Differenz zwischen eigen und fremd zum Tragen. Daraus folgt ein weiteres wesentliches Merkmal der Benennung ,fremd': Durch das Fremde wird das Eigene in Frage gestellt. Dadurch kann sowohl die Abgrenzung nach außen erhöht und zugleich die eigene Identität nach innen gefestigt werden.30 Das Eigene wird als Normalität gegenüber dem Fremden begriffen und in der Regel als Normativität gedeutet. Das Fremde als das außerhalb Liegende zeichnet sich daher sowohl durch NichtZugehörigkeit als auch durch Unvertrautheit aus.31 Die Bedeutung von fremd als außerhalb mit den Aspekten NichtZugehörigkeit und Unvertrautheit wird, wie Marina MÜNKLER und Werner RÖCKE dargelegt haben, besonders im lateinischen Begriff extraneus faßbar.32 Er bezieht sich in seinen Steigerungsformen auf außerhalb liegende, entfernte und deshalb unvertraute Räume. So kann der unvertraute Raum als die Fremde bezeichnet werden; er ist Versammlungsraum des Fremden. Resultiert aus der geographischen Distanz kulturelle Unvertrautheit, so ist das Fremde Ausdruck dieser kultureller Unvertrautheit. In den hier untersuchten Texten sind zudem weitere lateinische Begriffe, die diesem Bedeutungsgehalt entsprechen können, als Äquivalente für die Bezeichnung ,fremd' anzusehen.33 MÜNKLER/ RÖCKE haben zudem einen weiteren Aspekt hervorgehoben: Die .tatsächliche' Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft besteht nur aus der Sicht der Mitglieder dieser Gruppe. Auf der Ebene der Selbst- und Fremdbeschreibungen in Texten ist jedoch weniger diese .tatsächliche' Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit von Bedeutung als vielmehr die Begrifflichkeit, mittels derer die Selbst- und Fremdbeschreibung geleistet wird.34 Damit ist ein für die vorliegende Arbeit entscheidender Aspekt angesprochen, der dem Konstruktcharakter von Fremdheit Rechnung trägt:35 von

Mit Jerzy Strzelcyk, Die Wahrnehmung des Fremden im mittelalterlichen Polen, in: Die Begegnung des Westens mit dem Osten, S. 203-220, hier S. 200 ¡st gegen LÜbke, Fremde, S. 109 Anm. 524 an einer religiös determinierten Definition von Fremdheit festzuhalten. Es ist nicht einzusehen, warum Lübke diese explizit unter eine ethnische Definition subsumiert. Die alleinige Konzentration auf das spätmittelalterl. ,Fremdenrecht' im Lexikon des Mittelalters (vgl. Jürgen Weitzel, Art. Fremde, -nrecht, in: LMA 4, München-Zürich 1989,

Begriffsbestimmung.

Spp. 909f.) entspricht keineswegs mehr dem Forschungsstand der Mediävistik. In der vorliegenden Arbeit, die gerade nach der Fremde in ihrer Vielschichtigkeit fragt, schließt sich die alleinige Betrachtung einer der genannten Kategorien aus. Vgl. zu diesem Aspekt z. B. Ohle, bes. S. 28. Denkbar sind auch andere Varianten wie etwa die 31

33

Assimilierung. Vgl. MÜNKLER/RÖCKE, S. 71 Of. Ebd.: Er kann sich als Gegenbegriff zu domesticus auf nahe wie ferne Räume beziehen, erhält aber in seinen Steigerungsformen exterior und extremus die Bedeutung ,fern'. Neben extraneus kommen hierfür z. B. advena, alienigenus, alius, alienus, barbarus, peregrinus in Betracht, die allerdings ganz verschiedene Bedeutungsgehalte haben können u. auch in unterschied!. Traditionen stehen. Keinesfalls ist also immer eine einfache Gleichsetzung mit ,fremd' möglich; vielmehr wird auf die Verwendung solcher Termini durch die hier behandelten Autoren unter Berücksichtigung des Kontextes an einzelnen Stellen der folgenden Untersuchung hingewiesen.

34 35

Münkler/Röcke, S. 712.

Vgl.

etwa

Joachim Kuolt

UNSERE FREMDE

u.

Harald Kleinschmidt in ihrem Vorwort, in: Das Mittelalter

VERGANGENHEIT, S.U.

-

19

Das Eigene und das Fremde

Fremdheit existiert nicht, sie wird zugeschrieben, und daher ist es präziser, im folgenden auch von Fremdzuschreibungen der hier behandelten Autoren zu sprechen. Grundsätzlich können binär strukturierte, gegenbegriffliche Ordnungen von komplementärbegrifflichen Ordnungen unterschieden werden.36 Die Gegenüberstellung von eigen-fremd im Sinne von zugehörig-nichtzugehörig als gegenbegriffliche Ordnung hat für die Beschreibung des Fremden in der Regel zur Folge, daß sie das Fremde als negatives Gegenbild der eigenen Ordnung erscheinen läßt.37 Demgegenüber kann die komplementärbegriffliche Unterscheidung von eigen-fremd als vertraut-unvertraut verschiedene Stufen einnehmen und tendiert deshalb nicht dazu, die Beschreibung des Fremden ins Normative zu wenden. Nicht alles Fremde ist somit gleich fremd: Die Kategorie der Fremdheit ist statt dessen in sich heterogen und kann nach Graden der Fremdheit unterschieden werden.38 Diese Einsichten der jüngeren Fremdheitsforschung sind deshalb von Bedeutung, weil sie sich gegen eine rein gegenbegriffliche Ordnung von Eigenem und Fremdem wenden, ohne diese jedoch aus dem Blick zu verlieren. Sie bieten damit zugleich Möglichkeiten zur Differenzierung der Fremddarstellungen in den hier untersuchten Texten. Im Gegensatz zu Untersuchungen über Asienreiseberichte, in denen ausschließlich interkulturelle Grenzen39 im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, geraten in der vorliegenden Arbeit durch die Fokussierung auf die Darstellung der Fremde in ihrer Vielschichtigkeit auch andere Grenzen in den Blick. Daher erscheint es sinnvoll, mit einem Fremdheitsbegriff zu operieren, der die Erfassung eventueller Differenzierungen und Abstufungen von Fremdheit in den Texten überhaupt ermöglicht. Denn sämtliche Autoren thematisieren Fremde in ganz unterschiedlicher räumlicher Entfernung. Überdies behandeln sie mit der Nordalbingia (Nordelbien) eine Region, die zwar ins regnum integriert war, sich jedoch beispielsweise hinsichtlich ihrer Verfassungsstrukturen von den Herkunftsregionen der Autoren, in anderen Aspekten jedoch auch von einer weiter entfernt liegenden Fremde unterschied. Adam von Bremen, als gebürtiger Ostfranke oder Westthüringer40 in Bremen schreibend, bezeichnete sich selbst als proselitus et advena und kritisierte an manchen Stellen seines Werkes die mores Saxonum in unmittelbarer Umgebung;41 das südelbische Sachsen wiederum hob er vom nordelbischen ab, er widmete sich jedoch auch der Darstellung weit entfernter Gebiete in Skandinavien. So bietet sich seine Chronik zur Untersuchung der Frage an, ob eine größere räumliche Entfernung des Beschreibungsgegenstandes auch mit einer verstärkMünkler/ Röcke, S. 712.

Heiden: Reinhart Koselleck, Zur historisch-politischen z. B. zum Gegensatzpaar Christen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe, in: Ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 21995 (zuerst 1975), S. 211-259, hier S. 211-218 u. S. 229-244. Die Akzentuierung der Heterogenität von Fremdheit und verschiedenen Fremdheitsgraden in theoret. Ansätzen der Fremdheitsforschung ist verhältnismäßig neu. Vgl. z. B. Bernhard Waldenfels, Das Eigene und das Fremde, in: Dt. Zs. f. Philosophie 43 (1995), S. 611-620 u. Stagl, S. 86. Unter den verschiedenen Ansätzen trennen Münkler/ Röcke im Gegensatz zu anderen analytisch klar zwischen den Ebenen Fremdheit und Fremderfahrung; vgl. ebd., S. 714f.

Vgl.

-

Zum Begriff vgl. Jürgen Osterhammel, Kulturelle Grenzen in der Expansion Europas, in: Saeculum 46 (1995), S. 101-138, hier S. 118. Vgl. dazu unten, Kap. 2.1. Zur Selbstbezeichnung vgl. ebd. m. Anm. 5; zur Kritik an den Sachsen unten, Kap. 2.2.2.2.2.

20

Einleitung

Zuschreibung von Fremdheit korreliert. Helmold, dessen Geburtsort wahrscheinlich im Harzvorland, in jedem Fall aber südlich der Elbe zu suchen ist,42 verfaßte sein Werk in Bosau in der ¡Vagira (Wagrien), einem sächsisch und slawisch besiedelten Teilgebiet der Nordalbingia und zugleich der Lübecker Diözese, das zu seiner Zeit auf Initiative Graf Adolfs II. von Holstein mit Sachsen, Friesen, Holländern und anderen besiedelt wurde. So ist es durchaus möglich und daher zu prüfen, ob sich die Ansiedlung verschiedener ethnischer und religiöser Gemeinschaften in seiner unmittelbaren Umgebung auch in deren Darstellungen wiederfinden lassen und ob sich die fortschreitende Missionierung der Slawen auf ihre Bewertungen auswirkte. Arnold von Lübeck, von dem angenommen wird, daß er in Braunschweig erzogen wurde,43 verfaßte sein Werk nach der dänischen Einnahme Lübecks und der Nordalbingia, so daß er die Dänen möglicherweise ganz anders beschrieb als die beiden anderen Chronisten. Arnold berichtet jedoch auch über Sizilien, Griechenland, Ägypten und das Heilige Land. Alle hier untersuchten Texte enthalten also Beschreibungen naher und ferner, inner- und interkultureller Fremde, so daß eine Abstufung nach Graden der Fremdheit möglich erscheint. Auch deshalb bieten sich die hier ausgewählten Texte ebenso für eine Differenzierung der Ansichten in der mediävistischen Forschung an wie für eine Überprüfung der in der Fremdheitsforschung geäußerten Thesen. Fremdbezeichnungen und -konzeptionen der Autoren geben zwar darüber Auskunft, was die einzelnen Autoren als ,fremd' benennen; es gibt jedoch weitere Aspekte, die in eine Untersuchung über das Verhältnis von Eigenem und Fremdem einzubeziehen sind: Für die Frage, was als fremd beschrieben wird, sind die Interessens-, Wissensund Wertstrukturen eines Autors von Bedeutung.44 Daher sind das Interesse der Autoren an der Fremde (Auswahl und Intensität), ihr Wissen über die Fremde (Quellen) und ihre Bewertungen (auf sprachlicher Ebene etwa Vergleiche und wertende Adjektive) zu erschließen. Das jeweilige Interesse und ihre Bewertungen sind zu begründen, und so ist zu fragen, welche Fremde(n) die Autoren in ihren Blickpunkt nehmen und warum, aus welchem Wissensfundus sie in ihren Beschreibungen schöpfen und wie sie Fremde bewerten. Dem jeweiligen Wissen kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als die Darstellungen Fremder Topoi aufweisen, die aus längeren Überlieferungstraditionen stammen und die als Bestandteile eines Vorverständnisses der Autoren die Fremdbeschreibungen beeinflussen. Adam von Bremen etwa beruft sich für seine Darstellung entfernt liegender Regionen und ihrer Bewohner nicht nur auf mündliche Zeugen, sondern häufig auch auf spätantike Autoren wie Martianus Capella und Solinus sowie auf mittelalterliche wie Einhard. Die moderne Unterscheidung zwischen zwei unterschiedlichen Wissensformen, einem auf Tradition und einem auf Erfahrung beruhenden Wissensbereich, einem „Topos-" und einem „Beobachtungswissen",45 in deren Folge

ten

Vgl. dazu unten, Kap. 3.1. Vgl. dazu unten, Kap. 4.1. Vgl. dazu etwa Ohle, S. 61 f., auf dessen Arbeit sich auch geschichtswissenschaftl. Untersuchungen wie diejenige Jandeseks, Umgang, bezogen haben. Zu den Begriffen „Topos-" u. „Beobachtungswissen" vgl. Friederike Hassauer, Volkssprachliche Reiseliteratur: Faszination des Reisens und räumlicher ordo, in: La littérature historiographique des origines à 1500, hg. v. Hans Ulrich Gumbrecht, Ursula Link-Heer u. Peter Michael Spangenberg (Grundriss d. romanischen Literaturen d. Mittelalters XI, 1), Bd. 1, Heidelberg 1986,

Das Eigene und das Fremde

21

,das Mittelalter' häufig durch die Unfähigkeit gekennzeichnet wurde, empirisches Wissen überhaupt zu integrieren, ist jedoch kaum trennscharf durchzuhalten46 und für die hier verfolgte Fragestellung obsolet. Denn das Ziel der vorliegenden Untersuchung besteht nicht darin, mit der älteren Forschung Adams ,Rückständigkeit' oder mit der jüngeren Adams .Modernität' nachzuweisen, sondern auf seine Vorstellungen zu fokussieren. Dafür ist auf Übernahmen wie auf Veränderungen gegenüber seinen Quellen zu achten, und Gleiches gilt für die beiden anderen Autoren: In der sogenannten „Slawenchronik" Helmolds von Bosau, der sein geo- und ethnographisches Wissen vor allem, wie eingangs erwähnt, von Adam bezog, wurden bislang nahezu ausschließlich die wörtlichen Übernahmen aus der Hamburgischen Kirchengeschichte beachtet.47 Das Augenmerk der vorliegenden Arbeit richtet sich hingegen auch auf Helmolds Auswahlkriterien und Änderungen, die jeweils zu begründen sind. Arnold schließlich inseriert in seine Chronik zwei ältere Reiseberichte in Briefform über Italien und Sizilien sowie über Ägypten und das Heilige Land. Auch hier ist ausschließlich die (quellenkritisch zudem dringend in Zweifel zu ziehende Bezeichnung) .Übernahme' der Berichte betont worden, während ganz übersehen worden zu sein scheint, daß Arnold die Briefe in einen völlig anderen Kontext, nämlich in seine Chronik, einbettet: Dies aber zieht die Frage nach Funktionen der Insertionen nach sich, auf die daher an entsprechender Stelle

einzugehen ist.48 Das fragwürdige Messen mittelalterlicher Darstellungen an modernen Auffassungen von Empirie und an einer vermeintlich objektiven Realität bildet ein wesentliches Kennzeichen der Forschung zu den hier behandelten Chroniken, besonders (wenngleich keineswegs ausschließlich) in bezug auf die zahlreichen geographischen Angaben.49 Die Behandlung von Räumen durch die jeweiligen Autoren ist für die hier verfolgte Fragestellung schon deshalb von Bedeutung, weil die Fremde oben als Versammlungsraum des Fremden bezeichnet wurde und die Chronisten Fremde auch in einem geographischen Raum lokalisieren. Um zu prüfen, ob eine unterschiedliche räumliche Entfernung mit verschiedenen Graden von Fremdheit korreliert, sind auch die jeweiligen Raumdarstellungen einzubeziehen. Das Thema Raum stellt ein noch recht junges, angesichts der Forschungslage dringliches Beschäftigungsfeld der Mediävistik dar, und die bisherigen S. 259-283. Unter „Toposwissen" versteht Hassauer (S. 269) „schriftlich überliefertes geographisches' Wissen, vor allem aus der Antike und der Bibel, dessen Glaubhaftigkeit sich der Autorität der Tradition verdankt". Eingehende und berechtigte Kritik an der Forschungsdiskussion insgesamt und auch an Hassauers Konzept übt Marina Münkler, S. 222-240, die S. 231 hervorhebt, daß Hassauer Topos und Tradition letztlich gleichsetzt und damit den Toposbegriff auf den Aspekt der Traditionalität verkürzt, während der zentrale Aspekt der argumentativen Funktion eines Topos nicht beachtet wird. Zudem betont Münkler (ebd.) m.E. zu Recht, daß „gerade Erfahrung, um sich als Erfahrungswissen konstituieren und behaupten zu können, einer argumentativen Vermittlung [bedarf], die nicht zuletzt im Bereich einer inventionellen Topik aufzusuchen" wäre. Zum Toposbegriff vgl. Lothar Bornscheuer, Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft, Frankfurt a.M. 1976. Sie sind in den Editionen kenntlich gemacht durch Wendungen wie „wörtlich aus Adam" oder „fast wörtlich übernommen". Dadurch wird der Blick auf die Veränderungen jedoch gerade verdeckt. Auf dieses Problem ¡st an einzelnen Stellen der Untersuchung hinzuweisen. Vgl. dazu unten, Kap. 4.3.6. u. 4.3.7. Auf die Forschung zu den Chroniken wird an den einzelnen Stellen der Arbeit verwiesen.

Einleitung

22

Untersuchungen richteten ihr Augenmerk vor allem auf mittelalterliche Raumbegriffe und -Vorstellungen in theoretischen Schriften.50 Im Unterschied zu diesen Studien sind zahlreiche (und nicht nur ältere) Arbeiten zu den hier behandelten Werken durch ein empiristisches Raumkonzept gekennzeichnet. Es wird derart häufig verwendet, daß es geradezu als symptomatisch für die Forschungssituation zu Reise- und Pilgerberichten angesehen werden kann.51 Raum wird dort häufig als objektiv gegebene, mathematisch erfaßbare Entität angesehen, die es ermöglicht, mittelalterliche Beschreibungen an eben jenem modernen Raumkonzept zu messen. Diese Haltung führt oftmals zum Abgleichen der Darstellungen mit der modernen Kartographie und zur Kennzeichnung der älteren Angaben als unvollständig, verzerrt oder gar falsch.52 Dagegen wurde in Arbeiten, die theoretisch und methodisch auf Ansätze der kognitiven Kartographie rekurrieren, gezeigt, daß unter Raum keineswegs etwas Objektives und Neutrales verstanden werden muß. Vielmehr ist überzeugend geltend gemacht worden, daß der Raum als kognitiver Raum grundsätzlich immer, je nach den Vorstellungen eines Individuums

aber ganz unterschiedlich, strukturiert ist: durch die Phänomene, die sich in ihm befinden und durch die Bewertungen, die er erfährt.53 Nach den Erkenntnissen dieser Arbeiten kann es daher nicht mehr darum gehen, mittelalterliche geographische Angaben an einem empirischen Raumkonzept zu messen. Statt dessen ist das Hauptaugenmerk im folgenden darauf zu richten, wie die Autoren den Berichts-Raum strukturieren: welche Räume sie thematisieren, was sie an welcher Stelle lokalisieren, wie sie Gebiete und Bewohner bewerten und warum. In der Abgrenzung von den genannten Ansätzen und in der Bezugnahme auf die erwähnten interdisziplinären Arbeiten schlägt die vorliegende Untersuchung eine andere Lesart der Beschreibungen geographischer Räume in den behandelten Chroniken vor, die sich darüber hinausgehend jedoch auch auf andere mittelalterliche Texte anwenden läßt.

angeführten Forschungskritik ergibt sich, daß weder die Fremddarstellun(vermeintlich) realistischen Gehalt noch die Autoren an modernen Toleranzvorstellungen zu messen sind. Eine Untersuchung über das Eigene und das Fremde, welche die Frage nach möglichen Funktionen der Fremddarstellungen berücksichtigt, Aus der oben gen an ihrem

muß vielmehr auf andere Faktoren

fokussieren, die in der mediävistischen Fremdheits-

Vgl. etwa Raum und Raumvorstellungen im Mittelalter, hg. v. Jan A. Aertsen u. Andreas Speer (MM 25), Berlin-New York 1998; Paul Zumthor, La Mesure du Monde. Représentation de l'Espace au Moyen Âge, Paris 1993 u. Alexander Gosztonyi, Der Raum. Geschichte seiner Probleme in Philosophie und Wissenschaften, 2 Bde. (Orbis academicus I, 14), Freiburg-

München 1976. Vgl. dazu grundlegend Bernhard Jahn, Raumkonzepte in der Frühen Neuzeit. Zur Konstruktion von Wirklichkeit in Pilgerberichten, Amerikareisebeschreibungen und Prosaerzählungen (Mikrokosmos 34), Frankfurt a.M. 1993, der S. 26f. den Forschungsstand kennzeichnet. Diese Urteile sind zwar in einer Argumentation, die von modernen Realitätskonzepten ausgeht, folgerichtig, sie verhindern jedoch letztlich Einsichten in mittelalterliche Raumkonzepte. Damit geht die kognitive Kartographie von einem m.E. sinnvolleren, erweiterten Raumbegriff aus. Vgl. z. B. die Studien von Jahn, bes. S. 11-21, u. Andreas Ramin, Symbolische Raumorientierung und kulturelle Identität. Leitlinien der Entwicklung in erzählenden Texten vom Mittelalter bis zur Neuzeit, München 1994. Grundlegend zur kognitiven Kartographie Roger M. Downs u. David Stea, Kognitive Karten. Die Welt in unseren Köpfen, New York 1982.

23

Das Eigene und das Fremde

forschung bislang keine Beachtung gefunden haben: Da die Funktionen von Fremdbeschreibungen potentiell eng mit den Funktionen der Texte selbst zusammenhängen, sind in jedem Einzelfall die historische und politische Situation zu Abfassungszeit, mögliche causae scribendi, Auftraggeber und Adressaten in die Untersuchung einzubeziehen, denn Fremdzuschreibungen sind auch von diesen Faktoren abhängig.54 Da oben festgestellt wurde, daß das Eigene als Folie bei der Betrachtung der Fremde dient, ist das Augenmerk nicht nur auf das Fremde zu richten, sondern auch auf das, was die Autoren als das jeweils Eigene darstellen. Die interdisziplinäre Forschung hat sich mit dieser Thematik bereits mehrfach, hauptsächlich unter dem Stichwort ,Identitäten' und vor allem für die Moderne, beschäftigt.55 Die Übertragung des Begriffs Identität auf die hier untersuchten Autoren erscheint jedoch bereits aus grundsätzlichen Überlegungen problematisch: Zum einen zeichnet sich Identität durch einen prozeßhaften Charakter aus, denn Begegnungen mit Fremde(m/n) führen zu einer Vertiefung der Identität eines Individuums, etwa zu ihrer Bestärkung, und die Verdeutlichung von Grenzen kann zur Festigung des Zusammenhalts der eigenen Gruppe führen.56 Dieser prozeßhafte Aspekt von Identität kann jedoch in einem einzelnen Text eines mittelalterlichen Autors gar nicht nachgewiesen werden. Zudem ist es nach der überwiegenden Forschungsmeinung notwendig, den Begriff der Identität in bezug auf mittelalterliche

Autoren im wesentlichen auf kollektive Identitäten zu beschränken.57 Dem wird hier Rechnung getragen. Auch wenn in der vorliegenden Arbeit andere Schwerpunkte gesetzt werden als im Großteil der bisherigen mediävistischen Forschung, kann doch an deren Erkenntnisse angeknüpft werden.

1.5.

Kollektive Identitäten im Mittelalter

Für das Mittelalter ist bereits mehrfach auf das Bestehen kollektiver Identitäten hingewiesen worden, deren Formen jedoch von heutigen durchaus abweichen. In mediävistischen Arbeiten wurde hauptsächlich die Existenz eines Heimatbewußtseins betont, das Auf diese Faktoren wird im Verlauf der Untersuchung im einzelnen hingewiesen. Zur causa scribendi vgl. bes. Gerd Althoff, Causa scribendi und Darstellungsabsicht: Die Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde und andere Beispiele, in: Litterae medii aevi. FS f. Johanne Autenrieth zu ihrem 65. Geb., hg. v. Michael Borgolte u. Herrad Spilling, Sigmaringen 1988, S. 117-133. Vgl. oben die in Anm. 6 genannte Literatur. Ohle, S. 28;Thum, S. 317. Mit der Beschränkung des Terminus Identität auf Kollektive soll keineswegs das Bestehen personaler Identitäten im Mittelalter bestritten werden. Auf die Bedeutung von Gruppenbindungen im Mittelalter ist wiederholt hingewiesen worden. Vgl. z. B. Otto Gerhard Oexle, Soziale Gruppen in der Ständegesellschaft: Lebensformen des Mittelalters und ihre historischen Wirkungen, in: Die Repräsentation der Gruppen. Texte Bilder Objekte (VdMPIGesch 141), hg. v. Dems. u. Andrea von Hülsen-Esch, Göttingen 1998, S. 9-44. Helmut G. Walther, Traditionen, Kontinuitäten, Konstruktionen: Identitätsfindungen mittelalterlicher Gruppen und Gemeinschaften, in: Identität und Geschichte, hg. v. Matthias Werner (Jenaer Beitrr. z. Gesch. 1), Weimar 1997, S. 61-78 u. Gerd Althoff, Verwandte, Freunde und Getreue. Zum politischen Stellenwert der Gruppenbindungen im früheren Mittelalter, Darmstadt 1990. Zu Forschungsarbeiten über kollektive Identitäten im Mittelalter vgl. auch das Folgende. -

-

Einleitung

24

geographischen und historisch-politischen Erfahrungen resultiert und identitätsstiftend wirkt.58 Hier bildete vor allem der Aspekt der nationalen und, im Frühmittelalter, gentilen Identität ein zentrales Forschungsthema: Im Zentrum zahlreicher Untersuchungen standen Fragen nach einem mittelalterlichen Nationsbewußtsein (als Vorstufe zur Nationsbildung) und der Ethnogenese.59 Nachdem sich die Identitätsforschung zunächst hauptsächlich auf die Ebenen von Reich und Königtum konzentriert hatte, gerieten in jüngeren Arbeiten, die an landesgeschichtliche Forschungen anknüpften, auch andere geographische Bezugsräume politischer Identität in den Blickpunkt, insbesondere Regionen unterhalb einer nationalen' Ebene, auf die sich ebenfalls ein gemeinsames Bewußtsein, eine regionale Identität, gerichtet habe.60 Für das Mittelalter wird außerdem immer wieder allgemein eine christliche Identität konstatiert, deren immense Bedeutung vielleicht am wenigsten umstritten ist, und die grundsätzlich vorausgesetzt wird. Die hier erwähnten Ansätze stellen Schwerpunkte der bisherigen geschichtswissenschaftlichen und, innerhalb dieser, auch der mediävistischen Forschung dar. Eine Parallele zu den Untersuchungen über Fremdheit besteht darin, daß die meist längsschnittartig angelegten Arbeiten lediglich eine der angesprochenen (kollektiven) Teilidentitäten behandelten, nicht mehrere. Dies erklärt sich aus forschungsgeschichtlicher Perspektive, bildete das Erkenntnisinteresse doch vor allem die Nationsbildung; zugleich geriet dadurch jedoch eine immerhin mögliche Komplexität der mittelalterlichen Identität' gar nicht erst in den Blick. Dagegen ist in Untersuchungen über kollektive Identitäten einzelner mittelalterlicher Geschichtsschreiber bereits mehrfach auf das Bestehen unterschiedlicher Teilidentitäten hingewiesen worden. Hier sind neben den wegweisenden Arbeiten Rudolf BUCHNERS61 vor allem die Untersuchungen aus

-

-

Bernd Schneidmüller, Regionale Identität und soziale Gruppen im deutschen Mittelalter: Zur Einführung, in: Regionale Identität und soziale Gruppen im deutschen Mittelalter, hg. v. Peter Moraw (ZHF, Beih. 14), Berlin 1992, S. 9-13. Joachim Ehlers, Mittelalterliche Voraussetzungen für nationale Identität in der Neuzeit, in: Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, hg. v. Bernhard Giesen, Frankfurt am Main 21991, S. 77-99; Ders., Die Entstehung des deutschen Reiches (EDG 31), München 21998; Ders., Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, (Nationes 8), Sigmaringen 1989; Mittelalterliche nationesneuzeitliche Nationen. Probleme der Nationenbildung in Europa, hg. v. Almut Bues u. Rex Rexheuser (DHI Warschau. Quellen u. Studd. 2), Wiesbaden 1995; vgl. a. die Bände der Nationes-Reihe: Frantisek Graus, Die Nationenbildung der Westslawen im Mittelalter (Nationes 3), Sigmaringen 1980, bes. S. 11-37 u. 138-147; Bernd Schneidmüller, Nomen Patriae. Die Entstehung Frankreichs in der politisch-geographischen Terminologie (10.-13. Jahrhundert) (Nationes 7), Sigmaringen 1987; vgl. a. von Padberg, Unus populus ex diversis gentibus, bes. S. 155-162 mit weiteren Nachweisen. Vgl. die Beiträge in: Regionale Identität sowie in Nord und Süd in der deutschen Geschichte des Mittelalters. Akten d. Koll. veranstaltet zu Ehren v. Karl Jordan, 1907-1984, Kiel, 15.-16. Mai 1987, hg. v. Werner Paravicini (KHS 34), Sigmaringen 1990 u. Identité régionale et conscience nationale en France et en Allemagne du Moyen Âge à l'époque moderne, Actes du colloque organisé par l'Université Paris XII Val de Marne, l'Institut universitaire de France et l'Institut Historique Allemand à l'Université Paris XII et à la Fondation Singer-Polignac, les 6,7 et 8 octobre 1993, hg. v. Rainer Babel u. Jean-Marie Moeglin (BdF 39), Sigmaringen 1997. Rudolf Buchner, Geschichtsbild und Reichsbegriff Hermanns von Reichenau, in: AKG 42 -

Das Eigene und das Fremde

25

Eckhard MÜLLER-MERTENS' und Wolfgang Eggerts zu nennen.62 Sie zeigten auf, daß die Historiographie dermaßen stark durch die Selbstverortung der mittelalterlichen Autoren innerhalb von Gruppen geprägt war, daß die Geschichtsschreiber selbst als „Repräsentanten größerer Gemeinschaften" bezeichnet wurden.63 Nicht zuletzt wurde auf die immense Bedeutung einer institutionellen Identität hingewiesen, die sich darin ausdrückt, daß sich Geschichtsschreiber Institutionen (etwa Klöstern und Bistümern) zuschrieben.64 In diesen Arbeiten tritt daher auch die identitätsstiftende Funktion von Geschichte hervor, die als Geschichte der eigenen Gemeinschaft geschrieben wurde. Wolfgang EGGERT hat zudem in seiner Untersuchung über das „Wir-Gefühl" herausgearbeitet, daß sich die Bindungen mittelalterlicher Geschichtsschreiber auf mehrere Gemeinschaften unterschiedlicher Größe bezogen und diese Gruppen in drei (analytische) Kategorien unterteilt: eine „religiöse", eine „politische" und eine „soziale".65 Nun bilden Wir-Bezüge, die sich in der Verwendung der Begriffe nos und noster zeigen, zwar den am deutlichsten hervorstechenden, letztlich jedoch nur einen Aspekt, in dem die Identität' eines Autors, seine Verortung innerhalb einer Gruppe, zum Ausdruck kommen kann. Daher sind neben den Wir-Bezügen auch weitere sprachliche Mittel wie Vergleiche und Bewertungen in die Untersuchung einzubeziehen. Auf diese Weise hat Gerhard THEUERKAUF auf Abgrenzungen und Widersprüche in der Hamburgischen Kirchengeschichte aufmerksam gemacht und das Weltbild' Adams von Bremen nicht als starre Einheit, sondern als von Widersprüchen und Brüchen durchzogen gekennzeichnet.66 ,

,

(1960), S. 37-60; Ders., Die politische Vorstellungswelt Adams von Bremen, in: AKG 45 (1963), S. 15-59 u. Ders., Kulturelle und politische Zusammengehörigkeitsgefühle im europäischen Frühmittelalter, in: HZ 207 (1968), S. 562-583. Eckhard MÜLLER-Mertens, Regnum Teutonicum. Aufkommen und Verbreitung der deutschen Reichs- und Königsauffassung im früheren Mittelalter (Forsch, z. mittelalt. Gesch. 15), Wien-KölnGraz 1970; Wolfgang Eggert, Das Wir-Gefühl bei fränkischen und deutschen Geschichtsschreibern bis zum Investiturstreit, in: Ders. u. Barbara Pätzold, Wir-Gefühl und regnum saxonum bei frühmittelalterlichen Geschichtsschreibern (AKG, Beih. 21), Wien-Köln-Graz 1984, S. 13-179.

So Eggert/ Pätzold in ihrem Vorwort, S.U. Zum institutionellen Geschichtsbewußtsein und zum Zusammenhang von Identität und Geschichtsbewußtsein vgl. bes. Hans-Werner Goetz, Zum Geschichtsbewußtsein in der alamannisch-schweizerischen Klosterchronistik des hohen Mittelalters (11.-13. Jahrhundert), in: DA 44 (1988), S. 455-488. Ders., Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten d. Mittelalters 1), Berlin 1999. Eggert, Wir-Gefühl, S. 161 u. 167f. Auch Buchner, Vorstellungswelt, unterscheidet einen „weltlichen" von einem „kirchlichen" Bereich. Die Begriffe .kirchlich' und .religiös' sowie ,weltlich' und .politisch' werden im folgenden synonym verwendet. Eggert faßt trotz anderer Bezeichnungen dieselben Gemeinschaften unter seine Kategorien wie Buchner. Der „soziale" Bereich umfaßt bei Eggert, ebd., „elitäre Gruppen" wie etwa ein Herrschergeschlecht, den Hofklerus oder die Reichsbischöfe. Auf die Verwendung dieses Terminus wird im folgenden verzichtet, da sich die „elitären Gruppen" ohnehin innerhalb der „kirchlichen" und „weltlichen" Gemeinschaften finden lassen. Mögliche Zuschreibungen und Abgrenzungen von solchen Gruppen werden aber dennoch beachtet. Gerhard Theuerkauf, Die Hamburgische Kirchengeschichte Adams von Bremen. Über Gesellschaftsformen und Weltbilder im 11. Jahrhundert, in: Historiographia Mediaevalis. Studien zur Geschichtsschreibung und Quellenkunde des Mittelalters. FS Franz-Josef Schmale z. 65. Geb., hg. v. Dieter Berg u. Hans-Werner Goetz, Darmstadt 1988, S. 118-137.

26

Einleitung

Die erwähnten Arbeiten machen deutlich, daß (auch) für mittelalterliche Autoren grundsätzlich von verschiedenen kollektiven Teilidentitäten auszugehen ist. Insofern kann sich die vorliegende Arbeit auf diese Untersuchungen stützen. Allerdings scheint es notwendig, auch über deren Rahmen hinauszugehen: Denn obwohl die bisherige Forschung das Bestehen mehrerer Teilidentitäten konstatierte, hat sie kaum einmal deren jeweiliges Verhältnis zueinander, die sogenannten ,Identifikationsstrukturen',67 berücksichtigt. Dagegen legt die vorliegende Arbeit gerade ein Hauptaugenmerk auf die Gewichtungen, welche die Autoren hinsichtlich der verschiedenen Gemeinschaften vornehmen, innerhalb derer sie sich verorten. Denn parallel zum Fremden ist auch das Eigene gerade in seiner Vielschichtigkeit zu erfassen. Bereits die Auswahl der in den Texten dargestellten Fremde(n) hängt ganz wesentlich von der Intensität ab, mit der sich die Chronisten bestimmten Gemeinschaften und Institutionen stärker zuschrieben als anderen, und der Vorrang bestimmter Teilidentitäten stellt einen möglichen Einflußfaktor der Art und Weise von Fremdbeschreibungen dar: Da fremd und eigen relationale Begriffe sind, müssen die jeweiligen Fremdzuschreibungen auch in Relation zu den jeweiligen Selbstzuschreibungen gesetzt werden. Im Zusammenhang mit der bereits angesprochenen Problematik der Übertragung eines modernen Identitätsbegriffs auf die hier behandelten Autoren ist ein weiterer grundsätzlicher Aspekt zu nennen: Es geht in der vorliegenden Arbeit nicht um die Rekonstruktion einer .wahren' personalen Autor-Identität, die methodisch schon wegen der vielfach gebrochenen Textüberlieferungen ohnehin nicht zu leisten ist, bildet es doch einen Forschungskonsens, daß keine der hier behandelten Chroniken in der durch Editionen zugänglich gemachten Form von ihren Autoren so verfaßt wurde.68 Darüber hinaus sind noch zwei weitere Aspekte hervorzuheben, denen stärker als bislang in der Forschung Rechnung zu tragen ist und die für die vorliegende Arbeit terminologische Implikationen haben: Wie der Fremdheit kommt nach der interdisziplinären Forschung auch der Identität Konstruktcharakter zu.69 So ist es sinnvoll, im folgenden parallel zum Der Begriff z. B. bei Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein, S. 381-395. Es handelt sich hier einerseits um ein Problem, mit dem die Mediävistik grundsätzlich konfrontiert ist, und die hier angestellten machen den Autor-Begriff nicht überflüssig. Auch im folgenden wird er verwendet. Jedoch scheint gerade bei der Behandlung der .Identitäts-' und ,Fremdheits-'Thematik eine stärkere Reflexion dieses Problems in der geschichtswissenschaftl. Forschung nötig. Sämtliche hier behandelten Texte sind nicht im Original erhalten, sondern lediglich als (vermeintliches) Original rekonstruiert worden, wobei sich sich die Forschung jedoch einig ist, daß die Editionsfassungen dem sogenannten Urtext in jedem der hier behandelten Fälle höchstens nahekommen (s. dazu unten, Kap. 2.1., 3.1. u. 4.1.). Aus dem edierten, also nichtoriginalen Text auf eine Autor-Identität rückzuschließen, erscheint daher problematisch, denn bereits der Text selbst ist einem Autor erst von der modernen Forschung zugeschrieben worden. Die Namen der hier behandelten ,Autoren' sind somit letztlich Forschungsbezeichnungen für die Verfasser von Chroniken, die nach den gängigen, auch im folgenden verwendeten Editionen diesen Verfassern wiederum zugeschrieben wurden. Zu der Problematik (in bezug auf das Spätmittelalter) vgl. a. Marina Münkler, S. 237f. Vgl. z. B. Klaus Roth, „Bilder in den Köpfen". Stereotypen, Mythen, Identitäten aus ethnologischer Sicht, in: Das Bild vom Anderen, S. 21-43, hier S. 36. Der Konstruktcharakter von Identität ist eine logische Folge der Kennzeichnung von eigen und fremd als Konstrukte.

Überlegungen

Das

27

Eigene und das Fremde

Fremdzuschreibungen auch von Selbstzuschreibungen der Chronisten zu da sprechen, nicht auf die tatsächliche Zugehörigkeit eines mittelalterlichen Autors zu Gruppen fokussiert wird, sondern auf seine Vorstellungen, die sich auf der Ebene des in den Begrifflichkeiten, in seinen Fremd- und Selbst-Zuschreibungen Textes

Terminus

-

äußern.70

-

1.6.

Fragestellung und Vorgehen

Um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den hier behandelten Autoren hinsichtlich des jeweiligen Verhältnisses zwischen Eigenem und Fremdem herauszuarbeiten, ist aufgrund der vorangegangenen Überlegungen die Beachtung der Vielschichtigkeit von Fremdzuschreibungen einerseits sowie der komplexen Strukturen von Selbstzuschreibungen andererseits zwingend. Denn erst durch die Zusammenschau von Eigenem und Fremdem geraten zum Beispiel ethnische, religiöse und kulturelle Grenzen in den Blickpunkt, deren jeweilige Bedeutung innerhalb der Werke durch den Rückbezug auf solche Faktoren zu begründen ist, die Aufschluß über die Funktionen der Texte selbst geben, etwa die historisch-politische Situation zur Abfassungszeit, mögliche causae scribendi, Adressaten und Auftraggeber. Um die Ausformungen unterschiedlicher Möglichkeiten von Fremddarstellungen in hochmittelalterlichen Texten deutlich zu machen, werden die drei Autoren getrennt voneinander behandelt. Zugleich wird jedoch an einzelnen Stellen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hingewiesen. Möglichen Abhängigkeiten der Darstellungen Helmolds von Adam und Arnolds von Helmold wird Rechnung getragen, indem die Werke in chronologischer Reihenfolge untersucht werden. Für jeden Autor wird das Augenmerk zunächst auf das Eigene gelegt, indem nach seinen Zuschreibungen zu Gemeinschaften und auch nach den Gewichtungen der unterschiedlichen ,Teilidentitäten' gefragt wird. Es ist also zu prüfen, welchen Gruppen sich die Chronisten zuschrieben und in welcher Intensität sie dies taten. Dabei wird aus analytischen Gründen der Unterteilung EGGERTs in Gemeinschaften aus dem politischen' und aus dem .religiösen' Bereich gefolgt, jedoch sind, wie oben angemerkt, nicht nur die WirBezüge einzubeziehen. Aufgrund der Relationalität von Eigenem und Fremdem können Selbst- und Fremdzuschreibungen nicht getrennt voneinander behandelt werden. Die Untersuchung der Selbstzuschreibungen ist vielmehr als ein wesentlicher Zugang zur Konzeption von Fremdheit anzusehen, denn durch die Analyse des Eigenen geraten bereits auch Abgrenzungen, welche die Autoren vornehmen, in den Blick. Dennoch dient der für die einzelnen Chronisten jeweils erste Teil wesentlich der Herausarbeitung der Folie des Eigenen, um in einem darauffolgenden Schritt die Darstellungen der Fremde an diese rückbinden zu können. Hierbei liegt das Hauptaugenmerk für jeden der drei Autoren ebenso auf der jeweiligen Strukturierung des geographischen (Berichts-) Raumes wie auf den Darstellungen seiner Bewohner. Um zu überprüfen, ob mit Trotz der hier aufgeworfenen Probleme wird im folgenden aus Gründen der besseren Lesbarkeit davon abgesehen, den Begriff Identität oder Identifikation in Anführungszeichen zu setzen. Jedoch gilt grundsätzlich, daß er in dem hier skizzierten Sinn als Konstrukt verstanden und auf die Zuschreibung zu Gemeinschaften beschränkt wird.

28

Einleitung

räumlicher Entfernung unterschiedliche Fremdheitsgrade korrelieren, wird tendenziell zunächst die nahe, dann die entferntere Fremde untersucht. Dabei sind grundsätzlich für alle Autoren, als weitere Zugänge zu hochmittelalterlichen Auffassungen von Fremdheit, sowohl explizite Fremdbezeichnungen als auch implizite Zuschreibungen von Fremdheit und Identität einzubeziehen. Hierfür ist auf die Erkenntnisse der interdisziplinären wie der mediävistischen Fremdheits- und Identitätsforschung zu rekurrieren. Durch den hier verfolgten Ansatz und das skizzierte Vorgehen sollen zum einen im Vergleich der behandelten Texte Möglichkeiten hochmittelalterlicher Vorstellungen vom Eigenen und Fremden aufgezeigt werden, um das in der Forschung vermittelte Bild einer starren mittelalterlichen Auffassung von Fremdheit und Identität zu überprüfen. Zum anderen ist für die einzelnen Autoren abzuwägen, ob und inwieweit die Konzepte der modernen, interdisziplinären Fremdheitsforschung auf sie übertragbar sind.

2. Adam von Bremen und die Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum 2.1.

Zu Autor und Werk

Über Adam von Bremen ist nur wenig bekannt. In den Gesta finden sich kaum Angaben über ihn,1 und sein Name ist lediglich aus Helmolds Chronica Slavorum überliefert.2 So bleibt es wesentlich das Verdienst Bernhard Schmeidlers, aus der Befragung weiterer Quellen und Dokumente ein Lebensbild des Chronisten entworfen zu haben, wenngleich dieses fragmentarisch bleiben muß.3 Seit Schmeidlers Studien gilt es als gesichert, daß Adam aus Ostfranken oder Westthüringen stammte. Die Annahme hingegen, er habe zeitgleich mit Lampert von Hersfeld die Bamberger Domschule besucht, ist letztlich nicht beweisbar.4 In jedem Fall läßt sich an den Gesta selbst belegen, daß der Chronist nicht aus der Region um Bremen kam, denn darauf weist zum einen seine Selbstbezeichnung als proselitus et advena hin,5 zum anderen die Bemerkung, die ein

an den Rand seines Werkes schrieb: In ihr anhand dessen Sprachgebrauchs als Germania bestimmte er Adams Herkunftsregion nach Adam Bremen, wo er von Erzbischof Adalbert als superiora.6 1066/67 gelangte bald darauf das Amt des Domscholasters und wurde Domkanoniker aufgenommen

späterer sächsischer oder gar Bremer Leser

folgenden zit. nach Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis Ecclesiae Pontificum, Bernhard ed. Schmeidler, MGH SSrG 2, Hannover-Leipzig 31917 (ND 1993); deutsche nicht anders angegeben, nach der Ed. von Werner Trillmich, FSGA 11, Darmwenn Übersetzung, stadt 72000, S. 137-499 (mit meinem Nachtrag, S. 758-764). Adam praef, S. 1, bezeichnet sich lediglich als A. minimus sanctae Bremensis ecclesiae canonicus. Helmold von Bosau 14 (ed. Bernhard Schmeidler; vgl. o., Kap. 1, Anm. 22), S. 30 nennt ihn magister Adam, u. eine Urkunde Erzbf. Adalberts v. 1069 Juni 11 führt an: Ego Adam magister scolarum scripsi & subscripsi (Hamburgisches ÜB, hg. v. Johann Martin Lappenberg, Bd. 1, Hamburg 1842 [ND 1907], Nr. 101, S. 96-98, hier S. 97). Zur Echtheit von Adams Unterschrift vgl. Bernhard Schmeidler in der Einleitung zu seiner Ed. der Gesta (im folgenden zit. als Schmeidler, Einleitung), S. LII Anm. 4. Aus diesen drei Belegen wird auf die Identität des Verfassers Adam mit dem bezeugten magister scholarum geschlossen (vgl. ebd.). Vgl. Bernhard Schmeidler, Hamburg-Bremen und Nordost-Europa vom 9. bis 11. Jahrhundert. Kritische Untersuchungen zur Hamburgischen Kirchengeschichte des Adam von Bremen, zu Hamburger Urkunden und zur nordischen und wendischen Geschichte, Leipzig 1918 u. Ders., Einleitung, S. LII-LVII. Der Besuch der Bamberger Domschule wird von Schmeidler nahegelegt, da Adam aus Franken gestammt u. sich durch eine umfassende Bildung in „klassischer Literatur" ausgezeichnet habe, die er dort erhalten haben könnte. Vgl. hierzu u. zum Folgenden Schmeidler, Einleitung, S. VIILXVIII, hier S. LII-LVII; die Einleitung Werner Trillmichs zu seiner Ed., S. 137-158 (im folgenden zit. als Trillmich, Einleitung); Franz-Josef Schmale, Art. A. v. Bremen, in: LMA 1, München-Zürich 1980, Sp. 107 sowie Ders., Art. Adam von Bremen, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 1, 2., völlig neu bearb. Aufl., hg. v. Kurt Ruh u.a., Berlin-New York 1978, Spp. 50-54, wo Schmale die von Carl Erdmann, Studien zur Briefliteratur Deutschlands im 11. Jahrhundert (MGH Schrr. 1), Leipzig 1938, S. 115 gegen Schmeidlers Annahmen gemachten Einwände verwirft. Adam praef., S. 1. Vgl. zu dieser Stelle unten, Kap. 2.2.2. Im

3

4

5 6

30

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

übertragen bekam.7 Fest steht zudem, daß der Chronist an einem

12. Oktober

verstarb.8 Schon bald nach seiner Ankunft in Bremen muß Adam den Plan

1085 Abfas-

vor

zur

sung seines Werkes verfolgt haben, um dem Erzbistum Unterlagen zur Begründung seines umstrittenen Missionsanspruchs bereitzustellen.9 Diesem Zweck dienten auch weit überwiegend seine Studien schriftlicher Quellen und die Befragungen von Zeitgenossen, für die der Chronist nach seiner eigenen Aussage den dänischen König Svend Estridson aufsuchte, den er häufig als Zeugen anführt. Nach dem Tod Erzbischof Adalberts 1072 begann Adam die Arbeit an seinen Gesta}0 die er 1075/76 Adalberts Nachfolger Liemar widmete." Die Hamburgische Kirchengeschichte ist in vier Bücher unterteilt: Die ersten drei behandeln die Geschichte des Erzbistums und der nordischen Mission in chronologischer Ordnung. Sie umspannen die Zeit von der Gründung des Bistums Bremen (nach Adam 788) und des Erzbistums Hamburg (832)12 bis zum Tod Adalberts 1072. Während die erzbischöflichen Pontifikate gewissermaßen das chronologische Gerüst der Gesta bilden, kommt der Missionsthematik entscheidende inhaltliche Bedeutung im Werk zu.13 So umfassen die ersten drei Bücher zugleich auch die Zeitspanne von den Anfängen der Hamburger Mission in Dänemark und Skandinavien unter dem ersten Erzbischof Ansgar bis hin zu Adalberts Bischofsweihen und zu den Betonungen der Hamburger Obödienz für diese Regionen. Das vierte Buch, welches die Überschrift Descriptio insularum aquilonis trägt, folgt im Unterschied zu den anderen in erster Linie einer räumlichen Ordnung. In ihm gibt Adam eine geo- und ethnographische Beschreibung der Gebiete und ihrer Bewohner, auf die sich die Missionsbemühungen und Metropolitanansprüche des Erzbistums Hamburg-Bremen richteten. Die Forschung hat Adam als einen Geschichtsschreiber charakterisiert, der über eine breite Literaturkenntnis verfügte.14 Davon zeugen nicht nur zahlreiche Bibelzitate und 7

8

10

Adam schreibt (III, 4, S. 146), daß er im 24. Jahr des Pontifikats Erzbf. Adalberts, also zwischen Anfang Mai 1066 u. Ende April 1067, nach Bremen gekommen sei. In der oben, Anm. 2, genannten Urk. v. 1069 wird er bereits als magister scolarum angeführt. Vgl. Schmeidler, Einleitung, S. LVIf. Adams Todesjahr ist ebenso unbekannt (vgl. Trillmich, Einleitung, S. 139) wie sein Geburtsjahr. Aus einer Äußerung Adams (epil., v. 20, S. 281) schließt Schmeidler, ebd., S. LUI, daß der Chronist nicht „in höherem oder gar hohem Alter gestanden haben" könne. Vgl. zu diesem in der Forschung unbestrittenen und für das Verständnis des Werkes unerläßlichen Aspekt unten die Skizzierung der Forschungslage. Der Titel nach Helmold 14 (ed. Bernhard Schmeidler; s.o., Kap. 1, Anm. 22), S. 30: magister Adam, qui gesta Hammemburgensis ecclesiae pontificum conscripsit. Adam selbst bezeichnet sein Werk als de Bremensium sive Hammaburgensium serie presulum (praef, S. 2) u. als historia Hammaburgensis ecclesiae (I, 1, S. 4). So jedenfalls nach Schmeidlers Annahme von der Existenz eines Widmungsexemplars an Liemar, der hier gefolgt wird. Vgl. dazu unten. Zu Adams Darstellung der Gründungsvorgänge u. zur Forschungskontroverse um die Gründung des Erzbistums Hamburg vgl. unten, Kap. 2.2.1.1. Dort auch die Lit. Vgl. dazu unten die Skizzierung des Forschungsstands. Vgl. dazu etwa Rudolf Buchner, Adams von Bremen geistige Anleihen bei der Antike, in: MlatJb 2 (1965), S. 96-101; Georgio Brugnoli, Modelli classici in Adam di Bremen, in: Tra testo e contesto. Studi di Scandinavistica médiévale, hg. v. Carlo Santini (I Convegni di Classiconorroena 2), Rom 1994, S. 5-12 sowie Schmeidler, Einleitung, S. LVII-LXV u. Trillmich, ...

11

12

13 14

Zu Autor und Werk

31

von erzählenden Quellen,15 sondern auch die Zitate aus antiken und in der Descriptio aus antiken wissenschaftlichen DarstellunDichtungen16 Daneben griff der Chronist auch auf zahlreiche Urkunden(sammlungen) des gen'.17 Erzbistums zurück.18 Nicht nur aus dieser enormen Bandbreite des schriftlichen Materials, auch aus mündlichen Quellen bezog Adam sein Wissen: Auf Svend Estridson als Zeuge wurde bereits hingewiesen, jedoch beruft sich der Chronist ebenso auf Erzählungen Hamburger Erzbischöfe und der von ihnen für die nordischen Regionen geweihten Bischöfe; zudem wird vermutet, daß besonders Adams Wissen über die Geo- und Ethnographie Nord(ost)europas, das über die bekannten schriftlichen Quellen weit hinausreicht, auch von Seefahrern und Kaufleuten herrührt, die über die Ostsee reisten.19 Die Wirkung der Hamburgischen Kirchengeschichte blieb im Mittelalter fast ausschließlich auf den Raum des Erzbistums Hamburg-Bremen und Dänemark beschränkt,20 wobei die geo- und ethnographischen Passagen des Werks besonderes Interesse hervorgerufen zu haben scheinen: Sie wurden bereits um 1100 gesondert abgeschrieben und durch zahlreiche Scholien ergänzt.21 Da die Originalhandschrift Adams nicht mehr erhalten ist und sich die überlieferten Versionen der Hamburgischen Kirchengeschichte hinsichtlich ihrer Länge beträchtlich voneinander unterscheiden, hat die Rekonstruktion des sogenannten Urtextes in der Forschung grundlegende Probleme aufgeworfen.22 Die Diskussionen um die Herstel-

die

Verwendungen

-

Einleitung, S. 147-150. Auf eine Aufzählung aller Werke,

-

die

von

der

Forschung

als Adams

Quellen erkannt

worden

sind, wird hier verzichtet. Auf die Benutzung der Quellen wird an den einzelnen Stellen der Untersuchung hingewiesen. Vgl. grundsätzlich Schmeidler, Einleitung, ebd. u. Trillmich, Ein-

ebd. Hervorzuheben sind wegen ihrer fundamentalen Bedeutung Rimberts Vita Anskarii die Vita Rimberti (etwa für die Frühgeschichte des Erzbistums u. die Anfänge der Mission) sowie die Einhards Vita Karoli Magni (z. B. für die Darstellung der Ostsee in der Descriptio). Zu den hier verwendeten Edd. vgl. im Verlauf der Untersuchung. Adam zitiert aus Werken von Sallust, Horaz, Vergil, Lucan u. aus dem Vergilkommentar des Servius. Vgl. dazu Trillmich, Einleitung, S. 148. So bezieht Adam einen Großteil seines geo- und ethnographischen Wissens aus Schriften von Solinus, Martianus Capella, Macrobius und Orosius. Vgl. dazu im einzelnen unten, Kap. 2.3.5. Einen Überblick über die verwendeten Urkunden gibt Trillmich, Einleitung, S. 148. Zur großen Bedeutung rechtlicher Privilegien im Zusammenhang mit Adams Intentionen vgl. unten die Skizzierung der Forschungslage u. bes. Kap. 2.2.1.1. Vgl. etwa Trillmich, ebd., S. 149. Gesichert ist nach Trillmich, ebd., S. 155f. die Benutzung der Chronik im 12. Jh. in der Vita Henrici IV., beim Annalista Saxo, bei Helmold von Bosau, in der Historia Danorum des Anonymus Roskildensis, in den Annales Magdeburgenses, den verlorenen Annales Nienburgenses u. den Gesta archiepiscoporum Magdeburgensium; im 13. Jh. in den Annales Lundenses, bei Albert von Stade u. in den Gesta Danorum des Saxo Grammaticus; im 14. Jh. in der Historia archiepiscoporum Bremensium. Vgl. Schmeidler, Einleitung, S. XIV zu Hs. A3a' u. b sowie S. XXV zu den Hss. B3d, e u. f, Abschriften von lib. IV von Ende des 17. oder Anfang des 18. Jh.; vgl. a. Trillmich, Einleitung, S. 151f. zu Hs. A2, um 1100, die nur lib. II, ce. 16-22 u. lib. IV bietet. Auf lib. IV beschränken sich die Hss. A3a, a' u. b. Folgerichtig ist daher der Hinweis auf die Problematik bisheriger Ausgaben u. die Forderung einer sorgfältigen Betrachtung der unklaren Textverhältnisse bei Wilhelm Wattenbach, Robert Holtzmann, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Die Zeit der Sachsen und Salier,

leitung,

u.

32

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

lung des ,wahren' Textes belegen die in der Einleitung angesprochene Notwendigkeit, bei der Übertragung des Identitätsbegriffs auf mittelalterliche Autoren Vorsicht walten zu lassen: Fast sämtliche Handschriften weisen neben den Zusätzen zum Text spätere Ergänzungen auf, Berichtigungen, Erläuterungen, Belege und kleinere Exkurse zur frühesten Textfassung, die teilweise am Rand stehen, teilweise in den Haupttext aufgenommen wurden.23 Zwar meinte Bernhard Schmeidler 1917, „eine restlose Auflösung aller Widersprüche gestatten und zu einer wahren Textgeschichte führen" zu könläßt sich diese Ansicht mittlerweile kaum noch aufrecht erhalten. Die nen,24 jedoch der Ergebnisse quellenkritischen Untersuchungen Schmeidlers haben sich in der Forschung insgesamt durchgesetzt, allerdings doch auch deutliche Kritik erfahren, und so gründet die Tatsache, daß selbst neuere Übersetzungen der Hamburgischen Kirchengeschichte auf der Edition Schmeidlers beruhen, wohl auch im Fehlen einer neuen Ausgabe.25 Zuletzt hat 1975 Anne K.G. KRISTENSEN die Edition Schmeidlers einer umfangreichen Kritik unterzogen, die vor allem auf Untersuchungen der geo- und ethnographischen Passagen in Adams zweitem und viertem Buch aufbaut. Da diesen Abschnitten für die vorliegende Arbeit eine grundlegende Bedeutung zukommt und Kristensens Kritik in einem wesentlichen Aspekt gefolgt wird, sind die kontroversen Meinungen hier kurz zu skizzieren.26 Zwar besteht in grundsätzlichen Aspekten Einig...

23

24 25

26

1938-1943. Neuausgabe besorgt v. Franz-Josef Schmale, Teil 2: Das Zeitalter des Investiturstreits (1050-1125), Darmstadt 1967, S. 571. Vgl. zum Folgenden Schmeidler, Einleitung, S. VII-LII u Ders., Zur Entstehung und zum Plane der Hamburgischen Kirchengeschichte Adams von Bremen, in: NA 50 (1933/34; ND 1957), S. 221-228. Zweifel an der Hss.-Filiation Schmeidlers äußerten Sture Bolín, Zum Codex Havniensis G. Kgl. S. 2296 (Hs. Ci der Chronik des Adam von Bremen), in: Classica et Mediaevalia 10 (1949), S. 131-158; Alfred Otto, Beiträge zur Textgeschichte des Adam von Bremen, in: NA 49 (1932; ND 1957), S. 10-55 sowie zuletzt Anne K.G. Kristensen, Studien zur Adam von Bremen Überlieferung (Skrifter udgivet af det Historiske Institut ved Kobenhavns Universitet 5), Kopenhagen 1975. Vgl. a. Lauritz Weibull, Geo-ethnographische Interpolationen und Gedankengänge bei Adam von Bremen, in: HG 58 (1933), S. 3-16. Folgende Scholien stammen nach Schmeidler, Einleitung, S. XLIf. von Adam: mit Wahrscheinlichkeit: 1, 3(=118), 4-9, 11-14, 16-17, 22-25, 27-31, 33-42, 44, 47-49, 52-56, 59-64, 66-92, 9496, 118(=3), 121-127, 129-148, 150, 155-156, 158-159; nach Inhalt u. Stil vermutlich: 43, 45, 50. Abweichend von Trillmich, Einleitung, S. 155 als .jüngere, inhaltlich bedeutsame Ergänzungen" aufgenommene Scholien sind dort als Zusätze zu II, 13, 43, 44, 61, 80 u. IV, 19, 39 gekennzeichnet. In der vorliegenden Arbeit wird grundsätzlich Schmeidler bis auf die von Trillmich gemachten Ausnahmen gefolgt. Schmeidler, Einleitung, S. XXXVI. Auch die Ed. Werner Trillmichs beruht auf Schmeidlers Ausgabe (Trillmich, Einleitung, S. 158). Zu neuen Handschriftenfunden seit der Ed. Schmeidlers vgl. Kristensen, S. 61-63. Die Kritik an Schmeidlers Ed. wird meist überhaupt nicht thematisiert. Selbst die neueren zweisprachigen Ausgaben beziehen sich auf Schmeidler; vgl. Adam av Bremen, Historien om Hamburgstiftet och dess biskopar, ed. u. übers, v. Emanuel Svenberg, Carl Frederik Hallencreutz, Kurt Johannesson, Tore Nyberg u. Anders Piltz, Stockholm 1984 u. Adamo di Brema, Storia degli arcivescovi della chiesa di Amburgo, ed. Ileana Pagani, Turin 1996. Es ist nicht Anliegen dieser Arbeit, die Frage nach dem Original Adams zu beantworten, die auch künftig kaum zu entscheiden sein dürfte. Auf kontrovers diskutierte Einzelstellen wird in der Untersuchung selbst hingewiesen. Zur Bedeutung der angesprochenen Passagen vgl. bes. unten, Kap. 2.2.1.2.3. (b).

33

Zu Autor und Werk

keit,27 jedoch bestreitet Kristensen insofern die Ergebnisse der textkritischen Untersuchungen Schmeidlers, als sie der kürzesten erhaltenen Handschrift AI nicht die zentrale Position innerhalb der Textüberlieferung beimißt, die Schmeidler ihr zusprach.28 Die geringere Länge dieser Handschrift erkläre sich nicht aus ihrer Nähe zum Original, sondern aus einem gegenüber den übrigen Redaktoren anderen Umgang ihres Verfassers mit den zahlreichen Ergänzungen und Randnotizen.29 Statt dessen sei die älteste erhaltene Handschrift A2, die von etwa 1100 datiert, in den Mittelpunkt einer Edition zu stellen.30 Zudem bestreitet Kristensen die Existenz eines Widmungsexemplars, das Adam 1075/76 nach Schmeidlers Meinung für Erzbischof Liemar vollendete.31 Letztlich Unumstritten ¡st die Unterteilung der Hss. in drei Klassen (A, B u. C), von denen die insgesamt längeren Versionen B u. C einander näherstehen als der kürzeren Version A. Ebenso besteht Einigkeit darüber, daß das Manuskript Adams eine Vielzahl von Zusätzen, sog. Scholien, aufwies und mit zahlreichen Überschreibungen versehen war u. daß die Version A dem Original näher kommt als B u. C. Von den 22 erhaltenen Hss., die Schmeidler in drei Klassen unterteilte, überliefert seiner Meinung nach nur eine einzige vollständige Hs. (AI; Wiener Nationalbibliothek nr. 521, um 1200; vgl. Schmeidler, Einleitung, S. IXf.) die Erstfassung Adams, die nicht von anderen bearbeitet worden sei. Auf Hs. AI basiert im wesentlichen seine Ed., so daß bei ihm die Frage nach dem Original Adams u. der Bearbeitung durch andere allein mit der längeren BC-Version verknüpft ist. Vgl. Kristensen, S. 48-50. AI sei ebenso wie alle anderen erhaltenen Versionen „das Ergebnis einer Bearbeitung und Auslegung der Orginalhandschrift Adams" (Zit. S. 48). Im Gegensatz zu den meisten Abschreibern, die so viele Angaben wie möglich aus dem mit Zusätzen und Randnotizen versehenen Manuskript Adams übernahmen, habe sich der Schreiber von AI dagegen an „das Ursprüngliche, den Haupttext gehalten" u. die Zusätze meist übergangen, ja das Original sogar gekürzt, um die unübersichtliche Vorlage zu ordnen (S. 49f). Zur Abweichung von der Grundlegung der Hs. AI bei Schmeidler selbst vgl. Kristensen, S. 38f. Anm. 85. Kristensen wendet sich gegen die Einschätzung von AI als einem „fast autorisierten Text[...]". A2, Universitätsbibliothek Leiden, Codex Vossianus Latinus, nr. 123. Diese Hs. trägt die Überschrift Excerptum de Gestispontificum Hamaburgensis sive Bremensis ecclesiae und enthält lediglich zehn Blätter, nämlich üb. II, cc. 16-22 u. Hb. IV. Vgl. Schmeidler, Einleitung, S. Xllf. sowie Kristensen, S. 18f. u. 48-52. Vgl. Kristensen, S. 49f: AI gehe nicht, wie von Schmeidler behauptet, auf eine Erstredaktion Adams, das Dedikationsexemplar an Erzbf. Liemar (a) zurück, das es überhaupt nicht gegeben habe. Schmeidlers Argumentation, die sich in der Forschung durchgesetzt hat, ist folgende: Adam habe aus seinem Urexemplar (A) eine Reinschrift (a) angefertigt, die er Erzbf. Liemar gewidmet und 1075/76 vollendet habe. Nach der Übergabe von (a) habe Adam bis etwa 1080/81 an seinem Handexemplar (A) weitergearbeitet, so daß eine erweiterte Fassung (X) entstand, die sich gegenüber (A) durch eine große Anzahl von Zusätzen und Verweisen auf dem Rand auszeichnete, weil Adam im Laufe der Jahre nach 1075/76 den Text ständig bearbeitet habe. Somit stellt nach Schmeidler (X) einen späteren und erweiterten Zustand von (A) dar. Schmeidler nahm nun an, daß die Hss.-Gruppe A (Al; A2; A3) auf die ältere Version Adams (A) zurückgehe und insbesondere die kürzeste erhaltene Version, die Wiener Handschrift AI, identisch mit dem Dedikationsexemplar (a) sei, während die Gruppen B u. C auf (X) zurückzuführen seien. Daher war er der Meinung, daß „in Wahrheit hier mit zwei Originalhandschriften zu rechnen [ist, nämlich] (a) als der unter Adams Aufsicht angefertigten und Erzbischof Liemar übergebenen Reinschrift und A X als seiner ursprünglichen Originalhandschrift" (Schmeidler, Einleitung, S. XLVII). Die Zusätze, die in allen Hss. gemeinsam vorkommen, könnten auf eine zweite Redaktion des Werkes zurückgeführt werden, die Adam selbst vorgenommen habe, während die Zusätze in den Hss.-Klassen BC gegenüber A dagegen nur teilweise Adam, teilweise einem Bremer Domkanoniker zuzuschreiben seien, der die zweite Fassung Adams zwischen 1085 und 1090 überarbeitete (ebd., ...

=

34

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

bleibt jedoch auch nach der Kritik eine eindeutige Rekonstruktion des Urtextes unmöglich, und so besteht das Hauptergebnis der Kritik an Schmeidler vor allem in der Erkenntnis, daß die Überlieferungslage keineswegs so gesichert erscheint, wie es der Editor in seiner oben zitierten Äußerung formulierte.32 Wenngleich es für Schmeidlers Untersuchungen spricht, daß zentrale Aspekte seiner Argumentation nach wie vor unbestritten geblieben sind und die vorliegende Arbeit sowohl auf die in der Forschung üblicherweise verwendete Edition Schmeidlers zurückgreift als auch von einem Widmungsexemplar an Liemar ausgeht, so ist dennoch im folgenden auch ein wesentlicher Kritikpunkt Kristensens einzubeziehen: Denn sie hat überzeugend dargelegt, daß die gesamte Überlieferungsgeschichte der Handschriften es nötig macht, die in den hier verwendeten Editionen als Anhang zu Buch III bezeichneten und in eckigen Klammern gedruckten Kapitel III, 72-78 als zu Buch IV gehörig zu betrachten.33 Von der immensen Bedeutung der Hamburgischen Kirchengeschichte als Quelle für die Geschichte des Erzbistums Hamburg-Bremen und Nordelbiens, aber auch Skandinaviens und der nordischen Mission, zeugen zahlreiche Arbeiten.34 Daneben hat die

XL). Die Thesen Schmeidlers führten also zur Annahme eines Dedikationsexemplars und zur Fokussierung auf die kürzeste erhaltene Hs. (AI), die folglich im Mittelpunkt der Editionen Schmeidlers (und im Anschluß daran Trillmichs) steht. Kristensen konstatiert (S. 36), es gebe „keine uns bekannte Form, in der Adams Originalhandschrift abgeschrieben worden ist, ehe sie nicht zum Gegenstand von Revision und Kommentierung gemacht worden" sei.

S.

Schmeidlers Bezeichnung der sieben nur in BC überlieferten Kapitel als „Nachtrag Adams" zu Buch III und die Plazierung dieser Kapitel in seiner Ed. als III, 72-78 widersprechen der Hss.Überlieferung und dem inhaltlichen Zusammenhang. Nach Schmeidler stellt AI hier den ursprünglichen Text dar, während BC in III, 72-78 spätere Hinzufügungen bietet, die Adam nicht mehr einarbeiten konnte (vgl. die Ed. Schmeidlers, S. 219 Anm. 2f. sowie Ders., HamburgBremen, S. 56f. u. 121f.). Schmeidler schrieb sie aber Adam zu. Dagegen argumentiert Kristensen, S. 40f. überzeugend, daß die Überlieferung den einleitenden Vers des vierten Buches hinter III, 71 stellt u. Schmeidlers Vermutung, in Adams Original seien eingelegte Blätter verlorengegangen und fälschlich in lib. IV eingefügt worden, nicht zutreffe. Die Positionierung der sieben Kapitel als III, 72-78 widerspricht also der Überlieferung in allen Hss., da lib. IV immer nach III, 71 beginnt und die Kapitel auch inhaltlich eindeutig zum vierten Buch gehören. Diese Plazierung, so Kristensen, entspreche nicht etwa nur dem BC-Redaktor, sondern treffe sich mit Adams Intention (S. 41-43), der sein Versprechen aus III, 25 einlöse. Trotz der Übernahme dieser überzeugenden Argumente in der vorliegenden Arbeit wird von Kristensens folgerichtiger Bezeichnung dieser Kapitel III, 72-78 als IV, la-7a aus Gründen der besseren Überprüfbarkeit der Ergebnisse an den Edd. Schmeidlers u. Trillmichs abgesehen. Vgl. etwa Werner Budesheim, Der „limes Saxoniae" nach der Quelle Adams von Bremen, insbesondere in seinem südlichen Abschnitt, in: Zur slawischen Besiedlung zwischen Elbe und Oder, hg. v. Dems. (Beitrr. f. Wiss. u. Kultur 1), Neumünster 1994, S. 28-41; Birgit u. Peter Sawyer, Adam and the Eve of Scandinavian History, in: The Perception of the Past in Twelfth-Century Europe, hg. v. Paul Magdalino, London-Rio Grande, Ohio 1992, S. 37-51; Peter Sawyer, Swein Forkbeard and the Historians, in: Church and Chronicle in the Middle Ages. Essays presented to John Taylor, hg. v. Ian Wood u. Graham A. Loud, London-Rio Grande, Ohio 1991, S. 27-40; Peter Johanek, Die Erzbischöfe von Hamburg-Bremen und ihre Kirche im Reich der Salierzeit, in: Die Salier und das Reich, hg. v. Stefan Weinfurter, Bd. 2: Die Reichskirche in der Salierzeit, Sigmaringen 1991, S. 79-112; Heinrich Schmidt, Skandinavien im Selbstverständnis der Bremer Kirche vom 9. bis zum 11. Jahrhundert, in: Bremen. 1200 Jahre Mission, hg. v. Dieter Hägermann (Schrr. d. Wittheit zu Bremen, N.F. 12), Bremen 1989, S. 33-59; Dieter Hägermann, Mission,

35

Zu Autor und Werk

den hohen historiographischen Stellenwert der Gesta insbesondere an Adams drittem Buch festgemacht, das eine biographische Charakteristik Erzbischof Adalberts enthält und als „Meisterstück ersten Ranges" bezeichnet worden ist.35 In jüngerer Zeit und von Schmeidlers textkritischen Studien ausgehend haben sich vermehrt Arbeiten, welche für die hier vorliegende Analyse von grundlegender Bedeutung sind, mit der Vorstellungswelt des Geschichtsschreibers beschäftigt:36 Aage TROMMER gelangte in einer frühen Untersuchung zu dem Ergebnis, daß sich die Intentionen Adams, die sich nicht zuletzt im Umgang mit seinen Quellen zeigen, insbesondere auf die Herausstellung der legatio gentium des Hamburg-Bremer Erzbistums bei den nordischen Völkerschaften richteten, auf die der zur Abfassungszeit amtierende Erzbischof und Adressat der Chronik Liemar verpflichtet werden sollte.37 Gerd ALTHOFF hat nahegelegt, daß Adam es aufgrund der spezifischen Bremer Situation Liemar war ohne Mitwirkung des Domkapitels erhoben worden für nötig befand, den neuen Erzbischof zur Interessenwahrung des Erzbistums zu drängen.38 Wie sehr der Chronist unter Rückgriff auf historische und rechtliche Argumente den erzbischöflichen Missionsauftrag

Forschung

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-

fränkischer Staatsaufbau zwischen Weser und Elbe, in: Ebd., S. 9-31; The Christianization of Scandinavia, Report of a Symposium held at Kungälv, Sweden, 4-9 Aug. 1985, hg. v. Birgit u. Peter Sawyer u. Ian Wood, Alingsâs 1987; Tore Nyberg, Die Kirche in Skandinavien. Mitteleuropäischer und englischer Einfluß im 11. und 12. Jahrhundert. Anfänge der Domkapitel Borglum und Odense in Dänemark (BzGQdMA 10), Sigmaringen 1986, bes. S. 2435; Werner Goez, Das Erzbistum Hamburg-Bremen im Investiturstreit, in: JbWB 27 (1983), S. 29-47; Heinrich Schmidt, Die Bremer Kirche und der Unterweserraum im frühen und hohen Mittelalter, in: Ebd., S. 9-27; Erich Hoffmann, Dänemark und England zur Zeit König Sven Estridsons, in: Aus Reichsgeschichte und Nordischer Geschichte. FS f. Karl Jordan z. 65. Geb., hg. v. Horst Fuhrmann, Hans Eberhard Mayer u. Klaus Wriedt (KHS 16), Stuttgart 1972, S. 92-111; Ulrich March, Zur Kirchengeschichte Nordelbingens in vorschauenburgischer Zeit, in: Ebd., S. 153-160; Walther Lammers, Formen der Mission bei Sachsen, Schweden und Abotriten, in: Ders., Vestigia Mediaevalia. Ausgewählte Aufsätze zur mittelalterlichen Historiographie, Landes- und Kirchengeschichte (FHA 19), Wiesbaden 1979, S. 172-197 (zuerst 1970); Walter Göbell, Die Christianisierung des Nordens und die Geschichte der nordischen Kirchen bis zur Errichtung des Erzbistums Lund, in: Schleswig-holsteinische Kirchengeschichte, Bd. 1: Anfange und Ausbau, Teil I (SchrrVSchlHolstK 1/ 26), Neumünster 1977, S. 63-104; Günter Glaeske, Die Erzbischöfe von Hamburg-Bremen als Reichsfürsten (937-1258) (Quellen u. Darstellungen z. Gesch. Niedersachsens 60), Hildesheim 1963. So Franz-Josef Schmale, in: Wattenbach/ Holtzmann, S. 567. Ähnlich Trillmich, Einleitung, S. 145: „Glanzstück". Grundlegend zu lib. Ill: Georg Misch, Studien zur Geschichte der Autobiographie, III.: Das Bild des Erzbischofs Adalbert in der Hamburgischen Kirchengeschichte des Domscholasters Adam von Bremen, in: Nachrr. d. Akad. d. Wiss. in Göttingen; I. philolog.-hist. Kl. 7 (1956), S. 203-280; Sverre Bagge, Decline and Fall. Deterioration of Character as Described by Adam of Bremen and Sturla t>órdarson, in: Individuum und Individualität im Mittelalter, hg. v. Jan A. Aertsen u. Andreas Speer (MM 24), Berlin-New York 1996, S. 530-548. Vgl. außer den im folgenden einzeln aufgeführten Arbeiten auch Dieter Hägermann, Buten und Binnen im 11. Jahrhundert. Welt und Umwelt bei Bremens erstem Geschichtsschreiber Magister Adam, in: BremJb 63 (1985), S. 15-31. Aage Trommer, Komposition und Tendenz in der Hamburgischen Kirchengeschichte Adam von Bremens, in: Classica et mediaevalia 18 (1957), S. 207-257. Vgl. Althoff, Causa scribendi, S. 128-130, der in diesem Aspekt überhaupt die causa scribendi des Werkes insgesamt erblickt. Auf mögliche causae scribendi wird auch im folgenden hingewiesen; vgl. bes. 2.2.1.2.3. (b).

Bistumsgründung und

36

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

legitimierte und propagierte, hat Hans-Werner GOETZ aufgezeigt.39 Ohne die hier angesprochenen Forschungsergebnisse ist Adams Werk letztlich nicht zu erfassen, wird doch in ihnen deutlich, daß die Hamburgische Kirchengeschichte in einer Krisensituation des Erzbistums entstand, auf die Adam mit seinem Werk reagierte: Die Missionszuständigkeit Hamburg-Bremens für weite Gebiete im Norden und Nordosten Europas war zur Abfassungszeit vehement umstritten und glich daher kaum noch mehr als einem Anspruch. Nicht zuletzt aus diesem Grund thematisiert Adam immer wieder auch für seine Gegenwart das (seinerzeit eben infrage gestellte) Recht des Hamburger Erzbischofs auf Bischofsweihen in den skandinavischen Gebieten.40 Vor dem Hintergrund dieser Forschungsergebnisse sind Äußerungen wie diejenigen Johannes Nowaks, es handele sich bei den Gesta nicht um eine „politische Schrift" und es sei Adam vor allem um eine (rein) historische Begründung des Missionsanspruchs gegangen, keinesfalls mehr haltbar.41 Dagegen fügen sich die (im einzelnen durchaus unterschiedlichen) Ergebnisse bisheriger Arbeiten über das ,Wir-Gefühl' Adams, die im anschließenden Kapitel genauer zu betrachten und in der folgenden Untersuchung zu überprüfen sind, gut in die skizzierten Resultate der Forschung zur Vorstellungswelt des Chronisten ein: Insbesondere Wolfgang EGGERT hat, auf die Aussagen einer früheren Studie Rudolf Buchners Bezug nehmend, die hohe Bedeutung der auf das Erzbistum und Sachsen gerichteten Wir-Bezüge hervorgehoben.42 Daß Adams Vorstellungen jedoch in ihrer Komplexität keineswegs leicht zu erfassen sind, hat Gerhard THEUERKAUF in der bereits oben angesprochenen Untersuchung gezeigt.43 Neben diesen Arbeiten zu Adams Vorstellungen in seiner Geschichtsschreibung und zu den causae scribendi haben sich auch zahlreiche Untersuchungen der geographischen Vorstellungswelt des Chronisten gewidmet.44 Ihr besonderes Interesse galt den Hans-Werner Goetz, Geschichtsschreibung und Recht. Zur rechtlichen Legitimierung des Bremer Erzbistums in der Chronik Adams von Bremen, in: Recht und Alltag im Hanseraum. FS f. Gerhard Theuerkauf z. 60. Geb., hg. v. Silke Urbanski, Christian Lamschus u. Jürgen Ellermeyer, Lüneburg 1993, S. 191-205. Auf Adams Darstellung als Reaktion auf die Konkurrenz um den erzbischöfl. Missionsanspruch, dem sowohl die Haltung Papst Gregors VII. als auch die kirchenorganisatorischen Selbständigkeitsbestrebungen in den nordischen Königreichen entgegenwirkten, wird in der folgenden Untersuchung detailliert eingegangen. Vgl. a. Henrik Janson, Templum Nobilissimum. Adam av Bremen, Uppsalatemplet och konfliktlinjerna i Europa kring âr 1075 (Avhandlingar frân Historiska institutionen i Göteborg 21), Diss. Göteborg 1998. Johannes Nowak, Untersuchungen zum Gebrauch der Begriffe populus, gens und natio bei Adam von Bremen und Helmold von Bosau, Diss. Münster 1971, S. 8. Ebensowenig haltbar ist die zuweilen geäußerte Ansicht, Adam habe „ahnungslos gefälschte Urkunden" in seine Chronik übernommen (vgl. z. B. Schmeidler, Hamburg-Bremen, S. 202; Trillmich, Einleitung, S. 148; ähnl. Nowak, S. 7). Solche Äußerungen, die dem Chronisten eine naive Urkundenbenutzung bescheinigt, zielen vor allem auf den Nachweis von Adams Glaubwürdigkeit. Vgl. Buchner, Vorstellungswelt, u. Eggert, Wir-Gefühl. Zu diesen Untersuchungen vgl. ausführlich im folgenden u. Kap. 2.2.2. Theuerkauf, Hamburgische Kirchengeschichte. Vgl. oben, Kap. 1.5. u. im folgenden, Kap. 2.2. Vgl. etwa Ove Jorgensen u. Tore Nyberg, Sejlruter i Adam af Bremens danske 0verden (Kungl. Vitterhets Historie och Antikvitets Akademien, Antikvariskt arkiv 74), Stockholm 1992; G.A. van der Toorn-Piebenga, Friese ontdekkingsreizigers in de elfde eeuw, in: It beaken. Tydskrift fan de Fryske Akademy 48/2 (1986), S. 114-126; Wolfgang Schlüter, Adams von Bremen geo-

Zu Autor und Werk

37

ethnographischen Teilen des Werkes (und hier fast ausschließlich der DeDie Beschäftigung mit diesen Passagen hat bislang vor allem zu einer Verorscriptio). Adams geographischen Weltbildes zwischen den beiden Polen einer Bezugnahme tung auf ältere, spätantike Traditionen einerseits sowie der Zusätze und .Modernität' andererseits geführt,45 wobei jedoch häufig die Vorstellungswelt des Chronisten aus dem geo- und

Blick geriet.46

graphische Vorstellungen vom Norden, in: HG 37 (1910), S. 555-570; Axel Anthon Bjornbo, Adam af Bremens nordensopfattelse, Kopenhagen 1910; Hermann Krabbo, Nordeuropa in der Vorstellung Adams von Bremen. Mit zwei Karten. Vortr., gehalten am 12. August 1908 in der VIII. Sektion d. Internat. Kongresses f. Hist. Wissenschaften zu Berlin, in: HG 15 (1909), S. 3751; Philipp Wilhelm Kohlmann, Adam von Bremen. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Textkritik und Kosmographie (Leipziger hist. Abhh. 10), Leipzig 1908, S. 52-55; Siegmund Günther, Adam von Bremen, der erste deutsche Geograph (SB d. kgl. böhm. Ges. d. Wiss.en; CI. f. Philosophie, Gesch. u. Philologie), Prag 1894; Ludwig Giesebrecht, Ueber die Nordlandskunde des Adam von Bremen, o.O. 1834; vgl. a. Schmeidler, Hamburg-Bremen sowie Weibull.

Eine solche Verortung Adams nehmen etwa vor Walther Lammers, Das Hochmittelalter bis zur Schlacht von Bornhöved (Geschichte Schleswig-Holsteins, hg. v. Olaf Klose, IV/1), Neumünster 1981, S. 219-228; Carl F. Hallencreutz, Adam Bremensis and Sueonia. A fresh look at Gesta Hammaburgensis Ecclesiae Pontificum (Acta Universitatis Upsaliensis. Skrifter rörande Uppsala universitet C. Organisation och Historia 47), Uppsala 1984. Auf Adam gehen auch ein Eliyahu Ashtor, La geografía dell'Europa nelle opere di persiani e arabi nell'undicesimo secólo, in: Popoli e paesi nella cultura altomedievale (23-29 aprile 1981), Bd. 2 (SSCI 29,2), Spoleto 1983, S. 647-699 u. Anna-Dorothee VON den Brincken, Fines Terrae. Die Enden der Erde und der vierte Kontinent auf mittelalterlichen Weltkarten (MGH Schrr. 36), Hannover 1992. Zur Kritik an der Forschung im Umgang mit mittelalterl. Raumdarstellungen vgl. oben, Kap. 1.4.; zu Adams geograph. Vorstellungen u. zu bisherigen Studien vgl. ausführlich unten, Kap. 2.3.1.

38

Adam

2.2.

Die

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

Selbstzuschreibungen Adams von Bremen

Bereits mehrfach hat sich die Forschung zur Identität mittelalterlicher Autoren mit der Frage beschäftigt, welchen Gemeinschaften sich Adam von Bremen zurechnete. Rudolf BUCHNER kam 1963 in einer grundlegenden Arbeit über das ,Wir-Gefühl' des Chronisten zu dem Ergebnis, daß sich Adam innerhalb eines „kirchlichen Bereiches" dem Hamburg-Bremer Erzbistum und der Christenheit insgesamt, innerhalb eines „weltlichpolitischen" Bereiches Sachsen und dem Reich „zugehörig fühlte". Daneben zeige sich ein schwach ausgeprägtes „deutsches Volksbewußtsein".47 Die Ergebnisse Buchners wurden von Wolfgang EGGERT in einer längsschnittartig angelegten Untersuchung zum „Wir-Gefühl" mittelalterlicher Historiographen teilweise bestritten, auch er kommt jedoch zu dem Schluß, daß die Gemeinschaften, denen sich Adam am weitaus häufigsten zuschrieb, durch die Begriffe „kirchlich-lokal" (das Erzbistum) und „politischlokal" (Sachsen) gekennzeichnet werden können. Ausnahmen seien in den Wir-Bezügen auf die Christenheit insgesamt und auf die „deutsche Sprachgemeinschaft" zu sehen, die zahlenmäßig jedoch nicht sehr ins Gewicht fielen.48 Im Zusammenhang mit diesen Untersuchungen ist auch auf die Studie Gerhard THEUERKAUFs hinzuweisen, der über eine Betrachtung der Wir-Bezüge, der sogenannten „direkten Identifikationen",49 hinausgehend auf Abgrenzungen und Widersprüche aufmerksam gemacht hat, die sich in der Hamburgischen Kirchengeschichte finden:50 Adams Weltbild sei durch Spannungen und Brüche gekennzeichnet, da die verschiedenen Sphären der hochmittelalterlichen Gesellschaft (Erzbistum, Christenheit, Menschheit), denen sich der Chronist in unterschiedlichen Kontexten (Politik, Religiosität, Handel) zugerechnet habe, nicht immer miteinander vereinbar sind, sondern in konkreten Situationen häufig in Widerspruch zueinander stünden. Ausgehend von den Ergebnissen dieser Arbeiten werden im folgenden die Zuschreibungen Adams von Bremen untersucht. Wenngleich die Themen Identität und Fremdheit grundsätzlich nicht getrennt voneinander behandelt werden können,51 liegt das Hauptaugenmerk zunächst auf den Selbstzuschreibungen des Chronisten zu Gemeinschaften, bevor in einem zweiten Teil stärker auf die Fremdzuschreibungen Adams in den ausführlichen Darstellungen zahlreicher Regionen und Völkerschaften fokussiert wird. Jedoch ist hervorzuheben, daß auch durch die Analyse der Identifikationsstrukturen Adams bereits Abgrenzungen von anderen Gruppen in den Blick geraten. Von der skizzierten Forschungslage zu Adam von Bremen ausgehend ist zu prüfen, ob das bestehende Bild von einem relativ gleichberechtigten Nebeneinander von Gemeinschaften aus dem .religiösen' und .weltlichen' Bereich aufrecht erhalten werden kann, denn es erscheint durchaus möglich, daß dieses Ergebnis bereits durch die nahezu ausschließliche Beschränkung Buchners und Eggerts auf die Untersuchung .politischer' Buchner, Vorstellungswelt. Vgl. in methodischer Hinsicht auch Ders., Geschichtsbild,

Zusammengehörigkeitsgefühle.

Eggert, Wir-Gefühl, S. 142-148. Zu den Arbeiten Buchners

Kap. 2.2.2.

Der Begriff z. B. bei Eggert, Wir-Gefühl. Theuerkauf, Hamburgische Kirchengeschichte.

Vgl.

dazu die

Einleitung dieser Untersuchung.

u.

Eggerts

vgl.

u.

Ders.,

auch unten,

Die Selbstzuschreibungen

39

präjudiziert wurde.52 Daher ist ein Hauptaugenmerk auf das Verhältnis der zunächst einzelnen, getrennt zu behandelnden Teilidentitäten zueinander zu richten, wobei in bezug auf die politischen' Gemeinschaften zudem auf Ergebnisse der jüngeren Forschung zum mittelalterlichen Nationsbewußtsein und zu regionalen Identitäten rekurriert wird.53 Da in der vorliegenden Arbeit darüber hinaus auf die Gründe für Adams Selbstzuschreibungen fokussiert wird, sind auch Faktoren wie die politischhistorische Situation zur Abfassungszeit der Chronik, der Adressat des Werkes, Erzbischof Liemar, und mögliche causae scribendi einzubeziehen, welche für Adam, wie erwähnt, bereits häufiger thematisiert worden sind. Buchners und, noch ausgeprägter, Eggerts Beschränkung auf eine Analyse der Wir-Bezüge wird nicht gefolgt, wenngleich der Untersuchung direkter Identifikationen im Hinblick auf die hier verfolgte Fragestellung großes Gewicht zukommt. Weitaus stärker als bislang wird dabei jedoch das Augenmerk auf eine quantitative und qualitative Analyse der Wir-Bezüge gelegt. Denn zum einen lassen sich bereits aus deren Verteilung im Werk, etwa auffälligen Anhäufungen in bestimmten Abschnitten, Schlußfolgerungen ziehen, welche über die Ergebnisse der bisherigen Forschung hinausgehen und diese zu differenzieren vermögen. Zum anderen erweist sich eine stärkere Kontextualisierung der Wir-Bezüge schon für die Bestimmung ihrer Bezugsgruppe als notwendig. Da die Trennung zwischen Gemeinschaften aus einem ,kirchlichen' oder ,religiösen' und einem .weltlichen' oder .politischen' Bereich beibehalten wird,54 werden diese auch nacheinander untersucht. Bevor auf Adams Zuschreibungen zu Region und Reich einzugehen ist, liegt das Hauptaugenmerk zunächst auf Gemeinschaften aus dem ,kirchlichen Bereich'. Denn ihnen kommt schon in der praefatio große Relevanz zu. Identitäten

2.2.1. Das Erzbistum

Hamburg-Bremen und die christianitas

Bereits in der Vorrede der Gesta zeigt sich die hohe Bedeutung, die Adam dem Erzbistum Hamburg-Bremen beimißt: Er bezeichnet es als „erschöpfte Mutter", sich selbst als deren Sohn und beklagt das Fehlen einer „örtlichen Geschichte der Bischöfe". Gerade deren Tatenfülle verlange um ihrer eigenen Bedeutung, aber auch um der Notlage (nécessitas) der Kirche willen eine Aufzeichnung, hätten die früheren Bischöfe doch der Erhöhung des Erzbistums und der Verbreitung des Christentums gedient.55 Der filius ecclesiae Adam bezeichnet es als Pflicht seiner Ergebenheit, diese Taten bekannt zu machen, und deshalb habe er sein Werk auch verfaßt.56 Die exhausta mater befindet Dies betrifft vor allem die Arbeiten Buchners, Vorstellungswelt, u. Eggerts, Wir-Gefühl. Vgl. dazu unten, Kap. 2.2.2. Vgl. dazu unten, ebd. u. außer der dort aufgeführten Lit. die oben, Kap. 1, Anm. 58-60 genannte. Vgl. dazu die Einleitung dieser Arbeit, Kap. 1.5. Adam praef, S. 1: exhausta[...] mat[er]. Ebd., S. If: pontificum loci hystoria non est tradita litteris. (...) ecclesia exaltata et christianitas in gentibus dilátala est. Ebd., S. 2: meae devotionis offici[um]. Zum Topos der devotio in mittelalterlichen Prologen vgl. Gertrud Simon, Untersuchungen zur Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, in: AfD 4 (1958), S. 52-119 (Teil 1); 5/6 (1959/60), S. 73-153 (Teil 2).

40

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

sich nach Meinung des Chronisten in einer Notlage, denn er habe „mit Augen und Ohren" vernommen, wie sehr man der Kirche das Vorrecht ihres alten Ranges (antiqui

honoris privilegium) schmälerte.57 Adam bezweckt mit der Abfassung seines Werkes ausdrücklich die Wiederherstellung des honor des Erzbistums.58 Trägt er hierzu durch das Schreiben seiner serie presulum bei, obliegt dem Adressaten der Chronik, dem amtierenden Erzbischof Liemar, hingegen die Aufgabe, den Taten seiner Vorgänger nachzueifern und für die Missionslegation im Norden Sorge zu tragen. So betrachtet Adam sein Werk über die Geschichte des Erzbistums als Fundament für das von ihm gewünschte zukünftige Handeln des neuen Erzbischofs, als dessen „Aufgabe" und zugleich „verpflichtendes Erbe" er die „Vollendung der Heidenbekehrung bei allen Völkern des Nordens" ansieht.59 Diese Aufforderung an den Adressaten zu einem nach außen gerichteten Handeln verbindet der Chronist mit einem weiteren, nach innen zielenden, Wunsch, indem er Gott für die Amtszeit Liemars um die „Abstellung von Mißständen unter uns" bittet.60 Das „Wir" bezieht sich hier, wie aus dem Kontext hervorgeht, auf den Domklerus, dem Adam zur Abfassungszeit selbst angehörte und den er seit langem in einer „führerlosen und bedrängten" Lage sieht.61 Durch die Hervorhebung des yî//«s-ecc/es/a-Verhaltnisses, der Ableitung des Schreibanlasses aus der Notlage des Erzbistums und den Aufforderungen an den Adressaten schreibt sich Adam hier bereits in seiner Vorrede dem Erzbistum zu, das den Bremer Domklerus einschließt, und im Hinweis auf die Missionsaufgaben auch der christianitas. Dies weist auf eine grundlegende Bedeutung dieser Gemeinschaften für den Chronisten hin, die im folgenden zu konkretisieren ist. Zunächst wird geprüft, inwieweit Adams Darstellung der Entstehungs- und Frühzeit des Erzbistums durch seine Zuschreibungen geprägt ist. Danach werden die direkten Identifikationen des Chronisten untersucht: Hier stehen drei Konfliktfelder im Vordergrund, bei deren Schilderung Adam auffallend häufig Wir-Bezüge verwendet. Ausgehend von den direkten Identifikationen und der Thematisierung von Bischofsweihen, Missions- und Visitationsreisen wird abschließend nach einer konkreten Begründung für die Abfassung des vierten Buches gefragt, die in der Forschung bislang erst recht vage formuliert worden ist.62 -

-

-

Praef, S.

1: oculis atque auribus

-

accepi ecclesiam

vestram

antiqui honoris privilegio

nimis

extenuatam. 8

Zur und

Übersetzung des Begriffs honor in Adams Praefatio sowie zur Verbindung zw. Rechtsdenken Geschichtsschreibung vgl. Goetz, Geschichtsschreibung und Recht, S. 194. praef., S. 2: negoti[um] vestrae legationis, sanctissimorum patrum,

gesta revolvo.

Adam

Ebd., S. 3f: Ad hoc quae in gentium conversione a decessoribus tuis strennue dudum incepta sunt, a te, qui hereditariam predicandi legationem possides in totam septentrionis latitudinem, mature perfici concédât Iesus Christus dominus noster, cuius regni non est finis per omnia sécula ...

...

,0 11

°-

seculorum. Amen. Ebd., S. 3: tuisque diebus ea, quae inter nos prava sunt, corrigi et correcta perpetuo conservari. Vgl. (ebd.) den vorhergehenden Satz, in dem er vom Klerus als populo diu erranti et afflicto

spricht. Vgl. dazu unten, Kap. 2.2.1.2.3. (b).

...

41

Die Selbstzuschreibungen

2.2.1.1. Die

Entstehungs- und Frühzeit des Erzbistums Hamburg-Bremen

Adams Darstellung zufolge entstand das Bistum Bremen zur Zeit Karls des Großen. Er inseriert in seine Chronik eine Urkunde Karls, nach der dieser 788 das Bistum gründete und, auf Anweisung des Papstes und mit Zustimmung aller anwesenden Bischöfe, Willehad zum ersten Bischof bestimmte.63 Die Urkunde belegt die Zuständigkeit Bischof Willehads für das nördliche (septentrionalis pars) Sachsen und enthält eine ausführliche Grenzbeschreibung des Sprengeis. Daneben weist sie dem Bremer Bistum „als ewigen Besitz ein Teilgebiet Frieslands" (Fresia) zu, dessen territoriale Ausdehnung Adam in einem Zusatz anfügt.64 Wie aus dem Inhalt der Urkunde und dem Kontext der Darstellung hervorgeht, liegen die historischen Voraussetzungen der Bistumsgründung für den Chronisten in der Unterwerfung und Christianisierung Sachsens durch Karl den Großen, denn er schließt seinen Bericht an die Schilderung der Sachsenkriege Karls an. Der Wegbereiter des Christentums und Gründer des Bistums Bremen weist diesem auch ein fest umrissenes Diözesangebiet zu. Willehad schließlich erhält, wie ebenfalls aus dem Kontext deutlich wird, vor allem aufgrund seiner Verdienste um die Mission und im Einvernehmen mit dem Papst und anderen Bischöfen, das Bistum.65 Die Urkunde Karls ist nach einhelliger Forschungsmeinung eine Fälschung und nur in der Hamburgischen Kirchengeschichte überliefert.66 Willehad wurde 787 zum Missionsbischof für die Wigmodia, östliche Teilgebiete Frieslands und Dithmarschen geweiht, und wählte sich Bremen kurze Zeit später zu seinem Sitz.67 Erst sein Nachfolger Willerich konnte ab 804/805 den kontinuierlichen Aufbau der Kirchenorganisation von Bremen aus beginnen. Ob es sich um eine „plumpe Fälschung" handelt und sich Adam bei der Gründungsdarstellung „im wesentlichen" an seine Quellen hielt,68 ist hier DKdGr 245, in: Die Urkunden der Karolinger I, ed. Engelbert Mühlbacher, MGH DD Diplomata Karolinorum, 2., unveränderte Aufl., Berlin 1956, S. 344-346; vgl. Adam I, 12, S. 1417.

eidem Bremensi ecclesiae Ebd., S. 15f: partem prenominatae regionis, videlicet Fresiae, successoribus Willehado eiusque delegavimus episcopo perpetualiter suoque provisori retinendam. Vgl. a. schol. 3, ebd. In dem Kapitel, das der Gründungsdarstellung unmittelbar vorausgeht, berichtet Adam auch von den Bekehrungserfolgen Willehads in den maritim[ae] et boreales Saxoniae partes ac Transalbian[i\ popul[i], zu welchen dieser als erster gereist sei. Vgl. I, 11, S. 12. Dieter Hagermann, Karl der Große und die Karlstradition in Bremen, in: JbWB 27 (1983), S. 49...

80, hier S. 50.

Wigmodia ist im 9. Jh. wohl das gesamte Siedlungsgebiet zwischen Unterweser und Unterelbe zu verstehen. Vgl. hierzu Heinrich Schmidt, Bremer Kirche, S. 9-13 mit weiteren Nachweisen sowie Hagermann, Mission. Nach der Vita Willehadi Episcopi Bremensis, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 2, Hannover 1829 (ND 1976), S. 378-390, hier S. 381 weihte Karl Willehad constituitque eum pastorem et rectorem super Wigmodia et Laras et Riustri et Asterga necnon Nordendi ac Wanga. Vgl. hierzu GESCHICHTLICHER HANDATLAS Niedersachsens, hg. v. Georg Schnath (Veröffentll. d. Hist. Komm. f. Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe u. Bremen 20), Berlin 1939, S. 26f. Das Gründungsdatum des Bistums Bremen ist im Gegensatz zum Datum der ersten Domweihe (1. Nov. 789) umstritten. Vgl. zur Diskussion z. B. Wolfgang Seegrün, Art. Hamburg-Bremen, in: LMA 4, MünchenZürich 1989, Spp. 1885-1889, hier Sp. 1885. So Hagermann, Karl der Große, S. 50f. Unter

42

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

nicht entscheidend: Vielmehr stellt sich im Zusammenhang mit den Selbszuschreibungen Adams die Frage nach den Gründen für die Tendenz in seiner Darstellung. Und hier fällt auf, daß der Chronist mit der Urkunde zugleich eine Grenzumschreibung für den Bremer Sprengel inseriert und eigens in einem Scholion die Aufzählung der pagi hinzufügt, die der zum Bistum gehörende Teil der Fresia umfaßt; daß er zudem die Anzahl der bestehenden Kirchen nennt und die Grenzen zwischen dem friesischen Teil der Saxonia und der übrigen Fresia markiert.69 Die Urkundenfälschung stammt höchstwahrscheinlich aus den Jahren 1056-1062 und ist somit erst während des Pontifikats Erzbischof Adalberts und kurz vor der Berufung Adams nach Bremen entstanden.70 Sie betont in auffälliger Weise die Rechte des Erzbistums am Weserraum und diente wohl der Sicherung von Herrschafts- und insbesondere Zehntansprüchen im 11. Jahrhundert, vor allem, wie die Forschung vermutet, gegenüber Forderungen des Bistums Verden.71 Aus Adams Nachrichten über den circuitus der Erzbischöfe72 kann geschlossen werden, daß der Raum zwischen Elbe und Weser das Kerngebiet der erzbischöflichen Herrschaftsausübung im 11. Jahrhundert bildete, und ausgerechnet dieses, in der Urkunde so auffällig genau umrissene Territorium sowie der Teil der Fresia, dessen Grenzbeschreibung Adam eigens einen Zusatz widmet, stellen den Schauplatz von Interessenkonflikten zwischen Adalbert und den sächsischen Herzögen dar. Darauf wird unten noch genauer einzugehen sein, unter Berücksichtigung dieses Hintergrunds und des Fälschungszeitpunkts bleibt hier zunächst einmal festzuhalten, daß Adam mit der Insertion der Urkunde offenkundig aktuelle Interessen des Bremer Bistums und gleichzeitig den Missionsbereich des Sprengeis rechtlich legitimierte. Die Darstellung der Gründung des Erzbistums Hamburg bietet ein durchaus vergleichbares Bild: Adam greift hier vor allem auf zwei Urkunden ein Diplom Ludwigs des Frommen von 834 und eines Papst Gregors IV. von 831/832 sowie auf RiMBERTs Vita Anskarii (Fassung A),73 zurück. In Anlehnung an diese Quellen berichtet er, daß -

-

Schol. 3, S. 15f. Die Grenzumschreibungen gibt es erst seit dem 10. Jh.; vgl. Bernhard Schmeidler, Kaiser Heinrich IV. und seine Helfer im Investiturstreit. Stilkritische und sachkritische Untersuchungen, Leipzig 1927 (ND Aalen 1970), S. 225ff. u. TRILLMICH in seiner Ed., S. 177 Anm. 67. Vgl. Gerhard Theuerkauf, Urkundenfälschungen des Erzbistums Hamburg-Bremen vom 9. bis zum 12. Jahrhundert., in: NdsJbLG 60 (1988), S. 71-140, hier S. 133 m. Anm. 373 und weiteren Nachweisen; zur Datierung ins 11. Jh. vgl. Otto Heinrich May, Die Regesten der Erzbischöfe von Bremen, Bd. 1 (Veröffentll. d. Hist. Komm. f. Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe und Bremen 11), Hannover 1937, RB 2. Dies liegt auch nahe, richtete sich doch ein Teil der Urkundenfälschungen zur Zeit Adalberts auf den Erwerb des Klosters Ramelsloh, das in der Diözese Verden lag. Die (angeblichen) Patriarchatspläne Adalberts, die auch Verden u. Ramelsloh als Bistumssitze unter HamburgBremer Obödienz vorsahen, verursachten einen Streit mit dem Bistum Verden; vgl. dazu auch JOHANEK. Zum Patriarchatsplan vgl. bes. Horst Fuhrmann, Studien zur Geschichte mittelalterlicher Patriarchate III: Der Patriarchatsplan Adalberts von Bremen, in: ZRG Kan. Abt. 41 (1955), S. 120-170. Die Quellenlage läßt ein differenziertes Itinerar nicht zu, jedoch sind aus den Nachrichten bei Adam durchaus Rückschlüsse über den räumlichen Umfang und Schwerpunkte der erzbischöfl. Herrschaft im 11. Jh. möglich; vgl. dazu Johanek, S. 92. Vgl. etwa Adam II, 82, S. 140 für Bezelin sowie III, 9, S. 150 u. 36, S. 178f. für Adalbert. Werner Trillmich in der Einleitung zu seiner Ed. von Rimberts Vita Anskarii, FSGA 11,

43

Die Selbstzuschreibungen

bereits Karl der Große Pläne zur Errichtung eines Erzbistums in Hamburg gehegt und den Ort überdies als metropolis „für alle Slawen- und Dänenvölker" vorgesehen habe. Diese Pläne seien jedoch nicht mehr unter Karl, sondern erst unter dessen Sohn, Ludwig dem Frommen, verwirklicht worden, der Hamburg 832 zur „Mutterkirche für alle Barbarenvölker, für die Dänen, Schweden, Slawen und andere Nachbarvölker ringsum, [bestimmte] und zum ersten Erzbischof dieses Stuhles Ansgar weihen ließ." Wenig später teilt er mit, daß Gregor IV. die Wahl Ansgars durch die Verleihung des Palliums bestätigte.74 Wie im Fall Bremens spricht Adam auch bei der Gründung Hamburgs von einem bereits früh gehegten Plan Karls des Großen, wenn ihn auch erst dessen Sohn ausführte. Die Ursache für die Verschiebung des kaiserlichen Vorhabens sieht der Chronist in Angriffen des dänischen Königs auf das fränkische Reich, und er spart nicht mit Kritik an Ludwig, der „den Willen seines Vaters mißachtete" und nicht unverzüglich das Erzbistum gründete.75 Wie bei Willehad erfolgt auch die Ernennung Ansgars für Hamburg mit Zustimmung des Papstes und der Bischöfe, und wie bei jenem werden auch Ansgars Verdienste um die Mission direkt vor den Bericht über die Bistumsgrün-

dung plaziert.76 Adam rechtfertigt somit durch eine parallel angelegte Komposition die Existenz beider Bistümer mit den Taten ihrer ersten Bischöfe für die Mission, die so kann man es jedenfalls vor dem Hintergrund der praefatio lesen beispielhaft ausführten, was der Adressat Liemar als „verpflichtendes Erbe" übernimmt. Im Unterschied zu Bremen behauptet Adam jedoch für Hamburg eine frühe erzbischöfliche Stellung und die Zuständigkeit für einen über die Reichsgrenzen hinaus reichenden Missionsraum, der gegenüber dem angeblichen Plan Karls (Slawen und Dänenvölker) im Bericht über die Gründung Ludwigs (Dänen, Schweden, Slawen und alle anderen ringsum) konkretisiert und ausgedehnt wird. Eine Einordnung der Darstellung Adams fällt nicht leicht, da um die ereignisgeschichtlichen Grundzüge der Entstehungs- und Frühzeit des Erzbistums Hamburg-Bremen eine lange und teilweise heftig geführte Forschungskontroverse entbrannte, die zu divergierenden Ergebnissen geführt hat. Die Diskussion entzündete sich an den Fragen nach der Echtheit und gegebenenfalls dem Fälschungszeitpunkt von Königs- und Papsturkunden für das Erzbistum und führte auch zu einer unterschiedlichen Einschät-

-

Darmstadt 72000, S. 3-133 (mit meinem Nachtrag, S. 753-758), hier S. 10. I, 14, S. 18f: disponens eandem Hammaburgensem ecclesiam cunctis Sclavorum Danorumque gentibus metropolem statuere; 16, S. 22f: pius cesar votum parentis implere cupiens Hammaburg civitatem Transalbianorum metropolem statuit omnibus barbaris nationibus Danorum, Sueonum itemque Sclavorum et aliis in circuitu coniacentibus populis, eiusque cathedrae primum archiepiscopum ordinari fecit Ansgarium. Ebd., S. 23: roborante id papa Gregorio quarto apostólica auctoritate et pallei datione. Die Tendenz, das Missionsgebiet zu erweitern, verfolgt die Fassung B von Rimberts Vita Anskarii 23; vgl. Trillmich in seiner Ed. der Vita, S. 46 Anm. 1 u. S. 47 m. Anm. 81. Adam I, 15, S. 20: Ludewicus voluntatem patris oblitus provinciam Transalbianam Bremensi et Ferdensi episcopis commendavit. Zum dän. Kg. Göttrik vgl. 14, S. 19. Die Zustimmung der Bischöfe Willerich v. Bremen u. Helmgaud v. Verden, unter die Ludwig d. Fr. das nordelbische Gebiet vor der Gründung Hamburgs aufgeteilt hatte, wird eigens erwähnt; vgl. Adam I, 16, S. 23. Ansgars Verdienste um die Mission: 15, S. 21 f. Adam

Adam

44

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

Glaubwürdigkeit von RlMBERTs Vita Anskarii (Fassung A).77 Gegensätzliche Abhängigkeitsverhältnisse der Urkunden untereinander sowie dieser mit der Vita Anskarii erschwerten zusätzlich die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte des Erzbistums. Zwar stand die Hamburgische Kirchengeschichte nicht im Mittelpunkt dieser Debatte, die daher auch nicht im einzelnen zu erörtern ist; da sich Adam jedoch zum Teil ausdrücklich auf die umstrittenen Zeugnisse beruft, ist hier kurz darauf einzugehen. Dabei werden vor allem die Ergebnisse Gerhard THEUERKAUFs herangezogen, dessen Untersuchungen über die Urkundenfälschungen des Erzbistums sich methodisch von anderen unterscheiden und zu begründeten Schlußfolgerungen geführt haben.78 Die Urkunden, auf die sich Adam in seiner Darstellung der Gründung Hamburgs bezieht, sind ge- oder verfälscht, und auch die Berichterstattung in der Vita Anskarii steht in engem Zusammenhang mit diesen (Ver-)Fälschungen.79 Adam übernimmt aus zung der

Die Kontroverse um den Gründungszeitpunkt u. die Echtheit der Urkunden wurde zunächst 1918/19 zw. Bernhard Schmeidler u. Wilhelm Maria Peitz, danach 1969-1976 insbes. zw. Richard Drögereit u. Wolfgang Seegrün geführt. Im Mittelpunkt standen die Papsturkunden UG.IV. 832a und UN.I. 864b, deren unterschiedliche Bewertungen in die zugespitzten Annahmen der Gründung des Erzbistums Hamburg 831/832 (Seegrün) u. der Gründung eines Erzbistums Bremen 864 (Drögereit) mündeten (vgl. die im Literaturverz. aufgeführten Untersuchungen). Gegen Drögereit wandten sich auch Theodor Schieffer, Adnotationes zur Germania Pontificia und zur Echtheitskritik überhaupt. Erster Teil, in: AfD 32 (1986), S. 503-545; Karl Reinecke, Bischofsumsetzung und Bistumsvereinigung. Ansgar und Hamburg-Bremen 845-864, in: AfD 33 (1987), S. 1-53 sowie Theuerkauf, Urkundenfälschungen, u. Ders., Zur kirchenpolitischen Lage des Erzbistums Hamburg-Bremen im 9. Jahrhundert, in: Mit Ansgar beginnt Hamburg, hg. v. d. Kath. Akad. Hamburg (Publl. d. Kath. Akad. Hamburg 2), Hamburg 1986, S. 91-98; im Anschluß an Schieffer zuletzt Brigitte Wavra, Salzburg und Hamburg. Erzbistumsgründung und Missionspolitik in karolingischer Zeit (Osteuropastudd. d. Hochschulen d. Landes Hessen; Reihe I: Giessener Abhh. z. Agrar- u. Wirtschaftsforsch, d. Europ. Ostens 179), Berlin 1991, bes. S. 283-328. Theuerkauf, Zur kirchenpolitischen Lage, u. bes. Ders., Urkundenfälschungen, nimmt insgesamt eine vermittelnde Position ein. Er verbindet diplomatische u. sozialgeschichtl. Ziele: Im Mittelpunkt seines Interesses stehen die Überprüfung der „gedanklichen Schlüssigkeit" in Urkundenkontexten, das Aufstellen einer relativen Chronologie der Urkunden durch Textvergleiche sowie die Frage, inwieweit der Urkundenkontext sich in politisch-soziale Problemfelder einfügt. Überzeugend bezieht Theuerkauf die Überlieferung bis 1160 in seine Untersuchung ein, wodurch er der Kontroverse zwischen Drögereit und Seegrün, die eng auf die Urkunden des 9. Jahrhunderts u. die Frage ihrer Fälschung bezogen war, entgeht und zu m.E. plausiblen Ergebnissen kommt. Die Urk. Ludwigs d. Fr. (DLdF 834a) ist als Verfälschung eines echten, nicht erhaltenen Diploms (DLdF 834) anzusehen (vgl. Theuerkauf, Urkundenfälschungen, S. 127 u. 129f, der die Datierung der verfälschten u. gleichzeitig ältesten erhaltenen Fassung von DLdF 834, DLdF 834a, auf zwischen 876 u. 888 wahrscheinlich macht). Zusammen mit DLdDt 842 diente DLdF 834a in Anlehnung an RlMBERT, Vita Anskarii 12, den Abgrenzungen vom Btm. Verden. Das nicht mehr erhaltene Diplom Papst Gregors IV. von 831/832 ist in der Vita Anskarii (cc. 13 u. 23) nur mittelbar, nämlich durch eine Urk. Papst Nikolaus 1. (UN.I. 864), benutzt worden (vgl. Theuerkauf, ebd., S. 92 u. 100, der [S. lOOf] die Verfälschung auf 870-888 datiert). In UN.I. 864 bestätigt Nikolaus angeblich die Entscheidungen Gregors IV. Erst danach wurde die Urk. durch das Anhängen der Palliumsverleihung zu UN.I. 864b verfälscht. UG.IV. 832 lag nach Theuerkauf mindestens bis 864 vor. Erst in dieser Urk. wird Hamburg 864 zum erzbischöfl. Sitz erhoben u. in ihrer verfälschten Fassung (UN.I. 864b) vorgegeben, eine bereits 832 durch Gregor

Die Selbstzuschreibungen

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diesen Zeugnissen 1. die frühe Errichtung des Erz bistums unter Ludwig, die durch den angeblichen Plan Karls noch unterstrichen wird80 sowie 2. die Präzisierung und Ausweitung des Missionsraumes.81 Die Frühdatierung der Gründung legitimierte die kanonisch bedenkliche Zusammenlegung der Bistümer Hamburg und Bremen, die 848 erfolgte und 864 durch das Privileg Nikolaus I. rechtlich verbrieft wurde. Die Unierung erfolgte, als Ansgar aufgrund der Normanneneinfalle aus Hamburg geflohen war und ihm das vakante Bistum Bremen als neue sedes überlassen wurde, so daß der Hamburger Erzbischof in der Folgezeit in Bremen residierte. Mit Hilfe der Frühdatierung konnte die Unierung der Bistümer als Zuweisung des Bistums Bremen an ein bereits bestehendes Erzbistum Hamburg beschrieben werden. Damit aber boten die (Verfälschungen, wie Gerhard Theuerkauf überzeugend gezeigt hat, zwei entscheidende, aktuelle und konkrete Vorteile: 1. bildeten sie im Vergleich zu einer Zusammenlegung zweier Bistümer ein wirkungsvolleres historisches und rechtliches Argument gegenüber den Ansprüchen des Erzbistums Köln auf Bremen;82 und 2. verbesserten sie die Position Hamburg-Bremens gegenüber Ersatzansprüchen Verdens für den Verlust der nun an Hamburg gefallenen Missionszuständigkeit in den nordelbischen Gebieten.83 Mit seiner Darstellung der Entstehungsgeschichte des Erzbistums ordnet sich Adam von Bremen also in eine lokale Fälschungstradition ein, die bereits kurz nach der Gründung des Erzbistums einsetzte, zu Urkundenproduktion und Geschichtsschreibung anregte und die erzbischöflichen Interessen gegenüber den Ansprüchen anderer argumentativ stärkte. Gleichwohl würde es jedoch zu kurz greifen, die Darstellung Adams nur mit dieser Tradition zu erklären, auch wenn sich der Chronist ausdrücklich auf die angesprochenen Quellen bezieht. Sein Bericht über die Entstehung des Erzbistums ist vielmehr auch von Interessen seiner Gegenwart geprägt, was deutlich wird, wenn die enge Debatte um die Urkundenfälschungen der Frühzeit verlassen und die Situation zur Abfassungszeit der Kirchengeschichte in die Überlegungen einbezogen wird: Denn ausgerechnet während des Pontifikats Adalberts, kurz vor Abfassung der Hamburgischen Kirchengeschichte, wurden die Fälschungsaktivitäten im Bemühen um die Herausstellung von Privilegien des Erzstuhls verstärkt.84 Infolge des hierbei unternommenen Rückgriffs auf die erwähnten Urkunden85 weisen die Fälschungen dieser Zeit strukturelle Ähnlichkeiten mit denen der Jahre 870-888 auf. So sind sowohl die Urkunde Ludwigs des Frommen wie auch das Privileg Papst Nikolaus I. kurz vor Abfassung der Hamburgischen Kirchengeschichte noch jeweils zweimal verfälscht IV. erfolgte Erhebung zum Erzbistum werde lediglich bestätigt. Daß Karl der Große tatsächlich ein Erzbistum in Hamburg plante, wird in der Forschung überwiegend bestritten. Vgl. zuletzt Wavra, S. 241 f., die zwar den Plan Karls für eine Bistums-, nicht jedoch für eine Erzbistumsgründung in Hamburg für wahrscheinlich hält. Diese Elemente stellen eine Erweiterung des echten DLdF 834 dar. Dieselbe Tendenz findet sich auch im ebenfalls gefälschten DLdD 842. Vgl. a. Rimbert, Vita Anskarii 12, S. 42/44. Seit den 870er Jahren kam es immer wieder zum Streit zw. den Erzbistümern, da das Bistum Bremen bis 845 Köln untergeordnet gewesen war; vgl. dazu unten, Kap. 2.2.1.2. Die Aufhebung eines Erzbistums konnte Verden nicht erwarten; vgl. Theuerkauf, Urkundenfälschungen, S. 89, 100 u. 117. Ebd., S. 104-106 u. 135f. Hier ist neben DLdF 834 auch DLdD 842 zu nennen; vgl. Theuerkauf, Urkundenfälschungen, S. 137. -

-

Adam

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von

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worden, und in beiden Fällen läßt sich dieselbe Tendenz wie bei den früheren Verfäl-

Der geistliche Herrschaftsraum des Erzbistums wurde durch längere Völkerlisten weiter ausgedehnt und präzisiert.86 Die Bestätigung oder gar Ergänzung des erzbischöflichen Zuständigkeitsbereichs in nahezu jeder Urkundenfälschung läßt auf einen hohen diesbezüglichen Bedarf zu Adalberts und Adams Zeit schließen. Es ist letztlich nicht einwandfrei zu entscheiden, ob Adam wußte, daß es sich bei den zitierten Urkunden und den entsprechenden Passagen der Vita Anskarii um Fälschungen handelte was seine Tendenz klar hervortreten ließe. Immerhin jedoch kann aus ihrer Übernahme in die Kirchengeschichte darauf geschlossen werden, daß die historische wie rechtliche Legitimation der erzbischöflichen Ansprüche Adams Absichten entsprachen. Werner TRlLLMICHs Äußerung, Rimbert habe in der Vita Anskarii Karls des Großen „Absichten in bezug auf Hamburg überschätzt", hat keine große Wahrscheinlichkeit für sich und kann auch für Adam kaum in Anspruch genommen werden; seine Meinung, letzterer habe „kein Rechts Verständnis" besessen,87 trifft nicht zu, wenn der enge Zusammenhang zwischen Legitimationsbedürfhis und Rechtsdenken in Rechnung gestellt wird, der sich aus den Berichten über die Bistumsgründungen Bremens und Hamburgs ergibt. Allein das mehrfache Zitieren von Urkunden, welche die privilegia des Erzbistums sichern sollten, belegen eindeutig ein Rechtsdenken, wenn auch kaum ein modernes, (vermeintlich) ,neutrales', sondern ein den Interessen des Erzbistums verpflichtetes.88 Zwar kann eine Beteiligung Adams an den Verfälschungen nicht nachgewiesen werden, ihre naive Benutzung erscheint jedoch wesentlich unwahrscheinlicher als eine bewußte und gezielte. Daneben koinzidiert ausgerechnet die in den Verfälschungen zur Zeit Adalberts angestrebte Präzisierung und Ausweitung des (beanspruchten) Missionsraumes auffällig mit der Vielzahl von Völkerschaften, die Adam im vierten Buch seines Werkes darstellt: Die Konkretisierung eines bis an das Weltende reichenden (Missions-)Raumes stellt die konsequente Weiterführung eines Gedankens dar, der in den Urkundenfälschungen bereits angelegt ist und in Adams Darstellung von der Gründung des Erzbistums, lange vor dem vierten Buch also, für den Leser argumentativ vorbereitet wird. Die Ansprüche auf einen erweiterten, über die Reichsgrenzen hinaus reichenden Missionsraum im Norden und Nordosten Europas gehen in Adams Werk von Hamburg aus, dessen frühe Gründung als E r z bistum mit Missionsaufgaben den Garanten dieser Ansprüche bildete. Dagegen werden die herrschaftlichen Interessen des Erzbistums am Weserraum bei der Gründung Bremens hervorgehoben, war Bremen doch die eigentliche sedes der Erzbischöfe von Hamburg und lag dieser Ort doch inmitten der Region, die der Erzbischof im 11. Jahrhundert zu beherrschen in der Lage war. Die unten noch ausführlicher zu behandelnde Krisensituation zur Abfassungszeit, in der beide Interessenfelder des Erzbistums Missions- und Herrschaftsgebiet massiv bedroht waren, führte so zu einer Konstruktion der Entstehungsgeschichte des Erzbistums, in der Adam

schungen feststellen:

-

-

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von DLdF 834b zu c zeigt dieselbe Tendenz auf wie zuvor die Verfälschung DLdF 834a u. UN.I. 864b zu c. UN.I. 864d fügt dem noch die Bestätigung der Besitzrechte am Kloster Ramelsloh hinzu u. richtet sich damit wohl wiederum gegen Ansprüche des Bistums Verden. So Trillmich in der Einleitung zur Ed. von Rimberts Vita Anskarii, S. 6. Vgl. Goetz, Geschichtsschreibung und Recht.

Die

Verfälschung

von

DLdF 834

zu

Die Selbstzuschreibungen

47

die Tradition lokaler Geschichtsschreibung und Urkundenproduktion aufgriff, weil sie gleichzeitig aktuellen Interessen diente: Adam befand es offenbar für notwendig, dem neuen Erzbischof Liemar historisch wie rechtlich unbestreitbare Argumente für die Durchsetzung der Ansprüche des Erzbistums an die Hand zu geben.89 Zugleich kann die Tendenz der Darstellung, die sich gegen die Ansprüche anderer richtete, als Beleg dafür gelten, daß sich Adam dem Erzbistum zuschrieb. 2.2.1.2. Das Erzbistum und die anderen: Konfliktfelder

Selbstzuschreibungen zum Erzbistum treten nun nicht nur in der Darstellung der Gründung zutage, sondern auch im gesamten Werk: Sie zeigen sich auch in zahlreichen Wir-Bezügen, die im folgenden, unter Rückgriff auf die oben angesprochenen Forschungsarbeiten, im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Bereits eine rein quantitative Analyse nach Aufkommen und Verteilung der Wir-Bezüge belegt die Bedeutung des

Die

Erzbistums für Adam. Auf dieses richtet sich der weitaus größte Anteil der direkten Identifikationen, nämlich über drei Viertel: Das Erzbistum bezeichnet er als nostra ecclesia, oder, bei der Behandlung seiner räumlichen Ausdehnung, als nostra parrochia und diócesis, die Erzbischöfe als noster archiepiscopus und die Bremer Geistlichkeit als

fratres nostri.90

Feststellungen einen Konsens der bisherigen Forschung dar, so sind im folgenden, ausgehend von eigenen quantitativen Untersuchungen, auch darüber hinausgehende, inhaltliche Schlußfolgerungen zu ziehen. Im Vordergrund steht hierbei die Frage nach den Gründen für die in der Forschung bislang nicht thematisierte Tatsache, daß die Wir-Bezüge auf das Erzbistum ausgesprochen häufig im Zusammenhang mit der Behandlung ganz bestimmter Themenfelder stehen: Insgesamt steigt die Anzahl der direkten Identifikationen von Buch I bis III stetig an und fällt im vierten Buch, der Descriptio insularum aquilonis, ab, so daß Adam also für den Berichtszeitraum, der sich mit seiner Bremer Zeit überlappt, die meisten Wir-Bezüge verwendet. Auffallend häufig verwendet Adam in der gesamten Chronik genau dann direkte Identifikationen mit Bezug auf das Erzbistum, wenn er folgende Themenfelder anspricht: (a) Konkurrenzsituationen zwischen dem Erzbistum Hamburg und anderen Erzbistümern, insbesondere dem Kölner, und Situationen, in denen er über Ansprüche Stellen diese

Die hier vorgetragenen Überlegungen ordnen sich damit gut in die Ergebnisse von Althoff, Causa scribendi, S. 128-130 ein. Vgl. zu möglichen causae scribendi Adams, bes. fur die Descriptio, unten, Kap. 2.2.1.2.3. (b). Für das Erzbistum verwendet Adam auch nostrum episcopium, nostra metropolis, sedes und andere Bezeichnungen. Für die Erzbischöfe z. B. auch noster antistes, pontifex, pastor, metropolitanus. Als weitere direkte Identifikationen mit dem Erzbistum können etwa Hammaburg nostra (II, 6, S. 65), nobis u. nos (II, 16, S. 72 u. 21, S. 77) sowie nostri (III, 8, S. 149) gewertet werden. Unter den fratres ist der Bremer Domklerus zu verstehen, dem Adam als magister scholarum angehörte. Die fratres können, wie bei Eggert, Wir-Gefühl, dem Erzbistum insgesamt zugerechnet werden, was nicht bedeutet, daß sie immer dieselben Interessen vertraten wie die Erzbischöfe. Terminologisch korrekt ist die Bezeichnung „Bremer" Geistlichkeit bzw. Domklerus, da sich die fratres auch dort, am Sitz des Erzbischofs v. Hamburg, befand.

Adam

48

von

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anderer Erzbistümer gegenüber Hamburg berichtet;91 (b) das Verhältnis Hamburger Erzbischöfe zu weltlichen Fürsten insgesamt, besonders jedoch die Auseinandersetzungen der Erzbischöfe mit den sächsischen Herzögen92 sowie (c) Ansprüche, die das Erzbistum selbst, besonders zur Zeit Adalberts, auf die Zuständigkeit für die legatio gentium93 oder auf bestimmte Gebiete erhebt.94 2.2.1.2.1.

Abgrenzungen gegenüber anderen Erzbistümern

Im ersten und zweiten Buch weist Adam häufig daraufhin, daß die Kölner Erzbischöfe ihre Ansprüche auf das Bistum Bremen erneuerten, und gerade in der Darstellung dieser Konflikte, die Adam als Bedrohung des Hamburg-Bremer Rechtsbestandes ansah,95 verortet er sich besonders deutlich innerhalb der Gemeinschaft des Erzbistums: Erzbischof Adalgar, zu dessen Amtszeit der Streit mit Köln um Bremen eskalierte, wird dreimal im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen als noster bezeichnet, und als die Kölner Ansprüche auf Bremen erneuert wurden, weil Hamburg mittlerweile Suffragane erhalten hatte, verwendet Adam wiederum direkte Identifikationen.96 Auch nach der Beilegung dieser querela um 104097 schreibt sich Adam dem Hamburg-Bremer Erzbistum in Abgrenzung vom Kölner zu. Die Kontrastierungen beziehen sich nun, im dritten Buch, auf die Konkurrenz zwischen den Ratgebern König Heinrichs IV., den Erzbischöfen Adalbert von Hamburg-Bremen und Anno von Köln. Überwog zuvor meist eine Gegenüberstellung der beiden Erzbistümer, so stehen sich nun mit den beiden Kontrahenten die Repräsentanten dieser Gemeinschaften gegenüber.98 Auch hier stellt sich Adam klar auf die Seite Adalberts: Dieser habe „seine Sache mit größerer Berechtigung [geführt]", da er sich gegenüber Anno durch ein höheres Maß an Treue gegenüber dem König auszeichnete, während der Kölner Erzbischof, von „düsterem Wesen[,] sogar des Treuebruchs gegenüber dem König beschuldigt [wurde]" und „in allen Verschwörungen der Zeit immer der Drahtzieher" gewesen sei. Auch die Vertrei...

Vgl. etwa nostra pars: I, 49, S. 49; nostra ecclesia: II, 6, S. 65f. (2x); ebd., S. 65 auch Hammaburg nostra; archiepiscopus noster: schol. 55, S. 133. Vgl. etwa nostra ecclesia: II, 48, S. 109; 67, S. 126; III, 41, S. 184; nostri (Gefolgsleute des Erzbischofs): III, 8, S. 149; nobis: 42, S. 185. Vgl. etwa nostra ecclesia: III, 33, S. 175 u. die Wir-Bezüge in der Darstellung der erzbischöfl. Versuche, das Kloster Torhout wiederzuerlangen (schol. 5, S. 29) u. der päpstl. Bestätigung erzbischöfl. Rechte (schol. 60, S. 148). Vgl. etwa nostra ecclesia: III, 18, S. 162; 24, S. 166; 33, S. 175; 46, S. 189; nostraparrochia: III, 46, S. 189; nostra metropolis: III, 59, S. 206; nostra diócesis (Hammaburgensis): IV, 10, S. 239; 13, S. 241; «oí: ebd.; IV, 23, S. 253; nostra sedes: schol. 127, S. 249. Vgl. insbes. I, 49f, S. 48-51 u. II, 6, S. 65f. (dazu Goetz, Geschichtsschreibung und Recht, bes. S. 196f). I, 49, S. 48f; 50, S. 50 (2x). Ebenfalls in diesen Zusammenhang gehören nostra pars (I, 49, S. 49) u. der Wir-Bezug (I, 24, S. 30) in der Schilderung der Zuweisung Bremens an Ansgar (noster antistes). Erneuerung der Ansprüche: II, 6, S. 65f. (3x). Querela: II, 6, S. 65. Beilegung des Streits: schol. 55, S. 133. Vgl. a. den Wir-Bezug auf Erzbf. Bezelin in Abgrenzung von Erzbf. Hermann v. Köln (schol. 55, S.

133).

49

Die Selbstzuschreibungen

bung „unseres Erzbischofs" vom Königshof 1066 sei „angeblich durch die Intrigen des

Kölner Bischofs erfolgt".99 Der Grund für diese neuerliche, von Adam offenbar für notwendig befundene Abgrenzung gegenüber Köln ist im Verlust der Machtstellung Adalberts am Königshof zu sehen. Dies erklärt, wenn auch nur zum Teil, die hohe Anzahl von Wir-Bezügen, welche Adam verwendet, um Adalberts Nähe zu den Kaisern Heinrich III. und IV. herauszustellen.100 Immer wieder hebt er diese hervor, um die positiven Folgen für das Erzbistum zu unterstreichen, sicherten Adalberts Ratgebertätigkeit und seine Zuverlässigkeit gegenüber den Herrschern doch „die Fülle unserer glücklichen Erfolge" und Besitzerwerbungen.101 Keineswegs stellt Adam den Hamburger Erzbischof im Werk ausschließlich positiv dar: Große Passagen insbesondere in der zweiten Hälfte des dritten Buches zeugen zur Genüge davon. Ebensowenig zeichnet er ein ausschließlich negatives Bild Annos.102 Um so auffallender ist jedoch, daß seine Zuschreibungen zum Erzbistum ausgerechnet in den Darstellungen von Konflikten und Konkurrenzsituationen durch die Verwendung von Wir-Bezügen besonders deutlich hervorstechen. Dabei scheint gelegentlich durch, daß das Erzbistum Köln aufgrund seines tatsächlich bestehenden hohen Ranges, Ansehens und Einflusses auch nach Adams Meinung einen unbestrittenen Orientierungsmaßstab unter den Erzbistümern, und eben auch für HamburgBremen, bildete: Dessen Reichtum nach Adalberts Erwerbungen beziffert er für den Leser durch einen Vergleich mit Köln: „Unsere Kirche konnte als reich gelten; unser Erzbischof brauchte den Kölner oder den Mainzer in keiner Beziehung um sein Ansehen zu beneiden",103 und das, obwohl die Kölner Kirche unter Anno, wie Adam sich an anderer Stelle widerspricht, „so bedeutend [war], daß sie über jeden Vergleich mit einer anderen Kirche des Reiches erhaben war".104 Adam mag also eine deutliche Abgrenzung gegenüber den Kölner Ansprüchen auf Bremen und eine klare Parteinahme für Adalbert in der Konkurrenz mit Anno am Königshof um so wichtiger erschienen sein, als ausgerechnet Köln einen hohen Maßstab unter den Erzbistümern bildete. -

-

iustiorem induit causam, regique domino suo docuit servandam esse usque ad mortem. At vero Coloniensis, vir atrocis ingenii, etiam violatae fidei arguebatur in regem; preterea per omnes, quae suo tempore factae sunt, conspirationes semper erat medioximus. Die Wortwahl Adams zeigt, daß er auch hier in rechtl. Kategorien denkt. Zur avaritia Annos vgl. III, 35, ebd. Vertreibung Adalberts: 55, S. 199: Interea

III, 34, S. 177: Et Bremensis quidem presul eo

...

fidem

archiepiscopus zelo, ut aiunt, Agrippinensis episcopi a curia perturbatus. Vgl. III, 7, S. 148; 8, S. 148f.; 32, S. 174; 43, S. 186; 46, S. 188-190 (2x); 47, S. 190f. III, 32, S. 174 (nostrae felicitatis cumulus); vgl. a. 28, S. 171 (noster pontifex). Ein immerhin summarisch angedeutetes positiveres Bild Annos z. B. in III, 35, S. 178. Daß es Adam um die genannten konkreten Ansprüche u. Auseinandersetzungen ging u. er nicht grundsätzlich alles Kölnische verurteilte, zeigt z. B. seine positive Charakterisierung Erzbf. Bezelin-Alebrands v. Hamburg, den nobis ecclesiaprestitit Coloniensis (II, 69, S. 130). III, 46, S. 188: Potuit ecclesia nostra dives esse; potuit archiepiscopus noster Coloniensi aut Mogontino in omni rerum gloria non invidere. Ill, 35, S. 177: Quam [i. e. die Kölner Kirche], cumprius magna esset, ita maximam fecit, ut iam comparationem evaserit omnium, quae in regno sunt, ecclesiarum. Auf den Kölner Dom als Orientierungsmaßstab für die Bremer Kirche weist Adam hin, als er Pläne Erzbf. Bezelin-

noster

Alebrands schildert, die nostra ecclesia nach dem Vorbild des Kölner Doms wiederzuerrichten S. 139f.).

(II, 82,

Adam

50

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

gewisse Parallele zur Abgrenzung vom Erzbistum Köln zeigt sich in der Gegenüberstellung der Erzbistümer Hamburg und Magdeburg, auch wenn Adam hier in geringerem Maße Wir-Bezüge verwendet: Im Einflußbereich Magdeburgs, 968 von Otto I. als Missionserzbistum gegründet, lagen slawische Gebiete, die zuvor von Hamburg beansprucht worden waren. Adam wendet sich nicht gegen die Gründung Magdeburgs, er ordnet sie jedoch schon durch ihre Datierung nach den Anfangen der Pontifi-

Eine

also ausgerechnet nach den kate „unseres Erzbischofs" Adaldag und Ansgars Amtszeiten des bei der Gründung Magdeburgs amtierenden und des ersten Erzbischofs explizit in die Geschichte des Erzbistums Hamburg ein, dessen weit zurückreichende und erfolgreiche Missionsvergangenheit er somit betont. Zugleich vermittelt er hierdurch dem Leser, daß Hamburg über eventuelle Ansprüche eines erst neu gegründeten Erzbistums ohne bisherige Missionserfolge erhaben ist. Der Chronist legt Wert darauf, die Territorien und damit die Missionsbereiche der Erzbistümer in der Sclavania genau voneinander abzugrenzen: Er hebt hervor, das Bistum Oldenburg als [s]extus episcopatus Sclavoniae sei nicht Magdeburg, sondern Hamburg unterstellt worden, da es im Gegensatz zu den anderen Slawenbistümern vicinior nobis est, so daß „unser Erzbischof' den ersten Oldenburger Bischof ernennen konnte.105 Adam befindet es für nützlich (utile), in den folgenden Kapiteln die zum Hamburger Erzbistum gehörenden gentes trans Albiam aufzuzählen, wobei er ihre Kirchen einzeln nennt und den sächsisch-slawischen Grenzverlauf beschreibt, bevor er verschiedene slawische Völkerschaften aufzählt, weil die Sclavi von „unserem Erzbischof Adaldag" bekehrt wurden.106 Die Stellung dieser Kapitel im Werk ist kaum zufällig: Verweist bereits sie darauf, daß es Adam um die Abgrenzung der Interessensphäre des Hamburger Erzbistums ging, so bestätigt sich dieser Befund dadurch, daß er im weiteren Verlauf der Darstellung mehrfach, auch unter Rückgriff auf Urkunden „unserer Kirche", auf diese Grenzziehungen -

-

-

-

zurückgreift.107

Die hier angeführten Beispiele verdeutlichen, daß der Chronist sich dem Erzbistum Hamburg in Abgrenzung von anderen Erzbistümern zuschrieb, wenn er über mögliche oder tatsächliche Bedrohungen Hamburger Ansprüche auf Rechte und Territorien sowie über den Verlust der Königsnähe des Erzbischofs berichtete, der wiederum Nachteile für das Erzbistum mit sich brachte. II, 16, S. 71 f. Zu Adams Darstellung der Gründung des Bistums Oldenburg vgl. grundlegend

Helmut Beumann, Die Gründung des Bistums Oldenburg und die Missionspolitik Ottos des Großen, in: Aus Reichsgeschichte und Nordischer Geschichte, S. 54-69. Die Gründung des Bistums Oldenburg ist für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit v.a. im Zusammenhang mit der Darstellung Helmolds von Bosau von Interesse u. wird daher (unter Rückgriff auf die Darstellung Adams) unten, Kap. 3.2.1.1., behandelt. II, 20, S. 75: eo quod Sclavi eo tempore studio nostri pontificis Adaldagi narrantur ad christianam religionem fere omnes conversi. Zur Darstellung der Nordelbier bei Adam vgl. unten,

Kap. 2.3.2.

est terminus Hammaburgensis parrochiae (ebenso schol. 70, S. 162). III, 20, S. 162f.: usque ad Panem fluvium, quem nostrae privilegia ecclesiae vocant Penem. IV, 10, S. 239: A meridie Fresos tangit [i. e. der occidentalis occeanus] cum ea parte Saxonum, qui nostrae diócesi pertinent Hammaburgensi. Vgl. a. II, 22, S. 81, wo es von der Elbe heißt: medio cursu paganos dirimit a Saxonia, novissimo alveo Hammaburgensem parrochiam scindens a Bremensi.

II, 21, S. 77: Ibi

Die Selbstzuschreibungen

2.2.1.2.2. Die sächsischen

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Herzöge

Mehrfach berichtet Adam von Konflikten zwischen den Hamburger Erzbischöfen und den sächsischen Herzögen, die vor allem zur Zeit Adalberts eskalierten, die er jedoch schon in den Pontifikat Erzbischof Unwans (1013-1029) zurückprojiziert:108 Unter letzterem, der hier zweimal als „unser Erzbischof' bezeichnet wird, sei der Streit mit Herzog Bernhard II. „ins Unermeßliche [gewachsen]" und „konnte niemals mehr beigelegt" werden.109 Kritisiert Adam insgesamt häufiger die Politik der Herzöge, die stärker auf die Eintreibung von Abgaben ziele als auf die Heidenbekehrung, so hebt er besonders an Bernhard dessen avaritia hervor, denn sie bewirkte seiner Meinung nach das Zurückfallen der gens Winulorum ins Heidentum und verursachte auch den Aufstand der Friesen zur Zeit Adalberts, in dessen Folge viele der nostri, der Gefolgsleute des Erzbischofs, starben.110 Adam berichtet, daß Herzog Bernhard zudem sowohl den Kaiser wie die Kirche, besonders „unsere", befehdete.1" Unwans Bemühungen um Vermittlung zwischen Herzog und Kaiser hätten nur vorübergehend Erfolg gezeitigt, denn unter Adalbert sei der „tödliche Haß", das letale odium, zwischen Herzog und Erzbischof neu entbrannt mit der Folge ständiger Schädigungen der Hamburger Kirche."2 Mit dem Ausdruck odium kennzeichnet Adam auch unter den späteren Herzögen Ordulf und Hermann das Verhältnis zum Erzbischof."3 Die Bemühungen Adalberts um amicitia mit dem Herzog, ein Begriff, der den des odium kontrastiert, seien gescheitert, was dem Chronisten als Beleg dafür gilt, „wie wertlos freundschaftliches Verhalten gegenüber neidischen Menschen ist."114 Die Aktualität der Darstellung Adams wird erst dann deutlich, wenn man zwei Aspekte in die Überlegungen einbezieht: zum einen die Annahme Gerd ALTHOFFs, die causa scribendi der Chronik liege darin, dem neuen Erzbischof Liemar einen Spiegel vorzuhalten und ihn auf die spezifischen Interessen des Erzbistums zu verpflichten,115 und zum anderen die Tatsache, daß Liemar 1075, also gegen Ende der Abfassungszeit -

weist hin Gerd Althoff, Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Studien zum Totengedenken der Billunger und Ottonen (MMS 47), München 1984, S. 61 u. 292, B5 u. Ders., Die Billunger in der Salierzeit, in: Die Salier und das Reich, hg. v. Stefan Weinfurter, Bd. 1: Salier, Adel und Reichsverfassung, Sigmaringen 1991, S. 309-329, hier S. 326. Vgl. a. Johanek, S. 89. Wir-Bezüge auf Unwan: II, 48, S. 109. Ebd., S. 108: Ex illo enim tempore, quo dux constitutus est in hac regione, nunquam discordia cessavit inter geminas domos, scilicet archiepiscopi et ducis (...) Haec aemulatio partium ex eo tempore vires accepit et crevit in immensum. Unter dem ersten Billungerherzog Hermann war das Verhältnis zum Erzbf. noch positiv (vgl. z. B. das Urteil Adams in II, 9, S. 67). Zur Kritik insgesamt vgl. z. B. III, 23, S. 166; II, 48, S. 108f. (Winuler); III, 42, S. 184 (Friesen); zur Darstellung der Sclavi vgl. unten, Kap. 2.3.3. II, 48, S. 109. III, 8, S. U9: letale odium. III, 41, S. 184: Ex quibus infestissimi erant tam Uli quam ecclesiae nostrae dux Bernardus etfilii eius; zu odium vgl. z. B. auch III, 43, S. 185. Zur Charakterisierung des Verhältnisses verwendet Adam häufiger auch male. III, 41, S. 184: quo potest videri amicitiam cum invidis nil valuisse conservatam. Zum amicitia-

Auf die Rückprojektion Memorialüberlieferung.

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...

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112 113

114 115

Begriff grundlegend Althoff, Verwandte. Ders., Causa scribendi, S. 128-130.

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Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

der Chronik, zwischen Heinrich IV. und den „aufständischen" Sachsen, zu denen auch der Herzog gehörte, erfolgreich vermittelte."6 So können die Berichte über die Angriffe der Herzöge und über die letztlich vergeblichen Vermittlungsversuche der Erzbischöfe in der Vergangenheit als konkrete Hinweise an den Adressaten gelesen werden: Der Chronist zeigt dem neuen Erzbischof hier einen Verhaltensweg auf, den er historisch begründet, indem er pointiert auf die (von Adam zugeschriebenen) Erfahrungen der Amtsvorgänger hinweist. Behält man die Abfassungszeit des Werkes im Blick, so ergibt sich die Aktualität der Darstellung auch noch in anderer Hinsicht. Denn die Konflikte mit den Herzögen stellten eine besondere Gefahr für den neuen Erzbischof dar, wie Adam in der Charakterisierung Adalberts verdeutlicht: Dessen ausführlich dargestellten, negativen Eigenschaften und Verhaltensweisen führt er explizit auf die „Mißgunst, Intrigen und Verleumdungen" der Herzöge zurück."7 Andererseits provozierte Adalbert nach Adams Darstellung die Herzöge geradezu: durch seinen Stolz, seine Eitelkeit und die Betonung seines hohen Adels. Auch diese Passage kann daher als Fingerzeig an Liemar gelesen werden, in sein Verhalten gegenüber den weltlichen Fürsten die Folgen einzubeziehen, die Adam hier für Adalbert konstatiert. So wird die Funktion der Chronik als an den Adressaten gerichteten Spiegel erneut faßbar. Sie konkretisiert sich in einer Argumentation des Geschichtsschreibers, die an exempta aus der Vergangenheit ausgerichtet ist. Trotz der zuweilen harschen Kritik an Adalbert wird der Erzbischof besonders in den Konflikten mit den sächsischen Herzögen häufig mit Wir-Bezügen bedacht."8 Pointiert stellt er Adalbert und den Herzog gegenüber, als er von einem Besuch Kaiser Heinrichs III. in Lesum bei Bremen berichtet, der sich wohl anläßlich eines Treffens zwischen Erzbischof, Kaiser und Dänenkönig ereignete, nach Adams Worten jedoch „in Wirklichkeit [dazu diente], die Zuverlässigkeit der Herzöge auf die Probe zu stellen.""9 Diese Begründung ist tendenziös und findet ihre Berechtigung lediglich vor dem Hintergrund der Parteinahme Adams im Konflikt zwischen Erzbischöfen und Herzögen, 116

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118 119

Zu Liemars Vermittlertätigkeit in den Sachsenkriegen vgl. Glaeske, S. 106f. mit weiteren Nachweisen. Auch im Epil., vv. 52-54, S. 282 bezieht sich Adam auf diese Rolle Liemars. III, 41, S. 184: dux Bernardus etfilii eius, quorum invidia, simultates et odia, itemque insidiae, obprobria et calumpniae traxerunt archiepiscopum ad haec omnia, quae supra diximus. Vgl. etwa III, 8, S. 149; 41, S. 184 sowie ecclesia nostra (ebd. u. 46, S. 189) u. nobis (42, S. 185). III, 8, S. 148: utfidem explorare! ducum. Vgl. dazu Glaeske, S. 61 sowie Ernst Steindorff, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Heinrich III., 2 Bde., Leipzig 1874-1881, hier Bd. 2, S. 40; zur Bewertung des Vorgangs vgl. Wolfgang Giese, Der Stamm der Sachsen und das Reich in ottonischer und salischer Zeit. Studien zum Einfluß des Sachsenstammes auf die politische Geschichte des deutschen Reiches im 10. und 11. Jahrhundert und zu ihrer Stellung im Reichsgefüge mit einem Ausblick auf das 12. und 13. Jahrhundert, Wiesbaden 1979, S. 149 u. Lutz Fenske, Adelsopposition und kirchliche Reformbewegung im östlichen Sachsen. Entstehung und Wirkung des sächsischen Widerstandes gegen das salische Königtum während des Investiturstreits (VdMPIGesch 47), Göttingen 1977, S. 19f; anders Egon Boshof, Das Reich in der Krise. Überlegungen zum Regierungsausgang Heinrichs III., in: HZ 228 (1979), S. 265-287. hier S. 275ff. u. Adelheid Kräh, Absetzungsverfahren als Spiegelbild von Königsmacht. Untersuchungen zum Kräfteverhältnis zwischen Königtum und Adel im Karolingerreich und seinen Nachfolgestaaten (Untersuchungen z. dt. Staats- u. Rechtsgesch., N.F. 26), Aalen 1987, S. 267f. Vgl. a. den Bericht bei Lampert von Hersfeld a. 1048, ed. Oswald Holder-Egger, MGH SSrG, Hannover-Leipzig 1894, S. 61.

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denn fast könnte man meinen, nur der letzte Beweis hätte noch gefehlt es ereignet sich ein Zwischenfall, der dem Leser die Unzuverlässigkeit der herzoglichen Gefolgsleute vor Augen führt: Deren Anschlag auf den Kaiser habe nur durch die Wachsamkeit „unseres Erzbischofs" verhindert werden können. Die Bestrafung der Täter durch Heinrich mündet in der Argumentation in die ständige Verfolgung der nostri, der Gefolgsleute des Erzbischofs, durch illi, qui ducem secuntur}20 Als Orte der Auseinandersetzungen zwischen der herzoglichen hostilis multitudo und den Gefolgsleuten des Erzbischofs tritt zum einen der Bremensis episcopatus in Fresia hervor, dessen räumliche Ausdehnung Adam eigens in einem Scholion einfügte, sowie, neben wichtigen Orten der erzbischöflichen Herrschaftsausübung, Hamburg selbst. Hier, im Kathedralbezirk, kulminiert die Konkurrenz zwischen Erzbischof und Herzog in der gegenseitigen Abgrenzung durch bauliche Tätigkeit: Die domus episcopi und das pretorium ducis stehen, zum Schutz vor der jeweils anderen Seite, aus Stein befestigt und lediglich durch den Dom getrennt, einander gegenüber.121 Aus Adams Äußerungen läßt sich ableiten, daß er sich wohl aus zwei Gründen von den sächsischen Herzögen scharf abgrenzt: Zum einen macht er sie konkret für den Rückfall der schon bekehrten Wenden ins Heidentum und für Versäumnisse bei der Slawenmission verantwortlich: Die Herzöge wirkten also einer erfolgreichen Missionsausübung, der wichtigsten Aufgabe des Erzbistums, entgegen. Zum anderen bedrohten die Herzöge bischöflichen Besitz (in Friesland) und, vor allem durch die Zerstörung von Burgen, wichtige Orte des Erzbischofs im Kernbereich seiner Diözese. Daneben sind sie in Adams Augen auch verantwortlich für die negativen Charakterzüge des Erzbischofs. Die häufigen Hinweise auf Erhebungen der Herzöge gegen den König und auf die gleichzeitige Treue Hamburger Erzbischöfe weisen auf ein weiteres Kriterium hin, das für Adam von Bedeutung ist: die .Königsnähe' der Erzbischöfe von Hamburg, bei deren Herausstellung der Chronist oftmals Wir-Bezüge verwendet.122 Wie die Forschung aufgezeigt hat, liegt diese Königsnähe zum Teil genau in den Konflikten zwischen Erzbischöfen und Herzögen begründet.123 Das Bestreben der Herzöge, im 11. Jahrhundert ihren Herrschaftsbereich deutlich auszuweiten, gipfelte unter Bernhard II. in der „Ausformung der billungischen Herrschaft zu einem nahezu geschlossenen Komplex" von Westfalen bis zum Bardengau.124 Dem stand die Politik Adalberts entgegen, von dem Adam gar berichtet, daß er nach dem Vorbild des Würzalle Grafschaften seiner Diözese, denen irgendwelche burger Bischofs „plante -

-

...,

noster. Lesum war den Herzögen von Heinrich III. entzogen und dem Erzbistum verliehen worden. III, 43, S. 186: Verheerung des Bremer Bischofslandes in Friesland durch dux Ordulfus; II, 70, S. 131f.: Bautätigkeit in Hamburg; III, 44, S. 187: Zerstörung erzbischöfl. Burgen. Vgl. z. B. III, 7f., S. 148-150; 32, S. 174; 46f, S. 188-191. Grundsätzl. hinzuweisen ist hier auf strukturelle Parallelen u. Ähnlichkeiten in der Aufgabenstellung der Billungerherzöge u. der Hamburger Erzbischöfe. Beide waren in die Problemfelder der nordöstl. Grenzgebiete des Reiches einbezogen, insbesondere bei der Grenzverteidigung und der Slawenmission. Vgl. Johanek, S. 88f.; Hans-Werner Goetz, Das Herzogtum im Spiegel der salierzeitlichen Geschichtsschreibung, in: Die Salier und das Reich, Bd. 1, S. 253-271 sowie Gerd Althoff, Die Billunger. Hans-Joachim Freytag, Die Herrschaft der Billunger in Sachsen (SvzHistAtlasNds 20), Göttingen 1951, S. 40.

III, 8, S. 148f.: Adalbert ist hier zweimal archiepiscopus

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Gerichtsrechte zustanden, in die Gewalt der Kirche zu bringen."125 Ob es sich hierbei möglicherweise um ein unrealisierbares und insofern „theoretisches Postulat" handelt,126 ist letztlich nicht entscheidend, da sich Adalberts Politik in jedem Fall direkt gegen die Machtstellung der Billungerherzöge in Nordalbingien richtete: Seit 1057 und verstärkt zwischen 1063 und 1065, in seiner Zeit als Reichsregent, wurden ihm von Heinrich IV. verschiedene Grafschaften übertragen, die ihm den Hoheitsanspruch vom friesischen Emsgau bis nach Hamburg sicherten.127 Daneben erhielt er auch die Rechte für die Grafschaften Dithmarschen sowie Fivelgau und Hunesgau in Friesland.128 Seine Pläne zur Zusammenlegung verschiedener Grafschaften mit dem Ziel der Errichtung eines

Gebietes, das in der Forschung als „Nordseedukat" oder „küstenbezogener Dukat"

bezeichnet worden ist und sich bis zur Ems spannte, konnte Adalbert zwar nur teilweise und nicht dauerhaft verwirklichen, immerhin jedoch gelang es ihm vorübergehend, sich als Erzbischof die Lehnshoheit über Grafschaften und einen Teil der Einkünfte aus diesen Gebieten zu sichern und zudem hochgestellte Vasallen um sich zu sammeln, die sein Ansehen erhöhten und die Position des Erzbistums im Norden stärkten.129 Verfolgte er damit einerseits eine Politik, welche auf die Unterordnung, wenn nicht gar Beseitigung der konkurrierenden weltlichen Gewalten innerhalb seiner Diözese angelegt war, so erhielt sein Erzbistum infolge der Erwerbungen zugleich auch ein besonderes politisches Gewicht und eine exponierte Stellung im Reich, was den Widerstand zahlreicher Fürsten nach sich zog und zu Adalberts Sturz als Ratgeber Heinrichs IV. 1066 führte.130 Die Königsnähe Hamburger Erzbischöfe bildete zur Zeit Adalberts längst eine gewisse Tradition.131 Deshalb greifen Erklärungsversuche zu kurz, welche die KönigsIII, 46, S. 188: Solus erat Wirciburgensis episcopus, qui dicitur in episcopatu suo neminem habere consortem, ipse cum teneat omnes comitatus suae parrochiae, ducatum etiam provintiae gubernat episcopus. Cuius aemulatione permotus noster presul statuit omnes comitatus, qui in sua dyocesi aliquam iurisditionem habere videbantur, in potestatem ecclesiae redigere. Georg Dehio, Vorgeschichte des Erzbistums Hamburg-Bremen bis zum Ausgang der Mission, 2 Bde., Berlin 1877, hier Bd. 1, S. 232; Johanek, S. 91 u. Lammers, Hochmittelalter, S. 184-187. Und somit auch über das Gebiet zwischen Bremen u. Hamburg. Vgl. hierzu u. zu weiteren Erwerbungen Adalberts die in der folgenden Anm. genannte Lit. Zu Friesland vgl. Wilfried Ehbrecht, Landesherrschaft und Klosterwesen im ostfriesischen Fivelgo (970-1290) (Geschichtl. Arbb. z. Westfäl. Landesforsch. 13), Münster 1974, S. 40-44. Zu den Erwerbungen Adalberts vgl. Johanek, S. 91 u. 101 m. Anm. 107f. sowie Glaeske, S. 89-92 m.

Einzelbelegen.

Die Erwerbungen Adalberts bezogen sich also, wie Johanek, S. 101, deutlich gemacht hat, 1. auf das Kerngebiet seiner Diözese, den Raum zwischen Elbe u. Weser; 2. auf eine weitere Region, die er „durch Rechts- und Personalbeziehungen zu kontrollieren suchte und zum gleichen Zeitpunkt ebenfalls verdichten konnte" sowie 3. auf Fernbesitz, der sein Erzbistum mit Zentren der Königsherrschaft verband (nämlich Gebiete am Nieder- u. Mittelrhein, in Thüringen und einem für das Königtum bedeutenden Teil Ostsachsens). Vgl. zu den Zitaten im Text z. B. Lammers, Hochmittelalter, S. 187. Adam nennt (III, 46, S. 189) den Brunonen Ekbert, der die Grafschaftsrechte im Fivel- u. Hunsgau innehatte, einen miles des Erzbischofs. Die Ursachen des Sturzes liegen denn auch in der Gegnerschaft zu diesem Machtzuwachs und der Begünstigung des Hamburger Erzbistums vor anderen. Ein Großteil der neuen Besitzungen, darunter Corvey, Lorsch, Duisburg und Sinzig, blieb dauerhaft entzogen; einiges wurde bei Adalberts Wiedereinsetzung 1071 wieder restituiert. Gegen die Meinung Heinrich Schmidts, Skandinavien, S. 59, der die Königsnähe der Erzbischöfe

Die Selbstzuschreibungen

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nähe monokausal auf die Abhängigkeit der Erzbischöfe von königlichem Schutz vor den Herzögen zurückführen. Die Konflikte stärkten vielmehr Adalberts ohnehin vorhandene Verbundenheit mit dem König er war schon als Parteigänger Heimichs III. nach Bremen gekommen -,132 und auch die Pläne zur Intensivierung und zum Ausbau seiner Herrschaft waren überhaupt nur durch diese zu realisieren. Vor allem deshalb häufen sich auch die Wir-Bezüge in denjenigen Passagen, in denen Adam das gute Verhältnis des Erzbischofs zum König herausstreicht, diente dieses doch den Interessen des Erzbistums. Im Zusammenhang mit der Schilderung der Grafschaftserwerbungen Adalberts finden sich ebenfalls Verhaltensratschläge an Liemar sowie gleichzeitig Zuschreibungen zu den fratres: Eitelkeit, Stolz und Gewinnsucht Adalberts führten nämlich zu Nachteilen für die Kirche, weil der Erzbischof den Reichtum seiner Kirche aus Streben nach weltlichem Ruhm an Schmeichler verschleudert und sogar den Zehnten an Laien vergeben habe.133 So konkretisiert Adam denn auch die in der Vorrede allgemein angesprochenen Mißstände „unter uns" im Epilog, indem er an Liemar appelliert, dem Klerus „sein Eigen" zurückzugeben und „der Kirche den Schmuck, der sie einst -

zierte."134

Die im dritten Buch an Adalbert zuweilen heftig geübte Kritik widerspricht keineswegs dem Befund, daß Adam sich dem Erzbistum zuschrieb, im Gegenteil: Der Chronist wendet sich lediglich gegen bestimmte Verhaltensweisen, und zwar grundsätzlich deshalb, weil aus ihnen negative Folgen für das Erzbistum erwuchsen. Auch die durchaus widersprüchliche Beurteilung der Königsnähe insbesondere Adalberts muß vor diesem Hintergrund betrachtet werden. Deshalb ist der Ansicht, Adam habe „offensichtlich nicht [begriffen]", daß der Hofdienst der Reichskirche zwangsläufig mit den von den Erzbischöfen verlangten Aufgaben, Seelsorge und Mission, kollidieren mußte,135 nicht zuzustimmen: Dem Chronisten ging es lediglich um die für das Erzbistum negativen Folgen eines für seine Begriffe zu intensiv ausgeübten Hofdienstes,136 auf die Auseinandersetzungen mit den Billungem zurückfuhrt, haben diese Konflikte vielmehr eine ohnehin schon bestehende Königsnähe intensiviert: Bereits für die Erzbischöfe Adaldag, Unwan und Bezelin ist die Zugehörigkeit zur Hofkapelle bezeugt, so daß sich von einer gewissen Tradition der Königsnähe Hamburger Erzbischöfe schon vor Adalbert und der Eskalation des Konfliktes mit den Herzögen sprechen läßt. Vgl. dazu die Untersuchung Johaneks. Adalbert gehörte wahrscheinlich der Hofkapelle an (Josef Fleckenstein, Die Hofkapelle der deutschen Könige, 2 Bde., Teil 2: Die Hofkapelle im Rahmen der ottonisch-salischen Reichskirche [MGH Schrr. 16, II], Stuttgart 1966, hier Bd. 2, S. 256f), zumindest aber wurde der Aufstieg seines Stammhauses, Goseck, von Heinrich III. gezielt gefordert und mit der Vergabe von Ämtern eng an den König gebunden, der sich dadurch wohl Parteigänger gegen die beginnende Opposition des ostsächsischen Adels sichern wollte. Vgl. Johanek, S. 97-100 mit weiteren Nachweisen. Zu Adalbert unter Heinrich III. s.a. Fenske, S. 25-27. Adalberts Bruder Friedrich, sächs. Pfalzgraf, gehörte jedoch zu den Gegnern Heinrichs IV. (ebd., S. 79f). III, 46, S. 189: cum utique tanta quantitate precii maior possit ecclesiae fructus omni anno parari, nisi quod pro mundi gloria adipiscenda sufficit nobis ideo esse pauperes, ut divites multos in servitio habeamus; vgl. a. 47, S. 190f. u. 50, S. 193 sowie die Wir-Bezüge auf die fratres anläßlich der Reue Adalberts vor seinem Tod: 70, S. 217f. Epil., vv. 49-51, S. 282: Tu clerum iniusta raptorum fraude gravatum/ In sua restituís, tu nos errore veterno/ Eximís atque suo redáis sacra templa decori. So aber Hägermann, Buten und Binnen, S. 21. So auch Buchner, Vorstellungswelt, S. 20-22, der die einzelnen u. durchaus widersprüchlichen

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und dies wiederum unter Einbeziehung des Adressaten nicht ohne Grund: Liemar führte von seiner Einsetzung an die traditionelle Königsnähe fort. Er stand sowohl in den Sachsenkriegen als auch im Investiturstreit auf Seiten Heinrichs IV.137 Auch insgesamt scheint es durchaus fraglich, ob das in der Forschung als „Meisterstück ersten Ranges" bezeichnete dritte Buch138 als ausgewogene Charakterstudie Adalberts anzusehen ist. Denn Adam beschreibt Adalbert keineswegs als moderner Biograph, und das Aufzeigen typischer Charakterzüge bildet für ihn gar nicht das Hauptziel seiner Darstellung. Er orientiert sich vielmehr vor allem an moralischen Kategorien, die er dem Alten Testament und moraltheologischen Schriften entnimmt, um den Niedergang des Erzbistums gegen Ende des Pontifikats Adalberts zu erklären,139 dessen negative Auswirkungen für die Bremer fratres spürbar waren, und die Adam immer wieder beklagt. Wenn bei einer Gesamtbewertung des dritten Buches der Adressat einbezogen wird, kommt dieser ,Biographie' eine entscheidende Rolle hinsichtlich der Spiegelfunktion des gesamten Werkes zu: Adalbert dient als Beispiel für Liemar, und nur durch die Betonung positiver und negativer Seiten des Erzbischofs kann Adam in der Krisensituation der exhausta mater Liemar geeignete und ungeeignete Verhaltensweisen glaubwürdig aufzeigen und sie gleichzeitig aus der Geschichte heraus begründen. Auch in den Abgrenzungen von den sächsischen Herzögen zeigt sich somit deutlich eine auf das Erzbistum bezogene Identität Adams. Nach seiner Darstellung war die Politik der Herzöge vor allem gegen die Interessen des Erzbistums gerichtet, die für Adam von derart übergeordneter Bedeutung waren, daß sein von der Forschung als grundlegend herausgestelltes und unten noch zu prüfendes ,sächsisches Bewußtsein', soweit es auf die Herzöge bezogen sein könnte, dahinter weit zurückzustehen scheint. -

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2.2.1.2.3. Die

legatio gentium

gesamten Chronik bildet Adams Betonung der Zuständigkeit des Erzbistums für die Missionslegation in den nordischen Ländern ein durchgängiges Motiv. Bereits in der Praefatio und in der Gründungsdarstellung des Erzbistums zeigte sich ihre grundlegende Bedeutung. Sie wurde von der Forschung bereits mehrfach herausgearbeitet,140 so daß sie hier nicht erneut im Detail zu behandeln ist. Im folgenden liegt das Hauptaugenmerk lediglich auf drei Aspekten: Zum einen ist in Ergänzung zu bisherigen Studien anhand der Kontextualisierung von Wir-Bezügen zu zeigen, wie deutlich sich Adam gerade in den Darstellungen der legatio dem Erzbistum zuschreibt. Zum anderen werden zwei Bereiche näher betrachtet, denen bereits zuweilen eine gewisse Relevanz zugesprochen wurde, denen aber im Hinblick auf die legatio und auf mögliche Funktionen der Darstellung Adams größere Bedeutung zukommt, als bislang in der Forschung erkannt worden ist: die Bischofsweihen der Erzbischöfe für die nordischen Länder und In der

Bewertungen Adams anführt. Vgl. dazu unten, Kap. 2.2.1.2.3. (a). Vgl. oben, Kap. 2.1. m. Anm. 35. Vgl. bes. Bagge, der gegen Misch anführt, Adam habe sich stärker auf christl. Darstellungen als auf,klassische Literatur' bezogen. Vgl. etwa bereits die Arbeiten von Trommer u. Glaeske.

Die Selbstzuschreibungen

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die Reisen der Erzbischöfe. Bereits Aage Trommer hat in einer vielbeachteten Untersuchung dargelegt, daß sich die bewußten Intentionen Adams von Bremen insbesondere auf die Hervorhebung der legatio borealium nationum des Erzbistums richteten, die Adam als primum Hammaburgensis ecclesiae officium bezeichnet.141 Ihre Bedeutung läßt sich nun auch am Einsatz der Wir-Bezüge ablesen: Denn das Erzbistum ist ausgerechnet dann nostra ecclesia, als es infolge der Vertragsverhandlungen zwischen dem dänischen König Svend Estridson und Kaiser Heinrich III. „reichen Gewinn davontrug", weil die legatio borealium nationum semper aucta est increment is}42 Insgesamt zweimal verwendet Adam den Ausdruck res nostrae, dessen Bedeutungsgehalt in der Forschung unterschiedlich interpretiert worden ist: Gegen Ende der Amtszeit Erzbischof Adaldags seien die res nostrae inter barbaros fractae, christianitas in Dania turbata, und für die Zeit Adalberts konstatiert er: Trans Albiam vero et in Sclavania res nostrae adhuc magna gerebantur prosperitate.'43 Die Wir-Bezüge beziehen sich wohl, wie EGGERT geltend gemacht hat, in erster Linie auf das Erzbistum und nicht auf die christianitas insgesamt, wie BUCHNER meinte,144 denn aus dem Kontext geht hervor, daß den res nostrae nicht allgemein barbari oder NichtChristen gegenüberstehen, sondern konkret diejenigen innerhalb des Hamburger Missionsgebietes. Dies ist kein Einzelfall: Auch insgesamt bezieht Adam direkte Identifikationen wesentlich seltener auf die größere Gemeinschaft der christianitas als auf das Erzbistum, kaum einmal stellt er hier Christen und Heiden allgemein einander gegenüber.145 Die Einbeziehung des Kontextes macht deutlich, daß die Wir-Bezüge hier letztlich auch in Verbindung mit dem Erzbistum stehen, wie unten noch zu zeigen ist. Zugleich offenbart sich in der Gegenüberstellung von res nostrae und barbari eine gegenbegriffliche Strukturierung von Eigenem und Fremdem, und es paßt zu der immensen Bedeutung der Mission und des Legationsauftrags im Werk, daß Adam diese Abgrenzung im Zusammenhang mit der Darstellung der Mission trifft. Er wendet den Terminus barbari auf Völkerschaften an, die zum Missionsbereich des Erzbistums gehören und benennt sie explizit als Fremde, hier vor allem, wie aus dem Kontext hervorgeht, in religiöser Hinsicht.146 Damit korreliert die Akzentuierung der eigenen Missionstätigkeit und -Zuständigkeit in der prägnanten Wendung res nostrae. Selbst die Einteilung der Hamburgischen Kirchengeschichte läßt sich teilweise mit Adams bewußter Orientierung an der Missionslegation erklären,147 und auch die Bemü...

...

III, 1,S. 143. III, 18, S. 162. 11,27, S. 87 u. III, 19, S. 162. Vgl. Buchner, Vorstellungswelt, S. 18

u. Eggert, Wir-Gefühl, S. 144f. Auch Trillmich übersetzt res nostrae in seiner Ed. auf das Erzbistum bezogen mit „unsere Stellung". Vgl. v.a. praef., S. 3f.; II, 44, S. 105; III, 51, S. 195; 67, S. 214; IV, 18, S. 245f.; 36, S. 273. Zur weiteren Verwendung des Begriffs barbari vgl. unten, Kap. 2.3. Lib. I endet mit dem Tod Erzbf. Unnis (918-936), der auf einer Missionsreise in Birka starb (I, 63, S. 60). Lib. II wird mit dem Pontifikatsbeginn des oft mit Wir-Bezügen bedachten Erzbischofs Adaldag (937-988) eröffnet, mit dem für Adam eine neue Zeit in der Geschichte des Erzbistums begann, weil er „unsere Rechtsstellung erneuerte" u. unter ihm die Legation einen höheren ordo als unter den Vorgängern einnahm. Zu Adaldags Zeit wurden dem Erzbtm. ältere Rechte päpstl. bestätigt u. das Recht zur Bischofseinsetzung in Dänemark u. bei den übrigen Völkern des Nordens verliehen (II, 1-3). Adaldag weist so auf zwei jener Gebiete Erfolge auf, die Adam ins

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hungen der einzelnen Erzbischöfe um ihr „verpflichtendes Erbe" hebt der Chronist hervor, indem er sie unter ihren Taten fast immer als erste nennt und bei ihrer Darstellung häufig Wir-Bezüge verwendet. Hier stechen Ansgar, Adaldag und insbesondere Adalbert hervor.148 Gerade Ansgar, der als erster Erzbischof die Legationsbefugnis des Erzbistums historisch wie rechtlich begründete und sich dadurch in der aktuellen Situation zur Abfassungszeit als Legitimationsfigur hervorragend eignete, wird häufig im Kontext seiner Missionsbemühungen und -erfolge noster genannt. Indem Adam die Errungenschaften Ansgars auf Kosten anderer Missionare bewußt übertreibt,149 weist er wiederum pointiert auf die ausschließliche und schon frühe Zuständigkeit des Hamburger Erzbistums hin, das so suggeriert die Darstellung mit Ansgar bereits damals über den einzig geeigneten Missionar verfügte. Er wird so zum Vorbild für seine Nachfolger auch für den kürzlich ernannten Liemar -, und es verwundert nicht, wenn sich die Selbstzuschreibungen Adams zum Erzbistum gerade in der Darstellung Ansgars finden, verknüpfen sich doch mit seinem Pontifikat die (konstruierten) Anfange dieser -

-

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Gemeinschaft.150

Kein anderer Erzbischof kann jedoch nach Adams Meinung so große Verdienste um die Mission aufweisen wie Adalbert. Auf der Darstellung seines Pontifikats liegt deshalb im folgenden das Hauptaugenmerk.

(a) Bischofsweihen Adam mißt Weihen von Bischöfen für die nordischen Länder durch die Hamburger Erzbischöfe, insbesondere durch Adalbert, außerordentlich große Bedeutung bei.151 Der Grund hierfür ist naheliegend: Wie in den Erwähnungen von Palliumsverleihungen an die Erzbischöfe und in den häufigen Hervorhebungen Hamburgs weil es die erzbischöfliche Würde garantierte -, betont Adam auch mit den Bischofsweihen die Suprematie des Erzbistums gegenüber dem nordischen Missionsraum und den dortigen -

Zentrum rückte: die Mission u. den territorialen Herrschaftsausbau infolge der Königsnähe. Nur zwei Erzbischöfe werden nicht mit einem Wir-Bezug bedacht: Reginward (916-918) u. Hermann (1032-1035). Bezeichnenderweise sind es auch die einzigen, für die Adam keine Verdienste um die legatio nennt; vgl. I, 53, S. 54f. (Reginward) u. II, 68, S. 127-129 (Hermann). Ansgar ist alleine fünf von insgesamt siebenmal noster im Kontext seiner Missionsbemühungen. Adam wählte überdies für seine Darstellung genau die Passagen der Vita Anskarii aus, in denen Rimbert über dessen Mission berichtete u. wandelte deren Angaben gar entsprechend seinen Intentionen um. Vgl. dazu Trommer, S. 211-218, der (S. 218) gegen Schmeidler, HamburgBremen, S. 109-111, eine „bewußte Tendenz" Adams nachweist. Der Chronist behauptet, weder Willibrord noch Ebo v. Reims hätten die Missionserfolge des späteren Erzbischofs Ansgar in Schweden erreicht. Ansgarus noster stellt er diesen alii gegenüber, erneut schreibt sich Adam hier explizit in Abgrenzung von „anderen" Missionsbischöfen dem Erzbtm. zu. Zu Veränderungen gegenüber der Vita Anskarii vgl. a. Wolfgang Seegrün, Das Erzbistum Hamburg in seinen älteren Papsturkunden (Studd. u. Vorarbb. z. Germania Pontificia 5), Köln-Wien 1976, S. 26f. Ähnlich wie mit der Vita Anskarii verfuhr Adam mit der Vita Rimberti, der er v.a. die Angaben zu Rimberts Missionsversuchen entnahm; vgl. dazu Trommer, S. 213f. u. 218. Vgl. z. B. II, 4, S. 64f. u. 16, S. 72 (Adaldag); 36, S. 97 u. 46, S. 106 (Liawizo I.); 49, S. 110 (Unwan); 64, S. 123 u. 125 (Liawizo II.); 72, S. 133 (Bezelin); III, 25, S. 168; 73, S. 220f; 76-78, S. 222-226 m. schol. 94f., S. 223f; IV, 20, S. 249; 29, S. 261; 34, S. 269 u. 35, S. 271 (Adalbert).

