Bildung und Konfession: Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung 3161489314, 9783161585456, 9783161489310

Die durch die Reformation provozierte Kirchenspaltung erforderte die Ausbildung konfessionell eindeutiger Eliten. Am Bei

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
HERMAN J. SELDERHUIS: Eine attraktive Universität – Die Heidelberger Theologische Fakultät 1583–1622
WIM JANSE: Reformed Theological Education at the Bremen Gymnasium Illustre
RAINER POSTEL: Hamburger Theologenausbildung vor und nach der Reformation
SVEN TODE: Bildung und Wissenskultur der Geistlichkeit im Danzig der Frühen Neuzeit
JOHANNES KISTENICH: Studienorte der in den Grafschaften Mark und Ravensberg während des 16. Jahrhunderts tätigen lutherischen Geistlichen
FRANK KLEINEHAGENBROCK: „Ansehnliche“ und „geübte“ Personen für die Seelsorge an der Grenze zum Papsttum – Lutherische Pfarrer in fränkischen Reichsgrafschaften um 1600
JULIAN KÜMMERLE: Wissenschaft und Verwandtschaft – Protestantische Theologenausbildung im Zeichen der Familie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert
MARCEL NIEDEN: Rationes studii theologici – Über den bildungsgeschichtlichen Quellenwert der Anweisungen zum Theologiestudium
FRANK VAN DER POL: Ysbrandus Trabius’ Het Cleyn Mostertzaet (1590) – Aspekte der Theologenbildung in einer reformierten Predigt
PETER WALTER: Humanistische Kritik am Seelsorgeklerus und Vorschläge zu dessen Reform
ANDREAS WENDLAND: Geschulte Bettler? – Armutsgebot, Ausbildung und Theologie bei den Kapuzinern des 16. Jahrhunderts
ANJA-SILVIA GÖING: Die Ausbildung reformierter Prediger in Zürich 1531–1575 – Vorstellung eines pädagogischen Projekts
Namenregister
Sachregister
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Bildung und Konfession: Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung
 3161489314, 9783161585456, 9783161489310

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Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe Begründet von Heiko A. Oberman Herausgegeben von Berndt Hamm in Verbindung mit James Hankins, Johannes Helmrath, Jürgen Miethke und Heinz Schilling

Bildung und Konfession Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung Herausgegeben von

Herman J. Selderhuis und

Markus Wriedt

Mohr Siebeck

HERMAN J. SELDERHUIS, geboren 1961; Studium der evangelischen Theologie in Apeldoorn/NL; 1994 Promotion; Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht an der Universität Apeldoorn und Direktor des Instituts für Reformationsforschung. MARKUS WRIEDT, geboren 1958; Studium der Theologie in Hamburg, Southampton und München; 1990 Promotion; 2005 Habilitation; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Geschichte; regular visiting professor of Theology der Marquette University, Milwaukee, Wisconsin.

978-3-16-158545-6 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

ISBN 3-16-148931-4 ISBN-13 978-3-16-148931-0 ISSN 0937-5740 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2006 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Josef Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort In den vergangenen Jahren erhielt die Frage nach dem spezifisch reformatorischen Bildungsansatz immer stärkeres Gewicht. Zahlreiche Bücher zur Pädagogik der Reformatoren sowie ihrem bildungspolitischen Reformanliegen wurden veröffentlicht. Dennoch bleibt die Beschäftigung mit der Begründung dieser Ansätze im Zusammenhang der theologischen Neubesinnung durch die reformatorische Aufnahme der paulinisch-augustinischen, antipelagianischen Gnaden- und Rechtfertigungslehre und ihrer theologischen Umsetzung eigentümlich blass und unscharf. Vor diesem Hintergrund haben die Herausgeber des vorliegenden Bandes vor einigen Jahren den Versuch begonnen, am Beispiel der evangelischen Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung Schneisen in die Fülle an Material und Interpretationen zu schlagen. Bevor jedoch einzelne Thesen entwickelt, Quellenuntersuchungen begonnen und Interpretationen gewagt werden, sollten zunächst der Forschungsstand sowie Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Vorhabens eruiert werden. Aus diesem Grunde fand vom 10. bis 12. Juni 2003 in Mainz eine erste Tagung unter dem Generalthema „Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung" statt, deren Beiträge in diesem Band publiziert werden. Die Tagung diente der Zusammenführung und dem Austausch der bereits vorliegenden Forschungsergebnisse sowie der Planung und Konzeption weiterer Forschungsaktivitäten. Bewusst verzichteten die Organisatoren auf einen programmatischen Themenentwurf. Dieser sollte vielmehr im gemeinsamen Gespräch entwickelt werden. Neben inhaltlichen Anregungen erhoffen sich die Veranstalter, nicht auch zuletzt auf der Basis der hiermit vorgelegten Publikation, eine vertiefte Kenntnis und Ausgestaltung möglicher Synergien und Kooperationen mit bereits bestehenden Forschungsaktivitäten und -gruppen. An dieser Stelle ist es unsere angenehme Pflicht, Dank zu sagen: Zunächst schulden wir Herrn Prof. Dr. Gerhard May, dem damaligen Direktor der Abteilung für abendländische Religionsgeschichte des Instituts für Europäische Geschichte, Mainz, für seine Unterstützung der Tagung und großzügige Gastfreundschaft aufrichtigen Dank. Das Instituut voor Reformatieonderzoek, Apeldoorn, trug mit einem erheblichen Unkostenbeitrag sowie der engagierten Mitarbeit von Drs. Christa Boerke und Drs. William den Boer zum Gelingen der Tagung bei. Herzlich danken die Herausgeber Herrn Prof. Dr. Berndt Hamm, Erlangen, für die Aufnahme

VI

Vorwort

des Sammelbandes in die Reihe „Spätmittelalter und Reformation" sowie dem Verlag Mohr Siebeck für die Betreuung der Drucklegung. Allen Beiträgern sei schließlich für ihre Geduld bei der Suche nach einem geeigneten Publikationsort und den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten und Verzögerungen gedankt. Wir wünschen dem Band nicht nur die Verbreitung, die er verdient, sondern darüber hinaus eine breite interdisziplinäre Wahrnehmung, so dass das begonnene Gespräch sich nicht allein auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung beschränkt, sondern im Laufe der Zeit einen immer größeren Kreis von an der Bildungsgeschichte (als Fokus für Forschungsthemen zur Frühen Neuzeit) Interessierten erreicht und zur Mitwirkung an kommenden Initiativen anreizt. Im September 2005 Herman J. Selderhuis, Apeldoorn

Markus Wriedt, Milwaukee

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

H E R M A N J. S E L D E R H U I S

Eine attraktive Universität - Die Heidelberger Theologische Fakultät 1583-1622

1

WIM JANSE

Reformed Theological Education at the Bremen Gymnasium Illustre

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RAINER POSTEL

Hamburger Theologenausbildung vor und nach der Reformation

51

SVEN TODE

Bildung und Wissenskultur der Geistlichkeit im Danzig der Frühen Neuzeit

61

JOHANNES KISTENICH

Studienorte der in den Grafschaften Mark und Ravensberg während des 16. Jahrhunderts tätigen lutherischen Geistlichen

103

FRANK. KLEINEHAGENBROCK.

„Ansehnliche" und „geübte" Personen für die Seelsorge an der Grenze zum Papsttum - Lutherische Pfarrer in fränkischen Reichsgrafschaften um 1600

131

JULIAN KÜMMERLE

Wissenschaft und Verwandtschaft - Protestantische Theologenausbildung im Zeichen der Familie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert

159

MARCEL NIEDEN

Rationes studii theologici - Über den bildungsgeschichtlichen Quellenwert der Anweisungen zum Theologiestudium

211

VIII

Inhaltsverzeichnis

F R A N K VAN DER P O L

Ysbrandus Trabius' Het Cleyn Mostertzaet (1590) Aspekte der Theologenbildung in einer reformierten Predigt

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PETER WALTER

Humanistische Kritik am Seelsorgeklerus und Vorschläge zu dessen Reform

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ANDREAS WENDLAND

Geschulte Bettler? - Armutsgebot, Ausbildung und Theologie bei den Kapuzinern des 16. Jahrhunderts

277

ANJA-SILVIA GOING

Die Ausbildung reformierter Prediger in Zürich 1531-1575 Vorstellung eines pädagogischen Projekts

293

Namenregister

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Sachregister

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Eine attraktive Universität Die Heidelberger Theologische Fakultät 1583-1622 H E R M A N J. S E L D E R H U I S

I. Die Heidelberger Universität Die Universität Heidelberg hat Anteil an dem allgemeinen Anwachsen der Studentenzahlen, wie es im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts sichtbar wird. Mit als Reaktion auf eine täuferische Unterbewertung von Wissen und Wissenschaften unterstreichen Reformatoren - und unter ihnen vor allem Melanchthon - die Bedeutung einer guten Ausbildung für jene, die Kirche und Gesellschaft führen müssen. Dieses Interesse wird von Fürsten und Städten erkannt, mit der Folge, dass bestehende Universitäten reformiert und viele neue gegründet werden. Die Konfessionalisierung, die die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts und den Beginn des siebzehnten kennzeichnet, erhöht den Bedarf vor allem an Juristen und Theologen, die an eigenen Akademien ausgebildet werden. Heidelberg unterscheidet sich vor allem in einer Hinsicht von vielen anderen Universitäten, nämlich im Prozentsatz ausländischer Studenten. Dieser Prozentsatz ist in den beiden sogenannten calvinistischen Perioden (1559-1576 und 1583-1622) sehr hoch, während er in der dazwischenliegenden lutherischen Phase wieder niedrig ist. 1562 handelt es sich um einen Prozentsatz von 27,4 %, ein Jahr später stammen 40,3 % der Studentenschaft von außerhalb der Pfalz und 1564 stellt diese Gruppe sogar die Mehrheit: 54,1 %'. In dieser Periode handelt es sich vor allem um Franzosen, Niederländer und Schweizer. Die durchschnittliche Anzahl ausländischer Studenten unter Friedrich III. beträgt 38,8 %. In der darauf folgenden lutherischen Periode zur Zeit von Ludwig VI. beträgt der Durchschnitt dieser Gruppe freilich nur 7 , 6 % . In dessen Todesjahr 1583 sind es um die 3,4 %. 1584, also direkt zu Beginn der zweiten calvinistischen Periode, ist dieser Prozentsatz auf 26,6 % gestiegen. Während einiger Jahre besteht erneut die Hälfte der Studenten aus Ausländern. Wieder handelt es sich vor-

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ARMIN KOHNLE/FRANK ENGEHAUSEN (Hg.), Z w i s c h e n W i s s e n s c h a f t und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Festschrift f ü r Eike W o l g a s t z u m 65. G e burtstag, Stuttgart 2001, 145.

Herman J. Selderhuis

2

wiegend um Schweizer, Franzose und Niederländer. Auffallig ist das starke Auftreten einer neuen Gruppe: der Mittel- und Osteuropäer. Um die Jahrhundertwende stammt ein Drittel der Ausländer aus Gebieten wie Ungarn, Polen, Böhmen und Schlesien. Unmittelbar vor dem Dreißigjährigen Krieg stellen diese sogar die Hälfte 2 . Die Periode von 1583-1622 ist, mit bedingt durch die Anwesenheit dieser ausländischen Studenten, der Zeitraum mit der höchsten Anzahl von Immatrikulationen während der gesamten Zeit zwischen 1386 und 1667. 3 Es handelt sich bei all diesen Zahlen um die Gesamtheit der Studenten und also nicht nur um die der theologischen Fakultät. Doch zeigt ein erster Blick, dass für die Theologiestudenten ähnliche Prozentsätze gelten. Das führt von selbst zu der Frage, worin die Attraktivität von Heidelberg besteht. Was bewegt einen Theologiestudenten, sein Studium in Heidelberg aufzunehmen? Warum wählt er diese Stadt und nicht Zürich oder Genf? Warum entscheiden sich manche Studenten aus den Niederlanden in den Jahren 1583-1622 noch für Heidelberg, während seit 1575 in Leiden eine Universität besteht, die gerade auch für die Theologie gegründet wurde? Die Ursachen können, und werden vielleicht, in äußeren Faktoren liegen, in dem Sinne, dass es für Studenten Umstände geben kann, die ihnen keine andere Wahl als Heidelberg lassen. Zugleich wird Heidelberg eine bestimmte Anziehungskraft gehabt haben, und die Frage ist, worin diese Kraft besteht. Faktoren, die zur Sprache kommen sollen, sind, außer einem angenehmen Klima und einer attraktiven Lage der Stadt: das Studienprogramm, die Dozentenschaft 4 , die konfessionelle Bindung und die dort gelehrte Theologie. 2

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KOHNLE,

148.

Zwischen 1500 und 1556 überschreitet die Anzahl der Immatrikulationen nur siebenmal die 100. Zwischen 1557 und 1583 geschieht dies 22-Mal und dreimal wird die 200 überschritten. Zwischen 1583 und 1618/19 liegt die Anzahl freilich nur zweimal unter 100, 18-Mal zwischen 150 und 200, siebenmal über 200. Für diese Zahlen: AUGUSTUS THORBECKE, Statuten und Reformationen der Universität Heidelberg vom 16. bis 18. Jahrhundert, Leipzig 1891, XI. 4 Johann Jakob Grynaeus (in einem Brief von 1584 an Abraham Musculus, Prediger in Bern) sieht einen deutlichen Zusammenhang zwischen seinem Kommen von Basel nach Heidelberg und dem Anstieg der Studentenzahl. „Postquam hic docere coepi, aucto studiosorum numero Princeps et consilarii magnopere laetantur, [...]", HERMANN HAGEN, Briefe von Heidelberger Professoren und Studenten verfasst vor dreihundert Jahren, Heidelberg 1886, 37. Als er zwei Jahre später nach Basel zurückkehrt, besteht dann auch die Furcht, dass viele Studenten ihm folgen würden. Um das zu verhüten, ist schon vor seiner Abreise Daniel Tossanus berufen worden, so dass keine Vakanz entsteht und zugleich ein attraktiver Nachfolger für Grynaeus vorhanden ist. „Quia facile praevidebant, Grynaeo discedente multos subsecuturos studiosos [...], ideo ordinarunt Tossanum, antequam discedebat.", HAGEN, Briefe, 84. Offenbar hat Grynaeus selbst auch erkannt, dass seine Abreise die Abwanderung von Studenten zur Folge haben könnte, denn dem Brief eines Studenten zufolge hat Grynaeus bei seinem Abschied gesagt, dass man nicht um seinetwillen aus Heidelberg weggehen solle. „Valde autem", dicens, „hortor studiosos, qui mei

Eine attraktive

Universität

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In diesem Beitrag 5 soll ein Ansatz zu einer Antwort geboten werden, indem ein allgemeiner Einblick in das Leben an der Fakultät gegeben wird. Hierbei wird ein Überblick über die Dozenten, die Fächer und die Studenten geleistet. In der Geschichte der Heidelberger Universität sind das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert der bis jetzt weitaus am besten bekannte Zeitraum, der des sogenannten pfalzischen Calvinismus während der Regierung Friedrichs III. (1559-1576) 6 . Friedrich hat das reformierte Bekenntnis eingeführt und der Heidelberger Katechismus ist dessen ausgeprägtester und einflussreichster Exponent 7 . Die Anstrengungen dieses „frommen" Fürsten sorgen dafür, dass die Universität zu einer der bedeutendsten Bildungsanstalten in Europa heranwächst. Friedrich setzt damit die von Kurfürst Ottheinrich (1556-1559) begonnene Linie fort, der die schulpädagogische Umgestaltung der Universität in Angriff genommen hatte, nach einem Programm, das durch die Verbindung von Humanismus und Reformation gekennzeichnet ist. Diese Verbindung entstand, indem der Kurfürst sich in seiner Umgestaltung von den Gedanken Melanchthons hatte leiten lassen, der dazu für einige Zeit nach Heidelberg gekommen war. 8 Es soll weiter unten deutlich werden, wie lang und wie bestimmend die Nachwirkung Melanchthons gewesen ist. Unter Friedrich entsteht die einzige reformierte Universität, die das Deutsche Reich kennen wird. Allein Heidelberg nämlich hat die vier Fakultäten Artes, Medizin, Recht und Theologie, während der Universität von Marburg, die sich auch eine Zeit lang dem reformierten Bekenntnis anschloss, eine medizinische Fakultät fehlte. Die bekannten reformierten Hochschulen von Herborn, Bremen und Burgsteinfurt, die in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts entstanden, konnten nicht zur Universität aufsteigen, weil sie beim Kaiser wegen ihrer reformierten Ausrichtung keine Chance hatten, das Promotionsrecht zu erhalten. Heidelberg besaß dieses Recht schon lange, bevor es zur Reformation überging. Zwei-

amantes sunt et in praelectionibus meis frequentia sua debitam comprobarunt diligentiam, ne mea causa perturbati iudicent sibi mutandum esse locum.", HAGEN, Briefe, 84. 5 Dieser Beitrag ist das Ergebnis einer Untersuchung der Geschichte und der Theologie dieser Fakultät in den Jahren 1583-1622. 6 Zu einem allgemein historischen Überblick der Periode bis 1622, KARL MOERSCH, Geschichte der Pfalz von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert, Landau/Pfalz 1987, 3 0 6 323. 7 Hierzu: LYLE BIERMA, What hath Wittenberg to do with Heidelberg? Philip Melanchthon and the Heidelberg Catechism, in: KARIN MAAG (Hg.), Melanchthon in Europe. His work and influence beyond Wittenberg, Grand Rapids 1999, 103-122. 8 Siehe HEINRICH BORNKAMM, Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz. Reformation der Kirche und der Universität, in: DERS., Das Jahrhundert der Reformation. Gestalten und Kräfte, Göttingen 1961, 253-262.

Herman J. Selderhuis

4

f e l l o s hat d a s F a k t u m , d a s s H e i d e l b e r g e i n e v o l l s t ä n d i g e U n i v e r s i t ä t w a r , ihre A n z i e h u n g s k r a f t e r h ö h t . N u n ist die B l ü t e z e i t v o n H e i d e l b e r g n i c h t e i n z i g a r t i g , w e i l U n i v e r s i t ä ten w i e die v o n T ü b i n g e n , H e l m s t e d t u n d J e n a - u m nur e i n i g e a n d e r e U n i v e r s i t ä t e n zu n e n n e n - g l e i c h f a l l s e i n e s o l c h e P e r i o d e e r l e b t e n . A u c h n i m m t H e i d e l b e r g in der P e r i o d e u m 1600 n i c h t m e h r als m a n c h e a n d e r e e i n e f ü h r e n d e S t e l l u n g ein 9 . D i e T h e o l o g i e der H e i d e l b e r g e r U n i v e r s i t ä t f r e i l i c h ist w o h l e i n z i g a r t i g . Es h a n d e l t sich u m e i n e T h e o l o g i e , die sich selbst n i c h t im S i n n e k o n f e s s i o n e l l e r B e g r e n z u n g als c a l v i n i s t i s c h o d e r lut h e r i s c h v e r s t e h t , w i e d a s Bild d a v o n d u r c h P o l e m i k z w i s c h e n d e n b e i d e n p r o t e s t a n t i s c h e n S t r ö m u n g e n zur K a r i k a t u r g e w o r d e n ist. Die H e i d e l b e r g e r T h e o l o g e n d i e s e r P e r i o d e v e r s u c h e n im G e g e n t e i l , d e u t l i c h zu m a c h e n , d a s s z w i s c h e n der T h e o l o g i e L u t h e r s u n d der C a l v i n s kein w e s e n t l i c h e r U n t e r s c h i e d b e s t e h t , und d a s s C a l v i n an L u t h e r s T h e o l o g i e a n s c h l i e ß t und d i e s e w e i t e r e n t w i c k e l t 1 0 . D i e s e P o s i t i o n w i r d in H e i d e l b e r g vor a l l e m w e g e n der P r ä s e n z d e s G e d a n k e n g u t e s e i n e s dritten R e f o r m a t o r s e i n g e n o m m e n , der hier e i n e g r o ß e R o l l e spielt, n ä m l i c h P h i l i p p M e l a n c h t h o n " .

II. Die Heidelberger Fakultät 1583-1622 U m ein Bild von der H e i d e l b e r g e r T h e o l o g i e d i e s e r P e r i o d e u n d d e r G e s c h i c h t e der t h e o l o g i s c h e n F a k u l t ä t zu e r h a l t e n , ist es n o t w e n d i g , k u r z a u f die w i c h t i g s t e n P r o f e s s o r e n d i e s e r Institution e i n z u g e h e n . A l s e r s t e r sei hier J o h a n n J a k o b G r y n a e u s g e n a n n t , der v o n J o h a n n C a s i m i r im Juli 1584 a u s Basel a u f den L e h r s t u h l f ü r N e u e s T e s t a m e n t b e r u f e n w i r d , w o er z w e i J a h r e l e h r e n w i r d . V i e l l ä n g e r bleibt Q u i r i n i u s Reuter 1 2 , R e k t o r d e s C o l l e g i u m S a p i e n t i a e u n d P r o f e s s o r f ü r A l t e s T e s t a m e n t . R e u t e r w a r s c h o n mit zehn Jahren Schüler am Heidelberger Pädagogium, und ab seinem fünfz e h n t e n L e b e n s j a h r w a r er als S t u d e n t Teil d e s C o l l e g i u m S a p i e n t i a e , w o er P e t r u s B o q u i n u s 1 3 , I m m a n u e l T r e m e l l i u s , ein V e r t r e t e r e i n e r T h e o l o g i e 9 S i e h e zu der B e d e u t u n g von H e r b o r n : GERHARD MENK, Die H o h e Schule H e r b o r n in ihrer F r ü h z e i t ( 1 5 8 4 - 1 6 6 0 ) . Ein Beitrag z u m H o c h s c h u l w e s e n des d e u t s c h e n Kalvinism u s im Zeitalter der G e g e n r e f o r m a t i o n , W i e s b a d e n 1981. 10 H i e r z u : HANS LEUBE, K a l v i n i s m u s u n d L u t h e r t u m im Zeitalter der O r t h o d o x i e , Leipzig 1928 ( A a l e n 1966).

" „[...] eine t h e o l o g i s c h e E i g e n s t ä n d i g k e i t [...] die nicht zuletzt d u r c h d a s Festhalten an d e m E r b e M e l a n c h t h o n s g e k e n n z e i c h n e t w a r . " ARMIN KOHNLE, Die U n i v e r s i t ä t Heid e l b e r g als Z e n t r u m d e s r e f o r m i e r t e n P r o t e s t a n t i s m u s im 16. u n d 17. Jh., in: Die u n g a r i sche U n i v e r s i t ä t s b i l d u n g u n d E u r o p a , Pees 2 0 0 1 , 148 f. 12 Zu Reuter DAGMAR DRÜLL, H e i d e l b e r g e r G e l e h r t e n l e x i k o n 1 3 8 6 - 1 6 5 1 , Berl i n / H e i d e l b e r g 2 0 0 2 , 4 7 3 f; R E 14, 7 0 3 - 7 0 5 . 13

B B K I, 7 1 8 f ; D R Ü L L , G e l e h r t e n l e x i k o n , 4 8 f ; R E 3 , 3 2 0 f .

Eine attraktive

Universität

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im Geiste Melanchthons 1 4 , Hieronymus Zanchius 1 5 und vor allem Zacharias Ursinus 16 als Lehrer hatte. Zu Letztgenanntem entstand ein lebenslanges enges Band, und 1612 wird Reuter die gesammelten Werke des Ursinus herausgeben. Vor allem von Ursinus werden die Anschauungen Melanchthons verarbeitet, und an die Studenten weitergegeben. Ursinus gilt als die wichtigste Verbindung zwischen dem Denken Melanchthons und der reformierten Theologie. Er stirbt in dem Jahr, in dem die Akademie wieder von Neustadt nach Heidelberg zurückkehrt. Ursinus ist derjenige, der Reuter 1580 die Stellung bei Dudith, dem ungarischen Bischof von Breslau, besorgt, wo Reuter der Erzieher von Dudiths Sohn wird. Dadurch kommt Reuter zwei Jahre lang in einen Kreis von Menschen, die Anhänger der Lehre Melanchthons sind und sich nun zu den Reformierten zählen. Die Beziehungen nach Breslau bleiben auch während Reuters Zeit in Heidelberg bestehen und resultieren in einer gehörigen Anzahl an Studenten aus diesem Geburtsort des Ursinus. Nachdem er verschiedene kirchliche Ämter innegehabt hat, wird Reuter 1598 Rektor des Collegium Sapientiae und 1602 Professor für Altes Testament. Einen wichtigen Beitrag zur Blüte der Heidelberger Fakultät liefert auch Franciscus Junius (1545-1602) 1 7 . Junius studiert u.a. an der Akademie in Genf. Zwischen 1565 und 1567 ist er Prediger der französischsprachigen Gemeinde in Antwerpen und darauf von 1567 bis 1573 Prediger der Flüchtlingsgemeinde in Schönau in der Pfalz, einige Kilometer östlich von Heidelberg. Darauf erhält er vom Kurfürsten den Auftrag, zusammen mit Tremellius eine neue lateinische Übersetzung des Alten Testamentes anzufertigen. 1578 folgt seine Berufung zum Theologieprofessor am Casimirianum mit der Hauptaufgabe, Hebräisch zu lehren. Kurz nach Sohn und Grynaeus wird Junius 1584 dann nach Heidelberg berufen, wo er die Doktor14

Zu Tremellius, BBKL, Band XII, 444-448. Zu Zanchius, OTTO GRÜNDLER, Die Gotteslehre Girolamo Zanchis und ihre Bedeutung für seine Lehre von der Prädestination, (BRLGK 20), Neukirchen/Vluyn 1965. Hinweise auf neuere Untersuchungen zu Zanchius gibt JOHN L. FARTHING, Patristics, Exegesis, and the Eucharist in the Theology of Girolamo Zanchi, in: CARL R. TRUEMAN/R. SCOTT CLARK (Hg.), Protestant Scholasticism. Essays in Reassessment, Carlisle 1999, 79-95. 16 Zu Ursinus: GERRIT DEN HARTOGH, Voorzienigheid in donker licht, Herkomst en gebruik van het begrip „Providentia Dei" in de reformatorische theologie, in het bijzonder bij Zacharias Ursinus, Heerenveen 1999; DERK VISSER, Zacharias Ursinus, the Reluctant Reformer: His Life and Times, New York 1983. 17 DRÜLL, Gelehrtenlexikon, 344-346; F.W. CUNO, Franciscus Junius der Ältere, Professor der Theologie und Pastor (1545-1602), Sein Leben und Wirken, seine Schriften und Briefe, Amsterdam u.a. 1891; GUSTAV ADOLF BENRATH, Franciscus Junius, Speyer 2000; B.A. VENEMANS, Art. Junius, Franciscus (François du Jon), in: BGLNP 2, Kampen 1983, 2 7 5 - 2 7 8 ; J. REITSMA, Franciscus Junius, een levensbeeld uit den eersten tijd der kerkhervorming, Groningen 1864. 15

Herman J.

6

Selderhuis

würde empfangt, nachdem er neun Thesen über die Rechtfertigung durch den Glauben verteidigt hat 18 . In seiner Antrittsrede bringt er den Gnadenbund zur Sprache. 1592 wird er Professor in Leiden, wo er durch seine wissenschaftliche Arbeit große Bekanntheit erwirbt. In Leiden erscheint auch die Frucht seiner Heidelberger Periode, nämlich das Eirenicum, das in Französisch unter dem Titel Le Paisible Chrestien erscheint. 19 In diesem Werk findet man die Erklärung für seine Zurückhaltung im Niederländischen Streit um die Prädestination und für seine Abneigung gegen Polemik. Dieses Eirenicum weist mit seiner Suche nach Einheit und der nachdrücklichen Ablehnung der rabies theologorum eine offenkundige Verwandtschaft mit dem Gedankengut Melanchthons auf. 1602 stirbt Junius in Leiden. Ein weiterer Vertreter der Heidelberger Theologie ist Abraham Scultetus 20 , der vor allem durch seine Publikationen auf kirchenhistorischem Gebiet bekannt wurde. Ab 1595 ist er Prediger in Heidelberg und nachdem er einige Jahre auf verschiedenen Posten außerhalb Heidelbergs gearbeitet hat, wird er 1618 Professor für Altes Testament. 1622 muss auch er Heidelberg verlassen. Nach einem Zwischenhalt in Bretten ist er darauf bis zu seinem Tod 1624 Prediger in Emden. Auch bei Scultetus ist die Bedeutung, die Melanchthon für ihn hatte, deutlich zu erkennen. Als Abgeordneter der Pfalz hielt Scultetus auf der Synode von Dordrecht eine Rede über die Heilsgewissheit. Deutlich ist sein Streben nach Vermittlung, wenn er Luther und Zwingli in einem Satz als Zeugen für die enge Verbindung zwischen Rechtfertigung und Gnade nennt. 21 Bezeichnend ist ferner, dass Scultetus sich nicht zum Problem der „reprobatio" äußert. Bedeutung kommt Scultetus auch zu in seinem Anteil an der Verbreitung des Calvinismus in Böhmen. 2 2 Zu den bekanntesten Heidelberger Theologen gehört David Pareus, der von 1598 bis zu seinem Tode 1622 in Heidelberg lehrte. 23 Auch sein Werdegang ist durch Melanchthon geprägt. Die Bedeutung, die Ursinus für 18

In OT I. Siehe CHRISTIAAN DE JONGE, De irenische ecclesiologie van Franciscus Junius (1545-1602), Leiden 1980. 19

20

DRÜLL, G e l e h r t e n l e x i k o n , 4 9 8 f; R E

1 8 , 1 0 3 f. K u r z b i o g r a f i e v o n G U S T A V

ADOLF

BENRATH, in: Pfälzer Lebensbilder, 2. Bnd. 1970, 97-116. 21 Oratio, 145. 22 Zum Calvinismus in Böhmen: VAN SCHELVEN, Het Calvinisme gedurende zijn bloeitijd, deel III, Polen-Bohemen, Hongarije en Zevenburgen, Amsterdam 1965, 6 3 128. 23 Zu Pareus, DRÜLL, Gelehrtenlexikon, 4 3 3 - 4 3 5 ; RE 14, 686-689; Schlesische Lebensbilder, 5. Bnd. - Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts, Würzburg 1968, 13-23. Siehe auch: TRAUDEL HIMMIGHÖFER, Die Neustadter Bibel von 1587/88, die erste reformierte Bibelausgabe Deutschlands, Speyer 1986, wo auch auf die Verarbeitung melanchthonischer Gedanken in Pareus' Bibelausgabe hingewiesen wird.

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Pareus hatte, geht unter anderem aus dem Kommentar zum Heidelberger Katechismus hervor, den Pareus aus den Werken Ursins komponiert. 2 4 Nachdem Pareus seit 1571 Prediger ist und in diesen Jahren engen Kontakt zu Ursinus unterhält, wird er 1584 nach Heidelberg berufen, zuerst als Dozent, dann als Leiter des Collegium Sapientiae. 1598 folgt dann die Professur. Gerade wegen sein Anwesenheit ziehen viele ausländische Studenten nach Heidelberg. Besondere Bedeutung hat dabei sein Wohnhaus, das eigentlich eher ein Studentenheim war und als Pareanum große Bekanntheit genoss. Einen Namen hat sich Pareus vor allem durch sein Irenicum gemacht. 2 5 In diesem Werk schlägt Pareus vor, eine Synode abzuhalten, in der Reformierte und Lutheraner zusammen tagen, um zu einer Vereinigung zu kommen. Als Erfolg dieser Bemühungen des Pareus kann gelten, dass die katechetischen Werke aus seiner Zeit bewusst über die Punkte hinweggehen, in denen Reformierte mit Lutheranern Meinungsverschiedenheiten hatten. 26 Seine Irenik geht einigen seiner Kollegen zu weit, wenn er in seiner Annäherung an die Lutheraner sogar die Begriffe essentialiter und substantialiter verwendet, um die Präsenz Christi im Abendmahl zu bezeichnen. Auch von lutherischer Seite wird die Idee einer Vereinigung als unzulässiger Synkretismus zurückgewiesen. Wenn Pareus die These aufstellt, dass es immer die Theologen seien, die den kirchlichen Frieden behindern und stets neue Auseinandersetzungen verursachen, ist die Stimme Melanchthons deutlich zu hören.

III. Heidelberg und die Niederlande Die Staaten von Holland ersuchen den pfalzischen Kurfürsten, einige Theologen zu entsenden, um an der Synode von Dordrecht teilzunehmen. Der Kirchenrat von Heidelberg hält darauf mit den Professoren eine Sitzung über die Frage ab, wer dieser Bitte folgen, und welche Haltung in dem Konflikt dabei eingenommen werden solle. Was die erste Frage betrifft, werden Alting, Scultetus und Paul Tossanus abgeordnet. Was die Haltung dieser Delegation anbelangt, wird beschlossen, dass sie zunächst versuchen soll, die Parteien wieder zusammenzubringen, aber dass sie doch 24

Erscheint 1591 als Explicationes catecheticae und wird in einer verbesserten Ausgabe 1598 als C o r p u s doctrinae christianae ecclesiarum a papatu r e f o r m a t o r u m herausgegeben. N a c h d r u c k e 1616, 1621 und 1623. 25 Irenicum sive de unione et synodo evangelicorum liber votivus, Heidelberg 1614/1615, Deutsch durch G. ZONSIUS, Frankfurt 1615. Hierzu: LEUBE, Kalvinismus, 5 8 f. 26

PRESS, C a l v i n i s m u s ,

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den Heidelberger Katechismus zu verteidigen hat, wenn dieser zur Diskussion stehen sollte. Was die Streitigkeiten betrifft, beschließt man ferner, sich nicht zu weit in die Sache einzumischen, vor allem, um nicht auch im eigenen Hause Schwierigkeiten zu bekommen. Wenn doch eine Wahl zwischen Remonstranten und Contraremonstranten getroffen werden muss, hat man sich für die Letztgenannten zu entscheiden. Allerdings wird nach der Rückkehr doch festgestellt, dass man mit der Strenge nicht ganz glücklich ist, mit der die Remonstranten behandelt worden sind. 27 So waren drei Theologen dieser Fakultät nachdrücklich an der Synode von Dordrecht und der Aufstellung der Canones beteiligt 28 und damit an der Ablehnung der Remonstranten, die sich übrigens ebensosehr auf Melanchthon beriefen wie die Contraremonstranten. 2 9 Scultetus war ganz unmittelbar an der Festsetzung der Dordrechter Lehrsätze beteiligt, nachdem er zunächst versucht hatte, die beiden Parteien zur Übereinstimmung zu bringen. Heinrich Alting hielt eine von vielen gelobte Rede über die Verwerfung. Auch Paulus Tossanus, der dritte Abgeordnete aus Heidelberg, erweist sich in Dordrecht als Gegner der Remonstranten.

