Das fremde Element: Die unglaubliche Geschichte von Wasser und Leben 3806238022, 9783806238020

Unser Planet ist zum größten Teil von Meeren und Ozeanen und damit von Wasser bedeckt. Wasser prägt das Antlitz der Erde

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German Pages 128 [130] Year 2019

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Alles fließt
Wasser als Element
Lösungsmittel des Lebens
Wasser in Zahlen
Ohne Wasser kein Leben
Wasser in der Natur
Das Karussell des Wassers
Lebensraum Wasser: Bedrohte Vielfalt
Wasserdeutschland
Wasser und Mensch
Ab ins kühle Nass!
Wie wir Wasser nutzen
Was unser Wasser bedroht
Wasser nachhaltig nutzen
Achtung vor dem Wasser! Plädoyer für ein neues Wasser-Bewusstsein
Bildnachweis
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Das fremde Element: Die unglaubliche Geschichte von Wasser und Leben
 3806238022, 9783806238020

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Das fremde Element

Das fremde Element Die unglaubliche Geschichte von Wasser und Leben

Herausgegeben in Zusammenarbeit mit natur – Das Magazin für Natur, Umwelt und besseres Leben

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg THEISS ist ein Imprint der wbg. © 2018 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Redaktion: natur Redaktionsleitung: Prof. Dr. Christoph Fasel (ViSdP) Autoren: Jonathan Fasel, Peter Laufmann, Martin Rasper und Stefan Rippler Bildredaktion: Helge Rösch, Zeitenspiegel Satz: Melanie Jungels, Layout l Satz l Bild, Gensingen Einbandabbildungen rechts: © Shutterstock, Suwan Wanawattanawong. Einbandabbildungen links: © PlanctonVideo – fotolia.com. Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt am Main Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3800-6

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-8062-3801-3 eBook (Epub): ISBN 978-3-8062-3802-0

Inhalt

7 Alles fließt

20 Wasser als Element 22 Lösungsmittel des Lebens 28 Wasser in Zahlen 36 Ohne Wasser kein Leben

44 Wasser in der Natur 46 Das Karussell des Wassers 52 Lebensraum Wasser: Bedrohte Vielfalt 64 Wasserdeutschland

76 Wasser und Mensch 78 Ab ins kühle Nass! 90 Wie wir Wasser nutzen 96 Was unser Wasser bedroht 106 Wasser nachhaltig nutzen 116 Achtung vor dem Wasser! Plädoyer für ein neues Wasser-Bewusstsein 128 Bildnachweis

Wasser und Mensch

Alles fließt Wasser ist das zentrale Element unseres Planeten. Es prägt sein Antlitz und das Leben seiner Bewohner. Und das beinahe vom Anbeginn der Zeit. Auch wir sind Wasserwesen, deren Körper und Kultur ohne Wasser undenkbar wären. Eine Betrachtung über Dihydrogenmonoxid. Aus dem graublauen Meer schiebt sich eine Welle auf

Zur Frage, wie das Wasser auf die Erde gekommen

den Strand. Sie bäumt sich, um schließlich zu brechen.

ist, gibt es zwei Hypothesen. Die einen glauben, das

Mit einem Geräusch, so schwer zu beschreiben und

Wasser war schon beim ersten Zusammenklumpen

doch so vertraut. Das Meeresrauschen verzaubert seit

der Ur-Erde da. Die anderen halten ein späteres Hin-

Alters her die Menschen. Trotz Seekrankheit und Kälte

zufügen des Wassers für schlüssiger.

und Todesgefahr. Das Meer, ja das Wasser schlechthin

Gegen die Idee der Grundausstattung mit Wasser

zieht uns an. Ist ein Versprechen und eine Garantie,

spricht, dass es in dem Bereich, in dem die Ur-Erde

dass das Leben weitergeht.

sich formte, sehr warm war.

Unser Planet wird von Wasser geprägt. Aus dem

Die Sonne kochte eventuell

Weltall sieht er aus wie eine wunderbare, blaue

vorhandenes Wasser aus al-

Murmel. Mehr als 70  Prozent seiner Oberfläche

lem, der Sonnenwind blies es

sind von Wasser bedeckt. Die Menge ist beacht-

davon. Deswegen hat momen-

lich: 1.385.984.600.000.000.000.000 Liter, also rund

tan die andere Theorie die

1,4 Milliarden Kubikkilometer. Der kleinste Teil davon

Nase vorn. Danach kam das

ist trinkbar, aber Wasser bestimmt in jeder Form unser

Wasser vom Himmel in Form

Leben.

eines Bombardements mit Ko-

Das war bei der Geburt der Erde noch nicht ab-

meten und Asteroiden. Diese

sehbar. Als die Erde vor rund 4,6 Milliarden Jahren

Himmelskörper bestehen mit-

entstand, gab es zwar eine Protoatmosphäre. Sie

unter zu großen Teilen aus

hatte aber keinerlei Ähnlichkeit mit der ­freundlichen

Eis und schleppen ihre nasse

Lufthülle von heute. Der ganze Planet war eher Hölle

Fracht aus den kalten Tiefen

als Himmel, eine Welt aus Feuer, auf die zahllose

des Sonnensystems Richtung Zentrum. Man glaubt,

­h erumvagabundierende Himmelskörper aus dem

dass viele Einschläge im Laufe der Äonen die Menge

noch jungen Sonnensystem eindroschen. 180 Grad

Wasser zusammengebracht haben, bezogen auf die

war es an der Oberfläche heiß und umgeben war das

gesamte Masse der Erde rund zwei Prozent. Jedenfalls

irdische Inferno von einer Mischung aus Wasserstoff,

scheint klar zu sein, dass das Wasser in kosmischen

Helium, Ammoniak, Methan und einigen Edelgasen.

Zeithorizonten bald auf der Erde war. Denn es findet

Ein Mensch hätte nicht einmal lange genug überlebt,

sich sogar im Mondgestein und der wurde ja bekannt-

um zu husten.

lich vor 4,5 Milliarden Jahren von einem marsgroßen

Lebendiges Formenspiel: Struktur ­einer Eisschicht

Himmelskörper aus der Erde geschlagen. Auf der jungen Erde kehrte fast so etwas wie Ruhe ein. Mit der Zeit wurden die Einschläge aus dem WeltWildbach im Märchenwald bei Ramsau, ­Berchtesgaden, Bayerische Alpen

all weniger, die Erde kühlte sich langsam ab. Doch das Lebensfeindliche regierte noch die Welt, denn

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immer wieder brachen Vulkane aus und die innere

neuen Ozeane ihr Licht. Der Regen hatte außerdem

Gestalt der Erde wandelte sich. Dadurch gewannen in

Unmengen CO 2 in die Meere gespült und so deren

der Atmosphäre andere Gase und Verbindungen die

pH-Wert verändert. Vereinfacht gesagt wurde aus den

Oberhand. Vor vier Milliarden Jahren bestand unsere

Meeren Sprudelwasser mit Kohlensäure. Die Meere

Lufthülle dann zu gut 80 Prozent aus Wasserdampf.

rauschten und immer noch bekam es niemand mit.

Nur die Hitze verhinderte, dass der Wasserdampf nicht kondensierte und herunterfiel. Noch ein anderer Mitspieler hatte seine erste wichtige Rolle: Kohlendioxid. Das Gas entstand bei

Eine Welle bricht sich im Pazifik am Riff vor der Insel Yap, Mikronesien

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Doch das war der Cocktail, in dem Leben entstehen konnte. Klar ist: Ohne den Regen und das ausgewaschene CO2 hätte es keine Ursuppe gegeben. Ohne Wasser kein Leben.

den Vulkanausbrüchen, machte bald zehn Prozent der

Es ist schwer zu verstehen, wie in einer unbeleb-

Lufthülle aus. Der Rest verteilte sich auf Schwefel-

ten Welt plötzlich Leben sein kann. Der Glaube an

wasserstoff, Stickstoff, Wasserstoff. Gekratzt hat das

eine Urzeugung oder an eine wie auch immer ge-

niemanden, denn es gab nicht einmal den Urahn

artete Schöpfung durch eine göttliche Entität ist ja

einer Amöbe, der das hätte registrieren können.

etwas aus der Mode gekommen. Doch das ist ent-

Irgendwann war die Erde kühl genug, dass die

schuldbar. Denn uns Menschen ist eben nur ein einge-

Atmosphäre einen wichtigen Schritt tun konnte. Der

schränktes Verständnis für Zeit mitgegeben. Ein Gott

Wasserdampf bildete Wolken, Gewitter ungeheuren

oder ein fliegendes Spaghettimonster ist eine Krücke,

Ausmaßes entluden sich und die Sintflut brach herein.

das Unbegreifliche begreifbar zu machen.

Schätzungsweise 40.000 Jahre lang regnete es unun-

Unser Horizont geht bis in die letzte, die vorletzte

terbrochen. Die Meere füllten sich kilometerhoch und

Generation. Aber alles jenseits der Ur-Ur-Väter ver-

ließen Urkontinente zu Inseln werden. Als am Ende die

sinkt im Diffusen, ist hinter dem Schleier der Vergan-

Sonne wieder am Horizont auftauchte, spiegelten die

genheit kaum auszumachen. Für uns als Lebewesen,

das nur den Staffelstab an die nächste Generation weitergeben muss, ist ein umfassendes Verständnis von Zeit im Prinzip auch gar nicht notwendig. Und so sind tausend Jahre, 500.000 oder eine Millionen Jahre merkwürdig unfassbar für uns. Es sind lange, sehr lange Zeiträume. Da kann einiges passieren. Eine Milliarde Jahre bieten viele Gelegenheiten, in der chemische Elemente sich zusammenfügen, sich ausprobieren können. Mitunter fördern Kristalle und Minerale die Entstehung bestimmter Moleküle. Und das Wasser ist wie geschaffen, um zum Geburtshelfer des Lebens zu werden. Lange Jahrmillionen passierte aber nicht viel in der Ursuppe. Während Elemente sich zu neuen Molekülen verbinden, bleibt uns genug Zeit, sich mit der besonderen Struktur des Wassers genauer zu beschäftigen. Wasser ist der erstaunlichste Stoff unserer Welt.

tens 3,5 Milliarden Jahren. Adam und Eva waren noch

Nur Wasser kommt in der Natur in drei Aggregatzu-

weit entfernt, aber immerhin – der erste Schritt war

ständen vor; es kann Dampf sein, fließen oder zu Eis

getan. Wieder gingen lange Jahre ins Land. Das Leben

erstarren. Sein Molekül aus zwei Atomen Wasserstoff

entwickelte sich im Urozean quälend langsam.

und einem Atom Sauerstoff hat eine besondere, zwei-

Erst kürzlich fanden Forscher in der Sahara, in

polige Geometrie. Diese Bipolarität ermöglicht es,

einer 1,1 Milliarden Jahre alten Gesteinsschicht, rosa

dass sich Stoffe gut in Wasser mischen lassen. Oben-

Sand, der auf Cyanobakterien hindeutet. Diese einfa-

drein stehen Protonen, also positiv geladene Teilchen

chen Bakterien kannten schon den Kniff, mit Hilfe von

aus dem Wasser, für Reaktionen zur Verfügung.

Sonnenlicht Energie zu gewinnen. Die rosa Pigmente

Wasser ist zudem genau in dem Temperaturbereich flüssig, in dem organische Verbindungen – und seien

Ein Gewittersturm in Colorado sendet Blitze aus dem Himmel zur Erde

sind Teil des Chlorophylls, also des Stoffs, dessen sich auch moderne Pflanzen bedienen.

sie noch so simpel – stabil sind. Es kann Wärme ab-

Ausgerechnet diese einfachen Organismen haben

leiten und Wärme halten; es gleicht Temperaturen aus.

zu einem Massenaussterben und zugleich zu einem

Ganz klar ist bislang noch nicht, auf welchem Wege

Schub für die Evolution geführt: Als Abfallprodukt ih-

sich größere organische Moleküle gebildet haben.

res Stoffwechsels entstand freier Sauerstoff, der sich

Unterm Strich läuft es aber darauf hinaus, dass kür-

in der Atmosphäre und im Wasser anreicherte und un-

zere Verbindungen sich zu längeren gekoppelt haben

glücklicherweise für viele Organismen des Zeitalters

oder gekoppelt wurden. Solche Verbindungen haben

giftig war.

schließlich kleine Kammern gebildet, die wiederum

Vom ersten Funken des Lebens sollten aber noch

andere Moleküle aufnahmen oder abbauten. Von da

einmal ein bis zwei Milliarden Jahre vergehen, bis die

an ist es zur Arbeitsteilung einer Zelle nicht mehr weit.

ersten Organismen auftauchten, die aus mehreren

Und alles das musste im Wasser geschehen.

Zellen bestanden. Vor 600 Millionen Jahren war es

Heute gilt Luca (Last Universal Common Ancestor)

dann so weit, die ersten Vielzeller tauchten auf. Dann

als letzter gemeinsamer Vorfahr aller Lebewesen. Da-

ging es Schlag auf Schlag, das Leben nahm Fahrt auf.

mals, irgendwann im späten Hadaikum, ist demnach

Aus einfachen Wasserwesen wurden komplexe, sie

die Geburtsstunde des Lebens. Das war vor mindes-

bekamen ein Außenskelett, dann ein Innenskelett.

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Meteoriten stürzen vor vier Milliarden Jahren auf die junge Erde und ihre Vulkane; im Hintergrund der Mond

Der Tyranno­ saurus rex war ein fleisch­ fressender Saurier

Schließlich wagten sich mit den Insekten die ersten

ein Asteroid ihnen den Garaus machte. Das war die

Tiere an Land. Amphibien folgten, doch so ganz trau-

große Chance für Säugetiere wie uns.

ten sie dem trockenen Ufer nicht. Ihren Nachwuchs

Und nun sind wir hier. Obschon wir über Land ge-

vertrauten sie weiterhin dem Wasser an. Genau so, wie

hen und Luft atmen, tragen wir immer noch das Meer

es heute noch Frösche oder Molche tun.

in uns. Wir sind Wasserwesen geblieben, die pro Jahr

Der Rest der Eroberung festen Bodens ist bekannt.

das Fünffache ihres eigenen Gewichts an Wasser zu

Das Land wurde besiedelt, irgendwann bestimmten

sich nehmen. Unser Körper besteht zum größten Teil

die Dinosaurier das Geschehen auf der Weltbühne, bis

aus Wasser. Wenn ein Mensch geboren wird, verlässt er eine Wasserhülle. Die Fruchtblase ist nichts anderes als ein mitwachsender Miniozean, in dem der Embryo reifen kann. Wasser ist perfekt, um den wachsenden, neuen Menschen zu schützen und zu versorgen. Ein Baby besteht noch zu 75 Prozent aus Wasser. Erst mit dem Alter trocknet der Mensch aus. 65 Prozent beträgt der Anteil bei einem Erwachsenen und beim Greis ist nur mehr die Hälfte des Körpers Wasser. Der Mensch wird mit dem Alter quasi zur Rosine. Frauen bestehen übrigens zu einem geringeren Anteil aus Wasser als Männer. Das liegt daran, dass sie mehr Körperfett haben und Fett weniger Wasser enthält. Männer sind muskulöser und im Muskelgewebe ist mehr Wasser gespeichert.

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Alles fließt

Dabei ist das Wasser selbstverständlich nicht gleichmäßig verteilt. Knochen haben 22 Prozent, Blut einen Wasseranteil bis zu 95 Prozent. Auch das Gehirn ist sehr wasserhaltig, unser Geist schwimmt sozusagen. Besonders spannend ist aber das Blut. Dazu muss man noch einmal zu den einfachen Organismen, den Einzellern, zurückkehren. Sie hatten den Vorteil, dass sie direkt mit dem Meer in Kontakt waren: Nährstoffe konnten rein in das Wesen, Abfallstoffe raus, ziemlich direkt über die Zellwand. Unser Körper kann sich gar nicht so rege mit der Umgebung austauschen. Aber wir haben das Blut, das unsere Zellen mit Nährstoffen versorgt und Abfallstoffe abtransportiert. Interessanterweise spiegelt Blut das Wasser wider. Im Ozean ist das Verhältnis der wichtigsten geladenen Teilchen, der Ionen, nahezu identisch zum Blut. Natrium, Kalium, Kalzium und Chlorid sind fast im selben Verhältnis im Blut zu finden wie im Meer. Wir tragen die See in uns.

Der Tod tritt schließlich durch Vergiftung und Kreislaufversagen ein. Zentral sind die Nieren. Denn

Deswegen ist Wasser so wichtig für unser Über-

sie haben die Aufgabe, Abfall- und Giftstoffe aus dem

leben. Je nach Körpermaß und Lebensweise muss

Körper zu schwemmen. Das können sie nur bei ausrei-

ein Mensch jeden Tag trinken. Ein durchschnittlicher

chender Wasserzufuhr. Fehlt Wasser, senken auch sie

Mensch nimmt im Zuge seines Lebens 60.000 Liter zu

den Blutdruck, um den Körper auf Sparflamme zu set-

sich. Das entspricht 250 Badewannen.

zen. Sie versuchen, den Betrieb aufrecht zu erhalten.

Unser Problem ist, dass wir Wasser nicht speichern

Doch irgendwann schalten sich die Nieren einfach ab.

können. Unser Organismus muss ständig aufgefüllt

Dann bleibt der Müll im Körper und vergiftet Muskeln,

werden. Wird er das nicht, stirbt der Mensch. Aus Man-

Nerven, das Gehirn. Schließlich verliert das Herz sei-

gel an Wasser hinzuscheiden, zu verdursten, gilt als

nen Rhythmus. Ende.

sehr grausamer Tod.

Eine ­Welle bricht sich am Strand von ­Tahiti, Französisch-Polynesien

Hierzulande muss niemand unter normalen Um-

Wenn der Organismus Nachschub an Wasser

ständen verdursten, wir sind gesegnet mit Wasser.

braucht, meldet er Durst ans Gehirn. Das Verlangen

188 Milliarden Kubikmeter stehen den Deutschen im

nach Trinkwasser beschäftigt den Geist und verdrängt

Jahr zur Verfügung. Kein Mensch ist in Deutschland

schließlich alle anderen Gedanken. Durst ist eine Qual.

weit von Wasser entfernt. Überall gibt es einen See,

Und nichts, was man von sich wegschieben könnte.

einen Fluss, einen Bach – auch wenn nur 2,3 Prozent

Der Körper beginnt sich zu verändern. Die Haut

des Landes Wasserfläche ist. Sie prägen die Land-

verliert ihre Elastizität und Falten bleiben. Die Zunge

schaft. So beträgt die Fließstrecke aller Bäche und

schwillt an. Das Blut wird zäh. Sein Salzgehalt steigt.

Flüsse in Deutschland gut 400.000 Kilometer. Und das

Weil das Volumen des Blutes ohne Wasser geringer

mit eigenem Charakter und eigenen, mitunter äußerst

wird, sinkt der Blutdruck. Im Gehirn kommt nicht mehr

seltenen Lebensgemeinschaften. Experten unterschei-

die nötige Menge Blut an. Der Durstige wird fahrig,

den allein 25 Typen von Fließgewässern, zum Beispiel

trifft falsche Entscheidungen. Man findet Verdurstete,

„kleine Flüsse der Jungmoräne des Alpenvorlandes“

die sich ausgezogen haben, trotz sengender Sonne.

oder „silikatische, fein- bis grobmaterialreiche Mittel-

Sie sind vor Durst verrückt geworden.

gebirgsflüsse“.

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Wasser hat eine tiefe spirituelle Bedeutung und hat einen festen Platz in unserer Kultur. Im antiken Grie-

allerdings schwer vorstellbar.

chenland flossen in der Unterwelt der Lethe und der

Schließlich kennen die Völker Südamerikas oder

Mnemosyne. Während ein Trunk aus dem Fluss Lethe

­Afrikas in ihrem animistischen Glauben eine beson-

das Vergessen brachte, bedeutete ein Schluck aus dem

dere Rolle des Wassers. Gottheiten, Dämonen und

Mnemosyne, dass man sich an alles erinnert. Was ist

Geister wohnen in Quellen, Flüssen, Seen. An der Seite

der schlimmere Fluch?

des Schöpfergottes der Bambara in Mali etwa steht der

Wasser gilt in allen Religionen als Geschenk der

Wassergott Faro. Sein Widersacher ist Teliko, der Geist

Götter oder auch des einen Gottes. Heilige Quellen

des Wüstenwindes. Die beiden rangeln ständig mitein-

und heilige Flüsse versprechen Erlösung. Gerade bei

ander. Aber natürlich besiegt Faro Teliko immer wieder.

den semitischen Religionen aus dem Nahen Osten ist

Einige Chaco-Stämme in Südamerika stellen ein

das kein Wunder. In der Wüste ist Wasser gleichsam

Gefäß mit Wasser neben einen frisch begrabenen Ver-

Synonym für das Leben. Schon in der Schöpfungs-

wandten. Sie trauern so lange, bis das Wasser in dem

geschichte war die Erde zunächst von Wasser be-

Gefäß verdunstet ist. Der Geist des Toten verweilt noch

deckt. Gott trennte die Elemente am zweiten Tag. Im

und stillt seinen Durst mit dem Wasser.

Paradies gehörte klares, sauberes Wasser zum unver-

Wie stark Wasser unser Dasein bestimmt, spiegelt

zichtbaren Inventar, genau wie später in den Gärten

sich nicht nur in Religion und Ritualen. Märchen und

islamischer Paläste von Persien bis zur Alhambra in

Musik handeln selbstverständlich auch vom Wasser.

Andalusien.

Und ist es ein Wunder? Das Sprudeln, Gluckern, Plät-

In der Sintflut wird Wasser zwar zum Werkzeug der

schern eines Bachs, das Rauschen eines Wasserfalls

Strafe, doch in erster Linie kommt es auf eine Reini-

oder das leichte Klopfen von Regen in einem Wald ha-

gung der Gläubigen an. Moses wird aus dem Wasser

ben einen eigenen Zauber, sind inspirierend.

gezogen. Später schlägt er Wasser aus einem Fels. Die

Wasser begegnet uns als Quelle des ewigen Le-

rituelle Waschung gehört zum Judentum wie zum Is-

bens, der Schönheit, als Jungbrunnen. Prinzen machen

lam. Schon Aaron und seine Söhne sollten sich Füße

sich dutzendweise auf, solcherlei Wunderwasser her-

und Hände waschen, bevor sie vor den Altar treten. In

beizuschaffen. Wahlweise um einen kranken Vater,

fast jeder jüdischen Gemeinde findet sich eine Mikwe

eine kranke Mutter zu retten oder die Gunst einer

für ein rituelles Tauchbad. Muslime führen vor jedem

Frau zu gewinnen.

Gebet eine bestimmte Abfolge von Waschungen durch. Sie sollen gereinigt zu Gott beten.

Wie gefährlich Wasser und seine Bewohner zuweilen sind, davon konnte schon Odysseus ein Lied

Und natürlich sind auch Christen tief mit Wasser

singen. Meerjungfrauen sollen ja einige Seefahrer

verbunden. Sie werden mit Wasser getauft. Ursprüng-

zu sich geholt haben. Oder sie wurden Beute eines

lich war es ein Untertauchen. Das steht für das Sterben,

Meerungeheuers. Keine Frage, Wasser hat schon viele

das Wiederauftauchen für die Auferstehung. Geweihtes,

verschlungen.

gesegnetes Wasser hat eine große Bedeutung und gehört zum Standard jeder katholischen Kirche.

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säubert, ist für Menschen anderer Glaubensrichtungen

Der Mensch ist untrennbar mit dem Wasser verbunden. Sei es als Lebens- oder als Transportmittel.

Auch die Religionen aus dem ferneren Osten ha-

Wasser ist die Ressource der Vergangenheit, der Ge-

ben ihre besondere Beziehung zum Nass. Hindus bei-

genwart und der Zukunft. Wie wir mit ihr umgehen,

spielsweise glauben, dass Wasser als einziges Element

wie wir sie einsetzen, sagt viel über unser Verständnis

unsterblich ist. Wasser spült die Seelen der Toten fort

der Welt. Wir brauchen es. Und doch gehen wir sorg-

zum ewigen Leben. Bäder in heiligem Wasser waschen

los mit Wasser um. Ökologen, Ökonomen, Philosophen

die Sünden ab. Dass ein Bad im heiligen Ganges einen

fordern deswegen einen neuen Umgang mit Wasser.

Alles fließt

Geschätzte 4370 Kubikkilometer Wasser braucht

fen und dann mit möglichst wenig Wasser abwaschen.

die Menschheit im Jahr. Nachhaltig wären nur rund

12 Liter sollen ausreichen. Ein wenig sparsamer ist

4.000 Kubikkilometer. Der Wasserverbrauch pro Kopf

das Astronauten-Bad. Muss ja, denn die Ressource

hat sich in den letzten 100 Jahren nahezu verdoppelt.

Wasser ist auf einer Raumstation noch begrenzter.

In Deutschland fließen durch die Hände und Kehlen

Weniger als ein Liter bedeutet das. Der Trick? Der gute

und Toilettenspülungen jedes Bürgers rund 120 Liter

alte Waschlappen. Wesentlich angenehmer scheint da

pro Tag. Besonders in den Industrienationen wird viel,

der Tipp zu sein, doch zu zweit unter der Brause zu

sehr viel Wasser verbraucht. Unser Durst greift das

stehen, um auf diese Weise Wasser zu sparen.

Kapital des Planeten an, nicht nur die Zinsen.

Allerdings macht die Körperhygiene nur einen Teil

Wasserknappheit gehört für viele Menschen zum

unseres Verbrauchs aus. Für die Herstellung von All-

Alltag. Jede zweite der größten Städte der Welt leidet

tagsgütern und Lebensmitteln werden erstaunliche

darunter. Die Folgen sind nicht nur, dass große Ge-

Mengen Wasser benötigt. Eine Jeans schlägt da mit

wässer wie der Aralsee schrumpfen oder ganz trocken

8.000 Litern zu Buche, ein Ei mit 135 Litern.

fallen. Das Aussaugen von Grundwasser führt vieler-

Der Umgang mit Wasser ist auch in Deutschland

orts dazu, dass der Boden sich senkt. Marschen und

immer wieder ein Thema. Denn die Bundesrepublik

Sumpfgebiete trocknen aus und verlieren ihre Funk-

ist zwar gesegnet mit Wasser. Im Schnitt fallen hier-

tion als Filter und Lebensraum. Der Mangel an Nass

zulande 820 Liter Niederschlag pro Quadratmeter

erhöht die Gefahr für Krisen. Manche glauben, dass

jährlich. Dennoch kann es in einigen Regionen zu

künftig Kriege ums Wasser geführt werden.

Dürren kommen. Das Jahr 2018 hat es eindrucksvoll

Sparen tut also Not. Manche Vorschläge zum klü-

Vom Sturm aufgewühlte Wellen des Atlantiks brechen sich an der Mole

bewiesen.

geren Umgang mit der Ressource muten dabei skur-

Jeder einzelne hat jeden Tag Gelegenheit, sich

ril an. Vor ein paar Jahren tröpfelte die Empfehlung

Wasser, das Element des Lebens, ins Bewusstsein zu

durch die sozialen Medien, nicht jedes Mal zu spülen,

rufen. Sei es beim Zähne putzen, dem ersten Kaffee,

wenn man die Toilette besucht hat.

am Fluss, den sie oder er auf dem Weg zur Arbeit

Manche der Vorschläge sind eben sehr praktisch.

überquert. Oder wenn das Radio „Haus am See“ von

In Kalifornien rät man zum „Navy shower“: Ein schnel-

Peter Fox, „Holy Water“ von Madonna oder „Singing in

ler Strahl auf die Haut, gerne kalt, Dusche aus, einsei-

the Rain“ von Gene Kelly spielt. Alles ist im Fluss.

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Die Schwingung des Wassers „Wasser ist mehr als seine Inhaltsstoffe“, ist Rasmus Gaupp­Berghausen vom Wasserlabor Hado-Life überzeugt und erklärt: „Wasser bildet Formen, egal welcher Schwingung es ausgesetzt wird – physikalisch oder elektromagne­ tisch –, sei es auf makroskopischer Ebene, wie zum Beispiel eine Welle, oder mikroskopisch.“ Das zeigt er mit der Wassereiskristallfotografie, entwickelt von Dr. Masaru Emoto: Gaupp­Berghausen friert Wasserproben ein und fotografiert sie bei 200­facher Vergrößerung im Auflichtmikroskop. Diese Untersuchungs­ methode ist wissenschaftlich nicht anerkannt, weil sie sich nicht unabhängig vom Betrachter wiederholen lässt. „Dies bestätigt jedoch, dass Wasser auf alles reagiert – auch auf den Menschen, der es untersucht. Zudem ist es nicht mög­ lich, jemals denselben Wassereiskristall zu bekommen“, so Gaupp­Berghausen weiter. Die Fotos zeigen einen Wasserkristall aus dem Bodensee (oben) im Vergleich zu einem Wasserkristall unter Einfluss von Techno­Musik (unten).

Wasserkristall aus einer Wasserprobe des Bodensees

Wasserkristall aus einer Wasserprobe bei spielender Techno-Musik

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Das Delta der Tiroler Ache am Chiemsee in Oberbayern

Paradies für die Artenvielfalt Die Tiroler Ache mündet in den Chiemsee. Ihre Mündungszone gilt als eines der am besten ausgebildeten Binnendeltas in Mitteleuropa. Das etwa fünf Quadratkilometer große Gebiet, das nicht betreten werden darf, bildet mit dem südlich angrenzenden Auwald und dem Grabenstätter Moos ein 1.250 Hektar großes Naturschutzgebiet von internationaler Bedeutung. Das Delta fasziniert mit einer riesigen Biotopvielfalt: Rund um den Chiemsee wurden seit 1950 rund 300 Vogelarten registriert. Zu den Brutvögeln gehören etwa der Schwarzhalstaucher, der Wespenbussard, der Schwarzmilan und der Baumfalke. Auch die Fauna ist vielfältig: Der seltene Straußfarn ist genauso vertreten wie die unter Naturschutz stehende Sibirische Schwertlilie. Naturliebhaber haben durch kostenlose Fernrohre an zwei Beobachtungstürmen die beste Sicht auf das Delta: von Lachsgang/Übersee aus kann man die Westseite betrachten, von der Hirschauer Bucht die Ostseite. Darüber hinaus finden regelmäßig Erlebnisbootsfahrten statt.

Lebenselixier für Groß – und Klein Wasser ist das Lösungsmittel des Lebens. Ohne die Wasserstoff-Sauerstoff-Verbindung kann kein Leben auf der Erde funktionieren. Denn das Wasser in den Körpern und Pflanzen dient zum Transport von Nähr­ stoffen und zur Abwehr von Krankheiten gleichermaßen. Kurz: Wasser ist die Infrastruktur des Lebens – auch für winziges Leben. Ein Glück also, dass es davon so viel auf der Erde gibt, denkt man jetzt vielleicht. Doch sind die nutzbaren Süßwasserressourcen relativ überschaubar. Denn der ganz überwiegende Teil des Wassers trägt entweder Salz in sich oder ist in Gletschern gebunden. Deswegen ist jeder Tropfen kostbar, wie auch der Marienkäfer auf dem Foto vermutlich weiß.

Ein Siebenpunkt-Marienkäfer trinkt Wasser von einem Blatt

Eisschollen am Ufer des Chiemsees

Wasser als Element

Wasser als Element

Lösungsmittel des Lebens Eine Verbindung mit faszinierenden chemischen Eigenschaften: Wasser ist die Grundlage des Lebens. Es umgibt und begleitet uns in allen möglichen Formen. Wasser ist alltäglich – und magisch zugleich. Erde, Luft, Feuer und – Wasser: Lange galt die kris-

Denn, und sofort biegt Stolte in die Grundlagen

tallene Flüssigkeit als eines der vier Elemente. Und

der Chemie ab, jedes Element im Periodensystem

wem würde man die mystische Einteilung verdenken?

ist einer Gruppe zugeordnet, die mit der Anzahl be-

Schließlich ist Wasser Lebensspender, Urgewalt, für

stimmter Kernbausteine zusammenhängt. Diese

manchen gar ein Tor zu einer anderen Welt.

Gruppen helfen, die chemischen Eigenschaften eines

Wasser ist scheinbar allgegenwärtig, aber bei

Elements und seiner Verbindung anhand der Gruppe

­weitem nicht so verschwenderisch verfügbar, wie man

im Periodensystem abzuschätzen. Diese Systematik

vielleicht in Mittel­europa denkt. 10 hoch 18 Tonnen,

hat noch heute Bestand.

oder 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser existieren auf der Erde – das ist für sich gesehen erst einmal

Keine normale Verbindung

eine unvorstellbar große Menge. Tatsächlich lässt sich

Doch manchmal funktioniert das nicht ganz – so wie

diese Masse nach menschlichem Ermessen gar nicht

bei der chemischen Verbindung aus Sauerstoff und

erfassen. Doch vielleicht hilft eine Einordnung vom

Wasserstoff, kurz: Wasser. Diese verhält sich nicht so,

anderen Ende der Skala aus: Relativ gesehen macht

wie man es erwarten würde: Wasser ist über einen

Wasser nämlich Schätzungen zufolge gerade einmal

sehr großen Temperaturbereich flüssig – nämlich von

rund 0,02 Prozent der Gesamtmasse der Erde aus.

0 bis 100 Grad Celsius bei Atmosphärendruck. Die

Wenn jemand diese Zahlen auch nur halbwegs begreifen kann, dann ist das wahrscheinlich Stefan

Wasserstoffverbindungen der anderen Elemente dieser Gruppe werden sehr viel schneller gasförmig.

Stolte, Professor für Hydrochemie und Wassertech-

„Dass Wasser über ein so breites Temperaturband

nologie an der TU Dresden. Stolte beschäftigt sich

flüssig bleibt, ist essentiell für alles Leben auf der

seit einem Jahrzehnt mit der Wissenschaft des Was-

Erde“, sagt Stefan Stolte. Denn: Auf der Erde gibt es

sers – und dennoch spürt man im Gespräch mit ihm

aufgrund der verschiedenen Klimazonen auch große

noch immer seine Faszination für die Materie. „Wir

Temperaturunterschiede. Trotzdem konnte sich in fast

kennen heute knapp 120 Elemente“, sagt er, und kor-

all diesen Zonen Leben ansiedeln – und dabei Wasser

rigiert umgehend das verklärte Bild vom Wasser als

als Basis nutzen. „Das Leben auf der Erde ist auf flüs-

eines der vier Urgewalten: „Wasser ist kein Element,

siges Wasser angewiesen. Im menschlichen Organis-

jedenfalls nicht im chemischen Sinne, sondern eine

mus ist Wasser das Lösungsmittel für die unzähligen

Verbindung – mit äußerst interessanten chemischen

chemischen Reaktionen von Biomolekülen, die in den

Eigenschaften.“

100 Billionen Zellen unserer Körper stattfinden“, führt Stolte aus.

Flüssiger Zustand dank Wechselwirkung Doch wie kommt es, dass ausgerechnet die WasserEin Wassertropfen trifft auf eine Wasserober­ fläche – und produziert konzentrische Ringe

verbindung so lange flüssig bleibt? Auch hier taucht Stolte tief in die Materie der Chemie ein.

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Ein Topf auf dem Herd, das Wasser kocht und Wasserdampf steigt auf

Wasser besteht aus einem Sauer- und zwei Wasserstoffatomen – jeder Schüler kennt die Formel der Verbindung: H2O. Doch in dieser Verbindung teilen sich die Elektronen nach einem ganz speziellen Muster auf. „Dabei entstehen Zustände, die besonders bevorzugt sind“, sagt Stefan Stolte. „Die Verteilung ist allerdings nicht ganz fair: Der Sauerstoff zieht die Elektronen etwas näher an sich heran.“ Das Wassermolekül hat also ein eher positiv und ein eher negativ geladenes Ende und ist damit ein sogenannter Dipol. „Man spricht von einer Partialladung.“ Und: Diese Dipole richten sich aus. Zwischen den Molekülen entstehen sogenannte Wasserbrückenbindungen ( Kasten). Diese Ausrichtung wird durch die hohe Bewegungsenergie der Wassermoleküle bei Raumtemperatur aber immer wieder gestört. „Ein Liter Wasser besteht bereits aus einer unfassbar großen Menge an Molekülen, nämlich 55 Mol. Das ist eine Zahl mit 25 Nullen“, sagt Stolte. „All diese Teilchen stoßen millionenfach pro Sekunde aneinander und richten sich mit ihren schwachen Dipolen ständig neu aus – da ist unvorstellbar viel Bewegung.“ Die Wechselwirkungen halten die WasDie Grafik zeigt, wie sich Verbindungen gegenüber Druck (p) und Temperatur (T) verhalten. Die ab­ weichende Kurve oben bedeutet, dass bei steigendem Druck der Schmelzpunkt fällt – und Eis eine geringere Dichte als Wasser hat.

sermoleküle zwar dicht beieinander, aber trotzdem bleiben sie sehr beweglich – so entsteht der Zustand einer Flüssigkeit. Diese Wechselwirkungen sind so stark, dass nicht alle Moleküle einfach in den gasförmigen Zustand übergehen können. „Zudem drückt

H2O

die Atmosphäre auf die Wasseroberfläche und hält die

normal

p

Flüssigkeit zusammen“, ergänzt Stolte.

Wallung am Siedepunkt

überkrit. Fluid flüssig

kritischer Punkt

dampf? Geht es gegen 100 Grad, steigt die sogenannte kinetische Energie, also die Bewegung der

fest

Moleküle: Hitze bringt das Wasser sichtbar in Wallung.

gasförmig

Dadurch bewegen sich die Teilchen auch stärker.

Tripelpunkt T

24

Was passiert dann genau im Übergang zum Wasser-

Wasser als Element | Lösungsmittel des Lebens

Schließlich können sie der Wechselwirkung mit ihren

benachbarten Molekülen entkommen – und gleich-

Eine Regel halten die meisten Elemente und Ver-

zeitig dem Druck der Atmosphäre widerstehen. Es

bindungen jedoch ein: Werden sie fest, nimmt ihre

entsteht die Gasform des Wassers: Wasserdampf.

Dichte zu – sie haben dann mehr Masse pro Volu-

Noch spannender wird es, wenn man sich das

men. Wasser jedoch hält sich nicht daran: Es hat die

Verhalten der Wassermoleküle in der Nähe des Ge-

größte Dichte bei vier Grad Celsius, kurz bevor es

frierpunktes ansieht. Dort bricht Wasser endgültig aus

fest wird. „Wir nennen das die Dichte-Anomalie – ein

dem normalen Verhalten von Wasserstoffverbindun-

äußerst ungewöhnliches Verhalten der Wassermole-

gen aus. Denn dort ändert seine Dichte sich nicht so,

küle“, sagt Stolte. Denn Wasser ist eine der wenigen

wie man es erwartet. Dichte – man erinnere sich an

Verbindungen, deren Feststoff sich gegenüber flüs-

die Schulzeit – ist die Masse pro Volumen. Man stelle

siger Form ausdehnt. „Ein Beispiel, das jeder kennt:

sich also einen Liter Wasser vor: Je nachdem, welche

Gefrorene Wasserflaschen – etwa auf dem Balkon

Temperatur er hat, ändert er das Gewicht, zwar nicht

oder im Tiefkühler – platzen. Bei fast allen ande-

viel, aber immerhin etwas. Das gilt auch für alle an-

ren Flüssigkeiten ist das nicht der Fall – nur Wasser

deren Stoffe.

dehnt sich aus.“

Woher unser Wasser stammt Das Erdenwasser ist außerirdisch: Ein Gespräch mit Dr. Jan Hendrik Bredehöft vom Institut für Angewandte und Physikalische Chemie an der Universität Bremen. natur: Woher stammt unser Wasser? Dr. Jan Hendrik Bredehöft: Die Staubwolke, aus der sich unser Sonnensystem gebildet hat, enthielt

Schutzhülle und kosmische Strahlung spaltete die Wassermoleküle. Der Wasserstoff konnte dann leicht entfliehen.

bereits große Mengen an Wasser. Wassereis ist eine der häufigsten Verbindungen im All. Als nun die Erde

natur: Warum ist dann heute wieder so viel Wasser

entstand, hat sie aus der Eis- und Staubwolke jede

auf der Erde?

Menge Wasser erhalten.

Bredehöft: Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass große Mengen unseres Erdenwassers von Kometen

natur: Und dieses Wasser bedeckt heute unseren Pla-

stammen. Das lässt sich an den Sauer­stoffisotopen ab-

neten?

lesen. Normalerweise sollte in unserer Region des Son-

Bredehöft: Nein, denn der Prozess der Erdent-

nensystems hauptsächlich Sauerstoff-18 vorkommen.

stehung war so heiß, dass höchstwahrscheinlich die

Das Wasser in unseren Meeren ist aber größtenteils aus

Temperatur ausgereicht hat, das gesamte Wasser ins

Sauerstoff-16, das eher vom Rand oder von außerhalb

All zu verkochen. Normalerweise wäre das wegen

unseres Sonnensystems stammt. Wenn wir Originalwas-

der Anziehungskraft der Erde nicht möglich. Aller-

ser hätten, hätten wir deutlich mehr Sauerstoff-18. Das

dings hatte die Erde damals keine solch ausgeprägte

Wasser der Erde ist also kosmischen Ursprungs.