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Bistümern. Ausdrücklich und vehement wendet sich der Chronist in den Berichten über Adalberts Bischofsweihen gegen die Tätigkeit anderer Bischöfe in Nordeuropa, die nicht vom Hamburger Erzbischof geweiht worden waren. Der Bemerkung, in Nortmannia (Norwegen)152 habe als erster ein Bischof aus der Anglia missioniert, fügt er eigens ein Scholion hinzu, in dem er beteuert, daß noch vor diesem bereits nostri dort gepredigt hatten; gemeint sind hier wohl die fratres, zumindest aber die von Hamburg ausgesandten Missionare, und Adam resümiert, diese hätten gearbeitet, während die Angli sich in ihre Arbeit eindrängten.153 Adam wendet sich auch gegen den norwegischen König, den tyrannus Harald Hardrade: Er habe „widerrechtlich", contra fas, Bischöfe in der Gallia und Anglia weihen lassen, ohne den Hamburger Erzbischof zu beachten, obwohl doch dieser sie kraft auctoritate sedis apostolicae iuste hätte weihen müssen. Adam zitiert ein Schreiben Papst Alexanders II., das die Jurisdiktionsgewalt Hamburgs bestätigt.154 Die Abgrenzung Adams von Bischöfen, die sich der Hamburger Suprematie zu entziehen versuchten, tritt besonders prägnant im Bericht über Bischof Osmund zutage, den Adam als „kopflos" bezeichnet und einen „Umherirrenden" nennt.155 Er sei von einem archiepiscopus Polaniae zum Bischof geweiht worden und habe in der Suedia (Schweden),156 im Auftrag des als pessimus charakterisierten König Emund, missioniert. Osmund habe sogar die Legaten „unseres Erzbischofs" Adalbert, der seinerseits einen Bischof für das Gebiet geweiht hatte, unter Hinweis auf deren fehlende apostolische Beglaubigung abgewiesen. Gottes Strafe folgte nach Adams Bericht unmittelbar: Der König und sein Sohn kamen kurz darauf ums Leben, und die Sueones wurden von Plagen, Dürre und Mißernte so schwer getroffen, daß sie, unter dem neuen König Stenkil, den der Chronist als fidelis bezeichnet, ihren von Adalbert eingesetzten Bischof zurückerbaten.157 In den beiden Passagen verteidigt Adam eindringlich den Anspruch des Erzbistums auf die Legation in Norwegen und Schweden: Er beruft sich auf alte Rechte, die er in jüngeren päpstlichen Vollmachten und auch in der seit langem währenden Missionspraxis die eigenen Missionare „arbeiteten", während die anderen sich „eindrängten" bestätigt sieht. Hamburg-Bremen, für Adam das Zentrum der Mission in den nordischen Ländern, bildet den Gegenpol zur „Kopflosigkeit" des „Umherirrenden" Osmund, die um so schwerer wiegt, als Osmund an der Bremer Schule ausgebildet wurde, „diese Förderung jedoch vergaß".158 Aber nicht nur urkundlich verbriefte Rechte und die Ausübung dieser Rechte durch Taten legitimieren die Ansprüche des Erzbistums: Auch Gott steht auf seiner Seite, wie die Tode der schwedischen Herrscher und die Plagen belegen. ...

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Bezeichnungen für Norwegen vgl. unten, Kap. 2.3.5.2. Vgl. schol. 147, S. 268. Eggert, Wir-Gefühl, S. 179 bezieht die direkten Identifikationen auf die fratres. Genannt werden in dem Zusatz Liafdag, Odinkar und Poppo. Mindestens Odinkar (d.J.) gehörte den fratres an (II, 36, S. 96f). Zu den

IV, 34, S. 268f m. schol. 147, S. 268 u. III, 17, S. 159f m. schol. 68f, S. 160f. III, 15, S. 156: acephalus; girovagus. Zur Darstellung Osmunds vgl. a. Hallencreutz, S. 22-27 u. Janson, S. 334.

Bezeichnungen für Schweden vgl. unten, Kap. 2.3.5.1. III, 15f, S. 155-159. Vgl. zu dieser Stelle auch unten, Kap. 2.3.5.1. Bremae scolis docendum commendavit. III, 15, S. 156: Osmund quem dudum Sigafridus Verum is postea beneficiorum oblitus.

Zu den

....

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von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

Die von Adam in Berichten über Schweden dreimal angeführten Wendungen nostra fides und nostra religio scheinen zunächst lediglich den christlichen Glauben allgemein zu bezeichnen, sie sind hier jedoch, wie aus dem Kontext hervorgeht, vor allem auf das Erzbistum bezogen: Folgt man Adams Darstellung, so kümmerte sich der pessimus König Emund nicht um nostra religio; an seinem Hof verführte Osmund die erst jüngst bekehrten Sueones durch non sanafidei nostrae doctrina zu Glaubensirrtümern.159 Die Schweden, konstatiert der Geschichtsschreiber, ließen sich vielleicht mühelos durch Gespräche ad nostram fidem bewegen, wenn sie nicht von mali doctores verwirrt würden, die nicht der Sache Jesu Christi dienten, sondern nur ihrer eigenen.160 Den Missionaren und Bischöfen Hamburgs stehen in den mali doctores also diejenigen gegenüber, die sich der Obödienz des Erzbistums nicht fügen. Adam versteht unter der nostra fides und religio somit den rechten Glauben, und das ist für ihn hier nicht nur allgemein der christliche, sondern der durch Bischöfe unter Hamburger Suprematie vermittelte. Nur diese, nicht aber die anderen, dienen der Sache Jesu Christi. Adam zieht die Grenzlinie hier also nicht zwischen „den Christen" und „den Heiden".161 Anhand der Kontextualisierung von Wir-Bezügen, die sich auf die christianitas zu beziehen scheinen, läßt sich zeigen, daß Adam die Grenze gerade bei den Bischofsweihen zwischen den Bischöfen und Missionaren zieht, die der Hamburger Obödienz unterstehen und solchen, die sich dagegen wehren.162 Ebensowenig verläuft die Grenze hier aber auch einfach zwischen nostri fratres und anderen:163 Odinkar der Jüngere, der zur Zeit Adaldags den Bremer fratres angehörte, zählt zu den nostri, nicht hingegen Osmund, der zwar auch ein Bremer frater war, dies jedoch, wie erwähnt, vergessen zu haben schien. Selbst die Erfolge und die ,Kompetenz' der Missionare hängen also nach Adam von der Anerkennung der Hamburger Suprematie ab.164 Berücksichtigt man die häufigen Hervorhebungen des Erzbistums Hamburg als Missions z e n t r u m, so ist die Charakterisierung Osmunds als „kopfloser Herumtreiber" aus der Sicht Adams nur folgerichtig: Für ihn befindet sich Osmund sowohl rechtlich als auch im Hinblick auf die Vermittlungskompetenz des rechten Glaubens außerhalb des Erzbistums Hamburg-Bremen, dem Haupt und Orientierungsmaßstab der Mission. -

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Gegen wen aber wendet sich Adam mit seiner Darstellung? Was sind die Gründe für die außerordentlich verhementen Abwertungen Haralds und Emunds, der Missionare und Bischöfe, welche die Suprematie nicht anerkennen und sogar die Ausbreitung der nostra fides bedrohen? Die Forschung hat mehrfach daraufhingewiesen, daß Adam die Ansprüche des Erzbistums gegen die Bestrebungen der Könige in den nordischen LänIV, 21, S. 252. Vgl. a. Janson, S. 333, der überzeugend vorschlägt, den Terminus paganus bei Adam nicht in jedem Fall mit „ungetaufte Person" zu übersetzen, sondern ihn auch auf die Gegner der

Hamburger Suprematieansprüche zu beziehen. Vgl. z. B. III, 11, S. 151 u. die im Text angeführten Beispiele. An anderer Stelle ist dies durchaus möglich: Vgl. etwa I, 34f, S. 38, wo Adam die nostri fratres den fratres aus Corvey gegenüberstellt. Zu Odinkar d.J. vgl. z. B. II, 49, S. 110; weitere Wir-Bezüge im Kontext von Weihen z. B. in IV, 20, S. 249.

61

Die Selbstzuschreibungen

dem verteidigt, eigene „Nationalkirchen" zu errichten und sich so gegen den mit der Mission verbundenen politischen Einfluß des Reiches zu wehren.165 Damit schreibt der Chronist letztlich gegen eine Entwicklung an, die im gesamten nordischen Missionsraum zur Abfassungszeit bereits weit fortgeschritten war: In Dänemark verfolgte König Svend Estridson Pläne zur Errichtung eines eigenen Erzbistums, welche die kirchliche Lösung aus der Hamburger Suprematie zur Folge gehabt hätten. Svends Vorhaben bildete auch den Ansatzpunkt für den Patriarchatsplan, den Adam Adalbert zuschrieb.166 Der Erzbischof wandte sich mit diesem zwar nicht gegen die Errichtung eines dänischen Erzbistums, er hätte jedoch, nun als Patriarch, weiterhin die Oberhoheit beanspruchen können. So ist der Plan als ,,verkrampft[er]" Versuch gewertet worden, die Suprematie Hamburgs zu bewahren, ohne in offene Konfrontation mit Svend zu geraten.167 Denn Adalbert mußte, um die Suprematie zu behalten, an einem guten Verhältnis zum dänischen König interessiert sein.168 In Norwegen bestimmte König Harald Hardrade, zu dem Erzbischof Adalbert keine engen persönlichen Beziehungen unterhielt, die Bischöfe selbst und sandte sie zur Ausbildung in die Anglia und Gallia. Adalbert konnte hier nur die Leistung des Subjektionseides erreichen, und auch in Schweden strebte der König, der bereits genannte Emund, nach Unabhängigkeit der Bistümer von Hamburg. Unter seinem Nachfolger Stenkil konnte Adalbert dagegen wieder Ordinationen vornehmen. Und genau nach diesem Kriterium bewertet Adam auch die beiden Könige: Die Bezeichnungen Emunds als pessimus und Stenkils als fidelis orientieren sich ausschließlich an deren Haltung gegenüber dem Suprematieanspruch des Erzbistums. Deutlich wird die aus Adams Sicht dramatische Gesamtsituation im Hinblick auf die Gefährdung der Obödienz in der Darstellung von Adalberts gescheitertem Versuch, 1063 in Schleswig eine Synode sämtlicher Suffragane einzubezu den Hintergründen z. B. Lesley Abrams, The Anglo-Saxons and the Christianization of Scandinavia, in: Anglo-Saxon England 24 (1995), S. 213-249; Hoffmann, Dänemark; Nyberg, Kirche, S. 11 f. sowie Birgit u. Peter Sawyer, Medieval Scandinavia. From Conversion to Reformation, circa 800-1500 (The Nordic ser. 17), Minneapolis, MN 1993, S. 107f. Zu Adam vgl. z. B. Hallencreutz, S. 26 u. Trillmich, Einleitung, S. 140f. Daneben auch für den Zwölfbistumsplan, vgl. Fuhrmann, Studien, S. 137ff. Vgl. a. die Darstellung Adams (III, 33, S. 175 u. 59, S. 205). Fuhrmann, Studien, S. 169. Daß die Verwirklichung von Patriarchats- und Zwölfbistumsplänen „unrealistisch" waren, daß sie keine päpstl. Zustimmung fanden u. dem kleinen Hamburger Erzbtm. selbst die Grundlagen entzogen hätten, zeigt, daß den Plänen tatsächlich „etwas

Vgl.

krampfhaft Gewolltes" (ebd., S. 156) anhaftete: Es ging nur um die Aufrechterhaltung des gefährdeten Suprematieanspruchs; vgl. a. Lammers, Hochmittelalter, S. 200-207. Deshalb weist Adam häufig auf das gute Verhältnis Adalberts zu Svend hin, das anfangs darunter litt, daß der Erzbf. mit päpstl. Unterstützung die Ehe des Königs für unkanonisch erklärt hatte; vgl. etwa III, 18, S. 161f. u. Schmeidler, Hamburg-Bremen, S. 303ff. Zu Adalberts Bemühungen um gute Beziehungen zu den nordischen Königen direkt nach Antritt seines Pontifikats: III, 11, S. 151. Die Bedeutung persönl. Beziehungen werden auch im Verhältnis zw. Adalbert u. dem Obodritenfürsten Gottschalk deutlich, den Adam (III, 19, S. 162) als dem Erzbf. gegenüber familiaris bezeichnet. Nach dem Sturz Adalberts 1066 brachen Slawenaufstände gegen Gottschalk aus, infolge derer dieser starb und das Missionswerk zusammenbrach. Vgl. dazu Jürgen Petersohn, Der südliche Ostseeraum im kirchlich-politischen Kräftespiel des Reichs, Polens und Dänemarks vom 10. bis 13. Jahrhundert. Mission Kirchenorganisation Kultpolitik (OVG 17), Köln-Wien 1979, S. 26. -

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62

Adam

rufen: Zu ihr erschienen

Synode

zusammentreten

lediglich drei

von

Bischöfe

Bremen und die Gesta Hammaburgensis aus

Jutland, die noch nicht einmal als

wollten.169 Diese Situation kontrastiert Adam mit dem

Wunschbild der párvula Brema als instar Romae: Bremen ist hier als Erzbischofssitz das Zentrum der (nordischen Missions-)Welt, wurde es doch „aus allen Ländern der besonders von allen Völkern des Nordens. Unter ihnen Erde in Demut aufgesucht fanden sich aus weitester Ferne Isländer, Grönländer und Gesandte der Orkneys ein und baten um Entsendung von Glaubensboten zu ihnen".170 Die Negativbewertungen der nicht vom Hamburger Erzbischof entsandten oder geweihten Missionare und Bischöfe erhalten ihre eigentliche Brisanz jedoch erst vor dem Hintergrund der Parteinahme Erzbischof Liemars für Heinrich IV. im Investiturstreit.171 Konnte schon Adalbert nur mit Mühe die Suprematie behaupten,172 so eskalierte die Situation während des Pontifikats seines Nachfolgers. Denn Gregor VII. betrieb durch die Förderung der Selbständigkeitsbestrebungen in den nordischen Königreichen eine gegen den Suprematieanspruch Hamburgs gerichtete Politik.173 In zwei Schreiben von Januar und April 1075 genau zur selben Zeit also, zu der Adam die legatio gentium seines Erzbistums rechtfertigte -, wandte sich Gregor an den dänischen König, um ihn in den Auseinandersetzungen mit Heinrich IV. für sich zu gewinnen;174 und in einem Brief an den schwedischen König erteilte er 1080, zu einer Zeit, als Adam seine Chronik noch um Zusätze erweiterte, den Aktivitäten der Gallicana ecclesia in Schweden apostolische Legitimität.175 In diesem Brief nun fällt die Bemerkung auf, die Galli...,

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III, 15f, S. 155-159 u. 76, S. 222. III, 24, S. 167: ut párvula Brema

ex illius [i.e. Adalbert] virtute instar Romae divulgata ab omnibus terrarum partibus devote peteretur, maxime ab omnibus aquilonis populis. Inter quos extremi vénérant Islani, Gronlani et Orchadum legati, petentes, ut predicatiores illuc dirigeret; quod et fecit. Vgl. a. 73, S. 220f. Vgl. dazu Goez, Erzbistum, S. 30-41, u. Johanek, S. 103. Schon Papst Alexander II. hatte in einem Schreiben an die Bischöfe v. Dänemark diese letztlich vor dem Zugriff Adalberts geschützt (vgl. Fuhrmann, Studien, S. 163 u. im Anschluß daran Glaeske, S. 82 Anm. 126), und Svend Estridson selbst hatte sich wohl unter Umgehung Adalberts direkt mit der Bitte an Alexander gewandt, in seinem Land ein eigenes Erzbtm. einzurichten; vgl. dazu Fuhrmann, ebd., S. 164. Seegrün, Erzbistum, u. Heinrich Schmidt, Skandinavien, S. 37. Vgl. die Briefe Gregors VII. v. 1075 Jan. 25 u. April 17, in: Das Register Gregors VIL, ed. Erich Caspar, MGH EE sei. 2,1, 2., unveränderte Aufl., Berlin 1955, Reg. II, 51, S. 192-194 u. 72, S. 237f. Beide Schreiben Gregors blieben unbeantwortet. Möglicherweise war Svend bereits seit dem 28. April 1074 verstorben. Wolfgang Seegrün, Das Papsttum und Skandinavien bis zur Vollendung der nordischen Kirchenorganisation (1164), Neumünster 1967, S. 85 nimmt den 28. April 1076 als Todesdatum an, kann dann jedoch nicht das Fehlen eine Antwort auf die beiden Schreiben Gregors erklären. Eine Unkenntnis von Svends Tod wäre ein Beleg für schwach ausgeprägte Beziehungen zw. Rom u. Skandinavien (Nyberg, Kirche, S. 26 m. Anm. 108). Vgl. den Brief v. 1080 Okt. 4, in: Das Register Gregors VIL, Reg. VIII, 11, S. 530. Der Begriff Gallicana ecclesia hat in der Forschung für Verwirrung gesorgt (vgl. z. B. Seegrün, Erzbistum, S. 99), da Missionare aus der Gallia für diese Zeit nicht in Schweden nachzuweisen sind. Jüngst hat Henrik Janson (vgl. bes. S. 330-332) nahegelegt, daß sich der Ausdruck auf den quidem archiepiscopus Polaniae bezieht, den er mit Erzbf. Aaron v. Krakau identifiziert. Aaron, vormals Mönch in Stablo u. Braunweiler, gehörte wie Kg. Emund u. Bf. Acelin v. Skara einer antikaiserl. Gruppe in lothring. Reformkreisen an. Nachdem diese Reformgruppen, gegen die Liemar opponierte, seit 1057 Einfluß auf das Papsttum genommen hatten, wurden zwei Bischöfe für -

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63

Die Selbstzuschreibungen

alienis documentis instruxit, sed quod de thesauris matris suae sánete Romane ecclesie accepit, vobis eruditione contradidit. Gregors Wortwahl stellt gleichsam das Pendant zu Adams Auffassung von der fides nostra dar und verdeutlicht die Unvereinbarkeit der beiden konträren Meinungen über die Autorität zur Vermittlung des rechten Glaubens in den nordischen Ländern: Denn während Gregor VII. die Autorität der sancta Romana ecclesia betont und sich explizit von Fremden, den alieni, abgrenzt, rechtfertigt Adam die Zuständigkeit des instar Romae, nämlich der párvula Brema. Kaum zufällig bedenkt der Chronist in seinem ganzen Werk als einzige nordische Völkerschaft nur die Sueones mit einem Wir-Bezug:176 Die Betonung der Hamburger Zuständigkeit scheint ihm hier besonders angebracht. Adams Haltung scheint mit derjenigen Liemars durchaus in Einklang gestanden zu haben: Der Erzbischof äußerte sich 1074/75, zur Abfassungszeit der Chronik, in scharfer Form gegen die päpstliche Politik gegenüber dem Episkopat,177 er nannte Gregor einen periculosus homo und wurde Anfang 1075 gar exkommuniziert.178 Liemar unterstützte Heinrich IV. tatkräftig, und dieser fühlte sich auch dem Erzbischof verbunden: Zeigt schon dessen Einsetzung ohne Beteiligung des Bremer Domkapitels die Bedeutung des Erzbistums für den König, der darüber hinaus keinen anderen deutschen Bischof so in seinen Urkunden hervorhob,179 so sahen sich auch insgesamt „König und Erzbistum [... stark] aufeinander verwiesen".180 Diese schon oben erwähnte .Königsnähe' der Erzbischöfe und, so kann man ergänzen, auch die ,Erzbischofsnähe' der Könige, wurzelten vor allem in der grundsätzlichen politischen Bedeutung, die den Erzbischöfen als Vermittler des Königs in der nordischen Politik zukam. Sie gründete kirchenrechtlich jedoch genau in den prerogativa des Erzbistums, um die selbst der einer Parteinahme für Adalbert kaum verdächtige Lampert VON HERSFELD wußte,181 und die in den über die Reichsgrenzen hinaus weisenden Legationsrechten an den nordischen Gebieten zu sehen sind.182 So bildete die Zuständigkeit für die legatio gentium letztlich die Basis für den honor des Erzbistums, dessen Wiederherstellung nach Adams Worten durch seine eigene Schrift wie durch die Taten des Adressaten Liemar erreicht werden sollte: Die Krisensituation zur Abfassungszeit veranlaßte Adam, um so nachdrücklicher die Bedeutung

cana

siquidem ecclesia

non vos

-

-

6

8 9

0 11

12

Norwegen geweiht, die später Adalbert den Subjektionseid leisten mußten. IV, 21, S. 252. Zu dem Wir-Bezug vgl. unten, Kap. 2.3.5.1. Vgl. die Briefe Liemars von etwa Ende 1074 u. aus der zweiten Hälfte Jan. 1075 an Bf. Hezilo v. Hildesheim und andere, in: Carl Erdmann u. Norbert Fickermann, Briefsammlungen der Zeit Heinrichs IV. (MGH Die Briefe d. dt. Kaiserzeit 5), Weimar 1950, Nr. 15f, S. 33-38. Vgl. a. Goez, Erzbistum, S. 32-37 sowie Janson, S. 328-330 u. 332f. Vgl. hierzu auch I.S. Robinson, „periculosus homo". Pope Gregory

VII and Episcopal Authority, in: Viator 9 (1978), S. 103-131. Liemar wird in DHIV. 351 als nominis nostri preeipuus amator bezeichnet. Hier wie in DHIV. 377 wird zudem Liemars fides egregia ac perpetua devotio hervorgehoben; vgl. dazu Johanek. Johanek, S. 104. Vgl. Lampert von Hersfeld a. 1063, S. 88 als Begründung für die Aufnahme Adalberts in den Kreis der Regenten Heinrichs IV.: A quibus cum in partem consilii Adelbertus Premensis archiepiscopus assumptus fuisset, turn propter claritatem generis, turn propter aetatis atque

archiepiscopatus prerogativam. Johanek, S. 105.

64

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

des nördlichen instar Romae zu akzentuieren, der bei einem Verlust der Legation die Grundlagen entzogen worden wären. Genau dieser Zustand aber trat nur wenige Jahre nach der Abfassung des Werks, 1104, mit der Errichtung des Erzbistums Lund ein, und es ist stark anzunehmen, daß entsprechende Bestrebungen bereits zur Abfassungszeit der Chronik bestanden. Deren Folge, der Verlust der Legationsrechte Hamburgs, war um 1075-1080 zu erahnen, und deshalb schrieb Adam auch vehement gegen derartige Entwicklungen an. Die historisch-politische Situation zu Abfassungszeit kann demnach als ganz wesentlicher Einflußfaktor auf die Selbstzuschreibungen und Abgrenzungen Adams angesehen werden: Denn die Funktion der Darstellung liegt darin, auf genau diese Situation zu reagieren. Und hier liegt denn auch der Grund für die Vehemenz und die Eindringlichkeit, mit der Adam in sprachlich schärfster Form seine Zuschreibungen zum Erzbistums äußert und sich von all denjenigen abgrenzt, die den alten honor der Hamburger Kirche weiter zu beschneiden trachteten. Unter jene sind die außerhalb Hamburgs geweihten Bischöfe ebenso zu zählen wie die Selbständigkeit anstrebenden nordischen Könige und Papst Gregor VII. Denn dieser beschleunigte zur Abfassungszeit eine Entwicklung, die an den Grundfesten des Erzbistums rüttelte, indem er die Ausbreitung der nostra fides, in dem oben vorgeschlagenen Sinn, behinderte. Aufgrund der Deutlichkeit, mit welcher der Geschichtsschreiber hier die Interessen des Erzbistums vertritt, kann in der Verteidigung der Belange des Erzbistums gegen die Ansprüche und Eingriffe anderer durchaus eine causa scribendi der Chronik gesehen

werden.183

(b) Reisen Vor diesem politisch hochbrisanten und für die Existenzberechtigung' des Erzbistums eminent wichtigen Hintergrund ist auch die häufige Thematisierung von Reisen in der Chronik zu sehen. Auch die Reisen stehen wie die Bischofsweihen im Kontext der Suprematiebestrebungen. Ausgehend von der Erwähnung eines Plans Erzbischof Adalberts zur Bereisung seiner Diözese liegt im folgenden das Hauptaugenmerk auf der in der Forschung bislang überhaupt noch nicht behandelten Frage nach der Funktion der Reisethematik im Werk, wobei hier die Reisen einerseits der Erzbischöfe und andererseits der von diesen geweihten Missionsbischöfe im Blickpunkt stehen.184 Die Beantwortung dieser Frage führt zu einer konkreten Begründung für die Abfassung des vierten Buches, der Descriptio insularum aquilonis. Keiner der Hamburger Erzbischöfe, so Adam, habe die Pflicht zur legatio gentium so „tatkräftig" ausgeübt wie Adalbert, der „noch großartiger als die anderen selbst die ...

Vgl. a. Janson, der diesen Hintergrund stark in die Überlegungen zur causa scribendi einbezieht. Auf die selteneren „Reisen" anderer Personen, z. B. der nordischen Könige, oder auf Raubzüge u. Heerfahrten wird hier nicht näher eingegangen. Zu den Reisen der (Erz-)Bischöfe vgl. z. B.: I, 11, S. 12f. (Willehad); 18, S. 24 (Willerich); 26, S. 31 f. u. 29, S. 33 (Ansgar); 50, S. 50 (Adalgar); 51, S. 52 (Hoger bereiste Klöster im Sprengel); 58-63, S. 57-60 u. II, 1, S. 61 (Unni); I, 60, S. 58 (nostri: Erzbischöfe seit Ansgar oder fratres [so EGGERT, Wir-Gefühl, S. 143 m. Anm. 879]); II, 29, S. 90 (Liawizo II.); III, 72, S. 219f. (Adalbert).

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Die Selbstzuschreibungen

Macht des Erzbistums überall bei den Völkern draußen ausgeweitet [hat]."185 Das erste Beispiel, das Adam für diese Erweiterung der potentia archiepiscopalis anführt, ist dessen „ernstlich" gefaßter Plan, „in eigener Person" die legatio auszuüben: Im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger habe er nicht lediglich durch seine Suffragane, sondern sogar persönlich, in einem mühevollen iter, den Spuren der Erzbischöfe Ansgar, Rimbert und Unni als quarta euangelista folgen wollen. Schon fest entschlossen, eundi viam suam ut circuiens latitudinem septentrionis und „ganz offen Vorbereitungen" für die Reise treffend, habe ihn der dänische König (Svend Estridson) jedoch von seinem Plan abgebracht, und zwar mit dem Argument, die barbarae gentes ließen sich „leichter durch Menschen ihrer eigenen Sprache und ähnlicher Lebensart bekehren als durch Unwissende (ignotae), die ihre Volksbräuche (ritus nationis) ablehnten."186 Adalbert sei statt zu reisen seinem Rat gefolgt, sich lieber die Zuneigung derjenigen zu erwerben, die zur Verkündigung des Gotteswortes bereits zur Verfügung stünden, und habe sich so freundlich gegenüber den episcopi gentium und legati orientalium regum verhalten, „daß sie ihn alle über den Papst stellten und ihn als pater multorem [sie!] populorum ohne sein Gebot aufsuchten."187 So habe sich Adalbert „in seiner Legation als ein Mann [bewährt], wie ihn Zeit und Lebensart erforderten", nämlich „umgänglich, freigebig und gastfreundlich gegen jedermann", mit der Folge, daß seine magnitudo aus der párvula Brema ein Abbild Roms werden ließ.188 Die Forschung hat diesen Reiseplan überwiegend als tatsächliches Vorhaben des Erzbischofs eingestuft und dessen Nichtausführung entweder psychologisierend auf Adalberts Charakter zurückgeführt oder auf veränderte Bedingungen in der Missionspolitik, die eine Visitationsreise zu Adalberts Zeit unrealistisch erschienen ließen. Beides ist zwar prinzipiell möglich, bei näherer Betrachtung erweisen sich diese Argumente jedoch als nicht stichhaltig: Wenn in Adalbert schon der große „Politiker und OrganisaIII, 72, S. 219: In legatione autem Hammaburgensis ecclesiae, quae ad gentes fieri solet, quamvis

pontifex Adalbertus vigilanter omnes decessores suos laborasse cognoverit, ipse tarnen magnificentius quam ceteri potentiam archiepiscopalem longe lateque in exteras protendebat nationes. Vgl. a. 1, S. 143: Preterea in legatione gentium, quod primum est Hammaburgensis ecclesiae ojficium, nemo umquam tarn strennuus potuit inveniri. III, 72, S. 219f.: [Adalbert] traetavit sedulo per se ipsum ingredi legationem illam Ad quod laboriosum iter peragendum sólita gloriari cepit iaetantia; primum fuisse Ansgarium, deinde Rimbertum, postea Unni, se vero quartum euangelistam postulari, quia ceteros decessores suos viderit per sufragáneos, non per se tanto oneri insudasse. Itaque iam certus eundi viam suam disposuit taliter finiré, ut circuiens latitudinem septentrionis, hoc est Daniam, Suediam et magnus

...

pertransiens inde ad Orchadas extremamque orbis patriam Island posset attingere. (...) A cuius profectione itineris, quod iam publiée moliebatur, dehortatu prudentissimi régis Danorum commode reflexus est, qui dixit et barbares gentes facilius posse converti per homines suae linguae morumque similium quam per ignotas ritumque nationis abhorrentes

Nordmanniam

personas. Ebd., S. 220:

largita[s\; affabilita[s]; indulgen[s]. Quos tanta hylaritate singulos reeepit, tenuit dimisitque, ut eum posthabito papa quasi patrem multorum populorum ultro universi expeterent, ingentia viro muñera offerentes eiusque benedictionem reportantes pro muñere. Ill, 73, S. 220: Archiepiscopus itaque in legatione sua talis erat, qualem et témpora et mores hominum mallent habere, ita affabilis, ita munificus, ita hospitalis erga omnes homines, ut párvula Brema ex illius magnitudine instar Romae divulgata. Vgl. a. III, 24, S. 167.

Adam

66

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

zu sehen ist, warum hätte dann ausgerechnet er den Entschluß zu einer solchen, unzeitgemäßen und unrealistischen Reise fassen sollen? Auch von der „Veranlagung" und dem „komplizierten Charakter" des Erzbischofs auszugehen, erscheint mehr als fraglich, handelt es sich doch um Eigenschaften, die Adalbert von Adam zugeschrieben wurden und die deshalb keinesfalls als Abbild ,der Realität' eingestuft werden dürfen.189 Adam versichert, der Plan zur Reise sei „ernstlich" gefaßt worden, Adalberts Entschluß habe gar bereits festgestanden, ja die Vorbereitungen zur Abreise seien schon getroffen worden und Adalbert habe den Islani und Gronlani in Briefen sein Reisevor-

tor"

haben bereits angekündigt.190 Diese Äußerungen können wahr sein, sie müssen es aber nicht: Sie können ebenso auch als Elemente einer Glaubwürdigkeitsstrategie angesehen werden. Dann wären Adalberts Briefe nicht als verloren anzusehen, wie Werner Trillmich bemerkt,191 sondern nie verfaßt worden. Zudem wird meist übersehen, daß sich Svend Estridson als Vereiteier des Reiseplans geradezu anbietet.192 Wie beim Patriarchatsplan ist es durchaus wahrscheinlich, daß Adam auch den Reiseplan stilisiert oder gar erfunden hat,193 und zwar aus bestimmten Gründen, auf die noch einzugehen ist. Entscheidender als die Frage nach dem realistischen Gehalt der Darstellung ist hier jedenfalls vielmehr diejenige nach der Funktion des Reiseplans in einer an Liemar gerichteten Chronik. Im übrigen ist die in der Forschung häufig vertretene Ansicht, Adam habe den Reiseplan Adalberts abgelehnt, durchaus nicht so eindeutig zu belegen, wie es auf den ersten Blick scheint: Zwar widerspricht der Geschichtsschreiber nicht der Argumentation des dänischen Königs, er betrachtet Adalberts Legationsbemühungen auch ohne Durchführung der Reise als der Zeit und den mores hominum angemessen und führt den überhöhten Bremen-Rom-Vergleich unmittelbar an Adalberts Entscheidung gegen die Reise an; jedoch darfeine Einschätzung der Haltung Adams zu dem (vermeintlichen) Reiseplan nicht nur an dieser Passage selbst ausgerichtet werden, sondern muß vielmehr im Kontext der Reisethematik in der Chronik insgesamt betrachtet werden. -

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„komplizierter Charakter" Adalberts; Glaeske, S. 77: Organisator als Missionsprediger". von Adalbert zum Bf. von Island geweihten Isleif] transmisit archiepiscopus suos apices populo Islanorum et Gronlandorum, pollicens eis propediem se venturum usque adillos. Zu Reiseplänen Adalberts vgl. a. III, 70, S. 218: Aliquando etiam optabat, ut in ministerio legationis suae aut in Sclavania vel in Suedia sive in ultima Island Heinrich Schmidt, Skandinavien, S. 48f: „veranlagungsmäßig mehr Politiker und IV, 36, S. 273f.: Per quem [den gerade ...

...

...

obire mereretur. Trillmich in der Ed., S. 487 Anm. 112. Nach dem oben Gesagten konnte Svend, dessen Bestrebungen zur Errichtung eines eigenen dän. Erzbistums in dieselbe Zeit wie der mögliche Reiseplan Adalberts fallen, nicht an einer Visitation des Erzbischofs interessiert sein. Gerade deshalb aber ist es ebenso denkbar, daß Adam in Svend einen für die Leser glaubwürdigen Vereiteier des erzbischöfl. Plans anfuhren konnte. Keinesfalls läßt sich aus der Darstellung ableiten, ob tatsächlich ein Reiseplan bestand, ob der dän. König den Erzbf. tatsächlich davon abbrachte, und wenn ja, mit welchen Worten er dies tat. Zum Umgang der bisherigen Forschung mit dem Zeugen Svend vgl. a. unten, Anm. 441 f. Die bisherige Forschung übersieht die oben angesprochene Funktion der Charakterisierung Adalberts in Hinblick auf den Adressaten und stuft statt dessen die Angaben Adams als ,wahr' ein. Anders, zum Patriarchatsplan, Goetz, Geschichtsschreibung und Recht, S. 198. Gegen eine Psychologisierung Adalberts im Hinblick auf den Reiseplan vgl. Lammers, Hochmittelalter, S. 191, der jedoch ebenfalls den Plan als gaubwürdig einstuft.

67

Die Selbstzuschreibungen

In zahlreichen Passagen wird deutlich, daß Adam die Hamburger Erzbischöfe positiv

wenn sie sich selbst auf eine Missions- oder Visitationsreise begaben: Neben der bezeichnenderweise im Zusammenhang mit seiner Reise nach Schweden Ansgar, als euangelista noster bezeichnet wird,194 hebt er insbesondere Unni hervor, der sich in der Nachfolge des ersten Erzbischofs auf eine Missionsreise begab und während dieser im schwedischen Birka verstarb. Sein Tod gilt Adam als „Krönung durch ein so edles Ende", mit dem Unni „den Nachfolgern ein Beispiel gab, damit keine zeitliche oder räumliche Schwierigkeit mehr eure Untätigkeit zu entschuldigen vermag, denn größten Gefahren auf See- und Landreisen zum Trotz hat er die wilden Völkerschaften des Nordens aufgesucht und den Auftrag seiner Legation mit so großer Anteilnahme wahrgenommen, daß er am äußersten Ende der Erde sogar sein Leben sterbend für Christus dahingab."195 Die Beispielhaftigkeit der bischöflichen Nachfolge durch eine Reise in den Norden nimmt Adam in die Darstellung von Adalberts Reiseplan konkret wieder auf, indem er schreibt, dieser habe „in seiner üblichen Eitelkeit stolz" verkündet, als quarta euangelista die Reise antreten zu wollen. Und obwohl dieser Plan scheitert, stellt der Chronist Adalbert in die Nachfolge der Apostel: Denn ebensowenig wie jener seine Reise nach Island unternahm, konnte Paulus seine Reise in die Hispania durchführen.196 Entscheidend für die Beurteilung der Bemühungen Adalberts um die Legation ist also explizit seine voluntas, und diese offenbart sich für Adam eben bereits in der Planung der Reise. Vor diesem Hintergrund erscheint Adams Haltung gegenüber dem erzbischöflichen Reisevorhaben durchaus positiv.

bewertet,

Häufiger als die Hamburger Erzbischöfe treten die von ihnen für die nordischen Länder geweihten Bischöfe als Reisende in der Chronik hervor. Adam verdeutlicht, daß er sie gegenüber denjenigen favorisiert, qui domi sedentes. So bedauert er etwa, Bischof Odinkar der Jüngere von Ribe (1000-1043) sei der einzige der nostri gewesen, der gelegentlich die ecclesiae transmarinae aufgesucht habe. Ihn hebt Adam besonders hervor,

doch zuvor der Bremer Schule anvertraut worden: Die nostri sind hier die fratres, und der magister scholarum Adam sieht es besonders positiv, wenn ein ehemaliger Angehöriger der Gemeinschaft, der er sich selbst zuschreibt, zu einem nach seinem Verständnis tatkräftigen Missionsbischof wurde. Auch Bischof Egino von Dalby (ca. 1060-1072) war in diesem Sinne erfolgreich: Er besuchte häufig von Schonen aus die bischofslose Kirche im schwedischen Skara, um Trost zu spenden; Adalward der Ältere reiste in Norwegiam, der jüngere in Gothiam und Suediam}91 und die Kette dieser

war er

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-

I, 26, S. 32. I, 63, S. 60: Qui nuper

tam nobili fine coronatus exemplum dedit posteris, nulla temporum vel asperitate vestram pigricam excusari posse, cum per tanta pericula maris et terrae feroces aquilonis populos ipse pertransiens ministerium legationis suae tanto impleret studio, ut in ultimis terrae finibus exspirans animam suam poneret pro Christo. TRILLMICHS Übersetzung von posteris mit „Nachwelt" ist zu allgemein. Der Chronist bezieht sich hier auf die

locorum

Erzbischöfe und die von diesen geweihten Bischöfe. Birka ist bei Adam portus hospitium sanctorum nostrae sedis sancti Ansgarii et tumulus sancti Unni archiepiscopi,

nachfolgenden

confessorum (schol. 127, S. 249).

...

IV, 36, S. 273f. Odinkar: II, 36, S. 96f u. 49, S. 110; Egino: IV, 8f, S. 235 u. 237; Adalward d.Ä.: schol. 135, S. 254; Adalward d.J.: schol. 136, ebd., S. 255; IV, 30, S. 261-263; er starb apud nos (ebd.,

68

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

zog der für Skara geweihte Gottschalk blieb wie sein Nachfolger Azelin, der für Sigtuna geweihte Tadico und andere daheim (domi).m Diese Bischöfe werden genauso negativ bewertet wie der oben bereits angesprochene Osmund, der zwar aus Bremen kam, in den Norden reiste und missionierte, jedoch den Suprematieanspruch Adalberts nicht anerkannte. Adam bewertet also die hier angeführten Reisenden ausschließlich positiv, solange deren Reisen dem vom Chronisten gewünschten Zweck diente und hierfür läßt sich im gesamten Werk kein einziges Gegenbeispiel finden. Anhand der Reisethematik wird denn auch deutlich, daß Adam mit den Bischofsweihen die Anforderungen an Erzbischöfe keineswegs erfüllt sieht, da manche der geweihten Missionsbischöfe gar nicht zu ihren Bistumssitzen reisten, aus Bequemlichkeit oder aus „Furcht vor Verfolgungen" durch Heiden.199

Beispiele

ließe sich erweitern.

„das Nichtstun der Arbeit vor",

Demgegenüber er

-

-

-

Besonders häufig thematisiert Adam Reisen in der Descriptio, und so ist denn auch die Funktion der Reisethematik eng verbunden mit der Funktion des vierten Buches insgesamt. Daher ist zunächst kurz auf den Ort des eingangs erwähnten Reiseplans Adalberts in der Chronik einzugehen: Adam faßt in sieben Kapiteln die Legationsbemühungen des Erzbischofs zusammen. Von Bernhard SCHMEIDLER noch als Abschluß von Hb. III (cc. 72-78) betrachtet, sind diese Kapitel jedoch, wie Anne K.G. KRISTENSEN überzeugend geltend gemacht hat, als Einleitung zu lib. IV, der Descriptio insularum aquilonis, aufzufassen und daher im folgenden auch als solche zu betrachten.200 In diesen sieben Kapiteln nun führt Adam drei Argumente für die Ausweitung der potentia archiepiscopalis unter Adalbert an: Zunächst schildert er die Verfolgung des Reiseplans (III, 72),201 dann erwähnt er summarisch Bischofsweihen (73), berichtet über den fehlgeschlagenen Plan von der Abhaltung der Synode seiner Suffragane (74)202 und zählt dann einzeln sämtliche zwanzig Bischöfe auf, die Adalbert ad gentes weihte (77). Im letzten dieser Kapitel weist er noch einmal pointiert auf die für das Erzbistum gewinnbringende Treue Adalberts gegenüber Kaiser und Papst hin (78), wobei er hier behauptet, der Papst habe den Erzbischöfen Hamburgs das Recht zur Einrichtung von Bistümern „im gesamten Norden" und zur Weihe von „aus seiner Kapelle erwählten Bischöfen" übertragen, „sogar gegen den Willen der Könige".203

263); schol. 142, ebd., S. 262; auch Hiltin wird ex nostris für Birka geweiht (IV, 20, S. 249). IV, 23, S. 254: Godescalcus, domi sedens ocium labori pretulit. Ebd., S. 255: Acilinu[s], nihil ferentem dignum episcopali nomine prêter ingentem corporis staturam. Et ille quidem diligens S.

...

carnis

requiem, frustra mittentibus legationem Gothis usque ad obitum suum Coloniae mansit in Tadico[...], qui propter ventris amorem domi famelicus esse maluit quam foris

deliciis. 30, S. 263:

apostolus. Vgl. z.B. III, 53, S. 198 zu den für Schweden geweihten Bischöfen: Episcopi, quos illuc metropolitanus ordinavit, persecutiones metuentes domi sederunt. Vgl. dazu oben, Kap. 2.1. Zur Zählung der Kapitel in der vorliegenden Arbeit vgl. oben, Kap. 2.1., Anm. 33. Zur Unterstützung Adalberts fügt Adam einen Brief Papst Alexanders II. u. einen des Erzbischofs an (III, 75f, S. 221 f.). III, 78, S. 226: A papa vero meruit hoc dignitatis priviligium, ut totum ius suum domnus apostolicus in illum transfunderet successoresque eius, adeo ut ipse per totum aquilonem, in quibus locis oportunum videbatur, sepe invitis regibus episcopatus constitueret ordinaretque

Die Selbstzuschreibungen

69

Die in den sieben Kapiteln angesprochenen Themen Reise(plan), Bischofsweihen und Synode(nplan) weisen die grundlegende Gemeinsamkeit auf, daß Adam sie allesamt als Belege für Adalberts Bemühungen um die Ausweitung der potentia archiepiscopalis in extera nationes ansieht. Ihr Ort am Beginn des vierten Buches legt nahe, daß Adam hier, in der Descriptio, nicht lediglich allgemein die natura der Länder des Nordens zum honor der Hamburger Kirche beschreibt, wie er an anderer Stelle äußert.204 Vielmehr sieht er die Darstellung dieser Länder in einem direktem Zusammenhang mit den angesprochenen Belegen für die Ausweitung der erzbischöflichen potentia und genau dies löst er im vierten Buch auch ein: Im Gegensatz zur älteren Forschung, die in der Descriptio lediglich eine geo- und ethnographische Beschreibung der Fremde sah,205 ist die dortige Betonung der legatio (Adalberts) mittlerweile, wenn auch zumeist nur generalisierend, festgestellt worden.206 Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß Adam die Chronik in einer existentiellen Krisensituation des Erzbistums an den neuen Erzbischof Liemar richtete, und der Annahme, daß er sie zu dem Zweck verfaßte, den Adressaten auf die Interessen des Erzbistums zu verpflichten, kommt der Thematik der Bischofsweihen und Reisen, aber auch dem vierten Buch insgesamt, jedoch eine spezifische Funktion zu. Nun ist die Relevanz von Adalberts Bischofsweihen, die Adam immer den Beschreibungen der Länder und Völkerschaften anfügt, in diesem Zusammenhang bereits erkannt worden,207 allerdings ist übersehen worden, daß diese immense Bedeutung auch der Reisethematik zukommt: Denn der Reise plan Adalberts findet eine Konkretisierung in den zahlreichen Entfernungsangaben und „Reisebeschreibungen" für den beanspruchten Missionsraum des Erzbistums, die Adam im vierten Buch erwähnt.208 Der Chronist stellt hier Landwege neben Seewege und weist immer wieder auf Gefahren und Mühen bei einer Reise durch die beschriebenen Regionen hin.209 Er zeichnet die Kunde von unbekannten Gebieten sorgfältig auf und behauptet dabei stets, veraciter zu berichten und seine Gewährsleute zu nennen, fabulosa aber zu übergehen.210 -

ex capella sua, quos vellet electos. Abgesehen davon, daß der letzte Satz des Kapitels keinesfalls mehr die Situation zur Abfassungszeit der Chronik kennzeichnet, geht Adam hier weit über ein tatsächliches, zwanzig Jahre altes Privileg Papst Leos IX. hinaus; vgl. UL.IX. v. 1053 Jan. 6, in: May, Bd. 1, Nr. 241. IV, 43, S. 279: Haec sunt, quae de natura septentrionalium regionum comperimus ad honorem Hammaburgensis ecclesiae ponenda. Vgl. zur bisherigen Forschung zur Descriptio bes. Kap. 2.3. Bezeichnenderweise zieht Trommer (vgl. S. 208 Anm. 4) weder cc. III, 72-78 noch die Descriptio für seine Untersuchung über die legatio gentium bei Adalbert heran, sondern nur III, 11-25. Heinrich Schmidt, Skandinavien, S. 57, sieht das Motiv für die Abfassung der Descriptio recht allgemein in Adams Sorge um die Legation; Johanek, S. 88, ist der Meinung, daß besonders die Descriptio dem Adressaten Liemar Aufgaben u. Pflichten vor Augen halte. Kristensen, S. 43f. Vgl. z.B. IV, 1, S. 227-230; 4, S. 232; 7, S. 235; 15f., S. 242f; 23, S. 254; 29, S. 261; 33, S. 267f.; 36, S. 272 u. 37, S. 274. Land- u. Seewege: z. B. IV, 1, S. 227 u. 29, S. 261; Gefahren: z. B. IV, 4, S. 232; 7, S. 235 u. 15, S. 242. Vgl. z. B. IV, 36, S. 274 (zu Island).

episcopos

204

205

206

207 208

209 210

Adam

70

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

Es bedarf jedoch all dieser „wahren" Angaben über Reisewege, über Stationen, die Dauer und die mit den Reisen verbundenen Gefahren, ja sogar über das Nebeneinander verschiedener Land- und Seereisewege weder, um Länder und Völkerschaften zu beschreiben, noch, um ausschließlich auf die Suprematie des Erzbistums hinzuweisen. Für eine Bewertung dieser Angaben ist es wiederum völlig unerheblich, ob sie, im modernen Sinn, realistisch' sind: Vielmehr erscheint deren Abgleichung mit der physikalisch-geographischen .Realität' hier absurd, wenn man die immense Diskrepanz zwischen Realität und Anspruch berücksichtigt, die das gesamte Werk kennzeichnet und die eben auch genau das Merkmal der Krisensituation des Erzbistums zur Abfassungszeit ist.2" Ohnehin konstruiert Adam, liest man sämtliche geographisch-ethnographischen Passagen der Chronik zusammen, einen Raum, der sich vom Sitz des Erzbistums aus bis an das Ende der Welt ausdehnt und sich mit dem beanspruchten Missionsraum deckt.212 Der Chronist fordert in der Descriptio vielmehr dazu auf, den umstrittenen Legationsauftrag praktisch auszuüben, denn die Praxis erachtet er neben der historisch-rechtlichen Legitimation für dringend notwendig. Genau hierin aber liegt denn auch die Funktion der Thematisierung von Bischofsweihen und Reisen in der Descriptio: Adam geht es ganz konkret um die Darstellung von sprichwörtlich Erreichtem und Erreichbarem, um das Aufzeigen von Möglichkeiten einer praktischen Ausübung des Legationsauftrags, die er als Notwendigkeit ansieht. Und eine dieser Möglichkeiten bildet auch die Reise. Ausschließlich in diesem Zusammenhang einer konkreten Handlungsaufforderung, in die beanspruchten nordischen Regionen zu reisen, erhalten die Entfernungsangaben und Reisebeschreibungen ihre Funktion im Werk. Ob eine Reise, gemessen an den Missionserfordernissen der Zeit, nun eine .geeignete' Möglichkeit bildete oder nicht: Adam verknüpft sein überschwengliches Lob für die Reisen früherer Erzbischöfe explizit mit seiner Zeit: Trotz der Grausamkeit der Nortmanni und Dani seien Ansgar und Rimbert furchtlos gereist, um zu predigen. „Heute, da die Heiligen fehlen und das Streben nach Wahrheit bei den Menschen geschwunden ist, scheint es fast unglaublich, ,Unserem feigen Geschlecht, das geruhsam daheim sich nur wohlfühlt', daß einer gewagt hat, als Apostel aufzutreten in Zeiten so harter Bedrohung, bei einem kaum menschenwürdig lebenden, wilden Volk, in einer von unserer Welt so weit entfernten Gegend; wir wissen eben nicht, daß des Erlösers Wort an seine Apostel täglich auch für uns gilt: Gehet hin in alle Welt; ich will mit euch sein alle Tage bis ans Ende der Zeit!"213 Die Handlungsaufforderung ist hier ganz -

-

-

-

212 213

Gerade das Messen der Darstellung an ihrem realist. Gehalt kennzeichnet jedoch die Forschung. Zum Messen der geograph. Angaben Adams an ihrem realist. Gehalt vgl. unten, Kap. 2.3. Dort auch die Lit. Vgl. dazu unten, Kap. 2.3.1. I, 42, S. 44f : Et quia vastado Nortmannorum vel Danorum excedit omnem crudelitatem, eo plus mirum videri possit, quod sancti confessores Dei Ansgarius et Rimbertus per tanta pericula maris et terrae illas gentes intrepidi adibant velpredicabant... Nunc autem, ,quoniam defecit sanctus, quoniam diminutae sunt veritates a filiis hominum ', vix possibile credimus, nos genus ignavum, quod tecto gaudet et umbra, ut in tam áspero persecutionis tempore, in tam feroci, quae vix hominem vivit, natione, in tam remotissima, inquam, ab nostro mundo regione, quisquam vel apostolus auderet accederé, nescientes illud cotidie et nobis dici, quod Salvator ait apostolis: Ite in orbem Universum, ,et ecce ego vobiscum sum omnibus diebus usque ad consummationem

71

Die Selbstzuschreibungen

konkret auf Gegenwart und Zukunft bezogen, sie ist für Adam hochaktuell, sie gilt „täglich auch für uns",214 und, so kann man wohl hinzufügen, auch für den Adressaten des Werkes. Zwei Wege zeigt Adam dem Erzbischof auf: Zum einen bedarf es der Weihen solcher Bischöfe, die auch tatsächlich reisen. Deshalb richtet sich Adam gegen diejenigen, qui domi sedentes, und deshalb schreibt er auch gegen die Gründe für ihr Zuhause-

bleiben an: Bequemlichkeit und „geistige Armut" möglicher zukünftiger Missionsbischöfe aus dem Bremer Domklerus könnten ein Grund für die Erinnerungen an Liemar sein, seine Sorge für die fratres, eine strengere Beachtung der regula und der Sitten in Bremen wahrzunehmen, deren Verfall der Chronist unter Adalbert moniert. Gegen die Furcht vor Verfolgungen durch Heiden richten sich die teilweise durchaus positiven Darstellungen der Völkerschaften, die zum Teil sogar bereits das Christentum angenommen haben,215 und ebenso die häufigen und positiv bewerteten Erwähnungen von Missionaren, die den Märtyrertod starben. Können diese Aspekte bereits als Aufforderung an den Adressaten gelesen werden, durch die Weihe der Richtigen', nämlich tatkräftigen und reisewilligen, Bischöfe letztlich der legatio zu dienen, so ist in der Reisethematik auch eine noch konkretere Aufforderung enthalten: Denn mit der Descriptio hält Adam Liemar vor Augen, wie er die Legation, die eben zugleich überkommene Verpflichtung und zukunftsgerichtetes Erbe der Hamburger Erzbischöfe ist, ausüben kann: indem er sich nämlich selbst in die Nachfolge der reisenden Vorgänger begibt. Erneut ist hier nicht der Realitätsgehalt der Darstellung entscheidend, sondern das in der Schilderung hervortretende verzweifelte Bemühen Adams, den neuen Erzbischof auf die Legation hinzuweisen: Kennzeichnet er dessen Vorgänger Adalbert indirekt über den dänischen König Svend Estridson als ignota, der den ritus nationis kritisch gegenüberstand, so wirkt er einer eventuellen neuerlichen Hervorbringung dieses Arguments gegen Liemar durch die geo- und ethnographische Beschreibung der Länder und Völkerschaften entgegen: Deshalb macht er ihre mores und ritus im vierten Buch bekannt; und genau deshalb beschreibt er auch Gebiete wie die regna aquilonis, die dem noster orbis adhuc fere incognita sind.216 Liemar wird nach der Lektüre der Hamburgischen Kirchengeschichte weder im Hinblick auf den beanspruchten Missionsraum noch in bezug auf dessen Bewohner ein ignota zu nennen sein.217 So durchwandert Adam schreibend den Raum, den Liemar bereisen soll, denn die Position des quarta euangelista, die Adalbert letztlich nicht aus-

214

seculi'. Zu den Zitaten Adams vgl. Schmeidler in seiner Ed., S. 45, Anm. 1-3 u. Trillmichs Ed., S. 215, Anm. 192-194. Vgl. a. den Gegenwartsbezug (I, 63, S. 60), mit dem sich Adam direkt an die Bischöfe seiner Zeit wendet: Eia vos episcopi, qui domi sedentes gloriae, lucri, ventris et somni breves delicias in laudabilem magnumque primo eipscopalis officii loco ponitis! Respicite, inquam, istum sacerdotem Christi [i. e. Unni]. Vgl. dazu unten, Kap. 2.3. IV, 21, S. 250. Vgl. dazu unten, Kap. 2.3.5. Damit ist hier zugleich eine Funktion angesprochen, die der Vereitelung Adalberts Reiseplans im Werk zukommt. Es ist durchaus möglich, daß Adam den Reiseplan erfand, um Adalbert über den bezüglich der ritus nationis kenntnisreichen und deshalb glaubwürdigen Zeugen Svend Estridson zu kritisieren und letztlich somit auch die Notwendigkeit der Beschreibungen nordischer Länder und Völkerschaften zu betonen. ...

215 216 217

-

-

Adam

72

von

Bremen und die Gesta

Hammaburgensis

füllte, ist noch frei.

Darstellung aller hier angesprochenen Aspekte schreibt sich Adam sehr häufig und prägnant den .religiösen' Gemeinschaften zu, unter diesen jedoch vor allem dem Erzbistum. Davon zeugen vor allem der hohe Anteil der Wir-Bezüge, die der Chronist in Abgrenzungen von anderen verwendet, und die Verteidigung der legatio gentium als dem von Adam so vermittelten Hauptinteresse des Erzbistums. Hinter dieser Teilidentität tritt die ebenfalls feststellbare Zuschreibung zur größeren Gemeinschaft der In der

christianitas merklich zurück. Es kann daher zusammenfassend durchaus konstatiert werden, daß den ,kirchlich-lokalen' Zuschreibungen ein höherer Stellenwert zukommt. Im folgenden ist das Augemerk auf das Verhältnis der Teilidentitäten im ,weltlichen' Bereich zu legen.

2.2.2. Reich und Region Rudolf BUCHNER hat das (in seiner Terminologie) „Zugehörigkeitsgefühl" Adams zu den „weltlichen" Gemeinschaften, zu regnum, Imperium und zur Saxonia, als sehr stark eingestuft. Er widmete seine Aufmerksamkeit vor allem der politischen Vorstellungswelt des Geschichtsschreibers, galt doch sein Interesse, aus forschungsgeschichtlicher Perspektive zu Beginn der 1960er Jahre verständlich, letztlich der Anregung einer Geschichte des deutschen Nationsbewußtseins im Mittelalter. Buchner spricht sogar von einem „Reichspatriotismus" Adams und von dessen tiefer, gefühlsmäßiger Bindung an das Reich. Dabei bleibt er insgesamt einer älteren Terminologie verhaftet: Sie äußert sich besonders in der Verwendung des „deutschen Volks"-Begriffs, dessen Gebrauch sich nach den Ergebnissen der jüngsten Forschung als nicht fruchtbar für die Diskussionen von Themenkomplexen wie Ethnogenese und Nationsbewußtsein im Mittelalter erwiesen hat.218 Zudem ist in der inzwischen weit gediehenen Forschung zum mittelalterlichen Nationalbewußtsein' hervorgehoben worden, daß dieses im Hochmittelalter letztlich nur einen, zudem oft überbewerteten, Teilaspekt bildete, während ein .gentiles Bewußtsein' und die Bedeutung der ,Stammesprovinzen' eine größere Rolle spielten. Auch wurde, bislang allerdings fast ausschließlich für das Spätmittelalter, auf eine häufig größere Bedeutung „regionaler Identitäten" hingewiesen.219 Buchners Arbeit, die im Hinblick auf Adams Vorstellungswelt als Grundlagenforschung bezeichnet werden 218

219

Die deutsche Nation des Mittelalters als Gegenstand der Forschung, in: Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter (Nationes 8), und Ansätze Ders., Sigmaringen 1989, S. 11-58, hier S. 28. Zu Adam vgl. a. Johannes Nowak, der, ebenfalls ältere Ansichten vertretend, vor allem die christl. Konnotation vonpopulus, gens u. natio hervorhob. Ehlers, deutsche Nation; Die Entstehung des deutschen Reiches, hg. v. Dems. (EDG 31), München 1994; Ders., Mittelalterliche Voraussetzungen; Thomas Eichenberger, Patria. Studien zur Bedeutung des Wortes im Mittelalter (6.-12. Jahrhundert) (Nationes 9), Sigmaringen 1991. Zusammenfassend Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein, S. 381-389. Zur regionalen Identität vgl. bes. Bernd Schneidmüller, Regionale Identität. Anders Wolfgang Eggert, „Regna, partes regni, provinciae, ducatus". Bemerkungen zu Reichsbenennungen und auffassungen in „deutschen" Geschichtswerken des 10. und 11. Jahrhunderts, in: MIÖG 104 (1996), S. 237-251.

Vgl. Joachim Ehlers,

-

Die Selbstzuschreibungen

73

kann, ist stark rezipiert worden. Wolfgang EGGERT hat Buchners Ergebnisse insbeson-

dere im Hinblick auf die Interpretation einiger Wir-Bezüge, die dieser als Beleg für „Adams Liebe zum Reich" ansah, modifiziert, und bestritten, daß sich ein „Reichspatriotismus", der sich ansonsten durchaus zeige, an den direkten Identifikationen belegen lasse. Eggert stellte eine „andere Art von Patriotismus'" in den Vordergrund, nämlich ein starkes „Zugehörigkeitsgefühl" Adams zur Saxonia und zu den Saxones.220 Die hier skizzierten Meinungen sind im folgenden zu überprüfen. Es ist zu fragen, ob aus den Angaben in der Chronik tatsächlich auf eine solch starke Identifikation' Adams mit dem Reich und mit Sachsen geschlossen werden kann, denn immerhin erscheint es möglich, daß diese Ergebnisse durch Buchners und Eggerts Blickwinkel und durch ihre weitgehende Beschränkung auf politische Identitäten' erklärt werden können. Bevor Adams Zuschreibungen zu Sachsen in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken, werden zunächst diejenigen zu regnum und imperium untersucht. Hierbei kann für einige Aspekte wesentlich auf die Untersuchung Buchners zurückgegriffen werden, der sich intensiv mit dem Reichsbegriff Adams und dessen Auffassung von regnum und imperium auseinandergesetzt hat. Danach sind, unter Einbeziehung Eggerts und eigener Ergebnisse, Buchners Argumente für ein starkes „Reichsbewußtsein" kritisch zu beleuchten. 2.2.2.1.

Regnum und imperium

In seiner Untersuchung zum Reichsbegriff arbeitete BUCHNER heraus, daß Adam genau zwischen den Titeln rex und Imperator unterscheidet und letzteren auf die in Rom gekrönten Kaiser anwendet.221 Die häufige Verwendung des Terminus cesar für den deutschen König entsprang jedoch weniger stilistischen Motiven, wie Buchner annahm; nach EGGERT ist sie vielmehr als Zuschreibung „einer weitgehend von Rom unabhängigen, .höchsten Würde'" anzusehen, die auf Spuren der nichtrömischen Kaiseridee bei Adam hinweise.222 Im Gegensatz zur Differenzierung zwischen diesen Titulierungen ist eine Unterscheidung von regnum und imperium nur schwer auszumachen. Adam verwendet den Begriff imperium, wenn, was selten vorkommt, auch Burgund und Italien in seinen Blickpunkt geraten. Trotz einiger Belege, die in die entgegengesetzte Richtung zu weisen scheinen, hatte der Geschichtsschreiber keine universale Vorstellung vom König- oder Kaisertum.223 Insbesondere in seiner Darstellung der Gegenwart wird deutlich, daß der rex oder Imperator gleichberechtigt neben anderen stand, neben dem griechischen Kaiser wie neben dem rex Francorum,224 und auch in bezug auf das

Eggert, Wir-Gefühl, S. 146.

Vgl. hierzu u. zum Folgenden Buchner, Vorstellungswelt, bes. S. 26-38. Vgl. ebd., S. 27 m. Anm. 42 u. Wolfgang Eggert, Spuren der nichtrömischen Kaiseridee

im 11. bei saxonum und Wir-Gefühl Barbara Pätzold, regnum Jahrhundert, Ders., frühmittelalterlichen Geschichtsschreibern (AKG, Beih. 21), Wien-Köln-Graz 1984, S. 287-298, hier S. 289-291 u. 297f. Buchner, Vorstellungswelt, S. 28f. hebt hervor, daß Adam für die Vergangenheit durchaus eine Vorstellung von einem über den regna stehendem Kaisertum Karls und Ottos I. hatte. in:

Vgl.

z.

B.

III, 32, S. 174.

Adam

74

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

eigene Reich verwendet Adam die Begriffe Imperium und

regnum ohne scharfe Tren-

nung. In Adams Reichsvorstellungen fließen zwei erkennbare Traditionslinien ein: zum einen die Kontinuität vom fränkischen Karolingerreich zum regnum und Imperium in der Gegenwart. Diese Linie ist, wie auch Buchner angemerkt hat, teilweise in der „Kontinuität der hamburgisch-bremischen Geschichte begründet", denn sie spannt sich in einem Bogen von Karl dem Großen als Gründer des Bistums Bremen über Ludwig den Frommen als Gründer des Erzbistums Hamburg bis in Adams Zeit und kommt auch in Königsurkunden für das Erzbistum zum Ausdruck.225 Trotz dieser Auffassung ist sich der Chronist der Reichsteilungen bewußt, und ost- und westfränkische Könige werden voneinander abgegrenzt.226 Neben dieser karolingischen Traditionslinie steht auch eine römische: Sie gerät zwar nur selten in den Blickpunkt, dafür jedoch um so pointierter, wohl als erster überhaupt wenn Adam schreibt, daß Heinrich III. „seit Kaiser der römischen der [war]."227 Aus all dem wird deutneunzigste Imperatoren Augustus lich, daß Adam über einen „Reichs"-Begriff, auch in Abgrenzung zu anderen, verfügte, in dem Vorstellungen von der Kontinuität des Reiches enthalten waren, so daß sich durchaus von einem Reichsbewußtsein des Chronisten sprechen läßt. Wie aber steht es um die vermeintlich so starke „gefühlsmäßige Bindung" insbesondere zum imperium, die BUCHNER konstatierte und die ihn sogar von „Adams Liebe zum Reich" sprechen ließ? Seine Argumente sind im folgenden zu prüfen: Sie beziehen sich auf (a) Adams Übertreibungen der Taten von Kaisern und Königen, (b) Adams Haltung zu Konflikten im Reich und (c) die Verwendung von Wir-Bezügen.228 -

-

(a) Eine besondere Bedeutung scheint Adam dem domare, dem „Zähmen" anderer Völkerschaften, durch Kaiser und Könige beizumessen. Er verwendet diesen der Antike

entstammenden Ausdruck schon fast toposhaft. Kaum ein bedeutender Herrscher wird nicht als domitor bezeichnet, wobei sich die „Zähmung" keineswegs immer auf nichtchristliche Völkerschaften bezieht. Adam übertreibt hier mehrfach die Erfolge der Herrscher, er bewertet sie positiv,229 und hierin kann durchaus ein Beleg für Adams Zuschreibung zum Reich gesehen werden, wie Buchner meinte. Zugleich läßt jedoch der Kontext, in dem diese Herrscherbewertungen stehen, auch einen weitergehenden Schluß zu: Otto I. etwa kämpfte gegen die Dani, weil diese die Saxonum colonia in Haithabu zerstört hatten. Auf den Sieg Ottos folgte die Bistumseinteilung der Dania, Buchner, Vorstellungswelt, S. 30 m. Anm. 50.

Interpretation der Wir-Bezüge vgl. unten. Adam verwendet die Ausdrücke regnum Francorum bzw. regnum Franciae wie auch Franci u. Francia im Rückblick auf das karoling. Reich oder Franken an, später für das westfränkische Reich. III, 1, S. 142: [Heinrich III.,] qui a Cesare Augusto Romanorum imperatorum XC. erat in solio, exceptis Ulis, qui simul regnabant cum alteris. Vgl. hierzu auch Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein, S. 210 sowie Heinz Thomas, Die Deutschen und die Rezeption ihres Volksnamens, in: Nord und Süd, S. 19-50, hier S. 41. Als weiteres Indiz fur diese röm. Traditionslinie führt Buchner, Vorstellungswelt, S. 32-34 die Bezeichnung reges Romanorum für die ostfränkischen Könige an. Vgl. zum Folgenden Buchner, Vorstellungswelt, S. 34-38. I, 14, S. 17-19 (Karl d.Gr.); II, 3, S. 62f.; 24, S. 82 (Otto I. u. II.); 42, S. 101 (Otto III.); 56, S. 116f. (Heinrich I.); III, 32, S. 174 (Heinrich III.). Zur

Die

75

Selbstzuschreibungen

fügt hinzu, der Hamburger Erzbischof Adaldag habe die päpstliche Bevollmächtigung zum ius ordinandi episcopos tam in Daniam quam in ceteros septentrionis populos erhalten.230 Bis auf zwei Ausnahmen stehen auch die anderen Passagen, in denen positive Hervorhebungen und Übertreibungen der kaiserlichen und königlichen Taten erfolgen und die Buchner als Belege für seine These anführt, in direktem Zusammenhang mit einer Ereigniskette, aus der sich Folgen für das Erzbistum ergaben.231 An ihnen mißt Adam die Herrscher. So sprechen die von Buchner angeführten und Adam

Belege also einerseits durchaus für ein Reichsbewußtsein Adams. Ein besonders starkes „Zugehörigkeitsgefühl" zu regnum oder Imperium aber ist diesen Beispielen kaum zu entnehmen.

(b) Immer wieder verurteilt Adam rebelliones, seditiones und conspirationes gegen den König. Sie stellen für ihn eine iniquitas dar: Zur Zeit der Regentschaft Agnes' für den noch minderjährigen Heinrich IV. hätten die Fürsten 1062 „frech zu den Waffen [gegriffen], um ihren Herren und König abzusetzen," und als Adalbert und Anno schließlich die Regentschaft übernahmen, hebt Adam ausdrücklich hervor, daß der Hamburger Erzbischof im Gegensatz zu Anno lehrte, „seinem König und Herrn -

Treue bis in den Tod halten."232 Besonders eindringlich akzentuiert der Chronist die Treue Adalberts zum König, von der er sich „weder durch Drohungen noch durch Schmeicheleien der Fürsten" habe abhalten lassen. An den conspirationes habe sich der Erzbischof „niemals auch nur mit dem Wort beteiligt".233 Da er den König „so sehr liebte", ließ Adalbert auch niemanden außer ihm an sein Sterbebett, und der Erzbischof behauptet nach Adam von sich, daß nur er den König „allein aus Liebe zum Reich schütze, wie es seine Pflicht sei, nicht zu seinem eigenen Vorteil."234 Büchners euphorische Schlußfolgerung aufgrund dieser Passagen „Liebe zum König, uneigennützige Liebe zum Reich es ist offensichtlich, daß Adam beides bejaht" sind so nicht haltbar.235 Die hier zitierten Abschnitte sind nach allem, was bereits oben gesagt müsse

-

man

-

...,

-

II, 3, S. 64.

Karl d. Gr. etwa kämpfte gegen die Dani, was seine (angeblichen) Pläne in bezug auf die Gründung des Erzbistums Hamburg verzögerte (vgl. dazu oben, Kap. 2.2.1.1.). Ottos III. Taten werden positiv hervorgehoben, bei seinem Tod jedoch, der direkt im Anschluß an die Hervorhebung geschildert wird, blieb das regnum in contentione, mit der Folge, daß die Slawen das Christentum ablegten. Heinrichs III. Taten münden in die Positivbewertung der „Fülle unserer glücklichen Erfolge", nostrae felicitatis cumulum. Die Ausnahmen bilden Otto II. u. Heinrich I. Vgl. zum Zusammenhang zwischen Adams Herrscherbewertungen und den von ihm geschilderten Auswirkungen auf die Mission auch Goetz, Geschichtsschreibung und Recht, S. 199f. III, 34, S. 176: principes armis audacter sumptis dominum et regem suum deponere moliti sunt. Ebd., S. 177: [Adalbertus] regique domino suo fidem docuit servandam esse usque ad mortem. Anno dagegen etiam violataefidei arguebatur in regem. Vgl. z. B. auch III, 1, S. 143. III, 78, S. 225: a fidelitate regis sui nec minis nec blandimentis principum rescindí potuit. (...) Unde etiam fréquentes in regno conspirationes fieri soient, quibus ipse tarnen nec in verbo communicare unquam voluit. III, 64, S. 211: Soli regi concedebatur aditus aegrum visitandi, quem dilexit eo modo et usque in finem. 40, S. 183: re[x], quem solus ipse diligens Imperium pro iure, non pro suo commodo tueri videretur. Buchner, Vorstellungswelt, S. 36f. m. Anm. 67 führt noch weitere, „indirekte Belege" für seine Schlußfolgerung an, die ein Reichsbewußtsein Adams durchaus erkennen lassen: Über die ...

76

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

wurde, im Zusammenhang mit Adams Hervorhebungen der Königsnähe Hamburger

Erzbischöfe und den ständigen Betonungen ihrer Treue gegenüber den Königen zu lesen.236 Ohne an dieser Stelle erneut auf die Einzelheiten einzugehen, sei lediglich noch einmal auf die Funktion der Königsnähe für das Erzbistum verwiesen, die sich als grundlegend sowohl für den Ausbau der erzbischöflichen Territorialherrschaft als auch für die Durchführung der legatio gentium erwies, für Themengebiete also, aus denen sich auch die Bedeutung der Königsnähe für Adam ergab und dies ganz konkret, bestand doch der Lohn für die Treue vor allem in Schenkungen für das Erzbistum. -

(c) Dreimal verwendet Adam direkte Identifikationen auf ostfränkisch-deutsche

Herr-

scher.237 Zwar wird hier in zwei Fällen „unser" Herrscher einem anderen gegenüberge-

Ludvicus noster (Ludwig der Jüngere) dem Ludvicus Franciae (Ludwig III. v. Westfranken) sowie nost[er] cesar[] (Heinrich III.) dem Imperator Grecorum Monomachus (Konstantin IX.) und Heinricus Francorum (Heinrich I.) -, es würde jedoch zu kurz greifen, hier, wie BUCHNER, lediglich die Gegenüberstellung der Regenten zu betonen. Schon EGGERT, dem hier gefolgt werden kann, hat überzeugend geltend gemacht, daß der Kontext der Wir-Bezüge eine solche Reduktion nicht zuläßt: Denn die beiden Ludwige erscheinen als Normannenbekämpfer, als Gegner der pagani, und Heinrich III. wird nicht nur den beiden genannten Regenten gegenübergestellt, sondern Adam weist hier vielmehr in erster Linie auf die Verdienste Erzbischof Adalberts in der unmittelbaren Umgebung „unseres Kaisers" hin. Auch der dritte Wir-Bezug auf einen Herrscher paßt in das hier gewonnene Bild: Otto I. wird ausgerechnet in der Situation zum rex noster, in der er den Sohn des dänischen Königs Harald Blauzahn (angeblich) aus der Taufe hob; damit aber förderte er die Mission, und genau diesen Aspekt nimmt Adam nun zum Anlaß, das Recht Hamburger Erzbischöfe auf die Einsetzung von Bischöfen in der Dania zu betonen. So zeigt sich insgesamt, daß eine Auswertung von Wir-Bezügen unbedingt den Kontext dieser direkten Identifikationen einbeziehen muß, um nicht in einer hauptsächlich quantitativen Auswertung rasch erkennbare, letztlich jedoch eben nur vordergründige Kontrastierungen überzubewerten. stellt

-

Außer dem vermeintlichen Zugehörigkeitsgefühl zum Reich hat BUCHNER ein, wenngleich nur schwach ausgeprägtes, „deutsches Volksbewußtsein" Adams ausgemacht.238 Das Hauptindiz hierfür bildet für ihn der Ausdruck Teutonum populi. Allerdings findet sich dieser Terminus nur ein einziges Mal in der gesamten Chronik, nämlich im Zusammenhang mit der Mission des Bonifatius.239 Bereits Buchner selbst hat vor einer „Überschätzung" der Stelle gewarnt: Zum einen konnte er zeigen, daß andere Historiographien bereits vorher diesen Ausdruck weitaus häufiger verwendeten was also eigentlich gegen eine starke Ausprägung von Adams „deutschem Volksbewußtsein" spricht; zum anderen machte er deutlich, daß die Teutonum populi in der Hamburgi-

Regentschaft der Kaiserin Agnes im regnum schreibt Adam, sie habe sich detrimento ausgewirkt (III, 34, S. 176); vgl. a. II, 31, S. 93. Vgl. oben, Kap. 2.2.1.2.1. u. 2.2.1.2.2. sowie unten, Kap. 2.2.2.2.2. I, 38, S. 41 (Ludwig d.J.); II, 3, S. 63 (Otto L); III, 32, S. 174 (Heinrich III.). Vgl. hierzu u. zum Folgenden Buchner, Vorstellungswelt, S. 43-50 u. 54-59.

magno

imperil

11

Die Selbstzuschreibungen

Kirchengeschichte zwar durchaus auf die ferocissimi Germaniae populi bezogen von Adam keineswegs einheitlich verwendet wird, wie auch insgesamt die geographische Einheit Germania eine „höchst untergeordnete Rolle spielt".240 Erscheint damit aber bereits die Gleichsetzung von Teutonum populi und Germaniae populi fraglich, so darf zudem nicht übersehen werden, daß Adam hier unter die Teutonum populi solche Völkerschaften rechnet, auf die sich die Mission des sehen

sind, der Begriff Germania jedoch

Bonifatius richtete.241 Immerhin viermal richten sich Wir-Bezüge, die BUCHNER zur Unterstützung seiner Argumente anführte, wie EGGERT gezeigt hat, auf die „deutsche Sprachgemeinschaft". Eggert ist hier zu folgen, da in dieser Bezeichnung noch am ehesten der Bezug dieser direkten Identifikationen zum Ausdruck kommt: Zweimal sind die Normannen pyratae, quos nostri Ascomanni vocant; um Wollstoffe der Pruzzi zu benennen, schreibt Adam, es seien solche, quae nos dieimus faldones; und der occeanus Britannicus werde nostra lingua Liberse vocatur.242 Über die Ausführungen EGGERTs hinausgehend kann konstatiert werden, daß Adam diese vier Wir-Bezüge sowohl in Abgrenzung zur Sprache anderer Völkerschaften als auch zum Latein der Quellen römischer Geschichtsschreiber äußert. So schreibt er ausdrücklich, daß die pyratae, quos Uli Wichingos appellant, nostri Ascomannos: Das Uli bezieht sich auf die Bewohner dänischer Inseln, die Adam zuvor beschrieben hatte. In seinem Bewußtsein stellen demnach auch die Dani eine Sprachgemeinschaft' dar. Vom occidentalis occeanus, den er auch occeanus Fresonicus nennt, führt er an, daß Romani scribunt Britannicu[s].243 Hier grenzt er demnach die lingua nostra explizit von der S c h r i f t spräche Latein ab. Dieses letzte Beispiel rückt erneut die Notwendigkeit in den Vordergrund, bei der Analyse von Wir-Bezügen stärker deren Kontext einzubeziehen, als es bislang in der Forschung geschehen ist. Es läßt jedoch auch vor allzu schnellen Rückschlüssen auf ein „deutsches Volksbewußtsein" warnen, wenn die „deutsche Sprachgemeinschaft" in den Mittelpunkt rückt. Und dieser Befund nun ordnet sich gut in die jüngere Forschung zum Nationsbewußtsein ein; sie geht von einer Überbetonung der Sprache als ethnischem Kriterium aus, infolge der zentralen Bedeutung, die der Sprache als Legitimationsgrundlage für den modernen Nationalismus zukam.244 Insgesamt wird deutlich, daß von Selbstzuschreibungen des Chronisten hier ist BUCHNER durchaus zuzustimmen zu regnum und imperium gesprochen werden kann, wenn man Adams Reichsbegriff und seine Vorstellungen von der Kontinuität des fränkischen und römischen Kaisertums betrachtet. Allerdings ist das Reichsbewußtsein stärker auf die Kaiser und Könige bezogen als auf das regnum oder imperium. Weder die Wir-Bezüge noch die anderen von Buchner angeführten Argumente können jedoch -

-

-

-

Buchner, Vorstellungswelt, S. 46. Daraus läßt sich nun aber wiederum nicht ableiten, daß der Begriffpopulus, wie Johannes Nowak

behauptet, vornehmlich christl. determiniert sei; vgl. dazu Nowak, der davon ausgeht, daß auch gens u. natio von Adam v.a. in einem christl. Sinn verstanden wurden. Der Begriff Germania ist gegen Buchner keinesfalls einfach mit „Deutschland" gleichzusetzen. Adam, der den Terminus von Einhard übernimmt, faßt unter die Germania auch die Sclavania; vgl. dazu unten, Kap. 2.3.3. II, 31, S. 92; IV, 6, S. 233 (Ascomanni); 18, S. 246 (faldones); schol. 150, S. 270 (Liberse). IV, 1,S. 227 u. 10, S. 238. Vgl. z. B. Ehlers, deutsche Nation, S. 54-57 u. Kugler.

Adam

78

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

Beispiele für einen „Reichspatriotismus" Adams herangezogen werden, denn sie belegen weder eine besonders starke „gefühlsmäßige Bindung" noch eine „Liebe zum als

Reich".

2.2.2.2. Saxonia und Saxones

verwunderlich, daß die bisherige Forschung aus der Hamburgischen Kirchengeschichte auf ein ausgeprägtes „sächsisches Bewußtsein" Adams geschlossen hat, war der Geschichtsschreiber seiner Herkunft nach doch Franke und kam erst wenige Jahre vor der Abfassung seines Werkes, 1066/1067, nach Bremen.245 Zudem findet sich in der Chronik, wie eingangs erwähnt, die Selbstbezeichnung Adams als proselitus et advena, die ihre Entsprechung in einem Zusatz erfahrt, den ein späterer, sächsischer oder gar Bremer Leser des Werkes an den Rand schrieb: Für ihn stammte Adam, nach seiner Sprache zu urteilen, ex Germania superiori, weil er „viele Worte und Eigennamen seiner Sprache anpassen wollte [und sie dadurch] für uns

Auf den ersten Blick scheint

es

[hat]".246 Der Ausschreiber stieß sich hier an Adams Ausführung, der occeanus lingua nostra Liberse genannt. Unabhängig davon jedoch, ob der Ausschreiber in Unkenntnis der sprachlichen Wurzel von Liberse mit dieser Bemerkung

verderbt

Brittanicus werde

Adam „Unrecht" tat, wie BUCHNER und EGGERT konstatierten,247 läßt sich sagen, daß Adam weder nach seiner Selbstbezeichnung noch nach der Zuschreibung eines (vermeintlichen) einheimischen' überhaupt dieser Region zurechenbar scheint. Ausgehend von diesen Beobachtungen mutet das in der Forschung vermittelte Bild von einer „festen Verwurzelung" Adams in Sachsen, ja einer „Art von Patriotismus"', fragwürdig an, es scheint jedoch nicht jeglicher Grundlage im Text zu entbehren: Denn zum einen stellt der Chronist seinem Werk mehrere Kapitel voran, in denen er ausführlich über die Saxonia und ihre Bewohner berichtet, und auch sonst kommt er häufig auf „Sachsen" zu sprechen, während andere Regionen kaum in seinen Blickpunkt geraten. Zum anderen bildet die Saxonia unter den weltlichen Gemeinschaften am häufigsten das Objekt von Wir-Bezügen: Dreimal verwendet Adam den Ausdruck nostra Saxonia, die sächsischen (Billunger)Herzöge bezeichnet er als duces nostri24i und nach Meinung der Forschung nennt er gar „die Sachsen" nostri. Bei der folgenden Überprüfung dieser Argumente ist es wiederum notwendig, den Kontext der Belege einzubeziehen. Daher

Vgl. dazu oben, Kap. 2.1. Schol. 151, S. 270 (in Hs. C2): Hie apparet, quod scriptor huius libelli fuit ex Germania superiori, unde vocabula pleraque sive nomina propria, cum ad suam optare voluit linguam, nobis corrupit. So Eggert, Wir-Gefühl, S. 147 im Anschluß an Buchner, Vorstellungswelt, der S. 49f. unter der lingua nostra Adams die „deutsche Sprache" versteht und nicht diejenige einer vom Ausschreiber vorausgesetzten Germania inferior. Der Ausschreiber bezieht sich auf schol. 150, S. 270. Nostra Saxonia: I, 55, S. 55; II, 21, S. 76; IV, 1, S. 229. Nostri duces: III, 2, S. 145; 37, S. 179f; 48, S. 191; 68, S. 215; dux noster Ordulfus: III, 51, S. 195; nostri comités (gemeint sind hier möglicherweise, wie Eggert, Wir-Gefühl, S. 147 m. Anm. 908 anführt, die Herzöge; vgl. a. Buchner, Vorstellungswelt, S. 45 Anm. 95a. Adam berichtet hier wie in den beiden folgenden Kapiteln allerdings konkret über den comes Hermann, Sohn Hzg. Bernhards u. Bruder Hzg. Ordulfs: III, 43, S. 185f.

Die Selbstzuschreibungen

ist

zu

79

untersuchen, in welchem Zusammenhang Adam die Begriffe Saxonia und Saxo-

verwendet und in welchem Kontext die Wir-Bezüge stehen. Zunächst wird das Augenmerk jedoch auf die einleitenden Kapitel der Chronik gerichtet und gefragt, welche Funktion ihnen zukommt. nes

2.2.2.2.1. Die

geo-ethnographische Einbindung Sachsens in die Gesta

Kapiteln, die Adam in seiner Chronik auf die Praefatio folgen läßt, schildert er ausführlich die räumliche Ausdehnung und die natürlichen Vorzüge und Beschaffenheiten der Saxonia (I, 1 f.),249 verfolgt die Fragen nach den früheren Bewohnern Sachsens und nach der Herkunft der gens Saxonum (3f.),250 berichtet über ihre Nachbarn (5), ihr Äußeres,251 über Ständegliederungen,252 Gesetze (6) und über die heidnischen Sitten (7), bevor er sich den Sachsenkriegen Karls des Großen und der darauffolgenden Bekehrung der Sachsen widmet (8f.). Die Identität der Sachsen wird also durch deren Herkunft, ihre Landnahme, durch „horizontale Differenzen"253 zu anderen, Nachbarvölkern, konstruiert, aber auch durch ihre Sitten, Gesetze und ihre (noch heidnische) Religion. Zudem geraten „vertikale Gliederungen" nach Ständen in den Blickpunkt. Adam schreibt den Sachsen diese Identitätsmerkmale keineswegs selbständig zu, sondern im Anschluß an die historiographische Tradition: Mit der Thematisierung der Sachsenbekehrung Karls des Großen zu Beginn seines Werkes steht Adam in einer Reihe mit anderen sächsischen Historiographen,254 und er übernimmt ganze Passagen aus Schriften, die Ursprung und Herkunft der Sachsen thematisieren, wobei er, ganz nach der Translatio s. Alexandri RUDOLFS VON FULDA, die Saxones nicht als Einheimische, sondern als auswärtige Eroberer beschreibt und von ihrer Ständegliederung berichtet.255 Immer wieder ist das Bemühen des Chronisten auffällig, in Schriften, die er auch im einzelnen nennt, nach Informationen über die Saxonia zu suchen. Gleich mehrfach ordnet er Sachsen auch geographisch ein, etwa indem er seine Größe bemißt: Die Angabe ElNHARDs, die Saxonia sei doppelt so breit In den ersten

Hier erwähnt er, vielleicht aus einem fränkischem Blickwinkel, die vergeblichen Versuche, für die Bremer fratres Wein anzubauen, die contra naturam Saxoniae seien. (II, 69, S. 131). S.a. III, 37, S. 180: Vergeblich habe sich Adalbert um den Anbau von Gärten und Weinbergen bemüht, er rang vergebens contra naturam patriae. Patria hier wohl in engerem regionalem Bezug. I, 3, S. 5 f.: qui mortales ab initio Saxoniam coluerint vel a quibus haec gens primo fini bus egressa sit. I, 6, S. 7f. Vgl. dazu Schmeidler, Ed., S. 7 Anm. 1 u. Trillmich, Ed., S. 169 Anm. 38. I, 6, S. 8: Quatuor differentiis gens illa consistit, nobilium scilicet et liberorum, libertorum

atque servorum.

...

Dieser Begriff, nicht auf Adam bezogen, bei Kugler, S. 188. Vgl. bes. Helmut Beumann, Die Hagiographie „bewältigt" Unterwerfung und Christianisierung durch Karl den Großen, in: Ders., Ausgewählte Aufsätze aus den Jahren 1966-1986. Festgabe zu seinem 75. Geb., hg. v. Jürgen Petersohn u. Roderich Schmidt, Sigmaringen 1987, S. 289-323. Adam schreibt die Translatio fälschlicherweise Einhard zu und nennt sie gesta saxonum. Die Rückführung der Sachsen auf das Heer Alexanders d. Großen findet sich bei Adam nicht. Zu Rudolf v. Fulda und Ursprungssagen der Sachsen vgl. Frantisek Graus, Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter, Köln 1975, S. 112-144 u. Kugler, S. 185-189.

Adam

80

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

und ähnlich lang wie der von den Franci bewohnte Teil der Germania, hält er offenkundig für nicht ausreichend: Im Anschluß an OROSIUS bemerkt er, „richtige Vermessungen" ergäben etwa ein Dreieck, und von Ecke zu Ecke reise man acht Tage lang, wobei die par[s] Saxoniae, quae trans Albiam [est], noch gar nicht eingerechnet sei.256 Die Passage ist nicht nur Ausdruck eines allgemeinen geo- und ethnographischen Interesses, das sich auch in der Descriptio niederschlägt; wie an anderer Stelle zu zeigen sein wird, können diese Teile des Werkes in direktem Zusammenhang gelesen werden:257 Aus der Ausführlichkeit, mit der sich Adam der Darstellung der Saxonia widmet und mit der er sie und ihre Bewohner sowohl historisch als auch geo- und ethnographisch verortet, kann durchaus auch auf ein gewisses sächsisches Bewußtsein geschlossen werden; wohl kaum aber sind die ersten Kapitel mit einem „sächsischen Patriotismus" zu erklären. Das wird deutlich, wenn Adams Begründung für die Beschreibung der Saxonia ausgerechnet am exponierten Ort des Beginns der Chronik in die Überlegungen einbezogen wird, denn diese läßt auch einen anderen als einen rein sächsischen Blickwinkel deutlich werden: Es dürfte, so der Chronist, weder „ungebührlich noch überflüssig" sein, einer Schrift über die Geschichte der Hamburger Kirche Angaben über die gens Saxonum und die natura eiusdem provintiae voranzustellen, da Hamburg Saxonum civitas gewesen sei.258 Ähnlich wird im schließlich einst die nobilissima oben bereits angesprochenen Rekurs Adams auf die (gefälschte) Gründungsurkunde Bremens deutlich, daß er vor allem aufgrund seines Interesses für das Bistum über die Saxonia berichtet: Denn Karl überweist in dem Diplom, im Anschluß an die Bekehrung der Sachsen, den „nördlichen, fischreichen und zur Viehzucht besonders geeigneten Teil" der Saxonia dem Bremer Bistum. Dieses verdankte also, in der Argumentation Adams, überhaupt erst seine Entstehung der Missionierung heidnischer Sachsen, und es erhielt in Willehad den vormaligen Missionsbischof in Sachsen zum ersten Bischof.259 Adam geht es hier also zwar auch darum, dem Leser Informationen über die Saxonia und Saxones zu geben, er scheint es aber für nötig zu befinden, einen Begründungszusammenhang für die Angaben über Sachsen zu Beginn des Werkes zu liefern.260 Durch die Argumentation Adams und die Tatsache, daß seine Darstellung auf die Bistumsgründung ausgerichtet ist, beschreibt er nicht in erster Linie „die" Saxones aus einem sächsischem Patriotismus heraus, vielmehr kennzeichnet er vor allem Bremen als ein sächsisches Bistum. Auch sonst ist sich der Chronist durchaus der Ausdehnung der Saxonia bewußt, er wählt jedoch in seinem Werk häufig diejenige pars Saxoniae aus, die zur Hamburger Diözese gehört nur ein Teil Sachsens, der durch die Diözesangrenzen bestimmt ist, ...

-

I, 1, S.4 nach Einhard, Vita Karoli Magni 15, ed. Oswald Holder-Egger, MGH SSrG 25, Hannover-Leipzig 61911, S. 17f. u. Paulus Orosius, Historiarum adversum paganos libri septem, I, 2, 19, ed. Karl Zangemeister, CSEL 5, Wien 1882 (ND Hildesheim 1967), S. 13 über die Hispania. Vgl. dazu unten, Kap. 2.3.1. I, 1, S. 4: non indecens aut vacuum fore putamus. I, 12, S. 14. Der Begriff ,Exkurs' bezieht sich hier lediglich auf Adams rhetorische Mittel; vgl. dazu auch Hans Joachim Witzel, Der geographische Exkurs in den lateinischen Geschichtsquellen des Mittelalters, Diss. Frankfurt a. M. 1952, der auch Adams Gesta berücksichtigt.

Die Selbstzuschreibungen

81

gerät dann in seinen Blickpunkt.261 Insofern ist die Auffassung Eggerts, der WirBezug, den Adam auf die Elbe richtet, sei ein Beleg für seine „Identifikation" mit Sachsen, fraglich: Denn die Elbe, Albia noster [sie!], fungiert gleich in mehrfacher Hinsicht

als Grenze: Sie trennt ebenso die Heiden von den Christen wie die Sclavi von den Saxones sowie den Hamburger vom Bremer Sprengel. Auch andere Flüsse erhalten bei Adam ihre Bedeutung als Grenzen, die als Ausdruck der Zuschreibungen von Differenzen zwischen Eigenen und Fremden angesehen werden können, und zwar meist auf mehreren Ebenen: Die Eider etwa trennt Dani und Saxones, zugleich ist sie jedoch auch Grenzfluß der Hamburger Diözese; und die Wesermündung schließlich trennt die Saxonia von dem Teil der Fresia, der zum Bremer Bistum gehört.262 Die Elbe markiert demnach, wie andere Flüsse, die Grenze Sachsens, aber ebenso auch eine Trennlinie zwischen religiös und ,diözesan' konnotierten Gemeinschaften. So spricht dies alles zwar für ein sächsisches Bewußtsein Adams, kaum jedoch für einen „Patriotismus". Und in dieses Bild eines von Erzbistumsinteressen gespeisten sächsischen Bewußtseins fügt sich ein, daß neben der Fokussierung auf Sachsen nur die Fresones häufiger genannt werden.263 Denn wie schon BUCHNER feststellte, richtet sich auf ein Teilgebiet der Fresia auch der Anspruch des Erzbistums; gerade hierin aber wird dann deutlich, daß sich in Adams Darstellung der Fresia auch seine Selbstzuschreibung zum Erzbistum offenbart. Dieser Befund läßt es möglich erscheinen, daß der Chronist außerhalb der ersten Kapitel weniger ,die Saxonia' und ,die Saxones' im Blick hatte, sondern diese Begriffe ausschnitthaft auf eine kleinere Region beschränkte. Allerdings richtet er, trotz der oben erwähnten Kritik an den sächsichen Herzögen, auch Wir-Bezüge auf diese. So wird im folgenden zu klären sein, ob und inwiefern sich Adam Sachsen und seinen Bewohnern zuschrieb. Dafür ist zunächst zu untersuchen, was er unter der Saxonia und den Saxones verstand. 2.2.2.2.2. Sachsen und seine Bewohner

Die Saxonia ist in Adams Sprachgebrauch seit der Unterwerfung Karls des Großen eine provincia des Reiches, und zwar eine der eis Rhenum provinciae, die er als Gesamtheit wiederum von trans Rhenum Lotharinigia et Francia abgrenzt.264 Daß er die Sachsen als Einheit ansieht, wird in der häufigen Verwendung des Begriffs einer gens Saxonum deutlich, auch sind die Saxones eine natio neben anderen.265 Jedoch gliedern sich die Sachsen in verschiedene populi. Adam weiß von ihnen, nennt jedoch nur die Westphali und Nordalbingi. Letztere gehören zum Missionssprengel des Erzbistums und werden

Vgl. z. B. II, 17, S. 72f. u. IV, 10, S. 239. Der Wir-Bezug u. pagani-Saxonia II, 22, S. 81; Sclavi-Saxones: I, 2, S. 5; Eider (Egdora): II, 17, S. 72; Wesermündung (Wirrahaefluvii ostia): schol. 3, S. 16 (= schol. 118, S. 239). Vgl. z. B. I, 11-14, S. 12-19; III, 42, S. 184f. u. IV, 3, S. 232. I, 11, S. 13; 55, S. 55; vgl. a. 1, S. 4. Vgl. zum Folgenden bes. Buchner, Vorstellungswelt, S. 43-

45. Gens

z.

B.

I, 1, S. 4; 3, S. 5; 7, S. 9; 8, ebd.; 14, S. 18; natio z. B. I, 8, S. 10.

Adam von Bremen und die Gesta Hammaburgensis

82

deshalb häufiger angeführt. Zudem rechnet er sie auch zur Saxonia.2^ Hinter Sachsen treten andere Gebiete in der Chronik völlig zurück: Nur die Fresia wird aus den bereits erwähnten Gründen häufiger genannt, während Franken, Alemannien und Bayern nur im Rückblick auf das karolingische Reich vorkommen und nicht im Blick des Geschichtsschreibers liegen. Adam bezeichnet die Saxonia auch als ducatus.261 Für die Herzöge interessiert sich der Chronist allerdings lediglich, sofern ihre Handlungen das Erzbistum betreffen. Deshalb häufen sich seine Angaben auch erst für die Zeit der Billungerherzöge. Schon bei der Einsetzung des ersten Billungers, Hermann, stellt Adam den Zusammenhang zum Erzbistum explizit her: Über Hermann und seine Nachfolger wolle er ausführlicher berichten, seien sie doch „für Bremen und andere Kirchen zu einer schweren Gefahr geworden."268 Adam vermittelt bei dieser Gelegenheit auch seine Anschauungen vom Herzogsamt:269 Von König Otto vor seiner Reise nach Italien ernannt, oblagen Hermann als Stellvertreter königlicher Macht (vicarius potestatis) vor allem die Aufgaben der Rechtswahrung (adfaciendam iusticiam) und der Grenzverteidigung gegen die barbari. Daneben übertrug ihm Otto den Königsschutz (primum tutelae vicem in Saxonia), und Adam betont hier, wie auch später, den territorialen Charakter der herzoglichen Herrschaft.270 Darüber hinaus tritt im Bericht über Herzog Bernhard II. die Landesbindung der Herzöge hervor: Bernhard habe behauptet, Erzbischof Adalbert sei als Spion eingesetzt worden, um den Fremden (alienigenae) und dem Kaiser die Schwächen des Landes zu verraten.271 Nach allem, was bereits oben über die Parteinahme Adams in den Schilderungen der Auseinandersetzungen zwischen Hamburger Erzbischöfen und sächsischen Herzögen angeführt wurde, ist es erstaunlich, daß der Chronist nicht nur die Erzbischöfe, sondern auch die Herzöge, wenn auch weitaus seltener, überhaupt „unsere" nennt, und daß er das sogar in der Darstellung dieser Konflikte tut.272 Offenkundig war dies für Adam kein Widerspruch. Allerdings läßt sich eine auch nur vorübergehende proherzogliche Parteinahme des Chronisten in den Auseinandersetzungen nicht ableiten: Dem widerspricht der Kontext, in dem die Wir-Bezüge stehen. So bleiben für seine Bewertungen letztlich durchweg die Zuschreibungen zum Erzbistum entscheidend. Die Zwietracht 6

Wendungen ea[...] par[s] Saxoniae, quae trans Albiam supra incolitur a Sorabis, infra Nordalbingis (I, 1, S. 4) Transalbian[i] Saxones (55, S. 55). Zur Einteilung der Diözesanbewohner vgl. z. B. II, 17, S. 72f; zur Darstellung der Nordalbingi unten, Kap. 2.3.2. Vgl.

die

autem a 7

8

'9

0

II, 9, S. 67. Zudem verwendet er, wie andere Autoren auch, den Ausdruck patria für das Hzgtm. Sachsen (z. B. II, 48, S. 109 u. III, 55, S. 200). Patria kann jedoch auch auf Norwegen, Schweden oder eines der angelsächsischen Reiche angewandt werden. Vgl. hierzu Eichenberger, S. 139 m. Anm. 393-395. Ein anderer, auf das Bistum bezogener Bedeutungsgehalt wird in der Bezeichnung pater patriae für Erzbf. Bezelin-Alebrand deutlich (II, 69, S. 130). II, 8, S. 67: De quo viro et progenie viri, quoniam tam Bremensi ecclesiae quam aliis magno excidio surrexisse videntur, altius ordiri necessarium duxi. Vgl. zum Folgenden Goetz, Herzogtum im Spiegel, S. 259-262. Vgl. z.B. II, 8f, S. 67f; 48, S. 108: dux constitutus est in hac regione; vgl. a. zum „ostfränkischen Dukat" des Bischofs v. Würzburg: ducatum etiam provintiae gubernat (III, 46, S.

'' 7

188).

III, 5, S. 147. Adam zit. hier aus Gen. 42, 9. III, 2, S. 145; 37, S. 179f. u. 48, S. 191.

83

Die Selbstzuschreibungen

zwischen den beiden Häusern des Erzbischofs und des Herzogs, die eigentlich „Zwillingshäuser" sein sollten, entspringt Adams Meinung nach vor allem einer unterschiedlichen Haltung gegenüber dem König und den Kirchen: Während die Erzbischöfe dem König die Treue hielten und pro salute ecclesiae stritten, handelten die Herzöge dem entgegengesetzt,273 und dies, obwohl der Herzog, wie Adam hervorhebt, der Stellvertreter königlicher Macht war. Mußte schon das herzogliche Verhalten in den Kategorien des Chronisten als Unrecht gelten,274 so verstärkte sich dieses noch dadurch, daß nicht nur König Otto, sondern auch der ihn nach Italien begleitende Erzbischof Adaldag Hermann seine „Stellvertretung im Land [anvertraut]" hatte.275 Auf diese Weise betont Adam hier nicht nur einmal mehr die Königsnähe des Erzbischofs, er ordnet vielmehr vor allem den Herzog schon bei dessen Einsetzung auch dem Erzbischof unter. In den Rebellionen der Herzöge gegen König und (Hamburger) Kirche, der Zerstörung bischöflicher Burgen und Besitzungen in Friesland, der Erpressung von Lehen und den ständigen Bedrohungen durch den Neid der Herzöge erblickte der Geschichtsschreiber wichtige Ursachen für die beklagenswerte Lage des Erzbistums.276 Adams Bemerkungen spiegeln somit zum einen seine Auffassung von der rechtlichen Konzeption des sächsischen Herzogtums (der Billunger) und dessen Aufgaben wider, seine zahlreichen, hier nicht erneut im einzelnen aufzugreifenden Ausführungen belegen jedoch auch seine negative Meinung über die Ausgestaltung der potentia ducum. Nun wäre es durchaus denkbar, daß derjenige Aufgabenbereich der Herzöge, der mit den Interessen des Erzbistums im Einklang stand die Grenzverteidigung zu einer deutlichen proherzoglichen Parteinahme des Chronisten führte. Denn häufig wird die Saxonia als Grenzregion gekennzeichnet, etwa wenn Adam über Angriffe der Normannen, Ungarn und Slawen berichtet. Die Saxones stehen hier den anderen in Kämpfen gegenüber,277 der Chronist bemüht sich um die genaue Grenzziehung der Saxonia zu den Nachbarn278 und beschreibt Sachsen auch explizit als Grenzregion des regnum zu den Dani.219 -

-

II, 48, S. 108: nunquam discordia cessavit inter geminas domos, scilicet archiepiscopi et duels, Ulis impugnantibus regem et ecclesiam, istis pro salute ecclesiae ac fidelitate regum certantibus. Zur Verwendung v. Rechtsbegriffen bei Adam vgl. Goetz, Geschichtsschreibung und Recht, sowie Ders., Herzogtum im Spiegel. II, 10, S. 67: Igitur tali viro [Hermann] piissimus rex et archiepiscopus noster vices suas in hac regione commendantes in Italiam discesserunt. Aufstände gegen Kg. u. Erzbf. 1071 : III, 60f, S. 206f; Herzöge gegen die Kirche: II, 48, S. 108f; III, 8, S. 149f; Erpressung v. Lehen: 49, S. 191-193; Neid auf hohen Adel Adalberts: 5, S. 147. Dani vel Nortmanni: I, 38, S. 4\;Dani, Sclavi, Behemi, Ungri: 52, S. 53; Ungri, Dani, Sclavi: 55, S. 55; Dani: II, 3, S. 63; Ascomanni: 31-33, S. 92-94; Winuli: 66, S. 125f. Vgl. dazu unten,

Kap. 2.3.3. u. 2.3.4. Vgl. z. B. die Beschreibung Budesheim).

des

lim[es] Saxoniae,

quae trans Albiam est

(II, 18,

S.

73) (dazu

So habe Heinrich I. infolge seines Sieges die Grenzen des Reichs nach Schleswig/Haithabu verlegt u. dort eine Saxonum colonia eingerichtet (I, 57, S. 57). Um Rache für die spätere Zerstörung dieser colonia zu nehmen, habe Kg. Otto die Dania verheert. In diesen Kämpfen stehen den Dani jedoch die siegreichen Saxones gegenüber; sie gehörten nach der Darstellung Adams zum Heeresaufgebot des Königs (II, 3, S. 63).

84

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

In seinen Berichten über die herzogliche Verteidigung Sachsens, über Heereszüge gegen Normannen und besonders Slawen, wird denn auch deutlich, daß Adam die Herzöge an der Erfüllung dieser Aufgabe mißt. Nicht immer handelten diese jedoch in seinem Sinn: Zwar lobt er zuweilen deren Erfolge,280 jedoch macht er sie, wie eingangs erwähnt, letztlich gar für den Rückfall der Slawen ins Heidentum verantwortlich, etwa weil sie Versprechungen nicht einhielten,281 einen zu harten Druck auf die Slawen ausübten, die daraufhin „in ihrer Not" ins Heidentum zurückfallen (mußten), und weil die Herzöge auch insgesamt stärker an Tributzahlungen als an einer „Stärkung des christlichen Glaubens" interessiert gewesen seien.282 Gingen die Herzöge hier immerhin noch als Sieger aus den Kämpfen hervor, wenn auch aus verwerflichen Motiven, so versagte dux noster Ordulfus in Adams Augen völlig: In zwölf Jahren habe er nicht einen einzigen Sieg über die Slawen erringen können, so daß ihn selbst die sui, hier wohl seine Verwandten oder Getreuen, verlachten.283 Die oben bereits angesprochene avaricia der duces nennt Adam auch avaricia principum oder avaricia Saxonum.2*4 Die „sächsische Habgier" ist also eine Eigenschaft der sächsischen Herzöge und der principes insgesamt, in die auch die sächsischen Großen, wie die häufig negativ bewerteten Markgrafen, einzubeziehen sind. Daher meint der Begriff Saxones die in der Grenzverteidigung und Missionspolitik Handelnden.285 Auch wenn der Chronist die sächsischen Herzöge als „unsere" bezeichnet, bewertet er deren Ausübung der Grenzverteidigung fast ausschließlich negativ, wobei, wie deutlich wurde, für Adam besonders schwer wiegt, daß die Herzöge den Interessen der Hamburger Kirche häufig entgegenwirkten. Dennoch finden sich zahlreiche WirBezüge gerade in den Darstellungen von Kämpfen der Saxones: Nostri heißen hier diejenigen, welche gegen die Normannen kämpften, weil diese die Saxonia bedrohten und die tota provintia verheerten.286 Wolfgang EGGERT hat dieses nostri mit den „Bewohnern Sachsens" gleichgesetzt, ganz ähnlich wie Bernhard SCHMEIDLER es auf „die Sachsen" bezogen hat. Beides erscheint jedoch unwahrscheinlich, wenn der Kontext der Wir-Bezüge in die Überlegung einbezogen wird: Denn den normannischen Angreifern steht die tota virtus Saxonum gegenüber.287 Sie ist in den nostri ebenso

II, 32, S. 93: Bernhard I. besiegt Wikinger bei Stade. Selbst Bernhard II. wird (II, 66, S. 125) für

seine virtus gelobt, die zur pax firma im Gebiet trans Albiam führte. Vgl. dazu unten, Kap. 2.3.2. Vgl. z. B. II, 42-44, S. 101-104; schol. 27f. u. 31., S. 102 u. 104. Vgl. z.B. II, 48, S. 108f; 71, S. 133; III, 22, S. 165f.; zur Darstellung der Slawen unten, Kap. 2.3.3. III, 51, S. 195: Dux noster Ordulfus in vanum sepe contra Sclavos dimicans per XII annos, numquam potuit victoriam habere, totiensque victus a paganis a suis etiam derisus est. Damit rücken hier Zuschreibungen von eigenen ,Familienangehörigen' und Fremden, von eigenen ,Getreuen' und Gegnern in den Blickpunkt, deren Stellenwert in der mittelalterl. Geschichtsschreibung auch Althoff, Verwandte, hervorgehoben hat. Vgl. z.B. avaricia der duces: III, 42, S. 184; avaricia principum: II, 71, S. 133; avaricia Saxonum: III, 23, S. 166. Die Unterdrückten kämpften dagegen für ihre libertas (Sclavi: II, 42, S. 102; Fresones: III, 42, S. 184; ähnl. auch zu Auseinandersetzungen zw. Dänen u. Norwegern [II, 57, S. 117f.]). II, 31 f., S. 92f. (nostri dreimal mit Bezug auf Sachsen). Der Bedeutungsgehalt des Begriffs virtus ist nicht leicht zu klären. Ob Adam hier die .Kampftruppe' selbst bezeichnet oder gleichzeitig ihren adligen Charakter hervorhebt, was die ...

85

Die Selbstzuschreibungen

enthalten wie die Saxonum magnates, die sich bei der Nachricht vom Normannenangriff versammelt hätten und von denen Adam einige namentlich aufzählt, unter anderen Herzog Benno. Die nostri sind hier also nicht die Gesamtheit der „Bewohner Sachsens", sondern konkreter die virtus und die magnates, welche in die Kämpfe einbezogen sind. Dies ist die Gruppe, der sich Adam an dieser Stelle zuschreibt, wenngleich zu berücksichtigen bleibt, daß der Chronist dennoch den Terminus Saxones verwendet und daher in seiner Begrifflichkeit nicht differenziert, sondern größere ethnische und religiöse Gemeinschaften insgesamt einander gegenüberstellt. So sehr die Saxonia allerdings hier auch im Mittelpunkt zu stehen scheint, so eindeutig die nostri auf das sächsische Aufgebot bezogen sind und in Kontrast zu den Normannen stehen: Die Kämpfe selbst fanden, wie Adam anführt, bei Stade, Lesum und Glinstedt statt nur ein kleiner Teil der Saxonia also, mitten im Kernbereich der Erzdiözese, gerät hier, bei der Verwendung der Wir-Bezüge, in seinen Blick.288 Eine andere Passage weist in dieselbe Richtung: Erzbischof Adalbert habe sich gezwungen gesehen, populus et ecclesia Nordalbingorum gegen die „Barbareneinfalle" mit einer Burg auf dem Süllberg zu schützen, da die provincia Sturmariorum (Stormarn), in welcher Hamburg lag, keinen natürlichen Schutz vor den Sclavi bot, so daß diese hostes die nostri -

häufig verschleppten oder töteten.289 Eine Gleichsetzung von nostri mit „den Sachsen", wie SCHMEIDLER vorschlug,290 scheint hier kaum angebracht zu sein, denn gemeint sind

offenbar die stormanischen Grenzbewohner, die dann Sachsen heißen, wenn ihnen Slawen gegenüber gestellt werden. Daß der Burgenbau auf dem Süllberg, in unmittelbarer Nähe Hamburgs, erfolgte, zeigt, wie eng der regionale Bezug der nostri auch in dieser Passage letztlich gesehen werden muß.291 Stade Lesum Süllberg: Wenn ein Teil der Saxones an diesen Orten anderen gegenübersteht, verwendet Adam Wir-Bezüge, mit denen er sich sowohl den Saxones zuschreibt, als auch von ethnischen und zugleich religiösen Fremdgruppen, nämlich heidnischen Normannen und Slawen, abgrenzt, und dies ist kaum zufällig: Denn ausge-

-

Erwähnung der magnates u. die Nennung von Hzg. u. Markgrafen nahelegen könnte (vgl. a. die Erwähnung qui erant in Saxonia clari et magnifici [III, 36, S. 179]), ist letztlich nicht eindeutig zu entscheiden. Beide Möglichkeiten schließen jedoch auf keinen Fall die (Masse der) „Bewohner Sachsens" ein. Adam verwendet virtus in der Bedeutung von ,Kampfverband', soweit ich sehe, nur hier. Das einzige andere Beispiel für die Verbindung von virtus mit einer Völkerschaft im Genitiv Plural, die virtus Circipanorum (III, 22, S. 166), bezeichnet dem Kontext nach eher Kampf oder Tapferkeit. Zum Begriff der virtus vgl. (v.a. für Helmold, aber auch für Adam) Lammers, Hochmittelalter, S. 14-24, bes. S. 17 u. Ulrich March, Die Wehrverfassung der Grafschaft Holstein, in: ZGSHG 96 (1971), S. 9-182, bes. S. 18-23 mit weiteren Nachweisen. Lesum ist auch (II, 77, S. 136) das Ziel eines Überfalls, allerdings ohne Nennung der Saxones. ...

III, 26, S. 168f.

im Register der Ed. Schmeidlers zu Saxonia. Schmeidler (vgl. ebd.) kann auch nicht darin gefolgt werden, die Wir-Bezüge in III, 42, S. 185 auf „die Sachsen" zu beziehen. Gemeint ist dem Kontext nach das militärische Aufgebot des Erzbischofs bzw. dessen Untertanen (vgl. schon Eggert, Wir-Gefühl, S. 144 Anm. 894 im Anschluß an Buchner, Vorstellungswelt, S. 18 m. Anm. 11). Als Objekt des Wir-Bezugs in Ex... populis Suediae proximi ad nos habitant Gothi (IV, 23, S. 253) nimmt Eggert, Wir-Gefühl, S. 146 Anm. 905 Sachsen an. Das ist möglich, ebenso (u. gleichzeitig) kann sich der Wir-Bezug jedoch auf Bremen oder das Erzbtm. Hamburg richten, denn Adam behandelt hier den Missionsraum; vgl. dazu unten, Kap. 2.3.

Vgl.

Adam

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von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

rechnet diese Orte bilden außer Bremen und Hamburg die lokalen Schwerpunkte in Adalberts circuitus. Sie liegen im Kernbereich der Diözese zwischen Elbe und Weser, und nur diesen konnte der Erzbischof zur Abfassungszeit durch seine Herrschaft intensiv erfassen.292 Somit kommt im Hinblick auf den ,weltlichen' Bereich den Selbstzuschreibungen Adams dieser recht kleinen Region eine wesentlich größere Bedeutung zu als etwa der Saxonia und, noch deutlicher, als regnum und Imperium. Vor allem auf den Bereich, welcher von der erzbischöflichen Herrschaft zur Abfassungszeit erfaßt wird, richtet sich demnach auch eine „regionale Identität". Und wenngleich sich die Meinung der jüngeren Forschung, für das Mittelalter sei die Bedeutung regionaler Bindungen gegenüber .nationalen' bislang unterschätzt worden,293 nicht verallgemeinern läßt, so trifft dies doch für Adam zu.

2.2.3.

Ergebnisse

Bevor im folgenden auf die Fremdzuschreibungen Adams fokussiert wird, ist zunächst eine Zwischenbilanz zu ziehen. Die Untersuchung der Selbstzuschreibungen des Chronisten hat ergeben, daß diese sehr komplex und vielschichtig sind. Denn Adam schreibt sich gleich mehreren Gemeinschaften, sowohl aus dem ,kirchlichen', als auch aus dem

zu. Die Ergebnisse der bisherigen mediävistischen Forschung zu Adams von Bremen erweisen sich dabei als nur teilweise Identifikationsstrukturen den Chronist denjenigen Gruppen zu, die auch BUCHNER und schreibt sich der haltbar: Zwar in den EGGERT Vordergrund stellten, jedoch geraten durch den hier verfolgten Ansatz zahlreiche Aspekte in den Blick, welche zu Ergebnissen führen, die über die genannten Studien hinausgehen. Hier sind etwa die Fokussierung auf die Gewichtungen der unterschiedlichen Teilidentitäten zu nennen, die stärker kontextbezogene Analyse von WirBezügen und die Beachtung von Faktoren, welche die Selbstzuschreibungen beeinflus-

,weltlichen' Bereich

sen.

Adam schreibt sich verschiedenen Gemeinschaften unterschiedlicher Größe zu, die sich, um mit einem Bild Gerhard THEUERKAUFs zu sprechen, wie konzentrische Kreise umschließen, jedoch zeigt sich sowohl jeweils innerhalb des .kirchlichen' und weltlichen' Bereiches als auch insgesamt eine deutliche Gewichtung, die bereits erahnen läßt, daß das in der Forschung vermittelte Bild von der statischen Identität ,des Mittelalters' zumindest für Adam von Bremen kaum zutrifft. Der quantitative Befund ist eindeutig: Adam schreibt sich stärker den kleineren Gemeinschaften zu als den größeren. In beiden Bereichen stehen zudem Institutionen im Mittelpunkt: das Bistum mehr als ,die -

-

Vgl. dazu auch Johanek, S. 92-96. Der Bau der Burg auf dem Süllberg ist gar in direktem Zusammenhang mit den territorialen, gegen den Hzg. gerichteten Bestrebungen Adalberts zu sehen; vgl. dazu Lammers, Hochmittelalter, S. 187-189. Vgl. etwa Heinrich Schmidt, Stammesbewußtsein, bäuerliche Landesgemeinde und politische

Identität im mittelalterlichen Friesland, in: Regionale Identität, S. 15-39; Volker Henn, Städtebünde und regionale Identitäten im hansischen Raum, in: Ebd., S. 41-64; Bernd Schneidmüller, Landesherrschaft, weifische Identität und sächsische Geschichte, in: Ebd., S. 65-101.

Die Selbstzuschreibungen

87

Kirche' oder die christianitas insgesamt, das Königtum mehr als das regnum, das imperium oder gar die .Nation'. Eine grundlegende Bedeutung kommt dem Erzbistum zu: Adams Verortung innerhalb dieser institutionellen Gemeinschaft tritt auf vielfache Weise deutlich in den Vordergrund: Sie zeigt sich etwa in der Darstellung der Gründungs- und Frühzeit des Erzbistums, aber auch in der Tatsache, daß sich der weitaus größte Anteil von Wir-Bezügen und anderen sprachlichen Ausdrucksformen von Selbstzuschreibungen auf das Erzbistum bezieht. Durch die Untersuchung der Identifikationsstrukturen gerieten zudem bereits Grenzen in den Blick, die Adam zu anderen Gemeinschaften zieht. Sie äußern sich insbesondere im Zusammenhang mit den Zuschreibungen zum Erzbistum: Vehement grenzt sich Adam von anderen Erzbistümern ab, besonders vom Kölner, aber auch vom Magdeburger. Darüber hinaus bewertet er die sächsischen Herzöge, gleichwohl er sich an anderen Stellen der Saxonia zuschreiben kann, häufig negativ, wenn sie den Interessen des Hamburger Erzbistums zuwiderhandelten. Zudem grenzt sich der Chronist bei Rechtfertigung der legatio gentium von den Bischöfen ab, die nicht der Hamburger Obödienz unterstanden, und selbst von den eigenen Missionsbischöfen, die sich weigerten, zu reisen und den Auftrag der Legation zu erfüllen. Auch sie stehen, legt man Adams Begrifflichkeiten zugrunde, außerhalb der von ihm propagierten, gewissermaßen ideal gedachten und gewünschten Institution. Es stellte sich als unerläßlich heraus, die historisch-politische Situation um 10751080, den Adressaten Liemar und mögliche causae scribendi des Werkes in die Untersuchung über das Eigene und das Fremde einzubeziehen, denn diese Faktoren hatten, wie deutlich wurde, entscheidenden Einfluß darauf, welchen Gemeinschaften sich Adam zuschrieb und aus welchen Gründen er dies tat. So identifiziert sich der Chronist, gemessen an seiner Darstellung, mit spezifischen, vor allem auf die Wahrung des zur Abfassungszeit umstrittenen Missionsanspruchs gerichteten Interessen des Erzbistums. Es konnte festgestellt werden, daß Adam aufgrund der verzweifelten Lage, in der sich das Erzbistum seiner Meinung nach befand, Liemar zu konkreten Handlungen zugunsten der legatio aufforderte, sowohl durch historisch-rechtliche Argumente als auch durch das Aufzeigen praktischer Möglichkeiten wie der Einflußnahme auf die ,abtrünnigen' Gebiete und Bischöfe durch die Durchführung einer erzbischöflichen Reise. Hierin konnte auch eine causa scribendi für die Descriptio erkannt werden. Einen weitaus geringeren Stellenwert als die Zuschreibungen zum Erzbistum nehmen diejenigen zur christianitas ein. Auch sie werden zwar durchaus deutlich, sie treten jedoch eher in allgemeineren Aspekten auf, etwa in Gebeten, häufigen Bibelzitaten und auch im grundsätzlichen Interesse Adams an der Mission, kaum hingegen in direkten Identifikationen. Eine Gegenüberstellung von „den Christen" und „den Heiden" findet sich meist in konkreterer Form, nämlich als solche von Christen des Hamburger Erzbistums und heidnischen Missionsvölkerschaften. Hier wie auch in einzelnen Fällen bei der Verwendung der Begriffe nostra fides und nostra religio erhält die auf das Erzbistum bezogene Teilidentität eindeutig den Vorrang. Vor allem hinsichtlich der Bedeutung der .weltlichen' Gemeinschaften regnum, imperium und Saxonia für Adam konnte weniger BUCHNER und EGGERT gefolgt werden als jüngeren Ansätzen zur Nationenforschung und zu regionalen Identitäten. Von einer ausgeprägten Identifikation mit dem Reich kann keinesfalls gesprochen werden, sie ist weitaus schwächer, als BUCHNER meinte. Auch richten sich die Selbstzuschreibungen

Adam

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kaum auf regnum und imperium, sondern eher auf Könige und Kaiser und sind zudem häufig von der Identifikation mit den Interessen des Erzbistums bestimmt. Zwar kommt der Verortung Adams innerhalb der Saxonia und den Saxones demgegenüber eine größere Bedeutung zu, jedoch scheint m.E. der Ausdruck „sächsischer Patriotismus", den EGGERT verwendet, ebenfalls nicht haltbar: Die Kontextualisierung der vermeintlich auf „Sachsen" und „die Sachsen" gerichteten direkten Identifikationen zeigt, daß sich die Wir-Bezüge weit überwiegend auf die Billungerherzöge und auf sächsische Heeresaufgebote richteten, die nur einen kleinen, zudem im herrschaftlichen Kernbereich der Diözese liegenden Teil der Saxonia gegen heidnische Normannen verteidigten. Wird SCHNEIDMÜLLERS Ansatz der .regionalen Identität' für Adam auf dieses kleinere Gebiet bezogen, so erweisen sich letztlich dessen Selbstzuschreibungen zu derjenigen ,weltlichen' Gemeinschaft am stärksten, die im unmittelbaren Interessenund Einflußbereich des Erzbistums lag. Der Satz BÜCHNERS, Adams Identifikation mit Sachsen sei wesentlich erleichtert worden durch die grundlegendere mit dem Erzbistum, trifft den Befund der angestellten Untersuchung deshalb nicht im Kern: Die Identifikation mit Sachsen wird ohne dies für alle Fälle behaupten zu wollen letztlich nicht nur erleichtert, sondern geradezu bedingt durch die weitaus stärker ausgeprägte Zuschreibung zum Erzbistum. Es sind so vor allem die den honor des Erzbistums begründenden Missionsinteressen, die Adam in seiner Darstellung zu seinen eigenen macht. Jedoch gerieten bereits in der bisherigen, auf die Selbstzuschreibungen fokussierten Untersuchung nicht nur diese, sondern auch Abgrenzungen in den Blick, etwa von ethnischen und religiösen Fremdgruppen wie den heidnischen Normannen und Slawen. Erst die nun anstehende Prüfung der Fragen, welchen Gemeinschaften Adam Fremdheit zuschreibt und wiederum: aus welchen Gründen er dies tat -, führt zu präzisen Ergebnissen über die Vorstellungen, die der Chronist vom Eigenen und vom Fremden hatte. -

-

-

Die Fremdzuschreibungen

2.3.

89

Die Fremdzuschreibungen Adams von Bremen

Da Adam von Bremen in außerordentlich hohem Maß über solche Regionen und deren Bewohner berichtet, die außerhalb der Gebiete und Gemeinschaften liegen, denen er sich selbst zuschreibt, ist im folgenden das Hauptaugenmerk auf die geo- und ethnographischen Abschnitte des Werkes zu legen. Sie finden sich vor allem nicht ausschließlich im vierten Buch der Gesta, in der Descriptio insularum aquilonis. Das große Interesse, auf das gerade diese Passagen bereits im Mittelalter stießen,294 läßt sich ebenso für die moderne Forschung feststellen. Auch sie schenkte ihnen eine herausragende Beachtung. Die für das 11. Jahrhundert einzigartige Ausführlichkeit, mit der Adam über Nord- und Nordosteuropa berichtet, hat eine derartige Faszination ausgeübt, daß sich zahlreiche Arbeiten intensiv besonders mit der Descriptio beschäftigt haben;295 nicht nur, weil das vierte Buch manchen als eine wichtige Quelle zur Rekonstruktion der skandinavischen Geschichte gilt, sondern vor allem, weil sich in ihm eine Vielzahl von Angaben finden, die es ermöglichen, zu Aussagen über die geographische Vorstellungswelt Adams zu gelangen. Das vor allem in älteren Arbeiten auch in bezug auf Adam geäußerte Bedauern über die ,,blinde[...] Ehrfurcht, mit der das gelehrte Mittelalter den Produkten antiker Wissenschaft gegenüberstand", statt diese aufgrund neu gewonnener Erkenntnisse zu verwerfen,296 ist keinesfalls gerechtfertigt: Denn grundsätzlich ist nicht etwa die Rezeption von Aspekten eines antiken Weltbildes erstaunlich, sondern Adams Versuch, (vermeintliche) empirische Kenntnisse seiner Zeit mit einem durch Traditionen vorgegebenen Rahmen in Einklang zu bringen. Entsprechend kann die geographische Vorstellungswelt des Chronisten ebenso durch ein Fortwirken (spät)antiker Ansichten als auch durch eine gewisse .Modernität' gekennzeichnet werden.297 Besonders für die Descriptio griff Adam auf geo- und ethnographische Schriften antiker Autoren zurück, neben OROSIUS und MACROBIUS sind hier vor allem Martianus Capella und Solinus zu nennen, die er an mehreren Stellen seines Werkes namentlich als Zeugen anführt.298 Zwar bleibt letztlich umstritten, ob sich der Geschichtsschreiber die Erde als Kugel oder Scheibe dachte,299 jedoch ist die Fortwir-

-

Vgl. dazu oben, Kap. 2.1. Vgl. die oben, Kap. 2.1., in Anm. 44f. genannte Lit.

Krabbo, S. 44. Vgl. etwa Lammers, Hochmittelalter, S. 221. Vgl. z. B. Orosius: IV, 21, S. 250; Macrobius: IV, 42, S. 279; Martianus Capella: IV, 35, S. 270; Solinus: IV, 21, S. 250. Zu Adams Quellen für die Descriptio vgl. Schmeidler, Einleitung, S. LXIIf. Auf die Quellen und die hier verwendeten Edd. wird im folgenden an den einzel-

Stellen hingewiesen. etwa die entgegengesetzten Einschätzungen (zu IV, 38, S. 275: rotundita[s] orbis terrarum) Schmeidlers (Ed., S. 275 Anm. 1: „Adam verrät hier theoretisch unzweifelhaft deutliche Anschauung von der Kugelgestalt der Erde.") u. Lammers (Hochmittelalter, S. 221: ,,[F]ür Adam war die Erde eine riesige, runde Scheibe."). Daß die Ansicht, im Mittelalter habe die Vorstellung von der Erde als Scheibe vorgeherrscht, veraltet ist, zeigt überzeugend Brigitte Englisch, Ordo orbis terrae. Die Weltsicht in den Mappae mundi des frühen und hohen Mittelalters (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten d. Mittelalters 3), Berlin 2002. Vgl. a. Jörg-Geerd Arentzen, Imago Mundi Cartographica. Studien zur Bildlichkeit mittelalterlicher Welt- und Ökumenekarten unter besonderer Berücksichtigung des Zusammenwirkens von Text und Bild (MMS 53), nen

Vgl.

...

90

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

kung antiker Traditionen deutlich: Aus der Descriptio kann auf Adams Vorstellung von einem durch Meere, Flüsse und Gebirge gegliederten orbis geschlossen werden, der von einem Ozean umgeben wird, in dem Inseln liegen. Da der Chronist fast ausschließlich über Nord- und Nordosteuropa berichtet, stellt er diesen geographischen Raum auch als

Ausschnitt der Welt innerhalb des tradierten Schemas dar: Das skandinavische Festland bildet den äußersten Bereich der Welt.300 Als .Neuerung' Adams wird hingegen die systematische Sammlung auf Erfahrung beruhender Aussagen zur Geo- und Ethnographie angesehen und insbesondere die erste Erwähnung Vinlands in einem kontinentalen lateinischen Text hervorgehoben: Nach Meinung des Chronisten die äußerste Insel im weiten, erdkreisumspannenden Ozean, wird es von der Forschung mit dem von Isländern um 1000 entdeckten Gebiet im heutigen Neufundland identifiziert.301 So läßt sich insgesamt im Anschluß an die bisherige Forschung konstatieren, daß Adam den geographischen Raum im Rückgriff auf antike Konzeptionen unter Einbeziehung zeitgenössischen Wissens beschreibt. Das Einordnen der Darstellung Adams nach den Kategorien ,Rückständigkeit' und ,Modernität' hat jedoch häufig dazu geführt, daß die Vorstellungswelt des Chronisten aus dem Blick geriet, und die Frage, ob der Chronist die zahlreichen Völkerschaften als Fremde ansah, ist bislang noch überhaupt nicht gestellt worden.302 Um stärker als bislang in der Forschung auf die Vorstellungen Adams zu fokussieren, ist es im Hinblick auf die hier verfolgte Fragestellung notwendig, von der Möglichkeit auszugehen, daß Adam den dargestellten Regionen und Völkerschaften Fremdheit zuschreibt, da er sie zum größten Teil außerhalb Sachsens und des Reiches, außerhalb des engeren erzbischöflichen Herrschaftsgebiets und der christianitas ansiedelt. Um die Fremde(n) in ihrer potentiellen Vielschichtigkeit erfassen zu können, ist, wie eingangs erwähnt,303 sowohl auf explizite Fremdbezeichnungen zu achten als auch auf die Aspekte, mit denen Adam Fremde(s) kennzeichnet, etwa religiöse, ethnische, kulturelle oder andere Merkmale. Zudem sind die Interessen, Wissens- und Wertstrukturen des Chronisten zu erfassen, da auch sie Auskunft darüber geben, was Adam als fremd auffaßte und was er als Kennzeichen des Fremden ansah.304 Um Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Darstellungen einzelner Völkerschaften herauszuarbeiten, werden diese getrennt vonMünchen 1984. IV, 35, S. 269: Post Nortmanniam, quae est ultima aquilonis provintia, nihil inventes habitacionis humanae nisi terribilem visu et infinitum occeanum, qui totum mundum amplectitur. Vgl. C. Iulius Solinus, Collectanea rerum Memorabilium 23, 17, ed. Theodor Mommsen, Berlin 1895, S. 109; Martianus Capella, De nuptiis Philologiae et Mercurii Libri VIII, lib. VI, 617, ed. Adolf Dick, erg. u. korr. v. Jean Préaux (Bibl. script. Graec. et Rom. Teubneriana), Stuttgart 1978, S. 304. IV, 39, S. 275; vgl. dazu von den Brincken, Fines Terrae, S. 132: Das Werk sei die „einzige bedeutende kontinentale lateinische Quelle", die über Vinland berichtet. Zur Identifikation mit Neufundland vgl. ebd. Eine weitere Neuerung besteht darin, daß Adam die Ostsee nicht mehr als eine mit dem Asowschen Meer verbundene Wassermasse, sondern als große Bucht mit ost-westl. Ausdehnung ansieht. Einhard kennzeichnet die Ostsee zwar als Bucht, er fügt sie jedoch nicht in eine größere geograph. Beschreibung ein; vgl. Bjornbo, S. 200 (zit. n. Schlüter). Zur Kritik an dieser Herangehensweise vgl. oben, Kap. 1.4. Vgl. die Einleitung dieser Arbeit.

91

Die Fremdzuschreibungen

einander betrachtet: zunächst die Bewohner der näherliegenden Gebiete, danach die räumlich entfernteren, von den Nordelbiern bis zu den Norwegern. Dieses Vorgehen dient nicht nur der Überprüfung einer möglichen Korrelation zwischen einer größeren räumlichen Entfernung und einer stärkeren Zuschreibung von Fremdheit, sondern es orientiert sich auch am Text selbst: Denn Adam beschreibt den Raum in seiner Gesamtheit vom Nahen in die Ferne. Da dem Raum als potentiellem Versammlungsraum der Fremden grundsätzliche Bedeutung für die hier untersuchte Fragestellung zukommt, ist zunächst auf die Strukturierung des geographischen Raumes einzugehen, auf die Fragen also, wie und aus welchen Gründen Adam den Leser durch die von ihm behandelten Regionen führt.

2.3.1. Die

Strukturierung des geographischen Raumes

Vor allem in früheren Untersuchungen wurde verschiedentlich der Versuch unternommen, die geographischen Angaben Adams in einer Karte zu veranschaulichen, wenngleich es keine Hinweise darauf gibt, daß dem Autor selbst bei der Abfassung des vierten Buches eine solche vorlag. Teilweise tendieren diese Arbeiten dazu, Adams Aussagen an einem als neutral und real gedachten Raum, an der ,objektiven', physischen Geographie zu messen. Aufgrund falscher Aussagen zur Topographie Nord- und Nordosteuropas sowie unrichtiger Entfernungsangaben zu Lande und zu Wasser weisen sie Irrtümer in Adams Vorstellungswelt nach wobei übersehen wird, daß eine Vorstellung an sich gar nicht fehlerhaft sein kann.305 Die Argumentation, Adam könne keine Karte vorgelegen haben, da ihm ein „Kartentest" die Unvereinbarkeit seiner Entfernungsangaben sofort vor Augen geführt haben müßte,306 ist dann zwar folgerichtig, sie übersieht jedoch gleich zweierlei: 1. zielten auch die aus der Abfassungszeit des Werkes erhaltenen Karten nicht auf eine im modernen Sinn exakte, maßstabsgetreue und realistische Abbildung der Welt;307 und 2. ging es auch Adam kaum um eine solche Wiedergabe Nord- und Nordosteuropas. So besitzen moderne kartographische Projektionen mittelalterlicher Vorstellungen zwar den unbestreitbar großen Vorteil der Anschaulichkeit, denn sie zeigen auf einen Blick, welche Gebiete ein Autor überhaupt berücksichtigte und wie er diese, zumindest ungefähr, anordnete; die Projektionen lassen jedoch wesentliche Aspekte außer Acht, die erst dann erkennbar werden, wenn die Grundlage der Karten(re)konstruktion, hier also die Hamburgische Kirchengeschichte, als das behandelt wird, was sie eigentlich ist: ein Text. In ihm gibt es im Unterschied zur Karte kein Neben-, sondern ein Nacheinander von Aussagen, die außerdem miteinander in Verbindung stehen, und zwar, wie im folgenden zu zeigen sein wird, nicht nur innerhalb der Descriptio, sondern darüber hinausgehend. Und auch das vierte Buch ist eben -

Vgl. z. B. Krabbo, S. 42f. m. S. 43 Anm. 1, der Adams Angabe, v. Hamburg bis Oldenburg in Wagrien betrage die Entfernung eine Tagesreise, falsifiziert, indem er sie mit den Entfernungen der Luftlinie u. der „modernen Eisenbahnfahrt" vergleicht. Mit einer anderen als in der vorliegenden Arbeit verfolgten Fragestellung auch Jorgensen/ Nyberg, die eine Identifikation der von Adam erwähnten Inseln in der Ostsee versuchen. So Lammers, Hochmittelalter, S. 220. Vgl. statt vieler die Untersuchungen Arentzens u. Englischs.

92

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von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

nicht „rein geographisch",308 sondern enthält beispielsweise ethnographische Aussagen und Hinweise auf Bischofsweihen durch die Hamburger Erzbischöfe, ja es kann sogar, wie bereits erwähnt, ganz konkret als Propagierung einer Reise durch die beschriebenen Regionen, als Bericht über eine gewünschte Reise, gelesen werden.309 So stellt die Descriptio trotz ihrer Besonderheiten innerhalb der Chronik, darunter das räumliche Gliederungsprinzip, keine gesonderte Einzelschrift dar,310 sondern bildet den abschließenden Teil des Gesamtwerks. Das in Untersuchungen über die geographische Vorstellungswelt Adams am meisten beachtete vierte Buch behandelt Gebiete und ihre Bewohner, die im christlichen Europa größtenteils unbekannt waren. Adam nennt insgesamt über einhundert von ihnen und lokalisiert sämtliche im Norden und Nordosten Europas, auf dem Festland wie auf den Inseln im Ozean. Nicht immer stehen seine Angaben widerspruchsfrei nebeneinander,311 er strukturiert den Raum jedoch systematisch: Zunächst behandelt er die Dania mit Jutland, Fünen, Seeland und Schonen (cc. 1-9); danach wendet er sich einer Beschreibung der Ostsee(bewohner) zu (10-20), wobei er zum größten Teil wörtlich aus Einhards Vita Karoli Magni zitiert.312 Adam versucht, das ihm aus Einhard und mündlichen Quellen zugängliche Wissen mit der antiken Tradition in Einklang zu bringen. Er nennt verschiedene Namen für das mare Balticum213 und versucht, seine Größe zu bestimmen.314 Einzeln lokalisiert er, im Anschluß an Einhard, die Küsten- und Inselbewohner der Ostsee: an der Nordküste Dani und Sueones, an der Südküste Sclavi, Haisti (Esten) und andere Völkerschaften. Adam führt die Leser durch die Inselwelt der Dani, hinter der sich ein alter mundus in der Sueonia (cc. 21-30) und der Nortmannia (Norwegen) (31-34) eröffne, zwei latissima regna aquilonis, die nostro orbi adhucfere incognita seien.315 Hinter diesen beiden regna lokalisiert der Geschichtsschreiber das 308

So

309

Hier ist noch einmal daraufhinzuweisen, daß cc. 72-78 von üb. III als zur Descriptio gehörig zu betrachten sind. Vgl. oben, Kap. 2.1. m. Anm. 33. Die Ansicht, es handele sich bei lib. IV um eine Einzelschrift, findet sich oft; dies zeigt, wie schwer der Forschung die Einordnung der Descriptio fiel, weil sie in ihr lediglich eine geo- u. ethnograph. Abhandlung erblickte. Vgl., um nur ein Beispiel zu nennen, den Titel(!) der Chronik in der frz. Ed.: Adam de Brème, Histoire des archevêques de Hambourg avec une Description des îles du Nord, ed. u. übers, v. Jean-Baptiste Brunet-Jailly, Paris 1998; noch recht vorsichtig spricht Von den Brincken, Fines Terrae, S. 168 von üb. IV als ,,eine[r] Art Appendix". Vgl. dazu bes. Schlüter, S. 557-560. Vgl. etwa IV, 10, S. 237-239 u. 12, S. 241; vgl. Einhard 12, S. 15. Vgl. z. B. IV, 10, S. 238f: mare Balticum, mare Barbarum, pelagus Sciticum u. 20, S. 248f: Gleichsetzung mit paludes Scithica[e] vel Meotica[e]. Zum Terminus Balticum mare u. zur Darstellung der Ostsee bei Adam vgl. J. Svennung, Belt und Baltisch. Ostseeische Namenstudien mit besonderer Rücksicht auf Adam von Bremen (Uppsala Universitets Arsskrift 4 [1953]; Acta Universitatis Upsaliensis), Uppsala 1953. IV, 11, S. 240. Der Bemerkung Einhards über die unbekannte Länge der Ostsee fügt Adam hinzu, diese Angabe sei erst kürzlich durch den norweg. Kg. Harald (Hardrade) u. den Dänenjarl Ganuz Wolf bestätigt worden, welche die Weite des Meeres erkundeten, jedoch nach einer beschwerlichen Reise erschöpft umkehren mußten. Dagegen hätten Dänen ihm versichert, schon häufig über das Meer in einem Monat bis nach Rußland gesegelt zu sein. IV, 21, S. 250: Transeuntibus Ínsulas Danorum alter mundus aperitur in Sueoniam vel Nortmanniam, quae sunt duo latissima regna aquilonis et nostro orbi adhuc fere incognita. Vgl. unten,

310

311 312 313

314

315

Krabbo, S. 42.

93

Die Fremdzuschreibungen

(nördliche) Ende der

Welt: Ganz traditionell ist

es

durch die

Ripheischen Berge

mar-

kiert, an die Schweden im Osten heranreiche.316 Hier höre der orbis ermattet auf und ein Weiterkommen sei infolge „weiter, öder Räume, Schneemassen und Horden menschli-

Ungeheuer unmöglich".317 In Adams Konzeption des Weltendes hat so durch die Vermittlung anderer Autoren auch die Vorstellung von der nördlichen, kalten und unbewohnbaren Zone der Erde Eingang gefunden: Das Ende der Welt ist ein unzugänglicher Raum, hier durch Gebirge, Kälte und ewigen Schnee. Für seine Aufzählung verschiedener Völkerschaften, die in der Nähe der Ripheischen Berge wohnen, ist Adam auf ältere Schriften angewiesen. Der Chronist widmet sich der Frage, wie ein Überleben in der Kälte möglich ist. Wie sonst gilt sein Interesse aber auch hier der Erwähnung von Bischöfen, die von den Hamburger Erzbischöfen eingesetzt wurden und für diese Gebiete zuständig seien.318 Auch für die Darstellung weiterer, in der Forschung häufig als „Fabelvölker" bezeichneten Bewohner bezieht sich Adam auf die erwähnten spätantiken Autoren: Im Einklang mit seinen Quellen lokalisiert er etwa Himantopoden, Zyklopen, Anthropophagen, die man nach der Meinung cher

des Chronisten meiden sollte, sowie Amazonen am äußersten Rand der Welt.319 Die letzten Regionen, die Adam behandelt, sind die Inseln im nördlichen Teil des weltumspannenden Ozeans: die Orkneys (c. 35), Island (36), Grönland (37), Helgeland (Halagland [38; ein Gebiet in Nordnorwegen]) und Vinland (39). Dabei beruft er sich auf verschiedene Zeugen, auf schriftliche wie Martianus Capella und besonders mündliche wie die Könige Svend Estridson von Dänemark, Harald (Hardrade) von Norwegen, auf Hamburger Erzbischöfe wie zum Beispiel Adalbert oder andere Personen, dann meist in Form einer anonymen Mehrzahl (multi). Den Abschluß der geographischen Passagen bilden zwei Kapitel über eine Erkundungsfahrt einiger nobiles de Fresia vir[i] zur Überprüfung der Behauptung, daß es nördlich der Wesermündung nulla terra gebe, sondern nur noch den infinitum occeanum?20 Betrachtet man die Descriptio insgesamt, so gibt Adam der Beschreibung des Raudie in einer Karte eben nicht sichtbar ist: Ausgemes eine Südwest-Nordost-Richtung hend von den Sachsen benachbarten Gebieten greift er in die nördlichen und nordöstlichen Räume aus, bis ans Ende d(ies)er Welt. Auch innerhalb der Descriptio behält er diese Strukturierung im Detail bei: Immer wieder nennt er zunächst die näher liegenden Regionen und entfernt sich dann geradezu schrittweise von ihnen.321 Zwar übernimmt er -

316

317

Kap. 2.3.5. Vgl. zu den Riph. Bergen als nördl. Ende d. Welt (nach Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive Originum Libri XX, lib. XIX, 8, 8, ed. W.M. Lindsay, 2 Bde., Oxford 1911, Bd. 2) von den

Brincken, Fines terrae, S. 169. IV, 25, S. 256: ubi deserta ingenua, nives altissimae, ubi monstruosi hominum grèges ultra prohibent accessum. Vgl. zu dieser Stelle unten, Kap. 2.3.5. S.a. IV, 31, S. 263: Riphe[i] mont[es] ...,

319

320 321

ubi et lassus deficit orbis. Vgl. dazu unten in den Kapiteln zu den einzelnen Völkerschaften. IV, 25, S. 257. Adam bezieht sich hier explizit auf Solinus. Vgl. zur Darstellung der monstra unten, Kap. 2.3.5. IV, 40f, S. 276-278; Zitat: 40, S. 276. Zu dieser .Entdeckungsfahrt' vgl. unten, Kap. 2.3.6. Vgl. z. B. IV, 1, S. 226: Daniam a nostris Nordalbingis flumen Egdore dirimit. 13, S. 241: primi ad ostium sinus habitant in australi ripa versus nos Dani. 23, S. 253: Ex populis Suediae proximi ad nos habitant Gothi. qui occidentales dicuntur. ...

...

...

Adam

94

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

hierbei teilweise wörtlich Einhards Darstellung der Ostseeländer mitsamt dessen WestOst-Richtung, dies deutet jedoch nicht darauf hin, daß Adam den Text unreflektiert abschrieb: Vielmehr übernimmt er Einhards Beschreibung, weil er sie sinnvoll in sein Werk einfügen kann, weil die bei Einhard vorgefundene Strukturierung des Raumes dieselbe ist wie die von ihm gewünschte.322 Außer der in bisherigen Untersuchungen zumeist ausschließlich behandelten Descriptio finden sich in der Chronik noch zwei weitere größere Passagen, die geo- und ethnographische Darstellungen enthalten: zum einen über die südelbischen Sachsen, zum anderen über die Nordelbier und Ostseeslawen:323 Direkt nach seiner Vorrede widmet Adam die ersten sieben Kapitel seines Werkes der Saxonia, genauer: vor allem des südelbischen Teils.324 Schon oben wurde auf diesen Abschnitt eingegangen,325 und so ist hier lediglich noch einmal daran zu erinnern, daß der Geschichtsschreiber gleich zu Beginn seines Werkes, an sehr exponierter Stelle also, (vor allem das südliche) Sachsen beschreibt und im geographischen Raum einordnet. Im zweiten Buch nun widmet er sechs Kapitel der Darstellung Nordelbiens und der östlich angrenzenden slawischen Gebiete. Zu den nordelbischen Sachsen zählt er von West nach Ost die Tedmarsgoi (Dithmarscher), Holcetae (Holsten) und Sturmarii (Stormarn), deren Hauptkirchen er nennt, unter denen er wiederum Hamburg besonders herausstellt (c. 17). Er liefert eine Beschreibung des limes Saxoniae, quae trans Albiam est (18) und geht dann auf die slawischen Völkerschaften an der Südküste der Ostsee ein, da, so Adams Begründung, die Slawen „durch die Bemühungen unseres Bischofs Adaldag fast vollständig zum Christenglauben bekehrt worden" seien (19-22).326 Wie Südelbien im ersten Buch werden auch die Nordalbingia und die Sclavania zunächst einmal geographisch eingeordnet: Die Sclavania sei das „weiträumigste Gebiet" der Germania und solle „zehnmal so groß sein wie unser Sachsen. (...) Von unserem Hamburger Sprengel aus weitet es sich ostwärts in endlose Räume aus."327 Explizit bilden also die Saxonia und das Erzbistum den Bezugspunkt für die geographische Einordnung der Sclavania, und die SüdwestNordost-Richtung der Beschreibung bleibt, ganz wie im vierten Buch, durchgängig erhalten: sowohl im größeren Rahmen328 als auch in der kleinschrittigen Aufzählung einzelner slawischer Völkerschaften, von den Waigri (Wagriern) als den Nachbarn der nordelbischen Sachsen über die Polabingi (Polaben; c. 21) bis in die Ruzzia (Rußland; 22). Ob die hier angeführten Kapitel als eine Interpolation Adams anzusehen sind, wie Laurenz Weibull meinte, oder als ein Exkurs, wie Hans Joachim WlTZEL vorschlug,329 -

-

Vgl. a. unten, Kap. 3.3.3.1. zum bewußten Umgang Helmolds von Bosau mit dieser Passage.

I, 1-7, S. 4-9; II, 17-22, S. 72-81. Vgl. I, 1, S. 4, wo Adam der Beschreibung der Saxonia durch Einhard 15, S. 17f. hinzufügt: prêter earn partem Saxoniae, quae trans Albiam supra incolitur a Sorabis, infra autem a Nordalbingis. Vgl. oben, Kap. 2.2.2.2.1. II, 20, S. 75: eo quod Sclavi eo tempore studio nostri pontificis Adaldagi narrantur ad christianam

religionem fere omnes conversi.

II, 21, S. 75f.: Sclavania igitur, amplissima Germaniae provintia

quam nostra Saxonia. (...) Longitudo autem illa videtur, quae initium gensi parrochia et porrigitur in orientem infinitis aucta spatiis.

decies mator esse fertur habet ab nostra Hammabur-

...;

Etwa bei der getrennten Behandlung der Slawen diesseits u. jenseits der Oder (c. 21 f.). Vgl. Weibull, der die Kapitel II, 17-23 u. IV, 10-20 als spätere Einfügung betrachtet;

dagegen

Die Fremdzuschreibungen

95

ist hier nicht entscheidend: Daß Adam sie ausgerechnet an dieser Stelle plazierte, ist ohnehin keineswegs überraschend, denn sie befinden sich direkt hinter dem Bericht über die Gründung des Erzbistums Magdeburg durch Otto I., der diesem die tota Sclavania östlich der Peene unterstellt habe (c. 15) also genau bis zum Grenzfluß der Hamburger Diözese. Der Einschub mit (a) der ausführlichen Schilderung des limes Saxoniae, (b) der Lokalisierung slawischer Völkerschaften und (c) den immer wieder eingeflochtenen Bemerkungen über die Grenzen des Hamburger Sprengeis dienen letztlich vor allem der Formulierung des Hamburg-Bremer Zuständigkeitsbereichs. Betrachtet man die hier behandelten drei größeren geo- und ethnographischen Abschnitte der Chronik im Zusammenhang, was bislang, soweit ich sehe, nicht geschehen ist, so ergibt sich, daß Adam ausgehend vom südelbischen Sachsen mit Hamburg als Zentrum (lib. I) in direkter Abfolge das nordelbische Sachsen und Slawien (lib. II) sowie die nördlichen und nordöstlichen Regionen bis zum Ende der Welt (lib. IV) beschreibt. Aufgrund ihrer räumlichen Strukturierung können die Abschnitte hintereinander im Zusammenhang gelesen werden, denn die Passage im zweiten Buch schließt geographisch unmittelbar an die im ersten an, das vierte Buch exakt an den Abschnitt im zweiten. So folgt auf die Beschreibung Südelbiens diejenige Nordelbiens, und zu Beginn des vierten Buches nennt Adam die Eider eben nicht, wie sonst, als Grenze der Dania mit der Saxonia, sondern mit der Nordalbingia.™ Die Südwest-Nordost-Richtung ist ein durchgängiges Element in den einzelnen Passagen, sie überspannt aber auch die geographische Strukturierung insgesamt. So geht Adam im Großen wie im Kleinen vom eigenen Lebensraum und dem Sitz desjenigen Erzbistums und Missionszentrums aus, dessen Intessen er zu seinen eigenen machte, bis hin zum äußersten Rand der Welt. Dieses schrittweise Ausgreifen in die Ferne ist ein wesentliches, von der Forschung bislang nur ungenügend thematisiertes Merkmal der Strukturierung des geographischen Raumes in der Hamburgischen Kirchengeschichte. Mit der räumlichen Strukturierung des gesamten geographischen Raumes in Südwest-Nordost-Richtung ist eine zeitliche Komponente eng verknüpft: Denn Adam beginnt bei den zuerst (und bereits vor langer Zeit) missionierten Sachsen und schließt nordöstlichen Enden der Welt. Vor dem Hintergrund der Krisensituation des an den Erzbistums zur Abfassungszeit und nach allem, was oben über die Bedeutung der legatio gentium für den Chronisten gesagte wurde, könnte man deuten, daß hier, in den entfernten Regionen, die Völkerschaften leben, auf deren Missionierung und Unterordnung das Hamburger Erzbistum nach Adams Meinung einen alten Anspruch hat, der noch nicht verwirklicht ist. Insofern ist zwar der Aussage Gerhard Theuerkaufs, das vierte Buch behandle die „Missionsgeschichte des Erzbistums Hamburg-Bremen in räumlicher Ordnung,"331 grundsätzlich zuzustimmen, sie greift jedoch m.E. zu kurz: Die Descriptio behandelt nicht nur die Vergangenheit, sondern Adam propagiert hier vielmehr auch die Zuständigkeit für teilweise noch nicht missionierte oder den Suprematieanspruch anerkennende Völkerschaften bis zum Ende der Welt und liefert -

-

-

Witzel, S. 167-191. IV, 1, S. 226: Hanc autem Daniam a nostris Nordalbingis flumen Egdore dirimit. Anders etwa II, 17, S. 72: Egdor[a]fiuvi[us], qui Danos dirimit a Saxonibus. Theuerkauf, Hamburgische Kirchengeschichte, S. 120.

96

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

Hintergrund der Reisethematik ein an den Adressaten Liemar gerichtetes, anspruchsvolles Programm. Liest man die hier behandelten Passagen im ersten, zweiten und vierten Buch im Zusammenhang, ergibt sich somit eine räumlichzeitliche Richtung des Missionsverlaufs: von der Christianisierung der Saxonia (in der Vergangenheit und im Westen) über die bekehrten Gebiete (in der jüngeren Vergangenheit bzw. Adams Gegenwart und im näheren Norden und Nordosten) bis zu den (noch) heidnischen Gebieten (in der Zukunft und in entfernten Gegenden). Daß diese Gebiete trotz ihrer Entfernung von Hamburg-Bremen aus räumlich und zeitlich erreichbar sind, davon legen die Angaben über Erkundungsfahrten und Reiserouten Zeugnis ab. Das in der Forschung so häufig herausgestellte Interesse Adams an der systematischen Sammlung zeitgenössischen empirischen Wissens hat seine Funktion genau hierin, insbesondere

vor

dem

Erzbischof Liemar die Gebiete bekannt zu machen und ihre räumliche und zeitliche Erreichbarkeit zu unterstreichen. Und deshalb konstruiert Adam den Raum auch genau auf diese Weise. Es wird noch zu zeigen sein, daß mit dieser Struktuierung des geographischen Raumes auch unterschiedliche Bewertungen der einzelnen Völkerschaften verbunden sind.

2.3.2.

Nordalbingia und Nordalbingi

Die Bedeutung, die der Elbe in den geo- und ethnographischen Passagen als Grenze innerhalb der Saxonia zukommt, spiegelt sich auch sonst in der Chronik wider: So ist die Nordalbingia einerseits eine pars Saxoniae, andererseits aber ist sie als trans Albia gelegene Region von derjenigen eis Albia deutlich abgegrenzt.332 Unter die Transalbianorum Saxonum populi faßt Adam die Tedmarsgoi, Holcetae und Sturmarii (Dithmarscher, Holsten und Stormarn) zusammen. Er zählt kurz ihre Wohnsitze auf, leitet aus deren natürlichen Beschaffenheiten die Namen der Völkerschaften ab und nennt ihre Hauptkirchen. Daß ihm die Sturmarii von allen Nordelbiern als nobiliores gelten und er auch insgesamt von den Nordelbiern am häufigsten auf diese fokussiert, liegt an der Bedeutung ihrer metropolis Hamburg.333 Aufgrund ihrer geographischen Lage ist die Nordalbingia zugleich als Grenzregion zu Sclavi und Dani gekennzeichnet: Sie bildet das Ziel von Übergriffen beider Völkerschaften und ist mehrfach Ort von Verwüstungen, so daß es Adam für erwähnenswert hält, wenn eine pax firma, als Voraussetzung für die Mission, hergestellt wird.334 Es würde allerdings zu kurz greifen, wenn man die Elbe lediglich als eine geographi-

Vgl. z. B. I, 55, nostra[e].

S. 55:

Transalbian[i]

eis Albim.

Saxones -

III, 43, S. 185:

res

Nordalbingorum -

II, 17, S. 72f: Transalbianorum Saxonum populi sunt tres. Primi ad occeanum sunt Tedmarsgoi, eorum ecclesia mater in Melindorp. Secundi Holcetae, dicti a silvis, quas aecolunt; eos Sturia fiumen interluit, ecclesia Scanafeld. Tercii et nobiliores Sturmarii dieuntur, eo quod seditionibus ea gens frequens agitur. Inter quos metropolis Hammaburg caput extollit. Im Gegensatz zu Helet

gibt er kein gemeinsames Merkmal der Nordalbingi an vgl. hierzu unten, Kap. 3.3.1. Verwüstungen durch Dani u. Sclavi: I, 55, S. 55f; durch Sclavi: II, 42, S. 102f; 60, S. 119f; Betonung der pax (firma): II, 48, S. 109; 60, S. 119; 66, S. 125; 71, S. 132. mold

Die Fremdzuschreibungen

97

sehe Grenze in Adams Vorstellungen ansähe,335 denn die Transalbiani unterscheiden sich besonders in religiöser Hinsicht von den südelbischen Saxones. Adam begründet die Erwähnung nordelbischer Völkerschaften damit, daß sie, anfangs gar als Missionsgebiet, zum Hamburger Sprengel gehörten.336 Ihre Kennzeichen sind zu einem wesentlichen Teil ihre (gegenüber dem Gebiet eis Albia) spätere Christianisierung und das Heidentum der Bewohner, die der Chronist für die Vergangenheit auch als barbari bezeichnet.337 Adam schildert die Mission unter den Hamburger Erzbischöfen, angefangen bei Ansgar, er berichtet von Martyrien, welche die Missionare in der Nordalbingia erlitten, von den heidnischen Sitten der Bewohner, die Christen zum Verkauf feilboten und die von Ansgar deswegen mit Bußen belegt worden seien.338 Im Rückblick auf Ansgars Mission unterscheidet der Chronist zwischen den sui des Erzbischofs und den alieni, unter die er hier, wie aus dem Kontext hervorgeht, Nordelbier, Dänen und Schweden, also die Völkerschaften in Ansgars Missionsbereich rechnet.339 Zunehmend setzt sich durch das erfolgreiche Bemühen der Erzbischöfe die eng an die pax gebundene Missionierung durch, so daß Adam für die Zeit Erzbischof Adalberts konstatiert, die res nostrae, nämlich die erzbischöfliche legatio, mache Fortschritte sowohl trans Albiam als auch in Sclavania.340 Dennoch bleibt die Nordalbingia als Grenzregion gefährdet: Das Bestreben Adalberts, den populus und die ecclesia Nordalbingorum zu schützen, kann letztlich die Angriffe der Sclavi nicht verhindern: Die pagani erobern die tota Nordalbingia.34^ Zwar enthält die Darstellung durchaus eine zeitliche Komponente, die vor allem in der Schilderung des Missionsverlaufs deutlich wird, jedoch bleibt die Nordalbingia von der restlichen Saxonia unterschieden, und sie wird auch innerhalb der Diözese, ähnlich der Fresia, als eigenständiger Teil hervorgehoben: So kann Adam zwischen dem noster populus und den Transalbiani, zwischen „uns" in der Bremensis parrochia und den Nordelbiern trennen.342 In Aufzählungen kommt den Nordalbingi eine Stellung zwischen den nostri und den Sclavi zu, die einerseits ganz im Einklang mit der West-OstRichtung der Beschreibung steht, die aber zugleich auch bedingt ist durch den Christianisierungsgrad und die Verlaufsrichtung der Missionierung. Diese Zwischenstellung der Nordalbingi korrespondiert mit der bereits bei RlMBERT anzutreffenden Vorstellung, daß die Nordelbier diejenigen Christen sind, welche den Heiden am nächsten wohnen.343

Vgl. dazu auch oben, Kap. 2.2.2.2.1.

II, 17, S. 72: Et quoniam occasio se locorum prebuit, utile videtur exponere, quae gentes trans Albiam Hammaburgensipertinentes sint dyocesi. Zu barbari vgl. z. B. I, 17, S. 24. Mission u. Rückschläge: z. B. I, 17, S. 24; 23, S. 29f; II, 28, S. 88; 29, S. 90f; 42, S. 102f.; 48, S. 108f; III, 26, S. 168f; die v. Ansgar auferlegte Buße: I, 29, S. 35. I, 23, S. 29. III, 19, S. 162: Trans Albiam vero et in Sclavania res nostrae adhuc magna gerebantur prosperitate. Zu dem Wir-Bezug vgl. a. oben, Anm. 144. III, 64, S. 210; vgl. a. III, 26, S. 168f. u. schol. 81, S. 195. II, 28, S. 88: noste[r] popul[us] Transalbiani^...] Fresonum gen[s]; III, 50, S. 193: nobis in Bremensi parrochia trans Albiam. Nicht nur den Nordalbingi, auch den Fresones erlegt Ansgar eine Buße auf (I, 29, S. 35). Vgl. a. IV, 1, S. 226: Hanc autem Daniam a nostris Nordalbingisfumen Egdore dirimit. Rjmbert 38, S. 120: Nordalbing[i], quiproximi noseuntur essepaganis. Vgl. Adam II, 8, S. 66. -

-

...

-

Adam von Bremen und die Gesta Hammaburgensis

98

Somit werden die Nordalbingi vor allem durch zwei Aspekte gekennzeichnet: Sie sind als Bewohner einer pars Saxoniae durchaus in die Gemeinschaft der Sachsen integriert, jedoch nicht vollständig. Denn im Unterschied zum südelbischen Gebiet ist Nordelbien einerseits durch seine unmittelbare Nachbarschaft zu den Sclavi und Dani als Grenzregion ausgewiesen; andererseits zeichnen sich die Nordalbingi auch durch ein längeres Verweilen im Heidentum aus. Die Integration in die Gemeinschaft der christianitas betrachtet Adam deshalb, nach seinen Zuschreibungen zu urteilen, als nicht abgeschlossen, und die Darstellung enthält durchaus Aspekte, die auf eine Fremdheit der Nordelbier in religiöser Hinsicht verweist. Zudem richteten sich auf die Nordalbingia, als Teil der Hamburger Erzdiözese, die Missionsbemühungen, und daß diesem letzten Aspekt entscheidende Bedeutung zukommt, kann nach allem, was bereits oben über die Bedeutung der legatio gentium und Adams Zuschreibungen zum Erzbistum gesagt wurde, nicht überraschen.

2.3.3. Sclavania und Sclavi Adams Behandlung der Sclavania und ihrer Bewohner ist in der Forschung bereits mehrfach behandelt worden.344 Daher kann die folgende Untersuchung zunächst von deren Ergebnissen ausgehen. Besonders Rudolf BUCHNER hat darauf aufmerksam gemacht, daß Adam die Begriffe Sclavania und Sclavi nicht einheitlich verwendet.345 Der Terminus Sclavania kann in umfassender Bedeutung für das gesamte slawische Gebiet auftreten, von dem Adam sagt, es sei zehn mal so groß wie nostra Saxonia und reiche bis zum Ruzziae regnum?46 Ebenso kann Adam den Begriffjedoch auch nur auf die Westslawen oder einzelne Völkerschaften in der Nähe, wie Obotriten und Wagrier, beziehen.347 Ähnlich divergent gebraucht er den Terminus Sclavi: Werden diese manchmal als einheitliche gens angesehen, im Sinne eines Oberbegriffs für danach folgende Aufzählungen einzelner Völkerschaften,348 differenziert Adam an anderen etwa Buchner, Vorstellungswelt, S. 40-42; Ilona Opelt, Slavenbeschimpfungen in Helmolds Chronik, in: Mlaüb 19 (1984), S. 162-169, zu Adam S. 163 u. Graus, Nationenbildung, S. 79 u. 151 mit weiteren Nachweisen. Vgl. daneben, sich auf Adams Angaben beziehend, z. B. Lammers, Formen; Wolfgang H. Fritze, Probleme der abodritischen Stammes- und Reichsverfassung und ihrer Entwicklung vom Stammesstaat zum Herrschaftsstaat, in: Siedlung und Verfassung der Slawen zwischen Elbe, Saale und Oder, hg. v. Herbert Ludat, Gießen 1960, S. 141-219; Lorenz Hein, Anfang und Fortgang der Slawenmission, in: Schleswig-holsteinische Kirchengeschichte, Bd. 1, Teil I, S. 105-145 sowie Die Slawen in Deutschland. Geschichte und Kultur der slawischen Stämme westlich von Oder und Neiße vom 6. bis 12. Jahrhundert. Ein Handbuch, hg. v. Joachim Herrmann, Neubearbeitung, Berlin 1985. Buchner, Vorstellungswelt, S. 40. Neben dem meist verwendeten Begriff Sclavania gebraucht Adam seltener (etwa II, 16, S. 71 u. IV, 32, S. 267) auch den Ausdruck Sclavonia. IV, 13, S. 241 : Haec [i. e. das Ruzziae regnum] est ultima vel maxima Winulorumprovintia, quae et finem facit illius sinus. Vgl. a. I, 22, S. 80. Der Ausdruck Winuli steht hier für die Sclavi insgesamt. Vgl. a. Anm. 350. Durchaus widersprüchl. kann Adam (IV, 32, S. 267) auch Ruzzia und Sclavonia einander gegenüberstellen. Vgl. etwa II, 71, S. 132f. Vgl. etwa II, 22, S. 79: Iumne quam incolunt Sclavi cum aliis gentibus, Grecis et Barbaris. (...) nulla gens honestior aut benignior poterit inveniri; (gens wohl mit Bezug auf die Sclavi; vgl.

Vgl.

...

Die Fremdzuschreibungen

99

Stellen zwischen verschiedenen populi und, seltener, gentes}49 Zuweilen gebraucht er den Ausdruck Winuli (Wenden) für die Sclavi allgemein, während er ihn an anderen Stellen lediglich auf die (,eigentlichen') Winuli bezieht.350 Trotz dieser divergierenden Begrifflichkeiten wird jedoch deutlich, daß die Sclavi in Adams Vorstellung eine Einheit bilden, und der Chronist legt auch die Kriterien offen, nach denen er diese Einheit bestimmt: Zweifel über die Zuordnung der Boemia (Böhmen) und Polani (der Polen) räumt er mit dem Argument aus, daß sie weder in ihrem habitus noch in ihrer lingua von den anderen Slawen abwichen.351 Diese Merkmale, die Adam als ein gemeinsames Kennzeichen der Sclavi gelten, können als traditionelle Kriterien angesehen werden, anhand derer einer ethnischen Gruppe Identität zugeschrieben wird.352 Für diese Zuschreibung von Identität ist es unerheblich, ob diese tatsächlich auch besteht. Entscheidend für den hier verfolgten Ansatz ist lediglich, daß die Kriterien habitus und lingua in Adams Vorstellungen die Identität der Slawen konstituieren. Aus der Passage geht hervor, daß der Chronist die Slawen als eine ethnische, von den eigenen Gruppen unterschiedene Gemeinschaft ansieht. Zumindest das Kriterium der lingua ist nicht lediglich als traditionelles zu betrachten; ihm kommt zudem eine aktuelle Bedeutung zu, denn die Kenntnis der ,slawischen Sprache' kann geradezu als für die Missionierung notwendige Bedingung angesehen werden.353 Es scheint auffällig, daß Adam weitere Merkmale wie mores und ritus nur selten im Zusammenhang mit den Sclavi, häufiger dagegen in den Berichten über skandinavische Völkerschaften erwähnt. Und dies mag doch weniger zufällig sein, als BUCHNER meinte:354 Ganz im Gegensatz zu Helmold, wie noch zu zeigen sein wird, richtet Adam sein Interesse stärker auf Dani, Sueones und Nortmanni}55 Im Vergleich zu den PassaBUCHNER, Vorstellungswelt, S. 41 Anm. 81); III, 32, S. 174: Quid loquar de barbaris Ungrorum sive Danorum, item Sclavorum aut certe Nortmannorum gentibus. IV, 12, S. 241: Sclavi, Haisti aliaeque diversae incolunt nationes (nach Einhard 12, S. 15). Vgl. zu populi z. B. II, 21, S. 76 (populi Sclavorum multi mit folgender Aufzählung); s.a. I, 56, S. 56; II, 1, S. 61; 5, S. 65; 15, S. 71; 22, S. 81 (Winulorum populi); 56, S. 116; IV, 13, S. 241 (marittm[i] Sclavorum popul[i]). Vgl. zu gentes etwa II, 15, S. 71 (Sclavorum gent[es]); IV, 18,

S. 245 (Rani, gens fortissima Sclavorum). Winuli leitet Adam (II, 21, S. 76 [fälschl.]) von den Wandali her; Winuli für Sclavi vgl. z. B. oben, Anm. 346; Winuli für Wenden z. B. II, 22, S. 81. II, 21, S. 76: si Boemiam et eos, qui trans Oddaram sunt, Polanos, quia nec habitu nec lingua descrepant, in partem adieceris Sclavaniae. Zu den Kriterien vgl. a. Ill, 32, S. 174, wo Adam Heinrich III. gegenüber dem imperator Grecorum Monomachus auf seine griech. Vorfahren hinweisen läßt: Ideoque nec mirum esse, si Grecos diligeret, quos vellet etiam habitu et moribus imitari; quod et fecit. Vgl. schon IsiDOR von Sevilla. Zu anderen Geschichtsschreibern vgl. z. B. Thomas, Die Deutschen, S. 22; zu Adam vgl. Buchner, Vorstellungswelt, S. 41f. Vgl. etwa III, 20, S. 163: Quorum [i. e. sacerdotes] mediastinus princeps Goteschalcus dicitur tanto religionis arsisse studio, ut oblitus ordinis sui frequenter in ecclesia sermonem exhortacionis ad populum fecerit, ea, quae mystice ab episcopis dicebantur vel presbyteris, ipse cupiens Sclavanicis verbis reddere planiora. Damit ist wiederum nicht gesagt, daß dies tatsächlich so geschah, denn die Passage dient v.a. der Hervorhebung Gottschalks, sie belegt jedoch die Bedeutung des Merkmals lingua. Vgl. dazu auch unten, Kap. 3.3.3.2. zu Helmold. Buchner, Vorstellungswelt, S. 42. Zu Helmolds häufigen Berichten über Sitten u. (auch religiöse) Bräuche der Slavi vgl. unten, ...

Adam

100

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

gen über jene nimmt sich die Darstellung der Sclavi in der Descriptio sogar recht gering aus. Immerhin jedoch ging es dem Chronisten auch um die genaue Lokalisierung der einzelnen slawischen Völkerschaften, die in Anlehnung an Einhard erfolgt: Die Sclavi bewohnen bei Adam die Südküste der Ostsee, sie sind zudem im Besitz von Inseln, und der südlich von Seeland gelegene Teil der Ostsee wird sinus Sclavanicus genannt.356 Wenn ebenfalls schon darauf hingewiesen wurde, daß der Geschichtsschreiber vor allem über die Sclavi berichtete, weil sie im Zuständigkeitsbereich des Hamburger Erzbistums lagen und er außerdem genau, auch räumlich, die Diözesen Hamburg und Magdeburg als metropolis der Slawen voneinander abgrenzte,357 so sind hiermit zugleich Aspekte angesprochen, die, ganz explizit, Adams Interesse an den Sclavi begründen: Auf heidnische Slawen richten sich Missionsbemühungen, die sich schon aus der Gründungsgeschichte des Erzbistums ableiten lassen; immer wieder berichtet er darüber, daß Hamburger Erzbischöfe bei den Sclavorum populi predigten oder Bischöfe für die Sclavania weihten.358 Adalbert habe gar den Tod im Dienst der legatio ersehnt, und zwar in der Sclavania, in der Suedia oder in Island?59 Die Sclavania ist somit zunächst einmal eines der erzbischöflichen Missionsgebiete. Eng verbunden mit der Thematik der legatio sind zwei weitere Aspekte: Die Unterwerfung der Sclavi und die Verteidigung gegen slawische Übergriffe stellen eine Bewertungsgrundlage für Könige und sächsische Herzöge dar, und besonders letztere macht Adam zudem für Rückfalle der Sclavi ins Heidentum verantwortlich.360 Noch deutlicher als in der Darstellung der Nordalbingi ist die Mission der Sclavi, konkret der Obodriten, durch einen Wechsel von Erfolgen und Rückschlägen gekennzeichnet: Die Errungenschaften unter dem christlichen princeps (der Obodriten) Gottschalk, der für seine Christianisierungsbemühungen gelobt und dessen gutes Verhältnis zu Erzbischof Adalbert hervorgehoben wird361 hier zeigt sich die grundlegende Bedeutung des Kriteriums Christentum auch für die Bewertung fremder ethnischer Gruppen -, stehen vor der Negativfolie zahlreicher Mißerfolge und Rückfalle. Diese drücken sich nicht nur in der Darstellung von Gottschalks Ermordung durch slawische pagani aus, sondern auch in der Bewertung slawischer -

Kap. 3.3.3.2.