IV. Heidelberger Calvinismus - eine Begriffsproblematik Die Universität von Heidelberg ist, was diese Periode betrifft, oft als calvinistisch oder reformiert bezeichnet worden. Diese Qualifikation führt zu zwei Fragen. Die erste ist die nach der Auslegung des Begriffs „calvinistisch", die zweite Frage, die hiermit direkt zusammenhängt, ist, ob diese Qualifikation auf den Inhalt namentlich des Unterrichts an der theologischen Fakultät zutrifft. 3 0 Der aktuelle Forschungsstand erlaubt jedenfalls für die letzte Frage noch keine Antwort. Auf die erste Frage begnüge ich mich hier mit einigen Anmerkungen. Der Begriff „Calvinismus" ist bekanntlich problematisch, 3 1 und es besteht dringender Bedarf an einer Besinnung darüber, wofür dieser Begriff eigentlich steht. Der Name ist nicht von sogenannten Calvinisten und schon gar nicht von Calvin selbst erdacht. Von lutherischer Seite ist diese 27

WUNDT, Geschichte, 288. HERMAN J. SELDERHUIS, Melanchthon und die Niederlande im 16. und 17. Jahrhundert, in: Melanchthon und Europa, Band 6/2, 303-324; HERMAN J. SELDERHUIS, Melanchthon, Apeldoorn 2001; WILLEM VAN'T SPIJKER e.a., De Synode van Dordrecht in 1618 en 1619, Houten 1987, 64 f. 29 Siehe meinen obengenannten Aufsatz über Melanchthon und die Niederlande. 30 Auch Maag erkennt die Schwierigkeit einer Antwort: „Assessing how far it is true to say that Heidelberg was a Reformed university for much of the period under discussion is a difficult task", MAAG, Seminary, 168. 31 Zur Problematik des Begriffs s. RGG 4. Auflage, Band 2, 36. 28

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Bezeichnung zuerst verwendet worden, und zwar in abwertendem Sinne. Dadurch hat der Begriff auf eine bestimmte Weise eine ketzerische Aufladung erhalten und wurde auch auf diese Weise in der Polemik verwendet. 3 2 Aus diesem Grunde muss bedacht werden, dass in den Schriften der Heidelberger Theologen dieser Begriff nicht als Selbstbezeichnung verwendet wird, sondern dass in den meisten Fällen stattdessen von „reformiert" die Rede ist. Daniel Tossanus spricht sogar von „rechtgläubigen Kirchen, die von böswilligen Menschen gehässig calvinistisch genannt werden." 3 3 Tossanus spricht über seine eigene Kirche als „evangelische Kirche". Es seien jedoch andere, die sie calvinistische Kirche nennen. 3 4 In seinen Schriften spricht Tossanus dann auch fortwährend über die „sogenannten Calvinisten". 35 Und David Pareus beklagt sich über die „Erwegung deren Theologen meynung, die sich nicht schewen, Evangelische Herrschaften zu bereden, dass sie lieber mit den Papisten, und dem Römischen Antichrist, als mit den Reformirten Evangelischen, die sie aus hass Calvinisch nenen, Gemeinschaft haben sollen." 36 Auch Abraham Scultetus spricht über sich selbst als reformiert, fügt aber hinzu, dass es die Lutherischen sind, die Reformierte als Calvinisten bezeichnen. 3 7 Jacob Kimedoncius sagt, dass die Lutherischen sie aus Hass gegen die Wahrheit Calvinisten nennen. 3 8 In seinem Mandat gegen die Polemik hatte Johann Casimir unter anderem befohlen, niemanden mehr lutherisch oder calvinistisch zu nennen, denn „wir sind alle eins in Christus, in dessen Namen wir getauft und erlöst werden." Vom sechzehnten Jahrhundert bis heute hat der Begriff „Calvinismus" die Konnotation einer Theologie und eines Lebensstils, in denen doppelte Prädestination und strenge Lebensheiligung als verhängnisvolle, exklusive und vor allem negative Synonyme gelten. Dass mit diesem Begriff eher eine bestimmte Form von Puritanismus als die Lehre und Praxis der Theologie Calvins bezeichnet wird, ist einer breiteren Öffentlichkeit kaum noch deutlich zu machen. 3 9 Dass auch hier dennoch der Begriff Cal32 „Westphal und Hesshus sind es, die den Namen Calvinisten für die vorher Zwinglianer genannten Reformirten in Aufnahme gebracht haben." ALEXANDER SCHWEIZER, Die protestantischen Centraidogmen in ihrer Entwicklung innerhalb der reformirten Kirche, Band I, Zürich 1854, 418. 33 De ea parte praedestinationis divinae, quam reprobationem vocant. Theses Apologeticae, Heidelberg 1586. 34 „[...] Ecclesias Evangélicas, quas Calvinianas vocat, [...]." TOSSANUS, Ascensio, [37], 35 „[...] der genannten Calvinisten." Drei christliche predigt, 15. 36 Titel eines seinem Irenicum entnommenen Werkes, Heidelberg 1620. 37 „[...] mit den reformierten, so sie Calvinisch nennen [...]." Vialia, 12. 38 „Hic statim clamitanti isti, Calvinistas (sie nos in odium veritatis vocant) [...]." De redemtione, 61. 39 Frieder Hepp zieht aus seinen interessanten Untersuchungen zum Heidelberger Kirchenrat Marcus zum Lamm den Schluss, „daß das herkömmliche Bild des ,überzeugten Anhängers der reformierten Kirche' für eine Charakterisierung Marcus zum Lamms zu

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vinismus gewählt wird, hat seinen Grund einerseits darin, dass der Begriff so geläufig geworden ist und zum zweiten darin, dass die Möglichkeit erhalten bleiben muss, den Ausdruck damit zu füllen, was Reformierte inklusive Calvin tatsächlich anstrebten, nämlich eine reformatorische Theologie und Kirche.

V. Heidelberger Theologie: Prädestination Ein Diskussionspunkt mit den Lutheranern, der im siebzehnten Jahrhundert auch wegen der Kontakte mit den Niederlanden von Bedeutung sein wird, ist die Lehre von der Prädestination. Ein Beispiel, auf welche Weise die Heidelberger akademische Theologie dieses Thema behandelt, bietet das Werk von Jacob Kimedoncius. Sein Titel über die Erlösung, dem ein gesondertes Buch über die Erwählung hinzugefügt ist, umfasst mehr als 650 Seiten. 40 Das Werk ist eine umfangreiche Auseinandersetzung hauptsächlich mit Huber. 41 Im Vorwort gibt Kimedoncius an, dass er sich in diesem Werk der Anklage von lutherischer Seite widersetzen will, Reformierte leugneten, dass Christus für alle Menschen gestorben ist. Ihm zufolge ist dies eine schamlose Verleumdung, denn Reformierte bekennen dies nämlich doch, einfach, weil die Schrift es so verkündet. 42 Das bedeutet freilich nicht, dass damit gesagt ist, dass jeder Mensch ohne Ausnahme, mit oder ohne Glaube, gerechtfertigt und erhalten wird. Was er hiermit meint, gibt er in dem Werk im Weiteren an, wo er zustimmend Thomas von Aquino zitiert, nach dem das Blut Christi für alle Menschen genug war, aber dass doch nicht alle Menschen an der Frucht dieses Blutes teilhaben. 4 3 kurz g r e i f t " , FRIEDER HEPP, Religion und H e r r s c h a f t in der K u r p f a l z u m 1600, A u s der Sicht des H e i d e l b e r g e r K i r c h e n r a t s Dr. M a r c u s z u m L a m m ( 1 5 4 4 - 1 6 0 6 ) , H e i d e l b e r g 1993 ( B u c h r e i h e der Stadt H e i d e l b e r g , Band IV), 2 6 3 . H e p p s B e m e r k u n g , d a s s „Calvin i s m u s auch nicht a u t o m a t i s c h g l e i c h b e d e u t e n d [ist] mit p u r i t a n i s c h e r L e b e n s f ü h r u n g und i n n e r w e l t l i c h e A s k e s e " , ist a u f G r u n d seiner eigenen U n t e r s u c h u n g zu z u r ü c k h a l tend. Es w ä r e besser zu f r a g e n , ob nicht der B e g r i f f C a l v i n i s m u s völlig n e u d e f i n i e r t werden muss. 40 De r e d e m t i o n e g e n e r i s h u m a n i libri tres; De p r a e d e s t i n a t i o n e divina, H e i d e l b e r g 1592. Die A u s g a b e von 1592 gibt 747 Seiten an. Dies k o m m t freilich d u r c h einen D r u c k f e h l e r z u s t a n d e , der zur F o l g e hat, d a s s die Seite n a c h 2 0 8 als 309 g e z ä h l t w i r d . De red e m t i o n e u m f a s s t Seite 1 - 4 4 2 , De p r a e d e s t i n a t i o n e Seite 4 4 3 - 7 4 7 . 41 H u b e r reagiert s o f o r t mit einer g l e i c h f a l l s u m f a n g r e i c h e n S c h r i f t : C o n t r a I a c o b u m K i m e d o n c i u m T h e o l o g u m H e i d e l b e r g e n s e m . Qui C a l v i n i a n o f u r o r e c u m sociis a c c e n s u s , M a h o m e t i s m o f o r e s aperit, & E v a n g e l i u m Iesu Christi f u n d i t u s e x t i r p a r e c o n a t u r . S a m u e l H u b e r u s s.s. T h e o l o g i a e P r o f e s s o r in A c a d e m i a W i t e b e r g e n s i , W i t t e n b e r g 1593. 42

„ I m p u d e n s c a l u m n i a . Id e n i m s e c u n d u m scripturas f a t e m u r & n o s . " De r e d e m t i o n e ,

[7], 43

A a O . , 63 f.

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Kimedoncius unterscheidet dann auch eine dreifache Berufung von Gott her zu den Menschen hin. Es gibt eine universale Stimme der Berufung, die von der Natur ausgeht. Des weiteren gibt es eine spezielle Berufung, die vom Evangelium her allen Menschen zukommt. Die dritte Berufung ist die, mit der die Auserwählten gerufen werden, was Kimedoncius mit einem Zitat von Augustinus unterstreicht. 44 Kimedoncius führt für seine Argumentation gegen Huber neben den Texten aus dem Alten und dem Neuen Testament vor allem Kirchenväter und das Werk Luthers an. Gegenüber den Angriffen auf einzelne Reformatoren verteidigt Kimedoncius sie, indem er herausstreicht, dass Zwingli, Musculus, Bullinger, Calvin und Zanchius sowie Luther in dieser Frage alle dieselbe Überzeugung vertreten. Der zweite Teil des Werkes besteht aus einer Darlegung der Prädestinationslehre. Kimedoncius teilt sein Werk in sechs Kapitel ein, in denen die Fragen zur Sprache kommen, was die Erwählung ist, welches ihre Ursachen und welches ihre Wirkungen sind und ob sie unveränderlich ist. Das fünfte Kapitel behandelt die Frage, ob und wie jemand dessen gewiss sein kann, dass er oder sie erwählt ist, 45 und im letzten Kapitel tritt Kimedoncius der Ansicht entgegen, dass besser nicht über die Erwählung gesprochen werden solle, weil dies keine erbauliche Wirkung hätte. Schon zu Beginn seines Buches bringt Kimedoncius das Problem der Verwerfung zur Sprache. Er geht darauf ein, wie die scholastische Theologie damit umgegangen ist und gibt an, selbst damit Schwierigkeiten zu haben. Es geht bei den Verworfenen nicht um jene, von denen Gott vorher weiß, dass sie das Heil nicht annehmen werden. Kimedoncius nennt Verwerfung den ewigen Beschluss Gottes, einige nicht erbarmend anzunehmen und sie außerhalb der Gemeinschaft mit Christus zu lassen. Damit tut Gott ihnen kein Unrecht an, denn sie erhalten ihre verdiente Strafe. 46 Für Kimedoncius bedeutet dies nicht, dass die Scholastiker damit abgetan wären. Im Weiteren werden sie nämlich von ihm wiederholt zur Verteidigung der reformierten Sicht der Erwählung angeführt. 4 7 Wenn es um die Ursachen und Früchte von Gottes Erwählung geht, bringt Kimedoncius mehrere Male die Auseinandersetzung zwischen Erasmus und Luther über den freien Willen zur Sprache. Ein Jahr vor dem Erscheinen dieses großen Werkes hatte Kimedoncius eine Neuauflage von Luthers „De servo arbitrio" veröffent44

AaO., 171 f. An & q u o m o d o certi esse q u e a m u s de nostri ad vitam aeternam praedestinatione. De praedestinatione, 444. 46 „[...] reprobatio est aeterna in Deo voluntas quorundamin genere h u m a n o , ubi cum aliis in peccatum & d a m n a t i o n e m lapsi essent, iusto suo iudicio non miserendi, reijciendi eos a salutis in Christo c o m m u n i o n e , & abijciendi in poenas peccato debitas." De praedestinatione, 461. 47 Z.B. „Nec alia est doctrina Magistri sententiarum [...] E a n d e m sententiam T h o m a s A q u i n a s & alii inter scholasticos [...]." AaO., 552 f. 45

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licht. 48 Das Buch war nach Kimedoncius in erster Linie für den Theologiestudenten bestimmt. Aber die Absicht war ebensosehr, aufzuzeigen, wie die Reformierten auf der Linie Luthers blieben und wie sehr die Lutherischen andererseits von ihm abwichen. Bei der Frage nach der Gewissheit der Erwählung bringt Kimedoncius zunächst die Lehraussagen des Konzils von Trient zur Sprache. Nach der päpstlichen Lehre kann niemand jemals dessen gewiss sein, dass er erwählt ist. Das hat keine andere Ursache, als dass ein Mensch niemals sicher wissen kann, ob sein eigener Beitrag zur Seligkeit wohl ausreichend ist. In der Bibel ist freilich über diesen Zweifel nichts zu finden. Im Gegenteil, die Gewissheit ist da, weil die Ursache der Erwählung allein in der Gnade Gottes liegt. 49 Ausführlich widerspricht Kimedoncius jenen, die die Gewissen zum Zweifeln bringen wollen, indem sie sie auf ihre Sünden hinweisen. Weil die Erwählung göttlich ist, kann es keinen Zweifel geben. 50 Wenn dann die Frage folgt, wie ein Mensch jene Gewissheit erhält, antwortet Kimedoncius, dass dies sogar auf drei Weisen deutlich wird, nämlich durch die Wirkungen der Erwählung in Glaube und Heiligung, zum Zweiten, indem man sich auf das Versprechen (promissio) richtet und zum Dritten durch die Versiegelung mit dem Heiligen Geist. 51 Wegen all dieser Dinge muss gerade doch über die Erwählung gesprochen werden. So lernen die Menschen Gott besser kennen und so wird Er mehr geehrt. Außerdem schenkt es Menschen in Schwierigkeiten Trost und Gewißheit, vergrößert es die Liebe zu Gott und spornt die Gläubigen an, Gott mehr zu dienen. 52 In einem letzten Kapitel stellt Kimedoncius allerdings die These auf, dass über die Erwählung einfach und mit Weisheit gesprochen werden muss. Die Kultivierung von Neugier muss verhütet werden, aber auch, dass Menschen die Erwählung als ein Argument fiir Laxheit in der Heiligung aufzufassen beginnen. Und was die Weise betrifft, wie darüber gesprochen wird, gilt es zu verhindern, irgendeinen Anstoß zu erregen. 53

48

De servo arbitrio Martini Lutheri, ad D. Erasmum Roterodamum, Liber illustrisi Desideratis iampridem exemplaribus contra veteres & novos Pelagianos, in usum studiose iuventutis, & propagandae veritatis ergo; Nunc denuo, cum praefatione ad Lectorem, editas, Neustadt 1591. 49 De praedestinatione, 686. 50 „Nam cum salus tantum electorum sit, eius profecto certitudo constare nequit sine certitudine divinae electionis, quae salutis fons, origo & fundamentum est." AaO., 699. 51 „Est autem triplex fere electionis revelatio, [...]." AaO., 700. 52 „Servit excitando in nobis amori Dei & studio honorum operum." AaO., 733. 53 „Denique quod ad modum & formam docendi pertinet, cautione opus est, ut quae vere dicuntur, congruenter etiam dicantur, ad cavendum, quoad licet, offensionem audientium." AaO., 745.

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VI. Dogmatik Sohn veröffentlicht 1585 seine Thesen über dogmatische Urteilsbildung. 5 4 Die Norm für das Urteil über richtig oder falsch, die Art der Urteile und die Weise, wie ein Urteil aufgebaut werden muss, sind einige der Aspekte, die Sohn in seinen Thesen behandelt. Sohn plädiert für eine Unterscheidung zwischen persönlichen und öffentlichen Urteilen. Im ersten Falle geht es um ein Urteil, das jeder Gläubige persönlich fallen kann. Solche persönlichen Urteile, die zum Beispiel in einer Predigt oder einer Disputation ausgesprochen werden können, haben sich in der Vergangenheit oft als ausreichend erwiesen, einen Irrtum beizulegen. Wenn es freilich um ernstere Angelegenheiten und schon weiter verbreitete Irrtümer geht, muss öffentlich durch jene geurteilt werden, die dazu berufen sind. Aus den Thesen Sohns geht hervor, dass Irrtümer zunächst persönlich beurteilt werden müssen und nicht sofort öffentlich. Bei der scholastischen Form dieser Thesen wird auch zwischen einem Zwischenziel und einem Endziel eines dogmatischen Urteils unterschieden. Das Zwischenziel ist dann die Förderung der Wahrheit und der Aufbau der Kirche, das Endziel ist der Ruhm Gottes. In seiner Rede über die richtige Haltung des Theologen in Zeiten, in denen soviel zur Diskussion steht, beschreibt Sohn, welche Schritte unternommen werden müssen, um eine bestimmte Auffassung gut beurteilen zu können. Um zu verhüten, dass etwas abgelehnt oder angenommen wird, allein weil es neu oder alt ist, ist eine sorgfaltige Prüfung notwendig. Warum tritt jemand mit einer neuen Auffassung hervor? Ist die Auffassung wohl neu oder hat die Kirche schon früher damit zu tun gehabt und vielleicht schon einmal ein Urteil darüber gefällt? Ist das, was gesagt wird, klar oder werden vielleicht bewusst komplizierte und unklare Begriffe verwendet? Wer ist derjenige, der mit den neuen Gedanken hervortritt? Ist er alt oder jung? Gelehrt oder gerade nicht? Aus der Vielzahl von Fragen und der Art jener Fragen erweist sich, dass Sohn von Studenten eine offene Haltung verlangt, offen für neue Gedanken, aber doch in Gebundenheit an die Schrift und das Bekenntnis der frühen Kirche.

VII. Sprachen Im Curriculum von Heidelberg wird Hebräisch große Beachtung geschenkt. In den ersten Jahren ist vor allem Junius durch das Lehren dieser Sprache beansprucht. Junius hatte sich schon mit der lateinischen Überset-

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De iudiciis d o g m a t u m , Heidelberg 1585.

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zung des Alten Testaments einen Namen gemacht, die er zusammen mit Immanuel Tremellius angefertigt hatte. In Heidelberg gibt Junius 1588 eine Parallel-Bibel heraus, in der er die alttestamentlichen Texte, die im Neuen Testament zitiert werden, miteinander vergleicht. Dieses Buch fand eine große Verbreitung und wurde mehrere Male nachgedruckt. 1590 gibt Junius eine zweite Auflage seiner hebräischen Grammatik heraus. Die erste Auflage war 1578 in Neustadt erschienen, aber die zweite Auflage ist gegenüber der ersten stark verbessert und erweitert. Die zweite Auflage hat einen Umfang von fast 270 Seiten und ist damit in ihrer Art ziemlich umfangreich. Das Werk endet mit einer Art Übung, in der anhand des zweiten Kapitels des Buches Jona ein Beispiel dafür gegeben wird, wie ein Text Wort für Wort und Buchstabe für Buchstabe analysiert werden muss. Auf die Bedeutung der Kenntnis dieser Sprache geht Hermann Rennecherus mit einer Rede ein, in der er darstellen will, wie alt, würdig und leicht Hebräisch ist, und natürlich, wie notwendig es ist, die Sprache zu kennen, um die Bibel verstehen zu können. Es handelt sich hier um Rennecherus' Antrittsrede zu Beginn seiner Professur für Hebräisch 1594. 55 Nach Rennecherus ist es nicht möglich, die Wahrheit zu verstehen, wenn man nicht die Sprache kennt, in der die Wahrheit geschrieben ist. Auch gilt, dass es fast unmöglich ist, sich gegen Ketzer und Irrtümer zu verteidigen, wenn man keine Kenntnisse des Hebräischen hat. 56 Rennecherus stellt weiter die These auf, dass zwischen den hebräischen Wörtern und dem Wesen der Dinge ein wechselseitiges Verhältnis besteht. 57 Der Heilige Geist hat sich dafür entschieden, die wesentlichen Dinge in dieser Sprache weiterzugeben, und das bedeutet, dass die Wahrheit und das Wesen der Wirklichkeit sich in diese Sprache eingebunden befinden, so dass derjenige, der zur Wahrheit kommen will, diese Sprache kennen muss. In einem hebräischen Wort ist die Wirklichkeit darum noch klarer zu sehen als in einem Spiegel. 58 Nachdem Rennecherus noch einmal darauf hingewiesen hat, dass keine Sprache so rein und schön ist wie das Hebräische, betont er im Weiteren die Heiligkeit dieser Sprache. Diese Heiligkeit hat sie dem Faktum zu danken, dass Gott diese Sprache gebraucht. Die Folge davon ist auch, dass das Hebräische noch bestehen bleibt, wenn alle Sprachen vergangen sind. He-

55

O r a t i o de lingua H e b r a e a , in q u a eius antiquitas, dignitas, facilitas, & ad S c r i p t u r a m P r o p h e t i c a m recte i n t e l l i g e n d a m necessitas veris ac p e r s p i c u i s a r g u m e n t i s asseritur, habita an H e r m a n n o R e n n e c h e r o . In inclyta & p e r v e t u s t a A c a d e m i a H e i d e l b e r g e n s i A n n o D n . 1594. X X I O c t o b . C u m P r o f e s s i o n e m H e b r a e a e l i n g u a e a u s p i c a r e t u r , H e i d e l b e r g 1595. 56 57

Oratio, 4.

„[...] p r a e s e r t i m c u m inter H e b r a i c a v o c a b u l a & r e r u m n a t u r a s sit m u t u a q u a e d a m relatio [...]." O r a t i o , 5. 58 „ H e b r a e u s igitur S e r m o est e x p r e s s a i p s a r u m r e r u m i m a g o & v i v a e f f i g i e s , q u a e res ipsas m u l t o clarius & e v i d e n t i u s , q u a m ulla specula e x h i b e t & r e p r a e s e n t a t . " O r a t i o , 5 f.

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bräisch existiert bis in alle Ewigkeit 59 und wird, das ist die Konsequenz aus Rennecherus' Auffassung, dann auch auf der neuen Erde gesprochen werden. Zurück bei der Notwendigkeit der Kenntnis dieser Sprache für Menschen auf dieser Erde gibt er Beispiele von Wörtern und Begriffen, die in einer Übersetzung nicht zu verstehen sind, ohne dass dazu von einem Hebräischkundigen eine Erklärung gegeben wird. Das Alte Testament ist also ohne Kenntnis des Hebräischen nicht zu verstehen, aber das bedeutet auch, dass das Neue Testament dann nicht zu verstehen ist. Das Neue Testament ist ja nichts anderes als Auslegung des Alten. 60 Wie viele Sätze und Begriffe im griechischen Neuen Testament sind ohne Kenntnis des Hebräischen unverständlich! Die Schlussfolgerung ist klar die, dass Hebräisch kennen muß, wer Prediger werden oder auf eine andere Weise in der Theologie arbeiten will. 61 Rennecherus vergisst nicht, der Frage Beachtung zu schenken, ob Hebräisch nun wirklich schwierig ist. Piaton sagt, dass schöne Dinge schwierig sind, aber was Hebräisch betrifft, muss Rennecherus ihm leider unrecht geben. Hebräisch ist ganz und gar nicht schwierig, denn es ist eine Sprache aus der Zeit vor dem Sündenfall und bekanntlich sind Schwierigkeiten erst nach dem Sündenfall aufgekommen. Sprachen aus der Zeit nach dem Sündenfall sind schwierig, aber Hebräisch also nicht. 62 Doch ist es offenbar nötig, einen anderen Beweis für diese These zu liefern, denn Rennecherus vergleicht im Weiteren die Grammatik von Griechisch und Latein mit der des Hebräischen, um die Vorteile und die Leichtigkeit des Letztgenannten zu beweisen. Er hat dafür sieben Seiten nötig, mehr als ein Viertel der ganzen Rede. Allerdings geht er am Ende noch auf den Einwand ein, dass die Bibel doch von gelehrten Menschen übersetzt ist und dass es darum überflüssig ist, ihre Arbeit überhaupt noch einmal zu tun. Rennecherus reagiert darauf mit dem Argument, dass in einer Übersetzung immer etwas, und manchmal viel, des Ursprünglichen verlorengeht. Außerdem hat Gott diese Sprache ausgewählt und darum sollen wir uns nicht mit einer anderen zufriedengeben. 6 3 Die Schlussfolgerung von Rennecherus ist dann auch, dass ohne Hebräischkenntnisse das Studium der Theologie unmöglich ist. Für das Studium jeden Kommentars, sowohl über das Alte als auch über das Neue Testament, ist die Kenntnis der Quellen unentbehrlich. Hieronymus 59 „Circumscripta est, Auditores, huius linguae duratio non aliquotannorum terminis aut seculorum spatiis, sed infinite terminis aeternitatis, quibus propagata perpetuum duratura est." Oratio, 13. 60 „Cum novum nihil aliud sit, quam vetus explicatum [...]." Oratio, 17. 61 „[...] Hebraeae linguae cognitionem tarn esse necessariam, ut sive in ministerio Ecclesiastivo, sive in professione Theologica quisquam versetur [...]." Oratio, 17. 62 Oratio, 18 f. 63 „Nolite putare, Deum aut frustra hanc elegisse, qua suam voluntatem nobis patefaceret, aut si magis idoneum novisset, non selecturum fuisse." Oratio, 26.

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hat das gesehen. Augustinus hat das gesehen und hätten Calvin und Petrus Martyr uns die Bibel ohne die Kenntnis dieser Sprache so gut auslegen können? 6 4 „Und darum, Studenten in der heiligen Theologie [...] flehe ich Sie an und rufe ich Sie auf, beginnen Sie mit großem Einsatz das Studium dieser heiligen Sprache, bleiben Sie stets damit beschäftigt, und lassen Sie sich nicht, durch die Worte von wem auch immer, davon ablenken, zur Ehre Gottes, zur Ehre der Kirche, deren Aufbau Sie sich zugewandt haben, und auch, um sich selbst dieser Dinge gut bewußt zu sein." 65

VIII. Astronomie Melanchthon war sehr von der Astronomie beeindruckt. Bekannt ist, dass er bei wichtigen Entscheidungen, zum Spott von Luther, den Stand der Sterne zu Rate zog. In Heidelberg kannte man, auf der Linie Melanchthons, gleichfalls ein großes Interesse für Astronomie. Der Unterschied zu Melanchthon war allerdings, dass es den Theologen aus Heidelberg mehr um Kenntnis des Weltalls ging als um Kenntnis der Zukunft. Eine gewisse Furcht vor dem Fach ist freilich bemerkbar, unter anderem in den beiden Predigten, die Abraham Scultetus herausgibt, und in denen er sich von den letzten vier Versen von Jesaja 47 her gegen Zauberer, Wahrsager und Sterndeuter richtet. 66 Zu den letzten beiden Gruppen gehören namentlich die Zigeuner, die, so Scultetus, 1418 nach Deutschland gekommen sind, und die sagen, dass sie zum Umherwandern verurteilt seien, weil ihre Vorfahren der Heiligen Familie, Josef, Maria und Jesus, keine Unterkunft hätten anbieten wollen. Offensichtlich ist eine Gruppe Zigeuner unterwegs nach Heidelberg, denn Scultetus warnt, dass man, wenn diese Menschen heute oder morgen vor den Toren der Stadt sind, nicht dorthin gehen solle. 67 Die Notwendigkeit dieser Warnung mag ein Indiz dafür sein, dass dies für die protestantische Bevölkerung eine wirkliche Verlockung war. Scultetus weist in seiner Predigt gegen die Wahrsager darauf hin, dass der Zorn Gottes auch über Babel gekommen ist, weil dort mehr auf Sterndeuter als auf Gott vertraut wurde. Bemerkenswert ist, dass Scultetus sagt, 64

Oratio, 30. Oratio, 29. 66 Warnung für der Warsagerey der Zäuberer und Sterngucker/ verfast in zwoen Predigten/ so über die letzte vier Versickel deß 47. Capitels deß Propheten Jesaiae gehalten durch Abraham Scultetum, Neustadt 1608. 67 „Derentwegen wenn heut oder morgen Zigeuner vor der Stadt sindt/ und du etwas wissen und erfahren wilst/ oder kranck wirst/ und die Leute auff dem Marckt/ oder zu Hause zu dir sagen/ du must die Warsager/ Segnerin und Zeichendeuter fragen/ umb Hülff ersuchen/ so sprich/ soll nicht ein Volck seinen Gott/ oer soll man die Todten für die Lebendige fragen?" Warnung, 14. 65

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dass er gerade darum gegen diese Tätigkeit predigt, weil es in der reformierten Kirche hier und dort Menschen gibt - und sogar gottesfürchtige Menschen die meinen, dass es nicht nur nicht verwerflich sei, aufgrund des Standes der Sterne die Zukunft vorherzusagen, sondern sogar, dass es eine lobenswerte Kunst sei. 68 Wenn er auch keinen Namen nennt, ist eine Anspielung unter anderem auf Melanchthon glaubhaft. Doch will Scultetus Astronomie und Astrologie nicht miteinander verwechseln und macht darum einen deutlichen Unterschied zwischen beiden. 6 9 Im ersten Teil dieser Predigt tritt er für die Astronomie ein. Die Sternschauer können berechnen, wann es Sonnen- und Mondfinsternisse gibt, wann der kürzeste und der längste Tag des Jahres ist. Hier geht es um die Bekanntgabe feststehender Fakten, aufgrund derer Kalender angefertigt werden können. Astronomie untersucht nur die Ordnung, die Gott festgesetzt hat, und das ist eine lobenswerte Wissenschaft, denn sie dient zur Förderung und zur Bekanntmachung der Größe und Herrschaft Gottes. 70 Das Problem liegt freilich in einem Studium der Sterne, das dazu dient, vorherzusagen, wann es regnen wird oder wann eine große Trockenheit kommt. Man geht dann davon aus, dass jeder Stern seine eigenen Kräfte und Wirkungen hat. Scultetus findet dies höchst zweifelhaft 7 1 , denn die Bibel sagt nichts darüber und auch Piaton und Aristoteles wollen nichts davon wissen. Diese Argumentation ist auffallend und das gilt sowohl für die Berufung auf die Kenntnis beider großer Philosophen als auch dafür, dass Scultetus es zwar zweifelhaft findet, es also aber nicht entschlossen ablehnt. Dass die Vorhersagen oft nicht zutreffen, geht auch schon daraus hervor, so Scultetus, dass die Sterndeuter vor acht Jahren vorhersagten, das Jahr 1600 würde einen hervorragenden Wein ergeben. Und was stellte sich heraus? Es brachte nur ein saures Getränk hervor. 7 2 Und als Verteidigung rief ein Astrologe, dass er nicht hätte vorhersehen können, dass Gott die Menschen mit schlechtem Wein strafen würde. Ferner fand er den Wein noch durchaus besser als erwartet, worauf Scultetus sagt: er hätte ihn selbst nur einmal trinken sollen. Noch schlimmer ist der Irrglaube, dass nicht nur das Wetter, sondern sogar das Schicksal von Menschen und Königreichen an den Sternen abzu68

„[...] welche dafür halten/ die Sternwarsagerey sey nicht allein nicht zuverwerffen / sondern auch als ein löbliche Kunst hoch zu loben." Warnung, 16. 69 „Damit nun alles ordentlich und verständtlich vorgebracht/ auch der edlen Kunst/ welche der Sternen Lauff außrechnet nichts zum Nachtheil geredet werde, ist zu wissen/ daß die Sternseher mit dreyerlei Weissagungen umbgehen." Warnung, 16 f. 70 „Welche nun mit solchen Weissagungen umbgehen/ die sind lobenswerth. Dann diß ist ein edle Kunst/ welche der Sternen Lauff außrechnet. Sie dienet auch zur Erbawung." Warnung, 18. 71 „[...] dasselbe ist noch sehr zweiffelhafftig [...]." Warnung, 19. 72 „Es gab aber ein sawers Trüncklein." Warnung, 22.

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lesen wäre. Auch hier ist das eigentliche Gegenargument, dass es Gott ist, der regiert, aber Scultetus nennt zusätzlich eine Anzahl Vorhersagen, die sich ganz und gar nicht erfüllt haben. 1524 hatten sie eine Sintflut vorhergesagt, aber was tatsächlich kam, war der Bauernkrieg. Die Sterndeuter retten sich in die Worte, es sei doch zugetroffen, denn eine Flut von Blut sei doch auch eine Sintflut. Scultetus wehrt dies ab. Wenn sie denn soviel könnten, warum haben sie dann zum Beispiel nicht den nun schon 40 Jahre andauernden Krieg in den Niederlanden vorhergesagt? 7 3 Und wenn sie schon einmal auf etwas hinweisen können, das sich doch erfüllte, so verweist Scultetus darauf, dass auch ein blindes Huhn schon einmal ein Korn finden kann.

IX. Neues Testament Dem Neuen Testament wird in Heidelberg viel Beachtung geschenkt, wenn die Schrift auch laut Tossanus selbst schon angibt, dass das Neue Testament nur eine Ergänzung des Alten Testamentes ist. 74 So veröffentlicht Grynaeus einen Kommentar von fast 700 Seiten über die ersten zehn Kapitel des Matthäusevangeliums. 7 5 Das Buch von Scultetus über Matthäus und Markus wendet sich mehr dem Hintergrund und der Theologie bestimmter Begriffe in diesen Evangelien zu. 76 Dabei macht er Gebrauch von alten und neuen Übersetzungen von Kommentaren, um so durch Vergleich zu der wahren Bedeutung eines Wortes oder Ausdrucks zu gelangen. Ein gutes Beispiel für die Weise, in der in Heidelberg die Auslegung der Bibel stattfindet, ist hinsichtlich des Neuen Testaments die Evangelienharmonie, die Daniel Tossanus veröffentlicht. 7 7 Tossanus gibt als Einleitung seines Werkes über die vier Evangelien eine Liste von 23 Regeln, die zu beachten sind, wenn man zu einer Harmonie der Evangelien gelangen will. 73 „[...] daß sie den vierzigjährigen Krieg im Niederlandt [...] auß dem Lauff der Sternen nicht haben ersehen können." Warnung, 26. 74 „[...] N. Testamentum nihil aliud esse quam complementum Veteris." Praelectiones in Apostolorum, 200. 75 Explanatio Evangelii secundum Matthaeum decem primorum capitum, recens lectionibus publicis 123, in Heydelbergensis Academiae Schola Theologica, piae et ingeniosae Iuventuti proposita, a Ioanne Iacobo Grynaeo, Heidelberg 1585. 76 Observationes grammaticae, historicae, logicae, theologicae, in historiam concionum & miraculorum a Domino nostro JESU CHRISTO ab initio ministerii ad passionem ejus, & a DD. Evangelistis Mattheo & Marco descriptorum [...]. Frankfurt 1622. Scultetus widmet dieses Werk den Generalstaaten in den Niederlanden, als Dank dafür, dass sie mit der Synode von Dordrecht ihre eigene Kirche, aber auch die reformierten Kirchen in ganz Europa vom Pelagianismus befreit haben. 77 De consensu Evangelistarum D. Danielis Tossanis, in: D. Danielis Tossani [...], Opera, 1604.