25

Die Moleküle bilden schließlich ein Gitter. Dieses Gitter nimmt bei Wasser mehr Platz ein als bei anderen Stoffen – und beinahe jeder kennt das Muster eines solchen Gitters: Es sind Eiskristalle. Jedes Eiskristall, jede Schneeflocke ist dabei einzigartig. „Zumindest statistisch gesehen sollte es so sein“, sagt Stolte. Denn jedes Kristall unterscheidet sich in der Anzahl der verbundenen Wassermoleküle und an den Stellen, an denen die Verbindung ausgeprägt wird. Stolte: „Man muss sich das vorstellen wie

Eine Schnee­ flocke. Wenn die Luft ruhig ist, kann sich ein solche symetrisches hexago­ nales Kristall bilden

zehn Milliarden Menschen, die sich an den Händen fassen. Da wird das Ergebnis auch jedes Mal anders aussehen.“ Dass das Gitter aus Eiskristallen mehr Platz wegnimmt, liegt insbesondere an den Wasserstoffbrückenbindungen. Diese sind ein wesentlicher Aspekt für das Wasser, aber auch für andere Moleküle des Lebens. „Damit das Leben funktioniert, braucht es

26

Eis als Isolationsschicht fürs Leben im Wasser

Wasserstoffbrückenbindungen“, sagt Wasserforscher

Die Tatsache, dass Eis „leichter“ als flüssiges Wasser

speicherung in der DNA sehr wichtig.“

Stolte. „Sie sind unter anderem bei der Informations-

ist, hat große Bedeutung für die Natur – und das Le-

Bei einer Frage kommt dann selbst Wasser-

ben im Wasser. Denn: Deswegen schwimmt Eis oben.

chemiker Stefan Stolte ins Stocken. Warum kühlt

Vier Grad kaltes Wasser hingegen sammelt sich am

sich heißes Wasser unter bestimmten Bedingungen

Boden von Gewässern. Das Eis hingegen bleibt oben

schneller ab als kühles Wasser? „Man nennt dies den

und isoliert tatsächlich das restliche Wasser vor klir-

Mpemba-Effekt“, antwortet er und führt aus: „Das war

render Kälte an der Oberfläche. „Deswegen können

ein Schüler, der dieses Phänomen bei Experimenten

sehr tiefe Seen nicht durchfrieren“, erklärt Stolte. „Für

feststellte. Seine Lehrer lachten ihn anfänglich aus.“

Fische und andere Lebensformen im Wasser ist das

Doch auch wenn sich empirisch beweisen lässt, dass

unheimlich wichtig, weil sie so unter dem Eis in kal-

heißes Wasser schneller und ausdauernder abkühlt,

tem, aber flüssigem Wasser überleben können.“

gibt es für das Verhalten des Wassers an dieser Stelle

Doch warum dehnt sich die Wasserverbindung

noch keine griffige Erklärung. „Es gibt zwar ein paar

aus, sobald sie in den festen Zustand übergeht? „Die

komplexe Ansätze, aber richtig gut verstanden ist das

geringere Dichte von Eis hat mit den Wechselwirkung

nicht. Eigentlich faszinierend“, sagt Stolte. Und das ist

der Moleküle untereinander zu tun“, erläutert Stolte.

eine gute Nachricht für ihn und seine Forscherkolle-

Die Moleküle werden mit fallender Temperatur träger;

gen. Denn offensichtlich hat Wasser immer noch nicht

im Feststoff stoppt die Bewegung beinahe komplett.

alle seine Geheimnisse preisgegeben.

Wasser als Element | Lösungsmittel des Lebens

Die Resonanz der Moleküle Eine neue Methode macht das kuriose Verhalten der Wassermoleküle sichtbar. Wassermoleküle befinden sich in ständiger, extrem

Theorie zu verstehen“, so Martina Havenith-Newen,

schneller Bewegung, gleich einem Tanz: Sie gehen

„eine, die uns ermöglicht vorauszusagen, welches

Wasserstoffbrückenbindungen ein, brechen sie wieder

­Lösungsmittel sich wie auf einen chemischen Pro-

auf – und das in einer Milliardstel Sekunde. Ein Team

zess auswirkt.“

um Martina Havenith-Newen, Professorin für Physika-

Eine solche Theorie könnte viele Bereiche voran-

lische Chemie an der Ruhr-Universität Bochum, hat

bringen, in denen die Forschung in den letzten Jahren

jetzt eine Methode mit dem komplizierten Namen

ins Stocken geraten ist. So ist auf molekularer Ebene

„Kinetische Terahertz-Absorptionsspektroskopie“, kurz

noch nicht verstanden, wie der Ladungsfluss in einer

KITA, entwickelt. Sie beruht darauf, ultrakurze Laser-

Batterie funktioniert oder warum und unter welchen

pulse auszusenden. Mit KITA kann man das Wasser

Voraussetzungen sich die für Alzheimer typischen

beim Tanzen beobachten.

Plaques im Gehirn bilden. Ähnliches gilt für Anwen-

Das ist umso spannender, als die Forscher auch

dungen in der Homöopathie: Über hundert Doppel-

das Verhalten des Wassers mit anderen Stoffen unter

blindstudien haben mittlerweile bewiesen, dass die

die Lupe nehmen wollen. Denn alles, was sich im

Naturheilkunde wirkt – aber wie und warum, das ist

Wasser befindet, verändert dessen Netzstruktur. Das

in vielen Fällen noch ungeklärt. KITA mit seinem Blick

gilt für einen Löffel Zucker oder Salz, den man in ein

auf die Resonanz der Moleküle könnte hier Licht ins

Wasserglas gibt, wie für große Biomoleküle, etwa

Dunkel bringen.

Proteine. Der Einfluss der Biomoleküle auf das Wasser beschränkt sich nicht auf ihre unmittelbare Umgebung, sondern reicht weit darüber hinaus. Den Rekord beim Manipulieren des Wassers hält ein Frostschutz-Protein: Das Blut arktischer Fische müsste bei 0,9 Grad gefrieren. Tatsächlich aber überleben sie tiefere Temperaturen – dank eines Frostschutz-Proteins, das viele Hundertmal wirksamer ist als die Frostschutzmittel, die wir im Auto verwenden. Mit KITA konnten die Forscher zeigen, dass das Protein das Wassernetzwerk über 2,7 Nanometer hinweg beeinflussen kann. Das ist zwar eine winzige Entfernung, aber immer noch zehnmal so viel wie bei anderen Proteinen. „Unser Ziel ist es, die Interaktion der Moleküle mit den Lösungsmitteln in einer vereinheitlichten

Luftbild eines Flußdeltas im Südwesten Islands

27

Wasser als Element

Wasser in Zahlen Wie viel Wasser täglich das menschliche Hirn durchfließt? Warum ein Burger 2.400 Liter Wasser enthält? Wie lang Deutschlands Wasserleitungsnetz ist? Wir haben die wichtigsten Zahlen zum Wasser gesammelt.

Das Wasser und der Mensch

führt werden. Das menschliche Hirn besteht zu 85, die

Wir alle sind beinahe flüssig: Bei der Geburt besteht

Muskeln zu 75, die Leber zu 69 und die Knochen zu

der Mensch aus etwa 75 Prozent Wasser. Ist er er-

22 Prozent aus Wasser. Der durchschnittliche erwach-

wachsen, beträgt der Wasseranteil nur noch 65 Pro-

sene Körper enthält etwa 43 Liter Wasser. Der Mensch

zent, da mit zunehmendem Alter der Körper verhärtet

trinkt pro Jahr ungefähr neunmal so viel wie er wiegt.

und sein Wasserbindungsvermögen nachlässt. So hat

Bis zu seinem Tod bedeutet das ein Wasser­konsum

jeder Mensch je nach Alter, Größe und Gewicht einen

von etwa 60.000 Litern. Klar, denn der mensch­liche

anderen Wasseranteil im Körper. Bis zu 95 Prozent des

Körper kann nicht mehr als drei Tage ohne Wasser

menschlichen Blutes besteht aus Wasser – entschei-

auskommen. Nur zehn Prozent Wasserverlust erzeugt

dend für eine optimale Blutzirkulation. So können

schwere Mangelerscheinungen, 20 Prozent können

Giftstoffe der Zellen entsorgt und Nährstoffe zuge-

bereits zum Tod führen.

Links: Luftblasen steigen im Wasser auf

Der Wasserhaushalt des Menschen Das alles leistet der menschliche Körper jeden Tag:

• 1.400 Liter Wasser durchfließen das Gehirn. • 2.000 Liter Wasser umspülen die Nieren. • Unser Organismus produziert bis zu eineinhalb Liter Speichel, zweieinhalb Liter Magensaft, drei Liter Darmflüssigkeit, einen halben Liter Gallenflüssigkeit und 0,7 Liter Flüssigkeit in der Bauchspeicheldrüse. • Ein gesunder Erwachsener scheidet zwei bis zweieinhalb Liter Wasser über die Nieren, den Darm, die Haut und die Lungen aus. • Aus dem Abbau von Nahrung, körpereigenen Fetten, Kohlenhydraten und Proteinen produziert der menschliche Körper etwa 0,3 Liter Oxidationswasser. Wenn wir ins Wasser eintauchen, fühlen wir uns schwerelos

29

Salz- und Süßwasser

Laut der Umweltorganisation World Wide Fund For

Vom Weltall aus ist die Erde größtenteils blau. Kein

Nature (WWF) verfügen neun Länder über 60 Prozent

Wunder, knapp drei Viertel der Erdoberfläche sind von

der weltweit verwendbaren Süßwasservorkommen.

Wasser bedeckt. Das ist eine dank des Wasserkreislaufs

Dazu gehören Brasilien, Russland, China, Kanada, Indo-

unveränderliche und unvorstellbar große Menge an

nesien, Indien, Kolumbien, Kongo und die Vereinigten

Wasser: 1,4 Milliarden Kubikkilometer. Damit ließe sich

Staaten. Das ist aber nur ein Grund für Wasserknapp-

der Bodensee 28 Millionen Mal füllen.

heit. Die wachsende Weltbevölkerung, der steigende

Der größte Teil davon ist salziges Meerwasser, nur

Lebensstandard verbunden mit verändertem Konsum-

2,5 Prozent des auf der Erde vorhandenen Wassers ist

verhalten, zunehmend künstliche Bewässerung in der

Süßwasser. Davon wiederum sind mehr als zwei Drittel

Landwirtschaft und nicht zuletzt der Klimawandel und

in Gletschern, als ständige Schneedecke und im ewi-

die Wasserverschmutzung sind weitere Faktoren.

gen Eis gebunden. Weitere 30 Prozent befinden sich als

In Deutschland steht einem Angebot in Grund-

Grundwasser unter der Erde. Das restliche Prozent ist

und Oberflächengewässern von 188 Milliarden Ku-

Bodenfeuchtigkeit, Grundeis, Dauerfrost und Sumpf-

bikmetern eine Entnahme von rund 25,1 Milliarden

wasser. Insgesamt gibt es 14.000 Kubikkilometer für

Kubikmetern gegenüber. Wasserstress ist in Deutsch-

den Menschen zugängliche Süßwasservorräte. Davon

land also nicht zu befürchten. Trotzdem sollte jeder

werden derzeit nur etwa 5.000 Kubikkilometer genutzt

nachhaltig und sorgsam mit der Ressource Wasser

und wiederverwertet. Theoretisch wäre also genug

umgehen – denn jeder Konsument und Produzent

Süßwasser vorhanden, um eine Weltbevölkerung von 7

nutzt indirekt Wasser, das bei der Herstellung von

bis 9 Milliarden Menschen zu versorgen. Allerdings sind

Gütern, oftmals im wasserarmen Ausland, verbraucht

die Süßwasservorräte geografisch ungleich verteilt.

wurde: sogenanntes virtuelles Wasser.

So verteilt sich das Wasser der Erde Süßwasser

2,5 %

davon: Gletscher

68,7 %

Grundwasser Permafrostböden

Quelle: WHO, UNESCO World Water Assessment Programme

30

Ozeane (Salzwasser) 97,5 %

30,1 0,8

Wasser auf Erd0,4 oberfläche und in Atmosphäre davon: Seen 67,4 % Bodenfeuchte 12,2 Atmosphäre 9,5 Sümpfe u.a. Feuchtgebiete 8,5 Flüsse 1,6 Pflanzen und Tiere 0,8

Wasser als Element | Wasser in Zahlen

Foto: Nasa © Globus

12227

Wasser in Deutschland • In Deutschland gibt es mehr als 12.200 Seen

grenzung. Manche Quellen sprechen davon, dass

(„Standgewässer“). So viele sind in der Datenbank

ein Gewässer ab einer Breite von fünf  Metern

der Brandenburgischen Technischen Universität

„Fluss“ genannt werden sollte.

Cottbus für stehende Gewässer erfasst. Schätzun-

• Die längste Flüsse in Deutschland:

gen gehen aber von 15.000 bis 30.000 Seen aus,

- 865 der insgesamt 1233 Kilometer des Rheins

die größer als ein Hektar sind.

fließen durch Deutschland. Damit ist er der

• Die größten Seen in Deutschland:

längste Fluss des Landes. Seine Quelle befindet

- Bodensee (536 km²) in den Bundesländern Bayern

sich in den Schweizer Alpen.

und Baden-Württemberg. Tiefste Stelle: 251 Meter.

- Mit 744 Kilometerrn ist die Weser der zweit-

- Müritz (112  km²) im Bundesland Mecklen-

größte Fluss Deutschlands. Sie entspringt im

burg-Vorpommern. Tiefste Stelle: 31 Meter . - Chiemsee im Bundesland Bayern (79,9 km²). Tiefste Stelle: 73 Meter . - Schweriner See (61,5 km²) im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Tiefste Stelle: 52 Meter . - Starnberger See (56,4 km²) im Bundesland Bayern. Tiefste Stelle: 128 Meter . • Es gibt etwa 15.000 Flüsse in Deutschland – auch genannt „Fließgewässer“. Wissenschaftlich defi-

Thüringer Wald. - 727 der gesamten 1.091 Kilometer fließt die Elbe in Deutschland. Ihren Ursprung hat sie im tschechischen Riesengebirge. - Die Donau ist der zweitlängste Fluss Europas, aber nur Deutschlands viertlängster. Das liegt daran, dass nur 647 der gesamten 2857 Kilometer in der Bundesrepublik fließen, beginnend an der Quelle im Schwarzwald.

niert ist der Begriff „Fluss“ nicht, denn der Über-

- Der Main mit seinen 527 Kilometern ist Deutsch-

gang von Bächen zu Flüssen ist – Sie dürfen jetzt

lands fünftlängster Fluss. Er entspringt im Fich-

schmunzeln – fließend. Es gibt keine genaue Ab-

telgebirge.

Grünes, blaues und graues Wasser

ken, anziehen, bedienen: vom morgendlichen Kaffee

Jeder verbraucht Wasser. Jeden Tag. Denn wir brauchen

über das Steak zum Mittagessen bis hin zur Jeans oder

Wasser. Jeder Deutsche hat einen täglichen Wasser-

dem Smartphone. Die Menge an Wasser, die wir durch

verbrauch mehr als 3.900 Litern. Das sind etwa 33 Ba-

Nahrungsmittel und die Nutzung von Industriegütern

dewannenfüllungen. Das Wasser, das zum Waschen,

verbrauchen und häufig „importieren“, wird virtuelles

Duschen, Trinken und Putzen verwendet wird – etwa

Wasser genannt. Die Summe des direkt und indirekt ge-

120 Liter pro Person und Tag – ist nur ein Teil dieses

nutzten Wassers beschreibt den Wasserfußabdruck, also

Verbrauchs. Der Rest spiegelt unser Konsumverhalten

den tatsächlichen Wasserverbrauch.

wider: Es ist das Wasser, das benötigt wird, um die

Das gebrauchte Wasser wird in die Kategorien

Produkte herzustellen, die wir täglich essen und trin-

„grün“, „blau“ und „grau“ eingeteilt. Das hilft bei der Be-

31

wertung des Wasserfußabdrucks. „Grünes Wasser“ ist

des Wassers für die von uns benötigten Produkte

das natürlich vorkommende Boden- und Niederschlags-

und Güter stammt nicht aus Deutschland. Das meiste

wasser, das von Pflanzen aufgenommen und verdunstet

Wasser führt Deutschland laut Umweltbundesamt

wird. Es ist relevant für landwirtschaftliche Produkte,

über Agrargüter aus Brasilien, der Elfenbeinküste und

die wir verbrauchen. „Blaues Wasser“ ist Grundwasser

Frankreich ein.

oder Wasser aus Seen und Flüssen, das zur Herstellung

Aber auch aus anderen, wasserarmen Gebie-

eines Produktes genutzt wird und nicht mehr zurück-

ten importiert Deutschland Wasser, laut WWF etwa

geführt wird. In der Landwirtschaft ist es das Wasser

5.460 Kubikmeter aus Pakistan – dank des hohen Be-

für die künstliche Bewässerung. „Graues Wasser“ ist die

darfs an Baumwolle und Textilien. „Das entspricht bei-

Wassermenge, die während des Herstellungsprozesses

nahe dem doppelten Volumen des Starnberger Sees“,

eines Produkts verschmutzt wird, etwa durch Dünge-

so der WWF weiter. In Spanien drohe sich „Europas

und Pflanzenschutzmittel oder Arzneimittelrückstände.

Gemüse­garten“ Almeria durch teils illegale Bewässe-

Deutschlands Wasserfußabdruck beträgt 159,5 Mil-

rung selbst auszutrocknen, warnt der WWF und nennt

liarden Kubikmeter Wasser pro Jahr. Davon entfallen

konkrete Zahlen: „Die Bundesrepublik bezog von dort

gerade einmal fünfeinhalb Milliarden Kubikmeter auf

allein 2015 knapp 180.000 Tonnen Tomaten im Wert

die öffentliche Wasserversorgung. Mehr als die Hälfte

von rund 260 Millionen Euro.“

Deutschlands Wasserfußabdruck Deutschland verbraucht jährlich 159,5 Milliarden Kubikmeter Wasser

davon entfallen auf

5,5 Mrd. m³ private Haushalte 18,8 deutsche Industrieprodukte

61,9 aus dem Ausland importierte Agrarprodukte

17,6 aus dem Ausland importierte Industrieprodukte

55,7 deutsche Agrarprodukte davon für Kaffee Kakao sonstige Ölsaaten 5,8 Baumwolle 5,5 Schweine 5,1 Soja 4,8 Rinder 2,6 Milch 2,5 Nüsse 2,1 Sonnenblumen 1,8 sonstige Produkte 12,1

davon aus 9,9 Mrd. m³ 9,7

Quelle: WWF Deutschland

32

Wasser als Element | Wasser in Zahlen

5,7 Mrd. m³ Brasilien 4,2 Elfenbeinküste 3,5 Frankreich 2,9 Niederlande 2,8 USA 2,6 Indonesien 2,3 Ghana 2,2 Indien 1,9 Türkei 1,9 Belgien 1,8 Spanien sonstigen Ländern 30,1

© Globus

2993

Wasserverbrauch Entwicklung des täglichen Pro-Kopf-Verbrauchs in Privathaushalten und im Kleingewerbe

• 1 Smartphone: 910 Liter • 1 Mittelklasse-PKW: 400.000 Liter • 1 Kilogramm normales Papier: 2.000 Liter • 1 Kilogramm Recycling-Papier: 20 Liter

• 1991: 144 Liter

• 2007: 123 Liter

• 1 Kilogramm Rindfleisch: 15.400 Liter

• 1995: 132 Liter

• 2010: 121 Liter

• 1 Kilogramm Schweinefleisch: 6.000 Liter

• 1998: 129 Liter

• 2013: 121 Liter

• 1 Kilogramm Butter: 5.600 Liter

• 2001: 127 Liter

• 2015: 123 Liter

• 1 Kilogramm Käse: 3.200 Liter

• 2003: 131 Liter

• 2017: 123 Liter

• 1 Hamburger: 2.400 Liter

• 2004: 126 Liter

Quelle: BDEW, 2018

• 1 Glas Cola (0,2 l): 67 Liter • 1 Tüte Chips: 185 Liter

Wasserverwendung in Privathaushalten und im Kleingewerbe

Quelle: Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz

• 36 % Körperpflege • 27 % Toilettenspülung • 12 % Wäschewaschen

Virtuelles Wasser

• 9 % Kleingewerbe • 6 % Geschirrspülen • 4 % Essen und Trinken

• 1 Kilogramm Orangen: 560 Liter • 1 Kilogramm Bananen: 790 Liter

1 Jeans — 8.000 Liter Wasser

• 1 Pullover: 4.400 Liter

1 Kilo Reis — 5.000 Liter Wasser

• 1 T-Shirt: 2.500 Liter

1 Hamburger — 2.400 Liter Wasser

• 1 Jeans: 8.000 Liter

1 Liter Milch — 1.000 Liter Wasser

• 1 Kilogramm Röstkaffee: 18.900 Liter

1 Ei — 135 Liter Wasser

• 1 Kilogramm Teeblätter: 8.900 Liter

1 Tasse Tee — 35 Liter Wasser

Virtuelles Wasser

1 Tasse Kaffee — 140 Liter Wasser

Quelle: BDEW 2018

• 1 Kilogramm Nektarinen: 910 Liter • 1 Kilogramm Paprika: 379 Liter • 1 Kilogramm Tomaten: 214 Liter

33

1 PKW — 450.000 Liter Wasser

Verstecktes Wasser in Nahrung und Gebrauchsgütern 1 Paar Lederhandschuhe — 8.000 Liter Wasser

6 % Raumreinigung, Autopflege, Garten •

Das Quellbecken der Bodensee-Wasserversorgung Sipplingen: Der Bodensee, maximal 63 Kilometer lang und 14 Kilometer breit, bedeckt eine Fläche von 536 Quadratkilometern. Er ist unser größter Trinkwasserspeicher

500 Liter

500 Liter 191 33

weltweit Ägypten Israel Marokko

21

118

289

84

32

56 24

27

weltweit

287 l/kg

44 103 134

Deutschland

63

428 l/kg

203 l/kg

190 l/kg

119 l/kg

Virtuelles Wasser (grün, grau und blau) pro Kilogramm Kartoffeln (links) und pro Kilogramm Tomaten (rechts)

34

Italien Spanien Deutschland

108 63

43

214 l/kg

109 l/kg

65

31

35

23 25

22

8

32

83 l/kg

84

35 l/kg

Niederlande 7 9 l/kg

Quelle: Mekonnen, M.M. and Hoekstra, A.Y. (2010)

Wasserversorgung

richtig einzustellen und beim Wäschewaschen das

Wussten Sie, dass die Wasserversorger verpflichtet

Waschmittel richtig zu dosieren. Der Wert ist auf der

sind, den Härtebereich des Trinkwassers mitzutei-

Wasserabrechnung zu finden, die 99 Prozent der Deut-

len? Den Wert braucht jeder, um den Geschirrspüler

schen jedes Jahr zugeschickt bekommen, denn nur

Wasser als Element | Wasser in Zahlen

etwa ein Prozent ist nicht an die öffentliche Wasser-

73,2 Millionen Menschen mit Trinkwasser versorgt.

versorgung angeschlossen. In Deutschland gibt es etwa

Das sind etwa 90 Prozent der Bevölkerung, die jährlich

2.400 Wasser­versorgungsgebiete, die als „groß“ gelten.

rund 4,4 Milliarden Kubikmeter davon bezieht – etwa

In diesen Gebieten geben sie mehr als 1.000 Kubik-

9.200 Füllungen des Bodensees. Der überwiegende

meter Trinkwasser am Tag ab oder es werden mehr als

Rest der Bevölkerung bezieht das Wasser von lokalen

5.000 Personen versorgt. In diesen Gebieten werden

Versorgern.

Wasserversorgung in Deutschland • Die Gesamtlänge aller Verteilungsnetze beträgt

Preise für Wasser

ca. 500.000 Kilometer. • Im europäischen Vergleich halten sich in Deutsch-

Die Mehrzahl der Haushalte zahlt einen

land die Wasserverluste aus den Verteilungsnetzen

Kubikmeterpreis und eine monatliche

mit weniger als 7 Prozent in engen Grenzen. Im

Grundgebühr. Die Grundgebühr macht etwa 80 Pro-

Vergleich zu Großbritannien, wo aufgrund eines

zent des Preises für Wasser aus. Durchschnittswert:

schlecht gewarteten Leitungsnetzes rund 29 Pro-

1,69 € für den Kubikmeter (m³), monatliche Grundge-

zent und in Italien 27 Prozent verloren gehen, neh-

bühr: 5,92 €,

men wir damit eine Spitzenposition in Europa ein.

Die Kosten für Trinkwasser in Deutschland sind in

• In Deutschland reinigen 9.307 Kläranlagen täglich

den vergangenen Jahren laut Statistischem Bundes-

mehr als 26,9 Millionen Kubikmeter Abwasser.

amt nur leicht angestiegen. Es gibt regionale Unter-

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2015–2018

schiede. Zwischen 2005 und 2016 erhöhten sich die Preise im Schnitt um 17,6 Prozent. Die Steigerungsrate lag damit leicht über derjenigen der Verbraucher-

Woher kommt das Wasser in Deutschland?

preise mit 16,1 Prozent im selben Zeitraum. Quelle: Statistisches Bundesamt, 2018

• 1 % Flusswasser • 8 % Quellwasser • 8 % Uferfiltration • 9 % angereichertes Grundwasser • 12 % See- und Talsperrenwasser • 62 % Grundwasser Quelle: Statistisches Bundesamt (2013)

35

Wasser Wasser als als Element Element

Ohne Wasser kein Leben Wasser ist die Grundzutat des Lebens auf der Erde. Wie Pfl anzen, Tiere und der menschliche Körper durch Wasser funktionieren. Vor Milliarden von Jahren entstand aus Wasser Le­

macht der Wasseranteil sogar 90 Prozent aus. Für jede

ben – Leben, das es bis heute erhält. Wasser ist die

einzelne Körperzelle ist Wasser als wichtiger Bau- und

Voraussetzung für jeden Lebensprozess, ob bei Pflan­

Botenstoff elementar für ihr Funktionieren.

So funktioniert die Photosynthese

zen, Tieren oder Menschen. Die biologische Nahrungskette beginnt mit der Assimilation der grünen Pflanze, der Photosynthese, bei der mithilfe von Chlorophyll und Lichtenergie aus Wasser und Kohlenstoffdioxid Glucose aufgebaut und der für Mensch und Tier wichtige Sauerstoff freigesetzt wird. Aber auch für Mensch und Tier ist Wasser ein un-

O2

ersetzlicher Bestandteil für die beim Stoffwechsel ablaufenden Prozesse. Für zahllose Lebewesen ist Wasser Lebensraum – ob nur in frühen Entwicklungs­ stadien oder für ihre gesamte Lebensdauer. Wasser ist dabei nicht nur Bewegungsraum und Nahrungsquelle für alle aquatischen Lebensformen, sondern der Stoff, zu dem sich die in diesem Raum lebenden Organis­ men in einer laufenden Wechselbeziehung befinden. Jeder Organismus, jedes Plasmateilchen kann nur leben, wenn es Energie tanken, also atmen und Nähr-

H2O

CO2

stoffe aufnehmen kann. Dabei liegt die große Bedeutung des Wassers in dessen besonderen Eigenschaften als Lösungsmittel.

Wasser und Mensch Wie grundlegend Wasser für den Menschen ist, zeigt sich alleine daran, dass der menschliche Körper zum großen Teil aus Wasser besteht. Bei manchen Organen

Mg Si Fe

N P

Cu

Na

Ca

Ca

K Mn

CI

Zn

S Mineralien

Das erfrischt! Ein Schluck aus einem Wasserspender

37

B

„Wasser ist der Hauptbestandteil jeder Körperzelle und für die Kommunikation der Zellen untereinander

somit undurchlässig für Bakterien und Viren.

verantwortlich. Wasser regelt alle Körperfunktionen,

Trinkt man also zu wenig Wasser, leiden als erstes

angefangen vom Aufbau des Körpers über den Stoff-

die Nieren. Warnsignal: dunkelgelber Urin. Hält der

wechsel und die Verdauung bis zu Herz-Kreislauf-Funk-

Wassermangel an, droht ein Nierenversagen. Ohne

tionen“, erklärt Humanmedizinerin Dr. Barbara Hendel,

Wasser kommt es auch schnell zum Notstand im Kopf:

Autorin des Buches „Wasser und Salz“ (www.wasser-

Bei Dehydrierung kommt der Wasser-Natrium-Haus-

und-salz.org). „Wasser ist nicht nur für das Funktio-

halt in eine Schieflage. Natrium sorgt indirekt für die

nieren unseres Organismus, sondern auch für unser

Signalübertragung zwischen den Zellen. Bei großem

Denken, Fühlen und Empfinden unentbehrlich.“

Flüssigkeitsmangel schrumpfen die Hirnzellen und

Wasser wirkt als Lösungs-, Transport- und Reini-

trocknen aus. Trinkt man dann große Mengen, schwel-

gungsmittel, transportiert die Nährstoffe zur Zelle,

len die Zellen wieder an und der Hirndruck steigt. An-

beseitigt Abbauprodukte des Stoffwechsels, reguliert

zeichen: Schwindel, Kopfschmerzen, Verwirrtheit. Eine

die Körpertemperatur und schützt den Körper vor

weitere Gefahr, wenn man zu wenig trinkt: Das Blut

Krankheiten.

wird dicker, das Herz muss mehr pumpen. Mögliche

Unser Immunsystem ist süchtig nach Wasser: Es spült Giftstoffe über Nieren, Leber und die Haut aus Der Wassergehalt mensch­ licher Organe

Wasser die Schleimhäute der Atemwege feucht und

Folgen: Kreislaufversagen und schwankender Blutdruck.

dem Körper, sorgt dafür, dass das Blut genügend Sauer-

Auch für Muskeln und Faszien ist Wasser sehr

stoff transportiert, und es erlaubt den Zellen, Nähr-

wichtig: Wissenschaftler der Berliner Charité entdeck-

stoffe aufzunehmen, die sie brauchen. Zudem hält

ten, dass Wasser im Muskel insulinähnliche Wirkungen hervorruft. Zur Energiegewinnung werden verstärkt Kohlenhydrate und vermindert Fette herangezogen.

Augen 99 %

Haare 10 %

Die Muskelzellen erhalten das Signal zu wachsen. Faszientraining ist bei gesundheitsbewussten, Gehirn 85 %

sportlich aktiven Menschen seit etwa fünf bis zehn Jahren im Trend. Faszien sind mit Flüssigkeit gefüllte Bindegewebe, die hauptsächlich aus dem Eiweiß-

Herz 75 %

Knochen 22 %

baustein Kollagen und Wasser bestehen und sich zu Taschen, Beutel, Umhüllungen und Strängen verweben. Faszien durchziehen den Körper von oben nach unten, von außen nach innen und von vorne nach

Muskeln 75 %

Lunge 84 %

hinten. Faszien geben Menschen ihre Körperform und ermöglichen den aufrechten Gang. Dieses Gewebe umhüllt alle Gelenke, Organe, Nerven und Zellen und steuert unsere Motorik. Ist das Fasziennetz intakt, also

Haut 70 %

Leber 69 %

elastisch, geschmeidig und belastbar, sind körperliche Hochleistungen gut abrufbar – ohne große Verletzungsgefahr. Das gesunde Fasziennetzwerk verbindet

Nieren 83 %

Gelenke 83 %

Blut 95 %

größtmögliche Elastizität mit Belastbarkeit. Dank dieser Geweberesilienz sind gut trainierte Menschen so beweglich – mit dem richtigen Training ein Leben lang. Bei Dehydrierung und fehlendem Training ver-

38

Wasser als Element | Ohne Wasser kein Leben

kleben die Faszien: Die Zellwände verschließen sich,

80 %

um die noch verbliebene Flüssigkeit zu konservieren.

70 %

Wichtige Nähr- und Mineralstoffe kommen nicht mehr

60 %

hinein und Abfallstoffe werden nicht mehr abtransportiert. Bei jeder Bewegung sorgt das Fasziennetz

50 %

für ein Gegengewicht im Körper. Bei Wassermangel

40 %

verlängern und kontrahieren sich Muskeln nicht mehr richtig. Die Muskeln überanstrengen sich und blockieren. Mögliche Folgen: Fehlstellungen und Gelenkentzündungen. „Neben den körperlichen Funktionen hat Wasser auch eine informative Aufgabe. Wissenschaftler konn-

75— 80 %

75 % 65 % 50 %

30 % 20 % 10 % 0 %

ten nachweisen, dass Wasser in der Lage ist, Informa-

Neugeborenes

Säugling

Erwachsener

Senior

1. Tag

3 Monate

25 Jahre

85 Jahre

tionen zu speichern“, so Hendel. Hierzu lesen Sie mehr im Kapitel „Die Resonanz der Moleküle“ auf Seite 27.

Forscher der Universität Jena haben festgestellt:

Der mittlerweile emeritierte Professor Bernd Kröp­

Herrscht im Körper Wassermangel, werden wenig bis

lin fand etwa anhand von Wassertropfen-Fotografien

gar keine Sexualhormone gebildet. Folge: Verlust

unter dem Dunkelfeldmikroskop Anhaltspunkte für ein

der Libido.

„Wassergedächtnis“: Er fügte einer bestimmten Menge

Bei Wassermangel trocknen Bandscheiben und

Wasser einen medikamentösen Wirkstoff zu und ver-

Gelenke aus. Sie sind die Wasserreservoirs des Kör-

dünnte dieses Gemisch immer weiter, bis im Wasser

pers, die bei Dehydrierung am schnellsten angezapft

kein Wirkstoff mehr nachzuweisen war. Schrittweise

werden. Wasser zu trinken, kann bei Rückenschmerzen

fotografierte er jeweils einen Tropfen unter dem Dun-

entlasten und eine Schmerzbehandlung erleichtern:

kelfeldmikroskop und fand auch im Wassertropfen, in

Eine Feldstudie von Forschern des Chicago College of

dem physisch kein Wirkstoff mehr nachweisbar war,

Osteopathic Medicine an der Midwestern University

Strukturveränderungen ähnlich zu denen auf dem

hat beispielsweise gezeigt, dass gut hydrierte Men-

Foto des Tropfens, der den Wirkstoff enthielt. Seine

schen besser auf Behandlungen von Schmerzen im

Ergebnisse konnten allerdings weder erklärt noch re-

unteren Rücken ansprechen als dehydrierte.

produziert werden.

Der Wassergehalt des Körpers nimmt mit ­zunehmendem Alter ab

Flüssigkeitsverluste von einem Prozent des Körpergewichts führen zu Einschränkungen der geistigen

Wassermangel im menschlichen Körper

Leistungsfähigkeit. Vor allem bei Kindern, die wenig

„Die Ausscheidung von Giftstoffen über Nieren, Darm,

trinken, verlangsamen sich die Denkprozesse.

Haut oder Lunge kann nur mit Hilfe von Wasser erfol-

Bei Wassermangel sammelt der Körper immer

gen. Dabei verliert der Körper täglich 2 bis 2,5 Liter

mehr extrazelluläres Wasser an, um anfallende Säu-

Wasser. Diesen Flüssigkeitsverlust müssen wir aus-

ren und Toxine zu neutralisieren bzw. zu binden, damit

gleichen“, erklärt Hendel und warnt vor zu wenig

die Organe keinen Schaden erleiden. Bemerkbar

Wasserkonsum: „Gleichen wir den Verlust nicht aus,

macht sich dieser Zustand durch Wassereinlagerun-

können Stoffwechselvorgänge nicht mehr richtig ab-

gen, auch Ödeme genannt, in Beinen, Füßen, Armen

laufen, das Blut dickt ein, was schwere gesundheitli-

oder im Gesicht. Ödeme können auch durch Bewe-

che Schäden wie Schlaganfall, Thrombosen und mehr

gungsmangel bei Hitze durch langes Stehen oder

zur Folge haben kann. Abgesehen davon wird der Al-

Sitzen, hohen Salzkonsum, als Nebenwirkung von

terungsprozess rasant beschleunigt.“

Medikamenten oder als Folge von Herz-, Nieren- oder

39

Leberschwäche auftreten. Gegenmaßnahmen: Genug

Flüssigkeitsmenge nicht mehr verarbeiten. Der Salz-

trinken, um eine Verdickung des Blutes zu vermeiden,

haushalt des Körpers gerät durcheinander. Die Fol-

Bewegung, Wechselduschen mit kaltem und warmem

gen: Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Übelkeit – in

Wasser der Stützstrümpfe.

schlimmen Fällen drohen Krampfanfälle und Koma.

Täglich genug Wasser trinken ist also essentiell

Noch kritischer sieht das beim Säugling aus:

für die menschliche Gesundheit. Wie viel, ist abhän-

„Wenn Säuglinge zusätzlich Wasser bekommen, kann

gig vom individuellen Gewicht. Als Faustregel für ge-

es zur sogenannten Wasservergiftung kommen“, weiß

sunde Menschen empfiehlt Hendel: „30 ml Wasser pro

Barbara Hendel und erklärt: „Die Nieren sind wäh-

Kilogramm Körpergewicht – idealerweise als stilles

rend des ersten Lebensjahrs noch unterentwickelt

Wasser, denn der Säuregehalt der sprudelnden Wäs-

und können größere Mengen Wasser nicht schnell

ser kann negative Auswirkungen auf die Gesundheit

genug ausscheiden. Dadurch kann es zur Verdünnung

haben.“ Zum richtigen Trinkzeitpunkt erklärt sie: „Trin-

der Elektrolyte kommen – mit schweren gesundheit-

ken Sie Wasser zwischen den Mahlzeiten, etwa eine

lichen Folgen. Sobald die Babys feste Nahrung zu sich

Viertelstunde vor dem Essen und zwei Stunden nach

nehmen, ist diese Gefahr gebannt, weil sie mit dieser

jeder Mahlzeit. Zum Essen ist nur eine kleine Menge

Nahrung mehr Salze (Elektrolyte) aufnehmen und

ratsam: Zu viel Flüssigkeit verdünnt die Verdauungs-

damit das Defizit ausgleichen können.“ Ergo: Wasser-

säfte und verzögert oder behindert den Verdauungs-

verbot für Säuglinge – außer er leidet unter Durchfall

vorgang.“

und Erbrechen. Dann sollte aber auch immer ein Kinderarzt zu Rate gezogen werden.

Wasser als Gefahr

Wasserzufuhr und -abgabe im mensch­ lichen Körper

Für Babys und Kleinkinder ebenfalls gefährlich ist

Ohne das Lebenselixier Wasser können Menschen

Nitrat im Trinkwasser. „Nitrat selbst ist unbedenklich,

maximal zwei bis vier Tage auskommen. Zu viel Was-

es wird aber im Körper in giftiges Nitrit umgewandelt.

ser kann dem menschlichen Körper allerdings auch

Das lagert sich an die roten Blutkörperchen an und

schaden: Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernäh-

besetzt die Bindungsstellen für den Sauerstoff. Diese

rung kann es ab fünf Litern pro Tag zu gesundheit-

können so ihre wichtige Aufgabe, den Sauerstoff in

lichen Beschwerden kommen. Die Nieren können die

die Zellen zu befördern, nicht mehr erfüllen. Das ist

Zufuhr: 2,0–2,5 l

bezogen auf einen Erwachsenen ohne starke körperliche Aktivität

Ausscheidung: 2,0–2,5 l Darminhalt: 0,1 l

Flüssigkeit: 1,0–1,5 l Nieren: 1,0–1,5 l

Lebensmittel: 0,7 l Nährstoffabbau: 0,3 l

40

Wasser als Element | Ohne Wasser kein Leben

Lunge: 0,4 l Haut: 0,5 l

besonders für Kinder gefährlich“, so Hendel. „Deshalb

gramm pro Liter.“ Auskunft über den Nitratgehalt im

fordert die Weltgesundheitsorganisation für Kinder

Leitungswasser erteilen die örtlichen Wasserwerke.

einen maximalen Nitratwert von 10 Milli­gramm pro

Auf der sicheren Seite ist man mit speziell für Säug-

Liter im Trinkwasser. Viele Wissenschaftler fordern

linge empfohlenen Mineralwässern aus Glasflaschen

für Babys sogar einen Maximalwert von 2  Milli-

( Kasten).

Gesundheitstipps rund ums Wasser • Wasser gibt Kraft: Nur ein Glas kaliumreiches Was-

• Sprudelwasser macht dick: Das Kohlenstoffdioxid

ser pro Stunde und schon arbeitet man schneller

weitet den Magen, Zellen schütten das Hormon

und effektiver – das ergab eine Studie der Univer-

Ghrelin aus und das sorgt für Hunger. Das belegt

sität Chicago.

eine Studie der Universität Birzeit aus dem Westjordanland. Forscher der Universität Halle bestätigen

• Wasser als natürliches Antihistamin: Ab einem Al-

diesen Effekt zwar, zweifeln aber die Studie unter

ter von 50 Jahren ist der Histaminspiegel oft deut-

anderem wegen der geringen Fallzahl von lediglich

lich erhöht – und damit auch das Allergierisiko.

20 Probanden und der reduzierten Komplexität an.

Regelmäßiges Wassertrinken senkt die Histaminproduktion und reduziert die Gefahr allergischer Reaktionen.

