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German Pages 213 Year 1996
Arbeit, Sport und DDR-Gesellschaft Festschrift für Dieter Voigt
Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 94
Arbeit, Sport und DDR-Gesellschaft Festschrift für Dieter Voigt zum 60. Geburtstag
herausgegeben von Lothar Mertens und Sabine Gries
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Arbeit, Sport und DDR-Gesellschaft: Festschrift für Dieter Voigt zum 60. Geburtstag / hrsg. von Lothar Mertens und Sabine Gries. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Beiträge zur politischen Wissenschaft; Bd. 94) ISBN 3-428-09020-9 NE: Mertens, Lothar [Hrsg.]; Voigt, Dieter: Festschrift; GT
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-09020-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§
Inhalt Paul Gerhard Klussmann Weg eines Deutschlandforschers. Dieter Voigt zum 60. Geburtstag ............
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RolfMainz "Die Mörder sind unter uns" Für Dieter Voigt zum 60. Geburtstag ...........
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Frank Thieme Geschlossene Gesellschaft? Ausgewählte Aspekte zur Rekrutierung der Wirtschaftselite in Deutschland... ................ .... ................ ..... .......................
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Wolfgang Zimmermann Sozialistische Arbeitserziehung der DDR-Lehrlinge durch Mehrschichtarbeit ...........................................................................................................
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Klaus W. Tofahm Soziale Schichtung und Sport. Eine theoretische und empirische Reflexion unter besonderer Berücksichtigung des Betriebssports.......................
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Gabriele NeumannlAngela Deitersen-Wieber Sportpsychologie in der DDR. Eine quantitative Inhaltsanalyse sportpsychologischer Zeitschriften und Monographien aus den Jahren 1979-1989
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Lothar MertenslUlrich Spiekerkötter Austausch der Lehrerschaft in der SBZ. Die Neulehrer 1945-1949 ..........
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Dirk Ehrhardt Kindheit in der DDR: Die Pionierorganisation ..........................................
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Sabine Gries "Negative Jugendliche". Jugenddelinquenz in der DDR aus der Sicht des Ministeriums fiir Staatssicherheit..................................... ... .......................
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Lothar Mertens Ehescheidungen in der Ära U1bricht........ ...... .......... ........................ ..........
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Verfasserinnen und Verfasser ........ ....... ................... ..................................
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Von Dieter Voigt betreute Habilitationsschriften und Dissertationen........
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Schriftenverzeichnis von Dieter Voigt.......................................................
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Paul Gerhard Klussmann
Weg eines Deutschlandforschers Dieter Voigt zum 60. Geburtstag Dieter Voigt hat am 29. Juni 1996 sein sechzigstes Lebensjahr vollendet. Seine Freunde und Schüler widmen ihm aus diesem Anlaß eine Festschrift. Sie ehren damit einen Wissenschaftler und einen akademischen Lehrer, der sich in den Wissenschaftsgebieten Arbeits- und Sportsoziologie, Empirische Sozialforschung und Gesundheitsforschung hohe Anerkennung in Deutschland und auf internationaler Ebene erworben hat. Über die große Zahl der Publikationen und über seine vielfältige Herausgebertätigkeit gibt eine Bibliographie am Ende des Bandes einen eindrucksvollen Überblick. Am 29. Juni 1936 ist Dieter Voigt in Tsingtau/China geboren. Seine Kindheit und Jugend ist von reichen Erfahrungen in Ostasien bestimmt gewesen. Nach dem zweiten Weltkrieg kehrte er mit seinen Eltern in die sächsische Heimat zurück. Seine akademische Laufbahn hat er in der DDR begonnen, zunächst als Dozent an einer Fachhochschule, der Ingenieurschule in Weißenfels an der Saale, wo er von 1958 bis 1962 unterrichtet hat. Als wissenschaftlicher Assistent hat er sodann an der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig gearbeitet und hier schon wichtige Bereiche seiner späteren Forschungsinteressen entwickelt. Aufgrund seiner Offenheit und seiner vielfältigen Erfahrungen im Hochschulbereich, im gesellschaftlichen Leben und im Alltag geriet er zeitig in Widerspruch zum autoritären Staats system der DDR, zu den sozialistischen Doktrinen und zur Lehrpraxis. Sein Aufbegehren gegen fehlende demokratische Freiheiten führte am Ende zu Inhaftierung und Verurteilung. Über zwei Jahre war Dieter Voigt im berüchtigten Zuchthaus Bautzen in Haft. Schließlich wurde er durch das Eingreifen eines US-Bürgers aus der Haft freigekauft. In der Bundesrepublik Deutschland setzte er seine wissenschaftlichen Studien an der Universität Gießen unter Leitung von Prof. Dr. Helge Pross fort. Mit der arbeitssoziologischen Dissertation über das Thema »Montagearbeiter in der DDR«, die 1971 zur Promotion führte und 1973 als Buch vorgelegt wurde, schuf er die Grundlage für seine Hochschullaufbahn. Denn schon mit diesem
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Paul Gerhard Klussmann
Werk erreichte Dieter Voigt in der Sozialwissenschaft eine breite Resonanz, zumal in jener Zeit zuverlässige und wissenschaftlich begründete Informationen über die Arbeitswelt der DDR in der Bundesrepublik Deutschland so gut wie überhaupt nicht vorlagen. Mit diesen Forschungen konnte er an seine frühen Weißenfelser und Leipziger Studien anknüpfen und dort gesammeltes empirisches Material auswerten. Seine profunde Sachkenntnis über die Wissenschaft in der DDR hat er in seiner Habilitationsschrift »Soziologie in der DDR« erneut überzeugend nachgewiesen. Auch dieses Buch, 1975 erschienen, machte den Autor über den engeren Bereich seines wissenschaftlichen Fachgebiets bekannt. Es gilt bis heute als Standardwerk. Schon an der Universität Gießen begann Dieter Voigt 1973 seine Lehrtätigkeit im Gebiet der Soziologie. Im Jahre 1975 wurde er an die Ruhr-Universität Bochum berufen, und zwar mit dem Lehrgebiet Sportsoziologie innerhalb der Fakultät für Sportwissenschaft. Darüber hinaus entfaltete er seine Lehr- und Prüfungstätigkeit auch im Bereich der Fakultät für Sozialwissenschaft, die ihn sogleich kooptiert hatte. Sein Wirken in Bochum war so erfolgreich, daß sich schon sehr bald ein großer Kreis von Schülern und Freunden um ihn versammelte. Heute, nach einer mehr als zwanzigjährigen akademischen Lehrtätigkeit, sind über vierzig abgeschlossene und im Druck vorgelegte Dissertationen ein markantes Zeugnis seiner engagierten Arbeit. Nicht wenige seiner Schüler haben inzwischen selbst einen Platz als Hochschullehrer an verschiedenen deutschen Universitäten gefunden. Die Felder seiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit sind vor allem durch die Spezialgebiete Arbeitssoziologie, Sportsoziologie sowie DDR- und vergleichende Deutschlandforschung bestimmt. Aus der großen Zahl seiner Veröffentlichungen möchten wir nur die programmatischen Untersuchungen hervorheben über »Schichtarbeit und Sozialsystem« (1986), »Die Sozialstruktur der promovierten Intelligenz in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland 1950-1982« (1990) und »Soziologie des Sports - Sportsoziologie« (1991). Diese letzte Veröffentlichung hat sich als Hand- und Lehrbuch in der Wissenschaft durchgesetzt. Die Buchveröffentlichungen sind begleitet von einer großen Zahl fachwissenschaftlicher Publikationen in Zeitschriften und Sammelbänden. In diesen Arbeiten zeigt sich die ganze Breite des Forschungsgebiets, das Dieter Voigt in der Ruhr-Universität Bochum repräsentativ vertritt. Aus der Reihe dieser Studien seien die folgenden Titel herausgestellt: »Sportlehrer und Sportunterricht in beiden Teilen Deutschlands« (1978), »Zur Soziologie des Gesundheitsverhaltens. Hypothesen - Gedanken - Ergebnisse« (1978), »Soziale und politische Struktur der DDR im Wandel« (1979), »Spitzensport in der DDR« (1979),
Würdigung
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»Problem lage und soziologisches Begriffssystem« (1980), »Wissenschaftselite in bei den Teilen Deutschlands« (1983), »Arbeitsverhoudingen in de DDR« (1986), »Soziale Schichtung - Arbeitswelt - Historisches Bewußtsein« (1987), »Die innerdeutsche Wanderung und der Vereinigungsprozeß« (1990). Die zuletzt genannte Untersuchung zeigt, wie sehr Dieter Voigt mit seinen Forschungen am Puls der Zeit ist. Alle Arbeiten, die nach der Wende und der deutschen Vereinigung entstanden sind, nutzen die neuen Informationsmöglichkeiten und archivalischen Quellen, um die anvisierten Themen zu vertiefen und neu zu begründen. Dabei konzentriert sich das Interesse deutlich auf das Ziel, die gesellschaftlichen, institutionellen und staatlichen Verhältnisse der DDR kritisch zu durchleuchten, so daß das wahre Gesicht des totalitären Systems offenbar wird. Insbesondere das Ministerium für Staatssicherheit und das von ihm realisierte Unterdrückungssystem stehen im Mittelpunkt seiner jüngsten Forschungen. Für den Arbeitsstil von Dieter Voigt ist es charakteristisch, daß er immer wieder jüngere Mitarbeiter bei seinen Untersuchungen und Arbeiten einbezieht und ihnen damit frühzeitig eine Möglichkeit zu wissenschaftlicher Qualifizierung gibt. Daher sind im Schriftenverzeichnis die Namen der Mitwirkenden genannt, so daß sich der engere Schüler- und Mitarbeiterkreis auch in den Publikationen Dieter Voigts widerspiegelt. Auch seine reiche Herausgebertätigkeit zeigt den kommunikativen und kollegialen Arbeitsstil. Daher ist es auch kein Zufall, daß Dieter Voigt zu den Mitgründem des Instituts für Deutschlandforschung der Ruhr-Universität Bochum gehört, einer zentralen wissenschaftlichen Einrichtung, in der FachwissenschaftIer aus sieben Fakultäten interdisziplinär zusammenarbeiten. Natürlich reicht das Wirken von Dieter Voigt weit über den engeren universitären Kreis hinaus. In zahlreichen Akademien hat er wissenschaftliche Kongresse geleitet, und in der »Gesellschaft für Deutschlandforschung« hat er seit Anfang der achtziger Jahre ununterbrochen als Fachleiter für Sozialwissenschaft viele Impulse gegeben. Im politischen Bereich wurde er als wissenschaftlicher Fachgutachter seit seiner Mitwirkung im Arbeitskreis für vergleichende Deutschlandforschung beim Bundesminister für Innerdeutsche Beziehungen (1975-1978) wiederkehrend berufen und als Ratgeber geschätzt, zuletzt in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland«. Die Festgabe zum 60. Geburtstag von Dieter Voigt folgt den Schwerpunkten seiner wissenschaftlichen Interessen. Die Aufsätze bewegen sich sowohl im Gegenstandsbereich der Soziologie als auch der Sportwissenschaft und der DDR-Forschung. Die Beiträger möchten den Jubilar dadurch ehren, daß sie Wege weitergehen, die er inhaltlich und methodisch eröffnet hat.
RolfMainz
"Die Mörder sind unter uns" Für Dieter Voigt zum 60. Geburtstag Als wir 1976 antraten, die Wahrheit über die DDR zu verbreiten, waren wir voller Hoffnung. Die Hoffnung trog nicht, ein Dutzend Jahre später fiel, wie jeder weiß, das System wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Freilich fiel es nicht zusammen, weil alle Patrioten entschlossen dagegenhielten, sondern weil die Kommunisten ihre eigene Systempleite organisierten. Dagegen waren selbst die stärksten fmanziellen Butterungen der deutschen Bundesregierung zuletzt machtlos. Machtlos auch das gewaltige Aufgebot der nützlichen Idioten, die das System seit Jahr und Tag relativierten und schönredeten. Dann entsetzt mitansehen mußten, wie ihre schöne DDR den Bach hinunterging. Einer, der den Untergang der DDR mit unnachgiebiger, geradezu grauenhafter Härte betrieb, war Dieter Voigt. Ich habe in den Jahren, seit ich im Westen bin, keinen anderen Menschen erlebt, der dem Moloch mit soviel Profession zuleibeging wie der Professor. Über das Motiv, den inneren eigentlichen Antrieb, kann man streiten, Rache war es gewiß nicht. Er hätte Grund dazu gehabt, sie haben ihn in ihren Verliesen gequält, das ist sicher, sie haben ihm übel mitgespielt. Rache war es dennoch nicht, das wäre ihm zu flach gewesen, auch zu unwissenschaftlich. Ihn bewegte, glaube ich, etwas anderes. In einem Vortrag, den ich in Tutzing einmal hielt, rechnete ich vor, wie sich das System durch lange und immer längere Produktionszeiten für Dinge des Tagesbedarfs den Weg zum kommunistischen Ziel quasi selbst abschneidete. Mittenhinein in meine Statistiken über Kühlschränke, Radios und Fahrzeuge sagte eine Stimme: "Die Menschen, sie machen die Menschen kaputt". Darum ist es ihm vor allem anderen gegangen: daß sie die Leute ruinierten. Daß sie schon bei den Vorschulkindern damit anfmgen, den Charakter, die Seele, das Empfinden so zu verbiegen, daß wenig blieb, was man normal und menschlich hätte nennen können. Daß es ihnen später nichts ausmachte, IM zu werden und Geschwister, die Eltern, den Nachbarn anzuschwärzen. Das wurde "operativ-relevante Kontrolle" genannt. Und war nicht Ausnahme, sondern die
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beschämende Regel. Die DDR war ein Tollhaus dieser operativ-relevanten Kontrolle. Dieter Voigts Zwischenruf: "Sie machen die Menschen kaputt" ist wohl wahr, aber es ist ja nicht etwa so gewesen, daß die Honecker-Schrapnells nur DDR-Köpfe beschädigten. Wir haben erschütternde Zeugnisse bundesdeutscher Opfer, das Sortiment reicht vom blauäugigen Ostermarschierer bis zum hochbezahlten MfS-Agenten in der SPD-Führung. Wenn das MfS-Fernsehen jeden Abend zarte Kinderstimmchen flöten ließ: " Wir senden jetzt den Abendgruß!", konnte sich eine Armada, die ganze fünfte Kolonne bundesdeutscher Zuträger und Helfershelfer, zufrieden in die Sofakissen zurücklehnen und den Gruß von Herzen erwidern. Erstaunlich viele Akademiker waren darunter, erstaunlich viele Künstler und Dichter waren darunter. Erstaunlich viele protestantische Kleriker waren darunter. Was nicht verwundert, es ist in den Kreisen seit 1933 üblich, auf das falsche Pferd zu setzen. Und erstaunlich viele Politiker waren darunter. Auch gestandene Leute, die bis zuletzt durchhielten, dann unter dem Druck von allen Seiten doch noch die Nerven verloren und umkippten, ihr Lebenswerk zerstörten. Keiner, der nicht Dreck am Stecken hätte. Keiner! Sie alle haben zum lieben Gott gebetet, daß er die DDR erhalten möge. Dafür waren sie bereit, Aufklärung über die Zustände in der DDR nach Kräften zu unterbinden, Salzgitter abzuschaffen, die Kröte DDR-Staatsbürgerschaft zu schlucken und über die Mauer, das mißratene Kind, fürderhin erst gar nicht mehr zu reden. Sie konnten ja nicht wissen, daß die Russen schon dabei waren, die Schläuche abzuklemmen. Das konnten sie nicht wissen, denn um das Wissen, braucht es eines Informationsstroms, der nicht immer bloß breit und rasch von West nach Ost fließt, sondern umgekehrt und ausnahmsweise auch einmal von Ost nach West. Der floß aber nicht, konnte und sollte nicht fließen, noch zum Jubiläum am 7. Oktober 1989 erreichten das Politbüro heiße Liebesgrüße aus dem Westen. Nicht Maß-, sondern Durchhalte-Appelle. Das war ein bißehen wie der arme Paulus, der rasch noch zum Generalfeldmarschall befördert wurde, ehe ihn der Schlag traf. Wer erinnert sich nicht, wie der Sozialdemokrat Helmut Schmidt unbedingt zu Erich Honecker fahren mußte just in dem Moment, da in Polen das Kriegsrecht gegen die Gewerkschaften verhängt wurde. Wie sie knabenhaft unbeschwert einander Bonbons zusteckten, die beiden roten Herren. Wem ist nicht noch gegenwärtig, wie der strahlende Strauß dem nicht minder strahlenden Honecker die frohe Botschaft vom Milliardenkredit brachte. Franz Josef Strauß und Erich Honecker, das muß man sich vorstellen! Und wer hat nicht noch das
Würdigung
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Bild vor Augen, wie Oskar Lafontaine, hochrot vor Eifer und Erregung, dem grinsenden Honecker die Hände massierte. Und, freilich, es bedarf einer intakten Aufklärung. Wir hatten aber nur Pannenkommandos. Das ging ja konform, daß die Politik versagte und zufällig auch die Abwehr. Mein MfS-Vemehmer in Potsdam, ein dicker Mensch, der lange Zigarren rauchte, das heißt, mehr mit dem fortgesetzten Anzünden der Dinger beschäftigt war, der hat einmal laut gelacht, als wir über die Schlapphüte der Bundesrepublik sprachen. Je wütender ich wurde, desto lauter lachte er. Naürlich war das nur ein MfS-Canide, und natürlich kann auch das Lachen gefälscht gewesen sein, der Grund des Lachens gewiß nicht. Dieses Wort von Dieter Voigt, daß sie die Menschen kaputtmachen, galt und gilt für alle bei uns in Deutschland, nicht bloß für die 17 Millionen jenseits der EIbe, die dem System direkt ausgeliefert waren. Es gab in den letzten Jahren der DDR kaum noch eine kritische Stimme aus der Bundesrepublik. Wer sich zu Wort meldete, sich gegen harten Widerstand von allen Seiten über Zustände in der DDR beklagte, waren Betroffene, vom Ministerium für Staatssicherheit Malträtierte, die Opfer selber. Ein unglaubliches, für demokratische Verhältnisse skandalöses, vor dem Hintergrund unserer jüngsten Geschichte rätselhaftes Regiment der Gleichschaltung hatte Platz gegriffen. Und die Leute, die das zu verantworten hatten, die das durchpaukten, sitzen immer noch in ihren Chef-Sesseln. Reden, als wäre nichts gewesen. Schreiben, als wäre nichts gewesen. Lehren, als wäre nichts gewesen. Ohne Scham, ohne die geringsten Skrupel, ohne Würde. Musterbeispiele für, im Voigtschen Sinne, kaputtes, kaputtgemachtes, schizoides, eben Stasi-geprägtes Bewußtsein. Von diesen Leuten (denn wenn sie heute nicht gehen, gehen sie morgen erst recht nicht) haben wir noch einiges zu erwarten. In der DDR, Auge in Auge mit den Stasi-Knechten, hatte ich selten Angst, heute und hier jeden Tag. Düsseldorf, im Juli 1996.
Frank Thieme
Geschlossene Gesellschaft? Ausgewählte Aspekte zur Rekrutierung der Wirtschaftselite in Deutschland
"Manager dienen oft kurzfristigen Interessen. Sie wollen imponieren oder verhindern, daß man sie rauswirft" (Giovanni Agnelli [FIATPräsident bis April 1996] 1996, S. 14).
I. Deutsches Topmanagement im Zielpunkt der Kritik Ungelöste Probleme im Zusammenhang von Transformationsprozessen moderner Dienstleistungs- und Informationsgesellschaften stellen die Bühne für eine an Höhepunkten reiche Auseinandersetzung mit den Führungsschichten unserer Gesellschaft. Nach der politischen Oberschicht geriet das Topmanagement der Wirtschaft ins Kreuzfeuer der Kritiker. Mißmanagement, Unfähigkeit, I Fehlspekulationen, Vorteilsnahme und Betrug lauten Vorwürfe und erwiesene Fakten, und sie verfehlen nicht ihre Öffentlichkeitswirkung anläßlich fortdauernder Diskussionen um (Beinahe-)ZusammenbTÜche von Konzernen, Personalentlassungen infolge von Firmenzusammenschlüssen oder MarkteinbTÜ• 2 ehen, Sozlalabbau und wachsende Armut.
Hier eine Auswahl von Titeln zur kritischen Auseinandersetzungen mit dem Topmanagement: Ogger (1992), ScheuchJScheuch (1995), Hesse/Schrader (1994), Pfeiffer (1992). Diese Kritik gibt es nicht nur in Deutschland. Von Italien - jahrelang "Paradebeispiel" filr Korruptionsaffilren zwischen politischer und Wirtschaftselite - abgesehen, klagt auch Frankreich über eine "unehrliche Führungsriege" . Das Führungspersonal von Politik und Wirtschaft wird dort laut Umfragen "filr unehrlich, inkompetent und desinteressiert am Gemeinwohl" gehalten (Wirtschaftswoche, Nr. 51, 14.12.1995). 2
Die wirtschaftliche Spitzenstellung der Bundesrepublik innerhalb Europas, die noch Anfang der neunziger lahre bestand, ist - gemessen am Pro-Kopf-Einkommen - inzwischen einem
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Frank Thieme
Desillusioniert räsonierte das Editorial eines Wirtschaftsfachblattes im Herbst 1995 den mäßigen bis schlechten Ruf deutscher Unternehmer. Anders, als es ihm aufgrund seiner Verdienste für das Gesamtwohl der Gesellschaft gebühre, rangiere dieser Beruf" weit abgeschlagen hinter Arzt, Pfarrer oder Professor im hinteren Mittelfeld". Änderung sei nicht in Sicht, vielmehr verschärfe sich noch das Negativimage der "Ausbeuter" genannten Wirtschaftsführer seit der deutschen Wiedervereinigung (Wirtschaftswoche 1995, S. 3{ Fehlt es deutschen Wirtschaftsführern an Kompetenz oder Moral? Wird die Schere zwischen gesellschaftlicher Erwartung und meßbarer managerieller Leistung im. 4 mer größer? Ist die privilegierte Stellung, die Topmanager genießen noch gerechtfertigt durch den Beitrag, den sie liefern zur Erhaltung des "Standortes Deutschland"? Hier nur einige zufällig ausgewählte jüngere Beispiele für Negativ-Schlagzeilen, die deutsche Topmanager in den letzten Monaten machten: I. Mit dem Ende der Vertragszeit von Daimler-Benz-Lenker Edzard Reuter geriet dessen bereits in erheblichen Teilen in die Realität gesetzte Vision vom Technologie-Konzern mangels Rentabilität in Scherben. "Nummer kleiner. Der neue Konzernchef Jürgen Schrempp will radikal aufräumen. Vor dem Werk des Vorgängers Reuter wird wenig übrigbleiben (Wirtschaftswoche, Nr. 21, 18.5.1995, S. 50 ff.). Der Nachfolger hat inzwischen bereits Teile wie die defizitäre niederländische Fokker-Werft verkauft ("DB-Schrempp stellt Zahlungen für Fokker ein", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.124. Januar 1996). Der 1987 einverleibte traditionsreiche AEG-Konzern (mit dem Zusammenschluß war der Daimler-Benz-Konzern zeitweise das größte deutsche Unternehmen vor Siemens) wurde am 5. Juni 1996 nach neuen Rekordverlusten - von insgesamt rund sieben Milliarden ist die Rede (Wirtschaftswoche, Nr. 6, 1.2.1996) - aufgelöst. Reuter wechselte nicht wie üblich auf den Chefsessel des Aufsichtsrates (ebd.).
2. Am 19. Juni 1996 wurde Friedrich Hennemann, wenige Monate zuvor entlassener Chef der Bremer Vulkan-Werft, die 1993 von der Treuhand die ehemaligen
mittleren Rang gewichen ("Deutscher Beitrag zur EU soll sinken. Auch Rechnungshof will Reform, in: Ruhr-Nachrichten, 27.7.1996, S. I). 3
Grundlage der zitierten Klage ist eine Befragung des Instituts rur Demoskopie in Allensbach im Auftrag der Wirtschaftswoche (1995, S. 196 ff.). Sympathie mit den Eliten bekundeten von den Befragten in den alten Bundesländern 30 %, in den neuen Ländern lediglich 23 % (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.3.96, S. 5).
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Zu diesen Privilegien gehört ein weit über dem Durchschnitt rangierendes Einkommen. Während z.B. der monatliche Bruttoverdienst fiir die Gruppe der männlichen Angestellten in Industrie und Handel auf dem Gebiet der früheren Bundesrepublik 1994 mit DM 5.611 angegeben wird (Statistisches Jahrbuch 1995, S. 582) geben Scheuch/Scheuch das Jahreseinkommen deutscher Manager - zu 75 % fix - mit durchschnittlich zwischen DM 350.000 und 700.000 rangierend an (1995, S. \08).
Rekrutierung der Wirtschaftselite
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Werften der DDR in Stralsund und Wismar übernommen hatte, verhaftet. Dem Vorstandsvorsitzenden des zusammengebrochenen Werften-Konzerns wird "gemeinschaftliche Untreue zum Nachteil von ehemaligen Treuhandunternehmen in besonders schwerem Fall" (Paragraph 266 Strafgesetzbuch) vorgeworfen (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.6.1996). 3. Verlustverschleierung von "einigen hundert Millionen DM" in den Bilanzen eines Tochterunternehmens des Klöckner-Humboldt-Deutz Konzerns bringt das seit Jahren angeschlagene Kölner Unternehmen "an den Abgrund" (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. 5. 1996). 4. Nach Milliarden-Verlusten in der Folge von Öl-Termingeschäften geriet Ende 1993 die Frankfurter Metallgesellschaft in Bedrängnis. Dem entlassenen Vorstandsvorsitzenden Heinz Schimmelbusch - ein Jahr zuvor noch von einer Wirtschaftszeitschrift zum "Manager-des-Jahres" gekürt - und dem ebenfalls entlassenen Finanzvorstand Meinard Forster wird "totales Mißmanagement" (Deutsche Bank-Vorstand und Metallgesellschaft Aufsichtsratsvorsitzender Ronaldo Schmitz, Wirtschaftswoche Nr. 6, 2.2. 1996, S. 48 f.) vorgeworfen. Die vom Nachfolger initiierte Sanierungkostet 35.000 von ursprünglich 60.000 Mitarbeitern die Stelle (ebd., S. 48). 5. Ebenfalls 1994 wird dem langjährigen und erfolgreichen Vorstandsvorsitzenden des Düsseldorfer Mannesmann-Konzems Werner Dieter Vorteilsnahme vorgeworfen. Über "Strohmänner" soll sein privates Firmenimperium durch Vergabe von Aufträgen des Mannesmann-Konzerns Milliardenaufträge erhalten haben. Der kurz vor dem Ende seiner Dienstzeit stehende Dieter wechselt nicht wie üblich in den Aufsichtsrat. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft laufen. 6. Gegen den ehemaligen Krupp-Manager Alfons Gödde läuft im Juli 1995 ein Prozeß wegen Betrugs. 7. Der designierte Vorstandsvorsitzende der Thyssen-Handelsunion und langjährige Thyssen-Manager Hans Zimmermann tritt Ende 1995 wegen Betrugsvorwurfs zurück - er soll sich beim Umbau seiner Villa auch im eigenen Unternehmen bedient haben (Wirtschaftswoche Nr. 51, 14.12.1995, S. 9).
Sozialwissenschaftliche Studien können, jenseits im Einzelfall berechtigter Vorwürfe und notwendiger Aufdeckung von Inkompetenz, Selbstbedienungsmentalität und Korrumpierbarkeit zur Versachlichung des Problems beitragen. Dabei zeigt sich das folgende: Jenseits spektakulärer und derzeit gehäuft erscheinender Einzelfälle, macht die eindeutige Mehrheit des deutschen Managements ihre Sache gut. In den Chefetagen der großen Unternehmen, die über Zehntausende von Arbeitnehmern entscheiden und Millionen-Beträge verwalten und mehren, sitzen "Bürokraten" die verwalten, nicht Visionäre, die entwickeln. Diese an Max Webers Verwaltungsstäbe (Weber 1956, S. 160 ff.) erinnernden "Wirtschaftsbeamten" (Manager-Magazin) seien das Gegenteil "wirklicher Unternehmer" aber dennoch am rechten Ort. Denn, anders als in Klein- und Mittelbetrieben, komme es in dieser Unternehmensgrößenklasse an
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Frank Thieme
auf Bestandserhaltung, nicht auf hastige Innovationen und kurzfristige Gewinnmaximierung (Scheuch/Scheuch 1995, S. 112). Die Führer von großen Wirtschaftsunternehmen als Verwalter von Bürokratien? Schon in den sechziger Jahren hatte ein damals führender "Headhunter" gesagt, daß er für Großunternehmen den "überdurchschnittlichen Durchschnitt" suche (Scheuch/Scheuch 1995, S. 111). Und Max Weber sah in den .. ganz großen modernen kapitalistischen Unternehmungen ... normalerweise unerreichte Muster straffer bürokratischer Organisationen" (1956, S. 737). Wie rekrutieren sich diese hochbezahlten und mit großer Verantwortung versehenen "Bürokraten"? Wo kommen Sie her, und wie haben sie - vor dem Hintergrund raschen sozialen Wandels ihr Sozial- und Bildungsprofil verändert oder auch beibehalten? Mit Hilfe von empirisch gewonnen personenbezogenen Daten von 219 Inhabern von Spitzenpositionen in der Wirtschaft aus unterschiedlichen Branchen 5 und der Auswertung vorliegender Studien soll die o.g. These überprüft werden und Überlegungen angestellt werden, ob Topmanager mit diesen Eigenschaften, den erwarteten Beitrag zu sozialer Stabilität und sukzessivem Wandel leisten können. Die Frage der Herkunft steht im engen Zusammenhang mit dem Persönlichkeitsprofil und der Frage nach der funktionalen Leistung. Eigenschaften und Einstellungen sind - so die These - grundlegend geprägt durch soziale Herkunft, Bildungs- und Karrierewege (Hartmann 1995). Welchen Herkunftsmilieus entstammen die Topmanager, welche formale Bildung absolvieren Sie, welche Karrierewege sind typisch und inwieweit 6 strukturieren diese Parameter Persönlichkeitsmerkmale und Handlungsweisen . Das Thema hat mehr als nur eine spezifische Bedeutung hinsichtlich der Erforschung einer kleinen aber feinen Oberschicht. Sie ist vielmehr von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Mit dem Topmanagement großer Unternehmen und Konzerne ist eine der besonders wichtigen Funktionseliten moderner Gesell-
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Untersucht wurden im Herbst 1989 die Vorstände von 20 Großunternehmen: Banken, Versicherungen, Chemische Industrie, Stahlerzeugung, Energiegewinnung, Fahrzeugbau, Elektroindustrie. Im Herbst 1994 wurde die Branche Handel ergänzt. Die Auswahl der Unternehmen erfolgte zuflUlig. Es handelt sich jeweils um Unternehmen die nach Umsatz und Belegschaft zu den größten in Deutschland gehören. Es wurden durch Einsichtnahme der Geschäftsberichte die Positionsträger ermittelt. Personenbl!zogene Daten wurden aus Prominenten-Nachschlagewerken, Lebensläufen Promovierter und durch schriftliche Befragung gewonnen. Ich danke Dieter Voigt fiir die Anregung des Themas und viele weiterfiihrende Gespräche und Ulrich Spiekerkötter, der die Auswertung des statistischen Materials besorgte.