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Er sagt, dass er diese Regeln den Kirchenvätern und neueren Autoren entnommen habe, aber von den letzteren nennt er keinen Namen. Nach dieser Liste geht Tossanus auf einige Aspekte der Kanonizität der Evangelien ein, wie der Frage nach der Zeit, in der sie geschrieben wurden, und wer als erster damit begonnen hat. Faktisch ist das Werk des Tossanus eine Biographie Jesu Christi, wobei er Gegebenheiten aus der ganzen Schrift einbezieht, um nicht nur die Geschichte, sondern auch den Zweck des Lebens Jesu Christi auf Erden deutlich zu machen. Tossanus gibt die Biographie Jesu so wieder, dass deutlich werden muss, dass Jesu Leben von Beginn an im Zeichen von Ostern stand. Auch behandelt Tossanus Fragen, die sich aus der Harmonisierung heraus ergeben, wie die nach Ubereinstimmung und Differenz der Geschlechtsregister bei Matthäus und Lukas, welche er dann auch miteinander in Einklang zu bringen versucht. 78 Namentlich werden die Autoren genannt, die Tossanus für seine Untersuchung verwendet hat, und manchmal werden ihre Ansichten auch bestritten, unabhängig davon, welcher Konfession sie angehören. Von den neueren Autoren sind das Bucer, Calvin, Bullinger, Beza und Tremellius, aber auch Johannes Brenz und Martin Chemnitz. Calvin wird von Tossanus nicht öfter verwendet als andere Autoren und der Reformator aus Genf ist dabei nur eine Stimme unter vielen. Er kann mit Zustimmung zitiert werden, aber Tossanus kann Calvins Exegese bei manchen Texten auch ablehnen und zum Beispiel der eines lutherischen Theologen den Vorzug geben. 7 9 Tossanus zeigt, dass er auf dem Stand der neuesten Literatur ist. 80 Bemerkenswert ist der Gebrauch und die positive Würdigung des Werkes von Gerhard Mercator, des vor allem als Kartographen bekannten Gelehrten, der 1592 eine Evangelienharmonie veröffentlichte. 8 1 Tossanus macht ebenfalls Gebrauch von verschiedenen neueren Übersetzungen, wie der von Luther, der der sogenannten Zürcherbibel 8 2 und der Genfer Bibel (Genevenses in postremo editione Bibliorum), und vergleicht diese Ausgaben miteinander, um so hinter die eigentliche Bedeutung des Textes zu kommen. 8 3 Auch bezieht Tossanus dabei die Textvarianten des Neuen Testamentes ein, wie sie in den verschiedenen Codices zu finden sind. 84 Auch Bernard von Clairvaux, Petrus Lombardus und Thomas von Aquino werden mit Zustimmung zitiert. 85 Tossa78

Conciliatio Matthaei et Lucae, De consensu, 7. „Calvinus et Beza [...] putant [...] sed magis placet Camerarii sententia [...]." Praelectiones in Actu, 234. 80 „[...] observarunt doctiores interpretes Tremellius et Iunius, Genevenses in postrema editione Bibliorum, et Benedictas Ariomontanus vir inter Pontificios doctus, qui etiam scripsit in minores prophetas [...], De consensu, 91. 81 Harmonía Evangélica, Duisburg 1592. 82 „[...] iuxta vulgatam versionem Lutheri et Tigurinorum, [...]." De consensu, 45. 83 „[...] Beza maleficentiam vertit, sed magis placet vulgata versio, quam Erasmus, Lutherus en Genevenses retinent, [...]." Actu Apost., 289. 84 „[...] ut nonnulli códices Graeci habent [...]." De consensu, 118. 79

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nus erweist sich nicht nur als vertraut mit der alten Literatur, sondern kennt sich auch mit den neuesten Büchern und Meinungen aus. Illustrativ ist die Passage, in der Tossanus auf die Mitteilung bei Lukas eingeht, wo von dem Kind aus Marias Schoß gesagt wird, dass es heilig sein wird. In dieser Passage zitiert Tossanus die Randbemerkungen von Robertus Stephanus, Syrus paraphrastes, Augustinus und Thomas. 8 6 Ferner macht Tossanus Gebrauch von der jüdischen Literatur. Auffallend ist das beinahe gänzliche Fehlen von Polemik. Nur wenn die Einsetzung des Abendmahls zur Sprache kommt, enthält das Werk einen Exkurs, der den Umfang eines Traktats erreicht. 87 Hierin bestreitet Tossanus die Abendmahlslehre von Hunnius und Mylius und verteidigt sich gegen ihre Beschuldigungen an die Adresse der Reformierten.

X. Apologetik Obwohl das Fach Apologetik in Heidelberg nicht gesondert erteilt wurde, trat die Sache im Unterricht und in den Veröffentlichungen der Professoren sehr deutlich hervor. Ein wichtiges Beispiel hiervon ist das Werk des Franciscus Junius, in dem er die alttestamentlichen Zitate behandelt, die im Neuen Testament zu finden sind. 88 Er tut dies, indem er den hebräischen Text parallel zum griechischen Zitat wiedergibt. Im ersten Buch werden die Evangelien und die Apostelgeschichte behandelt. Die paulinischen Briefe folgen dann im zweiten Buch und im dritten Buch die übrigen neutestamentlichen Schriften, darunter der Hebräerbrief, der von Junius also als nicht von der Hand des Paulus stammend betrachtet wird. Aus dem Vorwort zu diesem Werk ist zu schließen, dass Junius damit eine apologetische Absicht verfolgt. Muslime greifen die ganze Schrift an, Juden glauben dem Neuen Testament nicht und Anabaptisten haben gerade Schwierigkeiten mit dem Alten Testament. Dieses Buch soll nun diesen drei Gruppen gegenüber die Wahrheit und Einheit der ganzen Bibel beweisen. 85

„[...] ut recte monet Thomas Aquinas [...]." AaO., 13. AaO., 23. 87 Appendix ad Verba institutionis caenae dominicae, nimirum examen [...] D. Aegidii Hunnii et Georg. Mylii, quas orthodoxis nostris thesibus de caena Domini scriptis contra articulos captiosos visitationis Misnicae, opposuerunt mense Iunio et Augusto anni sup. 1593 alter Wittebergae, alter Iehnae." AaO., 127-159. 88 Sacrorum Parallelorum Libri Tres: Id Est, Comparatio locorum Scripturae sacrae, qui ex Testamento vetere in Novo adducuntur: summam utriusque in verbis convenientiam, in rebus consensum, in mutationibus fidem veritatemque breviter et perspicue ex fontibus Scripturae S. Genuinaque linguarum Hebraeae et Graecae conformatione monstrans: et contra Atheos, Arianos, Judaeos, Mahumedistas, aliosque asserens simplicitate Evangelistarum et Apostolorum Christi. 1588. 86

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Der Titel des Werkes gibt an, dass es auch zur Verteidigung gegen Arianer und Atheisten gedacht war. Offensichtlich wurde das Werk auch für die Situation in den Niederlanden von Belang gehalten, denn zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts erschien eine niederländische Übersetzung. 8 9 Gleichfalls auf dem Gebiet der Apologetik liegt Junius' Buch über die Schöpfung, in dem er die historische Zuverlässigkeit der mosaischen Geschichtsschreibung in den ersten Kapiteln der Genesis behandelt. 9 0 Junius erweist sich hier als ein Kenner der Einwände, die gegen den biblischen Schöpfungsbericht vorgebracht werden, und er rückt diesen auf aristotelisch-scholastische Weise zu Leibe. In der Diskussion über die Entstehung der Seele entscheidet sich Junius für den Kreatianismus, dem zufolge also jede Seele einzeln von Gott geschaffen wird. Gleichfalls verteidigt er bei der Behandlung der Einsetzung des Sabbats eine strenge Sonntagsheiligung, weil das Gebot für immer gültig ist, der Tag, an dem es gehalten wird, freilich mit der Auferstehung Christi von Samstag auf Sonntag gewechselt ist. In seine Apologie passt auch die Behandlung der Frage nach der Topographie des Paradieses und er kommt auch zu einer ziemlich genauen Lokalisierung des Gartens von Eden in „dem heutigen Mesopotamien". Ein anderer wichtiger Punkt in diesem Werk ist die Bekämpfung der Allegorisierung des Sündenfalls. Vor allem von dem her, was Tertullian darüber gesagt hat, wehrt sich Junius gegen die Auffassung, der Sündenfall in der Genesis sei nicht als historisches Faktum, sondern als allegorische Erzählung zu sehen.

XI. Praktische Bildung Sohn veröffentlicht die Rede, die er 1584 über die Frage gehalten hat, was der Christ und namentlich der Theologiestudent in der Situation zu tun hat, 89 Verklaringe en Betooginge Der H. Gelykluidende Texten, Die uyt het O.T. in het geheele N.T. voor al den Brief van Paulus aen de Hebreen, werden aengehaelt. Eertyts opgestelt in de Latynsche tale door Franciscus Junius, In zyn Leve Professor der H. Godtgeleertheyt te Leyden. Nu in de Nederduytse sprake vertaelt door R.O. En verrykt met een Voorreden tot de Gemeente van Christus te Delft, zynde een Inleyding en voorberigt zoo tot ondersoek van die H. Gelykluidende Texten. Als tot een nuttig gebruyk van deese Uytlegginge over dezelve: Door Johann Hadriaen Thierens, Predikant te Delft. Delft 1710 ( l e deel), 1720 (2e deel). 90 Protoktisia, seu creationis a Deo factae et in ea prioris Adami ex creatione integri et ex lapsu corrupti historia: Cui adiecta chorogaphica tabula Babyloniae, et in ea Hedenis circumscriptio, ex probatis auctoribus priscis et recentioribus, veram dilucidamque fluentorum Euphratis et Tigridis delineationem continens: et demonstrans consensionem omnium. 1589.

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in der sich die Kirche in Deutschland befindet. 91 Diese Situation ist wegen der vielen Streitigkeiten, den abweichenden Auffassungen und der wachsenden Gleichgültigkeit in Glaubensangelegenheiten besorgniserregend. Sohn gibt eine klare Antwort auf seine eigene Frage, welche Haltung in Heidelberg von einem Studenten erwartet wird. Seine Rede liefert gleichsam ein Profil des echten Theologen und die Studenten müssen daran arbeiten, diesem Profil zu entsprechen. Als erstes Kennzeichen nennt Sohn, dass ein Mensch seine Gefühle beherrschen können soll. Es gibt viel Heftigkeit bei den Gegnern, aber die dürfe es bei den Anhängern der Wahrheit nicht geben. Denn wer beginnt, mit solchen Gefühlen die Bibel zu lesen, wird die eigentliche Absicht des Textes nicht sehen. 92 Darum gilt es die Gefühle unter Kontrolle zu halten. Ein zweites Problem ist, dass viele mit Ehrgeiz erfüllt sind, der auf ihre eigene Ehre gerichtet ist. Der Ehrgeiz desjenigen, der die Schrift studiert, soll freilich die Ehre Gottes sein. In diesem Zusammenhang weist Sohn darauf hin, dass Theologie nicht auf Wissen gerichtet sein soll, sondern dass das Wissen ein Mittel ist, um zum Handeln und zur Ausübung der Frömmigkeit zu gelangen. Es reicht nicht aus gelehrt und beredt zu sein, wenn nicht auch das Herz voller Glaube, Reue und Liebe für Gott und den Nächsten ist. 93 Eine andere Ursache der Probleme in der Kirche ist die Sucht, immer als Sieger hervorzugehen. Wir sollen freilich nicht den Sieg suchen, sondern die Wahrheit. Weiter lehnt Sohn die Haltung jener ab, die so hartnäckig an ihrem eigenen Recht haften, dass sie jedermann ablehnen, der über eine Sache nur ein bisschen anders denkt, als sie selbst. Direkt darauf lässt Sohn die Sünde des Vorurteils folgen. Viele sind nicht im Geringsten aufgeschlossen dafür, einmal zu prüfen, ob das, was ein anderer sagt, vielleicht auch der wahren Lehre gemäß ist. Nach Sohn entsteht das Vorurteil, indem man völlig von dem hingerissen ist, was eine bestimmte Person irgendwann gesagt hat. 94 Als Beispiel nennt er die Liebe zu Orígenes, die bei manchen derartig ist, dass sie nicht einsehen, dass er doch auch Dinge gesagt hat, die nicht der Schrift gemäß waren. Aber dies gilt eigentlich für jedermann, denn laut der Bibel kann jeder Mensch einem Irrtum verfallen. Darum ruft Sohn die Theologiestudenten dazu auf, ihre Vorurtei91

Oratio de studio. „ N a m qui S c r i p t u r a m c u m a f f e c t u legunt, et d o g m a t i s semel concepti d e f e n s i o n e m , aut simile q u i p p i a m in ea q u a e r u n t , ij n o n solent r e s p i c e r e ad g e n u i n a m s c r i p t u r a e sententiam, [...]." O r a t i o , 5r. 92

93 „ C o g i t a n d u m , T h e o l o g i a m non in sola c o g n i t i o n e , sed in actione, et verae pietatis d e m o n s t r a t i o n e , p r a e c i p u e sitam: nec satis esse m e n t e m e r u d i t i o n e instructa et l i n g u a e p l e c t r u m v o l u b i l e habere, nisi in v o l ú n t a t e et corde, veri m o t u s pietatis, p o e n i t e n t i a e , fidei, dilectionis Dei et p r o x i m i e x i s t a n t . " A a O . , 5 v - 6 r . 94 „ P r a e i u d i c i u m illud p l e r u n q u e oritur ab autoritate illorum, q u o s attoniti s u s p i c i u n t et a d m i r a n t u r , [...]." A a O . , 7r.

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le und eingerosteten Meinungen beiseite zu stellen, um so frei urteilen zu können. 9 5 Ferner braucht ein Theologe sich nicht vor Bekämpfung und Widerspruch zu fürchten, denn diese gehören mit zur Verkündigung des Evangeliums. Er tut am besten daran, Christus als sein Vorbild zu nehmen, denn Er ertrug Schmach, Armut, Verbannung und sogar den Tod um unseretwillen. Sohn nennt noch andere Hindernisse für eine gute Beschäftigung mit dem Studium der Wahrheit, nämlich Habsucht, die Sehnsucht, etwas darzustellen, Nachlässigkeit und den Eifer, Eindruck zu machen. Um all diese Dinge zu verhüten, sollen Studenten sowohl beten, als auch arbeiten. Diese Arbeit besteht aus dem Studium der Schrift, um mit der Bibelkenntnis neue Auffassungen erwägen und beurteilen zu können. Sohn spricht hier über das Meditieren über Themen, die zur Diskussion stehen. 96 Sohn versucht einer Haltung zu begegnen, nach der alles, was von dem abweicht, was immer gesagt wird, per Definition gut sei. Dies gilt aber auch für eine Haltung, alles, was neu ist, selbstverständlich als falsch zu betrachten. Es gibt nur einen Richter und das ist Gottes Wort, aber dieses Wort hat man gut zu kennen. 97

XII. Collegium Sapientiae Von größter Bedeutung für die Entwicklung der theologischen Fakultät ist das Collegium Sapientiae. 98 Ursprünglich war dies eine Schule, in der Schüler auf die Artistenfakultät vorbereitet wurden. Noch vor der Reformation der Pfalz wurde das Heidelberger Kloster (auf dem heutigen Universitätsplatz) zur Unterkunft von 60 bis 80 bedürftigen Studenten bestimmt. Drei Dozenten werden als Leiter dieser Gemeinschaft berufen; sie sind verpflichtet, im Gebäude zu wohnen und dort auch Unterricht zu geben. In den Schriftstücken wird über ein „collegium, quod domum sapientiae appellant" gesprochen 9 9 , wodurch der Name collegium sapientiae entsteht. Auf Beschluss Friedrichs III. dient es ab 1561 für den Unterricht für zukünftige Prediger, womit diese Einrichtung unter die Autorität des Kirchenrates kommt. Damit erhält dieses collegium auch einen kirchlichen 95 „Seponite praeiudicia, si forte his laboratis: seponite praeconceptas opiniones, si forte his imbutis estis, et libero ac vero iudicio iudicate [...]." AaO., 20v. 96 „In meditatione illa tum dogmata ipsa controversa per se, tum circumstantiae considerandae." AaO., 13v. 97 „Nam in novi dogmatis examine nemo feliciter versari potest, nisi res ipsas accurate cognoscat." AaO., 14v. 98 Es ist nur begrenzt Forschung über diese Einrichtung geleistet worden, was auch mit dem Mangel an Quellen zusammenhängt. Wolgast spricht in diesem Zusammenhang über eine „desolate Quellenlage", WOLGAST, Collegium, 303. 99

W I N K E L M A N N , 1, 2 4 8 .

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Charakter, obwohl der Kirchenrat faktisch unter dem Kurfürsten steht. In diesem Gebäude können Studenten Unterkunft und Unterricht erhalten. Die Kosten werden meistens von der Heimatgemeinde getragen. Ebenso wie es in anderen Studentenheimen üblich ist, wird ein Teil des Unterrichts am collegium, ein anderer an der Universität besucht. Damit ist das collegium eigentlich ein Seminar innerhalb der Universität. Der Vorteil des Seminars ist, dass es intensive Beaufsichtigung der persönlichen Entwicklung und des Studienfortschritts der zukünftigen Prediger gibt. Die Verbindung mit der Universität bietet den Vorteil eines Unterrichts auf akademischem Niveau und der Kontakt mit Studenten anderer Fakultäten und damit Einblikke in die dort betriebenen Wissenschaften Medizin, Recht, Philosophie u.a. Als ephorus, so der Name für den Leiter des collegium, wird nahezu immer ein Theologieprofessor von der Universität berufen, so dass auch dadurch das Band mit der Universität Gestalt erhält. Der erste ephorus ist Caspar Olevianus, der dieses Amt nur einige Monate ausübt. Ihm folgt Zacharias Ursinus nach, der dem collegium sechzehn Jahre vorsteht. Neben dem ephorus sind noch zwei andere Dozenten im Hause anwesend. Die Nachfrage nach einem Platz in diesem collegium ist groß, manchmal ist die Zahl der Anfragen größer als die der verfügbaren Plätze. 100 Rudolph Ampelander aus Bern möchte gerne hinein, aber das gelingt ihm anfanglich nicht, was ihn zu dem Stoßseufzer bringt: „Fiat, quod volet Dominus." 1 0 1 Groß ist dann auch die Freude bei ihm und seiner Familie, als es schließlich doch glückt. 102 Die Studentenzahl bewegt sich bis 1622 zwischen 60 und 90 pro Jahr. Anfänglich werden nur Studenten aufgenommen, die nicht imstande sind, selbst Kost und Wohnung in der Stadt zu bezahlen. Später ist es auch möglich, gegen Bezahlung aufgenommen zu werden. Letzteres geschieht auf Ersuchen von Kirchen und Städten, weil das collegium auch wegen der strengen Regeln bekannt ist, die dort gehandhabt werden. 1 0 3 Das Mindestalter für die Zulassung ist vierzehn Jahre und nur diejenigen können aufgenommen werden, die als Student an der Universität eingeschrieben sind. Die Studenten werden in drei Gruppen eingeteilt: 1. Die Erstsemester, die neben den für alle Bewohner verpflichtenden Dogmatikvorlesungen (loci communes) jeden Tag vier andere Lek100 1587 berichtet D a v i d Pareus, d a s s d a s c o l l e g i u m ü b e r f ü l l t ist. Es w e r d e n v o m G y m n a s i u m in H e i d e l b e r g und von S c h u l e n a u s u m l i e g e n d e n Orten soviele S t u d e n t e n z u m S a p i e n t i u m g e s c h i c k t , d a s s damit w o h l zwei E i n r i c h t u n g e n g e f ü l l t w e r d e n k ö n n t e n : „[...] vix ullus i n v e n i a t u r locus et t a n d e m vix d u a e Sapientiae s u f f e c e r i n t . " HAGEN, Briefe, 38. 101

A a O . , 57. Sein V a t e r schreibt 1583 als R e a k t i o n auf die M i t t e i l u n g seines S o h n e s : „ V a l d e m e e n i m m e h a c t e n u s exhilaristi tuis literis, p r a e s e r t i m , q u o d de tui itineris felici s u c c e s s u et de impetrata in D o m o S a p i e n t i a e h a b i t a t i o n e scripsisti." A a O . , 59. 102

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tionen besuchen müssen: Logik, Grammatik und Dichtkunst, Hebräisch und Griechisch. Dann die mittlere Gruppe, die neben Logik und Grammatik Lektionen in Ethik, Politik, Mathematik und Physik erhält. Die oberen Semester, die sich im Predigen üben und täglich drei Lektionen Theologie erhalten.

Der ephorus und die anderen beiden Dozenten besuchen die Studenten sehr regelmäßig in ihren Zimmern, sprechen mit ihnen über den Studienfortschritt und geben ihnen Rat für ihr persönliches und wissenschaftliches Leben. Auch die Studentenzahlen geben einen Hinweis auf die Bedeutung des collegium. Quirinius Reuter berichtet, dass er in den Jahren, in denen er ephorus war, 270 Studenten aufgenommen und 200 wieder entlassen hatte. 104 1622 endet auch für das collegium die jahrzehntelange Blüteperiode. Die Bedeutung des collegium für die theologische Einheitlichkeit des internationalen Calvinismus entspringt aus der Kombination einer Anzahl von Merkmalen. Diese Merkmale sind: der Umfang des collegium, der dort gegebene theologische Unterricht, die konfessionelle Bindung, die internationale Zusammensetzung der Bewohner, das oft junge Lebensalter der Studenten und das disziplinierte Lebens- und Unterrichtsprogramm. Diese Gemengelage sorgt für die Prägung von Theologen, die nach Ablauf ihres Studiums eine bestimmte Theologie in ihr eigenes Land hinaustragen und einen Predigertyp vertreten, in dem über die nationale und kirchliche Verschiedenheit hinaus eine fundamentale Einheit zu erkennen ist. Welchen Namen das Sapientium erworben hatte, wird aus den Worten des Vaters des schon genannten Rudolph Ampelander deutlich: Es ist ein berühmter Ort, gelobt wegen der Disziplin, es bietet sehr viele Gelegenheiten, Ansporne, um w e i t e r z u k o m m e n , man wird dort gut trainiert, man ist sicher vor allem Tumult von außen, und man kann den U m g a n g mit vielen Studenten und Gelehrten genießen. 1 0 5

Der Bruder von Rudolph stellt das Sapientium in eine Linie mit der Akademie Piatons, und wenn jemand auch noch so dumm ist, wird er doch ein Stück gelehrter von dort weggehen, ob er nun will, oder nicht. 106 Das Tagesprogramm ist dem ausführlichen Bericht zu erschließen, der von Huldreich Trog aus Bern dazu geliefert wird 107 , und aus einer kürzeren Über104

Jubileus B l . E 3 b .

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HAGEN, Briefe, 59.

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„[...] quod in eas aedes t a m q u a m in alteram Piatonis A c a d e m i a m deveneris, ex qua etiam inutiles et stupidi, velint nolint, aliquanto doctores, q u a m fuerint prius, egredi conspiciantur." AaO., 65. 107 A a O . , 77 f.

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sieht, die Rudolph Ampelander an seinen Bruder schickt. 108 Der Tag beginnt um fünf Uhr mit dem Singen eines Psalms in der gereimten Fassung von Lobwasser, dem Lesen eines Kapitels aus dem Alten Testament und einem Gebet aus dem Heidelberger Katechismus. Darauf wird bis sechs Uhr der Stoff der Vorlesungen des vorigen Tages abgefragt. Übrigens auch am Sonntag, wenn Sohn zwischen fünf und sechs Uhr morgens Hebräisch abfragt. Am Montag wird das Organon von Aristoteles behandelt. Und so kommt an jedem Tag ein Fach an die Reihe. Von sechs bis zehn werden dann die Vorlesungen an der Universität besucht. Um 10.00 Uhr erhält man die erste Speise dieses Tages, das heißt, Frühstück und Mittagessen auf einmal. Die Mahlzeit findet in Anwesenheit eines Dozenten statt. Vor der Mahlzeit wird gesungen und ein Kapitel aus dem Alten Testament vorgelesen und ausgelegt. Nach der Mahlzeit ist dafür ein Kapitel aus dem Neuen Testament an der Reihe, wonach wieder gesungen und gebetet wird. Am Mittwoch folgt nach dem Essen anstelle eines Stückes aus dem Neuen Testament eine Übungspredigt eines Studenten. Die Zeit nach dem Essen, ungefähr zwischen 11.30 Uhr und 17.00 Uhr, ist mit Vorlesungen, mit Studium und individuellem Unterricht von Professoren für Studenten gefüllt. Um 17.00 Uhr findet die Abendmahlzeit statt. Vor dem Essen wird ein Kapitel aus dem Neuen Testament gelesen und von einem Studenten exegetisiert. Um 20.00 Uhr kommt man wieder zum Gebet, Gesang und Bibellesen zusammen. Um 21.00 Uhr gehen die Lampen aus und der diensthabende Dozent kontrolliert jedes Zimmer. Nach jeder Mahlzeit gibt es Gelegenheit, für einen Augenblick der Entspannung nach draußen zu gehen. Am Mittwoch und Samstagmittag besteht die Möglichkeit zum Spazierengehen und zur Gymnastik oder anderen leiblichen Übungen. Am Montag wird nach dem Morgengebet ein Thema bekanntgegeben, über das die Studenten einen Aufsatz zu schreiben haben, und zwar wöchentlich. Jeden Samstag wird die Hälfte der Aufsätze eingesammelt und geprüft. Am Samstag werden auch die Vorlesungsmitschriften nachgesehen, so dass Anwesenheit und Aufmerksamkeit kontrolliert werden können. Viel Beachtung wird Übungen in Grammatik und Stil geschenkt, indem die Studenten Prosa und Poesie herstellen müssen. Einmal pro Monat wird am Samstagmorgen zwischen sieben und zehn Uhr morgens in Anwesenheit aller Studenten eine Disputation über theologische Fragen gehalten. Am Sonntag ist der Besuch des Morgengottesdienstes von 8.00 bis 9.00 Uhr und der Katechismuspredigt von 15.00 bis 16.00 Uhr verpflichtend. Vor den Mahlzeiten wird der Inhalt beider Predigten schriftlich und mündlich abgefragt. Die Predigt am Mittwoch darf man sich ohne diese Drohung anhören. Es erstaunt nicht, dass von einem Studenten in einem Brief an sei-

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AaO., 68.

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ne Familie von einem monastischen Lebensstil gesprochen wird. 109 Faktisch ist dies auch die Ordnung in den alten Klosterschulen. In den Sommermonaten studiert jeder auf seinem Zimmer, das heißt, in den früheren Klosterzellen. Im Winter gibt es einen geheizten, gemeinschaftlichen Raum, wo studiert werden kann. Auch die Mahlzeiten sind gemeinsam, wenn es auch drei verschiedene Tafeln gibt, eine für die Studenten, eine für die Dozenten und ihre Gäste und eine für ehemalige Studenten, die offenbar schon einmal nach Heidelberg zurückkehrten. Über das Essen im Sapientium wird wenig geklagt, im Gegenteil, jede Mahlzeit hatte mehrere Gänge und es gibt immer genügend Fleisch und Wein. Allerdings kennen wir die Klage eines Studenten, der Schwierigkeiten mit der Tatsache hat, selbst sein Bett machen zu müssen. Dieses straffe Programm bedeutet nicht direkt, dass das Benehmen der Studenten damit korrespondiert. Als Reaktion auf das Gesuch zur Aufnahme zweier Studenten aus Bern und eines aus Zürich kann Daniel Tossanus in einem Brief an den Prediger von Bern, Abraham Musculus, nicht direkt positiv reagieren. Von der Leitung des collegium aus wird geklagt, dass man nicht nur zu viele Gesuche erhält, sondern vor allem auch, dass es ziemlich viele Studenten gibt, die sich nicht an die Regeln des Hauses halten, weil sie frei sein wollen und darum die Zügellosigkeit im collegium zunimmt. Tossanus muss dann auch gestehen, dass es nun in diesem collegium ziemlich wild zugeht, das doch immer seine strenge Disziplin bekannt war. 110 Bemerkenswert ist nämlich, dass der Brief von Tossanus und der des Studenten aus demselben Jahr stammen. Offenbar gibt es zwischen Studenten und Dozenten einen Unterschied im Erleben, wenn es darum geht, was Disziplin und was Zügellosigkeit ist.

XIII. Studenten allgemein Weil die Theologiestudenten, ebenso wie ihre Kollegen in Jura und Medizin, alle zuerst die artistische Fakultät durchlaufen haben, muss für ein Lebensbild an der theologischen Fakultät auch ein Blick auf die Gesamtheit der Studentenschaft geworfen werden. Auch im sogenannten calvinistischen Heidelberg kam es zu Spannungen und Konflikten zwischen Bürgerschaft und Studenten, wobei der sogenannte „Studentenkrieg", der vom 1. bis 7. September 1586 zwischen den Bürgern von Heidelberg, und den

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„ M o n a s t i c a m degens vitam in d o m o a Sapientia c o g n o m i n a t a . " AaO., 80. „[...] et nescio quid petulantiae in illam domum, in qua hactenus severa est disciplina." AaO., 29. 110

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Studenten geführt wurde, wohl der bekannteste ist. 111 Wegen der vielen nächtlichen Schlägereien mit und zwischen Studenten musste 1590 beschlossen werden, dass Studenten nach 21.00 Uhr ihr Haus nicht mehr verlassen durften. Die Reformmaßnahmen, die Ottheinrich 1558 durchführte, enthielten auch Bestimmungen für den Gang der Dinge in den „bursae". Es geht hier um die Häuser, wo die Studenten unter der Leitung eines Magisters wohnten und wo sie auch einen Teil des Unterrichts erhielten. Eine der Bestimmungen war, dass diese Häuser regelmäßig visitiert werden sollten. 112 Die erhalten gebliebenen Protokolle dieser Visitationen liefern einen Eindruck von dem täglichen Leben der Studenten, wenn dies auch ein einseitiges Bild ist, weil, wie es für Visitationsberichte typisch ist, überwiegend negative Dinge berichtet werden." 3 Gleichfalls gibt es Jahre, in denen von gebührendem Benehmen und gutem Studienfortschritt berichtet wird. 1 ' 4 Berücksichtigt man die ausführliche Weise, in der der Rektor Studenten und Dozenten nach einer solchen Visitation gratuliert, ist es berechtigt, anzunehmen, dass es hier um Ausnahmen geht. 115 Die durchgehende Linie in den Berichten ist die von Klagen und Ermahnungen. Von der Seite der Studenten beziehen diese sich in beinahe allen Fällen auf Essen und Trinken. So beklagen sie sich häufig darüber, dass das Essen ungenügend sei, 111

D a n i e l T o s s a n u s b e r i c h t e t v o n d i e s e m S t r e i t in s e i n e m B r i e f an d e n P r e d i g e r v o n

Bern, A b r a h a m M u s c u l u s : „erat perturbata propter t u m u l t u m , qui absente Illustrissimo P r i n c i p e i n t e r s t u d i o s o s et c i v e s e x c i t a t u s f u i t [...]." A a O . , 2 8 . 112

( § 14) V o n v i s i t i e r u n g d e r b u r s e n , c o l l e g i i u n d D i o n i s i a n e r h a u s . I t e m w o l l e n w i r ,

d a s ein i e d e r r e c t o r s a m p t d e m alten u n d n e u e n d e c a n o d e r a r t i s t e n f a c u l t e t u n d s o n s t zweien den eltisten und d e m consilio universitatis v e r w a n d t e n seinen consiliariis oder ass e s s o r i b u s z u i e d e r f r o n v a s t e n o d e r z u m w e n i g s t e n a l l e h a l b e iar e i n m a h l d a s c o l l e g i u m artistarum, D i o n i s i e r h a u ß und die andern bursen visitire, bei den egenten und andern beid e s ihr n d d e r S t u d e n t e n l e b e n u n d w e s e n m i t f l e i ß i n q u i r i e r u n d e r l e r n e , d e m n a c h d a s u b e l u n d d i e u b e r f a h r e r p e p u i r l i c h e r w e i s e s t r a f f e , sie z u r l e h r e u n d t u g e n t e n v e r m a h n e u n d a n h a l t e , a u c h w a s f ü r f e h l u n d m a n g e l a l l e n t h a l b e n seie, e r f o r s c h e u n d e r k h u n d i g e u n d , w a ß er d e s s e l b e n f ü r s i c h z u v e r r i c h t e n n i c h t g n u g s a m , n a c h m a h l s u n d z u r v e s t e n g e l e g e n h e i t an d i e u n i v e r s i t e t l a s s e g e l a n g e n , w e l c h e a l ß d a n n a u f s e h e n s h a b e n soll, d a m i t a l l e d i n g in s e i n e m r e c h t e n u n d g e p u r l i c h e n w e s e n u n d g a n g e r h a l t e n w e r d e n . THORBEKKE, S t a t u t e n , 17. J o h a n n C a s i m i r e r h ö h t d i e F r e q u e n z a u f e i n m a l p r o Q u a r t a l , a a O . , 2 2 5 . In d e r P r a x i s f r e i l i c h g e s c h i e h t es j e d e s h a l b e J a h r . 113

Protocollum Contubernii, Visitation und R e c h n u n g s p r ü f u n g von 1568-1615, bear-

b e i t e t v o n GERHARD MERKEL, H e i d e l b e r g 2 0 0 0 . 114

So berichtet M a g i s t e r Ionstonus: „ D e disciplina nihil habeo, q u o d c o n q u e r o r : iam

v i v i t u r h o c t e m p o r e s u m m a in t r a n q u i l l i t a t e . D e c a e t e r o n i h i l e t i a m c o n q u e r o r , n a m in m o r i b u s , si q u i d p e c c a t u r , m o n e m u s . C u r a m l e c t i o n u m n o n h a b e m u s . " A a O . , 129. 115

„ D o c t i s s i m i et o r n a t i s s i m i i u v e n e s , a u d i v i m u s , q u a e d i c t a s u n t et g r a t u l a m u r v o b i s

d e d i s c i p l i n a , m o r i b u s , q u o d n u l l a s , a u d i v i m u s q u r e l a s . R o g a m u s , ut s i n g u l i s u o l o c o in o f f i c i o p e r s e v e r a r e et m a n e r e . E n t o t d e m a g i s t r i D o c t i s s i m i viri, l a u d a m u s v e r s t r a m dilig e n t i a m in c o n s e r v a n d a d i s c i p l i n a , m o n e m u s , ut p e r g a t i s . " A a O . , 131.