• Wassermangel lässt Hirnmasse schrumpfen: Forscher des Londoner King’s College fanden heraus, dass schon 90-minütiges Schwitzen das Gehirn so

• Wasser ist gut für die Haut: Ein Liter getrunkenes

stark schrumpfen lässt wie ein Jahr Alterung. Die

Wasser verjüngt die Haut um etwa 7,5 Jahre – das

Folge: Denken fällt schwer. Nach ein oder zwei

zeigen Ultraschallmessungen der Charité Berlin:

Gläsern Wasser erreicht das Gehirn schnell wieder

Die Faltentiefe nimmt für mehrere Stunden ab. Zu

die Normalgröße und Leistungsfähigkeit. Ergo:

wenig Trinken trocknet die Haut aus. Fältchen ent-

Beim Sport unbedingt Wasser trinken.

stehen. • Wasser als Muntermacher: Das Lebenselixier lie• Wasser hilft beim Abnehmen: Trinkwasser ist kalo-

fert die Kraft und die elektrische Energie für alle

rienfrei, verbrennt aber Energie durch seine ther-

Gehirnfunktionen, insbesondere für das Denken.

mogene Wirkung. „Schon der Genuss von 1,5 bis

Forscher der Universität London fanden heraus,

2 Liter Trinkwasser täglich kann den Energieum-

dass ein Glas Wasser unsere Denkleistung bis zu

satz um bis zu 100 Kilokalorien erhöhen. Im Jahr

14 % schneller werden lässt. Gemessen haben

könnten so 36.500 Kilokalorien mehr verbraucht

sie, wie schnell 34 Probanden einen Fragebogen

werden. Das entspricht bis zu fünf Kilogramm

beantwortet haben – einmal, nachdem sie einen

Fettgewebe“, so der Studienleiter Dr. Michael

Müsliriegel gefrühstückt haben, und ein zweites

Boschmann.

Mal, nachdem der Müsliriegel mit einem Glas Wasser heruntergespült wurde.

41

Ein Schaf labt sich an der Tränke

Wasser und Tiere Ob Krebse, Quallen, Delfine, Hunde, Katzen oder Nilpferde: Auch Tiere brauchen Wasser zum Überleben – sei es, um die Lebensfunktionen aufrechtzuerhalten, oder wie bei den Fröschen als Fortpflanzungsort oder wie bei den Fischen als Lebensraum. Tiere nehmen Wasser mit fester und flüssiger Nahrung oder durch Oxidationswasser auf, das beim Stoffwechsel entsteht. Die australischen Kängururatten brauchen etwa monatelang nichts trinken, weil sie ihren Wasserhaushalt nahezu komplett aus dem Oxidationswasser der Glucose- und Fettveratmung decken. Bei aquatischen Lebensformen ist der Wasserhaushalt an die Regelung des Salzgehaltes in den Geweben gekoppelt. Biologen unterscheiden dabei

Wasserbedarf von Nutztieren pro Tag

Lebewesen, die einen weit niedrigeren Salzgehalt als das sie umgebende (Meer-)Wasser aufweisen und

Kühe Rinder ab 1 Jahr

50–160 l 25–70 l

über die Osmoregulierung Salze und Wasser abgeben. Dazu brauchen sie Nieren und Nephridien. Osmokonforme Lebewesen können den Salzgehalt ihres Gewebewassers nicht aktiv beeinflussen und kommen mit dem Salzgehalt des Wassers klar, passen sich also

Rinder unter 1 Jahr Kälber bis 6 Monate Schafe/Ziegen

15–30 l

ihrer Umgebung an. Süßwasserfische sind hyperosmotische Regulierer. Sie haben einen höheren osmotischen Wert im Innern des Körpers als ihre Umgebung

5–25 l 2–12 l

und nehmen deshalb Elektrolyte aus dem Wasser auf. Das überschüssige Wasser scheiden sie über den Urin aus. Meerwasserorganismen sind hypoosmotische Regulierer. Sie haben im Gegensatz zu den Süßwasserfischen einen niedrigeren osmotischen Wert im

42

Großpferd auf der Weide (Stute, laktierend)

15–60 l

Fohlen, 200 kg

15–20 l

Wasser als Element | Ohne Wasser kein Leben

Körperinnern als ihre Umgebung. Ohne Gegenregulierung würde das zu ständigem Wasserverlust führen, weshalb sie Salze über die Kiemen ausscheiden. Die meisten Fische sind jeweils auf Salz- oder Süßwasserumgebungen beschränkt.

Links: Weizenpflanzen sprießen aus der feuchten Erde Rechts: Kopf eines Rasen­ sprengers, der einen Wasserstahl in Tröpfchen zerteilt

Wasser und Pflanzen

wenn sie quellen, also Wasser aufnehmen können.

Ob in Parks, Gärten, auf begrünten Garagendächern,

Pflanzen brauchen, einmal gesprießt, genauso wie

in der Steinwüste der Hochgebirge, in oder auf Seen

Tiere und Menschen, immer einen gewissen Wasser-

oder in geschlossenen Räumen, in denen sie nur

gehalt in ihren Zellen, damit sie leben und wachsen

dank menschlicher Pflege wachsen können: Pflan-

können, sonst welken sie. Krautige Pflanzen, also

zen begegnen uns überall. Sie sind der Ursprung

Stauden, Kräuter und einige Kletterpflanzen, erhalten

allen irdischen Lebens. Mithilfe von Sonnenenergie

ihre Festigkeit durch das in ihnen enthaltene Wasser.

bauen sie Glucose auf, die ihren Stoffwechsel in

Schließlich haben sie keinen Holzstamm, der sie fes-

Gang halten. Den dabei freiwerdenden Sauerstoff

tigen könnte. Das Wasser nehmen die Pflanzen aus

benötigen Mensch und Tier, damit ihr Körper die mit

dem Boden über ihre Wurzeln auf. Durch Kohäsion

der Nahrung aufgenommenen Nährstoffe nutzen

und Adhäsion, kann das Wasser in der Pflanze auf-

kann.

wärts fließen. Pflanzen geben über kleine Poren an

Auch für Pflanzen ist das Wasser Urquell des Lebens: Pflanzen sprießen aus Samen – aber nur dann,

den Blättern auch ständig Wasser durch Verdunstung ab („Transpiration“). Der Kreislauf des Lebens.

43

Frühling in Litauen: Dunkle Regenwolken über der Memel (Nemunas)

Wasser in der Natur

Wasser in der Natur

Das Karussell des Wassers Das Wasser unserer Erde befindet sich in steter Bewegung. Angetrieben durch die Kraft der Sonne und der Winde verteilt es sich ständig neu über den Planeten. Der Mensch greift derweil immer stärker in diesen Kreislauf ein – eine Gefahr? Wasser strahlt seit jeher eine große Anziehungskraft

in den Wasserkreislauf eingriff, Flussläufe rücksichts-

auf den Menschen aus. Schnell siedelten Menschen

los domestizierte und das Wasser verschmutzte. Und

entlang der Flüsse, an Küsten und Seen. Da ist es

wie er dann allmählich verstand, dass auch ökologi-

kaum verwunderlich, dass Wasserquellen eine mys-

sche Belange von Bedeutung sind (siehe auch „Le-

tische Funktion zugeschrieben wurde – man denke

bensraum Wasser“ in diesem Heft).

nur an den Jungbrunnen. Oder an den Blautopf, einen kleinen Weiher, dessen üppige Quelle ein Höh-

Wärme der Sonne als Antriebskraft

lensystem mit Regenwasser der Schwäbischen Alb

Um den Kreislauf des Wassers zu verstehen, blicken

ist. Wenn Wasser aus der Erde quillt, ist das immer

wir erst einmal auf die Verteilung. Wasser ist praktisch

ein Spektakel.

überall auf der Erde zu finden. Dennoch handelt es

Dabei ist der Begriff Quelle im Grunde irreführend.

sich keinesfalls um eine unendlich verfügbare Res-

Denn natürlich wird Wasser nicht unter Tage wie von

source für uns Menschen: Denn ein wesentlicher Teil

Zauberhand geschaffen, vielmehr befindet es sich in

der unvorstellbar großen Wassermenge der Erde ist

einem steten Kreislauf rund um die Erde und quer

Salzwasser. 97,5 Prozent des Wassers befindet sich in

durch alle atmosphärischen und Gesteinsschichten.

den Meeren, nur 2,5 Prozent sind – für den Menschen

Die Menge des Wassers – 1,4 Milliarden Kubikkilo-

nutzbares – Süßwasser. Davon sind wiederum mehr

meter – bleibt dabei immer gleich. Egal ob als kühles

als zwei Drittel in Form von Gletschern, Schnee und

Nass in Flüssen, Seen und auch mal salzig in Meeren,

Eis gebunden. Nacken warnt: „Wir werden langfristig

als heißer Dampf, kalter Nebel, Schnee und Eis oder

wahrscheinlich technisch dafür sorgen müssen, das

als Regen: Wasser verliert sich nicht, es ändert nur

Salzwasser in großen Mengen für unseren Gebrauch

seinen Aggregatzustand.

aufzubereiten, wenn die Süßwasserreserven zu Neige

Heribert Nacken, Professor für Ingenieurhydro-

gehen.“

logie an der RWTH in Aachen, betont das gerne. Der

Doch bereits heute sind die Meere ein wesentli-

Forscher, von Hause aus Bauingenieur, schafft mit

cher Baustein für den Wasserkreislauf, denn sie be-

seiner Arbeit ein Bindeglied zwischen ursprünglich

decken den Großteil des Planeten. Das bedeutet: Die

entfernten Disziplinen: den Ingenieurswissenschaf-

Meere fangen wesentliche Teile des Sonnenlichts

ten einerseits und der Ökologie andererseits. Seine

und seiner Energie ein. Dadurch wechselt ein Teil des

Karriere – und seine Familiengeschichte – illustrieren

flüssigen Meerwassers seinen Zustand – er verdampft.

auch, wie der Mensch in den vergangenen 50 Jahren

Dabei bleiben Salze und einige andere im Wasser gelöste Stoffe im Meer zurück. Es bilden sich Wolken, die, angetrieben durch die Winde, in Richtung Land ziehen. Dort kondensiert der Wolkendampf in kälteren, höheren Luftschichten, bil-

Regensturm über dem Meer bei den Bahamas

det nach und nach größere Tropfen, fällt zu Boden –

47

und durchläuft auf dem Weg nach unten bisweilen

Und auch an Land verdunstet Wasser und wird zu Wolkenmasse: durch Pflanzen, Menschen, Seen und

alle drei Zustände. Ist das Wasser einmal an Land gelangt, versickert

Flüsse. Der Mensch leistet einen sichtbaren Beitrag:

es und wird Teil des Grundwassers oder stürzt direkt

Ein Blick auf die Dampfmassen von Kraftwerkskühl-

auf Oberflächengewässer und kehrt dann nach und

türmen reicht aus, um das zu verstehen. Dennoch

nach wieder zurück ins Meer. Dort beginnt die Reise

bleibt die grundlegende Gleichung immer dieselbe –

von Neuem. So entsteht ein riesiger, ewig andauern-

nämlich die der Wasserhaushaltsgleichung: „Die Auf-

der Wasserkreislauf.

teilung von Niederschlag, Verdunstung, Abfluss und

Doch tatsächlich existiert nicht nur der eine Ge-

Speicheränderung ist immer ein Nullsummenspiel; es

samtwasserkreislauf. Vielmehr kann ein Wassermole-

geht nichts verloren,“ erklärt Nacken. Das gilt für jede

kül wie eben beschrieben die ganz große Rundfahrt

Raum- und für jede Zeitskala. „Das Praktische ist, dass

antreten – oder in kleineren, lokalen oder regionalen

man damit jede Art von lokalem, nationalem oder

Kreisläufen verharren.

globalem Kreislauf berechnen kann.“

Bereits über dem Meer ist das sehr häufig der Fall.

Natürlich hat Heribert Nacken für seine Studie-

Denn wenn die noch jungen Wolken zu schnell in

renden ein anschauliches Beispiel entwickelt: „Ihr

eine Kaltluftfront geraten oder in zu hohe atmosphä-

habt monatlich 500 Euro als Einnahme zu eurer Ver-

rische Schichten steigen, bevor sie die Landmassen

fügung – sozusagen den Niederschlag. Davon müsst

erreichen, regnen sich die verdampften Wassermassen

ihr alle Ausgaben tätigen; die Studiengebühren gehen

bereits über dem Meer ab. „Der Wasserkreislauf, der

ab – das ist die Verdunstung, die kann man nicht ver-

sich über dem Meer abspielt, ist mengenmäßig erheb-

hindern. Dann gibt es einen schwankenden Teil auf

lich größer“, sagt Nacken. „Der Großteil des Wassers

eurem Konto, der für Bücher, Ernährung und Klamot-

aus den Meeren erreicht das Land gar nicht und kehrt

ten draufgeht – mal mehr, mal weniger, und das ist

direkt wieder in die See zurück.“

der Abfluss. Und den Teil, den ihr aufs Sparbuch zu-

Wassertürme und Hochbehälter

Oberflächenwasser

öffentliche Wasserversorgung

Wasserwerk

Talsperre

Schematische Darstellung der Wasserbeschaffung für die öffentliche Versorgung, Quelle: Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit

48

Quellen und Brunnen wasserführende Schicht Bohrung ins Grundwasser Grundwasser

Wasser in der Natur | Das Karussell des Wassers

rücklegt und nicht anrührt: Das ist das Grundwasser

zwischen 15 und 18 Prozent der Wassermenge aktiv

als Speicherung.“

bewirtschaften.“

Dieses Sparbuch ist wichtig: Denn das Grundwas-

Dennoch greift der Mensch spürbar in den Kreis-

ser ist neben den Meeren der größte Wasserspeicher

lauf des Wassers ein. Bleibt die Frage, ob das schäd-

auf der Erde. Dort lagert der größte Teil des für uns

lich ist. Zwei zentrale Fragen drängen sich auf: die

nutzbaren Süßwassers.

Rolle des Grundwassers und die Verschmutzung von

In Deutschland macht das Grundwasser rund

Wasser beim Weg über den Planeten.

70 Prozent unserer Trinkwassermengen aus. Dann folgen bereits die Oberflächengewässer, also Flüsse

Den Speicher schützen

und Seen, über die wir Menschen Wasser aus dem

Das Grundwasser ist tatsächlich die stille Reserve des

Kreislauf ziehen. Und es gibt eine dritte, menschen-

Wasserkreislaufes. Sie nimmt nur sehr spärlich am

gemachte Ebene: die „technische Speicherung“, also

Austausch teil. Schätzungen ergeben, dass das ge-

Rückhaltebecken und etwa Talsperren.

samte Oberflächenwasser alle 16 Tage einmal kom-

Die Talsperre Lehnmühle im Freistaat Sachsen. Das gestaute Gewässer ist die auf dem Kamm des Erzgebirges entspringende Wilde Weißeritz.

plett ausgetauscht wird – durch Abfluss in die Meere,

Verdunstung ist kein Pappenstiel

Verdunstung und Nutzung durch Lebewesen. Anders

Mengenmäßig viel wesentlicher als die Nutzung von

das Grundwasser: Es braucht rund 1400 Jahre, um ein-

Wasser durch den Menschen ist allerdings die Ver-

mal komplett zu zirkulieren.

dunstung. „Rund 70 Prozent des jährlichen Nieder-

Drastische Eingriffe ins Grundwasser und schnel-

schlags verdunstet“, sagt Heribert Nacken. Er nimmt

ler Verbrauch dieses Speichers bringen also den

das Beispiel Aachen: Bei durchschnittlich 800 Milli-

Wasserkreislauf und die Ökosysteme aus dem Gleich-

meter Niederschlag im Jahr verdunsten 560 Milli-

gewicht. Doch durch Flächenversiegelung passiert

meter wieder in die Atmosphäre. „Der überwiegende

genau das: Die einzelnen Terme der Wasserhaushalts-

Teil des ‚Geldes‘ ist also bereits gebunden. Nimmt

gleichung verändern sich. Denn Regen versickert

man dann noch das, was abfließt, können wir also

nicht mehr im Boden, sondern fließt vermehrt ab. Na-

49

cken warnt: „Dabei entsteht ein doppelter negativer

Wassertransportadern wurden damals systema-

Effekt, weil einerseits weniger Wasser verdunstet und

tisch ausgebaut und die Ökologie massiv gestört oder

andererseits die Zuführung zum Grundwasserspeicher

sogar zerstört. Ortskanalisationen sammelten alle

reduziert wird.“

Schmutzfrachten und führten sie ungefiltert und in großer Menge in die Bäche hinein. „Dass da die Öko-

Gornergletscher; im Hintergrund das Matterhorn, Kanton Wallis, Schweiz

50

Unbrauchbares Wasser?

logie leidet, ist offensichtlich“, sagt Nacken. Die un-

In einer Sache bemüht Heribert Nacken noch einmal

kontrollierte Verschmutzungsorgie zog sich bis in die

seine Analogie zum Geld. „Wasser ist kein Geld. Geld

1980er-Jahre, als auch die Meere die Auswirkungen zu

kann man verbrauchen und vernichten“, sagt er. „Die

spüren bekamen. Plötzlich starben flächendecken die

Frage nach der Qualität ist eine andere.“ Er erinnert

Robben in der Nordsee.

zum Beispiel an die 1960er-Jahre, als die mitteleuro-

Ähnliches durchlebten Flora und Fauna am Rhein

päischen Binnengewässer nach jahrzehntelanger

angesichts der zahlreichen Belastungen und Havarien.

Belastung durch Ballungsräume und Industrie sowie

Als einmal bei Basel in Ermangelung eines Rückhalte-

durch ungenügende Reinigung stark unter Druck ge-

beckens große Mengen Chlor in den Strom gerieten,

raten waren.

vernichtete dies den gesamten Sauerstoff entlang

Wasser in der Natur | Das Karussell des Wassers

des Flusslaufs. Zehntausende Fische verendeten, man glaubte, der Eingriff würde den gesamten Kreislauf entlang des Rheins auf Generationen zerstören. Doch keine zehn Jahre später waren beinahe alle ökologischen Wunden wieder verheilt. Anwohner und Forscher staunten. Heute weiß man: „Die nicht in Mitleidenschaft gezogenen Seitenarme versorgten den Rhein mit neuen Populationen von Pflanzen und Tieren flussabwärts“, erklärt Nacken. Die Natur zeigte hier ihre starken Selbstreinigungskräfte – und der Wasserkreislauf half dabei, das Leben erneut zu streuen. Die starke Umweltbelastung durch Industrie, Chemie und kommunale Abwässer wurde spätestens bis

ser versickern langsam und werden durch die gute

in den 1990er-Jahren eingedämmt. Doch was damals

Filterleistung des Bodens zu sauberem Grundwasser,

die Industrie war, sind heute die Landwirtschaft mit

das zum Trinken meist nicht mehr aufbereitet werden

ihrer überstarken Düngung, die Gefahr durch winziges

muss.

Belebter Waldboden mit Baumstämmen

Mikroplastik, und Arzneimittel, die ins Grundwasser gelangen. All das lässt zwar kein Wasser verschwin-

Erkenntnisse sichtbar machen

den, doch es erfordert immer aufwändigere techni-

Aufklärung und Bewusstsein für die Funktionsweise

sche Lösungen zu dessen Reinigung und Aufberei-

des Wasserkreislaufs und die Bestände des Süßwas-

tung. (siehe hierzu auch: „Was unser Wasser bedroht“).

sers könnten ein Schlüssel zum allgemein verantwor-

Es gibt aber auch die Hoffnung, dass die Mensch-

tungsvolleren Umgang mit Wasser sein. „Heute sind

heit klug genug ist, ihre schädlichen Eingriffe in den

Datenquellen sehr viel öffentlicher“, erklärt Heribert

Wasserkreislauf zurückzufahren. Viele Erwachsene

Nacken. Insbesondere die Weltraumbehörden NASA

kennen noch die Angst vor dem „sauren Regen“. Das

und ESA, aber auch viele andere Verbände haben

waren in den 1980er-Jahren Schwefeloxide, ein rie-

mittlerweile große Datenberge und spannende Er-

siges Problem, das durch Industrieabgase und Kraft-

kenntnisse darüber, wie und wo Wasser in Bewegung

stoffe entstanden war. Sie reagierten in der Atmo-

ist – und wo es sich staut.

sphäre zu Schwefelsäure und regneten anschließend

Nacken beschreibt an einem Beispiel, was neuer­

über Europa ab. Böden übersäuerten, Schwermetalle

dings möglich ist: „Sie kennen sicherlich Augmen-

darin wurden gelöst und das brachte die Ökologie der

ted-Reality-Lösungen wie etwa die HoloLens. Mit

Pflanzenwelt durcheinander: Jeder kennt noch den

solchen Brillen sehen Sie den normalen Raum, kom-

Begriff des „Waldsterbens“, der selbst im Ausland die

biniert mit zusätzlichen Informationen.“ Das lässt sich

Runde machte. Selbst Gebäude litten unter der Säure

auch für den Wasserkreislauf nutzen, indem man etwa

von oben. Aber man löste das Problem innerhalb we-

die zentralen Erkenntnisse und Daten verschiedener

niger Jahre, indem man Abgase und Kraftstoffe durch

Quellen auf einen Globus projiziert. „Nehmen wir

Filter und neue Mischungen entschwefelte. Heute

etwa den Niederschlag: Sie können die Erdkugel an-

spricht kaum einer mehr davon, der deutsche Wald

fassen und drehen – und sehen die weltweiten Nie-

erfreut sich vergleichsweise guter Gesundheit. Und

derschlagsgebirge.“ Auf diese Weise könnte eine ganz

das ist wesentlich, denn ein Quadratmeter Waldbo-

neue Dimension der Faszination für Wasser entstehen,

den speichert bis zu 200 Liter Wasser und trägt so

die langfristig zum Erhalt eines gesunden und verant-

zum Hochwasserschutz bei. Schmelz- und Regenwas-

wortungsvollen Wasserkreislaufs beiträgt.

51

Wasser Wasser in in der der Natur Natur

Lebensraum Wasser: Bedrohte Vielfalt Wasser ist nicht nur Quell des Lebens, sondern auch Lebensraum. Für die wasserlebenden Arten gelten ganz ­eigene Spielregeln. Sie alle stehen in einem sensiblen Gleichgewicht, das aus mehreren Gründen aus der Balance zu geraten droht. Für viele Tiere bietet Wasser den perfekten Lebens-

oder im oberen Flusslauf siedelt oder gedeiht, ist nicht

raum: vom Wasserfloh im Wassertropfen über die

mit dem See am unteren Flusslauf zu vergleichen. Des-

Bachforelle in schnell fließenden, sauerstoffreichen,

wegen unterscheiden Forscher wie Kalinkat zwischen

kühlen Bächen bis zu Libellen in Ufernähe oder der

fließenden und stehenden Gewässern.

Großen Flussmuscheln am Seeboden. Ein Gewässer

Allerdings sei selbst damit nicht die gesamte

ist mehr als nur das darin befindliche Wasser. Das

Breite der Biodiversität abgedeckt: „Ein Thema, das

Wesen des Gewässers kann nur erfassen, wer auch

neuerdings auf Konferenzen

die Besiedlung durch Tiere und Pflanzen sowie deren

Beachtung findet, sind kleine

Einfluss auf das Gewässer berücksichtigt. Die Gewäs-

Gewässer, umgangssprachlich

serorganismen passen sich den gegebenen Lebensbe-

Tümpel“, sagt Kalinkat. Darüber

dingungen im Wasser an. Manche mögen kaltes und

hinaus geraten auch gerne Un-

schnellfließendes, andere wieder lichtdurchflutetes

tergrundgewässer und Höhlen

und nährstoffreiches Wasser. Strömung, Temperatur,

aus dem Blick, obwohl auch

Licht, Nähr- und Sauerstoffgehalt sind nur einige der

dort immer wieder neue Er-

Milieufaktoren, die Art und Menge der Gewässerorga-

kenntnisse gewonnen werden:

nismen bestimmen.

„Ein Team aus Forschern hier

Trotz der starken Unterschiede zwischen den unter-

am Institut hat erst kürzlich im

schiedlichen Lebenszonen bildet Wasser einen über-

Aachtopf den ersten Höhlen-

greifenden Lebensraum. „Die Übergänge zwischen den

fisch Deutschlands entdeckt.“

Eine weibliche Große Königslibelle (Anax imperator) bei der Eiablage auf dem Blatt einer Teichrose, Burgenland, Österreich

Lebensräumen im Wasser sind im wahrsten Sinne des Wortes fließend“, sagt Dr. Gregor Kalinkat vom Leib-

Ein Blick in die Vergangenheit

niz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfische-

Fast alle Arten im Wasser sind älter als die an Land.

rei (IGB) in Berlin und schaut durchs Fenster auf den

Der Blick ins Wasser ist also auch ein Blick entlang

Müggelsee. „Dort fließt die Spree durch. Das ist häufig

der Evolutionsgeschichte, denn Leben entstand im

so in Mitteleuropa: Seen entstehen entlang der Fluss-

Wasser. Was nicht heißt, dass jedes Lebewesen im

läufe.“ Blickt man auf die unzähligen Binnengewässer

Wasser zwangsläufig irgendwann zum Landlebewesen

Deutschlands, steht zuerst einmal fest: Der Lebensraum

mutiert: „Das, was im Wasser lebt, ist da auch ganz zu-

Wasser ist unglaublich vielfältig. Denn was im Bach

frieden“, sagt Kalinkat mit einem Schmunzeln. „Leben im Wasser ist nicht zwangsläufig darauf angelegt, an

Unterwasserbild mit dem Afrikanischen Tigerfisch (Hydrocynus vittatus) im Okavango-­ Delta, Botswana

Land zu gehen.“ Auch die Nahrungskette im und am Wasser folgt anderen Regeln als an Land. „Im Wasser erfolgt die

53

Umsetzung von Kohlenstoff viel schneller und direk-

Tiere und Pflanzen als Gradmesser

ter“, erklärt Kalinkat. „Plankton wird zu einem hohen

Art und Anzahl der Tiere und Pflanzen sind auch Grad-

Anteil und schnell auf höheren Ebenen der Nahrungs-

messer für den Zustand des jeweiligen Gewässers.

kette umgewandelt.“ Das bedeutet, dass viele auch

Denn manche Tiere sind anspruchsvoll; für sie darf

höhere Wasser-Lebewesen sich vom kleinteiligen

es weder zu kalt oder zu warm, zu schlammig oder

Plankton ernähren. Pflanzen an Land sind hingegen

zu trüb sein. Kalinkat gibt ein Beispiel: „Libellen,

eine besondere Errungenschaft der Evolution: Über

Steinfliegen, Eintagsfliegen, Köcherfliegen sind fast

einen längeren Zeitraum binden sie den Kohlenstoff,

ausschließlich aquatische Insektengruppen. Libellen

der anschließend von Tieren und höheren Lebewesen

sind hierbei die größten, bekanntesten und schöns-

eingesammelt und verarbeitet wird.

ten, aber gerade bei den Steinfliegen und manchen

Güteklasse

I

I bis II

II

II bis III

Die Güteklassen der Wasserqualität

54

Grad der organischen Belastung

wichtige Indikatororganismen

Fische

unbelastet bis sehr gering belastet

Steinfliegenlarven Hakenkäfer

Bachforelle

gering belastet

Steinfliegenlarven Strudelwürmer Hakenkäfer Köcherfliegenlarven

Bachforelle Äsche

mäßig belastet

Hakenkäfer Eintagsfliegenlarven Köcherfliegenlarven Kleinkrebse Schnecken Blütenpflanzen

Barbe Äsche Nase Flußbarsch Hecht

kritisch belastet

Egel Schnecken Moostierchen Kleinkrebse Grünalgenkolonien Muscheln Wasserasseln Egel Wimpertierchenkolonien Schwämme

III

stark verschmutzt

III bis IV

sehr stark verschmutzt

Zuckmückenlarven Schlammröhrenwürmer Wimpertierchen

IV

übermäßig verschmutzt

Schwefelbakterien Geißeltierchen Wimpertierchen

Wasser in der Natur | Lebensraum Wasser: Bedrohte Vielfalt

Karpfen Aal Schleie Brachsen

Plötze Schleie

Köcher- und Eintagsfliegen sind sogenannte typische Zeigerarten von besonders sauerstoffreichem und sauberem Wasser dabei.“ Das heißt, die Eintagsfliegenart verrät bereits, ob das Gewässer viel oder wenig Sauerstoff mit sich trägt. Allerdings gefährdet diese Abhängigkeit von der Wasserqualität auch viele Arten: „Denn es gibt kaum noch entsprechend saubere und unbelastete Gewässer.“ Das Bayerische Landesamt für Umwelt hat einen lesenswerten Fächer mit Hunderten von Illustrationen und Farbcodierungen herausgegeben, um diese Zeigerarten leichter zu identifizieren – und um anschließend anhand der Tiere den ökologischen Zustand des Gewässers bestimmen zu können. Die Publikation ist für eine Schutzgebühr von fünf Euro auf bestellen.bayern.de mit dem Stichwort „Bestimmungsfächer“ zu beziehen.

Fische im Freiwasser, Muscheln am Boden

die Lebensräume ein und machen es sich heimisch – dazu später mehr.

Doch welche Tiere tummeln sich überhaupt im und um deutsche Gewässer? Forscher unterscheiden Frei-

Bedrohte Riesen der Binnengewässer

wasserzonen (Pelagial) und Bodenzonen (Benthal).

Auch Vögel, Nager und Amphibien beherbergt der Le-

Zudem ist für die Tierwelt wichtig, ob das Lebewesen

bensraum Wasser in Deutschland. Ein Teil davon fällt

ein Rückgrat besitzt oder nicht – und welche Größe

unter die neue Definition der Megafauna. „Bisher wurde

es erreicht. Kalinkat illustriert erneut: „Muscheln sind

der Begriff eher für prähistorische Arten und die größ-

größere wirbellose Bodentiere, wir nennen sie also

ten Tiere an Land und im Meer benutzt“, sagt Kalinkat.

benthische Makroinvertebraten.“

„Allerdings gibt es in unseren Binnengewässern keine

Zusätzlich wird die Gewässer-Tierwelt in unter-

Wale oder Elefanten. Deswegen haben wir eine neue

schiedliche Gruppen unterteilt. An erster Stelle steht

Arbeitsdefinition für den Lebensraum Wasser gefasst.“

der Überbegriff Plankton – er umfasst einzellige

In der sehr globalen Ausprägung lautet sie: Alles ab

Orga­nismen, wirbellose Tiere wie kleine Krebse oder

30 Kilogramm aufwärts gilt als Megafauna. Darunter

Insektenlarven, aber auch Fischlarven.

fallen große Otter, Biber, aber auch große Fischarten

Dann folgen Wirbeltiere – also alle Lebewesen, die

Eurasischer Biber (Castor fiber), ein gar nicht mehr so seltenes Bild in Deutschland

wie der Stör oder der Wels.

über eine sichtbare Säule im Rücken verfügen. Zu den

Doch gerade diese Tiere haben besonders stark

ältesten Wirbeltieren gehört der Fisch. Rund 60 Arten

unter der Ausbreitung des Menschen gelitten. Sobald

sind in deutschen Gewässern normalerweise zu fin-

der Homo sapiens neue Erdregionen besiedelt hatte,

den. Doch diese Zahl schwankt bedenklich – aus zwei

ging es mit der dortigen Megafauna bergab: ein Pro-

gegensätzlichen Gründen. Einerseits schwinden viele

zess, der auch heute noch überall auf der Erde zu be-

der heimischen Arten, sie sind durch schrumpfende

obachten ist.

Auen, Verschmutzung und neue Fressfeinde vom Aus-

Dabei nimmt die Süßwasser-Megafauna eine

sterben bedroht. Andererseits drängen neue Arten in

Schlüsselrolle in den Ökosystemen ein: Aufgrund

55

Reaktion auf Veränderungen der Nährstoffbelastung

Leit- und Begleitfische Bachforelle

Äsche

Barbe

Brachsen

Kaulbarsch

in Seen. Bisher stand hier der Fokus auf dem Plankton. Hilt und ihr Team sammeln nun vermehrt Daten insbesondere zu höheren Unterwasserpflanzen. Doch zuerst gibt Hilt eine Einführung in die Pflanzenwelt der deutschen Gewässer: „Das Phytoplankton

obere untere Forellenregion

Äschenregion

Barbenregion

Brachsenregion

KaulbarschFlunder-Region Gezeiten

Gefälle EpiMetarithral

Hyporithral

Epipotamal

Metapotamal

Hypopotamal

ist nur per Mikroskop zu sehen“, führt die Forscherin aus. „Emerse Makrophyten sind große Pflanzen, die aus dem Wasser herausragen, etwa Schilf.“ Und dann gibt es die submersen Makrophyten – die Unterwasserpflanzen. „Sie tragen wesentlich zur Stabilisierung

Strömung

des Klarwasserzustandes vieler unserer Binnenge-

Wasserführung

auf eine der größten Herausforderung für die deut-

wässer bei“, sagt Hilt – und kommt damit gleichzeitig schen Gewässer zu sprechen.

Struktur des Bachbetts / Bodenart

Trübe Gewässer

Wassertrübung

„Im letzten Jahrhundert sind die meisten Gewässer eutrophiert worden – es gelangten zu viele Nährstoffe

Temperatur bis 10 0C

bis 15 0C

wie Stickstoff und Phosphor ins Wasser“, erklärt Hilt.

bis 18 0C bis 20 0C

20 0C und mehr

Sauerstoffgehalt

Diese Anreicherung mit Nährstoffen ist als natürlicher Prozess viel langsamer, durch den Menschen wurde er beschleunigt und verstärkt. Schuld daran sind Abwassereinleitungen und die Düngung von landwirtschaftlichen Flächen. Die Folge: ein extremes Wachstum von Phytoplankton, das das Wasser trüb werden lässt und

Kriterien für die Wasserqualität

ihrer Größe stehen viele Arten an der Spitze der Nah-

damit den höheren Pflanzen ihre zweite Ressource

rungskette, ihre Ausrottung hat Einfluss auf die meis-

nimmt: Licht. Die meisten Unterwasserpflanzen kön-

ten anderen Lebewesen. Außerdem sind einige von

nen unter diesen Bedingungen nicht überleben. Zu-

ihnen sogenannte Öko-Ingenieure. Ein Beispiel: Biber

nächst verringert sich die Artenvielfalt, bis dann auch

formen durch ihre Lebensweise ganze Flussläufe, mit

die widerstandsfähigsten Arten verschwinden und die

entsprechenden Auswirkungen auf biochemische und

Gewässer abrupt in den trüben Zustand „kippen“.

hydrologische Prozesse.

Jeder kennt den Begriff vom „Kippen“ der Gewässer – das kann durch genau dieses unkontrollierte

56

Auch die Pflanzenwelt steht unter Druck

Phytoplanktonwachstum passieren. Wir Deutschen

Doch nicht nur die Tiere – auch die Pflanzenwelt in

sind gewohnt, in solch trüben Gewässern zu plan-

deutschen Gewässern hat in den vergangenen Jahr-

schen: „In zwei Dritteln aller deutschen Seen sind die

zehnten stark gelitten. Denn der Zustand insbeson-

höheren Unterwasserpflanzen komplett verschwun-

dere der Seen hat sich in dieser Zeit in Deutschland

den“, berichtet Sabine Hilt. „Besonders betroffen sind

verschlechtert. Sabine Hilt, Ökosystem-Forscherin

Flachlandgewässer, etwa in Norddeutschland.“

am IGB, weiß allerhand zu berichten. Ihr Forschungs-

„In Flachseen fehlt im Sommer die Temperatur-

schwerpunkt liegt auf Wasserpflanzen – und deren

schichtung des Wassers. Dadurch wird bei Wind die

Wasser in der Natur | Lebensraum Wasser: Bedrohte Vielfalt

gesamte Wassermasse durchmengt und die nährstoff-

Unterwasserpflanzen bilden auch eine eminent

reichen Anteile am Gewässerboden werden immer

wichtigen Lebensraum für Fische. Kommen diese Le-

wieder eingemischt. Das fördert das Wachstum des

bensräume wieder zurück, steigt auch die Artenvielfalt

Phytoplanktons – der See trübt dann komplett ein und

der Fischpopulation wieder an. Kleine Fische können

die Unterwasserpflanzen verschwinden“, erklärt Hilt.

sich wieder verstecken und das Verhältnis zwischen Raub- und Friedfischen normalisiert sich.

Abrupte Übergänge

Die sogenannten Schlingpflanzen haben bei Schwim-

Düngung und Abwassereinleitung strapazierten im

mern und Bootfahrern allerdings einen schlechten

20. Jahrhundert die Flüsse und Seen in ganz Deutsch-

Ruf. Tatsächlich sind sie aber eine wichtige Kompo-

land. Mit Folgen: „In den 1970er- und 1980er-Jahren

nente vieler Gewässer und ein Zeichen für die Verbes-

waren viele Seen trüb und man hatte fast vergessen,

serung der Wasserqualität. Deswegen sollte man auch

dass es reichlich Unterwasserpflanzen geben kann

Mähboote nur mit Bedacht einsetzen, wenn Unter-

und darf“, sagt Hilt. Mittlerweile wird Dünger selek-

wasserpflanzen in Badeseen Probleme bereiten. „Das

tiver eingesetzt, es kommen phosphatfreie Wasch-

ist einerseits wie auf dem Fußballplatz. Man mäht, um

mittel und bessere Kläranlagen zum Einsatz. Viele

besser spielen oder schwimmen zu können. Zu viel

Seen sind wieder auf dem Wege der Besserung. Denn

Mahd im Wasser kann einen schlechten Einfluss auf

Phytoplankton reagiert auf solche Verringerungen der

die Wasserqualität haben“, sagt Sabine Hilt.

Nährstoffbelastung relativ schnell. Auch die UnterNeuansiedeln von Unterwasserpflanzen ist ein zäher

Es steht schlecht um die ökologische Vielfalt

Prozess, zumal sich das rechte Gleichgewicht nicht

Wasser bietet zwar Lebensräume für eine schier un-

sofort einstellt. Da viele Seen immer noch sehr nähr-

zählige Vielfalt von Arten. Doch die Zahl, so groß sie

stoffreich sind, wuchern die Unterwasserpflanzen erst

auch ist, nimmt spürbar ab. Gregor Kalinkat warnt:

einmal in Masse.

„Es steht relativ schlecht um die hiesige Biodiversi-

wasserpflanzen kommen langsam zurück. Aber das

0 m 1 m 2 m 3 m 4 m Bruchwaldzone

Röhrichtzone

Schwi m mblattzone Uferzone

Tauchblattzone

Tiefalgenzone

5 m 6 m Tiefenzone

Uferzonen­ bereiche

57

Ein Ruderboot auf dem Kem­ nader See bei Witten inmitten von Wassergras

tät.“ Das lässt sich insbesondere im „Bericht über den

Viele der angerichteten Schäden sind nicht mehr

ökologischen Zustand der deutschen Gewässer“ des

rückgängig zu machen, insbesondere in puncto Bio-

Umweltbundesamtes ablesen: Nur etwa acht Prozent

diversität: „Wasser ist nicht nur Lebensgrundlage, son-

der Gewässer in Deutschland erreichen den wün-

dern auch ein wichtiger Lebensraum, der aber an vie-

schenswert guten Zustand. Dabei gilt: Der chemische

len Orten stark zerstört ist“, sagt Laura von Vittorelli,

Zustand ist überwiegend gut. Mangelhaft ist hingegen

Leiterin der Gewässerpolitik beim Bund für Umwelt

der biologische Zustand.

und Naturschutz. So geht die Naturschutzorganisation

Dabei sind die Probleme der Lebensräume ent-

WWF für die Jahre 1972 bis 2012 von einem weltwei-

lang der deutschen Gewässer hausgemacht. Durch

ten Rückgang um 81 Prozent bei den im Süßwasser

die Umwandlung der Natur- in eine Kulturland-

lebenden Arten aus – diese sind deutlich stärker be-

schaft griff der Mensch bewusst oder unbewusst in

droht als an Land (Rückgang von 38 Prozent) oder im

diesen Lebensraum ein: Städteplaner ließen keinen

Meer (36 Prozent).

Platz für mäandernde Bachläufe, Feuchtbiotope oder kleine Wälder – sei es wegen des großen Wohn-

Regulierung für mehr Vielfalt

raumbedarfs, des Hochwasserschutzes, des Straßen-

Besonders zurückgegangen sind die Auen entlang

baus oder großer Industriegebiete. Landwirte über-

der großen Wasserachsen. Nur noch rund drei Pro-

düngten ihre Felder und spritzten Pestizide, um ein

zent gelten als intakt. Das wiegt besonders schwer,

Maximum an Ernte zu erzielen. Die Biodiversität, die

denn diese Gebiete zwischen Wasser und Land wei-

nicht nur für die Wasserorganismen, sondern auch

sen die höchste Artenvielfalt in Mitteleuropa auf und

für den Menschen von Bedeutung ist, wurde dadurch

sind entlang der „Lebensader Flüsse“ wichtig für den

eingeschränkt.