IV, 12-14, S. 241 f.; 16, S. 242; 18, S. 244-246; zur räuml. Einordnung d. Sclavania u. der Sclavi vgl. a. I, 1, S. 4fi; 3, S. 6; III, 20, S. 162f; 22, S. 165; 26, S. 168; IV, 20, S. 249; sinus Sclavanicus: IV, 5, S. 233. Die Bezeichnung in II, 15, S. 71 ; vgl. oben, Kap. 2.2.1.2.1. Vgl. zum Missionsauftrag Hamburgs für die Sclavi: I, 14, S. 19; 16, S. 22f. (u. oben, Kap. 2.2.1.1. u. 2.2.1.2.1.); zur Mission der Erzbischöfe u. Domherren sowie zu den Weihen vgl. II, 1, S. 61; 6, S. 66; 46, S. 107; 49, S. 109f; 72, S. 133; III, 19, S. 162; 21, S. 163f; schol. 95, S. 224. III, 70, S. 218: Aliquando etiam optabat, ut in ministerio legationis suae aut in Sclavania vel in

Suedia sive in ultima Island obire mereretur. Zur Unterwerfung der Sclavi vgl. z. B. I, 14, S. 18; 38, S. 40; 56, S. 56; II, 5, S. 65; 18, S. 73f; 56, S. 116; 66, S. 125; 111, 6, S. 147f. u. 32, S. 174. Zu den sächs. Herzögen als Beherrscher der Sclavi vgl. etwa II, 45, S. 105; 48, S. 108f; III, 43, S. 185f. u. 51, S. 194-196. Vgl. a. oben, Kap. 2.2.2.2.2. Vgl. Ill, 19f, S. 162f.; zu Gottschalk Hans-Dietrich Kahl, Heidnisches Wendentum und christliche Stammesfürsten. Ein Blick in die Auseinandersetzung zwischen Gentil- und Universalreligion im abendländischen Hochmittelalter, in: AKG 44 (1962), S. 72-119, hier S. 81-84.

101

Die Fremdzuschreibungen

principes, die der Chronist als paganus oder auch als male christianus kennzeichnet.362 Das Heidentum der Sclavi bleibt auch für Adams Gegenwart bestimmend: nicht nur, daß er in der Darstellung der Aufstände von 1066 mit den Verwüstungen in der Nordalbingia, der Zerstörung der tota Hammaburg provintia und der Tötung fast aller Sturmarii Einzelheiten anrührt, in denen die Sclavi als besonders grausam erscheinen; die Zäsur dieses Jahres scheint so stark, daß Adam hier in einem Scholion die bisherigen Bekehrungserfolge und deren negado durch die Sclavi aufzählt.363

Deutlich geht es Adam somit auch um die Einordnung des bislang in der Slawenmission Erreichten, und zwar sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht: Er konstatiert, daß die Sclavi (wie die Suedi) offenbar bis heute noch einen ritus paganicus bewahrten, der früher den Saxones zueigen gewesen sei,364 und der Abfall der Sclavi vom Christentum stelle ein Ereignis dar, das auch in der Suedia drohe, falls man den Uppsalatempel zerstöre.365 Hier erfolgt die Einordnung einzelner Missionsvölkerschaften durch zeitliche und geographische Vergleiche mit anderen, die darin kulminieren, daß der Chronist nur bei Slawen und Schweden heidnische Tempel eingehender beschreibt.366 So ergibt sich eine durchaus systematisch zu nennende ,Standortbestimmung' des Christianisierungsgrads einer Völkerschaft in Relation zu anderen, die sich im (beanspruchten) Hamburger Missionssprengel bzw. Zuständigkeitsbereich befinden. Daß vergangene Ereignisse in der Sclavania zu möglichen zukünftigen in der Suedia in Beziehung gesetzt werden können, ist Ausdruck für Adams Ansicht von einer grundsätzlichen, zwangsläufigen und zielgerichteten Entwicklung der Menschheit vom Heidentum hin zum Christentum. Aufgrund ihrer Schwäche und ihrem geradezu kontraproduktiven Verhalten auf Feldzügen und in der Mission können die habgierigen sächsischen Herzöge weder den Rückfällen ins Heidentum noch den damit zusammenhängenden Verwüstungen der Nordalbingia, besonders Hamburgs, entgegenwirken. So erscheinen die Sclavi nicht nur als Missionsobjekt, sondern durchaus auch als Bedrohung dies aber unterscheidet sie deutlich von den Nordelbiern. Adam kann auch die Sclavi als barbari bezeichnen, allerdings fällt hier auf, daß er diesen Begriff im Vergleich zu den skandinavischen Völkerschaften nur recht selten verwendet.367 Ilona OPELT hat zudem, im Vergleich mit Helmolds Chronik, für die Hamburgische Kirchengeschichte das Fehlen einer „Slavenpolemik" insgesamt festgestellt. Sie kommt gar zu dem Schluß, Adam habe den Begriff barbari, bezogen auf die Sclavi, „objektiver" als Helmold verwendet, nämlich im Sinne von Nichtreichsbevölkerung und nichtchristlich.368 Sicherlich spricht die geringere Anzahl der Begriffsverwen-

126. Zu Gottschalks Ermordung III, 50, S. 193. Schol. 82, S. 195: Haec est Sclavorum tertia negado, qui primo facti sunt a ¡Carolo christiani, secundo ab Ottone, tertio nunc ab Godescalco principe. Gottschalk steht hier bemerkenswerterweise in einer Reihe mit den höchst positiv bewerteten Kaisern Karl u. Otto I. Vgl. a. II, 44, S. 105 im Anschluß an die Aufstände v. 983 u. 1018: Omnes Sclavi, qui inter Albiam et Oddaram habitant, per annos LXX et amplius christianitatem coluerunt, omni tempore Ottonum, talique modo se absciderunt a corpore Christi et ecclesiae, cui antea coniuncti fuerant. I, 7, S. 9. IV, 30, S. 262. ZuRethra vgl. 11,21, S. 78f.; zu Uppsala unten, Kap. 2.3.5.1. Vgl. etwa I, 16, S. 22f.; II, 8, S. 66; 79, S. 137 sowie III, 26, S. 168. Opelt, S. 163 m. Anm. 7.

Vgl. etwa II, 66, S.

...

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Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

düngen dafür, daß es Adam vor allem um die Darstellung anderer, skandinavischer Völkerschaften ging, und aus dem Fehlen der bei Helmold stärker vorzufindenden polemischen Äußerungen kann auch darauf geschlossen werden, daß die Sclavi für Adam nicht die Hauptgegner waren. Jedoch scheint es m.E. fraglich, die Verwendung des Begriffs barbari überhaupt als „objektiv" zu bezeichnen, mutet diese Sichtweise

doch eher modern an: Ein hochmittelalterlicher Autor wie Adam von Bremen, der sich der christianitas zuschrieb und dessen Interesse an den barbari ja gerade in ihrer potentiellen Missionierung lag, für welche ausgerechnet diejenige Institution die legatio besaß, der er sich besonders deutlich zuschrieb, konnte den Begriff „nicht-christlich" wohl kaum wertfrei gebrauchen. Immerhin beschreibt auch Adam (wenngleich seltener und weitaus weniger drastisch als Helmold) die Grausamkeit der (heidnischen) Sclavi, die dann zu hostes werden, wenn sie die nostri, die Bewohner der provincia Sturmariorum im Grenzgebiet, erschlugen.369 Und Adam erwähnt auch, es sei contra spem, „wider Erwarten" geschehen, daß der vertriebene dänische König in der civitas Sclavorum Iumne humane aufgenommen wurde, „waren die Bewohner doch heidnisch".370 In dieser Äußerung manifestiert sich, daß die Urteile von Erwartungshaltungen des Chronisten, die sich aus seinem Vorwissen speisen, geprägt sind. Auch im Hinblick auf die Vielschichtigkeit der Fremdzuschreibungen bilden Adams Berichte über Jumne ein gutes Beispiel. Einerseits wird der Begriff barbari auf die nordischen Völkerschaften angewandt, gleichwohl werden aber, antike Vorstellungen rezipierend, die Greci explizit davon ausgenommen.371 Zudem werden die Saxones, die in Jumne Fremde sind, mit einem ganz anderen Terminus belegt: mit advenae, einem Ausdruck, der zunächst einmal die Nicht-Zugehörigkeit zu einer Rechtsgemeinschaft bedeutet. Jedoch würden die Sachsen, wie Adam hervorhebt, in dem Ort geduldet, solange sie christianitatis titulum ibi morantes non publicaverint.312 Das Heidentum bildet hier also das Hauptkennzeichen für die Rechtsgemeinschaft in Jumne, die Religionszugehörigkeit der Slawen stellt das wichtigste Bewertungskriterium dar. Das zeigt sich in den Urteilen sowohl über das Christentum Gottschalks als auch über das Heidentum anderer: Adam schreibt den Sclavi durch die Kennzeichnung als grausame Heiden und durch die Benennung barbari Fremdheit in religiöser Hinsicht zu, die zur Bedrohung für die Eigenen, die christlichen Sachsen, wird, und diese Zuschreibung ist nicht Ausdruck einer vermeintlichen ,Objektivität' des Chronisten, sie ist vielmehr deutlich negativ konnotiert.

Vgl. zur Grausamkeit der Slawen etwa III, 51, S. 194f; zu hostes: III, 26, S. 168f. II, 27f, S. 87f: [Kg. Harald Graumantel] elapsus est ad civitatem Sclavorum, quae Iumne dicitur. A quibus contra spem, quia pagani erant, humane receptus. Jumne wird (II, 22, S. 79) als größte civitas in Europa, als Sitz von Sclavi cum aliis gentibus, Grecis et Barbaris gekennzeichnet. Zuvor werden die Slawen explizit zu den barbari gerechnet. Zu Tradition u. Wandel des barbarus-Btgx'xffs in der Antike (mit der Gegenüberstellung von Griechen u. Barbaren) u. Mittelalter vgl. Arno Borst, Barbaren, Ketzer und Artisten. Welten des

Mittelalters, München 1988; Koselleck, S. 231-238 u. Münkler, S. 206-214. II, 22, S. 79. Zum Begriff advena als Gegenbegriff zu civis und seiner Verwendung auch in der Bibel u. in mittelalterl. Texten vgl. bes. Kortüm, Advena sum, bes. S. 118-125.

Die Fremdzuschreibungen

103

2.3.4. Dania und Dani Schon rein quantitativ nehmen die Darstellungen der Dania und der Dani einen weitaus größeren Raum ein als die Erwähnungen der Sclavi. In bezug auf Dänemark läßt sich gar von einem hauptsächlichen Berichtsgegenstand Adams sprechen.373 Bereits Rudolf BUCHNER hat darauf hingewiesen, daß der Chronist die Dania und seine Bewohner als politische Einheit auffaßte: Bildet das Gebiet ein regnum, selbst dann, wenn mehrere Könige in ihm herrschen, so faßt er die Dani ethnisch als eine gens oder einen populas auf.374 Gegen Adams Ansicht von der Einheit der Dania spricht auch nicht, daß er sehr wohl mehrere Regionen innerhalb des regnum voneinander unterscheidet: In seiner Vorstellung bildet etwa ludland (Jutland) eine pars Daniae, und Iuddae sind in Adams Sprachgebrauch „Dänen, die Juten heißen".375 Daß dem Geschichtsschreiber an einer genauen räumlichen Einordnung der Dania liegt, geht aus der Descriptio hervor, deren geo- und ethnographische Passagen er mit den Worten einleitet, er wolle etwas de situ Daniae vel relinquarum, quae trans Daniam sunt, regionum natura describere}76 Zugleich wird der Dania in diesem Satz eine Zwischenstellung in räumlicher Hinsicht zugeschrieben: Sie liegt zwischen einem nicht näher thematisierten, in Adams Perspektive aber vorausgesetzten ,Diesseits' (das aufgrund der eingangs behandelten Strukturierung des Raumes als Nordalbingia oder Saxonia bezeichnet werden kann) und ,dahinter' liegenden regiones, mit denen Adam vor allem Schweden, Norwegen und weiter entfernte Gebiete meint, auf die noch einzugehen ist.377 Der Chronist stellt die Dania, die „fast nur aus Inseln besteht",378 in einzelnen Schritten dar: An die Beschreibung von ludland schließt sich diejenige der insulae Funis (Fünen) und Seland (Seeland) an, bevor sie auf die Sconia (Schonen) übergeht.379 Die Bezeichnungen prima pars Daniae für ludland und pars ultima Daniae für die Sconia belegen deutlich die oben angesprochene Südwest-NordostRichtung der Beschreibung. Insgesamt zählt Adam, nicht ganz eindeutig, fünfzehn insulae zum Dänenreich.380 So sehr er dieses als politische Einheit auffaßt, so deutlich ...

Das ist wichtig festzuhalten, da häufig auf eine bedeutende Rolle von Slawen und Skandinaviern in der Chronik hingewiesen wird, ohne die quantitativ doch erheblichen Unterschiede zu berücksichtigen. Vgl. dagegen auch Buchner, Vorstellungswelt, S. 38: „Am deutlichsten wird bei ihm der skandinavische Raum sichtbar." Die Unterschiede mögen dadurch bedingt sein, daß die Errichtung des Erzbistums Magdeburg eine Konkurrenz für Hamburgs Slawenmission darstellte. Buchner, Vorstellungswelt, S. 38f. IV, 1, S. 227. Zit. 13, S. 241 : habitant... Dani, quos Iuddas appellant. III, 78, S. 228 (zur Descriptio gehörig; vgl. oben, Kap. 2.1. m. Anm. 33). Vgl. unten, Kap. 2.3.5. m. Anm. 431. IV, 1, S. 226: Provintia Danorum tota fere in ínsulas dispertita est, sicut etiam legitur in Gestis sancti Anscarii. ludland: IV, lf, S. 227-231; Funis: 4, S. 232; Seland: 5, S. 233; Sconia: 6-9, S. 233-237. IV, 16, S. 242f: Nach einer Aufzählung von acht insulae (davon eine ohne Namensnennung) u. der Ankündigung von sieben weiteren, die zur Dania gehörten, nennt Adam nur noch fünf mit aliae omnes sibi vicinae (näml. i.d. Nähe v. Langland Namen u. spricht dann von insulae [Langeland]), so daß er also dreizehn anführt, bevor er konstatiert: Hae XV insulae Danorum regnum aspiciunt. Vgl. dazu Schmeidler, Ed., S. 243 Anm. 1-5, der auch die Unterschiede in den Hss. auflistet; Trillmich, Ed., S. 453 Anm. 45-48 sowie Jorgensen/ Nyberg, bes. S. 23. ...

Adam

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von

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er auch Unterschiede zwischen einzelnen Teilgebieten und Inseln, die mit den geographischen Besonderheiten und natürlichen Beschaffenheiten begründet werden: Iudland etwa gilt ihm als unfruchtbares Gebiet, das bis auf wenige Ausnahmen fast einem desertum gleiche, einer mit biblischen Termini beschriebenen vasta solitudo. Selbst einem Vergleich mit der Germania, deren Charakterisierung als waldreicher und unwirtlicher Region Adam MARTIANUS CAPELLA entlehnt, hält Iudland nicht stand, denn es sei horridior als andere Gebiete.381 Dagegen ist die Sconia die pulcherrima visu Daniae provintia, worauf schon ihr Name schließen lasse.382 Zwar zeugen diese Angaben durchaus auch von einem geo- und ethnographischen Interesse des Chronisten, jedoch steht dieses in übergeordneten Zusammenhängen: Denn wiederum ist der Raum keineswegs neutral dargestellt: Vielmehr wird er von Adam gestaltet und als Zuständigkeitsbereich des Hamburger Erzbistums gekennzeichnet. Dies wird nicht nur in den Erwähnungen von Bischofsweihen und Reisen der Hamburger Erzbischöfe deutlich, sondern auch in der Darstellung der Insel Farria, die weit vor der Eibmündung im nach moderner Terminologie also in der Nordsee gelegen, wird sie occeanus liege hier im Zusammenhang mit der Beschreibung der Ostseeinseln behandelt.383 Von der Forschung mit Föhr oder auch mit Helgoland identifiziert,384 ist der Ort ihrer Erwähnung nach heutigen geographischen Vorstellungen nur schwer nachzuvollziehen. Für Adam stellt sich dieses Problem jedoch gar nicht: Die Farria liegt im Zuständigkeitsbereich des von Adalbert für die Ostseeinsel geweihten Bischofs Eilbert, der Farria auch entdeckt haben solle, und deshalb erfolgt die Darstellung dieser beiden Inseln direkt

markiert

-

nacheinander.385 Zudem bildet die Dania, darauf ist hier

erneut hinzuweisen, einen in der Vergangenheit bereisten und in der Zukunft bereisbaren Raum: So erwähnt Adam die strata Ottonis cesaris durch Jutland hindurch nach Wendel,386 er gibt immer wieder Reiserouten an, zu Land wie zu Wasser, und er nennt auch die zu veranschlagende Dauer von Reisen.387 Daß Adam den Leser zuweilen direkt in der zweiten Person Singular anspricht, kann möglicherweise die These stützen, daß die Descriptio eine Aufforderung an Liemar enthält, eine Visitationsreise durchzuführen, zumindest aber wen-

IV, 1, S. 221 f.: Ager ibi sterilis; prêter loca flumini propinqua omnia fere desertum videntur;

salsuginis et vastae solitudinis.

Porro cum omnis tractus Germaniae profundis horreat saltiIudland ceteris horridior. Vgl. zur terra solitudinis Jer. 17, 6 u. Deut. 32, 10. Zur Germania vgl. Martianus Capella VI, 662f, S. 328f. IV, 7, S. 234f.: Sconia est pulcherrima visu Daniae provintia, unde et dicitur, armata viris, opulenta frugibus divesque mercibus, et nunc plena ecclesiis. Die Etymologie d. Namens ist falsch; vgl. Trillmich, Ed., S. 442 m. Anm. 18. IV, 3, S. 231 f. Adam (ebd.) gibt sowohl die Bezeichnung Farria als auch Heiligland an. Zur Identifikation der Insel vgl. Volker F. Faltings, Farria Föhr? Einige Bemerkungen aus sprachlicher Sicht, in: Nordfries. Jb., N.F. 21 (1985), S. 247-251 u. Tore Nyberg, Die heilige Insel Farria (gesta hammaburgensis ecclesiae pontificum, 4. Buch, Kap. 3), in: Ebd., S. 227-245. IV, 3, S. 231 (Farria insula) u. 4, S. 232 (Funis); die vermeintl. Entdeckung' der Insel: 3, S. 231. IV, 1, S. 227: Iudland ab Egdore in boream longitudine protenditur, habens iter tridui, si in Funem insulam divertis. Si vero a Sliaswig in Alaburgper directum viam metiris, quinqué aut VII habes iter dierum. Haec est strata Ottonis cesaris usque ad mare novissimum Wendilae, quod in hodiernum diem ex victoria régis appellatur Ottinsand. Jutland wird so auch zu einem Raum der Erinnerung an die Unterwerfung der Dani durch Otto I. Vgl. etwa die folgende Anm. terra

bus, sola

est

...

-

...

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105

det sich der Chronist hier an die von Hamburg ausgesandten Bischöfe, deren Reisen er nachdrücklich befürwortet und propagiert.388 Im Zusammenhang mit der großen Bedeutung der Reisethematik im Werk ließen sich zahlreiche weitere Belege dafür anführen, daß der Dania als Zwischenstation und Ausgangspunkt für Reisen in die weiter entfernt liegende Regionen eine wichtige Funktion zukommt. Ebenso kann die Dania als Ausgangspunkt für Fahrten in die Saxonia oder Fresia fungieren.389 Zum einen also trennt die Dania in Adams Darstellung den Raum in ein ,Diesseits' und ein .Dahinter', zum anderen bietet sie genau aufgrund dieser räumlichen Zwischenstellung auch die Möglichkeit, das ,Diesseits' mit dem .Dahinterliegenden' auf Reisen zu verbinden. Und so sind es nicht zuletzt die Angaben über Reise(route)n durch die Dania, mittels derer Adam Verbindungen im insgesamt beschriebenen Raum herstellt. Nicht nur in der Descriptio, sondern auch in den ersten drei Büchern berichtet Adam häufig über Dänemark und seine Bewohner. Oft stehen diese Erwähnungen im Kontext der Mission, und ganz ähnlich den oben erwähnten Darstellungen der Sclavi sind auch hier Themen wie die Unterwerfungen durch Könige und Kaiser, Tributzahlungen und Berichte über Rückfalle ins Heidentum eng mit der Missionsthematik verbunden.390 Das scheint freilich kaum zufällig zu sein: Auf die Dani richtet sich, wie auf die Sclavi, der Missionsanspruch des Erzbistums, den Adam mehrfach in den Vordergrund rückt. Nicht nur, daß er die alte, rechtlich verbriefte Legitimation der Zuständigkeit Hamburgs (auch) für die Dania herausstellt,391 zudem akzentuiert er auch gleich bei der ersten Erwähnung Jütlands dessen Einteilung in drei Bistümer, die allesamt Hamburg unterstellt wurden,392 und immer wieder erwähnt er die Weihen von Priestern und Bischöfen für die Dania durch die einzelnen Hamburger Erzbischöfe.393 Liest man die verstreuten (weil in den chronologischen Aufbau des Werkes eingeflochtenen) Berichte über die Bischofsernennungen im Zusammenhang, so ergeben sich aus der Chronik letztlich auch Bischofslisten für die dänischen Bistümer.394 Ganz explizit hält Adam Ereignisse in der Dania fest, weil diese zum Hamburger Sprengel gehört, und er erachtet Berichte über die Geschehnisse auch wegen ihrer Auswirkungen auf die nostra, id est Bremensis, ecclesia für nützlich.395 Dabei ist der zeitliche Bogen der Christianisierung weit gespannt: Die Aussage in der Descriptio, alle fünfzehn dänischen insulae zeichneten si per ludland in Funem tenderis, directam in septentrionem viam ad Seland oriens in faciem currit. Duo traiectus sunt in Funem transeunti per Seland, unus a Fuñe, alter ab Arhusan, pari uterque distant spacio. Vgl. a. Anm. 386. IV, 1, S. 228f.: Ripa [i. e. Ribe], quae civitas alio cingitur, qui ab occeano influit et per quern vela torquentur in Fresiam aut certe in Angliam vel in nostram Saxoniam. Zu den Unterwerfungen vgl. z. B. I, 14, S. 19; 47, S. 47f. u. II, 3, S. 62-64; zu Rückschlägen bei der Mission z. B. II, 27, S. 87 u. 29, S. 90f. Vgl. z. B. I, 14, S. 19 sowie 38, S. 40. II, 3, S. 64. Vgl. z. B. I, 59, S. 58; II, 4, S. 64; 26, S. 85f.; 46, S. 106f. Adalberts Bischofsweihen für die Dania listet Adam (III, 77, S. 222f.) im Zusammenhang auf. I, 38, S. 40: Et quoniam Dani cum Nortmannis Hammaburgensi ecclesiae pastorali cura subiecti sunt, preteriré nequeo, quanta mala per eos Dominus illo tempore fieri permiserit, et quam late pagani super christianos extenderintpotentiam suam. I, 15, S. 20: Et quoniam borealium gentium hystoria nostram, id est Bremensem, ecclesiam in parte respicit, disposui, nec inutiliter, ut arbitror, passim occurrentia längere Danorum acta.

IV, 4, S. 232: Et notandum est, habes. At

vero

Adam

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von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

sich „schon" durch den christianitatis titulus aus,396 steht den Schilderungen über den Beginn der Mission unter Ansgar diametral entgegen. Denn dieser reiste (laut Adam) in ein Gebiet, in das kein anderer reisen wollte. Die gens der Dänen werde von allen gemieden, da sie sich durch eine crudelitas barbárica auszeichne, und auch Ansgar habe sich vor der persecutio barbarorum zuweilen retten müssen.397 Wurde oben bereits darauf hingewiesen, daß der Geschichtsschreiber mit seiner Darstellung die Erfolge der Hamburger legatio überhöht, so ist an dieser Stelle die Charakterisierung der Dani von Interesse. Adam bewertet die dänischen Könige für die Anfangszeit stark nach den Kriterien ,Annahme des Christentums' und ,Verhalten gegenüber Christen', und exakt mit diesen Merkmalen korrespondieren auch die Zuschreibungen von Eigenschaften und Verhaltensweisen: König Horich (den Jüngeren) etwa bezeichnet er als crudelis tyrannis. Ihm schreibt er solange einen ingenitus furor zu, bis er von Ansgar bekehrt wird.398 Explizit kennzeichnet er Ansgars Missionsgebiet, unter das auch Nordelbien und Schweden zu rechnen sind, als foris, im Gegensatz zu domi?99 So nimmt die Dania nicht nur eine geographische Zwischenstellung ein, sie liegt bezogen auf die Erzdiözese und im Kontext der Berichte über die frühe Mission unter Ansgar selbst ,außerhalb'. Mit dem räumlichen Begriff ,innen', domesticus, kontrastiert Adam die Zuschreibung barbarus in einer religiösen Konnotation als .außen' und ,heidnisch'.400 Die Dänen werden häufig als barbari bezeichnet.401 Zudem grenzt er die Dänen auch von den Sachsen ab, allerdings stehen sich hier nicht nur zwei ethnische Gruppen gegenüber, sondern zudem Heiden und Christen.402 Das Heidentum und die Verfolgung von Christen wirken sich in Adams Terminologie auch auf die Herrschaft(sform) dänischer Könige aus: Heidnische reges werden zu tyranni, während hingegen Harald Blauzahn mit der Annahme des Christentums seinen Herrschaftsbereich ausweitet und der erste rex im zuvor nur von duces regierten Dänenreich genannt wird.403 Das wichtigste Kriterium für Adam bleibt ganz explizit, daß alle -

-

IV, 16, S. 243: insulae Danorum omnes[...] iam christianitatis titulo decoratae sunt. I, 15, S. 21: Cum autem nemo doctorum facile posset inveniri, qui cum Ulis ad Danos vellet pergere, propter crudelitatem barbaricam, qua gens illa ab omnibus fugitur, sanctus Ansgarius divino cum socio se optulit ultroneum Autberto, non solum inter barbaros, verum etiam in carcerem et in mortem pro Christo ire paratus. 17, S. 23f: Ansgarius autem nunc Danos, nunc Transalbianos visitons innumerabilem utriusque gentis multitudinem traxit ad fidem. Si quando etiam persecutione barbarorum impeditus est ab studio predicandi, apud Turholz se cum discipulis retinuit. Vgl. Vita Rimberti 3 u. 5, ed. Georg Waitz, MGH SSrG 55, Hannover 1884, S. 21-24 u. 25. I, 28, S. 34: Iste mox ut regnum Danorum suscepit, ingénito furore super christicolas efferatus sacerdotes Dei expulit et ecclesias claudi precepit. 29, S. 35: Ad quem sanctus Dei confessor Ansgarius venire non trépidons, comitante gratia divina crudelem tyrannum sic placatum reddidit, ut christianitatem ipse susciperet suisque omnibus, ut christiani fièrent, per edictum mandaret. Vgl. RiMBERT 31-33, S. 100-104 u. Trillmich in der Ed. der Vita, S. 203 Anm. 151. I, 30, S. 35: si quando a prédicatione gentilium foris liber erat, domi congregationum suarum curam egit. Zu domi forisque vgl. z. B. auch die Bezüge auf Liawizo I. (II, 28, S. 89) u. Adalbert (III, 24, S. 167). I, 33, S. 37: Ansgarius erudiendo domésticos, barbaris euangelizando, foris apostolus, intus ...,

...

monachus.

...

Vgl. etwa I, 17, S. 24; 52, S. 53 u. II, 27, S. 87. II, 3, S. 62-64 u. 31, S. 92f. Zu tyrannus vgl. z. B. I, 29, S. 35

(Kg. Horich) u. III, 12, S.

153

(Kg. Svend Estridson); zu Harald

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Die Fremdzuschreibungen

Könige (der frühen Zeit) heidnisch waren.404 Wie eng eine räumliche Distanz mit dem Heidentum der Bewohner und mit negativ bewerteten Sitten einhergehen können, macht Adam mit (Rück-)Blick auf die Missionsversuche Ansgars und Rimberts bei Nortmanni und Dani deutlich: Heute scheine es fast unglaublich, daß jemand gewagt habe, in Zeiten so harter Bedrohung als Apostel bei einer solch wilden, kaum menschenwürdig

lebenden Völkerschaft aufzutreten, in einer derart weit entfernten Gegend.405 Gleich in zweifacher Hinsicht enthält diese Passage zudem eine zeitliche Komponente: Zum einen grenzt Adam implizit die frühe Zeit als „Zeit harter Bedrohung" von der Gegenwart ab, und er verbindet damit eine qualitative (Besser-)Entwicklung hin zum Christentum. Zum anderen jedoch konstatiert er auch einen Verfall des Hamburger Einflusses in der Dania, denn heute blieben zuviele daheim, statt sich um die Mission foris zu kümmern.406 Auch für die Zeit danach verwendet Adam den Terminus barbari, und dies, obwohl er die Erfolge der (Hamburger) Mission mit dem Ausspruch feiert, die ferocissima Danorum sive Nortmannorum aut Sueonum natio die hier also als eine natio aufgefaßt werden -,407 hätten früher nur „barbarisch krächzen" können, nun aber wüßten sie, „zum Lob Gottes Halleluja zu singen".408 Der Ausdruck barbarus, der ursprünglich zur Bezeichnung einer fremden Sprache diente, wird hier in einen religiösen (Missions-)Zusammenhang gestellt, er fungiert jedoch auch als Bezeichnung für eine kulturelle und zivilisatorische' Unterlegenheit.409 Ähnlich wirkt die Bezeichnung pyratae für Nortmanni und Dani zur Zeit der Normanneneinfalle auch in der Folgezeit als Charakteristikum der Dani fort. So spricht Adam über die Sitten der Dänen und ihres Königs Svend Estridson gar von einer mos pyratica.410 Er bezieht die Eigenschaften also durchaus nicht nur auf die dänischen Könige, sondern überträgt sie auch auf die Dani in ihrer Gesamtheit, ohne die Gruppe zu spezifizieren. Zunehmend und auch für Adams Gegenwart gewinnt für die Bewertung der Könige neben den angesprochenen Kriterien die Frage nach dem Verhältnis zum Hamburger -

Blauzahn z. B. II, 25, S. 83f. u. 28, S. 88. I, 52, S. 53: Tanti autem reges, immo tyranni Danorum, utrum simul aliqui regnaverint, an alter post alterum brevi tempore vixerit, incertum est. Nobis hoc scire sufficiat omnes adhuc paganos fuisse, ac in tanta regnorum mutatione vel excurslone barbarorum christianitatem in Dania, quae a sane to

Ansgario plántala est, aliquantulam remansisse,

non

totam

defecisse.

vix possibile credimus nos genus ignavum, quod tecto gaudet I, 42, S. 45: Nunc autem, umbra, ut in tam áspero persecutionis tempore, in tamferoci, quae vix hominem vivit, natione, ...

et

in

remotissima, inquam, ab nostro mundo regione, quisquam vel apostolus auderet accederé. Vgl. oben, Kap. 2.2.1.2.3. (b). Vgl. zu dieser Stelle Hans-Dietrich Kahl, Einige Beobachtungen zum Sprachgebrauch von natio im mittelalterlichen Latein mit Ausblicken auf das neuhochdeutsche Fremdwort „Nation", in: Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter. Ergebnisse der Marburger Rundgespräche 19721975, hg. v. Helmut Beumann u. Werner Schröder (Nationes 1), Sigmaringen 1978, S. 63-108, der S. 77 konstatiert, daß der Begriff natio in der Passage keine politische Einheit bezeichnet. IV, 44, S. 280: Ecce illa ferocissima Danorum sive Nortmannorum aut Sueonum natio, quae iuxta verba beati Gregorii, ,nihil aliud seivit nisi barbarum frendere, tarn dudum novit in Dei laudibus alleluia resonare'; ebd. spricht Adam auch von einem populus pyraticus. Vgl. Gregor der Grobe, Moralia super Job 27,11, Migne PL 76, Spp. 47f. (über die Angelsachsen). Einmal (II, 79, S. 136) verwendet Adam für einen dänischen Ausdruch den Begriff barbarice. Vgl. dazu allg. die oben in Anm. 371 genannte Lit.

tam

II, 75, S. 134.

Adam

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von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

dessen Suprematieanspruch an Bedeutung: Schon die polarisierte zwischen dem christlichen noster Haraldus (Harald Blauzahn) und Gegenüberstellung dem durch Termini wie ferox, crudelitas und perfidia charakterisierten Sven Gabelbart läßt sich keineswegs auf die Kontrastierung von christlich und heidnisch reduzieren. Vielmehr zeichnet Adam von letzterem ein deutlich negatives Bild, weil er sich nicht sofort und uneingeschränkt der Hamburger Obödienz unterordnete.4" Die Zuschreibung des Terminus barbarus im Sinne von ,außerhalb' als im (kaum neutralen) Sinn von ,nicht-christlich' kann also nicht nur als Pendant einer Selbstzuschreibung zur christianitas gelesen werden, sie kann auch mit der Zuschreibung zum Erzbistum korrelieren. In diesem Zusammenhang ist es auffällig, daß mit der Durchsetzung des Christentums nicht etwa ein Ende der Negativbewertungen verbunden ist, denn gerade zur Abfassungszeit erhielt in Adams Perspektive, wie oben herausgestellt wurde, das Problem der Selbständigkeitsbestrebungen in der Dania eine erstrangige Bedeutung. So bleibt, bei allen Fortschritten der Mission, die Darstellung der Dani ambivalent. Deutlich wird dies auch in der Darstellung Svend Estridsons, den Adam nach eigener Aussage schon bald nach seiner Ankunft in Bremen besuchte412 und dessen Amtszeit sich mit derjenigen Erzbischof Adalberts überschnitt. Adam nennt Svend nicht nur häufig als Zeugen, sondern berichtet auch über dessen Verhältnis zu Adalbert: Nach anfänglichen Schwierigkeiten Adalbert hatte der Rechtmäßigkeit der Ehe Svends mit einer zu nahen Verwandten widersprochen413 gestaltete sich das Verhältnis positiv. Ausdrücklich lobt der Chronist den König für die Ausbreitung des Christentums und seine zahlreichen Tugenden, allerdings verurteilt er, daß Svend keine Enthaltsamkeit gegenüber Frauen geübt habe. Und dies, so fügt er in einem Scholion hinzu, sei nicht eigentlich seine Schuld, handele es sich doch um ein Laster der gesamten gens.4'4 Die Zuschreibung dieser Charakteristika, die Ausdruck Adams christlicher Tugendvorstellungen ist, bildet auch in ihrer Verallgemeinerung keinen Einzelfall: Auch seine Beschreibung von pyratae, nämlich Wichingi oder Ascomanni, die keinerlei fides untereinander kennten und in Ermangelung von misericordia Gefangene verkauften, steht zunächst im Zusammenhang mit der Darstellung Seelands;415 allerdings geht sie sodann auf in einem Bericht über weitere leges und mores der Dani insgesamt, die im Widerspruch zu dem stünden, was aequm bonumque sei.416 Darunter fällt etwa der Verkauf von Ehebrecherinnen oder die in Dänemark als ruhmreich geltende Freude bei der Hinnahme von Todesurteilen, während dagegen die Reuezeichen, die „wir für heilsam halErzbistum und

zu

-

-

II, 29, S. 90f. Zur Darstellung Sven Gabelbarts bei Adam vgl. die Analyse Peter Sawyers, Swein Forkbeard, S. 27-40, der auch aufzeigt, wie erfolgreich sich das von Adam gezeichnete Bild 412 413 414

415

416

Svens bis in die Geschichtsschreibung des 20. Jh. hinein hielt. III, 54, S. 198. III, 12, S. 152f. III, 21, S. 164: gula de mulieribus, quae vitia naturalia sunt Ulis gentibus (wohl mit Bezug auf die nordischen gentes insgesamt); schol. 72, ebd.: rex Danorum sola mulierum incontinentia laboravit, non tarnen sponte, ut arbitror, sed vitio gentis. Vgl. a. III, 74, S. 221: in gula vel mulieribus enormiter omnes excedunt. Zum Lob Svends vgl. bes. III, 54, S. 198: Christianitas ab illo Suein rege in exteras nationes longe lateque diffusa est. Et cum multis virtutibus polieret, sola aegrotavit luxuria. IV, 6, S. 233. Ebd.: Et multa quidem alia tarn in legibus tarn in moribus aequo bonoque contraria Dani habent.

109

Die Fremdzuschreibungen

ten", von den Dänen derart verachtet würden, daß niemand über seine Sünden oder den Tod Nahestehender weinen dürfe.417 Die mores, die Adam hier den Dani zuschreibt, indem er von Einzelfällen auf die Dänen in ihrer Gesamtheit abstrahiert, sind unverein-

bar mit denen einer (idealisiert gedachten) christianitas. Und erst die Christianisierung bewirkt in Adams Auffassung denn auch einen Wandel des naturalis furor.418 Adam konstruiert die Identität der Dani auch durch andere Sitten, Verhaltensweisen und Eigenschaften. Grundsätzlich betrachtet er auch diese vor der Folie des Christentums, jedoch enthalten die Darstellungen durchaus auch andere Aspekte: Als mos inter barbaros gilt ihm etwa die Ausrichtung von Gelagen zur Besiegelung von Bündnissen419 und die Erbregelung nach dem Tod König Knuts, als das regnum gleichberechtigt zwischen sowohl den legitimen als auch den illegitimen Söhnen aufgeteilt wurde;420 und die Austragung von Kämpfen zur See, die zwischen dem dänischen und norwegischen König üblicherweise zwischen der Sconia und Seland stattfanden, bezeichnet er als typische Kampfart der gesamnten gens (der Dani und Sueones).™ Adam beschreibt demnach auch solches, was ihm aus dem deutschen regnum oder aus der Saxonia unvertraut ist und was er deshalb auch in verallgemeinerter Form als charakteristische Eigenart der Dänen und ihrer Könige ansieht. Stehen die Gelage, die zur luxuria gerechnet werden können, und die andersartige Erbteilung im Widerspruch zu Vorstellungen innerhalb der christianitas, so scheint die Darstellung der Seekämpfe als Charakteristikum der skandinavischen Völkerschaften hiervon losgelöst betrachtet werden zu können. Ausgerechnet hier gebraucht der Chronist den Terminus barbarus nicht. Wie er den Begriff pyratae auch nach den Normanneneinfàllen auf die Dani anwenden kann, weil er längst zum Stereotyp geworden ist, so bleibt auch die Vorstellung von den typischerweise zur See kämpfenden Völkerschaften des Nordens erhalten.422 Chronist Neben diesen allgemeineren Angaben über leges und mores wendet sich der auch dem Zustand der dänischen Kirche zu, für die er in seiner Gegenwart vor allem eines konstatiert: Reformbedürftigkeit. Bischöfe verkauften Segnungen, die populi verweigerten die Zehntzahlungen, und alle seien maßlos im Umgang mit dem Trinken und mit den Frauen. Diese Kritik erwähnt Adam im Zusammenhang mit Adalberts Synodenplan, und er untersützt sie durch die Insertion eines päpstlichen Schreibens, in dem Alexander II. zum Gehorsam gegenüber dem Hamburger Erzbischof aufruft.423 Darüber hinaus erwähnt er den Kauf von Taufen und Firmungen, Altar- und Priester-

418

Ebd., S. 234: Nam lacrimas et planctum ceteraque genera censemus, ita abhominantur Dani, ut nec pro peccatis suis

420 421 422 423

quae

nos

salubria

IV, 44, S. 280: patria illa horribilis certatim admittit, destructisque demonum aris ecclesiae passim eriguntur, et nomen Christi communi ab omnibus effertur preconio (mit Bezug auf die nordischen Völkerschaften insgesamt). zw. der venerado Vgl. a. schol. 144, S. 265 zur sepultura paganorum. Adam zieht eine Parallele der Heiden gegenüber Gräbern u. Leichenfeiern, die der mos antiquorum Romanorum gleiche u. auch von den Indi berichtet werde. III, 18, S. 161. 11,74, S. 134. II, 30, S. 91 u. 40, S. 100. Allerdings wendet er den Barbarenbegriff an anderen Stellen gerade auf die heidn. Normannen, die pyratae, an. Vgl. z. B. I, 30, S. 35 u. 38, S. 40f. Vgl. III, 74, S. 221 u. 75, S. 221 f. (das Schreiben, das Adam daraufhin zitiert). ...

419

compunctionis,

ulliflere liceat nec pro caris defunctis. deposito iam natural i furore predicatores veritatis ubique

Adam

110

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

weihen sowie selbst von Totenbestattungen bei Dänen und Norwegern.424 Die Begründung, die der Chronist für diese Mißstände gibt, mutet zunächst seltsam an: Schuld sei die sacerdotum avaricia, denn da die barbari keinen Zehnten zahlen „können oder wollen", würden sie in anderen Fällen zu Abgaben herangezogen, und er, Adam, halte es für sicher, daß die trefflichen mores nur durch die Habsucht der Priester verdorben würden.425 Man könnte sich hier fragen, warum Adam die trefflichen mores, jedenfalls soweit es die Dani betrifft, sonst gar nicht thematisiert, und auch, warum er die sacerdotes kritisiert, deren Weihen durch die Hamburger Erzbischöfe er ja immer wieder in den Vordergrund rückt. Es ist möglich, daß er hier diejenigen Priester und Bischöfe kritisiert, die auf Initiative dänischer Könige aus der Anglia kamen: Von Erzbischof Unwan berichtet Adam gar, er habe einen solchen Bischof solange festgehalten, bis dieser die Hamburger Obödienz anerkannte.426 Mit der Hervorhebung der avaritia, der Eigenschaft also, die Adam auch den sächsischen Herzögen zuschreibt, und der Behauptung eines falschen Umgangs mit christlichen Gepflogenheiten, die in der Feststellung einer allgemeinen Reformbedürftigkeit der dänischen Kirche kulminiert, propagiert der Geschichtsschreiber hier einmal mehr die Notwendigkeit, die nostra fides auszubreiten, und diese konnte in Adams Terminologie eben nicht nur den christlichen Glauben, sondern den vom Erzbistum aus durch die Entsendung von Priestern und Bischöfen vermittelten christlichen Glauben meinen.427 So manifestiert sich in der Zuschreibung einer unchristlichen Lebensweise der Dänen und einer Reformbedürftigkeit ihrer Kirche nicht nur der Zusammenhang zwischen dem Eigenen und dem Fremden auf allgemeiner Ebene. Vielmehr wird deutlich, daß auch die Darstellung der Dänen wesentlich auf Faktoren wie den zur Abfassungszeit umstrittenen Missionsanspruch des Erzbistums und damit eng zusammenhängende causae scribendi der Chronik zurückgeführt werden kann. Es tritt deutlich zutage, daß die Dani zur Abfassungszeit nur schwer in den Bereich der Hamburger Obödienz zu integrieren sind. Die Zuschreibung von Fremdheit erfolgt in erster Linie auf religiöser Ebene, sie ist aber auch, wenngleich schwächer, verbunden mit der Attribution unvertrauter, als typisch barbarisch gekennzeichneter Aspekte wie der Sprache und solcher Verhaltensweisen, die eine kulturell-,zivilisatorische' Grenze in den Blick rücken.

2.3.5. Der alter mundus

angesprochene räumliche Zwischenposition der Dania und ihre Kennzeichnung als Verbindungsraum auf Reisen in die Regionen trans Daniam machen es notwendig, im folgenden das Augenmerk auf die Frage zu legen, ob Adam nicht nur den Gebieten hinter Dänemark eine größere räumliche Entfernung zuschreibt, sondern auch deren Bewohnern ein größeres Maß an Fremdheit. Denn es scheint aufgrund der möglichen Die

IV, 31, S. 264f.

Quod ex avaritia sacerdotum prodisse arbitror; quia barbari decimas adhuc dare aut nesciunt aut nolunt, ideo constringuntur in ceteris, quae deberent gratis offerri. (...) Apud illos igitur tanta morum insignia, ut compertum habeo, sola sacerdotum corrumpuntur avaricia. II, 55, S. 115f; vgl. dazu Abrams, S. 227. Vgl. oben, Kap. 2.2.1.2.3. (a) Ebd.:

111

Die Fremdzuschreibungen

Korrelation von räumlicher Distanz und zunehmender Fremdheit, die in der Forschung konstatiert worden ist, denkbar, daß der Dania nicht nur eine geographische Zwischenstellung zugeschrieben wird, sondern auch eine kulturelle, religiöse oder ethnische. Bereits die erheblichen Unterschiede in bezug auf das Stadium der Mission in den einzelnen Regionen hinter Dänemark und den Grad der Informationen über diese Gebiete Adams Wissen -, legen die Möglichkeit nahe, daß Fremdheit in unterschiedlichem Ausmaß zugeschrieben wird. Vor dem Hintergrund einer möglichen Zwischenstellung der Dania ist es auffällig, daß Adam eine zunehmende räumliche Distanz ganz explizit mit solchen Aspekten verknüpft, die in der Forschung geradezu als konstitutiv für die Zuschreibung fremd' angesehen werden. Auf einer Reise führt er den Leser in den geographischen Raum, der hinter der Dania liegt: Transeuntibus ínsulas Danorum alter mundus aperitur in Sueoniam vel Nortmanniam, quae sunt duo latissima regna aquilonis et nostro orbi adhuc fere incognita.42% Hier werden zwei Welten einander gegenübergestellt: Die Sueonia -

,

und das als Nortmannia bezeichnete Norwegen sind in diesem Satz als räumlich hinter den dänischen Inseln liegend gekennzeichnet. Zudem werden diese Regionen als ein alter mundus von einem noster orbis abgegrenzt. Es ist nicht leicht zu bestimmen, was hier unter noster orbis zu verstehen ist, und man sollte sich vor raschen, aus moderner Sicht naheliegenden Paraphrasierungen hüten, etwa vor Gegenüberstellungen von ,dem christlichen Europa' und ,dem heidnischen Norden'; immerhin jedoch drückt Adam hier explizit durch das alter eine Differenz der Sueonia und Nortmannia zu einem mundus aus, dem er sich zuschreibt.429 Zwar konkretisiert er hier noch nicht einzelne Merkmale der Differenzierung, die er erst später nennt und auf die noch einzugehen ist, allerdings enthält der zitierte Satz im Begrifffere incognita bereits einen Aspekt, dem für die Bestimmung des Terminus ,fremd' nach Meinung der Forschung überaus zentrale Bedeutung zukommt: dem der ,Unbekanntheit' in diesem Fall genauer der ,Fast-Unbekanntheit' im noster orbis.430 Es mag daher um so mehr überraschen, daß Adam hier mit dem Begriff alter einen Terminus verwendet, dessen Bedeutungsgehalt nicht unbedingt mit dem von ,fremd' gleichgesetzt werden kann, sondern zunächst einmal mit dem von ,anders': Es ist, jedenfalls nach diesem Satz, keine explizit fremde, sondern eine andere Welt, in die der Chronist den Leser nach der Durchquerung der dänischen Inseln führt. Dennoch ist hervorzuheben, daß die räumliche Entfernung vom noster orbis mit einer (nicht spezifizierten) Andersartigkeit korreliert, in der sich Differenz ausdrückt. So wird hier einerseits die Gefahr deutlich, einen modernen Fremdheitsbegriff vorschnell auf das Mittelalter zu übertragen. Andererseits darf das Zitat, das am Eingang der Darstellungen von Sueonia, Nortmannia und anderen Gebieten steht, nicht losgelöst vom Kontext betrachtet werden, und so ist im folgenden darauf einzugehen, wie Adam diesen alter mundus und seine Bewohner beschreibt und inwiefern er die hier konstatierte Differenz möglicherweise in Zuschreibungen von

(Schweden)

-

IV, 21, S. 250. Richard Wisser, Von der Unumgänglichkeit des Nicht-Anderen für alle Arten des Anderen, in: Das Fremde Aneignung und Ausgrenzung, S. 163-191, weist S. 166 darauf hin, daß der

Begriff alter immer schon die Differenz zu einem ursprünglich positiven „al" ausdrückt. Adam schreibt nicht incognita, sondern fere incognita, er nennt die Regionen also keineswegs (gänzlich) unbekannt oder unvertraut. -

112

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

Fremdheit konkretisiert. Bevor jedoch im folgenden auf Adams Darstellung der Sueones und der Nortmanni eingegangen wird, da Schweden und Norweger auch im vierten Buch nacheinander behandelt und keineswegs gleich charakterisiert werden, sei vorab kurz auf grundsätzliche Gemeinsamkeiten in der Darstellung beider Völkerschaften hingewiesen: Zuweilen nennt der Chronist Schweden und Norweger in Aufzählungen direkt hintereinander, vor allem dann, wenn er ihre auch im Vergleich zur Dania größere räumliche Entfernung von Hamburg-Bremen und Sachsen aus anspricht.431 Dem räumlichen Aspekt der geographischen Entfernung kommt demnach eine immense Bedeutung zu. Sowohl Schwedens als auch Norwegens Lage wird dabei nicht nur an der Dania gemessen, sondern sie kommt auch in der Bezeichnung transmarina zum Ausdruck,432 und Adam hebt positiv hervor, wenn Prediger und Bischöfe ihren Missionsbereich „sogar bis Norwegen und Schweden" ausweiteten.433 Einen ganz wesentlichen Unterschied zur Dania bildet der weitaus geringere Stand der Bistumsorganisation bei Nortmanni und Sueones, der auch Auswirkungen auf den Verlauf der Mission hat: Denn aufgrund der erst kürzlich erfolgten Christianisierung seien noch keine Bistümer mit festen Grenzen errichtet worden, so daß die Bischöfe gemeinsam am Aufbau der Kirche arbeiteten, umherreisten und so viele Heiden wie möglich zum Christentum bekehrten. Norwegen und Schweden werden in dieser Passage, die den Aspekt der Mission betrifft, als eine regio bezeich-

net.434

Allerdings werden Schweden und Norwegen auch Gemeinsamkeiten mit Dänemark zugeschrieben: Wie letzteres bilden auch diese Regionen in allererster Linie einen Bestandteil des Missionssprengeis, und Adam kann Dänen, Norweger und Schweden, wie gesehen, sogar als eine ferocissima natio bezeichnen.435 Deutlich drückt sich hier die Betrachtung der skandinavischen Völkerschaften als ein großes Missionsvolk aus. Auch auf Schweden und Norweger bezieht Adam den alten erzbischöfliche Missionsanspruch, auch für diese Regionen erwähnt er Bischofsweihen Hamburger Erzbischöfe, und Schweden wie Norwegen bildeten ebenfalls ein Ziel in Adalberts Reiseplanungen.436 Ganz wesentlich geht es Adam also auch im Falle Schwedens und Norwegens um eine Einordnung, weil diese Regionen zum beanspruchten Missionsraum gehören, ja ganz explizit gibt er dies als Begründung für seine Beschreibung im vierten Buch an.437

Im Zusammenhang mit Adams Wissen fällt im Hinblick auf die angesprochene Zwischenposition der Dania auf, daß dem dänischen König Svend Estridson geradezu eine

Vgl. z. B. II, 26, S. 85: trans Daniam per Nortmanniam et Suediam. Vgl. z. B. ebd., S. 86 (transmarina hoc est in Sueonia vel Nordwegia) sowie II, 3, S. 63. II, 36, S. 97: Qui etiam in Norvegiam et Suediam progressi populum multum Iesu Christo collegerunt. IV, 34, S. 269: Inter Nortmannos tarnen et Sueones propter novellam plantationem christianitatis adhuc nulli episcopatus certo limite sunt designati, sed unusquisque episcoporum a rege vel populo assumptus communiter aedificant ecclesiam, et circueuntes regionem, quantos possunt, ad christianitatem trahunt eosque gubernant sine invidia, quandiu vivunt. Vgl. oben, Anm. 408. Vgl. z. B. I, 16, S. 22f.; 27, S. 33; III, 17, S. 160 u. schol. 69, S. 160f. Vgl. IV, 43, S. 279. ...

113

Die Fremdzuschreibungen

Vermittlerftinktion als besonders häufig genannter Zeuge für die Geschichte der nordischen Völkerschaften zukommt.438 Denn Svend kannte, wie Adam hervorzuheben bemüht ist, „die Überlieferung der Barbaren, als wäre sie schriftlich niedergelegt."439 Die barbari sind schriftlose Völkerschaften, und so zeigt sich in diesem Satz auch eine Grenzziehung Adams in kultureller Hinsicht, welche die eigene Überlegenheit akzentuiert.440 Es bedarf der Befragung eines als kenntnisreich charakterisierten dänischen Königs der an anderen Stellen jedoch ebenso wie sein ,Volk' unter die barbari gerechnet werden kann -, um zu einem Wissen über die slawischen und nordischen Völkerschaften zu gelangen.441 So fungiert hier der dänische König als Wissensvermittler zwischen dem alter mundus und dem noster orbis. Dies ist die vorrangige Funktion des Zeugen Svend Estridson in der Chronik und zwar, wie angesichts der Forschungssituation hervorzuheben ist -, unabhängig davon, ob der König diese Aussagen jemals so -

-

tätigte.442

2.3.5.1. Sueonia, Sueones und die monstra am Ende der Welt

Untersuchungen haben sich mit den Begriffen beschäftigt, die Adam zur Bezeichnung Schwedens und der Schweden verwendet.443 Im Text leicht nachzuweisen und daher unumstritten sind die Beobachtungen Rudolf BÜCHNERS, daß Adam das Gebiet und seine Bewohner an manchen Stellen als Einheit betrachtet, an anderen dagegen von einer Vielheit ausgeht: So kann er von Schweden als einheitlichem regnum sprechen, von einer Sueonum gens oder einem Sueonum populus und auch unter der Sueonia ein einheitliches, an Dänemark und Norwegen grenzendes Gebiet verstehen.444 Demgegenüber kann er jedoch ebenso zwischen verschiedenen Sueonum populi differenzieren, und die Gothia (Gotland) beispielsweise wird zuweilen von der Sueonia umfaßt, an anderen Stellen jedoch von ihr ausgeschlossen.445 Vor allem in der schwedischen Forschung wurde diskutiert, aus welchen Gründen Adam unterschiedliche Bereits mehrere

438 459

440 441

444 445

Vgl. etwa I, 61, S. 59; II, 26, S. 86; 30, S. 92 sowie III, 23, S.

166.

II, 43, S. 103: Narravit nobis diu memorandus rex Danorum et qui omnes barbarorum gestas res in memoria tenuit, ac si scriptae essent.

Zur Kennzeichnung der Heiden als Unwissende vgl. a. unten, Kap. 2.3.5.2. Svend ,berichtet' keineswegs nur über Dänemark, sondern über alle nordischen Völkerschaften. Daher ist in der zit. Stelle der Ausdruck barbari auch auf diese in ihrer Gesamtheit zu beziehen. Im Anschluß an die Passage etwa schließt sich ein Bericht über Slawen an, in dem Adam den Kg. als Zeugen anführt. Die Forschung ist in bezug auf Adams zahlreiche ,Zitate' des Dänenkönigs bislang lediglich zu der Feststellung gelangt, daß der Chronist eigenständig mit den Angaben Svends umgegangen sei und die zum Teil wörtlich .wiedergegebenen' Aussagen so vielleicht doch nicht getätigt wurden. Vgl. etwa Nyberg, Skandinavien, S. 26 u. Trommer, S. 223-227. Dabei ist die hier skizzierte Funktion des Zeugen für die Darstellung gar nicht erkannt worden. Vgl. Tore Nyberg, in: Adam av Bremen, bes. S. 313f.; Hallencreutz; Sten Körner, Schweden in frühmittelalterlichen Quellen, in: Mare Balticum. Beiträge zur Geschichte des Ostseeraums in Mittelalter und Neuzeit. FS z. 65. Geb. v. Erich Hoffmann, hg. v. Werner Paravicini (KHS 36), Sigmaringen 1992, S. 53-59, hier S. 55-57 u. Buchner, Vorstellungswelt, S. 39f. Vgl. dazu Buchner, ebd., S. 39 mit den Nachweisen in Anm. 72f. Vgl. dazu ebd., S. 39f. mit den Nachweisen S. 40 Anm. 74.

114

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

Begriffe, nämlich Suedia und Sueonia (sowie seltener Suevonia und Suigia), zur Bezeichnung der Region verwendet:446 Glaubten Tore NYBERG und Carl. F. HALLENCREUTZ, die Differenzen in Adams Begriffsgebrauch (wenn auch auf unterschiedliche Weise) begründen zu können,447 so sprach sich Sten KÖRNER gegen die Ansicht von einem generell verschiedenen Bedeutungsgehalt der Termini Sueonia und Suedia in der Kirchengeschichte aus.448 Und in der Tat scheinen die Erklärungsangebote der Forschung nicht restlos stichhaltig: Fast für jedes Beispiel läßt sich ein Gegenbeispiel finden, und so muß die Beantwortung der Frage nach einer bewußten Unterscheidung der Begriffe letztlich offen bleiben.449 Indes herrscht Konsens hinsichtlich der Auffassung, daß Adams ausschließliche Verwendung des Terminus Sueonia im ersten Buch durch RlMBERTs Vita Anskarii beeinflußt wurde: Ausgehend von Rimberts Begriff für das Gebiet (partes Sueonum) und seine Bewohner (Sueones) bildet Adam den Terminus Sueonia.450 KÖRNER hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Bezeichnungen für Schweden in kontinentaleuropäischen Quellen des 9. bis 12. Jahrhunderts Veränderungen unterliegen, die mit der politischen Entwicklung Schwedens zeitlich korrelieren. So spiegelt sich in den unterschiedlichen Begriffen möglicherweise auch die politische Veränderung der Region wider, die von einem „lose zusammengehaltenen Siedlungsgebiet, in dem die ,suoenes' wohnen" (bei Rimbert), „zu einem Reich im eigentlichen Sinne, ,Suedia' genannt" (bei Helmold von Bosau), führt.451 In dieser längsschnittartigen Perspektive nimmt Adam mit der Verwendung beider Termini, Sueonia und Suedia, eine Zwischenstellung ein, die ihr auch chronologisch zukommt.452 Adams Interesse an der Sueonia ist grundsätzlich von denselben Aspekten geleitet wie dasjenige an der Dania. Zunächst geht es dem Chronisten um eine kurze räumliche Einordnung, die er später genauer ausführt.453 Hier wird im Unterschied zur Darstellung der Dania deutlich, daß er sich auch auf antike Autoren beruft, deren Aussagen er zudem mit zeitgenössischen in Einklang zu bringen versucht: So geht er etwa von Angaben des SOLINUS und des OROSIUS aus, welche die Suevi als Bewohner des größten Teils der Germania bezeichnen, der sich bis an die Ripheischen Berge hinzöge,454 Eine Auflistung aller einzelnen Textstellen mit den unterschiedl. Begriffen bei Körner, S. 56. Nyberg, in: Adam av Bremen, S. 313f. unterscheidet zw. Suedia als Bezeichnung für ein konkreteres Gebiet, dessen Größe u. Ausdehnung Adam kannte, sowie Sueonia als übergeordnetem Begriff, der jene Regionen umfaßt, aus denen die Teilnehmer der regelmäßigen Versammlungen

in Uppsala kamen. Hallencreutz differenziert zw. einer christl. konnotierten Suedia innerhalb einer größeren „traditional nordic society", der Sueonia (S. 32), auf die sich auch die Interessen des Hamburger Erzbistums richteten. Körner, S. 58. Sie hängt nicht unwesentlich davon ab, wieviel Gewicht man der (allerdings einzigen) Stelle im Werk einräumt, an welcher der Geschichtsschreiber die beiden Termini offenkundig synonym gebraucht; vgl. IV, 25, S. 256: Igitur ut brevem Sueoniae vel Suediae descriptionemfaciamus. Körner, S. 55. Ebd., S. 59 weist Körner auch auf parallele Entwicklungen im Gebrauch des Terminus Nortmanni hin; vgl. dazu unten, Kap. 2.3.5.2. Vgl. zur polit. Entwicklung Schwedens z. B. Birgit u. Peter Sawyer, Medieval Scandinavia, S. 58-61. IV, 21, S. 250-252 u. 23-25, S. 253-257. IV, 21, S. 250f. Vgl. Solinus 31, 6, S. 137 u. Orosius I, 2, 53, S. 2lf.

Die Fremdzuschreibungen

115

und auch bei Adam grenzt die Sueonia an das Gebirge, welches traditionell das Weltende markiert.455 Der Chronist unterscheidet aber auch zwischen einzelnen populi Suediae, und ihre Aufzählungen folgen streng der Strukturierung des geographischen Raumes von Südwest nach Nordost: Er fängt mit den Gothi occidentales an, die proximi ad nos wohnen und der Sconia (Schonen) benachbart sind, und nähert sich in der Nennung der Wermilanos (Värmländer) und Scritefingi (Schreitefinnen) dem Ripheischen Gebirge.456 Die bereits christianisierten Goten, Värmländer und Teile der Schreitefinnen kontrastiert er mit monstruosi hominum greges, die er in den Ripheischen Bergen lokalisiert und auf die unten noch einzugehen ist.457 Die monstra, wie Adam diese Völkerschaften auch nennt, sind in einem durch Kälte und Schneemassen als lebensfeindlich charakterisierten Raum angesiedelt.458 Zwar zählt Adam die monstra nicht explizit zu den Sueones, er stellt sie jedoch im Zusammenhang mit ihnen dar, weil sie ihre östlichen Nachbarn sind. So korrespondiert mit der zunehmenden räumlichen Distanz vom Abfassungsort der Chronik eine steigende Lebensfeindlichkeit des Klimas. Es wird noch zu zeigen sein, daß dies keineswegs der einzige Aspekt ist, mit dem Adam diese Regionen und ihre Bewohner kennzeichnet; hier ist zunächst einmal festzuhalten, daß zumindest die Gebiete im Osten Schwedens durch eine große räumliche Distanz und unvertraute klimatische Bedingungen charakterisiert werden, die als Merkmale des alter

mundus zu werten sind. Die Darstellung der Sueonia zeichnet sich zudem durch weitere Charakteristika aus, die es von anderen Regionen unterscheidet: So stellt Adam verallgemeinernd fest, das Land sei fruchtbarer als alle anderen, und überall gebe es „fremdartige Waren".459 Auch schreibt er den Schweden eine ganze Reihe von Verhaltensweisen und Eigenschaften zu. Er führt negativ bewertete Sitten an, wie den maßlosen Umgang mit Frauen,460 erwähnt aber auch positive, etwa die geringe Achtung von Gold, Rossen und Pelzen.461 Diesen Zuschreibungen kommt deutlich eine Spiegelfunktion zu: Denn die Schweden verhalten sich nach der Darstellung entgegengesetzt zu Gemeinschaften, denen sich Adam selbst zuschreibt und deren Verhalten er durch den Begriff superbia charakterisiert.462 Von christlichen Tugendidealen ausgehend, schreibt er den Schweden auch weitere bona in moribus zu: Zwar zeichneten sich alle Yperborei4" durch Gastfreund-

IV, 21, S. 250f. Vgl. oben, Kap. 2.3.1., Anm. 316f. Vgl. IV, 23-25, S. 253-257. IV, 25, S. 256. Ebd.; vgl. oben, Anm. 317. IV, 21, S. 251 : peregrinis mercibus omnis regio plena. Ebd.: In sola mulierum copula modum nesciunt; quisque secundum facultatem suarum virium duas aut tres et amplius simul habet; divites et principes absque numero. Ebd.: Omnia enim instrumenta vanae gloriae, hoc est aurum, argentum, sonipedes regios, pelles vel marturum, quae nos ammiratione sui dementes faciunt. Ebd.: Ita nullis egere dicas Sueones opibus excepta, quam nos diligimus sive potius adoramus,

castorum

superbia.

Adam verwendet hier die Sammelbezeichnung der Romani, die dem Terminus fränkischer Geschichtsschreiber Nortmanni gleiche, unter der wiederum Dani, Sueones u. die dahinter liegenden Völkerschaften zu zählen seien. Vgl. zu Yperborei z. B. IV, 12, S. 241 (mit Bezug auf Martianus Capella VI, 664f, S. 329f. u. 693, S. 344) u. schol. 130, S. 250.

Adam

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von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

schaff aus, besonders jedoch nostri Sueones.464 Es handelt sich bei der Zuschreibung der hospitalitas um einen Topos,465 jedoch sollte diese Tatsache gerade nicht dazu führen, der Passage inhaltliche Bedeutung abzusprechen. Für die hier vorliegende Arbeit ist nicht die Frage nach einer tatsächlichen Gastfreundschaft der Schweden entscheidend, sondern vielmehr einerseits die Tatsache, daß Adam ihnen als Bewohnern des alter mundus Gastfreundschaft zuschreibt und die Frage nach den Gründen dafür. Einem Topos kommt vor allem eine argumentative Funktion zu,466 und Adam verwendet, wie hier vorgeschlagen werden soll, die Gastfreundschaft als ein Argument, und zwar eigenständig und bewußt, weil er es funktional in seinen Text einbindet: Er nutzt die Zuschreibung der hospitalitas zur Propagierung einer Fortführung der Mission unter dem Adressaten Liemar, indem er direkt im Anschluß an den Hinweis auf die Gastfreundschaft erwähnt, daß die Sueones den Missionaren, solange sie „zuchtvoll, klug und tauglich" sind, mit herzlicher Liebe begegneten.467 Es handelt sich hier also keineswegs um die unreflektierte ,Übernahme' eines Topos, sondern zunächst um die Zuschreibung einer Verhaltensweise 1. „besonders unserer Schweden", deren Gastfreundlichkeit sich 2. gegenüber Missionaren zeige, sofern sich 3. diese durch bestimmte Eigenschaften auszeichnen. Einer konkret benannten Gruppe wird hier eine konkrete Verhaltensweise zugeschrieben, welche ausgerechnet durch ihren Topos-Charakter die aktuellen Ziele der Darstellung argumentativ stärkt: Adam wirbt für die Mission, indem er die Sueones durch den Wir-Bezug in den Hamburger Zuständigkeitsbereich integriert, ihre Freundlichkeit gegenüber Predigern betont und, vielleicht direkt an Liemar gerichtet, auch noch Kriterien für die Auswahl zukünftiger Missionare gibt. Die Schweden scheinen sich für eine Bekehrungsarbeit geradezu anzubieten. Aber nicht nur das: Die Entsendung von in Bremen geweihten Bischöfen und Priestern ist für Schweden besonders dringlich, denn Adam propagiert die Zuständigkeit des Erzbistums mit der Aussage, daß sich die Schweden vielleicht durch Gespräche recht leicht von der nostra fides gemeint ist hier die vom Erzbistum aus verbreitete fides überzeugen ließen, wenn sie doch nur nicht von den mali doctores, den Gegnern der Hamburger Suprematieansprüche, verwirrt würden.468 In diesem Kontext müssen die Eigenschaften gesehen werden, die Adam den Schweden zuschreibt. Sie stehen in Relation zu Adams Selbstzuschreibungen, die auch von den oben skizzierten, zur Abfassungszeit aktuellen Auseinandersetzungen um die Suprematieansprüche Hamburgs in Schweden bestimmt -

-

werden.469

Auch die Darstellung der Sueonia ist in erster Linie durch zahlreiche Angaben über die Missionierung, die Zuständigkeit des Hamburger Erzbistums und die Bischofswei-

IV, 21, S. 252: Hospitalitate quamvis omnes Yperborei sint insignes, precipui sunt nostri Sueones. Bereits Rimbert 11, S. 40/42 u. 28, S. 92, um nur einen Autoren zu nennen, der Adams Darstellung beeinflußt haben könnte, erwähnt die freundliche Aufnahme Ansgars durch schwedische

Könige. Vgl. bes. Bornscheuer u. oben, Kap. IV, 21, S. 252: Predicatores

autem

1.4.

m.

Anm. 45f.

veritatis, si casti prudentesque

fovent. Vgl. oben, Kap. 2.2.1.2.3. (a) zur Thematik der Bischofsweihen.

ac

ydonei sunt, ingenti amore

Die Fremdzuschreibungen

117

hen der Erzbischöfe geprägt470 und die Missionsgeschichte durch einen Wechsel von Erfolgen und Rückschlägen gekennzeichnet. Greift Adam für die Anfangszeit der Mission vor allem auf Rimberts Vita Anskarii zurück, deren Angaben er, wie die Forschung festgestellt hat, noch deutlich überhöht,471 so rekurriert er auch auf antike Autoren und bemüht sich wiederum um eine Einordnung des Gelesenen: Er konstatiert, daß manche Autoren Ezechiels Worte über Gog, Magog und die Inselbewohner auf die Gothi beziehen, „die Rom eroberten", gibt jedoch zu bedenken, daß sie auch auf die Gothi Schwedens angewandt werden können, da doch die Gothorum populi in Sueonia herrschten und sich zudem die ganze Region auf Inseln verteile.472 Durch das bereits angesprochene Fehlen fester Bistumsgrenzen drückt sich die Tätigkeit der Missionare in einem stetigen Vordringen in immer tiefere Räume bis zu den Sueones ulteriores aus.473 Trotz der Erfolge berichtet der Chronist auch über einen Bischof, der durch den zelus gentilium aus der Sueonia vertrieben worden sei, und über andere, die das Martyrium erlitten.474 Deutlicher als die Dani sind die Sueones durch ihr Heidentum charakterisiert: Gemeinsam mit den Sclavi übten sich die Sueones noch bis in die Gegenwart im ritus paganicus.475 Es ist jedoch mitzubedenken, daß der Terminus paganus bei Adam nicht immer mit Heide übersetzt werden kann, wie anhand der Darstellung des UppsalaTempels nahegelegt worden ist.476 Die Beschreibung dieses Tempels nimmt einen großen Teil der Darstellung Schwedens in der Descriptio ein. Der Chronist lokalisiert den Tempel in medio Sueoniae und bezeichnet ihn als caput supersticionis barbaricae.477 Uppsala scheint auf den ersten Blick das Zentrum des schwedischen Heidentums und zugleich der Hort heidnischer Reaktionen gegen die erzbischöflichen Missionsversuche darzustellen. Die Forschung hat sich bereits eingehend mit Adams ausführlicher Darstellung des Tempels beschäftigt, in der er über Attribute und Zuständigkeitsbereiche der heidnischen Gottheiten ebenso berichtet wie über die dort vollzogenen Kultrituale.478 Im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit ist zunächst hervorzuheben, daß die Beschreibung des Tempels kaum als Ausdruck eines rein anthropologischen Interesses Adams gewertet werden kann.479 Dies deutet schon eine andere Passage an, in welcher der Chronist die grundZur Mission Schwedens vgl. etwa I, 15, S. 21f.; 40, S. 43f. u. 60-62, S. 58-60; zu Bischofsweihen vgl. etwa II, 49, S. 110 u. III, 73, S. 221. Zum Hintergrund Peter Sawyer, The process of Scandinavian Christianization in the tenth and eleventh centuries, in: The Christianization of Scandinavia, S. 68-87, hier S. 74-78 u. Hallencreutz, S. 19-22. Vgl. zum Umgang Adams mit der Vita Anskarii bes. Trommer, S. 211-218 sowie, konkret für Schweden, Hallencreutz, S. 6-9. I, 26, S. 32. Vgl. Ezech. 39, 6. Daß Schweden fast nur aus Inseln bestehe, geht aus Rimbert 25, S. 86 hervor, der (ebd., S. 86/88) Jes. 49, 1-3; 5-7 u. 55, 5 auf Schweden bezieht. IV, 34, S. 269. I, 21, S. 27. Übertreibungen Adams, vgl. Rimbert 17, S. 52 u. 19, S. 56-64. I, 7, S. 9. Vgl. dazu oben, Kap. 2.3.3. Vgl. oben, Anm. 161. Vgl. bes. IV, 26-28, S. 257-261 u. 30, S. 261-263 (dort auch die Bezeichnung caput supersticionis

barbaricae). Vgl. etwa von Padberg, Geschichtsschreibung, Untersuchung v. Janson. So auch Hallencreutz, S. 28.

S. 161-166; Hallencreutz, S. 27-30 sowie die

Adam

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von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

offenlegt: „So unnütz es meines Erachtens ist, die wäre es, die Errettung von Menschen zu unfromm Taten Ungläubiger zu erforschen, die die den Glauben annahmen und Männer, durch die sie gläubig wurübergehen, Daß die ausführlichen den."480 Beschreibungen Uppsalas weniger als realistische Abbileines heidnischen Tempels zu lesen sind, sondern vielmehr deutlich unter dem dung der Mission erfolgen, geht auch ganz konkret aus dem Bericht hervor: Gesichtspunkt Adam schließt direkt an die Tempelbeschreibung die Erzählung eines Wunders an, das zur Bekehrung eines heidnischen Priesters in Uppsala führte.481 Zudem bewegt dieses Bekehrungswunder (bei Adam) Erzbischof Adalbert unmittelbar zur Errichtung eines neuen Bischofssitzes in Sigtuna.482 In der Forschung hat diese Einbettung der Uppsalabeschreibung in den Kontext von Mission und Bistumsorganisation bereits Beachtung gefunden, und es ist auch darauf hingewiesen worden, daß in dem Bericht Abgrenzungen zwischen dem christlichen Monotheismus und einem heidnischen Polytheismus enthalten sind, die darüber Auskunft geben, daß Adam eigene Vorstellungen, die sich in der Zuschreibung zur christianitas äußern, mit fremden, heidnischen Auffassungen kontrastiert.483 Jedoch ist zusätzlich hervorzuheben, daß Adam an die Erwähnung Sigtunas wiederum unmittelbar Reisewege von Schonen aus anführt, die auch diesen Ort für den Leser in einer bestimmten, von Adam angegebenen Reisezeit erreichbar werden lassen.484 Zudem sind auch die vermeintlich geographischen' Angaben auffällig: Sigtuna sei wie auch das mittlerweile verwüstete Birka eine Tagesreise von Uppsala entfernt:485 Sowohl der neu gegründete Bischofssitz Sigtuna als auch der allererste der Hamburger Mission, Birka, werden also unweit Uppsalas verortet, ja die Lage Birkas wird sogar an anderer Stelle gleich derjenigen Uppsalas mit in medio Suevoniae angegeben.486 Die Ortsangabe für Uppsala (und für Birka) ist wohl kaum rein geographisch zu verstehen, sondern vielmehr in erster Linie religiös konnotiert, schließlich bildet der Tempel das caput supersticionis barbaricae, und Birka sowie Sigtuna sind, zu unterschiedlichen Zeiten, Mittelpunkte der Hamburger Missionsbemühungen. In medio Sueoniae scheinen also Christentum und Heidentum direkt aufeinander zu treffen, jedenfalls könnte man die Passagen in der Hamburgischen Kirchengeschichte so lesen. Allerdings legen jüngere Arbeiten eine andere Lesart der Uppsala-Beschreibung nahe, indem sie davon ausgehen, daß Adam zuweilen nicht so sehr Christen von NichtChristen abgrenzt, sondern eher solche Christen, die den Hamburger Suprematieanspruch anerkannten, von jenen, die ihn ablehnten und zwar ohne immer zwischen diesen Gegensätzlichen Kriterien für sein Interesse so

-

autem arbitratu, sicut inutile videtur eorum acta scrutari, qui non crediderunt, preteriré salutem eorum, qui primum crediderunt, et per quos crediderunt. Vgl. dazu Theuerkauf, Hamburgische Kirchengeschichte, S. 129f. u. von Padberg, Geschichts-

I, 61, S. 59: Meo ita

impium

est

schreibung, S.

162.

IV, 28, S. 260f. IV, 29, S. 261: Errichtung des Bischofssitzes in Sigtuna u. Weihe Adalwards d.J. durch Adalbert. Vgl. von Padberg, Geschichtsschreibung, bes. S. 164f. IV, 29, S. 261. Adam gibt die Reisedauer von Schonen aus zu Land und zur See mit fünf Tagen bzw. einem Monat an. Vgl. IV, 26, S. 257 (geringe Entfernung v. Uppsala nach Sigtuna); schol. 142, S. 262 Birka:) nunc in solitudinem redacta est, ita ut vestigia civitatis vix appareant. I, 60, S. 58. Zudem sei Birka sei non longe ab eo templo, Ubsola dicto. ...

(über

Die Fremdzuschreibungen

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satzpaaren begrifflich zu unterscheiden.487 Ähnlich ist in bezug auf die Beschreibung des Uppsala-Tempels die These vertreten worden, daß Adam hier nicht nur das Heidentum der Sueones kritisiert, sondern zudem eine christliche Gemeinschaft in Uppsala, welche sich gegen die Obödienz des Erzbistums wehrte. Ihr stand der von Adam als „kopflos" und „Herumtreiber" bezeichnete Bischof Osmund vor, der die Schweden durch die Unterweisung im falschen Glauben verwirrte, der die erzbischöflichen Ansprüche nicht anerkannte und sogar den schwedischen König Emund davon überzeugte, den von Hamburger Erzbischof geweihten Bischof zurückzuschicken.488 Schweden zeichnet sich in der Darstellung Adams insgesamt durch eine im Vergleich zu anderen Gebieten, beispielsweise der Dania, größere Labilität im Hinblick auf den Stand des Christentums aus, wie etwa in der bereits erwähnten Passage zum Ausdruck kommt, daß der Rückfall aller missionierten Bewohner ins Heidentum drohe, wenn man den Uppsala-Tempel zerstöre.489 Die Zuschreibungen einer fremden Religion und fremder Kultpraktiken, welche die Darstellungen der Schweden insgesamt kennzeichnen und welche im Bericht über Uppsala kulminieren, korrelieren mit Adams Zuschreibungen zur christianitas. Zudem konstatiert der Chronist jedoch auch vor allem in Schweden Gegner der Hamburger Obödienz, von denen er sich deutlich abgrenzt. Daher müssen die Darstellungen der Schweden auch in Relation zu den Zuschreibungen zur Institution des Erzbistums gesehen werden. Allerdings kennzeichnet der Chronist den alter mundus nicht nur durch die angesprochenen Aspekte. In direktem Zusammenhang mit den Schweden beschreibt er auch deren Nachbarn, auf die daher an dieser Stelle einzugehen ist: Hier, in den Ripheischen Bergen im Osten Schwedens, siedelt Adam monstruosi hominum greges an. Unter sie rechnet er die Amazones, Cynocephali, Ciclopes, Alani vel Albani, Ymantopodes, Husi und Antropofagi.490 Mit den Darstellungen von monstra in mittelalterlichen Texten hat sich die Forschung schon häufig beschäftigt,491 wenngleich die Hamburgische Kirchengeschichte dabei kaum einmal Beachtung gefunden hat. In Untersuchungen über die Beschreibungen von monstra zeigt sich besonders prägnant, daß ein überwiegender Teil der Forschung mittelalterliche Darstellungen an ihrem realistischem Gehalt mißt.492 Eine Konsequenz dieser Perspektive ist die überaus häufige Verwendung des

Vgl. Janson, S. 333 u. Hallencreutz, S. 27-30. Vgl. a. Janson, S. 334 u. Hallencreutz, S. 22-27 sowie oben, Kap. 2.2.1.2.3. (a).

IV, 30, S. 262. Vgl. a. oben, Kap. 2.3.3. IV, 19, S. 248 u. 25, S. 257. Hier umschreibt Adam die Menschenfresser als Uli, qui humanis

carnibus delctantur pro cibo. Vgl. etwa John Block Friedman, The Monstrous Races in Medieval Art and Thought, Cambridge, Mass.-London 1981; Alexander Perrig, Erdrandsiedler oder die schrecklichen Nachkommen Chams. Aspekte der mittelalterlichen Völkerkunde, in: Die andere Welt. Studien zum Exotismus, hg. v. Thomas Koebner u. Gerhart Pickerodt, Frankfurt a.M. 1987, S. 31-87; Alauddin Samarrai, Beyond belief and reverence, medieval mythological ethnography in the Near East and Europe, in: JMRS 23 (1993), S. 19-42; Claude Lecouteux, Les Cynocéphales. Étude d'une tradition tératologique de lAntiquité au XIIe s., in: CCM 24 (1981), S. 117-128; Ders., Les Monstres dans la Pensée médiévale européene. Essai de Présentation (Cultures et Civilisations Médiévales X), Paris 1993; Christoph Gerhardt, Gab es im Mittelalter Fabelwesen?, in: Wirkendes Wort 38 (1988), S. 156-171 sowie Münkler/ Röcke. Vgl. dazu die Forschungskritik bei Münkler/ Röcke, S. 701, der hier gefolgt wird.

Adam

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von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

Ausdrucks „Fabelwesen" für die monstra. Obwohl der Begriff erst seit dem 18. Jahrhundert gebraucht wird,493 scheint er dennoch vielen hervorragend auf das Mittelalter anwendbar zu sein, da er geradezu als Beleg für die häufig beschworene Mythengläubigkeit dieses Zeitraums gilt. Folgerichtig wird mittelalterlichen Autoren deshalb oftmals attestiert, zu einer Unterscheidung zwischen ,realistisch' und unrealistisch' unfähig gewesen zu sein, und dieser Mangel zum Kennzeichen des mittelalterlichen Weltbildes insgesamt erhoben.494 Eine solche Haltung kann jedoch eher als Ausdruck eines mangelnden Problembewußtseins angesehen werden, moderne Vorstellungen auf

eine vergangene Zeit zu übertragen,495 und sie spiegelt zugleich auf einer übergordneten Ebene auch die immer noch vorherrschende Ansicht wider, man könne grundsätzlich einwandfrei zwischen Fakt und Fiktion, zwischen Wahrheit und Mythen unterscheiden. Dem ist freilich nicht so. Bevor hierauf zurückzukommen ist, soll jedoch zunächst noch ein weiterer Aspekt angesprochen werden, der im Zusammenhang mit der Behandlung der monstra in der Forschung und im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit von Bedeutung ist: Aufgrund der Auffassung von den monstra als „Fabelwesen" werden deren Beschreibungen in mittelalterlichen Texten zuweilen überhaupt nicht als Fremddarstellungen angesehen,496 da die monstra keine ,wirklich Fremden' seien. Wenn die monstra also dem Bereich der Fabeln und Mythen, der .Literatur', zugeordnet werden und dieser Meinung zufolge überhaupt nicht existent sind, so stellt sich die Frage, ob deren Behandlung in Adams Chronik überhaupt als Fremddarstellung angesehen werden kann. Wie eingangs erwähnt,497 wird hier davon ausgegangen, daß Fremdheit an sich nicht existiert und keine faktische Relation darstellt, sondern als Ausdruck einer Beziehung zugeschrieben wird. Daher ist der Realitätsgehalt von Aussagen, die Adam über die monstra trifft, gerade nicht an einer (modern gedachten) ,Wirklichkeit' zu überprüfen. So ist es unerheblich, ob etwa die Amazones jemals tatsächlich existierten ebenso wie es nicht entscheidend ist, ob sich Sclavi und Dani wirklich so verhielten, wie Adam sie beschrieb. Denn der Chronist bildet nicht .tatsächliche Fremde', ,wirkliche Barbaren' oder monstra ab, er schreibt ihnen diese Merkmale und Eigenschaften zu. Die monstra erhalten im Unterschied zu Sclavi, Dani und anderen ihre Besonderheit vor allem dadurch, daß das Wissen über sie aus (spät)antiken Darstellungen stammte, ja geradezu stammen mußte.498 Damit aber, davon legt Adam ein deutliches Zeugnis ab, kam ihnen ein qua Autorität vermittelter Wahrheitsgehalt zu, der im Fall der monstra nicht überprüfbar war. Läßt man den engen und zum Teil auch wertend eingesetzten modernen Realitätsbegriff außer Acht, so sind auch die mittelalterlichen Beschreibungen der monstra als Aspekte einer realistischen Beschreibung der -

-

-

Gerhardt, S. 161f.

Vgl. dagegen überzeugend und mit weiteren Nachweisen Münkler/ Röcke, S. 706-709. Vgl. oben, Kap. 1.2. So bezeichnet z. B. von den Brincken, Fines Terrae, S. 57 die Darstellung eines ,Monsters' auf einer mittelalterl. Weltkarte als ein „Zeichen für die Fabelwelt" u. suggeriert damit fälschlich, der Zeichner habe auch eine Fabelwelt darstellen wollen. Vgl. zum Folgenden grundlegend Münkler/ Röcke, S. 706-709.

Vgl. Kap.

1.4.

Auf die Tradition der monsfra-Darstellungen seit der Antike Monstres ein; vgl .a. Münkler, S. 214-221.

gehen Friedman u. Lecouteux, Les

121

Die Fremdzuschreibungen

Welt anzusehen.499 Wie Münkler/ RÖCKE überzeugend gezeigt haben, läßt sich das von der Forschung häufig zur Unterstützung ihrer Ansicht von den ,Fabelwesen' angeführte Argument, die Darstellungen von polymorphen Wesen, Dämonen und monströsen Menschen glichen sich, in bezug auf mittelalterliche Texte nicht halten.500 Ein ganz wesentlicher Unterschied zu den anderen Wesen besteht darin, daß die monstra geographisch lokalisierbar sind. Genau hieran aber läßt Adam nun keinen Zweifel: Immer geht es ihm (neben anderem) darum, die einzelnen Völkerschaften zu verorten, auch in der Darstellung der monstruosi hominum greges. Zum einen folgt der Chronist in seinem Bericht antiken Schriften, in welchen die monstra ganz traditionell am Ende der Welt lokalisiert werden:501 Er beruft sich explizit auf SOLINUS und übernimmt auch Angaben anderer Autoren wie MARTIANUS CAPELLA.502 Allerdings unterscheiden sich Adams Nachrichten auch von denen seiner Quellen, denn der Chronist verlegt die Wohnsitze einiger Völkerschaften: An einer Stelle heißt es, das Gebiet der Amazones liege an den Küsten des Balticum mare.m Daneben lokalisiert er die anderen monstra. In einer anderen Passage (und durchaus nicht so widersprüchlich, wie es auf den ersten Blick scheint) bewohnen diese Völkerschaften die Ripheischen Berge östlich Schwedens.504 Gegenüber Martianus Capella und Solinus versetzt er die Ymantopodes (Himantopoden) von Afrika in den Norden.505 Ohne daß sich zweifelsfrei klären ließe, welchen Quellen Adam hinsichtlich der Verlegung der Wohnsitze gefolgt sein könnte auch die Verortung etwa der Amazones und Cynocephali am nordöstlichen Ende der Welt ist keineswegs üblich, wenngleich sich dafür vergleichbare Beispiele finden lassen -,506 erscheint ihre Lokalisation ausgerechnet in dieser Region und in diesem Werk sinnvoll: Denn Adam markiert durch die monstra das Ende der Welt, allerdings ein bestimmtes, nämlich das Ende des von ihm ausschnitthaft beschriebenen nordöstlichen Teils der Welt. Indem sich Adam auf Solinus und andere Autoren beruft, vermittelt er dem Leser die Glaubwürdigkeit seiner Angaben und damit zugleich, daß hier, wo die Horden der monstruosi homines in den Ripheischen Bergen wohnen sowie Schnee und Kälte ein Weiterkommen unmöglich machen, das Ende der Welt ist. Erst durch ihre der Tradi-

-

So auch Münkler/ Röcke, S. 706-709.

Vgl. die für das Folgende grundlegenden Überlegungen ebd., S. 708f. Zur Lokalisation der monstra am Ende der Welt seit der Antike vgl. z. B. MÜNKLER, S. 214. Zu Adam IV, 19, S. 246-248 vgl. Solinus 15, 5, S. 83 u. 9, S. 84; 30, 9, S. 131; 31, 5, S. 137; 52, 27, S. 187; Martianus Capella VI, 674, S. 335. Zu Adam IV, 25, S. 468 vgl. Solinus 30, 6,

131; 31, 6, S. 137; 15,4, S. 82f.; 15, 20, S. 86; Martianus Capella VI, 674, S. 335. IV, 19, S. 246: Item circa haec littora Baltici maris ferunt esse Amazonas, quod nunc terra feminarum dicitur. Vgl. zu Adams Lokalisation im Norden Friedman, S. 84f. u. Lecouteux, Les S.

Monstres, S. 64f.

IV, 25, S. 256f. Der Widerspruch löst sich auf, wenn man die monstra am Ende der Welt, am äußersten Ende des mare Balticum, lokalisiert. Ebd. Und dies, obwohl er sich explizit auf Solinus beruft. Vgl. Solinus 31, 6, S. 137 u. auch Martianus Capella VI, 674, S. 335. Vgl. Lecouteux, Les Monstres, S. 64f. u. Samarrai, S. 34-36. In bezug auf Adams Ansiedlung der

Cynocephali

im Norden ist ein Antwortschreiben des Ratramnus

v.

Corbie

an

Rimbert

von

Interesse, aus dem dessen Anfrage hervorgeht, ob die Cynocephali, die im Norden verortet werden, zu den Menschen oder Tieren zu rechnen seien. Vgl. dazu Friedman, S. 188-190 u. Ian Wood, Christians and pagans in ninth-century Scandinavia, in: The Christianization of Scandinavia, S. 36-67, hier S. 64-66.

Adam

122

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

tion folgende, aber dennoch spezifische räumliche Verortung werden die monstra in jenes Gebiet integriert, das Adam zusammen mit der Sueonia und dem mare Balticum

beschreibt.507

geographisch ein, sondern berichtet andere Autoren, über Charakteristika der Völkerschaften.508 Das Wohngebiet der Amazones etwa nennt Adam terra feminarum, in Kenntnis der Orosius-Übersetzung König Alfreds.509 Den Amazonen widmet sich der Chronist am ausführlichsten, und seine Angaben wurden noch in späterer Zeit ergänzt.510 Mit der Charakterisierung der Amazonen wird das Ende der Welt durch eine scheinbar gegenteilige Ordnung der Geschlechter gekennzeichnet. In Anlehnung an seine Quellen bemerkt Adam ihre Verachtung gegenüber Männern und wägt verschiedene Möglichkeiten ab, wie die Amazonen schwanger werden könnten, wenn sie doch jeden Mann, der sich ihnen nähert, viriliter verjagten. Am wahrscheinlichsten ist Adam die Variante, nach der andere monstra Kinder mit den Amazonen zeugen, und so gelten ihm die Cynocephali als die Söhne der Amazones.5U Adam kennzeichnet die monstra, ganz seinen Quellen folgend, grundsätzlich durch die Zuschreibung von Fremdheit: Sie sind hinsichtlich ihres von körperlicher Deformiertheit geprägten Aussehens, aber auch in bezug auf ihre Sprache und Lebensweise Fremde; sie werden überhaupt nicht durch Bekanntes oder Vertrautes gekennzeichnet, sondern zeichnen sich geradezu durch eine Umkehrung der eigenen Verhältnisse aus: So läßt sich konstatieren, daß Fremdheit geradezu das Charakteristikum der monstra wird, oder, um es umzukehren: Die monstra verkörpern das Fremde. Ihre Darstellung ist zudem nicht neutral, sondern sie erhält durch die bewußte Lokalisierung am nördlichen Weltende, in den Ripheischen Bergen, neben den barbarischen Völkerschaften und in der Nähe der Schweden, auf die Adam das Prophetenwort Gog und Magog bezieht, eine negative Konnotation, die mit der symbolischen Bewertung des Nordens einhergeht.512 Wie unfruchtbar es ist, mittelalterliche mowsira-Darstellungen ausgehend von einem modernen Realitätsbegriff und von einer Trennung zwischen Fakt und Fiktion zu betrachten, wird deutlich, wenn man Adams Bemühen berücksichtigt, die Glaubwürdigkeit seines Berichts zu konstatieren. Denn die räumliche Einordnung der monstra und ihre Charakterisierungen bilden keineswegs die einzigen Merkmale, die seine Aussagen enthalten. Vielmehr geht es Adam ausdrücklich um eine glaubwürdige Darstellung: Er stellt fest, daß es außer den von ihm aufgezählten monstra noch viele andere gebe, welche Seefahrer gesehen haben wollen, jedoch hielten die nostri das für kaum glaubhaft.513 Der Chronist ordnet die monstra jedoch nicht nur

auch, wiederum in Anlehnung

1 509

510 511 512

513

an

Vgl. a. die Verknüpfung des Missionsauftrags ad extremum terrae mit Schweden bei Rjmbert 25, S. 86: quia finis mundi in aquilonis partibus in Sueonum coniacet regionibus. Zu den Quellen vgl. oben, Anm. 502 sowie Trillmich in seiner Ed., S. 457 Anm. 55. Vgl. IV, 19, S. 246 u. schol. 123, S. 246f; dazu Schmeidler, Ed., S. 246 Anm. 2 u. Trillmich, Ed., S. 457 Anm. 55 mit erymolog. Herleitung des Terminus terra feminarum. Vgl. etwa den Zusatz in Hs. A3, den Trillmich auf S. 458 anführt. IV, 19, S. 247; vgl. dazu auch Samarrai, S. 35f. Vgl. etwa Arentzen, der S. 190 feststellt, daß die „indifferent bis positiv" bewerteten monstra „hauptsächlich im Süden", lokalisiert werden, die negativ bewerteten dagegen im Norden. IV, 19, S. 248: Ibi sunt alia monstra plurima, quae recitantur a navigantibus sepe inspecta, quamvis hoc nostris vix credibile putetur.

Die Fremdzuschreibungen

123

einfach, hier die Gemeinschaft zu bestimmen, auf die der Chronist das bezieht, aber die Passage ist noch in ganz anderer Hinsicht von Interesse: Denn dem Text läßt sich eindeutig entnehmen, daß sich die Aussagen der nostri in Adams Darstellung keineswegs gegen die spätantiken Autoritäten richten, die er zitiert, sondern gegen die Aussagen irgendwelcher Seefahrer, die nicht näher spezifiziert werden. Der Umgang Adams mit seinen Zeugen, der nicht nur in bezug auf diese Passage kaum Beachtung in der Forschung gefunden hat, zeigt nun aber zugleich, wie bewußt der Chronist auf die Akzentuierung der Glaubwürdigkeit seines Berichts über die monstra abhob: Die ,Existenz' weiterer monstra ließe sich nämlich ohne Weiteres auch aus seinen Hauptquellen, Solinus und Martianus Capella, belegen,514 auf die sich Adam hier aber gerade nicht beruft weil sie kraft ihrer Autorität nicht widerlegbar sind. Dadurch rekurriert er in einer letztlich widerspruchsfreien Darstellung der monstra am Ende der Welt auf zwei Arten glaubwürdiger Quellen: auf spätantike Überlieferung und AussaEs ist nicht nostri

-

gen der nostri. Wenn aber Adam in seiner morcsfra-Darstellung ganz wesentlich das Ziel verfolgt, die Glaubwürdigkeit seines Berichts zu betonen und die Angaben seiner Zeugen bewußt wählt, so kann hier gerade nicht von einem mangelnden Wirklichkeitsbezug gesprochen werden, von „Fabelvölkern" oder von der Unfähigkeit einer klaren Trennung zwischen Fakt und Fiktion, denn Adam beschreibt für die Leser ja gerade die ,Wirklichkeit', nur eben eine, die sich nicht mit modernen Vorstellungen von diesem Begriff decken. So sind all diese Ansichten, die sich in zahlreichen Untersuchungen finden, nicht am Text zu belegen: Sie kennzeichnen daher Adam von Bremen oder seine Darstellung genausowenig wie ,das Mittelalter' sie sind vielmehr Zuschreibungen der modernen Forschung. Wenngleich oben festgestellt wurde, daß Adam den monstra Fremdheit zuschreibt und sich mit deren Ansiedlung am Weltende innerhalb einer langen Tradition verorten läßt, so folgt daraus keineswegs eine vollkommene Exklusion der monstra aus dem orbis. Die monstra sind zwar Bewohner des alter mundus, doch gibt bereits Adams Terminologie explizit Auskunft über die Integration dieser Völkerschaften, denn er bezeichnet sie nicht nur als monstra, sondern, wie eingangs erwähnt, auch als monstruosi homines. Adam stellt also explizit „menschliche" Wesen dar. Die Einbeziehung der monstra in die (ausschnitthafte) Beschreibung der bewohnten Welt zeigt sich bereits in der Tatsache, daß Adam sie überhaupt darstellt. Schon durch ihre Behandlung an sich werden sie in die Beschreibung der Welt integriert, durch ihre geographische Einordnung werden sie an der Peripherie des alter mundus lokalisiert und explizit räumlich integriert. Im Unterschied zu anderen Autoren reflektiert der Chronist nicht das gegenüber antiken Vorstellungen bestehende ,mittelalterliche' Problem, wie die Existenz dieser Völkerschaften innerhalb der Schöpfungsordnung begründet werden konnte.515 Er bewegt sich mit der Integration der monstra in den ordo innerhalb des von der Schöpfungstheologie vorgegebenen Rahmens, der eine vollkommene Exklusion der am Ende der Welt lebenden Völkerschaften unmöglich machte.516 Die Integration geht -

515

516

Vgl. die dort viel umfangreicheren Listen der monstra. Vgl. aber z. B. Rimbert (oben, Anm. 506) u. Münkler/ Röcke, S. 730-735 mit weiteren Nach-

weisen. Die Einordnung der monstra bildet ein gegenüber der Antike spezifisch mittelalterl. Problem, da man einerseits die Aussagen antiker Quellen nicht widerlegen konnte und andererseits der Frage

124

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

weit, daß Adam sämtliche monstra nicht nur räumlich durch die Angabe ihrer Wohnsitze einbezieht, sondern auch (wenngleich nur in einem einzigen Fall) auf die Amazones im Zusammenhang mit der Darstellung eines .historischen' Ereignisses zu sprechen kommt: Adam berichtet unter Berufung auf Bischof Adalward (den Älteren), daß Anund, der Sohn des schwedischen Königs, auf einem Heereszug in die patria feminarum mitsamt seinem Heer von den Amazones vergiftet worden sei. Die Tötung durch die Amazonen legt der Chronist als Strafgericht für die Schweden aus, die zuvor ihren (vom Hamburger Erzbischof geweihten) Bischof abgelehnt hatten.517 Nachdem weitere Plagen, Dürren und Mißernten folgten, hätten die Schweden durch eine Gesandtschaft an Erzbischof Adalbert die Rückkehr ihres zuvor abgelehnten Bischofs erbeten.518 In dieser Passage werden die Amazonen demnach auch in den (missions)geschichtlichen Ablauf integriert, für den ihnen gar explizit eine unmittelbare Bedeutung zugesprochen wird. Ausgerechnet sie dienen in der Darstellung als Instrument, um die Rechtmäßigkeit des Hamburger Missionsanspruchs und das unrechtmäßige Verhalten der Schweden zu so

belegen.

So läßt sich insgesamt konstatieren, daß Adam das Weltende nordöstlich der Sueonia nicht nur durch ein andersartiges Klima beschreibt, sondern daß er dort auch Völkerschaften ansiedelt, die er wesentlich und unter Rückgriff auf antike Traditionen durch Fremdzuschreibungen kennzeichnet. Vor allem in der Darstellung ihres Aussehens und ihres Verhaltens, aber auch, im Falle der Amazonen, in der Charakterisierung ihrer Lebensweise durch eine Umkehrung zur eigenen, vertrauten, schreibt er den monstra Fremdheit zu, die mit ihrer Lokalisierung in weitester räumlicher Entfernung korrespondiert. Auch bei Solinus und Martianus Capella, in Adams Hauptquellen also, werden die monstra am Ende der Welt angesiedelt. So stellt Adams Verlegung der Wohnorte dieser Völkerschaften an das Ende des von ihm beschriebenen Weltausschnitts zwar eine durchaus eigenständige Konstruktion dar, die jedoch zugleich deutlich innerhalb der Tradition steht. Denn in dieser Verlegung manifestiert sich, daß die monstra auch dem Bremer Domscholaster geradezu als traditionelles Zeichen für das Weltende galten. Ohne ihre Darstellung, welche die Verlegung zur Bedingung hat -, wäre die Beschreibung dieser Regionen nicht denkbar gewesen: weil sie für die Leser nicht glaubwürdig gewesen wäre. Darüber hinaus ist festzuhalten, daß Adam die monstra durchaus als homines, wenngleich als monstruosi, bezeichnet und sie räumlich wie historisch durch die Beschreibung in die ,Welt' integriert, und das meint im Hinblick auf die Hamburgische Kirchengeschichte zugleich: Sie werden am äußersten Ende des vom Erzbistum beanspruchten Missionsraums lokalisiert. Adam berichtet nichts über Bischofsweihen für die Gebiete der monstra, ihre Verortung am Ende der Welt hat jedoch innerhalb der Chronik eine spezifische Funktion, denn die monstra sind in einer Region angesiedelt, hinter der es kein bewohntes Land mehr geben kann. Durch die Beschreibung der Völkerschaften markiert Adam deutlich, daß sich bis zu ihnen, bis zum äußersten Ende der Welt, der Missionsraum erstreckt. Und es wird im Zusammen-

517 518

nachging, ob die körperlich deformierten monstra überhaupt in die wohlgeordnete Gottes einzubeziehen und ob sie Menschen seien. Vgl. die vorige Anm. III, 16, S. 157f. Ebd., S. 158 u. schol. 123, S. 246f.

Schöpfung

Die Fremdzuschreibungen

125

mit den Beschreibungen der insulae im Ozean noch zu zeigen sein, daß es dem Geschichtsschreiber gerade auch darauf ankommt festzuhalten, daß das Ende der Welt lokalisierbar ist.

hang

2.3.5.2.

Norguegia, Nortmanni und die insulae im Ozean

Wie für Schweden verwendet Adam auch für Norwegen unterschiedliche Begriffe, Nortmannia und Norguegia. Dabei trifft der Chronist eine zeitliche Unterscheidung: Der Ausdruck Norguegia werde von den moderni verwendet.519 Sten KÖRNER hat dargelegt, daß Adams Terminologie hier, wie im Falle Schwedens, die politische Entwicklung der Region widerspiegelt.520 Für die Bewohner Norwegens verwendet der Chronist lediglich den Ausdruck Nortmanni und damit einen Begriff, den er an anderen Stellen, wie Tore NYBERG gezeigt hat, auch als Sammelbezeichnung für nordische Völkerschaften und als Name für die Bewohner nordischer Herkunft in der Normandie gebrauchen kann.521 Wie die Dania sieht Adam auch die Norguegia als ein regnum an, dessen Selbständigkeit und Einheit er „als Normalzustand voraussetzt."522 Entsprechend faßt der Chronist auch die Bewohner als einen einheitlichen populus Nortmannorum

auf.523

Deutlicher als in allen anderen Passagen offenbart Adam die Gründe für sein schrittweises Ausgreifen bis ans Ende der Welt in der Darstellung Norwegens im vierten Buch: Nortmannia sicut ultima orbis provintia est, ita in ultimo libri loco convenienter ponetur a nobis?24 In diesem Satz macht er die Systematik in der Strukturierung des geographischen Raumes explizit: Nicht nur, daß die geographische Lage eines Gebietes mit dem Ort seiner Beschreibung in der Kirchengeschichte korrespondiert; die Lokalisation der Region im Raum bildet hier sogar die ausdrückliche Begründung für ihre Lokalisation im Werk. Die Namen, die Adam zur Bezeichnung Norwegens verwendet, leitet er direkt aus dessen geographischer Lage ab: Nortmannia und Norguegia verwiesen darauf, daß sich das Gebiet bis in extremam septentrionis plagam erstreckt.525 Hinter Norwegen, der ultima aquilonis provintia, finde man keine menschliche Siedlung mehr, nur noch den schrecklichen und endlosen Ozean, welcher den gesamten mundus umgebe.526 Wiederum erfolgt der geographische Überblick Adams strikt der auch sonst üblichen Richtung seiner Beschreibung: Norwegen beginnt (incipit) am fretum Balticum, seine Gebirge ziehen sich nach Norden (in aquilonem dorso), und es endet (limitem facif) an den Ripheischen Bergen, wo auch der orbis ermattet aufhöre.527 519 520

521

522

523 524

526

IV, 31, S. 263: Nortmannia... Haec a modernis dicitur Norguegia. Körner, S. 59. die überzeugenden Ergebnisse in bezug auf Adams Verwendung des Terminus Nortmanni bei Tore Nyberg, in: Adam av Bremen, S. 309f.; zusammenfassend Körner, S. 58f. Buchner, Vorstellungswelt, S. 39. Vgl. dazu Buchner, ebd. m. den Nachweisen in Anm. 70. IV, 31, S. 263. Ebd.: longitudine sua in extremam septentrionis plagam extenditur haec regio, unde et dicitur. IV, 35, S. 269: Post Nortmanniam, quae est ultima aquilonis provintia, nihil invenies habitacionis humanae nisi terribilem visu et infinitum occeanum, qui totum mundum amplectitur. IV, 31, S. 263 : Incipit autem ex prominentibus scopulis huiusfreti, quod Balticum appellari solet;

Vgl.

Adam

126

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

Norwegens natürliche Beschaffenheiten gelten dem Chronisten als ebenso einzigartig diejenigen Schwedens, allerdings beschreibt er sie als jenen genau entgegengesetzt: Norwegen ist aufgrund der schwierigen klimatischen Bedingungen die „unfruchtbarste aller Regionen" und daher ausschließlich zur Viehzucht geeignet.528 Die schlechten Lebensbedingungen wirken sich auch auf die Bewohner aus: Sie sind die „mäßigsten aller Sterblichen, denn Anspruchslosigkeit und Maßhalten in Speisen und Sitten schätzen sie besonders."529 Allerdings sind die grundsätzlich guten mores der Norweger für Adam vor allem eine Folge der Christianisierung: Anstatt wie früher auf Raubfahrten zu gehen, verteilten sie jetzt ihren Besitz, begnügten sich mit ihrer Armut und hätten die wie

Liebe zu pax et veritas erlernt.530 Wie für die Dani stellt Adam auch für die Nortmanni fest, daß ihre trefflichen mores durch die avaritia der Priester verdorben werde.531 Während also die Christianisierung (in der Argumentation Adams) grundsätzlich eine Verbesserung der Sitten zur Folge hat, so können sich umgekehrt auch Verhaltensweisen christlicher Priester nachteilig auf die Sitten einer Völkerschaft auswirken. Adam hebt zwar allgemein die Verehrung der Norweger gegenüber den Priestern und Kirchen hervor, allerdings differenziert er an anderen Stellen auch hinsichtlich des Christianisierungsgrads in der Region: Alle Norweger seien christianissimi, mit Ausnahme derer, die „fern im Norden am Ozean leben."532 Die Bewohner am Weltende übten Zauberkünste aus, mit Hilfe derer sie sogar Fische fingen.533 Besonders das häufige Vorkommen von Zauberern bildet nach Adams Darstellung eines der Hauptcharakteristika Norwegens: Zwar gebe es in der tota barbaries viele Zauberer, doch sei gerade die Norvegia regio voll von solchen monstra der Chronist verwendet also denselben Begriff wie für die oben erwähnten ,Erdrandvölker', und auch diese monstra leben in der Nachbarschaft der barbari}34 Der Zauberer-Thematik kommt eine dermaßen große -

deinde reflexo in aquilonem dorso, postquam frementis occeani marginem suo circuit ambitu, tandem in Ripheis montibus limitem facit, ubi et lassus deficit orbis. Ebd.: Nortmannia propter asperitatem montium sive propter frigus intemperatum sterilissima est omnium regionum, solis aptapecoribus. Ebd., S. 264: Sunt etiam continentissimi omnium mortalium, tam in cibis quam in moribus parcitatem modestiamque summopere diligentes. Ebd.: Itaque rei familiaris inopia coacti totum mundum circumeunt etpyraticis raptibus amplissimam terrarum facultatem reportant domum, penuriam suae regionis tali modo sustinentes. Post susceptam vero christianitatem melioribus imbuti scolis didicerunt iam pacem et veritatem diligere, paupertate sua contenti esse, Immo quae habent collecta spargere, non ut prius sparsa

colligere.

Ebd., S. 264f Vgl. oben, Anm. 425. IV, 32, S. 265: Omnes vero sunt christianissimi, qui in Norvegia degunt, exceptis Ulis, qui trans arctoam plagam circa occeanum remoti sunt. Ebd.: Eos adhuc ferunt magicis artlbus sive incantationibus In tantum prevalere, ut se scire fateantur, quid a singulis in toto orbe geratur; tune etiam potenti murmure verborum grandia cete maris in littora trahunt. II, 57, S. 117 (zu Olaf d.

Heiligen): Dicunt eum inter cetera virtutum opera magnum zelum Dei maléficos de terra disperderet, quorum numero cum tota barbaries exundet, precipue vero Norvegia regio monstris talibus plena est. Nam et divini et augures et magi et incantatores ceterique satellites Antichristi habitant ibi, quorum prestigiis et miraculis infelices animae ludibrio demonibus habentur. III, 17, S. 159 (zu Kg. Harald Hardrade): Serviebat etiam maleficis habuisse,

artibus.

ut

Die Fremdzuschreibungen

ni

Bedeutung in der Darstellung Norwegens zu, daß Adam auch die norwegischen Könige nach ihrem Verhalten gegenüber der ars mágica bewertet: Wird der insgesamt sehr positiv hervorgehobene König Olaf (der Heilige) für seine Versuche gelobt, die Zauberei auszutilgen, so erhält Olaf Tryggveson aufgrund seiner Vorliebe für Zauberkünste, Losdeutungen und Wahrsager den Beinamen Craccaben, „Krähenbein".535 Um das Ausmaß der Zauberei einzuordnen, verweist der Chronist auf die Heilige Schrift: Vieles von dem, was dort über Zauberkünste stehe, führten die Norweger mit Leichtigkeit aus.536

Die große räumliche Entfernung Nordnorwegens von Bremen korreliert bei Adam mit einer nur schwachen Ausprägung des christlichen Glaubens. Ausdrücklich hebt er die nördlichen Gebiete Norwegens als weniger christlich hervor, ja er kennzeichnet sie geradezu durch gegenteilige Aspekt, durch das Vorherrschen heidnischer Zauberbräuche. Nicht nur im Hinblick auf ihre religiösen Sitten, sondern auch bezüglich ihres Aussehens und ihrer Sprache werden die Bewohner Nordnorwegens durch eine große Differenz zum Bekannten und Vertrauten charakterisiert: So erwähnt Adam die Existenz bärtiger Frauen und die Un Verständlichkeit der Sprache, die einem Knirschen gleiche einmal mehr kommt hier dieses kulturell-,zivilisatorische' Kriterium zum Ausdruck.537 Auch hinsichtlich der Tierarten unterscheidet sich die Region am Ende des orbis von anderen: Adam zählt Tiere auf, die nur in der Nortmannia vorkämen und die er als Kennzeichen eines Gebietes ansieht, das auch sonst noch viel zu bieten scheine, was „gänzlich verschieden" und den nostris „ungewohnt" ist.538 Die Hervorhebung der Differenzen Norwegens und seiner Bewohner zum Eigenen als dem Bekannten, Vertrauten und Gewohnten ist hier ganz explizit an die räumliche Entfernung des Berichtsgegenstands geknüpft. Genau diese Kombination von räumlicher Distanz einerseits und der Zuschreibung religiöser und kultureller Differenz andererseits, die vom Chronisten stark normativ gedeutet wird, kann als Aspekt einer Fremdzuschreibung angesehen werden. Betrachtet man alle genannten Charakteristika, die Adam den Nortmanni zuschreibt, im Zusammenhang, so ist das nördliche Norwegen durch räumliche Distanz und klimatische Andersartigkeit ausgewiesen und die Bewohner durch religiöse und kulturelle Fremdheit, die ähnlich wie bei den Völkerschaften im äußersten Schweden als gegenteilig zur eigenen, bekannten und vertrauten Welt gekennzeichnet wird. -

Konsequent in seiner Strukturierung des geographischen Raumes bleibend beschreibt Adam im Anschluß an die Darstellung Norwegens Inseln im nördlichen Ozean, die II, 40, S. 101: omnes autem affirmant peritum auguriorum, servatorem sortium, et in avium prognosticis omnem spem suam posuisse. Quare etiam cognomen accepit, ut Olaph Craccaben diceretur. Nam et artis magicae, ut aiunt, studio deditus omnes, quibus illa redundat patria, maléficos habuit domésticos eorumque deceptus errore periit. IV, 32, S. 265f: alia multa, quae in Scriptura leguntur, omnia Ulis ex usufacilia sunt. Ebd., S. 266: In asperrimis, quae ibi sunt, alpibus audivi mulieres esse barbotas, viros autem

raro se prebere videndos. Qui ferarum pellibus utuntur pro vestibus, et loquentes ad frendere magis quam verba proferre dicuntur, ita ut vix a proximis intelligi queant populis. Vgl. Solinus 31, 3 zu den Troglodyten sowie 15, 20 u. 38, 11 über die Riph. Berge. IV, 32, S. 267: sola vero Nortmannia vulpes habet nigros et lepores, martures albos eiusdemque

silvícolas invicem

coloris ursos, qui sub aqua vivunt quemadmodum uri. Cumque diversa prorsus et insueta nostris multa ibi videantur, ab eiusdem patriae incolis haec et alia plenius dicenda relinquo.

128

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

sämtlich zum Hamburger Sprengel und hier ist der Chronist nicht ganz eindeutig fast alle zum Herrschaftsgebiet der Nortmanni gehörten.539 Im einzelnen nennt er die von den barbari als Organae bezeichneten Orchades insulae (Orkneys), die insula Thyle, die jetzt Island genannt werde, das noch weiter im Ozean gelegene Grönland (Grönland) sowie Halagland (Helgeland) und das als insula bezeichnete Vinland?40 Genau auf diese Gebiete nun bezieht Adam den Ausdruck extremus, dem, wie in der Forschung vorgeschlagen wurde, eine spezifische Mischung von ,fern' und ,unvertraut' innewohnt.541 In Übereinstimmung mit seiner Angabe, diese Gebiete nicht übergehen zu wollen, weil sie dem Hamburger Sprengel zuzurechnen seien,542 gilt Adams Interesse wesentlich der Feststellung, ob die Bewohner das Christentum angenommen haben und ob Bischofsweihen durch Adalbert erfolgten: Kann er für die Orkneys und Island von solchen Weihen berichten und für Grönland noch konstatieren, daß das Christentum seine Bevölkerung neuerdings erreicht habe, so fehlen entsprechende Angaben für die am Ende des vierten Buches behandelten insulae Helgeland und Vinland völlig. So bietet die Beschreibung der insulae folgendes Bild: Mit fortschreitendem Bericht nehmen zunächst die Nachrichten über eine bereits erfolgte institutionelle Integration in den Hamburger Sprengel durch Bischofsweihen ab; außerdem fehlen zunehmend auch Angaben über die Integration einer insula in die christianitas. So ergibt sich, daß die Systematik in Adams Beschreibung eng an den aktuellen Stand der Hamburger Mission gekoppelt ist. Dadurch sind Raum und Zeit in der Darstellung eng miteinander verbunden: Mit zunehmender räumlicher Entfernung vom Erzbistum als der (nach Adams Ansicht) legitimen Vermittlungsinstanz des rechten Glaubens sinkt tendenziell auch der Grad der institutionellen Integration und der Christianisierung, und genau diese Tendenz läßt sich nicht nur in der Darstellung der insulae fassen, sondern auch mit Blick auf das vierte Buch insgesamt: Zunächst nimmt der Grad der Bistumsorganisation ab (in Schweden und Norwegen), zum Teil auch der Stand des Christentums selbst (in Nordnorwegen). Während die im Anschluß an diese Regionen beschriebenen ,Inseln' organisatorisch durch vollzogene Bischofsweihen in den Hamburger Missionssprengel integriert sind und Grönland noch immerhin in die größere Gemeinschaft der christianitas einbezogen wird, so fehlen für Helgeland und Vinland jegliche Zuschreibungen, welche die Religion betreffen, obwohl auch diese beiden insulae explizit zum Missionsgebiet gezählt werden. Es ist hervorzuheben, daß dieser Befund lediglich eine Tendenz wiedergibt, denn Island bildet in gewisser Hinsicht eine Ausnahme. Zum einen ist Island diejenige insula, über die der Chronist am ausführlichsten berichtet. Adam kann hier für seine Darstellung auf eine breite Überlieferung von Wissen zurückgreifen, sowohl auf -

IV, 35, S. 269: Is [i.

0

1

-

e. der unendliche Ozean] habet ex adverso Nortmanniae Ínsulas multas non ignobiles, quae nunc fere omnes Nortmannorum ditioni subiacent. Vgl. ebd., S. 270f. (Orkneys); 36, S. 271-274 (Thule/Island); 37, S. 274 (Grönland); 38, S. 274f. (Helgeland); 39, S. 275f. (Vinland). Vgl. III, 24, S. 167 (Island, Grönland, Orkneys); 72, S. 220 (Island); 73, ebd. (Island, Grönland, Goten, Orkneys); vgl. a. IV, 31, S. 263 (Norwegen erstrecke sich bis in extremam septentrionis plagam). Zum Begriff extremus in der Fremdheitsforschung vgl. oben, Kap. 1.4., Anm. 32. IV, 35, S. 269f: ideoque non pretereundae sunt a nobis, quoniam Hammaburgensem parrochiam

et

ipsae respiciunt.

Die Fremdzuschreibungen

129

(spät)antike als auch auf zeitgenössische Berichte: Dies zeigt bereits die Verwendung der Bezeichnung Thyle für die Insel, die nun wegen des Eises, das den Ozean gefrieren läßt, Island heiße.543 Schon diese Identifizierung von Island mit Thyle belegt Adams Bemühen, die ältere Überlieferung mit jüngeren Informationen in Einklang zu bringen, und ähnliches gilt für die räumliche Verortung der Insel: Entsprechend den antiken Quellen, in denen Thyle auch das ultima Thyle heißt, bildet Island die extrema orbis patria und stellt auch die zuletzt genannte Region im erzbischöflichen Reiseplan dar.544

OROSIUS zitierend, bemerkt Adam, die Insel sei „kaum bekannt", und die Tatsache, daß er dennoch SOLINUS, BEDA und andere zitiert, zeigt sein Interesse an Informationen über sie.545 Den spätantiken und frühmittelalterlichen Quellen entnimmt Adam vor allem Angaben über Naturphänomene: Er zitiert Passagen über die langen Sommertage und Winternächte und transportiert die auch bei anderen Autoren vorhandene Vorstellung, das Eis bei Island sei infolge seines Alters so schwarz und trocken, daß es brennbar ist.546 Ähnlich wie Nordnorwegen und die Gegend um die Ripheischen Berge ist somit auch Island hinsichtlich seiner natürlichen Gegebenheiten als andersartig, unvertraut und zuweilen geradezu als entgegengesetzt zum Bekannten dargestellt. Die Bewohner Islands beschreibt Adam in Anlehnung an die Darstellungen, die Solinus, Martianus Capella und andere von den Bewohnern Thules geben, allerdings gestaltet er seinen Bericht auch nach der Bibel.547 In der Kombination seiner Quellen zeichnet er ein Bild von Isländern, die in Höhlen unter der Erde leben und zufrieden sind mit dem Wenigen, das sie besitzen.548 Aber es würde zu kurz greifen, wollte man in Adams Beschreibung lediglich die Übernahme älterer Vorstellungen oder eine „Idealschilderung ohne historischen Wert nach antikem Muster" erkennen wollen.549 Denn die Insel gerät auch als Herrschaftsgebiet norwegischer Könige in den Blick,550 sie wird durch ihre Beschreibung in den Hamburger Missionsraum eingegliedert und durch die Angaben über Reisewege als von dänischen und norwegischen Orten aus erreichbar

dargestellt.551

nunc ¡sland appellatur, a glacie, quae occeanum astringit. Adam benutzt als Quellen Orosius I, 2, 79, S. 29; Martianus Capella, z. B. VI, 595, S. 295; Solinus 22, 9, S. 101 u. Beda Venerabilis, De ratione temporum 31, ed. Charles William Jones, Bedae Venerabilis Opera Didascalia 2, CCL cont. med. 123B, Turnhout 1977, S. 376-379, der wiederum auf Solinus zurückgreift. III, 72, S. 220; vgl. a. IV, 36, S. 274 (Island et ultima Thyle) u. III, 70, S. 218. IV, 36, S. 271 : Jnsula Thyle, quae per infinitum a ceteris secreta longe in medio sita est occeano, vix', inquiunt, ,nota habetur'. Vgl. OROSIUS I, 2, 79, S. 29. Vgl. dazu Trillmich in seiner Ed., S. 486 Anm. 107. IV, 36, S. 273; vgl. dazu die Nachweise Schmeidlers, Ed., S. 272 Anm. 3, 273 Anm. 1 u. 274 Anm. 2 u. 4 sowie TRILLMICH, Ed., S. 487 Anm. 109f. u. 112. IV, 36, S. 272: in subterraneis habitant speluncis, communi tecto et victu et Strato gaudentes cum pecoribus suis. Itaque in simplicitate sancta vitam peragentes, cum nihil amplius quaerant quam natura concedit, laeti possunt dicere com apostólo, .habentes victum et vestitum, his contend simus (vgl. 1. Tim. 6, 8). So Trillmich in seiner Ed., S. 487 Anm. 108. III, 17, S. 159; vgl. dazu Trillmich, S. 348 Anm. 75; schol. 146, S. 267 sowie II, 61, S. 121. Vgl. etwa IV, 37, S. 274.

IV, 36, S. 272: Haec itaque Thyle

'

130

Adam von Bremen und die Gesta Hammaburgensis

Die Mission spielt zudem eine ganz konkrete Rolle: Adam berichtet, die Insel sei zur Zeit Adalberts bekehrt worden, er erwähnt isländische Gesandtschaften, die Bremen aufsuchten, und die Weihe Bischof Isleifs.552 Daß Island schon zuvor von Angelsachsen und dem selbst noch nicht vollständig christianisierten Norwegen aus missioniert wurde,553 erwähnt er hingegen nicht. Statt dessen führt er die (nach seinem Bericht für den Leser erstaunlich) rasche Einführung des Christentums auf der Insel auf eine naturalis lex bei den Isländern zurück: Durch diese hätten sie sich auch schon vor der Annahme des Glaubens nicht allzu sehr von der nostra religio unterschieden.554 Durch diese Zuschreibung einer naturalis lex, welche idealen christlichen Sitten nahezukommen scheint, vermittelt Adam einen ganz anderen Eindruck als die Unvertrautheit, die aus den Darstellungen der natürlichen Beschaffenheiten Islands und der Lebensweise der Bewohner hervortritt: Ob die nostra religio hier nun das Christentum oder konkreter das vom Hamburger Erzbistum vermittelte Christentum bedeutet was beides möglich ist -, die schnellen Erfolge werden von Adam mit einer lex begründet, die in der Natur der Bevölkerung liege und die er positiv bewertet.555 Gleich in zweifacher Hinsicht ist dieser Befund interessant: 1. Es geht aus der Beschreibung Islands deutlich hervor, daß Adam in der Zuschreibung von Fremdheit differenziert: Während er auch anderen Völkerschaften Fremdheit attestieren kann, so hält er hier darüber hinaus, trotz der fremdartigen Lebensweise der Isländer, auch explizit Ähnlichkeiten mit dem Eigenen fest und konstatiert damit geradezu einen Mangel an Fremdheit. 2. Die Isländer bilden hinsichtlich ihrer (zugeschriebenen) naturalis lex, die der nostra religio nahekommt, eine Ausnahme, auch unter den Missionsvölkerschaften. So sehr also auch eine Ähnlichkeit mit der nostra religio besteht, so andersartig sind die Isländer hinsichtlich der naturalis lex im Vergleich zu anderen Völkerschaften. Es scheint fraglich, ob der Chronist hier „sich", wie Werner TRILLMICH vorschlug, die Einführung des Christentums auf Island dadurch erklärte, daß er schon im Heidentum eine „keimhafte Erkenntnis des Wahren" angelegt sah.556 Denn es ist m.E. schon unwahrscheinlich, daß Adam etwas schrieb, um „sich" etwas zu erklären. Wenn man von den bislang angestellten Beobachtungen ausgeht, ist eher anzunehmen, daß der Zuschreibung der naturalis lex ganz andere Funktionen im Werk zukommen: Denn einerseits kann Adam durch sie umgehen, auf die (eben nicht von Hamburg ausgehenden) Anfange der Islandmission hinzuweisen, und zwar ohne die zur Abfassungszeit vielleicht längst bekannte Tatsache zu verschweigen, daß das Christentum dort schon vor Adalberts Zeit eingeführt wurde. Andererseits kann die Hervorhebung der Isländer unter den anderen Völkerschaften im Missionsraum durch die naturalis lex auch die positiv bewertete Reflexion der Tatsache sein, daß die Isländer die Hamburger Suprematie früher als andere, etwa die Norweger, anerkannt -

Bekehrung z. Zt. Adalberts: III, 72, S. 220; island. Gesandte bei Adalbert: III, 24, S. 167 u. 73, S. 220f.; Weihe Isleifs: III, 77, S. 224. Vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Medieval Scandinavia, S. 104. IV, 36, S. 273: licet ante susceptam fidem naturali quadam lege non adeo discordabant a nostra religione. Vgl. Schmeidler, Ed., ebd. Anm. 2. Wenngleich der Terminus barbari in Sammelbezeichnungen oder Aufzählungen auch die Isländer mit umfassen kann. Vgl. z. B. II, 57, S. 118; III, 72, S. 220 u. 77, S. 224. Vgl. Trillmich in seiner Ed., S. 487 Anm. 111.

131

Die Fremdzuschreibungen

hatten.557 In beiden Fällen jedenfalls erreicht Adam hier sein wohl wichtigstes Vorha-

ben, Island durch seine Darstellung in den Missionsraum des Erzbistums zu integrieren

ausgerechnet

Kontext seiner lex.

-

Zuschreibung einer ganz außergewöhnlichen und auch im Darstellungen von heidnischen Völkerschaften einzigartigen naturalis durch die

Für die beiden zuletzt aufgeführten insulae Helgeland und Vinland fehlen nicht nur Angaben über den Stand des Christentums; ihre Darstellung weist auch noch in anderer Hinsicht Besonderheiten im Vergleich zu den Beschreibungen der anderen ,Inseln' auf:558 Denn Adam erwähnt keine Reisewege, und er beruft sich hier zudem ausdrücklich auf den dänischen König Svend Estridson als Zeugen.559 Für Helgeland erwähnt der Geschichtsschreiber lediglich einen Aspekt: Die langen Tage zur Zeit der Sommersonnenwende und die ebensolangen Nächte im Winter.560 Adam erklärt das Phänomen mit der Abhängigkeit der Tageslänge von Sonnennähe und -ferne: Aufgrund der rotunditas orbis terrarum sei es notwendig, daß die Sonne bei ihrem Umlauf an einer Stelle Tag bringe, wenn sie nahe ist, an anderer jedoch Nacht, wenn sie fern ist. So bringe sie den Menschen im Norden längere Tage und kürzere Nächte, und zur Wintersonnenwende bewirke sie dasselbe im Süden. Gleich zweimal weist Adam darauf hin, daß den barban die Erklärung für diese Phänomene unbekannt sei: Stupenda, incognita, nescire und ignorantes pagani sind Begriffe, die er hier anführt.561 In ihrer Unkenntnis können sich die pagani (in Adams Argumentation) das Phänomen der langen Tage und Nächte nur durch Wunder erklären, weshalb sie Helgeland auch sancta et beata nennen.562 Seine kenntnisreiche Schilderung der Naturereignisse dient dazu, die kulturelle und zivilisatorische Überlegenheit des eigenen Wissenstandes kundzutun und sich von den barbari und pagani, die hier unwissende Heiden sind, abzugrenzen: So dient die wenn man den Begriff überhaupt verwenden möchte ,Darstellung' Helgelands, über das man außer diesem im gesamten alter mundus beobachtbaren Naturphänomen563 nichts erfahrt, vor allem der Akzentuierung der Überlegenheit des eigenen Wissens. Das Ende der Welt wird in diesem Fall also konstituiert durch ein Wissensgefälle: Bezieht dieses sich auf den ersten Blick auf die Kenntnis von Naturabläufen, so ist es in Adams Terminologie zudem eng verknüpft mit der Kenntnis des Christentums. Im Gegensatz zu Helgeland wird Vinland immerhin überhaupt beschrieben, wenn auch nur kurz: Der Name leite sich von den wilden Weinstöcken ab, die besten Wein brächten, und außerdem wachse dort ohne Aussaat reichlich Getreide.564 Wiederum -

-

Anerkennung der Suprematie vgl. Birgit u. Peter Sawyer, Medieval Scandinavia, S. Vgl. zum Folgenden IV, 38f. S. 274-276.

Zur

108.

IV, 38f, S. 275. IV, 38, ebd.; vgl. z. B. Martianus Capella VI, 595, S. 295 für Tyle. Ebd.: Stupenda res et incognita barbaris, qui nesciunt disparem longitudinem dierum contingere propter solis accessum et recessum. (...) Hoc ignorantes pagani terram Mam vocant sanctam et beatam, quae tale mtraculum prestet mortalibus.

Vgl. das Zit.

in der

vorigen Anm.

Itaque rex Danorum cum multis aliis contestatus est hoc ibi contingere, Norvegia et in ceteris, quae ibi sunt, insulis. Vgl. IV, 39, ebd. Ebd.:

sicut in Suedia et in

132

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

wird, in diesem Fall sogar ausschließlich und zudem durchaus positiv, eine insula im

nördlichen Ozean durch ihre natürlichen Beschaffenheiten charakterisiert. Adam legt in der Darstellung Vinlands außerordentlichen Wert darauf, die Glaubwürdigkeit seiner Angaben zu bekunden. Erneut kommt der ,Erfahrung' dabei eine Schlüsselbedeutung zu: Adam versichert unter Berufung auf Svend Estridson, daß es hinter Vinland keine terra habitabilis mehr im Ozean gebe und findet diese Angabe bestätigt durch Aussagen, die Martianus Capella über das mare concretum, das „feste Meer", hinter Thyle trifft; zudem beruft sich Adam auf den „höchst erfahrenen" (experientissimus) norwegischen König Harald (Hardrade), der auf einer Fahrt im nördlichen Ozean nur mit Mühe dem „gähnenden Schlund" an den Weltenden unversehrt entkommen sei.565 Der Umgang des Geschichtsschreibers mit dem Wissen aus Schrift und Erfahrungsberichten', seine zahlreichen Betonungen der Glaubwürdigkeit und die Berufungen auf alte und zeitgenössische Autoritäten zeugen zunächst einmal vor allem von dem überaus großen Interesse Adams an einer räumlichen Einordnung der einzelnen Regionen und insulae. Wenn oben festgestellt wurde, daß Adam den geographischen Raum vor allem als Missionsraum des Hamburger Erzbistums beschreibt, so mag es überraschen, daß er für Helgeland und Vinland kein Wort über das Christentum verliert und noch nicht einmal Reisewege nennt. Und so stellt sich die Frage, warum Adam überhaupt auf diese Regionen zu sprechen kommt. Man kann der Beantwortung dieser Frage näherkommen, wenn man die letzten Kapitel in der Chronik in die Überlegung einbezieht.566 Hier berichtet Adam unter Berufung auf Erzbischof Adalbert als Zeugen über eine Erkundungsfahrt „einiger edler Friesen", die sich zur Zeit Adalberts Vorgängers Alebrand zugetragen habe.567 Diese Fahrt sei mit dem Ziel erfolgt, die Vermutung zu überprüfen, daß es nördlich der Wesermündung kein Land mehr gebe. Island und ausdrücklich „alle oben erwähnten" insulae hinter sich lassend, durchfahren die Friesen das Meer in Richtung auf die ultima septentrionis axis. Sie geraten dort in die „Finsternis des erstarrenden Ozeans", dessen Strömung die Seefahrer mit gewaltigem Sog zu den Flutwirbeln am Schlund des Meeresabgrunds zieht, zum chaos, das alle Meeresströmungen einsauge und wieder ausspeie.568 Während manche der Seefahrer den Tod finden, landen andere „unverhofft", insperate, auf einer Insel, die durch ihre Befestigung mit hohen Felsen einer Burg gleicht.569 Gold und wertvolle Metalle mitnehmend, werden sie auf dem Rückweg zu ihren Schiffen bis aufs Meer hinaus verfolgt, von großen Menschen, die von den nostri als Cyclopes bezeichnet würden, und auch von ungewöhnlich großen Hunden. Allerdings gelingt den meisten die Rettung: „Vom Glück geleitet" erreichen sie Bremen, wo sie Erzbischof Alebrand „alles der Reihe nach" Ebd., S. 275f: Post quam insulam, ait, terra non invenitur habitabilis in illo occeano, sed omnia, quae ultra sunt, glacie intolerabili ac calígine inmensa plena sunt. Cuius rei Martianus ita meminit: Ultra Thilen, inquiens, navigatione unius diei mare concretum est. Temptavit hoc nuper experientissimus Nordmannorum princeps Haraldus. Qui latitudinem septentrionalis oceani perscrutatus navibus tandem caligantibus ante ora deficientis mundi finibus inmane baratrum abyssi retroactis vestigiispene vix salvus evasit. Vgl. Martianus Capella VI, 666, S. 330. Vgl. zum Folgenden IV, 40f, S. 276-278. IV, 40, S. 276: qu[i]dam nobiles de Fresia vir[i]. Ebd., S. 277 IV, 41, S. 278.

Die Fremdzuschreibungen

schildern und Gott und dem

tung darbringen.570 Die

133

heiligen Willehad Dankopfer für ihre Rückkehr und Erret-

Forschung hat bislang

vor allem versucht, den Reiseweg der Friesen, auch auf und die Insel der Cyclopes zu identifizieren.571 Dabei hat sie zum Teil den Bericht als „ganz fabulös" abqualifiziert, weil er dazu gedient habe, die Tatsache zu verschleiern, daß die Friesen Seeräuberei betrieben.572 Das mag zwar so gewesen sein, allerdings muß letztlich völlig unklar bleiben, wo die Insel liegt, wie die Reise tatsächlich ablief oder ob sie überhaupt stattfand. Und auch die Frage, ob Adam seine Informationen, wie er angibt, von Erzbischof Adalbert erhielt, ist kaum zu beantworten. Gegenüber diesen Fragestellungen, denen sich die bisherige Forschung gewidmet hat, soll hier eine ganz andere Lesart des Berichts vorgeschlagen werden, welche sich nicht an solchen Mutmaßungen orientiert, sondern Adams Darstellung in den Mittelpunkt rückt. Denn während über die Reise selbst nur vage Vermutungen angestellt werden können, ist es möglich, zu begründeten Aussagen über etwaige Funktionen zu gelangen, die Adams Darstellung der Reise innerhalb seines Werkes zukommen. Zum einen scheint es auffällig, daß sich Adam in seiner Berichterstattung immer wieder, besonders in den Kapiteln über Helgeland, Vinland und die friesische Entdeckungsreise, auf zeitgenössische Zeugen beruft. Unabhängig von der nicht zu beantwortenden Frage, ob Adalbert tatsächlich der Gewährsmann fur die friesische Entdeckungsfahrt war, scheint zumindest die Berufung auf den Hamburger Erzbischofgerade an dieser Stelle sinnvoll zu sein: Denn Adalbert stellt einen glaubwürdigen Ohrenzeugen dar, der berichtet, daß sich die Fahrt der nobiles de Fresia vires zur Zeit seines Vorgängers zutrug. Adams Bemerkung, daß die Friesen Adalberts Vorgänger Alebrand „alles der Reihe nach" schilderten, suggeriert, daß exakt diese Erzählung der friesischen Augenzeugen selbst (über Alebrand und Adalbert) zu Adam gelangte, der sie somit gewissermaßen nur noch aufschrieb. Der Chronist beansprucht hier somit, in seiner Darstellung nichts anderes als einen durch zwei glaubwürdige Ohrenzeugen vermittelten Augenzeugenbericht schriftlich fixiert zu haben. Aber man kann noch weiter gehen, denn die Auswahl gerade Alebrands und Adalberts als Zeugen erscheint noch in anderer Hinsicht kaum zufällig. Dies wird deutlich, wenn man die besondere Bedeutung beachtet, die dem ersten Bremer Bischof Willehad in dem Bericht zukommt: Ausgerechnet ihm, so Adam, empfahlen die Friesen „ihre Reise und Kühnheit", nachdem sie alle der zuvor beschriebenen insulae hinter sich gelassen hatten, und ausgerechnet ihm brachten sie nach ihrer Rückkehr und Errettung Dankopfer dar.573 Damit werden gleich dreifach Bischöfe von Bremen und

Karten, nachzuvollziehen

Ebd.: Tali fortuna comitati Fresones Bremam perveniunt, ubi Alebrando pontifici ex ordine cunepió Christo et confessori eius Willehado reversionis et salutis suae hostias immola-

ta narrantes runt.

Richard Henning, Terrae Incognitae. Eine Zusammenstellung und kritische Bewertung der wichtigsten vorcolumbischen Entdeckungsreisen an Hand der überlieferten Originalberichte, 2001200 n. Chr., 2., verb. Aufl., Leiden 1950, S. 352-359; J.G. Kohl, Die erste Deutsche, von der Weser aus um das Jahr 1040 veranstaltete, Entdeckungsreise zum Nordpol, in: Petermanns Mitteilungen 15 (1869), S. 11-19; Schlüter, S. 566 u. G.A. van der Toorn-Piebenga. Vgl. Kohl u. die Zustimmung Schmeidlers, Ed., S. 278 Anm. 1 (dort auch das Zitat).

IV, 40, S. 277: A quo loco maria sulcantes in ultimam septentrionis

axem,

postquam

retro se

134

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

Erzbischöfe von Hamburg-Bremen angesprochen: Sie fungieren in ihrer Gesamtheit, soviel läßt sich aus Adams Darstellung sicher ablesen, als zuverlässige Wächter über die Fahrt und als glaubwürdige Ohrenzeugen, oder, um es anders auszudrücken: Sie wachen sowohl über die Reise als auch über deren Darstellung. Indem Adam ausgerechnet diesen drei Personen wichtige Funktionen im Hinblick auf die Reise (Willehad) und auf die Erinnerung an die Reise (Alebrand und Adalbert) zuschreibt, wird die Erkundungsfahrt selbst in den institutionellen Rahmen des Bistums eingebettet. So muß zwar letztlich völlig unklar bleiben, wie die Reise tatsächlich verlief, aber das ist ohnehin nicht zu entscheiden. Adam schildert jedenfalls eine gefahrvolle Fahrt, deren glücklichen Ausgang letztlich vor allem der Schutz des ersten Bremer Bischofs garantiert; die Erinnerung an die Erkundungsreise aber das tritt in der Chronik deutlich hervor ist spezifisch an das Erzbistum Hamburg-Bremen gebunden, und zwar sowohl mündlich durch die Zeugen Alebrand und Adalbert als auch schriftlich durch Adam selbst. Warum gerade die von Adam gewählte Konstellation von Zeugen für seine Ziele geeignet erscheint, wird deutlich, wenn man den Inhalt dieser Passage beachtet. Den m.E. entscheidenden Hinweis gibt das Motiv für die Erkundungsfahrt, auf das sich die Friesen eidlich verpflichtet hätten, und das in der Überprüfung der Aussage besteht, es gebe nördlich der Wesermündung nulla terra mehr.574 Denn die Verwendung des Ausdrucks nulla terra ist nun überaus auffällig: Mehrfach gibt der Geschichtsschreiber an anderen Stellen an, es gebe hinter einer bestimmten Region oder ínsula keine terra habitabilis mehr. Gleich mehrere Gebiete werden so als ,letzte' oder ,hinterste' im Ozean charakterisiert,575 und auch die monstra im Osten Schwedens fungieren, wie gezeigt wurde, als glaubwürdiges Zeichen für das Ende der Welt. Wenn man berücksichtigt, daß Adam den geographischen Raum insgesamt vor allem als bereisbaren erzbischöflichen Missionsraum konzipiert, so erhält seine Suche nach dem Ende der Welt, nach bewohnten Regionen, die zum Hamburger Missionsgebiet gehören oder gehören könnten, einen Sinn. Deshalb ist die Vergewisserung notwendig, es gebe hinter einem Gebiet kein bewohntes Land mehr und deshalb ist auch die Bestätigung notwendig, daß Helgeland und Vinland ,existieren', auch wenn der Chronist über sie kaum etwas zu berichten weiß. Und so sind die Darstellungen letztlich Ausdruck der Selbstvergewisserungen einer Institution, die nach Adams Ansicht die alleinige Zuständigkeit für die Mission in den beschriebenen Gebieten besitzt: das Hamburger Erzbistum. -

-

-

omnes, de

quibus supra dictum est,

Ínsulas viderunt, omnipotenti Deo et sancto confessori Willecommendantes vlam et audatlam. IV, 40, S. 276f: Die Fahrt habe stattgefunden, eo quod ab incolis eius populi [i. e. der Fresones] dicitur ab ostio Wirrahae fluminis directo cursu in aquilonem nullam terram occurrere prêter infinitum occeanum. Cuius rei novitate pervestiganda coniurati sodales. (Hss. A u. C2; für die Interpretation unerhebl. Differenzen in Hs. B; vgl. Schmeidler, Ed., S. 276). Vgl. etwa IV, 31, S. 263 u. 35, S. 269 (Norwegen); 36, S. 271 (Island). hado

suam

Zusammenfassung

2.4.

135

Zusammenfassung

Untersuchung der Zuschreibungen Adams von Bremen in seiner Hamburgischen Kirchengeschichte hat gezeigt, daß die Auffassungen des Chronisten vom Eigenen und vom Fremden äußerst vielschichtig sind. Deutlich korrelieren die Fremddarstellungen in einer spezifischen Ausformung mit Adams komplexen Selbstzuschreibungen.576 Bei den Attributionen von Fremdheit nehmen insgesamt ethnische Grenzziehungen eine untergeordnete Stellung ein. Durchaus schreibt Adam Völkerschaften, zum Beispiel den Slawen, anhand vornehmlich traditioneller Merkmale wie lingua und habitus, den Bewohnern Skandinaviens auch im Hinblick auf weitere Sitten, Verhaltensweisen und Eigenschaften eine eigene Identität zu, durch die sie sich von denjenigen Gemeinschaften unterscheiden, denen er sich selbst zuschreibt. Und die Gegenüberstellungen insbeDie

sondere von Saxones einerseits und Sclavi oder Dani andererseits weisen durchaus darauf hin, daß Adam hier auch zwei ethnische Gruppierungen kontrastiert. Insofern ließe sich eine Tendenz erkennen, ethnische Abgrenzungen am ehesten von fremden Völkerschaften in der Nähe vorzunehmen, jedoch fallen ethnische Fremdzuschreibungen gegenüber religiösen kaum ins Gewicht: Fremd sind in erster Linie heidnische Völkerschaften, und vor allem auf diese wendet Adam den durchaus unterschiedlich gebrauchten Begriff barbari in einem vornehmlich als nicht-christlich konnotierten, abwertenden Sinn an. Auch die Fremdbenennung advenae, mit welcher der Chronist die Saxones als nicht zur Rechtsgemeinschaft des ,slawischen' Ortes Jumne Gehörige bezeichnet, wird in einem religiösen Zusammenhang gebraucht, da Adam das Heidentum der Bewohner Jumnes als Kriterium für die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft ansieht. Allerdings lassen sich hinsichtlich der religiösen Grenzziehungen durchaus Differenzierungen, sogar auf mehreren Ebenen erkennen: Bereits den Terminus barbarus wendet Adam keineswegs gleich häufig auf alle Völkerschaften an, kaum einmal auf die Slawen, hingegen häufig auf die Bewohner Skandinaviens. Zudem bezeichnete der Chronist aufgrund einer Gleichsetzung von Normannen, pagani und pyratae für den Beginn des Berichtszeitraums auch die Dänen seiner Gegenwart als Barbaren, weil er Vorstellungen aus der Vergangenheit, die seine Quellen transportierten, auf die gegenwärtige Situation übertrug. Das tradierte Wissen verhärtete sich zum Stereotyp einer Völkerschaft. Untrennbar verbunden mit den Zuschreibungen einer fremden, heidnischen Religion sind nicht nur Abgrenzungen gegenüber Polytheismus und Kultpraktiken, die sich mit Adams Verortung innerhalb der christianitas und seiner Identifikation mit den Missionsinteressen des Erzbistums erklären lassen, sondern häufig auch die Konstatierung von anderen Sitten, Verhaltensweisen und Charakteristika. Hier zeigte sich deutlich, nicht nur in der Verwendung des Terminus barbarus, daß Adam, der sich damit in längere Traditionen einreihen läßt, auch ein kulturelles und zivilisatorisches' Gefälle konstatierte: Die Kenntnis der Heiligen Schrift befähigt zur Kenntnis der Welt. So werden die Heiden auch bis zur Annahme des Christentums als unwissend und ihre Verhaltensweisen als roh und ungesittet bezeichnet. Selbst auf die politischen Verhältnisse in den nordischen regna wirkt sich die Zugehörigkeit der Könige zur christianitas aus, die je nach ihrer Religionszugehörigkeit zu tyranni oder reges werden.

Zur

Komplexität der Selbstzuschreibungen vgl. oben, Kap. 2.2.3.

136

Adam

von

Bremen und die Gesta Hammaburgensis

Wie differenziert die Grenzziehungen in der Hamburgischen Kirchengeschichte zu betrachten sind, wurde insbesondere darin deutlich, daß Adam in seiner Terminologie nicht immer zwischen den Christen in ihrer Gesamtheit und denjenigen unterscheidet, die den Suprematieanspruch des Erzbistums anerkennen, und ebensowenig, im Pendant, zwischen den Heiden und solchen, die sich der erzbischöflichen Obödienz zu entziehen versuchten. Daß der Geschichtsschreiber häufig aber diese prinzipiell unterschiedlichen, weil sich auf verschiedene Gemeinschaften aus dem religiösen Bereich beziehenden Grenzen in seinem Sprachgebrauch nicht trennte, läßt sich nur dann erklären, wenn berücksichtigt wird, in welch starkem Ausmaß er sich mit den zur Abfassungszeit vehement bestrittenen Interessen des Erzbistums identifizierte. Adams Vorstellungen von den Fremden waren nicht nur durch seine christliche, sondern überaus deutlich durch seine institutionelle, auf das Erzbistum gerichtete Teilidentität geprägt. Es würde daher zu kurz greifen, Adams Werk lediglich allgemein als Missionschronik zu verstehen, äußert sich in ihm doch ein spezifisches Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem Fremden, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt schriftlich fixiert wurde und werden die Darstellungen doch wesentlich durch die Einwirkung der angesprochenen Faktoren beeinflußt. Auf einer übergeordnete Ebene läßt sich daher als weiteres Ergebnis formulieren, daß die Darstellungen Fremder als Quelle für eine Rekonstruktion von Sitten und Verhaltensweisen, und im Fall der Hamburgischen Kirchengeschichte auch der Religionszugehörigkeit der Fremden, denkbar ungeeignet ist, da sich aus dem Text in allererster Linie Rückschlüsse auf Adams Vorstellungen ziehen lassen. Die Komplexität und Diffenziertheit im Verhältnis zwischen Eigenem und Fremdem bei Adam äußerte sich jedoch auch noch in anderer Hinsicht. In Anlehnung an Ansätze der kognitiven Kartographie und an Studien zu Raumkonzepten in mittelalterlichen Texten konnte aufgezeigt werden, daß der Chronist den gesamten Berichtsraum, von der Saxonia, der er sich zuschrieb, bis an die Enden der von ihm ausschnitthaft beschriebenen Welt, nach Kriterien strukturierte, die eng mit einer Differenzierung von Fremdzuschreibungen korrelieren. Genau in dieser, von Adam bewußt gewählten, Strukturierung erhält der Raum seine Funktion im Werk. Und diese Raumkonzeption ist wiederum verknüpft mit den Selbst- und Fremdzuschreibungen des Chronisten. Weil die geo- und ethnographischen Passagen der Hamburgischen Kirchengeschichte über die bisherige Forschung hinausgehend im Zusammenhang betrachtet wurden, konnte offengelegt werden, daß Adam dem Raum in seiner Beschreibung eine streng durchgehaltene Richtung gab, indem er von denjenigen Regionen und Gemeinschaften ausging, denen er sich selbst zuschrieb, während er am Ende der Welt die monstra lokalisierte. Sein bewußter und eigenständiger Umgang mit dem Wissen, das ihm aus spätantiken Quellen zugänglich war, führte zur Lokalisation der monstra in genau dem Weltende, das e r beschrieb. Dabei galten ihm die monstra nicht nur als glaubwürdiges, autoritativ vermitteltes und unwiderlegbares Zeichen für dieses Ende der Welt, sie waren zudem geradezu ausschließlich durch Fremdheit gekennzeichnet: Das Fremde ist in Adams Zuschreibungen ihr Charakteristikum. Die geographische Verortung eines bestimmten Gebietes im Raum korreliert exakt mit der Positionierung der Beschreibung dieser Region innerhalb der Chronik: Adam griff, betrachtet man die entsprechenden Passagen im Zusammenhang, ganz buchstäblich, nämlich durch die Anordnung der Raumbeschreibung im Text, vom Eigenen in die Fremde aus. Besonders die Dänen nehmen im Hinblick auf ihre Positionierung im geo-

Zusammenfassung

137

graphischen (Berichts-)Raum, auf den Stand des Christentums und auf die Vermittlung von Wissen über die barbari durch König Svend Estridson eine Zwischenposition innerhalb der Darstellung ein. Sie erhalten eine Mittlerrolle zwischen einem räumlichen und religiös-zeitlichen ,Davor' und ,Dahinter'; in manchen Aspekten religiös und ethnisch fremd im Vergleich zu den Gemeinschaften der christianitas und der Saxonia und zur Abfassungszeit ohnehin nur schwer in den Bereich der Hamburger Obödienz einzubeziehen, sind es doch vor allem die dahinter liegenden Räume und Völkerschaften im

alter mundus, denen Adam, sieht man von der Ausnahme Islands ab, Fremdheit zuschreibt: Schweden und Norwegen sowie die insulae im Ozean. Ihre Bewohner zeichnen sich durch Heidentum, einen labileren Stand des Christentums oder durch die Ablehnung der erzbischöflichen Suprematieansprüche aus, und ihnen weist Adam ein wesentlich höheres Maß an Fremdheit als etwa den Dänen zu, wie in den Beschreibungen der ihm unvertrauten Sitten und Lebensweisen dieser Völkerschaften deutlich wird. So werden in Adams Darstellung unterschiedliche Grade von Fremdheit sichtbar, die sich zum Ende der Welt hin erhöhen. Nur auf die insulae bezieht Adam auch den Terminus extremus. Und das scheint nicht zufällig: Die Bedeutung fremd in der Kombination von Ferne und Unvertrautheit, die sich nach Meinung der Forschung in der Verwendung des Begriffs extremus ausdrücken kann, wird in der Hamburgischen Kirchengeschichte konkret greifbar. Zugleich wurde deutlich, daß Adam selbst die monstra in die Beschreibung der Welt integriert. Die Kennzeichnung als fremd führt hier nicht zur Exklusion, er bezeichnet die monstra explizit als „menschliche" Wesen. Die Funktion, welche die monstra-Darstellungen in der Descriptio erhalten, die glaubwürdige Vergewisserung nämlich, daß sich hier, an ihren Wohnsitzen, das Ende der Welt tatsächlich befinde, kommt auch Adams Berichten über die weit im Ozean liegenden Inseln zu: Die Suche nach Antworten auf die Frage nach der Existenz von Land und Bewohnern liegt darin begründet, den gesamten Missions- und Zuständigkeitsraum des Erzbistums zu erfassen und erreichbar werden zu lassen. Demselben Zweck dienen auch die zahlreichen Angaben über Reisen und Reiserouten, und erst durch sie stellt Adam überhaupt eine Verbindung im insgesamt beschriebenen Raum her. Die Untersuchung der Themenfelder Bischofsweihen und Reisen, in deren Schilderungen sich Adam auch den Bremer fratres zuschreibt, bietet darüber hinaus einen wichtigen Zugang zur Bestimmung einer Funktion der Descriptio für das Werk insgesamt, die über die bislang recht vagen Vermutungen der Forschung über die Gründe für deren Abfassung hinausgeht: Das Hauptmotiv kann in der Betonung einer konkreten, an Erzbischof Liemar gerichteten Handlungsaufforderung erblickt werden, die umstrittene Legation im Interesse des Erzbistums voranzutreiben. Die Funktion des vierten Buches besteht darin, neben den historisch-rechtlichen Argumenten auch solche anzuführen, die in gewisser Weise (und keineswegs diesen zuwiderlaufend) als praktisch bezeichnet werden können, und den beanspruchten Missionsraum als bereisbaren Raum überhaupt bekannt zu machen. Damit aber kann die Funktion der Descriptio selbst als ein deutlicher Beleg für die Selbstzuschreibungen des Chronisten zum Erzbistum angesehen werden. So wird deutlich, daß die historisch-politische Situation zur Abfassungszeit des Werkes, die Stellung des Adressaten Liemar im Investiturstreit und die causae scribendi auf die Zuschreibungen Adams entscheidenden Einfluß nehmen.

3. Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

3.1.

Zu Autor und Werk

Ähnlich wie im Fall Adams

von Bremen ist auch über die Person und das Leben Helmolds von Bosau kaum etwas bekannt. Die einzigen Anhaltspunkte bieten neben den seltenen Urkundenerwähnungen seine eigenen Aussagen in der Chronik.1 Entgegen der älteren Forschung, die Helmolds Geburtsort in Holstein vermutet hat,2 wird mittlerweile davon ausgegangen, daß seine Herkunftsregion südlich der Elbe, wahrscheinlich im Harzvorland, zu suchen ist.3 Sein Geburtsjahr wird auf kurz vor 1120 geschätzt.4 Helmold erhielt den ersten Unterricht vermutlich zwischen 1134 und 1138 als Klosterschüler des Segeberger Augustinerchorherrenstifts,5 das von Priester Vizelin, dem späteren Bischof von Oldenburg, gegründet worden war. Infolge der Zerstörung Segebergs durch den Obodritenfürsten Pribislaw floh Helmold zunächst mit Vizelin nach Faldera (Neumünster) und ging von dort nach Braunschweig, wo er seine Ausbildung fortsetzte (1139-1143).6 Sein dortiger Lehrer Gerold wurde 1154 der Nachfolger Vizelins als Oldenburger Bischof und war zudem, nach der Verlegung der sedes 1163, der erste Bischof, der in Lübeck residierte. Von 1143 an scheint sich der spätere Chronist erneut und diesmal dauerhaft im Kloster Faldera aufgehalten zu haben,7 dem Zentrum jener

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Im folgenden zitiert nach Helmold von Bosau, Chronica Slavorum, ed. Bernhard Schmeidler, MGH SSrG 32, Hannover 31937, S. 1-218; die Übersetzungen, wenn nicht anders angegeben, nach der Ed. v. Heinz Stoob, FSGA 19, nach der 2., verb. Aufl. v. 1973, Darmstadt 5I990. Ebenfalls wurde der Sachkommentar in dieser Ed. verwendet, den Stoob aufgrund jüngerer Forschungsergebnisse umgestaltete (vgl. Stoob in der Einleitung zu seiner Edition, S. 1-23 [im folgenden zit. als Stoob, Einleitung], hier S. 22). Johann Martin Lappenberg, Zur bevorstehenden Ausgabe des Helmold, in: Archiv d. Ges. f. ältere dt. Geschichtskunde 6 (1838), S. 553-566; Carl Hirsekorn, Die Slawenchronik des Presbyters Helmold, Diss. Halle 1874. Für das Harzvorland sprechen sich aus: Bernhard Schmeidler, Helmold und seine Crónica Slavorum, in: ZVLG 14 (1912), S. 183-235, hier S. 200; vgl. a. Ders. in der Einleitung zu seiner Ed., S. V-XXVIII (im folgenden zit. als Schmeidler, Einleitung), hier S. VI; Wattenbach/ Schmale, Bd. 1, S. 427 u. Stoob, Einleitung, S. 3. Das Weserbergland nimmt an: Wilhelm Ohnesorge, Neue Helmold-Studien. Heimat, Alter und Lebenslauf Helmolds: Beiträge zur Charakteristik von Helmolds Chronik und ihren Heiden, in: ZVHG 16 (1911), S. 90-199, hier S. 129f Die erste urkundliche Erwähnung datiert von 1150 Sept. 25. Hier wird Helmold als diaconus bezeichnet, wofür er ein Alter von mind, fünfundzwanzig Jahren erreicht haben mußte. Vgl. SHRU I, ed. Paul Hasse, Hamburg 1886, Nr. 89 (Neumünster), S. 45. Zudem berichtet Helmold 14, S. 28 selbst, daß er noch als adolescentulus die älteren Baureste in der Nähe Segebergs kennengelernt habe; vgl. dazu Stoob, Einleitung, S. 3. Vgl. zum Folgenden Schmeidler, Einleitung, S. VI-VIII; Stoob, Einleitung, S. 3-10 u. Wattenbach/ Schmale, Bd. 1, S. 427. Aus dem Fehlen von Angaben Helmolds über Nordelbien in der Zeit von 1139-1143 wird auf eine Aufenthaltsdauer von vier Jahren in Braunschweig geschlossen; vgl. Helmold 56f, S. 109-113 u. Schmeidler, Einleitung, S. VII. Anhaltspunkte für einen dauerhaften Aufenthalt Helmolds in Neumünster finden sich in seiner

139

Zu Autor und Werk

Region, die Priester Vizelin als Missionsbasis diente und die darüber hinaus eine große Bedeutung für die politische Erschließung der Wagira (Wagriens), des östlichen Teils der Oldenburger Diözese, bekommen sollte. Nach dem Tod des zwischenzeitlich zum Bischof geweihten Vizelin 1154 in Faldera8 scheint Helmold das Kloster verlassen zu haben. Spätestens von 1156 an befand er sich im Umkreis des neuen Oldenburger Bischofs Gerold, den er nach seiner eigenen Auskunft im selben Jahr auf einer Visitationsreise in slawisch besiedelte Teile der Wagira begleitete.9 Vermutlich ebenfalls 1156 erhielt Helmold von Gerold mit Bosau am Plöner See das zu dieser Zeit einzig intakte Pfarramt in ganz Wagrien zugesprochen. Der Ort gehörte zur Ausstattung des Bistums Oldenburg und diente gar seit 1151 Vizelin sowie später Gerold als Bischofssitz.10 Dagegen wurde die nominelle sedes Oldenburg von Gerold nicht mehr bezogen, da sie in einem rein slawisch besiedelten Gebiet lag und der Aufenthalt in dem weiter westlich gelegenen Bosau sicherer war. So fungierte der Pfarrsitz Helmolds für Gerold, wie Heinz STOOB es formuliert hat, als „Wartestellung", bis die Verlegung der sedes nach Lübeck erfolgte." Aus dieser Skizze vom Leben des Autors, welche die Forschung hauptsächlich aus den Angaben in der Chronik gezeichnet hat, geht deutlich hervor, daß den Geschichtsschreiber ein enges Verhältnis mit den Oldenburg/Lübecker Bischöfen Vizelin und besonders Gerold verband. Dieses zeigt sich auch in der eingehenden Schilderung vom Tod Gerolds 1163, an dessen Sterbelager in Bosau der Chronist nach

seiner Äußerung zugegen war.12 Während über den Todesort des Chronisten nichts bekannt ist, kann es immerhin als gesichert gelten, daß er nach 1177 verstarb.13 Wohl kurz nach dem Tod Gerolds begann Helmold wenn die Annahmen über das Geburtsjahr stimmen, als etwa Fünfzigjähriger mit der Arbeit am ersten der beiden Bücher, die seine Chronik beinhaltet. Dessen Abfassungszeit wird für ungefähr 1163 bis 1168 angenommen, jedoch ist diese Zeitspanne mit guten Gründen auf 1167/1168 eingeschränkt worden.14 Sein Berichtszeitraum umfaßt die Zeit von der Bekehrung Sach-

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Chronik für die Jahre 1143, 1147, 1150, 1152, und 1154; vgl. dazu Schmeidler, Einleitung, S. VII u. Stoob, Einleitung, S. 4f. Nach seinem Bericht hat Helmold (78, S. 146f.) den Tod des von ihm verehrten Vizelin selbst miterlebt. 83f, S. 158-160. Vgl. zu dieser Stelle unten, Kap. 3.2.1.2.2. u. 3.3.3.3. Stoob, Einleitung, S. 5 u. 7. Bosau war fur Gerold von besonderer Bedeutung, da der Bremer Erzbf. Hartwig nach dem Tod Vizelins dem Oldenburger Btm. seine bisherige Missionsbasis Faldera/Neumünster entzogen hatte. Als Parteigänger Hzg. Heinrichs d. Löwen und Gegner Hartwigs konnte Gerold seinem Vorgänger Vizelin nicht in dessen Personalunion folgen, die dieser als Abt v. Neumünster u. Bf. v. Oldenburg ausgeübt hatte. Helmold (83, S. 156) betont zudem die finanzielle Bedeutung Bosaus: Sola domus Bozoe stipendiis episcopalibus deserviebat. Stoob, Einleitung, S. 6. Die Verlegung des Bischofssitzes ist auch im Zusammenhang mit dem Vorhaben Hzg. Heinrichs d. Löwen zu sehen, Lübeck seinem Gründer, dem Grafen Adolf II. v. Holstein, zu entziehen und zum neuen Zentrum der weifischen Politik in Nordelbien zu machen. 95, S. 186f. Helmold wird urkundlich zum letzten Mal 1177 in der Gründungsurkunde des Lübecker Johannisklosters genannt, die Bf. Heinrich v. Lübeck ausstellte; vgl. SHRU Nr. 136 (o. Datumsangabe; Lübeck), S. 71: Helmolduspresbyter u. Stoob, Einleitung, S. 8. Hermann von Breska, Über die Zeit, in welcher Helmold die beiden Bücher seiner Chronik abfaßte, in: FDG 22 (1882; ND 1968), S. 577-604, hier S. 585-601; Heinz Stoob, Erzbistümer und Reichsgedanke im hochmittelalterlichen Sachsen, in: Westfäl. Forsch. 17 (1964), S. 5-13, hier

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

140

durch Karl den Großen bis zu Gerolds Tod 1163. Helmold bemerkt, daß er sein Werk auf Zuspruch Gerolds verfaßt habe,15 richtet das Vorwort jedoch nicht an dessen Bruder und Amtsnachfolger Konrad (I.), sondern an das kurz zuvor neu gegründete Lübecker Domkapitel.16 Über die Gründe hierfür können nur Vermutungen angestellt werden, jedoch scheint es durchaus naheliegend, daß das Verhältnis Helmolds zu Konrad, der zur Abfassungszeit der gesamten Chronik in Lübeck amtierte, getrübt war, weil anders als etwa Gerold, der ein grundsätzlich positives Verhältnis zu Heinrich dem er Löwen unterhielt 1167 zur antiherzoglichen sächsischen Opposition übergewechselt war. Es ist sogar mit guten Gründen angenommen worden, daß erst diese politische Umorientierung Konrads Helmold den letzten Anstoß zum Schreiben seiner Chronik sens

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gegeben habe.17 Die Abfassungszeit des zweiten Buches, das die Forschung trotz seines geringen Umfangs als beendet ansieht,18 wurde auf etwa 1171/1172 datiert. Darin ist zugleich die Vermutung enthalten, daß Helmold es erst mit einem Abstand von etwa drei Jahren verfaßte, jedoch ist dies nicht restlos gesichert.19 Uneinigkeit besteht hinsichtlich der Frage, warum der Chronist den Tod Bischof Konrads nicht erwähnt, der sich am 17. Juli 1172 in Tyrus, auf der Reise Heinrichs des Löwen ins Heilige Land, ereignete.20

Erblickte Hermann VON BRESKA im Tod Konrads den Schreibanlaß für das zweite Buch, womit er ein bewußtes Übergehen dieses Ereignisses durch Helmold voraussetzte,21 so legte Heinz Stoob dagegen das Todesdatum als terminus ante quem für die Beendigung der Abfassung fest, in der Annahme, daß Helmold dieser Nachricht in jedem Fall Beachtung in seinem Werk geschenkt hätte.22 Trotz dieser Unsicherheiten,

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S. 6; Ders., Einleitung, S. 6f. mit detaillierter Begründung; Wattenbach/ Schmale, Bd. 1, S. 428; vgl. a. Schmeidler, Einleitung, S. VHIf: „1163-1167" u. „näher an 1167 als an 1163". Helmold praef, S. 2: ad hoc opus preceptoris mei venerabilis Geroldi episcopi adduxit persuasio. Stoob, Einleitung, S. 6 nimmt an, daß Helmold möglicherweise in Gesprächen mit Gerold an dessen Sterbelager in Bosau dazu bewogen wurde, das Werk zu schreiben. Helmold praef, S. 1 : Reverendis dominis ac patribus sanctae Lubecensis ecclesiae canonicis. Stoob, Einleitung, S. 7. Damit würde sich die Feststellung decken, daß das erste Buch zügig niedergeschrieben wurde; vgl. ebd., S. 6; Schmeidler, Einleitung, S. IX u. zu diesem Aspekt als Causa scribendi der Chronik auch unten, Kap. 3.2.1.2.3. u. 3.2.2.2.2. Zu Arnold von Lübecks Ansicht, Helmolds Chronik sei unvollendet, vgl. unten, Kap. 4.1.; dagegen Schmeidler, Einleitung, S. IX u. Stoob, Einleitung, S. 9. Die Annahme gründet vor allem auf der Schilderung der Rani (Ranen; Rügener) als Hort des heidn. slaw. Widerstandes in lib. I, über deren 1168 erfolgte Bekehrung Helmold in lib. II berichtet (vgl. dazu unten, Kap. 3.3.3.3.). Ob jedoch aus der Darstellung der Ranen als Heiden auf eine Abfassung der entsprechenden Kapitel vor 1168 geschlossen werden kann, erscheint insgesamt durchaus fraglich. Aus der für die Argumentation wesentl. Bemerkung Helmolds (6, S. 17), daß die supersticio apud Ranos persévérât usque in hodiernum diem, kann darauf nicht zwingend geschlossen werden (vgl. aber z. B. Schmeidler, Einleitung, S. IX u. Stoob, Einleitung, S. 8). Das Urteil hängt letztlich davon ab, ob man die Zeitangabe Helmolds im Sinne einer modernen exakten Datierung versteht. Das berichtet Arnold von Lübeck. Vgl. dazu unten, Kap. 4.3.4. m. Anm. 380. Vgl. dazu die Ausführungen von Breskas, Über die Zeit sowie auch unten, Kap. 3.2.2.2.2. Die Annahme des Todesdatums als terminus ante quem (vgl. z. B. Stoob, Einleitung, S. 8) ist letztl. ebenfalls nicht vollkommen stichhaltig. Zum einen kann sich die Verbreitung der Nachricht von Tyrus nach Lübeck u. Bosau hingezogen haben, zum anderen muß auch die Frage, ob ...

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Zu Autor und Werk

die eine restlos eindeutige Rekonstruktion des Abfassungszeitraumes für die Chronik insgesamt kaum möglich erscheinen lassen, wird vermutet, daß das zweite Buch wohl noch 1172 vollendet wurde,23 so daß das Werk in seiner Gänze vielleicht mehr läßt sich nicht sagen zwischen 1167/1168 und 1172 verfaßt worden ist, wobei letztlich offen bleiben muß, ob und wie lange Helmold seine Arbeit tatsächlich unterbrach. Auch das zweite Buch widmete Helmold in einem eigenen Vorwort dem Lübecker Domkapitel.24 Es umfaßt die Zeitspanne von 1163 bis zur 1171 erfolgten Unterwerfung und Bekehrung der Rani (Ranen; Rügener), der letzten heidnischen slawischen Völkerschaft im Ostseegebiet, durch den dänischen König Waldemar I. Das letzte Ereignis, über das Helmold in seiner Chronik berichtet, ist die Absprache zwischen Waldemar und Herzog Heinrich dem Löwen über die Eheschließung ihrer Kinder. Insgesamt steht der Herzog häufig im Mittelpunkt des zweiten Buches, nicht zuletzt wegen seiner Verdienste' um die Mission in den slawisch besiedelten Gebieten.25 In der Forschung ist auch darüber spekuliert worden, daß das während der Arbeit am ersten Buch getrübte und wohl auch später nur wenig bessere Verhältnis Helmolds zu Bischof Konrad die Quellenbenutzung des Geschichtsschreibers entscheidend beeinflußte. So sieht Heinz STOOB die Tatsache, daß Helmold im gesamten Werk nur ein einziges Mal auf eine Urkunde zurückgreift, darin begründet, daß dem Chronisten die in Lübeck aufbewahrte Überlieferung unzugänglich gewesen sei.26 Helmold habe in der Abgeschiedenheit Bosaus nur das dort vorliegende schriftliche Material verwendet oder solche Werke, die ihm aus seiner Braunschweiger Zeit bekannt waren, aus dem Gedächtnis zitiert.27 Im Hinblick auf die von Helmold verwendeten Quellen (unabhängig von der inhaltlichen Einteilung seiner Darstellung) gliedert sich die gesamte Chronik in drei Teile: Für die erste Zeit bis etwa 1066 bildet eine nicht genau bestimmbare Handschrift der Hamburgischen Kirchengeschichte Adams von Bremen die Hauptquelle. Helmold beruft sich explizit auf Adam als Zeugen, dessen Chronik er teilweise wörtlich zitiert.28 Für die Zeit zwischen 1066 und etwa 1115 war Helmold wohl zum -

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Helmold den Tod Konrads tatsächlich nicht hätte übergehen können, ungeklärt bleiben. Schließlich berichtet der Chronist auch nichts von der seit Januar 1172 (Karl Jordan, Heinrich der Löwe. Eine Biographie, München 1979, S. 175; Joachim Ehlers, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum im Hochmittelalter (Persönlichkeit u. Gesch. 154/155), Göttingen-Zürich 1997, S. 96) unternommenen Pilgerfahrt, was angesichts der großen Bedeutung, die dem Hzg. im Werk zukommt, ebenso überraschen mag. Aus der Erwähnung der única filia Heinrichs des Löwen (106, S. 209) wird auf eine Beendigung der Abfassung dieses Kapitels vor Ausgang des Jahres 1172 geschlossen, als eine weitere Tochter aus Heinrichs zweiter Ehe geboren wurde; vgl. z. B. Stoob, Einleitung, S. 7. Helmold 96, S. 189: Sequens opusculum, sicut et precedentia, [dedico] caritati vestrae, o venerabiles domini etfratres. Zur gerade am Schluß der Chronik besonders überhöhten Darstellung Heinrichs des Löwen, die im Hinblick auf die Identifikationsstrukturen Helmolds von großem Aussagewert ist, vgl. unten, Kap. 3.2.2.2.2. Stoob, Einleitung, S. 10. Schmeidler, Einleitung, S. XIV begründet dies anders (und m.E. aufgrund der Darstellung des Chronisten kaum haltbar), nämlich mit einem geringen Interesse Helmolds an „der materiellen Existenz der neugegründeten Kirchen im Slavenlande". Stoob, Einleitung, S. lOf. Vgl. a. Schmeidler, Einleitung, S. XIV. HELMOLD 14, S. 30: Testis est magister Adam, qui gesta Hammemburgensis ecclesiae pontificum disertissimo sermone conscripsit. Die Hs. der Gesta muß zum Teil aus der A- u. zum Teil aus der ...