Eine attraktive

Universität

29

sowohl was die Temperatur, die Menge als auch die Qualität betrifft. Der Wein ist gleichfalls mangelhaft, vor allem was die Menge anbelangt. Auch ist man nicht gut auf das Preis-Qualitätsverhältnis des Weins zu sprechen. Diese Klagen werden manchmal auch von den Visitatoren anerkannt und so wird der oeconomos ermahnt, besseren Wein zu liefern und in den Küchen zuzusehen, dass das Fleisch gar serviert wird. 116 Der oeconomos hat freilich auch seine eigenen, recht vielseitigen, Klagen. Bei der Visitation vom 7. Dezember 1593 fordert er, dass die Toilette - das Häuschen, das sich im Garten befindet - kurzfristig gereinigt werden muss. Das hatte eigentlich schon vor zwei Jahren geschehen müssen, aber jetzt ist sie doch wirklich ganz verstopft. 1 1 7 Auch klagt er darüber, dass er stets aus eigener Tasche Kerzen kommen lassen muss, weil die Professoren in dieser Jahreszeit Licht brauchen, wenn sie in die Häuser kommen, um Lektionen zu geben. Die Visitatoren geben ihm in diesem Punkt recht. Wenn die Professoren Licht brauchen, sollen sie ihre eigenen Kerzen mitnehmen. 1 1 8 Was die Toilette betrifft, ertönt eine Reaktion, wie sie in jedem Jahrhundert gehört werden kann: man wird protokollieren und dem Senat melden. 1 1 9 Die Klagen des Rektors sind enthüllend. Ober die Magister hört er nämlich, dass manche Studenten unverschämt sind und viel zu viel lachen. Auch schwatzen sie während der Bibellektüre oder lachen während des Gebets. 1 2 0 Es wird manchmal bis vier Uhr morgens gefeiert 121 und viele kommen angetrunken zur Tafel. 122 Viele legen ihre Waffen nicht ab und tragen ihren Degen sogar während des Essens. Ein Problem ist auch, dass Brot und Besteck mitgenommen werden, die darauf jugendlichen Bettlern gegeben werden, die als Gegenleistung zu allen möglichen Terminen Wein besorgen. Störend ist auch das Benehmen einiger, zur Tafel zu kommen, ohne dem oeconomos Bescheid gegeben zu haben bzw. dann wiederum verschwunden zu bleiben. Als Beispiel für jemanden, der kommt und geht, wie es ihm passt, wird namentlich Hermann Reineker (besser bekannt als Rennecherus) genannt. 1 2 3 Es gibt ziemlich viele, die in ihren Zahlungen für Kost, Wohnung und Unterricht träge sind. 124 Ihre Späße gehen auch zu weit, wie wenn der Mantel des Studenten Becker im Ofen verbrannt wird. Auch stößt die Gewohnheit vieler Studenten auf, nach der Mahlzeit an die 116

AaO., 169. AaO., 171. 118 AaO., 172. 119 „De cloaca purganda: deferendum ad senatum." AaO., 175. 120 AaO., 115. 121 Ebd. 122 „Multos venire ad coenam abrios, [...]." AaO., 158. 123 „Item, sie zihen hinweg und tretten zum disch ohn sein vorwissen, ut proxime Hermannus Reineckerus." AaO., 172. 124 AaO., 155. 117

30

Herman J. Selderhuis

Außenmauer zu urinieren. 125 1600 wird darüber geklagt, dass viele Studenten sich durch Schuldenmachen, das Verursachen von Krawallen, unsittliches Benehmen und Verachtung der Wissenschaft auszeichnen. Bei Vorlesungen fehlen sie soviel wie möglich, weil die Ansicht um sich greift, dass, wer fleißig ist, nicht als echter Student angesehen werden kann. Nun geht es hier, wie gesagt, um die Gesamtheit der Studenten und es muss untersucht werden, inwieweit auch die Theologiestudenten hierunter fallen. Dem Resultat dieser Untersuchung kann mit Furcht entgegengesehen werden.

XIV. Schluss Wegen dieser Blüteperiode hat die Heidelberger Universität in der historischen Forschung mehr als einmal den Namen „Genf des Nordens" oder das dritte - Leidens Universität war dann das zweite - Genf erhalten, eine Bezeichnung, die als Auszeichnung gemeint war. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage nach Sinn und Wert solcher Bezeichnungen gilt es ihren Wahrheitsgehalt zu hinterfragen. 1 2 6 Für die theologische Fakultät bedeutet der Name auf jeden Fall eine Abwertung der Eigenheit Heidelbergs. Darum ist er wegen der eigenen Theologie von Heidelberg auch nicht ganz richtig. Die Internationalität von Heidelberg hängt gewiss mit dem internationalen Charakter des Calvinismus zusammen. Das erklärt freilich nicht genügend die Attraktivität dieser Einrichtung. Es gehört sich, zu diesen und anderen Faktoren vor allem die Heidelberger Theologie zu nennen, die in ihrer Ökumenizität reformiert geblieben ist. Ökumene und Irenik konnten damals freilich nicht über Polemik und Konfessionalismus siegen. Möglicherweise hat die Heidelberger Theologie heute mehr Chancen, vorausgesetzt, dass sie wieder eine Universität findet, wo sie gelehrt und durchlebt werden kann.

125 „Wan sie gest haben, so reddiren sie urinam für der communitet ad parietes, doch werden die gebeuw verfaultt." AaO., 107. 126 H A M M E R S T E I N , University, 116, setzt ebenfalls Randbemerkungen zu diesen Namen.

Reformed Theological Education at the Bremen Gymnasium Illustre1 W I M JANSE

I. Introduction: Reformed higher education in Germany In the Holy Roman Empire, early modern confessional education policy had three options for Reformed university education: firstly, renouncing the necessary imperial privileges for founding a new university and sending students to institutions that remained outside the Emperor's jurisdiction, secondly restructuring existing universities to become Reformed institutions, or thirdly, founding colleges for higher education or academies, a step below university level. 2 A great many students took refuge abroad, especially in the Dutch Republic: in Leiden (1575), Franeker (1585), Groningen (1614), Utrecht (1636), and Harderwijk (1648). Of the German universities, those of Heidelberg (1561), Marburg (1605), and Frankfurt on the Oder (1616) received a Reformed stamp. In the Reformed territories of Germany, educational institutions of the type of the gymnasium academicum or gymnasium illustre were founded: in Neustadt (1578), Danzig (1580), Zerbst (1582), Herborn (1584), Bremen (1584), Burgsteinfurt

1

Earlier versions of this essay were prepared for the first international meeting Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung at the Institut für Europäische Geschichte, Mainz, 10-12 June 2003, and were presented at the sixth Rheinisches Calvin-Symposion at the Vrije Universiteit Amsterdam, 14 June 2003, and the Sixteenth Century Studies Conference in Pittsburgh, PA, 31 October 2003. Travel for this paper was supported by the Stichting Leids Universiteits-Fonds. I am indebted to Ineke Smit (Leiden) for linguistical assistance. The following references are not exhaustive. 2 See, e.g., HERMANN PIXBERG, Der deutsche Calvinismus und die Pädagogik, Gladbeck [1952]; O. WEBER, Art. Reformierte Hohe Schulen in Deutschland, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3rd ed., 5: 883-4; NOTKER HAMMERSTEIN, Bildung und Wissenschaft vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, München 2003 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 64), 3 3 - 5 , 8 3 - 6 ; GERHARD MENK, Das Bildungswesen in den deutschen prot e s t a n t i s c h e n T e r r i t o r i e n d e r F r ü h e n N e u z e i t , in: HEINZ SCHILLING/STEFAN EHRENPREIS

(eds.), Erziehung und Schulwesen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung. Forschungsperspektiven, europäische Fallbeispiele und Hilfsmittel, Münster 2003, 5 5 99.

WimJanse

32

(1591), Beuthen (1601), and elsewhere. 3 These were modeled on the examples of the Strasbourg Gymnasium, founded in 1538 by the humanist Johann Sturm, 4 and the Genevan Collège or schola privata and Academy or schola publico (1559). 5 These German gymnasia illustria had chairs for theology and law, sometimes also for medicine and philosophy. As they were not entitled to the ius promovendi, they could not develop into full-scale universities. Their structure with a rector and senate usually did resemble that of the universities. The academies of Herborn 6 and Bremen grew to special significance. In these institutions the philosophic method of Ramism was usually held in high esteem because of its practical-humanistic orientation, its limitation of dialectic to formal logic, and the high status it accorded to pedagogy, didactics, etymology, philology, exegesis, and rhetoric school3 Cf. WALTER RÜEGG, Art. Gymnasium. I. Althumanistisch, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3rd ed., 2 (1958): 1920; cf. MANFRED LANDFESTER, Gymnasium, antikes und neuzeitliches, in: ibid., 4th ed., 3 (2000): 1357-8; GERHARD MENK, Die kalvinistischen Hochschulen und ihre Städte im konfessionellen Zeitalter, in: H. DUCHHARDT (ed.), Stadt und Universität, Köln etc. 1993, 83-106; A. SEIFFERT, Das höhere Schulwesen. Universitäten und Gymnasien, in: C. BERG et al. (eds.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, 6 vols., München 1987-98, I: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, 197-374, 292-305. HAMMERSTEIN, Bildung und Wissenschaft (see above, n. 2), esp. 33-5, 112-3, 126-7. 4 The higher classes of this Gymnasium were elevated to the position of Academy in 1566 and to that of Volluniversität in 1621. On the Strasbourg Gymnasium, see GERHARD MEYER, ZU den Anfangen der Strassburger Universität. Neue Forschungsergebnisse zur Herkunft der Studentenschaft und zur verlorenen Matrikel. Aus dem Nachlass des Verfassers herausgegeben und bearbeitet von HANS-GEORG ROTT und

MATTHIAS MEYER, H i l d e s h e i m etc. 1 9 8 9 ( H i s t o r i s c h e T e x t e u n d S t u d i e n

11); ANTON

SCHINDLING, Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt: Gymnasium und Akademie in Strassburg 1538-1621, Wiesbaden 1977 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 77: Abt. Universalgeschichte); IDEM, L'école latine et l'Académie de 1538 à 1621, in: Histoire du Gymnase Jean Sturm. Berceau de l ' U n i v e r s i t é d e S t r a s b o u r g 1 5 3 8 - 1 9 8 8 , e d s . PIERRE SCHANG/GEORGES LIVET, S t r a s b o u r g

1988 (Société Savante d'Alsace et des Régions de l'Est, Collection Grandes Publications 34), 7 - 1 5 4 . 5

See KARIN MAAG, Seminary or University? The Genevan Academy and Reformed Higher Education, 1560-1620, Aldershot 1995 (St Andrews Studies in Reformation History). 6 GERHARD MENK, Die Hohe Schule Herborn in ihrer Frühzeit (1584-1660). Ein Beitrag zum Hochschulwesen des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation, Wiesbaden 1981 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 30); IDEM, Die Hohe Schule Herborn, der deutsche Kalvinismus und die westliche Welt, in: Jahrbuch der Hessischen kirchengeschichtlichen Vereinigung 36 (1985), 351-69; G.A. BENRATH, Die Theologische Fakultät der Hohen Schule Herborn im Zeitalter der reformierten Orthodoxie (1584-1634), in: Jahrbuch der Hessischen kirchengeschichtlichen Vereinigung 36 (1985), 1 - 1 7 .

The Bremen Gymnasium

Illustre

33

ing for the purpose of religious polemics. 7 Relations with Geneva, where Ramism had been rejected in favor of Aristotelianism, were not exactly smooth; 8 so much the better those with Zurich, where the spirit of the infralapsarianist Heinrich Bullinger still lingered. 9 Theologically speaking these deutschreformierte academies were situated in the transitional area as opposed to orthodox, predestinarían Calvinism - between Philippistic Calvinism and Coccejan federal theology. Philippistic Calvinism carried the stamp of the later Philipp Melanchthon and the Heidelberg Catechism (1563), which with its election of the congregation 10 managed to circumvent the actual predestination problem. Coccejanism almost overcame the orthodoxy and paved the way for Pietism and the Enlightenment with its return from dogmatics to exegesis, and its salvation-historic approach to God's redemption of mankind." The focus of this essay will be on the Bremen Gymnasium. 1 See above, n. 6, and also JÜRGEN MOLTMANN, Zur Bedeutung des Petrus Ramus für Philosophie und Theologie im Calvinismus, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 68

(1957),

295-318;

GERHARD MENK,

Kalvinismus

und

Pädagogik.

Matthias

Martinius

( 1 5 7 2 - 1 6 3 0 ) und der Einfluß der Herborner Hohen Schule auf Johann Arnos Comenius, in: N a s s a u i s c h e A n n a l e n 91 ( 1 9 8 0 ) , 7 7 - 1 0 4 , 81 ff.; CHRISTOPH STROHM, A r t . R a m u s , P e -

trus, in: Theologische Realenzyklopädie 28 (1997): 129-33; IDEM, Theologie und Zeitgeist. Beobachtungen zum Siegeszug der Methode des Petrus Ramus am Beginn der Moderne, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 110 (1999), 3 5 2 - 7 1 ; IDEM, MelanchthonRezeption im frühen Calvinismus, in: Dona Melanchthoniana. Festgabe für Heinz Scheible zum

7 0 . G e b u r t s t a g , e d . JOHANNA L O E H R , S t u t t g a r t - B a d

Cannstatt 2001,

433-55,

4 4 2 - 3 ; MORDECHAI FEINGOLD et al. (eds.), The Influence of Petrus Ramus: Studies in Sixteenth and Seventeenth Century Philosophy and Sciences, Basel 2001 (Schwabe Philosophica 1); [KEES MEERHOFF et al.], Ramus et l'Université, Paris 2004 (Cahiers Saulnier 21). With regard to Bremen, see THOMAS ELSMANN, Das Bremer Gymnasium Illustre und seine Vorläufer in ihrer Bedeutung für den Ramismus in Deutschland ( 1 5 6 0 - 1 6 3 0 ) , in: Norther Humanism in European Context, 1469-1625: From ,Adwert A c a d e m y ' to Ubbo Emmius, eds. F. AKKERMAN e.a., Leiden etc. 1999 (Brill's Studies in Intellectual History 94), 9 9 - 1 0 8 . THOMAS ELSMANN, The Influence of Ramism on the Academies of Bremen and Danzig: A Comparison, in: FEINGOLD et al. (eds.), Ramus, 5 4 - 6 7 . 8 See, e.g., with regard to the Bremen Gymnasium: FRIEDRICH PROSER, Bremen und die Universität Marburg im ersten Jahrhundert ihres Bestehens, in: Bremisches Jahrbuch 31 (1928), 181-267, 247. 9 See with respect to Bremen: FRIEDRICH PRUSER, Das Bremer Gymnasium Illustre in seinen landschaftlichen und personellen Beziehungen, Bremen 1961 (previously in: Bremisches Jahrbuch 45 (1957), 5 2 - 9 8 ; 46 (1959), 134-55; and 47 (1961), 6 4 - 9 8 ) , 5 0 - 4 . 10 Catechismus oder christlicher Underricht, wie der in Kirchen und Schulen der churfürstlichen Pfaltz getrieben wirdt, Der 7. Sonntag, 20. Frage/Antwort; Der 20. Sonntag, 54. Frage/Antwort, in: De Nederlandse belijdenisgeschriften in authentieke teksten met inleiding en tekstvergelijkingen, ed. J.N. BAKHUIZEN VAN DEN BRINK, 2nd ed., Amsterdam 1976, 149-223, 162, 178. " Cf. CHRISTOPH STROHM, Calvinismus, in: Evangelisches Soziallexikon, eds. MARTIN H O N E C K E R e t a l . , S t u t t g a r t e t c . 2 0 0 1 , 2 3 1 - 8 .

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34

II. Reformed Bremen A Hanseatic city, Bremen was among the economic and political centers of Northern Germany, together with Lübeck, Hamburg, Lüneburg, and Brunswick. 1 2 With respect to religion, it also constituted the focal point of North German Reformed Protestantism from the 1560s onwards, together with Emden in East Friesland. While Emden developed into the ,mother church' of nascent Dutch Calvinism, 1 3 Bremen came to be, partly under Dutch influence, a Reformed city with a tradition and character of its own. 14 Pioneer Bremen reformers were the Dutch Augustinian friars Heinrich von Zütphen and Jakob Propst, and Johann Timann from Amsterdam. In 1547 the Dutchman Albert Hardenberg was appointed the first Protestant cathedral preacher; he was a pupil of the Strasbourg reformer Martin Bucer and a friend of Melanchthon's. 1 5 After Hardenberg's clash with Timann over the latter's Brenzian understanding of ubiquity, Daniel von Büren, the town's mayor and a pupil of Melanchthon's, led Bremen out of the gnesio-Lutheran camp in 1562. 16

12

On Bremen, see esp. HERBERT SCHWARZWÄLDER, Geschichte der freien Hansestadt Bremen, I: Von den Anfangen bis zur Franzosenzeit (1810), 2nd ed., Bremen 1995; IDEM, Bremen im 17. Jahrhundert. Glanz und Elend einer alten Hansestadt, Bremen 1996; cf. WERNER KLOOS/REINHOLD THIEL, B r e m e r L e x i k o n . Ein S c h l ü s s e l zu B r e m e n , 3 r d ed.,

Bremen 1997; HERBERT SCHWARZWÄLDER, Das große Bremen-Lexikon, Bremen 2002. 13 ANDREW PETTEGREE, Emden and the Dutch Revolt: Exile and the Development of Reformed Protestantism, Oxford 1992. 14 ORTWIN RUDLOFF, Art. Bremen, in: Theologische Realenzyklopädie 7 (1980): 15368; HANS-WALTER KRUMWIEDE, Kirchengeschichte. Geschichte der evangelischen Kirche von der Reformation bis 1803, in: Geschichte Niedersachsens, ed. HANS PATZE, 3/2: Kirche und Kultur von der Reformation bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Hildesheim 1983, 1-216; HANS-GEORG ASCHOFF, Bremen, Erzstift und Stadt, in: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1 5 0 0 - 1 6 5 0 , e d s . ANTON SCHINDLING/WALTER ZIEGLER, 7 v o l s . , M ü n s t e r 1 9 8 9 - 9 7 ( K a -

tholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 49-53, 56, 57), III, 44-57; ANNELIESE SPRENGLER-RUPPENTHAL, Art. Bremen, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 4th ed., 1 (1998): 1745-8. 15 WIM JANSE, Albert Hardenberg als Theologe. Profil eines Bucer-Schülers, Leiden etc. 1994 (Studies in the History of Christian Thought 57); IDEM, Art. Hardenberg, Albert (ca. 1510-1574), in: Biografisch Lexicon voor de Geschiedenis van het Nederlandse Protestantisme 5 (2001), 226-8; IDEM, Albert Rizäus Hardenberg und sein Wirken als Domprediger, 1547-1561, in: Hospitium Ecclesiae 22 (2003), 43-53. 16 PETER F. BARTON, Umsturz in Bremen, in: Geschichtsmächtigkeit und Geduld, ed. G. FITZER, München 1972 (Sonderheft Evangelischer Theologie), 66-76; IDEM, Der erwählte Bremer Superintendent Heshusius und die lutherische Spätreformation, in: Hospitium Ecclesiae 10 (1976), 21-36; WIM JANSE, Art. Timann (Tiemann, Tiedemann), Johannes, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3rd ed., 10 (2001): 40-1; also, in

The Bremen Gymnasium

Illustre

35

The Formula Concordiae (1577) and the Konkordienbuch (1580) effected the separation from confessional Lutheranism. From then on Bremen held to the Corpus doctrinae Philippi (1560). It was no longer Wittenberg that functioned as its advisory body, but Heidelberg. 17 The introduction of a Reformed confession according to the Nassau-Palatinate model, the Bremen Consensus (1595), written by superintendent Christoph Pezel (15391604), completed and consolidated Bremen's theological and political transition to Calvinism. The Consensus attached itself to the Augsburg and the Second Helvetic Confessions (1530, 1566); for nearly two centuries, until 1784, all preachers had to sign it. Moreover, around 1600 the Heidelberg Catechism (1563) was introduced. The Augsburg Confession remained important for political considerations. 18 Ecclesiastical structure followed the Zwinglian model: the magistrates' control over the church, including the ius in sacra, remained unchallenged. 19 The municipal authorities also instilled Reformed morals into the population by means of countless regulations regarding special days for fasting, penance, prayer, and holidays; 20 rules on dress and customs pertaining to betrothals, marriage, weddings, infant baptism, christening feasts, wakes and funerals; 21 and ordinances regarding schools, 22 the poor, and almsgiving. 23 English, in: Dictionary of the Reformation, ed. K. GANZER/B. STEINER, New York 2004 (The Encyclopedia of Theology and Church), 308-9. 17 WIM JANSE, Wittenberg 'calvinizans': The Involvement of Melanchthon, Peucer, and Eber in the Bremen Sacramentarían Controversy, 1560, in: WILHELM H. NEUSER/HERMAN J. SELDERHUIS (eds.), ,Ordenlich und fruchtbar'. Festschrift für Prof. Willem van 't Spijker, Leiden 1997, 53-67. 18 Cf. JOH. FRIEDRICH IKEN, Die Wirksamkeit des Christoph Pezelius in Bremen 1580 bis 1604, in: Bremisches Jahrbuch 9 (1877), 1-54; IDEM, Der Consensus Ministerii Brem e n s i s E c c l e s i a e v o n 1 5 9 5 , in: B r e m i s c h e s J a h r b u c h 10 ( 1 8 7 8 ) , 8 4 - 1 0 5 ; JÜRGEN MOLT-

MANN, Christoph Pezel (1539-1604) und der Calvinismus in Bremen, Bremen 1958 (Hospitium Ecclesiae 2); ERNST KOCH, Art. Pezel, Christoph, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 4th ed., 6 (2003): 1184. 19 Cf. RUDLOFF, Bremen (see above, n. 14), 158-9; KRUMWIEDE, Kirchengeschichte (see above, n. 14), 22-3, 147, 173. 20 See, e.g., Danck-, Fast-, Büß- und Bett-Fest, wie solches angeordnet, und geliebts Gott, gehalten werden sol in den Hertzogthumben Brehmen und Vehrden auff den 29. Aprilis anno 1651, [Bremen]: s.n. [1651], copy: Staats- und Universitätsbibliothek (hereafter cited as: SUB) Bremen, C.S.74. Nr. 11; Form des beliebten Extraordinari Fast-, Bußund Bettags, wie derselbe [...] gehalten sol werden in [...] Bremen, den 5. April im Jahr 1654, Bremen: de Villiers 1654, copy: SUB Bremen, 53.C.1147. Nr.17. 21 See, e.g., Ordnung eines Erbaren Rahdes der Stadt Bremen, wo idt henforder mit den Kosten, Bruttwagen und anderen Fruwliken Clenodien, Kindelbeeren und Begreffnissen in öhrer Stadt, Als ock mit den Kosten und Kindelbeeren in den Veer Gohen und des Rahdes gebede, geholden werden schöle, Bremen: Arent Wessel 1587, copy: SUB Bremen, C.S.75. Nr.la.; Ordnung eines erbaren Rahts der Stadt Bremen, wie es hinführo

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The church-political aspect of the economic treaty Bremen concluded with the States General of the Calvinist Netherlands in 1616 (driven by the anti-Spanish and anti-Danish Hanseatic policy) 24 was reflected in Bremen's official participation - at the invitation of the organizers - in the Dordrecht Synod (1618-19) and in the undersigning of its resolutions against the Remonstrant faction. 25 Bremen was a one hundred percent Reformed city. At the Peace of Westphalia in 1648 the Reformed character of the Bremen church was recognized by state law. 26

III. Bremen's Schola Illustris as a stronghold of Reformed education In the Wittenberg Leges academiae of 1545, Melanchthon had called the schools ,the Church's storm troops' {praecipuum agmen ecclesiae).27 This proved also true for Bremen. The driving force and center of the intellectual, economic, socio-political, and spiritual life of Bremen was its ,favored child', 2 8 the Gymnasium Illustre (1528-1810). 2 9 The school provided mit den Verlöbnissen, hochzeiten, kindtauffen, Kirchgängen, begräbnussen und bezahlung dero fenster, und was dem allen anhängig, in der vorstadt, wie auch den Stadt Bremischen Aembtern und Gerichten auf dem Lande sol gehalten werden, Bremen: de Villiers 1634, copy: SUB Bremen, Brem.a.842.A.5; Ordnung, wornach sich eines E. Hochweisen Rahts der Stadt Bremen Unterthanen uffm Lande, in den Gerichten und Goh-Gräffschaften, mit den Hochzeiten, Kindertauffen, Todtenwachen, Traur hier und sonsten zu verhalten, Bremen: Wessel 1660, copy: SUB Bremen, Brem.b.l 199.H.C.7. 22 See, e.g., Eines Ehrbarn Rahts der Stadt Bremen Schul-Ordnung, Bremen: Peters 1592, copy: SUB Bremen, Brem.a.329. Nr.3. 23 See, e.g., Erneuerte Armen- und Allmosen-Ordnung eines edlen ehrnvesten hochweisen Raths der Käyserlichen freyen Reicht Stadt Bremen, Bremen: Wessels 1658, copy: SUB Bremen, Brem.a.838. Cf. Realregister über die Verordnungen und Proclamen des Senats der freyen Hansestadt Bremen von 1600 bis 1830 Bremen 1832. 24 SCHWARZWÄLDER, Geschichte (see above, n. 12), I, 274. 25 See JOH. FRIEDRICH IKEN, Bremen und die Synode zu Dordrecht, in: Bremisches Jahrbuch 10 (1878), 1 1-83; H. KAAJAN, De groote Synode van Dordrecht in 1618-1619, Amsterdam [1918], esp. 4 2 - 7 ; see also below, n. 87. 26 KRUMWIEDE, Kirchengeschichte (see above, n. 14), 147. 27 Leges academiae Witebergensis de studiis et moribus auditorum [...] (1545), in: Urkundenbuch der Universität Wittenberg, ed. WALTER FRIEDENSBURG, 2 vols., Magdeburg 1926-7 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, Neue Reihe, 3-4), I: 1502-1611, 255-261, 257. 28 JOH. FRIEDRICH IKEN, Das Bremische Gymnasium Illustre im 17. Jahrhundert, in: Bremisches Jahrbuch 12 (1883), 1-34, 34: ,[...] des sogenannten Gymnasium Illustre, des damaligen Schosskindes unserer alten Republik und Handelsstadt'. 29 On this school, see ibid.; AUGUST THOLUCK, Das akademische Leben des siebzehnten Jahrhunderts mit besonderer Beziehung auf die protestantisch-theologischen Fakultä-

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Illustre

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lawyers for the municipal government, 30 doctors for the medical services, 31 and theologians for the city churches. It contributed so much to the general level of culture of the city that after a while (non-theologian) praeceptores and professores could be recruited from Bremen's own ranks. In short, the Schola Illustris made Bremen a ,republic of learning', 32 and was responsible for the high standing Bremen scholars enjoyed at other universities, and the esteem in which Bremen preachers and schoolteachers were held abroad. 33 Started in 1528 as a Latin school - in what had been the Dominican St. Catherine's convent behind the present Sogestrasse 34 - , its star rose rapidly

ten Deutschlands, nach handschriftlichen Quellen, 2 vols., Halle 1853, II, 296-302; HERMANN ENTHOLT, Geschichte des Bremer Gymnasiums bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Bremen 1899; IDEM, Das bremische Gymnasium von 1765-1817, in: Bremisches Jahrbuch 22 (1909), 9 - 1 2 0 ; IDEM, Geistiges Leben Bremens in 400 Jahren: Forschungsberichte, Bremen 1936 (Schriften der Bremer wissenschaftlichen Gesellschaft, Reihe D); Festschrift zur Vierhundertjahrfeier des Alten Gymnasiums zu Bremen 1528-1928, Bremen 1928; PROSER, Bremen und die Universität Marburg (see above, n. 8); IDEM, Das Bremer Gymnasium Illustre (see above, n. 9); ALFRED SCHMIDTMAYER, Die Beziehungen des Bremer Gymnasium Illustre zu J.A. Comenius und den mährischen Brüdern, in: Bremisches Jahrbuch 33 (1931), 305-47; IDEM, Bremen als .Herberge der Kirche' im 17. und 18. Jahrhundert, in: Bremisches Jahrbuch 34 (1933), 103-17; 450 Jahre Altes Gymnasium zu Bremen 1528-1978, ed. Initiativkreis 450-Jahr-Feier des Altes Gymnasiums z u B r e m e n , B r e m e n 1 9 7 8 ; HELGARD WARNS/RALF SCHNEIDER ( e d s . ) , D i e G e s c h i c h t e ei-

ner Penne. Das Alte Gymnasium zu Bremen, Bremen 1985, repr. 1999; THOMAS ELSMANN, Humanismus in Bremen. Christoph Pezel, Philipp Melanchthon und die ,Institutio Traiani', in: 1200 Jahre St. Petri-Dom in Bremen, Bremen 1989 (Hospitium Ecclesiae 17), 77-112; OLIVER ROSTECK, Bremische Musikgeschichte von der Reformation bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Bremen 1999, passim; GODHARD O.A. TIETZE (ed.), 475 Jahre Altes Gymnasium zu Bremen 1528-2003, Bremen [2003]; WIM JANSE, Grenzeloos gereformeerd. Theologie aan het Bremer Gymnasium Illustre (1528-1810), Amsterdam 2004; IDEM, Theologenausbildung am Bremer Gymnasium Illustre (1528-1810), in: IDEM/BARBARA PLTKIN (eds.), The Formation of Clerical and Confessional Identities in ther Sixteenth Century, Leiden etc. 2006 (Dutch Review of Church History 85). 30

IKEN, Das Bremische Gymnasium Illustre (see above, n. 28), 2 0 - 1 , 31. Cf. Biographische Skizzen verstorbener bremischer Ärzte und Naturforscher. Eine Festgabe für die zwei und zwanzigste Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Bremen vom Ärztlichen Vereine zu Bremen, Bremen 1844; HEINZ SCHECKER, Bremer Mediziner der Barockzeit, in: Bremisches Jahrbuch 33 (1931), 348-67; IDEM, Bremer Mediziner des 18. Jahrhunderts, in: Bremisches Jahrbuch 34 (1933), 131-61. 32 IKEN, Das Bremische Gymnasium Illustre (see above, n. 28), 34. 31

33

PRÜSER, B r e m e n u n d d i e U n i v e r s i t ä t M a r b u r g ( s e e a b o v e , n. 8), 2 1 6 - 7 , 2 1 9 - 2 0 . S e e

also HEINRICH WILHELM ROTERMUND'S still indispensable Lexikon aller Gelehrten, die seit der Reformation in Bremen gelebt haben, nebst Nachrichten von gebohrnen Bremern, die in andern Ländern Ehrenstellen bekleideten, 2 vols., Bremen 1818; HERBERT SCHWARZWÄLDER, Berühmte Bremer, München 1972. 34 SCHWARZWÄLDER, Bremen im 17. Jahrhundert (see above, n. 12), 42.

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38

under the famous humanists Euricius Cordus from Hessen 35 and Johannes Molanus (1510-83) from Flanders, 36 who was a pupil of Melanchthon's and a member of the Hardenberg party. In the year Herborn was founded (1584), the seven-class paedagogeum (or schola privata) was expanded by a classis prima or publica in which the propaedeutic subjects of the various Faculties were taught. 37 In 1610 the City Council, which had the immediate supervision of the school, dismissed a malfunctioning rector 38 and in his place appointed the progressive pedagogue and famous educational reformer Matthias Martini(us) from Emden (1572-1630, rector 1610-30). 3 9 Martinius had become a professor and rector of the paedagogeum of his 35

PETER DILG, Euricius C o r d u s ( 1 4 8 6 - 1 5 3 5 ) , H u m a n i s t , Dichter, Arzt, A m s t e r d a m

1997. 36 ISAAK CRAMER, Elegia f u n e b r i s in o b i t u m clarissimi et d o c t i s s i m i viri D. Johannis M o l a n i , B r e m a e : T h e o d o r u s G l u i c h s t e i n [1583], c o p y : S U B B r e m e n , B r e m . b . 4 4 6 . N r . 8 ; JÜRGEN MOLTMANN, J o h a n n e s M o l a n u s ( 1 5 1 0 - 1 5 8 3 ) und der Ü b e r g a n g B r e m e n s z u m C a l v i n i s m u s , in: J a h r b u c h der Wittheit zu B r e m e n 1 ( 1 9 5 7 ) , 1 1 9 - 4 1 ; THOMAS ELSMANN, Albert R i z ä u s H a r d e n b e r g u n d J o h a n n e s M o l a n u s in B r e m e n . Z w e i h u m a n i s t e n im k o n f e s s i o n e l l e n Zeitalter, in: W e s s e l G a n s f o r t ( 1 4 1 9 - 1 4 8 9 ) and N o r t h e r n H u m a n i s m , eds. F. AKKERMAN et al., L e i d e n 1993 ( B r i l l ' s S t u d i e s in Intellectual H i s t o r y 40), 1 9 5 - 2 0 9 . Cf. MOLANUS'S B r e v i s a r t i u m et l e c t i o n u m I n d e x , q u i b u s d e o p r a e s i d e aestate v e n i e n t e anni 68 in Schola B r e m e n s i n a v i t e r i n t e n d e m u s , [ B r e m a e : s.n. 1568], copy: S U B B r e m e n , B r e m . b . 4 4 6 . N r . 10; and his D i s c i p l i n a e iam f e r m e m o r i e n t i s Q u e r i m o n i a per I o h a n n e m M o l a n u m , B r e m a e : A. W e s s e l 1580, c o p y : S U B B r e m e n , B r e m . b . 4 5 1 . Nr. 1. 37 See L e g e s p r o m u l g a t a e autoritate a m p l i s s . S e n a t u s B r e m e n s i s c u m m u n u s rectoris scolae c o m m e n d a r e t u r viro clariss. et doctiss. M. J o a c h i m o M e i s t e r o , B r e m a e : T h e o d o r u s G l u i c h s t e i n 1585, copy: S U B B r e m e n , B r e m . b . 4 4 6 , reprinted in: ENTHOLT, G e s c h i c h t e des B r e m e r G y m n a s i u m s (see above, n. 29), B e i l a g e I, 8 2 - 9 2 . Cf. GERHARD MEIER/DIETRICH SAGITTARIUS, O r a t i o n e s III. de scholae B r e m e n s i s natalitiis, p r o g r e s s u et i n c r e m e n t o , q u a r u m I. dicta est ä G e r h a r d o M e j e r o , II. ab e o d e m c u m p r i m u m j u b i l a e u m illustris s c h o l a e B r e m e n s , c e l e b r a r e t u r , III. ä D i d e r i c o Sagittario, B r e m a e : B r a u e r 1684, copy: S U B B r e m e n , B r e m . a . 122 (with a great m a n y a d d i t i o n s in m a n u s c r i p t ) ; CONRAD IKEN, Conr. Ikenii oratio de ill. B r e m e n s i u m schola m a g n o r u m i n g e n i o r u m s u m m o r u m que in omni scientia v i r o r u m a l m a atque f o e c u n d a matre, B r e m a e : s.n. [1741], copy: U n i v e r s i t y L i b r a r y L e i d e n , 7 9 0 E 27. 38

A n d r e a s W i d m a r ( 1 5 5 2 - 1 6 2 1 ) ; see also b e l o w , n. 72. O n M a r t i n i u s , see JOH. FRIEDRICH IKEN, M a r t i n i u s , M a t t h i a s , in: R e a l e n c y k l o p ä d i e f ü r p r o t e s t a n t i s c h e T h e o l o g i e und K i r c h e , 3rd ed., 12 (1903): 3 9 1 - 2 ; SCHMIDTMAYER, Die B e z i e h u n g e n des B r e m e r G y m n a s i u m Illustre zu J.A. C o m e n i u s (see a b o v e , n. 29), 3 2 8 - 3 3 ; MENK, K a l v i n i s m u s und P ä d a g o g i k (see above, n. 7); IDEM, M a t t h i a s M a r t i n i u s ( 1 5 7 2 - 1 6 3 0 ) u n d seine W e r k e , in: G e s c h i c h t s b l ä t t e r f ü r W a l d e c k 76 ( 1 9 8 8 ) , 3 1 - 5 3 ; IDEM, Art. M a r t i n i u s , M a t t h i a s , in: N e u e D e u t s c h e B i o g r a p h i e 16 ( 1 9 9 0 ) : 3 0 5 - 7 ; KARL FRIEDRICH ULRICHS, , D i e j e t z t in der W e l t hin v n d her s c h w e b e n d e g e f e h r l i c h e b e t r ü b t e Z e i t ' : S e e l s o r g e w ä h r e n d der P e s t e p i d e m i e in Siegen 1597 a m Beispiel v o n M a t t h i a s M a r t i n i u s ' Christlicher E r i n n e r u n g , in: J a h r b u c h f ü r w e s t f ä l i s c h e K i r c h e n g e s c h i c h t e 91 ( 1 9 9 7 ) , 2 7 - 4 3 ; JÜRGEN KAMPMANN, Art. Martinius, M a t t h i a s , in: Die R e l i g i o n in G e schichte u n d G e g e n w a r t , 4th ed., 5 (2002): 860. Dr. G e r h a r d M e n k ( M a r b u r g ) is p r e p a r ing a m o n o g r a p h on M a r t i n i u s . 39

The Bremen Gymnasium

Illustre

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alma mater, the Herborn Academy, at the age of 24 and was generally considered the mentor of Johann Amos Comenius and Johann Heinrich Alsted. The magistrates' intervention proved indeed magisterial: Martinius made the school into a truly ,illustre' institution. After the example of Herborn he reorganized it to a gymnasium academicum with a paedagogeum and an ,upper school' containing the four classical Faculties, 40 gave it its own printer, 41 started an Album Studiosorum of the students streaming in from all sides (1610-1810), 4 2 and introduced his own practical, Ramist ideas on didactic reform. This little man, who when studying would sit or lie on the floor amidst a labyrinth of books, 43 substituted practically oriented comprehension exercises for the old practice of cramming by rote-learning, and involved the students in the courses, for instance by asking for their own contributions in lectures and having them participate in the selection of subjects for lectures - although four years later this resulted in complaints from the old guard that the Bremen fructus laxae disciplinae was synonymous with fructus scholae Martinianae,44 Nevertheless, under his rectorate and that of Ludwig Crocius (1586-1655; rector 1630-39, 1643-55) 4 5 and the erudite Bremian Gerhard Meier (1616-95; his rectorate lasted for 40 years: 1654-95) the Bremen Academy was a driving force in the Reformed confessionalization process in Northwestern Germany.

