Ansätze zu einer funktionalistisch–kognitiven Grammatik: Konsequenzen aus Regularitäten des Erstsprachenerwerbs [Reprint 2016 ed.] 9783110915976, 9783484304031

How do linguistic structures evolve? Why do they change? Proceeding from data on the acquisition of phonology, morpholog

143 99 22MB

German Pages 279 [280] Year 1999

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
EINFÜHRUNG
Einleitung
1. Theoretische Ansätze
2. Leitgedanken
3. Methodik
DIE ENTSTEHUNG SPRACHLICHER STRUKTUR
4. Die Entwicklung des Lautsystems
5. Der Erwerb der Flexion
6. Die Entstehung syntaktischer Struktur
7. Wortbildung
EIN FUNKTIONALISTISCH-KOGNITIVER ANSATZ
8. Prinzipien einer funktionalistisch-kognitiven Grammatik
9. Spracherwerb aus funktionalistisch-kognitiver Sicht
Nachwort
Anhang
Literatur
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Ansätze zu einer funktionalistisch–kognitiven Grammatik: Konsequenzen aus Regularitäten des Erstsprachenerwerbs [Reprint 2016 ed.]
 9783110915976, 9783484304031

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Linguistische Arbeiten

403

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese

Hilke Elsen

Ansätze zu einer funktionalistisch-kognitiven Grammatik Konsequenzen aus Regularitäten des Erstspracherwerbs

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1999

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Elsen, Hilke: Ansätze zu einer funktionalistisch-kognitiven Grammatik : Konsequenzen aus Regularitäten des Erstspracherwerbs / Hilke Elsen. - Tübingen : Niemeyer, 1999 (Linguistische Arbeiten ; 403) Zugl.: München, Univ., Habil.-Schr., 1998 ISBN 3-484-30403-0

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Buchbinder: Nadele Verlags- und Industriebuchbinderei, Nehren

Inhaltsverzeichnis

EINFÜHRUNG Einleitung

1

1. Theoretische Ansätze 1.1. Generative Ansätze 1.1.1. Standardtheorie 1.1.2. Learnability Theory 1.1.3. Problembereiche Interaktion Transitionen Variation Inputrelevanz Biologische Plausibilität 1.2. Funktionalistische Ansätze 1.3. Konnektionismus

5 5 6 7 11 11 11 12 13 14 15 21

2. Leitgedanken 2.1. Funktionalität 2.2. Zentrale Annahmen 2.3. Der Stellenwert der Analogie

31 31 33 35

3. Methodik 3.1. Die Tagebuchstudie 3.2. Die Zielsprache

39 39 41

DIE ENTSTEHUNG SPRACHLICHER STRUKTUR 4. Die Entwicklung des Lautsystems 4.1. Die Laute im Einzelnen 4.2. Lautserialisierung 4.3. Ersatzstrategien Eigenschöpfiingen, BT-Ausdrücke, Homonyme Füllsilben, Globalsilben, reduplizierte Silben, Schemata

45 45 47 49 50 51

5. Der Erwerb der Flexion 5.1. Partizipien 5.2. Substantivplurale

55 55 63

VI 6. Die Entstehung syntaktischer Struktur 6.1. Elementare Sprechhandlungen Sich Freuen / Staunen Schmusen / Streicheln Begrüßen Zeigen / Aufmerksam Machen Verlangen und Bedanken Erfragen / Suchen Verabschieden Verweigern / Negieren Gesprächsbeitrag 6.2. Frühe Wortkombinationen 6.2.1. Einwortphase bis Mehrwortphase 6.2.2. Mehrwortphase Beginn des paradigmatischen Ausbaus Solidierung Übergang zum syntagmatischen Ausbau Syntagmatischer Ausbau 6.2.3. Weitere Entwicklung bis hin zu ersten komplexen Sätzen 6.3. Spezielle strukturelle Aspekte 6.3.1. Verbzweitstellung Aussagesätze und Subjektbegriff. und. dann erst - dann aber sonst nämlich Abhängige Verbzweitsätze W-Fragesätze 6.3.2. Verbletztstellung Adversativ-Konstruktionen wenn - dann weil als ob daß bis obwohl wie was/wer/wo etc 6.3.3. sonstige Strukturen Verberstsätze Infinitivkonstruktionen Passivkonstruktionen w/e-Vergleich

75 75 78 78 78 79 79 81 83 84 91 94 94 98 101 103 106 114 120 134 134 134 148 148 149 149 150 150 150 151 152 155 156 158 159 160 161 162 162 162

162 164 164 164 165 167

VII 7. Wortbildung 7.1. Komposition 7.2. Derivation

171 171 174

EIN FUNKTIONALISTISCH-KOGNITIVER ANSATZ 8. Prinzipien einer funktionalistisch- kognitiven Grammatik 8.1. Signal-Kooperation und Schemata 8.2. Die zentrale Rolle des Lexikons 8.3. Flexibilität und Veränderung 8.3.1. Sprachwandel 8.3.2. Pidgin- und Kreolsprachen

177 177 181 188 189 203

9. Sprachenverb aus fiinktionalistisch-kognitiver Sicht

207

Nachwort

217

Anhang

219

A B C D E

Die ersten 30 Verben Übergeneralisierungen der Partizipien Erste Nomen Übergeneralisierungen der Plurale Spontanschöpfungen I Komposita II Derivate F Zusammengesetzte Tempora G Kurzüberblick über die Entwicklung verschiedener Wortarten I Tags II Satzadverbien III Modalpartikeln H Nonsenssätze und -ausdrücke

219 220 221 232 236 236 239 242 251 251 252 253 255

Literatur

257

VIII Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.

1: Ausschnitt aus einem Netzwerk 2: Formale Bereiche eines Netzwerkmodells 3: A.s Erwerb des Lexikons 4: Kumulative Berechnung von A.s regulären / irregulären neuen Verben 5: Verhältnis reg. / irreg. Verben als Funktion des Alters 6: Kumulative Berechnung von A.s Nomen nach Pluralgruppen 7: Ein um den pragmatischen Bereich erweitertes Netzwerkmodell 8: endgültiges Netzwerkmodell

Tabelle 1: Verteilung der Pluralgruppen in verschiedenen Erhebungen Tabelle 2: Inkorrekte Pluralmarkierungen bei Nomen in types Tabelle 3: Untersuchte Verbzweitsätze von 1;5 bis 2;7 Tabelle 4: Subjektgebrauch Tabelle 5: Vorfeldbesetzung

24 53 57 58 59 67 92 186 68 69 137 138 139

EINFÜHRUNG

Einleitung Der Hintergrund für die Entstehung dieser Arbeit war eine gewisse Unzufriedenheit mit bloßer Beschreibung von Sprache. Zwar ist der Hauptgegenstand der Linguistik die Beschreibung von Sprachstruktur: der gegenwärtigen eigenen, der anderer Sprachen und vergangener Sprachstadien. Das Ergebnis ist gewöhnlich ein abstraktes System von Regeln, das ein bereits abstrahiertes System von typischerweise vorzufindenen Tendenzen und Regularitäten beschreibt. So ein System wird Grammatik genannt. Ein weiterer Aufgabenbereich ist aber auch die Untersuchung von Unterschieden und Zusammenhängen zwischen der eigenen und den anderen Sprachen sowie den vergangenen Sprachstadien. Es gibt Parallelen bei assimilatorischen Prozessen für stimmhafte Plosiv-Nasal-Verbindungen und / oder Plosivtilgung in der geschichtlichen Entwicklung, synchronen Variation und Kindersprache: ahd. einbar > mhd. eimber > nhd. Eimer, umgangssprachlich leben [lebm] - [lern], Hände [hcns], angenehm [aggsnem] - [arpnem], kindersprachlich Hemden [hem], sandig [zanip], Zombi [domi]. Die Reduktion schwach betonter Vollvokale bis hin zur Tilgung ist ebenfalls weit verbreitet, vgl. ahd. ginada > mhd. genade > nhd. Gnade, umgangssprachlich sehen [zen], vielleicht [falaipt] - [flaipt], kindersprachlich Karussell [kifüsel], Lokomotive [lokatifa], Ist systematische Ähnlichkeit vorhanden, kann die Frage gestellt werden: Warum ist das so? Jetzt müssen die Linguistinnen den Zentralbereich der Linguistik - die Strukturbeschreibung - verlassen. Erklärungen sind nur außerhalb des Systems zu finden, also beispielsweise in der Phonetik (Artikulation), in der Kommunikation (funktionale Aspekte) und schließlich in der Neurologie (Konnektionismus). Diese Bereiche sind nicht ganz voneinander zu trennen, schließlich wirkt die neuronale Entwicklung auf die Lautentwicklung ein. Wenn häufig gesprochen wird, verbessert sich die Artikulation. Die entsprechenden Muskel- und Nervenbahnen werden geübt und gestärkt. Eine sicherere Aussprache wiederum ermutigt dazu, mehr zu reden. Funktionale Faktoren beeinflussen Nervenverbindungen. Denn wenn das Kind das dringende Bedürfnis verspürt, sich bezüglich eines Gegenstandes mitzuteilen, das entsprechende Wort aber nicht aussprechen kann, müssen Ersatzmöglichkeiten geschaffen werden. Das Verarbeitungssystem wird also alle aktivierbaren Informationen (prosodische, pragmatische etc.) zur Verfügung stellen, um die Kommunikation zu ermöglichen. Dabei werden die entsprechenden Nervenverbindungen im Gehirn gestärkt. Oder das Kind fühlt sich genötigt, die Aussprache zu üben. Es versucht solange, ein Wort auszusprechen, bis es sich verstanden meint. Das wirkt sich wieder positiv auf die beteiligten Nervenbahnen aus. Aber warum sind Strukturen so, wie sie sind? Wie entstehen sie? Warum verändern sie sich? Ein Anliegen dieses Buches ist es, dies besser zu verstehen. Ausgangspunkt der Untersuchung sind Daten aus dem Spracherwerb. Exemplarisch werden Beispiele zu Sprachkontakt, Sprachgeschichte und synchroner Variation herangezogen, um Parallelen und

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Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Beschreibungsbereichen bzw. Sprachstadien und Gründe für diese Zusammenhänge aufzuzeigen. Wie sieht beispielsweise die Darstellung von Verschleifungsregularitäten in unbetonten Silben des Deutschen in einem Beschreibungssystem aus? Besteht das phonologische System aus den Einheiten /ar/? Oder hat /&•/ bereits Phonemstatus, da es aussprachemäßig sehr weit von den Konsonanten [r, K, R] entfernt ist, vgl. Kasper /kaspaV, Bilder /biktaV dieser Auffassimg sind übrigens sehr viele Studentinnen. Dann müßten wir aber auch Schachtel [faxt}] transkribieren, und das können wir nur auf der phonetischen Ebene. Oder müssen wir jeweils den Vollvokal Izl oder /e/ zugrunde legen, der dem Schwa recht nahe kommt und der unter bestimmten phonotaktischen Bedingungen reduziert wird /kasper/, /bilder/, ... Ist der zugrundeliegende Vokal überhaupt immer /e/? Historisch können ja auch andere vorliegen, vgl. ahd. ginada, nhd. Gnade. Ist - um auch einmal Beispiele aus der Syntax anzuführen - der we//-Anschluß mit Verbzweitstellung falsch oder umgangssprachlich richtig oder als schlechtes Deutsch markiert? Ist eine Nominalphrase vor dem finiten Verb in Imperativsätzen richtig oder eventuell möglich oder umgangssprachlich - Den Satz schreib nicht, weil der ist schlecht! Wo ist hier die Grenze zwischen richtig und falsch, zwischen phonetischer und phonologischer Ebene zu ziehen? Sie muß entweder willkürlich gesetzt und innerhalb einer bestimmten Theorie definiert werden oder - es gibt sie nicht. Wir gehen hier davon aus, daß reales Sprechen und abstrahiertes Sprachsystem fließend ineinander übergehen. Das führt zu einem dynamischen, funktionalen, oberflächenorientierten Grammatikbegriff und zu einem neuen Verständnis von sprachlicher Struktur. Die Arbeit an dieser Untersuchung begann damit, daß verschiedene Phänomene wie Transitionen, Interaktionen und Variationen in den zugrundeliegenden Spracherwerbsdaten (vgl. Kap. 3.1) gefunden wurden, die mit den gängigen generativen Ansätzen kaum erklärbar sind. Transitionen sind gleitende Übergänge zwischen alten und neuen Konstruktionen: ein Kind erwirbt die Verbzweitstellung über einen längeren Zeitraum hinweg, in dem Verbzweitsätze im Vergleich zu Verbletztsätzen und anderen Mustern ganz langsam zunehmen. Interaktion heißt, daß es wechselseitige Einflüsse zwischen verschiedenen sprachlichen und nichtsprachlichen Bereichen gibt. Offenbar ermöglicht erst eine gewisse Menge an Verben im Lexikon die Verwendung von Verbflexion. Kommunikative Bedürfnisse forcieren den Gebrauch von Ersatzwörtern. Konzentriert sich das Kind auf den Morphologieerwerb, nimmt es weniger neue Wörter ins Lexikon auf. Beschäftigt es sich mit dem Ausbau des Lexikons, gibt es kaum Fortschritte im Bereich der Syntax. Mit Variation ist gemeint, daß Schwankungen zwischen zielsprachlichen und verschiedenen abweichenden Bildungen auftreten. Beim Partiziperwerb (Kap. 5.1) beispielsweise schwankte das Kind lange zwischen richtigen und verschiedenen falschen Formen - getun, getunt, getan, getant, getanen - bis es sich endgültig für die richtige entschied. Viele Beispiele aus der Syntax (Kap. 6) zeigen, wie verschiedene Versuche, eine Konstruktion zu bilden, erprobt werden, bis die Entscheidung für die zielsprachliche Lösung fällt. Es folgte die Suche nach alternativen Erklärungsmöglichkeiten. Diese wurden in einer Kombination aus funktionalen Sichtweisen und konnektionistisch motivierten Grundannahmen vermutet. Das bedeutet, daß Strukturbildung sich einerseits sprachextern am Gebrauch der Benutzerinnen, an Sprechsituation und -intention orientiert und andererseits systemintern beeinflußt wird durch ein netzwerkartiges Verarbeitungssystem.

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Das Ziel der Studie ist es, die in dem zugrundeliegenden Datenkorpus vorgefundenen Transitionen, Variationen und Interaktionen anhand eines Ansatzes zu erklären, der funktionale und konnektionistische Vorstellungen vereint und dabei eine oberflächenorientierte funktionalistisch-kognitive Vorstellung von Grammatik vermittelt. Die Arbeit versucht, eine einfachere Erklärung für Erwerb und Wandel von Sprache zu finden, als die Generative Grammatik anbietet. In dem vorzustellenden Ansatz wird davon ausgegangen, daß die Systematizität der Sprache, das heißt das, was Grammatik allgemein erfaßt und systematisch beschreibt, als ein Prozeß zu verstehen ist, in dem die Komplexität der Strukturen im Laufe des Spracherwerbs langsam ansteigt. Der Diskurs, die von Sprecherinnen für Hörerinnen in soziokulturellen Kontexten konstruierte Rede, liefert die nötigen Bausteine. Nur die dafür notwendigen informationsverarbeitenden Strategien sind angeboren - nicht jedoch grammatische Strukturen. Die Kommunikationssituationen beeinflussen den Aufbau von Struktur. Prozedurale und diskursbedingte Faktoren interagieren. Es spielt also nicht nur eine Rolle, was ich sagen will, sondern auch, wie ich es sagen kann. Der vorgeschlagene Ansatz soll eine Alternative zu generativen Modellen darstellen, die ein angeborenes universalgrammatisches, sprachspezifisches System von Prinzipien und Kategorien als Voraussetzung für den Erwerb grammatischer Regularitäten annehmen. Denn nach dieser Sicht ist der Erwerb von Sprache allein über das, was Kinder hören, nicht möglich. Daß jedoch Regeln in diesem Sinn nicht unbedingt Voraussetzung sein müssen, haben Computersimulationen von Spracherwerb im Bereich von Flexion und Syntax gezeigt (vgl. Kap. 1.2, 5.1). Dabei wurde in den Computer eine Verarbeitungsarchitektur implementiert, die den tatsächlichen Gegebenheiten im Gehirn nachempfunden ist. Damit ist gemeint, daß Information verteilt wird auf viele Verbindungswege zwischen Einheiten, so daß ein großes, vieldimensionales Netzwerk an Verbindungen entsteht, ähnlich dem, das Axonen, Dendriten und Nervenzellen im Gehirn bilden. Es wird angenommen, daß auch die Arbeitsweise vergleichbar ist. Kann ein Computernetzwerk regelhafte Formen bilden, ohne die Regeln selbst als Information zu erhalten, könnten dies theoretisch auch die Kinder schaffen. Simulationen haben gezeigt, daß allein durch die Interaktion zwischen Computernetzwerk und Inputdaten ohne Zusatzinformationen (Regeln) korrekte Flexion, Kategorisierungen nach Wortarten sowie die Generierung von Sätzen aufgrund von Reihenfolgebeziehungen möglich sind. Und auch für Kinder bedeuten Inputinformationen eine wichtige Informationsquelle beim Aufbau komplexer Strukturen aus kleineren Einheiten. Dabei ist die Funktionsweise zur Ermittlung der Einheiten die gleiche wie zur Generierung von phonologischer, morphologischer und syntaktischer Struktur. Mit unserem Ansatz soll der Abstand zwischen der Linguistik und den anderen Humanwissenschaften verringert werden. Er soll die Datenlage besser erklären, als es die gängigen Modelle im Moment tun. Es darf dabei aber nicht übersehen werden, daß es sich auch hier um ein Hypothesengebilde handelt, das aber zusammen mit den vorgestellten Daten hoffentlich als Ausgangspunkt für weitere Forschung dient. In den nun folgenden Kapiteln werden zunächst verschiedene generative und funktionale Ansätze kritisch vorgestellt und die Prinzipien des Konnektionismus erläutert (Kap. 1). Aufgrund der Aussagen generativer Modelle werden acht Arbeitshypothesen aufgestellt, die im Laufe der Arbeit an der Entwicklung der Laut-, Morphem- und Satzstruktur eines deutschsprachigen Kindes, A., geprüft werden sollen. In Kapitel 2 folgt die Darstel-

4 lung der die Arbeit leitenden Grundgedanken. Kapitel 3 stellt das Datenmaterial vor. Dann wird in den Kapiteln 4 - 7 die Entwicklung der Laut-, Morphem- und Satzstruktur untersucht. Anhand von A.s Korpus (vgl. Kap. 3.1) und Daten anderer Kinder soll erklärt werden, wie sprachliche Strukturen erworben werden, wenn statt eines angeborenen Apparates von Kategorien und Regeln generelle Verarbeitungsmechanismen zur Verfugung stehen, die in einem netzwerkartigen informationsverarbeitenden System wirken und von außen, von der Sprechsituation und Sprecherinnen- und Hörerinnenintention, beeinflußbar sind. Es erweist sich, daß das vorliegende Korpus sowie Spracherwerbsdaten aus der Literatur und Ergebnisse von Computersimulationen im Widerspruch zu den Arbeitshypothesen stehen. Anschließend erläutert Kapitel 8 die Prinzipien einer funktionalistischkognitiven Grammatik. Die Spracherwerbsdaten werden durch Beispiele aus der Umgangssprache, Diachronie und Pidgin- und Kreolsprachen ergänzt, um Gemeinsamkeiten zu zeigen, die genauso erklärt werden können wie die diskutierten Regularitäten des Primärspracherwerbs. Aus der Zurückweisung der Arbeitshypothesen ergeben sich neue Grundannahmen, die mit dem hier vorgestellten Grammatikansatz in Einklang stehen. Kapitel 9 stellt diese Hypothesen vor und faßt die Ergebnisse zusammen. Und noch einige Bemerkungen zur Terminologie - hin und wieder werden englische Begriffe gebraucht (z.B. default, turn-taking), die sich umständlich übersetzen lassen und darüberhinaus einen eigenen Stellenwert im Theoriezusammenhang besitzen. Eine Wiedergabe auf Deutsch würde ihre Aussagekraft schmälern. Weiterhin erschien es sinnvoll, ab und zu stark verdichtete Begriffe zu verwenden wie phonologische Entwicklung. Sie sind zwar linguistisch nicht ganz sauber, aber in der internationalen Fachliteratur wiederholt anzutreffen. Sie ermöglichen eine verkürzte Darstellung der Sachverhalte. Von der sonstigen wissenschaftlichen Auffassung abweichend verwendete Begriffe wie Analogie oder Fokus sind erklärt. Auf die fehlende Übereinstimmung mit der üblichen Lehrmeinung wird verwiesen. Schließlich lassen sich einige Gedanken besser in Fremdwörtern komprimieren. Es ist mir einfach kein besseres Wort für complexity /ßuency trade off eingefallen als dieses englische. Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die ich im Februar 1998 an der Philosophischen Fakultät 14 der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht habe. Der Freistaat Bayern forderte diese Arbeit durch HSPStipendien, die mir mit freundlicher Unterstützung von Hadumod Bußmann und Edda Ziegler gewährt wurden. Ihnen habe ich nicht nur eine äußerst angenehme Arbeitsatmosphäre zu verdanken, sondern auch die Möglichkeit, Vorträge in Europa und den Vereinigten Staaten zu halten und in vielen Gesprächen mit Kolleginnen die theoretischen Grundlagen dieser Arbeit auszuformen. Für wichtige Kommentare und kritische Hinweise bedanke ich mich bei den sechs Gutachterinnen Hedwig Amorosa, Iris Füssenich, Gerd Kegel, Wolfgang Schindler, Elmar Seebold und vor allem Hans Altmann sowie bei Thomas Berg, Heidi Ewers und Elke Ronneberger-Sibold. Für sonstige praktische und moralische Unterstützung gilt mein Dank Clara Bachl, Christine Elsen, Hans J. Hanke, Jutta Hermann und Sabine Logeswaran. Meine Tochter schließlich sorgte stets dafür, daß ich auf dem Boden der Tatsachen blieb. Trotz meiner zeitaufreibenden Beschäftigung mit Linguistik entwickelt sie sich prächtig von einer kleinen Nervensäge zu einer großen.

1. Theoretische Ansätze 1.1. Generative Ansätze Generative Ansätze beschäftigen sich mit der Repräsentation sprachlichen Wissens im Gehirn (und dessen Erwerb) (z.B. Wexler & Culicover 1980, Bresnan 1982, Fodor 1983, Gazdar, Klein, Oullum & Sag 1985, Pinker 1984, 1989, vgl. im folgenden auch Felix 1987, Fanselow & Felix 1990). Von generativer Seite wird im allgemeinen angenommen, daß es eigenständige Bereiche im Gehirn gibt, die allein für die Sprache zuständig sind und sich nicht aus anderen kognitiven Systemen ableiten lassen. Weiterhin gibt es in sich geschlossene Systeme innerhalb der Sprache wie Syntax und Phonologie, die ebenfalls als mehr oder weniger autonom gelten. Das speziell für Sprache zuständige System von Kategorien und Regularitäten, auch Universalgrammatik genannt, ist dem Menschen angeboren. Regelmäßigkeiten, die einzelne Sprachen betreffen, werden vom Kind über Parametersetzen (parameter setting) erworben. Diese sind entweder von Anfang an vorhanden (continuity hypothesis, vgl. z.B. Atkinson 1982, Pinker 1984, Clahsen 1992, Hyams 1987) oder reifen heran (maturation hypothesis, vgl. z.B. Borer & Wexler 1987). In jedem Fall spielt die Muttersprache eine untergeordnete Rolle. Sie hat lediglich Triggerfunktion für die Wahl der Parameterwerte. It seems to me highly plausible that what we call (probably using a bad metaphor) language learning [...] does involve development of specialized hardware or of a specialized system that comes into operation, perhaps in the way in which sexual maturation takes place at a certain age for reasons that are probably deeply rooted in genetics, though naturally external conditions have to be appropriate (Chomsky in Piattelli-Palmarini 1980: 73).

Aus verschiedenen Beobachtungen zur Spracherwerbssituation wird geschlossen, daß der Großteil des sprachlichen Wissens in Form eines Systems von Kategorien und Prinzipien bzw. Regeln angeboren sein soll; sie werden in neueren Arbeiten auch Wohlgeformtheitsbedingungen über Phrasenstrukturen und deren Beziehungen zueinander genannt. Der Erwerb der Erstsprache ist nach einer bestimmten Zeit als (relativ!) abgeschlossen zu sehen. Die Sätze einer Sprache bilden eine unendlich große Menge, die dem Kind in beliebiger Reihenfolge angeboten werden. Nie jedoch kann es alle möglichen Sätze hören. Informationen werden häufig in unvollständiger, ungrammatischer Form dargeboten. Grammatisch fehlerhafte Äußerungen der Kinder werden in der Regel nicht korrigiert. Das heißt, dem Kind steht keine negative Evidenz als Feedback zur Verfügung (vgl. Fanselow & Felix 1990: 129). Da kompetente Sprecher also unbegrenzt viele Sätze verstehen und produzieren können, ohne sie unbedingt jemals gehört zu haben, die Speicherkapazität des Gehirns jedoch begrenzt ist, müssen die Sätze anhand von Regeln gebildet werden. Diese sind vom Kind zu ermitteln auf der Basis einer begrenzten Anzahl von Sätzen, die zudem häufig defekt oder inkorrekt sind - ohne negative Evidenz. Die Regularitäten sind jedoch so komplex und abstrakt, daß Kinder sie nicht allein an den oberflächlichen Struktureigenschaften der zur Verfugung stehenden Daten ableiten können, anders ausgedrückt, „das Kind erwirbt Wissen, f ü r das ihm seine sprachliche Umgebung keinerlei Anhaltspunkte bietet" (Fanselow & Felix 1990: 106). Da trotzdem alle (gesunden) Kinder ihre Muttersprache innerhalb von wenigen Jahren erfolgreich erwerben, müssen sie über bestimmte Prinzipien

6 verfügen, die den Erwerb der Sprache gewährleisten: die Universalgrammatik. Dies „impliziert [...] die Vorstellung, daß der Mensch über ein angeborenes sprachspezifisches System mentaler Strukturen verfugt, die den Erwerb autonom-grammatischer Gesetzmäßigkeiten erst ermöglichen" (Fanselow & Felix 1990: 128). Um dies zu stützen, sind Ergebnisse aus der Spracherwerbsforschung herangezogen worden. Beispielsweise wurden wiederkehrende Muster beim Erwerb bestimmter sprachlicher Regularitäten bei vielen Kindern verschiedener Muttersprachen gefunden. Bemerkenswert war neben Konsistenz der Abfolgen auch die Beobachtung, daß einige der systematisch von Kindern produzierten Konstruktionen in den jeweiligen Zielsprachen nicht vorkommen und daß bestimmte mögliche Fehler von Kindern offenbar nicht gemacht werden. Der Einfluß des Input muß daher indirekter Natur sein. Die Kinder orientieren sich nicht an oberflächlichen Reihenfolgebeziehungen, sondern verfügen über angeborene Prinzipien, speziell über ein autonomes Modul für den Grammatikerwerb (vgl. zum Logical Problem of Language Acquisition oder Plato's Problem z.B. Chomsky 1986, siehe auch Baker's Paradox, Pinker 1989). Sie verwenden für den Erwerb sprachlicher Struktur angeborene, aufgabenspezifische Lernmechanismen (Autonomiehypothese). Der Erwerb von Morphologie und Syntax vollzieht sich mithilfe von eigens dafür zuständigen autonomen Prinzipien, die die Reihenfolge einzelner Erwerbsschritte festlegen (Modularitätshypothese). Abstrakte symbolische Kategorien und Regeln, die aus abstrakten Symbolen bestehen wie S -NP + VP, sind angeboren.1

1.1.1. Standardtheorie Die Standardtheorien der Generativen Grammatik verstehen sich als Grammatiktheorie und erstellen zunächst einen universell gültigen Beschreibungsapparat der Sprachstrukturen aller Sprachen. Der Gegenstand der Untersuchung ist die Kompetenz der Sprecherinnen. Dabei entsteht die Frage, wie dieses Wissen, die Kompetenz, in die Köpfe der Sprecherinnen hineinkommt. Erst hier tritt das eigentliche Problem eines generativen Ansatzes auf, erstens durch die Annahme, der linguistische Beschreibungsapparat weise eine psychische Realität auf, und zweitens durch die strikte Trennung von Kompetenz als zu beschreibendem System und Performanz als Informationsquelle für die Erstellung von Regeln beim Erwerbsprozeß. Damit die Unterscheidung von Performanz und Kompetenz aufrecht erhalten werden kann, werden die Regeln bzw. Prinzipien und Parameter zur Generierung von Strukturen als angeboren angenommen, damit sie im Bereich der Kompetenz verbleiben können. Aus dem gleichen Grund muß der Inputsprache eine marginale Funktion zugesprochen werden, weil die Daten, die das Kind hört, der Performanz entstammen. Die Grundannahmen der Generativen Grammatik, Performanz und Kompetenz seien strikt zu trennen und Fokus der Theorie sei allein die Kompetenz, erzwingen in Kombination mit der Behauptung, den Prinzipien und Parametern der Generativen Grammatik könne psychische Realität zugesprochen werden, die Annahme angeborener Regeln und Kategorien und verweisen die Rolle der Zielsprache für den Spracherwerb auf eine Randposition. Der Grund für die Annahme eines angeborenen komplexen, sprach-

1

Eine kritische Diskussion der Grenzen der generativen Theorie und der letztendlich 'stummen Kompetenz' findet sich u.a. in Feilke (1996, Kap. 1).

7 spezifischen Wissens sind somit nicht Beobachtungen von Realsprachdaten, sondern das Bemühen, die Ausgangsposition der Generativen Grammatik nicht zu gefährden. Da anfangs Daten nur begrenzt zur Verfugung standen und rein exemplarisch verwertet wurden, schienen sich die Behauptungen zu bestätigen. In der Folgezeit vermehrten sich aber Gegenbeispiele, als die Korpora von Realsprachdaten an Menge und Komplexität zunahmen. Eine Möglichkeit, die Generative Grammatik zu retten, sehen wir darin, den Beschreibungsapparat als solchen zu belassen und ihn als abstrahierten Endzustand eines Erwerbsprozesses zu verstehen sowie die strikte Trennung von Performanz und Kompetenz aufzugeben (vgl. Elsen im Druck c). Das bedeutet, auch die psychische Realität symbolischer Regeln nicht als gegeben zu nehmen.

1.1.2. Learnability Theory Pinker (1984) entfernt sich mit seiner generativ orientierten learnability theory von den ursprunglichen generativen Ansätzen, indem er erstens nicht die Erstellung eines grammatischen Modells, sondern den Erwerbsprozeß als zentralen Untersuchungsgegenstand sieht, und zweitens einen Teil des angeborenen sprachspezifischen Wissens der Kinder in die Verarbeitungsmechanismen verlagert. In the acquisition theory I will propose, the child is assumed to know, prior to acquiring a language, the overall structure of the grammar, the formal nature of the different sorts of rules it contains, and the primitives from which those rules may be composed. Furthermore, many of these acquisition procedures freely exploit constraints inspired by linguistic universals; I have felt no compunction about proposing mechanisms that are tailor-made to the acquisition of language. (Pinker 1984: 31).

Laut Pinker werden spezielle Regeln erworben. Angeboren sind Kategorien (Nomen, Verben, Köpfe, etc.), Wissen über die Grundstruktur von Sprache sowie sprachspezifische und allgemeingültige Lernmechanismen. Das Kind erwirbt eine Generative Grammatik, und zwar die LFG - Lexical Functional Grammar nach Bresnan und Kaplan (vgl. Bresnan 1982). Der Inputsprache und der Kommunikationssituation wird mehr Einfluß zuerkannt und das Kind ist aktiver am Erwerbsprozeß beteiligt als in der Standardtheorie. Allgemeine Verarbeitungsprinzipien wie Induktion und strukturabhängiges distributionelles Lernen sind möglich. Daraus resultiert auch eine gewisse Variabilität. Allerdings sind die Erwerbsmechanismen teilweise sehr sprachspezifisch, die angeborenen Fähigkeiten immer noch kategorisch-symbolisch. Die Darstellung und auch die Vorstellung vom Spracherwerb ist formal-abstrakt. Laut Pinker besteht die Erklärung erfolgreichen Lernens prinzipiell darin zu zeigen, daß der Lernende richtige Hypothesen aufstellt und aufrechterhält und falsche Hypothesen falsifiziert. Das Ziel von Pinker (1989) ist, am Beispiel von Argumentstrukturen das Baker'sche Paradoxon zu lösen, das aus der Unverträglichkeit folgender drei Annahmen besteht: Der Lernende erhält keine negative Evidenz. Die Menge von Verben, die einer gegebenen Regel gehorcht, ist willkürlich zusammengestellt. Die Kinder gebrauchen die Regeln produktiv (Pinker 1989: 88, 282). Da die Kriterien fur den Gebrauch einer regulären Struktur keine Einheiten bzw. Merkmale sind, nach denen Kinder explizit suchen und für Regeln gebrauchen, sondern Epiphänomene von generelleren Prinzipien der Argumentstrukturanwendung, geschieht die Zuordnung der Verben zu einer Regel nicht willkürlich,

8 sondern nach semantischen Kriterien. Die Lösung des Baker'schen Paradoxons ergibt sich durch systematisches Anwenden von Kriterien zur Auswahl eines Verbs, das einer bestimmten Anwendung genügt. Die Kriterien sind Manifestationen allgemeiner Prinzipien. Kindliche ungrammatische Argumentstrukturen sind niemals das Ergebnis ausschließlich syntaktischer Umordnung, sondern zeigen in allen Phasen die Anwendung semantischer Operationen. Durch die deutlich semantisch orientierte Erklärung für Aufbau und Erwerb syntaktischer Strukturen wird rein oberflächensyntaktischem distributionellem Lernen kein Einfluß mehr zuerkannt, auch wenn dies in Pinker (1984) noch als prinzipiell möglicher Faktor gesehen wurde. Pinkers Ansatz schließt die tatsächlich vorfindbare Streuung und Variation der kindersprachlichen Daten aus. Sprache und Kognition sind immer noch getrennt. Der Großteil des sprachspezifischen Wissens ist angeboren. Fähigkeiten wie Imitation und Analogiebildung werden vernachlässigt. Einflüsse durch eingeschränkte Verarbeitungsfähigkeit spielen keine maßgebende Rolle. In seiner Version der 'Lernbarkeitstheorie' nimmt Clahsen (1988a) an, daß Kinder nicht unbedingt eine Grammatik im Sinne der LFG erwerben müssen. Ihnen stehen vielmehr universalgrammatische Parameter des LAD {Language Acquisition Device) wie die X-bar Theorie in einem allgemeineren theoretischen Rahmen zur Verfugung. Diese legen die vorläufigen und endgültigen grammatischen Konstruktionen der Kinder fest und erlauben auch Rekonstruktionen und Rekategorisierungen durch die morphologische Entwicklung. Clahsen plädiert dabei für eine Analyse im Sinne der Government & Binding Theorie. Die Annahme von Lernmechanismen, die von Anfang an zur Verfügung stehen in Form von Elementen beispielsweise der Theorie der Rektion, der Move-Alpha-Theorie, der X-bar-Theorie (u.a. der Richtungsparameter, der INFL/V-Parameter), ist notwendig, da das Kind nur positive Evidenz erhält und daher reines Hypothesentesten nicht ausreicht, um die sprachlichen Strukturen zu erwerben. Wie erwähnt, ist innerhalb der Generativen Grammatik ein Diskussionspunkt die Erörterung des 'Lernbarkeitsproblems', des mühelosen Aneignens eines komplexen grammatischen Wissenssystems ohne negative Evidenz. Zwei Lösungen werden in Clahsen (1988a) vorgeschlagen. Zum einen könnten sich die Erwerbsmechanismen im Laufe des Spracherwerbs aufgrund von kognitiver und neuronaler Reifung verändern. Zum anderen besteht die Möglichkeit, keine qualitativen Veränderungen anzunehmen. Für letzteres plädieren Pinker (1984) und Clahsen (1988a), indem sie zu zeigen versuchen, daß Parameter durch einfache positive Daten aus der sprachlichen Umgebung wie die 2. Ps. Sg. Endung der Verben festgelegt werden. Entwicklungsfortschritte werden durch graduelle Erweiterungen des kindlichen grammatischen Wissens (speziell grammatische Morpheme wie Flexive, Modalverben oder Konjunktionen) getriggert. Dabei entstehen Übergangsgrammatiken. Daß beide Lösungen sich nicht ausschließen, sondern innerhalb eines Rahmens vereinbar sind, zeigen Plunkett & Marchman (1993, im Druck) und Elman, Bates, Johnson, KarmilofF-Smith, Parisi & Plunkett (1996). Was an der Oberfläche aussieht wie qualitative Veränderungen und Sprünge im Verhalten, geht auf graduelle Veränderungen im Verarbeitungssystem zurück. Grundsätzliche Veränderungen der Erwerbsmechanismen müssen daher nicht angenommen werden, um oberflächlich qualitative Entwicklungsfortschritte zu erklären. Außerdem ist nach einer verbesserten Konzeption zu suchen, die ohne Restrukturierungen und Rekategorisierungen auskommt, wie sie sich aus dem Ansatz von Pinker und Clahsen ergeben. Die Behauptung, alle grammatischen Zwischenstadien seien

9 Lösungen im Bereich der UG-Parameter und erlaubten somit eine gewisse Kohärenz in der Beschreibung, bietet insofern einen Ansatzpunkt zur Verbesserung, als eine einfachere und geradlinige Erklärung für die Entwicklung der Grammatik versucht werden kann, die ohne Übergangsgrammatiken auskommt. Eine alternative, gemäßigte Position vertritt Tracy (1991). Sie erklärt die in ihren Daten gefundene Variabilität und allmähliche Ausdifferenzierung morphosyntaktischer Regularität wie die Satzklammer oder Kongruenzbeziehungen über verschiedene lokale und globale Restrukturierungsprozesse innerhalb eines generativen Rahmens und ohne den Anspruch einer UG aufzugeben. Dabei schließt sie pragmatische Kriterien bei der Entscheidung für einzelne Konstruktionen nicht aus und räumt die Möglichkeit zunehmender Modularisierung während des Erwerbsprozesses ein (Tracy 1991: 98). Die wiederholte Feststellung, externe Faktoren wie semantische, funktionale, pragmatische, verarbeitungstechnische oder häufigkeitsbedingte Einflüsse (Clahsen 1988a: 50ff.) wirkten sich gerade im frühen Grammatikerwerb auf die Äußerungen der Kinder aus, ist hervorzuheben. Vereinzelte Spracherwerbsstudien im generativen Rahmen nehmen durchaus Stellung zu Phänomenen wie Transition und Variation (Tracy 1991) und lassen außersprachliche Einflüsse bei der Wahl mancher Bildung zu (Tracy 1991, Rothweiler 1993). Hier bietet sich die Möglichkeit einer Annäherung zwischen eher formal orientierten Modellen wie dem der Generativen Grammatik und funktionalen Ansätzen, die solchen externen Faktoren einen konstruktiven, nicht nur einschränkenden Stellenwert zubilligen. Inwieweit ist es nötig, für frühe, durch pragmatische und verarbeitungstechnische Einflüsse geformte Äußerungen bereits komplexe zugrundeliegende Phrasenstrukturregeln anzunehmen? Reicht es nicht vielmehr aus, Regeln mit der Zeit entstehen zu lassen und anfangs externe Faktoren in den Vordergrund zu stellen? Muß tatsächlich von Anfang an grammatische Kompetenz angenommen werden, wenn für Beschreibung und Erklärung früher Kindersprachdaten einfachere Lösungen möglich sind? Die Antwort auf die letzte Frage lautet nein, wenn grammatische Strukturen nicht als Ergebnis von abstrakten Prinzipien und Lernmechanismen betrachtet werden, sondern als Erwerbsgegenstand. In diesem Sinne sind auch „Language universals [...] the endpoint of development (and evolution), a consequence, not a condition, of learning a natural language" (Studdert-Kennedy 1991: 24). Aus den Grundannahmen der generativen Ansätze über eine angeborene Universalgrammatik sowie Parametersetzen, Autonomie und Modularität sind einige Schlußfolgerungen zu ziehen, die als Arbeitshypothesen formuliert im weiteren Verlauf dieser Untersuchung getestet werden. Dabei sind wir uns dessen bewußt, daß die Arbeiten im Rahmen der Generativen Grammatik sehr breit gestreut sind. Immer wieder lassen sich auch einzelne Stellungnahmen finden, die von der einen oder anderen Annahme abweichen und mit einigen Arbeitshypothesen nicht konform gehen. Das ändert aber nichts an der Grundhaltung und der damit verbundenen Problematik der psychischen Realität angeborener abstrakter Strukturen. Aus der Modularitäts- und Autonomiehypothese sowie der Annahme einer Universalgrammatik ergibt sich, daß Sprache unabhängig von sonstiger kognitiver und evolutionärer Entwicklung zu sehen ist. Außerdem geschieht der Erwerb von Sprache und anderen kognitiven Fähigkeiten sowie der Erwerb einzelner sprachlicRer Bereiche wie Phonologie, Syntax, Semantik, Lexikon etc. unabhängig voneinander. Das heißt, es gibt keine grundlegende bzw. kausale Interaktion zwischen den einzelnen sprachlichen und nichtsprach-

10 liehen Bereichen. Der angeborenen Universalgrammatik entsprechend sind symbolische, abstrakte Strukturprinzipien bzw. Regeln und Kategorien bei der Geburt gegeben. Der Kategorien- und Regelbegriff ist symbolisch, abstrakt und absolut-verpflichtend. Aufgrund der Vorstellung des Parametersetzens ist Variation höchstens peripher und in minimalem Umfang zu erwarten. Aus dem gleichen Grund geschieht der Erwerb neuer Strukturen schnell, präzis und zuverlässig. Außerdem hat die an die Kinder gerichtete Sprache lediglich Auslösefunktion für das Setzen eines Parameters. Da in generativen Ansätzen Struktur stets sprachintern generiert wird, spielen sprachexterne Einflüsse wie Kommunikationssituation und Sprecherinnenintention für den Erwerb und die Bildung von grammatischen Strukturen keine Rolle. Dies ergibt die folgenden Arbeitshypothesen:

Arbeitshypothese 1 Sprache ist unabhängig von sonstiger kognitiver und evolutionärer Entwicklung zu sehen. Arbeitshypothese 2 Der Erwerb von Sprache und anderen kognitiven Fähigkeiten sowie der Erwerb einzelner sprachlicher Bereiche geschieht unabhängig voneinander. Es gibt keine grundlegende bzw. kausale Interaktion zwischen den einzelnen sprachlichen und nichtsprachlichen Bereichen. Arbeitshypothese 3 Symbolische, abstrakte Kategorien und Regeln bzw. Strukturprinzipien sind bei der Geburt gegeben. Arbeitshypothese 4 Der Kategorien- und Regelbegriff ist symbolisch, abstrakt und absolut-verpflichtend. Arbeitshypothese 5 Variation ist höchstens peripher und in minimalem Umfang zu erwarten. Arbeitshypothese 6 Der Erwerb neuer Strukturen geschieht schnell, präzis und zuverlässig. Arbeitshypothese 7 Die an die Kinder gerichtete Sprache spielt eine untergeordnete Rolle. Sie hat lediglich Auslösefunktion für das Setzen der Parameter. Arbeitshypothese 8 Sprachexterne Einflüsse wie Kommunikationssituation und Sprecherinnenintention spielen für den Erwerb und die Bildung von grammatischen Strukturen keine Rolle.

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1.1.3. Problembereiche Interaktion Bei der Betrachtung unseres Korpus, speziell der Lexikentwicklung, ergaben sich Beobachtungen, die nicht im Einklang mit generativen Grundannahmen stehen. Es zeigte sich, daß die verschiedenen sprachlichen Ebenen sich gegenseitig beeinflussen. Ein Problem bei der Diskussion um Spracherwerbsregularitäten aus generativer Sicht ist zumeist die begrenzte Datenbasis (vgl. Clahsen 1982, 1988a, Günther 1984, 1992). Häufig wird auf wenige Aufnahmen in mehr oder weniger natürlicher Umgebung von wenigen Kindern zurückgegriffen (was z.B. Clahsen & Rothweiler 1993 selbst einräumen). Dabei ergeben sich Lücken in der Datenbasis, die keine Interaktion erkennen und eine unabhängige Entwicklung der verschiedenen sprachlichen Bereiche vermuten lassen. Was das für Folgen haben kann, wird in Kapitel 5.1 genauer dargestellt. Beispielsweise verweigerte A. zunächst den Gebrauch des Wortes Hund. Erst als ihr das einfachere Wauwau zur Verfugung stand, begann sie, über Hunde zu sprechen (Kap. 6.1, Elsen 1994, 1995c, 1998b, im Druck b). Ein noch nicht voll ausgebildetes phonologisches System wirkte sich also hinderlich auf die Entwicklung des Lexikons aus, was sich auch auf breiterer Basis auf viele Wörter mit Frikativen bezog (Elsen 1998b). Neben Auswirkungen des phonologischen Systems auf Semantik und Lexik (vgl. Elsen 1994, 1995c, 1996b, 1998b, im Druck b) und Syntax (vgl. Elsen 1996a) interagiert Lexikerwerb mit Morphologieerwerb (vgl. Kap. 5.1, Elsen 1996b, 1997, 1998a bzw. im Druck c). Ähnliche Zusammenhänge wurden von Cottrell & Plunkett (1991, 1994), Marchman & Bates (1994), Plunkett & Marchman (1991, 1993, im Druck) und Plunkett, Sinha, Moller & Strandsby (1992) gefunden. Es erwies sich dabei, daß verschiedene sprachliche Bereiche offenbar mit vergleichbaren Mechanismen verarbeitet werden. Außerdem haben kommunikativ bedingte und verarbeitungsbedingte Faktoren einen deutlichen Einfluß auf die Produktion von Wörtern und Sätzen (vgl. Elsen 1996a). Phonologie und Syntax dürften daher nicht nach jeweils eigenen Prinzipien funktionieren. Sie sollten weniger isoliert voneinander bzw. von anderen sprachlichen oder kognitiven Bereichen gesehen werden, als es generative Ansätze postulieren. Grundlegende Interaktion und übergreifende Verarbeitungsmechanismen passen nicht zu dem Konzept der Modularitäts- und Autonomiehypothese, damit auch nicht zu den Arbeitshypothesen 1, 2 und 8.