Verbund von Biotopen. Es fehlt das Mikrohabitat vor

Die nachteiligen Folgen dieser einseitigen Vorgangsweise wurden oft zu spät erkannt. Mittlerweile

58

allem für viele kleine Arten – oder als „Kinderstube“ für die Größeren.

gibt es viele Initiativen zur Renaturierung von Ge-

Heribert Nacken, Professor für Ingenieurhydro-

wässern. Auch gesetzliche Bestimmungen wie eine

logie an der RWTH in Aachen, kann davon ein Lied

Düngeverordnung und Programme zur Förderung

singen. „Mein Vater war auch Bauingenieur und Was-

ökologischer Landwirtschaft sollen gegensteuern.

serwirtschaftler“, erzählt er. „Damals, vor 30, 40 Jahren,

Wasser in der Natur | Lebensraum Wasser: Bedrohte Vielfalt

bekamen Landkreise und Gemeinden von der EU

ist nur am Rande relevant, aber in der Kombination

erhebliche Fördergelder, wenn sie ihre Gewässer be-

wird es für die Artenvielfalt gefährlich“, warnt Gewäs-

gradigten.“ Ziel der Politik: Flüsse aus den Ortschaften

serforscher Gregor Kalinkat.

herausholen, den Abfluss vergrößern, bändigen und

Dass die neuen Arten eine Bereicherung oder gar

nicht zuletzt neue Nutzflächen für die Landwirtschaft

ein natürlicher Ersatz für die heimische Flora und Fauna

erschließen. „Dadurch ist viel passiert“, sagt Nacken.

sein könnten, widerlegt Kalinkat mit der drastischen

„Die Menschen hatten einen sichtbaren Mehrwert

Analogie eines Kollegen: „Es lässt ja auch keiner

durch die Nutzflächen und einen besseren Hochwas-

Künstler aus anderen Weltregionen in ein Museum

serschutz.“

und sie dort historische Kunst von den Wänden rei-

Doch dadurch gingen Biotope für ganze Gattun-

ßen und verbrennen.“ Tatsächlich ist der Erhalt der

gen zugrunde: Sumpfauen, Ufervegetation, Schilf-

Biodiversität in den Statuten der Vereinten Nationen

meere. Die Zähmung der Gewässerläufe kam einem

festgeschrieben. Grundgedanken: Jede einzelne Art ist

Kahlschlag der ökologischen Vielfalt gleich. Und

mit einem Kunstwerk gleichzusetzen und das Durch-

Heribert Nacken berichtigt nun die Fehler der Gene-

mischen der Arten weltweit bringt Risiken für jede

ration seines Vaters: „Als Sohnemann gehe ich jetzt

einzelne Art mit sich.

an die Projekte meines Vaters und baue sie zurück.“

Es gibt auf der ganzen Welt Beispiele, was alles

Dafür gibt es dann erneut viel Geld von der Europäi-

schiefgehen kann: In Australien etwa wurde die Aga-

schen Union – aber deutlich weniger Anerkennung

Kröte ursprünglich zur Schädlingsbekämpfung impor-

in der Bevölkerung: „Eine Zielgröße der EU ist heute

tiert. Doch es stellte sich heraus, dass die Schleim-

das Krabbelvieh am Boden des Gewässers. Da klatscht

häute der Kröte für alle möglichen lokalen Arten

keiner, denn es entsteht erst einmal kein sichtbarer

hochgiftig sind – ganze Schichten der natürlichen

Mehrwert für den Einzelnen.“

Nahrungskette verschwanden. „Dadurch hat sich die

Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten

Tierwelt Australiens stark verändert“, sagt Kalinkat.

viel bewegt, um seine Gewässer auf Vordermann zu

Auch in Europa haben importierte Arten teil-

bringen: chemisch, biologisch und jetzt eben auch

weise die heimische Fauna durcheinandergewirbelt.

ökologisch. Dafür braucht es allerdings den Dialog

„Schauen wir uns die Flusskrebse an, die aus Nord-

mit der Bevölkerung, ist sich Heribert Nacken sicher:

amerika nach Europa eingeschleppt wurden“, be-

„Wir müssen den Menschen klarmachen, dass wir mit

richtet Kalinkat. „Die Tiere brachten die Krebspest

dem Wiederaufbau der Biodiversität etwas Gutes tun,

mit sich, gegen die sie selbst immun sind. Dadurch

das langfristig allen zugute kommt.“ In der Lehre,

sind europäische Flusskrebsarten quasi ausgestor-

Forschung und Ausbildung hat sich das neue Denken

ben – man findet sie nur noch vereinzelt an einigen

bereits niedergeschlagen: Die RWTH Aachen setzt

Flussoberläufen.“ Flusskrebs, Steinkrebs, Dohlenkrebs

mittlerweile auf eine übergreifende Ausbildung der

wurden dahingerafft und ersetzt; vielen Menschen ist

Hydro-Ingenieure zusammen mit Geografen und Bio-

dies kaum bekannt. Das Ministerium für Ländlichen

logen.

Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg hat deswegen den Leitfaden „Der Schutz der Flusskrebse“

Druck durch eingeschleppte Arten

herausgegeben; er kann online bestellt werden.

Neben Einschnitten im Lebensraum, Klimawandel und

Es kommt jedoch noch schlimmer. „Wir erleben

Verschmutzung droht den heimischen Tier- und Pflan-

mittlerweile sogar, dass eine zweite Welle von neu

zenarten noch ganz anderes Ungemach: neue Kon-

eingeschleppten Arten die erste Welle verdrängt“, be-

kurrenz in der Nahrungskette, die aus fernen Ländern

richtet Kalinkat. „Vor 120 Jahren wurde der nordame-

eingewandert ist. „Jeder Stressor für sich genommen

rikanische Kamber-Krebs auf der polnischen Seite der

59

Oder als Speisekrebs ausgesetzt.“ Diese „alten neuen“

kohlekraftwerks Niederaußem gespeist. Dadurch

Arten werden mittlerweile von Gattungen aus ande-

bleibt sein Wasser selbst im Winter bis zu 20 Grad

ren Teilen der Erde verdrängt, die von Menschen teuer

Celsius warm – ein ideales Plätzchen für subtropische

importiert und irgendwann ausgesetzt werden. „Und

Arten. Erst 2017 wiesen Forscher die erste in Europa

jede neue Art bringt Parasiten und Krankheiten mit.

freilebende Population des Marienbuntbarsches

Das ist ein großes Risiko für unsere heimische Tier-

nach – eigentlich heimisch im westlichen Afrika.

welt.“

Die fernsüdliche Fischverwandschaft hat es sich schon länger hierzulande heimisch gemacht. Be-

Schwarze Liste vs. Schwarzmarkt

reits 2002 hatte ein passionierter Neusser Angler

Natürlich lässt sich das Einschleppen von Arten nicht

an der Erft einen ausgewachsenen Piranha erwischt.

komplett vermeiden – insbesondere in Zeiten der

Der Raubfisch hatte von den lauwarmen Grundwas-

Globalisierung. Aber man kann ein Problembewusst-

ser-Auspumpungen des dortigen Tagebaus profitiert,

sein schaffen, sodass die eigenen Aquarientiere nicht

die den Fluss auch bei Minusgraden bei rund 10 Grad

hinterm Haus in das nächstbeste Gewässer zu entsor-

Celsius halten. Mittlerweile haben sich an solchen

gen. Tatsächlich pflegt die Europäische Union seit ei-

„Hotspots“ ganze Populationen von Buntbarschen und

nigen Jahren eine Schwarze Liste der kritischen Arten,

Guppys angesiedelt, die sich unter diesen Bedingun-

mit denen der Handel komplett verboten ist. Ein Bei-

gen munter reproduzieren.

spiel: der Marmorkrebs, der als fortpflanzungswütiger

Ein gefundenes Fressen für die Lokalpresse – für

Zwitter die Nahrungsketten in ganzen Weltregionen

Forscher und Naturschützer allerdings ein ernsthaf-

durcheinandergebracht hat. Trotzdem gibt es solche

ter Grund zur Sorge. Denn die ausgesetzten Exoten

Tiere weiterhin auf dem Schwarzmarkt zu erwerben.

tragen bisweilen Parasiten in sich, die dann auch

Damit Tiere aus ganz anderen Klimazonen hier-

die heimische Tierwelt befallen. Auch wenn bisher

zulande heimisch werden können, müssen natürlich

nur Einzelfälle bekannt sind und noch kein flächen-

auch die Bedingungen stimmen. Die globale Erwär-

deckendes Problem entstanden ist: Gregor Kalinkat

mung lässt Arten aus dem Süden Europas neuerdings

mahnt zur Vorsicht. „Wenn wir nicht aufpassen, dann

auch nördlich der Alpen heimisch werden. Aber auch

steigt das Risiko, dass einheimische Arten komplett

ein klimatischer Mikrokosmos, etwa hinter Kraftwer-

ausgelöscht werden.“

ken, bietet manchen tropischen Arten unerwarteten Lebensraum. Ein Beispiel: Der Gillbach südwestlich

Auch die Pflanzenwelt leidet

von Düsseldorf wird aus dem Kühlwasser des Braun-

Was für die Tierwelt gilt, findet man auch in der Flora: Fremde Unterwasserpflanzen breiten sich in deutschen Gewässern aus und verdrängen teilweise den heimischen Bestand. Betroffen sind bisher vor allem Gewässer im klimatisch eher milden Westen Deutschlands. Auch die Bevölkerungsdichte spielt eine große Rolle, denn die Zahl der nicht einheimischen Unterwasserpflanzenarten ist in den bevölkerungsreichsten Bundesländern am höchsten. „Die meisten exotischen Arten werden fröhlich in Gartencentern verkauft“, be-

Weiblicher Marmorkrebs mit Eiern, Florida, USA

60

richtet Hilt. Über den Handel werden damit potenziell schädliche Pflanzen weiterverbreitet – dass dies dem Käufer bewusst ist.

Wasser in der Natur | Lebensraum Wasser: Bedrohte Vielfalt

Einige nicht einheimische Unterwasserpflanzen

Noch verfügt Deutschland über eine üppige Viel-

erweisen sich als erstaunlich zäh: „Wenn man zum Bei-

falt an Gewässern, und der Staat versucht, die Diver-

spiel die Wasserpest, deren Massenbestände oft Prob-

sität im Lebensraum Wasser wieder zu verbessern,

leme bereiten, wegmäht, macht man es dadurch oft nur

indem man Ufer und Flussläufe renaturiert. Doch

noch schlimmer“, warnt die Biologin Sabine Hilt. Die

mindestens genauso wichtig ist die Einsicht, impor-

Pflanzenteile werden verdriftet, sinken zu Boden, wur-

tierte Tiere und Pflanzen nicht einfach umstandslos

zeln und tragen so zu einer starken Ausbreitung bei.

auszusetzen – denn eingeschleppte Arten sind einer

Viele Gewässer wachsen komplett zu – Bootstouren

der größten Feinde für das Gleichgewicht der heimi-

oder Badespaß sind dann passé.

schen Ökologie.

Vielfalt im Kleinsten – das Leben in der Pfütze Selbst in winzigen Wassermengen ist Leben zu finden. Einige Organismen haben sich auf Kleinstgewässer spezialisiert. Das sind vor allem Einzeller und Mückenlarven. Besonders Larven bevorzugen dabei Pfützen und Tümpel. Denn dort sind sie die Top-Räuber, stehen in der Nahrungskette weit oben und können sich in Ruhe entwickeln. Ihre natürlichen Feinde sind dort eher selten anzutreffen. Sind die Insekten einmal geschlüpft, wandern sie gerne in Richtung größerer Gewässer. Zum Thema Kleinstgewässer läuft derzeit ein Forschungsprojekt, bei dem Biodiversität im Kleins-

Froschlaich (Rana tem­ poraria)

ten und im urbanen Raum durchleuchtet wird: Urban Jungle Ponds (www.urbanjungleponds.org). Denn in der Stadt sind die Lebensbedingungen für Tiere speziell – durch künstliches Licht, starke Temperaturunterschiede und von Menschenhand gepflegte Grün-

Mit den Urban Jungle Ponds möchten Ökologen den

flächen. Auch die Wasserquellen sind meist komplett

Lebensraum Wasser im kleinsten Format erforschen.

künstlich, etwa Springbrunnen, Regentonnen oder

Jeder, der einen Balkon sein Eigen nennt, kann teil-

Pfützen in Reifenstapeln. Diese Wasseransammlun-

nehmen. Teilnehmer müssen sich um ein Mini-Öko-

gen sind oftmals von einer Vielzahl von Lebewesen

system kümmern, das sie ab und zu mit frischem

besiedelt. All diese Einflüsse der Urbanisierung auf

Wasser versorgen. Im Gegenzug zeigen die Forscher,

Ökosysteme sind bisher nicht ausreichend erforscht.

welche Insekten auf dem Balkon leben.

61

Lichtverschmutzung – „Die Organismen leiden“ Künstliche Lichtquellen machen den Ökosystemen am und im Wasser schwer zu schaffen. Forscher haben nun erste Erkenntnisse, wie die Lichtverschmutzung das Leben gefährdet. Ein Interview mit Dr. Franz Hölker, Leiter der Arbeitsgruppe Lichtverschmutzung am Leibniz-Institut für Gewässerökologie in Berlin. Rottach-Egern am Tegernsee, vom Wallberg aus bei Nacht gesehen, Oberbayern

natur: Welche Rolle spielt Licht für Ökosysteme, ins-

Himmelsleuchten, auch Skyglow genannt. Das sind

besondere für die deutschen Binnengewässer?

atmosphärische Lichtdome rund um Ballungsräume,

Dr. Franz Hölker: Alles Leben ist rhythmisch. Neben der Temperatur, die den Jahreszeitenzyklus

die weit bis in den ländlichen Bereich hineinreichen können.

prägt, ist Licht der zentrale Taktgeber des Lebens: Es

Wir sprechen ganz bewusst von „Verschmutzung“,

bestimmt den Tag- und Nachtrhythmus der wesent-

weil dieses Licht in der Nacht nicht natürlich ist.

lichen Mehrheit der Organismen unseres Planeten.

Plötzlich beginnen zahlreiche Organismen, auf die-

Licht hat mehr mit Gewässern zu tun, als sich viel-

ses Licht zu reagieren, oder können nicht mehr ihren

leicht auf den ersten Blick erschließt: Denn Menschen

normalen Aktivitäten nachgehen, weil es zu hell ist.

siedeln an Gewässern, und wo Menschen sind, ist

Immerhin 30 Prozent der Wirbeltiere und über 60 Pro-

Licht. Über die Hälfte der Menschheit lebt weniger als

zent der wirbellosen Tiere sind nachtaktiv. Besonders

drei Kilometer von Wasser entfernt. Nur jeder Zehnte

diese Tiere haben Schwachlichtsensoren ausgebildet.

muss mehr als zehn Kilometer zurücklegen, um zum

Sobald sie darüber zu viel Licht aufnehmen, ver-

nächsten Gewässer zu kommen. Das bedeutet: Wasser

schwinden ihre Muster und Orientierungsmarken wie

und Licht sind untrennbar miteinander verbunden.

etwa Sterne oder der Mond. Die natürlichen Signale

Eindrücklich sind die NASA-Abbildungen der Erde bei Nacht. Dort kann man zwar keine Gewässer erken-

werden überblendet, im wahrsten Sinne des Wortes verschmutzt und nicht mehr erkannt.

nen, aber dafür das Licht – und dieses zeichnet ganz klar die Formen der Flüsse, Seen und Küstenläufe

natur: Seit wann ist Lichtverschmutzung als ­Problem

nach. So erkennt man beispielsweise ganz deutlich

erkannt und wie weit ist man mit der Forschung?

das Nildelta.

Hölker: Bereits vor über hundert Jahren, im Jahr 1913, verlegten Astronomen ihren Standort von Berlin

natur: Was verstehen wir unter Lichtverschmutzung?

62

nach Potsdam. Sie wollen natürliches Licht beobach-

Hölker: Wir unterscheiden zwei Formen der Licht-

ten und das war schon damals in einer Großstadt wie

verschmutzung. Zum einen haben wir direktes Licht,

Berlin nicht mehr möglich. Es waren auch sie, die den

das in die Gewässer eindringt, etwa eine beleuchtete

Begriff geprägt haben. Heute ist auch Potsdam na-

Brücke über einen Fluss. Die andere Form ist das

türlich viel zu hell, die meisten Observatorien finden

Wasser in der Natur | Lebensraum Wasser: Bedrohte Vielfalt

sich an abgelegenen Orten der Erde oder es werden

natur: Was muss die Gesellschaft tun? Was kann ich

Satelliten genutzt.

als Einzelner beitragen?

Dass Lichtverschmutzung ein Problem für ökolo-

Hölker: Wir müssen uns bewusst werden, dass viel

gische Fragestellungen sein könnte, gab es schon im-

Licht nicht nur positive Seiten hat. Und das meine ich

mer wieder in Ansätzen. Seit 15 Jahren rückt sie aber

ganz grundsätzlich, denn schon die Sprache spiegelt

zunehmend in den Mittelpunkt der Forschung. Aller-

unsere überaus positive Einstellung zum Licht wider:

dings gibt es bisher nur wenige Studien zum Thema

etwa, wenn wir von „Umnachtung“ und „Erleuchtung“

Lichtverschmutzung der Gewässer – da gibt es noch

sprechen.

viel zu forschen.

Für uns Menschen bedeutet Licht aus anthro­ pologischer Sicht erst einmal Sicherheit, Wohlstand,

natur: Welche Effekte sehen wir heute auf den Le-

Geborgenheit. Wir müssen aber lernen, dass zu viel

bensraum Wasser in Deutschland?

Licht negative Auswirkungen auf die Natur hat – und

Hölker: Wir wissen, dass unterschiedliche Prozesse

auch auf uns Menschen.

bei sehr unteschiedlichen Organismen beeinträchtig

Wir sollten deswegen darüber nachdenken, wie

werden – viele Organismen zeigen Veränderungen in

wir Licht nachhaltig nutzen, und zwar entsprechend

ihrem Verhalten oder Stoffwechsel. Selbst Bakterien-

des Umgebungskontextes. Wir brauchen maßge-

gemeinschaften in Sedimenten sind betroffen. Nor-

schneiderte Beleuchtungskonzepte, die ökologisch

malerweise weisen sie unterschiedliche Sommer- und

sinnvollen Regeln folgen.

Wintergemeinschaften auf. Bereits nach einem Jahr

Erstens: Wenn wir nachts etwas beleuchten, dann

nächtlicher Bestrahlung verändern sie sich und glei-

sollten wir einen Grund dafür haben. Ich denke da

chen sich in den Gemeinschaften an.

gerne an die solarbetriebenen Lampen im Garten.

Die Liste ist lang. Algen wachsen schlechter unter

Nur, weil es nichts mehr kostet, sollten sie nicht die

LED-Licht. Auch Fische sind betroffen. Barsche bei-

ganze Nacht über brennen. Zweitens: Man kann auch

spielsweise produzieren weniger das „Nachthormon“

das Beleuchtungsniveau je nach Uhrzeit anpassen.

Melatonin, wenn sie zu viel Licht ausgesetzt sind. Eine

Wir könnten beispielsweise Maximalgrenzen festle-

Lichtstärke knapp über Vollmond reicht bereits aus.

gen, das Licht dimmen oder zeitweise ganz ausstel-

Dadurch kommt ihr hormoneller Rhythmus und letzt-

len, insbesondere in naturnahen Bereichen. Drittens:

lich ihre Reproduktionsphysiologie durcheinander.

Wohin leuchtet das Licht? Idealerweise nur nach

Wandernde Arten wie Aale weichen dem künstlichen

unten und nicht wahllos in alle Richtungen und in

Licht aus, Lachse verharren plötzlich länger. Letztlich

den Himmel.

vergeuden die Tiere Energie, die sie eigentlich auf

Und nicht zuletzt spielt auch die Farbe des Lichts

ihrer langen Reise flussaufwärts dringend benötigen.

eine Rolle. Blaues Licht ist eher schädlich – es zieht

Licht am falschen Ort und zur falschen Zeit ist also

Insekten an und beeinträchtigt den Biorhythmus vie-

ein weiterer Stressfaktor, der den Reproduk­tionserfolg

ler Tiere und des Menschen ganz besonders.

vieler Arten gefährdet.

63

Wasser Wasser in in der der Natur Natur

Wasserdeutschland Deutschland ist in viel stärkerem Maß, als uns das bewusst ist, durch das Wasser geprägt worden. Die Landschaft, die Siedlungsstruktur, in einem gewissen Maß sogar unser Naturverständnis sind in Auseinandersetzung mit dem Wasser entstanden. Das hat Folgen bis heute. Deutschland ist ein Waldland. Oder? Schon die Ger-

nicht stimmt. Wenige Menschen gehen wirklich im

manen waren bekanntlich ein Waldvolk, wir haben

Wald spazieren, niemand legt sich dort zum Mittags-

das Waldsterben erfunden (und die französiche Spra-

schläfchen hin. Voll ist es dagegen im Schwimmbad,

che um ein schönes Fremdwort bereichert) und der

am Flussufer, am Baggersee. Die Wahrheit nämlich

Förster Peter Wohlleben, der uns die Seele der Bäume

ist: Das moderne Deutschland – sein Landschaftsbild,

erklärt, ist der erfolgreichste Sachbuchautor unserer

seine Siedlingsstruktur, seine Wirtschaft, sein Natur-

Tage. „Einst haben die Kerls auf den Bäumen ge-

verständnis – ist viel eher in der Auseinandersetzung

hockt / behaart und mit böser Visage“, dichtete Erich

mit dem Wasser entstanden als mit dem Wald.

Kästner. Und tatsächlich ist die Vorstellung, wie ironisch auch immer, „wir“ hätten früher „auf den Bäumen

Die Ausgangslage: Wasser überall

gehockt“, in deutschen Köpfen verankert wie bei kaum

Wer den Münchner Flughafen von Osten her anfliegt,

einem anderen Volk. Kurz, wenn man in die deutsche

sieht kurz vor der Landung rechts ein Kies- und Be-

Seele hineinschaut, findet man – Wald.

tonwerk. Die Gebäude und Produktionsanlagen mit

Wie das kam, lässt sich an wenigen Entwicklungs-

den Förderbändern sehen aus, als stünden sie auf

schüben festmachen: 1. der römische Geschichts-

einer Insel – sie sind fast lückenlos umgeben von

schreiber Tacitus, dessen Geraune von den „schau-

einem Kranz aus kleinen Seen, den mit Grundwasser

rigen Wäldern“ Germaniens ewig nachhallte; 2. die

gefüllten ehemaligen Abbaulöchern. So weit, so nor-

Romantiker, die den im 18. Jahrhundert arg zugerich-

mal, Baggerseen eben. Doch was bei dem Anblick ver-

teten deutschen Wald nachträglich verklärten; 3. die

blüfft, ist etwas anderes: In der Perspektive des Lan-

Nazis, die nicht nur durch ihre Propaganda, sondern

deanflugs sieht es aus, als wäre das ganze Land, als

auch „wissenschaftlich“ zu beweisen versuchten, dass

wären die Äcker und Weiden, die Dörfer und Straßen

der Sumpf die Heimat des slawischen Untermenschen

und Wege und Wäldchen nur ein hauchdünner Über-

sei, während der Deutsche aus den Wäldern stamme,

zug über einem Wasserkörper. Als wäre dieser unter-

wo er stark und unbeugsam heranwachse, eine

irdische Wasserkörper das Fundament der Landschaft,

menschgewordene Eiche.

und nicht festes Land.

Das kuriose an dieser Festlegung ist nicht nur,

Tatsächlich ist Deutschland mit Wasser reich

dass sie so hartnäckig ist, sondern vor allem, dass sie

gesegnet: Im Mittel fallen bei uns 820 Millimeter Niederschlag po Jahr, summiert also ein Wasserkörper von 82 Zentimetern Tiefe, der ganz Deutschland bedeckt. Zwar ist das ein Durchschnittswert und die

Brücke bei Champalé über den Rhein (links) und den Rheinseitenkanal (rechts); die kombinierte Eisenbahn- und Straßenbrücke verbindet die französische Grenzstadt mit Neuenburg in Deutschland

Verteilung innerhalb Deutschlands ist recht unterschiedlich: In Brandenburg und Sachsen-Anhalt erhalten weiten Gebiete weniger als 600 Millimeter im Jahr, die Mittelgebirge dagegen 1200 und mehr, der

65

Alpenrand und die Höhenlagen des Schwarzwalds

das Wasser und bildet großflächige Sumpf- und Moor-

sogar über 1800. Doch als Ganzes – und verglichen

gebiete.

etwa mit Spanien, Italien oder Südfrankreich – sind

All das hat zur Folge, dass das Wasser in unseren

wir ein äußerst grünes Land. Man kann stundenlang

Landschaften sehr präsent ist, ob als Grundwasser, als

im Zug oder auf der Autobahn fahren und sieht prak-

Niederschlag oder in den Gewässern. Salopp ausge-

tisch überall Grün.

drückt: Es ist viel da, es kommt viel dazu und es bleibt

Der Grund für unseren Wasserreichtum ist eine

ziemlich lange. Das Wasser ist allgegenwärtig. Und

Kombination aus günstigen Faktoren. Zum einen

wann immer in größerem Maßstab in die Landschaft

liegen wir in der kühl-gemäßigten Klimazone, in

eingegriffen wird, steht es vor der Tür und will mit-

der die Verdunstung relativ gering ist. Verstärkt wird

reden. Und wehe, niemand hört zu.

dies durch das maritime Klima Westeuropas, dessen

So kommt es in Deutschland immer wieder zu

feuchte Luft wir oft mit Westwind bekommen. Zum

spektakulären Unfällen mit dem Grundwasser. Nur

anderen hält die dichte Vegetationsdecke einen Groß-

ein paar Beispiele aus den letzten Jahren: Da wird

teil der Niederschläge zurück und gibt sie nur lang-

in Staufen im Breisgau bei einer Geothermieboh-

sam an den Boden ab, was die Grundwasserkörper

rung ein Grundwasserleiter angebohrt, sodass eine

auffüllt und für eine relativ gleichmäßige Wasser-

Gipsgesteinschicht durch das Wasser aufquillt und

führung der Flüsse sorgt. Und zum dritten schafft die

die Altstadt um Dutzende Zentimeter anhebt und es

Lage zwischen der Nordsee und den Gebirgen noch

viele Häuser regelrecht zerreißt (2007). Da wird in

einmal besondere Bedingungen. Von den Alpen und

Köln eine U-Bahn-Baustelle nicht richtig abgedich-

den Mittelgebirgen kommt viel Wasser angeflossen.

tet und das Grundwasser drückt mit solcher Macht

In der Norddeutschen Tiefebene dagegen staut sich

rein, dass es das Stadtarchiv unterhöhlt und zum

Nebel im Venner Moor, Nordrhein-Westfalen

66

Wasser in der Natur | Wasserdeutschland

Einsturz bringt (2009). Da bricht in einen Bahntun-

Hochwasserspitzen waren höher, die Erosionskraft

nel bei Rastatt Wasser ein, und schon sacken oben

war stärker.

drüber die Gleise ab, sodass eine der wichtigsten

Die Gletscher füllten auch Unebenheiten im

Nord-Süd-Verbindungen in Mitteleuropa wochen-

Untergrund mit Eis und bedeckten sie mit Schutt.

lang gesperrt werden muss (2017)  – fast überflüssig

Diese Eislöcher, „Toteislöcher“ genannt, weil sie vom

zu erwähnen, dass es auch in den Tunnelbaustellen

Gletscher isoliert waren, tauten erst sehr viel später

von Stuttgart 21 immer wieder zu Wassereinbrüchen

auf und bildeten Seen unterschiedlichster Größe, die

kommt. Und da wird in Mecklenburg ein Teilstück

häufig auch wieder verlandeten und sich zu Moo-

der Ostseeautobahn A 20 über einem Moor mit un-

ren entwickelten. Deshalb häufen sich die Seen und

zureichenden Fundamenten ausgestattet und die

Moore an den ehemaligen Eisrändern: in Oberbayern

Fahrbahn bricht auf einer Länge von mehr als hun-

und Oberschwaben, in Schleswig-Holstein und Meck-

dert Metern irreparabel ein (2018).

lenburg.

Kein Unfall hingegen, sondern normal und in den

Für Deutschland hatten die Eiszeiten noch eine

Betriebsplänen vorgesehen ist, dass in den stillge-

weitere interessante Konsequenz. Da in den riesigen

legten Steinkohlebergwerken im Ruhrgebiet und im

Eisschilden so viel Wasser gebunden war, lag der

Saarland bis in alle Ewigkeit das Wasser abgepumpt

Meeresspiegel tiefer als heute, zeitweise um mehr

werden muss, damit die Schächte nicht absaufen und

als hundert Meter – und die Küste war entsprechend

instabil werden. Und wovon wir noch gar nicht ge-

weiter weg. Das hieß für die Flüsse, dass sie einen

sprochen haben, sind die Flüsse, die immer wieder

weiteren Weg zur Nordsee zurücklegen mussten und

über die Ufer treten.

ein stärkeres Gefälle hatten. Als nach der letzten Eiszeit der Meeresspiegel wieder stieg und die Nordsee-

Wüste Wasserwildnis

küste wieder näher heranrückte, verlangsamte sich

Um zu verstehen, welche landschaftsgestaltende Kraft

die Fließgeschwindigkeit der Flüsse. Sie stauten sich

das Wasser bei uns hat, müssen wir ein bisschen zu-

gewissermaßen und weite Flächen in ihrem Umfeld

rückblenden, in die Eiszeit.

wurden regelrecht ertränkt. Es entstanden die aus-

Die Eiszeiten erstreckten sich über einen Zeitraum von mehr als einer Million Jahr. Dabei gab es mindes-

gedehnten Sumpf- und Moorlandschaften der Norddeutschen Tiefebene.

tens sechs, möglicherweise auch mehrere Eiszeiten,

Diese vom Wasser gestaltete Landschaft verän-

die jeweils einige Zehn- bis Hunderttausend Jahre

derte sich bis in die Neuzeit hinein nur wenig – aber

dauerten. Während der Eiszeiten reichten die Glet-

in den letzten zweihundert Jahren dafür um so mehr.

scher der Alpen bis weit ins Alpenvorland, die Glet-

Ein Reisender aus der heutigen Zeit, schreibt der

scher der Arktis sogar bis in die norddeutsche Tief-

britische Historiker David Blackbourn, der sich ins

ebene. Der Raum dazwischen blieb eisfrei und bildete

18. Jahrhundert begeben könnte, „hätte zweifellos

eine trockene Kältesteppe mit spärlichem Bewuchs,

das Gefühl, in eine verlorene Welt versetzt worden

wo sich höchstens in geschützten Tälern Büsche ent-

zu sein.“ Noch kaum etwas wäre von der geordne-

wickelten konnten.

ten Kulturlandschaft zu sehen, die ab dem 19. Jahr-

In dieser Landschaft war das Wasser die dominie-

hundert unser Verständnis von Landschaft bestimmt.

rende Kraft. Die Gletscher speisten Ströme, die durch

„Schwarzbraun und morastig, durchzogen von sich

das Vorland flossen und große Mengen Sediment mit

schlängelnden Gräben“, so dehnte sich die unge-

sich führten. Auch in den Mittelgebirgen, die keine

zähmte Wasserwildnis der norddeutschen Tiefebene,

geschlossene Vegetationsdecke hatten, lief das Was-

„halb verborgen von darüberhängenden Kletter-

ser ungehindert ab. Es floss schneller als heute, die

pflanzen und nur mit flachen Kähnen befahrbar, Le-

67

bensraum von Stechmücken, Fröschen, Fischen, Wildschweinen und Wölfen“.

Auch die kleinen Wald-, Wiesen- und Dorfbäche plätscherten meist ziemlich kurvig daher und ver-

Auch die Mittelgebirgsflüsse, so Blackbourn, boten

nässten große Flächen – oder sie waren genau das

ein völlig anderes Bild: „Im Gegensatz zu den vertrau-

Gegenteil, aber auch das war Natur: Vielerorts hatte

ten Wasserstraßen von heute, deren Wasser zwischen

der Biber die fließenden Bäche in Ketten aus kleinen

Uferdämmen dahinströmt, mäandrierten die Flüsse in

Stauteichen verwandelt.

ihren Überschwemmungsgebieten oder sie nahmen

Ankernde Segelschiffe im Hamburger Hafen, um 1895/1900

68

ihren Weg durch Hunderte von kleinen Kanälen, die

Das Wasser prägt unsere Siedlungsstruktur

durch Sand- und Kiesbänke und Inseln voneinander

Das Wasser war also früher in der Landschaft auf

getrennt waren.“ Über die Donau oberhalb von Ulm,

vielfältige Weise präsenter als heute und wirkte

typisch für die mittelgroßen deutschen Mittelgebirgs-

dort auch stärker. Zudem aber – und jetzt kommt

flüsse, heißt es in einem Bericht aus dem 19. Jahrhun-

der Mensch ins Spiel – hatte es zwei Funktionen fast

dert: „Der Fluss durchschlängelt in ziemlich großen,

alleine inne, die es seither weitgehend verloren hat

regellosen, unsicheren Krümmungen [...] die weit

oder zumindest mit anderen Medien teilen muss: Die

gedehnte, moorgründige Talebene.“ Und wo der Fluss

Flüsse waren unverzichtbare Verkehrswege und die in

gar keine Talränder besitzt, wie die Donau weiter

den Mühlen erzeugte Wasserkraft war die wichtigste

flussabwärts in den riesigen Niederungen von Donau-

Energiequelle.

ried und Donaumoos, waren die sumpfigen Gebiete noch viel großflächiger.

Zuerst zu den Flüssen. Zwar spielen sie als Transportwege noch heute eine gewisse Rolle, vor allem

für Rohstoffe wie Kohle und Stahl, Erz und Sand. Aber die Hauptmasse des Güterverkehrs läuft natürlich über Lkw (das allermeiste) und die Bahn (weniger). Wie wichtig aber die Flüsse einst waren und wie sehr sie, noch heute spürbar, die Entwicklung unserer Wirtschaft bestimmt haben, lässt sich an einigen Beispielen zeigen: • Die meisten großen Wirtschaftsräume in Deutschland sind nach den Flüssen benannt, an denen sie entstanden: Rhein-Ruhr, Rhein-Main, Rhein-Neckar, Mittlerer Neckar. • Viele der großen deutschen Industrieunternehmen liegen an Flüssen oder Kanälen, weil diese als Tansportweg unverzichtbar waren: BASF, Bayer, VW oder Daimler. • Duisburg, an der Mündung der Ruhr in den Rhein, ist nach wie vor der größte Binnenhafen Europas. Und dass dort sowie in Mülheim oder Oberhausen viele große Lebensmittelfirmen und -importeure

Schmieden an und bewegten Hämmer zum Zerklei-

wie Aldi oder Metro beheimatet sind, hat auch da-

nern von Erz oder Quarz oder zum Schmieden. Häufig

mit zu tun.

wurden die kleinen Täler in den Mittelgebirgen (die

Die zweite wichtige Rolle des Wassers war die als

oft heute noch Mühltal oder ähnlich heißen) komplett

Energiequelle. Wasser trieb Mühlen an. Wo günstige

für den Mühlenbetrieb hergerichtet, die Gewässer

Standorte waren, das heißt, wo gleichmäßig genü-

durch Wehre, Kanäle und Mühlenteiche reguliert. Die

gend Wasser floss oder wo man einen Mühlenteich

Wasserräder waren die Motoren des Mittelalters und

anlegen konnte, florierte die örtliche Wirtschaft.

die Mühlenbetriebe ein wesentlicher Faktor der wirt-

„Gegenden und Städte mit prosperierenden Mühlen“,

schaftlichen Entwicklung.

meint der Landschafthistoriker und Ökologe Hansjörg

„Die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts“, sagt

Küster, „wurden seit dem späten Mittelalter und be-

Küster, „hatte dort besonders große Auswirkungen,

sonders in der frühen Neuzeit von einem wirtschaft-

wo es schon vorher viele Mühlen gegeben hatte,

lichen Aufschwung erfasst. Denn dort wurde in den

also im Rheinland, in Südwest- und Mitteldeutsch-

Mühlen nicht nur das Korn zu Mehl gemahlen, son-

land sowie in der Nähe der Mühlenstädte im Fluss-

dern es ließen sich auch noch andere Werke von den

system der Donau.“ In Berlin heißt die Stelle an der

Wasserrädern antreiben.“

Ostspitze der Spreeinsel, wo früher der Mühlenstau

In der Tat wurde die Kraft des Wassers als Antrieb

war, noch heute „Mühlendamm“. Dort ist noch heute

für alles mögliche benutzt. Bei den meisten Mühlen

die Spree gestaut und mit einer Schleuse versehen,

konnten an die Hauptwelle, die vom Mühlrad gedreht

dort liegt der historische Hafen und die Berliner Was-

wurde, durch Zahnräder aus Hartholz andere Wellen

serbetriebe haben dort ebenso ihren Sitz wie die Alte

angekoppelt werden. So hatte man eine vielseitig

Münze, in der früher die Wasserkraft zum Prägen ge-

nutzbare Energiequelle. In Ölmühlen wurde Ölsaat

nutzt wurde. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts gab

gepresst, in Walkmühlen wurden gegerbte Häute

es in Berlin 14 Mühlenbetriebe mit 29 Wasserrädern

weichgeklopft. Mühlräder trieben Blasebälge für

und 53 Gängen, also zuschaltbaren Werken. Es gab

Die ­Cordinger Mühle, 1661 erstmals urkundlich erwähnt, ist eine ehemalige ­Wassermühle mit Mühlenhof und Teichan­ lagen in der ­süd­westlichen ­Lüne­burger Heide

69

Schleif- und Poliermühlen, Tabakmühlen, Kupfer-

die Tiere in den fruchtbaren Auen weiden, wo das

mühlen, Zwirnmühlen, Papiermühlen, Pulvermühlen

Gras gut wuchs, weil die Überschwemmungen regel-

und neben der schon erwähnten Münzprägungsstätte

mäßig Sedimente abluden – und wenn der Fluss die

wurden Hammerwerke, Schmiede- und Bohrwerke von

Wiese irgendwann komplett wegschwemmte, dann

­Wasserrädern angetrieben. Erst das Industriezeitalter

war das eben so; meist entstand dafür anderswo eine

mit seinen aufeinanderfolgenden Entwicklungsschü-

neue. Man fing Fische und Wasservögel, wenn es wel-

ben – Dampfmaschine, Elektrizität, Verbrennungsmo-

che gab. Man nutzte die Pflanzen, die dort wuchsen,

tor – löste die Wasserkraft als dominierende Energie-

wie Schilfgras oder Weiden. Man akzeptierte (notge-

quelle ab.

drungen), dass der Fluss das eine Mal mehr Wasser

Eine dritte Rolle des Wassers kam erst in modernen Zeiten hinzu, prägt aber heute ebenfalls die

führte und das andere Mal weniger. Der Fluss gab, der Fluss nahm.

Landschaft: seine Funktion als Kühlmittel. Kraft-

Anfang des 19. Jahrhunderts setzte die vollstän-

werke und chemische Industrie erzeugen viel Wärme,

dige Umgestaltung unserer Flüssee ein, ein Prozess,

die Anlagen müssen entsprechend gekühlt werden.

der bis zum Ende des 20. Jahrhunderts anhielt. Da-

Die BASF in Ludwigshafen beispielsweise darf rund

mals waren die technischen Mittel so weit entwickelt,

200.000 Kubikmeter Kühlwasser pro Stunde aus dem

dass man das Wasser „besiegen“ konnte. Tatsächlich

Rhein entnehmen und wieder einleiten.

ist die Rhetorik der Unterwerfung seit dem 19. Jahr-

Und so ist es nicht überraschend, dass auch sämt-

hundert augenfällig. Die Auseinandersetzung mit

liche deutschen Atomkraftwerke (und viele andere

dem Wasser wird als Kampf beschrieben, den es zu

große Kraftwerke) an Flüssen liegen: Brokdorf an der

gewinnen gilt, ob bei Durchstichen, Deichen oder

Elbe, Philippsburg am Rhein, Gundremmingen an der

Talsperren. Stets geht es darum, die Naturgewalt des

Donau, Ohu an der Isar. Auch AKWs brauchen Kühl-

Wassers zu „bekämpfen“, zu „bändigen“, zu „zähmen“, zu

wasser in der Größenordnung von bis zu 200.000 Ku-

„unterwerfen“, „unschädlich“ zu machen. Exemplarisch

bikmetern in der Stunde. Dieses von den Kraftwerken

lässt sich dies an der Umgestaltung des Oberrheins

aufgeheizte Wasser muss heruntergekühlt werden,

zeigen, der „Rheinkorrektur“.

bevor es dem Fluss zurückgegeben oder erneut ver-

Bis zum 19. Jahrhundert floss der Rhein nicht in

wendet wird – und das geschieht in den großen Kühl-

einem definierten Bett. Er hatte einen bis zu zwei

türmen, wo es an der freien Luft herunterrieselt. Ein

Kilometer breiten Talraum zur Verfügung, den er mal

Teil des Kühlwassers verdampft allerdings auch, ver-

mehr, mal weniger nutzte. Im südlichen Teil der Ober-

schwindet also aus dem Fluss; das sind die Dampf-

rheinebene, etwa von Basel bis Karlsruhe, strömte

fahnen, die aus den Kühltürmen aufsteigen.

das Wasser in unzähligen, immer wieder neuen Rinnen, die durch Kies- und Sandbänke getrennt waren.