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

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größten Teil auf mündliche Überlieferung angewiesen. Mit der Darstellung der Schlacht am Weifesholz beginnt der dritte Abschnitt. Für ihn wird angenommen, daß dem Chronisten zahlreiche Ereignisse von Zeugen berichtet worden seien, sofern er sie nicht selbst miterlebt habe. An schriftlichen Quellen lagen neben Adams Hamburgischer Kirchengeschichte auch die Vitae Willehadi und Anskarii vor.29 Ferner zitierte er aus

Ekkehards Weltchronik sowie den Annales sancti Disibodi und benutzte vermutlich, insbesondere in seiner Darstellung Heinrichs IV., sächsische Volksüberlieferungen.30 Außer diesen mittelalterlichen erzählenden Quellen ist die Benutzung einer ganzen Reihe ,klassischer' und ,nachklassischer' sowie ,kirchlicher' Werke nachzuweisen, wobei an erster Stelle die Vulgata zu nennen ist.31 Alle Handschriften der sogenannten Slawenchronik, welche den vollen Text bieten, gehen auf ein Exemplar zurück, das die Werke Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck vereinigte.32 Beide wurden also gemeinsam überliefert, und die Benutzung der Helmoldschen Chronik ist in einer ganzen Reihe späterer Texte aus ,Norddeutschland' nachzuweisen.33 Sämtliche erhaltenen Handschriften sind vom ,Urexemplar' erheblich entfernt, und die Tatsache, daß überhaupt keiner dieser Codices auch nur annähernd in die Zeit des Chronisten zurückreicht, macht noch einmal die bereits oben angespro-

Vgl. Schmeidler, Einleitung zu Adam von Bremen, S. XLIVf. u. Ders., Helmold, S. XII sowie Paul Regel, Helmold und seine Quellen, Diss. Jena 1883, S. 8. Zur Problematik der Hss.-Überlieferung der Gesta vgl. ausführlich oben, Kap. 2.1. Zu Helmolds Quellen vgl. Regel, S. 17-29; Stoob, Einleitung, S. 11 u. Schmeidler, Einleitung, BC-Version

Einleitung

stammen.

zu

S. Xllf. Zu den

Quellen und den hier verwendeten Editionen wird an einzelnen, für die Untersuchung relevanten Textstellen hingewiesen. Vgl. Schmeidler, Einleitung, S. XVf, der Vergil, Ovid, Lukan, Horaz, Terenz, Sallust, Boethius, Sulpicius Severus u. Gregor den Großen nennt. Häufig ist die vielfache Verwendung von Stilmurecht umfasstern bei Helmold hervorgehoben worden. Gegenüber Helmolds „unzweifelhaft sende[n] Kenntnisse[n] in der lateinischen Literatur des klassischen, nachklassischen und kirchlichen Altertums" (vgl. ebd., S. XVII) wurde in seiner Sprache und seinem Stil eine dazu „merkwürdig kontrastierende] Reihe von Unbeholfenheiten, Wiederholungen (und) grammatischen Fehlern" (Stoob, Einleitung, S. 11) konstatiert. Viele Angaben Helmolds wurden aufgrund der Stilmuster als leere, inhaltslose Formeln abgetan (vgl. bes. Dimitrij N. Jegorov, Die Kolonisation Mecklenburgs im 13. Jahrhundert, Bd. 1: Material und Methode, übers, v. Harald Cosack, Bd. 2: Der Prozeß der Kolonisation, übers, v. Georg Ostrogorsky [Bibliothek geschieht!. Werke aus den Literaturen Osteuropas 1], Breslau 1930, S. 129f. u. 139). Demgegenüber sind die Unzulänglichkeiten' auch darauf zurückgeführt worden, daß sich der „in seiner Volkssprache denkende und predigende" Helmold bei der Abfassung seiner Chronik vor Übersetzungsschwierigkeiten gestellt ...

...

sah

(Stoob, Einleitung,

S.

12).

Schmeidler, Einleitung, S. XXV: Die Hss. 1, 2 u. S (vgl. dazu unten, Anm. 34) sind mit Arnold von Lübecks Chronik in Codices verbunden (Hs. 2 nur bis Arnold I, 9). Diese Zusammenfügung beider Werke kann erst nach 1210, dem Jahr der Beendigung von Arnolds Chronik, erfolgt sein

(Schmeidler nimmt ca. 1225 an; vgl. unten, Anm. 35). Die gemeinsame Überlieferung hat vor allem Folgen für die Interpretation der Arnoldschen Chronik. Vgl. dazu eingehend unten, Kap. 4.1. m. Anm. 9 u. 15. Beispielsweise im 13. Jh. im Chronicon S. Michaelis Luneburgensis u. in den Annalen des Albert v. Stade. Weitere Belege auch für spätere Jahrhunderte bei Schmeidler, Einleitung, S. XVII. Daß Arnold v. Lübeck die Chronik Helmolds kannte, ist evident. Siehe dazu unten, Kap. 4.1.

143

Zu Autor und Werk

chene grundsätzliche Problematik einer Übertragung des Identitätsbegriffs auf das Mittelalter deutlich.34 Stammen die Kapiteleinteilungen nach Bernhard SCHMEIDLER von Helmold, so trifft dies weder für die einzelnen Kapitelüberschriften zu, die sich in den Editionen finden, noch für den Titel des Werkes selbst, Chronica Slavorum?5 Gleichwohl sich dieser in der Forschung durchgesetzt hat, ist er nicht nur mißverständlich, sondern letztlich schlichtweg falsch, denn nach dem Inhalt der Chronik und den Intentionen Helmolds zu urteilen ging es dem Autor keinesfalls darum, eine „Geschichte der Slawen" zu schreiben. Daß er dennoch häufig über Slawen berichtet, liegt vielmehr an der Zuständigkeit des Oldenburg/Lübecker Bistums für die Missionierung der Elb- und Ostseeslawen und vor allem diese kommen denn auch in der Chronik vor.36 So ließe sich das Werk treffender als ,Missionschronik der Elb- und Ostseeslawen durch das Bistum Oldenburg/Lübeck' bezeichnen. Zudem scheint der Titel .Slawenchronik' aber auch mit einer bislang überwiegend im Vordergrund stehenden theoretischen und methodischen Zugangsweise der Forschung zu korrelieren, von der sich die folgende Untersuchung gerade absetzen möchte: Denn als ,Chronik der Slawen' gilt der Text letztlich vor allem -

Handschriftenstemma bei Schmeidler, Einleitung, S. XXVI. Das Folgende nach Schmeidler, ebd., S. XVIII-XXVIII, dessen Untersuchungen der Hss. nach Stoob, Einleitung, S. 19 „nichts Neues [hinzuzufügen [ist]". Nach Schmeidler gibt es vier erhaltene Hss.: Hs. 1 (wahrscheinl. Anfang d. 14. Jh.); Hs. la (1472); Hs. 2 (15. Jh.); Hs. 2* (ca. 1512); außerdem der nach Schmeidler, Einleitung, S. XXII „einer Hs. gleichwertig[e]" Erstdruck S (von 1556, neu aufgelegt 1573). Im Mittelpunkt der Edd. Schmeidlers und im Anschluß daran Stoobs steht Hs. 1; wo diese nicht mit S übereinstimmte, entschied Hs. 2. Wie unklar die Textverhältnisse sind, zeigt die Äußerung Schmeidlers, ebd., S. XXIV, ,,[w]eder 1 noch 2, unsere beiden besten Textzeugen, sind frei von Fehlern, aus beiden Hss. muß jeweils nach freiem Ermessen der beste erreichbare Text hergestellt werden." (Hervorhebung von mir). Und auch Stoob, Einleitung, S. 22 konstatierte, daß „[der Herausgeber] den Text selbst aus dem sachlichen Zusammenhang wählen [mußte]." Es ist daher wichtig, im Zusammenhang mit der hier verfolgten Fragestellung auf das bereits oben, Kap. 1.5. m. Anm. 68 angesprochene grundsätzl. Problem des Autor-Begriffs hinzuweisen: Für die Bearbeitung der Helmoldschen Chronik bedeutet dies konkret, daß im wesentlichen aus einer Hs., die etwa einhundertfünfzig Jahre nach Helmolds vermutetem Todesjahr entstand, Rückschlüsse auf einen Autor gezogen werden, dem die Forschung diesen Text erst und dies auch noch „nach freiem Ermessen", wenngleich mit guten Gründen zugeschrieben hat. Die Schwierigkeiten lassen sich freilich nicht mit einer Umgehung des Autor-Begriffs lösen; vielmehr geht es um eine Bewußtmachung dieser grundsätzl. Problematik u. um eine Reflexion der Begriffe wie Autor', ,Identität' und auch ,Zuschreibungen'. Die Termini können sich nur auf einen Autor und einen Text beziehen, die in der Forschung selbst einander zugeschrieben wurden. Zum Titel in Hs. 1 vgl. Schmeidler, Einleitung, S. V Anm. 1 u. Stoob, Einleitung, S. 1 Anm. 1: Incipiunt crónica Slavorum edita a venerabili Helmoldo presbítero; Hss. 2 u. 4: chronica Slavorum. Die älteren Ausschreiber nennen das Werk historia, die jüngeren meist crónica. Vgl. Stoob, ebd. Helmold selbst spricht lediglich von conscriptio (1, S. 5) u. narrado (41, S. 84), immerhin einmal jedoch auch von der hystoria Slavorum (33, S. 66). Die Kapitelüberschriften wurden nach Schmeidler, Einleitung, S. XXVI zuerst in eine nicht mehr erhaltene Hs. von ca. 1225 eingefügt, die Helmolds und Arnolds Werke enthielt. Trotz der Problematik, die mit dem Titel verbunden ist, wird er in der vorliegenden Arbeit aus pragmatischen Gründen verwendet, denn er hat sich in der Forschung durchgesetzt. Es gilt im folgenden grundsätzlich, daß der Begriff „Slawenchronik" immer als „sogenannte Slawenchronik" zu lesen ist. Vgl. dazu unten, Kap. 3.3.3. -

-

,

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

144

denen, die versuchen,

aus ihm die Geschichte oder auch die Siedlungsorte der Slawen rekonstruieren sowie zu detaillierten Angaben über die Beziehungen zwischen Slawen und Deutschen zu gelangen. Es ist nicht zuletzt genau jene Haltung, durch welche die Betrachtung der Chronik in der Forschung ganz wesentlich geprägt wurde, und dieses grundsätzliche Interesse am Werk ist nun eng verknüpft mit dessen Inhalt selbst: Denn Helmold bietet in einem hohen Maß Angaben über die Missionierung der Slawen und die Ansiedlung von (meist sächsischen) Deutschen in ehemals slawisch besiedelten Gebieten, über die Politik Heinrichs des Löwen im nordelbischen Raum sowie über Auseinandersetzungen zwischen den Angehörigen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Gruppierungen mit ihren (vermeintlichen) jeweiligen kulturellen Eigenarten. Aufgrund dieses Inhalts und der fast einzigartigen Stellung des Werkes innerhalb der schlechten Überlieferungssituation für jene Region im Hochmittelalter erhielt die sogenannte Slawenchronik ihre besondere Bedeutung für die Forschung in erster Linie als Quelle für die Geschichte der Elb- und Ostseeslawen einerseits und für die Anfange der deutschen Ostsiedlung' andererseits.37 Es ist nachgerade der Berichtsgegenstand, der die Chronik auch für die in der vorliegenden Arbeit verfolgte Fragestellung zu einer inhaltlich interessanten Textgrundlage macht, denn es steht auf den ersten Blick zu vermuten, daß etwa die Missions- und Siedlungsthematik auch eine große Vielschichtigkeit in den Darstellungen des Eigenen und des Fremden beinhalten könnte. Allerdings ist insbesondere vor dem Hintergrund der älteren Forschung hervorzuheben, daß die folgende Untersuchung von ganz anderen theoretischen und methodischen Prämissen ausgeht. Denn die heftigen und emotional geführten Kontroversen besonders zwischen ,deutschen' und .slawischen' Historikern, die letztlich auf die Rekonstruktion der ,Wahrheit' aus den zahlreichen Angaben zur Missions- und, noch ausgeprägter, zur Siedlungsgeschichte zielte, ließen gerade die Vorstellungswelt des Chronisten völlig außer Acht. Statt dessen zielten die gegenseitigen Angriffe der Terminus scheint angesichts des Kriegsvokabulars in den Untersuchungen gerechtfertigt auf den Nachweis der Glaub- oder Unglaubwürdigkeit der Chronik und nahezu ausschließlich auf die Rekonstruktion von Fakten.38 Darin aber zu

,

-

-

Vgl. bes. Bernhard Schmeidler, Über die Glaubwürdigkeit Helmolds und die Interpretation und Beurteilung mittelalterlicher Geschichtsschreiber, in: NA 50 (1933/34; ND 1957), S. 320-387; Hermann von Breska, Untersuchungen über die Nachrichten Helmolds vom Beginn seiner Wendenchronik bis zum Aussterben des lübischen Fürstenhauses, Diss. Göttingen 1880 (zugl. in: ZVLG 4 [1884], S. 1-67); Ders., Über die Zeit; Harry Bresslau, Zur Chronologie und Geschichte der ältesten Bischöfe von Brandenburg, Havelberg und Aldenburg, in: Forsch, z. brandenburg. u. preuß. Gesch. 1,2 (1888), S. 61-83; Ders., Bischof Marco. Ein Beitrag zur Helmoldkritik, in: DZG 11 (1894), S. 154-163; Fritz Curschmann, Die Entstehung des Bistums Oldenburg, in: Historische Vierteljahrschrift 14 (1911), S. 182-198 sowie Regel. Zur neueren Forschung vgl. meinen Nachtrag in Helmold von Bosau, Chronica Slavorum, ed. Heinz Stoob,

FSGA 19, 6., nach der 2., verb. Aufl. v. 1973, erscheint Darmstadt 2002, u. unten, Anm. 41f. v.a. die sehr polemische Debatte zwischen dem Deutschen Bernhard Schmeidler u. dem Russen Dimitrij N. Jegorov, in deren Kontext Schmeidler, Glaubwürdigkeit, S. 324 das Folgende äußerte: „J[egorov]s gesamte Darlegungen sind getragen von dem Geiste des slavischen Nationalismus, sie können diesem auch jetzt noch und weiterhin als Waffe dienen. (...) Würde die deutsche Forschung nicht die Grundlosigkeit auch der J[egorov]schen Helmoldkritik zeigen, so könnte slavischer Nationalismus immer noch sagen, daß dieser eine Hauptbestandteil des

Vgl.

Zu Autor und Werk

145

drückt sich eine schon eingangs bemängelte Zugangsweise bisheriger Studien aus: das Messen mittelalterlicher Darstellungen an ihrem vermeintlich realistischen Gehalt. Soweit es konkret den Umgang mit Helmolds Chronik betrifft, zeigt sich deutlich die Zugrundelegung eines nationalistisch geprägten Realitätsbegriffs: Denn die Entscheidung über die Fragen, was in dem Text glaub- oder unglaubwürdig, was Fakt oder Fiktion sei und damit auch über die Frage, was die Wahrheit ist, wurde durch die nationale Zugehörigkeit bestimmt und zwar nicht etwa des Chronisten, sondern der Forscher.39 Es ist daher darauf hinzuweisen, daß in der vorliegenden Arbeit, wie oben ausführlich begründet wurde,40 davon ausgegangen wird, daß Helmold gerade nicht ethnische, religiöse und andere Zugehörigkeiten oder etwa kulturelle Eigenarten und Verhaltensweisen wiedergibt, sondern daß er diese Merkmale bestimmten Gruppen aus bestimmten Gründen zuschreibt. Durch die skizzierte Attitüde zeichnen sich vor allem ältere Untersuchungen zur Slawenchronik aus. Von ihnen unterscheiden sich jüngere Arbeiten deutlich durch das Fehlen eines national(istisch)en Interpretationsrahmens, jedoch läßt sich mit Blick auf die Forschungslage insgesamt sagen, daß dem Werk noch immer wesentlich eine Bedeutung als Quelle für die Geschichte der Nordalbingia, der Mission von Elb- und Ostseeslawen, der Besiedelung ihrer Gebiete und nicht zuletzt auch für die Geschichte Heinrichs des Löwen zukommt.41 Gegenüber der wesentlich besseren Forschungslage zu den Gesta Adams von Bremen ist die Slawenchronik selbst bislang nur recht selten und sind die Vorstellungen Helmolds kaum einmal zum Gegenstand der Betrachtung gemacht geworden. Im Hinblick auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist hier zum einen auf Hans-Werner GOETZ' kurze Thematisierung der Identifikationsstrukturen -

J[egorov]schen Gebäudes von der deutschen Wissenschaft unwiderlegt geblieben sei, nicht habe widerlegt werden können, daß also doch wohl etwas daran sei." Bezeichnend für die Nationalisierung u. Politisierung der Debatte ist, daß der dt. Ausgabe des zweibändigen Werks v. Jegorov

mit Druckkostenzuschuß des dt. Reichsinnenministeriums ein dritter Band mit vielsagendem Titel angefügt wurde: Hans Witte, Jegorovs Kolonisation Mecklenburgs im 13. Jahrhundert. Ein kritisches Nachwort, Breslau 1932. Witte schreibt in seinem Vorwort, S. VI: „Hier handelt es sich für uns Deutsche und besonders für uns Mecklenburger um eine Frage, die nicht allein von wissenschaftlicher, sondern auch von weittragender nationaler Bedeutung ist." Wenn Jegorovs und mit einem außerordentlich Angaben stimmten, wäre „unser Deutschtum sehr jung, beträchtlichen Schuß slavischen Blutes versetzt." Und noch 1963 resümierte Heinz Stoob, Einleitung, S. 17 die oben teilweise zit. Antwort Schmeidlers auf Jegorov parteilich mit den Worten: „Abermals folgte der Gegenstoß unmittelbar und durchschlagend." Vgl. zum Hintergrund nationaler Interessen in den Geschichtswissenschaften Gerd Althoff, Die Beurteilung der mittelalterlichen Ostpolitik als Paradigma für zeitgebundene Geschichtsbewertung, in: Die Deutschen und ihr Mittelalter, hg. v. Dems., Darmstadt 1972, S. 147-164 m. Anmerkungen S. 210-217. Vgl. oben, Kap. 1.4. u. 1.5. Vgl. etwa Hans-Otto Gaethke, Herzog Heinrich der Löwe und die Slawen nordöstlich der unteren Elbe (Kieler Werkstücke, Reihe A: Beitrr. z. schlesw.-holst, u. skand. Gesch. 24), Frankfurt a.M. 1999; Friedrich Lotter, Die Konzeption des Wendenkreuzzugs. Ideengeschichtliche, kirchenrechtliche und historisch-politische Voraussetzungen der Missionierung von Elb- und Ostseeslawen um die Mitte des 12. Jahrhunderts (VuF, SonderBd. 23), Sigmaringen 1977; Ders., Bemerkungen zur Christianisierung der Abodriten, in: FS f. Walter Schlesinger, hg. v. Helmut Beumann, Bd. 2 (MF 74/2), Köln-Wien 1974, S. 395-442; Die Slawen in Deutschland u. Fritze. ...

146

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

Helmolds einzugehen, welche den Geschichtsschreiber als von einer christlichen und sächsisch-deutschen Identität geprägt erkannte, die im Einklang mit Abgrenzungen von den heidnischen Slawen stand, während bereits christianisierte Slawen durchaus positivere Bewertungen erfahren konnten.42 Daß Helmold sowohl die sächsische Landnahme slawisch besiedelter Gebiete als auch die gewaltsame Mission befürwortete, legte Friedrich LOTTER nahe,43 allerdings fallen die Urteile der Forschung über das zuweilen sogenannte ,Slawenbild' des Bosauer Pfarrers sehr kontrovers aus: Sie reichen von der Feststellung einer insgesamt positiven Sichtweise bei Johannes NOWAK bis hin zur Meinung Ilona Opelts, die sogar von einem „Slavenhaß" des Chronisten spricht.44 Die Ergebnisse dieser Arbeiten, auf die an jeweiliger Stelle genauer eingegangen wird,45 sind in der folgenden Untersuchung einer Überprüfung zu unterziehen.

43 44

45

Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein, S. 392-395. Anders als im Untertitel angegeben, geht Lutz VON Padberg, Geschichtsschreibung, nicht umfassend auf Helmold ein. Vgl. LOTTER, Bemerkungen, S. 406ff. Vgl. die Untersuchungen von Nowak, S. 104ff. u. Opelt. Vgl. unten, Kap. 3.3.3.

Die Selbstzuschreibungen

3.2.

Die

147

Selbstzuschreibungen Helmolds von Bosau

Anders als die Selbstzuschreibungen Adams von Bremen sind diejenigen Helmolds von Bosau bislang noch nicht zum Gegenstand einer eingehenden Untersuchung gemacht worden,46 jedoch kann in methodischer Hinsicht auf die oben erwähnten Arbeiten zu Adam zurückgegriffen werden. Parallel zum bisherigen Vorgehen liegt auch für Helmold das Hauptaugenmerk zunächst auf den Selbst- und erst in einem zweiten Teil stärker auf den Fremdzuschreibungen, wenngleich hier noch einmal zu betonen ist, daß bereits in den ersten Abschnitten der Untersuchung unweigerlich auch Abgrenzungen Helmolds von anderen in den Blick geraten. Wiederum werden die Selbstzuschreibungen zu Gemeinschaften aus dem ,kirchlichen' und .weltlichen' Bereich getrennt voneinander untersucht, wobei erneut der kontextbezogenen Betrachtung von Wir-Bezügen eine besondere, nicht jedoch eine ausschließliche Bedeutung zukommt. Ein Hauptaugenmerk liegt parallel zur oben angestellten Analyse auf den Gewichtungen der einzelnen Teilidentitäten und auf mutmaßlichen Gründen für die Selbstzuschreibungen. Deshalb sind auch im folgenden Faktoren, welche die Darstellung beeinflussen, einzubeziehen, beispielsweise die historisch-politische Situation zur Abfassungszeit der Chronik, der Adressat und mögliche causae scribendi. Ähnlich wie bei Adam läßt sich auch bereits aus dem Beginn der Helmoldschen Chronik auf die Bedeutung der Gemeinschaften aus dem ,kirchlichen' Bereich für den Geschichtsschreiber schließen. Daher stehen diese auch zunächst im Mittelpunkt der Betrachtung.

3.2.1. Das Bistum Oldenburg/Lübeck und die christianitas Helmold widmet beide Bücher seines Werkes in den Vorreden dem Domkapitel der Lübecker Kirche, die er als seine Mutter bezeichnet. Selbst nach reiflicher Überlegung habe er kein geeigneteres Thema zu ihrem Lobpreis gefunden als die conversio[...] Slavicae gentis his in partibus.41 Denn der Ruhm der Lübecker Geistlichkeit und ihrer Bischöfe, die „das Gebiet der Slawen mit Waffen, Worten und meistens sogar Vergiessung ihres Blutes erleuchtet haben", dürfe nicht übergangen werden, weil sie nach dem Untergang der Oldenburger Kirche die Lubecensium inclitam civitatem zu solch hohem Glanz brachten, daß diese mittlerweile „reicher und glaubenstreuer" wurde als omnes Slavorum opinatissima[e] civitates.4" Helmold hebt besonders die Verdienste seines ...

Vgl. die oben, Kap. 3.1. in Anm. 42 genannte Ausnahme. Praef, S. 1: Reverendis dominis ac patribus sanctae Lubecensis ecclesiae canonicis; 96, S. 189: Sequens igitur opusculum, sicut et precedentia, [dedico] caritati vestrae, o venerabiles domini et fratres. Praef, S. 1: Retractavi in longa meditatione, quid operis acceptarem, quo matri meae, sanctae Lubecensi ecclesiae, aliquem famulatus mei honorem impenderem, sed nichil aptius

occurrit animo, quam ut ad laudem ipsius scribam conversionem Slavicae gentis, quorum scilicet regum sive predicatorum industria Christiana religio his in partibus primum plantata et postmodo restaurata fuerit. Die Einschränkung his in partibus verdeutlicht, daß Helmold mit der Slavica gens hier die ansässigen Slawen meint. Zur Verwendung des Begriffs Slavania und Slavi vgl. unten, Kap. 3.3.3. Ebd., S. 2: Ego autem in eorum laudem, qui Slavorum provinciam diversis etatibus manu, lingua,

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

148

ehemaligen Lehrers und des späteren Bischofs von Lübeck, Gerold, hervor, unter dem sowohl der Ort als Bischofssitz als auch die dortige Geistlichkeit das erste Mal zu Ansehen gekommen seien und auf dessen Zuspruch er die Chronik verfaßt habe. Wie Adam von Bremen stellt somit auch Helmold gleich zu Beginn seines Werkes mit dem Bistum eine Institution in den Vordergrund, der er sich zuschreibt und die er zudem ebenfalls in einen Zusammenhang mit der Mission, in diesem Fall der Slawen, stellt. Darüber hinaus lassen sich Helmolds Zuschreibungen an ähnlichen Elementen der Darstellung ablesen wie diejenigen Adams: an der Betonung des mater-filius-Verhältnisses, der Widmung (hier an das Domkapitel) sowie an der Hervorhebung eines Bischofs. Der

Hinweis auf die Mission schon im Vorwort verweist, ganz wie bei Adam, auf eine Identifikation mit der christianitas. Somit werden bereits in der Praefatio Helmolds Zuschreibungen zu Gemeinschaften aus dem ,kirchlichen' Bereich deutlich, die im folgenden genauer zu prüfen sind. Dafür wird das Hauptaugenmerk zunächst auf den Bericht über die Gründung des Bistums Oldenburg gelenkt. Weil anders als für Adam grundlegende Untersuchungen für Helmold fehlen, ist danach auch ausführlicher auf dessen Darstellung der Bischöfe einzugehen. -

-

3.2.1.1. Die

Gründung des Bistums Oldenburg

Helmolds Bericht über die Gründung des Bistums Oldenburg unterscheidet sich in zwei wesentlichen Aspekten von seiner Vorlage, der Hamburgischen Kirchengeschichte: Er enthält (a) eine andere Begründung für die Unterstellung Oldenburgs unter das Erzbistum Hamburg, und Helmold bezeichnet (b) einen bei Adam nicht erwähnten Marco als ersten Oldenburger Bischof.49 Diese Abweichungen haben zu Forschungskontroversen geführt, die zwar hauptsächlich auf eine Datierung der Bistumsgründung zielten, darüber hinaus jedoch auch zur Klärung dieser beiden Aspekte beitrugen.50 (a) Während Adam die Zuordnung Oldenburgs zur Hamburger anstatt zur Magdeburger Erzdiözese durch Kaiser Otto I. mit der größeren geographischen Nähe begründet,51 schreibt Helmold, daß Otto von seinem ursprünglichen Plan, Oldenburg Magdeburg zu unterstellen, abgewichen sei, weil der Hamburger Erzbischof Adaldag (937-988) alte kaiserliche Privilegien an dem Gebiet, das nun die Oldenburger Diözese umfasse, geltend gemacht habe.52 Sowohl Adams als auch Helmolds Begründungen sind zutref-

plerique etiam in sanguinis effusione illustrarunt, operis huius paginam dicandam arbitror, quorum gloria non erit obstruenda silentio, quia post excidium Aldenburgensis ecclesiae Lubecensium inclitam civitatem Domino favente ad hunc decoris apicem provexerunt, ut inter omnes Slavorum opinatissimas civitates haec iam caput extulerit tarn rerum opulentia quam religione divina. 1 lf, S. 23-25; vgl. Adam II, 16, S. 71f. u. 26, S. 86. Der lange Forschungsstreit über das Gründungsdatum des Bistums Oldenburg ist von Beumann, Gründung, S. 54-69, bes. S. 66 m. Anm. 56 zugunsten der Spätdatierung „nach 968, möglicher-

weise 972" entschieden worden. Dort auch die ältere Lit. Adam II, 16, S. 72: Eum [i. e. das Btm. Oldenburg], quod vicinior nobis est, imperator Hammaburgensi archiepiscopatui subiecit. Vgl. dazu oben, Kap. 2.1.2.1. Helmold 11, S. 23: Hunc episcopatum sicut et ceteros imperator Otto Magdenburgensi primum subicere decreverat, quem tarnen postmodum Adheldagus Hammemburgensis episcopus requisivit, eo quod terminis suae ecclesiae antiquis imperatorum privilegiis esset circumscriptus.

Die Selbstzuschreibungen

149

fend.53 Die Metropolitanzugehörigkeit Oldenburgs, das nach Oktober 968 zum ersten Mal als Suffragan Hamburgs in Erscheinung tritt,54 ist im Zusammenhang mit Modifikationen zu sehen, die Otto I. an seinem ursprünglichen Konzept vornahm, die skandinavischen Missionsgebiete dem Erzbistum Hamburg, den slawischen Missionsraum östlich von Elbe und Saale hingegen einem eigens dafür zuständigen Erzbistum zu unterstellen, das schließlich 968 in Magdeburg eingerichtet wurde. In der Forschung wird in Übereinstimmung mit der Aussage Helmolds angenommen, daß Otto seine Pläne auf Initiative Adaldags änderte, der seinem Erzbistum damit wenigstens den Einfluß in einem Teil des slawischen Missionsgebietes, nämlich demjenigen westlich der Peene, sicherte.55 So wurde das Gebiet der späteren Diözese Oldenburg zunächst dem

Hamburger Suffraganbistum Schleswig unterstellt.56 Helmold beklagt das Fehlen von Nachrichten über bisherige Missionsversuche bei den Slawen durch die Hamburger Erzbischöfe Ansgar, Rimbert und Unni, die er deshalb auch rügt.57 Mit diesem Hinweis auf den Mangel an früheren Missionsanstrengungen, die erst nach den militärischen und politischen Erfolgen Heinrichs I. und Ottos I. möglich wurden, gelingt es ihm, die Notwendigkeit der Bistumsgründung Oldenburgs zu betonen und den Ort zugleich als Basis der späteren Missionserfolge in den Mittelpunkt zu rücken, die er, wie erwähnt, bereits in der ersten Praefatio akzentuierte. Interessant scheint dabei die Begründung, die der Chronist für das Fehlen der Bekehrungsfortschritte durch die Hamburger Erzbischöfe angibt: Denn dieses führt er auf die invincibilis durada der Slavi zurück. So akzentuiert er um so deutlicher die Erfolge der Oldenburg/Lübecker Bischöfe bei der Slawenmission; zugleich aber belegt diese Begründung ganz konkret die wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Fremd- und

Selbstzuschreibungen des Chronisten: Denn die Attribution der durada als Eigenschaft der Slavi fungiert bei Helmold zunächst als Begründung für das Fehlschlagen der Chribezieht sich auf die zuvor genannten Suffraganbistümer Magdeburgs. Die umfaßte das an die Ostsee grenzende Gebiet zwischen limes saxonicus u. Diözese Oldenburger Elbe im Westen sowie Eide u. Peene im Süden u. Osten. Vgl. dazu Bernhard Friedmann, Untersuchungen zur Geschichte des abodritischen Fürstentums bis zum Ende des 10. Jahrhunderts (Osteuropastudd. d. Hochschulen d. Landes Hessen, Reihe I; Gießener Abhh. z. Agrar- u. Wirtschaftsforsch, d. Europ. Ostens 137), Berlin 1986, S. 210-215. Beumann, Gründung, S. 67f. mit weiteren Nachweisen, sieht auch Adams Begründung als wahrscheinlich an. Petersohn, Ostseeraum, S. 18. Bei der missionspolit. Einflußnahme, die möglicherweise auch in Übereinstimmung mit den Obodritenhenschern erfolgte, berief sich Adaldag auf die (angeblich) von Karl d.Gr. u. später Ludwig d.Fr. Hamburg verliehene Missionslegation für den Norden u. Osten. Vgl. Petersohn, Ostseeraum, S. 19f. sowie Beumann, Gründung, bes. S. 62f. Noch bei der Bistumseinteilung, die 948 für den Norden und Osten getroffen wurde, war das Gebiet der späteren Diözese Oldenburg ausgespart worden. Erst 966/967 eroberte der sächs. Hzg. Oldenburg; vgl. Petersohn, Ostseeraum, S. 18f. u. 20 m. Anm. 11. Helmold 6, S. 15f.: Non caret igitur admiracione, quod dignissimi presules et ewangelici predicatores, Anscarius, Reimbertus et... Unni, quorum in conversione gentium ingens claruit Studium, Slavorum curam tantopere dissimulaverint, ut nee per se nee per ministros aliquem in eisfrudum fecisse legantur. Adam betont zwar immer wieder die rechtl. Zuständigkeit des Erzbistums Hamburg für die Sclavania, erst für die Zeit Adaldags berichtet er jedoch konkret von Missionsbemühungen eines Erzbischofs. Der

Begriff ceter[i]

150

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

stianisierungsbemühungen, letztlich dient sie jedoch als Argument für die Notwendig-

keit, diejenige Institution zu gründen, der er sich selbst zuschreibt. (b) Die Erwähnung Marcos als erstem Bischof von Oldenburg hat in der Forschung für

Verwirrung gesorgt, da Adam an dessen Stelle einen gewissen Egward nennt, der bei Helmold erst als Nachfolger Marcos aufgeführt wird.58 Das Kapitel, in dem Marco genannt wird, handelt hauptsächlich von der Vergangenheit Oldenburgs und der Gründung des Bistums. Schon die im Vergleich zu Adam größere Ausführlichkeit der Darstellung zeigt Helmolds größeres Interesse am Berichtsgegenstand: Er schreibt, daß aus den früheren, slawischen Bewohnern Oldenburgs und der Wagira infolge der durch Auseinandersetzungen geprägten Nachbarschaft zu Dani und Saxones tapfere und kriegserprobte Männer wurden, deren reguli über die Obotriti (Obodriten), Kycini (Kessiner) und andere, noch weiter entfernte Slawen herrschten.59 Nach der Eroberung des Gebietes und der Christianisierung seiner Bewohner habe Otto I. Marco zum Bischof von Oldenburg eingesetzt und ihm neben dem Obodritenland bis zur Peene auch Schleswig unterstellt.60 Am Ende des Kapitels scheint es Helmold für notwendig zu befinden, noch einmal zu wiederholen, daß Marco der erste Bischof gewesen sei und den Missionsauftrag für die wagrischen und obodritischen Slawen erhalten habe. Erst nach Marcos Tod sei für Schleswig ein eigener Bischof geweiht worden.61 Trotz der schwierigen Quellenlage wird in der Forschung überwiegend angenommen, daß Marco nicht etwa Bischof von Oldenburg war, sondern vielmehr für das 948 neu gegründete und Hamburg unterstellte Bistum Schleswig geweiht wurde und daß außerdem das Missionsgebiet des erst später gegründeten Bistums Oldenburg einstweilig mit in seinen Zuständigkeitsbereich fiel.62 Mit der Angabe, Schleswig sei nach dem Tod Marcos zu einem selbständigen Bistum geworden, dreht Helmold den Sachverhalt also genau um, denn zu diesem Zeitpunkt erhielt Oldenburg als neugegründetes Bistum in Egward seinen ersten Bischof. Der zweimalige Hinweis auf die Unterstellung Schleswigs unter die Oldenburger Diözese offenbart demnach die Tendenz Helmolds, seinem Bistum infolge höheren Alters den Vorrang gegenüber Schleswig zu geben und den Missionsauftrag Marcos für das Oldenburger Bistum geltend zu machen. Auf einer übergeordneten Ebene läßt sich die Passage in eine ganze Reihe mittelalterlicher Berichte stellen, in denen das Bedürfnis nach der Herstellung einer Gründungstradition deutlich wird.63 Konkret auf die Chronica Slavorum bezogen kann festgehalten werden, daß Helmold die angeblich frühe und alleinige Zuständigkeit Oldenburgs für die Mission der wagrischen und obodritischen Slawen legitimiert, indem er betont, daß weder die Hamburger Erzbischöfe vor der Gründung Oldenburgs noch der (vor Egward 12, S. 25; zu Adam vgl. oben, Anm. 49. Helmolds Quellen für Marco sind unbekannt; vgl. Beumann, Gründung, bes. S. 56-62 u. S. 68 mit weiteren Nachweisen. Helmold 12, S. 24. Ebd.: Preterea civitatem opinatissimam Sleswich, eiusdem curae delegavit. Ebd., S. 25: Primus igitur, ut dixi, huic novellae plantacioni episcopus Marco prefuit, qui populos Wagirorum sive Obotritorum sacro baptismatis fonte lavit. Quo defundo, Sleswich singulari pontífice honorata est. Vgl. stellvertretend für viele Beumann, Gründung, S. 61 m. Anm. 25. Vgl. zum mittelalterlichen Bedürfnis nach Gründungstraditionen Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein, S. 216-237 mit zahlreichen Beispielen. ...

151

Die Selbstzuschreibungen

eigentlich übergeordnete) Bischof von Schleswig eine Konkurrenz bei

der Slawenmis-

sion darstellten.

3.2.1.2. Die Bischöfe

von

Oldenburg/Lübeck

legitimatorischen Konstruktion der Bistumsgründung läßt sich Helmolds Zuschreibung zum Bistum auch an der Darstellung der Bischöfe zeigen, die im folgenden untersucht wird. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Fragen, welche Aspekte den

Neben der

Chronisten

an

den Bischöfen interessieren und nach welchen Kriterien

er

sie bewertet.

3.2.1.2.1. Slawenmission in Krisenzeiten In

Übereinstimmung mit dem von Helmold in der Vorrede zum ersten Buch genannten

Hauptthema,

der Slawenmission durch die

Oldenburg/Lübecker

Bischöfe und Geist-

lichkeit, interessiert sich der Chronist besonders für die Bekehrungsarbeit der einzelnen

Bischöfe. Meist bildet sie den ersten, gerade für die frühe Zeit des Bistums bis zum Aufstand der Westslawen gegen das Ottonenreich 983, in dessen Folge die Mission der Oldenburger Kirche einen herben Rückschlag erlitt, sogar den fast einzigen Aspekt, über den Helmold in bezug auf einen Bischof berichtet.64 Den nachfolgenden Bischöfen, die zwischen 983 und 1018 amtierten, zu einer Zeit, als das Bistum nach dem Einfall der Liutizen und dem Aufstand gegen den christlichen Obodritenfürsten Mstislav unterging, blieb der Zugang zu ihrem Sprengel meist verwehrt.65 Bis auf eine Ausnahme überliefert Helmold kaum mehr als ihren Namen. Gleiches gilt für die Bischöfe bis 1066, als das Bistum Oldenburg nach der zwischenzeitlichen Wiedergründung durch Erzbischof Adalbert von Hamburg-Bremen erneut infolge eines Slawenaufstands unterging und jegliche Missionsarbeit im Gebiet der Obodriten für über achtzig Jahre

unmöglich wurde.66

So erwähnt er etwa bei Marco u. Egward ledigl. deren Erfolge bei der Slawenbekehrung; vgl. 12, S. 25 zu Egward (nach 968-ca. 973); 13, S. 26 zu Wago (ca. 974-vor 983). Zu den Vorgängen vgl. Petersohn, Ostseeraum, S. 22-28 u. Erich Hoffmann, Vicelin und die Neubegründung des Bistums Oldenburg/Lübeck, in: Lübeck 1226. Reichsfreiheit und frühe Stadt, hg. v. O. Ahlers, A. Graßmann, W. Neugebauer u. W. Schadendorf, Lübeck 1976, S. 115-142. Vgl. z. B. 17, S. 36 zu Volkward, der nach seiner Vertreibung durch die Slawen nach Norwegen gegangen sei, um dort zu missionieren (vgl. a. Adam II, 46, S. 107). Die Bischöfe residierten in Mecklenburg; vgl. Petersohn, Ostseeraum, S. 23f. m. Anm. 20, 22, 26 u. 28. Dies betrifft die Bischöfe Eziko (983), zu dessen Amtszeit die Oldenburger Kirche zerstört wurde, Volkward (ca. 988-ca. 990), Reginbert (991/992-1013/14), Meinher (ca. 1029/32-ca. 1035/43), Abelin (ca. 1035/43-ca. 1062) u. Ezzo (ca. 1062-1082). Amtszeiten nach Series episcoporum ecclesiae CATHOLICAE occidentals, Bd. 5,2: Archiepiscopatus Hammaburgensis sive Bremensis, hg. v. Stefan Weinfurter u. Odilo Engels, Stuttgart 1984, S. 59-63. Der erneute Untergang 1066 ereignete sich infolge eines Aufstandes der Liutizen u. Obodriten gegen den Obodritenfürsten Gottschalk. Daß er direkt nach Erzbf. Adalberts Sturz erfolgte u. sich gegen Gottschalk richtete, mit dem der Erzbf. eng zusammengearbeitet hatte, zeigt die unsichere missionspolit. Lage in Wagrien; vgl. Petersohn, Ostseeraum, S. 23-28 u. oben, Kap. 2.3.3.

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

152

tritt in der Chronik aus der Reihe der frühen Weise: Helmold berichtet über ihn ausauf zweifache Bischöfe hervor, und dies gleich führlicher, und er verwendet zudem einen Wir-Bezug.68 Was aber sind die Gründe für diese Hervorhebung, die um so auffälliger erscheint, als sie neben der Erwähnung Bischof Marcos die einzige weitere signifikante Abweichung von der Hamburgischen Kirchengeschichte darstellt, soweit es die Oldenburger Bischöfe der frühen Zeit betrifft? Benno scheint der erste Bischof Oldenburgs seit dem Slaweneinfall von 983 gewesen zu sein, der überhaupt, wenn auch wohl nur vorübergehend, in seiner Diözese wirkte.69 Zwar sind Helmolds Quellen für den Bericht nicht bekannt,70 immerhin läßt sich jedoch aus der Darstellung selbst auf die Motive für die Hervorhebung gerade dieses Bischofs rückschließen, wenn man sie im Zusammenhang mit anderen Passagen in der Chronik liest: Helmold stellt die intensiven Bemühungen Bennos heraus, den bischöflichen Besitz aus der Zeit Ottos I. wiederzuerlangen.71 Das Vorhaben sei jedoch an der simulado et fallada der Slawen gescheitert, die ihr Versprechen brachen, dem Bistum Abgaben zu zahlen. Als ursächlich für diesen Vertrauensbruch bezeichnet Helmold wiederum die avaricia des sächsischen Herzogs Bernhard II. Zwar schreibt der Chronist diese konkrete Stelle nicht aus der Hamburgischen Kirchengeschichte Adams ab, doch führt er hier auffälligerweise ein Argument an, das sich auch in seiner Hauptquelle findet: Aufgrund der hohen Steuerlasten blieben die Slawen „weder gottesfürchtig noch den Priestern irgendwie zugetan".72 Es ist letztlich nicht restlos zu klären, ob Helmold dieses Argument vorträgt, weil er es bereits aus der Hamburgischen Kirchengeschichte kannte und es ihm auf die konkrete Situation, über die er berichtete, anwendbar schien, oder ob sich seine Wertstrukturen mit denjenigen Adams gleichen. Beides erscheint grundsätzlich möglich. Das Interesse beider Geschichtsschreiber an der Mission spricht jedenfalls dafür, daß hier, im Vergleich der beiden Texte, auch parallele Vorstellungen von einem idealen Verhalten der Herzöge durchscheinen. Aufschlußreich im Hinblick auf die Zuschreibungen Helmolds ist seine Begründung für Bennos Verlassen der Diözese: Der Bischof habe sich aus Enttäuschung über die Behinderung seiner Missionsversuche durch weltliche Fürsten schließlich in die Obhut Bischof Bernwards von Hildesheim begeben. Den Slawenaufstand von 1018, das wohl

Lediglich

Benno

(1013/14-1023)67

Bennos Amtszeit läßt Jürgen Petersohn (Series, S. 60f.) mit „1023 aug. 13" enden. Bennos Nachfolger Reinhold ist weder bei Adam noch bei Helmold überliefert. Daher wird Bennos Amtszeit zuweilen bis 1032, dem Todesjahr Reinholds, verlängert; vgl. ebd., S. 61 f. m. Anm. 87. 18, S. 39. Er nennt ihn bei der Weihe d. Hildesheimer St. Michaeliskirche, die er kurz vor seinem Tod vorgenommen habe, noster episcopus Benno. Tatsächlich starb Benno erst ein Jahr darauf. Petersohn, Ostseeraum, S. 24. Seine Angaben gehen weit über Adam II, 49, S. 109-111 hinaus. Benno habe seine Bitte gar bei Ks. Heinrich II. vorgebracht. Helmold führt (18, S. 37) neben Abgabenforderungen auch die Restitutionen der curtes Bosau und Warder in der terra Wagirorum an. Die predia Derithsewe (Dassow), Morize (Müritz) und Cuzin (Quetzin) samt Zubehör, die in remotiori Slavia lagen und olim ad Aldenburgense episcopium pertinuisse antiquitas commémorât, wurden hingegen nicht zurückerstattet. Ebd., S. 38: Quorum tarnen pollicitatio plena simulacione et fallada fuit. (...) Dux quoque Saxonum Bernardus, in armis quidem strennuus, sed totus avaricia infedus, Slavos, quos e vicino pósitos bellis sive pactionibus subegerat, tantis vectigalium pensionibus aggravavit, ut nee memores Dei nee sacerdotibus adquicquam essent benivoli. Zu Adam vgl. oben, Kap. 2.3.3.

153

Die Selbstzuschreibungen

für die Rückkehr in den Sprengel, erwähnt er hier nicht, er akzentuiert mit der Kritik an der avaricia Bernhards einen Mißstand, auf den er mehrfach, auch für seine Gegenwart, hinweist.73 Benno erscheint so als der einzige unter den früheren Bischöfen, der sich instensiv, aber eben vergeblich um das Bistum bemühte und ohnmächtig gegenüber den weltlichen Fürsten außerhalb seines Sprengeis verstarb. Hier, in dieser Hilflosigkeit, enthält die Darstellung Bennos eine auffällige Parallele zu derjenigen Bischof Vizelins, dessen letztliches Scheitern Helmold ebenfalls auf die mangelnde Unterstützung durch weltliche Fürsten zurückführt, wie noch zu zeigen sein wird.74 Vor dem Hintergrund dieser Darstellungsparallelen und der Tatsache, daß Helmold aus dem Rückblick schrieb, ist es durchaus wahrscheinlich, daß er die Hervorhebungen Bennos überhaupt erst vor der Folie seiner Wertungen im Bericht über Vizelin stilisierte, weil er hier einen Anknüpfungspunkt für die seiner Meinung nach in der Gegenwart kritikwürdige Haltung der Fürsten fand. Die ersten knapp einhundert Jahre des Bistums Oldenburg, von seiner Gründung 968 bis zu seinem Untergang 1066, sind demnach in Helmolds Darstellung vor allem durch

eigentliche Hindernis

-

-

meist nur spärliche Angaben über die Bischöfe, ständige Rückschläge bei der Slawenmission und schließlich den Untergang des Bistums gekennzeichnet. Dennoch bemüht sich der Chronist, die Bischofsreihe für die frühe Zeit intakt zu halten:75 Auf diese Weise gelingt es ihm, trotz der zahlreichen Krisensituationen die historische Kontinuität des Bistums zu betonen, und eine intakte Bischofsreihe bildete vor dem Hintergrund der ständigen Auseinandersetzungen mit den Slawen und der praktischen Unmöglichkeit einer Missionsausübung gewissermaßen das einzig mögliche Mittel, diese Kontinuität überhaupt herzustellen. Aus der Betonung der historischen Kontinuität des Bistums aber läßt sich angesichts der krisenhaften Situation durch die Vakanz und die Zerstörung des Bistumssitzes auf Helmolds Identifikation mit dem Bistum schließen, denn gerade die ,Lücken' in der Geschichte der Institution füllte er durch eine Anbindung an ihre Vergangenheit, durch die Erinnerung an ihre Geschichte.76 Helmolds Schilderung einer von den Oldenburger Bischöfen ausgehenden erfolgreichen Slawenmission schon seit der (angeblich frühen) Gründung des Bistums erweckt so den Eindruck, daß die Bischöfe ihre Missionsaufgaben von Beginn an tatkräftig erfüllten. Zudem bindet der Geschichtsschreiber auf diese Weise auch das kurz vor der Abfassungszeit der Chronik 1163 nach Lübeck verlegte Bistum an die ältere Oldenburger Tradition an. Wie unten noch zu zeigen sein wird, korrelieren die Selbstzuschreibungen Helmolds zum Bistum, die in den hier behandelten Passagen ganz überwiegend seinem -

-

Zur Kritik Helmolds an den Herzögen vgl. unten, Kap. 3.2.2.2.1. Zu Benno vgl. Petersohn, Ostseeraum, S. 24 u. Series, S. 61. Benno weilte während des Slawenaufstandes 1018 nicht in seiner Diözese. Über den Slawenaufstand berichtet Thietmar von Merseburg, Chronicon VIII, 5, ed. Robert Holtzmann, MGH SSrG n.s. 9, Berlin 21955, S. 498. Helmold behandelt ihn an anderer Stelle (16, S. 33-36) u. nennt (S. 34) erneut die Habsucht der sächs. Herzöge als Ursache. Vgl. unten, Kap. 3.2.1.2.3. Dem Bericht über Vizelins Einsetzung, mit der 1149 die 84jährige Sedisvakanz endete, stellt er (69, S. 130) eine Liste aller bisherigen Bischöfe voran. Ebenso schließt er (14, S. 30) den Bericht über die Zerstörung der Oldenburger Kirche 983 mit der Reihe bisheriger Bischöfe ab. Hier wird der Zusammenhang zwischen Identität u. institutionellem Geschichtsbewußtsein deutlich, auf den v.a. Hans-Werner Goetz hingewiesen hat (zuletzt vgl. Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein, bes. S. 336-378).

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

154

Interesse

an

der Slawenmission

selbst.77

entspringen,

auch mit den

Darstellungen

der Slawen

Helmolds Zuschreibung zum Bistum kann sich auch in Abgrenzung vom Hamburger Erzbischof ausdrücken. Sie zeigte sich bereits in der Kritik am Fehlen bisheriger Missionsversuche bei den Slawen, besonders deutlich wird sie jedoch im Bericht über den Plan Adalberts, das Bistum Oldenburg zu teilen (ca. 1060ff.).78 Während Adam von Bremen die Einsetzung von Bischöfen in Oldenburg, Mecklenburg und Ratzeburg mit der Freude Adalberts über die Fortschritte bei der Mission in diesen Gebieten begründet, stellt Helmold die (auch von Adam an anderen Stellen seines Werkes kritisierte) unbegründete Eitelkeit und Ungenügsamkeit des Erzbischofs heraus, der für den Erhalt der Patriarchatswürde die Teilung des Oldenburger Sprengeis geplant habe. Geistliche wie Bischöfe habe er in latitudinem gentium geschickt und ihnen dort Bischofssitze gegeben, um sich der Bürde zu entledigen, sie als Gäste an seiner Tafel beherbergen zu müssen.79 Auch der Oldenburger Bischof Ezzo (seit ca. 1062) sei auf diese Weise eingesetzt worden. Der Eingriff Adalberts in den Bestand des Oldenburger Bistums stellt für Helmold vor dem Hintergrund der ohnehin schon bestehenden Bedrohung durch die Auseinandersetzungen mit den Slawen ein kri sen verstärkendes Moment für das Bistum dar, dessen unbestrittene Missionszuständigkeit im wagrischen Teil der Erzdiözese durch die Teilung in Gefahr geraten wäre. Entsprechend heftig ist Helmolds Wortwahl: Eine eingehende Schilderung des Teilungsplans halte er für „überflüssig", weil Adalberts Vorhaben „verständigen Leuten als eine Art unsinnigen Hirngespinstes" erschienen

sei.80

3.2.1.2.2. Die Bischöfe Vizelin und Gerold Bereits oben wurde angedeutet, daß den Chronisten ein enges persönliches Verhältnis mit den Bischöfen Vizelin und Gerold verband,81 und so mag es nicht verwundern, daß die Berichte über diese beiden gegenüber den spärlichen Angaben über die Bischöfe des ersten Jahrhunderts drastisch hervortreten: Sie sind wesentlich ausführlicher und enthalten zudem mehrfach Wir-Bezüge, die auf diese Bischöfe gerichtet sind. Was aber sind die Gründe für die deutliche Hervorhebung der beiden Bischöfe, und in welchen Zusammenhängen verwendet Helmold die Wir-Bezüge? Diesen Fragen ist im folgenden

nachzugehen.

Zunächst einmal ist festzuhalten, daß die Slawenmission für den Chronisten auch in

Vgl. dazu unten, Kap. 3.3.3.

22, S. 44f. Die Datierung des Plans nach Series, S. 54

m.

Anm. 22;

Stoob, Ed., S. 105

Anm.

5,

hingegen 1055-1057. Der Teilungsplan ist im Zusammenhang mit den Zwölfbistums- u. Patriarchatsplänen Erzbf. Adalberts zu sehen; zu diesen vgl. oben, Kap. 2.2.1.2.3. m. Anm. 166f. Helmold, ebd., S. 45: Confluebant igitur in curiam eius multi sacerdotes et religiosi, plerique vermutet

etiam

episcopi, qui sedibus

alleviari cupiens transmisit

suis exturbati mensae eius erant participes. Quorum sarcina ipse in latitudinem gentium, quosdam locans certis sedibus, quosdam

eos

Vgl. Adam III, 20f, S. 162-164. Helmold, ebd., S. 44f: de quibus narrare supervacuum est, incertis.

dam et deliramenta visa fuerint.

Vgl. oben, Kap. 3.1.

eo

quod sapientibus ineptiae quae-

Die Selbstzuschreibungen

155

Darstellungen Vizelins und Gerolds von größtem Interesse ist: Er berichtet eingehend über Vizelins Bekehrungstätigkeit schon vor seiner Weihe zum Bischof von Oldenburg und betont seinen Eifer, an der Slawenmission mitzuwirken.82 Besondere Bedeutung für das Gelingen der Mission kommt dem Verhältnis zum Obodritenherrscher zu.83 Den Bewohnern der Gegend um Faldera (Neumünster), das Lübeck nach den

dem Tod des christlichen Obodritenfürsten Heinrich bereits 1127 als Missionsstützpunkt ablöste, bescheinigt Helmold, daß sie „von der christlichen Religion nichts als den Namen hatten", und er verdeutlicht damit die schwierigen Missionsbedingungen.84 Zwar hebt er mehrfach Vizelins Erfolge hervor, verweist jedoch immer wieder auch auf Rückschläge85 und verdeckt auch teilweise die Schwierigkeiten, indem er Vizelins tatkräftiges Handeln unterstreicht.86 Die Darstellung Vizelins vor seiner Bischofsinvestitur weist in ihrer Konzentration auf die Mission in der Region Faldera-Segeberg einen konkreten Raumbezug auf, der nicht nur als „Einengung [Helmolds] Gesichtskreises" angesehen werden kann, sondern ebenso in dessen persönlicher Beziehung zu Vizelin und in seiner eigenen Biographie begründet liegt.87 Und denkbar ist ebenso, daß der Chronist die Bedeutung Vizelins als Prediger und Seelsorger herausstellte, weil er selbst als Pfarrer tätig war.88 Es ist methodisch kaum haltbar, aus den Darstellungen des Geschichtsschreibers vorschnell darauf zu schließen, er habe mit Vizelin in bezug auf die Pfarrtätigkeit übereingestimmt, denn das ist zwar möglich, aber nicht belegbar.89

Vgl. 46, S. 91: Verleihung des Sendamtes zur Predigt bei den Slawen durch Erzbf. Adalbero v. Hamburg 1126 u. Zuweisung Lübecks als Missionsstützpunkt. Der Hamburger Erzbf, seit 1066 ohne Suffragane, nahm hiermit Einfluß auf die Mission in dem von ihm beanspruchten Slawengebiet westl. der Peene. Seit Beginn der 1120er Jahre hatten Otto v. Bamberg (Pommern) u. Norbert v. Xanten (Havelraum) die Mission im Ostseeraum vorangetrieben, und das 1104 gegründete Erzbtm. Lund meldete ebenfalls Ansprüche an; vgl. Petersohn, Ostseeraum, S. 52f. m. Anm. 15. HELMOLD erwähnt zudem Vizelins Herkunft u. Bildung (42, S. 84-86), die Tätigkeit als Bremer Domscholaster (44, S. 87-89) u. den Aufenthalt in Laon (45, S. 89f). Helmold (46, S. 90-92) begründet diesen seit 1066 erstmalig wieder unternommenen Missionsversuch mit der bereitwilligen Aufnahme Vizelins durch den christl. Obodritenfürsten Heinrich v. (Alt-)Lübeck. 47, S. 93: nichil de religione nisi nomen tantum Christianitatis habentes. Vizelin wurde Priester in Faldera. Aus der Missionsstation für Wagrien ging später das Augustinerchorherrenstift hervor: ebd., S. 92-94. Erfolge z. B. ebd., S. 93f; vgl.

a. 75, S. 143 zu Predigten in Bosau. Zu Rückschlägen infolge der Aufgabe Lübecks als Missionszentrum nach dem Tod Heinrichs vgl. 47f, S. 94f. Zur Mission Vizelins vgl. a. Walther Lammers, Vicelin als Exorzist, in: Ders., Vestigia Mediaevalia, S. 284-302. Vgl. z. B. den stilisierten Bericht (53, S. 104f), nach dem Vizelin bei Ks. Lothar III. 1134 die Errichtung der Burg Sigeberg (Segeberg) als Stützpunkt gegen die Slawen erwirkt habe. Helmold betont hier Vizelins Einsatz für die Befestigung und Sicherung des slaw. Missionsgebiets, läßt damit gleichzeitig jedoch auch erkennen, daß diese notwendig waren.

Jedenfalls kann man dies annehmen, wenn man davon ausgeht, daß sich Helmold zw. 1134 u. 1138 in der Schule des Segeberger Augustinerchorherrenstifts befand und 1138 mit Vizelin und den Mönchen vor den Slawen nach Faldera floh. Vgl. oben, Kap. 3.1. Zitat: Wattenbach/ Schmale, Bd. 1, S. 431. Die Orte wurden nach der Aufgabe Lübecks zu den neuen Missionszentren; vgl. Lotter, Bemerkungen, S. 422. Zu Helmolds Auskünften über den Inhalt der Predigten Vizelins vgl. Lammers, Formen, S. 189ff. Hein, S. 129 m. Anm. 208 weist auf Parallelen in den Auffassungen Helmolds u. Vizelins von der Pfarrtätigkeit hin. Vor übereilten Schlüssen ist jedoch zu warnen, denn Vizelins Tätigkeit ist v.a.

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

156

Abseits dieser Mutmaßungen kann konstatiert werden, daß in jedem Fall Vizelin mit seinen Missionsbemühungen genau das Hauptkriterium erfüllte, das Helmold auch bei seinen Vorgängern für erwähnenswert hielt und in diesem Aspekt eines überwiegenden Interesses an der Mission der eigenen Bischöfe ist der Chronist wiederum Adam von Bremen vergleichbar. So steht denn auch für die Zeit nach Vizelins Investitur zum Oldenburger Bischof, die 1149 stattfand, die Slawenmission im Vordergrund der -

Darstellung.

Für Helmold bildet dieses Jahr einen Einschnitt in der Geschichte des Bistums: Erst nach einer Sedisvakanz von über acht Jahrzehnten, konnte die Mission durch einen Oldenburger Bischof wieder aufgenommen werden. Die Spannungen zwischen dem Hamburger Erzbischof, dem sächsischen Herzog und dem holsteinischen Grafen, auf die unten noch zurückzukommen sein wird,90 prägten sowohl die Einsetzung Vizelins als auch die wenigen Jahre bis zu seinem Tod 1154, und so stellt sich die Situation trotz der von Helmold mehrfach betonten Missionserfolge doch eher ernüchternd dar:91 Nach wie vor lag Oldenburg inmitten eines Gebietes heidnischer Slawen, so daß Vizelin selbst an seinem nominellen Bischofssitz missionierte, während er zeitweilig in Bosau

jetzt,

residierte.92

Noch positiver als Vizelin wird von Helmold lediglich dessen Nachfolger Gerold bewertet. Anders als bei dem letztlich gescheiterten Vizelin weist Helmold mehrfach auf das gute Verhältnis Gerolds zu den weltlichen Fürsten hin und betont deren Zusammenarbeit.93 Der Bischof widmete sich der Organisation von Pfarrsprengeln, der Errichtung von Kirchen sowie der Berufung und Ausstattung der Priester.94 Das enge Verhältnis Helmolds zu Gerold wird besonders in den beiden Kapiteln über die 1156 unternommene Visitationsreise durch die Wagira und in ulteriorem Slaviam deutlich.95 Der Bericht ist in Wir-Form gehalten und als Augenzeugenbericht gestaltet. Auf diese Weise schreibt sich Helmold der Gruppe der Reisenden zu, die auch Bischof Gerold aus Helmolds Darstellung bekannt, aus der deshalb ledigl. Rückschlüsse auf dessen Auffassungen gezogen werden können. Denn was für die Schilderungen der Verhaltensweisen u. Eigenschaften fremder Völkerschaften gilt, daß sie nicht einfach als das Abbild ,der Realität' verstanden werden dürfen, sondern als Zuschreibungen des Autors, die aus bestimmten Gründen erfolgen, zu werten sind, gilt selbstverständlich auch für die Darstellungen Vizelins u. anderer Bischöfe. Vgl. unten, Kap. 3.2.1.2.3. Der Streit zwischen Erzbf. und Hzg. überdauerte die Amtszeit Vizelins, der bald alt u. krank verstarb (78, S. 146f), u. schließlich macht auch Helmold Vizelins Scheitern deutlich (z. B. 75, S. 143-145). Er weist mehrfach darauf hin, daß die Fürsten den Bf. an der Amtsausübung hinderten (z. B. 73, S. 139 u. 75, S. 143). Zur Mission in Oldenburg vgl. 69, S. 134. Vgl. z.B. 84, S. 165: Crevit igitur opus Dei in Wagirensi terra, et adiuverunt se comes et episcopus ope vicaria. Vgl. a. 90, S. 175f. Vgl. z. B. 84, S. 164: neuer Bau der Oldenburger Kirche; ebd., S. 163: episcopus noster accersivit de Faldera Brunonem sacerdotem. 95, S. 186: Gerolds Sorge um eine rege Teilnahme am Gottesdienst. Vgl. zum Folgenden 83f, S. 158-161. Der Begriff ulteriora Slavia kennzeichnet hier das Gebiet nur wenige Kilometer nördl. Oldenburgs, wie aus dem Kontext, der Zerstörung des bei Putlos zu vermutenden Prove-Heiligtums, hervorgeht (84, S. 160); vgl. Lammers, Hochmittelalter, S. 341. Schon die Wahl dieses Begriffs läßt deutlich werden, daß der locus cathedralis in slaw. besiedeltem Gebiet lag.

157

Die Selbstzuschreibungen

sowie dessen Bruder und Nachfolger Konrad (I.) umfaßt. Der Weg führt die Gruppe zunächst nach Oldenburg, das zwar einerseits als locus cathedralis, andererseits jedoch auch als „verlassen" bezeichnet wird.96 Nur wenige Slavi wohnen der Predigt Gerolds bei, und so bietet sich insgesamt ein eher trostloses Bild der Mission. Helmold beschreibt den Besuch beim slawischen Fürsten Pribislaw, gibt an, von der hospitalitatis gratia der Slavi positiv überrascht gewesen zu sein und nimmt die Reise zum Anlaß, über religiöse Vorstellungen und leges der Slawen zu berichten. Deutlich tritt in dieser Passage zutage, daß der Chronist die Reise schon mit einem bestimmten Wissen über die Slawen antrat: Deren Gastfreundschaft, von der er zuvor soviel gehört habe, könne er durch eigene Erfahrungen nur bestätigen.97 Helmold schildert die Beschaffenheit des slawischen Prove-Heiligtums und berichtet, wie die christlichen Reisenden auf Gerolds Aufforderung hin zu dessen Zerstörung schritten: Nachdem der Bischof selbst die Ein-

setzten alle gemeinsam, trotz ihrer Angst vor Überfällen der Slawen, das Heiligtum in Brand. Gerold erscheint in dem Bericht besonders eifrig und tatkräftig bei der Mission, zu der nach Helmolds Meinung auch die Zerstörung von

gangstore zerschlagen hatte,

Heiligtümern gehört. Unabhängig von ihrer Glaubwürdigkeit98 wird in dieser Passage die christliche Teilidentität des Geschichtsschreibers in der Befürwortung der Zerstörung einer heidnischen Kultstätte deutlich, aber nicht nur das: Anders als in den bislang behandelten Fällen, in denen die Mission lediglich ein wesentliches Kriterium Helmolds für die Bewertung der Bischöfe bildete, stellt er hier sich selbst als aktiv Handelnden dar. Die

Reise in ulteriorem Slaviam führt zum Kontakt mit den Bewohnern; sie bietet nicht nur die Möglichkeit zur Reflexion von Vorwissen, sondern auch zur Selbstdarstellung. Helmold erfüllt hier somit genau das Hauptkriterium in eigener Person, das seine Identifikation mit den Bischöfen bestimmt: die tatkräftige Unterstützung der Slawenmission. Auch das Kapitel über Gerolds Tod ist in Wir- und Ich-Form gehalten. Helmold, der sich möglicherweise am Sterbelager in Bosau befand, drückt so noch einmal seine Verbundenheit mit dem Bischof aus,99 die sich in einem beispielhaften Bild Gerolds widerspiegelt: Dieser erscheint in der Chronik als derjenige Bischof, der Helmolds Bewertungskriterien auf eine ideale Weise erfüllt. Zwar richtet der Geschichtsschreiber auf keine andere Gemeinschaft so häufig WirBezüge wie auf das Bistum Oldenburg/Lübeck, jedoch sind diese sehr ungleich verteilt: Sie finden sich alle im ersten Buch des Werkes, und von den dreizehn in der gesamten Chronik namentlich genannten Bischöfen werden neben Benno lediglich die zu Hel-

molds Lebzeiten amtierenden Vizelin

(5) und Gerold (14) mit direkten Identifikationen

83, S. 158: urbs desertapenitus, non habens menia vel habitatorem nisi sanctuariumparvulum. Ebd. Illic experimento didici, quod ante fama vulgante cognovi. Zu den leges vgl. ebd., S. 159; zu heidn. Vorstellungen u. der Kultstätte: 84, S. 160. Hinsichtlich der Fremddarstellung Helmolds ist diese

Passage von besonderem Interesse. Vgl. dazu unten, Kap. 3.3.3.3.

Jegorov, S. 52ff. bezweifelt die Glaubwürdigkeit Helmolds an dieser Stelle. Dagegen Schmeidler, Glaubwürdigkeit, S. 339-344. 95, S. 186f: Fateor non meminisse me vidisse virum magis exercitatum in divino officio, frequentiorem in psalmodia et vigilia matutina,

benigniorem clero.

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

158

bedacht.100 Die Berichtsnähe kann jedoch keineswegs als alleiniger Grund für diese quantitative Häufung gelten, denn auf den zur gesamten Abfassungszeit der Chronik

amtierenden Bischof Konrad I. (1164-1172) richtet Helmold keinen einzigen WirBezug. Bevor nach möglichen Gründen hierfür gefragt wird, ist im folgenden zunächst auf die direkten Identifikationen und ihren Berichtszusammenhang einzugehen, denn es ist auffallend, daß Helmold die Wir-Bezüge auf Vizelin und Gerold meist in der Darstellung ihrer langwierigen und problematischen Investituren verwendet und hier dezidiert auf Auseinandersetzungen zwischen dem sächsischen Herzog und dem Hamburger Erzbischof verweist. Die Berichte über die Bischofseinsetzungen werden im folgenden zunächst getrennt voneinander vor ihrem jeweiligen historischen Kontext betrachtet, um anschließend nach den Funktionen dieser Darstellungen zu fragen. Dadurch wird es möglich, unter Einbeziehung der Situation des Bistums Lübeck zur Abfassungszeit zu Aussagen über mögliche causae scribendi des Werkes zu gelangen. 3.2.1.2.3. Das

Investiturproblem: Konfliktlinien

a) Die Investitur Vizelins Allein vier der fünf Wir-Bezüge auf Vizelin stehen im Kontext seiner Einsetzung zum Bischof von Oldenburg.101 Die Darstellung der Investitur nimmt in der Chronik breiten

Raum ein und bildet für Helmold den Anlaß, über einen Interessenskonflikt zwischen dem Hamburger Erzbischof Hartwig (1148-1168) auf der einen, sowie Herzog Heinrich dem Löwen und Graf Adolf II. von Holstein auf der anderen Seite zu berichten, der in der Forschung als „nordelbischer Investiturstreit" bezeichnet worden ist: Vizelin geriet zwischen die am Streit beteiligten Parteien, da ihn der Erzbischof 1149 ohne vorherige Rücksprache mit dem Herzog und dem Grafen ernannt hatte. Adolf verweigerte dem Bischof daraufhin die Zehntzahlung, und Heinrich der Löwe forderte von Vizelin als Bedingung für seine Anerkennung und die Ausstattung des Bistums die Lehnshuldigung. Helmold schildert die unterschiedlichen Standpunkte außerordentlich ausführlich und stellt die ausweglose Zwangslage des Oldenburger Bischofs pointiert heraus.102

Zwanzig Wir-Bezüge, etwa ein Fünftel von allen, beziehen sich auf das Btm.: 69, S. 133 (2x); 70, S. 135; 75, S. 143; 79, S. 148 (Vizelin); 80, S. 150f. (3x u. ein weiterer nur in Hs. 2 [vgl. Stoob, Ed., S. 274 Anm. e]); 83, S. 156-158 (8x); 84, S. 162f. (2x); 87, S. 171 (Gerold). Vgl. zum Folgenden 69f, S. 130-136. Ausnahme: Wir-Bezug in 79, S. 148 (Wundertätigkeit Vizelins). Während er den Erzbf, die Bremer Geistlichkeit u. den Hzg. ihre Forderungen wörtl. vortragen läßt, erscheint Vizelin, ohne zu widersprechen, als passiver Zuhörer den entgegengesetzten Interessen ausgeliefert. Heinrich v. Weida, einen Ministerialen Heinrichs d. Löwen, läßt Helmold in direkter Rede zu Vizelin sprechen: Nur mit herzogl. Unterstützung könnten eine Ausstattung des Bistums, Kirchbau u. Slawenbekehrung erfolgen; weder der Ks. noch der Hamburger Erzbf. seien

ohne dessen Einverständnis dazu in der Lage. Der Stab (virga), den Vizelin zum Zeichen der Belehnung aus der Hand des Herzogs empfangen soll, wird in dem Zitat, daß Helmold dem Ministerialen in den Mund legt, zum Stäblein (virgula), das zu nehmen für den Bf. ein Leichtes sei, wenn er den Nutzen bedenke, der ihm daraus erwüchse. Es handelt sich hier m.E. eindeutig um eine Stilisierung durch Helmold. Anders Gaethke, Herzog, S. 33f, der davon ausgeht, daß Heinrich v. Weida den Begriff virgula selbst gebrauchte, was jedoch unwahrscheinlich erscheint, wenn

159

Die Selbstzuschreibungen

Vizelins Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer herzoglichen Belehnung weil sie der consuetudo entgegenstehe werden vom Erzbischof und der Bremer Geistlichkeit mit demselben Argument unterstützt.103 Daß Hartwig dem Oldenburger Bischof von einer Belehnung durch den Herzog abrät, bezeichnet der Chronist jedoch als Einflußnahme, die das Bistum vielfach behindert habe, denn Heinrich der Löwe verweigerte daraufhin auch künftig die Ausstattung.104 Helmold kritisiert sämtliche am Konflikt beteiligten Fürsten, durch deren Verhalten Vizelin seit seiner Bischofsnominierung zum „Bittsteller bei jedermann" geworden sei,105 und dies, obwohl er durchaus geneigt gewesen wäre, „zum Vorteil der Kirche dem Streben des Herzogs nach weltlicher Ehre nachzugeben", wenn der Erzbischof und die Bremer Geistlichkeit nur zugestimmt hätten.106 Entsprechend positiv bewertet er trotz seiner Skepsis gegenüber der herzoglichen Forderung die Entscheidung Vizelins, die Belehnung von Heinrich letztlich doch zu empfangen, hatte sie doch die sofortige Ausstattung des Bistums zur Folge.107 Dem fehlenden Handlungsspielraum des Bischofs stellt er die Fortschritte nach seiner Belehnung -

-

gegenüber. Für die Gewichtungen der Teilidentitäten Helmolds ist die Darstellung der Investitur Vizelins besonders aussagekräftig: Während der Geschichtsschreiber an anderen Stellen bedenkt, daß Helmold nur durch die Wahl bestimmter Begriffe die Passivität Vizelins deutlich machen konnte. Vgl. zur Unterstützung meiner Argumentation a. unten, Anm. 107. Zu Heinrich v. Weida vgl. Joachim Ehlers, Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat, in: Ders., Ausgewählte Aufsätze, hg. v. Martin Kintzinger u. Bernd Schneidmüller (BhS 21), Berlin 1996, S. 451-488, hier S. 460 m. Anm. 37 u. weiteren Nachweisen. Helmold 69, S. \3\: prêter consuetudinem. Helmold fügt hinzu: Episcopus enim investiré solius imperatoriae maiestatis est. Daß Heinrich die Belehnung mit der virga verlangte, veranlaßte Ehlers, Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat, S. 443, der virga mit Stab übersetzt, die Differenz zu einer dem Ks. vorbehaltenen Belehnung mit dem Zepter herauszustellen. Dagegen argumentiert Gaethke, Herzog, S. 33f. m. Anm. 53, daß virga in dieser Passage durchaus auch als „Bischofsstab und Zepter" verstanden werden könne. Helmold, 69, S. 133: Parturivit sane persuasio haec novellae plantacioni multiplex impediman

mentum.

75, S. 143: Domnus enim archiepiscopus et dux, in quibus summa rerum in hac terra consistebat, prepedientibus simul odio et invidia nullos Deo plácitos frudus faceré poterant. (...) Sed nee comes Adolfus, licet in multis probatus, rebus episcopalibus animum plene aecommodaverat. 69,

S. 133: Videres igitur virum antea magni nominis, possessorem libertatis et compotem suimet, post aeeeptum episcopale nomen quasi innodatum vineulis quibusdam et supplicem omnium. Ebd.: Pontifex autem humilis facile inclinatus fuisset, ut propter lucrum ecclesiae duci secluaris

honoris cupido morem gessisset, si archiepiscopus et ceteri Bremensium non obstitissent. Helmolds Begründung für die Weigerung des Erzbischofs lautet: vaniglorii... numerum suffraganearum sedium curabant (ebd.). Helmold kritisiert am Erzbf. insbesondere, daß er die Besitzungen „unseres Bischofs" in Faldera eingezogen habe. Helmold stellt die Bürde der herzogl. Belehnung für Vizelin heraus: Die virgula wird nun wieder zur virga. (vgl. oben, Anm. 102f). Heinrich übertrug Vizelin das Gut Bosau und bewog Graf Adolf, dem Bf. die Hälfte des einbehaltenen Zehnten zu überlassen. Der Zehnt stellte neben der Dotation des Herzogs wohl die einzige sichere u. regelmäßige Einnahme des Bischofs dar. Vgl. dazu Georg Loy, Der kirchliche Zehnt im Bistum Lübeck von den ersten Anfangen bis zum Jahre 1340, in: SchrrVSchlHolstK 11/ 5,1, Kiel 1910, S. 1-71, hier S. 52 u. Wolfgang Radtke, Die Herrschaft des Bischofs von Lübeck. Ein Beitrag zur Verfassungs- und Sozialgeschichte, Diss. Hamburg 1968, S. 20.

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Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

der Chronik seine Verbundenheit mit Herzog und Grafen offen bekundet, übt er hier an beiden Kritik.108 Sein Interesse richtet sich ganz auf eine rasche Einsetzung Vizelins, welche durch die streitenden Fürsten behindert wird. Die Identifikation mit den Interessen des Bistums erhält hier demnach den eindeutigen Vorrang vor möglichen anderen. Auch Helmolds Entscheidung zwischen den Konfliktparteien ist hiervon geprägt. Er unterstützt die Argumentation Hartwigs gegen die herzogliche Belehnung, indem er die Ausschließlichkeit des kaiserlichen Investiturrechts mehrfach wiederholt, als eigentliche Verzögerer der Investitur aber erscheinen dennoch der Erzbischof und die Bremer Geistlichkeit. Zwar wirft er auch Heinrich dem Löwen das Streben nach weltlichem Ruhm vor, nimmt dessen Forderung der Lehnshuldigung trotz seiner Zweifel jedoch in Kauf, weil nur der Herzog eine Ausstattung des Bistums und somit letztlich eine erfolgreiche Slawenmission gewährleisten konnte.109 So äußert sich die Zuschreibung zum Bistum Oldenburg auch in einer starken Abgrenzung vom Hamburg-Bremer Erzbischof. Der kontextuelle Rahmen der Wir-Bezüge, der „nordelbische Investiturstreit", ist in der Forschung vielfach behandelt worden und daher an dieser Stelle nur kurz zu skizzieren.'10 Nach dem Wendenkreuzzug 1147, an dem Hartwigs Vorgänger Adalbero ebenso wie der Herzog teilgenommen hatte, forderte letzterer eine Beteiligung an der bevorstehenden Kirchenorganisation des Obodritengebietes und beanspruchte für sich das Investiturrecht in den Bistümern."1 Darüber hinaus verweigerte er der Kirche bis zur Erfüllung dieser Forderung seine Unterstützung."2 Besonders der Hamburger Erzbischof mußte sowohl seine Jurisdiktionellen Rechte als auch seine landesherrschaftlichen Ansprüche bedroht sehen, denn Heinrich griff hier in seine Interessensphäre ein, und dies in einer Phase, in der Hartwig seinerseits den missionspolitischen Rückstand des

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Zudem zeigt sich hier erneut eine schon oben, Kap. 3.2.1.2.1., erwähnte Kritik am Erzbf. v. Hamburg. Zur Verbundenheit Helmolds mit Herzögen u. Grafen vgl. unten, Kap. 3.2.2.2. u. 3.2.2.3. Vgl. bes. 69, S. 133 (Wenn Vizelin sich nicht nach dem Hzg. richte, werde er contra impetum fluminis iri) sowie 73, S. 139 (in hac enim terra sola ducis audoritas attenditur). Vgl. zum Folgenden Jürgen Petersohn, Die Kirchenpolitik Heinrichs des Löwen in der sächsischen Slawenmark, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Weifen 1125-1235. Kat. d. Ausstellung Braunschweig 1995 (Hzg. Anton Ulrich-Mus.), Bd. 2: Essays, hg. v. Jochen Luckhardt u. Franz Niehoff, München 1995, S. 144-148; Ders., Ostseeraum, S. 58-60; Ehlers, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum; Ders., Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat, sowie Karl Jordan, Die Bistumsgründungen Heinrichs des Löwen. Untersuchungen zur Geschichte der ostdeutschen Kolonisation (MGH Schrr. 3), Stuttgart 1939 (ND 1962), S. 81-91 u. 133-137. Zu den Folgen des Wendenkreuzzugs vgl. darüber hinaus Lotter, Konzeption, S. 76-80. Und zwar mit der Begründung, diese Gebiete stünden ihm erb- und eroberungsrechtlich zu. Vgl. a. Helmold 69, S. 131 u. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 6-8. Der kaiserliche Einfluß war seit dem Tod Lothars III. nur schwach ausgeprägt, so daß Heinrich zum mächtigsten Herrscher der Region aufstieg; vgl. Lammers, Hochmittelalter, S. 330f. Der Forschung ist es nicht gelungen, die Ansprüche Heinrichs überzeugend zu begründen. Die markgräfl. Stellung, die Jordan, Bistumsgründungen, S. 83, u. in Anlehnung an diesen Glaeske, S. 157 betonen, kann allein kaum als ausreichende Rechtsgrundlage angenommen werden; vielmehr leitete Heinrich die Forderungen wohl v.a. aus seiner Machtposition ab; vgl. Ehlers, Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat, S. 460 mit dem überzeugenden Argument, es existiere kein Beleg für solche Befugnisse eines Markgrafen.

Die Selbstzuschreibungen

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Wiederherstellung der Bistümer Oldenburg und Mecklenburg auszugleichen suchte."3 Vizelins doppelte Abhängigkeit vom Herzog einerseits und dem Erzbischof andererseits bringt Helmold in seiner Darstellung deutlich zum Erzbistums mit der raschen

Ausdruck.

b) Die Investitur Gerolds Die Darstellung der Investitur Gerolds (1154-1163) weist mit derjenigen der Einsetzung Vizelins einige Parallelen auf: Auch sie nimmt in der Chronik breiten Raum ein, erneut findet sich der Großteil der Wir-Bezüge auf den Bischof ausgerechnet im Kontext des Berichts über seine Einsetzung, die sich zudem wiederum durch den Konflikt zwischen Herzog und Erzbischof verzögerte."4 Heinrich der Löwe war 1154 von Kaiser Friedrich I. ermächtigt worden, im Gebiet nördlich der Elbe Bistümer zu gründen, sie auszustat-

auszuüben."5 Mit Gerold designierte der Herzog noch im selben Jahr einen Mann aus seinem engsten Umkreis zum Bischof von Oldenburg."6 Helmold behauptet nun, daß Klerus und Volk

ten und in den bereits bestehenden Bistümern das Investiturrecht

sich insbesondere gegen die Unterstellung der Bistümer unter einen Landesfürund brachte damit auch Überzeugungen der Reichskirche insgesamt zum Ausdruck. Die Investitur Vizelins erfolgte, ohne daß 1149 eine Kirche oder christl. Gemeinde in Oldenburg vorhanden waren, trotz fehlender Ausstattung Vizelins und einer ablehnenden Haltung der slaw. Herrscher gegenüber den beiden neuen Bischöfen von Oldenburg u. Mecklenburg. Vgl. a. Hoffmann, Vicelin, S. 132f; Ehlers, Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat, S. 464. Der Konflikt wurde zusätzlich durch Übergriffe Heinrichs d. Löwen auf das Erbe des Stader Grafensohnes Hartwig verschärft; vgl. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 31-33. Allein neun von insgesamt vierzehn Wir-Bezügen finden sich in den zwei Kapiteln über die Einsetzung Gerolds: 80, S. 149-152 (3x u. einer nur in Hs. 2); 83, S. 156-159 (6x). Gründete sich Heinrichs Anspruch auf die Bischofsinvestitur bei Vizelin noch auf seine Machtposition, so war sie nunmehr auch rechtl. legitimiert worden: Vgl. DFI 80 (von 1154), Die Urkunden Friedrichs I., ed. Heinrich Appelt, MGH DD Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 10.1, Hannover 1975, S. 132-134. Daß dieses in der Forschung vielbehandelte Diplom auf dem Goslarer Reichstag Ende Mai/Anfang Juni 1154 erlassen wurde, steht mittlerweile außer Zweifel. Dagegen wurden Inhalt u. Grenzen der Befugnisse Heinrichs durchaus kontrovers diskutiert. Vgl. etwa Jordan, Bistumsgründungen, S. 121 f.; Wolf-Dieter Mohrmann, Das sächsische Herzogtum Heinrichs des Löwen. Von den Wegen seiner Erforschung, in: Heinrich der Löwe, hg. v. Dems. (VdNdsA 39), Göttingen 1980, S. 44-84, hier S. 70-72 u. Ehlers, Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat, S. 461 f. m. Anm. 43. Gerold wurde nach dem 12. Dez. 1154 (Todesdatum Vizelins) eingesetzt und starb am 13. Aug. 1163 (vgl. Series, S. 65f). Schon in UHdL 7 (von 1146), Die Urkunden Heinrichs des Löwen, Herzogs von Sachsen und Bayern, ed. Karl Jordan, MGH Laienfürsten- und Dynastenurkunden der Kaiserzeit 1, Leipzig 1941, S. 14, zählt er zu den Zeugen. In UHdL 6 (von 1144; ebd., S. 10) wird er als Kaplan u. Notar aufgeführt. Gerold war Kanoniker u. Leiter der Schule am St. Blasiusstift (Helmold 80, S. 272). Zu ihm vgl. bes. Joachim Ehlers, Die Anfange des Klosters Riddagshausen und der Zisterzienserorden, in: Ders., Ausgewählte Aufsätze, S. 489-520, hier S. 515f. Die rasche Wiederbesetzung des Bistums nach dem Tod Vizelins läßt auf eine lange Vorbereitung schließen: Oldenburg nahm in dem für Heinrich „zukunftsträchtigen, expansionsfähigen Raum" nördlich der Elbe, in dem er den künftigen Schwerpunkt seiner Herrschaft setzen wollte, eine „Schlüsselposition" ein; vgl. Ehlers, Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat, S. 516. Dafür spricht auch, daß Herzogin Clementia in Abwesenheit Heinrichs die Designation Gerolds vornehmen konnte.

Hartwig wandte sten

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Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

162

Oldenburg der Ernennung Gerolds durch den Herzog, die er als electio und peticio bezeichnet, zustimmten, und zwar durch eine „einhellige Wahl" (concors electio)?11 Er widerspricht damit allerdings seinen Aussagen an anderen Stellen der Chronik, die darauf hindeuten, daß zum Zeitpunkt der Ernennung Gerolds weder Klerus noch Volk am Bischofssitz weilten, ja es kann sogar als gesichert gelten, daß der Einfluß Heinrichs des Löwen auf die Besetzung der nordelbischen Bistümer gerade im Fehlen funktionierender Wahlkörperschaften gründete."8 So stellt sich die Frage nach den Gründen für diese Betonung einer einmütigen Wahl durch das Domkapitel. Darauf wird unten zurückzukommen sein, hier ist zunächst einmal auf den Hintergrund des wiederum langwierigen Prozesses der Einsetzung Gerolds einzugehen, denn dieser verweist erneut auf den Konflikt zwischen dem Herzog und dem Erzbischof, weil Hartwig nach Helmolds Bericht ganz unbegründet dem herzoglichen Kandidaten die Weihe verweigerte."9 Parallel zum Bericht über Vizelin verwendet Helmold auch gerade in der Darstellung der Begegnungen zwischen Gerold und den streitenden Parteien WirBezüge.120 Infolge der ablehnenden Haltung Hartwigs wird Gerold schließlich auf Drängen des Herzogs von Papst Hadrian IV. in Rom geweiht, und so ist die Besetzung des Bistums nach dem Bericht vor allem dem tatkräftigen Handeln Heinrichs des Löwen zuzuschreiben.121 Im Zwiegespräch zwischen (dem nun geweihten) Gerold und Hartwig, in welchem ersterer seinen Erzbischof um Anerkennung bittet, äußert Helmold vier weitere Wir-Bezüge, er läßt jedoch Gerold im Gegensatz zu Vizelin das Gespräch aktiv mitgestalten, und Hartwig erkennt Gerold schließlich an. Anders als Vizelin gelingt es Gerold also trotz des Konfliktes, die Unterstützung beider Fürsten zu erreichen.122 Seine aktive Haltung kontrastiert Helmold mit der Passivität Vizelins: Gerold von

-

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121 122

80, S. 149f: Porro episcopalis electio domino duci reservata est. (...) Accesitque peticioni principis cleri plebisque concors electio. Helmold erwähnt (84, S. 164), daß castrum u. civitas Oldenburg noch mindestens zwei Jahre nach der Ernennung deserta erat und dort erst eine sächsische Ansiedlung gegründet werden mußte. Er begründet (90, S. 175) die 1163 erfolgte Verlegung des Bischofssitzes nach Lübeck: eo quod civitas haec esset populosior et locus munitior et omni prorsus aptitudine commodior [als Oldenburg]. Damit bekräftigt er auch, daß Lübeck den Forderungen des kanon. Rechts für Bischofssitze genügte. Vgl. zu Gerolds „Wahl" auch Annales Stadenses auctore Alberto, a. 1155, ed. Johann Martin Lappenberg, MGH SS 16, Hannover 1859 (ND Stuttgart-New York 1963), S. 271-378, hier S. 344: quasi per ducem et ducissam electus [erat]. Das Stattfinden einer Wahl durch das Domkapitel 1154 wird in der Forschung stark angezweifelt; vgl. Lammers, Hochmittelalter, S. 338 u. Jordan, Bistumsgründungen, S. 88 u. 121 f. Der Chronist verurteilt den Erzbf. (80, S. 150: Ille [Hartwig] enim duci ab inicio invisus.), weil dieser das Btm. mit dem falschen Versprechen einer angebl. reichen Ausstattung einem anderen Kandidaten habe übertragen wollen u. sich auch an einem Aufstand gegen Heinrich beteiligt habe.

In den Gesprächen mit dem Erzbf. ist Gerold noch noster electus und wird von nostri unterstützt. Der Bezug ist nicht eindeutig, auf jeden Fall sind aber Parteigänger Gerolds gemeint (80, S. 150). Kurz darauf (ebd., S. 151) ¡st er episcopus noster, als er sich zum Hzg. begibt, um mit diesem nach Rom zu ziehen. Vgl. a. 81, S. 154f. Helmold stellt hier Heinrich d. Löwen als Initiator der Weihe dar. Seinem Verdienst im Kampf gegen aufständische Römer u. seinem Drängen sei es zu verdanken, daß der Papst Gerold weihte. 83, S. 157. Helmold läßt nicht nur Hartwig, sondern auch Gerold seine Argumente wörtl. darlegen; vgl. ebd: Et his dictis statuerunt ad invicem amicicias, prominentes alterutrum in necessitatibus opem vicariam. Ebd., S. 185 berichtet Helmold gar, presul noster habe das Verhältnis Hart-

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Die Selbstzuschreibungen

wird, als herzoglicher Kandidat „Bittsteller bei jedermann".123

vom

mächtigen

Fürsten unterstützt, eben nicht

zum

Die Darstellungen der Investituren Vizelins und Gerolds weisen somit eine ganze Reihe von Parallelen auf: 1. die große Ausführlichkeit, 2. der überproportional häufige Einsatz direkter Identifikationen mit den Bischöfen, 3. Hinweise auf Verzögerungen der Einsetzungen, die Helmold 4. im Konflikt zwischen Erzbischof und Herzog begründet sieht, und 5. Abgrenzungen vom Erzbischof bei gleichzeitiger Parteinahme für den Herzog, vor allem, weil nur dieser eine Ausstattung des Bistums und Kirchenschutz, Voraussetzungen einer Slawenmission durch die Bischöfe, gewährleisten konnte. Kann jedoch in der Verzögerung der Investituren Vizelins und Gerolds der alleinige Grund für die große Ausführlichkeit der Darstellungen und den auffallend häufigen Einsatz von WirBezügen in ausgerechnet diesen Passagen gesehen werden? Vor allem landes- und verfassungsgeschichtliche Untersuchungen haben, von ihrer Fragestellung her verständlich, die Chronica Slavorum gerade aufgrund der Eindringlichkeit und Intensität, mit der Helmold die Konflikte um die Einsetzungen beschreibt, als bedeutendste Quelle für den „nordelbischen Investiturstreit" herangezogen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob in den Darstellungen Helmolds ein ,realitätsnahes' Abbild der Investiturvorgänge gesehen werden kann. Wird nämlich, wie im folgenden, nach der Funktion dieser Darstellungen in der Chronik gefragt, so zeigt sich, daß Helmold den Konflikt weder allein deshalb beschrieb, weil er Auskünfte über die Konfliktlage geben wollte, noch, weil mit Vizelin und Gerold zwei Bischöfe, denen er sich deutlich zuschrieb, davon betroffen waren. Vielmehr sind die Darstellungen vor dem Hintergrund der zur Abfassungszeit aktuellen Situation im Bistum Lübeck zu lesen. Die oben skizzierte Vermutung der Forschung, die Abfassungszeit des ersten Buches sei eher auf 1167/1168 zu datieren als auf 1163,124 kann durch die Untersuchung der Zuschreibungen Helmolds gestützt werden, denn die Darstellungen der Investituren Vizelins und Gerolds werden vor dem Hintergrund der Situation im Bistum Lübeck um 1167 verständlich. Und diese ist vor allem durch den Parteiwechsel des amtierenden Bischofs Konrad gekennzeichnet, der als Kandidat Heinrichs des Löwen 1164 ernannt worden war, kurz darauf jedoch auf die Seite Erzbischof Hartwigs und der antiherzoglichen Fürstenopposition wechselte. Bevor auf diesen Parteiwechsel als eine (angesichts der unklaren Abfassungszeit nur als möglich zu bezeichnende) causa scribendi der Chronik zurückzukommen ist, liegt das Augenmerk im folgenden zunächst auf Helmolds Darstellung Bischof Konrads. Denn im zweiten Buch schildert der Chronist auch den Parteiwechsel des Bischofs und die Situation um 1167.

wigs und Heinrichs zu glätten versucht. Die weiteren Wir-Bezüge auf Gerold verwendet Helmold auffälligerweise dann, wenn der Bf. das Btm. verläßt, um den Hzg. auf Reisen zu begleiten, an einer Versammlung des Herzogs teilzunehmen oder das Weihnachtsfest mit ihm zu begehen (vgl. 83, S. 156 u. 158 sowie 84, S. 162). Dabei habe Gerold (87, S. 171) sogar Aufgaben übernommen, die eigentlich dem Hzg. u. dem Grafen vorbehalten waren: Während beider Abwesenheit habe er den dänischen Kg. von einem Angriff abgebracht. Vgl. oben, Kap. 3.1.

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

164

c) Die Darstellung Konrads Wie

eingangs erwähnt,

verwendet Helmold

ausgerechnet in der Darstellung des

zur

gesamten Abfassungszeit der Chronik amtierenden Bischofs Konrad, Gerolds Bruders

und Nachfolgers, keine Wir-Bezüge. Obwohl der Berichtszeitraum des zweiten Buches nahezu die gesamte Amtszeit Konrads umfaßt, wird er dort lediglich dreimal erwähnt. Wiederum thematisiert Helmold zunächst die Einsetzung, hebt nun jedoch hervor, der Herzog habe Konrad gegen den Willen Erzbischof Hartwigs und „fast des ganzen" Lübecker Domkapitels eingesetzt.125 Deutlich ist das negative Verhältnis zwischen Konrad und dem Domkapitel in den Mittelpunkt gerückt, und der Chronist kritisiert den Bischof als „wankelmütig, unüberlegt und unzuverlässig".126 Bei der Vergabe von Ämtern habe er die Fremden (extranei) bevorzugt und die Seinen (sui) benachteiligt, eine zu große Härte gegenüber der Geistlichkeit walten lassen und sich über die Sprüche des Domkapitels hinweggesetzt.127 Die Grenzziehung zwischen sui und extranei, die Helmold (nicht etwa Konrad) vornimmt, kann als weiterer Beleg für eine Zuschreibung des Chronisten zum Bistum gelten. Selbst wenn nicht überliefert ist, wen konkret Konrad in welcher Situation wem vorgezogen haben könnte, wird doch durch die Verwendung der Begriffe in diesem Kontext greifbar, daß die Gegenüberstellung von Eigenen und Fremden mittels einer Grenzziehung zwischen solchen Personen erfolgt, die Helmold dem Lübecker Domkapitel und der Geistlichkeit im Bistum zurechnet, und jenen, die er davon ausgeschlossen sieht. Die explizite Fremdbenennung extranei bezieht sich hier also auf Personen, die lediglich außerhalb des Bistums, nicht unbedingt weit entfernt, anzusiedeln sind. Damit tritt hier zwar der räumliche Aspekt von Fremdheit hervor, er ist aber nicht auf weit entfernt liegende, sondern auf nahe Fremde zu

beziehen.128

Außer dem Verhältnis zum Domkapitel kritisiert der Geschichtsschreiber, daß Bischof Konrad dem Herzog die Lehnshuldigung verweigerte, obwohl Heinrich um ein gutes Verhältnis bemüht gewesen sei. Im Unterschied zur Darstellung Gerolds betont er nun ausdrücklich, daß dem Herzog dieses Recht inzwischen kaiserlich verbrieft worden war.129 Von Heimich vergeblich zur Besserung seines Verhaltens gegenüber dem Dom-

97, S. 190: Quod licet Harthwigo archiepiscopo et omnibus pene Lubicensibus esset contrarium, prevaluit tarnen voluntas ducis, cui refragariformidolosum erat. Die omnes pene Lubicenses sind als Teil des kurz zuvor (ebd.) mit cler[us] Lubicensi[s] bezeichneten Domkapitels anzusehen. Die Weihe Konrads durch Erzbf. Hartwig scheint ohne Schwierigkeiten vollzogen worden zu sein. Heinrich wollte sich mit der Ernennung Konrads weiterhin seinen Einfluß in Nordelbien sichern; vgl. etwa Jordan, Heinrich der Löwe, S. 92. 97, S. 190: mobilitas animi et facilitas verborum, quae nunquam in eodem persistebat; dissidens ipse secum, nichil ex consilio faciens, incertus in promissis. Ebd.: extráñeos diligens, suosfastidiens. Clero, quem in tenella reperit ecclesia, magna severitate primum abusus est, incipiens a primis, qui habitant in

rure.

erant in

Bona sacerdotum omnia

Lubicensi ecclesia, usque ad novissimos, qui dicebat, non quasi fratres, sed ut servos

sua esse

reputans. Es muß letztlich unklar bleiben, woher die extranei kamen. Jedoch ist die Bistumsgrenze, dem Kontext nach zu urteilen, m.E. die äußerste, die angenommen werden muß. Denkbar ist wie erwähnt auch, daß es hier um Mitglieder des Domkapitels geht. Zum räumlichen Aspekt von Fremdzuschreibungen vgl. oben, Kap. 1.4. 105, S. 206.

Die Selbstzuschreibungen

165

kapitel ermahnt, habe sich Konrad vom Herzog entfremdet (alienavit se):m Er verbündete sich mit dem Erzbischof und schloß sich 1167 der Fürstenopposition gegen Heinrich den Löwen an. Helmold verurteilt die häufigen Aufenthalte Konrads in der Umgebung Hartwigs und den negativen Einfluß, den er auf den Erzbischof ausgeübt habe, um die mühsam geschlossene Freundschaft zwischen ihm und dem Herzog zu zerstören.131 Aufgrund seiner antiherzoglichen Haltung mußte Konrad seinen Sprengel 1167 ebenso verlassen wie Hartwig, und Heinrich der Löwe entzog gar beiden den Besitz. Nach seinem Parteiwechsel wird Konrad lediglich ein weiteres Mal erwähnt, bei seiner 1168 also vermeintlich nach Beendigung des ersten Buches132 erfolgten Rückkehr in das Bistum, zu einem Zeitpunkt, als sich die an der Opposition beteiligten Fürsten und der Herzog ausgesöhnt hatten. Hier wandelt sich das Bild, das Helmold von ihm zeichnet: Nach seiner Rückkehr und dem Tod Erzbischof Hartwigs sei Konrad mutatus [...] in virum alterum,m wofür Helmold das Mitleid und die Barmherzigkeit gegenüber der Geistlichkeit als Beleg anführt. Trotz dieses positiv bewerteten Wandels finden im weiteren Verlauf jedoch weder etwaige Verdienste Konrads für das Bistum noch die Mission Erwähnung keines derjenigen Kriterien also, welche für eine positive Bewertung der anderen Bischöfe grundlegend waren. Das Bistum Lübeck befand sich demnach, geht man von Helmolds starker Identifikation mit dieser Institution und seiner Negativbewertung Konrads aus, um 1167/1168, zur Abfassungszeit des ersten Buches, in einer dramatischen Krisensituation: Der Bischof war vertrieben worden, seine Güter waren eingezogen, er sah sich (in Helmolds Augen selbstverschuldet) jeglicher Unterstützung durch den Herzog beraubt und infolgedessen ohne Möglichkeiten zur Realisierung der vom Chronisten so dargestellten Hauptaufgabe, der Slawenmission. Die Eindringlichkeit und Intensität, mit der Helmold die Verzögerungen der Investituren und die Auseinandersetzungen zwischen Erzbischof und Herzog im ersten Buch schildert, lassen sich nun aus dieser Krisensituation heraus erklären. Behält man die Folgen von Konrads Parteiwechsel für das Bistum im Blick, wird deutlich, daß der Geschichtsschreiber die Darstellung Vizelins gestaltete, indem er die gegenwärtige Lage in die Vergangenheit zurückprojizierte, denn er skizziert letztlich für Vizelin genau jene Situation, in die erst Konrads Parteiwechsel das Bistum gebracht hatte:134 Indem Helmold etwa den Erzbischof und die Bremer Geistlichkeit Vizelin nahelegen läßt, auf die herzogliche Belehnung zu verzichten und lieber „den Verlust der Güter [zu tragen] als [den] der Ehre", auch wenn der Herzog „die Zehnten entziehen" und „den Zugang zu[m] Sprengel verwehren" sollte, so spricht er damit Vorgänge an, die gar nicht auf die Situation 1149, sondern statt dessen auf die 1167 -

-

-

-

aktuelle

Lage im Bistum Lübeck zutrafen:135

Denn 1.

-

waren

die

Zehnten, wie Helmold

97, S. 110: sed alienavit se a duce et confederatus est archiepiscopo. 105, S. 205f. Die Gegenüberstellung Konrads mit Gerold ist hier offensichtlich, hatte sich letztedoch besonders häufig in der Nähe des Herzogs mit positiven Folgen gehalten und zudem zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln versucht. Vgl. oben, Kap. 3.1. rer

-

107, S. 210. So auch, aber auf die Untersuchung der S. 594-601. 69, S. 133: Quod si furor principis erga

Abfassungszeit bezogen, vos

effrenatius egerit,

VON

nonne

für das Bistum

auf-

-

Breska, Über die Zeit,

satius est ferre iacturam

166

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

selbst schreibt, Vizelin bereits durch Graf Adolf vorenthalten worden; 2. verwehrte der Herzog nicht ihm den Zugang zu seinem Sprengel, sondern dem zur Abfassungszeit amtierenden Bischof Konrad, und 3. wurden diesem die Güter entzogen, nicht Vizelin, der solche, nach Helmolds eigenem Bericht, eben gar nicht besaß. Der Chronist, der die Slawenmission bei allen Bischöfen als vordringlichste Aufgabe beschrieb und selbige fast ausschließlich nach der Erfüllung dieses Kriteriums bewertete, mag seine Hoffnungen auch in den Jahren nach 1167/1168 kaum auf Bischof Konrad gesetzt haben. Denn die wirksame Ausübung der Mission war für ihn, wie aus der Darstellung Vizelins und Gerolds hervorgeht, letztlich nur im Einvernehmen mit Heinrich dem Löwen möglich. Setzt man daher den Beginn der Abfassung auf 1167 oder später, so ergeben sich auch Anhaltspunkte für die Gründe der Adressierung des ersten Buches an das Lübecker Domkapitel. Denn Helmolds Darstellung enthält Hinweise darauf, daß der Konflikt zwischen Erzbischof und Herzog nicht nur die Bischöfe, sondern ausgerechnet zur Abfassungszeit auch das Domkapitel erfaßte, das sich seine Rechte infolge der Auseinandersetzungen zwischen dem eigenen Bischof und dem Herzog von letzterem urkundlich bestätigen ließ:136 Die Aussage im zweiten Buch, Heimich der Löwe habe Konrad gegen den Willen „fast des ganzen" Kapitels und des Erzbischofs eingesetzt, läßt es möglich erscheinen, daß ein großer Teil des Kapitels auf Seiten Hartwigs stand.137 Bereits VON BRESKA hat in der direkten Aufforderung Helmolds an die Leser in einer anderen Passage, Vizelin stärker zu preisen und ihn nicht zu verleugnen, den Beleg für eine mangelnde Akzeptanz des Bischofs unter den Kanonikern gesehen und diese mit dessen Lehnshuldigung gegenüber dem Herzog begründet, die für die Nachfolger zu einem Präzedenzfall wurde. Es ist angesichts der dürftigen Quellenlage schwierig, diese These zu beweisen, und die Terminologie VON BRESKAS, der von einem Konflikt zwischen den Anhängern des Herzogs und den „Konradinern" innerhalb des Domkapitels spricht, scheint wenig hilfreich. Für die Annahme spricht jedoch immerhin die Darstellung der Investitur Vizelins die Schilderung der zunächst ausweglosen Situation und zögerlichen Haltung des Bischofs, seiner Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Lehnshuldigung, aber eben auch seiner späteren Annahme der herzoglichen Forderung als einzige, auch von Helmold letztlich befürwortete Möglichkeit für das Bistum. Und auch die Darstellung Gerolds wird erklärbar, wenn man eine gespaltene Haltung des Domkapitels voraussetzt und im Parteiwechsel Konrads eine causa scribendi der Chronik sieht:138 Denn Helmold zeichnet von Gerold das Bild eines -

bonorum quam honoris? Auferant, si velint, decimas, obcludant vobis introitum, si placet, parrochiae vestrae, tolerabilis erit ista molestia. (...) His et huiusmodi verbis averterunt eum, ne voluntatem ducis adimpleret. Vgl. dazu a. von Breska, Über die Zeit, S. 594-596. Vgl. dazu Käthe Sonnleitner, Die Slawenpolitik Heinrichs des Löwen im Spiegel einer Urkundenarenga. Ein Beitrag zum Thema Toleranz und Intoleranz im Mittelalter, in: AfD 26 (1980), S. 259-280, hier S. 261. Die Möglichkeit einer Spaltung des Domkapitels erwähnt auch von Breska, Über die Zeit, S. 594-600. Daß auch ein Domkapitel vom Konflikt zwischen Erzbf. und Hzg. ergriffen werden konnte, zeigt das Beispiel Bremen, wo das Kapitel nach dem Tod Hartwigs 1168 in eine pro- u. eine antiheinrizianische Gruppierung gespalten war, was in eine Doppelwahl mündete, welche erst durch das Eingreifen Ks. Friedrichs I. 1169 zur Einsetzung (des Heinrich nicht gefährdenden) Erzbischofs Baldewin führte; vgl. hierzu Glaeske, S. 179f. Vgl. dazu a. unten, Kap. 3.2.2.2.2.

Die Selbstzuschreibungen

167

„idealen" Bischofs, das er mit demjenigen Konrads in bezug auf das Verhältnis sowohl

Geistlichkeit als auch zum Herzog auffällig kontrastiert. Gerolds rasche Entscheidung zugunsten Heinrichs und sein aktives Handeln im Einvernehmen mit dem Herzog bescherten dem Bistum Erfolge. Und auch diese Darstellung erfolgte aus dem Rückblick und wohl vor dem Hintergrund der Situation um 1167/1168. So vermittelt Helmold dem Lübecker Domkapitel den seiner Meinung nach einzig gangbaren Weg,

zur

nämlich den einer Parteinahme für Heinrich den Löwen. Schließlich erhielte auch die angesprochene Behauptung einer angeblichen concors electio Gerolds durch den Oldenburger Klerus einen Sinn:139 Erscheint die Wahl des Bischofs durch dessen Leistungen (zur Abfassungszeit längst) gerechtfertigt, so sind diese Errungenschaften nach Helmolds Darstellung letztlich nur durch die Unterstützung des Herzogs verwirklicht worden. Die einmütige Parteinahme für einen proherzoglichen Bischof hält er dem Adressaten auf diese Weise wie einen Spiegel vor. Erblickt man in Konrads Parteiwechsel den Auslöser für die Krisensituation zur Abfassungszeit und geht man zudem von der starken Zuschreibung Helmolds zum Bistum aus, die sich im Werk durchweg zeigt, so liegt die Vermutung nahe, daß der Chronist aus diesem Grund überhaupt auch sein Werk verfaßte: als eine ,Entscheidungshilfe', mit der er dem Lübecker Domkapitel im aktuellen Konflikt eine proherzogliche Haltung nahelegte, welche er aus dem Rückblick und aus seiner Sicht mit Beispielen aus der Geschichte des Bistums be-

gründete.140

-

In allen hier untersuchten

Aspekten werden die Zuschreibungen Helmolds zu Gemeinschaften aus dem ,kirchlichen' Bereich greifbar. Ähnlich wie für Adam von Bremen ist auch für Helmold grundsätzlich die auf die ,kirchlich-lokale' Institution, das Bistum, bezogene Teilidentität stärker ausgeprägt. Dagegen tritt die größere Gemeinschaft der christianitas als Bezugspunkt einer Teilidentität weniger hervor, wenngleich auch sie durchweg vorhanden ist. Vor dem Hintergrund der bisherigen Untersuchung, in der bereits Abgrenzungen Helmolds von weltlichen Fürsten deutlich wurden und in der gezeigt werden konnte, wie sehr das Bistum Lübeck zur Abfassungszeit in die divergierenden Interessen zwischen den Repräsentanten ,kirchlicher' und ,weltlicher' Gemeinschaften involviert war, ist im folgenden zu überprüfen, welche Gewichtungen der Chronist innerhalb letzterer vornahm.

Erst bei der Ernennung Konrads Nachfolgers tritt das Lübecker Domkapitel 1172/73 zum ersten Mal „kirchenpolitisch aktiv" auf. Es stimmte jedoch dem Vorschlag Heinrichs d. Löwen ausdrücklich zu. Vgl. Adolf Friederici, Das Lübecker Domkapitel im Mittelalter 1160-1400. Verfassungsrechtliche und personenstandliche Untersuchungen (QForschGSchlHolst 91), Neumünster 1988. Mit der Ernennung Heinrichs, des Abtes des Braunschweiger Ägidienklosters, wurde das Vorschlagsrecht des Herzogs gesichert und das durch Konrad gestörte Verhältnis zu ihm wieder hergestellt; vgl. Wolf-Dieter Hauschild, Kirchengeschichte Lübecks. Christentum und Bürgertum in neun Jahrhunderten, Lübeck 1981, S. 48. Besonders 1172/73 war die Frage nach der Haltung des Domkapitels aktuell, als die Ernennung Konrads Nachfolgers Heinrich anstand. Es ist angesichts der unsicheren Datierung der Chronik durchaus möglich, daß die Passagen sich auf diese Situation beziehen. Vgl. dazu unten, Kap. 3.2.

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

168

3.2.2. Reich und

Region

Eine eingehende Untersuchung der Frage, welchen Gemeinschaften im ,weltlichen' Bereich sich Helmold von Bosau in welchem Maß zuschrieb, fehlt bislang. Dennoch hat die Forschung bereits früh einen ,sächsischen Blickwinkel' in Helmolds Darstellung ausgemacht, und gerade aufgrund dieser Feststellung wurden die Chronica Slavorum gleich zweimal zum Gegenstand eines ausgiebigen Forschungsinteresses: Zum einen entbrannte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die bereits eingangs erwähnte, heftige und teilweise sehr polemisch geführte Kontroverse um die Glaubwürdigkeit des Geschichtsschreibers, insbesondere seiner Darstellung der beginnenden „deutschen Ostkolonisation", in dessen Verlauf die Chronik gewissermaßen zu einem Politikum in nationalistisch geprägten Auseinandersetzungen avancierte.141 Zum anderen fand das Werk auch im Rahmen solcher Arbeiten Berücksichtigung, die eine gewisse Sonderstellung ,Norddeutschlands', der Saxonia, im regnum konstatierten. Von Peter MORAW für das Spätmittelalter mit dem Begriff „Königsferne" des deutschen Nordens charakterisiert,142 ist mehrfach auf eine bereits zuvor einsetzende, längere Entwicklung hingewiesen worden, die auf diese Sonderstellung hingeführt und insbesondere in der Salierzeit eingesetzt habe. Auch Helmolds Aussagen über den Ausgang jener ,Epoche' wurden in diese Untersuchungen einbezogen, in denen dem Chronisten mit unterschiedlichen Akzentuierungen ein grundsätzliches „sächsisches Eigenbewußtsein" zugesprochen wurde, das auch seine Reichsvorstellungen geprägt habe.143 Die folgende Untersuchung der auf das regnum, das imperium und die Saxonia bezogenen Selbstzuschreibungen Helmolds nimmt diese Ergebnisse bisheriger Forschungen zum Ausgangspunkt und legt, wie für Adam von Bremen, ein Augenmerk auf die Verortung Helmolds zwischen den möglichen Polen „Reich" und „Sachsen". Dabei rücken auch Abgrenzungen gegenüber anderen Gemeinschaften, wie etwa den Slawen oder den (in der Forschung weit weniger beachteten) Dänen, und damit auch weitere potentielle Grenzen zwischen Eigenen und Fremden in den Blick, auf die unten genauer einzugehen ist.144 An ihnen wird jedoch nicht die Glaubwürdigkeit des Chronisten gemessen, denn es ist für die vorliegende Arbeit nicht entscheidend, ob die Ostkolonisation .tatsächlich' in allen Einzelheiten so verlief wie von Helmold geschildert; vielmehr kommt es darauf an, aus seiner Darstellung herauszuarbeiten, welche Aspekte ihm von Bedeutung erschienen und mögliche Gründe hierfür aufzuzeigen. Parallel zum Vorgehen bei Adam von Bremen und im Anschluß an die dort zugrundegelegten Kriterien Rudolf Buchners für dessen „Reichsbewußtsein" ist zunächst kurz auf die

Vgl. dazu oben, Kap. 3.1.

Moraw, Franken als königsnahe Landschaft im späten Mittelalter, in: BDLG 112 (1976), S. 123-138; Ders., Hessen und das deutsche Königtum im späten Mittelalter, in: Hess. Jb. f. Landesgesch. 26 (1976), S. 43-95. Vgl. bes. Stoob, Erzbistümer u. Ders., Über den Schwerpunktwechsel in der niederdeutschen Adelsführung während des Kampfes gegen den salischen Herrscher, in: Ecclesia et regnum. Beiträge zur Geschichte von Kirche, Recht und Staat im Mittelalter. FS f. Franz-Josef Schmale zu seinem 65. Geb., hg. v. Dieter Berg u. Hans-Werner Goetz, Bochum 1989, S. 121-137; zusammenfassend Johanek, S. 79-81. Zu den Darstellungen der Dänen u. Slawen vgl. unten, Kap. 3.3.2. u. 3.3.3. Dort werden auch die Thesen der bisherigen Lit. speziell zu Helmolds ,Slawenbild' diskutiert.

Peter

Die Selbstzuschreibungen

169

Verwendung der Begriffe regnum und imperium einzugehen, bevor eine kontextbezogene Interpretation direkter Identifikationen mit den Herrschern und die Bewertungen von Kaisern und Königen im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. 3.2.2.1.

Regnum und imperium

Helmold unterscheidet meist genau zwischen den Titeln rex und imperator, von denen er letzteren lediglich auf die in Rom gekrönten Kaiser anwendet.145 Außer mit diesen Begriffen bezeichnet er die Herrscher häufig als cesar?46 In der Regel, nicht immer, differenziert er auch zwischen regnum und imperium?41 in das er grundsätzlich die Teutónica terra, Burgundia, Italia sowie die von dieser durchweg unterschiedene Longobardia einbezieht. Wie für Adam von Bremen kann auch für Helmold auf die Vorstellung von einem über den regna stehenden Kaisertum Karls des Großen und Ottos I. geschlossen werden.148 Helmold hebt den ost- vom westfränkischen König ab wobei er ersteren als rex Germaniae oder rex Alemanniae bezeichnen kann -, er führt jedoch auch andere regna an.149 In Helmolds Reichsvorstellung ist die römische Traditionslinie offensichtlich; hier ist er in eine Reihe mit anderen Geschichtsschreibern des 12. Jahrhunderts zu stellen:150 -

z. B. 81 f., S. 152-155. Lediglich Heinrich I., den Helmold (9, S. 21) ebenfalls imperator nennt, bildet eine Ausnahme. Vgl. dazu den Kommentar von Stoob, Ed., S. 63, Anm. 2. Nicht klar unterscheidet Helmold auch bei Heinrich IV., den er nach seiner Weihe zunächst imperator (30, S. 57), nach der Bannbelegung aber uneinheitl. rex, imperator oder cesar nennt. Zu Herrschertitulierungen vgl. Wolfgang Eggert, Heinricus rex depositus? Über Titulierung und Beurteilung des dritten Saliers in Geschichtswerken des frühen Investiturstreits, in: MIÖG 108 (2000), S. 117-134 u. Ders., Regna, sowie (zum Vgl. mit Urkunden) Intitulatio III. Lateinische Herrschertitel und Herrschertitulaturen vom 7. bis zum 13. Jahrhundert, hg. v. Herwig Wolfram u. Anton Scharer (MIÖG, ErgBd. 29), Wien-Köln-Graz 1988. Imperator z. B. 3, S. 11 (Karl d.Gr.); 10, S. 23 (Otto I.); 16, S. 33 (O. III.); 32, S. 59 (H. IV.); 40, S. 81 (H. V.); 50, S. 99 (Lothar III.); 82, S. 155f. (Friedrich I.). Rex z. B. auch (30, S. 58) für den ,Gegenkönig' Hermann v. Salm. Cesar z. B. 3, S. 10 (Karl d.Gr.); 12, S. 24 (Otto I.); 16, S. 37f. (H. II.); 22, S. 44f. (H. III.); 30, S. 58 (H. IV.); 53, S. 103 (Lothar III.). So ist in Helmolds Terminologie die Teilung des regnum nach dem Tod Karls d.Gr. zugleich ein scissum imperium. [R]egnum[...] divisum est in quatuor [sic!] partes (4, S. 13; nach Adam I, 22, S. 28 [dort jedoch tres partes]); sciss[um] imperi[um\. 5, S. 13. Genau unterscheidet er hingegen z. B. 41, S. 83: Nach dem Tod des Heinricus cesar folgt Lothar in solium regni; er zieht nach Rom u. wird von Papst Innozenz II. adapicem imperii gestellt. Vgl. a. 13, S. 26: Otto medianus strennue gubernavit imperium. Is statim Lothario et Karolo Francorum regibus subadis. 3, S. 11; 9, S. 21 (beide Passagen in Anlehnung an Adam). Teutonica(e) terra(e): 29, S. 56; 40, S. 80; 59, S. 114; 107, S. 209. Unterscheidung von Italia und Longobardia z. B. 29, S. 56; 80, S. 151 u. 82, S. 155. Zu Adam vgl. oben, Kap. 2.2.2.1. Rex Germaniae: 7, S. 18 (Ludwig d.J.); rex Alemanniae: 60, S. 115 u. 117 (Konrad III.). Alemannia i.S.v. Germania auch 28, S. 55. Mit Francia bezeichnet Helmold sowohl das karolingische Reich oder Franken als auch das westfränkische Reich. Weitere regna z. B. Ruciae regnum (1, S. 7); regnum Danorum (67, S. 125); regnum Obotritorum (49, S. 97) u. regnum Ungariae (60, S. 115). Vgl. Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein, bes. S. 143f. u. 208-210 mit weiteren Nachweisen.

Vgl.

...

170

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

Rom ist ihm mater imperii und mater orbis?5] Zur Herstellung der Kontinuität greift er, hierin ebenfalls anderen vergleichbar, auch auf die Translationslehre zurück:'52 Die cesárea dignitas, seit Konstantin in Grecia, urbe scilicet Constantinopoli, sei mit Karl dem Großen schließlich auf den Francorum rex übergegangen, so daß das cesareum nomen de Grecia translatum est in Franciam?51 Konsequent bezeichnet er den griechischen Kaiser seiner Gegenwart auch als rex Greciae: Die Kaiserwürde ist an den lateinischen Westen gebunden.154 In der Datierung der Kaiserkrönung Ottos I. nach derjenigen Karls wird neben der römischen auch die Traditionslinie des fränkischen Karolingerreiches deutlich.155 Läßt sich aus diesen Belegen darauf schließen, daß Helmold über einen klaren „Reichs"-Begriff verfügte, so ist damit die Frage nach seiner Positionierung gegenüber regnum und imperium noch nicht beantwortet. Ihr ist im folgenden anhand (a) des Einsatzes von Wir-Bezügen und (b) der Bewertung von Kaisern und Königen nachzugehen. (a) Es ist auffällig, daß sich im gesamten Werk keine einzige direkte Identifikation auf einen Kaiser, und nur zwei auf Könige des ostfränkisch-deutschen Reiches beziehen. Beide Wir-Bezüge übernimmt Helmold mitsamt dem Darstellungszusammenhang von Adam. Da oben bereits eine Interpretation dieser Passagen in Auseinandersetzung mit den Untersuchungen Rudolf BUCHNERS und Wolfgang EGGERTs erfolgt ist,156 wird an dieser Stelle auf eine erneute detaillierte Darstellung verzichtet. Die dort gezogenen Schlußfolgerungen können jedoch gestützt werden. Im Kontext der Normanneneinfälle nennt Helmold Ludwig den Jüngeren [n]oster Loduicus und stellt ihn als rex Germaniae Karl III. von Westfranken gegenüber.157 Der Kontext des Wir-Bezugs enthält nicht nur die Gegenüberstellung zweier reges, sondern ist Bestandteil einer weitergehenden Argumentationslinie: Beide Herrscher erscheinen als Kämpfer gegen die Northmanni sive Dani, die nicht nur eine ethnische Gemeinschaft darstellen, sondern auch eine religiöse, nicht-christliche, denn sie sind zugleich hostes Dei. Im Unterschied zu Ludwig konnte Karl erst nach langem Kampf den Sieg erringen, und nach Helmolds Meinung versäumte er eine harte Bestrafung der gegnerischen Anführer, woraus ein „langandauernder Schaden und schwerer Verfall der Kirche" resultierte.158 Die Dani hätten den „schlaffen" und „törichten" Karl verlacht, dem der Chronist damit Eigenschaften zuschreibt, mit denen er sonst zuweilen dänische

Vgl. 30, S. 57 (mater imperii); 3, S. 11 (mater orbis). Vgl. zur Einordnung (u. grundlegend zur Translatio-Thematik)

Werner Goez, Translatio Imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Tübingen 1958. 3, S. 11. Mit der Erwähnung eines Konzilsbeschlusses weicht Helmolds Bericht von anderen Darstellungen der Kaiserkrönung Karls ab; vgl. Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein, S. 144. Manuell. Komnenos (1143-1180): 60, S. 115-117 u. 101, S. 199. Ganz ähnlich bezeichnet Arnold von Lübeck den griech. Kaiser durchgängig als rex. Vgl. dazu unten, Kap. 4.2.2.1. 10, S. 23: post coronatum Romae Karolum centum quinquaginta tres anni fluxerunt. Vgl. oben, Kap. 2.2.2.1. 7, S. 18: Noster autem Loduicus, rex scilicet Germaniae, Northmannos federibus sive preliis hoc modo retinuit, ut, cum Franciam totam vastaverint, regnum eius vel minime nocuerint. Vgl. Adam 1,38, S. 41. 7, S. 18: diutina[...] deiedio]...] et grav[is] ecclesiae ruina]...].

171

Die Selbstzuschreibungen

Könige charakterisiert.159 Wie Adam geht es auch Helmold also vor allem um den Kampf von Christen gegen Heiden, ja die bellorum tempestas erscheint ihm überhaupt erst berichtenswert, weil durch sie „die Bekehrung der Slawenvölker und übrigen Heiden von Anfang an ernstlich behindert wurde."160 Die äußeren Grenzen des imperium, deren Sicherung für Helmold auch sonst von Bedeutung ist, sind gleichzeitig als religiöse Grenzen zwischen Christen und Heiden konnotiert.161 Der andere Wir-Bezug richtet sich auf den späteren Kaiser Otto I. und steht im Kontext der Taufe des Sohnes Harald Blauzahns.162 Hier gilt für Helmold, was oben unter Hinweis auf den missionspolitischen Zusammenhang dieses Wir-Bezugs für Adam festgestellt wurde: Die Zuschreibung zum Reich ist wie im anderen Beispiel wesentlich durch christliche Identität und missionspolitisches Interesse bestimmt. Es ist -

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,Übernahme'

dieser direkten Identifikationen aus der Hambewußt burgischen Kirchengeschichte geschieht, denn die Wir-Bezüge können als Ausdruck dafür gelten, daß den Missionsinteressen Helmolds, wie im ersten Teil der Untersuchung aufgezeigt wurde, eine immense Bedeutung zukommt. Helmold schreibt sich hier letztlich, soweit es die christianitas und die mit ihr verbundenen grundsätzlichen Missionsinteressen betrifft, derselben Gemeinschaft zu wie Adam von Bremen. Übrigens koinzidieren die Zuschreibungen der beiden Chronisten keineswegs immer, wie in einer Passage deutlich wird, die Helmold dem Inhalt nach von Adam .übernimmt', aber eben gerade ohne dessen Wir-Bezug auf einen Herrscher.163 Helmolds Bewertungen entspringen hier anderen nämlich seinen eigenen Kriterien: Wie Adam lobt er die Tapferkeit Heinrichs III.; während ersterer jedoch durch seinen Wir-Bezug gerade die Verdienste Erzbischof Adalberts als kaiserlicher Ratgeber betont, stellt Helmold im Zusammenhang mit den beiden einzigen Erwähnungen Heimichs III. gerade Adalberts Eitelkeit heraus, denn dieser teilte den Oldenburger Sprengel und griff so in den Bestand derjenigen Institution ein, die für Helmold grundlegend war.164 Adams aus dem Wir-Bezug auch für Helmold ablesbare Identifikation ist hier nicht mit dessen eigenen Zuschreibungen vereinbar. Insgesamt können die Wir-Bezüge auf ostfränkischdeutsche Herrscher wohl als Beleg für ein ,Reichsbewußtsein' des Chronisten angesehen werden, nicht jedoch dafür, daß er sich dem Reich in besonders starkem Maße zuschrieb. Während Helmold lediglich in den beiden Anfangskapiteln Wir-Bezüge auf die deutsche Sprachgemeinschaft verwendet, die er wiederum von Adam von Bremen überstark anzunehmen, daß die

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Ebd.: At Uli regis adolescentis inertiam irridentes. (...) Karolus ob stulticiam regno depositus. Vgl. dazu unten, Kap. 3.3.2. Ebd., S. 17: Sane populis Slavorum et ceteris gentibus fide imbuendis grave ab inicio prebuit irritamentum ea bellorum tempestas, quae Northmannis tumultuantibus in toto pene desevit orbe. Vgl. etwa Helmolds Verurteilung der Grenzverletzung durch die Ungari (1, S. 6) mit dem Hinweis, daß die Kaiser sie mit einem Christenheer bekämpften: Quantis autem imperatorum laboribus et Christiani exercitus dispendio subnervati fuerint et divinis legibus subacti. 9, S. 21 : Haroldus Ottoni subicitur et ab eo regnum suscipiens Christianitatem in Dania recipere spopondit. Nee mora, baptizatus est ipse Haroldus cum uxore sua Gunnild et filio párvulo, quem rex noster a sacro fonte suseeptum Sueinotto appellavit (nach Adam II, 3, S. 63f). Helmold 22, S. 44f. Vgl. Adam III, 32, S. 174 u. oben, Kap. 2.2.1. Die Leistungen des Königs, die in der Unterwerfung fremder Völkerschaften liegen, werden bei Helmold hervorgehoben, ohne daß Adalbert in diesem Zusammenhang verdienstvoll erscheint. ...

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

172

nimmt,165

tritt sonst ein Gegensatz zwischen Teutonici und anderen, hier den Slavi, wesentlich deutlicher hervor als in der Hamburgischen Kirchengeschichte.166 In der Darstellung der fortschreitenden Besiedelung zieht der Chronist ethnische Grenzen, die zwischen den Teutonici oder (häufiger) den Saxones auf der einen und den Slavi auf der anderen Seite verlaufen. Viermal verwendet er den Begriff Teutonici in Abgrenzung zu Slavi, und diese Kontrastierungen sind eng verknüpft mit der ,Tatsache', daß Teile beider Gruppen zu einer größeren Gemeinschaft gehören: zu den Bewohnern des Grenzlandes (marcomanni)?61 Den Prozeß der Besiedelung, aus dem sich für Helmold zahlreiche Konfliktpunkte ergeben, sieht er gleichzeitig als erstrebenswertes Ziel an: Er bewertet es positiv, daß viele Teutonici zuzogen, weil dadurch die Zehntleistung in der terra Slavorum wuchs gemeint ist an dieser Stelle der slawisch besiedelte Teil der Oldenburger Diözese.168 Immer wieder illustriert der Geschichtsschreiber das Gegensatzpaar Teutonici Slavi, indem er letztere zu Wort kommen läßt.169 Mit diesen Kontrastierungen festigt er die ethnischen Grenzen begrifflich, denn indem Helmold (und nicht etwa die Slawen in ihren angeblich wörtlich wiedergegebenen Reden) zum Ausdruck bringt, daß die Trennlinien auch für die Slavi bestehen, erscheinen sie als nahezu unüberwindbar. Diese Festigkeit der Grenzen wird besonders in einer Episode deutlich, in der Helmold über Animositäten berichtet, welche durch die Ehe zwischen dem (heidnischen) Obodritenfürsten Billung und der Schwester des Oldenburger Bischofs Wago evoziert worden seien.170 Nachdem der Bischof die aus der Ehe hervorgegangene Tochter ins Kloster gegeben und zur Äbtissin ernannt hatte, warf ihr Bruder seinem Vater Billung vor, daß durch das Vorgehen des Bischofs eine „fremde Sitte" (peregrinus mos) ins Land gebracht worden sei. Er tadelt den Vater, „wie ein Verblendeter unnütze Neuerungen [zu] liebe[n] und sich nicht [zu] scheue[n], den Gesetzen der Väter untreu zu werden". Ganz konkret wirft er ihm also (laut Helmold) vor, 1. eine Deutsche und 2. eine Christin geheiratet zu haben.171 Das ethnische Gegensatzpaar ist zugleich auch ein religiöses. -

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Vgl. 1, S. 5f. (2x) (nach Adam II, 19, S. 75 u. IV, 18, S. 246). Vgl. z. B. 87, S. 171; 88, S. 174; 98, S. 192f; 110, S. 218. Zu den Gründen für diese gegenüber Adam auffallend stärker ausgeprägten ethnischen Trennlinien vgl. unten, Kap. 3.3.3.2. u. 3.3.3.3. 87, S. 171: omn[es] marcomanni]...], tarn Teutonici[...] quam Slavi[...]. Die Ausnahme bildet 59, S. 115, wo der Teutonicorum exercitus der virtus Francigenarum gegenübergestellt wird. 88, S. 174: Et auctae sunt decimaciones in terra Slavorum, eo quod confluèrent de terris suis

homines Teutonici ad incolendam terram spaciosam. Zum Gebrauch des Terminus Slavi bei Helmold vgl. unten, Kap. 3.3.3. In der angesprochenen Passage deutet sich bereits an, daß die Sichtweise auf ethn. Gemeinschaften durch die Selbstzuschreibung zum Btm. geprägt sein kann. Vgl. z. B. 84, S. 161 f. Vgl. zum Folgenden 13, S. 26f. Helmold vermischt hier wohl Angaben Adams mit mündl. Überlieferungen. Der Fürst Billung ist nicht belegt; vgl. Stoob in seiner Ed., S. 73 Anm. 6. 13, S. 26f: timens ne hoc exemplo peregrinus mos Ulis in partibus inolesceret. Patrem autem frequenter coarguit, quasi qui mente alienatus supervacuas diligeret adinventiones nee timeret patriis derogare legibus, prius quidem ducens uxorem Teutonicam, deinde filiam suam monasticae clausurae contradens. ...,

Die Selbstzuschreibungen

173

(b) Unter den Kaisern hebt der Chronist insbesondere Karl den Großen aufgrund seines fidel meritum, seiner potestatis gloria und der bellorum victoriae hervor,172 und er lobt ihn zudem wegen seiner Missionserfolge: Karl sei „der ruhmreichste von allen tapferen Ausbreitern des Christentums" und müsse daher „an die Spitze derer gestellt werden, die für Gott im Norden (in partibus aquilonis) gewirkt haben".173 In seine Nachfolge

ähnlicher Verdienste positiv bewertet und domitor omnium septentrionis genannt wird.174 Er schützte nach Helmolds Meinung Reich und Christentum in einem Maße, das nur von Karl übertroffen wurde. Die Übertreibungen und positiven Bewertungen der kaiserlichen Erfolge lassen erkennen, daß Helmold sich dem Reich zuschreibt, jedoch speisen sich diese Äußerungen eindeutig auch aus seiner Verortung innerhalb kleinerer Gemeinschaften: Die Hervorhebungen Karls als Bekehrer der Sachsen und Gründer der sächsischen Bistümer lassen auf eine sächsische und christliche Identität schließen, und die Herausstellung Ottos als dem Gründer und freigebigen Ausstatter des Bistums Oldenburg zeugt von seiner Zuschreibung zu dieser Insititution.175 Karl, von dem Helmold das Bild eines idealen Kaisers zeichnet, und Otto, der diesem am nächsten kommt, erfüllen somit für Helmold durch die Unterwerfung von Heiden und ihr Eintreten für die Bistumsorganisation einen wichtigen Beitrag für die Missionierung. Auch wenn sich hier durchaus ein Reichsbewußtsein des Chronisten erkennen läßt, sind es doch in erster Linie diese Kriterien, nach denen die Kaiser bewertet werden. Auffallend stark unterscheidet Helmold zwischen dem tempus Ottonum und der Zeit der Heinriciani cesares. Sieht er in ersterer eine Friedensperiode, in der sich das Christentum in den slawischen Gebieten ausbreitete, so betrachtet er die Zeit der Salier seit dem Investiturstreit als Zeit des Niedergangs.176 Die Heinriciani cesares verursachten seiner Meinung nach die perturbaciones imperii, sowohl den Investiturstreit als auch die in seinen Augen gerechtfertigten Sachsenaufstände gegen Heinrich IV. und V., tritt Otto L, der

angesichts

nacionum

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-

3, S. 11. In den Zusätzen gegenüber seiner Vorlage, der Vita Willehadi, stellt er die Krisenzeit heraus, in der omniapene Europae regna ab imperio abgefallen waren. Ebd., S. 9: Inter omnes ergo strennuos Christianae fldei propagatores, qui pro fidei suae mérito laudabilem adepti sunt principatum, gloriosissimus semper elucet Karolus, vir omnium scriptorum preconiis attollendus et in fronte statuendus eorum, qui pro Deo in partibus aquilonis laboraverunt.

13, S. 26. Vgl. Adam II, 24, S. 82. Der Ausdruck domitor, den Adam so häufig auf Herrscher anwendet (vgl. oben, Kap. 2.2.2.1.), erscheint bei Helmold nur hier. In der Darstellung Karls gebraucht er den Begriff perdomuit (3, S. 9), ansonsten spricht er einmal von den Slawen als domiti barbari gentes (46, S. 91) und von den Holsten als onagri indomiti (67, S. 129), „ungezähmten Waldeseln", die Graf Adolf II. überwunden habe; vgl. dazu unten, Kap. 3.3.1. Zu Otto vgl. 1 lf, S. 23f. Zur Bedeutung Karls als Sachsenbekehrer (3, S. 9f.) für Helmold u. die sächs. Historiographie vgl. unten. Zur Entstehung einer „ausgesprochenen sächsischen Geschichtsschreibung" im 12. Jh. (so Franz-Josef Schmale, Funktion und Formen mittelalterlicher Geschichtsschreibung. Eine Einführung, Darmstadt 21993, S. 129) vgl. a. Wattenbach/ Schmale, Bd. 1,S. 387ff. Ottonenzeit: 16, S. 35. Salierzeit: 27-33, S. 53-66. Helmold kritisiert (40, S. 83) den Geschichtsschreiber Ekkehard für seine Darstellung Heinrichs V., die den Ks. in zu günstigem Licht erscheinen lasse. Stoob, Einleitung, S. 14 m. Anm. 45 weist daraufhin, daß Helmold in der Darstellung des Niedergangs (cc. 27-33) „bewußt den Tiefpunkt seines ganzen Werkes ansetzt". Vgl. a. Ders., Erzbistümer, S. 6f.

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

174

allem aber bildeten die „Reichswirren" die maxima causa „für den Abfall der SlaGlauben". Aus diesem Grund habe er die perturbaciones imperii überhaupt ausführlich behandelt.177 Läßt sich somit aus der pointierten Gegenüberstellung von Ottonen und Saliern auf Helmolds Zuschreibung zu Gemeinschaften aus dem Religiösen' Bereich schließen, so wirkt daneben auch die von der Forschung konstatierte Verortung Helmolds in der Saxonia urteilsbildend. Sie wird, im Zusammenhang mit seinem Reichsbewußtsein, besonders in zwei Passagen deutlich: in der Bewertung der Schlacht am Weifesholz und in der Darstellung Kaiser Lothars III. Die Schlacht am Weifesholz (1115) bezeichnet er als prelium illud nostra etate famosissimum, und er favorisiert die Saxones, die zur defensio patriae zu den Waffen griffen und den rex, Heimich V., besiegten. Gerade aufgrund dieser Passage galt der Chronist der Forschung, welche stark von den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts über die Polarität zwischen Reichseinheit und Partikularismus geprägt war, als Kronzeuge für eine „Entfremdung" des „nördlichen Reichsteils vom Ganzen" in der ausgehenden Salierzeit.178 Für die vorliegende Arbeit ist jedoch einmal mehr nicht der ,Realitätsgehalt' der Darstellung, also mögliche Abspaltungstendenzen des Nordens, entscheidend, sondern lediglich die aus Helmolds Darstellung ablesbare Zuschreibung zur Saxonia, welche diejenige zum Reich hier deutlich beeinflußt. Die Herrschaft Lothars III. sieht der Chronist auch in Abgrenzung von den Saliern durch „ruhige Zeiten, Überfluß und Friede zwischen Königtum und Papst" gekennzeichnet; besonderen Wert legt er jedoch auf die Akzentuierung der sächsischen Herkunft Lothars, die er unter Verwendung der nova-luxMetapher pointiert herausstellt, so daß er letztlich die Sachsen den Francigenae gegenüberstellt, die Lothars Wahl zum König ausgerechnet wegen seiner sächsischen Herkunft zu vereiteln wollten.179 Entsprechend scheint Helmold nach Lothars Tod die „hell erstrahlte" virtus Saxonum völlig gebrochen, so daß in der Slavia „das Werk der Kirche wankte".180 Daß Helmolds Zuschreibung zum Reich wesentlich durch eine solche zur Saxonia (und auch zur Christenheit und zum Bistum) beeinflußt wird, zeigt sich hier ebenso deutlich wie darin, daß er Konrad III. und Friedrich I. vor allem nach ihrem Verhältnis zum sächsischen Herzog Heinrich dem Löwen bewertet. Die nicht

vor

wen vom

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-

33, S. 66: His igitur deperturbacionibus imperii et variis Saxonum bellis necessario prelibatis, eo quod Slavis causam defectionis vel maximum prebuerint, iam nunc redeundum est ad hystoricam Slavorum, unde lonigius digressus sum. Heinrich IV. wird von Helmold auch für das Papstschisma verantwortlich gemacht (30, S. 57f). Auch die bellorum tempestates nach dem Tod Ludwigs d.Fr., die durch den Streit seiner Söhne um die Herrschaft verursacht wurden, behinderten nach Helmolds Meinung v.a. die vocacio gentium (vgl. 4, S. 12f). Wilhelm Bernhardi, Lothar von Supplinburg, Leipzig 1879, S. If. Gerold Meyer von Knonau, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Heinrich IV. und Heinrich V., Bd. 6, Leipzig 1907, S. 325; vgl. a. Michael Seidlmayer, Deutscher Nord und Süd im Hochmittelalter. Die Momente ihrer geistigen Durchdringung und Abstoßung in der Zeit des ostfränkischen Reiches, der Sächsi-

schen und Salischen Kaiser, Bielefeld 1928, S. 65. autem Francigenae virum Saxonem elevatum in regnum conati sunt alium suscitare regem. (...) Cepitque in diebus Lotharii cesaris oriri nova lux non tarn in Saxoniae finibus quam in universo regno, tranquillitas temporum, habundantia rerum, pax inter regnum et sacerdocium. 54, S. 106: Conturban sunt hac fama omnes potestates imperii, virtus quoque Saxonum tanto principe illustrata penitus concidisse visa est; et in Slavia res ecclesiasticae labefactatae sunt.

41, S. 83: Indignad

Die Selbstzuschreibungen

175

überschwengliche, jedoch durchaus positive Sichtweise auf Friedrich ist wohl vor allem auf das gute Verhältnis zum sächsischen Herzog zurückzuführen, das Helmold mehrfach unterstreicht.181 Er fuhrt Friedrich eben nicht nur, wie Odilo ENGELS festgestellt hat, „mit einer knappen Hochschätzung" ein,182 sondern weist vielmehr vor allem auf die Verwandtschaft zwischen dem neuen König und dem dux noster, nämlich Heinrich

dem Löwen, hin. Somit zeigt sich eine grundsätzliche Selbstzuschreibung zum „Reich", ohne daß jedoch auf eine besonders enge Bindung geschlossen werden kann. Sie tritt weder in den ohnehin seltenen Wir-Bezügen hervor noch in den Bewertungen der Kaiser und Könige. Statt dessen erhalten andere Teilidentitäten den Vorrang, die sich auf Gemeinschaften aus dem .religiösen' Bereich beziehen oder auf kleinere ,weltliche' Gruppen. Da der Zuschreibung zur Saxonia und den Saxones dabei offenbar eine besondere Bedeutung zukommt, steht sie im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung. 3.2.2.2. Saxonia und Saxones Im Unterschied zu Adam

von Bremen war Helmold sächsischer Herkunft.183 Eine Saxonia und ihren Bewohnern liegt folglich nahe. Aus dem Werk Zuschreibung daß Sachsen seit der Unterwerfung Karls des Großen einen Teil des geht hervor, und der Chronist ist sich durchaus bewußt, daß es verschiedene naciones regnum bildet, im Reich gibt, wenngleich die anderen Teilgebiete in der Chronik hinter der Saxonia deutlich zurücktreten.184 Helmolds Darstellung ist auf den räumlich kleineren, konkreteren Raum bezogen. Selbst die Erwähnung anderer Reichsteile steht meist im Zusammenhang mit dem ,sächsischen Blickwinkel': Daß er zuweilen die Bawaria nennt, liegt fast ausschließlich an der Doppelherzogswürde Heinrichs des Löwen als Herzog von Bayern und eben Sachsen, die zu Auseinandersetzungen führte.185 Bereits in der oben angesprochenen Passage über die Wahl Lothars III. wurde deutlich, daß Helmold die zur

In der Beurteilung Konrads III. bilden v.a. die das Hzgtm. Bayern das Bewertungskriterium

Auseinandersetzungen mit Heinrich d. Löwen um (z. B. 72, S. 173f). Friedrich I. wird gegenüber

seinen Vorgängern hervorgehoben (ebd.) u. mehrfach wegen seiner Unterstützung Heinrichs d. Löwen herausgestellt (vgl. z.B. 106, S. 209: Friedr. auf Seiten Heinrichs im Fürstenaufstand 1166/67; 85, S. 166: Heinrich erhält das Hzgtm. Bayern wegen seiner Verdienste zurück; 88, S. 173f: Einräumung d. Investiturrechts). Dabei ist zu beachten, daß Helmold zu einem Zeitpunkt schrieb, als die ,staufisch-welfischen' Auseinandersetzungen noch nicht wieder ausgebrochen waren. Zu den späteren Konflikten, für die Arnold v. Lübecks Chronik eine der wichtigsten Quellen darstellt, vgl. unten, Kap. 4.2.2.2. Vgl. Odilo Engels, Friedrich Barbarossa im Urteil seiner Zeitgenossen, in: Ders., Stauferstudien. Beiträge zur Geschichte der Staufer im 12. Jahrhundert, Festgabe zu seinem 60. Geb., hg. v. Erich Meuthen u. Stefan Weinfurter, Sigmaringen 1988, S. 225-245, hier S. 240. Vgl. oben, Kap. 3.1. 3, S. 10: tune demum Saxonia in provinciam redacta est (nach Adam I, 11, S. 13). Helmold (8, S. 19) rechnet die Saxonia zum ostfränk.-dt. Reich, das er durch den Rhein vom westfränkischen Reich abgrenzt. Zur Verwendung des Begriffs natio vgl. Kahl, Beobachtungen, S. 97-99. Zu Bayern als (bei den opponierenden Fürsten umstrittenes) zweites Hzgtm. Heinrichs vgl. z. B. 97, S. 189 u. 103, S. 202f. sowie Andreas Kraus, Heinrich der Löwe und Bayern, in: Heinrich der Löwe, S. 151-214.

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

176

Saxonia und ihre Bewohner besonders deutlich von der Francia und den Francigenae abgrenzt.186 Die Zuschreibungen zur Saxonia und zu den Saxones treten in der Chronik mehrfach hervor und lassen sich anhand der Berichte über (a) die Vergangenheit Oldenburgs und (b) die Sachsenaufstände gegen Heimich IV. zeigen, bevor auf die Darstellungen der sächsischen Herzöge einzugehen ist. Für Helmold ergibt sich das hohe Alter von Aldenburg (Oldenburg) schon aus dem Namen des Ortes. Die ehemals slawischen Bewohner Oldenburgs und der umgebenden terra Wagirorum kennzeichnet er als fortissimi viri, und er schreibt ihnen damit eine Eigenschaft zu, die er explizit auf die geographisch exponierte Lage der Region zurückführt, die viele Kriege zur Folge gehabt habe: Denn Oldenburg bilde den „äußersten Punkt" der Slavia an der Grenze zu den Danorum sive Saxonum populi?"1 So weist Helmold Oldenburg und die Wagira rückblickend schon für die frühe Vergangenheit als ein Gebiet aus, das er noch bis in seine Gegenwart hinein wesentlich durch Auseinandersetzungen zwischen christlichen Sachsen und heidnischen Slawen bestimmt sieht. Im Gegensatz zu anderen Quellen, die häufig eine römische Vergangenheit betonen,188 hebt Helmold die ottonische Blütezeit Oldenburgs und Wagriens hervor. Der Sachse Otto I. erscheint als Unterwerfer, Friedensbringer und Vermittler des Christentums.189 Durch die Betonungen der Tapferkeit und der Kriegserprobtheit der ansässigen slawischen Gegner werden die kaiserlichen Erfolge um so stärker akzentuiert. Otto erhält seine Bedeutung hier aus der Schaffung der Voraussetzungen für die Christianisierung in Wagrien, dem Missionsgebiet des Bistums Oldenburg. Anstelle des in anderen Texten häufig anzutreffenden Ruinenarguments für eine ehemals römische Besiedlung gelten Helmold die Überreste im Wald zwischen Lütjenburg und Schleswig als Beleg für eine frühere sächsische Besiedlung infolge der Unterwerfung Ottos. So erscheinen die Ottonenzeit und das Sachsentum in Wagrien eng miteinander verbunden. Der Gegenwartsbezug dieser Darstellung erhellt sich erst am Schluß des zweiten Buches, an dem Helmold erfreut über die Erfolge Heimichs des Löwen berichtet, die bewirkten, daß „das ganze Gebiet der Slawen von der Eider bis Schwerin einst von Hinterhalt starrend und fast ganz verödet nun durch Gottes Gnade vollständig in ein einziges Siedlungsland der Sachsen verwandelt worden ist, Städte und Dörfer angelegt werden

(a)

...

...

...

S. 9f. u. 41, S. 83 sowie oben, Kap. 3.2.2.1. Die Erwähnung der Suevi(a) liegt v.a. in der sächs. Unterstützung für den Gegenkg. Heinrichs IV., Rudolf v. Schwaben (27-29, S. 53-57), und in der schwäbischen Herkunft Bf. Gerolds (80, S. 149 u. 83, S. 156) begründet. 12, S. 23f: Aldenburg, hoc est antiqua civitas, est terminus Slaviae. Haec autem civitas sive provincia fortissimis quondam incolebatur viris, eo quod in fronte tocius Slaviae posita contiguos haberet Danorum sive Saxonum populos et omnes bellorum motus ipsi aut primi inferrent aut aliis inferentibus exciperent. Sowohl das hohe Alter eines Ortes als auch die Tapferkeit seiner Bewohner sind Kriterien des Städtelobs, die sich häufig finden und die Bedeutung eines Ortes akzentuieren; vgl. bes. Heinz Thomas, Julius Caesar und die Deutschen. Zu Ursprung und Gehalt eines deutschen Geschichtsbewußtseins in der Zeit Gregors VII. und Heinrichs IV., in: Die Salier und das Reich, hg. v. Stefan Weinfurter, Bd. 3: Gesellschaftlicher und ideengeschichtlicher Wandel im Reich der Salier, Sigmaringen 1991, S. 245-277. Vgl. Beumann, Gründung, S. 57 m. Anm. 7 u. weiteren Nachweisen sowie Thomas, Caesar. Diese Charakterisierung Ottos I. auch bei Adam II, 5, S. 65.

Vgl. etwa 3,

...

...

Die Selbstzuschreibungen

111

(und) sich die Zahl der Kirchen und Diener Christi vervielfältigt".190 Ausgehend von der exponierten Stellung dieser Passage und ihrer rhetorischen Überhöhung wird deutlich, daß die sächsische Besiedelung der ehemals von Slawen bewohnten Wagira neben der Missionierung ihrer Bewohner ein ,Leitinteresse' Helmolds darstellte. Auf die Folgen für die Bedeutung ethnischer Grenzziehungen in den Fremddarstellungen wird noch zurückzukommen sein,191 hier bleibt zunächst einmal festzuhalten, daß der Betonung der sächsischen Vergangenheit' der Wagira eine legitimatorische Funktion zukommt: Denn die Saxones besiedeln nach Helmolds Darstellung zur Zeit Heinrichs des Löwen ein Gebiet, das ihnen bereits seit der Zeit Ottos I., von alters her, gehörte. Die Zuschreibung zu den Sachsen zeigt sich hier also in der Legitimation sächsischer Siedlungsansprüche und drückt sich in der Abgrenzung von den Slawen aus.192 -

-

,

(b) In der Darstellung der Sachsenaufstände gegen Heinrich IV. konstatiert der Geschichtsschreiber mit prosächsischer Parteinahme, Heinrich habe die ganze gens Saxonum „hart verfolgt". Auch habe er Otto von Northeim das Herzogtum Bayern nur

aufgrund seiner sächsischen Herkunft entzogen und überdies die Errichtung der Harzburg zur depressio totius Saxoniae geplant.193 Helmold rechtfertigt die sächsischen

Aufstände damit, die Sachsen hätten ihre Waffen nur „zum Schutz ihrer Freiheit" erhoben,194 die der Kaiser, so kann man folgern, bedrohte. Grenzt sich der Chronist hier sehr scharf gegenüber Heimich ab, so erscheint es ihm doch angemessen, daß die Sachsen ihre Waffen schießlich niederlegten, als der von ihnen zum Gegenkönig gewählte Hermann von Salm durch ein, wie Helmold hinzufügt, „merkwürdiges Gottesurteil" starb: Denn dies gilt ihm als ein Beleg dafür, daß „Gottes Wille es guthieß oder doch zuließ, daß [Heimich] die Herrschaft erhalten blieb".195 Der Kampf der Sachsen gegen 110, S. 218: Omnis enim Slavorum regio olim insidiis hórrida et pene deserta, nunc dante Deo tota redacta est veluti in unam Saxonum coloniam, et instruuntur illic civitates et oppida, et multiplicantur ecclesiae et numerus ministrorum Christi. Danach stellt Helmold, sich selbst widersprechend, fest: Et quia Slavorum latrones inquietabant Teutónicos, qui habitabant Zuerin et in terminis eius, habe der prefectus castri Gunzelin eingreifen müssen; danach heißt es im Abschlußsatz der Chronik: Et cohibiti sunt utcumque Slavi afurtis et a latroniciis suis. ...

Vgl. unten, Kap. 3.3.3.

Helmold schreibt sich den Sachsen besonders häufig in Abgrenzung von den jedoch durch den Einsatz von Wir-Bezügen; vgl. dazu unten, Kap. 3.3.3.

Slawen zu, nicht

27, S. 53: [Rex Henricus] omnem gentem Saxonum atrociter persequi cepit. Denique Ottoni ducatum Bawariae, quia Saxo erat, abstulit Post haec ad depressionem totius Saxoniae in collocavit. Helmold erhebt gegen den Ks. auch den Vorwurf des WortHartico clivo castrum u. Vertrauensbruchs, den er damit begründet, daß Heinrich die gefangengenommenen Anführer der sächs. Fürstenopposition entgegen seinem Versprechen nicht freigelassen habe (ebd., S. 54). Die Hinterlist des kaiserl. Heeres führte nach Helmold auch zum Tod mehrerer tausend Sachsen in der Schlacht an der Unstrut. Ebd.: Saxones pro tuenda libértate bellum adhuc intentarent. In seinem Bericht über die Schlacht am Weifesholz (40, S. 80-83), in der die Sachsen Ks. Heinrich V. besiegten, liegt für Helmold das einende Ziel der Sachsen in der defensio patriae, nachdem Heinrich, der vom Chronisten sehr negativ dargestellt wird, ganz Sachsen durch ein „schreckliches Blutbad verheert hatte". 30, S. 58: Saxones statuerunt sibi regem Hermannum et instauraverunt prelium adversus Heinricum cesarem. Cumque Saxonum novus princeps secundo potitus victoria castrum quoddam victor ingrederetur, contigit miro Dei iudicio, ut porta cardinibus avulsa regem attriverit, ...

...

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Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

178

den Kaiser wird im Fall einer Unterdrückung' gerechtfertigt, allerdings auch nur, solange Gott auf Seiten der Sachsen zu stehen scheint. Somit wird hier die Zuschreibung zu den Saxones gleichsam überlagert von derjenigen zur christianitas. Eine auffällige Parallele zur Legitimation der Sachsen im Kampf gegen Heinrich IV. findet sich in der Darstellung der Sachsenkriege Karls des Großen.196 Auch hier betont der Chronist, sogar in einem Zusatz gegenüber seiner Quelle Adam, daß die Sachsen „ihre Freiheit lieber mit Waffen schützen" wollten, als den Krieg zu beenden.197 Das Verhalten der Sachsen erscheint Helmold hier jedoch ungerechtfertigt: Kämpften sie gegen Heinrich IV. viriliter, führt er hier die in seinen Augen unnötig lange Dauer der Auseinandersetzungen mit Karl auf die pertinacia der aufständischen Sachsen zurück, die er als gens ferocissima atque rebellis bezeichnet.198 Karl, vom Chronisten auch wegen seiner Missionserfolge als idealer christlicher Herrscher dargestellt, brachte den heidnischen Sachsen das Christentum, dessen Annahme sie unnötig verzögerten. Heinrich IV. jedoch erscheint als Gegenbild Karls: Er macht, in Helmolds prosächsischer Argumentation, durch seine Unterdrückung der Sachsen die Missionserfolge bei den Slawen zunichte. Zeigt sich hier die Zuschreibung zu Sachsen in der Abgrenzung vom Kaiser, so manifestiert sie sich in der Darstellung Karls schon darin, daß er das Kapitel der Unterwerfung und Christianisierung Sachsens seiner Chronik voranstellt. Auch wenn sich Helmold in diesem Aspekt in eine Reihe mit anderen sächsischen Geschichtsschreibern stellen läßt, ist die Missionierung Sachsens doch ein geeigneter Ausgangspunkt gerade dieses Werkes: Auf die Unterwerfung und Bekehrung der Sachsen folgen die Bezwingung und Missionierung der Slawen. 3.2.2.2.1. Die

Herzöge von Sachsen

Die Saxonia betrachtet Helmold deutlich als Herzogtum, und er bezeichnet sie häufig auch explizit als ducatus?99 Seine Angaben über die Herzöge werden um so zahlreicher, je näher der Berichtszeitraum Helmolds eigener Gegenwart rückt, und im Unterschied zu den Bischöfen gibt es hierbei keine Ausnahme: Die alle anderen Herzöge schon nach dem Berichtsumfang bei weitem überragende Gestalt ist Heinrich der Löwe. Er ist nicht nur der einzige Herzog, der das Objekt direkter Identifikationen bildet, sondern gar überhaupt diejenige Person, die von allen im Werk Genannten die meisten Wir-Bezüge auf sich vereint.200 Bevor nach den Gründen für diese besonders im zweiten Buch deutlich hervortretende Stellung Heinrichs gefragt wird, ist zunächst kurz auf die anderen sächsischen Herzöge einzugehen. Die erst unter Otto I. erfolgte Ernennung des ersten Herzogs von Sachsen stellt tune frustratus coneidit; nee adiecerunt ultra novum creare regem ferre adversus Heinricum cesarem, videntes ei regnum conservari divina volúntate approbante sive permitiente.

conatusque Saxonum etiam nee arma

3, S. 9f. Ebd., S. 10: libertatem armis tueri malentes. Vgl. Adam I, 8, S. 10; 11, S. 12-14 u. 14, S. 17-20. Vgl. Helmold 3, S. 9: gen[s]ferocissima[...] atque rebell[is]; vgl. a. 27, S. 53. Vgl. z. B. 10, S. 22; 22, S. 45; 54, S. 105 u. 72, S. 137f. Vgl. unten, Kap. 3.2.2.2.2. m. Anm. 212. Die jüngere Lit. zu Hzg. Heinrich ebd., Anm. 210.

179

Die Selbstzuschreibungen

Anlehnung an Adam von Bremen in einen Zusammenhang mit der „alten Aufsässigkeit" der „unbändigen und widerspenstigen" gens der Sachsen.201 Und wie Adam sieht auch er die Hauptaufgaben der Herzöge im Schutz Sachsens, etwa vor

Helmold in

Überfallen von Slawen und Dänen, sowie damit verbunden im Schutz der Kirchen.202 In der Begründung für die Berichte über Hermann „und sein Geschlecht" weicht Helmold jedoch vom Autor seiner Hauptquelle ab, denn er betont nicht die Gefahr des Herrschergeschlechts für die Hamburg-Bremer Kirche, sondern dessen Machtfülle in nostra témpora?03 Die Billungerherzöge werden für Helmold zu direkten Vorgängern der sächsischen Herzöge seiner Gegenwart: So nennt er letztlich die Machtfülle, die er besonders in der Darstellung der Bischofsinvestituren Heinrich dem Löwen zuspricht, als Anlaß für den Bericht über dessen Vorgänger. Die Bewertungen Hermanns und der -

-

weiteren Billunger entspringen durchweg denselben Kriterien: Helmold kritisiert häufig die gewaltsame Unterdrückung der Sachsen oder hebt lobend den Kirchenschutz hervor.204 Besonders negativ bewertet er (wiederum analog zu Adam) die avaritia der Herzöge, die sich in ihren übermäßigen Abgabenforderungen gegenüber den Slawen zeige, und auch Helmold kann die herzogliche avaritia eine infelix avaritia Saxonum nennen, die argumentativ Adam folgend gar zwangsläufig zur Auflehnung der Slawen führt.205 Als Gegenbild zu diesen Herzögen, die einer erfolgreichen Slawenmission im Wege stehen, dient wiederum Karl der Große, der nach der Unterwerfung der Sachsen Weitsicht und Milde habe walten lassen: Weil er sie nicht mit hohen Zinsforderungen belastete, seien sie auch nicht vom Christentum abgefallen.206 Eine ähnlich positive Wertung erfahrt der spätere König Lothar, der bereits als sächsischer Herzog „maßvoll über Sachsen und Slawen herrschte".207 Die herzogliche Schutzpflicht Sachsens vor feindlichen Angriffen konkretisiert Helmold entsprechend seinen Interessen, die letztlich auf die Unterwerfung von Slawen zur Ausbreitung des Christentums zielen: So bedeutet für ihn etwa die Kontrolle Herzog Bernhards I. (973-1011) über die Slawen nicht nur, daß diese keine Waffen gegen die Sachsen erhoben, sondern vor allem, daß -

-

10, S. 22: Nondum enim post témpora Karoli propter veteres ilius gentis sedicionis Saxonia ducem accepit nisi cesarem. Vgl. a. 3, S. 9 u. Adam II, 8, S. 66f. u. zu Adam oben, Kap. 2.2.2.2. Hermann war von Otto I. 936 im Feldzug gegen die Redarier zum princeps militae ernannt worden und erhielt später die procuratio über Sachsen. Helmold berichtet (10, S. 22), daß Otto Hermann zunächst primum tutelae vicem in Saxonia commisit, später nennt er Hermann dux. Bei Adam (II, 10, S. 67f.) wird Hermann von Otto I. und vom Hamburger Erzbf. Adaldag als Vertreter der Schutzherrschaft bestellt (vgl. dazu oben, Kap. 2.2.2.2.2. m. Anm. 275). Helmold (10, S. 22) lobt Hermann besonders wegen seiner gerechten Herrschaft und dem Bemühen um Kirchenschutz. Zu den Billungerherzögen vgl. Freytag, Billunger, u. Hans-Werner Goetz, Das Herzogtum der Billunger- ein sächsischer Sonderweg?, in: NdsJbLG 66 (1994), S. 167-197 mit weiteren Nachweisen; zusammenfassend Matthias Becher, Formen und Inhalte herzoglicher Herrschaft in Sachsen, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit, Bd. 2, S. 130-135. Vgl. dagegen Adam II, 8, S. 66f. u. oben, Kap. 2.2.2.2.2. m. Anm. 268. Zur Kritik vgl. 13, S. 26. Lob: 16, S. 33 (beide zu Bernhard I.). Vgl. z. B. 25, S. 48: infelix Saxonum avaritia. 16, S. 35; 18, S. 38 (zu Bernhard II.) u. 25, S. 48 (zu Ordulf). Zu Adam vgl. oben, Kap. 2.2.2.2. Das ist zudem unhistorisch, denn die Sachsen waren noch gar nicht bekehrt. Zu Karl: 3, S. 10; zu Lothar: 35, S. 69: Luderus gubernavit[...] cum modestia tarn Slavos quam Saxones. ...

180

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

sie nicht vom Christentum abfielen.208 Dagegen kämpfte Herzog Ordulf (1059-1072) in Helmolds Argumentationslinie solange sieglos gegen die Slawen, bis diese wieder heidnisch wurden,209 mit der wichtigen Folge, daß das Oldenburger Bistum 1066 unterging und vierundachtzig Jahre lang vakant blieb. -

-

3.2.2.2.2.

Herzog Heinrich der Löwe

Die alle anderen Herzöge in der Chronik überragende Gestalt ist Heinrich der Löwe. Aufgrund der Ausführlichkeit, mit der Helmold über ihn berichtet, gelten die Chronica Slavorum nach wie vor als eine wichtige Quelle für die Geschichte Heinrichs.210 Im Herzog sah Helmold den „Fürsten aller Fürsten des Landes", der „die Nacken der Aufrührer beugte, ihre Burgen brach, die Wegelagerer vertilgte, Frieden machte im Lande, die stärksten Festen erbaute und ungeheures Eigengut hatte."2" Auf Heinrichs Bedeutung für den Chronisten läßt sich auch aus den insgesamt neunzehn Wir-Bezügen schließen.212 Die Zusammenhänge, in denen diese stehen, bilden vor allem (a) die Auseinandersetzungen um das Herzogtum Bayern, (b) Heinrichs Verdienste um das Bistum Oldenburg/Lübeck und (c) seine Erfolge in Kämpfen gegen die Slawen.213

(a) Mit den Wir-Bezügen, die sich im Kontext der Darstellung von Auseinandersetzungen zwischen Heinrich dem Löwen und Konrad III. um das Herzogtum Bayern finden,

verteidigt Helmold den Anspruch Heinrichs und grenzt sich von der Fürstengruppe um 208

14, S. 27-30. nullam umquam poterat obtinere 24, S. 47: Dux Ordulfus in vanum sepe Slavos dimicans vidoriam, tociensque victus a paganis, a suis etiam derisus est (nach Adam III, 51, S. 195; vgl. zu der Stelle oben, Kap. 2.2.2.2.2. m. Anm. 283). Vgl. etwa die jüngeren Studien von Bernd Schneidmüller, Die Weifen. Herrschaft und Erinnerung, Stuttgart-Berlin-Köln 2000; Joachim Ehlers, Literatur, Bildung und Wissenschaft am Hof Heinrichs des Löwen, in: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter. Kolloquium im DHI Paris 16.-18.3. 1995, hg. v. Ingrid Kasten, Werner Paravicini u. René Pérennec (BdF 43), Sigmaringen 1998, S. 61-74; Ders., Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum; Jor....

210

211

212

213

dan, Heinrich der Löwe, sowie die Beiträge in den Sammelbänden Die Welfen und ihr Braunschweiger Hof im hohen Mittelalter, Vortrr. gehalten anläßl. d. 33. Wolfenbütteler Symposions v. 16. bis 19. Feb. 1993, hg. v. Bernd Schneidmüller (WMS 7), Wiesbaden 1995; Heinrich der Löwe sowie in Heinrich der Löwe und seine Zeit; 102, S. 201: Et increvit ducis potestas super omnes qui fuerunt ante eum, etfadus est princeps principum terrae, et conculcavit colla rebellium et effregit municiones eorum et perdidit viros desertores et fecit pacem in terra et edificavit municiones firmissimas et possedit hereditatem multam nimis. Die Wir-Bezüge auf Heinrich in 65, S. 122f. (2x; davon einmal auf das herzogl. Heer bezogen); 68, S. 129; 72, S. 137f. (3x); 73, S. 139 (2x); 78, S. 146; 81, S. 154f. (2x); 84, S. 162; 85, S. 166 (3x); 87, S. 169; 89, S. 175; 92, S. 181 u. 106, S. 209. Daneben finden sich zwei Wir-Bezüge, mit denen Helmold die verwandtschaftl. Beziehungen des Herzogs zu Konrad III. u. Friedrich I. hevorhebt: 72, S. 138: Mater eius [i. e. Friedr. \.]fuit amita ducis nostri. 106, S. 209: filius Conradi régis, qui duxerat unicam fil¡am Heinrici ducis nostri. Vgl. a. den Wir-Bezug in 78, S. 146, mit dem Helmold die Königsnähe Heinrichs betont: Post haec abiit dux noster in Italiam cum rege pro corona imperiali.

181

Die Selbstzuschreibungen

Konrad ab, die ihm das Herzogtum zu entziehen versuchte. Nicht nur die direkten Identifikationen belegen hier die Parteinahme des Chronisten. Er bezeichnet auch Konrads Heer bei seinem Eindringen nach Sachsen und der Belagerung Braunschweigs als hostes, denen sich der Herzog dank seiner amici entziehen konnte. Weitere Wir-Bezüge in diesem Kontext zeigen, daß Helmold sich ausgerechnet in solchen Situationen deutlich dem Herzogtum zuschreibt, in denen dem Herzog Schaden drohte oder tatsächlich zugefügt wurde:214 Können das Eindringen Konrads nach Sachsen und die Belagerung sächsischer Burgen als eine Bedrohung des Herzogs angesehen werden, so spiegelt sich die Parteinahme Helmolds in den Polarisierungen zwischen den amici und den hostes wider, in der Wahl solcher Begriffe also, welche die Konflikte aus herzoglicher Sicht darstellen. Zudem zeigt sich in den von Helmold verwendeten Termini auf einer übergeordneten Ebene, daß die Konfrontation mit Gegnern oder Feinden hier zu einer begrifflich gesteigerten Gegenüberstellung von Eigenen und Fremden als Freunden und Feinden führen kann.215

(b) Mehrfach hebt Helmold mit Wir-Bezügen Heinrichs Verdienste

um

das Bistum

Oldenburg/Lübeck hervor. Zwei dieser direkten Identifikationen stehen im Zusammenhang mit der Investitur und Weihe Bischof Gerolds, die nach Ansicht des Chronisten, wie bereits oben erwähnt, vor allem Heinrichs Einsatz und seiner Unterstützung des Papstes gegen die aufständischen Römer zu verdanken sind.216 Auch als der Herzog die Holsten dazu bewegt, Gerold den „nach göttlichem Gesetz gebotenen" Zehnten zu entrichten, wird er zum dux noster?]1 In diesen Fällen liegt der Grund für Helmolds Identifikation mit dem Herzog explizit in dessen Förderung des Bistums, eben der Hauptanforderung, die der Geschichtsschreiber an die Herzöge stellte.218 Daß Helmold in diesem Kontext Wir-Bezüge verwendet, zeigt die immense Bedeutung, die er Heinrich aufgrund seiner Verdienste für das Bistum beimaß und entspricht seiner Parteinahme für den Herzog in den Konflikten um die Einsetzungen Vizelins und Gerolds. (c) Oftmals verweist Helmold auf Heimichs Machtfülle und hebt ihn als den erfolgreichsten Slawenbekämpfer unter den Herzögen hervor. Entsprechend der grundsätzli-

215

216

217 218

Vgl. die Wir-Bezüge in 72, S. 137f. In Zusammenhang mit dieser Auseinandersetzung stehen vier Wir-Bezüge auf Heinrich, der sich in Helmolds Augen als Sieger behauptet, weil er trotz des Verlustes Bayerns das Hzgtm. Sachsen behielt „und seine Macht von Tag zu Tag wuchs" (ebd., S. 138). Zwar habe Heinrich zu Zeiten Kg. Konrads das Hzgtm. Bayern nicht zurückgewinnen können, es jedoch später von Friedr. I. wegen seiner Verdienste u. Treue zurückerhalten (85, S. 166). Auch in einer weiteren Auseinandersetzung, im Erbstreit mit Markgf. Albrecht, ist Heinrich dux noster (73, S. 139). Vgl. dazu grundsätzlich oben, Kap. 1.4. Zu den Fremden als Gegnern vgl. a., wenngleich auf eine

andere Thematik bezogen, Herbers. 81, S. 154f. Vgl. oben, Kap. 3.2.1.2.3. 92, S. 179: Holzati... decimis iuxta divinumpreceptum legaliterpersolvendis rebelles existebant. Bereits oben wurde darauf hingewiesen, daß Heinrich d. Löwe das Btm. schon kurz nach der Belehnung Vizelins ausstattete. Zur Ausstattung vgl. a. Jordan, Bistumsgründungen, S. 110-133. Wie unstrittig nach Helmolds Meinung Heinrichs Verdienste um das Btm. u. die Slawenmission waren, zeigt sich auch darin, daß er Heinrich dux noster nannte, als dieser nach dem Italienzug aus Geldmangel nichts für Btm. und Kirche tun konnte (84, S. 162).

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

182

chen Bedeutung dieses Kriteriums für die Bewertung der Herzöge überrascht es nicht, daß sich weitere Wir-Bezüge in diesem Kontext finden.219 Dabei wird erneut deutlich, daß die ethnische Grenze zwischen Saxones und Slavi zugleich auch eine religiöse zwischen Christen und Heiden sein kann.220 Christliche und sächsische Teilidentitäten Helmolds stehen hierbei im Einklang, wie die Bemerkung zeigt, daß durch Gottes Hilfe ,,unser[...] Herzog die Slawen weit und breit gänzlich verjag[en]" konnte, so daß das Gebiet mit christlichen Kolonisten besiedelt wurde.221 Schon das Herannahen des herzoglichen Heeres veranlasse die Slawen zur Flucht.222 Die militärische Überlegenheit dient als Garant für den Frieden, der für die Ausbreitung des Christentums notwendig war, und Helmold faßt zusammen: „Nur der Herzog ist [den Slawen] furchtbar: Mehr als alle anderen Herzöge vor ihm, mehr als selbst der gefeierte Otto, hat er die Kraft der Slawen gebrochen und ihnen den Zaum ins Gebiß geschoben, nun lenkt er sie, wohin er will: Erklärt er Frieden, gehorchen sie, befiehlt er Krieg, rufen sie: ,Hier sind wir.'"223 Insbesondere im zweiten Buch der Chronik erscheint Heinrich der Löwe als Wegbereiter der sächsischen Landnahme und gar als der eigentliche Förderer der Mission. Aufschlußreich für die Identifikationsstrukturen Helmolds sind die Abschlußkapitel der Chronik, in denen er über die Unterwerfung und Bekehrung der Rani (Rügener), der zur ...

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Auch der Wir-Bezug in 68, S. 129 ist im Zusammenhang mit der Machterweiterung und der Herrschaft über die Slawen zu sehen. Vgl. z. B. 84, S. 159-165: Als Reaktion auf die Beschwerde des slaw. Fürsten Pribislaw über zu hohe Forderungen der Fürsten, aufgrund derer die Slawen, pulsi patria, zu Seeräubern geworden seien, verweist Bf. Gerold auf ihr Heidentum. Erst ihr Übertritt zum Christentum ermögliche den Slawen ein Leben in Frieden, wie das Beispiel der Sachsen zeige. Die „rechtliche Tönung" des Begriffs patria an dieser Stelle betont Eichenberger, S. 67f. m. Anm. 151 u. S. 95. Zur Bewertung christlicher Slawen vgl. unten, Kap. 3.3.3.2. 89, S. 175: Nunc vero, quia Deus duci nostro salutem et vidoriam large contribua, Slavi usquequaque protriti atque propulsi sunt, et venerunt adducti de finibus occeani populi fortes et innumerabiles et obtinuerunt términos Slavorum et edificaverunt civitates et ecclesias et increverunt diviciis super omnem estimacionem. Helmold befürwortet die Ansiedlung von flandrischen u. holländischen Christen in den Diözesen Brandenburg u. Havelberg, auf die sich dieser Abschnitt bezieht; vgl. hierzu a. unten Kap. 3.3.3.2. und zu Wagrien Kap. 3.2.2.3. 100, S. 199: Slavi enim semper ultra progredientes diffugiebant a facie ducis, nusquam ausi subsistere pre formidine faciei eius. Vgl. a. 87, S. 169-171 u. 102, S. 201: Der Hzg. habe vom dän. Kg. Waldemar hohe Geldzahlungen erhalten, damit er ihr Gebiet vor slaw. Angreifern schütze. Zur Überhöhung Heinrichs und den diesbezügl. Motiven vgl. unten, Kap. 3.3.2. 109, S. 217: Solus eis [i. e. Slavis] dux est formidini, qui protrivit robur Slavorum super omnes duces, qui fuerunt ante eum, plus multo quam Ule nominatus Otto, et misit frenum in maxillas eorum et quo voluerit déclinât eos. Loquitur pacem, et obtempérant; mandat bellum, et dicunt; 'Assumus'. Demgegenüber kritisiert Helmold die frühen Heereszüge Heinrichs; vgl. 68, S. 129: In variis autem expedicionibus, quas adhuc adolescens in Slaviam profectus exercuit, nulla de Christianitate fuit mentio, sed tantum de pecunia. Wenn positive Auswirkungen auf die Mission oder die Förderung des Bistums nicht gegeben sind, nimmt Helmold die Machtausübung des Herzogs eher gezwungenermaßen in Kauf, wie z. B. bei der kritisierten Ernennung Konrads zum Bf. Als Grund für die Durchsetzung Konrads führt Helmold (97, S. 190) an: prevaluit tarnen voluntas ducis, cui refragari formidolosum erat. Auch bei der Ernennung Vizelins nahm Helmold dessen herzogl. Belehnung trotz der Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit aus .pragmatischen' Erwägungen in Kauf (vgl. oben, Kap. 3.2.1.2.3.). ...