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Hartmann hat in einer Untersuchung des deutschen Topmanagements den Bourdieuschen Begriff "Habitus" nutzbar gemacht und u.a. festgestellt, daß ein "klassenspezifischer Habitus" dort Voraussetzung zum Aufstieg ist (Hartmann 1995, S. 461 ff.)
Rekrutierung der Wirtschaftselite
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schaften im Blick, deren Leistung von zentraler Bedeutung fiir Bestand und Zukunft der Gesellschaft is{
11. Eliten als Führungsschichten moderner Gesellschaften Die Frage nach Strukturen und Legitimation von Macht und Herrschaft hat seit jeher die Sozialwissenschaften beschäftigt. Als nützlich hinsichtlich der Erklärung von Entstehen und Akzeptanz von Herrschaft im Sinne Max Webers in modemen Gesellschaften hat sich die modeme Elitetheorie in der Nachfolge von Mannheim (1951), Geiger (1949) und Schumpeter (1950) erwiesen. Angehörige von Eliten sind demzufolge Personen, die durch Leistungs- und Qualifikationsprozesse in entsprechende mit hoher Entscheidungskompetenz ausgestattete Positionen gelangt sinl. Da die Kriterien des "Aufstiegs" grundsätzlich "offen" sind, "Schließungsmechanismen" also nicht existieren und die formalen wie inhaltlichen Kriterien des Aufstiegs Ergebnis eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses sind, ist zugleich die Frage nach der Legitimation von "elitärer Herrschaft" geklärt. Von Eliten ausgeübte Herrschaft ist rationale Herrschaft im Sinne Webers. Eliten sind die durch - erlernte - Sachkompetenz ausgewiesenen Inhaber von gesell9 schaftlichen Spitzenpostionen . Ihre Leistung ist funktional-spezifisch; d.h. sie sind die "Fachmenschen" (Weber 1956, S. 737), die an der Spitze von Teileliten stehen innerhalb einer arbeitsteilig aber auch im Sinne sozialer Ungleichheit differenzierten Gesellschaft. Damit liefern diese Teil- oder Funktionseliten jeweils strukturerhaltende Leistungen fiir ihren Bereich (z.B. fiir Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft, Kulturi Kirche, Militär, Sport usw.), aber zugleich auch fiir die gesamte Gesellschaft 0. Funktionserhaltung wird soweit ge7
Der Beitrag ist Teil eines größeren Projektes, in dem die Bedeutung von Eliten, dargestellt am Beispiel der Wirtschaftselite in Deutschland, fur sozialen Wandel untersucht wird.
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Vgl. hierzu insbesondere den synthetisierenden und noch immer grundlegenden Beitrag zu einer modemen Elitetheorie von Dreitzel (1962).
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Zur Diskussion hinsichtlich der Brauchbarkeit des Elitebegriffs in Deutschland vgl. insbesondere Dreitzel (1962), Schluchter (1963), Jaeggi (1967), Scheuch (1966).
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Hier - wie auch im Zusammenhang der gesamtgesellschaftlich notwendigen Funktion sozialer Ungleichheit - flUh der starke Einfluß seitens der Strukturfunktionalen Schichtungstheorie auf. Vgl. Barber (1957), Davis (1942), DavislMoore (1945), Parsons (1964), Tumin (1963). Teileliten wirken integrativ in dem Sinne, daß sie die spezifischen Leistungen der gesellschaftlichen Subsysteme zusammenfuhren und damit gesamtgesellschaftlich erst wirksam machen. Vgl. Bottomore (1974, S. 244).
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Frank Thieme
faßt, daß damit zugleich das Fließgleichgewicht des Wandels eingeschlossen ist. Zusammengefaßt bedeutet dies, "offene" Gesellschaften sind Systeme, die nur die "Tüchtigsten" an die "Spitze lassen". In Elitepositionen steigt auf, wer nach allgemein - und/oder im jeweiligen Teilbereich akzeptierten Reglements gemessene "Leistung" demonstriert I I. Diese ist als Sachkompetenz Basis von Herrschaft. Eine "Qualifikationselite,,12 gilt danach als Art Motor moderner 13 Gesellschaften (Endruweit 1986 ). "Offenheit" beinhaltet "Zirkulation,,14. Das Leistungs- und Qualifikationspostulat schließt ein, daß Positionen nicht zu "Erbhöfen" werden. Inkompetenz führt zum Ausscheiden, "ständische Schließungen" im Sinn Max Webers, die Bewahrung von Exklusivität, d.h. Ausschließung Gruppenfremder hebelt das Konzept aus. Solcherart verfahrende Eliten verkrusten und gefährden damit gesellschaftliche Stabilität. Die Kritik an dieser Position fokussiert drei Kriterien: 1. Das (zumeist unausgesprochene) Begabungsapriort sei empirisch kaum belegbar und erinnert im übrigen an biologisch präformierte Theorien. Deren 16 Stellenwert ist seit den 1950er Jahren jedenfalls deutlich zurückgegangen .
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Gegeneliten - Pareto nannte sie "Nichtregierende Eliten" (1955) - sorgen, werden sie nicht integriert - via Revolution zum abrupten sozialen Wandel.
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Die modeme Elitetheorie hat hier sowohl von Max Weber gelernt, der "Qualifizierungsprozesse" flir wesentlich hinsichtlich der Lebenschancen von Menschen in modemen Gesellschaften herausgestellt hatte (Weber 1956, Bd I, S. 223-229, Bd. 2, S. 678-689). Aber auch die Diskussion um die Bedeutung der "Intellektuellen" schlägt sich nieder: Geiger (1949), Schumpeter (1950), Gouldner (1980).
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Endruweit hat auf der Basis von Fachliteratur diese These filr Entwicklungsländer überprüft (1986).
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Die Zirkulation von Eliten - als Bedingung flir "gesellschaftlichem Fortschritt" - spielt bereits bei Pareto eine zentrale Rolle. Sie findet dort allmählich - quasi durch Integration - oder gewaltsam durch Revolution statt (Pareto 1964).
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Wie Davis/Moore gezeigt haben, bildet sich soziale Schichtung auf der Grundlage unterschiedlich gegebener individueller Begabungen heraus, die neben der Bereitschaft zur Leistung Voraussetzung sind, die kulturspezifischen, von Seiten der Gesellschaft unterschiedlich bewerteten Bedürfnisse zu erfullen (DavislMoore 1945, S. 243).
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Die Deszendenztheorie des 19. Jahrhunderts hatte auf Theorien die unter dem schwammigen Begriff "Sozial darwinismus" bekannt sind, starken Einfluß. Auch in der Psychologie standen sich lange Abstammungs- den "Milieutheorien" gegenüber. Vgl. Eysenck (1976). In der deutschen Soziologie wirkten aber noch bis in die 1960er Jahre die theoretischen Diskussionen der 20er und 30er Jahre bei der sog. Begabten- und Schichtungs- aber auch der Managerforschung nach, etwa bei dem durch öffentliche Forschungsgelder gellirderten Karl V. Müller (1956,1962).
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2. Ebensowenig sei die "Offenheit" belegbar. Während die vom Marxismus geprägte Entgegnung den Primat des Kapitalbesitzes betont und die Abhängigkeit der Politik als Überbauphänomen 17 nachzuweisen sucht, ist es der empirischen Forschung z.B. in den I 960er Jahren gelungen, Bildungsprivilegien der 1K Mittelschichten aufzudecken . Die empirische Eliteforschung hat nachgewiesen, daß "Offenheit" und "Zirkulation" zu relativieren sind. Während revolutionäre Umstürze stets eine abrupte und weitgehende vollständige "Zirkulation" bewirken, setzten sich im übrigen Beharrungs- und Konservierungstendenzen durch (Zapf 1965). 3. Schließlich ist die "Pluralität" der Elitestruktur infrage gestellt worden. Riesman hatte fur die USA der 1950er Jahre sich gegenseitig in ihrer Macht beschränkende Teileliten ausgemacht, die durch ein jeweiliges Vetorecht eine monopolistische Machtausübung verhindern würden (Riesman 1964). Dies galt - neben der "Offenheit" der Rekrutierungswege als wichtiges Indiz fur eine demokratische Legitimation von Herrschaft. Dieser These hatte rur die USA frühzeitig Mills widersprochen und die allerdings umstrittene These von der Existenz einer "Machtelite" dagegengestellt. Demnach galten die Teileliten von Politik, Wirtschaft und Militär als eng vernetzt. Die politische Macht befände sich außerhalb jeder Verfaßtheit in den Händen relativ weniger Familien. Daß diese die eigentlichen Entscheidungsträger seien, suchte er an dem typischen Wechsel der Positionen zwischen den Teileliten zu zeigen (Mills 1962).
III. Elitestrukturen in der Bundesrepublik Deutschland Für die Bundesrepublik Deutschland ist die These von der Existenz von Teil- und Funktionseliten in den 1960er Jahren bestätigt worden. Charakteristisch rur diese Eliten sei das Fehlen von Homogenität (Dahrendorf 1965b). Andere teilweise auf umfangreichen empirischen Erhebungen beruhende Monographien unterstrichen eine plurale Elitestruktur. Untersucht wurden insbesondere die Wandlungs- und Beharrungsmomente der Rekrutierung der Oberschichten vor dem Hintergrund des historischen Wechsels der politischen Systeme vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. Untersuchungen über politi17
Vgl. zur in den 1960/70er Jahren gefllhrte Debatte Tjaden-Steinhauerrrjaden (1973) und Jaeggi (1973). Zur Diskussion "neuer sozialer Ungleichheiten" den Beitrag von Herkommer (1983).
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Stellvertretend seien hier nur die beiden bekanntesten als Multiplikatoren wirkenden Veröffentlichungen genannt: Dahrendorf (1965) und Picht (1964), als empirische Untersuchung zur Chancenungleichheit: Kath (1978)
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sche Einstellungen und das Selbstverständnis von Eliten halfen, Aufschluß über deren "inneren Wandel" zu liefern. (Edinger 1965, Zapf 1965, Wildenmann 19 1982a, b, c) . Jüngere Studien widerlegen zwar nicht den Fortbestand pluraler Elitestrukturen und die kulturelle Inhomogenität; sie stellen andererseits jedoch "Netzwerke" zwischen den Teileliten und Tendenzen einer politisch relevanten Kartellbildung fest (Scheuch 1966, 1988, Hoffinann-Lange 1992, Scheuch/ Scheuch 1995). Neben ihrer Funktion in Teileliten sind demnach einzelne der Positionsinhaber Mitglieder informeller Zirkel, deren Entscheidungen mitunter allerdings von nationaler Tragweite sind. Wenn auch der Wechsel zwischen Teileliten in der Bundesrepublik eine Ausnahme ist, so gibt es doch wichtige Kontakte. Hoffinann-Lange ermittelte für das Jahr 1981 ein "Netzwerk" mit insgesamt 1.230 Personen. 559 gehörten einem "Zentralen Zirkel" an (Hoff20 mann-Lange 1992, S. 378 ff. ). Scheuch/Scheuch berichten 1995 von "einer gegenseitigen Durchdringung von Verwaltung und Politik" und ebenso von einer "Politisierung der Leitungsebenen von Großunternehmen" (1995, S. 87). Es sind stets Einflüsse gegenseitiger Richtung. Kontakte zwischen hochrangigen Wirtschaftsführern und Spitzenpolitikern sind demnach die Rege{l. Von Managern wurden als häufigste "Kontaktadresse" Ministerien gerannt. Damit wird deutlich" wie wichtig die öffentliche Hand für die Leitung eines sehr großen Unternehmens ist" (Scheuch/Scheuch 1995, S. 84). Daß sehr wichtige Einflußkanäle auf relativ wenige Positionsinhaber konzentriert ist, stellt Ziegler 1984 für den Bereich Wirtschaft mittels einer Analyse von 450 Großunternehmen fest. Dort waren lediglich zwei Prozent aller Inhaber von Vorstands- und Aufsichtsratspositionen für die Majorität der Kontakte, nämlich für 69 % aller Verknüpfungen zwischen Unternehmen verantwortlich (Ziegler 1984, S. 585 ff.).
IV. Wirtschaftsfiihrer: Funktions- oder Teil einer Machtelite? In den Netzwerken der Macht spielen Wirtschaftsführer folglich eine bedeutende Rolle. Nach den Politikern, also an zweiter Stelle, wird nach Hoff19
Von Beyme (1971) und Herzog (1975) untersuchten politische und administrative bzw. ausschließlich politische Eliten u.a. hinsichtlich der Rekrutierung.
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Dem "zentralen Zirkel" gehören auch Personen an, die über den Positionsansatz nicht als Mitglieder von Eliten erreichbar waren: nämlich immerhin 11,4 % (Hoffmann-Lange 1992, s. 385). Ermittelt wurden alle diesem Kreis angehörenden Personen über die Ermittlung der Häufigkeit von Kontakten (ebd., S. 378 ff.).
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ScheuchlScheuch berichten über einige mit Namen belegte Beispiele (1995, S. 55 ff.).
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mann-Lange der "Zentrale Zirkel" von Vertretern der Wirtschaft dominiert. Über ein Viertel betrug Anfang der 1980er Jahre der Anteil von Unternehmensführern und hohen Repräsentanten der Wirtschaftsverbände: fast 40 % waren Politiker, fast 20 % Leitende von Unternehmen (11,8 %) oder Wirtschaftsverbänden (7,3 %) (Hoffmann-Lange 1992, S.388). Auch innerhalb der Wirtschaft ist die Verflechtung ausgeprägt. Das deutsche Wirtschaftssystem ist gekennzeichnet durch einen hohen Konzentrationsgrad des Eigentums und unter22 scheidet sich darin von anderen marktwirtschaftlich organisierten Systemen . Deutschland weist aber auch einen hohen "Deckungsgrad zwischen Kapitalund Personalverflechtung" auf, und es findet sich zugleich ein hoher Grad an Beteiligungen zwischen potentiellen Konkurrenten. Diese Strukturen erleichtern die Durchsetzung von Eigentümerinteressen (Windolf/Beyer 1995, S. I). Eine wichtige Rolle bei den Beteiligungen spielen die Großbanken und einige der großen Versicherer. Banken üben einerseits über Beteiligungen und die damit verbundene Präsenz in Aufsichtsräten, andererseits durch das Depotstimmrecht Einfluß auf unternehmerische Entscheidungen aus. Mandatsverknüpfungen sind dabei ein wichtiger Faktor. D.h. wie oben bereits angemerkt, daß relativ wenige Personen relativ viele wichtige Positionen einnehmen. Häufig wird dabei die vom Gesetzgeber vorgesehene Höchstzahl an Aufsichtsratsmandaten wahrgenommen 2J • Diese Befunde rechtfertigen nicht die Renaissance marxistischer Thesen von der Allmacht des Kapitals. Sie bestätigen aber Vermutungen über die Existenz einer Machtelite, die politisch nicht legitimiert ist und in der Wirtschaftsführer eine bedeutende Mitsprache führen. Mit der starken - wenn auch nicht unangefochtenen Stellung der Wirtschaftsführer - handelt es sich im übrigen um ein Merkmal marktwirtschaftlich geprägter Gesellschaften, das allerdings (s.o.) nationale Besonderheiten aufweist. Andere Interessengruppierungen sind dagegen auf die Plätze verwiesen. So waren Vertreter der Gewerkschaften nur mit 7,9 % anzutreffen, Massenmedien und Wissenschaft mit jeweils 8,2 %, die übrigen Bereiche wie Militär, Kultur und Kirche spielten untergeordnete Rollen (Hoffmann-Lange 1992;-S. 388). Neben der politischen Elite ist deshalb die Erforschung von Strukturen der Wirtschaftselite - und hierbei des Führungspersonals von Konzernen und Großunternehmen von zentraler Bedeutung. Hängt von dieser Teilelite doch wesentlich die Frage gesellschaftlicher Stabilität und Entwicklung ab.
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WindolflBeyer bezeichnen bei einem Strukturvergleich der Wirtschaftssysteme das deutsche System als "kooperativen Kapitalismus" im Gegensatz etwa zum US-amerikanischen der als "Konkurrenzkapitalismus" benannt wird (1995, S. 1).
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Vgl. zum Thema Verflechtungen die Untersuchungen von Ziegler (1984) und Windolf/Beyer (1995).
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1. Wer gehört zur Wirtschaftselite? 94 % der 2,5 Millionen deutschen Unternehmen werden von Eigentümern geleitet. Doch an der Spitze der Großunternehmen stehen angestellte Führungskräfte (Scheuch/Scheuch 1995, S. 12). Die Rede ist vom Top-Management großer Kapitalgesellschaften und Konzerne, also den Mitgliedern der Vorstände. Es handelt sich hier um formal angestellte Beschäftigte, die - bis auf Ausnahmen - mit den Eigentümern nicht identisch sind und für ihr Handeln im wirtschaftlichen Sinne auch nicht persönlich haftbar sind. Gleichwohl fuhren sie das Unternehmen oder den Konzern - auf vertraglich befristete Zeit -, in der sie allein dem Aufsichtsrat, als von den Eigentümern bestellten Kontrollgremium, rechenschaftspflichtig sind. Verfugen sie schon in dieser Rolle über ein Machtpotential ungeheuren Ausmaßes, ist doch von ihrer Weitsicht und Entscheidungssicherheit das "Schicksal" des Unternehmens und damit Kapitalverzinsung oder -verlust der Anteilseigner sowie Tausende bis hunderttausende von Arbeitsplätzen abhängig, so nutzen sie zugleich - wie oben dargelegt - vielfältige hochkarätige Kontakte und Einflußmöglichkeiten. Mit dem Übergang der Entscheidungsmacht in Unternehmen vom Eigentümerunternehmer zum angestellten Manager hat sich in marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftssystemen ein grundlegender Wandel vollzogen. Wenn auch die Eigentümerunternehmer nach wie vor existieren und z. T. über umfassende Entscheidungskompetenzen und unermeßlichen 24 Reichtum verfugen ,so ist die Gruppe der Wirtschaftsfuhrer geprägt durch den angestellten Manager. Bereits Marx hatte im 19. Jahrhundert den Übergang von der Verfugungsmacht über die Produktionsmittel von den Eigentümern des Kapitals auf bezahlte Angestellte vorhergesehen. Er sah darin die Herausbildung eines Teiles der sozialistischen Produktionsweise im "Schoße" der alten Gesellschaftsformation (Marx 1961, S. 477 f.). Burnham hielt Anfang der 1940er Jahre die Verdrängung des Eigentümers durch den Manager fur ein Entwicklungsmerkmal moderner Industriegesellschaften (Burnham 1949). Als Großunternehmen bzw. Konzerne sollen hier solche gelten, deren Umsatz (bzw. Bilanzsumme und Indossamentverbindlichkeiten) und Beschäfti24
Die Liste der Reichsten in Deutschland wird durch Eigentümerunternehmer angefLihrt. An der Spitze werden die Brüder Albrecht vermutet, deren Vermögen Anfang der I990er Jahre auf über 6 Milliarden DM geschätzt wurde. Die von ihnen vertretene Branche, der Einzelhandel, wird dominiert von Eigentümerunternehmem. Diese haben häufig ihr Imperium erst nach dem 11. Weltkrieg aufgebaut. So Otto Beisheim, der Alleineigentümer des Metro-Konzerns, der Mitte der 60er Jahre mit dem Aufbau des heute größten deutschen Handelsunternehmen begann.
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gungszahl sie in die Spitzen gruppe der Rangliste der größten führt 25 • Die Bedeutung dieser Spitzengruppe ist durch ihren Anteil an der Gesamtzahl der abhängig Beschäftigten sowie ihrem Umsatzanteil ermeßbar. In der Bundesrepublik Deutschland gab es 1987 22 Millionen abhängig Beschäftigte, die bei über 2 Millionen Unternehmen in "Brot und Arbeit" standen (Statistisches Jahr26 buch 1995, S. 131 ). Nimmt man beispielsweise die sechzig größten Unter27 nehmen aus Industrie und Handel, sowie Kredit- und Versicherungswirtschaft - das entspricht 3 Promille aller Unternehmen - so waren dort immerhin 13,4 % aller bei privaten Arbeitgebern beschäftigten tätig (Zahlen 1995, S. 55; Statistisches Jahrbuch 1995, S. 114, eig. Berechnungen). Deutlicher noch fällt die Dominanz der Großen in der Industrie aus: Annähernd 39 % der 1994 in diesem Bereich Tätigen war bei den 20 Größten beschäftigt (Zahlen 1995, S. 56). Der Anteil am Umsatz der Großen in diesem Wirtschaftssegment lag gar bei 40,1 % 28 (Zahlen 1995, S. 64) .
2. Das Sozialprofil der Wirtschaftselite Deutsche Manager sind fast immer Männer. Nur eine einzige Frau (0,5 %) Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bank - konnte in meiner Untersuchung ermittelt werden. Alle befragten Manager29 bedauerten dies und wünschten eine Änderung. Die Wirtschaftselite ist besonders von der Ausgrenzung der Frauen betroffen. "Fast 100 % sind Männer" (Scheuch/Scheuch 1995, S. 12). Für die Gesamtelite gilt das mit Einschränkungen. Für die frühen 80er Jahre wurden 2,8 % ermittelt (Hoffmann-Lange 1992, S. 132). Hier dürften starke Abwei25
Auswahlkriterien liefert die Dokumentation der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, "Die 100 Größten", die seit 1959 jährlich erscheint.
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Bei diesen Zahlen sind nur diejenigen gezählt, die bei Unternehmen im privatrechtlichen Sinn beschäftigt sind, also nicht bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Organisationen.
27
Es handelt sich hier um die jeweils 20 größten Industrie- bzw. Handelsunternehmen und die jeweils 10 größten Banken bzw. Versicherungen (Zahlen 1995, S. 55).
28
Der Berechnung des Beschäftigungsanteil liegen alle Industriebetriebe mit 10 Beschäftigten und mehr zugrunde. Der Trend zur Konzentration in der Industrie ist allerdings leicht rückläufig, während er z.B. im Handel bei geringerem Ausgangsniveau weiter zunimmt (Zahlen 1995, S. 55). Auch insgesamt ist im Zuge der Tertiärisierung sowohl die Gesamtzahl der in der Industrie beschäftigten als auch ihr Anteil an allen abhängig Beschäftigten rückläufig, lag jedoch 1987 noch bei über einem Drittel (ebd., S. 55 f., eig. Berechnungen).
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Mit einer Auswahl - I3 Fälle - wurden qualitative Interviews gefilhrt und darin unter anderem auch nach den Gründen der weiblichen Unterpräsenz gefragt. Die Auswertung erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt.
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chungen zwischen den Teileliten bestehen. Gewisse Änderungen hat es in den letzten Jahren bei der politischen Eliten gegeben. 30
Deutsche Manager befinden sich zumeist im höheren Lebensalter . Die Karrierewege sind lang und weisen eine Reihe kaum überspringbarer Barrieren auf, die nacheinander "genommen" werden müssen. Dazu geHört häufig ein Auslandsaufenthalt. Typisch ist das "Durchwandern" des Unternehmens von unten nach oben, was Zeit kostet. Selten ist der "Quereinstieg" aus einem anderen Unternehmen oder gar einer anderen Branche. Unternehmenskrisen bedingen hier allerdings Ausnahmen. Dann setzten sich in letzter Zeit häufig Ver31 traute der Banken durch .Wer oben ankommt, ist selten unter Anfang Fünfzig. Allerdings weisen aktuelle Fälle hier auf die Möglichkeit einer Trendwende 32 hin.
3. Soziale Herkunft Zur Ermittlung der sozialen Herkunft wird die Berufsangabe des Vaters 33 verwandt . Die jüngste der vorliegenden Studien hat ermittelt, daß 57 % der Wirtschaftsführern aus Familien stammt, deren Väter abhängig beschäftigt waren. 35 % kamen aus Selbständigenhaushalten (Scheuch/Scheuch 1995, 34 S. 14 ). Der zweite Anteil scheint zunächst niedrig, ist es aber nicht. Denn die Selbständigen spielen als Herkunftshaushalt viermal häufiger eine Rolle als für die durchschnittliche Bevölkerung zum damaligen Zeitpunkt (Scheuch/Scheuch 35 1995, S. 14) . Andere Untersuchungen weisen für alle Eliten zusammengenommen ebenfalls einen im Verhältnis zu den Erwerbsgruppenanteilen der Ge-
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EberweinfTholen fanden, daß 80 % aller Manager (meist kleinerer Unternehmen - von 35 untersuchten Firmen hatten 26 eine Belegschaft bis zu 4.999) zwischen 40 und 59 waren. Über 50 waren immerhin 47,7 %. (1990, S.30 tT.).
31
So der Fall Metallgesellschaft mit Neukirchen als Nachfolger von Schimmelbusch.
32
Der neue Daimler-Benz Vorstandsvorsitzende Schrempp war bei Amtsantritt 49 Jahre alt, was flir Deutschland als jung gilt. Der neue Chef von Klöckner-Humboldt-Deutz, Schneider, gerade 43. Es gibt weitere Beispiele.
33
Die Daten dieses Kapitels sind - sofern nicht anders vermerkt - der Fachliteratur entnommen.
34
Untersucht wurden von Scheuch/Scheuch die Spitzenmanagerder 500 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands (1995, S. 11).
35
Zum Vergleich: Im Jahre 1950 betrug der Anteil der Selbständigen an der Erwerbsbevölkerung 14,5 % (Stat. Jb. der Bundesrepublik Deutschland 1980, S. 142).
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samtbevölkerung hohen Rekrutierungsanteil dieser Schichten auto Scheuch/ Scheuch geben für vier Fünftel als soziale Herkunft "zumindest... die obere Mitte/schicht" an (1995, S. 13).
4. Bildung Insgesamt 78, I % der von mir untersuchten Topmanager hatten einen Hochschulabschluß. Die Akademisierung der Eliten ist also weit fortgeschritten. Zum Vergleich: Unter den 50-59jährigen - die Altersmajorität der Führungskräfte - verfügten bei der Durchschnittsbevölkerung 1987 nur ca. 10 % der Männer über einen Hochschulabschluß (berechnet nach Hufnagel/Sommer 1989, S. 65). Damit spiegelt sich der allgemeine Trend der Bildungsexpansion wider und zugleich eine Anpassung an die Entwicklung in den anderen wichtigen Teileliten. Tabelle I: Bildungsabschluß höchster angegebener Bildungsabschluß Hochschulabschluß Fachhochabschluß Hochschulabschluß in USA Abitur Mittlere Reife keine Angabe
(N= 219) in%
78,1 0,9 0,5 3,2 0,9 16,4
Das wird besonders deutlich bei der Erwerbung des Doktorgrads, dessen Bedeutung für die Karriere allerdings nach wie vor umstritten ist. Gleich, ob 37 förderlich oder nicht: 64,4 % meiner Untersuchungsgruppe hatten ihn . Früher war das anders. Mitte der 1950er Jahre bildeten Angehörige der Wirtschaftselite hier das Schlußlicht im Vergleich mit der politischen und der Verwaltungselite. Nach Berechnungen auf der Grundlage von Zapf (1965, 36
Eine Anfang der 80er Jahre abgeschlossene Untersuchung ermittelte z.B. für 8,6 % die Herkunft aus "Größeren Selbständigen-" und für 45, I % aus "Gehobenen Angestellten-Haushalten". Für die Durchschnittsbevölkerung lauten die entsprechenden Angaben 1,6 % bzw. 11,8 % (Hoffmann-Lange 1992, S. 122).
37
4,1 % davon hatten den Titel honoris causa verliehen bekommen. 7,8 % hatten zusätzlich den Titel des Professors.
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S. 178) lassen sich 26,9 % errechnen (Thieme 1990, S. 520). Auch Mitte der 80er Jahren war der Anteil niedriger als heute. Zu beachten allerdings ist, daß die Häufigkeit des Doktortitels zunimmt mit der Höhe der Führungsposition (Thieme 1991, S. 399). Die bisherigen Befunde über das Sozialprofil der Wirtschaftselite bestätigen z.T. die Kernsätze der Elitetheorien. Eliten sind höher als der Durchschnitt gebildet. D.h., sie haben sich formal höher qualifiziert. Sie erweisen sich als die 38 überlegenen "Fachmenschen" und sind leistungsorientiert . Die "Offenheit" scheint allerdings durch die übermächtige Stellung der Männer infrage gestellt. Eine nur in Teilen befriedigende Erklärung rur die Unterrepräsentanz von Frauen könnte die rur ältere Jahrgänge deutlich geringere Bildungsbeteiligung spieH _ len . Eine systematische Uberprüfung in nächster Zeit tut hier not. Diese müßte die Karrierewege einbeziehen, um festzustellen, wo Frauen unter Umständen .. auf dem Sprungbrett" stehen, oder wo Frauenkarrieren typischerweise enden (Nerge 1993). Die "Offenheit" scheint ebenso beschränkt durch die Bedingungen der sozialen Herkunft. Wenn auch keine Selbstrekrutierung festgestellt werden kann in vergleichbaren beruflich-gesellschaftlichen Positionen wie die Söhne befanden sich nur wenige Väter - aber der "Sprung nach oben" setzt nur ganz selten von "ganz unten" an.