Transitionen Weiterhin gibt es längere Übergangsphasen beim Erwerb verschiedener sprachlicher Fähigkeiten und Strukturen (vgl. Elsen 1991, 1996b). Wie in dem Kapitel zur vorsprachlichen Zeit genauer gezeigt wird, kann es Wochen bis Monate dauern, bis einige Wörter erworben sind, nachdem einerseits wortähnliche Babbelsilben ohne Inhalt erscheinen, andererseits lautlich kommuniziert wird. Aus A.s Babbelsequenz [dadada] beispielsweise entwickelte sich ein [da], das allgemein Aufmerksamkeit auf das Kind lenkte oder das benutzt wurde, wenn A. etwas Interessantes fand. Später entstand daraus das deutsche Wort da. Für die ganze vorsprachliche Zeit gilt, daß (Proto-) Wörter wie da zwar benutzt werden, die zielsprachliche Bedeutung aber noch nicht zur Verfügung steht. Auch später

12 tritt das Phänomen des situationsadäquaten Sprechens ohne Kenntnis der Bedeutung auf (Kap. 6.1, 8.2). Babbelsequenzen und Wörter können monatelang parallel gebraucht werden. Ebenso sind lange Ein- und Zweiwortäußerungen oder Veibzweit- und Verbletztstellung in Aussagesätzen nebeneinander beobachtbar, um nur einige Beispiele zu nennen. Zielsprachliche Strukturen entstehen im Laufe der Zeit (Emergenz). Laut generativer Annahmen müßten die Übergänge jedoch deutlicher, zuverlässiger und schneller vor sich gehen, da Neuerungen durch das Setzen von Parametern2 ausgelöst werden und daher wenig Schwankungen ausgesetzt sind. Abweichungen aufgrund von Oberflächenerscheinungen wie Müdigkeit, die auch ein generativer Ansatz berücksichtigt, können ausgedehnte Transitionsphasen nicht erklären. Die Übergangsphasen stehen nicht im Einklang mit den Arbeitshypothesen 3, 5 und 6.

Variation Das im Abschnitt zu Transitionen Aufgeführte gilt für ausgeprägte Variabilität von Kind zu Kind und auch für einzelne Kinder, z.B. paralleles Auftreten alter und neuer Formen. Denn gerade wegen der angeborenen Regularitäten, die generativer Annahmen zufolge den Hauptteil des sprachlichen Wissens ausmachen, sind nur geringfügige Schwankungen zu erwarten. Die Variabilität wird von der generativen Seite aber erheblich unterschätzt (vgl. Elsen 1996a, 1997, 1998a). Wie u.a. in Elsen (1997, 1998a) beschrieben, existieren korrekte und verschiedene abweichende Partizipformen (vgl. getan, getun, getunt, getunett, getanen, getant) längere Zeit nebeneinander. Der Erwerb der Phonologie zeigt, daß die Aussprache mancher Wörter starken Schwankungen ausgesetzt ist (vgl. [ükokäno], [äbogano], [äfofäno] Oregano, Elsen 1991, 1996a). Auch verschiedene syntaktische Konstruktionen werden variabel gebildet wie die Sätze unter (1), die alle Papa ist nicht da bedeuten (vgl. Kap. 6). (1) a. b. c. d. e. f. g. h.

[bäpais'W'ä] 'Papa ist nicht da', 1;3,12 [nain bapa] nein Papa, 1;3,16 [bäpaiz' s iz' 5 dä] 'Papa ist nicht da '1;3,18 [päps da näin] Papa da nein, 1;3,25 [pabanda] 'Papa ist nicht da' 1;3,30 [bapaditö] 'Papa ist nicht da '1;3 / 1;4, oft [pabatitü] 'Papa ist nicht da '1;3 / 1;4 oft [bapa] 'alle-Gestik' Papa 'nein', 1;4,10

Falls eine neue Struktur aufgrund des Setzens eines Parameters gebildet würde, dürften keine Schwankungen zwischen alten und neuen Formen bzw. 'Parameterposition a, b, c'

2

In einigen Ansätzen werden mehr oder weniger markierte Parameterwerte angenommen, die sukzessive ohne Schwankungen getriggert / gesetzt werden und eine stufenweise Entwicklung einer Struktur ermöglichen. Die Werte sind innerhalb eines von der UG bestimmten Spielraums vorgegeben. Sie entstehen nicht erst im Laufe der Informationsverarbeitung sprachen- und formenspezifisch.

13 auftreten. Die vorgefundene Variation steht nicht im Einklang mit den Arbeitshypothesen 5 und 6. Die Strukturen entstehen erst im Laufe der Zeit. Sie sind emergent, was nicht der Arbeitshypothese 3 entspricht.

Inputrelevanz Weiterhin wurde in der Literatur Kritik an der Annahme geübt, der Input spiele nur eine untergeordnete Rolle (vgl. u.a. Kegel 31987, Szagun 51993). Inwiefern Kinder ungenügend Feedback bekommen ist umstritten. Auch wenn explizite Korrekturen grammatischer Fehler in der Tat selten sind, produzieren Eltern korrigierte Wiederholungen und Expansionen in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den kindlichen Äußerungen (z.B. Hirsh-Pasek, Treimann & Schneiderman 1984, Demetras, Nolan Post & Snow 1986, Szagun 51993: 44), so daß den Kindern durchaus korrekte Konstruktionen zur Verfugung stehen, anhand derer sie ihre Bildungen vergleichen, korrigieren und expandieren können, vgl. (2). (2)

[A. hat auf die Matte gepieselt]3 A.: da pieselt M.: ja, da hast du hingepieselt, war aber nicht schön! A.: kamma wassen M.: ja natürlich kann man das waschen A.: da [zeigt auf die Box, in der immer die Öltücher sind, mit denen sie beim Wickeln gesäubert wird] M.: da sind keine mehr drin A.: suchen [Mutter soll neue Öltücher holen] (1;7,30)

Auf jeden Fall aber ist die an die Kinder gerichtete Sprache weitaus weniger defekt, als es Chomsky anfangs annahm. In diesem Zusammenhang sei die Diskussion zum Baby Talk (BT) bzw. motherese erwähnt, nach der wiederholt festgestellt wurde, daß der sprachliche Input keinesfalls defekt, sondern im Gegenteil sogar strukturell einfacher und besonders verständlich ist (vgl. u.a. die entsprechenden Kapitel in Kegel 31987, Elsen 1991, Szagun s 1993). Kelly & Martin (1994) legen dar, daß Tiere, wie verschiedene Experimente zeigen, sensibel gegenüber Wahrscheinlichkeitsrelationen zwischen dem Auftreten unterschiedlicher Ereignisse sind. Sie können verschiedene Informationssignale für das Erkennen von wahrscheinlich auftretenden Ereignissen nutzen. Das setzt die Fähigkeit voraus, aus mehreren ähnlichen Eigenschaften typische zu abstrahieren. Andere Untersuchungen ergaben, daß auch der Mensch Häufigkeitsverteilungen in unterschiedlichen kognitiven Bereichen erkennen kann. Damit dürfte es sich dabei um eine generelle Fähigkeit handeln. Wenn Informationen seltener vorkommen, korreliert das oft mit größerer Verarbeitungsschwierigkeit. Es bedeutet, aus positiver Evidenz Schlüsse zu ziehen, wenn die wohl für alle kognitiven Bereiche geltende Fähigkeit, statistisches Wissen zu verwenden, kombiniert genutzt wird mit Informationen zu Signalen, die häufiger auftreten und dann auch häufiJ

A.: Kind, M.: Mutter

14 ger mit anderen Signalen verbunden werden und sich somit gegenseitig verstärken. Die bei Tieren beobachtete Fähigkeiten, „fine-grained sensitivity to probabilistic patterns [...] and [...] use [of] multiple probabilistic cues to solve particular problems" (Kelly & Martin 1994: 105) existieren auch bei Menschen. Bei der Satzverarbeitung beispielsweise werden Informationen über allgemeine syntaktische Präferenzen und Eigenschaften einzelner Lexeme ausgewertet, so daß negative Evidenz nicht nötig ist. Mehr als bislang angenommen ist die Fähigkeit, Wahrscheinlichkeitseffekte allgemein für die Informationsverarbeitung zu nutzen, wirksam. Dem Input kommt darum eine entsprechend stärkere Gewichtung zu, und angeborene symbolische Regeln und Kategorien werden weniger wahrscheinlich, wenn sie aus dem Sprachstrom abstrahiert werden können. Die Rolle des Input wird von generativen Ansätzen deutlich unterschätzt. Die Arbeitshypothesen 1, 3, 4, 7 und 8 werden dadurch in Zweifel gezogen.

Biologische Plausibilität Letztendlich stellt sich für viele die Frage, inwiefern ein separates Sprachsystem mit der evolutionären Entwicklung des Menschen zu vereinbaren ist. Chomsky selbst mißt diesem Problem keine Bedeutung bei. Ihn interessiert nicht, wozu Sprache gebraucht wird, sondern was genau Sprache ist. Unter diesem Gesichtspunkt waren keine auffälligen Gemeinsamkeiten mit Kommunikationssystemen im Tierreich zu finden. Menschliche Sprache basiert laut Chomsky auf ganz anderen Gesetzmäßigkeiten, „it seems rather pointless, for these reasons, to speculate about the evolution of human language from simpler systems" (Chomsky 1968: 62). Doch alle unseren gegenwärtigen Fähigkeiten sind in einem biologischen Prozeß ständiger Ausdifferenzierungen und Kompromißlösungen entstanden. Aus biologisch-evolutionärer Sicht sind angeborene, voneinander unabhängige und deutlich gegeneinander abgegrenzte Bereiche im Gehirn äußerst unwahrscheinlich. Um mit Konrad Lorenz zu sprechen „the stratisfied structure of the whole world of organisms absolutely forbids the conceptualization of living systems or life processes in terms of 'disjunctive' - that is to say, mutually exclusive - concepts" (Lorenz 1996: 8f.). Unsere anatomisch-neurologische Ausstattung ist das Ergebnis eines Evolutionsprozesses. Unser Gehirn besteht aus übergreifenden und interagierenden Bereichen, die oft das Resultat von Ökonomisierung und Kompromißlösungen zwischen konkurrierenden Bedürfnissen und biologischer Ausstattung sind, wobei alte Formen neue Funktionen übernehmen und sich dann weiterentwickeln (Lieberman 1991). „A new and more complex function, very often, if not always, arises from the integration of several preexisting simpler ones, which, so far from disappearing or losing their importance, persist as indispensable parts of the new systemic whole" (Lorenz 1996: 10). Die Prinzipien, die für Spracherwerb im Sprachgebrauch verantwortlich sind, sollten daher generellen kognitiven Prozessen folgen. Dazu steht ein isoliertes Sprachmodul im Widerspruch und damit auch Arbeitshypothese 1. Somit ist nach alternativen Ansätzen zu suchen, die zum Erlernen sprachlicher Strukturen zufriedenstellende Aussagen bieten können sowie auch zu Phänomenen wie Transitionsphasen im Spracherwerbsprozeß, Interaktionen zwischen sprachlichen und nichtsprachlichen Teilbereichen, inter- und intraindividueller Variation, Zusammenhängen mit anderen kognitiven Fähigkeiten, der Rolle des Input - indirektes Feedback und häufig auch vereinfachte Strukturen - und dem Problem der biologisch-evolutionären

15 Plausibilität. Nach der nun folgenden Darstellung funktionaler und konnektionistischer Arbeiten wird ein solcher alternativer, biologisch motivierter Ansatz vorgestellt. Er verbindet funktionalistische und konnektionistische Grundgedanken und erklärt die vorgefundenen Problembereiche als natürliche Ausdrucksweise eines dynamischen, arbeitenden Systems. Wie schon bei Bates & MacWhinney (1982) u.a. werden grammatische Kategorien, wie dort am Beispiel 'Subjekt' gezeigt, mit einem Prototypenansatz beschrieben, da so heterogene Klassen wie die des Subjekts oder auch 'Topik' mit all ihren 'Ausnahmen' am effektivsten erfaßt werden können. Dies gilt für alle Regularitäten, also auch für die Syntax. Welche Rolle dabei probabilistisches Wissen allgemein für Informationsverarbeitung spielt, zeigten u.a. Kelly & Martin (1994). Im Verlauf dieser Arbeit werden die Arbeitshypothesen 1 - 8 geprüft. Wir stellen in Auseinandersetzung mit unserem Korpus sowie Daten aus der Literatur und Ergebnissen aus Computersimulationen abschließend eigene Hypothesen auf, die sich aus der Zurückweisung der Arbeitshypothesen ergeben und die im Einklang mit der Datenlage und unserem Ansatz stehen. Sie sind keineswegs neu, sondern in der einen oder anderen Version bereits formuliert. Teilweise ähneln sie Aussagen aus funktionalistischen Arbeiten (z.B. Givon 1979ff.; competition model: Bates & MacWhinney 1979ff.) und aus der konnektionistischen Literatur (u.a. Elman et al. 1996). Wir möchten die Hypothesen aber speziell im Zusammenhang mit unseren Daten und im Hinblick auf unseren Ansatz neu formuliert und zusammengestellt anbieten. Eine Hypothese wird in dieser Studie nicht als Aussage verstanden, deren Folgerungen experimentell bestätigt werden können. Vielmehr geschieht die Überprüfung wie in der Linguistik üblich über die Interpretation eines Datenkorpus. Eine experimentelle Verifizierung beispielsweise mithilfe von Computersimulationen ist prinzipiell möglich. Nur würde dies den Rahmen der Arbeit sprengen.

1.2. Funktionalistische Ansätze Die Annahmen, die die generative Grammatik macht, etwa, daß Grammatik als eigenständiges Modul Teil der biologischen Grundausstattung des Menschen ist, sind konkret nicht zu widerlegen, allerdings auch nicht zu beweisen (vgl. Stechow & Sternefeld 1988: 9) Daher werden in der Literatur immer wieder Alternativerklärungen zu empirischen Fakten diskutiert, und zwar in Form funktionalistischer Erklärungsversuche. Es ist bereits in funktionalistischen Ansätzen wie dem der Prager Schule und anderen (vgl. Dik 1978, 1980, 1983, Givon 1979a, 1989, 1995, van Valin 1993, Halliday 2 1994), speziell des Grammatikalisierungsmodells (vgl. z.B. Traugott & Heine 1991, Hopper & Traugott 1993) wiederholt gezeigt worden, daß der Sprecher, die Gesprächssituation und der Redekontext auf die Struktur der Sätze auch im Sprachwandel und Sprachkontakt eine einflußreiche Rolle spielen (vgl. auch Ronneberger-Sibold 1980). Wie bereits in Elsen (1995a) beschrieben, ist es möglich, Strukturwerdung in direktem Zusammenhang von Gesprächssituation zu verstehen, wobei allerdings die Trennung zwischen diachroner und synchroner Sprachbetrachtung fließend gesehen wird, diejenige zwischen Sprache und Sprechen und zwischen einzelnen Kategorien nicht mehr absolut, sondern eher probabilistisch-prototypisch. Solch ein Ansatz könnte auch auf Phänomene des Sprachwandels und strukturelle Neuerungen Bezug nehmen sowie auf Parallelen

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zwischen Spracherwerb und Universalien. Hier jedoch soll der Erstspracherwerb im Vordergrund stehen. In seiner Emergent Grammar skizziert Paul Hopper (1987) das Konzept eines Grammatikalisierungsmodells, das Struktur bzw. Regularität aus dem Diskurs entstehend begreift und das einen wechselseitigen Einfuß von Struktur und Diskurs postuliert. Dieser Ansatz eignet sich prinzipiell nicht nur zur Beschreibung von Diskursphänomen wie synchroner Variation und damit von Sprachwandel, sondern auch für den Spracherwerbsprozeß. Prinzipiell ist kein Unterschied zwischen den zugrundeliegenden Strategien zu sehen, nach denen Kinder und Erwachsene in tatsächlichen Redesituationen Grammatik stets neu schaffen. Sprachstruktur existiert nicht als statisches System, sondern befindet sich in einem ständigen Entstehungsprozeß. Hoppers Ansatz mißt allerdings der durchaus bestehenden Stabilität sprachlicher Struktur nicht genügend Beachtung bei. Givon (1997) warnt vor der extremen Sicht, Grammatik als völlig flexibel, ständig gerade entstehend und daher gänzlich abhängig von der Sprechsituation zu interpretieren. Durch die inhärente Flexibilität funktionalistischer Ansätze kann aber auf komplexe angeborene Regeln verzichtet werden. Transitionsphasen beim Spracherwerb werden verständlich sowie intra- und interindividuelle Variabilität. Denn der Redesituation und der an das Kind gerichteten Sprache wird eine wichtige Rolle zuerkannt. Zu Beginn stehen einfache Strukturen. Neue Formen und Kombinationen treten erst selten auf und etablieren sich mit der Zeit. Struktur ist die Ausbreitung von Systematizität, ausgehend von einzelnen Wörtern und Wortgruppen (Hopper 1987: 142). Innerhalb des Diskurses können neue vereinzelte Formen verstanden werden. Kinder beginnen mit genau den sprachlichen Einheiten, die in den Sprachen der Welt als maximal unabhängig und bedeutungsvoll gelten - Nomen vor allem, Verben, Adjektive (vgl. z.B. Clark 1993: 44). Sie lassen sich als prototypische Diskursfunktionen interpretieren (Hopper & Thompson 1984), wobei die Gesprächssituation über die Kategorisierung mitentscheidet (Hopper & Thompson 1985). Feste Fügungen können aneinandergereiht und daraus Strukturen gebildet werden. In seiner Untersuchung von Idiomen, Phraseologismen und syntaktisch vorgeprägten Konstruktionen der Erwachsenensprache unter Berücksichtigung pragmatischsozialer Fragestellungen betont Feilke den Ordnung schaffenden Prozeß der Kommunikation (Feilke 1996: 56). Dabei spielen besonders für Kinder neben Diskursfaktoren Einschränkungen durch unausgereifte Verarbeitungskapazität eine Rolle. Beispielsweise lösen (nicht nur beim Spracherwerb) komplexere, unanalysierte holistische Einheiten in Situationen von erhöhter Aufmerksamkeit analytisch konstruierte Strukturen aus Kontexten ohne kommunikativen Druck ab, sowohl auf Wort- wie auch auf Satzebene (vgl. Elsen 1996a, 1998b). Komplexe Strukturen können aus Versatzstücken und analytisch gebildeten Komponenten zusammengefügt werden (vgl. auch Hopper 1987 für die Erwachsenensprache). Am Beispiel der deutschen Plurale hat Köpcke (1993, 1998) demonstriert, wie synchrone und diachrone Fakten mithilfe des Schema-Begriffs erklärt werden können in Abhängigkeit von Sprecherinnen und kognitiver Ausstattung in der jeweiligen Verwendungssituation. Er liefert damit Erklärungsmöglichkeiten für viele Probleme, die bei der Untersuchung deutscher Nomen auftreten und die mit herkömmlichen Item & ProcessModellen nicht erfaßbar sind. Die Untersuchung unseres Korpus zum Erwerb von Phonologie, Morphologie und Syntax zeigt, daß das Kind von wenigen Daten ausgehend langsam Systematizität aufbaut.

17 Das Lexikon wirkt als übergreifender, zusammenfassender Faktor. Dabei interagieren von Anfang an Einschränkungen durch Verarbeitungskapazität (zunächst Einwortäußerungen, dann längere Produktionen) und kommunikativ-pragmatische Faktoren ('erst sag das Wichtige', vgl. auch Givon 1989: 227ff.) sowie Inputinformationen wie Reihenfolgebeziehungen oder Akzentstruktur. Die kindlichen Äußerungen sind häufig als Kompromisse zwischen dem, was möglich ist und dem, was nötig ist, zu verstehen (complexity / f l u e n c y trade ofj). Dabei wird, wenn möglich, auf Oberflächenstrukturen der Zielsprache Rücksicht genommen. Dies ist eine Form von Arbeitsteilung. Das complexity /fluency trade off bedeutet für das Kind, das wegen der unausgereiften Verarbeitungskapazität nicht die gesamte Information verbalisieren kann, sich entweder auf die Aussprache oder auf die Komplexität bzw. Gesamtheit der Mitteilung zu konzentrieren und wählen zu müssen. Auch die Erwachsenen gehen Kompromisse ein. Ein trade off liefert unterschiedliche Lösungen für das Bedürfnis, möglichst viel Information zu vermitteln, wobei die Botschaft komplex wird, und dem gleichzeitig vorhandenen, aber entgegengesetzten Bedürfnis, flüssig, deutlich und verständlich zu sprechen. Das geschieht in eher kurzen Sätzen. Für die Entscheidungsfindung gehen sämtliche sprachlichen und nichtsprachlichen Aspekte der zwischenmenschlichen Interaktion mit ein, die alle miteinander netzwerkartig verwoben sind. So können Lösungen situationsabhängig unterschiedlich getroffen werden. Anders (1982) hat gezeigt, „daß sich der Spracherwerb der Kinder zumindest teilweise als ein konstruktiv-interaktionistischer Prozeß erklären läßt, in dem Eltern und Kinder gemeinsam und wechselseitig in ihren Dialogen Strukturen bilden und entwickeln" (Anders 1982: 188; ähnlich auch Kaltenbacher 1990). Wir nehmen an, daß es einschränkende Faktoren gibt (z.B. begrenzte Verarbeitungskapazität) und kompensierende Strategien dazu wie holistische Produktionen bzw. Gestaltausdrücke. Sprache ist funktional motiviert. Gründe für Variabilität sind im Diskurs zu suchen. Das schließt mit ein, daß Sprache zu Informationszwecken auch mit nur hypothetischem Hörer existiert und entsprechend abgewandelt wird. Das competition model (CM) wurde von Elizabeth Bates und Brian MacWhinney (Bates & MacWhinney 1979, 1982, 1987, 1989, MacWninney 1987) entwickelt, um Sprachperformanz (Verständnis, Produktion und Erwerb) verschiedener Sprachen zu untersuchen. Sprachliche Formen dienen der Kommunikation. Sie entstehen nicht unabhängig von ihrem Gebrauch, sondern sind das Ergebnis eines ständigen Wettbewerbs (icompetition) zwischen der Kodierung von komplexer semantischer und pragmatischer Information mithilfe unseres akustisch-artikulatorischen Sprechkanals (Bates & MacWhinney 1979: 174). Das CM „considers the relation between language form and language function as the major empirical phenomenon" (Bates & MacWhinney 1989: 5). Bates & MacWhinney gehen davon aus, daß sich Sprachuniversalien auf der Grundlage von anatomisch-neuronalen Bedingungen und kognitiver Entwicklung ausbilden. Grammatik entsteht, wenn nichtlinear angeordnete Bedeutungskomponenten der mitzuteilenden Botschaft sprachlich und damit zeitlich linear wiedergegeben werden müssen. Die verschiedenen Lösungen zu diesem Problem und auch diachrone Schwankungen lassen sich dadurch erklären, daß Hörerinnen möglichst gut verständliche Information erwarten, die dann klar und deutlich formuliert sein sollte. Dem steht der Versuch der Sprecherinnen entgegen, schnell und einfach zu sagen, was zu sagen ist. Das bedeutet, daß ständig versucht wird, beiden Ansprüchen gerecht zu werden. Dafür gibt es unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten, die aber nie dauerhaft optimal sind. Das führt zu Sprachwandel. Die

18 Sprachen der Welt greifen aus den unterschiedlichen Möglichkeiten, Formen und Funktionen zu kombinieren, verschiedene, doch ähnliche Lösungen heraus. Die Ähnlichkeit resultiert aus einem Pool von Formen und einem Pool von Funktionen, aus denen die Sprachen j e unterschiedlich wählen in dem Versuch, Bedeutungskomplexe linear zu verbalisieren. Es muß allerdings hinzugefügt werden, daß nicht alle Lösungen untereinander gleich gut zusammenpassen. Das fuhrt zu Sprachtypen wie isolierende Sprachen mit fester Wortfolge etc.3 Verbreitete Parallelen in Form von Universalien gehen dabei auf verbreitete Einschränkungen durch u.a. strukturelle oder verarbeitungstechnisch bedingte Faktoren zurück, nicht auf angeborene aufgabenspezifische Fähigkeiten. Die Beschaffenheit des Gehirns und biologisch-soziale Gegebenheiten des Menschen dürften beispielsweise überall auf der Welt für vergleichbaren Rahmenbedingungen für die sprachliche Kodierung sorgen. Insofern wird Grammatik als ein biologisches System aufgefaßt. Diese tendenziell wirksamen Bedingungen lassen ein größeres Maß an Variation zu, als in vielen funktionalen Ansätzen angenommen (Bates & MacWhinney 1989: 13). Kategorien werden als Prototypen beschrieben. Regeln wirken probabilistisch, da stets der Kontext mehr oder weniger starken Einfluß auf die Sprachverarbeitung ausübt. Der Ansatz des CM konzentriert sich nicht, wie symbol- oder generativ orientierte Modelle, auf qualitative, sondern quantitative Aspekte von Sprache, die allerdings Rückschlüsse auf qualitative Veränderungen zulassen. In the evolution of a Single language from one synchronic type to another, in the acquisition of language by children, and in the loss of language by individuals or by whole communities, we need an appropriate means for characterizing what it means to be 'in between' structures. A theory phrased entirely in terms of discrete, qualitative rules cannot serve this purpose - whether or not those rules make reference to cognitive content (Bates & MacWhinney 1989: 14).

Grammatische Formalismen sind nicht arbiträr und nur lernbar, weil das Kind über ein komplexes angeborenes sprachliches Wissen verfugt. Vielmehr entstehen grammatische Formen durch das Zusammenspiel von Kommunikationsbedürfnis und formalen, oberflächenbedingten Einschränkungen (Bates & MacWhinney 1979: 168). Das CM erhebt den Anspruch, Performanz bzw. Entstehung, Gebrauch und Erwerb von Sprache durch kognitive und kommunikative Funktionen erklären zu können. Ein Problem stellt ein daraus möglicherweise resultierendes theoretisches Modell der Kompetenz dar. Da die Daten dazu nicht ausreichen würden, erhebt das CM ausdrücklich nicht den Anspruch, ein Modell sprachlicher Kompetenz auf einer abstrakten Ebene zu sein. In der Regel besteht zwischen Form und Funktion eine Viele-zu-Viele-Korrelation. Ein Signal / eine Form ist mit mehreren Funktionen verbunden. Eine Funktion kann durch mehrere Formen repräsentiert sein. Spracherwerb im CM ist durch die distributionelle Analyse verschiedener Informationssignale gekennzeichnet, die in der Regel als Bündel auftreten und eben nur selten eineindeutige Form-Funktions-Korrelation zulassen, welche dann aber als erste von den Kindern entdeckt und für das weitere Lernen genutzt werden. Ebenso liefern wiederkehrende formale Muster wichtige Informationen für Kinder, beispielsweise für Gruppierungen von Wörtern in Kategorien. Wie in dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Ansatz arbeitet das CM mit verteilter Information. Dies wird von Bates & MacWhinney wiederholt am Beispiel des grammatischen Subjekts erläutert. Je nach Sprache läßt sich das Subjekt eines Satzes definieren über morphologische Kongruenz mit 3

Für diesen Hinweis habe ich Elke Ronneberger-Sibold zu danken.

19 dem Verb, Nominativmarkierung, Initialstellung, präverbale Stellung, Kodierung als Nominalphrase, Kodierung des Agens einer Handlung, Kodierung des Topik des Gesprächs, usw. Dabei wählen die Sprachen verschiedene Kombinationen dieser Markierungen aus und verwenden sie teilweise wiederholt gemeinsam, wie im Englischen Nominalphrase / Kongruenz mit Verb / Nominativmarkierung. Andere treten teilweise auch relativ häufig hinzu (im Englischen die Initialstellung). Andere Signale sind eher optional (wie für das Englische die Kodierung des Agens) (vgl u.a. Bates & MacWhinney 1989: 21). Die Kategorie 'Subjekt' besteht daher aus von Sprache zu Sprache unterschiedlich kombinierten und je unterschiedlich relevanten Einzelinformationenen. Beim Spracherwerb nutzen Kinder Form-Funktions-Korrelationen meist, wenn sie die entsprechenden Bedeutungszusammenhänge verstehen. Anders als im CM wird das Verhältnis von Form und Bedeutung im vorliegenden Ansatz gesehen. Sowohl formale als auch funktionale Signale wirken zusammen und beteiligen sich an einem gemeinsamen assoziativen Muster einer Einheit. Dabei können anfangs auch nur formale Aspekte vorhanden sein. Die wiederholte Kombination dieser Muster im Zusammenhang mit anderen bildet die Basis für distributionelles Lernen. Hier wird also nicht von verschiedenen Mechanismen gesprochen - funktional orientiertes Lernen von Signalen und allgemein distributionelles Lernen. Eine Annäherung in diese Richtung versuchen Bates & MacWhinney (1989: 31). „The basic scheme for learning is a meaningdriven distributional analysis". Ob allerdings der funktionale Aspekt so wichtig ist - zumindest anfangs - ist offen. Prinzipiell ist die Kenntnis von Bedeutung für den Erwerb von Einheiten und Bildung von Kategorien nicht nötig (vgl. Elman 1990 ff.). Sie erleichtert allerdings den Erwerb. Das Erlernen rein formaler Eigenschaften von Sprache stellt daher ein Problem für den Ansatz von Bates & MacWhinney dar, weil der funktionalen Information ein grundlegender Stellenwert eingeräumt wird, nicht jedem formalen Aspekt aber korrelierende Funktion zukommt. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Überschätzung pragmatischer Faktoren für den Grammatikerwerb, die manche strukturelle Regularitäten nicht erklären können (vgl. u.a. Clahsen 1988a: 13). Sicherlich reicht die Entdeckung und Nutzung von Form-Funktions-Zusammenhängen als Erklärung für den Spracherwerb nicht aus. Vielmehr muß die Konzeption des CM durch Erkenntnisse aus der konnektionistischen Forschung ergänzt werden, was in den späteren Arbeiten (MacWhinney & Bates 1989, MacWhinney 1989) vermehrt geschieht. Die Vorstellung von verteilter Zusammensetzung sprachlicher Einheiten und Kategorien legt netzwerkartige Informationsstruktur nahe und Interrelationen, auch kausale, zwischen verschiedenen sprachlichen Gebieten wie Lautsystem, Grammatik oder Semantik. Für Bates & MacWhinney stellen gewichtete Korrelationen zwischen Formen, zwischen Funktionen und zwischen Formen und Funktionen das sprachliche Wissen der Sprecher dar, so daß Aussagen über Reihenfolge und Bevorzugung im Falle konkurrierender Formen bzw. Funktionen möglich sind. Beschreibungen bedienen sich symbolischer und subsymbolischer Darstellungsweisen, die als zwei unterschiedliche Ebenen aufgefaßt werden. Im Gegensatz dazu wird in dem vorliegenden Ansatz angenommen, Symbole und Regeln dienen der Erleichterung der Metakommunikation. Ihnen kommt kein erklärender Wert zu. Das fuhrt auch zu einem gleitenden Übergang zwischen Oberflächenerscheinungen und abstrahiertem Wissen. Damit wird ein Weg gezeigt, wie aus der Performanz resultierendes sprachliches Wissen zur Etablierung eines abstrahierten regelartigen Wissenssystem führen kann. Dies soll bei der Vorstellung netzwerkartiger Informationsverar-

20 beitung deutlicher werden. Schließlich reichen funktionale Beweggründe oder Ausgangspunkte fur den Erwerb grammatischer Struktur allein nicht aus, um Spracherwerb zu erklären. Vielmehr müssen Ergebnisse aus der konnektionistischen Forschung zu inputund verarbeitungstechnisch bedingtem systeminternem Lernen mit herangezogen werden. Daß sich Signale bzw. Informationseinheiten gegenseitig verstärken und sich zu Schemata gruppieren, auf deren Grundlage die Sprachbenutzer Kategorisierungen vornehmen, finden wir nicht nur im competition model. Auch Maratsos & Chalkley (1980) wenden sich gegen die Vorstellung, syntaktische Kategorien seien mit der Geburt gegeben. Sie entstehen aber auch nicht durch die Kategorisierung natürlicher Klassen auf semantischer Basis. Vielmehr ergeben sie sich durch die distributionell-semantische Analyse grammatischer Strukturen. Dabei liefert die Sprache, die die Kinder hören, genug Information, um wiederkehrende Muster zu analysieren und Zusammenhänge zwischen verschiedenen Mustergruppierungen zu erkennen (Maratsos & Chalkley 1980: 135, 151). Kategorien entstehen, wenn eine Menge von Wörtern wiederholt in sich stark überschneidenden semantisch-distributionellen Mustern auftreten (ibd.: 135). Dabei nutzen die Kinder sprachliche Signale auf verschiedenen Ebenen. Sowohl distributionell-sequentielle als auch semantische, pragmatische und phonologische Information wird fur die Analyse herangezogen (185), wobei der Tenor auf wiederkehrenden syntaktischen Rahmen liegt. On the whole, the best description of the early data seems to be one that eschews attempts to impose complex properties of grammatical subject or object uses upon it by the use of adultcentered descriptions. Children's earliest speech seems to be best described as a collection of different types of semantic-distributional formulas, varying in breadth from single-word formulas (e.g., more + X = 'recurrence of X') to semantically-based categories of varying breadth, from size + Xto Actor + Action. (Maratsos & Chalkley 1980: 167).

In diesem Sinne vermuten auch neuere Studien, daß frühes grammatisches Wissen der Kinder auf komplexen Beziehungen zwischen Häufigkeitseffekten und Kombinations- und Reihenfolgeregularitäten von lexikalischen und morphologischen Einheiten der Inputsprache beruht (u.a. Pine, Lieven & Rowland in Vorb.; fur Verben Tomasello 1992). Daß Oberflächeninformation fur den Spracherwerb eine wichtige Rolle spielt, nimmt auch Slobin (1973, 1985a, b) bei seinen kognitiv orientierten sprachvergleichenden Erwerbsstudien an. Er untersucht an verschiedenen Sprachen die Language-Making Capacity (LMC) der Kinder. Das sind Wissenssysteme, die für die Verarbeitung von Sprache prädestiniert sind. Er fuhrt dazu verschiedene Prozeduren bzw. Strategien auf, die Operating Principles (OP), die für das Erkennen, die Analyse und den Gebrauch von Sprache verantwortlich sind, ohne daß das Kind dabei das von Chomsky angenommene Language Acquisition Device in Form von angeborenen abstrakten Regeln und Kategorien benötigt. Einige dieser OP beziehen sich darauf, daß die häufigsten Segmente und Muster leichter erlernt werden, genauso wie Schluß- und Anfangsbereiche von Einheiten oder betonte Bereiche. Weiterhin werden häufig zusammen auftretende Einheiten entsprechend wiedergegeben. Eine ebenfalls fimktionalistische Position bezüglich des Spracherwerbs und anderen kognitiven Bereichen bezieht Karmiloff-Smith (u.a. 1979, 1993). Die Vorstellung von einer netzwerkartigen Verdichtung an Korrelationen verschiedener sprachlicher Einheiten im Laufe des Erwerbs, von Parallelen zwischen sprachlicher und sonstiger kognitiver Entwicklung und Diachronie, der Schwerpunkt distributionell-

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semantischer Analysen des Sprachsignals und emergenter Struktur kommt sehr den späteren konnektionistischen Annahmen entgegen.4 1.3. Konnektionismus Konnektionisten betonen immer wieder, daß ihre Computersimulationen nicht mit dem, was in Kinderköpfen vor sich geht, gleichzusetzen sind. Vielmehr untersuchen sie allgemein Repräsentation, Erwerb und Gebrauch von Wissen in allen kognitiven Bereichen und bieten damit eine Möglichkeit, verschiedene Hypothesen zum Spracherwerb zu testen. Dazu gehört auch die Frage, inwieweit angeborene Kategorien und Regeln zum Erwerb sprachlicher Gesetzmäßigkeiten nötig sind. Konnektionisten simulieren Sprachfahigkeit mithilfe assoziativer Netzwerke. Regeln werden dabei nicht benötigt. Netzwerke stellen ein Hilfsmittel zur Erforschung von Lernprozessen dar. Wie bereits in Kapitel 1.1.3 erwähnt, ist fiir unseren Ansatz die Vorstellung grundlegend, daß Information in einer netzwerkartigen Struktur verarbeitet wird, die der Struktur biologischer neuronaler Netze nachempfunden ist.3 Spracherwerb ist Teil der allgemeinen kognitiven Entwicklung. Auf die Annahme eines angeborenen autonomen Moduls wie die language faculty kann verzichtet werden. Aus biologischer Sicht sind angeborene, voneinander unabhängige und deutlich gegeneinander abgegrenzte Bereiche im Gehirn unwahrscheinlich. Die Prozesse, die für den Spracherwerb verantwortlich sind, sollten daher generellen kognitiven Prinzipien folgen. Aufgabenspezifische Bereiche sind nicht streng voneinander abgegrenzt und jeweils unabhängig aufzufassen, sondern sie weisen Übergangsbereiche und Interaktionen auf. Sie sind nicht angeboren, sondern entstehen mit der Zeit durch ständige Informationsverarbeitung. The generative principles of developmental growth include a process of proliferation and elimination - parcellation6 - in the establishment of connectivity in the brain. This principle is akin to the evolutionary process of adaptation in which unfit exemplars are pruned by the environment. A process similar to that of parcellation is described in physiological studies of neuronal populations. This process is a shift from a diffuse to a focal organization in which inhibition plays the role in function that elimination played in growth. This process recurs in context: item shifts in cognition (Brown 1996:299f.).

Struktur entsteht als Folge von Selbstorganisation und Interaktion zwischen Subsystemen. Hierfür wird gern das Beispiel der Termitenbauten illustrativ angeführt, u.a. von Lindblom, MacNeilage & Studdert-Kennedy (1983). Termites construct nests that are structured in terms of pillars and arches and that create a sort of 'air-conditioned' environment. The form of these nests appears to arise as a result of a simple local behavioral pattern which is followed by each individual insect: the pillars and arches are formed by deposits of glutinous sand flavored with pheromone. Pheromone is a chemical sub4

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Konnektionistische Ansätze haben sehr viel gemeinsam mit der Theorie der dynamic systems, einführend z.B. Smith & Thelen (1993), Thelen & Smith (1994). Zum Vergleich von biologischen und künstlichen neuronalen Systemen in nichtsprachlichen kognitiven Bereichen siehe Pribram, K. (1993,1994) oder Pribram, K. & King, J. (1996). „Parcellation is the pruning of exuberant connections in the growth of the brain as a way of achieving specificity in mature brain structure" (Brown 1996:297).

22 stance that is used in communication within certain insect species. Animals respond to such stimuli after (tasting or) smelling them. Each termite appears to follow a path of increasing pheromone density and deposit when the density starts to decrease. Suppose the termites begin to build on a fairly flat surface. In the beginning the deposits are randomly distributed. A fairly uniform distribution of pheromone is produced. Somewhat later local peaks have begun to appear serving as stimuli for further deposits that gradually grow into pillars and walls by iteration of the same basic stimulus-response process. At points where several such peaks come close, stimulus conditions are particularly likely to generate responses. Deposits made near such maxima of stimulation tend to form arches. As the termites continue their local behavior in this manner, the elaborate structure of the nest gradually emerges. (Lindblom et al. 1983: 185f.)

So kann das Entstehen von Ordnung und strukturierten Formen - allgemein in physikalischen, biologischen und soziologischen Kontexten - ohne vorgefertigte Pläne und Segmente verstanden werden. Denn es ist nicht nötig, angeborene, aufgabenspezifische obligatorische Regeln oder Strukturen anzunehmen. Angeboren sind generell wirksame Verarbeitungsprinzipien wie etwa das Erkennen von visuellen oder auditiven Mustern, deren Analyse, Abstraktion und Generalisierung. Beispielsweise kann das Kind, nachdem es eine gewisse Anzahl an Infinitiven und Partizipien gehört hat, ein wiederkehrendes lautliches Muster und korrelierende Kontexte erkennen. Mit der Zeit wird in den Formen eine Struktur gefunden, die auch auf neuerworbene Verben angewendet werden kann, so daß zu einem neuen Infinitiv ein Partizip aktiv gebildet wird. Was oberflächlich aussieht wie die Anwendung einer Regel kann als Generalisierung eines Musters interpretiert werden. In einem funktionalistisch-kognitiven Ansatz sind obligatorische Regeln symbolischer Art, die entweder angewendet werden oder nicht, nicht nötig. Stattdessen gibt es mehr oder weniger starke Generalisierungen. So gesehen ist eine Regel keine symbolische diskrete Repräsentation mit kategorialer Anwendung, sondern eine (mehr oder weniger) strikte Regularität, die eine dem Prototypenansatz entsprechende kontext- und struktursensitive Anwendung erlaubt. Solche Regeln sind nicht angeboren, sondern das Ergebnis von Informationsverarbeitung über einen bestimmten Zeitraum hinweg. Dazu ist ständig Input nötig als grundlegende Datenbasis. Als angeboren anzunehmen ist eine gewisse Sensibilität gegenüber Sprache. Der Erwerb von Struktur ist als Ergebnis von aktiver Informationsverarbeitung aufzufassen. Der sprachlichen Umgebung und der Handlungssituation wird ein direkter und häufig entscheidender Einfluß auf den Spracherwerbsprozeß zuerkannt. Die kindlichen Abweichungen sind echte Fehler: die Kinder wollen so sprechen wie die Erwachsenen, können es aber (noch) nicht. Dies zeigen Fehlversuche bei der Aussprache verschiedener Wörter, Vermeidungen und Schwierigkeiten bei komplexen Sätzen. Grundsätzlich sind zwei Richtungen in der Bearbeitung und Entwicklung von Netzwerken möglich. Auf der einen Seite werden in Computern implementierte Modelle dahingehend verändert, daß ihr Output dem der Kinder immer mehr gleicht. Aus dem Vergleich zwischen Computersimulationen und Realsprachdaten und der entsprechenden Veränderung in der Architektur dieser Netzwerke erhoffen sich Konnektionisten Einsichten in die neuronale Arbeitsweise des Gehirns (vgl. als Überblick u.a. Elman et al. 1996). Auf der anderen Seite können Daten zum Spracherwerb, zu Versprechern und pathologisch gestörter Sprache mithilfe mehr oder weniger theoretischer Netzwerke interpretiert werden (z.B. Berg 1992, 1995, in Vorb., Stemberger 1985a, b, 1992).

23 Wissen7 ist in Einheiten (nodes) und Verbindungen zwischen Einheiten (links) kodiert. Die Knoten sind selbst als Repräsentation von distribuierter Information aufzufassen. Die Verbindungen können unterschiedlich stark sein. Eine unaktivierte Einheit verfügt über eine Grundaktivierung, die das Ergebnis vorausgehender Aktivierung ist. Je höher dieses Aktivierungsniveau, desto schneller und sicherer ist der Zugriff auf diese Einheit. Je häufiger auf eine Einheit zugegriffen wird, desto höher wird die Grundaktivierung. Wenn Information verarbeitet wird, fließt der Aktivierungsstrom kaskadenartig durch das System, wobei Nachbareinheiten aktivierter Knoten immer teilweise mitaktiviert werden und damit gleichzeitig verfügbar sind. Ein konkurrierender Knoten wird desto eher falschlich aktiviert, je geringer die Grundaktivierung des 'richtigen' Knotens ist und je höher die des konkurrierenden Knotens. Häufige Anwendung erhöht die Grundaktivierung und vermindert die Fehleranfälligkeit. Aber auch die Verbindungsstärke zwischen Knoten wächst mit der Zeit. Konnektionistische Modelle simulieren die Arbeitsweise des Gehirns. Solch ein künstliches System besteht aus Knoten und Verbindungen vergleichbar mit Neuronen, Dendriten und Axonen. Ihre Anordnung (Architektur) und die Richtung des Informationsflußes (uni- oder bidirektional) variiert von Modell zu Modell. Da es viele Verbindungen zwischen den Knoten gibt, entsteht ein Netzwerk von Konnektionen. Ein aktiviertes Netzwerk kann zwischen verschiedenen Aktivierungspfaden wählen (Abb. 1 a - d), die zunächst rein willkürlich und von sonstigen zufälligen Einflüssen (verschiedene aktivierte Bereiche (noise)) bestimmt werden. Soll ein Inputverhalten mit einem gewissen Outputverhalten korrelieren, muß das Netzwerk allerdings gezielt ein bestimmtes Aktivierungsmuster als Teil des Outputs wählen. Eine richtige Lösung, beispielsweise in Abb. (1 d), wird mit der Zeit immer häufiger gewählt, was gelegentliche Aktivierung anderer, mehr oder minder ähnlicher Muster (wie Abb. 1 a - c) nicht ausschließt. Wird das System aktiviert, d.h. beginnt Information über die Verbindungen zwischen den Knoten zu fließen, verändert sich die Gewichtung (weight) der aktivierten Verbindungen. Die Gewichtungen beeinflussen die von den Knoten abgeleitete Information positiv oder negativ - Verbindungsgewicht und Knotenaktivierung lassen sich errechnen, und damit ist das System prinzipiell beobachtbar. Der Zustand des Netzwerkes verändert sich geringfügig durch jeden Aktivierungsfluß. Dadurch ändert sich das System allmählich - und mit ihm das Outputverhalten. Der Input eines Knotens besteht aus den Gewichtungen der einmündenden aktivierten Verbindungen, multipliziert mit dem Aktivierungswert des Knotens. Je nach Beschaffenheit der Knoten verläuft der jeweilige Output linear oder nichtlinear. Im letzteren Fall ergeben sich für einige Inputbereiche kategorienartig geordnete Outputbereiche, für andere aber graduell verteilte Ergebnisse. Das heißt, sowohl kontinuierliche als auch diskontinuierliche Informationsverarbeitung sind in einem Netzwerk möglich. Nichtlineares Verhalten kann darüberhinaus zu unerwarteten Ergebnissen fuhren. Diese bilden wiederum eine Grundlage für weitere Untersuchungen und damit für Erkenntnisse zu möglicherweise ähnlichem Verhalten des Menschen (vgl.