222

183

Die Selbstzuschreibungen

Abfassungszeit letzten heidnischen westslawischen Völkerschaft, berichtet.224 Sie erfolgte 1168 durch den dänischen König Waldemar I., weil so Helmolds Begründung Heinrich durch die sächsische Fürstenopposition an ihr gehindert worden sei.225 Die Identifikation mit Heinrich vollzieht sich in Abgrenzung von den opponierenden Für-

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sten, welche die Abwesenheit Kaiser Friedrichs I. zum Aufstand nutzten und zu denen, wie erwähnt, auch Bischof Konrad und Erzbischof Hartwig gehörten.226 Nach dieser Darstellung verhinderte demnach letztlich auch der eigene Bischof die herzogliche Teilnahme am Rügenfeldzug und an der Bekehrung der Rani. Daß Heinrich der Löwe in Helmolds Bericht als uneingeschränkter Sieger aus den Auseinandersetzungen hervorgeht, obwohl der Chronist aller Wahrscheinlichkeit nach besser unterrichtet war, unterstreicht das Bild des unangefochtenen mächtigen Herzogs,227 dem immerhin eine mittelbare Beteiligung am Feldzug gegen die Rani zugesprochen wird: Bei Helmold gehorchen die Slawen Heinrich, der sie, je nach Bündnislage, gegen den dänischen König oder mit ihm kämpfen läßt. Heinrichs Macht wird hier überzeichnet und vor allem mit derjenigen des dänischen Königs kontrastiert es wird noch darauf einzugehen sein, daß die Attribution von Eigenschaften und Charakteristika an die Adresse der Dänen und ihrer Könige sehr eng mit der Zuschreibung von Eigenschaften an den sächsischen Herzog korreliert.228 Im Abschlußkapitel der Chronik verweist Helmold auf die seiner Argumentation nach folgerichtige Einsicht Waidemars, nur mit dem Herzog gemeinsam den Frieden sichern zu können. Das Bündnis zwischen Waldemar und Heinrich von 1171 feiert der Geschichtsschreiber als friedensbringendes Ereignis. Heinrich erscheint hier gar dem dänischen König übergeordnet, denn letzterer geht ihm über die Eider entgegen, erweist sich überdies „in allem dem Willen des Herzogs gefügig [und] erfüllte bis aufs einzelne ergeben, was der Herzog zu fordern für gut befand."229 -

108-110, S. 211-218. Zum historischen Hintergrund vgl. bes. Gaethke, Herzog, S. 347-393 u. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 94-96. Zur Darstellung der Ranen vgl. unten, Kap. 3.3.3.3. 109, S. 214. Vgl. a. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 95f. Becher, Formen, S. 134 sieht in der Betonung Heinrichs herzogl. Position mit dem Anspruch auf Lehnshoheit gegenüber den sächs.

Adelsgeschlechtern und in der Stärkung seiner territorialen Macht in Ostsachsen die Gründe für das Entstehen der Opposition. 103, S. 202f. wird Erzbf. Wichmann v. Magdeburg (1152-1192) als ein Anführer genannt. Vgl. a. 105, S. 205-207 u. oben, Kap. 3.2.1.2.3. 107, S. 210: Et cesserunt omnia iuxta placitum ducis, et ereptus est a circumventione principum absque omni suimet diminucione. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 116-123 beschreibt dagegen,

wie mühevoll sich die Übereinkunft einer Waffenruhe gestaltete. Vgl. dazu unten, Kap. 3.3.2. 110, S. 217: Et occurrit ei rex Danorum et exhibuit sepronum adomnem voluntatem ducis. (...) et ad singula, quae dux iudicavit exigenda, devote paruit rex. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 96 spricht lediglich von Gleichberechtigung, weil Waldemar Heinrich entgegengegangen sei. Ob dies „tatsächlich" geschah, ist kaum überprüfbar, hier jedoch auch nicht entscheidend. Daß Waldemar dem Hzg. in Helmolds Darstellung untergeordnet ist, läßt sich jedoch an sämtlichen Einzelheiten belegen: Neben dem angeführten Zitat, das die Erfüllung des herzogl. Willens in allen Punkten akzentuiert, ist es z. B. auch der Kg., der den Hzg. um die Hochzeit der Kinder bat. Zum Erfolg dieses Friedensbündnisses für Heinrich vgl. Jordan, ebd. Die rhetorisch überhöhte Darstellung Heinrichs wird noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, daß zwei Zusammenkünfte nötig waren, die Verhandlungen sich überdies zäh gestalteten und in einen Kompromiß mündeten, Heinrich also keineswegs alle Forderungen problemlos durchsetzen konnte; vgl. dazu Stoob in -

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Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

Betonung Heinrichs des Löwen als Slawenkämpfer und Friedensbringer, dessen Taten einen Ausbau der Mission ermöglichten, vollzieht sich also nicht nur in Abgrenzung von den Slawen, sondern auch vom dänischen König. Dadurch werden gleichzeitig die Fähigkeiten des Herzogs erhöht. Die Saxones haben sich nach Helmolds am Schluß der Chronik exponierter Aussage gegen ihre Nachbarn durchgesetzt. Die sächsische Landnahme erscheint als gesichert, weder die Slavi noch die Dani stellen nach dieser Darstellung noch eine Gefahr dar. Die

Der auffallend häufige Einsatz von Wir-Bezügen im Kontext der auch sonst überaus positiv bewerteten Taten Heinrichs für das Bistum und seiner Leistungen im Kampf gegen die Slawen belegt, daß er als sächsischer Herzog ein nahezu ideales Identifikationsobjekt darstellte. Zwar kritisiert Helmold dessen Machtfülle, jedoch befürwortet er sie, wenn auch anfangs nur zögerlich, später uneingeschränkt.230 Die Zuschreibung zu Sachsen ist hier durchaus von derjenigen zum Bistum überlagert, jedoch ist sie stärker ausgeprägt als bei Adam von Bremen. Dieses Ergebnis muß nun, um die Frage nach den Gründen für die Zuschreibungen zu beantworten, vor dem Hintergrund der Situation zur Abfassungszeit betrachtet werden, wobei dem zweiten Buch insofern eine besondere Bedeutung zukommt, als vor allem in diesem Teil der Chronik die Identifikation mit Heinrich dem Löwen deutlich hervortritt und sich ausschließlich hier die Wir-Bezüge auf den Herzog finden. Jedoch ist in diesem Zusammenhang noch einmal auf die bereits eingangs getroffene Feststellung aufmerksam zu machen, daß die exakte Abfassungszeit des zweiten Buches (wie letztlich die des gesamten Werkes) nicht völlig restlos geklärt ist.231 Aufgrund der schwierigen Quellenlage ist also Vorsicht geboten, wenngleich es verlockend erscheint, Hermann VON BRESKAs These zuzustimmen, im Tod Bischof Konrads überhaupt den Schreibanlaß des zweiten Buches zu erblicken,232 denn die Hervorhebung Heimichs des Löwen erhielte, vor dem Hintergrund der Betonung von Schwierigkeiten bei den vergangenen Bischofsinvestituren, gerade dadurch eine besonders aktuelle Bedeutung, daß mit dem Tod des Bischofs die Wahl seines Nachfolgers bevorgestanden hätte:233 Ganz ähnlich wie im ersten Buch könnte dann hier die überhöhte Darstellung Heinrichs des Löwen dazu gedacht gewesen sein, dem Domkapitel die Annahme eines proherzoglichen Kandidaten nahezulegen. Denn immerhin wurde Ende 1172 Konrads Nachfolger Heinrich vom Herzog, wie ARNOLD VON seiner Ed., S. 381 Anm. 2 mit Verweis auf die (ebenso parteiliche) Darstellung des Saxo Grammaticus. Letztendlich scheiterte der Versuch Heinrichs, zumindest Teile Rügens seiner Herrschaft zu unterwerfen u. dem Btm. Schwerin zu unterstellen. Rügen blieb unter dän. Herrschaft und wurde dem Erzbtm. Lund zugeordnet; vgl. dazu Petersohn, Kirchenpolitik, S. 147. Die Ankündigung der Hochzeit von Heinrichs Tochter mit dem Sohn u. Thronfolger Waidemars bildet die von Helmold gefeierte letzte Nachricht in der Chronik. Herbert W. Wurster, Das Bild Heinrichs des Löwen in der mittelalterlichen Chronistik Deutschlands und Englands, in: Heinrich DER Löwe, S. 407-439, hier S. 411 hat auf die gelegentliche Kritik Helmolds am Herzog hingewiesen, die sich in den impliziten Hinweisen auf die Vergänglichkeit weltlicher Macht wie etwa in der Verwendung des Fortuna-Motivs zeige. Vgl. dazu oben, Kap. 3.1. Vgl. ebd. Darin könnte bei einer späteren Datierung des ersten Buches auch eine mögliche causa scribendi der Chronik insgesamt erblickt werden.

Die Selbstzuschreibungen

185

LÜBECK berichtet, den Gesandten des Domkapitels vorgeschlagen und von diesen auch akzeptiert. Das Lübecker Domkapitel trat hier jedenfalls zum ersten Mal eigenständig „kirchenpolitisch aktiv" auf.234 Nimmt man einmal die angenommene Abfassungszeit 1172 als gegeben, dann schrieb und beendete Helmold sein zweites Buch in Abwesenheit des eigenen Bischofs und des Herzogs, die sich beide auf der Reise ins Heilige Land befanden. Nun zeigt ein Vergleich der Vorreden zu beiden Büchern eine ungleich stärkere Betonung der Wahrheitssuche in der zweiten Praefatio, die bei aller Toposhaftigkeit solcher Bekundungen in mittelalterlichen Chroniken auch im Vergleich zu anderen Geschichtsschreibern auffällt.235 Helmold rückt hier die veritas deutlich in den Mittelpunkt und äußert zudem die Befürchtung, „aus Bedrängnis durch die immer drückender werdenden Verhältnisse und bei den verderbten Sitten der principes vielleicht von der Angst vor den Menschen irre gemacht" zu werden.236 Warum nun Helmold sich 1172 genötigt gesehen haben mag, die veritas seiner Darstellung derart zu betonen und solche Befürchtungen zu äußern, ist nicht mit Sicherheit auszumachen, es kann jedoch in jedem Fall davon ausgegangen werden, daß der Adressat, das Lübecker Domkapitel, die Gründe gekannt haben wird. Man kann vermuten, daß Helmold mit den principes die Gegner des Herzogs meinte und es für notwendig befand, die negativen Berichte über Bischof Konrad durch die gesteigerte Betonung der veritas auch für die Adressaten glaubwürdig zu gestalten zumal wenn man eine Spaltung im Domkapitel und eine bevorstehende Bischofsinvestitur voraussetzt.237 Immerhin gibt Helmold Hinweise auf Spannungen zwischen den principes und dem clerus, auch für die Zeit nach Konrads Aussöhnung mit dem Herzog, denn er schreibt, daß Konrad nun die „Geistlichkeit... gegen Angriffe von Fürsten und Mächtigen verteidigt habe". Vor dem Hintergrund des Wiederaufflammens der Kämpfe in Sachsen um 1170 spricht einiges dafür, daß mit den principes die Gegner des Herzogs gemeint sind, unter die beispielsweise auch Graf Hermann von Thüringen gerechnet werden kann, von dem Helmold schreibt, er habe den Priestern die Güter zu entziehen versucht.238 Daß die Spannungen auch Auswirkungen auf das Lübecker Dom-

Hauschild, S. 48. Vgl. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum I, 13, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SSrG 14, Hannover 1868, S. 31. Allerdings ließe sich ebenso konstatieren, daß

Helmold mit der Widmung seiner Chronik an das Domkapitel dieses auch schon vorher als durchaus eigenständig betrachtete. Franz-Josef Schmale, Mentalität und Berichtshorizont, Absicht und Situation hochmittelalterlicher Geschichtsschreiber, in: HZ 226 (1978), S. 1-16. Zum Topos vgl. Simon, Teil 1, S. 96-98 u. Teil 2, S. 89-94. Veritas in praef. keinmal, in 96, S. 188f. viermal. Ebd., S. 189: ob difficultatem ingravescentium causarum et deprávalos mores principum facile perturbabor a timoré hominum. Daß sich Helmolds Meinung über Bf. Konrad auch nach dessen Versöhnung mit Hzg. Heinrich nicht gebessert hat, wie auch Stoob, Einleitung, S. 9 vermutet, könnte aus den nur wenigen Nachrichten über Konrad geschlossen werden. Auch wenn Heinrich d. Löwe sich mittlerweile durchgesetzt hatte, unterschied sich doch die Situation in den nordelbischen Bistümern von derjenigen in allen anderen, denn sie waren „die ersten einem Landesfürsten unterstehenden Bistümer... auf deutschem Boden" (so Jordan, Heinrich der Löwe, S. 98). 107, S. 210: [Konrad c]lerum nichilominus defensavit a circumventione principum et potentum, precipue vero de manibus Heinirici comitis Thuringi, qui nee Deum nee homines reverens aspirabat in bona sacerdotum. Ebenso könnte Wedekind v. Dasenburg darunter zählen. Vgl. ebd.

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

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kann zwar letztlich nur angenommen werden, es erscheint jedoch nach Helmolds Bericht immerhin naheliegend. So adressierte der Chronist, sofern die in der Forschung angenommenen Abfassungszeiten zutreffen, beide Bücher in Abwesenheit Bischof Konrads an das Domkapitel, dem er wie in einem Spiegel Heinrich den Löwen als Garanten einer positiven Entwicklung des Bistums, verdeutlicht durch exempta aus der Vergangenheit, vor Augen hielt. Zwar ist aufgrund der nicht restlos stichhaltig geklärten Abfassungszeiten Vorsicht bei weitergehenden Schlußfolgerungen geboten, doch kommen wohl mehrere mögliche causae scribendi in Betracht, die Helmold überhaupt zur Abfassung seiner Chronica veranlaßten. Die durch Bischof Konrad ausgelöste Krisensituation des Bistums mag dazu beigetragen haben, bereits das erste Buch an das Domkapitel und damit an den zur Abfassungszeit verbleibenden, positiv bewerteten Kontinuitätsfaktor auf institutioneller Ebene zu richten; jedoch sind im Falle des zweiten Buches auch weitere Aspekte einzubeziehen, etwa das Wissen um eine wohl nicht eindeutig zu Heinrich dem Löwen tendierende Haltung des Domkapitels, die Erfahrungen der nur kurze Zeit zurückliegenden Fürstenopposition mit ihren Auswirkungen auf das Bistum und möglicherweise eben auch eine bevorstehende Bischofsinvestitur, bei der die Haltung des Domkapitels nach der Meinung des Chronisten proherzoglich eingestellt werden mußte, weil der Schutz des Bistums, die Christianisierung der Slawen und die Sicherung der sächsischen Landnahme, wie Helmold am Ende pointiert herausstellt, nur durch Heinrich den Löwen zu erreichen waren.

kapitel hatten,

Im Unterschied

zu

Adam

von

Bremen richten sich Helmolds

Wir-Bezüge innerhalb der

.weltlichen' Gemeinschaften nicht nur auf den sächsischen Herzog, sondern auch auf den Grafen von Holstein-Stormarn, den Schauenburger Adolf IL, so daß zu vermuten ist, daß neben dem ,sächsischen Bewußtsein' ein zusätzliches, auf eine kleinere Region bezogenes Identifikationsmuster greifbar ist. Dieses gilt es, im folgenden zu prüfen. 3.2.2.3. Holstein-Stormarn und die

Wagira

Vergleichbar mit der herausragenden Stellung, die Heinrich der Löwe unter den sächsischen Herzögen für Helmold einnimmt, ist diejenige Adolfs II. unter den Grafen von Holstein-Stormarn (1130/31-38 u. 1143-64). Mit ihm hebt der Chronist wiederum einen Fürsten seiner Gegenwart hervor. Adolf ist der einzige Graf, auf den er direkte Identifikationen richtet,239 und außer ihm werden in der Chronik lediglich vier weitere Grafen Holsteins

genannt.240

Insgesamt elfmal: 59, S. 114; 66, S. 123; 67, S. 125 u. 128 (2x, davon einmal auf das gräfl. Heer bezogen); 69, S. 131; 70, S. 135f. (2x); 76, S. 145; 77, S. 146 (2x); 93, S. 183 (Heer d. Grafen). Gottfried v. Hamburg (-1110), die Schauenburger Adolf I. (1110/11-1130) u. III. (seit 1164) sowie Heinrich v. Badwide, an den Adolf II. die Grafschaft vorübergehend verlor (1138-1143). Die Komitatsrechte für Nordelbien lagen im 11. Jh. bei den Billungerherzögen. Erst 1091 belehnte der letzte Billungerhzg. Magnus Gottfrieds Vater Heinrich mit der Grafschaft. Gottfried u. der bei Helmold nicht erwähnte Heinrich sind die einzigen für die Billungerzeit nachgewiesenen Grafen Holstein-Stormarns. Vgl. Freytag, Billunger, S. 18 u. 22; Ulrich Lange, Grundlagen der Landesherrschaft der Schauenburger in Holstein (Teil 1), in: ZGSHG 99 (1974), S. 9-93, hier

Die

Selbstzuschreibungen

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Nach Helmolds Ansicht besteht die wichtigste Aufgabe der Grafen, ähnlich wie bei den Herzögen, in der Sicherung des Friedens und damit im Schutz der Grafschaft vor dänischen und insbesondere slawischen Angriffen. Dies zeigt sich in der häufigen Erwähnungen von Heeresaufgeboten und Feldzügen, auf die Helmold in der Darstellung aller Grafen eingeht.241 Auch weil kriegerische Auseinandersetzungen eine Gefahr für die Bewohner der Grafschaft darstellen, ist dem Chronisten an einem einvernehmlichen Verhältnis zwischen den Grafen und den slawischen Fürsten gelegen.242 Ebenso stellt er gute Beziehungen zwischen den Grafen und Herzögen heraus:243 Er hebt hervor, daß Adolf II. bei Heinrich dem Löwen sehr angesehen war und sich Slawenfürsten wie Dänenkönige durch Geschenke um seine Gunst bemühten. Mehrfach lobt Helmold, daß Adolfs Grenzsicherungspolitik auf Verhandlungen und nicht auf Kriege ausgerichtet gewesen sei.244 Dem Anspruch des Schutzes entspricht Helmolds Sorge vor möglichen Angriffen während der Abwesenheit des Grafen. Zweimal äußert Helmold direkte Identifikationen, weil er aufgrund der Abwesenheit Adolfs einen Angriff des dänischen Königs auf die terra nostra befürchtet, unter welcher der Geschichsschreiber, wie aus dem Kontext hervorgeht, nicht „die Grafschaft" insgesamt, sondern nur einen kleinen Teil, die Wagira, versteht.245 Die Bedeutung des gräflichen Schutzes für Wagrien und die Bezeichnung terra nostra für diese Region verweisen darauf, daß der Chronist sich hier einem kleineren Gebiet innerhalb der Grafschaft zuschrieb, das im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung steht. Helmold berichtet über Adolf II. nicht nur ausführlicher als über alle anderen Grafen,246 er setzt auch innerhalb dessen Amtszeit einen deutlichen Schwerpunkt, der RückS. 17f. Zwar wird Gottfried von Helmold (35, S. 69) nur als Graf v. Stormarn bezeichnet, doch ist anzunehmen, daß er auch Graf v. Holstein war, da seine Nachfolger wie selbstverständlich mit beidem belehnt wurden (vgl. 49, S. 98). Vgl. a. Lammers, Hochmittelalter, S. 84f, dem hier gegen Lange, Grundlagen, S. 18 m. Anm. 34 gefolgt wird. Über Dithmarschen (als dritter Grafschaft Nordelbiens) verfügten schon seit der Mitte des 11. Jahrhunderts die Grafen v. Stade; vgl. Richard G. Hucke, Die Grafen von Stade 900-1144. Genealogie, politische Stellung, Comitat und Allodialbesitz der sächsischen Udonen (Einzelschrr. d. Stader Geschichts- u. Heimatvereins 8), Stade 1956, S. 120 u. 132f. So betont er (35, S. 69f.) in der einzigen Erwähnung Gottfrieds überhaupt dessen Verteidigungspflicht gegen slawische Räuber. Vgl. z. B. auch 48, S. 95 (zu Adolf I.) u. 56, S. 109f. (zu Heinrich

Badwide). (36, S. 70) betont den Frieden zwischen Adolf I. und dem christl. Nakoniden Heinrich v. (Alt-)Lübeck (ca. 1093-1127). Adolf II. ist comes noster (66, S. 123), weil er sich um ein gutes Verhältnis zum Obodritenfürsten Niklot bemühte. Vgl. a. 62, S. 118f. zur eher vom Hzg. erzwungenen als freiwilligen Teilnahme Adolfs am Wendenkreuzzug 1147: Der Graf verstieß hier gegen eine Absprache mit Niklot. Zum Einfluß des Herrschaftsprogamms des jeweiligen Obodritenfürsten auf das Verhältnis zum Grafen vgl. Lammers, Hochmittelalter, S. 119-152 u. 234-236 sowie v.

Helmold

Fritze. Im einem Wir-Bezug (70, S. 135) zeigt sich die Bedeutung des guten Verhältnisses zwischen dem Grafen und dem Hzg., der Adolf für die Zeit seiner Abwesenheit die custodia terrae Slavorum

atque Nordalbingorum übertragen habe.

57, S. 112; 87, S. 170 u. 93, S. 183f. 87, S. 170f.: Et contristati sunt tarn clerus quam populus terrae nostrae propter diutinam absentiam boni patroni. ...fuitque terra nostra in tremore a facie régis Danorum.

Vgl. etwa die seltenen Nachrichten über Adolf I. Den noch unmündigen Adolf III. nennt Helmold

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

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Zuschreibungen erlaubt: Denn während er über die von den soge,staufisch-welfischen' Auseinandersetzungen geprägten ersten Amtsjahre des Grafen, die zum Entzug der Grafschaft führten, nur wenig berichtet, nimmt die Intensität der Darstellung nach dem Ausgleich zwischen den beiden Parteiungen und der erneuten Vergabe der Grafschaft an Adolf 1143 deutlich zu.247 Hiermit, und von Helmold hervorgehoben, ging die Ausdehnung der Grafschaft Holstein-Stormarn einher, denn Adolf erhielt sowohl Segeberg als zweiten Sitz neben Hamburg als auch die omni Wairorum terra, und erst jetzt wurden sowohl die wirtschaftliche Entwicklung der Grafschaft als auch die Stellung des Grafen insgesamt deutlich verbessert.248 Hel-

Schlüsse auf seine nannten

mold betont mehrfach, daß Adolf nun die Grafschaftsrechte in der Holzatia, Sturmaria atque Wagira ausübte.249 Unmittelbar nach dem Erhalt der Wagira zeichnet er das Bild eines insbesondere in der Siedlungspolitik tatkräftigen Grafen, auf dessen Initiative hin Kolonisten mit ihren Familien aus der Flandria, Hollandria, aus Traiectum (Utrecht), in terram aus der Westfalia, Fresia, aber auch aus der Holzatia und Stur maria Wairensium gekommen seien. In Helmolds Wortwahl wird deutlich, daß die Verbundenheit gegenüber dem Grafen in einem spezifischen Interesse für Wagrien begründet liegt: Er verwendet Bibelzitate, um Wagrien lobzupreisen, und wirbt in einem Vergleich mit dem verheißenen Israel für „das liebliche [und] versprochene Land".250 Der Geschichtsschreiber läßt Adolf den Siedlern nahezu vollkommene Lebensumstände versprechen.251 Es ist demnach die Siedlungspolitik in Wagrien, die einen herausragen...

überhaupt nur zweimal: 101, S. 200 u. 103, S. 203.

Schon kurz nach der Ernennung Konrads III. zum Kg. (1138) griff der in der Forschung sogenannte ,staufisch-welfische Gegensatz' auf Nordelbien über: Konrad entzog Heinrich d. Stolzen das Hzgtm. Sachsen und belehnte damit Albrecht d. Bären, der wiederum Adolf II. als Parteigänger der Weifen die Grafschaft entzog u. sie an Heinrich v. Badwide (1138-1142) vergab; vgl. dazu Lammers, Hochmittelalter, S. 286f. u. Helmold 54, S. 105f. Nach dem Ausgleich erhielt mit Heinrich d. Löwen wieder ein Weife das Hzgtm. Heinrich gab die Grafschaft 1143 an Adolf II. zurück. Heinrich v. Badwide wurde nach dem Ausgleich Gf. v. Polabien; vgl. Lammers, ebd., S. 286-291 u. Helmold 56, S. 109-111. Zum Gegensatzpaar Staufer-Welfen als Konstrukt der Forschung vgl. überzeugend Werner Hechberger, Staufer und Weifen 1125-1190. Zur Verwendung von Theorien in der Geschichtswissenschaft (Passauer hist. Forsch. 10), Köln 1996. 56, S. 111: Adolfus Sigeberg et omni Wairorum terra potiretur. Lange, Grundlagen, S. 22 weist darauf hin, daß Adolf II. erst durch den Erhalt von Segeberg und Wagrien „die Möglichkeit der Schaffung einer materiellen Grundlage [erhielt], die für ihn in Altholstein auf Grund überkommener Besitzverhältnisse nicht gegeben war". Noch zur Zeit Hzg. Lothars bestand das gräfliche Hoheitsgebiet wohl nur „in einem kleinen Bereich um Hamburg herum". Vgl. z. B. 67, S. 128, wo Helmold den Terminus Marcomanni synonym mit den Bewohnern der nostra Wagirensis provincia verwendet. Daß sich die Grafenansprüche auf Wagrien richteten, stellt Helmold auch 103, S. 203 heraus: Die Witwe Adolfs II. u. Mutter des noch unmündigen Adolf III. cometiam Holzatiae, Sturmariae atque Wagirae administrabat.

57, S. 111: terra[...] desiderabil[is] (Ps. 105, 24); ebd., S. 112: terra[...\ qua[e] eis pollicitus (5. Mose 9, 28 u. 19, 8). Eine Auflistung der hier verwendeten Bibelzitate bei Jegorov, Bd. 1, S. 119-123, der Helmold aufgrund der häufigen Anführung solcher Zitate eine „Geringschätzung der Wirklichkeit" vorwirft (S. 119). Ihre (eben gezielte) Verwendung sagt jedoch nichts über die Realität, sondern nur etwas über Helmolds Sicht- und Darstellungsweise aus.

venirent cum familiis suis accepturi terram optimam, terram 57, S. 111: ut, quicumque spaciosam, uberem fructibus, redundantem pisce et carne et commoda pascuarum gratia (vgl. 2. Mose 3, 8). ...

Die Selbstzuschreibungen

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den Grund für die Positivbewertung Adolfs darstellt, der hier, aufgrund des Zusammenhangs zwischen Besiedelung und Christianisierung, auch eine bedeutende Funktion für die Missionierung der Wagira erfüllt.252 Wie bei Heinrich dem Löwen zeigt sich so auch bei Adolf II., daß die Unterstützung des Bistums Oldenburg/Lübeck ein Hauptkriterium für die positiven Bewertungen darstellt.253 Gilt der Graf Helmold in dieser Hinsicht gemeinhin als verläßlich, so wird er entsprechend kritisiert, wenn er Rechte des Bischofs mißachtet.254 Besonders vehement wendet sich Helmold gegen Adolf im Streit zwischen dem Grafen und Bischof Gerold um die Ausstattung des Bistums: Die Vermessung des zugewiesenen Landes durch Gerold habe „kaum einhundert Hufen" ergeben, obgleich doch Adolf dreihundert Hufen in Wagrien versprochen und diese auch nachgemessen habe.255 Der Chronist gibt an, die Vermessung des Grafen sei nur deshalb so hoch ausgefallen, weil er „das Land nach einem kurzen und bei den Unsrigen (nostrati) unbekannten (incognita) Längenmaß vermaß und zudem Sümpfe und Moore einrechnete".256 Erst der Herzog habe den Streit zugunsten des Bischofs entschieden, indem er als Vermessungsgrundlage ein Maß iuxta morem terrae huius festlegte und die Einbeziehung von Sümpfen und Wäldern verbot.257 Heinrich der Löwe also, nicht Adolf, setzt sich hier für das Bistum ein.258 Bezieht Helmold hier somit einerseits Stellung für den Herzog und gegen den Grafen, so spricht andererseits die Verwendung der Termini terra haec und nostrati, die in diesem Zusammenhang auf die Wagira un dihre Bewohner Anwendung zu finden scheinen, dafür, daß der Chronist sich den Wagriern zuschreibt. Auch Helmolds Bericht über einen Konflikt zwischen Herzog und Grafen um wirtschaftliche Interessen kann als Beleg für eine regionale, auf die Wagira bezogene Zuschreibung gelten: Daß Heinrich seine Interessen in Lüneburg und Bardowick gegen die des Grafen in Oldesloe und Lübeck durchsetzte,259 kommentiert der Geschichtsz.B. 57, S. Ulf. u. den oben behandelten, rhetorisch überhöhten Schluß der Chronik. Helmold lobt (92, S. 178-181) auch den Polabengrafen Heinrich für die Anwerbung von Siedlern a populis advenarum, um auf den Bau von Kirchen und die erhöhte Zehntleistung hinzuweisen. Mehrfach hebt Helmold die beispielhafte Haltung Adolfs II. gegenüber der Geistlichkeit hervor. In seinem Nachruf betont er die Leistungen Adolfs für das Btm. Lübeck (101, S. 200). Vgl. a. die Wir-Bezüge 69, S. 131 (Übergehung Adolfs durch den Erzbf. bei der Ernennung Vizelins) u. 77, S. 146 (2x) (Ausstattung des Bistums Oldenburg, wobei Helmold jedoch auch betont, die Ausstattung sei vom Hzg. veranlaßt worden). 75, S. 143: comes Adolfus, licet in multis probatus. Kritik z. B. bei der Mißachtung des Zehntrechts (69, S. 131); vgl. oben, Kap. 3.2.1.2.3. 84, S. 162f. Ebd.: episcopus deprehendit predia haec vix centum mansos continere. Quam ob rem comes fecit mensurari terram funículo brevi et nostratibus incognito, preterea paludes et nemora funículo mensus est et fecit maximum agrorum numerum. Ebd., S. 163: adiudicavit dux episcopo dari mensuram iuxta morem terrae huius nee mensurandas paludes aut silvas robustiores. Wie die Differenz zustandekam, ist nicht geklärt. Wolfgang Radtke, S. 12 führt sie auf die Mitvermessung von Ödland zurück. Wenn auch letztlich erfolglos; vgl. ebd.: Multum igitur laboris adhibitum est in requirendis prediis his; non per ducem aut episcopum requiri potuerunt usque in hodiernum diem. Vgl. zum Folgenden 76, S. 145 u. Uta Reinhardt, Bardowick Lüneburg Lübeck, in: Lübeck 1226, S. 207-225. Das ansonsten grundsätzlich gute Verhältnis bringt Helmold (100, S. 198) in der Trauer Heinrichs über den Tod Adolfs II. zum Ausdruck. Vgl. a. 70, S. 135f: fuitque comes

Vgl.

...

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Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

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Schreiber ausschließlich aus einem auf Wagrien gerichteten Blickwinkel: ,,Dies[...] war für unseren Grafen sehr ärgerlich und behinderte die gedeihliche Entwicklung Wagriens."260 In dieser Situation liegt Helmolds Position näher beim Grafen, auf den er hier sogar einen Wir-Bezug richtet, und der Grund für seine Entscheidung liegt im gräflichen Eintreten für die wirtschaftlichen Interessen Wagriens. Hier zeigt sich, in auffälliger sprachlicher Parallele zur Darstellung der Bischofsinvestitur Vizelins, daß der Geschichtsschreiber dem Herzog in Konfliktfallen keineswegs vorbehaltlos positiv gegenübersteht.261 Dabei ist mitzubedenken, daß Helmold sich letztlich von der (auch wirtschaftlichen) Entwicklung Wagriens positive Auswirkungen für das Bistum erhoffte. Insofern trägt hier einmal mehr diese Teilidentität zur Entscheidung des Geschichtsschreibers in der konkreten Situation bei. Neben den zahlreichen impliziten Zuschreibungen richtet Helmold auch siebenmal einen Wir-Bezug auf die Wagira, die den kleinsten Bezugspunkt einer regionalen Identität bildet.262 Oftmals zeigt sich in seiner Darstellung eine Fokussierung auf diese Region:263 Schon in den beiden Anfangskapiteln des ersten Buches richtet Helmold die Strukturierung des geographischen Raumes bei der geo- und ethnographischen Verortung der Slavania ganz auf „unser Wagrien" aus.264 Durch was aber ist diese Region für Helmold gekennzeichnet, und was macht ihren Stellenwert aus? Zum einen östliches Missionsgebiet des Bistums, wird die Wagira zum anderen ganz wesentlich durch den Gegensatz zwischen Saxones und Slavi sowie, besonders infolge der Besiedelung unter Adolf IL, durch das Nebeneinander verschiedener Völkergruppen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Glaubens charakterisiert. Wagrien wird in der Chronik daher als Kristallisationspunkt der siedlungs- und missionspolitischen Entwicklung schlechthin gekennzeichnet. In dieser Region werden ebenso Gemeinschaften und Institutionen verortet, denen Helmold sich zuschreibt Christen, das Bistum und das Domkapitel, Deutsche, Sachsen und Wagrier wie auch Angehörige solcher Gruppen, -

-

clarissimus in domo ducis et officiosus in obsequio ductricis paterque consilii. 76, S. 145: Et factum est verbum istud comiti nostro et terrae Wagirensi in

offensionem et profectuum impedimentum. Zu einem späteren Zeitpunkt berichtet Helmold (86, S. 169), der Graf habe Lübeck dem Hzg. gezwungenermaßen abtreten müssen. Ähnl. wie Vizelin (vgl. oben, Kap. 3.2.1.2.3.) wird hier Adolf als passiver Empfänger und Zuhörer dargestellt. Der Befund einer deutlich Wagrien bzw. dem Verhalten des Grafen gegenüber der gesamten Saxonia bzw. dem Verhalten des Herzogs bevorzugenden Nostrifizierung Helmolds wird unterstützt durch die Beobachtung von Helmut G. Walther, Lübeck und Heinrich der Löwe, in: ZVLG 76 (1996), S. 9-25, der im Vergleich der cc. 57 u. 86 die Kritik des Chronisten an Heinrich d. Löwen als Gründer Lübecks gegenüber dem Grafen herausstellt. Auf die grundsätzliche Abhängigkeit des Grafen vom Hzg. verweist Lange, Grundlagen, S. 19 u. 21 f., der (S. 21) von einer „geradezu existenzielle(n) Bedeutung [Heinrichs d. Löwen] für den Aufbau schauenburgischer Herrschaft in der Grafschaft Holstein" spricht und (S. 22) im Hzg. den „Garanten gräflicher Herrschaft in Holstein" sieht. Ebenso March, Wehrverfassung, S. 32, der daraufhinweist, daß Adolf III. nach dem Sturz Heinrichs d. Löwen 1180 der Rückhalt in der Grafschaft fehlte.

2, S. 8f. (2x); 59, S. 115; 62, S. 118; 67, S. 128 u. 87, S. 170f. (2x). Vgl. z. B. 2, S. 8f. u. 67, S. 128. If, S. 5-9. Zur Interpretation dieser Stelle, die im Hinblick auf Helmolds bewußte Veränderungen

gegenüber Adam v. Bremen besonders aussagekräftig ist u. einen zweimaligen Wir-Bezug auf die Wagira enthält, vgl. ausführlich unten, Kap. 3.3.3.1.

Die Selbstzuschreibungen

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die er, wie unten zu zeigen sein wird, als Fremde betrachten und von denen er sich auch abgrenzen kann: etwa Siedler aus entfernten Regionen, Heiden, Slawen und Dänen. Und diese Gemeinschaften agieren nicht nur mit-, sondern auch gegeneinander. Wagrien stellt so gleich in mehrfacher Hinsicht eine Grenzregion dar, und dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß Helmold für die Bewohner Wagriens synonym den Begriff marcomanni verwenden kann. Die Wagira sei „nicht die geringste" der vielen marcae in der terra Slavorum, ihre Bewohner seien vir[i] fortes und exercitat[i] prellis tarn Danorum quam Slavorum.265 Dem Chronisten ist die heterogene Zusammensetzung der marcomanni bewußt.266 Die hier erwähnten Tugenden spricht er, anders als im Bericht über die frühe slawische Vergangenheit Oldenburgs, eindeutig den Sachsen zu,267 weil er den Tugenden gerade in seiner Gegenwart eine hohe Bedeutung für die sächsischen Bewohner Wagriens beimißt.268 Seine Erwartungshaltung gegenüber den marcomanni manifestiert sich in einem Appell, den er Graf Adolf nach der Beendigung eines Feldzugs gegen die Wenden, „unsere Grenznachbarn",269 an die Wagrier richten läßt, die besonders stark unter slawischen Verheerungen gelitten hatten: Sie sollten „nicht dem Unglück weichen, sondern erkennen, daß marcomanni zäher Geduld bedürften und ihr Blut einsetzen müßten".270 Hier zeigt sich die Bedeutung der Bewohner Wagriens im Kampf gegen die heidnischen Slawen. Wagrien ist so als Region gekennzeichnet, in der sich für Helmold die sächsische Besiedelung, die Auseinandersetzungen mit Slawen und deren Missionie-rung durch das Bistum Oldenburg/Lübeck in überwiegendem Maße vollziehen. Und hierin liegt die Bedeutung der Wagira für den Geschichtsschreiber.

67, S. 128. Ebd.: Vocantur autem usitato more Marcomanni gentes undecumque collectae, quae marcam incolunt. Vgl. a. 87, S. 171: prefixum est colloquium provinciale omnibus marcomannis, tarn Teutonicis quam Slavis. Helmold hatte die Tugenden der slaw. Bewohner Oldenburgs mit den Kämpfen gegen Sachsen u. Dänen begründet. Daß er diese Eigenschaften hier auf die Sachsen bezieht, wird in der Begründung deutlich, die Tugenden seien „im Kampf gegen Dänen und Slawen" herausgebildet worden. March, Wehrverfassung, S. 19f. bezieht die Eigenschaften Tapferkeit und Kriegserprobtheit nur auf die in Wagrien angesiedelten Holsten, weil hier mit „den Holsten" die virtus Holzatorum gemeint sei, eine kriegserprobte „Eliteeinheit" (S. 19) mit Grenzschutzaufgaben. Helmold spricht hier jedoch nicht von der virtus, auch wenn er sie an einer anderen Stelle nennt. Insofern ist die Interpretation Marchs fragwürdig. Zur virtus Holzatorum vgl. unten, Kap. 3.3.1. 62, S. 118: exercitus devotaverunt se adgentem Slavorum, Obotritos nobis confines. Vgl. a. 59, S. 115 Slav[i], qui iuxta nos habitant. Beide Wir-Bezüge richten sich wohl auf Wagrien. 66, S. 123: Cepitque [i.e. Adolf II.] consolari populum suum, quem vastitas hostilis attriverat, orans eos, ne casibus adversis cédèrent, hoc cognoscentes, quod marcomannos oportet duram ...

habere pacientiam et pródigos esse sanguinis sui. Kurz zuvor (ebd.) ist Adolf comes noster, der das freundschaftl. Verhältnis zu Niklot nach dem Wendenkreuzzug wiederherstellt. Die wagrischen Grenzmannen bezeichnet Helmold mit Bezug auf Adolf als populus suus. Daneben stellt er wie im Konflkt mit dem Hzg. heraus, daß Adolf für das Wohl Wagriens sorgte u. seiner Schutzpflicht nachkam. Vgl. etwa 67, S. 128f.

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

192

3.2.3.

Ergebnisse

Bevor im zweiten Teil der Untersuchung stärker auf die Fremdzuschreibungen Helmolds eingegangen wird, ist an dieser Stelle zunächst eine Zwischenbilanz zu ziehen. Es wurde bislang deutlich, daß Helmold von Bosaus Zuschreibungen wie diejenigen Adams von Bremen sehr komplex sind. Auch konkret ergeben sich eine Reihe von Parallelen zwischen beiden Chronisten: Wie Adam schreibt sich Helmold verschiedenen Gemeinschaften aus dem .kirchlichen' und aus dem .weltlichen' Bereich zu; auch seine Teilidentitäten sind unterschiedlich gewichtet, und grundsätzlich erfolgt eine stärkere Zuschreibung zu den kleineren Gemeinschaften innerhalb beider Bereiche; wie bei Adam tritt auch bei Helmold die Zuschreibung zu einer Institution aus dem kirchlichen' Bereich, dem Bistum Oldenburg/Lübeck, am deutlichsten hervor: Konkret für den Chronisten aus Bosau läßt sich feststellen, daß diese Teilidentität nicht nur stärker ausgeprägt ist als die auf das Erzbistum Hamburg-Bremen oder gar die christianitas bezogenen, sondern auch als diejenigen, welche sich auf Institutionen aus dem weltlichen' Bereich richten. Innerhalb des letzteren treten wiederum die Zuschreibungen zur Saxonia als Herzogtum deutlicher hervor als diejenigen zu regnum und imperium; wenngleich jedoch Heimich der Löwe besonders häufig ein Identifikationsobjekt darstellt, so werden auch, wie die kontextbezogene Analyse von Wir-Bezügen zeigte, Zuschreibungen Helmolds zur Grafschaft Holstein-Stormarn und Graf Adolf II. sowie, besonders prägnant, zur Wagira (Wagrien) als dem kleinsten regionalen Bezugspunkt einer Identität des Chronisten greifbar. Die letztlich ausschlaggebende Teilidentität bezieht sich auf das Bistum Oldenburg/Lübeck. Zwar faßte Helmold die Chronik zu einer Zeit ab, als die sedes bereits nach Lübeck verlegt worden war, gerade durch die Anbindung des neuen Bistumssitzes an die Oldenburger Vergangenheit bis hin zur Gründung des Bistums Oldenburg wird jedoch die Konstruktion einer Traditionslinie deutlich, welche schon an sich als Aus-

druck der

Bedeutung dieser Institution anzusehen ist. Jedoch tritt die Bistum in mehrfacher Hinsicht hervor, und sie durchzieht das Zuschreibung Sie Werk. wird in zahlreichen Wir-Bezügen auf die Bischöfe Vizelin und gesamte Gerold deutlich, zeigt sich aber auch in Abgrenzungen von grundsätzlich allen Personen und Gemeinschaften, welche dem basalen Interesse des Chronisten, dem Fortgang der Slawenmission durch die Bischöfe, zuwiderhandelten: Dies können die Hamburger Erzbischöfe ebenso sein wie die sächsischen Herzöge oder die Grafen von HolsteinStormarn. Daneben wurde aber ebenfalls bereits deutlich, daß auch Dänen oder heidnische Slawen die Mission behinderten, so daß hier ethnische und religiöse Grenzziehungen in den Blick gerieten, die im folgenden genauer zu betrachten sind. Es ist zudem hervorzuheben, daß die Zuschreibungen zum Bistum auch Abgrenzungen vom eigenen Bischof beinhalten können: Konrad I. entspricht nicht Helmolds Vorstellungen von einem idealen, im Einvernehmen mit Heinrich dem Löwen agierenden und an der Slawenmission aktiv beteiligten Repräsentanten der Institution und wird daher, sofern enormen

zum

überhaupt erwähnt wird, negativ bewertet. Dagegen ist das Lübecker Domkapitel deutlich in die Institution einbezogen: Es konnte sogar festgestellt werden, daß dem zur Abfassungszeit hinsichtlich der Frage einer pro- oder antiherzoglichen Haltung vermutlich gespaltenen Kapitel als Adressat beider Bücher und auch, gewissermaßen als Hoffnungsträger für den Chronisten, in bezug auf die Zukunft des Bistums eine wichtige, in er

Die Selbstzuschreibungen

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der bisherigen Forschung meist unterschätzte Bedeutung zugesprochen werden muß. Wie in der Betrachtung der Hamburgischen Kirchengeschichte zeigt sich auch hier die Unerläßlichkeit, die historisch-politische Situation zur Abfassungszeit der Chronik, den Adressaten und mögliche causae scribendi in die Überlegungen einzubeziehen, da diese Faktoren einen prägenden Einfluß daraufhatten, welchen Gemeinschaften sich Helmold in welcher Intensität zuschrieb und von welchen er sich abgrenzte: Denn in der durch Konrad I. mit seinem Wechsel zur antiherzoglichen Parteiung ausgelösten Krisensituation des Bistums und in der 1172 bevorstehenden Wahl seines Nachfolgers schien es Helmold angesichts der seiner Meinung nach überragenden Verdienste Heinrichs des Löwen bei der Unterwerfung und Missionierung der Slawen geboten, einen Einfluß auf die Akzeptanz eines herzoglichen Bischofskandidaten durch das Domkapitel zu nehmen. Es konnte aufgezeigt werden, daß die Darstellungen der Invesituren Vizelins und Gerolds, die eine quantitativ deutliche Anhäufung von Wir-Bezügen enthalten, von Rückprojektionen geprägt ist, welche direkt in die Problematik zur Abfassungszeit und die hier vorgeschlagenen causae scribendi weisen: Helmold macht überdeutlich, daß eine zukünftige Entscheidung des Domkapitels gegen Heinrich den Löwen praktisch unmöglich ist. Hinter der auf das Bistum bezogenen Teilidentität treten die Zuschreibungen zur christianitas im Werk deutlich zurück. Sie sind durchaus vorhanden, äußern sich jedoch eher implizit und kaum einmal ausdrücklich. Das zeigt sich etwa darin, daß Helmold mehrfach „Christen" und „Heiden" gegenüberstellt, hier jedoch hier keine Wir-Bezüge verwendet; zudem stehen sich meist die Christen, die zum Bistum Oldenburg/Lübeck gehören oder christliche Sachsen auf der einen, und solche heidnischen Slawen auf der anderen Seite gegenüber, die im Missionssprengel des Bistums ansässig sind. Dennoch: Im Unterschied zum Erzbistum Hamburg, von dessen Erzbischof sich Helmold mehrfach deutlich abgrenzt, etwa weil er den Bestand des Oldenburger Bistums gefährdet, und den er nicht ein einziges Mal positiv herausstellt, obgleich doch auch Zuschreibungen des Chronisten zu dieser dem Bistum übergeordneten Institution durchaus denkbar gewesen wären, finden sich solche Negativbewertungen der christianitas nicht: So steht zu vermuten, daß die Explizierung einer allgemein christlichen Identität, wie bei Adam, dem Geschichtsschreiber zu selbstverständlich war. Im Hinblick auf die Gemeinschaften aus dem ,weltlichen' Bereich kann durchaus, wie die bisherige Forschung konstatiert hat, von einem ,sächsischen Blickwinkel' des Geschichtsschreibers gesprochen werden. Zwar verfügt Helmold über ein „Reichs"Bewußtsein und stellt auch stärker als Adam den Teutonici andere gegenüber, jedoch tritt die Zuschreibung zur Saxonia und den Saxones in den (nicht an Wir-Bezügen ablesbaren) Gegenüberstellungen mit den Slavi deutlicher hervor. Die Saxonia wird in der Chronik vor allem als Herzogtum gekennzeichnet. Das überragende Identifikationsobjekt ist Heinrich der Löwe als Slawenbekämpfer, Wegbereiter der Mission und Ausstatter des Bistums. Der Chronist übt durchaus, wenn auch verdeckt Kritik an Heinrichs Machtfülle, wenn diese sich nicht zugunsten des Bistums und der Mission auswirkt. Neben dieser Teilidentität ist im ,weltlichen' Bereich noch die Zuschreibung zur Wagira und ihrer Bewohner auffällig. Im wesentlichen sie führt auch zu einer Identifikation mit Graf Adolf II. Damit zeigt sich letztlich ein sehr enger regionaler Bezugsrahmen, auf den eine Teilidentität Helmolds aus dem .weltlichen' Bereich bezogen ist, weil sich hier, in diesem Grenzraum, vor seinen Augen die Christianisierung von

194

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

Heiden und die sächsische Besiedelung ehemals slawischer Gebiete vollziehen. So bildet Wagrien den bedeutendsten und gleichzeitig kleinsten Bezugspunkt in Helmolds Chronik. Das Gebiet ist als Helmolds eigener Lebens- und Berichtsraum ebenso ausgewiesen wie als Kristallisationspunkt ethnischer und religiöser Differenzen, und es bildet zudem auch ein Teilgebiet der Oldenburger Diözese. Die hier erfolgte Betrachtung hat Gemeinsamkeiten zwischen den Zuschreibungen Helmolds und Adams ergeben, jedoch deutete sich zudem bereits an, daß die jeweiligen Gewichtungen der Teilidentitäten durchaus spezifischen Gründen unterliegen. Ebenfalls gerieten bereits Abgrenzungen von religiösen und ethnischen Fremdgruppen, besonders von den Slawen, aber auch den Dänen in den Blick. Um zu präziseren Ergebnissen über die Vorstellungen Helmolds von Bosau vom Eigenen und vom Fremden zu gelangen (und um davon ausgehend einen umfassenden Vergleich mit den anderen hier behandelten Chronisten zu ziehen), ist es zunächst notwendig, das Hauptaugenmerk im folgenden stärker auf solche Gemeinschaften zu lenken, denen Helmold potentiell Fremdheit zuschreibt.

Die Fremdzuschreibungen

3.3.

195

Die Fremdzuschreibungen Helmolds von Bosau

Auch wenn Helmold häufig ein enger, auf Nordelbien gerichteter Blickwinkel nachgesagt wird und er sich, wie deutlich wurde, mit der Wagira (Wagrien) besonders einer kleinen Region zuschrieb, so gilt er der Forschung dennoch als einer derjenigen hochmittelalterlichen Geschichtsschreiber, denen ein gewisses Interesse an fremden Gebieten und deren Bewohnern attestiert wird.271 Dieser scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man die bereits erwähnte Tatsache berücksichtigt, daß gerade die Wagira zur Abfassungszeit einen Lebensraum verschiedener ethnischer Gruppen mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen und kulturellen Traditionen darstellte. So bleibt Helmolds Auswahl des geographischen (Berichts-)Raumes einerseits weit überwiegend einer engeren Region verhaftet er erwähnt, gemessen an Adam von Bremen, eine deutlich geringere Anzahl von Völkerschaften und überhaupt keine solchen Regionen, die zur Abfassungszeit als ,unbekannt' oder auch nur als ,kaum bekannt' gelten können; andererseits ist es aber dennoch möglich, daß Helmold große Teile der umgebenden Bevölkerung als Fremde ansah. Diese Thematik ist in der Forschung bislang noch nicht behandelt worden. Zwar widmeten sich einige Arbeiten Helmolds ,Slawenbild',272 ob der Chronist aber die Slavi als Fremde ansah und aufgrund welcher Kriterien er ihnen Fremdheit zuschrieb, ist bislang überhaupt nicht gefragt worden. Dabei wird die Untersuchung dieser Aspekte schon durch die oben bereits angesprochenen Kontrastierungen von Saxones oder Teutonici auf der einen und Slavi auf der anderen Seite nahegelegt, denn in ihnen könnten sich ganz konkrete Gegenüberstellungen von Eigenen und Fremden manifestieren. Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Forschungslage zu mittelalterlichen Fremddarstellungen insgesamt und zur sogenannten Slawenchronik im besonderen ist hier noch einmal darauf hinzuweisen, daß das Augenmerk im folgenden auf Helmolds Vorstellungen über Fremde(s) liegt, die sich sowohl in der Strukturierung geographischer Räume als auch in den Darstellungen ihrer Bewohner zeigen.273 Die gegenüber Adam bestehende sogenannte Beschränkung' Helmolds auf Berichte über eine weitaus geringere Anzahl von Regionen und Völkerschaften macht es im folgenden unmöglich, wie für ersteren schrittweise zunächst die nahen und im Anschluß die entfernten Gebiete zu behandeln. Allerdings legt Helmolds Strukturierung des Raumes (anders als Adams) ein solches Vorgehen in der folgenden Untersuchung auch nicht nahe, wie zu zeigen sein wird.274 Zwar werden die geographischen Angaben Helmolds nur für das Gebiet der Slawen untersucht, weil er einzig für die Slavania eine zusammenhängende geo- und ethnographische Passage bietet, die zudem in der bisheri-

Vgl. z. B. Tellenbach, S. 300 und von Padberg, Geschichtsschreibung, S. 165; vgl. a. oben, Kap. 1.3. u. unten, Kap. 3.3.3. Vgl. dazu unten, Kap. 3.3.3. Dort auch die Lit. in Anm. 318-320. Es wird im folgenden von einer Rekonstruktion der Eigenschaften und Verhaltensweisen abgesehen, denn diese ist zum einen ohnehin kaum zu leisten, zum anderen widerspricht die Annahme, sie sei überhaupt auf der Grundlage der Darstellung Helmolds möglich, fundamental dem in der Einleitung dieser Arbeit herausgestellten Konstruktcharakter von .Identität' und ,Fremdheit', die nur als Zuschreibungen des Autors auf der Ebene des Textes bestehen. Vgl. dazu oben, Kap. 1.2. u. 1.4. sowie zu den Arbeiten über die Chronica Slavorum Kap. 3.1. Vgl. unten, Kap. 3.3.3.1.

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

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Forschung völlig unzureichend behandelt wurde; insgesamt kommen jedoch keineswegs nur die Slavi als potentielle Fremdgruppe in Betracht, sondern auch die Dani, deren Darstellung in der Chronik von der Forschung, soweit ich sehe, kaum thematisiert worden ist. Daher ist im folgenden auch darauf einzugehen, ob und inwieweit Helmold die Dänen, über die sich wenige, im Werk versprengt auftretende Nachrichten finden, als Fremde ansah. Bevor die Darstellung der Dänen und sodann ausführlich die der Slawen thematisiert wird, ist jedoch zunächst, ausgehend von den Ergebnissen landes- und verfassungsgeschichtlicher Studien, zu prüfen, wie der im südelbischen Sachsen geborene und in Nordelbien schreibende Chronist27S die Nordalbingi, und hier besonders die Holzati einordnete: Denn da die Forschung die Nordalbingia für die Abfassungszeit des Werkes als in einigen Aspekten verschieden von der restlichen Saxonia gekennzeichnet hat, erscheint es grundsätzlich denkbar, daß Helmold auch eine Andersartigkeit seiner Bewohner konstatiert. gen

3.3.1.

Nordalbingia, Nordalbingi und Holzati

erscheint bei Helmold wie bei Adam von Bremen als für Holzati Sammelbegriff (Holsten), Sturmari (Stormarn) und Thetmarki (DithmarUnterschied Adam legt Helmold jedoch die Kriterien offen, nach denen Im zu scher).276 er die drei Völkerschaften zusammenfaßt: Weder in ihrem habitus noch in ihrer lingua unterschieden sich diese wesentlich voneinander, und sie hielten sich alle an Sachsenrecht, seien (dem Namen nach) christlich und sehr gastfreundlich.277 Möglicherweise sah sich Helmold zu dieser genaueren Definition veranlaßt, weil er sein Werk in der Nordalbingia abfaßte, hier der Bischofssitz lag und Ereignisse in diesem Gebiet seinen vornehmlichen Berichtsgegenstand bildeten. Jedenfalls war dem Bosauer Chronisten an einer expliziten Einordnung der Nordalbingi gelegen. Wie in der Definition deutlich wird, konstituiert sich die Einheit der Nordalbingi populi für Helmold mit dem Christentum' und der (rechtlichen) Zugehörigkeit zur Saxonia1, auch durch solche Merkmale, die eine Integration der Nordalbingi in zwei derjenigen Gemeinschaften ermöglichen, denen sich der Autor selbst zuschrieb: der christianitas und der Saxonia. Unter den Nordalbingi sind die Holzati die einzige Völkerschaft, die der Chronist häufiger erwähnt,278 ja teilweise gelten ihm die Holzati geradezu als Nordalbingi schlechthin, etwa wenn er Charakterisierungen der Holsten explizit auf alle Nordelbier Der Terminus

Nordalbingi

Vgl. oben, Kap. 3.1. Auffällig ist bei Helmold die Verwendung des Terminus Transalbiani Saxones (8, S. 19) für die südelbischen Sachsen, die dem traditionellen (und auch Adams) Gebrauch des Begriffs geradezu entgegengesetzt ist und als Ausdruck einer nordelbischen Perspektive des Autors angesehen werden kann. Zu Adam vgl. oben, Kap. 2.3.2. 47, S. 92: Tres autem sunt Nordalbingorum populi: Sturmari, Holzati, Thetmarki, nee habitu nee Hospitalitas lingua multum discrepantes, tenentes Saxonum iura et Christianum nomen gratiam sedantur. Vgl. Adam II, 17, S. 72f. Die Sturmari, die ebenfalls zur Grafschaft gehörten, und die Thetmarki kommen vergleichsweise selten vor, meist in Verbindung mit den Holzati. Adam berichtet dagegen häufiger über die Sturmarii[s\c\] und hebt sie gar hervor, weil „in ihrer Mitte die Mutterkirche Hamburg ihr Haupt trägt" (II, 17, S. 73); vgl. dazu oben, Kap. 2.3.2. ...

Die Fremdzuschreibungen

197

überträgt. Betrachtet man Helmolds Bewertungen der Völkerschaften, über die er im Werk berichtet, in ihrer Gesamtheit, so nehmen die Holzati in seinem Urteil eine auffällige Zwischenstellung ein: Mehrfach zollt er ihnen Lob für ihren Eifer bei der Bekämpfung der Slawen.279 Für ihre Erfolge seien ihnen von Graf Adolf II. auch die besten und sichersten Siedlungsplätze in der Wagira zugeteilt worden.280 Zudem preist Helmold (in einem Brief Bischof Gerolds) die häufigen Gottesdienstbesuche, den eifrigen Kirchenbau und das gesittete Leben der Holzati.2"1 Diesen positiven Bewertungen in bezug auf die Bekämpfung der Slawen und die christliche Lebensführung stehen jedoch deutlich negative Charakterisierungen gegenüber: So konstatiert der Chronist, die Holzati pflegten „Diebstahl und Raub zu treiben", was er wie Adam von Bremen und zuvor schon Rimbert auf ihre räumliche Nähe zu den Slavi, die „Nachbarschaft der

nennt er die viri Holzati auch rebelies, nämlich im mit ihrer Weigerung, den „nach göttlichem Gesetz gebotenen Zehnten" Zusammenhang Gerold zu zahlen; er spricht von den indomiti Holzatorum animi und an Bischof bezeichnet die Holsten als tumultuosa gens?"3 Darüber hinaus wirft er ihnen mangelnde Kenntnisse der üblichen rechtlichen Gepflogenheiten bei Vertragsabschlüssen vor: Die schließlich unter herzoglichem Druck getroffene Vereinbarung zwischen dem Oldenburger Bischof und den Holsten, deren Inhalt Helmold genau ausführt, sei gescheitert, denn als Heimich der Löwe dem (angeblichen) Wunsch der Holsten(!) entsprochen habe, den Vertrag mit einem Siegel zu bekräftigen, und die Notare nach der mos curiae hierfür Geld verlangten, sei die gens indocta in Unkenntnis dieser Sitte von der Verein-

Barbaren", zurückführt.282 Zudem

barung zurückgetreten.284 Nicht nur diese Verhinderung einer Zahlung an den Bischof, sondern auch noch ein weiterer Aspekt bildet Anlaß zur Kritik an den Holzati: Helmold bezichtigt sie, aus Haß gegenüber den von Adolf II. in die Wagira geholten Einwanderer die Slavi angestiftet zu haben, deren Siedlungen zu zerstören.285 Die Negativbewertungen leiten sich demnach vor allem aus den Störungen der Bistumsförderung und der gräflichen Siedlungspolitik ab: Helmold schreibt den Holsten hier also ein Verhalten zu, das sich just gegen diejenigen Interessen richtete, mit denen er sich am deutlichsten identifizierte. Korreliert mit der räumlichen Nähe der Holsten zu den barbari eine Übernahme barbarenähnlicher Sitten, so bietet folgerichtig die Unterwerfung und Christianisierung die Möglichkeit, solch ,barbarenhaftes Verhalten' zum Positiven zu wenden, wie sich in den Berichten über Konflikte zwischen den Grafen und den Holsten zeigt: Besonders für die Zeit Adolfs II. kennzeichnet Helmold das Verhältnis phasenweise als überaus spannungsgeladen. 1148/49 brach mit dem Aufstand der Nordelbier gar ein offener Vgl. z.B. 56,

109f.

57, S. 112. 92, S. 179f. 47, S. 92 (im Zusammenhang mit dem Zitat oben, Anm. 277):

nisi quod propter barbarorum viciniam furtis et latrociniis operam dare consueverunl: Zu Adam vgl. oben, Kap. 2.3.2. Vgl. 92, S. 179f. Ebd., S. 181; vgl. a. LOY, S. 23f. Die Weigerungshaltung der Holsten nutzt Helmold auch zur Kritik an der Vergabe großer Teile des Zehnten an Laien; vgl. 92, S. 180: Preterea hoc adiecerunt, non multum aberrantes a veritate, quod omnes pene decimae in luxus secularium cesserint. 63, S. 119f: Auffälligerweise seien die neuen Siedlungsplätze der Holzati nicht verheert worden.

198

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

Konflikt aus,286 der erst durch das Eingreifen Heinrichs des Löwen beendet werden konnte: Nun erst habe sich der vir Holzatensis mit dem Grafen verbunden.287 Nicht nur den Herzog hebt der Chronist hier hervor; er betont auch Adolfs erfolgreiches Bemühen bei der Bändigung der aufsässigen Holzati, einer gens libera et cervicosa, gens agrestis et indómita, die „aus Gewohnheit ihr wildes Gesicht verhüllte" und „heimlich gestohlen [habe], was sie nicht offen rauben konnte." Erst durch Adolfs Klugheit und „geistige Überlegenheit", eine an das Christentum gebundene kulturelle und zivilisatorische' Superiorität, seien sie besänftigt worden, so daß sie ihre Sitten geändert hätten (convertisse mores) und friedlicher geworden seien.288 Die Holzati sind hier als Ganzheit, als eine gens, sehr drastisch durch Wildheit und Sittenlosigkeit und damit durch solche Aspekte gekennzeichnet, die mit dem Argument einer auf die Verhaltensweisen und Sitten abfärbenden räumlichen Nähe zu den barbari unterstrichen werden und durchaus als Fremdzuschreibungen gewertet werden können: Religiös und auch ethnisch ist ihre Integration in die eigenen Gemeinschaften christianitas und Saxones zwar möglich und partiell auch bereits abgeschlossen, im Kontext der Unterwerfung aber kontrastiert Helmold ihre geistige und zivilisatorische' Unterlegenheit, die nicht nur mit der räumlichen Nähe zu den Barbaren, sondern auch mit dem Stand der Christianisierung in Nordelbien verknüpft ist: Denn für die Zeit der Ankunft des Priesters Vizelin in der Region kennzeichnet Helmold (rückblickend) das Gebiet durch Darstellungselemente, die er sonst nur für heidnische Regionen verwendet.289 So erhalten die Negativcharakte-

Vgl. 67, S. 124-129: Der Dithmarscher Etheler habe als Heerführer des dänischen Thronprätendenten Oldenburg u. Segeberg in Brand gesteckt sowie Wagrien verwüstet, während „unser Graf den dän. Konkurrenten unterstützte (zu den Motiven Ethelers vgl. Stoob in seiner Ed., S. 233 Anm. 6). Etheler habe die Sturmari und „alle tapferen Holsten mit dänischem Geld" und Geschenken beeinflußt, so daß der Graf, „in Holstein nicht mehr sicher", zu Heinrich d. Löwen floh. Der Aufstand habe auf die Vertreibung Adolfs und Einverleibung der Grafschaft ins dän. Reich gezielt und sei erst von Heinrich d. Löwen beendet worden. Zum Hintergrund vgl. bes. March, Wehrverfassung, S. 13 u. Lammers, Hochmittelalter, S. 326-329. 67, S. 126: Sociatusque est sibi vir Holzatensis in die illa. Ebd., S. 127 läßt Helmold den Grafen zur defensio patriae aufrufen. Nach dem Sieg Adolfs über Etheler mit Hilfe der jetzt verbündeten Holsten (Helmold läßt nun den Grafen von ihnen als nostrati sprechen) habe er (ebd., S. 128) de cetero precipuam terrae suae diligentiam. Ebd.: Fueruntque parentes mandato eius plebes Holzatorum, Sturmariorum atque Marcomannorum.

Ebd., S. 128f: Multum

vero laboris adhibuit in edomandis rebellibus Holzatorum; gens enim libera et cervicosa, gens agrestis et indómita detrectabat ferre iugum pads. Sed vicit eos altior sensus vir i, philosophatus est in eis. quousque duceret sub lorum illos, inquam, onagros indómitos. Viderit qui voluerit faciem gentis huius inmutatum, eos scilicet qui soliti quondam fuerant sevum caput abdere larvis et depredandis tendere decipulas, furari quae rapere non poterant, viderit, inquam, eos convertisse mores et revocasse gressus ad iter pads. Zur „Halsstarrigkeit" vgl. a. 93, S. 183. Die Region um Faldera (Neumünster), den „Grenzstreifen Holsteins zu Slawien", hatte Helmold (47, S. 93) bei der Ankunft Vizelins noch als ein „höchst unwirtliches Land mit weiten, unfruchtbaren Heideflächen" charakterisiert, dessen bäuerliche Bevölkerung zudem „geistlich unversehen und ungebildet [war und] von der christlichen Religion nichts als den Namen hatte[...]". Den Topos der Einöde u. des unwirtlichen, unzugängl. Landes verwendet Helmold oft u. ausschließlich für die Darstellung heidn. Gebiete. Vgl. grundsätzl. Wilhelm BERGES, Land und Umland in der mittelalterlichen Welt, in: FS f. Hermann Hempel z. 70. Geb. am 19. Sept. 1971, hg. v. d. Mitarbeitern d. MPIGesch (VdMPIGesch 36/ III), Bd. 3, Göttingen 1972, S. 399-439. ...

...

...

199

Die Fremdzuschreibungen

risierungen neben der räumlichen Komponente auch eine zeitliche: Die Unterwerfung und Christianisierung der Holzati ist zur Abfassungszeit zwar grundsätzlich erfolgt, sie liegt jedoch noch nicht lange zurück, und so sind die Nordelbier in religiöser Hinsicht zwar als Christen ausgezeichnet, aber eben nur „dem Namen nach". Den Auseinandersetzungen zwischen Graf Adolf II. und den Holzati hat sich die landes- und verfassungsgeschichtliche Forschung bereits gewidmet. Auf ihre Ergebnisse wird im folgenden kurz eingegangen, da sich aus ihnen Anhaltspunkte für die Motive ergeben, aus denen Helmold den Holsten und Nordelbiern eine gewisse Zwischenstellung unter den behandelten Völkerschaften zuweist. Der Hauptgrund für die Konflikte wird in der Konkurrenz zweier Verfassungsstrukturen und Führungsordnungen gesehen, nämlich im Ausbau der gräflichen Herrschaft unter Adolf II. und dem gleichzeitigen Fortbestehen einer gemeinhin als „altholsteinisch" bezeichneten Verfassungsstruktur in der Nordalbingia, deren wesentliche Merkmale sich aus den fortwährenden Grenzkämpfen mit den Slawen herausgebildet hatten.290 Noch im 12. Jahrhundert beanspruchten holsteinische Gruppen ihre bis dahin innegehabte politische Führungsstellung. Die Kämpfe gegen die Slawen wurden weitgehend mit eigenen nordelbischen Aufgeboten durchgeführt, auch zu Zeiten der Schauenburger Grafen.291 Vor allem für den höchsten politischen Amtsträger', den Overboden, der neben Heeresaufgebotsrechten auch richterliche Funktionen ausübte,292 stellte der Graf eine Konkurrenz dar, und zwar zunehmend, seit Adolf II. durch den Erhalt der Wagira eine größere Machtgrundlage erworben hatte und diese durch das Anwerben von Siedlern

noch erweiterte. Die in Helmolds Chronik zutage tretende, allmähliche Durchsetzung der herzoglichen und (damit letztlich zugleich auch) gräflichen Stellung veranlaßte die an ihrer eigenen Führungsstruktur festhaltenden Holzati zu heftigen Reaktionen und Abgrenzungen gegenüber den Repräsentanten der (für diese Region) neuen Herrschaftsordnung. Der Chronist bezeichnet den mehrfach genannten Overboden Marcrad ausgeZur altholsteinischen

Verfassungsgeschichte vgl.

Lange, Grundlagen, S. 21-23

u.

bes. LAMMERS, Hochmittelalter, S. 1-92 sowie

26f

Helmold erwähnt mehrfach Heeresaufgebote der Holsten, die keinem gräfl. Befehl unterstanden, obwohl der Graf nominell über das Aufgebots- u. Befehlsrecht verfügte. Vgl. z. B. 36, S. 71; 37, S. 72f; 38, S. 74-76; 49, S. 97 (zu Adolf I.) u. 56, S. 109f. (zu Heinrich v. Badwide): Etiam sine comité zogen die Holsten gegen die Slawen. Da die Holsten ohne gräfl. Führung meist gegen Slawen kämpften, verstießen sie grundsätzlich weder gegen die Interessen des Grafen noch diejenigen Helmolds; vgl. a. Lammers, Hochmittelalter, S. 236. Helmold berichtet auch, daß sich Adolf II. mit den maiores provinciae, nordelbischen Großen, über das strategische Vorgehen beriet; vgl. 51, S. 100 u. dazu Lammers, ebd., S. 292f, Lange, Grundlagen, S. 26-28 sowie March, Wehrverfassung, S. 12. Die ständige Überwachung der Slawengrenze übernahm die virtus Holzatorum. In ihr wird ein wesentl. Merkmal der altholstein. Verfassungsstruktur gesehen. Sie unterstand dem Overboden (vgl. die folgende Anm.) u. setzte sich wahrscheinl. aus einflußreichen führenden Holsten zusammen. Helmold gebraucht den Ausdruck virtus Holzatorum nur einmal (92, S. 179); ihre verfassungs- u. sozialgeschichtl. Bedeutung ist noch immer ungeklärt; vgl. Lammers, Hochmittelalter, S. 14-24 u. March, Wehrverfassung, S. 18-23 mit weiteren Nachweisen, der v.a. militärgeschichtl. Aspekte behandelt. Das Amt d. Overboden wurde aus einem kleinen Kreis von Familien besetzt, die Anspruch auf die Führung Holsteins erhoben u. „deren Herrschaft nicht reichsrechtlich, sondern volksrechtlich legitimiert war"; vgl. Lange, Grundlagen, S. 27 u. Lammers, Hochmittelalter, S. 13.

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

200

rechnet im angesprochenen Kapitel über die Zehntverweigerung der Holsten als senior terrae et secundus post comitem und stellt ihn so explizit unter den Grafen,293 während er ihn zuvor lediglich senior terrae nennt und auch seinen Einfluß auf Entscheidungen des Grafen akzentuiert. Die Holzati begründen ihre Verweigerung mit alten Rechten, nach denen sie von der Zahlung befreit seien.294 Gerade hier verdeutlicht Helmold, daß er die reichsrechtliche, nicht die altholsteinische Hierarchie favorisiert. So haben beide zunächst gegensätzlich scheinenden Aspekte, sowohl die Erfolge der Holsten im Kampf gegen die Slawen als auch ihre Weigerung, sich dem Grafen unterzuordnen, ihren Ursprung nicht zuletzt in der skizzierten Konkurrenz der Verfassungsstrukturen. Mit der Betonung der Höherrangigkeit des Grafen gegenüber dem Overboden und der Bekräftigung, Adolf II. habe die Holzati zur Änderung der kritisierten Sitten veranlaßt, verdeutlicht der Chronist, daß er die holsteinischen Führungsansprüche ablehnt. Möglicherweise übertrug er, dessen Herkunftsort südlich der Elbe lag, die ihm bekannte Verfassungsstruktur auf Nordelbien, wo sie jedoch erst zu seinen Lebzeiten allmählich verwirklicht wurde. Nur sie bot jedenfalls Helmolds Meinung nach die Voraussetzung für die Ausbreitung des Christentums und die Besiedlung. Wenngleich einige Bewohner der Nordalbingia und der Holsacia dem Chronisten bekannt gewesen sein müssen, da er selbst im Raum Faldera und Segeberg gelebt hatte und in Bosau am Plöner See sein Werk verfaßte, so schreibt er den Holzati zuweilen doch Aspekte kultureller Fremdheit zu, die wesentlich mit seiner aus der südelbischen Saxonia geprägten Vorstellungswelt und dem Wunsch, die nordelbischen Gebiete in Sachsen und in das regnum zu integrieren, zusammenhängen dürften. Bezieht er die Nordalbingi durch die Zuschreibung von entscheidenden Kriterien prinzipiell in Gemeinschaften ein, innerhalb derer er sich selbst verortet, so integriert er sie aufgrund des spezifischen politischen und militärischen Führungsanspruchs ihrer Repräsentanten, der (vermeintlich) barbarenähnlichen Verhaltensweisen und der erst kurze Zeit zurückliegenden Christianisierung doch nicht vollständig, selbst wenn Unterwerfung und Mission dies für die Zukunft immerhin möglich erscheinen lassen. Durch die Gesamtheit dieser Zuschreibungen erhalten die Holsten gewissermaßen eine Zwischenstellung zugesprochen. Die in der Forschung vertretene Meinung, Helmold habe auch im Vergleich zu anderen mittelalterlichen Autoren einen großen Teil seiner Chronik der Darstellung Fremder gewidmet, basiert in allererster Linie auf der umfangreichen Behandlung der Slavania und ihrer Bewohner. Die bisherige Untersuchung hat dagegen gezeigt, daß hier partiell auch die Nordalbingi einzubeziehen sind.

3.3.2. Dania und Dani Gleich zu Beginn seines Werkes kommt Helmold in zwei einleitenden Kapiteln, welche die Einordnung der Slavania zum Gegenstand haben, auch auf die Dani und Sueones zu sprechen.295 Er lokalisiert diese Völkerschaften in Anlehnung an Adam (und damit indi92, S. 179. Ebd., S. 181: Holzati... dixerunt nunquam se daturos decimas, quaspatres sui non dédissent. Helmold verwendet, häufig in Aufzählungen, den Terminus Suedia (z. B. 5, S. 14; 8, S. 20; 22, S. 44; 69, S. 130 u. 86, S. 169; in der Überschrift zu c. 5, S. 13: Suecia) für das Gebiet u. Sueones

Die Fremdzuschreibungen

201

rekt auch an Einhard) am nördlichen Ufer und auf den Inseln des mare Balthicum, das nach den gentes barbarae auch mare barbarum genannt werde.296 Sowohl die Dänen als auch die seltener thematisierten Schweden werden im Werk mehrfach als barbari bezeichnet.297 Der Begriff barbarus ist dabei sowohl durch die Bedeutung ,Heidentum' konnotiert als auch durch ,auswärtig wohnend', außerhalb des deutschen regnum.29" Mit dem Terminus verknüpfen sich jedoch zudem negativ beurteilte Eigenschaften und Verhaltensweisen: So zeichnen sich die Dani und Sueones, die Helmold in der Darstellung der Einfalle in das scissum imperium nach der Reichsteilung unter dem Begriff Nortmanni zusammenfaßt, durch kriegerisches Gebaren, durch Plünderungen und Christenverfolgungen aus Verhaltensweisen, die dem Chronisten als Ausdruck eines furor Danorum gelten.299 Zwar verwendet Adam nicht explizit diesen Terminus, jedoch bezieht auch er den Ausdruck furor dem Kontext nach auf die Dani, so daß die Chronica Slavorum hier eine Vorstellung transportieren, die bereits in der Hamburgischen Kirchengeschichte angelegt und eng an die Zeit der Normanneneinfälle gebunden ist.300 Das Hauptinteresse Helmolds gilt auch im Hinblick auf die Dani und Sueones zunächst der Christianisierung, die ihren Beginn mit Ansgars Mission nimmt und von Erfolgen und Rückschlägen gekennzeichnet ist. Grundsätzlich bildet die Dania, anders als für Adam, keinen hauptsächlichen Berichtsgegenstand. Für seine Darstellung greift Helmold auf die umfangreichen Angaben aus der Hamburgischen Kirchengeschichte und der Vita Anskarii zurück, die er jedoch wesentlich kürzt und zum Teil auch durch Zusätze verändert.301 Der Wechsel von Errungenschaften und Mißerfolgen in der Mission korrespondiert wie bei Adam mit den Bewertungen nordischer Könige nach dem Kriterium der Annahme des Christentums und, damit eng verbunden, nach ihrem Verhalten gegenüber Christen: In bezug auf die reges Danorum etwa stellt Helmold das positive Beispiel Harald (Blauzahns) und das negative Sven (Gabelbarts) einander gegenüber, deren überzeichnete Kontrastierung sich bereits bei Adam findet.302 Das -

(z.B. 5, S.

14

u.

7, S. 17) für dessen Bewohner.

Er unterscheidet sich im Gebrauch dieser

Begriffe von Rimbert u. Adam. Körner, S. 58f. hat deutlich gemacht, daß der Begriffswandel bei diesen drei Autoren, der zeitl. parallel auch in Urkunden zu beobachten ist, die polit. Entwicklung Schwedens widerspiegelt; vgl. dazu bereits oben, Kap. 2.3.5.1. m. Anm. 451. 1, S. 5; vgl. Adam II, 19, S. 75 u. IV, 10, S. 237f; Einhard 12, S. 15 und oben, Kap. 2.3.1. m. Anm. 313. Zu den regna aquilonis zählt Helmold (86, S. 169) die Dania, Suedia, Norwegia,

Rucia.

Vgl. etwa 4, S. 12 (Missionsauftrag Hamburgs für omnes barbara[e] naciones; zuvor sind Dani et Suedi genannt, direkt danach Slav[i], Dan[i] sive Northmann[i]); 5, S. 13 u. 10, S. 22 (Dani). Vgl. den Art. barbarus, in: Mittellateinisches Wörterbuch bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert, hg. v. d. Bayer. Akad. d. Wiss. u. d. Dt. Akad. d. Wiss. zu Berlin, Bd. 1, red. v. Otto Prinz, München 1967, Spp. 1365-1369. Vgl. 5, S. 14: furor Danorum; mit Bezug auf die Dani auch 15, S. 32. Auch Adam spricht in bezug auf Ungari und Dani von furor (vgl. dazu oben, Kap. 2.3.4.). Zum weiteren Gebrauch von furor bei Helmold vgl. unten, Anm. 356. Vgl. die Kenntlichmachung der einzelnen Kürzungen u. Zusätze in der Ed. Stoobs. Vgl. zu Harald Blauzahn: 9, S. 21 f.; zu Sven (Gabelbart): 15, S. 31 f.; positiv bewertet werden auch Erich (I.) (49, S. 91) u. Knut Laward (ebd., S. 96f), negativ dagegen Gorm (8, S. 19f.) u. Magnus (49f, S. 98-102). Zu Adams Bewertungen vgl. oben, Kap. 2.3.4. Wie stark Adam nicht nur Helmolds Darstellung beeinflußte, sondern auch die moderne Geschichtsschreibung, hat Peter Sawyer, Swein Forkbeard, aufgezeigt.

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

202

Heidentum der gens Danorum drückt sich in Eigenschaften aus, die Helmold, wie noch zu zeigen sein wird, auch für die Slavi hervorhebt und die eng mit der Verfolgung von Christen zusammenhängen: Mehrfach akzentuiert er, auch hier in Anlehnung an Adam und Rimbert, die crudelitas und die pertinacia; den (heidnischen) Königen der Dani und Sueones schreibt er eine Wildheit zu, die er für den Dänen Gorm gar als „angeboren" bezeichnet.303 Bevor Helmold die Normanneneinfalle schildert, differenziert er zwischen den Opfern der crudelitas, die von den tiranni beider Völkerschaften ausgegangen sei: Sie habe sich nicht nur gegen die Christicolae suae gentis, sondern auch gegen die exterae naciones gerichtet den Terminus exterus bezieht er hier dem Kontext nach auf das von den Northmanni heimgesuchte westfränkische Reich, aber wohl auch auf die Saxonia, die von den Dani geplündert wurde.304 All diese Einzelaspekte in der Darstellung der Dänen übernimmt Helmold von den erwähnten Autoren, und es ist stark anzunehmen, daß ihm auch die antiken Bezeichnungen wie Goti für die Schweden und Scithiae populi für die Dänen, Norweger und Slawen direkt aus Adams Gesta bekannt waren.305 Bis in einzelne Details transportiert er ein Wissen, das er bereits in seinen Quellen vorfand. Jedoch ist dies nicht der einzige Aspekt, der in bezug auf die Behandlung der Dänen in der Chronik auffallt. Ab dem Bericht über die Ermordung König Knut Lawards und den Konflikten zwischen verschiedenen Thronfolgekandidaten schreibt Helmold den Dani eine weitere Eigenschaft zu, die im folgenden Verlauf nachgerade zu deren Charakteristikum wird: Immer wieder hebt er die intestina bella in der Dania hervor, ja er konstatiert gar, daß die Dani sich überhaupt „nur durch innere Streitigkeiten auszeichnen".306 Zwar berichtet auch Adam für die frühere Zeit über die häufigen Wechsel dänischer Herrscher, so daß sich vermuten läßt, daß Helmold dieses Wissen grundsätzlich ebenfalls bereits aus der Hamburgischen Kirchengeschichte bezog;307 es ist jedoch auffällig, daß der Chronist ausgerechnet diesen Aspekt in der Darstellung der Dänen besonders betont. Trotz der Übernahme bestimmter Informationen zeigt sich -

Vgl. crudelitas z. B.: 5, S. 15 (populi Danorum atque Sueonum); 7, S. 18; 8, S. 20; 15, S. 32; 50, S. 99; pertinacia: 8, S. 20; ingénita sevicia: ebd. (Kg. Gorm; vgl. dazu Adam I, 55, S. 56); cruenta feritas: ebd. (reges der Sueones et Gothi). Vgl. a. den Begriff tyrannis z. B. mit Bezug auf Kg. Sven. Zu Adam, der dieselben Begriffe verwendet, vgl. oben, Kap. 2.3.4. 5, S. 15: qui crudelitatem suam non solum in Christicolas suae gentis, sed etiam in exteras naciones extenderint. 1, S. 17f: ea bellorum tempestas, quae Northmannis tumultuantibus in toto pene desevit orbe. Porro Northmannorum exercitus colledivus fuit de fortissimis Danorum, Sueonum, Norveorum. (...) Constat igitur ipso tempore Northmannos per Ligerim Thuronis succendisse, per Sequanam Parisios obsedisse, Karolum regem timoré compulsum terram eis dédisse ad habitandum. 8, S. 19: Dani quoque Slavos auxilio habentes, primo Nordalbingos, deinde Transalbianos Saxones vastantes, magno Saxoniam terrore quassabant. 8, S. 20: omnes Danorum, Norveorum itemque Slavorum ac Semborum naves aliique Scithiae populi. Vgl. a. 1, S. 5 die Bezeichnungpelagus Schithicum für mare Balthicum bzw. barbarum u. ebd. Schithica[e] regiones. Vgl. Adam IV, 10, S. 238. Vgl. z. B. 51, S. 102: Solis enim civilibus bellisprepollent [Danorum populi] u. unten, Anm. 308; 55, S. 109: perturbado; 70, S. 136: intestinum bellum u. prelia domestica; 85, S. 165: bella domestica. Adam berichtet ausführlicher über die ständigen Herrscherwechsel; aus seiner Chronik konnte Helmold durchaus den Eindruck gewinnen, innere Auseinandersetzungen bildeten ein Charakteristikum der Dänen; vgl. zu Adam oben, Kap. 2.3.4. m. dem Beispiel in Anm. 404.

Die

203

Fremdzuschreibungen

deutlich, daß Helmold (für den nicht mehr durch seine Hauptquelle abgedeckten

Berichtszeitraum) den Dani und ihren Königen Eigenschaften und Verhaltensweisen aus ganz spezifischen Gründen zuschreibt: Explizit berichtet er über die intestina bella wegen ihrer starken Auswirkungen auf die Nordalbingia.30" Die ständigen inneren

Konflikte in der Dania haben für den Geschichtsschreiber eine Schwäche der Dänen in den Kämpfen gegen die Slavi zur Folge, und es ist genau dieser Aspekt, den der Chronist herausstellt und auf den er in seiner Darstellung der Dänen überhaupt zunehmend abhebt: Auf den Danorum exercitus als Bündnispartner ist, wie Heimich der Löwe in kriegerischen Auseinandersetzungen erfahren muß oder besser: wie der Leser durch Helmold erfahrt -, im Kampf kein Verlaß, denn die Dani seien eben nur domi pugnaces, aber foris imbelles.309 Infolge ihrer Schwäche in auswärtigen Kämpfen werden die Dani von den Slavi überfallen und geplündert.310 Die Unfähigkeit, die Helmold den Dänen in bezug auf die Kriegführung gegen die Slawen zuschreibt, gipfelt in der pointierten Feststellung, die Slavi hielten es sogar für eine Lust, sich mit den Dani zu messen.3" Ausgerechnet der dänische König Waldemar (I.), der die Rani (Ranen; Rügener) unterwirft nicht zuletzt, so Helmold, weil in diesem Fall Heinrich der Löwe durch die civilia bella unter den Saxones gehindert wurde312 fungiert in der Chronik als Beispiel für die allgemeine Untätigkeit der reges Danorum, und der Bericht über ihn bildet den Anlaß für ein Negativurteil Helmolds über die Könige insgesamt: Sie seien „träge und leichtfertig, bei ihren andauernden Gelagen immer betrunken" und unempfindlich gegenüber Schicksalsschlägen, die ihr Land betreffen.313 Es leuchtet sicher ein, daß es zu weit ginge, aus diesen Passagen auf das tatsächliche Verhalten der Dänenkönige zu schließen. Der angebliche, von einem christlichen Standpunkt aus verwerfliche, maßlose Umgang mit dem Trinken wird bereits von Adam den Dänen und ihren Königen als ein Charakteristikum zugeschrieben;3'4 allerdings erhält das Urteil Helmolds über die Schwäche der Dänen in Kämpfen gegen die Slawen und über die Ohnmacht dänischer Könige eine spezifische Funktion in seiner -

-

-

50, S. 99: Et multiplicatae sunt a die illa perturbaciones et intestina bella in Dania, de quibus in consequentibus aliquantisper commemorandum est, eo quod provinciam Nordalbingorum

vehementer attigerint. 65, S. 122: Danorum exercitus segnius ageret hii enim domi pugnaces, foris imbelles sunt. 70, S. 136: (Kg. Sven) Slavorum furiis minus obstitit preliis irretitus domesticis. 85, S. 165: Dani enim semper bellis laborantes domesticis ad forinseca bella nullam habuere virtutem. Vgl. a. die Kritik an den reges Danorum (109, S. 216). 109, S. 216f. Begünstigt werden die Überfalle durch die natürlichen Beschaffenheiten der Dania, die, wie Helmold von Adam weiß, größtenteils aus versprengten Inseln bestehe; vgl. Adam IV, 1, S. 226 u. oben, Kap. 2.3.4. m. Anm. 378. Zu Überfallen u. Plünderungen der Slavi vgl. a. Helmold 68, S. 129 u. 87, S. 170. 109, S. 216f: Danorum inpugnaciones pro nichilo ducunt, immo voluptuosum existimant manum cum eis conserere. Vgl. a. 110, S. 217, wo Heinrich als den Slawen u. Dänen weit überlegen dargestellt wird: inhibiti sunt Slavi, ne de cetero inpugnarent Daniam. Et facti sunt vultus Slavorum subtristes propter confederacionem principum. Vgl. dazu oben, Kap. 3.2.2.2.2. m. Anm. 227 u. 229. 109, S. 214; vgl. dazu oben, Kap. 3.2.2.2.2. 109, S. 216: Reges enim Danorum segnes et discincti et inter continuas epulas semper poti vix aliquando sentiuntpercussurasplagarum (die letzten beiden Worte nach Jes. 30, 26). Vgl. oben, Kap. 2.3.4. m. Anm. 414. -

310

311

312

313

314

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

204

Chronik, die von Adams Bewertungen unabhängig ist: Denn die Bewertung Helmolds dient hier, in seinem Werk, der Hervorhebung Heimichs des Löwen als einzig aner-

kanntem Beherrscher der Slawen: Solus eis dux est formidini?]5 Heinrichs Befehlsgewalt läßt nicht nur die Slavi je nach Belieben gegen die Dänen zur Waffe greifen oder sie zu deren Bündnisgenossen im Kampf gegen andere werden -, die Macht des Herzogs bestimmt auch das Verhältnis zwischen ihm und König Waldemar: Denn nach der oben bereits angesprochenen Vertragsbrüchigkeit des dänischen Königs muß dieser gerade aufgrund der herzoglichen Macht über die Slavi alle Forderungen Heinrichs bis aufs einzelne erfüllen.316 Die Dänen sind vor allem für die Vergangenheit, für die Zeit der Normanneneinfalle und Missionsrückschläge, in Anlehnung an Rimberts und Adams Angaben als Heiden und Barbaren, als Fremde in religiöser Hinsicht gekennzeichnet. Durch die mit dem Heidentum zusammenhängenden Attributionen von Charakterzügen wie Grausamkeit oder einer zuweilen als angeboren bezeichneten Wildheit rücken zudem auch kulturelle und zivilisatorische' Differenzen in den Blick. Für die Gegenwart besteht Helmolds Urteil somit wesentlich aus einer Argumentationslinie, welche von der Feststellung innerer Auseinandersetzungen bei den Dänen über die Unmöglichkeit auswärtiger Kriegführung bis hin zur Schwäche im Kampf gegen die Slavi führt vor allem mit der Funktion, den eigenen Herzog hervorzuheben. Diese spezifische funktionale Einbindung der Fremddarstellung in sein Werk verweist auf ein nur für Helmold geltendes, konkretes und von seinen Darstellungsinteressen abhängiges Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem Fremden. -

3.3.3. Slavania und Slavi Weitaus stärker als die Dani stehen die Slavi im Mittelpunkt der Chronik. Bereits oben wurde darauf hingewiesen, daß sich der Chronist häufig von den Slawen abgrenzt und sie als „die anderen" oder als „Feinde" bezeichnet, wenn er sich der christianitas, den Teutonici oder den Saxones zuschreibt. Und ebenfalls ist bereits deutlich geworden, daß die Darstellung der Slawen insgesamt sowie die Bewertungen einzelner Personen wesentlich an den Themen Mission und Besiedelung ausgerichtet sind.317 Legt schon dieser Befund nahe, daß Helmold Grenzen in religiöser, ethnischer und kultureller Hinsicht gegenüber den Slawen zieht, so stellt sich hier zudem die Frage, inwieweit er ihnen auch konkret Fremdheit zuschrieb. Denn immerhin bildeten die Slawen einen Großteil der Bevölkerung in der Wagira, dem eigenen unmittelbaren Lebensraum Helmolds. Oft berichtet er über die (Schwierigkeiten der) Koexistenz von Saxones, Teutonici, Slavi und Siedlern in dieser Region. Wie also ordnet er die Slavania und ihre Bewohner vor dem Hintergrund der fortschreitenden Christianisierung und der sächsischen Besiedelung ehemals slawischer Gebiete ein? Betrachtet man die bisherige Forschung zu Helmolds ,Slawenbild', so überrascht die Bandbreite der Einschätzungen: Während Ilona Opelt in den Äußerungen des Chroni315 316 317

109, S. 217.

Vgl. dazu bereits oben, Kap. 3.2.2.2.2. Vgl. dazu oben, bes. Kap. 3.2.1.2.1., 3.2.2.1. u. 3.2.2.3.

Die Fremdzuschreibungen

205

sten nahezu ausschließlich „Slavenbeschimpftingen" erkannte, gar einen regelrechten „Slavenhaß" Helmolds konstatierte und den Autor als ,,Zeuge[n] der Völkerinvektive, ja

des Nationalismus" bezeichnete,318 kam Johannes NOWAK trotz Beachtung der Negativin der Chronik insgesamt zu differenzierteren Ergebnissen,319 und Lutz VON PADBERG schließlich sprach Helmold sogar insgesamt ein (nahezu Selbstlosigkeit suggerierendes) „gewisses Interesse an dessen fremder Welt" zu.320 Diese kontroversen Beurteilungen des ,Slawenbildes'entspringen einer unterschiedlichen Gewichtung von Helmolds Äußerungen und hängen stark davon ab, ob man, wie Nowak, den Kontext beachtet, in dem die Bewertungen des Geschichtsschreibers stehen, oder ob man, wie OPELT, lediglich einzelne Termini aus dem Text herausgreift und diese in die Tradition der spätantiken Heiden- und Ketzerpolemik einordnet.321 Wie für Adam von Bremen sind im folgenden auch die Aussagen Helmolds unter Einbeziehung des Kontextes zu betrachten, denn die ausschließliche Analyse einzelner Begriffe würde der für die vorliegende Arbeit grundlegenden Ausgangshypothese von der potentiellen Vielschichtigkeit einer hochmittelalterlichen Sicht auf das Fremde von vorn herein zuwiderlaufen.322 Bevor auf die konkreten Ausformungen von Fremdzuschreibungen eingegangen wird, ist zunächst zu prüfen, wie Helmold den geographischen Raum der Slavania als potentiellen Versammlungsraum der Fremden strukturiert, denn der Chronist stellt seinem Werk direkt nach der Vorrede in den ersten beiden Kapiteln eine geo- und ethnographische Einführung voran.323 Dabei ist der Blick zugleich darauf zu richten, worin der Geschichtsschreiber die Einheit und Vielheit der Slavi begründet sieht.324

bewertungen

318

319 320 321

!

1

324

Opelt, hier S. 163 u. 169. Vgl. z. B. Nowak, S. 104f. u. 130 Anm. 1. Von Padberg, Geschichtsschreibung, S. 165.

So zeichnet sich die Untersuchung Opelts durch die Aneinanderreihung von Negativurteilen des Chronisten ohne Beachtung der Kontexte aus, während von Padberg, Geschichtsschreibung (ohne im Grunde auf die Thematik des Fremden bei Helmold konkret einzugehen) das von ihm konstatierte Interesse an der .fremden Welt' v.a. an den (zweifellos) häufigen Erwähnungen der Slavi festzumachen scheint. Abwägend Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein, S. 392-395, bes. S. 395. Die Rückführung einzelner prägnanter Begriffe auf antike Autoren und ihre Einordnung in spezifische Traditionen, die Opelt vornimmt, ist für Untersuchungen von Fremddarstellungen von großer Bedeutung und im folgenden zu berücksichtigen, denn es werden grundsätzlich nicht vermeintlich objektive Begriffe verwendet, sondern solche, die bereits mit einem bestimmten Bedeutungsgehalt aufgeladen sind, welcher von den Rezipienten .mitgelesen' und verstanden wurde. Gleichwohl erscheint es naheliegend, daß die Herauslösung einzelner Termini aus dem Gesamtkontext, die Opelt in ihrer Studie vornimmt, nur zu einer Ansammlung von Bruchstücken der Gesamtäußerungen fuhren kann. Mit ihrer methodischen Herangehensweise kann Opelt letztlich gar nicht zu der ,Allgemeingültigkeit' von Aussagen über Helmolds Sicht der Slawen gelangen, die sie in den oben zitierten Äußerungen zu beanspruchen scheint. Erneut wird hier Raum nicht als physische und objektive Realität angesehen, sondern als kognitiver Raum, der grundsätzlich Strukturierungen und Bewertungen unterliegt. Es geht im folgenden daher auch nicht um ein Messen der Raumdarstellung an ihrem realistischen Gehalt; vgl. dazu oben, Kap. 1.4. Die genaue Bedeutung der Termini Slavania u. Slavi läßt sich nur aus dem jeweiligen Kontext erschließen. Helmold übernimmt nicht die Angabe Adams II, 21, S. 75, Slawien sei die amplissima Germaniae provintia (vgl. dazu oben, Kap. 2.3.3.), sondern faßt den Begriff Slavania weiter; vgl. dazu schon Regel, S. 10.

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

206

3.3.3.1. Slavania Die Strukturierung des geographischen Raumes -

Seiner geo- und ethnographischen Einordnung der Slavania und ihrer Bewohner stellt Helmold die Aussage voran, einen geschichtlichen Abriß über die provinciae, natura und mores der Slavi geben zu wollen, über die Zeit ihres Heidentums und ihre Bekehrung zum Christentum.325 Anschließend gibt er eine Aufzählung slawischer Völkerschaften mit Angaben über ihre Wohngebiete, die er im wesentlichen der Hamburgischen Kirchengeschichte entnimmt. Nicht nur für die Darstellung von Ereignissen im norddeutschen Raum bis etwa 1066, sondern auch für die Beschreibung der Slavania und ihrer Bewohner stellt sie die wichtigste Quelle Helmolds dar. Erfolgreich hat die Forschung Übereinstimmungen in beiden Werken ausgemacht und zugleich Veränderungen Helmolds auf Verbesserungen oder Ergänzungen zurückgeführt, die ihm „aus seiner eigenen Kenntnis der westslawischen Geschichte erforderlich schienfen]".326 Das mag in vielen Fällen zwar zutreffen, jedoch zeigt sich in dieser Äußerung auch ein grundsätzliches Forschungsproblem: Die moderne Betrachtung mittelalterlicher Texte wird so stark von der Frage nach der ,objektiven' Richtigkeit der Angaben bestimmt, daß diese Haltung auch einem mittelalterlichen Autor grundsätzlich nachgesagt wird: Helmolds Änderungen sind Verbesserungen' infolge eines höheren Kenntnisstandes was keineswegs immer so sein muß. Wohl aufgrund dieser modernen sind nun geradezu frappierende Änderungen, die Helmold gegenüber seiner ,Quelle' vornimmt, von der bisherigen Forschung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden: weil der Chronist die Einzelinformationen Adams hier gar nicht ,korrigiert'. Im Interesse, die Abhängigkeit Helmolds zu kennzeichnen, wurden diese Passagen der Slawenchronik vielmehr als „zusammengestückt aus Adam" oder als „fast wörtlich" bezeichnet;327 der Blickwinkel lag hier ganz wesentlich auf den Gemeinsamkeiten in den Angaben, nicht auf den Unterschieden. Diesen aber kommt eine zentrale Bedeutung zu, und zwar, wie im folgenden zu zeigen sein wird, ausgerechnet für die Strukturierung der Slavania als geographischer Raum. Noch durchaus im Einklang mit Adam (und indirekt auch mit Einhard) lokalisiert Helmold die Slavi am südlichen Ufer des Balthicum mare. Die andere, bereits oben angesprochene Bezeichnung mare barbarum, die der Chronist (nach Adam) explizit auf die Bewohner, die gentes barbarae, zurückführt, steht ganz in Übereinstimmung mit der häufigen Verwendung des Terminus' barbari für die Slavi, auf die noch zurückzukommen ist. Bereits der Name des Gebietes verweist hier auf das Heiden- und Barbarentum seiner Bewohner.328 Die geo- und ethnographischen Einordnungen der -

lf., S. 5-9, hier 1, S. 5: Slavorum provinciis, natura, moribus hystorico compendio, quantis scilicet ante conversionis gratiam errorum nexibus impliciti fuerint, ut per quantitatem morbi facilius agnoscatur efficacia divini remedii. Vgl. a. praef, S. lf. und Adam II, 20, S. 75: de natura et gentibus Sclavaniae histórico compendio. Stoob, Einleitung, S. 10. Regel listet (S. 10) Übernahmen u. Abweichungen auf. So z. B. Stoob in seiner Ed., S. 35 Anm. 5. Ähnlich ebd., Anm. 4: „fast wörtlich Adam". 1, S. 5: Slavorum populi... habitantes in litore Balthici maris. (...) Appellatur ideo [sinus] Balthicus, eo quod in modum balthei longo tractu per Schiticas regiones tendatur usque in Greciam, idemque mare barbarum seu pelagus Schiticum vocatur a gentibus, quas alluit barbaris. (...) At litus australe Slavorum incolunt nationes. Vgl. Adam II, 19, S. 75 u. IV, 10, S. 238 sowie ...

...

=

...

207

Die Fremdzuschreibungen

sind in den Werken Adams und Helmolds unterschiedlich positioniert. In diesem Punkt manifestiert sich ein unterschiedlicher Stellenwert des geographischen Raumes für die beiden Autoren: Während sich der Abschnitt bei Adam inmitten einer Aufzählung solcher Gebiete findet, die zum Hamburger Erzbistum gehören, deutet Helmolds Plazierung am Beginn der Chronik darauf hin, daß er der Einführung des Lesers in die Slavania grundlegende Bedeutung für sein gesamtes Werk beimißt. So sehr andere Aspekte für den bereits oben behandelten sächsischen Blickwinkel Helmolds sprechen und er sich in manchem in eine Reihe mit anderen hochmittelalterlichen sächsischen Geschichtsschreibern stellen läßt: Er beginnt sein Werk nicht etwa wie Adam mit einer Einordnung der Saxonia, sondern mit einer Verortung der Slavania. Und nicht nur hierin unterscheiden sich die beiden Texte: Wenngleich Helmold seine Angaben über die slawischen Gebiete im einzelnen von Adam ,übernimmt', so strukturiert er den Raum doch ganz anders: Er beginnt die Aufzählung nämlich im Osten, und zwar mit den Ruci, auf welche die Poloni „folgen".329 Wie Adam trennt er zwischen West- und Ostslawen diesseits und jenseits der Oder, jedoch behandelt er sie in umgekehrter Reihenfolge: zunächst die Ost-, und erst danach die Westslawen.330 Von letztedie Pommern," ren (und wiederum von Osten aus beschreibend) kommen „als erste danach verschiedene Wendenvölker, schließlich die Liutizen und Obodriten, und „auf uns zu folgen die Polabi."33] „Von dort", schließt Helmold in Ergänzung zu Adam die Aufzählung ab, „setzt man über den Fluß Trave in nostram Wagirensem provinciam."332 Betrachtet man diese Angaben Helmolds gegenüber denen in seiner Hauptquelle, so ist der bisherigen Forschung einerseits durchaus zuzustimmen: Der Bosauer Chronist übernimmt seine Einzelinformationen zum größten Teil und vielfach wörtlich aus der Hamburgischen Kirchengeschichte. Aber das ist nur ein Aspekt. Denn andererseits verändert Helmold seine Vorlage in einem wesentlichen Punkt, indem er die Reihenfolge der Angaben umdreht und zwar exakt. So ändert er die vorgefundene West-OstRichtung der Beschreibung, die, wie aufgezeigt werden konnte, ganz spezifischen, für Adams Werk sinnvoll erscheinenden Gründen entsprang, in eine Ost-West-Richtung

S(c)lavania

...

-

um.333

Auch aus der Fülle der Informationen, die Adam bietet, wählt er ganz bewußt aus: Weder berichtet er über Nordosteuropa (auch wenn sich im Werk verstreute Aussagen über die Dani und die Sueones finden), noch über die äußersten Gebiete des Erdkreises oder die Inseln im Ozean. Diese Regionen werden ihm kaum weniger fremd gewesen sein als Adam, sie bilden jedoch keinen Gegenstand seines Interesses.334 Statt dessen Einhard 12, S. 15. 1, S. 5: Slavorum

nationes, quorum ab oriente primi sunt Ruci, deinde Poloni, habentes a septentrione Pruzos, ab austro Boemos et eos qui dicuntur Marahi sive Karinthi atque Sorabi. Vgl. Adam 11,20-22, S. 75-81 mitschol. 14, S. 76 u. 17, S. 80 sowie IV, 13, S. 241. ...

Ostslawen in 1, S. 5-7; Westslawen in 2, S. 7-9. 2, S. 7: Horum primi sunt Pomerani; ebd., S. 8: Hos secuntur Obotriti; ebd., S. 8f: Inde versus nos Polabi [secuntur]. Ebd., S. 9: Inde transiturfluvius Travena in nostram Wagirensem provinciam. Vgl. Adam II, 21, S. 76, der exakt umgekehrt vorgeht: Sclavorum primi sunt ab occidente confines Transalbianis

Waigri.

...

Zu Adams Strukturierung des Raumes vgl. oben, Kap. 2.3.1. Adams Descriptio bleibt bis auf kurze Passagen, etwa über die Rani und Pruzzi, die

er

wie Hei-

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

208

bietet Helmold einen ausführlicher auf die Slavania und insbesondere auf die in seiner Nähe wohnenden Elb- und Ostseeslawen konzentrierten Extrakt. Seine Angaben werden um so genauer, je weiter westlich er in der Beschreibung rückt, und damit: je mehr er sich in der Darstellung auf diejenige Region zubewegt, der er sich selbst zuschreibt nämlich der Wagira. Trotz der Vielheit der Slavi, die sich aus der Aufzählung verschiedener Völkerschaften ergibt, betrachtet Helmold die Slavania und ihre Bewohner in den ersten beiden Kapiteln im Gegensatz zu manch anderen Stellen im Werk durchaus auch als Einheit. Mittels der Ost-West-Richtung der Beschreibung setzt er gleich zu Beginn der Chronik die Slavania in ihrer Gesamtheit in bezug zur Wagira: Über die Darstellung slawischer Gebiete fokussiert er auf den konkreten Raum, in dem er lebt und den er in seiner Chronik eingehend beschreibt. Zoomartig führt er den Leser so von der (seiner Meinung nach) östlichsten Slavania nach Westen bis in die Wagira, die er zudem explizit in den beiden Anfangskapiteln auch aufgrund von Wir-Bezügen als eigene Region hervorhebt. Und gerade der geographischen Lage der Wagira kommt für Helmold entscheidende Bedeutung zu, denn hier, im Grenzgebiet zwischen Deutschen und Slawen, vollzog sich schließlich die Mission durch das Bistum Oldenburg/Lübeck ebenso wie die Siedlungstätigkeit von Saxones und anderen, und zwar konkret, alltäglich' und vor Helmolds Augen. Deshalb ändert der Chronist auch die Richtung der Beschreibung des bei Adam vorgefundenen Raumes: Sein Ziel besteht nicht in der Formulierung und Propagierung eines Missionsanspruchs, der eine solche Raumdarstellung sinnvoll erscheinen läßt, die schrittweise von Südwesten nach Nordosten bis ans Ende der Welt ausgreift, eine Beschreibung vom Eigenen in die Fremde. Und ebensowenig bezweckt Helmold die Darstellung entfernter Regionen als (potentielle) Reiseziele, wie das Fehlen von Angaben über Reisewege und Entfernungen deutlich machen, die er aus der Hamburgischen Kirchgeschichte leicht hätte übernehmen können, sofern er gewollt hätte.335 Helmold fokussiert statt dessen vielmehr auf den wesentlich kleineren, ,konkreten' Raum der Wagira, dem Gebiet, das den kleinsten räumlichen Bezugspunkt einer regionalen Identität des Geschichtsschreibers bildet. -

3.3.3.2. Kennzeichen des Fremden Helmold zählt eine Vielzahl von Völkerschaften zu den Slavi?36 Zu den Ostslawen rechnet er eindeutig Ruci und Poloni. Unsicher ist er hingegen bei der Zuordnung der Ungaria: Füge man sie noch zur pars Slavaniae hinzu, „wie manche wollen, weil sie weder nach dem habitus noch nach der lingua abweicht," vergrößere sich die latitudo mold zu den Slavi zählt, ausgespart; vgl. Adam IV, 18, S. 245f. (mit schol. 121, ebd.). Daher darf die Äußerung Tellenbachs, S. 300, Helmold berichte „in ganz ungewöhnlichem Maße" über die „slavischen und skandinavischen Gebiete und Völker", sofern es Berichte über den Norden betrifft, nicht an Adam gemessen werden. Im Vergleich zu Adam weist er (1, S. 5) doch nur recht pauschal darauf hin, daß Dani ac Sueones, quos Northmannos vocamus, septentrionale litus [der Ostsee] et omnes in eo continent Ínsulas. Danach geht er zur detaillierteren Beschreibung der Slavi über. Über Adam II, 19 fließt auch Wissen aus Einhard 12, in Helmolds Darstellung ein. Zu Adam vgl. oben, bes. Kap. 2.3.1. u. 2.3.5. Vgl. allg. zur Vielheit d. Slawen z. B. 1, S. 5: Slavorum populi multi sunt u. Adam II, 21, S. 76. ...

...

209

Die Fremdzuschreibungen

linguae soweit, daß es fast unvorstellbar sei.337 Die Frage, ob Helmold hier die Ungaria zur Slavania zählt, ist in der Forschung kontrovers beantwortet worden.338 Bezieht man, was bislang nicht geschehen ist, die bereits angesprochene Passage über die Zusammenfassung der Nordalbingi in die Überlegungen ein, so zeigt sich, daß Helmold in den Merkmalen habitus und lingua durchaus identitätsstiftende Kennzeichen einer (vermeintlichen) Völkerschaft erblicken konnte.339 Das legt wiederum zumindest nahe, daß er auch die Ungaria zur Slavania rechnete. Damit konstituieren (neben anderen) diese geradezu traditionellen Kriterien wie schon bei Adam den Terminus Slavi?40 Zudem wird die Ausbreitung der Slavica lingua für Helmold zum Synonym für die Ausdehnung der Slavania ganz anders als bei Adam, der die Größe der Sclavania an derjenigen der nostra Saxonia maß.341 Bei Helmold zeigt sich somit eine grundsätzliche Bedeutung des Merkmals lingua für die Strukturierung des geographischen Raumes. Wohl kaum zufällig finden sich ausgerechnet in den ethnographischen Anfangskapiteln auch die beiden einzigen Wir-Bezüge auf die „deutsche Sprachgemeinschaft".342 Denn da der Chronist im Grenzgebiet von Teutonici und Slavi lebt und in seinem Werk die Auseinandersetzungen zwischen ihnen thematisiert, ist die lingua eben nicht nur ein traditionelles, sondern auch ein aktuelles Kriterium: 1. fügt Helmold zuweilen .slawische' Begriffe an, zum einen bei Ortsnamen, zum anderen bei der Festsetzung slawischer Zehntleistungen, auf deren Genauigkeit er Wert legt, da das Bistum Oldenburg von den Zahlungen profitiert und Ansprüche aus ihnen ableitet.343 2. kommt der Slavica lingua eine aktuelle Bedeutung für die Mission zu, denn der Geschichtsschreiber sieht die christlichen Missionare vor Sprachschwierigkeiten gestellt: So konstatiert er etwa, Priester Bruno habe bei der Mission der Unterstützung

Slavicae

-

1, S. 5: Quod si adieceris Ungariam in partem Slavaniae, ut quidam volunt, quia nee habitu nee lingua discrepat, eo usque latitudo Slavicae linguae suecreseit, ut pene careat estimatione. Adam erwägt (II, 21, S. 76) aufgrund derselben Kriterien die Zugehörigkeit der Boemia und Polonia zur Sclavania. Vgl. oben, Kap. 2.3.3. m. Anm. 351. Während Regel, S. 9f. davon ausgeht, daß Helmold die Ungarn zu den Slawen zählt, zieht Nowak, S. 137 genau den gegenteiligen Schluß. Beide beziehen jedoch die Stelle über die Nordalbingi nicht in ihre Überlegungen ein. Für Helmolds Vorstellungswelt ist es unerheblich, daß er von einer Einheitlichkeit dieser Merkmale ausgeht, die tatsächlich gar nicht gegeben ist. Zu den Nordelbiem vgl. oben, Kap. 3.3.1. m. Anm. 277.

Vgl.

schon die

Etymologiae

Isidors von Sevilla. Zu anderen Geschichtsschreibern

vgl.

z.

B.

Thomas, Die Deutschen, S. 22; zu Adam Buchner, Vorstellungswelt, S. 41 f. u. oben, Kap. 2.3.3. ADAM II, 21, S. 75f: Sclavania decies maior essefertur quam nostra Saxonia. Zu diesen Stellen (nach Adam II, 19, S. 75 u. IV, 18, S. 246) vgl. oben, Kap. 2.2.2.1. In den Doppelbezeichnungen für Ortsnamen zeigt sich kaum, wie Jegorov, Bd. 1, S. 154-156 meint, Helmolds „allgemeine Schwäche, das Fehlen jeder Hemmung gegenüber dem Einstürmen unzähliger Wortkomplexe, die sein Gedächtnis enthielt"; sie sind vielmehr Ausdruck seiner ...

...

Bemühungen um Strukturierung und Einordnung seiner Informationen. Deutlich wird dies bes. Beispiel Oldenburg, für das er zweimal andere Namen angibt: nämlich (12, S. 23 im Zusammenhang mit seiner Lage im terminus Slaviae) Aldenburg, ea quae Slavica lingua Starigard, hoc est antiqua civitas, sowie bei der Darstellung dän. Plünderungen (109, S. 216) Aldenburg, quae Danice dicitur Brandenhuse. Vgl. die Auflistung bei Jegorov, ebd. Zur Zehntleistung vgl. Helmold 88, S. 174: Modius autem Slavorum vocatur lingua eorum 'curitee'. Porro Slavicum aratrum perficitur duobus bubus et totidem equis. am

210

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

der Saxones bedurft, deren lingua und consuetudo er kannte; andererseits erwähnt er lobend, daß eben jener Bruno den Slavi immerhin Predigten vorlas, die in deren Sprache abgefaßt worden waren.344 Wie sehr Helmolds Meinung nach die Missionserfolge durch die Kenntnis der ,slawischen Sprache' begünstigt wurden, zeigt sich in einem Abschnitt über den christlichen princeps der Obodriten Gottschalk, unter dessen Herrschaft die Slavi im Oldenburger Sprengel das Christentum annahmen: Er habe in der Kirche gepredigt, um in Slavis verbis deutlicher auszudrücken, was Bischöfe und Priester nur mistice vermitteln konnten.345 Helmold übernimmt diese Passage zwar von Adam, diese Tatsache jedoch lediglich auf ein bloß unreflektiertes Abschreiben zu reduzieren, hieße zu mißachten, daß dieser Vorgang ganz bewußt geschieht: Denn der Abschnitt paßt inhaltlich in den eigenen Kontext, in dem Helmold auf die aktuelle Bedeutung der lingua verweist. Aufgrund der Bedeutung der (vermeintlich einheitlichen) .slawischen Sprache' für die Verkündigung der christlichen Botschaft mißt der Chronist Personen, die .slawisch' sprechen können, einen hohen Stellenwert bei. Sie fungieren als Vermittler, welche nicht nur die Sprachgrenze zwischen Deutschen und Slawen durchbrechen, sondern zugleich auch die religiöse Grenze zwischen Christen und Heiden.346 Daher wird Gottschalk als christlicher Slawe positiv bewertet; seine Darstellung zeigt wie diejenige anderer christlicher Slawen, daß die Missionierung die Integration in die christianitas bewirkt.347 Ist durch die Merkmale habitus und lingua wesentlich die Einheit der Slavi gekennzeichnet, so thematisiert Helmold doch in erster Linie andere Aspekte, vor allem die Religionszugehörigkeit der einzelnen Völkerschaften und ihre Unterwerfung. Bereits in den beiden Anfangskapiteln erwähnt er für jede slawische Völkerschaft, ob sie schon

84, S. 164: [Bruno] obtinuit apud comitem, ut fieret illic Saxonum colonia et esset solacium sacerdoti de populo, cuius nosset linguam et consuetudinem. Ebd.: [Bruno] habens sermones conscriptos Slavicis verbis, quos populo pronuntiaret oportune. Falsch die Übersetzung bei Stoob, Ed., S. 297: „Er hatte Predigten in slawischer Sprache niedergeschrieben, um sie an das Volk zu richten." Lotter, Bemerkungen, S. 420f. u. 424f. führt Bruno als Beispiel für die „Hilflosigkeit der Mission" an. Bruno habe den „fast rührenden Versuch [gemacht], den Einheimischen in der ihm unbekannten [slawischen] Sprache niedergeschriebene Predigten vorzulesen"; vgl. dazu a. Schmeidler, Helmold. Lotters Behauptung (ebd., S. 425 Anm. 129), daß „Helmold selbst... einige Kenntnisse der slawischen Sprache" besaß, entbehrt jeder Grundlage im Text. Der Chronist erwähnt ausschließl. slaw. Eigennamen u. die erwähnte Bezeichnung curitze für Scheffel. 20, S. 42: ut sermonem exhortationis ad populum frequenter in ecclesia ipse fecerit, ea scilicet quae ab episcopis vel presbiteris mistice dicebantur cupiens Slavis verbis reddere planiora. Daß der Kontakt zwischen Teutonici bzw. Saxones und den Slavi auch abgesehen von der Mission von Sprachvermittlern abhängt, wird z. B. (25, S. 50) deutlich, als ein Dolmetscher auskundschaften soll, welche Pläne die slaw. Besatzer einer Burg mit den eingeschlossenen Geiseln vorhaben. Im übrigen ist daran zu erinnern, daß Helmold schon in der Praefatio das (Missions-)Kriterium lingua anspricht; vgl. oben, Kap. 3.2.1. Anm. 48. Und Gf. Adolfs II. Klugheit u. Bildung beruht für Helmold (49, S. 98) auch auf seinen Kenntnissen der lat, dt. u. slaw. Sprache. Zu Helmolds Befürwortung der gewaltsamen Zerstörung heidn. Heiligtümer vgl. bes. 84, S. 159f. u. Lotter, Bemerkungen, S. 406ff. Vgl. etwa auch den Bericht über den christl. Slawenfürsten Heinrich von (Alt-)Lübeck; vgl. dazu unten, Kap. 3.3.3.3. m. Anm. 400. ...

211

Die Fremdzuschreibungen

das Christentum angenommen habe.348 Auch im weiteren Verlauf gibt er detaillierte Schilderungen slawischer Heiligtümer und heidnischer Religionsausübung, in denen deutlich wird, auf welche Weise Helmold die andere Religion begrifflich im Vergleich mit dem Christentum einordnet. Vor der Folie des eigenen Christentums stellt er Unbekanntes Bekanntem und Unvertrautes Vertrautem gegenüber, wobei er das Heidentum meist negativ bewertet, auch unter Rückgriff auf Begriffe der spätantiken Heiden- und Ketzerpolemik.349 Bestehen wesentliche Differenzen zum Christentum in den Orakeln, dem Loswerfen, Tier- und Menschenopfern sowie dem heidnischen Polytheismus, so konstatiert er auch eine „erstaunliche Ehrfurcht" der Slawen im Dienst am Heiligtum und stellt fest, daß sie trotz ihrer vielen Gottheiten nicht leugneten, daß „ein Gott im Himmel über die übrigen herrsche".350 Ungleich häufiger als Adam (und vor allem als der nach ihm schreibende Arnold) wendet Helmold den Begriff barbari auf die Slavi oder auf einzelne slawische Völkerschaften an, etwa auf die Pomerani und Rani?5] Und auch innerhalb der Chronik bezieht sich der Terminus barbarus am weitaus häufigsten auf Slawen. Allerdings kann Helmold, wie erwähnt, auch die Northmanni so benennen, die Dani und zudem, in den kurzen Passagen über die Kreuzzüge, auch die Heiden in Lissabon und die entfernt wohnenden Sarazenen.352 Die Verwendung des Begriffs barbari in den Erwähnungen der Kreuzfahrten ins Heilige Land, nach Lissabon und im Bericht über den sogenannten Wendenkreuzzug zeigt, daß Helmold diese Kriegszüge letztlich als drei (nach geographischen Zielen unterschiedene) Formen eines zeitgleich geführten Kampfes von Christen gegen Heiden ansieht.353 Diese Passagen zeichnen sich durch eine relativ hohe Anzahl von Fremdbezeichnungen aus. Verwendet Helmold nur für die Heere, die nach Jerusalem und Lissabon ziehen, die Bezeichnung peregrini, so nennt er die Gegner allesamt, unter Hinzufügung geographischer Termini, barbari?54 Mit dem Ausdruck

Vgl. If, S. 5-9. Vgl. die Nachweise bei Opelt. Zu Kultstätten z. B. Helmold 2, S. 8 über Rethra (nach Adam II, 21, S. 78f). Von Padberg, Geschichtsschreibung, S. 165 meint, daß die Darstellungen der Örtlichkeiten und Beschaffenheit heidn. Heiligtümer auf ein Interesse Helmolds an der anderen Religion schließen lasse. Das mag auch so gewesen sein, jedoch kann hierunter kein selbstloses

Interesse' verstanden werden, wie es Eric Christiansen, The Northern Crusades. The Baltic and the Catholic Frontier 1100-1525, London 1980, suggeriert, der S. 61 ein „interest in the Slavs himselves" konstatiert. Zur heidn. Religionsausübung vgl. z. B. 6, S. 16f; 36, S. 73 u. 52, S. 102f 84, S. 160: Inter multiformia vero deorum numinia, non diffitentur unum deum in celis ceteris imperitantem. Vgl. a. 52, S. 103: Mira autem reverenda circa fani diligentiam affecti sunt. Vgl. zu barbari z. B. 4, S. 12; 15, S. 32; 22, S. 45; 56, S. 110; 63 f., S. 120f; 69, S. 130; 94, S. 185 (Slavi); 8, S. 19 (Ungari); 40, S. 83 (Pomerani); 48, S. 95 u. 108, S. 214 (RugianilRani). Für die Sarazenen verwendet Helmold keinen Begriff, doch beziehen sich die Stellen auf sie (31, S. 59 [3x]; 59f, S. 115 u. 117); Lissabon (61, S. 118). Vgl. 59, S. 115: Visum autem fuit auctoribus expedicionis partem exercitus unam destinari in partes orientis, alteram in Hyspaniam, terciam vero ad Sclavos, qui iuxta nos habitant. Vgl. c. 60 (zum Kreuzzug ins Heilige Land), 61 (nach Lissabon) u. cc. 62-65 (Wendenkreuzzug). Zu barbarus vgl. 59, S. 115 (barbara[e] orientis naciones) u. 60, S. 117; auch mit Bezug auf die Heiden im Hl. Land 31, S. 58f. sowie 61, S. 117f: Ad ultimum capta civitate [i. e. Lissabon] pulsisque barbaris; 63f., S. 120f: barbari (Obodriten). Zu peregrinus vgl. 60, S. 115: peregrinacio[...] ultronea[...]; ebd., S. 116: milites peregrinacionis illius (i.e. des Heeresteiles, der ins Heilige Land zog); 61, S. 117f: adventu[s] peregrinorum (in Galacia); peregrini (in ...

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

212

barbarus verbindet sich hier ganz wesentlich das ,Heidentum', der Begriff kann aber durchaus die Komponenten ,auswärts Wohnender' und ,Fremdstämmiger" sowie auch ,Wildheit' enthalten.355 Die häufige Bezeichnung barbari für Slavi findet eine Steigerung in der ausschließlichen Verwendung des Ausdrucks barbaricus furor im Zusammenhang mit slawischen Völkerschaften, der so (auch direkt als Slavicus furor) geradezu zu einer „slawischen" Eigenart wird.356 Zur weiteren Kennzeichnung einer Fremdheit der Slavi in religiöser Hinsicht, konkret als negativ bewertete Heiden, verwendet Helmold auch zahlreiche abwertende Begriffe wie ydolatria (auch in bezug auf andere Bewohner des Ostseeraums), supersticio und error?51 Zusammengefaßt liegen demnach am südlichen Ufer des mare barbarum die Wohnsitze der Slavi, die 1. außerhalb der nostra Wagira (als Grenzregion des Reiches) leben und 2. entweder eine heidnische Vergangenheit hatten oder, wie die Pruci unter den Ost- und die Rani unter den Westslawen, in der Gegenwart noch heidnisch sind.358 Die heidnischen Slawen sind schon in religiöser Hinsicht deutlich und mit negativen Konnotationen als Fremde gekennzeichnet. Mit der Unterteilung in bereits missionierte und noch heidnische Slawen wird die räumliche Darstellung der Slavania bei Helmold, für den ebenso wie für Adam die Annahme des Christentums letztlich nur eine Frage der Zeit ist, bereits in den Anfangskapiteln eng mit einer zeitlichen Komponente verknüpft. Neben der Religionszugehörigkeit der Slavi thematisiert Helmold auch ihre Unterwerfung. Beide Aspekte sind eng miteinander verbunden und führen direkt zu den von der Forschung bereits herausgearbeiteten ,Leitinteressen' des Chronisten. Bereits oben Lissabon u. in direkter Gegenüberstellung mit den barbari); peregrinus exercitus. Der Terminus peregrinus auch i.S.v. heimatlos: 69, S. 130; peregrinado als lebenslange Pilgerschaft: 73, S. 141; als Lebensform auch: 22, S. 45 zu Bf. Johannes, der aus der Scotia aus peregrinacionis venit in Saxoniam. Vgl. a. 105, S. 206, wo Erzbf. Hartwig den Lübecker Bf. Konrad II. amore aufgrund der Feindschaft mit Heinrich d. Löwen auffordert, zum Erzbf. v. Magdeburg zu gehen: Ego quoque post paucos dies presequar vos et peregrinabor cum peregrinante. Vgl. das Adjektiv barbarus i.S.v. paganus: 59, S. 115 (barbara[e] orientis naciones); eine ähnli...

che

Verwendung

von

barbarus bei Adam.

Vgl. a.

die

Beispiele

zum

Eintrag barbarus

in: Mit-

Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1367. Vgl. ebd. zum Substantiv barbarus i.S.v. homo barbaricus ...; spectat ad originem, habitum, morem: zu Helmold 92, S. 179 (Slavi); Sp. 1368 i.S.v. homo rudis vel ferox: zu Helmold 15, S. 32; Sp. 1369 i.S.v. spectat ad religionem; paganus: zu Helmold 23, S. 46 u. 69, S. 130; 31, S. 58f. (Sarazenen) u. 61, S. 118 (Heiden in tellateinisches

...

Lissabon).

Zu barbaricus furor

vgl. z. B. 66, S. 123 u. 69, S. 130; Slavicus furor: 56, S. 109. S.a. 69, S. 133 (Erzbf. Hartwig spricht vom furor Heinrichs d. Löwen). Zum Begriff furor aus der spätantiken Ketzerpolemik vgl. Opelt, S. 168 m. Anm. 26. Vgl. z. B. ydolatria/ ydola (zu Slavi 2, S. 8; 4, S. 12; 46, S. 91 u. 84, S. 159f; zu Dani sive Northmanni4,S. 12); supersticio (zu Slavi z.B. 6, S. \1 [Rani]u. 101, S. 200); error (1, S. 5 u. 6, S. 16). Vgl. zu diesen Begriffen bei Helmold, auch in Anlehnung an Adam, Opelt, S. 165f. Helmold bezeichnet keineswegs alle Slavi als heidnisch. Statt dessen hebt er in den ersten beiden Kapiteln das Christentum der Bewohner hervor, mit Ausnahme der genannten Pruci u. der Rani, auf deren Darstellung noch genauer einzugehen ist (vgl. unten, Kap. 3.3.3.3.). Die zeitl. Komponente eines Heidentums in der Vergangenheit zeigt sich auch (2, S. 8) in der Darstellung des Untergangs der civitas Iumneta (Viñeta), quam incolunt Slavi cum aliis gentibus permixtis, Greets et barbaris. (...) Omnes usque ad excidium eiusdem urbis paganicis ritibus oberrarunt. Vgl. Adam

II, 22, S. 79.

...

Die Fremdzuschreibungen

213

wurde darauf hingewiesen, daß weltliche Herrscher insbesondere an ihren Erfolgen im Kampf gegen die Slavi gemessen werden, deren Tribut- und Abgabenzahlungen ein wesentliches Interesse gilt.359 Eng verbunden mit dem Thema Unterwerfung ist, gewissermaßen als chronologische Fortsetzung, die Besiedelung .slawischer Gebiete'. Besonders hier treten im Werk neben den religiösen auch ethnische Grenzen hervor. Kaum zufällig stellt Helmold den Gegensatz zwischen Teutonici oder Saxones und Slavi vor allem im Zusammenhang mit der Besiedelung heraus, und kaum zufällig finden sich die Zuschreibungen zu den Teutonici besonders in diesen Passagen.360 Betrachtet man die Fremdbezeichnungen im Kontext der Kolonisationsdarstellungen, so fällt auf, daß Helmold nicht etwa die Slavi explizit als Fremde bezeichnet, sondern vielmehr die christlichen „Zuwanderer" aus der Westfalia, der Fresia, aus Holland, Seeland und Flamen, welche unter Graf Adolf II. in ehemals ,slawischen' Regionen ansiedelten: Für sie verwendet er den Begriff advenae als ,Auswärtige' und ,Fremde', einen Terminus also, der eine rechtliche Komponente enthält, der aber auch einer biblisch-christlichen Tradition entspringt und hier durchaus positiv konnotiert ist.361 Mit eben dieser Bedeutung von Fremdheit hebt er die Siedler auch durch einen anderen Begriff, extranei populi, hervor.362 In ihm kommt deutlich der räumliche Aspekt von fremd als außerhalb zum Ausdruck, und der Terminus kann sich, betrachtet man seine Verwendung im Werk insgesamt, keineswegs nur auf Gebiete außerhalb der Wagira beziehen: In der bereits erwähnten Stelle über die Bevorzugung der extranei und der Benachteiligung der sui durch Bischof Konrad in der Lübecker Diözese verwendet Helmold extraneus in der Bedeutung von außerhalb der Bistumsgrenzen oder auch außerhalb des Domkapitels.363 Entsprechend seiner positiven Bewertung der Siedlungstätigkeit verwendet er den Begriff advenae auch in Abgrenzungen, denn die „Zuwanderer" seien von den Slavi bedroht und zum Teil gar vernichtet worden.364 Daß ethnische und religiöse Differenzen zwischen christlichen Deutschen, Sachsen und Siedlern auf der einen und heidnischen Slawen auf der anderen Seite in Helmolds Terminologie parallel verlaufen, belegen auch andere Stellen: Den Obodritenfürsten Pribislaw läßt der Chronist den Anspruch auf sein Land als hereditas patrum nostrorum bezeichnen und mit der Besiedelung durch die advenae kontrastieren, und einmal verwendet er in Anlehnung an Adam den Terminus advenae auch mit Bezug auf die Saxones, die einen Zugang zum von barbari nämlich Slavi bewohnten Ort Jumne (Viñeta) nur erhielten, solange sie nicht das Christentum ausübten.365 -

-

Vgl. oben, Kap. 3.2.1.2.1. u. 3.2.2.2.1. Vgl. z. B. 87, S. 171; 88, S. 174; 98, S. 192f. u. 110, S. 218. Vgl. z.B. 63, S. 120; 64, S. 121; 89, S. 175 (2x); 92, S. 178

u. 181 (2x) u. 98, S. I92f. (2x). Helmold übernimmt den Ausdruck teilweise mit ganzen Wendungen aus der Bibel. Zu advena vgl. Mittellateinisches Wörterbuch, Bd. 1, Spp. 245-247, zu Helmold ebd., Sp. 246 i.S.v. extraneus, alienígena; spec: de colonis. Vgl. a. KortÜm, Advena sum, bes. S. 118-125. 63, S. 120: Pagum Dargune a viris Westfalis, Hollandris ceterisque extrañéis populis incultum fuerat. Vgl. dazu a. oben, Kap. 3.2.1.2.3. m. Anm. 127. Zur schwierigen Bestimmung der Gruppen, auf die sich die Termini beziehen ebd. Zum Begriff extranea bella vgl. 1, S. 7 u. 32, S. 61. Vgl. etwa 63f., S. 119-122; 89, S. 174f. u. 98, S. 192f. 2, S. 8: Fuit civit[as], quam incolunt Slavi cum aliis gentibus permixtis, Grecis et barbaris. Nam et advenae Saxones parem cohabitandi licentiam acceperunt, si tantum Christianitatis ...

...

...

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

214

Ganz im Einklang mit seinen Worten in den Einführungskapiteln über die Slavania berichtet Helmold auch über natura und mores, über das Wesen, die Sitten, Verhaltensweisen und Eigenschaften, die er einer slawischen Völkerschaft oder den Slavi insgesamt zuschreibt.366 Dabei kommen Helmolds Schilderungen zwar keineswegs immer einer Verurteilung gleich,367 meist bewertet er die Andersartigkeit, die er den Slavi zuschreibt, jedoch negativ, und er stellt auch .zivilisatorische' Mängel der Völkerschaften wie die fehlende Mühe beim Häuserbau fest.368 Mit seiner Ansicht von der crudelitas als angeborener Eigenschaft der Slavi läßt sich Helmold in eine lange Tradition von Texten einordnen, in denen Existenzkämpfe als welche die Konflikte zwischen Teutonici, Saxones sowie den Siedlern und den Slavi zur Abfassungszeit bezeichnet werden können beschrieben werden.369 Die crudelitas offenbart sich besonders in der Quälerei von Christen,370 und so entspringt die Zuschreibung von Grausamkeit nicht zuletzt einer religiösen Grenzziehung. Helmold berichtet davon, daß die Slawen als Mörder, Plünderer, Wegelagerer und Seeräuber eine Gefahr für andere, meist (christliche) Sachsen oder Siedler, darstellten.371 In ihren Angriffen und Zerstörungen sieht der Chronist häufig das oben bereits erwähnte ,Charakteristikum' der Slawen bestätigt, den Slavicus furor?12 Gerade für die Zeit, in der Helmold, sofern die Annahmen der Forschung zutreffen, die Zerstörung Segebergs miterlebte und im Gefolge Vizelins nach Faldera floh, berichtet er von „täglichen" Morden und Raubtaten.373 Darüber hinaus erwähnt er mehrfach, die Slawen seien naturaliter treulos, hinterlistig und boshaft, weshalb er auch ein gewisses Mißtrauen ihnen gegenüber für angemessen hält.374 Die hier aufgeführten Beispiele sprechen für eine grundsätzlich stark negative Beurteilung der Slavi insgesamt, allerdings dürfen sie nicht losgelöst vom Kontext betrachtet werden. Wie bereits festgestellt wurde, führt Helmold Aufstände der Slavi häufig auf die avaritia der christlichen weltlichen Fürsten zurück ganz im Einklang mit Adams Argumentationslinie. Die Fürsten zwingen die Slavi in Helmolds Terminologie geradezu zum Rückfall ins Heidentum.375 Wenngleich der Chronist also die Aufstände verurteilt, sieht er das Verhalten der Slawen doch nicht nur in ihrer natura begründet, -

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titulum ibi commorantes non publicassent. Vgl. dazu oben, Kap. 2.3.3. m. Anm. 370-372. Die Rede Pribislaws in 98, S. 193: [Heinrich d. Löwe] tulit nobis hereditatem patrum nostrorum et collocavit in omnibus terminis eius advenas scilicet Flamingos et Hollandros, Saxones et Westfalos atque nationes diversas. Vgl. z. B. lf, S. 5-9; 36, S. 70; 52, S. 102f; 108, S. 212-214 u. 109, S. 216f. Vgl. z. B. 83, S. \59 (leges). 109, S. 216. Vgl. hierzu Opelt, S. 162f. mit weiteren Nachweisen. Vgl. z. B. 1, S. 7: crudelissimi (Böhmen, Polen); 36, S. 70 (Ranen); 52, S. 103: Fuit... Slavorum genti crudelitas ingénita. 55, S. 107: Volkerus, frater magnae simplicitatis, ictu gladii percussus est. Vgl. a. 16, S. 88. Vgl. z. B. 2, S. 9; 14, S. 28f; 26, S. 52f; 56, S. 109f; 84, S. 160; 109, S. 216 u. 110, S. 218. Vgl. oben, Anm. 356. 56, S. 109: cotidiana[e] interfectiones hominum villarumque depredaciones. Zu Helmolds Aufenthalt in Segeberg und der Flucht nach Faldera vgl. oben, Kap. 3.1. Vgl. 14, S. 28: Slavorum animi naturaliter sint infidi et ad malum proni. Vgl. a. 25, S. 33 u. 98, S. 192f; zum Mißtrauen z. B. 25, S. 33 u. 38, S. 75f. Vgl. z.B. 16, S. 33f; 19, S. 39-41; 21, S. 44 u. 25, S. 47f.

215

Die Fremdzuschreibungen

sondern auch in Kriegen, „Reichswirren" und besonders in der Gier der sächsischen Herzöge nach Tributerhöhungen, die Helmold durch Zusätze gegenüber der Hamburgischen Kirchengeschichte noch akzentuiert.376 Die Darstellung des Abfalls der Slawen vom Glauben hat hier ganz explizit somit auch eine Spiegelfünktion: Sie dient dem Chronisten als Beweis für Gottes „Züchtigung unseres Unglaubens".377 Die heidnischen Slawen sind für Helmold also ein Instrument Gottes, und in ihrem Verhalten spiegeln sich (auch) eigene Unzulänglichkeiten wider. Relativiert bereits die Einordnung der Bewertungen in den Kontext die Ansicht von einem ausschließlich negativen ,Slawenbild' Helmolds, wie es vor allem Ilona OPELT konstatiert hat, so finden sich durchaus auch explizit positive Zuschreibungen. Sie lassen sich an den Aussagen über die Pruci (Preußen) und Rani zeigen. Beide Völkerschaften nehmen in der Chronik unter den Slavi eine Sonderstellung ein. 3.3.3.3. Pruci und Rani

Von den Ostslawen behandelt Helmold die Pruci am ausführlichsten.378 Seiner Darstellung, die er sonst vollständig Adam entlehnt, stellt er einen Zusatz voran: „Die Preußen haben noch nicht das Licht des Glaubens erblickt; es sind Menschen von vielen natürlichen Gaben."379 Hinsichtlich ihres Heidentums bilden die Pruci unter den Ostslawen eine Ausnahme: Alle anderen naciones seien bereits christlich. Man könne die mores der Preußen loben, „wenn sie nur an Christus glaubten, dessen Prediger sie jedoch wild verfolgen."380 Von Adam übernimmt Helmold diese lobenswerten Eigenschaften. Die Pruci gelten ihm im Anschluß an den Bremer magister als homines humanissimi, da sie Notleidenden und Schiffbrüchigen helfen würden. Auch interessierten sie sich im Gegensatz zu den habgierigen Christen nur wenig für materiellen Reichtum: Die fremden (peregrini) Pelze, „nach denen wir lechzen wie nach der höchsten Glückseligkeit, bewerten sie nicht höher als Mist und sprechen uns so ihr Urteil".381 Wiederum -

-

z.B. 16, S. 33f; 18, S. 38; 21, S. 44: Principes pecuniam inter se partiti sunt. De Christianitate nulla fuit mentio (der erste Satz in Ergänzung zu Adam III, 22, S. 165). Vgl. a. Helmold 56, S. 110; 33, S. 66 (perturbaciones] imperii); 40, S. 82 (turbulentia[e]). Nowak, S. 105 Anm. 4 bemerkt mit Blick auf die beiden letztgenannten Stellen, daß Helmold mit der „patristischen Phrase, zu weit abgeschweift zu sein, zu der Slawengeschichte zurückfkehre]", zieht jedoch keinen Schluß daraus. Helmold berichtet (33, S. 66) über die Reichswirren aber gerade, eo quod Slavis causam defedionis vel maximam prevuerint. 16, S. 35: Ille igitur iudex iustus, fortis etpaciens inquam, modicam gentiliumportionem nunc indurare voluit, per quos nostra confunderetur perfidia. 1, S. 5-7, bes. S. 6. Daß Helmold wie Adam die Pruci fälschlicherweise zu den Slavi zählt, ist für die folgende Interpretation unerheblich. Helmold, ebd., S. 6: Pruci necdum lumen fidei cognoverunt, tarnen sunt homines multis naturalibus bonisprediti (nach Adam IV, 18, S. 245). Helmold, ebd.: Multa poterant dici de hoc populo laudabilia in moribus, si haberent solam fidem Christi, cuiuspredicatores inmaniterpersecuntur (nach Adam, ebd., S. 246). Helmold, ebd.: Aurum et argentum pro minimo ducunt, pellibus habundant peregrinis ...; et Uli quidem uti stercora haec habent, ad nostram credo dampnationem, qui ad marturinam vestem anhelamus quasi ad summam beatitudinem (nach Adam, ebd., S. 245f). Der Wir-Bezug ¡st unbestimmt. Er kann sich auf die christianitas, die Teutonici, Saxones oder alle drei beziehen.

Vgl.

...,

-

-

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

216

darf aus der Darstellung nicht auf das wirkliche Verhalten und auf tatsächliche Eigenschaften geschlossen werden, denn beide Chronisten schreiben den Pruci nicht irgendwelche positiven Eigenschaften zu, sondern solche, die einem christlichen Ideal entsprechen. So nutzt auch Helmold die Darstellung zur Kritik an den Christen. Zudem eignen sich die Pruci aufgrund ihrer Eigenschaften auch für eine zukünftige Bekehrung. Allerdings scheint Helmolds Urteil durchaus widersprüchlich: Sowohl ihren Eß- und Trinksitten als auch ihrem Aussehen nach sind sie eindeutig den barbari zuzurechnen;382 ihr Heidentum und ihre Grausamkeit hebt er in der Erwähnung hervor, daß ein Missionar bei den Pruci das Martyrium erlitt.383 Trotz aller christlich-idealen Sitten stehen damit die religiösen Grenzen im Vordergrund: Die Preußen, die „doch sonst alles mit uns teilen", verwehrten „bis heute" den Christen den Zugang zu ihren Heiligtümern.384 So sind die Pruci in bezug auf ihr Heidentum, ihr Aussehen und ihre Sitten Barbaren und in religiöser wie in kultureller und zivilisatorischer' Hinsicht Fremde. Für beide Geschichtsschreiber sind sie jedoch explizit auch Menschen; schon deshalb sind sie für Adam in die Gemeinschaft derjenigen Völkerschaften einbezogen, auf die sich der Missionsraum des Erzbistums Hamburg erstreckt, und für Helmold gehören sie zukünftig zur größeren Gemeinschaft der christianitas. Nicht nur von den Westslawen, sondern von allen slawischen Völkerschaften in der Chronik werden die Rani am ausführlichsten behandelt. Obwohl sie Helmold geradezu als Slavi schlechthin zu gelten scheinen, nehmen sie eine Sonderstellung ein. Sie besteht zum Beispiel in der duritia, die sie länger als alle anderen Slavi „bis in unsere Zeiten" im Heidentum verblieben ließ.385 Der duritia entspricht eine besondere Vertrautheit mit ihren Göttern, „die sie stärker verehren als die übrigen [Slawen]".386 Das Negativurteil über das Verharren im Heidentum wird noch durch den Abfall der Rani vom Christentum nach ihrer mühsamen Bekehrung zur Zeit Ludwigs des Frommen potenziert.387 So

Helmold, ebd.: Sie äßen vom Fleisch ihrer Zugtiere u. tränken deren Milch u. Blut, von dem sie berauscht würden; sie seien bleichgrün, rotgesichtig und langhaarig (nach Adam, ebd., S. 246). Vgl. zu der Widersprüchlichkeit bei Adam Theuerkauf, Hamburgische Kirchengeschichte, S. 121 f. 1, S. 6:

u.

134f.

Usque hodie profecto inter illos, cum cetera omnia communia sint cum nostris, solus prohibetur accessus lucorum et fontium, quos autumant pollui Christianorum accessu (nach Adam IV, 18, S. 246). Das nostri bezieht Eggert, Wir-Gefühl, S. 144 Anm. 889 (für Adam) auf die ,,Gläubige[n]", die Christen insgesamt. Daneben ist jedoch auch der deutsch/sächs.-slaw. Gegensatz zu berücksichtigen. 108, S. 212: De omni enim natione Slavorum, quae dividitur in provincias et principatus, sola Rugianorum gens durior ceteris in tenebris infidelitatis usque ad nostra témpora perduravit. Hier scheint ein Widerspruch zu Helmolds Aussage über die Preußen zu liegen, der sich jedoch durch die schon angesprochene, uneinheitliche Verwendung des Begriffes Slavi erklärt: omnis natio Slavorum bezieht sich hier nicht auf die Ostslawen; vgl. zu dieser Stelle auch Nowak, S. 158f 2, S. 9: Rani, qui et Rugiani, propter familiaritatem deorum velpocius demonum, quos maiori pre ceteris cultura venerantur. Vgl. Adam IV, 18, S. 245. Siehe a. Helmold 6, S. 16f: Nam sanctum Vitum, quem nos martirem ac servum Christi confitemur, ipsi pro Deo venerantur, creaturam anteponentes creatori. Nee est aliqua barbaries sub celo, quae Christicolas ac sacerdotes magis exorreat. Helmold verwechselt hier vielleicht Vitus mit Swantewit; vgl. Stoob, ...

Ed., S. 55 Anm. 8. Helmold 6, S. 16f.

217

Die Fremdzuschreibungen

sind die Rani nicht nur besonders hartnäckige Heiden, sondern gar abtrünnige und rückfällige. Auch in einem weiteren Aspekt kann von einer Sonderstellung der Rani gesprochen werden, da sie nach Helmold die mächtigste aller slawischen Völkerschaften darstellen. Wiederum besteht in der Darstellung eine enge Verbindung von Religion und Herrschaft, denn gerade aufgrund der höchsten Stellung des ranischen Gottes Swantewit unter den slawischen Gottheiten insgesamt388 erhielten diese von allen Slavi, auch den Wagiri, „bis in unsere Zeit" Tribute. Die Zuschreibung einer Vorrangstellung unter den Slavi und einer besonders extremen Unbekehr- und Unbelehrbarkeit sind zugleich Kennzeichen eines ausgeprägten Heidentums.389 Durch diese Aspekte erscheinen die Rani geradezu als Hort des heidnisch-slawischen Widerstands.390 Mit Hilfe der zeitlichen Komponente in der Darstellung, der Betonung der Gegenwärtigkeit von Heidentum und Tributzahlungen, verdeutlicht Helmold die Bedrohung und zugleich die dringende Notwendigkeit der Unterwerfung und Bekehrung. Die Herrschaftsstruktur der Rani erscheint als Umkehrung der eigenen Ordnung: Von Adam übernimmt Helmold die Information, daß die Ranen einen König besäßen, er fügt jedoch hinzu, daß dieser geringer geschätzt werde als ihr Priester, von dessen Orakel Sprüchen und Loswürfen König und Volk abhingen.391 Die Höherrangigkeit des Priesters, der zudem grausam ist und Christen opfert, gilt als Beleg für das besonders ausgeprägte Heidentum der Ranen. Es ist kein Zufall, daß Helmold sich der christianitas gerade in den Schilderungen der Rani zuschreibt, obgleich dies sonst nahezu ausschließlich in Abgrenzung von den Heiden allgemein geschieht.392 Auch für die Rani erwähnt der Chronist „natürliche Vorzüge" und positive Eigenschaften ausdrücklich trotz ihres Heidentums und ihrer Hartnäckigkeit sowie bezeichnenderweise im Bericht über ihre Bekehrung durch den dänischen König Waldemar.393 Wie bei den Pruci hebt Helmold auch hier Eigenschaften und Verhaltensweisen hervor, die einem christlichen Ideal entsprechen und die er auch den Slavi insgesamt nachsagen kann: besonders ihre Sorge für die Eltern und ihre Gastfreundschaft.394 Gerade den letzten Aspekt akzentuiert Helmold stark für die Slawen insgesamt, auch indem er -

u. 108, S. 213. Helmold hebt (6, S. 15-17) die größere „Härte" und „Verstocktheit" der Slawen im Vergleich mit anderen Völkern hervor; vgl. a. 41, S. 84 (natio[...] prava et perversa) u. 108, S. 212. Ganz explizit äußert dies Helmold in 6, S. 16: Ibifomes est errorum et sedesydolatriae. 108, S. 213: Rex apud eos modicae estimacionis est comparacione flaminis. Vgl. Adam IV, 18, 5. 245 (mit schol. 121, ebd.); zu den Ranen auch Helmold 2, S. 9 (Rani, qui soli habent regem) u. 6, S. 17. 6, S. 16 (2x) u. 108, S.212f. (2x). Die einzigen weiteren Wir-Bezüge auf die christianitas in direktem Kontrast zu einer einzelnen slaw. Völkerschaft finden sich ausgerechnet (1, S. 6 [2x]) in der Darstellung der Pruci, was erneut die Sonderstellung der Rani u. Pruci in der Chronik belegt. Zu den Wir-Bezügen bei Adam s.a. Eggert, Wir-Gefühl, S. 144 Anm. 889. Vgl. die restlichen Wir-Bezüge, die zumindest auch auf die christianitas bezogenen sind: 8, S. 20; 16, S. 35 (für Adam: Eggert, ebd., S. 144); 24, S. 46 (2x); 41, S. 84; 52, S. 103; 88, S. 173f. u. 101, S. 200. Ebenso wohl auch noster orbis (1, S. 6; dazu Eggert, ebd., S. 148 Anm. 917 [für Adam]). 108, S.214: Quamvis autem odium Christiani nominis et supersticionum fomes plus omnibus Slavis apud Ranos invaluerit, pollebant tarnen multis naturalibus bonis. Helmold überträgt (ebd.) die Verhaltensweisen der Rani ausdrückl. auf die Slavi: Hospitalitatis enim gratia et parentum cura primum apud Slavos virtutis locum optinent.

52, S. 103

...

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

218

daß er diese oft gerühmte Eigenschaft durch .eigene Inaugenscheinnahme' bei der Visitationsreise zu den Oldenburger Slawen selbst erfahren habe.395 Es muß offen bleiben, ob der Chronist tatsächlich die Gastfreundschaft erfuhr oder hier lediglich diesen alten, schriftlich überlieferten Topos durch Augenzeugenschaft argumentativ bekräftigte. Der Hervorhebung dieser Eigenschaft als ,wahre' Eigenschaft der Slavi tut das keinen Abbruch, im Gegenteil: Die Verifikation des Topos durch die Bezeugung der eigenen Augenzeugenschaft stärkt hier das Argument für die Leser.396 Mit der Bekehrung der Rani fällt der letzte heidnische Widerstand im Gebiet der Elbund Ostseeslawen. In Helmolds Terminologie erfüllt sich der Weg vom „Dunkel des Unglaubens" zum „Licht der Wahrheit",397 dessen Gang er ja auch für die Pruci nur als Frage der Zeit ansieht. Die Bekehrung der Rani ist hier ein Beweis für die Anschauung, daß die Geschichte auf die Bekehrung der heidnischen Völker ausgerichtet ist. Die Christianisierung ist dabei eng verbunden mit der Hinführung zur .Zivilisation', durch von seiner die etwa „das rohe und in tierischer Wildheit zügellose Volk [der Rani] Mit der Glauben" bekehrt wurde.398 Wildheit neuen zum Unterwerfung ursprünglichen und Christianisierung verschwinden die negativ beurteilten Verhaltensweisen, ganz ähnlich der oben erwähnten „Zähmung" der Holzati durch Adolf II.:399 So preist Helmold den (christlichen) Slawenfürsten Heimich von (Alt-)Lübeck, er habe „das Slawenvolk [angewiesen], daß jeder Mann seinen Acker bebaute und nützliche, zweckmäßige Arbeit tat; er rottete die Straßenräuber aus und vertrieb das Gesindel".400

angibt,

...

Darstellungen von Slavi und besonders Rani finden sich die meisten Fremdzuschreibungen in der Chronik. In ihnen manifestiert sich Helmolds Vorstellung einer religiösen und ethnischen Andersartigkeit der Slavi. Gleich auf dreifache Weise grenzt er sich von ihnen ab, durch seine Zuschreibungen zur christianitas, zu den Teutonici und den Saxones, mit denen weder die religiösen noch die ethnischen Differenzen zu vereinbaren sind. Dabei zeigt sich, wie starr diese Grenzen in der Chronik verlaufen: Nur durch die Aufgabe ihres Heidentums, durch ihre Missionierung, werden die Slavi in die christianitas integriert. Sind die Slawen immerhin noch potentiell in die Gemeinschaft der christianitas und (in einem engeren regionalen Bezug) in die vom Bistum Lübeck aus missionierten Christen einbeziehbar, so wirkt der ethnische Gegensatz auch Im Kontext der

am

Ende des Werkes letztlich unvermindert fort: Hier befürwortet der Chronist vehefortschreitende Besiedlung des .slawischen' Gebiets.

ment die

83, S. 158: Illic experimento didici, quod ante fama vulgante cognovi, quia nulla gens honestior Slavis in hospitalitatis gratia. Zu der Passage vgl. oben, Kap. 3.2.1.2.2. Vgl. dazu grundsätzlich oben, Kap. 1.4. 108, S. 212. Ebd.: [Iaremarus] gentem rudern et beluina rabie sevientem ...ab innata sibi feritate ad novae conversacionis religionem convertebat. Vgl. oben, Kap. 3.2.2.1. m. Anm. 174. 34, S. 68: Precepitque Slavorum populo, ut coleret vir agrum suum et exerceret laborem utilem et commodum, exstirpavitque latrunculos et viros desertores de terra. ...

Zusammenfassung

3.4.

219

Zusammenfassung

In der sogenannten Slawenchronik manifestiert sich eine insgesamt komplexe Auffassung Helmolds von Bosau vom Eigenen und vom Fremden. Vor dem Hintergrund des Vergleichs mit der wichtigsten Quelle, der Hamburgischen Kirchengeschichte Adams,

und durch die Berücksichtigung der Interessen-, Wissens- und Wertstrukturen sowie solcher Faktoren, die auf die Darstellung Einfluß nahmen, wie die konkrete Situation zur Abfassungszeit im Bistum Lübeck und in der Wagira, die Adressierung der Chronik an das Lübecker Domkapitel und mögliche causae scribendi, ließ sich zudem die Spezifik einer für diesen konkreten Geschichtsschreiber geltenden Ausformung von Identität und Fremdheit erkennen. Helmolds Attributionen von Fremdheit an die Adresse verschiedener Gemeinschaften korrelieren mit seinen komplexen Selbstzuschreibungen, die sich in unterschiedlicher Intensität auf verschieden große Gruppen aus dem ,kirchlichen' und ,weltlichen' Bereich bezogen.401 Dabei zeigte sich, daß die Fremdzuschreibungen nach einer Vielfalt von Kriterien erfolgte: vornehmlich nach ethnischen, religiösen sowie kulturell-,zivilisatorischen', aber auch nach solchen, die sich auf das Aussehen, Verhalten und auf Eigenschaften anderer bezogen. Wie differenziert das Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu betrachten ist, wurde nicht zuletzt in den Darstellungen der Nordalbingi deutlich, die durchaus Elemente einer Attribution von Fremdheit enthalten: Sind die Nordelbier als Christen und Sachsen deutlicher als noch bei Adam in die Gemeinschaften der christianitas und der Saxonia integrierbar, so führten in Helmolds Vorstellungen doch sowohl räumliche Aspekte, wie die Nähe zu den barbarischen Slawen, und zeitliche, wie die erst kurz zuvor erfolgte Missionierung, zur Attribution fremder Sitten und Verhaltensweisen. Die Fremdartigkeit der Nordalbingia resultierte darüber hinaus auch aus ihren Verfassungsstrukturen, den ,altholsteinischen Führungsstrukturen', die sich von denen im regnum und in der Saxonia südlich der Elbe unterschieden. Gegenüber Adam von Bremen sticht die ausgeprägtere Bedeutung ethnischer Grenzen hervor. Sprach der Chronist, zum Teil in Anlehnung an Adam, den Nordalbingi und Slavi aufgrund traditioneller Kriterien wie habitus und lingua eine Identität zu, mit Hilfe derer er diese Gruppen von solchen unterschied, denen er sich selbst zuschrieb, so verstärkten sich ethnische Grenzziehungen nicht nur durch die Attributionen bestimmter Verhaltensweisen, Eigenschaften und eines fremdartigen Aussehens, wie etwa in der Darstellung der Pruci, sondern insbesondere auch durch die häufigen Gegenüberstellungen von Teutones und Saxones auf der einen und Slavi auf der anderen Seite. Diese waren grundsätzlich asymmetrisch gegenbegrifflich strukturiert: Sie brachten eine Höherbewertung der Deutschen und Sachsen sowie eine Abwertung der Slawen zum Ausdruck. Die ethnischen Grenzziehungen können keinesfalls ausschließlich auf die Übernahme älteren Wissens zurückgeführt werden, denn obgleich Helmold sich auf Schriften bezog, welche bereits zu Stereotypen gewordene Vorstellungen über die Slawen transportieren, ist doch die Schärfe, mit der er Abgrenzungen und Negativbewertungen vornahm, auf aktuelle Vorgänge zurückzuführen: die von ihm befürwortete Landnahme ehemals slawisch besiedelter Gebiete durch Sachsen bzw. Deutsche und christliche Siedler aus anderen Regionen. Zur

Komplexität der Selbstzuschreibungen vgl. a. oben, Kap. 3.2.3.

220

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

Es darf im Hinblick auf die Differenziertheit mittelalterlicher Fremdauffassungen nicht übersehen werden, daß Helmold wie Adam aus ganz spezifischen Gründen nicht alle Fremden als gleich fremd ansah und daß auch er unterschiedliche Termini für explizite Fremdbenennungen verwendete: Der Begriff advenae etwa, der zum einen das Ausgeschlossensein aus einer vornehmlich rechtlich definierten Gruppe enthält, dem aber auch ein dezidiert positiv konnotierter, biblisch-christlichen Traditionen entspringender Bedeutungsgehalt innewohnt, konnte auf Personengruppen ganz unterschiedlicher Herkunft bezogen sein, deren Ansiedlung in den nordelbischen Gebieten Helmold begrüßte. Die Vehemenz ethnischer Grenzziehungen kann damit begründet werden, daß die Konflikte zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen in der Wagira und damit genau in derjenigen Region ausgetragen wurden, die den kleinsten räumlichen Bezugspunkt einer außerordentlich stark ausgeprägten Identität des Chronisten bildete. Dieser Aspekt einer regionalen, auf Wagrien bezogenen Teilidentität wurde auch in Helmolds Veränderungen bei der Strukturierung des geographischen Raumes, hier der Slavania, gegenüber Adam deutlich: Obwohl Helmold sein geo- und ethnographisches Wissen direkt aus der Hamburgischen Kirchengeschichte bezog, änderte er doch die eben für Adams Chronik spezifische und dort sinnvolle Richtung der Beschreibung bewußt in das Gegenteil um und bezog damit zugleich den gesamten Raum der Slavania auf die durch Wir-Bezüge als eigene Region ausgewiesene Wagira. In dieser eigenständigen Konstruktion des Raumes zeigt sich eine für Helmold spezifische Ausgestaltung, das Fremde auf das Eigene zu beziehen. Nachgerade die ethnischen Grenzen zwischen den Gemeinschaften, denen sich der Chronist zuschrieb oder deren Anwesenheit er in der Wagira befürwortete und den Slawen scheinen letztlich selbst am rhetorisch überhöhten Schluß der Chronik unüberwindbar. Ethnisch galten ihm die Slavi als nicht integrierbar. Neben den ethnischen Grenzen kommt den Zuschreibungen von Fremdheit in religiöser Hinsicht ein hoher Stellenwert zu. Ethnische und religiöse Grenzziehungen konnten parallel verlaufen, sofern heidnische Dänen und besonders Slawen im Mittelpunkt der Darstellung standen. Im Hinblick auf die Adressaten von Attributionen religiöser Fremdheit sind wiederum vor allem die heidnischen Slavi zu nennen, die Helmold anders als die bereits missionierten bis in seine Gegenwart hinein eben nicht nur als ethnisch und kulturell Fremde betrachtete. Die in der Forschung häufig vertretene Ansicht von Helmold als einem Geschichtsschreiber, der sich im Vergleich zu anderen hochmittelalterlichen Autoren außerordentilch stark für Fremde interessiert habe, ist hier zu deutlich zu relativieren, denn in ihr wird ein nahezu objektives Interesse Helmolds suggeriert, von dem nach den Ergebnissen der Untersuchung jedoch keine Rede sein kann. Betrachtet man die Angaben Helmolds über die Slavi, über ihre natura, mores und ritus, im Zusammenhang, so standen die Darstellungen grundsätzlich in bestimmten Funktionen. Die Elb- und Ostseeslawen stellten vor allem Missionsobjekte des Bistums Lübeck dar. Selbst wenn Helmold einzelne christliche slawische principes positiv hervorhob, blieben die Slawen doch barbari; auch als einheitlich gedachte gens zeichnete Helmold sie durch negativ charakterisierte Eigenschaften und Verhaltensweisen aus, die er gegenüber seiner wichtigsten Vorlage, der Kirchengeschichte Adams, gar noch akzentuierte. Den seltenen Zuschreibungen von positiven Eigenschaften, etwa an die Adresse der Rani als der .hartnäckigsten' heidnischen Völkerschaft im Missionsgebiet, kam wesentlich eine Spiegelfünktion zu, indem über sie Kritik an den eigenen christlichen Gemeinschaften geübt wurde. -

-

-

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221

Zusammenfassung

Mit Blick auf die expliziten Fremdbezeichnungen, besonders hinsichtlich der Bezeichnung barbari, zeigten sich Parallelen zwischen den Dani und den Slavi. Es ist in erster Linie die religiöse Differenz, die der Chronist mit diesem Terminus hervorhebt, allerdings verbindet er, dem Kontext nach zu urteilen, wie Adam auch damit eine kulturelle und .zivilisatorische' Unterlegenheit. Die Zuschreibungen solcher, mit dem Heiden- und Barbarentum zusammenhängender Sitten und Eigenschaften, die Helmold geradezu als typisch für die Dani und Slavi ansah, verweist wiederum auf die enorme Bedeutung der religiösen Grenzen zwischen der eigenen Gemeinschaft der christianitas und den anderen. Jedoch erfolgte bereits die Benennung mit dem Terminus barbarus durchaus differenziert, denn Helmold bezog ihn in unterschiedlichem Ausmaß auf Völkerschaften, in erster Linie und im Unterschied zu Adam auf die Slawen: Diese, nicht die zahlreichen anderen Völkerschaften im Nordosten Europas, deren Behandlung in der Hamburgischen Kirchengeschichte Helmold geradezu ausblendet, standen im Mittelpunkt des Interesses, denn vor allem sie sind in dem gegenüber Adam wesentlich kleineren Berichts- und Missionsraum die Gegner der Landnahme und die Missionsobjekte. Zudem lassen sich den Darstellungen heidnischer Völkerschaften auch Differenzierungen nach einer zeitlichen Komponente entnehmen: Anders als die Slavi, und unter -

-

diesen besonders die Pruci und Rani, sind die Dani und seltener auch die Sueones in erster Linie für die Vergangenheit, die Zeit der Normanneneinfälle, durch ein Barba-

gekennzeichnet. Zeigt sich hier die Weiterwirkung einer bereits in Helmolds Quellen vorzufindenden Vorstellung vom barbarischen Norden, so ist andererseits festzuhalten, daß der Chronist den Dani auch noch für die Gegenwart Charakteristika zuschrieb, die trotz ihrer Übereinstimmung mit traditionellen Vorstellungen ihre eigentliche Brisanz wiederum erst

rentum

dem aktuellen und für Helmolds Darstellungsabsichten spezifischen Hintergrund erhielten. Durch die Fokussierung auf die Gründe, aus denen Helmold etwa den Dänen eine besondere Schwäche in auswärtigen Kämpfen zuschrieb sowie ihren Königen nahezu eine Ohnmacht in Auseinandersetzungen mit den Slawen nachsagte, die wiederum eine Idealisierung Heinrichs des Löwen im Kontext der Unterwerfung und Christianisierung Rügens unterstützte, manifestiert sich die Abhängigkeit der Darstellung von situations- und, damit verbunden, identitätsgebundenen Faktoren: von aktuellen Interessen, Helmolds Zuschreibungen zur Saxonia und zum Bistum Lübeck. Die Akzentuierung Herzog Heinrichs als Slawenbekämpfer, Wegbereiter der Mission, als Herrscher über Nordelbien mit der Macht und später auch dem Recht zur Bischofsinvestitur in Lübeck und als Förderer des Bistums könnte, wie angesichts der letztlich unklar bleibenden exakten Abfassungszeit des Werkes nur vorsichtig zu konstatieren ist, mit der aktuellen Situation im Bistum Lübeck korrelieren. So kann es, Helmolds Identifikationsstrukturen nach zu urteilen, zumindest als wahrscheinlich gelten, daß sich das Bistum seiner Meinung nach in einer Krisensituation befand, die durch den Wechsel Bischof Konrads zur antiherzoglichen Opposition ausgelöst worden war. Konrad schied infolge seiner Gegnerschaft gegen den übermächtig dargestellten Herzog als Garant einer zukünftigen positiven Entwicklung des Bistums aus denn gegen den machtvollen sächsischen Herzog war diese Helmolds Ansicht nach nicht zu erreichen. Dieser Aspekt, dessen immense Bedeutung sich auf der Ebene des Textes nicht zuletzt in den ausführlichen Konstruktionen der Investituren Vizelins und Gerolds fassen läßt, könnte schließlich den Chronisten überhaupt dazu bewogen haben, sein Werk zu verfassen und es dem Domkapitel, dem gewissermaßen verbleibenden Adressaten auf insti-

vor

-

222

Helmold von Bosau und die Chronica Slavorum

tutioneller Ebene, zu widmen, und es erscheint, soweit es das zweite Buch betrifft, immerhin möglich, daß Helmold dem in seiner Haltung gegenüber Heinrich dem Löwen höchstwahrscheinlich gespaltenen Kapitel bei der bevorstehenden Wahl Bischof Konrads Nachfolgers eine proherzogliche Parteinahme nahelegen wollte.

4. Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum 4.1.

Zu Autor und Werk

Noch heute beruhen die wenigen Aussagen, welche über die Identität Arnolds von Lübeck und seine Lebensstationen als gesichert gelten können, auf den quellenkritischen Untersuchungen von Johann Martin Lappenbergs und Rudolf Damus aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, in denen sowohl Arnolds eigene Angaben' als auch die überlieferten Urkunden berücksichtigt wurden.2 Nach der Studie von Damus kann es als unumstritten angesehen werden, daß der spätere Chronist dem Braunschweiger Benediktinerkloster St. Aegidien als Mönch angehörte, bevor er 1177 der erste Abt des Lübecker Johannisklosters wurde. Zudem steht fest, daß er nach der Abfassung seiner Chronik die mittelhochdeutsche Gregorius-Legende Hartmanns von Aue für Wilhelm von Lüneburg, den jüngsten Sohn Heinrichs des Löwen, ins Lateinische übersetzte.3 In neueren Forschungsarbeiten sind wiederum die Themenkreise Herkunft und Schriften in den Blick gerückt worden: So hat Bernd Ulrich Hucker angenommen, daß Arnold als Sohn des gleichnamigen Edelherrn von Dorstadt geboren wurde und seine Ausbildung am Hof Heinrichs des Löwen erhielt,4

folgenden wird zit. nach der Ausgabe Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SSrG 14, Hannover 1868 (ND 1995). Für die unterschiedl. Lesarten in den Hss. u. den Anmerkungsapparat wurde die Ed. Johann Martin Lappenbergs (MGH SS 21, Hannover 1869 [ND Leipzig 1925], S. 100-250) herangezogen. Vgl. Johann Martin Lappenberg, Zur bevorstehenden Ausgabe des Arnold von Lübeck, in: Archiv d. Ges. f. ältere dt. Geschichtskunde 6 (1838), S. 566-584; Ders., Vorrede zu seiner Ed. der Chronica Slavorum, S. 101-115. Rudolf Damus, Die Slavenchronik Arnolds von Lübeck, Diss. Göttingen-Lübeck 1872 (= ZVLG 3 [1876], S. 195-253); vgl. für die ältere Forschung auch Johannes Mey, Zur Kritik Arnolds von Lübeck, Diss. Leipzig 1912 u. Wilhelm Ohtnesorge, Zur neuesten Forschung über Arnold von Lübeck. Ein Beitrag zur historischen Geographie Nordalbingiens, in: Zs. d. hist. Ver. f. Niedersachsen 77 (1912), S. 427-450. Vgl. hierzu und zum Folgenden die neuere Forschung: Dieter Berg u. Franz-Josef Worstbrock, Art. Arnold v. Lübeck, in: Verfasserlexikon 1, Spp. 472-476; M. Wesche, Art. Arnold v. Lübeck, in: LMA 1, München-Zürich 1979, Spp. 1007f; Dieter Berg, Helmold und Arnold, in: Wattenbach/ Schmale, Bd. 1, S. 437-441; Johannes Schilling in seiner Ed. von Arnold von Im

3

Lübeck, Gesta Gregorii peccatoris. Untersuchungen und Edition (Palaestra 280 [1968]), Göttingen 1986, bes. S. 12-15; Anna-Therese Grabkowsky, Abt Arnold von Lübeck, in: Recht und Alltag im Hanseraum, FS f. Gerhard Theuerkauf z. 60. Geb., hg. v. Silke Urbanski, Christian Lamschus u. Jürgen Ellermeyer, Lüneburg 1993, S. 207-231. Zur Übersetzung Hartmanns v. Aue durch Arnold vgl. neben Schillings Ed. u. Untersuchung auch Peter F. Ganz, Dienstmann und Abt. ,Gregorius Peccator' bei Hartmann von Aue und Arnold von Lübeck, in: Kritische Bewahrung. Beiträge zur deutschen Philologie, FS f. Werner Schröder z. 60. Geb., hg. v. Ernst-Joachim Schmidt, Berlin 1974, S. 250-275 u. Jens-Peter Schröder, Arnolds von Lübeck Gesta Gregorii Peccatoris. Eine 4

Interpretation, ausgehend von einem Vergleich mit Hartmanns von Aue Gregorius (Hamburger Beitrr. z. Germanistik 23), Frankfurt a.M. 1997. Vgl. Bernd Ulrich Hucker, Kaiser Otto IV. (MGH Schrr. 34), Hannover 1990, S. 405, 432f, 477 u. 586; Ulrich VICTOR, Das Widmungsgedicht im Evangeliar Heinrichs des Löwen und sein Verfasser, in: ZdtAltdtLit

114

(1985), S. 302-329, hier S. 321f. hält es für wahrscheinlich, daß Ar-

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

224

sind diese Vermutungen von Anna-Therese Grabkowsky mit nachvollziehbaren Gründen zurückgewiesen worden.5 Arnolds Geburts- und Todesjahr lassen sich nur vermuten: Er dürfte wohl um 1150 geboren und an einem 27. Juni, wahrscheinlich 1212 oder 1213 gestorben sein.6 Dagegen gilt es als gesichert, daß er 1177 von Bischof Heinrich von Lübeck, dem ehemaligen Abt des Braunschweiger St. Aegidienklosters und engen Vertrauten Herzog Heinrichs des Löwen, zum ersten Abt des neu gegründeten Lübecker Johannisklosters berufen wurde.7 Arnold und seine Braunschweiger Mitbrüder kamen als erste Benediktiner nach Holstein.8 Während seines mehr als dreißig Jahre währenden Abbatiats erlebte Arnold am Ort der Abfassung seiner Chronik die Belagerung und Einnahme Lübecks durch Kaiser Friedrich I. 1181 ebenso mit wie die Versuche Heimichs des Löwen seit 1189, seine Machtbasis in ,Norddeutschland' wiederzuerlangen, und der Benediktinerabt war zudem Zeitzeuge der dänischen Expansion, infolge derer die dänischen Könige ab 1201 ihren Herrschaftsbereich auf Nordelbien und Lübeck ausweiteten. Arnold verfaßte damit seine Chronik nicht nur in derselben geographischen Region und in derselben Diözese wie Helmold von Bosau, er hat sein Werk auch ganz explizit als Fortsetzung von dessen Chronica Slavorum betrachtet, die er als unvollendet bezeichnete.9 In sieben Büchern behandelt Arnold den Zeitraum von (1167) 1172/73, also etwa dem Jahr, mit dem Helmolds Bericht aussetzt, bis 1210. Zwischen März und August dieses Jahres ist auch, wie HUCKER nahegelegt hat, das Ende der Abfassungszeit anzusetzen.10 Arnold widmete die Chronik dem Prämonstratenser und Bischof von

jedoch

nold das Widmungsgedicht verfaßt hat (vgl. dazu auch unten, Anm. 27). Zur neueren Forschung den Gesta vgl. die vorige Anm. Vgl. Grabkowsky, Abt, S. 209-211: Weder hat sich eine Verwandtschaftsbeziehung des Chronisten zu Arnold v. Dorstadt nachweisen lassen noch finden sich in den Schriften Arnolds v. Lübeck Hinweise auf die Familie v. Dorstadt oder das von ihr gegründete Kloster. Wenn der 1175 in einer Urkunde (vgl. Die Urkunden Heinrichs des Löwen, Nr. 105, S. 160) unter vier Braunschweiger Diakonen aufgelistete Arnold identisch mit dem späteren Lübecker Abt ist, kann wohl bei Annahme der ungefähren Einhaltung des kanonischen Mindestalters für den Antritt eines Abbatiats etwa 1150 als Geburtsjahr angenommen werden; vgl. Klaus NAß, Der Auctorkult in Braunschweig und seine Vorläufer im früheren Mittelalter, in: NdsJbLG 62 (1990), S. 153-207, hier S. 177 Anm. 125. Zum Todesdatum 27. Juni 1212/13 vgl. mit nachvollziehbarer Begründung u. weiteren Nachweisen Grabkowsky, Abt, S. 209 Anm. 15. Mit Bf. Heinrich verband Arnold ein enges Verhältnis; vgl. etwa Arnold III, 3, S. 71-75; zur Darstellung Heinrichs in der Chronik vgl. unten, bes. Kap. 4.2.1.1., 4.2.1.4. u. 4.3.4. In Holstein existierten zum Zeitpunkt der Gründung des Lübecker Johannisklosters neben dem Hamburger u. Lübecker Domkapitel lediglich die beiden Augustinerchorherrenstifte in Neumünster (gegründet 1127) u. Segeberg (1134). Prol., S. 9: Helmoldus historias de subactione seu vocatione Sclavorum et gesta pontificum, quorum instantia ecclesie harum regionum invaluerunt, debito fine, ut volutt, non consummavit. Zur Selbstauffassung als Fortsetzer vgl. VII, 20, S. 295: volens continuare hoc dictamen operi Helmoldi sacerdotis. Vgl. a. unten, Anm. 15. Bernd Ulrich Hucker, Die Chronik Arnolds von Lübeck als „Historia Regum", in: DA 44 (1988), S. 98-119, hier S. 111-115. Dagegen ist die Frage des gesamten Abfassungszeitraumes letztlich nicht einwandfrei zu klären; vgl. Grabkowsky, Abt, S. 225. Die Ansicht Ute Römer-Johansens, Das Benediktinerkloster St. Aegidien zu Braunschweig, in: St. Aegidien zu Braunschweig 11151979. Liebfrauenmünster der katholischen Propsteigemeinde St. Nicolai, hg. v. Ders., Hildesheim 1979, S. 9-14, hier S. 10, Arnold habe seine Chronik teilweise bereits vor 1177 in St. Aegidien zu

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6

-

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...