70

Flüsse zähmen

Diese Bänke und Inseln wurden vom Fluss aufgebaut,

Das Wasser wurde also schon immer genutzt – aber

wenn er durch Hochwaser anschwoll und seine Kraft

wirklich beherrschen konnte man es lange Zeit nicht.

am stärksten war. Sie wurden zu Hindernissen, sobald

Das Meer, die Flüsse, die Seen, die riesigen Moore und

die Strömung schwächer wurde. im Lauf der Jahrhun-

Sümpfe, das unregelmäßig auftretende Hochwasser

derte und im Wechsel der Jahreszeiten schuf dieser

hatten Dimensionen, die über das hinausgingen, was

Zyklus ein Labyrinth aus Wasserarmen und Inseln –

der Mensch in den Griff bekommen konnte.

allein entlang des 110 Kilometer langen Teilstücks

So war der Umgang mit dem Wasser meist prag-

von Basel bis Straßburg bestanden zeitweise mehr

matisch. Man suchte und nutzte die Nähe der Flüsse,

als tausend Inseln! Es gibt ein berühmtes Gemälde

obwohl sie potenziell zerstörerisch waren. Man ließ

des Schweizer Malers Peter Birmann, „Blick von Is-

Wasser in der Natur | Wasserdeutschland

­Nachtaufnahme des Atomkraftwerks Ohu an der Isar bei Landshut, Bayern

teiner Klotz rheinaufwärts gegen Basel.“ Das Bild, zu

lich durchbricht. Nun ist eine Abkürzung entstan-

Beginn des 19. Jahrhunderts gemalt, zeigt einen Fluss,

den, durch die das Wasser schneller fließt als zuvor

der dem heutigen Rhein kein bisschen mehr ähnelt,

in der weiten Kurve. Die Dynamik verlagert sich auf

ja kaum etwas mit unserem Bild von einem Fluss ge-

die nächstgelegene Flussschlinge, die jetzt verstärkt

mein hat. Der Fluss auf Birmanns Gemälde wirkt wie

ausgebaucht wird. Die abgetrennte Flussschlinge da-

eine Art Lagune, eine verzweigte, verträumte Wasser-

gegen, der „Altarm“, wird jetzt kaum noch duchflossen.

landschaft mit Dutzenden von baumbestandenen

Sie ist zwar anfangs noch mit dem Fluss verbunden,

Inseln, zwischen denen die Strömung sich fast behut-

aber ihre Strömung ist gering und sie wird zuneh-

sam ihren Weg sucht.

mend vom Fluss abgeschnitten. Das Wasser steht, sie

Im nördlichen Teil des Oberrheingrabens, von Karls-

beginnt zu verlanden.

ruhe bis zur Mündung des Mains, bot der Rhein ein

Ein solcher Fluss zeigt alle Entwicklungsstadien

etwas anderes Bild. Hier lag die Mäanderzone, in der

von der beginnenden Ausbuchtung bis zur komplett

der Fluss in weiten Schlingen in seinem Bett hin- und

abgetrennten Flusschlinge. Rechts und links von ihm

herpendelte. Solche Flussmäander habe ihre ganz

sieht man Unmengen von Altarmen, ebenfalls in allen

eigene, faszinierende Dynamik. Der Fluss fießt an

Stadien der Entwicklung. Nicht selten geschieht es

den Außenseiten der Schlingen schneller als innen,

auch, dass der Fluss einen Altarm erneut anschneidet

weil das Wasser dort einen weiteren Weg zurück-

und wieder mit Leben füllt. Auf Satellitenbildern kann

legen muss. Zudem drückt die Fliehkraft das Wasser

man das deutlich sehen, wenn man Flüsse in Sibirien,

ebenfalls nach außen. Das hat zur Folge, dass der

in Alaska oder im Amazonastiefland anschaut, die

Fluss dort ständig die Ufer annagt und erodiert und

noch frei fließen.

steile Hänge auskerbt (man nennt diese Seite auch

Solch ein Fluss war natürlich für die Schifffahrt

den „Prallhang“), während er auf den Innenseite (dem

und überhaupt für ein entstehendes Industrieland

„Gleithang“) langsamer fließt und Material ablagert.

nicht zu gebrauchen. Alle paar Jahre gab es verhee-

Dadurch werden die Kurven immer weiter, bauchiger,

rendes Hochwasser, das Häuser und Ackerland zers-

schlingenartiger, bis die Prallhänge zweier aufeinan-

törtee. Zudem waren die Stechmücken eine Plage.

derfolgender Kurven einander immer näher kommen

Man brauchte sicheren Siedlungsraum und sichere

und sich fast berühren – und der Fluss dort schließ-

Ackerflächen und zuverlässige Schifffahrtsstraßen.

71

Tatsächlich hatten die Menschen am Oberrhein schon

nisse, von 1792 bis 1796 lag man sogar miteinander

früh versucht, sich den Fluss „passender“ zu machen.

im Krieg, als Frankreich die linksrheinischen Gebiete

Bereits 1391 hatte man den ersten künstlichen

um Speyer und Worms besetzt. Erst nach der politi-

Durchstich gewagt, um das Wasser von einer gefähr-

schen Neuordnung von 1815, sich im Wesentlichen

lichen Stelle wegzulenken. Immer wieder wurden

nur noch zwei Staaten, das Großherzogtum Baden

auch Deiche angelegt und ausgebaut, meist mit so-

und Frankreich, den Oberrhein teilten, konnten die

genannten Faschinen, Bündeln aus starken Ästen oder

Verhandlungen zügig abgeschlossen werden.

dünnen Stämmen. Aber all diese Anstrengungen wa-

Dessen ungeachtet hatten die badischen Behör-

ren nicht dauerhaft von Erfolg gekrönt, erst das auf-

den schon seit Jahren sich gezielt den Mann heranzo-

kommende Industriezeitalter bot die nötige Technik.

gen, der das kühne Unternehmen angehen sollte: den Wasserbauingenieur Johann Gottfried Tulla. Er war

Hochwasser am Rhein mit Blick auf den Kölner Dom, im Vordergrund überschwemmte Wiesen

72

Ein Korsett für den Rhein

schon auf dem Gymnasium als Talent in Mathematik,

Die Rheinkorrektur von 1817 bis 1876 war der größte

Physik und Mechanik aufgefallen und durch Stipen-

Eingriff in die deutsche Landschaft, den es bis dahin

dien gefördert worden. Bereits 1792 beschloss man,

gegeben hatte. Und er wurde mit deutscher Gründ-

Tulla planmäßig auf die große Aufgabe vorzubereiten.

lichkeit geplant. Anfangs zögerten politische Wirren

Der junge Ingenieur studierte bei den Koryphäen der

und wechselnde Zuständigkeiten das Projekt immer

gerade entstehenden Disziplin, besuchte Kollegen

wieder heraus. Die Vertragsverhandlungen waren

und deren Projekte in Holland und Frankreich, lö-

kompliziert: An den deutschen Rheinufern bestand

cherte sie mit Fragen, machte sich Notizen, sammelte

bis 1806 ein Mix aus Fürstentümern, geistlichen Ter-

Ideen und entwarf unentwegt Pläne.

ritorien, freien Städten, badischen, bayerischen und

In Johann Gottfried Tulla zeigt sich exemplarisch

österreichischen Besitzungen. Auf der französischen

das Auftauchens neuen Berufstyps, der unser Land bis

Seite gab es nach der Revolution chaotische Verhält-

heute prägen sollte: der deutsche Ingenieur. Natur-

wissenschaftlich begabt, hervorragend ausgebildet

Plötzlich Vollgas: Dampfer auf dem Fluss

und tüchtig; ein aufgeklärter Kopf, politisch durchaus

Die in Jahrhunderten eingeübte Haltung zum Umgang

liberal, aber mit wenig Verständnis für soziale Zwänge

mit dem Wasser, der Pragmatismus, das Ausnutzen von

und Konflikte; in manchen seiner Gedanken vielen

Gegegenheiten, die oft nur relativ kurze Zeit bestan-

Zeitgenossen voraus, durchdrungen von Tatkraft und

den, geschah auf verschiedenen Ebenen. Ein Parade-

dem Glauben an das technisch Machbare  – und voller

beispiel für solch einen kurzlebigen Wirtschaftszweig,

Unverständnis gegenüber jenen, die seine Visionen

der in kürzester Zeit große Dimensionen annahm, ist

nicht teilten oder deren Vorzüge nicht begriffen.

die deutsche Flussdampfschiffahrt.

Tulla schnitt die unzähligen Mäander des Rheins

Die Flussdampfschiffahrt markiert einen Umbruch.

kurzerhand ab und schuf das nur noch minimal ge-

Sie konnte nur entstehen, weil man bereits begonnen

wundene, kanalartige Bett, in dem der Oberrhein

hatte, in großem Maßstab in den Lauf der Flüsse ein-

heute fließt; die Fließstrecke zwischen Basel und

zugreifen, sie zu begradigen und einzudämmen und

Worms verkürzte sich um ganze 80 Kilometer. Tulla

störende Felsen aus der Fahrrinne wegzusprengen.

war der erste, meint Blackbourn, „der dem Fluss ‚einen

Aber die Dampfschiffe waren auch nur eine kurze Epi-

Platz‘ angewiesen und damit die Erwartung von Si-

sode, wurden sie doch schon nach wenigen Jahrzehn-

cherheit unter denen geweckt hatte, die hinter dem

ten von den Dieselmotorschiffen abgelöst. Dazu kam

Deich lebten und Felder bestellten.“ Aber Tullas Ver-

die Konkurrenz durch die Eisenbahn, die Menschen

mächtnis bedeutete auch, „dass Fortschritt nur in

und Güter viel schneller und vor allem auch abseits

einer einzigen Hinsicht definiert war, nämlich als ein

der Flüsse transportierte.

Höchstmaß an Sicherheit vor dem Fluss.“ Damit war

Solange sie aber funktionierte, war die Dampf-

das Prinzip vorgegeben, das bei der Umgestaltung

schiffahrt eine lebendige Branche, die zeitweise

praktisch aller unserer Flüsse und sonstigen Gewäs-

einen Großteil des Landes bewegte – im wörtlichen

ser galt, im Grunde bis heute. Und was den Rhein

wie im metaphorischen Sinn. Die Passagierzahl

angeht, war es der Umbau eines lebendigen, dyna-

der Preußisch-Rheinischen Dampfschifffahrtsge-

mischen Flusssystems mit Auen und Altwassern und

sellschaft (Vorläufer der Köln-Düsseldorfer) stieg

einer ungemein reichen Tier- und Pflanzenwelt zu

von 18.000  Passagieren im Jahr 1827 auf knapp

einem technischen Bauwerk: einem Kanal.

700.000 um 1840 und gar auf eine Million um 1860.

­ er Fluss als D Wasserstraße und Verkehrsrinne: Begegnung, zweier Container­ schiffe auf der Elbe

73

Der Einfluss dieser Entwicklung auf das deutsche Nationalgefühl ist nicht zu unterschätzen. „An allen Verwandlungen des alles verwandelnden 19. Jahrhunderts hat die Rheinschiffahrt teilgenommen“, urteilte der Ökonom und Wirtschaftshistoriker Eberhard Gothein. Fast zeitgleich mit der Dampfschifffahrt begann sich nämlich der Tourismus zu entwickeln und wieder spielten die Gewässer eine Hauptrolle. Der Blick auf die Flüsse wandelte sich: Sie wurden nicht mehr in erster Linie als bedrohlich wahrgenommen, sondern man konnte sie nun auch „genießen“ – am besten vom Schiff aus. Nicht von ungefähr handelte die erste Ausgabe von „Baedekers Reiseführer“ vom Mittelrhein; der Verlag hatte seinen Sitz in Koblenz. „Ferienorte auf Meeresinseln und an Seen, Kurbäder und der Mittelrhein“, so zieht Historiker Blackbourn das Resüme dieser Zeit, „sie alle hatten etwas miteinander gemeinsam. Sie standen für die Bändigung der deutschen Gewässer. Die Reisenden ‚eroberten‘ das Wasser auf ihre Weise. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie auf einem Dampfschiff fuhren oder ein Boot ruderten, ob sie Wasser aus Brunnen und Flaschen tranken, darin badeten, auf malerische Wasserlandschaften blickten.“ Das 19. Jahrhundert war die Zeit, in der das vielgestaltige Wasser einerseits in immer neuen Formen entdeckt wurde, in der es aber andererseits bereits begonnen hatte, seine Gestalt unwiderruflich zu verlieren.

Das unterdrückte Wasser

74

Und heute? Um wieder auf die Ausgangsthese zu-

deichten Meeresküsten, entwässerten Mooren, tro-

rückzukommen: Das Wasser hat uns geprägt, wir ha-

ckengelegten Sumpfwiesen, begradigten Bächen; an

ben es gezähmt und in den Griff bekommen. Aber wir

Uferbefestigungen, Pump- und Schöpfwerken, Flut-

haben es dabei auch unterdrückt und verdrängt. Wir

kanälen, Drainagegräben; an Wasserkraftwerken und

haben mit deutscher Gründlichkeit die Lektion ge-

Talsperren, Stauwehren und Schleusen, an Schiffshe-

lernt, dass die Natur sich beherrschen lässt. Und dass

bewerken und Kanälen; an Grundwasserbohrungen,

man sie beherrschen muss, wenn man vorankommen

kommunalen Wasserwerken und regionalen Wasser-

will. Diese Denkweise beherrscht uns bis heute, mehr

verbünden. Das Gefühl für das wilde, chaotische We-

oder weniger bewusst.

sen des Wassers haben wir dabei verloren.

Diese Lektion haben wir nicht im Wald gelernt,

„Mehr Wildnis“ fordert die Bundesregierung

sondern am Wasser: an gezähmten Flüssen, einge-

in ihrer „nationalen Biodiversitätsstrategie“, mehr

Wasser in der Natur | Wasserdeutschland

Wildnis fordern auch die Umweltverbände – aber

Unser Grundwasser ist großflächig mit Nitraten be-

damit ist fast immer der Wald gemeint. Kaum je-

lastet; erst jüngst hat der Europäische Gerichtshof

mand fordert mehr Wasserwildnis. 95 Prozent der

deshalb Deutschland wieder gerügt, seine Hausauf-

Auwälder an unseren Flüssen sind verloren oder bis

gaben nicht gemacht und gegen EU-Recht zu ver-

zur Unkenntlichkeit degradiert. An viel zu wenigen

stoßen zu haben.

Stellen darf das Wasser frei fließen, darf es mit sei-

Während wir den Wald verherrlichen, obwohl wir

ner Umgebung kommunzieren und die dynamischen,

uns dort kaum aufhalten, ignorieren wir das Was-

vielgestaltigen Biotope bilden, die nur fließendes

ser, das sehr präsenter ist und mit dem wir uns viel

Wasser erschaffen kann. Unsere Flüsse sind einge-

mehr beschäftigen sollten. Der Wald ist Mythos, Kult,

sperrt, immer mehr Boden wird versiegelt, Hochwas-

Traum, Sehnsuchtsort. Das Wasser ist Realität. Wir

ser können wir nur noch mit Mühe im Zaum halten.

sollten uns ihr stellen.

Der Rhein in seiner ursprüng­ lichen Form mit Blick vom Isteinerklotz rheinaufwärts Richtung Basel um das Jahr 1819, gemalt von Peter Birmann

75

Wasser und Mensch

Romantischer Blick auf den Berliner Wannsee bei Sonnenuntergang

Wasser und Mensch

Wasser Wasser und und Mensch Mensch

Ab ins kühle Nass! Wasser ist Freizeit – ein paar Zahlen und Fakten darüber, was uns an Deutschlands Seen, Bächen und Flüssen am meisten Spaß und Erholung bereitet. Wenn man Martin Tschepe fragt, was seine Lieb-

dert, sodass sie die Schleusen öffnen und Schadstoffe

lingsbeschäftigung ist, kommt die Antwort prompt:

ungefiltert auslassen.

„Schwimmen ist für mich das halbe Leben, mindestens.

Keine Frage, Deutschland ist Wasserland: Es weist

Schwimmen und Wasser sind nicht alles, aber ohne

die größten zusammenhängenden Gewässerstruktu-

Wasser und ohne Schwimmen ist alles nichts.“ 2015 hat

ren in Europa auf. Kein Wunder also, dass einer reprä-

der Extremsportler zusammen mit einem Kollegen den

sentativen Studie zufolge etwa zwei Millionen Bun-

Neckar von der Quelle bis zur Mündung durchschwom-

desbürger in Wassersportvereinen organisiert sind

men. 350 Kilometer in zwei Wochen. 2016 querte er

und knapp ein Viertel der Bevölkerung ihren Urlaub

die zehn größten deutschen Seen. Warum? Tschepe:

oder ihre Freizeit gern an den Badegewässern des

„Ich sammele mit meinen Aktionen Geld zugunsten

Landes verbringt.

eines Schwimmprojekts für behinderte Menschen in

Mehr als eine halbe Million Deutsche sind Mit-

meinem Schwimmverein Ludwigsburg“, so Tschepe, der

glied im Deutschen Schwimm-Verband. Allerdings

als Redakteur bei der Stuttgarter Zeitung arbeitet und

waren es 2002 noch 644.185. Das ist die Folge zweier

sich selbst als Schwimmwanderer bezeichnet.

Trends: der Diversifikation der Wassersportarten und

Im Sommer ziehen natürliche Badeseen oder

der zunehmenden Zahl an Nichtschwimmern. Ergeb-

Flüsse nicht nur Sportler wie Tschepe an, sondern je-

nisse einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag

den, der Erholung und Abkühlung in der Natur sucht.

der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG):

Geeignete Orte bietet Deutschland mit mehr als 2.300

Etwas mehr als die Hälfte aller Befragten sind Nicht-

Badegewässern so viel wie wenige andere euro­

schwimmer oder fühlen sich im Wasser unsicher.

päische Länder. 98 Prozent von ihnen weisen eine

Der Grund: Immer mehr Schwimmbäder werden ge-

sehr gute bis gute Wasserqualität auf. Untersucht wird

schlossen – zwischen 2007 und 2015 allein mehr als

das Wasser regelmäßig auf Basis einer EU-Richtlinie.

300. Das führt wiederum dazu, dass knapp 60 Pro-

Aktuelle Ergebnisse können für jedes Badegewässer

zent aller Zehnjährigen im Wasser unsicher sind,

auf den Internetseiten der Bundesländer eingesehen

nur noch 40 Prozent der Sechs- bis Zehnjährigen ein

werden. Eine Übersicht gibt das Umweltbundesamt

Jugendschwimmabzeichen besitzen und nur ein Drit-

unter https://www.umweltbundesamt.de/wasserqua-

tel der Schüler in der Grundschule überhaupt noch

litaet-inbadegewaessern. Vom Baden in Flüssen rät

Schwimmunterricht hat.

das Umweltbundesamt generell ab – besonders nach

Dennoch ist das Baden nach dem Radfahren der

Starkregenfällen: Je nach Hochwassermenge sind

beliebteste Zeitvertreib der Deutschen. 25 Millionen

Klärwerke oft mit der schieren Wassermasse überfor-

Menschen kühlen sich hierzulande jedes Jahr im Wasser ab ( Kasten).

Eine Seefahrt, die ist lustig Wasservergnügen: Tretbootfahrer auf dem Chiemsee

Ob mit dem Raddampfer „Ludwig Kessler“ vom Priener Hafen zur Herreninsel, dem Linienschiff „Sasel-

79

Die Seen-Sucht des Schwimmwanderers Martin Tschepe ist im Wasser in seinem Element. Der Mittfünfziger hat nicht nur die zehn größten deutschen Seen durchschwommen, sondern auch den Neckar von der Quelle bis zur Mündung. Was ihn antreibt, was er allen rät, die im Fluss schwimmen

Schwimm­ wanderer Martin Tschepe

wollen und was der Schwimmer eigentlich im Winter macht: ein Gespräch. natur: Sie haben die zehn größten Seen Deutschlands

acht Bahnen. Bahn 9 ist der Neckar, der gleich neben

durchschwommen und den Neckar von der Quelle bis

dem Bad fließt. Schon damals als Kinder Mitte der

zum Ursprung. Wie kommen Sie auf solche Ideen?

1970er haben wir darüber geredet, wie das wohl

Was treibt Sie an?

wäre: im Neckar zu schwimmen. Die Idee war im Kopf,

Martin Tschepe: Ich schwimme schon immer

der Fluss damals aber noch zu dreckig. Irgendwann

durch alle möglichen und unmöglichen Gewässer.

müssen solche Ideen raus aus dem Kopf – und der

Beim Neckar war das so: Der Bademeister in unse-

Fluss ist jetzt einigermaßen sauber. Der Neckar war

rem Freibad in Ludwigsburg-Hoheneck hat früher

geschwommen – was als nächstes? Mir kamen die

kurz vor Badeschluss immer gesagt: Jetzt können Sie

Seen in den Sinn. Kürzlich bin ich dann von Föhr nach

noch auf Bahn 9 weiter schwimmen. Das Becken hat

Sylt durch die Nordsee geschwommen, obwohl viele

bek“ die Hamburger Alster entlang oder auf einem

Hobby an der Angel

Hotelschiff eine mehrtägige Flusskreuzfahrt auf

Die Angelfischerei ist in Deutschland sehr beliebt: Bei

dem Main: Sowohl die Ausflugsschifffahrt als auch

einer repräsentativen Befragung der Marketing-Initia-

die Fahrgastkabinenschifffahrt erfreuen sich in

tive Wassertourismus gaben 17 Prozent der deutschen

Deutschland großer Beliebtheit. Auf der Rangliste der

Bevölkerung zwischen 14 und 70 Jahren an, dass sie

Top-Freizeitaktivitäten am Wasser folgt die Schiff-

in den letzten fünf Jahren im Alltag oder im Urlaub

fahrt nach dem Baden auf Platz zwei. Mit 943 Aus-

geangelt haben. In der Bundesrepublik gibt es also

flugsschiffen und 61 Fahrgastkabinenschiffen wächst

mindestens 10,4 Millionen Angler, die hauptsächlich

die deutsche Binnenflotte seit 1969, abgesehen von

per Handangel auf Fischjagd gehen. Allein an Bundes-

wenigen Jahren Stagnation, stetig. Allein für das Jahr

wasserstraßen sollen Angler 31,2 Tage im Jahr aktiv

2014 wurde laut einer Studie des Bundesministe-

sein – das sagen Zahlen vom Bundesministerium für

riums für Verkehr und digitale Infrastruktur ein Pas-

Verkehr und digitale Infrastruktur.

sagieraufkommen von etwa 23,2 Millionen Personen geschätzt.

80

Wasser und Mensch | Ab ins kühle Nass!

Angeln kann man nahezu an jedem Gewässer, allerdings muss vorher eine Erlaubnis eingeholt

gesagt haben: Das geht nicht, Du ertrinkst wegen der

Tschepe: Immer mindestens zu zweit schwimmen

Strömung. Ich bin auch schon die ganze Sylter West-

und mit Boje zur Sicherheit. Am besten beim ersten Mal

küste ­entlang geschwommen, einmal rund um Bam-

einen erfahrenen Schwimmer mitnehmen.

berg oder einmal rund um St. Marys. Seen haben es mir nach wie vor angetan – ich nenne es mein Projekt

natur: Sie nennen sich Schwimmwanderer und sagen

Seen-Sucht.

von sich, dass sie es nicht lange ohne Sport aushalten. Was machen Sie im Winter?

natur: Einen Fluss durchschwimmen – was waren die

Tschepe: Eisschwimmen, eine in Deutschland noch

größten Hürden: Schifffahrtsamt? Verschmutzungen?

junge Sportart, nur mit Badehose und Kappe bei we-

Strömungen?

niger als fünf Grad – bis zu 1.000 Meter weit und das

Tschepe: Nur einmal war das Neckarschwimmen

möglichst schnell. Dafür trainiere ich unter anderen

wirklich gefährlich, als ein Schwan mich und meinen

im Neckar. Mitunter schwimme ich im Winter aber

Mitschwimmer Volker Heyn angegriffen hat. Wir ha-

auch im Süden. Ich bin etwa mal beim Red Sea Swim

ben den Fluss kurz verlassen. Motto: der Klügere gibt

Cup in Eilat gestartet und hab die 7,5 km gewonnen.

nach. Man sollte immer nah am Ufer schwimmen, dann kommen alle Schiffe gut vorbei. Wir sagen: Der

natur: Nach den größten Seen und dem Neckar: Was

Neckar ist einigermaßen sauber, die Behörde sehen

kommt als nächstes?

das anders. Die Strömungen direkt bei den Schleusen sollte man meiden.

Tschepe: Die nächsten Seen. Schwimmfreunde laden mich gelegentlich zu ihren Lieblingsseen ein. Eine fixe Idee aber bleibt: von Sylt nach Helgoland

natur: Was raten Sie allen, die im Fluss schwimmen

schwimmen. Falls mich jemand mit einen Boot be-

wollen außer der Ufernähe noch?

gleiten mag: bitte melden!

werden. Diese wird in jedem Bundesland über das

Ab aufs Wasser: Kajak, Kanadier & Co.

Landesfischereigesetz geregelt. Demnach erhält

In Deutschlands Gewässern sind seit Jahren immer

die Fischereibefugnis, wer Inhaber einer Fischerei-

mehr Sportler in Kanus, Kajaks und Ruderbooten

erlaubnis für ein Gewässer ist und einen Fischerei-

unterwegs. Zahlen zu Ruderern und Kanuten zu fin-

schein besitzt. In einigen Bundesländern wie Meck-

den, ist nicht so einfach – es sei denn die Bezeich-

lenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein gibt

nung „muskelbetriebenes Wasserwandern“ ist einem

es seit einigen Jahren zeitlich befristete Touristen-

geläufig. Für das Bundesverkehrsministerium ist das

fischereischeine. Sie ermöglichen es den Gästen, auf

der Oberbegriff für diese Sportarten. So kann die

bestimmte Zeit zu angeln, ohne zuvor die Fischerei-

Gesamtzahl der Kanuten und Ruderer in Deutsch-

scheinprüfung ablegen zu müssen. Am beliebtesten

land auf etwa 1,2 Millionen geschätzt. Davon haben

ist das Angeln in den Bundesländern Brandenburg,

etwa 833.000 ihr eigenes Boot, knapp 283.000 sind

Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Ber-

mit Leihbooten unterwegs und die restlichen knapp

lin, Niedersachsen und Hamburg.

80.000  sind Mitglieder in Rudervereinen. Für das muskelbetriebene Wasserwandern stehen vor allem

81

Rudern ist eine der ältesten Formen der Fortbewegung auf dem Wasser. Anders als beim Kanu sitzen Ruderer mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Es gibt unterschiedlich große Boote vom Einer bis zum Achter oder gar zum Vierzehner. Besonders häufig zu sehen sind Zweier und Vierer mit Steuermann. Rudern ist ein klassischer Wettkampf- und Vereinssport. Mit Ruderbooten kann auf nahezu allen Gewässern gefahren werden, auf denen auch Kanufahren möglich ist. Ruderboote brauchen jedoch wegen ihrer Ausleger eine Mindestbreite von etwa sieben Metern und einen Tiefgang von mindestens 30 bis 45 Zentimetern. Paddeln auf dem Großen Plöner See

naturnahe Fließgewässer mit leichter Strömung,

Kleine Bäche und Flüsse bleiben den Ruderern also

einem möglichst abwechslungsreichen Gewässer-

verwehrt.

verlauf und einer durchgängigen Befahrbarkeit hoch im Kurs.

Segeln lässt sich auf vielen Seen in Deutschland

Segeln, Motorbootfahren, Chartern

Kanufahren im Kajak oder Kanadier, hat statistisch

„Segeln ist wie eine Schule fürs Leben“, schreibt der

gesehen die größte Bedeutung. Im Kajak bewegen

Profi-Segler Tim Kröger in seinem Buch „Ich bin Wir –

sich die Sportler mit Doppelpaddel in Blickrichtung

Das Crewkonzept.“ Wie kaum eine andere Sportart

durch die Gewässer. Im Kanadier paddeln sie mit

stellt Segeln die Teamfähigkeit von Gruppen auf die

einem Stechpaddel sitzend oder kniend durch Flüsse

Probe. Ein Grund, warum viele Unternehmensbera-

und Seen. Ein Kanute mit Miettboot sticht im Schnitt

ter sich dem Segeln bedienen. Schließlich ergeben

an acht Tagen in See, Eigner legen noch mal drei Tage

sich Analogien zu Arbeitsweisen in Firmen, und ähn-

drauf, so die Bundesvereinigung Kanutouristik e.V.

lich wie Wind und Wellen die Regatten beeinflussen, können wandelnde Märkte und Konjunktur über den Erfolg in der Wirtschaft entscheiden. In Deutschland ist das Segeln sehr beliebt, allerdings deutlich weniger als das Motorbootfahren. Das hat viel mit der alternden Gesellschaft zu tun: Immer mehr ältere Segelbooteigner steigen aus Altersgründen auf Motoryachten um und viele jüngere Bootsfahrer scheuen den Aufwand und die Verantwortung, die ein eigenes Boot mich sich bringt. Die Zahl der Boote ist dennoch beeindruckend: Auf deutschen Bundeswasserstraßen sind etwa 425.000 Boote unterwegs, davon 145.000 Segelboote. „Das Segment Segeln und Motorbootfahren verzeichnet entgegen den absoluten Zahlen der Bootseigner seit Jahren erhebliche Zuwächse“, verrät eine Studie des Verkehrsministeriums. Die Erklärung: Vor allem die Aktivitäten der Wassersportbranche, neue Zielgruppen aufs Wasser zu bringen, seien hierbei erfolgreich gewesen. Insbesondere

82

Wasser und Mensch | Ab ins kühle Nass!

die vereinfachte Charterscheinregelung in Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Saarland oder Hessen und die Führerscheinfreiheit bis 15 PS wirkten sich positiv aus. Besonders beliebt bei den Charter-Freunden sind neben Yachten vor allem Hausboote und Flöße. Hier hat sich das Angebot seit 2009 sehr stark entwickelt: „Neben einfachen Holzflößen ohne Übernachtungsmöglichkeit finden sich vermehrt Anbieter für schwimmende Ferienhäuser mit höchstem Wohnkomfort oder schwimmende Plattformen für die Nutzung von beispielswiese Wohnmobilen“, so die Studie weiter. Auf Deutschlands Gewässern wird die Flotte an

sind Wasserski, Kite- oder Wakeboard, Windsurfen und

Charter-Yachten, -Hausbooten und -Flößen auf etwa

Standup-Paddling (SUP).

1.130 Boote geschätzt. Die durchschnittliche Auslastung im Jahr liegt bei 16,75 Wochen.

Taucher im Edersee

Für Wakeboard und Wasserski sind Gewässerabschnitte gesondert ausgewiesen und nur bei Tag

Die am stärksten befahrenen Reviere für Motor-

und guter Sicht zu befahren. Beim Wasserski wird

und Segelyachten sowie für Flöße und Hausboote

man auf vorne aufgebogenen Brettern stehend über

sind in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und

eine Wasseroberfläche gezogen. Der Antrieb erfolgt

Berlin.

üblicherweise mit einem Motorboot oder einem Wasserskilift. Ähnlich verhält es sich beim Wakeboarden:

Unter Wasser!

Dabei steht der Sportler auf einem Brett, das an die

Mit seinen etwa 12.500  Standgewässern bietet

Füße geschnallt wird, um damit auf dem Wasser zu

Deutschland ein nahezu unerschöpfliches Angebot

gleiten. Der Fahrer steht dabei seitlich zur Fahrtrich-

Standup-Paddling am Bodensee

für Sporttaucher, die mit ihrer Tauchausrüstung einige Minuten bis zu einer Stunde unter Wasser bleiben können. Hinzu kommen noch künstliche Standgewässer, Flüsse und Bäche sowie Talsperren, Kiesgruben, Tagebauseen und Höhlen, die sich zum Tauchen eignen. Während im Norden und im Alpenraum die meisten Gewässer glazialen Ursprungs sind, dominieren in Bayern und Baden-Württemberg Speicherseen, Talsperren und Kiesgruben. Brandenburg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen sind durch ihre vielen Braunkohle-Tagebauseen bekannt. Für Höhlentaucher sind besonders die verlassenen und gefluteten Bergwerke in Deutschland spannend.

Funsportarten: Die neusten Trends Für die große Diversifikation der Wassersportarten sind hauptsächlich neue Trends im Bereich der Funsportarten verantwortlich. Die beliebtesten darunter

83

Blick auf die Müritz

84

tung auf dem Brett, ähnlich wie beim Snowboarden.

die bayerischen Voralpenseen wie der Chiemsee, der

Die Bundesländer mit den meisten Wasserski- und

Bodensee, die Mecklenburger Seenplatte, sowie die

Wakeboard-Anlagen sind Niedersachsen (11), Nord-

durch das Fluten der Tagebaugruben entstandenen

rhein-Westfalen (11), Bayern (10) und Brandenburg (5).

Seen in Nordrhein-Westfalen.

Die bekanntesten Flüsse mit einer starken Ausprägung

SUP, auch Stehpaddeln genannt, ist in Deutschland

für Wasserski und Wakeboard sind der Main und die

ab 2007 sehr groß geworden und wird mittlerweile

Mosel. Für Wasserski und Wakeboard gibt es keine be-

an nahezu jedem größeren Gewässer angeboten.

legbaren Daten. Zwar existieren derzeit 55 Vereine mit

Beim SUP steht der Sportler aufrecht auf einer Art

knapp 3.000 Mitgliedern, doch die tatsächliche Nutzer-

Surfbrett und paddelt mit einem langen Stechpaddel

zahl wird um ein Vielfaches höher geschätzt.

über Flüsse oder Seen. Der schnelle Lernerfolg erklärt,

Windsurfen ist in Deutschland seit den 1970er-

warum der Sport so beliebt ist. Rund um das SUP wer-

Jahren etabliert und nach wie vor sehr beliebt. Beim

den die buntesten Programme angeboten: geführte

Windsurfen gleitet man auf einem Surfbrett mit Segel

SUP-Touren durch die Natur, SUP-Campingurlaube,

über eine Wasserfläche. Mittlerweile hat das etwas

Yogastunden auf dem Board sind nur einige Bei-

einfacher zu erlernende Kitesurfen den Windsurfing-

spiele. Dass SUP immer beliebter wird, hat auch die

boom abgelöst. Beim Kitesurfing steht der Sportler

Sportartikelhersteller auf den Plan gerufen. So gibt es

auf einen Brett, das einem kleinen Surf- oder Wake-

schon länger auch für den Privatmann erschwingli-

board ähnelt und wird dabei von einem Lenkdrachen

che Boards zum Aufblasen. Die Produktdiversifikation

über See, Fluss oder Meer gezogen. Die besten Surf-

setzt auch schon ein: So gibt es jetzt beispielsweise

spots in Deutschland sind neben Nord- und Ostsee

erste Riesen-SUP-Boards.

Wasser und Mensch | Ab ins kühle Nass!

Was der neueste große Trend im Wassersport ist?

2. Chiemsee

Das haben wir den Sport- und Eventspezialisten Jo-

Der Star unter den 50  Seen im Chiemgau ist der

chen Schweizer gefragt. Klare Antwort: SUP-Camping-

Chiemsee, wegen seiner Größe auch „Bayerisches

Trips, Riesen-SUP und Hydrofoiling. Foiling ist grob

Meer“ genannt. Seine naturbelassenen Ufer sind für

gesagt, Wassersport in der Luft: Hydrofoiler lassen

Badegäste, Spaziergänger und Radler fast vollstän-

sich auf Foilboards durchs Wasser ziehen. Das sind

dig zugänglich. Der mit fast zwei Kilometern längste

spezielle Wake- oder Surfboards mit unter Wasser

Badestrand mit Strandbad und zahlreichen Bade-

liegenden Tragflügeln. Bei steigender Geschwindig-

buchten liegt am Südostufer in Übersee. 3.300 Segel-

keit wird der Tragflügel dank des dynamischen Auf-

schiffe sind auf dem Chiemsee zugelassen. Ein kleiner

triebs angehoben. Dadurch berührt der Rumpf das

Teil der Flotte gehört zu den Segelschulen, die auch

Wasser nicht mehr und das Board „schwebt“ über der

Urlaubsgästen ein umfangreiches Kursprogramm

Wasseroberfläche. Das ist aber noch nicht alles: Bei

anbieten – vom Schnuppern auf dem Boot über Op-

voller Fahrt vollbringen Foiler meterhohe Sprünge

timistenkurse für die Jüngsten bis zum vollwertigen

mit Drehungen um sämtliche Körperachsen während

Segelschein. Wer keinen Schein hat, aber auf einen

der Flugphase. Maydays, der zweite große Event- und

Törn in dem beliebten Segelrevier nicht verzichten

Freizeitexperte am Markt zählt Segeltörns und Mini-

möchte, kann Boot mitsamt Skipper mieten oder an

kreuzfahrten zu den neuesten Trends.

Segelausflügen teilnehmen. Rund um den See finden sich Verleiher von Segel-, Elektro- und Ruderbooten

Deutschlands schönste Badeseen

sowie Kajaks und Standup-Boards. Es gibt begleitete

Für einen perfekten Tag am Wasser braucht es keine

Kajaktouren, ebenso Ausflüge mit luxuriösen Elek­tro-

weite Anreise. Wir stellen die acht schönsten Badeseen

Yachten. Mehr Infos: www.chiemsee-chiemgau.info

Deutschlands vor – ob für Familien, Sportler oder Naturliebhaber: Da ist für jeden was dabei.

3. Bodensee 273 Uferkilometer umgeben einen der größten Seen

1. Wannsee

Deutschlands, der sich immer wieder mit neuen Aus-

„Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwester-

sichten präsentiert. Am westlichen Bodensee taucht

lein, und dann nüscht wie raus an’ Wannsee“ – die-

man mit Blick auf das nahegelegene andere Ufer in

ser Ohrwurm machte den Berliner See, gleichzeitig

romantisch-idyllischer Atmosphäre ab. Am weiten

eines der größten Freibäder Europas, schon in den

Obersee erstreckt sich die Wasserfläche bis zum Ho-

1950er-Jahren zur Berühmtheit. Der schönste Strand

rizont, an dem die Alpen sich je nach Lichtstimmung

am Wannsee ist das denkmalgeschützte Strandbad

und Jahreszeit immer neu präsentieren. Wenn das

mit 1,2 Kilometer langem Sandstrand. Auf der gegen-

Wasser lieber etwas kühler sein soll, bietet sich ein

überliegenden Seite des Sees – in Kladow – befindet

Besuch der Flussbäder an Rhein und Seerhein an. Vom

sich der Gutspark Neukladow. Hier gibt es eine Liege-

Boot an einer einsamen Stelle ins Wasser zu springen,

wiese direkt am Wasser, nicht weit entfernt vom Café

gehört zu den Highlights eines Urlaubs am Bodensee.

Luise. Ebenfalls kein Strand, aber ein weiterer schöner

Ruder- oder Tretboote gibt es an vielen Verleihstatio-

Ort zum Schwimmen ist die Badestelle Alter Hof. Üb-

nen, auch mit Kanus oder Kajaks gleitet man nach ei-

rigens: Der Wannsee ist eigentlich gar kein See, son-

ner kurzen Einweisung flott übers Wasser. Etwas mehr

dern eine große Ausbuchtung der Havel. Das Wasser

Übung braucht es fürs Standup-Paddling und Wake-

ist so klar und im Uferbereich so seicht, dass auch

boarden. Neben allen Trendsportarten auf dem Was-

kleinere Kinder hier Spaß haben können. Mehr Infos:

ser bleibt Segeln jedoch die unangefochtene Königs-

www.visitberlin.de/de/wannsee

disziplin. Bei Schnupperkursen bekommt man schnell

85

ein erstes Gefühl dafür, wie man mit einer Jolle übers

Am Westrand sind die Uferzonen durch Wiesen, kleine

Wasser gleitet. Wer mit einem Bodensee-Schifferpa-

Wälder und Hügel geprägt. Das gesamte Ostufer ist

tent aus dem Urlaub nach Hause kommt, hat einen

seit 1990 Schutzzone des Müritz-Nationalparks mit

europaweit anerkannten Segelschein in der Tasche.

vielen Feuchtgebieten, Bruchwald und Schilfrohr-

Mehr Infos: www.bodensee.eu

zonen und darf nicht betreten werden. Mehr Infos: www.1000seen.de

4. Müritz

Schluchsee

86

Die Müritz ist der größte See, der sich vollständig

5. Walchensee

innerhalb des deutschen Staatsgebiets befindet. In-

Mitten in unberührter Natur gelegen, umgeben von

mitten der Mecklenburgischen Seenplatte, ist sie von

einem malerischen Alpenpanorama kommt jeder, der

einem Nationalpark umgeben. Die Müritz weist eine

das Wasser liebt, am Walchensee auf seine Kosten:

gute Wasserqualität auf. Naturbelassene Strände, aber

ob beim Angeln, Baden, Tauchen, beim „Schifferl fah-

auch bewirtschaftete Strandbäder gibt es wie Sand

ren“ oder einfach beim Durchschnaufen. Zum Baden

am Meer. Strandbäder finden sich zum Beispiel in Wa-

eignen sich die Halbinsel bei der Ortschaft Wal-

ren, Klink, Ludorf, Röbel und Rechlin. Als besonders fa-

chensee und die Liegewiese bei Einsiedl am besten.

milienfreundlich gilt der Badestrand am Bolter Kanal

Lange feine Sandstrände und kristallklares Wasser

am Südostufer der Müritz. Er verfügt über einen Sand-

laden zum Baden mit Aussicht auf die Berge ein –

strand, Badeinseln und einen Abenteuerspielplatz ver-

das flache Ufer ist ideal für Familien mit Kindern.

fügt. Auch Surfer, Segler, Motorbootfahrer, Paddler und

Neben dem belebten Südufer-Strand findet jeder, der

Kanuten nutzen die Müritz als Wassersportparadies.

gut zu Fuß ist, auch abgelegene Buchten. Der Wal-

chensee zählt zu den saubersten Seen Oberbayerns: Das Wasser hat Trinkwasserqualität! Mehr Infos: www.walchensee.de

6. Edersee Mit 11,8 Quadratkilometern ist die Edertalsperre einer der größten und schönsten Stauseen Europas. Er liegt inmitten der Mittelgebirgslandschaft des Naturund Nationalparks Kellerwald-Edersee in Nordhessen. Auf 27 Kilometer Länge findet jeder das für ihn passende Sport- oder Erholungsprogramm: Segeln, Surfen, Wasserski, Kanu, Tauchen, Schwimmen und Angeln sind möglich. Die schönsten Bademöglichkeiten: Das Strandbad Waldeck mit Liegewiese und Badeinseln; der aufgeschüttete Sandstrand mit Beachvolleyballfeld in Rehbach und die Liegewiese Scheid. Für die lieben Kleinen gibt’s ein besonderes Highlight: Den Wasserspielplatz südlich der Staumauer.   TIPP: Elektroboot ausleihen, eine der vielen Buchten des sich fjordartig windenden Edersees ansteuern und dort vom Boot aus Baden gehen. Mehr Infos: www.edersee.com lienruhe, ein Pavillon, der auf einer kleinen Halbinsel

7. Schluchsee

gegenüber dem Ortszentrum von Schluchsee steht.