40 See the various reprints of the 1610 school regulations, e.g.: Leges Illustris Scholae Bremensis a paedagogeo publicis omnium facultatum, linguarum & artium professionibus, discretae & auctae auctoritate magnifici & amplissimi senatus lib. & imper. Reip. Brem. A.R.S. 1610, Bremae: de Villiers 1663, copy: SUB Bremen, Brem.a.510. Nr.20. 41 Thomas de Villiers (1613-22). For the history of the Bremen press, see, e.g., GERD. REISSNER, Die Entwicklung der Druckkunst in Bremen von 1525 bis 1900, Bremen 1950; GERHARD KNOLL (ed.), Die Buchdrucker des Alten Gymnasiums: Ausstellung anläßlich der 450-Jahrfeier des Alten Gymnasiums 1978, Bremen 1978 (Universitätsbibliothek, Veröffentlichungen in der Abteilung Gesellschaftswissenschaften und der Spezialabteilung 19); THOMAS ELSMANN, Humanismus, Schule, Buchdruck und Antikrezeption. Anmerkungen zur Bremer Entwicklung bis 1648, in: KLAUS GARBER et al. (eds.), Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neizeit, 2 vols., Tübingen 1998 (Frühe Neuzeit 39), I, 203-38. 42

THOMAS OTTO ACHELIS/ADOLF BÖRTZLER (eds.), D i e M a t r i k e l d e s G y m n a s i u m

Il-

lustre zu Bremen 1610-1810, Bremen 1968 (Bremisches Jahrbuch, Zweite Reihe, Dritter Band). 43 IKEN, Martinius (see above, n. 39), 392. 44 MENK, Kalvinismus und Pädagogik (see above, n. 7), 84, 88, 94 n. 88. 45 On Ludwig Crocius, see MANCHOT, Art. Crocius, Ludwig, in: Allgemeine Deutsche Biographie 4 (1876): 601; WALTER HOLLWEG, Art. Crocius, Ludwig, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957): 418; A. BEHR, Art. Crocius, Ludwig, in: Die Religion in Geschichte u n d G e g e n w a r t , 3 r d e d . , 1: 1 8 8 4 ; FRIEDRICH WILHELM BAUTZ, A r t . C r o c i u s , L u d w i g , in:

Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 1 (1990): 1163; HANS SCHNEIDER, Art. Crocius, Ludwig, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 4th ed., 2 (1999): 497.

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However, its influence extended much further. The Academy's confessional isolation in the middle of an exclusively Lutheran environment constituted both its weakness - Bremen had an estimated 20,000 inhabitants and its success. Especially the Faculties of Theology and Law made the Academy famous in the whole of Reformed Europe. It attracted students (also from the nobility), not only from the Reformed regions of Germany (Electorate Palatine, Nassau, Lower Rhine, East Friesland, Hesse, Anhalt, the Reformed part of Brandenburg), 46 but also from the Dutch Republic, 47 Bohemia and Moravia 48 - in 1610 almost a quarter of all registering students were Bohemians and Moravians, and in 1613 even a small Briider Catechism was printed in Bremen 49 - , Switzerland, France, Poland, Hungary, Russia, Prussia and the Baltic countries, Norway, Denmark, Sweden, Scotland, Spain, even from Batavia and Dutch Guyana. 50 In the whole of Reformed Europe and as far as North America and East-India, churches and institutions were staffed with preachers and theologians trained at the Bremen Academy. An example of these is the federal theologian Johannes Coccejus (1603-69), a native of Bremen and alumnus of the Academy. He was appointed professor at the Academy in 1630, in 1636 in Franeker and

46

See, e.g., PRÜSER, Das Bremer Gymnasium Illustre (see above, n. 9); A.H. KUBY, Pfälzer Studenten am Gymnasium Illustre zu Bremen im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zu den kirchlichen Beziehungen zwischen Bremen und der Pfalz, in: Hospitium Ecclesiae 10 (1976), 4 3 - 5 4 ; ACHELIS/BÖRTZLER (eds.), Matrikel (see above, n. 42), esp. xviii-xix (literature). 47 PRÜSER, Das Bremer Gymnasium Illustre (see above, n. 9), 3 5 - 4 4 ; GEORG BECKER, Die Studenten aus dem niederländischen Räume an deutschen Gymnasien und Universitäten, I: Niederrheinische Anstalten und das ,Gymnasium illustre' zu Bremen, Den Haag [1944] (Forschungsstelle Volk und Raum 12), esp. 51-3; ACHELIS/BÖRTZLER (eds.), Matrikel (see above, n. 42), xix. 48 SCHMIDTMAYER, Die Beziehungen des Bremer Gymnasium Illustre zu J.A. Comenius (see above, n. 29); IDEM, Bremen als ,Herberge der Kirche' (see above, n. 29), esp. 104-14; PRÜSER, Das Bremer Gymnasium Illustre (see above, n. 9), 56-65. 49 Summa Catechismi in usum scholarum orthodoxarum unitatis fratrum in Bohemia et Moravia, Bremae: Wessel 1613, copy: SUB Bremen, Brem.c.130; cf. SCHMIDTMAYER, Die Beziehungen des Bremer Gymnasium Illustre zu J.A. Comenius (see above, n. 29), 334-5. In September 1612 the former Bremen student Marcus Bueller (Emden) reported to J.J. Breitinger (Zurich): ,Schola Bremana Dei gratia mirum in modum floret. Ex omnibus locis studiosi confluunt. Ante duos menses 30 studiosi una venere ex Bohemia, inter quos duo Comités ab Hodiz, unus baro et aliquot nobiles numerantur', in: Staatsarchiv Zürich, E II 385 fol. 213, cited by MENK, Kalvinismus und Pädagogik (see above, n. 7), 94 n. 89. 50 PRÜSER, Das Bremer Gymnasium Illustre (see above, n. 9), 4 1 - 2 ; ACHELIS/BÖRTZLER (eds.), Matrikel (see above, n. 42), 146 (Nr. 41, 1663) and 366 (Nr. 3, 1755).

The Bremen Gymnasium

Illustre

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1650 in Leiden. 51 It was in Bremen that Theodor Undereyck (1635-93), one of the fathers of Reformed Pietism, 52 exerted his influence on the Bremen preacher Joachim Neander (1650-80) 5 3 as well as on rector Friedrich Adolf Lampe, earlier professor in Utrecht (1683—1729);54 in both, federal theology merged with Pietism. 55 The Academy had its heyday in the second half of the seventeenth century. In 1657 numbers reached a maximum of 106 matriculations and 570 students. Between 1610-1810 roughly 7,680 students passed through the school. 56 When confessional differences lost their edge - in Bremen, too, theologians followed the general movement from orthodoxy through Pietism to Enlightenment - the Gymnasium lost its original reason for existence. This is illustrated in the title of a pamphlet from Bremen dating from 1694: Considerations with regard to changes of faith under the three main religions Catholic, Reformed and Lutheran, namely: if someone switches from one to the other this is not such a capital sin and apostasy

51 On him, see, e.g., HEINER FAULENBACH, Weg und Ziel der Erkenntnis Christi. Eine Untersuchung zur Theologie des Johannes Coccejus, Neukirchen/Vluyn 1973 (Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche 36); IDEM, Art. Coccejus, Johannes,

i n : T h e o l o g i s c h e R e a l e n z y k l o p ä d i e 7 ( 1 9 8 0 ) , 1 3 2 - 4 0 ; W I L L E M J A N VAN A S S E L T , T h e

Fe-

deral Theology of Johannes Cocceius (1603-1669), Leiden etc. 2001 (Studies in the History of Christian Thought 100). 52 On him, see JÜRGEN MOLTMANN, Geschichtstheologie und pietistisches Menschenbild bei Johann Coccejus und Theodor Undereyck, in: Evangelische Theologie 19 (1959), 343-61; F. ERNEST STOEFFLER, The Rise of Evangelical Pietism, Leiden 1971 (Studies in the History of Religions [Supplements to Numen] 9), Index; IDEM, German Pietism during the Eighteenth Century, Leiden 1973 (Studies in the History of Religions [Supplem e n t s t o N u m e n ] 2 4 ) , I n d e x ; JOHANN FRIEDRICH GERHARD GOETERS, D e r r e f o r m i e r t e

Pietismus in Deutschland 1650-1690, in: Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen a c h t z e h n t e n J a h r h u n d e r t , e d s . MARTIN BRECHT et al., 4 v o l s . , G ö t t i n g e n 1 9 9 3 - 2 0 0 4 ( G e s c h i c h t e d e s P i e t i s m u s ) , I, 2 4 1 - 7 7 , 2 4 4 - 5 6 . 53 On him, see JOH. FRIEDRICH IKEN, Joachim Neander. Sein Leben und seine Lieder. Auf Veranlassung seines 200. Todesjahres nach bekannten und neuentdeckten Quellen

b e a r b e i t e t , B r e m e n 1880; GOETERS, P i e t i s m u s (see a b o v e , n. 5 2 ) , e s p . 2 5 9 - 6 7 ; HELMUT

ACKERMANN, Joachim Neander. Sein Leben, seine Lieder, sein Tal, Düsseldorf 1997; REINHARD GROSCURTH, Joachim Neander - ein fast vergessener Mitschüler, in: TIETZE (ed.), 475 Jahre Altes Gymnasium (see above, n. 29), 181-90. The SUB Bremen contains a unique copy of the first edition of Neander's hymnbook A & £2. Joachimi Neandri Glaub- und Liebesübung. Auffgemuntert durch einfältige Bundes-Lieder und DanckPsalmen [...], Bremen: Brauer 1680, SUB Bremen, 53.C.139. 54

S e e GERRIT SNIJDERS, F r i e d r i c h A d o l p h L a m p e , [ H a r d e r w i j k ] 1 9 5 4 ; KRUMWIEDE,

Kirchengeschichte (see above, n. 14), 174-5. 55 For an overview, see GOTTFRIED MAI, Die niederdeutsche Reformbewegung. Urspünge und Verlauf des Pietismus in Bremen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Bremen 1979 (Hospitium Ecclesiae 12). 56 ACHELIS/BÖRTZLER (eds.), Matrikel (see above, n. 42), xxi-xxii.

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as is sometimes thought?1 There was little reason for celebration at the Academy's 200th anniversary in 1784: there were hardly any students left. In 1810, upon incorporation into the Napoleonic Empire, the school was closed down by the French authorities.

IV. The historiographical and dogma-historical necessity of further research A wider investigation into the Bremen Theological Faculty might provide us with the answers to the following questions: Who were the professors? What did they teach? Who were the students, and what trail did they leave in history? In short, which position did the Faculty occupy within the larger framework of the Reformed spectrum in early modern Europe? Such research appears to be justified from both a historiographical and a dogma-historical perspective. Firstly, there is the historiographical gap to be filled. Although modest publications exist on the Gymnasium,58 the Latin school principals Molanus 59 and Pezel, 60 and biographical articles on the rectors Martinius 61 and Crocius, 62 between 1610 and 1810 the Academy employed another 170 professors. As to the theological aspect, actually we have only Heinrich Heppe's Die Dogmatik der evangelischreformierten Kirche (1861, 1934), 63 Gottlob Schrenk's Gottesreich und Bund im älteren Protestantismus (1923), 64 Otto Ritschl's Dogmengeschichte des Protestantismus (1926), 65 and Hans Emil Weber's 57 Raisonnements über Veränderung der Religion unter den drey Haupt-Religionen, als Catholisch, Reformirt und Lutherisch, das ist zu sagen: Dass, wann jemand von der einen zu der anderen sich begiebe, es vor eine solche Capitall-Sünde und Abfall nicht gehalten werden kan, als wie es wohl von manchen [...] gehalten [...] wird. Zum Druck bef. von E.D.G.L., [Bremen]: s.n. 1694, copy: SUB Bremen, Brem.b.483. Nr.8. 58 See above, n. 29. 59 See above, n. 36. 60 See above, n. 18. 61 See above, n. 39. 62 See above, n. 45. 63 Die Dogmatik der evangelisch-reformierten Kirche. Dargestellt und aus den Quellen belegt von Dr. Heinrich Heppe. Neu durchgesehen und herausgegeben von Ernst Bizer, 2nd ed., Neukirchen Kreis Moers, 1958; cf. also his Dogmatik des deutschen Protestantismus im sechzehnten Jahrhundert, 3 vols., Gotha 1857, I, 195-204. 64 GOTTLOB SCHRENK, Gottesreich und Bund im älteren Protestantismus, vornehmlich bei Johannes Coccejus. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Pietismus und der heilsgeschichtlichen Theologie, Gütersloh 1923 (Beiträge zur Förderung christlicher Theologie, 2. Reihe, 5), repr. Darmstadt 1967. 65 OTTO RITSCHL, Dogmengeschichte des Protestantismus, III: Orthodoxie und Synkretismus in der altprotestantischen Theologie (Fortsetzung): Die reformierte Theologie

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Reformation, Orthodoxie und Rationalismus (1951) 66 to provide information, along the lines of Heppe's classical characterization of Bremen as ,the center of the German-Reformed spirit', with ,federal theology' as its defining feature. 67 More recent literature on Reformed scholasticism (by Richard Muller, Willem van Asselt, a.o.) does not devote much space to Bremen theology either, 68 with the exception of Coccejus. In my Leiden IDC microfiche project on Reformed Protestantism: East Friesland and North-Western Germany (2000, 2004) 69 almost all works of Bremen rectors and professors (including disputes with opponents) have been put onto microfiche, to wit, Molanus, Pezel, Martinius, Crocius, Meier, Joachim Meister (1532-87),™ Nathan Chytraeus (1543-98), 7 1 Andreas Widmar (1552-1621), 7 2 Josef Grabe (1541-1620), 7 3 Johannes Lampadius

des 16. und des 17. Jahrhunderts in ihrer Entstehung und Entwicklung, Göttingen 1926, Ch. LIV: ,Die calvinistische Orthodoxie in der niederländischen und die Abweichungen von ihr in den deutschen und in der französischen reformierten Kirche', 3 7 3 ^ t l 2 ; on the Bremen school, esp. 395-402. 66

HANS EMIL WEBER, R e f o r m a t i o n , O r t h o d o x i e u n d R a t i o n a l i s m u s , II: D e r G e i s t d e r

Orthodoxie, Gütersloh 1951 (Beiträge zur Förderung christlicher Theologie, 2. Reihe, 51), repr. 1967, esp. 158-66. Cf. also PAUL A.W.H. ALTHAUS, Die Prinzipien der deutschen reformierten Dogmatik im Zeitalter der aristotelischen Scholastik. Eine Untersuchung zur altprotestantischen Theologie, Leipzig 1914, repr. Darmstadt 1967; J.A. CRAMER, De Theologische Faculteit te Utrecht ten tijde van Voetius, Utrecht [1932], Index, s.v. Crocius, Flockenius, and Martinius. 67 HEPPE, Dogmatik des deutschen Protestantismus (see above, n. 63), I, 196-7, cf. 201. 68 See, e.g., Reformation and Scholasticism: An Ecumenical Enterprise, eds. WILLEM J. VAN ASSELT/EEF DEKKER, G r a n d R a p i d s 2 0 0 1 ; RICHARD A . MULLER, A f t e r C a l v i n :

Studies in the Development of a Theological Tradition, Oxford etc. 2002 (Oxford Studies in Historical Theology); IDEM, Post-Reformation Reformed Dogmatics: The Rise and Development of Reformed Orthodoxy, ca. 1520 to ca. 1725, 4 vols., Grand Rapids 2003. DONALD W. SINNEMA, The Issue of Reprobation at the Synod of Dort (1618-19) in light of the history of this doctrine, Toronto 1985, 103-5, discusses Martinius's predestination doctrine. 69 WIM JANSE, Reformed Protestantism: Sources of the 16LH and 17TH centuries on microfiche, 5: East Friesland and North-Western Germany, I and II, Leiden 2000 and 2004. 70 The first rector of the Gymnasium (1584-7); see, e.g., his Vindiciae contra Philippo-mastigas, sive defensio scriptorum et meritorum viri clariss: et de ecclesiis et scholis totius Germaniae et de posteritate universa optime meriti, D. Philippi Melanchthonis heroico carmine scripta ä Joachimo Meystero, Bremae: Excudebat Theodorus Gluichstein 1584, copy: SUB Bremen, Brem.b.451. Nr.3. 71 The second rector of the Gymnasium (1593-9); Johann Esich (1557-1602) had supplied the vacancy from 1587-93. See, e.g., CHYTRÄUS'S Cosmocopiae Christianae librorum sex, Bremae: Petri 1593, copy: SUB Bremen, IV.c.627. Nr.3. 72 The third rector (1600-10); see his 'Endeixis' scholae Bremanae: favente Deo Opt. Maximo, rectore Andrea VVedemejero, inde ab autumno anni praesentis MDC deinceps administrandae, Bremae: Iohannes Wesselius [1600], copy: SUB Bremen, Brem.b.446.

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(1569-1621), 7 4 Heinrich Isselburg (1577-1628), 7 5 Konrad Bergius (15921642), 76 Heinrich Flocken (1602-80),' 77 Balthasar Willius (1606-56), 7 8 Dietrich Sagittarius (1642-1707), 7 9 and others, plus numerous disputations by students. What did all these people teach and publish? Secondly, a dogma-historical positioning of what is known as the Bremen doctrina moderata is relevant. From the very beginning, the character of the Bremen school was molded by reform humanists of the Strasbourg and Zurich stamp (rather than, as usually held in older literature, of a pure Philippistic outlook), such as Hardenberg and Molanus, Pezel, Urbanus Pierius (d. 1616), 80 and Lampadius (1569-1621), 8 1 who said: ,Disputing about predestination while leaving the revealed means of salvation out of the equation is the snake bite that wounded and almost killed Adam and Eve'. 8 2 Rather than from Geneva, influences active in Bremen came from Desiderius Erasmus, Huldrych Zwingli, John a Lasco, Bucer, Bullinger, and the later Melanchthon. 83 Within the early orthodoxy Bremen occupied a place of its own and never lost its specific, moderate, irenic bias, espe-

73 See, e.g., his Refutatio necessaria errorum et sophisticae, qua Egidius Hu[nnius] D. corrumpit et contaminat sacrosanctam et salutarem doctrinam de persona Christi, [...] libellus illius autoris bis editis opposita, [...] a M. Iosepho Grabio Averbacensi, Gymnasii Bremensis professore. Cum praefatione [...] Christophori Pezelii [...], [Bremen?]: s.n. 1587, copy: SUB Bremen, Brem. 32.C.358. 74 See his Bertramus, hoc est, Perpetuus orthodoxae ecclesiae de verbis sacrae coenae consensus [...], Bremae: Villerian 1614, copy: SUB Bremen, Brem.c.994 Nr.3. 75 See, e.g., his Medulla Papismi, de arce ac j u d i c e omnium controversarium theologicarum: quae sunt inter orthodoxos protestantes & Romanos pontificios [...], Bremae: Wessel 1615, copy: SUB Bremen, Brem.c.1253 Nr.2. 76 See, e.g., his Themata theologica de praecipuis locis doctrinae sacrae, secundum ordinem fere symboli apostolici, ad usum exercitiorum scholasticum proposita in illustri gymnasio Bremensi, Bremae: Typis Bertholdi de Villiers 1639, copy: University Library Maastricht, MU W a 140E20. 77 See the collection of his some 40 disputations in: S U B Bremen, C.S.6; e.g.: Disputado theologica. Synopsis purioris theologiae prolixioris. De peccato originali. [Resp.:] Georgius Felgentreff, Bremae: Brauer 1671. 78 See, e.g., his De philosophiae Reverentia & obsequio ergo theologiam ceu principem ac dominam, Bremae: s.n. 1644, copy: SUB Bremen, Brem.b.722. Nr.6. 79 See, e.g., his De Clavibus regnicoelorum et disciplina ecclesiastica, Bremae: s.n. 1665, copy: SUB Bremen, Brem.b.737. Nr.15; see also above, n. 37. 80 See, e.g., his Anatome Catechesis Heidelbergensis, in qua consensus cum Romanensibus & dissensus ostenditur: contra corruptelas eorum, qui se Excalvinizantes vocant, Bremae 1627, copy: S U B Bremen, Brem.b.424; on him, see GOTTHARD LECHLER, Art. Pierius, Urban, in: Allgemeine Deutsche Biographie 26 (1888): 117-22. 81 Cf. RITSCHL, Dogmengeschichte (see above, n. 65), III, 3 9 5 - 6 . 82 Cited by IKEN, Dordrecht (see above, n. 25), 5 6 - 7 . 83 Cf. JANSE, Hardenberg (see above, n. 15), 4 8 3 - 6 .

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cially as regards the doctrine of predestination, in which Hardenberg set the tone under Bullinger's influence. 8 4 My research will benefit from a comparative approach and hence is indirectly linked to Heinz Schilling's project ,Die Bedeutung der reformierten Bildung und Erziehung im frühneuzeitlichen Europa' of the Johannes a Lasco Bibliothek in Emden, 8 5 and to that of Markus Wriedt, ,Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung' of the Institut für europäische Geschichte in Mainz. 86 Concrete plans include theological biographies of Martinius, Crocius, and Gerhard Meier; shorter contributions on controversies, minor theologians, and the part played by Bremen in antisocinianism; finally, an integral history of the Theological Faculty itself and its students.

V. Specimen of the Bremen doctrina

moderata

To illustrate Bremen's theological characteristics I will briefly sketch the contribution of the Bremen deputies at the Dordrecht Synod (1618-19), 8 7 the international council of Reformed churches convened by the Dutch in order to end the conflict between orthodox Calvinists or Contra-Remonstrants and Arminians or Remonstrants on predestination and free will. These deputies were the professors Martinius, of whom the Remonstrants had high expectations, Crocius, a friend of the Helmstadt irenicist Georg Calixt, and Heinrich Isselburg. Especially the first two aroused the suspicion of the Dutch particularists. Although the Bremen Council had bound its deputies to the Augsburg Confession and consequently instructed 84

See WIM JANSE, ,Ik wil liever blijven by den wortel van den boom, dan hoog klimmen'. Een beroep op de predestinatieleer van Heinrich Bullinger en Albert Hardenberg in Noord-Holland in 1596, in: Tijdschrift voor Nederlandse Kerkgeschiedenis 6 (2003), 121-5; cf. IDEM (ed.), [Albert Hardenberg], [Praelectio de praedestinatione], [Bremen 1550-1555?], in: ARJAN J. VERSCHOOR (ed.), Kerkhistorische Studien. Lustrumbundel Leids Kerkhistorisch Gezelschap SSS, Leiden 1996, 18-23. 85

S e e h t t p : / / w w w . j a l b . d e / f l s h m e n u / f r a m e s e t . h t m l ; HEINZ SCHILLING/STEFAN EHREN-

PREIS (eds.), Erziehung und Schulwesen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung. Forschungsperspektiven, europäische Fallbeispiele und Hilfsmittel, Münster, 2003. 86 See http://www.ahf-muenchen.de/Tagungsberichte/Berichte/pdf/2003/081-03.pdf. 87 Cf. IKEN, Dordrecht (see above, n. 25); HENDRIK KAAJAN, De Pro-Acta der Dordts c h e S y n o d e in 1 6 1 8 , R o t t e r d a m 1 9 1 4 , 166, 1 7 9 - 8 0 , 2 3 3 - 5 , 2 7 6 - 8 , 3 1 7 - 8 , 3 5 6 - 6 0 ,

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4; IDEM, Dordrecht (see above, n. 25); KLAAS DIJK, De strijd over Infra- en Supralapsarisme in de Gereformeerde Kerken van Nederland, Kampen 1912, 118-20, 154-5, and passim; CORNELIS VAN DER WOUDE, Sibrandus Lubbertus. Leven en werken, in het bijzonder naar zijn correspondentie, Kampen 1963, Index; CRAMER, Theologische Faculteit te Utrecht (see above, n. 66), Index; SINNEMA, The Issue of Reprobation (see above, n. 68), 103-5, 351-2.

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them to promote a moderata doctrina, avoiding excessive turns of phrase, 88 it was nevertheless from personal conviction that Martinius and Crocius adopted a reserved stance on dogmatic matters. The Ramist Martinius combined an infralapsarian view - reflected in the distinction also made by Arminius between a voluntas antecedens, e.g. in 1 Tim. 2,4 (,God [...] will have all men to be saved') and a voluntas consequens by which obedience is rewarded and sin is punished - with covenant theology (an idea of covenant conceived in terms of salvation history). 89 He argued that election is effected by means of the covenant of grace: ,electionis exsequutio fit per novum religionis foedus, quod gratiae dicitur', 90 and that Christ was not only the executor or effector (as, e.g., Calvin, Beza, and Perkins would have it) but also the auctor et praecipua causa of election. 91 This christological universalism, which tended to the Remonstrant view and anticipated Moyse Amyraut's hypothetic universalism, 92 brought Martinius into such intense conflict with the out-and-out Calvinists Franciscus Gomarus, Sibrandus Lubbertus from Franeker, and Abraham Scultetus from Heidelberg, that he absented himself from as many as five sessions of the Synod, and was even on the point of leaving altogether, sighing: ,Never in my life will I attend another synod. Dordrecht, Dordrecht, if only 1 had never set eyes on you!' 9 3 Nevertheless it was thanks to Martinius that, rather than the a priori construction of supralapsarianism represented by Gomarus, it was the Christocentrically shaped 88

See LUDWIG CROCIUS, Dyodecas dissertationum exegeticarum et apologeticarum syntagmatis sacrae theologiae de Naturae humanae per apostasiam peccati corruptione, Et ejusdem per gratiam Jesu Christi restitutione, Adversus Manichaeos, Pelagianos, Photinianos, Pontificios, Socinianos, Schvvencfeldianos, Flacianos, Enthusiastas, Weigelianos, Arminianos, aliosq. heterodoxos, Bremae: Villiers 1642, copy: SUB Bremen, Brem. c.2424, Praefatio, 4b. 89 Cf. HEPPE, Dogmatik des deutschen Protestantismus (see above, n. 63), I, 197-9; IDEM, Dogmatik der evangelisch-reformierten Kirche (see above, n. 63), liii-lv; RITSCHL, Dogmengeschichte (see above, n. 65), III, 396-7, 432-3. 90 MATTHIAS MARTINIUS, Summula s. theologiae [...] [Resp.:] Johannes Snell, Bremae: Wessel 1610, copy: SUB Bremen, Brem.c.1256, 19-20. 91 See loannis Halesii Historia Concilii Dordraceni. Io. Laur. Moshemius [...] ex anglico sermone latine vertit [...], Hamburgi 1724, 418: ,Martinius Bremensis [...] dixit, electionem nostram ad Christum non tantum, ut vindicem eius et effectorem, verum etiam, ut auctorem et praecipuam caussam, esse referendam'; cf. ibid., 416-24, esp. 419: ,Martinius non nimis a quibusdam Remonstrantium dogmatibus, videlicet de reprobatione, de amplitudine meriti Christi, de salute infantium et aliis, aversus esse videtur'. 92 Cf. JÜRGEN MOLTMANN, Präedestination und Heilsgeschichte bei Moyse Amyraut, in: Z e i t s c h r i f t f ü r K i r c h e n g e s c h i c h t e 6 5 ( 1 9 5 3 - 4 ) , 2 7 0 - 3 0 3 , 3 0 1 - 2 . SINNEMA, T h e

Issue

of Reprobation (see above, n. 68), 105, argues that Martinius's ,pre-Dort writings reveal [...] that his reprobation views lay within the mainstream of Reformed thinking'. 93 IKEN, Dordrecht (see above, n. 25), 35-6; IDEM, Martinius (see above, n. 39); KAAJAN, Dordrecht (see above, n. 25), 43.

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infralapsarian doctrine of predestination that was reflected in the Synod's Canons, although the former was not explicitly rejected and continued to be influential in the Dutch Republic. Martinius's 32-year old colleague Ludwig Crocius, ,the real dogmatician of the Bremen school', 9 4 did not make many friends either when during a Synod session he harangued the chairman Johannes Bogerman for being unnecessarily vehement in the dismissal of the Remonstrants. Earlier, when Crocius could not help exclaiming: ,Arminius, piae memoriae', Gomarus is said to have called out furiously: ,Quid piae memoriae, imo perditae!' 9 5 The minority report submitted by Crocius on the second of the five Canones was rather curious. This second canon stipulated that Christ's sacrifice as such is ,of infinite worth and value, abundantly sufficient (sufficiens) to expiate the sins of the whole world' (II.3), but is applied or effective ( e f f i c a x ) only in relation to the elect (II.8). 96 Where Martinius pleaded pro and Isselburg contra the universalistic character of Christ's death, Crocius played the role of mediator by stating ,that Christ did merit by his death some supernatural things for the wicked', such as the proclamation of the gospel of grace, but that these did not include the forgiveness of sins or reconciliation with God. 97 Another remarkable point was Crocius's restraint on the subject of the predestination doctrine. In his Syntagma sacrae theologiae (163 5) 98 predestination did not even rate a separate locus. He was compelled to defend himself in a separate work, Dyodecas (1642). 99 Moreover, Martinius, Crocius, but also Isselburg taught in Dordrecht that not only believing parents 94

RITSCHL, Dogmengeschichte (see above, n. 65), III, 398. GEERAERT BRANDT, Historie der Reformatie en andre kerkelyke geschiedenissen, in en omtrent de Nederlanden, 4 vols., Ill, Rotterdam 1704, 13, also cited by KAAJAN, Dordrecht (see above, n. 25), 43. 96 The Canones of the Synod of Dort, A.D. 1619, cited after PHILIP SCHAFF (ed.), The Creeds of Christendom, with a History and Critical Notes, 3 vols., 4th ed., New York [1905] (Bibliotheca Symbolica Ecclesiae Universalis), III, 586, cf. 587. 97 JOHN HALES, Golden Remains of the ever Memorable Mr. John Hales of Eaton Colledge, etc. With Additions from the Authours own Copy, Viz. Sermons and Miscellanies. Also Letters and Expresses Concerning the Synod of Dort, (not before printed) from an Authentick Hand, 2nd ed., London 1673: Letters, 131; KAAJAN, Dordrecht (see above, n. 25), 4 6 . 98 LUDOVICUS CROCIUS, Syntagma sacrae theologiae quatuor libris adornatum, quo exhibetur idea dogmatum ecclesiasticorum, pro conditione ecclesiae Sardensis [...], Bremae: Villiers 1635, copy: Johannes a Lasco Bibliothek Emden, Theol. 8° 370 R. 99 CROCIUS, Dyodecas (see above, n. 88); cf. HEPPE, Dogmatik des deutschen Protestantismus (see above, n. 63), I, 199-201; IDEM, Dogmatik der evangelisch-reformierten Kirche (see above, n. 63), lv, and, opposite, RITSCHL, Dogmengeschichte (see above, n. 6 5 ) , III, 2 8 1 n. 2 0 3 , 3 9 9 . 95

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were assured of the election of children who died young, but that all baptized (heathen) children who die young will be saved, and that this message could be proclaimed not only ex iudicio charitatis but also ex iudicio certitudinis .10° To the great annoyance of the Remonstrants, the Bremen deputies eventually signed the Dordrecht Canons, although later Martinius was to tone down his doctrine of election even more, probably as a reaction to D o r d recht'. At least, he wrote to Crocius: ,Most of the disputes about the decrees of God are not very constructive [...]. This is why I have decided for myself never to speak or write, or if necessary as briefly as possible, about things 1 would not want to force on anybody's conscience [...], but rather to remain content with the enarratio exsequutionis, [namely] ut modus exsequutionis sit norma intelligendi decreta."ol

In Bremen the Canons of Dordrecht were never declared to be a valid confessional text. 102 For years, the Bremen theologians remained a subject of discussion at synods of the Reformed Churches in the Dutch Republic (1638-43). 1 0 3 People even wondered whether it was safe to send students to Bremen. Characteristic of the climate of rigid confessionalism were the objections against the Bremen school's historicizing Offenbarungsempirismus - revelational empiricism - or ,Aposteriorism', summed up by the Particular Synod of Rotterdam in 1641 in the following terms: ,that the grace of God is universal; that all men are justified by Jesus Christ and have secured freedom and a right to eternal life; that people can be saved in all religions'. 104 Within a few decades, ironically, the Dutch theological debate was to be dominated by the ideas of two scholars influenced by Bremen: Coccejus in Franeker and Leiden and Moyse Amyraut (1596 1664) in Saumur... 1 0 5

100

HALES, Golden remains: Letters (see above, n. 97), 123-4; KAAJAN, Dordrecht (see above, n. 25), 47; see also KAAJAN, Pro-Acta (see above, n. 87), 233-5, 251 101 CROCIUS, Dyodecas (see above, n. 88), Praefatio, fol. 4a, cited by RITSCHL, Dogmengeschichte (see above, n. 65), III, 397. 102 RUDLOFF, Bremen (see above, 14), 159. 103 See, e.g., Acta der particulière synoden van Zuid Holland 1621-1700, ed. W.P.C. KNÜTTEL, 6 vols., The Hague 1908-16 (Rijks geschiedkundige publicatiën, kleine serie 3, 5, 8, 11, 15, 16), II: 1 6 3 4 - 1 6 4 5 , 1 7 0 , 2 0 9 - 1 0 , 2 2 2 , 2 5 4 , 2 7 9 - 3 5 0 , 3 6 2 - 3 , 4 0 9 ; HOLL-

WEG, Crocius (see above, n. 45), 418; HEINZ SCHNEPPEN, Niederländische Universitäten und deutsches Geistesleben. Von der Gründung der Universität Leiden bis ins späte 18. Jahrhundert, Münster 1960, 21, cf. 84; FRANS PIETER VAN STAM, The Controversy over the Theology of Saumur, 1635-1650: Disrupting Debates among the Huguenots in Complicated Circumstances, Amsterdam etc. 1988, 194. See also the correspondence between the Utrecht Faculty of Theology and Bremen, in: CRAMER, Theologische Faculteit te Utrecht (see above, n. 66), 156-209. 104

KNÜTTEL, Acta (see above, n. 103), II, 307.