10

Zu Autor und Werk

225

Ratzeburg Philipp sowie dem dortigen Domkapitel, und es

ist mit guten Gründen verworden, daß die Wahl dieses Adressaten stark mit dessen führender Rolle in den Livlandkreuzzügen und seiner Position als enger Vertrauter Ottos IV., der kurz vor

mutet

Ende der Abfassungszeit zum Kaiser gekrönt worden war, zusammenhängt." Im ersten Buch12 berichtet der Chronist über die Pilgerfahrt Heimichs des Löwen, die Wahl des Lübecker Bischofs Heimich und das Martyrium des Thomas von Canterbury. Im zweiten Buch (1174-1181) beschreibt er die Auseinandersetzungen zwischen Heinrich dem Löwen und Kaiser Friedrich I. sowie die Verbannung des sächsischen Herzogs und seine Aufnahme am englischen Königshof. Den Hauptgegenstand des dritten Buches (1182-1188) bilden nach einem Lob der Regierungszeit Heimichs des Löwen die Geschichte ,Norddeutschlands' und des Reiches sowie Ereignisse in den angrenzenden dänischen und slawischen Gebieten, während der Chronist im vierten Buch (1185/8692) auf den Kreuzzug Friedrichs I. ins Heilige Land eingeht und über den Fall Jerusalems berichtet. Der Versuch Heinrichs des Löwen, nach der Rückkehr aus seiner zweiten Verbannung in Norddeutschland Fuß zu fassen, die letzten Jahre des Herzogs und schließlich dessen Tod bilden den Gegenstand des fünften Buches. Mit einem umfangreichen Panegyricus auf Heimich den Löwen beschließt Arnold den Abschnitt über den Herzog, bevor er den Kreuzzug Kaiser Heinrichs VI. ins Heilige Land und die Livlandkreuzzüge behandelt. In den letzten beiden Büchern seiner Chronik (1198-1204; 12041210) widmet sich der Geschichtsschreiber wieder der Reichsgeschichte, in deren Vordergrund die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Königen, dem Weifen Otto und dem Staufer Philipp nach der Doppelwahl, aber auch der Tod Philipps sowie schließlich die Wahl und Kaiserkrönung Ottos IV. in Rom stehen. Neben der Reichsgeschichte rückt Arnold jedoch erneut Ereignisse in Nordelbien und zudem die dänischen Eroberungen in dieser Region in den Blickpunkt. Bereits dieser kurze Überblick läßt unschwer erkennen, daß der Titel „Slawenchronik" den Inhalt des Werkes kaum wiedergibt, und diese Tatsache ist in der Forschung schon häufiger bemerkt worden. Der Titel ist denn auch erst durch die mit den Chronica Slavorum Helmolds gemeinsame mittelalterliche Überlieferung entstanden,13 später Arnolds Werk von Editoren auch unabhängig von Helmolds Chronik erteilt worden und hat sich schließlich nach der Edition von Georg Heinrich Pertz insgesamt durchgesetzt.14 Unabhängig von der Frage nach dem Titel spricht die Tatsache der

"

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konzipiert, ist unwahrscheinlich, jedoch hat der Chronist in dem Braunschweiger Kloster möglicherweise Anregungen für sein Werk erhalten (vgl. Grabkowsky, Abt, ebd.). Vgl. neben Hucker, Chronik, S. 116 z.B. a. Helmut G. Walther, Zur Verschriftlichung

nordelbischen Selbstbewußtseins um 1200 in der Chronik Abt Arnolds von Lübeck, in: Schriftkultur und Landesgeschichte. Studien zum südlichen Ostseeraum vom 12. bis zum 16. Jahrhundert, hg. v. Matthias Thumser (MF 115), Köln-Weimar-Wien 1997, S. 1-21, hier S. 20f. sowie unten, Kap. 4.2.1.6. Da bereits Damus und zuletzt Hucker, Chronik sowie im Anschluß an diese beiden Grabkowsky, Abt, S. 221 f. ausführlich auf den Berichtsgegenstand der einzelnen Bücher eingegangen sind, erfolgt an dieser Stelle nur ein kurzer Überblick. Ein Neuredaktor stellte dem Werk Arnolds wahrscheinlich noch im 13. Jh. die Chronik Helmolds voran. Acht der elf erhaltenen Hss. aus dem 13.-17. Jh. gehören dieser Neuredaktionsstufe an; vgl. Walther, Verschriftlichung, S. 8. Vgl. Hucker, Chronik, S. 98-100. Dessen Ausgangsfrage (S. 100) „Wenn Arnolds Historia aber

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Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

gemeinsamen Überlieferung der Werke Helmolds und Arnolds dafür, daß letzterer auch im Mittelalter als Fortsetzer Helmolds angesehen wurde. Die in der Forschung wiederholt und zuletzt von Bernd Ulrich HUCKER geäußerten Zweifel an dieser Fortsetzertätigkeit müssen sich daher sowohl an Arnolds Selbstaussage als auch an der (insgesamt allerdings komplizierten) Überlieferungssituation der Chronik messen lassen.15 Arnolds Quellen sind zum größten Teil unbekannt, und es ist vermutet worden, daß er für seine Chronik überhaupt keine historiographischen Quellen verwendete. Ohnehin

hätten wohl weder das Lübecker Bistum noch das Johanniskloster so bald nach ihrer Gründung eine große Bibliothek bieten können. Daher wird angenommen, daß Arnold neben den wenigen inserierten Briefen16 und Urkunden, die er nur zum Teil selbst kenntlich macht, mündliche Informationen erhielt.17 Können in bezug auf diese Quellengattungen letztlich nur Aussagen getroffen werden, die keineswegs gesichert scheinen, so sind andererseits die zahlreichen Zitate aus der Bibel und aus Texten klassischer Autoren, etwa Vergils, Horaz und Ovids als Beleg für Arnolds hohe Schulkenntnisse

gewertet worden.18

Zwar ist die Urschrift der Chronik nicht mehr erhalten, jedoch existiert mit der älteFassung, die auf Mitte des 13. Jahrhunderts datiert wird, eine recht zeitnahe Version.'9 Dennoch wirft die von Johann Martin LAPPENBERG 1869 fertiggestellte Edition, die in der vorliegenden Arbeit zusammen mit der Edition von PERTZ verwendet wird, einige Fragen auf, die wohl erst durch eine dringend notwendige Neuausgabe der Chronik geklärt werden können.20 Immerhin läßt sich einigermaßen sicher konstatieren, daß Arnold selbst sein Werk in Kapitel eingeteilt hat, dagegen wurde in der Forschung kontrovers diskutiert, ob die in der LAPPENBERGschen Edition vorgenommene Kapiteleinteilung derjenigen Arnolds entspricht.21 sten erhaltenen

15

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21

keine Slawenchronik war und wohl auch von ihm nicht so genannt wurde, wie hieß sie dann wirklich?", ist in dieser Form nicht zu beantworten; vgl. hierzu a. unten, Kap. 4.3.3. Arnold bezeichnet sein Werk als historia regum (VII, 8, S. 264 [dazu schon Damus, S. 15]); regum narrado (VII, 1, S. 254); gesta regum vel pontificum (VII, 20, S. 294; pontífices hier i.S.v. Bischöfe). In den Gesta Gregorii peccatoris, Prosaepilog, S. 177 nennt er die Chronik opusculum. Zu den Zweifeln an der Fortsetzertätigkeit Arnolds vgl. Hucker, Chronik, S. 103f. u. ausführl. unten, Kap. 4.2.2. Zur Argumentation gegen Hucker vgl. m.E. überzeugend Walther, Verschriftlichung, S. 15-18. Daß Arnold in einigen Aspekten jedoch die Chronik Helmolds tatsächlich fortsetzt, wird in der folgenden Untersuchung seiner Zuschreibungen durch punktuelle Vergleiche mit Helmold deutlich. Auf die inserierten Briefe Konrads v. Querfurt u. Burchards v. Straßburg wird in dieser Arbeit ausführlich eingegangen. Vgl. unten, Kap. 4.3.6. u. 4.3.7. Berg/ Worstbrock, Sp. 474 u. Damus, S. 236f. Vgl. etwa Schilling in seiner Ed. von Arnolds Gesta (hier über die Chronik), S. 15. Diese Fassung stellt nach Meinung Hans-Joachim Freytags, Der Nordosten des Reiches nach dem Sturz Heinrichs des Löwen. Bischof Waldemar von Schleswig und das Erzbistum Bremen (1192/93), in: DA 25 (1969), S. 471-530, hier S. 472 Anm. 2 die beste überlieferte Version dar. Zu den Nachweisen der einzelnen Hss. vgl. Lappenberg in seiner Ed. der Chronik, S. 106-112. Hans-Joachim Freytag hat die für die MGH geplante und in der Forschung häufig, z. B. von Grabkowsky, Abt, S. 221, nahegelegte Neuedition der Chronik nicht zu Ende geführt. Vgl. Horst Fuhrmann, MGH. Bericht für das Jahr 1986/87, in: DA 43 (1987), S. V. Wilhelm Wattenbach weist in seinem Vorwort zu Arnold von Lübeck, Chronik, übers, v. J.C.M. Laurent, GdV 71, Berlin 1853, S. XI daraufhin, daß Lappenberg während der Arbeit an

Zu Autor und Werk

227

Aus dem oben skizzierten Inhalt der Chronik und aus weiteren bereits angesprocheGegebenheiten wie etwa Arnolds Übersetzertätigkeit für Wilhelm von Lüneburg und der biographischen Verbindungen zu Braunschweig ist häufig auf eine besonders ausgeprägte „Weifennähe" des Chronisten geschlossen worden, welche in Teilen der Forschung geradezu als ein Charakteristikum Arnolds angesehen wird. Jedoch muß auch in diesem Punkt deutlich zwischen Gewißheiten und Vermutungen unterschieden werden: So wird davon ausgegangen, wenngleich nur aufgrund Arnolds eigener Angaben in den Gesta, daß er im Umkreis Heimichs des Löwen in Braunschweig aufgewachsen sei und den Auftrag zu diesem Werk von Wilhelm von Lüneburg erhalten habe.22 Schon die Wertung der Gesta als „Indiz eines politisch-genealogischen Selbstverständnisses" der Weifen ist jedoch nicht unbestritten geblieben,23 so daß sich auch insgesamt die Frage stellt, ob dieses Werk überhaupt als ein eindeutiger Beleg für die „Weifennähe" Arnolds gelten kann.24 Ebensowenig gesichert ist die von HUCKER angenommene Auftraggeberschaft Kaiser Ottos IV. für die Chronik, denn weder ist die Existenz eines Widmungsexemplars an Otto belegt noch sind überhaupt Handschriften aus ehemals weifischem Besitzzusammenhang bekannt.25 Diesen Mutmaßungen, auf die in der Untersuchung noch genauer einzugehen ist, muß entgegen gehalten werden, daß nur das Widmungsexemplar an Bischof und Domkapitel von Ratzeburg als bezeugt gilt.26 Auch die in der Forschung aufgeworfene Frage, ob der Verfasser des Widmungsgedichts im Evangeliar Heinrichs des Löwen mit dem Lübecker Chronisten identisch ist, wird durchaus kontrovers diskutiert.27 nen

seiner Ed. einige Veränderungen in der Kapiteleinteilung vorgenommen hat. Mey, S. 40 u. 79 listet Umstellungen einzelner Kapitel in den überlieferten Hss. auf und nimmt an, daß Arnold in einer Abschrift seiner Chronik selbst Veränderungen vorgenommen habe. Dagegen schreibt Wilhelm Biereye in seiner Rezension der Arbeit von Mey, in: ZVHG 18 (1914), S. 203-211, hier S. 210 die Änderungen einem „dänisch gesinnte(n) Lübecker" Geistlichen zu. Auch diese Fragen können letztlich nur im Rahmen einer Neuedition geklärt werden. Die schwierigen Überlieferungs- und Editionsverhältnisse machen wie schon bei den beiden anderen behandelten Chronisten deutlich, wie vorsichtig mit dem Identitätsbegriffs in bezug auf einen mittelalterl. Autor umgegangen werden muß. Zum Problem der Übertragbarkeit des Identitätsbegriffs vgl. die Einleitung dieser Arbeit, Kap. 1.4 m. Anm. 68. Gesta Gregorii peccatoris, praef, S. 67 u. Prosaepil., S. 177. Hier berichtet Arnold auch, er sei Zeuge des ruhmreichen Wirkens Heinrichs d. Löwen geworden und habe dessen Bemühen um die Kirche und sein glückseliges Ende in seinem opusculum, der Chronik, beschrieben. Das Zit. bei Volker Mertens, Gregorius Eremita. Eine Lebensform des Adels bei Hartmann von Aue in ihrer Problematik und ihrer Wandlung in der Rezeption (Münchener Texte u. Untersuchungen z. dt. Lit. d. Mittelalters 67), Zürich-München 1978, S. 106. Dagegen sieht Ganz, bes. S. 253, die Gesta als „Repräsentationskunst-Auftrag" Wilhelms an. Vgl. Walther, Verschriftlichung, S. 19f. Zur Diskussion, die sich v.a. an der Frage nach den Gründen für die Beauftragung Arnolds durch Wilhelm v. Lüneburg entzündete, vgl. a. Schröder, S. 40-52. Vgl. bes. Hucker, Chronik, S. 117; dagegen Walther, Verschriftlichung, S. 6. Zur Überlieferung der Gesta vgl. Schilling in seiner Ed., S. 18-27. Vgl. dazu Mey, S. 37f; Walther, Verschriftlichung, S. 6 sowie ausführlich unten, Kap. 4.2.2. Vgl. bes. Victor, S. 321 f., der das Gedicht Arnold zuschreibt. Zustimmend Schilling in seiner Ed. der Gesta, S. 15 Anm. 22; dagegen Paul Gerhard Schmidt, Das Widmungsgedicht, in: Das Evangeliar Heinrichs des Löwen. Kommentar zum Faksimile, hg. v. Dietrich Kötzsche, Frankfurt a.M. 1989, S. 155-160; stichhaltige Einwände auch bei Walther, Verschriftlichung, S. 5f. u. 19f.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

228

Belege ungesichert sind, erscheint auch das Diktum einer ausgeprägten „Weifennähe" Arnolds letztlich überpointiert, jedoch läßt sich mit Blick auf den Inhalt der Chronik durchaus konstatieren, daß die Versuche, eine enge Beziehung des Geschichtsschreibers zu den Weifen, besonders zu Heimich dem Löwen und Otto IV. nachzuweisen, nicht völlig haltlos sind. Denn in zahlreichen Abschnitten läßt sich eine proheinrizianische Parteinahme des Autors sowie, am Ende des Werkes, eine positive Bewertung der Kaiserkrönung Ottos IV. nachweisen. So scheint es denn auch nicht verwunderlich, daß das Interesse der Forschung an Arnolds Chronik, die von den drei in dieser Arbeit behandelten Texten bislang am wenigsten beachtet worden ist, vor allem in solchen Untersuchungen zum Ausdruck kam, in welchen auf Heinrich den Löwen fokussiert wurde: Denn das Werk gilt nicht nur insgesamt als bedeutende Quelle für die Geschichte Nordelbiens während der dänischen Expansionszeit um 1200 sowie Lübecks und der nordelbischen Bistümer,28 sondern auch für die Geschichte des sächsischen Herzogs, insbesondere dessen Auseinandersetzungen mit Kaiser Friedrich I. und der Fürstenopposition, die Arnold aus seiner (eben ,prowelfischen') Sichtweise darstellt.29 Innerhalb derjenigen Forschungsarbeiten, welche Themenkreise um Heinrich den Löwen berühren, ist schon insofern die Untersuchung Gerd ALTHOFFs hervorzuheben, als hier im Gegensatz zu den meisten anderen Arnolds Schilderung selbst in den Mittelpunkt gestellt und aufgezeigt wurde, wie deutlich interessengeleitet und proherzoglich die in der Chronik gegebene Version vom Sturz Heinrichs des Löwen 1180 gestaltet ist.30

Da diese vermeintlichen

etwa Berg, S. 437-441; Ehlers, Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat; Petersohn, Ostseeraum; Hans-Otto Gaethke, Knud VI. und Waldemar II. von Dänemark und Nordalbingien 1182-1227, in: ZGSHG 119 (1994), S. 21-99 (Teil 1); 120 (1995), S. 7-76 (Teil 2); 121 (1996), S. 7-44 (Teil 3); Erich Hoffmann, Lübeck im Hoch- und Spätmittelalter: Die große

Vgl.

Zeit Lübecks, in: Lübeckische Geschichte, hg. v. Antjekathrin Graßmann, Lübeck 1988, S. 79340; Ders., Der Aufstieg Lübecks zum bedeutendsten Handelszentrum an der Ostsee in der Zeit von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, in: ZVLG 66 (1986), S. 9-44; AnnaTherese Grabkowsky, Das Kloster Cismar (QForschGSchlHolst 80), Neumünster 1982; HansJoachim Freytag, Die Eroberung Nordelbingens durch den dänischen König im Jahre 1201, in: Aus Reichsgeschichte und Nordischer Geschichte, S. 222-243; Ders., Nordosten; Amandus Eilermann, Lübeck, St. Johannis, in: Germania Benedictina, Bd. 6: Norddeutschland. Die Benediktinerklöster in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen, bearb. v. Ulrich Faust, St. Ottilien 1979, S. 321-324; Wilhelm Biereye, Das Bistum Lübeck bis zum Jahre 1254 (Teil 1), in: ZVLG 25 (1929), S. 261-364 sowie die Arbeiten von Hauschild, Glaeske u. Dehio. Vgl. etwa Schneidmüller, Weifen; Ders., Landesherrschaft; Ders., Die Weifen und ihr Braunschweiger Hof im hohen Mittelalter. Zur Einführung, in: Die Welfen und ihr Braunschweiger Hof, S. 1-15; Egon Boshof, Weifische Herrschaft und staufisches Reich, in: Ebd., S. 17-42; Stuart Jenks, Die Weifen, Lübeck und die werdende Hanse, in: Ebd., S. 483-522; Ehlers, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum; DERS., Literatur; Matthias Puhle, Die politischen Beziehungen zwischen dem Braunschweiger Hof und dem Erzbistum Magdeburg zur Zeit Heinrichs des Löwen und Ottos IV., in: Heinrich der Löwe und seine Zeit, Bd. 2, S. 149-158; Hansjürgen Brachmann, Die Reise Heinrichs des Löwen nach Tilleda 1194, in: Ebd., S. 343-352; IngeMaren Peters, Heinrich der Löwe als Landesherr, in: Heinrich der Löwe, S. 85-126; Berent Schwinekörper, Heinrich der Löwe und das östliche Herzogtum Sachsen, in: Ebd., S. 127-150; Peter Seiler, Weifischer oder königlicher Furor? Zur Interpretation des Braunschweiger Burglöwens, in: Die Romane von dem Ritter mit dem Löwen, hg. v. Xenja von Ertzdorff (Chloe 20), Amsterdam-Atlanta, GA 1994, S. 135-183 sowie Gaethke, Herzog; Becher, Formen, u. Wurster. Vgl. Gerd Althoff, Die Historiographie bewältigt. Der Sturz Heinrichs des Löwen in der

229

Zu Autor und Werk

mit der angesprochenen „Weifennähe" ist ein weiterer Aspekt zu nennen, welcher wohl mehr als alle anderen in der Forschung zu Arnolds Chronik diskutiert worden ist: die Frage nämlich, ob der spätere Lübecker Abt 1172 Heinrich den Löwen auf seiner Reise ins Heilige Land begleitet habe. Insbesondere die Ausführlichkeit und .Lebendigkeit' der Schilderungen Arnolds über die peregrinatio des Herzogs sowie das gleichzeitige Fehlen von Nachrichten über ,Norddeutschland' für den Zeitraum dieser Reise haben dazu geführt, in Arnolds Version einen Augenzeugenbericht zu sehen und seine Teilnahme an der Fahrt für sicher oder doch zumindest für wahrscheinlich zu halten.31 Dagegen ist in anderen Arbeiten auf die Möglichkeit hingewiesen worden, daß der Chronist die Erzählungen Bischof Heinrichs von Lübeck ausgeschrieben habe, der (im Gegensatz zu Arnold) nachweislich, noch als Abt von St. Aegidien, an der peregrinatio teilnahm.32 In Kontrast zu der Ansicht, daß hier ein Augenzeugenbericht vorliege, fällt die Meinung der Forschung über die zahlreichen weiteren Passagen, in denen Arnold entfernt liegende Regionen und Völkerschaften, meist im Zusammenhang mit den Kreuzzügen Friedrichs I. und Heinrichs VI., darstellt, negativ aus: So ist mit Blick auf das Werk insgesamt konstatiert worden, daß die Glaubwürdigkeit des Chronisten mit zunehmender räumlicher Entfernung des Berichtsgegenstandes abnehme.33 Gerade die Tatsache, daß der Berichtsgegenstand Arnolds sowohl Ereignisse in einer recht kleinen Region umfaßt in Lübeck, Nordelbien, dem Grenzgebiet zwischen Dänen, Slawen und Deutschen sowie in Livland als auch solche in weiter entfernten Gebieten im Heiligen Land, in Italien, Griechenland, Ägypten und Syrien -, läßt eine Einordnung des Werkes schwierig erscheinen. Und so ist denn auch in jüngeren Forschungsarbeiten nicht zuletzt aufgrund einer unterschiedlichen Einschätzung der Bedeutung von AngaIm

Zusammenhang

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Darstellung Arnolds von Lübeck, in: Die Welfen und ihr Braunschweiger Hof, S. 163-182. Zum Sturz Heinrichs bei Arnold vgl. a. unten, Kap. 4.2.2.2. mit der weiteren Lit. in Anm. 213f Vgl. den Bericht bei Arnold, Chronica I, 1-12. Daß Arnold an der Reise teilgenommen habe, wird z. B. vertreten von Einar Joranson, The Palestine Pilgrimage of Henry the Lion, in: Medieval and Historiographical Essays in Honor of James Westfall Thompson, hg. v. James Lea Cate u. Eugene N. Anderson, Chicago 1938 (ND Port Washington, N.Y. 1966), S. 146-225, bes. S. 150-155 u. von Jordan, Heinrich der Löwe, S. 176. Vgl. zur Fahrt Heinrichs d. Löwen in Arnolds Darstellung u. am Rande auch zur Frage nach der Augenzeugenschaft ausführlich unten, Kap. 4.3.4. mit der weiteren Forschungslit. in Anm. 320. Lappenberg, Einleitung zu Ed., S. 5; Wilhelm Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, Bd. 2, 5., umgearb. Aufl., Berlin 1886, S. 344; Hermann Herbst, Literarisches Leben im Benediktinerkloster St. Ägidien zu Braunschweig. Nebst einem Versuch der Rekonstruktion der Bibliothek dieses Klosters, in: NdsJbLG 13 (1936), S. 131-189, hier S. 139f; Petersohn, Ostseeraum, S. 112 Anm. 64. Es gibt weder urkundl. noch andere Belege für Arnolds Teilnahme, so daß sich die Meinungen letztl. auf eine Interpretation der Chronik stützen. Vgl. zu diesem Aspekt unten, Kap. 4.3.4. Wird den Chronica Slavorum gemeinhin ein hoher „Quellenwert" in bezug auf die Angaben über Norddeutschland attestiert, kann man nach ebenso übereinstimmender Meinung (außer dem vermeintlichen Augenzeugenbericht über die herzogl. Pilgerfahrt) den Passagen über weiter entfernt liegende Gebiete „nur mit großen Vorbehalten folgen"; vgl. z. B. Wattenbach/ Schmale, Bd. 1, S. 102 u. 439f. Arnolds konkrete Quellen für die Kreuzzugsdarstellungen sind unbekannt, sein Bericht weist jedoch Übereinstimmungen mit anderen auf. Vgl. dazu unten, Kap. 4.2.1.5. u. 4.3.5. Dort auch die Lit. ...

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

230

Reichs- und Regionalgeschichte die Gesamtbeurteilung der Chronik kontrovers ausgefallen: Während Bernd Ulrich HUCKER den Text als Historia Regum bezeichnete und Arnolds Intentionen daraufgerichtet sah, die ,,imperiale[...] Aufgabenstellung" des deutschen Königtums zu betonen, welches kurz vor Ende der Abfassungszeit unter Otto „neu erstarkt" sei,34 betonte Helmut G. WALTHER dagegen vor allem den Niederschlag eines „nordelbischen Selbstbewußtseins" Arnolds im Werk, da sich die Leitvorstellungen des Chronisten vor allem auf die Nordalbingia gerichtet hätten.35 Es liegt nahe, daß die Beantwortung der Frage nach den Gewichtungen der Zuschreibungen Arnolds von Lübeck in der folgenden Untersuchung auch Rückschlüsse auf die hier skizzierten unterschiedlichen Einschätzungen der Chronik zuläßt. Daher ist auf diese Debatte an anderer Stelle ausführlich Bezug zu nehmen.36

ben

zur

Hucker, Chronik, S. 109. Walther, Verschriftlichung. Das Zit. schon im Titel des Aufsatzes.

Vgl. ausführlich unten, Kap. 4.2.2.

Die Selbstzuschreibungen

4.2.

231

Selbstzuschreibungen Arnolds von Lübeck

Die

Selbstzuschreibungen Arnolds von Lübeck sind bislang noch überhaupt nicht zum Gegenstand der Forschung gemacht worden,37 jedoch kann sich die folgende Untersuchung in methodischer Hinsicht an das Vorgehen in den vorangegangenen Kapiteln anlehnen. Auch Arnolds Zuschreibungen zu Gemeinschaften aus dem ,kirchlichen' und ,weltlichen' Bereich werden getrennt voneinander behandelt, wobei wiederum zunächst der .kirchliche' Bereich im Mittelpunkt der Betrachtung steht und auf eine potentielle Positionierung des Chronisten gegenüber einer Institution, hier des Bistums Lübeck, und der christianitas fokussiert wird. Die bereits eingangs erwähnte Tatsache, daß Arnold sein Werk als Abt des Johannisklosters in der Bischofsstadt Lübeck verfaßte, es jedoch an den Ratzeburger Bischof Philipp und das dortige Domkapitel adressierte,38 hat zur Folge, daß die Analyse der Zuschreibungen Arnolds zu Gemeinschaften aus dem ,kirchlichen' Bereich sowohl die Nachrichten über das Lübecker wie auch über das Ratzeburger Bistum einbeziehen muß. Die

4.2.1. Die

Bistümer, das Johanniskloster und die christianitas

Im Vorwort nennt Arnold seine Absicht, schildern zu wollen, unter wessen Lenkung und Anweisung der borealium regionum sive ecclesiarum status aufblühte. In Übereinstimmung mit der Aussage, die seiner Meinung nach unvollendete Chronik Helmolds fortsetzen zu wollen,39 bildet deren Schluß auch den Ausgangspunkt für seine Chronica: Da Helmolds Werk bis in die Zeit Heinrichs des Löwen reiche, wolle er den Herzog auch an den Beginn stellen, denn schließlich habe dieser wie kein anderer vor ihm die Slawen „gezähmt" und sie dem Christentum zugeführt.40 Enthält der Prolog damit explizite Bezüge auf die borealis regio und auf den Herzog, die unten noch eingehender behandelt werden,41 so verweist Arnold hier auch auf die boreales ecclesiae. Unter ihnen sind, wie ebenfalls aus dem Vorwort hervorgeht, die nordelbischen Bistümer zu verstehen, denn der Chronist datiert die herzogliche pax maxima im Norden durch die

Aufzählung der damals amtierenden nordelbischen Bischöfe Evermod von Ratzeburg, Komad (I.) von Lübeck und Berno von Schwerin. Ihre Namen in dieser Reihenfolge wiedergebend betont Arnold, daß sie sich alle eifrig um ihre Kirchen bemühten.42 Zu den in

Kap. 4.1. m. Anm. 34f. angesprochenen Arbeiten, die am Rande auch auf Arnolds Verortung innerhalb von Gruppen aus dem .weltlichen' Bereich eingegangen sind, vgl. ausführlich unten, Kap. 4.2.2. Vgl. dazu oben, Kap. 4.1. u. unten, Kap. 4.2.1.6. Vgl. oben, Kap. 4.1. m. Anm. 9 u. 15. Prol., S. 10: qui super omnes, qui ante Ipsum fuerunt, duritiam Sclavicam perdomuit, et non solum ad tributa solvenda coegit, sed etiam erga veri Dei cultum, rellctls superstltionibus idololatrie, humiliatis cervicibus promptissimos fecit. Pacem etiam maximam in omni terra Sclavorum firmavlt, et omnes provincie aquilonares Wagirorum, Holzatorum, Polaborum, Obotritorum ocio et quieti vacabant. Vgl. a. VII, 20, S. 295. Vgl. unten, Kap. 4.2.2.2. Prol., S. 10: [Evermodus, Conradus, Bernd], qui ecclesias novelle plantationis, quas Heinricus

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

232

Arnolds Prolog unterscheidet sich deutlich von den Vorreden Adams und Helmolds: Während diese das mater-filius-Verhältnis zu ihren Bistümern akzentuieren und Helmold pointiert auf die Erfolge der Lübecker Bischöfe bei der Slawenmission hinweist, erwähnt Arnold den Lübecker Bischof lediglich in einer Reihe mit anderen. Nicht ihn, sondern den Vorgänger des Adressaten Philipp von Ratzeburg nennt er an erster Stelle, und in die Formulierung borealium ecclesiarum status bezieht er alle drei genannten Bistümer ein. Da zudem im gesamten Werk jegliche Wir-Bezüge auf ein Bistum fehlen und die Widmung an Bischof und Domkapitel von Ratzeburg erfolgte, stellt sich die Frage, wie sich Arnold innerhalb der boreales ecclesiae verortete und in welchem Maß er sich dem Bistum Lübeck zuschrieb. -

4.2.1.1. Die Bischöfe

von

-

Lübeck

Arnold nennt lediglich diejenigen Lübecker Bischöfe, die seit der Beendigung von Helmolds Chronik amtierten.43 Er setzt also dessen Werk diesem Aspekt chronologisch exakt fort. Bischof Konrad I., den Helmold deutlich negativ bewertet hatte, führt Arnold nur als Teilnehmer der Pilgerfahrt Heimichs des Löwen ins Heilige Land an, ohne seinerseits eine Wertung vorzunehmen.44 Breiteren Raum nimmt die Darstellung Bischof Heinrichs (1173-1182) ein, der als Abt des Braunschweiger Aegidienklosters und Vertrauter des Herzogs ebenfalls an der Pilgerfahrt teilnahm. Ihm widmet der Chronist ein ganzes Kapitel, in dem er seine Gelehrsamkeit, theologische Bildung und Beredsamkeit pointiert hervorhebt:45 Er läßt Heimich in Konstantinopel die magistri Grecorum vom lateinischen filioque überzeugen und ihn dabei sogar die Anschauungen der griechischen Kirchenväter für seine Argumentation nutzen.46 Schreibt sich hier Arnold mittels dux memoratus instituit, Domino incrementum dante, doctrina plantare et opere irrigare instantissime satagebant. Zur engen Beziehung dieser drei Bischöfe u. Konrads I. Vorgängers, Gerold v. Lübeck, zu Heinrich d. Löwen vgl. Ehlers, Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat, S. 470. Gleiches gilt fur die Bischöfe v. Schwerin u. Ratzeburg. Für letztere erklärt sich dies aber jedoch damit, daß das Btm. erst 1154 wiedererrichtet wurde. Für Schwerin nennt Arnold (prol., S. 10 u. V, 24, S. 192) nur Berno (1155 27. Jan. 1190/91) u. (V, 24, S. 192) dessen Nachfolger Brunward (1191 14. Jan. 1238); Amtszeiten nach Series, S. 81-83. Zu Ratzeburg vgl. unten, Anm. 73. I, 1, S. 10; vgl. a. 2, S. 14 u. 8, S. 23. Konrad I. ist der einzige Lübecker Bf, der im Werk keine explizite Wertung erfahrt. Es ist möglich, daß Arnold sich dem negativen Urteil Helmolds (vgl. dazu oben, Kap. 3.2.1.2.3.) stillschweigend anschloß. Zur Pilgerfahrt vgl. ausführl. unten, Kap. 4.3.4. I, 5, S. 19f. Vgl. a. die Bezeichnung verefidei doctor für den Bf. 13, S. 34f. u. ebd., S. 33: fidells doctrina. S.a. I, 5, S. 19 sowie 13, S. 33 über den zum Bf. Ernannten, er sei mit scienda litteralis -

-

facundia sermonis ausgestattet gewesen. Heinrich stammte aus Brüssel, studierte in Paris und leitete zunächst die Hildesheimer Domschule, danach die des Braunschweiger St. Blasiusstifts, bevor er um 1162/63 (vgl. Series, S. 66 m. Anm. 148) Abt v. St. Aegidien wurde (vgl. Arnold III, 3, S. 73). Zum hohen Bildungsstand Heinrichs vgl. Joachim Ehlers, Ein europäischer Fürst des Hochmittelalters: Heinrich der Löwe in seiner Zeit, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit, Bd. 2, S. 9-14, hier S. 13; Ders., Literatur, bes. S. 63-65. Martin Kintzinger, Bildung und Wissenschaft im hochmittelalterlichen Braunschweig, in: Die Welfen und ihr Braunschweiger Hof, S. 183-203, hier S. 199. Beziehungen

eum

233

Die Selbstzuschreibungen

der Darstellung des Abtes der lateinischen Christenheit in Abgrenzung von der byzantinischen zu, so akzentuiert der Chronist in dieser Passage gleichzeitig auch die positiven Eigenschaften des späteren Bischofs von Lübeck, der zudem Arnolds ehemaliger Braunschweiger Lehrer war und das Lübecker Johanniskloster gegründet hatte.47 Gemessen an allen anderen im Werk genannten Bischöfen trägt das Bild, das Arnold von Heimich zeichnet, ideale Züge. Insgesamt rückt der Chronist im Unterschied zu Adam und Helmold bei Bischöfen stärker mönchische Ideale und Aspekte einer entsprechenden Lebensführung in den Vordergrund: Trotz schwerer Krankheit habe Heinrich an seinem Lebensende vorbildlich, mag man ergänzen eifrig an Gesängen und Gebeten teilgenommen, die Messe gefeiert und sei sehr enthaltsam gewesen.48 Arnold belegt umfangreich, daß die am mönchischen Ideal orientierte Lebensweise Heinrichs die gaudia sempiterna nach sich ziehe,49 und auch bei dessen Nachfolgern hält er diese Eigenschaften für erwähnenswert: In der Darstellung Konrads IL, eines Kaplans Friedrichs L, lobt er die Bildung und Beredsamkeit des Bischofs sowie dessen Eintreten für eine verschärfte Disziplin des Lübecker Klerus.50 Er sieht diese Tugenden bei Konrad jedoch gepaart mit Habgier und dem Streben nach weltlichen Gütern Eigenschaften, die er wohl auch von einem mönchischen Standpunkt aus bei einem Bischof verurteilt.51 Um so mehr hebt Arnold wiederum am zur Abfassungszeit amtierenden Dietrich (11861210) dessen Demut, Barmherzigkeit und Milde hervor.52 Insgesamt bleibt jedoch -

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anderer sächs. Kleriker zu Frankreich belegt Helmold (45, S. 89f.) für Radolf v. Laon u. (105, S. 206f.) für Bf. Konrad I., der zum Generalkapitel der Zisterzienser reiste. Hildesheim, der „Zwischenstation" Bf. Heinrichs, kommt eine Mittlerfunktion zw. dem Reich und besonders der Pariser Schule zu (vgl. Ehlers, Literatur, S. 69). Vgl. hierzu u. zum engen Verhältnis Arnolds u. Heinrichs oben, Kap. 4.1. u. unten, Kap. 4.2.1.4. III, 3, S. 71: Cumque nimia corporis invalitudine laboraret, psalmodiis tarnen et orationibus non minus intentus erat et misse officlum, quod sine intermissione frequentabat, non nisi tribus diebus ante depositionem suam omittebat. Abstinentias etiam quasdam spéciales usque in finem servare laborabat sowie I, 6, S. 21; 7, S. 22 u. 13, S. 33. Vgl. a. die ,Wiedergabe' eines Traums Heinrichs (III, 3, S. 73f.), in dem der Bf. sich in St. Aegidien scheren und habitu monachali einkleiden ließ. Sie, so Arnolds Kommentar, monachus factus, monachi vigilavit in adus. III, 3, S. 74f. Arnold fuhrt als Beleg zwei Traumgesichte an, ein eigenes u. das einer Nonne des Klosters Zeven; zusätzl. bekräftigt er die Glaubwürdigkeit von Traumgesichten auf allg. Ebene. III, 6, S. 80: v/r[...] litteratu[s] valde et facundu[s] et in causis tradandis acerrimu[s] orator[...] decenter statum ecclesie sue ordinäre cepit, informons clerum ad religionis honestatem, adhortans eos castos, sobrios et sine murmuradone hospitales esse, ceterisque studere virtutibus, quibus et Deo et hominibus complacerent. Selbst die laic[i], qui magis austeritatem quam doctrinam mirantur, und von denen sich hier offenbar auch Arnold abgrenzt, hätten dem Bf. große Verehrung entgegengebracht. Ebd. lobt er Konrad für das Verbot, kein clericus de alieno episcopatu dürfe in sua diócesi parrochiam tenere, da niemand zwei Herren dienen könne; vgl. dazu Biereye, Bistum, S. 311. Konrad war 1183 vom Ks. investiert worden, verließ jedoch schon zwei Jahre später, wahrscheinlich ohne die Weihe empfangen zu haben, das Btm. u. wurde dann Bf. v. Hildesheim sowie später v. Würzburg (vgl. Arnold, III, 6, S. 79-82 u. Sertes, S. 67f). III, 6, S. 82: quia aliquantulum cupidus erat. Konrad habe seine Weihe verzögert, um sein Vermögen nicht gegen ein wirtschaftl. schwach gestelltes Btm. einzutauschen. Bevor er die Diözese verließ, habe er gewaltsam wertvolle Gegenstände u. Rosse entwendet. III, 14, S. 100: vi>[...] iustu[s], mansuetu[s] et piu[s]; in veritate se humilians. Ebd., S. 101: Dietrich habe beim Empfang in Lübeck cum Domino se humilians, qui se ipsum exinanivit, non in equo falerato, sed in asello sibi obviam venientibus oecurrit. Sie iste discalciatus nudis pedibus ...

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

234

Bischof Heinrich der Chronik. 4.2.1.2.

am

deutlichsten

positiv

bewertete Lübecker Bischof in der

„Äußere" Konflikte: Das Erzbistum Hamburg-Bremen und Herzog Bernhard von

Sachsen

Im Vergleich zu Adam und Helmold schreibt sich Arnold wesentlich seltener einem Bistum zu. Daß er sich im Prolog auf die nordelbischen Bistümer insgesamt bezieht, mag bereits eine andere Gewichtung andeuten und darauf schließen lassen, daß er sich innerhalb der .kirchlichen' Gemeinschaften auch anders verortet.53 Immerhin jedoch können Zuschreibungen zum Bistum Lübeck auch in Abgrenzung von anderen erfolgen, besonders (a) vom Hamburg-Bremer Erzbischof und (b) vom sächsischen

Herzog Bernhard. (a) Eine Zuschreibung

zum Bistum Lübeck in Abgrenzung vom Hamburg-Bremer Erzbischof wird in einem Abschnitt deutlich, in dem Arnold berichtet, Erzbischof Hartwig II. und Pfalzgraf Heinrich der Jüngere hätten während des Pontifrkats Dietrichs dessen bischöflichen Besitz geplündert, und Hartwig habe einen Bannspruch gegen den Lübecker Bischof verhängt.54 Der Konflikt, der auf etwa 1191/92 zu datieren ist, muß vor dem Hintergrund der Machtkämpfe in Sachsen nach der zweiten Rückkehr Heinrichs des Löwen aus dem englischen Exil gesehen werden:55 Zwar war Dietrich auf Initiative seines erzbischöflichen Onkels ernannt worden, er folgte diesem jedoch nicht in der Unterstützung Heinrichs des Löwen. Hartwig, wegen seiner proheinrizianischen Haltung vorübergehend nach England geflohen, kehrte 1191 an den Hof Heinrichs in Lüneburg zurück und lud Dietrich mehrfach dorthin vor.56 Allerdings, so Arnold, habe der Bischof nicht gewagt, die termini episcopales zu verlassen und sich inter homines adverse partis zu begeben, so daß der Erzbischof schließlich gegen Dietrich den Bann verhängt habe. Der Chronist konstatiert nun, dies sei non iudicario ordine geschehen und der Bannspruch deshalb auch von einem päpstlichen Legaten widerrufen worden.

sollempniter sibi occurrentibus obvius /V/7. Auch nach seiner Erhebung zum Bf. heißt es über ihn: humilitatis viam non deseruit, omnibus vero se mitem et affabilem exhibuit. Per viscera quoque misericordie pietatis erat operibus deditus, castus, sobrius, pudicus, ita verus religionis cultor. Vgl. a. V, 11, S. 161. Amtszeit Dietrichs: kurz vor 2. Feb. 1186 23. Aug. 1210 (Series, S. 68f). Dietrich war zuvor Abt v. Segeberg u. Zeven. Darauf deuten auch das Fehlen jeglicher Wir-Bezüge auf das Btm. Lübeck sowie die geringe Anzahl von Kontrastierungen mit anderen, .weltlichen' oder ,kirchlichen' Gemeinschaften hin. Vgl. zum Folgenden V, 11, S. 159-161. Pfalzgraf Heinrich d.J. warder Sohn Heinrichs d. Löwen. Darauf verweist das von Arnold genannte Motiv für die Anfeindungen Hartwigs, nämlich die Beliebtheit Bf. Dietrichs bei den Bremern, die u.a. in dessen/íófes imperii begründet gewesen sei. Hartwig verfolgte mit seiner raschen proheinrizianischen Stellungnahme eigene Interessen: In seinem Erzbtm. vor finanzielle Schwierigkeiten gestellt, hatte er 1189 Heinrich d. Löwen mit der Grafschaft Stade belehnt, in der Hoffnung, durch Heinrich Dithmarschen wiederzuerlangen; vgl. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 221 f. Der Erzbf. war nach dem Ausgleich zwischen dem Weifen u. Heinrich VI. 1190 auf dem Reichstag zu Fulda vom Kg. und den prostaufischen Bremern vertrieben worden. Als Heinrich d. Löwe die Friedensabmachungen nicht erfüllte und die Kämpfe gegen Gf. Adolf III. 1191 erneut entfachten, kam Hartwig nach Lüneburg. tarn

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235

Die Selbstzuschreibungen

Das Verlassen der termini episcopales wird mit einer Gefahr für den Bischof gleichgesetzt, und auch wenn unter die homines adverse partis ebenso der Pfalzgraf gerechnet werden kann, der immerhin als Mitverursacher der Plünderungen erscheint, grenzt sich der Geschichtsschreiber nicht in erster Linie von dem Weifen ab, sondern vom Erzbischof, dessen Verhalten unredlich erscheint. So schreibt sich Arnold in der Darstellung eines erzbischöflichen Eingriffs dem Bistum Lübeck zu:57 Dietrich bleibt für ihn der rechtmäßige Lübecker Bischof, während er Hartwig hier, wie auch in anderen Passagen, stark kritisiert.58 (b) Arnolds Zuschreibungen zum Bistum Lübeck können auch in Abgrenzung vom sächsischen Herzog Bernhard erfolgen, der nach dem Sturz Heinrichs des Löwen 1180 mit dem Herzogtum belehnt worden war.59 Nach dem Tod Bischof Heinrichs und einer Vakanz des Lübecker Bistums habe sich, so Arnold, das Domkapitel 1182 mit der Bitte um Ernennung eines Kandidaten direkt an Kaiser Friedrich I. gewandt. Es überging damit -, wie die Forschung herausgestellt hat, bewußt und erfolgreich den Investituranspruch des neuen Herzogs Bernhard.60 Auch für kurze Zeit später, im Vorfeld der Ernennung Dietrichs 1186, berichtet Arnold von einer Sedisvakanz. Diese begründet er allein damit, daß während der Abwesenheit des Kaisers kein neuer Bischof ernannt werden konnte,61 was allerdings kaum stichhaltig erscheint.62 Vielmehr ist es wahrscheinlich, daß das Domkapitel bis zur Rückkehr des Kaisers wartete, weil es sich dessen Autorität versichern wollte, um auch hier einer Einmischung Herzog Bernhards zu entgehen.63 Ebenso kann auch die Verzögerung, mit der Dietrich seinen Pontifrkat antrat, darauf zurückgeführt werden, daß er keinen Zweifel an der Reichsunmittelbar-

Diese Zuschreibung ist durchaus vergleichbar mit derjenigen Helmolds in der Darstellung des Plans von Erzbf. Adalbert, die Oldenburger Diözese zu teilen. Vgl. dazu oben, Kap. 3.2.1.2.1. Zur Kritik an Hartwig vgl. etwa III, 13, S. 99; 22, S. 110-112 u. VII, 10, S. 277f. Zu Bernhard vgl. bes. Paul Marcus, Herzog Bernhard von Anhalt (um 1140 bis 1212) und die frühen Askanier in Sachsen und im Reich (EuHSchrr 111/ 562), Frankfurt a.M. 1993, S. 87-89. Zum Sturz Heinrichs vgl. u., Kap. 4.2.2.2.; dort auch die Lit. in Anm. 213f. III, 6, S. 80: Quem [i. e. Friedrich I.] adierunt canonici Lubicenses, submittentes se dispensationi ipsius, rogantes, ut per eius ordinationem episcopum habere potuissent. Vgl. dazu Biereye, Bistum, S. 318f. sowie Marcus, S. 108. Der königl. Investitur eines nordelbischen Bischofs kommt verfassungsgeschichtlich eine immense Bedeutung zu. Mit ihr machte Friedrich I. den Rechtsvorbehalt des 1154 Heinrich d. Löwen erteilten Investiturprivilegs nach dessen Sturz geltend. Die Bistümer traten in ein unmittelbares Rechtsverhältnis zum Kg. und wurden den anderen Reichsbistümern gleichgestellt; vgl. dazu Petersohn, Ostseeraum, S. 65-67. Zum Investiturproblem unter Heinrich d. Löwen vgl. a. oben, Kap. 3.2.1.2.3. Vgl. III, 14, S. 99-101. Arnold berichtet über eine Spaltung der Kanoniker, die, discordantes, sich weder auf den eigenen Propst David noch auf Abt Sigibodo v. Harsefeld, einen Bruder Erzbf. Hartwigs, einigen konnten. Zu David, einem Kaplan Heinrichs d. Löwen und Parteigänger der Weifen, vgl. Frtedertci, S. 213 Nr. 88. Zur Wahl Dietrichs vgl. Biereye, Bistum, S. 322f. u. Hauschild, S. 56. Zu Harsefeld Heinz-Joachim Schulze, Harsefeld, in: Germania Benedictina, Bd. 6, S. 137-152 u. Heinz-Dietrich Grob, Ratzeburg, in: Ebd., S. 431 f. Dieselbe Begründung gibt Arnold (III, 6, S. 80) für die Vakanz vor der Investitur Konrads II. Die Ernennung Bf. Konrads I. in Abwesenheit Heinrichs d. Löwen (vgl. oben, Kap. 3.2.1.2.3.) zeigt dagegen, daß eine Investitur dennoch durchaus möglich war. Marcus, S. 108f.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

236

keit des Bistums aufkommen lassen wollte.54 So hat die Forschung diese Abschnitte der Chronik einhellig und mit guten Gründen als Beleg für das Bestreben der nordelbischen Bischöfe angesehen, sich nach dem Sturz Heinrichs des Löwen aus der herzoglichen Kirchenhoheit zu lösen. Fällt es schwer, hieraus auf eine Abgrenzung Arnolds von Herzog Bernhard zu schließen, da er das Vorgehen des Domkapitels nicht kommentiert, so gewinnt eine solche Haltung doch an Wahrscheinlichkeit, wenn man die Passagen mit einem Abschnitt vergleicht, in dem er über Konflikte während des Pontifrkats Bischof Isfrieds von Ratzeburg (1180-1204) berichtet. Heimich dem Löwen war mit der Investitur seines Kandidaten Isfried der „letzte Erfolg in Nordelbien" gelungen,65 der Bischof sah sich jedoch schon kurz nach der Belehnung Bernhards mit Schwierigkeiten konfrontiert: Arnold spricht von Auseinandersetzungen, die Isfried erdulden mußte, sowohl intus a fratribus als auch foris passus ...ab hostibus. Als deren Ursache nennt er ausdrücklich die mutatio ducum nach dem Sturz Heimichs des Löwen 1180, wobei an dieser Stelle der Untersuchung zunächst der ,äußere' (foris passus) Konflikt von Interesse ist:66 Aus dem Kontext geht hervor, daß der Chronist unter die genannten hostes den Grafen von Ratzeburg, insbesondere aber Herzog Bernhard zählt. Die Auseinandersetzungen zwischen Isfried und Bernhard kulminieren bei Arnold in der Weigerung des Bischofs, dem neuen Herzog das hominium zu leisten. Nun ist diese Passage für die ...

verfassungs- und landesgeschichtliche Forschung von vordringlichem Interesse gewesen,67 es lassen sich jedoch auch Rückschlüsse auf die Haltung des Chronisten selbst ziehen, denn er befürwortet das proheinrizianische Verhalten Isfrieds,68 den er gar für die Zeit nach dem Sturz Heinrichs des Löwen als dessen treuen Anhänger charakterisiert.69 Arnold nutzt die Darstellung des Konflikts zwischen Isfried und Bernhard zu Vgl. dazu ebd. Der persönl. Einsatz des Erzbischofs bei der Investitur seines Neffen Dietrich (vgl. Arnold III, 14, S. 99f) zielte darauf, nach dem Sturz Hzg. Heinrichs stärkeren Einfluß in den nordelb. Bistümern auszuüben, als es die bislang ledigl. nominelle Kirchenhoheit der Hamburger Erzbischöfe erlaubt hatte; vgl. a. Petersohn, Ostseeraum, S. 165f. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 195 u. Ders., Bistumsgründungen, S. 109; vgl. a. Series, S. 74 u. Franz Winter, Die Prämonstratenser des zwölften Jahrhunderts und ihre Bedeutung für das nordöstliche Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte der Christianisierung und Germanisierung des Wendenlandes, Berlin 1865 (ND Aalen 1966), S. 174f. II, 7, S. 44: Prelia, ait [i. e. der hl. Gregor], ad hostes, seditiones pertinent ad cives, dicamus que intus a civibus, id est a fratribus, et que foris passus fuerit ab hostibus. Ex eo igitur tempore ex quo mutatio ducum fada est. Zum „inneren" Konflikt vgl. unten, Kap. 4.2.1.4. Der Abschnitt verdeutlicht die enge Beziehung des Bistums Ratzeburg zu Heinrich d. Löwen, die in der Forschung hervorgehoben wurde (vgl. etwa Petersohn, Kirchenpolitik, S. 146 mit Bezug auf die Neuerrichtung d. Bistums 1154). Besonderes Interesse fand die Begründung, mit der Isfried (nach Arnold) die Eidleistung ablehnte: Es sei „nicht notwendig, daß ein Bischof zwei Lehnsherren huldige" (vgl. z. B. Ehlers, Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat, S. 470). Daneben offenbart der Abschnitt, unterstellt man ihm Realitätsgehalt, die Selbstsicht Bernhards als Rechtsnachfolger Heinrichs in bezug auf die Kirchenhoheit, auch wenn er diese letztlich nicht verwirklichen konnte; so etwa Marcus, S. 107 u. Freytag, Nordosten, S. 484. Das zeigt sich z. B. in der Äußerung, Isfried habe seine Meinung selbst dann nicht geändert, als Bernhard ihm den Zehnten (in Sadelbant, nordwestl. der Lauenburg) entzog. Vgl. II, 7, S. 44f; ebenso Series, S. 74 u. Ehlers, Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat, S. 470 m. Anm. 97. Isfried bildete hierin eine Ausnahme.

Die Selbstzuschreibungen

237

Vergleich der beiden Herzöge, wobei er den Gestürzten deutlich favorisiert: Den Ausschlag zu seinen Gunsten geben ausdrücklich die Kriterien Kirchenschutz und forderung.70 Auf diese wirkte sich also die mutatio ducum, folgt der Leser Arnolds Argumentation, negativ aus. Vor dem Hintergrund dieser Parteinahme gegen Bernhard, die sich in die insgesamt häufigen Negativbewertungen des Herzogs einordnen lassen,71 liegt die Vermutung nahe, der Chronist habe auch den Bestrebungen des Lübecker Domkapitels positiv gegenübergestanden, dem herzoglichen Investituranspruch Bernhards zu entgehen. Im Hinblick auf die Frage nach der Gewichtung der Zuschreibungen Arnolds zu einem Bistum ist an dieser Stelle noch kurz auf weitere Aspekte der Darstellung hinzuweisen: Liest man die hier skizzierten Abschnitte im Zusammenhang, so zeigt sich einem

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deutlich, daß der Chronist die

mutatio ducum unter dem Blickwinkel ihrer Auswirkun-

gleich zwei nordelbische Bistümer betrachtete. Zudem wird in Arnolds Darstellung die Motivation des Lübecker Domkapitels erst durch den Bericht über die Eskalation in Ratzeburg verständlich.72 Arnold fokussiert demnach nicht vorrangig auf eine Diözese, sondern betrachtet die Vorgänge in beiden Bistümern im Zusammenhang. Wenngleich also auch für diesen Geschichtsschreiber eine auf die Institution des Bistums Lübeck bezogene Teilidentität konstatiert werden kann, so bleibt doch ebenfalls festzuhalten, daß sie weniger stark gewichtet ist als die auf das jeweilige (Erz-) Bistum gerichteten Zuschreibungen Adams und Helmolds. Zugleich ist aber zu berücksichtigen, daß die positive Hervorhebung Isfrieds von Ratzeburg auch in der Tasache begründet liegen könnte, daß die Chronik an dessen ehemaligen Kaplan und bischöflichen Nachfolger Philipp adressiert wurde. gen auf

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monachi und canonici

4.2.1.3. Das benediktinische Mönchtum -

Auch wenn Arnold Bischof Isfried in dem angesprochenen Abschnitt hervorhebt: Hinter den Erwähnungen Lübecks treten die Nachrichten über das Bistum Ratzeburg rein quantitativ zurück.73 An dessen Bischöfen bewertet er grundsätzlich ähnliche Eigenschaften positiv, insbesondere Demut und Frömmigkeit, Mitleid und Barmherzigkeit. Noch deutlicher als bei den Lübecker Bischöfen kommt hier zum Ausdruck, daß Arnold diese Eigenschaften als Mönch akzentuiert.74 Bezeichnend hierfür ist eine Arnold läßt Isfried gegenüber Bernhard erklären, er habe Heinrich d. Löwen nicht als Herrscher gehuldigt, sondern weil unter ihm seine Kirche an Sicherheit u. Glauben zugenommen habe. Vgl. dazu unten, Kap. 4.2.2.2. Daß sich der Konflikt mit Bernhard an der Investitur Isfrieds entzündete, liegt schon insofern nahe, als dessen Einsetzung noch 1180 erfolgte und Heinrich d. Löwe mit ihr dezidiert die eigenen

Interessen vertrat.

Arnold nennt Evermod (Mai/Okt. 1154 16./17. Febr. 1178), Isfried (vor 3. April 1180 15. Juni 1204; Amtszeiten nach Sertes, S. 73-75) u. den Adressaten Philipp (1204 14. Nov. 1215). Evermod wird außer im Prol. nur als Weihebf. Heinrichs v. Lübeck (I, 13, S. 33) u. bei seinem Tod (II, 7, S. 42f.) genannt. Zu Philipp vgl. unten, Kap. 4.2.1.6. Vgl. II, 7, S. 42f. zu Evermod, der eine religiosa vita geführt habe. Arnold schreibt ihm sanctitas u. iustida zu und charakterisiert ihn mit Begriffen wie compatiens u. miseratio. Zu Isfried vgl. ebd., S. 44: Er habe auch als Geweihter die via humilitatis nicht verlassen und mitem se omnibus -

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Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

238

Passage, in der er wiederum Bischof Isfrieds Vorbildlichkeit unterstreicht, nämlich durch den Hinweis, Isfried habe bereits als Propst des Prämonstratenserstifts Jerichow

nicht wie ein canonicus, sondern wie ein monachus gelebt. Arnold grenzt sich hier zum einen explizit von den canonici regulares ab: Die meisten von ihnen lebten zwar fromm und gerecht, jedoch komme dem monachus[s\c\] nomen die summa sanctitas zu. Zum anderen zieht er auch eine Grenze zu den seculares, denn diese rechneten (fälschlich) auch den ordo canonicorum regularium zu den monachi und unterschieden ihn somit nicht hinreichend vom ordo monachorum.15 Trotz der Akzentuierung einer qualitativen Differenz zwischen monachi und canonici speist sich die positive Bewertung des canonicus Isfried gerade aus dessen Überschreitung der Grenze zu den monachi, denn er erfüllt genau die Anforderungen, die dem Abt von St. Johannis als beispielhaft für eine mönchische Lebensweise gelten. Trotz dieser positiven Hervorhebung eines canonicus ist die Behauptung eines grundsätzlich höheren Stellenwerts der monachi vor dem Hintergrund auffällig, daß Arnold die Chronik gerade an die canonici in Ratzeburg adressierte. Es wäre durchaus denkbar, daß sich Arnold als Abt des Johannisklosters, dessen Mönche ebenso wie er selbst aus dem Braunschweiger Benediktinerkloster St. Aegidien stammten,76 von Bischof und Domkanonikern in Ratzeburg abgrenzte, die sich seit der Wiedererrichtung des Bistums 1154 aus prämonstratensischen Regularkanonikern rekrutierten.77 Jedoch autem ad omnes fuit. VII, 9, S. 278: vir magne patientie, summe abstinentte et religionis cultibus deditus. Vgl. a. die folgende Anm. II, 7, S. 43f: succesit... Ysfridus, prius quidem prepositus in Iherichowe, vir magne religionis, quia in eadem prepositura non ut canonicus, sed ut monachus vixerat. Quod tarnen pace canonicorum regularium dixerim, quia, quamvis plerique canonicorum sande et iuste vivant, monachus tarnen nomen est summe sanctitatis et huic nomini nichil perfectionis déesse deed; sed hoc paucorum est. Inde est, quod seculares ignorantes discretionem ordinis monachorum et canonicorum regularium, ipsos canónicos monachos appellare consueverunt. Isfried war wie sein Vorgänger Evermod ein früher Begleiter Norberts v. Xanten; vgl. Petersohn, Ostseeraum, S. 104 u. 185 m. Anm. 7; vgl. a. Stefan Weinfurter, Norbert von Xanten als Reformkanoniker und Stifter des Prämonstratenserordens, in: Norbert von Xanten. Adliger, Ordensstifter, Kirchenfürst, hg. v. Kaspar Elm, Köln 1984, S. 159-188 u. Berent Schwineköper, Norbert von Xanten als Erzbischof von Magdeburg, in: Ebd., S. 189-209. St. Johannis war bei seiner Gründung (Datum umstritten; Weihe 1177) das erste Benediktinerkloster in der Nordalbingia; vgl. Hauschild, S. 51; Eilermann, Lübeck; Petersohn, Ostseeraum, S. 126-130 betont den braunschweigischen Kulteinfluß auf St. Johannis. Zu St. Aegidien vgl. Ute Römer-Johansen, Braunschweig, St. Aegidien, in: Germania Benedictina, Bd. 6, S. 33-56. Die Wiedererrichtung durch Heinrich d. Löwen wurde von Erzbf. Wichmann v. Magdeburg unterstützt. Bf. Evermod u. die Kanoniker stammten aus dem Magdeburger Prämonstratenserstift Unser Lieben Frau. Wichmann hoffte vergeblich, den Einfluß Hamburg-Bremens zurückzudrängen u. Ratzeburg Magdeburg zu unterstellen (Petersohn, Ostseeraum, S. 184f). Allerdings bestanden bis ins 13. Jh. enge Beziehungen zwischen dem Ratzeburger Prämonstratenserkapitel u. Magdeburg, woher Evermods Nachfolger Isfried wie die Kanoniker in der Anfangszeit kamen. Erzbf. Hartwig v. Hamburg-Bremen scheint sich erfolglos gegen die Rekrutierung der Bischöfe u. Domkapitel von Ratzeburg aus Prämonstratensern gewehrt zu haben (Karl Schmaltz, Kirchengeschichte Mecklenburgs, Bd. 1: Mittelalter, Schwerin 1935, S. 54 m.

exhibuit, patiens totus

Anm. 34; Petersohn, Ostseeraum, S. 185 Anm. 5). Der Prämonstratenserkonvent sah die Diözese Ratzeburg wohl als reines Ordensbtm. an; außer geistl. Ritterorden u. Nonnenkonventen faßten hier keine anderen monast. Bewegungen Fuß; vgl. Petersohn, ebd., S. 94f. u. Puhle.

Die Selbstzuschreibungen

239

scheint Arnold

nur in einer Passage Benediktiner und Prämonstratenser zu kontrastieEr gibt an, daß 1182 Alexios, der Vorsteher eines Prämonstratenserstifts, als Kandidat für das Lübecker Bischofsamt vom dortigen Domkapitel abgelehnt wurde, weil dieses einen Bischof de ordine suo bevorzugt habe.78 Allerdings kommentiert der Chronist diesen Vorgang nicht, und er enthält sich zudem einer Bewertung des immerhin vir religiosus genannten Alexios. Die ältere Forschung hat aus dem Abschnitt auf eine Abgrenzung des (angeblich) benediktinischen Domkapitels in Lübeck von den Prämonstratensern geschlossen. Diese Ansicht erscheint jedoch fraglich, da sie ausgehend von einem hohen Realitätsgehalt der Darstellung Arnolds bereits auf Voraussetzungen beruht, die keineswegs als gesichert angesehen werden können: Allein aus der urkundlichen Verwendung der Begriffe canonici und canonici viventes für die Lübecker Domherren diese „den Benediktinern" zuzurechnen, ist problematisch,79 und so läßt sich aufgrund der Quellenlage kaum entscheiden, ob sich hier tatsächlich ein benediktinisches Kapitel von den Prämonstratensern abgrenzte. Darüber hinaus ist auch eine Parteinahme Arnolds für das Lübecker Domkapitel keineswegs unbedingt anzunehmen, denn das Verhältnis zwischen dem Johanniskloster und den Kanonikern war, wie noch zu zeigen sein wird, konfliktreich, und zudem ist Arnolds zitierte Abgrenzung von den canonici ausdrücklich auch auf die seculares bezogen, unter welche nun aber gerade die Lübecker Domherren selbst zu rechnen sind.80 Möglich ist daher ebenso, daß sich der Benediktinerabt sowohl von den Prämonstratensern als auch von den Domherrn ren:

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abgrenzte.

Scheint

es nicht geboten, aus dem Abschnitt weitreichende Schlußfolgerungen zu sind doch insgesamt die häufigen und dezidierten Zuschreibungen Arnolds ziehen, zum benediktinischen Mönchtum auffällig, die bereits früh in der Forschung zu der Einschätzung führten, der Chronist sei „in erster Linie Mönch" gewesen.81 Er preist die Regel des beatissimus pater noster Benedictus, welche die Grundlage des Johanniskloso

III, 6, S. 80: [Friedr. I.] designavit virum quendam religiosum, Alexium dictum, prepositum in Hildeburgeroth, qui de ordine Premonstratensium erat. Quem Uli unanimiter contradixerunt, et de ordine suo aliquem sibi preferri flagitabant. Alexios war Abt v. Klosterrode. Der Ks.

investierte schließlich den oben erwähnten Konrad II. Dafür gibt es auch keine weiteren Belege. Die Herkunft der ersten Lübecker Domkanoniker ist unbekannt; vgl. Frjederjci, S. 123f Noch Winter, S. 321 resümierte lediglich, das Lübecker Domkapitel habe „dem Prämonstratenser-Orden nicht an[gehört]". Damus, S. 197-199 rechnete es den Benediktinern zu, da die Kanoniker in Urkunden nicht wie die Ratzeburger als regulares bezeichnet würden. Außerdem hätten sie als canonici seculares andere Vorschriften befolgt als die monachi v. St. Johannis. Fragwürdig ist die Gleichsetzung von ordo mit,Orden'. Anstelle des Alexios wurde der kaiserl. Kaplan Konrad II., über dessen ,Ordenszugehörigkeit' nichts bekannt ist, zum Bf. ernannt, und die Forderung des Domkapitels nach einem Bf. de ordine suo scheint zudem nur schwer vereinbar mit den unterschiedl. Zugehörigkeiten der Vorgänger: Vizelin war Propst des Augustinerchorherrenstifts Faldera (Gottlieb Matthaeus Carl Masch, Geschichte des Bisthums Ratzeburg, Lübeck 1835, S. 26 fälschl.: „Prämonstratenser") u. hatte enge Beziehungen zu Norbert v. Xanten u. Bf. Evermod v. Ratzeburg. Gerold wird v. Helmold als sacerdos, Konrad I. als Abt des Zisterzienserklosters Riddagshausen angeführt; Heinrich war, wie erwähnt, Benediktinerabt. Die positive Bewertung des Eintretens Bf. Konrads II. für eine Disziplinverschärfung des Klerus würde hierzu passen (vgl. oben, Anm. 50). Damus, S. 206 u. im Anschluß Grabkowsky, Abt, S. 228.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

240

eindringlich ihre Einhaltung und beklagt auch deren Umgegeführt habe, daß „heute fast niemand mehr weiß, was der ordo ist, staltung, sondern jeder nur die Veränderung des ordo kennt"; ganz konkret plädiert Arnold dafür, sich an den ursprünglichen ordo zu halten, statt ihn zu verändern.82 Die deutliche Zuschreibung zum benediktinischen Mönchtum ist mit einer expliziten Beanstandung der gegenwärtigen Zustände verbunden: Ein ganzes Kapitel widmet der Chronist der vehementen Kritik an der superbia, durch die der Teufel die monachi ins Verderben stürze.83 Das Leben der Mönche sieht Arnold in seiner Gegenwart durch einen Sittenverfall gekennzeichnet, die hieraus erwachsenden Untugenden stellt er den wünschenswerten Eigenschaften eines idealen Mönches gegenüber.84 Diese Zuschreibungen zum benediktinischen Mönchtum können auch als Abgrenzungen von den Reformorden gelesen werden. Bereits früh ist angenommen worden, daß sich die Ausführungen gegen die Zisterzienser richten,85 da es diesen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im Ostseeraum gelungen war, eine ganze Reihe von Niederlassungen zu gründen. Auch sters

darstellte,

er

fordert

die dazu

wurden bestehende Benediktinerklöster mit Prämonstratenser- und Zisterzienserkonventen belegt, so daß es teilweise zu Rivalitäten, namentlich zwischen alten Benediktinern und Zisterziensern, gekommen war.86 1189 schließlich erfolgte in Reinfeld durch

Vgl. V, 13, S. 162-165, der Wir-Bezug S. 165: Ordo enim simplex est, a te, simplicissimo Deo, patribus inspiratus, a quibus eum beatissimus pater noster Benedidus accepit et in scriptum redegit. Ebd., S. 164: Ordo enim de die in diem per plurimorum mutationes, qui non pro ordine, sed contra ordinem dispensant, vergit ad occasum, ita ut nunc in hoc tempore fere nemo sciât, quid sit ordo, sed ordinis prevaricado. Ebd.: Quid ergo? dampno, reprehendo ordinem? non ordinem, sed ordinis superfluitatem, que ex Uto tempore ceprerunt, ex quo fada est mutatio ordinis. Arnold scheint die Einführung einer strengeren Regel immerhin dann zu befürworten, wenn durch sie die Auflösung eines Konvents verhindert wird; vgl. a. III, 17, S. 102f III, 10, S. 90-94: De superbia detestabili monachorum. Ve tibi, superbia. Den Anlaß bildet der zuvor erwähnte Streit zw. dem Abt v. Fulda u. dem Erzbf. v. Köln um die Rangordnung beim Mainzer Hoftag Ks. Friedrichs I. Vgl. zu Arnolds Bericht Odilo Engels, Der Niederrhein und das sanctis

Reich im 12. Jahrhundert, in: Ders., Stauferstudien, S. 177-199, hier S. 193 sowie Konrad Lübeck, Primatus sedendi des Fuldaer Abtes, in: ZRG Kan. Abt. 33 (1944), S. 277-300, hier S. 277f. Ebd., S. 92: Quid enim olim erat vita monachorum, nisipuritas innocentie, semita iustitie, vivendi forma, paradisi via? S. 91: comessationibus et ebrietatibus servientes, in superbia vite ambulantes, concupiscentia carnis et oculorum se ipsos ante Deum semper polluentes. S. 93: Refriguit karitas, subintravit mundalitas. Nee fuit locus religioni, ubi patebat introitus elationi. Nee stare potuit humilitas, quam fugavit dominalitas. (...) O monache, regulam profiterts, sed qua conscientia illam discutiendo legis, cum omnia in contrarium facis? Vgl. a. (ebd.) die Gegenüberstellung der Eigenschaften humilitas elatio; utilitas otium; obedientia contradiciones. Den Sittenverfall führt Arnold auf die Verleihung von Gütern und materiellem Besitz durch die principes zurück, durch welche crevit possessio et evanuit religio. Zur Abgrenzung gegenüber den principes vgl. a. V, 13, S. 162. Vgl. etwa Damus, S. 206f. Zu den Rivalitäten vgl. Grabkowsky, Kloster, S. 23f. H. Kochendörffer, Die Klöster im Herzogtum Schleswig, in: Schleswig-Holsteinisches Jb 14 (1924), S. 48-53. hier S. 49f. sieht für die Einführung der Zisterzienserregel im benedikt. Kloster St. Michael in Schleswig u. dessen Verlegung polit. Motive als ursächlich an. Ebenso Amandus Eilermann, Schleswig, in: Germania Benedictina, Bd. 6, S. 457f. u. Ehlers, Anfänge, der auf die Zisterzienser u. teilweise auch die Prämonstratenser eingeht. Der Zisterzienserorden habe sich bes. wegen seiner Vorschriften für ...

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...

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Die Selbstzuschreibungen

Graf Adolf III. die erste Gründung eines Zisterzienserklosters in der Diözese Lübeck, welche die Forschung vor allem als politisch motiviert angesehen hat: Adolf habe ein Gegengewicht zu den Benediktinern von St. Johannis schaffen wollen, die aufgrund ihrer Beziehungen zum Braunschweiger Aegidienkloster stark zu den Weifen tendiert hätten.87 In neueren Arbeiten ist zudem der Zusammenhang zwischen Landesherrschaft und Klostergründungen auch für den nordelbischen Raum hervorgehoben worden.88 So liegt es nahe, Arnolds Äußerungen im Kontext dieser Entwicklungen und vor dem Hintergrund der Vielfalt regulierter Lebensformen in der Nordalbingia zu sehen, auch wenn er sich explizit weder gegen die Prämonstratenser noch die Zisterzienser wendet. Immerhin läßt sich seinem Werk entnehmen, daß er die Zisterzienser als monachi anderen vorzog, auch Regularkanonikern wie den Prämonstratensern.89 -

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den Landesausbau u. die damit zusammenhängenden polit. Absichten geeignet (S. 509). Ähnlich Wolfgang Ribbe, Zur Ordenspolitik der Askanier Zisterzienser und Landesherrschaft im ElbeOder-Raum, in: Zisterzienser-Studd. 1 (Studd. z. Europ. Gesch. 11), Berlin 1975, S. 77-96. Eine Umwandlung eines Benediktinerklosters in ein Prämonstratenserstift erfolgte im 12. Jh. z. B. in Pöhlde; vgl. Detlef Jankowski, Pöhlde, in: Germania Benedictina, Bd. 6, S. 404-420, bes. S. 408f. mit weiteren Nachweisen. Zur Gründung Reinfelds vgl. Petersohn, Ostseeraum, S. 90. Hans von Schubert, Kirchengeschichte Schleswig-Holsteins auf Grund von Vorlesungen an der Kieler Universität (SchrrVSchlHolstK 1/ 3), Bd. 1, Kiel 1907, S. 289 sieht die Gründung durch den Versuch motiviert, den weifen- u. später dänenfreundlichen Einfluß der Benediktiner in der Wagira zurückzudrängen. Zu polit. Ambitionen bei der Gründung von Zisterzienserklöstern im Ostseeraum durch Adolf III. u. Adolf IV. vgl. Grabkowsky, Kloster, S. 23. Polit. Motive bei Klostergründungen überraschen kaum, jedoch wird die in der Forschung häufig recht starr gezogene Grenze zw. Benediktinern u. ihrem zisterziensischen „Gegengewicht" meist ausschließlich auf einen ,staufisch-welfischen Gegensatz' zurückgeführt, der a priori zu bestehen scheint u. die Quelleninterpretation determiniert. Ein Beispiel für die doch prinzipiell mögliche ,Weifenfreundlichkeit' eines Zisterzienserklosters bildet Riddagshausen, dessen Gründung (auch) die weif Position stärken sollte (vgl. Annette VON Boetticher, Gütererwerb und Wirtschaftsführung des Zisterzienserklosters Riddagshausen bei Braunschweig im Mittelalter (BrswJb. Beih. 6), Braunschweig 1990, S. 186f. u. Ehlers, Anfange, S. 505 u. 515). Zum ,staufisch-welfischen Gegensatz' als theoretische Folie bei der Quelleninterpretation, wenn auch nicht auf die hier besprochenen Zusammenhänge bezogen, vgl. Hechberger. Das Bild der älteren Forschung, nach dem die Zisterzienser im 12. u. 13. Jh. v.a. durch ihre Statuten geradezu prädestiniert für eine Ausbreitung im Zusammenhang mit der ,deutschen Ostkolonisation' schienen, ist mittlerweile differenziert worden; vgl. z. B. die im Literaturverz. aufgeführten Arbeiten von Gerhard B. Winkler, Helena Chlopocka u. Winfried Schich sowie von Felix Escher u. Brygida Kürbis, in: Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit, eine Ausstellung d. Landschaftsverbandes Rheinland, Rhein. Museumsamt, Brauweiler, hg. v. Kaspar Elm, P. Joerißen u. H.J. Roth (Schrr. d. Rhein. Museumsamtes 10); vgl. a. VON Boetticher, S. 10-20, die (S. 16f.) wirtschaftl. Gründe dafür verantwortlich macht, daß Landesherren gerade Zisterzienser in jene Gebiete beriefen, die von Benediktinern u. Augustinerchorherren gemieden wurden, sowie Ribbe u. Ulrich Faust, Benediktinisches Mönchtum in Norddeutschland, in: Germania Benedictina, Bd. 6, S. 19-32, bes. S. 24-27. In der Schilderung des Traumgesichts einer Nonne aus dem Zisterzienserinnenkloster Ichtershausen (I, 13, S. 33f.) betont er die Frömmigkeit des Konvents. Diese Äußerung kann nun jedoch gerade nicht als Beleg für eine tolerante Haltung Arnolds gegenüber den Zisterziensern gesehen werden, wie Damus, S. 207 meint. Der Kontext zeigt, daß es dem Chronisten hier nicht um den Nachweis zisterziensischer Frömmigkeit geht, denn er kennzeichnet das Kloster nicht als -

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Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

Die Zuschreibungen Arnolds zum alten benediktinischen Mönchtum scheinen demnach Abgrenzungen zu enthalten, die durch den wechselseitigen Kontakt der monachi mit der Außenwelt bedingt sind: von (a) den laid,90 (b) den canonici, unter welche die Prämonstratenser und die Domkanoniker gerechnet werden können sowie (c) den Reformorden wie den Zisterziensern. Auf diese Weise verortet sich Arnold gleich auf mehreren Ebenen: 1. auf einer grundsätzlichen, denn gerade zur Abfassungszeit war die Region, in der Arnold sein Werk schrieb, durch eine Vielfalt regulierter Lebensformen gekennzeichnet. Der Chronist bezieht hier dezidiert Position, ohne die anderen ,Orden' direkt anzugreifen.91 Legt man die doch immerhin wahrscheinliche Annahme zugrunde, daß sich die Andeutungen Arnolds auf Prämonstratenser und Zisterzienser beziehen, so ergibt sich insofern 2. eine konkretere Ebene, als er letztlich genau diejenigen ,Orden' behandelt, die in den nordelbischen Bistümern vorherrschten: die Ratzeburger Prämonstratenser und die Schweriner Zisterzienser. Damit setzt er zugleich inhaltlich das im Prolog angekündigte Vorhaben um, Angaben zum borealium ecclesiarum status zu machen. Daneben scheinen die Passagen über das Mönchtum jedoch 3. noch auf einen ganz anderen Zusammenhang hinzuweisen, denn sie könnten auch als Kritik an der Disziplin im Lübecker Johanniskloster selbst gelesen werden. Auch hier sind Schlußfolgerungen nur vorsichtig zu ziehen, denn Arnold greift mit keinem Wort die Zustände in seinem Kloster direkt an. Jedoch sind die Zuschreibungen in zweifacher Hinsicht auffällig: zum einen im Hinblick auf die weitere Geschichte des Konvents, denn die Benediktinermönche wurden einige Jahre nach Arnolds Tod nach Cismar verlegt, während in das Johanniskloster Zisterzienserinnen einzogen;92 zum anderen vor dem Hintergrund der urkundlichen Überlieferung, denn Abt Arnold ließ sich 1191 vom Papst den immerwährenden Verbleib des Klosters bei der Benediktinerregel bestätigen.93 Dieser historische Kontext führt nun im Hinblick auf den Aspekt der Gewichtung einzelner Teilidentitäten innerhalb des .kirchlichen' Bereiches zur Frage, ob Arnold nicht nur „in erster Linie Mönch" war, sondern, konkreter, ob seine Darstellung nicht vielmehr vor allem durch seine Position als Abt des Johannisklosters beeinflußt wurde.

Zisterzienserinnenkonvent, sondern akzentuiert das ehelose Leben der Nonnen sub regula Benedict!, hebt also gerade ihr Benediktinertum positiv hervor. Für diese Interpretation spricht auch die ausdrückl. Widmung dieser Passage an karitati vestre, Bf. Philipp v. Ratzeburg. V.a. geht es

Arnold hier um den Nachweis der beatitudo und fidelis doctrina Bf. Heinrichs v. Lübeck. Vgl. a. oben, Anm. 50. Die Haltung Arnolds erinnert an die Formel diversi sed non adversi, mit welcher der Zisterzienserabt Bernhard v. Clairvaux (ca. 1090-1153) u. der Prämonstratenser Anselm v. Havelberg (1129-1155) das Verhältnis der Orden zueinander beschrieben. Vgl. Kaspar Elm, Die Stellung des Zisterzienserordens in der Geschichte des Ordenswesens, in: Die Zisterzienser, S. 31-40 mit weiteren Nachweisen. S. dazu unten, Kap. 4.2.1.4. Vgl. die Urk. v. Coelestin III. (1191 Mai 21), Migne PL 206, Paris 1844 (ND Turnholt 1969), Spp. 872f. (teilweise falsche Ortsnamenlesung; vgl. Grabkowsky, Kloster, S. 130 Anm. 214.

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Die Selbstzuschreibungen

4.2 A A.

„Innere" Konflikte: Das Kloster St. Johannis

Bereits auf die Bewertungen der einzelnen Lübecker Bischöfe wirkt sich Arnolds Stellung als Abt bestimmend aus. So speist sich das eingangs erwähnte, ideale Züge tragende Bild Heinrichs nicht nur aus dessen vorbildlicher, mönchsgleicher Lebensführung, sondern auch aus seiner besonderen Sorge um das von ihm gegründete Johanniskloster.94 Deutlich wird dies zum Beispiel in der Darstellung der Belagerung Lübecks durch Kaiser Friedrich I. 1181, bei der die burgenses den Bischof mit Übergabeverhandlungen beauftragten.95 Zwar führt Arnold hier gleich eine ganze Reihe von Vorteilen auf die Vermittlerrolle Heinrichs zurück,96 vor allem profitierte er jedoch selbst direkt von ihr: Denn er empfing als Abt von St. Johannis die kaiserliche Belehnung mit curtes und agri, die der Bischof zuvor aus eigenen Mitteln für das Kloster erworben hatte. Es ist dies die einzige Erwähnung von Erwerbungen Heinrichs in der gesamten Chronik überhaupt.97 Wie stark Arnolds Urteilskriterien von seiner Stellung als Abt bestimmt sind, zeigt sich auch in den Andeutungen von Konfliktlinien im Verhältnis zwischen dem Lübecker Bischof, dem Domkapitel und dem Johanniskloster. Zwar argumentiert Arnold hier sehr zurückhaltend erneut bezieht er eine deutlichere Position in der Darstellung eines „inneren" (intus) Konfliktes zwischen Bischof und Domkapitel von Ratzeburg -,98 jedoch lassen sich Rückschlüsse auf die Zuschreibungen des Chronisten zum Johanniskloster ziehen, wenn die urkundliche Überlieferung des Bistums Lübeck in die Überlegungen einbezogen wird. Denn sie belegt, daß auch der Pontifikat Dietrichs von solchen „inneren" Auseinandersetzungen bestimmt war, die vor allem als Folge wirtschaftlicher Interessengegensätze anzusehen sind: Das Domkapitel unter Propst David, der vor der Ernennung Dietrichs selbst das Bischofsamt angestrebt hatte,99 beanspruchte den bischöflichen Zehnten für sich. Obgleich nun das Ergebnis dieses Streits unbekannt ist, gilt es als gesichert, daß das Domkapitel seine Einnahmen und Befugnisse auf Kosten des Bischofs vergrößern konnte und darin ist kein Einzel-

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HI, 3, S. 71: cepit tarnen de vinea Domini, quam noviter plantaverat in monasterio beate virginis Dei genitricis et sancti ewangeliste Ioannis anxiari. Vgl. a. II, 5, S. 40f. u. 21, S. 65f. II, 21, S. 63-66. Die Passage wurde v.a. als Beleg für die Autorität, Klugheit u. Beredsamkeit d. Bischofs angeführt, die der Chronist hier erneut akzentuiert; vgl. dazu oben, Anm. 45f. Die friedliche Übergabe Lübecks an den Ks. ohne Treuebruch gegenüber Heinrich d. Löwen; die kaiserl. Bestätigung des (angeblichen) herzogl. Freibriefs u. die Bestätigung der Einkünfte der Domkapitel v. Lübeck u. Ratzeburg. Zur in der Forschung lange geführten Diskussion um das sog. „Heinrichsprivileg", einer Fälschung, u. das bestätigende „Barbarossaprivileg" v. 1188 vgl. unten, Kap. 4.2.2.2. Die Lit. ebd., Anm. 253f.

Vgl. II, 2, S. 65f. Nicht alle Erwerbungen, die Arnold hier u. im Gründungsbericht aufzählt, sind von Anfang an im Besitz des Klosters gewesen, etwa die villulla Cleve u. die nicht näher bezeichneten curtes und agri. Vgl. UBStL, hg. v. dem Vereine für Lübeckische Geschichte, Bd. 1,

Lübeck 1843, Nr. 6, S. 8f; Biereye, Bistum, S. 305f; Grabkowsky, Kloster, S. 31. sowie Arnold II, 5, S. 40f. II, 7, S. 44: Der Konflikt entstand zwischen Bf. Isfried auf der einen sowie Propst Otto u. dem Domkapitel auf der anderen Seite. Otto habe selbst nach der Bischofswürde gestrebt u. die fratres gegen Isfried angestachelt. Zu dem davon unterschiedenen Konflikt foris passus vgl. oben, Kap. 4.2.1.2. m. Anm. 66. Vgl. a. oben, Anm. 61.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

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fall während Dietrichs Pontifikat zu sehen.100 Arnold berichtet hiervon nichts, obwohl vorausgesetzt werden kann, daß er von dem Konflikt wußte, da er sich während seines Abbatiats in Lübeck ereignete. Hingegen deutet der Chronist wirtschaftliche Konkurrenzen zwischen dem Domkapitel und dem Johanniskloster an, die für ihn von größerem Interesse waren und deren Darstellung seine Parteinahme für das Kloster belegen: Er erwähnt, daß „einige" den Eifer, mit dem Bischof Heimich die Gründungsausstattung des Johannisklosters betrieb, mit Neid betrachteten.101 Daß sich diese Ausführungen auf die Kanoniker beziehen, legen wiederum die Urkunden nahe, die ein reges Bemühen Abt Arnolds und des Domkapitels um die Vermehrung des jeweiligen Besitzes und der Einnahmen belegen.102 Bereits die Ausstattung des Johannisklosters mit Grundstücken, die sonst möglicherweise an das Domkapitel gefallen wären, scheint dessen Widerstände hervorgerufen zu haben. Zudem erwirkte Arnold vier päpstliche Privilegien, in denen St. Johannis unter Schutz gestellt und der jeweilige Besitzstand bestätigt wurde,103 und auch sie standen vermutlich im Zusammenhang mit der Konkurrenz zum Domkapitel.104 Dieses 1177 zum ersten Mal als Wahlorgan des Bischofs nachweisbar und als solches zur Abfassungszeit der Chronik bereits ,etabliert' hätte sich bei einer zukünftigen Bischofswahl auf einen Kandidaten einigen können, der in Konfliktfallen, anders als Dietrich, Partei für das Domkapitel ergreifen würde.105 -

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Zu dem Streit vgl. UBBL, hg. v. Wilhelm Leverkus, Bd. 1, Oldenburg 1856, Nr. 13-16, S. 18-20. Das Domkapitel berief sich auf die Verleihungen Bf. Gerolds v. 1163 (ebd., Nr. 3f, S. 4-7). Über den Ausgang des Verfahrens, das wohl Bf. und Kapitel jeweils die Hälfte des Zehnten sicherte, vgl. ebd., Nr. 16, S. 20 Anm. ** u. Biereye, Bistum, S. 316f. u. 322. Vgl. a. ebd., S. 322-325 zu

weiteren Auseinandersetzungen. II, 5, S. 41: Et ita omni devotione ipsi novelle plantationi insistebat, non sine magna emulatione quorundam qui eius studiis invidebant. Vgl.a. III, 3, S. 73: Zumindest ein Teil des Kapitels wandte sich gegen die Beisetzung Bf. Heinrichs im Kloster, die dieser selbst vor seinem Tod angeordnet hatte, und bevorzugte statt dessen, jedoch vergeblich, eine Grablegung im Dom. Aus dem Abbatiat Arnolds sind dreizehn Urkunden überliefert, die über den wirtschaftl. Aufschwung des Klosters Auskunft geben. Arnold erwähnt (II, 21, S. 64f.) die Bestätigung der Gründungsausstattung Bf. Heinrichs durch Ks. Friedr. I. 1181. Zu Grundbesitz u. Erwerbungen des Klosters unter Arnold vgl. Grabkowsky, Kloster, S. 15 u. 31-33. Die Besitzübertragungen Bf. Heinrichs an das Kloster waren nicht so unbedeutend, wie Arnold es darstellt; vgl. Dies., Abt, S. 214f. mit weiteren Nachweisen sowie Biereye, Bistum, S. 329-332. Interessant im Hinblick auf Arnolds wirtschaftl. Interesse ist die Beobachtung von Walther, Verschriftlichung, S. 12, daß der Abt in seiner lateinischen Fassung des Gregorius Hartmann von Aues die erfolgreichen Handelsgeschäfte Abt Gregorius' positiv bewertet und ihnen ausdrücklich den Segen Gottes zuschreibt (Arnold, Gesta II, 19, S. 115). Dagegen ist kaum etwas über Erwerbungen Bf. Dietrichs bekannt. Zum Domkapitel u. Bf. Dietrich vgl. Biereye, Bistum, S. 325f. Zwei Privilegien stammen v. Coelestin III. Vgl. oben, Anm. 93 u. Volkert Pfaff, Die innere Verwaltung der Kirche unter Papst Coelestin III. Mit Nachträgen zu den Papstregesten 1191 bis 1198, in: AfD 18 (1972), S. 342-398, hier S. 348. 1199 Okt. 4 bestätigt Innozenz III. (SHRU I. Nr. 211, S. 109f. [fehlerhaft; vgl. Grabkowsky, Kloster, S. 130 Anm. 214]) die beiden Privilegien u. fügt weitere Besitzungen hinzu. Das Privileg von 1207 ist nicht mehr lesbar; vgl. Grabkowsky, Abt, S. 215f. Vgl. Grabkowsky, Abt, S. 216. Vgl. Biereye, Bistum, S. 331, der in dieser Hinsicht parallele Interessen der Klöster Segeberg u. Lübeck sieht, päpstl. Privilegien u. Inschutznahme zu fordern. Zum Nachweis des Domkapitels bei der Wahl Bf. Heinrichs 1177 vgl. Friederici, S. 158 u. 267 sowie Hauschild, S. 48.

Die Selbstzuschreibungen

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Diese Vermutungen lassen sich erhärten, wenn Arnolds Andeutungen im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Johannisklosters betrachtet werden: Das Kapitel wählte noch 1210, also direkt nach Abschluß der Chronik, in Berthold einen Domherren aus den eigenen Reihen zum Bischof, der die Klöster weniger förderte als seine Vorgänger.106 1231 schließlich wurde die Verlegung des Mönchskonvents von Lübeck nach Cismar beschlossen. Wenn man der diplomatischen Überlieferung Glauben schenken darf, geschah dies aufgrund wirtschaftlicher und disziplinarischer Schwierigkeiten,107 und Anna-Therese GRABKOWSKY hat zudem auf politische Spannungen hingewiesen.108 Nach dem bislang Gesagten mag es wenig erstaunen, daß sich unter den Befürwortern dieser Verlegung zumindest ein Teil des Domkapitels befand, auch deshalb, weil es im Johanniskloster eine wirtschaftliche Konkurrenz sah.109 Die Rechte der Zisterzienserinnen, die nach der Verlegung der Mönche in St. Johannis einzogen, wurden jedenfalls zugunsten des Domkapitels stark eingeschränkt.110 Es spricht somit viel dafür, Arnolds Betonungen des benediktinischen Mönchtums, seine Plädoyers für die Einhaltung der Regel und die Kritik am Sittenverfall der Mönche auch im Zusammenhang mit einer Situation im Johanniskloster zu sehen, die erst für die Zeit nach Arnolds Tod belegt ist, die sich jedoch schon während seines Abbatiats abzuzeichnen schien. Vor allem spiegeln jedoch Arnolds Einsatz für ein päpstliches Privileg über den immerwährenden Verbleib des Klosters bei der Benediktinerregel und die Grenzziehungen zwischen monachi und canonici das Bemühen des Biereye, Bistum, S. 331

u. 334. Auf das Bestehen disziplinarischer Schwierigkeiten im Kloster für die Zeit, bevor die Urkunden solche belegen, deuten bereits die oben behandelten Passagen Arnolds über die Einhaltung der Regel hin. Ein Disziplinmangel könnte möglicherweise auch stärker als Grund für die Verlegung in Betracht zu ziehen sein als Grabkowsky, Kloster, S. 28 u. 78 meint. Grabkowsky, Kloster, S. 22-28 sieht den Konvent v. St. Johannis wegen seines Hervorgehens aus St. Aegidien als „weifenfreundlich" an. Der Konvent ergriff zudem, vermutlich bis zur Niederlage Gf. Albrechts v. Orlamünde, Partei für die Dänen u. gegen die Schauenburger. Wohl auch um seine polit. Gegner zu sanktionieren, war Gf. Adolf IV. einer der Hauptbetreiber der Verlegung nach Cismar. Andererseits bezweckte er auch die Kolonisierung u. Christianisierung des Landes. Wie Adolf III. scheint auch er anstelle der ,weifenfreundlichen' Benediktiner die Zisterzienser bevorzugt zu haben. Daneben war der Lübecker Rat an einer Verlegung interessiert, ohne daß jedoch aus den Urkunden dessen Motive ersichtlich würden. Auch insgesamt können die Motive der an der Verlegung Beteiligten nur vermutet werden. Bereits Biereye, Bistum versieht seine Überlegungen mit Fragezeichen. Die Verlegung wird in der Urk. v. 1231 Okt. 25 (SHRU 1, Nr. 490, S. 226f.) ausdrücklich mit dem Schwinden weltl. Besitzes u. mit Disziplinproblemen begründet. In der Forschung wird die ungünstige wirtschaftl. Lage des Klosters bezweifelt; vgl. etwa Hauschild, S. 70 u. Grabkowsky, Kloster, S. 22. Die Disziplinvorwürfe richteten sich wohl auch gegen St. Johannis als Doppelkloster: In der Urk. v. 1245 Jan. 2 (UBStL I, Nr. 104, S. 102-104) wird es als solches bezeichnet (vgl. a. die Urkk. v. 1246 Aug. u. 1254 Feb. 6 [ebd., Nr. 114, S. 112f. u. Nr. 210, S. 192f.]), allerdings ist ungeklärt, seit wann Nonnen dort lebten. Unwahrscheinlich ist eine Gründung als Doppelkloster u. eine Aufnahme von Nonnen zur Zeit Arnolds. Der Streit um die Verlegung der Mönche nach Cismar, der Einzug von Zisterzienserinnen in Lübeck u. die Besitzaufteilung zogen sich bis 1256 hin, wie 31 überlieferte Urkk. belegen. Vgl. Grabkowsky, Kloster, S. 17-29, bes. S. 25f; Dies., Abt, S. 216-218 u. Amandus Eilermann, Cismar, in: Germania Benedictina, Bd. 6, S. 101-108. Grabkowsky, Kloster, S. 26.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

246

Abts wider, die in der Nordalbingia außerordentlich schwach ausgeprägte Stellung des alten benediktinischen Mönchtums zu propagieren und zu verteidigen. Denn es ist zu berücksichtigen, daß Arnold dem ersten Benediktinerkloster überhaupt in dieser Region vorstand, und daß er überdies dessen erster Abt war.111 Kanonikerstifte hatte es in der Diözese Lübeck dagegen schon zuvor gegeben, und auch der in den benachbarten Bistümern vorhandene Einfluß von Prämonstratensern und Zisterziensern schien in der Nordalbingia zuzunehmen. Der Text darf somit nicht lediglich als prowelfrsche Parteinahme Arnolds in den (zum Ende der Abfassungszeit ohnehin vorerst entschiedenen) politischen Auseinandersetzungen zwischen ,Staufern' und ,Weifen' angesehen werden, und auch nicht nur als Widerspiegelung von Konkurrenzen, die kurz nach Abfassung der Chronik (und nach Arnolds Abbatiat) gravierende Folgen für das Kloster nach sich zogen."2 Vielmehr stellt die Chronik in den hier behandelten Passagen auch eine, eben nach ,außen' gerichtete, Propagierung des benediktinischen Mönchtums dar. Nicht zuletzt diese Funktion des Textes belegt jedoch auch die Bedeutung, die der Abt-Position seines Verfassers zukommt. 4.2.1.5. Die christianitas und die

Kreuzzüge

Das Fehlen jeglicher Wir-Bezüge auf ein Bistum in der gesamten Chronik Arnolds markiert eine auffallende Differenz zu den Werken Adams und Helmolds. Ein weiterer frappierender Unterschied besteht darin, daß Arnold zahlreiche Wir-Bezüge auf die christianitas verwendet."3 Die oben für Adam und Helmold getroffene Feststellung einer deutlich stärker ausgeprägten Zuschreibung zu kleineren Gemeinschaften auch aufgrund der Wir-Bezüge, scheint sich hier also geradezu umzukehren. Allerdings trügt der erste Blick, denn die ,direkten Identifikationen' stehen vor allem im Kontext der Gegenüberstellungen von Christen und Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften, die Arnold wesentlich häufiger vornimmt als Adam und Helmold."4 Sie finden sich (a)

112

Erst unter Vizelin entstanden die Augustinerchorherrenstifte in Faldera (Neumünster) u. Segeberg. Die Gründung v. St. Johannis stellt insofern eine Besonderheit in der Region dar; vgl. oben, Anm. 76. Das Erwirken des päpstl. Privilegs deutet unter Umständen auch auf bereits während Arnolds Pontifikat beginnende Spannungen zw. Bf. u. Lübecker Rat hin; vgl. Eilermann, Lübeck, S. 321. Zum Streit zw. Rat u. Domkapitel um die Rechte an der Kirche St. Marien vgl. Hauschild, S. 52f. u. Grabkowsky, Kloster, S. 26f. Nur vermuten läßt sich, daß das Kloster schon während Arnolds Abbatiat unter Reformdruck stand. Unter Bf. Dietrichs Nachfolgern Bertold (1210-1230) u. Johann I. (1230-1247) sind jedenfalls scheiternde Reformversuche belegt; vgl. Biereye, Bistum, S. 347 u. Eilermann, Lübeck, S. 322. Die Grenzziehungen zw. monachi u. canonici könnten auch darauf hinweisen, daß Arnold eine Umwandlung v. St. Johannis in ein Kanonikerstift befürchtete. I, 7, S. 22; II, 3, S. 39; IV, 4, S. 123; V, 14, S. 167 u. 23, S. 192 (dominus noster Ihesus Christus); V, 13, S. 162 (Deus noster); 15, S. 169 (Salvator noster); ebd., S. 170 (fides nostra); IV, 16, S. 147; V, 25, S. 194 u. 28, S. 205; VI, 1, S. 217 (peccata nostra); V, 15, S. 170 (2x) (devocio nostra); VI, 4, S. 222 (nostra redemptlo); V, 13, S. 163 (vota nostra); vgl. a. IV, 4, S. 121 f.; V, 27, S. 201 u. 204; V, 29, S. 209 (2x) die auch auf die christianitas bezogenen nostrates, sowie V, 15, S. 170 u. 25, S. 194 (2x) noslnobis. Zudem wurde bereits deutlich, daß bei Arnold die Stellung als Abt v. St. Johannis die Identifikationen mit den Lübecker Bischöfen wesentlich bestimmen. Zum Verhältnis zw. ,Reich' u. Region -

113

114

-

Die Selbstzuschreibungen

247

Zusammenhang mit Wunderberichten, hier insbesondere als Ausdruck einer Abgrenzung von den Iudei, weit überwiegend jedoch (b) in den Darstellungen der Kreuzzüge. (a) Die Wir-Bezüge im Kontext einer Abgrenzung von den Iudei stehen allesamt im

im

Bericht über das Wunder eines zum Christentum bekehrten Juden."5 Arnold kritisiert hier insbesondere die detestabilis consuetudo der Iudei, welche die Marterung und Kreuzigung Christi an Wachsbildern alljährlich physisch aufs Neue nachvollziehen. Die wundersame Bekehrung, die sich ereignet, als aus einem solchen, zuvor mit einer Lanze durchbohrten Christusbild Blut und Wasser hervorströmen, nutzt Arnold zur Kontrastierung beider Religionsgemeinschaften."6 Diese erschöpft sich in einer asymmetrischen, gegenbegrifflich strukturierten Polarisierung, in welcher er der Iudaica perfidia und infidelitas die Termini devocio nostra und fides nostra gegenüberstellt."7 Die Bekehrung des Juden gilt ihm als Sieg der göttlichen Gnade über die jüdische malitia?1" Erst die Kontrastierung zweier großer Gemeinschaften mit ihren (glaubens)grundsätzlichen Unterschieden, die Arnold einerseits durch die Bibel belegt sieht, die sich für ihn andererseits jedoch auch alljährlich neu zeigen und daher aktuell sind, führt zur Verwendung von Wir-Bezügen auf die christianitas. Das wichtigste Kriterium für eine Differenzierung zwischen Juden und Christen manifestiert sich in der Attribution eines konträren, für die Gemeinschaften als .typisch' angesehenen Verhaltens gegenüber Christus: 115

vgl. unten, Kap. 4.2.2.

V, 15, S. 169-171; weitere Wir-Bezüge im Kontext eines Wunders 14, S. 165-169. Die Häufung ,direkter Identifikationen' in drei aufeinanderfolgenden Kapiteln (V, 13-15) erklärt sich v.a. durch

Thematisierung des Lobpreises Gottes. Die Stellung der Kapitel ist daher nicht nur mit der Chronologie zu begründen (so Grabowsky, Abt, S. 222), sondern in erster Linie mit inhaltl. Argumenten (so Hucker, Chronik, S. 105). Zugleich belegt die Passage auch Arnolds Interesse an eucharistischen Blutwundern seiner Zeit, denn sie steht auch im Zusammenhang mit der Heiligblut-Verehrung in St. Johannis, das im Besitz einer Heiligblut-Reliquie war u. dessen Nachfolgekloster Cismar später zum „Mittelpunkt[...] christozentrischer Reliquien Verehrung im obodritischen Sakralraum" wurde (vgl. die

116

an Blutwundern ebd., S. 119 Anm. 99. Bf. Heinrich schenkte die Reliquie, die Heinrich d. Löwe von seiner Pilgerfahrt 1172 mitgebracht und ihm überreicht hatte, dem Johanniskloster (Historia de duce Hinrico, ed. K. Kohlmann, Quellensammlung d. Gesell, f. Schleswig-Holsteinisch-Lauenburgische Gesch., Bd. 4, 1874, S. 231-253, hier S. 244; Detlev Hellfaier, Die Historia de duce Hinrico. Quelle der Heiligblutverehrung in St. Ägidien zu Braunschweig, in: Heinrtch der Löwe, S. 377-406, hier S. 399 u. S. 383-386). Daß sie vielleicht für das Domstift gedacht war, könnte den oben (Kap. 4.2.1.4.) behandelten Konflikt zw. Domkapitel u. Kloster verschärft haben. V, 15, S. 169: Audierat [Iudeus] sepius magnum esse christianitatis sacramentum, sed Iudaica repugnante perfidia. (...) Siquidem ludeis quedam est detestabilis consuetudo, ut inplentes mensuram patrum suorum quovis anno ad contumeliam Salvatoris ymaginem ceream crucifigant. Quam dum more suo contumeliis afficerent et cetera, que in passione eius leguntur. Zum Terminus der

Petersohn, Ostseeraum, S. 111-113, Zit. S. 113). Zum Interesse Arnolds

117

118

asymmetrischen Gegenbegriffe vgl. Koselleck.

V, 15, S. 170: Gaudeamus et nos, carissimi, de benignissima gratia Redemptoris, ita ut etiam malis bene utentes ipsam nobis nequitiam Iudeorum vertamus In arma salutis, et quasi per eorum

illuminati excecattonem nostram ad Iesum excitemus devotionem. Die Gegenüberstellungen S. 169-171. Besondere Zuspitzung erfahrt die Kontrastierung (S. 170) durch die Sätze Videamus, quid Ulis [ludeis] faciat sua malitia, et vere credamus, quod ipsum apud Ihesum faciat devocio nostra. (...) Veraciter igitur credamus, quia quod Ulis ipsorum malitia, nobis faciatfides nostra.

248

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

Gegensatzpaare wie Kreuzigung und Verehrung, Leidzufügung und Mitleid führen zur Zuschreibung von Eigenschaften, die Arnold, der sich hier in eine lange Tradition einreihen läßt, geradezu als Charakteristika von Juden und Christen darstellt: perfidia und malitia Iudaica auf der einen, devocio und fides nostra auf der anderen Seite."9 (b) Die überwiegende Anzahl von Wir-Bezügen auf die christianitas steht im Kontext der Kreuzzugsdarstellungen, die im Werk breiten Raum einnehmen. Wenngleich unten noch genauer auf die Fremdzuschreibungen einzugehen ist, die im Zusammenhang mit der Thematisierung von Kreuzzügen stehen,120 ist der Blick doch bereits an dieser Stelle auf die Kontextualisierung der Wir-Bezüge zu lenken. Zwar hat die Forschung nachgerade Kreuzzugsberichte besonders häufig im Zusammenhang mit der Thematik des Eigenen und des Fremden untersucht, sie ist jedoch kaum einmal auf Arnolds Chronik eingegangen.121 Dabei liegt dies nahe, weil der Chronist dem Kreuzzug Friedrichs I. und den Verhältnissen im Heiligen Land zwischen 1185/86 und 1192 das gesamte vierte Buch, dem Kreuzzug Heinrichs VI. 1195/97 und den Livlandkreuzzügen Teile des fünften Buches widmet.122 Ohne hier auf die Geschichte der Kreuzzüge selbst einzuge119

120 121

122

Die devocio bzw. fides nostra zeige sich (V, 15, S. 171) in der Teilnahme am Leiden Jesu u. garantiere den Christen, „mit dem Auferstandenen zur Herrlichkeit erhoben zu werden". Daneben charakterisiert Arnold die Iudei auch durch die Termini nequitia u. excecatio. Zu der Passage vgl. Heinz Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte (11.-13. Jh.). Mit einer Ikonographie des Judenthemas bis zum 4. Laterankonzil (EuHSchrr XXIII/ 335), 2., veränd. Aufl., Frankfurt a.M. 1991, S. 182. Zur Einordnung in die Tradition vgl. ebd., S. 399 u. 571 sowie Klaus Lohrmann, Fürstenschutz als Grundlage jüdischer Existenz im Mittelalter: Zur Frage der Toleranz gegenüber Juden im Mittelalter, in: Toleranz im Mittelalter, S. 75-99; H. Liebeschütz, The Crusading Movement in Its Bearing on the Christian Attitude towards Jewry, in: Essential Papers on Judaism and Christianity in Conflict. From Late Antiquity to the Reformation, hg. v. Jeremy Cohen (Essential Papers on Jewish Studies), New-York 1991, S. 260-275; Lester K. Little, The Jews in Christian Europe, in: Ebd., S. 276-297 sowie die Beitrr. in: Juden und Christen zur Zeit der Kreuzzüge, hg. v. Alfred Haverkamp (VuF 47), Sigmaringen 1999 und, aus theolog. Sicht, Begegnungen zwischen Christentum und Judentum in Antike und Mittelalter, FS f. Heinz Schreckenberg, hg. v. Dietrich-Alex Koch u. Hermann Lichtenberger (Schrr. d. Institutum Judaicum Delitzschianum 1), Göttingen 1993. Vgl. dazu unten, bes. Kap. 4.3.5. sowie 4.3.6. u. 7. Eine Ausnahme in bezug auf die Erwähnung Arnolds bildet Rüdiger SCHNELL, Die Christen und die „Anderen". Mittelalterliche Positionen und germanistische Perspektiven, in: Die Begegnung des Westens mit dem Osten, S. 185-202, der (S. 198f. m. Anm. 52) bemängelt, die germanist. Forschung habe bislang ledigl. einzelne Passagen aus Arnolds Chronik und diese zudem nur in deutscher Übersetzung(l) beachtet. Vgl. zur Einordnung der Berichte Arnolds (ohne daß auf die Chronik eingegangen würde) z. B. Friedrich Wolfzettel, Die Entdeckung des „Anderen" aus dem Geist der Kreuzzüge, in: Ebd., S. 273-295; Hannes Möhring, Der andere Islam. Zum Bild vom toleranten Sultan Saladin und neuen Propheten Schah Ismail, in: Ebd., S. 131-155; Ders., Die Kreuzfahrer, ihre muslimischen Untertanen und die heiligen Stätten des Islam, in: Toleranz im Mittelalter, S. 129-157; Manuela Martinek, Der Islam und das Fremde. Am Beispiel der Begegnungen des Vorderen Orients mit dem Okzident, in: Das Begehren des Fremden, S. 95110; Schwinges, Wahrnehmung sowie die Beitrr. in: Die Kreuzfahrerstaaten als multikulturelle Gesellschaft. Einwanderer und Minderheiten im 12. und 13. Jahrhundert, hg. v. Hans Eberhard Mayer (Schrr. d. Hist. Kollegs; Kolloquien 37), München 1997 u. in: Orientalische Kultur und Europäisches Mittelalter, hg. v. Albert Zimmermann u. Ingrid CraemerRuegenberg (MM 17), Berlin-New York 1985. Zum Kreuzzug Heinrichs vgl. V, 25-29; zu Livland ebd., 30. Die Wir-Bezüge finden sich allesamt

Die Selbstzuschreibungen

249

hen,123

ist zunächst einmal hervorzuheben, daß Arnolds Zuschreibung zur christianitas wiederum in Abgrenzung von einer anderen großen Gemeinschaft erfolgt.124 Für sie kann er den Begriff Saraceni verwenden, außerordentlich häufig werden diese jedoch zu hostes, adversara und infideles?25 Die Kreuzzugskapitel weisen insgesamt eine große, sonst im Werk nicht vorzufindende Anzahl von Abgrenzungen auf, die sich erneut in der Verwendung asymmetrischer Gegenbegriffe ausdrückt: Arnold stellt sehr oft den Kreuzzugsteilnehmern (populus Dei, fidèles, christiani, aber auch milites Christi und gens sancta), häufig sogar innerhalb eines Satzes, „Andere" gegenüber, besonders das feindliche Heer Saladins, für das er unter anderem den Terminus legio Sathane verwendet.126 Die Wir-Bezüge finden sich dabei oftmals im Kontext der Darstellung militärischer Kampfhandlungen und Belagerungen von Städten: Sie gipfeln in Gegenüberstellungen von Angehörigen des christlichen Heeres als nostrates und den hostes?21 in den

Kapiteln über die Kreuzzüge Friedrichs u. Heinrichs: IV, 4, S. 123 (noster Ihesus Christus); 16, S. 147; V, 25, S. 194 u. 28, S. 205 (peccata nostra); vgl. a. IV, 4, S. 121f; V, 27, S. 201 u. 204; 29, S. 209 (2x) (nostrates, die auch auf die christianitas bezogen sind) sowie V, 25, S. 194 (2x) nos/nobis; auch VI, 1, S. 217 (peccata nostra). Keine direkten Identifikationen finden sich dagegen im Livlandkap., dem dennoch eine zentrale Funktion zukommt; vgl. dazu unten, Kap. 4.2.1.6. Im folgenden steht nicht eine Rekonstruktion der Ereignisse im Mittelpunkt. Zur umfangreichen jüngeren Forschung über die Kreuzzüge vgl. den gut strukturierten Überblick bei Jürgen Sarnowsky, Kreuzzüge und Ritterorden in der neueren Forschung, in: Die Aktualität des Mittelalters, hg. v. Hans-Werner Goetz (Herausforderungen. Hist.-polit. Analysen 10), Bochum 2000, S. 25-55. Zu den Kreuzzügen Friedrichs I. vgl. etwa Rudolf Hiestand, „precipua tocius christianismi columpna". Barbarossa und der Kreuzzug, in: Friedrich Barbarossa. Handlungsspielräume und Wirkungsweisen des staufischen Kaisers, hg. v. Alfred Haverkamp (VuF 40), Sigmaringen 1992, S. 51-108. Zu Heinrich VI. vgl. Claudia Naumann, Der Kreuzzug Kaiser

Heinrichs VI., Frankfurt a.M. 1994. Eine „konkrete" Parallele zwischen Iudei und Muslimen im Hl. Land besteht für Arnold in der Verhöhnung Christi. Ausführlich und unter dem Einsatz direkter Identifikationen schildert er (IV, 4, S. 122f.) die Gefangennahme des Kreuzes Jesu durch Saladin, die zur occisio populi Dei führt, und läßt er den Sultan, der die virtus del mei Maumeth betont, in wörtl. Rede Schmähungen vortragen. Die Wir-Bezüge ebd., S. 121 f. u. 123. Zu den Kreuzzugsdarstellungen vgl. unten, Kap. 4.3.5. Vgl. z. B.: Saraceni: IV, 15, S. 141; V, 26, S. 196; Saladin als rex Sairacenorum: IV, 6, S. 126; hostes: V, 25, S. 202; 27, S. 209; adversarii: IV, 3, S. 120; infideles: IV, 14, S. 140. Zur Kontrastierung weiterer Gemeinschaften in den Kreuzzugsdarstellungen, etwa Teutonici u. Saraceni, vgl. unten, Kap. 4.3.5. Vgl. z. B. populus Deil Domini: IV, 4, S. 120; V, 27, S. 290; fidèles/ christiani: IV, 4, S. 120; milites Christi: 14, S. 140; gens sancta, i.e. christianorum legio Sathane: V, 26, S. 196. Vgl. a. IV, 1, S. 112 zur Verwendung der toposhaften Gegenüberstellung inimici zizania messis Christi. Zur Abhängigkeit des Blicks auf den Islam von einer christlichen' Weltsicht vgl. a. Norman Daniel, Islam and the West. The Making of an Image, Edinburgh 1960; Richard W. Southern, Das Islambild des Mittelalters, Stuttgart 1981 (zuerst engl. 1962) u. Ekkehart Rotter, Abendland und Sarazenen. Das okzidentale Araberbild und seine Entstehung im Frühmittelalter (Studd. z. Sprache, Gesch. u. Kultur d. islam. Orients, N.F. 11 ; Beihh. z. Zs. „Der Islam"), Berlin 1986. Vgl. V, 27, S. 200-204 (Belagerung v. Baruth [Beirut]); 29, S. 209 (Belagerung v. Thorut). Der Ausdruck nostrates kann zusätzl. auch regionale Bezüge haben: So ist im ersten Fall Gf. Adolf unter sie zu rechnen, im zweiten berichtet Arnold kurz zuvor (28, S. 205) über die Kriegskunst der Kreuzzugsteilnehmer aus der Saxonia. Vgl. a. (27, S. 204) den Bericht über eine den nostrates -

-

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

250

Grenzziehungen zwischen den Gemeinschaften im Zusammenhang mit Eroberungs z ü g e n in einem geographischen Raum stehen, ist in den Kreuzzugskapiteln häufig auch dieser Raum von Trennlinien durchzogen. So konstatiert Arnold etwa bei der Einnahme der Feste Gybel durch die Christen, der Ort sei nun den terminis christianorum hinzugefügt worden.128 Die Kontrastierung von Christen und Muslimen kann dabei mit einer Zuschreibung von geographischen Räumen korrelieren, die bestimmten Konnotationen unterliegen, wie etwa in der Darstellung der Eroberung von Baruth (Beirut) durch die Servi Christi: Während diese in den Besitz eines Ortes gelangen, den Arnold positiv als wirtschaftliches, strategisches und herrschaftliches Zentrum der Region kennzeichnet, fliehen die unterlegenen hostes in eine begrifflich genau entgegengesetzt strukturierte und negativ konnotierte Peripherie, in „wüste und unwegsame Gegenden", die sich durch Berge, Felsen und Klüfte auszeichnet.129 Arnold weist Da die

Christen und Muslimen also diametral entgegengesetzt charakterisierte Räume zu, deren Beschreibungen traditionelle, für die Leser verständliche Bewertungen enthal-

ten.130

überwiegenden Polarisierungen von christianitas und muslimischen Gegnern ist jedoch auf drei Aspekte hinzuweisen, die dieses Bild differenzieren: 1. betrachtet der Chronist die christianitas zwar in Kontrast zu anderen Religionsgemeinschaften als Einheit, er trennt jedoch an anderen Stellen auch innerhalb der christianitas scharf zwischen Latini und Greci: In zwei aufeinanderfolgenden Kapiteln über Trotz der

den status Latinorum und die subactio Grecie schreibt er sich deutlich der lateinischen Christenheit zu, während er sich von den Greci abgrenzt.131 2. stellt Arnold, wenn auch selten, Gemeinsamkeiten zwischen christlichen und islamischen Glaubensgrundsätzen fest: So läßt er die in einer Stadt eingeschlossenen Muslime gegenüber den christlichen Belagerern beteuern, sie lebten nicht sine religione, auch wenn sie keine christiani seien. Zwar unterscheide sich ihre religio von der christlichen, beide hätten jedoch unum factorem, unum patrem. Deshalb seien auch sie fratres non professione, sed humanitate. Die sonst als feindlich charakterisierten infideles gehören so zusammen mit den Christen einer größeren Gemeinschaft an: der ...

unbekannte Sitte der Anm. 136f.

gentiles, Botschaften

durch Brieftauben

zu

übermitteln; dazu unten,

m.

V, 27, S. 204: Princeps [der christl. Fürst v. Antiochien] vero superveniens ipsam civitatem termiDschabala; vgl. Pertz in seiner Ed. der Chronik, S. 204 nis addidit christianorum. Gybel =

Anm. 5. V, 27, S. 202f: Hostes

per loca deserta et invia fugere ceperunt, nullum vite presidium nisi etpetrarum fissuras opinantes. Servi... Christi civitatem et castrum intraveomnibus divitiis repletum invenerunt. Vinum autem et triticum et cetera que ad victum pertinent, abundantissime repererunt illic. (...) Est enim Baruth nobilissima civitatum et fortissimum presidium illius regionis. Que quia in óptimo portu maris sita est, omnibus prebet Introitum et exitum. (...) Habet etiam talem prerogativam eadem civitas, ut omnes reges illius terre ibi coronentur. Arnold ist hierin in eine Reihe mit anderen mittelalterl. Autoren zu stellen. Vgl. zur Einordnung etwa die Untersuchungen von Berges u. Ramin sowie zum hier verwendeten Ansatz in bezug auf die Interpretation von Raumdarstellungen grundsätzlich oben, Kap. 1.4. VI, 19f, S. 240-254. Der Begriff status Latinorum: VII, 1, S. 254. Zur Einordnung vgl. unten, Anm. 142. Vgl. a. oben, Kap. 4.2.1.1. über die Charakterisierung Bf. Heinrichs. montes et scopulos runt. Et castrum ...

...

...

Die Selbstzuschreibungen

251

humanitas, die jenseits aller Glaubensdifferenzen in einer gemeinsamen Gotteskind-

schaft besteht.132 Arnold propagiert sogar eine tugendhafte christliche Haltung gegenüber den Saraceni, indem er die Muslime an die karitas der christlichen Belagerer appellieren und um Schonung bitten läßt.133 So ist seine Haltung durch eine gewisse ,Toleranz' gegenüber den Muslimen gekennzeichnet, die zwar nicht ihre religiösen Vorstellungen einschließt, aber die Angehörigen des fremden Glaubens immerhin als fratres humanitate durchaus anerkennt.134 Dennoch bleibt die Tatsache, daß Arnold diese Ansicht nicht selbst vorträgt, sondern in direkter Rede Andere vortragen läßt, auffällig, und es wird noch unten zu zeigen sein, daß die erwähnte Passage in dieser Hinsicht keinen Einzelfall darstellt.135 Der Geschichtsschreiber erwähnt sogar eine technisch-kulturelle Überlegenheit der gentiles, die verständiger (sapientiores) seien als die Christen (filii lucis): Er konstatiert, daß „sie sich Vieles ausdenken, was die Unseren noch nicht kennengelernt haben" und führt hierfür die Sitte, Nachrichten mittels Brieftauben zu überbringen, als Beispiel an.136 Aus diesen Worten spricht durchaus Anerkennung für die gentiles, wenn auch nicht im Hinblick auf ihre religiösen Vorstellungen, sondern auf ihr (in diesem Aspekt) überlegenes Wissen. Vor allzu schnellen Schlüssen ist jedoch zu warnen: Die Passage kann kaum als „Einsicht" in „die schuldige Anerkennung dessen [angesehen werden], was der Westen der arabischen Kultur verdankt", wie aus einer von der Moderne her argumentierenden, ahistorischen Sichtweise vorgeschlagen worden ist.137 Weiter führt V, 28, S. 207: Nos enim, licet christiani non simus[s\c\], non tarnen sine religione vivimus, nam, ut speramus, Abrahei sumus ideoque a Sara uxore ipsius Saraceni dicti sumus. (...) Unde constat,

dispar sit religio, unum nos habere factorem, unum patrem, Ideoque constat nos fratres esse professione, sed humanitate. Quapropter patrem attendite, fratribus parcite. Vgl. a. Schnell, S. 198f. Der Hinweis auf Abraham u. Sara legt nahe, daß Arnold letztlich auch die Iudei aufgrund des gleichen Arguments, der gemeinsamen Gotteskindschaft, in die humanitas einbezieht. Explizit macht er dies jedoch nicht. Die Herleitung der Saraceni von Sara schon bei Isidor von Sevilla, Etymologiae. Der Abschnitt bei Arnold stellt keine Ausnahme dar; vgl. etwa die Beispiele bei SCHNELL. Es ist zu beachten, daß Arnolds Darstellung v.a. auf den tugendhaften Umgang der Christen mit ihren Feinden zielt, der aus Mangel an karitas nicht allen möglich gewesen sei (V, 28, S. 208). Die Verzögerungen des Friedensschlusses führen letztlich zur Wiederaufnahme der Kämpfe u. zur Niederlage des Kreuzfahrerheeres (29, S. 209-212). Zur Frage nach einer von der heutigen Auffassung durchaus unterschiedlichen, spezifisch mittelalterlichen Sichtweise v. .Toleranz' vgl. die Beitrr. in: Toleranz im Mittelalter, die auf die Schwierigkeiten einer Übertragung des modernen Begriffs auf das Mittelalter hinweisen. Vgl. z. B. den Reisebericht Burchards v. Straßburg, den Arnold inseriert u. in dem ebenfalls .tolerantere' Vorstellungen transportiert werden als sie in Arnolds eigenen Äußerungen zu finden sind; dazu unten, Kap. 4.3.7. V, 27, S. 204: Hie quiddam dicturus sum non ridiculum, sed ridiculose a gentilibus tradum, qui quoniam sapientiores filiis lucis in generatione sua sunt, multa exeogitant, que nostrates non noverunt, nisi forte ab eis didicerint. Vgl. Dietrich Lohrmann, Technischer Austausch zwischen Ost und West zur Zeit der Kreuzzüge, in: AKG 82 (2000), S. 319-344, S. 319. Ebd.: Arnold sei „[beeindruckt vom technischen Vorsprung des muslimischen Ostens" gewesen. Gleich mehrere Defizite der Forschung werden in dieser Ansicht deutlich: 1. zeigt sich hier der Nachteil einer nahezu selbstverständlichen Übertragung einer modernen u. nicht am Text belegten Definition des Eigenen und des Fremden im etsi

non

Sinne

von

„Westen" und „muslimischer Osten" bzw. „arabische Kultur", obwohl Arnold

von

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

252

auch hier die Frage nach der Funktion der Fremddarstellung, konkret der Zuschreibung einer kulturellen Überlegenheit, für deren Beantwortung es wiederum methodisch unumgänglich ist, den Kontext der Passage einzubeziehen: Denn dieser läßt deutlich werden, daß der Entsendung von Nachrichten mittels Brieftauben in der Darstellung Arnolds eindeutig eine militärische Funktion zukommt, die darüber hinaus konkrete Erfolge der Christen nach sich zieht. Arnold beschreibt die „Überlegenheit" der gentiles eben gerade nicht, um irgendjemandem „Anerkennung zu schulden", er fixiert vielmehr schriftlich eine Möglichkeit, Feinde zu besiegen, indem die Verbreitung politisch und militärisch wichtiger Informationen beschleunigt wird. 3. schließt es sich wie in anderen Werken auch in Arnolds Darstellung nicht aus, daß der Chronist Mißerfolge und das Scheitern der Eroberung Jerusalems nicht nur auf die fast ausschließlich negativ charakterisierten infideles zurückführt, sondern ebenso, wie er mehrfach bekundet, auf peccata nostra?3" Unter letztere scheint er auch den Sittenverfall im Kreuzfahrerheer zu rechnen, den er in Vorwürfen von Ehebruch, Habsucht und Hochmut konkretisiert.139 Immer wieder kritisiert er zudem die Uneinigkeit und Zwietracht unter Christen, die er als ursächlich für Mißerfolge in verschiedenen Bereichen betrachtet: Auf einer untergeordneten Ebene sieht er in der Uneinigkeit des Kreuzfahrerheeres nach dem Tod Kaiser Heinrichs VI. den Grund für die Niederlage gegen die einmütigen (unanimes) Gegner.140 Und auf einer übergeordneten Ebene kennzeichnet Arnold auch das regnum durch Zwietracht und Spaltung. Seine Kritik am Konflikt zwischen dem Weifen Otto und dem Staufer Philipp um das Königtum ist nachgerade im Zusammenhang mit den zahlreichen Passagen zu lesen, die Aufforderungen zum Kreuzzug enthalten:141 Denn der Thronstreit verhinderte Arnolds Meinung nach die vordringliche Aufgabe des deutschen Königs die Durchführung eines Kreuzzugs unter Führung der kaiserlichen Autorität.142 -

gentiles spricht u. weder von „Osten" noch von „Arabien" (vgl. zur grundsätzlichen Kritik an dieser Haltung oben, Kap. 1.3. m. Anm. 27 u. Kap. 1.4.). 2. wird der Kultur-Begriff im Singular verwendet und damit eine in sich abgeschlossene arabische Kultur impliziert, ohne eine solche Auffassung des mittelalterl. Autors im Text nachzuweisen. 3. geht Lohrmann auf Arnolds konkretes Beispiel der Nachrichtenübermittlung durch Brieftauben überhaupt nicht ein. IV, 16, S. 147: Sie necdum libérala est terra repromissionis propter peccata nostra. Vgl. a. V, 25,

S. 194,28, S. 205 u. VI, 1, S. 217. Vgl. V, 29, S. 210: Quanti enim fuerunt, qui pro Christo légitimas suas reliquerant, qui ibi meretriculis adherebant? (...) Quanti illic specie redi decipiebantur, qui, navium suarum precio ditati, plus avaritie quam Christi militie studebant? Quid de talibus dixerim, qui arrogantie dediti, suis consimilibus in vana gloria se preferebant et, quos domi consortes habuerant, eis parificari in peregrinatione nolebant. Vgl. z.B. ebd., S. 209: ////' enim unanimes perseverabant, istl autem dissidentes partim pugnabant, partim diversis negotiis vacaban! Arnold nimmt (VI, 1, S. 217 [Jes. 5, 25]) die Einleitung des Kapitels über den Kreuzzug Heinrichs VI. (V, 25, S. 194) wieder auf. Hucker, Kaiser, S. 131-133 meint, das gesamte Werk sei „in Anlage und Aufbau Kreuzzugswerbung und Kreuzzugsrechtfertigung" (Zit. S. 132). Dagegen Walther, Verschriftlichung, S. 15f; vgl. dazu unten, Kap. 4.2.2. Arnold (VI, 1, S. 217) stellt die Spaltung im Thronstreit den Erfolgen Heinrichs VI. gegenüber: Deficiente Heinrico, per quem Deus términos imperii, ut dictum est, multum dilataverat, negleda fide sive electione in filium ipslus fada, duo soles, id est reges, exorti sunt, qui radiis invtcem discordantibus Romani imperii fines non modice perturbaban! Die Darstellung der ...

Die Selbstzuschreibungen

4.2.1.6. Die

253

Livlandkreuzzüge und der Adressat der Chronik

Auch den Livlandkreuzzügen widmet Arnold ein Kapitel. Im Vergleich mit den extensiven Schilderungen der Kreuzzüge ins Heilige Land fällt jene Darstellung verhältnismäßig kurz aus.143 Dennoch wird diesem Kapitel in der Forschung eine große Bedeutung beigemessen, da sich konkrete Verbindungen zwischen der Livonia und dem Adressaten des Werkes herstellen lassen: Bischof Philipp von Ratzeburg bereitete unmittelbar zum Ende der Abfassungszeit der Chronik 1210 einen Livlandkreuzzug Kaiser Ottos IV. vor, der 1211 unter Beteiligung Philipps stattfand.144 Die Rolle des Ratzeburger Bischofs ist dabei sehr hoch einzuschätzen: Für den Chronisten Heinrich in von Lettland, der 1212 und 1214 sacerdos Philipps war, zählte dieser inter summos Bischof Alberts Stellvertreter teilweise als curia imperatoris Ottonis und fungierte gar von Riga.145 Obwohl Arnold Otto IV. und Philipp im Zusammenhang mit dem Livlandkreuzzug nicht erwähnt, ermöglicht vor allem die Stellung des Kapitels im Werk eine Einordnung in die Kreuzzugsthematik, denn es befindet sich hinter den Darstellungen der Kreuzzüge Friedrichs I. (lib. IV) und Heinrichs VI. (in lib. V) am Ende des fünften Buches und vor der Klage über das noch immer nicht befreite Jerusalem zu Beginn des sechsten. In dem Livlandkapitel beschreibt Arnold den Verlauf der Missionierung seit ihren Anfangen unter Bischof Meinhard (1186-1196) und dessen Nachfolgern sowie die Gründung des Bistums ,Riga',146 er hebt hervor, daß der Papst für die Teilnahme am Kreuzzug nach Livland den gleichen Ablaß gewährt habe wie für diejenige an der Fahrt ins Heilige Land und stellt den Aufbruch des Kreuzfahrerheeres in Lübeck heraus.147 ...

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Eroberung Konstantinopels ohne Beteiligung des dt. Königs (VI, 19, S. 240-245) u. die Insertion eines Briefes an Otto, der den Absender des neuen lateinischen Kaisers Balduin trägt (20, S. 245254, hier S. 245: Dei gratia fidelissimus imperator Constantlnopolitanus, a Deo coronatus, Romanus moderator et semper augustus), können als Kritik am Thronstreit verstanden werden; vgl. dazu Walther, Verschriftlichung, S. 16. Vgl. zum Folgenden V, 30, S. 212-217; zur Geschichte der Livlandkreuzzüge bes. William Urban, The Livonian Crusade, Washington 1981; Christiansen, S. 89-100 u. R. Wittram, Baltische Geschichte. Die Ostseelande Livland, Estland, Kurland 1180-1918, München 1954. Zur Rolle Philipps auf dem Kreuzzug vgl. bes. Hucker, Kaiser, S. 179-183 u. 445f; zur Datierung der Chronik oben, Kap. 4.1. Das Zit. bei Heinrich von Lettland, Chronicon Livoniae XV, 12, ed. Leonid Arbusow u. Albert Bauer, MGH SSrG 31, Hannover 1955, S. 100. Zur Stellvertretg. ebd.; XVI, 3-6, S. 104-111; XVII, 1 u. 4, S. 112f. sowie XVIII, 1, 3-5 u. 9, S. 115-119 u. 122. Vgl. a. Hucker, Chronik, S. 113. Ders., Kaiser, S. 445 übersetzt sacerdos mit Kapellan. Riga wurde erst 1201 gegründet. Der erste Bischofssitz war Üxküll (vgl. die Urkk. v. 1188 Sept. 25 u. Okt. 1, Hamburgisches ÜB I, Nr. 278 u. 280, S. 247 u. 248f). Bf. Meinhard war zuvor Augustinerchorherr in Segeberg. Nach seinem Tod folgte 1197 Berthold, Zisterzienserabt aus Loccum, der 1198 im Kampf gegen die Liven umkam. Vgl. hierzu den Überblick bei Norbert Angermann, Art. Livland (Die Eroberungszeit), in: LMA 5, München-Zürich 1995, Spp. 20452048, hier Sp. 2046. V, 30, S. 215: Fit igitur de tota Saxonia, Westfalia vel Frisia prelatorum, clericorum, militum, negodatorum, pauperum et divitum conventus plurimus, qui in Liubeka comparatis navibus, armis et victualibus Livoniam usque pervenerunt. Zur Entwicklung Lübecks zum einzigen Nachschubhafen für die Kreuzfahrer in Preußen u. Livland vgl. Jenks, S. 503-505.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

254

Besonders lobt er Bischof Albert (seit 1199) für seine Christianisierungsbemühen. Dessen Auseinandersetzungen mit dem rex Rucie um die Tributzahlungen der Livones schildert er ebenso wie die Konflikte mit den Schwertrittern (fratres, qui Dei milites dicuntur)?4" Auffällig erscheint die Erwähnung, Albert habe vom Papst (Innozenz III.) die Erlaubnis erhalten, auch viri religiosi zu seinen cooperatores zu machen, und zwar ausdrücklich sive de ordine monachorum, sive regularium canonicorum?49 So ist vor dem Hintergrund der Propagierung des benediktinischen Mönchtums in Erwägung zu ziehen, daß Arnold hier dem Adressaten Philipp die Beteiligung von monachi an den Christianisierungen der Livonia oder eine Ausweitung des benediktinischen Mönchtums in den Regionen nahelegte. Allerdings ist auch dieser Schluß mit Vorsicht zu ziehen, da er lediglich eine mögliche Erklärung für die Passage darstellt. Unumstritten ist dagegen, daß Arnold die Auseinandersetzung mit Liven und Esten, wie Bernd Ulrich HUCKER überzeugend geltend gemacht hat, ebenso als Kampf gegen die inimici Christi ansah wie die Kreuzzüge ins Heilige Land.150 Stellt man Arnolds umfangreiche Thematisierung von Kreuzzügen insgesamt und die von der Forschung hervorgehobene Bedeutung des Livlandkapitels in Rechnung, so ist es überaus wahrscheinlich, daß die Adressierung der Chronik an Bischof Philipp von Ratzeburg wesentlich aufgrund seiner führenden Rolle im Livlandkreuzzug von 1211 und seiner Beratertätigkeit für Kaiser Otto IV.

erfolgte.

4.2.2. Reich und Region Arnolds Zuschreibungen im Hinblick auf ,weltliche' Gemeinschaften sind bislang noch nicht eingehend untersucht worden. Jedoch haben einige, bereits oben angesprochene Forschungsarbeiten151 im Bemühen, die Intentionen des Chronisten zu entschlüsseln -, indirekt auch die Frage berührt, welche Gewichtungen sich aus Arnolds möglichen Zuschreibungen zum ,Reich' oder zu kleineren Regionen ablesen lassen. Die in diesen Arbeiten vertretenen Positionen unterscheiden sich erheblich voneinander: Bernd Ulrich HUCKER betrachtet die gesamte Chronik als Historia Regum und sieht die Grundintention Arnolds daraufgerichtet, den im Oktober 1209, kurz vor Ende der Abfassungszeit, als Otto IV. gekrönten Kaiser mit seinem Werk zu einem Kreuzzug ins Heilige Land aufzurufen. Einerseits schließt Hucker an bisherige Forschungsarbeiten an, indem auch er die viel beschworene „Weifennähe"152 des Abts betont, andererseits geht er jedoch auch über diese Untersuchungen hinaus, denn er führt den Berichtshorizont Arnolds, -

V, 30, S. 217. Die Schwertritter forderten nach Arnold ein Drittel der bisher erworbenen Gebiete. Vgl. zu den Auseinandersetzungen auch Friedrich Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder,

Köln 1965 u. Urban. Zu den Auswirkungen der Ereignisse auf Lübeck vgl. Antjekathrin GrabMANN, Lübeck und der Deutsche Orden. Möglichkeiten zu neuen Forschungen, in: Werkstatt des Historikers der mittelalterlichen Ritterorden. Quellenkundliche Probleme und Forschungsmethoden, hg.v. Zenon Hubert Nowak (Ordines militares. Colloquia Torunensia histórica 4), Torún 1987, S. 33-47, bes. S. 37. V, 30, S. 216. Hucker, Kaiser, S. 179f; vgl. a. Ders., Chronik. Vgl. oben, Kap. 4.1. Zu Arnolds „Weifennähe" vgl. oben, Kap. 4.1.

255

Die Selbstzuschreibungen

Passagen über das Heilige Land, Griechenland und Italien weit über den nordelbisch-sächsischen Raum hinausweist, auf die von ihm vermutete Intention des Chronisten zurück und räumt den Kreuzzugskapiteln eine wenn nicht überhaupt d i e zentrale Funktion im Werk ein.153 So kommt er zu dem Schluß, die Chronik insgesamt sei in der Absicht verfaßt worden, die ,,imperiale[...] Aufgabenstellung des unter Otto IV. neu erstarkten Königtums" zu betonen.154 Gegen Huckers Ansicht, die auf zahlreichen, nicht unbestritten gebliebenen Prämissen basiert, etwa der Annahme einer Auftraggeberschaft Ottos selbst für das Werk,155 hat sich besonders Helmut G. WALTHER gewandt.'56 Die Bezeichnung Historia Regum für die gesamte Chronik betrachtet er als nicht durch die Aussagen Arnolds gedeckt; sie

der in den

-

-

sei lediglich auf die beiden abschließenden Bücher anwendbar. Seiner Meinung nach ist die in jüngeren Forschungsbeiträgen erneut stark in den Vordergrund gerückte Weifennähe Arnolds, die den Chronisten nahezu als einen welfischen Hofhistoriographen erscheinen lasse, überbetont. Walther akzentuiert demgegenüber stärker die Bedeutung regionaler Bezüge im Werk und stellt heraus, daß der Benediktinerabt auch seine Reichsvorstellungen und die aus den Kreuzzugsberichten ableitbaren Wertmaßstäbe in erster Linie am Nutzen für die nordelbischen Gebiete entwickelte. Die „Leitvorstellungen" des Chronisten richten sich seiner Ansicht nach vor allem auf die Nordalbingia und kommen im Werk als ein „nordelbisches Selbstbewußtsein" zum Ausdruck. Zwar mißt auch Walther den Kreuzzugskapiteln eine große Bedeutung bei, er hebt jedoch besonders den Abschnitt über die Christianisierung der Livonia hervor: Arnold habe mit seinem (letztlich primär an der Region ausgerichteten) Werk in Bischof Philipp von Ratzeburg einen geeigneten Adressaten gefunden, weil dieser, wie oben erwähnt, gegen Ende der Abfassungszeit an der Vorbereitung eines Livlandkreuzzugs beteiligt war. Eine Auftraggeberschaft Ottos IV. für die Chronik sei dagegen nicht anzunehmen. Bereits die kurze Skizzierung der beiden konträren Ansichten läßt deutlich werden, daß sie auf unterschiedlichen Einschätzungen über Arnolds Selbstpositionierung zwischen zwei möglichen Polen, dem regnum und imperium sowie einer kleineren Region, der Nordalbingia, beruhen. Zugleich werden in den Untersuchungen Problembereiche berührt, die unmittelbar mit den Funktionen des Textes insgesamt, mit der Bedeutung des Adressaten und möglichen causae scribendi zusammenhängen. Wenn im folgenden die Zuschreibungen Arnolds zu imperium und regnum auf der einen sowie zur Saxonia, Nordalbingia und zu Lübeck auf der anderen Seite untersucht werden, so kann die Betrachtung der Chronik unter der Fragestellung dieser Arbeit zugleich eine Überprüu. Ders., Kaiser, im Unterschied zur bisherigen Forschung, die Arnolds diesen Regionen mit seinem Informationsstand u. seinem Interesse an den dort agierenden Personen aus dem nordelb.-sächs. Raum erklärt hat. Hucker, Chronik, S. 109. Hucker bezweifelt entgegen der Selbstaussage Arnolds, daß dieser die Chronik Helmolds jemals habe fortsetzen wollen; vgl. dazu bereits oben, Kap. 4.1. m. Anm. 9 u. 15. Die gemeinsame Überlieferung der Chroniken in Hss. des Spätmittelalters u. in Drucken des 16. u. 17. Jh. bieten ein seiner Meinung nach verfälschendes Bild (vgl. Chronik, S. 98-103). Zur vermuteten Auftraggeberschaft Ottos IV. ebd., S. 116-119.

Hucker, Chronik Interesse

an

Walther, Verschriftlichung.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

256

fung der hier skizzierten kontroversen Forschungsmeinungen leisten und zur Klärung strittiger Fragen beitragen helfen. Dafür ist zunächst kurz auf den „Reichs"-Begriff des Chronisten einzugehen. 4.2.2.1.

Regnum und imperium

Arnold differenziert genau zwischen den Titeln rex und imperator. Letzteren verwendet er erst nach der Kaiserkrönung für einen Herrscher.157 Während des ,staufisch-welfrschen Thronstreits' nennt er sowohl den Staufer Philipp als auch den Weifen Otto rex, erst vom Zeitpunkt der Kaiserkrönung an bezeichnet er Otto als imperator?5" Ebenso wie zwischen den Titulierungen trennt der Chronist auch zwischen regnum und imperium: Er unterscheidet mehrere nationes im regnum und faßt unter das imperium die partes Teutonicorum, die Italia und Lombardia?59 Arnold nennt eine Vielzahl weiterer reges außer dem (deutschen) rex?60 wobei er mit der Wahl zum deutschen König einen Anspruch auf die Kaiserwürde verbindet: So ist Otto als rex zugleich Romani imperii princeps?6* Aus diesem Anspruch ergibt sich auch eine Konkurrenz zwischen dem deutschen rex und dem rex Grecorum: Sie zeigt sich in der Darstellung Konrads III., der sich unter Hinweis auf den honor Romani imperii geweigert habe, der vom rex Grecorum geforderten Proskynese nachzukommen einer detestabilis consuetudo, wie Arnold einschiebt.162 Otto IV. wiederum betrieb nach Arnolds Worten seine Kaiserweihe gar zu gloria et honore Teutonicorum?63 -

I, 10, S. 26 (Konrad III.); III, 15, S. 101 (Heinrich VI.); VII, 1, S. 254 (Philipp). Imperator: z. B. I, 2, S. 13; II, 1, S. 36 (Friedr. I.). Die Differenzierung wird deutlich bei Heinrich VI., der bis zur Weihe (V, 4, S. 151) rex genannt wird, danach imperator. Die Bemühungen Friedr. I., noch zu seinen Lebzeiten Heinrich zum Ks. krönen zu lassen, werden vom Papst abgewehrt, weil non posse simul duos imperatores regnare (III, 11, S. 97; vgl. a. 17, S. 103); Heinrich bleibt rex imperatoris filius (III, 15, S. 101) Der Ausdruck cesar ist selten, z. B. II, 1, S. 37 (Friedr. I.). Vgl. allg. zu Herrschertitulierungen Eggert, Heinricus u. Ders., Regna, sowie (zum Vergleich mit Urkk.) IntitulatioIII. Vgl. etwa VI, 1, S. 217: duo soles, id est reges, exorti sunt. Otto bleibt rex bis zur Krönung (VII, 15, S. 287 u. 19, S. 294). In päpstl. Briefen, die Arnold inseriert, wird Otto (zw. dem Tod Philipps u. der Kaiserkrönung) als Romanorum imperator electus bezeichnet (VII, 3fi, S. 257 u. 260). Zu den nationes vgl. z. B. V, 26, S. 198: Suevia, Bauwaria, Franconia et aliis nationibus u. VI, 2, S. 219: Franconia, Saxonia, Suevia, Bawaria, Thuringia. II, 1, S. 37 u. IV, 15, S. 142: partes Teutonicorum; III, 15, S. 101: Teutonicaepartes; V, 20, S. 184: terrae Teutonie. Die deutschen Könige bezeichnet Arnold ledigl. als rex; zu anderen reges vgl. z. B. rex Grecorum (I, 2, S. 13); Ungarorum (ebd.); Ungarie (IV, 8, S. 129); Danorum (III, 4, S. 76); Ierosolimorum (IV, 2, S. 115); Babilonie (5, S. 124); Sarracenorum (6, S. 126); Constantinopolitanus (9, S. 132); Francie (16, S. 144); Anglie (ebd.); Pomeranorum (III, 7, S. 82-84). in regem et Romani imperii principem VI, 1, S. 218: omnes unanimi consensu Ottonem elegerunt (...) in sedem imperii sublimatus et Romanorum augustus est salutatus; ähnlich (2, S. 219) bei der Wahl Philipps in regem. Für ihn habe totum robur imperii gestimmt: rex

Rex: z.B.

...

consecratur et Romanorum

I, 10, S. 25f. VII, 18, 292: benedlctlonem.

augustus salutatur.

honorifice

ut ...

eum

gloria

et

honore Teutonicorum

imperialem perciperet

Die Selbstzuschreibungen

257

Diese Betonung eines Zusammenhangs zwischen (deutschem) Königtum und imperialer Würde wird auch in jenen Passagen deutlich, in denen Arnold die Ereignisse im regnum auf das imperium bezieht: Die zeitgleiche Herrschaft zweier reges seit 1198, Otto und Philipp, die den Gegenstand des sechsten und siebten Buches bildet, führte seiner Meinung nach zu „Verwirrungen", sowohl im Romanum imperium*64 als auch in der ecclesia in occiduis partibus?65 Bernd Ulrich HUCKER hat darauf aufmerksam gemacht, daß Arnolds Darstellung des Doppelkönigtums zu Beginn des sechsten Buches vor allem auf die Propagierung eines neuen Kreuzzugs unter Otto IV. ins Heilige Land ausgerichtet ist.166 Arnolds extensive Behandlung der Kreuzzüge, aber auch seine Argumentationen und die Kreuzzugsaufforderungen selbst haben Hucker mit Blick auf Otto IV. zur Aussage veranlaßt, der Chronist habe mit seinem Werk „den Boden für einen künftigen, dritten Kreuzzug unter der Führung des neuen Kaisers bereiten wollen".167 Da die Ereignisse im regnum im Hinblick auf die negativen Folgen für das imperium bewertet werden und die Aussagen zudem im Zusammenhang mit Arnold Äußerungen über Kreuzzüge stehen, liegt in der Tat zumindest der Schluß nahe, habe in ihnen auch die zentrale „impériale" Aufgabe erblickt: Gemessen am Lob Heinrichs VI. für seine erfolgreiche Italienpolitik, seinen Kreuzzug ins Heilige Land und die Christianisierungsbemühungen in der Livonia, die den Abschluß des fünften Buches bilden, markiert die Wahl zweier reges zu Beginn des sechsten Buches einen deutlichen Einschnitt einen Wendepunkt, der den Beginn einer Zeit faktischer Handlungsunfähigkeit im imperium darstellt, die (für Arnold) erst mit Ottos Kaiserkrönung beendet scheint.168 Der Chronist verknüpft nicht nur imperium und Kreuzzüge, etwa in der Erklärung, Kaiser Friedrich habe seinen Kreuzzug im Wunsch nach einer Erhöhung des honor imperii unternommen.169 Sein Bericht über die Eroberung Konstantinopels ohne Beteiligung des deutschen Königs und die Insertion eines Briefes des neuen lateinischen Kaisers Balduin können zudem als deutliche Kritik des Chronisten am Thronstreit gelesen werden.170 Auch hierdurch erhalten die Kaiser ihre Bedeutung wesentlich als Leiter der Kreuzzüge und Verteidiger der christianitas?1* -

VI, 1, S. 217: duo soles, id est reges, exorti sunt, qui radiis invicem discordantibus Romani imperii fines non modice perturbabant. Vgl. a. II, 1, S. 36f. zur perturbatio imperii infolge der Auseinandersetzungen zw. dem Ks. u. den Langobarden. VI, 1, S. 217: Das Doppelkönigtum führt zu bella intestina in der ecclesia in occiduis partibus. Vgl. a. 2, S. 219: His regibus non conregnantlbus sed invicem discordantibus, turbatur ecclesia, oriuntur scismata, dissensiones, partes adulantium. Hucker, Chronik, S. 106. Ebd., S. 105f (Zit. S. 106) nach der Zählung Arnolds

(V, 25, S. 195), der nur die Kreuzzüge unter Leitung rechnet, indem er den (insgesamt dritten) unter Friedr. I. als den ersten bezeichnet, den (vierten) unter Heinrich VI. als den zweiten. Zur Ansicht der Doppelwahl und ihrer Folgen als „Wendepunkt der Reichsgeschichte" in der zeitgenössischen Chronistik vgl. Schneidmüller, Weifen, S. 243-245. VI, 7, S. 127: Frithericus Romanorum imperator, qui honorem imperii exaltare cupiens, ad kaiserl.

expugnandos inimicos crucis Christi robur militie sue convertit.

nennt sich (20, S. 245) Dei gratia fidelissimus imperator Constantinopolitanus, a Deo coronatus, Romanus moderator et semper augustus. Vgl. dazu auch Walther, Verschriftlichung, S. 15f. Ks. Entsprechend verurteilt Arnold auch die perturbatio und confusio, die durch den Streit zw. Friedr. I. u. Papst Alexander entstanden seien (III, 17-19, S. 102-109). Besonders kritisiert er (den

VI, 19f, S. 240-254. Balduin

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

258

Besonders im Kontext der Kreuzzugsdarstellungen verwendet der Geschichtsschreiber zudem den Terminus Teutonici, mit dem er zum einen die deutschen Teilnehmer des Kreuzfahrerheeres zusammenfaßt und die er zum anderen auch von den Greci abgrenzt.172 Die im Vergleich zu Adam und Helmold häufigere Verwendung des Begriffs Teutonici und ihre Positivbewertungen sprechen dafür, daß sich Arnold dieser Gemeinschaft zuschrieb. Außerhalb der Kreuzzugsdarstellungen verwendet er diesen Terminus zwar seltener, immerhin aber verfügten die Teutonici offenbar seiner Meinung nach über Gemeinsamkeiten, aufgrund derer er sie auch Sclavi und Dani gegenüberstellen konnte. Jedoch sprechen gleich zwei Aspekte dagegen, allein aus dem Gebrauch des Begriffs auf eine starke (prä)nationale Identität zu schließen: 1. Auch wenn Arnold den Terminus Teutonici verwendet, bezieht sich dieser in der Gegenüberstellung mit Sclavi und Dani letztlich lediglich auf die Bewohner der Nordalbingia, also, wie bei Adam und Helmold auch, eines kleinen regionalen Ausschnitts der terra Teutónica?13 2. Weist die (einmalige) Kontrastierung des Begriffs Teutonici mit Sclavi noch auf eine deutliche Abgrenzung beider Völkerschaften hin, so hebt Arnold demgegenüber ausdrücklich ein verbindendes Element zwischen Teutonici und Dani hervor: In einem Kapitel über die honestas Danorum erwähnt er, die Dänen hätten den usus Teutonicorum infolge der langjährigen cohabitatio „imitiert".174 Hier verweist er also nicht auf ein Gegen-, sondern vielmehr auf ein Miteinander, das sich aber tatsächlich' nur in der Nordalbingia und in Lübeck selbst vollzog, die in den Jahren vor der Abfassungszeit des Werkes unter dänische Herrschaft gerieten.175 Somit bezieht sich der Begriff Teutonici wiederum konkret lediglich auf einen kleinen regionalen Ausschnitt.176 Vor allem aber bewertet der Chronist die Dani nicht, wie in anderen Passagen, negativ, sondern hebt statt dessen positive Charakteristika der terra und ihrer Bewohner hervor, etwa den

172

173

späteren) Heinrich VI., den er wegen seines gewalttätigen Verhaltens gegenüber einem Bf. (17, S. 103) mit dem röm. Ks. Decius vergleicht. Zu der Bewertung der Kaiser auf den Kreuzzügen vgl. unten, Kap. 4.3.5. Vires Teutonicorum: I, 10, S. 26; Teutonici/ Teutonicus: 11, S. 27 (2x); IV, 13, S. 139; 15, S. 141f. (3x); V, 26, S. 198-200 (3x); ebd., S. 199 auch in Abgrenzung von den Saraceni. Zu den Slavi vgl. VI, 13, S. 232f. über einen Feldzug der Slavi in terram comitis Adolfi de Dasle, des Grafen v. Ratzeburg. Zu den Dani vgl. im folgenden, zu Adam u. Helmold oben, Kap. 2.2.2.1. u.

174

3.2.2.1.

III, 5, S. 77: Dani

Teutonicorum imitantes, quem ex longa cohabitatione eorum didicerunt, nationibus coaptant; et cum olim formam nautarum in vestitu habuissent propter navium consuetudinem, quia marítima inhabitant, nunc non solum scarlatto, vario, grisio, sed etiam purpura et bisso tnduuntur. Unklar bleibt, ob Arnold hier die Teutonici als natío kennzeichnet. Die Verwendung von natio im Plural u. mit Bezug auf ceteri erschwert die Klärung. Zu Teutonici Dani vgl. a. 21, S. 111. Vgl. hierzu grundlegend Freytag, Eroberung; Gaethke, Knud VI.; Lammers, Hochmittelalter, S. 378-387 sowie Ulrich Lange, Die Grafen von Holstein und Lübeck um 1200, in: Lübeck 1226, S. 161-172. Vgl. dazu auch unten, Kap 4.2.2.2. Unbestritten bleibt gleichwohl, daß es auch für eine Zuschreibung zum Reich spricht, wenn Arnold hier den Begriff Teutonici verwendet u. nicht etwa Saxones. Im übrigen unterliegt auch diese Passage, die in der Forschung häufig als Beleg für ein „verändertes Dänenbild" herangezogen wurde, einer Wertung durch Arnold: Denn nicht die Teutonici imitierten die Dani, sondern umgekehrt geben erstere den Maßstab vor. Vgl. dazu unten, Kap. 4.3.2. usum

et vestitura et armatura se ceteris

175

176

-

Die Selbstzuschreibungen

259

natürlichen Reichtum des Landes, die Kriegstüchtigkeit der Dänen, die auch adlige Söhne nach Paris entsendeten, um ihnen weltliche und theologische Bildung zukommen zu lassen, ihre Sprachfertigkeit und Argumentationsstärke infolge der „natürlichen Schnelligkeit im Sprechen".177 Die Differenz zwischen den Teutonici und den Dani, die Arnold im Kriterium des usus verbalisiert, wird mithin in die Vergangenheit zurückverlegt, während die Gegenwart durch eine Nivellierung des Unterschieds gekennzeichnet ist. Selbst die Sprachfertigkeit der Dani führt nicht zu einer Kontrastierung mit der „deutschen" Sprachgemeinschaft, obwohl Arnold die Teutonici auch als solche auffassen kann.178 Neben diesen Eigenschaften hebt der Geschichtsschreiber auch die Förderung des Christentums unter den Erzbischöfen von Lund hervor, die sogar ultra mare, etiam Sclaviam replerunt?19 Diese positiven Bewertungen mögen erstaunen, wenn man berücksichtigt, daß die nicht zuletzt aufgrund der Auseinandersetzungen zwischen den Dänen seit 1201 beiden reges Philipp und Otto die Nordalbingia erobert und die beiden Hauptorte Hamburg und Lübeck eingenommen hatten.180 Da sich die dänischen Eroberungen also kurz vor Beginn der Abfassungszeit und vor Arnolds Augen abspielten, wäre eine deutlich ablehnende Stellungnahme des Chronisten immerhin denkbar. Allerdings sucht man sie vergeblich. Nun hat die Forschung für die positive Darstellung der Dani, die Arnold in dem Kapitel zusammenfaßt, bereits Gründe angeführt: So wird angenommen, der Geschichtsschreiber habe einer dänenfreundlichen Partei in Lübeck angehört, welche die Übergabe der civitas an die dänischen Könige aus handelspolitischen Erwä-

-

III, 5, S. 77: Omnibus enim divitiis abundant propter piscationem, que quotannis in Scania exercetur, ad quam omnium circumquaque nationum negotiatores properantes (...). Repleta est etiam terra eorum equis optimis propter pascua terre ubérrima. Unde propter equorum copiam in militari palestra se exercitantes, equestri pugna simul et navali gloriantur. Scientia quoque litterali non parum profecerunt, quia nobiliores terre filios suos non solum ad clerum promovendum, verum etiam secularibus rebus tnstituendos Parisius mittunt. Ubi litteratura simul et tdiomate lingue terre illius imbuti, non solum in artibus, sed etiam in theologia multum invaluerunt. Siquidem propter naturalem lingue celeritatem non solum in argumentis dialecticis subtiles inveniuntur, sed etiam in negotiis ecclesiasticis tradandis boni decretiste sive légiste comprabantur. II, 18, S. 60: rex avium, Teutonice autem Vogelkunig. Vgl. a. I, 9, S. 24: civita[s], que iuxta linguam Turcorum dicitur Rakilei, in nostra lingua Eradla. Barbara Hoen, Deutsches Eigenbewußtsein in Lübeck. Zu Fragen spätmittelalterlicher Nationsbildung (Hist. Forsch. 19), Sigmaringen 1994 weist (S. 114) daraufhin, daß in der chronikalen Überlieferung in Gegenüberstellungen von Deutschen und Dänen ,,[s]prachliche Gegensätze anscheinend kein Kristallisationskern der Bewußtseinsbildung" waren. III, 5, S. 77f. zu den Erzbischöfen Aeschylos u. Absalon. Vgl. Tore S. Nyberg, Kreuzzug und Handel in der Ostsee zur dänischen Zeit Lübecks, in: Lübeck 1226, S. 173-206 u. Lammers, Hochmittelalter, S. 383f. Arnold läßt die Lübecker cives bereits 1192 überlegen, ob die Stadt angesichts der drohenden Herrschaft Gf. Adolfs III. dem Dänenkönig übergeben werden solle. Der Meinung, daß diese Passage Einblick in die realistische Beurteilung der Lübecker gebe, kann hier nicht zugestimmt werden. Abgesehen davon, daß es fraglich ist, ob Arnold überhaupt die tatsächlichen Meinungen wiedergab, schrieb er aus dem Rückblick u. zur Zeit der dänischen Herrschaft. Die Annahme einer Rückprojektion negativer Erfahrungen der Lübecker mit der Herrschaft Adolfs III. bis 1201 in das Jahr 1192 erscheint daher plausibler; vgl. dazu Walther, Verschriftlichung, S. 26. ...

...

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

260

gungen

befürwortete.181 Im Text lassen sich für diese These zahlreiche Stützen finden,182

unten noch darauf einzugehen ist, daß die Annahme einer „Dänenfreundlichkeit" des Chronisten hier nicht als alleinige Erklärung ausreicht.183 Arnolds Hervorhebungen der Leistungen Knuts VI. und seines Vaters, Waidemars L, die nach einer Zeit der triarche vel etiam tetrarche im regnum Danicum die monarchia solus ausübten, können zudem als Kritik an den Herrschaftsverhältnissen im deutschen regnum gelesen werden, denn hier regierten eben zwei reges gegeneinander, mit den angesprochenen, von Arnold negativ bewerteten Auswirkungen auf das imperium?"4 So kommt dem Lob der Dani hier auch eine Spiegelfunktion zu, und wie für Adam und Helmold läßt sich hier auch für Arnold exemplarisch konstatieren, daß die Zuschreibung konkreter Eigenschaften und Verhaltensweisen gegenüber Fremden wiederum mit Selbstzuschreibungen zu bestimmten Gemeinschaften korreliert und auf spezifische, mit den Interessenstrukturen des Autors zusammenhängende Gründe zurückzuführen ist. Im Hinblick auf die Selbstzuschreibungen Arnolds zu regnum und imperium ist an dieser Stelle zudem entscheidend, daß sich von der Verwendung des Begriffs Teutonici durchaus auf eine ausgeprägte Positionierung innerhalb der ,Deutschen' schließen läßt, sofern er diese Gruppe anderen ethnischen Gemeinschaften gegenüberstellt.185 Im Zusammenhang mit Arnolds Zuschreibungen zum Reich ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, daß die Leitung der Kreuzzüge, die Ausbreitung des Christentums und die Verteidigung der christianitas nicht die einzigen Kriterien sind, nach denen Arnold Kaiser und Könige bewertet. Denn auch hier spielen regionale und lokale Bindungen eine Rolle:186 Die Erfolge Heinrichs VI. etwa erscheinen bei Arnold eng an Ereignisse

wenngleich

Hoffmann, Lübeck, S. 298; Helmut G. Walther, Kaiser Friedrich Barbarossas Urkunde für Lübeck vom 19. September 1188, in: ZVLG 69 (1989), S. 11-48, hier S. 33; Hoen, S. 114

Anm. 588. Etwa in der ausführlichen Darstellung der (wirtschaftspolit.) Motive Lübecker cives bei den Übergabeverhandlungen der Stadt an Hzg. Waldemar v. Jutland, den späteren Kg. Waldemar II. (VI, 13, S. 235) oder in den Schilderungen der glanzvollen (gloriose) Empfange der dän. Könige Knut VI. u. Waldemar II. in Lübeck; vgl. 15, S. 237 (zu Knut): gloriose susceptus est a clero et ab omni populo; 17, S. 238 (zu Waldemar): cum multa iocundidate sei der Kg. als rex Danorum et

Sclavorum et

Nordalbingie

dominus

Lammers, Hochmittelalter, S. 384f

begrüßt

worden.

Vgl. Freytag, Eroberung,

S. 239ff.

u.

Vgl. unten, Kap. 4.2.3.

III, 5, S. 79: Dominus regnum illius firmavit, ut cum tempore avorum suorum in regnum Dánico triarche vel etiam tetrarche fuerint, ipse monarchiam solus regeret, quam tarnen pater eius multo

labore et prudentia obtinuerat. Im Unterschied zu Arnold reagierte die ältere Forschung sehr empfindlich auf die dän. Beherrschung der Nordalbingia. Dagegen erkannte Walther Lammers, Hochmittelalter, S. 391, daß „die Eroberung Nordelbingens im Jahre 1201 von Arnold ganz ohne Erregung beschrieben worden ¡st. (...) Die Fronten der Zeit und die Mentalitäten im Lande waren noch nicht von ,reichsnationalen' Gesichtspunkten her bestimmt." Vgl. ebd. zur Bewertung durch die ältere Forschung, etwa durch F.C. Dahlmann, R. Usinger, G. Waitz, bes. der Metzer Urk. v. 1214 Dez. (Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii, Bd. V/1, Innsbruck 1881-1882 [ND Hildesheim 1971], Nr. 773, S. 194), in der Friedr. II. die Gebiete jenseits von Eide u. Elbe, die zum Rom. Reich gehörten, dem Königreich Waidemars II. übergab (addidimus). Darauf hat bereits Walther, Verschriftlichung, hingewiesen, dessen Argumente im folgenden lediglich kurz skizziert u. ergänzt werden.

Die Selbstzuschreibungen

261

die eher auf eine deutliche Gewichtung zugunsten regionaler Teilidentitäten schließen lassen: So feiert der Chronist die Hochzeit Heinrichs (des Sohnes Heinrichs des Löwen) mit Agnes (der Tochter des staufischen Pfalzgrafen vom Rhein, der zugleich Onkel Kaiser Heinrichs VI. war), mit den Worten: Tune nova lux in Saxonia orta est. Die Parallele zu Helmold liegt nicht nur in der von WALTHER hervorgehobenen Verwendung der «ova-/z£c-Metapher mit Bezug auf die Saxonia: Denn zudem preist Arnold wie jener den Frieden in der Region und die Sicherheit für die Bewohner im Anschluß an ein durch Eheschließung besiegeltes Bündnis.187 Zugleich korrigiert der Sohn Heinrichs des Löwen mit der Unterwerfung unter den Kaiser auch den contemptus imperii des Vaters, nämlich dessen Weigerung, Friedrich I. auf dem Langobardenfeldzug zu begleiten.188 Die Erfolge Heinrichs VI. in der Italia, der Kreuzzug ins Heilige Land und auch die Christianisierungsbemühungen in der Livonia erscheinen bei Arnold somit als Folge eines ,,Übergreifen[s] von Sachsen ins ganze Reich", als Ausdruck einer wiederhergestellten Balance zwischen ,Reich' und Region.189 Die zweite Verwendung der «ova-/wx-Metapher bei Arnold wiederum anläßlich einer Heirat, diesmal zwischen König Otto und der Stauferin Beatrix nach dem Tod König Philipps ist zwar direkt auf den orbis Romanus bezogen und steht im Kontext einer Abgrenzung gegenüber dem rex Francie, wiederum hebt der Chronist jedoch auch explizit die Bedeutung der Saxonia für Ottos Kaisertum hervor.190 Mit der alleinigen Herrschaft des rex Otto, der nun seine Kaiserkrönung verfolgt, verbindet Arnold zudem Perspektiven für die Zukunft, die einerseits, wie HUCKER dargelegt hat, auf die impériale Aufgabe eines neuerlichen Kreuzzugs gerichtet scheinen und die andererseits, wie von WALTHER herausgestellt wurde, auf die Bedeutung regionaler Bindungen des Autors hinweisen: Nachgerade letztere kommen denn auch

geknüpft,

-

-

V, 20, S. 183f: Tune nova lux in Saxonia orta est, pads videlicet ioeunditas, quia ex Mo tempore tanta familiaritate imperatori adhesit, ut nil de cetero contra ipsum moliri decrevisset. Sicque ex omni parte terra marique cessaverunt depredationes, furta, latrocinio, et ingemuerunt latrones et

quia in ipsius sanguinum, quia periit maledictus fruetus eorum. Bénédicte he nuptie copula terris sociata est pax et letitia et diu clause tune patuerunt porte civitatum et castrorum, cessaverunt exeubie, et hactenus inimici ad se mutuo accedebant, negotiatores et ruricole liberrime deambulabant. Vgl. zur Bedeutung der Hochzeit Schneidmüller, Weifen, S. 238. Zu Helmold, der am Schluß seines Werkes das Bündnis zw. Heinrich d. Löwen u. dem dän. Kg. feiert, vgl. oben, Kap. 3.2.2.2.2.; zu Helmolds Verwendung der «ova-fc-Metapher bei der Ernennung Lothars III. zum Kg. ebd., Kap. 3.2.2.1. m. Anm. 179. Walther, Verschriftlichung, S. 15. Zum contemptus imperii infolge der Weigerung Heinrichs d. Löwen in ,Chiavenna' vgl. Arnold II, lf, S. 36-39, hier 2, S. 38. Walther, Verschriftlichung, S. 13-15 u. 17f. (Zit. S. 15). VII, 15, S. 287: Orta est autem nova lux in orbe Romano, ioeunditas pads et securitas quietis, et cessavit subsannatio et insultatio multorum qui Ottonem affirmabant nunquam regnaturum. Quid viri

...,

qui nee cum aliis a subsannatlone temperavit. Cum enim Otto a electionem vocaretur, et conduetu regís memorad Franciam transiret, ipse eum transeuntem vidit et salutavit, et inter collationes, quibus se mutuo salutabant, rex Francie in hec verba prorupit: Intelleximus, ait, quod ad imperium Romanum vocemini. Ad hec Ule: Verum est, ait, quod audistis, sed in Deo sit iter meum. Cui rex: Non credatis, quod tanta proveniat vobis dignitas. Quod si vel sola Saxonia in personam vestram consenserit, detis michi nunc dextrarium, quem peto, et cum creatus fueritis, dabo vobis tres civitates meliores regni mei. Arnold kommentiert: Nunc igitur non sit iniuria domnum imperatorem repetere sua. dixerlm de nobili rege Francie?

principibus de Pidavia ad regalem

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

262

besonders pointiert in einer Episode zum Ausdruck, in der Arnold berichtet, Herzog Bernhard von Sachsen habe dem ehernen Burglöwen Herzog Heinrichs in Braunschweig zugerufen, er solle nicht länger seinen Rachen nach Osten (ad orientem) richten, sondern nach Norden (ad aquilonem). Arnold fügt hinzu, daß manche sich über diese Äußerung gewundert hätten, weil sie ihr tieferen Sinn beimaßen.191 Nun ist es nicht entscheidend, ob dieser Satz Bernhards tatsächlich jemals so fiel, sondern vielmehr, daß Arnold durch seine Darstellung einen tieferen Sinn dieser Äußerung überhaupt erst produziert. Allerdings stellt sich damit auch die entscheidende Frage, welchen, und hier hat wiederum Walther dafür plädiert, die Passage als Betonung der Dringlichkeit einer Mission in der Livonia anzusehen und sie somit als Hinweis auf zukünftige Aufgaben des Reiches im Norden zu lesen. Dies ist nun keineswegs die einzig mögliche Interpretation, sie kann jedoch schon deshalb ein höheres Maß an Wahrscheinlichkeit als andere Erklärungsversuche für sich beanspruchen, weil sie den (im Unterschied zu den Mutmaßungen in der Forschung einzig nachgewiesenen!) Adressaten der Chronik, Philipp von Ratzeburg, berücksichtigt, der an der Christianisierung der Livonia maßgeblich beteiligt war.192 Nach allem hier Dargelegten erscheint HuCKERs Bezeichnung des gesamten Werkes als Historia Regum zweifelhaft, selbst wenn ihm darin zuzustimmen ist, daß es sich von der Auswahl des Berichtsgegenstands her tatsächlich kaum um eine „Slawenchronik" handelt. Zwar verwendet Arnold die Wendung Historia Regum bzw. narrado regum in der Chronik, zum einen sind dies jedoch nicht die einzigen Begriffe, zum anderen erscheint auch Huckers These von der Historia Regum und einer Art weifischen Königschronik193 nicht ausreichend begründet: Sein Hauptargument, Arnold berichte quasi durchgängig vornehmlich über Könige, trifft nicht zu,194 und die Bücher VII, 16, S. 288f: Bernardus dux

intuitus leonemfusilem, qui a duce Heinrico ibi sublimatus est, Quousque hiatum vertís ad orientem? Desine, ¡am habes quod volulstt, convertere nunc ad aquilonem. His verbis omnes in risum convertit, non sine admiratione multorum, qui hoc dictum altius intelligebant. Zu der Stelle vgl. a. Walther, Verschriftlichung, S. 17f Zwar leitet Arnold die Episode mit einem an Horaz angelehnten Vers ein, in dem er beteuert, dem Ernst der Erzählung auch Spaß hinzufügen zu wollen, er verleiht hierdurch jedoch gerade der Ernsthaftigkeit der (angeblichen) Äußerung Bernhards um so mehr Gewicht. Walther, Verschriftlichung, S. 17f. betont, daß Arnold die im Vertrag zw. Otto IV. u. Erzbf. Albrecht II. v. Magdeburg v. Anfang Juli 1208 (MGH Const. 2, hg. v. Ludwig Weiland, Hannover 1896, Nr. 26, S. 30f.) enthaltene Bedingung einer Restituierung schauenburgischer Herrschaft unter den Weifen in der Nordalbingia nicht erwähnt. Es ¡st daher unwahrscheinlich, daß sich die Episode auf diesen Aspekt bezieht. So aber Marcus, S. 168 u. ähnl. Gerd Althoff, Löwen als Begleitung und Bezeichnung des Herrschers im Mittelalter, in: Die Romane von dem Ritter mit dem Löwen, hg. v. Xenja von Ertzdorff (Chloe 20), Amsterdam-Atlanta, GA 1994, S. 119-134, hier S. 132f: Die Bemerkung richte sich an „die Weifen" und ziele darauf, „sich aus der ostsächsischen Territorialpolitik nun endlich herauszuhalten und ihre Energien weiter nördlich zu ait:

verschwenden".