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Zum Begriff biowledge vgl. Elman et al. (1996: 363f). Zu unterschiedlichen Konzeptionen von Netzwerken ebenfalls Elman et al. (1996), z.B. lokaler Konnektionismus, in dem ein Konzept von einem einzelnen Knoten repeäsentiert wird, vs. distribuierter Konnektionismus, in dem eine Gruppe von Einheiten bei der Repräsentation verschiedener Konzepte beteiligt ist. Letzterer kommt unserer Auflassung näher.

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6 Abb. la

Abb. lb

Abb. lc

Abb ld

Abbildung 1: Ausschnitt aus einem Netzwerk

Elman et al. 1996: 50ff.). Ein zentrales Untersuchungsgebiet ist der Erwerb des englischen Präteritums (vgl. Kap. 5.1). Bereits frühere Simulationen (Rumelhart & McClelland 1986) haben gezeigt, daß das System der englischen Präteritalformen prinzipiell mit rein assoziativer Architektur zu erlernen ist unter Verzicht auf morphologische Regeln. Generative Ansätze (vgl. Pinker & Prince 1988, 1994, Pinker 1991, Marcus et al. 1992, Clahsen & Rothweiler 1993, Weyerts & Clahsen 1994, Marcus 1995) hingegen nehmen regelgeleitetes Lernen für reguläre, (assoziativ) gespeicherte Formen im Fall der irregulären Bildungen an, also zwei verschiedene Mechanismen, die mit Symbolen arbeiten gegenüber einem einzelnen Mechanismus, der auf assoziativ verarbeiteten Mustern basiert. Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Ansätzen betrifft die Rolle des Lexikons für den Morphologieerwerb. Laut symbolorientierten, generativen Ansätzen entwickelt sich beides unabhängig voneinander. Konnektionisten hingegen erwarten, daß das Einsetzen regulärer Morphologie von einer bestimmten Menge an Vokabular und einer bestimmten Zusammensetzung des Wortschatzes ausgelöst wird. Der Erwerb einer künstlichen Morphologie wurde mit Computernetzwerken simuliert (Plunkett & Marchman 1991, 1993). Das Modell begann, reguläre Endungen an Kunstverben anzufügen, wenn strukturelle und quantitative Veränderungen im Vokabular auftraten. Diesen Zusammenhang fanden allerdings Pinker & Prince (1988), Marcus (1995) und Marcus et al. (1992) nicht, als sie Spontansprachdaten - wöchentliche oder monatliche Aufnahmen einzelner Kinder - untersuchten. Marchman & Bates (1994) hingegen arbeiteten mit Daten von 1130 Kindern, die

25 mithilfe der parental report technique erhoben worden waren. Dabei wurden die Eltern anhand von Checklisten nach der sprachlichen Fähigkeit ihrer Kinder befragt. Hier zeigte sich der von Konnektionisten erwartete Zusammenhang deutlich. Wie das Kapitel zu morphologischen Strukturen ausführlich erläutert, wurde in Elsen (1997, 1998a bzw. im Druck c) um die konnektionistische These zu überprüfen Verbvokabular und Partizipien in dem vorliegenden Datenkorpus untersucht, das im Gegensatz zu den Daten von Pinker & Prince (1988) und Marcus (1995) bzw. Marcus et al. (1992) kontinuierlich erhoben worden war. Es konnte gezeigt werden, daß im Gegensatz zu Pinker & Prince, Marcus und Marcus et al. der Erwerb des Verblexikons sehr wohl nichtlinear war. Das heißt, nach einem langsamen Anwachsen stieg die Zahl neuer Verben plötzlich stark an. Die unterschiedlichen Ergebnisse lassen sich auf die verschiedenen Methoden der Datensammlung zurückführen. 8 Wöchentliche bzw. monatliche Aufnahmen erfassen nur die statistisch häufigsten Verben, meist irreguläre. Kontinuierliche Korpora jedoch beinhalten auch sehr seltene Wörter und Bildungen. Somit wird das tatsächliche Vokabular eines Kindes bei Ausschnittskorpora sehr ungenau wiedergegeben. Der Anstieg in den von Elsen untersuchten Daten (und auch in den Modellen) ist hauptsächlich auf reguläre Verben zurückzuführen. Diese werden aber gerade bei Ausschnittskorpora kaum erfaßt. Daher wird dort ein plötzlicher Anstieg im Verbvokabular aller Wahrscheinlichkeit nach übersehen. Die kontinuierlich erhobenen Daten zeigten weiterhin, daß nicht nur quantitative Änderungen auftraten, sondern auch, wie erwartet, eine Änderung in der Zusammensetzung des Verbvokabulars. Ab einem bestimmten Zeitpunkt blieben reguläre Verben in der Überzahl, nachdem anfangs irreguläre dominierten. Eine weitere von konnektionistischen Modellen vorausgesagte Beobachtung war das zeitgleiche Auftreten von Anstieg der Verben bzw. Änderungen in der Zusammensetzung des Verbvokabulars und ersten Übergeneralisierungen (geh-te, lauf-te). Das sollte laut Symbolisten nicht zu erwarten sein, da Lexikon- und Morphologieerwerb unabhängig voneinander ablaufen. Bei Netzwerksimulationen wurde aber das Auftreten von Übergeneralisierungen gerade durch die veränderte Zusammensetzung des Verbwortschatzes ausgelöst. Darüberhinaus traten Irregularisierungen (irreguläre Endungen an regulären Verben, Stammlautwechsel oder beides) relativ spät auf, was Symbolisten nicht erklären können, von Konnektionisten jedoch erwartet wird (Plunkett & Marchman im Druck). Laut Clahsen & Rothweiler (1993) wird irreguläre Flexion überhaupt nicht auf reguläre Verben angewendet. Eine neue Beobachtung bei der Analyse der kontinuierlichen Daten war, daß Übergeneralisierungen in einem wellenartigen Entwicklungsverlauf auftreten. Das heißt, daß zu bestimmten Zeiten deutlich mehr übergeneralisierte Formen in types und tokens auftreten als zu anderen. Dabei korrelieren Phasen intensiver Übergeneralisierung mit Anstiegen im Vokabular, was auf Zusammenhänge zwischen beiden Bereichen schließen läßt, von generativer Seite allerdings nicht erwartet wird, ebensowenig wie das Auftreten großer Schwankungen bei der Bildung von Partizipien. Interaktion, Variation und Transitionen passen nicht zu den Arbeitshypothesen 2, 5 und 6, stehen jedoch im Einklang mit konnektionistischen Modellen (Plunkett & Marchman im Druck).

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Wie Konrad Ehlich (1996a) im ersten Kapitel seines Sammelbandes Kindliche Spraclientwicklung bemerkt, ist Korpusarbeit alles andere als trivial.

26 Obwohl die Ergebnisse teilweise durchaus mit dualistischen, generativen Modellen vereinbar sind, bei denen auch Übergeneralisierungen auftreten, gibt es dennoch Beobachtungen, die sich nicht durch einen generativen, wohl aber durch einen konnektionistischen Ansatz erklären lassen. Dabei handelt es sich beispielsweise um den von konnektionistischer Seite vorausgesagten Zusammenhang zwischen einer veränderten Zusammensetzung im Verbvokabular und ersten Übergeneralisierungen, um Schwankungen bei der Produktion der Partizipien (gegeht neben gegingt, gegangt, gegangen) über einen längeren Zeitraum hinweg, um vergleichbare Abweichungen bei der Verwendung von regulären und irregulären Verben und damit Irreguiarisierungen. Letztendlich stellt sich die Frage, ob symbolische Regeln tatsächlich nötig sind und ob die Modularitätshypothese haltbar ist, wenn Netzwerkmodelle erfolgreich Spracherwerb simulieren mithilfe eines assoziativen Mechanismus, der grundlegende, nicht nur periphere Interaktion zwischen sprachlichen Bereichen zeigt, und wenn Spracherwerbsdaten wie die von Marchman & Bates (1994) und Elsen (1997, 1998a) damit korrelieren. Inputinformation, in diesem Fall die zur Verfügung gestellte Menge an Verben, ist Voraussetzung für morphologische Bildungen (vs. Arbeitshypothese 7). Die Annahme symbolischer, abstrakter Kategorien (Arbeitshypothesen 3 und 4) erweist sich als nicht notwendig. Die Arbeitshypothesen 2, 3, 4, 5, 6 und 7 werden nicht gestützt. Der von Konnektionisten vertretene Ansatz, bei dem ein assoziativ arbeitender Mechanismus für reguläre und irreguläre Bildungen wie auch für den Erwerb verschiedener sprachlicher Bereiche (vgl. auch Daugherty & Seidenberg 1994) zuständig ist, muß daher als ernstzunehmende Alternative zu gängigen generativen Modellen gesehen werden. Im Bereich der Syntax wurden ebenfalls vielversprechende Computersimulationen durchgeführt. Schon seit längerem wird angenommen, daß the hearer constructs anticipatory hypotheses about the overall structure of the utterance on the basis of what he has already heard. For example, he might not only identify each word and tentatively assign it to a syntactic category, but use his knowledge of its lexical properties and syntactic co-occurrence restrictions to predict the syntactic categories of following words or phrases (Sperber & Wilson 1986: 205).

Nach diesem Prinzip konnte tatsächlich ein Netzwerk, das Satzverarbeitung nachahmte, nach einiger Zeit Wörter in Satzfolgen voraussagen und Repräsentationen entwickeln, die Aspekte von Wortbedeutung und grammatische Kategorien reflektierten (vgl. Elman 1990: 204). Symbolorientierte Modelle benötigen dazu Verweis- und ¿/«cÄMg-Operationen. Die Simulationen zeigen, daß sequentielle Inputinformationen zu internen Repräsentationen fuhren, die hierarchisch strukturiert sind. Sowohl kategoriale wie auch type/tokenUnterscheidungen können getroffen werden (Elman 1990: 208). Ein wesentlicher Aspekt der Simulationen war es, entweder den Input anfangs einfach zu halten, was der Annahme einer vereinfachten, an das Kind gerichteten Sprache im Realspracherwerb entspricht, oder die Aufmerksamkeits- und Verarbeitungsspanne zunächst niedrig zu halten und dann langsam zu erhöhen, was der eingeschränkten Verarbeitungskapazität bei Kindern entspricht. Entsprechende Vermutungen, daß kognitive Beschränkungen der Kinder von Vorteil für den Erwerb der Muttersprache sein könnten, wurden bereits von Newport (1984) geäußert. Wurden dem Modell von Anfang an komplexe Daten zur Verfügung gestellt bzw. sichere informationsverarbeitende Fähigkeiten zuerkannt, verlief die Simulation nicht erfolgreich. Elman (1990, 1991, 1993) hat den Erwerb syntaktischer Kategorien

27 und Strukturen aus konnektionistischer Sicht untersucht. Er stellte zunächst die Frage, ob ein Wortbegriff entstehen kann über die sequentielle Struktur von Buchstabenfolgen, die Wörter und Sätze ohne Markierung von Grenzen bilden. Dazu führte er einen Test durch, bei dem der Input eines Netzwerkes aus einer willkürlichen Folge von ba-, dii-, guuKombinationen ohne Pausen bestand. Die Buchstaben wurden als 6-Bit-Vektoren repräsentiert (z.B. b = 101001, d = 101101, Elman 1990: 188). Das Netzwerk sollte den jeweils nächsten Buchstaben voraussagen. Die Konsonanten waren willkürlich gewählt, also war die Fehlerrate sehr hoch. Die Vokale waren stattdessen leicht vorhersagbar, da sie an das Auftreten eines bestimmten Konsonanten gebunden waren. In einem weiteren Test bestand der Input aus Wörtern, die Sätze formten, wiederum ohne Pausen (z.B. manyyearsagoaboyandgirli..., Elman 1990: 193). Jeder Buchstabe erhielt eine individuelle Kodierung. Das Netzwerk sollte wieder den nächsten Buchstaben voraussagen. Es ergab sich, daß die Fehlerrate am Wortanfang hoch war und daß mit wachsendem Input die Fehlerrate sank. Im Wortinnern war die Zuverlässigkeit höher. Fehlerraten korrelierten mit Wortgrenzen, allerdings nicht kategorial, sondern graduell und daher relativ. Die Fehlerrate gibt wieder, wie häufig statistisch gesehen zwei Buchstaben zusammen auftreten. The Simulation makes the simple point that there is information in the signal that could serve as a cue to the boundaries of linguistic units which must be leamed, and it demonstrates the ability of simple recurrent networks to extract this information (Elman 1990: 193).

Als nächstes überlegte Elman, ob auf diese Weise auch lexikalische Klassen gelernt werden können. Für die Hörerinnen gibt es nur die Oberflächenreihenfolge von Wörtern. Was immer die abstrakte zugrundeliegende Struktur sein mag, muß von den Oberflächenformen geschlossen werden. Die abstrakte Information ist implizit dort enthalten. Es stellt sich die Frage, ob ein Netzwerk Aspekte dieser abstrakten Struktur erwerben kann. Elman gab einem Computer 13 Kategorien (wie Nomen/menschlich: man, womair, Nomen/belebt: cat, mouse\ Verb/intransitiv: think, sleep, Elman 1990: 196) und 15 Satzmuster, bestehend aus verschiedenen, zwei- bis dreigliedrigen Kombinationen dieser Kategorien, ein. Per Zufallsgenerator wurden daraus 10.000 Zwei- und Dreiwortsätze generiert, die dem Netzwerk, wieder ohne Pausen, als Input dienten, wobei ein Wort in Form eines 31-Bit-Vektors kodiert war, der keine Aussage über Wortart oder Bedeutung zuließ. Wieder sollte das Netzwerk das folgende Wort voraussagen. Es gibt für jede beliebige Wortfolge nur eine begrenzte Menge an möglichen Folgewörtern; das Netzwerk errechnete die zu erwartende Auftretenswahrscheinlichkeit aller möglichen Folgewörter. Außerdem wurden Generalisierungen aus der statistischen Information des gemeinsamen Auftretens zweier Wörter vorgenommen. Auf der Netzwerkebene der hidden units zwischen Input- und Outputebene entstanden für jedes Wort Repräsentationen in Form von einem Aktivierungsmuster verteilter Information, einer bestimmten Verbindung bestimmter Netzwerkknoten. Dabei hatten ähnliche Wörter ähnliche Muster. Je ähnlicher die Muster sind, desto näher können für eine Veranschaulichung die Wörter gruppiert werden, wobei die Ähnlichkeitsverhältnisse durch lokale Information wiedergegeben werden und eine Aufgliederung des Vokabulars entsteht, die Wortfeldern ähnelt. Die Gruppierung entspricht Kategorien wie Nomen / Verb / unbelebt / intransitiv etc. Mit dieser Information kann das Netzwerk typische Reihenfolgebeziehungen voraussagen, ohne über semantisches Wissen zu verfugen und Kongruenz und Verb-Argument-Strukturen etc. erlernen. Jede lexikalische Einheit ist in den hidden units mit einer eigenen Repräsentation vertreten. Über diese Strukturen sind Relationen zwischen Einheiten kodiert wie Kategorienzugehörigkeit, type/token Zuord-

28 nung und Konstituentenstrukturen (Elman 1990, 1991). In weiteren Untersuchungen wurde gefragt, ob Netzwerke komplexe Sätze erwerben können, beispielsweise mit eingebetteten Relativsätzen. Als Input dienten einfache Sätze wie boy walks, girls see boys, boys hear boys, boy hears boys, girls feed dogs, girls see und komplexe Sätze wie boys who chase dogs see girls (Elman 1990, 1991). Bei einem ersten Test wurden dem Netzwerk alle Sätze angeboten. Dabei konnten Folgewörter nicht vorausgesagt werden. Danach bekam das Netzwerk gestaffelte Informationen: zunächst 10.000 einfache Sätze, dann 7.500 einfache und 2.500 komplexe Sätze, dann jeweils 5.000 einfache und komplexe Sätze, anschließend 2.500 einfache und 7.500 komplexe Sätze. In der letzten Phase wurden 10.000 komplexe Sätze eingegeben. Unter diesen Bedingungen waren Vorhersagen auch fur komplexe Sätze möglich. Offenbar benötigte das System zur Verarbeitung zunächst kurze Sätze, um die Anzahl der Lösungsmöglichkeiten gering zu halten. Dabei wurde grundsätzliche Informationen zuerst gelernt (Nomen, Verb, Relativpronomen, Singular, Plural, ...). Dies bildet die Basis fiir die Verarbeitung komplexer Sätze. Training succeeds only when networks begin with limited working memory and gradually 'mature' to the adult state. This result suggests that rather than being a limitation, developmental restrictions on resources may constitute a necessary prerequisite for mastering certain complex domains. Specifically, successful learning may depend on starting small. (Elman 1993: 71).

Auch andere Simulationen demonstrierten, daß „probabilistic surface cues combined with statistical inference can determine syntactic frames with surprisingly high accuracy" (Brent 1994: 464). Elman und andere Forscher haben gezeigt, daß der Erwerb syntaktischer Kategorien und Strukturen grundsätzlich möglich ist aufgrund von Reihenfolge- und Kombinationsinformationen ohne Zuhilfenahme von symbolischen Regeln und ohne negative Evidenz (vs. Arbeitshypothesen 3 und 7). Im Gegensatz zu generativen Annahmen, ein Kind müsse von Anfang an mit einem breiten Spektrum an Strukturen konfrontiert werden, um erfolgreich Sprache zu erwerben (vgl. Fanselow & Felix 1990: 206), zeigen Netzwerksimulationen, daß gerade eine anfangs eingeschränkte und langsam komplexer werdende Datenbasis Syntaxerwerb erst ermöglicht und bestätigen damit Newports Vermutungen von 1984. Untersuchungen zum Baby Talk zeigen, daß Mütter und sonstige Bezugspersonen zu kleinen Kindern in einfachen, kurzen Sätzen sprechen. In ihrer Studie von 1979 demonstrieren Furrow, Nelson & Benedict, wie einfache Konstruktionen des Input Spracherwerb englischsprechender Kinder erleichtern (vgl. die Diskussion in Kegel 31987). Offenbar kommen Mütter und andere Bezugspersonen den besonderen sprachlichen Bedürfnissen ihrer Kinder entgegen. Weiterhin war das Computermodell dazu in der Lage zu generalisieren und Basiskonzepte wie Nomen, Verb, Singular oder Plural zu erwerben (Elman 1993: 84). Ähnliches fanden Bloom & Kelemen (1995) fiir den Realspracherwerb. Auch hier stellt sich wieder die Frage, inwieweit angeborene, abstrakte symbolische Regeln und Kategorien nötig sind, wenn Kategorien und Regularitäten aus (linearen) Oberflächenstrukturen gewonnen werden können. Daß nicht nur formales, sondern auch semantisch-logisches Wissen so verarbeitet werden kann, zeigen Sperber & Wilson (1986: 209ff). Somit bieten auch im Bereich der Syntax Erkenntnisse aus konnektionistischen Simulationen vielversprechende Erklärungsansätze für den Spracherwerb. Noch für ein weiteres Problem scheinen konnektionistische Modelle eine Lösung anzubieten. Da sie syste-

29 matisch Struktur auch auf der Basis inkompletten Inputs generieren können (Daugherty & Seidenberg 1994),* ist Chomskys Argument des poverty of the stimulus neu zu überdenken. Offenbar ist direkte negative Evidenz gar nicht nötig. Computersimulationen können die Funktionsweise des Gehirns untersuchen. Sie gehen von informationsverarbeitenden Fähigkeiten aus, die in allen kognitiven Bereichen wirksam sind. Sie helfen uns, Entwicklungen beim Spracherwerb besser zu verstehen. Sie können zahlreiche Beobachtungen besser erklären als generative Ansätze und ahmen Spracherwerb nach, ohne auf angeborene sprachspezifische Prinzipien ('Regeln') und Kategorien zurückgreifen zu müssen. Aber sie stellen keine umfassende Spracherwerbstheorie dar, da erst wenige Bereiche untersucht wurden und Spracherwerb ein äußerst vielschichtiges Gebiet ist, das (noch) nicht in aller Komplexität simuliert werden kann. Wir befinden uns also erst am Anfang einer Forschungsrichtung, die dank moderner Techniken einschlägige neue Erkenntnisse erwarten läßt und damit eine Herausforderung zu gängigen generativen Modellen darstellt. Jetzt bereits wird deutlich, daß bestimmte Fähigkeiten wie Generalisierungen und Abstraktionen der Netzwerkarchitektur mitgegeben werden können und daß diese Fähigkeiten sicher auch für das menschliche Gehirn anzunehmen sind. Angeborene Regeln im Sinne der Generativen Grammatik werden daher immer unwahrscheinlicher, der Input hingegen wird wichtiger. Interaktion und Variabilität wird plausibler. Es liegt also nahe, einen Grammatikansatz zu entwickeln, der die netzwerkartige Informationsverarbeitung nachempfindet, mit allgemeinen kognitiven Fähigkeiten und Inputinformationen arbeitet und der durchaus durch Kontextfaktoren beeinflußte Konstruktionen erlaubt. Im Unterschied zu generativen Modellen gehen netzwerkorientierte und funktionalistische Ansätze nicht von angeborenen, symbolischen Repräsentationen wie Kategorien und Regeln aus, sondern nehmen an, daß diese während des Spracherwerbsprozesses entstehen. Weiterhin wird statt der Vorstellung, es gäbe Module, die bei der Geburt vorhanden, autonom und aufgabenspezifisch sind, Sprache als Teil menschlicher Kognition verstanden. Ebenso sind die Verarbeitungsmechanismen allgemeiner Art, nicht sprach- oder bereichspezifisch. Wenn Kinder langsam komplexe Strukturen aus kleineren Einheiten wie Wörtern und Wortgruppen zusammensetzen, müssen sie Informationen erhalten, mithilfe derer sie diese Einheiten aus dem Diskurs gewinnen können. Cutler (1994) zeigte, daß Kleinkinder, die noch nicht sprechen können, sensibel sind gegenüber Sprechrhythmus und der damit zusammenhängenden lexikalischen Segmentierung. Phrasengrenzen können dem Sprachstrom entnommen werden (vgl. u.a. Fanselow & Felix 1990: 191f.). Bereits 9 Monate alte Kinder reagieren auf akustische Korrelate von Phrasengrenzen, die in der Prosodie von Äußerungen auftreten (Hirsh-Pasek et al. 1987, Jusczyk et al. 1992; vgl. Mandel et al. 1994 zu zwei Monate alten Kindern). Pausen, Vokaldehnungen, Änderungen in Rhythmus und Grundfrequenz (vgl. Weinert 1991), Funktionswörter und morphologische Markierung (vgl. Morgan et al. 1987, 1989) dienen als Grundlage zur Erkennung von Grenzen kleinerer Einheiten. Prosodische und morphologische Informationen helfen bei der Segmentierung des Redestroms in diejenige Einheiten, in denen viele grammatische Regularitäten wirken. Das mag zu Fehlsegmentierungen fuhren, wenn anfangs oft komplexe Ausdrücke wie ein Wort behandelt werden, gerade, wenn die falsch segmentierten Ausdrücke 9

bzw. von Sätzen, die Kinder nicht unbedingt verstehen (Brent 1994)

30 zielsprachliche Prosodie einzelner Wörter aufweisen wie bei Amalgamen10 (geht-nicht, kann-mari) oder wenn Grenzen zwischen Wörtern versetzt werden." Auch andere holistische Produktionen weisen zielsprachliche Prosodie auf, wie die Sätze (3), die alle Papa ist nicht da bedeuten,12 (3) a. b. c. d.

[ b ä p a i s W ' ä ] 1;3,12 [bäpaiz s iz s dä] 1;3,18 [pabanda] 1;3,30 [bapaditä], [pabatitä] 1;3 / 1;4

Kinder und Erwachsene, so stellten Kelly & Martin (1994) fest, nutzen mehrere probabilistisch verteilte Signale wie phonotaktische und prosodische Informationen für die Erkennung von Wortgrenzen. In einem funktionalistischen Ansatz sind keine angeborenen expliziten Regeln für die Konstruktion sprachlicher Strukturen nötig. Informationen werden in der an das Kind gerichteten Sprache zur Verfugung gestellt. Das dem Kind angeborene Vermögen zu abstrahieren und zu generalisieren, Fähigkeiten, die auch in anderen kognitiven Bereichen wirksam sind, verhilft ihr/ihm, Wörter zu flektieren, Kategorien zu bilden, Hierarchiebeziehungen aus linearer Information abzuleiten und relevante Einheiten aus dem sprachlichen Input zu ermitteln. Computersimulationen zum Flexions- und Syntaxerwerb zeigen, daß das prinzipiell mit assoziativ arbeitender Netzwerkstruktur möglich ist. Dies paßt nicht zu den Arbeitshypothesen 1 - 8: sie sehen die Sprache unabhängig von sonstiger kognitiver Entwicklung, verstehen die einzelnen sprachlichen Bereiche autonom und modular, nehmen angeborene abstrakt-symbolische Kategorien und Regeln an, lassen kaum Variation und Interaktion und keine Transition zu, billigen dem Input nur Triggerfunktion zu und schließen sprachexterne Einflüsse auf den Strukturerwerb aus. In dieser Arbeit wird versucht, plausible Erklärungen für Beobachtungen im Spracherwerb, vor allem die sog. 'Ausnahmen', zu finden. Dabei dient die Vorstellung netzwerkartiger Informationsverarbeitung als Metapher. Es soll hier kein implementierbares Netzwerk erstellt werden. Die Möglichkeit mehrfacher Verbindungen und daraus resultierender Phänomene wie Interaktion und Transitionen stellt vielmehr eine Erklärung für sprachliche Flexibilität dar. Die Auswahl von Alternativen geschieht teils statistisch, teils zufällig, aber eben oft auch pragmatisch bedingt. Inwiefern die Kombination aus konnektionistischen und funktionalistischen Ansätzen tatsächlich auch für sehr komplexe Sätze Alternativen zur Generativen Grammatik darstellt, muß sich erst noch zeigen. Es sollte allerdings bedacht werden, daß ein Modell wie das der Generativen Grammatik in den anderen Humanwissenschaften nicht üblich ist und daß daher ein wissenschaftsübergreifender Ansatz wie der vorliegende von besonderem Interesse sein sollte. 10

Ein Amalgam ist das Ergebnis einer Verschmelzung zweier, selten mehr, Wörter, die wie ein einziges behandelt werden wie haste 'hast du' in de Bommel haste de Bommelmütze (1;9,21). " Das geschieht auch sprachgeschichtlich, z.B. engl, an apron aus a napron oder dt. Natter, aber Otter, was den anlautenden Nasal verlor, da er zum Artikel gehörig interpretiert wurde, beides ursprl. 'Wasserschlange'. " Die Beispiele sind teilweise Wiederholungen von Beispiel (1). Hier und im folgenden werden Beispielssätze, wenn sie emeut aufgeführt sind, in die laufende Numerierung mit einbezogen.

2. Leitgedanken

2.1. Funktionalität Bei den Analysen von Kindersätzen hat es sich immer wieder gezeigt, daß die ersten Produktionen mithilfe üblicher Ansätze, dazu zählen überwiegend generative Modelle, nicht ausreichend beschreibbar sind und sich nicht als formal regelhafte Strukturen einordnen lassen. Ein weiteres Problem bereitet der Übergang von der vorsprachlichen Phase über einzelne Wörter zu satzähnlichen Äußerungen, telegraphic utterances. Die Untersuchungen werden zusätzlich dadurch erschwert, daß bei immer mehr Kindern holistische Sätze gefundenen werden (vgl. Peters 1977, Menn 1983, Kaltenbacher 1990, Peters & Menn 1993, Elsen 1996a). Eine Syntaxtheorie hat mit der Interpretation von Einzelwörtern Probleme. Sie als Einwortsätze (McNeill 1970, schon Bloch 1924 'mots-phrases') zu kennzeichnen scheint eher eine Notlösung. Auch bei Zweiwortsätzen sind der Interpretation im syntaktischen Sinne wenig Grenzen gesetzt (vgl. Bloom 1970). Zum Problem der Überinterpretation vgl. auch Tracy (1996). Die vorliegende Studie konzentriert sich auf die Entstehung von grammatischer Struktur in den ersten zweieinhalb Lebensjahren, wobei auch der Übergang von ersten Produktionen überhaupt über einzelne Wörter zu ersten Wortkombinationen betrachtet wird. Dabei sind funktional-pragmatische Faktoren ein wichtiger Bestandteil bei der Sprachbeschreibung. Wie viele pragmatisch orientierte Ansätze annehmen, ist zwischen der eigentlichen Form bzw. dem Satz und der Sprecherinnenintention zu trennen. In der Relevance Theory (Sperber & Wilson 1986) beispielsweise wird der letztere, 'inferentielle' Bereich als der grundlegende, ursprünglichere und umfassendere gesehen, auf dem sich Sprache im engeren Sinne („grammar-governed representational system" ibd.: 173) entwickelte und sich zu dem spezialisierte, was wir heute an Sprachsystemen haben. Diese sind jedoch ohne die Basis der 'inferentiellen' Ebene nicht möglich.1 Sperber & Wilson (1986) gehen von einer natürlichen Verbindung zwischen sprachlicher Form und pragmatischer Interpretation aus, die über strukturelle, zeitliche und verarbeitungstechnische Einschränkungen erklärt wird (ibd.: 217). Auch wir nehmen an, daß die funktionale Ebene die grundlegendere ist, auf der die formale Ebene fußt. Entsprechend wird bei der Entwicklung der Syntax zu zeigen sein,

1

Die beiden von Sperber & Wilson behandelten Bereiche sind coded und inferential communication. „The coded communication process is not autonomous: it is subservient to the inferential process. The inferential process is autonomous: it functions in essentially the same way whether or not combined with coded communication [...]. The coded communication is of course linguistic: acoustic (or graphic) signals are used to communicate semantic representations. The semantic representations recovered by decoding are useful only as a source of hypotheses and evidence for the second communication process, the inferential one. Inferential communication involves the application, not of special-purpose decoding rules, but of general-purpose inference rules, which apply to any conceptually represented information" (Sperber & Wilson 1986: 176). Auch in unserem Ansatz trennen wir formale Aspekte, dazu gehören primär die Struktur, aber auch Symbole / Wörter und damit ihre explizite Referenz, allerdings peripher, von funktionalen Aspekten - was will ich mit dem, was ich sage? warum sage ich es so, wie ich es sage? Dazu gehören auch gemeinsame Basiskenntnisse und Ko- und Kontextwissen.

32 daß zunächst funktional kodiert wird und erst nach und nach Struktureigenschaften der formalen Ebene übernommen werden. Dabei müssen die Äußerungen aus beiden Perspektiven gesehen werden. Wir nehmen an, daß schließlich jeder Satz als formale und gleichzeitig auch funktionale Einheit interpretierbar ist. Die Sprecherinnen wollen bei der Kommunikation neben der eigentlichen Botschaft auch ihre Intention übermitteln. Die funktionale Ebene ist psychologisch-pragmatisch bedingt. Die Basiskomponenten sind lllokution (das, was wir tun, wenn wir sprechen), Fokus (das, was wichtig ist, worüber wir sprechen vs. Thema/Hintergrund, das, was gegeben ist, worüber wir sprechen) und Kommentar (das, was wir an Zusatzinformation geben). Auf der formalen Ebene haben wir beispielsweise den Begriff des Subjekts. Die Ebenen gehen ineinander über. Gerade linguistische Arbeiten beschränken sich in ihren Beschreibungen gern auf die formale Ebene. Funktionale Grammatiken hingegen, die oft psycholinguistisch orientiert sind, arbeiten auch mit Gesprächssituation, Sprecherbedürfnissen, kognitiven Aspekten und Informationsstrukturierung in Hinblick auf Hörerinnen als einflußnehmende Faktoren bei der Analyse des sprachlichen Materials (z.B. Dik 1978, 1980, 1983, Givon 1979a, 1995, van Valin 1993, Halliday 21994). Es fehlt allerdings ein kohärenter Rahmen und eine kohärent gebrauchte Terminologie (vgl. den kritischen Überblick in Nichols 1984). Die komplexen Regelapparate der generativen Modelle mit dem Anspruch der universellen Gültigkeit wurden von funktionalistischer Seite nie erreicht. Generative Ansätze postulieren aber zusätzlich die psychische Realität ihrer Regeln, deren Existenz ihnen jedoch nie zu beweisen gelang. Dies wird wegen der unterschiedlichen Domänen Bezugsbereich (auf ein abstraktes System) und Untersuchungsbereich (der konkreten Sprachrealisation) auch nie möglich sein. Statt es bei einem Beschreibungsapparat mit universeller Gültigkeit zu belassen, wird die psychische Existenz der Regeln und Parameter angenommen, die bei der Geburt bereits gegeben (bzw. angelegt) sein sollen (vgl. Arbeitshypothese 3), wie die sich über Jahrzehnte hinziehende Diskussion mit immer wieder neuen Varianten sprachtheoretischer (Theory of Government and Binding, Chomsky 1981; Lexical Functional Grammar, Bresnan 1982; Generalized Phrase Structure Grammar, Gazdar et al. 1985; Chomskys Minimalist Approach, Chomsky 1995) und lerntheoretischer Art (z.B. Reifungshypothese (maturation hypothesis): Borer & Wexler 1987, Felix 1987; Kontinuitätshypothese: Pinker 1984, Clahsen 1988a, Roeper & Weissenborn 1990) zeigt. Neue Ergebnisse aus neurologisch-kognitiven Untersuchungen jedoch fuhren immer mehr zu dem Schluß, daß die generativen Annahmen zur biologischen Grundausstattung des Menschen nicht haltbar sind. Wir äußern uns nicht zu der Frage, inwiefern das Endergebnis der Sprachentwicklung als theoretisches System mithilfe des generativen Ansatzes beschreibbar ist. Er kann aber auf viele Fragen keine befriedigenden Antworten geben, beispielsweise, warum sich Kinder einer Sprache in ihrer Sprachentwicklung unterscheiden, warum der Erwerb einer Konstruktion teilweise recht lange dauert und mit vielen und unterschiedlichen 'Fehlern' einhergeht, warum analytische und holistische Produktionen gleichzeitig auftreten, warum sich die verschiedenen sprachlichen Bereiche mehr als nur marginal beeinflussen, warum die Sprache, die an die Kinder gerichtet ist, sich sehr oft von der an Erwachsene gerichteten Sprache unterscheidet, sich aber von Sprache zu Sprache wiederum ähnelt, und schließlich, warum Sprache als einziges kognitives System präexistent und unabhängig in unseren Köpfen sein soll. Die vorliegende Arbeit versucht, diese Fragen zu beantworten und zu zeigen, daß die Annahme eines komplexen Regelapparates dabei nicht nötig ist. Unter Berücksichtigung

33 funktionaler Aspekte und konnektionistischer Grundgedanken wird der Weg von ersten gezielten Lautäußerungen bis hin zu komplexen Sätzen am Beispiel von Daten eines Kindes gezeigt und erklärt und um Belegmaterial aus der Literatur ergänzt. Der zweifachen Betrachtungsweise der Produktionen als funktionale und formale Einheiten kommt eine tragende Rolle zu. Dabei wird schrittweise unser Ansatz erläutert, in dessen Rahmen Erklärungsmöglichkeiten für die vorgestellten Beobachtungen gesehen werden, aber auch für andere Aspekte der Sprachbenutzung wie Sprachwandel, synchroner Variation und Sprachkontakt. Daß es sich dabei um die gleichen grundlegenden Bauweisen handelt, wird abschließend kurz dargestellt. Im Mittelpunkt steht der Erwerb der Strukturen und damit der Aufbau der Sprache.

2.2. Zentrale Annahmen Für unseren Ansatz sind einige Annahmen von zentraler Bedeutung, die sich teilweise direkt aus unserer Vorstellung einer netzwerkartigen Informationsverarbeitung ergeben. Erstens unterscheiden sich Kinder und Erwachsene prinzipiell nicht in ihren Äußerungen. Allerdings ist der Stellenwert der pragmatischen Komponente beim erwachsensprachlichen Gebrauch der Zielsprache, vor allem in schriftlichen Texten, geringer.2 Die Beschränkungen durch die sich erst entwickelnden Verarbeitungskapazitäten sind bei Kindern größer. Da die Architektur des verarbeitenden Systems sich mit jedem Verarbeitungsprozeß verändert, unterscheiden sich die jeweiligen Systeme von Erwachsenen und Kindern. Die Unterschiede sind resultativ, nicht grundlegend zu sehen. Weiterhin sind Gründe für Besonderheiten bzw. Abweichungen im sprachlichen Verhalten außerhalb der Struktur zu suchen. Neben kommunikativ-pragmatischen Aspekten beeinflussen anatomisch-motorische und neurologische bzw. verarbeitungsbedingte Faktoren die Produktionen und dienen als Grundlage für Erklärungsmöglichkeiten. Wie mehrfach erwähnt, gehen wir davon aus, daß die Fähigkeiten, Information zu extrahieren, zu abstrahieren, zu reorganisieren, zu generalisieren und aktiv anzuwenden, in der neurologischen Architektur des Menschen angelegt sind. Sie wirken in allen Bereichen der Informationsverarbeitung (vgl. u.a. Kelly & Martin 1994). Nebenprodukte dieser Verarbeitung sind u.a. holistische neben analytischen Bildungen oder Linearisierung statt, später neben, Hierarchisierung der Strukturen. Viele Veränderungen im sprachlichen und nichtsprachlichen Verhalten sind auf das Bedürfnis nach Konformität mit den erwachsenen Mitmenschen zurückzufuhren. Die Fähigkeit zum analogen Handeln ist ebenfalls neurologisch gegeben. Aus unserer Sicht der Informationsverarbeitung ergibt sich, daß die Rolle des Inputs grundlegend ist. Die täglich gehörte Sprache liefert die nötige Information als Basis, als ständige Orientierungshilfe und letztendlich als Ziel, in dessen Richtung das Kind sich entwickelt. Aus der Vorstellung, Informationsverarbeitung geschehe netzwerkartig, ergibt sich ein Regelbegriff auf der Basis der Prototypentheorie. Regeln sind starke Generalisierungen,

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Ich bedanke mich bei Wofgang Schindler, der dazu völlig korrekt bemerkt, daß Erwachsene über die teilweise sehr komplexen Strukturen der Schriftsprache verfügen, die natürlich auf die bereits erworbene mündliche Sprachkompetenz einwirken. Kleine Kinder verfügen nur über gesprochene Sprache. Was den Gebrauch von Schriftsprache anbetrifft, dürfte es allerdings erhebliche Schwankungen in der erwachsenen Bevölkerung geben.

34 die probabilistisch realisiert und darum (selten) auch nicht angewendet werden. Der Regelbegriff ist nicht, wie im generativen Sinne, absolut verpflichtend. Die Möglichkeit, über die Sprecherintuition Akzeptabilitätsurteile von richtiger und falscher Regelanwendung abgeben zu können, bleibt bestehen. Analog wird auch der Kategorienbegriff im prototypischen Sinne aufgefaßt. Die Vorstellung von netzwerartig verteilter Information ermöglicht weiterhin, Kompromißlösungen durch das complexity / fluency trade off zu erklären. Sprecherinnen sind stets unterschiedlichen Bedürfnissen unterworfen - trotz Müdigkeit und Abgelenktheit komplexe Botschaften zu vermitteln, gleichzeitig aber präzise zu sprechen - ganz zu schweigen von sozialen und kulturellen Anforderungen. Dadurch, daß alle Aspekte der sprachlichen und nichtsprachlichen Kommunikation zusammenhängen und interagieren, können sie bei Entscheidungsfindungen miteinfließen und situationsabhängig zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Ein Ansatz wie der hier vorgestellte kann keine exakten Voraussagen treffen, weil viele individuelle Faktoren individuell zusammenspielen. Wir gehen hier nicht so weit wie Ickler (1978), für den jede bestimmte Regel zufallig ist, weil auf der langue-Ebene der Usus Tyrannus herrscht (Ickler 1978: 31). Aber wir betonen in Anlehnung an Ronneberger-Sibold zum Sprachwandel (1980: 227, 245), daß wir es hier nicht mit einer naturwissenschaftlichen, sondern einer humanwissenschaftlichen Theorie zu tun haben. Ebenso wie Sprachwandel verläuft Spracherwerb nicht völlig gesetzmäßig. Aber warum sollte er deswegen mit einer deterministischen Theorie erfaßt werden? Eine weitere Annahme ergibt sich daraus, daß Sprache eine Funktion erfüllt und nicht isoliert von den Sprachbenutzern und der Äußerungssituation gesehen werden darf. Daß die formale und funktionale Ebene des Satzes zu trennen sind, soll u.a. an der Entstehung des Subjektbegriffs deutlich werden (vgl. ausführlich Kap. 6.3.1). Zunächst ist es unmöglich, mit formalen Einheiten wie der des Subjekts zu arbeiten. Frühe Sätze sind mithilfe pragmatischer Begriffe wie I (Illokution - was die Sprecherinnen mit der Äußerung erreichen wollen), F (Fokus - was besonders wichtig ist, (nicht, was neu ist)) und später T (Thema - Gegenstand bzw. Hintergrund der Äußerung, was bereits erwähnt wurde, was bekannt ist) zu beschreiben. Dabei decken sich diese Begriffe nicht genau mit der in der Literatur zu findenden Terminologie. Vielmehr müssen sie in Einklang gebracht werden mit der egozentrischen Sichtweise kleiner Kinder, die wesentlich stärker als Erwachsene die eigene Person als Ausgangspunkt für Kommunikation selbstverständlich und zentral annehmen. Statt gänzlich neue Termini anzusetzen, werden diese bekannten, inhaltlich ähnlichen Begriffe verwendet. Die Entwicklung formaler Einheiten aus pragmatischer und semantischer Information, wie sie ja möglich wäre, wird hier am Beispiel des grammatischen Subjekts näher betrachtet. Eine zusammenhängende Entwicklung von Fokus über Agens/Verursacherln der Handlung zum Subjekt, untersucht anhand der Vorfeldbesetzung, wird in unseren Daten jedoch nicht deutlich. Von Subjekt als struktureller Größe kann erst gesprochen werden, wenn das Kind strukturelle Information wiedergeben kann. Wir nehmen an, daß bei der Sprachverarbeitung verschiedene Informationsbereiche zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich stark wirksam werden. Das Kind arbeitet zunächst rein pragmatisch und gibt den Fokus wieder: das, was jeweils das wichtigste ist: Ball, Ei. Strukturen werden erst teils linear imitiert ([data] das da), teils analytisch produziert ([da bal] da Ball). Mit wachsendem Datenmaterial sind neben Reproduktionen von längeren Ausdrücken, d.h. wörtlich memorierte Sätze oder Satzfragmente wie wie geht's dir? (Churtks bzw. Gestaltausdrücke bzw. holistische Bildungen) oder geht nicht

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(.Amalgam) immer mehr Schema-bedingte (vgl. wo 's X: wo 's Papa, wo 's Mama), analogische (vgl. Handbad zu Fußbad), dann generalisierend regelhafte Produktionen möglich. Hier handelt es sich um fließende Übergänge. Auch Schlesinger (1982) vermutet „that the child generalizes from rote-learnded patterns and pivot patterns to open relational patterns. Such a generalization need not occur at one go"3 (Schlesinger 1982: 206). Erst nach einiger Zeit kann von Struktur im syntaktischen Sinne gesprochen werden, wobei die Analyse durch lange Parallelphasen von holistischen und analytischen bzw. pragmatisch und zielsprachlich orientierten Äußerungen erschwert wird (vgl. auch Kaltenbacher 1990). Von Subjekt kann erst gesprochen werden unter Zuhilfenahme anderer formaler Information wie Kasusmarkierung, Finitheit des Verbs und Subjekt/Verb-Kongruenz (vgl. auch Tracy 1991). Dabei ist kein plötzliches Einsetzen von Subjektgebrauch oder Verbzweitstellung auszumachen. Gegenteilige Behauptungen aufgrund anderer Korpora, der Erwerb der korrekten Finitumstellung steige sprunghaft (von ca. 40% auf etwa 90%, Clahsen 1988a: 75) sind mithilfe der dort mitgelieferten Daten nicht nachvollziehbar. Auch diese zeigen im Gegenteil eine stete Zunahme der V2-Produktionen von 30% über 54%, 64 % zu 97 % (Mathias) bzw. von 24 % über 43%, 73 % zu 94% (Daniel) (ibd.: 75). Die Kinder wachsen langsam in die zielsprachliche Struktur hinein, bis formale Regularitäten über pragmatisch bedingte Auswahl und Anordnung überwiegen und der Grad der Generalisierung so hoch ist, daß von Regelanwendung gesprochen werden kann. Hier spielt der Schemabegriff eine entscheidende Rolle. Schemata sind Hilfsstrategien und, wie auch die Analogiebildung, Vorläufer zu starken Generalisierungen, sprich Regeln. Die aktive Verwendung solch einer Regel äußert sich in den in allen strukturellen Bereichen zu findenden Übergeneralisierungen, die zeigen, daß immer wieder Regeln zu stark angewendet werden, z.B. kochte, sagte, *gehte; Fische, Steine, *Sande 'Dünen'; Halter, Schieber, *Schlafer 'Bett'.