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VI. Preliminary conclusion The theological importance of the Bremen Faculty would certainly necessitate a revaluation of the well-known, but from a dogma-historical point of view rather simplifying triad of the confessionalization debate, as if only ,Roman Catholic', ,Lutheran' and ,Reformed' confessionalization processes existed. What is clear is that, with its North-German slant to the Reformed confession, the hitherto neglected Bremen Academy undoubtedly enriched by yet another nuance both the polychromy of the Protestant and Reformed traditions and the rigid confessionalism in sixteenth- and seventeenth-century Europe. For those inside the circle of classic Dogmengeschichte much work remains to be done.

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MOLTMANN, Prädestination und Heilsgeschichte (see above, n. 92).

Hamburger Theologenausbildung vor und nach der Reformation RAINER POSTEL

I. A m Vorabend der Reformation unterlag die hamburgische Geistlichkeit einer permanenten Evaluation durch die kritische Bürgergemeinde. Die Ergebnisse liegen vor. Sie finden sich in den Protokollen der Verhöre, die 1530 im Rahmen jenes Restitutionsprozesses abgehalten wurden, den das hamburgische Domkapitel seit 1528 vor dem Reichskammergericht gegen Rat und Bürger anstrengte und der erst 1561 mit einem Vergleich endete. 1 Kapitel und Rat boten für diese Verhöre je zwei Dutzend Zeugen auf, um ihre Vorwürfe an die Gegenseite zu stützen. Während das klageführende Kapitel dabei die theologische Kompetenz seiner Geistlichen überging, ließ der Hamburger Rat erklären, „das von etlich viel Jaren her under den Stifftshern unde gemeiner priesterschaft zu Hamburg etwan viel ungelerter und ungeschickter priester gewest und noch" 2 . Die Priesterschaft sei „daselbs so ungelehrt, das sie der Schriften, damit sie jr thun und wesen sonst mochten verantwurden, ganz kein wissen tragen" 3 . Diese Kritik bekräftigten die Ratszeugen einhellig. 4 Sie kannten viele Priester, die nicht viel wüßten; 5 es gebe mehr ungelehrte als gelehrte unter diesen; 6 viele hätten nicht verstanden, was sie lasen; 7 sie könnten ihren Stand nicht mit göttlichen Schriften beschreiben. 8 Keiner unter den Priestern sei in der Lage gewesen, Gottes Wort zu predigen, so daß man die Pfarrer aus anderen Städten habe holen müssen, ausgenommen Stephan

1

WILHELM JENSEN, Das Hamburger Domkapitel und die Reformation (AKGH Bd 4.), Hamburg 1961. Vgl. dazu RAINER POSTEL, Die Reformation in Hamburg 1517-1528 (QFRG Bd 52), Gütersloh 1986, 29. 2 JENSEN, Domkapitel (wie Anm. 1), 215. 3 A a O . , 217. 4 AaO., 232, 288, 330, 346, 354, 378, 386, 403, 411. 5 AaO., 395. "AaO., 251,362. 7 AaO., 298. 8 AaO., 306.

Rainer Postel

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Kempe (der ja auch aus Rostock gekommen war); 9 die Leute seien davongelaufen, wenn die alten Pastoren gepredigt hätten. 10 Zumal ihr Latein sei erbärmlich gewesen; 1 1 einer habe kaum das dominus vobiscum erklären können. 1 2 Allerdings - wenn der Goldschmied Cord Knost klagte, „dat syn jungeste sone untertyden mehr latynes gewust als eyn van den articulereden presteren" 1 3 , so war dieser Sohn auch hochbegabt: Heinrich Knaustinus wurde einer der bekanntesten Gelehrten seiner Zeit. 14 Mochte auch manche Aussage in der angespannten Prozeßatmosphäre stärker zugespitzt worden sein, so räumten selbst Freunde des Kapitels ein, daß es unter Kanonikern und Priestern manchem an Bildung und Eignung fehlte. 15 In Hamburg, das am Vorabend der Reformation rund 15.000 Einwohner zählte, lebten zahlreiche Weltgeistliche, verteilt auf das Domkapitel, vier Pfarrkirchen, zwei Kapellen, drei Spitalskirchen und weit über vierhundert Altarlehen. Bei der notorischen Pfründenkumulierung lassen sich knapp 300 Kleriker namentlich feststellen, von denen etwa 250 ihrer Residenzpflicht auch genügten. Hinzu kamen rund hundert Ordensgeistliche in den beiden Bettelklöstern St. Johannis der Dominikaner und Marien Magdalenen der Franziskaner und 2 5 - 3 0 Insassen des Beginenkonvents. Damit war etwa jeder 40. Stadtbewohner geistlichen Standes. 16 Während die Ordensgeistlichen nur teilweise namentlich bekannt sind, was Aussagen über deren Bildung entgegensteht, kennen wir die Namen der meisten Weltgeistlichen, insbesondere aus den Visitationsprotokollen der Jahre 1508, 1521 und 1525. 17 Allerdings ist auch in Hamburg spürbar, daß der Dominikanerorden auf die theologische Bildung seiner Mitglieder großen Wert legte und darin - etwa in der Auseinandersetzung mit lutherischen Prädikanten - gegenüber dem Weltklerus zuweilen auftrumpfte. 1 8 Die Frage nach dessen Bildung scheint komplizierter, als es die reformatorische Polemik erwarten läßt. Zunächst erlaubt die Namenliste der Weltkleriker den (wenn auch mühseligen) Abgleich mit den ja überwiegend erhaltenen und edierten Universitäts-Matrikeln jener Zeit. 19 Dessen Ergebnis ist wegen der Lücken des Materials, Namensgleichheiten, ortho-

9

AaO., 337. AaO., 369. 11 AaO., 322. 12 AaO., 277. 13 AaO., 314. 10

14

V g l . POSTEL, R e f o r m a t i o n ( w i e A n m . 1), 3 2 7 .

15

AaO., 112 mit weiteren Nachweisen. Vgl. aaO., Kap. I, 2 und Anhang 4.

16

17 ERICH KEYSER ( H g . ) , D a s V i s i t a t i o n s b u c h d e r H a m b u r g e r K i r c h e n 1 5 2 5 ( A K G H B d 10.), b e a r b . v. HELGA-MARIA KÜHN, H a m b u r g ( 1 9 7 0 ) .

18

Vgl. POSTEL, Reformation (wie Anm. 1), 83, 151 f., 154,315. " A a O . , 353-386.

1508—1521 —

Hamburger

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graphischer Schwankungen und modischer Latinisierungen bzw. Gräzisierungen von Namen und Herkunftsorten zwar von vornherein unsicher. Aber es erlaubt gleichwohl wichtige Feststellungen: - Alle Kanoniker brachten eine akademische Bildung mit, die sie zumeist in Rostock, quasi der norddeutschen Landesuniversität, erworben hatten. - Auch die Mehrzahl der übrigen Geistlichen hatte studiert, wiederum vorwiegend in Rostock (wie bekanntlich angehende Kleriker überhaupt einen erheblichen Teil der Studentenschaft spätmittelalterlicher Universitäten stellten). Allerdings besagte die Immatrikulation weder etwas über Dauer, Abschluß oder gar Qualität des Studiums, noch darüber, ob die Studenten über die Artistenfakultät hinausgelangt waren. Hier fließen die Quellen eher sporadisch. Die nach Hamburg zugewanderten Kleriker konnten mehrheitlich auf ein Universitätsstudium verweisen, und umgekehrt bieten die Matrikeln eine gute Möglichkeit, die (vorwiegend niederdeutsche, soweit nicht hamburgische) Herkunft des städtischen Klerus zu bestimmen, seine Mobilität wie das geistliche Einzugsgebiet der Stadt zu erfassen. Während hier die zwei Dutzend Kanoniker zu etwa zwei Dritteln von außerhalb stammten, scheint der größere Teil der niederen Geistlichkeit hamburgischer Abkunft gewesen zu sein. Ohne das auf der Universität erworbene Wissen zu überschätzen, durfte ein großer Teil der Geistlichkeit nach zeitgenössischen Maßstäben als einigermaßen gebildet gelten, und zumal bei der Berufung Auswärtiger scheint dies eine Rolle gespielt zu haben. Anderseits sah sich ein Vikar, der es zum Magister gebracht hatte, dem Vorwurf ausgesetzt, er sei „gar weynich in godtlicher schrift erfaren", und selbst Doktoren traf solche Kritik. Ein Studium hatte j a kaum auf priesterliche Aufgaben hingeführt. Auch hatten nicht alle späteren Geistlichen damit ein Predigtamt angesteuert. Henning Kissenbrügge, 1519 zum Pfarrer an St. Nikolai gewählt, hatte zwar den Doktorgrad erworben, hatte aber Jura studiert und mußte nach seiner Wahl „noch Ersten boke thor predigke kopen". Zudem mußten die vielfach beklagten Predigtmängel nicht nur auf Unkenntnis beruhen, auch Desinteresse oder fehlende Praxis konnten Gründe dafür sein. Von einigen Vikaren (die hamburgische Bezeichnung für Altaristen) hieß es, daß sie - einmal im Besitz ihrer Pfründe - ihre Hören nur noch „schläffrig" gesungen oder auch Meßfeiern vorzeitig verlassen hätten. 20 Der Vorwurf fehlender „Gelehrtheit" betraf deshalb nicht allein Mangel an Bildung im engeren Sinn, sondern auch Defizite in der geistlichen Praxis und Lebensführung. Auf die Frage, worin die Ungelehrtheit der Geist-

20

AaO., 112 f. (Zitate 113).

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liehen bestünde, nannten die Ratszeugen 1530 neben fehlendem Bibelverständnis und Glauben („dat sy eyn ungelerth prester, de nicht en weth unde beleueth gades worth nicht" 2 1 ) sowie lückenhaften Lateinkenntnissen auch Disziplinmängel: „de Tuch achtet den vor eynen ungeschickeden prester, de nicht weth, gades worth recht tho verkundigen unde van eynem quaden leuende is" 22 , und „de Tuge achte den vor eynen ungelerden unde ungeschickeden prester, de sick nicht geborlick helt nahe synem stände" 23 . Die in kurzen Abständen abgehaltenen Visitationen (1508, 1514, 1521, 1525) und mehrere Mandate zeugen von den vergeblichen Anstrengungen des Kapitels und seines Dekans zur Besserung der geistlichen Disziplin, besonders auch zur Einhaltung des Zölibats. Das hamburgische Domkapitel verfügte auch über eigene Lehreinrichtungen. Drei Jahrzehnte bevor das Baseler Konzil 1438 allen Kapiteln die Einrichtung von Lektüren auferlegt hatte, war in Hamburg 1408 eine „Praebenda doctoralis et lectoralis" gestiftet worden. Der Lektor war überzähliger Domherr und mußte Doktor oder wenigstens Bakkalaureus der Theologie sein. Seine theologischen und philosophischen Vorlesungen dienten der Aus- und Weiterbildung der Kanoniker und der übrigen Theologen, und seine wissenschaftlich fundierten Predigten - davon jährlich wenigstens vier in deutscher Sprache - sollten den Geistlichen ein Vorbild geben. Für seine Tätigkeit stand ihm in seiner Kurie, der „Doktorei", eine Fachbibliothek mit theologischen, juristischen, mathematischen, philosophischen, medizinischen und physikalischen Werken zur Verfügung. Seit 1430 wurde er von einem „Lector secundarius" unterstützt, der von einer besonderen Domvikarie, der „Praebenda theologicalis" unterhalten wurde. Mit dem Domdekan Albert Krantz (f 1517) und seinem Nachfolger Barthold Moller (f 1530) - beide zuvor bereits Professoren und Rektoren der Rostocker Universität - bekleideten zuletzt hochkompetente Persönlichkeiten die hamburgische Domlektur. 2 4 Allerdings gibt dies schon deshalb wenig Auskunft über ihre Wirksamkeit, weil über eine Teilnahmepflicht und über den Besuch ihrer Veranstaltungen nichts bekannt ist. Die Einrichtung dieser Stellen wies vielmehr zuerst auf empfundene Mängel, nicht schon auf deren Abstellung. Ähnlich deutete der „Schappendom" - ein Raum für Predigten und Disputationen,

21

JENSEN, D o m k a p i t e l ( w i e A n m . 1), 314, ähnlich 2 3 2 , 242, 288, 298, 338, 369, 378,

411. 22

A a O . , 387. A a O . , 346, ähnlich 2 7 7 , 306, 322, 330, 354, 362, 395, 4 0 3 . 24 POSTEL, R e f o r m a t i o n ( w i e A n m . 1), 69 f. Zu K r a n t z vgl. jetzt RAINER POSTEL, D o m d e k a n Albert Krantz (f 1517) u n d die Krise der alten Kirche, in: V e r e i n f ü r k a t h o l i sche K i r c h e n g e s c h i c h t e in H a m b u r g u n d S c h l e s w i g - H o l s t e i n e.V. B e r i c h t e u n d Mitteil u n g e n 8, 2 0 0 3 , 4 8 - 6 0 . 23

Hamburger

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der noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts an den Dom angebaut worden war 2 5 - zunächst auf den Wunsch, Mißstände zu bessern. Den Geistlichen standen außerdem die Pfarrbibliotheken zur Verfügung, den Vikaren auch eine Bücherei im „Brothaus". Aber auch hier ist über die Nutzung nichts überliefert. Für die Bildung der Geistlichen boten sich jedenfalls mancherlei Möglichkeiten. Die Kritik der Laien hatte nach alledem doppelte Bedeutung: Einerseits war in ihren Augen der Erfolg solcher Bildungsangebote ungenügend. Zum anderen faßten sie den Inhalt von „Bildung" und „Gelehrtheit" weiter, schlössen den geistlichen Habitus darin ein und brachten so die Zweifel an priesterlicher Eignung auf den Begriff.

II. Johannes Bugenhagen, der ja seit seiner Braunschweigischen Kirchenordnung 1528 jeweils auch das städtische Schul- und Bildungswesen neu konzipierte, griff die bürgerliche Kleruskritik auf, suchte jedoch auch an Vorhandenes anzuknüpfen. So stellte er in seiner Hamburgischen Kirchenordnung vom Mai 1529 fest: „Quackelpredikere hebben wy ghenoch ghehadt. Numen auersth wyll ghude predikere hebben / kanme kume eynen rechtschapenenn drapenn Alße Christus ßede De Arne [Ernte] ys vele / der Arbeyder ys weynich" 2 6 (Matth. 9, 37). Nach dem Ausscheiden des Kapitels, das als eine Art Fremdkörper in der Stadt weiterexistierte, und dem Wegfall der Altargeistlichkeit sah die Kirchenordnung nur noch die Pastoren und Kapläne der Haupt-, Spitalsund vormaligen Klosterkirchen vor, dazu den Superintendenten und Lektor, zusammen keine zwanzig Theologen - ein Zwanzigstel der früheren Klerikerzahl. Die Wahl lag jetzt beim Rat und den bürgerlichen Diakonen, d.h. den Vorstehern der neuen Gotteskästen. 27 Die Aufgaben von Pfarrern und Kaplänen seien, so Bugenhagen, offenkundig. Alle müßten „rechtschapene predigers des reynenn vnnd vnuoruelschedenn Euangelij Christj synn / welcke de schryffte des Nygenn Testamentes Bisschoppe / Prestere / Pastores / Doctores / Prophetenn Euangelistenn nhometh / de myth der hillighen scryfft / de ghelerdenn vnnd vnghelerdenn / wor ghodt myth dem hilligenn gheeste vorhanden ys / weldich-

25

POSTEL, R e f o r m a t i o n ( w i e A n m . 1), 6 3 .

26

JOHANNES BUGENHAGEN, Der Ehrbaren Stadt Hamburg Christliche Ordnung 1529.

D e O r d e n i n g e P o m e r a n i ( A K G H B d 13), u n t e r M i t a r b . v. ANNEMARIE HÜBNER h g . u.

übers, v. HANS WENN, Hamburg (1976), 66. 27 AaO., 68, 70.

Rainer Postel

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lick k o n n e n n v n d e r r i c h t e n n v n n d w y s e n v p p C h r i s t u m . " 2 8 F ä h i g k e i t z u r U n t e r w e i s u n g A l l e r im r e i n e n E v a n g e l i u m - ü b e r die e r f o r d e r l i c h e A u s b i l d u n g der P f a r r e r b e s a g t e d a s w e n i g K o n k r e t e s . A u c h d e r H i n w e i s „ D o c t o r e s " ist k a u m d i r e k t a u f ein U n i v e r s i t ä t s s t u d i u m zu b e z i e h e n . D e n n einerseits g a b es zu d i e s e r Z e i t n o c h k e i n e D o k t o r e n d e r e v a n g e l i s c h e n T h e o l o gie u n d h a t t e L u t h e r selbst noch j a h r e l a n g V o r b e h a l t e g e g e n die V e r l e i h u n g d i e s e s T i t e l s ( „ I h r sollt e u c h n i c h t R a b b i n e n n e n l a s s e n " ; M a t t h . 23, 8). Z u m a n d e r e n w u r d e n j e d e n f a l l s an den k ü n f t i g e n S u p e r i n t e n d e n t e n o f f e n b a r h ö h e r e , w e n n g l e i c h nicht f o r m a l e A n f o r d e r u n g e n gestellt: „ V o r alle d i n g k b e d a r u e w y e y n e s g h u d e n n S u p e r a t t e n d e n t e n n Dath ys e y n e s v p p s e h e r s / w e n [ w y ] en k o n n e n n a u e r k a m e n n . " 2 9 S o l c h e L e u t e seien rar. D e r S u p e r i n d e n d e n t solle n e b e n s e i n e n P r e d i g t e n w ö c h e n t l i c h vier l a t e i n i s c h e V o r l e s u n g e n f ü r die G e l e h r t e n halten. „ D a r u m m e m o e t h he g h e s c h i c k e t v n n d w e l d i c h s y n n in der h i l l i g h e n n s c h r y f f t . " 3 0 M a n w e r d e ihn s o n s t nicht g e r n e h ö r e n , u n d er w e r d e sich a u c h g e g e n m ö g l i c h e W i d e r s a c h e r a n d e r s n i c h t b e h a u p t e n k ö n n e n . - D i e s setzte ein S t u d i u m w o h l v o r a u s . A l l e r d i n g s sah die K i r c h e n o r d n u n g w e i t e r vor, d a ß a u c h e i n e r d e r P a s t o r e n den S u p e r i n t e n d e n t e n w ö c h e n t l i c h mit drei bis v i e r l a t e i n i s c h e n V o r l e s u n g e n f ü r die G e l e h r t e n u n t e r s t ü t z e n solle, „ D a t h b y v n n s a l ß o m y t h d e r h i l l i g e n n s c h r y f f t e t h l y k e d a g h e l y k e s g h e o u e t h w e r d e n n / Dath w y n y c h t aliene s t e d e s p r e d e k e r g h e n o c h h e b b e n n / ß u n d e r o c k t h o g r o t e r ß a l i c h e y t a n d e r e n n S t e d e n n g h u d e p r e d i k e r e a u e r g h e u e n n " 3 1 . D a n n k ö n n t e n a u c h die g e l e h r t e n B ü r g e r in ihren H ä u s e r n u n d bei ihren V e r w a n d t e n w e i t e r g e b e n , w a s sie im L e k t o r i u m g e l e r n t h ä t t e n . D i e P f a r r e r a u s b i l d u n g sollte also - w e n i g s t e n s t e i l w e i s e - a u ß e r h a l b der U n i v e r s i t ä t in H a m b u r g selbst u n t e r der A u f s i c h t der e i g e n e n K i r c h e n l e i tung erfolgen. Die faktische Schließung für H a m b u r g wichtiger Universitäten w i e R o s t o c k u n d G r e i f s w a l d u n d m e h r n o c h die t h e o l o g i s c h e U m b r u c h s i t u a t i o n u n d die sich a u f t u e n d e n G e g e n s ä t z e an den U n i v e r s i t ä t e n insgesamt gaben dafür eine plausible Erklärung. D i e K i r c h e n o r d n u n g sah f ü r H a m b u r g s o g a r ein e i g e n e s L e k t o r i u m f ü r v e r s c h i e d e n a r t i g e l a t e i n i s c h e V o r l e s u n g e n vor, a u c h j u r i s t i s c h e u n d m e d i z i n i s c h e 3 2 , - ein z u n ä c h s t u n a u s g e f ü h r t e r Plan, d e r erst 1613 mit der E r ö f f nung des halbuniversitären Akademischen Gymnasiums verwirklicht wurde. A u c h die f ü r d a s L e k t o r i u m v o r g e s e h e n e B i b l i o t h e k , 3 3 e i n e a u f L u t h e r z u r ü c k g e h e n d e Idee, k a m n i c h t z u s t a n d e . A b e r die h e r g e b r a c h t e t h e o l o g i -

28

AaO., AaO., 30 AaO., 31 AaO., 32 AaO., 33 AaO.,

29

64. 66. 68. 68. 54-58. 58, 60.

Hamburger

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sehe Lektur ging auf den Superintendenten über, dem alsbald auch wieder ein Lector secundarius beigesellt wurde - ein selbständiges geistliches Lehramt, das entgegen der Kirchenordnung nicht mit einer Pfarrstelle verbunden war. Außerdem sollten geeignete Pastoren und Kapläne zu lateinischen Vorlesungen herangezogen werden, dies aber nicht obligatorisch, denn „allem manne ock Pastorenn ys ßulckes nycht ghegeuenn" 3 4 . Die Zurückhaltung, mit der Bugenhagen der Bildung und wissenschaftlichen Fähigkeit künftiger Stadtgeistlicher entgegensah, ist bemerkenswert. Um so wichtiger schien deshalb nicht nur seine Neuordnung des gesamten Schulwesens (auch für Mädchen), 3 5 sondern auch sein Werben für das Universitätsstudium: Jedes hamburgische Kirchspiel sollte auf Vorschlag des Superintendenten und des Rektors sowie Subrektors der neuen Lateinschule, des Johanneums, einen Stipendiaten unterhalten, der später der Stadt nützen mochte; ein Studienfach war nicht festgelegt. 3 6 Tatsächlich nahm das Stipendienwesen der Stadt mit der Reformation erheblich zu, auch durch die entsprechende Umwidmung vormaliger Meßstiftungen. Einige private Stifter knüpften ihr Stipendium ausdrücklich an ein Theologiestudium an einer evangelischen Universität, damit die Stadt auch künftig mit geeigneten Pastoren versorgt werden könne. Als 1537 auch die Gotteskastenverwalter auf Veranlassung des Superintendenten und Stephan Kempes zwei Stipendien aussetzten, wurden zwei Hamburger Nutznießer, die später zu den namhaftesten hamburgischen Gelehrten zählten - der Goldschmiedssohn Hinrick Knost als Heinrich Knaustinus und der Schuhmacherssohn Hans Becker alias Johannes Pistorius. 37

III. Für die nachreformatorische Geistlichkeit Hamburgs erlaubt wiederum der Vergleich der überlieferten Namen mit den zeitgenössischen Matrikeln Aussagen über ihren Bildungsgang. 3 8 Dabei zeichnet sich eine Präferenz der Wähler für Kandidaten ab, die eine anerkannte Universität besucht hatten, und dies weit deutlicher, als Bugenhagen es vorgegeben hatte.

34 35 36 37

AaO., 58. AaO., 37-62. AaO., 62, 64. POSTEL, R e f o r m a t i o n ( w i e A n m .

1), 3 2 6 - 3 2 9 ; R A I N E R P O S T E L ,

Sozialgeschichtli-

che Folgewirkungen der Reformation in Hamburg, in: WENZEL LOHFF (Hg.), 450 Jahre Reformation in Hamburg. Eine Festschrift, Hamburg (1980), 63-84, hier 66-68. 38 Namen mit (nicht immer genauen) biographischen Hinweisen in WILHELM JENSEN, Die hamburgische Kirche und ihre Geistlichen seit der Reformation, Hamburg 1958. Bibliographie der Matrikeln in POSTEL, Reformation (wie Anm. 1), 345-348.

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Dies galt insbesondere für die fünf Superintendenten, die bis 1593 amtierten - Johannes Aepinus, Paul von Eitzen, Joachim Westphal, Cyriacus Simens und David Penshorn; danach wurde dies für den Rat manchmal unbequeme Amt (etwa unter dem Calvinistenfresser Westphal) nicht wieder besetzt, und der amtsälteste Hauptpastor trat als Senior an die Spitze der hamburgischen Geistlichkeit. Alle fünf Superintendenten hatten in Wittenberg studiert, von Eitzen und Westphal dazu an mehreren weiteren Universitäten. Die Bürger forderten besonders in der Anfangszeit so nachdrücklich den formalen Nachweis ihrer theologischen Kompetenz, daß sie die beiden ersten Amtsträger noch nach ihrer Wahl und Jahre nach ihrem Studium zur Doktor-Promotion nach Wittenberg schickten. 3 9 Aepinus, 1532 gewählt, war zuvor Hauptpastor zu St. Petri gewesen; sein Nachfolger in der Supterintendentur, von Eitzen, hatte immerhin bereits eine Theologieprofessur in Rostock bekleidet. Die verordneten Bürger forderten 1533 in einem Brief an Bugenhagen, der Superintendent müsse als erster Lektor „eyne Qualificerde parsonne nemptlick doctor theologie syn" 40 . So wurde Aepinus, gemeinsam mit Johannes Bugenhagen und Kaspar Cruciger zu einem der drei ersten Doktoren der evangelischen Theologie promoviert. Die späteren Superintendenten wiesen wenigstens den Magistergrad, Simens gleichfalls den Doktortitel vor. Auch die Lectores secundarii des 16. Jahrhunderts hatten sämtlich studiert, außer dem ersten, der dem alten Kapitelsklerus entstammte, wiederum durchweg in Wittenberg, einige spätere auch in Rostock, und alle waren als Magister ausgewiesen. Für die Pastoren der vier Hauptkirchen ergibt sich ein ähnliches Bild. Insgesamt amtierten während des 16. Jahrhunderts 24 evangelische Hauptpastoren - 9 nacheinander an St. Petri, je 6 an St. Nikolai und an St. Jacobi, 3 an St. Katharinen. Nur für vier von ihnen habe ich bislang keine Immatrikulationen gefunden: für Johann Zegenhagen, einen Prädikanten der ersten Stunde; für den gebürtigen Niederländer Nikolaus Staphorst, Stammvater einer beachtlichen gelehrten Nachkommenschaft; einen weiteren Niederländer, Johann Heinrich Zarius, und den Friesen Dietrich Jürgens. Daß wenigstens die drei Letztgenannten irgendwo studiert hatten, halte ich für wahrscheinlich. Gut zwei Drittel (17) der Hauptpastoren hatten den Magistergrad erlangt. Die Verteilung der Inskriptionen - Hochschulwechsel einbezogen -

39

C. REDLICH, Korrespondenz der Diaken und verordneten Bürger der Stadt Hamburg mit den Wittenberger Theologen, insonderheit Johannes Bugenhagen, die Doktorpromotion Aepins betreffend, in: Mitt. d. Ver. f. Hamburgische Geschichte, Jg. 8, 1885, 6 5 - 7 2 ; J. LIEBOLDT, Paul von Eitzen's Doktorpromotion im Mai 1556, in: Mitt. d. Ver. f. Hamburgische Geschichte, Jg. 19, 1898/99, 1900, 220-223. 40

REDLICH, K o r r e s p o n d e n z ( w i e A n m . 3 9 ) , 6 7 .

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ergibt wiederum ein deutliches Übergewicht für Wittenberg (12 Einschreibungen) vor Rostock (7), Erfurt, Greifswald und Jena (je 2), Basel, Frankfurt und Marburg (je 1). Diese Verteilung, bei weiterer Nachsuche möglicherweise geringfügig zu modifizieren, entspricht im übrigen den Präferenzen der hamburgischen Studentenschaft. Hier hatte Rostock zunächst den weitaus größten Zuspruch gefunden, war aber mit der Reformation ins Hintertreffen und selbst in eine Krise geraten, während die Hamburger nun die Universität Wittenberg deutlich bevorzugten, und zwar auch nach der Wiederaufrichtung der Rostocker Alma mater, an der Hamburg und andere Hansestädte wesentlichen Anteil hatten. Die Hochschulen Frankfurt/Oder und Greifswald, die vor der Reformation noch einigen Zulauf aus Hamburg hatten, spielten danach zahlenmäßig eine ähnlich geringe Rolle wie die übrigen deutschen und europäischen Universitäten. 41 Für die Entscheidung über den Studienort spielten dessen Entfernung und leichte Erreichbarkeit eine Rolle, mehr offenbar noch der Anreiz durch namhafte Gelehrte und seit der Reformation die konfessionelle Orientierung der Hochschule, vor allen Dingen aber die Wirksamkeit Luthers und Melanchthons. Sie hatte zumal für angehende Theologen besonderes Gewicht. - Im übrigen zeichneten sich bei einigen bürgerlichen Familien auch Studier- und Studienorttraditionen ab. Neben den evangelischen Hauptpastoren sind an den vier Hamburger Hauptkirchen bis zum Jahr 1600 60 Kapläne auszumachen. Bei ihnen war der Anteil an Akademikern offenbar geringer - ob nun weniger Wert auf solche Qualifikation gelegt wurde oder ob für diese weniger attraktiven Stellen weniger Kandidaten bereitstanden. Nur gut die Hälfte (33) der Kapläne habe ich bislang in den Matrikeln gefunden, von denen wenigstens 14 den Magistergrad erlangten. Ähnlich stand es mit den Pastoren der Spitalskirchen zum Heiligen Geist, St. Hiob und St. Georg sowie der ehemaligen Klosterkirchen St. Johannis und Marien Magdalenen, wo nur rund die Hälfte (15) der 31 Namen auch in den Hochschulmatrikeln begegnet und 9 als Magister erscheinen. Unbeschadet einiger Unsicherheiten ergibt sich für die beiden letztgenannten Gruppen eine ähnliche Verteilung wie bei den Hauptpastoren: Von 53 Inskriptionen entfallen 30 auf Wittenberg, 17 auf Rostock, 5 auf Helmstedt und eine auf Greifswald. Mochte also für geringere geistliche Ämter ein akademisches Studium entbehrlich sein, so war es für Karrieren gleichwohl förderlich: Siebenmal stiegen Geistliche innerhalb der Stadt in höhere Kirchenämter auf (die Superintendenten nicht gerechnet); fünf von ihnen hatten nachweislich, die

41

POSTEL, Reformation (wie Anm. 1), 344 f.

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schon genannten Jürgens und Zarius wahrscheinlich studiert (wobei der Aufstieg im übrigen diese Vermutung erhärtet). Die skizzierte Übersicht ist vorläufig und vielleicht lückenhaft. Weitere Nachsuche dürfte den Eindruck weiter verstärken, daß für die Theologenausbildung in nachreformatorischer Zeit das Universitätsstudium erheblich an Bedeutung gewann und daß nicht nur die Wahl des Studienortes, sondern auch die Rekrutierung der Geistlichen aus den Absolventen einschlägiger Hochschulen einen Spiegel fortschreitenden Konfessionalisierung boten.

IV. Bildungsgang und -ort der hamburgischen Geistlichen geben davon ein anschauliches Bild. Es zeigt gleichwohl nur die Oberfläche theologischer Ausbildung und gibt über deren Inhalte wenig Auskunft. Immerhin ist die Geschichte vieler theologischer Fakultäten erforscht, so daß hier bei systematischer Zusammenschau weitere Klarheit gewonnen werden kann. Aber aus der Sicht der vorgetragenen Befunde werfen bereits die uneinheitlich geführten und teilweise evident fehlerhaft edierten Matrikeln Fragen auf. Eine systematische, EDV-gestützte Erschließung aller erhaltenen Matrikeln könnte hier eine zuverlässige Grundlage für weitere Aussagen schaffen. Noch schwieriger als die Ermittelung von Einschreibungen ist zumeist die Bestimmung von Studiendauer, -fach und -abschluß, über die oft nur zufallige Nachrichten vorliegen. Selbst die Angabe „Magister" läßt häufig offen, in welcher Fakultät der Grad erlangt, ob also wirklich substantielles theologisches Wissen erworben wurde. Einen eigenen, noch wenig aufgehellten Fragenkreis bietet die Krise der Universitäten in der Frühzeit der Reformation. 4 2 Der Rückgang der Studenten, die Orientierungsprobleme und mancherorts die Schließung von Hochschulen waren ein Problem, mit dem die Konfessionalisierung der Universitäten einsetzte. Bereits das Wittenberger Beispiel zeigt, daß es auch eine Krise der Theologenausbildung war. Und schließlich müßte - auch in diesem Zusammenhang - der nichtakademischen Theologenausbildung nachgegangen werden, wie sie Bugenhagen in seiner Kirchenordnung für Hamburg konzipierte, über deren Praxis jedoch kaum Nachrichten auf uns gekommen sind. 42

Vgl. für Rostock jetzt MATTHIAS ASCHE, Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der Frühen Neuzeit (1500-1800) (Contubernium, Bd 52), Stuttgart 2000, 38-54, 81 ff. u.ö.

Bildung und Wissenskultur der Geistlichkeit im Danzig der Frühen Neuzeit SVEN TODE

„Wo man nu nicht schulen recht anrieht, wurt man ungelerte prediger allenthalben auff stellen müssen, die unfrid und Zerstörung aller ding anrichten werden." 1

I.

