188 38 58MB
German Pages 478 [483] Year 1988
BERLIN
Akademie der Wissenschaften der D D R Institut für Geographie und Geoökologie Arbeitsgruppe Heimatforschung
Werte unserer Heimat Heimatkundliche Bestandsaufnahme in der Deutschen Demokratischen Republik
Band 49/50
Berlin Ergebnisse der heimatkundlichen Bestands aufnähme Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Joachim Herrmann
Mit 163 Abbildungen, 40 Kunstdrucktafeln, 2 Übersichtskarten
Akademie-Verlag Berlin 1987
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats für Heimatforschung des Instituts für Geographie und Geoökologie der Akademie der Wissenschaften der D D R Prof. Dr. habil. Dr. eh. E d g a r Lehmann, Leipzig (Geographie, Vorsitzender), Prof. Dr. sc. Heinz Lüdemann, Leipzig (Geographie, Direktor des Instituts), Dr. habil. Karlheinz Blaschke, Dresden (Geschichte), Prof. Dr. sc. Werner Coblenz, Dresden (Ur- und Frühgeschichte), Prof. Dr. sc. Karl Czok, Leipzig (Geschichte), Prof. Dr. habil. Ernst Ehwald, Eberswalde t (Bodenkunde), Prof. Dr. Edgar Lehmann, Berlin (Kunstgeschichte), Prof. Dr. habil. Hermann Meusel, Halle (Botanik), Prof. Dr. sc. Günter Möbus, Greifswald (Geologie), Prof. Dr. Hans Nadler, Dresden (Denkmalpflege), Dr. sc. Rudolf Weinhold, Dresden (Volkskunde), Dr. Luise Grundmann, Leipzig (Geographie)
Redaktion: Dr. Sybille Badstübner, Dipl.-Phil. Herbert Hampe, Prof. Dr. habil. Joachim Herrmann (Herausgeber), Dr. Fritz Horst (verantwortlicher Redakteur), Dr. Karl-Heinz Klingenburg, Andreas Riss und Dr. Isolde Stark Zentralinstitut für Alte Geschichte und Archäologie, D D R - 1 0 8 6 Berlin, Leipziger Str. 3—4
I S B N 3-05-000379-0 ISSN 0318-3213
Erschienen im Akademie-Verlag Berlin, D D R - 1 0 S 6 Berlin, Leipziger Straße 3 — 4 (£) Akademie-Verlag Berlin 1987 Lizenznummer: 202 : 100/96/1987 P 8/2/86 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „Maxim G o r k i " , 7400 Altenburg Lektor: Hildegard Palm Hersteller: Rosa Todten L S V 5235 Bestellnummer: 7 5 4 7 3 2 9 (2084/49/50) 02500
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort Autorenverzeichnis. Verzeichnis der Suchpunkte Überschau 1 Natur 1.1 Topographie, Geologie und Geomorphologie 1.2 Hydrologie 1.3 Klima 1.4 Vegetation 1.5 Tierwelt 1.6 . Wälder, Landschafts- und Naturschutz 1.7 Grün- und Freiflächen 2 Ur- und frühgeschichtliche Besiedlung sowie Stadtentstehung . 2.1 Urgeschichtliche Besiedlung 2.2 Slawische Besiedlung und Geschichte im frühen Mittelalter . . . 2.3 Die Entstehung von Kölln und Berlin 3 Überblick über die Geschichte Berlins vom 13. Jh. bis zur Gegenwart 3.1 Handels- und Residenzstadt, 13. Jh. bis 1870 3.2 Hauptstadt des preußisch-deutschen Kaiserreiches. 1871—1918 . 3.3 Zwischen Novemberrevolution und Befreiung vom Faschismus. 1918-1945 3.4 Der antifaschistisch-demokratische Neubeginn. Die Spaltung Berlins. 1945 — 1949 3.5 Berlin — Hauptstadt der DDR 3.5.1 Politisch-administrative Entwicklung 3.5.2 Verwaltungsgliederung 3.5.3 Infrastruktur und Verkehr 3.6 Berlin als industrielles Zentrum 3.7 Berliner Arbeiterbewegung 3.8 Berlin als Zentrum der geistigen Kultur 3.9 Zur demographischen Entwicklung 4 Zur Sprach- und Siedlungsgeschichte 4.1 Orts- und Gewässernamen 4.2 Die berlinische Sprache 4.3 Dorfformen und ländliche Bauweise Einzeldarstellung
VII XI XV 1 l i 7 10 12 16 18 20 21 21 26 35 43 43 57 59 64 66 66 69 70 72 79 85 98 103 103 106 108 113 V
Anhang A. Die Entwicklung des Berliner Stadtgebietes seit dem 14. Jh. . . . B. Die Einwohnerzahlen Berlins vom 17. bis zum 20. Jh C. Die 20 Verwaltungsbezirke Berlins von 1920 D. Gedenkstätten und Gedenktafeln der Arbeiterbewegung (Auswahl) E. Literaturverzeichnis (Auswahl) F. Abbildungsverzeichnis G. Bildverzeichnis H. Verzeichnis der Personennamen J. Verzeichnis der topographischen Namen K. Objektverzeichnis
VI
375 375 376 377 379 389 398 403 405 417 425
VORWORT
Der 49/50. Band der Reihe „Werte unserer Heimat" ist Berlin gewidmet. E r ist anläßlich des 750jährigen Jubiläums der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik ausgearbeitet worden. Der Berlin-Band ordnet sich in die traditionsreiche Reihe ein, deren Anliegen vor allem darin besteht, die heimatkundliche Inventarisierung bzw. Bestandsaufnahme unter dem Gesichtspunkt traditioneller Werte und historischkulturellen Erbes darzubieten. An den Städte-Bänden Magdeburg, Karl-MarxStadt und Dresden ist diese Zielstellung bereits im Hinblick auf Großstadtbedingungen angewandt worden. Für einen Berlin-Band war abzusehen, daß den Werten, die aus Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte, aus den Leistungen von Architektur, K u n s t und Wissenschaft hervorgegangen sind, besonderer R a u m zu geben war. E s galt, die siedlungsgeschichtlichen, kulturgeographischen und kulturgeschichtlichen Werte des bedeutendsten Urbanisationszentrums der D D R aus dessen Geschichte und dessen Wechselwirkung mit dem geographischen und gesellschaftlichen Hinterland zu erklären und entsprechend darzustellen. Die Urbanisierung setzte in der ersten Hälfte des 13. Jh. ein. Seit dem 15. Jh. war Berlin Haupt- und Residenzstadt der Kurfürsten von Brandenburg, seit 1701 Residenz der Könige von Preußen, seit 1871 Hauptstadt des Deutschen Kaiserreiches und seit 1918/19 Hauptstadt der bürgerlich-demokratischen Republik. Der Faschismus hat nicht nur die Stadt, sondern auch deren Hinterland zugrunde gerichtet. Die „Wilhelmstraße" und der Name der faschistischen „Reichshauptstadt" wurden zu Symbolworten für Antihumanismus, Unmenschlichkeit und Vernichtung. Neben Stalingrad und Warschau machte der von Berlin ausgehende faschistische Krieg auch diese Stadt zu einem der größten Urbanen Trümmerfelder, die es in der Weltgeschichte jemals gegeben hat. Berlin war aber auch in allen Epochen seiner Geschichte Zentrum der Auseinandersetzung um gesellschaftlichen Fortschritt, Kampfplatz der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung, Gründungsort der Kommunistischen Partei Deutschlands. Nach der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus wurde Berlin Ausgangspunkt grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen. I m Jahre 1949 wurde Berlin Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. 1979 verlieh ihr der Weltfriedensrat den Ehrentitel „Stadt des Friedens". So finden in Berlin die besten Traditionen deutscher Geschichte ihre Fortführung in der sozialistischen Erneuerung der Gesellschaft, der Kultur und damit zugleich der Urbanisation unter sozialistischen Gesellschaftsverhältnissen. VII
In der Gestaltung der H a u p t s t a d t d e r D D R drückt sich nachhaltig aus, in welch bedeutendem Maße sozialistisch-gesellschaftliche Verhältnisse den Urbanismus, das Verhältnis der Siedlung zur naturgegebenen Landschaft im Interesse des Menschen prägen und neue „Werte unserer Heimat" schaffen. Die Hauptstadt der D D R wurde aus der Trümmerwüste neu gestaltet. Ein Teil der Stadt — die im Sommer 1945 gebildeten drei Westsektoren — ist nach der Konzeption des „Kalten Krieges" 1948 abgespalten worden. Damit waren auf dem Territorium des ehemaligen Groß-Berlin zwei Städte entstanden. West-Berlin wurde von seinem natürlichen und gesellschaftlichen Hinterland getrennt und ist unter politischen Gesichtspunkten gegen die progressive Entwicklung im demokratischen Berlin und der D D R organisiert worden. Die daraus entstandenen Verhältnisse mußten in der Grundkonzeption des Bandes berücksichtigt werden. Herausgeber und Autoren ließen sich dabei von den allgemeinen Grundsätzen der Reihe, insbesondere aber auch von der Tatsache leiten, daß Berlin Hauptstadt der D D R ist. Die Anordnung der „Werte" nach Suchpunkten ist auf das Territorium der Hauptstadt der D D R bezogen. Einige Grundlinien seien jedoch im Hinblick auf die Besonderheiten herausgehoben, die sich aus der Rolle Berlins als Urbanisationszentrum und den daraus entstandenen kulturgeographischen Bedingungen ergeben. Erstens ist Berlin unter siedlungsgeographischen und sozialökonomischen Gesichtspunkten Ergebnis und zugleich urbaner Höhepunkt der Entwicklung an unterer Spree und mittlerer Havel. Im Verlauf von Jahrhunderten sind di" geographischen Vorbedingungen umgestaltet und ist aus der Urlandschaft in der Grenzzone zwischen den slawischen Stämmen der Heveller und Sprewanen die Berliner Kulturlandschaft geschaffen worden. Diese Kulturlandschaft umfaßt das Berliner Urstromtal und angrenzende Gebiete auf den pleistozänen Hochflächen von Barnim und Teltow. Zweitens finden sich trotz aller siedlungsgeschichtlichen Überformungen in dem Gebiet, das im Ergebnis der Revolution von 1918 schließlich zu Groß-Berlin zusammengeschlossen wurde und in dem heute die Hauptstadt der D D R liegt, zahlreiche unverwechselbare geomorphologische Gegebenheiten oder Relikte älterer Verhältnisse. Das Großstadtmilieu hat eigene naturräumliche Bedingungen hervorgebracht, die auf Adaption und Veränderung von Flora und Fauna hinwirken. Drittens liegt das Zentrum der Hauptstadt der D D R direkt über der kulturgeschichtlich und kulturgeographisch gewordenen Spreemetropole. Zwei durch die Spree getrennte Talsandinseln bildeten den Baugrund für die um 1237 entstandenen Städte Kölln und Berlin. Aus den Trümmern des zweiten Weltkrieges konnten einige traditionelle Bauten wiederhergestellt werden, wie die Nikolaikirche, die Marienkirche sowie einige Gebäude des 17. und 18. Jh. Auf dem Gelände des untergegangenen Hohenzollernschlosses erhebt sich der Palast der Republik. Das Gebäude des Staatsrates steht an der Stelle der südöstlichen Köllner Altstadt und des „Domes". Breite Straße und Brüderstraße, Rathausstraße und Spandauer Straße folgen, dem siedlungstopographischen Grundgerüst der Gründungszeit von Berlin und Kölln. W o im 13. Jh. der Mühlendamm aufgeschüttet wurde und bis vor 100 Jahren die Berliner VIII
Mühlen lagen, überspannt heute eine der wichtigsten Straßenbrücken des Berliner Zentrums, die Mühlendamm-Brücke, die Spree. Die Stadtbahn schließlich folgt von der Jannowitzbrücke bis zum Bahnhof Marx-Engels-Platz dem alten Berliner Stadt- und Festungsgraben. Die siedlungsgeographische Grundlage und das siedlungstopographische Bild lassen sich gut überschauen vom Fernsehturm, erbaut an dem im 13. Jh. eingerichteten Berliner „Neumarkt" vor der Marienkirche und über dem „Hohen Steinweg", oder vom „Panorama" des Hotels „Stadt Berlin", erbaut vor dem ehemaligen Oderberger Tor am alten Berliner „Ochsenmarkt", seit 1805 „Alexanderplatz". Viertens bildet die Grundlage für die systematische Darstellung und die Anordnung der Suchpunkte das Gebiet, das zur Hauptstadt der D D R gehört. E s umschließt neben den mittelalterlichen Städten Kölln und Berlin die im Berliner Gebiet siedlungsgeschichtlich älteste Ansiedlung von Köpenick am Zusammenfluß von Dahme und Spree sowie Stralau und mehrere alte Dorfkerne auf den Hochflächen von Barnim und Teltow. Dazu gehören die eiszeitlichen Stauchmoränen der Müggelberge und die unmittelbar nach dem Abtauen des Inlandeises vor etwa 10000 Jahren entstandenen Sicheldünen der Püttberge bei Rahnsdorf. Das von einer eiszeitlichen Gletscherzunge ausgeschabte Becken des Müggelsees ist ebenso Bestandteil der Berliner Landschaft wie das Hochmoor am Teufelssee, der Plänterwald und der Treptower Park. Beide Parkanlagen gehen auf die Merica, die alte Köllner Talsandheide, zurück. Die Hauptstadt der D D R ist nicht nur in einer von verschiedenen erdgeschichtlichen Epochen geformten Landschaft gegründet, sondern Teile davon sind auch heute noch kenntlich und werden bewußt als Werte historisch-geographischer Vergangenheit bewahrt und in den „Suchpunkten" nachgewiesen. Fünftens haben Herausgeber und Autoren sich insbesondere darauf verständigt, daß die Rolle, die Berlin in den Klassenkämpfen um den gesellschaftlichen Fortschritt eingenommen hat, in den „Suchpunkten" ausgedrückt werden sollte. Dazugefügt wurde im Anhang ein Verzeichnis ausgewählter Gedenkstätten der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung. Den bedeutenden kulturellen Leistungen, die von Berlin ausgingen und die zur Ausgestaltung der Stadt beitrugen, wurde gleichfalls ausreichend Raum gegeben. Daher stand die Frage, ob die vielfältigen geomorphologischen, siedlungsgeographischen, kulturellen und historischen Aspekte Berlins überhaupt in einem Band zu behandeln wären. Herausgeber der Reihe und Bearbeiter haben sich trotz mancher Bedenken im Interesse des Lesers dafür entschieden. Der Verlag kam den Erwägungen entgegen und gestand dem Berlin-Band einen über das Normalmaß der Reihe hinausgehenden Umfang zu. Aufbau und Gliederung des Bandes „Berlin" gehen von den bewährten Grundsätzen der Reihe „Werte unserer Heimat" aus. Die Überschau gibt zunächst eine knappe Gesamtdarstellung der geologischen, geographischen, naturgeschichtlichen und siedlungsgeschichtlichen Entwicklungsgrundlagen von Berlin. Der historische Überblick von der Stadtentstehung bis auf unsere Zeit ist etwas ausführlicher gehalten als in den vorhergehenden Bänden. Die Einzelabhandlungen erfolgen — wie in der Reihe üblich — nach „Suchpunkten". Diese sind nach Stadtbezirken auf der beiliegenden K a r t e unter den Großbuchstaben A — K verzeichnet. IX
A n dem vorliegenden Werk haben über 70 Autoren mitgearbeitet, die verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen angehören. Der Magistrat von Berlin, Hauptstadt der D D R , und die Räte der Stadtbezirke haben, wo notwendig, Unterstützung gegeben, selbst die Ausarbeitung von Abschnitten oder die Überprüfung von Sachaussagen veranlaßt. Den zahlreichen Autoren, den wissenschaftlichen Instituten, den Einrichtungen des Magistrats und den Abteilungen der Stadtbezirke gilt unser Dank für die engagierte Mitarbeit. Besonders danken möchte ich dem verantwortlichen Herausgeber der Reihe, Prof. Dr. Dr. eh. Edgar Lehmann, Mitglied unserer Akademie der Wissenschaften der D D R ; Berliner von Geburt und von Berufs wegen mit der Geographie Berlins verbunden, hat Professor Lehmann maßgeblich an der Beratung und Entscheidung von konzeptionellen Fragen gerade dieses Bandes mitgewirkt. Während der redaktionellen Betreuung des Bandes verschied der langjährige Sekretär des Herausgebergremiums Dr. sc. Dietrich Zühlke. Dankbar gedenken wir seiner kritischen Beratung während des Beginns der Arbeit, und schmerzlich empfanden wir den Verlust an redaktioneller Sachkunde. U m so hilfreicher war, daß Institutsdirektor Professor Dr. sc. Heinz Lüdemann kurzfristig Frau Dr. Luise Grundmann und Herrn Dr. Werner Schmidt mit der Redaktion unter den spezifischen Gesichtspunkten der Reihe betraute. Dank ihrer Arbeit hat die Endredaktion wesentliche Förderung erfahren. Das zunächst schwer überschaubare Unternehmen wurde in Verantwortlichkeiten untergliedert. Die Verantwortung für die Ausarbeitung der „Suchpunkte" der einzelnen Stadtbezirke übernahmen Dr. Sybille Badstübner (ZI für Literaturgeschichte), der Direktor des Märkischen Museums, Dipl.-Phil. Herbert Hampe, Dr. Fritz Horst (ZI für Alte Geschichte und Archäologie), Dr. KarlHeinz Klingenburg (ZI für Literaturgeschichte) und Dr. Isolde Stark (ZI für Alte Geschichte und Archäologie). Frau Dipl.-Phil. Hildegard Palm und Herr Gerhard Haenel waren frühzeitig von seiten des Akademie-Verlages an der Redaktion beteiligt. Dr. sc. Wolfgang Eggert unterzog dankenswerterweise während der Endredaktion das Manuskript nochmals einer kritischen Prüfung im Hinblick auf historische Fakten und Informationen in einzelnen Suchpunkten. Durch Gütachten bzw. Teilgutachten haben die Fertigstellung des Bandes besonders Dr. D. Benkert, Prof. Dr. U. Lammert, Prof. Dr. sc. A. Loesdau, Doz. Dr. habil. J. Marcinek, Prof. Dr. sc. Ingo Materna, Dr. H. Mauter, Dr. H. Trost gefördert. Schließlich sind wir zu besonderem Dank Dr. Fritz Horst verpflichtet. E r hat über mehrere Jahre unermüdlich auf die Zusammenarbeit der Autoren und die redaktionelle Geschlossenheit hingewirkt und so im wortwörtlichen Sinne als „Verantwortlicher Redakteur" die Arbeit vorangebracht. Berlin, im Januar 1987
Joachim
Herrmann
AUTORENVERZEICHNIS
Prof. Dr. Lothar Baar, H f Ö (Ökonomie) Dr. Ernst Badstübner, I f D (Bau- und Kunstdenkmäler) Dr. Sybille Badstübner, A d W (Bau- und Kunstdenkmäler) Dr. Adalbert Behr, Bauakademie der D D R (Architektur) Horst Behr, Stadtgartenamt (Suchpunkte J l, J 6, J 8) Dr. Norbert Benecke, A d W (Zoologie) Renate Bösel, Heimatgeschichtliches Kabinett Berlin-Köpenick (Übersicht Köpenick) Prof. Dr. Dr. Heinrich Dathe, Tierpark Berlin (Suchpunkt H 6) Dipl.-Hist. Siegfried Ebert, MM (Suchpunkte A 3, A 8.1) Prof. Dr. Evamaria Engel, A d W (Geschichte des Mittelalters) Dipl.-Hist. Dieter Engelmann, MM (Suchpunkt A 7.15) Alfred Etzold, Stadtgartenamt (Suchpunkt J 11) Dr. Gerhard Falk, A d W (Suchpunkt D 18.5) Dr. Berthold Fege, H f Ö (Ökonomie) Gottfried Funeck, Stadtgartenamt (Grünflächen, Parkanlagen) Dr. Werner Gahrig, Stadtarchiv (Verwaltungsgliederung) Dr. Dagmar Girra, Museum für Deutsche Geschichte (Suchpunkt A 7.3) Dr. Peter Goralszyk, I f D (Bau- und Kunstdenkmäler) Dipl.-Architekt Robert Graefrath, I f D (Bau- und Kunstdenkmäler) Dipl.-Architekt Heinz Graffunder, Büro für Städtebau der Hauptstadt der D D R , Berlin (Suchpunkt G 4.4) Prof. Dr. Conrad Grau, A d W (Suchpunkte A 9.4, J 15) Dr. habil. Werner Gringmuth, A d W (Geologie, Physische Geographie, Ökonomie) Dipl.-Phil. Hans Hallfahrt, I f D (Bau- und Kunstdenkmäler) Museumsrat Dipl.-Phil. Herbert Hampe, MM (Baudenkmäler) Ulrich Heinz, R a t des Stadtbezirks Treptow (Beiträge zu den Beschreibungen der Ortsteile im Stadtbezirk Treptow) Dipl.-Journ. Manfred Hempel, Fernsehen der D D R (Suchpunkt J 14) Doz. Dr. Dieter B. Herrmann, Archenhold-Sternwarte (Suchpunkt J 3) Prof: Dr. Joachim Herrmann, A d W (Frühgeschichte) Dr. Fritz Horst, A d W (Ur- und Frühgeschichte) Dr. Erik Hühns, Staatliche Museen zu Berlin, Hauptstadt der D D R (Suchpunkt A 5) Prof. Dr. Hermann Kähler, A d W (Kulturgeschichte) Prof. Dr. Gerhard Keiderling, A d W (Geschichte der Neuzeit) Dr. Ernst Kiesewetter, Ingenieurhochschule Berlin-Wartenberg (Suchpunkt F 5) XI
M R Dr. Peter Kirchner, Jüdische Gemeinde Berlin (Suchpunkte A 11.2, A 11.3, C 3 , C 5 , E 3 ) Dr. Gunther Klemm, H U (Botanik) Prof. Dr. Helga Köpstein, A d W (Suchpunkt J 4) Prof. Dr. Bruno Krüger, A d W (Suchpunkt K 3) Dr. Leopoldine Kuntz, Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der S E D (Suchpunkt G 4.3) Prof. Dr. Hubert Laitko, A d W (Wissenschaftsgeschichte) Dr. Frieder Lenken, Magistrat (Infrastruktur, Verkehr) Dr. Winfried Löschburg, Deutsche Staatsbibliothek (Suchpunkte A 7.2, 7.9) Prof. Dr. Alfred Loesdau, Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der S E D (Geschichte der Arbeiterbewegung) Dr. Hans Maur, Museum für Deutsche Geschichte (Geschichte der Arbeiterbewegung) Oberstudienrat Dietrich Meyer, Pionierpark „Ernst Thälmann" Berlin (Suchpunkt K 19) Dipl.-Kulturwissensch. Armin Niemeyer, R a t des Stadtbezirks Berlin-Lichtenberg (Suchpunkt H 12) Dr. Günter Nitschke, Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der D D R (Übersicht Weißensee und Hohenschönhausen) Dipl.-Journ. Manfred Otto, Verband der Journalisten der D D R (Übersicht Marzahn) Prof. Dr. Joachim Petzold, A d W (Geschichte der Neuzeit) Dr. Hans-Jürgen Räch, A d W (Dorfformen, ländliche Volksbauweise) Dr. Klaus Scheel, A d W (Suchpunkte D 13, H 7) Dr. sc. Gerhard Schlimpert, A d W (Orts- und Gewässernamen) Doz. Dr. sc. Günter Schmitt, H f ö (Suchpunkt J 13) Dr. Helmut Schönfeld, A d W (Mundart) Prof. Dr. Wolfgang Schröder, A d W (Geschichte der Neuzeit) Prof. Dr. Helga Schultz, A d W (Geschichte des Mittelalters) Dr. Ralf Schummer, H U (Zoologie) Dipl.-Phil. Inge Senst, I f D (Suchpunkte D 9, D 10) Dr. Heinz Seyer, MM (Suchpunkte A 1, A 2) Dr. Rosemarie Seyer, A d W (Suchpunkt D 17) Dipl.-Journ. Werner Stankoweit, Staatliches Komitee für Rundfunk beim Ministerrat der D D R (Suchpunkt K 22) Dr. Isolde Stark, A d W (Kultur- und Wissenschaftsstätten) Rolf J. Stobbe, V E B Kulturpark Berlin (Suchpunkt J 9) Dr. Hans-Joachim Stoll, A d W (Suchpunkt K 2) Konrad Stoll, Museum für Deutsche Geschichte (Beiträge zu den Beschreibungen der Ortsteile im Stadtbezirk Köpenick) Dipl.-Journ. Horst Straßburg, Verband der Journalisten der D D R (Übersifcht Friedrichshain und Weißensee) Jewgeni Tabatschnikow, Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur (Suchpunkt A 9.5) , Dr. Heinzpeter Thümmler, A d W (Bevölkerungsentwicklung) Dipl.-Journ. Alexander Tönsmann, Sportvereinigung Dynamo (Suchpunkt F 2) XII
Prof. Dr. W a l t e r V e n t , H U (Suchpunkt J 12) Dipl.-Theaterwissenschaftlerin K r i s t a Vogt, A k a d e m i e der K ü n s t e der D D R (Suchpunkt A 11.12) Dipl.-Mist. U w e Winkler, MM (Bau- und Kunstdenkmäler) Dr. Sonja W ü s t e n , Kunsthochschule Berlin (Suchpunkt E 4) A d W — A k a d e m i e der Wissenschaften der D D R , Berlin IfD — Institut f ü r Denkmalpflege in der D D R , Arbeitsstelle Berlin H f Ö — Hochschule f ü r Ökonomie „ B r u n o Leuschner" Berlin HU — Humboldt-Universität zu Berlin MM — Märkisches Museum Berlin Magistrat — Magistrat von Berlin, H a u p t s t a d t der D D R Z I — Zentralinstitut Manuskript abgeschlossen am 31. Oktober 1985 (Der erst 1986 gegründete Stadtbezirk Hellersdorf konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Einzelne F a k t e n sind im K a p i t e l über den Stadtbezirk Marzahn enthalten. Die Darstellung des Stadtbezirkes Hellersdorf ist für die 2. A u f l a g e vorgesehen)
XIII
VERZEICHNIS DER SUCHPUNKTE
Die Nummern entsprechen denen am R a n d e des Textes sowie denen auf der Übersichtskarte Stadtbezirk Mitte . . . 113 Allgemeine Übersicht . 113 Wirtschaftliche Grundlagen u n d Entwicklung 115 1
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 A
Molkenmarkt, Nikolaiund Petrikirchplatz, die Anfänge von BerlinKölln 116 Nikolaikirche . . . . 117 Wohngebiet NikolaiViertel 120 Poststraße 121 Molkenmarkt . . . .121 H a u s des Ministerrats der D D R 122 Rotes R a t h a u s . . . . 122
Alexanderplatz und die ehemaligen Berliner
3.1 3.2 3.3
Volksbühne 132 Karl-Liebknecht-Haus 1 3 3 Volkspark am Weinbergsweg 133 Zwischen Fernsehturm !34 Fernsehturm 135
3.5
3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11 3.12 3.13
N e p t u n b r u n n e n . . . . 135 Marienkirche 135 Rathauspassagen . . . 138 Wohn- und Geschäftsb a u t e n Karl-Liebknecht/ Spandauer Straße . .139 Marx-Engels-Forum . . 1 4 0 Palasthotel 140 Heiliggeist-Kapelle . . 141 Bahnhof Marx-EngelsPlatz 142
4
A
Köllnische Insel (Fischerinsel, Marx-Engels-Platz und Museumsinsel) 142 4.1 Fischerinsel 143 4.2 Petriplatz und Köllnischer Fischmarkt . . 1 4 4 144 4-3 Breite Straße 145 4-4 Brüderstraße 4.5 Umgebung Marx-Engels-Platz 147 4.6 Gebäude des Staatsrates der D D R . . . . 148 4.7 Alter und Neuer Marstall 150 4.8 Palast der Republik . . 1 5 0 4.9 Dom 151 4.10 Marx-Engels-Platz, Nordteil — ehemaliger Lustgarten . . 153
A
5 5-i 5-2 5-3 5-4 5-5
Klosterstraße und mittelalterliche Stadtmauer 124 Klosterkirche 124 H a u s der Jungen Talente 126 Parochialkirche . . . . 1 2 6 Waisenstraße, Reste der Stadtmauer und Zur letzten Instanz . . . . 127 Gerichtsgebäude . . . 128
3
3.4
A
129
Museumsinsel Altes Museum Neues Museum Nationalgalerie Bodemuseum Pergamonmuseum
1
54 155 156 156 157 158 XV
A
6
6.1 6.2 6.3 A
A
B r ü c k e n zwischen B e r lin, Köllnischer Insel und den westlichen V o r städten Marx-Engels-Brücke . Jungfernbrücke . . . Gertraudenbrücke. . .
A
158 159 161 161
Vorstädte, Straßen und P l ä t z e westlich der Köllnischen Insel 162 7.1 F e s t u n g s a n l a g e n aus der z w e i t e n H ä l f t e des 17. Jh 162 7.2 U n t e r den Linden . . . 164 7.3 M u s e u m f ü r D e u t s c h e Geschichte 166 7.4 Zentrales Haus der D e u t s c h - S o w j etischen Freundschaft 167 7.5 M a x i m - G o r k i - T h e a t e r . 168 7.6 M a h n m a l für die O p f e r des Faschismus und Militarismus 169 7.7 M a g n u s h a u s 170 7.8 H u m b o l d t - U n i v e r s i t ä t 171 7.9 D e u t s c h e Staatsbibliothek 173 7.10 B o t s c h a f t der U d S S R . 174 7.11 Schadowhaus . . . .174 7.1»-Brandenburger Tor . . 1 7 5 7.13 K o m i s c h e Oper . . . . 1 7 6 7.14 H o t e l U n t e r den Linden, Lindencorso . . . 177 7.15 B a h n h o f Friedrichstraße 178 7.16 H o t e l Metropol . . . . 1 7 8 7.17 Internationales Handelszentrum 179 7.18 Staatsoper, Lindenforum 179 7.19 Reiterstandbild Friedrich I I 181 7.20 A l t e B i b l i o t h e k . . . . 182 7.21 H e d w i g s k a t h e d r a l e . . 183 7.22 P a l a i s U n t e r den Linden und Operncaf6 . . 1 8 5 7.23 D e n k m a l des Freiherrn v o m u n d z u m Stein . . 186
8.3 8.4 A
7
8
XVI
Werdersche und S t a d t werder
Vorstadt Friedrichs186
8.1 8.2
9 9.1 9.2 9.3 9.4
9.5 9.6 9.7 9.8 9.9
A
10
10.1 10.2 10.3 A
11 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6 11.7
11.8 11.9 11.10 11.11 11.12 11.13
S t a d t Friedrichswerder. Friedrich-Werdersche Kirche Hausvogteiplatz . . . Spittelmarkt
187 189 190 191
Friedrichstadt . . . . 192 Mohrenkolonnaden . . 192 P l a t z der A k a d e m i e m i t d e m Schauspielhaus . . 192 A k a d e m i e der Wissens c h a f t e n der D D R . . . 197 H a u s der sowjetischen W i s s e n s c h a f t und K u l tur 199 K l u b der K u l t u r s c h a f fenden 201 Pfarrhäuser 201 Leipziger S t r a ß e . . . 202 H a u s der Ministerien . 202 Ehemaliges Herrenhaus und ehemaliger Preußischer L a n d t a g . . . . 2 0 3 Zwischen Fischerinsel und Märkischem Museum Märkisches U f e r . . . . Märkisches M u s e u m . . Köllnischer P a r k . . .
203 203 205 207
Spandauer und Oranienburger V o r s t a d t . . . 209 Sophienkirche u n d Friedhof 209 Gedenkstein u n d Jüdischer Friedhof . . . . 2 1 0 Neue Synagoge . . . . 211 Dorotheenstädtischer Friedhof 213 Französischer Friedhof 214 Elisabethkirche. . . . 2 1 4 Ehemaliges Verwaltungsgebäude der Firm a Borsig 214 Charité 214 Stadion der W e l t j u g e n d 216 Museum f ü r N a t u r k u n de 216 Brechthaus 217 A k a d e m i e der K ü n s t e 218 K l u b der G e w e r k s c h a f t K u n s t — D i e M ö w e . . 219
A 11.14 Ehemalige Tierarzneischule 219 11.15 Deutsches Theater und Kammerspiele . . . . 2 1 9 11.16 Berliner Ensemble. . . 220 11.17 Alter und neuer Fried richstadtpalast . . . . 2 2 1 B
B
1
3.1 3.2 3.3 3.4 4
5 6 7 C
14 15
Karl-Marx-Allee und Weberwiese Leninplatz Volkspark Friedrichshain und nähere Umgebung Volkspark Friedrichshain Märchenbrunnen . . . Sport- und Erholungszentrum Krankenhaus Friedrichshain Wohnviertel und Gebäude des Zentralorgans der S E D „Neues Deutschland" Hauptbahnhof . . . . Wohnblock Proskauer Straße — Bänschstraße Stralau
1 2 3 4
7 8 9
227 229
18 19
231
D
236 237
237 237 238 238
D
Wohntrakt der ehemaligen Groterjahnschen Malzbierbrauerei . . . Schulen Arnimplatz Alter Friedhof der Nikolai- und Mariengemeinde Ernst-Thälmann-Park . Wohnviertel von Bruno Taut Friedhof I der GeorgenParochial-Gemeinde . . Ehemaliger Vieh- und Schlachthof Werner-SeelenbinderHalle Volkspark Prenzlauer Berg
249 249 250 250 251 252 252 253 253 253
Stadtbezirk Pankow . 254 Allgemeine Übersicht . 254 Wirtschaftliche Grundlagen und Entwicklung 256
231 234
Hochbahnanlage . . . 245 Herz-Jesu-Kirche . . . 245 Jüdischer Friedhof . . 245 Ehemalige Wasserversorgungsanlage . . . . 246 Synagoge 247 Ehemalige SchultheißBrauerei 248 Volksbadeanstalt . . . 248 Friedhof .249 Gethsemanekirche . .249
Werte, Berlin
16 17
Stadtbezirk Prenzlauer Berg 240 Allgemeine Übersicht . 240 Wirtschaftliche Grundlagen und Entwicklung 243
5 6
2
11 12 13
Stadtbezirk Friedrichshain 222 Allgemeine Übersicht . 222 Wirtschaftliche Grundlagen und Entwicklung 225
2 3
C
C 10
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 18.1 18.2 18.3
Dorfkirche Pankow . . 2 5 7 Rathaus Pankow . . . 258 Kavalierhaus 258 Großhandelslager . . . 259 Bürgerpark 260 Freibad 261 Hoffnungskirche . . . 2 6 1 Wohnhäuser Thulestraße 261 Niederschönhausen . . 2 6 1 Schloß Niederschönhausen 262 Friedenskirche . . . . 262 Paul-Franke-Siedlung . 262 Sowjetisches Ehrenmal im Volkspark Schönholzer Heide 264 Rosenthal 265 Naturschutzgebiet Schildow — Kalktuffgelände am Tegeler Fließ 265 Blankenfelde 266 Buchholz 266 Buch 268 Ur- und frühgeschichtliche Besiedlung. . . . 268 Bucher Forst 270 Buch 272 XVII
D
18.4 18.5
E
E
1 2
F
Weißensee Naturschutzgebiet Fauler See Jüdischer Friedhof . . Kunsthochschule Berlin Heinersdorf Blankenburg Karow
279 280 280 281 282 282 282
Stadtbezirk Hohenschönhausen 283 Allgemeine Übersicht . 283 Wirtschaftliche Grundlagen und Entwicklung 285 1 2 3 4 5 6
Hohenschönhausen . . 2 8 6 Sportforum der Sportvereinigung Dynamo . 287 Malchow 288 Wartenberg 289 Ingenieurhochschule Wartenberg 290 Falkenberg 290 Stadtbezirk Marzahn . 291 Allgemeine Übersicht . 291 Wirtschaftliche Grundlagen und Entwicklung 292
G
G
H
Stadtbezirk Weißensee . 275 Allgemeine Übersicht . 275 Wirtschaftliche Grundlagen und Entwicklung 278
3 4 5 6 7
F
Städtisches Klinikum Buch 274 Medizinisches Forschungszentrum der Akademie der Wissenschaften der D D R . . . 274
1 2 3 4 5 6 7
H
XVIII
Marzahn Friedhof Marzahn . . . Biesdorf Kaulsdorf Mahlsdorf Gründerzeitmuseum Mahlsdorf Neubaugebiet Marzahn
293 296 297 297 299
1 2
Dorfkirche Lichtenberg 306 Gedenkstätte der Sozialisten 308 3 Gedenkmauer in der Parkanlage am Rathaus 308 4 — 6 Friedrichsfelde . . . . 309 4 Dorfkirche Friedrichsfelde 309 3 Schloß Friedrichsfelde . 309 6 Tierpark Berlin . . . . 3 1 1 7 Sowjetisches Armeemuseum Karlshorst . . . 313 8 Wohngebiet Hans-LochViertel 313 9 Wohngebiet Leninallee/ Ho-Chi-Minh-Straße. . 314 10 Trabrennbahn Karlshorst 315 11 Heizkraftwerk Rummelsburg 315 12 Erste Betonhäuser Pfarrstraße 316 13 Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Herzberge . . . . 3 1 7
J
J
Stadtbezirk Treptow. . 3 1 7 Allgemeine Übersicht . 317 Wirtschaftliche Grundlagen und Entwicklung 320 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
300 301
12 13
Stadtbezirk Lichtenberg 303 Allgemeine Ubersicht . 303 Wirtschaftliche Grundlagen und Entwicklung 305
14 15
Treptower P a r k . . . . 3 2 2 Gaststätte Zenner . . . 323 Archenhold-Sternwarte 324 Sowjetisches Ehrenmal im Treptower Park . . 326 Weiße Flotte 328 Insel der Jugend . . . 329 Rathaus 329 Plänterwald 331 Kulturpark Berlin . .331 Eierhäuschen . . . . 332 Friedhöfe und Krematorium Baumschulenweg 333 Arboretum 333 Ehemaliger Flugplatz Johannisthal 335 Fernsehen der D D R . . 336 Forschungsstätten der Akademie der Wissenschaften der D D R . . . 337
J
16
17 18
K
K
1 2
3 4 5 6
7 8
9 10
2»
Altglienicke 338 Bohnsdorf 339 Flughafen Berlin-Schönefeld 339 Stadtbezirk Köpenick . Allgemeine Übersicht . Wirtschaftliche Grundlagen und Entwicklung Köpenicker A l t s t a d t . . Schloßinsel Kietz Schmöckwitz Rahnsdorf Spindlersfeld Müggelheim Grünau Friedrichshagen . . . Mittelheide und Köpenicker Damm-Forst . .