2.3. Der Stellenwert der Analogie Analogie kann auf zwei Ebenen betrachtet werden. Einmal als „Bedürfnis, in vergleichbaren Situationen vergleichbar zu handeln" (Ronneberger-Sibold 1980: 207). Das bedeutet für ein Kind, tägliche Routinen zu durchlaufen, in denen auch bestimmte, stets wiederkehrende Lautäußerungen ihren Platz haben, z.B. Situationen wie Wickeln, Essen, zu Bett bringen, Verabschieden, Spiele wie Kuckuck/Verstecken und andere, rein familieninterne 'Zeremonien'. In solch einem festen Rahmen kann ein Kind allmählich von der passiven Rolle auf die aktive Rolle überwechseln und selbst nein sagen, wenn es an die Bücherwand geht und damit die Sicht des Gegenübers übernimmt. Das Bedürfnis nach Konformität zusammen mit dem Nachahmungstrieb ist der Motor für das Sprechen und den Wunsch,

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Pivot patterns sind Zwei wortsätze, in denen Wörter einer kleinen Gruppe kombiniert werden mit anderen Wörtern und dabei eine feste Stellung aufweisen. Die Wörter dieser kleinen Gruppe werden aber nicht untereinander kombiniert (Braine 1963). Durch eine pivot grammar entstehen Sätze wie Papa weg, Mama weg, Hund weg, da Mama, da Puppe, da Kind, auch Puppe, auch Papa, auch Nase, etc., aber nicht da auch, Mama da. Da solche Strukturen in der Folgezeit gar nicht häufig bei Kindern zu finden waren, wurde die Idee der pivot grammar wieder aufgeben.

36 möglichst so zu sein, wie die anderen, (heute) meist Erwachsenen (zur Rolle der Analogie im Sprachwandel auf Handlungsebene vgl. Ronneberger-Sibold 1980). Neben dieser allgemeinen, psychologisch-sozialen Form der Analogie gibt es natürlich auch die auf der formalen Ebene. Paul (1880) hat hier von Analogiebildung nach einer Proportionsgleichung gesprochen (vgl. Paul 1880). Bei wenigen Vorbildern wird dabei von Analogiebildung gesprochen, bei vielen Wörtern und der Generalisierung des zugrundeliegenden Musters von Regelbildung (Becker 1990). Dabei sind die Übergänge fließend (vgl. auch Köpcke 1993: 49). Entgegen der in der sonstigen Literatur häufig zu findenden Auffassung, daß durch analogische Bildungen eine Zerstörung von Regeln erfolgt, ensteht unserer Meinung nach eine Regel durch Zunahme der Fälle. Wir gehen davon aus, daß zwischen Analogie- und regelhaften Bildungen prinzipiell kein Unterschied existiert (vgl. auch Becker 1990). Der hier zugrundeliegende Regelbegriff läßt zunehmende Grade der Generalisierung von vereinzelten bis hin zu (fast) immer angewendeten Mustern zu. Dies entspricht der konnektionistischen Regelauffassung. Die Bildungen sind Einflüssen wie type- und fo&ew-Frequenz und Salienz unterworfen. Die 'Regel'anwendung erfolgt probabilistisch, nicht absolut. Sowohl auf der pragmatischen als auch der formal-prozeduralen Ebene handelt ein Kind, wie alle Sprecherinnen auch, analogisch. Das bietet Erklärungsmöglichkeiten für Spracherwerb oder Sprachwandel überhaupt. Dabei sind Analogiebildungen nicht Sonderfälle, sondern unterscheiden sich nur graduell von Regelbildungen aufgrund unterschiedlich starker Generalisierung. Es soll durchaus nicht übersehen werden, daß der Analogiebegriff theoretisch schwer beschränkbar ist, was den Erklärungswert mindern mag. Computertechnisch lassen sich analogische Formen über maximale Oberflächenähnlichkeiten verstehen. Tatsächlich arbeiten Computermodelle u. a. mit phonetischer Ähnlichkeit - je mehr sich zwei Formen ähneln, desto ähnlicher (sprich 'analoger') ist ihre Verarbeitung: lachen : lachte - machen : machte. Aber auch semantische Ähnlichkeiten fuhren zu analogem Verhalten - Das Wort Collie sollte in der Sprachverarbeitung behandelt werden wie Dackel. Die verschiedenen Grade der Ähnlichkeit sind in einer Computersimulation meßbar, linguistisch jedoch höchstens schätzbar. Verhalten sich Maus - Haus ähnlicher als Maus - Klaus, da erstere sich in einem Laut unterscheiden, oder andersherum, da Maus und Klaus beide belebt sind und sich in semantischer Sicht mehr ähneln? Worin für die Sprachbenutzer die Vergleichbarkeit besteht, läßt sich schwer voraussagen. Schemata sind ebenfalls Abstrahierungen. Sie geben die Gemeinsamkeiten und Regularitäten (ähnlicher) Einheiten und Strukturen wieder und stellen sie zu Gruppen zusammen. Dabei werden die Unterschiede zwischen ihnen vernachlässigt. Da sie mit individuellen Einheiten aufgefüllt werden können, bilden sie eine Mischform zwischen holistischen und analytischen Produktionen (vgl. das phonologische Schema Ci VC2a: /doza/, /rob/, das Schema für Pluralzuweisung die X / die X-en: die Frau / die Frauen, die Mimik /die Mimiken und schließlich das Schema für wo-Fragen wo 's der X hin ?: wo 's der Papa hin?, wo 's der Ball hin?). Im folgenden erläutern wir schrittweise unseren Ansatz und überprüfen dabei die Arbeitshypothesen. Die Behandlung der verschiedenen sprachlichen Systeme entspricht dabei ungefähr der Reihenfolge beim Erwerb. In Kapitel 3 wird zunächst die Methodik der Datenerhebung vorgestellt. Anhand des Lauterwerbs wird in Kapitel 4 der Grundaufbau und die Arbeitsweise eines Netzwerkmodells demonstriert. In Kapitel 5 verdeutlicht die Partizipienbildung weitere Grundannahmen, und am Beispiel der Pluralbildung wird das

37 Zusammenspiel und der Wechsel verschiedener sprachlicher und nichtsprachlicher Signale (cwe-Kooperation und Verschiebung) gezeigt. Die Entstehung syntaktischer Strukturen (Kapitel 6) erklärt sich durch noch komplexere distributionelle Information und cueVerschiebung sowie den langsamen Aufbau von Einheiten / Kategorien und Strukturen über Analogie- und Schemabildung. Auch die Spontanschöpfungen bei der Wortbildung entstehen analogisch (Kap. 7). Abschließend präsentiert Kapitel 8 den Ansatz in seiner Gesamtheit und überprüft die Leistung in Hinblick auf die Datenlage. Dabei wird die zentrale Stellung des Lexikons deutlich. An Beispielen zu diachronem Wandel, synchroner Variation und Pidgin- und Kreolsprachen wird gezeigt, daß unser Ansatz auch damit prinzipiell vereinbar ist. Nachdem die Arbeitshypothesen wiederholt zurückgewiesen wurden, sind alternativ dazu eigene Hypothesen formuliert. Kapitel 9 stellt diese Grundannahmen vor und bietet einen zusammenfassenden Überblick. Im Anhang sind weitere Daten zum Erwerb von Nomen, Verben, Komposition, Derivation, zusammengesetzten Zeiten und verschiedenen Partikeln aufgelistet.

3. Methodik 3.1. Die Tagebuchstudie Die hier verwendeten Daten stammen aus einer Tagebuchstudie von A., der einsprachig deutsch aufwachsenden Tochter der Autorin - teilweise veröffentlicht in Elsen (1991). Notizen wurden seit dem Tage der Geburt gemacht. Kontinuierliche Mitschriften in IPA begannen mit dem ersten Wort im Alter von 0;8,23 (vollendetes Lebensjahr; Monat, Tag). Das Kind wurde während der gesamten Wachzeit beobachtet mit Ausnahme von stundenweisen Trennungszeiten während eines Umzugs Mitte 1;5 und einem Wochenende Anfang 1;9. Neben Notizen zu Aussprache und jeder Aussprachevariante der einzelnen Wörter und Wortformen wurden die wesentlichen sprachlichen und nichtsprachlichen Informationen festgehalten (Morphologie, Syntax, Referenz, Kontext) und zwischen imitierten, halbspontanen (Zielwort nach dem letzten Schlaf gehört, aber nicht unmittelbar vor der Produktion) und spontanen Äußerungen unterschieden. Zweimal täglich wurden die Notizen auf Karteikarten übertragen und dabei zusätzlich zu Produktionssituation, Gebrauchshäufigkeit und Änderungen in der Aussprache Stellung genommen. Das gesamte Korpus wurde dreimal im Monat nochmals kontrolliert. Vorkommenshäufigkeiten einzelner Wörter und Formen sind mit 'täglich', 'oft', 'selten' etc. angegeben, so daß ein ungefährer Eindruck des nichtlinearen Gebrauchs möglich ist. Die kontinuierlichen Notizen endeten, als A. 2;5 war. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie das phonologische System erworben - ursprüngliches Ziel der Studie (Elsen 1991). Wegen des kontinuierlichen, täglichen Zusammenseins von Mutter und Kind war es möglich, das gesamte Vokabular und die genaue phonologische Entwicklung in dieser Zeit festzuhalten. Obwohl für die Studie der Erwerb des Lautsystems im Mittelpunkt stand, konnten Auffälligkeiten zur Äußerungssituation (Berge nur, wenn A. aus dem Fenster sieht, vgl. Kap. 6.1 und Elsen 1998b) und Referenten (Ball zu runden Lampen), Bemerkungen zu Gebrauchshäufigkeiten und Ausfall einzelner Lexeme sowie Notizen zu Morphologie und Syntax festgehalten werden. Zusätzlich wurden Tonbandaufnahmen (0;4 bis 8 Jahre) mitgeschnitten, die jedoch aus Zeit- und Kostengründen nur für die Analyse der Babbelphase herangezogen wurden. Einige der frühen Aufnahmen wurden mit einem Sonagraphen zusammen mit einem ausgebildeten Phonetiker überprüft, wobei die Übereinstimmungen zwischen den Sonagrammen und den Transkripten deutlich über 80% lagen. Ab 2;5 wurden die Notizen zunächst täglich, dann in Abständen fortgeführt. Es ist hervorzuheben, daß die Datenerhebung (ab 1987) theorieunabhängig geschah. Bislang existiert kein vergleichbares Korpus sowohl, was den Untersuchungszeitraum, die Dichte und Komplexität des Materials betrifft, als auch bezüglich der Notationsweise. In der Regel liegen Daten transliteriert vor. Dies ist aber für viele Fragestellungen nicht ausreichend. Unterschiede zwischen [komta] und [kamt»], [da papa], [d& papa] und [da papa] werden bei Transliterationen zu leicht übersehen. Häufig wird durch die Transliteration bereits eine Interpretation erzwungen - heißt [xoete papa] gehört der Papa oder gehört da Papa, heißt [8a 'eg] zu eng oder so eng? Gestaltausdrücke wie [bäpais 'is"'a] können nur in einer engen phonetischen Transkription wiedergegeben werden. Ein Transliterationsversuch wie Papa ist nicht da interpretiert mehr sprachliches Wissen in

40 die Äußerung hinein als tatsächlich vorhanden. Die in dieser Arbeit vorliegenden äußerst aufwendigen Transkripte in enger phonetischer Umschrift mit Diakritika ermöglichen erstens die Wiedergabe und Interpretation von Gestaltausdrücken, die in den meisten Arbeiten von der Untersuchung ausgeschlossen werden (Peters 1977), und zweitens die nachträgliche Überprüfung von komplexen Äußerungen wie [VDS das?]. Denn diese Äußerung kann transliteriert sowohl als was ist das? als auch - wie in diesem Fall falschlich wo ist das? wiedergegeben werden. Zusammen mit der Kenntnis des Gesamtkorpus werden so auch Amalgame als solche erkannt, beispielsweise fisa] isser, [tuita] tuter, und nicht als Verben mit besonderer Markierung wie in Clahsen (1988: 77f.). Daß genaue Informationen zur gesamten Sprachentwicklung und jeweiligen Situation als auch des Kindes selbst vorhanden sind, ist eine weitere Besonderheit dieses Korpus. Durch das ständige Miteinander von Mutter und Kind stehen wesentlich mehr Zusatzinformationen zur Verfügung als in den anderen Tagebuchstudien von Leopold (u.a. 1939, 1949 / 1970) oder Stern & Stern ( 4 1928 / 1965) oder Langzeitstudien, in denen Kinder zu ausgewählten Zeitpunkten beobachtet werden. Bei genauer Kenntnis der gesamten sprachlichen und nichtsprachlichen Entwicklung des Kindes in Kombination mit Informationen zur Äußerungssituation kann vielfach entschieden werden, wann es sich bei geht oder laufen um Partizipien handelt oder um die dritte Person, Sg., Präsens bzw. den Infinitiv, wann das Kind mit wauwau Hunde meint und wann Enten (vgl. Elsen 1995c), was Formen wie [vuitatakj bedeuten, nämlich Hustensaft, und wie diese Formen entstehen (vgl. Kap. 4.3). Die gesamte Problematik der analytischen Bildungen gegenüber Schemata und Gestaltausdrücken ist überhaupt erst bei Kenntnis des Gesamtkorpus erkennbar. Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß auch in unserer Studie das unvermeidbare Problem der Interpretation von Intention und Situation besteht. Die genauen Absichten eines Kindes sind nicht immer eindeutig auszumachen. Durch die Einbeziehung von möglichst viel Zusatzinformation haben wir das zu kompensieren versucht. Wie wichtig die Kontinuität der Datenerhebung ist, stellte sich erst in den letzten Jahren heraus. Zunächst bezeichneten wir sie lediglich als 'täglich'. Die an die kontinuierliche Phase anschließende Zeit der täglichen, aber nicht kontinuierlichen Erhebung wurde dabei ebenfalls unterschätzt, denn zwar wurden zu Lexik nicht mehr täglich Daten verzeichnet, wohl aber zur Syntax und damit auch zur Morphologie. Im Gegensatz zu der vorliegenden Erhebung enthalten andere Korpora Spracherwerbsdaten, die auf ein bis vier monatliche Tonbandmitschnitte zurückgehen. Für solche Datensammlungen gilt, daß nur die häufigsten Wörter notiert werden können, insofern ist die Repräsentativität dieser Daten für quantitative Aussagen zum Vokabular fraglich. In Elsen (1991) wurde festgestellt, daß Ausschnittsuntersuchungen, die auf regelmäßige Aufnahmen in Tonstudios oder bei den Familien selbst basieren, dem tatsächlichen Sprachentwicklungsstand der Kinder nicht gerecht werden. Die Aufnahmen von A. gaben kein einziges Mal einen repräsentativen Querschnitt des jeweils aktuellen Lautinventars wieder. Dies gilt auch für den Wortschatz. Wie im Kapitel 5 ausführlich dargestellt, weisen viele regelmäßige Verben im Deutschen und Englischen beispielsweise niedrige Vorkommenshäufigkeiten auf und dürften nur zum Teil in Kurzmitschnitten auftreten im Gegensatz zu irregulären Verben, die relativ oft vorkommen und daher rein statistisch auch in vereinzelten Aufnahmen zu finden sind. Die tatsächlichen Verhältnisse werden so verzerrt, daß quantitative Aussagen zu Relationen zwischen irregulären und regulären Verben und zum Gesamtvokabular streng genommen nicht möglich sind.

41 Insgesamt erwies es sich erst deutlich nach der Datenerhebung, wie relevant die Kontinuität, die Dichte und Komplexität des Untersuchungsmaterials, die enge phonetische Transkription, die zeitliche Ausdehnung der Erhebung und das ständige Miteinander von Mutter und Kind tatsächlich sind. Dies ist besonders hervorzuheben, weil kein vergleichbares Korpus in dieser Länge, diesem Umfang und dieser Genauigkeit vorliegt und weil die Erhebung äußerst arbeitsaufwendig und belastend war. Dabei sind Rückwirkungen auf die Entwicklung des Kindes unvermeidlich gewesen. Insofern war A.s Spracherwerb, wie auch der der anderen Tagebuchkinder (Esther Dromi, pers. Mitteilung), nicht ganz 'normal'.

3.2. Die Zielsprache Grundsätzlich wird hier nicht getrennt zwischen abstraktem Wissen über Sprache und tatsächlichem Sprechen. Vielmehr wird angenommen, daß beides fließend ineinander übergeht und daß das System der langue bzw. Kompetenz aus Generalisierungen der real gehörten Daten rekonstruiert werden kann und zusammen mit deren systematischen Veränderungen auch einem Wandel unterliegt. Äußerungen können sich stark an einer extremen Generalisierung orientieren wie in vielen schriftlichen Texten oder wissenschaftlichen Vorträgen. In anderen Situationen wie legeren, emotionalen Unterhaltungen können sie andererseits davon abweichen, so daß 'inkorrekte' Strukturen entstehen. Dazwischen liegt eine weite Spanne von unterschiedlichen Graden der Generalisierung bzw. Regularisierung, die abhängt von den generalisierenden Fähigkeiten der Sprecherinnen, Redekontext, emotionaler und gesundheitlicher Verfassung und vielem mehr. Um die Äußerungen des Kindes besser bezüglich 'Korrektheit' beurteilen zu können, folgt nun ein Überblick über die Sprache der Mutter, die in den ersten zweieinhalb Lebensjahren kaum in der Betreuung des Kindes abgelöst wurde und auch später die Hauptbezugsperson war. Die Sprache der Mutter ist daher als ausschlaggebende Form der Zielsprache für das Kind zu betrachten. Darüberhinaus wirkten sich die Sprache des Vaters und Kinderbücher auf den Spracherwerb des Kindes aus. Bücher stellen sicherlich die einzige Quelle für beispielsweise den Präteritumerwerb dar. Beide Elternteile sprechen schriftnahes Deutsch. Mit der Zeit nahmen geringe Einflüsse aus dem Lippischen, Badischen und Bairischen zu. Grundsätzlich ist die Aussprache der Mutter, die im Kreis Lippe/NRW aufwuchs, stark Norm orientiert. Eine Diskussion zur Existenz des 'Hochdeutschen' wird hier nicht versucht. Umgangssprachliche Einflüsse des Lippischen in der Lautung sind bei den Konsonanten zu finden (vgl. Elsen 1991: 55ff.). Meist wird /pf/ zu [f], Pflaume [fl-]. Sehr selten, abhängig von Aufenthalten in der Geburtsstadt der Mutter, findet Frikativierung des stimmhaften Velars statt, gelogen [falöxn]. Der stimmhafte velare Plosiv erscheint ambisyllabisch nach betonter Silbe, eggen [egg], (allerdings gucken immer, Garage selten mit [k-]). Itl tritt nie auf, stattdessen erscheint [e] (wie in Mädchen) bzw. [ea] (wie in Bären). Langvokale erfahren unter Wortakzent bei leerem Endrand häufig Kürzung und Senkung, wenn ihnen keine nebenakzentuierte Silbe vorausgeht, selten, wenn Schwa folgt: Öma foma], Telefon [teiafon], Langvokale unter Nebenakzent bei leerem Endrand werden gekürzt und gesenkt. Durch diese Vokalkürzungen entstehen meist Endränder. Ein ein-

42 zelner Konsonant der Folgesilbe wird zum Gelenk, sonst erfolgt Resyllabierung, Teleskop [teiasköp], Toilette [toieia], Thekla [tek.la]. Vollvokale in unbetonten Silben werden zu Schwa reduziert, Elefant [eiafant], Koryph äe [kotofea]. Den uvularen Frikativ gibt es nur silbenanlautend. Postvokalisch wird er vokalisiert und erscheint als [a], verschmolzen mit Vokal als [»], Peter [pet»], Dirk [di"k]. Er wirkt senkend auf den vorangehenden Vokal, Ferien [fe'jan], Wie bei sehr vielen Sprecherinnen des Deutschen und besonders realisationsphonologisch ist in Endrändern deutlich keine Engebildung feststellbar, wenn die Schrift enthält. Weitere realisationsphonologische Regelmäßigkeiten im Konsonantismus (vgl. Elsen 1991) sind die Tilgung von Endrandplosiven zwischen Konsonanten außer vor /l, r, h/. /p/ und /k/ bleiben nach Lateral, Handfläche [han.flepa], Klumpfuß [klum.fus], Holz [hals], Kalbsfuß [kalps.fus]. Wenn zwei adjazente Konsonanten in Artikulationsort und -art übereinstimmen, wird der erste nach Langvokal oder Diphthong getilgt. Nach einem Kurzvokal entsteht ein Gelenk, Einnahme fai.nams], Bettzeug [beisoip]. Folgt /// auf /s/, wird letzteres getilgt, aussteigen [au.Jtai.gi)]. /z/ nach /// bleibt, Waschseife [vaf.zaife]. Bei ge- assimiliert /g/ fast immer an den vorangehenden Konsonanten, festgehalten [fesa.hal.tn], angezogen fana.tsö.gp], parp.tsö.gg]. /h/ in nebentoniger, wortinterner Silbe verschwindet, und der letzte Konsonant der vorangehenden Konsonantengruppe wird zum neuen Anfangsrand, Gesundheit [ga.zun.tait], krankhaft [kirag.kaft]. Bei wortinternen homorganen Verbindungen von Nasal und stimmhaftem Plosiv nach Kurzvokal entfallt der Plosiv. Der Nasal bildet ein Gelenk, Hände [hena], Kinder [knte], teilweise auch Bonbon [boiiiag]. Nach Langvokal/Diphthong wandert ein einzelner Konsonant vom Endrand in den Anfangsrand der (schwachtonigen) Folgesilbe, Schlafanzug [flä.fan.tsux], Schulanfang [Ju.lan.fag], Solche Assimilationen sind auch über die Wortgrenze hinaus wirksam, der Kampf war gut [ds a .kam.fa.güt], Hut aufgehabt [hü.tau.fa.hapt]. Verschleifungen und Resyllabierungen nehmen zu bei erhöhter Redegeschwindigkeit und/oder sinkender rhythmischer Hervorhebung: fertig [fea.tip] - [fedip] - [fep]. Für den in dieser Arbeit betroffenen Bereich der Morphologie gilt, daß das ge-Präfix häufig einer Assimilation unterliegt. Das Präteritum ist sehr selten außer bei haben, sein. Hauen wird vorzugsweise haute - gehauen flektiert, scheinen - schien - gescheint, seltener geschienen. Für einige Nomen existieren zwei Möglichkeiten der Pluralbildung. Formen in Klammern sind weniger häufig: Balkon - Balkons [balkogs], Balkone [balköna]; Ballon - Ballons, Ballone; Kontrabaß - Kontrabasse (Kontrabässe); Kokon - Kokons (Kokone); Puzzle - Puzzle, Puzzles; Steinbutt - Steinbutts, Steinbutte; Wurschtel - Wurschtel (Wurschteis); Porsche - Porsche (Porsches); Schal - Schals (Schale); Anorak - Anoraks, Anorake; Kran - Kräne, Krane; Waggon - Waggons, Waggone; Tunnel - Tunnel, Tunnels; Creme Cremes, Cremen; Walroß - Walrosse, Walrösser; Brie - Bries (Briee); Atlas - Atlanten, Atlasse. Für einige Nomen wird eine moderne Form gebildet Brei - Breie (nicht Breis)-, Kiosk - Kioske (nicht Kiosks). Die Unterschiede zwischen gesprochenem und geschriebenem Deutsch sind nur vereinzelt untersucht. Gerade für den Satzbau gibt es offenbar mehr Abweichungen, als oft vermutet, was für einige Anlaß ist, eigene Kriterien für die Syntax spontaner Sprechsprache zu fordern (Sandig 1973). Umgangssprachliche Auffälligkeiten im Bereich der Syntax

43 (vgl. dazu Duden 51995) sind in unterschiedlichem Maße von Anfang an im Umgang mit dem Kind beobachtbar. Zunächst sind die Sätze kurz und vollständig. Grammatische Wörter sind aber oft klitisch. Das Subjekt kann fehlen. Das Vorfeld kann unbesetzt bleiben. Infinitive können statt Imperativ verwendet werden. Klitika gibt es in jeder umgangssprachlichen Variante des Deutschen. Dabei werden grammatische Wörter wie Personalpronomen oder Artikel in unbetonter Position fakultativ als reduzierte Formen an Nachbarlexeme angehängt. Im Gegensatz zu Altmanns (1984) Beobachtungen für einen bairischen Dialekt sind die hier vorgefundenen klitischen Pronomen keinesfalls als Affixe aufzufassen, da keine volltonigen Parallelformen im gleichen Satz auftreten dürfen. Klitische Pronomina sind u.a. gehen wir [gen.va], [ge.ma]; haben wir [ham.va], [hama]; willst du [vil.sta]; will sie [vil.za]; will er [viia-]. Beispiele für die Kopula sind Papa ist da [papas.da], wo ist der Schuh? [vösd^Ju], für den Artikel hast du ihn? [hastn], für Modalpartikeln was ist denn das? [vasndas]. Das Subjekt kann fehlen, wenn es vorerwähnt ist oder aus dem Situationszusammenhang hervorgeht (das) is ja toll, (das) geht nich. Aussagesätze können mit dem Verb beginnen, wenn die fehlende Information aus Kooder Kontext ergänzt werden kann, (das) is ja toll, (das) geht nich, (da) kann ich nichts för, (den) haben wir nicht. Lehmann (1991: 529) spricht sogar von einer Tendenz zu veibinitialer Stellung in Aussagesätzen der deutschen Umgangssprache. In der Regel können bei Satzfragmenten fehlende Teile durch Ko- und Kontext rekonstruiert werden. Bei Antworten handelt es sich um Ellipsen, (Wo ist die Schüppe?) - da im Sand. (Das) geht nich. Bekannte Information steht zu Beginn einer Äußerung, wenn sie nicht getilgt wird. Besonders wichtige Teile können satzinitial oder final herausgestellt werden, den Teller laß stehen, laß ihn stehen den Teller. Häufig werden Infinitive auffordernd verwendet, komm, Schuhe anziehen! Hände waschen! Häufige Spiele bzw. Routinen liefern hochfrequente Satzmuster und turn-taking-Sequenzen, bitte - danke, Kuckuck, wo bist du?, die Puppe hat auch eine Nase, der Papa hat auch eine Nase, der Papa hat auch einen Mund, ... Wie wohl bei den meisten Sprechern des Deutschen tritt weil auch mit Verbzweitstellung auf. Wo als allgemeines Relativpronomen hingegen ist sehr selten. Ansonsten gelten die üblichen Regularitäten der gesprochener Sprache wie das Vorherrschen von Parataxen.

DIE ENTSTEHUNG SPRACHLICHER STRUKTUR

4. Die Entwicklung des Lautsystems Die ausführliche Darstellung des Lautspracherwerbs ist in Elsen (1991) nachzulesen. Hier wird die Entwicklung unter den in dieser Arbeit zentralen kognitiv-konnektionistischen Aspekten neu betrachtet wie verteilte Kodierung von Information und zunehmende Generalisierung statt Regelanwendung. Inwiefern die Entwicklung des ebenfalls unausgebildeten Vokaltraktes und wenig geübter Koordination verschiedener Muskeln und Artikulationsorgane mit der neuronalen Entwicklung einhergeht, kann nicht Gegenstand dieser Studie sein. Zusammenhänge werden allerdings vorausgesetzt.' Zunächst bedient sich das Kind grober Muster als Rahmen (vgl. auch Menn 1978, 1983), die sich mit der Zeit ausdifferenzieren und die der zielsprachlichen Variabilität entsprechen. Dabei kann die Variabilität zunächst zu eng (Untergeneralisierung, Gestaltausdrücke), dann aber auch zu weit (Übergeneralisierung) sein, bis die Produktionen zielsprachlich genannt werden können. Ähnliches gilt auch für den Erwerb von Morphologie, Syntax und Lexik. Weiterhin werden systematische Abweichungen von zielsprachlichen Wörtern, wie sie auch beim Erwerb anderer Sprachen zu sehen sind, innerhalb unseres Ansatzes erklärt. Am Beispiel des Lauterwerbs wird der Grundaufbau und die Arbeitsweise eines Netzwerkmodells demonstriert. Anhand der Computermetapher soll deutlich werden, daß bei Kindern frühe Abweichungen von der Zielsprache u.a. in mangelnder Reife, unvollständig entwickelter Netzwerkarchitektur und wenig zur Verfügung stehender Aktivierungsenergie begründet liegen.

4.1. Die Laute im Einzelnen Merkmale entstehen erst im Laufe der Informationsverarbeitung nach dem Erkennen von Gestaltformen. Dies wird auch bei Untersuchungen biologischer neuronaler Systeme vermutet (Pribram 1991, Brown 1996). Damit deckt sich die Beobachtung, daß beim Lauterwerb eine zunehmende Differenzierung der Oppositionen zwischen den Lauten zu verzeichnen ist (vgl. auch Jakobson 1944/1969, Locke 1983). Die Vokale werden in A.s ersten Wörtern durch einen Neutralvokal um /a/ ([a, A, a', a3]) vertreten, weil das Kind noch nicht Unterscheidungen regelmäßig treffen kann, [i, a, e, i, s'] sind selten. Pro Wort gibt es keine Artikulationsort- und -artwechsel. Konsonanten sind erst nur nasal, dann auch stimmhaft plosiv. Dann erscheinen stimmlose Plosive und (halb)lange Vokale. Die Konsonanten eines Wortes sind zumeist homorgan. Mit 0;10 können sich zwei Plosive in der Phonationsart unterscheiden.

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Die interessierten Leser werden verwiesen auf: Elsen (1991) für frühe Zusammenhänge zwischen Anatomie und Babbellauten, Liebermann (1984) und speziell zu motorischen Aspekten z.B. Theten (1991).

46 Dann, Anfang 0;11, erscheint zum ersten Mal ein Wort mit Plosiv und Nasal {Baum u.a. [bam], vorher [ba, bi, bai]). Die Konsonanten verhalten sich meist homorgan. Konnektionistisch gesehen ist das Geflecht von Netzwerkverbindungen erst sehr einfach. Die Unterscheidung zwischen Vokal und Konsonant ist von Anfang an möglich, weil sie auf den einfachen Unterschied [+/- Hindernis im Mundraum] (durch öffnen und Schließen des Mundes angelegte grundsätzliche Unterscheidung) zurückzuführen ist, wie in der Babbelphase seit Monaten realisiert. Es gibt für die Vokale - konnektionistisch gesehen zunächst einen Knoten /a/ mit verschiedenen Aktivierungsmustern. Für die Konsonanten steht zunächst nur ein Knoten(bereich) zur Verfügung. Dieser wird sehr unterschiedlich realisiert - die Aktivierungspfade unterscheiden sich stark. Das erste Wort nein wird 0;8,23 mit verschiedenen Nasalen oder Plosiven, auch Lateralen artikuliert. Dann entsteht ein Knoten für Nasalität (0;8,25 Mama). Der Unterschied bilabial/alveodental bildet sich aus, ebenso der Knoten für alveodental (Anfang 0;9 da, Papa [baba]). In der vorsprachlichen Phase5 wurden /d/-, /m/- und /n/-Laute3 bereits geübt. Daher resultiert wohl die recht problemlose Realisierung von /m/ und /d/. In den frühen Wörtern bleibt ein einmal gewählter Weg (konnektionistisch: Aktivierungspfad) zwischen Artikulationsart und -ort innerhalb eines Wortes bestehen. Konsonantenharmonie ist das Ergebnis eingeschränkter Variabilität beteiligter Merkmalsknoten, somit kleinerer Aktivierungsmuster. Insofern ist es 'einfacher', zwei gleiche Laute zu bilden als zwei verschiedene. Da auch die Zielwörter aus gleichen Lauten bestehen (Papa, Mama, Baby), fällt bei der Sprachverarbeitung von Anfang an Störung durch Interferenz fort, wie sie zwischen verschiedenen, sich in der Aktivierung behindernden Lauten zu erwarten ist. Im Gegenteil verstärken sich wahrscheinlich die Laute bei Wiederholung. Noch weniger aufwendig ist die Reduplikation der gesamten Silbe, wie sie gerade für A.s allererste Wörter typisch ist. Reduplikationen gehen Konsonanten- bzw. Vokalharmonie voraus, [mama], [baba], [dettc7] (Teddy) vor [daba 1 ] bitte. Das wurde auch von Stemberger (1992) erwartet. Selbst diese Wörter verhalten sich noch partiell harmonisch, da keine Artikulationsart- bzw. Stimmtonwechsel auftreten. Einige Wochen später, Ende 0; 11, wächst die Variationsbreite bei der Kombination von Nasalen und Plosiven bezüglich Artikulationsort und Stimmton. Die Aktivierungsmuster innerhalb eines Wortes differenzieren sich. Anfang 1 ;0 erscheint der Lateral häufig. Zum ersten Mal wird der uvulare Frikativ produziert, [w] und [v] alternieren. Langvokale wechseln sich häufig mit Diphthongen ab. Im Laufe 1;2 produziert A. vermehrt Frikative. Das /h/ stabilisiert sich. Im Laufe 1;9 löst sich die Gruppierung der Frikative vorn [(w), v, f|, mittel [0, ö, s, z, s, z, f, 9] und hinten [x, \s, h, O l zugunsten der zielsprachlichen Verteilung auf. Mit 1;11 ist die Rundung der Lippen bei den hohen Vokalen /u, u, y, Y/ obligatorisch. Mit 2;4/2;5, nachdem als letzter deutscher Sprachlaut /(/ erworben ist, wird das Lautsystem jetzt beherrscht, aber oft genug nicht korrekt wiedergegeben. Die Aktivierungspfade unterliegen von Produktion zu Produktion noch von der Zielsprache abweichenden

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Häufige Laute in der Babbelphase sind auch frühe und häufige Laute der Sprechphase, wie Locke (1983) an Daten aus verschiedenen Sprachen zeigt (für A. vgl. Elsen 1991). Er geht davon aus „that if a segment is frequent in the prelexical babbling of an infant, it is available to be programmed into a lexical unit" (Locke 1983: 55). Selbstverständlich handelt es sich bei den Lauten der Babbel- und frühen Sprechphase nicht um Laute im zielsprachlichen Sinn, sondern um Annäherungen.

47 Schwankungen. Knotenkombinationen für phonetische Merkmale sind bereits relativ sicher ausgebildet. Fremdsprachliche Laute wie /0/, /ö/, /r/ ([r]) ersetzt A. durch einheimische Entsprechungen. Das heißt, daß die für die deutschen Sprachlaute erworbenen Aktivierungsmuster bereits verselbständigte Quasi-Einheiten aus einzelnen Merkmalsaktivierungen bilden und als Ganzes aktiviert werden, somit ähnliche, fremdsprachliche Laute ersetzen. Das System ist auf das Deutsche 'getont'. Ende 2; 11 schließlich unterlaufen A. nur noch gelegentlich kleinere Aussprachefehler. Mit der Zeit werden vermehrt Knoten in den Aktivierungspfad integriert, so daß mehr phonetische Variation auftritt. Dabei müssen sich 'Laute' als eigenständige Aktivierungsmuster erst etablieren. Es entsteht eine Quasi-Einheit, die auf abstrakter Ebene als Phonem eingestuft werden kann. Frühe, relativ sicher beherrschte Aktivierungspfade sind diejenigen für /m/, /n/ und /d/, gefolgt von /b/ und f\J, allerdings in Abhängigkeit von der Position im Wort (Elsen 1991). In kurzen, einfachen Wörtern sind zielsprachliche Aktivierungsmuster (sprich: Laute) eher zu finden, weil weniger Interferenzen mit mitaktivierten Nachbarlauten auftreten können, die in Konkurrenz zu dem intendierten Laut stehen. Weitere Einflüsse sind motorische Komplexität und mehr oder weniger notwendige Präzision in der Feinabstimmung (vgl. Iml vs. Frikative) sowie Auftretensreihenfolge und häufigkeit (Elsen 1991). Neuronale und motorische Entwicklung sind dabei in wechselseitiger Abhängigkeit zu sehen.

4.2. Lautserialisierung Auch bei der Lautstruktur der Wörter wird deutlich, daß zunächst nur grobe Unterschiede realisiert werden. Die Unterscheidung zwischen Vokal und Konsonant wird von Anfang an getroffen (Ende 0;8). Allerdings produziert A. zunächst nur Nasale, dann stimmhafte Plosive. Zweisilbler bestehen aus CV-Verdopplungen. Neue Laute treten in bewährter Struktur auf. Der erste vordere Frikativ erscheint in der bereits bekannten CVCV-Struktur. Daneben existiert eine VCV-Abfolge mit etablierten Lauten, [ada] (alem. Abschiedsgruß). Die nächste komplexere Struktur, C1V1C2QV1/2, ist Mitte 0;11 verzeichnet, Ente [bagba], trinken [gigga], Ende 0; 11 tritt ein Dreisilbler auf, der aus etablierten Lauten und Silbenstrukturen besteht, Banane [namaina]. Da zu Beginn des Spracherwerbs die gesamte Aktivierung niedriger sein dürfte als bei Erwachsenen (vgl. auch Stemberger 1992), reicht die Aktivierung nicht für alle Knoten aus. Knoten mit eher höherer Grundaktivierung, da bereits häufiger benutzt, wie es für 'ältere' Laute der Fall ist, gewinnen gegenüber neuen, wenn neue Knoten für mehr phonotaktische Information mitaktiviert werden. Andersherum treten neue Laute auf, wenn weniger Aktivierung für bereits etablierte Struktur benötigt wird. In beiden Fällen ist auch weniger Interferenz zu erwarten, da seit längerem bzw. häufiger aktivierte Knoten bereits deutlicher über alternative Nachbarknoten dominieren und 'gewinnen'. Mitte 1; 1 benutzt A. das Schema Plosiv - Vokal - ambisyllabischer velarer Plosiv - silbischer Lateral für u.a. Deckel [dekl], danke [gakl], [dagl], [dekl], [gekl], Schachtel [dag}], Gurke [gakj], killekille [digjdigj] neben weiteren Aussprachevarianten (vgl. auch Menn 1978). Hier hat kurzfristig eine Kombination von Aktivierungsmustern (Schema)

48 die Oberhand, da auch Wörter, die nicht diese kanonische Struktur aufweisen, angepaßt werden (Übergeneralisierung). Im Gegensatz zu Stembergers (1992: 174, dort Menn 1983, Vihman 1981) Annahme ist hier keine bedeutungsmäßige Ähnlichkeit zu finden. Vermutlich wies die Struktur für das Kind eine besondere Attraktivität auf und half, die strukturelle Neuheit 'silbischer Konsonant' in das System einzuführen und recht schnell und sicher nach kurzfristiger Übergeneralisierung (einige Tage) zu etablieren. Noch Ende 1;1 gibt es Endränder höchstens bei Einsilblern und als Gelenk. Mit 1;2 treten vermehrt Endränder, vor allem auch Frikative, auch als Konsonantengruppen auf, plums [mDm(p)f], eins [ainz]. Für lexikalische Neuerwerbungen eignet sich nach wie vor die bewährte CVCV-Struktur am besten. Dabei wird stimmhaften Plosiven und Nasalen der Vorzug vor anderen Konsonanten gegeben. Gegen Ende des fünfzehnten Monats gibt es Fortschritte bei der Akzentsetzung. Wurden vorher nur Zweisilbler mit Initialakzent produziert und einige Dreisilbler mit Pänultimaakzent, gibt es jetzt auch Finalakzent oder Dreisilbler mit betonter erster oder letzter Silbe (hatschi, Papier, höppala, guten Tag (als ein Ausdruck)). Konsonantengruppen nehmen an Häufigkeit und Variation in der Zusammensetzung zu. Mit 1;6 treten die ersten dreiteiligen Konsonantenverbindungen auf, und zwar im Auslaut, mit 1;10 dann auch im Anlaut (brauchst, strickt). Einige Einsilbler sind bereits sehr komplex (1;9 quietscht [kvltft]). Mit 1; 11 / 2;0 wird die vokalisierte Irl-Variante im Auslaut jetzt regelmäßig als statt [a] in Wörtern wie Reiter, Käfer oder Wasser realisiert. Silbische Nasale treten regelmäßig auf. Die Korrelation von gespannten Vokalen mit Akzent und Länge ist relativ sicher. Unbetonte, wortinitiale Nebensilben wie ka-, ge-, ver- werden im Laufe der ersten Hälfte des dritten Lebensjahres regelmäßig artikuliert. Der Erwerb der Laute und Strukturen erfolgt vom Einfachen, grob Realisierten langsam zum Komplexen, Differenzierten. Kombinations- und Stellungsmöglichkeiten der Laute innerhalb von Silben bzw. Wörtern sowie die Stellungsmöglickeiten, Komplexität und Menge der Silben nehmen langsam zu. Der Aufbau der Silbe vollzieht sich von innen nach außen, von N4-V, N-V-N, P-V, einzelne Diphthonge über Verbindungen von P/F-VN, P/F-V-P/F, N-V-N-P/F, P/F-N-P/F, N/L-V-N/L-P/F, P/F-P/F-D, P/F-V-P/F-P/F zu P/FN/L-V-N/L-P/F-P/F, P/F-V-V-P/F-P/F-P/F, P/F-V-N/L-P/F-P/F-P/F etc.. Neue Positionen werden mit alten Lauten besetzt (Nasale), dann mit neueren (Frikative). Die Position des Silbenanfangsrandes steht bereits in der Babbelphase zur Verfügung und weist daher höhere Grundaktivierung auf, was den Zugang erleichtert. Das gilt auch für vordere Nasale und Plosive, die zuerst als Anfangsränder auftreten. Die neue Position des Endrandes wird mit bewährten vorderen Nasalen und Plosiven gefüllt. Im Anfangsrand können dann auch neue Laute wie das /j/ erscheinen. Jedesmal benötigt das Kind für neue Laute bzw. Strukturen Aktivierung, die sich auf mehr Knoten verteilen muß, so daß zumindest in einem Bereich - Laut oder Struktur - auf Knoten mit höherer Grundaktivierung zugegriffen wird. Konsonanten und Vokale werden nicht in Isolation erworben, sondern innerhalb von Syntagmen. In Elsen (1991) wurde deutlich, daß die Reihenfolge der Etablierung der Konsonanten im Lautsystem von ihrer Position innerhalb der Silbe abhängig ist.

4

N=Nasale, V=Vokale, P=Plosive, F=Frikative, L=Lateral, D=Diphthong

49 Voraussetzung für fehlerlose Sprachverarbeitung ist ein sicherer Zugang zu einer Einheit. Liefert die Umgebung Konkurrenz durch Aktivierung von Nachbarknoten, die einen störenden, meist hemmenden Einfluß ausüben, ist der Zugang gefährdet. Statt des intendierten Knotens kann ein Nachbarknoten aktiviert werden, wenn er mehr Aktivierung erhält. Auch in relativer Isolation kann die Aktivierung zu niedrig sein, weil der Grundpegel schon zu niedrig ist oder weil zuwenig Aktivierungsenergie über die Verbindung geschickt wird. Je öfter Information durch das System fließt und dabei Knoten aktiviert, desto höher werden die Aktivierungspegel der beteiligten Knoten auch im Ruhezustand sein. Damit verschieben sich die Ursachen für Fehler von zu niedriger Aktivierung zu starker Konkurrenz zwischen Nachbarknoten. Anfänglich fehlen Laute, Positionen in der Silbe bzw. ganze Silben. Beispielsweise fehlt zunächst neben CVCV die Struktur CCVC, weil die notwendigen Knoten nicht aktiviert werden, da die Grundaktivierung noch zu niedrig ist und weil das Gesamtsystem über weniger Aktivierungspotential verfugt als das der Erwachsenen. Dann verteilt sich mehr Aktivierung auf mehr Knoten mit höherer Grundaktivierung (die der betonten Silbe). Wenn die Aktivierungsenergie relativ gleich verteilt ist, sind Substitutionsfehler wahrscheinlich. Allerdings wird für früher verarbeitete Laute wie /b/, /m/, /d/, /n/ auch ein höheres Ruhepotential angenommen, so daß diese häufiger als seltenere/spätere Laute wie /s/, Irl aktiviert werden. Das Ergebnis sind Ersetzungen (so! [do], Schuh [düi]), Reduplikationen (Teddy [ds'ds7]) und Harmonien (Pulli [buiiui]). Daraus erklärt sich, warum die gleichen Laute sowohl beim Babbeln als auch beim Sprechen früher bzw. häufiger produziert werden und weniger fehleranfällig sind (vgl. Elsen 1991: 94f., 117f.). Aus der anfänglich unterschiedlichen Verteilung der Aktivierungspotentiale von Kind zu Kind und der zunächst allgemein niedrigen Grundaktivierung resultiert inter- und intraindividuelle Variation. Daher kann der Entwicklungsverlauf nur tendenziell gesehen werden. Exakte Voraussagen für Entwicklungsabschnitte einzelner Kinder sind nicht möglich. Stemberger (1992) diskutiert einige Beispiele von Ausspracheabweichungen im suprasegmentalen Kontext. So kann ein Kind zwischen zwei Aussprachemöglichkeiten pendeln, weil der Hauptaktivierungsfluß zwischen zwei Knotenbereichen schwankt. Für beide ist nicht ausreichend Aktivierungspotential vorhanden. Beispielsweise ist bei A. in Frosch entweder der finale Frikativ oder die initiale Konsonantengruppe deutlicher artikuliert. Das Cluster /kv-/ wird anfangs als [g-], [k-] oder [v-] realisiert. Oder Stift wird in Isolation mit initialem Konsonantencluster ausgesprochen, in Sätzen jedoch mit [d-]. Konsonantenbzw. Vokalharmonie entsteht dadurch, daß zusammen mit einem Knoten auch ein konkurrierender Knoten aktiviert wird. Für beide betroffenen Laute ergibt sich gegenseitig erhöhte Aktivierung der Ziel- und Nachbarknoten. Letztendlich gewinnt der falsche Knoten. Aus gleichen Gründen geschieht Reduplikation, wenn eine ganze Silbe eine andere ersetzt. In der Regel erweist sich die akzentuierte Silbe als dominant, da hier die Aktivierung höher ist.