Inmitten des Schwarzwaldes liegt der zu den sau-

Oberhalb des Pavillons gibt es eine öffentliche Lie-

bersten Badeseen in Deutschland zählende Schluch-

gewiese, die jedoch nur zu Fuß erreichbar ist. Mehr

see. Der Stausee liegt mehr als 900 Meter über dem

Infos: www.schluchsee.de

Großer Plöner See

Meeresspiegel und bietet mit seinem kristallklaren Wasser auch an den heißesten Sommertagen eine

8. Großer Plöner See

angenehme Erfrischung. Am Schluchsee werden alle

Der Plöner See ist der größte See Schleswig-Hol-

möglichen Wassersportaktivitäten geboten: Vom Tret-

steins. Mit seinen vielen Nachbarseen und kleinen

boot-, Kanu- oder Elektroboot-Verleih über Segeln,

Inseln ist er perfekt für Naturliebhaber. Wer Ruhe

Tauchen und Standup-Paddling bleibt kein Sportler-

und Entspannung sucht, findet sie beim Segeln oder

wunsch ungehört. Auch Seerundfahrten auf einem

Angeln. Der Badespaß kommt an mehr als einem

Schiff werden angeboten. Die schönsten Badestellen

Dutzend Stränden nicht zu kurz: ob am Sandstrand

gibt’s am nordwestlichen Seeufer bei Schluchsee-Aha

auf der Prinzeninsel, an den Badestellen in Bosau,

und entlang des unbesiedelten südwestlichen See-

Godau und Plön oder an einem der vielen einsamen

ufers für diejenigen, die es etwas ruhiger mögen –

Naturstränden. Neben Wassersport gibt es auch die

allerdings ist das Ufer hier an vielen Stellen felsig,

Möglichkeit, die Moränenlandschaft vom Schiff aus zu

der See nicht so leicht zugänglich und der Liegeplatz

genießen – etwa bei einer Seerundfahrt. Mehr Infos:

eingeschränkt. Eine weitere Möglichkeit ist die Ama-

www.holsteinischeschweiz.de/ploen

87

Im Theaterboot von Berlin ans Schwarze Meer Eine zwölfköpfige Gruppe junger Europäer aus Kunst, Wissenschaft und Handwerk haben sich zusammengetan, um eine „Bootschaft“ zu verbreiten: Europa lebt! Mit dem selbstgebauten Katamaran „Esperantos“, gleichzeitig schwimmende Theaterbühne und Messstation zur Prüfung der Wasserqualität, soll es von Berlin ans Schwarze Meer gehen. Auf ihrer 3.600 kilometerlangen Strecke legt die Gruppe in mehr als 75 Häfen an. Das Ziel des ­gemeinnützigen Vereins „projekt doritzki – für darstellende Kunst und Meer e.V.“ und Blueteco, ein Start-Up von zwei Umweltingenieuren: Europa von Westen nach Osten zu durchqueren und dabei ein Netzwerk vieler ­ ympathisanten für Kunst, Wasser und ein friedliches Europa aufzubauen. Theaterregisseurin Dorothea Lübbe S und Kapitän Carsten Riechelmann geben uns Einblicke in das kreative wie originelle Projekt und in erste Ergebnisse der Wasserqualitätsmessungen. natur: Wie ist die Idee von Esperantos geboren? Dorothea Lübbe: Der Kapitän und Bauherr des selbstgebauten Katamarans hatte schon seit jeher

pen miteinander vereinen, denn alles im Leben hängt mit allem zusammen. So kommt es zu der Mischung aus Kunst und Wasserqualität.

eine Affinität zu Booten. Nachdem er zuvor ein Floß

Wenn wir in die Zukunft blicken, kann es uns nur

mit acht Schlafplätzen gebaut hatte, war sein größter

gelingen, neue Lösungen für das Miteinander zu fin-

Wunsch, ein Schiff zu bauen, das segelfähig war, viele

den, wenn wir ganzheitlich denken – insbesondere

Menschen beherbergen konnte und sich gleichzeitig

in Zeiten der wachsenden Ressourcenknappheit und

für Gemeinschaftsaktionen eignete. So entstand 2010

Fremdenfeindlichkeit.

bis 2014, dank der Hilfe von 50 Freiwilligen aus mehr als 25 Ländern der Katamaran „Esperantos“.

natur: Sie messen mit neuartigen Sensorsystemen den Gehalt von organischen Verunreini­gungen und

natur: Die Tour „Bootschaft 2018“ auf der Esperantos

Nährstoffbelastungen. Was können diese wertvollen

ist ein kulturelles, kreatives und wissenschaftliches

Daten aussagen?

Projekt – wie kam es zu der Mischung?

88

Carsten Riechelmann: Neuartige Sensorsysteme mit

Lübbe: Die Zusammensetzung des Projektes hat

Online-Datenaufzeichnung ermöglichen eine in der

vorrangig etwas mit seinen Machern zu tun: Ich bin

Vergangenheit undenkbare Datenverfügbarkeit: Durch

hier als Theaterregisseurin Vordenkerin für die Thea-

den Betrieb eines Messaufbaus auf unserem Katama-

terkonzeptionen auf der schwimmenden Bühne und

ran lässt sich für den zeitlichen Ausschnitt der Fahrt ein

Carsten verknüpft seit 2016 seine Berufung zur Nach-

nahezu lückenloser Konzentrationsverlauf organischer

haltigkeit des Wassers mit dem Boot. Bei dem Projekt

Verunreinigungen, Nährstoffbelastung sowie der grund-

„Bootschaft 2018“ treibt uns von Anfang an eine ge-

legenden Parameter pH-Wert, Temperatur und gelöster

meinsame Frage: Wie soll das Europa aussehen, in-

Sauerstoff aufzeichnen. Durch sichtbare Konzentra-

dem wir zukünftig leben möchten? Das können wir

tionssprünge lassen sich gewässerbelastende Einleit-

nur beantworten, wenn wir unsere fachliche Filter-

stellen in noch nie dagewesener Weise zurückverfolgen,

blase verlassen und verschiedenste Interessensgrup-

dokumentieren und kommunizieren.

Wasser und Mensch | Ab ins kühle Nass!

Esperantos – Junge ­Europäer aus Kunst, Wissenschaft und Handwerk durchqueren 2018 mit einem selbstgebautem Katamaran Europa von Berlin nach Budapest.

Diese Ergebnisse und eventuelle Missstände wer-

regierung zu wenig gegen Nitrate in den Gewässern

den mitgeteilt und lokale Aktionsgruppen, Umwelt-

unternommen hat. Spiegelt sich das auch in Ihren

schützer und Entscheidungsträger mit einer Daten-

Messungen wider?

grundlage ausgestattet. Außerdem kann sie jeder

Carsten Riechelmann: Grundsätzlich konnten wir

online unter blueteco.com einsehen. Ebenso gibt es

in jedem Oberflächengewässer Nitrat nachweisen.

punktuell Veröffentlichungen, wie beispielsweise im

Interessant ist, dass die schnell fließenden Flüsse mit­

Dialog mit der lokalen Greenpeace-Gruppe Deggen-

7 bis 8 Prozent der maximal im Trinkwasser erlaubten

dorf, im Austausch mit der TU Wien, s::can Messtech-

Obergrenze von Nitrat deutlich weniger belastet sind

nik, der International Commission for the Protection

als langsam fließende Flüsse oder Kanäle mit 27 bis

of the Danube River oder im Rahmen von wissen-

40 Prozent der Nitrat-Obergrenze von 50 Milligramm

schaftlichen Abschlussarbeiten.

pro Liter. Die höchsten Konzentrationen stellten wir im Mittellandkanal, dem Dortmund-Ems-Kanal und dem

natur: Sie sind ja schon einige Kilometer durch

Main zwischen der Mündung in den Rhein und Frank-

Deutschland gefahren und haben schon einige Mess-

furt fest. Am saubersten ist die Donau, deren niedrige

daten erhoben. Der EuGH hat Deutschland wegen

Konzentrationen sich aktuell auch bis nach Budapest

Verletzung von EU-Recht verklagt, weil die Bundes-

nicht nennenswert änderten.

89

Wasser Wasser und und Mensch Mensch

Wie wir Wasser nutzen Wasser ist ein zentrales Wirtschaftsgut. Mit hohem Aufwand machen sich die Menschen in Deutschland die Kraft der Ressource zunutze – auf vielfältige Weise. Wasser ist in Deutschland so selbstverständlich,

physikalischen Grenzen stoßen.“ Allerdings sei zu je-

dass wir es kaum noch wahrnehmen. Doch tatsäch-

dem Zeitpunkt genug Wasser vorhanden, es handele

lich ist die Ressource so wichtig, dass sie im Stand-

sich mitnichten um ein Mengenproblem.

ort Deutschland ein Wirtschaftsfaktor ist. Schließlich trinkt die Bevölkerung täglich mehrere Hundert Mil-

Komplexe Transportwege

lionen Liter Wasser, nutzt es zum Kochen, Pflanzen

Damit zu jedem Zeitpunkt überall Trinkwasser bis in

gießen, Duschen.

die Wohnungen kommt, wird in Deutschland ein rie-

Rund um die Wassernutzung hat sich ein ganzer

siger, allerdings kaum sichtbarer Aufwand betrieben.

Wirtschaftszweig gebildet. Die meisten Menschen

In den meisten Fällen ist die Wasserversorgung lokal

kennen ihre kommunalen Wasserwerke nur am Rande,

organisiert – etwa 70 Prozent des Wasserbedarfs in

und doch sind sie ein existenziell wichtiger Baustein

Deutschland wird über das vor Ort verfügbare Grund-

unserer Gesellschaft. Kaum jemand weiß das besser

wasser abgedeckt.

als Martin Weyand, Hauptgeschäftsführer Wasser und

Doch es gibt auch Extrem-

Abwasser beim Bundesverband der Energie- und Was-

beispiele – etwa das Karstge-

serwirtschaft (BDEW).

birge der Schwäbischen Alb,

Das Gespräch mit Weyand beginnt unweigerlich

das sehr durchlässig ist. Dort

mit der Frage nach der Wasserversorgung – denn

fließt Wasser schnell in tie-

immer häufiger erlebt Deutschland eine Trockenpe-

fere Schichten ab und kann

riode, etwa in den Jahrhundertsommern 2003 und

nur begrenzt für den Men-

2018. Der gebürtige Hunsrücker behält jedoch einen

schen nutzbar gemacht wer-

kühlen Kopf: „Deutschland ist ein wasserreiches Land“,

den. „Seit 60 Jahren werden

sagt Weyand. „Wesentliche Teile unserer Gewässer-

Teile Baden-Württembergs

bestände werden nicht genutzt.“ Auch die vereinzel-

über den Bodensee mit Was-

ten Berichte, wonach etwa in Norddeutschland das

ser versorgt – bis hoch nach

Leitungswasser zur Neige gehe, sind faktisch falsch.

Stuttgart und darüber hinaus“,

Weyand erklärt: „Das war eine zu starke Verkürzung,

sagt Martin Weyand. „Diese

denn eigentlich ging es um die Transportkapazität der

Versorgungslinie läuft quer

Leitungen. Wenn besonders viel Wasser an den Enden

über die Schwäbische Alb und

gebraucht wird, kann das System der Rohrnetze und

versorgt mehrere Millionen Menschen.“ Der Bodensee

der Pumpleistungen in Extremsituationen an seine

ist damit eines der wichtigsten Trinkwasserreservoirs

Eine Mosaiktafel mit einer symbolischen Abbildung des Bodensees in der Zentrale der Bodensee-Wasserversorgung in Stuttgart. Der Bodensee ist die größte und wichtigste Süßwasserquelle in Europa

in Deutschland. Ein anderes Beispiel ist das Ruhrgebiet, das über ein kompliziertes System aus Talsperren in angrenDas Wasserkraftwerk Stiepel an der Ruhr bei Bochum wird erweitert

zenden Regionen mit Wasser versorgt wird. Dabei spielt die Ruhr selbst eine wesentliche Rolle: Denn

91

Dürre in S ­ panien; der Stausee von León ist fast ausgetrocknet

an den Ufern der Ruhr, die das Wasser in die Region

Förderung mit Augenmaß

transportiert, versickert ein beträchtlicher Teil ins

Die Förderung von Grundwasser geschieht in Deutsch-

Grundwasser. Dieses Grundwasser steht dann der

land richtet sich immer nach den lokalen Wasservor-

Trinkwasserversorgung der Region zur Verfügung.

kommen. Ämter und Versorger legen jeweils das mög-

„Die Ruhr ist also eine wichtige Wasserversorgungs-

liche Fördervolumen fest. Dabei werden vorhandene

ader für Millionen Menschen aus dem Ruhrgebiet“,

Ressourcen nie Gebühr genutzt.

sagt Weyand.

Denn es gibt Beispiele, wie man es nicht machen sollte. Für den Anbau von Gemüse wurden etwa in einigen Regionen Spaniens erst das Grundwasser, anschließend die Flüsse ausbeutet. „Mittlerweile sind dadurch ganze Landstriche vertrocknet, verwüstet und verödet“, berichtet Weyand. Der Klimawandel wird diesen Regionen mutmaßlich weiter schaden – ein Szenario, das Deutschland durch die maßvolle Förderung nicht droht. Die Wasserversorger sind nicht die einzigen, die das Grundwasser anzapfen. An einigen Quellen haben sich Getränkehersteller niedergelassen, etwa um Mineralwasser in Flaschen abzufüllen. Beispielsweise

Ein Mitarbeiter der Mineralquellen Bad Liebenwerda in Brandenburg) überwacht die Abfüllung von Mineralwasser. Pro Stunde werden 25.000 Liter in die hellblauen PET-Flaschen abgefüllt

92

Wasser als Element | Wie wir Wasser nutzen

im Naturpark Niederlausitzer Heidelandschaft, wo Bad Liebenwerda sein Wasser abfüllt. Auch hier achtet man auf das Gleichgewicht der Wasservorkommen: „Um unsere wertvollen Mineralwasservorkommen zu schützen, wird aus den einzelnen Brunnen nur die Menge an Wasser entnommen, die auch kontinuierlich geogenbedingt im Brunnen wieder zulaufen“, sagt Marketingleiterin Annett Stang. „Dadurch wird ver-

Regenwasser fließt in die Kanalisation

hindert, dass sich der Wasserspiegel langfristig nach unten absenkt.“ „Unsere Brunnen liegen in zirka 60 bis 80 Meter Tiefe. In unserer Region sind die Auswirkungen des Klimawandels hinsichtlich der Sicherstellung der

das wird durch die Überalterung der Bevölkerung

Mineralwasservorkommen bisher kaum spürbar“, sagt

zunehmen“, warnt Martin Weyand. Die Arzneimittel-

Stang. Damit diese unterirdischen, vor Verunreinigung

industrie müsse sich der Verantwortung stellen. „Es

geschützten Wasserressourcen auch weiterhin zur

geht um die Mittel, die in großen Mengen verschrie-

Verfügung stehen, müsse schonend mit dem Rohstoff

ben werden wie etwa Schmerzmittel und Blutdruck-

Wasser umgegangen werden.

senker.“ Diclofenac etwa sei nur mit hohem Aufwand aus dem Wasser zu bekommen, Ibuprofen hingegen

Quantität und Qualität

leichter abbaubar. Weyand fordert: „Bereits bei der

Doch es geht nicht nur um die Menge, sondern auch

Zulassung der Medikamente müssen ökologische As-

um die Qualität des Wassers. Deswegen prüft der Mi-

pekte stärker in den Fokus rücken.“

neralwasserhersteller ständig die gesamte Produk-

Ins gleiche Horn stößt der Versorger Gelsenwas-

tionskette entlang des Wassers – und nimmt Stich-

ser. „Der Schutz der natürlichen Ressourcen bleibt

proben jeder fertigen Charge. Dirk Pappert, Leiter

eines unserer dringendsten Anliegen“, so Henning

Qualitätswesen bei Bad Liebenwerda, erklärt: „Dabei

R. Deters, Vorstandsvorsitzender der Gelsenwasser.

wird unterschieden zwischen chemisch-technischen

„Warum kehren wir in der deutschen Umweltpolitik

Analysen und mikrobiologischen Untersuchungen,

statt einer Diskussion um weitere Reinigungsstufen in

die im betriebseigenen Labor zeitnah und mit mo-

Kläranlagen nicht einfach zurück zum Vorsorge- und

dernsten Analysegeräten durchgeführt werden. Un-

Verursacherprinzip?“ Dort wo Belastungen entstehen

tersuchungen, die komplex sind und über die Stan-

würden, zum Beispiel in den Kliniken und in der Mas-

dardverfahren hinausgehen, werden an renommierte

sentierhaltung, müssten sie gezielt behandelt werden.

externe Prüflabore weitergegeben.“ Noch strengere

„Für uns gilt nach wie vor: Vermeidung geht vor Auf-

Qualitätsprüfungen sind für das Leitungswasser

bereitung und Reparatur. Neben dem Umweltaspekt

vorgeschrieben (siehe hierzu auch den Beitrag „Was

hätte dieser Ansatz sicher auch erhebliche volkswirt-

unser Wasser bedroht“). Trinkwasser ist das am bes-

schaftliche Vorteile.“

ten kontrollierte Lebensmittel in Deutschland.

Kosten und Ökologie gehen hier also Hand in

So bewusst vorsichtig wir in Deutschland bei der

Hand in dieselbe Richtung. Für Martin Weyand vom

Nutzung unserer Wasserressourcen auch vorgehen –

BDEW steht die Verantwortung für die Natur im Vor-

ein paar Herausforderungen bleiben.

dergrund: „Wir müssen darauf achten, dass wir pfleg-

So stellen manche im Wasser gelösten Stoffe ein echtes Problem dar. „Arzneimittel zählen dazu, und

lich mit den Naturressourcen umgehen – und sie auch für kommende Generationen bewahren.“

93

Die Kraft des Wassers – Stromgewinnung aus Gewässern Wasserkraft ist eine regenerative Energiequelle, bei

Strom 98 Prozent der landesweiten Erzeugung aus

der Energie über Turbinen in Rotationsenergie umge-

Wasserkraftwerken stammt. Das Land könnte im euro-

wandelt wird. Die Nutzung von Wasserkraft setzt kein

päischen Energiebinnenmarkt in Zukunft eine wichtige

Kohlendioxid frei und die Stromproduktion unterliegt

Speicherfunktion übernehmen und zur „Batterie Euro-

im Gegensatz zur Wind- und Sonnenenergie kaum

pas“ werden. In Deutschland befinden sich die meis-

Schwankungen. Damit ist Wasserkraft eine sehr bere-

ten Wasserkraftwerke in Bayern, Baden-Württemberg,

chenbare natürliche Energiequelle und fügt sich ideal

­Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen.

ins Stromnetz ein. Zudem ist die Energiegewinnung

Voraussetzungen für die Nutzung der Wasserkraft

effizient: Der Wirkungsgrad von guten Wasserkraftan-

sind genügend Wasser und eine ausreichende Fall-

lagen liegt bei mehr als 90 Prozent.

höhe. Durch das Gefälle kann dann mit der Fließge-

Die Nutzung der Wasserkraft hat Tradition. Was-

schwindigkeit eine oder mehrere Wasserturbinen be-

serräder wurden bereits in der Antike eingesetzt.

trieben werden. Nach der Betriebsweise unterscheidet

In Deutschland reicht diese Art der Nutzung bis ins

man Laufwasser- und Speicherwasserkraftwerke. Im

Mittelalter (Wassermühlen) zurück. Heute erfolgt sie

Fall von Laufwasserkraftwerken wird die Energie flie-

weitgehend durch Laufwasserkraftwerke, die Strö-

ßenden Wassers wie das eines Flusses genutzt, ohne

mungsenergie des Wassers in Strom umwandeln.

dass dieses zuvor gespeichert wird. Bei Speicherwas-

Auch im 21. Jahrhundert ist die Nutzung der Wasserkraft aktueller denn je. 2016 leistete die Wasser-

94

serkraftwerken wird die potenzielle Energie eines Stausees genutzt.

kraft mit 20,7 Milliarden Kilowattstunden einen mess-

Strom aus Laufwasser- und Speicherwasserkraft-

baren Beitrag zur Stromerzeugung. Das entspricht

werken ist Elektrizität aus einer regenerativen Energie-

etwa gut drei Prozent des in Deutschland erzeugten

quelle. Davon zu unterscheiden ist Strom aus Pump-

Stroms und gut 11 Prozent des Stroms aus erneuerba-

speicherkraftwerken. Sie bestehen aus einem oberen

ren Energien. 2016 waren hierzulande über 7.000 An-

und einem unteren Becken, die durch Rohrleitungen

lagen mit einer Leistung von zusammen 4.100 Mega-

miteinander verbunden sind. Diese wiederum werden

watt in Betrieb – das entspricht etwas mehr als vier

im Maschinenhaus über Pumpen beziehungsweise

Großkraftwerken. Die Investitionskosten sind abhän-

über Turbinen geführt. Neuere Kraftwerke verfügen

gig von den Gegebenheiten des Standortes, aber um

über sogenannte Pumpturbinen, welche beide Funk-

ein Vielfaches höher als bei fossil befeuerten Wärme-

tionen, die der Turbine und die der Pumpe, in sich ver-

kraftwerken. Dafür sind die Betriebskosten gering,

einen. In Phasen von Stromüberschuss im Netz, etwa

weil kein Brennstoff anfällt.

wenn viel Strom durch Windkraftanlagen eingespeist

Weltweit erbringt die Wasserkraft aktuell rund

wird, wird Wasser aus dem Unterbecken mit Hilfe der

16 Prozent der Stromerzeugung. Auf dem europäischen

elektrisch betriebenen Pumpen in das höher gelegene

Kontinent gibt es besonders günstige Bedingungen

Oberbecken gepumpt. Bei Strommangel wird das

in Norwegen, wo mit 140 Milliarden Kilowattstunden

Wasser wieder aus dem Oberbecken in das Unterbe-

Wasser als Element | Wie wir Wasser nutzen

Das Koepchen­ werk, ein Pumpspeicherkraftwerk am Hengsteysee bei Herdecke, Nordrhein-Westfalen

cken abgelassen. Dabei erzeugen die (Pump-)Turbinen

zwei bis acht Milliarden Kilowattstunden gesteigert

beziehungsweise die damit gekoppelten Generatoren

werden. Die Energieszenarien der Bundesregierung

Strom. Mit dem Hochpumpen von Wasser wird Strom

rechnen mit einem Ausbau um vier bis fünf Milliarden

als potentielle Energie oder Lageenergie im Oberbe-

Kilowattstunden bis 2050.

cken verlustarm gespeichert. Wasser kann auf diese Weise ein effizienter Energiespeicher sein.

Ein aktuelles Beispiel für den Ausbau: Die Wasserbeschaffung Mittlere Ruhr GmbH (WMR) investierte

Kritik an Wasserkraftwerken wird aus zwei Gründen

erst 2017 im Ruhrtal in den Ausbau seines Wasserkraft-

laut: Erstens sind insbesondere bei Pumpspeicherkraft-

werks Stiepel. Statt wie bisher zwei sollen nun vier der

werken die Eingriffe in Landschaft und natürliche Le-

vorhandenen Turbinen mit Generatoren zur regenera-

bensräume erheblich. Laufwasserkraftwerke hingegen

tiven Stromerzeugung ausgestattet werden. Auf diese

sind eine starke Beeinträchtigung insbesondere für

Weise wird die WMR am Standort Bochum-Stiepel

Wanderfische, aber auch für sonstige Flora und Fauna.

jährlich rund 5,4 Mio. Kilowattstunden Strom aus Was-

Die meisten Standorte in Deutschland, die über

serkraft erzeugen. „Nach Abschluss der Arbeiten kön-

günstige natürliche Bedingungen zur Wasserkraftnut-

nen wir mit dem Ökostrom aus Stiepel umgerechnet

zung verfügen, weisen bereits entsprechende Anlagen

mindestens 2.000 Haushalte ein Jahr lang versorgen.

auf. Schätzungen zufolge könnte durch eine Moder-

Der Ausbau stellt sowohl wirtschaftlich als auch tech-

nisierung oder den Bau neuer Anlagen die jährliche

nisch die beste Lösung dar“, sagt Frank Thiel, Geschäfts-

Stromproduktion in Wasserkraftwerken bis 2050 um

führer der Stadtwerke Bochum und der WMR.

95

Wasser Wasser und und Mensch Mensch

Was unser Wasser bedroht Pflanzen, Tiere und Menschen brauchen nicht nur ausreichend Wasser, sondern auch Wasser in einer guten Qualität. Wie es um die Wassergüte und -verfügbarkeit in Deutschland steht und was sie gefährdet. In nur 6,6 Prozent der deutschen Fließgewässer sind

zogen werden. Die Reststoffe versickern und gelangen

die ökologischen Bedingungen gut. Die größten Pro-

ins Grundwasser oder verbleiben auf dem Acker. Ni­

bleme: Landwirtschaft und Bebauung. Das geht aus

trat ist für die Feldfrüchte der wichtigste Stickstofflie-

einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage

ferant. Dank ihm können sie lebenswichtige Eiweiße

der Grünen hervor.

aufbauen. Anders als der Stickstoff in der Atemluft ist

Der Vergleich zu anderen Europäischen Ländern

er im Nitrat nicht umweltneutral und wasserlöslich.

bestätigt die erschreckenden Zahlen: „Erst vor weni-

Daher kann er ins Grundwasser gelangen. Phosphat

gen Tagen hat die EU-Umweltagentur festgestellt:

löst sich schlechter in Wasser, wird eher auf dem

Der ökologische Zustand der deutschen Gewässer ist

Acker festgehalten und durch Erosion in Seen und

schlecht. Deutschland ist gemeinsam mit Malta das

Fließgewässer abgeschwemmt.

EU-weite Schlusslicht. Nur 8,4 Prozent der deutschen

„110.000 Tonnen Pflanzenschutzmittel werden

Oberflächengewässer sind in einem guten ökologi-

jährlich ausgebracht – und dadurch bei 15 bis 20 Pro-

schen Zustand – EU-weit sind es 40,6 Prozent. Nit-

zent der großen Flüsse die Grenzwerte überschrit-

ratverunreinigungen durch die Überdüngung in der

ten. Der Einsatz von Pestiziden und der Verlust von

Landwirtschaft tragen massiv dazu bei“, erklärt Maria

naturnahen Gewässern führen zu einem drastischen

Heubuch, Abgeordnete der Grünen im Europäischen

Rückgang von Insekten und Amphibien. Regelmäßig

Parlament und selbst Milchbäuerin im Allgäu.

werden Rückstände von Pestiziden im Grundwasser nachgewiesen“, so BUND-Gewässerexpertin Laura von

Gefahren aus der Landwirtschaft

Vittorelli.

Landwirte ernten die Früchte ihrer Felder. Damit diese

Noch dramatischer ist die Lage in Sachen Nit-

bestmöglich gedeihen, düngen sie die Felder mit

rat-Verunreinigung: „Viele Ställe sind zu groß – es

Nährstoffen, wie Ammonium, Nitrat und Phosphat –

existieren keine entsprechenden Flächen zum Aus-

sei es mit Handelsdüngern oder Gülle, Festmist oder

bringen der Gülle. Hinzu kommen 2,3 Millionen Ton-

Rückständen aus der Vergärung nachwachsender

nen Gülle aus Holland, also 66.000 Gülle-Transporter

Rohstoffe. Fressfeinde, Kräuter und Pilzbefall der an-

jährlich, die ihre Last etwa in der Eifel, im Münster-

gebauten Früchte halten sie oftmals mit chemischen

land oder im Emsland abladen. Plötzlich haben wir

Abwehrstoffen in Schach – mit Pestiziden.

Nitratprobleme mit dem Grundwasser, wo vorher

Dem Boden werden oft mehr Nährstoffe und

keine waren. Auch von ‚Güllenotstand‘ wurde im

Pflanzenschutzmittel zugeführt als über die Acker-

Herbst/Winter 2017/18 schon gesprochen“, erklärt

frucht aufgenommen und mit der Ernte wieder ent-

Martin Weyand, Hauptgeschäftsführer Wasser und Abwasser im Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Die EU-Kommission verklagte Deutschland 2016,

Bei Bad Aibling in Bayern wird Gülle auf ein Feld gebracht

weil es aus ihrer Sicht über Jahre hinweg nicht genug gegen diese Nitrat-Verunreinigungen vorgegangen ist

97

und damit gegen geltendes EU-Recht verstoßen hat.

eines von der Stiftung Warentest 2016 geprüften Fla-

Schon 2014 hatte die Kommission Deutschland ab-

schenwassers beträgt 15 Milligramm pro Liter. Mit

gemahnt. Die Klage bezieht sich auf den deutschen

dem Trinkwasser, das den Anforderungen der Trink-

Nitratbericht von 2012.

wasserverordnung entspricht, nehmen Menschen

„Am 21. Juni 2018 hat der Europäische Gerichtshof Deutschland wegen der hohen Nitratbelastung ver-

bensmitteln.

urteilt. Damit wurde höchstrichterlich bewiesen, dass

Deshalb hat die Bundesregierung bereits vor

die Gewässer nicht ausreichend vor Einträgen aus

dem Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofs

der Landwirtschaft geschützt sind“, so von Vittorelli.

die Düngeverordnung verschärft. Allerdings führe

Nitrat stelle dabei nicht nur ein Problem für unsere

diese Novellierung vom Frühjahr 2017 nicht zu we-

Trinkwasserversorgung dar – das Umweltbundesamt

niger Dünger auf den Feldern. Zu diesem Ergebnis

geht von jährlich bis zu 767 Millionen Euro an Mehr-

kommt eine Studie der Universität Kiel im Auftrag

kosten für die Wasserwirtschaft aus. Wie man in der

des BDEW. So würden die neuen Regelungen etwa

Nord- und Ostsee, aber auch im örtlichen See erleben

ermöglichen, dass bei gleichen Ertragswerten mit-

könne, eutrophieren diese durch die Nährstoffüber-

unter mehr Dünger ausgebracht wird als bisher. Auch

lastung. „Im schlimmsten Fall verlanden so Gewässer.

lasse die neue Düngeverordnung zu, dass die Ober-

Für die Eutrophierung reichen übrigens schon deut-

grenze von 170 Kilogramm Stickstoff pro Hektar

lich geringere Werte als die für das Trinkwasser vor-

selbst in ohnehin „gefährdeten Gebieten“ weiterhin

geschriebenen 50 Milligramm pro Liter“, beklagt von

überschritten wird.

Vittorelli.

98

deutlich weniger Nitrat auf als mit pflanzlichen Le-

„Die Bundesregierung muss daher die neue Dünge­

Im menschlichen Magen wird Nitrat zum schädli-

verordnung im Lichte des Urteilsspruchs überarbei-

chen Nitrit umgewandelt, das den roten Blutfarbstoff

ten. Allen landwirtschaftlichen Betrieben ist eine

blockiert. So wird der Sauerstofftransport schwer bis

verpflichtende Nährstoffbilanzierung vorzuschreiben,

unmöglich. Daneben reagiert das Nitrit im Magen mit

umweltschädigende Ausnahmen bei der Berechnung

lebenswichtigen Nahrungsbestandteilen zu Nitro­

sind zu streichen. Kontroll- und Sanktionsmöglichkei-

saminen, die als krebserregend gelten. Bei Säuglingen

ten müssen dringend verbessert werden“, fordert von

kann nitrathaltiges Trinkwasser durch Veränderung

Vittorelli.

des Blutes zur lebensgefährlichen Blausucht füh-

Kontroll- und Sanktionsmechanismen sind das

ren. Deshalb gilt: Je weniger Nitrat, desto besser für

eine, Initiativen, die erfolgreich gegen Überdüngung

Mensch und Umwelt.

kämpfen, das andere. Zwei Beispiele:

Wird der Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter

­ ocholt• Das Grundwasser des Wasserwerks in B

überschritten, müssen die Wasserversorger unbe-

Mussum war in den 1980er-Jahren mit 90 Milli­gramm

lastetes Wasser zumischen oder eine neue Quelle

Nitrat pro Liter belastet. Einzelne Förderbrunnen

suchen, um ihn einzuhalten Wenn diese Maßnah-

wiesen deutlich mehr auf. Das Grundwasser im

men nicht mehr ausreichen, dann müssen teure De-

benachbarten Wasserwerk in Liedern stand mit

nitrifizierungsanlagen gebaut werden. Dies kann zu

rund 10 Milligramm Nitrat besser da. Daher wur-

Preissteigerungen von bis zu 62 Proezent führen, so

den die beiden Gewässer gemischt, um unter dem

das Ergebnis einer Studie im Auftrag des BDEW. „Die

Grenzwert von 50 zu liegen – kein langfristiger

Wasserwirtschaft wird immer dafür sorgen, dass der

Ansatz. Der folgte 1992: In diesem Jahr schlossen

Grenzwert im Trinkwasser nicht überschritten wird“,

Landwirte, die Landwirtschaftskammer und der

garantiert Weyand. „Trinkwasser ist das am besten

Wasserversorger einen Kooperationsvertrag mit

kontrollierte Lebensmittel.“ Der höchste Nitratgehalt

dem Ziel, die Nitratbelastung zu verringern. Dazu

Wasser und Mensch | Was unser Wasser bedroht

sollte die Düngung an den tatsächlichen Bedarf

reichen Informationsveranstaltungen, Felder- und

der Pflanzen angepasst werden. Wesentlich dabei

Gewässerbegehungen und Einzelberatungen be-

war die freiwillige Mitarbeit der Landwirte, die

reits von Mulchsaat und Zwischenfruchtanbau,

nur in besonders sensiblen Bereichen der Wasser-

breiteren Gewässerrandstreifen oder einer be-

schutzgebiete mit einer Aufwandsentschädigung

darfsgerechteren Düngung überzeugt: Jährlich

bedacht wurden. Die Folgen: Waren es im Mussu-

würden bayernweit etwa 15.000 Landwirte zum

mer Werk vor 30 Jahren noch 90 Milligramm Nitrat

Thema Boden- und Gewässerschutz informiert

pro Liter Wasser, sind es heute nur noch 42; von

sowie 1.000 Einzelberatungen durchgeführt, teilte

den ehemals zehn Milligramm in Liedern sind nur

das Landwirtschaftsministerium mit. Damit aber

noch vier übriggeblieben.

nicht genug: Die LfL hat außerdem ein landes-

• Im Jahr 2009 hat die Bayerische Staatsregierung

weites Netzwerk aus derzeit 95 Demonstrations-

Wasserberater eingeführt. „Sie unterstützen die

betrieben zur nachhaltigen Landbewirtschaftung

Landwirte bei der Umsetzung der Europäischen

aufgebaut, die den Boden- und Wasserschutz für

Wasserrahmenrichtlinie“ erklärt Friedrich Nüss-

andere Landwirte anschaulich machen. Einer von

lein, Gewässerschutzexperte an der Bayerischen

ihnen ist Stephan Bissinger aus Ichenhausen. Er

Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL), und be-

hat mit seinem Betrieb schon vor einigen Jahren

schreibt sie als den direkten Draht zu den Land-

damit begonnen, Wasser- und Erosionsschutz-

wirten. „Sie müssen schließlich große Teile der

streifen anzulegen. „Da wir alle unsere Felder mit

Zielvorgaben aus der Rahmenrichtlinie umset-

GPS-Navigation zentimetergenau bewirtschaften

zen – auf freiwilliger Basis“, fährt Nüsslein fort,

und die Erträge in den Randbereichen getrennt

der den Einsatz und die Ausbildung der Wasser-

betrachten können, ist es für uns eine tolle Mög-

berater bayernweit koordiniert. „Die Wasserberater

lichkeit Ökologie und Ökonomie zu verknüpfen“

informieren vor Ort über die regionalspezifischen

erklärt er. Ertragsschwache Bereiche an Waldrän-

Gewässerqualitäten, übersetzen die Anforderun-

dern oder den Gewässern überließen sie der Natur

gen aus der Wasserrahmenrichtlinie in konkrete

und schufen damit Pufferstreifen zu den intensiv

acker- und pflanzenbauliche Gewässerschutzmaß-

bewirtschafteten Ackerflächen. In diesen Streifen

nahmen und gehen dabei gezielt auf die Nöte

können Insekten, Vögel und Wild in vielfältiger

der Landwirte ein“, erklärt Anita Högenauer, die

Fauna ungestört leben. „Als Demonstrationsbe-

selbst sieben Jahre als Wasserberaterin tätig war

trieb kann ich die Erfahrungen, die wir über die

und jetzt Nüsslein an der LfL unterstützt. „Bei der

Jahre gesammelt haben, teilen und andere Be-

Beratung ist Fingerspitzengefühl gefragt, denn

triebe dafür begeistern“, so Bissinger weiter.

es gibt keine Standardlösung. Je nach Bodensowie verfügbarer Maschinentechnik muss eine

Maximal bewirtschaften ist schlecht fürs Wasser

individuelle Lösung in einer Einzelberatung mit

Intensivlandwirtschaft bedeutet nicht nur große Ställe

dem Betrieb zusammen erarbeitet werden“, erklärt

und viel Vieh, das mancherorts mit importiertem Fut-

Högenauer und fährt fort: „Auf der anderen Seite

ter aus wasserarmen Regionen gefüttert wird, sondern

ist für Landwirte nichts wichtiger als Praxiserfah-

auch maximale Flächennutzung. Landwirtschaftliche

rung – besonders von Berufskollegen, die bereits

Flächen werden oft bis an den Gewässerrand bewirt-

seit längerem gewässerschonende Maßnahmen

schaftet, „aber eigentlich braucht es mindestens eine

erfolgreich in Ihrem Betrieb umgesetzt haben“.

Pufferzone, um die Gewässer vor Düngemittel und

Viele Landwirte haben die Wasserberater in zahl-

Pestiziden zu schützen“, so von Vittorelli. Aktuell seien

art, Geländeverlauf, Fruchtfolge und Betriebstyp

99

auf Bundesebene Gewässerrandstreifen von fünf Me-

Landwirten bevorzugt wurden. Mais oder Sonnenblu-

tern vorgesehen. Das umfasse aber kein Verbot von

men statt früh- und langdeckender Arten wie Getreide

Dünger und Pestiziden. Zudem könnten Behörden

war lange das Motto. Ebenfalls problematisch seien

und Bundesländer davon abweichen. „Hier muss eine

die Ausdehnung des Maisanbaus auf erosionsanfäl-

strenge, bundeseinheitliche Verpflichtung her. Lang-

lige Standorte wie Mittelgebirge oder Hügelland, der

fristig braucht es eine Umstellung auf ökologische

vermehrte Einsatz schwerer Maschinen, die Beseiti-

Landwirtschaft und wieder Raum für die Gewässer“,

gung von Hangstufen, Hecken und Gräben, sowie ein

fordert von Vittorelli und erklärt: „In einem landwirt-

beschleunigter Humusabbau durch intensive Boden-

schaftlich nicht genutzten Entwicklungskorridor kön-

bearbeitung und die wachsende Umwandlung von

nen sich wieder artenreiche Uferbereiche ausbilden:

Wiesen und Weiden in Ackerflächen.

Enten brüten in der Uferböschung, Libellen schlüpfen

In Schätzungen wird davon ausgegangen, dass in

an den Uferpflanzen und jagen andere Insekten, die

Mitteleuropa innerhalb von zehn Jahren fünf Millimeter

die Blüten der Uferstauden besuchen. Eine Gehölzent-

der Bodenoberfläche durch Wasser- und Winderosion

wicklung, zum Beispiel mit Erlen und Weiden, spendet

abgetragen werden. Dies entspricht in 1.000 Jahren

dem Gewässer Schatten und bietet Vögeln Singwar-

etwa einem halben Meter Boden, durchschnittlich etwa

ten und Brutplätze“. 

eine Tonne pro Hektar und Jahr. Während eines einzigen Starkregenereignisses können mehr als 100 Tonnen Bo-

Bodenerosion bedroht Wasser

denmaterial pro Hektar abgetragen werden. Neuer Bo-

Dass Wind und Wasser Boden abtragen, ist ein natür-

den entsteht, wenn Gestein verwittert – pro Jahr etwa

licher Vorgang. Bodenerosion kann aber auch durch

0,1 Millimeter. Ohne Schutzmaßnahmen bleiben unsere

Menschenhand verursacht werden. Die Bundesanstalt

derzeitigen Böden in dieser Art nicht erhalten.

für Landwirtschaft und Ernährung stellt fest: „Durch Rapsfeld mit Erosionsspuren von Traktoren

100

die Intensivierung der Landnutzung hat sich das Pro-

Gefahren aus der Industrie

blem der Bodenerosion in Mitteleuropa deutlich ver-

Bodenerosion ist nicht nur ein Problem in der Land-

schärft.“ Erosionsverstärkend wirke dabei, dass Kultur-

wirtschaft. Werden etwa beim Kiesabbau Boden-

arten mit später und kurzer Bodendeckung von vielen

schichten abgetragen oder wird gar das Grundwasser

freigelegt, können Luftschadstoffe oder Betriebsmittel

Gesetze schreiben zwar vor, das anfallendes Abwasser

ungehindert das Wasser verunreinigen.

nach dem Stand der Technik zu reinigen, allerdings ist

Abgesehen von Bodenerosion sind Schadstoffe aus der Industrie eine große Gefahr für das Wasser:

es weiterhin erlaubt, den verbleibenden Rest in die Flüsse einzuleiten.