Wissen als gesellschaftliche Größe gewinnt in der frühneuzeitlichen Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Bildung als eine normierte Form von Wissen ermöglicht den vertikalen Aufstieg innerhalb der ansonsten ständisch organisierten frühneuzeitlichen Gesellschaft. Es entsteht eine Bildungselite. Der Plattformberuf des Seelsorgers bot eine Vorraussetzung für die Durchbrechung starrer ständischer Grenzen, wobei sich als Ergebnis gezeigt hat, dass der Anteil der über den Pfarrerberuf sozial aufgestiegenen Personen, im Vergleich zu den katholischen Seelsorgern, in der evangelischen Kirche gering ist. 2 Die Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs, welcher beispielsweise über die katholischen Priesterseminare auch für die ländliche Bevölkerung und sozial niedrigstehende Schichten erreichbar war, 3 zeigten bezüglich der vertikalen Mobilität eine deutlichere Wirkung als im protestantischen Bereich. Überspitzt ließe sich formulieren, dass die Priesterseminare auch zu einer Demokratisierung der Gesellschaft führten.

1

MELANCHTHON, C R 2 0 , 6 5 9 f. z i t i e r t n a c h HUBERT KIRCHNER, D e r d e u t s c h e

Bau-

ernkrieg im Urteil der Freunde und Schüler Luthers, Greifswald 1969 (MS) Habil. Theol. Bildung wird bei Melanchthon zum Garant von Frieden. 2 Ergebnis meines Forschungsprojektes „Evangelische Geistlichkeit und katholischer Seelsorgeklerus in Danzig und im Fürstbistum Ermland 1520-1772" am Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft 435 an der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt/M. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für die großzügige Förderung und meinen Frankfurter Kollegen für die instruktiven Gespräche und die kollegiale Kritik. 3 Dies ließ sich zumindest für das Ermland nachweisen, in dem sich für den Untersuchungszeitraum 88 % der Pfarrer von Braunsberg, Heilsberg, Guttstadt und Frauenburg aus der Diözese rekrutierten.

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Die protestantischen Pfarrer sahen sich sowohl gegenüber ihren Gemeinden als auch gegenüber ihren katholischen Amtsbrüdern im Erklärungszwang, ihre Stellung innerhalb der Kirche und gegenüber Obrigkeit und Gemeinde zu definieren. Dem ursprünglichen Diktum Luthers vom Priestertum aller Gläubigen wurde zugleich die Bedeutung des Wortes entgegengesetzt, der Protestantismus versteht sich als Worttheologie, die Glaubenserfahrung wird durch das verkündigte Wort in der Predigt erlebt. Hieraus ziehen die protestantischen Seelsorger ihre hervorgehobene Amtsstellung - und hier wird das Wissen um die Ausführung des Gottesdienstes, um die Auslegung des Gottes Wortes, um die theologischen Diskurse zur Wasserscheide zwischen Seelsorger und Gemeinde so wie Obrigkeit. Auch hier liegt die zentrale Bedeutung der Bildung und Ausbildung der protestantischen Pfarrer begründet. Zudem wurden das Wissen und die Vermittlung des Wissens zur Grundlage des eigenen Glaubens und zur konfessionellen Abgrenzung. In diesem Zusammenhang wird dem Wissen auch um die eigene (Kirchen)Geschichte geradezu eine Bedeutung für das Seelenheil zugedacht, lehrt sie doch die Unterschiede zwischen katholischem und protestantischem Glaubensverständnis und die Rahmenbedingungen für die Befreiung der Gläubigen aus dem päpstlichen Joch. 4 Haben wir es in der Frühen Neuzeit mit einer vorsäkularen Gesellschaft zu tun, die durch göttlich offenbarte Tradition überliefertes Wissen als Glaubenswissen erfasst, welches kontinuierlich neu erlebt wird und eine statische, unverfälschte Tradierung erfährt, ohne die Anpassung an gesellschaftlichen Wandel vollziehen zu können, so kann sich ein Wandel nur innerhalb dieser Systematik vollziehen. Die Gewichtungen eines solchen juridischen Wissensbegriffes können sich innerhalb eines geschlossenen Koordinatensystems verschieben, ohne die Liste dessen, was Glauben ist oder sein soll in Frage zu stellen. Es wird dabei ebenso wenig an der Göttlichkeit der Schöpfung gezweifelt wie daran, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse nur innerhalb deterministischer Vorgaben gesellschaftliche Relevanz erreichen können. Insofern unterscheidet sich die Epoche der Frühen Neuzeit evident von jener postsäkularen und aufgeklärten Gesellschaft folgender Jahrhunderte. Bewertungsversuche post rem würden die Erkenntnismöglichkeiten verstellen, da anachronistische Fragestellungen die Genuität damaligen Daseins nicht erreichen. Bildung separiert - durch Ausschluss von oder Teilhabe an ihr, durch Alphabetisierung, Sprachcodes, spezifische Lehr- und Lerninhalte und 4 SVEN TODE, Vom Sinn und Nutzen der Historie für das Seelenheil. Theodor Meißners Vom Heydentum der Danziger (1717), in: CARSTEN KRETSCHMANN (Hg.), Wissenspopularisierung: Konzepte der Wissensverbreitung im Wandel (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, 4), Berlin 2003, 142-155.

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Wertekanons. Wissensinhalte und Wissenswertigkeiten werden normiert, Bildungsmilieus entstehen. Es ist somit keinesfalls allein philanthropisch sich mit Bildungsinhalten zu beschäftigen, vielmehr führt eine derartige Analyse in den Kern jeder Gesellschaftsformation. Im Folgenden sollen kurze Überlegungen anhand der Bildungswege-, der Ausbildungsstätten und der Lehr- und Lerninhalte protestantischer Seelsorger in der Frühen Neuzeit angestellt werden. Dabei kann angesichts des Forschungsdesiderats keine Vollständigkeit angestrebt werden, vielmehr gilt es, erste Ergebnisse einer umfassenderen Studie zur Diskussion zu stellen und erste, vorläufige These zu entwickeln. Untersuchungsgegenstand sind hier allein die Seelsorgekleriker. Räumlich beschränke ich mich auf Stadt und Land Danzig. Insgesamt konnten so immerhin ca. 780 Seelsorger für Danzig erfasst (1520-1772) und ausgewertet werden, wobei die Quellengrundlage nicht immer eine umfassende Analyse zulässt. Als Quellen sind zunächst Testamente, Leichenpredigten, Visitationen, Schüler- und Matrikelverzeichnisse, Bücherverzeichnisse und Inventare heranzuziehen. Im normativen Bereich wurde auf Ausbildungsordnungen, Schul- und Kirchenordnungen sowie auf Predigtanalysen zurückgegriffen, dabei insbesondere jene, in denen konfessionelle Auseinandersetzungen wichtige Quellen für das Amtsverständnis der Seelsorgekleriker in der Inn e n - und Außenwirkung darstellen. Schließlich geben Suppliken einen lebhaften Einblick in die Alltagswirklichkeit von Seelsorgern und ihren Gemeinden.

II. Theologisches Wissen ist zunächst in gelerntes (Universität), erlerntes (Kultus) und normatives Wissen (Ordnungen) zu trennen, mithin die Bereiche des Wissenskanons, der von institutioneller Seite anhand von Kanonischem Recht, Kirchenordnungen und Glaubensgrundsätzen perpetuiert wurde, jenes Wissen, welches an den Ausbildungsstätten gelehrt wurde und prüfungsrelevant war und jenem Wissen, welches als kollektives Gedächtnis sich durch regionale, soziale sowie räumliche Einflüsse differenziert und sich entsprechend unterschiedlich entwickelt hat. Die Quellengattungen und der Zugang zu diesen differenzierten Wissensbereichen sind höchst unterschiedlich, sowohl in Quantität wie in Qualität. Der methodische Ansatz muss jeweils variiert oder überhaupt erst entwickelt werden. Als Arbeitskategorien theologischen Wissens werden die Differenzen zwischen Lebenspraxis, Sinnbildungskonventionen und Habitusformen herauszustreichen sein. Dabei zeigen sich Differenzen, die sich als (1) Theo-

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logie als gesicherte Erkenntnis (Theologie als Theorie/theoretisches Wissen), als (2) Glaube als Wissen, mithin Theologie als Doxa, als dogmatisches Wissen, und als (3) institutionelles Wissen (kirchliche Prärogative) weiter untersuchen ließen und die obigen Kategorien anhand von normativen und lebensnahen Quellen füllen würden. Die Theoreme von Konfessionalisierung, Sozialregulierung und Sozialdisziplinierung, sowie von katholischer Reformbewegung würden bei einer solchen Analyse eine Verifizierung anhand aufbereiteten Quellenmaterials im Verdichtungs- und Differenzierungsprozess von theologischem Wissen erfahren. Dabei müssen zunächst die methodischen und theoretischen Ansätze erörtert werden, bevor diese auf die geschichtswissenschaftlichen Modelle übertragen oder in ihrer konfessionellen Sonderheit als solche angewandt werden. Für die Vermittler von theologischem Wissen, Professoren und Prediger, gilt es dabei, den ihnen vermittelten Lehrkanon ebenso zu erfassen, wie die durch sie weitergetragenen Lehrinhalte in Predigten und Katechismusunterricht und deren räumlichen, zeitlichen und konfessionellen Besonderheiten in der jeweiligen Ausprägung theologischen Wissens nachzuspüren. Dabei ist auch an das Wechselspiel zwischen professionellem Wissen und laienorientiertem Handlungswissen zu denken. Schließlich ist theologisches Wissen diskursiv zu sehen, in seiner strukturellen, normativen und immanenten Fortentwicklung. Freilich geht es auch darum, theologisches Wissen als Voraussetzung für praktische Seelsorge in einer präsäkularisierten Welt zu verstehen. Für die Analyse der Wissensvermittlung durch die Seelsorger kristallisieren sich drei Untersuchungsebenen heraus: 1. Vermittlung von Wissen auf verschiedenen Niveaus und durch verschiedene Hierarchien. 2. Eine präzise Beschreibung, welche konfessionellen Wahrheiten, Normen und Handlungsmuster (rituelle ebenso wie soziale) idealiter vermittelt werden. 3. Die Untersuchung der Umsetzungswege des konfessionellen Wissens, d.h. die Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen tatsächlicher und intendierter Wirkung konfessionellen Wissens. Ausgehend von diesen Vorgaben lassen sich allerdings erhebliche gesellschaftliche Veränderungen in der Bedeutung von Wissenskultur ausmachen. Der Anspruch der Reformation, die Stellung des Einzelnen zu Gott neu zu definieren, ihn vom Objekt zum Subjekt aufzuwerten, ihn in das Zentrum der Heilserwartung zu stellen, führt nicht nur zu erheblichen gesellschaftlichen Veränderungen, sondern auch zu einer neuen Verortung

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von Wissen und zur Erkenntnis des neuen gesellschaftlichen Stellenwerts von Wissen (oder Erkenntnis dieser perpetuierten Positionierung). Zentrale Forderung des Protestantismus ist die Wissensvermittlung des Wortes Gottes in reiner Form und in der jeweiligen Landessprache. Die Alphabetisierung weiter Kreise der damaligen Gesellschaft, der Verlust eines Bildungsprivilegs hin zu einer Vergesellschaftung von Wissen, legte nicht nur die Grundlage für eine neue Heilserwartung, sondern griff auch die Wurzeln des auf Geburtsrechten basierenden Ständestaates an. Bildung wurde zum gesellschaftlichen Movens, zu einer Grundlage vertikaler Mobilität. Schließlich ist der Prediger als Medium, als Interprétant von Kultur, als Kultus- und Kulturträger, als Verbreiter einer - besonders auf dem Land fehlenden Nachhaltigkeit von Wissenselementen in Form von Schriftlichkeit, als fixiertes gegenüber dem kollektiven Gedächtnis, als Filter überlieferter Erinnerung und kultureller Wirklichkeiten zu charakterisieren. Er ist Kulminationspunkt - zumindest was die Wissenskultur angeht - frühneuzeitlicher gesellschaftlicher Veränderung.

III. Durch die Reformation gab es eine zweite Gründungswelle von Universitäten. Bildung bekam durch Luther im Protestantismus und in dessen Folge auch im Katholizismus durch die Bestimmungen des Trienter Konzils einen neuen Impuls und einen gesellschaftlich steigenden Wert. Die Neugründungen der Universitäten Marburg (1527), Königsberg (1544), Jena (1548), Helmstedt (1576) und der neuausgerichteten Greifswalder Alma Mater (1539) führten dazu, dass es um 1600 eine deutliche Dominanz protestantischer Universitäten im Reich gab: 11 lutherischen Hochschulen mit 2500 Studenten standen zwei calvinistische (Heidelberg und Herborn) mit 250 Studenten und 6 katholische Universitäten mit 400 Studenten gegenüber. Hinzu kommen noch die Akademischen Gymnasien, deren Lehrkanon nicht selten identisch mit denen von Universitäten war. 5 „Wie das preußische Volk durch die Gnade der waltenden Gottheit sehr zahlreich ist, so hat es in hervorragender Weise Sinn für höhere Bildung." 6 Der Einfluss der Reformation auf die Entwicklung des Schulwesens im Königlichen Preußen wird in der Gründung neuer Schulen, der Umwid5 Für Preußen wären die akademischen Gymnasien in Danzig, Thorn, Elbing und Kulm zu nennen. 6 LEOPOLD PROWE, Nicolaus Copernicus, Erster Band, vierter Abschnitt: Das „Economium Borussiae des Rheticus, Berlin 1883, 451, FRANZ BECKMANN, Rhetikus in Preußen und seine Gönner in Preußen, in: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde

Ermlands 3 (1886), 1-27.

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mung alter Lehranstalten in protestantische Einrichtungen und der Identifizierung - insbesondere der städtischen - Obrigkeiten mit ihren Bildungseinrichtungen deutlich. Der erste Versuch, auf dem Gebiet des nördlichen Polens eine Universität zu errichten, ging im 14. Jahrhundert vom Deutschen Orden aus. In Kulm (Chetmno) sollte ein Studium generale entstehen, das als Gegengewicht zur Krakauer Universität und ihrem Einfluss fungieren, und dem die Universität Bologna als Vorbild dienen sollte. Dieses Vorhaben konnte schließlich nicht realisiert werden. Mit dem Einzug der Reformation in Polen wurde dort der Ruf nach einer protestantischen Universität laut, da das Schulwesen grundlegendes Instrument zur Durchsetzung des reformatorischen Gedankenguts war. Bereits in den 50er Jahren des 16. Jahrhunderts forderten Protestanten wie Piotr Statorius 7 , Franciszek Lismanin 8 , Jan Laski 9 , entweder die Krakauer Akademie mit Hilfe von protestantischen Lehrern für eigene Zwecke zu gewinnen, oder eine neue, protestantische Schule nach dem Vorbild Philipp Melanchthons zu errichten. Die letztere Konzeption fand mehr Befürworter, konnte aber schließlich wegen des schwindenden protestantischen Einflusses in Polen nicht realisiert werden. 10 Fruchtbarer stellte sich die Situation des protestantischen Schulwesens im Königlichen Preußen dar. In Elbing entstand bereits 1535 ein evangelisches Gymnasium, organisiert und geleitet vom niederländischen Humani-

7 Piotr Statorius-Stojenski ( f l 5 9 1 ) Calvins Schüler, seit 1556 Lehrer und seit 1561 Rektor des Pinczower Gymnasiums. Autor des ersten vollständigen Grammatiklehrbuchs Polonicae grammatices institutio, Cracoviae 1568. Vgl. EDUARD KNEIFEL, Geschichte der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen, Niedermarschacht 1962, 24, 27. 8 Francesco Lismanini (*um 1504, Korfu, fApril 1566, Königsberg) Franziskaner, später Calvinist. Vgl. HENRYK BARCZ, Lismanin, Franciszek, in: Polski Stownik Biograficzny, Bd. 17, Warszawa 1972, 465-470; DERS., Meandry Lismaninowskie, in: Odrodzenie i Reformacja w Polsce 16 (1971), 44-49 [Lismanis Mäander]; ERICH WENNEKER, Lismanini, Francesco, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 5, Herzberg 1993, 124-127. 9 Johannes a Lasco (* 1499 in Lask, f8.1.1560 in Pinczöw) Neffe des Erzbischofs von Polen und Bischofs von Gnesen. Vgl. OSKAR BARTEL, Jan Laski, Teil. 1 (1499-1556), Warszawa 1955; HENNING P. JÜRGENS, Johannes a Lasco 1499-1560: ein Europäer des Reformationszeitalters, (Veröffentlichungen der Johannes-a-Lasco-Bibliothek, Große Kirche Emden, 2), Wuppertal 1999; HALINA KOWALSKA, Dzialalnosc reformatorska Jana Laskiego w Polsce (1556-1560), Wroclaw 1969 [Die reformatorische Tätigkeit von Jan Laski in Polen]; CHRISTOPH STROHM (Hg.), Johannes a Lasco (1499-1560). Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator. Beiträge zum internationalen Symposion vom 14.-17. Oktober 1999 in der Johannes a Lasco Bibliothek, (Spätmittelalter und Reformation N.R., 14), Tübingen 2000. 10 In Posen wurde 1519 die Lubranski-Akademie (das Lubranscianum) gegründet.

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sten Wilhelm Gnapheus. 1 1 In Thorn sah die Situation ganz ähnlich aus. Dank der Bemühungen des Bürgermeisters Heinrich Stroband entstand dort 1568 ein Gymnasium auf hohem Bildungsniveau, dessen Vorbild die Straßburger Schule Johannes Sturms 12 war. Strobands Pläne, in Thorn eine protestantische Akademie für ganz Königlich Preußen im Einvernehmen mit anderen preußischen Städten zu errichten, scheiterten am Widerwillen des Königs und am Ehrgeiz jener Städte, ebenfalls eine Akademie innerhalb der eigenen Mauern aufzubauen. Der Misserfolg brachte die preußischen Gymnasien jedoch dazu, Schulreformen durchzuführen, die die Gymnasien dem Universitätsniveau annähern sollten. Zu den Maßnahmen zählten Änderungen im Lehrprogramm, Reorganisation der Struktur der Gymnasien, und vor allem Verstärkung des Lehrkörpers durch hoch qualifizierte Spezialisten aus verschiedenen Wissenschaftszweigen, die andernorts aufgrund ihrer Überzeugungen verfolgt wurden. Dies machte die preußischen Gymnasien europaweit bekannt und berühmt, so dass zahlreiche ausländische Studenten an den preußischen Gymnasien ausgebildet wurden, und nicht selten über die Hälfte der Studentenschaft ausmachten. In Danzig gab es ähnliche Versuche wie in Elbing und Thorn ein akademisches Gymnasium zu gründen von Andreas Aurifaber (Goldschmied), 1 3 der ein Schüler Melanchthons war und anschließend Rektor der Marienschule wurde. 1539 veröffentlichte er sein pädagogisches Pro" Gnapheus (auch: Willem van de Voldersgraft; Willem de Volder, Guilielmus Fullonius, * 1493 in Den Haag, f29.9.1568 in Norden, Ostfriesland) kam 1531 nach Elbing. Auf Drängen des ermländischen Bischofs, Jan von Höfen (Dantyszek) vom Rat entlassen, ging er 1543 nach Königsberg um Rektor des neugegründeten Partikulars und Professor der Philosophie an der 1544 gegründeten Königsberger Universität zu werden. Vgl. FRIEDRICH W. BAUTZ, Gnapheus, Guilielmus, in: Biograpahisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 2, Hamm 1990, 256-257; JÖZEF LASSOTA, Wilhelm Gnapheus ( 1 4 9 3 1568) twörca elbl^skiego gimnazjum, dramaturg i reformator, in: Rocznik Elbl^ski 2 (1963), 37-66 [Wilhelm Gnapheus (1493-1568) Begründer des Elbinger Gymnasiums, Dramaturg und Reformator]. 12 Der deutsche Humanist und Schulreformer Johannes Sturm (1507-1589) war der Mitbegründer und erster Rektor des 1539 entstandenen Straßburger Gymnasiums. Vgl. Louis KÜCKELHAHN, Johannes Sturm, Straßburgs erster Schuldirektor, Leipzig 1872; HANS-JOSEF KREY, Johannes Sturm, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 11, Herzberg 1996, 145-149; ERNST LAAS: Die Pädagogik des Johannes Sturm, Leipzig 1872; CHARLES SCHMIDT, La vie et les tarvaux de Jean Sturm, Straßburg 1855, mit Bibliographie, 314-331; RICHARD ZOEPFFEL, Über Johann Sturm, den ersten Rektor der Straßburger Akademie, o.O. 1887. 13 Andreas Goldschmied, oder auch latinisiert Aurifaber, kam auf Empfehlung von Melanchthon in die Stadt, wo er für ein Jahr das Rektorat an der Marienkirche bekleidete. Er hatte 1527 in Wittenberg studiert und dort das Bakkalaureat und den Magister verliehen bekommen. Vgl. EDUARD SCHNAASE, Andreas Aurifaber und seine Schola Dantiscana, Ein Beitrag zur Geschichte der Schulen in Danzig, in: Altpreußische Monatsschrift 11 (1874), 304-325.

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gramm unter dem Titel „Schola Dantiscana cum exhortatione ad literas bonas, Latina et Germanicam" 1 4 in dem er humanistisches Gedankengut mit reformatorischen Tendenzen verknüpfte. Zur vollen Entfaltung des protestantischen Schulwesens auf diesen Gebieten konnte es allerdings erst mit dem Toleranzedikt für die preußischen Städte Sigismunds II. im August 1558 kommen. Just in diesem Jahr entstand in Danzig das reformatorische Studium particulare, das seit 1568 den Namen Gymnasium Dantiscanum trug. Aufgrund von Reformen des Rektors Jacob Fabritius 15 1580 wurde das Danziger Gymnasium zu einer organisierten Hochschule, um ein Jahrhundert später den verdienten Namen Gymnasium Academicum sive Illustre bzw. Athenae Gedanenses zu tragen. Als Beweis für die universitäre Ausrichtung der Gymnasien kann die Tatsache gelten, dass viele Studenten ihre Ausbildung an regulären Universitäten wie Königsberg, Krakau oder Frankfurt begannen und sie dann am Danziger Gymnasium fortsetzten. Außerdem spricht die Einrichtung eines Immatrikulationssystems für den universitären Charakter der Schulen, das durch Matrikel listen bis heute überliefert ist. Die älteste Matrikelliste aus dem Danziger Gymnasium stammt von 1580. 16 Dennoch blieb die 1544 gegründete 1 7 und 1560 durch den polnischen König privilegierte Albertina, 1 8 die Albertus-Universität zu Königsberg in Preußen, 1 9 die einzige Universität im ehemaligen preußischen Ordensland, 14 Die S c h o l a D a n t i s c a n a e r s c h i e n 1539 bei F r a n z R h o d e in D r u c k . Das W e r k w a r o f f e n s i c h t l i c h einige Zeit v e r s c h o l l e n b e v o r es 1866 d u r c h den d a m a l i g e n D a n z i g e r Prediger an St. M a r i e n , Bertling, in der D a n z i g e r S t a d t b i b l i o t h e k w i e d e r g e f u n d e n w u r d e . Der lateinische T e x t wird a b g e d r u c k t in EDUARD SCHNAASE, A n d r e a s A u r i f a b e r u n d seine S c h o l a D a n t i s c a n a , Ein B e i t r a g zur G e s c h i c h t e der S c h u l e n in D a n z i g , in: A l t p r e u ß i s c h e M o n a t s s c h r i f t 11 ( 1 8 7 4 ) , 4 5 6 - 4 8 0 . 15

A l s R e k t o r des G y m n a s i u m s w a r 1579 z u n ä c h s t Dr. C h r i s t o p h P e z e l i u s b e r u f e n w o r d e n , der aus W i t t e n b e r g w e g e n c a l v i n i s t i s c h e r U m t r i e b e v e r t r i e b e n w u r d e u n d in B r e m e n a n s ä s s i g g e w o r d e n w a r , den R u f n a c h D a n z i g aber ablehnte. 16 Die Matrikelliste d e s D a n z i g e r G y m n a s i u m s b e f i n d e t sich im S t a a t s a r c h i v D a n z i g . Sie b e s t e h t aus zwei B ä n d e n . Bd. 1: Sign. 300, 4 2 / 9 2 , f ü r die J a h r e 1 5 8 0 - 1 6 2 9 . Eintrag u n g e n mit T i n t e u n d d e r s e l b e n H a n d , h ö c h s t w a h r s c h e i n l i c h v o n J a c o b Fabritius selbst, der 1 5 8 0 - 1 6 2 9 R e k t o r a m G y m n a s i u m w a r . Bd. 2: Sign. 300, 4 2 / 9 2 , K o p i e der J a h r e 1 5 8 0 - 1 6 2 9 , a n s c h l i e ß e n d f ü r die J a h r e 1 6 3 0 - 1 8 1 4 . N e b e n der M a t r i k e l l i s t e n enthält er auch K o p i e n d i v e r s e r Q u e l l e n z u m T h e m a D a n z i g e r S c h u l w e s e n im 1 6 . - 1 8 . Jh. 17

Z u n ä c h s t am 2 4 . 1 0 . 1 5 4 1 als Partikular u n d im Juli 1544 als U n i v e r s i t ä t mit 4 F a k u l täten und 11 P r o f e s s o r e n g e g r ü n d e t , a l l e r d i n g s erst 1560 d u r c h S i g i s m u n d II. A u g u s t privilegiert. 18 A l s solche e r s t m a l s 1744 b e z e i c h n e t , aber erst im L a u f e d e s 19. J a h r h u n d e r t als S y n o n y m f ü r die K ö n i g s b e r g e r Universität üblich. 19 A u c h die K ö n i g s b e r g e r U n i v e r s i t ä t w a r aus e i n e m P a r t i k u l a r h e r v o r g e g a n g e n . Z u r G e s c h i c h t e der A l b e r t i n a vgl. DANIEL H. ARNOLD, A u s f ü h r l i c h e u n d mit U r k u n d e n vers e h e n e Historie des K ö n i g s b e r g i s c h e n U n i v e r s i t ä t , K ö n i g s b e r g 1 7 4 6 - 1 7 6 9 ; MAX TOPPEN, G r ü n d u n g der Universität K ö n i g s b e r g , K ö n i g s b e r g 1844; KASIMIR LAWRYNOWICZ, AI-

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mithin dem Herzogtum Preußen und im Preußen königlichen Anteils. Forderungen protestantisch gesinnter Sejmmitglieder, einhergehend mit dem königlichen Verbot, die Wittenberger Universität zu besuchen, für adäquaten Ersatz in Polen zu sorgen, wurden von der Krone ignoriert. 20 Durch fehlende universitäre Einrichtungen in Preußen königlichen Anteils erreichten die akademischen Gymnasien in Danzig, Thorn und Elbing einen Status, der sie von gewöhnlichen Lehranstalten, die auf den Universitätsbesuch vorbereiten sollten, unterschied. 21 Nun waren akademische Gymnasien häufig der Grundstock für die Gründung späterer Universitäten. Hier sei nur auf das Gymnasium Montanum in Köln verwiesen. 2 2

IV. Im Zuge der reformatorischen Bewegung in Danzig wurde frühzeitig der Ruf nach einer unabhängigen, protestantischen Bildungsanstalt laut. 23 Die bertina, Zur Geschichte der Albertus-Universtität zu Königsberg in Preußen, Berlin 1999 (Abhandlung des Göttinger Arbeitskreises, 13); GÖTZ VON SELLE, Geschichte der Albertus-Universität zu Königsberg, Würzburg 1956; STEFAN HARTMANN, Quellen zur Königsberger Universitätsgeschichte in der frühen Neuzeit (16.-18. Jh.), in: Zeitschrift für O s t f o r s c h u n g 4 3 ( 1 9 9 4 ) , 3 6 8 - 4 0 9 ; DIETRICH R A U S C H N I N G / D O N A T A V. N E R E E ( H g . ) ,

Die

Albertus-Universität zu Königsberg und ihre Professoren: aus Anlass der Gründung der Albertus-Universität vor 450 Jahren, Berlin 1995; JERZY LEHMANN, Die örtliche und soziale Herkunft der Königsberger Studenten 1544-1649), Leipzig 1929 (Leipzig Phil. Diss. 1928; ZBIGNIEW NOWAK, Das Studium der Danziger in Königsberg im 16. und 17. Jahrhundert, in: KLAUS GARBER (Hg.), Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2001, 375-390. 20

GOTTFRIED LENGNICH, Geschichte der preußischen Lande Königlich Polnischen Antheils, B d . l : Seit dem Jahr 1526 biß auf den Todt Königes Sigismundi I., Danzig, 1723, 218-220, zitiert nach GOTTFRIED SCHRAMM, Der polnische Adel und die Reformation 1548-1607, Wiesbaden 1965, 117. 21 Zum Schulwesen in Preußen vgl. OTTO KORTHALS, Die Entwicklung des Schulwesens in Westpreußen von den Anfangen zum Beginn der preußischen Herrschaft, in: Westpreußisches Jahrbuch 10 (1960), 103-110; PAUL SIMSON, Abriss einer Geschichte des Danziger Schulwesens, in: Danziger Schulzeitung H. 11, 1926. 22

DOROTHEA FELLMANN, D a s G y m n a s i u m M o n t a n u m in K ö l n

1550-1780,

Köln,

Weimar, Wien 1999 (Studium zur Geschichte der Universität zu Köln, 15). Beispiele weiterer akademischer Gymnasien sind das Johanneum in Hamburg (1529), das Katharineum in Lübeck (1531), die Gymnasien in Stettin (1543), Stralsund (1560) und Breslau (1562) - allerdings folgte diesen Gründungen nicht immer und wenn, dann zum Teil mit deutlicher zeitlicher Verzögerung, eine Umwandlung der akademischen Gymnasien in Hochschulen. In Preußen wurde aus dem ursprünglichen Partikular in Königsberg die einzige Universität in Preußen. 23 Dies gilt nicht nur für Danzig, vgl. STANISLAW TYNC, Pröba utworzenia Akademii Protestanckiej w Prusach Krölewskich w r. 1595, in: Reformacja w Polsce, 4 (1926)

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Danziger hatten bereits 1525 den Bau einer griechischen Schule in Angriff genommen, die unter dem Patronat des Rates stehen sollte. 24 Auch der Artikelbrief des Danziger Aufstands von 1525 beinhaltet Forderungen nach der Einrichtung eines städtischen Gymnasiums. 2 5 „Damit man auch weiter möchte Leute haben, die uns das Wort des Herrn predigen." 2 6 1539 erhielt Danzig durch Andreas Aurifaber (Goldschmied) mit der Schola Dantiscana seine erste Schulordnung. 2 7 Die Schola Dantiscana 2 8 sah vor, dass neben dem Lateinischen auch Griechisch und Hebräisch unterrichtet werden sollte, um die notwendige Kenntnis der Heiligen Schrift zu vermitteln. 2 9 Zweifellos sollte so auch für den notwendigen Pfarrnachwuchs gesorgt werden, den die Insurgenten von 1525 bereits gefordert haben. Die Armenordnung von 1551 sah als Idealziel eine allgemeine Schulpflicht vor, 30 die für das Landgebiet erst 50 Jahre später (1601) eingeführt wurde. 31 Nachdem die Religionsfreiheit Danzigs 1558 durch ein Privileg Sigismunds II. August gesichert schien, konnte daran gegangen werden, ein entsprechendes Akademisches Gymnasium zu gründen. Zu diesem [Versuch der Gründung der evangelischen Akademie in Preußen königlichen Anteils im Jahre 1595], 24 ERICH KEYSER, Zur Gründung des Städtisches Gymnasiums in Danzig vor 400 Jahr e n , in: W e s t p r e u ß i s c h e s J a h r b u c h 8 ( 1 9 5 8 ) , 7 8 - 8 0 , h i e r 7 8 . 25

PAUL SIMSON, G e s c h i c h t e d e r S t a d t D a n z i g b i s 1626, Bd. 2. 1 5 1 7 - 1 6 2 6 , A a l e n

1967, Neudruck der Ausgabe Danzig (1918-1929), 180. 26 HERMANN FREYTAG, Zwei Danziger Armenordnungen des 16. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 39 (1899), 99-130, hier: 112. 27 PAUL SIMSON, Geschichte des Danziger Schulwesens, in: Fachzeitschrift für die XVII. Westpreußische Provinzial-Lehrerversammlung zu Danzig, 5., 6., 7. Oktober 1903, Danzig o. J., 58-80, hier: 60 f. 28 SCHNAASE, Andreas Aurifaber. Der lateinische Text wird ebendort auf den Seiten 456^180 abgedruckt. 29 Vgl. SIMSON, Geschichte des Danziger Schulwesens, 60 f. 30 SIMSON, Geschichte der Stadt Danzig, Bd. 2. 1517-1626, 180. 31

HEINZ NEUMEYER, D i e e v a n g e l i s c h e n K i r c h e n im K ö n i g l i c h e n P r e u ß e n , in: ERNST

OPGENOORTH (Hg.), Handbuch der Geschichte Ost- und Westpreußens. Teil II/l: Von der Teilung bis zum Schwedisch-Polnischen Krieg 1466-1655 (Einzelschriften der Historischen Kommission für Ost- und westpreußische Landesforschung, 10), Lüneburg 1994, 161-166, hier 165; HEINZ LINGENBERG, Danzig als Schulstadt, in: UDO ARNOLD (Hg.), Zur Bildungs- und Schulgeschichte Preußens, Lüneburg 1988, 39-69, hier: 46. Allerdings sah sich der Rat 1624 gezwungen, eine verschärfte Anordnung zu erlassen, die als Geldstrafe bei Nichtbeachtung der Schulpflicht 3 Mark zuzüglich des üblichen Schulgelds für den Schulmeister vorsah. PAN MS Uph fol. 152, fol. 65. 1642 erneutes, verschärftes Edikt mit einer Androhung von 10 Reichstalern Strafe. PAN MS Uph. fol. 152, fol. 94, 100. PAN: Biblioteka Gdanska Polskiej Akademii Nauk (Danziger Stadtbibliothek). Zu den Danziger Landschulen siehe auch BERNHARD SCHULZ, Danzigs Landschulwesen im Jahre 1798, in: Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins 39 (1940), 63-69.