4.3. Ersatzstrategien A. war, wie wohl viele Kinder, sehr mitteilungsbedürftig. Obwohl sie anfangs schwierige Wörter oft vermied - z.B. Wörter mit Frikativen oder komplexen Strukturen (vgl. Elsen 1994, 1998b, im Druck b) versuchte sie, mit folgenden Hilfsstrategien trotzdem über

50 Wichtiges ihrer Umgebung zu reden: Eigenschöpfiingen, Wörter des Baby Talk oder Homonyme. Später setzte sie bei längeren Wörtern und Ausdrücken Füllsilben, Globalanfangs-,-endsilben oder reduplizierte Silben ein oder gab ein Wort nur annähernd wieder, indem sie zwar die rhythmische Struktur und Silbenzahl der zielsprachlichen Ausdrücke beibehielt, aber nicht die einzelnen Laute bzw. ihre Position. Generell wurde eine Silbe unter Wortakzent korrekter wiedergegeben als eine weniger betonte (vgl. Elsen 1996a). Abweichungen nahmen mit der Komplexität von Lauten, Silben und Wörtern zu. Für die einzelnen Strategien, die Ausdrücke trotz eingeschränkter artikulatorischer Fähigkeiten doch auszusprechen, ergeben sich gemeinsame systematische Züge. Am Anfang des zweiten Lebensjahres weisen einige frühe Substitutionen keine formalen Ähnlichkeiten mit den zielsprachlichen Wörtern auf. Für die späteren Lautungen sind systematische Veränderungen des muttersprachlichen Ausdrucks auffällig. Für kindersprachliche Formen greift das Kind auf ein grobes Schema zurück, das nicht alle lautlichen Eigenschaften des Wortes beinhaltet, sondern allgemeinere formale Information wiedergibt. Die verschiedenen Arten der Ersatzformen werden nun im Einzelnen beschrieben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Schemata.

Eigenschöpfungen, Bf-Ausdrücke, Homonyme Im Alter von Ende 1;2 ist ein Einschnitt in der sprachlichen Entwicklung des Kindes zu finden (vgl. im folgenden Elsen 1998b, im Druck b). Nach langsamem Anwachsen des Lexikons erwirbt A. nun plötzlich viele neue Wörter innerhalb kurzer Zeit. Dieser 'vocabulary spurt' wurde für Kinder aus unterschiedlichen sprachlichen Umgebungen beobachtet wie Dänisch (Plunkett 1993), Deutsch (Elsen 1996a, b), Englisch (z.B. Nelson 1973), Hebräisch (Dromi 1987), Niederländisch (Gillis 1986). Er tritt wahrscheinlich in der Entwicklung jeden Kindes auf (Mervis & Bertrand 1995). Die Gründe eines solchen beinahe explosionsartigen Vokabelanstiegs sind teilweise kognitiver Natur. Ein Kind erkennt die Symbolfunktion der Sprache und ordnet schneller und häufiger Wörter Konzepten zu. Für A. sind aber darüberhinaus Verbesserungen des phonologischen Systems aufgetreten. Vor dem Einsetzen des 'Spurtes' hatte A. eindeutig Schwierigkeiten mit den Frikativen. Ihre Wörter waren in der Regel Zweisilbler mit Anfangsakzent. Die Silben waren meist offen. Wörter, die ihren artikulatorischen Fähigkeiten nicht entsprachen, vermied sie entweder ganz oder ersetzte sie durch anderslautende Konstruktionen. Dabei 'erfand' sie eigene Wörter ([ba(g)ba] für Enten, kehliges [boa] für Raben). Lexikalische Eigenschöpfungen sind bei den meisten Kindern selten (vgl. jedoch NeugebauerKostenblut 1914, Delacroix 1924), wurden aber für A. auch später hin und wieder notiert (Elsen 1996a). Andere Lexeme ersetzte A. durch Ausdrücke aus dem Baby Talk (BT) ([bm] für Autos, [vava] für Hunde). Für manche Wörter benutzte A. (sinn-)verwandte Lautungen ([dui] zu für Schlüssel, [ba] Buch für Papier). Vor dem Einsetzen des nichtlinearen Vokabelanstiegs waren im Lexikon des Kindes mehrere BT-Wörter und Homonyme zu finden. Dann aber wurden Fortschritte in Lautbestand und Phonotaktik deutlich. A. löste die Ersatzformen durch zielsprachliche Wörter ab und gab die Homonymen auf. Sie

51 produzierte mehr Wörter mit Frikativen. Das hatte die Expansion des Vokabulars zur Folge.5 Ähnliches wurde von Stemberger fur Plosive beobachtet (pers. Mitteilung). Zu diesem recht frühen Zeitpunkt des Spracherwerbs mußte das Kind ganze Wörter ersetzen, um sich mitteilen zu können. Der Wille zur Kommunikation war stärker als das Bedürfnis, 'so zu klingen wie die Erwachsenen'. Auch starke Abweichungen vom zielsprachlichen System wurden dafür in Kauf genommen.

Füllsilben, Globalsilben, reduplizierte Silben, Schemata Die Strategien zur Erzeugung 'zu schwieriger' Wörter änderten sich mit zunehmendem Alter. Mit dem Beherrschen von mehr Lauten, mehr Kombinationen, komplexeren Silben und Wörtern und variablen Akzentmustern konnte das Kind größere Bereiche eines Wortes zielsprachennah produzieren. Aber bei längeren Wörtern mußten einige Teile zunächst getilgt, dann substituiert werden. Diese Ersetzungen weisen bestimmte Regelmäßigkeiten auf. Sie entstehen als Kompromiß zwischen den Bedürfnissen nach artikulatorischer Präzision einerseits und Redeflüssigkeit bzw. Kommunikation andererseits. Denn gerade längere, komplexere Äußerungen stellen erhöhte Anforderungen an den Ausspracheaufwand. Erwartungsgemäß sollten dann Probleme auftreten, wenn das Lautsystem noch unausgereift ist. Wie in Elsen (1996a) dargestellt, wurden Füllsilben sowohl innerhalb von Wörtern als auch über die Wortgrenze hinaus beobachtet. Dabei wurde eine unbetonte Silbe durch einen Laut der unmittelbaren Umgebung ersetzt und damit assimiliert oder durch Silbenverdopplung wiedergegeben, vgl. die Sätze (4 a - c) und die Beispiele [manimani] Badewanne (1,6,3), [mamamamalüda] Brombeermarmelade (2;0,24), [sânsanja] Lasagne (2;4,2). (4) a. b. c.

[ ... KaöaiiöKö] raschelt im Stroh, 1;8,5 [loploplop fedcn bpalop] hopp hopp hopp, Pferdchen lauf Galopp, E 1 ; 10 [Kiglain Kiglain düi v vandan] Ringlein, Ringlein, du mußt wandern, 1 ; 11,9

Bei anderen Beispielen benutzte A. Globalsilben. Dabei ersetzte sie wortinitiale, unbetonte Silben durch [a] oder [1dl] o. ä., teilweise ergänzt durch zielsprachliche Laute: [IdL.oan] verloren (1;6/1;7), [lödleia] Toilette (1;9,15), fazöna] Zitrone (1;6,17), falöna] Melone (1;5 - 1;7), f a d ä n a ] Laterne (1;5,6). Ähnliches galt für Ahmal Smith. Er setzte [ri] für die erste Silbe ein wie in attack, exhaust, conductor (Smith 1973). Edmond Grégoire wählte [û] für die erste Silbe wie in costume 'Anzug', éponge 'Schwamm' (Grégoire 1937). Am Wortende ersetzte A. zwei unbetonte Silben oft durch [aja(i)], [ala(l)] o. ä. Mit 1;4 / 1;5 gab es u.a. [metaja] Schmetterling, [buidaja] Hubschrauber, [mipajai] Michael. Mit 1;6 produzierte A. beispielsweise [kisajai] Christian, mit 1;8 z.B. [ditsajai] Patrizia (erste, unbetonte Silbe getilgt). Für manche Wörter gelang es dem Kind nur, Akzentmuster und Zahl der Silben wiederzugeben. Manche Laute bzw. ihre exakte Position blieben nicht 5

Zur Diskussion möglicher Kausalzusammenhänge zwischen Phonologie- und Lexikerwerb vgl. Elsen (1998b).

52 erhalten (vgl. auch Menn 1978; Sophie in Fletcher 1985): [malota] Tomate (1;3,12), [vuitatak] Hustensaft (1;4,18), [taksono] Taschentuch (1;6,4), [ökokäno], fäbogäno], fäfokäno] Oregano (2;5,18), jeweils mit zielsprachlicher Akzentstruktur. Für die Beispiele gilt, daß die Silbe unter Hauptakzent noch am ehesten erhalten blieb. Auch Vihman (1981) fand die Tendenz bei ihren Kindern, Silbenzahl und Position des Wortakzentes beizubehalten. Die Segmente sind in betonter Silbe wahrscheinlich am auffälligsten. A. gab längere, komplexere Wörter ungenauer wieder als kurze, typischerweise Einoder Zweisilbler. Da sie trotz unausgereifter artikulatorischer Fähigkeiten sich mitteilen wollte, verzichtete sie auf zielsprachliche artikulatorische Präzision und gab unbetonte Silben häufig durch andere Laute wieder oder behielt nur prosodisch-phonotaktische Informationen bei. Als Ersatzformen benutzte sie bestimmte Schemata: Füllsel mit Segmenten aus der Lautumgebung, Globalsilben, Reduplikationen. Oder sie reproduzierte annäherungsweise das Silbengerüst mit zielsprachlicher Akzentstruktur. Die Schemata dienten vorübergehend als Hilfsstrategie auf dem Weg zur korrekten Aussprache. Sie stellen eine Kompromißlösung dar zwischen längeren, komplexeren Zielformen und kindlichen Äußerungen, die nur kurz und einfach sein können. A. erwarb das Lautsystem nicht automatisch als Folge eines angeborenen Regelapparates. Rules of child phonology are the linguist's codification of the child's generalization of certain pattems of ways of saying words or sounds, and those patterns come from the child's Organization of his/her attempts to say words. The pattems are not in any useful sense 'latent' in the child, but must be created by him or her (Menn 1978: 69).

Bereits Menn (1978, 1983) sah Spracherwerb als komplexe Problemlösungsprozedur, die einige sprachliche Dispositionen durchaus zuläßt (Kegel 31987: 155). Aus konnektionistischer Sicht wird verständlich, daß in einem unausgereiften Verarbeitungssystem, das neben einem unausgebildeten Vokaltrakt und ungeübter Muskelkoordination auch über niedrige Aktivierungspotentiale verfugt, die Aktivierung nicht für alle an einer längeren, komplexeren Einheit beteiligten Knoten ausreicht. Bei Füllseln mit Segmenten aus der Lautumgebung erhalten die konkurrierenden Nachbarknoten der Zielknoten höhere Aktivierung. Die Laute der betonten Silben sind dominant. Sie verfugen wahrscheinlich grundsätzlich über ein höheres Grundpotential (Stemberger 1992). Ähnliches gilt, wie erwähnt, für Reduplikationen. Globalsilben sind relativ feste Kombinationen von Aktivierungsmustern, die durch ihre relative Häufigkeit bereits über eine relativ hohe Grundaktivierung verfugen und gegenüber der eigentlichen, weniger aktivierten Silbe gewinnen und diese ersetzen, solange das Gesamtsystem die Mehrsilbler, in denen die Gobalsilben zu finden sind, nicht in allen Einzelheiten verarbeiten kann. Wahrscheinlich greifen Kinder unterschiedlich stark auf solche Alternativmuster zurück, da sie sich sicher der Divergenz zwischen eigener und gezielter Aussprache bewußt sind und nicht jedes Kind solche Abweichungen toleriert. Eine erste Skizze eines Netzwerkmodells, wie es der Informationsverarbeitung zugrundeliegen mag, zeigt eine mögliche Anordnung der beteiligten Bereiche (Abb. 2). Informationen aus dem phonetischen Bereich (wie BILABIAL, GERUNDET, PLOSIV) fließen im phonologischen Bereich zusammen und ergeben mit der Zeit neue Informationseinheiten mit Quasiselbständigkeit (/b/, /u/, ...). Informationen aus dem prosodischen Bereich (wie PENULTIMAAKZENT, ZWEISILBLER) fließen auch über die phonologische Ebene zum lexikalischen Bereich. Auf der Ebene der Lexeme zentrieren sich die verschiedenen In-

53 formationsbündel und bilden mit der Zeit ein eigenes Aktivierungsmuster pro Wort heraus. Zur Interaktion zwischen den Lauten eines Wortes und Serialisierungsproblemen im Deutschen vgl. u.a. Berg (1992, 1995, in Vorb.), für das Englische Stemberger (1985a, b, 1992).

[

Phonetik

Abbildung 2: Formale Bereiche eines Netzwerkmodells

Wenn A. nur prosodische Information wiedergibt wie in Schuppe [mete] 1;4,16, Steak [tip] 2;0,9, Käfer [wipa] 1;4,20, Hubschrauber [buiOaja] 1;4, Badewanne [manimani] 1;6,3, darf eine direkte Verbindung zwischen prosodischem Bereichen und lexikalischer Ebene ohne bzw. mit kaum Aktivierungsfluß durch den phonetischen Bereich angenommen werden. Auch biologische neuronale Systeme scheinen segmentale und prosodische Verarbeitungszentren zu unterscheiden (Lieberman 1996). Das spricht gegen eine hierarchische Anordnung von prosodischer, phonetischer und lexikalischer Information. Fehler wie die gerade erwähnten sind allerdings selten und nur anfangs zu beobachten, so daß eine allmähliche Hierarchisierung der Ebenen nicht auszuschließen ist. Die geschilderten Ergebnisse und ihre Interpretation stehen nicht im Einklang mit den Arbeitshypothesen 1 - 8 . Die Daten ergeben, daß Strukturen entstehen (Emergenz - vs. Arbeitshypothese 3), und zwar langsam (Transitionen - vs. Arbeitshypothese 6) und schwankend (Variation vs. Arbeitshypothese 5). Laute haben einen prototypischprobabilistischen Status (Prototypizität vs. Arbeitshypothese 4). Die den tatsächlichen Gegebenheiten im Gehirn nachempfundene Netzwerkstruktur steht im Einklang mit evolutionärer Entwicklung (evolutionäre Plausibilität\s. Arbeitshypothese 1) und gilt fiir alle

54

kognitiven Bereiche, also auch für den Erwerb von Sprache (vs. Arbeitshypothese 1) und ermöglicht Wechselwirkungen (.Interaktivität vs. Arbeitshypothese 2). Die Verarbeitungshäufigkeit einer Struktur spielt eine wichtige Rolle (Inputrelevanz vs. Arbeitshypothese 7). Einflüsse von außen, also z.B. von der Gesprächssituation, sind möglich (Funktionalität vs. Arbeitshypothese 8). Die Verarbeitungsarchitektur ist der von natürlichen neuronalen Systemen nachempfunden, die Übergangsbereiche und spezialisierte Zentren im Laufe der Informationsverarbeitung entstehen lassen. Sie ist deshalb biologisch wahrscheinlicher als von Anfang an autonome Module, die prinzipiell von einander unabhängig arbeiten. Daß es Zentren im Gehirn gibt, die eher für bestimmte Gebiete des kognitiven Wissens geeignet sind als andere, wird hier nicht ausgeschlossen. Vielmehr wird die grundsätzliche Plastizität und Flexibilität von Netzwerkstrukturen betont, die durch überall vergleichbare Architektur und durch überall prinzipiell ähnlich wirkende Verarbeitungsmechanismen möglich ist. Die Annahme autonomer, klar abgegrenzter und mit individuellen Prinzipien arbeitenden Modulen wird zurückgewiesen. Die Vorstellung von Emergenz wird dadurch gestützt, daß sich Laute erst über immer deutlicher ausgeprägte Merkmalsknotenkonfigurationen entwickeln. Da dabei zunächst falsche Muster aktiviert werden, die jeweils richtigen Pfade aber immer häufiger für den Aktivierungsfluß benutzt werden, ist Variabilität im Outputverhalten und langsames Lernen verständlich. Dabei treten um so eher Fehler auf, je komplexer die Zieleinheit ist. Um schwierige Produktionen zu erleichtern, finden Kompromißlösungen statt, wenn bei längeren Einheiten weniger präzise oder mit weniger Untereinheiten artikuliert wird - es werden nicht alle Wege in ihrer Gesamtheit von der Aktivierungsenergie durchflössen. Aus der Bandbreite der Aussprachevarianten ergibt sich, daß ein Laut eher prototypisch als kategorial aufzufassen ist. Bei den meisten Realisationen treten geringfügige phonetische Abweichungen auf, die die Kommunikation nicht stören. Manchmal - in Abhängigkeit von der Komplexität einer Äußerung und der Gesamthandlung bzw. von physischen Faktoren wie Müdigkeit - sind sie jedoch so stark, daß ein Laut verfremdet klingt bis hin zu Versprechern. Ein Laut oder eine Aussprache kann mehr oder weniger gut sein. Es ist Definitionssache bzw. abhängig von angrenzenden Einheiten des Systems, wo die Grenzen zwischen als korrekt akzeptierter und abweichender Produktion zu sehen sind. Ist diese Grenze gesetzt, kann ein Laut als eigenständige Einheit betrachtet werden, die in der Schrift durch ein Symbol wiedergegeben wird. Sie existiert damit in einer höheren Abstraktionsstufe, nämlich die der Phoneme. Wird ein Laut in einer bestimmten Zahl an Fällen laut Definition richtig wiedergegeben, kann er als erworben betrachtet werden. Die Grenze zwischen tatsächlichem Sprechen, der Performanz, und der Abstraktionsstufe der symbolisierten Einheiten einer Kompetenz sind aber fließend und nur theoretisch festgelegt.

5. Der Erwerb der Flexion

Die Entwicklung der Partizipien und Substantivplurale soll zeigen, daß die Annahme abstrakter symbolischer Regeln für den Erwerb nicht nötig ist. In diesem Kapitel werden einige Prinzipien für die Wirkungsweise konnektionistischer Modelle veranschaulicht. Beispielsweise wirken verschiedene sprachliche Bereiche zusammen. Damit verbunden ist eine mögliche Schwerpunktverlagerung entscheidender Auswahlkriterien für eine Form. Weitere Themen sind das Erreichen eines kritischen Wertes, was eine scheinbar qualitativ andere Arbeitsweise bewirkt, sowie der Stellenwert von Inputfirequenz. Auch bei der Untersuchung der Flexion werden die Arbeitshypothesen 2, 3, 4, 5, 6 und 7 in Frage gestellt, die den unabhängigen Erwerb der sprachlichen Bereiche, angeborene symbolisch-abstrakte Regeln und Kategorien verlangen und keine Variation oder Transitionen fordern. Der Input hat laut Arbeitshypothese 7 lediglich Triggerfunktion.

5.1. Partizipien Traditionelle generative Grammatikmodelle gehen von der Annahme aus, daß die morphologischen Subsysteme irreguläre und reguläre Flexion mit zwei unterschiedlichen Lern- bzw. Verarbeitungsmechanismen in Zusammenhang zu bringen sind. Für reguläre Bildungen steht ein Regelapparat zur Verfügung. Unregelmäßige Formen müssen jedoch auswendig gelernt werden. Generative Modelle trennen zwischen Äußerungen, die nach symbolischen Regeln gebildet werden, und solchen, die im Lexikon gespeichert sind. Die zugrunde liegenden Einheiten sind symbolischer Art. Die verschiedenen sprachlichen Regelsysteme sind modular. Das heißt, Morphologie und Lexik entwickeln sich unabhängig voneinander und von sonstigen kognitiven Fähigkeiten. Die symbolischen Regeln bzw. Kategorien sind angeboren und werden durch die Zielsprache triggerartig aktiviert. Nach neueren Arbeiten entstehen die gespeicherten Formen analogisch-assoziativ (vgl. Pinker & Prince 1988, 1994, Marcus, Pinker, Ullman, Hollander, Rosen & Xu 1992). Sie sind demnach abhängig von Inputfaktoren wie Häufigkeit des Vorkommens einer Form in der Zielsprache. Beim Erstspracherwerb werden zunächst alle Wörter als feste Einheiten gespeichert. Daher sind die frühen Bildungen 'korrekt'. Später wenden die Kinder die Regel für reguläre Formen an. Dann können allerdings auch abweichende Produktionen entstehen, irreguläre Verben mit regulären Endungen, sogenannte Übergeneralisierungen (geh-te, komm-te). Laut Marcus et al. (1992) sind solche Formen ein Zeichen für obligatorische Tempusmarkierungen. Sie entstehen aufgrund von Schwierigkeiten beim Zugriff auf gespeicherte (= irreguläre) Formen. Wenn die Kinder dann die Ausnahmen zur Regel gelernt haben, unterlaufen ihnen kaum noch Fehler. Dieser Wechsel von korrekten, abweichenden und wiederum korrekten Formen wird als U-förmiger Entwicklungsverlauf bezeichnet und entsteht aufgrund des Zusammenwirkens beider Lernmechanismen. Aus konnektionistischer Sicht werden sowohl reguläre wie auch irreguläre Formen assoziativ erworben und zwar als Muster {pattern), nicht symbolisch (vgl. den Überblick in Elman et al. 1996). Nichtflektierter Input wird dabei mit flektiertem Output assoziiert. Bei Abweichungen zwischen generiertem Output und Zielform werden die Gewichtungen im System geändert. Korrelationen hingegen werden gespeichert und dienen als Basis für

56 Generalisierungen, so daß auch neue Verben flektiert werden können. Dieser Ansatz kommt ohne Regeln aus und nimmt nur einen Lernmechanismus für den Erwerb von z.B. Flexion an. Konnektionistische Modelle imitieren mit Computernetzwerken, die den neuronalen Netzen im Gehirn nachempfunden sind, Realspracherwerb. Die Simulationen weisen ähnliche Auffälligkeiten wie Kindersprachdaten auf, beispielsweise Übergeneralisierungen oder U-förmige Entwicklungskurven, ohne auf unterschiedliche Lernmechanismen oder Regeln zurückgreifen zu müssen. In konnektionistischen Modellen werden Übergeneralisierungen ausgelöst durch strukturelle und quantitative Veränderungen im Verbvokabular, nicht durch das Anwenden einer symbolischen Regel. Kausale Zusammenhänge zwischen verschiedenen sprachlichen Bereichen wie hier dem Lexikon und der Morphologie widersprechen der generativen Grundannahme der Modularität einzelner sprachlicher Teilbereiche. Plunkett & Marchman (1993) nehmen den gleichen Lernmechanismus für Lexik- und Morphologieerwerb an. Nach ersten erfolgsversprechenden Simulationen (vgl. vor allem Rumelhart & McClelland 1986) entwickelten Plunkett und Marchman (1991, 1993) ein verbessertes Modell, mit dem sie den Erwerb englischer regulärer und irregulärer Verben simulierten. Der Beginn der Übergeneralisierungen wurde in diesem Modell ausgelöst,wenn eine bestimmte Menge regulärer Verben erworben war und die regulären Verbtypen zahlenmäßig dominierten, so daß generelle Muster verallgemeinert werden konnten (critical mass hypothesis). In dem Moment, wo die regulären Verbtypen die 50% Markierung überschritten, war das Modell dazu in der Lage, Übergeneralisierungen zu bilden. Dies entspricht einem produktiven Gebrauch von Flexion und weist auf einen Zusammenhang zwischen Lexik und Morphologieerwerb hin. Die bisher untersuchten Daten von einzelnen Kinder wiesen weder einen plötzlichen Verbanstieg noch Veränderungen in der Zusammensetzung des Verbvokabulars auf (Pinker & Prince 1988, Marcus et al 1992). Allerdings erwähnen bereits Stern & Stern ("1928/ 1965 : 25) eine plötzliche Verfünffachung der Tätigkeitswörter in Hildes Lexikon. Eine Änderung der Verbvokabularzusammensetzung fanden Marchman & Bates (1994) in ihrem Korpus. Die Daten wurden mithilfe der parental report technique gewonnen, bei der Eltern von 1130 Kindern anhand von Checklisten Auskunft über die Sprachentwicklung ihrer Kinder gaben (Marchman & Bates 1994, Plunkett & Marchman im Druck). In Elsen (1997, 1998a) wurden Daten aus der kontinuierlichen Erhebung in Hinblick auf die Voraussagen geprüft, die Plunkett & Marchman (1993) für den Flexionserwerb des englischen past tense machen. Hier wurden deutsche Perfektbildungen untersucht, da im Deutschen das Präteritum in der Umgangssprache selten geworden ist. In Elsen (1998a) wird die Gruppierung in regelmäßige (schwache Flexion) und unregelmäßige (andere) Verben für das Deutsche diskutiert. Im Anhang A und B sind A.s erste dreißig spontan produzierten Verben sowie alle Übergeneralisierungen bis 2;5 aufgeführt. Wiederholt wurden A.s Daten mit denen anderer Kinder verglichen (u.a. Stern & Stern 4 1928 / 1965, Leopold 1939, 1949 / 1970, Dromi 1987, Clark 1993, aber auch Marcus et al. 1992 und Clahsen & Rothweiler 1993) und starke Ähnlichkeiten gefunden (vgl. u.a. Elsen 1991, 1996b). Der Anstieg in A.s Vokabular ist nichtlinear und weist mehrere plötzliche Zunahmen auf (Elsen 1996b). Das Lexikon besteht zum Großteil aus Nomen. Die ersten Verben sind zunächst korrekt flektiert. Nicht alle unregelmäßigen Verben werden übergeneralisiert - bis zum Ende der kontinuierlichen Notizen mit 2;5 wurden ca. 25% aller irregulären Verben zumindest einmal regelmäßig flektiert.

57 Darüberhinaus wurden einige Beobachtungen gemacht, die in der Literatur bisher nicht beschrieben oder als Ausnahmen charakterisiert sind. Irreguiarisierungen, d.h. irreguläre Endungen und/oder Stammvokalwechsel bei regulären Verben, tauchen wesentlich häufiger auf als bisher angenommen, allerdings relativ spät, z.B. hingelogen statt hingelegt, 2;4,6, geschmockt statt geschmeckt, 2;5,0 (vgl. Elsen 1997, 1998a). Laut Clahsen & Rothweiler (1993) sollten irreguläre Muster nicht auf reguläre Lexeme übertragen werden. Ein konnektionistischer Ansatz läßt hingegen Irreguiarisierungen, die eher spät auftreten sollten, zu (Plunkett & Marchman im Druck). Weiterhin zieht A. verschiedene Verbstämme für die Bildung des Partizips heran, beispielsweise gegeht, gegingt, gegangt statt gegangen 2;8, 2;9, gekamt statt gekommen, 3;0,23. Teilweise setzt A. Stammvokale ein, die in keinem zielsprachlichen Stamm vorkommen, wie gehongen statt gehangen, 2;10,22 und 2;10,26, rausnuhmen statt rausgenommen, 2;3,19 (vgl. Elsen 1998a). Auch eine derartige Variationsbreite widerspricht generativen Annahmen. Auffällig jedoch ist, daß im Gegensatz zu Marcus et al.s (1992) Untersuchung der Anstieg in A.s Verbvokabular nicht linear ist, sondern einen plötzlichen Anstieg mit Ende 1;5 aufweist (vgl. die Typenzählung in Abb. 3). Der erste klare Anstieg ist hauptsächlich auf die regelmäßigen Verben zurückzuführen.

Wörter

100

60

-

40 20

.^[QIÉIÍ

III I I I I TT I I EAMEAMEAMEAMEAMEAMEAMEAMEAMEAMEAMEAMEAMEAMEAMEAMEAMEAMEAMEAM

0 0 8 9 1 0

2

1 1 1 1 1 1 1 3 4 5 6 7 8 9 i 0 Alter ( M o n a t s d r i t t e l ) Verben



andere

Abbildung 3: A.s Erwerb des Lexikons1 1

Dabei bedeutet A Anfang eines Monats (die ersten zehn Tage), M - Mitte (die nächsten zehn Tage), E - Ende (die letzten neun bis elf Tage).

58

Wörter

0 0 0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 2 2 2 2 9 i ¡ 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 1 ¡ 0 1 2 3 4 0 1 0 1 Alter ( M o n a t s d r i t t e l ) i r r e g u l ä r e V.

r e g u l ä r e V.

Abbildung 4: Kumulative Berechnung von A.s regulären / irregulären neuen Verben

Abb. 4 zeigt die kumulative Zunahme regelmäßiger und unregelmäßiger Verbtypen. Gegen Ende 1;5 ist ein deutlicher Anstieg bei den regulären Verben zu finden und gleichzeitig eine bleibende Veränderung in der Zusammensetzung des Verbvokabulars. Waren zunächst die unregelmäßigen Verben in der Überzahl, gleicht sich das Verhältnis zwischen beiden Verbgruppen zunehmend aus, bis dann ab Ende 1;5 die regulären Verben proportional überwiegen (vgl. Abb. 5). Abb. 5 zeigt das Verhältnis regulärer und irregulärer Verben als Funktion des Alters.2 Zusammen mit diesen strukturellen und quantitativen Veränderungen im Verblexikon bildet A. die ersten übergeneralisierten Verben, defallt statt gefallen, 1;5,30, lornt statt verloren, 1;6,2, mitgenehmt statt mitgenommen, Ende 1;6, west statt gewesen, Ende 1;7. Diese Verben sind laut Ruoff (1981) keine Wörter mit niedrigem /o&ew-Vorkommen. Sie sind besonders in der an Kinder gerichteten Sprache häufig zu finden. Das kommt Marcus et al.s (1992) bzw. Marcus' (1995) Behauptung nicht entgegen, hauptsächlich Verben mit niedriger Auftretenshäufigkeit würden übergeneralisiert, da dann das blocking nicht funktioniert: Die Aktivierung eines unregelmäßigen Verbs blockiert die Anwendung der Regel. Kinder jedoch können nach nur wenigen Beispielen (tokens) im Input noch nicht die nötige Gedächtnisleistung vollbringen, so daß der Zugriff auf die irreguläre Form mißlingt

2

Zum Verhältnis regulärer/irregulärer Verben als Funktion des Verbvokabulars vgl. Elsen (1998b).

59 und darum die Regel angewendet wird. Das hat ein Übergeneralisieren des Verbs zur Folge - je höher die Frequenz, desto leichter der Zugriff. Die beobachteten Zusammenhänge von Lexikon und Übergeneralisierungen werden von Plunkett & Marchman (1993) vorausgesagt und zeigten sich auch im Korpus der 1130 Kinder, die mithilfe der parental report technique untersucht wurden (vgl. Marchman & Bates 1994, Plunkett & Marchman im Druck). Marchman & Bates' Schaubild zum Verhältnis der regulären und irregulären Verben als Funktion des Alters ähnelt zudem stark den Ergebnissen aus unserem Korpus (vgl. Abb. 5). Es ist ausdrücklich hervorzuheben, daß trotz unterschiedlicher Vorgehensweise bei der Datenerhebung die beiden Korpora vergleichbare Ergebnisse liefern.

Alter

Abbildung 5: Verhältnis reg. / irreg. Verben als Funktion des Alters Aber nicht nur hier zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Lexikon und Übergeneralisierungen. Wie in Elsen (1998a) ausführlicher dargestellt, wurden im Laufe der Tagebuchstudie für Übergeneralisierungen Phasen mit wenig Beispielen (z.B. 1;7, 1;10 / 1;11, 2;2) und Zeiten intensiver Übergeneralisierung, in types und token, (z.B. Ende 1;5 / 1;6, 1;9, 2;0 / 2;1) ermittelt. Das heißt, Übergeneralisierungen weisen einen wellenartigen Entwicklungsverlauf auf. Zur gleichen Zeit tritt jeweils ein Anstieg bei den Neuerwerbungen im Verbvokabular auf. Mit anderen Worten, Übergeneralisierungen und plötzlicher nichtlinearer Verbanstieg korrelieren, da Übergeneralisierungen gleiche Entwicklungsmuster aufweisen wie die eigentliche Entwicklung des Verbvokabulars. Es sind daher mehrere systeminterne Reorganisationen anzunehmen. Lindner (1998) fand darüberhinaus Systematizität im Übergeneralisierungsverhalten einiger Verben in den verschiedenen Phasen der Wellen. Zusammengefaßt ergeben sich für die hier bearbeiteten Daten ähnliche Ergebnisse wie bei Marchman & Bates' (1994) Studie zum Erwerb des englischen past tense bezüglich der strukturellen und quantitativen Veränderungen im Verblexikon und ersten Übergene-

60 ralisierungen. Die Aufnahme neuer Verben ins Lexikon weist einen plötzlichen nichtlinearen Entwicklungsverlauf auf {'spurt'). Außerdem treten Übergeneralisierungen in Wellen auf, die mit nichtlinearen Zunahmen beim Erwerb der Verben korrelieren. Wie von den Netzwerksimulationen vorausgesagt, treten die ersten Übergeneralisierungen auf, wenn sich die Zusammensetzung des Verbvokabulars ändert und der Anteil der regelmäßigen Verben auf über 50% ansteigt. Wenn das plötzliche Auftreten der übergeneralisierten Partizipien auf mehr Fehlermöglichkeiten wegen der Zunahme an Verben zurückzuführen wäre, sollten auch anschließend die Übergeneralisierungen ansteigen, da die Zahl der Verben und damit Fehlermöglichkeiten steigt. Obwohl das Kind ständig mehr Verben ins Lexikon aufnimmt, geht die Zahl der Übergeneralisierungen jedoch mit 1;7 zurück. Das heißt, es gibt einen nichtlinearen Zusammenhang zwischen Verbanstieg und ersten Übergeneralisierungen. Eine weitere Erklärungsmöglichkeit für das Einsetzen der Übergeneralisierung wäre, daß sie generell auf erhöhten Output zurückzuführen ist. Dann sollten allerdings Zeiten intensiver Pluralübergeneralisierung mit Zeiten erhöhter übergeneralisierter Partizipienbildung korrelieren, was nicht der Fall ist. Somit ist es sehr wahrscheinlich, daß der Beginn der Übergeneralisierungen bei A. wie auch im Modell durch strukturelle und quantitative Veränderungen im Verbvokabular ausgelöst wurde. Diese Ergebnisse stimmen nicht mit Beobachtungen von Pinker & Prince (1988), Marcus et al. (1992) und Marcus (1995) überein. Marcus et al. (1992) geben Daten von Kindern an, die keinen plötzlichen Anstieg der Neuerwerbungen im Verblexikon aufweisen. Der Beginn der Übergeneralisierungen korreliert auch nicht mit Veränderungen in der Zusammensetzung des Verbvokabulars (vgl. Marcus et al. 1992: 86-88). Entsprechendes gilt für Weyerts & Clahsens (1994: 442) Daten von Simone. Auch hier ist kein plötzlicher nichtlinearer Anstieg neuer Verben verzeichnet. Die ersten Übergeneralisierungen treten vor Änderungen in der Zusammensetzung des Verbvokabulars auf, was auf eine Unterschätzung der Menge an regulären Verben zurückzuführen sein könnte. Eine plausiblere Erklärung ist bei den Unterschieden in der Datenerfassung zu finden. Wie bereits im Kapitel 3 betont wurde, wurden unsere Daten kontinuierlich erhoben, und zwar während A.s gesamten Wachphasen. Die von Pinker & Prince (1988), Marcus et al. (1992), Marcus (1995), Clahsen & Rothweiler (1993) und Weyerts & Clahsen (1994) untersuchten Korpora enthalten Spracherwerbsdaten, die auf ein bis vier monatliche Tonbandmitschnitte zurückgehen. Für solche Korpora gilt, daß nur die häufigsten Wörter notiert werden können, insofern ist die Repräsentativität dieser Daten für quantitative Aussagen zum Vokabular fraglich. Gerade regelmäßige Verben im Deutschen und Englischen weisen niedrige Vorkommenshäufigkeiten auf und dürften nur zum Teil in Kurzmitschnitten auftreten im Gegensatz zu irregulären Veiben, die relativ oft vorkommen und daher rein statistisch auch in vereinzelten Aufnahmen zu finden sind. Die tatsächlichen Verhältnisse werden so verzerrt, daß quantitative Aussagen zu Relationen zwischen irregulären und regulären Verben und zum Gesamtvokabular streng genommen nicht möglich sind. Im Falle der Übergeneralisierungen wird der Nutzen kontinuierlicher Datenerhebungen noch deutlicher, da solche Formen anfangs häufig sehr selten, teilweise überhaupt nur ein einziges Mal gebildet werden und die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, sie dann in einer Tonbandaufzeichnung zu finden. Daher liegt der Schluß nahe, daß die erste Welle von Übergeneralisierungen in den sporadisch erhobenen Datensammlungen anderer Kinder übersehen wird. Eine zweite oder dritte Welle, die wie bei A. bereits höhere type- und foArew-Werte aufweist, könnte dann die ersten Beispiele in anderen Korpora geliefert ha-

61 ben. Damit ist dann aber auch eine mögliche Korrelation zwischen 'ersten' Übergeneralisierungen und anderen Entwicklungen nicht feststellbar. Die von Marcus, Clahsen und Mitarbeiterinnen untersuchten Korpora widersprechen im Prinzip nicht der von konnektionistischen Modellen vorausgesagten Entwicklung, solange dem Vokabular eine Auslösefunktion für die Bildung von Übergeneralisierungen zugebilligt wird. Im Hinblick auf die nur ausschnittsweise gesammelten Daten sollten die Schlußfolgerungen reevaluiert werden, es gäbe keine Zusammenhänge zwischen Lexikon und Morphologie. Auch andere Ergebnisse dieser Studie entsprechen den von Konnektionisten formulierten Erwartungen. Mehr und öfter als beispielsweise von Clahsen & Rothweiler (1993) behauptet produziert A. Irregularisiemngen. Das kann von symbol-orientierten Ansätzen nicht erklärt werden. Das gleiche gilt für die hier vorgefundene Variationsbreite bei der Partizipbildung. Laut symbol-orientierten Ansätzen sollte beides nicht auftreten, wenn irreguläre Bildungen einfach auswendig gelernt werden. Tatsächlich kommen Clahsen und Mitarbeiter wiederholt zu dem Schluß, daß Irreguiarisierung, also unregelmäßige Flexion regulärer Verben, nicht auftritt. „In all the data, there are no participles in which an irregulär stem pattern has been extended to a weak verb. Rather, the only kind of stem error we found are regulär stems replacing irregulär ones" (Clahsen & Rothweiler 1993: 1). „Despite similar frequencies of regulär and irregulär participles in the input, it is only the regulär -t suffix which is overregularized by children"(Weyens & Clahsen 1994: 430). Daher sollten qualitative Unterschiede zwischen regulärer und irregulärer Flexion angenommen werden. In A.s Daten wurden irreguläre Muster (Vokalwechsel oder en-Suffix oder beide) sowohl für regelmäßige wie auch für unregelmäßige Verben gebraucht. Dabei wurden auch Stammvokale verschiedener Verbformen benutzt (ge-mmm-t, ge-ging-t, geläg-eri) oder Vokale, die in keiner Form vorhanden sind {getrogen statt getragen, gewoppt statt gewippt). Sowohl -en als auch -t wurden für falsche Stämme benutzt. Teilweise traten die abweichenden Formen oft während mehrerer Monate auf oder waren sogar häufiger als die korrekten Partizipien (ausgezungen statt ausgezogen) oder wiesen mal -t, mal -en auf {trunken, trunkv, getan, getanen, getant). Die Variation ist weit größer und die Unterschiede zwischen regulärer und irregulärer Flexion sind offenbar weniger deutlich ausgeprägt, als es von generativer Seite zu wünschen wäre. A.s Daten lassen den Schluß zu, daß auch irreguläre Flexion schließlich analysiert verarbeitet und übergeneralisiert wird. Der Unterschied in der Behandlung zwischen regulärer und irregulärer Flexion ist damit graduell. Nicht erwartet wird von generativer Seite das Zusammenfallen von ersten Übergeneralisierungen und Veränderungen im Verbvokabular, genausowenig wie weitere Korrelationen zwischen Verblexikon und Verlauf der Übergeneralisierung. Das läßt den Schluß auf mehrere systeminterne Reorganisationen zu. Zusammenfassend i$t zu sagen, daß die Daten mit der Untersuchung von Marchman & Bates (1994) und mit Voraussagen konnektionistischer Modelle zum Flexionserwerb übereinstimmen: es gibt sehr wahrscheinlich einen Zusammenhang zwischen Veränderungen in der Zusammensetzung des Verbvokabulars, einem plötzlichen nichtlinearen

62 Anstieg neuer regulärer Verben3 und dem Einsetzen der Übergeneralisierungen. Diese Ergebnisse sind vor allem zusammen mit folgenden Beobachtungen mit der Theorie eines einzelnen Lermechanismus in Einklang zu bringen: Veränderungen beim Verbanstieg korrelieren mit Übergeneralisierungsverläufen. Beide weisen ein wellenartiges Entwicklungsmuster auf. Abweichende Bildungen zeigen eine in der Literatur bisher unterschätzte Variationsbreite. Irreguiarisierungen treten auf, und zwar eher später als von den generativen Modellen erwartet. Sowohl reguläre wie auch irreguläre Verben weisen Fehlbildungen mit Vokalwechsel und/oder t- bzw. ew-Affix auf. Sobald die Zahl der regelmäßigen Verben die der unregelmäßigen übersteigt, beginnt das Kind, unregelmäßige Verben, die im Übrigen keine niedrigen Vorkommenshäufigkeiten zeigen, regulär zu flektieren. Alle Beobachtungen sind mit einem konnektionistischen Ansatz vereinbar. Sie ziehen die Vorstellung des Zwei-Mechanismen-Modells von einer qualitativen Unterscheidung zwischen regelmäßigen und unregelmäßigen Formen in Zweifel und stützen die Annahme, für den Erwerb von Lexik und Morphologie sei ein einzelner assoziativ arbeitender Mechanismus verantwortlich, der dem Erkennen, Abstrahieren und Generalisieren von Regularität zugrunde liegt. Das Fazit aus diesen Übereinstimmungen mit den A.-Daten und konnektionistischen Simulationen ist, daß die Annahme symbolischer Regeln (am Beispiel der Verbflexion) nicht nötig ist, daß reguläre und irreguläre Flexion nicht kategorisch zu trennen, sondern als prototypisch mit Zwischenbereichen aufzufassen sind. Der Input muß eine ausreichende Menge an regulären Verben zur Verfügung stellen, um Flexion zu ermöglichen, und hat damit mehr als nur Triggerfunktion. Dies stimmt nicht mit den Arbeitshypothesen 2, 3, 4, 5, 6, und 7 überein. Wie gezeigt wurde, interagieren Lexikon und Morphologie. Die Kategorien der regulären und irregulären Verben entstehen erst mit der Zeit und werden zunächst nicht als unterschiedliche Klassen getrennt behandelt. Damit im Zusammenhang steht die Variationsbreite der Fehlbildungen und eine allmähliche Ausbildung der Flexion über mehr oder weniger richtige Muster bis hin zu meist korrekten Ableitungen (gegeht, gegangt, gegangen). Für die in diesen Untersuchungen geschaffene Gruppe der deutschen irregulären Verben bedeutet dies aber auch, daß ein typisches unregelmäßiges Verb das 3

Dies scheint weder eine notwendige noch hinreichende Bedingung fiir Übergeneralisierungen zu sein, da die Modelle auch ohne beschleunigten Verbzuwachs Übergeneralisierungen bilden. Hierauf wird mehrfach von Seiten der Konnektionisten hingewiesen (Plunkett & Marchman 1993, im Druck). Trotzdem wird wiederholt versucht, dies als Kritikpunkt an den Modellen auszubauen. Die Argumentationsweise der generativen Seite lautet in etwa: die Modelle können nur bei nichtlinearem Anstieg der Verben übergeneralisieren, Kindersprachdaten weisen aber keinen plötzlichen Verbanstieg auf, also wird das Übergeneralisierungsverhalten der Modelle künstlich hervorgerufen (z.B. Marcus 1995). Ein ähnliches Mißverständnis ruft das Verhältnis der regulären und irregulären Verben hervor. Fälschlich wird den Modellen vorgeworfen, sie könnten nur übergeneralisieren, weil regelmäßige Verben weit häufiger sind als unregelmäßige (bei den englischen past tense Simulationen). Die Übergeneralisierung sollen bei den Simulationen künstlich durch hohe Frequenzen hervorgerufen worden sein. Deutsche Kinder übergeneraliseren, obwohl im Deutschen beide Verbgruppen gleich stark sind. Es wird gefolgert, daß (deutsche) Kinder qualitativ zwischen regulären und irregulären Verben unterscheiden (z.B. Weyerts & Clahsen 1994). Tatsächlich aber zeigen Simulationen, daß es bei den Modellversuchen nicht weniger reguläre Verben als irreguläre sein dürfen. Sobald der Anteil der regelmäßigen Verben den der unregelmäßigen übersteigt, kann das Modell übergeneralisieren (Plunkett & Marchman 1993, im Druck). Genau diesen Zusammenhang zeigen auch A.s Daten.