34° 340 342 343 345 349 350 352 353 354 354 355
K
11 12
13 14 15 16 !7 18
19 20 21 22
355
Landschaftsschutzgebiet Erpetal Püttberge Spreewiesen Naturschutzgebiet K r u m m e Laake . . . Müggelsee Müggelberge und Rahnsdorfer Stadtforst . . . Moor a m Teufelssee . . Grünauer Regattastrekke Pionierpark E r n s t Thälmann Salvador-Allende-Viertel Wasserwerk Friedrichshagen F u n k h a u s Nalepastraße
357 357 358 360
361 365 368
372 372 372 373 373
XIX
Überschau
1 Natur 1.1 T o p o g r a p h i e , G e o l o g i e und G e o m o r p h o l o g i e Die Hauptstadt der D D R , Berlin, nimmt eine Fläche von 403 km 2 ein. Sie liegt auf der geographischen Breite von 52°3o' N und auf der geographischen Länge von 13°24' O. Daraus ergibt sich eine Ortszeit von n h 5 3 , 6 m l n . Berlin liegt in einer Höhe von 3 1 m (Spreeufer) bis 67 m ü. N N (Ahrensfelder Berg) bei einer Wasserspiegelhöhe der Spree vor der Mühlendammschleuse von 32 m ü. NN. Die Müggelberge (s. K 16) im Stadtbezirk Köpenick erreichen 115 m Höhe. Künstlich geschaffene Berge aus Trümmer- und Aushubmassen sind Großer Bunkerberg (78 m), Kleiner Bunkerberg (68 m) im Volkspark Friedrichshain (s. B 3 . 1 ) ; Oderbruchkippe (91m) im "Volkspark Prenzlauer Berg. Durch Sandabbau beseitigt wurde der ursprünglich 82 m hohe Stener Berg bei Buch im Stadtbezirk Pankow. Geologischer Untergrund Das gefaltete und eingeebnete variskische Gebirge liegt im Berliner Raum in mehr als 3000 m Tiefe. Darüber folgen Zechsteinschichten mit Salzablagerungen. Von den darüber liegenden Schichten der T r i a s z e i t werden östlich von Berlin, bei Rüdersdorf, Wellen- und Schaumkalke des Muschelkalks zur Zementherstellung abgebaut. Diese sowie andere vortertiäre Bildungen (z. B . aus der J u r a - und K r e i d e z e i t ) wurden in einem großen Meeresbecken abgelagert. A m Ende des Oligozäns eines Abschnittes des Tertiärs, vor etwa 30 Mill. Jahren und danach entstanden übereinander mehrere geringmächtige Braunkohleflöze. Das heutige Stadtgebiet wurde im Q u a r t ä r (vor rund 2,5 Mill. Jahren) während der Elster-, Saale- und Weichselkaltzeit von Inlandeis überdeckt. Das vom Gletschereis transportierte Material wurde in der Elsterkaltzeit als Geschiebemergel abgelagert, welcher in Lichtenberg und Friedrichsfelde nachweisbar ist. Darüber kam es zu Beckenablagerungen (Bändertone, Schluff, Feinsand), in geringerem Umfange zur Ablagerung von Sanden und Talsanden. Im Elster-Saale-Interglazial der Holsteinwarmzeit, mit einem dem heutigen vergleichbaren Klima, wurden im Bereich der im Berliner R a u m weitverbreiteten Seen und Altwassern Kiese, Sande, Schluffe, Tone, Kalk- und Diatomeenmudde abgelagert. E s bildeten sich die 5 — 15 m mächtigen Paludinenschichten, in denen die Sumpfschnecke Paludina diluviana, jetzt als Viviparus diluvianus bezeichnet, lebte. Die Sande, die vom Schmelzwasser des zurückweichenden elsterkaltzeitlichen Inlandeises und des vorstoßenden saalekaltzeitlichen Gletschereises abgelagert 1
wurden, bilden ein Grundwasserstockwerk von etwa 30 m Mächtigkeit. Im Gebiet der Grundmoränenplatte des Barnims innerhalb der Hauptstadt ist dieses zumeist der Hauptgrundwasserleiter. Während der S a a l e k a l t z e i t wurden 3 Grundmoränen abgelagert. Aus der folgenden E e m w a r m z e i t sind besonders im Panketal Faulschlamm, Wiesenkalk und Torf, oft in Oberflächennähe, erhalten. Vom vorrückenden weichselzeitlichen Inlandeis wurden die meisten Ablagerungen zerstört. Reliefprägend sind die Grundmoränenplatten des Barnims und des Teltows, die während der W e i c h s e l k a l t z e i t entstanden. Mächtigkeit der pleistozänen Ablagerungen im Spree-Havel-Gebiet Weichselkaltzeit Eemwarmzeit Saalekaltzeit Holsteinwarmzeit Elsterkaltzeit
5 —15 m o— 2 m 10—60 m o—25 m 0-55111
etwa etwa etwa etwa etwa
70000— 10000 vor 125000— 70000 vor 390000- 125000 vor 480000—390000 vor 610000 —480000 vor
heute heute heute heute heute
Die Mächtigkeit der pleistozänen Schichtenfolge schwankt zwischen 15 und 157 m. Die warmzeitlichen, nachweichselkaltzeitlichen (holozänen) Ablagerungen der letzten 12000 Jahre treten meist in Form von Flachmoortorf, Faulschlamm, anmoorigen und sandigen Bildungen in grundwasserbeeinflußten Niederungen und in geringerem Umfang in Hohlformen der Platten auf. In Toteishohlformen und Auskolkungen können sie größere Tiefe erreichen. So wurden auf der Museumsinsel fast 50 m mächtige holozäne Ablagerungen ermittelt. Oberflächengestalt Das Berliner Gebiet erhielt in der jüngsten Kaltzeit, der Weichselkaltzeit, sein landschaftliches Gepräge. Der äußerste Rand des Inlandeises lag vor 20000 Jahren nördlich des Baruther Urstromtales, 40 bis 50 km südlich von Berlin. Zur Zeit der Frankfurter Eisrandlage, welche von Frankfurt/Oder über Müncheberg und nördlich von Buckow und Bernau auf Wandlitz hin verlief, wurde von Schmelzwässern des zurückweichenden Eises das Warschau—Berliner Urstromtal (Abb. 1) ausgebildet. Die damals abgelagerten grobkörnigen Sande sind bedeutende Grundwasserleiter, die mit Schmelzwasserabsätzen aus der Elster- und Saalekaltzeit entscheidend für die Wasserversorgung des Berliner Gebietes sind. Von der Frankfurter Eisrandlage ausgehend, hat das Schmelzwasser große Sanderflächen aufgeschüttet (Abb. 2), so den Buckower, den Strausberger und den Pankesander, die heute überwiegend waldbedeckt sind. Zwischen den Sandern liegen vom Inlandeis abgelagerte Grundmoränenflächen, die meist ackerbaulich genutzt werden. Dieser Wechsel von Grundmoränenplatten und Sanderflächen prägt das landschaftliche Bild im N von Berlin. Die beträchtlichen Wassermassen, die in der vegetationslosen Landschaft auch bei dem weiteren Rückschmelzen des Inlandeises (Zwischenstaffel zwischen Frankfurter und Pommerscher Eisrandlage) anfielen, legten Teile des Talbodens des Berliner Urstromtales um 5 bis 6 m tiefer. Die obersten Sandschichten im Urstromtal sind durchgehend sehr feinkörnig, zum Teil sogar staubsandig. Stellenweise ist Ton eingelagert. Darunter liegt 2
ecken-/ ., / /Zone nördlich des 'Nördlichen Landrückens
Prignitz
des p.
Granseer J \ \ SchorfPI a lip / / / heide Urstromta7
Nauener Platte
Land Lebus
Zauche Beeskower Platte andrò
Lieberoser Land
100 km j Abb. 1. Zone der Platten und Urstromtalungen l Land Schollene; 2 Rhinower Ländchea; 3 Nennhäusener Ländchen; 4 Friesacker Ländchen ' , 5 , 6 Ländchen Beilin und Glin; 7 Karower Platte; 8 Dobbrikower Hochfläche; 9, 1 0 Baruther Platte und Krausnicker Berge
mittelkörniger Sand, dann folgen kiesiger Sand und schließlich Kies und grober Kies mit größeren Gerollen und Geschieben. Darunter befinden sich analog 3 ähnliche rhythmische Ablagerungen der Schmelzwässer der saalezeitlichen Inlandeisbedeckungen. Die jeweils zutiefst liegenden Kiesschichten sind Reste ausgewaschener Grundmoränen und enthalten teilweise unterschiedlich große Grundmoränenreste. Unter den saalekaltzeitlichen Talsanden erreichen an einigen Stellen elsterkaltzeitliche Ablagerungen anormale Mächtigkeit von 125 m. Das Warschau—Berliner Urstromtal verläuft von SO nach NW durch das Territorium der Hauptstadt. Seine Nordgrenze fällt mit dem Südrand der Barnimhochfläche zusammen und hat folgenden Verlauf: im Stadtbezirk Mitte die Egon-Schultz-Str., die Anklamer bis zur Brunnenstr., unterhalb des Volksparkes am Weinberg, dann nördlich der Wilhelm-Pieck- bis zur Gormannstr.; im Stadtbezirk Friedrichshain entlang der Friedenstr. zum Leninplatz,
Weidenstr. zum Frankfurter Tor, Frankfurter Allee bis S-Bahnhof Frankfurter Allee; im Stadtbezirk Lichtenberg nördlich der Frankfurter Allee und Str. der Befreiung; im Stadtbezirk Marzahn über den Altbiesdorf er Anger, dann von der Kreuzung Alt Kaulsdorf (zugleich Fernverkehrsstraße 1 und 5) und Chemnitzer Str. über die Niederfeldstr., Elsenstr. bis zum Hultschiner Damm. Der südliche Talrand, der zugleich den Nordrand der Teltowhochfläche darstellt, setzt im Territorium der Hauptstadt weit im SO südlich des Teltowkanals ein und verläuft entlang der Rudower und Grünauer Str. An der Str. Am Falkenberg ist die Grenze zum Teltow deutlich ausgeprägt. Hier erreicht der Falkenberg eine Höhe von 52 m ü. NN. Die Grenze verläuft weiter entlang der Buntzelstr., Schulzendorfer Str., Eichbuschstr. bis zum Eichbuschplatz. Im inneren Stadtgebiet sind die Talflanken durch die Bebauung etwas verwischt. An vielen Stellen sind sie deutlich erkennbar, so an der Brunnenstr., am Weinbergsweg und an der Prenzlauer Allee. Die Sohle des Urstromtales liegt zwischen 33 und 40 m ü. NN. Das Tal hat in Längsrichtung nordwestliches Gefälle. Im Stadtzentrum ist das Urstromtal nur 4—5 km breit. Von Treptow bis zum Müggelseegebiet verbreitert es sich, hier umrandet von den Müggelbergen, dem Seddinberg und den Gosener Bergen. Die Müggelberge ( 1 1 5 bzw. 81 m über NN), die westlich davon gelegenen Kanonenberge (80 m), der Seddinberg (63 m) und die Gosener Berge (82 m) sind Reste von Stauchendmoränen der Weichselkaltzeit auf saalekaltzeitlichen Moränenbereichen. An den Kanonenbergen sind die durch das Inlandeis steilaufgerichteten Schichten mit schwach faulschlammhaltigen Sanden der Eemwarmzeit) aufgeschlossen. Durch einen bedeutenden Schmelzwasserzufluß wurde der Schlauchsander des Roten Luchs östlich von Berlin gebildet. E r trennt die nördlich der Berliner Urstromtalung liegende Platte in 2 Hochflächen, westlich die Barnimhochfläche und östlich das Land Lebus. Die Weichselkaltzeit endete etwa 10000 Jahre v. u. Z. Nach dem Rückschmelzen des Inlandeises bildete sich und bestand bis etwa zum Ende der Weichselkaltzeit im heutigen Berliner Gebiet Dauerfrostboden. Die in einer kurzen Tauperiode jährlich anfallenden Schmelzwasser konnten nicht in den undurchlässigen Boden eindringen, sondern flössen schnell oberflächig ab und schnitten Talrinnen ein. Auf flachen Hängen entstand so Bodenfließen mit der Wirkung einer Einebnung. Frostsprengung führte zur Zerkleinerung von Geschieben. Eine große reliefbildende Wirkung besaß der Wind in der nicht oder nur spärlich bewachsenen Landschaft. E s wurden Binnendünen auf den Sanderflächen von westlichen Winden aufgeweht. Die Korngröße der feinkörnigen Flugsande liegt zwischen 0,1 und 1,2 mm. Die Dünen wanderten teilweise auf die Randflächen hinauf. Erhalten sind solche hohe Dünen bis zu 30 m über der Sohle der Urstromtalung an den Püttbergen (s. K 12) und an den Teerbrennerbergen östlich des Müggelsees. Nördlich von Wilhelmshagen zieht sich ein großes Dünengebiet ostwärts bis zum Rand der Urstromtalung an der Woltersdorfer Schleuse und greift auf die Hochfläche hinauf. Im Stadtzentrum sind diese Dünen zumeist infolge anthropogener Einwirkung im Oberflächenbild unkenntlich. In der Zeit der Siedlungsgründung wurden sie meist bebaut. 5
Im Übergang von der letzten Kaltzeit zu dem heutigen Klima schmolzen die verschütteten Toteiskörper ab. Durch das Ausschmelzen der Toteisblöcke, die in Becken unterschiedlicher Entstehung verschüttet worden waren, entstanden zahlreiche Hohlformen. Dadurch bildeten sich der charakteristische Seenreichtum des Jungmoränenlandes sowie auch die kennzeichnenden zahlreichen geschlossenen, trocken liegenden Hohlformen. Die Barnimplatte nördlich des Spreeabschnittes der Berliner Urstromtalung besteht an der Oberfläche vorwiegend aus Grundmoränen- und Sanderbereichen. östlich des Panketals liegt der Oberbarnim, westlich des Tals der Niederbarnim. Die überwiegend 45 bis 60 m hohe Barnimplatte fällt nach S hin ab. In gleicher Richtung, d.h. zur Urstromtalung hin, verläuft der Grund Wasserabfluß. Ein oft nur geringer bindiger Anteil (Tone, Schluffe) in den Grundmoränen ist die Ursache dafür, daß hier eine relativ sonst nicht vorhandene geringe Wasserdurchlässigkeit besteht. Zuweilen können weichsei- und saalezeitliche Grundmoränen unmittelbar aufeinanderfolgen. Dabei werden gelegentlich größere Grundmoränenmächtigkeiten erreicht (Abb. 3). Die Teltowplatte ist ebenfalls nach S geneigt, so daß sie sowohl ober- als auch unterirdisch nur ein kleines Einzugsgebiet zur Berliner Urstromtalung hin entwässert. Im Spreeabschnitt der Berliner Urstromtalung, und zwar im Bereich des heutigen Stadtzentrums, dort, wo später die mittelalterlichen Städte Berlin und Kölln lagen, nähern sich Barnim und Teltow am stärksten. Hier ließ sieh das damals noch versumpfte und überflutete Niederungsgebiet der Urstromtalung am leichtesten überqueren. Baugrund Im Stadtzentrum von Berlin wird die Urstromtalung seit Jahrhunderten überwiegend als Baugrund genutzt. Auch ungünstigste Flächen sind bebaut worden. Die ursprüngliche Geländegestaltung (Mikrorelief) ist verändert worden. Bis zu 4 m mächtige Aufschüttungen sind viel6
fach anzutreffen. Die Schmelzwassersande der Urstromtalung geben einen guten Baugrund ab, der auch während der Baudurchführung günstige Bedingungen bietet. Die flankierenden Hochflächen haben einen bindigen Baugrund mit gewissen Schwierigkeiten bei der Trockenhaltung der Baugrube. Die gute bis sehr gute Qualität des Baugrundes im Urstromtal und auf den Hochflächen ist vor allem durch holozäne organische Ablagerungen mit geringer Tragfähigkeit beeinträchtigt. So durchziehen in verschiedener Tiefe mit Torf und Mudde gefüllte Rinnen und Kolke (ursprünglich Altwasser, Eisstauhohlformen von Toteiskörper) den Untergrund, besonders ausgeprägt in der Innenstadt um die Museumsinsel. Der alte Friedrichstadtpalast (s. A 11.17) stand über Torf und Muddeablagerungen und mußte 1985 wegen früherer unzureichender Gründung und sich daraus ergebender Setzungen abgetragen werden. Ein Teil der Alten Bibliothek am August-Bebel-Platz (s. A 7.20) wurde 1774 über Torf und Mudde auf 1200 Eichen- und Kiefernpfählen gegründet. Der Wiederaufbau dieses im zweiten Weltkrieg zerstörten historischen Gebäudes erforderte umfangreiche Baugrunduntersuchungen und -Sicherungen. Auch bei dem 90 m hohen Internationalen Handelszentrum (s. A 7 . 1 7 ) am Bahnhof Friedrichstraße und beim Gebäude des Staatsrates (s. A 4.6) waren Bohrpfahlgründungen erforderlich. Auf Grund der sehr wechselhaften Baugrundverhältnisse werden daher bei Hochhausbauten Untersuchungen des Baugrundes bis zur saalekaltzeitlichen Grundmoräne durchgeführt. Eine hohe Standfestigkeit bietet der Geschiebemergel der Hochflächen, auf denen die bedeutendsten Neubaugebiete Marzahn (s. G 7) und Hohenschönhausen (s. F 1) errichtet worden sind. Böden Auf dem Barnim und Teltow herrschen Tieflehm-Fahlerden und Sand-Braunpodsol-Boden-Gesellschaften vor. In der Urstromtalung überwiegen Sand-Podsol-Bodengesellschaften. W. Gringmuth
1.2 H y d r o l o g i e Gewässernetz Entstehung und Ausprägung des Gewässernetzes gehen auf die Vorgänge in der Weichselkaltzeit zurück. Kennzeichnend sind der Reichtum an Hohlformen und Seen und eine unübersichtliche Anordnung der Gewässerläufe. Berlin hegt an der Spree, die von der Oberlausitz bis zur Einmündung der Dahme in Köpenick ein Einzugsgebiet von 7223 km a hat. Die Dahme weist ein Einzugsgebiet von 2 186 km 2 auf. Die Grundstruktur des Gewässernetzes der nördlichen Zuflüsse der Spree im Stadtgebiet und im nördlichen Umland (Panke, Wühle, Neuenhagener Mühlenfließ) wurde zur Zeit der Frankfurter Eisrandlage angelegt. Die Urstromtalungen boten gute Voraussetzungen dafür, die verschiedenen Fließgewässer über (Tal-) Wasserscheiden hinweg miteinander durch künstliche Wasserstraßen zu verbinden. A m bedeutendsten war hierbei die Verbindung 7
des Elbewasserstraßensystems durch den Spreeabschnitt der Berliner Urstromtalung mit dem Odersystem. Nach Vorläufern im 16. und 17. J h . wurde der heutige Oder-Spree-Kanal zwischen 1886 und 1890 ausgebaut. Von 1906 bis 1914 legte man nördlich von Berlin auf der Hauptterrasse der Eberswalder Urstromtalung in 36 m Höhe (unabhängig vom vorher schon existierenden Finowkanal, s. Bd. 34, C 7) den Oder-Havel-Kanal an. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde eine Wasserstraßenverbindung zwischen der Havel bei Hennigsdorf und der Havel bei Ketzin gebaut. Sie ist 1952 eröffnet worden und heißt heute Havel-Kanal. Seit 1906 verbindet der 37,8 km lange Teltow-Kanal die Dahme bzw. den Langen See oberhalb von Köpenick über Rinnen in der Hochfläche des Teltows mit der Havel bei Potsdam. Durch den Ausbau der Wasserstraßen ist die Entwicklung Berlins stark gefördert worden. Der für das Jungmoränenland allgemein kennzeichnende Seenreichtum prägt auch die Berliner Umgebung. Die Seen werden von den Fließgewässern durchströmt; einige sind abflußlos. Auf dem Territorium der Hauptstadt gibt es 13 Seen mit jeweils mehr als 6 ha Fläche. Die Gewässer nehmen insgesamt 6% des städtischen Territoriums ein, darunter sind 3,9% Seen. Seen über 6 ha Fläche
Großer Müggelsee Seddinsee Langer See Zeuthener See (Berlin Anteil) Dämeritzsee (Berlin Anteil) Rummelsburger See Kleiner Müggelsee Weißer See Brandenburger See Bogensee Malchower See Fauler See Krumme Laake Gesamt
Stadtbezirk
Fläche in ha
Köpenick Köpenick Köpenick Köpenick Köpenick Lichtenberg Köpenick Weißensee Pankow Pankow Hohenschönhausen Hohenschönhausen Köpenick
739.3
290,0 278,1
133,8 43,5 38,9 12,0
8,5
6,6 6,4
6,3
6,0 6,0
1575,4 ha
Für das Jungmoränenland sind Binnenentwässerungsgebiete ohne oberirdischen Abfluß kennzeichnend. Ihre Fläche besitzt nach einer Aufnahme von 1968 in den 5 Umlandkreisen der Hauptstadt ca. 5,5 % . Das große Binnenentwässerungsgebiet um Schönefeld, Kreis Königs Wusterhausen, reicht mit 2,5 km 2 in das Gebiet der Hauptstadt hinein. Schon frühzeitig, aber insbesondere im Zuge der sogenannten inneren Kolonisation im 18. J h . bis in die Gegenwart, wurden die Binnenentwässerungsgebiete immer stärker an die periphere, zum Meer hinführende Entwässerung, angeschlossen. Die Gewässerdichte ist innerhalb Berlins und seines Umlandes unterschiedlich. Im Panke-Einzugsgebiet kommen 1,70 bis 2,65 km Gewässer auf 1 km 2 , in Lichtenberg und Weißensee zwischen 0,95 und 1,70 km/km 2 , nördlich und südlich des Müggelsees nur 0,05 bis 0,40 km/km 2 . 8
Grundwasser Für die Berliner Urstromtalung ist das Auftreten nur eines Grundwasserleiters kennzeichnend. Die Schmelzwassersande zwischen dem saalekaltzeitlichen und weichselkaltzeitlichen Geschiebemergel bilden auf dem Barnim das Hauptgrundwasserstockwerk. Dieses steht mit dem Grundwasserleiter der Urstromtalung in unmittelbarer Verbindung. Auch die Grundmoräne gewährleistet in ihren oberen Partien sowie bei überlagernden Sanden ein relativ schnelles Eindringen von Niederschlagswasser, das jedoch auf die schwerer durchlässigen Grundmoränenschichten stößt. Dadurch kann schon in geringen Tiefen ein oberes, für das Bauwesen relevantes Grundwasserstockwerk, auch Schichtwasser genannt, entstehen. Bis zur Inbetriebnahme des ersten Wasserwerkes vor dem Stralauer Tor, welche 1855 erfolgte, gab es eine geländenajie Grundwasseroberfläche, die ohne Schwierigkeiten von Haus- und Straßenbrunnen erreicht werden konnte. Nachteilig war, daß ergiebige Niederschläge zu einem sofortigen Anstieg des Grundwasserspiegels unter anderem mit Kellerüberflutungen führten und daß das Grundwasser ungedeckt, d. h. ungeschützt vor Verunreinigungen war. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Höhe des Grundwasserspiegels zu einem Abbild der wirtschaftlichen Situation. Zwischen 1870 und 1910 fiel der Grundwasserspiegel gleichmäßig im Mittel um 6 cm im Jahr. Nach dem ersten Weltkrieg setzte infolge des wirtschaftlichen Rückganges und daher geringerer Wasserentnahme durch die Industrie ein deutlicher Anstieg der Grundwasseroberfläche ein. Gleiches wiederholte sich nach dem zweiten Weltkrieg von 1945 bis 1949. Die Zeit nach 1950 ist wiederum gekennzeichnet durch ein stetiges Sinken der Grundwasseroberfläche, verursacht durch hohe Entnahme von Betriebswasserwerken und verstärkt durch Grundwasserabsenkungen bei größeren Bauvorhaben: 1952 Aufbau der Karl-Marx-Allee (s. B 1), 1968/69 Neugestaltung des Alexanderplatzes (s. A 3). Im Berliner Raum befindet sich in 80 bis 120 m Tiefe unter NN eine etwa 100 m mächtige Tonserie, der etwa 30 Mill. Jahre alte Septarienton oder Rupelton. E r ist in einem Meer abgelagert worden. Diese Schichten überdecken den salzwasserhaltigen Bereich und verhindern das Nachdringen von salzhaltigem Wasser in den darüberliegenden Bereich süßen Grundwassers. Lediglich in einem ausgedehnten Areal südlich des Müggelsees und um den Schmöckwitzer Werder sind in einer Tiefe von 35 bis 65 m salzhaltige Grundwasser mit 150 — 450 mg NaCl/1 anzutreffen. Das erste Berliner Wasserwerk entnahm das Wasser der Spree. 1870 versorgte es 250000 Einwohner, während weitere 450000 Menschen Haus- und Straßenbrunnen, also oberflächennahes Grundwasser, nutzten. 1887 — 93, als Berlin bereits 1,5 Mill. Einwohner zählte, wurde das Wasserwerk Friedrichshagen (s. K 21), damals Wasserwerk Müggelsee genannt, erbaut. E r hatte eine Kapazität von 160000 m 3 pro Tag und verwendete Müggelseewasser. Das Wasserwerk Stralau, das das Spreewasser ungereinigt in die Leitungen gepumpt hatte, mußte wegen dessen abnehmender Qualität geschlossen werden. Nach 1907 wurde das Wasserwerk Müggelsee auf die Nutzung von Grundwasser umgestellt. 9
Die mächtigen Geschiebemergel auf dem Barnim schützen den Hauptgrundwasserleiter vor anthropogenen Einflüssen, so vor Verhärtung des Grundwassers durch Lösung der Baukalke. Dagegen hat sich im Urstromtal die Gesamthärte des hier ungeschützten Grundwassers verdoppelt. Nachdem man in den achtziger Jahren des 19. Jh. bei Tiefbohrungen im inneren Stadtgebiet unter dem Rupelton auf mineralhaltiges Wasser gestoßen war, wurde dieses Grundwasser von Apothekern zu Heilzwecken genutzt. Die erhoffte Entwicklung von Berlin zu einem Kur- und Heilbad hat sich allerdings nicht verwirklicht. W. Gringmuth 1.3 K l i m a Für den Berliner R a u m ist unter dem Einfluß des atlantischen Klimas eine hohe Witterungsveränderlichkeit typisch. Nach der Klimaklassifikation von W . K Ö P P E N hat der Berliner R a u m einen Cfb-Klimatyp (Buchenklima). W . BÖER unterscheidet ein stark maritim beeinflußtes Binnentiefland (Gebietst y p 2.4 Nordwestbrandenburg und R a u m Berlin) von einem stark kontinental beeinflußten Binnentiefland (Gebietstyp 3.1 Südwestbrandenburg, Odertal). Berlin liegt im Übergangsgebiet vom subatlantischen zum subkontinentalen Klima. Mittlere Monatswerte der T e m p e r a t u r (°C; 1909 — 60): Jan.
Febr.
März
April
Mai
Juni
Juli
Aug.
Sept.
Okt. •
Nov.
Dez.
Jahr
—0,3
oti
3,7
8,5
13,7
16,6
18,5
17,5
13.9
8,9
4,1
1,1
8,9
Im Mittel gibt es 24 Eistage (unter — 1 0 °C), davon 9 im Januar. Von den Hauptwindrichtungen W bis SW werden entscheidend die Niederschlagsverhältnisse gestaltet. Mit 602 mm Jahresniederschlag sind alle Monate ausreichend versorgt. Das innerstädtische Zentrum hat eine niedrige Jahresniederschlagsmenge von 560 mm. Ein Niederschlagsmaximum liegt am nordöstlichen Stadtrand bei Ahrensfelde. Besonders bei antizyklonaler Wetterlage gibt es erhöhte Niederschläge im Lee des Berliner Stadtkörpers. Nach H.-F. G R A F (1979) kann hier mit einem i5prozentigen höheren urbanisationsbedingten Niederschlag gerechnet werden (Abb. 4). Mittel des Niederschlags in Berlin (1908 — 60) : Jan.
Febr.
März
April
Jahr
Mai
Juni
Juli
Aug.
Sept.
Okt.
Nov.
Dez.
48,9
62,4
75,9
66,4
45,8
46,6
46,9
47,6
601,9
Anzahl d. Tage m i t Niederschi, über 1 m m : 10,3 8,2 7,6 8,9 8,0 9,3
10,3
9,5
8,5
8,9
9,6
9,9
109,0
Niederschlagsmenge (mm): 48,9
36,8
33,0
42,8
Fast jeder zweite T a g des Jahres (165 Tage) weist eine Niederschlagsmenge von über 0,1 mm auf, nahezu jeder dritte T a g (109 Tage) eine solche über 1 mm. Dies beruht auf der stark vorherrschenden zyklonalen Luftströmung 10
m i t den d a f ü r typischen Frontalniederschlägen. So b e t r a g e n die höchsten Jahreswerte 1 3 5 % v o m Jahresdurchschnitt, das sind 811 m m ; und die niedrigsten Jahresniederschlagswerte 6 3 % , dies entspricht 381 m m . D e r Juli zeigt das herausragende sommerliche, der J a n u a r das unbedeutende winterliche N i e d e r s c h l a g s m a x i m u m . I m S o m m e r führen starke k o n v e k t i v e V e r t i k a l b e w e g u n g e n der L u f t zu erhöhter Niederschlagsergiebigkeit. D a v o n zeugen 17 G e w i t t e r t a g e v o n Mai bis A u g u s t ; bei 20,4 G e w i t t e r t a g e n im g e s a m t e n J a h r ( A b b . 4).