Vgl. oben, Kap. 4.1. Zur Begründung für den Bezug des Titels auf die gesamte Chronik vgl. Hucker, Chronik, bes. S. 103-106, etwa S. 105: „Es geht um das Welfengeschlecht." Hucker, ebd., S. 103-108. Aufgrund der Rolle Friedrichs I. im Streit mit Heinrich d. Löwen, für den aber Arnold nun gerade deutlich Partei ergreift, lib. II als Königschronik zu bezeichnen, wie Hucker, S. 104, vorsichtig andeutet, ist nicht einzusehen; vgl. dazu unten, Kap. 4.2.2.2. m. Anm. 237. Auch Hb. III, das (ebd.) „eindeutig Königschronik" sei, weil von dem im engl. Exil

Die Selbstzuschreibungen

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VI und VII sind keineswegs „überwiegend der Geschichte des Königs Otto gewidmet".195 Der „Titel" Historia Regum kann daher lediglich, wie bereits WALTHER vorgeschlagen hat, auf die beiden letzten Bücher des Werkes, nicht jedoch auf die Chronik insgesamt bezogen werden. Im übrigen darf nicht übersehen werden, daß die Kaiserkrönung Ottos IV. eben nicht das letzte Ereignis ist, über das Arnold berichtet: Dieses verweist dagegen auf Sachsen, nämlich auf den zur Abfassungszeit noch nicht entschiedenen Streit im Bremer Erzbistum.196 Die Ansicht Huckers, daß der Chronist die Kaiserkrönung Ottos IV. als „Höhe- und Zielpunkt der Geschichtsentwicklung" ansah und durch den (fälschlich so bezeichneten) „abschließenden" Krönungsbericht seinen Auftraggeber „verrät [...], ohne ihn namentlich anzuführen" nämlich Otto IV. selbst -, erscheint damit letztlich reduktionistisch:197 Denn weder für die Auftraggeberschaft Ottos noch für die Adressierung des Werkes an ihn gibt es einen einzigen Beleg. Solange keine weiteren Erkenntnisse vorliegen, kann nur von einem gesicherten Adressaten, nämlich Philipp von Ratzeburg und dem Domkapitel, ausgegangen werden. Über Philipp, den Berater Ottos IV., läßt sich dann freilich eine Verbindung zum Kaiser herstellen.198 Wie die angeführten Beispiele zeigen, greift eine Interpretation, welche die gesamte Chronik vornehmlich als Appell zu einem neuerlichen Kreuzzug unter Otto IV. ansieht, zu kurz. Denn sie hat die Annahmen einer Historia Regum und einer Auftraggeberschaft Ottos nicht zur Folge, sondern als Bedingung. Sie läßt die regionalen Bezüge im Werk zu sehr außer Acht und müßte zudem erklären, warum im Gegensatz zu den Verhandlungen über die Rechtmäßigkeit der Ehe zwischen Otto und Beatrix der Kreuzzugsbeschluß Ottos auf dem Würzburger Reichstag 1209 bei Arnold uner-

Hzg. „selten die Rede" ist, handelt außer von Friedr.

den AuseinanderBtm. Lübeck. Lib. IV wiederum thematisiert den Kreuzzug Friedrichs ins Hl. Land, lib. V handelt in den Kapiteln, die Hucker in seiner Interpretation (S. 105) nicht anführt, von den Verhältnissen in Nordelbien nach der Rückkehr Hzg. Heinrichs aus dem Exil (cc. 1-3), dem Konflikt zw. Lübeck u. dem Grafen Adolf III. bzw. von Kämpfen in Sachsen u. Nordelbien (7-10, 12, 16f u. 20), dem Btm. Lübeck (c. 11), dem Erzbtm. Bremen (cc. 21 f.) sowie dem Tod Bf. Bernos v. Schwerin u. Heinrichs d. Löwen (c. 24). So aber Hucker, Chronik, S. 107. Die Bücher VI u. VII thematisieren zwar die Geschichte Kg. Ottos, aber daneben auch diejenige Kg. Philipps. Zudem leitet Arnold VI, 9, S. 229 ein: Interea non defuerunt nova in Dania et Nordalbingia und berichtet sodann über die dän. Eroberung Nordelbiens u. die Einnahme Lübecks (cc. 9-18); zu Nordelbien als Berichtsgegenstand in lib. VII vgl. cc. 9 u. 11; zum Bremer Erzbtm. lOf. u. 20. VII, 19, S. 294. Der electus Waldemar sei vom Papst aus dem Bann gelöst worden und habe das Recht erhalten, im bischöfl. Gewand die Messe abzuhalten, nicht jedoch in Bremen. Arnold schließt mit den Worten: Verum quia idem casus multipliciter erat perplexus, nichil super his fuit determinatum, nisi ut in pontificalibus celebraret, non tarnen in Bremensi ecclesia. Hucker, Chronik, S. 114 konstatiert, daß „plötzlich noch einmal von der Bremer Bischofswahl die Rede [ist]". Das seit 1207 bestehende Bremer Schisma wurde 1210 v. Papst durch die Wahl Bf. Gerhards v. Osnabrück zum Bremer Bf. entschieden; vgl. May, S. 201 Nr. 727-730. Hucker, Chronik, S. 111. Überdies ist zweifelhaft, ob die von Hucker (ebd.) angenommene Geschichtsentwicklung „ausgelöst ist durch die gesta und opera" Heinrichs d. Löwen. Huckers Argumentation läuft letztlich auf eine „quasi notwendige Apotheose des Weifenhauses im Kaisertums (sie!) Ottos IV." hinaus; vgl. Walther, Verschriftlichung, S. 9. Vgl. zum Beleg oben, Anm. 144f. verweilenden

I. auch

von

setzungen zw. Lübeck u. dem Grafen Adolf III., von Nordelbien, den Dänen u.

vom

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

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wähnt bleibt, obwohl die Chronik erst danach fertiggestellt wurde.199 Huckers Zweifel an Arnolds Aussage, die Chronik Helmolds fortsetzen zu wollen, und die Betrachtung der gemeinsamen Überlieferung beider Werke als eine Art Irrtum, kann ebenfalls kaum überzeugen:200 Daß Arnold die Helmoldsche Chronik nicht mit deren ,Titel' Chronica Slavorum bezeichnete, sondern statt dessen als ein opus, qui de statu terre nostre et regibus sive principibus multa premiserat, precipue vero de vocatione vel subactione Slavorum oder, an anderer Stelle, eine historiare] de subactione seu vocatione Slavorum et gesta pontificum nannte, spricht eben nicht dafür, daß er die Chronik Helmolds „näher an sein eigenes Thema heranrücken wollte."201 Die von Hucker sogenannte „wortreiche Umschreibung" kann dagegen umgekehrt geradezu als Beleg für Arnolds Verständnis der Chronica Slavorum angesehen werden: Denn er verstand den Inhalt des Werkes offenbar als auf den status terre nostre gerichtet. Genau hierauf aber, auf die Verschriftlichung der Geschichte einer Region, könnte sich demnach auch seine Selbstauffassung als Fortsetzer Helmolds beziehen, denn in dieser Hinsicht, und nicht in bezug auf die Intensität der Behandlung der Slavi, scheint Arnold die Möglichkeiten zu einer Fortführung gesehen zu haben. Ein solches Verständnis aber unterstreicht nun genau das Ergebnis der oben angestellten Untersuchung zu Helmolds Chronik, in der die stärkere Gewichtung derjenigen Teilidentitäten herausgearbeitet wurde, die sich auf eine kleinere und konkrete Region in der Nordalbingia beziehen.202 Daß andere Passagen, die von Hucker akzentuiert und bereits oben erwähnt wurden, als Kreuzzugsaufforderungen gelesen werden können, daß Arnold mit Heinrich dem Löwen und Otto IV. zwei Weifen häufig in den Vordergrund seines Werkes rückt, daß

VII, 17, S. 289-291. Anders Hucker, Chronik, S. 107, der den Beschluß Ottos als Hintergrund für seine Interpretation nimmt: „Tatsächlich hatte der Weife Otto IV. im Mai 1209 auf dem Reichstag einen neuen Kreuzzug beschließen lassen, nach seiner Kaiserkrönung sogar ein Gelübde abgelegt, ...

...

persönlich teilzunehmen und alsbald mit konkreten Vorbereitungen zu beginnen." Zu den Zweifeln an der Fortsetzertätigkeit Arnolds vgl. a. oben, Kap. 4.1. m. Anm. 15 u. in diesem Kap. Anm. 155. So aber Hucker, Chronik, S. 102f. m. Anm. 17f. (Zit. ebd., S. 103). Vgl. Arnold VII, 20, S. 294f: sclens quod multi gesta regum vel pontificum scripserint, sed, sicut ab initio dictum est, non temeritaíe, sed carilaíe ista prosecutus sum, volens continuare hoc dictamen operi Helmoldi sacerdotis, qui de statu terre nostre et regibus sive principibus multa premiserat, precipue vero de vocatione vel subactione Sclavorum, que per nobilem ducem Hetnricum fada est, memorie fidelium perennare. Vgl. a. prol., S. 9: Quia bone memorie Helmoldus sacerdos historias de subactione seu vocatione Sclavorum et gesta pontificum, quorum instantia ecclesie harum regionum invaluerunt. Hucker übersieht in seiner Argumentation völlig, daß es sich auch bei der Helmoldschen Chronik und zwar trotz ihres ,Titels' kaum um eine „Chronik der Slawen" handelt; vgl. dazu oben, Kap. 3.1. -

-

Die Selbstzuschreibungen

265

in den Büchern VI und VII über die reges berichtet, all dies bleibt trotz der Unmöglichkeit, von einer Historia Regum insgesamt zu sprechen ebenso unberührt wie die Tatsache, daß Arnold den Darstellungen der Verhältnisse im Heiligen Land, in der Grecia, der Italia und anderen Regionen breiten Raum gibt. Hier liegen wiederum die

er

Schwächen einer Interpretation, die nahezu ausschließlich die Bedeutung regionaler Bezüge im Werk hervorhebt. Zugleich wird die Schwierigkeit deutlich, Arnold zwischen den beiden Polen Reich und Region einzuordnen. Es wird noch darauf zurückzukommen sein, welche Funktionen den Abschnitten über entfernte Regionen und ihre Bewohner im Werk zukommen.203 An dieser Stelle ist zunächst einmal festzuhalten, daß Arnold einerseits über einen klaren Reichsbegriff verfügte. Er kann kaum, wie von Odilo ENGELS vorgeschlagen wurde, als Beispiel für norddeutsche Autoren der Stauferzeit angeführt werden, denen sich der „heilsgeschichtliche Charakter des Reiches zu einem unverbindlichen Ehrenvorrang [verflüchtigte]".204 Hiergegen sprechen bereits die Betonung eines alleinigen Anspruchs des deutschen rex auf die Kaiserwürde und die Hervorhebung imperialer Aufgaben, die sich in der Verantwortung für die Italia, im Schutz der Latini vor den Greci und, im Kontext der Kreuzzugsdarstellungen, der christianitas vor den Saraceni zeigt. Auf der anderen Seite lassen die regionalen Bezüge, die in der Verwendung des Begriffs Teutonici enthalten sind, die Bewertungen der Herrscher an ihren Leistungen für die Nordalbingia, das Fehlen jeglicher Wir-Bezüge auf regnum und imperium sowie, vielleicht am deutlichsten, die Beschreibungen der dänischen Eroberungen Nordelbiens und Lübecks davor warnen, eine (prä)nationale Bindung Arnolds zu überschätzen. In der confessio scriptoris, die das Werk abschließt, hebt Arnold seine Fortsetzertätigkeit hervor und bezieht den Ausdruck reges sive principes explizit auf den status terre nostre und Heinrich den Löwen.205 Wenn aber gerade hier der Anknüpfungspunkt Arnolds lag, eben weil er Helmolds Chronik in diesem Sinne las, stellen sich weitere Fragen: nach der Bedeutung des Ausdrucks terra nostra im Verwendungskontext, nach der Einlösung dieses am Ende des Werkes hergestellten Bezugs im Text und schließlich nach der von WALTHER hervorgehobenen „Verschriftlichung nordelbischen Selbstbewußseins" in der Chronik: Mithin stehen im folgenden solche Zuschreibungen im Mittelpunkt der Untersuchung, die sich auf kleinere Regionen beziehen. ...

4.2.2.2. Saxonia, Nordalbingia und civitas es in der Forschung zu Arnolds Werk einen Aspekt gibt, der als am wenigsten umstritten gelten kann, so ist dies die herausragende Rolle, die dem sächsischen Herzog Heinrich dem Löwen zukommt:206 Bereits im Prolog stellt Arnold ihn wegen seiner Bezwingung der Sclavi, der Verbreitung des Christentums, der Errichtung einer pa[x]

Wenn

Vgl. unten, bes. Kap. 4.3.6. u. 4.3.7.

So Engels, Friedrich Barbarossa im Urteil, S. 242-245 m. Anm. 116 (Zit. S. 243). Dagegen auch Walther, Verschriftlichung, S. 17 u. 20f. Vgl. oben, Anm. 201. Diese Beobachtung dient Walther, Verschriftlichung, S. 9 als Ausgangspunkt für seine Argumentation gegen Hucker. Vgl. unten die in Anm. 213f. angeführte Lit.

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omni terra Sclavorum und seiner Verdienste um die Kirche an den Beginn seines Werkes.207 Und auch am Schluß verweist er noch einmal explizit auf den Herzog als Bekehrer und Unterwerfer der Sclavi.20" So ist die Chronik gleichsam eingerahmt durch die Bezugnahme auf Heimich den Löwen, der für seine Leistungen als Christ und Fürst gewürdigt wird.209 Das Bild, das Arnold von ihm zeichnet, entspricht dem eines Friedensfürsten, dessen Züge sich dem des biblischen Königs Salomo annähern.210 Besonders häufig hat sich die Forschung mit den Auseinandersetzungen zwischen Kaiser Friedrich I. und dem Herzog sowie dessen Sturz beschäftigt, über die Arnold im zweiten Buch berichtet.2" Die stringent durchkomponierte, eindringliche und nahezu ,dramatische' Züge tragende Erzählung, die Arnold vom wechselnden Glück des Herzogs gibt, wird eingerahmt von den Schilderungen des kaiserlichen Fußfalls vor Heinrich in ,Chiavenna' zu Beginn des Buches und des herzoglichen Fußfalls vor Friedrich in Erfurt an dessen Ende.212 Während Versuche fehlschlugen, die Ereignisse, die zu Sturz und Exil des Herzogs führten, aus den Darstellungen Arnolds (und anderer) zu „rekonstruieren",213 konnte unter veränderter Perspektive aufgezeigt werden, mit

maximal..]

'"

Heinricus dux Saxonie atque Bavarie] in fronte ponamus; qui super duritiam Sclavicam perdomuit, erga veri Dei cultum, relictis superstltlonlbus Idololatrie, humiliatis cervicibus promptissimos fedlt. Pacem etiam maxlmam In ocio et quieti vacabant. Und omni terra Sclavorum firmavit, et omnes provincie aquilonares mit Bezug auf die drei nordelb. Bistümer: ecclesias novelle plantatlonis, quas Heinricus dux memoratus instituid Die Ansicht, daß Arnold hier einen „säkularen" Friedensbegriff verwende, weil er den Frieden als Voraussetzung fur Wohlstand u. Sicherheit, nicht aber für Tugendhaftigkeit darstellt (vgl. z.B. auch III, 1, S. 68), wie Wolfgang Justus, Die frühe Entwicklung des säkularen Friedensbegriffs in der mittelalterlichen Chronistik (Kollektive Einstellungen u. soz. Wandel im Mittelalter 4), Diss. Hamburg 1975, S. 120f. u. 140f. meint, erscheint m.E. zu modern. VII, 20, S. 294f. Vgl. das Zitat oben, Anm. 201. Wurster, S. 419. Die Unterwerfung der Slavi schildert Arnold mit Bezug auf 1. Kge. 5, 4 im Vergleich Heinrichs mit Kg. Salomo; vgl. dazu Wurster, S. 419 und auch Arnold V, 24, S. 193: Circa ipsos dies mortuus est famosus Ule dux Heinricus in Bruneswich, et eum Salemone de universo suo labore, quo laboravit sub sole, nichil est consecutus nisi memorabilem satis sepulturam. Zur Beschreibung Heinrichs unter Rückgriff auf ein bibl. Herrscherbild vgl. a. III, 1, S. 68 sowie zur Einordnung Wurster, S. 42lf.: Auch durch die Schilderung Heinrichs als „Förderer der Kultur" nach seinem Machtverlust werde dieser Salomo angeglichen (S. 422 mit Bezug auf V, 20, S. 184). Zur Förderung kultureller Aktivitäten durch Heinrich d. Löwen vor diesem Zeitpunkt vgl. Ehlers, Literatur. Zur Lit. vgl. im folgenden. Der Kniefall Ks. Friedrichs I.: II, 1, S. 37f. (zu Arnolds Verlagerung des Geschehens von Chiavenna nach „Deutschland" vgl. Althoff, Historiographie, S. 167f). Heinrichs Kniefall u. die Verbannung des Herzogs: II, 22, S. 67. Die Diskussion um die Frage, ob sich Ks. u. Hzg. überhaupt in Chiavenna trafen, ist mittlerweile beendet. Vgl. dazu Hechberger, S. 31 lf. m. Anm. 40-44. Arnolds Chronik bietet über diese Ereignisse einen ausführlicheren Bericht als alle anderen erzählenden Textzeugnisse. Seine Glaubwürdigkeit wurde in zahlreichen früheren Arbeiten bezweifelt, weil die Darstellung nicht durch andere Zeugnisse belegt wird. Die Rekonstruktion des tatsächlichen' Konfliktverlaufs u. des .tatsächlichen' Geschehens in Chiavenna ist letztlich nicht möglich. Dennoch beteiligten sich diverse Arbeiten an der Diskussion; vgl. etwa die Zusammenstellung der Nachrichten bei Jordan, Heinrich der Löwe, S. 188-191, zur Unglaubwürdigkeit Arnolds S. 189; Karl Hampe, Heinrichs des Löwen Sturz in politisch-historischer Beleuchtung,

Prol., S. 10: ipsum [i.

omnes,

qui

ante

e.

ipsum fuerunt,

...

...

208 209 210

211

212

213

Die Selbstzuschreibungen

267

welchen Mitteln der Chronist seine Parteinahme zugunsten des Herzogs gestaltet und wie geschickt er dessen Vorgehen gegenüber dem Kaiser rechtfertigt.214 Erscheint der Herzog zu Beginn des zweiten Buches als mächtiger Fürst, den Arnold durch den Kaiser selbst als Hauptstütze des Imperiums bezeichnen läßt,215 so wird er nach seiner Weigerung, Friedrich auf dem Langobardenfeldzug zu begleiten, durch den Hauptvorwurf der superbia zu Fall gebracht, aus welcher sein contemptus imperii erwuchs.216 Heinrich bietet in Arnolds Argumentation, wie Gerd ALTHOFF gezeigt hat, mehrfach eine gütliche Beilegung des Konfliktes an, während der Kaiser die Einigung erschwert oder gar behindert, und so ist die Darstellung vor allem auf die Wahrung der Ehre Heinrichs ausgerichtet.217 Entsprechend werden die Fürsten kritisiert, deren Verhalten auf den Sturz des Herzogs abzielt, auch die geistlichen wie der Kölner Erzbischof Philipp, der mit seinen Truppen die terra ducis verwüstet und Kirchen zerstört habe: Die in: HZ 109

(1912),

S. 49-82; Ferdinand Güterbock, Der Prozeß Heinrichs des Löwen. Kritische Berlin 1909, S. 15-17 u. Carl Erdmann, Der Prozeß Heinrichs des Löwen, in: Konrad Josef Heilig u. Ders., Kaisertum und Herzogsgewalt im Zeitalter Friedrichs I. Studien zur politischen und Verfassungsgeschichte des hohen Mittelalters (MGH Schrr. 9), Leipzig 1944 (ND Stuttgart 1973), S. 273-364. Eine kritische Abwägung der bisherigen Forschungen auf breiter Materialbasis bietet Hechberger, S. 310-332, der zudem deutlich macht, wie theorieabhängig die jeweiligen konkreten Schlußfolgerungen in der Forschung sind. Vgl. bes. Althoff, Historiographie, der explizit nach Funktion u. Wirkung der Darstellung Arnolds fragt. Vgl. a. Stefan Weinfurter, Die Entmachtung Heinrichs des Löwen, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit, Bd. 2, S. 180-189. Ders., Erzbischof Philipp von Köln und der Sturz Heinrichs des Löwen, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. FS f. Odilo Engels z. 65. Geb., hg. v. Hanna Vollrath u. Dems. (KHA 39), Köln 1993, S. 455-481; Odilo Engels, Zur Entmachtung Heinrichs des Löwen, in: Ders., Stauferstudien, S. 116-130 sowie Wurster, S. 418-422. II, 1, S. 37: Deus, Inquit [imperator], celi te inter principes sublimavit et divitiis et honoribus super omnes ampliavit, omne robur imperii in te consistit, et iustum est, ut ad confortandas manus omnium huic negotio precipuum te exhibeas, ut res publica, que labi cepit, per íe convalesca!, per quem precipue haclenus se síeíisse non dubitat. Friedr. appelliert in seiner Argumentation (ebd.: utpote nepoti et domino et amico) an drei Kernelemente mittelalterl. Gruppenbindung; vgl dazu allg. Althoff, Verwandte, u. zu dieser Stelle Ders., Historiographie, S. 172. II, 2, S. 38: propter nimium fastum superbie sue tantum imperio contemptum exhibuerit, et despecta re publica et audoritate imperatorie maiestatis neglecta. Vgl. a. II, 21, S. 64f, wo Arnold dem Ks. eine Rede in den Mund legt, in der dieser sich auf den Willen Gottes beruft: Quod autem dicitis, ut patientlam habeamus nepotls nostri ducis, sciatis, quod mira patientia et multa dementia erga ilium semper usifuimus. Unde in superbiam elatus, gratiam quam invenerat in vacuum recepit, immo nee Ipsam Dei gratiam circa se exuberantem, ut debuit, recognovit. Quapropter sciatis eum a Deo humiliatum, quia tarn prepotentis viri deiectio non nostre virtutis est operatlo, sed magis Dei omnipotentis dispensatio. Zum Vorwurf der superbia vgl. a. Wurster, bes. S. 420f. u. Walther, Verschriftlichung, S. 13f. u. 17. Vgl. Althoff, Historiographie, bes. S. 180f. Trotz der stichhaltigen Argumentation Althoffs scheint doch Vorsicht in bezug auf seine Gesamteinschätzung des Berichts als einem reinem Freispruch des Herzogs von möglichen Verfehlungen geboten, wenn die Beobachtungen Walthers, Verschriftlichung, einbezogen werden: Er übersetzt den Begriffpretendebat, mit dem Arnold (II, I, S. 37) die Entschuldigungsgründe Heinrichs für die Nichtteilnahme am kaiserl. Feldzug kennzeichnet, mit „vorgeschoben" u. hält die Konzentration auf Errungenschaften für die Kirche im Panegyricus auf den verstorbenen Hzg. (V, 24) ohne die Berechtigung des kaiserl. Vorwurfs des contemptus imperii für kaum schlüssig.

Untersuchungen, Theodor Mayer,

214

215

216

...

217

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268

Abgrenzung Arnolds von den Gegnern des Herzogs ist hier so vehement, daß er sie gar als filii Belial bezeichnet.218 Das adäquate Mittel der Geistlichkeit sieht der Chronist nicht in kriegerischen Unternehmungen, sondern in der Verhängung eines Banns, und die unchristliche Haltung der Bischöfe kontrastiert er mit Heinrichs Gehorsam gegenüber der Kirche: Für die Kirchenschändungen und die Ermordung Geistlicher im Bistum Halberstadt durch seine Truppen wird der Herzog nicht verantwortlich gemacht. Sobald er von diesen Taten erfuhr Arnold legt also nahe, daß sie ohne sein Wissen geschehen seien -, habe er sie unter Tränen bereut.219 Insgesamt zielt die Darstellung somit darauf ab, das Verhalten Heinrichs des Löwen von jeglichem Makel freizusprechen und zugleich die Verantwortung für dessen Sturz auf Friedrich I. zu verlagern. Lediglich in einem Aspekt wird der Kaiser zulasten der principes, die auf die deiectio Heinrichs hinwirkten, gewissermaßen entschuldigt: Er habe Heinrich auch nach dessen Fußfall in Erfurt gar nicht wieder in seine Ämter einsetzen können, da er durch seinen Eidschwur (iusiurandum) gegenüber den principes gebunden gewesen sei.220 Es kann hier nicht darum gehen, der in der Forschung lange Zeit heißdiskutierten (und letztlich nicht zu beanwortenden) Frage nachzugehen, wer die Schuld an Heinrichs Sturz trug und ob sich überhaupt, tatsächlich', eine Linie von der Weigerung des Herzogs, den Kaiser auf den Feldzug zu begleiten, bis hin zu seinem Sturz ziehen -

II, 10, S. 47 (terra ducis); 11, S. 49: filii Belial. Dieser Ausdruck kommt insgesamt viermal im

Werk vor. Die Tatsache, daß Arnold ihn auf die Servi bezieht, ein bes. negativ charakterisiertes Volk, dem Heinrich d. Löwe auf der Pilgerfahrt begegnet (I, 3, S. 16 [2x]; vgl. zu dieser Passage ausführlich unten, Kap. 4.3.4.), und auf die Truppen Kg. Philipps bei der Belagerung Braunschweigs, die nur durch den Hl. Auetor habe verhindert werden können (VI, 4, S. 222), verdeutlicht die Schärfe dieser Bezeichnung und unterstreicht die Vehemenz, mit der Arnold das

Vorgehen gegen Heinrich d. Löwen ablehnt. Ebenso kritisiert wird Bf. Ulrich v. Halberstadt als Gegner Heinrichs d. Löwen (z. B. II, 12, S. 50), der impatiens otii et quietis erat, alienatus est ab eo [i. e. der Hzg.], et additus inimicis suis. Vgl. a. 14, S. 52-54. Zur Rolle des Kölner Erzbischofs vgl. unten, Anm. 222. Die Zerstörung Halberstadts durch die amici Heinrichs: II, 14, S. 52-54. Die Reue in 15, S. 54f: Sed cognita exustione tantarum ecclesiarum eum multitudine clericorum, deieeta facie ubertim lacrimas profudit, prêter voluntatem suam hec faeta contestons et amarissime déplorons (Arnold ...

219

...

lastet statt dessen den Brand Halberstadts letztlich dem Bf. selbst an, wie Weinfurter, S. 180f. gezeigt hat). Vgl. a. 12, S: 50: Dux autem, timens sententiam eum suis et in contritione cordis humiliatus est ad pedes domni exeommunicationis, venit episcopi. Et solutus est a vinculo anathematis tarn ipse quam sui, fada sollempniter absolutione. Vgl. dagegen die Kritik an der Geistlichkeit, die mit dem gladius materialis kämpfe (II, 14, S. 53f), und an Erzbf. Christian v. Mainz, der den Kaiser in die Lombardei begleitete und mehr die tributa cesaris als die lucra Christi gesammelt habe (2, S. 38). II, 22, S. 67: Dux totum se submittens gratie imperatoris, venit ad pedes eius. Quem de terra levons osculatus est non sine lacrimis, quod tanta inter eos controversia diu duraverit, et quia ipse tante sibi deiectlonis causa fuerit. Que tarnen si verefuerint ambigitur, nam videtur eum vere non fuisse miseratus, quia ad statum pristini honoris eum restituere non est conatus. Quod tarnen propter iusiurandum ad presens faceré non potuit. Denique cum omnes principes ad deiectionem ipsius aspirarent, iuravit eis imperator per thronum regni sui, nunquam se sum in gradum pristinum restauraturum, nisi id fieret in beneplácito omnium. Vgl. hierzu ALTHOFF, Historiographie, S. 179f; Stefan Weinfurter, Landrecht und Lehnrecht im Prozeß Heinrichs des Löwen, in: Antrittsvorlesungen d. Joh.-Gutenberg-Univ. Mainz 4), Mainz 1989, S. 1-35, hier S. 13f. u. 19-21 sowie Ders., Erzbischof, S. 469 u. 474-476.

Entmachtung,

...

...

Die Selbstzuschreibungen

269

läßt.221 Die Version

von einer bedeutenden Rolle des Kölner Erzbischofs Philipp und der sächsischer Fürsten als Verursacher des Streits, die in der jüngeren Forschung wieder hervorgehoben worden ist, findet sich jedenfalls auch bei Arnold,222 selbst wenn dieser Friedrich I. als Hauptverantwortlichen darstellt, der auf Mittel wie Verschlagenheit und List zurückgreift, um den Herzog schließlich in einer coniuratio von Kaiser, weltlichen und geistlichen Fürsten zu stürzen.223 Arnold hebt hervor, daß sich ausgerechnet die Bischöfe gegen Heinrich wandten, neben dem Kölner Erzbischof kritisiert er hier besonders Bischof Ulrich von Halberstadt.224 Positiv hervorgehoben werden dagegen aufgrund ihrer proherzoglichen Parteinahme die Bischöfe Evermod und Isfried von Ratzeburg, also die Vorgänger des Adressaten Philipp, sowie Berno von Schwerin. Sämtliche anderen Bischöfe der Region befanden sich auf der Seite von Heinrichs

Gegnern.225

In der Forschung sind im wesentlichen drei unterschiedl. Meinungen angeführt worden: a) Das Verhalten des Herzogs in Chiavenna habe direkt zu seinem Sturz geführt. Hier gibt es wiederum unterschiedl. Einschätzungen der Bedeutung des Treffens für das Verhältnis zw. Hzg. u. Ks. als Manifestierung einer latenten Feindschaft oder als Bruch einer bis dahin bestehenden Freundschaft, b) Den sächs. Fürsten komme eine eigenständige Rolle beim Sturz des Herzogs zu. Der Ks. erscheint hier als Gegner des Herzogs seit Chiavenna, wobei nicht immer konstatiert wird, er habe bereits seit dem Treffen dessen Sturz geplant, c) Die sächs. Fürsten seien die eigentlichen Antreiber des Sturzes gewesen. Die Hilfsverweigerung von Chiavenna habe den Sturz zwar ermöglicht, nicht aber verursacht. Vgl. hierzu den Forschungsüberblick bei Hechberger, S. 312-321 mit weiteren Nachweisen. Zur Rolle Philipps v. Köln vgl. II, 10, S. 47; 20, S. 62; 22, S. 67 u. bes. Weinfurter, Erzbischof. Die Rolle der Fürsten u. des Kölner Erzbischofs betonen auch die allermeisten anderen zeitgenössischen Berichte; vgl. dazu Wurster, S. 439 u. Jens Ahlers, Die Weifen und die englischen Könige 1165-1235 (Quellen u. Darstellungen z. Gesch. Niedersachsens 102), Hildesheim 1987, S. 105 (mit Bezug aufnorddeutsche Quellen). Zur Hervorhebung der Rolle der Fürsten in jüngerer Zeit vgl. Karl Heinemeyer, Der Prozeß Heinrichs des Löwen, in: BDLG 117 (1981), S. 1-60, bes. S. 33 u. 59f; Ders., Kaiser und Reichsfurst. Die Absetzung Heinrichs des Löwen durch Friedrich Barbarossa, in: Macht und Recht. Große Prozesse in der Geschichte, hg. v. Alexander Demandt, München 1990, S. 59-79; Weinfurter, Landrecht; Engels, Entmachtung; Ders., Die Staufer, Stuttgart 71998, S. 100-102 u. die abwägende Darstellung bei Hechberger, S. 316-319 mit weiteren Nachweisen sowie, zur Gegnerschaft der Erzbischöfe gegen Heinrich d. Löwen als „Kölner Grundposition" Weinfurter, Erzbischof, bes. S. 470-472. Friedr. wendet sich bei Arnold (II, 2, S. 38f.) direkt nach der Rückkehr aus der Italia gegen Heinrich d. Löwen: His auditis príncipes, qui eum [i. e. Heinrich d. Löwen] prius oderant, accepta occasione, contra eum multa conqueri ceperunt, et cooperantes verbis imperatoris omni honore eum privandum iudicabant, et reum imperatorie maiestatis proclamaban! Ebd., S. 39: Cesar videns, ei [i. e. Heinrich d. Löwen] principes intentare malum, multa usus prudentia totum ad deiedionem ipsius ingenium impenderé cepit. Animadvertensque quodfacile eum desiruere non possi!, admove! omnes calliditate dolos, et quem viribus expugnare diffidebat, sapientia admota ...

paulatim manu evincere cogitabat. Ebd.: Pontífices ante omnes ecclesiarum oppressiones clamabant, nullam fere ecclesiam expertem esse dicentes, que eius direptioni non subiaceret. Facta est igitur coniuratio valida adversus eum. Vgl. hierzu a. Ehlers, Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat, S. 474f, der S. 475 hervorhebt, daß es um einen Konflikt um die Landesherrschaft ging, weniger um einen solchen zw. geistl. u. weltl. Fürsten. Zu Bf. Ulrich v. Halberstadt vgl. z. B. II, 3, S. 39f; 6, S. 41 f.; 12, u. 14, S. 52f. Ehlers, ebd., S. 475

S. 50

m.

Anm. 126. Bf. Heinrich

v.

Lübeck

war

beim Friedensschluß

v.

Venedig

270

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

Der motus magnus gegen den dux Saxonie erschütterte nach Arnolds Worten die tota Saxonia.226 Die Saxonia, die der Chronist auch von der Sclavia abgrenzt,227 kann er auch einfach als terra oder terra ducis bezeichnen, innerhalb dieses Gebiets trifft er jedoch

räumliche Differenzierungen, die wiederum mit den Konfliktlinien in den bella plurima gegen Heinrich zusammenhängen: Ulrich von Halberstadt habe mit den principes orientalium der östlichen Saxonia ist hier gemeint die terra in Aufruhr versetzt.228 Die Saxonia, als Herrschaftsgebiet Heinrichs, bildet den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen: Der Herzog unternimmt Kriegszüge in Westfaliam und Thuringiam, während seine Gegner in die terra ducis oder die Saxonia einfallen.229 Trotz dieser deutlichen Zuschreibungen zu Sachsen fokussiert Arnold doch im zweiten Buch gleich in doppelter Hinsicht vor allem auf Nordelbien: Zum einen berichtet er über die nordelbischen Bistümer, die er bereits in seinem Prolog erwähnt hatte, und über das Bremer Erzbistum. Neben der erwähnten Hervorhebung nordelbischer Bischöfe an der Seite Heinrichs behauptet er hier auch einen direkten Zusammenhang zwischen den bella plurima und der unvollendet gebliebenen herzoglichen Ausstattung der Bistümer Lübeck und Ratzeburg.230 Zum anderen berichtet Arnold auch über die Auseinandersetzungen selbst, die sich zunehmend in Nordelbien abspielten: Der Kaiser habe sich (Anfang Juli 1181) angeschickt, in propria persona transiré Albiam, um den Herzog aus dem Land (terra) zu treiben.231 Der Terminus terra bezieht sich hier auf die nordelbische Region, aus der Heimich nach Stade floh.232 Der Versuch des Herzogs, die Grafschaften Holstein-Stormarn-Wagrien und Ratzeburg zu einer Herrschaftszone auszu-

(24. Juli 1177) anwesend. I, 13, S. 35: factus est

-

motus magnus,

qui

totam Saxoniam vehementer concutiebat. Zur

Bezeichnung dux Saxonie für Heinrich d. Löwen vgl. I, 2, S. I3f. (4x) sowie prol., S. 10 u. V, 7, S. 154: du[x] Saxonie atque Bavarie. Sonst wird er lediglich dux genannt. II, 4, S. 40. Die Rückkehr Heinrichs von der Heerfahrt gegen Demmin nach Braunschweig (1177) beendete den letzten Kriegszug, den der Hzg. „tief in seinem Hoheitsgebiet nordöstlich der unteren Elbe" gegen die Slavi unternahm; vgl. Gaethke, Herzog, S. 427. Zu Arnolds Begriffen für Slawien u. die Slawen vgl. unten, Kap. 4.3.3. II, 3, S. 40: commota est terra, quia faventibus principibus orientalibus multa contra ducem Heinricum moliri cepit. 6, S. 41: adiuvabant eum manus orientalium. Der Bezug eindeutig in 20, S. 62: Hzg. Bernhard u. Otto Markgraf v. Brandenburg seien eum aliis principibus orientalibus nach Bardowick gegangen; Vgl. dazu Schwineköper, Heinrich der Löwe. Zu terra i.S.v. Saxonia vgl. z. B. II, 11, S. 49; III, 1, S. 69; ebenso terra ducis z. B. 10, S. 47. Bella plurima: I, 13, S. 35. II, 10f, S. 47-50: expeditiones des Kölner Erzbischofs in die terra ducis; 17, S. 58: Zug des Kaisers in Saxoniam. 13, S. 50-52: expeditio Heinrichs in Westfaliam u. 16, S. 55-57 in Thuringiam. I, 13, S. 35: Der Hzg. habe wegen der bella plurima die Ausstattung der Bistümer Lübeck u. Ratzeburg zugunsten von Befestigungen der civitates u. urbes abbrechen müssen. Vgl. a. II, 5, S. 40f: Gründung des Lübecker Johannisklosters; 7, S. 42-45: Btm. Ratzeburg; 8, S. 45: Erzbtm. Bremen. II, 20, S. 61 f.: imperator totus infusus finibus duds, in manu valida intravit terra illius, et eiecturus eum de terra in propria persona transiré Albiam disposuit. Ebd., S. 62: Der Ks. convertit exercitum versus Albiam, woraufhin der vom Hzg. in Lüneburg festgehaltene Landgf. Ludwig über die Elbe nach Segeberg gebracht wird. Heinrich befindet sich zunächst in Lübeck, dann in Ratzeburg und schließlich in Erteneburg. Zu Heinrich heißt es: videns appropinquare castra cesaris ...et ingressus naviculam per divexa Alble preficiscens abiit Stadium. Zu terra i.S.v. Nordelbien vgl. z. B. auch 19, S. 61.

Die Selbstzuschreibungen

271

bauen, schlug fehl. Arnold schildert eindrucksvoll, wie auch die bislang treuesten Anhänger Heinrichs auf die Seite des Gegners wechselten, von Graf Adolf III. (Früh-

1180) über Graf Bernhard von Ratzeburg (Anfang 1181) bis hin zu herzoglichen Vasallen und Ministerialen, so daß der Kaiser sogar herzogliche Stützpunkte kampflos besetzen konnte.233 Selbst die Sclavi, die laut Helmold Heinrich dem Löwen geradezu nach Belieben gehorcht hatten, wechselten die Fronten.234 Neben dem prefectus Holtsatorum und einem Teil der Holzati, die in der Schilderung Arnolds noch recht lange auf Seiten Heinrichs stehen,235 bildet vor allem Lübeck den letzten Stützpunkt in Nordelbien: Die Bewohner hätten ihre Stadt erst nach der herzoglichen Einwilligung an den Kaiser übergeben.236 Es ist einerseits zu konstatieren, daß der regionale und lokale Blickwinkel des Chronisten bereits insofern durch seinen Berichtsgegenstand .vorgegeben' ist, als sich die Vorgänge um die Entmachtung Heinrichs des Löwen nun einmal in Nordelbien und Lübeck abspielten. Jedoch muß auch hevorgehoben werden, daß Arnold diese Perspektive keineswegs nur im zweiten Buch verfolgt, sondern immer wieder über diese Region berichtet und sich ihr auch deutlich zuschreibt, so daß selbst HUCKER neben dem Titel Historia Regum, der auf das zweite Buch nun keineswegs anwendbar scheint, denjenigen einer Historia Regum, pontificum et Nordalbingiae (und nun etwas widersprüchlich für das gesamte Werk) in Betracht gezogen hat.237 Entscheidend für die Frage nach den sommer

Zum Ausbruch des Streits mit Gf. Adolf III. vgl. II, 13, S. 5lf. u. 16, S. 55-57: cum aids nobilibus alienatus est ab eo [i. e. Heinrich d. Löwe] et infírmala est pars ducis propter defectionem eorum. Zu Gf. Bernhard v. Ratzeburg vgl. 19, S. 61; zum Abfall der Vasallen u. Ministerialen II, 17, S. 58. Die kampflosen Besetzungen durch den Ks. in 17, S. 58. Zu den Kämpfen im Einzelnen vgl. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 200-208; zusammenfassend Ehlers, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum, S. 106-111. Zum Versuch Heinrichs, die nordelb. Region als Herrschaftzone auszubauen, vgl. etwa II, 16, S. 57; 19, S. 61 u. 20, S. 62. II, 17, S. 58: Nach dem Tod des princeps Pomerani seien die Sclavi auf die Seite des Kaisers gewechselt; vgl. hierzu Gaethke, Herzog, S. 434-441 u. Jordan, Lübeck, S. 157f. Zu Helmold vgl. oben, Kap. 3.2.2.2.2. u. 3.3.3. Vgl. zu den Holtsati II, 16, S. 57; 20, S. 62 u. 21, S. 63. Zwar charakterisiert er sie in Anlehnung an Helmold als unbarmherzig u. blutdürstig, sie verhelfen jedoch dem Hzg. auf der expeditio in Westfaliam zum Sieg und stehen bis zuletzt auf seiner Seite; vgl. II, 13, S. 51: attriti sunt Westfall plaga magna, eo quod Saxones, qui Holtsati dicuntur, viri sunt absque misericordia et humani sanguinis avidissimi fusores. Et non pepercit oculus eorum maiori vel minori, sed omnes quos oppositos habebant insatiabiliter neci tradiderunt. Anders als Helmold rechnet Arnold die Holtsati hier explizit zu den Saxones, ohne sie zu den Nordalbingi zu zählen. Dies mag am Kontext liegen, in dem diese Zuschreibung erfolgt, denn die Holsten werden hier als Gruppe im Heer des sächs. Herzogs aufgeführt. Möglich erscheint jedoch auch, daß für Arnold die Holsten wie auch Nordelbien insgesamt durch die Herrschaft Heinrichs d. Löwen stärker in die Saxonia integriert waren. Helmolds Zusammenfassung von Holsten, Stormarn u. Dithmarscher zu Nordalbingi u. die Herausstellung ihrer gemeinsamen Merkmale (habitus, lingua, Christentum, .Sachsenrecht') finden sich bei Arnold jedenfalls nicht. Zu Helmold vgl. oben, Kap. 3.3.1.; zu Arnold auch unten, Kap. 4.3.1. II, 21, S. 63-66. Die Übergabe Lübecks an den Kaiser bedeutete das (vorübergehende) Ende der Herrschaft Heinrichs in Nordelbien; vgl. hierzu Jordan, Lübeck, S. 157f; Ders., Heinrich der Löwe, S. 207f; Engels, Entmachtung, S. 128 u. Weinfurter, Entmachtung, S. 188. Dieser Vorschlag Huckers, Chronik, S. 110, erscheint in der Tat etwas überraschend (vgl. oben, Kap. 4.2.2.1. m. Anm. 193-195). Allerdings spricht er sonst lediglich von Historia Regum, auch

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

272

Zuschreibungen Arnolds ist aber, daß Heinrich der Löwe wesentlich aufgrund seiner Leistungen für den Frieden und die Bistümer in der Saxonia, besonders aber in Nordelbien, bewertet wird. Und genau denselben Wertstrukturen unterliegt auch das Bild, das der Chronist von Bernhard von Anhalt, der vom Kaiser im Laufe der Auseinandersetzungen mit dem ducatus belehnt wurde,238 zeichnet und das sich geradezu als Gegenbild zu demjenigen Heinrichs ausnimmt: Die Entmachtung Heinrichs stürzte die terra in Unordnung.239 Die Schilderung der Machtkämpfe zwischen Herzog Bernhard und Adolf III., der nach dem Gang Heinrichs ins englische Exil in seine Grafschaft zurückkehrte, nimmt der Chronist immer wieder auf, vor allem, weil sie sich auf die terra Nordelbien und (das häufig schlichtweg civitas genannte) Lübeck selbst, auswirkten.240 Auch nach dem Bericht über den Kreuzzug Friedrichs I. fokussiert Arnold zu Beginn des fünften Buches auf die Saxonia,241 denn Heinrich der Löwe war 1189 aus seinem -

-

S. 104 zugesteht, daß die „Beachtung der Bischofsgeschichte des nordsächsischen Raumes [in lib. II ...] aber immerhin so konsequent bis zum Schluß der Chronik durchgehalten [ist], daß Arnold damit zugleich das Gerippe einer Bischofschronik der Erzdiözese Bremen und deren Suffraganbistümer Lübeck, Ratzeburg und Schwerin bietet". Die eigentl. Königschronik beginnt für ihn offenbar doch erst mit lib. III. In der für Erzbf. Philipp v. Köln bestimmten Urk. v. 1180 April 13 („Geinhäuser Urkunde": DFI 795, Die Urkunden Friedrichs I., MGH DD 10.3, Hannover 1985, Nr. 795, S. 360-363) werden nicht mehr die bis dahin üblichen Begriffe dux Saxoniae u. ducatus Saxonum gebraucht. Heinrich d. Löwe wird als ehemaliger dux Westfalie bezeichnet, sein Herrschaftsbereich als ducatus Westfalie et Angarie. Der Ks. teilte das bisherige Hzgtm. in zwei Dukate. Der eine, für den sich in der Urk. noch keine Bezeichnung findet, wurde dem Kölner Erzbf. als Fahnenlehen übertragen, mit dem übrigen Teil (reliqua pars ducatus) des bisherigen ducatus Saxonie wurde Bernhard v. Anhalt belehnt. Er wird zwar lediglich, wohl aus Rücksicht auf den Kölner Erzbf. (Marcus, S. 103), als dux Westfalie et Angarie bezeichnet, seine Herrschaft sollte sich jedoch wohl auf Ostfalen, soweit es der Herzogsgewalt unterstand, erstrecken; vgl. dazu Jordan, Heinrich der Löwe, S. 202f; Marcus, S. 88f. u. Gaethke, Herzog, S. 432. Bernhard wird in der Chronik lediglich dux genannt, nur einmal (VII, 17, S. 289) dux Saxonie, inmitten einer Aufzählung der Anwesenden beim Würzburger Hoftag Kg. Ottos. Zum Einfluß Kölner Vorstellungen u. Konzeptionen auf Formulierungen in der Geinhäuser Urkunde vgl. Weinfurter, Erzbischof, bes. S. 472474 u. schon Heinemeyer, Prozeß, S. 29 m. Anm. 122; daneben auch Georg Droege, Das kölnische Herzogtum Westfalen, in: Heinrich der Löwe, S. 275-304 sowie zur Urk. selbst Gerhard Theuerkauf, Der Prozeß gegen Heinrich den Löwen. Über Landrecht und Lehnrecht im hohen Mittelalter, in: Heinrich der Löwe, S. 217-248, bes. S. 232-234. III, 1, S. 68f: In diebus Ulis non erat rex in Israel, sed unusquinque quod rectum in oculis suis videbatur faciebat. Siquidem post exilium ducis Heinrici, qui solus in terra prevaluerat tirannico more unusquisque regnabat in loco suo et alterutrum vim faciebant et vim patiebantur. ad ducatum Denique Bernardus dux, qui principatum optinere videbatur, segniter agebat, wenn er

...

promotus,

non

ut verus

princeps proficiebat,

set ut

superpositus degenerebat,

et

quasi paciflcum ...

exhibens, in omnibus tardus et discindus erat. Unde nee ab imperio iuxta statum prioris est honoratus, nee a principibus vel terre nobilioribus est reputatus. Vgl. a. z. B. 4, S. 75: Dux Bernardus, ut minus sapiens agebat, ideoque minus prospere procedebat. Vgl. etwa III, 4, S. 75f. zum Streit zw. Hzg. Bernhard u. Gf. Adolf III. um die Steuereinnahmen an Lübeck (ebd., S. 76: terra); 7, S. 83; 20, S. 109f.: Streit um Zolleinnahmen zw. Gf. Adolf u. den Lübecker cives, Freibrief Friedrichs I. v. 1188 für Lübeck („Barbarossaprivileg"); V, 1, S. 147f; 2f, S. 148-150; 8f, S. 155-158 über die Belagerung Lübecks durch Gf. Bernhard v. Ratzeburg u. Gf. Adolf; 12f, S. 161-165; vgl. hierzu auch Lange, Grafen, S. 162f. V, 1, S. 147: Interea autem quando hec expeditio sive peregrinatio celebrabatur, non defuerunt se

...

Die Selbstzuschreibungen

273

zweiten englischen Exil zurückgekehrt. Allerdings berichtet er nun nicht mehr so positiv über den Herzog wie vorher. Zwar sei dieser zunächst bereitwillig begrüßt worden,242 daß er jedoch die terra des Grafen Adolf während dessen Abwesenheit auf dem Kreuzzug ins Heilige Land besetzte und sich darüber hinaus nicht an die Vereinbarungen hielt, die Hälfte der Einnahmen Lübecks an Adolf zu übergeben, stiftet Unfrieden in der Region.243 Anfänglichen Erfolgen des Herzogs folgen schnell Niederlagen.244 Nicht nur auf Nordelbien fokussiert Arnold, sondern wiederum auch auf die civitas, die Heinrich während Adolfs Abwesenheit besetzt hatte:245 Der Chronist rechnet sich hier deutlich den Lübeckern zu, den cives nostri, welche der langen Belagerung durch Graf Adolf 1191 ausgesetzt waren.246 Wörtlich läßt er sie (zu 1192) abwägen, wem die Stadt angesichts der sich abzeichnenden Niederlage Herzog Heinrichs übergeben werden solle. Der dänische König Knut VI. oder Markgraf Otto von Brandenburg (für den Kaiser) stellen nach Arnolds Schilderung die besseren Alternativen dar als die unter Adolf drohende tyrannis?41 Ein Weife wird als möglicher Herrscher nicht in die Überlegungen einbezogen, die der Chronist den Lübecker cives zuschreibt, auch wenn Arnold die frühere Herrschaft Heinrichs des Löwen als Ideal einer Zeit des Friedens und der Ausbreitung des Christentums preist. So zeigt sich in der zwar recht dezent formulierten, aber doch vorhandenen Kritik an Herzog Heimich ebenso wie in den Positivbewertungen eine starke Gewichtung regionaler und lokaler Teilidentitäten des Autors mit Bezug auf Nordelbien und Lübeck, denn an den Auswirkungen auf diese Region mißt er letztlich ebenso die Handlungen Heinrichs wie diejenigen Bernhards und Adolfs III.248

in Saxonia. Wiederum spielen die meliores Holtsatorum u. Sturmariorum eine entscheidende Rolle in Arnolds Bericht, denn sie begrüßen (V, 1, S. 147) den dux und laden ihn nahezu zum introitum terre ein, entfremden sich kurz darauf (2, S. 149) jedoch wieder (alienati sunt a duce). Arnold resümiert: Sie rursus infirmata est pars ducis in partibus Ulis. V, 3, S. 150. Die causa fur die perturbationes sieht Arnold (ebd.) im Bremer Erzbf. Hartwig. Die Negativbewertungen des Erzbischofs speisen sich v.a. aus dessen Vorgehen gegen den Lübecker Bf. Dietrich (vgl. bes. 1 If, S. 159-161). Den Erfolg Heinrichs bei der Befreiung der Lauenburg kommentiert Arnold (V, 16, S. 172) mit den Worten: Slcque prêter spem llberata est Lowenburch, vel quia ducem Bernardum fortuna ceca deseruit, vel quia duci Heinrico ullas reliquias Transalbinas Deus reservare voluit. Darauf wird jedoch sogleich die schwindende Macht deutlich: Qui tarnen ultionem de inimicis expetens, nunc a Sclavis, nunc a Danis auxilium querebat, et non erat. V, 2, S. 148f: Heinrich d. Löwe erobert Lübeck u. die terra comitis; 1, S. 153-155: Rückkehr Gf. Adolfs III.; 8, S. 155f: Adolf belagert Lübeck; 9, S. 156-158: Kämpfe um Lübeck; 12, S. 161f: Adolf nimmt die Stadt ein. Zur Belagerung Lübecks vgl. V, 8, S. 155f. u. 12, S. 161: Quia vero longius a civitate digressi sumus, nunc ad ipsam redeamus. Inter hec cives nostri, diutina inclusione laborantes. V, 12, S. 162: liberabimur a tyrannide istius comitis, ne regnet super nos. Es handelt sich hier wohl um eine Rückprojektion der Ansichten Arnolds über Adolfs III. Herrschaft über Lübeck; vgl. dazu oben, Kap. 4.2.2.1. m. Anm. 180, u. Lange, Grafen, S. 164f de universo suo Vgl. zur Kritik a. V, 24, S. 193: mortuus est famosus Ule dux Heinricus labore, quo laboravit sub sole, nichil est consecutus nisi memorabilem satis sepulturam. Darauf folgt freilich ein Panegyricus auf den verstorbenen Hzg. nova

...,

274

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

Besonders letzterer wird im Werk deutlich negativ charakterisiert.249 Selbst die Gründung Lübecks schreibt der Chronist Herzog Heinrich zu, nicht den Schauenburgern. Arnold grenzt sich zum einen wohl aufgrund seiner „Weifennähe" von ihm ab, die sich in einer Parteinahme für Heinrich den Löwen äußert, die aber auch darin begründet gewesen sein mag, daß Adolf in der Thronstreitzeit König Philipp unterstützte. Nach dem Tod Heinrichs treten jedoch zum anderen auch wirtschaftliche Auseinandersetzungen zwischen den Lübeckern und Adolf in den Vordergrund sowie fortwährende Konflikte um Nordelbien zwischen dem Grafen und dem dänischen König; gegen letzteren konnten jedoch wiederum die Lübecker ihre wirtschaftlichen Interessen nicht durchsetzen:250 Die Übergabe der Stadt 1201 an Herzog Waldemar von Jutland, den späteren König Waldemar II., ist in Arnolds Darstellung jedenfalls direkt verbunden mit der Freilassung von Lübeckern, die erneut als cives nostri bezeichnet werden und hier konkret eine Gruppe von Fischhändlern umfassen, die in der Sconia (in Schonen) von den Dänen festgehalten worden waren.251 Helmut G. Walther hat daraufhingewiesen, daß aufgrund der zunehmenden wirtschaftlichen Verquickung des Johannisklosters mit dem Wohl der Lübecker cives auch Abt Arnold durchaus ein Interesse an einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt hatte.252 In den Wechseln der Stadtherrschaft richtete sich nach der Darstellung des Chronisten das Interesse Lübecks auf die Wahrung der Kontinuität von städtischen Privilegien, Stadtrecht und Nutzungsrechten. Um die Bestätigung der (angeblich schriftlich) von Heinrich dem Löwen gewährten Rechte baten die Lübecker, folgt man Arnold, 1181 Friedrich L, der sie 1188, nach einer konfliktreichen Phase der Stadt unter Adolf III., auch urkundlich

bestätigte.253

Vgl.z. B. VI, 13f.,S. 232-237. Zu den Auseinandersetzungen zw. Gf. Adolf u. den Dänenkönigen vgl. Freytag, Eroberung, sowie Lammers, Hochmittelalter, S. 379-387. Zu den Auseinandersetzungen vgl. VI, 9-13, S. 229-235. Zur Übergabe Lübecks ebd. 13, S. 234f: circa tempus piscatonis, que in Sconia fieri sold, quam cives nostri fréquentant ubi etiam ipso tempore eum navibus suis et rebus sunt detenti, ita etiam ut quidam eorum in captivitatem irent. (...) Cives propter captivos suos et propter naves in Sconia detentas, animadvertentes quoque, quod ex omni parte tota terra in conspedu ducis parata esset, ita ut nullum introitum vel exitum nee per terram nee per mare habere potuissent, necessitate compulsi, nominatiores duci oecurrerunt et civitatem ei tradiderunt sieque suos captivos cum navibus et omnibus ablatis reeeperunt. Zugleich verbindet Arnold (ebd., S. 235) die Motive Waidemars für die Einnahme Lübecks mit einem Lob der Stadt: Dux igitur prospere agens, applieuit ad civitatem famosam Lubeke, sciens nomen suum dilatari, si tante civitati dominaretur. Weitere Auseinandersetzungen zw. Adolf u. Hzg. Waldemar: 14, S. 235-237; vgl. a. 17, S. 238f. Auch die meliores der Holsten u. Stormarn, die auf Seiten Heinrichs d. Löwen gestanden hatten, namentl. die Ammoniden, Verwandte des 1190 verstorbenen Overboden Marcrad II., suchten Schutz beim Dänenkg. (VI, 13, S. 233). Ebenso hätten sich (III, 22, S. Ulf.) die Dithmarscher gegen die Herrschaft Gf. Adolfs III. u. Erzbf. Hartwigs II. v. Bremen gewehrt: Thietmarci... ad Waldemarum Sleswicensem episcopum se contulerunt. (...) ex illa die additi sunt regno Danorum, servieruntque saneto Petro in Sleswich, ut servierant in Brema. Vgl. a. VI, 13, S. 233; Lammers, Hochmittelalter, S. 374-378 u. 382f; Jenks, S. 499f. u. Freytag, Nordosten, S. 480-482. Wesentl. Teile der Klostereinnahmen resultierten aus den zu Wortzins an die Lübecker cives vergebenen Grundstücke. Walther, Kaiser, S. 18f. u. S. 21 sowie Ders., Verschriftlichung, S. 12. II, 21, S. 65 (zu 1181): ut libertatem civitatis, quam a duce prius traditam habuerant, obdnerent et iustitias, quas in privilegiis scriptas habebant seeundum iura Sosatie, et términos quos in -

...

...

...

...

275

Die Selbstzuschreibungen

Arnolds Tendenz richtet sich hier wesentlich auf die Hervorhebung eines lokalen lübischen Interesses. Unabhängig davon, ob man mit Walther in dem Chronisten den Verfasser des gefälschten sogenannten „Heinrichsprivilegs" erkennen will, weist dessen Bericht doch immerhin zumindest dieselbe Tendenz auf.254 Die Handlungen Friedrichs I. werden hier deutlich an ihren Folgen für Lübeck (und, wie bereits angemerkt, für das Johanniskloster) gemessen. Auch vom neuen Stadtherrn, König Waldemar IL, ließen sich die Lübecker 1203 ihre iura et libertas bestätigen.255 Selbst wenn Arnold dies nicht mitteilt, kann davon ausgegangen werden, daß er darum wußte. Die Herausstellung des „Heinrichs-" und des „Barbarossaprivilegs" lassen zudem darauf schließen, daß er mit der Übergabe Lübecks an den Dänenkönig und dem damit einhergehenden Ende der schauenburgischen Stadtherrschaft die Kontinuität dieser Rechte verband. Wenn also Arnold in der Forschung, wie eingangs erwähnt,256 als Angehöriger einer „dänenfreundlichen Partei" bezeichnet worden ist, so mag dies zwar zutreffend sein, letztlich sind hier jedoch regionale und insbesondere lokale Zuschreibungen des Chronisten zur civitas zugrunde zu legen: Denn die dänische Herrschaft garantierte Frieden und Sicherheit in Nordelbien und darüber hinaus auch eine positive Entwicklung Lübecks: Dessen Aufstieg zur führenden Wirtschaftsmacht im Ostseeraum vollzog sich während der pax Waldemariana und zeichnete sich bereits zur Abfassungszeit der Chronik ab.257 Waldemar jedenfalls wurde nach Arnolds Worten bei seinem Einzug in Lübeck 1203 als rex Danorum et Sclavorum et Nordalbingie dominus begrüßt.258 Die Positivbewertungen dänischer Könige speisen sich demnach wie diejenigen anderer reges sive principes aus regionalen und lokalen Zuschreibungen des Chronisten, und sie sind auch auf dessen „Weifennähe" zurückzuführen, denn er streicht immer wieder die guten Beziehungen zwischen den Weifen und den dänischen Herrschern heraus: etwa das (zur Abfassungszeit noch) gute Verhältnis zwischen Otto IV. und Waldemar II., das sich in ihrem gemeinsamen Vorgehen gegen Adolf III. zeigt, der -

-

paseuis, silvis, fluviis posséderont ipsius [i. e. Fr. I.] auetoritate et munificentia possiderent. Zu den Konflikten mit Gf. Adolf vgl. III, 4, S. 75; 20, S. 109f. Zur Urk. Friedrichs I., die von 1188 Sept. 19 datiert, vgl. DFI 981, Die Urkunden Friedrichs I., MGH DD 10.4, Hannover 1990, Nr. 981, S. 263-267. Als Ks. Friedr. I. 1188 nach Lübeck kam, weil die cives im Streit mit Gf. Adolf III. lagen, präsentierten die Lübecker ihm ein angeblich von Heinrich d. Löwen stammendes, älteres Privileg („Heinrichsprivileg"), das Friedrich summarisch bestätigte („Barbarossaprivileg"). Arnold (II, 21, S. 64) erwähnt bereits bei der Übergabe der Stadt an den Kaiser 1181 die herzogl. Privilegien, verschleiert somit einerseits die Situation 1181 u. verfolgt andererseits dieselbe Tendenz wie das 1188 gefälschte „Heinrichsprivileg". Aufgrund mangelnder Schriftlichkeit in Lübeck außerhalb klerikaler Kreise u. der Parteinahme des Domkapitels für die Schauenburger nimmt Walther, Verschriftlichung, S. 13 in Arnold den Fälscher des „Heinrichsprivilegs" an; vgl. hierzu ebd., S. 12f. u. Ders., Kaiser, S. 21f; zum „Heinrichsprivileg" Ders., Lübeck, u. Jenks. Urk. v. 1203 Aug., UBStL I, Nr. 11, S. 16. Vgl. a. Freytag, Eroberung u. Nyberg, Kreuzzug, S. 179-181.

Vgl. oben, Kap. 4.2.2.l.m. Anm.

181. Erich Hoffmann, Die schrittweise Ablösung Schleswigs durch Lübeck als wichtigstes Handelszentrum an der westlichen Ostsee (ca. 1150-1250), in: LSAK 7 (1983), S. 39-46; Ders., Die Anfänge des deutschen Handels im Ostseeraum, in: Die Hanse und der deutsche Osten, hg. v. Norbert Angermann, Lüneburg 1990, S. 5-22; Ders., Der Aufstieg Lübecks, u.Jenks, S. 498-500. VI, 17, S. 238.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

276

König Philipp favorisierte und von Herzog Bernhard unterstützt wurde.259 Waldemar II. dagegen ergriff Partei für Otto.260 Zwar zerschlug sich die Hoffnung, die Arnold „einigen" zuschreibt, der Weife Wilhelm, Sohn Heinrichs des Löwen, werde durch seine Anfang 1202 eingegangene Verlobung mit der Schwester König Knuts VI. die tota terra erlangen, da der neue König Waldemar II. die Grafschaft Nordelbien nicht ihm, sondern dem Thüringer Grafen Albrecht von Orlamünde übertrug.261 Bernd Ulrich HUCKER hat jedoch aufgezeigt, wie eng sich das gemeinsame Vorgehen von Waldemar und Otto in der Zeit des Thronstreits bis 1208 gestaltete: Während der dänische König Otto im Kampf gegen Philipp unterstützte, tolerierte jener die dänischen Eroberungen in Nordelbien.262

Auch in den Auseinandersetzungen um die Besetzung des Bremer Erzbistums nach dem Tod Hartwigs II. (1207) gingen Otto und Waldemar IL, wiederum vor dem Hintergrund des Thronstreits, gemeinsam vor: Mit ihrem Wissen, wenn nicht gar mit ihrer Unterstützung, fochten das Hamburger und ein Teil des Bremer Domkapitels die Ernennung Waidemars, des ehemaligen Bischofs von Schleswig, zum Erzbischof an, und stellten mit Burchard einen Gegenkandidaten auf.263 Arnold beschreibt die Vorgänge zwar, kommentiert sie jedoch nicht weiter und gibt in seiner Schilderung der Auseinandersetzungen beider Kandidaten um Stade keinem eindeutig den Vorzug, Zu den Auseinandersetzungen zw. Dänen u. Gf. Adolf III. vgl. VI, 1 lf., S. 230-232; 14, S. 235237 u. 17, S. 238f. sowie Hucker, Kaiser, S. 46f, der S. 46 aufgrund des gemeinsamen planvollen Vorgehens von Otto u. dem Dänenkg. gar von einer ,,welfisch-dänische[n] Eroberungspolitik 1201/1202" spricht. Zur Politik Waidemars II. gegenüber Otto vgl. a. Ahlers, S. 219-222. VII, 12, S. 281. Vgl. auch die Parteinahme Waidemars II. gegen die Ernennung Bf. Waidemars v. Schleswig zum Erzbf. v. Bremen (11, S. 280f), der Partei für Kg. Philipp ergriff (13, S. 284f. u. 19, S. 294). VI, 15, S. 237: Non autem obliviscendum, quod domnus Kanutus rex sororem suam domnam Helenam com magna sollempnitate domno Willehelmo, filio ducis Heinrici, sociavit. Unde letati sunt omnes amici ducis et omnis terra Holsatorum Sturmariorum, sperantes, eum cum sorore domni regis totam terram habiturum. Sed fefellit opinio. Es handelte sich eigentlich um eine Doppelverlobung, da außerdem eine Tochter Pfalzgf. Heinrichs mit dem Bruder Knuts, Hzg. Waldemar v. Schleswig (dem späteren Kg. Waldemar II.), verlobt wurde. Arnold berichtet hiervon jedoch nichts; vgl. dazu Hucker, Kaiser, S. 48 m. Anm. 88, der S. 52f. richtig darauf hinweist, daß Arnold hier nicht direkt weifische Interessen wiedergibt, sondern ledigl. über Hoffnungen der Weifenanhänger in Nordelbien, besonders der Holtsati u. Sturmarii, berichtet. Es ist natürlich möglich, daß sich Arnold selbst unter die Hoffenden zählte, wie Walther, Verschriftlichung, S. 19 vorgeschlagen hat. Vgl. Hucker, Kaiser, S. 46f u. 224. Freytag, Eroberung, hat aufgezeigt, daß Otto die Gebiete zw. Eide u. Elbe nicht „von Reichs wegen" abtrat, sondern daß hier ledigl. das weifische Haus auf Ansprüche verzichtete. Doch stellt sich die Frage, ob Waldemar II. diesen Unterschied sah. Für die Weifen ergab sich aus den Vereinbarungen mit dem dän. Kg. auch der Gewinn der Gfst. Stade, welche die Dreiteilung des Erbes v. 1202 ermöglichte; vgl. dazu Hucker, Kaiser, S. 46-49, 52 u. 224. Zur Wahl Waidemars, Vetter Kg. Waidemars II., aber auf der Seite Kg. Philipps (10, S. 279f), vgl. May, S. 195-197; Glaeske, S. 209f; Bernd Ulrich Hucker, Innocenz III., Otto IV. und die Zisterzienser im Bremer Schisma (1207-1217), in: JbGesNdsKG 86 (1988), S. 127-143; Ders., Kaiser, S. 225f, 239 u. 448f. Zu Burchard vgl. May, S. 211. Zu Burchards „Weifennähe" Hucker, Innocenz, S. 129f. Zum Streit der beiden Kandidaten um Stade vgl. ebd., S. 238f. sowie Arnold VII, 11, S. 280; zur Auflösung der Partei Waidemars 13, S. 285 u. 19, S. 294. ...

Die Selbstzuschreibungen

277

wenngleich

er konstatiert, daß sich Bischof Waldemar unter den Anhängern Philipps befand.264 Daß Burchard, im dänischen Hamburg residierend, als Metropolit des Impe-

riums die Investitur vom dänischen König empfing, verweist zum einen deutlich auf die Machtverhältnisse im Norden, denn weder zeigt sich hier eine Lehnsabhängigkeit der Dania vom Reich noch dessen Herrschaftsanspruch auf Nordelbien.265 Daß sich Otto nach dem Tod Philipps 1208 an den Papst wandte und nun auch die Legitimität Burchards als Erzbischof bestritt, erwähnt Arnold nicht:266 Die letzte Nachricht in der Chronik bezieht sich auf die zur Abfassungszeit 1210 noch unentschiedene Situation im Bremer Erzbistum.267 Sie belegt noch einmal, daß Arnolds Chronik keineswegs nur auf die Kaiserkrönung Ottos IV. zielte, sondern daß er seine Geschichtsschreibung auch auf den status terre nostre bezog.

4.2.3.

Ergebnisse

Bevor im zweiten Teil der

Untersuchung stärker auf die Fremdzuschreibungen Arnolds Lübeck fokussiert wird, ist hier zunächst eine Zwischenbilanz zu ziehen. In der bisherigen Betrachtung hat sich gezeigt, daß Arnolds Selbstzuschreibungen wie diejenigen Adams von Bremen und Helmolds von Bosau sehr vielschichtig sind. Grundsätzlich ergeben sich trotz auffälliger Unterschiede doch mehrere Parallelen zwischen den drei Geschichtsschreibern: Wie die anderen verortet sich auch Arnold innerhalb verschiedener Gemeinschaften aus dem ,kirchlichen' und aus dem .weltlichen' Bereich, und auch für diesen Autor lassen sich unterschiedliche Gewichtungen seiner Teilidentitäten konstatieren. Zudem zeigte sich erneut, daß die Zuschreibungen grundsätzlich deutlicher auf die kleineren als auf die größeren Gruppen bezogen sind, wenngleich sich Arnold doch von den anderen beiden Chronisten in zwei Aspekten unterscheidet: Zum von

VII, 10, S. 278-280, hier S. 278: domnus Hathwicus vita excessit. Et cum eo adhuc vívente ecclesia illa satis concussa fuerit, nunc maiores et graviores commotiones exorte sunt. 11, S. 281 (zu Stade): [Waldemarus Bremensis] civitatem obsedit et ipsam violenter obtinens, omnia que intus erant suis exercitibus consignavit. Qui preda maxima omnia vastantes, ipsam quasi vacuam dimiserunt. [Burchardus electus] illuc liberius habitare cepit. Vgl. a. unten, Anm. 267. Zu den Machtverhältnissen vgl. Hucker, Kaiser, S. 226. Die Investitur bei Arnold VII, 11, ...

...

S. 280. Noch in einer anderen Hinsicht ist der Streit um die Bremer Investitur von Bedeutung, denn Waldemar wurde von einem Teil des Bremer Domkapitels ernannt, während sich die Hammemburgenses canonici, die sich übergangen sahen, darauf beriefen, daß suam ecclesiam matrem ecclesiarum quandoque fuisse, et ideo potissimum primam vocem in electione se habituros und die Wahl Burchards unterstützen (10, S. 279). Hucker, Kaiser, S. 226f. sieht im Schreiben Ottos an den Papst den Beginn einer veränderten Haltung Ottos gegenüber dem dän. Kg., die sich in den folgenden Jahren zur Gegnerschaft entwickelte u. 1215 in einen Krieg mündete. Zum weiteren Verlauf vgl. ebd., S. 226-230, 322f. u. 448f. Vgl. VII, 10, S. 280 (Exkommunikation Bf. Waidemars durch Innozenz III.). 19, S. 294: Nee pretereundum, quod Waldemarus Bremensis electus, pauper et exul... limina apostolice pietatis pulsare non cessavit (...) Verum quia idem casus multipliciter erat perplexus, nichil super his fuit determlnatum, nisi ut in pontificalibus celebraret, non tarnen in Bremensl ecclesia. Auf Betreiben des Papstes wurde im Herbst 1210 Gerhard v. Oldenburg, der Bf. v. Osnabrück, zum neuen Erzbf. gewählt. ...

278

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

einen sind die Teilidentitäten auf die größeren Gemeinschaften im ,kirchlichen' Bereich (christianitas) und im .weltlichen' (regnum und imperium) insgesamt stärker gewichtet als bei Adam und Helmold, und zum anderen sind Arnolds Zuschreibungen zu Gruppen aus dem ,weltlichen' Bereich gegenüber denjenigen aus dem »kirchlichen' deutlicher ausgeprägt als bei den zuvor untersuchten Autoren. Daher ist die Debatte zwischen HuCKER und Walther, sofern sie die Fragen nach der Vorrangstellung von regnum oder Nordalbingia für den Chronisten und nach einer größeren Bedeutung der Kreuzzüge ins Heilige Land oder dem Livlandkreuzzug im Werk berührt, Ausdruck der Tatsache, daß Arnold sich eben sowohl innerhalb der kleineren als auch der größeren Gemeinschaften positioniert. Zunächst aber zu den Ergebnissen für den ,kirchlichen' Bereich: Hier schreibt sich der Chronist vor allem dem Lübecker Johanniskloster zu, dem er als Abt vorstand. Dies wird besonders in den Abgrenzungen vom Lübecker Domkapitel in wirtschaftlichen Auseinandersetzungen deutlich, aber auch darin, daß er Bischof Heinrich als Gründer und Ausstatter des Klosters hervorhebt. Eng verbunden mit diesen Zuschreibungen, in denen wie bei Adam und Helmold die Bedeutung institutioneller Identitäten für mittelalterliche Geschichtsschreiber hervortreten, sind die Zuschreibungen zum alten benediktinischen Mönchtum: Sie äußern sich in den expliziten Kontrastierungen von monachi und canonici, aber auch in den Abgrenzungen von den Reformorden und sind als Propagierung der Stellung des Benediktinertums anzusehen. Deren Notwendigkeit konnte in der Untersuchung zum einen darauf zurückgeführt werden, daß die Region, in der Arnold sein Werk schrieb, zur Abfassungszeit durch eine Vielfalt regulierter Lebensformen charakterisiert war, zum anderen darauf, daß der Geschichtsschreiber als erster Abt der frühesten Benediktinergründung in der Nordalbingia überhaupt vorstand und sich insofern gewissermaßen auf verlorenem Posten befand, als in den Nachbarbistümern Ratzeburg und Schwerin Regularkanoniker (Prämonstratenser) und Reformorden (Zisterzienser) im Aufschwung begriffen und zudem an der Missionierung der Livonia beteiligt waren. Hier zeigte sich die Notwendigkeit, den Ratzeburger Bischof Philipp in die Überlegungen einzubeziehen, denn gerade er eignete sich im Hinblick auf seine Teilnahme am Livlandkreuzzug als Adressat des Werkes. Die Zuschreibung zu einem Bistum fiel gegenüber Adam und Helmold wesentlich schwächer aus, auch wenn sie, etwa in Abgrenzungen vom Hamburg-Bremer Erzbischof oder dem sächsischen Herzog Bernhard greifbar wurde. Arnold schreibt jedoch nicht vorrangig eine Bistumschronik: Wenngleich er auf Ereignisse im Bistum Lübeck eingeht, bezieht er sich doch nicht so sehr auf eine einzelne Diözese, sondern stärker auf die boreales ecclesiae, die nordelbischen Bistümer insgesamt. Allerdings bilden unter diesen Lübeck und (das etwas schwächer ausgeprägte, durch den Adressaten jedoch wiederum hervorgehobene) Ratzeburg seinen Vornehmheiten Berichtsgegenstand, während Schwerin weitaus seltener Beachtung findet. Einen auffälligen Unterschied zu Adam und Helmold stellen die außerordenlich häufigen Wir-Bezüge auf die christianitas dar. Sie fungiert als Identifrkationsgemeinschaft der Latini in Abgrenzung von anderen Christen, den Greci, und von den Juden, besonders deutlich aber von den Muslimen, den Saraceni im Heiligen Land. Wie die kontextbezogene Analyse von Wir-Bezügen ergab, treten die Gegenüberstellungen von Christen und Muslimen besonders vehement in den umfangreichen Passagen über die Kreuzzüge ins Heilige Land in den Vordergrund. So läßt sich konstatieren, daß die hohe

Die Selbstzuschreibungen

279

von Zuschreibungen zur großen Gemeinschaft der christianitas direkt mit der Abgrenzung von einer anderen großen Religionsgemeinschaft zusammenhängt. Trotz dieser Kontrastierungen erkannte Arnold jedoch auch die gemeinsame Gotteskindschaft von Christen und Muslimen an, so daß er letztere auch explizit in die ,Menschheit' einbezog. Im Gegensatz zu den anderen beiden hier untersuchten Chronisten läßt sich für Arnold eine stärkere Gewichtung der Zuschreibungen zum ,weltlichen' Bereich feststellen, innerhalb dessen die Positionierung in imperium und regnum sehr deutlich wird. Arnold verfügt über einen klaren „Reichs"-Begriff, und die nachhaltige Betonung des Anspruchs des deutschen rex auf die Kaiserwürde zeigt sich etwa in dessen Gegenüberstellungen mit dem rex Grecorum. Zugleich belegen auch die Passagen, in denen der Chronist eine deutliche Kritik am Thronstreit zwischen Otto und Philipp äußert, die Bedeutung, die er dem Frieden und der Einheit im Reich beimaß. Von dieser Signifikanz der Zuschreibungen auf Reichsebene zeugen ebenso die häufigen und umfangreichen Thematisierungen der Kreuzzüge ins Heilige Land, die Arnold als besonders dringliche Aufgabe der Kaiser ansah. In den Kreuzzugsdarstellungen treten die Kontrastierungen von Teutonici und Saraceni in den Vordergrund. Dennoch konnte aufgezeigt werden, daß die Auffassung Huckers, die gesamte Chronik als Historia Regum zu betrachten, ebensowenig haltbar erscheint wie die Reduktion der gesamten Chronik auf die Propagierung eines neuen Kreuzzugs unter Otto IV. Dagegen spricht zum einen, daß sich selbst in Gegenüberstellungen von Teutonici und Dani häufig regionale, auf die Nordalbingia, und lokale, auf Lübeck bezogene Zuschreibungen als bestimmend erwiesen, die mit Arnolds Interesse an Frieden und Sicherheit in der Region sowie an der wirtschaftlichen Lage Lübecks und des Johannisklosters begründet werden konnten. Zum anderen bezieht sich die Darstellung aber auch wesentlich auf den status terrae nostrae, nämlich auf die Saxonia und insbesondere die Nordalbingia. Für eine stärkere Ausprägung dieser regionalen und lokalen Identitäten im Verhältnis zu den Zuschreibungen zu regnum und imperium spricht auch die Tatsache, daß Arnold die reges sive principes wesentlich nach ihren Taten für die Region bewertet: Diesen Wertstrukturen unterliegen die Urteile über die dänischen Könige Knut VI. und Waldemar II. wie letztlich auch das Urteil über Heinrich den Löwen, dessen Sturz Arnold aus ganz spezifischen Gründen „bewältigte": Der Herzog galt ihm als Garant des Friedens in der Region und des Kirchenschutzes, so daß sich hier durchaus die Bedeutung der Zuschreibungen zu Gemeinschaften aus dem ,weltlichen' und dem ,kirchlichen' Bereich zeigen, zu Nordelbien als der terra nostra einerseits und dem Gebiet der boreales ecclesiae andererseits. In den Berichten über die Kreuzzüge und die Thronstreitzeit im regnum hingegen wird, weitaus stärker als in den Abgrenzungen von der Dania, auch eine (prä)nationale Teilidentität greifbar.

Anzahl

Gerade weil sich Arnold aber auf die unterschiedlichen Gemeinschaften im weltlichen' Bereich deutlich bezog, differieren auch die Meinungen über seine Intentionen und scheint eine Einordnung der Chronik zwischen den beiden Polen Reich' und Region zunächst auch so schwierig. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß weder die ausschließliche Akzentuierung der regionalen und lokalen Identitäten noch die Reduktion der Chronik auf impériale Bezüge oder eine „Weifennähe" des Autors das Werk letztlich in seiner Gesamtheit erfassen. Der prägnanteste Beleg für die in der Forschung häufig erwähnte „Weifennähe" kann darin erblickt werden, daß Arnold mit ,

280

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

Idealisierung Heinrichs des Löwen, die sich in der Darstellung des Sturzes ebenso zeigt wie in dem Bericht über die Pilgerfahrt, auf den noch einzugehen ist, und mit der Hervorhebung Ottos IV. zwei Weifen aus spezifischen Gründen in den Vordergrund seines Werkes rückt. Aufgrund der schwierigen Textüberlieferung und der Editionslage müssen Interpretationen mit Absolutheitsanspruch letztlich scheitern, und die Konstruktion verschollener Widmungsexemplare und angeblicher Auftraggeber sind hierfür nicht hilfreich. Geht man von den Zuschreibungen Arnolds aus, so läßt sich konstatieren, daß sowohl die regionale als auch die (prä)nationale Identität ausgeprägt sind. Daß der

letztere stärker zum Ausdruck kommt als bei den anderen beiden hier behandelten Chronisten, ist ganz wesentlich auf die Kreuzzugsthematik im Werk zurückzuführen.

281

Die Fremdzuschreibungen

4.3.

Die

Fremdzuschreibungen Arnolds von Lübeck

Es ist bereits deutlich geworden, daß die Einordnung der Chronik zwischen den Positionen Huckers und Walthers auch deshalb so schwierig ist, weil Arnold nicht etwa lediglich über Ereignisse in einem kleineren regionalen Umfeld berichtet, sondern sich darüber hinaus auch der Darstellung eines wesentlich größeren geographischen Raumes widmet. Neben Angaben über die Nordalbingi, Dani und Sclavi enthält der Text auch Passagen über Gebiete und Bewohner in größerer räumlicher Entfernung zum Abfassungsort. Ist Arnold in der Thematisierung von Nordelbiern, Dänen und Slawen generell beiden zuvor behandelten Chronisten, und in der Behandlung weit entfernt liegender Regionen besonders Adam vergleichbar, so unterscheidet sich Arnold doch bereits auf den ersten Blick grundsätzlich von beiden Geschichtsschreibern durch seine Auswahl des geographischen (Berichts-)Raumes: Denn er behandelt, sieht man einmal von der Livonia ab, nicht hauptsächlich nord- und nordosteuropäische Regionen, sondern mit dem Heiligen Land, der Apulia, Konstantinopel und der Grecia sowie einem Gebiet, das er Egyptus vel partes Libie nennt und das ungefähr Ägypten und Syrien entspricht, einen Großteil dessen, was man als .Mittelmeerraum' bezeichnen könnte.268 Aber nicht nur das: Weil Arnold auch Reisen in diese Regionen beschreibt und zudem Reiseberichte anderer Autoren in sein Werk inseriert, geraten auch Gebiete entlang der itinera zwischen der Saxonia bzw. der terra Teutónica und dem Heiligen Land, zwischen Ausgangs- und Zielpunkten von peregrinationes und expeditiones in seinen Blick. So erscheint es durchaus möglich, daß ählich wie bei Adam von Bremen mit einer zunehmenden räumlichen Entfernung des Berichtsgegenstandes auch eine wachsende Zuschreibung von Fremdheit nach unterschiedlichen Graden korreliert. Um eines jedoch gleich vorweg zu schicken: Ginge man allein von den Begriffen aus, die auch nur in etwa als explizite Fremdbezeichnungen gelten können, so fällt der Befund für Arnolds Chronik im Vergleich zu den anderen hier behandelten Werken nüchtern aus: Sieht man einmal von der häufigeren Verwendung der Termini peregrinus und peregrinatio ab, die sich schon nach ihrer Verteilung im Werk leicht mit der Behandlung der Pilgerreise Heimichs des Löwen und der kaiserlichen Kreuzzüge erklären lassen, so sind andere Begriffe nicht nur sehr selten, sie kommen zudem auch noch teilweise in den Briefen und Reiseberichten anderer Autoren vor, die Arnold inserierte. Immerhin scheint der Schluß gerechtfertigt, daß Arnold deren Termini, etwa exterus oder barbarus, bewußt übernahm. Hierauf ist an den einzelnen Stellen einzugehen. Bereits aus der Insertion dieser Berichte die übrigens ausgerechnet Angaben über entfernt liegende Gebiete im ,Mittelmeerraum' enthalten läßt sich auf Arnolds Interesse am Beschriebenen rückschließen. Wie für Adam und Helmold ist auch für Arnold die Strukturierung des gesamten geographischen Raumes zu untersuchen. Sie zeigt sich jedoch für letzteren erst in der Zusammenschau der einzelnen inserierten Reiseberichte und anderer geographischer -

-

Arnold verwendet keinen äquivalenten Begriff für .Mittelmeerraum' oder ,Mittelmeer'; vgl. dazu demnächst Volker Scior, The Mediterranean in the high Middle Ages: area of unity or diversity? Arnold of Lübeck's Chronica Slavorum, in: Mobility and Travel in the Mediterranean from Antiquity to the Middle Ages, hg. v. Renate Schlesier u. Ulrike Zellmann (erscheint Freiburg 2002).

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

282

Passagen und wird daher erst am Ende der Betrachtung im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage nach den Funktionen der Darstellungen für das Werk behan-

Notwendigkeit einer gemeinsamen Betrachtung der einzelnen geo- und ethnographischen Abschnitte in der Chronik und aus der Tatsache, daß Arnold ausgerechnet für die Beschreibung entfernt liegender Regionen Reiseberichte anderer Autoren in sein Werk inserierte, ergibt sich für die folgende Untersuchung ein teilweise anderes Vorgehen als in den Kapiteln über die Fremdzuschreibungen Adams und Helmolds. Denn um die eng miteinander verknüpften Fragen nach den Funktionen der Fremddarstellungen und nach den Gründen für die Insertionen herausarbeiten zu können, ist es notwendig, sowohl Arnolds eigene als auch die eingefügten Abschnitte zunächst in ihrem jeweiligen Berichtszusammenhang zu betrachten. Stärker als in den beiden vorangegangenen Fällen ist eine Untersuchung der Fremddarstellungen Arnolds mit quellenkritischen Problemen behaftet, denn es ist bislang nicht gelungen, die Quellen des Geschichtsschreibers ausfindig zu machen.269 Zwar gilt dies nicht für die inserierten Briefe, deren Absender und Adressaten Arnold angibt, schon sie werden jedoch zu einem Teil nur durch die Chronik selbst überliefert, so daß es meist unmöglich ist, eine aufschlußreiche, eventuelle Umformung des Originals in die Betrachtung einzubeziehen. Die Quellen für die Darstellungen der peregrinatio Heinrichs des Löwen und der kaiserlichen Kreuzzüge sind großenteils nicht identifrzierbar, auch wenn der im folgenden zu ziehende Vergleich mit anderen Texten insgesamt deutlich macht, daß Arnold hier grundsätzlich aus einer Art .kollektivem Wissen' schöpfte.270 Schließlich kann die Frage, aus welchen Gründen Arnold die Berichte an ganz bestimmten Stellen seines Werkes inserierte, geklärt werden, wie zu zeigen sein wird. Bevor aber die Arnolds Pilgerfahrts- und Kreuzzugsberichte und danach die Insertionen thematisiert werden, ist zunächst kurz auf die Darstellung der Nordalbingi, der Dani und der Sclavi einzugehen um festzustellen, wie der Chronist mit seinem (teilweise) aus den Werken Helmolds und (indirekt) Adams stammendem Wissen über delt. Aus der

die dort vermittelte Ansicht von diesen Völkerschaften als Fremde in giöser und kultureller Hinsicht umging.

ethnischer, reli-

4.3.1. Nordalb ingia und Nordalb ingi Wie Adam und Helmold verwendet auch Arnold den Terminus Nordalbingi?1* Im Gegensatz zu den beiden anderen Geschichtsschreibern, die mit dem Ausdruck Nordalbingorum populi Helmold gar unter Anführung verschiedener Kriterien explizit Sturmarii (Stormarn), Holzati (Holsten) und Thetmarki (Dithmarscher) zusammenfassen, fehlt eine solche nähere Begriffsbestimmung bei Arnold.272 Auf den ersten Blick -

-

Vgl. dazu bereits oben, Kap. 4.1. Begriff,Kollektiv' vgl. unten, Anm. 396. Dreimal in ,Aufzählungen': VI, 9, S. 229: Dania et Nordalbingia; 14, S. 236: Nordalbingia, Sclavia, Thietmarcia (dort auch einmal Nordalbingi, Thietmarci, Sclavi, Rugiani) sowie einmal als Grafentitel: comes Nordalbingie VII, 11, S. 280; vgl. a. das Adjektiv Transalbina: V, 7, Zum

S. 154; 16, S. 172

u.

20, S. 183.

Vgl. Helmold 47, S. 92 u. Adam II, 17, S. 72f; vgl. dazu oben, Kap. 2.3.2.

u.

3.3.1.

Die Fremdzuschreibungen

283

scheint sich dies rasch erklären zu lassen: Denn 1. mag zur Abfassungszeit, rund vierzig Jahre nach Abschluß der Chronik Helmolds, eine Einordnung der Nordalbingi unnötig erschienen sein, da die drei populi eine Einheit bildeten, die nicht mehr erklärungsbedürftig war, und 2. mag Arnold, nach seiner Selbstaussage der Fortsetzer Helmolds, dessen Erklärung als bekannt vorausgesetzt und als ausreichend angesehen haben. Um so überraschender ist jedoch Arnolds implizite Definition des Terminus', denn er rechnet die Thietmarcia (bzw. die Thietmarci) zweimal offenkundig nicht zur Nordalbingia (zu den Nordalbingi)?13 Für diese, soweit ich sehe bislang nicht thematisierte Abweichung' bieten sich m.E. folgende Erklärungsmöglichkeiten an: Die Thietmarcia nimmt unter den nordelbischen Regionen durch ihre wechselnde Zugehörigkeit zum dänischen und deutschen regnum gewissermaßen eine Sonderstellung ein:274 Um der Landesherrschaft Graf Adolfs III. zu entgehen, schlössen sich die Thietmarci 1187 Bischof Waldemar von Schleswig an, und Arnold fügt seinem Bericht über diese Geschehnisse hinzu, daß die Dithmarscher nun dem „heiligen Petrus in Schleswig dienten, wie sie ihm vorher in Bremen gedient hatten";275 er vermerkt jedoch auch, daß ex ilia die additi sunt regno Danorum. Nur vorübergehend gelangte die Thietmarcia wieder an das deutsche regnum,216 jedenfalls berichtet Arnold für 1201, daß sie regi [i. e. dem dänischen König] subdita videbatur und Herzog Waldemar von Jutland einen comes Thietmarcie einsetzte.277 Zwar ermöglicht die unzureichende Quellenlage bezüglich Dithmarschens keine sicheren Rückschlüsse, jedoch wird davon ausgegangen, daß die Region dem dänischen König direkt unterstellt blieb, als Albrecht von Orlamünde zum comes Nordalbingie ernannt wurde. Sein Herrschaftsbereich umfaßte neben Holstein, Stormarn und Wagrien auch Land und Feste Ratzeburg, nicht aber Dithmarschen.278 Der VI, 14, S. 236: Nordalbingia, Sclavia, Thietmarcia; 17, S. 238: primoribus Nordalbingis, Thietmarcis.

Über die Thietmarcia berichtet Arnold zumeist im Kontext von Konflikten, einerseits zw. Gf. Adolf III. u. den Bremer Erzbischöfen, bes. Hartwig II., andererseits zw. dem Grafen u. den Dänenkönigen; vgl. III, 1, S. 70; 13, S. 98; 22, S. 111; V, 1, S. 147; 8, S. 156; VI, 13, S. 233 u. 14, S. 236. Zum Hintergrund vgl. Lammers, Hochmittelalter, S. 377-379, u. Michael Hohmann, Das Erzstift Bremen und die Grafschaft Stade im 12. und frühen 13. Jahrhundert, in: Stader Jb N.F. 59(1969), S. 49-118. Ill, 22, S. 111 f.: servierunt[...] sancto Petro in Sleswich, ut servlerant In Brema. Demembrataque est ecclesia Bremensis per negligentiam Hartwici, qui propter suam segnitiem oves perditas requirere non valebat. Petrus war Patron beider Kirchen; vgl. a. Lammers, Hochmittelalter, S. 377f. V, 22, S. 187. Adolf III. machte nach seiner in kaiserl. Auftrag erfolgten Einnahme Stades für sich geltend, daß der hl. Petrus in Bremen Thietmarcos, qui ad regnum Danorum se transtulerant, recepisset. Seit 1195 durch Vermittlung Heinrichs VI. als erzbischöfl. Lehen an den Grafen ausgegeben, scheint der Gf. das Gebiet bereits Anfang 1200 wieder an den dän. Kg. verloren zu haben.

VI, 13, S. 233. Die Ernennung Scaccos

zum comes Thietmarcie durch Hzg. Waldemar ebd., S. 235. Scacco war Ammonide u. somit Angehöriger des alten Overbodengeschlechts. Mit ihm wurden weitere Ammoniden zu Vögten u. Statthaltern ernannt, etwa in Segeberg, Plön u. Hamburg durch Hzg. Waldemar, die als Entschädigung' für erlittene Nachteile infolge ihrer frühen Parteinahme für Waldemar gedeutet werden; vgl. dazu Lammers, Hochmittelalter, S. 384. Die Belehnung Albrechts v. Orlamünde, eines Neffen Hzg. Waidemars v. Jutland, dessen Verwandte im Thronstreit auf Seiten Philipps stand, verdeutlicht, daß Kg. Waldemar trotz der Eheabsprachen keine engere Verbindung mit den Weifen verfolgte (vgl. dazu a. VI, 15, S. 237),

284

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

Unterschied zu Helmold besteht nicht in dieser grafschaftlichen Trennung von Dithmarschen einerseits und Holstein-Stormarn-Wagrien andererseits, die es schon zuvor gegeben hatte, sondern in einer veränderten Titulatur des neuen comes unter dänischer Oberhoheit: So mag genau hierin auch der Grund dafür bestehen, daß Arnold die Thietmarci nicht unter die Nordalbingi rechnet. Seine implizite .Definition' der Nordalbingia orientiert sich an den Grenzen der Grafschaften und an den Grafentiteln, und sie war möglicherweise auch bedingt durch die wechselnde und von Holstein und Stormarn verschiedene Zugehörigkeit Dithmarschens zum deutschen und dänischen regnum. Sind Nennungen der Wagira (auch Wagrien) selten, wohl auch, weil die zur Abfassungszeit bereits abgeschlossene Missionierung und Besiedelung dieser Region, die Helmold noch so deutlich in den Blickpunkt rückte, eine Fokussierung Arnolds unnötig gemacht zu haben scheint,279 so sind die Darstellungen der beiden Chronisten in zwei anderen Aspekten grundsätzlich vergleichbar: Zum einen nennt auch Arnold Holzati und Sturmarii häufig gemeinsam in einer Art Aufzählung, was wiederum auf die ,institutionelle' Zusammenfassung beider populi in einer Grafschaft zurückgeführt werden könnte.280 Zum anderen sind die Holzati diejenige nordelbische Völkerschaft, über die auch Arnold am häufigsten berichtet. Der Kontext der Begriffsverwendungen zeigt, daß der Chronist über Holzati und Sturmarii vor allem in den Darstellungen der Auseinandersetzungen zwischen Heinrich dem Löwen und dessen Gegnern, für die Zeit nach dem Sturz des Herzogs auch über Konflikte zwischen dem dänischen König und Adolf III. berichtet. Es sind in Arnolds Bericht gerade die Holzati, genauer die Ammoniden um den prefectus Markrad, die sich durch eine proherzogliche Parteinahme auszeichneten, Heeresaufgebote stellten und aufgrund ihrer Unterstützung Heinrichs nach dessen Sturz ad regem Dacie [i. e. Danie] peregrinati sunt, weil Adolf sie als seine inimici außer Landes wies. Auch nach Heinrichs Rückkehr aus dem Exil, so Arnold, standen sie weiterhin lange zu ihm und wurden schließlich von den dänischen Eroberern zu Vögten und Statthaltern in nordelbischen Orten gemacht.281 Die Holzati und (seltener) die Sturmarii werden demnach vor allem als Parteigänger Heinrichs des Löwen und später der Dänen sowie als Gegner Adolfs III. charakterisiert. Zwar weist Arnold im Gegensatz zu Helmold kaum auf Negativeigenschaften der Holzati hin, jedoch findet sich auch eine Passage, in der er sie mit solchen Attributen versieht: Er nennt die Saxones, qui Holtsati dicuntur und die 1179 an der expeditio in sondern die eroberten Gebiete in der Nordalbingia an die kgl. Verfügungsgewalt band; vgl. Lammers, Hochmittelalter, S. 388; zu Dithmarschen ebd., Freytag, Eroberung, u. Hohmann. Wagira/Wagrien ledigl. viermal im gesamten Werk: III, 21, S. 110 u. V, 7, S. 154 (2x) sowie bezeichnenderweise einmal in Anknüpfung an die bei Helmold geschilderten Leistungen Heinrich d. Löwen (prol., S. 10); zu Helmold vgl. oben, Kap. 3.2.2.3. Bei jeder einzelnen Erwähnung der Sturmarii nennt er auch die HolzatilHoltsati: III, 21, S. 110; V, 1, S. 147; 2, S. 148; 7, S. 153 u. VI, 15, S. 237. Proherzogl. Parteinahme der Holtsati: II, 13, S. 51; V, 2, S. 148f; des profectus Holzatorum Markrad: II, 16, S. 57; 20, S. 62; 21, S. 63; III, 1, S. 69; Vertreibung der Holtsati in die Dania: III, 1, S. 69 (Zit.) u. VI, 13, S. 233; Begrüßung Heinrichs d. Löwen durch die meliores Holtsatorum, Sturmariorum: V, 1, S. 147; Zug Kg. Knuts VI. in die Holsatia: V, 17, S. 172f; Einsetzung Radolfs, eines vir illuster de Holsacia (VI, 12, S. 232) in Hamburg durch Hzg. Waldemar v. Jutland: VI, 13, S. 235 (u. oben, Anm. 277).

285

Die Fremdzuschreibungen

Westfaliam Heinrichs des

Löwen

teilnahmen, „unbarmherzig" und „sehr begierig,

vergießen".282 Damit

schreibt er den Holsten ein Verhalten und Eigenschaften zu, die ihnen bereits von Helmold attestiert worden waren. Das angebliche Verhalten der Holzati in der Westfalia bestätigte hier möglicherweise ein ,Bild', das Arnold als Leser der Helmoldschen Chronik durchaus haben konnte.283 Dennoch: Grundsätzlich spiegelt sich in der Bewertung der Holzati Arnolds Parteinahme für Heinrich den Löwen und seine ablehnende Haltung gegenüber Adolf III. wider, und so stehen die Darstellungen der Holsten in einer konkreten Relation zu den oben herausgearbeiteten Selbstzuschreibungen des Chronisten zum sächsischen Herzog. Nordelbien bedarf ebensowenig einer räumlichen Einordnung wie seine Bewohner einer ethnischen. Über die fremdartigen Verfassungsstrukturen, die als wesentlicher Grund für Helmolds Negativbewertungen der Holsten erkannt wurden,284 berichtet Arnold nichts. Aber keineswegs allein in diesem Punkt, auch in der wohl institutionell begründeten Trennung zwischen der Thietmarcia und der Nordalbingia finden historische Veränderungen in der Region ihren Ausdruck. Von der Missionsthematik, die Adam hervorhebt, und den Relikten heidnischer Sitten, die noch Helmold konstatiert, ist bei Arnold nichts mehr vorhanden. Der Nordalbingia und ihren Bewohnern schreibt er keine Fremdheit zu, anders als bei Helmold sind sie in Arnolds Identifikationsgemeinschaften Saxonia und christianitas integriert, ja letzterer kann sogar, wie oben erwähnt, den Ausdruck terra nostra durchaus auf die Nordalbingia beziehen.

menschliches Blut

zu

4.3.2. Dania und Dani Bereits oben wurde auf Arnolds Kapitel über die honestas Danorum eingegangen. Vor allem dessen Inhalt hat in der Forschung dazu geführt, dem Chronisten im Vergleich zu Helmold ein positives „Dänenbild" zu attestieren, das auf Arnolds Zugehörigkeit zu einer „dänenfreundlichen Partei" in Lübeck zurückgeführt wird.285 Dem ist noch hinzuzufügen, daß Arnold auch die Festigung des Christentums in der Dania mit einem Lob der Bischöfe, insbesondere Erzbischof Absalons von Lund, verbindet.286 So ist zwar der Forschungsansicht zuzustimmen, daß Arnold die Dänen grundsätzlich positiver bewertet als Helmold, gleichwohl aber ist die meist übersehene Tatsache hervorzuheben, daß der Lübecker Abt den Dänen trotz der Zuschreibungen vorzüglicher Eigenschaften letztlich doch eine gegenüber den Teutonici untergeordnete Rolle zuweist denn die Dani ahmen bei Arnold den usus der Teutonici nach, nicht umgekehrt, und erst diese imitatio bildet auch überhaupt erst die Grundlage für ihre Positivbewertung.287 Zur Differenzierung der Ansicht von einem überaus positiven ,Dänenbild' Arnolds sei noch kurz auf zwei weitere Aspekte hingewiesen: Zum einen erwähnt der -

II, 13, S. 51; vgl. oben, Anm. 235. Vgl. zu Helmold oben, Kap. 3.3.1. Zugleich ist natürlich davor zu warnen, die Interpretation dieser (in der Chronik einmaligen Charakterisierung der Holzali) überzustrapazieren. Vgl. oben, Kap. 3.3.1. III, 5, S. 77-79; vgl. oben, Kap. 4.2.2.1. u. 4.2.2.2. Vgl. V, 18, S. 173f. (zu Absalon) u. III, 5, S. 77-79 (zu Aeschylus u. Absalon). Vgl. oben, Kap. 4.2.2.1. m. Anm. 174.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

286

Geschichtsschreiber einen Konflikt zwischen Friedrich I. und König Knut, den er vor allem in der Verweigerung einer kaiserlichen Belehnung begründet sieht, aber auch darin, daß Knut entgegen vertraglichen Vereinbarungen seine Schwester, die Friedrichs Sohn anverlobt worden war, mit einer zu geringen Mitgift ausstattete. In der Tatsache daß Arnold in diesem Kontext die zwischen den Herrschern vereinbarte Summe, „gewogen nach dem öffentlichen, von Karl dem Großen eingeführten Gewicht", nennt

und genau die Vertragsbedingungen und Zahlungsmodalitäten ausführt,288 die Knut später nicht einhielt, findet sich ein Aspekt wieder, mit dem auch Helmold die Dänenkönige charakterisierte: die Vertragsbrüchigkeit.289 Im Vergleich zu dessen pauschaleren und pointierteren Äußerungen nimmt sich Arnolds Darstellung allerdings zurückhaltend aus, und die Vertragsbrüchigkeit hindert ihn auch nicht daran, Knut in anderen Passagen lobend hervorzuheben, ja ihn geradezu im Widerspruch zu Helmolds Urteilen über „die Dänenkönige" zu charakterisieren.290 Noch eine weitere Stelle könnte die .Übernahme' eines Aspektes aus Helmolds Chronik enthalten, nämlich Arnolds Erwähnung der ,dänischen Gewohnheit', das Weihnachtsfest mit Zechgelagen zu verbringen. In diesem Negativurteil werden die von Helmold und davor schon von Adam transportierten Vorstellungen von der Maßlosigkeit der Dänen im Trinken und von der Mißachtung christlicher Lebensweise verbunden: Der Vorwurf der Ausrichtung von Gelagen wird durch die Datierung auf Weihnachten noch potenziert. Interessant ist hier nicht nur, daß Arnold diese Vorstellungen tradiert, sondern auch sein Umgang mit diesem, zumindest potentiell von Adam und Helmold stammendem Wissen. Denn er beläßt es nicht bei diesen Zuschreibungen, sondern entkräftet vielmehr das Negativargument, wie der Kontext zeigt: Graf Adolf III., der sich in Sicherheit wiegt, weil er genau aufgrund jener dänischen Gewohnheit an Weihnachten keinen Angriff auf Hamburg befürchten müsse, wird am Ende von den Dänen gefangengenommen.291 Es ist also ausgerechnet die irrtümliche Vorstellung von negativ konnotierten dänischen Sitten, die zum Fall des Grafen führt. Man mag das auch als (eine weiteres Beispiel für die) Kritik am schlecht beratenen Grafen lesen, der

III, 2, S. 70f: uí qualuor milla marcarum cum filia persolveret, librata pondere publico quod Karolus Magnus instituerai. Nach Darlegung der Zahlungsweise: Kanutus sororem quasi com dedignatione eis tradebat, dicens, sororem suam nequáquam imperatoris filio sociandam, si patris iuramenta temerare voluisset. Tradidit tarnen earn Ulis cum equitatura et vestitura mediocri, sed non iuxta regalem magnificentiam, et partem quandam pecunie persolvit. ¡am enim inter imperatorem et Ipsum discordia erat, quia imperator ab ipso hominium exigebat, quod ei rex negabat, quia propter generum suum, ducem Heinricum, quem de terra eiecerat, occasiones rebellionis adversus eum, ut quidam arbitrati sunt, suscipere attemptabat. non propter repudii occasionem sed propter pactionis III, 21, S. llOf: Imperator immutationem regi sororem suam inlaclam cum lad apparaiu, quo earn recepera!, resituit. Vgl. a. 2, S. 70f. mit Blick auf die Nichtauszahlung der vertragl. vereinbarten Summe: Hec utrobique privilegiis firmata erant, ut si quid horum negligeretur, hec pactlo sive desponsatio irrita haberetur. Vgl. zu Helmold oben, Kap. 3.2.2.2.2. u. 3.3.2. Vgl. z. B. III, 5, S. 79 (u.a. die Hervorhebung der Keuschheit Knuts entgegen Helmolds Urteil über die dän. Könige). VI, 14, S. 236: Comes autem seductus a referentibus, qui eum fraudulenter certum reddiderant, nullatenus ducem [i.e. Hzg. Waldemar] venturum propter festum nativitatis, quod Dani festivis potationibus honorare soient, hac fiducia seductus, repente circa vigiliam nativitatis Domini ducem cum infinitis sensit adesse. Zu Adam u. Helmold vgl. oben, Kap. 2.3.4. u. 3.3.2. ...

...

...

Die Fremdzuschreibungen

287

Gefangennahme hier quasi selbstverschuldete; es bleibt aber dennoch zu konstatieren, daß Arnold, trotz gelegentlichen Rückgriffs auf Wissen, das aus Helmolds Chronik stammen konnte, dessen Urteil hier enkräftete, indem er das Wissen in einen anderen Kontext einband. Ob es freilich ausreicht, die Ursache für das „positive Dänenbild" in der Zugehörigkeit zu einer „dänenfreundlichen Partei" zu sehen, ist m.E. fragwürdig. Denn ohnehin entpuppt sich die angebliche, in Forschungsarbeiten zuweilen recht tolerant anmutende „Dänenfreundlichkeit" der Lübecker als ein spezifisch lokales, vor allem (handels)politisches Interesse der cives. Und zudem stellt sich die Frage, ob Arnold vor dem Hintergrund der zur Abfassungszeit in der Nordalbingia und in Lübeck gegebenen dänischen Herrschaftsverhältnisse überhaupt explizit eine andere Meinung offen hätte vertreten können. Jedenfalls ist zu berücksichtigen, daß sich erstens die vermeintliche „Dänenfreundlichkeit" nachgerade erst durch den Vergleich mit Helmold auch als solche erweist, und zweitens, daß Arnold keineswegs eine Präferierung der Dani gegenüber den Teutonici vornimmt, sondern sich in Zuschreibungen zu den ,Deutschen' auch von den Dänen abgrenzt. seine

4.3.3. Sclavia und Sclavi

Spricht bereits die Tatsache, daß Arnolds Werk in der gesamten mittelalterlichen Handschriftenüberlieferung nicht ein einziges Mal als Chronica Sclavorum bezeichnet wird, gegen die Verwendung dieses Titels, so erhält diese Ansicht auch Unterstützung durch den Befund, daß Arnold die Sclavi, etwa im Vergleich zu Helmold, wesentlich seltener thematisiert.292 Zwar ist HUCKER darin zuzustimmen, die subactio seu vocatio Slavorum [eigentlich Sclavorum] bilde einen „Nebenschauplatz" der Chronik.293 Selbst wenn diese

Thematik jedoch im Vordergrund stünde wie bei Helmold, kann der Text noch lange nicht als „Chronik der Slawen" bezeichnet werden, denn schließlich schrieb keiner der beiden Autoren eine „Geschichte der Slawen".294 Im übrigen aber trifft Huckers Ansicht auch inhaltlich nicht zu, da Arnold durchaus die subactio Sclavorum thematisiert. Bezeichnend ist, daß er gerade im Prolog und in der abschließenden confessio scriptoris die subactio seu vocatio Sclavorum anspricht, denn diese stehen eindeutig im Zusammenhang mit der Anknüpfung an Helmolds Darstellung und den (dort geschilderten) Verdiensten Heimichs des Löwen.295 Kaum zufällig übernimmt Arnold auch an einer, soweit ich sehe einzigen Stelle, die zudem exakt im Kontext einer Erwähnung Herzog Heimichs steht, explizit eine der Negativcharakterisierungen Helmolds mit Bezug auf die Sclavi insgesamt': Er spricht hier von der duritia Sclavica, die Heinrich der Löwe perdomuit?96 Daß die duritia eine ,slawische' Eigenschaft darstellt mit Bezug auf die Livones spricht Arnold auch -

Helmold verwendet den Begriff Slavi etwa zehnmal so häufig wie Arnold (Sclavi), ohne Berücksichtigung der Nennungen einzelner slaw. Völkerschaften, die dieses Verhältnis noch potenzieren würde. Zum Titel der Arnoldschen Chronik vgl. oben, Kap. 4.1. m. Anm. 14. Hucker, Chronik, S. 103. Zu Helmold vgl. oben, Kap. 3.1. Prol., S. 9; vgl. a. VII, 20, S. 295: vocatio vel subactio. Prol., S. 10. Vgl. Helmold 6, S. 15-17.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

288

einmal von der duritia gentilium291 -, legt die Lektüre der Helmoldschen Chronik nahe. Jedoch ergibt sich insofern ein wesentlicher Unterschied, als Arnold die duritia Sclavorum als überwunden ansieht und sie den Slawen deshalb für die Vergangenheit zuschreibt. Daher enthält seine Darstellung hier auch eine zeitliche Komponente, durch welche wiederum Heinrichs Verdienste in der Vergangenheit akzentuiert werden, wie sich ganz explizit noch einmal im Panegyricus auf den verstorbenen Herzog zeigt.298 Spielt die vocatio Sclavorum keine wesentliche Rolle (mehr) im Werk,299 so trifft dies auf die subactio nicht zu: Zwar befinden sich die Sclavi anfangs noch auf Seiten Heinrichs des Löwen, jedoch schildert Arnold auch die Umstände, die dazu geführt hätten, daß sie zu den Gegnern des Herzogs übergingen.300 Es sind die dänischen Könige, die Heinrich als Beherrscher der Sclavi nachfolgen301 ganz im Kontrast zu der Unfähigkeit, die Helmold den Dänen im Kampf gegen die Slawen zuschrieb.302 Zwar kritisiert Arnold die subactio Sclavorum durch die Dänenkönige nicht, jedoch sei sie keineswegs unumstritten gewesen: Kaiser Friedrich I. habe reklamiert, daß die Sclavi dem imperium subditi seien, und Markgraf Otto von Brandenburg und Graf Adolf III. hätten (vergeblich) versucht, zumindest eine multa pars Sclavie in Besitz zu nehmen.303 Arnolds Interesse an der Sclavia und den Sclavi ist somit wesentlich am Thema der Herrschaft über Slawen ausgerichtet, an ihrer subactio, die sich in Lehns- und Tributverpflichtungen gegenüber Herzog Heinrich, dem Kaiser und vor allem dem dänischen König manife-

stiert.304

V, 30, S. 213. V, 24, S. 193: Ad cultum Christi tu Sclavos perdomuisti, / Qui per doctores Sathane sprevere furores / Adque Dei cultum satagunt attollere vultum. Eine Ausnahme bildet (III, 5, S. 78) die Ausbreitung des Christentums bei den Sclavi durch Erzbf.

Aeschylus v. Lund. Vgl. II, 4, S. 40; 10,

S. 48; 17, S. 58: defecerunt ab eo Sclavi; III, 7, S. 82-84. Der Machtverlust Heinrichs d. Löwen, der nach Helmold geradezu nach Belieben über die Slavi verfügte, auch in V, 16, S. 172 (vgl. oben, Anm. 244). Arnold berichtet von Plänen Knuts, die terram Sclavorum sibi subicere et ad leere regno suo (III, 4, S. 77), von alljährl. dän. Heereszügen in die terra Sclavorum, die zur subactio führten (7, S. 82-84) u. vom Empfang Kg. Waidemars II. in Lübeck als rex Danorum et Sclavorum et Nordalbingia (VI, 17, S. 238). Vgl. a. III, 5, S. 79; 21, S. 110f; VI, 9f, S. 229f; 14, S. 236. Zur Unterwerfung der Slawen durch Knut vgl. Freytag, Nordosten; Jordan, Heinrich der Löwe, S. 210-213; Marcus, S. 105-151 u. Gaethke, Knud VI., Teil 1, S. 44-99. Vgl. oben, Kap. 3.2.2.2.2. u. 3.3.3. III, 7, S. 83 über die Unterwerfung der Sclavi: non sine indignatione imperatoris fada sunt, qui se dicebat dupliciter a Kanuto rege Iniuriatum, et quod ab eo coronari noluerit, et quod Sclavos, imperio subditos, suo dominio per tributum et hominium subdiderit. Die Verheerung Nordelbiens durch die Knut gehorchenden Slawen (III, 21, S. 110) ist bei Arnold eine Folge der inimicitiae gegenüber dem Kaiser. Zu den Zügen Ottos u. Adolfs in die Sclavia vgl. VI, 9f, S. 229f Zur Unterwerfung Bogislaws vgl. unten, Anm. 315 u. Gaethke, Herzog, S. 446f. Vgl. a. Arnold III, 4, S. 77: Die Obodriten Borwin u. Niklot nehmen 1185 ihr Land zu Lehen von Kg. Knut VI. ...

(a

rege Danorum terram suam Knud VI., Teil 1,S. 44-48.

suseiperent);

dazu

a.

Freytag, Nordosten, S. 490

u.

Gaethke,

Die Fremdzuschreibungen

289

Helmolds Werk enthält Arnolds Chronik keine geographische Beschreibung der Sclavia und kaum Charakterisierungen ihrer Bewohner, deren Sitten oder Verhaltensweisen.305 Im Fall der Boemi macht er (in Anlehnung an Helmold) eine Ausnahme: Sie seien „von Natur aus schlecht und wollen keinen Kriegszug unternehmen, wenn sie nicht die Freiheit haben, das Heilige wie das Nicht-Heilige zu verwüsten".306 Wiederum mag ein bestimmtes Ereignis, Verwüstungen der Thuringia durch die Boemi, Arnold den Anlaß gegeben haben, auf die Darstellung Helmolds zurückzugreifen, die ihm ein typisches Verhalten' der Boemi vermittelte, das er hier bestätigt finden konnte.307 Im Hinblick auf die Behandlung der Slawen besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Autoren in der Verwendung des gms-Begriffes: Arnold bezeichnet die Sclavi nicht als eine gens. Die Termini gens und gentiles bezieht er vor allem auf Saraceni und Livones. Daher befinden sie sich vor allem in den Abschnitten über die Kreuzzüge und im „Livland-Kapitel".308 Geht man vom Gebrauch des gensBegriffes aus, dann zeigt sich, was bereits angedeutet wurde: daß sowohl den Bewohnern der weiter entfernt liegenden Regionen als den Zielen der Kreuzzüge unter kaiserlicher Leitung als auch den Liven als den Missionsobjekten in der näheren Region eine immense Bedeutung im Werk zukommt, die gegeneinander aufzuwiegen schwer fällt. Wenngleich Arnold die Sclavi nicht als eine gens bezeichnet, läßt die Verwendung der Begriffe Sclavia, terra Sclavorum und Sclavi doch darauf schließen, daß er wie Helmold von einer Einheit „der Slawen" ausgeht. Noch deutlicher als jener bezieht er diese Termini lediglich auf einen kleinen Ausschnitt der Slawen, wobei dieser im Werk durchaus variiert: Sclavia kann etwa den Raum um Demmin meinen,309 der Begriff Sclavi kann an einer Stelle Pomeranen oder Liutizen (möglicherweise Zirzipanen) bezeichnen,310 und der Ausdruck terra Sclavorum kann beispielsweise den Kernbereich obodritischen Herrschaftsgebietes zusammenfassen.3" In allen Fällen zeigt der Kontext der Begriffsverwendungen, daß Arnold deutlicher noch als Helmold lediglich die Im

Gegensatz

zu

gibt vereinzelte Ausnahmen, die im Text versprengt auftreten wie z. B. (VI, 9, S. 229) der Hinweis, daß die Oder in die Ostsee münde. VI, 5, S. 224: Sunt enim Boemi natura pravi, actu scelerati et nunquam expeditionem suscipere volunt, nisi liberam habeant potestatem vastandi sancta cum non sandis. Vgl. Helmold 1, S. 7. Zur Grausamkeit u. Wildheit der Böhmen im Kampf (selbst in böhmischen Texten) s. Graus, Es

m. Anm. 165. Neben den Boemi kritisiert er bes. ein perdittssimum hominum genus, qui Valwen dicitur (die Valuer), die weitere Blut- u. Schandtaten verübt hätten. Vgl. z. B. IV, 1, S. 112-115 u. 4f, S. 120-126 mit Bezug auf die Saraceni. V, 30, S. 212: gentiles, qui Livones dicuntur (u. öfter, ebd.). Auch die Servi nennt er gens (IV, 8, S. 131). Bei den Übergabeverhandlungen in Lübeck läßt Arnold (II, 21, S. 63) die cives von dem früheren error gentilitatis in der Region berichten und deutet damit erneut eine zeitl. Komponente an. Zum Begriff geni s.a. V, 26, S. 196: gens sancta; IV, 14, S. 140: Zusammensetzung der milites Christi aus unterschiedlichen gentes, populi, tribus u. linguae. Er unterstand den Pomeranenfürsten u. gehörte noch zum Herrschaftsbereich Heinrichs d. Löwen: II, 4, S. 40. Zum Zug gegen Demmin vgl. Gaethke, Herzog, S. 395-426. Selbst der Terminus tota Sclavia kann auf das Gebiet der Pomoranen beschränkt bleiben: VI, 10, S. 230 (ausdrückt bleibt die Rugia ausgeschlossen) u. 13, S. 232. Sie kämpften auf Seiten Heinrichs d. Löwen: II, 17, S. 58; vgl. dazu Gaethke, Herzog, S. 434436. An anderer Stelle sind nur die Pomeranen gemeint: III, 7, S. 82; VI, 10, S. 230. Hier die Region um die Feste Ilow: III, 4, S. 77; vgl. dazu Gaethke, Herzog, S. 440f.

Nationenbildung, S. 61

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

290

Elb- und Ostseeslawen unter diese .allgemeinen' Termini subsumiert.312 Andererseits ist es aber auch bezeichnend, daß er in diesen Fällen eben gerade nicht begrifflich differenziert: Er konstatiert hier eine ethnische Einheit, obwohl er, wenn er von der Sclavia berichtete, kein größeres Gebiet im Blick hatte. In anderen Fällen kann er slawische Völkerschaften durchaus unterscheiden, besonhier muß er differenzieren.313 Im ders in Berichten über Konflikte unter ihnen Helmold erscheint daß Arnold ausgerechnet die Rugiani es auffällig, Vergleich zu für der des Heidentums, Hort des slawischen jenen Inbegriff (Ranen; Rügener), Widerstandes und teilweise gar das Synonym für die Slawen schlechthin, nicht immer eindeutig den Sclavi zurechnet:314 So stehen sich die Dani und Rugiani auf der einen, sowie die Sclavi die er zuvor konkret als Pomerani bezeichnet auf der anderen Seite gegenüber.315 Wie für die Gleichsetzung von Pomerani und Sclavi lassen sich auch für die ,Ausklammerung' der Rugiani weitere Belege im Text finden.316 Die Rugiani treten in der Chronik ausschließlich als Unterstützer der dänischen Könige auf, ja sie helfen sogar bei der dänischen subactio Sclavorum (ohne daß Arnold sie deshalb zu den Dani rechnet). Ähnlich werden mit den Rugiani, Polabi und Obotriti gegenüber den Sclavi genau diejenigen Völkerschaften einzeln genannt, die auf der Seite des dänischen Königs kämpften.317 Die Begriffe Sclavi, Sclavia und terra Sclavorum finden so vor allem Anwendung auf die Pomeranen und auch auf die Obodriten bzw. deren Wohngebiete. Zwar kann dieser Befund nur eine Tendenz wiedergeben, nicht alle Begriffe lassen sich eindeutig bestimmen; jedoch wird er gestützt, wenn man in die Überlegungen einbezieht, daß die Rugiani in das Erzbistum Roskilde eingebunden waren, die dänischen Könige große Gebiete in der Sclavia erobert hatten und die dänische Kirche am

angrenzenden

-

-

312

313

314

315

316

-

Diese Tendenz ist auch bei Helmold erkennbar, der mit dem Slavania/ S/tzv/'-Begriff in den ersten beiden Kapiteln jedoch auch Ostslaw(i)en bezeichnet, die Arnold überhaupt nicht anspricht. Vgl. dazu oben, Kap. 3.3.3. Zur Verwendung der Begriffe Sclavonia u. Sclavia vgl. Überblickshaft u. nicht auf Arnold bezogen Graus, Nationenbildung, S. 151-153. Auseinandersetzungen zw. slaw. Völkerschaften etwa III, 4, S. 75-77; 7, S. 82-84. Nennungen einzelner Völkerschaften z.B. Obotriti (prol., S. 10; I, 1, S. 11; VI, 9, S. 229); Polabi (prol., S. 10); Rugiani/ Rani (III, 4, S. 76; VI, 9, S. 229); Pomerani (III, 4, S. 76; V, 7, S. 154); terra Circipanorum, que Tribuses contigua erat (III, 4, S. 76). Auch der Ausdruck multa pars Slavie (VI, 9, S. 229f.) zeigt eine, wenn auch unbestimmte, Differenzierung. Die unterschiedl. Schreibweisen der Edd. für Helmold (Slavi) u. Arnold (Sclavi) wird hier beibehalten. Zu Helmold vgl. oben, Kap. 3.3.3.3. III, 7, S. 82f: Bogislaw, princeps sive rex Pomeranorum, habe Germar, den princeps Rugianorum, angegriffen, da dieser Knut bei der subactio Sclavorum unterstützte und, seit er vom dän. Kg. die christianitas empfing, sub ipsius ditione consistebat. Der Sieg über die Pomeranen ist bei Arnold (ebd., S. 83) zugleich eine Niederlage der Sclavi, die zur Unterwerfung der vires Sclavorum führte. Die Pomeranen werden hier dreimal und ausnahmslos als Sclavi bezeichnet. Z. B. VI, 17, S. 238 bei der Belagerung der Lauenburg durch Kg. Waldemar II., an der primores Nordalbingi, Thietmarci, Sclavi, Rugiani teilnahmen. Auch in den Zügen Markgraf Ottos v. Brandenburg u. Graf Adolfs III. (1198) stehen Rugiani sive Rani, Polabi und Obotriti auf Seiten des dän. Heeres einer multitudine militum et Sclavorum (gemeint sind wiederum die Pomeranen) unter Otto gegenüber: VI, 9, S. 229 m. Anm. 3. Auch Polaben u. Obodriten können Sclavi gegenüberstehen. Sclavi Pomeranen wohl auch in VI, 13, S. 232. Vgl. die beiden vorigen Anmerkungen. =

317

291

Die Fremdzuschreibungen

Ausbau des „pommerschen Sakralraumes" beteiligt war.318 Arnold verwendet also einen anderen Begriff der Sclavia und ihrer Bewohner als Helmold, der mit historischen Veränderungen und spezifischen Darstellungsinteressen zusammenhängt, wenngleich er mit der Schilderung der subactio Sclavorum durchaus als Fortsetzer an Helmolds Chronik anknüpft. Mit Blick auf diejenigen Darstellungen, die sich auf die dem Abfassungsort Lübeck näher liegenden Regionen beziehen, läßt sich zusammenfassend festhalten, daß Arnold trotz Kenntnis der Helmoldschen Chronik und

der (vermutlichen) Übernahme einiger weniger Negativcharakterisierungen selbständig mit seinem Wissen umgeht. Arnolds Vorstellungswelt ist von Helmolds (und Adams) in großen Teilen verschieden: Die Nordalbingi sind in die christianitas und Saxonia vollständig integriert; und obwohl der Chronist durchaus Vorstellungen von einer ethnischen und kulturellen Fremdheit der Dani hatte, so offenbarte er diese nicht nur in Abgrenzungen, sondern auch durch die Konstruktion einer imitatio Teutonicorum, die er gewissermaßen als eine Wende zum Guten' deutete. Insgesamt schreibt Arnold den Bewohnern der näheren Regionen kaum einmal Fremdheit in religiöser, und gegenüber Helmold auch nur schwach ausgeprägt in ethnischer und kultureller Hinsicht zu. ,

4.3.4. Die peregrinatio Heinrichs des Löwen Löwe 1172/1173 ins Heilige Land unternahm, ist sowohl bei mittelalterlichen Chronisten als auch in der modernen Forschung auf ein überaus großes Interesse gestoßen.319 Arnolds Werk enthält zwar nicht die früheste, wohl aber die ausführlichste Darstellung der Reise. Besonders deshalb haben sich zahlreiche Untersuchungen auf diesen Bericht gestützt und sich allen möglichen Aspekten der Fahrt gewidmet, wie etwa den Motiven und Zielen des Herzogs, dem Verlauf der Reise, ihren Auswirkungen und auch ihrem .Charakter' als Pilgerfahrt oder Kreuzzug.320 Zuletzt hat Johannes FRIED in Arnolds Darstellung Anzeichen dafür erkennen

Die

peregrinatio, die Heimich der

Eroberung Rügens 1168, dem damit einhergehenden Fall des letzten heidn. Stützpunktes der Ostseeslawen u. der Unterstellung der Insel Rügen unter das Btm. Roskilde (der festländ. Teil wurde dem Btm. Schwerin und damit dem Einflußbereich Heinrichs d. Löwen unterstellt) vgl. oben, Kap. 3.2.2.2.2. u. 3.3.2. u. Wolfgang Brüske, Untersuchungen zur Geschichte des Lutizenbundes. Deutsch-wendische Beziehungen des 10.-12. Jahrhunderts (MF 3), Münster-Köln 21983, S. 100, 113, 197f u. 201 sowie Petersohn, Ostseeraum, S. 441 u. 445f. Zum „pommerschen Sakralraum" und dän. Einfluß ebd., S. 446. Eine Zusammenstellung der zeitgenössischen Texte bietet Joranson, S. 155f. m. Anm. 29-36. Ebenfalls in Zusammenhang mit der peregrinatio wird von einigen gebracht Das Rolandslied des Pfaffen Konrad, Vv. 9066-9068, ed. Dieter Kartoschke, Stuttgart 1993, S. 607f. u. 748f. (Komm.); vgl. zudem Helge Gerndt, Das Nachleben Heinrichs des Löwen in der Sage, in:

Zur

319

320

Heinrich der Löwe, S. 440-465. Zur Forschung vgl. die folgende Anm. Neben Joranson (mit der älteren Lit.) vgl. die jüngeren Arbeiten von Johannes Fried, Jerusalemfahrt und Kulturimport. Offene Fragen zum Kreuzzug Heinrichs des Löwen, in: Der Weifenschatz und sein Umkreis, hg. v. Joachim Ehlers u. Dietrich Kötzsche, Mainz 1998, S. 111-137; Joachim Ehlers, Der Hof Heinrichs des Löwen, in: Die Welfen und ihr Braunschweiger Hof, S. 43-59, hier S. 49; Hans Eberhard Mayer, Die Stiftung Heinrichs des Löwen für das Hl. Grab, in: Heinrich der Löwe, S. 307-330; zusammenfassend Jordan, Heinrich der Löwe, S. 175-181 u. Wolfgang Georgi, Friedrich Barbarossa und die auswärtigen Mächte. Studien zur Außenpolitik

292

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

wollen, die auf den „eigentlichen Charakter" der Fahrt als Kreuzzug hinwiesen.321 Als solcher geplant, sei dafür zu sprechen,

als Pilgerfahrt geendet. Jedoch scheint m.E. überhaupt nichts ARNOLDS Bericht auf einen Kreuzzug zu schließen,322 im Gegenteil. Dagegen spricht bereits, daß der Lübecker Abt, in seiner Darstellung konsequent, die Kreuzzüge für die reges Romanorum und imperatores reserviert; nur deren Fahrten zählt er denn auch folgerichtig als Kreuzzüge, während er das Kaisertum Balduins in Konstantinopel als einen Beleg für den seiner Meinung nach unheilvollen Thronstreit im regnum ansieht. Betrachtet man den Gebrauch des Begriffs peregrinatio im Werk, so fällt auf, daß der Chronist zwar auch die Kreuzzüge so bezeichnet, diese jedoch gelegentlich auch expeditio nennt letzterer Ausdruck fehlt nun aber völlig für die Jerusalemfahrt des Herzogs. Nur einmal verwendet Arnold den Begriff in diesem Reisebericht, bezeichnenderweise in der Erinnerung an den Kreuzzug Konrads III.323 Nun ist eine strikte Trennung zwischen peregrinatio als Pilgerfahrt und expeditio als Heerfahrt/Kreuzzug nicht möglich (und auch für Heinrich den Löwen erwähnt Arnold etwa einen exercitus), allerdings darf die Begriffsverwendung im Werk nicht einfach übergangen werden. Und so muß zwar letztlich offen bleiben, ob sich in der begrifflichen Differenzierung .tatsächliche' Unterschiede zwischen den Reisen, Arnolds unterschiedliche Auffassungen von den Fahrten oder aber seine Darstellungsabsicht widerspiegelt -, jedoch wird über die Verwendung der Begriffe hinaus zu zeigen sein, daß der Bericht ganz wesentlich darauf ausgerichtet ist, Heinrich den Löwen als frommen Pilger erscheinen zu lassen. Der Befund einer Unterscheidung im Gebrauch der Begriffe peregrinatio und expeditio berührt im übrigen weder die Frage, ob es sich bei der Reise ,in Wirklichkeit' um einen Kreuzzug handelte, die zuweilen bei FRIED, nicht aber hier im Mittelpunkt steht, noch die Tatsache, daß andere Chronisten der Fahrt durchaus einen anderen Charakter zuschrieben.324 Nicht nur die Einstufung der herzoglichen Reise, sondern vor allem auch die Bewertung von Arnolds Reisebericht hat die Forschung sehr häufig beschäftigt: Entgegen der früher einhelligen Meinung, es handle sich bei der Darstellung um einen Augenzeugenbericht, ist zunehmend auch vertreten worden, der Chronist habe nicht selbst an der Reise teilgenommen;325 vielmehr habe er die Aussagen Mitreisender verwendet, vor allem Abt Heinrichs von St. Aegidien, des späteren Bischofs von Lübeck, über den Arnold im Zusammenhang mit der peregrinatio eingehend berichtet. Wenngleich gelegentlich auch auf dieses Forschungsproblem zurückzukommen ist, so er

aus

-

1159-1180

(EuHSchrr 111/ 442), Frankfurt a.M.-Bern-New York-Paris 1990, S. 209-225.

Fried, S. 123.

Und zwar trotz Frieds Hauptargument, der Erwähnung von Waffen (I, 3, S. 16f. u. 7, S. 22), die Hzg. Heinrich dem Basileus sowie den Templern u. Johannitem schenkte. I, 10, S. 26. Zur Betrachtung der Kreuzzüge als kaiserl. Aufgabe vgl. unten, Kap. 4.3.5.; zur Zählung auch oben, Kap. 4.2.2.1. m. Anm. 167; zur Kritik am dt. Thronstreit Kap. 4.1.2.5. Anm. 142. Vgl. z. B. Robert von Torigny, Crónica, a. 1172, ed. Richard Howlett, RS 82,4, London 1889 (ND 1964), S. 253. Für Arnolds Teilnahme sprechen sich aus: Joranson, S. 151-155; Georgi, S. 209; Wesche, Sp. 1007; Wattenbach/ Schmale, Bd. 1, S. 438. Für möglich oder wahrscheinlich halten die Teilnahme: Mayer, Stiftung, S. 310; C.P.H., Die Jerusalemwallfahrt Heinrichs des Löwen (Komm. z. gleichnamigen Karte), in: Heinrich der Löwe und seine Zeit, S. 551; Ahlers, S. 95. Dagegen Ehlers, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum, S. lOOf. u. bes. Fried.

Die Fremdzuschreibungen

293

steht es doch nicht im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung, die sich sowohl inhaltlich als auch methodisch von bisherigen unterscheidet: Das Hauptaugenmerk liegt auf (möglichen) Funktionen der Darstellung Arnolds, die sowohl den Bericht über die herzogliche peregrinatio insgesamt beeinflussen als auch die Strukturierung des bereisten Raumes und die Schilderung seiner Bewohner. Um derartige Funktionen aufzuzeigen, ist es notwendig, den Darstellungskontext insgesamt zu berücksichtigen statt, wie bislang in der Forschung, lediglich Einzelaspekte des Berichts in den Vordergrund zu rücken. Zudem geht die folgende Untersuchung noch in einem weiteren wesentlichen Aspekt über die bisherigen Arbeiten hinaus, welche bis in die jüngste Zeit hinein auch die peregrinatio-DarstéiXurig überwiegend an ihrem realistischen Gehalt gemessen und dieses Kriterium sogar zur Hauptgrundlage der Bewertung von Arnolds Bericht erhoben haben:326 In Anlehnung an die eingangs erwähnten Ansätze der kognitiven Kartographie und an Studien zu mittelalterlichen Raumkonzepten basiert die Betrachtung der peregn'rtai/o-Darstellung in dieser Arbeit auf der Prämisse, daß ein geographischer Raum grundsätzlich immer strukturiert ist und sich in den Darstellungen von Räumen und ihren Bewohnern die Vorstellungen des Autors widerspiegeln.327 So ist im folgenden nicht zu beantworten, ob Arnold die geographischen Regionen, die Völkerschaften und Einzelpersonen, über die er berichtet, als .korrektes' Abbild einer vermeintlichen Wirklichkeit beschreibt, denn diese, den Arbeiten zur peregrinatio-DarsteMung weit überwiegend zugrundeliegende Haltung führt kaum weiter: Nicht der Aspekt, wie es wirklich gewesen ist, sondern die Fragen, wie Arnold es sein ließ und warum, stehen im Vordergrund. Für die Untersuchung des Berichts und der Raumstrukturierungen des Chronisten bietet es sich an, der Reiseroute des Herzogs (bzw. Arnolds) zu folgen. Die Darstellung der peregrinatio Heinrichs des Löwen nimmt fast das gesamte erste Buch der Chronik ein. Der Herzog unternimmt seine Reise auf dem Höhepunkt der Macht. Nicht etwa mit der Schilderung des Aufbruchs beginnt Arnold seinen Bericht, sondern, was meist übersehen wird, mit der Erwähnung von Voraussetzungen für die Reise, mit der Nennung Heinrichs Motivs und der Aufzählung konkreter Vorbereitungen:328 Der Herzog habe erwogen, wegen seiner Sünden das Heilige Grab zu besuchen, „um den Herrn an dem Ort anzubeten, an dem seine Füße die Erde betreten hatten", bevor er schließlich ernstlicher an die profectio Ierosolimitana dachte, die Obhut terre

Vgl. bes. Fried, der die starke Abhängigkeit Arnolds von anderen aufzeigt u. (S. 134.) zum Ergebnis kommt, der „Quellenwert [der] Chronik für den Kreuzzug Heinrichs des Löwen" sei „entsprechend vage". Fried liest den Bericht konsequent gegen die Augenzeugen-These, was an zahlreichen Stellen in quellenkrit. Hinsicht weiterführt. Letztlich mißt aber auch er den Bericht nur an seinem (vermuteten) realistischen Gehalt. Vgl. dazu im folgenden. Vgl. dazu oben, Kap. 1.4. Vgl. I, 1, S. 10-12: Festigung der pax in der terra Sclavorum; Beendigung der bella civilia und Bündnis mit Pribislaw. Diese Aspekte sind wichtiger Bestandteil der ,Reisebeschreibung', denn ohne sie hätte sich Heinrich d. Löwe nach Arnolds Darstellung nicht auf die peregrinatio begeben können. Ähnlich thematisiert der Chronist Vorbereitungen, die Beseitigung von Konfliktherden, die Motive und den Reiseplan (iter propositum) auch für den Kreuzzug Friedrichs I. (IV, 7, S. 128). Das allmähliche Fassen eines Reiseplans und die Vorbereitungen, die einzeln aufgeführt und in Wendungen wie ordinatis igitur rebus suis zusammengefaßt werden, erinnern an die Darstellung des Reiseplans Erzbf. Adalberts bei Adam v. Bremen; vgl. dazu oben, Kap. 2.2.1.2.3.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

294

übertrug und Weggefahrten gewann, darunter Abt Heimich von St. Aegidien.329 Einen Ministerialen habe er über seine familia gesetzt, vor allem, damit dieser der zurückbleibenden schwangeren Herzogin Mechtild diene.330 An Mechtilds Erwähnung schließt sich ein langes, die Hälfte des ersten Kapitels einnehmendes Lob auf ihre Religiosität, Tugendhaftigkeit und Sittenstrenge an sowie eine Aufzählung ihrer und Heinrichs Kinder. So tritt dem Leser bereits vor Beginn des Reiseberichts ein tugendhaftes und glaubenstreues Herzogspaar entgegen: Heinrich unternimmt wegen seiner Sünden eine, wie sich noch herausstellt, gefahrvolle peregrinatio Mechtild bewahrt, das nimmt Arnold hier vorweg, in seiner Abwesenheit die eheliche Treue.331 Nun erst, im zweiten Kapitel, kann der Aufbruch aus Braunschweig stattfinden. Von hier an weist der Bericht eine itinerarische Struktur auf: Der bereiste Raum wird in seiner Gesamtheit durch die Nennung von Orten entlang des her von Braunschweig nach Jerusalem und zurück strukturiert.332 Nicht alle Stationen sind für den Chronisten von gleichem Interesse: Zwar widmet er sowohl dem Hin- (cc. 2-6) als auch dem Rückweg (8-12) jeweils fünf Kapitel, während er den Aufenthalt in Jerusalem und den Besuch der loci sancti als Ziel der peregrinatio in der Mitte plaziert (c. 7); es ist jedoch entscheidend, wo Heinrich verweilt oder vielmehr, wo der Geschichtsschreiber den Leser verweilen läßt. Zwei Kapitel (cc. 2f.) nimmt die Fahrt bis Konstantinopel ein, die nächsten beiden (4f.) widmen sich allein dem dortigen Aufenthalt, bevor der Weg die peregrini (und Arnold den Leser) über das Mittelmeer führt (c. 6) und schließlich Akkon und Jerusalem erreichen läßt. Die Rückreise333 führt über Land zunächst durch Antiochia und das Gebiet des türkischen Sultans wobei Arnold die frühere Eroberung von Aniko (Nicea) durch Gottfried von Bouillon .einschiebt' (11) -, sodann über Augsburg nach Braunschweig. Hier endet zwar die Reise, allerdings hebt der Chronist noch hervor, daß sich die amici Heinrichs über dessen Ankunft freuten, der Herzog den sue

-

-

-

I, 1, S.

11 : Dux

steterunt

cepit.

pedes

pro peccatis suis sanctum visere sepulcrum, ut adoraret Dominum in loco ubi eius. Ordinatis igitur rebus suis, de profectione Ierosolimitana artius cogitare

...

Übertragung

der terre

sue

tutela

an

Erzbf. Wichmann

itineris sui socios fecit: Arnold nennt namentl. Bf. Konrad II.

Braunschweig (St. Aegidien)

v. v.

Magdeburg;

nobiliores terre

Lübeck, die Äbte Heinrich

v.

Bertold v. Lüneburg (St. Michaelis), den regulus Obotritorum Pribislaw, die Grafen Gunzelin v. Schwerin u. Sigfried v. Blankenburg. Ein nicht nur den religiösen ,Charakter' der Fahrt herausstellendes Motiv dagegen bei Friedr. I. für den Kreuzzug (IV, 7, S. 127f): qui honorem imperii exaltare cupiens, ad expugnandos inimlcos crucis Christi robur militie sue convertit, bonam consummationem certaminis sui existimans, quod tarn pro Deo quam pro honore temporali certaverat, si finem dierum suorum tali honore conclusisset. Ähnl. Historia peregrinorum, ed. A. Chroust, MGH SSrG n.s. 5, Berlin 1928 (ND 1964), S. 116-172, hier S. 129. Zu Heinrich VI. vgl. Arnold V, 25, S. 195. I, 1, S. 11: Eckbert v. Wolfenbüttel. Ebd., S. 12 nennt Arnold zudem den Ministerialen Heinrich v.

Lüneburg.

u.

12: Fidem quoque coniugli lllibatam custodiens, thorum conservabat immaculatum. Manebat autem In Bruneswich omni tempore quo dux peregrlnatus est, quia tune pregnans erat. I, 2, S. 12: Dux autem cum magna gloria profectus est de Bruneswich. Zur Veranschaulichung des Reisewegs, zum größten Teil aus Angaben Arnolds, vgl. die (moderne) Karte „Die Jerusalemwallfahrt Heinrichs des Löwen", in: Heinrich der Löwe und seine Zeit, S. 552f. (Komm. v. C.P.H., S. 551). Zum ersten Mal taucht hier (I, 8, S. 22) das Wort regressus est auf: nämlich von den loci sancti nach Jerusalem.

Ebd., S.

Die Fremdzuschreibungen

295

Braunschweiger Dom mit den mitgebrachten Reliquien und Geschenken ausstattete und nur durch die adversitates succedentes, die Auseinandersetzungen in Sachsen, die zu seinem Sturz führten, an einer Ausstattung der St. Blasius-Kirche in Braunschweig gehindert wurde (12). Nach Abschluß der Reisevorbereitungen, die in räumlicher Hinsicht vor allem im Herzogtum Sachsen getroffen werden, befindet sich Heinrich im gesamten zweiten Kapitel, auf der Reise von Braunschweig nach Gran, in einem geographischen Gebiet, das Arnold als Raum des Herzogs kennzeichnet: Die Regionen gehören zu seinem eige-

Herrschaftsbereich oder zu dem seiner Familie und Verwandten. Bildet Braunals Residenz des Herzogs von Sachsen den Ausgangspunkt der Reise, so ist auch das nächstgenannte Regensburg als bayerische Herzogsresidenz zum Herrschaftsbereich des dux Saxonie atque Bavarie zu rechnen.334 Mit dem Betreten des regnum Orientale gelangt Heimich der Löwe zu seinem Stiefvater, Herzog Heinrich (Jasomirgott).335 Arnold akzentuiert ihre verwandtschaftlichen Beziehungen, indem er das Zusammentreffen beider Herzöge in Klosterneuburg am Grabmahl Gertruds schildert, der Mutter Heinrichs des Löwen, die in zweiter Ehe mit Heinrich Jasomirgott verheiratet war. Auf diesem Wegabschnitt geschieht alles zum Wohl des sächsischen Herzogs. Selbst Bischof Komad II. von Worms, als Gesandter Friedrichs I. zum griechischen Kaiser unterwegs, habe sich, so Arnold, nur deshalb dem iter des Herzogs angeschlossen, um diesem den Empfang und die Durchreise im byzantinischen Reich zu erleichtern.336 Auch in der Grenzregion um Mesenburg, einer civitas in confinio Ungarie, sind noch Heirats- und Verwandtschaftsbeziehungen vorhanden.337 Jedoch bedarf es nun des zusätzlichen Geleits durch einen Gesandten des rex Ungarorum. Anders als in den zuvor bereisten Regionen innerhalb des deutschen regnum sorgt sich Heinrich der Löwe in der Ungaria um die „Sicherheit der Weiterreise". Um diese cum summa tranquilitate zu Schiff auf der Donau nach Gran fortzusetzen, verpflichtet er einen dux vie?3" Nun, im dritten und zudem längsten Kapitel der peregrinatio-'Dax'sA.zWwixg, wird die

nen

schweig

...

Nur zweimal wird Heinrich d. Löwe so bezeichnet, davon einmal im Vorwort (prol., S. 10), also direkt vor der Darstellung der peregrinatio. Für die angesprochene Interpretation ist es unerheblich, daß Regensburg als herzogl. Zentralort in Bayern nur eine insgesamt geringe Rolle spielte; vgl. dazu Ehlers, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum, S. 49. Seit 1156 vom Hzgtm. Bayern abgetrennt und als Lehen vergeben, gehört dieses regnum nicht mehr zum unmittelbaren' Herrschaftsbereich Heinrichs d. Löwen. I, 2, S. 13: Nee pretereundum, quod domnus Wormaciensis huic itineri se sociavit, non peregrinationis gratia, sed legatione fundus imperatoris ad regem Grecorum Manoe [i. e. Ks. Manuel I. Komnenos] pro filia ipsius filio suo matrimonio socianda. Vertus tarnen ob commodum ducis fadum creditur, ut tarn familiari legatione accepta bénigne ducem rex Grecorum susciperet et benignius per terram suam ducatum ei preberet. Zu dieser .Annahme' vgl. Ehlers, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum, S. 97. Joranson, S. 169 spekuliert ohne ersichtliche Begründung, der Bf. sei Heinrich d. Löwen vom mißtrauischen Ks. Friedr. I. zur Kontrolle mitgeschickt worden. Vgl. dazu a. unten, Anm. 361. Auf der Fahrt von Wien aus über die Donau wird Heinrich d. Löwe vom dux Orientalis vel Austrie begleitet, der seinen Stiefsohn mit allem Notwendigen im Überfluß ausgestattet habe. I, 2, S. 13: Kg. Stephan III. hatte mit Agneta eine Schwester Heinrich Jasomirgotts geheiratet. Ebd., S. 14: Die Sorge wird veranlaßt durch den Tod Stephans III.: ignorabant quid agerent. Dux Saxonie graviter cum suis angebatur, quod in peregrinatione constitutus tuto ulterius progredi non posset, quia morte régis quasi prefocatus ducem vie habere non poterat. ...

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

296

Reise durch Gefahren und Mühen gekennzeichnet, die durch den geographischen Raum bedingt scheinen: Der Herzog erleidet Schiffbruch auf der Donau, und später muß infolge eines zu niedrigen Wasserstandes der Weg zu Land fortgesetzt werden.339 Mit dem Bulgerewalt betreten die Reisenden einen „riesigen, altbekannten Wald" mit tiefen Sümpfen und zugleich ein Gebiet, das Arnold deutlich entgegengesetzt zum bisherigen strukturiert.340 Zum einen hat die natürliche Umgebung eine verringerte Reisegeschwindigkeit zur Folge, ja es heißt gar: processum nullum haberent?4* Wagen brechen, Menschen und Pferde leiden, so daß Heinrich riesige Vorräte, die Arnold aufzählt, zurückläßt, um schneller voranzukommen. Aus der Ausführlichkeit und der (vermeintlichen) Genauigkeit dieser Angaben kann nun allerdings kaum auf eine Augenzeugenschaft des Chronisten geschlossen werden. Denn vor dem Hintergrund der vehementen Kritik, die Arnold an anderer Stelle am materiellen Überfluß im Kreuzfahrerheer Friedrichs I. und am damit verbundenen Sittenverfall übt, könnte man auch lesen: Heimich verzichtet auf weltliche Güter, um rascher ans Ziel seiner Reise, zu den loci sancti zu -

gelangen.342

Der Wald verringert jedoch nicht nur die Reisegeschwindigkeit, er stellt in Arnolds Bericht auch eine Gefahrenzone dar und unterliegt, als Gegenpol zu den bisherigen (und den meisten weiteren) Stationen, civitates und urbes, einer negativen Konnotation, die entsprechende Auswirkungen auf die Reisenden hat: Sie bringen große Mühen auf, leiden Not und tragen Verluste, statt im Überfluß zu schwelgen und sich in Sicherheit fortzubewegen. Mithin wird die Fahrt nun durch gegenteilige Begriffe beschrieben und so in Kontrast zum bisherigen Verlauf der Reise gekennzeichnet, die prospere verlief.343 Zudem steht die Gefahr, die vom Bulgerewalt als der natürlichen Umgebung ausgeht, im Einklang mit der Bedrohung durch die Menschen dieser Region: Die Bewohner des Ortes Ravenell in medio nemoris, die Servi, bedrohen Leib und Leben, und sie entsprechen in Arnolds Bericht explizit ihrer Umwelt: Sie lebten nach der Beschaffenheit der Orte wie Vieh, zeichneten sich durch Gottlosigkeit und Ungehorsamkeit aus, seien wilder als bestiae, und bereits ihr Name, Servi, leite sich aus ihrem Verhalten ab, da sie allem Umeinen dienten.344 Nach dem Scheitern einer friedlichen Kontaktaufhahme zu

I, 3, S. 14f. (Schiffbruch): inciderunt... periculum, quod vulgariter skere dicitur, difficillimum illic navigantibus transitum fecerunt; aque enim in ardum collecte primo quidem consurgentes intumescunt et postea magno fragore quaque inpreceps cadunt. (...) solus dux ibidem naufragium pertulit. Die Ebbe (S. 15) in Brandiz, einer urb[s] regis Grecorum, ubi deficientibus aquis naves in sicco steterunt. Ibi enim Danubius subterráneo meatu absorptus in amnem parvissimum derivatur et post longa terrarum spacia, turgentibus fluctibus ebulliens, in Sowam protrahitur. Zu ...

die hier verfolgte Fragestellung unergiebigen) Lokalisierungsversuchen der Orte von Schiffbruch u. Ebbe vgl. Joranson, S. 173 Anm. 97 mit weiteren Nachweisen. I, 3, S. 15: intraverunt nemus illud maximum et notissimum, quod Bulgerewalt dicitur. Ebd.; vgl. a. die übernächste Anm. Zur Kritik am Sittenverfall im Heer Friedrichs I. vgl. unten, Kap. 4.3.5. Bis zu den Stromschnellen heißt es (I, 3, S. 14): dux et sui prospere navigabant per aliquot dies. In der Darstellung des Aufenthalts im Bulgerewalt (ebd., S. 15) finden sich die Begriffe labor u. laborare insgesamt dreimal. Ebd., S. 16: Servi..., filii Belial, sine iugo Dei, illecebris carnis et guie dediti et secundum nomen suum immundiciis omnibus servientes et iuxta locorum qualitatem bellualiter vivendo, bestiis etiam agrestiores. Subiecti tarnen noscuntur regi Grecorum. Arnold läßt hier auch Heinrich d.

(fur

297

Die Fremdzuschreibungen

der Darstellung in dieser Umwelt dringend benötigten) Wegführer zu erhalten, läßt Arnold den Herzog in einer wörtlichen Rede seine Mitstreiter zum Kampf gegen die unberechenbaren hostes aufrufen, die in medio nemoris und zudem media node schreiend aus allen Richtungen hervorbrechen.345 Ortsund Zeitangabe verdeutlichen, daß Heinrich sich inmitten der Fremde und der Gefahr befindet. Die „Mitte" ist Arnolds einzige Ortsangabe für den Wald, und sie kann geradezu als typisch für die Strukturierung unbestimmt gehaltener und als undurchdringlich charakterisierter geographischer Räume gelten.346 Trotz der gegnerischen vergifteten Pfeile bleibt das herzogliche Heer, das im Namen Gottes kämpft, jedoch siegreich und erreicht schließlich mit Nicea (Nis) eine civitas, deren Darstellung deutlich mit derjenigen des Waldes kontrastiert wird: Glänzend empfangen und auf königliche Kosten bewirtet, wird Heinrich zur curia régis in Konstantinopel geleitet. Der negativ konnotierte Raum der Bedrohung wird hier also vorigen und nachfolgenden Reisestationen gegenübergestellt, wobei ein direkter Zusammenhang zwischen Raum und Bewohnern besteht: Die Servi sind vor allem Fremde in bezug auf religiöse (Umeinheit, Gottlosig- und Lasterhaftigkeit) und zivilisatorische' (Wildheit) Aspekte.347 Mit der Darstellung des Waldes als fremdem, undurchdringlichem und bedrohlichem Raum läßt sich Arnolds Bericht in eine lange Tradition mittelalterlicher Texte, auch Pilgerberichte, einordnen.348 Es ist zwar zu betonen, daß eine Reise durch einen großen dichten Wald auch realiter mit Gefahren verbunden sein konnte, jedoch führt die Hervorhebung dieses Aspektes im Umgang mit diesem Textabschnitt nicht weiter, da in ihr letztlich nur eine Haltung zum Ausdruck kommt, nämlich den Bericht als Abbild der Realität zu lesen: als Information Arnolds über ein Waldstück in der Bulgaria oder über die „Vorfahren der modernen Serben", wie in der Forschung vorgeschlagen wurde.349 Dagegen ist auch die Möglichkeit einer ganz anderen Lesart zu prüfen, welche berücksichtigt, daß die Beschreibung einer mühe- und gefahrvollen Reise geradezu als ein wesentlicher Bestandteil von Pilgerberichten anzusehen ist. Die Akzentuierung dieses veränderten Blickwinkels ist schon deshalb geboten, weil offen-

den Servi mit dem Ziel, einen

(nach

von den Servi als filii Belial sprechen. Heinrich d. Löwe richtet seine Rede (ebd.) an die sui: lustum quidem est, ut in peregrinatione positi cum omni pace et mansuetudine incedamus, et ideo cum signis beldéis ad urbem regis, ad quem tendimus, procederé non debuimus. (...) Deus patrorum nostrorum nobiscum sit, pro cuius nomine peregrinamur et eius precepla secuíi domos elfraires, uxores etfilios et agros reliquimus. Hie viribus utendum est. Pugnemus fortiter! Quicquid ipsi placuerit fiat, quia sive vivimus, sive morimur, Domini sumus. In dieser Passage, so Fried, S. 132, zeige sich der wahre Charakter der Fahrt als Kreuzzug. Vgl. dazu jedoch bereits oben. Vgl. etwa Ramin, S. 59. Auch ihre Ungehorsamkeit gegenüber dem Herrscher dient als Kriterium zur Negativbewertung. Daneben verweist Arnold (I, 4, S. 17), auch hier ganz traditionell', auf den Wald als Schutzraum, denn Heinrich d. Löwe errichtet sein Lager vor dem Kampf gegen die Servi im Schutz von Bergen u. einem dichten Dornengebüsch; vgl. Ramin, S. 50-59; Zumthor, S. 64-68 sowie Peter Wunderli, Der Wald als Ort der Asozialität. Aspekte der altfranzösischen Epik, in: Der Wald in Mittelalter und Renaissance, hg. v. Josef Semmler (Studia humaniora 17), Düsseldorf 1991, S. 69112 u. Wilhelm Busse, „Im Wald, da sind die Räuber ...", in: Ebd., S. 113-129. John Kirtland Wright, The Geographical Lore of the Time of the Crusades. A Study in the History of Medieval Science and Tradition in Western Europe, New York 1965 (zuerst 1925), S. 317: „In such uncomplimentary terms Arnold describes the ancestors of the modern Serbians."

Löwen

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

298

kundig ist, daß Arnold diese Traditionen bekannt waren.350 Mögen also Gefahren zu einer peregrinatio gehören oder nicht, jedenfalls ist ohne ihre Darstellung der Bericht über eine peregrinatio nicht denkbar, im Gegenteil: Um Heil zu erlangen, muß das iter geradezu mühevoll sein.351 Auch die geographische Verortung des Waldes in der Bulgaria entspringt .kollektivem Wissen' über die Reiserouten (selbst wenn andere Texte den nemus nicht immer Bulgerewalt nennen), denn Heinrich folgt hier dem zur Abfassungszeit schon üblich zu nennenden Weg. Es ist durchaus möglich, daß der Chronist hier Wissen etwa über den Kreuzzug Friedrichs I. verwendete, der nach Arnolds ,eigenem' Bericht bis in Details dieselbe Route nahm wie Heinrich.352 Aber es gibt noch andere potentielle Wissensquellen Arnolds, die bislang in der Forschung nicht beachtet worden sind: So ist etwa im Herzog Ernst explizit vom Bulgcere wait die Rede, der zwischen Ungarn und Konstantinopel auf derselben Reiseroute des Herzogs liegt, über die der Lübecker Chronist berichtet.353 Dessen Text schließt hier deutlich an zur Abfassungszeit wohlbekannte Traditionen an, so daß Arnolds Augenzeugenschaft keineswegs zwingend ist. Entscheidend für die Frage nach der Funktion des Berichtes ist aber, daß Arnold vor der Folie eines als fremdartig und bedrohlich beschriebenen Raumes und seiner Bewohner das Bild eines friedenswilligen, aber auch machtvoll und kampfesmutig gegen gottlose hostes agierenden Herzogs zeichnet, der gar Verzicht auf weltliche Güter übt, um Konstantinopel und Jerusalem schneller zu erreichen354 und damit ein ideales Identifikationsobjekt darstellt. So wird hier die Gefahrenregion zum Bewährungsraum für -

Heimich den Löwen.

folgt ein glanzvoller Empfang beim griechischen Kaiser in Konstantinopel, dem der Herzog zahlreiche Geschenke iuxta morem terre nostre vorausgeschickt habe.355 Geht Es

die Reiseberichte, die er in seine Chronik inserierte (dazu unten, Kap. 4.3.6. u. 4.3.7.) und die hinsichtl. ihrer Raumstrukturierung sowie der Korrelation zw. Raum u. Bewohnern ähnliche Muster wiedergeben. Zu den Kreuzzugsdarstellungen Arnolds selbst vgl. etwa IV, 8f, S. 131 f.: Nachdem der dux eiusdem gentis (der Servi) sein Land vom Ks. zu Lehen genommen habe u. dieser wie auch dessen Heer vom dux Grecie reich beschenkt wurden, ist das Heer in der Bulgaria drei Tage ohne Wasser, dann folgt ein mühevoller Zug durch den nemus, bevor es si paradisum Dei in die civitas Listriz kommt. Die vergifteten Pfeile der Servi werden auch hier erwähnt. Auf dem Kreuzzug Friedrichs I. werden manche Verhungernde zu Märtyrern. Vgl. IV, 11, S. 135; dort auch Essen von Pferdefleisch aus Not, viele v/W nobili hätten sich aus Mangel an Zugtieren ambulando tota die gemüht. Vgl. IV, 8f, S. 128-131: Rezensburg.-'Wien-Gran-Adtile-Sklankemunt-Bulearia-Ravenell, in medio nemoris-Listriz-NmopoWs-AndropoWs-brachium sancti Georii. Orte, die Arnold ledigl. für die Reise Friedrichs I. erwähnt, unterstrichen; nur für diese nennt Arnold auch den Fluß Eiza. Falsch daher Fried, S. 121 Anm. 43, Arnold habe für beide Reisen von „Regensburg bis nach Konstantinopel bzw. an das brachium sancti Georii genau dieselben Orte und Flüsse bei Namen [genannt] und keine anderen". Herzog Ernst v. 2033, ed. Bernhard Sowinski (mittelhochdeutsche Fassung B nach der Ausgabe von Karl Bartsch mit den Bruchstücken der Fassung A), nach der durchges. u. verb. Aufl. 1979, Stuttgart 2000, S. 116. Daß Arnold, wie Mayer, Stiftung, S. 313 meint, die Waffennahme Heinrichs gegen die Servi als etwas „Unziemliches" empfand, scheint mir nicht aus dem Text hervorzugehen. Dies ist, vor dem Empfang in c. 4, die letzte Nachricht in c. 3 (S. 18): Premiserat autem dux

Vgl.

...

Die Fremdzuschreibungen

299

davon aus, daß sich Heinrich hier inmitten einer für ihn fremden Umwelt befunden haben muß, so mag das Urteil gerechtfertigt erscheinen, Arnolds Darstellung des herzoglichen adventus und der gemeinsamen Osterfeier von dux und rex(\) erfasse „die Fremdheit des Orients in keiner Weise."356 Für diejenigen, die eine Augenzeugenschaft Arnolds annehmen, seinen Bericht als Quelle über den byzantinischen Osterritus gebrauchen möchten oder die Orte zu identifizieren versuchen, die der Chronist anführt, ist das sicherlich enttäuschend. Tatsächlich rückt er statt dessen die Prachtentfaltung des Kaisers in den Mittelpunkt, „der seinen glänzenden Reichtum zeigen wollte" und zwar vollkommen zugunsten Heinrichs, der sich durchgehend in dessen nächster Nähe befindet und sogar, entgegen der Sitzordnung für Empfange am byzantinischen Hof, neben ihm thronend die missarum sollempnia feiert.357 Die Aspekte, die den Ort Konstantinopel bei Arnold konstituieren, finden sich in einer Vielzahl weiterer Texte dieser Zeit: Prunk und Reichtum, der Palast des Kaisers, Empfange, Zeremonien, die Sitzordnung am Hof und reichverzierte Gewänder. Seit dem Ersten Kreuzzug häufen sich ausführliche Schilderungen der Stadt, die westlichen Reisenden im 12. Jahrhundert eine Pracht ungeahnten Ausmaßes dargeboten haben muß.358 Daß Arnold um diesen Reichtum wußte, geht schon aus einem Brief hervor, den er in seine Chronik inserierte. Allerdings erwähnt er im Zusammenhang mit dem Aufenthalt Heinrichs den Empfang und die Osterfeier nur kurz. Ist deshalb aber der Schluß gerechtfertigt, daß „der Lübecker Chronist oder sein Informant nichts [vom Zeremoniell] begriffen" hat?359 Wohl kaum. Arnold scheint es um anderes gegangen zu sein: Für ihn hatte der herzogliche Besuch in Konstantinopel eine bestimmte Funktion: Ihn interessierte offenbar vor allem, daß der Herzog (angeblich) gleichberechtigt neben dem Kaiser auf dem Thron die Ostermesse feierte, und im Panegyricus auf den verstorman

...

-

multa et optima iuxta morem terre nostre, equos pulcerrimos séllalos e! veslitos, loricas, vesles de scarlacco e! vestes lineas tenuissimas. Zit.: Fried, S. 124, der den Mangel an Informationen über den byzant. Osterritus v.a. als Argument gegen die Augenzeugenschaft ansieht. Die Orte sind nicht zu identifizieren, wie die bei Joranson (S. 182 Anm. 127) angeführten, vergebl. Versuche zeigen. Zum Aufenthalt Heinrichs d. Löwen in Konstantinopel vgl. a. Ehlers, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum, S. 99f. I, 4, S. 18: ad ostentandam gloriam divitiarum suarum preceperat rex principibus et optimatibus suis, ut omnes huic sollempnitati intéressent. Ebd., S. 19: collocatus est rex in throno suo excelso, et dux in alio iuxta eum. Die Sitzordnung schrieb für die Empfange von Königen(!) am byzant. Hof vor, daß der Ks. erhöhter thronte als der Gast; vgl. dazu etwa Wilhelm von Tyrus, Historia rerum in partibus transmarinis gestarum, XX, 22-24, Recueil des historiens des croisades, hg. v. d. Académie Royale des inscriptions et belles-lettres, Historiens occidentaux 1,2, Paris 1844, S. 980987 (zu Kg. Amalrich v. Jerusalem 1171) u. XVI, 23, S. 744-746 (zu Konrad III.). Vgl. außerdem Rudolf Hiestand, Kreuzzug und höfisches Leben, in: Höfische Literatur, Hofgesellschaft, höfische Lebensformen um 1200, hg. v. Gert Kaiser u. Jan-Dirk Müller (Studia humaniora 6), Düsseldorf 1986, S. 177-209, hier S. 193 Anm. 52 u. Ehlers, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum, S. 100. Vgl. hierzu Hiestand, Kreuzzug, S. 192f, der (Anm. 51-53) weitere Texte anführt, sowie Peter Schreiner, Byzanz und der Westen. Die gegenseitige Betrachtungsweise in der Literatur des 12. Jahrhunderts, in: Friedrich Barbarossa, S. 551-580, hier S. 560-562. So Fried, S. 124. Zum Zeremoniell vgl. Otto Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee nach ihrer Gestaltung im höfischen Zeremoniell. Vom oströmischen Staats- und Reichsgedanken, Jena 1938 (ND Darmstadt 1956), S. 76f. u. 128f. munera

gladios,

300

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

benen Herzog sagt er im übrigen ganz explizit: te Grecia magnificavit?60 Von der in anderen Texten erwähnten und in der Forschung vieldiskutierten Gesandtschaft Heinrichs im Auftrag Kaiser Friedrichs berichtet er dagegen nichts.361 Ebenso glänzend wie der Empfang, den der Basileus (oder eher Arnold) dem Herzog in Konstantinopel zuteil werden läßt, ist der Erfolg Abt Heimichs von St. Aegidien im folgenden Kapitel: Er überzeugt am Ostersonntag in einer disputatio die griechischen doctores vom lateinischen filioque. Bereits eingangs wurde erwähnt, daß eine Funktion dieser Passage in der Hervorhebung der Bildung und theologischen Gelehrsamkeit des Abtes besteht, der zunächst Arnolds Lehrer und danach Bischof von Lübeck war.362 In jüngeren Arbeiten ist auf die Aktualität und die politische Brisanz hingewiesen worden, in deren Rahmen diese disputatio stattfand, denn sie ordnet sich in die Diskussionen über christologische Meinungsverschiedenheiten zwischen Lateinern und Griechen ein, die besonders seit der Mitte des 12. Jahrhunderts wieder aufflammten.363 Auch sind Vermutungen über den tatsächlichen' Inhalt des von Arnold geschilderten Gesprächs angestellt worden.364 Indes ist hervorzuheben, daß nur eines gesichert ist: Arnold griff V, 24, S. 193. Johanes Kinnamos, Epitome rerum ab Ioanne et Alexio Comnenis gestarum VI, 11, ed. A. Meineke, CSHB 28, Bonn 1836, S. 286 sah Heinrich d. Löwen als loyalen Gesandten Friedrichs I., während der Hzg. nach Benedict of Peterborough, Gesta régis Henrici secundi, ed. William Stubbs, RS 49,1, London 1864 (ND Wiesbaden 1965), S. 249 Friedr. I. u. dem (röm.) Reich mit der Reise schadete. Ähnl. Gottfried von Viterbo, Gesta Friderici vv. 1127 u. 1148ff, ed. Georg Waitz, MGH SS 22, Hannover 1872 (ND Leipzig 1928), S. 307-334, hier S. 332. Unterschiedlich sind auch die Urteile in der Forschung: Heinrich d. Löwe habe dem griech. Ks. ohne Wissen Friedrichs territoriale Zusagen gemacht (Werner Ohnsorge, Die Byzanzpolitik Friedrich Barbarossas und der „Landesverrat" Heinrichs des Löwen, in: Abendland und Byzanz. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte der byzantinisch-abendländischen Beziehungen und des Kaisertums, Darmstadt 1958 [ND 1979], S. 456-491, hier S. 472-486; Ferdinand Opll, Friedrich Barbarossa, Darmstadt 1990, S. 109, 235 u. 279); dagegen Ahlers, S. 95f; Karl Jordan, Friedrich Barbarossa und Heinrich der Löwe, in: BDLG 117 (1981), S. 61-71, hier S. 68 u. Ders., Heinrich der Löwe, S. 180. Georgi, S. 209-225 u. 349 sowie Hechberger, S. 309 heben hervor, Heinrich d. Löwe habe nicht wider die Interessen Friedrichs I. gehandelt. Helmold (101, S. 199) berichtet von einer Gesandtschaft des griech. Kaisers 1164 an Heinrich d. Löwen, jedoch läßt sich keine eindeutige Beziehung zur herzogl. Reise v. 1172 herstellen (vgl. Ehlers, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum, S. 98f). Die ältere Ansicht, die aus dem Besuch 1164 auf konspirative Aktivitäten gegen Friedr. I. schloß, gilt als widerlegt; vgl. Georgi, S. 112-114 u. Hechberger, S. 308f. Sicher ist, daß die Reise 1172 in einer Phase großer diplomat. Aktivitäten stattfand, da Friedr. der isolierten Lage infolge des ,antistaufischen Bündnisses' zw. Ks. Manuel I. Komnenos, Kg. Ludwig VII. v. Frankreich und den Normannen zu entgehen versuchte, die sich durch Verhandlungen zw. Manuel u. Papst Alex. III. zu verschärfen drohte. Friedr. nahm 1170 (über Erzbf. Christian v. Mainz) selbst Verhandlungen mit dem Basileus auf, die 1172 noch ohne Ergebnis waren; vgl. Georgi, S. 335ff. u. Ehlers, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum, S. 97f. Vgl. oben, Kap. 4.1. u. 4.2.1.1. Vgl. zum Umfeld der Debatte Fried, S. 124-128. Nach Fried, S. 127 ging es um Themen wie die porretan. Christologie, das „physikalische" Weltbild u. die kirchl. Union zw. Osten u. Westen. Georgi, S. 209ff sieht im Konstantinopelaufenthalt ein „Ablenkungsmanöver" Heinrichs, um freien Durchzug durch das griech. Imperium zu erhalten: Das eigentliche Ziel der Reise habe in einem gegen Manuel I. Komnenos gerichteten Bündnisvertrag mit dem Sultan v. Ikonium bestanden. Arnold berichtet davon nichts; er beschreibt die Atmosphäre, in der die disputatio stattfand, geradezu als locker: I,

Die

301

Fremdzuschreibungen

für die Gestaltung der disputatio teilweise wörtlich auf die Sentenzen des PETRUS LOMBARDUS zurück, dessen Argumente er Abt Heinrich verwenden ließ.365 Diese Tatsache mindert nun aber gerade nicht den Quellenwert' der Chronik oder der peregr/'«a?/o-Darstellung, sondern unterstreicht dagegen die Hervorhebung des Abts durch Arnold und die Favorisierung der Latini gegenüber den Greci, und gerade diese beiden Elemente finden sich auch in zahlreichen anderen Passagen der Chronik wieder.366 Angeblich vom griechischen Kaiser mit einem Schiff und allem Notwendigen im Überfluß ausgestattet,367 erfolgt die Fahrt über das Mittelmeer, von Konstantinopel nach Akkon. Wie in anderen Berichten birgt auch hier das Meer eine Reihe von Gefahren, welche durch die Örtlichkeit vorgegeben scheinen. So wird das Schiff des Herzogs von einem Sturm und von hohen Wellen bedroht. Ganz ähnlich dem Bulgerewalt wird das Meer ohne weitere Richtungs- und Entfernungsangaben als unbestimmter Raum gekennzeichnet: [T]n medio mari das ist die einzige Ortsangabe im ganzen Kapitel steht es um Schiff und Besatzung am schlimmsten.368 Erneut avanciert Abt Heinrich von St. Aegidien zur Hauptfigur des Berichts. Nur seine Gebete zur Jungfrau Maria sichern letztlich die Überfahrt.369 Der Spiritus Dei (dessen Ausgang vom Sohn der Abt zuvor den griechischen doctores bewiesen hatte) läßt den Sturm abklingen, und das Schiff fährt sicher durch „Felsen, die sich öffnen wie eine Tür". Nun ist es zwar möglich, daß es sich hier, wie Einar JORANSON vorgeschlagen hat, ,

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-

cum rex cum duce letior esset, movit questionem domnus Wormaciensis Lubicense cum litteradoribus Grecorum de processione Spiritus sancti. Petrus Lombardus, Sententiae in IV libris distinctae, lib. I, dist. 11, ed. Collegii S. Bonaventurae Ad Claras Aquas (Spicilegium Bonaventurianum 4/5), 2 Bde., Grottaferrata (Rom) 1971/1981, Bd. 1, S. 114-117. Vgl. dazu Ehlers, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum, S. 101 u. Fried, S. 127f. Der Abt wird (I, 5, S. 20f.) nach seiner Rede vom rex u. von den (griech.)pontífices hoch gefeiert (magnificatus est), und Heinrich d. Löwe erhält von der regina Geschenke für sich und die milites. Ehlers (ebd.) mißt die Darstellung letztlich auch nur an ihrem realist. Gehalt, wenn er resümiert, Arnold habe „recht geringe Ansprüche an sich und seine Leser" gestellt, da die „primitive Argumentationsweise" durch scholast. Methoden längst überholt war und es ausgeschlossen ist, daß der in Paris ausgebildete Abt vor dem Hzg. und dem griech. Ks. eine solche Rede hielt. Die reiche Ausstattung liest sich vor dem Hintergrund des Kreuzzugs Friedrichs I. überaus auffällig, denn der Ks. mußte Konstantinopel umgehen. Das Verhältnis zum Basileus und die Reise durch sein Gebiet waren mit größten Schwierigkeiten behaftet. Auch insgesamt ist das Verhältnis der West- u. Ostkaiser in der Chronik ganz wesentlich durch die Aspekte Geleitsicherung und Ausstattung von Kreuzfahrern bestimmt. Nach Heinrich d. Löwen gelang es (bei Arnold) keinem Herrscher mehr, positiv empfangen und reich ausgestattet zu werden. I, 6, S. 21: Et factus est motus magnus in mari, ita ut pre nimia tempestóte omnes mortem sibi proximam formidarent. Erat autem ibi quidam bone conversationis, qui ob imminens periculum graviter anxiebatur. (...) Denique facto die invalescebant procelle, et navis in medio mari iactabatur fluctibus. Et inciderunt in periculum marinum, ut superius in Danubio, quod dicitur skere, et timuerunt naute vehementer. Vgl. dazu allg. Jahn, S. 51-66 u. Ramin, S. 50. I, 6, S. 21. Arnold schmückt dies aus, indem er einem der Mitfahrenden (quidam bone conversationis) die hl. Jungfrau erscheinen läßt, die darauf verweist, daß propter orationes cuiusdam, qui in hac navi me invocare non cessât, ab instanti periculo liberi eritis. Daß es sich bei dem quidam um Arnold selbst handelt (so Joranson, S. 188 u. S. 153 Anm. 20), ist nicht verifizierbar.