5. Akademischer Titel Aufschlüsse über das mögliche Wirken subtiler "Schließungsmechanismen" gibt eine Untersuchung der Bildungsabschlüsse. Von der Gruppe der Promovierten hatte die größte Gruppe - 3Q,7 % - den Doktortitel in der Juristischen Fakultät erworben. Es folgten die Naturwissenschaftler mit 10,5 % und die Ingenieurwissenschaftler mit 10, I %. Promovierte Wirtschaftswissenschaftler gibt es mit 2,7 % überraschend wenige. Den Dr.rer.pol. haben - ebenso überraschend - stattliche 8,7 % erworben. Bei den Studienfächern liegt die Verteilung anders. Scheuch/Scheuch haben ermittelt, daß .. in mehr als der Hälfte der Fälle, das Studium der Wirtschafts38
Das läßt sich - mit Vorbehalten - aus den bei Befragungen geäußerten Angaben zur wöchentlichen Arbeitszeit folgern: Sie liegt fast immer über 60 Stunden.
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Anfang der 80er Jahre hatten 9,7 % der Frauen von 40 Jahren und älter das Abitur. 11,3 % waren es bei den Männern (Hoffmann/Lange 1995, S. 133). Die Differenzen beim Hochschulabschluß dürfen größer sein.
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wissenschaften absolviert" wurde. Die Juristen folgen dort mit 22 % (1995, S. 13). Danach scheint die für die Vergangenheit wiederholt festgestellte Dominanz der Juristen (Dahrendorf 1965, S. 260 ff., von Beyme 1971, S. 55 f., Wildenmann 1982 a) überwunden. Allerdings hatte diese These auch nicht für die Wirtschaftselite, sondern insbesondere für die Verwaltungselite und in geringerem Maße für die politische Elite gegolten.
Tabelle 2: Akademischer Titel Akademischer Titel Prof. apl. Prof. Dr. (ohne nähere Angabe) Dr. hc. Dr. agrar. Dr. iur. Dr. med. Dr. rer.oec. Dr. phil. Dr. rer. nat. Dr. rer.soc. Dr. rer.pol. Dr. ing. keinen Titel
(N= 219) in% 7,8 0,5 3,7 4,1 0,5 30,7 0,5 2,7 1,4 10,5 0,5 8,7 10,1 35,6
Wie sind diese Abweichungen zu erklären? Die Bedeutung des Jurastudiums als sichere "Aufstiegsgarantie" ist weitgehend verb laßt. Das gilt spätestens seit dem dieses Fach sich den "studentischen Massen" geöffnet hat. Die Zunahme der Studierendenzahlen der letzten zehn oder fünfzehn Jahre hat allerdings noch kaum Auswirkung auf die Rekrutierung der gegenwärtigen Eliten, deren Aufstieg früher begann. Auffällig ist, daß die Juraabschlüsse sich mehren, je höher der Aufstiegspaternoster fährt. Während Eberwein/Tholen bei einer Managerbefragung von Unternehmen mit z.T. geringerer Größenordnung - keine Eliten im hier behandelten Sinn - einen Anteil von nur 8,1 %, damit den 3. Rang für Juristen (unabhängig von der Promotion) feststellten (1990, S. 36), sind es in meiner Untersuchung und auch bei Scheuch/Scheuch deutlich mehr (s.o.). Noch immer muß - selbst wenn die von meinen Daten nicht verifizierba40 re These der Abnahme der Juristendominanz stimmen sollte - die durch das 40
Hoffmann-Lange stellt "einen Trend zur Verringerung des luristenanteils in den Eliten" fest (1992, S. 143). Hartmann berichtet von einem Trend vom "Generalisten" zum "Spezialisten",
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Jurastudium offenbar vermittelte Fähigkeit zum Generalisten Wirkung zeigen. Hier nicht belegbar ist die Vermutung, daß das - wenn auch langsam welkende - Berufsprestige des Juristen ihn nach wie vor für höchste Führungsaufgaben zu empfehlen scheint. Dies würde "Kastendenken ", das Vorhandensein einer ständischen Mentalität und das Wirken von "Schließungsmechanismen" nahelegen.
6. "Standesmentalität" als "Schließungsmechanismus" Als Voraussetzung zur Erneuerungsflihigkeit der Eliten wurde deren Bereitschaft zur Integration von Gegeneliten herausgestel1t. Mit der Aufnahme bisher "untypischer" Fachabsolventen41 wie der Wirtschaftswissenschaftler oder der Politologen ist Bewegung, ist Zirkulation in das Spektrum der in Eliten dominanten Professionen gekommen. Dies ist interpretierbar als Modernisierung und Widerspiegelung gesamtgesel1schaftlicher Entwicklung, Z.B. die Zunahme der Bedeutung von Fachwissenschaftlern. Doch während der "Fachmensch" und "Bürokrat" der Elite ein neues Profil gegeben hat, scheinen inzwischen Kräfte der Beharrung Boden zu gewinnen. Das schließt Kontinuität in der Zirkulation zunehmend aus. Dies erscheint als denkbare Ursache für eine sich breit machende Wagenburgmentalität, fehlende Innovationsbereitschaft, mangelnde unternehmerische Risikofreude aber auch "Selbstbedienungsmentaliät" und Korrumpierbarkeit. Für wichtiger als die berufliche Sozialisation und spezifisches Fachwissen, Titel etc. wird von den Topmanagern und ihren Beratern die "soziale Kompetenz" eingeschätzt. Dahinter steckt mehr als die Fähigkeit, Menschen führen zu 42 können . Es geht zugleich um das miteinander Umgehen, das Verständigen, den Dialog, die gemeinsame Ebene des Denkens, das Entscheiden: den" klassenspezijischen Habitus" (Hartmann 1995, S. 461 ff.) Diese Art Diskurs ist um so sicherer, je mehr soziale Herkunft und kulturel1e Inhalte übereinstimmen. Zur Karriere empfohlen wird daher einer, der "kalkulierbar" und verläßlich, der wonach der Jurist heute immer weniger an die "Spitze" von Unternehmen gelange, sondern sein Spezialwissen auf mittleren Ebenen einsetzen würde (1989,1990). 41
Es sind hier noch in einem weiteren Schritt Ausmaß und Bedeutung untypischer sozialer Rekrutierungen zu untersuchen.
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Die gegenwärtige Diskussion von Führungsstilen aber auch die "Konjunktur", die gegenwllrtig die sog. "Gurus" haben, diese teils schillernden Vermittler neuer Sinnzusammenhänge, "neuen Denkens" usw., spielen die Bedeutung sozialer Kompetenz wider, aber auch das Sinnsuchen in einer allgemein sinnentleerten Zeit.
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"einer von uns" ist, oder es werden könnte . Hier spielt noch immer der Jurist einen Teil seiner "alten Rolle". Er war - jedenfalls gilt das für die Generation 44 der "amtierenden Wirtschaftselite" - zumeist aus "gutem Hause" . Damit lieferte er beste Voraussetzungen, war mit ständischer Mentalität vertraut - sei es durch familiale Sozialisation, sei es durch die "Schule" des Aufstiegs. Während der traditionelle Inhalt des Jurastudium heute an Bedeutung verliert, hat die Standesmentalität sich verfestigt, "Offenheit" und "Zirkulation" dagegen sind reduziert.
Literatur Agnelli, Giovanni (FIAT-Präsident bis April 1996). Zitiert in Wirtschaftswoche, Nr. 16, 11. April 1996, Düsseldorf, S. 14. Barber, Bernard: Social Stratification. A Comparative Analysis of Structure and Process, New York-Burlingame 1957. Bottomore, T. B.: Elite und Gesellschaft, München 1974,3. Aufl. Beyme, Klaus von: Die politische Elite in der Bundesrepublik Deutschland, München 1971. Burnham, James: Das Regime der Manager, Stuttgart 1949. Dahrendorf, Ralf: Bildung ist Bürgerrecht, München 1965a. Dahrendorf, Ralf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965b. Davis, Kingsley A.:Conceptual Analysis ofStratification. In: American Sociological Review, 7. Jg. (1942), H. 3, New York, S. 309-321. Davis, Kingsley A.lMoore, William E.: Some Principles of Stratification. In: American Sociological Review, 10. Jg. (1945), H. 2, New York, S. 242-249. Dreitzel, Hans P.: Elitebegriff und Sozialstruktur. Eine soziologische Begriffsanalyse. Stuttgart 1962. Eberwein, WilhelmfTholen, Jochen: Managerrnentalität. Industrielle Unternehmensleitung als Beruf und Politk, FrankfurtlM. 1990. Endruweit, Günter: Elite und Entwicklung. Theorie und Empirie zum Einfluß der Eliten auf Entwicklungsprozesse. FrankfurtlM.-Bern-New York 1986. Eysenck, Hans Jürgen: Die Ungleichheit der Menschen, München 1976. Frankfurter Allgemeine Zeitung, FrankfurtlM., verschiedene Ausgaben. Geiger, Theodor: Aufbau und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft, Stuttgart 1949. 43
Gespräche mit Topmanagern bestätigen bei den Gründen für die eigene Karriere, immer auch die Bedeutung des "zufl11ligen Zusammentreffens" mit Förderern.
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Die Überprüfung der sozialen Herkunft von Juristen bis Anfang der 80er Jahre zeigt, daß diese überproportional und seit den 50er Jahren noch zunehmend, sich aus der oberen MitteIschicht rekrutierten (Thieme 1990, S. 520).
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Frank Thieme
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3 Festschrift Voigt
Wolfgang Zimmermann
Sozialistische Arbeitserziehung der DDR-Lehrlinge durch Mehrschichtarbeit
I. Einleitung Explizierender Ausgangspunkt dieses Beitrags über die sich nach westlichem Verständnis unter sozialem Aspekt ausschließenden Antipoden "Jugend" und "Schichtarbeit" (Voigt 1986, S. 164) ist die marxistisch-leninistische Weltanschauung zu diesem Thema. Von der Annahme bestimmt, daß nicht der Wille des Menschen die treibende Kraft der gesellschaftlichen Entwicklung war, sondern die materiellen Verhältnisse, formte das Sein das Bewußtsein nach der marxistisch-leninistischen Ideologie. Nach diesem Dogma war der menschliche Wille keine "angeborene Erscheinung ", sondern vor allem ein Produkt der kollektiven Erziehung und Selbsterziehung (Hecht 1972, S. 203; Piksa 1976, S.79), die nach den parteiförmig dominierten Vorstellungen zu erfolgen hatten. Als entscheidende Grundlage bei der Herausbildung eines solchen "neuen, sozialistischen Menschen" und der moralischen Entwicklung der Gemeinschaftsbeziehungen in den Arbeitskollektiven wurden die "zehn Gebote der sozialistischen Moral" postuliert (Hager 1969, S. 29 f.). Diese hatten die unterstellte Übereinstimmung von gesellschaftlichen, kollektiven und persönlichen Interessen auf den politischen und ökonomischen Grundlagen des Sozialismus zum Ausdruck zu bringen (ebd.). Bemühte sich die SED, die Menschen ihres Herrschaftsbereiches zu kollektivem Denken und Handeln in ihrem Sinne zu erziehen (Blücher 1959, S.23; Hauser 1973, S. 192), beklagte sich Meißner (1970, S. 46) in seiner Dissertation daTÜberhinaus, daß "wir z.B. noch nicht in der Lage (sind), direkt in die Funktionen des Gehirns einzuwirken, um auf diese Weise gewollte Denk- und Verhaltensweisen zu stimulieren. " Mit anderen Worten sollte das "Denken der Werktätigen so entwickelt und geordnet werden, daß ihre Handlungen ... entscheidenden gesellschaftlichen (SED-, W.Z.) Zwecken immer stärker entsprechen" (Meißner 1970, S.46). So hatte
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auch die Durchsetzung der Mehrschichtarbeit l nach den Vorstellungen sozialistischer Pädagogen" in den Köpfen, im Denken, in den ideologischen Auffassungen der künftigen sozialistischen Facharbeiter" (GiedingiWeißflog 1976, S. 162) zu beginnen. Unter der Bereitschaft zur Mehrschichtarbeit wiederum verstanden die DDR-Pädagogen Piksa/Sasse (1977, S. 265) "das zur Überzeugung gewordene Wissen von der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Mehrschichtarbeit und die damit verbundene Fähigkeit zu ihrer Ausübung. " Für die DDR-Erzieher war die Bereitschaft zur Mehrschichtarbeit zudem ein Gradmesser für den Stand des erreichten sozialistischen Bewußtseins (ebd.). Primär war für sie die Erhöhung der Schichtauslastung der Grundmittel (Anlagevermögen) zunächst "eine politische Aufgabe" (ebd.), die durch das "direkte Üben der Mehrschichtarbeit" von Jugendlichen in den Arbeitskollektiven gelöst werden konnte (ebd., S.267; Kadenl Pöse 1977, S.329; Perleberg/Seidel 1977, S. 328 ff; Sasse 1980, S. 95 u. S. 120). Eine sich daraus ergebende Forderung war die Heranziehung der Lehrlinge zur Mehrschichtarbeit (GiedingiWeißflog 1976, S. 162; Weidemann 1976, S. 155 f; Keim 1976a, S. 305 f; Ders. 1976b, S. 145 ff; Degen/Ertel 1976, S. 244). Nach Piksa (1976, S. 80) übten die Arbeitskollektive einen bedeutsamen Einfluß auf die Herausbildung einer "optimalen" d.h. parteiorientierten Struktur der Wertorientierung bei den Jugendlichen aus. Solche politisch-ideologische Grundpositionen hatten nach dem sozialistischem Selbstverständnis für die Entwicklung der Persönlichkeit junger Werktätiger und Lehrlinge eine außerordentliche Bedeutung, weil sie grundlegende Lebenszielstellungen, Bedürfnisse und Motivationen der jungen Menschen bis hin zu konkreten Einstellungen und Verhaltensweisen akzentuieren sollten (Gerth et al. 1979, S. 33 f.). Das bedingte eine "systematische und gezieltefachliche Ausbildung und politisch-ideologische Erziehung in der ersten Etappe der Integration in die Arbeiterklasse... " (Gerth et al. 1979, S. 29). Trotz frühzeitiger Bemühungen der SED, der "der Erziehung der Menschen viel größere Aufmerksamkeit (zu) widmen als bisher" (Protokoll 1959, S. 13880, stellten Ellingerl Scholz (1972, S. 29) fest, daß sich das sozialistische Bewußtsein als" Grundlage für das klassenbewußte Handeln sozialistischer Persönlichkeiten" weder In der DDR wurde unter dem Begriff der Mehrschichtarbeit die betriebliche Arbeitszeitregelung zur Erhöhung der zeitlichen Ausnutzung der "Grundfonds" in bestimmten, aufeinander folgenden Zeitabschnitten, verstanden (Winkler 1987, S. 326). Im Gegensatz zur westdeutschen Definition war der sozialistischen der Anspruch maximaler Produktivität inhärent, da diese die maximale Auslastung der Maschinen und Anlagen "rund um die Uhr" und die "rollende Woche" beinhaltete (Voigt 1986, S. 25; Belwe 1989, S. 1264). In der Bundesrepublik definieren Arbeitsmediziner jene Formen der Arbeitszeitorganisation", bei denen Arbeit entweder zu wechselnder ... oder zu konstanter, aber ungewöhnlicher Zeit ... ausgefohrt werden muß" (RutenfranzlKnauth 1982, S. 8) als Schicht- und Nachtarbeit.
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von selbst noch rasch genug nach dem Parteiverständnis entwickelte. Weil zudem nach sozialistischer Terminologie durchschnittlich älter werdendes" betriebliches Arbeitsvermögen " wachsende Probleme hatte, so disponibel und mobil zu sein, wie es sich die Planer wünschten (vgl. Speigner 1988, S. 65), sollte sich die Gewinnung von Schichtarbeitern vorwiegend auf den Berufsnachwuchs konzentrieren und dieser sofort bei seiner Arbeitsaufnahme auf "Schichtarbeit orientiert" werden (Zum Einfluß 1985, S. 45; vgl. auch Sauer 1986, S. 61). Auch das Leipziger Zentral institut für Jugendforschung (ZU) hielt es in einem geheimen Forschungsbericht (Ronneberg/Ulrich 1982, S.7) für erforderlich, "noch mehr junge Werktätige für die Arbeit im Mehrschichtsystem zu gewinnen. " Im Jugendalter seien die jungen Facharbeiter z.T. noch nicht mit familiären Problemen belastet, resümierte Sauer (1986, S. 61) in ihrer geheimen Dissertation, darum sei es günstig, bereits in diesem Altersabschnitt mit Mehrschichtarbeit zu beginnen. Lehrlinge waren in sozialistischer Terminologie Jugendliche, die an der polytechnischen Oberschule (POS) die allgemeine Schulpflicht erfüllt hatten und auf der Grundlage eines Lehrvertrages in einer gesetzlich festgelegten Ausbildungszeit einen in der Systematik der Ausbildungsberufe enthaltenen Beruf erlernten (Lexikon der Wirtschaft [LdW] 1982, S. 573). Lehrlinge zählten zur DDR-Arbeiterjugend. Angehörige der DDR-Arbeiterjugend waren nach Gerth et al. (1979, S. 17) vor allem "die jungen Menschen im Alter von 14 bis 25 Jahren, die als Lehrlinge, Facharbeiter, Teilfacharbeiter oder als Meister in der industriellen Produktion, im Bauwesen, im volkseigenen Bereich der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft und in anderen Zweigen der Volkswirtschaft" tätig waren. Nach Tietze/Winkler (1988, S. 120) um faßte die Gruppe der Arbeiterjugend etwa 1,6 Millionen Jugendliche beiderlei Geschlechts (allerdings im Alter von 16-25 Jahren), wovon sich 1988 etwa 400.000 in der Lehrausbildung befanden (vgl. auch Stat. Jb. der DDR 1989, S. 112 ff.). Der zahlenmäßig größere Teil der Jugendlichen - 43 v.H. - war in der DDR-Industrie tätig (Zum Einfluß 1985, S. 88; Tietze/Winkler 1988, S. 120; SoziaIreport '90, S. 56). Über 86 v.H. der Lehrlinge besaßen den Abschluß der 10. Klasse (vgl. Tietze/Winkler 1988, S. 23), und von den jungen Werktäti~en hatten 80 v.H. einen Facharbeiterabschluß (Tietze/Winkler 1988, S. 120). Als von besonderer Bedeutung konstatierten Gerth/Ronneberg (1979, S. 23) schließlich, "daß 45 Prozent der jungen Werktätigen im Zwei- oder Dreischichtsystem arbeitet" (ebd.). "Acht-Klassen-Abgänger waren Anfang der achtziger Jahre unter den Schichtarbeitern überrepräsentiert" (Ronneberg/ Ulrich 1982, S. 7). DDR-Schulabgänger der 8. Oberschulklasse konnten ledig2
Demgegenüber sprachen Gerth/Ronneberg (1979, S. 22) davon, daß"90 % der jungen Arbeiter ... über eine abgeschlossene Facharbeiterausbildung... "verfugten.
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lieh zum Facharbeiter sowie Schulabgänger, die das Ziel der 8. Klasse nicht erreicht hatten, nur auf Teilgebieten eines Ausbildungsberufes (außer Grundberufen) ausgebildet werden (vgl. Z.B. Hegelheimer 1972, S. 78). Hier zeigte sich eine Parallele zu retardierten und leistungsschwachen Hauptschul- bzw. Sonderschulabgängern in der Bundesrepublik (vgl. ebd.). Sozialistische Autoren pointierten immer wieder, daß das Bemühen der sozialistischen Betriebe, vor allem Jungfacharbeiter und Jugendliche für die Schichtarbeit zu gewinnen, richtig sei (Zum Einfluß 1985, S. 88). So verwundert es nicht, daß auch die sozialistische Jugendpolitik Zentrum der SED-Gesellschaftspolitik war (vgl. Sontheimer/Bleek 1979, S. 162; Gerth et al. 1979, S. 14) und die Intensivierungskonzeption insbesondere diesen Personenkreis einkalkuliert hatte.
11. Sozialistische Persönlichkeitsentwicklung Als offizieller und einzig zugelassener Repräsentantin auf allen staatlichen und politischen Instanzen der DDR-Jugend entsprach es der" Tradition der FDJ, die AufgabensteIlungen der Partei der Arbeiterklasse zu ihrem eigenen Anliegen zu machen" (RonneberglUlrich 1982, S. 4). Erstaunen konnte es folglich nicht, wenn Egon Krenz auf dem XI. Parlament der FDJ "die Gewinnung vieler weiterer Freunde für die Schichtarbeit" zu einer entscheidenden Aufgabe der Arbeit des sozialistischen Jugendverbandes in den DDR-Betrieben erklärte (Krenz 1981, S.38). Bei jugendlichen Werktätigen, so wurde von Pietrzynski (1977, S. 12) liniengetreu behauptet, würde die Bereitschaft zur Mehrschichtarbeit wesentlich gefördert, "wenn schon beim Einstellungsgespräch reale Berufsvorstellungen vermittelt und die Lehrlinge frühzeitig in die künftigen Arbeitskollektive einbezogen" würden. Noch 11 Jahre später bekräftigten die marxistisch-leninistischen GesellschaftswissenschaftIer Tietze/Winkler (1988, S. 112) als lobenswertes Patentrezept die Auffassung, daß es richtig sei, die Bemühungen bei der Rekrutierung von Mehrschichtarbeitern primär auf "Jugendfacharbeiter und solche Jugendliche zu konzentrieren, die noch keinen eigenen Hausstand gegründet" hatten (vgl. auch Herold 1987, S.83). Ihnen sollte, ohne "einseitige oder vorrangige biologische Determinierung" (Bertram 1987, S.236), hauptsächlich die "Bereitschaft zur Schichtarbeit anerzogen werden" (vgl. Tietze/Winkler 1988, S. 112; Tisch 1987, S. 33). Öffentlich wurden die "Aktivisten" hervorgehoben, denen es gelungen war, Lehrlinge und junge Facharbeiter für die Mehrschichtarbeit anzuwerben (vgl. Eckert 1987, S. 3). Doch nicht nur mit dieser Propaganda wurden Schritte unternommen, um "bei den jüngeren Facharbeitern das Interesse zu wecken, in der rollenden Woche zu arbeiten" (Kluge 1984, S. 71). Jungfacharbeiter und
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Jugendliche seien darüber hinaus auch am besten in der Lage, "sich dem veränderten Lebensrhythmus anzupassen, sich an die Mehrschichtarbeit zu gewöhnen" (Tietze/Hoffmann 1985, S. 120; Geuther/Heinze/Siemon 1976, S.92),3 d.h. sie zum "Normalzustand" werden zu lassen, wenn man die Jugendlichen nur genügend auf die Schichtarbeit vorbereite und stimuliere. Vor allem bei den jungen Werktätigen und Lehrlingen sollten allgemeine soziale Einstellungen und Verhaltensweisen geprägt werden. Eine besondere Rolle bei der Gestaltung eines solchen Verhältnisses spielte nach Lekschas (1967, S.74) die Haltung der Erwachsenen, hier vor allem die der Eltern, Erzieher, Lehrausbilder etc. gegenüber den Jugendlichen. Nach sozialistischer Version vollzog sich die Persönlichkeitsentwicklung der Lehrlinge deshalb dann besonders erfolgreich, wenn die Arbeitskollektive politisch-ideologisch gefestigt waren (vgl. Piksa 1976, S. 80 f.). Persönlichkeitsentwicklung der Lehrlinge hieß analog also in erster Linie" die Aneignung des sozialen Wesens der Arbeiterklasse" (Piksa 1976, S. 78). Der Ausprägungsgrad der Persönlichkeitsentwicklung war nach Henschel (1977, S. 4) u.a. an folgenden Maßstäben zu messen: "Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit, Achtung vor dem Volkseigentum, kameradschaftliche Hilfe und kollektives Verantwortungsbewußtsein, das Bestreben, sich aus eigenem Antrieb ständig weiterzuqualijizieren, schöpferische Initiative beim Lernen und Arbeiten, bewußte Lern- und Arbeitsdisziplin, Ordnung, Sauberkeit usw. " Von den DDR-Lehrlingen wurde erwartet, daß sie über diese Eigenschaften verfugten bzw. diese anstrebten, um "sich so auf ihre kommunistische Zukunft" vorzubereiten (vgl. Für ein hohes Niveau ... 1976, S. 3; Gerth et al. 1979, S. 25). Der sozialistische Betrieb stellte dazu eine entscheidende Voraussetzung dar (Dieme/Piksa 1976, S. 519 ff.). Durch die Teilnahme der Lehrlinge, die sich hinsichtlich ihrer psychischen Entwicklung nach Kossakowski/Ettrich (1973, S. 114 ff.) in der Etappe des späten Schuljugendalters befanden (16 bis 18119 Jahre), am gesellschaftlichen Leben des Arbeitskollektivs, sollten auch sie lernen, " Verantwortung für das Ganze zu tragen und sich des ihnen entgegengebrachte Vertrauens als Angehörige des Nachwuchses der Arbeiterklasse würdig zu erweisen" (Ratschläge für Lehrfacharbeiter 1978, S. 28) und sich zu "gleichberechtigten jungen sozialistischen Persönlichkeiten" zu entwickeln 3
Es sei an dieser Stelle deutlich darauf hingewiesen: "Unter den üblichen Bedingungen (der Nacht- und Schichtarbeit, W.Z.) ist keine ausreichende Adaption zu erreichen. Aus diesem Grunde befindet sich der Schichtarbeiter in einem Zustand permanenter Umanpassung... " (LdW 1982, S. 239). Tietze war im Obrigen ebenso Mitautor des »Lexikon der Wirtschaft« wie Winkler, wobei M. Quaas sogar Mitglied des Redaktionskollektiv war. Die Ergebnisse seiner Habilitationsschrift (1959) stellte "OMR Prof. Dr. sc. med. M. Quaas" mit dieser Behauptung selbst auf den Kopf. FOr Quaas (1971, S. 56) stand die Anpassung der Werktätigen an die Mehrschichtarbeit immer im Mittelpunkt aller arbeitsmedizinischen Überlegungen.
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(Knauer/Eberle/Rudolph 1983, S. 111; vgl. auch Selbstverwirklichung ... 1990, S. 3). Dazu umfaßte die Erziehung der Lehrlinge in den Arbeitskollektiven vor allem drei Funktionen (vgl. Geuther/Heinze/Siemon 1976, S. 36): - Soziale Funktion: Übennittlung der "Erfahrungen des Klassenkampfes" sowie die Befähigung der Lehrlinge zum sozialistischen Arbeiten, Lernen und Leben und die Befähigung, als "sozialistische Persönlichkeit im Kollektiv, im Betrieb und in der Gesellschaft sachkundig an Entscheidungen teilzunehmen; - Bildungs- und Erziehungsfunktion: erzieherische Einwirkung auf die "Entwicklung einer sozialistischen Einstellung zur Arbeit", Erziehung für die Bereitschaft zur Mehrschichtarbeit, Erziehung zu einem hohen sozialistischen Arbeitsbewußtsein und -verhalten, sowie zur Achtung und Nutzung des sozialistischen Eigentums usw.; - Ökonomische Funktion: erzieherische Einwirkung zur Erfüllung der betrieblichen Pläne. Vor dem Hintergrund dieses Funktionsbündels wird verständlich, warum in den sozialistischen Wirtschaftseinheiten "Erziehung und Selbsterziehung" vor Arbeit rangierte. Versuchten die Funktionäre mit großem Aufwand, die selbstbestimmte Zeit der Jugendlichen zu minimieren, konnte in dieser Zeit, so kalkulierte die SED-Führung, nicht gegen sie opponiert werden (VoigtiMeck 1984, S. 30). Kernstück sozialistischer Erziehung war damit der politisch-ideologische Drill der ganzen Jugend (Keim 1976 b, S. 147). Honecker (1976, S. 114) subsumierte unter dem Tenninus "kommunistische Erziehung" eine heterogene Sammlung von Zielen, wenn er darlegte, daß vor allem der Jugend die" tiefgreifenden sozialen Prozesse bewußt zu machen, sie zu befähigen, alle Fragen unserer Zeit vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus richtig zu beurteilen und sich für den gesellschaftlichen Fortschritt einzusetzen. "Der Jugend sei das" wissenschaftliche Bild vom Sozialismus und Kommunismus, von der Überlegenheit der neuen Ordnung und ihrer Lebensweise ... zu vermitteln" (ebd.). Zwar begann die umfassende Einbeziehung in die Arbeitserziehung unmittelbar mit der Aufnahme der Lehrlinge in die Kollektive (Dieme/Piksa 1976, S. 521), das Fundament für die Persönlichkeitsentwicklung sozialistischer Provenienz lag jedoch tiefer. Perfektioniert wurde die "Persönlichkeitsentwicklungstrategie" durch Vermittlung der Ideologie des Marxismus-Leninismus und entsprechende Charakter- und Verhaltenserziehung (Lück 1990, S. 144). Danach sollten die Individuen im möglichst frühen Alter bestimmte Werte und Nonnen internalisieren, die das Handeln und Verhalten reglementierten und als Verhaltensmuster galten, denen entsprechende Kenntnisse, Erkenntnisse, Fähigkeiten, Einstellungen, Gefühle zugeordnet waren (AufgabensteIlung ... 1969, S. 17; Lück 1990, S. 14). Der Einfluß auf die Persönlichkeitsentwicklung begann dementsprechend
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schon im Vorschulalter. Ein wesentliches Wirkungsfeld der "staatsbürgerlichen" oder der sinngleichen politisch-ideologischen Erziehung waren zweifellos die Schulen. Der Prozeß der Anerziehung sozialistischer Persönlichkeitseigenschaften, insbesondere jener der Kollektiv- und Arbeitserziehung, wurde nach dem Verlassen der staatlichen Bildungseinrichtungen in den VEB im Rahmen der betrieblichen Sozialisation fortgesetzt (Frohn 1982, S. 91). Damit insbesondere die heranwachsenden DDR-Staatsbürger eine "sozialistische" Arbeitshaltung erwarben, zielte die Arbeitserziehung darauf ab, daß sie körperlicher und geistiger Arbeit gewogen waren, hohe individuelle und kollektive Arbeitsergebnisse erzielten sowie ihre erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten praktisch anwandten, so daß ihnen die berufliche und außerberufliche gesellschaftlich nützliche Arbeit zur Gewohnheit und schließlich zum ersten Lebensbedürfnis wurde (DegenlErtel 1976, S. 244; Henschel/Tobien 1976, S.467; Keim 1976b, S.146; Raschke/Wachenschwanz 1977, S.24; Mittag 1968, S. 11).