BERLIN ^WESTBERLIN
A b b . 4. Niederschlagsverteilung im Berliner R a u m (Schrägschraffur markiert größere Siedlungsbereiche außerhalb Berlins, Hauptstadt der DDR, und West-Berlins)
D i e A g g l o m e r a t i o n Berlins h a t eine solche A u s d e h n u n g erlangt (administrative S t a d t f l ä c h e n a c h der B i l d u n g v o n Groß-Berlin im J a h r e 1920: u m 880 km 2 , s. A n h a n g A ) , d a ß k l i m a w i r k s a m e U m w e l t b e d i n g u n g e n , kurz ein S t a d t k l i m a , entstehen konnten. Dieses b e r u h t auf der v e r ä n d e r t e n O b e r f l ä c h e n s t r u k t u r infolge der B e b a u u n g und der d a m i t v e r b u n d e n e n erheblichen R e d u z i e r u n g 11
naturnaher Flächen. Der städtische Baukörper hat ein hohes Wärmespeichervermögen, es entstand eine Wärmeinsel. Die städtischen Emissionen verursachen über Berlin eine Dunsthaube. Temperaturprofil (Jahresmittel der Lufttemperatur, °C) des Jahres 1963 (nach E. BAIER, 1963) Berlin-Mitte
Ostkreuz
Treptow
Buch (Stadtrand)
Potsdam (Freiland; zum Vergleich)
8,9
8,9
8,2
7,9
7,8
Berlin zeigt also eine positive Temperaturanomalie. Die anthropogene Wärmeproduktion führt zu einem stadteinwärts gerichteten Flurwind, zu einer Abnahme der Luftfeuchtigkeit um 6 % im Jahresmittel sowie zu einer Vorverlegung der phänologischen Daten im Frühjahr und im Sommer. So liegt die Schneeglöckchenblüte 60 bis 65 Tage nach Jahresbeginn. Das entspricht dem zweitfrühesten Termin in der D D R . Ferner ergibt sich daraus eine Verkürzung der Frostdauer. Diese beträgt in der inneren Stadt 89 Tage, und es gibt mit 33,4 Tagen im Mittel eine höhere Anzahl von Sommertagen mit Temperaturen über 25°C; 10,1 Tage davon entfallen auf den Juli. Bei dichter Bebauung (Versiegelung) kann sich der A b f l u ß des Niederschlagswassers gegenüber unbebautem Gelände verdoppeln. Die Hauptstadt Berlin hat eine Abflußhöhe von 150 bis 200 mm pro Jahr, ihre Umgebung dagegen eine solche von nur 125 bis 150 mm. W. Gringmuth
1.4 V e g e t a t i o n Charakter und Zusammensetzung der Pflanzenwelt im Berliner Gebiet werden im wesentlichen durch die Übergangsbedingungen zwischen dem subatlantischen und subkontinentalen Klima bestimmt (s. 1.3), wobei eine stärkere subkontinentale Tönung gegenüber Nordwest- und Südbrandenburg hervortritt. Weiterhin wirkt sich der Wechsel zwischen den überwiegend mergeligen bis lehmigsandigen Hochflächenstandorten des Barnims im N und den Geschiebesand-, Sander- und Talsandgebieten mit aufgesetzten Dünen und feuchten, gewässerreichen Talniederungen des Berliner Urstromtals im S aus. Alle natürlichen Standortfaktoren sind im Laufe der letzten Jahrhunderte zunehmend durch extreme menschliche Beeinflussung überdeckt worden. Dennoch lassen sich — insbesondere in den Außenbezirken — noch Beziehungen zwischen den natürlichen Faktoren und der ursprünglichen Zusammensetzung der das Gebiet ehemals fast vollständig bedeckenden Wälder erkennen oder auf der Grundlage von archivalischen und pollenanalytischen Untersuchungen zumindest rekonstruieren. So gehört ein schmaler Streifen im äußersten N, noch zum mecklenburgisch-nordbrandenburgischen Buchenwaldgebiet, das hier seine Südgrenze erreicht. Letzte Buchenmischwaldreste befinden sich im Bucher Forst (s. D 18.2) 12
Auch der Ortsname Buchholz (s. D 17) deutet auf ehemalige Bestände hin. Im südlich angrenzenden, stärker subkontinental beeinflußten Raum, der dem mittelmärkischen Kiefern-Traubeneichen-Waldgebiet angehört, bestanden die Wälder vor allem auf den besseren Böden aus Hainbuchen mit Eichen und Winterlinden, auf den ärmeren Standorten aus Eichen und Kiefern! Auf den Mergeln und sandig-lehmigen Böden der südlichen Barnimhochfläche standen vermutlich subkontinentale Traubeneichen-Linden-Hainbuchen-Wälder, wie sie in kleinen Resten noch östlich von Berlin, so bei Altlandsberg, Strausberg und Woltersdorf, zu finden sind. Diese Flächen mit nährstoffreicheren Böden wurden aber schon frühzeitig gerodet und in landwirtschaftliche Nutzung genommen. Größere Waldungen, allerdings stark forstlich beeinflußt oder überhaupt in Form künstlicher Forsten, liegen nur noch im Berliner Urstromtal. Anspruchsvolle Laubmischwälder aus dem Komplex der vom Grundwasser beeinflußten Eichen-Hainbuchen-Wälder sind jedoch auch hier bis auf spärliche Fragmente wie in der Dammheide und letzte Reste der ehemaligen Holzartenkombination, wie im Südwestteil der Königsheide, im Nordteil des Kaulsdorfer Busches sowie in Parkanlagen, wie dem Tierpark Friedrichsfelde (s. H 6) und dem Treptower Park (s. J 1) infolge landwirtschaftlicher Nutzung oder Bebauung verschwunden. Die vorherrschenden Waldgesellschaften waren im Urstromtal Kiefern-Eichen-Wälder, vor allem der subkontinentale Waldreitgras-KiefernTraubeneichen-Wald (s. K 16) und auf- den ärmeren Sander-, Talsand- und Dünenstandorten auch verschiedene Horstgras-Eichenmischwälder. Mehrfach treffen wir zudem wärmeliebende Artengruppen in der Bodenvegetation an, die auf Vorkommen des subkontinentalen Fingerkraut-Eichen-Waldes hindeuten, so beispielsweise in der Wuhlheide, zwischen Wilhelmshagen und Woltersdorf, zwischen Rahnsdorf und Schöneiche, während an Südhängen, z. B . der Püttund Grenzberge bei Wilhelmshagen (s. K 12) sowie der Müggelberge (s. K 16) nur sehr kleinräumig Fragmente eines Schwalbenwurz-Eichen-Trockenwaldes zu finden sind, der früher sicher auch am jetzt völlig entwaldeten Südhang des Barnims vorgekommen ist. Der größte Teil dieser Eichenmischwälder ist heute in Kiefernforste umgewandelt. Von den Waldgesellschaften der Feuchtstandorte blieben nur sehr selten Erlen-Eschen-Waldreste, wie im Bucher Forst (s. D 18.2) erhalten. Völlig verschwunden sind Ulmen-Auenwälder. Dagegen haben Erlen-Bruchwälder auch heute noch eine allgemeine, wenngleich nirgends großflächige Verbreitung. Sie säumen die zeitweilig überfluteten flachen Uferpartien der Seen (s. K 15), die Verlandungszonen kleiner Gewässer, wie dem Bogensee-Gebiet und dem NSG Fauler See (s. E 2), und stocken auch in feuchten, vermoorten Rinnen, wie der Krummen Laake bei Grünau (s. K 14) oder den Neuen Wiesen bei Köpenick (s. K 13). Größere Bestände im Spreetal zwischen Rahnsdorf und Müggelheim sowie Dämeritz- und Seddinsee mußten der Grünlandgewinnung weichen. Nur hier lagen, abgesehen von kleinen feuchten Senken und Bachtälern, wie im Erpetal (s. K 11), bis in die jüngste Zeit hinein größere Grünlandflächen, in denen Feuchtwiesen, und zwar Kohldistel-, seltener Rasenschmielen-Wiesen, vorherrschten. Da seit Jahren fast überall die Nutzung aufgegeben wurde und eine Mahd unterblieb, entwickeln sich die Bestände zum Teil zu Großseggenriedern (Schlankseggen-, Sumpfseggen-, 3
Werte, Berlin
13
Wunderseggen-Rieder) oder- über Gebüschstadien (Grauweiden-, FaulbaumGebüsche) langsam zurück zu Erlenwäldern. Restflächen noch genutzten Grünlandes befinden sich in den Müggelheimer Wiesen. Extensiv bewirtschaftete Magerrasen gibt es heute nicht mehr. Berühmt wegen ihres Artenreichtums waren die Rudower Wiesen, welche der Späthschen Baumschule weichen mußten, sowie die Kalkmagerrasen des Tegeler Fließtals im Komplex mit Kalk-Niedermooren, So im NSG Schildow (s. D 15). Hochmoore konnten sich dagegen nur an wenigen Stellen in abflußlosen Senken der kalkarmen Sandgebiete entwickeln, wie am Teufelssee (s. K 17), im NSG Krumme Laake (s. K 14) oder im Langen Luch bei Schmöckwitz. Alle Gewässer des Gebietes sind eutroph, also nährstoffreich, zusätzlich erhöht durch Abwasserbelastung. Diese führte, ebenso wie Uferverbauung und großstadtbedingte hohe Beanspruchung durch Erholungsbetrieb, zu tiefgreifenden Veränderungen der Vegetation. Die einst ausgedehnten Röhrichte, vor allem Schilf-, seltener Rohrkolben- und Teichsimsen-Röhricht, wurden dezimiert (s. K 15). Auch die Wasserpflanzengesellschaften, insbesondere Laichkrautgesellschaften, gingen zurück, so daß viele Gewässerabschnitte heute ohne bemerkenswerte Makrophyten-Vegetation sind. Häufiger gibt es noch Seerosengesellschaften in stillen, schlammreichen Buchten. Trockenrasen sind nur als Sandtrockenrasen auf zumeist gestörten Standorten' an Dünenhängen, Wegrändern, Böschungen von Verkehrswegen usw. ausgebildet, am häufigsten als Silbergrasflur, auch als Schafschwingelrasen und selten als subkontinentale Sandschwingel-Blauschillergras-Flur. Hier kommen einige für das Gebiet bezeichnende kontinentale Arten vor, wie Sandschwingel (Festuca psammophila), Blauschillergras (Koeleria glauca), Sandfingerkraut (Potentilla arenaria), Gestreckter Ehrenpreis (Veronica prostrata) und Knorpellattich (Chondrilla juncea). Andere, wie Wiesenküchenschelle (Pulsatilla pratensis), Graue Skabiose (Scabiosa canescens) und Federgras (Stipa joannis), waren seltener und sind weitgehend verschwunden. Auch die lichten wärmeliebenden Wälder beherbergen verschiedene östliche Arten: Salomonssiegel (Polygonatum odoratum), Ästige Graslilie (Anthericum ramosum), Pfirsichblättrige Glockenblume (Campanula persicifolia), Alpenklee (Trifolium alpestre), Kassubenwicke (Vicia cassubica), Nickendes Leimkraut (Silene nutans) und Niedrige Schwarzwurzel (Scorzonera humilis), seltener auch Rötliches und Weißes Fingerkraut (Potentilla heptaphylla, P. alba), Sandveilchen (Viola rupestris) und Schwalbenwurz (Vincetoxicum hirundinaria). Weniger wärmeliebend, aber charakteristisch für verschiedene Waldbestände sind Waldreitgras (Calamagrostis arundinacea), Steinbrombeere (Rübus saxatilis) und Nördliches Labkraut (fialium boreale). Dazu kommen einige wenige subkontinentale Arten an Feuchtstandorten mit Schwerpunkt in Fluß- und Stromtalniederungen, wie die verschiedentüch auf Wiesen und in Seggenriedern auftretende Brenndolde (Cnidium dubium), Sumpfplatterbse (Lathyrus palustris) und Langblättriger Blauweiderich (Pseudolysimachium longifolium) sowie die Ukrainische Brennnessel (Urtica kioviensis) am Großen und Kleinen Müggelsee. Verstärkt wird die subkontinentale Tönung der Flora durch das im Vergleich zu Nordwest- und Südbrandenburg deutliche Zurückbleiben atlantischer Arten. Vor allem kamen die besonders kennzeichnenden Vertreter dieses Florenelemen14
tes in der Wasser-, Moor- und Feuchtheidevegetation selten vor und sind heute weitgehend verschwunden. Häufiger stößt man auf Trockenrasenarten wie Sandsegge {Carex arenaria), Vogelfuß (Ornithopus perpusillus), Frühlingsspark (Spergula morisonii), Bauernsenf (Teesdalia nudicaulis) und Platterbsenwicke (Vicia lathyroides). Im floristischen Nord-Süd-Gefälle läßt sich ein wesentlich höherer Anteil an nordischen gegenüber von S her einstrahlenden Arten feststellen, wobei letztere oft mit den kontinentalen Arten warmtrockene Standorte bevorzugen. Genannt seien Knollenrispengras (Poa bulbifera), Astlöse Graslilie (Anthericum liliago), Nelkenköpfchen (Petrorhagia prolifera) und Taubenskabiose (Scabiosa columbaria). Zu den nordischen Arten gehören so verbreitete Arten wie Kiefer sowie Heidekraut (Calluna vulgaris), Heidel- und Preiselbeere (Vaccinium myrtillus, V. vitis-idaea), jedoch herrschen diese Zwergsträucher nirgends im Gebiet vor, auch in den Kiefernforsten nicht, die durchweg den grasreichen Typen angehören. Arten mit noch deutlicher ausgeprägter nordischer Verbreitung sind vor allem auf kühl-feuchte Moorstandorte konzentriert. In fast allen Moorresten begegnen wir noch dem Scheidigen Wollgras (Eriophorum vaginatum), der Moosbeere (Oxycoccus palustris) und dem Moorreitgras (Calamagrostis striata). Selten waren dagegen von jeher Faden wurzlige Segge (Carex chordorrhiza) und die Moororchidee Sumpfweichwurz (Hammarbya paludosa) sowie der in letzter Zeit nicht mehr bestätigte Sumpfporst (Ledum palustre), das Weiße Schnabelried (Rhynchospora alba) und die Blumenbinse (Scheuchzeria palustris). Auch der seltene Tarant (Swertia perennis) auf Kalk-Niedermoor (s. D 15) gehört zum nordisch-präalpinen Florenelement. Dieses Bild der Florenzusammensetzung verändert sich wesentlich, wenn der gesamte Artenbestand berücksichtigt wird, wie er unter Einfluß des Menschen entsteht. Dadurch wurden und werden ständig neue Pflanzen eingeschleppt. In den innerstädtischen, dicht bebauten Bereichen, wo bis zu 400 Wildpflanzen je km 2 noch festgestellt wurden, gehört etwa die Hälfte aller Arten dazu, in den Außenbezirken nur noch knapp ein Drittel. Zugleich sind dort die Artenvielfalt und der Anteil seltener, ökologisch anspruchsvollerer Arten wesentlich größer. Das von der Umgebung abweichende, wärmere Stadtklima mit längerer Vegetationsperiode führte bezeichnenderweise kaum zur Ausbreitung bereits bei uns heimischer, Wärme und Trockenheit liebender Arten, doch förderte es bei den vielen eingeschleppten Pflanzen, die sich an den gestörten und deshalb konkurrenzarmen Stadtstandorten anzusiedeln vermögen, fast ausschließlich das südliche und kontinentale Florenelement. Zu ihnen gehören die für die Berliner Stadtflora besonders charakteristischen Einjährigen Klebriger Gänsefuß {Chenopodium botrys), der hier seit 1896, und Pennsylvanisches Glaskraut (Parietaria pennsylvanica), das seit 1861 beobachtet wird und sich anderenorts in Europa bisher nirgends dauerhaft anzusiedeln vermochte. Auch ein auffallendes Gehölz, der Götterbaum, ist wie in anderen Großstädten häufig in den dicht bebauten Bereichen verwildert. Aus der Vielzahl weiterer Arten seien hier nur noch die in Berlin auffallend häufigen Lösels Rauke (Sisymbrium loeselii) und Elbspitzklette (Xanthium albinum) genannt. In den Außenbezirken findet man häufig in Wäldern und Forsten Ruderalarten und fremde Gehölze, wie den Eschenahorn, die Roteiche und die oft Massenbe3*
15
stände bildende Späte Traubenkirsche. Nur vereinzelt dagegen gelangen beispielsweise auf Bahngelände auch im Gebiet oder zumindest in Mitteleuropa heimische Arten zur Ansiedlung bzw. Ausbreitung. Ähriger Blauweiderich (Pseudolysimachium spicatum), Tatarenleimkraut (Silene tatarica) und Aufrechtes Fingerkraut (Potentilla recta) sind Beispiele dafür. G. Klemm 1.5
Tierwelt
Trotz der dichten Besiedlung lebt in Berlin und seiner Umgebung eine artenreiche Tierwelt (Abb. 5), deren Zusammensetzung von den spezifischen Bedingungen des jeweiligen Lebensraumes wie Stadtkern, Neubaugebiet, Alleen, Parkanlagen, Kleingartenkolonien und Friedhöfe bestimmt wird. Unter den S ä u g e r n kommt das Reh besonders in den Stadtrandgebieten häufig, des öfteren in den Gartenanlagen, vor. V o m Jagdwild sind gelegentlich auch Rothirsch und Wildschwein im Gebiet des Berliner Stadtwaldes und in seinen Randlagen zu beobachten. Verbreitet sind der Steinmarder, der auf Hausböden selbst im Innenstadtbereich anzutreffen ist, sowie der Rotfuchs. Seltener treten Dachs und Iltis in Erscheinung. Das Eichhörnchen ist nicht nur in den Parkanlagen, sondern auch in den Gärten des Stadtrandgebietes häufig. Dort lebt auch der Igel, dessen Ost- und Westrasse sich im Berliner Raum überschneiden. Während in den Parks und Gärten im Innenstadtbereich vornehmlich Wildkaninchen vorkommen, ist der Feldhase, dessen Bestand insgesamt in den letzten Jahren zurückging, vor allem auf den Wiesen und Feldern im Stadtrandgebiet anzutreffen. Bemerkenswerte Säugetiernachweise gelangen im N S G Schildow (s. D 15). Hier wurden Hermelin, Mauswiesel, Kleinäugige Wühlmaus und Zwergspitzmaus festgestellt. Von den Fledermäusen, die ebenfalls zur Gruppe der Säugetiere gehören, sind 12 Arten aus dem Berliner Raum bekannt. Bei der Zwergfledermaus wurde das Einfliegen von kleinen Gruppen (5 — 50 Exemplare) im August in Wohnungen und Klassenräume der Stadtbezirke Prenzlauer Berg und Pankow mehrfach beobachtet. Faunistisch bemerkenswert ist der zweimalige Nachweis des Kleinen Abendseglers in Berlin bei nur insgesamt 7 Nachweisen auf dem Gebiet der D D R von 1945 bis 1973Die V ö g e l sind im Gebiet von Berlin durch eine große Zahl von Arten vertreten. Innerhalb der bebauten Stadtzonen sind Parkanlagen sowie Friedhöfe als Brutplätze für sie von besonderer Bedeutung. Neben Star und Amsel, den häufigsten Brutvögeln in diesen Biotopen, sind hier regelmäßig Rotkehlchen, Buchfink, Grünfink, Hänfling, Girlitz, Blau- und Kohlmeise, Zilpzalp, Fitis, Singdrossel, Gartenrotschwanz, Garten- und . Mönchsgrasmücke sowie Buntspecht anzutreffen. Auch die Ringeltaube und die Türkentaube sind hier nicht selten. Letztere Art ist erst seit 1954 Brutvogel in Berlin. Im Gebiet des Berliner Stadtwaldes kommen folgende Vogelarten hinzu: Eichelhäher, Waldbaumläufer, Kleiber, Grün- und Schwarzspecht sowie Waldkauz und Fasan. In den Stadtrandgebieten, auf Feldern und Wiesen leben Feldlerche, Stieglitz, Goldammer, Bachstelze, Rebhuhn und Haubenlerche. Viele Vogelarten haben sich dem Menschen eng angeschlossen, oft unter Aufgabe ihrer ursprünglichen 16
Abb. 5. Tierwelt, a. Hermelin; b. Rothirsch; c. Reh; d. Wildschwein; e. Igel; f. Fuchs; g. Turmfalke; h. Schleiereule; i. Höckerschwan; k. Langohrfledermaus; 1. Erdkröte; m. Zauneidechse; n. Laubfrosch; o. Karpfen; p. Plötze; q. Flußbarsch; r. Blei (Brachsen); s. Karausche; t. Hecht
Nistgewohnheiten, und brüten in großer Zahl in sowie an Gebäuden, im Innenstadtbereich und in den Neubaugebieten. Dazu zählen Mauersegler, Mehlschwalbe, Haussperling, Hausrotschwanz, Turmfalke, Schleiereule und Dohle. Auffällige Elemente der Vogelfauna Berlins während der Wintermonate sind die im Stadtgebiet zu Tausenden überwinternden Lachmöwen und Saatkrähen. Im Treptower Park (s. J 1), einem bedeutenden Schlafplatz für Saatkrähen, wurden gleichzeitig bis zu 10000 Tiere gezählt. Auch der Star, ursprünglich ein Zugvogel, verbleibt jetzt während des Winters in der Stadt, wo er dann in den Bäumen einiger Straßenzüge im Innenstadtgebiet, so der Karl-Marx-Allee, Friedrichstr., Invalidenstr. große Schlafgemeinschaften bildet. Auf den Berliner Gewässern gehören Höckerschwan und Stockente zu den charakteristischen Vogelarten.- Einen besonderen Lebensraum für Vögel stellen die Rieselfelder in den Randgebieten von Berlin dar. Sie bieten durchziehenden Limikolen (Schnepfen- und Watvögeln) günstige Rastmöglichkeiten. Seltene Durchzügler im Binnenland, wie Austernfischer und Teichwasserläufer, wurden hier nachgewiesen. Zu den K r i e c h t i e r e n und L u r c h e n , die bei zusagenden Biotopverhältnissen im Berliner Gebiet häufig vorkommen, gehören Laubfrosch und Erdkröte, die beide o f t in Gärten anzutreffen sind, ferner die Zauneidechse als Bewohner von Ruderalstellen, Wegrainen und Böschungen sowie die Blindschleiche, die feuchtere Stellen bevorzugt. Teichmolche sind zu ihrer Laichzeit im Frühling in kleinen Wasseransammlungen in großer Zahl zu finden. Seltener, und daher vornehmlich nur aus den Bestandsaufnahmen in den Naturschutzgebieten Schildow (s. D 15) und Fauler See (s. E 2) bekannt, sind folgende Arten: Knoblauchkröte, Moorfrosch, Rotbauchunke, Waldeidechse und Glattnatter. Das weitläufige Gewässernetz von Dahme und Spree beherbergt eine reiche F i s c h f a u n a . Zu den häufigsten Arten zählen: Brachsen, Plötze, Flußbarsch, Rotfeder, Hecht, Karausche und Güster. Der Karpfen, ein wichtiger Wirtschaftsfisch in vielen Berliner Gewässern, ist kein Bestandteil der einheimischen Fauna, sondern erst im Mittelalter im Zuge der Ausbreitung der Klöster in unser Gebiet gelangt. Knochenfunde dieser A r t in den Schichten des 9. —13. Jh. aus der slawisch/deutschen Burg auf der Schloßinsel in Köpenick sind der älteste naturgeschichtliche Beleg für den Karpfen im Gebiet von Berlin. N. Benecke — R.
Schummer
1.6 W ä l d e r , L a n d s c h a f t s - u n d N a t u r s c h u t z Die bis heute im Gebiet erhaltenen Wälder und Forsten haben mit über 7 500 ha (16% der Gesamtfläche) eine für eine Großstadt beachtliche Ausdehnung. Erste Versuche einer Steuerung der unkontrollierten Waldnutzung und der häufigen Rodungen, die bereits im 16. Jh. zu ernsthaftem Holzmangel und zu einer Degradierung der damals im Besitz der Städte Berlin und Kölln befindlichen Waldungen führten, bildeten Verordnungen des Kurfürsten bzw. des preußischen Königs in den Jahren 1694 u n d 1716 zur Regelung des Holzhandels. Damit wurde dem R a t der Stadt keine Nutz- und Bauholzentnahme mehr ohne Genehmigung der vom Landesherrn eingesetzten Forstbeamten erlaubt. 18
Eine umfangreiche „Holtz- und Forstordnung der Kgl. Residenzien Berlin" (1745) sollte später erreichen, daß „aller bishero im Schwange etwa gegangene Mißbrauch gäntzlich abgestellet seyn möge". Trotzdem mußten der sich ausdehnenden Stadt immer mehr Wälder weichen. Als 1823 auch die Köllnische Heide abgeholzt werden sollte, kam es unter den Bürgern und in der Presse jedoch zu Protesten, die vor einer völligen Entwaldung des Stadtgebietes und damit verbundenen Klimaverschlechterungen und anderen negativen Folgen warnten. Dennoch blieb nur ein kleiner Rest der Köllnischen Heide erhalten. Das Abholzen ging weiter, bis die Stadt schließlich ohne eigenen Waldbesitz war. Ab 1875 begann aus unterschiedlichen Gründen aber wieder ein Ankauf von Waldgebieten. Zur Anlage eines ausgedehnten Rieselfeldsystems wurden vor allem nördlich und nordöstlich der Stadt auf der Barnimhochfläche große, allerdings überwiegend landwirtschaftlich genutzte Flächen aus Privat- und Staatseigentum, sogenannte Rieselgüter, erworben. Dazu gehörten auch einige kleinere Waldreste. Der bedeutendste unter ihnen — neben heute außerhalb des Stadtgebietes liegenden Beständen — war der 1898 erworbene Bucher Forst (s. D 18.2). 1910/11 kaufte die Stadt vom preußischen Staat die 525 ha große Wuhlheide zum Zwecke der Trinkwasserförderung. Die rege Bautätigkeit und die Ausdehnung der Stadt um die Jahrhundertwende wurden von Bodenspekulationen begleitet. Wald wurde vom Staat und von Privatbesitzern als Bauland verkauft. Im Jahre 1909 waren das insgesamt 1800 ha. Dagegen kam es zu heftigen Protesten der Bevölkerung und zu Bestrebungen, eine völlige Entwaldung der Berliner Umgebung zu verhindern. Zu den wesentlichen Zielstellungen des 1911 gegründeten Zweckverbandes für Groß-Berlin gehörten deshalb der Erwerb und die Erhaltung größerer, von Bebauung frei zu haltender Flächen wie Wälder, Parks und Wiesen. Mit einem Vertrag vom 27. März 1915 kaufte der Verband nach längeren Kaufpreisverhandlungen für 50 Mill. Goldmark etwa 10000 ha Wald vom preußischen Staat. Durch Bildung der Einheitsgemeinde Groß-Berlin im Jahre 1920 vergrößerte sich deren Waldbesitz schließlich auf 21360 ha, deren Bewirtschaftung nun einer eigenen Berliner Forstverwaltung oblag. Die heute auf dem Gebiet der Hauptstadt der D D R erhaltenen Waldungen erfüllen neben ihrer forstwirtschaftlichen vor allem eine überaus wichtige Ökologie- und Erholungsfunktion. Sie gehören deshalb fast vollständig zu Landschaftsschutzgebieten und im begrenzten Umfang zu Naturschutzgebieten. Ergänzt wird das System der Naturschutzgebiete durch Flächennaturdenkmale, wie die Krumme Laake bei Grünau (s. K 14), das Lange Luch bei Schmöckwitz und zahlreiche Kleingewässer. Unter Landschaftsschutz (1981) stehen 7691 ha {19,1% des Stadtgebietes): Stadtwald Berlin (Stadtbezirke Köpenick und Pankow) Kleingartenanlage Märchenwald (Stadtbezirk Weißensee) Erpetal (Neuenhagener Fließ; Stadtbezirk Köpenick) Unter Naturschutz stehen 190 ha (0,47% des Stadtgebietes): Schildow — Kalktuffgelände am Tegeler Fließ bei Blankenfelde (Stadtbezirk Pankow) Fauler See (Stadtbezirk Weißensee) Krumme Laake (Stadtbezirk Köpenick)
7637 ha 14 ha 40 ha 57 ha 12 ha 121 ha
G. Klemm 19
1-7 G r ü n - u n d F r e i f l ä c h e n „Der Sozialismus hat der Entwicklung von Städtebau und Architektur erstmalig die historische Perspektive eröffnet, uneingeschränkt durch antagonistische Klasseninteressen dem Wohle der Menschen zu dienen." So ist es in den Grundsätzen für die sozialistische Entwicklung von Städtebau und Architektur in der D D R formuliert. Weiter heißt es dort: „Gute Wohngebiete zeichnen sich durch eine interessante städtebaulich-architektonische Gestaltung und funktionelle Zweckmäßigkeit unter Nutzung baulicher und landschaftlicher Gegebenheiten aus". Das sind Leitsätze, die für die Grün- und Freiflächengestaltung in Berlin gültig sind. Jährlich entstehen in den Neubaugebieten etwa 100 ha neue Grünanlagen mit Spielplätzen, Rasen- und Gehölzflächen, Vorgärten, Grünanlagen an Schulen, Kindergärten und an Feierabendheimen. In Berlin gehören ferner 220 Bäume zu jedem neuen Hektar Grünanlage. In die Gestaltung einbezogen sind Blumenbeete, Rosengärten, Springbrunnen und Plastiken. Bei der Neuanlage von Grün- und Freiflächen ist die Mitwirkung der Bürger fester Bestandteil des Wettbewerbs „Schöner unsere Hauptstadt Berlin — Mach mit!". Unter Leitung der Grünanlagenbaubetriebe und der Stadtbezirksgartenämter gibt es gemeinsame Einsätze. Mit einem solchen Arbeitseinsatz, an dem die Mitarbeiter des Magistrats unter der Leitung des Oberbürgermeisters E R H A R D K R A C K teilnahmen, wurde 1976 im Wohngebiet Leninallee/Ho-ChiMinh-Str. der A u f t a k t für diese A r t gemeinsamer Arbeit gegeben. In Berlin stehen außerhalb der Stadtwälder etwa 400000 Bäume an Straßen, in Grünanlagen, Wohngebieten und Parkanlagen. Zwischen 1976 und 1979 wurden jährlich 10000—15000 Bäume gepflanzt. Seit 1982 erhöhte sich diese Zahl auf jährlich 50000 Bäume und 1984 auf 100000 Bäume. Gepflanzt wurden vor allem Linden, Platanen und Ahorn, ferner Baumhasel, Kastanien und Götterbäume. Bäume tragen zur Verbesserung des Mikroklimas bei. Der Baumbestand wird daher durch die „Baumschutzordnung" des Magistrats vom 9. Dezember 1981 gesichert und erweitert. Berliner Blumenschau und Berliner Kleingartenschau gehören zur Stadt, ebenso der jährliche Frühlingsmarkt Mitte Mai als Beginn des Verkaufes von Beet- und Balkonpflanzen auf dem Platz vor dem Fernsehturm. Die Betriebe der gärtnerischen Produktion bringen etwa 45000 Pflanzen auf diesen Markt. Bunte Tupfer im Stadtbild setzt im Frühling die Bepflanzung der Beete auf dem Alexanderplatz. Zum kalendarischen Frühlingsanfang werden hier Stiefmütterchen, angetriebene Forsythien, Krokusse und Tulpen gepflanzt. Dabei ist ein Patenkindergarten des V E B Kombinat Stadtwirtschaft Berlin mit Frühlingsliedern und Gedichten, und es ist Tradition, daß gute Pflegevertragspartner des Stadtbezirks Mitte hier ausgezeichnet werden. Die Einrichtung von Grünanlagen geschieht in enger Verbindung zwischen den Gartenämtern bei den Räten der Stadtbezirke und der Bevölkerung, die diese auch pflegt. Zu diesem Zweck sind bis zum Beginn der achtziger Jahre über 7300 Pflegeverträge mit Hausgemeinschaften abgeschlossen worden. G. Funeck 20
2 Ur- und frühgeschichtliche Besiedlung sowie Stadtentstehung Die Inland Vereisungen (s. 1.1) bestimmten in erheblichem Maße den ur- und frühgeschichtlichen Besiedlungsablauf. Einerseits konnte während der Vereisungsperioden überhaupt keine Besiedlung erfolgen, zum anderen wurden die Besiedlungsmöglichkeiten und -Verhältnisse durch die von den Ablagerungen und Schmelzwassern vorgegebene Oberflächengestaltung stark beeinflußt.
2.1 U r g e s c h i c h t l i c h e B e s i e d l u n g Die bisher ältesten Belege für eine Anwesenheit von Menschen im Berliner Raum liegen aus der Eemwarmzeit bzw. dem Beginn der Weichselkaltzeit vor. Sie sind etwa 55000 Jahre alt und gehören in die mittlere Altsteinzeit. Unter den zahlreichen, bei der Kiesgewinnung in Spandau in 10 — 1 9 m Tiefe geborgenen Tierknochen wurden zwei bearbeitete Stücke entdeckt: eine Mammutrippe, die an einem Ende abgeschnitten, am anderen zugespitzt worden war und ein der Länge nach aufgespaltener und an einer Schmalseite zugeschnittener Laufknochen eines Riesenhirsches. Die letzte Periode der Weichselvereisung vor 30000—10000 v. u. Z. unterbrach den Besiedlungsablauf für Jahrtausende. Erst gegen Ende der Eiszeit stellte sich mit dem allmählich einsetzenden Bewuchs der Landschaft durch Flechten, Moose, Silberwurz, Polarweide und Zwergbirke und dem damit einhergehenden Auftreten von Tieren, wie Hase, Lemming, Rentier, Wiesel, Fuchs, Vielfraß und Wolf, wieder der Mensch ein. Seit dem 10./g. Jt. v. u. Z., dem Ende der jüngeren Altsteinzeit, sind im Berliner Raum kleinere Bevölkerungsgruppen von durchschnittlich nur 1 — 2 Dutzend Personen nachzuweisen. Ihre Existenzgrundla e bildeten Jagd und Sammeln, wobei die Jagd im Vordergrund stand. Erlegt wurden zunächst ausschließlich Rentiere. Den Herden folgend, verweilten die Jäger-Sammler-Gemeinschaften nur zeitweilig an den Lagerplätzen. Aus dem Spree-Havel-Gebiet sind mehrere derartige Plätze bekannt geworden. Bei Ausgrabungen wurden Grundrisse von Zelten, die einen Durchmesser von 2,5 — 6 m aufwiesen und deren Uberbau aus Holzstangen und Tierhäuten bestand, freigelegt. Durch die Verbesserung des Klimas, welche Veränderungen in der Pflanzen(Kiefer, Birke, Weide, Zitterpappel) und Tierwelt (Elch, Rothirsch, Reh, Wildschwein, Wildpferd, Ur, Wisent, Bär) im Gefolge hatte, wandelten sich die Existenzbedingungen für den Menschen im Verlauf der mittleren Steinzeit zwischen dem 9. Jt. und dem 4. Jt. v. u. Z. grundlegend. Hauptzweig der Nahrungsmittelproduktion blieb weiterhin die Jagd, nun allerdings auf Waldtiere. Die Sammeltätigkeit wurde umfangreicher, der Fischfang erlangte wirtschaftliche Bedeutung. Neben Holz (Einbaumboote, Paddel), Knochen (Angelhaken, Speerspitzen), Geweih (Äxte, Hacken) und Feuerstein (sehr kleine Geräte von meist geometrischer Form — Mikrolithen) verarbeitete man erstmals auch Felsgestein (Beile). Die veränderten Umweltbedingungen führten zur Bindung der gegenüber der vorangegangenen Zeit zahlenmäßig angewachsenen Jäger-Sammler-Fischer-Gruppen an bestimmte Territorien. Die Lagerplätze 21
wurden langfristig und mehrfach genutzt. Hütten aus Holzstämmen, Astund Zweigwerk sowie Schilf sind belegt. In der Nähe der Behausungen wurden die Verstorbenen bestattet. So traten bei Schmöckwitz (s. K 4) in Grabungen Teilbestattungen zerstückelter Leichen (Abb. 150) auf. Die sich hier offenbarenden kultisch-magischen Vorstellungen werden durch die Hirschschädelmaske (Bild 1) von Biesdorf (w. G 3) ergänzt. Ein weiterer, entscheidender Wandel in der Gestaltung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse vollzog sich mit der Durchsetzung von Bodenbau und Viehhaltung in der Jungsteinzeit (etwa 3000—18. J h . v . u . Z . ) . Die Kultivierung von Pflanzen und die Haltung bzw. Züchtung von Tieren führten zur Stabilisierung der Ernährungsgrundlage. Damit waren nicht nur eine seßhafte Lebensweise und die Erzeugung von Gefäßen aus Tön, sondern auch eine bedeutende Bevölkerungszunahme verbunden. Mehrere Siedlungen und
Abb. 6. Besiedlung während der Endstein- und älteren Bronzezeit (3. J t . bis 15. Jh. v. u. Z.) 1 Gewässer; 2 alluviale Niederungen; 3 Talsand; 4 — 6 pleistozäne Hochflächen (4 sandige Böden; 5 Stauchmoräne; 6 schwere Böden); 7 steinzeitliche Siedlungsgebiete (3. Jt.—18. Jh. v. u. Z.); 8 älterbronzezeitliche (18. —16. Jh. v. u. Z.) Fundplätze; 9 mittelbronzezeitliche {15.—13. J h . v. u. Z.) Fundplätze
22
Gräberfelder, auf denen bisher keine großflächigen Untersuchungen durchgeführt wurden, sowie eine große Anzahl von Einzelfunden legen hierfür Zeugnis ab. Nach Schätzungen haben danach einige hundert Menschen das Spree-HavelGebiet bewohnt. Als sich bei den Stammesgruppen im S der heutigen D D R mit der Gewinnung von Kupfer und Zinn und der Herstellung der Bronze eine neue Entwicklung auf technischem Gebiet in der Bronzezeit (18. —6. J h . v. u. Z.) anbahnte, verharrten die Bewohner des Berliner Raumes weiterhin auf steinzeitlichem Niveau (Abb. 6). Zwar gelangten entlang den Wasserverbindungen von Elbe-Havel bzw. Spree einzelne Bronzegegenstände auch zu ihnen, wie Schatzfunde von Schmöckwitz (s. K 4 ) , Lichtenrade und der Pfaueninsel zeigen, doch regten diese Importe keine eigenständige Verarbeitung des neuen Rohstoffes an. Das Versiegen der Erzlagerstätten im Mittelgebirgsraum (17./16. J h . v. u. Z.) hatte zur Folge, daß die Versorgung der Bevölkerungsgruppen im Berliner Raum mit Fertigprodukten aus Bronze unterbrochen wurde. Für die Anfertigung von Geräten, Waffen und Schmuck wurden nun wieder die heimischen Rohstoffe, vor allem Stein und Knochen, in gesteigertem Maße verwendet. Diese Situation änderte sich auch nicht, als nach längerer Unterbrechung einzelne Bronzegegenstände, so der Schatzfund von Spandau aus dem 15./14. J h . v. u. Z., in den Berliner Raum gelangten (Abb. 6).