63 Partizip auf -en mit Vokalwechsel bildet, weniger typisch sind en-Ableitungen ohne Vokalwechsel und als noch weniger typisch aufzufassen (und seltener) sind wohl die Verben der gemischten Flexion mit Vokalwechsel, aber der eigentlich regulären Endung -t, der einfach zu stark das 'regelmäßig' anhaftet. Das andere Ende der Skala machen die typischen regelmäßigen Partizipbildung mit /-Affix ohne Vokalwechsel aus. Wir können hier also eine Sortierung nach Untergruppen annehmen, ähnlich wie es Kopeke (1993) für die Substantive des Deutschen vorgeschlagen hat.

5.2. Substantivplurale Bei der Darstellung der deutschen Substantivplurale gibt es unterschiedliche Tendenzen. Auf der einen Seite wird in einigen generativen Arbeiten angenommen, der einzig reguläre Plural (default) sei der auf -s, alle anderen seien irregulär (u.a. Clahsen, Rothweiler, Woest & Marcus 1992, Clahsen, Marcus, Bartke & Wiese 1996; vgl. jedoch GawlitzekMaiwald 1994, Wiese 1988, 1996). Dem gegenüber steht die Auffassung, das Deutsche verfüge über mehrere reguläre Plurale, für die allerdings keine strikten Anwendungsregularitäten gefunden werden können. Je nach Auffächerung der Regeln sind die Listen der Ausnahmen länger oder kürzer (vgl. den Überblick in Kopeke 1993). In letzter Zeit bildet sich eine weitere Annahme heraus, die die Anwendung der deutschen Nominalplurale im zielsprachlichen System eher aus einer Merkmalskombination von phonologischer, morphologischer und semantischer Information versteht (z.B. Kopeke 1993, Wurzel 1998). Kopeke zeigt, daß mithilfe der Prototypenidee durch eine Gruppierung der Pluralbildungen auch die sogenannten Ausnahmen und diachrone Veränderungen verständlich werden. Das -s ist hier ein eingeschränkter Default-Plural für Entlehnungen und wird gewählt, wenn keine spezifischen Schemata anderer Pluralbildungen zur Verfugung stehen (Köpcke 1993: 152). Kopeke definiert Schema über ganzheitliche Repräsentation von Wörtern bzw. als formale und/oder semantische Mustereigenschaften einer ganzen Klasse von Wörtern. Ein Schema hat probabilistische, prototypische Struktur und ist output-orientiert, kognitiv motiviert und nimmt einen Zwischenbereich ein zwischen Regelbildung und Suppletion (Köpcke 1993: 82, 209ff). Das Lexikon ist prototypisch orientiert. Weniger prototypische, periphere Strukturen bzw. Schemata werden eher abgebaut und verändern sich in Richtung auf prototypischere Muster. 'Ganz schlechte' Strukturen haben eine hohe Vorkommenshäufigkeit. Sie sind darum relativ resistent gegenüber Veränderung, wie irreguläre Formen zeigen. Köpcke (1993) versucht, eine Alternative herzustellen zu Modellen, die einerseits Morpheme und Allomorphe im Bereich der Grammatik mit Regeln voneinander ableiten und andererseits solchen, für die flektierte Formen im Lexikon gleichberechtigt in Paradigmen existieren. Zwischen Regeln und separat gespeicherten Formen nimmt er zusätzlich die Existenz von kognitiv basierten Schemata an. Sie schaffen einen gleitenden, dynamischen Übergang von Regelbildungen zu Suppletivformen. Hierbei werden der Sprachbenutzer und die Kommunikationssituation mitberücksichtigt. Durch dieses Modell sollen verschiedene Probleme im Bereich der deutschen Substantivflexion erklärt werden, vor allem die Schwierigkeit, allgemeingültige Regeln aufzustellen. Wie in den Grammatiken nachzulesen ist, gibt es für die deutschen Plurale mehr oder weniger stark ausgeprägte Tendenzen

64 der Flexivzuweisung, immer aber verbunden mit einer Liste von Ausnahmen. Weiterhin besteht keine Einigkeit über die Kriterien fiir die Zuweisung. Die Wahl einer Pluralendung und diachrone Veränderungen erscheinen meist willkürlich. Strukturalistische Beschreibungen versuchen häufig, mit möglichst wenig Regeln auszukommen, beispielsweise Äugst (1979 in Köpcke 1993): „1. Maskulina und Neutra bilden den Plural auf -e und Femina auf -en. 2. Substantive, deren Stamm auf Schwa auslautet, bilden unabhängig von ihrer Genuszuweisung den Plural auf -en. 3. Maskulina und Neutra auf -el, -er und -en bilden den Plural endungslos, also mit der Nullmarkierung" (Äugst 1979 in Köpcke 1993: 37). Etwas ausführlicher faßt Mugdan (1977) die Pluralzuweisung zusammen, die Köpcke (1993) vereinfacht mit zwölf Regeln wiedergibt. In jedem Fall sind zusätzlich Listen von Ausnahmen aufzuführen. Köpcke versucht zu zeigen, daß die jeweiligen Tendenzen sowie ihre Ausnahmen innerhalb eines kognitiv begründeten Schema-Modells erklärt werden können. Auch für verschiedene diachrone Entwicklungen findet er plausible Erklärungen, warum beispielsweise die Feminina auf -en im Singular alle zu Pluralen uminterpretiert wurden, warum alle Feminina, die den Plural auf -e bildeten, jetzt -en aufweisen (Köpcke 1993: 127), warum der Umlaut und die er-Endung immer seltener, -s aber häufiger verwendet wird. Köpcke geht in seinem Ansatz davon aus, daß Grundlage für morphologische Strukurzuweisung neben Regelbildung und Suppletion nicht zugrundeliegende, abstrakte Formen und Regeln sind, sondern Wörter in ganzheitlicher Repräsentation. Die Schemata sind auf einer Skala zwischen dem prototypischen Singular (Einsilbler, finaler Plosiv, der/dasKlasse) und dem prototypischen Plural (Mehrsilbler, finales -(e)n, d/e-Klasse) angeordnet. Je prototypischer eine Form, desto häufiger und dominanter (resistenter gegen Wandel) sollte sie sein und desto früher sollte sie erworben werden. Weil eine Singularform wie fnhd. die Lügen oder die Wüsten eine prototypische Pluralform darstellt, ist sie stark abbaugefährdet. Ein Zweisilbler auf -e befindet sich formal zwischen dem prototypischen Singular und dem prototypischen Plural. Wenn es sich bei einer Pluralform auf -e darüberhinaus um ein Femininum handelt, fallt das eindeutige Singularsignal des Maskulinbzw. Neutrum-Artikels weg. Die ist nicht eindeutig. Also sind gerade die Feminina mit Plural-e vom Wandel betroffen. Das Femininum die Niß - die Nisse hat einen Plural, der wie Singular aussieht. Der Plural auf -en ist wegen der großen Signalstärke für Feminina der 'beste', also wird daraus die Nisse - die Nissen (Köpcke 1993: 127). Weiterhin ist wichtig hervorzuheben, daß bei der Zuweisung der Plurale verschiedene Signale zusammenwirken: neben den bereits erwähnten phonologischen (Ein-, Mehrsilbler, Auslaut) und morphologischen (Genus) Faktoren auch die Frage, ob es sich um ein Derivat handelt (-schaß, -heit/keit mit -en, -nis immer mit -e), sowie semantische Faktoren wie Personenbezeichnungen und lexikalische Faktoren (+/- Fremdwort). Denn Fremdwörter tendieren dazu, ihren Plural auf -s zu bilden, wenn kein 'besseres' deutsches Schema paßt wie bei Villa - Villen, Computer - Computer. Den verschiedenen Faktoren kommt unterschiedliche Gewichtung zu. Die Idee, daß verschiedene Informationen sich gegenseitig verstärken und sich zu Schemata zusammenfinden und daß Sprecherinnen aufgrund von Schemata kategorisieren, findet sich ähnlich im competition model (Köpcke 1993: 72). Auch Köpckes Untersuchungen zum Sprachenverb (Köpcke 1993, 1998) bestätigen die Anwendung von Schemata (vgl. auch Ewers 1998). Experimente mit Erwachsenen schließlich zeigen weitgehend ähnliche Tendenzen wie diachrone Entwicklungsverläufe.

65 An dieser Stelle seien noch einige Anmerkungen zum s-Plural im Deutschen angefügt. Bornschein / Butt (1987) nehmen an, daß die Zunahme der s-Plurale auf die Tendenz im neueren Deutsch zurückzuführen ist, eher Numerus als Kasus zu markieren. Hier dient das -s als eindeutige Markierung (der Genitiv als Objektskasus ist ja gerade am Schwinden). Weiterhin wird der Wortschatz in der letzten Zeit vermehrt durch Entlehnungen und Kurzwortbildungen erweitert, die aufgrund ihrer Phonologie keinen bestimmten Plural präferieren. Daher wird das -s gewählt. Verstärkend wirkt dabei auch das -s der Anglizismen. Bornschein / Butt (1987) machen darauf aufmerksam, daß -s keine anderen Markierungen ersetzt wie im Englischen. Es verdrängt also keine Plurale, sondern setzt sich als zusätzliches Affix durch. Dies zeigt unserer Meinung nach, daß der s-Plural für einen bestimmten Anwendungsraum, hauptsächlich für Fremdwörter, eingesetzt wird. Verlieren die Nomen das Kennzeichen Fremdwort, wird eine andere Pluralform gewählt, die sich nach Genus, Silbenzahl etc. richtet (Pizzen, Kioske, Birkenstöcke (jeweils mehrfach in verschiedenen Quellen gefunden), Moderne (aus einer Anzeige), E-maile (Radio), Kondore (Kinofilm), Apartementen (aus einer Touristeninformation). Die Etablierung fremder Lexeme in den deutschen Wortschatz ist ein langwieriger Prozeß, der oft auch phonologische Veränderungen nötig macht (Balkon - ^alk^gs/, /balköna/, ?^alk^g^/?) und dann erst die Zuweisung eines alternativen Plurals ermöglicht. Der Stellenwert des s-Plurals kann daher nur schwer mit Kunstwortexperimenten ermittelt werden, da den Kunstwörtern der Aspekt 'Nicht-Deutsch' anhaftet, was die .s-Zuweisung begünstigen mag und zu einer Überbewertung führt. Dies kann dann eine Fehlinterpretation als Default-Lösung zur Folge haben. Die Plurale des Deutschen sind jedoch alle als regulär anzusehen und unterscheiden sich hinsichtlich Frequenz, Zuweisungsbedingungen und Produktivität. Das -s als relativ neues Flexiv hat dabei in jüngster Zeit einen vergrößerten Anwendungsbereich erhalten, zu dem alle fremd empfundenen Nomen gehören." Für den Spracherwerb machen die generativen und die schema-orientierten Ansätze jeweils unterschiedliche Voraussagen. Kinder sollten der generativen Auffassung zufolge mithilfe symbolischer Repräsentationen einige wenige Plurale regelmäßig bilden, den Rest über Assoziativbildung auswendig lernen. Entsprechend der Auffassung von Kopeke wäre stattdessen eine Fehlerverteilung nach Prototypizität zu erwarten. Im folgenden zeigen wir, daß mit Blick auf A.s Daten ein allmählicher Erwerb der verschiedenen Kriterien zur Bildung der Plurale anzunehmen ist. Dabei verbinden wir Erwerbsprinzipien aus konnektionistischen Untersuchungen mit der Idee der prototypischen Verteilung von Strukturen, ähnlich wie von Kopeke vorgeschlagen. Es wurde in unserem Ansatz bereits an anderer Stelle erwähnt, daß die Kinder zunächst über assoziative Muster Plurale bilden und dabei primär auf die Lautgestalt achten sollten. Die weiteren definierenden Merkmale werden mit der Zeit erkannt und als bestimmend für die Pluralwahl eingesetzt. Dabei kommt ihnen während des Erwerbsverlaufes unterschiedliche Gewichtung zu, denn zu verschiedenen Zeiten entstehen unterschiedliche Fehler. Auch die miteinander konkurrierenden phonologischen Aspekte werden zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich stark be-

4

Ickler (1997: 123) führt folgende Pluralbildungen aus Fachsprachen an, die in der Standardsprache keinen Plural bilden können: Bedarfe, Drücke, Fette, Geschmäcke, Öle, Politiken, Sände, Salze, Stäube, Töne, Verkehre, Wässer, Zerfälle. Obwohl sie keinen Plural haben, nehmen sie nicht das sogenannte Default-s, sondern einen dem jeweiligen Schema entsprechenden Plural.

66 rücksichtigt. Schließlich ist der Gesamtspracherwerb mit in Betracht zu ziehen, nicht nur die Nomen bzw. Pluralklassen in Isolation. Die Daten lassen vermuten, daß unter der Annahme einer Sprachveraibeitung, wie sie konnektionistische Ansätze sehen, für das Kind zunächst die Lautgestalt aller Wörter im Lexikon bzw. Input entscheidend ist. Dann bildet sich ein Konzept von Mehrzahligkeit heraus, so daß nun die häufigste Pluralendung die produktivste ist. Zu einem späteren Zeitpunkt treten einige in der Zielsprache weniger frequente Endungen gehäuft auf. Für sie kann das Erreichen einer kritischen Masse von Wörtern mit einer weniger häufigen Endung als ausschlaggebendes Kriterium angenommen werden, was zu einer Reorganisation des Systems und anderer Pluralwahl fuhrt. Dann greift das Kind wieder auf das auch in der Zielsprache dominante Muster zurück. Hierfür mag wiederum eine Reorganisation des informationsverarbeitenden Systems verantwortlich sein. Somit ergeben sich zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Präferenzen in der Wahl der Pluralendung. Dies schließt den gelegentlichen Gebrauch alternativer Flexive nicht aus. Die Verteilung von A.s Übergeneralisierungen in Typen (vgl. Anhang D) entspricht ungefähr der, die auch im zielsprachlichen Lexikon anzunehmen ist: hauptsächlich -(e)n, dann auch -e und -s-Plurale. O-Markierungen werden wegen der niedrigen Transparenz ('Plural heißt, was anzuhängen') außer zu Beginn des Erwerbs, wenn es kaum Endungen gibt, wenig gewählt. -er-Plurale sind, wie auch in der Zielsprache, sehr selten. Die Ergebnisse widersprechen der generativen Annahme, nur ^-Bildungen seien per (symbolischer) Regel gebildet, der Rest sei auswendiggelernt.5 Denn das sollte zur Folge haben, daß nur s-Plurale übergeneralisiert werden, andere so gut wie nie.6 Im Gegenteil sind die ersten Übergeneralisierungen bei A. solche auf -e neben -0. Die häufigsten Übergeneralisierungen sind solche auf -(e)n. Weiterhin gibt es auch er-Bildungen, verschiedene Kombinationen zweier Endungen sowie UL +/- -(e)n, -e, -s, -er (Tüch-er-n, Huhn-er-n, Ballong-s-e, Jung-s-en, Opa-n-s; Post-en 'Briefe', Bäll-en, Dreiräd-en, Sand-e 'Dünen', Hünd-e, Spang-s, Bäum-s, Kämm-er, Bäll-er, Ring-er). Daß das Kind produktiv Stamm und Endung verbindet, teilweise ohne auf phonotaktische Gesetzmäßigkeiten zu achten, zeigen Beispiele mit silbeninitialer Auslautverhärtung des Stammes (Monte für Monde, auch Kruke für Krüge, Feite für Felder). Hier wird die Endung an den weiter nicht analysierten und veränderten Stamm gehängt. Weiterhin wird auf die in unseren Daten gefundene Variation zwischen korrekten und verschiedenen inkorrekten Bildungen aufmerksam gemacht {Bälle, Balle, Ballen, Bällen, Bäller- vs. Arbeitshypothese 5). Es wird vermutet, daß analog zu den Verben (vgl. Elsen 1997, 1998a) ein assoziativ arbeitender Lernmechanismus anzunehmen ist, für den Informationen zunächst aus dem Gesamtlexikon, dann aus dem Substantivlexikon phonologische patterns liefern. Anschließend entstehen weitere Distinktivitäten. Andere Merkmale werden im Laufe der Auseinandersetzung mit der Sprache als entscheidend für die Wahl des Pluralflexivs erkannt. Die Flexion des Nomens bleibt auch für Erwachsene prototypisch geordnet, so daß Wege beim Sprachwandel vorgezeichnet sind (vgl. Kopeke 1993). 5

6

In Clahsen et al. (1992) wird darüberhinaus angenommen, daß manche Kinder fälschlicherweise -en als Default-Plural interpretieren, diesen übergeneralisieren und entsprechend nicht in Komposita verwenden. Sie lassen keine anderen Plurale in Komposita aus. Später benutzen sie dann -s als Default-Plural. Solche Fehlbildungen resultieren aus Fehlern beim Zugriff auf das assoziative Gedächtnis (Clahsen et al. 1992:238).

67 Im folgenden sollen nun weitere Daten aus dem kontinuierlich erhobenen Korpus vorgestellt werden. Die Ergebnisse decken sich mit denen anderer Studien zum Erwerb deutscher Plurale. Dort wurde eine spätere Produktion regulärer s-Plurale im Vergleich zu regulären (e)n-, e-Pluralen (z.B. Schaner-Wolles 1988, Vollmann, Sedlak, Müller & Vassilakou 1997) festgestellt und stets ein deutlich höheres Vorkommen von -(e)n gegenüber (UL)-e und -s, vor allem aber auch immer e-Übergeneralisierungen (z.B. Mugdan 1977, Park 1978, Schaner-Wolles 1988, Gawlitzek-Maiwald 1994, Vollmann et al. 1997, Ewers 1998). Anschließend werden verschiedene Erklärungsmöglichkeiten diskutiert. Es wird gezeigt, daß weder angeborene symbolische Regeln noch die Annahme eines angeborenen Ebenensystems nötig sind, um die dargestellten Daten (sowie die der obengenannten Untersuchungen) zu erklären. Stattdessen macht ein assoziativ arbeitender Lernmechanismus A.s Erwerb der Plurale, für die generell Schemata in unterschiedlicher Prototypizität angenommen werden, verständlich. Abbildung 6 gibt den kumulativen Erwerb der bis 2;5 erworbenen 940 Singularwörter (vgl. Anhang C) in Typen nach Pluralklassen sortiert wieder.

0;8

0;9 0;10 0 ; 1 1

1;0

1;1

1;2

1;3

1;4

1;5

1;6

1;7

1,8

1;9

1;10

1;11

2;0

2;1

2;2

2;3

2;4

Alter

Abbildung 6: Kumulative Berechnung von A.s Nomen nach Pluralgruppen Der Erwerb der Wörter der 5 Pluralklassen (-(e)n, (UL)-e, (UL)-O, -s, (UL)-er) und andere (Singularia-, Pluraliatantum, irreguläre Plurale wie Lexika) weist jeweils Unterschiede auf im Erwerbsverlauf, im Übergeneralisierungsverhalten und in Beziehung zu anderen sprachlichen Bereichen. Für die Nomen, die den Plural auf -(e)n, (UL)-e und (UL)-O bilden, weist der Neuerwerb einen nichtlinearen Entwicklungsverlauf auf (vgl. Abb. 6). Dabei wird impliziert, daß das Kind über Plurale verfugt, die eine entsprechende zahlenmäßige Verteilung aufweisen wie die Singularwörter. Für Nomen auf -s und (UL)-er sowie für Nomen, die keinen Plural bilden, erfolgt der Anstieg der Neuerwerbungen linear. Dies ist aufgrund der Typenhäufigkeit in A.s Lexikon statistisch zu erwarten (vgl. Tab.l). Tabelle 1 zeigt die Typenzählungen von Janda (1990) und Wagner (1991) (in Clahsen et al. 1996:121) der 200 häufigsten Pluraltypen in der Erwachsenensprache (Janda) bzw. im

68 Input für Kinder (Wagner) und die Zusammensetzung von A.s Nominallexikon bis 2;5, jeweils in Prozentangaben, -(ejn macht jeweils die größte Gruppe aus, gefolgt von -e, dann -0. Der Anteil der Wörter, die im Plural auf -er enden, ist in A.s Lexikon im Vergleich zu den anderen Angaben niedriger. Wörter, die den Plural auf -s bilden, treten im Vergleich dazu vermehrt auf. Dies ist auf das kindersprachliche Vokabular zurückzuführen (u.a. Papa, Mama, Oma, Opa, Teddy, Buggy, Kaba, Lolli, Legö). Wie Abbildung 6 zeigt, bilden ab Mitte 1;0 die Nomen, die den Plural auf -(e)n bilden, die stärkste Gruppe.

Tabelle 1 : Verteilung der Pluralgruppen in verschiedenen Erhebungen Quelle

Janda*

Wagner*

A.

53 33 nicht gez. 8 5 r

31 25 24 6 9 5

Endung -(e)n -e -0 -er -s andere

42 35 12 0 1 t

•aus Clahsen et al. 1996: 121 nicht angegeben

+

Anfangs hat A. noch keine Vorstellung von Mehrzahl. Das Konzept 'mehr als eins' entwickelt sich erst ab etwa 1;3. Mit 1;3 ist A. fiir Auto/s der Unterschied zwischen sg/pl nicht bewußt. Mit 1;6 unterscheidet sie Plural und Singular von Blatt, benutzt aber auch den Plural für sg Buch. Mit 1;7 gebraucht A. den Plural auch für sg Baum und Haus. Ende 1;9 differenziert sie meist korrekt zwischen sg/pl Ei. Von 1;9 bis 1;11 nimmt sie die Pluralform auch fiir sg Knopf. Mit 2;0 differenziert sie korrekt zwischen Singular- und Pluralformen von Haare. A. äußert außerdem (5)

a. b. c. d. e. f. g. h. i.

[bar] 1;3,24 [zu zwei Steinen] [da vavaui, vavaui] Pause [vai vai] Pause [bai bai] da Wauwau, ..., 1;4,0 [zu zwei Hunden] [eta] Pause [bai bai bai] Ente, bai bai bai, 1;4,5 [zu drei Enten] [tina, vai vai] Kinder, ... 1;4,24 [zu mehreren Kindern] bai bai, 1 ;5,0 [bricht Stück Pommes auseinander] [bai bai] 1;5,1 [zu zwei Socken] [bai de] zwei Zeh, 1;5,2 [bai, vai] 1;5,3 [zu zwei Flaschen] [bai, vai] 1,5,3 [zu zwei Schaufeln]

Erste pluralartige Formen treten auf mit 1;2,29 [bama] Bäume, 1;3,0 [vuisa] Füße, wobei hier die Pluralbedeutung nicht sicher anzunehmen ist. 1;5,5 Biiche ist als Plural intendiert. Mit 1;5,8 ist zwei Bulli verzeichnet, ebenfalls in pluralischer Bedeutung. Korrekte Plurale sind 1;5,25 Füße kalt (aus einem Satz, den sie öfter hört), 1;6,1 Bücher, 1;6,4 Bälle

69 Tabelle 2: Inkorrekte Pluralmarkierungen bei Nomen in types Alter

-e

1:2

0)

Al;3

(1)

(UL)-er

-s

gesamt

M 1;3 E 1:3 1;4 A 1;5

1

1

1

1

M l;5 E 1;5 i;6 Al;7 M 1.7 1

E 1;7 A 1;8

5

1

2

2

7

2

5

1

11

M 1:8 E 1:8 A I;9

1

M 1;9

1 3

E 1,9

7

A 1:10

9

1

1

M 1:10

5

1

E 1:10

6

8

6 1

1

8 4

A 1,11

3

1

M 1,11

8

1

E 1:11

10

A 2:0

1

M 2:0

1

E 2:0

5

1

9 11 1 1

1

6

A 2;1

1

2

1

4

M 2:1

3

2

8

13

E 2;1

6

2

A 2:2

4

8 4

M 2:2 1

E 2:2

1

1

2

3

A 2:3

2

1

M 2:3

4

1

1

3 6

E 2:3

3

2

1

6

A 2;4

4

2

6

M 2:4

1

1

2

E 2;4

4

1

gesamt

93

25

5 2

22

142

70 'Punkte', 1;6,14 noch Pinnis, noch Bücher (Pinnis: Nadeln für Pinwand), 1;6,17 Kinder laut,l;6,18 Blätter pieks, 1,6,20 Papa Bücher..., 1;6,22 Hunde weg, 1;6,24 viel Haare, 1;6,25 viele Kinder, 1;6,28 Knöpfe zu, 1;6,29 drei Bücher, mehr Bücher, Bücher aufräu-

(men). Inkorrekt ist dagegen 1;6,16 viele Miau 'Katzen', 1;6,21 v/e/e [metalai] 'Schmetterling', 1;6,25 viele Apfel. Im nächsten Monat treten an inkorrekten Pluralmarkierungen wieder (UL)-e bzw. (UL)-O auf: 1;7,1 Baume, I;7,18 zwei Auge, 1;7,24/25 viele Sande 'Dünen'. Die Übergeneralisierungen sind im Anhang D aufgeführt. Kindern (Anfang 1;8, 1,9 bis Ende 1;10), Haaren (1;9,8, Ende 1;9, 1;10), Büchern (Ende 1;9 bis 2;0/2;l) und Tüchern (1;11) werden besonders häufig verwendet. Für die Typen nach Pluralgruppen ergibt sich das folgende Bild von abweichender Pluralzuweisung bei Nomen (vgl.Tab. 2).7 Dabei sind auch fehlerhafte UL-e-Kombinationen wie Stocke aufgenommen. Bei Doppelmarkierungen wurden beide Endungen gezählt, wenn beide abweichen bzw. die Reihenfolge inkorrekt ist (Klebens, Opans), sonst nur die zweite Endung. Bei hoher token-Zab\ wurde dreifach gezählt - je einmal pro Monatsdrittel: Kindern 1;10, Büchern 1;10, 1;11, Zehnen 1;10, 1;11, Haaren 1;10, Tüchern 1; 11, Stiften 1; 11. Es wurden nur Plurale von

Nomen in der Tabelle berücksichtigt, dabei wurde aua (1;11,13) als Nomen interpretiert. Pluralmarkierungen auf UL-0 gab es nicht. Markierungen nur mit -0 wurden vernachläßigt, da dabei die Bedeutung Mehrzahligkeit nicht am Nomen kodiert wird und manchmal nicht sicher bestimmbar ist. Im Gegensatz zu erwachsensprachlichen Mustern traten auch UL-s und UL-en auf (Bäums, Männis, Bällen, Dreiräden) sowie Doppelmarkierungen

(Opans, Klebens 'Klebebilder', Gläsern, Ohrens). Es zeigt sich, daß -{e)n die am häufigsten gewählte Form ist bis auf die Zeit Mitte 2;1. Sehen wir uns die Entwicklung nach Pluralgruppen an, so ist festzustellen, daß zuerst Fehlanwendungen mit (UL)-e und -0 auftreten (1;3 bis 1;7). In der Zeit von 1;8 bis 2;0 wird meist -(e)n, kaum (UL)-s, -e, -er gewählt. In der ersten Hälfte von 2;1 ist ein starker Anstieg der s-Übergeneralisierungen verzeichnet neben wenig -(e)n. Dann dominieren wieder -(^«-Bildungen über (UL)-e, -s. Welche Erklärungen sind für die vorgefundene Entwicklung möglich? In einem generativen Ansatz, der angeborene symbolische Regeln und 'Parametersetzen' annimmt, ist das häufige Vorkommen der ('irregulären') ^«-Bildungen, die teilweise auch in Komposita gebraucht werden, das Schwanken bei der Wahl der dominanten Endung und vor allem die Aufgabe von -5 zugunsten von -(e)n nicht verständlich. Denn vielmehr sollten Neuerwerbungen wie die Default-Endung schnell und sicher erworben sein. Ein fälschlicherweise angenommener Default-ew-Plural dürfte nicht in Komposita auftreten. Nach der Anwendung des 'Default'-s-Plurals dürfte es keine 'Regression' zu e«-Endungen mehr geben. Von generativer Seite wird eine qualitative Unterscheidung von regulärer und irregulärer Pluralzuweisung angenommen. Der reguläre Plural (-s) wird mithilfe einer morphologischen Regel gebildet. Irreguläre Plurale (-(e)n, (UL)-e, (UL)-O, (UL)-er) werden über auswendiggelernte Musterassoziationen gespeichert. Weiterhin wird in einigen Arbeiten wie denen von Clahsen ein Ebenenmodell (Kiparsky 1982, 1985 in Wiese 1988, 1996) als angeboren angenommen. Demzufolge hängt die Bildung von Komposita und die Flexion

7

Die Klammern in der Tabelle beziehen sich auf Bildungen, die wahrscheinlich rein formal ohne die Bedeutung 'Mehrzahligkeit' entstanden. A bezieht sich auf den Anfang eines Monats (die ersten zehn Tage), M - Mitte (die nächsten zehn Tage), E - Ende (die letzten neun bis elf Tage)).

71 mit verschiedenen Pluralallomorphen jeweils auf verschiedenen Ebenen der Strukturgenerierung zusammen. Die Ebenen sind linear angeordnet: bei der Generierung morphologisch komplexer Wörter tritt zunächst irreguläre Flexion und Derivation der Stufe I auf (vgl. u.a. Wiese 1988, 1996), dann Komposition und Derivation II, schließlich reguläre Flexion. Dies setzt die qualitative Unterscheidung von regulärer und irregulärer Flexion voraus und läßt eine bestimmte Erwerbsreihenfolge bzw. Bildungssystematizitäten beim Gebrauch der verschiedenen Pluralflexive im Zusammenhang mit der Kompositabildung erwarten. Schließlich sind gemäß generativer Annahmen z. T. symbolische Repräsentationen und die Irreversibilität der einzelnen Schritte Voraussetzimg für Spracherwerb. Da in dem Ebenenmodell auch die Komposita eine Rolle spielen, soll hier kurz mit Verweis auf A.s Komposita auf die Komposition des Deutschen eingegangen werden. Ein relativ problematischer Punkt ist die Behandlung der Infixe in Komposita beim Ebenenmodell (Clahsen et al. 1992, Wiese 1988, 1996). Für die Kompositabildung werden Infixe teilweise als 'irreguläre' Plurale (Kind-er-geburtstag, Rind-er-braten), ansonsten als verbindende Morpheme (Kind-s-kopf, Rind-s-bratwurst) interpretiert. Das -s als Pluralmarkierung erscheint nicht in Komposita. Da es außerdem als einziges Allomorph den Default-Status innehat, wird damit das Ebenenmodell gestützt. Demzufolge erfolgt zunächst Komposition, anschließend reguläre Flexion. Folglich dürfen keine regulären Affixe in Komposita auftreten. Weiterhin sollen Ergebnisse aus Kinderkorpora diese Annahmen erhärten (u.a. Clahsen et al. 1992). In den Daten wurden von den Kindern ihre jeweiligen Default-Allomorphe, die für Übergeneralisierungen genutzt wurden, in Komposita ausgelassen (Clahsen et al. 1992: 233). Dabei wurde -n von einigen Kindern als regulär bzw. Default fehlinterpretiert. Diejenigen Kinder,' die mit -s übergeneralisierten, ließen -s in Komposita aus, gebrauchten aber alle anderen Pluralaffixe in Komposita. Es wurde gefolgert, daß sie qualitativ zwischen -s und den übrigen Endungen unterschieden und -s mithilfe einer produktiven morphologischen Regel bildeten. Die übrigen Bildungen wurden als das Ergebnis von Fehlern beim Zugriff auf das assoziative Gedächtnis interpretiert. Allerdings nutzten die Kinder außer -s und -n keine Pluralallomorphe produktiv in Übergeneralisierungen. Und außer -n wurde kein Plural in Komposita ausgelassen. Dies soll die These der qualitativen Unterscheidung von regulärer und irregulärer Flexion stützen. Daraus folgt, daß diejenigen Kinder, die -n für Übergeneralisierungen und nicht in Komposita verwenden, diese Endung als Default fehlkategorisiert haben. In dem Moment, da sie erkennen, daß -n in Komposita erscheinen darf, reanalysieren sie sie als irreguläre Endung und benutzen sie nicht mehr für Übergeneralisierungen. In Grammatiken des Deutschen wird immer wieder darauf hingewiesen, daß es sich bei den meisten sogenannten Fugenelementen in früherer Zeit um morphologische Markierungen von Genitiv und/oder Plural handelte, z.B. Heldentat - Tat eines Helden (Fleischer 5 1982: 127), Nummernverzeichnis - Verzeichnis von Nummern (Fleischer 5 1982: 127), Storchennest - Nest des Storchen, Lebenszeit - die Zeit eines Lebens (Duden 5 1995 : 480). Aus synchroner Sicht darf heute jedoch diesen Morphemen keinerlei gram-

* Es handelt sich um eine Minderheit, nämlich drei Kinder von 19, für die teilweise nur zwei Aufnahmen existieren.

72 matische bzw. semantische Funktion mehr zugemessen werden. Sie haben lediglich die Aufgabe, eine Grenze zu bezeichnen (Fleischer 5 1982, hier auch Kritik zu Duden (damal. Ausgabe von 1973); Fleischer/Barz 1992, Jung/Starke 101990, Duden s 1995, Heringer 1989). Weiterhin ist die Unterteilung in Plural/Infix irreführend, da viele Endungen tatsächlich ehemalige Genitive sind (alter Genitiv Singular z.B. in Schwanenhals, Greisenalter (Jung/Starke lo 1990: 375)) oder an Plurale denken lassen, obwohl die Bedeutung singularisch ist (Hühnerei - Ei eines Huhns, Eierschale - Schale eines Eis, Rinderhaut - Haut eines Rindes (Fleischer s 1982: 130), Pfeifenspitze - Spitze einer Pfeife, Kirchenschiff Schiff einer Kirche, Tortenstück - Stück einer Torte (Duden 51995: 480). Die ursprüngliche grammatische Bedeutung der Fugen ist synchron oft nicht mehr erkennbar (fälschlich als Pluralzeichen bezeichnet in Gänsebraten, Tageblatt, Hundesteuer (Jung/Starke 101990: 375)). Von der Interpretation der Fuge als Pluralzeichen und einem Zusammenhang zwischen Wahl der Fuge und Pluralbildung wird daher hier, in Übereinstimmung mit der gängigen Lehrmeinung, Abstand genommen. Bei A. wird in Komposita das finale -n eines Zweisilblers auf -en, der den ersten Teil des Kompositums bildet, egal ob Affix oder Stamm, häufig getilgt, ebenso -/ (Zappe-peter, Stempe-automat, Purze-baum, Rege-schirm, Huste-saft, Eise-bahn, Seife-blasen, Straßebahn). Die ganze Silbe fehlt nur sehr selten (Tann-zapfen, Nas-tropfen). Allerdings wird ein Schwa oder eine schwahaltige Silbe teilweise zusätzlich eingefugt (Leib-e-speise, Wasch-e-pulver, Turn-e-hose, Maus-e-puzzle, Wind-en-hund, Spiel-er-elefant, Wohn-sezimmer). Zwei Nomen werden auch ohne verbindendes Morphem aneinandergereiht, wobei meist der erste Teil auf eine schwahaltige Silbe auslautet (Lichtturm, Fischkorn; Haseschere, Hexeweib, Löwebaby). Die korrekte Reihenfolge wird oft ignoriert (Baumapfel, Mausfleder, Nagefuji 'Fußnagel'). Auch in der Untersuchung von Clahsen et al. (1992) wurde -en zu -e-Reduktion beobachtet. Allerdings wurde für das einzige gesunde Kind der Studie, Simone, das diese Reduktionen produzierte, Dialekteinfluß angenommen, für die anderen, sprachgestörten Kinder eine Fehlinterpretation von -n als Default. Für A. können keine Dialekteinflüsse geltend gemacht werden, da die Bezugspersonen keine Reduktionen vornehmen. Trotzdem produzierte A. Wörter wie Seifeblase. Da diese Reduktionen meist neben bzw. vor der Vollform auftreten, da auch Stamm-e« reduziert werden, auch e/-Reduktionen verzeichnet sind und sogar Schwasilben-Einschübe, werden (für dieses Kind zumindest) phonologischrhythmische Gründe für die abweichenden Produktionen angenommen. Zunächst sind nur auslautende [-a] möglich, daher werden finale Konsonanten in auslautenden Silben getilgt. Gleichzeitig aber gibt das Kind die am weitesten verbreitete Folge von betonter unbetonter - betonter (-unbetonter) Silbe wieder, was zu Einschüben von unbetonten Silben bei Wörtern wie Waschpulver, Turnhose führt. Diese Erklärung kann durchaus für die Kinder der Clahsen et al.-Studie gelten und unterstreicht die frühe Relevanz phonologischer Information (vgl. auch Elsen 1994, 1998b, im Druck b), wie auch für die Plurale gezeigt wird. Es sei vermerkt, daß im Gegensatz zu den Erwartungen, die sich aus dem Ebenenmodell ergeben, A. sowohl «-Übergeneralisierungen als auch -n in Komposita produziert. Sie entscheidet sich also nicht zwischen einer Default- oder nicht-Default-Interpretation.

73 Verständlicher wird A.s Erwerb der Plurale, wenn wir einen auf assoziative Musterbildung basierenden Mechanismus annehmen, der zunächst mit dem Gesamtlexikon bzw. -input arbeitet. Zweisilblertypen mit Schwa in der zweiten Silbe sind das am weitesten vertretene Muster im Deutschen. Sie machen ein Drittel der häufigsten Wörter aus (Ortmann 1975). Für die ersten Fehlbildungen dürften daher phonologische Faktoren - nämlich Zweisilbler mit schwahaltiger letzter Silbe als Muster - ausschlaggebend sein. Auch A.s Lexikon besteht zu einem Drittel aus Zweisilblern mit schwahaltiger letzter Silbe, davon etwa die Hälfte auslautend auf Schwa. Ihre Produktionsdaten zeigen, daß sie Wörter auf /-al/ bereits früh mit Lateral neben seltenem vokalischem Auslaut bildete, was auf das Schema PlosivVokal-Plosiv-silbischer Lateral zurückzuführen ist. Dieses Schema wurde mit 1;1 auch übergeneralisiert auf danke, Gurke, killekille (Elsen 1991: 65) (vgl. Kap. 4). Wörter auf /-ar/, realisiert als [a-], sind zunächst nicht von Wörtern auf /-a/ zu unterscheiden, da A. erst mit 1; 11 [»] regelmäßig verwendet. Vorher schwankt sie zwischen meist [a] und [aj. Nomen auf /-an1 werden erst ab etwa Mitte 1;6 mit finalem Nasal gebildet. Vorher lauten sie auf Schwa aus neben [a] (Mädchen, Kissen, Lätzchen-, ab etwa l;ll/2;0 mit Nasal: Lappen, Kuchen). A. ersetzt also bis 1;6 /-an/ durch Vokal, so daß auch diese Endung mit dem zielsprachlichen Schwa zunächst zusammenfällt. A.s Lexikon besteht zu einem großen Teil aus Zweisilblern mit schwahaltiger letzter Silbe, die bis 1;6 bis auf wenige Fälle mit Schwa auslautend realisiert werden. Das erleichtert eine übergeneralisierte Verwendung dieses Schemas aus Gründen der Frequenz, unabhängig von pluraler Bedeutung. Inhaltlich nicht motivierte Verlängerungen von Einsilblern mit -a/a sind wiederholt notiert: 1;1 [a&aj Rohr, 1;3,13 [buitha] Brot, Anfang 1;4 [dtüla] Stuhl, dies bleibt zweisilbig, dann ab Ende 1;5 imitiert einsilbig, 1;4,24 zweisilbig Stift, 1;5,7 [hija] Schirm, 1;6,3 imitiert Taschentuch [?tuixa]. Die ersten Übergeneralisierungen sind also keine eigentlichen Pluralbildungen, sondern rein phonologisch motivierte Schemata. Endsilben auf /-an/ sind bis 1;6 für A. artikulatorisch nicht möglich. Daher sind vorher, wenn überhaupt, Pluralübergeneralisierungen nur mit Vokalauslaut zu erwarten. Wir haben gesehen, daß Übergeneralisierungen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich intensiv auftreten. Verschiedene Übergeneralisierungsmuster dominieren zu unterschiedlichen Zeiten. Nach s-Übergeneralisierungen greift das Kind wieder auf (e)nBildungen zurück. Die ersten Übergeneralisierungen der nominalen Plurale dürften mithilfe des formalen, auf Schwasilbe auslautenden Zweisilbler-Schemas gebildet worden sein, denn mit 1;2 bis 1;4 verfugt das Kind noch nicht über einen Pluralbegriff. Mit 1;6/1;7 werden Mehrzahl- und Einzahlformen nicht differenziert. Häufig tritt der Singular in Pluralkontexten auf. Mit 1;8/1;9 scheint das Kind die Formen bewußt anzuwenden. Jetzt treten auch Übergeneralisierungen gehäuft auf. Diese zweite Übergeneralisierungswelle, in der meist en-, aber auch e- und s- Verwendungen auftreten, könnte durch Nomen mit ew-Plural, die den Großteil des Lexikons ausmachen, erklärt werden, verstärkt durch das sich etablierende Pluralkonzept. Für das gehäufte Auftreten der s-Bildungen in der ersten Hälfte von 2; 1 könnte wiederum das Erreichen einer kritischen Masse verantwortlich sein, die nun die Generalisierung des s-Plurals auf neue Wörter möglich macht. Andere, die Wahl der Pluralendung beeinflussende Faktoren wie Genus, Derivationsendung, Belebtheit oder Fremdwort spielen in dem hier untersuchten Alter offenbar noch keine Rolle. Sie treten später hinzu (vgl. Kopeke 1998). Die dominante Rolle der phono-

74 logischen Form -(e)n als bevorzugte Endung über erstens weniger prototypisches -e, zweitens für Einsilbler und drittens für Wörter im sg./pl. auf, -et, -er (was ja auch weniger 'gute' Pluralendungen sind), z.B. Tuchen, Fischen, Äpfeln, Baggern, Tellern, Köpfen, zeigen, daß die anderen Formen (wie -e, -0) als Pluralmarkierung offenbar nicht ausreichen (vgl. auch Köpcke 1998, Ewers 1998). In anderen Fällen markiert das Kind überdeutlich, mit verlängerter bzw. doppelter Markierung (Ballongse, Hutsis, Männis, Mannis, Affens, Klötzen, mehrs, beiden, Jungseri). -n tritt oft statt -s nach Vollvokal auf (Papan, Didin, Pizzan, Gummin, Auton). Diese phonotaktische Bedingung für die Verwendung von -s ist also noch nicht erworben. Die Endungen stehen sich offenbar unmarkiert gegenüber, und einziges Kriterium für die häufige Wahl von -(e)n dürfte die hohe Vorkommenshäufigkeit dieser Pluralmarkierungen bzw. der (e)n -Endung überhaupt sein in Verbindung mit dem Bestreben, den Plural deutlich zu markieren. Hierfür ist -e und -0 nicht typisch bzw. deutlich genug, -s zu selten und, da es keine eigene Silbe bildet, auch weniger auffallig (daher auch die Bildungen Hutsis, Männis, Mannis, für die ein zusätzliches Iii die s-Endung zu einer volltonigen Silbe ausdehnt). Nicht nur die Verben, auch die Nomen geben Anlaß zu der Vermutimg, daß bei der Bildung flektierter Formen symbolische Regeln nicht nötig sind. Vielmehr deutet die Variabilität zwischen richtigen und verschiedenen abweichenden Formen sowie gleitende Übergänge zwischen verschiedenen Flexionsmustern bei regulären und irregulären bzw. verschiedenen regulären Formen nicht auf eine qualitative Unterscheidung zwischen regelmäßigen und unregelmäßigen Lexemen hin, sondern auf die Verwendung eines assoziativ arbeitenden Mechanismus. Langsamer Erwerb mit Schwankungen zwischen korrekten und inkorrekten Varianten und die Tendenz zu typischen Mustern widersprechen den Arbeitshypothesen 3, 4, 5 und 6. Die Daten zeigen eine Schwerpunktverlagerung entscheidender Auswahlkriterien für die Pluralmarkierung. Offenbar ist bei der Wahl der Endung unterschiedliche Information zu unterschiedlichen Zeiten ausschlaggebend wie die Form aller im Lexikon vorhandenen Wörter für die -e- oder eine bestimmte Menge an Beispielen für die -^-Zuweisung. Dabei wirkt einschränkend das unausgereifte phonologische System (vgl. auch Elsen 1998b). Außerdem ist wohl auch die Erkenntnis, Plurale markieren zu müssen, als nichtverbaler kognitiver Faktor für den Gebrauch von -en verantwortlich. Also werden außerdem nicht die Arbeitshypothesen 2 und 7 gestützt.