III. Sozialistische Arbeitskräfteplanung und -lenkung Um ihre Ziele zu verwirklichen, konnte die SED auf die Planung und Lenkung der Arbeitskräfte nicht verzichten. Sozialistische Arbeitskräfteplanung und -lenkung umfaßten die Beeinflussung der Berufswahl und verbindliche Regelungen für die Betriebe und steuerten damit den Berufsnachwuchs in die Mehrschichtarbeit. In der bereits in den unteren Klassen der Oberschule einsetzenden Berufsaufklärung erhielten die Schüler" ein bestimmtes Grundwissen über die gesellschaftliche Notwendigkeit der Arbeit und über die Betriebe ihre Heimatkreises, vor allem über ihren Patenbetrieb und über die Berufstätigkeit ihrer Eltern" (Knauer/EberlelRudolph 1983, S. 99). Dazu hielten die "Berufsberater" in diesem Abschnitt der Berufsvorbereitung bereits in allen 6. Klassen Einführungsvorträge. Da nach marxistisch-leninistischen Soziologen, 60 bis 80 v.H. der Berufswünsche von den Familien geprägt werden (SteinerlStreich 1979, S. 38 f.), wandten sich die "berufsberatenden" Akteure zwecks Beeinflussung gleichzeitig an die Eltern (Schultz 1989, S. 8), damit die persönlichen Belange der Lehrstellensuchenden mit den gesellschaftlichen Interessen in Übereinstimmung gebracht wurden, d.h. im Kollisionsfall hinter der staatlichen Planaufgabe zurücktraten. Freiheit der Berufswahl hieß somit in der DDR, daß der einzelne Jugendliche seine Berufswünsche mit den Möglichkeiten und Anforderungen der gesamten Volkswirtschaft in Einklang bringen mußte. Bereits bei der Berufsberatung war darum schon darauf Einfluß zu nehmen, den Berufsnachwuchs für die Mehrschichtarbeit zu gewinnen, so daß die Entscheidung für beide Geschlechtergruppen (Bertram 1987, S. 233) bereits mit der Be-
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rufswahl fiel (Hummel 1977, S. 84). Die Berufswahl, d.h. der "Prozeß und das Ergebnis der individuell vollzogenen und durch gesellschaftliche, vor allem pädagogische Einwirkungen beeinflußten Berufsfindung" (Winkler 1987, S.91), war dann aus parteibestimmter Sicht "richtig", wenn zwischen den gesellschaftlichen Erfordernissen und den individuellen Berufsinteressen und -neigungen weitgehende Übereinstimmung bestand (Knauer/Eberle/Rudolph 1983, S. 99; LdW 1982, S. 193). Dieser "Prozeß der Zuführung des Arbeitskräftenachwuchses " in die Berufsausbildung hatte den langfristigen Arbeitskräfteplänen der DDR-Volkswirtschaft zu entsprechen und war folglich der Arbeitskräftelenkung untergeordnet (LdW 1982, S. 196), wenngleich die offiziell proklamierte freie Berufswahl freilich dazu in Widerspruch stand. Eine direkte Maßnahme zur Lenkung des Arbeitskräftenachwuchses - auch in die Mehrschichtarbeit - konnte deshalb nur eine "Berufswahlerziehung" (Rudolph 1979, S. 343) sein. Dank des "gesellschaftlichen Bewußtseins" hatten die potentiellen Werktätigen die gesellschaftlichen Erfordernisse zu erkennen, zu akzeptieren und die eigenen Interessen ihnen gezwungenermaßen unterzuordnen (vgl. ebd.). Die starke Einschränkung von Berufswahl und Wahl des Arbeitsplatzes, die sich im sozialistischen System nachweisen läßt, wurde bei den Berufsanfängern als "Einsicht in die Notwendigkeit" definiert. Einsicht in die Notwendigkeit der Mehrschichtarbeit sollte bereits vor und spätestens während der Lehrzeit geweckt werden (Tietze/Hoffmann 1985, S. 120). Wahrgenommen wurde diese Aufgabe der rechtzeitigen Berufsvorbereitung und -lenkung durch den "Lehrer für Berufsberatung". Der Schule war nämlich per Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem der DDR von 1965 diese Aufgabe zugewiesen und im "Fächerkanon der polytechnischen Oberschule (POS) fest verankert" (Hille 1985, S. 122 f.). An der Durchführung der Berufsberatung war zudem eine Vielzahl von Personen und Stellen beteiligt, deren Aufgaben und Kompetenzen eigens eine» Verordnung über die Berufsberatung« vom 6.11.1986 verbindlich regelte. Darüber hinaus waren alle DDR-Ausbildungsberufe, in denen eine Lehrausbildung erfolgte, in einer "Systematik der Ausbildungsberufe" zusammengestellt (Va über die Facharbeiterberufe 1984 nebst 1. Durchführungsbestimmung zur va 1984), die die Grundlage für die Perspektiv- und Jahresplanung der Neueinstellung von Schulabgängern in die Berufsausbildung nach Berufen durch die Kreise, Betriebe, Kombinate und Einrichtungen bildete (WB zur sozialistischen Jugendpolitik 1975, S. 30 ff.; Winkler 1987, S.88; LdW 1982, S. 160).4 Die Systematik der Facharbeiterberufe enthielt eine genaue Autlistung der einzelnen Berufszweige, der Ausbildungsdauer, der Form der Ausbildung und der für die Ausbildungsinhalte verantwortlichen Institutionen. 4
Betriebe, Kombinate und Einrichtungen verfügten nur über das Planungsrecht für die Ausbildung in den Berufen ohne Abitur (Rudolph 1979, S. 341).
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Da der Abschluß von Lehrverträgen stets der vorherigen Zustimmung des zuständigen Amtes flir Arbeit bedurfte, besaß die staatliche Arbeitsverwaltung ein wirksames Mittel, auch noch die Wahl des Ausbildungsbetriebes zu beeinflussen (Kleiner 1971, S. 116 ff.). Außerdem waren gemäß § 136 Abs. 2 AGB die zuständige BGL und die Leitung der Grundorganisation der FDJ durch den Betrieb vom beabsichtigten Abschluß des Lehrvertrages zu verständigen. Somit war den Eltern die Entscheidung über den Bildungs- und Berufsweg ihrer Kinder und damit das auch nach der DDR-Verfassung (von 1974) gemäß Art. 38 Abs. 4 primär den Eltern zustehende Recht, die Art der Erziehung und Ausbildung zu bestimmen, weitgehend genommen (Müller-Römer 1965, S. 191). Als Phase besonders nachhaltiger und wirksamer Persönlichkeitsprägung ist flir die Jugendlichen zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr systemindifferent 5 die Berufsausbildung (aus nichtmarxistischer Sicht: Fürstenberg 1971, S.27). Den in den Dokumenten der jeweiligen Parteitage enthaltenen Aufgaben für die Berufsausbildung (Honecker 1976, S. 98) widmeten die DDR-Pädagogen als Leitlinie flir ihre erzieherische Arbeit propagandistische Aufmerksamkeit (Rother/Henschel 1976, S. 319). Aufgrund der parteibestimmten AufgabensteIlung galt es, bei den Lehrlingen die" Keime kommunistischen Denkens, Fühlens und Handeins ... systematisch zu entwickeln" (ebd., S. 320). Priorität bei dieser Entwicklung hatte nach den Grundsätzen sozialistischer Jugendpolitik die fachliche Förderung und die frühzeitige Einbeziehung der Jugendlichen in den mehrschichtigen Arbeitsprozeß (Tietze/Winkler 1988, S. 120; Krenz, 1981, S.38; Pietrzynski 1977, S. 12; Zaschke 1977, S.92; Sasse 1980, S. 2 f.). Die Erziehung zu "sozialistischen Persönlichkeiten" im Arbeitsprozeß sollte jedoch nicht individuell und isoliert erfolgen, sondern in Arbeitskollektiven (Geutherl Heinze/Siemon 1976, S.13). Zur Verwirklichung der Gewährleistung des Machtmonopols der SED sollte vorrangig die Erziehung der Lehrlinge in den Arbeitskollektiven erfolgen, da deren Ziele, so wurde behauptet, mit den gesellschaftlichen Zielen deckungsgleich seien (Piksa 1976, S. 171). Die politische Führung der Arbeitskollektive, die sich in dem Idealbild der Partei durch ein von ihr bestimmtes Wert- und Normensystem auszeichneten und die "Arbeits- und Kampftraditionen der Arbeiterklasse" bewahrten und fortführten, wurde von der SED und ihren Organisationen wahrgenommen (Piksa 1976, S. 171). Kollektiverziehung und Persönlichkeitsentwicklung bildeten so nach Stollberg (1976, S. 154) eine "integrative Einheit". Die wichtigsten Regelungen der von der SED bestimmten Jugendpolitik fanden sich im Jugendkommu5
Unter dem Aspekt der Sozialisation bedeutet der Eintritt in das Berufsleben aus der Sicht westlicher Soziologen, "daß der junge Mensch lernt. eine ihm gestellte Aufgabe ordnungsgemäß zu erledigen" (Fürsten berg 1971, S. 27). Im Hinblick auf die Enkulturation richtet sich dieser Lernprozeß auf die Verinnerlichung "sinngebender Berufsvorstellungen, die zur Verwirklichung in der Berufstätigkeit drängen" (ebd.).
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nique des Politbüros des ZK der SED vom September 1963, im Gesetz über das einheitliche Bildungssystem vom 25.2.1965 sowie im 3. Jugendgesetz der DDR vom 28.1.1974. Diese Dokumente bildeten die Grundlage fur das koordinierte Zusammenwirken aller mit der Erziehung der Jugend beauftragten staatlichen Organe und gesellschaftlichen Organisationen; durch sie sollte die Formung junger sozialistischer Persönlichkeiten einheitlich durch alle Erziehungsträger gewährleistet werden (Aue 1976, S. 165). Die DDR-Jugendpolitik versuchte diese Absicht damit zu erreichen, indem sie "alle gesellschaftlichen Aspekte des Jugendlebens - von der schulischen und betrieblichen Ausbildung bis hin zu Freizeit und Sport - in ihre Zielsetzung" einbezog (Freiburg 1972, S. 169). Alle Lehrlinge hatten sich dazu die "Weltanschauung" und "Moral" der SED anzueignen und sich in ihrem Denken und Handeln" von der Verbundenheit zur DDR, zur Arbeiterklasse und zu ihrer marxistisch-leninistischen Partei... .. leiten zu lassen (Keim 1976 b, S. 146). Für die Pädagogen war dabei ein höheres Niveau der Aneignung marxistisch-leninistischer Grundkenntnisse und ihre Anwendung in der Praxis von entscheidender Bedeutung (Keim 1976b, S. 147), wie es die SED gefordert hatte (Protokoll II 1976, S. 260).
IV. Sozialistische Berufsausbildung Jeder Abgänger der zehnklassigen allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule, der keine weiterflihrende Bildungseinrichtung (Erweiterte Oberschule, Fachschule) besuchte, erlernte in der Berufsausbildung einen Facharbeiterberuf (Knauer/Eberle/Rudolph 1983, S. 91). Damit wurde ein in der DDR-Verfassung (Art. 25 Abs.4) verankertes grundlegendes Recht und zugleich die Pflicht jedes Jugendlichen praktisch verwirklicht. Wem der sozialistische Staat nämlich nach seiner Verfassung das Recht auf Bildung gab, der hatte auch die gesellschaftliche Pflicht, dieses Recht wahrzunehmen. Diese Sozialpflichtigkeit und Sozialkontrolle realisierte sich in der DDR vor allem in den volkseigenen Betrieben (Sontheimer/Bleek 1979, S. 197). Die in der Regel zweijährige DDR-Berufsausbildung (Knauer/EberlelRudolph 1983, S. 93) war Bestandteil des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems und darum auch den allgemeinen Prinzipien sozialistischer Bildung und Erziehung verpflichtet (WB zur sozialistischen Jugendpolitik 1975, S. 30). Ihr Ziel war es, auf dem Fundament des marxistisch-leninistischen Weltbildes "allseitig entwickelte klassenbewußte, hochqualifizierte Facharbeiter heranzubilden, die sich durch ein hohes sozialistisches Bewußtsein und sozialistische Verhaltensweisen auszeichnen, die über hohe Allgemeinbildung und gefestigtes politisches Wissen, umfassende Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten verfügen,
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die vielschichtig im Arbeitsprozeß einsetzbar sind, sich ständig weiterbilden, ihr Wissen und Können für die Stärkung und Verteidigung der Deutschen Demokratischen Republik, des sozialistischen Staates deutscher Nation, schöpferisch einsetzen" (Grundsätze ... 1968, S. 72 f.; vgl. § 129 Abs. 2 AGB; Knauer/ Eberle/Rudolph 1983, S. 92; Weidemann 1976, S. 155; Ratschläge für Lehrfacharbeiter 1978, S. 15; Mittag 1968, S. 75). Die Grundsätze als das bis zum Niedergang der DDR gültige Leitdokument für die sozialistische Lehrlingsausbildung bezogen sich vor allem auf die Einführung beruflicher Grundlagenfächer sowie die Herausbildung und Einführung von Grundberufen (Rudolph 1979, S. 334). Demgegenüber sind die Ziele der Sozialisation in einer pluralistischen Gesellschaft wie derjenigen der Bundesrepublik .. sicherlich ebenso pluralistisch wie diese selbst" (Blücher 1977, S. 83). Wenn in der DDR als Hauptziel der Berufsausbildung angegeben wurde, sie solle .. vor allem der allseitigen sozialistischen Persönlichkeitsbildung und damit der umfassenden Befähigung der Jugend zur Wahrnehmung der Doppelfunktion als sozialistischer Eigentümer und Produzent dienen" (Zur Weiterentwicklung ... 1970, S. 29), dann wurde damit die gesellschaftspolitische Funktion der Berufsausbildung in den Vordergrund des Interesses gerückt. Daher war die Erziehung der Lehrlinge in der DDR im Sinne der sozialistischen Lebensweise immer klassenmäßige Erziehung (Henschel 1977, S. 1 ff.; vgl. Traumann 1971, S. 28), die in der .. Verdeutlichung der Bedeutung, Notwendigkeit und Entwicklung der Mehrschichtarbeit in der Volkswirtschaft der DDR" gipfelte (Sasse 1980, S. 10 1). Auf die sozialistische Erziehung der Lehrlinge hatten zwei Kollektivtypen einen wesentlichen Einfluß: die Lehrlingskollektive und die Arbeitskollektive (Piksa 1976, S. 65). Lehrlingskollektive (ebd., S. 66) gliederten sich in Lem- und Arbeitskollektive (Schulklasse und kleinere Lehrlingskollektive), Interessenkollektive (Arbeitsgemeinschaften usw.) und das Wohnkollektiv (Wohngruppe im Lehrlingswohnheim). Für die problemrelevante Gesamtbetrachtung hatten das "Kollektiv des sozialistischen Jugendverbandes" (FDJGruppe) und die Lem- und Arbeitskollektive nach sozialistischer Auffassung die größte Bedeutung, da sie alle Lehrlinge erfaßten (Piksa 1976, S. 66). Maßgeblich sollte an der Erziehung der Jugendlichen der sozialistische Jugendverband mitwirken. Denn die FDJ betrachtete es als ihre Grundaufgabe, .. alle Mädchen und Jungen zu klassenbewußten Sozialisten zu erziehen ... " und sich bei der Erfüllung dieser Aufgabe .. von den richtungsweisenden Beschlüssen und Ratschlägen" der SED leiten zu lassen (WB zur sozialistischen Jugendpolitik 1975, S. 76 f.). Die FDJ reklamierte für sich auch den Erziehungs- und Führungsanspruch der Lehrlingskollektive (Piksa 1976, S. 68; Walther 1971, S. 992; Klassenmäßige Erziehung ... 1976, S. 152). Jugendbrigaden waren eine spezifische Form sozialistischer Arbeitskollektive (Gerth et al. 1979, S. 73). Entsprechend der besonderen Situation der Ju-
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gendlichen wurden unter Führung der FDJ Jugendkollektive bzw. Jugendbrigaden gegründet, deren erzieherische Funktion darin bestand, durch gemeinsame Arbeit aller Mitgli~der solidarische Verhaltensnormen zu entwickeln und das Bewußtsein für die gesellschaftliche Funktion der Mehrschichtarbeit zu wecken. Die Berufsausbildung der Lehrlinge (WB zur sozialistischen Jugendpolitik 1975, S. 166; KnauerlEberle/Rudolph 1983, S. 107 f.) bestand aus einem theoretischen Teil (in Betriebs- und kommunalen Berufsschulen unter Anleitung von Fachlehrern) und einem praktischen Teil (in Lehrwerkstätten und Betriebsabteilungen unter Anleitung von Lehrmeistern, Lehrausbildern, Meistem und qualifizierten Facharbeitern). Insofern verstand Piksa (1976, S. 78) unter .. Ausbildung der Lehrlinge in Arbeitskollektiven, daß die Lehrlinge einzeln oder in kleinen Gruppen in den kleinsten Leistungseinheiten der Betriebe unmittelbar im Arbeitsprozeß ausgebildet" wurden. Kern der kommunistischen Politschulung war die .. klassenmäßige Erziehung", die sich in drei Komponenten gliederte: der .. weltanschaulichen Bildung", der .. sozialistischen politischen Bildung" und der "sittlichen Erziehung" (Schäfer 1970, S.24). Während die .. weltanschauliche Bildung" die Aufgabe hatte, die .. in der Oberschule erarbeiteten Einblicke in die Gesetzmäßigkeiten der weltverändernden Prozesse zu vertiefen" und bei den Studenten die .. Einsicht von der welthistorischen Mission der Arbeiterklasse zu festen Überzeugungen" werden lassen, ging es bei der .. sozialistischen Bildung" um die .. Kenntnisse der politischen Strategie und Taktik der Partei- und Staatsführung" (ebd.). Schließlich stand bei der dritten Komponente der .. klassenmäßigen Erziehung", der .. sittlichen Erziehung", die .. Herausbildung sozialistischer Verhaltensweisen" im Vordergrund. Im einzelnen handelte es sich dabei um so heterogene Charaktereigenschaften wie Standhaftigkeit, Mut und Bescheidenheit, zugleich aber auch um die .. Verbundenheit mit dem Volke, Freundschaft mit der Sowjetunion, Treue zur Partei, unauslöslichen Haß gegen die Feinde des Volkes" und um die .. solidarische Verbundenheit mit den um ihre Freiheit kämpfenden Völkern" (Schäfer 1970, S. 24; Klassenmäßige Erziehung 1976, S. 151; Ratschläge f. Lehrfacharbeiter 1978, S. 15; Keim 1976a, S. 305). Als Methode zur Mobilisierung von Handlungsantrieben in diesem Sinne sahen sozialistische Pädagogen (Stolz 1975, S. 45) das Überzeugen von der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Mehrschichtarbeit bei Lehrlingen an. Piksa! Sasse (1977, S.266) behaupteten in diesem Zusammenhang weiter, daß die politisch-ideologische Überzeugungsarbeit eine "notwendige Voraussetzung zur Herausbildung von kommunistischen Arbeitsbewußtsein und -verhalten und folglich eine notwendige Voraussetzung bei der Entwicklung der Bereitschaft der Lehrlinge zur Mehrschichtarbeit" sei. Eine sich daraus ergebende Konsequenz war fur zahlreiche sozialistische Autoren (Gieding/Weißflog 1976, S. 162 f.; Weidemann 1976, S. 155 f.; DegenlErtel 1976, S.244; Sasse 1980,
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S.96; Weslowski 1974, S. 61; Schröter/Piksa 1976, S. 121; Henschel/Tobien 1976, S. 467 ff.; Dieme/Piksa 1976, S. 519 ff.; Kirilow 1983, S. 7; Sauer 1986, S. 62; Kaden/Pöse 1977, S. 329; PerlebergiSeidel 1977, S. 328; Tietze/Winkler 1988, S. 112; Tietze/Hoffmann 1985, S.120; Tewes 1974, S.163; Pollerl Schlegel 1970, S.45; Geuther/Heinze/Siemon 1976, S. 92; Gerth et al. 1979, S. 50 f.; Spangenberg 1974, S. 95 ff.; HauseriHauser 1986, S. 58 ff.) die Forderung, daß die Ausbildung mit dem Produktionsrhythmus des Betriebes in Einklang zu bringen war und die Lehrlinge frühzeitig zum Mehrschichtdienst herangezogen wurden. Mehrschichtarbeit in der DDR sollte nach den Vorstellungen der SED bekanntlich zu "einem bewußten, aktiven Massenprozeß" entwickelt werden und stellte "daher besonders neue Anforderungen an die Berufsvorbereitung, an die Qualität der Ausbildung und an die kommunistische Erziehung des Nachwuchses der Arbeiterklasse in der Berufsausbildung" (Sasse 1980, S. 4; vgl. auch Sauer 1986, S. 79). Politischer Unterricht, der die Identifikationsbereitschaft mit den von Partei und Staat propagierten Zielen steigern sollte, Qualifizierungsmaßnahmen, die im Endeffekt dem Aufbau des Sozialismus zugute kommen sollten, sowie Weckung und Steigerung kultureller und sportlicher Interessen und bessere Wahrnehmung der Aufsichtspflichten bei Mehrschichtarbeit, waren betriebliche Instrumente, um die jungen Werktätigen und Lehrlinge zu sozialistischen Persönlichkeiten zu erziehen (vgl. Aue 1976, S. 188). Wie Hartmann (1966, S. 980 f.) ausführte, war unter dem Begriff dieser .. erzieherischen Anforderungen" nicht nur die im Wege der sprachlichen Kommunikation erfolgte mündliche Belehrung, Anweisung, Aufgabenstellung oder Bewertung zu verstehen. Auch das sogenannte stillschweigende konkludente Verhalten der Öffentlichkeit oder einzelner Gruppen oder Bürger konnte eine Form der Stellungnahme zum sozialen Verhalten der Jugendlichen darstellen oder ein solches Verhalten indizieren und somit Auswirkungen auf das individuelle Bewußtsein haben. Gesellschaftliches Engagement wurde aber auch in anderem Zusammenhang beobachtet. Beispielsweise gaben die Ratschläge für Lehrfach6 arbeiter (1978, S. 31) den Fingerzeig, über das Verhalten der Lehrlinge .. bei politisch-ideologischen Diskussionen, zu Fragen der Planerfüllung. bei Diskussionen über aktuelle politische Fragen" Notizen anzulegen, um .. überzeugende Aussagen zur Gesamtentwicklung der Lehrlinge gemäß §§ 67 und 68 AGB zu erhalten. " Aus dem Fächerkanon kommunistischer berufstheoretischer Lehrlingserziehung war auch die Rechtserziehung auf das engste mit den übrigen Erziehungsbereichen wie Arbeitserziehung, moralische Erziehung, ästhetische Erziehung verknüpft (Bienert 1977, S. 50). Diese Rechtserziehung der Lehr6
Honecker (1976, S. 115) hatte zuvor den Pädagogen vorgehalten, daß sie sich, in ihrer Fachwissenschaft und im Marxismus-Leninismus qualifizieren und ihr pädagogisch-methodisches Wissen und Können vervollkommnen" sollten.
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linge war ein fester Bestandteil der kommunistischen Erziehung des sozialistischen Facharbeiternachwuchses (ebd.). Durch die Vermittlung von Grundlagenwissen in den verschiedenen Gebieten des sozialistischen Rechts sollten die Lehrlinge zur "freiwilligen Einhaltung der sozialistischen Rechtsnormen, zum Schutz des sozialistischen Eigentums einschließlich des Schutzes vor Havarien und Bränden, zu bewußter Disziplin und zu hoher Wachsamkeit" erzogen werden (Rudolph 1979, s. 337). Betriebliche Gewerkschaftsorganisationen unterstützten diesen parteilichen Erziehungsauftrag (Weidemann 1976, S. 156), indem sie den Facharbeiternachwuchs zusätzlich mobilisierten. Lehrlinge waren zur gezieIten Überbietung der Volkswirtschaftspläne und der Lehrpläne in die »Messe der Meister von morgen« (MMM), einer politischen Bewegung der DDR-Jugend zur" aktiven Teilnahme an der sozialistischen Intensivierung und Rationalisierung" einzubeziehen (LdW 1982, S. 640; VO über die Bewegung ... 1976, S. 141). Die MMM, deren Förderung als wichtiges Anliegen der Meister angesehen wurde (AK Handbuch ... 1984, S. 374), hatten, als eine spezifische Form des Berufswettbewerbes (Geuther/Heinze/Siemon 1976, S. 26; Huhle 1977, S.263), ebenso die Funktion, die klassenmäßige Erziehung der Kinder und Jugendlichen im Sinne der SED zu fördern (LdW 1982, S. 640). Inwieweit die MMM-Bewegung freilich dazu geeignet war, junge Talente zu entdecken und zu fördern, muß dahingestellt bleiben. Während ihrer Berufsausbildung hatten alle Mädchen und Jungen eine 17tägige vormilitärische bzw. eine Sanitätsausbildung in der Zivilverteidigung als festen Bestandteil des Unterrichts zu absolvieren (Keim 1976a, S. 306; KnauerlEberlelRudolph 1983, S. 103; Ratschläge f. Lehrfacharbeiter 1978, S. 38). Die obligatorische vormilitärische Ausbildung erfolgte hauptsächlich in der Lagerausbildung der GST (Wagenlehner 1984, S.79). Im Vordergrund standen die Festigung des "sozialistischen Wehrmotivs, die Aneignung von Kenntnissen und Fertigkeiten der militärischen Grundausbildung sowie der Militärtechnik " (Ratschläge f. Lehrfacharbeiter 1978, S. 38). Die von den Berufsfachkommissionen erarbeiteten Lehrpläne wurden nach Bestätigung durch den Leiter des verantwortlichen Staats- oder Wirtschaftsorgans vom Staatssekretär für Berufsbildung für verbindlich erklärt (AO über die Aufgaben und Arbeitsweisen der Berufsfachkommissionen... 1982, S. 319 ff.). Sie garantierten nach eigenem Anspruch eine starke" marxistisch-leninistische Durchdringung des fachlichen Bildungsgutes " (AlbrechtiFalk 1977, S. 432). Die Lehrpläne berücksichtigten, "daß hochwertige Maschinen, Anlagen und andere Produktionskapazitäten auch unter den besonderen Bedingungen des berufspraktischen Unterrichts maximal ausgelastet werden" (Geuther/Heinze/ Siernon 1976, S. 91). Die inhaltliche Ausgestaltung der Grundlagenfächer wurden dazu zeitlich gestrafft (Gieding/Weißtlog 1976, S. 164; Knauer/Eberle/Rudolph 1983, S. 109). Denn die Lehrlinge waren "planmäßig und zügig an das
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Arbeitstempo bzw. an den Arbeitsrhythmus des Arbeitskollektivs zu gewöhnen" (Geuther/Heinze/Siemon 1976, S. 113). Sasse (1980, S. 105) stellte in ihrer Dissertation den Leitern und Lehrkräften hinsichtlich der Erziehung der Lehrlinge die Forderung, der "frühestmögliche(n) Korifrontation mit Anforderungen und Problemen der Mehrschichtarbeit ".
V. Sozialistische Erziehungsmaßnahmen Parteitreue junge Werktätige wurden zur DurchfUhrung von Erziehungsmaßnahmen darüber hinaus als Multiplikatoren eingesetzt (NawrothlKullmann 1992, S. 25). Da die Tätigkeit der FDJ darauf gerichtet war, ,frühzeitig gesellschaftliches Verantwortungsbewußtsein und Initiative der Jugendlichen zur Stärkung der DDR zu wecken ", wurde dem sozialistischen Jugendverband eine hervorragende Bedeutung fUr die Erziehung der Jugendlichen zugeschrieben (SBW 1980, S. 203). Das geschah beispielsweise über die Bildung von Jugendbrigaden hinaus auch durch FDJ-Kontrollposten (SBW 1980, S. 203). Kontrollposten waren" Kontrollorgane der Leitungen der FDJ, die als Bestandteil der gesellschaftlichen Kontrolle in der DDR eng mit der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion und den Arbeiterkontrolleuren der Gewerkschaften" zusammenwirkten (WB zur soz. Jugendpolitik 1975, S. 155 f.). So ergab die aufFDJ-Initiative durchgeführte Kontrollaktion "diebische Elstern" ein "ungefähres Bild, über welche freien Maschinenkapazitäten unsere Volkswirtschaft noch verfügt" (Kempe/Storch 1963, S. 26). Das alte »Gesetzbuch der Arbeit« (GBA) bestimmte dazu schon in § 137 (ÖKL 1979, S. 267; KPWB 1989, S. 71) daß die FDJ das Recht hatte, Kontrollposten zu organisieren, um zur Entwicklung einer hohen sozialistischen Moral und neuer Arbeitsmethoden, zur EinfUhrung der neu esten Technik beizutragen und den Kampf gegen Gleichgültigkeit, Schlendrian, Bürokratismus und Formalismus bei der Arbeit zu fUhren. Zweifellos waren die FDJ-Kontrollposten eine äußerst fragwürdige Einrichtung im Zusammenhang mit der Förderung der Jugend, wie Mampel (1966, S. 405) zu Recht konstatiert, weil auch hier Jugendliche zum Objekt der SED-Politik gemacht wurden. Von Zaschke (1977, S. 92) wurde in seiner Dissertation auf neue, "verallgemeinerungswürdige Wege in der Berufsausbildung bei der Vorbereitung junger Facharbeiter auf die Bedingungen der Mehrschichtarbeit " hingewiesen, die im VEB Robotron Elektronik Riesa beschritten worden waren. Zielstrebig wurden dort - mit angeblicher Zustimmung der Eltern - "die Lehrlinge während der Berufsausbildung politisch-ideologisch und fachlich auf ihren zukünftigen Beruf im Mehrschichtsystem vorbereitet", um die Herausbildung einer festen Stammbeleg4 Festschrift Vaig!