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Abb. 7. Besiedlung während der jüngeren Bronzezeit (12. (12.— —6. Jh. v. u. Z.) 23
Eine gravierende Veränderung trat zu Beginn des 12. Jh. v. u. Z. ein. Siedlergruppen aus dem Gebiet der Lausitzen, der sogenannten Lausitzer Kultur, nahmen den Berliner Raum (Abb. 7) in Besitz. Die Besiedlungsdichte erhöhte sich beträchtlich, die Bevölkerungszahl nahm einen ungewöhnlichen Aufschwung. Mit einigen tausend Bewohnern wurde ein Stand erreicht, der erst im hohen Mittelalter überboten wurde. Über 200 Fundplätze, darunter fast 100 Siedlungen wie Buch (s. D 18.1) und annähernd 70 Bestattungsplätze wie Rahnsdorf (s. K 5) sowie 23 Schatzfunde wie Spindlersfeld (s. K 6) und 16 einzeln gefundene Stücke, legen dafür Zeugnis ab. Aus bisher nicht vollständig bekannten Ursachen, darunter auch eine Klimaverschlechterung, wurden seit dem 7. J h . v. u. Z. die Siedlungen im unteren Spreegebiet aufgelassen, die „Lausitzer" Bevölkerung wanderte ab. Im 6. J h . v. u. Z. war der Berliner Raum nur noch sporadisch bewohnt. Zu Beginn des 5. J h . v. u. Z. gliederten die im Havelgebiet ansässigen Stämme der J a s t o r f - K u l t u r den Berliner Raum in ihren Siedlungsbereich ein. Damit begann die germanische Besiedlungsperiode. Aus deren älteren Abschnitt, vom 5. bis 1. Jh. v. u. Z. (vorrömische Eisenzeit), liegen 55 Fundplätze, 15 Sied-
Abb. 8. Besiedlung während der vorrömischen Eisenzeit (5. —1. J h . v. u. Z.) 24
lungen wie Marzahn (s. G l ) , 34 Gräberfelder und 6 Einzelfunde, vor. Die damalige Bevölkerungszahl kann auf mehrere hundert Menschen geschätzt werden (Abb. 8). Fundplatzkonzentrationen, die vor allem an die Spree-Nebenflüsse gebunden blieben, und siedlungsleere bzw. -arme Zonen bestimmten das Besiedlungsbild. Erstmals ist es möglich, diese Siedler einem Volksstamm namentlich zuzuweisen. Von römischen Autoren werden sie Semnonen genannt. Sie galten als Kernstamm der Sueben. Das Berliner Gebiet dürfte diesem Stamm zugehört haben. Aus der folgenden Kaiser- und Völkerwanderungszeit vom 1. bis 4. Jh. u. Z. sind bisher 118 Fundplätze (Abb. 9) bekannt geworden. Dieser Zeitabschnitt ist durch erhebliche Veränderungen in den Besiedlungsverhältnissen gekennzeichnet. So ist für die zweite Hälfte des 2. Jh. u. Z. ein deutlicher Besiedlungsrückgang bemerkbar, der durch den Abzug eines Teiles der Bevölkerung bedingt wurde. Seit dem 3. Jh. erfolgte eine weitere Abnahme der Besiedlung, hervorgerufen unter anderem durch die Beteiligung an Beutezügen in die römischen Provinzen. U m die Mitte des 4. Jh. war das Berliner Gebiet weitgehend siedlungsfrei. F. Horst
Abb. 9. Germanische Besiedlung (1. —5. Jh. u. Z.)
2.2 S l a w i s c h e B e s i e d l u n g und G e s c h i c h t e im f r ü h e n M i t t e l a l t e r Seit der zweiten Hälfte des 6. Jh. begannen Menschen slawischer Herkunft die Regionen zwischen Oder und Elbe, darunter auch das Gebiet an mittlerer Havel und unterer Spree, zu besiedeln. Die Einwanderer kamen aus verschiedenen Richtungen ins Land. Die Heimat der ersten Einwanderer lag zwischen Oder und mittlerer Weichsel. Im Berliner Gebiet befinden sich ihre Spuren in Marzahn und Köpenick sowie in Waltersdorf (Kreis Königs Wusterhausen) und Spandau. Aus den ersten Ansiedlungen entstanden im Verlaufe des 7. J h . zusammenhängende Siedlungsbereiche. Bisher sind solche Gefilde um Blankenburg a. d. Panke und Malchow, um Marzahn und Mahlsdorf a. d. Wühle, beiderseits
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Abb. 10. Slawische Siedlungsgefilde (6. —12. Jh.)
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der Dahme und Spree südlich von Köpenick, an den Spreeufern und auf den Spreeinseln bei Treptow und Stralau sowie an der Spreemündung um Spandau nachgewiesen (Abb. 10). Das Spandauer Siedlungsgebiet wurde frühzeitig von anderen Einwanderungsgruppen, darunter den Sorben, die über Mähren und Böhmen das Saalegebiet erreichten, beeinflußt. Infolgedessen hatte dieses Gefilde enge Beziehungen zu den südwestlichen slawischen Stammesgebieten. Schließlich lassen sich seit dem 7. J h . vereinzelt Einflüsse aus der Niederlausitz bzw. aus Ostmecklenburg im Berliner Gebiet erkennen. Dort hatten sich die slawischen Stämme der Lusizi bzw. Wilzen niedergelassen. Deren Herkunftsgebiete lagen an oberer Oder und Weichsel. So förderte offensichtlich die verkehrsgeographisch günstige Lage des Berliner Gebietes bereits zur Zeit der slawischen Einwanderung im 6. und 7. J h . das Zusammentreffen von Menschen verschiedener Abstammung. Einige Gruppen von Einwanderern trafen auf alteingesessene Bauern germanischer Herkunft, so vor allem im Marzahner Siedlungsgebiet und im Siedlungsgefilde von Köpenick und Waltersdorf. In Marzahn (s. G l ) konnte eine Siedlung slawischer Einwanderer untersucht werden. Die Neuankömmlinge hatten sich in einem teilweise erschlossenen Siedlungsgefilde der germanischen Periode, möglicherweise neben einer noch bestehenden germanischen Siedlung niedergelassen. Von ihnen wurde der alte Dorfbrunnen der germanischen Siedlung (Bild 2) erneuert, und zwar, wie die dendrochronologische Analyse ergab, kaum später als 15 Jahre nach Anlage des germanischen Brunnens. Darum gruppierten sich in Hufeisenform die Gehöfte (Abb. 11). Die lockere Anordnung von Wohnhäusern und Wirtschaftsbauten um eine Wasserstelle bzw. hufeisenförmig am Talrand, an den Ufern von Bach, See oder Fluß bestimmte über Jahrhunderte die Grundrisse slawischer Dorfsiedlungen. Im 7./8. J h . ist in Mahlsdorf (s. G 5) ein Dorf nach ähnlichen Vorstellungen (Abb. 12) angelegt worden. Im 1 1 . J h . folgten die Bauern, die die Kaulsdorfer (s. G 4) Siedlung gründeten, gleichen Grundvorstellungen (Abb. 13). Die eingewanderten slawis'chen Siedler waren, soweit sie die Niederungen und die Ränder des Barnim und vereinzelt des Teltow besiedelten, Bauern. Roggen, Weizen und Gerste gehörten zu den hauptsächlich angebauten Getreidearten, Hafer ist nur gelegentlich belegt. Dazu kamen die Öl- und Faserpflanze Lein, Hülsenfrüchte und Gemüse, wie Gurke und Rettich. Rinder-, Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Pferdehaltung sicherten die Versorgung mit Fleisch und Milch bzw. die Zugkraft. Die dichten Wälder auf Barnim und Teltow sowie die lockeren Waldgebiete im Urstromtal waren wildreich, so daß die Bewohner in hohem Maße ihren Fleischbedarfdurch J a g d bestreiten konnten. Durch Ausgrabungen in Kaulsdorf, Blankenburg, Buch und Köpenick wurden tausende Tierknochen, die aus Schlachtungen bzw. von Mahlzeiten stammten, nachgewiesen. In Blankenburg gehörten 58,5% der Knochen, in Köpenick und in Kaulsdorf 45% zum Jagdwild. In Köpenick und Blankenburg sind vor allem Hirsch, Wildschwein und Reh gejagt worden. Aber auch Bär, Hase und Biber wurden geschossen bzw. gefangen. Bewohner von Inselsiedlungen nutzten den beträchtlichen Fischreichtum von Dahme, Spree, Havel und anderen Gewässern, manche spezialisierten sich auf Fischfang. So fand man Reste von meterlangen Hechten, Welsen und großen Karpfen. Selbst in Blankenburg an der Panke, an einem 27
Abb. 1 1 . Grundriß des altslawischen Dorfes von Berlin-Marzahn (6-/7. Jh.) 1 altslawische Hausstellen. 2 völkerwanderungszeitliche Siedlungsreste; Fläche; 5 bei Erdaibeiten kontrollierte Fläche
3 Flucht der Gehöfte; 4 ausgegrabene
Gewässer, in dem der Wels sicher nicht vorkam, sind ^ i n e Reste in den Kulturschichten vorhanden. Entweder gab es Fischhandel, oder die Blankenburger Bewohner fischten selbst in der etwa 10 km entfernten Spree. Eisengewinnung und Eisenverarbeitung, Spinnen, Weben und Töpferei wurden in den meisten Siedlungen ausgeübt. Drechsler, Böttcher, Schuster, Horn- und Beinschnitzer gab es in vielen Siedlungen. Zwischen dem ö.jj. und dem 12. Jh. dehnten sich Ackerbau, Viehzucht und Gewerbe aus. Dennoch kam es nicht zur Herausbildung einer zusammenhängenden Kulturlandschaft. Insbesondere blieb das Gebiet zwischen Stralau—Treptow und Spandau gänzlich oder so gut wie unbesiedelt. Die Ursachen dafür lagen nicht 28
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Abb. 13. Grundriß des jungslawischen Dorfes von Berlin-Kaulsdorf (11./12. Jh.) in ungünstigen siedlungsgeographischen Voraussetzungen, sondern in den historischen Bedingungen zur Zeit der slawischen Landnahme. So war wahrscheinlich zur Zeit der slawischen Einwanderung aus dem unteren Spreeabschnitt die ursprünglich dort ansässige elbgermanische Bauernbevölkerung bereits ganz oder weitestgehend abgewandert. Die ehemaligen Siedlungsgebiete 3°
waren erneut vom Wald eingenommen. Die slawischen Einwanderer hielten sich bei der Ansiedlung an noch bestehende oder erkennbare Siedlungsgefilde wie die an der Wühle um Marzahn, westlich der Dahme um Waltersdorf und Rudow (West-Berlin). Mit Sicherheit bildete seit dem 7./8. Jh. das Gebiet zwischen Treptow und Spandau einen 15 — 20 km breiten Grenzstreifen, einen Grenzwald, der sich über Barnim und Teltow beiderseits des Spreetales fortsetzte. Dieser Grenzstreifen schied die Gebiete der slawischen Stämme der Sprewanen mit dem Zentrum in Köpenick von den Hevellern oder Stodoranen, deren östliches Burgzentrum in Spandau an der Einmündung der Spree in die Havel lag. Die Sprewane, die Spreeanwohner, werden erstmals 948 in der Gründungsurkunde für das Bistum Brandenburg erwähnt. Die Heveller waren fränkischen Chronisten bereits im 9. Jh. gut bekannt. Um 850 bestand ihr Stammesgebiet aus 7 Gefilden mit Burgen, eines davon lag an der Spreemündung. Die Grenzzone konnte per Schiff durchfahren und in 1 — 2 Tagereisen von Spandau über Blankenburg zum Finowtal oder über Stralau nach Köpenick oder von Potsdam das Bäketal entlang in Richtung Köpenick durchquert werden. Vor dem 12. Jh. gab es jedoch kaum Rodungen in dieser Zone. Solche setzten frühestens in den letzten Jahrzehnten des 12. Jh., vor allem aber seit den ersten Jahrzehnten des 13. Jh. ein. Bis zu dieser Zeit bestimmten mehr oder weniger in sich abgeschlossene Siedlungsgefilde beiderseits dieser Grenzzone die Verteilung von Kulturland und Waldgebieten. Seit dem 7-/8. Jh. waren in diesen Gefilden befestigte Siedlungen oder Burgen angelegt worden: die Burg von Blankenburg an der Panke, die Burg von Köpenick auf der Dahme-Insel (Abb. 14), die Burg von Spandau auf einer Havelinsel, die Befestigung an der Spree in Treptow (s. J 2). Lediglich in der Marzahner Siedlungskammer wurde bisher keine Befestigung nachgewiesen. Die Befestigungsanlagen entstanden ursprünglich als Burgen der Bauern, unter Leitung des Häuptlings des jeweiligen Siedlungsgefildes. Unter Bedingungen, die im einzelnen nicht bekannt sind, wurden solche Burgen mehrfach zerstört, erneuert und im Verlaufe der Jahrhunderte von Siedlungszentren gentilgesellschaftlichen Ursprungs zu Adels- und Fürstensitzen in dem Maße umorganisiert, wie sich Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse durchsetzten. Die Burg von Blankenburg ging spätestens im 10. Jh. zugrunde, während die Befestigungen in Köpenick und Spandau in dieser Zeit vergrößert und zu feudalstaatlichen Herrschaftszentren ausgebaut wurden. Der deutsche König H E I N R I C H I. hatte Spandau in der ersten Periode der feudalen Ostexpansion um 930 erobert. Er veranlaßte an der Stelle der älteren slawischen Burg die Gründung einer durch archäologische Forschungen nachgewiesenen neuen Anlage, von der aus Burgverweser das östliche Havelgebiet beherrschten. Das Sprewane-Land gehörte seit den dreißiger Jahren des 10. Jh. ebenfalls zum deutschen Feudalstaat; 948 wurde es dem Bistum Brandenburg zugeordnet. Drei Jahrzehnte später brachen infolge des Lutizenaufstandes von 983 Feudalherrschaft und Kirchenhoheit zusammen. Der deutsche Adel wurde vertrieben. Die Versuche zur Wiedereroberung der Gebiete zwischen Elbe und Oder begannen um 990, und zwar unter Führung des deutschen Herrschers O T T O III. und des mit ihm verbündeten polnischen Herzogs M I E J Z K O . 4*
31
Abb. 14. Schematische Darstellung der Entwicklung von Burg und Siedlung der Köpenicker Altstadt im Mittelalter a älter slawische Burgen; b spätslawische Anlage, um 1000; c frühdeutsche Burg und Siedlung, um 1240; d um 1300
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Die Truppen des Kaisers drangen von Magdeburg, die MIESZKOS von Lebus aus auf der über Brandenburg und Köpenick führenden Handelsstraße vor. Die Deutschen konnten Brandenburg mit polnischer Hilfe zeitweise erobern. Den Heeren M I E S Z K O S unter Führung seines Sohnes B O L E S L A W gelang es, Köpenick einzunehmen und dort eine neue, größere Burganlage (Abb. 14; zu errichten. So entstand am Ende des 10. Jh. an der unteren Spree ein polnisches Herrschaftsgebiet. 150 Jahre später, um 1150, war Köpenick Residenz des Fürsten J A X A , der, so erläutert der Chronist, „damals in Polen herrschte". E r konnte für einige Jahre, bis 1157, auch die Brandenburg in seinen Besitz bringen. Dieser JAXA hat Münzen (Bild 3) prägen lassen, die unter anderem sein Porträt zeigen und von denen manche die Umschrift tragen: „Jaczo de CopnincDenarii" o d e r , , J a k z a C o p t n i k C - N E V " (d. h. Knes = Fürst). Auf der Schloßinsel von Köpenick konnte die Burg, welche am Ende des 10. Jh. errichtet wurde, wieder aufgefunden werden (Abb. 14b). Zur gleichen Zeit begann eine ausgedehnte Kultivierung neuer Äcker in der Umgebung Köpenicks. Pollenanalysen ließen eine erhebliche Zunahme der Getreidepollen, d. h. umfangreiche Rodungsarbeiten, erkennen. Ende des 12. Jh. drangen die Markgrafen von Meißen über die Lausitz in das untere Spreegebiet und zur mittleren Oder vor. Sie konnten schließlich das Köpenicker Fürstentum erobern und in Köpenick selbst einen Burgenstützpunkt errichten. 1209 stellte K O N R A D V O N W E T T I N in seiner Burg Köpenick während des Kriegszuges gegen das polnische Lebus eine Urkunde aus. Das Gebiet westlich der Grenzzone, an der unteren Spree und Havel, blieb Bestandteil des sich herausbildenden Fürstentums der Heveller. Zu Beginn des 12. Jh. geriet dieses Fürstentum in Abhängigkeit von den Obodriten, deren Fürst H E I N R I C H im nordwest-slawischen Gebiet einen feudalen Staatsverband aufzubauen versuchte. Die Hauptstadt des Obodritenstaates war Lübeck (Altlübeck) an der Ostsee. 1127 brach dieser Staatsverband zusammen, und das Fürstentum der Heveller stellte seine Selbständigkeit wieder hier. In Brandenburg gelangte als letzter uns bekannter Herrscher der Fürst P R I B I S L A W , mit Taufnamen H E I N R I C H , zur Macht. Als er 1150 starb, begann der Kampf der Fürsten JAXA von Köpenick und des askanischen Markgrafen A L B R E C H T D E S B Ä R E N um die Brandenburg und damit um das Fürstentum der Heveller. 1157 besetzte A L B R E C H T D E R B Ä R die Brandenburg und das Gebiet bis Spandau. Dieses wurde sogleich von Albrecht als Burgzentrum ausgebaut. Es bildete fortan das Sprungbrett, über das der W e g einerseits havelaufwärts und über das Finowgebiet zur unteren Oder führte und auf der anderen Seite entlang der Spree zur mittleren Oder mit dem attraktiven Flußübergang in Lebus, seit den zwanziger Jahren des 12. Jh. Sitz eines polnischen Bischofs und „Schlüssel des Landes" zu polnischen Territorien, wie es in einer Chronik heißt. Während bedeutende Feudalherren, vor allem die Askanier als Markgrafen von Brandenburg und die Wettiner als Markgrafen von Meißen, mit polnischen Feudalherren und untereinander um die Gebiete an der unteren Spree und Oder kämpften, versuchte auch der Erzbischof von Magdeburg, seine Territorien zu erweitern. Nach 1157 wurde Jüterbog als erzbischöfliches Land ausgebaut, von dem aus Vorstöße in die Lausitz und nach N erfolgten. Für ihre Politik 33
territorialer Herrschaftsbildung nutzten die Erzbischöfe von Magdeburg die Möglichkeiten kirchlicher Machtausübung. So ließen sie sich vom Papst bereits 1 1 3 3 und erneut 1207 die kirchliche Oberhoheit über das polnische Bistum Lebus bestätigen mit dem Ziel, in Lebus einen Machtmittelpunkt gegen Polen, die Markgrafschaft.Meißen und die brandenburgischen Markgrafenzuschaffen. Da an Spandau kein Weg vorbei nach Lebus führte — entsprechende Versuche Magdeburgs waren zu Beginn des 13. Jh. gescheitert —, suchten die Erzbischöfe im S des Teltows auf Kosten der Wettiner, im Bunde mit den Askaniern und zeitweise mit den polnischen Fürsten Schlesiens, zur mittleren Oder vorzudringen. Das Berliner Gebiet wurde insofern davon berührt, als offensichtlich auf Grund dieser Bemühungen die Magdeburger Erzbischöfe die Ansiedlung von Bauern im südlichen Teltow begünstigten und das Zisterzienserkloster Zinna, in ihrer Herrschaft Jüterbog gelegen, bei der Inbesitznahme größerer Landstriche am Südweg nach Lebus förderten. So kam beispielsweise das Gebiet um Rüdersdorf, Kreis Fürstenwalde, an diese Abtei. Der Berliner Raum im weiteren Sinne geriet so in der zweiten Hälfte des 12. Jh. und in den ersten Jahrzehnten des 13. Jh. in den Strudel feudaler Fehden zwischen verschiedenen sich herausbildenden feudalen Herrschaftsgebieten. E r nahm eine gewisse Schlüsselstellung ein, die jedoch wertlos war, solange sie nicht durch Bauern, Handwerker und Bürger erschlossen, solange der alte Grenzsaum zwischen Sprewanen und Hevellern nicht gerodet war. J. Hertmann
2.3 D i e E n t s t e h u n g von K ö l l n und B e r l i n Um die Mitte des 12., Jh. setzte in weiten Teilen Mitteleuropas eine neue Welle des Landesausbaus, der Gewinnung von Neuland in bisherigen Wald- und Ödlandgebieten, ein. Innerhalb der Feudalgesellschaft waren dafür die Voraussetzungen und Antriebe geschaffen worden. Sie lagen in einer beachtlich gestiegenen Produktivität bäuerlicher Wirtschaften nach Durchsetzung eines geregelten Ackerbausystems und der Herausbildung der mittelalterlichen Bürger, der Städte und ihrer Stadtrechte. Die Veränderungen wurden in harten, zum Teil bewaffneten Kämpfen mit der herrschenden Feudalklasse durchgesetzt. Deren Vertreter waren einerseits gezwungen, die relative bäuerliche Freiheit und den Grundsatz „Stadtluft macht frei", d. h. die Bürgergemeinde als eine sich selbst verwaltende Einheit zu akzeptieren. Andererseits wirkten sie auf diese Vorgänge ein, versuchten die Ausdehnung von Marktverkehr und Geldwirtschaft für ihre Zwecke zu nutzen, „rationalisierten" in den Dörfern und entzogen der ohnehin rasch anwachsenden bäuerlichen Bevölkerung in vielen Gebieten die Existenzgrundlage. Zugleich lenkten sie die Interessen landloser Bauern auf die Rodung von neuen Ländereien, um daraus Abgaben einziehen zu können. Das waldreiche Berliner Gebiet bot der bäuerlichen Rodung große Möglichkeiten. Die beiden brandenburgischen Markgrafen, die Brüder J O H A N N I. und O T T O III., die von etwa 1230 — 66 bzw. 1267 regierten, nahmen 35
solche Möglichkeiten wahr. In ähnlicher Weise wurden die Errichtung von Städten und die Stadtrechtsverleihungen zu einer Einnahmequelle der entstehenden Territorialstaaten. In der um 1280 verfaßten sogenannten märkischen Fürstenchronik heißt es, die beiden Markgrafen hätten die Städte Berlin, Strausberg, Frankfurt, Angermünde, Stolpe, Liebenwalde, Stargard, Neubrandenburg und viele andere Orte gegründet. Diese Stadtgründungen erfolgten in verschiedenen Jahren: Neubrandenburg 1248, Frankfurt 1253, Strausberg vor 1254. Das Gründungsjahr von Berlin ist jedoch ebensowenig wie die entsprechende Gründungsurkunde überliefert, und so ist die Geschichtsforschung bei der Bestimmung des Gründungsdatums auf Indizien angewiesen. Der allgemeine Rahmen ist durch historische und siedlungskundliche Forschungen, der spezifische vor allem durch archäologische Untersuchungen ermittelt worden. So läßt sich beweisen, daß seit dem Ende des 12. Jh. Bauern, Handwerker und Kaufleute aus verschiedenen Landschaften des deutschen Feudalstaates über die großen Handels- und Verkehrswege die Waldgebiete des Teltows und Barnims erreichten. Darunter befanden sich Menschen aus Franken, Thüringen, Sachsen, Flandern, dem Rheinland, Westfalen und der Altmark. Einige davon ließen sich am Ende des 12. Jh. auch dort nieder, wo die Hochflächen von Barnim und Teltow einander besonders nahe kamen (Abb. 16).