6. Die Entstehung syntaktischer Struktur

Nachdem verschiedene Aspekte des Erwerbs phonologischer und flexionsmorphologischer Struktur untersucht und die Wirkungsweise eines Netzwerkmodells prinzipiell verdeutlicht wurde, folgt jetzt die Darstellung des Syntaxerwerbs. Sätze dienen in der Regel einem Zweck, auch wenn sie bloß zitiert werden. Sprecherinnen wollen neben der eigentlichen Mitteilung auch immer ihre Intentionen übermitteln. Daß sowohl Botschaften an sich als auch Intentionen bei sprachlicher Kommunikation kodiert werden, ist auch ein Hauptaspekt in pragmatisch orientierten Ansätzen wie der Theory of Relevance (Sperber & Wilson 1986). Hier wird zwischen Satz(form) und Äußerung nicht strikt unterschieden. Beides sind unterschiedliche Aspekte, die aber zusammenwirken. Das Bedürfnis nach Kommunikation beeinflußt den Spracherwerb. Die Art der Mitteilung wirkt sich auf den Bau der Sätze und die Wortwahl aus. Ein weiterer Faktor sind eingeschränkte Verarbeitungsfähigkeiten, z.B. - konnektionistisch formuliert - ein allgemein niedriges Aktivierungspotential und damit fehlender Zugriff auf Knoten. Information wird aus verschiedenen sprachlichen Bereichen netzwerkartig verteilt gesehen. Sie kann nur teilweise verarbeitet werden, weil die Aktivierungsenergie nicht für alle beteiligten Knoten ausreicht. Pragmatische, inhaltliche und formale Information muß erst zusammenwachsen. Wie gezeigt wird, fängt das Kind je nach Einheit am pragmatischen oder formalen Ende an. Im folgenden wird nun die Verarbeitung von funktionaler Information untersucht, wobei formale Aspekte mit einfließen (Kap. 6.1, 6.2). Dies umfaßt die ersten zwei Lebensjahre. Ausgehend von der Verbalisierung verschiedener Sprechhandlungen wird gezeigt, wie von Monat zu Monat die Länge und Komplexität der kindlichen Äußerungen langsam zunimmt, wobei formale Einflüsse mehr und mehr deutlich werden. Anschließend steht die Darstellung spezieller syntaktischer Struktur wie Verbstellungsregularitäten im Vordergrund (Kap. 6.3). Dabei wird die weitere Entwicklung im dritten Lebensjahr wiedergegeben. Mit zwei Jahren berücksichtigt das Kind zunehmend zielsprachlich vorgegebene strukturelle Information. Wegen der Fülle des Materials und der wachsenden Breite der sprachlichen Fähigkeiten werden die einzelnen Strukturen wie Verbzweitsätze, verschiedene Nebensatztypen und Fragesätze jeweils in ihrer Entwicklung dargestellt, um die Parallelen beim Erwerb deutlich zu machen und zu zeigen, wie verschiedene sprachliche und nichtsprachliche Faktoren bei der Entstehung komplexer Strukturen zusammenarbeiten. Stets wirken die gleichen Prinzipien, nur in unterschiedlicher Relation, während die Auswirkungen der Kind-bezogenen pragmatischen Sicht langsam zugunsten zielsprachlicher struktureller Vorgaben zurücktreten. Um den Übergangscharakter der Entwicklung nicht zu mindern, überschneiden sich der pragmatische Teil (Kap. 6.1, 6.2), der die Entwicklung bis 2.1 primär funktional behandelt, und der formale Teil, der noch einige syntaktische Regularitäten ab 1;5 bespricht (Kap. 6.3.1). Es zeigt sich, daß formale und funktionale Faktoren stets parallel wirksam sind, nur in unterschiedlicher Gewichtung.

6.1. Elementare Sprechhandlungen Dieses und das folgende Kapitel behandeln die Entwicklung früher Sprechakte und die Entstehung syntaktischer Struktur bis Anfang des dritten Lebensjahres chronologisch. Im

76 Anschluß daran werden in Kapitel 6.3 verschiedene Strukturen im dritten Lebensjahr, teilweise überblickshalber auch vorher und nachher, im Einzelnen untersucht. Den Ausgangspunkt für den Erwerb sprachlicher Fähigkeiten bildet das gemeinsame Handien zwischen dem Kind und den Kommunikationspartnerlnnen. Die Fähigkeit, mit Sprache etwas zu bewirken, mag ihren Ursprung in der Fähigkeit des Babys haben, aus Hunger, Unwohlsein und später Langeweile zu schreien und damit unbewußt auf einen Zustand aufmerksam zu machen (vgl. Bates, Camaioni & Volterra 1975: 212f., Gillis, Koopmans-van Beinum & van der Steh 1988: 38; Cromer 1991: 242f., Ricks in Cromer 1991: 18). Ab wann die Schreie bewußt produziert werden, um bei anderen etwas zu erreichen, ist offen. Eine gewisse Intentionalität ist bei den ersten Tönen anzunehmen (Leopold 1939: 21, Bloom 1973: 71, Halliday 1975: 61, Ferner 1978a: 303, 1978b: 474, Elsen 1991: 28, 1996b). Sie sind nicht referentiell bzw. meinend gebraucht. Ihre äußere Form steht in keinem Zusammenhang mit erwachsensprachlichen Wörtern. Der kommunikativ-soziale Aspekt tritt hier losgelöst von Form und wörtlicher Bedeutung auf. Ähnlich verhält es sich mit einigen Protoformen wie [m] bei Unwohlsein u. ä. (Stern & Stern 41928 / 1965, Lewis 1936 / 1975, Grégoire 1937, Bates et al. 1975: 220, Dore et al. 1976: 16ff., Greenfield & Smith 1976: 51, Ferguson 1977a in De Villiers & De Villiers 1978: 38, Carter 1978a, Veneziano 1981: 549f„ Dore 1985: 24, Gillis & deSchutter 1986) (zu Protoformen vgl. u.a. auch Bates 1976b und Menn 1978). Im Gegensatz zu Hallidays Nigel (Halliday 1975) hat A. keine ausgedehnte Phase eigener Sprache mit Formen, die unabhängig von der Zielsprache existieren. Die Form-Funktion-Koppelung ist nicht so eindeutig wie bei Nigel. Der nächste Schritt auf dem Weg zur kompetenten Sprecherin wird mit dem Einbezug erwachsensprachlicher Formen vollzogen. Bei A. ähnelt ein in hoher Stimmlage geäußerter einzelner Ton mit eindeutig kommunikativer Funktion im Gebrauch stark den ersten Protoformen [haï, ai] etc. Außerdem verschwindet er kurz vor dem Erscheinen dieser Formen. Der Ton wird also von der Vorform abgelöst. Denn beides tritt nicht gleichzeitig auf. Dies deutet auf einen Zusammenhang der kommunikativen Funktion hin. Der TunAspekt bleibt, die Lautung ändert sich. Ein individueller, zielsprachenunabhängiger und wegen anatomisch-neurologischer Faktoren artikulatorisch einfacher Laut wird durch eine wortähnliche Form, in diesem Fall heiß, hi!, abgelöst (vgl. Elsen 1996b). Mit beiden Äußerungen versuchte A. zu kommunizieren. Eine zielsprachliche Bedeutung ist noch nicht erworben. Es handelt sich um rein pragmatisch motivierte Äußerungen. Ein anderer Weg wird bei der Entwicklung von da deutlich. Hier existiert zunächst die lautliche Form. Es handelt sich um eine sehr verbreitete Silbe der Babbelphase, die wahrscheinlich bei allen Kindern erscheint und auch bei A. seit Ende 0;6 in langen dada-Sequenzen auftritt. Diese Silbe wird als isoliertes da zwei Monate später in Situationen erhöhter Aufmerksamkeit bzw. Interesse geäußert, auch in Selbstgesprächen (das Kind hat sich im Schlafanzug des Vaters verwickelt und arbeitet sich mit viel Mühe heraus, da ähnelt hier einem Schimpfen). Es ist an andere Personen gerichtet, wenn A. mithilfe dieser Form versucht, die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich und den jeweiligen Gegenstand oder die Sachlage zu ziehen, beispielsweise auf einen Schuh, der auf dem Tisch liegt und dort nicht hingehört, oder auf einen nackten Fuß, dem der Strumpf fehlt. Einer bereits existierenden Form wird in diesem Fall also eine kommunikative Funktion zugeordnet. In dieser Phase des Spracherwerbs ist eine eindeutige semantische Zuordnung nicht möglich (vgl. auch Valsiner & Lasn in Dromi 1987: 32). Proto-Wörter ähneln formal denen der

77

Zielsprache. Sie besitzen aber keine Bedeutung an sich wie die zielsprachlichen Ausdrücke, sondern dienen einer allgemeinen pragmatischen Funktion (vgl. auch Bates et al. 1975: 220, Dore et al. 1976: 20, Braunwald 1978: 491, Ferner 1978 a, b, Ingram 1978, Anisfeld 1984: 66ff., Elsen 1996b). Sie haben keine eigentliche Bedeutung, sondern Sprechhandlungscharakter. Es folgt nun eine Beschreibung der Entwicklung erster verbalisierter Handlungen. Wie bei anderen Untersuchungen (Braunwald 1978, Ferrier 1978a, b, Dromi 1987: 118, Bruner 1987, Kaltenbacher 1990) wird die Bedeutung von Spielen und stets wiederkehrenden Redemustern und Situationen der familiären Umgebung für das Entstehen von Vorformen und Wörtern deutlich (zur vorsprachlichen Kommunikation vgl. auch McCune-Nicolich 1981, Bruner 1987, Gillis et al. 1988). Bruner (1987) hat am Beispiel zweier Kinder gezeigt, daß die kindlichen Gesten und Laute schon vor dem Aufkommen von Sprache in Handlungszusammenhängen eingebunden sind. Die Umgebung des Kindes ist nämlich von Anfang an strukturiert. Langsam wird das Verhalten des Kindes konventionalisiert. Dazu liefert die Mutter das Modell der Handelnden und die Rahmensituation in Form von Formaten. Formate sind standardisierte Interaktionsmuster, in denen Mutter und Kind relativ feste Rollen zugewiesen sind. Sie sind zunächst um spielerische Handlungsabläufe herum aufgebaut wie das Geben-Nehmen-Spiel oder Verstecken. Wenn das Kind eine gewisse Routine erlangt, schafft die Mutter Variationen. Die Rollen werden vertauscht, die Formate werden flexibler gestaltet und in andere, größere Zusammenhänge eingebettet, bis sie schließlich zu weniger situationsgebundenen Rahmen für Sprechakte werden. Mithilfe der Formate lernen die Kinder die Bedingungen des Abwechseins, des späteren turn-takings, sowie das Erkennen und schließlich Markieren von Präsuppositionen, der gegebenen Information. Dies bedeutet die Grundlage der späteren Thema-Kommentar-Struktur von Äußerungen. In den Formaten vollzieht sich der Übergang von vorsprachlicher zu sprachlicher Kommunikation. Bruner betont, daß Kinder Sprache gemeinsam mit Kultur erlernen. Situationen und Gebrauchsnormen stehen im Mittelpunkt des Erwerbsprozesses. Der pragmatisch orientierte Ansatz als Brücke zwischen behavioristischen und mentalistischen Theorien sieht sowohl den Erwerb verschiedener sprachlicher Ebenen als auch den von Kultur und Sprache in einem kontinuierlichen, wechselseitig bedingten Verhältnis. Formate, stabile Interaktionsmuster zwischen Kind und Bezugsperson, sind integrierbar in größere Form-Funktions-Zusammenhänge wie Sprechakte und tum-taking. Bruner weist ausdrücklich daraufhin, daß „sprachlernende Kinder keine akademischen Grammatiker sind, die Regeln abstrakt und unabhängig von deren Gebrauch erschließen" (Bruner 1987: 102). Die Mutter und andere Bezugspersonen spielen eine aktive Rolle beim Spracherwerb des Kindes. Halliday (1975) hat drei Funktionen von Sprache unterschieden. Er nimmt die eher neutrale observer function für das Sprechen über die Welt und über das Verhältnis der Dinge zueinander an. Für die intruder function spielt die Sprecherin eine Rolle, indem sie Stellungnahmen verbalisiert, Meinungen bekundet und auf Hörerinnen einwirken will. Schließlich führt er die textual function auf, die Text und Zusammenhänge schafft. Die intruder function wird von Halliday noch weiter spezifiziert. Hier genügt es zu verdeutlichen, wie A. (und auch Hallidays Sohn Nigel) den Erwerb der Sprache mit der Kodierung von verschiedenen Aspekten der intruder function beginnt, die hier äquivalent zu sehen ist mit Sprechakten bzw. Intentionen.

78 Sprache als eine Art der Kommunikation entsteht im zwischenmenschlichen Miteinander, im Aushandeln und Sicherstellen von Bedürfnissen. Sprache kann nicht ohne Kontext existieren. Sprechen beginnt im Spiel, im Dialog.

Sich Freuen / Staunen Bereits mit 0;5, deutlich ab 0;6 bis etwa 0;7,14 drückt der bereits erwähnte einzelne Ton Freude über die Mahlzeiten und die Ankunft des Vaters oder der Nachbarin aus. Freude und Begrüßen liegen dicht beieinander. Der Ton verschwindet, kurz bevor A. zielsprachenähnliche Lautkombinationen benutzt, um dem Gefühl der Freude Ausdruck zu verleihen. Mit 0;7,20 freut sich A., als sie ihre Mahlzeit sieht, mit [hai hai], f e i 'EI], wobei sie jeweils von der Kopfstimme steil zur Bruststimme fällt und das [i] in die Länge zieht. Einen Tag später äußert sie freudiges Wiedererkennen durch [ai!], [ei!]. Eine lautliche Verwandtschaft mit heiß bzw. hi! ist anzunehmen. Mit 0;8 produziert A. [ai!] allgemein bei Freude. Mitte 0;9 sagt sie [ai] oder [äja] zu erfreulichen Gegenständen und drückt damit zunächst Freude aus, dann Zärtlichkeit und Streicheln. Auch die Erwachsenen benutzen in Gegenwart des Kindes ei!, eia! bei Streicheln oder im Arm Wiegen.

Schmusen / Streicheln Aus der bereits geschilderten Verbalisierung von Freude mit 0;8 ([ai]) entwickelt sich ab Mitte 0;9 die konstante Form [ai], [äja] mit stark fallender Stimme und zärtlich singender Intonation, die bald nur in Begleitung von Streicheln von Menschen, Tieren, Stofftieren und Fell eingesetzt wird. Noch lange bedeutet ei! Babys ganz vorsichtig zu streicheln. Aus der tröstend wiegenden Bewegung im Arm resultiert wahrscheinlich der spätere Gebrauch von eia! für Schaukeln im Schaukelstuhl (Anfang 0; 11) und für den Schaukelstuhl selbst (ab 0;11/1 ;0). Die Form hat damit eine bestimmte Referenz erhalten. Hi! / ei! entwickelt sich von einem Träger einer individuellen Handlung/Intention (allgemein Freude) einerseits zu einem referierenden Ausdruck (Schaukelstuhl), andererseits zu kommunikativ wirksamer Sprechhandlung (Begrüßung).

Begrüßen Begrüßen (vgl. McCune-Nicolich 1981, Bruner 1987) und Freude über Mahlzeiten, das Erscheinen des Vaters oder der Nachbarin sind anfangs nicht zu trennen und werden durch den Ton ausgedrückt, der auch in Situationen erscheint, die auf 'das gehört Papa' oder 'wo ist Papa' schließen lassen. Mit 0;7,20 werden Freude und Begrüßen gemeinsam durch [hai], f e i l wiedergegeben, einen Tag später ebenso [ai!J, [EI!] (freudiges (Wieder-) Erkennen von Menschen). Während 0;8 bedeutet [ai] allgemein Freude. Mit 0;10 / 0; 11 begrüßt A. uns mit dada von Tag! ([täk, tax]). Zwischen 0;11,6 und Mitte/Ende 1;0 erscheint alem. ada hauptsächlich als Abschiedsgruß. Begrüßen und Verabschieden sind

79 nicht deutlich getrennt. Ab 1;0,18 verwendet A. täglich hallo! zur Begrüßung, ab 1;2,4 zusätzlich auch Tag!. Seit Ende 1;1 existiert außerdem tschtiß! als Abschiedsgruß. Zwischen 1;8 und 1;10 benutzt sie hallo Tag! neben hallo!. Ab 1;10 erscheinen außerdem die bairischen Formen Grüß Gott! und grüß dich!. Ab Mitte 1; 11/1; 1 etwa setzt A. zur Begrüßung hallo Grüß Gott! neben hallo! ein.

Zeigen / Aufmerksam Machen Wörter wie da werden anfangs oft als allgemein verweisende Formen oder Gesten gebraucht (Werner & Kaplan 1963: 77, Bnrner 1987, McCune-Nicolich 1981). Sie stellen in Gemeinschaft mit der Mutter und den anderen Bezugspersonen Referenzbezüge her. Entsprechend benutzt A. im Alter von 0;8 da, isoliert oder als Sequenz, oder [data], wenn sie etwas Interessantes sieht, jedoch häufig in Selbstgesprächen. Ab 0;8,23 bedeutet da 'schau da' und ist häufig verbunden mit Zeigen (vgl. Bates et al. 1975, Carter 1978a, b, Gillis & DeSchutter 1986). Bruner (1987) glaubt, daß Zeigen nicht unbedingt eine Weiterentwicklung des Hinlangens sein muß, sondern daß es zu einem Markiersystem gehört, um interessante Dinge hervorzuheben. Auch Bruner fand, daß Zeigen und da häufig verbunden werden. Er stellte fest, daß Richard z.B. erst auf bekannte Dinge in neuen Kontexten und auf neue Dinge in vertrauten Zusammenhängen zeigte (Bruner 1987: 62). Dies dürfte wohl Wegbereiter einer Thema-Kommentar-Gliederung sein, die von nichtsprachlichen Situationen später auf Äußerungen übertragen wird. Offenbar unterstützen das die Mütter, wenn sie in Dialogen bereits gelernte Bezeichnungen um immer wieder neue Kommentare ergänzen, also um bekannte Information neue herum'winden' (Chafe in Bruner 1987: 71). Anfang 0;9 äußert A. da, wenn sie uns etwas gibt. Mit 0;9,26 produziert sie lange daSequenzen, wenn sie etwas Interessantes findet. Ende 0;9 zeigt sie auf Dinge, die sie haben möchte. Anfang 0;10 werden da und [data] mit Zeigen kombiniert. Während der zweiten Hälfte von 0;10 ist da verschwunden. Anschließend existiert es nur noch in Mehrwortäußerungen in Verbindung mit dem Gegenstand oder der Person, auf die A. verweist. In Isolation gebraucht sie das. Vor allem in der Einwortphase, dann in Kombination mit da benennt bzw. zeigt A. auf die Dinge ihrer Umgebung mit den entsprechenden Lexemen.

Verlangen und Bedanken Die Entwicklung der Wörter für 'Verlangen' und 'Bedanken' ist recht kompliziert und umfaßt auch Äußerungen, die 'Geben' begleiten: da, bitte und danke. Bruner (1987) erläutert ausfuhrlich, wie frühe Schreie über entsprechende Interpretationen und Reaktionen von Seiten der Mütter ansatzweise konventionalisiert werden. Die Gesprächsaspekte des Bittens entwicklen sich bereits, bevor das Bedeutungselement, um was gebeten wird, hinzukommt. Ab 0;9,12 spielt A. häufig das danke/bitte- bzw. Geben-Nehmen-Spiel (vgl. Bruner 1987; Gillis et al. 1988: 37f.) und hört entsprechend danke, wenn sie etwas gibt und bitte, wenn sie etwas erhält. Ende 0;9 zeigt A. auf das, was sie haben möchte. Anfang 0; 10 gebraucht A. bitte bei Haben-wollen (und Geben) in Kombination mit Zeigen oder oft auch

80 mit da. Sie bedankt sich mit da. Während der zweiten Hälfte von 0;10 spricht A. da nicht aus. Ab Ende 0; 11 gebraucht sie bitte bei Nehmen und dringenden Bitten (sowie Geben). Noch 1;1 / 1;2 wird dieses Wort geäußert, wenn A. etwas haben mag (oder geben will). Mitte 1;0 verlangt sie Gegenstände mit [data], [data], Ende 1;1 gebraucht sie in diesen Situationen des. Seit Anfang 1; 1 sagt A. [daga] 'danke' nach dem Erhalt von Gegenständen. Das Kind unterscheidet bitte 'will haben' durch steigende Intonation auf der zweiten Silbe von Danken. Im Laufe von 1;3 verschwindet bitte als Dank. Danke erfüllt zeitweise noch die beiden Funktionen 'Bedanken' und 'Verlangen'. Ab Anfang / Mitte 1;6 bedankt sich A. mit danke. Spezielle Wünsche, die meist aus der Situation erschlossen werden können, sind ab 0; 10,20 das Hochhalten der Arme, wenn sie hochgenommen werden möchte. Dies wird ab Ende 0; 11 auch durch sehr emphatisches, dringendes bitte verbalisiert, ab 1;1 bis 1;3 durch jaja und Heben der Arme. Mit 0;11,18 bedeutet [(g)igga], daß sie trinken möchte. Bis Ende 0;11 gebraucht sie trinken in dieser Situation, anschließend Tee (1;2) und wieder trinken (1;3), dann Durst (1;5). Mit 0;11,25 sagt sie: (6)

[mama b] Mama Buch

Die Wörter sind durch eine kurze Pause getrennt, weisen jedoch eine gemeinsame Intonationskurve auf und sind als Bitte interpretierbar. Mit 0; 11,29 äußert sie mehrfach hintereinander [nana] o. ä., als sie eine Banane esssen möchte. Mitte 1;0 bittet sie häufig um Gegenstände mit (7 a). Mit 1;0,29 äußert sie (7 b), als sie einen bestimmten Gegenstand haben will. Mit 1; 1,12 bittet sie mit (7 c), noch einmal mit dem Fotoapparat zu blitzen. (7) a. b. c.

[bita da] bitte da! Mitte 1;0 [oft] [0a! data!] da, dasda, 1;0,29 [damom] da Bomm, 1; 1,12

[mom] steht hier für den Blitz, den sie als überraschendes visuelles Ereignis wiederholt sehen möchte. Dies gibt sie als plötzliche Ereignis- oder Handlungsänderung ähnlich wie 'hinfallen' bong / plums o. ä. wieder. Mit 1;1,19 möchte sie einen bestimmten Baum sehen: (8)

[baui, biia baui] Baum, bitte Baum!.

Im Zusammenhang mit Erbitten und Bedanken ist der Aspekt des Gebens zu sehen. Diese Handlung wird in höflicher Situation mit bitte in zweiter Verwendungsweise begleitet. Sie stellt die Gegenhandlung zu Haben-wollen dar. Beides wird im Geben-Nehmen-Spiel verknüpft, das A. ab 0;9,12 spielt. Ab Anfang 0;9, häufig Mitte 0;9, sagt sie da, wenn sie uns etwas gibt (für Ital. vgl. Bates et al. 1975: 220f.). Mit 0;10,13 täuscht A. vor, einen Gegenstand zu geben, indem sie die leere geschlossene Hand reicht, da, dada sagt, sie jedoch zurückzieht und lacht. Mit 1;1 /1;2 wird bitte im Zusammenhang von Geben (und Haben-wollen) geäußert. Mit 1;3 tritt danke bei Geben (und als Dank) auf. Mit 1;6 erscheint bitte nicht bei Geben. Erst während der zweiten Hälfte von 1;6 und 1,7 entspricht der Gebrauch von bitte dem der Erwachsenen und steht dem von danke kontrastiv gegenüber.

81

Diese Entwicklung zeigt, daß A. zunächst einmal das richtige Wort für Bitten erwerben muß. Die unterschiedlichen Situationen, bitte aus Höflichkeit zu äußern, wenn etwas gegeben wird, aber auch, wenn die Sprecherin etwas haben möchte, dürften den Erwerb des Wortes für Wünsche und Bitten erschwert haben. Das wird deutlich daran, daß A. bitte und danke monatelang immer wieder durcheinanderbringt und streckenweise ein Wort mit den beiden Funktionen Bitten und Bedanken verbindet. Zusätzlich gebraucht sie Namen für die Gegenstände, die sie haben will, bzw. zeigt auf das Gewünschte, was darüberhinaus auch verbalisiert wird durch da. Wie auch bei hi! und da! muß das Kind für danke und bitte formale und funktionale Aspekte erwerben, wobei wiederholte Handlungs-Situationszusammenhänge den Erwerb lexikalischer Bedeutungen erleichtern. Da danke und bitte handlungsbegleitende bzw. intentionale Funktion besitzen, ist es verständlich, daß sie zu den früh gebrauchten, wenn auch nicht perfekt beherrschten Wörtern gehören. Neben der Aussprache ist die korrekte Situation für den Gebrauch der Wörter sehr wichtig: - Wie und wann sagen wir bitte? - Wenn wir etwas haben wollen, aber auch, wenn wir etwas geben! Der Erwerb der Handlungskompetenz ist im Erwerb der Sprechkompetenz integriert. Bruner (1987) hat eindrucksvoll gezeigt, wie nicht nur Benennungen von Objekten, sondern vor allem die Rahmenbedingungen des Bittens im Dialog mit der Mutter erworben werden. Für ihn ist der Erwerb der Sprache das Nebenprodukt der Weitergabe von Kultur. Eltern möchten, daß ihre Kinder nicht nur erfolgreiche Sprachbenützer werden, sondern vor allem zivilisierte menschliche Wesen (Bruner 1987: 89).

Erfragen / Suchen Ab 0;5 und deutlich ab 0;6 erscheint der Ton in der bereits beschriebenen Funktion zum Ausdruck von Freude und Gruß, aber auch in Situationen, die die Frage nach dem Vater vermuten lassen (eindeutig ab 0;6). Ein deutliches Erfragen existiert seit Ende 1;0 als [data], [data], [daza], das als Frage nach der Bezeichnung von Gegenständen eingesetzt wird. Ab 1;2 erscheinen außerdem das, das da. Mitte 1;2 erfragt A. Namen auch mit des da. Ab 1;4 setzt sie systematisch Frageintonation ein (vgl. 9 a, b), früher selten (9 c). (9) a. b. c.

[bapa da?] ist Papa da? 1 ;4 [bal?] wo ist der Ball? 1 ;4 [na "bapa 'da?] ist Papa nicht da? Ende 1;1

Ende 1;4 erscheint sehr oft das?, wenn sie Bezeichnungen wissen möchte. Mit 1;5 erfragt sie Namen von Gegenständen meist mit (10 a) oder (10 b). (10) a. b.

[dada'das?] was ist das? [dasa 'das?] was ist das?

Wenn sie sucht, äußert sie den Namen des vermißten Gegenstandes oder der Person mit Frageintonation Mama?, Papa?. Seit 1;5,9 erscheint daneben auch das Fragepronomen wo.

82 (11)

[vo? vo gai?] wo (ist der) klein(e) (Baiion)?

Es steht in der Regel zu Beginn einer Mehrwortphrase. Mit 1;6 fragt A. nach vermißten Personen und Gegenständen häufig mit wo...? Wenn sie Bezeichnungen hören will, tippt sie meist auf den Gegenstand und fragt das?. Mit 1;7,17 produziert A. einmal: (12)

[vosdas?] was ist das?

Als Ganzes memorierte holistische Äußerungen (vgl. auch Elsen 1996a) wie (13 a, b) gehen solchen mit Fragepronomen voraus. (13) a. b.

[didas?] was ist das? sehr häufig mit 1;5,27 fitas?) was ist das? 1,6,0

Mit 1;7 benutzt A. meist s statt was ist in Fragen wie (14). (14)

fösdas?] oh was ist das? 1,1,23

Die Frage nach Bezeichnungen (15) wird ab Ende 1;7 von morgens bis abends gestellt. (15)

sdas?

Im Verlauf von 1;7 erscheint zunächst isoliert was?. Zum Ende des Monats gebraucht A. (16 a) neben (16 b). (16) a. b.

was das? 1;7,30 ist das? Ende 1;7 / Anfang 1,8 täglich

Noch mit 1; 10 wird jedoch das Fragepronomen in längeren Ausdrücken oft weggelassen oder ersetzt (17). (17)

es macht der? 'was macht der?'

Mit 1;8/1;9 wird wo in Fragen generell für wo, was, wie eingesetzt neben Gestaltausdrükken (18). (18)

[öabaöaba 'das?] was ist das? 1 ;7/l ;8 [oft]

Selten sind Fragen wie (19), die ebenfalls sehr wahrscheinlich als Ganzes memoriert wurden. (19) a. b.

[vaistui?] wie heißt du? 1;8,6 [veiöä?] wer ist da? 1 ;8,27

83

c.

[vagete di"?] wie gehts 's dir? 1 ;9,7

Ab 1;9 produziert A. Entscheidungsfragen mit eindeutig steigender Intonation: (20) a. b.

[muin le"?] (ist der) Mund leer? 1 ;9,21 [hilfstm?] hilfst du, 1 ; 10,4

Die Fragesätze werden komplexer:1 (21) a. b. c. d. e. f. gh. i. jk.

[vö dekal 7is?] wo Deckel is? 1;9,4 [vö tafa Baindüin mama?] wo Tasche reintun, Mama? 1;9,5 [vö bishu figa?] wo bist du, Fliege? 1;9,12 [vö 'aina gelba ?ij?] wo eine gelbe (Spielfigur) ist? 1;9,17 wo is Fliege? 1;9,22 wo 's die Evi ? 1;9,23 wo's der Ball? 1;10,1 [vös de" stak hin?] wo 's der Stock hin? 1; 10,2 [vös de8 stift hin?] wo's der Stift hin? 1;10,4 [vosta kam hin?] wo 's der komm hin? 1; 10,20 'wo ist der hingekommen' [vös taja bepa hin?] wo 's Tasse Becher hin? 1;10,6

Fragen mit warum erscheinen ab 2;0,1, verneint ab Mitte 2;1. Fragen mit wann erscheinen ab 2;6. Auch Stern & Stern (41928 / 1965) fanden zuerst wo, dann was, wobei anfangs das Fragewort fehlen kann, ,ja es muß sogar als das häufigere gelten, daß der Frage?/«« eher über die Sprachschwelle tritt als das Fragewort. Tonfall, Wortstellung und Zusammenhang genügen auch hier fast immer, um den Charakter der Frage zweifellos zu machen" (ibd.: 213f.). Deutlich später fanden die Sterns warw/w-Fragen, sehr spät Fragen mit wann (ibd.: 214fF.). Mills (1985) führt den Erwerb der Fragewörter des Deutschen auf in der Reihenfolge wo, dann was, später wer, dann wie und warum (Mills 1985: 156). Mehr zu Fragesätzen findet sich in Kapitel 6.3. Das Bedürfnis nach mehr Wissen (wo der Vater ist, wie der Gegenstand genannt wird) muß erst durch ein sehr begrenztes 'Vokabular' artikuliert werden (da). Dazu tritt neu der Einsatz der Frageintonation zu bereits erworbenen Lautkörpern. Erst danach kann A. ein Wort ergänzen (wo). Anschließend bildet sie mit der Zeit erwachsensprachliche Fragen aus. Verabschieden Im Alter von 0;7,30 winkt A. abwechselnd mit Erwachsenen. Hier wird die Verabschiedungsgestik spielerisch imitiert. Mit 0;8,0 winkt das Kind, wenn wir winke-winke oder tschüß sagen. Von einem bewußten Verabschieden ist erst mit 0; 11,6 zu sprechen, als sie 1

Die Beispiele (21 e - g) sind nicht in phonetischer Umschrift festgehalten.

84 mit dem Vater geht, den Zurückbleibenden zuwinkt und ada sagt. Das ist ein alemannischer Abschiedsgruß, den sie bei dem damaligen Aufenthalt in Bad Säckingen / Schwarzwald oft hörte. Bis Mitte/Ende 1;0 erscheint ada, in der Regel kombiniert mit Winken. Ab Ende 1;1 gebraucht A. tschtiß. Mit 1;2,9 erscheint bye-bye, jedoch zunächst imitiert. Erst mit 1;9 wird es zusammen mit Winken als Abschiedsgruß gebraucht. (Zum Verabschieden vgl. auch McCune-Nicoloch 1981). Die bisherige Darstellung der Sprechhandlungen zeigt wiederholt, wie das Kind anhand einzelner Informationen lautlicher oder pragmatischer Art einen Einstieg in die Sprache versucht. Erst mit der Zeit werden funktionale und formale Aspekte integriert. Für Wörter, die als eher sozial oder handlungsorientiert statt objektreferierend gelten wie hi, danke oder tschüß, reicht dabei die Kenntnis der Zielaussprache und die der korrekten Situation aus. Die Wörter können ohne Probleme in Isolation oder satzergänzend verwendet werden. Das Wissen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen wächst schließlich zusammen, nachdem offenbar zunächst nur einzelne Bereiche wie lautliche Form (da) oder kommunikative Bedürfnisse (hi) verarbeitet wurden. Für den Erwerb der Negation, dessen Darstellung nun folgt, sind neben phonologischem und pragmatischem Wissen aber auch die Kenntnis von Bedeutungsaspekten wie Nicht-Vorhandensein oder Ablehnung etc. und vor allem syntaktisches Wissen zu Stellungsregularitäten in Sätzen notwendig. Der Erwerb von nicht und nein bei A. wurde von begrenzten Verarbeitungskapazitäten, pragmatischen Einschränkungen und Inputfaktoren beeinflußt. Kompromißlösungen, Interaktionen, Schwankungen und längere Übergangsphasen beim Gebrauch verschiedener Strukturen lassen sich nicht mit generativen Vorstellungen in Einklang bringen und stehen im Widerspruch zu den Arbeitshypothesen 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 8. Unser Ansatz bietet auch hierfür mögliche Erklärungen.

Verweigern / Negieren Ein früher Zusammenhang zwischen nasaler Artikulation und Negation (für Engl. vgl. Carter 1978a) ist bereits bei der [nan nan]-, [mamsml-Babbelei (0;7), die Quengeln, Unwohlsein und Protest ausdrückt, möglich. Mit 0;7,22 imitiert A. spielerisch neinnein [ns], [nari,ana]. Das erste bewußte spontane nein erscheint mit 0;8,23 in einer dafür typischen Situation und wird anschließend wiederholt imitiert. Bruner (1987) würde dies als spezialisiertes Format bezeichnen, das als stabiler Handlungsrahmen für die neue Äußerung als Stütze dient. Von einer aktiv beherrschten Negation kann sicher zwei Tage später gesprochen werden, als A. den Transfer auf eine neue Situation vollzieht. Auf die Bitte komm! reagiert A. mit nein! und krabbelt fort. Auch später wendet sie das Wort in immer neuen, aber passenden Situationen an, wie etwa als Antwort auf die Frage willst du noch etwas essen (0;9,13) oder auf komm, wickeln!. Als erstes erscheint bei A. das selbstverbietende nein im Alter von 0;8,23. Als nächstes wird die Negation zur Ablehnung eingesetzt (0;8,25). Nichtvorhandensein kennzeichnet sie ab Mitte 1;0. (22) a. b.

[nain, dats] nein, Schatz, 1;2,25 [als Antwort auf bist du ein Biest?] [nainain dath] neinnein, satt, 1;2,30 [da sie nichts mehr essen möchte]

85 Auf die anfängliche Negation im Sinne von zunächst allgemeiner Ablehnung durch nein2 folgt die Negation in Mehrwortsätzen. Hier ist zwischen holistischem und analytischem, anaphorischem und nicht-anaphorischem Gebrauch zu trennen. Dabei bezeichnet anaphorisch den Bezug auf frühere Äußerungen oder die Situation allgemein, vgl. (22). Nicht-anaphorisch meint den Bezug auf den Satz oder Teilaspekte des Satzes, vgl. (23). (23) a. b.

[nain bila] nein Brille, 1;3,16 [zu einem Mann, der keine Brille trägt], [bet nai] Bett nein, 1;3,21 [da sie nicht ins Bett möchte]

Anfangs ist die nicht-anaphorische Negation nicht nur intern in holistischen Äußerungen zu finden. Anaphorisches nein tritt jedoch analytisch sowohl satzintern als auch -extern auf. Den Unterschied zwischen anaphorischer und nicht-anaphorischer Verneinung bezeichnete Wode (1977) als wichtig. Für mehrere Sprachen, darunter auch das Deutsche, schlug er die folgende Entwicklungssequenz für den Erwerb der Negation vor: EinwortNegation (Stufe I), anaphorische Negation ohne Beziehung zur Äußerung (IIa), nichtanaphorische Negation, Verneinen der Äußerung oder eines Teils davon (IIb) und satzinterne Negation (III). Dann wird die korrekte Position erworben (IV). Diesen Vorschlag wies Park (1979) aus methodologischen Gründen zurück. In seinen Daten von drei deutschsprachigen Kindern ging der Gebrauch der nicht-anaphorischen Negation dem der anaphorischen Negation voraus. Wode (1977) fand, daß seine nicht-anaphorischen Negationen der Stufe IIb nein für erwachsensprachliches nicht verwendet wurden. Ein Verschieben der Negation in den Satz sollte an ein Ersetzen von nein durch nicht gebunden sein. Das stellte Park (1979) in Frage, da er Beispiele mit satzinternem nein anführen konnte. Außerdem forderte er, die Entwicklung des anaphorischen Gebrauchs der Negation aus dem nicht-anaphorischen Gebrauch abgeleitet zu sehen und nicht andersherum wie von Wode angenommen. Weiterhin konnte Park (1979) nicht feststellen, daß Äußerungen mit anaphorischer Verneinung sich bezüglich syntaktischer Komplexität von Sätzen mit nicht-anaphorischer Negation unterschieden. Clahsen (1983) konzentrierte sich in seiner Untersuchung auf die Position der Negation im Verhältnis zum Verb und schlug drei Entwicklungsschritte vor - variable Position, postverbale Position und anschließende Trennung der Negation vom Verb. In Clahsen (1988b) wurden die Ergebnisse in Bezug auf die Lerabarkeitstheorie interpretiert. Sowohl anaphorische wie auch nicht-anaphorische Verneinungen traten an der gleichen Position auf. Daher wies Clahsen die Unterscheidung als nicht ausschlaggebend für die Bestimmung von Entwicklungsschritten zurück. Stattdessen nahm er an, daß die erste Phase dadurch gekennzeichnet ist, daß die Negation an Sätze angehängt wird. Erst, wenn die Kinder nicht aus dem Input extrahieren können, ist satzinterne Negation realisierbar. Daher können die Kinder dann zwischen nicht und nein unterscheiden. Letzteres wurde nur als Satznegation verwendet. Nicht und nein erschienen nicht an gleicher Position. In 2

und nee, neenee (ab 0;11,2), [Va] (ab 1;1,0) (vgl. Park 1979: 150, Engl. Carter 1978a : 130), oft auch Kopfschütteln oder alle-alle-Gestik: Öffnen der Hände, Handflächen zeigen nach oben, bedauernder Gesichtsausdruck.

86 dieser Phase wurde nicht an die Verbalphrase gehängt, hingegen nein als Satznegation interpretiert. Daraus folgerte Clahsen, daß anaphorische und nicht-anaphorische Negation differenziert wurde, sobald die Kinder nicht gemäß des Unique Entry Principle identifizierten. Damit müßte Variation ausgeschlossen werden. Für den Erwerb der Negation wurden verschiedene einflußnehmende Faktoren erwogen, hauptsächlich die Positionierung und der Gebrauch der Negation im Verhältnis zur Äußerung, aber auch verschiedene Bedeutungsaspekte (Choi 1988). Im Deutschen treten verschiedene Negationsformen auf wie Partikeln (nein (nur satzextern), nicht), Adverbien {nie, nirgends), Artikel oder Pronomen (kein-) und Präfixe (womöglich). Bei A. kann die Entwicklung der Verneinung in vier Entwicklungsschritte gegliedert werden: - 1. nein in Isolation, - 2. analytisch produziertes nein vs. holistisch produziertes nicht, - 3. Transition, - 4. satzexternes anaphorisches nein vs. satzinternes und -externes anaphorisches, nicht-anaphorisches nicht. Zwischen 0;8 und Anfang 1;1 erscheint nein nur isoliert. Von 1; 1 bis 1;4 wird nein in analytischen Äußerungen anaphorisch und nicht-anaphorisch benutzt und kommt nur satzextern vor (vgl. 24 a, c, e). Nicht wird in holistischen Äußerungen satzintern nichtanaphorisch gebraucht, allerdings nur als Füllsel (24 a, b, d, f, g). Die Beispiele (24 a - h) bedeuten Papa ist nicht da (vgl. Elsen 1996a). (24) a. b. c. d. e. f. gh.

[nain bapansda], 1; 1,14 [bäpais'W'ä], 1;3,12 [nainbapa], 1;3,16 [bäpaiz'iz'dä], 1;3,18 [päps da näin], 1;3,25 [pabanda], 1;3,30 [bapaditö], [pabatitä],... 1;3/1;4 [oft] [bapa] 'alle-Gestik', 1;4,10

In Übereinstimmung mit Wode (1977) ist zwischen anaphorischer (vgl. 25)3 und nichtanaphorischer (vgl. 26) Negation zu trennen. (25) a. b.

[nam, dats] nein, Schatz, 1,2,25 [als Antwort auf bist du ein Biest?] (nainain dath] neinnein, satt, 1,2,30 [da sie nichts mehr essen möchte]

(26) a. b.

[nain bila] nein Brille, 1;3,16 [zu einem Mann, der keine Brille trägt] [bet nai] Bett nein, 1;3,21 [da sie nicht ins Bett möchte]

Die anaphorische Negation tritt nicht satzintern auf und kann allgemein als 'ich bin dagegen / Veto' aufgefaßt werden. Im Gegensatz zu Wodes (1977) oder Parks (1979), aber im

3

Die Sätze unter (22 - 23) sind hier wiederholt als (25 a, b, 26 a, b).

87 Einklang mit Clahsens (1988b) Daten existieren anaphorische und nicht-anaphorische Negationen gleichzeitig. Im Laufe 1;2 erscheint ein Lexem mit der negativen Bedeutungskomponente 'NichtVorhandensein': alle 'leer, weg'. Ab Mitte 1,4 sind keine holistischen Äußerungen mehr mit negativer Bedeutung und keine Füllsel, die als integrierte Negation interpretierbar wären, verzeichnet. Stattdessen erscheint nicht innerhalb von Sätzen, und es erfolgt ein Ausbau von assimilierten Füllseln über rudimentäre Nasale zur Vollform nicht. Ein vergleichbarer Gebrauch von Füllseln zunächst sporadisch, dann mit langsamer Annäherung an zielsprachliche Aussprache wurde von Peters & Menn (1993) beschrieben. Im Widerspruch zu den Arbeitshypothesen 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 8 bedeutet dies eine graduelle Annäherung an die Zielsprache mit variabler, mehr oder weniger typischer Realisation, beeinflußt von phonologischen und gebrauchsorientierten Faktoren. Das weniger klare Negationswort nicht wird schrittweise erworben in längeren Äußerungen, die zunächst nur rudimentäre Aussprache erlauben. Nicht-anaphorisches nicht ersetzt die Füllsel in holistischen Ausdrücken, kurz bevor das Kind in den meisten Produktionen unterscheidet zwischen anaphorischem nein und nicht-anaphorischem nicht. Zwischen Ende 1;4 und 1;5 wird nein beinah ausschließlich als anaphorische Verneinung verwendet. Nicht-anaphorische Negation taucht als Bedeutungskomponente in Lexemen wie alle, später weg und kein auf. Wenn A. nun von der Abwesenheit des Vaters spricht, gebraucht sie weder holistische Sätze noch Füllsel. Nicht ist sehr selten. Es wird deutlich artikuliert im Amalgam geht nicht oder in analytischen Sätzen. Im Gegensatz zu Wode (1977) und Clahsen (1988b), aber in Übereinstimmung mit Park (1979) gebraucht A. nein/nee/Kopfschütteln auch satzintern (27 a, b). (27) a. b.

fopa nain da] Opa nein da, 1;5,24 [Imitation von Opa ist nicht da] [dafa] Kopfschütteln [gern], es gibt keine Kartoffeln 1;6,16

Diese Phase ist als Übergang aufzufassen. Mit 1 ;6 erscheint nein nur satzextern, anaphorisch verwendet. Nicht tritt sowohl satzintern als auch satzextern auf, anaphorisch und nicht-anaphorisch (28 a, b, c). Beide Formen können zusammen erscheinen (28 b). Das entspricht der zielsprachlichen Verwendungsweise. (28) a. b. c.