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schaft zu fördern. In diesem Kontext ist die Werthaltigkeit der von den sozialistischen Propagandisten gepriesenen Schutzvorschriften zur Vermeidung arbeitsbedingter Gesundheitsschäden bei Jugendlichen besonders zu beachten (LdW 1982, S. 125). Nach § 166 Abs. 3 Arbeitsgesetzbuch (AGB) betrug die wöchentliche Arbeitszeit bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres 42, über 16 Jahre 43 % Stunden, sofern die berufspraktische Ausbildung nicht im Schichtsystem erfolgte. Traf dies zu, belief sich die wöchentliche Arbeitszeit im Dreioder durchgehenden Schichtsystem auf 40, im Zweischichtsystem auf 42 Stunden. Für Lehrlinge unter 18 Jahren, die ihre berufspraktische Ausbildung im Schichtsystem erhielten, mußte zwischen zwei Arbeitsschichten mindestens eine arbeitsfreie Zeit von 13 Stunden liegen. Gemäß § 170 Abs. 2 AGB war Nacht- und Schichtarbeit für Lehrlinge nur in begrenztem Umfange zulässig. Grundsätzlich war es so verboten, Jugendliche unter 18 Jahren in der Zeit von 18.00 bis 6.00 Uhr zu beschäftigen. Für Lehrlinge ab vollendetem 16. Lebensjahr jedoch war Nacht- und Schichtarbeit statthaft (§ 170 Abs. 2 AGB), wenn 7 es die Ausbildung erforderte (Sasse 1980, S. 100). Voraussetzung für die Ausbildung während der Nacht war die vorherige Zustimmung der Erziehungsberechtigten, des Betriebsarztes und der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitung (§ 170 Abs. 2 AGB). Wurde eine dieser Zustimmungen versagt, durfte die Ausbildung in den Nachtstunden qua Gesetz nicht erfolgen. Der praktische Gehalt dieser "Schutzvorschriften" war jedoch in Zweifel zu ziehen. Nachdenklich stimmt es in diesem Zusammenhang nämlich, wenn man berücksichtigt, daß die in Schicht arbeitenden VEBs oft die .. vorherige" Zustimmung der Erziehungsberechtigten einfach übergingen, weil betriebliche Interessen vorrangiger waren. Nach den "Standpunkten" des Staatssekretariats für Arbeit und Löhne (1984, S. 7) war das Merkmal "vorherig" bekanntlich für die Rechtsfolgen nicht entscheidend. Problemrelevant bedeutete dies: die Zustimmung der Erziehungsberechtigten für den Einsatz der Jugendlichen zur Nachtund Schichtarbeit war praktisch ohne Belang. Verschärfend kommt hinzu, daß es bei der Forderung nach mehrschichtiger Ausbildung der Lehrlinge primär nicht darum ging, wie teilweise angenommen wurde (Schweres 1978, S. 49), um die bessere Auslastung der Grundmittel, sondern eindeutig .. vorrangig darum, den Lehrlingen die Probleme, die mit der Mehrschichtarbeit zusammenhängen, näherzubringen und sie an Mehrschichtarbeit zu gewöhnen" (Geutherl Heinze/Siemon 1976, S. 215). Auch Perleberg/Seidel (1977, S. 328) betonten und hier wird noch einmal besonders deutlich, daß die Durchsetzung der Schichtarbeit keineswegs nur um die .. effektive Auslastung der Grundfonds" beinhaltete -, sondern, daß der frühzeitige Einsatz der Lehrlinge in der Mehrschichtarbeit besondere "Potenzen" für die .. Herausbildung der Überzeugung von der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Mehrschichtarbeit" hatte. Der 7
Für schwangere Lehrlinge war Nachtschicht verboten (§ 243 Abs. I AGB).
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diesem "Training" innewohnende Gewöhnungseffekt sollte einen wichtigen Anteil an der Herausbildung der Bereitschaft zur Mehrschichtarbeit haben: Durch die "Gewöhnung" wurde beabsichtigt, daß die Lehrlinge die Nacht- und Schichtarbeit als einen "Normalzustand, als eine alltägliche Anforderung an die Gestaltung ihrer Lebensweise verstehen lernen" (Kaden/Pöse 1977, S. 329; Piksa/Sasse 1977, S. 267; Sasse 1980, S. 104). Daß den Lehrinhalten im Hinblick auf die klassenmäßige Erziehung - eingeschlossen die zur Mehrschichtarbeit - eine außerordentliche Bedeutung zukam, wurde zwar eingeräumt, darüber hinaus war allerdings die Persönlichkeit und Prinzipientreue der Lehrkräfte und -meister usw. für den angestrebten pädagogischen Erfolg nicht minder ausschlaggebend (Schäfer 1970, S. 24; Sasse 1980, S. 36; Geuther/Heinze/ Siernon 1976, S. 213). Lehrkräfte waren beispielsweise so bereits während ihrer Lehrzeit durch "Patenschaftsbeziehungen" in Brigaden auf ihren künftigen Mehrschichteinsatz vorzubereiten (Zum Einfluß 1985, S. 45). Die Werktätigen sollten daher den Jugendlichen eine "sozialistische Einstellung zur Arbeit und zum Beruf nahebringen und die gesellschaftliche Wertschätzung gerade auch der Arbeit in der unmittelbaren materiellen Produktion vermitteln" (Lohmann 1976, S. 263). Vorrangige Aufgabe der Lehrmeister war die Führung und Koordination des Prozesses der Ausbildung für eine Gruppe von Lehrlingen von der Planung bis zur Auswertung (Ratschläge f. Lehrfacharbeiter 1978, S. 9; Geuther/ Heinze/Siemon 1976, S. 42 f.). Während der letzten zwei bis drei Monate der berufspraktischen Ausbildung wurde das Ziel angestrebt, "am Ende der Ausbildungszeit die stabile Leistung eines Facharbeiters zu erreichen" (Knauer/ Eberle/Rudolph 1983, S. 108). Die Anleitung und Betreuung des Lehrlings in diesem Ausbildungsabschnitt lag in den Händen eines Mitglieds des Arbeitskollektivs, des Lehrfacharbeiters, der gemeinsam vom Betriebsdirektor, der Gewerkschaftsleitung sowie der FDJ-Leitung des Betriebes berufen wurde (ebd., S. 108 f.). Die Lehrfacharbeiter hatten den Lehrlingen u.a. den" Marxismus-Leninismus lebendig, praxisverbunden und parteilich, beweiskräftig und leidenschaftlich zu vermitteln, so daß er auf Verstand und Gefühl wirkt und das Denken und Handeln der Lehrlinge bestimmt" (Ratschläge f. Lehrfacharbeiter 1978, S. 8; vgl. Knauer/Eberle/Rudolph 1983, S. 109), um zur Heranziehung sozialistischer Persönlichkeiten außerhalb des Unterrichts beizutragen (Berwig 1976, S. 430). Da die Konzentration der DDR-Berufsausbildung in großen Wirtschaftseinheiten es mit sich brachte, daß viele Lehrlinge ihre berufliche Ausbildung nicht an ihrem Wohnort erhielten und deswegen am Betriebsort in Lehrlingswohnheimen untergebracht und von Heimerziehem "betreut" wurden (Keim 1976a, S. 306; vgl. Knauer/Eberle/ Rudolph 1983, S. 111), rundeten diese die sozialistische Persönlichkeitsentwicklung durch die Erhöhung der Staatsdisziplin im Sinne der Partei ab.
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Die Rolle von Arbeit und Beruf für die Entwicklung junger Menschen wurde in der sozialistischen Jugendforschung grundsätzlich umfassend thematisiert. Unter Beachtung der in der DDR gewonnenen Erkenntnisse der Psychologie und Soziologie des Jugendalters und des sozialen Status argumentierte Lekschas (1965, S. 63), daß die Jugendlichen in der DDR dazu erziehen waren, die sozialistischen Wert- und Verhaltensnormen nicht lediglich als äußere Notwendigkeiten zu begreifen, denen sie folgen müßten, sondern sich mit den vorgefundenen Normen zu identifizieren. Das Kernproblem wurde in der Internalisierung sozialistischer Verhaltensnormen zu selbst erworbenen Wertnormen gesehen. In der DDR sollte das System der Berufsbildung darum ebenso wie das gesamte Bildungssystem auf einheitlich festgelegte, sozialistische Bildungsziele und Normen orientiert werden. Daher hatten DDR-Facharbeiter "klassenbewußt" zu sein und "sich durch ein hohes sozialistisches Bewußtsein und sozialistische Verhaltensweisen" auszeichnen (Mittag 1968, S. 72). Dementsprechend war "für alle Berufe, für die ein gesellschaftliches Bedürfnis besteht, ... planmäßig der Facharbeiternachwuchs auszubilden" (Stoph 1971, S. 52). Ebenso wie die Ziele der Arbeitskollektive mit den gesellschaftlichen Zielen in ihrem Wesen übereinzustimmen hatten (Dieme/Piksa 1976, S. 519), gingen die SED-Ideologen apodiktisch davon aus, daß es keinen Widerspruch zwischen den Interessen der "Arbeiterklasse" und den Interessen der Jugend gab (Wickmann 1965, S. IV). Obwohl die Jugendlichen infolge einer entsprechenden Wissensvermittlung über die angebliche gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung und Bedeutung der Mehrschichtarbeit während ihrer schulischen Ausbildung informiert wurden, waren sie dennoch nicht ohne weiteres bereit, "eine Tätigkeit unter Schichtbedingungen auszuüben" (Sasse 1980, S. 2 f.). Untersuchungen sozialistischen Ursprungs bestätigen in diesem Zusammenhang, "daß besonders solche Probanden Mehrschichtarbeit ablehnen, die nicht bzw. sehr spät im Ausbildungsverlauf mit den Anforderungen und Problemen der Mehrschichtarbeit konfrontiert wurden" (Sasse 1980, S. 95). Bei "ideologisch gefestigten Jugendlichen" hatte das SED-System danach, so scheint es, geringere Probleme mit der Herausbildung der Bereitschaft zur Mehrschichtarbeit, sofern man den Ausführungen von Gerth et al. (1979, S. 50 f.) Glauben schenken will. Zweifel nagt jedoch an den Feststellungen dieser und anderer Autoren, die behaupten, die" übergroße Mehrheit der Lehrlinge" in der DDR sei vom" Sozialismus/Kommunismus als der Gesellschaftsordnung des Menschheitsfortschritts überzeugt", ließe "sich von seinen Idealen leiten" und nutze dessen" Vorzüge für die persönliche Entwicklung". Hierbei wurde der Anspruch gestellt, "die persönlichen Interessen noch besser mit den gesellschaftlichen Erfordernissen in Übereinstimmung zu bringen" (Raschke/Wachenschwanz 1977, S. 24).
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Die von Sasse (1980, S. 93) vorgelegten Befunde machten allerdings im Widerspruch zu Gerth et al. (1979) deutlich, daß gerade in den von der Partei gewünschten Jugendbrigaden, deren Kern das Kollektiv der FDJ-Mitglieder ausmachte (Nawroth/Kullmann 1992, S. 5; WB zur sozialistischen Jugendpolitik 1975, S. 119) "entweder überhaupt nicht oder vorrangig im Dreischichtsystem gearbeitet" wurde. Selbst "Lehrlinge mit gesellschaftlichen Funktionen" (z.B. FDJ-Mitglieder) zeichneten sich nach Sasse (1980, S. 124) gegenüber "anderen Kollektivmitgliedern weder durch eine wesentlich positivere Einstellung ... zur Mehrschichtarbeit aus noch durch Mitverantwortung hinsichtlich der Überzeugung der Lehrlinge ihres FDJ-Kollektivs von der gesellschaftlichen und ökonomischen Notwendigkeit des verstärkten Übergangs zur Mehrschichtarbeit" (Sasse, ebd.). Daß die in diesen "Kaderschmieden" (KPWB 1989, S.457) gezeigte Einstellung zur Arbeit im allgemeinen und zur Mehrschichtarbeit im besonderen sehr unterschiedlich ausgeprägt war (Sasse 1980, S. 93), wurde nicht tiefergehend problematisiert. Offensichtlich gab es auch erhebliche Probleme in den zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Lehrkräften und Lehrlingen, wie Mittag (1968, S. 28 f.) beklagte. Schon aus den Gründen, daß sich einige Lehrmeister "zu wenig individuell mit den Jugendliehen" beschäftigten und" viel schimpfen ", wollten einige Lehrlinge nach ihrer Berufsausbildung nicht im Betrieb bleiben. Schlechte Vorbilder, die die Arbeitsatmosphäre in DDR-Betrieben beeinträchtigten, wurden dennoch offen angesprochen (ebd., S.29): "Bei uns herrscht eine ziemliche Disziplinlosigkeit. Es wird zum Teil Alkohol während der Arbeitszeit genossen, verschiedene Kollegen lassen andere für sich stempeln und gehen eher heim. Der am lautesten schreien kann, setzt sich auch durch. Mit zielstrebiger normaler Arbeit ist in der Produktion kein Ansehen zu gewinnen. " In krassem Gegensatz dazu stand Piksa (1976, S. 63), wenn er in seiner Dissertation sozialistische Idealvorstellungen vermitteln wollte: "Die im Ausbildungs- und Produktionsprozeß stehenden Lehrlinge haben zu den Mitgliedern der Arbeitskollektive und zu ihren Lehrmeistern ein enges kameradschaftliches Verhältnis. " Skeptischer zur persönlichkeitsprägenden Funktion des Arbeitsprozesses hatte sich dagegen der Leipziger Jugendforscher Walter Friedrich (1966, S. 169) schon früher geäußert. Er warnte vor einer Überschätzung der Erziehung durch die Arbeitstätigkeit mit dem Hinweis, "nüchtern (zu) erkennen, daß sich die ideologischen und moralischen Einstellungen der Jugendlichen überwiegend außerhalb der Arbeitstätigkeit bilden. Wir müssen die Rolle der Familien-, Schul- und Freizeiteinjlüsse sowie die der Massenkommunikationsmittel genauer prüfen und stärker einkalkulieren. .. Die Arbeitstätigkeit an sich hat wenig Einfluß auf das ideologische Verhalten; entscheidend ist auch hier die Kommunikation mit den Menschen des Betriebes, das 'Betriebsklima', der Kontakt zur Arbeitsbrigade usw.
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Ebenfalls untersuchte der Hannoveraner Berufspädagoge Schweres (1978, S. 48 f.) den Einfluß der Nacht- und Schichtarbeit auf die Entwicklung der Persönlichkeit in der DDR. Manfred Schweres (ebd.) wies nach, daß die durchlaufende Arbeitsweise die Persönlichkeitsentwicklung hemmt. Es erscheint fur ihn (ebd., S. 51 f.) unzulässig, "in der Beruftausbildung und -erziehung nur an der Ebene der Überzeugungsarbeit anzusetzen, ohne die besonderen Erschwernisse der Schichtarbeit gebührend zu berücksichtigen. Wie soll sich die Persönlichkeit des Lehrlings entfalten, wenn er in seien körperlichen Leistungsvoraussetzungen beeinträchtigt und in seinen psycho-physischen und psychischen Leistungsvoraussetzungen manipuliert wird?" Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht konnte Schweres (1978, S. 48) eine "Gewöhnung" der Jugendlichen an den Mehrschichtrhythmus eben so wenig hinnehmen wie aus berufspädagogischen Gründen; Mehrschichtarbeit "ist kein Normalzustand". Diese Kritik von Schweres an den Bestrebungen der DDR-Berufspädagogen, Jugendliche bereits in ihrer Lehre die Mehrschichtarbeit üben zu lassen, um diese so zu der Einstellung zu bringen, die durchlaufende Arbeitsweise sei als eine dem Menschen adäquate Form der Lebensbedingungen (als ein "Normalzustand") anzusehen, blieb aus dem sozialistischen Lager nicht ohne Echo (Sasse 1980, S. 24). Ihr stereotypes Repertoire sozialistischer Phraseologie und ihre in ganzen Abschnitten zitierten Wendungen lassen den Eindruck entstehen, die Dissertation sei eigens dazu angefertigt worden, um ganz im Sinne eines im Hintergrund agierenden Auftraggebers die Kritik von Schweres zu widerlegen und die aufgeworfenen Probleme realitätsfem zu verharmlosen. Es mag genügen zu sagen, daß es im Hammer-und-Zirkel-Regime nach wie vor bei der Aussage blieb, Mehrschichtarbeit als einen Weg zur "allseits entwickelten Persönlichkeit" anzusehen (Sasse 1980, S. 96; Tietze/Winkler 1988, S. 112). BerwiglHenschel (1977, S. 21), vom Zentral institut für Berufsausbildung in Ost-Berlin, unterstrichen die dazu unmittelbare und mittelbare" Beeinflussung der Gefühlswelt der Lehrlinge. " Bewußt oder unbewußt sollte sich die Manipulation" in erster Linie auf das Arbeitsbewußtsein und -verhalten der Lehrlinge" richten, das dann die erstrebte "zutiefst ideologische Wirkung" habe (ebd.), wie die Partei es wünschte. Mehrschichtarbeit bildete hierzu einen wichtigen Baustein (Tewes 1974, S. 163 ff.; Münzeberg 1977, S. 260 f.; Huhle 1977, S. 263 f.; Braumann 1977, S. 27 ff.; SchröterlPiksa 1976, S. 120). Auch die hier sehr deutlich werdende "Einheit von emotionaler und rationaler Beeinflussung" (Henschel 1977, S.4) wurde von Schweres (1978, S. 51) scharf kritisiert: "Fatal aber wirkt es, wenn ideologische Überzeugungsarbeit dazu herhalten muß, die Bedeutung international anerkannter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse herunterzuspielen und die Anpassung an ökonomisch bestimmte arbeitsorganisatorische Zwänge zum vorrangigen Ziel der Bildungs- und Erziehungsarbeit wird. Besonders schädlich im internationalen Ansehen muß dies wirken, wenn damit
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eine biologisch noch nicht voll entwickelte und daher besonders schutzbedürf tige Personengruppe betroffen ist, die jugendlichen Lehrlinge. " In den Arbeitskollektiven wurden die Lehrlinge aber mit der betrieblichen Wirklichkeit konfrontiert. Daß die Jugendlichen an dieser Stelle häufig Diskrepanzen zwischen politisch-ideologischer Norm und Realität sowohl was ihren geforderten mehrschichtigen Einsatz an "hochmodernen" Maschinen und Produktionsanlagen sowie den Ausprägungsgrad des "sozialistischen Bewußtseins" in den Arbeitskollektiven anbelangte, erlebten, "wird auch durch die oftmals wiederholten Forderungen von Funktionären der Beruftausbildung nach einer besonders sorgfältigen Vorbereitung dieses Ausbildungsabschnittes deutlich" (Rudolph 1979, S. 350 0. Schlechte Lern- und Arbeitsbedingungen (wie Z.B. die Ausstattung der Lehrwerkstätten, Diskontinuität in der Produktion, fehlendes Werkzeug und Material) behinderten bekanntlich die Entwicklung eines positiven Leistungsverhaltens der Lehrlinge (ErnstiReuther 1990, S. 315). Daß der unkontinuierliche Produktionsfluß vor allem in der Spät- und Nachtschicht die politisch-ideologische Begründung der Mehrschichtarbeit in Frage stellte und außerdem die diesbezügliche Erziehungsarbeit der Lehrkräfte erschwerte, pointierte auch Sasse (1980, S. 119 f.). Schließlich kommt Sasse (ebd., S. 96) dramatisierend in ihrer Dissertation zu der Schlußfolgerung, daß bisher" die für die Entwicklung von Einstellungen zur Mehrschichtarbeit während der Beruftausbildung vorhandenen erzieherischen Potenzen ... noch nicht im erforderlichen Maße erkannt und genutzt" wurden. Sasse (ebd., S. 88) führte diesen aus ihrer Sicht initiativvereitelnden und ideologiefeindlichen Zustand bei der Erziehung der Lehrlinge zur Mehrschichtarbeit auf Arbeitskollektive zurück, "deren Einstellung zur Arbeit und Mehrschichtarbeit nicht immer den fortgeschrittensten Teilen der Arbeiterklasse" entsprach. Resultate dieser Art konnten jedoch in der Tat nicht verwundern, brachten doch, wenn überhaupt, die politisch-ideologisch fixierten Minderheiten eher" Opportunisten und Karrieristen" (Eckhardt 1978, S. 315 f.) als die angestrebte" sozialistische Persönlichkeit" hervor, die ein "utopisches Erziehungsideal" (Holzweißig 1988, S. 17) der staatsbeherrschenden Partei war und deren Funktionäre in ihrer Vorbildfunktion nicht an einer eigenen Tätigkeit im Mehrschichtsystem interessiert waren. Bereits 1968 hatte Mittag moniert, daß Lehrlinge in einigen Großbetrieben ausschließlich zur Aufarbeitung der Planrückstände eingesetzt wurden. "Der Einsatz selbst wurde trotz Einsprüchen von den Eltern, Lehrlingen usw. unter Verletzung gesetzlicher Bestimmungen administrativ angeordnet" (Mittag 1968, S. 20). Als einer der wenigen Autoren reklamierte Orschekowski (1961, S. 97) die wesentlichen Nachteile der Lehrausbildung im Schichtsystem aus sozialistischer Sicht: "unregelmäßige Lebensweise, Schwierigkeiten, die Freizeitgestaltung zu beeinflussen und in der Freizeit an Qualijizierungslehrgängen ... teilzunehmen. "
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VI. Resümee Mehrschichtarbeit - auch für Lehrlinge - erschien der Partei als ein wirksames Mittel zur totalen Kontrolle über die Werktätigen und deren Familien sowie zur Verschmelzung von Arbeits- und Freizeit (Voigt 1986, S. 97). Intensivierungsprozesse im sozialistischen Sinne stellten insbesondere hohe Anforderungen an junge Werktätige. Im Sinne der Arbeiter-und-Bauern-Macht sollten die Lehrlinge auf dem Wege der Bildungsdiktatur "klassenbewußt" erzogen werden. Propagierten die sozialistischen Parteiführer und ihre Diener immer wieder (Wickmann 1965, S. 127; Mittag 1968, S. 13), es ginge um ein "zutiefst humanistisches Anliegen. .. , die jungen Menschen schon heute zu befähigen, die Aufgaben der Zukunft zu meistern, sie zu klassenbewußten Arbeitern zu erziehen. .. ", so mußte es ebenso immer wieder verwundern (Schweres 1978, S. 48), daß selbst Pädagogen (PiksaJSasse 1977, S. 265 f.) es als eine Aufgabe der Arbeitserziehung ansahen, die Bereitschaft der Jugendlichen zur Mehrschichtarbeit dadurch zu fördern, indem man sie bereits als Lehrlinge im Schichtregime arbeiten ließ. Aber gerade Nacht- und Schichtarbeit belastet junge Menschen in allen wichtigen Lebensbereichen wesentlich mehr als Erwachsene. Die inhumane Politik der SED wurde darum in kaum einem anderen Bereich so sichtbar wie bei der Behandlung der sich vom sozialen Standpunkt einander ausschließenden Antipoden "Jugend" und "Mehrschichtarbeit". Da für die SEDParteiführung - und damit auch für die DDR-Berufspädagogen - Mehrschichtarbeit ein zur Machtsicherung "unverzichtbares Erfordernis" (Kaden/Pöse 1977, S.329; PerlebergiSeidel 1977, S. 328 ff.; PiksaJSasse 1977, S. 265 ff.) der Ausbildung war, wurde es dennoch von der SED als notwendig angesehen, die durchgehende Arbeitsweise rücksichtslos bereits bei Jugendlichen frühzeitig einzuüben, damit von diesen der Nacht- und Schichtdienst als "Nonnalzustand" empfunden werden sollte (Sasse 1980, S. 108). Daß die Mehrschichtarbeit der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen erheblich schadet (Schweres 1978, S.45), wurde von zu "gewissenlosen Werkzeugen .. (Voigt 1986, S. 164) degradierten sozialistischen Medizinern, Pädagogen, Ökonomen, Soziologen und Psychologen ignoriert und pervertiert: Sozialistische Autoren kamen aus arbeitserzieherischen Gründen zu der Einschätzung, daß junge Werktätige und Lehrlinge am besten in der Lage seien, sich dem durch Nachtund Schichtarbeit veränderten Lebensrhythmus anzupassen und somit besonders für diese Arbeitszeitfonn geeignet seien. Schließlich zeigten empirische DDR-Befunde, daß trotz der erheblichen Bemühungen auf dem Gebiet des polytechnischen Unterrichts, der Berufsberatung und Berufsausbildung der Prozeß der beruflichen Sozialisation nur unzureichend gelang, wenn nicht die vorberufliche Sozialisation, Berufswahlvorbereitung und betriebliche Sozialisation als ein durchgängiger Prozeß begriffen und strukturiert werden (Schäfer 1978, S. 140). Zunehmend erkannten auch linientreue SED-Pädagogen im Zeit-
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ablauf, daß Mehrschichtarbeit sich hemmend auf die Entfaltung des Leistungsverhalten der Werktätigen auswirkte und die darüber hinaus der "sozialökonomischen " Entwicklung der Lehrlinge nur ungenügend gerecht wurden (Ernst! Reuther 1990, S. 315). Inwieweit es den Parteiideologen und ihren Epigonen schließlich gelungen ist, dank der Kollektivtherapie sozialistisches Bewußtsein bei den Werktätigen auszuprägen, läßt sich schwer beurteilen. Jedenfalls waren die beim" Herzstück der Arbeiterklasse ", - den Industriearbeitern - die von der SED unterstellten Eigenschaften nicht erkennbar (Voigt!Meck 1984, S. 15). "Sozialistische Persönlichkeit" und "sozialistisches Kollektiv" als Konzeption des "realen Sozialismus" in ihrem jeweiligen erzieherischen Wirkungszusammenhang konstituierten indes auf Vorstellungen, deren Realitätsbezug zu der in der ehemaligen DDR vorgefundenen Wirklichkeit nur gering war. Daran hatte auch die zunehmende sozialistische Fundierung der Auffassung vom Kollektiv als Erziehungsinstanz nichts zu modifizieren vermocht (DDR-Handbuch 1985, S. 733). So konnten auch die "politisch-ideologischen Einsichten" bei den Werktätigen nicht herausgebildet werden, die für die propagierte Bereitschaft zur Mehrschichtarbeit als unerläßIich angesehen wurden. Allenfalls wurde danach die Herausbildung "sozialistischen Bewußtseins" nach Eckhardt (1981, S. 149) "zum bloßen Akt äußerlicher Zustimmung degradiert... ".