Berlin
Cölln
Abb. 16. Talsanderhöhungen als ursprüngliche Siedlungskerne in Berlin und Kölln (1 Petrikirche; 2 Nikolaikirche; 3 Marienkirche) 36
Der von ihnen gegründeten ersten Ansiedlung auf der Talsandinsel südlich der Spree gaben sie den Namen Kölln oder — wie es in der ersten urkundlichen Erwähnung 1237 heißt — Colonia. Wahrscheinlich ist dieser Ortsname (Erklärung s. 4.1) von der Stadt Köln am Rhein übertragen worden. Köln lag an der großen West-Ost-Straße, die unter anderem vom Rheinland über Magdeburg, Brandenburg, Lebus nach Poznan und Osteuropa führte. Bei Kölln ließ sich die Spree ohne besondere Schwierigkeiten durchqueren oder eine Brücke errichten. Kölln gegenüber, auf dem nördlichen Spreeufer, entstand etwa zur gleichen Zeit eine kleine Niederlassung, die 1244 bereits Stadt war und die den Namen Berlin (Namenerklärung s. 4.1) trug. Der ursprüngliche Charakter beider Siedlungen und deren Verhältnis zueinander sind nicht genauer bekannt. Die einzigen Spuren, die auf die Gründung dieser Ortschaften in den letzten Jahrzehnten des 12. Jh. hinweisen, sind bisher 15 Gräber, die unter den Fundamenten der Köllner Petrikirche, und ca. 100 Gräber, die unter der Berliner Nikolaikirche bei Ausgrabungen (Bild 4) entdeckt wurden. Die Toten waren nach christlichem Ritus, viele Jahre vor der um 1240 erfolgten Gründung der jeweils ältesten Steinkirche, bestattet worden (Abb. 17). Die beiden Niederlassungen, die Petrisiedlung in Kölln und die Nikolaisiedlung in Berlin, wuchsen allmählich, und in den ersten Jahrzehnten des 13. Jh. lebten hier 200 bis 400 Einwohner, wenn die Anzahl der Bestattungen als Grundlage der Schätzung genommen wird. Kölln hatte wahrscheinlich in dieser Zeit bereits eine Pfarrkirche und einen Pfarrer, der wohl zugleich die Berliner Gemeinde betreute. Möglicherweise war die spätere Berliner Nikolaisiedlung anfangs eine Tochtersiedlung von Kölln. U m 1200 war Spandau der wichtigste Stützpunkt der brandenburgischen Markgrafen im Berliner Gebiet. 1197 wird erstmals ein askanischer V o g t in Spandau erwähnt. Von hier aus versuchten die Askanier, die Länder zwischen Havel und Oder an sich zu bringen. In Oranienburg, das damals Bötzow hieß, hatten sie vor 1217 eine Burg angelegt; vor oder um 1214 ließ der brandenburgische Markgraf A L B R E C H T II. die Burg Oderberg, Kreis Eberswalde, als Stützpunkt gegen Pommern errichten. Im S hatte Markgraf KONRAD II. von Wettin am Ende des 12. Jh. das Köpenicker Fürstentum an sich gebracht. Mit der Besetzung dieses Ortes durch die Markgrafen von Meißen waren Herrschaft und Aufsicht über die Handelsstraßen von Magdeburg nach Lebus und Polen verbunden. Offensichtlich veranlaßte diese Situation die brandenburgischen Markgrafen ebenso wie die Erzbischöfe von Magdeburg, ihrerseits auf den Verlauf des für diese Zeit nicht unbeträchtlichen Handelsverkehrs entlang der Ost-West-Straße Einfluß zu nehmen. 1232 erhielt Spandau Stadtrecht nach Brandenburger Vorbild, nachdem sich bereits im 12. Jh. westlich von der slawischen Burg eine Kaufmannssiedlung und wohl auch eine Nikolaisiedlung im Altstadtbereich gebildet hatten. Die neue Stadt Spandau kam jedoch nicht recht voran. 1240 war deren Konstituierung noch nicht abgeschlossen. Spandau lag an der Grenze der sogenannten alten und der neuen Lande. Der Streit um die Aufteilung des bäuerlichen Mehrprodukts aus dem neuen Land begann bereits, bevor dieses überhaupt landwirtschaftlich erschlossen war. Der askanische Markgraf hatte in einem 37
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Beachtlich ist der Arbeitskräftezuwachs in der technischen Infrastruktur, also Energie- und Wasserwirtschaft. Nach der Wiederherstellung des Verkehrswesens galt es, weitere Aufgaben zu lösen. So wurde zwischen 1950/51 und 1958 der bereits in Teilen vorhandene 78
Güteraußenring um Berlin geschlossen. Damit war die bedeutendste Streckenanlage des Eisenbahnknotens Berlin entstanden. Dieser 180 km lange, zweigleisig ausgebaute Berliner Außenring liegt 30—50 km vom Zentrum entfernt. In ihn münden alle nach Berlin führenden Strecken. Die Sicherungsmaßnahmen vom 13. August 1961 machten weitere Verkehrsbauten notwendig. 1968 wurde der Containerbahnhof Frankfurter Allee im Stadtbezirk Friedrichshain eröffnet, von 1977 bis 1980 der Bahnhof Lichtenberg umgebaut bzw. neugebaut. Der Ostbahnhof wird seit 1985 zum Hauptbahnhof (s. B 5), insbesondere für den internationalen Verkehr, umgestaltet. Einen bedeutenden Aufschwung erfuhr das Bauwesen aufgrund der Beschlüsse des I X . Parteitages der S E D zum Wohnungsbau. Die mehr als 55000 Werktätigen der Bauwirtschaft arbeiten in Betrieben der Bauindustrie, insbesonders dem V E B Wohnungsbaukombinat Berlin mit seinem Stammsitz in Lichtenberg, dem V E B Betonwerk mit Betriebsteilen in Hohenschönhausen und Vogelsdorf, Kreis Strausberg, sowie dem V E B Tiefbaukombinat, in Produktionsgenossenschaften des Handwerks und in einer großen Zahl von Handwerksbetrieben. Die Industriestruktur der Hauptstadt ist gekennzeichnet durch: — Standorte/Standortkomplexe volkswirtschaftlich führender Zweige bzw. Kombinate; — einen hohen Grad der Spezialisierung und Konzentration der Produktion; — die Vielseitigkeit der Produktionsfonds; — einen hohen Grad der Veredlung der eingesetzten Rohstoffe und Materialien; — eine damit verbundene relative Material- und Transportintensität; — eine große Wissenschafts- und Forschungsintensität der Produktion und eine enge räumliche Kombination der Industrie mit den Forschungs- und Entwicklungskapazitäten. L. Baar — IV. Gringmuth 3.7 B e r l i n e r
Arbeiterbewegung
Von den ersten Berliner Kommunisten um die Mitte des 19. J h . bis zur Arbeiterbewegung der Hauptstadt der D D R in der Gegenwart führt eine kontinuierliche Linie des Kampfes um sozialen Fortschritt und Frieden, um Demokratie und Sozialismus. Die Berliner Arbeiterbewegung bildete sich in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. J h . in der Industriellen Revolution heraus. Berliner Arbeiter und Handwerksgesellen demonstrierten bereits 1830 und 1835 gegen feudalabsolutistische Willkür. Die Gründung des ersten Berliner Handwerkervereins erfolgte 1844. Berliner Arbeiter, Handwerker, Kleinbürgerund Studenten kämpften auf den Barrikaden der Revolution von 1848. Der Friedhof der Märzgefallenen im Volkspark Friedrichshain (s. B 3.1) legt heute noch Zeugnis ab von den Opfern der Werktätigen in den revolutionären Kämpfen jenes Jahres. Im März 1848 war auch der Zentrale Arbeiter-Klub in Berlin entstanden, dessen Leitung 4 Mitglieder des Bundes der Kommunisten angehörten. Im Ergebnis eines im August/September 1848 durchgeführten Arbeiterkongresses entstand die Arbeiterverbrüderung. 1849 bildeten sich in Berlin 10 Gemeinden des Bundes der Kommunisten. 7*
79
Diese Organisationsbemühungen wurden seit den sechziger Jahren von der Berliner Sektion der I. Internationale und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei unter neuen Bedingungen fortgeführt. Mit der Durchsetzung des Marxismus und dem Sieg über das Sozialistengesetz wurde Berlin zum Zentrum der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung. F R I E D R I C H E N G E L S würdigte die revolutionäre Berliner Arbeiterbewegung im Jahre 1893, bei seinem letzten Aufenthalt in Berlin, mit den Worten: „In dieser Beziehung steht Berlin an der Spitze aller europäischen Großstädte . . . " (MarxEngels-Werke Bd. 22, 1963, S. 412). Mit dem Übergang des Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium wuchsen Industrie und Arbeiterklasse der Hauptstadt. Mindestens jeder zwanzigste deutsche Arbeiter war jetzt in Berlin tätig. 1877 eroberte die Sozialistische Arbeiterpartei erstmals im VI. Berliner Reichstags Wahlkreis (Rosenthaler und Oranienburger Vorstadt, Moabit, Wedding) ein Mandat. Trotz der Unterdrükkungsmaßnahmen aufgrund des Sozialistengesetzes (1878 — 90) — bereits im November 1878 wurde über Berlin der „kleine Belagerungszustand" verhängt, aktive Funktionäre wurden ausgewiesen — konnte die Sozialdemokratie ihren Masseneinfluß erhöhen und sich zur wählerstärksten Partei entwickeln. 1890 wurde Berlin ständiger Sitz des Parteivorstandes der Sozialdemokratie (Katzbachstr.); der Berliner Parteitag 1892 wählte A U G U S T B E B E L zum Parteivorsitzenden, das Zentralorgan „Vorwärts", bis 1900 von W I L H E L M L I E B K N E C H T geleitet, erschien in Berlin. Seit 1883 gab es in der Stadtverordnetenversammlung eine sozialdemokratische Fraktion, die bis 1911 unter Leitung von P A U L S I N G E R stand. 1906 wurde in Berlin die sozialdemokratische Parteischule eröffnet, an der R O S A L U X E M B U R G , F R A N Z M E H R I N G und H E R M A N N D U N C K E R lehrten. 10% aller Streiks, zu denen es von 1900 bis 1910 in Deutschland kam, wurden in Berlin geführt. Die Berliner Arbeiter solidarisierten sich 1905 mit der bürgerlich-demokratischen Revolution in Rußland. Herausragend waren die Wahlrechtsbewegung 1910 und die Protestbewegung gegen die drohende Kriegsgefahr. So demonstrierten 1912 rund 200000 Menschen im Treptower Park gegen den Balkankrieg. Die klassenbewußten Berliner Proletarier standen im Kampf gegen Militarismus und Krieg an der Seite der revolutionären deutschen Linken. K A R L L I E B K N E C H T S Verweigerung der Kriegskredite am 2. Dezember 1914 im deutschen Reichstag und sein „Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!" am 1. Mai 19x6 auf dem Potsdamer Platz in Berlin wurden das leuchtende Vorbild revolutionären Handelns im ersten Weltkrieg. In Berlin konstituierte sich Anfang 1916 die Spartakusgruppe, der spätere Spartakusbund. Die Streiks im Juni 1916, im April 1917 und im Januar 1918 sowie die Novemberrevolution 1918/19 kündeten vom Anbruch der neuen Epoche, die mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution ihren Anfang genommen hatte. Das Bekenntnis der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung zu dieser Revolution gehört zu den eindrucksvollsten Seiten ihrer geschichtlichen Entwicklung. Die Friedensdemonstrationen am 18. und 25. November 1917, das Flugblatt der Spartakusgruppe „Die Stunde der Entscheidung!" und der begeisterte Empfang der sowjetischen Delegation auf dem Gründungsparteitag der K P D sowie das Grußtelegramm an die Russische Sozialistische Sowjet80
republik — in dem es hieß: „Das Bewußtsein, daß bei Euch alle Herzen für uns schlagen, gibt uns in unserem Kampf Kraft und Stärke" — ,so artikulierte sich dieses Bekenntnis am Beginn der neuen Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Seither ist die Haltung zum Sowjetland, zum Leninismus und zu den grundlegenden Erfahrungen der KPdSU auch der Prüfstein für die revolutionäre Haltung der Berliner Arbeiterbewegung. Die Ermordung von K. LIEBKNECHT und R. LUXEMBURG sowie von über weiteren 2000 Arbeitern in den Januar- und Märzkämpfen in Berlin 1919 (s. H 2) war ein schwerer Verlust für die Arbeiterbewegung. Jedoch: „Die Geschlagenen von heute werden die Sieger von morgen sein" — diese Worte aus dem letzten Artikel von K. LIEBKNECHT in der Roten Fahne am 15. Januar 1919 waren fortan die Devise der revolutionären Arbeiterbewegung. Zu einem großen Sieg der einheitlich handelnden Arbeiterklasse Berlins wurde der Generalstreik gegen den Kapp-Putsch im März 1920. In den Jahren danach ist die K P D unter Führung ERNST THÄLMANNS zu einer marxistisch-leninistischen Massenpartei geworden. Während sie in Berlin im Jahre 1921 nur 21 Abgeordnete in der Stadtverordnetenversammlung stellte, waren es 1925 bereits 43 Mandate. Zu Beginn der zwanziger Jahre wurden in Berlin eindrucksvolle Einheitsfrontaktionen gegen die Ermordung ERZBERGERS und RATHENAUS und der Generalstreik zum Sturz der CuNO-Regierung organisiert. An der Einheitsfront-Kundgebung der K P D für die entschädigungslose Enteignung der Fürsten im Dezember 1925 im Berliner Lustgarten nahmen über 60000 Werktätige teil. 68,4% aller Wahlberechtigten Berlins stimmten 1926 im Volksentscheid für die Fürstenenteignung. Die Berliner Arbeiter kämpften gegen Militarismus und Faschismus. In diesem Kampf wurde die K P D die marxistisch-leninistische Massenpartei, die von proletarischen Massenorganisationen wie dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands, dem Roten Frontkämpferbund, der Roten Hilfe und der Internationalen Arbeiterhilfe unterstützt wurde. Die Kommunisten rangen um die Einheitsfront mit den sozialdemokratischen und gewerkschaftlich organisierten Arbeitern. Sozialdemokraten, Kommunisten und bürgerliche Demokraten, Gewerkschafter und Betriebsräte verbanden sich auf der kommunalpolitischen Ebene zu gemeinsamen Aktionen, für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen Berlins. Polizeiverbote vermochten am 1. Mai 1929 vor allem am Wedding und in Neukölln die Demonstrationen von 200000 Werktätigen nicht zu verhindern. 31 Tote und mehrere hundert Verletzte waren die Folge reaktionären Terrors. Trotz antikommunistischer Hetze war die K P D im November 1929 in der Stadtverordnetenversammlung mit 54 Abgeordneten vertreten. Den Fraktionsvorsitz übernahm WILHELM PIECK. Im September 1930 erhielten die Kommunisten bei den Reichstagswahlen in Berlin die meisten Stimmen. Damit wurde erstmalig in der Hauptstadt eines kapitalistischen Landes eine kommunistische Partei die wählerstärkste Partei. Im August 1930 hatte die K P D in Berlin ihre Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung proklamiert. Sie wies den Ausweg aus der Krise des kapitalistischen Systems in Deutschland und entlarvte die nationale und soziale Demagogie der Nazipartei. E R N S T THÄLMANN erläuterte die Programm81
erklärung im September 1930 im Berliner Sportpalast. W A L T E R U L B R I C H T trat den Hitlerfaschisten im Januar 1931 in einer Naziversammlung im Saalbau Friedrichshain entgegen. 1932 entstand auf Initiative der K P D die Antifaschistische Aktion. Im Juli 1932 tagte in Berlin der erste antifaschistische Kongreß mit 1465 Delegierten aus allen Teilen Deutschlands. Im November 1932 kam es in Berlin zum Streik von 22000 Verkehrsarbeitern. Zur gleichen Zeit fanden Reichstagswahlen statt, bei denen sich die K P D in Berlin wiederum als stärkste Partei erwies. Die Faschisten mußten erhebliche Stimmenverluste hinnehmen. A m 30. Januar 1933 wurde HITLER dennoch als Reichskanzler eingesetzt. In Deutschland kam es zur faschistischen Diktatur, das heißt zur offenen, terroristischen Gewaltherrschaft der reaktionärsten, chauvinistischen, aggressivsten K r ä f t e des deutschen Finanzkapitals. Die K P D stellte sich sofort an die Spitze des antifaschistischen Widerstandskampfes. Durch die Provokation des Reichstagsbrandes am 27. Februar 1933 sollte die K P D diskriminiert und vernichtet werden. In Berlin wurden sofort 1 500 Antifaschisten verhaftet. Schließlich wurden alle Arbeiterorganisationen verboten und sämtliche demokratischen K r ä f t e verfolgt. Die Faschisten riefen im April 1933 zum Judenboykott auf, besetzten am 2. Mai 1933 die Gewerkschaftshäuser, verbrannten die humanistische Literatur, wie am 10. Mai 1933 a u f dem Opernplatz in Berlin, und erschlugen klassenbewußte Arbeiter, wie i n der Köpenicker Blutwoche im Juni 1933. In der Nähe Berlins, in Sächsenhausen, Kreis Oranienburg, wurde eines der ersten und größten Konzentrationslager errichtet. Jedoch gelang es den Faschisten nicht, die Kommunistische Partei zu vernichten. Das Zentralkomitee der K P D unter Leitung von E . T H Ä L M A N N orientierte auf seiner illegalen Tagung in Ziegenhals bei Berlin am 7. Februar 1933 auf den Massenkampf gegen die Naziherrschaft. Berlin entwickelte sich zu einem Zentrum des antifaschistischen Widerstandes. Die Beschlüsse des V I I . Weltkongresses der Kommunistischen Internationale und der Konferenzen der K P D von Brüssel und Bern erwiesen sich als richtungweisend im Ringen um die proletarische Einheitsfront und die antifaschistische Volksfront im Kampf gegen Faschismus und Krieg. Wie stark der Widerstand war, zeigte sich bei den Olympischen Spielen im Jahre .1936. Die Widerstandskämpfer entlarvten in Flugblättern und Tarnschriften die faschistische Demagogie. E t w a 150 Berliner Antifaschisten nahmen am Freiheitskampf des spanischen Volkes teil und verteidigten die Volksfrontregierung gegen die faschistische Intervention. Nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges konzentrierten sich die illegalen Widerstandsgruppen in Berlin auf den Kampf gegen die faschistische Rüstungs- und Aggressionspolitik. Die Berliner Parteiorganisation der K P D mit den Widerstandsorganisationen unter d e r L e i t u n g v o n WILLI GALL, OTTO NELTE, ROBERT UHRIG, ANTON
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BAUM,
HEINZ
KAPELLE
und
SAEFKOW,
sozialdemokratische Widerstandskämpfer wie O T T O B R A S S , F R A N Z K Ü N S T L E R und A D O L F R E I C H W E I N , bürgerliche Antifaschisten wie H A R R O S C H U L Z E - B O Y S E N und christliche Hitlergegner wie D I E T R I C H B O N H O E F F E R und B E R N H A R D L I C H T E N B E R G ließen Berlin zu einem Zentrum des antifaschistischen Widerstandes werden. Sie sabotierten die Rüstungsproduktion, prangerten die Kriegsverbrechen der HERBERT
ARVID
HARNACK,
N a z i s an, halfen Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern, stellten die V e r b i n d u n g m i t der R o t e n A r m e e her, propagierten die Orientierung der K P D . B e r l i n w a r einer der M i t t e l p u n k t e der antifaschistischen A k t i o n der P a t r i o t e n v o m 20. Juli 1 9 4 4 u m C L A U S G R A F SCHENK VON STAUFFENBERG.
Mit der B e f r e i u n g Berlins v o m Hitlerfaschismus durch die R o t e A r m e e e r g a b e n sich f ü r die A r b e i t e r b e w e g u n g neue Möglichkeiten, eine historische W e n d e in der ehemaligen „ R e i c h s h a u p t s t a d t " einzuleiten. Die A k t i v i s t e n der ersten Stunde — K o m m u n i s t e n , Soaialdemokraten, G e w e r k s c h a f t e r und bürgerliche Hitlergegner — ergriffen in engster Zusammenarbeit m i t der s o w j e t i s c h e n B e s a t z u n g s m a c h t die erforderlichen Maßnahmen, u m die E x i s t e n z der B e v ö l k e rung zu sichern, die P r o d u k t i o n wieder in G a n g zu setzen und den F a s c h i s m u s auszurotten. A m 19. Mai 1945 n a h m der demokratische Magistrat v o n Groß-Berlin unter Oberbürgermeister D r . ARTHUR WERNER seine T ä t i g k e i t auf. In allen 20 S t a d t bezirken Berlins bildeten sich antifaschistisch-demokratische V e r w a l t u n g s o r g a n e unter F ü h r u n g v o n K o m m u n i s t e n u n d Sozialdemokraten. A m 11. Juni 1945 wurde in Berlin der A u f r u f der K P D „ S c h a f f e n d e s V o l k in S t a d t und L a n d ! Männer und F r a u e n ! Deutsche J u g e n d ! " v e r ö f f e n t l i c h t . Die K P D wies den W e g zu einqr antifaschistisch-demokratischen E n t w i c k l u n g g a n z D e u t s c h l a n d s und d a m i t a u c h Berlins. A m 15. Juni erschien der A u f r u f des Zentralausschusses der S P D , u n d a m 19. Juni bildeten beide P a r t e i e n einen gemeinsamen Arbeitsausschuß. A m 15. Juni w a r ein A u f r u f v o n g e w e r k s c h a f t lichen V e r t r e t e r n erschienen, in d e m zur B i l d u n g einer einheitlichen, freien, demokratischen Gewerkschaftsorganisation, des F D G B , aufgerufen worden, w a r . A m 14. Juli schlössen K P D , S P D , C D U und L D P eine V e r e i n b a r u n g , w o n a c h ein B l o c k antifaschistisch-demokratischer Parteien gebildet wurde. D a m i t w a r e n wesentliche V o r a u s s e t z u n g e n gegeben, in g a n z Berlin wichtige G r u n d l a g e n einer antifaschistisch-demokratischen O r d n u n g zu schaffen. Deren V e r w i r k l i c h u n g w a r nur unter den B e d i n g u n g e n der einheitlichen F ü h r u n g der Arbeiterklasse möglich. A m 21. und 22. A p r i l 1946 erfolgte in B e r l i n die Vereinigung v o n K P D und S P D zur Sozialistischen E i n h e i t s p a r t e i Deutschlands. Die Berliner Organisationen beider Parteien h a t t e n sich a m 14. A p r i l vereinigt. Jedoch in Berlin e r g a b sich durch die Anwesenheit der W e s t m ä c h t e die besondere Situation, d a ß die S E D in den W e s t s e k t o r e n der S t a d t erst zugelassen wurde, als die sozialdemokratischen K r ä f t e , die Gegner der V e r e i n i g u n g waren, sich als „ S P D " in g a n z Berlin konstituieren konnten. A b e r a u c h d a d u r c h gelang es den reaktionären K r ä f t e n nicht, ihre P l ä n e zu verwirklichen, die die V e r h i n d e r u n g der antifaschistisch-demokratischen E n t w i c k l u n g in D e u t s c h l a n d zum Ziel h a t t e n . Deshalb gingen sie 1947/48 d a z u über, d i r e k t die S p a l t u n g Berlins einzuleiten und W e s t - B e r l i n in eine „ F r o n t s t a d t " des k a l t e n K r i e g e s zu v e r w a n d e l n (s. 3.4). V o m E n d e der vierziger bis z u m B e g i n n der sechziger Jahre w u r d e n in Berlin, H a u p t s t a d t der D D R , die G r u n d l a g e n des Sozialismus geschaffen. D i e A r b e i t e r b e w e g u n g b e g a n n damit, a n die Stelle der kapitalistischen A u s b e u t e r o r d n u n g sozialistische Produktionsverhältnisse zu setzen. Die A r b e i t e r s c h a f t e n t w i c k e l t e sich aus einer ehemals u n t e r d r ü c k t e n zur herrschenden K l a s s e . Dieser revolutionäre P r o z e ß vollzog sich bei o f f e n e n Grenzen gegenüber d e m imperialistischen
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Vorposten West-Berlin und verband sich mit dem Kampf aller fortschrittlichen und demokratischen Kräfte um die Überwindung der Spaltung Berlins. Die Westmächte wie auch die monopolkapitalistischen Kräfte West-Berlins taten alles, um die Zerreißung der Stadt zu zementieren. Von West-Berlin aus sollte der Sozialismus „zurückgerollt" werden. Am 13. August 1961 wurde die Staatsgrenze zu West-Berlin gesichert. Der Sozialismus in der Hauptstadt konnte nun ohne direkte Störversuche des Imperialismus weiter aufgebaut werden. Gerade in Berlin hatten der Wirtschaftskrieg und-die ideologische Diversion des Gegners Wirkungen gezeitigt. E s galt, die Rückstände in der Planerfüllung zu überwinden. Die ökonomischen und sozialen Grundlagen des Sozialismus mußten gefestigt werden. Der gesellschaftliche Entwicklungsprozeß in den sechziger und siebziger Jahren hatte daher die weitere Stärkung der Arbeiterbewegung zur Voraussetzung. Mit der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft seit den sechziger Jahren wuchs die Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei. Die bewußtesten Arbeiter ergriffen die Initiative bei der Lösung der komplizierten Probleme der sozialistischen Revolution, wobei die Genossen der S E D mit gutem Beispiel vorangingen. So riefen 1961 die Werktätigen des V E B Kabelwerk Oberspree und des V E B Elektrokohle Lichtenberg zum Produktionsaufgebot auf, um die D D R wirtschaftlich zu stärken. Die Beschlüsse des V I I I . Parteitages der SED, der im Juni 1971 in der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle durchgeführt wurde, führten zu einem weiteren Aufschwung des gesellschaftlichen Lebens in der Hauptstadt der D D R . Vor allem der komplexe Wohnungsbau — das Kernstück des sozialpolitischen Programms der S E D —, veränderte das Antlitz der Stadt. In den siebziger Jahren entwickelte sich in Berlin die Bestarbeiterbewegung. Hierbei erwiesen sich die seit 1975 durchgeführten Bestarbeiterkonferenzen als Stätten des Erfahrungsaustausches der besten Produktionsarbeiter und der technischen Intelligenz. Die 1976 einsetzende FDJ-Initiative Berlin, das zentrale Jugendobjekt in der D D R , zeigt, wie sehr der weitere Aufbau der Hauptstadt zur Sache der ganzen Republik geworden ist. In den achtziger Jahren setzten die Berliner Arbeiter im Bündnis mit der wissenschaftlich-technischen Intelligenz, den Handwerkern und Gewerbetreibenden ihre K r a f t für die weitere stabile und dynamische Entwicklung der Volkswirtschaft ein, um auf diese Weise den Sozialismus zu stärken und den Frieden zu sichern. Die Werktätigen der Hauptstadt der D D R erzielten im Jahre 1985 durch die umfassende Intensivierung ein hohes Wachstum der Nettoproduktion um 14,6% und der Arbeitsproduktivität um 1 3 , 7 % . Die grundlegende Voraussetzung für diese Erfolge ist die Entwicklung und Anwendung von Schlüsseltechnologien, wie besonders der Mikroelektronik. In der Wirtschaft Berlins arbeiten 3800 Industrieroboter. In der traditionsreichen Arbeiterstadt Berlin manifestiert die Arbeiterklasse ihre historische Mission als machtausübende politische K r a f t und als Eigentümer der wichtigsten Produktionsmittel. Die Berliner Arbeiterbewegung unter Führung der S E D ist der Hauptträger des gesellschaftlichen Fortschritts in der Metropole der D D R . Im Bündnis mit allen Werktätigen gelang es ihr, die traditionellen Ziele der Revolutionäre von 1848 und 1918, der antifaschistischen Widerstandskämpfer, der Aktivisten der ersten 84
Stunde, der Gründer der D D R und der K ä m p f e r für Frieden und Fortschritt seit den fünfziger Jahren zu realisieren. I m Prozeß der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ist die Arbeiterbewegung selbst erstarkt und gereift. 1984 umfaßte die Berliner Parteiorganisation der S E D 164902 Mitglieder und 4410 Kandidaten. I m F D G B waren 1979 680769 W e r k t ä t i g e organisiert. Unmittelbar v o r dem X I . P a r t e i t a g der S E D , der v o m 17. bis 21. A p r i l 1986 in Berlin stattfand, wurden das Marx-Engels-Forum (s. A 3.10) und der ErnstThälmann-Park (s. C 14) eingeweiht — Symbole des Siegeszuges des Marxismus und der revolutionären Arbeiterbewegung sowie des K a m p f e s gegen Faschismus und K r i e g . Auf dem P a r t e i t a g sind die Beschlüsse über die weitere Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft g e f a ß t und ist darüber beraten worden, wie in der H a u p t s t a d t der D D R die politischen, sozialen und ökonomischen Errungenschaften des Sozialismus z u m A u s d r u c k gebracht werden. In der Direktive des X I . Parteitages der S E D z u m F ü n f j a h r p l a n f ü r die E n t wicklung der Volkswirtschaft der D D R in den Jahren 1986 bis 1990 ist festgelegt, d a ß „ d e r 750. Jahrestag v o n Berlin als ein hervorragendes Ereignis v o n nationaler und internationaler Bedeutung, als ein H ö h e p u n k t im L e b e n der Deutschen Demokratischen R e p u b l i k " begangen werden soll. A.
3.8 B e r l i n als Z e n t r u m der g e i s t i g e n
Loesdau
Kultur
Die Geschichte Berlins als eines Zentrums v o n K u n s t und Wissenschaft ist, verglichen mit anderen Metropolen, noch sehr jung, von tiefgehenden Widersprüchen durchsetzt und, trotz der K ü r z e der Zeit, durch Einschnitte gekennzeichnet, die die Traditionsbildungen immer wieder unterbrachen. Noch 400 Jahre nach der Gründung der Stadt, am Ausgang des Dreißigjährigen Krieges, besaß es für das kulturelle Leben Preußens oder gar Europas noch keine nennenswerte Bedeutung. Z u dieser Zeit waren z u m Beispiel Paris mit 415000 Einwohnern e t w a siebzigmal und H a m b u r g mit 60000 Einwohnern zehnmal größer. Dennoch wurden gerade in dem halben Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden wesentliche Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Berlin nach 1648 zu einem kulturellen Z e n t r u m v o n europäischer B e d e u t u n g werden konnte. Die v o n den regierenden Hohenzollern zielstrebig genutzte historische Chance, mit den Mitteln absolutistischer Politik in einem schrittweise' vergrößerten Territorium durch straffe Zentralisierung sowie durch dosierte Förderung bürgerlicher Bestrebungen im feudalen Interesse das Feudalregime zu modernisieren und damit zu stärken, erhöhte unvermeidlich die B e d e u t u n g Berlins als H a u p t s t a d t Brandenburg-Preußens und erweiterte den Entwicklungsraum, den diese S t a d t für das geistige Leben bot. K u n s t und Wissenschaft waren in ihrem progressiven Inhalt bürgerlich geprägt, doch die institutionellen Möglichkeiten ihrer Entfaltung waren sehr stark von den Funktionen abhängig, die der absolutistische Staat ihnen auferlegte — Funktionen der Repräsentation und der ideologischen Formierung, aber auch utilitäre Funktionen in Verwaltung, Technik und Wirtschaft, in der Gewichtsverteilung schwankend, je nach dem staatspolitischen
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Konzept des jeweils regierenden Hohenzollern und mit besonders schroffen Einschnitten am Beginn und am Ende der Regierungszeit des „Soldatenkönigs" FRIEDRICH WILHELM I.
Wichtige Stützpunkte des geistigen Lebens in Berlin waren zwei traditionsreiche Gymnasien — das schon seit 1574 bestehende Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster und das 1650 in Berlin wiedererrichtete Joachimsthalsche Gymnasium, ergänzt durch das 1688 für die spezifischen Ausbildungsbedürfnisse der nach dem Edikt von Potsdam (1685) zahlreich einwandernden und auf gewerblichem, künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiet sehr aktiven Hugenotten geschaffene „Collège Français"; an diesen Einrichtungen war eine Reihe hervorragender Pädagogen mit wissenschaftlichen Ambitionen tätig. Die 1661 im Residenzschloß eingerichtete Kurfürstliche Bibliothek, die 1688 immerhin schon über 20000 Druck- und 16000 Handschriften verfügte, wurde Keimzelle der heutigen Deutschen Staatsbibliothek (A 7.9). Die frühe Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens in Berlin ist stark durch die seit 1506 bestehende brandenburgische Landesuniversität (Viadrina) zu Frankfurt/Oder beeinflußt worden. Professoren dieser Universität nahmen Hof- und Verwaltungsämter wahr, beispielsweise als Leibärzte und Schulinspektoren. Damit wuchs das Bedürfnis nach festen Formen des wissenschaftlichen Austausches innerhalb der Residenz, das unter anderem in der 1696/97 von E T I E N N E C H A U V I N herausgegebenen ersten Berliner wissenschaftlichen Zeitschrift „Nouveau Journal des Savants, dressé à Berlin" und in der in den neunziger Jahren von E Z E C H I E L S P A N H E I M gegründeten wissenschaftlichen Gesellschaft zum Ausdruck kam. Ein großer Förderer dieser Bestrebungen war der Staatsmann E B E R H A R D F R E I H E R R V O N D A N C K E L M A N N , seit 1688 Oberpräsident des Geheimen Rates, 1697 jedoch durch eine Hofintrige gestürzt, der Ideen der bürgerlichen Aufklärung vertrat. E r unterstützte nachdrücklich die Gründung einer Akademie der Künste und einer Akademie der Wissenschaften. Erstere wurde 1694 auf Anregung A N D R E A S S C H L Ü T E R S und des niederländischen Malers A U G U S T I N T E R W E S T E N gestiftet. Letztere wurde 1700 nach Ideen von G O T T F R I E D W I L H E L M L E I B N I Z , der auch ihr erster Präsident wurde, D A N I E L E R N S T J A B L O N S K I und anderen als Brandenburgische Sozietät der Wissenschaften gegründet. Beide Einrichtungen, auf die die heutige Akademie der Künste (s. A 11.12) und die Akademie der Wissenschaften der D D R (s. A 9.3) ihre Traditionen zurückführen, waren in ihrer Arbeit eng verbunden, so durch Doppelmitgliedschaft (beispielsweise gehörte S C H L Ü T E R beiden Akademien an). Zur Sozietät, deren einzige Finanzierungsquelle für längere Zeit'das Kalendermonopol blieb, gehörte eine von dem bekannten Astronomen G O T T F R I E D K I R C H geleitete Sternwarte. Eine wichtige Rolle spielte in jener Zeit das Gesundheitswesen, einschließlich der medizinischen Forschung und Lehre, die aus der Sicht der medizinischen Bedürfnisse des Heeres energisch gefördert wurden. Der „Soldatenkönig" F R I E D R I C H W I L H E L M I. befahl unmittelbar nach der Thronbesteigung 1713 die Gründung des „Theatrum Anatomicum", das von C H R I S T I A N M A X I M I L I A N S P E N E R geleitet wurde. In dieser Einrichtung sind Leichen seziert worden, die Unterweisung der Ärzte und Chirurgen erfolgte unmittelbar am menschlichen Körper. Daraus ging 1724 das „Collegium Medico-Chirurgicum" hervor, das sowohl Ärzte als auch Chirurgen ausbildete und mit dem Leitbild des Medicochirurgen einen 86
wesentlichen B e i t r a g zur V e r b i n d u n g der wissenschaftlichen Medizin u n d der handwerklichen Chirurgie leistete. Die praktisch-klinische A u s b i l d u n g erfolgte im „Maison d e la C h a r i t é " , das 172 7 unter der medizinischen L e i t u n g v o n JOHANN THEODOR
ELLER
und
GABRIEL
SENFF
in
dem
1710
vor
der
Stadt
erbauten
„ P e s t h a u s " eingerichtet w u r d e . Die Regelungen des 1725 erlassenen preußischen Medizinaledikts galten als die im damaligen Deutschland umfassendsten. O b w o h l m a n f ü r Berlin im ganzen die Periode bis mindestens zur M i t t e des 18. J h . noch als eine Zeit des Aufholens, des Ringens u m A n s c h l u ß an den S t a n dard der W e l t k u l t u r b e t r a c h t e n muß, w i r k t e n hier doch schon erheblich f r ü h e r Gelehrte und K ü n s t l e r v o n internationalem R a n g und Ansehen. Z w a r ü b e r r a g t e der A k a d e m i e g r ü n d e r , Philosoph, M a t h e m a t i k e r und Universalgelehrte LEIBNIZ, dessen T ä t i g k e i t nur zum Teil m i t Berlin v e r b u n d e n w a r , alle seine preußischen Zeitgenossen; doch v o n überregionaler B e d e u t u n g w a r e n a u c h GEORG ERNST STAHL, seit 1 7 1 5 L e i b a r z t des K ö n i g s und als S c h ö p f e r der Phlogistontheorie der b e r ü h m t e s t e Chemiker seiner Zeit, der N a t u r r e c h t l e r und Historiograph SAMUEL
FREIHERR
VON
PUFENDORF,
der
Alchimist
und
Chemiker
JOHANN
KUNCKEL, der seit 1678 als H o f g l a s m a c h e r in kurfürstlichen Diensten stand, und andere. Berlins Ruf als K u l t u r s t a d t ist untrennbar v o n den Leistungen der B a u m e i s t e r und B i l d h a u e r , die es im 18. Jh. und zu Beginn des ig. Jh. m i t einer R e i h e v o n G e b ä u d e n in einem besonderen, durch die Rezeption der griechischen A n t i k e beeinflußten klassizistischen Stil und zahlreichen ausgezeichneten S k u l p t u r e n s c h m ü c k t e n . Diese B a u t e n f ü g t e n sich zu einem einmaligen s t ä d t e b a u l i c h e n E n s e m b l e v o n großer E i n f a c h h e i t und Schönheit zusammen. Eine S t a d t ist immer auch ein besonderer R a u m , und die E r z ä h l u n g e n der Dichter, die . K o n z e r t e der Musiker, die A u f f ü h r u n g e n der Schauspieler, die B i l d e r der Maler sind nicht d e n k b a r ohne diesen R a u m der Stadt. In Berlin w a r e n die S c h ö p f u n g e n v o r allem v o n A . SCHLÜTER, G E O R G W E N Z E S L A U S VON K N O B E L S D O R F F , C A R L
GOTTHARD
LANGHANS, FRIEDRICH GILLY, K A R L FRIEDRICH SCHINKEL, JOHANN G . SCHADOW
und CHRISTIAN DANIEL RAUCH. Die Schönheit ihrer W e r k e r e c h t f e r t i g t den B e i n a m e n „ S p r e e a t h e n " , den Berlin erhielt. I m R o k o k o - Z e i t a l t e r w a r Berlin ein S a m m e l p u n k t f ü r eine R e i h e b e k a n n t e r Maler. E i n hervorragender K ü n s t l e r und zugleich t y p i s c h e r Berliner w a r DANIEL CHODOWIECKI, der m i t seinen R a d i e r u n g e n und Handzeichnungen den A l l t a g des B ü r g e r s in der Zeit des Zopfstils m i t liebevoll-nüchternem Realismus darstellte. U m die M i t t e des 18. Jh. e r f u h r die kulturelle B e d e u t u n g Berlins einen spürbaren Zuwachs. D i e S t a d t w u r d e mehr und mehr als ein kulturelles Z e n t r u m wahrgenommen, d a s sich durchaus im internationalen V e r g l e i c h b e h a u p t e n konnte. Mindestens zwei F a k t o r e n w a r e n hier b e s t i m m e n d : die R e o r g a n i s a t i o n und E r n e u e r u n g der Wissenschaftsakademie unter dem P a t r o n a t FRIEDRICHS II. und die H e r a u s b i l d u n g der „ B e r l i n e r A u f k l ä r u n g " als einer spezifischen Version des bürgerlichen deutschen A u f k l ä r u n g s d e n k e n s . Die N e u g e s t a l t u n g der A k a d e m i e vollzog sich ü b e r die im Sommer 1743 erfolgte G r ü n d u n g einer „ N o u v e a u Société L i t t é r a i r e " u m SAMUEL GRAF VON SCHMETTAU und deren nachfolgende V e r s c h m e l z u n g m i t der S o z i e t ä t zur „ A c a d é m i e R o y a l e des Sciences e t B e l l e s - L e t t r e s " ; ihr internationales A n s e h e n beruhte v o r allem auf der H e r a n z i e h u n g berühmter Gelehrter aus dem Ausland, allen v o r a n des
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Physikers, Mathematikers und Geodäten P I E R R E L O U I S M O R E A U D E M A U P E R der als Akademiepräsident ab 1746 eine autoritäre Herrschaft ausübte, und des genialen Mathematikers L E O N H A R D E U L E R . F R I E D R I C H I I . favorisierte Ideen der französischen Aufklärung, während er die Berliner Aufklärung ignorierte oder verabscheute. So entstand in Berlin die eigenartige Konstellation, daß sich hinter dem Kontrast zweier Linien des bürgerlichen Aufklärungsdenkens der Gegensatz feudalabsolutistischer und bürgerlicher Interessen verbarg. Die Berliner Aufklärung, in der der antifeudale Toleranzgedanke besonders ausgeprägt war, manifestierte sich vor allem in der Literatur, weniger in der Wissenschaft. Ihr Ausgangspunkt war die Begegnung dreier Persönlichkeiten in der Mitte des 18. Jh., deren Tätigkeit dem kulturellen Leben Berlins eine über die Stadtgrenzen hinausreichende Ausstrahlungskraft verlieh: des Schriftstellers G O T T H O L D E P H R A I M L E S S I N G , des Philosophen M O S E S M E N D E L S S O H N und des Buchhändlers C H R I S T O P H F R I E D R I C H N I C O L A I . Sie waren etwa gleichaltrig, voll kühner Pläne, Träume und neuartiger Gedanken. L E S S I N G arbeitete (mit Unterbrechungen) bis 1760 in Berlin. A m Ende dieser Zeit (1759), die mit viel Zeitungsarbeit ausgefüllt war, entstanden seine Theorie der Fabel und die „Briefe, die neueste Literatur betreffend". Die Gedanken, die in den Disputen der Freunde aufgetaucht waren, wirkten weiter, und es ist berechtigt, nunmehr von Berlin als von einem Mittelpunkt des Aufklärungszeitalters in der deutschen Literatur zu sprechen. Einflußreiches Publikationsorgan dieser Strömung wurde die „Berlinische Monatsschrift", die J O H A N N E R I C H B i E S T E R , der langjährige Leiter der Königlichen Bibliothek, von 1783 bis 1811 herausgab. Schon ab 1761 edierte N I C O L A I die „Allgemeine Deutsche Bibliothek", die es bis 1792 auf 107 Bände brachte. TUIS,
In dem erst später entstandenen Lustspiel „Minna von Barnhelm" wählte Berlin als Schauplatz. Unter dem Namen „ K ö n i g von Spanien" hat er dem Gasthof „Zum König von Portugal" in der historischen Burgstr. ein Denkmal gesetzt. Die Zofe Franziska beklagte sich beim Fräulein von Barnhelm schon damals: „Wer kann in den verzweifelten großen Städten schlafen? Die Karossen, die Nachtwächter, die Trommeln, die Katzen, die Korporals — das hört nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln, zu mauen, zu fluchen; gerade als ob die Nacht zu nichts weniger wäre als zur Ruhe". Das geistige Leben Berlins wurde auch von der Entwicklung der Gewerbe beeinflußt, die vor dem Einsetzen der Industriellen Revolution zwar nicht stürmisch, aber doch spürbar voranschritt. Die von hier ausgehenden Anforderungen und Impulse bereiteten den Boden für den Aufschwung der Berliner Naturwissenschaft im 19. Jh. Zu den bedeutenden Berliner Chemikern des 18. Jh. gehörten die Stahl-Schüler K A S P A R N E U M A N N und J O H A N N H E I N R I C H P O T T , der ab 1716 rund 30000 Versuche über das Porzellan durchführte (Gründung der Königlichen Porzellanmanufaktur 1763 nach vorhergehenden Untersuchungen von W I L H E L M K A S P A R W E G E L Y und J O H A N N E R N S T G O T Z K O W S K Y ) . P O T T S Schüler A N D R E A S S I G I S M U N D M A R G G R A F fand den Zuckergehalt der Runkelrübe, und dessen Schüler F R A N Z K A R L A C H A R D entwickelte ein brauchbares Verfahren zur Rübenzuckergewinnung. 1747 gründete J O H A N N J U L I U S H E C K E R eine „Ökonomisch-mathematische Realschule" zur Ausbildung von Fachleuten für Wirtschaft, Handel und Manufakturen. 1770 wurde nach FreiLESSING
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berger Vorbild eine Bergakademie errichtet. Der 1777 aus Sachsen berufene K . F R I E D R I C H A N T O N V O N H E Y N I T Z organisierte das preußische Berg- und Hüttenwesen auf wissenschaftlichen Grundlagen. Das zunehmende Prestige der Naturwissenschaft spiegelte sich auch in der 1773 erfolgten Gründung der „Berlinischen Gesellschaft Naturforschender Freunde", deren führende Köpfe neben A C H A R D der Botaniker und Pionier der Forstwissenschaften J O H A N N G O T T L I E B G L E D I T S C H und der Astronom J O H A N N E L E R T B O D E wurden. In der Zeit der Aufklärung und des Klassizismus erhielt Berlin ein eigenes, unverwechselbares kulturelles Gesicht, doch es gewann damit noch keineswegs wie etwa Paris, London oder Petersburg die Bedeutung eines im nationalen Maßstab führenden kulturellen Zentrums. Da es in Deutschland vorerst nicht zur Bildung eines einheitlichen Nationalstaates kam, entfaltete sich die deutsche Kultur polyzentrisch in einer größeren Anzahl von Städten wie Wien, Dresden, Weimar, München und Leipzig. Mit diesen mußte Berlin in einen Wettbewerb auf geistigem Gebiet treten, der nicht immer zu seinen Gunsten ausging. 1778 besuchte J O H A N N W O L F G A N G V O N G O E T H E für ein paar Tage die Stadt, 1789 war W O L F G A N G A M A D E U S M O Z A R T in Berlin, 1796 L U D W I G V A N BEETHOVEN, 1804 kam F R I E D R I C H V O N S C H I L L E R etwas länger — aber keinen konnte die Stadt für dauernd anziehen. In Berlin fehlten sowohl eine länger anhaltende Aufstiegsphase eines starken, reichen Bürgertums als auch ein aristokratisches Mäzenatentum, das über Geschmack und Bildung verfügte. Die Politik, die von der preußischen Regierung ausging, trug oft genug reaktionär-repressiven, ja bedrohlichen Charakter. Insbesondere in der den patriotischen Aufschwung der Befreiungskriege und der preußischen Reformen ablösenden Reaktionsperiode mit ihren Demagogenverfolgungen wurden fortschrittliche Studenten und andere progressive Vertreter des Berliner Geisteslebens häufig Schikanen ausgesetzt und sogar unter anderem in der Berliner Hausvogtei (s. A 8.3) eingekerkert. Der Historiker A R N O L D R Ü G E hat die menschenunwürdigen Zustände dieses Kerkerhauses (Stadtvogtei) in seinen Erinnerungen „Aus früherer Zeit" (1863 bis 1867) beschrieben, ebenso (Hausvogtei) auch der Dichter F R I T Z R E U T E R in„Ut mine Festungstid" (1862). Die wirtschaftliche Entwicklung der preußischen Hauptstadt verstärkte jedoch zwangsläufig die materielle Basis der bürgerlichen Interessen und schuf Voraussetzungen, unter denen die Impulse der Französischen Revolution ihr Echo in vielfältigen Reformbestrebungen und in einer allgemeinen Steigerung der Aktivität des bürgerlich geprägten geistigen Lebens in Berlin fanden. Wissenschaft und Kunst waren dabei in engem Kontakt, sowohl in der anregenden, vom Aufklärungsdenken beherrschten Atmosphäre der Berliner Salons als auch in solchen Institutionen wie der 1799 gegründeten Bauakademie, der K A R L F R I E D R I C H S C H I N K E L vorstand, der bedeutendste Baumeister des deutschen Klassizismus. Ein Resultat dieser Entwicklung war auch die 1809 gestiftete und 1810 eröffnete Berliner Universität, die in ihren wesentlich von W I L H E L M V O N H U M B O L D T konzipierten und von belastenden Traditionen freien Anlage einen neuen Universitätstyp darstellte; die Prinzipien einer allseitigen, Wissenschaft und Leben verbindenden Persönlichkeitsbildung und einer forschungsorientierten Lehre waren im europäischen Maßstab vorbildlich, zumal sie von einem erst89
rangigen Lehrkörper verwirklicht wurden. Dieser umfaßte nicht nur hervorragende Fachwissenschaftler, sondern auch als Vertreter der Philosophie nacheinander die führenden Repräsentanten des klassischen deutschen Idealismus J O H A N N G O T T L I E B F I C H T E (er war zugleich Gründungsrektor der Universität), GEORG FRIEDRICH WILHELM H E G E L u n d FRIEDRICH WILHELM JOSEPH
SCHEL-
Zu den .Studenten der Berliner Universität zählten K A R L M A R X und als Gasthörer F R I E D R I C H E N G E L S , der die Universität „das Allerbedeutendste in Berlin" nannte, „das, wodurch die preußische Hauptstadt sich so sehr vor allen andern auszeichnet". Denn: „ E s ist der Ruhm der Berliner Universität, daß keine so sehr wie sie in der Gedankenbewegung der Zeit steht und sich so zur Arena der geistigen Kämpfe gemacht h a t " (Marx-Engels-Werke Ergänzungsbd. II. Teil, 1967, S. 249). Die Wissenschafts-Akademie, deren anwesende Mitglieder nunmehr überwiegend Professoren der Universität waren, hatte in dieser ihr niveaubestimmendes Forschungshinterland. Obwohl auch die Universität unter Repressionen zu leiden hatte, konnte ihr geistiges Niveau in der Reaktionsperiode nach den Karlsbader Beschlüssen (1819) nicht grundsätzlich beeinträchtigt werden. Mit dem Übergang zur Industriellen Revolution in Preußen wurden in Berlin auch die Verbindungen von Wissenschaft und materieller Produktion enger. Initiatoren dieser Entwicklung waren G O T T L O B J O H A N N C H R I S T I A N K U N T H , C H R I S T I A N W I L H E L M P E T E R B E U T H (seit 1819 Direktor der reorganisierten Technischen Deputation für Gewerbe) und K A R L F R I E D R I C H V O N K L Ö D E N . 1820 gründeten K U N T H und B E U T H den „Verein zur Förderung des Gewerbefleißes", im gleichen Jahr errichtete B E U T H die Technische Schule, eine Art Polytechnikum (1826 Gewerbe-Institut, 1866 Gewerbe-Akademie, aus der 1879 durch Vereinigung mit der Bauakademie die Königliche Technische Hochschule hervorging). Unter dem Direktorat K L Ö D E N S entstand 1824 die „Berlinische Gewerbeschule", ein Vorläufer der späteren Realgymnasien, an der auch der LING.