5, S. 19: post meridiem una cum

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

302

eine Beschreibung der ägäischen Inseln handelt, aber auch diese Äußerung kann als Ausdruck der bereits angesprochenen Haltung angesehen werden, durch welche der Umgang der Forschung mit dem peregrinatio-Beûcht gekennzeichnet ist, denn sie ist ein weiterer Beleg für die Propagierung einer ganz spezifischen Lesart, welche die mittelalterliche Darstellung mit einer (vermeintlich) objektiven, in diesem Fall physisch-geographischen Realität abgleicht. Demgegenüber muß betont werden, daß die Passage in Anlehnung an die Bibel gestaltet ist und zudem in einer langen Tradition von Überfahrtsschilderungen steht.370 Wie dem Wald kommt auch dem Meer eine symbolische Funktion zu, da es Wertigkeiten unterliegt, die es als Gefahrenraum ausweisen. Zugleich ist das Meer, wie der Bulgerewalt auch, geographisch lokalisierbar, denn selbst ohne Namensnennung wußten die Leser, daß man das ,Mittelmeer' durchfahren mußte, um ins Heilige Land zu gelangen.371 Nach dem bislang gezeigten Wechsel von sicheren und gefahrvollen Räumen überrascht es kaum, daß die Empfänge des Herzogs in Akkon und Jerusalem zu Beginn des siebten Kapitels wiederum magnifice ausfallen.372 Er wird nicht nur von Angehörigen der Ritterorden in die sancta civitas geleitet, sondern dort auch vom Klerus mit Hymnen und Lobgesängen zu Ehren Gottes begrüßt und gar drei Tage von König Amalrich an dessen Hof bewirtet. Diese letzte Erwähnung ist auffällig, denn 1. bilden Jerusalem und die Kreuzfahrerstaaten anders als Konstantinopel in lateinischen Texten des 12. Jahrhunderts kaum einmal den Rahmen für Reichtum und höfisches Leben, und 2. überliefert von allen Texten, die über Heinrichs Reise berichten, nur Arnolds Chronik diesen Empfang. Auf diese Weise bekräftigt der Chronist hier, wie gern der Herzog selbst in Jerusalem gesehen war.373 Jedoch ist das Heilige Land nicht nur durch Elemente höfischen Lebens gekennzeichnet: Im Mittelpunkt steht vielmehr das Besichtigungsprogramm, das der Herzog absolviert und das ihn an einzeln aufgezählte, geradezu üblicherweise aufgesuchte Pilgerstätten führt.374 Dieser Besuch der loci sancti wird nun zur Belastungsprobe weniger für Heimich den Löwen als für die Forschung, die bis heute versucht, die Raumstrukturierungen Arnolds an der physischen Geographie zu messen. Ein Beispiel für diese Haltung bildet der, soweit ich sehe, jüngste Versuch, die peregrinatio-Darstellung zu behandlen: Ihn unternimmt Johannes Fried, der zu dem Ergebnis kommt, daß der Chronist gar nicht selbst an der Reise teilgenommen haben könne, da die von ihm angeführte Reihenfolge der loci sancti „keinem sinnvollen Reiseplan [entum

-

Ebd.: Erant

autem

ibi petre acutissime

a

dextris et

a

sinistris,

turbarentur, aspexerunt naute lapides patentes quasi hostium,

et navis in medio. et direxerunt velum contra

Cumque nimis

ipsum, Spiritus procede et siluerunt fludus eius, et subito navis illesa pertransiit, et laudaverunt Dominum, qui mortificat et vivificat, deducit ad inferos et reducit (die Lobesworte selbst nach Sam. 2, 6); vgl. hierzu 2. Mose 14, vv. 16, 21 f., 29 u. ebd., 15 den Lobgesang Moses. Arnold schreibt nur marc Der nemus wird dagegen explizit als Bulgerewalt bezeichnet. Vgl. 1,7, S. 21 f. Vgl. Hiestand, Kreuzzug, S. 197f. Heinrichs Besuch wird in den im Osten verfaßten Werken nicht erwähnt. Doch kann es hier nicht darum gehen herauszufinden, ob der Hzg. tatsächlich drei Tage lang bei Amalrich war. Vgl. etwa Theodericus, Libellus de locis sanctis 8 (Pergrinationes Tres. Saewulf, John of Würzburg, Theodericus), ed. R.B.C. Huygens u. J.H. Pryors, CCL cont. med. 139, Turnhout 1994, S. 142-197, hier S. 152. et ecce cecidit

303

Die Fremdzuschreibungen

sprach]".375 Nun scheint es doch aber 1. müßig, einen solchen vom Chronisten einzufor-

dern, und 2. ist der damit suggerierte Umkehrschluß methodisch unhaltbar, aus der Existenz eines „sinnvollen Reiseplans" ließe sich auf die Anwesenheit des Berichterstatters vor Ort schließen.376 Denn Arnold strukturiert den Raum ganz anders, auf eine Art und Weise, welche für die Funktion seines Berichts geeignet ist, nämlich den Herzog (und den Abt) als glaubenstreue und erfolgreiche Pilger darzustellen: Jerusalem und das Heilige Land sind, sieht man vom Empfang beim König ab, als heiliger Raum

Bereits die kurze Aufzählung der loci sancti reicht hierfür vollkommen aus, denn diese Orte sind heilig, unabhängig von der Wahrnehmung des Betrachters.377 Die Stellung des Kapitels in der Mitte des Berichts unterstreicht, daß der Besuch der loci sancti den Höhepunkt und das Ziel der Reise darstellt, ganz im Einklang mit dem von Arnold angegebenen Reisemotiv des Herzogs. Direkt vor der Aufzählung der einzelnen Stätten betont er, der Herzog habe omnes loci sancti besucht, und Abt Heimich habe die Messe nicht nur auf der Quarantana, sondern an omnes Uli loci sancti gefeiert: An all (dies) en heiligen Orten waren der Herzog und der Abt. Es ist zu betonen, daß Arnold mit der pauschalen Nennung der Stätten allein hiervon ein glaubwürdiges Zeugnis ablegt. Schenkt man dem Chronisten Glauben, so erfüllt Heinrich der Löwe unabhängig von der Reihenfolge, in der er die Orte besuchte den Zweck seiner peregrinatio, und genau dies mitzuteilen ist in allererster Linie die Funktion des Berichts.378 Der Herzog und der Abt ordnen sich mit ihrem Verhalten geradezu vorbildlich in den religiösen Kontext ein.379

ausgewiesen.

-

-

es sich nicht um einen Augenzeugenbericht handelt: „Heinrichs Gruppe besuchte schwerlich erst Bethlehem im Süden, dann Nazareth im Norden, kehrte von dort, wie Arnold behauptete, über das Jordantal und die Quarantana nach dem Süden, Jerusalem nämlich, zurück, um zwei Tage beim Patriarchen zu dinieren und alsbald wieder (notgedrungen über Nazareth) nach Akkon im Norden zu eilen, wo man sich einschiffte." Dieser letztlich unproduktive Versuch, mittelalterl. Raumdarstellungen u. -konzepte zu untersuchen, manifestiert sich bes. ebd., Anm. 79 unter Hinweis auf den Baedeker v. 1912: „Zur Verdeutlichung: Vor dem ersten Weltkrieg beanspruchte der einfache Weg von Jerusalem nach Nazareth zu Pferd und ohne Pausen etwa zweiundzwanzig Stunden, was bei großem Gefolge im 12. Jahrhundert doch wohl einer Reisezeit von etwa drei Tagen entsprach." Zu älteren, auf derselben ,Methodik' fußenden Ansätzen (z. B. das Messen der Reisezeitangaben Adams v. Bremen an „der modernen Eisenbahnfahrt") vgl. Kap. 2.3.1. m. Anm. 305. Frieds Diktum (S. 129), „So konnte nur schreiben, wer nie in Palästina geweilt hatte.", würde im Umkehrschluß bedeuten, daß ein (nach modernen geograph. Vorstellungen) .richtiger' Bericht, ein „sinnvoller Reiseplan", auf eine tatsächliche Anwesenheit des Berichterstatters schließen lasse. Dem ist freilich nicht so: Arnold hätte hier aus irgendeinem Pilgerführer oder Reisebericht abschreiben können, ohne jemals vor Ort gewesen zu sein. Die Heiligkeit eines Ortes muß gewußt werden, sie kann nicht durch eine Wahrnehmungsleistung erkannt werden; vgl. Jahn, S. 70f Abt Arnold u. seinen Lesern war die christl. Überlieferung, die dieses Wissen garantierte, gut bekannt. Das Aussehen der einzelnen Stätten wird häufig nicht thematisiert, auch nicht bei Arnold: Jerusalem kann man sich als „eine Ansammlung von im Raum aufgestellten Namensschildchen vorstellen" (ebd., S. 81, zu Pilgerberichten allgemein). Arnold beschreibt eine Pilgerreise, weder einen Kreuzzug noch eine Gesandtschaftsreise, und hebt eben auch im 7. Kap. v.a. den religiösen Kontext hervor. Andernorts stellt er z. B. die Reise unter den Schutz der Gottesmutter; vgl. I, 6f, S. 21f. u. die Datierung des Fahrtbeginns in Regensburg an Maria Lichtmeß.

Fried, S. 129, der nachzuweisen versucht, daß

Vgl. I, 7,

S. 22. Die

Charakterisierung

des Abtes als

tugendhaften

und

glaubenstreuen Pilger im

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

304

Hinsichtlich der Rückreise hat sich die Forschung intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie viele Personen aus dem Aufgebot des dux sich mit ihm gemeinsam auf den Weg machten. Die hierzu vertretenen Positionen sind sehr unterschiedlich. Liest man Arnolds Bericht buchstabengetreu, waren dies von (angeblich) über 1200 Teilnehmern ganze zwei Personen: der Herzog und der Abt.380 Vergleicht man hingegen seine Angaben mit anderen, bleibt viel Raum für Spekulationen.381 Daß Heinrich der Löwe tatsächlich allein mit dem Abt die Heimreise antrat, ist wohl kaum anzunehmen. Die Diskussion um die Frage, wie viele Rückreisende es gab, erübrigt sich, denn sie ist schlichtweg nicht zu entscheiden; vielmehr ist zu betonen, daß Arnolds Darstellung überhaupt nicht auf die Bezifferung der Reiseteilnehmer abzielt, und so läßt sich lediglich festhalten, daß der Chronist vor allem Herzog und Abt im Blick hatte. Das allerdings überrascht nun kaum, denn das tat er bereits zuvor. Über Antiochia führt der Rückweg nach Torsult (Tarsos), unter Umgehung der terra des Milo Saracenus, dessen Hinterlist mit der Hilfsbereitschaft des princeps Antiochie kontrastiert wird. Das Bewertungskriterium dieser beiden Herrscher besteht in nichts anderem als in ihrem Verhalten gegenüber dem Herzog.382 Um unter dem Geleit von Gesandten des soldanus, princeps Turcorum nach Eraklia und Axarat zu gelangen, durchquert der Herzog wiederum eine Region, die Gefahren birgt, ein „wüstes, unwegsames und wasserloses Land des Schreckens, eine weite Einöde": die Rumenia deserta?"3 Die deserta ist der dritte Raumtyp, den Arnold durch eine große Beschwer„härenen Mönchsgewand" kann nicht, wie von Fried, als Beleg dafür verwendet werden, daß Arnold übersah, wie üblich diese Kleidung gewesen sei. Der Chronist hebt den Abt lediglich hervor, denn auf die Akzentuierung seiner Religiosität richtet sich ein wesentliches Interesse. I, 8, S. 23: valedicens omnibus, etiam suis, profedus est Anttochiam. (...) Heinricus vero abbas cum duce perrexit via qua ceperat. Bf. Konrad v. Lübeck u. Abt Bertold v. Lüneburg verstarben ...,

in Tyrus bzw. Akkon. Gf. Gunzelin und andere amici ducis kümmerten sich um das Begräbnis Bertholds in Akkon. Vgl. dagegen I, 9, S. 24f, wo Heinrich d. Löwe 30 Pferde für seine milites auswählt. Die Ansicht Joransons, S. 194, u. Jordans, Heinrich der Löwe, S. 178, der Hzg. sei mit dem größeren Teil seines Gefolges abgereist, steht diametral dem Text entgegen, worauf auch Fried, S. 131 m. Anm. 92 hingewiesen hat. Er folgert nun wiederum recht buchstabengetreu, der Hzg. habe „offenbar nur die wenigsten bei sich [behalten]." Doch ist zu betonen, daß alle Versuche einer Rekonstruktion der Anzahl als gescheitert zu betrachten sind. Arnold nennt (I, 13, S. 17) 1200, die gegen die Servi kämpften, die Chronica regia Coloniensis (Annales Maximii Coloniensis), ed. Georg Waitz, MGH SSrG 18, Hannover 1880 (ND 1978), S. 123f führt ein Aufgebot von 500 an. Zu vergeblichen Bezifferungen vgl. etwa Joranson, S. 161 Anm. 65 (mit weiteren Nachweisen) u. S. 164-166 sowie Reinhold Röhricht, Beiträge zur Geschichte der Kreuzzüge, 2 Bde., Bd. 2: Deutsche Pilger- und Kreuzfahrten nach dem Heiligen Lande 7001300, Berlin 1878 (ND Aalen 1967), S. 109. I, 9, S. 23. Der princeps Antiochie (Boemund III.) behandelt Heinrich d. Löwen honeste und stattet ihn mit Schiffen aus. Milo (Malech, Kg. v. Armenien) hingegen reagiert mit dolus auf die herzogl. Bitte um Geleit, um cum honore et summa pace per terram suam geführt zu werden. Ebd., S. 23f: Torsult, saracenice vero Tortun quam postea idem Milo expugnans sibi subiugavit in ultionem, quod peregrini ibi preterlapsifuissent. Ebd., S. 24: Profedi per triduum transierunt per terram desertam et inviam et inaquosam, terram horroris et vaste solitudinis, que Rumenia deserta dicitur, ubi multum laboraverunt, portantes in equis omnia necessaria, etiam aquam quam biberent tarn ipsi quam iumenta eorum. -

...

Die Fremdzuschreibungen

305

lichkeit des Fortbewegens, durch Unwegsamkeit und Lebensfeindlichkeit charakterisiert. Wie andere Reisende vor und nach ihm durchquert fer peregrinus Heinrich mit dem Wald, dem Meer und der Wüste solche geographischen Räume, die in Pilgerberichten ganz ähnlich strukturiert werden.384 Die Strukturierung des vom Herzog bereisten Raumes erfolgt erneut nach dem oben herausgestellten Muster eines Wechsels von sicheren und unsicheren Regionen: Denn auch nach der Durchquerung der Wüste erreicht der Herzog eine civitas. Hier wird ihm von den Turci ebenso ein prächtiger Empfang bereitet wie kurz darauf in Axarat vom soldanus selbst.385 Es ist die erste überlieferte Schilderung vom Empfang eines deutschen Fürsten beim türkischen Sultan.386 Arnold hebt die (angebliche) Verwandtschaft zwischen Herzog und Sultan hervor sowie dessen Gastfreundschaft und Ehrerbietung,387 vor allem aber kommt er auf die fremde Religion der Turci zu sprechen: Denn der Herzog unternimmt einen Bekehrungsversuch. Er wirft dem Sultan superstitio gentilitatis vor und bewegt ihn in einem Gespräch über die incarnatio Christi und die fides katholica zu der Einsicht, es falle ihm „nicht schwer daran zu glauben, daß Gott, wenn er wollte, in einer Jungfrau Leib geworden sei, er, der den ersten Menschen aus Lehm geformt" habe.388 Durch consanguinitas, ehrenvollen Empfang und Geschenke an den Herzog zeichnet Arnold hier den Sultan aus; Heinrich aber wird erhoben zu einem Fürsten, der darauf besteht, den türkischen Sultan einem Bekehrungsversuch auszusetzen.389 Ähnlich wie der Abt in Konstantinopel tritt so auch der Herzog für die fides katholica ein. Heimich der Löwe als unbestechlicher Verteidiger des rechten Glaubens, die Durchquerung derselben deserta durch Friedr. I. (IV, 11, S. 134f.) u. den inserierten Reisebericht Burchards v. Straßburg (dazu unten, Kap. 4.3.7.). Vgl. etwa Jahn, S. 51-66, 95-108 u. die oben in Anm. 348f genannte Lit. I, 9, S. 24: pervenerunt ad civitatem que iuxta linguam Turcorum dicitur Rakilei, in nostra lingua Eradla. (...) Dux illuc perveniens magnifiée susceptus est a Turcis et inde deductus est Axarat, ubi occurit ei soldanus letissimus, amplexans et deosculans eum. Fried, S. 131f. dicens, eum consanguineum suum esse. Cumque dux perquireret I, 9, S. 24: soldanus affinitatem consanguinitatis, ¡lie respondit: Quedam nobilis matrona de terra Theutonicorum nupsit régi Ruthenorum, qui genuit ex eafiliam, cuius filia devenit in terram nostram, de qua ego descendí. Vgl. dazu Röhricht, Beiträge, Bd. 2, S. 125 Anm. 24 mit weiteren Nachweisen sowie Arnold, ebd., S. 24f. Der Sultan beschenkt Heinrich d. Löwen mit Gegenständen, Tieren u. servi. Ebd., S. 25: Non est, ait, difficile adcredendum, quodDeus, quando voluit, de immaculata virgine carnem assumpsit, qui hominem primum de limo terre plasmavit. Vgl. a. ebd., S. 24: Benedicabal autem soldanus Deum celi, quia dux manus Milonis évaserai, dicens eum infidelem et traditorem et, si in terram eius devenisset, profecto eum rebus vel etiam vita spoliasse! Arnold reflektiert, daß der Sultan dieses Wissen vielleicht aus dem Pentateuch bezog, den viele gentiles kennen, ohne deshalb von der idolatría zu lassen. Die Passage erinnert an die oben (Kap. 4.2.1.5. m. Anm. 132) behandelte „Bruderschaft" von Saraceni u. christiani. Es ist nicht gesichert, warum Arnold den Sultan zu den heresi Nicolaitorum rechnet. Lappenberg bezieht den Ausdruck in seiner Ed. (S. 25 Anm. 3) auf die polygamia huic sectae. Fried, S. 132-134 betont dagegen, die Mehrehe habe nicht den üblichen Häresie-Vorwurf gegen Mohammed nach sich gezogen u. weist auf eine kleine Gruppe frz. Texte des 12. Jh., bes. den Liber Nicholai, hin, aus der Arnold sein Wissen bezogen haben könnte. Der Vorwurf der superstitio gentilitatis schließt sich direkt an die ausdrücklich hervorragende Behandlung durch den Sultan an. I, 9, S. 25: Cumque omnibus modis benignissime eum tradaret, argult eum dux de superstitione gentilitatis.

Vgl. a.

...

...

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

306

gar als Missionar? In der Tat scheint hier Mißtrauen geboten wenn man fragt, ob es so gewesen ist.390 Möglicherweise wird jedoch den mittelalterlichen Leser der Chronik dieses Bild Heimichs weniger überrascht haben als die moderne Forschung, denn es steht ganz im Einklang mit dem auch sonst im Werk gezeichneten: Bereits oben wurde deutlich, daß Arnold den Herzog aufgrund seiner Tugendhaftigkeit hervorhebt,391 daß er ihn als Schutzherrn über die nordelbischen Bistümer und als Kirchenausstatter positiv herausstellt. Wenn aber Heinrich der Löwe (nach Arnolds Zuschreibungen) all diese positiven Eigenschaften und Verdienste hatte und sich zudem mit glaubenstreuen Äbten und Bischöfen umgab, wenn er die heidnischen Sclavi in der Nähe ebenso bekämpfte wie die gottlosen Servi in der Ferne und darüber hinaus nur um der Vergebung seiner Sünden willen eine beschwerliche peregrinatio nach Jerusalem unternahm warum sollte er dann nicht auch eine Bekehrung des türkischen Sultans versuchen? Nicht etwa ist Heinrich der rechte Glaube wichtiger als materieller Reichtum, hier ist Mißtrauen gerechtfertigt. Vielmehr ist es Arnold wichtiger, den Lesern das Bild eines glaubenstreuen und tugendhaften Herzogs zu vermitteln. Die vermeintlich ,präzise' Aufzählung, die der Chronist von den zahlreichen kostbaren Geschenken des Sultans gibt, hat neben einem Unterhaltungswert wohl vor allem die Funktion zu bezeugen, daß Heinrich der Löwe als Herrscher großes Ansehen genoß.392 Berücksichtigt man diese Darstellungsabsicht Arnolds, so könnte man überhaupt zu der Vermutung gelangen, daß es sich bei der Passage, in der die Geschenke so auffallend ausführlich geschildert werden, um eine reine Konstruktion des Geschichtsschreibers handelt. Dann überrascht es auch weniger, daß von den Geschenken keines in Braunschweig angekommen zu sein -

-

scheint.393 Den Raum, welchen Heimich zwischen Cunin (Iconium) und Anikke (Nicea) durch-

zieht, gestaltet Arnold in erster Linie durch die Beschreibung von Orten eines kollekti-

Erinnerns an vergangene Ereignisse. Die gefährliche Reise durch die Wüste bei Iconium verknüpft Arnold mit der Erwähnung, Komad III. sei hier mit seinem Heer in die Irre geleitet worden. Er kritisiert dafür den griechischen Kaiser (rex) und hebt den honor Romani imperii hervor.394 Ausdrücklich wegen der memoria Gottfrieds von Bouillon widmet Arnold zudem ein ganzes Kapitel der Einnahme Niceas, so lange läßt

ven

So Fried, S. 132.

Vgl. außer der hier behandelten peregrinatio-Darste\lung auch Kap. 4.2.2.2. Es ist durchaus möglich, daß Heinrich d. Löwe Zelte u. Kamele für die Durchquerung der Wüste erhielt, jedoch muß dies nicht so gewesen sein: Schließlich gehörte die Kenntnis von der Existenz von Kamelen in dieser Region seit den Kreuzzügen zum Wissensfundus (auch Arnolds). Vgl. bes. IV, 8, S. 131 sowie z.B Annales Herbipolenses a. 1147, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 16,

Hannover 1859, S. 1-12, hier S. 5. Fried, S. 135 geht vergebt der Frage nach, wo die Geschenke verblieben. Auf den Unterhaltungswert der Aufzählung von Geschenken weist etwa die Nennung von Leoparden hin, die docti erant sedere in equis (I, 9, S. 25). I, 10, S. 25: progressus venit in terram desertam et aridam nimis, ubi dicitur Conradus rex stetisse cum exercitu suo, quia propter nimiam terre solitudinem multis ibi fame et siti deficientibus procederé non poterat. Traditus enim a ductore vie fuerat. Ebd., S. 26: Mühevoller Zug durch einen nemu[s] maximu[s], quod dividit terram Turcorum et Grecorum, nemus maximus. Der Raum ist in der Darstellung (Durchquerung in drei Tagen und mit Schwierigkeiten) ähnlich strukturiert wie zuvor die anderen Gefahrenräume. ...

307

Die Fremdzuschreibungen

die Leser in diesem Erinnerungsraum verweilen.395 Dabei speist sich die Beschreibung aus einem „kollektiven Gedächtnis":396 Die von Arnold erwähnten Orte sind deutlich durch die Erinnerung an die vergangenen Kreuzzüge gekennzeichnet, während die Verbindung zur aktuell beschriebenen Reise des Herzogs durch dessen iter hergestellt wird. Der Chronist kann hier sein Wissen (einmal mehr) aus nicht spezifizierbaren Quellen bezogen haben. Jedenfalls hebt er wie auch an anderen Stellen seines Werkes das (vom deutschem rex) beanspruchte römische Kaisertum gegenüber dem griechischen ebenso hervor wie die Teutonici gegenüber den Greci?91 Gegenüber dieser Ausführlichkeit nimmt die folgende Rückreise im Text nur wenig Umfang ein. Auffällig erscheint, daß der Herzog trotz freundlichen Empfangs und ehrenvoller Bewirtung durch den griechischen rex in Manopolis (Magnopolis) dessen zahlreiche kostbare Geschenke vehement ablehnt. Auch hier wäre Mißtrauen angebracht. Jedoch erhellt sich die Funktion der Passage, wenn man berücksichtigt, daß andere Autoren gegenüber Heinrich den Vorwurf erhoben, er habe sich mit griechischen muñera bestechen lassen und gegen Kaiser Friedrich intrigiert.398 Davon ist nach Arnolds Bericht überhaupt keine Rede, im Gegenteil: Er läßt den Herzog die Geschenke sogar in wörtlicher Rede ablehnen und greift damit zu einem rhetorischen Mittel, das vor dem Hintergrund der skizzierten Vorwürfe gegen den Herzog als Authentifrzierungsstrategie angesehen werden kann. Einerseits weist Heinrich mehrfach die Bitten des Kaisers um Annahme der Geschenke zurück, andererseits fordert er sogar wen wundert es noch vor allem viele Reliquien!399 Mit ihnen kehrt Heinrich nach dem Verlassen des regnum Ungrorum wieder in fines suos zurück, konkret: in das Herzogtum Bayern, das hier somit explizit als Heinrichs ,eigenes' Gebiet bezeichnet wird. Erst nach einem Besuch beim Kaiser in Augsburg reversus est Bruneswich, wo er die bereits erwähnte Ausstattung des Doms vornimmt, an derjenigen St. Blasiens aber gehindert wird. er

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Heinrich d. Löwe gelangt zu zwei Orten, die ebenfalls solche des kollektiven Erinnems darstellen, weil sie durch die memoria Hzg. Gottfrieds (v. Bouillon) konstituiert werden. So führt Arnold etwa den Namen des Ortes castellum Alamannorum darauf zurück, daß Gottfried ihn einst erobert und von dort aus omnia Turcoria unterworfen habe. Vgl. Fried, S. 121. Der Begriff Kollektiv kann hier allerdings in erster Linie nur auf einige Geschichtsschreiber und deren Leser bezogen werden. Zur Wüste vgl. etwa Annales Herbipölenses a. 1147, S. 5; zu Friedr. I. auch Arnold IV, 11 f., S. 134-137. In diesem Zusammenhang kann möglicherweise auch die Episode von der Eroberung der griech. urbs Nicea durch Gottfried v. Bouillon gelesen werden. I, 11, S. 26-30: Der Teutonicus mit Namen Helias kämpft, auch als Goliath bezeichnet, in einem Zweikampf, der Züge eines Ritterturniers aufweist, mit einem Diener Gottfrieds, Drogo (auch David). Wo Arnolds Kenntnis dieser Passage herrührt, ist bislang, soweit ich sehe, nicht zweifelsfrei geklärt. Gottfried von Viterbo, Gesta Friederici, vv. 1127 u. 1159, S. 332. Vgl. dazu Fried, S. 135. Nach Arnolds Bericht (IV, 14, S. 141) wurde auch Markgf. Konrad v. Montferrat vorgeworfen, er habe muñera infidelium acciperet, näml. von Saladin; allerdings zu Unrecht: exspolians Egyptios, ditavit Hebreos, quia quod ab infidelibus quoquo modo rapiebat, fidelibusfideliter erogabat. I, 12, S. 30: Dux vero immensas gradas agens, noluit accipere, dicens ad eum: Habeo plurima, domne mi, inveniam tantum gratiam in oculis tuis. Cumque nimis cogeret eum, et Ule nulla ratione consentiret accipere, dedil sanctorum reliquias el multas et preciosas, quas postulaverat. Vgl. a. Fried, S. 134.

308

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

Die hier vorgeschlagene Lesart der /?eregn>r£rtro-Darstellung führt sowohl im Hinblick auf die bislang in der Forschung erörterten Probleme als auch im Hinblick auf die Frage nach ihren möglichen Funktionen im Werk zu mehreren Ergebnissen auf unterschiedlichen Ebenen: 1. Zwar mag der Herzog durch noch so viele Regionen gereist sein, die ihm fremd erschienen, jedoch führt der Versuch, aus Arnolds Bericht die Realität in der bereisten Fremde zu rekonstruieren und Aussagen über die dortigen Verhältnisse oder Bewohner zu treffen, nicht weiter; denn die Darstellung der Fremde geschieht nicht um ihrer selbst willen, sondern ist funktional in die Chronik eingebunden. 2. Die peregrinatio-DarsteWung transportiert das schlüssige Bild eines frommen und tugendhaften Herzogs(paares): Arnold konstruiert Heinrich den Löwen für seine Leser ganz im Einklang mit dem auch sonst in der Chronik gezeichneten Bild. Neben dem Herzog hebt er mit dem Abt von St. Aegidien den späteren Bischof von Lübeck hervor, dessen Gelehrsamkeit und Gottesfurcht der Reisebericht somit gleich zu Beginn des Werkes belegt. 3. Dieser Befund einer Konstruktion mindert nun aber gerade nicht den ,Quellenwert' des Textes: Die Frage nach Arnolds Teilnahme an der Reise ist nicht einwandfrei zu beantworten. Kein einziges Argument, das von der Forschung dafür oder dagegen vorgebracht wurde, kann überzeugen. Weder die Ausführlichkeit der Darstellung noch ihre Lebendigkeit oder das Fehlen von Informationen für ,Norddeutschland' bis zur Rückkehr des Herzogs sprechen eindeutig für einen Augenzeugenbericht Arnolds. Und auch die Gegenargumente überzeugen nicht: Schon daß der Geschichtsschreiber nicht über sich, sondern über andere berichtet, ist keineswegs ungewöhnlich; vor allem aber ist der Umkehrschluß unzulässig, die Ich-Form (vidi, audivi) verweise auf eine tatsächliche Reiseteilnahme. Ebensowenig spricht das Gestalten zahlreicher Passagen in Anlehnung an die Bibel gegen die Teilnahme Arnolds, denn auch hier kann der Text in Traditionen eingeordnet werden, und die Kenntnis von Bibelstellen kann grundsätzlich auch die Darstellung einer tatsächlich unternommenen Pilgerreise beeinflussen. Damit aber lassen sich lediglich zwei sichere Rückschlüsse ziehen: Weder mußte Arnold Lübeck verlassen, um den Reisebericht zu schreiben, noch müssen sich in seiner Schilderung Aussagen von Informanten (zumal wortgetreue) wiederfinden. 4. Die Darstellung ist vielmehr in der Tradition mittelalterlicher Pilger- und Reiseberichte zu sehen, sowohl insgesamt wie auch in Details, sowohl bezüglich der Strukturierung des geographischen Raumes als auch, zum Beispiel, bezüglich Konzeption und

Gestaltung.

Wissen, das sich zum großen Teil auch in anderen Texten belegen läßt, funktional, indem er ein dezidiert positives Bild Heinrichs des Löwen und Abt Heinrichs vermittelt, denn nach der Chronik unternahmen vor allem ein vorbildli5. Arnold verwendet sein

cher Herrscher und ein vorbildlicher Abt die Reise nach Jerusalem. Zu einer Zeit, als der Sturz des Herzogs bereits dreißig Jahre zurücklag, gehört auch die Darstellung der peregrinatio zu denjenigen Aspekten, mit welchen Arnold Heinrich den Löwen als idealen Herrscher in der Nordalbingia und Abt Heinrich als idealen Bischof konstruiert. Daher ist es wichtig, den peregrinatio-Bericht nicht nur, wie es bislang fast ausschließlich geschehen ist, isoliert zu betrachten, sondern in seinen (möglichen) Funktionen für die Chronik insgesamt. Erst der Vergleich mit anderen Passagen zeigt, daß Heinrich der Löwe in der gesamten Chronik der einzige Herrscher ist, der nicht nur ins Heilige Land

309

Die Fremdzuschreibungen

es auch erreicht und zurückkehrt. Auch wird niemand anderes im Werk überall derart positiv empfangen, nicht in Jerusalem und schon gar nicht in Konstantinopel oder am Hof des türkischen Sultans. 6. Geht man außerdem von der exponierten Stellung der Jerusalemfahrt am Beginn des Werkes aus, so könnte ihr durchaus programmatischer Charakter zugesprochen werden; zumindest scheinen einige Aspekte dafür zu sprechen: (a) Der Chronist steckt in der Darstellung der peregrinatio geographisch den Rahmen ab, in dem sich auch im weiteren Verlauf des Werkes solche Ereignisse abspielen, deren Beschreibung er sich ganz wesentlich widmet, etwa in den Kapiteln über die Kreuzzüge oder die Eroberung Konstantinopels, (b) Nicht nur geographisch, sondern auch thematisch in bezug auf die Kreuzzüge kann eine Verbindung zu anderen Passagen im Werk gesehen werden. Denn Arnold beschreibt ein iter zwischen Braunschweig und Jerusalem, auf dem sich auch Orte des kollektiven Erinnerns an die Kreuzzüge befinden. Es wird noch zu zeigen sein, daß auch andere Abschnitte wie die inserierten Briefe über die Apulia und über das Egyptus vel partes Libie genannte Gebiet eng mit der Kreuzzugsthematik zusammenhängen, (c) Berücksichtigt man die Bedeutung dieser Thematik und der Aufforderungen an Kaiser Otto IV. zu einem Kreuzzug ins Heilige Land, die Bernd Ulrich HUCKER herausgearbeitet hat, so kann von hier aus auch eine zeitliche und räumliche Verbindungslinie zurück zur peregrinatio seines Großvaters Heinrich gezogen werden. Obwohl der Herzog (nach Arnolds Darstellung) keinen Kreuzzug unternahm, setzte er doch sein Vorhaben um, nach Jerusalem zu reisen. Und während Arnold in seinen Schilderungen der Kreuzzüge den Verlust und die Zerstörung Jerusalems mehrfach explizit mit den peccata nostra begründet, stellt er für Heinrich den Löwen fest, er habe seine peregrinatio ausgerechnet propter peccatis suis unternommen. Auch in diesem Aspekt stellt der Herzog ein Ideal für die Nachwelt dar.

aufbricht, sondern

4.3.5. Die

Kreuzzüge Friedrichs I. und Heinrichs VI. ins Heilige Land

Über Arnolds Darstellung der kaiserlichen Kreuzzüge ins Heilige Land, die große Teile der Chronik einnimmt, fällt das Urteil der Forschung deutlich negativ aus: sowohl in bezug auf den Inhalt der Berichte als auch (besonders) im Hinblick auf die Chronologie.400 Die häufig getroffene Feststellung einer in Korrelation zur räumlichen Entfernung des Berichtsgegenstandes abnehmenden Glaubwürdigkeit Arnolds trifft sicherlich insgesamt zu, sie birgt allerdings auch methodische Probleme401 und zielt an der hier Kreuzzügen vgl. lib. IV (Friedr. I.) u. V, 25-29 (Heinrich VI). Zur Einordnung der Darstellung Arnolds in andere Berichte vgl. Hiestand (zum Kreuzzug Friedrichs I.) u. Naumann (Kreuzzug Heinrichs VI.). Zu Forschungsaussagen über die mangelnde Glaubwürdigkeit Arnolds in diesen Passagen vgl. oben, Kap. 4.1. m. Anm. 33. Dies wird daran deutlich, daß sich die mangelnde Glaubwürdigkeit Arnolds v.a. anhand eines Vergleichs mit weiteren Texten, namentl. über die Kreuzzüge Friedrichs I. u. Heinrichs VI., ergibt. Dann erst zeigt sich, daß Arnold in mehrfacher, etwa in chronolog. Hinsicht ,fehlerhaft' berichtet. Demgegenüber wird die peregrinatio-V>arsit\\un% häufig als Augenzeugenbericht angesehen, u.a. aufgrund ihrer einzigartigen Ausführlichkeit (vgl. oben, Kap. 4.1. u. 4.3.4.). Die Ansicht von einer vermeintl. ,Realitätsnähe' resultiert hier also auch aus der Unmöglichkeit, Arnolds Angaben an anderen zu überprüfen was wenig Sinn zu machen scheint. Ganz ähnlich

Zu den

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Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

310

vorbei. Denn das Messen der Darstellung an ihrem realistischen Gehalt verstellt, wie in der vorliegenden Untersuchung schon häufiger deutlich wurde, den Blick auf die Vorstellungswelt des Chronisten. Auf den bereits oben erwähnten Aspekt, daß Arnold Teutonici und Saraceni sowie christiani und infideles im Zusammenhang mit der Darstellung der Kreuzzüge außerordentlich häufig kontrastiert, wird an dieser Stelle nicht noch einmal ausführlich eingegangen.402 Arnold verbindet beide Kreuzzüge unter kaiserlicher Leitung eng mit Klagen über die „Gefangenschaft" Jerusalems und des Heiligen Landes.403 Noch vor Beginn seiner Darstellung des Kreuzzugs Friedrichs I. akzentuiert er, das Heilige Kreuz befinde sich in Händen der alienigenae über die captivitas des Kreuzes durch Saladin und die infideles hatte er bereits zuvor ausführlich berichtet.404 Explizit verwendet der Chronist hier somit eine der seltenen Fremdbezeichnungen im Werk, wobei sich die Fremdheit in dieser Passage auch auf die Aspekte Abstammung und Herkunft bezieht, selbst wenn Termini wie infideles, die im Kontext stehen, die religiöse Fremdheit der alienigenae hervorheben. Ausdrücklich fordert Arnold zum Kreuzzug auf, auch durch die Einrahmung der Kreuzzugsdarstellungen mit Hinweisen auf nostra peccata, in denen er die Ursache für den Fall Jerusalems und die nicht gelingende Rückeroberung durch die Christen sieht. Zu diesen peccata rechnet der Chronist auch das Verhalten im Kreuzfahrerheer selbst, das er durch Sündenhaftigkeit, insbesondere eine mangelnde Sittenstrenge kennzeichnet.405 Zwar erscheint Friedrich bemüht, sich um die Sitteneinhaltung

verfolgten Fragestellung

-

wird das vierte Buch der Hamburgischen Kirchengeschichte Adams oft ausgerechnet aufgrund seiner Einzigartigkeit (und damit Unüberprüfbarkeit) als aussagekräftige, weil realitätsnahe Grundlage für die Rekonstruktion der Geschichte Nordosteuropas behandelt. Ebensowenig auf eine umfangreiche Untersuchung der Raumstrukturierung, fur welche die Darstellungen der herzogl. peregrinatio u. des Kreuzzugs Friedrichs I. grundsätzl. Parallelen aufweisen (vgl. bereits oben, Anm. 328f, 350-352, 367, 383, 392 u.396), und zwar nicht nur, weil der Ks. v. Regensburg aus zunächst dieselbe Route einschlug wie zuvor Heinrich d. Löwe. Zum Kreuzzugsitinerar Friedrichs I. vgl. Ferdinand Opll, Das Itinerar Kaiser Friedrich Barbarossas (1152-1190) (Forsch, z. Kaiser- u. Papstgesch. d. Mittelalters; Beihh. z. J.F. Böhmer, Reg. Imp. 1), Wien-Köln-Graz 1978, S. 97-109. Zur Wahl der Route vgl. Hiestand, precipua, bes. S. 74-77. Zum Itinerar Heinrichs VI. vgl. Naumann, S. 130-210 mit Karte, S. 305. Der Fall Jerusalems bildet hier ganz im Einklang mit anderen Texten, den Grund für den Kreuzzugsentschluß Friedrichs I.; vgl. dazu Hiestand, precipua, S. 55 u. 103 m. Anm. 349. Zu den Motiven Friedrichs I. mit Bezug auf Arnold vgl. a. Josef Fleckenstein, Friedrich Barbarossa und das Rittertum. Zur Bedeutung der großen Mainzer Hoftage von 1184 und 1188, in: Das Rittertum im Mittelalter, hg.v. Arno Borst, Darmstadt 1976, S. 392-418, hier S. 407. Zu Heinrich VI. vgl. V, 25, S. 195: Qui licet publiée cruce signatus non fuerit, per viscera misericordie

spiritaliter tarnen fuisse signatum non ambigimus. IV, 7, S. 127: Eheu, ut quid nati sumus videre contritionem populi Dei et terre sánete, in qua steterunt pedes Domini exercituum, qui venit in hunc mundum salus omnium? (...) Civitas sancta immundidis repleta est, lignum dominicum inter alienígenas detinetur, quod a nobis utique suis cultoribus constanter requiretur. Arnold gibt die explizite Fremdbezeichnung im ,Zitat' anderer wieder, in einer Rede, in der sich omnes terre gloriosi, sub quibus curvatur orbis, unanimes ad expeditionem Iherosolimitanam aspirabant. Der Begriff alienigenae auch in IV, 1, S. 113. Die captivitas des Hl. Kreuzes in IV, 4, S. 120-123. Zum Terminus alienígena vgl. Mittellateinisches Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 449: „Fremdstämmiger", aber auch „Heide". Bereits in Wien habe Friedr. I. hominum fornicatorum et furum seu aliorum inudlium quingenli viri wegen inmunditia tantusque inceslus auf den Rückweg geschickt und sich auch später um die ...

311

Die Fremdzuschreibungen

kümmern und die Durchreise des enormen Heeres zu organisieren,406 jedoch charakterisiert der Chronist den Kaiser ausgerechnet durch solche Elemente herrscherlichen Lebens, deren Unterlassung Papst Gregor VIII., von Arnold akzentuiert, vor Beginn des Kreuzzugs angemahnt hatte nicht etwa Empfänge und Geschenke (die auch Heimich des Löwe erhielt), sondern die Durchführung von Ritterspielen und einer Jagd.407 Dennoch zeichnet Arnold ein durchaus positives Bild sowohl Friedrichs I. als auch Heinrichs VI., gerade als Organisatoren und (eben kaiserlichen) Leitern der Kreuzzüge, wie sich sowohl an der Darstellung als auch an den für die Kaiser verwendeten Termini zeigen läßt.408 Völlig im Einklang mit diesen Hervorhebungen stehen die Berichte über die Tode der beiden Herrscher, die sich während der Kreuzzüge ereigneten: Sie sind zuallererst verbunden mit der Frage nach einem zukünftigen Beschützer des Heeres und einem die Festneuen Leiter des Kreuzzugs, nicht etwa mit einem besonderen Herrscherlob Historimancher moderner eher die scheint seines Fehlens stellung Erwartungshaltung ker widerzuspiegeln.409 Für Arnold sind vielmehr die Folgen der Todesfälle entscheidend: Ähnlich wie Friedrich, der in den Fluten des Saleph ertrinkt, ereilt auch andere prominente Teilnehmer seines Kreuzzugs ein plötzlicher Tod.410 Damit sei zwar diese zu

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406

Sitten im Heer kümmern müssen, das sich z. B. Handel u. Völlerei hingegeben habe; vgl. IV, 8, S. 129 (Zit.) u. 131; 10, S. 133; 11, S. 134; 13, S. 138. Damit verhielten sich Teile des Heeres also genau entgegen den Ermahnungen Papst Gregors (vgl. unten m. Anm. 407). Auch andere Berichte konstatieren den Sittenmangel im Heer; vgl. Hiestand, precipua, S. 83-86. Zum Kreuzzug Heinrichs VI. vgl. V, 29, S. 210: mereiriculis adhereban!; plus avaritie quam Christi militie studebant; arrogantia; vana gloria; Arnold spricht hier explizit von peccarc Zur Sorge um die Einhaltung der Sitten vgl. bes. IV, 10, S. 133: imperator fideliter custodivit, ut... nulli de exercitu nee per vim, nee per rapinam, nee per furtum aliquid obtinere permiserit. Vgl. IV, 6, S. 126. 8, S. 129 (Empfange); S. 130f. (Jagd, Geschenke); S. 131 (militie ludus). Zum päpstl. Verbot, das auch andere Texte erwähnen, vgl. Hiestand, precipua, S. 104 u. allg. Thomas SzabÓ, Die Kritik der Jagd. Von der Antike bis zum Mittelalter, in: Jagd und höfische Kultur im Mittelalter, hg. v. Werner Rösener (VdMPIGesch 135), Göttingen 1997, S. 167-229. Zu Friedr. I. vgl. etwa die Herausstellung des Zusammenhangs zw. dem Fall Jerusalems u. der Kreuznahme, die Sicherstellung der Versorgung für das Heer (IV, 8, S. 129; 9, S. 132 u. 10, S. 133) sowie z. B. die Termini sapiens archivetator (1, S. 128; archivetator ist weder bei Du Cange noch im Mittellateinischen Wörterbuch nachgewiesen) u. propugnator (vgl. die folgende Anm.). Zu Heinrich VI. vgl. V, 25, S. 194f. IV, 13, S. 138: Fit igitur meror omnium una voce plangentium: Quis nos consolabitur in hac peregrinatione nostra? quia cecidit propugnator noster. Nunc erimus sicut oves, errantes in medio luporum, nee eos quisquam a morsibus nostris prohibebit. In keinem zeitnahen Bericht wird Friedr. I. herausragend gelobt oder werden seine letzten Worte erwähnt. Andere Deutungen finden sich erst im 13. Jh.; vgl. Hiestand, precipua, S. 105f. mit weiteren Nachweisen. Somit läßt sich auch in diesem Punkt Arnolds Bericht in andere einordnen. Die Ansicht von Engels, Friedrich Barbarossa im Urteil, S. 245, Arnold schneide die Klagen über den Tod des Kaisers „ziemlich abrupt" ab u. der 3. Kreuzzug habe „keinen nachhaltigen Eindruck" auf ihn gemacht, sind entsprechend zu relativieren. Aufgrund der zahlreichen gegenteiligen Belege in der Chronik kann nicht auf eine Geringschätzung von Kreuzzug, Ks. oder Imperium geschlossen werden. Im übrigen widerlegt schon die Tatsache, daß Arnold fast das gesamte lib. IV. dem Kreuzzug Friedrichs I. widmet, entsprechende Annahmen. Auch der Tod Heinrichs VI. (vgl. V, 27, S. 203) wird keineswegs ausführlicher geschildert. IV, 13, S. 138f. Bf. Gottfried v. Würzburg, qui peregrinationem ex magna parte regebat. ...

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...

...

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

312

fast ganz ohne Erfolg geendet(!),4" jedoch nur äußerlich, denn immerhin seien die Teilnehmer, die solche Mühen und Strapazen auf sich genommen hatten, als Bekenner des Herrn gestorben.412 Bewertet Arnold hier also einerseits den Kreuzzug durchaus positiv die Teilnahme an sich scheint bereits den Erfolg auszumachen -, so läßt andererseits die Tatsache, daß er die expeditio mit dem Tod Friedrichs und nachfolgender ,Führungspersonen' als terminata bezeichnet, obwohl immerhin ein geringer Teil des Heeres noch nach Akkon zog und sich der Chronist dem weiteren Verlauf der Kämpfe unter Philipp II. Auguste und Richard Löwenherz widmet, darauf schließen, daß er unter der expeditio in erster Linie ein kaiserliches Unternehmen verstand. Dieser Befund wird dadurch unterstrichen, daß er den Kreuzzug Heinrichs VI., der die Reise überhaupt nicht antrat, als zweiten, weil eben kaiserlichen, Kreuzzug

expeditio scheinbar

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bezeichnet.413

Auch wenn Arnold neben dem Begriff expeditio häufiger den Terminus peregrinatio verwendet, halten sich die Kreuzfahrer nach seinem Bericht kaum in der Fremde auf. Jedoch ist die in der Forschung häufig geäußerte These, Arnold berichte überhaupt nur

deshalb über die Kreuzzüge, weil er die Teilnehmer aus der eigenen Region im Blick zu differenzieren: Zwar fokussiert er auch beim Kreuzzug Heinrichs VI. durchaus auf Teilnehmer aus der Saxonia, der Nordalbingia und gar aus Lübeck selbst, ebenso ist jedoch hervorzuheben, daß er immer wieder, zum Beispiel bei der Belagerung Akkons, die Rolle der Teutonici herausstellt.414 Schon oben wurde darauf hingewiesen, daß Arnold eine Verknüpfung zwischen dem deutschen rex und dem römischen Kaisertum herstellt,415 und diese zeigt sich nun deutlich in den Kreuzzugsdarstellungen: So wird Akkon durch die Könige von Frankreich und England eingenommen und nicht durch die Teutonici, deren Uneinigkeit, in diesem konkreten Fall ihr Streit um ein Maultier, um geringen weltlichen Besitz also, von Saladins Heer ausgenutzt worden sei. Wie der Kreuzzug Friedrichs scheitert auch derjenige Heinrichs infolge der Konflikte und Laster im Kreuzfahrerheer bei gleichzeitiger Einmütigkeit der Feinde.416 Spaltungen und Uneinigkeit sind nun aber Themen, die sich wie ein roter Faden durch die Chronik

habe, m.E.

41

413 414

kommt in der Hitze um (1190); Hzg. Friedrich v. Schwaben inmatura morte preventus diem clausit extremum (20. Jan. 1191 in Akkon). Ebd., S. 139: Sicque expeditio illa terminata est, ut quasi fere adnichilata videretur. Ebd., S. 139f: ewangelici viri Uli propter amorem Christi reliquerunt domos, fratres et sórores, palrem el mairem et uxores, fillos et agros, et quod malus est omnibus, tradentes corpora sua laborlbus et suppliciis. Quia plurimi eorum tali devotione sunt peregrinati, ut, quantum in ipsis erat, magls digèrent in confessione Domini occumbere quam ad sua remeare. Et ideo quamvis expeditio illa sive peregrinatio ad finem desiderati certaminis non pervenerit, non tarnen eo minus credendum est, quod coronam desideratam non perceperint. Zur Zählung Arnolds vgl. a. oben, Kap. 4.2.2.1. m. Anm. 167. Vgl. zu Gegenüberstellungen von Deutschen u. Sarazenen oben, Kap. 4.2.2.1. sowie die Akzentuierung von ,Führungspersonen' wie Bf. Gottfried v. Würzburg, Hzg. Friedr. v. Schwaben (oben, Anm. 410) u. Landgraf Ludwig v. Thüringen (IV, 15, S. 143f), qui quasi princeps militie illorum fuerat. (...) Mortuus est lantgravius. Inde quasi sine principe esse videbantur. S. 141: milites Teutonici (namentl. Nennung einiger Teilnehmer); S. 142: apparuit multitudo navium de diversis Teutonicorum partibus; ebd.: 55 naves Teutonicorum. Vgl. oben, Kap. 4.2.2.1. V, 29, S. 209: En quo discordia cives [p]erduxit miseros. Uli enim unanimes perseverabant, isti autem dissidentes partim pugnaban!, partim diversis negotiis vacaban! ...

...

415 416

Die Fremdzuschreibungen

313

ziehen. Gerade sie bilden eine inhaltliche Klammer, mit der Arnold nahezu jeden Teil der Gesellschaft kennzeichnet: Schismen in den Bistümern wie auch zwischen Rom und Byzanz, Konflikte zwischen weltlichen Fürsten in Nordelbien sowie zwischen Philipp II. Auguste und Richard Löwenherz; Uneinigkeit bestimmt das Doppelkönigtum im Reich ebenso wie letztlich auch das Verhalten im Kreuzfahrerheer nach dem Tod des jeweiligen kaiserlichen Leiters. Vor diesem Hintergrund mögen sich die Hoffnungen Arnolds auf einen neuerlichen, glücklichen Kreuzzugsverlauf unter Kaiser Otto IV. gerichtet haben, und in diesem Zusammenhang scheint es nun interessant, daß der Chronist mehrfach die Darstellung dazu nutzt, das römische Kaisertum gegenüber dem griechischen hervorzuheben: etwa im direkten Verhältnis Friedrichs zum griechischen Kaiser (/ex[!]) Isaak II. Angelos, der seine versprochene Unterstützung für den exercitus peregrinorum nicht einhielt.417 In veränderter politischer Lage (und bei Arnold auch im Gegensatz zur peregrinatio Heinrichs des Löwen) kam es nicht zu einem Treffen beider Fürsten in Konstantinopel; statt dessen herrschte ein gegenseitiges Mißtrauen vor.418 Auch wird Friedrich (anders als der Herzog) nicht durch das Gebiet des Sultans geleitet oder glanzvoll in Yconium empfangen: Die Turci stellen vielmehr eine ständige Bedrohung dar,419 und die Stadt wird auf Drängen des kaiserlichen Heeres erobert, weil der Sohn des türkischen Sultans, ein filius inquietatis, für die Gewährung sicheren Geleits vom Kaiser Geld forderte.420 Die Belehnungen der Könige von Cyprus (Zypern) und der Armenia (Armenien) werden nicht nur ausdrücklich mit den Kreuzzügen verknüpft, sondern auch mit einer Höherbewertung des römischen Kaisertums gegenüber dem griechischen und der römischen Kirche gegenüber der byzantinischen:421 „Es

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419 420

421

IV, 9f, S. 132f. Der dux de Brandiz gibt falsche Informationen an den leichtgläubigen griech. rex, daß Friedr. I. sein Land verwüste u. nach seinem Thron trachte. Daraufhin habe Isaak Ratgeber u. milites Friedrichs I. festgesetzt u. die Landesbewohner sich aus Angst vor den peregrini zurückgezogen. Schließl. habe Friedr. I. omnem circa regionem vastare ceplt. Die Beute des Heeres umfaßt auch Geld, Gewänder u. Lebensmittel im Überfluß, was nun wiederum den oben erwähnten Mahnungen Papst Gregors VIII. genau zuwiderläuft. Der Kreuzzug Friedrichs I. läßt sich hier nicht vom Zweikaiserproblem trennen. Auch andere Texte (vgl. etwa Historia de Expeditione Friderici imperatoris, ed. A. Chroust, MGH SSrG n.s. 5, Berlin 1928 [ND 1964], S. 1-115, hier S. 15f. und Tageno a. 1189, dessen Bericht die Annales Reichenpergenses, ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 17, Hannover 1861 [ND Stuttgart-New York 1963], S. 509-517 überliefern, hier S. 510) berichten davon, daß der erst kurz zuvor auf den Thron gelangte Isaak II. im Kreuzzug einen Angriff auf seinen Thron gesehen habe, auch wenn die mögliche Tendenz dieser Berichte m.E. unbedingt in Rechnung zu stellen ist. Die Chronica regia Coloniensis, S. 146 gibt gar an, Isaak habe die Übertragung des (westl.) Reiches für die Sicherstellung von Durchquerung und Proviant gefordert). Vgl. hierzu Charles M. Brand, Byzantium confronts the West, 1180-1204, Cambridge, Mass. 1968, S. 92 u. 176-188 sowie Hiestand, precipua, S. 95-97. IV, 11, S. 134f. IV, 12, S. 136: Friedr. I. habe betont, als Romanorum imperator keinem Sterblichen Tribut zahlen zu müssen und überhaupt nur wegen der Erschöpfung des Heeres eine Summe angeboten, deren überaus geringen Wert Arnold deutlich macht. Ähnl. Historia de Expeditione, S. 83; vgl. a. Hiestand, precipua, S. 93. V, 26, S. 199 (zu Cyprus): Sane idem rex sub ditíone Constantinopolitani imperatoris prius subsistens, ad maiorem sue glorie dignitatem a gloriosissimo Romanorum augusto coronari desiderantissime expetiit. Die Krönung nahm Kanzler Konrad vor. 29, S. 212 (zur Armenia): ut

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

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freue sich die römische Kirche, die nicht nur an geistlichen, sondern durch Christi Gnade auch an weltlichen Gütern zunimmt, so daß auch Könige jenseits des Meeres ihren Namen führen wollen."422 Ob die Angaben Arnolds nun glaubwürdig sind oder nicht: Aus ihnen läßt sich auf seine Identifikationsstrukturen rückschließen. Wenngleich er vehemente Abgrenzungen zwischen Deutschen und Sarazenen sowie Christen und Muslimen vornimmt, geht es ihm in den Kreuzzugskapiteln nicht in erster Linie darum, über Fremde(s) zu berichten. Er beschreibt vielmehr einen Raum, den er als Herrschaftsgebiet des römischen Kaisers, (damit untrennbar verbunden) des deutschen Königs und zugleich als Geltungsbereich der römischen Kirche kennzeichnet. In genau diesem Kontext kann auch die Belehnung des (bis dato unter griechischer Herrschaft stehenden und von Heinrich dem Löwen noch bekämpften) Fürsten der Servi durch Friedrich I. gelesen werden. Daß diese realiter gar nicht stattgefunden hatte, daß der Kaiser die Bitte des serbischen Zupans um Belehnung zurückwies, ist dabei gar nicht entscheidend: Bei Arnold wird aus der unerfüllten Bitte eine effektive Lehnsbindung.423 So ist ein wesentlicher Aspekt der Darstellung darauf ausgerichtet, die Ausweitung der auctoritas des römischen Kaisers und der römischen Kirche, der Latini, herauszustellen, sowohl auf dem Balkan und in Kleinasien als auch in Outremer. Es gibt nur wenige Ausnahmen, in denen der Chronist in den Kreuzzugskapiteln Fremde(s) näher thematisiert: So verortet er Cyprus kurz geographisch als regio mari circumdata in seinen Bericht über die Eroberung durch Richard Löwenherz, nennt Herrschafts- und Religionszugehörigkeit der Bewohner sowie später, in der Darstellung des Kreuzzugs Heinrichs VI., die angesprochene Belehnung durch den römischen Kaiser.424 Ausführlicher widmet sich Arnold dem princeps de montants, der, von Richard Löwenherz und den Templern bestochen, Markgraf Konrad habe ermorden lassen. Damit bietet der Chronist eine Version jener Episode, die auch andere Texte in unterschiedlicher Ausgestaltung über die Völkerschaft der Assassini enthalten.425 Der

[Erzbf. Konrad v. Mainz, päpstl. Legat u. Erzkanzler) ipsum regem diademate imposito ad titulum Romani imperii coronaret. Ipse enim rex omnibus modis hoc affectans, auditafama virtutis populi Dei et quia Dominus ad ipsorum introltum omnes inimicos eorum terruisset, et quia gloriose multa loca munita optlnuissent. Vgl. Naumann, S. 43-46 (Zypern) sowie 39-42 u. 204-211 (Armenien). V, 29, S. 212: Glorietur ecclesia Romana,

que non solum in spiritalibus, sed etiam favente Christo dilatatur in temporalibus, ut etiam reges transmarini hoc titulo affectent insigniri. IV, 8, S. 131 : fecit domno inperatori hominium, suscipiens ab ipso terram suam ture beneficiario. Anders z. B. Historia de Expeditione, S. 30f; vgl. a. Ferdinand Opll, Das Treffen von Nis vom Juli 1189 in seinem historischen Umfeld, in: MIÖG 97 (1989), S. 485-492 sowie Hiestand, precipua, S. 93f. mit weiteren Nachweisen IV, 16, S. 144. Der reiche und übermütige rex sei vom griech. Ks. und zugleich von der fides catholica abgefallen. Richard Löwenherz habe Zypern quasi sub titulo christianitatis an Kg. Guido v. Jerusalem übergeben. Die Eroberung des christl., dem byzant. Reich unterstehenden, Zypern wurde vom Papst legitimiert; vgl. Nicholas Coureas, The Latin Church in Cyprus, 11951312, Aldershot (GB) 1997, bes. S. 3, 8f. u. 121f; zu Richard Löwenherz vgl. a. Ralph V. Turner u. Richard R. Heiser., The reign of Richard Lionheart. Ruler of the Angevin empire, 1189-1199, Harlow (GB) 2000. IV, 16, S. 145f. Arnold nimmt explizit Bezug auf andere Quellen: ut dicitur. Die Episode erwähnen auch weitere Autoren; vgl. dazu Wright, S. 298 mit weiteren Nachweisen. Arnold bezeich-

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Die Fremdzuschreibungen

princeps, so Arnold, stehe einer secta vor und bringe seine Untertanen durch Zauberei dazu, an keinen anderen Gott zu glauben und keinen anderen zu verehren außer ihn, den princeps, selbst. Sogar den Tod könne er befehlen, ja er vermittle gar seinen Untertanen, daß die höchste Seligkeit in einem Tod bestünde, den man beim Vergießen menschlichen Blutes erleide. So verspreche er ewige Lust und ewigen Genuß, statte sein Volk mit geweihten Dolchen aus und versetze es durch einen Trank in Rausch, Verzückung und Raserei, damit es seine Mordaufträge erfülle. Die beiden Mörder Konrads seien jedenfalls auch selbst getötet worden allerdings wohl kaum vergöttert, —

wie Arnold hinzufügt. Der princeps und seine Untertanen verkörpern insofern die Bewohner einer fremden Welt, als in dieser die eigene Ordnung, besonders in religiöser Hinsicht, verkehrt ist: so deutlich, daß Arnold die Glaubwürdigkeit der Erzählung eigens hevorhebt.426 Noch an einer anderen Stelle in der Chronik, im Reisebericht Bischof Burchards von Straßburg, den Arnold inserierte und auf den noch einzugehen ist, wird der princeps de montants erwähnt.427 Burchards Angaben sind konkreter: Er lokalisiert das Volk ethnisch als ein genus Sarracenorum sowie geographisch in terminis Damasci, Anthyochie et Alapie (Aleppo) und gibt verschiedene Bezeichnungen an.428 Die Verkehrung der eigenen Ordnung findet sich auch hier, sie betrifft jedoch vorrangig andere Aspekte: Der dominus bilde in schönen und unzugänglichen palatina die Söhne der Bauern in verschiedenen Sprachen aus. Sie lebten von Kindheit an abgeschlossen, um schließlich Mordaufträge zu erfüllen.429 Die Dolche, welche die Untertanen zum Mord an einem princeps erhalten, sind im Gegensatz zu Arnolds Bericht nicht geweiht, sondern aus Gold. In dem inserierten Brief besteht die ,Gegenwelt' in erster Linie nicht in religiöser Hinsicht, wenngleich auch dieser Aspekt angesprochen wird.430 Die Völkerschaft wird stärker als bei Arnold durch Fremdheit in kultureller und zivilisatorischer' Hinsicht gekennzeichnet und darüber hinaus auch explizit als Gefahr für andere charakterisiert: Denn Burchard hebt hervor, daß der dominus eine Bedrohung aller Sarraceni principes, der benachbarten Christen und anderer magnates darstelle. Interessanterweise greift Arnold in seinen Angaben über den princeps de montants nicht auf das gesamte Wissen zurück, über das er nach der Lektüre des Burchardschen Berichts verfugte. Beide Versionen bleiben in seinem Werk unverbunden nebeneinander stehen. In diesem Umgang mit dem Wissen zeigt sich somit ein Unterschied zu Adam von Bremen, der in der Darstellung von Fremdem/n systematisch und abwägend auf mehrere Urteile zurückgreifen konnte. Konrad fälschl. als rex Iherosolimorum: Er war electus. Vgl. Pertz in seiner Ed., S. 145 Anm. 5. IV, 16, S. 145: Quiddam ridiculosum de hoc sene didurus sum, sed tarnen assertione fidelium mihi attestatum. Vgl. VII, 8, S. 274f. u. unten, Kap. 4.3.7. Die Selbstbezeichnung sei Heyssessini, es würde jedoch in Romano segnors de montana genannt. Ebd., S. 274: Das Wohnen in den Bergen geht schon aus dem Namen hervor, Burchard akzentuiert es jedoch noch einmal und nennt ihre Wohnorte, sehr feste castra. Aufgrund der Berge seien die Bewohner quasi inexpugnabiles. Auch sei die terra nicht sehr fruchtbar, so daß die Bevölkerung nur vom Viehwesen lebe. Ebd., S. 275: Der dominus habe die potestas über alle Götter u. verspreche den Untertanen net

Paradiesfreuden.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

316

Mit Blick auf die Kreuzzugsdarstellungen läßt sich festhalten, daß die deutlichsten Grenzziehungen zwischen Gemeinschaften, denen sich Arnold zuschreibt und solchen, die er durch die Attribution von Fremdheit kennzeichnet, in den Gegenüberstellungen von Deutschen und Christen einerseits sowie Sarazenen und Muslimen andererseits zu finden sind. Damit stehen vor allem parallel verlaufende religiöse und ethnische Trennlinien im Vordergrund. Zudem werden aber in den ebenfalls vehementen Abgrenzungen vom griechischen Kaiser und der byzantinischen Kirche auch innerchristliche Differenzen zwischen den Latini und den Greci deutlich. Sieht man von den wenigen Ausnahmen wie Zypern und dem princeps de montants ab, so beschreibt Arnold in den Kreuzzugsdarstellungen selbst kaum einmal eingehend die Fremdheit und Andersartigkeit der Regionen und ihrer Bewohner. Jedoch finden sich in seiner Chronik größere Passagen, in denen diese thematisiert werden: die Reiseberichte, die Arnold eigens in sein Werk inserierte, mit ihren Angaben über den status Apulie und über den status Egypti vel Babylonie, auf die im folgenden fokussiert wird.

4.3.6. Der Brief Konrads

von

Querfurt

Zunächst sei an dieser Stelle auf einen Brief Konrads von Querfurt, Kanzler Heinrichs VI. und Legat totius Italiae et regni Siciliae eingegangen, den dieser 1196 an den Hildesheimer Dompropst sandte und den Arnold in seine Chronik inserierte.431 In dem Brief beschreibt Komad, der 1195/96 nach Italien aufbrach, seinen Weg von der Überquerung der Alpen bis nach Sizilien, das er nach einer beschwerlichen Reise durch die Calabria und nach einer angsterfüllten Fahrt zwischen Skylla und Charybdis hindurch erreicht habe.432 Man würde den Inhalt dieses in der Forschung völlig unzureichend behandelten Briefes stark reduzieren, wenn man aus den Angaben Konrads lediglich das iter der auch durch die Urkundentätigkeit des Kanzlers nachweislich erfolgten Reise rekonstruieren wollte.433 Denn Konrad unternimmt in seinem Bericht vielmehr eine Fahrt durch Zeit und Raum, und dies gleich auf mehreren Ebenen: Er reist durch die römische Vergangenheit, indem er Orte nennt, die er mit historischen Ereignissen aus der Geschichte des antiken römischen Imperiums in Verbindung setzt: etwa Pesaurium, dessen Name die antiqui dem Ort gaben, weil dort das Gold für die römischen milites nur bei Arnold überliefert, so daß kein Aufschluß über Veränderungen möglich ist. Zu Konrad vgl. Gerhard Bach, Konrad von Querfurt, Kanzler Heinrichs VI., Bischof von Hildesheim und Würzburg, Hildesheim 1988, bes. S. 22-33 u. 84-91 (Übers, d. Briefes); Hans Goetting, Die Hildesheimer Bischöfe von 815-1221 (1227) (GS N.F. 20: Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz. Das Bistum Hildesheim 3), Berlin 1984, S. 457-477 (zum Reisebericht S. 462f, zur Datierung auf „spätestens Juni" 1196 S. 462 [gegen Pertz in der Ed., S. 174 Anm. 3: 1195]) sowie Alfred Wendehorst, Art. K. I. v. Querfurt, in: LMA 5, München-Zürich 1995, Sp. 1351. V, 19, S. 179: Demum asperrima Calabrie invia eum labore transeúntes, Siciliam adituri Scillam et Caribdim non sine tlmore magno transivimus, quem numquam alicui contigit sani corporis homini sine formidine locum pertransire. Zu Urkk. Konrads in Italien vgl. Goetting, S. 462f. u. Bach, S. 22-26.

V, 19, S. 174-183. Der Brief ist

Die Fremdzuschreibungen

317

gewogen wurde, welche die exterae nationes unterwarfen.434 Zudem durchquert Konrad Orte, die er mit der antiken Götterwelt verknüpft, nicht nur mit der römischen wie dem (angeblichen) Geburtsort Jupiters -, sondern auch mit der griechischen er zieht (in Italien) an Parnaß und Olymp vorüber.435 Zudem wird in dem Brief aber auch eine Reise durch die Literatur beschrieben: Er ist gespickt mit Anspielungen auf die antike Mythologie, mit Zitaten und Erwähnungen im Mittelalter vielgelesener poetae und auctores; von ihnen nennt Komad etwa Lukian, Ovid (dessen patria er durchreist habe) und Vergil.436 Besonders letzterer nimmt eine bedeutende Rolle im Bericht ein, da Konrad sowohl dessen städtebauliche Leistungen in Neapel anführt wie diverse Zauberkünste, mit denen Vergil die Einnahme der Stadt zu verhindern suchte.437 Komad bereist also einen Raum, dessen Orte er mit der Erinnerung an die Vergangenheit verknüpft und mit der römischen Geschichte, dem antiken Heidentum und antiken Schriftstellern in Verbindung bringt. Daß der Bericht eine Reise durch Zeit und Raum auf mehreren Ebenen behandelt, ist nun aber bei der Interpretation zu berücksichtigen: Man kann etwa den von Komad erwähnten mons Barbarus sicherlich mit dem Monte Bárbaro identifizieren, allerdings ist dies nur eine Möglichkeit, mit dem Text umzugehen: Der Weg zu diesem Berg führt in dem Brief durch die Unterwelt und durch eine „höllische Finsternis"; auch als Fremde in religiöser Hinsicht kennzeichnet der Autor den Ort durch den Begriff barbarus.43" Während er den Raum in Anlehnung an die Beschreibungen der poetae strukturiert, -

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V, 19, S. 176: Transeúntes Pesaurium, quod a pensando aurum ab antiquis dictum est, eo quod Romanis militibus, ad debellatlonem exterarum nationum proficiscentibus, ibi aurum

ponderaretur et distribuerentur, solidi scilicet. Beispiele: Konrad fuhrt (V, 19, S. 175) den Ortsnamen Pesaurium auf die Namensgebung der antiqui zurück, erwähnt (S. 175f.) die Überquerung des Rubicon durch Cäsar und (S. 177) den Sieg Hannibals bei Cannae. Er leitet (ebd.) den Ortsnamen Jovinianum von Iuvis nado ab, nennt Parnasus u. Olimpus mons, (S. 179) den Palast, in dem Paris Helena entführte und Dädalus, Minotaurus u. Ikarus, der starb, weil er contra naturam hominis geflogen sei. Beispiele f. Zitate oder Erwähnungen antiker Autoren: S. 175 (Lukian), S. 176 (Ovid), S. 177 (Vergil) sowie allg. (ebd.) poete u. (S. 178 u. 180) auctores. Auflistung der Stellen bei Lappenberg in der

Ed., S. 104f.

Beispiele: Zu Vergils Schutzmaßnahmen für Neapel, das er als philosophus erbaut habe, das jedoch auf kaiserl. Befehl (Heinrichs VI.) habe zerstört werden müssen, vgl. S. 177f. Vergil schütze auch vor einem Vesuvausbruch (S. 182); Konrad bezeugt (S. 178: vidimus et probavimus), daß das Aussetzen von Vergils Gebeinen an der Luft zu Unwettern führe. Weitere (Zauber-) Künste S. 182. Zur Beliebtheit Vergils vgl. den Art. Vergil im MA von Paul Klopsch (I. Lateinische Literatur), Luciano Rossi (II. Romanische Literaturen) u. Ursula Kocher (III. Deutsche Literatur), in: LMA 8, München 1997, Spp. 1523-1529 mit weiteren Nachweisen, zu „Zauberern" u. „Philosophen" bes. Spp. 1526-1528.

V, 19, S. 182: Est ibidem mons Barbarus, ad quem per viam subterraneam per medium maximi montls accessimus per tenebras infernales, tamquam ad inferos descensuri. Daher ist es auch unerheblich, daß Konrad etwa Olymp, Parnaß, den Quell der Musen u. die ägäische Insel Chiros

nach Italien ,verlegt'. Die Ansicht Laurents (in der Übers, von Arnolds Chronik, S. 185 Anm. 3), daß Konrads „Lehrer Herbord [ihn] also eines Besseren nicht belehren konnte", entbehrt jeder Grundlage und zeugt von einem Unverständnis gegenüber mittelalterl. Raumdarstellungen, das durch den method, äußerst bedenklichen Schluß potenziert wird, aus Konrads Äußerung auf das Wissen seines Lehrers rückzuschließen. Der Nachweis von „Fehlern" in Konrads Bericht auch bei Pertz in seiner Ed. der Chronik sowie bei Bach, S. 86 Anm. 5-7 u. 88 Anm. 9.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

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bereist Konrad die Region doch zugleich in seiner Gegenwart; er berichtet meist in Ichund Wir-Form und erwähnt, was er selbst gesehen habe, etwa arbores miraculose oder auf Sizilien Sarraceni, die mit ihrem Speichel giftige Tiere töten könnten und damit eine virtus besäßen, die ihnen aufgrund ihrer Verehrung für den Apostel Paulus zuteil geworden sei.439 Konrad sieht sprichwörtlich das, was er aus der Überlieferung kennt: Mit umfangreichen Glaubwürdigkeitsbezeugungen bekundet er, auf seiner Reise dasjenige mit den Augen erkannt zu haben, was er in der Hildesheimer Domschule nur mit dem Ohr und gewissermaßen wie in einem Spiegel vernahm. Der kaiserliche Legat betont, ihm sei die Augenzeugenschaft nur ermöglicht worden, weil Gott das imperium Heinrichs VI. so weit ausgedehnt habe.440 Die termini imperii und der Teutonici orbis dominii müßten nun nicht mehr überschritten werden, um das zu sehen, was die poetae beschrieben, und selbst um den Quell der Musen zu sehen, müsse man nicht mehr ultra Sauromatas aut ad extremos Indos peregrinari, da er nun in nostro imperio liege.441 Damit aber bildet die entfernt liegende, unvertraute Region, auf die hier der Terminus extremus angewandt wird,442 ausdrücklich nicht mehr nur das Ziel einer Reise in die Vergangenheit und in die Literatur: Die Fremde wird vielmehr in ein Gebiet integriert, dem durch seine erst kürzlich erfolgte Ausdehnung eine große Aktualität zugemessen wird: dem nostrum imperium. Von den Alpen bis nach Sizilien durchquert Konrad somit einen geographischen Raum, den er einerseits überwiegend durch Aussagen von und über die poetae strukturiert, der andererseits aber aktuell hervorgehoben wird durch seine Zugehörigkeit zum imperium und zum Teutonici orbis dominii. Damit stellt Konrad zugleich explizit genau jene Verbindung zwischen Kaisertum und deutscher (Königs-)Herrschaft her, die auch Arnold immer wieder akzentuiert und die ihm die Insertion des Briefes neben anderen Gründen nahegelegt haben mag. Man kann jedoch den Funktionen des Reiseberichts für das Werk noch näherkommen, wenn man zum einen die Bemerkungen, mit denen Arnold die Insertion einleitet und zum anderen die Positionierung der Reisebeschreibung in der Chronik mit in die ...

Die arbores miraculose bringt Konrad (S. 176) zweifelnd mit Phaeton in Verbindung. Zu den Sarazenen auf Sizilien vgl. S. 181: Vidimus ibi Sarracenos, qui solo venenosa interficiunt animada, que virtus breviter tangemus. Paulus apostolus, naufragium passus, apud Capream ab indigenis terre bénigne tractatus est. (...) Quod ammirantes Sarraceni insulam applicuit Paulum venerari ceperunt. Unde Pauli meritis in humanitatis sue premium hospiti Pauli et suis filiis et nepodbus usque nunc collatum est, ut solo sputo venenosa interficiant animada. Ähnliches berichtet Ludolf v. Sudbach später über die Bewohner Korsikas; vgl. Jahn, S. 56. V, 19, S. 175: Quoniam virtuosa Domini dextra Serenissimi domini nostri Heinrici, gloriosissimi Romanorum imperatoris semper augusti et regís Sicilie, imperium usque adeo in ore gladii dilatavit, ut ea que olim apud vos in scolis positi in enigmate quasi in speculo auretenus percepimus, facie ad faciem oculata nunc fide cognovimus, vobis de his scribere non duximus superfluum, ut omnem de his que vobis frivola forte vel incredibilia videntur de corde vestro dubietatis, scrupulum auferentes, ad ea videnda que auditts, vestrum accendamus desiderium, ut ea que nunc demissa tantum per aurem vobis sunt dubia, fide plena constent et pateant oculata. Weitere Glaubwürdigkeitsbezeugungen finden sich im Brief verstreut. Zit. im Anschluß an das vorige: Nee id vobis videatur difficile, términos imperii non oportet egredi, Teutonici orbem dominii non est transeundum, ut ea videatis, circa que poete multa consumpserunt témpora. S. 177: Nunc ergo ad ilium fontem [i. e.fons Musarum] gustandum ultra Sauramatas aut ad extremos Indos non oportet peregrinari, fons iste est in nostro imperio. Vgl. oben, Kap. 1.4. ...

...,

Die Fremdzuschreibungen

319

Überlegungen

einbezieht. Der Chronist bezeichnet den Inhalt des Briefes als Bericht über den status Apulie et de operibus vel artibus Virgilii. Er halte es für „nicht unpassend, ihn hier zur Erbauung anderer einzufügen".443 In der Erbauung der Leser ist sicherlich eine Funktion der Insertion zu sehen, ebenso jedoch ist der Hinweis auf den status Apulie bezüglich der Einordnung des Berichts an ausgerechnet dieser Stelle im Werk von Interesse, denn im folgenden Kapitel schildert Arnold den zweiten Apulienfeldzug Kaiser Heimichs VI., der zu jener Integration des beschriebenen Raumes in das imperium führte, welche Konrad die Inaugenscheinnahme des zuvor nur Gehörten überhaupt erst ermöglichte.444 Mit der Einfügung des Reiseberichts wird somit einerseits die Beschreibung des nun zum imperium Heinrichs gehörenden Raumes dem Feldzug vorgeschaltet und hieraus erklärt sich leicht die Position des Briefes im Werk. Zudem integriert Arnold hier auch die Beschreibung eines Raumes, der bei aller Erinnerung an die römische Geschichte und an die heidnische Antike nun dem christlichen deutschen König und römischen Kaiser untersteht: Trotz der durchaus positiven Hervorhebungen der alten poetae darf man nicht überlesen, daß nach Komads Bericht ausgerechnet Heimich VI. explizit im Gegensatz zu Cäsar keine Schwierigkeiten hatte, den Rubikon zu überschreiten und daß Vergil trotz seiner Zauberkünste Neapel keineswegs vor einer Einnahme durch den Kaiser bewahrte.445 Auf diese Weise akzentuiert Arnold also durch die Insertion, daß Heinrich das Erbe über einen Teil des herrschaftlichen, religiösen und literarischen Zentrums der Antike antrat. Und noch ein Aspekt ist hier hervorzuheben: Kann aufgrund der Positionierung des Briefes von einem direkten Zusammenhang mit der Darstellung des Apulienfeldzugs Heinrichs VI. sicher ausgegangen werden, so läßt sich auch mit Blick auf die Einordnung des Berichts in das Gesamtwerk eine weitere mögliche Funktion ausmachen: Denn die Reise Konrads endet in Sizilien, wo wenig später, von Messina aus, ein großer Teil des Kreuzfahrerheeres Heinrichs VI. unter der Leitung desselben Konrad von Querfürt über das Meer ins Heilige Land aufbrach, wovon Arnold auch berichtet. Daher gibt der Brief Komads zwar auf den ersten Blick vor allem Auskunft über seine eigene Reise, für Arnold aber und das ist hier entscheidend mag er nicht nur wegen der Integration des geographischen Raumes in das imperium, sondern auch überhaupt wegen der Beschreibung der Route nach Sizilien von Interesse gewesen sein. Die apuli-

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V, 19, S. 174: Nee piguit ad edificationem aliorum hie poneré epistolam Conradi cancellarii, scripsit nobis de statu Apulie et de operibus vel artibus Virgilii. Auf wen sich das nobis bezieht, ist nicht ganz eindeutig. Es umfaßt jedenfalls außer dem vom Chronisten erst im nächsten Satz angeführten Adressaten des Briefes, dem Hildesheimer Dompropst Hartbert, weitere Personen, zu denen sich auch Arnold rechnete. Zur glücklich verlaufenden secunda expeditio ad Apuliam vgl. Arnold V, 20, S. 184f. V, 19, S. 175f: Nee minus ammirati fuissemus, quod tarn minimus nonfluvius [i. e. Rubicon], sed rivulus tanti ducis, Iulii scilicet Cesaris, animo nullis unquam frado periculis timorem meutere potuit vel transltus prebere difficultatem, nisi indigenarum didicissemus assertione, eundem Rubiconem instar perhennis fluminis ymbrium et torrentium auxiliis sepe sepius intumescere mendicatis. Quo sine difficultate transiit [i. e. Heinrich VI.], quod ludo contingere non potuit. Vgl. zu Vergil etwa S. 178: Die von Vergil in einer Flasche eingelassene civitatis ymago, die das Überleben Neapels sichern sollte, half den cives nichts: ampullam sicut et civitatem in nostra habemus potestate et muros destruximus, ampulla integra permanente. Sed forte, quia ampulla modicum fissa est, civitati nocuit. quam

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Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

sehen und sizilischen Häfen waren zur Abfassungszeit der Chronik wichtige Militärstützpunkte und Rückzugsorte, und gerade Sizilien, in der Folge Dreh- und Angelpunkt der Politik im Mittelmeerraum, verfügte mit Messina über den wichtigsten Ablegehafen der Kreuzfahrerheere.446 Ausgerechnet auf Sizilien richteten sich im übrigen auch, zum Ende der Abfassungszeit der Chronik, Eroberungspläne Ottos IV., die im Zusammenhang mit Kreuzzugsvorbereitungen zu sehen sind.447 Zwar berichtet Arnold hiervon nichts, jedoch birgt seine Darstellung vor diesem Hintergrund ein hohes Maß an Aktualität. Im Zusammenhang mit der Frage nach den Funktionen der Einfügung für das Werk muß deshalb ein Aspekt hervorgehoben werden, der in der Forschung übersehen worden ist, dem jedoch m.E. zentrale Bedeutung zukommt: Mit Blick auf den gesamten in der Chronik beschriebenen geographischen Raum läßt sich die Insertion der Reisebeschreibung damit begründen, daß Arnold durch sie die geographische Verbindung zwischen den Alpen und den Ablegehäfen auf Sizilien herstellen konnte. Während er die Leser bei der peregrinatio Heinrichs des Löwen und beim Kreuzzug Friedrichs I. über die Landroute, den Balkan, ins Heilige Land führte, so gibt er hier ein Teilstück derjenigen Route wieder, über die man zum (in der Folgezeit ohnehin präferierten) Seeweg ab Messina gelangte. Hierin liegt eine wesentliche Funktion der Insertion, die sich nur vor der zur Abfassungszeit aktuellen Situation erhellt, nämlich dem Bestehen der Kreuzzugspläne Ottos IV. und der Kreuzzugsinteressen Arnolds. Freilich führt Konrad in seinem Brief nur bis nach Süditalien. Wie man von Sizilien aus Weiterreisen konnte, wird zum einen in Arnolds Bericht über den Kreuzzug Heinrichs VI. deutlich, zum anderen in einer weiteren Passage, die Arnold in sein Werk einfügt. Auf sie ist im

folgenden einzugehen.

4.3.7. Der Reisebericht Burchards

von

Straßburg

Auch einen Reisebericht Burchards von Straßburg, Vizedominus des dortigen Bischofs, der 1175 als Gesandter Friedrichs I. zu Sultan Saladin reiste, inseriert Arnold in seine Chronik.448 Es ist vorab wichtig festzuhalten, daß unklar bleiben muß, inwieweit der Zur strateg.

u. handelspolit. Bedeutung Siziliens im Zusammenhang mit den Kreuzzügen vgl. Hucker, Kaiser, S. 143f. Ein wesentl. Vorteil für die Vorbereitung des Kreuzzugs u. die Nachschubsicherung des Heeres war der Besitz Siziliens (Naumann, S. 156f). Zur Präferierung des Seewegs insgesamt, schon durch Gottfried v. Würzburg beim Kreuzzug Friedrichs I. u. in der Folgezeit vgl. ebd. sowie Hannes Möhring, Saladin und der dritte Kreuzzug. Aiyubidische Strategie und Diplomatie im Vergleich vornehmlich der arabischen mit den lateinischen Quellen (FHA 21), Wiesbaden 1980, S. 85-87. Zum Kreuzfahrersoldheer Heinrichs VI., das möglicherweise erst in Sizilien aufgestellt wurde, vgl. Naumann, S. 151-154. Es ist hervorzuheben, daß Konrad v. Querfurt (wie auch Arnold schildert) einer der Leiter des kaiserl. Kreuzzugs war. Hucker, Kaiser, S. 142-155. VII, 8, S. 264-277. Arnold schreibt den Bericht einem Gerardus zu, den er als Argentlnensis vicedominus bezeichnet, jedoch ist sich die Forschung einig, daß es sich hier um Burchard, den Vizedominus des Straßburger Bischofs, handelt, der wiederum nicht mit dem gleichnamigen kaiserl. Notar u. Kaplan identisch ist (vgl. schon Paul Scheffer-Boichorst, Der kaiserliche Notar und der Straßburger Vitztum Burchard, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins,

321

Die Fremdzuschreibungen

Vorlage veränderte.449 Für die folgende Untersuchung weniein Aspekt, der meist zum Bedauern der Forschung geführt hat: daß ger wichtig ist Zweck und Ergebnis der Reise Burchards nur Vermutungen angestellt nämlich über werden können, da der Vizedominus hierüber keine Angaben macht.450 Er schrieb einen in der Forschung ebenfalls völlig unzureichend behandelten Reisebericht, der eine Fülle geo- und ethnographischer ,Informationen' enthält, vornehmlich über eine Region, die man als Ägypten und Syrien bezeichnen könnte, in Arnolds Worten Egyptus et partes Libie; jedoch richtete er seinen Blick auch auf andere Orte in der Region als auf die einzelnen Stationen der Route.451 Burchard reiste seiner Beschreibung nach von Genua aus über Sizilien zunächst in die von Arabiti bewohnte terra barbárica. Der Terminus barbaricus bezeichnet hier die zivilisatorischen', aus christlicher Perspektive bestehenden Mängel dieses genus hominum, das weder Häuser errichte noch das Land bebaue, kaum Kleidung trage und keine Reichtümer oder Waffen besitze. Ausdrücklich hebt Burchard die Mißgestalt und Schwäche der Arabiti hervor, die mit ihrer Lebensart und ihrem Wohnsitz korrespondieren. Darüber hinaus bezeichnet er sie als schwarz (nigra), und auch dieses Charakteristikum, das inmitten der Aufzählung von Negativeigenschaften steht, gilt ihm als Zeichen der Inferiorität.452 Ähnlich kann auch Arnold selbst den Begriff barbaricus verwenden, wenn er von der barbárica ferocitas spricht: Die „Wildheit" ist ihm eine barbarische Eigenschaft. Allerdings bezieht er die im Vergleich zu Adam und Helmold ohnehin selten verwendeten Ausdrücke barbaricus und barbarus nicht nur auf heidnische Bewohner entfernter Regionen, sondern gerade im Zusammenhang mit der ferocitas auch auf diejenigen „Räuber", die beim Angriff König Philipps auf Braunschweig die Mönche des Aegidiusklosters überfielen und bestahlen.453 So greift Arnold hier zur Einordnung der Gegner Ottos, die er ja auch als filii Belial bezeichnen kann, auf den Begriff barbaricus zurück, der dem Leser die Schwere des Verhaltens deutlich macht.454 Geschichtsschreiber seine

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N.F. 4 [1889], S. 456-477, hier S. 474 sowie Möhring, Saladin, S. 134f). Zu Burchard vgl. a. Franz-Josef Worstbrock, Art. Burchard von Straßburg, in: Verfasserlexikon 1, Spp. 1118f. Der Bericht ist nicht nur in der Chronik Arnolds überliefert; vgl. dazu Worstbrock, Sp. 1118f mit weiteren Nachweisen sowie Paul Lehmann u. Otto Glauning, Mittelalterliche Handschriftenbruchstücke der Universitätsbibliothek und des Georgianum zu München (Zentralbl. f. Bibliothekswesen, Beih. 72), Leipzig 1940, S. 61-71, die S. 71 daraufhinweisen, Arnold sei „in der Treue der Überlieferung bislang überschätzt" worden. Vgl. dazu a. im folgenden. Vgl. Möhring, Saladin, S. 135: Burchard beschreibe „vor allem Land und Leute". Es sei „bedauerlich, daß wir nicht wissen, welche Schlüsse Barbarossa aus Burchards Bericht gezogen hat". Rainer Christoph Schwinges, Kreuzzugsideologie und Toleranz. Studien zu Wilhelm von Tyrus (MGM 15), Stuttgart 1977, S. 138 nennt (fälschl. Gerhard) einen „recht beobachtungsfreudigen Mann". VII, 8, S. 262; die deutschen Ländernamen bei Worstbrock, Sp. 1119. VII, 8, S. 266: veni ad terram barbaricam ab Arabitis inhabitatam; quod genus hominum sine domibus degit sub divo, ubicunque habitet terrarum. Dicunt enim, quod pro tarn brevi spatio vite sue domos edificare vel in eis habitare intuitu divine remunerationis obmittant. Terram parum colunt, sed de solo peculiali vivunt. Viri et müderes fere nudi incedunt, nisi quod vid panno sola pudibunda cooperiunt. Gens ea misérrima est et omni bono privata, inermis et nuda, nigra, deformis et inde debilis. Vgl. dazu oben, Kap. 4.2.2.2. m. Anm. 218. VI, 4, S. 221: Interea quidam latrunculi domum bead Egidii irrumpunt et quadam barbárica ...

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Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

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Burchard gibt an, nach einer langen Fahrt über das Meer nach Alexandria gelangt zu sein, sodann nach nova Babylonia, durch die Wüste nach Damascus und schließlich über Tyberia, Accaron (Akkon), Ierosolymis (Jerusalem) und Aschalona wieder nach Babylonia gereist zu sein, wo der Bericht über die Reise endet. Der Autor hielt nach seiner Selbstaussage all jenes schriftlich fest, que habitabili nostre terre rara vel extranea erscheine, und zwar sowohl zu Wasser als auch zu Lande, soweit er es selbst gesehen oder glaubwürdig vernommen habe.455 Bezieht man Arnold in die Wendung habitabilis nostre terre ein, was naheliegend erscheint, so mag auch er den Bericht als Darstellung von „Seltenem und Fremdem" verstanden und Burchards Vorstellung von Fremdheit geteilt haben, die hier die Bedeutungen ,wenig bekannt', ,unvertraut' und ,außerhalb' enthält. Insgesamt wird in dem Brief eine Vielzahl von Aspekten religiöser und kultureller Fremdheit angesprochen: Burchard berichtet über die Religionszugehörigkeit der Bewohner in der bereisten Region, er erwähnt, welchem Herrscher sie Untertan sind und spricht häufig religiöse Vorstellungen und Sitten der Sarraceni an. Auch nennt er Aspekte, die den Handel betreffen, klimatische Verhältnisse sowie natürliche Beschaffenheiten und Erzeugnisse der Regionen, wobei er auf die reiche Vielfalt aller möglichen Arten von Lebewesen hinweist, die er als rarae und extraneae ansah.456 Jedoch macht Burchard weder ausschließlich Angaben über sein Her, noch bietet er lediglich eine Art Kompendium über Seltenes und Fremdes, denn er konzipiert den Raum gleich auf mehreren Ebenen: Er lokalisiert in ihm auch biblische Stätten, die er ebenso bereist habe wie solche Orte, die mit Marienwundern und -legenden verbunden sind, und er nennt ferner antike Stätten und Weltwunder. Insofern verknüpft der Bericht mehrere Zeit- und Raumebenen miteinander, durch die der geographische Raum in seiner Gesamtheit strukturiert wird.457 Burchard sucht damit zugleich also immer wieder auch nach Bekanntem und Vertrautem, das er benötigt, um das Fremde überhaupt erst (durch den Vergleich) beschreibbar zu machen;458 darüber hinaus läßt sich an der Häumonachos invadunt, vestlbus exuunt, officinas claustrales, utenslllbus suis privaverunt. Ansonsten verwendet Arnold nur noch zweimal den Ausdruck barbarus: (III, 1, S. 68) in bezug auf die Leistungen Heinrichs d. Löwen, der non solum finitimas, sed etiam barbaras et extráñeos regiones ita freno sui moderaminis constrinxerat sowie (V, 30, S. 216) in bezug auf die Ausbreitung des Christentums durch den Bf. v. Livland, der gegen die crucis Christi inimic[i] kämpfte, und zwar non solum Livones, verum etiam alias barbaras nationes ita sibi subiecerat. Drei weitere Erwähnungen befinden sich in inserierten Briefen anderer: 1. im Brief Balduins (VI, 20, S. 246), in dem die Sitten von Lateinern (nostri) u. Griechen einander gegenübergestellt werden: Sed nos, ne discordie inter nos et Grecos fomitem ministraret morlbus nostris adversa barbaries, de civitate exeuntes ex adverso civitatis; 2. in den erwähnten Passagen bei Konrad v. Querfurt (vgl. oben, Kap. 4.3.6.) und 3. hier, im Brief Burchards v. Straßburg. VII, 8, S. 265: Quecunque ibi vidi vel veraciter percepi, que habitabili nostre terre rara vel extranea videbantur per mare et per terram, scripto commendavi. Vgl. z. B. die häufigen Hinweise auf unterschiedl. genera hominum (S. 266-268), piscium (S. 266), animalium (S. 270) u. avium (S. 21\î.),frudurum et herbarum (S. 265f). Deutlich wird die Verknüpfung mehrerer Raum- u. Zeitebenen etwa (S. 268f.) in der Beschreibung der drei Babyloniae. So drückt er (S. 270) die Größe des Nils durch einen Vergleich mit dem Rhein aus und beschreibt das Aussehen von crocodiles, indem er Merkmale verschiedener bekannter Tiere kombiniert. Zur ,Methode' des Vergleichs in Fremddarstellungen vgl. grundsätzl. Arnold Esch, Anschauung und Begriff. Die Bewältigung fremder Wirklichkeit durch den Vergleich in Reiseberichten des späten

ferocitate

...

...

Die Fremdzuschreibungen

323

an der Ausführlichkeit der Beschreibung auf sein InterZustand der christlichen Gemeinden und an den Stätten ablesen, die ihre Bedeutung im Zusammenhang mit biblischen Erwähnungen und der Marienverehrung

figkeit der Erwähnungen und esse am

erhalten.459

Es kann im folgenden nicht auf alle Einzelheiten eingegangen werden, jedoch sind einige Aspekte im Hinblick auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit von besonderem Interesse. Der Forschung ist bereits aufgefallen, daß der Bericht nur recht wenige der sonst weitverbreiteten Negativcharakterisierungen des Islam transportiert.460 So gilt Burchard zwar das Eingehen der den Sarraceni gestatteten Mehrehe als peccare, zugleich weist er jedoch darauf hin, daß die religiosi (unter den Sarazenen) auf die

Mehrehe verzichteten.461 Mehrfach erwähnt Burchard das Zusammenleben von Sarraceni, christiani und zum Teil auch der Iudei: Über Chayr (Kairo) etwa heißt es, daß dort jede natio suam legem colit.462 Zudem widmen sich sowohl Sarraceni als auch christiani der quasi interkonfessionellen Marienverehrung, und Burchard schildert ebenso Gebete, Waschungen und andere religiöse Sitten der Sarraceni wie er von ihrem Glauben an einen Gott und Schöpfer der Welt und ihren Paradiesvorstellungen berichtet.463 Es ist durchaus vorstellbar, daß Arnold mit dem Wissen aus Burchards Beschreibungen der Sarraceni die bereits oben erwähnten Passagen gestaltete, in denen er auf die gemeinsame Gotteskindschaft von Muslimen und Christen hinwies;464 allerdings bleibt ebenso festzuhalten, daß er diese Gemeinsamkeiten in seinem Werk vor allem andere vortragen läßt, einen Saracenus etwa oder eben Burchard er selbst charakterisiert sie in erster Linie als Gegner der Kreuzzugsheere deutlich negativ, auch als gentiles, er kennzeichnet aber Christen und Muslime durch die Gemeinsamkeit des Monotheismus.465 Arnold integriert jedenfalls das bei Burchard vorzufindende Wissen keineswegs vollständig in seine eigenen Passagen. Auch in weiteren Fällen stehen seine und Burchards Angaben unverbunden nebeneinander.466 Bei aller ,Toleranz' gegenüber den -

Mittelalters, in: HZ 253 (1991), S. 281-312. z. B. S. 268f (Alexandria u. Kairo), S. 273 (Damaskus). Für seine Rückreise erwähnt er Jerusalem (S. 275) als einzigen Ort zweimal u. legt so einen Zwischenaufenthalt in der Hl. Stadt nahe. Möhring, Saladin, S. 135; Schwinges, Kreuzzugsideologie, S. 138. VII, 8, S. 276: Insuper (die erlaubten 7 gleichzeitigen uxores) quotquot habuerit slavas vel servas, cum Ulis licenter peccat, quasi non Inde habeat peccatum. (...) Muid sunt Sarraceni adeo religiosi, quod non nisi unam habent uxorem. Infra septem uxores licet habere, sed non ultra ascenderé, nisi in concubinis, ut dictum est. Ebd., S. 269: In qua habitant Sarraceni, Iudei et christiani. Quelibet natio suam legem colit. In ea sunt plures ecclesie christianorum. S. 267 (zu Alexandria): omne genus hominum legem suam libere colit. S. 273 (zu Damascus): plures ecclesie christianorum, et christiani el multi Iudei sowie S. 274 (zu Saydaneia): Das wundersame Öl heilt multi christiani, Sarraceni et Iudei. Vgl. z. B. zur Marienverehrung: S. 269f. u. 274; Gebete, Waschungen, Schöpfergott: S. 270 u. 274; Paradiesvorstellungen: S. 271. Vgl. oben, Kap. 4.2.1.5. Vgl. Schwinges, Kreuzzugsideologie, S. 138. Zu den Negativcharakterisierungen vgl. oben, Kap. 4.2.1.5. Vgl. etwa die unterschiedl. Schilderungen des princeps de montants und seiner Untertanen. Auch sind die Einwohner Siziliens nach Burchards um 1175 verfaßten Bericht (S. 265f.) keinem dominium unterworfen, eine Nachricht, die der Eroberung durch Heinrich VI. (vgl. oben,

Vgl.

...

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

324

Andersgläubigen darf jedoch nicht übersehen werden, daß auch der inserierte Reisebericht Abschnitte enhält, in denen die Sarraceni nicht positiv und die christiani eindeutig

wenn Burchard daraufhinweist, vom dem einst christlich bevölkerten, großen, prunkvollen und schönen Ort Busserentinum (Bussereth) sei lediglich ein nun von Sarraceni bewohntes, kleines und befestigtes castrum geblieben.467 Und auch die Nachricht, die Christen in Egyptus lebten misère und manche von ihnen zahlten dem rex Babylonie, andere dem dominus Damasci einen Tribut, wird ihre Wirkung bei den Lesern vor dem Hintergrund der Kreuzzüge nicht verfehlt haben.468 Burchards Interesse richtet sich, wie erwähnt, häufig auf die Marienverehrung, das

höher bewertet werden: etwa

Christentum der Bevölkerung und die Existenz christlicher Kirchen und Gemeinden. Daneben scheint noch ein weiterer Aspekt für die Einordnung des Reiseberichts in die Chronik von Bedeutung zu sein, denn Burchard gibt eine grundsätzlich recht positive Beschreibung der durchreisten Gebiete: Er hebt das gesunde Klima, die Fruchtbarkeit des Bodens, die Schönheit und Befestigung von Städten wie auch den natürlichen und materiellen Reichtum der Regionen hervor.469 Dabei wird der Bericht durch den häufigen Einsatz von Topoi noch argumentativ gestützt,470 und die Frage nach möglichen Funktionen des Reiseberichts für das Werk, also auch diejenige nach den Gründen für die Insertion des Berichts in die Chronik, hängt nun eng mit den hier hervorgehobenen Aspekten zusammen. Es liegt nahe, Arnolds Interesse an einer Beschreibung des ägyptisch-syrischen Raumes und seiner Bewohner vor allem im Zusammenhang mit den Kreuzzügen zu sehen, und zwar unabhängig davon, daß Burchards Darstellung der Sarraceni sich von derjenigen Arnolds unterscheidet. Ägypten bildete ein wesentliches Ziel in den Kreuzzugsplanungen im 13. Jahrhundert.471 Der Raum, den Burchard um 1175 beschrieb, stand seit 1201, dem Jahr der Wiedervereinigung des aiyubidischen Reiches unter al-Adil, unter einheitlicher Herrschaft.472 1210, also etwa zum Zeitpunkt des Abschlusses der Chronik, sandte sowohl al-Adil Legaten an Otto IV. (wohl mit

Kap. 4.3.6.) widerspricht, die Arnold jedoch in der Insertion übernimmt. VII, 8, S. 272f.: inveni antiquam civitatem, nomine Busserentinum, aliquando a christianis inhabitatam, maximam, marmore excisam, decoratam, et ut in eius vestigiis apparet, aliquando pulcherrima et plurimum deliciosa. Sed nunc a Sarracenis inhabitatur, in angustum redacta, ita quod quasi castrum solum remanserit in ea, quod valde munitum est. Auch diese Erwähnung ist ein Beispiel für die Strukturierung des geograph. Raumes, der spezifischen relig. Konnotationen unterliegt. Vgl. etwa S. 268: Tribut der christiani in tota Egyptus an den rex Babylonie. Ebd.: Ipsum autem

genus hominum miserrtmum est et misère vivit. S. 273: Tribut der christiani um Damaskus an den dominus Damasci. Vgl. z. B. Klima: S. 265f. (Sizilien), S. 267 (Alexandria), S. 273 (Damaskus); Fruchtbarkeit: S. 265f (Sizilien), S. 268 (Ägypten), S. 269 (Neu-Babylon); Schönheit v. Städten: ebd. (NeuBabylon) u. S. 273 (Damaskus); Befestigungen: ebd. (Damaskus); natürl. u. materieller Reichtum: S. 265f. (Sizilien), S. 268 u. 271 (Ägypten). Vgl. dazu oben, Kap. 1.4. m. Anm. 46. Vgl. dazu etwa Donald E. Queller u. Thomas F. Madden, The Fourth Crusade. The Conquest of Constantinople. With an essay on primary sources by Alfred J. Andrea, 2., Überarb. Aufl., Philadelphia, Penn. 1997, S. 14-16. Das Reich war nach dem Tod Saladins 1193 in den Konflikten zw. seinen Söhnen auseinandergefallen; vgl. Steven Runciman, Geschichte der Kreuzzüge, München 1987 (zuerst 1950-54), S. 856f, und Naumann, S. 61-63.

Die Fremdzuschreibungen

325

Waffenstillstandsangebot) als auch der Kaiser selbst eine Gesandtschaft unter anderem nach Palästina und Syrien (wahrscheinlich, um einen Kreuzzug vorzubereiten).473 Auch für den Fall, daß Arnold hiervon nichts wußte, birgt die Insertion des rund 35 Jahre alten Berichts vor diesem politische Hintergrund eine Aktualität, die zum Ende der Abfassungszeit der Chronik selbst bestand. Für Aussagen, die mehr Gewißheit für sich beanspruchen können, ist zunächst ein quellenkritisches Problem zu berücksichtigen, denn Burchards Brief endet wohl früher als in der MGH-Edition ausgewiesen. Es lassen sich gute Gründe dafür anführen, daß in dem Autor der auf Bibelstellen gestützten Argumentationen, die den Bericht Burchards abschließen, Arnold selbst zu sehen ist.474 Explizit wird im Text angeführt, daß reprobi óptimas regiones tenentes und irdischen Reichtum im Überfluß besäßen, während den Gerechten, Demütigen, Frommen und Gottesfürchtigen einst himmlischer Reichtum blühen werde.475 Die Psalmen, die Burchard (oder eben wahrscheinlicher Arnold) hier für den Gang seiner Argumentation verwendet, enthalten neben den wörtlich zitierten Passagen auch solche, die alle Länder zur Verehrung Gottes auffordern, Frieden und Gerechtigkeit sowie die Beseitigung des Elends der Armen propagieren und den Frevel der Gottlosen anprangern.476 In anderen Psalmen, in denen Gottesfurchtige den Gottlosen, Gerechte den Ungerechten und Gläubige den Ungläubigen gegenübergestellt werden (die also in ihrer Terminologie mit Arnolds [Burchards] übereinstimmen), ist im übrigen ganz konkret davon die Rede, daß letztere zwar über die besten Länder und den größten Reichtum verfügten, erstere jedoch einst in den Besitz dieser Gegenden gelangen werden.477 Es ist möglich, daß die Aussagen, mit denen Arnold (nun auch gemäß der MGHEdition) Beginn und Abschluß des Kapitels markiert, auch vor dem Hintergrund einer Inbesitznahme dieser Länder durch die Christen zu lesen sind: 1. leitet er zu Burchards Bericht mit den Worten über, zur Unterhaltung und besonders zum Nutzen zukünftiger einem

Die Nachricht von der Gesandtschaft an Kaiser Otto IV. in der Chronica regia Coloniensis, Cont. II., a. 1210, S. 186, auf Salatinus rex Sarracenorum bezogen, jedoch ist hier al-Adil gemeint. Eine weitere Gesandtschaft al-Adils überbrachte im Juli 1210 Johann v. Ibelin, dem Regenten des Königreiches Jerusalem, ein Waffenstillstandsangebot, das der Kronrat ablehnte. Vgl. zu Belegstellen u. Interpretation Hucker, Kaiser, S. 138f. Zur Gesandtschaft Ottos v. Juli 1210 nach Palästina, an die syr. Küste, Armenien u. Zypern ebd., S. 137f. u. 161-179. Zu Plänen für eine Expedition Ottos IV. nach Syrien u. Ägypten ebd., S. 140 mit weiteren Nachweisen. Vgl. dazu Lehmann u. Glauning, S. 71, die überzeugende Stilist, u. inhaltl. Argumente anführen und die letzten 32 kursiv gedruckten Zeilen in der MGH SSrG-Ausgabe (S. 276f.) als von Arnold selbst verfaßt ansehen. Burchards Bericht endet demnach mit den Worten nisi in concubinis, ut dictum est. Die von Arnold unabhängigen Überlieferungen des Berichts enthalten diese Passage nicht. Gerade die Auslegung von und die Argumentation mit Bibelstellen ist in der Chronik häufig zu finden.

VII, 8, S. 276f: Iustum quidem, humilem et quietum, et trementem sermones suos, premium vite eterne concedens, summo bono, quod ipse est, et aspedu sue claritatis beatificat. Impium autem

quandoque in hac mortali vita temporalibus bonis eternaliter dampnandum exuberare permittit. quod ipsi reprobi óptimas regiones tenentes, frumento, vino et oleo abundent, auro, argento, gemmis, vestibus quoque sériels exultent, aromatibusque pigmentis et balsamls luxurient, et nichil, quod oculis coneupiscant, intemptatum relinquant. Vgl. Ps. 72f. Vgl. etwa Ps. 37.

Inde est,

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

326

Leser die Historia Regum „ein wenig verlassen zu wollen" (paululum dimissa); und 2. konstatiert er am Ende, er werde nun zum ordo historie zurückkehren. Die erfolgte Darstellung über den status gentilium und die Kirche, die Gott mirabiliter unter ihnen bewahrte, möge genügen.478 Arnold hielt also den Brief über die rarae und extraneae nicht nur für unterhaltsam, sondern gab ihn vor allem zum Nutzen der Leser weiter, weil er einerseits Angaben über den status gentilium enthielt, in erster Linie der Saraceni, und andererseits über den status der christlichen Kirche, die in den (vortrefflichen) Regionen der „Gottlosen" Bestand hatte. Es ist wichtig hervorzuheben, daß Arnold die Historia Regum gemeint sind hier die zuvor behandelten Auseinandersetzungen im Thronstreit zwischen Otto und Philipp durch die Insertion des Berichtes offenbar nur „ein wenig" zu verlassen meinte. Denn wenn die Beschreibung der Region Egyptus et partes Libie in Arnolds Worten überhaupt mit der Historia Regum, die gegen Ende der Chronik auf die Kaiserkrönung Ottos IV. hinausläuft, in Verbindung steht, so liegt es -

-

nahe, die Funktion der Insertion darin Gebiete und Bewohner zu IV. richten könnte.

zu erblicken, eine Beschreibung derjenigen geben, auf die sich ein künftiger Kreuzzug unter Kaiser Otto

man die geo- und ethnographischen Passagen in der Chronik im Zusammenhang, so zeigt sich, daß besonders die inserierten Reiseberichte eine Vielzahl von Angaben über fremde Regionen enthalten. Durch das Einfügen der Briefe erfolgt daher letztlich auch eine Ausweitung des geo- und ethnographischen Berichtsraumes. Erst die Zusammenschau der einzelnen Passagen, Arnolds eigener über die peregrinatio Heinrichs des Löwen und über die kaiserlichen Kreuzzüge sowie der inserierten über die Apulia und über Egyptus vel partes Libie, zeigt, daß das Werk einen zusammenhängenden geographischen Raum rund um das Mittelmeer behandelt. Auf den ersten Blick scheinen sich die einzelnen Regionen in den Darstellungen stark voneinander zu unterscheiden: Nicht überall sind die Konfliktlinien zwischen lateinischem und griechischem Kaiser- und Christentum so vorherrschend wie im östlichen Mittelmeergebiet. Nur die terra sancta ist zuallererst Heiliger Raum, Ziel der Pilgerfahrt Heinrichs des Löwen und der kaiserlichen Kreuzzüge sowie Ort der Kämpfe gegen die Sarazenen. Dagegen wird Italien als ein Teil des aktuellen Imperiums betrachtet, dabei an das Römische angebunden sowie zugleich als Region der antiken poetae ausgewiesen. Der südliche Mittelmeerraum hingegen, Ägypten und Syrien, wird (je nach Kontext) als ein Gebiet friedlicher Koexistenz von Christen und Muslimen, Sarazenen und fremden Handeltreibenden oder auch als Herrschaftsgebiet des Sultans, des Hauptgegners in den Kreuzzügen, gekennzeichnet. So ist der Mittelmeerraum bei Arnold insgesamt eine Region, welche von Gemeinschaften bewohnt wird, zwischen denen verschiedene und zudem unterschiedlich stark ausgeprägte ethnische, religiöse, kulturelle und zivilisatorische' Gren-

Betrachtet

zen

verlaufen.

VII, 8, S. 264: Quia / Aut prodesse volunt aut delectare poete /, nos paululum dimissa historia regum ad alia nobis comperta et utilitatl legentium profutura, ad Egyptum et partes Libie transeamus. S. 277: Hec de statu gentilium sive ecclesie, quam inter ipsos mirabiliter Deus conservare dignatur, dicta sufficlant. Nunc ad ordinem historie prosequendum revertamur. Den Nutzen betont Arnold doppelt, was Hucker, Chronik, S. 101, der ledigl. auf das Horaz-Zit. anspielt, übersieht.

Die Fremdzuschreibungen

327

Jedoch wird der Mittelmeerraum keineswegs ausschließlich von Trennlinien durchzogen. Vielmehr fungiert das Gebiet insgesamt bei Arnold deutlich als Verbindungsraum, und es ist der Chronist selbst, der diese Verbindungen herstellt. Erst wenn man alle geo- und ethnographischen Passagen im Werk, Arnolds eigene und die inserierten, nebeneinander stellt, ergeben sich gleich mehrere bereits beschrittene, aber auch in der Zukunft beschreitbare, mögliche Reiserouten in die terra sancta: der Landweg vom deutschen Reich um das östliche Mittelmeer herum, der Seeweg von Konstantinopel nach Akkon, die Route von den Alpen bis nach Sizilien und weiter von Messina bis nach Jerusalem. Damit aber werden nachgerade durch die Reiseberichte die unterschiedlichen Teile des Mittelmeerraumes verbunden und in die Kreuzzugsthematik des Werkes eingeordnet. Für die Frage nach der Funktion der Insertionen folgt aus diesem Befund, daß Arnold überhaupt erst durch die Einfügung der Berichte so etwas wie den Mittelmeerraum im Werk konstituiert, auch wenn er für dieses Gebiet keinen einenden Begriff verwendet. Trotz aller Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen fällt auf, daß er entweder bereits eine Vorherrschaft des lateinischen Kaisertums und der lateinischen Christenheit konstatiert oder aber, daß er diese propagiert und beansprucht. Nicht zuletzt hierin besteht die Einheit dieses vielfältigen geographischen Raumes.

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

328

4.4.

Zusammenfassung

Die Zuschreibungen Arnolds von Lübeck in seiner sogenannten Slawenchronik offenbaren wie bei den beiden zuvor behandelten Autoren eine vielschichtige Auffassung des Chronisten vom Eigenen und vom Fremden, wobei sich erneut das wechselseitige Verhältnis zwischen den Fremd- und Selbstzuschreibungen konkret zeigte.479 Wiederum erwies sich die Beachtung der Interessen-, Wissens- und Wertstrukturen des Geschichtsschreibers sowie solcher Faktoren als erkenntnisfördernd, die auf die Darstellung prägenden Einfluß hatten, wie beispielsweise die Situation zur Abfassungszeit im Bistum Lübeck und in der Nordalbingia, die Widmung des Werkes an den Ratzeburger Bischof Philipp und dessen Rolle bei der Mission in der Livonia sowie die Kreuzzugsthematik vor dem Hintergrund der Kreuzzugspläne Kaiser Ottos IV. Infolge des hier angestellten Vorgehens ließen sich Aussagen über spezifische, für Arnold und sein Werk geltende Ausformungen des Verhältnisses zwischen dem Eigenen und dem Fremden treffen. Wenngleich sich durchaus Gemeinsamkeiten Arnolds mit Adam von Bremen und Helmold von Bosau ergeben, etwa in der Thematisierung naher Fremder, der Nordalbingi, Dani und Sclavi, so stechen doch auf den ersten Blick prägnante Unterschiede hervor. Denn Arnold verwendete wesentlich seltener explizite Fremdbezeichnungen, und die relativ geringe Anzahl von Fremdbenennungen erhöht sich auch dann nur leicht, wenn man die inserierten Briefe berücksichtigt. Immerhin jedoch legen die Einfügungen der Reisebeschreibungen in die Chronik eine bewußte Übernahme der dortigen Bezeichnungen durch Arnold nahe. So steht zu vermuten, daß er auch Burchard von Straßburgs Auffassungen von den rarae vel extraneae in Ägypten und Syrien teilte. Gerade in der Verwendung dieser Termini zeigt sich nun eine Vorstellung vom Fremden als dem räumlich entfernten, kaum Bekannten und Unvertrauten, die sich mit denjenigen Aspekten des Fremdheitsbegriffs deckt, welche in der interdisziplinären Fremdheitsforschung hervorgehoben worden sind. Die gegenüber Adam und Helmold häufigere Verwendung von peregrinus und peregrinatio ist deutlich auf die bei Arnold stärker im Vordergrund stehende Pilgerfahrtsund Kreuzzugsthematik zurückzuführen. Für beide Formen von Reisen ins Heilige Land konnte der Chronist, in diesem Punkt anderen mittelalterlichen Autoren vergleichbar, denselben Ausdruck verwenden. Sieht man einmal vom Gebrauch dieser beiden Begriffe ab, so beziehen sich die Fremdbezeichnungen weit überwiegend auf die Saraceni (alienigenae) und auf die Livones et aliae nationes (barbarae). Während der Terminus alienigenae vor allem auf die fremde Herkunft und Abstammung der Sarazenen bezogen ist, fungiert er doch nicht nur als Fremdzuschreibung in ethnischer Hinsicht, denn im Kontext der Kreuzzugsdarstellungen kontrastiert Arnold nicht nur die Teutonici mit den Saraceni, sondern auch die Christen mit den Muslimen, so daß hier sowohl ethnische als auch religiöse Abgrenzungen zu den Sarazenen vollzogen werden. Vor allem in den Kampfhandlungen im Kontext der Kreuzzüge überwiegen Trennlinien gegenüber den heidnischen Saraceni. Als Beleg für die Komplexität der Fremdzuschreibungen können die Binnendifferenzierungen innerhalb der christianitas gewertet Zur

Komplexität der Selbstzuschreibungen Arnolds vgl. a. oben, Kap. 4.2.3.

Zusammenfassung

329

werden, die sich in häufigen Hervorhebungen der Latini gegenüber den Greci äußern,

wie etwa in der Darstellung der disputatio Heimichs von St. Aegidien in Konstantinopel deutlich wurde. In bezug auf die Greci wird eine parallel zur religiösen Trennlinie verlaufende Grenze zwischen dem römischen und dem griechischen Kaiserreich greifbar, die sich in zahlreichen Elementen fassen läßt: von der Abwertung des griechischen, konsequent rex genannten Kaisers bis hin zu den wortreichen Schilderungen der Belehnungen von Königen im östlichen Mittelmeerraum durch die römischen Kaiser. Arnold propagiert hier die Ausdehnung der lateinischen Christenheit und des römischen kaiserlichen Herrschaftsgebietes. Dagegen stellen die livländischen barbari vor allem Fremde in religiöser Hinsicht dar: Hier wirken die bei Adam und Helmold greifbar werdenden Vorstellungen von einem heidnischen und barbarischen Norden fort, die nun allerdings, was insbesondere gegenüber der Darstellung Helmolds auffällig ist, nicht mehr auf die Sclavi bezogen, sondern mit dem weiteren Verlauf der Mission auf die Bewohner entfernter liegender Regionen übertragen werden. Somit zeigt sich hier sowohl die Übernahme älterer Vorstellungen als auch ihre spezifische und aktuelle Anwendung bei Arnold: Im Längsschnitt betrachtet, korreliert mit der zeitlichen Komponente des Vordringens der Mission das räumliche Vordringen der Attibution von Barbarentum. Vor allem den Liven in religiöser Hinsicht und, noch weitaus stärker den Sarazenen in religiöser, ethnischer, aber auch in kultureller und zivilisatorischer' Hinsicht schrieb Arnold denn auch am deutlichsten Fremdheit zu. Nicht nur, daß der Chronist ausgerechnet auf diese beiden Völkerschaften die expliziten Fremdbezeichnungen bezog, sondern auch die Termini gentes und gentiles. Dieser Verwendungskontext kann, um die verschiedenen Ansichten Bernd Ulrich HuCKERs und Helmut G. Walthers aufzugreifen, als Indiz dafür gelten, daß Arnold letztlich sowohl zu einem Kreuzzug in die terra sancta als auch zu einem in die Livonia aufrief. Geht man von den Zuschreibungen des Chronisten aus, so kommt beiden Regionen als Zielen einer Ausbreitung der lateinischen Christenheit immense

Bedeutung zu.

Obwohl Arnold sein Wissen über die näher liegenden Regionen, die Nordalbingia, Dania und Sclavia auch von Adam und Helmold bezog, zeigen sich doch prägnante

Unterschiede: Die zahlreichen Negativbewertungen Helmolds etwa übernimmt sein ,Fortsetzer' kaum. Statt dessen erscheint bei ihm die Nordalbingia deutlicher in diejenigen Gemeinschaften integriert, denen er sich selbst zuschrieb, die Saxonia und die christianitas, und Teile Nordelbiens werden sogar zur terra nostra. Ebensowenig transportierte Arnold das bei Adam und Helmold häufig negativ gezeichnete ,Bild' der Dänen. Wohl auch aufgrund der Machtverhältnisse in Nordelbien und Lübeck zur Abfassungszeit der Chronik sowie aus einem lokalen lübischen Wirtschaftsinteresse heraus fallen seine Bewertungen positiver aus. Gleichwohl muß gegenüber der bisherigen Forschung betont werden, daß auch bei dem Lübecker Abt Vorstellungen von der Fremdheit der Dänen durchaus vorhanden sind, die jedoch durch die Konstruktion einer dänischen imitatio der Deutschen in die Vergangenheit zurückverlegt und dadurch abgeschwächt werden. Die Sclavia schließlich, bei Helmold als Versammlungsraum religiöser und ethnisch Fremder, ja als Region der Hauptgegner ausgewiesen, spielt bei Arnold zwar noch im Kontext der subactio durch Heinrich den Löwen und die dänischen Könige eine Rolle, nicht aber als Missionsgebiet. Insgesamt läßt sich daher mit Blick auf die in der Chronik behandelten nahen Fremden konstatieren, daß die Unter-

330

Arnold von Lübeck und die Chronica Slavorum

schiede nicht zuletzt historische Veränderungen, die dänischen Eroberungen der Nordalbingia und Lübecks sowie die abgeschlossene Mission der Sclavi im angrenzenden Bereich widerspiegeln. Die Fremd- und Selbstzuschreibungen hängen einerseits voneinander ab und sind andererseits eng mit der konkreten historisch-politischen Situation zur Abfassungszeit des Textes verbunden. Das zu dieser Zeit aktuelle Ziel der Mission bildete für Arnold, sofern man von den näheren Regionen ausgeht, die Livonia. Vor allem soweit es die Sarazenen betrifft, geht mit der Benennung fremd auch zumeist eine Negativbewertung und eine Akzentuierung ihrer Unterlegenheit einher, sei es (vor allem) in religiöser, kultureller, zivilisatorischer' oder ethnischer Hinsicht. Hier scheint es, auch im Vergleich zu Adam und Helmold, auffällig, daß Arnolds Chronik zwar immerhin ,tolerantere' Meinungen enthält, daß der Geschichtsschreiber solche Urteile, etwa über die Saraceni, jedoch nicht selbst formulierte, sondern sie entweder einzelnen Personen in wörtlicher Rede in den Mund legte oder sie durch die Insertion von Berichten transportierte. Dadurch treten im Werk, anders als in den zuvor behandelten Chroniken, konkurrierende Sichtweisen vom Fremden hervor, sich (aus moderner Perspektive) geradezu widersprechende Wissensbestände, deren bewußte Nebeneinanderstellung Arnold jedoch möglich war. Ist insofern die Unterteilung in vom

Chronisten verfaßte und inserierte Berichte modern, so ließ sich doch schon diese Feststellung eines Nebeneinanders unterschiedlicher Sichtweisen nur aufgrund einer aus analytischen Gründen getrennten Betrachtung treffen. Die Darstellung der peregrinatio Heimichs des Löwen und der Kreuzzüge Friedrichs I. und Heimichs VI. sind nicht als von den Interessen des Autors unabhängiger Bericht über Fremde(s) anzusehen, und sie eignen sich schon deshalb auch kaum als Grundlage für eine Rekonstruktion von Fakten. Die peregrini, von Heimich dem Löwen über Friedrich I. bis hin zu den Teilnehmern am Kreuzzug Heimichs VI., mögen in für sie noch so fremde Gebiete gezogen und mit deren Bewohnern in Kontakt gekommen sein Arnold stellt diese Aspekte kaum dar. Die Untersuchung der peregrinatio-DarsteWung führte zu Ergebnissen, die nicht nur über die bisherige Forschung hinausgehen, sondern auch insgesamt eine neue Lesart des Reiseberichts ermöglichen. Die jahrzehntelang im Vordergrund stehenden Fragen nach dem Charakter der Fahrt als Pilger- oder Kreuzzug und insbesondere nach der Reiseteilnahme Arnolds und damit nach der Einstufung seiner Schilderung als Augenzeugenbericht bilden lediglich eine Möglichkeit, mit dem Text umzugehen, welche die Vorstellungswelt des Chronisten allerdings nur ungenügend berücksichtigt. Dagegen ließ sich belegen, daß Arnolds Angaben gleich in mehrfacher Hinsicht in spezifischen, zur Abfassungszeit wohlbekannten Traditionen von Reise- und Pilgerdarstellungen zu verorten sind und der Geschichtsschreiber die Fremde(n) in mehrere, spezifische Funktionszusammenhänge innerhalb seines Werkes stellte, etwa der Idealisierung Herzog Heinrichs und des gleichnamigen Abts von St. Aegieiden, wofür er sich -

eines Wissens bediente, das man durchaus als ,kollektiv' bezeichnen kann. Aus der hier, soweit ich sehe, zum ersten Mal eingehend und im Zusammenhang erfolgten Betrachtung der Insertionen ergibt sich nicht nur ein allgemeines Interesse Arnolds an den dort beschriebenen Gebieten des Mittelmeerraumes. Vielmehr ist festzuhalten, daß die Funktion der Insertionen für die Chronik eng mit der von Bernd Ulrich HUCKER hervorgehobenen Bedeutung der Kreuzzüge zusammenhängt. Erst durch die Zusammenschau der einzelnen geo- und ethnographischen Beschreibungen wird deutlich, daß Arnold den gesamten von ihm dargestellten Mittelmeerraum in den

Zusammenfassung Kontext seiner Kreuzzugsberichte stellt, indem er die gebiet für Reisen ins Heilige Land konzipiert. Nicht

331

Region als Durchgangs- und Ziel-

aus den von HUCKER vorgetragewie einer etwa nen Argumenten angeblichen Auftraggeberschaft Ottos IV. für das Werk oder einer vermeintlichen „Weifentreue" des Chronisten läßt sich darauf schließen, daß Arnold mit dem gerade gekrönten Kaiser die Hoffnung auf einen neuerlichen Kreuzzug ins Heilige Land verband, sondern vielmehr einerseits aus den Darstellungen Fremder und andererseits aus der funktionalen Einbindung von Reiseberichten anderer Autoren.

5. Fazit

Hintergrund der eingangs konstatierten Notwendigkeit, mittelalterliche Fremddarstellungen differenzierter zu betrachten als es bislang in der Forschung geschehen ist, erwies es sich als vorteilhaft, von Grundeinsichten der interdisziplinären Identitäts- und Fremdheitsforschung auszugehen und diese unter Rückgriff auf die mediävistische Forschung auf einzelne hochmittelalterliche Autoren zu übertragen. Denn wenngleich die relationale Beziehung zwischen dem Eigenen und dem Fremden Vor dem

und der Konstruktcharakter von Identität und Fremdheit kaum bezweifelt und oftmals sogar betont wird, mangelt es doch daran, diesen Aspekten in Untersuchungen zum Mittelalter auch konsequent Rechnung zu tragen. Erst die durchgängige Betrachtung eigener und fremder Identitäten als Konstrukte, die nicht als unwandelbar und feststehend, sondern, teils mehr, teils weniger, als situativ veränderbar aufzufassen sind und sich (auch in hochmittelalterlichen) Texten als Selbst- und Fremdzuschreibungen ihrer Verfasser widerspiegeln, führte zu einer differenzierten Analyse der hier behandelten Werke und, auf einer übergeordneten Ebene, auch zu einem veränderten Blickwinkel auf die Geschichtsschreibung: Der Forschung, welche mittelalterliche Fremddarstellungen vorwiegend an ihrem realistischen Gehalt gemessen oder sie zur Rekonstruktion von Fakten herangezogen hat, läßt sich entgegenhalten, daß keiner der hier behandelten Autoren ,die Fremde' oder ,die Fremden' lediglich abbildete oder auch nur, gewissermaßen objektiv, abzubilden versuchte. Obwohl die drei hier behandelten Geschichtsschreiber vergleichsweise häufig fremde Regionen und Völkerschaften thematisieren, verfaßte doch keiner sein Werk, noch nicht einmal hauptsächlich, zu dem Zweck, über Fremde zu berichten. Vielmehr bezweckte jeder Chronist aus bestimmten Gründen, die im einzelnen durchaus unterschiedlich sein konnten, eine ganz spezifische Darstellung der Fremden wie der Eigenen. Die in der Forschung häufig geäußerte Ansicht, die Identität mittelalterlicher Individuen zeichne sich typischerweise durch ein hohes Maß an Statik und Unwandelbarkeit aus, das sich in nahezu ausschließlich blockartigen Gegenüberstellungen von Eigenen und Fremden äußere und eine monolithische Sichtweise auf das Fremde zur Folge gehabt habe, läßt sich in dieser Allgemeinheit nicht aufrecht erhalten. Die Ergebnisse der vorliegenden Analyse der Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck weisen vielmehr in eine andere Richtung: Denn es konnten drei Möglichkeiten eines Verhältnisses zwischen dem Eigenen und dem Fremden aufgezeigt werden, die keineswegs einheitlich zu nennen sind, sondern neben Gemeinsamkeiten auch Unterschiede aufweisen. Dabei offenbarte sich die Komplexität und Vielschichtigkeit des Verhältnisses zwischen dem Eigenen und dem Fremden erst durch die Konzentration auf einzelne Autoren, deren Vergleich sich anbot, und durch die über bisherige Arbeiten hinausgehende Zusammenfuhrung verschiedener Aspekte: die kombinierte Betrachtung von Selbst- und Fremdzuschreibungen der jeweiligen Autoren, die Berücksichtigung der Gewichtungen einzelner Teilidentitäten, aber auch die Beachtung expliziter Fremdbenennungen und impliziter Fremdheitskonzepte sowie die

Identität und Fremdheit in drei hochmittelalterlichen Chroniken

333

der Interessen-, Wissens- und Wertstrukturen der drei Chronisten. Darüber hinaus erwies es sich als außerordentlich fruchtbar, die jeweiligen Darstellungen an solche Faktoren rückzubinden, welchen zwar gemeinhin ein prinzipieller Einfluß auf die Geschichtsschreibung nachgesagt wird, die aber im Hinblick auf ihre Determinierung von Fremddarstellungen bislang viel zu wenig beachtet worden sind: etwa die historisch-politischen Situationen zur Abfassungszeit der Texte, deren Adressaten, die causae scribendi sowie die Funktionen der Fremddarstellungen für das jeweilige Werk. Erst die Kombination dieser Aspekte ermöglichte es, in einem Vergleich der drei Chroniken und ihrer Verfasser zu plausiblen Ergebnissen über Spezifrka und Überschneidungen bezüglich des Verhältnisses zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu ge-

Einbeziehung

langen.

Vergleich lassen sich durchaus Gemeinsamkeiten festhalten: Alle drei Chronisten schrieben sich mehreren Gemeinschaften unterschiedlicher Größe aus dem .kirchlichen' und ,weltlichen' Bereich zu, die sich gleichsam wie konzentrische Kreise überlagern. Für den ersten Komplex sind vor allem die christianitas und das jeweilige (Erz-)Bistum oder Kloster zu nennen, für letzteren die Teutonici und Saxones, aber auch die Bewohner kleinerer Regionen oder der jeweiligen Abfassungsorte. Mit Blick auf die Gewichtungen der unterschiedlichen Teilidentitäten läßt sich grundsätzlich zum einen eine deutliche Präferierung der Zuschreibungen zu den zahlenmäßig kleineren Gruppen innerhalb beider Bereiche erkennen und zum anderen eine zentrale Bedeutung der Institutionen konstatieren, in welchen sich die Geschichtsschreiber in ihren Werken positionierten. So läßt sich zusammenfassend als Gemeinsamkeit festhalten, daß insgesamt institutionelle und regionale Teilidentitäten deutlicher im Vordergrund stehen als andere, etwa (prä)nationale, und daß die Zuschreibungen zu Gruppen aus dem regionalkirchlichen Bereich am deutlichsten hervortreten: zum Erzbistum Hamburg-Bremen bei Adam, zum Bistum Lübeck bei Helmold und zu den nordelbischen Gebieten bei Arnold, dessen Geschichtsschreibung weniger einer Verortung innerhalb des Bistums Lübeck entsprang als es durch seine Position als Lübecker Benediktinerabt bestimmt wurde. Adams Konzeption des gesamten geographischen Raumes als Missionsraum des Erzbistums und als Gebiet, das der alleinigen Suprematie Hamburg-Bremens unterstellt ist, korreliert in erster Linie mit der Zuschreibung zum Erzbistum Hamburg-Bremen, die soweit ging, daß er zwischen Heiden und solchen Personen, die dem von ihm propagierten Suprematieanspruch zuwiderhandelten, nicht immer begrifflich differenzierte. Und Helmolds Darstellungen der Dänen und Slawen standen ebenfalls wesentlich in einem wechselseitigen Verhältnis zu seiner Verortung im Bistum Lübeck. Vor allem für diese beiden Geschichtsschreiber lassen sich die Attributionen von Fremdheit, wenngleich sie durchaus unterschiedlich ausfallen, auf ihre Zuschreibung zu einer Institution aus dem ,kirchlich-regionalen' Bereich zurückfuhren. Da bei allen drei Autoren die Zuschreibungen zu den Bewohnern eines Gebietes in unmittelbarer Umgebung der Abfassungsorte und zum Herzogtum Sachsen deutlicher zum Ausdruck kommen als diejenigen zu regnum oder imperium, läßt sich etwa auch weder die Identität Adams mit der Wendung „Liebe zum Reich" noch diejenige Arnolds mit dem in der Forschung häufig anzutreffenden Diktum von der „Dänenfreundlichkeit" des Chronisten treffend beschreiben, und selbst das oftmals hervorgehobene und auch durchaus aus der Chronik ableitbare „sächsische Bewußtsein" Helmolds steht bei näherem Hinsehen doch hinter Im

Fazit

334

allem auf die nordelbischen Gebiete und insbesondere Wagrien ausgerichteten Zuschreibungen zurück. Allenfalls für Arnold, der häufiger die Teutonici anderen, den Dani in der Nähe wie den Sarraceni in der Ferne gegenüberstellte, lassen sich neben lokalen, auf Lübeck, und regionalen, auf Nordelbien und Sachsen bezogenen Teilidentitäten auch deutliche Zuschreibungen zum regnum und imperium konstatieren. Die Positionierung innerhalb großer Gemeinschaften werden in den Texten vor allem in der begrifflichen Kontrastierung mit ähnlich großen Gruppen greifbar: Sprachlich pointierte Zuschreibungen zur christianitas finden sich vor allem in Gegenüberstellungen mit den heidnischen Missionsvölkern im Nord(ost)en, und, bedingt durch die Kreuzzugsthematik, bei Arnold auch mit den Juden und den muslimischen Sarazenen. Arnold unterscheidet sich zudem insofern von den beiden anderen Chronisten, als nur er Wir-Bezüge, die in der Forschung als direkteste sprachliche Ausdrucksform kollektiver Identitäten angesehen werden, auf die christianitas richtete und, ebenfalls aufgrund der Kreuzzugsthematik, am deutlichsten eine Binnendifferenzierung innerhalb der Christenheit vornahm, die sich in einer scharfen Trennlinie zwischen Latini und Greci niederschlägt. Ganz ähnlich erfolgen bei allen Chronisten auch die Zuschreibungen zu ethnischen Großgruppen begrifflich polarisiert durch die Kontrastierung mit anderen großen Gemeinschaften. Daß die Beschreibung einer fremden ethnischen Gemeinschaft selten eine Binnendifferenzierung enthält (beispielsweise wäre eine Unterscheidung innerhalb der Sarazenen für Arnold durchaus möglich gewesen), begünstigt hier tendenziell auch die Gegenüberstellung mit einer undifferenzierten Großgemeinschaft der den

vor

Eigenen.

Bei allen Unterschieden bestehen weitere Gemeinsamkeiten darin, daß alle drei Chronisten im wesentlichen dieselben expliziten Fremdbezeichnungen verwendeten und die Attribution von Fremdheit nach denselben Kriterien erfolgte: vor allem nach religiösen, ethnischen, rechtlichen, kulturell-,zivilisatorischen', aber auch nach solchen, die sich auf das Aussehen und Verhalten oder auf Eigenschaften beziehen. Wie bei Adam und Helmold deutlich wurde, konnte die Zuschreibung eigener und fremder Identitäten zudem durch die Merkmale habitus und lingua erfolgen. Die Vielfalt dieser Kriterien in allen drei Texten und ihre durchaus unterschiedliche Gewichtung durch die einzelnen Geschichtsschreiber sprechen gegen reduktionistische Charakterisierungen vermeintlich typischer mittelalterlicher Vorstellungen von und Einstellungen gegenüber Fremden, wie sie sich etwa in dem zuweilen bemühten Bild von einem ,ethnozentrischen Mittelalter' äußern. Letztendlich zeigt sich hier lediglich die Relationalität des Eigenen und des Fremden auch in den Darstellungen ethnisch Fremder insofern, als diese zwangsläufig und kaum anders als heute aus dem Blickwinkel der eigenen ethnischen Gruppe beschrieben wurden. Denn wenngleich etwa Helmold die Slawen und Arnold die Sarazenen deutlich negativ charakterisierte, konnte nicht festgestellt werden, daß eine Gemeinschaft ausschließlich aufgrund (der Zuschreibung) einer fremden ethnischen Identität negativ bewertet wird im Unterschied zu Bewertungen aufgrund religiöser Kriterien. Und so sind es zwei grundlegende Tendenzen, die sich im Zusammenhang mit der Zuschreibung ethnischer Identitäten erkennen lassen: Ethnische Grenzen werden stärker gegenüber Gemeinschaften in der Nähe konstatiert, und sie fallen dann vehementer aus, wenn den Fremden eine existentielle Bedrohung der Eigenen, etwa in Kampfhandlungen, zugeschrieben wird. Beide Aspekte sind in Helmolds Chronik -

-

-

Identität und Fremdheit in drei hochmittelalterlichen Chroniken

335

vereint, in der die Undurchdringlichkeit ethnischer Grenzen zwischen Deutschen bzw.

Sachsen einerseits sowie besonders den Elb- und Ostseeslawen andererseits im Vergleich zu Adam deutlich potenziert ist und sich nicht zuletzt in einer asymmetrischen gegenbegrifflichen Strukturierung äußert. Deutlich ist dies auf den interessengeleiteten Bericht des Bosauer Pfarrherrn zurückzuführen, die sächsische Landnahme ehemals von Slawen bewohnter Gebiete und die Ansiedlung von Angehörigen verschiedener Völkerschaften positiv darzustellen. Weniger -auf die in der Nähe wohnenden Gruppierungen, sondern eher auf die entfernt angesiedelten Sarazenen bezieht Arnold seine Zuschreibungen ethnischer Fremdheit, die sich auch in der Verwendung des Begriffs alienigenae zeigt, welcher sowohl auf die fremde Herkunft und Abstammung zielt als auch, wie der Kontext seiner Anwendung zeigte, religiös konnotiert ist. Die ethnischen Grenzziehungen finden sich hier nachgerade in denjenigen Passagen, in denen er Kampfhandlungen auf den Kreuzzügen schildert, in deren Folge die Fremden zu hostes werden konnten. Bei Adam stehen ethnische Konfliktlinien hingegen weniger im Vordergrund: Zwar unterschied auch er andere Gemeinschaften in Nordeuropa aufgrund ethnischer Kriterien von den Sachsen und Deutschen, jedoch fallen die Abgrenzungen bei weitem nicht so stark aus. Nach der Chronik zu urteilen, bedrohten Gruppierungen, die Adam nach ethnischen Kriterien als Fremde betrachtete, kaum einmal die Eigenen, sie stellten vielmehr, als Heiden oder als Gegner der Hamburger Suprematieforderungen, religiöse und institutionelle Gemeinschaften infrage, denen er sich zuschrieb: die christianitas und das Erzbistum. Gegenüber den Zuschreibungen von Fremdheit nach ethnischen Merkmalen nehmen solche nach religiösen Kriterien für alle Chronisten insgesamt einen weitaus höheren Stellenwert ein: Es sind in erster Linie, abgesehen von der erwähnten Ausnahme Arnold von Lübecks, heidnische Missionsvölker, denen Fremdheit zugeschrieben wird. Jedoch divergieren innerhalb dieses Befunds auf allgemeiner Ebene die Zuschreibungen erheblich: Fremdheit in religiöser Hinsicht wird unterschiedlichen Gemeinschaften attestiert, und zudem lassen sich den Darstellungen Abstufungen nach Graden von Fremdheit entnehmen, wie sie besonders bei Adam von Bremen deutlich wurden: Entgegen simplifizierenden Modellen, die von rein binär strukturierten Gegenüberstellungen von Eigenen und Fremden im Mittelalter ausgehen, ließ sich für diesen Autor auch eine komplementärbegrifflich strukturierte Zuschreibung von Fremdheit nach unterschiedlichen Graden von Bekanntheit und Vertrautheit feststellen. So manifestiert sich eine mit der räumlichen Entfernung der Gebiete zusammenhängende Entfernung vom Religiösen' und ,institutionellen' Zentrum der Mission, dem Hamburg-Bremer Erzbistum, und eine damit korrelierende zunehmende Attribution von Fremdheit, die sich etwa in der Anwendung des Terminus extremus ausgerechnet auf die am nordöstlichen Rand der bewohnten Welt angesiedelten Regionen und Völkerschaften zeigte. Helmold von Bosau transportierte zwar die bei Adam und schon in dessen Quellen überlieferte Vorstellung vom barbarischen Norden, jedoch wurde im Vergleich deutlich, daß die einzelnen Chronisten trotz des zuweilen stereotyphaften Charakters ihrer Berichte das Wissen aus ihren Quellen durchaus bewußt und an ihren eigenen Interessen orientiert funktional einbinden konnten. Anders als Adam wandte Helmold den Terminus barbarus in erster Linie auf die heidnischen Slawen an, wenngleich er innerhalb dieser Gruppe differenzierte und vor allem die (falschlich zu den Slawen gerech-

Fazit

336

Ranen aufgrund ihres bis in die Gegenwart reiHeidentums und ihrer Kultpraktiken als Barbaren beschrieb. Die Fremddarstellungen ließen sich hier konkret auf die Zuschreibung zum Bistum Lübeck zurückführen, dessen Missionsbereich sich auf die Elb- und Ostseeslawen erstreckte. Und auch bei Arnold, der wesentlich seltener als Adam und Helmold explizite Fremdbezeichnungen verwendete und in dessen Chronik sich die religiösen Trennlinien auf-

neten) Preußen sowie noch stärker die chenden

grund der Kreuzzugsthematik im Mittelmeerraum verdichteten, wurden die Vorstellungen vom nordischen Barbarentum greifbar, jedoch bezog er den Terminus barbarus, im Einklang mit seinen Interessen-, Wissen- und Wertstrukturen und mit der Situation zur Abfassungszeit seines Werkes, auf die Liven. So wird hier im Längsschnitt deutlich, daß die Attribution eines Barbarentums zwar konstant blieb, jedoch räumlich tendenzi-

ell mit dem Fortschreiten der Mission wanderte. Besonders bei Adam und Helmold sind die Zuschreibungen religiöser Fremdheit und die Vorstellungen vom Barbarentum eng mit Abwertungen kultureller und zivilisatorischer' Eigenarten, Sitten und Verhaltensweisen verknüpft: Die Kennzeichnung von anderen durch die Zuschreibung von Charakteristika wie crudelitas oder furor ist vor allem in der Darstellung von Christenverfolgungen zu finden, und häufig finden Negativbewertungen ihre Erklärung durch die zentrale Bedeutung christlicher geprägter Wertmaßstäbe. Dabei war die Bewertung sowohl der Fremden als auch der Eigenen denselben Kriterien unterworfen. Den Darstellungen Fremder kam häufig eine Spiegelfunktion zu, sie konnten dazu dienen, Kritik an den Angehörigen der eigenen Gemeinschaften, etwa an den sächsischen Herzögen, zu üben. Zugleich erfolgte die Einordnung religiös Fremder sowohl nach räumlichen Kriterien die Nachbarschaft zu heidnischen Völkerschaften färbte in der Vorstellung der Chronisten auf die Sitten und Verhaltensweisen ab als auch nach zeitlichen eine noch nicht lange zurückliegende Missionierung begünstigte gewissermaßen die Attribution heidenähnlicher Sitten. Nach demselben System, aber mit umgekehrten Vorzeichen, schrieb Arnold den Dänen seiner Gegenwart positiv bewertete Charakteristika zu, die er gerade mit der infolge der Nachbarschaft möglichen imitatio eines deutschen usus begründete. -

-

-

Wenn in Studien über die Zeit der

und über spätmittelalterliche Reisebefremder Völkerschaften in entfernten der Terminus zum Regionen Gegenstand haben, ,Fremde' als das Nichteuropäische und Nichtchristliche definiert und vor allem auf die Bewohner Ostasiens oder des Heiligen Landes angewendet wird, mag dies aufgrund der historischen Situation zur Abfassungszeit der Berichte gerechtfertigt sein, solange das Fremde nicht aus heutiger Sicht a priori definiert wird. Wie angesprochen, lassen sich die Zuschreibungen solcher Identitäten gerade aufgrund der Kreuzzugsthematik auch bei Arnold on Lübeck nachweisen. Jedoch ist mit Blick auf die hier behandelten hochmittelalterlichen Autoren aus dem .norddeutschen' Raum zu konstatieren, daß für sie, wie aus den Darstellungen der benachbarten Nordalbingi, Dani und Slavi hervorgeht, das Fremde und die Fremden durchaus sehr nah sein konnten. Insofern ist vor dem Hintergrund der nachgerade in der Fremdheitsforschung häufig anzutreffenden Definitionsmängel in methodischer Hinsicht zu unterstreichen, daß grundsätzlich sowohl von den Begriffen der Chronisten selbst als auch von differenzierten Fremdheitskonzepten der jüngeren interdisziplinären Forschung auszugehen ist. Denn nur hierdurch gerieten die nahen Fremden überhaupt

richte, die in

erster Linie die

Kreuzzüge Wahrnehmung

337

Identität und Fremdheit in drei hochmittelalterlichen Chroniken

Helmold von Bosau schrieb nicht nur den in der Forschung hauptsächlich beachteten Slawen, sondern auch den Dänen und partiell gar den Nordelbiern in seiner unmittelbaren Umgebung Fremdheit zu. Und im Längsschnitt wird deutlich, daß die Attribution von Fremdheit an diese Völkerschaften im Laufe der Zeit abnehmen konnte: Die Nordelbier, von Adam noch als heidnische Missionsobjekte sowie als außerhalb des südelbischen Sachsens Stehende gekennzeichnet, wurden von Helmold bereits zum Teil in die Gemeinschaften der Christenheit und der Sachsen integriert, und Arnold schließlich bezog ausgerechnet auf ihre Region den Ausdruck terra nostra. Aufgrund der Relationalität zwischen dem Eigenen und dem Fremden und der Tatsache, daß verschiedene, zur jeweiligen Abfassungszeit der Werke aktuelle Faktoren auf die Fremddarstellungen einwirkten, wie in der vorliegenden Arbeit an zahlreichen Beispielen aufgezeigt wurde, ergab sich beispielsweise weder ein einheitliches ,Dänenbild' noch eine übereinstimmende Auffassung von ,den Slawen' hier divergiert etwa schon der Bedeutungsgehalt der Termini Slavania und Slavi. Es ist zudem deutlich geworden, daß trotz der aus den unterschiedlichsten Gründen überwiegend negativen Charakterisierung Fremder die Auffassung von einer grundsätzlichen Unfähigkeit ,des Mittelalters', Fremdes anzuerkennen, so nicht haltbar ist. Denn zum einen kommen bei keinem der Autoren nur Negativbewertungen vor, und aus den Chroniken Adams und Helmolds läßt sich gar an zahlreichen Stellen ein gewissen Verständnis der Autoren für heidnische Reaktionen und für Weigerungen, Tribute zu entrichten, festmachen, für die gerade nicht die Missionsvölkerschaften, sondern statt dessen die eigenen Fürsten, besonders die avaritia der sächsischen Herzöge, verantwortlich gemacht wurde. Zum anderen scheint es nach den Ergebnissen der Untersuchung aber auch geboten, die pejorativen Charakterisierungen der Chronisten unter einem veränderten Blickwinkel zu betrachten, als dies bislang in der Forschung geschehen ist. Fokussiert man nämlich auf mögliche Funktionen der einzelnen Fremddarstellungen für das jeweilige Werk, so zeigt sich in allen hier untersuchten Fällen, daß die Beschreibung Fremder häufig in erster Linie dazu diente, die Leistungen einer Gemeinschaft, innerhalb derer sich ein Autor verortete, oder seiner Repräsentanten, positiv herauszustellen. Für alle Bewertungen durch die Chronisten, seien sie positiv oder negativ, gilt, daß sie funktional in ein konkretes Werk vor dem Hintergrund einer spezifischen historischen Situation und bestimmter Interessen eingebunden waren. So läßt sich insgesamt konstatieren, daß die in den Texten enthaltenen Bewertungen nicht pauschal als Ausdruck einer grundsätzlich toleranten oder fremdenfreundlichen Haltung oder als deren Gegenteil angesehen werden können, sondern vielmehr, daß sie als Ausdruck bestimmter, an einen spezifischen Text und seinen Autor gebundener Faktoren zu betrachten sind.

erst in den Blick.

-

Könnte das kombinierte Vorgehen aus einer Analyse der mittelalterlichen Quellensprache einerseits und einer behutsamen Übertragung moderner, interdisziplinärer theoretischer und methodischer Forschungsansätze andererseits einen auch in der Zukunft gangbaren Weg darstellen, mittelalterliche Vorstellungswelten zu erschließen, ohne sie von der Moderne her zu bewerten, so sei an dieser Stelle auch kurz daraufhingewiesen, daß sich über das engere Thema dieser Arbeit hinausgehend weitere Einsichten in die Darstellungsabsichten und Vorstellungswelten der drei Chronisten gewinnen ließen. Dies betrifft beispielsweise Arnold von Lübeck, der, um es überspitzt zu formulieren, weder ausschließlich eine historia regum verfaßte noch ein norddeutscher Regionalist'

338

Fazit

Geschichtsschreibung sowohl auf das regnum und imperium als auch auf die Region bezogene Teilidentitäten offenbarte, die sich keineswegs ausschlössen; und ebenso gilt dies für Adam von Bremen, dessen in der Forschung als „Anhängsel zur eigentlichen Chronik" bezeichnete Descriptio eindeutig als Teil seiner Selbstzuschreibungen, vor allem zum Erzbistum Hamburg-Bremen, zu betrachten ist und sich auch inhaltlich in das Werk einfügt. Denn in Adams Vorstellungswelt war die Suprematie über das große, von ihm beschriebene Gebiet letztlich nur durch die im vierten Buch wesentlich akzentuierten Aspekte Bischofsweihen und Durchführung von Reisen, durch solche des Erzbischofs oder der von diesem geweihten Bischöfe und Missionare, denkbar. Verweisen die Gemeinsamkeiten, die sich im Vergleich der drei Chronisten ergeben, darauf, daß hochmittelalterliche Vorstellungen von Fremden durchaus ähnlich strukturiert sein konnten, müssen doch auch die Unterschiede herausgestellt werden, die sich insbesondere dann ergeben, wenn nach den Gründen für die jeweilige Konzeption der Berichte gefragt wird. In jedem Einzelfall wurde durch die Rückbindung der Darstellung Eigener und Fremder an die Interessen-, Wissens und Wertstrukturen der jeweiligen Geschichtsschreiber und an die Abfassungszeiten, die Adressaten und mögliche causae scribendi die funktionale Einbindung von überliefertem Wissen und damit zugleich auch die Spezifik und offenkundige Aktualität der einzelnen Berichte deutlich. Außer einer (möglicherweise unreflektierten) Übernahme älterer, auf Traditionen beruhender Wissensbestände sind es deshalb nachgerade die Unterschiede zwischen den einzelnen Werken, die wesentlich stärker in den Vordergrund gerückt werden müssen, als es bislang in der Forschung geschehen ist. Denn Fremddarstellungen sind unabhängig von den Gründen, aus denen ein Autor überhaupt sein Werk in einer bestimmten Situation für einen bestimmten Leserkreis abfaßte, nicht zu erklären. Dies zeigt sich bereits in der Auswahl der Fremde, über welche in den Werken berichtet wird und die eng mit den genannten Faktoren und den konkreten Darstellungsabsichten verknüpft ist, es wurde aber auch bei der Betrachtung der Strukturierung geographischer Räume deutlich. Hier erwies sich der in Anlehnung an Arbeiten zur kognitiven Kartographie und an mediävistische Studien zu Raumkonzepten von einem erweiterten Raumbegriff ausgehende Ansatz als vorteilhaft für den Umgang mit den Texten: Denn für sämtliche Werke, besonders deutlich für das vierte Buch der Hamburgischen Kirchengeschichte, die Descriptio insularum aquilonis, und für den Bericht Arnolds über die peregrinatio Heinrichs des Löwen, konnte gezeigt werden, daß das Messen mittelalterlicher Darstellungen an modernen, physikalisch-objektiven Raumvorstellungen wenig fruchtbar erscheint, sondern ein über die bisherige Forschung hinausweisender Umgang mit den geographischen Passagen zu neuen Erkenntnissen über die Vorstellungswelten und Darstellungsabsichten der Verfasser führt, der sich auch auf andere mittelalterliche Raumdarstellungen übertragen ließe. Alle Autoren strukturierten den geographischen Raum bewußt und trotz der Rekurrierung auf überlieferte Wissensbestände auf ganz unterschiedliche, weil für die Zwecke des Werkes jeweils sinnvolle Art und Weise. Wie konkret die causae scribendi nicht nur, was unumstritten ist, allgemein die Berichte, sondern auch ganz konkret Einzelheiten in den Darstellungen Fremder beeinflußten, wurde bei allen Autoren deutlich. Um nur jeweils ein signifikantes Beispiel zu nennen: Adams permanentes Fragen nach der Existenz von bewohntem Land, seine Bemühungen um die geographische Verortung von Völkerschaften oder seine Angaben

war, sondern in seiner

Identität und Fremdheit in drei hochmittelalterlichen Chroniken

339

Reisewege im vierten Buch bleiben unverständlich, wenn man nicht in Rechnung stellt, daß der Autor die Descriptio auch deshalb verfaßte, weil er den neuen Erzbischof und Adressaten Liemar dazu bewegen wollte, die zur Abfassungszeit massiv umstrittenen Ansprüche Hamburg-Bremens auf die alleinige Missionszuständigkeit und Suprematie in den ausführlich beschriebenen nordosteuropäischen Regionen durchzusetzen. Adam lieferte Liemar das Wissen über die Regionen und Völkerschaften, das dessen Vorgänger Adalbert noch nicht besessen hatte, und forderte ihn zur praktischen Umsetzung des in den ersten drei Büchern vor allem historisch-rechtlich legitimierten Anspruchs auf. Ebensowenig lassen sich Helmolds Abwertungen der dänischen Könige in ihren Kämpfen gegen die Slawen begründen sie könnten gar als Beleg für den oben angesprochenen ,mittelalterlichen Ethnozentrismus' gelten -, wenn man übersieht, daß der Chronist sein Werk in einer krisenhaften Situation des Bistums Lübeck, dessen Bischof nach seinem Wechsel zur Opposition gegen Heinrich den Löwen aus seinem Sprengel verwiesen worden war, an das zur Abfassungszeit aller Wahrscheinlichkeit nach gespaltene Domkapitel richtete und diesem eine proherzogliche Parteinahme nahelegte. Um Heinrich den Löwen als machtvollen Herrscher in Nordelbien und als konkurrenzlosen Beherrscher der Slawen zu akzentuieren, war eine negative Darstellung der Dänen, so könnte man schließen, genau in diesem Punkt geradezu notwendig. Und auch die Darstellungen der Bischofsinvestituren Vizelins und Gerolds lassen sich bis in kleinste sprachliche Details durch die aktuellen Ereignisse im Bistum erklären. Damit aber steht zugleich zu bezweifeln, daß diese Passagen vorschnell als Beleg für eine ,tatsächliche' negative Einstellung Helmolds gegenüber den Dänen gelten können und daß die Investitur Vizelins, der sogenannte „nordelbische Investiturstreit" .tatsächlich' so ablief, wie es die Slawenchronik, die für landes- und verfassungsgeschichtliche Arbeiten bedeutenste Quelle, nahelegt. Bei Arnold schließlich haben die positiven Beurteilungen der Dänen dazu geführt, dem Autor eine „Dänenfreundlichkeit" nachzu-

über

-

aber wohl kaum bestand: Wenn man beachtet, daß Lübeck und Nordelbien zur Abfassungszeit unter dänischer Herrschaft standen, muß man auch eine gewisse Abhängigkeit des Geschichtsschreibers in Rechnung stellen, der die Dänen außerdem erst infolge der Übernahme deutscher Sitten und Verhaltensweisen positiv bewertete. Und der Grund für die Insertionen von Briefen und Reiseberichten anderer Autoren schließlich kann letztlich darin erblickt werden, daß Arnold sein Werk auch deshalb abfaßte, um dem neu gekrönten Kaiser Otto IV. die Notwendigkeit eines Kreuzzugs ins Heilige Land nahezulegen. sagen, die

so

Ungeachtet der Detailergebnisse in bezug auf das engere Thema der Untersuchung und die darüber hinausgehenden Erkenntnisse über die drei behandelten Chroniken und ihre Verfasser ist abschließend hervorzuheben, daß sich aus der Analyse zudem wichtige Implikationen für die methodischen Diskussionen über Entstehungs- und Rahmenbedingungen von Geschichtsschreibung und von Kontinuität und Wandel von Geschichtsbildern ergeben. Die vorliegende Studie zieht praktische Konsequenzen der theoretischmethodischen Reflexionen, die in der Forschung zwar bisweilen gebetsmühlenartig wiederholt und dem Anschein nach auch allgemein akzeptiert, letztlich aber, in bezug auf mittelalterliche Texte, kaum einmal durchgängig angewendet werden. Es ist jedoch von fundamentaler Bedeutung, daß der Konstruktionscharakter mittelalterlicher Geschichtsschreibung grundsätzlich hinreichend beachtet wird. Dafür ist es nicht notwen-

340

Fazit

dig zu leugnen, daß es, wie auch immer geartete, Realitäten oder ,Tatsächlichkeiten' gab und gibt, und es muß keineswegs bedeuten, daß man die geschichtswissenschaftlichen Methoden nicht auch dazu nutzen möchte, hinter die Ebene der Darstellungen zu gelangen; allerdings ist es ebenso notwendig, sich dann über die Grenzen der eigenen Erkenntnismöglichkeiten Rechnung abzulegen. Den allgemeinen Konstruktcharakter von Texten aus Gründen einer gerade modischen Forschungsrichtung zu betonen, reicht hierfür freilich nicht aus. Vielmehr sind konsequent die Folgen für die Forschungsarbeit zu ziehen: Denn letztendlich taugen, um nur ein Beispiel zu nennen, die Beschreibungen fremder Völkerschaften kaum für Rekonstruktionsversuche, etwa ihrer Verhaltensweisen, ihres Aussehens oder ihrer Eigenschaften selbst dann, wenn es diese Gemeinschaften, in den Vorstellungen der Verfasser, ,gab'. Wenn die mittelalterlichen -

Geschichtsschreiber den Eigenen wie den Fremden bestimmte Attribute zuschrieben, die sich von den Verfassern ihrer Quellen unterschieden, so läßt sich das vor allem auch mit veränderten Vorstellungen und spezifischen, identitäts- und situationsgebundenen Darstellungsabsichten erklären, welche auf die Rahmenbedingungen und Wandlungsfaktoren von Geschichtsschreibung und historischer Bewußtseinsbildung einwirkten. Daß mittelalterliche Relationen von Eigenem und Fremdem von den heutigen abweichen, kann kaum überraschen wohl aber der Befund, wie ergiebig sich mittelalterliche Texte lesen lassen, wenn man mit einem veränderten Blickwinkel an sie herantritt. Und hier wird denn auch deutlich, wie behutsam grundsätzlich mit mittelalterlichen (Fremd-) Darstellungen umzugehen ist, denn aus ihnen kann kaum auf die Wirklichkeit' der Fremden rückgeschlossen werden, sondern vielmehr auf die Vorstellungen der Verfasser. Fokussiert man, wie hier geschehen, auf diese, erweist es sich als unnötig, die Darstellungen an ihrem realistischen Gehalt und an modernen Toleranzvorstellungen zu messen oder sie lediglich zur Rekonstruktion von Fakten heranzuziehen. -

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Anhang Abkürzungsverzeichnis Quellen CCL cont. med. CSEL CSHB FSGA

MGH Const. DD EE

sei. Schrr. SS SSrG n.s.

Migne PL RS SHRU UBBL UBStL

Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum Corpus scriptorum historiae Byzantinum Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters Monumente Germaniae Histórica Constitutiones et acta publica Imperatorum

et

Regum

Diplomate Epistolae selectee Schriften

Scriptores Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum nova

series

Jacques Paul Migne, Patrologiae cursus compléta seu bibliotheca universalis Series latina Rolls Series. Rerum Britannicarum medii aevi ...

scriptores

Schleswig-Holsteinisch-Lauenburgische Regesten und Urkunden Urkundenbuch des Bisthums Lübeck Urkundenbuch der Stadt Lübeck

Zeitschriften, Serien und Institutionen AfD

AKG BdF BDLG BhS BremJb BrswJb

BzGQdMA CCM Chloe Classica et Mediaevalia DA

DHI DZG EDG EuHSchrr FDG FHA GdV GS

Archiv für Diplomatik Archiv für Kulturgeschichte Beihefte der Francia Blätter für Deutsche Landesgeschichte Berliner historische Studien Bremisches Jahrbuch Braunschweigisches Jahrbuch Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters Cahiers de civilisation médiévale Chloe. Beihefte zum Daphnis Classica et Mediaevalia. Revue danoise de philologie et d'histoire Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters Deutsches Historisches Institut Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Enzyklopädie deutscher Geschichte Europäische Hochschulschriften Forschungen zur Deutschen Geschichte Frankfurter Historische Abhandlungen Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit Germania sacra. Historisch-statistische Beschreibung der Kirche des Alten Reiches, hg. v. MPIGesch

342 HG Hist. Studd. HJb HZ

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WMS ZdtAltdtLit ZfG ZfK ZGSHG ZHF ZRG Germ. Abt. Kan. Abt. ZVHG ZVLG

Anhang Hansische Geschichtsblätter Historische Studien Historisches Jahrbuch Historische Zeitschrift Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte Jahrbuch der Wittheit zu Bremen Journal of Medieval History The Journal of Medieval and Renaissance Studies Kölner Historische Abhandlungen Kieler Historische Studien Lexikon des Mittelalters Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturgeschichte Mitteldeutsche Forschungen Monographien zur Geschichte des Mittelalters Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung Mittellateinisches Jahrbuch Miscellanea Mediaevalia. Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität zu Köln Münstersche Mittelalter-Schriften Max-Planck-Institut für Geschichte Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde Nationes. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung der europäischen Nationen im Mittelalter Neue Deutsche Geschichte Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart Poetik und Hermeneutik Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte Settimane di Studio del Centro italiano di studi sull'alto medioevo Studia humaniora. Düsseldorfer Studien zu Mittelalter und Renaissance Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsens Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung Vorträge und Forschungen Wege der Forschung Wolfenbütteler Mittelalter-Studien Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte Zeitschrift für Historische Forschung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Germanistische Abteilung Kanonistische Abteilung Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde

Allgemeine Abkürzungen Abh(h). Abt.

Abhandlung(en) Abteilung

A bkürzungsverzeichnis Akad.

Akademie

Arb(b).

Arbeit(en)

Bd(e). Beih(h). Beitr(r). Ber(r).

Beiheft(e) Beitrag/ Beiträge Bericht(e)

Art.

Artikel Band/Bände

Btm.

Bischof Blatt/Blätter Bistum

c(c).

capitulum/capitula

Ed(d). ErgBd.

Edition(en) Ergänzungsband

Bf.

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Erzbtm. Forsch. FS Ges. Gesch. Gf. Gfst.

Classe

Erzbistum

Forschung(en) Festschrift Gesellschaft Geschichte Graf Grafschaft

Hs(s). Hzg. Hzgtm.

Handschrift(en) Herzog Herzogtum

Inst.

Institut Jahrbuch

Jb(b) Kap.

Kat. Kl. Koll. Komm.

lib(b). Mus. N.F.

Publ(l). SB

Schr(r).

Kapitel Katalog

(Jahrbücher)

Klasse

Kolloquium

Kommission liber/libri Museum Neue Folge

Publikation(en) Sitzungsberichte Schrift(en)

SonderBd.

series Sonderband

Sp(p). Stud(d).

Spalte(n) Studie(n)

Urk(k).

Urkunde(n)

Ver.

Verein

Veröffentl(l). Vortr(r).

Veröffentlichung(en) Vortrag (Vorträge) Wissenschaft(en)

ser.

ÜB

Wiss.

Zs(s).

Urkundenbuch

Zeitschrift(en)

Anhang

344

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Heinrich

der

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Anhang

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von

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am

Berlin,

Kräh, Adelheid, Absetzungsverfahren als Spiegelbild

von

Bremen. Mit zwei Karten. Vortr., Hist. Wissenschaften

Kongresses f.

Königsmacht. Untersuchungen

zum

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und

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Craemer-Ruegenberg (MM 17), Berlin-New York 1985.

hg. v.

Albert Zimmermann

u.

Ingrid

Anhang

362

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Register

Abelin, Bf. v. Oldenburg 151 Absalon, Erzbf. v. Lund 259, 281 Acelin, Bf. v. Skara 62 Adalbert, Erzbf. v. Hamburg 29ft, 35, 42, 45-71, 75f, 82, 85f, 93, 97, 100, 104, 108f, 112, 118, 124, 128, 130, 132-134, 151, 154, 171,235,293 Adalbero, Erzbf. v. Hamburg 155, 160 Adaldag, Erzbf. v. Hamburg 50, 55, 57f, 60,75,83,94, 148f, 179 Adalward d.Ä., Bf. in Schweden 67, 124 Adalward d.J., Bf. v. Sigtuna 67, 118 Adam von Bremen (außer Kap. 2) 15 f., 1921, 25, 27, 141f, 148-152, 154, 156, 167173, 175ft, 178-180, 184, 186, 192-197, 200-217, 232-234, 237, 246, 258, 260, 277ft, 281 f., 285f, 293, 303, 310, 315, 321 Adolf I., Gf. v. Holstein 186f, 199 Adolf II., Gf. v.Holstein 139, 158f, 166f, 173, 186-193, 197-200, 210, 213, 218 Adolf III., Gf. v.Holstein 187f, 190, 234, 241, 245, 249, 259, 263, 270, 272-275, 283-286, 288, 293 Adolf IV., Gf. v. Holstein 234, 245 Adolfv. Dasle, Gf. v. Ratzeburg 258 Ägypten/Egyptus 281, 307, 309, 316, 321, 324-326

Aeschylus, Erzbf. v. Lund 259, 285, 288 Aiyubiden 324

294, 301 -304, 312, 322, 327 al-Adil, Kg. d. Sarazenen 324f. 181 Albrecht, Markgf. Albrecht d. Bär, sächs. Hzg. 188 Albrecht v. Orlamünde, Gf. v. Nordelbien 245, 276, 283 Albrecht II., Erzbf. v. Magdeburg 262 Alebrand, Erzbf. v. Hamburg 42, 48f, 55, 58, 82, 132-134 Alemanmen/A lemannia 82,169,307 Alexander IL, Papst 59, 62, 68, 109 Alexander III., Papst 257 Akkon

Alexandria

322-324

,altholsteinische Verfassungsstruktur' 188, 199f. Amalrich, Kg. v. Jerusalem 299, 302 Amazonen/Amazones 93,119-122,124 Ammoniden 231,274,283

Anglia 59,61,105,110 Anselm v. Havelberg 242 Ansgar, Erzbf. v. Hamburg 30, 43-45, 48, 50, 58, 64f, 67, 70, 97, 106f, 149, 201 93 Anthropophagen/Anthropophagi Antiochia 250, 294, 304 Apulia 281,309,316,319,326 Arabiti 321 Armemen/Armenia Arnold von Lübeck

304, 313f, 325 (außer Kap. 4) 15f, 20f.,27, 140, 142f, 170, 175, 184f, 211 Ascomanni 11, 83, 108 Assassini 314f. Auetor 267

Augustinerchorherren 138, 155, 239, 241, 246, 253

Babylonia

322,324 Balduin, Ks. 253, 257, 292, 322 Bardowick 189,270 Bayern 82, 175, 177, 180f, 295, 307 Benediktiner 223f, 237-242, 245ft, 254f, 278

Benno, Bf. v. Oldenburg Bernhard I., sächs. Hzg.

152f, 157 84, 179 Bernhard II. sächs Hzg. 51-53, 82, 84, 152f, 179, 234-237, 262, 270, 272, 275, 278

Bernhard, Gf. v. Ratzeburg 271 f. Bernhard

v.

Clairvaux 242

231 f., 263, 269 Berno, Bf. v. Schwerin Bertold, Abt v. St. Michaelis, Lüneburg 294, 304 Bertold, Bf. v. Lübeck 246 s.u. Alebrand Bezelin, Erzbf. v. Hamburg

Billung, vermeintl. Fürst d. Obodriten Billunger 51-55, 78, 82f, 88, 179,

172 186

Birka 57,67,118 Böhmen/Soewto 99, 209, 214, 289 Bosau

152,155-157,159,200

Brandenburg, Btm.

182

Brandiz 296,313

138, 141 181, 223f, 227, 232ft, 238, 241, 269, 294f, 306, 309, 321 Bremen, Btm. (außer Kap. 2) 154, 166, 263, 270ft, 275, 277, 283 Bruno, Priester 156, 209f.

Braunschweig

Register

371

Brunward, Bf.

v.

Schwerin 232

291 f. Bulgaria Bulgerewalt 296, 298, 301 f. Burchard v. Straßburg 251, 304, 315, 320, 326

169

Burgund73,

Caesar, röm. Ks. 317,319 Christian, Erzbf. v. Mainz 268, 300 Cismar, Kloster 242, 245, 247 Coelestin III., Papst 242, 244 Corvey 54,60 Cyc/opes/Zy klopen 93, 119, 132f. Cynocephali 119, 121 f. Dänemark/Daw'a/Dara

30f, 57, 61 f., 65, 70, 74-77, 81, 83, 92ft, 95f, 98f, 108-114, 117, 119ft, 125ft, 150, 170f, 184, 196, 200-204, 207-209, 21 lf, 241-245, 258260, 273-275, 277, 279, 281-288, 290f.

Damaskus

322-324

David, Propst v. St. Johannis, Lübeck 235, 243 Dietrich, Bf. v. Lübeck 233-236, 243f, 246, 273 Dithmarschen/Dithmarscher 41, 54, 94, 96-98, 187, 196, 198, 234, 271, 274, 282285 Donau

Ebo, Ebf.

295 v.

Reims

58

Egino, Bf. v. Dalby 67 Egward, Bf. v. Oldenburg 150f. Eider 81,95,176,183 41 f., 50, 54, 81, 86, 96f, 98, 149, 161,200,260,270,276 Eide 49, 260, 276 Emund, schwed. Kg. 59-62, 119 Esten/Haisti 92, 99, 254

Elbe

Etheler

198

Evangeliar Heinr. d. Löwen 223f, 227 Evermod, Bf. v. Ratzeburg 231, 237-239, 269

Eziko, Bf. v. Oldenburg Ezzo, Bf. v. Oldenburg

151

151, 154

119f. .Fabelwesen' Faldera, (Neumünster), Kloster 138f, 155f, 159, 198,200,214,224 Farria

104

F/a«i/Wa/Flandernl82, 188 Francia 74, 76, 81, 169f., 176, 256, 261

161, 166, 169, 174ft, 180f, 183, 224f, 228ft, 231, 235, 239f, 244, 246, 248f, 253, 256f, 266-269, 272, 274, 286, 288, 293-296, 298, 300f, 304, 307, 309-314,320 Friedr. v. Schwaben, Hzg. 312 Friesland/Friesen//ei/o//«'/'eio«es 41 f., 5054, 77, 81-84, 132, 134, 188, 213, 253 Fünen/Funis 93,97, 105 Friedrich I., Ks.

Gallia

59, 61 f. Ganuz Wolf, dän. Jarl 92 Gerhard, Bf. v. Osnabrück 263-277 Gerhard v. Straßburg s.u. Burchard Germania 29, 169f, 205 HSGerold, Bf. v. Oldenburg/Lübeck

HO, 148, 154-158, 161-167, 174, 176, 181 f., 189, 192f, 197, 232, 239, 244 295 Gertrud, Mutter Heinr. des Löwen Gog und Magog 117, 122 Gorm, dän. Kg. Gothia/Gothl 67f, 85, 93, 113, 115, 117, 170 Gottfried, Bf. v. Würzburg 31 lf, 320 Gottfried, Gf. v. Holstein 186f Gottfried v. Bouillon 294, 306f. Gottschalk, Bf. v. Skara 68 Gottschalk, Fürst d. Obodriten 61, 99-102 Gran 295,298 Gregor d.Gr., Papst 107, 236 42-44 Gregor IV., Papst 62-64 Gregor VII., Papst Gregor VIII., Papst 311,313 Griechenland/Griechen/Grec/