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Zweck wurde das Franziskanerkloster, das nur noch wenige Mönche bewohnten, nach gütlicher Übereinkunft mit dem Rat der Stadt für die neue Bildungseinrichtung zur Verfügung gestellt. Am 13. Juni 1558 zog das Gymnasium Academicum sive illustre - wie es später heißen sollte - in das Franziskanerkloster und die Trinitatiskirche ein. 32 Zunächst war seine Aufgabe, als Mittlerstelle zwischen Universität und Gymnasium, die Studiosi auf das Studium an einer Hochschule vorzubereiten. Dieses sogenannte „Partikular" gab es nicht nur in Danzig, sondern auch in Marienwerder, Riesenburg, Hohenstein, Neidenburg und Pfaffenheim. 3 3 In Elbing war bereits 1535/36 ein Partikular eröffnet worden. 3 4 Thorn richtete erst 1568, mithin 10 Jahre nach Danzig, eine Gelehrtenschule ein. 35 Zunächst bestand das Danziger Gymnasium aus dem Rektor, drei Lehrern und vier Klassen. Seit 1561 wurde an der Trinitatiskirche ein Pfarrer angestellt, der zugleich als Lehrer, später als Rektor fungierte. 1566 kam eine weitere Klasse mit Lehrer hinzu. Die erste Schulordnung hatte noch 32

SIEGFRIED RÜHLE, Das Akademische Gymnasium in Danzig und seine Bedeutung im Leben der Stadt, in: Ostdeutsche Monatshefte 5 (1929), 345-354; THEODOR HIRSCH, Geschichte des academischen Gymnasiums in Danzig in ihren Hauptzügen dargestellt, Danzig 1837; SIMSON, Geschichte der Stadt Danzig, Bd. 2: 1517-1626, 221 ff. 33 BERNHARD SCHULZ, Das Danziger Akademische Gymnasium im Zeitalter der Aufklärung, in: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 76 (1941), 5 - 1 0 0 , hier: 6. 34 Das Elbinger Partikular wurde eifrig von Danziger Schülern besucht. Vgl. SIMSON, Geschichte der Stadt Danzig, Bd. 2: 1517-1626, 179; HUGO ABS, Die Matrikel des Gymnasiums zu Elbing (1598-1786), Hamburg 1982; MARIAN BISKUP, Wokol utworzenia uniwersytetu w Elbl^gu w pocz^tkach XVI wieku, in: Rocznik Elbl^ski 16 (1998), 5 - 1 4 [Zur Gründung einer Universität in Elbing]; LEONHARD NEUBAUR, Beiträge zur älteren Geschichte des Gymnasiums zu Elbing, Elbing 1899; MARIAN PAWLAK, Z dziejöw swietnosci Gimnazjum Elbl^skiego w epoce odrodzenia i baroku, Gdansk 1985. [Geschichte der Blütezeit des Elbinger Gymnasiums in der Renaissance und im Barock]; DERS., Dzieje Gimnazjum Elbl^skiego w latach 1535-1772, Olsztyn 1972. [Geschichte des Elbinger Gymnasiums in den Jahren 1535-1772], 35

ZENON HUBERT N O W A K , JANUSZ TANDECKI ( H g . ) , M e t r y k a

uczniöw

torunskiego

gimnazjum akademickiego 1600-1817, 2 Bde., (Towarzystwo Naukowe Toruniu, Fontes 83-84, Bd. 1, 37) Torun 1997-1998 [Schülermatrikel des Thorner akademischen Gymnasiums 1600-1817]; KRYSTYNA PODLASZEWSKA u.a., Krötka historia Gimnazjum Torunskiego, Torun 1968 [Kurze Geschichte des Thorner Gymnasiums]; STANISLAW SALMONOWICZ, Das Thorner protestantische Gymnasium Academicum 1568-1793, in: Beiträge zur Geschichte Westpreußens 14 (1995), 4 1 - 5 4 ; DERS., Torunskie Gimnazjum Akademickiew latach 1681-1817: Studium z dziejöw nauki i oswiaty, (Ksi?ga pami%tkowa 400-lecia Torunskiego Gimnazjum Akademickiego; 4), Torun 1973 [Das Thorner Akademische Gymnasium. Eine Studie zur Geschichte des Bildungswesens]; STANISLAW TYNC, Dzieje gimnazjum torunskiego (1568-1772), 2. Bde., (Roczniki Towarzystwa Naukowego w Toruniu; 53) Torun 1928, 1949 [Geschichte des Thorner Gymnasiums 1568-1772]; DERS. (Hg.), Najdawniejsze ustawy Gimnazjum Torunskiego, (Fontes / Towarzystwo Naukowe w Toruniu, 21), Torun 1925. [Die ältesten Verordnungen des Thorner Gymnasiums].

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Johannes Hoppe 3 6 entworfen, aber erst sein Nachfolger, Andreas Frankenberger 37 , veröffentlichte 1568 eine umfangreiche überarbeitete Schulordnung für das Gymnasium. „Der Lehrplan war von vornherein so weit gefasst, dass die Schule an eine Universität erinnerte." 3 8 An den Stadtkirchen 3 9 herangebildet, so an der Marienschule, den Schulen an den Kirchen von St. Johannes 4 0 und St. Katharinen, der Bartholomäus- und Barbarakirche, die alle lutherisch waren, sowie für die Reformierten an der Peter- und Paulkirche, 41 die dem akademischen Gymnasium gegenüberliegende Schule, besuchten Bürgersöhne häufig anschließend das Danziger Gymnasium. 4 2 Daneben existierten noch Privatschulen. 4 3 Hauptlerninhalt an den Trivialschulen war der Lateinunterricht.

36 J o h a n n e s H o p p e ( * B a u t z e n , 'f 1565, K u l m ) der erste Rektor d e s D a n z i g e r G y m n a s i u m s studierte in W i t t e n b e r g . Seit 1544 lehrte er an der K ö n i g s b e r g e r Universität und in den Jahren 1 5 4 9 - 1 5 5 3 w a r er deren R e k t o r . A u f g r u n d seiner g e g n e r i s c h e n Position zu O s i a n d e r s e i n e s A m t e s e n t h o b e n , ging er n a c h K u l m , w o er 1554 die A k a d e m i e e r ö f f n e t e . N a c h seiner E n t l a s s u n g w u r d e er 1555 an das Elbinger G y m n a s i u m b e r u f e n , w o er drei J a h r e blieb, b e v o r 1558 in D a n z i g das n e u e G y m n a s i u m e i n w e i h t e . 1560 g i n g er n a c h K u l m , w o er bis zu seinem T o d e als S e n a t o r wirkte. Vgl. THEODOR HIRSCH, G e s c h i c h t e des a c a d e m i s c h e n G y m n a s i u m s , 6 f, 2 4 0 ; CHRISTOPH HARTKNOCH, P r e u ß i s c h e K i r c h e n historie, Leipzig 1686, 9 9 1 . 37

A n d r e a s F r a n k e n b e r g e r (* 1536, M e i n i n g e n 1 1 5 9 0 W i t t e n b e r g ) studierte in W i t t e n berg. 1567 w u r d e er Rektor des D a n z i g e r G y m n a s i u m s . 1576 ging er n a c h W i t t e n b e r g z u r ü c k . Vgl. EWA CZERNIAKOWSKA, F r a n k e n b e r g e r , A n d r z e j , in: S t o w n i k B i o g r a f i c z n y P o m o r z a N a d w i s l a n s k i e g o , Bd. 1, G d a n s k 1992, 4 3 1 - 4 3 2 ; BRONISLAW NADOLSKI, Poetyka r e n e n s a n s o w a rektora g d a n s k i e g o A. F r a n k e n b e r g e r a ( 1 5 6 8 ) , in: Z e s z y t y N a u k o w e U M K w T o r u n i u 2 ( 1 9 5 9 ) , 5 1 - 6 1 [Die R e n a i s s a n c e p o e t i k des D a n z i g e r R e k t o r s A. F r a n kenberger], 38

SIMSON, G e s c h i c h t e der Stadt D a n z i g , Bd. 2: 1 5 1 7 - 1 6 2 6 , 373. Ä h n l i c h bei S i m s o n , S c h u l e , 67: „ D a s G y m n a s i u m w a r in seiner g a n z e n A n l a g e m e h r eine Universität als eine Schule." 39 Eine A u f l i s t u n g der Rektoren n a c h den e i n z e l n e n Schulen g e o r d n e t f i n d e t sich bei: EPHRAIM PRAETORIUS, A t h e n a e G e d a n e n s e s sive c o m e n t a r i u s h i s t o r i c o - c h r o n o l o g i u s orig i n e m et c o n s t i t u t i o n e m G y m n a s i i Dantiscani, [...] i t e m q u e r e c e n s i o n e m s u p e r i o r u m e j u s A n t i s t i t u m , seu P r o t o - S c h o l a r c h a r u m , n e c n o n vitas et scripta R e c t o r u m ac P r o f e s s o r u m e j u s d e m , c o n t i n e n s . A c c e d i t series I. R e c t o r u m S c h o l a r u m r e l i q u a r u m p u b l i c a r u m G e d a n e n s i u m . II. R e c t o r u m G y m n a s i o r u m , t u m T h o r u n i e n s i s tum E l d i n g e n s i s , L i p s i a e 1713. 40

WALTER FABER, Die J o h a n n i s s c h u l e in D a n z i g v o m Mittelalter bis z u m J a h r e 1824, D a n z i g 1924; EDUARD SCHNAASE, Die S c h u l e in D a n z i g u n d ihr V e r h ä l t n i ß zur Kirche. Ein B e i t r a g zur G e s c h i c h t e der S c h u l e , D a n z i g 1859. 41 PAUL SIMSON, G e s c h i c h t e der S c h u l e zu St. Petri u n d Pauli in D a n z i g , Teil 1: Die K i r c h e n - u n d L a t e i n s c h u l e , ( Q u e l l e n und D a r s t e l l u n g e n zur G e s c h i c h t e W e s t p r e u ß e n s 1), D a n z i g 1904; PAUL ROGENHAUSEN, G e s c h i c h t e der O b e r r e a l s c h u l e zu St. Petri u n d Pauli in D a n z i g v o n 1 9 0 4 - 1 9 3 6 , D a n z i g 1936. 42 EDUARD SCHNAASE, Die S c h u l e in D a n z i g u n d ihr V e r h ä l t n i ß zur Kirche. Ein Beitrag zur G e s c h i c h t e der S c h u l e , D a n z i g 1859.

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Der erste Rektor des Gymnasiums, Johannes Hoppe, veröffentlichte 1554 ein Unterrichtsprogramm, als er noch Rektor der Kulmer Akademie war. Es ist anzunehmen, dass er das Programm auch in der Danziger Schule anwandte. Darin unterstrich er die Wichtigkeit einer rhetorischen und dialektischen Ausbildung. Eine große Rolle spielten dabei für ihn historische Texte, die sowohl für die literarische als auch die wissenschaftliche Ausbildung von Nutzen sein sollten. Besonders wertvoll seien Werke, die Belehrungen oder Beispiele aus dem Leben enthielten, weil dadurch die Studenten allumfassend ausgebildet werden könnten, indem sie ihren Wortschatz, rhetorische Fähigkeiten, die Kenntnis der geschichtlichen Ereignisse und dadurch ihr Wissen überhaupt vertiefen würden. Aufgrund der Fülle des Stoffes sollten Privatstunden den regulären Unterricht ergänzen. Der Lehrplan in Danzig entsprach im 16. und 17. Jahrhundert den Forderungen der Reformation und des Humanismus. 4 4 1562 kam es durch die Veröffentlichung der Schrift des Placotomus 4 5 zur Auseinandersetzung über die Lehrinhalte am Danziger Gymnasium. Placotomus mahnte - ganz in philippischer Tradition - mehr theologische Wissenschaften an und forderte mehr lateinische statt deutsche Lehrinhalte. Auf eine Gegenschrift des Kollegiums des Gymnasiums, präzisierte Placotomus seine Forderung in seiner grundlegenden Schrift „Über die Einrichtung des Unterrichts", 4 6 die aufgrund der Widerstände am Danziger Gymnasium allerdings ohne durchschlagende Wirkung blieb. 47

43 KAZIMIERZ KUBIK, Polska szkola prywatna w dawnym Gdansku (od XVI do polowy XIX wieku), Gdansk 1963 [Die polnische Privatschule im alten Danzig (vom 16. bis zur Hälfte des 19. Jahrhundert)]. 44 A. CURAEUS, De formando studio articum liberalium Carmen, Dantisci 1560. 45 Johann Placotomus (Brettschneider) (* 1514 f l 5 7 7 ) Arzt, Apotheker, Pädagoge, befreundet mit Melanchthon. 1552 siedelt er nach in Danzig über und erhält das Amt des „Stadtsyndicus" und 1555 die Verwaltung der „Rathsapotheke". 1554 soll er eine Schmähschrift gegen Hosius geschrieben haben. Als Entschuldigung verlangt Hosius, den Übertritt Placotomus' zum Katholizismus. P. lehnt jedoch ab und wird im Herbst 1555 durch den Rat eingekerkert und im Frühjahr 1556 samt der ganzen Familie der Stadt verwiesen. 1558 kehrt er nach Danzig zurück. (Vgl. BERTLING, Placotomus, in: ADB, Bd. 26, Leipzig 1875, 220-222; ALEKSANDER DRYGAS, Placotomus, in: Siownik Biograficzny Pomorza Nadwislanskiego, Bd. 3, Gdansk 1997, 4 3 7 - 4 3 9 ; und jüngst SVEN TODE, Johannes Placotomus und die Schola Dantiscana - ein klassisch-modernes Unterrichtskonzept, in: Beiträge zur Geschichte Westpreußens 19 (2004), 85-112. 46 EDUARD SCHNAASE, Johann Placotomus und sein Einfluß auf die Schule in Danzig, Herrn Matthias Gotthilf Löschin, Doctor der Philosophie und Director der Realschule von St. Johann in Danzig am Tage seiner fünfzigjährigen Amtsjubelfeier in dankbarer Liebe und aufrichtiger Hochachtung überreicht von Eduard Schnaase der heiligen Schrift Doctor und Diakon zu St. Johann, Danzig [ca. 1865], 36. 47 SIMSON, Geschichte der Stadt Danzig, Bd. 2: 1517-1626, 373.

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Für die von Placotomus vorgesehenen Klassen entwarf er einen detaillierten Lehrkanon. Es waren von Montag bis Freitag jeweils 4 Stunden Unterricht vorgesehen, während der Sonnabend zur Wiederholung der Wochenübungen reserviert war. In der ersten Klasse sollte zunächst Lesen, Deklination und Konjugation geübt werden sowie die Schönschrift in Latein und Deutsch, zudem sollte das Lesevermögen gestärkt und schließlich der Wortschatz erweitert werden. Es scheint, als sollte in der Eingangsklasse des Gymnasiums vornehmlich ein einheitliches Niveau als Grundlage für die weitergehenden Studien geschaffen werden. Neben dem Erlernen von etymologischen und syntaktischen Grundregeln galt der Schwerpunkt in der zweiten Klasse der Kenntnis von Bibelstellen und ausgewählten Dichtern und Philosophen, die rezitiert werden sollten. Diese Sentenzen in einen Zusammenhang einzuordnen, Syntax und Konstruktionsarten anzuwenden sowie Spezifika antiker Autoren zu erkennen war das Ziel der dritten Klasse. Sicher war dem Genius loci die Ausbildung in Ökonomik geschuldet, die neben den Schriften von Cicero und Erasmus und den Komödien des Terenz Lerninhalt der 4. Klasse waren. Dabei betont Placotomus die Bedeutung der Ökonomie für die gesamte Gesellschaft: „Denn wer diese Kunst nicht versteht, kann weder das eigene Haus, und noch viel weniger die Kirche oder den Staat leiten." 48 Für Placotomus waren die Absolventen des Danziger Gymnasiums offensichtlich zur Leitung von Staat und Kirche vorgesehen. Dem gesamten Lehrkonzept immanent ist die Vertiefung von Lehrinhalten, wie auch der Lehrkanon für die 5. Klasse belegt. Lehrbücher für Dialektik und Rhetorik, die Dichtkunst von Horaz und Ovid standen dabei ebenso auf der Stundentafel wie antike Tragödie und Komödie oder die physischen Dialoge des Erasmus. In der 5. Klasse wurde schließlich auch mit Griechisch begonnen, welches in der 6. Klasse anhand von Grammatikübungen, Fabeln und Gedichten vertieft wurde. Des Weiteren stand schnelles Lesen und Kennen lernen von Ovids Fasten und Virgils Aeneis auf dem Stundenplan. In den Übungen beschäftigten sich die Schüler mit der Lehre Melanchthons und übersetzen seine Thesen ins Lateinische. Nachdem in der 7. und letzten Klasse, Ciceros Redekunst, Xenophons Oeconomica und Plutarchs Moralia, griechische Komödien und Tragödien sowie die Übersetzungskunst studiert wurden, konnten die Schüler in die Universität entlassen werden, wo sie die Wissenschaft tiefer erforschen konnten. Wesentlicher als die Übersichten über das Lehrtableau erscheinen die pädagogischen Grundsätze, die den Schüler und dessen Lehrmotivation thematisieren:

48

SCHNAASE, Johann Placotomus und sein Einfluß, 36.

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„Es ist dahin zu sehen, dass die Jünglinge mit Lust lernen und dieses geschieht, wenn sie nicht durch häufigen Wechsel zerstreut, nicht durch die Menge der Lehrgegenstände überladen, nicht durch Schwierigkeiten gequält werden; wenn nicht allein nützliche, sondern auch interessante Lehrgegenstände gewählt werden; wenn ihnen die Würde und der Nutzen der Studien oft vorgehalten und eingeschärft wird; wenn sie gelobt und durchs Lob angeregt werden. Denn unglücklich sind die beim Lernen, die ohne Lust lernen. Hierzu trägt nicht wenig bei, wenn den Schülern Belohnungen gesetzt werden; den kleinen Schülern Geschenke, den größeren Schülern Befreiung von einzelnen Arbeiten und die Erlaubniß zum Sparziergehen und zum Spielen. Denn sie können nicht immer in den Büchern liegen, sondern brauchen auch ihre Erholungen, nicht nur zur Stärkung des Geistes, sondern auch zur Erhaltung der leiblichen Gesundheit, ohne welche die Anstrengungen der Studien nicht ertragen werden können.

tt49

Auch die Stellung des Lehrers wird am Wohl der Schüler orientiert: „Er [i.e. der Lehrer] soll beim Unterricht und bei der Leitung der Schule nicht seinen Vortheil oder leeren Ruhm, wie die Söldlinge tun, sondern die Würde der Schule, das Beste und das Fortschreiten der Schüler suchen." 50

Im Zeitgeist verhaftet wird die Erziehung zu einem christlichen Menschen als oberstes Primat jeglicher Erziehung definiert 51 und doch geht Placotomus in seinen Vorgaben von der Freiheit der Lehre, von der Freiheit der Forschung aus, von einer Vorgabe, die ihn die Schranken kirchlicher Normen und Lehrgebäude letztlich hinterfragen lässt, sich von ihnen nicht im wissenschaftlichem Ethos beschränken lassen will: „Unter wissenschaftlich gebildeten Menschen, von denen ich hier spreche, ist im freien Staat das Urtheil frei, frei die Zunge, frei endlich die Schrift [...]." 52 Es scheint, als sei die Vorstellung des Placotomus für die damalige Zeit zu revolutionär gewesen; jedenfalls wurden sie im Danziger Gymnasium nicht verwirklicht. Richtschnur für die Lehrinhalte wurde die „Constitutio Scholae Thorunensis", 5 3 die sowohl die religiöse und sittliche Erziehung als auch die wissenschaftliche Ausbildung als Schulzweck formulierte. Zurückgehend auf Johannes Sturm, den Schöpfer der Straßburger Schule, 54 49

Ebd., 50. Ebd., 49. 51 „Vor allem soll ihnen [i.e. den Schülern] Gottesfurcht treulich eingepflanzt und die Jugend zur rechten Erkenntnis Gottes und zum Studium des Ehrenwerthen schon vom ersten Unterrichte an gewöhnt werden, damit sie Gott durch Wort und That danken lernen." Ebd., 49. 52 Gemeint ist hier nicht die Bibel, sondern die schriftliche Äußerung, mithin die Veröffentlichung! Zitat bei SCHNAASE, Johann Placotomus und sein Einfluß, 51. 53 M. BREU, Novae Scholae Thorunesis Ratio doctrinae et disciplinae conscripta, in: STANISLAW TYNC (Hg.), Najdawniejsze ustawy Gimnazjum Toruñskiego, (Fontes / Towarzystwo Naukowe w Toruniu, 21), Toruñ 1925. [Die ältesten Verordnungen des Thorner Gymnasiums], 54 Vgl. Anm. 13. 50

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war das Ziel, gleich den Fürstenschulen, einen „vir bonus et doctus" zu schaffen. Die Patienta als vordergründiger Erziehungsgrundsatz sollte durch sapiens und eloquens erreicht werden. Mittel dieser Ziele waren rerum cognitio, orationis elegantia und religio. Während in den unteren Klassen vor allen Dingen die eloquentia geübt wurde, sowie die Beherrschung der lateinischen und die Kenntnis der griechischen Sprache, ging es in den akademisch ausgerichteten Klassen der Sekunda und Prima, vornehmlich um den Erwerb der sapientia. In halbjährlichen Prüfungen wurden neben den Sprachkenntnissen auch der im Religionsunterricht erlernte Katechismus, sowie in Disputationsübungen die Lehrsätze der Kirche abgeprüft. Am Gymnasium entstanden, nicht zuletzt aufgrund der relativen politischen Unabhängigkeit und ökonomischen Potenz der Stadt an der Weichsel, Lehrstühle für Theologie, mit den zugleich das Rektorat verbunden war, für Jura, Geschichte, Physik und Medizin, für Philosophie, Rhetorik und Poesie, für griechische und neuorientalische Sprachen sowie für Mathematik. Das Lehrpersonal rekrutierte sich vornehmlich aus ausgebildeten Theologen, die im Gegensatz zu anderen Orten wirtschaftlich so gut gestellt waren, dass sie zumeist keine Pfarrstelle annehmen mussten, um ihren Lebensunterhalt decken zu können. 5 5 Die Berufung auf einen Lehrstuhl am Danziger Akademischen Gymnasium wurde häufig dem Ruf an Landesuniversitäten vorgezogen, da bekannt war, welche intellektuellen und finanziellen Möglichkeiten mit der Arbeit am Danziger Akademischen Gymnasium verbunden waren. Der Fall des für die Danziger Bildungsgeschichte so bedeutenden Valentin Schreck, der 1570 seine Professur für Dichtkunst an der Albertina gegen das Rektorat der Marienschule in Danzig tauschte, 5 6 blieb ebenso wenig ein Einzelfall, wie die abgelehnten Rufe von Samuel Schelwig 5 7 der 1687 und 1688 eine Stellung als Professor und Rektor am Danziger Gymnasium der Stellung eines Hochschullehrers in Königsberg und Wittenberg vorzog. Neben der vergleichsweise üppigen Bezahlung war es nicht zuletzt der freie Bürgergeist, der den Gelehrten das von ihnen benötigte Umfeld schuf.

55 Zu den Einkünften vgl. APG 300 R/Vv, 24, Einkünffte der Gymnasii. APG 300, 42/79 und APG 300, 42/93 Gymnassi liber. Zu der Professorenschaft vgl. APG 30, 42/157 und APG 300, 42/158 sowie APG 300, 42/90; APG: Archiwum Panstwowe w Gdansku (Stadtarchiv Danzig). 56 Dazu SIMSON, Geschichte der Stadt Danzig, Bd. 2, 372 und SCHNAASE, Die Schule in Danzig, 18. 57 Samuel Schelwig (1643-1715) war in den Jahren 1685-1715 Rektor des Danziger Gymnasiums, vgl. RÜHLE, Das Akademische Gymnasium, 345-354.

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Die Rektoren, Johannes Hoppe, 58 Jakob Fabritius, 59 Johannes Botsaccus, 60 Abraham Calov 61 oder auch Ägidius Strauch, 62 wurden weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Sie führten Dispute, veröffentlichten Streitschriften, wurden als Gutachter in theologischen Streitigkeiten herangezogen. 63 Von anderen sind lateinische und griechische Grammatikwerke überliefert, 6 4 wieder andere zeichnen dafür verantwortlich, dass Martin

58

Zu Johannes Hoppe (Anm. 36) vgl. auch dessen Schriften, JOHANNES HOPPE, Resolutio quaestionis, PAN Ms. 499, 14, k,168a-171a und DERS., Kurze Relation [...], APG 300, R/L177. 59 Die Matrikel aus seinem Rektorat finden sich in: JAKOB FABRITIUS, D. Jacobi Fabricii Rectoris Athenai Gedan. Matricula Gymnasii Gedanesis, PAN Ms. 499, 39, k. 405a-408. 60 Johannes Botsak, Rector Gymnasii Gedanesis Johann Botsaccus s. literar. D. et P.P. lectori candido salutum et officia, Gedanenses 1640. Botsack (* 11.6.1600, Herford, f l 6 7 4 , Danzig) studierte in Wittenberg, Königsberg und Rostock. Seit 1630 war er Rektor des Gymnasiums in Danzig. Vgl. HIRSCH, Geschichte des academischen Gymnasiums, 25 ff; RÜHLE, Das Akademische Gymnasium, 345-354. 61 Abraham Calov 16.4.1612, Mohrungen, Ostpreußen, t25.2.1686, Wittenberg) studierte in Königsberg und Rostock. Er vertrat an der Königsberger Universität, wo er seit 1639 als Professor lehrte, mit Unterstützung der Stände die lutherische Orthodoxie im Synkretismusstreit. 1643 wurde er als Nachfolger von Botsaccus Rektor des Gymnasiums in Danzig. 1650 wurde er in Wittenberg Professor für Theologie und 1652 Generalsuperintendant. Vgl. FRIEDRICH W. BAUTZ, Calov, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 1, Hamm 1990, 861-863; HARTKNOCH, Preußische Kirchenhistorie, 820 ff; RÜHLE, Das Akademische Gymnasium, 345-354; HIRSCH, Geschichte des academischen Gymnasiums, 26 f. 62 Ägidius Strauch (»21.2.1632, Wittenberg, tl3.12.1682, Danzig) studierte in Wittenberg und Leipzig. In den Jahren 1653-1669 lehrte er an der Wittenberger Universität. Seit 1670 war er Rektor des Danziger Gymnasiums. Vgl. RÜHLE, Das Akademische Gymnasium, 348 ff; PHILIPP JACOB SPENER, Theologische Bedencken, und andere Brieffliche Antworten auff geistliche, sonderlich zur Erbauung gerichtete Meterien zu unterschiedenen Zeiten auffgesetzt, und auf langwihriges anhalten Christlicher Freunde in einige Ordnung gebracht und herausgegeben. Dritter Theil, Worinnen sonderlich vieles dessen, was in den nechsten 30. Jahren in der Kirchen vorgegangen ist, und zum theil das autoris person und amt betroffen hat, vorkommt. Halle 1702, 243 f. 63 A. CARLSTADIUS, Calculus lectionumet operarum publicarum ui Gymnasium Gedanesis, Danlisci 1750. A. CURAEUS, Cursus semestris laborum publicorum et privaterum nicluti Athenaii Gedanesis, [1645]. 64 Das lateinische Lehrwerk von Johann Amos Comenius Janua (Eingangstor) wurde von Johannes Mochinger, Professor für Eloquenz am Gymnasium ins Deutsche und Polnische übersetzt. Auch sein Vestibulum Januae (Vorhalle zum Eingangstor) erschien als Erstdruck in Danzig. Die Fabular- und Bildergrammatik von Johann Bruno erschien aufgrund der lobenden Worte über die Jesuitenschulen - erst mit erheblicher Verzögerung schließlich 1651 in Danzig. Vgl. FABER, Die Johannisschule, 50 ff.

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Opitz, Gryphius oder auch Johannes Plavius, nach Danzig geholt wurden und dort das kulturelle Leben bereicherten. 6 5 Eine ernsthafte Krise erlebte das Partikular 1576 ausgelöst durch die Belagerung der Stadt. Nachdem der Rektor Andreas Frankenberger vergeblich um seine Entlassung nachsuchte, verließ er eigenmächtig die Stadt und auch die Lehrerschaft sah ihre Zukunft eher in auswärtigen Pfarr- und Lehrämtern als am Danziger Partikular. Erst das Rektorat des Jakob Fabritius (1580-1629) markierte einen Neubeginn für das Danziger Gymnasium. Zunehmend kamen auch auswärtige Schüler nach Danzig und das Partikular entwickelte sich sukzessive zu einer höheren Bildungsanstalt, die aufgrund des Lehrplans und der Lehrenden an eine Universität erinnerte. Die Aufsicht über die Schulen in Danzig und über das Akademische Gymnasium führte zunächst der Rat und ab 1600 die neu eingerichtete Institution des Collegium Scholarchale. 6 6 Ihm gehörten neben einem Bürgermeister als Protoscholarchen drei weitere Scholarchen, die sich aus dem Rat rekrutierten, an. In den Konkordaten von 1678 wurde bestimmt, „dass das Collegium Scholarchale aus allen Ordnung besetzet und denen zwo Personen des Gerichts und vier aus der dritten Ordnung zugeordnet, legium die Annehmung aller Schullehrer, wie auch die Aufsicht über die getragen, die Professores am Gymnasio aber allein vom Rat gewählet werden sollen." 67

aus dem Rat diesem ColSchulen aufund berufet

Hier zeigt sich wiederum die herausgehobene Stellung des Danziger Akademischen Gymnasiums, für das der Rat allein verantwortlich zeichnen wollte. Gerade im 17. Jahrhundert wurden hier vornehmlich die später in Danziger Stadt- und Landkirchen tätigen Seelsorger ausgebildet. Da liegt es nahe, dass in Zeiten inter- und intrakonfessioneller Auseinandersetzungen der Rat die Kontrolle über die wesentliche Ausbildungsstätte seiner zukünftigen Seelsorger behalten wollte. Nicht zuletzt in den Auseinandersetzungen zwischen Calvinisten und Lutheranern in Danzig spielte das Danziger Akademische Gymnasium eine wesentliche Rolle als Austra-

65 Vgl. LECH MOKRZECKI, Studium z dziejöw nauczania historii, Rozwöj dydaktyki przedmiotu w Gdariskim Gimanzjum Akademickim do schylku XVII. w., Gdansk 1973. [Eine Studie zur Geschichte des Geschichtsunterrichts. Entwicklung der Didaktik des Fachs im Danziger Akademischen Gymnasium bis zum Ende des 17. Jahrhunderts]. 66 Das Scholarchiat war die Verbindung zwischen Bürgertum und Bildungseinrichtungen. Dabei sicherten die Scholarchen dem Gymnasium nicht nur die nötigen finanziellen Mittel zu, führten die Aufsicht über Disziplin und Kollegium, sondern nahmen auch Einfluß auf die Festlegung des Lehrkanons, der neben dem üblichen Bildungskanon auch die Vorbereitung der Schüler auf ihre gesellschaftlichen, privaten und staatsbürgerlichen Pflichten beinhalten sollte. Zur Korrespondenz des Collegium Scholarchale vgl. APG 300, 42/156. 67 SCHULZ, Das Danziger Akademische Gymnasium, 8.

Bildung und Wissenskultur

der Geistlichkeit

im Danzig der Frühen Neuzeit

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gungsort konfessioneller Kontroversen. 6 8 Unter der fast 50jährigen Ägide des Jakob Fabritius, von 1580 bis 1629, konnten viele führende Geschlechter Danzigs für den Calvinismus gewonnen werden. 6 9 Im Zusammenspiel zwischen Rektor und Rat wurde das Gymnasium so mehr und mehr das Zentrum der calvinistischen „Zweiten Reformation". 7 0 Am Gymnasium wurde ein intellektueller Zirkel etabliert, der zunehmend von den Calvinisten bestimmt wurde, und den Rat Anfang des 17. Jahrhunderts dominieren sollte. Die Spaltung der Bürgerschaft in Calvinisten und Lutheraner, sowie die Konflikte zwischen Ratsobrigkeit und Dritter Ordnung, wobei der Rat eher auf der calvinistischen Seite, Dritte Ordnung und Mehrheit der Stadtbevölkerung eher im lutherischen Lager zu finden waren, gründeten sich auch auf die calvinistische Ausrichtung des Gymnasiums unter Fabritius schließlich hatten praktisch alle Pfarrer den Lehrzyklus der prägenden Bildungsstätte durchlaufen. Es ging im Kampf von Lutheranern und Calvinisten auch um die intellektuelle Deutungshoheit in der Stadt an der Mottlau. Dass derartige Auseinandersetzungen handgreiflich geführt wurden, zeigt sich am Beispiel des Bartholomäus Keckermann, einem der Professoren, der, von den Volksmassen angegriffen, sich nur in Frauenkleidern durch eine Hintertür seiner Wohnung in Sicherheit zu bringen wusste. 71 Erst die Berufung des streng lutherisch gesinnten Johannes Botsaccus, zum Rektor, führte das Gymnasium zurück in das Lager der lutherischen Orthodoxie. Diese Gegenbewegung wurde noch verstärkt durch seinen Nachfolger Abraham Calov (1643-1650), der als Polemiker keiner Auseinandersetzung aus dem Weg ging und so die innerprotestantische Spaltung vorantrieb. Unrühmlicher Höhepunkt dieser Entwicklung bildete das Rektorat von Ägidius Strauch (1670-1682), der bei seinen vielbesuchten Predigten nicht nur die Reformierten, sondern auch Katholiken und Polen angriff und sich zunehmend in eine Oppositionshaltung gegenüber dem Rat begab. Aus seiner theologischen Abneigung gegenüber dem Calvinismus geriet er in die Position eines Volksaufrührers der lutherisch-orthodoxen Bevölkerungsmehrheit. Der Rat sah sich kaum in der Lage, die von ihm betriebene Entlassung des Rektors des Akademischen Gymnasiums durchzusetzen, und musste diese aufgrund der massiven Anhängerschaft des Strauch, vornehmlich in der Handwerkerschaft der Stadt, rückgängig machen. Strauch selbst war die Auseinandersetzung leid und nahm einen Ruf an die damali68 Vgl. MICHAEL G. MÜLLER, Zweite Reformation und städtische Autonomie im Königlichen Preußen: Danzig, Elbing und Thorn in der Epoche der Konfessionalisierung

(1557-1660), Berlin 69

1997.

SIMSON, Geschichte der Stadt Danzig, Bd. 2: 1517-1626, 374. 70 Zur Problematik des Begriffes vgl. auch meine Rezension zu MICHAEL MÜLLER, Städtische Autonomie und weitere Informationen in Danzig, Elbing und Thorn, Berlin 1997, in: Zeitschrift für historische Forschung 29 (2000), 450^*53. 71 HIRSCH, Geschichte des academischen Gymnasiums, 21.

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ge schwedische Universität Greifswald sowie auf eine Pfarrstelle an St. Jakob in Hamburg an. Zwar verließ er Danzig am 4. Oktober 1675, wurde aber von einer Brandenburger Prise aufgebracht und in Haft nach Küstrin verfrachtet. Dort sollte er drei Jahre als Gefangener verbringen bevor der Danziger Rat auf Druck der Bürgerschaft seine Entlassung erwirken konnte. Zurück in Danzig, wurden ihm erneut das Rektorat des Gymnasiums und die Predigerstelle an der Trinitatiskirche angediehen. 7 2 Die Lutheraner hatten sich schließlich behauptet. Die Schülerzahlen am Danziger Gymnasium erreichten mit der Übernahme des Rektorats durch Jakob Fabritius mit 122 Studiosi ihren höchsten Stand und konnten, abgesehen von einem Einbruch in den 1590er Jahren, bis 1610 auf hohen Niveau von 100 Schülern pro Jahr gehalten werden. Die 1620er und 1630er Jahre waren gekennzeichnet durch mehrere Pestepidemien und die Auseinandersetzung mit Schweden, unter denen auch das akademische Gymnasium litt. Erst 1650 waren wieder jährlich 100 Schüler eingeschrieben. In den nachfolgenden Jahrzehnten bis 1700 nahm die Schülerzahl bis auf 50 Schüler jährlich ab und hielt sich auf diesem Niveau mit kleineren Schwankungen bis 1770. Auffallig bleibt, dass sich die Schüler am akademischen Gymnasium fast kontinuierlich zu 50 % aus Auswärtigen rekrutierten 73 (vgl. Abb. 1). Abb. 1: Die Schüler des Danziger Gymnasiums in den Jahren 1580-1770. 7 ' 140

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