b e r ü h m t e C h e m i k e r FRIEDRICH WÖHLER u n t e r r i c h t e t e .
Tonangebend für das literarische Leben Berlins in der Periode der Romantik waren L U D W I G T I E C K , A U G U S T W I L H E L M S C H L E G E L , H E I N R I C H V O N K L E I S T , A D A L B E R T VON CHAMISSO, C L E M E N S B R E N T A N O , L U D W I G ACHIM VON A R N I M
und
vor allem die Salons der H E N R I E T T E H E R Z und R A H E L V A R N H A G E N . In der Wohnung B E T T I N A V O N A R N I M S verkehrten Männer wie B R U N O B A U E R und M A X S T I R N E R und auch der junge M A R X . Wie kein anderer Schriftsteller dieser Zeit mit der Stadt Berlin verbunden, obwohl keineswegs das, was die Berliner selbst unter berlinisch verstehen, war E R N S T T H E O D O R A M A D E U S H O F F M A N N , in dessen weltweit wirksamen Dichtungen diese Stadt des öfteren Schauplatz der Ereignisse ist. H E I N R I C H H E I N E hat eine kurze Studienzeit in Berlin verlebt und in den „Briefen aus Berlin" (1822) die Atmosphäre jener Jahre geschildert. Begründer einer eigenständigen Berliner Lokalliteratur wurden L o u i s A N G E L Y , A D O L F G L A S S B R E N N E R und D A V I D K A L I S C H . Im irfusikalischen Leben Berlins spielte die Singakademie, die, nach dem Tode C A R L F R I E D R I C H F A S C H S , von C A R L F R I E D R I C H Z E L T E R geleitet wurde, eine große Rolle. Z E L T E R setzte auch durch, daß an der Universität ein Musikseminar eingerichtet wurde und die Königliche Bibliothek (s. A 7.9) eine spezielle Musikabteilung erhielt. 1827 zog die Singakademie in ihr eigenes Gebäude, das heutige Maxim-Gorki-Theater (s. A 7.5). In diesem Haus fand auch nach langpr Vergessenheit die berühmte 90
Wiederaufführung von
B A C H S Matthäus-Passion unter statt ( 1 8 2 9 ) . Neben den Aufführungen der stärker vom höfischen Leben bestimmten Oper Unter den Linden waren es besonders die Opernaufführungen im Theater am Gendarmenmarkt (s. A 9.2), dem heutigen Platz der Akademie, die zur Entwicklung der deutschen Oper vor allem durch die Pflege der Werke C H R I S T O P H W I L L I B A L D V O N G L U C K S und M O Z A R T S und die Uraufführung des „Freischütz" von C A R L M A R I A V O N W E B E R am 18. Juni 1821 entscheidend beitrugen. Im 19. Jh. wurde Berlin mit dem reichen realistischen Schaffen von A D O L P H M E N Z E L , M A X L I E B E R M A N N , K Ä T H E K O L L W I T Z , H E I N R I C H Z I L L E , M A X S L E V O G T und L o v i s C O R I N T H ZU einem der führenden Zentren der deutschen realistischen Malkunst. Die K ä m p f e der Revolution von 1848 waren auch in Berlin ein Höhepunkt bürgerliGh-demokratischen Denkens und Handelns, und die Niederlage der Revolution bedeutete gleichzeitig den Beginn einer Umorientierung der tonangebenden Schicht der Bourgeoisie auf einen Klassenkompromiß mit dem Junkertum als W e g zur Teilhabe an der Staatsmacht, der mit der unter Führung OTTO F Ü R S T V O N B I S M A R C K S durchgesetzten Reichsgründung unter preußischer Hegemonie mit „ B l u t und Eisen" besiegelt wurde. Damit waren in der Berliner Philosophie und Geisteswissenschaft Tendenzen des zunehmenden Verlustes der großen progressiven Ideen aus der Aufstiegsperiode des Bürgertums, des Vordringens chauvinistischer und militaristischer Apologetik einerseits (bis hin zu Extremen wie H E I N R I C H V O N T R E I T S C H K E ) , des positivistischen Rückzuges auf akribische Faktologie und der Verstärkung der darauf gegründeten „soziotechnischen" Aktivitäten zum Entwurf von Herrschaftsinstrumenten (Staats-, Wirtschafts- und Patentrecht, Massenpresse usw.) andererseits verbunden. Die marxistische Theorie war aus dem offiziellen Wissenschaftsbetrieb ausgeschlossen ; sozialdemokratische Betätigung von Wissenschaftlern wurde verfolgt (LEX ARONS) . Gleichzeitig vollzog sich ein grandioser Aufschwung der Natur- und Technikwissenschaften in Verbindung mit der kapitalistischen Industrie, vor allem der Elektroindustrie (Siemens & Halske A E G ) ; an diesem Aufschwung partizipierten auch Medizin, Veterinärmedizin und Landwirtschaftswissenschaft. Das preußische Kultusministerium entwickelte sich zu einem vor allem in Berlin wirksamen Organ staatlicher Wissenschaftslenkung. Wichtige Ereignisse waren: die Gründung der Technischen Hochschule Charlottenburg (1879); die Bildung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt mit H E R M A N N L U D W I G F E R D I N A N D V O N H E L M H O L T Z als erstem Präsidenten, die in ihrem Aufgabenprofil den Bogen von der physikalischen Grundlagenforschung bis zum technischen Meß- und Prüfwesen schlug und erstmals in größerem Umfang die hauptberufliche Ausübung von Forschung ermöglichte (1887); die zum Jubiläum der Technischen Hochschule erfolgte Verleihung des Promotionsrechts, die den Prozeß der Emanzipation der Technikwissenschaften im wesentlichen abschloß ( 1 8 9 9 ) ; die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft unter der Präsidentschaft A D O L F V O N H A R N A C K S als einer nach staatsmonopolistischen Prinzipien aufgebauten und von den kapitalstarken Konzernen beeinflußbaren Großorganisation der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung, deren wichtigste Institute — unter Vorrang der Chemie — bis zum Ende des ersten Weltkrieges vor allem in Berlin errichtet wurden ( 1 9 1 1 ) . Technische Hochschule und Universität JOHANN
SEBASTIAN
FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY
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wurden zu Einrichtungen der Massenausbildung wissenschaftlich qualifizierter Kader. Die Universität hatte 1914 rund 13500 Studenten und 525 Lehrkräfte. Auf einer Reihe wichtiger Gebiete erreichte die Berliner Wissenschaft vor dem ersten Weltkrieg Spitzenpositionen, wobei Physik und Chemie besonders in den Vordergrund traten und die markantesten, für das Weltbild bedeutsamsten Entdeckungen die Quantenhypothese ( M A X P L A N C K , 1900) und die allgemeine Relativitätstheorie ( A L B E R T E I N S T E I N , 1916) waren. Nach der Stiftung des Nobelpreises war Berlin für längere Zeit unter allen Städten diejenige, in der die größte Zahl an Nobelpreisträgern tätig war. Das Klima der Berliner Naturwissenschaften war durch die zielstrebige Förderung einer Reihe neuer Richtungen gekennzeichnet, so der Lehre von den Infektionskrankheiten ( R O B E R T K O C H ) , der Biochemie ( E M I L F I S C H E R , A L B R E C H T K O S S E L , E D U A R D B U C H N E R ) , der physikalischen Chemie ( W A L T H E R N E R N S T ) , der Genetik ( E R W I N B A U R , C A R L E R I C H C O R R E N S ) U. a .
Die Zunahme reaktionären Gehaltes in den bürgerlichen Geisteswissenschaften bedeutete nicht, daß das demokratisch-humanistische Potential des bürgerlichen Denkens gänzlich erschöpft gewesen wäre. E s behauptete sich vor allem in solchen Wissenschaftszweigen, die den politischen Zielen des Bündnisses von Junkertum und Großbourgeoisie ferner standen — beispielsweise in der glanzvollen Berliner Altertumswissenschaft ( T H E O D O R M O M M S E N , H E R M A N N D I E L S u. a.) —, und in verschiedenen Gattungen der Kunst. So wurde Berlin gegen Ende des 19. Jh. zu einer Musikstadt von internationalem Format, als 1887 H A N S V O N B Ü L O W die Leitung des erst vor wenigen Jahren gegründeten „Philharmonischen Orchesters" übernahm. Dirigenten wie H E R M A N N L E V I , E R N S T V O N S C H U C H , R I C H A R D S T R A U S S — der vorwiegend eigene Werke dirigierte — und vor allem A R T H U R N I K I S C H gaben diesem Orchester seinen einzigartigen Weltruf. A b 1922 stand W I L H E L M F U R T W Ä N G L E R an der Spitze der Philharmonie. Mit den Volkskonzerten, in denen Aufführungen von allerhöchstem Niveau einem breiten Publikum dargeboten wurden, fügte sich dieses Orchester in die besondere Eigenart des Berliner Musiklebens ein. Auch für Malerei, Literatur und Theater blieb Berlin ein anregendes Milieu. W I L H E L M R A A B S — der, wie viele andere auch, nur vorübergehend in der Stadt weilte — schuf in seiner Erzählung „Die Chronik der Sperlingsgasse" (1857) eines der berühmtesten und für die Entwicklung einer speziellen Berliner Lokalliteratur folgenreichsten Bücher. Seine literarische Geltung und künstlerische Eigenart als Stadt, die einen nüchternen und sozialkritischen Realismus fördert, befestigte Berlin mit den anfangs nur wenig beachteten Romanen T H E O D O R F O N T A N E S und den vom Hofe abgelehnten Dramen G E R H A R T H A U P T M A N N S . In den realistischen Werken dieser beiden großen Schriftsteller haben die Stadt Berlin, ihre Menschen, ihre Umgebung des öfteren hervorragende Gestaltung gefunden. Mit den Aufführungen der Dramen G. H A U P T M A N N S im Deutschen Theater (s. A 11.15) unter der Leitung von O T T O B R A H M begann auch die neuere Geschichte Berlins als einer bekannten Theaterstadt. Aus Österreich kam der Regisseur und Theaterleiter M A X R E I N H A R D T , der 1905 das .Deutsche Theater übernahm und dessen Schaffen für viele Theaterkünstler in aller Welt zum Vorbild wurde; wie kein anderer verhalf er der Regie als Kunst zum Durchbruch.
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Allerdings erzeugte die tiefe soziale Widersprüchlichkeit des Lebens in der fieberhaft wachsenden Hauptstadt des auf einen imperialistischen Krieg zusteuernden Reiches auch einen oberflächlichen, bohfemehaften, gesellschaftlich verantwortungslosen Kunstbetrieb, der zu einer kritischen Sicht der Rolle Berlins im geistig-kulturellen Leben Deutschlands Anlaß gab, während die nationale Spitzenposition der Hauptstadt auf wissenschaftlichem Gebiet unbestritten blieb. E s mag ein wenig Zufall gewesen sein, daß gerade im Jahre 1900 der Roman „ I m Schlaraffenland" von H E I N R I C H M A N N erschien, in dem der Autor die „bessere Gesellschaft" Berlins und die Literaten- und Künstler-Boheme verspottete. „Dumm, ruchlos und glücklich" — das war das letzte Wort dieses Romans über die Berliner „deutsche Geisteskultur" im „Schlaraffenland" der Reichen, Mächtigen und Eingebildeten. Eine andere Gruppe von Künstlern und Autoren dagegen kritisierte das Berliner Kulturleben, weil es ihnen zu realistisch, zu urban, zu demokratisch, zu fortschrittlich war. F. LIENHARD, einer der Sprecher der völkischen Heimatliteraturbewegung, veröffentlichte die Schrift „ L o s von Berlin!", an die die Programmatik der späteren zum Faschismus führenden Blut- und Boden-Literatur anknüpfte. Die tiefgehende Aushöhlung des traditionellen bürgerlichen Intellektuellenhumanismus und die chauvinistische Pervertierung der Vaterlandsidee in der imperialistischen Periode offenbarten sich mit voller Deutlichkeit im ersten Weltkrieg. Zahlreiche bedeutende Vertreter des Berliner Geisteslebens bewilligten mit ihrer Unterschrift unter den Aufruf „ A n die Kulturwelt" (1914) das aggressive Vorgehen des deutschen Militarismus, während der von A L B E R T E I N S T E I N und G. F . N I C O L A I verfaßte Gegenaufruf „ A n die Europäer" nur geringe Unterstützung fand. Verschiedene reaktionäre Berliner Wissenschaftler stellten sich in den Dienst der Kriegspropaganda ( D I E T R I C H S C H Ä F E R , R E I N H O L D S E E B E R G u. a.), und die Berliner Naturwissenschaft — insbesondere in den neuen KaiserWilhelm-Instituten — wurde in großem Umfang für Kriegsforschungen bis hin zur Entwicklung neuer Massenvernichtungsmittel (FRITZ HABER) eingesetzt. Obwohl die führenden Vertreter der deutschen Linken ( K A R L L I E B K N E C H T , R O S A L U X E M B U R G ) in ihrem leidenschaftlichen Kampf gegen Militarismus und Krieg unbeugsames proletarisches Klassenbewußtsein mit hoher intellektueller Kultur verbanden, fanden sie in den bornierten Kreisen der bürgerlichen Berliner Intelligenz k a u m Resonanz. Nur wenige bedeutende Wissenschaftler wie A L B E R T E I N S T E I N bezogen offen antimilitaristische Positionen. Die Auswirkungen der siegreichen sozialistischen Oktoberrevolution 1917 und der deutschen Novemberrevolution 1918 brachten neue Akzente und Differenzierungen in das geistige Leben Berlins. Während sich bei der überwiegenden Mehrheit der Wissenschaftler die politischen und weltanschaulichen Haltungen nur zögernd oder gar nicht änderten, reagierten Kunst und Publizistik sensibler auf die welthistorischen Wandlungen. In bewußtem Gegensatz zur brutalen und oftmals offen konterrevolutionären Politik der verschiedenen Regierungen der Republik, in beständiger Auseinandersetzung mit dem sich neu formierenden Militarismus und den offen reaktionären Unrechtspraktiken der Weimarer Justiz, mit den im ganzen Lande wachsenden Strömungen von Irrationalismus und Rassismus, konzentrierten sich in Berlin linksbürgerliche Schriftsteller, Künstler 8
Werte, Berlin
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und Publizisten wie A L F R E D D Ö B L I N , K U R T T U C H O L S K Y , C A R L V O N O S S I E T Z K Y , organisierte sich hier an der Seite der Kommunistischen Partei eine außerordentlich breite proletarische Kultur- und Literaturbewegung mit einem eigenen System des Vertriebs und der Kommunikation. Nach der Novemberrevolution schrieb H E I N R I C H M A N N einen Essay „Berlin", in dem er die Stadt „ohne Glanz und Fülle" pries und sich von ihr erhoffte, sie würde nunmehr ein „Zivilisationsherd" und eine „Schule der Demokratie" werden. Viele Autoren übersiedelten in diesen Jahren aus anderen Städten nach Berlin, weil sie ähnliche Hoffnungen hegten. Aus solchen Beweggründen kamen auch LION FEUCHTWANGER, ARNOLD ZWEIG und BERTOLT
BRECHT.
In der Weimarer Republik verfolgte der deutsche Imperialismus die bereits in den letzten Kriegsjahren eingeleitete Strategie, mit Hilfe einer durchgreifenden Rationalisierung und Intensivierung der Produktion verlorene Positionen zurückzuerobern und die militärische Revanche vorzubereiten. Damit erhöhte sich der Stellenwert der Wissenschaft im machtpolitischen Kalkül des Imperialismus außerordentlich, und die Mechanismen ihrer staatsmonopolistischen Steuerung erreichten eine wesentlich umfassendere Wirksamkeit. Die wichtigste Neuerung auf diesem Gebiet war die 1920 in Berlin gegründete und von F R I E D R I C H S C H M I D T OTT geleitete Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft (seit 1929: Deutsche Forschungsgemeinschaft), ergänzt durch ein ganzes Ensemble spezifischer Förderorganisationen des Monopolkapitals. Die durch Krieg, Nachkriegsnöte, Inflation und Wissenschaftsboykott der Entente untergrabenen internationalen Positionen der Berliner Naturwissenschaft und Medizin wurden so verhältnismäßig schnell wieder gefestigt und neu erobert, beispielsweise in der Mathematik ( I S S A I S C H U R , E R H A R D S C H M I D T u. a.). Die Tendenz, vielversprechende neue Gebiete entschlossen zu institutionalisieren, setzte "sich fort: z. B . erhielt der fortschrittliche Sozialdemokrat A L F R E D G R O T J A H N 1920 an der Berliner Universität, gegen den Widerstand der medizinischen Fakultät, den in Deutschland ersten Lehrstuhl für Sozialhygiene. M A X H E R R M A N N erreichte mit der Gründung des Theaterwissenschaftlichen Instituts 1923 erstmals in der Welt die Anerkennung dieses Gebietes als Hochschuldisziplin, das 1923 W A L T E R F R I E D R I C H übertragene Ordinariat für medizinische Physik war der einzige Lehrstuhl dieser Art in Deutschland. Der hohe Stand von Physik und Elektrotechnik in Berlin ermöglichte einen Vorsprung auf dem Gebiet der elektronischen Medien (1923 erster Rundfunksender, 1926 Bildtelegrafiestrecke Berlin—Leipzig, 1928 Heinrich-Hertz-Institut für Schwingungsforschung unter K A R L W I L L Y W A G N E R , 1928 erste Fernsehversuchsvorführungen auf der 5. Funkausstellung in Berlin, 1931 Demonstration eines prinzipiell neuartigen vollelektronischen Fernsehsystems durch M A N F R E D V O N A R D E N N E auf der 8 . Funkausstellung). Zugleich wurde Berlin zu einem Zentrum der Filmproduktion (einschließlich des Übergangs zum Tonfilm: 1928 Gründung der Gesellschaft „Klangfilm"). Die Monopolbourgeoisie bediente sich — unter Berücksichtigung des durch den Übergang zu intensiveren Formen der Ausbeutung (1921 Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit) erhöhten Freizeitfonds der Werktätigen — der attraktiven neuen Medien zu Zwecken ideologischer Manipulation; insbesondere im Filmwesen konnten jedoch auch engagierte Demokraten bedeutende künstlerische Leistungen vollbringen. In Berlin 94
trafen die neuen revolutionären Ideen, die von der K u l t u r und K u n s t des jungen Sowjetlandes ausgingen — vor allem die „Russenfilme", die einen unvorstellbaren Erfolg hatten — , und der kulturelle Einfluß des Amerikanismus, der Technikkult, die Musik des Jazz, so heftig wie nirgendwo sonst aufeinander. Berlin war Zentrum der deutsch-sowjetischen Kulturbeziehungen, die sich in den zwanziger Jahren auf der Grundlage des Rapallo-Vertrages als ein prinzipiell neuartiger T y p der internationalen Zusammenarbeit im R a h m e n der Politik der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung entwickelten und auch von konservativen Wissenschaftlern und Politikern unterstützt wurden ( O T T O H O E T Z S C H , F . S C H M I D T - O T T ) . Besondere Höhepunkte waren Veranstaltungswochen, in denen führende sowjetische Wissenschaftler mit Vortragsprogrammen auftraten (Russische Naturforscherwoche 1927, Sowjetische Historikerwoche 1928, Deutsch-Sowjetische Medizinerwoche 1932). Die Zusammenarbeit wurde von progressiven Organisationen gefördert, insbesondere von der 1923 gegründeten „Gesellschaft der Freunde des neuen Rußland", die von dem kommunistischen Journalisten E R I C H B A R O N geleitet wurde und an der bedeutende Berliner Wissenschaftler und Techniker a k t i v mitwirkten (Graf A R C O , A . E I N S T E I N , W I L H E L M W E S T P H A L , O S C A R V O G T u. a.). Die Bemühungen der K P D , ein breites Bündnis zur A b w e h r der faschistischen Gefahr zu schaffen, wurden in Berlin v o n einer ganzen Reihe hervorragender Künstler unterstützt, fanden aber unter den Wissenschaftlern nur wenig Resonanz. Der Nazismus infiltrierte das geistige Leben Berlins bereits vor der Machtübernahme und sicherte sich eine Reihe v o n Positionen in der Berliner Wissenschaft, insbesondere in der reaktionären Studentenbewegung und in dem 1927 gegründeten „Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erbl e h r e u n d E u g e n i k " ( E . FISCHER, OTHMAR VON VERSCHUER), d a s p s e u d o w i s s e n -
schaftliche Grundlagen für den rassistischen Naziterror schuf. Unmittelbar nach der Machtergreifung der Faschisten wurden auch in Berün die progressiven Intellektuellen in großer Zahl aus ihren Stellungen und Funktionen gedrängt und vielfältigen Repressionen unterworfen. Aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" wurde an der Berliner Universität 234 und an der Technischen Hochschule fast 100 Wissenschaftlern die Lehrbefugnis entzogen. H. MANN wurde genötigt, seinen Posten als Präsident der Sektion Dichtkunst der Akademie der Künste niederzulegen. A m 10. Mai 1933 brannten auf dem Berliner Opernplatz die Scheiterhaufen, auf die verhetzte Studenten die Bücher der besten deutschen Geister warfen. Zu dieser Zeit waren bereits fast alle, die einmal den R u h m des Berliner Kulturlebens ausgemacht hatten, im E x i l oder in den Kerkern der Faschisten. Viele hervorragende Wissenschaftler wie A . E I N S T E I N und E R W I N S C H R Ö D E R mußten Deutschland verlassen. Nichtsdestoweniger wurden in Berlin immer noch wissenschaftliche Höchstleistungen vollbracht — in Fortsetzung langjähriger Forschungstraditionen, deren Vertreter sich vor der abschreckenden faschistischen Wirklichkeit durch Konzentration auf ihre fachliche Arbeit abzuschirmen suchten, oder im R a h m e n forschungsintensiver Monopole, die im Profitinteresse die Entwicklung konzerneigener Forschungskapazitäten weiterführten: 1935 erstes funktionsfähiges Betatron-(MAX S T E E N B E C K ) , 1937 Raster-Elektronenmikroskop ( M . V O N A R D E N 8*
95
N E ) , 1938 Urankernspaltung ( O T T O H A H N , F R I T Z S T R A S S M A N N ) , 1940 programmgesteuerter Relaisrechner ( K O N R A D Z U S E und andere). Insgesamt erfolgte jedoch ein unaufhaltsamer Niedergang der Wissenschaft, ihre weitestgehende Unterwerfung unter die Ziele des faschistischen Aggressionskrieges (das vor allem in Berlin verfolgte Atombombenprojekt wurde bereits 1942 abgebrochen; die Arbeiten an Fernraketen und ferngelenkten Geschossen führten jedoch zu neuartigen Massenvernichtungsmitteln) und ein genereller Rückgang der Studentenzahlen. Berliner Intellektuelle gaben ihr Leben im antifaschistischen Widerstandskampf ( W A L T E R A R N D T , G E O R G G R O S C U R T H , A R V I D H A R N A C K , MILDRED SEN,
HARNACK-FISH,
ERHARD
(LIANE
THOMFOR
BERKOWITZ,
HANSHEINRICH U.
KUMMEROW,
HARRO
SCHULZE-BOY-
a.); unter ihnen befanden sich auch Studenten
EVA-MARIA
BUCH,
URSULA
GOETZE,
HORST
HEILMANN,
LILO HERRMANN, ROSEMARIE TERWIEL). W ä h r e n d d e s f a s c h i s t i s c h e n
Krieges
wurden die wissenschaftlichen und künstlerischen Einrichtungen Berlins zum großen Teil zerstört. Nach der Befreiung Berlins durch die Sowjetarmee begann unverzüglich auch der kulturelle Neuaufbau auf einer geistigen und materiellen Trümmerstätte; die antifaschistischen Intellektuellen, die sich eng an die Aktionsgemeinschaft der Arbeiterparteien und die aus dieser im April 1946 hervorgegangenen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands anschlössen, engagierten sich von der ersten Stunde an für die Bekämpfung der faschistischen Ideologie, für die Beseitigung ihrer verborgenen Überreste, für die Überwindung von Apathie und Resignation und für die Verbreitung alten und neuen antifaschistisch-demokratischen Gedankengutes. Eine unschätzbare Hilfe beim kulturellen Neuaufbau leistete die sowjetische Militärverwaltung, in der eine ganze Reihe von Wissenschaftlern in Uniform mitarbeitete. Endlich erhielt im wissenschaftlichen Leben Berlins die Theorie des Marxismus-Leninismus den ihr gebührenden Platz. Große Verdienste um den Aufbau eines neuen, fortschrittlichen Kulturlebens in Berlin erwarb sich der bereits im Juli 1945 gegründete „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" mit seinem aus dem Exil zurückgekehrten Präsidenten J O H A N N E S R . B E C H E R , dem späteren ersten Kulturminister der D D R , und seinem Vizepräsidenten B E R N H A R D K E L L E R M A N N . Deutsche Kulturschaffende von Weltruf, die unter dem faschistischen Regime emigrieren mußten, begrüßten noch aus dem Ausland die neuen Bestrebungen — unter ihnen H . M A N N , der noch im Februar 1933 zusammen mit anderen Berliner Intellektuellen mit einem Plakat zur Bildung einer gemeinsamen Front gegen den Faschismus aufgerufen hatte. Im Mai 1948 veröffentlichte er in der „Weltbühne" wiederum „Ein W o r t an Berlin", in dem er den Berlinern zurief: „ K ä m p f t unerbittlich für einen Staat, der dem Volk nicht nur verantwortlich, der verkörpert ist in ihm! Ist denn das Leben gewonnen, werdet ihr die geliebte Hauptstadt des freien Deutschland sein!" Im Oktober 1949, kurz vor der beabsichtigten Rückkehr in die Hauptstadt der D D R , sprach H. MANN in der Zeitung „Neues Deutschland" die Hoffnung für Berlin aus, daß die Arbeiterklasse nunmehr „die endlich geliebte Hauptstadt" bringe. Bereits im Aktionsprogramm der K P D vom 11. Juni 1945 und dann, detaillierter, auf der I. Kulturkonferenz der K P D im Februar 1946, an der auch parteilose 96
Wissenschaftler teilnahmen, wurden die Grundlinien des Bündnisses v o n Arbeiterklasse und Intelligenz beim Neuaufbau entwickelt. Wichtige Impulse für den Neubeginn des wissenschaftlichen Lebens in Berlin gingen von der im Herbst 1945 gebildeten Zentralverwaltung für Volksbildung aus, die v o n P A U L W A N D E L geleitet wurde und in der R O B E R T R O M P E als Hauptabteilungsleiter tätig war. I m Januar 1946 wurde die Berliner Universität, im August des gleichen Jahres die Akademie der Wissenschaften nach umfangreichen Vorbereitungen und konsequenter Entnazifizierung neu eröffnet; an der Spitze beider Einrichtungen stand J O H A N N E S S T R O U X . Als Stadtrat im ersten Berliner Magistrat setzte sich F E R D I N A N D S A U E R B R U C H für den Neuaufbau des Gesundheitswesens ein. Mit der demokratischen Schulreform und der Eröffnung einer Vorstudienanstalt an der Berliner Universität (1946), aus der die spätere Arbeiter- und B a u e r n - F a k u l t ä t hervorging, wurde das bürgerliche Bildungsprivileg endgültig gebrochen. A k t i visten der ersten Stunde waren in der Berliner Wissenschaft unter anderem auch die Pädagogen R O B E R T A L T und H E I N R I C H D E I T E R S , die Mediziner T H E O D O R BRUGSCH,
HELMUT K R A A T Z u n d W A L T E R STOECKEL, die
Sprachwissenschaftler
und W O L F G A N G S T E I N I T Z , der Biophysiker W A L T E R F R I E D R I C H , der Wirtschaftswissenschaftler J Ü R G E N K U C Z Y N S K I und der Historiker A L F R E D M E U S E L . In der K u n s t und Literatur konnte Berlin an seine besten Traditionen anknüpfen. Schriftsteller mit einer reichen Welterfahrung wie VIKTOR
BERTOLT
KLEMPERER
BRECHT,
ANNA
SEGHERS,
FRIEDRICH
WOLF,
LUDWIG
RENN
und
kehrten aus dem E x i l nach Berlin zurück; zugleich arbeiteten auch Künstler, die während des Faschismus in Berlin geblieben waren, a m Neuaufbau einer w a h r h a f t demokratischen K u l t u r mit. A m 7. September 1945 fand die Wiedereröffnung des Deutschen Theaters mit L E S S I N G S Stück „ N a t h a n der Weise" statt, mit P A U L W E G E N E R als N a t h a n und E D U A R D V O N W I N T E R S T E I N als Klosterbruder. Schon in den fünfziger Jahren erlangte die H a u p t s t a d t der D D R mit dem Berliner Ensemble (s. A 11.16), an dem B . BRECHT — der größte deutsche Dramatiker des 20. Jh. — als Regisseur seine Ideen künstlerisch erstmals voll in der Praxis des Theaters durchsetzen konnte, der Komischen Oper (s. A 7.13) W A L T E R F E L S E N S T E I N S , die zum Inbegriff des realistischen Musiktheaters wurde, dem Deutschen Theater (s. A 11.15), der neuerbauten Staatsoper (s. A 7.18), der Volksbühne am Luxemburgplatz (s. A 3.1), dem Maxim-Gorki-Theäter (s. A 7.5) und dem Friedrichstadtpalast-Varieté (s. A 11.17) den Ruf einer Weltstadt des Theaters. Mit der Gründung der D D R wurde zugleich ein entscheidender Schritt zur Entwicklung einer reichen, vielgestaltigen sozialistischen K u l t u r in ihrer Hauptstadt vollzogen. Viele namhafte Schriftsteller und Künstler, Pädagogen und Juristen, Techniker, Ä r z t e und Wissenschaftler haben seither dazu beigetragen, daß Berlin in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts als H a u p t s t a d t eines sozialistischen Staates im Herzen Europas zu einem kulturellen Zentrum wurde, v o n dem immer wieder Initiativen zur Sicherung des Friedens und zur Verteidigung des Humanismus ausgingen. ARNOLD ZWEIG