Abgase werden vom Regen aus der Luft gewaschen und sickern, genauso wie Öl aus Fahrzeugen oder

Stadtentwicklung: Raubbau an der Natur

Reifen- und Bremsenabrieb, in den Untergrund. Viel

Die moderne Industrie- und Dienstleistungsgesell-

schlimmer aber ist das hochgiftige Quecksilber, das

schaft hat mit vielen baulichen Eingriffen den ur-

über Fische und andere Meerestiere in die Nahrungs-

sprünglichen Landschaftswasserhaushalt aus dem

kette gelangt.

Gleichgewicht gebracht. Wo früher Wiesen oder

„Im europäischen Vergleich ist Quecksilber die

Feuchtgebiete waren, sind heute Siedlungen, Straßen,

Hauptursache, warum ein guter chemischer Zustand

Hochwasserschutzbauten oder für die Intensivland-

in Oberflächengewässern nicht erreicht wird. In den

wirtschaft passend gemachte Flächen entstanden. Die

Oberflächengewässern Deutschlands überschreitet

Folgen: Regen geht meist auf Beton, Teer oder ander-

Quecksilber flächendeckend den Grenzwert, obwohl

weitig befestigte Untergründe nieder. Von dort schießt

die Quecksilberemissionen in anderen, insbesondere

das Wasser durch die Kanalisation in Fließgewässer.

osteuropäischen Ländern, deutlich höher sind“, weiß

Im ländlichen Bereich ist es dank landwirtschaftlicher

Steffen Krause, außerplanmäßiger Professor an der

Drainagen durch Bodenverdichtung und Humusverlust

Universität der Bundeswehr in München. Die Queck-

ähnlich. Ist das Wasser in Bächen und Flüssen ange-

silberbelastung sind überwiegend Altlasten aus dem

kommen, wird der Transport weiter beschleunigt. Denn

Energiesektor: Laut Umweltbundesamt stammen

begradigte und kanalisierte Flüsse mit Uferbebau-

65 Prozent der Emissionen aus Stein- und Braunkoh-

ung können wenig Wasser zurückhalten. Hochwasser

lekraftwerken und der metallverarbeitenden Indus­

entsteht so immer schneller und wird immer höher.

trie. Seit 1990 wurden die Quecksilberemissionen der

Fehlt es an Regen, trocknen Boden und Fließgewäs-

Energieerzeugung in Deutschland um rund 64 Pro-

ser schneller aus. „Es gibt in Deutschland kaum noch

zent gesenkt. Der Grund: Lange waren Abscheidean-

natürliche Fließgewässer – aus Flüssen wurden Was-

lagen nicht vorgeschrieben. Die heute im Einsatz be-

serstraßen. Sie wurden begradigt, ausgebaut und auf-

findlichen Techniken ermöglichen eine Abscheidung

gestaut. Damit einher ging der Verlust eines unglaub-

des Quecksilbers von bis zu 90 Prozent. Dennoch ist

lich vielfältigen Lebensraums. Niemand in Deutschland

die Verschmutzung zu hoch.

erinnert sich noch an Lachs, Maifisch und Stör – was

Die Zahl der Abscheideanlagen und Abwasser-

auch dazu führt, dass sich viele mit der Umsetzung

reinigungsanlagen nimmt zu, denn Wasser ist für

der Wasserrahmenrichtlinie so schwertun. Die Wasser-

die Industrie oftmals genauso wertvoll wie die pro-

rahmenrichtlinie verlangt nicht, dass alle Gewässer in

duzierenden Güter. „Die Industrie generell und die

ein „vorindustrielles Zeitalter“ zurückversetzt werden,

Chemieindustrie im Besonderen haben ihren Wasser-

sondern dass die menschliche Nutzung wenn möglich

verbrauch deutlich gesenkt: Der gesamte Wasserver-

so stattfindet, dass die Natur wenig beeinträchtigt wird

brauch blieb trotz einer Produktionssteigerung um

und sich wieder erholen kann. Wenn bestimmte bau-

mehr als 30 Prozent konstant und damit auf einem

liche Veränderungen nicht zurückgebaut werden kön-

Niveau, das sich kaum mehr verbessern lässt – heute

nen, weil etwa sonst die Trinkwasserversorgung oder

wird jeder Liter Wasser fast sechs Mal genutzt“, so der

Schifffahrt zum Erliegen kommen würde – können

Verband der Chemischen Industrie. Ein flächende-

nach der Richtlinie auch die Zielvorgaben abgesenkt

ckender Einsatz lässt dennoch auf sich warten, denn

werden“, sagt BUND-Wasserexpertin von Vittorelli.

101

Energie und Wasser

die Inhaltsstoffe von Alltagsprodukten nicht auf ihre

Wasserkraft ist eine zuverlässige grüne Energiequelle,

Abbaubarkeit in der Kläranlage überprüft werden.

so die gängige öffentliche Meinung. Insgesamt spielt

Aber es ändert sich etwas im Gewässerschutz: „Mit

sie im deutschen Energiemix mit einem Anteil von

dem Jahrtausendwechsel hat sich der Ansatz gewan-

drei Prozent eine untergeordnete Rolle. Und das ist

delt. Zuvor lag das Hauptaugenmerk auf einem emis-

aus ökologischer Sicht nicht schlecht, birgt die Wasser-

sionsbezogenen Ansatz, also in einer Verminderung

energie auch einige Nachteile: Wandernde Fischarten

der Austräge in das Gewässer. Die EU-Wasserrahmen-

können nicht flussaufwärts schwimmen, um zu laichen.

richtlinie setzt dagegen auf einen immissionsbezo-

Die Staumauern sind im Weg. Alte Wasserkraftanlagen,

genen Ansatz, betrachtet also die Auswirkung auf die

die noch ohne die seit 2009 vorgeschriebenen Fisch-

Umwelt. Im Fokus einer weitergehenden Behandlung

schutzeinrichtungen wie etwa Fischtreppen, laufen,

von Kläranlagenabläufen stehen derzeit vor allem die

sind eine tödliche Gefahr für aquatische Lebensformen.

weitestgehende Nährstoffelimination, insbesondere

Außerdem haben Studien der Universitäten Koblenz/

von Phosphor, sowie die Elimination von Mikroschad-

Landau ergeben, dass wegen des mangelnden Wasser-

stoffen und Mikroplastikpartikeln“, legt Schaum dar

flusses in der Stauung und anaerober Vorgänge am

und nennt die für die Wasserqualität am gefährlichs-

Gewässerboden Methan entsteht. Das trägt zur Ver-

ten Bedrohungen: Nährstoffe wie Nitrat und Phosphor

schlechterung der Klimabilanz bei. In Hessen wurde

oder Mikroschadstoffe wie Viren, Bakterien, Keime,

im Juni 2018 die Mindestwassermenge, die im Fließge-

hormonaktive Stoffe und Mikroplastik.

wässer verbleiben soll, nach oben korrigiert. Jahrelang hatte sich der Naturschutzverband Hessischer Fischer

Krankheitserreger im Wasser

dafür eingesetzt, da besonders kleinere und mittlere

Neben den harmlosen Mikroorganismen gibt es auch

Bachläufe immer wieder trockengefallen waren.

Krankheitserreger, die über menschliche und tierische Ausscheidungen das Wasser zur Trinkwassergewinnung

102

Abwasser

belasten können, etwa Salmonellen und bestimmte Vi-

Nicht nur Landwirtschaft, Industrie und Städtebau kön-

ren. Bei einer akuten Gesundheitsgefahr im Trinkwasser

nen die Qualität und Verfügbarkeit der Ressource Was-

muss der Wasserversorger öffentlich warnen. Das pas-

ser gefährden: „Verschmutzungen in unserem Wasser

siert deutschlandweit etwa ein Dutzend Mal pro Jahr,

entstehen im Bereich der Haushalte vorwiegend über

etwa wenn Kolibakterien ins Trinkwasser gelangen. Bei

die Nutzung des Trinkwassers zum Duschen, Wäsche-

mikrobiologischen Auffälligkeiten, wie nach heftigen

waschen und Geschirrspülen sowie für viele weitere

Starkregenfällen oder Hochwasser, dürfen Wasserwerke

Stoffe, die der Mensch aufnimmt und wieder ausschei-

Trinkwasser stärker als üblich desinfizieren, beispiels-

det. 2014 führte der Chemical Abstracts Service etwa

weise mit Chlor oder ultravioletter Strahlung (UV).

90 Millionen organische und anorganische Substanzen

„Multiresistente Keime im Trinkwasser“ – diese

auf, 2018 sind es bereits über 142 Millionen Verbin-

Angst ist in Deutschland unbegründet. Zwar sind Kli-

dungen. Allein diese Zahlen stellen bereits dar, mit wie

niken und die industrielle Tierhaltung laut Umwelt-

vielen Stoffen wir jeden Tag in Verbindung kommen

bundesamt Hotspots für die Entstehung von antibio-

und wie rasant die Zahl an Stoffen steigt“, erklärt Chris-

tikaresistenten Bakterien. Von dort gelangen sowohl

tian Schaum, Professor für Siedlungswasserwirtschaft

Antibiotika-Rückstände und -Ausscheidungen als

und Abfalltechnik an der Universität der Bundeswehr

auch resistente Bakterien über das Abwasser oder

in München.

Abschwemmungen von Böden in die Umwelt. Das

Selbst Kläranlagen mit modernster Technik tun sich

Risiko, in Deutschland über den Trinkwasserpfad mit

bei dieser schieren Menge schwer. Schließlich müssen

solchen Keimen in Kontakt zu kommen, ist dennoch

Wasser und Mensch | Was unser Wasser bedroht

ohne praktische Bedeutung. Wenn das Trinkwasser

Besonders Tieren, die im Wasser leben, schaden diese.

unter Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln

Dadurch kann das Geschlechterverhältnis innerhalb

der Technik aufbereitet wird und den gesetzlichen

einer Art verändert werden und in der Folge die ge-

Anforderungen genügt, können maximal mit neuen

samte Art gefährdet sein.

molekularbiologischen Verfahren geringe Konzentra-

Die Wirkung auf den Menschen ist nicht ausrei-

tionen an Genfragmenten in manchen Trinkwasser-

chend untersucht. In einigen Fällen wurde schon auf

proben nachgewiesen werden.

Berichte über verdächtige Verbindungen reagiert. Ein

Auch idyllische Seen wie dieser können durch Rückstände im Wasser belastet sein.

Beispiel ist der Weichmacher Bisphenol A (BPA), das

Hormonaktive Stoffe

in der EU für die Herstellung von Säuglingsflaschen

Hormonaktive Substanzen ähneln körpereigenen Hor-

verboten wurde. Bei Kleinkindern kann der Stoff das

monen oder hemmen diese. Sie können natürlichen

Gehirn oder dem Herzen schaden sowie Diabetes her-

Ursprungs sein, wie Östrogene und Testosterone beim

beiführen.

Menschen oder Phytohormone, die in Pflanzen vorkommen, und werden relativ schnell biologisch abge-

Arzneimittel

baut. Dagegen sind die in der Medizin, der Tierhaltung

Wer Tabletten, Hustensaft oder Nasenspray ein-

und in der industriellen Produktion häufig eingesetz-

nimmt, macht sich meist keine Gedanken darüber,

ten synthetischen Hormone chemisch stabil. Sie wer-

dass der Körper die Mittel oder zumindest Rück-

den teilweise noch im Ablauf der Klärwerke nachge-

stände davon auch wieder ausscheidet. Übers

wiesen. Anreicherung im Wasser kann die Folge sein.

Abwasser fließen die Substanzen zum Klärwerk.

103

Besonders schlimm für die Wasserqualität sind

Kunststoff, den die Kosmetikindustrie verarbeitet,

Medikamente, die manche fälschlicherweise in der

zum primären Mikroplastik.

Toilette entsorgen. So kippt jeder Zweite Flüssigarz-

Sekundäres Mikroplastik entsteht, wenn größere

neien in Toiletten und Spülen, ergab eine Umfrage

Kunststoffteile zerfallen, durch Witterungseinflüssen,

von Stiftung Warentest 2013. Manche Medikamente

Wellenbewegung oder weil sie die Sonnenstrahlen

sind chemisch sehr stabil. Röntgenkontrastmittel

spröde gemacht haben. Gemeinsam ist den beiden For-

verlassen etwa den Körper über den Urin praktisch

men des Mikroplastiks, dass sie bisher nicht abbaubar

unverändert. Das Dilemma: Auch die Reinigung in

sind und bereits in Bächen, Flüssen, Seen, Meeren und

Klär- und Wasserwerken können ihnen nichts an-

sogar im Mineralwasser nachgewiesen wurden.

haben. Welches Risiko die Abbauprodukte für die

Die Weltnaturschutzunion hat in einer Studie

Menschheit bergen, ist noch ungenügend erforscht.

2017 die prozentuale Verteilung der weltweiten Ein-

Für einzelne Wirkstoffe ist bereits nachgewiesen,

tragsquellen von Mikroplastik ermittelt:

dass sie Wassertieren schaden – das Schmerzmittel

• 6 % Körperpflegeprodukte

Diclofenac zum Beispiel den Nieren von Fischen.

• 7 % Straßenmarkierungen

„Obwohl es bisher keine Vorgaben oder Grenzwerte

• 24 % Stadtstaub

zu Arzneimitteln und ähnlichen Stoffen im Abwasser

• 28 % Reifenabrieb

gibt, werden in Deutschland bereits jetzt großtech-

• 35 % synthetische Textilien

nische Kläranlagen mit einer so genannten vierten

Eine Studie hat gereinigtes Abwasser von zwölf Klär-

Reinigungsstufe ausgestattet. Je nach Bundesland

anlagen in Deutschland untersucht und synthetische

gibt es hierzu eine Förderung von Machbarkeitsstu-

Fasern in allen Proben nachgewiesen. Die Anzahl von

dien oder eine anteilige finanzielle Unterstützung

synthetischen Fasern variierte unter anderem mit der

für einzelne Baumaßnahmen. Die restlichen Bau-

technischen Ausstattung der Kläranlagen. Berechnet

kosten sowie die Kosten für den Betrieb müssen die

wurde eine Freisetzung von synthetischen Fasern

Kommunen selbst übernehmen“, erklärt Professor

zwischen 30 Millionen und drei Milliarden pro Jahr.

Schaum. Einen Ansatz, die Maßnahmen stärker an

Die Mikroplastik-Belastung ist auch in deutschen

die Quelle zu verlagern, erklärt Dr. Christoph Schulte

Binnengewässern virulent, wie eine Pilotstudie (2018)

vom Umweltbundesamt: „In Kliniken, den größten

im Auftrag der Umweltministerien der Länder Ba-

Eintragsquellen von Arzneimitteln in das Abwasser,

den-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-West-

könnte dieses vorbehandelt oder gesammelt werden,

falen und Rheinland-Pfalz ergab.

sodass die Schadstoffe gar nicht erst bis zur Kläranlage kommen.“

Auch in Mineralwasser ist Mikroplastik nachweisbar. Das ergab eine Studie des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts Münsterland-Emscher-Lippe

104

Mikroplastik

(2017). Das Amt untersuchte 34 Mineralwässer aus

„Mikroplastik ist eine der größten Gefahren für unsere

PET-Mehrweg-, PET-Einweg- und Glasflaschen sowie

Gewässer. Selbst Einzeller nehmen die Teilchen in

Kartonverpackungen auf Mikroplastik. Das Gehalt lag

ihren Organismus auf“, warnt Weyand.

im Mittel bei 118 Partikeln je Liter. Das Wasser aus

Als Mikroplastik werden feste und unlösliche

PET-Mehrwegflaschen enthielt mit Abstand die meis-

synthetische Kunststoffe bezeichnet, die kleiner als

ten Partikel. Die meisten davon stammten vermutlich

fünf Millimeter sind. Man differenziert primäres und

aus Flaschen und Deckeln.

sekundäres Mikroplastik. Zum primären Mikroplastik

Welches Risiko die Mikroplastik-Belastung für

gehören sogenannte Basispellets, das Ausgangsma-

den Menschen spielt, lässt sich derzeit noch nicht ab-

terial für jede Plastikproduktion. Ebenso zählt der

schätzen. Das Umweltbundesamt schildert einen Zwi-

Wasser und Mensch | Was unser Wasser bedroht

schenstand: „Wir stellen an Humanzellen fest, dass sich Partikel darin und darauf ablagern. Sie können dadurch etwa Entzündungswerte leicht erhöhen.“ Belastbare Ergebnisse werden 2019 erwartet. Die Auswirkung auf die Tierwelt ist schon etwas klarer: Studien belegen, dass Meerestiere, wie Muscheln, Krustentiere und Fische Mikroplastik aufnehmen. Oft sammelt es sich im Verdauungstrakt an, bei Muscheln auch im Fleisch. Kürzlich wiesen Forscher auch Mikroplastik im Meersalz nach. Die Partikel können sich auch über die Luft verbreiten und über Bienen sogar in Honig gelangen. Reparieren statt konsumieren, Kunstfasertextilien bei niedrigen Temperaturen waschen, Kosmetika mit Mikroplastikpartikeln vermeiden. Das alles sind Wege, wie jeder einzelne Verbraucher Mikroplastik reduzieren kann. Außerdem wird derzeit daran ge-

behörde der Inselnation setzt ein flächendeckendes

forscht, welche Alternativen zum Klärschlamm es für

Komplettverbot von Einwegplastik um. Bis 2030

den Rückhalt von Mikroplastik gibt: „Dazu betrach-

werden Strohhalme, Plastiktüten und Einwegbecher

ten wir das Thema Mikroplastik in unserem Projekt

schrittweise verboten.

Plastrat mit 21 Partnern und Unterauftragnehmern

Mikroplastik: Kleine Kunststoffpartikel, die einem Peeling-­ Gel hinzugefügt waren

ganzheitlich“, so die Professoren Schaum und Krause. Weyand sieht Hersteller und Politik in der Pflicht: „Warum muss in der Zahnpasta oder in Jacken Mikroverboten. Solange Mikroplastik erlaubt ist, wird es in

So einfach kaufen Sie keine MikroplastikProdukte mehr!

der Industrie eingesetzt. Dabei gibt es Alternativen

Um die Umweltverschmutzung durch Mikroplastik

für die Herstellung von Produkten ohne die Verwen-

zu stoppen, ist eine Kombination aus Verbrauchs­

dung von Mikroplastik.“

reduzierung und innovativen Technologien erforder-

plastik drin sein? Andere Staaten haben das längst

Die EU-Kommission plant daher ein Verbot von

lich. Deswegen hat der BUND einen Einkaufsratgeber

Plastikgegenständen, für die es weniger schädliche

erarbeitet, der Produkte auflistet, deren Inhaltsstoffe

Alternativen gibt, etwa Plastikteller und Strohhalme,

Mikroplastik enthalten. Nicht nur ein gutes Angebot

und fordert, dass bis 2030 alle Kunststoffe wieder-

für jeden Verbrauche, auch die Industrie hat bereits

verwertbar sind. Bis die EU diese Strategie umge-

reagiert: Der Industrieverband Körperpflege- und

setzt hat, kann es allerdings noch dauern – momen-

Waschmittel e.V. hat erklärt, dass er seinen Mitglie-

tan sind es nur Vorschläge. Die Briten gehen schon

dern empfehlen werde, Mikroplastik aus Kosmetika zu

einen Schritt weiter: Als erstes europäisches Land

entfernen. Außerdem haben sich viele Hersteller beim

haben sie Mikroplastik in Duschgel und Zahnpasta

BUND direkt gemeldet und den Ausstieg aus Mikro-

verboten. Ein solches Verbot haben die USA, Kanada

plastik angekündigt.

und Neuseeland ebenfalls eingeführt. Schweden stoppte den Verkauf von Kosmetika mit Mikroplastik.

Den Einkaufsratgeber gibt’s kostenlos zum Download unter www.bund.net/meere/mikroplastik.

Noch rigoroser geht Taiwan vor: Die Umweltschutz-

105

Wasser Wasser und und Mensch Mensch

Wasser nachhaltig nutzen Ob zur Ernährung, zur täglichen Hygiene, für Freizeitaktivitäten, als Energiequelle oder Transportmedium: Menschen brauchen Wasser. Wir zeigen, wie ein ressourcenschonender Umgang mit dem Lebenselixier aussieht. Viele Produkte des täglichen Lebens werden herge-

brauch etwa doppelt so hoch wie bei uns. Die Gründe

stellt, verbraucht und dann zu Abfall. Beim Wasser ist

für diesen vergleichsweise geringen Wasserverbrauch

das anders – es wird nur für eine gewisse Zeit aus

sind vielseitig: der Spardrang jedes einzelnen, wasser-

dem Wasserkreislauf geborgt. „Man kann Wasser nicht

sparende Haushaltsgeräte und Armaturen im Haus-

verbrauchen. Aber man kann es unnutzbar machen“,

halt sowie Mehrfachnutzung und Wasserrecycling in

erklärt Heribert Nacken, Professor für Ingenieur­

der Industrie.

hydrologie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen.

Wassersparen hat aber eine Kehrseite: „Wassersparen führt unter Umständen zu höheren Kosten bei

Dennoch ist Wasser laut der Weltgesundheitsorga-

der Instandhaltung der Transportinfrastruktur. Denn

nisation (WHO) für mehr als eine Milliarde Menschen

das Wasser steht dann länger in den Rohren. Dadurch

auf der Welt Mangelware. Immerhin, im regenreichen

müssen die Rohre mehr durchgespült werden. Die

Deutschland droht kein Wasserstress: Zahlen des Um-

Wasserwerke müssen also mehr Leistungen erbringen,

weltbundesamtes zeigen, dass 2013 bundesweit mit

um die gleich hohe Wasserqualität zu garantieren.

rund 25 Milliarden Kubikmetern Wasserentnahme nur

Wasser muss fließen“, erklärt Martin Weyand, Haupt-

13,3 Prozent des Wasserangebots genutzt wurde. Die

geschäftsführer Wasser/Abwasser vom BDEW, und

Deutschen gelten als Weltmeister im Wassersparen:

fährt fort: „Das gilt ebenfalls für Abwässer. Sobald in

Seit 1990 ist der durchschnittliche Haushaltswasser-

den Kanälen nicht genügend Abwasser durchläuft,

verbrauch von 147 Liter auf 123 Liter pro Einwohner

entsteht zum Beispiel Fäule. Dadurch bilden sich Gase

und Tag gesunken. Davon entfallen 36 Prozent auf

und Säuren. Der Beton wird regelrecht zerfressen. Also

die tägliche Hygiene, 27 Prozent auf die WC-Spülung,

müssen die Abwasserbetriebe die Kanäle mit speziel-

zwölf Prozent aufs Wäschewaschen, neun Prozent auf

len Spülwagen reinigen. Hierdurch entstehen hohe

Gartenpflege und Reinigung und der Rest auf Essen

Kosten und im Sommer kann es zu Geruchsbildung

und Trinken sowie Kleingewerbe. In den ostdeut-

kommen. Die Kanäle zu verkleinern wäre aber auch

schen Bundesländern hat sich der Wassergebrauch

keine Lösung, denn wir brauchen sie für Starkregen!“

gar auf 93 Liter im Jahr 2000 vermindert und liegt

Ein weiteres Phänomen in Deutschland: Durch

heute unter 80 Litern. Das bestätigen Zahlen vom

den Rückgang des Wassergebrauchs steigt in vielen

Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft

Regionen der Grundwasserspiegel an. Das hat teils zur

(BDEW) in Berlin. Im Vergleich mit anderen Ländern

Folge, dass Wasser in die Häuser drückt. In solchen

ein Sparrekord: In Japan oder den USA ist der Wasser-

Fällen ist zukünftig ein neues Grundwassermanagement erforderlich, dass durch die Städte und Gemeinden organsiert werden muss. Der Wasserhunger in Städten und Ballungsräumen

Sonnenstrahlen brechen sich auf einem Gewässer auf der Halbinsel Yucatán in Mexiko.

wird zunehmen. Regionale Schwankungen des Wasserangebots werden sich verstärken. Der Klimawandel

107

birgt neue Herausforderungen: Hier kommt es darauf

heitsamt anzeigen. Denn: Eine andere Frage ist, ob

an, dass entsprechend der rechtlichen Regelungen ein

das Regenwasser von den Dächern auch hygienischen

übergreifendes Konzept einer Region für die ökolo-

Anforderungen entspricht und nicht zu einer Verkei-

gisch verträgliche Nutzung der Wasserressourcen er-

mung des Leitungssystems führt und damit Krank-

stellt wird. Oberflächlich abfließendes Regenwasser

heiten Vorschub leistet. Auch darf es nicht zu einer

sorgt nicht dafür, dass bereits abgesunkene Grund-

negativen bakteriellen Rückwirkung der Eigenwasser-

wasserleiter wieder aufgefüllt werden. So ruft etwa

versorgung in das öffentliche Wassernetz kommen.

im heißen und trockenen Sommer 2018 der Wasser-

Für eine solche Regenwasseranlage kommen al-

verband Hümmling im Emsland die Bürger dazu auf,

lerdings deutlich höhere Kosten auf einen zu, da sie

den Garten nicht mit Leitungswasser zu gießen. Kein

ein vom Hauswassernetz getrenntes Rohrleitungs-

Wunder: Werden außerhalb des Hauses normaler-

system verlangt. Inklusive Wasserspeicher, Rohr- und

weise etwa 7 Prozent des Wassers verbraucht, können

Filtersystem und eventuell vorgeschriebenen Wasser-

es im Sommer schon mal mehr als 50 Prozent werden.

uhren sowie der jährlichen Wartung müssen mit Gesamtkosten von etwa 5.000 Euro gerechnet werden.

Regenwasser nutzen

Ein Vier-Personen-Haushalt spart je nach Wasser-

„Zum Gießen des Gartens ist das Regenwasser ge-

gebühren rund 160 bis 200 Euro im Jahr. Sollte für

nerell die bessere Wahl als Trinkwasser“, so Laura

Regenwasser keine Abwassergebühr erhoben werden,

von Vittorelli, Leiterin Gewässerpolitik vom Bund für

liegt die Ersparnis bei etwa 240 bis 300 Euro im Jahr.

Umwelt und Naturschutz. Das kann entweder aus der

Bis sich eine Regenwassernutzungsanlage rechnet,

Regentonne, einer Zisterne oder einer Regenwasser-

vergehen in der Regel also mehr als zehn Jahre, es sei

nutzungsanlage kommen. Eine mit 100 Litern für die

denn, von der Gemeinde gibt es einen Zuschuss.

Gartenbewässerung ausreichend große Regentonne

Ähnlich sieht das übrigens aus, wenn Sie Brauch-

gibt’s ab 20 Euro in jedem Baumarkt. Zisternen sind

wasser, also fäkalienfreies, nur gering verschmutztes

Sammelbehälter, die ins Erdreich eingelassen werden,

Abwasser, etwa vom Duschen, Baden oder Händewa-

um Regenwasser zu sammeln. Die Zisternen nehmen

schen, selbst wiederaufbereiten und zur WC-Spülung

das Wasser über einen Anschluss an das Fallrohr der

oder zum Wäschewaschen nutzen wollen. Grauwas-

Dachrinne und einen Regenwasserfilter in sich auf.

ser-Recycling-Anlagen bestehen aus mehreren Filter-

Übriggebliebene Schmutzpartikel und überschüssi-

kästen und einem gesonderten Betriebswassernetz.

ges Wasser werden direkt in die Kanalisation geleitet.

Die Filterkästen brauchen einen mindestens 2,20 Me-

Eine Pumpe fördert das Wasser zur Gartenbewässe-

ter hohen Kellerraum. Eine Grauwasser-Recycling-An-

rung in den Gartenschlauch. Flachtanks aus Plastik

lage kostet rund 5.000 Euro ohne Installation.

gibt es bereits ab 300 Euro, Betonzisternen ab etwa

Auch ohne Zuschuss kann es sich lohnen, eine

900 Euro. Die passende Größe lässt sich online ba-

Regen- oder Grauwassernutzungsanlage zu installie-

sierend auf der örtlichen Niederschlagsmenge und

ren: Das weiche Regenwasser spart rund 20 Prozent

der angeschlossenen Dachfläche berechnen, etwa bei

Waschmittel beim Wäschewaschen ein. Bei Starkre-

Online-Fachhändlern.

genfällen entlasten Regenwassertanks die Kanalisa-

Regenwasseranlagen zur reinen Gartenbewässe-

tion und helfen Überflutungen zu verhindern.

rung sind nicht bei den Behörden anzeige- oder mel-

108

depflichtig. Wollen Sie das Regenwasser allerdings

Wasserschutz im eigenen Garten

im Haus für die Toilettenspülung oder das Wäsche-

Um Wasser und Nutzstoffe im kleinen Kreislauf der

waschen nutzen, müssen Sie den zuständigen Wasser-

eigenen Landschaft zu halten, braucht es Gärtner-

versorger informieren und die Anlage beim Gesund-

intelligenz. Dazu gehört neben der Bewässerung

Wasser und Mensch | Wasser nachhaltig nutzen

Prinzip einer Zisterne für die Regenwasser­ speicherung 1) Entnahme 2) Rückspül­ feinfilter 3) Zentrale Systemsteuerung 4) Überlauf 5) TeleskopDomschacht 6) Filter intern 7) Erdtank 8) Beruhigter Zulauf

mit Regenwasser eine durchdachte Gartenplanung:

kann das Regenwasser versickern und den Grundwas-

So sollte etwa in einem großen Garten nicht nur an

serspeicher füllen. Dabei reinigen die Bodenschichten

Beete und Büsche, sondern auch an Bäume gedacht

das versickernde Wasser auf natürliche Weise.

werden, die für gedämpfte Temperaturen und Schat-

Bewässern Sie nur, wenn es tatsächlich nötig ist

ten sorgen. Gegenüber Krautpflanzen weisen sie das

und achten Sie dabei immer auf den individuellen Be-

Sieben- bis Zehnfache an verdunstender Blattober-

darf der Pflanzen. Gießen Sie nur Pflanzen und nicht

fläche auf.

die Betonplatten oder Terrassendielen. Geben Sie den

Außerdem gilt es, möglichst auf chemische Pflan-

Pflanzen nur Wasser, wenn es kühl ist – also nicht

zenschutzmittel und Kunstdünger zu verzichten: Zum

tagsüber, sondern abends oder ganz früh morgens.

Düngen sollte man stattdessen Kompost oder den

Die Folge: Das Wasser verdunstet nicht so schnell,

Mulchschnitt wählen und aktiv Nützlinge fördern.

sondern kann in den Boden einsickern und gelangt

Beispielsweise sind Hecken wunderbare Nistorte für

an die Wurzeln.

Vögel, ein naturnaher Garten mit Trockenmauern, Staudenbeeten oder auch Laubhaufen lädt Insekten,

Der nachhaltige Wasser-Haushalt

Amphibien und Kleinsäuger ein.

„Es sollte eine Grundhaltung bleiben, sparsam mit

Zufahrten, Fußgängerwege und wenig frequen-

dem Wasser umzugehen“, rät von Vittorelli. Es spricht

tierte Parkplätze können mit wasserdurchlässigen

also nichts dagegen, das Wasser abzustellen, wäh-

Belägen, etwa Rasensteinen, gestaltet werden. So

rend die Zahnbürste im Mund kreist. Das Motto

109

sollte aber ein unverkrampfter Umgang sein, denn

und nutzen Sie so die kostenlose, regenerative Ener-

niemand muss sich im Haushalt Wasser vom Mund

gie der Sonne.

absparen. „Am effektivsten kann man unser Trink-

Zu raten ist außerdem, beim Geschirr- und Wä-

wasser schützen, indem man darauf achtet, es weder

schewaschen immer die volle Geräteauslastung zu

direkt noch indirekt zu verschmutzen – das betrifft

nutzen. Achten Sie beim Kauf eines neuen Haushalts-

alltägliche Einkaufsentscheidungen vom Putzmittel

geräts auf die Angaben zum Energie- und Wasserver-

bis zur Wurst aus der Massentierhaltung“, so von Vit-

brauch. Benutzen Sie für gering verschmutzte Wäsche

torelli weiter.

oder für geringe Füllmengen die Sparprogramme.

Zur Reinigung im Haus sollten nur biologisch ab-

Waschen Sie die Wäsche mindestens ein Mal im Mo-

baubare Reinigungsmittel benutzt werden. Reste von

nat bei 60 Grad oder mehr. Für alle anderen Wäschen

Farben, Ölen, Pflanzenschutzmittel, Lösungsmitteln,

genügen 30 Grad im Eco-Programm.

Lacken, Reinigungs- und Düngemitteln sind um-

Große Wasserverschwender können auch lecke

gehend bei den örtlichen Sammelstellen, etwa dem

Wasserhähne oder Spüleinrichtungen sein: Ein Was-

Wertstoffhof, abzugeben. „Jeder Bürger kann darauf

serhahn, aus dem pro Sekunde ein Tropfen fällt, lässt

achten, dass Medikamentenreste oder Wattestäbchen

pro Tag 17 Liter Wasser auslaufen. Ein dünner Strahl

und Zahnseide nicht über die Toilette entsorgt wer-

von nur einem  Millimeter Durchmesser füllt pro

den“, so Christian Schaum, Professor für Siedlungs-

Stunde einen Neun-Liter-Eimer. Das entspricht einem

wasserwirtschaft und Abfalltechnik an der Universität

täglichen Verlust von 216 Litern und 79 Kubikmetern

der Bundeswehr in München.

im Jahr. Ein undichter Spülkasten lässt in einer Stunde

Das bedeutet: Bringen Sie alte Medikamente entweder zu Apotheken oder Wertstoffhöfen. Eine Alter-

mehr als 20 Liter, pro Tag 480 Liter und im Jahr rund 175 Kubikmeter auslaufen.

native ist der Hausmüll. Wer Röntgenkontrastmittel

Was viele nicht wissen: Abwasser aus undichten

einnehmen muss, kann Wegwerf-Urinale kaufen, ein

Hausanschlüssen und Kanälen kann das Grundwasser

paar Mal nach der Untersuchung nutzen und dann im

verunreinigen. Eine regelmäßige Kontrolle der Rohre,

Hausmüll entsorgen, denn Kontrastmittel halten je-

etwa alle zehn Jahre, ist mindestens wünschenswert.

dem Klärwerk stand. Hausmüll hingegen wird in der

So können undichte Stellen entdeckt und abgedichtet

Regel verbrannt.

werden.

Bei den täglichen Haushaltstätigkeiten sind

Aber Achtung: Arbeiten an der Trinkwasser-Instal-

die Einsparpotenziale vergleichsweise gering. „Ge-

lation sind nichts für Heimwerker. Schützen Sie Ihr

rade Warmwasser ist mit Energieaufwand verbun-

Trinkwasser vor Problemen und Verunreinigungen, in-

den – da lohnt sich das Sparen besonders“, so von

dem Sie Arbeiten an der Trinkwasserinstallation nur

Vittorelli. Heißwasser verbraucht etwa zehn Mal

von Fachbetrieben ausführen lassen.

so viel Energie wie die bloße Wasserbereitstellung

110

und -entsorgung. Im Schnitt fließen 10 Prozent der

  TIPP: Prüfen Sie, ob in Ihrer Hauswasserinstalla-

Energiekosten eines Haushalts in die Bereitung von

tion noch Bleirohre verbaut sind. Das kommt haupt-

Warmwasser. Ergo: Sparen Sie beim Warmwasserver-

sächlich in Häusern vor, die vor 1979 gebaut wurden.

brauch. Ziehen Sie beispielsweise das Duschen dem

Blei im Wasser ist besonders für Babys und Kinder

Wannenbad vor. Für ein Vollbad benötigen Sie 150

bis sechs Jahren gesundheitsschädlich. Mögliche Fol-

bis 180 Liter, für eine Dusche genügen meist 30 bis

gen können Nerven- oder Gehirnschäden sein. Einen

50 Liter. Lassen Sie beim Zähneputzen nicht unnötig

Wassertest führen die örtlichen Wasserversorger und

warmes Wasser laufen. Eine ganz andere Möglich-

private Umweltlabore durch. Das Labor stellt einen

keit: Setzen Sie auf Solarthermie für Warmwasser

Probenbehälter zur Verfügung, den Sie morgens di-

Wasser und Mensch | Wasser nachhaltig nutzen

rekt nach dem Aufstehen befüllen. Zu dieser Zeit hat

Und die lästige Schlepperei von Flaschen entfällt.

das Wasser eine Nacht lang in den Rohren gestanden

Auch die Umwelt hat etwas davon: Wasser aus dem

und enthält die meisten Rückstände. Die so genannte

Hahn muss nicht abgefüllt, verpackt und energieauf-

Z-Probe kostet rund 20 bis 25 Euro. Beim örtlichen

wändig transportiert werden.

Wasserversorger ist sie für Schwangere oder Familien mit Kleinkind kostenlos.

Vor allem aber: Leitungswasser hat eine gute Qualität. Das belegen Trinkwasserstichproben der Stiftung Warentest. Kein Wunder: Es ist das in Deutschland am

Leitungswasser trinken

strengsten kontrollierte Lebensmittel. Wasserversor-

Trinkwasser aus der Leitung gegenüber Wasserfla-

ger müssen ihr Wasser regelmäßig untersuchen. Im

schen bevorzugen, ist deutlich nachhaltiger als Fla-

Hinblick auf Keime gilt das für große Betriebe mehr-

schenwasser. Leitungswasser verbraucht in der Her-

mals täglich. Die Devise: Wasser muss von so guter

stellung pro Liter tausendmal weniger Energie und

Qualität sein, dass jemand es sein Leben lang täglich

Rohstoffe als in Flaschen abgefülltes Wasser. Hinzu

trinken kann, ohne davon krank zu werden. In der Re-

kommt der Spareffekt: Für einen Liter wird inklusive

gel bereiten Wasserwerke das Trinkwasser dazu auf,

der Abwasserkosten rund ein halber Cent fällig – mit

bevor es Menschen trinken. Anders bei Mineralwas-

diesem Preis kann Mineralwasser nicht mithalten,

ser-Brunnenbetrieben: Sie dürfen es nahezu nicht

denn das günstigste im Test von Stiftung Warentest

aufbereiten. Erlaubt ist lediglich, einige Stoffe wie

(2018) kostet 13 Cent pro Liter, das teuerste 66 Cent.

Eisen zu entfernen.

Trinkwasser ist das am besten kontrollierte Lebensmittel

111

  TIPP: Nicht jedes Mineralwasser ist mineralstoff-

BUND-Gewässerexpertin von Vittorelli. Konkret be-

haltig. Seit einer EU-Reform von 1980 muss Mineral-

deute das, umweltschädliche Chemikalien zu meiden.

wasser keinen Mindestgehalt an Mineralstoffen mehr

Das fange bei Putzmitteln und Kosmetika an, aber auch

haben. 17 von der Stiftung Warentest getestete Clas-

Farben, Lacke und Bekleidung sollten genau über-

sic-Mineralwasser enthält nur wenig, 14 davon sogar

prüft werden. So könnten beispielsweise Regenjacken

weniger als vielerorts das Leitungswasser mit einem

mit Kunststoffwachs beschichtet sein, der Mikroplas-

Durchschnittswert von 380 Milligramm.

tik enthalte. Mikroplastik aus Synthetikkleidung sei

In manchen Fällen ist der Griff zur Mineralwas-

schließlich die Hauptquelle für primäres Mikroplastik

serflasche dennoch sinnvoll: So kann kalziumreiches

in unseren Meeren. Das Motto sollte lauten: „Suffizient

Mineralwasser etwa laktoseintolerante Menschen

leben – bewusst genießen“, so von Vittorelli weiter. Sie

und Milchmuffel mit dem für gesunde Knochen so

empfiehlt: „Ökologische Lebensmittel kaufen, dabei

wichtigen Mineralstoff versorgen. Von besonders

sich möglichst regional, saisonal und fleischarm ernäh-

sulfat­h altigem Wasser können Menschen mit Ver-

ren. Frische Lebensmittel schmecken nicht nur besser,

stopfung profitieren. Keine Sorge muss haben, wer

sondern sorgen auch dafür, dass wir Wasserprobleme

mit Kleinkindern in Gebieten intensiver Landwirt-

nicht in regenarme Regionen exportieren“.

schaft lebt: Die Wasserversorger stellen sicher, dass

Damit spricht von Vittorelli einen zentralen Punkt

jederzeit der gesetzliche Grenzwert für Nitrat ein-

an: den virtuellen Wassergebrauch. So gelten Rind-

gehalten wird.

und Schweinefleisch etwa als besonders „durstige

Vielleicht entscheidet auch der Geschmack: Wem das Trinkwasser an seinem Wohnort nicht schmeckt,

Güter“. Ein Burger benötigt in der Produktion beispielsweise 2.400 Liter Wasser.

der kann nicht wechseln – das Mineralwasser schon.

Ähnlich wasserreiche Güter sind Baumwollklei­

Wer Mineralwasser vorzieht, sollte Wasser aus regio-

dung, Avocados oder importierte Tomaten aus

naler Produktion und in Mehrwegflaschen wählen,

wasserarmen Gegenden wie Spanien. Mit solchen

am besten aus Glas (siehe auch Kapitel „Was unser

Produkten „verbrauchen“ wir bis zu 4.000 Liter am

Wasser bedroht“).