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Soziale Schichtung und Sport 1 Eine theoretische und empirische Reflexion unter besonderer Berücksichtigung des Betriebssports
I. Schichtungsmodelle und Determinanten der sozialen Schichtung Neben dem Besitz (Privateigentum) von Produktionsmitteln als determinierender Faktor der sozialen Ungleichheit (Hartfiel 1978, S.24; Kiss 1977, S. 25 ff.; Marx 1957, S.230- 236; Rösinger 1975, S. 10 ff.; Rousseau 1984 [1782]), sehen einige Forscher - zu nennen sind u.a.: Bücher, Dürkheim, Engels, Ferguson, MilIar, Schmoller, von Stein und M. Weber - in der funktionalen und vertikal ausgerichteten Arbeitsteilung eine weitere Ursache rur die soziale Ungleichheit der Menschen. Max Weber war es aber auch, der erkannte, daß die hierarchische Struktur der sozialen Schichtung auf ungleich verteilter Macht (BoltelHradil 1984, S.49-54; Hradil 1981, S. 15-25; Parsons 1980a/b) basiert, also auf Ursachen zurückzuruhren ist, die innerhalb der gesamten gesellschaftlichen Struktur liegen und nicht auf eine natürliche Rangordnung der Menschen fußt. Dabei beruht wirtschaftliche Macht nur wenig auf dem Besitz an Produktionsmitteln. Die "Begrenzung" (Einengung) der ökonomischen Macht erfolgt - zumindest in den hochentwickelten Industrieländem - durch konkurrierende gesellschaftliche Interessenslagen (Politik, Institutionen, Wirtschaftsverbände), durch bestehende ökonomische und juristische Zugangsbeschränkungen (formale Voraussetzungen) und nicht zuletzt durch persönliche determinierende Faktoren (Bildung, Beruf, spezielle Fähigkeit, Prestige, etc.). So ist die richtige Einschätzung der verbrauchsorientierten Bedürfnislagen der potentiellen Verbraucher und die daraus resultierenden Marktverhältnisse rur einen Unternehmer wichtiger als der juristisch verbriefte Besitz an Produktionsmitteln. Bereits Max Weber machte deutlich, daß die Frage nach den Gründen der bestehenden Ungleichheiten einen mehrdimensionalen Lösungsansatz erforBei diesem Beitrag handelt es sich um einen gekürzten Ausschnitt aus der Arbeit »Arbeit Freizeit - Sport« des Vf. 5 Festschrift Voigl
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derlich macht. Keineswegs - das ist die Ansicht von Max Weber - seien Denkund Lebensart, das gesellschaftliche Ansehen (Status) sowie politische und sonstige gesellschaftliche Aktivitäten bestimmter Bevölkerungskreise eindeutig aus der jeweiligen spezifischen Stellung (abhängig oder unabhängig) oder Beteiligung (Besitz oder Nichtbesitz) am Produktionsprozeß herzuleiten. Max Weber differenziert in seinen Betrachtungen zur Ungleichheitsforschung zwischen Klassen, Ständen und Parteien (Weber 1972, S. 177-180 und 531-540). Zwar begründet er ähnlich wie Karl Marx die Klassenzugehörigkeit mit ökonomischen Gegebenheiten und differenziert Klassengruppierungen nach dem Produktionsbesitz (oder nach spezifischen Leistungen, die rur den Markt erbracht werden); im Gegensatz zu Karl Marx, der lediglich eine dichotome Klasseneinteilung zuläßt und der auch im Gegensatz zu Weber ein Klassenbewußtsein, ein auf gemeinsame Interessen ausgerichtetes Handeln (Klassenkampf) propagiert, ergibt sich aus dem Weberschen Blickwinkel betrachtet eine Vielzahl von Besitz- (z.B. Grund und Boden, Anleihen und Aktien, etc.) und Erwerbsklassen (z.B. selbständiger Unternehmer, qualifizierter Arbeitnehmer, etc.). Die Lebenschancen, die Lebensqualität dieser Klientel werden somit mehr oder minder durch die zu erzielenden Eigentumserträge (z.B. Boden- und Grundrenten, Kapitalerträge bei den Besitzklassen) bzw. durch die Erwerbserträge (von den Erwerbsklassen auf dem Arbeits- und Gütermarkt erzielt) gestaltet. .. VerJügungsgewalt über jede Art von Genußgütern, Beschaffungsmitteln, Vermögen, Erwerbsmitteln, Leistungsqualifikation {bedingen} je eine besondere Klassenlage" (M. Weber 1972, S. 177). Während die Stände sich aus der Zuordnung bestimmter gesellschaftlicher Eigenschaften und Eigenarten (z.B. spezifisch "ehrenorientierte" übereinstimmende Denkund Handlungsweisen hinsichtlich der Einordnung anstehender Problemlösungen) herleiten und damit den Bereich der persönlichen Lebensgestaltung und führung berühren (ebd. 1972, S. 180 und S. 434 f.), beeinflussen Parteien damit sind nicht nur die politischen, sondern alle Interessensorganisationen gemeint - wesentliche gesellschaftliche Entscheidungsprozesse also auch die Art und Weise des menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines Gesellschaftssystems. Weber ordnet die in seinem Sinne verstandenen Parteien der "Machtsphäre" zu . .. Ihr Handeln ist auJsoziale 'Macht', und das heißt: Einfluß auJ ein Gemeinschaftshandeln gleichviel welchen Inhalts ausgerichtet" (ebd. 1972, S. 539). Wie wir bereits schon festgestellt haben, ist die besondere Bedeutung der Weberschen Analysen in der Mehrdimensionalität der Ursachenforschung zu sehen. Auch neuere Schichtungstheorien - und in Weiterfiihrung die Lebensstil2 ansätze - basieren in ihren erkenntnistheoretischen Erklärungsversuchen auf 2
Eigentlich stellen die Lebensstiltheorien keine "neue" Forschungslinie zur Erklärung sozialer Ungleichheiten dar. Schon Max Weber differenzierte zwischen "Klassen", "Lebensfilhrung",
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den Grundideen von Max Weber. Neben der Ungleichverteilung der Macht) verstanden im Sinne von Weber (1972 [1921], S. 28) als Fähigkeit, den eigenen Willen gegen die Überzeugung anderer durchzusetzen - sehen sie in den Wertestrukturen (Bedürfnisse, Normen, Sanktionen), in den ökonomischen Besitzstrukturen (Erwirtschaften von Einkommen und Vermögen), in der staatlichen Verteilerfunktion (Verwendung des Volkseinkommens), in den technischen und ökonomischen Wandlungs- und Differenzierungsprozessen (techn.lwirtschaftlicher Fortschritt, multinationale Verflechtungen, Konfliktsituationen) und letztlich in den persönlichen genetischen Vorgaben die Ursachen der sozialen Schichtung (Bolte 1986; BoltelHradil 1984; DavislMoore 1945; Dahrendorf 1959, 1966; Herz 1983; Voigt 1978b und 1992; Wiswede 1991). Neuere Schichtungstheorien lassen im wesentlichen folgende erkenntnis4 theoretische Lösungsansätze , die die Ursachen der sozialen Ungleichheit erklären sollen, erkennen, und zwar: "Lebensstil", "Stilisierung des Lebens" u.ä. Lebensstile werden als spezifische Lebensformen, als Konsumgewohnheiten, Denk- und Handlungsweisen den einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft über deren Schichlzugehörigkeil vermittelt (M. Weber 1972, S. 535 ff.). Das "Neuartige" an der Situation ist, daß im Gegensatz zu den Schichttheoretikem die Lebensstiltheoretiker sowohl die mehr oder minder latente Wirkung struktureller Faktoren als auch individuelle Einflüsse auf das Zustandekommen - und somit auch die Erklärung - kollektiver (sozialer) Ergebnisse unterstellen. Sie sehen auch in den individuellen Entscheidungsprozessen aber gerade die werden nach Ansicht des Vf. durch die (bewußte) Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht mitgestaltet und geprägt - einen Faktor von zunehmendem Gewicht fUr die Beschreibung und Erklärung sozialer Phänomene (Boudon 1977, S. 214 ff.; Bourdieu 1985; Dahrendorf 1977 [1958]; Franz et al. 1986, S. 32 ff.; Lindenberg 1977, S. 46 ff.). Anders wie bei den "klassischen" Schichtungstheorien sehen die Vertreter der milieu- und haushaltsorientierten Richtung (Bourdieu 1987; Hradil 1987, S. 7 ff.; Schäfers 1990, S. 192 ff.) im Beruf nicht mehr den dominanten Schichtungsindikator. 3
Siehe hierzu: Max Weber (1972 [1921], Kap. IX, "Soziologie der Herrschaft", S. 541 ff.) und Schelsky (1975b, S. 19-38).
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Die hier dargestellten Erklärungsversuche zur Frage der Ursachen der sozialen Ungleichheit erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der Hinweis von Bell (1985), daß sich die LebensfUhrung, die Lebensbewältigung in einer postindustriellen Gesellschaft - diese zeichnet sich durch den zunehmenden Anteil des Dienstleistungssektors am BSP und durch zunehmende Bedeutung von Technik und Wissenschaft (Clapham 1993, S. 89-164; Stat. Jb. 1993, S. 412 ff. und S. 680-689) aus - gänzlich anders gestalten und damit auch eine Veränderung in der Bewertung der Schichtungsindikatoren einhergeht, läßt sich nicht von der Hand weisen. Bedingt durch die verbesserten Ausbildungsbedingungen kommt es zu erheblichen Änderungen - tendenziell sind diese bereits heute erkennbar (Geißler 1992, S. 116 ff.; Stat. Jb. 1993, S. 111 ff.; Zapf 1993b, S. 202 f.) - in den Berufsstrukturen, so daß die postindustrielle Gesellschaft vermehrte Konfliktsituationen (Wettbewerbs- und Kompetenzkämpfe zwischen gleichen oder ähnlichen Berufsgruppen) zu bewältigen hat. Das von Schelsky schon in den 50er Jahren in die Diskussion gebrachte Konzept der "nivellierten Mittelstandgesellschaft" hatte
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1. die funktionale Schichtungstheorie (Vertreter u.a.: T. Parsons, K. Davis, W. E. Moore sowie D. F. Aberle, B. Barber, W. M. Dobriner, M. J. Levy, R. Schwartz, R. Simpson), die wir im weiteren Verlauf näher beschreiben werden, 2. die nicht-funktionale Schichtungstheorie, die als konflikttheoretischer Ansatz - Reduktion des Marxschen dichotomen Klassenbegriffs auf Macht! Herrschaft (Dahrendorf 1957) -, die ungleiche Machtverteilung, die Herrschaftsspannungen sowie die von der Gesellschaft akzeptierten Normen und Sanktionen (BelohnungenIBestrafungen) als Basis der sozialen Ungleichheit nennt (Bolte/Hradil 1984, S. 52 ff.; Dahrendorf 1956, S. 540 ff., 1967, S. 314 ff; Hradil 1981, S. 77 ff.; Popitz 1968; Weber 1972 [1921]). "Das System der Ungleichheit, das wir soziale Schichtung nennen, ist nur eine sekundäre Konsequenz der Herrschaftsstruktur von Gesellschaften" (Dahrendorf 1967, S. 357). neben Macht und Herrschaft sind für Dahrendorf zwei weitere Kategorien für das Zustandekommen sozialer Ungleichheiten von ursächlicher Bedeutung: Normen und Sanktionen (ebd. 1967, S. 370 ff.). Sanktionen sind die machtpositionierenden Mittel (auch im Sinne unserer demokratischen, normativen Rechtsauffassung), die normkonformes gesellschaftliches Verhalten herbeiführen sollen. Normkonformes Verhalten, das also den Erwartungen und Vorstellungen der Gesamtgesellschaft entspricht, führt zu entsprechenden Belohnungen. Im Umkehrschluß bedeutet das aber auch: Weil es Sanktionen gibt, gibt es auch soziale Ungleichheiten. Dahrendorfnennt zwei Voraussetzungen für seinen Erklärungsversuch, und zwar: 1. Jede Gesellschaft muß die Normen und Sanktionen kennen und akzeptieren, die das Verhalten regeln und 2. die Garantie der Normenverbindlichkeit, "indem [Sanktionen .. .] Belohnungen für konformes und [ ..] Strafe für abweichendes Verhalten fungieren" (ebd., S. 372). Weiter heißt es bei Dahrendorf: "Der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen liegt weder in der menschlichen Natur noch in Faktoren von historisch möglicherweise begrenzter Wirksamkeit wie dem Eigentum. Er liegt vielmehr in gewissen notwendigen oder doch als notwendig angenommenen Merkmalen aller menschlichen Gesellschaften. Obwohl die filr die bundesrepublikanische Industriegesellschaft durchaus seine Berechtigung und dokumentierte sich in einem beachtenswerten Anstieg der verfugbaren Nettoeinkommen und in entsprechenden Konsum- und Verhaltensmustern der "angehobenen" Mittelschichten. Dieser Nivellierungsprozeß bewirkte aber nicht, daß sich die sozialen Ungleichheiten erheblich entschllrften. Empirische Daten zu den in der Bundesrepublik stattgefundenen Umschichtungsvorgängen wurden von Geißler (1992, S. 79 ff.) zusammenfassend und auch im Vergleich zur ehemaligen DDR dargestellt. In der vom Vf. skizzierten postindustriellen Gesellschaft dürfte sich diese Art der Nivellierung nicht weiter fortsetzen. Im Gegenteil: Die MitteIschichten erhalten eine andere Konsistenz als Folge geänderter Macht- und Prestigestrukturen. Zur historischen Gesellschaftsentwicklung und "Modernisierungstheorie" siehe auch: Dahrendorf(l965a, 1991); Habennas (1976); Lepsius (1974); Offe (1972); Zapf (I 993).
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Differenzierung sozialer Positionen, als Teilung der Arbeit oder allgemeiner als Vielfalt der Rollen, ein solches universelles Merkmal von Gesellschaften sein mag, fehlt ihr das zur Erklärung der Rangunterschiede nötige Element der Wertung. Wertende Differenzierung, also die Anordnung sozialer Positionen und ihrer Träger auf den Skalen des Prestiges und des Einkommens, wird erst bewirkt durch die Sanktionierung sozialen Verhaltens am Maßstab normativer Erwartungen. Weil es Normen gibt und Sanktionen nötig sind, um ihre Einhaltung zu erzwingen, muß es Ungleichheit des Ranges unter den Menschen geben" (ebd., S. 372 f.) Unzweifelhaft ist, daß Nonnen und Sanktionen - auch in Hinblick auf das nonnativ gestaltete Rechtssystem - das gesellschaftliche Zusammenleben (so z.B. das Entstehen und die Verteilung volkswirtschaftlich relevanter Ressourcen) erheblich beeinflussen und mitgestalten. Kritisch zum Dahrendorfschen Ansatz muß angemerkt werden, daß selbst nonnkonfonnes Verhalten trotzdem differenzierte Bewertungen sozialer Positionen nicht ausschließt (Wiehn 1970, S. 35). Wenn aber trotz nonnkonfonnen Verhaltens Bewertungsdifferenzierungen bei den zu besetzenden Positionen - BoltelHradil (1984, S. 53) führen hier als Beispiel die unterschiedliche Bewertung der Position eines Landarbeiters und eines Lehrers an - sichtbar werden, dann zeigt das das Erklärungsdefizit des Dahrendorfschen Ansatzes. Gesellschaftliche Nonnfestlegung und die daraus resultierenden Sanktionen, deren Befolgung bzw. Nichtbeachtung, reichen als Ursachenerklärung rur das Auftreten sozialer Ungleichheiten offensichtlich nicht aus. Dahrendorf läßt auch die Frage nach den positionsbestimmenden (prestigewirksamen) Mechanismen offen. Das "Fundament dieses Ansatzes [ist] die Behauptung, daß es in jeder Gesellschaft Herrschende gibt, die Normen durchsetzen und so Ungleichheit schaffen" (Bolte/Hradil 1984, S. 54), 3. der Versuch einer Synthese (Lenski 1973 [1966]) zwischen der funktionalen und nicht-funktionalen Schichtungstheorie (Bolte/Hradil 1984, S. 54 ff.; Hradil 1981, S. 78 ff.; Voigt 1978a, S. 36 ff.). Lenskis Ansatz - der Bedürfnisbefriedigung und Macht als Basis der Verteilungsmechanismen nennt - geht von drei Annahmen aus, und zwar: - Der Mensch ist ein soziales Wesen, d.h. seine Existenz hängt u.a. von der (sozialen) Zusammenarbeit mit anderen Menschen ab. - Er priorisiert in seinen Entscheidungen die eigenen Interessenslagen (auch zuungunsten der gesamtgesellschaftlichen Interessen). - materielle und immaterielle Güter (auch Dienstleistungen) sind gemäß dem ökonomischen Knappheitsprinzip nicht im Überfluß vorhanden. Basierend auf diesen Annahmen kommt es in allen Gesellschaften - Lenski unterscheidet zwischen "primitiven" und industrialisierten - zu Auseinandersetzungen über die Verteilung des aus dem Gesellschaftsprozeß erarbeiteten Pro-
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dukts. Er leitet daraus einen system bedingten Verteilungsprozeß ab und zwar auf Grundlage der bereits zuvor angeführten "kontradiktorischen Prinzipien, nämlich 'Bedürfnis' (need) und 'Macht' (power)" (Bolte/HradiI1984, S. 54). Lenski unterstellt dabei, daß sich der Verteilungsprozeß für die erarbeiteten und vorhandenen Güter und Dienstleistungen in Abhängigkeit des jeweiligen technologischen Gesellschaftsstandards gestaltet. In technologisch (nach Lenski "primitiven") rückständigen Gesellschaften werden die Güter" in dem Ausmaß [verteilt}, das erforderlich ist, um das Überleben und die fortgesetzte Produktivität derjenigen anderen zu sichern, deren Handlungen nötig oder nützlich für sie selbst sind" (Lenski 1973 [1966], S. 44). Dagegen soll in technologisch fortgeschrittenen Gesellschaften - Lenski spricht hier von industrialisierten - "ein wachsender Teil der für die Gesellschaft verfügbaren Güter und Dienste auf Basis der Macht verteilt werden" (ebd., S. 46). Lenski selbst war es aber, der herausfand, daß es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Grad des technologischen Niveaus einer Gesellschaft und der Art des Verteilungsprozesses gibt. Lenskis Ansatz ist damit ein Versuch, der nicht verifiziert werden konnte, 4. und die" These von der Disparität der Lebensbereiche " (Bergmann et al. 1969, S. 67 ff.; Offe 1969, S. 155 ff.) Während die unter Punkt 1 bis 3 vorgestellten Theorien zur Erklärung der Ursachen sozialer Ungleichheit für alle Gesellschaftssysteme Gültigkeit aufs weisen, gilt die "These von der Disparität der Lebensbereiche .. nur für definierte Gesellschaftsformen und -strukturen" und auch nur für bestimmte Aspekte von Ungleichheit" (BoltelHradil 1984, S. 55). Die sogenannte "Disparitätsthese" erklärt insbesondere die Konfliktsituationen und die daraus resultierenden "Disparität der Lebenslagen" spätkapitalistischer Gesellschaften. Dieser Theorieansatz geht in seinen Erklärungsversuch davon aus, daß ökonomisch verursachte Ungleichheiten durch politische Entscheidungen überlagert werden. Die Entscheidungen des Staates können beeinflußt werden durch die diversen gesellschaftlichen Machtgruppen - zumindest werden von diesen entsprechende Versuche unternommen. Durch diese Einflußnahmen ändert sich in der Regel die Prioritätsskala des Staates. Als Folge entstehen Interventionsund Umverteilungsprozesse, die zu Spannungen zwischen den gesellschaftli5
Neben den hier diskutierten Ursachen, die nach Meinung des Vf. die dominanten rur das Entstehen sozialer Ungleichheit sein dürften, lassen sich noch weitere Erklärungsversuche anfuhren, so z.B. die haushaltsorientierte Sozialstrukturforschung, die Auswirkungen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, die sich stetig ändernden Strukturen der Arbeitswelt sowie Stigmatisierungsprozesse. Allen gemeinsam ist, daß sie keine generellen Erklärungsversuche darstellen, sondern lediglich Sonderbewegungen schildern und somit in ihrer Erklärungskraft unterschiedliche Reichweiten aufweisen (Bolte/Hradil 1984; Schäfers 1990).
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ehen Gruppen führen (Bolte 1970; BoltelBrater/Kudera 1974; Bolte/Kappe/ Neidhardt 1974, S. 24 ff.; Offe 1969, S. 155 ff. und S. 183). Auf die unter Punkt 2 bis 4 angeführten Theorieansätze wollen wir im Rahmen dieses Beitrags nicht weiter eingehen als hier dargestellt. Ausführlich sind diese Schichtungstheorien bei Voigt (1978 a, S.33-37) zusammengefaßt beschrieben (siehe hierzu auch: Bolte 1970, S. 29-53; Bolte/Kappe/Neidhardt 1974; Offe 1969, S. 155-189). Wir beschränken uns daher auf eine Darstellung der funktionalistischen Schichtungstheorie. Trotz erkennbarer Schwächen repräsentieren - nach Ansicht des Vf. - funktionsorientierte Schichtungstheorien auch heute noch den "tragfähigste(n) Versuch, soziale Ungleichheit zu erklären" (Voigt 1992, S. 159). Im Gegensatz zur Marxschen Klassenlehre, die - wie bereits dargelegt - die unterschiedlichen Lebensbedingungen und -chancen auf Ungleichheiten am Besitz (Privateigentum) an Produktionsmitteln und den Bedingungen der arbeitsteiligen Wirtschaft zurückführt (Marx 1972; Pappi 1973, S. 24; Voigt 1992, S. 154 ff.; Geiger 1962, S. 186 ff.), beschreiben funktionale Schichtungstheorien (DavislMoore 1967 [1945]; Parsons 1972a, 1976) die differenzierte Bewertung sozialer Positionen auf Grundlage der bereits erwähnten "Sozialindikatoren". Ursachen der sozialen Schichtung sind demnach die differenziert geschichteten Bedürfnislagen der Menschen und das jeweilige gesellschaftliche Wertesystem. Daraus resultieren die (von der Gesellschaft) bewerteten Positionen, die Normen und Rollenerwartungen, sowie die Sanktionen (Gratifikationen/Bestrafungen). Das von der Gesellschaft akzeptierte "allgemeingültige" Wertesystem wird zum Maßstab, zur leistungsdeterminierenden Richtschnur des menschlichen Handeins (Voigt 1978 b, S. 32). Die funktionalistische Schichtungstheorie geht in ihrem erkenntnistheoretischen Ansatz davon aus, daß die einzelnen Mitglieder eines Sozialsystems unterschiedliche (bewertete), auf Leistung basierende Beiträge für die Erhaltung des Wertesystems erbringen. Damit ist im Sinne des funktionalistischen Ansatzes gemeint, daß es innerhalb einer Gesellschaft Positionen gibt, die für diese mehr oder weniger wichtig sind (oder wichtig erscheinen). Aus dieser Bewertungsdifferenzierung resultieren die von der Gesellschaft vergebenen und zugestandenen Sanktionen in Form der bewerteten Position (Sozialprestige) und des direkt zugewiesenen (subjektiv erwirtschafteten) Entgeltes. Soziale Ungleichheit wird als vertikal geschichtetes Modell abgebildet. Die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer dieser (sozialen) Schichten bestimmt dessen Platz in der Gesellschaft, entscheidet also letztendlich über Privilegien, Verfügungsmöglichkeiten über knappe Ressourcen gesellschaftliches Ansehen (Status), Lebensqualität und -stil. Die Zuordnung eines Gesellschaftsmitgliedes zu einer Schicht erfolgt auf Grund formaler Kriterien, die im engen Zusammenhang mit seiner Stellung im Erwerbsleben (BoltelBrater/Kudera 1974, S. 78-83 und S. 107 ff.; Hradil 1987, S. 7 ff. und 1993, S.159; Lepsius 1979 b,
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S. 167 f.) ZU sehen sind. Auf diesen Aspekt werden wir im weiteren Verlauf unserer Untersuchung im Detail eingehen. Voraussetzung für das Funktionieren - und hier setzt bereits die Kritik (BoltelHradil 1984, S. 46 ff.; Dahrendorf 1967, S. 364 ff.; Hradil 1981, S. 72 f.; Mayntz 1970, S. 10 ff.; Tumin 1970 [1967]; Wiehn 1974, S. 16 ff.) ein - der funktionalen Schichtungstheorie ist, daß das Wertesystem für alle Gesellschaftsmitglieder gleichermaßen gilt, d.h. es muß ein gesellschaftlicher Konsens über die Wertigkeit/Wichtigkeit der zu besetzenden Positionen bestehen. Einflußnahmen von politischen, kapitalistisch-ökonomischen Macht- und Interessengruppen, wie sie ansatzweise durch • 6 den Gedanken des NeokorporatIsmus (von Beyme 1980, S. 80 ff. und 1984, S. 224 ff.; Lehmbruch 1983, S.408; Schmitter 1981, S. 62 ff.) beschrieben werden, bleiben beim funktionalistischen Ansatz außer Betracht. Gerade die ökonomisch ausgerichteten Interessensverbände - und hier sind neben den "kapitalorientierten" natürlich auch die Arbeitnehmerorganisationen anzuführen "beschränken" auf Grundlage ihrer eigenen Zielvorstellungen und durch sich zwangsläufig einstellenden Interessenkollisionen 7(z.B. Arbeitgeber/Arbeitnehmerverbände) die "wertgesteuerte" Positionierung im Schichtungssystem. Funktionale Schichtungstheorien unterstellen ein hierarchisch strukturiertes Positionssystem, innerhalb dessen es auf Grund veränderter Bedürfnislagen und damit einhergehender Bewertungsdifferenzierung zu vertikalen und horizontalen Positionsänderungen (Soziale Mobilität) kommen kann. Ziel der funktionalistischen Schichtungstheorie ist es, soziale Ungleichheit auf Grundlage der unterschiedlichen Bewertung sozialer Positionen zu erklären. Dabei wird unterstellt, daß die von der Gesellschaft vergebenen Rollen - und damit auch die Rolleninhaber - auf Basis ihrer funktionalen Bedeutung für das Gesellschaftssystem bewertet und "belohnt" werden. Die "Belohnung" (Gratifikation) erfolgt auf zwei Wegen: zum einen über die Zuweisung der zu besetzenden Rollen-Position und zum anderen in der Gewährung des "leistungsbezogenen" Entgeltes. Die unter diesem Blickwinkel geführte Diskussion macht deutlich, daß das gesamte (ökonomisch- und privatorientierte) Rollverhalten auf dem von der Gesellschaft akzeptierten Werte system beruht. Soziale Ungleichheit wird zu einer dauerhaften Auseinandersetzung zwischen den Mitgliedern (Personen, Interessenverbände) innerhalb eines Gesellschaftssystems, da alle Gesellschaften durch Werte, Normen, Macht bzw. Herrschaft sowie Sanktionen 6
Unter Neokorporatismus verstehen wir gewollte, zeitlich begrenzte und auf die gemeinsame Ziel struktur ausgerichtete Verflechtungen zwischen dem Staat (Parteien, Parlamentsfraktionen) und den großen Interessensorganisationen (Spitzenverbände).
7
Nach dem Postulat der funktionalen Schichtungstheorie sollen die filhigsten Gesellschaftsmitglieder die fllr den Erhalt des gesellschaftlichen Wertesystems wichtigsten Funktionen und Positionen bekleiden. Diesen Positionen wird die höchste Gegenleistung (Prestige, Einkommen) zuerkannt (Voigt 1978 b, S. \3 f.).
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geprägt und beeinflußt werden. Daraus folgt aber auch, daß "jedes Gesellschaftssystem ... eine spezifische soziale Schichtung" (Voigt 1978 b, S. 35) aufweist. Unter sozialer Schichtung verstehen wir somit" eine rang- und positionsbezogene sowie hierarchische Einteilung (Aufbau, Gliederung, Differenzierung) von Mitgliedern einer Gesellschaft nach sozial wichtig eingeschätzten Merkmalen" (Voigt 1992, S. 12). Fassen wir zusammen: Wir haben gezeigt, daß das Thema der "sozialen Ungleichheit" so alt ist wie die Menschheitsgeschichte selbst. Mit dem Erscheinen des Menschen wurde sozusagen die Ungleichheit vorprogrammiert. Die vielen Veröffentlichungen und Hinweise zu diesem Problemkreis im Zeitablauf machen deutlich wie groß das Problembewußtsein und Interesse der Wissenschaftler und Forscher - und damit ist nicht nur im engeren Sinne die klassische Sozialwissenschaft (Soziologie) 8 gemeint - war bzw. ist und welche erkenntnistheoretischen Schwerpunkte und Modellvorstellungen die Diskussionen in den jeweiligen historischen Zeitabschnitten beherrschten. Grundsätzlich versucht die Ungleichheitsforschung auf Basis ihrer erkenntnisleitenden Theorien und Hypothesen (idealtypische) Modelle zu entwickeln, die das Phänomen der sozialen Ungleichheit, das in allen Gesellschaften anzutreffen ist, eindeutig und hinreichend beschreiben und erklären und somit Prognosen über den gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß möglich machen sollen. Modelle sozialer Schichtung stellen also einen Versuch dar das Dickicht der sozialen Ungleichheiten zu durchdringen, es aufzulösen und damit in eine überschaubare und strukturierte Form zu bringen. Die Vielzahl der Schichtungsdeterminanten und das sich heutzutage nicht nur die klassischen (originären) wie z.B. Macht, Einkommen/ Vermögen, Qualifikation und Ansehen (Berufsprestige), sondern 8
Der Vollständigkeit halber wollen wir darauf hinweisen, daß die in enger Verbindung mit der Soziologie stehenden Wissenschaften, z.B. Philosophie, Ökonomie, Staatslehre, Anthropologie, Ethnologie, wichtige Beiträge zu diesem Problemkreis lieferten. Aber auch die Naturwissenschaften sowie die Medizin haben der Ungleichheitsforschung ihr spezifisch ausgerichtetes Interesse bekundet. So untersucht beispielsweise die Medizinsoziologie das Gesundheits-I Krankheitsverhalten in Abhängigkeit von der sozialen Lage. Gerhardt (1991, S. 203 ff) spricht in diesem Zusammenhang von der gesundheitlichen Ungleichheit. Eine umfassende Übersicht über die schichtenspezifischen Krankheitslagen ist rur den Zeitraum der 50er und 60er Jahre bei Pflanz (1986 [1962], S. 265 ff.) zu finden. Aus den dort aufgelisteten Arbeiten bzw. epidemiologischen Studien geht hervor", daß Mortalität und Morbidität an verschiedenen Krankheiten in den Ober- und Unterschichten erhebliche Differenzen aufweisen" (Pflanz 1986 [1962], S. 264). Neuere Untersuchungen bzw. Veröffentlichungen zum schichtenspezifischen - von sozialen Faktoren abhängigen - Gesundheitsverhalten stammen von Abholz ([Hrsg.]1976), Blohmke (1986), Collatz et al. (1983), Halusa (1992),Hom et al. (1984), NeumannILiedermann (1981), Siesina (1992), Waller (1993). Auch wir haben in unserer Mitarbeiterbefragung Daten zum Gesundheitsverhalten und -bewußtsein gesammelt. Hypothesen zum Gesundheitsverhalten sind bei Voigt (1978 a, S. 42-47) aufgelistet.
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auch die Dimensionen der politischen und ökonomischen Gestaltungs- und Einflußsphären sowie die milieuabhängigen Grundeinstellungen und Verhaltensmuster, die Lebensstilbedingungen - fuhrt dazu, daß die theoretische Konzipierung eines ganzheitlichen Lösungsansatzes kaum möglich erscheint. "Modelle können die Wirklichkeit [noch] nicht abbilden; in diesem Sinne sind sie stets einseitig und unvollständig" (Geißler 1992, S.73). Schichtungsmodelle sollen die Geamtbevölkerung einer Gesellschaft so (komprimiert) zusammenfassen, daß Gruppierungen mit vergleichbaren Soziallagen entstehen. Aufgrund der "Vielschichtigkeit" der Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland fuhrt das zu einer Vielzahl von Klassifikationsmodellen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Dimensionalität und Kausalität, d.h. welche und wieviele Indikatoren wurden zur Bestimmung der Soziallage berücksichtigt und wie wurde der Ursache/Wirkungszusammenhang interpretiert. Mit diesen Ausfuhrungen will der Vf. deutlich machen, daß es das homogen strukturierte Schichtungsmodell nicht gibt, sondern nur solche, die viel bunte Facetten aufweisen und die im Sinne der Farbenlehre zu einem harmonisch gestalteten Kaleidoskop zusammengefugt werden müssen. Hier ist die Kenntnis, der Sachverstand des Forschers gefragt - aber auch seine Intuition.