H. Laitko — H.
Kahler
97
3.9 Z u r d e m o g r a p h i s c h e n
Entwicklung
Für die Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg (1618 — 48) sind keine genaueren Angaben zur Bevölkerungsentwicklung in Berlin und Kölln überliefert. Im 14. und 15. Jh. lebten schätzungsweise 6 000 bis 7 000 Personen in den beiden Städten (s. 3.1); sie wurden von einem Rat, den die Patrizierfamilien stellten, regiert. Das waren die mächtigen Kaufmannsfamilien, die den Fernhandel betrieben, auf dem der Aufstieg der Städte basierte. Die übrigen Einwohner mit vollem Bürgerrecht, die kleineren Kaufleute, die Krämer und Handwerker, hatten keinen Anteil an der Regierung der Städte. E t w a die Hälfte der städtischen Bevölkerung stellten die Gesellen und Lehrlinge, Knechte, Mägde und Tagelöhner. Sie hatten kein Bürgerrecht und wurden durch Meister und Dienstherren unterdrückt. Bei geringem Lohn hatten sie den üblichen vierzehn- bis sechzehnstündigen Arbeitstag. In besonders rechtloser und unterdrückter Lage befand sich die kleine Gruppe Juden, die in den Städten ansässig war; 1573 wurden sie aus der Mark ausgewiesen. Eine einflußreiche Bevölkerungsgruppe bildete auch der Klerus, der sich auf die großen Pfarrgemeinden wie auf das Franziskaner- und das Dominikanerkloster stützte. Als es 1442 zu sozialen Auseinandersetzungen zwischen den Handwerkern und dem R a t kam, nutzte das Kurfürst F R I E D R I C H II. (1440 — 70), um die damals eine Union bildenden Städte Berlin und Kölln wieder zu trennen und ihnen ihre Machtstellung zu nehmen. Es gelang den Bürgern nicht,"ihre Rechte zurückzuerobern, der Unwille der Berliner endete 1447/48 mit einer Niederlage. Die Einschränkung der Autonomie der Städte in den Jahren 1442 und 1448, die Errichtung des Schlosses auf der Köllner Insel sowie schließlich die Einrichtung der Residenz der brandenburgischen Kurfürsten seit dem zweiten Viertel des 16. Jh. führten zu erheblichen Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur. Kurfürstliche Hofleute, Beamte und Geistliche sowie der Hofhaltung verbundene Adlige bildeten nunmehr die einflußreichsten Bevölkerungsgruppen. Die Hofhaltung und -Verwaltung sowie die zuziehenden Adligen vergrößerten die Bevölkerung. Die Zahl der Handwerker für den Hof wie Krämer, Bäcker, Schneider, Schuhmacher, Tischler usw. nahm zu. Den kurfürstlichen Dienern und Beamten wurde eine bevorrechtete Stellung eingeräumt. Besonders Berufsgruppen, die mit den Bau- und Kunstanforderungen zu tun hatten, zum Beispiel Maurer, Zimmerer, Baumeister, Bildhauer, Kunstmaler, Musiker, Zeichner, Drucker usw., fanden in den beiden Städten Arbeit. Der Konsum des Hofes und die Bedürfnisse der zugezogenen Bevölkerungsgruppen boten den Kaufleuten, die politischen und ökonomischen Einfluß eingebüßt hatten, neue Möglichkeiten zur Kapitalakkumulation. Die Einwohnerzahl lag im 16. Jh. bei etwa 12000 (Anhang 3). Verheerend wirkte sich der Dreißigjährige Krieg aus. Beide Städte wurden zwar nicht mit Gewalt erobert oder geplündert, sie mußten sich jedoch mehrmals durch hohe Geldsummen von einer längeren Besetzung loskaufen. Handel und Gewerbe erlebten durch den Krieg einen starken Niedergang. Mißernten und landesherrliche Abgaben, Verpflichtungen zum Festungsbau lasteten auf den Einwohnern. Dazu kamen die epidemischen Krankheiten, die sich, begünstigt 98
durch das Kriegsgeschehen, schnell ausbreiten konnten. Schon 1450 und 1506 hatte die Pest große Opfer gefordert, auch jetzt wütete sie wiederholt in den Städten. Allein 1631 wurden über 2000 Menschen Opfer dieser Seuche. Lebten 1618 etwa 12000 Menschen in Berlin und Kölln, waren es 1648 nur noch rund 6000. * Kurfürst F R I E D R I C H W I L H E L M (1640 — 88), in der borussischen Geschichtsschreibung auch als der Große Kurfürst bezeichnet, trieb die Bevölkerung zum Wiederaufbau und weiteren Ausbau der beiden Städte an, und 1654 lebten hier wieder ungefähr 10000 Menschen. Neben der natürlichen Vermehrung der Bevölkerung und dem Zuzug aus der näheren Umgebung wuchs die Einwohnerschaft durch Einwanderung. Stadthistorisch relevant wurde die Ansiedlung von Hugenotten aus Frankreich (s. 3.1), und seit 1671 wurde audh wieder Juden die Niederlassung in der Stadt gestattet. Während die kleineren neu entstandenen Ansiedlungen vor den Toren im N, O und W , die Spandauer Vorstadt, die Georgenvorstadt, die Stralauer Vorstadt, die Köpenicker Vorstadt, die Leipziger Vorstadt und die Köllner Vorstadt, das damalige Neukölln, zu Berlin und Kölln gerechnet wurden, erhielten 3 andere Ansiedlungen Stadtrechte. Dem Werder gab Kurfürst F R I E D R I C H W I L H E L M bereits 1660 unter dem Namen Friedrichswerder ein erstes Stadtprivileg. 1670 wurde die Ansiedlung zur „Residenzstadt und Feste Friedrichswerder" erhoben. Nördlich von Friedrichswerder förderte die Kurfürstin D O R O T H E A eine Niederlassung, die 1674 als „Vorstadt vor dem Tor des Friedrichswerder" städtische Rechte erhielt und ab 1776 Dorotheenstadt genannt wurde. Schließlich beschloß Kurfürst F R I E D R I C H III. (1688—1713, seit 1701 als erster preußischer König F R I E D R I C H I. genannt), bereits im Jahre 1688 die Einrichtung der Friedrichstadt, diese wurde 1691 selbständige Stadt (s. Ag). Von 1695 bis 1705 trafen im Durchschnitt jährlich 600 Emigranten aus verschiedenen Ländern in Berlin ein. Zeitweise bestand fast ein Viertel der Bewohner der 5 Städte aus zugewanderten Ausländern. 1685 betrug deren Einwohnerzahl 17500. Im Jahre 1700 hatten die Städte 28500 Einwohner, davon war etwa die Hälfte deutscher Herkunft. In den folgenden Jahren entstanden verschiedene Vorstadtsiedlungen vor den Toren Köllns und Berlins im O und N. Die 5 Städte mit ihren 57000 Einwohnern, davon 6000 Militärangehörigen und Hofbediensteten, wurden 1709 durch König F R I E D R I C H I. mit Wirkung vom 1. Januar 1710 zu einer Stadt, Berlin, vereinigt. Bereits im Dreißigjährigen Krieg war eine Garnison von 1000 Mann in die Städte Berlin und Kölln gelegt worden. 1656 umfaßte sie 2000, 1710 schon 5000 Mann. Einquartierungen bzw. der Freikaiif davon belasteten die Einwohner in besonderem Maße. Mit dem Regierungsantritt F R I E D R I C H W I L H E L M S I. (1713 — 40), des „Soldatenkönigs" begannen Zwangsrekrutierungen; so haben beispielsweise aus diesem Grunde 1713/14 Tausende Personen Berlin verlassen, darunter zahlreiche Handwerker; allein die Zahl der Schustergesellen sank nach einem Jahr unter dem „Soldatenkönig" von 430 auf 140. Im Jahre 1733, als die verschiedenen Regimenter Ergänzungsbezirke zugewiesen bekamen, sah sich der König gezwungen, Berlin und anderen Gewerbezentren die sogenannte Kantonfreiheit zuzubilligen, d. h., sie blieben von Werbemaßnahmen verschont. 99
Die Gesamtbevölkerung Berlins betrug 1740 einschließlich der Militärangehörigen über 81000. 1747 zählte man 107000 Einwohner (22000 in der Garnison, 7 200 in der französischen Kolonie, 1500 in der böhmischen Kolonie, 2 000 in der jüdischen Gemeinde). Von den 85000 Zivileinwohnern Berlins lebten 18300 in Alt-Berlin, 1 1 8 0 0 in Kölln, 5 200 im Friedrichswerder, 4 500 in der Dorotheenstadt, 25700 in der Friedrichstadt, 5200 in der Köllner Vorstadt, 3000 im Stralauer Viertel, 6800 im Spandauer Viertel und 4700 im Königsviertel. Während des Siebenjährigen Krieges 1756—63 sank die Zahl der Einwohner von rund 127000 auf 98000. Das nachfolgende erneute Bevölkerungswachstum wurde maßgebend durch die Garnison und die Gewerbeentwicklung bestimmt. Nach dem Siebenjährigen Krieg lagen zumeist 30000 Militärangehörige in Berlin. Die Militärbevölkerung stellte zeitweise ein Viertel der Gesamtbevölkerung, die 1790 die Einwohnerzahl von 150000 überschritt (Anhang B). Durch die vom Staat geförderte Entwicklung des Textilgewerbes in Berlin wurde die Stadt zu einem Zentrum der Textilproduktion. Um 1800 war jeder achte Berliner im Textilgewerbe beschäftigt, insgesamt etwa 18000 Einwohner. Andere Berliner arbeiteten in Zuckerraffinerien, Eisen- und Bronzegießereien, in der Tapeten-, Pulver-, Waffen-, Porzellan-, Tabak-, Branntwein-, Likörproduktion usw. 1803 zählte man in der Stadt Berlin, die damals 14 km 1 bebaute Fläche einnahm, 2 3 1 1 5 Fabrikanten und Meister, 17643 Gesellen, 4240 Lehrlinge und 49432 Handarbeiter. E s gab damals unter den Selbständigen unter anderem 105 Ackerbürger, rund 300 Viehmäster und Viehhalter, etwa 100 Branntweinbrenner, 250 Bäcker, 162 Fleischer und 179 Fuhrleute und ähnliche Gewerbetreibende. Zu Beginn des 19. J h . ging die Bevölkerung Berlins aufgrund der Kriegsereignisse zurück. 1804 beherbergte die Stadt 182000 Menschen, davon 25000 Militärangehörige; 1808 waren es 148500, davon 2500 Militärangehörige. Die SteinHardenbergschen Reformen von 1807 bis 1 8 1 3 — wie die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Städteordnung, die Gewerbefreiheit und die Judenemanzipation — die Aufhebung der Binnenzölle 1818, die Bildung des Zollvereins 1834 und die Durchsetzung der Industriellen Revolution führten zu einem erneuten Aufschwung der Stadt. Der Anteil der zur Arbeiterklasse zählenden Berliner verstärkte sich ständig. 1 8 1 5 zählte man 193000 Einwohner, und 1860 wurde mit 493400 fast eine halbe Million erreicht. Die Zahl der in Berlin stationierten Soldaten bewegte sich bei etwa 20000. Insgesamt stieg die Einwohnerzahl Berlins von 1 8 1 5 bis 1860 auf 255% (Abb. 37). Für diesen enormen Bevölkerungszuwachs waren Zuwanderungen ausschlaggebend. Von 1843 bis 1852 gab es einen Wanderungsüberschuß von 66400, und von 1852 bis 1861 betrug dieser 62000. Demgegenüber verzeichnete die Provinz Brandenburg (ohne Berlin) hohe Verluste in der Wanderungsbilanz —18500 bzw. —36400, denn ein großer Teil der Zugewanderten kam aus der näheren Umgebung der Stadt. Seit 1838 förderte besonders der Eisenbahnbau den Zuzug aus entfernteren Gegenden nach Berlin. Nur 5—7% der Einwohner hatten in der ersten Hälfte des 19. J h . Bürgerrecht und damit seit der Städteordnung aktives und passives Wahlrecht zur Stadtverordnetenversammlung im Gegensatz zu den sogenannten Schutzverwandten. Im Jahre 1848 bedeutete das, daß von 4 1 1 5 0 0 Einwohnern nur 26900 das Bürgerrecht (6,5%) besaßen. Als 1850 die preußische Gemeindeordnung und 100
1816
1852
1871
196000 ¿21000
826000
1880
1890
1900
1122000
1579 000
1 889000
1910
2071000 Ew.
1919
1925
1930
1902 000
h 024 000
4 329 000
Ew.
Abb. 37. Die Bevölkerungszahl Berlins in dem jeweiligen Stadtgebiet
damit das Dreiklassenwahlrecht mit offener Stimmabgabe und einem Zensus von mindestens 300 Talern Reineinkommen eingeführt wurde, sank die Zahl der Wahlberechtigten von 26900 auf 21000. 1850 hatten z . B . 1600 Einwohner Berlins das Wahlrecht erster Klasse, 5400 das der zweiten Klasse und 14000 das der dritten Klasse. 1 8 1 5 lebten in Berlin 13000 Menschen auf 1 km 2 . Obwohl sich in der Folgezeit das Stadtgebiet um das Zweieinhalbfache vergrößerte, da von 1829 bis 1841 Eingemeindungen erfolgten, die das Weichbild der Stadt von 14 km 2 auf 35,1 km 2 erweiterten, kamen 1860 erneut 14000 Einwohner auf 1 km 2 . Eine Vergrößerung des Stadtgebietes wurde unausbleiblich, und so kamen 1861 die bis dahin selbständigen Vororte Wedding, Gesundbrunnen, Moabit, Neu-Schöneberg und der nördliche Teil Tempelhofs zu Berlin. Das Weichbild der Stadt erweiterte sich von 35,1 km 2 auf 59,2 km 2 . Nachdem Berlin Hauptstadt des deutschen Kaiserreiches geworden war, erreichte das Bevölkerungswachstum einen Höhepunkt. 1870 lebten in Berlin fast 775000 Menschen, 1 9 1 0 waren es 2 0 7 1 0 0 0 (Anhang B). Die Größe des Stadtgebietes veränderte sich von 1870 bis 1920 nur wenig. 1878 war ein Teil der Feldmark von Lichtenberg (Friedrichsberg mit etwa 1,4 km 2 ) und 1881 der Gutsbezirk Tiergarten mit anschließenden Flächen (2,49 km 2 ) angeschlossen worden. Das wirkte sich nur gering auf die weiter ansteigende Bevölkerungsdichte aus: Von 9243 Ew./km 2 1861 stieg sie auf 32604 Ew./km 2 im J a h r e 1910. I m Spandauer Viertel und in der Luisenstadt kamen um 1900 durchschnittlich 18 m 2 auf einen 101
Einwohner, das entspricht einer Bevölkerungsdichte von 62500 bis 65555 Menschen pro km 2 . Die sich seit Mitte des 19. Jh. stark auswirkenden Zuwanderungen aus dem östlichen Preußen bewirkten, daß Ende des 19. und Anfang des 20. J h . etwa drei Fünftel der Berliner Einwohner nicht in Berlin geboren waren. 1907 zeigte die Einwohnerschaft Berlins, nach den wichtigsten Geburtsprovinzen gegliedert, folgendes Bild: 40,5% der Einwohner waren in Berlin geboren, 18,0% in Brandenburg, 7 , 1 % in Schlesien, 6,3% in Pommern, 5,2% in Posen, 4,9% in Ostpreußen, 4,2% in Sachsen, 4% in Westpreußen. Nach 1880 zogen viele der Zuwandernden gleich in die Vororte oder auch nach nur kurzem Aufenthalt dorthin, ebenso wie sich schön längere Zeit in Berlin Lebende zum Umzug in Vororte entschließen mußten. Die Citybildung in Berlin, die die inneren Teile der Stadt zu Geschäfts- und Verkehrsvierteln machte, verdrängte die Einwohner und ließ gleichzeitig die Vororte an Bedeutung gewinnen. Hatte die Provinz Brandenburg (ohne Berlin) 1871—80 noch einen Wanderungsverlust; so konnte sie doch schon für den Zeitraum 1880—90 einen Wanderungsüberschuß von 8900 Personen saldieren; und von 1890 bis 1900 verzeichnete sie einen Wanderungsgewinn von 223000 Personen und von 1900 bis 1 9 1 0 von 609000 Personen. Die Bevölkerungskonzentration in Berlin hatte um 1890 ihre Grenzen erreicht. Deutlich verlangsamte sich von da an das Bevölkerungswachstum, 1885—90 stieg die Einwohnerzahl noch um 20%, 1890—95 nur noch um 6 % . Die Bevölkerung Charlottenburgs dagegen stieg allein von 1890—95 von 77000 auf 132000, die von Schöneberg von 29000 auf 63000 und die von Rixdorf (ab 1 9 1 2 Neukölln) von 36000 auf 60000. 1910 waren vier der Vororte Berlins Großstädte mit mehr als 100000 Einwohnern, Charlottenburg (305978 Ew.), Rixdorf (237289 Ew.), Schöneberg (172823 Ew.) und Wilmersdorf (109716 Ew.); Spandau (84855 Ew.) und Lichtenberg (81199 Ew.) näherten sich der Grenze zur Großstadt. Die nächstgrößeren Vororte waren Steglitz (62954 Ew.), Rummelsburg (51942 Ew.), Pankow (45165 Ew.), Weißensee (43037 Ew.), Lichterfelde (42513 Ew.), Friedenau (34862 Ew.), Reinickendorf (34299 Ew.), Köpenick (30879 Ew.), Treptow (24469 Ew.), Oberschöneweide (21369 Ew.) und Tempelhof (20733 Ew.). Erst nach dem ersten Weltkrieg (Gesetz vom 27. April 1920) entstand als ein Ergebnis der Novemberrevolution durch das Zusammenlegen Berlins mit 7 Städten, 59 Landgemeinden sowie 27 Gutsbezirken eine Stadt mit angemessenen Entwicklungsmöglichkeiten. Mit 3,85 Mill. Einwohnern war sie damals die viertgroßte Stadt der Welt (Anhang C). Nach 1920 stieg die Bevölkerung in dem neuen Stadtgebiet (Abb. 38) weiter an. 1925 wohnten etwas über 4 Mill. Menschen in Berlin, 1930 4,33 Mill. und 1939 4,34 Mill. Das Stadtgebiet veränderte sich in den zwanziger Jahren durch geringfügige Ausgemeindungen sowie durch die Eingemeindung des 535 ha großen Gutsbezirkes Düppel auf 883,5 km 2 . Die Bevölkerungsentwicklung der Stadt in der Zeit des Faschismus war gekennzeichnet durch die Emigration und Ermordung Zehntausender Antifaschisten und rassisch Verfolgter sowie durch Verschleppung in Konzentrationslager. Hunderttausende Berliner starben an den Fronten und im Bombenhagel in der Stadt. Lebten 1940 in Berlin 4,35 Mill. Menschen, so waren es im Mai 1945 noch 102
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823000
1663000
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Abb. 38. Die Bevölkerungszahl der Vororte, die 1920 mit Berlin zusammengeschlossen wurden etwa 2,5 Mill. Von den 1920 eingerichteten 20 Bezirken liegen 12 mit 480,98 km 2 heute in West-Berlin. Die Bezirke Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Treptow, Köpenick, Lichtenberg, Weißensee, Pankow und die neugegründeten Bezirke Marzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf bilden mit 402,8 km 2 und über 1,2 Mill. Einwohnern das Gebiet Berlin, Hauptstadt der D D R ; die Statistik wies für 1985 1215586 Einwohner aus. H. Thümmler
4 Z u r Sprach- und Siedlungsgeschichte
4.1 O r t s - und G e w ä s s e r n a m e n Entsprechend den historischen Siedlungsabläufen gehören die im Berliner Raum überlieferten Namen unterschiedlichen sprachlichen und auch zeitlichen Schichten an: der vorslawischen, der slawischen und der deutschen Namenschicht, wobei es in jeder der genannten Schichten ältere und jüngere Vertretergibt. Sprachlich gesehen sind die vorslawischen Namen solche, die weder aus dem Slawischen noch aus der Sprache der mittelalterlichen (ma.) deutschen Siedler, dem Mittelniederdeutschen, erklärbar sind (übertragene Namen, für die das auch zutreffen kann, bleiben hier unberücksichtigt). Diese Namen sind germanischer oder noch älterer vorgermanischer Herkunft, wobei die vorgermanischen Namen einzelsprachlich nicht mehr faßbar sind. Eine sichere Trennung zwischen germanischen und vorgermanischen Namen ist vielfach nicht möglich. Im Berliner Raum handelt es sich um Gewässernamen. Als germanisch gelten die Namen von Spree, Havel und Nuthe, und auch die Namen von Finow und Dahme dürften germanischer Herkunft sein. Vorslawischer Herkunft ist auch der Name des Müggelsees (1394 in der Miggel), der nichts mit slawisch mogyla ,Hügel', .Grabhügel' zu tun hat. Es fällt auf, daß neben diesen größeren Flüssen auch eine Reihe kleiner Gewässer vorslawische Namen trägt bzw. getragen hat: Die Notte (Nebenfluß der Dahme), die Sahn(e), ein Abschnitt der Notte, und die Saar (Abschnitt der Nuthe, enthalten im Ortsnamen [ON] Saarmund). Vorslawischer Herkunft dürfte auch der Name der Telte, enthalten im Landschafts- und 103
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381000
823000
1663000
1919
1902000 Ew.
Abb. 38. Die Bevölkerungszahl der Vororte, die 1920 mit Berlin zusammengeschlossen wurden etwa 2,5 Mill. Von den 1920 eingerichteten 20 Bezirken liegen 12 mit 480,98 km 2 heute in West-Berlin. Die Bezirke Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Treptow, Köpenick, Lichtenberg, Weißensee, Pankow und die neugegründeten Bezirke Marzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf bilden mit 402,8 km 2 und über 1,2 Mill. Einwohnern das Gebiet Berlin, Hauptstadt der D D R ; die Statistik wies für 1985 1215586 Einwohner aus. H. Thümmler
4 Z u r Sprach- und Siedlungsgeschichte
4.1 O r t s - und G e w ä s s e r n a m e n Entsprechend den historischen Siedlungsabläufen gehören die im Berliner Raum überlieferten Namen unterschiedlichen sprachlichen und auch zeitlichen Schichten an: der vorslawischen, der slawischen und der deutschen Namenschicht, wobei es in jeder der genannten Schichten ältere und jüngere Vertretergibt. Sprachlich gesehen sind die vorslawischen Namen solche, die weder aus dem Slawischen noch aus der Sprache der mittelalterlichen (ma.) deutschen Siedler, dem Mittelniederdeutschen, erklärbar sind (übertragene Namen, für die das auch zutreffen kann, bleiben hier unberücksichtigt). Diese Namen sind germanischer oder noch älterer vorgermanischer Herkunft, wobei die vorgermanischen Namen einzelsprachlich nicht mehr faßbar sind. Eine sichere Trennung zwischen germanischen und vorgermanischen Namen ist vielfach nicht möglich. Im Berliner Raum handelt es sich um Gewässernamen. Als germanisch gelten die Namen von Spree, Havel und Nuthe, und auch die Namen von Finow und Dahme dürften germanischer Herkunft sein. Vorslawischer Herkunft ist auch der Name des Müggelsees (1394 in der Miggel), der nichts mit slawisch mogyla ,Hügel', .Grabhügel' zu tun hat. Es fällt auf, daß neben diesen größeren Flüssen auch eine Reihe kleiner Gewässer vorslawische Namen trägt bzw. getragen hat: Die Notte (Nebenfluß der Dahme), die Sahn(e), ein Abschnitt der Notte, und die Saar (Abschnitt der Nuthe, enthalten im Ortsnamen [ON] Saarmund). Vorslawischer Herkunft dürfte auch der Name der Telte, enthalten im Landschafts- und 103
Ortsnamen Teltow, sowie der Name der Erpe in Neuenhagen sein. Außerdem wird 1704 eine Fuhne bei Biesenthal und 1826 eine Fuhne bei Kietz, Kreis Bad Freienwalde, erwähnt, deren Namen ebenfalls vorslawischer (germanischer) Herkunft sind. Wenn diese und andere hier nicht genannte Namen einer vorslawischen Schicht angehören und ein hohes Alter beanspruchen, dann ist ihre Überlieferung nur so zu erklären, daß sie von den seit dem 6. Jh. einwandernden Slawen von einer germanischen Restbevölkerung übernommen wurden, es also zu einem K o n t a k t zwischen späten Germanen und frühen Slawen gekommen sein muß. Insbesondere gilt dies für die Überlieferung von Namen kleiner Gewässer, wenngleich nicht ausgeschlossen werden kann, daß vereinzelt der eine oder andere Name von deutschen Siedlern mitgebracht wurde. Zahlreiche Namen in und um Berlin stammen aus der Zeit der slawischen Besiedlung, darunter mit großer Wahrscheinlichkeit auch der Name Berlin. Er ist am ehesten aus einer slawischen Wurzel bb rl-btl- ,Sumpf' ableitbar. Der Name Berlin ist jedenfalls ein ursprünglicher Gewässer- oder Flurname. Als Stütze für die genannte Erklärung des Namens Berlin sei auch angeführt, daß es in Brandenburg noch einige andere Berlin oder ähnlich lautende Namen gibt, die entweder Gewässer bzw. sumpfiges Gelände oder auch im Wasser gelegene Objekte bezeichnen: Berlinchen, Kreis Wittstock, 1274 villa minor Berlin, und Wüstung Groß Berlin, Kreis Wittstock, 1229/77 Berlin. Beide führen ihren Namen nach den nahe gelegenen Seen; Berlyneken, ein Ende des 14. Jh. erwähntes Fisch wehr in der Havel bei Zachow, Kreis Nauen; Flurname Berliniken in Schünow, Kreis Zossen, der früher eine sumpfige Wiese bezeichnete. Slawischer Herkunft kann auch der Name der ehemaligen Schwesternstadt Berlins — Kölln — sein (zu slaw. Kol .Pflock, Pfahl'), doch muß bei diesem Namen eher mit Namensübertragung von Köln/Rhein gerechnet werden. Mit Sicherheit slawischer Herkunft sind die folgenden Namen: Köpenick, Mitte des 12. Jh. Copnic, zu kopa ,Erdhügel'; Pankow und Gewässername Panke, 1311 Pankow bzw. 1251 Pankowe, zu pak .Büschel, Knospe' (der Ort wurde wohl nach dem Gewässer benannt); Marzahn, 1300 Morczane, zu marka ,Sumpf, Feuchtigkeit' (der Name kann aber auch übertragen sein); Treptow, 1568 der Trebow, Trebkow (möglicherweise ein alter Wüstungsname), zur mehrdeutigen Wurzel treb-, vgl. trebiti .reinigen, roden', treb .würdig sein'; treb- ist in vielen slawischen Gewässernamen enthalten; Buch, 1289 Johannes Buch (Herkunftsname), 1375 Buch slavica, zu buk .Buche'; Karow, 1375 Kare, zu einem Personennamen Char; Schmöckwitz, 1375 Smekewitz (vielleicht ein ursprünglicher Gewässername), wohl zu smek- in tschech. smekati se .gelten'; Stralau, 1240 de Stralow (Herkunftsname), zu strela .Pfeil', auch .Flußarm', Landzunge beim Ausfluß zweier Flüsse. Ein slawisch-deutscher Mischname ist Rahnsdorf, 1375 Radenstorf, Radan, der den slawischen Personennamen Radan enthält (zu rad .froh'). Von den Orten mit einem slawischen Namen, die heute in West-Berlin liegen, seien genannt: Spandau, 1197 Spandow, zu spad .Scheffel', wohl metaphorisch nach einer Ausbuchtung der Havel benannt; Lübars, 1247 Lübars, 1358 Lubas, der den Personennamen L'ubas enthält (zu L'ub .lieb, angenehm'). Der zuletzt genannte Name gehört ebenso wie der Ortsname Karow zu den alten Typen slawischer Namensbelege. 104
Die im Mittelalter gebildeten deutschen Namen werden — wie in anderen von der Ostexpansion erfaßten Gebieten auch — durch Grundwörter wie -dorf, -feld(e), -berg(e), -ow\-au, -beck oder -tal charakterisiert, vgl. Biesdorf, Hellersdorf, Mahlsdorf, Blankenfelde, Rosenfelde, Schönefeld, Falkenberg, Lichtenberg, Wartenberg, Schildow, Schönow, Mühlenbeck, Rosenthal u. a. Die mit dem Grundwort -dorf gebildeten Namen enthalten in der Regel einen Personennamen, vgl. z . B . Biesdorf, 1375 Biestertorf, .Dorf eines Bister*; Hellersdorf, 1375 Helwichstorf, .Dorf eines Helwig'; Mahlsdorf, 1345 Malterstorp, ,Dorf eines Malter', usw. Andere Ortsnamen sind Naturnamen, wie Lichtenberg, 1288 Lichtenberge, .Ansiedlung zum lichten, hellen Berg', oder Weißensee, 1242 de Widense (Herkunftsname), .Ansiedlung zum weißen See'. Auffällig häufig sind im Berliner Raum Namen wie Rosenfelde, Rosenthal, Blumenthal, Liebenthal oder Blumberg. Es handelt sich hierbei um typische Kolonisationsnamen, die entweder einer allgemeinen Mode folgend oder auch in dem Bestreben gegeben wurden, Siedler anzulocken. Modenamen können auch O N wie Falkenberg oder Wartenberg sein, die auch heraldische bzw. Burgennamen waren (vgl. den Namen der Wartburg). Bei diesen und anderen aber muß auch mit Namenübertragung gerechnet werden. Überhaupt scheinen gerade im Berliner Raum mehrere Namen aus anderen Gebieten übertragen zu sein. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit gehören hierher Hohen- und Niederschönhausen, 1284 de Schonenhausen (Herkunftsname), 1375 Schonenhusen alta bzw. Nydderen Schonhusen, die offenbar von Schönhausen, Kreis Havelberg, übertragen wurden, bei dem vermutlich wiederum selbst Namenübertragung vorliegt. Die ON auf -hausen gehören zu den alten deutschen Namentypen, die im 13. Jh. nicht mehr zur Anwendung kamen. Kein alter deutscher Name auf -hausen ist der ON Königs Wusterhausen, der bis ins 18. Jh. Wendisch Wusterhausen lautete (1320 Wosterhusen, 1375 Wusterhuse slavica, 1775 Königs- oder wendisch Wusterhausen). In den slawischen Namen, der zu slaw. ostrog, von Palisaden befestigter Platz gehört, wurde schon früh mittelniederdeutsch woste, wüste, ,wüst' und mnd. hus ,Haus' eingedeutet, wobei Angleichung an die alten deutschen -hausen-Namen vorliegt. Nachdem der preußische König FRIEDRICH WILHELM I. zu Anfang des 18. Jh. zahlreiche Orte in der Herrschaft Königs Wusterhausen erworben hatte und die alte Burg zum Jagdschloß umgebaut worden war, bürgerte sich der Name Königs Wusterhausen ein. Auch andere Namen im R a u m um Berlin, wie Ladeburg, Kreis Bernau, dürften mit Sicherheit übertragen sein. Angesichts dieser und anderer übertragener Namen — auch der Ortsname Wedding ist hier zu nennen — darf man annehmen, daß an der mittelalterlichen deutschen Besiedlung auch Siedler aus dem magdeburgischen Raum beteiligt waren. Die zweite stärkere deutsche Besiedlung erfuhr das Gebiet um Berlin während der Regierungszeit König FRIEDRICHS II. Die Namen der in dieser Zeit entstandenen Siedlungen sind in der Regel Neubildungen. Dazu gehören Friedrichshagen, das 1753 für 100 sächsische und böhmische Feinwollspinner angelegt und nach FRIEDRICH II. (1740 — 86) benannt wurde; Müggelheim, seit 1747 angelegt und mit Siedlern aus der Pfalz besiedelt; Grünau, das 1747 zuerst unter dem Namen Grüne Aue erwähnt wird. Auch Adlershof und Johannisthal sind hier anzuführen. Adlershof wurde 1754 benannt. Der Name enthält den Namen des Adlergestells, zu brandenburgisch stell, 105
gesteil ,durch Aushauen des Holzes hergestellter Weg im Walde', .Schneise'. Johannisthal, 1759 unter dem Namen Johanis-Tal zuerst erwähnt, wurde nach^ dem Kammerrat J O H A N N E S W E R N E R benannt, der ein größeres Gut zur Ansiedlung von 10 Familien aus Böhmen und Sachsen angelegt hatte. G. Schlimpert
4.2 D i e b e r l i n i s c h e S p r a c h e Zu den Kulturwerten gehört auch die Sprache. Den sich verändernden gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechend, hat sie sich im Laufe der Zeit entwickelt und verändert, wobei sie in Berlin die ursprünglichsten Züge weithin verlor. Die älteste gesprochene Sprache des Berliner Bürgers war die auch in der Umgebung übliche niederdeutsche Mundart, und zwar das Mittelbrandenburgische. Deutsche Siedler aus dem westelbischen Raum hatten die niederdeutsche Mundart mitgebracht. Ihr spezifisches mittelbrandenburgisches Gepräge erhielt sie durch den sprachlichen Einfluß der im 12. Jh. hier siedelnden Niederländer. Während die Hof- und Verwaltungssprache der Fürsten in Berlin seit dem 14. Jh. das Hochdeutsche war, verwendeten die städtischen Kreise in der Verwaltung und im privaten Leben das Niederdeutsche auch als Schriftsprache. Dies ist für das 14. und 15. Jh. durch das Berliner Stadtbuch, zahlreiche Urkunden und die Totentanzdichtung in der Vorhalle der Marienkirche (s. A 3.7) bezeugt. Zu einem Bruch in dieser sprachlichen Entwicklung kam es, als sich seit dem Beginn des 16. Jh. das Hochdeutsche als Schrift- und als gesprochene Sprache in der städtischen Verwaltung, der Kirche und in den höheren Schulen Berlins durchsetzte, anfangs also hauptsächlich in den oberen Schichten des Bürgertums. A n die Stelle des Niederdeutschen trat als mündliche Alltagssprache jedoch nicht die Hochsprache in ihrer heutigen Form, sondern eine Sprache, deren Grundlage aus einer Mischung des bisher verwendeten Niederdeutschen mit der hochdeutschen Sprache der Gebildeten bestand. Dazu gehörten Elemente der obersächsischen Umgangssprache, die zu jener Zeit weithin als vorbildlich angesehen wurde. Das Berlinische in seiner heutigen Form begann zu entstehen. Geformt wurde es von den Berlinern in den folgenden Jahrhunderten. Die enger gewordenen Beziehungen Berlins mit Sachsen sowie der wachsende Einfluß der hochdeutschen Schriftsprache in dem sich entwickelnden Wirtschafts- und Verwaltungszentrum Berlin auf größere Bevölkerungsgruppen führten, unterstützt durch umfangreichen Bevölkerungszuzug, zum weiteren Ablegen der niederdeutschen Mundart und auch zu einer zunehmenden Verhochdeutschung der Berliner Stadtsprache. Verdrängt wurde das Niederdeutsche in Berlin weithin bereits im 16. und 17. Jh., doch sprachen die unteren sozialen Schichten teilweise noch bis zu Beginn des 18. Jh. und zahlreiche Bewohner der Vororte bis um 1900 niederdeutsch. Im 17. und 18. Jh. war das Berlinische vielfach auch — neben der französischen Sprache — bei Gebildeten und in Hofkreisen üblich. Die berlinische Stadtsprache hatte sich allgemein durchgesetzt, allerdings mit zahlreichen Abstufungen. Im ständigen Prozeß des Austausches und der Mischung entstand eine Insel mit einer Stadtsprache, die sich vor allem in der Lautung noch heute deutlich von 106
der Hochsprache unterscheidet und auch von der umgebenden Mundart abhob, wie ein Vergleich zeigt. Berlinisch: Ick weeß nick, wat ick dazu saren soll. Det mach ick ma alleene. Du hast da nüscht ßu suchen. Mundart im Kreis Teltow: Ick wetl nich, wat ick doa sali tue seien. Dät moak ick mei alleene. Dau hes doa nüsch tue suekene. Im Berlinischen sind mehrere niederdeutsche Merkmale bis heute bewahrt, beispielsweise unverschobenes t und k in einigen Wörtern {det = ,das*, ick = ,ich') sowie in den Endungen -et (allet) und -ken (bißken). Im Gegensatz zur Hochsprache sagt man oo für altes au (Boom = Baum), ee für altes ei (Been — Bein), -pp- für pf (Appel = Apfel). Der Verschlußlaut g wird immer als Reibelaut ausgesprochen, und zwar anlautend und zwischenvokalisch stimmhaft (jejangn = gegangen, saren — sagen, licht = liegt). Teilweise üblich sind ü statt » (Füsch = Fisch) und ß statt z (ßu = zu). Nur noch ältere Berliner verwenden die früher üblichen entrundeten Laute ei, e, i statt eu, ö, ü und sagen Leite, scheen, Kiche statt Leute, schön, Küche. Auch in der Wortbildung und Grammatik befinden sich Besonderheiten, so dranne — daran, ville = viel, eß\ = iß!, mit die Beene, sowie die Verwendung von mir, dir für mich und dich. Das Berlinische weist auch einen spezifischen Wortschatz auf, wie Schrippe, Molle = Glas Bier. Zahlreiche Wörter stammen aus der niederdeutschen Mundart, so kieken, Triesel, Kreisel. Von den über 200 in brandenburgischen Mundarten festgestellten Wörtern, die niederländische Siedler mitbrachten, sind im heutigen Berlinisch nur noch einige bewahrt, beispielsweise Pede = Quecke, Padde = Kröte, Kramme = Krampe. Noch geringer ist die Anzahl der beibehaltenen Wörter slawischer Herkunft, wie in der Sprache der Fischer von Köpenick Flock = kleines Zugnetz, Peetschel = Ruder. Mehrere Wörter gelangten aus dem Französischen in das Berlinische, auch im Zusammenleben mit den sich Ende des 17. Jh. ansiedelnden Hugenotten. Heute sind nur noch wenige davon gebräuchlich, so Budike und Destille — Bierlokal, Bulette: Zahlreiche Wörter gelangten aus dem Jiddischen und aus dem Rotwelsch, der Gaunersprache, in das Berlinische. Einige sind noch heute üblich, z. B. acheln = essen, aus Daffke = aus Trotz, Jeseier = Klagen. E s kam in Berlin auch zu sprachlichen Neuschöpfungen, wie Radau, Klamauk. Für neue Sachen entstanden neue Bezeichnungen, beispielsweise Rollmops und nach Familiennamen Kaßler und Kremser. Auf die damaligen Wohnverhältnisse weisen die Neubildungen des 19. Jh. Mietskaserne und Hängeboden. Im Berlinischen, in den Wörtern und Wendungen sowie im Umgang mit dieser Sprache, spiegelt sich auch der Charakter des Berliners wider. Die „Berliner Schnauze" zeichnete sich durch Wendigkeit, Schlagfertigkeit, Respektlosigkeit, Selbstbewußtsein sowie Freude am Wortspiel aus. Diese Eigenheiten entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte. Der Berliner bildet alte Wörter durch Zusammensetzung um (Glimmstengel, Kintopp) und gibt Wörtern eine zweite Bedeutung (Schusterjunge = Roggenmehlbrötchen). Übertreibende Bildungsweisen, unerwartete Vergleiche und Mehrdeutigkeit sind berlinische Eigenarten. Erreicht wird die Steigerung durch die fortwährende- Verwendung von Neubildungen wie knorke, dufte, schau, fetzig, urst, durch ironische Überhöhung, so Schrippenarchitekt = Bäcker usw. Eine röte Nase ist ein Feuermelder, der Rollmops wird als Eisbein mit Lenkstange bezeichnet, Berolina wird zu Bärenlina umgedeutet. Der Berliner prägte stark die sprachlichen Modewellen, nämlich bei 107
W e n d u n g e n mit Bei mir, so Bei mir Känguruh = leerer Beutel und weite Sprünge; bei Abkürzungen, beispielsweise knif = k o m m t nicht in F r a g e und Scherzaufgaben so „ S a g mal einen Satz mit D r a m a " : Dra ma Vatan die Stiefeln hin. D a s W o r t ist Witzgegenstand, und Schnoddrigkeit zeigt sich auch in Neubildungen wie Besuchsbesen — Blumenstrauß. V e r w e n d e t wird das Berlinische heute v o n Berlinern aller sozialen Schichten, teilweise auch in offiziellen und öffentlichen Situationen, allerdings mit A b s t u fungen. E s gibt sprachliche Unterschiede zwischen Urberlinern, Zugezogenen und Randberlinern sowie zwischen Jugendlichen und älteren Berlinern. Mit der E n t w i c k l u n g Berlins zur H a u p t s t a d t wuchs sein Ansehen und das seiner Sprache. D a d u r c h wurden zahlreiche Berliner Sprachmerkmale v o n der umgebenden Region übernommen, manche gelangten in große Teile des deutschen Sprachgebietes. H.