Tag – nicht im wasserreichen Deutschland sondern in wasserknappen Regionen der Erde. Gerade weil

  TIPP: Das Lebensmittel Trinkwasser hat genauso

dieses Wasser für uns nicht sichtbar oder spürbar ist,

wie Butter, Gemüse oder Brot ein „Verfallsdatum“.

sei es wichtig, „dass wir auf unseren Wasserfußab-

Verwenden Sie für Lebensmittelzwecke kein Stag-

druck durch virtuelles Wasser achten, da wir Wasser-

nationswasser, also abgestandenes Leitungswasser.

krisen durch importierte Güter mitverursachen“ so

Darin könnten sich Inhaltsstoffe aus dem Installa-

von Vittorelli weiter.

tionsmaterial gelöst haben. Lassen Sie Trinkwasser,

Nachhaltig ist, möglichst konsequent auf eine

das vier Stunden oder länger in der Leitung gestan-

regionale Kreislaufwirtschaft zu setzen, saisonale

den hat, kurz ablaufen bis es etwas kühler über die

Produkte zu bevorzugen und defekte Dinge zu repa-

Finger läuft. Das abgelaufene Wasser muss nicht ohne

rieren, anstatt Abfall zu produzieren und gleich neue

Nutzen bleiben: Sie können damit zum Beispiel ohne

zu Kaufen. Ebenso hilft es, Kleidung nicht als Massen-

Probleme putzen oder die Blumen gießen ( Kasten).

produkt zu verstehen, Second-Hand-Läden zu nutzen, Löcher zu flicken oder aus alten Sachen etwas Neues

Bewusster und nachhaltiger Lebensstil

112

entstehen zu lassen.

„Fast jede Entscheidung für eine nachhaltige Lebens-

„Es braucht vor allem mündige Konsumenten.

weise unterstützt den Gewässerschutz – und den

Die Verbraucher müssen bei den Unternehmen ein

Schutz vieler anderer wertvolle Lebensräume“ erklärt

nachhaltiges Wassermanagement entlang der kom-

Wasser und Mensch | Wasser nachhaltig nutzen

So wird Trinkwasser gewonnen Das Wasser aus der Leitung hat einen weiten Weg

die letzte Barriere für das Trinkwasser. Dieses Prinzip

hinter sich: Aus dem Grund-, Quell- oder Oberflächen-

der Hürden gegen Verschmutzung nennt man „Multi-

wasser wird es vom Wasserversorger entnommen, im

barrierenprinzip“.

Wasserwerk zu Trinkwasser aufbereitet, gespeichert und über das Leitungsnetzt weiter verteilt. Auf dem

  TIPP: Über das eigene Trinkwasser kann man nicht

Weg in unsere Wohnungen schützen unterschiedliche

genug wissen, trinkt man doch täglich davon. Ihr

Barrieren das Trinkwasser vor Verunreinigungen –

Wasserversorger freut sich über reges Interesse und

denn gleich im ersten Satz der Trinkwasserverord-

gibt gerne Auskunft darüber, woher das Trinkwasser

nung steht: „Trinkwasser muss rein und genusstaug-

kommt, wie es im Wasserwerk aufbereitet wird und

lich sein und darf weder Krankheitserreger noch

schließlich den Weg zu Ihnen ins Haus findet. Ein Be-

andere Stoffe in Konzentrationen enthalten, die ge-

such beim „Tag der offenen Tür“ ist eine gute Gelegen-

sundheitsschädigend sein könnten“.

heit, persönlich vor Ort Ihre Fragen zu beantworten.

Dank der Schutzvorschriften in den 14.000  in

Auch ein Blick auf die Webseite kann sich lohnen –

Deutschland ausgewiesenen Trinkwasserschutzge-

meist finden Sie dort die Untersuchungsergebnisse zu

bieten schaffen es kaum Schadstoffe oder Krankheits-

Ihrem Trinkwasser.

erreger in das Wasser, das als Rohstoff („Rohwasser“) für das Trinkwasser dient. Wo das nicht so ist, sorgt die Aufbereitung im

Trinkwasseraufbereitung im Wasserwerk

Wasserwerk als zweite Barriere für eine Eliminierung

grün gelb rot blau

der Schadstoffe. Die Wasserwerke durchmischen dazu das Wasser mit Luft, lassen es durch einen Kies- und danach einen Aktivkohlefilter säubern und entziehen

Rohwasser

nicht aufbereitetes Wasser Luft Spülwasser Trinkwasser

dem Wasser gegebenenfalls noch Nitrat. In Ausnah-

Chlorierung

mefällen, etwa nach Starkregenfällen oder Hochwasser, dürfen Wasserversorger das Wasser auch

Luftbegasung

chlorieren. Ihr ausgedehntes Leitungssystem, die dritte Barriere für das Wasser auf dem Weg zum Hahn, pflegen die Wasserversorger sehr gründlich, sodass auch dort keine Verunreinigungen entstehen können. Nächster Halt des Wassers: der Hausanschluss.

Kiesfilter Aktivkohle

Denitrifikation

Trinkwasser

Hier sind die Hauseigentümer in der Pflicht, denn die fach- und sachgerechte Hauswasserinstallation ist

113

Ein Gartenteich bietet vielen wasserliebenden Kleinlebewesen einen Rückzugsraum und verbessert auch das Mikroklima

pletten Lieferkette einfordern“, fordert der Wide

der Wassermangel besonders gravierend ist, können

Fund For Nature (WWF) und nimmt die Hersteller in

Urlauber auf der Internetseite waterriskfilter.panda.

die Pflicht: „Gemeinsam mit ihren Produzenten und

org sehen. Der WWF empfiehlt beispielsweise Gol-

Zulieferbetrieben müssen deutsche Unternehmen

fern einen Heimaturlaub – aus Wasserschutzgrün-

Antworten auf die lokalen Probleme im Flussgebiet

den nachvollziehbar: „Für die Bewässerung eines

vor Ort finden, aus denen sie Güter und Rohstoffe

18-Loch-Golfplatzes werden etwa in Spanien jedes

beziehen“. 

Jahr 700.000 Kubikmeter Wasser verbraucht. Damit

Für den Erholungsurlaub gilt: in „Wasserrisiko-Regionen“ auf den eigenen Verbrauch zu achten. Wo

114

Wasser und Mensch | Wasser nachhaltig nutzen

ließe sich ein Jahr lang eine Stadt mit 15.000 Einwohnern mit Trinkwasser versorgen“. 

wirtschaft und Abfalltechnik hat sich bereits mehrfach an der Kinderuni beteiligt, bei der wir Grundschülern den Weg des Abwassers erklärt haben.“ Bei solchen Veranstaltungen werde es besonders deutlich, wie schnell Kinder diese Vorgänge verstehen: „Keiner von ihnen empfand Kläranlagen als unangenehm, während viele Erwachsene beim Thema Abwasser oft die Nase rümpfen. Dabei ist gerade die Abwasserbehandlung integraler Bestandteil einer Gesellschaft, ohne die es einfach nicht geht“, so die Professoren Schaum und Krause von der Universität der Bundeswehr in München weiter.

Wasserfußabdruck Der Wasserfußabdruck eines Menschen, einer Gemeinschaft, eines Landes, eines Betriebes oder eines Produkts beziffert das von ihnen verbrauchte Gesamtvolumen an Süßwasser. Auf der Internetseite www.waterfootprint.org kann jeder seinen eigenen Wasserfußabdruck berechnen. Außerdem finden sich dort Angaben zum virtuellen Wasser in Ernährungsgütern und Produkten. Unterschieden wird dabei zwischen Wasser aus Regen und Bodenfeuchte, ­„grünes virtuelles Wasserr“, Wasser für künstliche Bewässerung, auch „blaues virtuelles Wasserr“, und solches, das aufgrund von Verunreinigungen nur noch bedingt weiterverwendet werden kann, also „graues virtuelles Wasser“. Nachhaltiger Umgang mit Wasser sollte schon früh unser Leben prägen. Umweltbildung sei eine wichtige Alternative und Möglichkeit, um auf die Probleme und Auswirkungen unseres Verhaltens auf die Umwelt und dem kühlen Nass aufmerksam zu machen, sagt Professor Schaum und gibt ein praktisches Umsetzungsbeispiel: „Bereits bei unseren Kleinsten in der Schule sollte das Umweltbewusstsein weiter

DEUTSCHLANDS WASSERFUSSABDRUCK

5.500

LITER/TAG

Für Deutschlands Wasserfußabdruck von 159,5 Milliarden Kubikmetern bedeutet dies pro Einwohner einen Wasserfußabdruck von rund 1.989 Kubikmeter jährlich — das sind 5,5 Kubikmeter oder 5.500 Liter täglich

gefördert werden. Unser Lehrstuhl Siedlungswasser-

115

Achtung vor dem Wasser! Plädoyer für ein neues Wasser-Bewusstsein Sauberes Wasser ist in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Wir haben vergessen, was bewusster und nachhaltiger Umgang mit Wasser bedeutet – egal ob im Privaten, in der Wirtschaft oder als Gesellschaft. Das müssen wir ändern: ein paar Vorschläge. Sauberes Wasser ist in Deutschland einfach immer

Menschen unter chronischer Wasserknappheit. Wenn

vorhanden. Doch Klimawandel und Umweltver-

wir die Welt in Zukunft ernähren wollen, müssen wir

schmutzung bedrohen das wichtigste Grundnah-

den Klimawandel abwenden und Wasser sparen“, so

rungsmittel auch hier. Nitratbelastung, massenhafte

Gerten weiter.

Nährstoffdurchsetzung, blaualgenbelastete Gewässer, gepaart mit einem ungesunden Desinteresse an

Wasser wertschätzen

Umwelt und unseren Lebensgrundlagen seitens der

Alarmierende Studien zur Wasserqualität, Appelle

Bevölkerung: Alles weist daraufhin, dass wir unsere

von Politik und Umweltschützern, zunehmende Hoch-

Einstellung zum Wasser verändern sollten.

wasserschäden nach Starkregenfällen: All das bringt

Doch auch global gesehen ist es höchste Zeit für

Menschen nicht dazu, den eigenen Umgang mit Was-

einen Wandel. „Die Erzeugung von Nahrungsmitteln

ser zu überdenken. Wasser hingegen als vermitteln-

für eine Weltbevölkerung von bald über neun Milliar-

des, alles durchströmendes Element zu erkennen und

den ist unmittelbar von der Wassermenge abhängig,

zu empfinden, nicht nur als nützliche Ressource – das

die für die Land- und Viehwirtschaft auf Acker-, Futter-

wäre ein wichtiger erster Schritt: Denn wer sich als

mittel- und Weideflächen sowie in zur Bewässerung

Teil fühlt, verletzt das Ganze nicht.

genutzten Gewässern verfügbar ist“, erklärt Professor

„Wir brauchen eine grundsätzlich wertschätzende

Dieter Gerten vom Potsdam-Institut für Klimafolgen-

Haltung gegenüber dem Wasser, diametral anders

forschung. Dies werde beispielsweise darin deutlich,

als in den beiden letzten Jahrhunderten, während

dass Dürren während der Wachstumsperiode erheb-

derer dieses Natur- und Kulturgut im Wesentlichen

liche Ernteeinbußen nach sich zögen, wie zuletzt in

als ausbeutbare Ressource behandelt wurde – nicht

Deutschland 2018. Schon von Natur aus sehr ungleich

nur in der westlichen Welt“, sagt Klimafolgenforscher

in Raum und Zeit verteilt, führt die globale Erwär-

Gerten. Die global zunehmenden Verknappungs- und

mung dazu, dass die Wasserverfügbarkeit in vielen

Verschmutzungsprobleme zwingen allerorten dazu,

Gebieten teils deutlich abnimmt – und zwar gerade

die Wasserversorgungssysteme systematisch zu über-

dort, wo es bereits recht trocken ist. „Hinzu kommt,

denken.

dass die Nachfrage nach Wasser global immer wei-

Dem Einzelnen rät Gerten zur gesunden Neugier

ter steigt. Bereits heute leiden fast zwei Milliarden

für das Wasser, das ihn umgibt: „Im Privatbereich gibt es eine Menge an Wassersparmöglichkeiten und selbst beim Einkauf kann man sich die Frage stellen, wie viel Wasser wohl für die Herstellung der Produkte

Das Pantanal in Brasilien ist ein großes Binnendelta mit zahlreichen Flussmäandern

verbraucht wurde. Solche Überlegungen schärfen das Bewusstsein von der vitalen Bedeutung des Wassers.“

117

Die Frage sei nicht mehr, woher Wasser zur Befriedigung eines wie auch immer gearteten Bedarfs herangeschafft werden kann – sondern wie viel Wasser da ist und wie dieses am besten genutzt werden könne. Wie viel Wasser jeder Einzelne verwendet und wie – das ist nur ein Teil der Verantwortung für einen nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser. Ein neues Wasser-Ethos braucht mehr: Aufmerksamkeit und gesellschaftliches Engagement – und das fängt bei jedem Einzelnen an. Die wenigsten wissen, woher ihr Trinkwasser stammt und was es möglicherweise gefährdet. Auch am ökologischen Zustand des Baches oder Flusses vor der eigenen Haustür besteht nur geringes Interesse. Dabei wären Engagement und Identifikation so einfach: Artikel 14 der Wasserrahmenrichtlinie gibt der lokalen Bevölkerung ein starkes Mitspracherecht bei der Bewirtschaftung der Gewässer. Dieses wird allerdings nur wenig genutzt. Das ist nicht nur bedauerlich, sondern gefährlich: Wer sich nicht um die Umwelt kümmert, erkennt keine Missstände. Anstatt dass wir uns über misslungenen Denkmalschutz bei Gebäuden aufregen, wäre es vielmehr an der Zeit, sich für die Denkmäler der Natur einzusetzen.

Ökologie integrieren Die meisten Landwirte versuchen, sozialen und gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden und wollen dabei erst einmal eines: ihr Überleben sichern. Ökologie und Umweltschutz spielen für sie eine Rolle, sind aber nicht erste Priorität – denn sie kosten. Dass diese drei Komponenten dennoch unter einen Hut zu bringen sind, zeigen die 95 Demonstrationsbetriebe zur nachhaltigen Landbewirtschaftung, die allein

der Boden kann so bearbeitet werden, dass möglichst

in Bayern den Boden- und Wasserschutz für andere

viel Wasser von Pflanzen aufgenommen, also die Bo-

Landwirte anschaulich machen. Gerten empfiehlt

denverdunstung in Pflanzentranspiration umgelenkt

gerne Verfahren wie etwa Mulchsaat oder Zwischen-

wird. „Hinsichtlich der Wasserqualität ist es natürlich

fruchtanbau, die teilweise seit Jahrhunderten bekannt,

am sinnvollsten, auf zusätzliche künstliche Dünger

aber im Zuge der modernen Fokussierung auf Mega-

soweit als möglich zu verzichten und die Wasserent-

projekte verschüttgegangen sind.

nahme zu begrenzen, sofern sie den Zustand der Ge-

Auch kann Wasser in Sammelanlagen aufgefangen und in späteren Trockenzeiten genutzt werden. Oder

118

wässerökosysteme verschlechtern würde“, so Gerten weiter.

Achtung vor dem Wasser! Plädoyer für ein neues Wasser-Bewusstsein

Diverse Förderprogramme helfen den Landwirten

industrialisierten Bewirtschaftung der Böden und der

die teils hohen Mehrkosten für passgenaue Düngung

Massentierhaltung. Sonst können wir die negativen

zu stemmen. Ein Beispiel ist das Kulturlandschafts-

Folgen wie den überzogenen Einsatz von Pestiziden

programm, das Maßnahmen zum Boden- und Ge-

und Gülle nicht nachhaltig stoppen.

Kristallklare Bergseen üben einen besonderen Reiz aus

wässerschutz fördert. Dank des Programms kann die Nährstoffbelastung in den Gewässern und im Grund-

Nitratbelastung verringern

wasser gesenkt werden. Grundsätzlich brauchen wir

Freiwillige Initiativen und Förderprogramme sind

in Deutschland eine Agrarwende in Richtung öko-

das eine, Rechtsverordnungen das andere – und

logische Landwirtschaft und eine Abkehr von der

dazu ist die Politik gefragt. „In Sachen Nitrateinträge

119

muss Deutschland sehr viel mehr tun als bisher“, sagt

Das Abstruse an den Schadstoffeinträgen durch

Dr. Christoph Schulte, Gewässerexperte vom Umwelt-

die Landwirtschaft: „Derzeit zahlt der Verbraucher

bundesamt, und erklärt: „Die neue Düngeverordnung

mehrfach drauf – für die zunehmend aufwendige

reicht nicht aus, um unser Grund- und Trinkwasser

Wasseraufbereitung, mögliche Strafzahlungen an die

nachhaltig gegen Nitrateinträge zu schützen. Die no-

EU und die EU-Agrarsubventionen“, kritisiert Martin

vellierte Düngeverordnung erlaubt den Landwirten

Weyand, Hauptgeschäftsführer Wasser/Abwasser beim

immer noch zu viel Dünger einzusetzen, besonders in

Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft,

sowieso schon belasteten Regionen“.

und fordert: „Kosten dürfen nicht auf diejenigen ab-

Dabei gibt es Lösungen: „Wir haben in einigen Ge-

gewälzt werden, die sie gar nicht verursacht haben.“

bieten die Tierhaltung zu stark konzentriert, sodass

Vorher – nachher: die Renaturierung der Ruhr bei Bestwig

120

ein enormer Gülleüberschuss entsteht“, sagt Schulte.

Zurück zur Natur

„Die Konsequenz müsste entweder sein, die Tierhal-

In der Vergangenheit wurden viele Flussläufe be-

tung wieder zu dezentralisieren oder eine Möglich-

gradigt und deren Ufer bebaut. Die negativen Fol-

keit zu schaffen, die Gülle dort einzusetzen, wo sie

gen: zunehmendes Hochwasser nach Starkregen-

gebraucht wird.“

fällen eine erhöhte Fließgeschwindigkeit und die

Achtung vor dem Wasser! Plädoyer für ein neues Wasser-Bewusstsein

Reduzierung des Lebensraumes für viele Tausende aquatische Lebensformen. Das Bewusstsein für diese Auswirkungen führte zu immer mehr Renaturierungen. Das größte Programm dazu startete die Bundesregierung im Februar 2017. Teile der Bundeswasserstraßen wie Elbe, Donau, Main und Rhein, aber vor allem kleinere, ehemalige Güterverkehr-Flüsse wie Fulda, Isar, Pegnitz und Saale werden grundlegend renaturiert. Mit dieser Initiative, genannt „Blaues Band“, soll die Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union erfüllt werden, laut der bis zum Jahr 2027 alle Gewässer in der EU in einem „guten ökologischen Zustand“ sein müssen. Eine der größten Herausforderungen dabei: Das meiste Land, das in Überflutungsflächen oder Auwald umgewandelt werden könnte, ist nicht im Besitz des Bundes. Außerdem sind die Baumaßnahmen langwie-

Dr. Christoph Schulte, Leiter der Abteilung Wasser

rig und teuer, denn Flüsse sollen so weit wie mög-

und Boden im Umweltbundesamt, hat dazu klare An-

lich durchlässig für Tiere und Pflanzen werden. Dazu

sichten: „Die Kommunen sind in der Pflicht! Wir brau-

müssen auch hunderte Wehre abgebaut werden. Das

chen in den größeren Ballungsgebieten eine vierte

spart dem Staat mittelfristig Geld, das bisher für die

Reinigungsstufe, die auf das Klären von Chemikalien

Instandhaltung eingesetzt wird. Darüber hinaus er-

und Mikroverunreinigungen spezialisiert ist, wie es

bringen Auen schon heute eine natürliche jährliche

sie etwa in Teilen Baden-Württembergs und Nord-

Reinigungsleistung im Wert von 500 Millionen Euro

rhein-Westfalens bereits eingeführt wird.“

und dienen als Überflutungsflächen bei Hochwasser.

Die vierte Reinigungsstufe ist allerdings teuer.

Plus: Gesunde Oberflächengewässer sind nicht nur

Um eine einheitliche Regelung zu erreichen, müsste

wichtig für Trinkwasser und Biodiversität, sondern

das Bundesumweltministerium die Abwasserver-

auch für einen ausgewogenen Wassertourismus.

ordnung oder das Abwasserabgabengesetz ändern.

Renaturierung ist kein Selbstzweck. Wenn wir

Das sei derzeit jedoch nicht beabsichtigt, teilte

langfristig eine gute Wasserqualität und funktionie-

das Ministerium kürzlich dem Nachrichtenmagazin

rende Kreisläufe wollen, benötigen wir die Kraft der

SPIEGEL mit.

Natur in der Nähe des Wassers.

Abwasserauf­ bereitung (Vordergrund) bei Krefeld, Nordrhein-Westfalen

Diese Aussage macht einige Kläranlagenbetreiber ratlos. Führen sie freiwillig die vierte Reinigungsstufe

Abwasser besser reinigen

ein und erhöhen sie zur Refinanzierung die Abwasser-

Das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser wurde 2010

gebühren, machen sie sich juristisch angreifbar. Au-

von der Vollversammlung der Vereinten Nationen als

ßerdem ist noch unklar, auf welche Spurenstoffe sie

Menschenrecht anerkannt. Ohne Abwasserbehandlung

ihre zusätzliche Reinigungsstufe auslegen sollen. Hier

ist dies nicht zu erreichen. Doch dafür muss die Wie-

könnte ein Blick in die Schweiz helfen: Dort wird in

deraufbereitung von Abwasser raus aus der Schmud-

den kommenden Jahren in etwa 100 der 700 Kläran-

delecke, das umso mehr, als moderne Klärwerke Hoch-

lagen die vierte Reinigungsstufe installiert, finanziert

technologie sind. Zumal Klärwerke heute immer mehr

über eine landesweite, bis 2040 befristete zusätzliche

High-Tech werden.

Abwasserabgabe.

121

Auf dem Forschungsschiffs „Aldebaran“ setzen Wissenschaftler auf der Müritz in der Nähe von Waren (Mecklenburg-Vorpommern) eine Unterwasser­ kamera für Aufnahmen des Seegrunds ein

Aber Studien zeigen auch, dass mit der vierten

Im Bundesumweltministerium gibt es immerhin

Reinigungsstufe keine vollständige Entfernung von

schon eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe, die sich

Spurenstoffen im Abwasser erreicht werden kann.

mit dem Thema beschäftigt. Allerdings setze man auf

Die Beseitigungsleistung variiert abhängig vom je-

freiwillige Einsicht bei den Kläranlagenbetreibern;

weiligen Spurenstoff sehr stark. Sie ist insbesondere

Ordnungsmaßnahmen seien nicht geplant.

bei resistenten Keimen, einigen Arzneimittelstoffen,

Abwässer sind vielleicht der Schlüssel zur neuen

Mikroplastik und Flammschutzmitteln sehr begrenzt.

Wasserwelt: Wenn wir es nicht schaffen, eine ver-

„Spurenstoffe können deshalb“, so Martin Weyand,

ursachungsgerechte Gewässerstrategie zu veran-

„nur durch eine umfassende Gesamtstrategie aus den

kern und die Verschmutzungen der heutigen Welt

Gewässern ferngehalten werden. Dabei ist die Ein-

flächendeckend herauszufiltern, werden wir schon

tragsvermeidung der beste Schutz für die Gewässer.

bald um die Ressource Wasser bangen müssen. Ein

Wir brauchen dringend strengere Anforderungen bei

weltweiter Wassermangel hat durchaus das Poten

der Zulassung, der Anwendung, dem Ersatz kritischer

zial, neue Konflikte ungeahnter Größenordnungen

Stoffe durch ökologisch abbaubare Produkte und eine

hervorzurufen.

transparente Entsorgung für die Bürger durch Rücknahmesysteme beziehungsweise Verbrennung.“

122

Wir Deutschen sind gesegnet mit Wasserreichtum. Sorgen wir dafür, dass es so bleibt.

Achtung vor dem Wasser! Plädoyer für ein neues Wasser-Bewusstsein

Die Kraft der Natur Wie Klimawandel, Wasserknappheit und Ernährung zusammenhängen und warum eine Rückkehr zu jahrtausendealten, naturbasierten Lösungen des Wasserschutzes die weltweite Wasserknappheit verringern kann – ein Gespräch mit Dr. Lutz Möller, dem stellvertretenden Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission, zum Weltwasserbericht.

Dr. Lutz Möller

natur: Laut dem Weltwasserbericht 2018 der UNESCO

Einsatz naturbasierter Lösungen. Sie sind zu unter-

ist bereits jetzt für fast die Hälfte der gesamten

scheiden von klassischer Wasserinfrastruktur, den

Menschheit die Verfügbarkeit der lebenswichtigen

„grauen“ Lösungen, also „betongrauen“, vom Menschen

Ressource Wasser stark eingeschränkt. Wie kommt das

geschaffenen Dämmen, Wasserleitungen, Brunnen-

und warum und wie könnten naturbasierte Lösungen

bohrungen oder Ähnlichem: Naturbasierte Lösungen

das verändern?

sind Maßnahmen zur Verbesserung von Feucht-, oder

Dr. Lutz Möller: Für die in vielen Weltregionen zu-

Überschwemmungsgebieten, Mooren, oder Grünan-

nehmende Wasserknappheit gibt es viele Gründe: die

lagen in Stadtnähe. Sie haben zum Ziel, dass mehr

steigende Bevölkerungszahl, Wirtschaftswachstum

Wasser in der Natur bleibt, dort gespeichert und auch

und dadurch geänderte Konsummuster und den Kli-

natürlich von Schadstoffen gereinigt werden kann.

mawandel. Als Resultat ist das physische Wasserange-

Dies schützt auch vor Katastrophen, sodass etwa

bot vielerorts zu gering, es fließt für den Bedarf also

Starkregenfälle nicht in lebensbedrohlichen Fluten

zu wenig Wasser in Flüssen oder Grundwasserspiegel

resultieren, sondern dass die Niederschläge vielmehr

sinken ab – wie etwa im Nahen Osten, in Nordafrika,

über Wochen die Verfügbarkeit von Wasser verbes-

Teilen Chinas und im Südwesten der USA. Anderswo

sern. Solche naturbasierten Lösungen mit ihren Rück-

gibt es zwar Wasservorräte, aber sie sind nicht er-

halte- und Filtermöglichkeiten hat die Menschheit

schließbar – zum Beispiel wenn Quellen zu weit von

jahrtausendelang genutzt und wir müssen sie wieder

Siedlungen entfernt liegen, wie in Afrika südlich der

mehr mit den konventionellen Maßnahmen der Was-

Sahara.

serinfrastruktur kombinieren – als wichtigen Beitrag

Wasserknappheit wird unterschiedlich definiert.

dazu, Wasserknappheit wirksam zu verringern.

Im Weltwasserbericht der UNESCO wird eine Region wasserknapp genannt, wenn die dort lebenden Men-

natur: Die Devise muss also lauten: Feuchtgebiete,

schen mindestens einen Monat im Jahr kaum Zugang

Grünanlagen und weitere naturbasierte Lösungen ak-

zu Wasser haben – egal, ob Grund- oder Oberflächen-

tiv in die Stadtplanung einzubeziehen?

wasser. Vielleicht klingt das wenig – aber in einem

Dr. Möller: Genau – und nicht nur dort, sondern

Monat können Ernten komplett verdorren, Menschen

beispielsweise auch im Hochwasserschutz: Wir ha-

und Tiere verdursten.

ben in Deutschland inzwischen eine ganze Reihe an

Um die steigende Wasserknappheit zu lindern,

natürlichen Hochwasserrückhaltegebieten geschaf-

fordert die UNESCO im Weltwasserbericht 2018 den

fen, indem Deiche zurückverlegt und Auwälder neu

123

geschaffen wurden – etwa an der Elbe. Solche Maß-

wassernutzung, ob für die Toilettenspülung oder die

nahmen sind klassische naturbasierte Lösungen, sie

Gartenbewässerung, wäre ein weiteres Beispiel, ge-

verringern Gefahren, nutzen Ökosystemen und somit

nauso wie die Schaffung von Sickergruben.

trägt die Natur selbst dazu bei, Wasser gleichmäßiger und besser verfügbar zu machen.

Für die großen Lösungen, die tatsächlich zu einer sicheren und umweltgerechten Wasserversorgung für ganze Siedlungen oder Landschaften beitragen, brau-

natur: Haben Sie weitere Beispiele?

chen wir aber politische Maßnahmen, zum Beispiel

Dr. Möller: Gute Beispiele für naturbasierte Lö-

eine Reform der Agrarpolitik. Aber natürlich kann

sungen finden sich in allen Staaten weltweit – die

auch aus der Summe der Aktivitäten von Einzelnen

vielleicht bekanntesten sind bewachsene Wände und

ein systemischer Effekt entstehen.

Dachgärten. Im indischen Bundesstaat Rajasthan stieg durch gezielte Wiederaufforstung und Bodenbearbeitung

natur: Abgesehen von naturbasierten Lösungen – wie kann jeder von uns Wasser sparen?

nach einer schweren Dürre 1986 der Grundwasser-

Dr. Möller: In Deutschland gibt es schon seit Jahr-

spiegel um mehrere Meter. Auch verbesserte sich die

zehnten eine gute Kultur, mit Wasser im Haushalt

landwirtschaftliche Produktivität.

sparsam umzugehen, egal ob am Wasserhahn, in der

Besonderes Potenzial haben aber gerade Wasser-

Dusche, zur Toilettenspülung oder zum Wäschewa-

rückhaltebecken zur Grundwasseranreicherung und

schen. Auch viele technische Lösungen wie wasser-

der Schutz von Wassereinzugsgebieten für eine ef-

lose Toiletten sind in den letzten Jahren für die Was-

fiziente Wasserversorgung. Die Stadt New York etwa

sersparsamkeit verfügbar geworden. Deswegen sinkt

schützt seit den späten 1990er-Jahren ihre drei größ-

der durchschnittliche Wasserverbrauch der Haushalte

ten Wassereinzugsgebiete, ähnlich wie es die Stadt-

in Deutschland bekanntlich auch.

werke München im Mangfall- und Loisachtal tun. New

Deutschland ist im Bereich der Haushalte auf

York spart so jährlich mehr als 300 Millionen US-Dol-

einem guten Weg. Was sich hierzulande erst langsam

lar bei der Wasseraufbereitung.

durchsetzt, ist das Bewusstsein, dass Wasser auch für

Auch China setzt auf naturbasierte Lösungen: Bis

den Anbau jeglicher Art von Getreide und die Pro-

2020 sollen 16 Städte ihre Böden und Feuchtgebiete

duktion aller anderen Lebensmittel und Produkte

so bewirtschaften, dass sie 70 Prozent des Regens

gebraucht wird. Wasser steckt in jedem Produkt: Im

speichern und somit die Wasserversorgung der Städte

Steak, im Kaffee, in jeder Jeans, in jedem Smartphone

unterstützen.

oder jedem beliebigen Konsumprodukt, denn für deren Herstellung wird Wasser gebraucht. Bis ein Kilo-

124

natur: Was kann jeder Einzelne tun, um der Wasser-

gramm Rindfleisch auf dem Teller liegt, werden bei-

knappheit entgegenzuwirken und die Wasserqualität

spielsweise etwa 15.000 Liter Wasser benötigt – für

zu verbessern?

ein T-Shirt sind es 2.000–3.000 Liter.

Dr. Möller: Um bei naturbasierten Lösungen zu

Jeder Verbraucher, der sich um die weltweite Was-

bleiben: Dachbegrünungen auf Haus- und Gara-

serknappheit Sorgen macht, kann diese mit seinen

gendächern oder Gartenhäusern tragen zu einem

täglichen Konsumentscheidungen aktiv beeinflussen.

gesünderen Stadt- oder Siedlungsklima bei. Regen-

Das soll und darf nicht heißen, dass jeder Kauf im

Achtung vor dem Wasser! Plädoyer für ein neues Wasser-Bewusstsein

Supermarkt zu einer Qual der Wahl wird – viel mehr

rungskette von ozeanischen Lebewesen. Es gelangt

geht es um eine grundsätzliche Entscheidung für eine

hauptsächlich über die Flüsse ins Meer und tatsäch-

bewusstere, gesündere, ausgewogenere und vor allem

lich sind die Flüsse Ostasiens eine sehr wichtige

umweltgerechtere Lebensweise. Das heißt, ich muss

Quelle.

mich als Verbraucher nicht unbedingt bei jedem Stück

In Europa haben wir aufgrund unserer Systeme

Fleisch fragen, wo es herkommt und wie das Tier ge-

des Abfallrecycling lange Zeit die Augen davor ver-

füttert wurde, sondern mich beispielsweise bewusst

schlossen, dass es hier ein Problem gibt. Abfalltren-

für ein oder zwei fleischfreie Tage entscheiden oder

nung und Recycling funktioniert hervorragend bei

darauf achten, Kleidung aus Bio-Baumwolle zu kau-

Papier und Glas. Aber tatsächlich werden Plastikab-

fen. Damit ist nicht nur etwas für die eigene Gesund-

fälle nur zu einem bestimmten Anteil wiederverwer-

heit getan, sondern auch für den Klimaschutz und

tet, weil man sie eher schlecht vom restlichen Abfall

gegen die Wasserknappheit.

trennen kann. Sie wurden zu einem großen Teil nach China exportiert, aus der EU sogar fast 90 Prozent

natur: Geht es auch darum, vermehrt lokale Produkte

aller Plastikabfälle. Dort wurde nachsortiert, mehr

zu kaufen?

oder weniger gut deponiert und viel verbrannt. Seit

Dr. Möller: Natürlich hat es viele positive Effekte,

Anfang des Jahres will China aber unseren Müll nicht

Gemüse vom Bauern aus der Region zu kaufen, es

mehr, auch weil es die Umweltbelastung erkannt ha-

stärkt den ländlichen Raum in Deutschland und senkt

ben. Viel Plastik in den Weltmeeren kommt aus den

Transportemissionen. Andererseits hängt die wirt-

ostasiatischen Flüssen, stammt aber tatsächlich auch

schaftliche Existenz vieler Menschen in Entwicklungs-

aus Europa.

ländern vom Export von Lebensmitteln ab. Zugleich

Das heißt, unser Plastikkonsum in Europa trägt

stecken in Produkten aus der Region Vorprodukte

viel bei zur Verschmutzung der Ozeane. Die Europäi-

aus aller Welt: Gerade die konventionelle Viehwirt-

sche Kommission hat mit ihren kürzlich vorgestellten

schaft importiert ihr Futter aus aller Welt, auch aus

Vorschlägen zur Plastikvermeidung einen Stein ins

wasserarmen Regionen. Daraus folgt: Wir müssen uns

Rollen gebracht. Wo Plastik unnütz ist, weil gut er-

frei machen von einer moralischen Überhöhung der

setzbar, sollten wir darauf verzichten. Keinesfalls ist

einzelnen Kaufentscheidung und wir dürfen nicht

das Ziel, Plastik generell zu verbannen, denn in vielen

glauben, dass es ausschließlich guten und ausschließ-

Bereichen des Lebens ist Plastik ein kostbarer, wich-

lich schlechten Konsum gibt. Wir sollten uns vielmehr

tiger Rohstoff, der auch kaum ersetzt werden kann.

grundsätzlich Gedanken machen über eine insgesamt

Die Devise ist: Plastik dort, wo der Rohstoff leicht

klügere, umweltgerechtere, bewusstere und gesün-

auszutauschen ist, zu ersetzen – etwa bei Einwegver-

dere Lebensweise, die dann mehrere Fliegen mit einer

packungen.

Klappe schlägt. natur: 70 Prozent der globalen Wasserentnahme ernatur: Stichwort Mikroplastik – wo kommt es her und

folgt durch die Landwirtschaft. Was muss sich dort

wie kann jeder einzelne es vermeiden?

ändern?

Dr. Möller: Mikroplastik ist ein großes Problem in

Dr. Möller: Wasser aus Flüssen oder Grundwasser-

Bezug auf die Belastung der Ozeane und der Nah-

leitern wird in der Landwirtschaft zur künstlichen

125

Bewässerung von Feldern, für Aquakulturen, also die

vielmehr fehlen die Anbauflächen für die Versorgung

Aufzucht von Fischen, Muscheln oder Krebsen, so-

der lokalen Bevölkerung.

wie für das Vieh eingesetzt. Solche Wassernutzung

In Mitteleuropa stehen wir vor einer anderen

ist überall dort notwendig, wo keine oder zu wenige

Herausforderung, der dringend nötigen Neugestal-

Niederschläge fallen. Der landwirtschaftliche Wasser-

tung der Agrarpolitik. Laut einem neuen Bericht der

verbrauch unterscheidet sich im weltweiten Vergleich

EU-Kommission überschritten zwischen 2012 und

sehr stark. In Europa liegt dieser Teil des Wasserver-

2015 fast 30 Prozent der Grundwasser-Messstationen

brauchs bei lediglich 21 Prozent, in Afrika oder Asien

in Deutschland den Grenzwert von 50 Milligramm

jeweils bei über 80 Prozent.

Nitrat pro Liter Wasser, das ist der zweithöchste Wert

In heißen Entwicklungsländern mit saisonalen

der EU. Es braucht einen anderen Umgang mit der

Niederschlägen muss oftmals viel mehr bewässert

Düngung in der Landwirtschaft als bisher, denn über-

werden, ein Grund für Wasserknappheit. Eine der

mäßige Düngung bedeutet zu viel Nitrat im Grund-

größten Herausforderungen ist, dass die Weltbevöl-

wasser. Es braucht hierzu eine entschlossene Reform

kerung weiter zunehmen und damit der Nahrungs-

der Europäischen Agrarpolitik – übrigens auch um die

mittelbedarf und somit auch der landwirtschaftliche

ökologische Landwirtschaft zu stärken und um das

Wasserbedarf steigen wird. Genau dem gilt es ent-

Insekten- und Bienensterben zu beenden.

gegenzuwirken, mit naturbasierten und ökologischen Lösungen und auch mit vielerorts noch neuen Techni-

natur: Wasserknappheit, Klimawandel und Ernäh-

ken, wie der Tröpfchenbewässerung, also der Bewäs-

rung – wie hängen diese drei Phänomene zusammen?

serung der einzelnen Pflanze, oder dem Anbau ganz

Dr. Möller: Wir erkennen heute immer stärker, dass

anderer Feldfrüchte.

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unser Planet ein Gesamtsystem ist. Wenn El Niño im

Es ist auch nicht sinnvoll, weder ökologisch noch

Pazifik besonders aktiv ist, hat das Auswirkungen auf

sozial, dass Futtermittel wie Mais für die europäische

das Wetter selbst in der Arktis. Das ist mittlerweile

Viehwirtschaft in wasserknappen Regionen angebaut

sehr gut nachweisbar. Wenn sich nun aufgrund der

werden. Damit wird viel Wasser verbraucht, es ent-

steigenden Treibhausgasemissionen sowohl die

steht geringer Mehrwert für die Bevölkerung vor Ort,

Meere erhitzen, sich dadurch die Strömungsmuster in

Achtung vor dem Wasser! Plädoyer für ein neues Wasser-Bewusstsein

den Meeren verändern und sich gleichzeitig auch der

Regionen. Damit sehen wir einmal mehr, wir sehr

Treibhauseffekt der Atmosphäre intensiviert, ändern

der Mensch von einem funktionierenden planetaren

sich auch die Strömungsmuster in unserer Atmo-

Gesamtsystem abhängig ist. Allerdings stören wir

sphäre und das heißt, Wetter und Niederschlagsmen-

dieses derzeit empfindlich, etwa durch die aktuell

gen verändern sich weltweit. Wo genau künftig wie

weiter steigende Emission von Treibhausgasen oder

viel Niederschlag fallen wird, kann die Wissenschaft

auch durch unsere dominanten Formen von Land-

nicht mit hunderprozentiger Sicherheit vorhersagen.

wirtschaft.

Sehr belastbar ist aber die Erkenntnis, dass es dort,

In der Folge werden sich unter anderem die Ver-

wo es heute schon trocken ist, künftig noch trockener

fügbarkeit von Wasser und damit auch die Möglich-

sein wird, und dort, wo es heute schon viel regnet,

keit von Nahrungsmittelanbau in bestimmten Teilen

noch mehr Niederschläge fallen werden.

der Welt massiv einschränken. Zudem sagen viele

Es kann auch sein, dass in Zukunft an vielen Or-

Wissenschaftler voraus, dass die Erderwärmung ab

ten Niederschläge in der Summe gleich bleiben

einer bestimmten Schwelle dazu führen kann, dass

oder sogar zunehmen, es aber viel häufiger zu mehr

sich bestimmte Wettersysteme komplett umkrem-

Starkregen und damit zu mehr Überschwemmungen

peln, wie etwa der südasiatische Monsun, Lebens-

kommen wird. Damit würde der stärkere Regen für die

grundlage für mehr als eine Milliarde Menschen in

Landwirtschaft und die städtische Wasserversorgung

Indien – mit unvorhersehbaren Folgen für die Land-

weniger nutzbar – es sei denn, man hält mit neuen

wirtschaft und das Überleben der Menschen dort vor

Lösungen wie naturbasierten Rückhaltebecken oder

Ort. Auch der Golfstrom scheint sich aktuell abzu-

Deichrückverlegungen dagegen.

schwächen.

Die Wissenschaft ist sich vergleichsweise sicher,

Wir müssen uns also bewusst darüber sein, dass

dass die Verfügbarkeit von Wasser, gerade in den tro-

der Klimawandel nicht nur etwas mit steigenden

ckenen Regionen, in denen Hunderte von Millionen

Temperaturen zu tun hat, sondern dass er auch Was-

Menschen leben, immer schwieriger wird. Das heißt,

serverfügbarkeit, Landwirtschaft und damit Überle-

Landwirtschaft und Ernährung wird dort immer

bensfähigkeit von Menschen, Ökosystemen und Tie-

schwieriger, folglich auch das Überleben in diesen

ren verändert.

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