11. Soziale Schichtung und sportliche Aktivitäten - empirische Untersuchungen in der Bundesrepublik Deutschland Hypothesen: -
Je höher die soziale Schicht, um so ausgeprägter ist das sportliche Engagement. Es bestehen Zusammenhänge (Hierarchien) zwischen ausgeübten Sportarten (Beliebtheitsskala) und dem· sozialen Status derer, die sie betreiben.
Der Zusammenhang zwischen Schichtung und der Ausübung sportlicher Aktivitäten wird durch die Ergebnisse von Schlagenhauf (1977, S. 154) bestätigt, der Bundesbürger (N= 1.959) ab 16 Jahren analysierte. Seine getrennte Darstellung der männlichen und weiblichen Aktivitätsraten zeigt, daß in der unteren und mittleren Unterschicht nicht nur das Sportengagement insgesamt besonders niedrig ist, sondern darüber hinaus der Abstand zwischen Männern und Frauen noch ausgeprägter ist als in den höheren Schichten. Die in 1987 (Opaschowski 1987a, N= 2.000) durchgefuhrte (fur die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland ab 14 Jahren) repräsentative Befragung erbrachte entsprechende Ergebnisse. Der Sozialstatus - in dieser Untersuchung operationalisiert durch das Haushaltseinkommen als empirischem Indikator - hing deutlich
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mit der freizeitsportlichen Aktivität zusammen. Während von den Befragten mit einem Haushalts-Nettoeinkommen unter 2.500 DM nur 15 % mindestens einmal pro Woche Sport treiben, erhöht sich dieser Prozentsatz auf 22 rur Einkommenshöhen zwischen 2.500 und 3.500 DM, auf 27 rur Einkommen zwischen 3.500 und 5.000 DM und auf 38 rur Bezüge über 5.000 DM (ebd., S. 16). Bezogen auf Berufsgruppen wurde die Einstellung zum Sporttreiben mittels der Fragestellung untersucht, ob man, um fit und gesund zu bleiben, Sport treiben müsse oder nicht. Die höchste Zustimmungsquote von 63 % entfiel auf Leitende Angestellte und Höhere Beamte, gefolgt von Angestellten und Beamten (51 %), Selbständigen und Freien Berufen (46 %) und Arbeitern (45 %)(ebd., S. 15). Voigt (1992, S. 166 f.) analysierte 13 Untersuchungen aus den Jahren 1955 bis 1989, in denen an unterschiedlichen Populationen aus Deutschland jeweils signifikante Zusammenhänge zwischen Art und Intensität des sportlichen Engagements und der sozialen Lage nachgewiesen wurden, und faßte das Ergebnis so zusammen: "Freizeitverhalten und Sportengagement hängen erstrangig von der sozialen Lage des einzelnen ab. Dabei zeigt sich über den Untersuchungszeitraum von mehr als 30 Jahren (seit 1955) hinweg eine bemerkenswerte Stabilität der schichtabhängigen Einstellungen und Verhaltensweisen. Viele zeitbedingte Veränderungen, wie vor allem die Massenbetei/igung am Sport, die Geschlechts- und Altersspezijik sowie die Bewertung der Sportarten und des Sporttreibens, konnten den Einfluß der sozialen Schicht nicht abschwächen ". (ebd., S. 163). Zum Beleg rur den zweiten Haupttrend ruhren wir wieder ein repräsentatives Ergebnis aus dem Jahre 1974 an (Tabelle I). In Kongruenz mit späteren Untersuchungen liegen Tennis, Segeln, Pferdesport und Skifahren auf den oberen Rängen, Fußball, Handball, Kegeln und Kampfsportarten im unteren Bereich. Ähnliche Ergebnisse ermittelte auch Voigt9 rur den Zeitraum bis Mitte der siebziger Jahren. Diese Befunde können ergänzt werden durch neuere Ergebnisse, die auch modernere Sportarten einbeziehen, Z.B. Segelfliegen, Surfen, Bodybuilding und asiatische Kampfsportarten (Opaschowski 1987a, S. 19; Voigt 1992, S. 192). Einen auch indirekten Beleg darur, daß sich soziale Ungleichheit im Freizeitsport über die Teilnahmechancen an bestimmten Sportarten reproduziert, 10 bilden repräsentative Befragungsergebnisse zu Wunsch und Wirklichkeit im Freizeitsport: Bei den hinsichtlich Geld- und Trainingsaufwand vorausset9
Voigt (l978a, S. 78) zusammenfassend sowie (l978b, S. 59) mit eigenen empirischen Ergebnissen aus einer Untersuchung der Gießener Sportvereine.
10
Siehe hierzu auch: Opaschowski (l987b) Repräsentativbefragung filr die Bundesrepublik Deutschland (Alter: ab 14 Jahre; N= 2.000).
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zungsloseren Sportarten wie Fußball, Schwimmen, Gymnastik!Aerobic, Jogging, Radfahren, Ballsportarten liegen die Zustimmungsquoten rur die tatsächliche Ausübung im Schnitt recht nahe bei den Wunschvorstellungen. So gaben 9 % der befragten Frauen und 14 % der Männer an, zu joggen, während jeweils nur 1 Prozent diese Sportart als nicht ausgeübte Wunschsportart bezeichnet. TabelIe 1: Hierarchie der Sportarten nach der Schichtzugehörigkeit der Aktiven Sportarten 1. Tennis 2. Segeln 3. Volleyball 4. Pferdesport 5. Skifahren 6. Wandern 7. Gymnastik 8. Schwimmen 9. Eislaufen 10. Tischtennis 11. Turnen 12. Leichtathletik 13. Radfahren 14. Fußball 15. Handball 16. Kegeln 17. Kampfsportarten 18. Schießsport 19. sonstige Sportarten Schichtindexmittelwert aller Sporttreibenden: Schichtindexmittelwert der Gesamtpopulation: I Die sechs Schichtkategorien wurden in aufsteigender Reihenfolge mit den Werten 1-6 gewichtet.
Schichtindex I mittelwert 5,0 4,5 4,5 4,5 4,4 4,3 4,2 4,2 4,2 4,1 4,1 4,0 4,0 3,8 3,7 3,6 3,3 3,2 4,4 4,1 3,6
Selbst im Fußball, der noch Lieblingssportart der Männer und zugleich der 11 Sportart mit dem ungünstigsten Verhältnis von Wunsch zu Wirklichkeit (9 % versus 16 %), liegt die Prozentzahl der Aktiven noch fast doppelt so hoch wie die der Verhinderten (Opaschowski 1987b, S. 19).
II
Bezogen auf die oben genannten "voraussetzungsarmen " Sportarten.
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Ganz anders stellt sich die Situation bei den hinsichtlich finanziellem und Ausbildungsaufwand anspruchsvolleren Sportarten dar: Bei Tennis, Skifahren, Reiten, Tanzen, Surfen, Segeln und Segelfliegen stehen wenigen Aktiven jeweils sehr viel mehr Personen gegenüber, für welche die entsprechende Sportart nur "Traumsportart" und nicht Realität ist. So reiten 2 % der Frauen, während 12 % den Wunsch, aber nicht die Möglichkeit haben. Nur einem Prozent Segelsportlern stehen 11 % Männer gegenüber, die gerne segeln würden. Angesichts all' dieser empirischen Evidenz scheint es durchaus gerechtfertigt, von der "Illusion der Integration" (Gebauer 1986, S. BI) im Sport zu sprechen. An der" sozialen Integrationskrajt" (DSB [Hrsg.] 1986, S. 131) gemeinsamen Sporttreibens zu zweifeln, ist gewiß naheliegend; insbesondere, wenn man bedenkt, daß gerade die körperbezogenen Moralkodizes weitgehend unbewußt bleiben und das Fremde und Andersartige deshalb oft als peinlich, unschicklich, anstößig oder gar skandalös empfunden wird (Boltanski 1976, S. 154; Bourdieu 1987, S. 105; Gebauer 1986, S. 131). Andererseits belegt das wachsende Engagement breiter Bevölkerungsschichten, daß der Bereich des Freizeitsports sich beständig weiterentwickelt. Diese Dynamik läßt sich auf unterschiedliche Weise interpretieren. Zum einen schichttheoretisch in dem Sinne, daß sich an der Struktur der sozialen Ungleichheit nichts Wesentliches ändert: Die Schichtunterschiede bleiben, sie werden nur anders zum Ausdruck gebracht. Bezogen auf den Freizeitsport ergibt sich aus einem solchen Grundverständnis die folgende Sichtweise, die die historische Dimension einbezieht: Ehemals Domäne des Adels, dann auch der 12 privilegierten bürgerlichen Schichten ,hat sich der Freizeitsport zu einem prinzipiell allen zugänglichen "öffentlichen Gut" entwickelt. Dennoch bleibt er ein Medium der Statusdemonstration. Nachdem es nicht mehr möglich war, durch das pure Faktum des Sporttreibens gesellschaftlichen Rang zu demonstrieren, verlagerte sich das Bemühen um Distinktion zunächst auf bestimmte Sportarten, die weiterhin als elitär galten. In dem Maße, in welchem durch massenhaften Zulauf die Exklusivität dieser herausgehobenen Sportarten verlorengeht, bilden sich neue Mechanismen sozialer Differenzierung heraus. Nicht mehr die Sportart, sondern der Ort, an dem man sie betreibt, und die Personen, mit denen man sich umgibt - z.B. Tennis im teuren Privatclub - entscheiden über die soziale Wertigkeit. Hinzu kommen die ökonomischen Interessen der Freizeitindustrie. Sie sorgt dafür, daß das Bemühen um Unterscheidung von den anderen durch immer neue, exklusive Angebote beständig Nahrung findet.
12
Siehe hierzu auch: Stichweh (1990, S. 377 ff.).
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III. Soziale Schichtung: das Sonderverhältnis von Arbeit - Betriebssport Wir wollen die Ergebnisse der bisherigen Ausführungen jetzt auf den Betriebs sport anwenden, wobei wir uns auf zwei Fragenkomplexe konzentrieren: Was bedeutet die soziologische Ungleichheitsforschung allgemein für den Betriebssport? Wie wirken sich die festgestellten und nicht übersehbaren sozialen Ungleichheiten im Bereich der Freizeitaktivitäten insbesondere auf den Betriebssport aus? Aus den Theorien zur sozialen Ungleichheit ergibt sich ein ganz bestimmtes Verständnis der Arbeit-Freizeit-Beziehung: Der Stellung des einzelnen im ökonomisch-technisch-bürokratischen System der Gesellschaft - d.h. Art und Rang der ausgeübten Berufstätigkeit - wird ein prägender Einfluß auf die gesamte (soziale) Lebensgestaltung zuerkannt. Damit gelten freizeitsportliehe Interessen und Aktivitäten einschließlich der betriebssportlichen als letztlich abhängig vom beruflichen Qualifikations- und Prestigeniveau. Gerade diese Position war der Ausgangspunkt der von Plessner und Habermas ausgelösten Kontroverse um die Kompensationsbedürftigkeit bestimmter Verrichtungstätigkeiten durch geeignete Verhaltensweisen in der Freizeit. Diese Kontroverse ist in der Literatur bereits vielfach aufgearbeitet worden, und auch wir haben uns bereits an anderer Stelle mit ihr auseinandergesetzt (Tofahm 1991, S. 3 ff.). Deshalb möchten wir hier nur einen Aspekt aufgreifen, von dem wir meinen, daß er in den vorangegangenen Diskursen nicht hinreichend zur Geltung kam. Zugleich scheint er uns besonders wichtig für das Verständnis des Betriebssports und seiner besonderen Problematik. Eichier (1976, S. 5 ff.) weist auf ein Mißverständnis zwischen Plessners und Habermas' Ausführungen und der Rezeption durch ihre empirisch orientierten Kritiker hin. Nach Plessners und Habermas' Analyse des industriellen Produktionsprozesses bringt er eine Reihe negativer Folgen für die arbeitenden Menschen mit sich, nämlich "gestörte Körpergefühle ", "Anonymität ... in der Masse", "Entfremdung ... durch Intellektualisierung" (Plessner 1952, S. 10) bzw. "Fremdbestimmung", "Abstraktheit" sowie "psychisch erschöpfende und nervös verschleißende" Qualitäten der Berufsarbeit (Habermas 1958, S.224). Aus der Analyse dieser Defizite moderner Berufsarbeit wurde die Konsequenz abgeleitet, die Freizeit müsse einen Ausgleich schaffen, indem sie den Menschen Befriedigung jener Bedürfnisse ermögliche, die im modemen Arbeitsleben unterdrückt würden. Einige Kritiker (z.B. LindelHeinemann 1974, S. 25 f.; Lüdtke 1972, S. 70 ff.; Euler 1977, S. 274; Schlagenhauf 1977, S. 128) zogen nun aus dieser allgemeinen, viele Berufsgruppen einbeziehenden Ana-
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lyse der modemen Arbeitswelt folgenden Schluß: Da sich die Benachteiligungen am unteren Ende der Berufshierarchie häufen müßten, sollten gerade diese stark Belasteten besondere Anstrengungen im Freizeitbereich unternehmen, also auch besonders viel Sport treiben. Die Ergebnisse dieser und späterer Untersuchungen sind bekannt und wurden bereits dargestellt: Hypothese: -
Je niedriger der BeruJsstatus, desto geringer das sportliche Engagement.
Von den Kritikern wurde also eine Behauptung widerlegt, die Plessner und Habermas so nie aufgestellt haben (Eichler 1976, S. 9). Im Gegenteil: sie schilderten die Belastungen der modemen Arbeitswelt als allgegenwärtige Merkmale, deren Wirkung folglich keinesfalls nur auf die Arbeiterschicht zu beschränken ist. Was die Kritiker eigentlich erreichen wollten, den von Plessner und Habermas behaupteten generellen Zusammenhang zwischen Arbeitstätigkeit und Freizeitverhalten zu widerlegen, mußte also schon deshalb mißlingen, weil der gewählte Ansatz gar nicht geeignet war, dieses Problem zu entscheiden (Tofahrn 1989, S. 7 f.). Wir möchten die Argumente und Bedenken, die gegen einen verkürzten Umgang mit der Problematik des Zusammenhangs zwischen Arbeit und Sport sprechen, systematisch aus den referierten Theorien zur sozialen Ungleichheit entwickeln. Die Sondersituation des· Betriebssports - hier in Großunternehmen bietet hierzu gute Gelegenheit. Da in diesen Großunternehmen das Spannungsverhältnis zwischen Kapital und Arbeit bis in die heutige Zeit virulent ist, kann man also sagen, daß der Betriebssport in einem Umfeld pointierter, zuweilen kämpferischer Selbstdarstellung von Arbeitnehmer- und Unternehmerschaft angesiedelt ist. So war der Betriebssport von Beginn an Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmervertretern, die von Interessensgegensätzen gezeichnet waren. Anläßlich der erstmaligen Veröffentlichung einer Liste von Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Betriebssport anboten (von der Linde 1931, S. 59 ff.), wurde die unternehmerische Position klar herausgearbeitet. Die betrieblichen Ausgaben rur sportliche Zwecke werden als "freiwillige Aufwendungen" zur Förderung der "allgemeinen Wohlfahrt und Gesundheitsfürsorge" (ebd., S.45) verstanden. Unter volkswirtschaftlichem Aspekt wird die Notwendigkeit hervorgehoben, die Kosten "zur Wiedererlangung von Gesundheit" durch" Vorkehrungen zur Gesunderhaltung, durch vorbeugende Fürsorge" (ebd., S. 43) zu senken. Als geeignetes Mittel hierzu werden "sinnvoll und zweckmäßig betriebene Leibesübungen" empfohlen mit dem Ziel " ... das wertvollste Gut des Menschen, die Arbeitskraft, zu erhalten und zu stärken. .. "
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(ebd.). Für die Unternehmen selbst werden die folgenden positiven Auswirkungen auf die Belegschaften erwartet: körperliche Kräftigung, Vorbeugung gegen Krankheit, Erhöhung der Leistungsfähigkeit, Verminderung von Arbeitsunfällen, Förderung des Gemeinschafts- und Verantwortungsgefühls, Förderung der Disziplin, Bereitschaft, sich unterzuordnen zwecks Erreichen gemeinsamer Ziele, Beispielwirkung des für Sportler typischen maßvollen und enthaltsamen Lebenstils (von der Linde 1931,46 ff.). Strikt abgelehnt wird jede Verbindung zwischen Sport und politischer Meinungsbildung, weshalb auch gegenüber den Arbeitersportvereinen eine distanziert-ablehnende Haltung eingenommen wird (ebd., S. 54 f.). Besonders interessant in unserem Zusammenhang sind von der Lindes Angaben zur Beteiligung der einzelnen Berufsgruppen an den verschiedenen Sportarten. Grundsätzlich ausgeschlossen werden "Reiten, Jagd, Polo, Golf und Autosport", weil sie nur mit" überdurchschnittlichem Aufwand an Zeit und Geld" durchgeführt werden könnten, desgleichen "Kricket, Rugby und Fechten", und weil ihnen die "Kennzeichen und Voraussetzungen des Volkssportes " fehlten. Tennis und Rudern werden als fast ausschließlich den Angestellten vorbehaltene Sportarten bezeichnet, während Turnen und Leichtathletik bei Dominanz der Angestellten auch Arbeitern zugänglich, hingegen Fußball, Handball, Faustball und Schlagball sowie Boxen und Radfahren die von Arbeitern bevorzugten Sportarten seien (ebd., S.44). Den Angestellten wird eine stärkere Beteiligung am Betriebssport attestiert als den Arbeitern, die sich in vielen Betrieben "ablehnend" verhielten. Lobend hervorgehoben wird dagegen die zunehmende Bereitschaft der "leitenden Angestellten und Direktoren ", sich "unterschiedslos als Sportskameraden " in den S;Jortbetrieb einzugliedern (ebd., S. 53). Die Gewerkschaften betonen demgegenüber, daß für die große Masse der Arbeiterschaft die " ... gesundheitlich schädlichen Wirkungen schlechter Lebensverhältnisse und einseitiger, oft Gefahren mit sich bringender Arbeitsverrichtungen " das gesundheitliche Hauptproblem darstellten. Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen - Arbeitsschutz, mehr Freizeit, besondere Schutzmaßnahmen für Jugendliche - sei deshalb eine Voraussetzung dafür, daß die Arbeiterschaft überhaupt dazu in der Lage sei, sich sportlich zu betätigen (Maschke 1931, S. 63 f.). Der Arbeitersport solle nicht Spitzenleistungen hervorbringen, sondern Gesundheit und Lebensfreude fördern. Die Gewerkschaften sehen den Sport als geeignetes Mittel an, die " .. .zur Führung des Lebenskampfes notwendige Willenskraft und Fähigkeiten" zu stärken, eine opti-
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mistische Lebenseinstellung zu fördern, Solidarität zu üben und damit auch fiir "die gesellschaftlichen Aufgaben der Arbeiterklasse" gerüstet zu sein (ebd., S. 65 ff.). In der Stellungnahme zum Betriebssport wird Verständnis fiir die ablehnende Haltung weiter Teile der Arbeiterschaft zu Leibesübungen während der Arbeitszeit geäußert, weil diese Übungen entweder auf Kosten der Pausen gingen oder durch Verlängerung des Arbeitstages erkauft werden müßten, die Arbeiterschaft aber Wert darauf lege, über die arbeitsfreie Zeit selbst zu verfiigen (ebd., S.65). Der Autor läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß er die Arbeitersportvereine, und nicht die Betriebssportgruppen bzw. -vereine, fiir den geeigneten organisatorischen Rahmen des Arbeitersports hält. Eine Statistik - Stand 1. April 1929 - weist insgesamt 16.992 Arbeitersportvereine mit 1.284.737 Mitgliedern aus. Tabelle 2: Arbeitersportvereine 1929 Organisationen Arbeiter-Tum- und Sportbund Arbeiter-Radfahrerbund »Solidarität« Touristenverein "Naturfreunde" . Arbeiter-Athletenbund Arbeiter-Sarnariterbund sonstige Verbände Gesamt
Vereine 6.886 4.951 1.000 960 1.209 1.986 16.992
Mitglieder 738.048 320.000 81.734 52.000 42.757 50.218 1.284.737
Quelle: Maschke 1931, S. 66.
Wir haben diese ca. sechs Jahrzehnte zurückliegenden Standpunkte und Fakten zum Betriebssport deshalb herangezogen, weil sie zeigen, daß eine bemerkenswerte Kontinuität der in der Praxis vertretenen Argumente zum Betriebssport und der im Alltag verbreiteten Verhaltensweisen im Betriebssport existiert. Hinsichtlich der Ähnlichkeit der Argumente von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite über die Jahrzehnte hinweg verweisen wir auf unsere frühere Darstellung (Tofahrn 1992, S. 44 ff.). Bis heute steht fiir die Gewerkschaften das Erreichen besserer Arbeitsbedingungen - also die Humanisierung der Arbeitswelt - als Voraussetzung einer qualitativen Steigerung der Freizeit im Vordergrund ihrer Bemühungen. Einer Einflußnahme der Unternehmen auf die Freizeitgestaltung der Beschäftigten z.B. per Betriebssport - stehen sie weiterhin - wenn auch abgeschwächt im Verhältnis zu früheren Jahren - reserviert gegenüber. Die großen Industrieunternehmen dagegen betonen durch die Entwicklung von Unternehmensphilosophien, die die allseitige und umfassende Entwicklung der Mitarbeiter in ihrem Zielkatalog fiihren, ihr gewachsenes gesellschaftliches Engagement und ihre 6 Festschrift Voigt
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humane, verantwortungsvolle Einstellung gegenüber den Mitarbeitern. Für sie ist die .,freiwillige Sozialleistung" Betriebssport ein Mittel sowohl der Selbstdarstellung als auch der Erreichung mitarbeiterbezogener Zielsetzungen. Betont wird, daß der Betriebssport nur als zusätzliche Möglichkeit zur Bereicherung der Palette sportbezogener Freizeitangebote gemeint ist und insbesondere jenen zugutekommen soll, die sonst keinen Sport treiben würden. Zur Akzeptanz des Betriebssports bei Arbeitern, Angestellten und Leitenden Angestellten ist ebenfalls festzuhalten, daß sich an den Zuständen, wie sie vor 60 Jahren geschildert wurden, strukturell nichts geändert hat. Immer noch ist die Quote der Leitenden Angestellten im Vergleich zu ihrem prozentualen Anteil an der Gesamtbeschäftigtenzahl am höchsten (5,5 % aktiven Betriebssportlern steht ein 3,6 % Anteil an der Gesamtbelegschaft gegenüber), gefolgt von den Angestellten (60 % gegenüber 44,4 %) und den Lohnempfangern, die im Betriebssport weiterhin sehr deutlich unterrepräsentiert sind (24,6 % gegenüber 46,4 %) (Tofahrn 1991, S. 90). Uns interessiert nun, ob bzw. wie sich die beeindruckende Konstanz der empirisch vorgefundenen sportlichen Aktivitätsraten bei den einzelnen Berufsgruppen theoretisch erklären läßt. Generell stellen die empirischen Ergebnisse einen Beleg für die Grundannahme der Theorien zur sozialen Ungleichheit dar. These:
Ganz offenbar determiniert der Berufsstatus Art und Umfang des freizeitsportlichen Engagements. und zwar in relativ gleichbleibender Weise schon seit Jahrzehnten. Insbesondere die Ausführungen Bourdieus und Boltanskis zu den Auswirkungen der Schichtung auf Freizeit- und Sportverhalten laden jedoch dazu ein, diese allgemeine Erklärung qualitativ zu elaborieren. Die sportliche und betriebssportliche Abstinenz der Arbeiter müßte sich aus ihren speziellen Habitusfonnen bzw. körgerbezogenen Moralkodizes erklären lassen. Gekennzeichnet ist dieser Habitus am Notwendigen, was gleichbedeutend damit ist, die physische Leistungsfahigkeit zu erhalten. Diese Situation hat sich insofern entschärft, als die Schwere und Gefahrlichkeit körperlicher Arbeit beständig gemildert wurde. Es geht also auch für die Arbeiterschaft in der Freizeit immer weniger darum, ihre Arbeitskraft durch pures Ausruhen von körper13
Als "Habitus" bezeichnet Bourdieu (1985, S. 16 ff.) die Einstellungen und Handlungsdispositionen der Angehörigen einer Schicht. Basis dieser gewissennaßen "gemeinsamen" Orientierung des Denkens, Fühlens und Handeins ist die Ähnlichkeit der Lebensumstände. In jeder sozialen Schicht bilden sich ähnlich gelagerte Wahmehmungs- und Interpretationsschemata heraus.
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lichen Strapazen wiederherzustellen (Habennas 1958, S. 224). Geblieben aber sind die im Habitus verankerten Wert- und Einstellungsmuster zu Gebrauch und Funktionieren des Körpers. Die Erfahrung der körperlichen Erschöpfung nach der Arbeit und die Notwendigkeit, sich bei der Arbeit über aversive Körperempfindungen hinwegzusetzen, dürfte auch heute noch ein traditionsgeprägtes Körperverständnis aufrechterhalten: Der Körper wird danach als Kraftmaschine verstanden, die sich durch Gebrauch verschleißt. Nur in der Jugendzeit mit ihren überschüssigen Energien ist es daher naheliegend, neben der Arbeit auch noch Sport zu treiben (Bourdieu 1986, S. 109 f.; Stichweh 1990, S.381). In späteren Jahren sollte "Schonung" obenanstehen. Auf Grund des niedrigen Bildungsniveaus ist es im Arbeitennilieu besonders schwierig, andersartige, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu verbreiten, zumal sie zusätzlich gegen die Maximen von Kraft, Härte und Unempfindlichkeit verstoßen. So ist Maschkes Stellungnahme aus dem Jahre 1931 bis heute nicht entkräftet, daß trotz wissenschaftlich eindrucksvoller Beweise, wie z.B. Bewegungspausen die schädlichen Folgen einseitiger körperlicher Arbeitsbelastungen mindern können, der "psychologische Faktor" (Maschke 1931, S. 65) bei der Arbeiterschaft eben stärker sei. Ein möglicher Einwand gegen die Chance des Betriebssports, bislang sportlich Passive zu aktivieren, ist zu ergänzen. Bei diesen Passiven wird es sich aufgrund der empirischen Befunde 14 vorwiegend um die am unteren Ende der beruflichen Prestigeskala stehenden Lohnabhängigen handeln. Gerade für sie dürfte es eine psychische Belastung darstellen, am Ort ihrer Arbeitstätigkeit und mit den Arbeitskollegen und Vorgesetzten zusammen Freizeitsport zu betreiben, weil Ort und Personen sie unausweichlich an die Arbeit erinnern. So kann auch in der Freizeit die Distanz zum entfremdeten Arbeitserlebnis nicht hergestellt werden, was gerade für diese Gruppe besonders wichtig wäre. Wer in der Berufsstatushierarchie unten steht, dem dürfte es besondere Probleme bereiten, sich auch noch in der Freizeit via Betriebssport in demselben hierarchischen System als Unterster wiederzufinden. Auch die im Vergleich zur Arbeiterschaft ausgeprägtere Sport- und Betriebssport-Orientierung der Angestellten läßt sich aus deren berufsbedingten Lebensumständen recht überzeugend ableiten. Betroffen von Bewegungsmangelkrankheiten und Streßsymptomen und sich dessen auf Grund ihres Wissens- und Bildungsstandes und ihres Körperverständnisses auch bewußt, ist fiir sie das Gesundheitsstreben ein konstitutiver Teil des Lebensstils (Boltanski 1976, S. 160; Bourdieu 1986, S. 110 f.). Die besondere betriebssportliche Situation dürfte Ambivalenzen beinhalten. Zum einen besteht zwar die Möglichkeit, sich vor Kollegen und Vorgesetzten 14 6*
Eichler (1976, S. 12 fr.) präsentiert hierzu differenzierte empirische Ergebnisse.
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zu "blamieren", also die in der Berufssphäre existenten Statusunterschiede auch im Freizeitsport zu spüren und eventuell negative Konsequenzen rur die Arbeitsbeziehungen auf sich zu nehmen. Andererseits besteht aber auch die Chance, die Eigengesetzlichkeiten des freizeitsportlichen Aktionsfeldes dazu zu nutzen, insgesamt im Ansehen und damit auch in der beruflichen Rangordnung zu steigen. Jedenfalls sind die körperbezogenen Wissensbestände und Moralvorstellungen der verschiedenen Angestellten-Gruppen untereinander besser kompatibel als mit den entsprechenden Nonn- und Wertsystemen der Arbeiterschaft. Die Gefahr des faux pas ist also geringer. Für die Leitenden Angestellten besteht eine Sondersituation, indem rur sie Teilnahme am Betriebssport zwar nicht pflichtgemäßer, aber doch nützlicher Teil ihres beruflichen Engagements ist. Die "Klassenschranken" abzubauen und das "Wir-Geruh I" zu fördern gehört zur unternehmerischen Philosophie und damit zum personalpolitischen Aufgabenbereich der Führungskräfte.