4.3 D o r f f o r m e n u n d l ä n d l i c h e
Schönfeld
Bauweise
Mit dem „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde B e r l i n " v o m 27. A p r i l 1920 wurden auch zahlreiche ehemals selbständige Landgemeinden in die S t a d t einbezogen, v o n denen 26 mittelalterliche Dörfer und 15 friderizianische Kolonien auf dem Territorium der H a u p t s t a d t der D D R liegen. Zu den ältesten dörflichen Siedlungen, die bis in die Slawenzeit zurückreichen, gehören Schmöckwitz (s. K 4) und Stralau (s. B 7) sowie vermutlich auch Rahnsdorf (s. K 5) und B u c h (s. D 18). W ä h r e n d jedoch nur Schmöckwitz und Rahnsdorf ihre alte F o r m als Rundling weitgehend erhalten konnten, sind Stralau und B u c h offenbar seit dem 13. Jh., der Zeit der zweiten Besiedlungswelle im R a h m e n der deutschen Ostexpansion, zu Straßendörfern geworden. N a c h dieser D o r f f o r m sind auch zur gleichen Zeit Altglienicke (s. J 16), Blankenfelde, Falkenberg (s. F 6 ) , Heinersdorf (s. E 5), Hohenschönhausen (s. F i ) , K a r o w (s. E 7), Mahlsdorf (s. G 5), Malchow (s. F 3), Niederschönhausen (s. D 9) und Weißensee (s. E i ) angelegt worden. Die im Berliner Stadtbild bis ,in die Gegenwart am auffälligsten erhalten gebliebene ländliche Siedlungsform der ersten H ä l f t e des 13. Jh. stellt das märkische Angerdorf dar, das durch einen rechteckigen oder linsenförmigen Dorfanger, D o r f p l a t z oder eine Dorfaue charakterisiert wird, begrenzt v o n 2 an den Dorfenden wieder zusammentreffenden Wegen. Innerhalb dieser Umgrenzung befanden sich alle wesentlichen gesellschaftlichen Einrichtungen jener Zeit, wie Kirche und Friedhof, der lebenswichtige Dorfteich und die Schmiede, aber auch das Hirten- und Gemeindehaus, der Gemeindebackofen und dergleichen, später das Armenhaus, die Schule und das Spritzenhaus. A u ß e r h a l b und direkt mit der Feldmark verbunden lagen die Gehöfte der Bauern und Kossäten. Besonders gut erkennbar ist diese Siedlungsform noch in Bohnsdorf (s. J 17) und Kaulsdorf (s. G 4). A b e r auch die meisten anderen Angerdörfer wie Biesdorf, Blankenburg, Buchholz, Marzahn, Rosenthal und W a r t e n b e r g sind in ihrer Grundstruktur im wesentlichen erhalten geblieben. Selbst Friedrichsfelde, Lichtenberg und P a n k o w haben trotz der starken baulichen Eingriffe während der letzten 108
loo Jahre wesentliche Elemente ihrer dörflichen Ausgangssituation, insbesondere den mit der Dorikirche bebauten Anger, bewahren können. Bei den seit der Mitte des 18. Jh. angelegten dörflichen Siedlungen handelt es sich zumeist um Straßen- und Zeilendörfer, die entweder an bereits bestehende Dörfer wie Bohnsdorf, Glienicke, Marzahn, Rosenthal und Lichtenberg oder an Vorwerke, beispielsweise Adlershof, Boxhagen und Treptow, direkt angeschlossen oder in weniger dicht besiedelten Gebieten angelegt wurden. Zur letzten Gruppe gehören unter anderem Friedrichshagen, Grünau, Johannisthal und Schönholz. Das einzige Angerdorf aus der Zeit der friderizianischen Binnenkolonisation stellt das 1747 gegründete Bauerndorf Müggelheim dar. Auch diese Siedlungen sind zumeist im heutigen Stadtgebiet noch recht gut lokalisierbar, wenngleich spätere Um- und Neubauten den ursprünglichen Charakter oft erheblich verwischt haben. Diese Feststellung gilt generell für alle dörflichen Siedlungen. Während nämlich die Siedlungsformen zumeist gut erhalten geblieben, zumindest aber noch klar erkennbar sind, fehlen Zeugnisse traditioneller Volksarchitektur im Stadtgebiet weitgehend. So gibt es beispielsweise von dem Märkischen Mittelflurhaus, das zumindest im 17./18. Jh. noch zu den typischen Wohnbauten der Bauern- und großen Kossätenhöfe gehörte und durch einen vom Vorder- bis zum Hintergiebel durchlaufenden Flur charakterisiert wird, nur noch ganz wenige, inzwischen baulich stark veränderte Beispiele in Heinersdorf und Kaulsdorf. Die ebenfalls für einige Berliner Dörfer wie Niederschönhausen durch archivalische Unterlagen und Bilddokumente bezeugten Hausformen der trauf- oder giebelseitigen Vorlaubenhäuser fehlen sogar völlig. Selbst von der dritten in der Mark Brandenburg weit verbreiteten ländlichen Wohnhausform, dem Mitteldeutschen Ernhaus, dessen Verbreitung durch die friderizianische Kolonisation und das im Jahre 1770 gegründete Oberbaudepartement wesentlich gefördert wurde, haben sich relativ wenig unveränderte Bauten erhalten. Am deutlichsten ist deren Grundriß-, Fassaden- und Dachgestaltung in einem Beispiel unmittelbar vor den Toren der Stadt, in der 1985 rekonstruierten „Heimatstube" in Schöneiche, Kreis Fürstenwalde (Abb. 39), erkennbar. Bei diesem Typ wird das Gebäude durch den querlaufenden Flur mit der zentral gelegenen fensterlosen Schwarzen Küche (mit dem offenen Schornstein) und den an den Giebelseiten liegenden Wohn- und Wirtschaftsräumen gekennzeichnet. Einzelne noch in Fachwerk mit Lehmgefachen errichtete Zeugnisse dieser Bautradition sind erhalten geblieben in Buchholz (Abb. 117,118), Kaulsdorf und Wartenberg. Eine Modifikation dieser Hausform stellen die in einigen friderizianischen Kolonien angewandten Doppelhäuser für 2 Familien dar, die — wenn auch inzwischen unterfangen — beispielsweise in Friedrichshagen noch recht gut zu erkennen sind. Ebenfalls dem Typ des Mitteldeutschen Ernhauses zugehörig sind die noch relativ zahlreich überlieferten Wohnbauten aus der ersten Hälfte des 19. Jh., die bereits von vornherein aus Kalk- oder Backstein errichtet und mit einem Ziegeldach versehen wurden, an Stelle der Schwarzen Küche nur noch einen kleinen Rauchfang über dem Herd oder bereits enge Schornsteinröhrchen erhielten, oftmals unterkellert wurden und mit schlichten klassizistischen Putzfassaden ausgestattet sind, wie in Biesdorf, Marzahn und Rahnsdorf. 9
Werte, Berlin
Abb. 39. Heimathaus Schöneiche, Kreis Fürstenwalde, Dorfaue 8 Seit dem letzten Drittel des 18. Jh. beginnen und seit Anfang des 19. Jh. verstärken sich die Bemühungen der Bauern mit großem und mittlerem Grundbesitz, die in ihren jeweiligen Wohnhäusern enthaltenen Stallteile durch Wohnräume zu ersetzen. Die darin zum Ausdruck kommenden gestiegenen wohnkulturellen Ansprüche ebenso wie die mit der Rationalisierung der Landwirtschaft verbundenen agrarökonomischen Erfordernisse führten seitdem zu einer erheblichen Vergrößerung der selbständigen Stall- und anderen Wirtschaftsbauten. Seit etwa 1810—20 bevorzugten die Bauern zudem die Traufstellung ihrer nun ausschließlich Wohnzwecken dienenden Häuser anstelle der ursprünglichen Giebelstellung mit dem Stalltrakt am Hintergiebel. Standen beispielsweise im Jahre 1802 in Heinersdorf noch 18 von 25, in Lichtenberg noch 30 von 48 und in Weißensee 22 von 28 Gebäuden mit dem Giebel zur Straße, so waren es 100 Jahre später — abgesehen von den Ställen — höchstens noch 2 oder 3 Gebäude je Ort. Der Übergang vom ehemals dominierenden Zwei- oder lockeren Dreiseit- zum ausgeprägten Drei- und Vierseithof war vollzogen, in dem die Scheune weiterhin fast immer den rückwärtigen Hofabschluß bildete. Die zunehmende Einbeziehung in das Wirtschaftsleben Berlins nach 1871 und die damit einhergehende schnelle Geldakkumulation zahlreicher Groß- und Mittelbauern fand seinen sichtbaren baulichen Ausdruck in der Errichtung großer zweistöckiger Ställe aus Ziegelstein und aufwendiger Wohnhäuser, die binnen kurzer Zeit in den meisten Dörfern die überlieferten Fachwerkgebäude, die vielfach noch mit Stroh oder Rohr gedeckt waren, ersetzten. Die nun zumeist aus Ziegel-, manchmal aus Naturstein errichteten, stets unterkellerten, mit Ziegel-, Schiefer- oder Blechdach und mit Fassaden im Zeitgeschmack versehenen Gebäude, die im äußeren Ansehen dem städtischen Vorbild und in der Grund110
rißkonzeption teils dem überlieferten Mitteldeutschen Ernhaus, teils den märkischen Gutshäusern nachempfunden sind, prägen seitdem das Antlitz so manches Bauernhofes wie in Blankenburg, Bohnsdorf, Karow und Rosenthal. In den Gutsdörfern hingegen bestimmten — neben dem sogenannten Herrenhaus und dem dazugehörigen Wirtschaftshof — seit dem Beginn des 19. Jh. immer stärker die Landarbeiterkaten das Ortsbild. Sie waren durch äußerst beengte und unzureichende Räumlichkeiten charakterisiert. Zu den erwähnenswerten dörflichen Gebäuden gehören ferner die Dorfschmieden, von denen allerdings nur noch einige Reste, beispielsweise in Mahlsdorf, Blankenfelde, Marzahn und Niederschönhausen, erhalten geblieben sind. Ältere Spritzenhäuser der örtlichen Feuerwehren existieren noch in Heinersdorf (Anfang des 19. Jh.), Bohnsdorf (um 1860) und Karow (um 1890), ebenso einzelne Dorfschulen, so in Malchow. Insgesamt ist von der Fülle der Dorfbauten zwar wenig erhalten geblieben, dennoch überrascht, daß trotz der Einbeziehung in die Großstadt Berlin neben der Siedlungsstruktur und den Dorfkirchen einzelne Zeugnisse ländlicher Bauweise noch in fast allen ehemaligen Dörfern vorhanden sind. H.-J.
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Räch
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Einzeldarstellung
Stadtbezirk Mitte
A
Allgemeine Ubersicht D e r Stadtbezirk Mitte besteht in seinen heutigen Grenzen seit 1920. E r umfaßt im wesentlichen das Gebiet, das Berlin und seine Vorstädte bis zum Anfang des 19. Jh. einnahmen. Das alte Stadtgebiet setzte sich aus folgenden Teilen zusammen : den mittelalterlichen Bereichen von Berlin und Kölln, dem Friedrichswerder, der Dorotheen- und der Friedrichstadt sowie den Vorstädten und Stadterweiterungen, wie Neukölln am Wasser, Luisenstadt mit Köpenicker Vorstadt, Stralauer Vorstadt, Königstadt, Spandauer Vorstadt und Äußerer Spandauer Vorstadt, Friedrich-Wilhelm-Stadt und Äußerer Friedrich-Wilhelm-Stadt. Nur im O und S.entfallen Teile der Stralauer Vorstadt und Königstadt an den Stadtbezirk Friedrichshain bzw. Teile der Luisenstadt sowie der Friedrichstadt an den heutigen Verwaltungsbezirk Kreuzberg in West-Berlin, Im N und N O reicht er an den Stadtbezirk Prenzlauer Berg und im O an den Stadtbezirk Friedrichshain heran. Im S, W und N W verläuft die Staatsgrenze zu West-Berlin. Der Stadtbezirk Mitte ist mit einer Fläche von 10,7 km 2 der zweitkleinste Stadtbezirk Berlins. Hier leben annähernd 85000 Einwohner. Mit etwa 7000 Einwohnern/km 2 weist er gegenüber den anderen inneren Stadtbezirken (s. S 222 ff., 240 ff.) eine relativ niedrige Bevölkerungsdichte auf. Der Stadtbezirk erhält sein Profil vor allem durch den Sitz der wichtigsten politischen, staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen der D D R und des Magistrats von Berlin mit den Gebäuden des Zentralkomitees der S E D , der Volkskammer, des Staatsrates und des Ministerrates, dem Roten Rathaus (s. A 1.6) und des Nationalrates der Nationalen Front. Die Vorstände der mit der S E D im Demokratischen Block zusammenarbeitenden Parteien haben gleichfalls im Zentrum ihren Sitz, ebenso wie die Leitungen sozialistischer Massenorganisationen und zahlreiche diplomatische Vertretungen anderer Staaten. Des weiteren stellt der Stadtbezirk ein Zentrum von Bildung, Wissenschaft und Kultur dar. Hier befinden sich die Akademie der Wissenschaften der D D R (s. A 9.3), die Humboldt-Universität (s. A 7.8) mit der Charité (s. A 11.8) und dem Museum für Naturkunde (so A 11.10), die Parteihochschule „ K a r l M a r x " und die "3
A Deutsche Staatsbibliothek (s. A 7.9). Traditionsreiche Bühnen laden zu einem Besuch ein, so die Deutsche Staatsoper (s. A 7.18), die Komische Oper (s. A 7.13), das Metropol-Theater, das Deutsche Theater mit den Kammerspielen (s. A 1 1 . 1 5 ) , das Berliner Ensemble (s. A 11.16), das Maxim-Gorki-Theater (s. A 7.5), die Volksbühne (s. A 3.1), das Kabarett Die Distel und der Friedrichstadtpalast (s. A 11.17). Schätze der Weltkultur und andere Sammlungen von kulturhistorischem Wert erwarten die Besucher in den Museen, von denen die Staatlichen Museen mit Pergamonmuseum (s. A 5.5), Bodemuseum (s. A 5.4), Altem Museum (s. A 5.1) und Nationalgalerie (s. A 5.3) sowie dem Otto-Nagel-Haus, dem Museum für Deutsche Geschichte (s. A 7.3), dem Postmuseum und dem Märkischen Museum (s. A 10.2) genannt seien. Auch zahlreiche Industriebetriebe, wie der V E B Robotron-Secura-Werke, der V E B Studiotechnik oder der V E B Dampferzeugerbau, sind hier angesiedelt. Mehrere Konfektionsbetriebe bezeugen, daß die Bekleidungsindustrie nach wie vor im Zentrum Berlins ihren Standort hat. Durch den V E B Druckkombinat und viele Verlage ist der Stadtbezirk zugleich ein Schwerpunkt der polygrafischen Industrie. Schallplatten und Musikkassetten stellt der V E B Deutsche Schallplatten her. 1983 wurden — um die Rolle der Konsumgüterproduktion zu verdeutlichen — 100893 Rundfunkempfänger, 499 PKW-Anhänger und 22035 Heißwasserspeicher in Betrieben des Stadtbezirks gefertigt. Am Ende des zweiten Weltkrieges war mehr als ein Drittel aller Gebäude vernichtet. Große Anstrengungen waren notwendig, um das Zentrum Berlins neu aufzubauen. Der Alexanderplatz (s. A 3 ) , die Rathausstr. (s. A 3.8), die KarlLiebknecht-Str. (s. A 3.9) und der Fischerkietz (s. A 4.1) sowie die Leipziger Str. (s. A 9.7) und der Marx-Engels-Platz (s. A 4.5) entstanden in völlig neuem Gewände. Daneben wurde vorhandene Altbausubstanz, die etwa 75% aller Wohnungen ausmacht, modernisiert und instandgesetzt. Das betraf von 1981 bis 1983 mehr als 3 1 0 0 Wohnungen. Territoriale Schwerpunkte waren dabei die Wohngebiete um den Arkonaplatz, die Sophien- und die Schlegel-/Tieckstr. sowie historische Gebäudeensembles, wie die Straße Unter den Linden (s. A 7.2),der Platz der Akademie, der ehemalige Gendarmenmarkt (s. A 9.2), das Nikolai-Viertel (s. A 1.2), die Breite Str. mit Marstall und Ribbeckhaus (s. A 4.3), die Brüderstr. mit Nicolaihaus (s. A 4.4), die Waisenstr. mit der Gaststätte Zur letzten Instanz und der Stadtmauer (s. A 2.4), die Gebäudegruppe an der Friedrichsgracht, wie Scharren- und Gertraudenstr. und die Museumsinsel (s. A 5 ) . Der Berliner Dom (s. A 4.9) und das Märkische Ufer (s. A 10.1) mit dem Otto-Nagel-Haus und dem Ermelerhaus (s. A 10.1) wurden wiederhergestellt. Neben diesen Gebäudekomplexen entstanden im Zentrum 2 neue Wahrzeichen der Stadt, der Palast der Republik (s. A 4.8) und der Fernsehturm (s. A 3.5). Der Palast der Republik am Marx-Engels-Platz erfüllt seine Aufgabe nicht nur als Kultur-, Freizeit- und Erholungszentrum, sondern auch als Sitz der obersten Volksvertretung der D D R , der Volkskammer. Der Stadtbezirk Mitte verfügt über ein ausgedehntes Handelsnetz. Die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern wird vor allem von 2 Centrum-Warenhäusern (Alexanderplatz und am Hauptbahnhof), 2 Markthallen (Karl-Liebknecht-Str., Ackerhalle in der Invalidenstr.), von zahlreichen Kaufhallen und den 114
Geschäften der Rathaus-Passagen sowie den Handelseinrichtungen in der A Karl-Liebknecht-/Spandauer und Leipziger Str. gewährleistet. Für die medizinische Betreuung der Bevölkerung des Stadtbezirkes sorgen 3 stationäre Einrichtungen, darunter die Charité (s. A 11.8) mit ihrem 1982 fertiggestellten 1 1 5 6 Betten und 24 Operationssäle umfassenden chirurgischen Zentrum, mit 28 ambulanten Stationen und 3 Polikliniken. Die Werktätigen aus Betrieben und Institutionen werden von 2 Betriebspolikliniken, 5 Ambulatorien und 47 Betriebssanitätsstellen betreut. Im Stadtbezirk gibt es repräsentative Plätze wie den Marx-Engels-Platz> den Bebelplatz und den Alexanderplatz (s. A 3) sowie Straßen wie die Unter den Linden (s. A 7.2), auf denen Veranstaltungen und Kundgebungen stattfinden. In Fortsetzung progressiver Traditionen und des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse (s. 3.7) bildet der Stadtbezirk Mitte ein Zentrum des politischen Lebens der D D R .
W i r t s c h a f t l i c h e G r u n d l a g e n und E n t w i c k l u n g In kapitalistischer Zeit wurde bei der Umgestaltung der zentralen innerstädtischen Gebiete in der City die Wohnfunktion zugunsten von Institutionen, Banken und Büros verdrängt. Während auf der Spreeinsel Kölln 1880 noch 14000 Menschen lebten, waren es 1914 nur noch 6000. Bei gleichzeitigem erhöhtem Arbeitsplatzangebot entstand der früh stadteinwärts und abends stadtauswärts gerichtete Verkehrsstrom der innerstädtischen Pendelwanderung. Um diese City hatte sich ein Ring mit übermäßig dichter Wohnbebauung und mit mittleren und kleineren Standorten der verarbeitenden Industrie entwickelt. Es waren die Viertel der Mietskasernen. Erst nach und nach kann im Rahmen von Entkernung und Sanierung dieses aus kapitalistischer Zeit übernommene Milieu beseitigt werden. Die Innenstadt ist auch heute das größte Arbeitsstätten- und Wohngebiet Berlins. Im Stadtbezirk arbeiten 210000 Werktätige aus allen Teilen der Hauptstadt und aus dem Umland. Zu den größten Betrieben zählen der V E B RobotronSecura-Werke Rechen- und Buchungsmaschinen sowie der Berliner Aufzug- und Fahrtreppenbau mit über 800 Beschäftigten. Aus der vielfältigen weiteren Produktion sei die Laborchemikalienherstellung genannt. In der Chausseestr. befindet sich ein Standort des V E B Fernmeldemeßgeräte. Darüber hinaus sind im Stadtbezirk 7 Konfektionsbetriebe der bezirksgeleiteten Bekleidungsindustrie — so der V E B Damenmode, der V E B Bekleidung, der V E B Elegante Damenmode — vertreten. Das Modeinstitut der D D R befindet sich in der Brunnenstr. Bedeutende Baubetriebe der Hauptstadt, wie der V E B Berliner Tiefbaukombinat, der V E B Ingenieurhochbau, der V E B Technische Gebäudeausrüstung, haben hier mit ihren Leitungen ihren Sitz. E n g mit der industriellen Produktion sind die verschiedenartigen Verkaufsorganisationen der Industrie verbunden, die ihre günstigen Standortbedingungen im Stadtzentrum finden, so der V E B Robotron-Vertrieb Berlin mit den Standorten Runge- und Mohrenstr. A n der Mühlendammbrücke am Molkenmarkt steht die Münze der D D R . 115
A 1 Molkenmarkt, Nikolai- und Petrikirchplatz, die Anfänge von Berlin-Kölln 1237 wurde Kölln erstmalig in einer Urkunde erwähnt. Sein Pfarrer S Y M E O N de Colonia trat als Zeuge bei der Schlichtung des Zehntstreites zwischen den Markgrafen von Brandenburg und dem Bischof von Brandenburg auf. Das alte Kölln lag auf der heutigen Fischerinsel (s. A 4.1). 1244 fand Berlin zum ersten Mal in einer Urkunde Erwähnung. Der angeführte SYMEON war nunmehr Propst von Berlin. Weitere frühe Daten fallen auf die Jahre 1245 und 1247. Im Jahre 1247 war ein MARSILIUS Schulze, d. h. Bürgermeister, von Berlin. Ausgrabungen im Bereich der Nikolaikirche auf der Berliner Seite sowie an der Petrikirche in Kölln erbrachten wesentliche Ergebnisse zu den Anfängen von Berlin und Kölln. Diese Komplexe bildeten die Siedlungskerne, die auf Talsandinseln des an dieser Stelle auf 4 km verengten Urstromtals zwischen Teltow und Barnim entstanden waren (Abb. 16). Zu klären war zunächst die Baugeschichte der ältesten Pfarrkirchen, der Nikolaikirche in Berlin und der Köllner Petrikirche, die beide mit dem Frühabschnitt der Geschichte unserer Stadt eng zusammenhängen. Bei den Ausgrabungen in der Nikolaikirche entdeckte man als ältesten Bau eine spätromanische Basilika aus Granitquadern. Die dreischiffige, kreuzförmige Pfeilerbasilika mit einer Hauptapsis als Abschluß eines langgestreckten Chores, mit den 2 Seitenapsiden sowie einem querrechteckigen Westturm (Abb. 17) gehört in die Zeit der Stadtrechtsverleihung. Eine spätromanische Kirche erbrachten auch die Untersuchungen im Zentrum von Alt-Kölln am Köllnischen Fischmarkt, wobei allerdings Anhaltspunkte über die Größe der Petrikirche fehlen. In beiden Orten an der Spree standen ( bzw. entstanden zum Zeitpunkt der Ersterwähnungen große Kirchen aus Stein. Unter den Mauern der Nikolai- bzw. Petrikirche wiesen archäologische Grabungen Bestattungen nach, die auf eine Periode vor der Errichtung der Kirche zurückgehen (Abb. 17). Die Kirchenfundamente hatte man direkt auf die Grabanlagen gelegt, zerstörte oder störte sie dadurch. Strenge O-W-Ausrichtung, Beigabenlosigkeit, Blick nach O sowie Holzsärge deuten darauf hin, daß es sich um christliche Bestattungen handelte. Insgesamt gelang es, unter der Nikolaikirche 92, unter der Petrikirche in Kölln 15 solcher frühen Gräber freizulegen. Die „Urzellen" von Berlin und Kölln dürften im Umfeld der beiden Pfarrkirchen auf erhöhten Talsandinseln gelegen haben. Sie bildeten die Nikolai- bzw. die Petrisiedlung. Der Bereich um Neumarkt, Marienkirche (s. A 3.7) und Rathaus (s. A 1.6) lag außerhalb der Nikolaisiedlung Berlins. Nur einen kleinen Teil des von der mittelalterlichen Stadtmauer umgrenzten Territoriums kann man daher zur unmittelbaren ersten Ansiedlung der späteren Stadt Berlin rechnen. Die Stadtmauer selbst entstand wahrscheinlich erst gegen Ende des 13. bzw. zu Beginn des 14. Jh. Die erste Erwähnung der Stadtmauer fällt in das Jahr 1319. Danach hat das Heiliggeist-Hospital intra muros ( = innerhalb der Mauern), d. h. in der Stadt gelegen.
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Nikolaikirche Auf dem spreenahen Teil der Talsandinsel (Abb. 16) entstand im Bereich des ältesten Marktes, des heutigen Molkenmarktes, die erste steinerne Kirche Berlins, die dem Schutzheiligen der Kaufleute und Seefahrer Nikolaus geweiht war. Sie wurde als kreuzförmige Pfeilerbasilika mit noch romanisch erscheinenden halbkreisförmigen Apsiden am Querhaus und am Chor erbaut. Als Baumaterial dienten Granitquader, die gleichmäßig behauen und gefügt sind. Den westlichen Abschluß dieser Basilika bildete ein breiter mehrgeschossiger Querbau. Sein unterer Teil hat sich mit seinem Granitmauerwerk bis heute erhalten, er trägt den neugotischen Backsteinaufbau von 1876 bis 1878 sowie die 1983 erneuerten Spitzhelme (Abb. 40). Das Kirchenschiff der Basilika mußte im 14. und 15. Jh. einem gotischen Backsteinneubau (Abb. 41) weichen. Zwischen den beiden Stadtbränden von 1376 und 1380 begann man mit dem Neubau des Chores. Ein in Kölln durch Erzbischof P E T E R V O N M A G D E B U R G am 22. Juli 137g gegebener Ablaß berichtet davon. Der so entstandene Hallenumgangschor stellt die Übernahme eines von der Baumeisterfamilie der P A R L E R ausgebildeten Kirchentyp« dar, welchen man in süddeutschen und böhmischen Städten bevorzugt hat. Die Übertragung dieses T y p s in das Backsteingebiet hat seine Verbreitung auch im norddeutschen Binnenland, insbesondere in der Mark Brandenburg, bewirkt. Die Berliner Nikolaikirche zeichnet sich durch die Besonderheit aus, daß zwischen die den Bau umgebenden Strebepfeiler niedrige Kapellen eingeschoben sind. A m Außenbau erscheinen sie als Sockel der durch die Pfeiler plastisch gegliederten Wände, auf denen das mächtige, über dem polygonalen Chor abgewalmte Satteldach lastet. Vollendet wurde der neue Nikolaichor erst nach einer längeren Unterbrechung, offenbar als Folge des zweiten Stadtbrandes 1380. A m Anfang des 15. Jh. scheinen die Bauarbeiten zum Abschluß gekommen zu sein. Der Chor umfaßt 2 Joche des im ganzen siebenjochigen Raumes und das Polygon, fünfseitig im Mittelschiff, neunseitig im Umgang. Zwei Treppentürme bilden an seinem westlichen Ende im N und S die Zäsur zum fünfjochigen Hallenlanghaus, das erst nach der Mitte des 15. Jh. den bis dahin stehengebliebenen Rest der alten Kirche ersetzte. In dieser Gestalt zeigte sich die Kirche bis ins vorige Jahrhundert. Renaissance (Bild 6) und Barock hatten ihr Äußeres nur wenig verändert. Die Restaurierung von 1876 bis 1878 hatte zum Ziel, das als unfertig empfundene Turmwerk zu vervollständigen. Damals erhielt die Nikolaikirche ihre Backsteintürme mit den für das Stadtbild Berlins seitdem charakteristischen Doppelspitzen (Abb. 42). A m Ende des zweiten Weltkrieges wurde das Gebäude bis auf die Umfassungsmauern zerstört. 1981 begann der Wiederaufbau in Zusammenhang mit der Neubebauung des Quartiers zwischen Spree und Spandauer Str.
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Abb. 40. Nikolaikirche. Ursprüngliche Gestalt, vor dem Umbau Nach einem Foto von F. A. S C H W A R Z , um 1870
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