Gabriele Neumann/Angela Deitersen-Wieber
Sportpsychologie in der DDR Eine quantitative Inhaltsanalyse sportpsychologischer Zeitschriften und Monographien aus den Jahren 1979-1989
I. Einleitung In den 80er Jahren haben SackiDavid (1982) bzw. Sack (1983) einen Überblick über den Stand und die Entwicklung der ehemaligen DDR-Sportpsychologie von ihren Anfängen 1950 bis 1978 gegeben. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, an diese Ergebnisse anzuknüpfen und den weiteren Verlauf der DDRSportpsychologie bis zu ihrem Ende 1989 zu verfolgen. Dabei orientieren sich die Verfasserinnen an der methodischen Vorgehensweise der Sack-Studie (1983), damit Vergleiche mit der früheren Entwicklungsphase möglich werden und um einen Überblick über den Gesamtverlauf der DDR-Sportpsychologie von 1950-1989 zu erhalten.
11. Zur Auswahl der sportpsychologischen Fachliteratur Die vorliegende Analyse sportpsychologischer Veröffentlichungen beinhaltet einerseits sämtliche Arbeiten von DDR-Autoren in den Fachzeitschriften »Theorie und Praxis der Körperkultur« (KK), »Körpererziehung« (KE) und » Wissenschaftliche Zeitschrift der Deutschen Hochschule rur Körperkultur Leipzig« (WZ) nach 1978, also vom Jahrgang 1979 bis zum Ende des Jahrgangs 1989. Zudem wurden rur diesen Zeitraum alle Monographien bzw. Sammelbände mit sportpsychologischem Inhalt in die Untersuchung mit eingeschlossen. Auf eine systematische Durchsicht bzw. Einbeziehung anderer sportwissenschaftlicher Zeitschriften, wie z.B. von Sportfachverbänden, wurde verzichtet. Wie SacklDavid (1982) gehen wir davon aus, daß über 90 % sämtlicher sportpsychologischer Arbeiten in den o.g. drei Fachzeitschriften sowie den Monographien dieser Zeit anzutreffen sind (vgl. SacklDavid 1982, S. 154). Um
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ganz sicher zu gehen, daß sich diese Verteilung in dem von uns bearbeiteten Zeitraum auch nicht gewandelt hatte, fand für die Jahrgänge 1979-1989 ein "exemplarisches Querlesen" durch verschiedene sportwissenschaftliche Zeitschriften der Sportfachverbände statt (z.B. »Leichtathletik«, »Schwimmsport«): Wie erwartet, bezog sich hier die Darstellung von Forschungsergebnissen fast immer auf Untersuchungen, die auch in einer der drei Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Mit dieser Bestätigung konnten wir auf die Einbeziehung anderer Zeitschriften für unsere Analyse verzichten. Die Einordnung sportwissenschaftlicher Abhandlungen als sportpsychologisch erfolgte anschließend nach den Kriterien von SacklDavid (1982, S. 154155). So konnten für den Zeitraum 1979-1989 insgesamt 152 Arbeiten ermittelt werden, die sich in 119 Aufsätze aus den Fachzeitschriften (78 %) und 33 Aufsätze aus sportpsychologischen Sammelbänden bzw. Monographien (22 %) aufgliedern ließen. Bei der Verteilung auf die Fachzeitschriften trägt, wie bei den frühen Veröffentlichungen von 1950-1978, die Zeitschrift » Theorie und Praxis der Körperkultur« (KK) mit 62 % den Hauptanteil, gefolgt von der » Wissenschaftlichen Zeitschrift der DHfK Leipzig« (WZ) mit 25 % und der Zeitschrift» Körpererziehung« (KE) mit 13 %. Interessant ist hier, daß sich die Anzahl der Publikationen bei den Zeitschriften WZ und KE im Vergleich zu den frühen Erscheinungsjahren (WZ: 12 %/KE: 23 %) umgekehrt hat. Folgt man hier der Argumentation von SacklDavid (1982, S. 156), daß die KE eher Themen des Schul sports behandelt und die WZ stärker für die Sportwissenschaft zuständig ist, gibt diese Umverteilung einen ersten Hinweis auf einen möglichen Wandel bei den ausgewählten Problem- und Gegenstandsbereichen der Publikationen. Der nachfolgende Überblick über die Verteilung der Publikationen auf die Problem- und Gegenstandsbereiche der DDR-Sportpsychologie soll dazu beitragen, sowohl die Entwicklungstendenzen nach 1978 zu analysieren, als auch einen Vergleich zwischen der "frühen" (1950-1978) und der "späten" (1979-1989) DDR-Sportpsychologie zu ermöglichen.
III. Die methodische Vorgehensweise Wie bei Sack/David (1982) wurde eine mehrdimensionale Einordnung für die Analyse der relevanten DDR-Publikationen (N=152) gewählt: Zum einen wurde bei den Arbeiten nach sportbereichsspezifischen Gesichtspunkten zwischen (Hoch-)Leistungssport, Kinder- und Jugendsport und Erwachsenensport unterschieden. Dabei wurde im (Hoch-)Leistungssport der sportbezogene Gegenstandsbereich der Veröffentlichung über die Inhalte Training/Üben, Wett-
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kampf Athlet-Trainer-Interaktion, Persönlichkeit und TalentsichtunglFörderunglAuslese erfasst. Im Bereich Kinder- und Jugendsport fand eine Zuordnung der Veröffentlichungen zu den Institutionen Vorschule, Schule und Freizeit statt. Für den allgemeinen Erwachsenensport ergaben sich als Gegenstandsbereich der Publikationen Hochschulsport, Freizeitsport und Betriebssport. Zum anderen erfolgte eine Zuordnung der Veröffentlichungen auf die vorhandenen Disziplinen der Mutterwissenschaft Psychologie, ergo Wahrnehmung, Lernen & Gedächnis, Denken & Intelligenz, Motorik, Motivation & Emotion, Diagnostik, Differentielle & Persönlichkeitspsychologie, Entwicklungspsychologie und Sozialpsychologie. Weitere Unterscheidungskriterien beinhalteten den sportpsychologischen Gegenstandsbereich der Senso- & Psychomotorik, eine methodologische Zuordnung (empirische Untersuchung: Feldstudie, Laborexperiment, Testentwicklung; theoretischer Ansatz: Sportpsychologie/Erziehung/Methodik) und eine quantitative Aufgliederung der verwendeten Literatur. Die Inhaltsanalyse wurde von den beiden Verfasserinnen durchgeführt, wobei unterschiedliche Einordnungen diskutiert und geändert wurden. Die Eingabe und Auswertung der Daten erfolgte dabei über das MS-WINDOWS-Programm EXCEL 5.0. Als Auswertungsinstrument zur Kategorisierung der Publikationen diente ein 72-Item-Fragebogenkatalog, der die oben erläuterten methodologischen, (sport)psychologischen und quantitativen Zuordnungen der Publikationen ermöglichte. Der von SackiDavid (1982) entwickelte Fragebogen wurde zur besseren Übersicht umstrukturiert und in einigen Teilen mit neuen inhaltlichen und psychologischen Zuordnungskriterien versehen.
IV. Verteilung der Publikationen auf Problem- und Gegenstandsgebiete der Sportpsychologie und der Psychologie l. Verteilung der Publikationen von 1950-1978 und 1979-1989 auf die ausgewählten Sportbereiche
Betrachtet man die Verteilung der sportpsychologischen Arbeiten auf die einzelnen Sportbereiche, dannn lassen sich Veränderungen in deren Schwerpunktsetzung zwischen der frühen und späten Phase der DDR-Sportpsychologie erkennen (siehe Diagramm 1).
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50% 40% 30% 20% 10%
Leistungssport
Jugendsport
sport
Diagramm I: Verteilung der sportpsychologischen Publikationen der DDR auf die einzelnen Sportbereiche 1950-1978 (N= 354) im Vergleich zu 1979-1989 (N= 152)
Zwischen 1950 und 1978 hat sich ein Großteil der Aufsätze mit sportpsychologischen Fragestellungen aus dem allgemeinen Kinder- und Jugendsport beschäftigt (42 %), wobei hauptsächlich die Bereiche Schul- und Freizeitsport behandelt wurden. Dagegen kamen sportpsychologische Betrachtungen im Erwachsenensport (2 %) oder (Hoch-)Leistungssport (9 %) kaum vor. Als Begründung für die geringe Anzahl der Veröffentlichungen im Bereich des (Hoch-)Leistungssports wurde von SackiDavid (1982, S. 158) in ihrer Untersuchung angegeben, .. daß sportpsychologische Forschungsergebnisse in diesem Bereich aus Gründen des Vorteils im Kampf um Medaillen nicht veröffentlicht werden". Diese Vermutung lag nahe, da es zu DDR-Zeiten aufgrund des geringen Verbreitungsgrades von Dissertations- und Habilitationsschriften kaum möglich war, Einsicht in diese Schriften zu nehmen (vgl. BleeklMertens 1994). Gleichzeitig konnte davon ausgegangen werden, daß Arbeiten, die sich mit Inhalten des (Hoch-)Leistungssports beschäftigten, einer Geheimhaltungsklausel unterlagen. Wenn diese "Verschleierungstaktik" tatsächlich der Grund für die geringe Anzahl von Publikationen im Bereich des (Hoch-)Leistungssports zwischen 1950 und 1978 gewesen ist, wäre für die späteren Veröffentlichungen ein ähnlich kleiner Publikationsanteil in diesem Sportbereich zu erwarten gewesen. Tatsächlich ergab die Analyse der 152 Aufsätze, die im Zeitraum zwischen 1979 und 1989 veröffentlicht wurden hinsichtlich der Verteilung auf die einzelnen Sportbereiche jedoch, daß 49 % sämtlicher Veröffentlichungen in der späten Phase der DDR-Sportpsychologie ihren Schwerpunkt im Bereich des (Hoch-)Leistungssports hatten. Die Anzahl der Beiträge im Vergleich zu den Jahren davor hat sich demnach mehr als vervierfacht!
Sportpsychologie in der DDR
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Diese Interessensverschiebung bestätigt sich auch in der Durchsicht der seit 1989 zugänglichen sportwissenschaftlichen Dissertations- und Habilitationsschriften mit sportspychologischem Schwerpunkt: dabei sind rur den Zeitraum von 1979-1989 (N= 171) rund 80 % der Beiträge dem Bereich des Nachwuchsund Hochleistungssports zuzuordnen, wobei der thematische Schwerpunkt hauptsächlich den Gegenstandsbereich der psychischen Bewegungs- und Handlungsregulation reflektiert (siehe Voigt 1996).1 Bedeuten diese Ergebnisse nun, daß die DDR-Sportpsychologie ihre Forschungsergebnisse in den letzten Jahren ihres Schaffens der Öffentlichkeit preisgegeben hat und die Geheimhaltungsklausel keine Gültigkeit mehr besaß? Oder reflektieren diese erhöhten Publikationsanteile im Bereich des (Hoch-)Leistungssports vielleicht das verstärkte Bemühen der DDR, die Spitzenleistungen im Sport durch systematische Forschung noch weiter voranzutreiben, um ihre internationale Vormachtstellung auszubauen? Ein Blick auf die einzelnen Kategorien der sportbezogenen Gegenstandsgebiete zeigt, daß zwischen 1979 und 1989 im (Hoch-)Leistungssport vorrangig die Bereiche der Trainingssteuerung und -optimierung (71 %) behandelt wurden. Andere Schwerpunktsetzungen wie das Wettkampfverhalten (12 %), gruppendynamische Interaktionsaspekte (9 %), Probleme der Persönlichkeitsforschung (6 %) oder der TalentsichtungiAuslese (2 %) fristen eher ein Schattendasein. Es ist anzunehmen, daß die geringe Anzahl an Veröffentlichungen zur Talentsichtung wohl nicht das fehlende Interesse an diesem Forschungsthema wiederspiegelt, denn gerade die Auslese und Betreuung der NachwuchsportIerInnen bis hin zum Erwachsenensport war in der DDR perfekt organisiert (vgl. pfetsch 1977, S. 132-137), sondern eher dem O.g. Bemühen der DDR entsprach, die gewonnenen sportpsychologischen Erkenntnisse der Öffentlichkeit nicht preiszugeben. Von einer gewissen Geheimhaltung ist demnach auch in den späten Jahren der DDR-Sportpsychologie auszugehen. Darur spricht auch die starke Verringerung der Anzahl an Veröffentlichungen in diesem Zeitraum: immerhin sanken die Publikationen zwischen den 70er und 80er Jahren um mehr als 50 % (siehe Punkt 4.6). Wahrscheinlich ist der zwischen 1979 und 1989 hohe Anteil an veröffentlichten Beiträgen bzw. unpublizierten Dissertations- und Habilitationsschriften im Bereich der psychischen Handlungs- und Bewegungsregulation am ehesten durch den stärker werdenen Konkurrenzkampf im internationaIm Hinblick auf die Zuordnung der Inhalte zu den Bereichen Nachwuchs- oder Erwachsenenleistungssport war dabei filr die 152 Publikationen von 1979-1989 eine konkrete Zuordnung aufgrund fehlender Altersangaben der Untersuchungsprobandinnen - das traf auf 70 % der Beiträge zu - leider nicht möglich, so daß hierzu keine spezifischen Aussagen getroffen werden können.
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len Sportvergleich erklärbar: Ende der 70er Jahre wurde aufgmnd der weltweit immer professioneller trainierenden AthletInnen die Leistungsdichte größer. Unterschiede im konditionellen, technischen oder taktischen Bereich der SpitzensportlerInnen verringerten sich zusehens vor allem in den vom DDRRegime geforderten Sportarten wie Z.B. der Leichtathletik oder im Handbal1. 2 Was die Erstplazierten von den Verlierern unterschied, war hier häufig die jeweilige psychische Handlungsfahigkeit der AthletInnen. Aus Wettbewerbsgründen wurde eine intensive Auseinandersetzung mit diesem bislang vernachlässigten Gebiet der Sportpsychologie somit dringend notwendig. Andere Forschungsbereiche innerhalb der Sportpsychologie mußten dadurch zurückstecken, was sich in der Veröffentlichungsmenge im allgemeinen Kinder- und Jugendsport besonders negativ niederschlägt. So sank die Anzahl der Beiträge über Kinder- und Jugendsport auf nur noch 22 % im Vergleich zu 42 % in der frühen Phase. Dabei beschäftigen sich hier sämtliche Arbeiten mit Problemen aus dem Schulsport, während zwischen 1950 und 1978 noch Beiträge über den Freizeitbereich (7 %) oder über Aspekte der sportlichen Entwicklung in der Vorschule (5 %) erscheinen. Der Erwachsenensport, als Freizeit- oder Betriebssport ausgeübt, erfahrt mit 12 % der Publikationen nach wie vor den geringsten zahlenmäßigen Stellenwert, auch wenn sich die Anzahl im Vergleich zu der frühen Periode der DDR-Sportpsychologie erhöht hat. Dabei wurden die meisten Arbeiten im Bereich des Hochschulsports (N=14) durchgeführt. 3
Einen Überblick über die Gründe für die sportlichen Erfolge der DDR wie Z.B. die systematische Förderung "medaillenträchtiger" Sportarten oder das "Zwangsdoping" findet man im Deutschland Archiv 1979, S. 123-126 oder bei Pfetsch 1977, S. 132-137 und Voigt 1992, S. 133 fT. Hier sollte allerdings darauf aufmerksam gemacht werden, daß wir uns bei den Veröffentlichungen, die dem Bereich "Hochschule" und "Betrieb" zugeordnet werden konnten, nicht nach den Einordnungskriterien von Sack/David (1982) gerichtet haben und die Arbeiten in diesen Gebieten - gemessen am Alter - dem Erwachsenensport und nicht dem Kinder- und Jugendsport zugezählt haben. Eine solche Einteilung hätte bei den 354 Publikationen von Sack/David (1982) zu einer Quote von 4 % beim Erwachsenensport und einer geringfügigen Abweichung (ca 2 %) beim Kinder- und Jugendsport (ca. 40 %) gefllhrt. Gründe fllr diese spärliche Anzahl an Publikationen im Bereich des allgemeinen Erwachsenensports mögen in der DDR-Ideologie liegen: Freizeit durfte es aus ideologischen Gründen in der DDR eigentlich nicht geben. Freizeit galt als geflthrlich, weil schwer zu kontrollieren - hier endete die "Macht" der Arbeitskollektive. Die Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit sollte in den Arbeitskollektiven geschehen. Man versuchte durch politische Veranstaltungen, staatliche Aktionen, Jugendverbände etc. auch die Freizeit zu überwachen. Naturgemäß gab es demnach über die "Freizeit" kaum Publikationen, also auch nicht über Freizeitsport (siehe Voigt 1975).
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2. Verteilung der Publikationen auf die Problemund Gegenstandsgebiete der Psychologie Sack/David (1982) haben in ihrer Untersuchung die 354 sportpsychologischen Arbeiten über die üblicherweise in der Mutterwissenschaft Psychologie verwendeten psychologischen Unterkategorien Wahrnehmung, Lernen & Gedächtnis, Denken & Intelligenz, Motorik & Emotion, Diagnostik, Differentielle & Persönlichkeitspsychologie, Entwicklungs- & Sozialpsychologie eingeteilt. Dabei waren 244 (69 %) Veröffentlichungen diesen Sub disziplinen zugeordnet worden. Die restlichen 100 Arbeiten wurden außen vor gelassen, da sie schwerpunktartig aus ideologisch gefärbten theoretischen Abhandlungen über das Selbstverständnis der Sportpsychologie bestanden, wobei" die dabei verwendeten Begriffe aus Politik, Wissenschaftstheorie und Metapsychologie ... nicht in die traditionelle Systematik des Fachs" (Sack/David 1982, S. 158) paßten. 35%
I I
30% 25% 20% 15%
10% 5% 0%
.-- 1950-1978
20%
1979-1989
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Diagramm 2: Verteilung der sportpsychologischen Publikationen der DDR von 1950-1978 (N= 354) und 1979-1989 (N= 152) auf die Problem- und Gegenstandsgebiete der Psychologie in %
Psychologische Zuordnung der Veröffentlichungen: I = Publikationen ohne Zuordnung 2= Wahrnehmung 3= Lernen & Gedächnis 4= Denken & Intelligenz 5= Motorik (Optimierung der Bewegungsabläufe)
6= Motivation & Emotion 7= Diagnostik 8= Differentielle & Persönlichkeitspsychologie 9= Entwicklungspsychologie 0= Sozialpsychologie
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Von den 152 Veröffentlichungen zwischen 1979-1989 konnten 106 (70 %) in die neun Subdisziplinen der Psychologie eingeordnet werden. Dabei wurden bei 18 Doppel- bzw. Mehrfachnennungen insgesamt 115mal die betreffenden Kategorien benutzt. Die restlichen Arbeiten sprachen sich in der schon in den frühen Jahren typisch politisch-ideologisch gefarbten Weise über das Selbstverständnis der DDR-Sportpsychologie aus (vgl. SACK 1983, S. 142) und entsprachen damit nicht den Wissenschaftskriterien der Psychologie. 4 Das Diagramm 2 zeigt die Verteilung der sportpsychologischen Arbeiten der DDR von 1950-1978 (N=354) im Vergleich zu der Distribution von 1979-1989 (N=152). Während sich die Untersuchungen zwischen 1950 und 1978 vorwiegend mit Problemen der Motorik (18 %), Motivation & Emotion (16 %), der Differentiellen & Persönlichkeitspsychologie (11 %) sowie der Entwicklungspsychologie (10 %) beschäftigen, liegt bei den Arbeiten zwischen 1979 und 1989 eine Dominanz auf den Gegenstandsbereichen der Motivation & Emotion (20 %), Lernen & Gedächnis (14 %) und der Wahrnehmung (9 %) vor. Große Unterschiede bei der Verteilung sind in den Gebieten Lernen & Gedächnis und der Wahrnehmung zu erkennen, die in der späten Phase der DDR-Sportpsychologie deutlich häufiger den Interessensschwerpunkt bildeten als in der Zeit von 1950 bis 1978. Dagegen hat in der neueren Zeit das Interesse rur den Gegenstandsbereich Motorik merklich abgenommen. Wie schon unter Punkt 4.1 dargestellt, mag als Erklärung rur diese quantitativen Veränderungen das vermehrte Bemühen um handlungs- und kognitionspsychologische Erkenntnisse zur Leistungsoptimierung im (Hoch-)Leistungssport dienen, daß sowohl in der Psychologie als auch in der Sportpsychologie spätestens seit Anfang der 1980er Jahre immer mehr zugenommen hat (z.B. Schellenberger 1981; Weinberg 1978). Dabei hat sich wohl die durchschnittliche Anzahl der Veröffentlichungen im Bereich der Senso- und Psychomotorik von 1950-1978 (13 %) und 1979-1989 (14 %) kaum verändert (siehe Diagramm 3). Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, daß zwischen 1979 und 1989 besonders im Bereich des (Hoch-)Leistungssports dieser Gegenstandsbereich vorrangig behandelt wurde (siehe Diagramm 4). Nachfolgend soll deshalb auf diesen Bereich der Sportpsychologie etwas genauer eingegangen werden.
Natürlich bedeutet dies nicht, daß die hier einbezogenen 106 Publikationen nicht ideologisch geflirbt waren. Da sie jedoch einer oder mehrerer der neun Subdisziplinen der Psychologie zuzuordnen waren, wurden sie filr diese Auswertung berücksichtigt.
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Sportpsychologie in der DDR
3. Verteilung der Publikationen auf den Bereich der Sen so- und Psychomotorik als Gegenstandsgebiet der Sportpsychologie a) Überblick über die Anzahl sportpsychologischer Publikationen der DDR zwischen 1950 und 1989 im Bereich der Senso- und Psychomotorik Das Diagramm 3 deutet an, daß der Veröffentlichungsanteil im Bereich der Senso- und Psychomotorik über die einzelnen Zweijahresperioden genommen, abgesehen von einer gewissen Stagnation in den 1960er Jahren, immer recht schwankend gewesen ist. Klar erkennbar ist jedoch die steile Zunahme an Publikationen zu Beginn der 70er Jahre, die sich Mitte der 70er Jahre nochmal wiederholte. Danach folgte eine Phase des Rücklaufs bis Anfang der 1980er Jahre. In der letzten Dekade der DDR-Sportpsychologie kam es zu einem erneuten leichten Aufschwung, der 1989 - vielleicht schon im Bewußtsein der bevorstehenden politischen Veränderungen - zu einer sehr geringen Anzahl an Veröffentlichungen aller Gegenstandsgebiete und somit auch auf dem Gebiet der Senso- und Psychomotorik fiihrte. 50% 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 51/52
- _ f'97~-1~8~ 1 _ _ _ __• ltJ ...0 -0'"
q \
57/58
63 / 64
69/ 70
75 / 76
81 / 82
87 / 88
Diagramm 3: Anzahl der sportpsychologischen Publikationen der DDR von 1950-1978 im Vergleich zu 1979-1989 im Bereich der Senso- & Psychomotorik in %
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b) Übersicht über die Veröffentlichungsanteile der DDR (N=152) von 1979-1989 in den einzelnen psychologischen Subdisziplinen und dem Bereich der Senso- und Psychomotorik Diagramm 4, das die psychologische bzw. sportpsychologische Zuordnung der Veröffentlichungen zwischen 1979-1989 innerhalb der Sportbereiche darstellt, veranschaulicht- die deutliche Zunahme der Publikationen in dem Bereich der Senso- und Psychomotorik besonders im (Hoch-) Leistungssport. 30% 25% 20% 15% Kinder· &
10%
J u gen d s port
5%
r-""E rwa c iiSe nen ·-1
0% ~-t»~~::::::=Ü--D--ä--t3-...tii:::::a-.f±t1 s port 10------" 2 4 3 5 7 6 8 9
Diagramm 4: Sportpsychologische Zuordnung der Publikationen der DDR (N= 186; [Mehrfachnennungen möglich 1) von 1979-1989 innerhalb der Sportbereiche (Hoch-)Leistungssport, Kinder- und Jugendsport und Erwachsenensport in %
Psychologische Zuordnung der Veröffentlichungen:
1= Wahrnehmung 2= Lernen & Gedächnis 3= Denken & Intelligenz 4= Motorik (Optimierung der Bewegungsabläufe) 5= Motivation & Emotion
6= Diagnostik 7= Differentielle & Persönlichkeitspsychologie 8= Entwicklungspsychologie 9= Sozialpsychologie 10= Senso- & Psychomotorik
Hier läßt sich erkennen, daß gerade im Bereich des (Hoch-)Leistungssports die Auseinandersetzung mit den Problemen der psychologischen Handlungsund Bewegungsregulation (28 %) an Gewichtung stark zugelegt hat. Dieser hohe Anteil zusammen mit der Publikationsanzahl auf dem kognitionspsychologischem Gebiet Lernen & Gedächnis (14 %) reflektiert die Bemühungen der späten DDR-Sportpsychologie, vermehrt über eher ganzheitliche Konzepte der Handlungspsychologie zur Optimierung der Handlungs- und Bewegungskontrolle im Bereich des (Hoch-)Leistungssports beizutragen (vgl. BarthJ Kirchgässner/Schubert 1979; Kratzer 1987; Polster 1988; Schlimper 1989).
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4. Verteilung der Publikationen auf die Kategorien der Methodik der Sportpsychologie f
l-----------------,r-I 60% ~I------------------------------..I 57% 1950-1978 ~ ~/O
UTERATURSTUDIEN ...
TESTENTWICKLUNG
~9,2%
1979-1989
~
FELDSTUDIEN
P
0.0%
12%
-
10,5%
10.0%
J 22%
20.0%
30.0%
40.0%
50.0%
60.0%
Diagramm 5: Verteilung der sportpsychologischen Publikationen der DDR auf die Kategorien der Methodik der Sportpsychologie zwischen 1950-1978 (N= 354) im Vergleich zu 1979-1979 (N= (52) in % .
Die Untersuchung des jeweiligen methodischen Ansatzes und Verfahrens der Veröffentlichungen macht deutlich, daß auch nach 1978 die Literaturstudien mit 57 % vorrangig waren. Im Vergleich zu früheren Arbeiten hat sich die Anzahl der Laborexperimente mit 25 % fast verdoppelt, die Feldstudien mit nur noch 10 % mehr als halbiert. Während die Literaturstudien auch in der späten Phase der DDR-Sportpsychologie geprägt sind von dem Bemühen, Aufgaben und möglichen Inhalte der DDR-Sportpsychologie im Rahmen des MarxismusLeninismus zu beschreiben (z.B. Kunath 1982; Schubert 1984), interessiert in empirischen Untersuchungen vorrangig die Identifikation möglicher Einflußfaktoren (z.B. Entscheidungsverhalten, Antizipationsfahigkeit) auf die sportliche Handlungsregulation (z.B. Barth/Kirchgässner/Schubert 1979; Schubert 1980). Die Umsetzung dieser Erkenntnisse erfolgt dabei in der Entwicklung diagnostischer oder trainingsmethodischer Instrumente im Leistungssport, aber auch für den Sportunterricht. Bei der Präsentation der Untersuchungsergebnisse wird dabei häufig auf Angaben zur Stichprobenauswahl oder zum methodischen Vorgehen verzichtet, so daß bei rund 70 % der Publikationen keine Aussage über den Prüfungsstandard gemacht werden kann.
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5. Analyse der Herkunft der verwendeten Literatur In den 354 Veröffentlichungen zwischen 1950 und 1978 wurden von Sack! David (1982) 3.777 Literaturangaben gezählt; in der·vorliegenden Arbeit konnten für die 152 erfassten Veröffentlichungen zwischen 1979 und 1989 2.387 Literaturangaben ennittelt werden. Ob und inwieweit sich die Herkunft der verwendeten Literatur in diesem Zeitraum gewandelt haben, macht Diagramm 6 deutlich.
KEINE LITERATUR REST ÜBRIG: WESTLIGIE LITERATUR ANCLO-AMERIKANInIE LITERATUR BRD-LlTERATUR
I:X:R-L1TERAlUR ÜBRIGE SOZIALlSllSOE L1TERAlUR SOWJETInIE LITERATUR
I Zitierte Dteratur 1979-1989 I 1 Zitierte Literatur 1950-1978 1
~g9% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80%
Diagramm 6: Herkunft der zitierten Literatur in den sportpsychologischen Publikationen der DDR zwischen 1950-1978 (N= 3.777) im Vergleich zu 1979-1989 (N= 2.387) in %
Auffallend ist der zwischen 1979 und 1989 noch verstärkte Trend der DDR-Sportpsychologie, vorwiegend auf Literatur des eigenen Landes zurückzugreifen (70 %). Dagegen ist der Einfluß der sozialistischen Länder von 23 % auf 7 % erheblich gesunken, die Einbindung anglo-amerikanischer und westdeutscher Literatur hat andererseits mit insgesamt 20 % (zu 12 % vor 1979) deutlich zugelegt. Somit ist die wissenschaftliche Abgrenzung zu anderen Ländern inklusive dem Ostblock in den 1980er Jahren im Vergleich zu früheren Jahren noch deutlicher geworden. Diese Tatsache wird von SacklDavid (1982, S. 167) treffend interpretiert: "die DDR-Sportpsychologie hat eine eigene wissenschaftliche Tradition entwickelt, aus der heraus sie nun 'lebt' H.
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Sportpsychologie in der DDR
6. Überblick über die Entwicklung der DDR-Sportpsychologie zwischen 1950 und 1978 im Vergleich zu 1979 bis 1989 Die Entwicklung der DDR-Sportpsychologie zeigt bis Mitte der 70er Jahre ein rasantes Wachstum an: wurden in den 50er Jahren gerade mal 1-3 Artikel jährlich veröffentlicht, waren es in den 60er Jahren über 20-30 Publikationen auf Zweijahresabschnitte bezogen. Bis Mitte der 70er Jahren stiegen die Veröffentlichungen auf 40-60 Artikel. Danach ist über die Zweijahresperioden genommen mit durchschnittlich 25-30 Publikationen ein starker Rückgang in der Zahl der Veröffentlichungen zu verzeichnen. Anfang der 1980er Jahre steigert sich die Anzahl der Publikationen wohl noch einmal auf 47 Artikel (1981/82), Mitte bis Ende der I 980er Jahre sinkt sie jedoch wieder auf durchschnittlich 12 Publikationen pro Jahr (siehe Diagramm 7). \
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