[ni figa, nip] nicht Finger, nicht, 1;6,3 [nain bot nip] nein Brot nicht, 1;6,1 [sie will dieses Brot nicht] [da ni v^z] da nicht Fuß, 1;4,28 [der Fuß der Mutter gehört nicht auf den Stuhl]

Folglich ist nein weder phonologisch noch funktional ein Vorläufer von nicht. Im Gegensatz zu Clahsens (1988b) Daten können bei A. nein und nicht an der gleichen Position auftreten (28 a, b; 27 a, 28 c). Obwohl beide formal unterschieden wurden, erfolgte keine sofortige Differenzierung von anaphorischem und nicht-anaphorischem Gebrauch, wie es ein Unique Entry Princi-

88 ple verlangen würde. Stattdessen wurden beide austauschbar verwendet, was laut LADPrinzipien nicht geschehen sollte, da diesen zufolge nicht und nein als unterschiedliche Elemente (auch syntaktisch) aufgefaßt werden (Clahsen 1988b) und sie daher verschieden eingesetzt werden sollten (vgl. Arbeitshypothesen 5 und 6). Zusammenfassend ist zu bemerken, daß deutlich artikuliertes nein, abgesehen von isoliertem Gebrauch, zunächst nur am Anfang oder Ende kurzer telegraphischer Äußerungen erschien - dies ist offenbar für alle Sprachen zu beobachten (Slobin 1973: 180), während andeutungsweise ausgesprochenes nicht nur innerhalb von Äußerungen, und zwar stets nicht-anaphorisch, auftrat. Zu einer Zeit, als sowohl anaphorische als auch nicht-anaphorische Verneinungen verzeichnet wurden, ersetzten Füllsel nur nicht-anaphorische Negation. Nur die Füllsel entwickelten sich zum nicht-anaphorischen nicht. Als die Aussprache von nicht deutlicher wurde und das Kind sich im Gebrauch offenbar sicherer fühlte, begann A., nicht und nein funktional zu trennen. Sie arbeitete an einer formalen und positionellen Unterscheidung der Negationsfunktionen, wobei formales Beherrschen der funktionalen Differenzierung vorausging. Daß mangelndes artikulatorisches Vermögen (nicht nur bei diesem Kind) sich hinderlich auf die Sprachentwicklung auswirken kann, wurde in Elsen (1994, 1998b) demonstriert. Wie später gezeigt wird, kann die unterschiedliche Behandlung von nein und nicht auf unterschiedliche pragmatische Rollen und davon abhängig verschiedene Verarbeitungsstrategien zurückgeführt werden. Satzintegriertes nicht tritt gehäuft ab Ende 1 ;7 auf. Satzperipheres nein/nee und integriertes nicht wird ab Mitte 1;6 getrennt. Alle(alle) 'weg, fort; leer' mit negativem Bedeutungsaspekt tritt in Isolation ab Mitte 1;0, in Mehrwortphrasen ab 1;2,24, gehäuft ab Ende 1 ;3 auf, meist in Kombination mit Kopfschütteln und/oder a//e-Gestik. Der Gebrauch von alle in Bedeutung 'weg' reicht bis Ende 1;4, in der Bedeutung 'leer' bis Mitte 1;5 und wird durch weg (isoliert ab Ende 1;2, in Sätzen ab Ende 1;4) bzw. leer (ab 1;3,15) abgelöst. Das Negationswort kein erscheint Ende 1;5 und wird ab 2;l/2;2 meist korrekt flektiert. Aus generativer Sicht wird eine geordnete Entwicklungssequenz beim Erwerb der Negation angenommen. Zunächst muß die produktive Verwendung einer bestimmten Struktur vorliegen, dann erst erfolgt der Erwerb einer anderen. Die Kinder verwenden auf jeder Entwicklungsstufe eine spezifische Negationsstruktur (vgl. Fanselow & Felix 2 1990: 199ff.). Dies sind rein formale Kriterien. Tatsächlich muß das Kind zwei Formen, zwei Stellungsvarianten und anaphorische bzw. nicht-anaphorische Verwendung in nicht-eineindeutiger Kombination erlernen. A.s Daten zeigen Variation und längere Transition, parallelen Gebrauch von anaphorischer und nicht-anaphorischer und satzinitialer und -finaler Negation. Bereits Stern & Stern ( 4 1928 / 1965) fanden, daß „unmittelbar nebeneinander die konventionelle und die abweichende Stellung der Negation vorkommen; so sagte G. einmal: günter auch ä nich machen, hilde auch nich ä machen, vater auch ä machen nein nein" (ibd.: 224). Sowohl nein als auch nicht treten bei A. satzintern auf. Es gibt analytische und holistische Bildungen. Holistische Produktionen werden in den meisten Untersuchungen systematisch ausgeschlossen, teilweise explizit aus Zeitgründen oder weil sie keine innere Struktur aufweisen (vgl. Miller 1976, Clahsen 1986, jedoch behandelt in Kaltenbacher 1990, Tracy 1991). Teilweise bleiben sie unerwähnt, so daß über den Anteil der Gestaltausdrücke an den Gesamtäußerungen in der jeweiligen Untersuchung sowie den Korpora überhaupt keine Aussagen gemacht werden können. Wahrscheinlich liegt ihr Anteil wesentlich höher als vermutet (vgl. zu dieser Problematik bereits Peters

89 1977). Da sie aber auf verschiedenen sprachlichen Ebenen zu finden sind, müssen sie in einem erklärenden Ansatz berücksichtigt werden. Hier werden sie als das Ergebnis des complexity / fluency trade off interpretiert, als komplette, dafür aber sehr undeutliche Botschaft. Der Grobverlauf des Negationserwerbs zeigt, daß verarbeitungstechnisch bedingte Faktoren, Inputinformation und kommunikative Bedürfnisse interagieren. Bis Ende 1;4 ist die Verarbeitungskapazität noch stark eingeschränkt. Das Wichtigste wird verbalisiert, das heißt, funktional gesehen wirkt das Principle of Importance oder Relevanzprinzip: 'Konzentriere dich auf das Wichtigste!' (vgl. auch Givon 1989: 248 „Less predictable or more important referents are pre-posed" und Givon 1991a: 93). Das Kind muß entscheiden zwischen kurzen analytischen und längeren holistischen Ausdrücken. Nein wird analytisch verwendet. Es gibt noch kein nicht, da es artikulatorisch schwieriger ist wegen des Frikativs und des komplexen Endrandes. Außerdem kommt es im Input nicht so oft vor wie nein und wird vor allem unbetont und im Satz versteckt produziert. Das Kind erhält also schlechte Inputinformationen. Die nicht-anaphorische Negation wird analytisch durch alle, später weg realisiert. Da Alternativen zur Verfugung stehen, ist nicht nicht dringend nötig. Nein und nicht üben unterschiedliche pragmatische Funktionen aus: nein als Ausdruck einer Handlung bzw. Intention steht für den Sprechakt bzw. generelles Negieren. Schon Stern & Stern ( 4 1928 / 1963) erkannten: „die Verneinung [nein] ist nicht ein Satzglied, sondern eine selbständige Stellungnahme.... Deshalb heißt auch das erste Verneinungswort 'nein' und nicht 'nicht'" (ibd.: 203). Nicht bzw. alle 'leer' fungieren als Kommentar zu einem Gegenstand zunächst in der Bedeutung 'Nicht-Vorhandensein'. In dieser Phase tendiert das Kind eher dazu, eine verbalisierte Intention mit dem Gegenstand zu verbinden (hi Papa, da Buch). Gegenstände werden eher nicht kommentiert. Sätze wie (29) werden erst Ende 1;3 langsam häufiger. (29)

f a i aia] Ei alle, 1;3,15 [ zur leeren Eierschale]

Das ist ein weiterer Grund, warum nicht (K) fehlt. In der Übergangsphase mit 1 ;5 ist die Verarbeitungskapazität erweitert. Es gibt einige längere Sätze. Holistische Produktionen können aufgegeben werden. Nicht ist jetzt analytisch gebraucht, allerdings noch selten. Nein tritt meist anaphorisch auf. Nicht in der K-Funktion hat noch keinen Platz in den Kurzäußerungen. Nicht-anaphorische Negation erscheint in alle, weg, kein, aber auch nicht, selten nein. Jetzt formt A. mehrere Sätze, die funktional gesehen interpretierbar sind als gegebener Gegenstand / Person und Kommentar dazu. (30) a. b. c.

[ftsa galt] Füße kalt, 1;5,25 [zig wek] Musik weg, 1;5,25 [papa lilip] Papa lieb, 1;5,26

Nomen können auch nachgestellt werden. Für nein verbleibt Zusehens die Rolle der illokutiven Negation. Das entspricht der anaphorischen Verwendungsweise. Mit 1;6 ist die Verarbeitungskapazität deutlich erweitert, denn es treten vermehrt längere Sätze auf.

90 Kommentare können jetzt leichter zu thematisierten Objekten verbalisiert werden, viele Adjektiv-Nomen- und Adverb-Nomen-Kombinationen erscheinen, aber auch vorangestellte Nomen. Es erfolgt die funktionale und positioneile Differenzierung von nein und nicht. Nein wird zielsprachlich gebraucht Statt spezifische angeborene syntaktische Kategorien und Prinzipien anzusetzen, kann die Entwicklung auf allgemeine Verarbeitungsstrategien zurückgeführt werden. Erstens wirken sich eingeschränkte Verarbeitungs- und Artikulationsfahigkeiten und ungünstige Inputinformation hinderlich auf den Erwerb von nicht aus: es ist artikulatorisch schwieriger und perzeptuell unauffällig. In holistischen Ausdrücken bleiben nur Andeutungen von nicht übrig. Also wird nein bevorzugt. Zweitens wird grundsätzlich erst die Intention von Anfang an in analytischen Sätzen verbalisiert. Kommentare werden eher ignoriert. Folglich wird nein (I) gegenüber nicht (K) bevorzugt. Das häufige, deutliche, bereits verfügbare nein fungiert darum erst als Allround-Negation in allen Positionen mit allen Funktionen, eben auch in nicht-anaphorischer Verwendung. Diese wird dann mit anderen Wörtern verbalisiert. Wenn nicht erworben ist, werden nein und nicht allmählich differenziert verwendet. Nein kann sich auf seine ihm zustehende Rolle konzentrieren. Das heißt, die formale Trennung geht der funktionalen und positioneilen Differenzierung voraus. Später dann wird sich das Kind mit den Stellungsregularitäten von nicht befassen können. Statt verschiedene Entwicklungsstufen mit jeweils spezifischer Negationsstruktur haben wir hier parallelen Gebrauch verschiedener Bildungstypen und Verwendungsweisen sowie einen allmählichen Erwerb der zielsprachlichen Form-Funktions-Koppelung. Dabei hat erst eine Form eine, dann mehrere Funktionen, bis dann die zweite Form langsam erworben wird und die erste Form langsam ausschließlich ihre eigene Funktion ausübt. Dies ist in einem funktionalistisch-kognitiven Ansatz erklärbar durch das Ineinandergreifen von Inputinformationen wie Akzentuierung, Position, Vorkommenshäufigkeit, eingeschränkten Verarbeitungsfähigkeiten und kommunikativen Bedürfnissen nach den Prämissen 'Sag, was du oft und deutlich hörst! Sag, was kurz und leicht ist! Sag das Wichtigste!' Diese Einschränkungen werden allmählich gelockert, da durch Übung und erhöhte Aktivierungspotentiale mehr Informationen verarbeitet werden können. Die Äußerungen nehmen mit der Zeit mehr und mehr zielsprachliche Gestalt an. Zusammengefaßt erweist es sich, daß der Grobverlauf des frühen Erwerbs von nicht und nein bei A. durch Transitionen, Interaktionen und Variation zwischen analytischen und holistischen Bildungen geprägt ist: Bis Ende 1;4 sind analytische Äußerungen mit nein und holistische Äußerungen mit «/c/»/-Füllsel verzeichnet. Alle und weg in nichtanaphorischer Funktion drücken Nicht-Vorhandensein aus. Mit 1;5 gibt es keine holistischen Äußerungen mehr, jedoch mehrere Negationswörter für nicht-anaphorisches Negieren. Nein tritt kaum in nicht-anaphorischer Verwendungsweise auf. A. bildet nur einige längere Sätze. Nicht ist sehr selten. Mit 1;6 produziert A. vermehrt längere Sätze. Nicht erscheint häufiger. Es erfolgt die funktionale und positionelle Differenzierung von nicht und nein: nein tritt nur satzextern und anaphorisch auf. Übergangsphasen, Schwankungen zwischen verschiedenen Äußerungstypen und Einflüsse von Verarbeitungskapazität, Inputfaktoren und kommunikativen Bedürfnissen stimmen nicht mit den Arbeitshypothesen 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 8 überein. Holistische Bildungen sind das Resultat aus dem complexity / fluency trade o f f . Dies und die Wahl von nein gegenüber phonologisch komplexerem nicht als erste analytische Negation stehen

91 nicht im Einklang mit Arbeitshypothesen 2 und 7. Pragmatische Faktoren beeinflussen die Wahl der Negation, was der Arbeitshypothese 8 widerspricht. Um die Behandlung der vor- und frühsprachlichen Zeit abzuschließen, wird noch kurz auf A.s turn taking-Verhalten eingegangen.

Gesprächsbeitrag An dieser Stelle sei nochmals die wichtige Rolle des Kontextes und des zwischenmenschlichen Miteinanders für die Entstehung von Sprache hervorgehoben. Wir reden, weil wir etwas voneinander wollen und weil wir in unserer Gemeinschaft gut bestehen möchten. Für Bruner (1987) lernen wir sprechen, damit wir die Kultur erwerben können. Er beschreibt, wie Spiele als kleine Proto-Konversationen aufzufassen sind (Bruner 1987: 37f.). Hier wird das Abwechseln langsam gefördert. Die Mutter gestaltet einen strukturierten Rahmen, ein Format, in dem die Rollen der Spieler bzw. Sprecher zunächst streng festgelegt sind und nach Regeln im Turnus gewechselt werden. Mit wachsender Sicherheit des Kindes, die ihm zugewiesene Rolle übernehmen zu können, schafft die Mutter flexiblere Situationen und komplexere Formate, in denen das Kind schließlich Verhaltens- und Gesprächsregeln zu bewältigen lernt. Ein Wechsel von Kommunikationsbeiträgen im weitesten Sinne als Vorläufer von turns beginnt mit 0;7,11, als A. ihr Gegenüber imitiert und längere Imitationssequenzen folgen, hier hörbares durch-die-Nase-Ziehen von Luft. Mit 0;7,21 unterscheiden sich die Beiträge. Die Bezugsperson brummt, A. produziert ein dem Ton ähnelndes [h7] mehrfach im Wechsel mit dem Brummen. Mit 0;7,22 imitiert A. neinneinnein [nanana...] ebenfalls mehrfach im Wechsel mit den Erwachsenen. Es folgen mehrere solcher Imitationsspiele, wobei A. Knurrgeräusche, Clicks, Husten oder Winken produziert. Im Alter von 0;8 erscheint da und wird häufig allgemein als Antwort bzw. Sprecherbeitrag gebraucht. Ab 0;9,3 äußert A. Jargon-Ketten," wenn sie auf die Bemerkungen der Mutter antwortet. Dadurch entstehen längere gesprächsähnliche Sequenzen von Mutter-Kind-Beiträgen. Da existiert auch in Selbstgesprächen. Darüberhinaus wird mit 0; 11 ja als Antwort auf Fragen eingesetzt, allerdings noch ohne bewußt affirmative Bedeutung. Zu diesem Zeitpunkt existiert bereits nein als eindeutig negierende, verweigernde Antwort auf Fragen oder Aufforderungen. Da und ja werden als verbale Turns (bzw. Proto-Turns) gebraucht, so daß ein Sich-Abwechseln in 'Gesprächen' schon früh festzustellen ist. Sie haben nicht die zielsprachliche Bedeutung. Vielmehr zeigen sie, daß das Kind weiß, daß es an der Reihe ist und dieses Recht zu reden ausnützen kann. Hier wird Handlungskompetenz verbal erlernt. Die Entwicklung der einzelnen Sprechhandlungen veranschaulicht, daß aus Kommunikationsbedürfnis und mangelnder Artikulationsiähigkeit erste Ansätze mündlicher Interaktion entstehen können. Ein anderer Weg ist, bereits eingeübte Lautsequenzen gezielt einzusetzen. Beides mündet im Verbalisieren von Handlungsintentionen 'ich will dir etwas zeigen', 'ich will nicht', 'hör her' etc. Die ersten sprachnahen Lautäußerungen, die noch Protowörter genannt werden müssen, haben also keine zielsprachliche Bedeutung bzw. eindeutige Referenz, sondern stehen für eine Sprechhandlung. Konnektionistisch 4

Jargon bezeichnet längere Babbelsequenzen mit zielsprachlichen Intonationskurven. Dadurch 'klingen' die Kinder wie Erwachsene.

92 ausgedrückt werden Knoten im pragmatischen Bereich aktiviert und mit einfacher Lautung verbunden. Oder es werden Knotenmuster im phonetischen Bereich spielerisch aktiviert, dann erst gezielt.

Abbildung 7 zeigt, daß Lexeme, hier auch Protowörter, teilweise primär über pragmatisches Wissen verarbeitet werden können, teilweise über pragmatische und verstärkt formale Knotenaktivierung. Ein Kind kann ein Wort benutzen, wenn es Aussprache und Verwendungsweise kennt, ohne die Bedeutung zu wissen wie im Fall von Berg. A. wächst in einer Gegend auf, in der bei Föhn die Alpen zu sehen sind. Dies geschieht häufiger und ist stets ein schöner Anblick, so daß die Erwachsenen dann ans Fenster treten und gewöhnlich eine Bemerkung wie oh, die Berge! machen. A. produzierte die ersten Formen von Berg nur, wenn sie aus dem Fenster sah, allerdings auch, wenn keine Alpen zu sehen waren (Elsen 1991: 155f.). Sie hatte offenbar eine Form-Situationskoppelung vorgenommen, ohne dabei die Bedeutung des Wortes zu kennen (zu vergleichbaren Fällen in anderen Korpora vgl. Clark 1993: 33). Solche Beispiele von Form-Situations-mapp/wg gab es häufiger in A.s frühem Lexikon. Das Wort ey hörte sie von der Mutter, nachdem A. Spielzeug aus ihrem Bett geworfen hatte und die Mutter deutlich entrüstet reagierte. Einige Tage später warf sie wieder Spielzeug aus dem Bett und sagte dazu ey. Dies geschah noch mehrere Male und nur in dieser Situation. Grün äußerte sie bei jeder Ampel, auch bei rotem Licht. Nichts sagte sie nur, wenn sie auf der Toilette saß - ursprünglich gelernt in einer Situation, in der 'nichts kam'. Bezahlen benutzte A. nur vor der Kasse, danke gleichfalls nur als Antwort auf guten Appetit, niedlich nur zu Katzen. Das zeigt, daß Kinder durchaus 'situationsadäquat' reden können, ohne unbedingt zu verstehen, was sie tatsächlich sagen.

93 An dieser Stelle können bereits Annahmen zur Aktivierungsrichtung im Computermodell gemacht werden. Möchte das Kind eine bestimmte Sprechhandlung verbalisieren, fließt die Aktivierungsenergie vom pragmatischen Bereich zu den anderen Ebenen. Hört das Kind eine Form, so beginnt der Aktivierungsfluß im formalen Bereich, wohl zunächst auf der prosodischen Ebene. Die Aktivierung erfolgt sofort überall gleichzeitig. Die einzelnen Ebenen werden nicht nacheinander abgearbeitet, sondern simultan aktiviert. Stehen dem Kind für eine intendierte Botschaft mehrere Formen zur Verfugung wie im Fall der Negation, werden kürzere, ausgeprägtere, sprich 'einfachere' Aktivierungspfade gewählt, solange weitere funktionale Aspekte nicht berücksichtigt werden müssen. Zu diesem Zeitpunkt existiert noch kein mapping zwischen Formen und lexikalischen Bedeutungen. Der Übergang zu Wörtern ist gleitend. Der Beginn der Sprechphase ist nur definitorisch über 'erstes Wort' festzulegen (vgl. Elsen 1996b), bei A. im Alter von 0;8,23. Die ersten Wörter sind daher auch eher Verbalisierungen von Sprechakten, wegen der Nähe zur zielsprachlichen Form aber bereits als 'Wort' aufzufassen (nein, da, bitte). Namenwörter (Mama, Papa) referieren allerdings noch nicht eindeutig auf die Mutter bzw. den Vater. Klare Referenz ist bei Ei, Teddy oder Buch anzunehmen. Mitte 0;10 also ist A. in der Lage, Sprechhandlungen zu verbalisieren. Sie benennt Gegenstände bzw. Personen und kann damit über Wichtiges sprechen, den Fokus. Bedingt durch eingeschränkte Motorik und niedrige Verarbeitungskapazität äußern Kinder meist eine Zeitlang einzelne Wörter, die entweder für die Sprechhandlung oder für Dinge im Brennpunkt des Interesses stehen. Weitere Information zur Intention kann durch Gestik, Mimik oder Stimmodulation gegeben werden (Zeigen für schau, Greifen für Haben-wollen, etc.). Zusätzlich muß ein großer Teil der kindlichen Botschaft aus Vorwissen und Situationszusammenhängen erschlossen werden. Beispielsweise lief A. im Alter von 1;4,8 mit Papierfetzen durch das Zimmer und hielt sie sich an den Mund (31 a) oder kam, um getröstet zu werden (31 b). (31) a. [huiga huiga huiga huiga - nene nene - Y E Y E - 'bapia - baba baba] Hunger - neenee - ühäh [negierend] - Papier - baba ['schmutzig'] 1;4,8 b. [vain/t - ?anena vain/t - guit] weint - A. weint - [jetzt ist es wieder] gut, 1 ;6 / 1 ;7, oft (31 a) könnte etwa so viel bedeuten wie 'Ich habe Hunger, tu so, als würde ich das Papier essen, das darf ich aber nicht essen, denn es ist nicht sauber'. Hier sehen wir bereits eine Vorstufe zu Mehrwortäußerungen (vgl. Aspekte des Übergangs von Ein- zu Mehrwortäußerungen in Elsen 1996b). Stern & Stern (41928 / 1965) erwähnen, „das neue Glied wird zuerst nicht in die grammatische Korrelation des Satzes eingefügt, sondern als selbständiges Satzwort ««gefugt. Und so erwirbt das Kind die sich immer mehr komplizierende Satzgliederung auf dem Wege über die Satzkette" (ibd.: 202) und zitieren u.a. Greif Sander „sintha bah - peithe - puppa - tag tag - hooich wind - baah. Bedeutung: das Apfelsinchen war schmutzig, der kleine Junge hatte eine Peitsche, das kleine Mädchen eine Puppe. Wir waren auf der Straße. Der Wind pfiff; pfui der schmutzige Regen" (ibd. : 202). Ähnliches fand auch Kaltenbacher (1990: 92). Wegen der rein pragmatischen Ausrichtung der Äußerungen kann zu dieser Zeit noch nicht von formal-syntaktischen Einheiten wie Subjekten gesprochen werden.

94 6.2. Frühe Wortkombinationen

6.2.1. Einwortphase bis Mehrwortphase Für die Darstellung der funktionalen Ebene der Äußerungen sind zunächst noch einmal die in unserem Ansatz verwendeten Begriffe Iilokution / Fokus / Thema / Kommentar aufzufuhren, da sie sich nicht ganz mit der in der Literatur üblichen Terminologie decken. Die pragmatischen Komponenten von Kinder- und Erwachsenenäußerungen sind das, was wir tun, wenn wir sprechen, die Sprechhandlungen (I) wie Bitten, Zeigen, Begrüßen oder Verweigern usw. Bei Kindern finden wir auch Streicheln / Zärtlichsein von sprachlichen Ausdrücken begleitet. Der Fokus (F) ist das, worüber wir sprechen, was wichtig ist. Er ist abhängig vom frühkindlichen Egozentrismus zu sehen. Das Relevanzprinzip (Konzentriere dich auf das Wichtigste!) wirkt bei fast allen Äußerungen. Die Hervorhebung des Wichtigen innerhalb einer Situation ist vergleichbar mit der allgemein perzeptivkognitiven y?gwre/growwerststrukturen in A.s Repertoire. Erst mit 2;0,25 konstruiert sie die erste zielsprachliche Entscheidungsfrage. Dann nimmt dieser Satztyp langsam an Häufigkeit zu ohne besondere Verbstellungsschwierigkeiten. (198) a. b. c. d. e. f.

Is das Salz? 2;0,25 Sucht der Opa was? 2;2,9 Tut das weh aufm Bein? 2;2,18 Hat die Mama geschrieben? 2;3,6 Kann man da rutschen? 2;3,15 Gehört das hier - gehört das hier hin? 2;3,17

Infinitivkonstruktionen Infinitivkonstruktionen tauchen sporadisch auf, zunächst ohne zu (199). Wie bei (199 b) wird brauchen auch in der Erwachsenensprache oft ohne zu konstruiert. Stellungsprobleme gibt es noch länger. Mit 2;7, mehr noch mit 2;8, häufen sich Anschlüsse mit Infinitiv + zu. Gegen Ende 2;8 sind sie relativ sicher im Gebrauch, in komplexeren Konstruktionen treten allerdings noch Stellungsfehler auf (200 r, t). Im letzten Beispiel (200 t) verwendet A. um zielsprachlich. In den Sätzen (200 r, t) hat A. Probleme mit der Reihenfolge der Wörter, wie auch in (200 b). In (200 n, p, s) stimmt die morphologische Markierung nicht. In komplexeren Strukturen kann also nicht gleichzeitig zielsprachliche Reihenfolge, Verbmorphologie und Verbanzahl korrekt wiedergegeben werden. Das verwundert nicht, denn

165 die Komplexität mancher Infinitivkonstruktion übersteigt häufig auch die Kompetenz der Erwachsenen.15 (199) a. b. c. d. e. (200) a. b. c. d. e. f. g. h. i. j. k. 1. m. n. o. p. q. r. s. t.

A. helft da rein dun. 1;'9,7 A. braucht nicht Löffel haben. 1; 10,9 Der Puppe was trinken geben, has. 1;9,30 Der Puppe was trinken gegeben. 2;0,27 Die kleine Puppe was Durst geben. 2;0,27

Hör auf schu weinen. 2; 1,9 Die will was trinken zu haben. 2;2,28 Is nich zu/m Spielen. 2;2,28 Das is nich zum Essen. 2;3,16 Pieseln brauch ich. 2;4,9 Gehma was trinken holen. 2,4,19 Will'n Schlüssel, da umzudrehn, so [zeigt es]. 2;4,21 Das hama noch vergessen, da rein zu tun. 2;5,25 Du brauchs nich zu weinen anfangen. 2;6,0 Brauch ich keine Strümpfe anzuziehen? 2;6,10 Geht nich ausziehn, geht doch nich auszuziehn. 2,6,25 Der Hase hat viel zu tun. 2;7,17 Du hast mich nich telefonieren laßt - lassen. 2;7,30 Warum will das nich gegingt? 2;8,28 Magst du dich knuddeln lassen? 2;9,8 Der Papa hat mich einfach draußen gestehn gelassen. Mich hat der Papa einfach draußen stehn gelassen. 2;9,12 Nein, ich mag mich nich ärgern lassen. 2;9,13 Das hamwa vergessen ihr zu wiedergeben. 2;11,15 Der Olli hat mir das nich ausepackt lassen. 2; 11,29. Und da war der Kevin da dabei, um die S-Bahn zu kaputt machen. 3;0,9

Passivkonstruktionen Solche Bildungen, für die die passivische Bedeutung aus dem Kontext hervorgeht, machen mit sehr vielen abweichenden Beispielen eine relativ lange Entwicklungszeit durch, bis sie endlich nach über einem halben Jahr mit 2;7 häufig zielsprachlich sind. Die Sätze (201 b, c, d, e, f, g, j) zeigen, daß in kurzen Äußerungen weniger Fehler zu finden sind. Gebraucht 15

Ickler (1993) führt dazu folgende Beispiele gedruckter Sprache aus der SZ bzw. DIE ZEIT an: Ein Haftrichter hat Haftbefehl gegen eine 24jährige erlassen, die im Verdacht steht, ihren knapp zwei Jahre alten Sohn verhungert haben zu lassen. (...) jene Ärztin, die beschuldigt wird, sich vergewaltigt zu lassen haben. (...) von einem Kanzler regiert, der es unlängst glaubte auf die Vertrauensfrage hat ankommen lassen zu müssen.

166

A. ein Modalverb mit oder ohne werden im Infinitiv, bildet sie noch lange das Vollverb nicht als Partizip, sondern benutzt den Infinitiv, vgl. (201 h, o, p, r, z etc.). Teilweise bricht sie ab (201 1). Auch fehlt andere Information wie das Subjekt (201 m, o, p, s etc.). Oder die morphologische Markierung des Hilfsverbs fehlt oder ist abweichend (z.B. 201 k, n, s). Teilweise verwendet sich passiv-ähnliche Formulierungen (201 q). In (201 ö) treten Zuordnungsprobleme des Partizip-Präfixes auf. Die Beispiele zeigen, daß in komplexeren Strukturen nicht gleichzeitig zielsprachliche Reihenfolge, Verbmorphologie und Verbanzahl korrekt wiedergegeben werden kann, sondern daß verbalisierte Information schwankt, wobei die Menge der kodierten Information langsam wächst. Bei mehreren Verben fehlt als vorläufige Kompromißlösung die Partizipbildung und teilweise werden. Dann gibt es Partizipien, aber kein werden. Die Partizipien erscheinen ohne ge- neben Infinitiven und anderen morphologischen Abweichungen. (201) a. b. c. d. e. f. gh. i. jk. 1. m. n. 0. P q. r. s. t. u. V.

w. X.

yz. ä. ö.

Auch der Rücken kuscheln werden. 2;0,20 Das wird gewaschen. 2;0,21 Wird da warm gemacht. 2;0,24 Die wird gewickelt. 2;0,27 Da wirdelüftet. 2; 1,1 Das wirdebratet. 2; 1,2 Wirdjetzetrocknet. 2; 1,10 Will doch aber tragen. 2;1,16 [getragen werden] Die mögen nich anfassen. 2; 1,26 [angefaßt werden] Der wird da jetzt gewaschen. 2; 1,26 Der's dreckig wird gestern. 2; 1,26 Die Gummischlange sagt nein nein, die will nichegessen [Babbel]. 2;2,17 [sie will nicht gegessen werden (Gummibärchen in Schlangenform)] Mög nich flogen werden. 2,2,27 Das rutscht weg, das will nich auferäumt werd. 2;3,9 ['die Bücher wollen nicht aufgeräumt werden'] Will nich eincremen werden. 2;3,27 Will tragen werden, will tregen - werden. 2;4,1 Jetz hab ich nich gewaschen lassen. 2;4,7 [Sie hat das Wasser ausgeleert, sie hat sich nicht waschen lassen] Will auch mal anziehn werden, die Puppe. 2;4,14 Nich anziehn worden. 2;4,21 [nicht angezogen werden] Jetz Werste getragen. 2;4,27 Das wird appeschnitten. 2;4,30 Will auch tragen werden, die Ente. 2;4,30 Bischen zudecken werden. 2;6,10 Will nich fangen werden. 2 ,6,17 Da wird nichelüftet? 2;6,19 Will nich anschupsen werden. 2;6,24 Der wollte nich da hinnestelltn werden, jetz hab ich ihneträgt, jetz hab ich ihn zurückgetragt. 2;6,28 Die muß noch putzen gewerden. 2;7,9

167 ü.

Ich mag nich gefangen werdn. 2; 10,10

ff/e-Vergleich Vergleiche mit wie treten erst mit etwa zweieinhalb Jahren auf. Zunächst fehlt das wie. Einige Sätze gehen auf das Schema (das) sieht aus wie X zurück (202 a, e, j, 1, n, und wohl auch 202 i, k). Dabei wird das Schema teilweise nicht ganz realisiert. Falls wie nicht fehlt, fehlt das Verb (202 i, k, n), beides nicht-betonte Teile des Schemas. Wie nach Komparativ (202 f, h) ist auch umgangssprachlich zu finden. Mit 2;7 gebraucht A. gehäuft feste Redewendungen wie hört sich an wie X, sieht aus wie X. Daß das Kind versucht, komplizierte Gedankengänge mit dieser Konstruktion wiederzugeben, die die sprachliche Produktionsfähigkeiten übersteigen, zeigt das Beispiel (202 m). Dabei wird durchaus klar, was das Kind meint.16 Wieder einmal möchte A. mehr sagen, als sie kann. (202) Sieht ausse Hund. 2;2,0 [mit angedeutetem (dummy) wie oder ein] a. Kuck, die kann das nich, diese [= die ist so] klein wie ich. 2;3,5 b. Der Marco hat auch eine Ball wie ich. 2;3,8 c. Die Felizitas hat auch Spange, wie ich auch. 2;4,28 d. e. Sieht aus ein Mama. 2;6,2 Die is schneller wie ich. 2;6,3 f. So ähnlich wie ich, du stehst auch auf dem Bett auf, wie ich. 2;6,15 gDer is kleiner wie ich. 2;6,15 h. i. Wie aus der Dirk. 2;6,16 Sieht aus die Hexe. 2;6,16 jk. Wie aus ein Badeanzug. 2;6,23 1. Sieht aus wie runtererutscht. 2;6,24 m. Wie der Papa die Beine hat bin ich schon groß. 2,9,4 n. Wie aus Vi Baby. 2; 11,18 Der Erwerb der eingeleiteten Nebensätze und der sonstigen Strukturen weist jeweils eine längere Entwicklung auf. Kinder teilen ihre Botschaften mit, ohne die zielsprachlichen Formen und Strukturen zu beherrschen. Daher greifen sie auf Ersatzstrategien zurück wie Chunks (bei A. wie heißt du?, ich glaub ich spinn, noch einmal, dann is Schluß) bzw. Schemata (bei A. wenn die A./du ausgeschlafen ha/s/t, dann - , wo ist -), Parataxe statt Hypotaxe, falsche Konjunktionen wie da und Weglassen der Konjunktion. Wenn die ersten Satzeinleiter erscheinen, richten sich die Kinder dabei durchaus nach zielsprachlichen Häufigkeitsverteilungen. Das ausgeprägte Mitteilungsbedürfnis bedeutet ein Problem bei den unausgereiften Verarbeitungskapazitäten. Wenn die Äußerungslänge wächst, können korrekte kurze Bildungen oder längere abweichende Bildungen formuliert werden, bei denen die Konjunktionen und zu etc. fehlen, nicht alle Verben des Verbkomplexes realisiert sind oder Stellungsfehler auftreten, bis dann auch in komplexeren Sätzen kaum Fehler auftreten. Schwierige Bildungen wie Passiv oder irreale Bedingungssätze sind noch " oder?

168 lange fehlerhaft, wenn nur Teilaspekte der Zielstruktur (Verbmorphologie, Verbanzahl, Stellung) korrekt kodiert werden. Das zeigt, daß zunächst pragmatisch-funktionale Faktoren überwiegen - parataktische Verbindungen können aus dem Kontext erschlossen werden. Den Veraibeitungskapazitäten und der Häufigkeitsverteilung in der Zielsprache entsprechend wird vermehrt erwachsensprachliche Regularität berücksichtigt. Die Entwicklung steht daher im Widerspruch zu unseren Arbeitshypothesen. Konjunktionen, Relativpronomen und komplexe Strukturen werden langsam über verschiedene abweichende Konstruktionen erworben. Dabei ist es nicht nötig, zugrundeliegendes Regelwissen vorauszusetzen, da sonst keine Transition oder Variation auftreten dürfte (vs. Arbeitshypothesen 3, 5 und 6). Die Entwicklung hängt von verschiedenen Faktoren ab wie Inputfirequenz, Äußerungslänge und -komplexität, semantisch-logische Komplexität, kognitivem bzw. verarbeitungstechnischem Entwicklungsgrad und Funktion (vs. Aibeitshypothesen 1, 2, 7 und 8). Gerade die frühen Beispiele sind funktional motiviert (vs. Arbeitshypothese 8). Einige Beispiele sind nicht besonders gut, können aber auch nicht als falsch bezeichnet werden, z.B. we/7-Sätze mit Verbzweitstellung, brauchen ohne zu, Komparativ mit wieAnschluß, vgl. (203 a, c, d, e) (vs. Arbeitshypothese 4). Fehlende Vorfeldbesetzung in Aussagesätzen wie in (203 b) tritt zwar häufig in der Spontansprache auf, würde aber schon als eine eher schlechte Konstruktion empfunden werden, ebenso Beispiele wie (203 f). Die Akzeptabilitätsurteile befinden sich in einem Übergangsbereich zwischen eher gut und eher schlecht. (203) A. braucht nicht Löffel haben. 1;10,9 a. Will nich [Brille] aufsetzen, bin so müde. 2; 1,6 b. Oh, der hateweint - weil der weil der hat Angst von der Hilke. 2;4,21 c. Die is schneller wie ich. 2;6,3 d. Der is kleiner wie ich. 2;6,15 e. f. Die Pfanne ob da reinpaßt. 2;7,10 Die Beispiele können als Ergebnis des complexity / fluency trade off verstanden werden. Bei Erwachsenen ergeben sich häufig vergleichbare Abweichungen von der standardsprachlichen Norm - Kompromißlösungen, die wegen konkurrierender Bedürfnisse entstehen, nämlich trotz Müdigkeit, Konzentrationsmangel oder in lässiger Redeweise mehr oder weniger komplexe Botschaften verständlich zu vermitteln. Sie können teilweise dialektal durchaus akzeptabel sein. Aufgrund der aktiven Auseinandersetzung mit dem Input können Regelmäßigkeiten wiederholt, abstrahiert, per Analogie nachgebildet und generalisiert werden. Chunks, Amalgame und Schemata sind dabei eine Vorstufe zu starken Systematisierungen, sprich Regeln. Das Kind wächst langsam aus pragmatisch orientiertem Sprechen heraus und erwirbt zielsprachliche syntaktische Bedingungen für die Produktion von Sätzen. Dabei benutzt A. zunächst Chunks oder Schemata. Bei hypotaktischen Strukturen bildet sie erst einmal Parataxen. Alle unbetonten grammatischen Morpheme wie Fragewörter, Konjunktionen und Relativpronomen werden zunächst in analytischen Bildungen ausgelassen. Dann wird manchmal eine Konjunktion durch eine häufigere {da) ersetzt. Richtige Strukturen sind erst für kurze Sätze beobachtbar. Gleichzeitig treten in längeren Bildungen

169 noch Stellungs- und Auslaßfehler auf. Zielsprachlich häufige Konstruktionen mit was, wenn-dann oder weil treten früher auf, seltenere mit z.B. obwohl deutlich später. Die Passiv-Konstruktion, die in der Literatur als für alle Kinder schwer verstehbar beschrieben wird, erweist sich u.a. wegen der komplizierten Verbmorphologie auch für A. als schwierig, was daran deutlich wird, daß sie viele Fehlversuche über einen längeren Zeitraum hinweg unternimmt, bis sie Passivbildungen vermehrt korrekt produzieren kann. Wie der Vergleich mit Daten aus der Literatur zeigt, entspricht die bei A. gefundene Entwicklung der der anderen Kinder. A.s Daten passen nicht zu den Arbeitshypothesen 1 - 8 .

7. Wortbildung

In diesem Kapitel folgt nun ein kurzer Abschnitt zur Wortbildung (vgl. den Überblick zur Wortbildung des Deutschen in u.a. Fleischer 51982 bzw. Fleischer & Barz 1992, Duden 5 1995). Die Daten dazu wurden nicht kontinuierlich erhoben, da wie auch bei anderen Kindern (vgl. u.a. Clark 1993) produktive Wortbildungsmuster eher spät auftreten und nur wenige Fälle in die Phase der kontinuierlichen Erhebungszeit fielen. Für das Alter von vier Jahren gibt es wenig Notizen. Trotzdem werden die von Clark (1993) erwarteten Tendenzen deutlich, die bestimmte Reihenfolgen für das Auftreten produktiver Muster voraussagt (vgl. den Überblick in Elsen 1995a). Im Anhang sind A.s Wortschöpfungen chronologisch aufgeführt. Strukturelle Einfachheit, Durchsichtigkeit der Bedeutung, Produktivität (bei Neubildungen) und strukturelle bzw. die Häufigkeit betreffende Faktoren der Zielsprache beeinflussen den Erwerb früher Wörter. Clark (1993) untersuchte Konversion, Komposition und Derivation in Spracherwerbsdaten verschiedener Sprachen und zeigte, daß Kinder deutlich sensibel gegenüber der Inputsprache sind. Je einfacher, transparenter und produktiver eine Bildungsweise in der Muttersprache ist, desto eher wird sie beim Erwerb aktiv verwendet. Ein wichtiges Kriterium für die Erwerbsreihenfolge scheint die Häufigkeitsverteilung in der Zielsprache zu sein. Kinder nutzen wie Erwachsene die verschiedenen Wortbildungsmuster, um lexikalische (momentane wie generelle) Lücken zu füllen und dabei dem Mitteilungsbedürfnis nachzukommen, „on ne fabrique pas ce qu'on n'a pas besoin de fabriquer" (Delacroix 1924: 16). Zur Wortbildung im Spracherwerb vgl. auch die Untersuchungen von Neugebauer-Kostenblut (1914), Panagl (1977), Asbach-Schnitker (1987), Clark (1993) und Meibauer (1995a). Einige Beispiele finden sich schließlich noch in Gipper (1985). 7.1. Komposition Die Komposition spielt in der deutschen Wortbildung vor allem für Substantive eine große Rolle (vgl. auch den Kurzüberblick in Becker 1992). Die Hauptgruppe der Kompositionen bilden Kombinationen aus zwei Substantiven, wobei der erste den zweiten Teil des Kompositums näher bestimmt (Determinativkomposita). Dieses Muster ist sehr produktiv. Zu A.s Kompositabildung ist bereits in Kapitel 5.2 Stellung genommen worden, was formale Aspekte betraf. Bei A. wird in Komposita das finale -n eines Zweisilblers auf -en, der den ersten Teil des Kompositums bildet, egal ob Affix oder Stamm, häufig getilgt, ebenso -/ (z.B. Zappe-peter 1;8,25, Stempe-automat 1;7,6, Purze-baum 1;8, 1;9, 1;10, Rege-schirm 1;9,28, Huste-saft 1;8,12, Eise-bahn 1;8,0, 1;9,5, Seife-blasen 1;9,23, 1;9,29, Straße-bahn 1;10,2). Die ganze Silbe fehlt nur sehr selten (z.B. Tann-zapfen 1;10,11, 1;11, Nas-tropfen 1;9, 1;11, 2;0). Allerdings wird ein Schwa oder eine schwa-haltige Silbe teilweise zusätzlich eingefügt (z.B. Leib-e-speise 2;4,25, Wasch-e-pulver 1;9,15, Turn-ehose 2;0,14, Maus-e-puzzle ab 2;3,20, Wind-en-hund 2;4,14, Spiel-er-elefant 1;10,25, Wohn-se-zimmer 1;9,12). Zwei Nomen werden auch ohne verbindendes Morphem aneinandergereiht, allerdings lautet meist der erste Teil auf eine schwahaltige Silbe aus (z.B.

172 Lichtturm 1; 10,26, Fischkorn 2;3,4 vs. Haseschere 2;4,22, Hexeweib 1;9,25, Löwebaby 1;9,5). Daher werden phonologisch-rhythmische Gründe für die abweichenden Produktionen angenommen. Das unterstreicht die frühe Relevanz phonologischer Information (vgl. auch Elsen 1994, 1998b). Die Reihenfolgebeziehung in den Komposita muß erst erlernt werden, was die vielen Vertauschungen wie beispielsweise Nägelfinger 1;8,10, Nagefuß 'Fußnagel' 1;9,8, Papierklo 2;0,18 ... , Mausfleder 2;4,0 ... , Dreckhunde 2;1,20, Schuhestraßen 2;4,3, morgenüber 2;4,3, zeigen1 (vgl. Stern & Sterns 41928 / 1965: 345, 405 Interpretation der Metathese ganzer Silben).3 Die Funktion des Fugenelementes wird teilweise überschätzt: (204)

Ohrschmerzen - ich hab nich 'Ohrenschmerzen' gesagt, ich hab 'Ohrschmerzen' gesagt, mir tut nur ein Ohr weh. 3; 10,16

Den Hauptteil bzw. den Anfang von A s Spontanbildungen machen Determinativkomposita aus zwei Substantiven aus, wie auch bei anderen deutschsprachigen Kindern (Mills 1985, Asbach-Schnitker 1987: 229ff, Clark 1993: 154ff ). Clark fand in einem Korpus von 128 Eigenschöpfungen, daß 80% der Nomen bei kleinen Kindern unter drei Jahren Komposita waren. So gut wie alle wurden mit zwei Nomen gebildet (Clark 1993: 154). Da sich die Verarbeitungskapazitäten verbessern und längere und komplexere Bildungen möglich werden und da gleichzeitig das Mitteilungsbedürfnis nach wie vor hoch ist, kann das Kind nun für Inhalte, die in der Zielsprache nicht mit einem Wort versehen werden oder für die es gerade nicht über das passende Lexem verfugt, Eigenschöpfungen bilden. Clark (1993) hat sich ausfuhrlich mit den Spontanbildungen von Kindern aus verschiedenen Sprachen beschäftigt. Wie von ihr erwartet, treten bei A. zuerst Komposita und dann Derivate auf, weil es sich bei der Komposition um eine häufige und durchsichtige Form der Wortbildung handelt. Nach einigen frühen Bildungen wie Bodenlappen (1;6,11) für einen Putzlappen für den Boden, Weißemann (1;9,9) für den Schneemann, Lichtturm (1;10,26) für einen Leuchtturm, Spielerelefant (1;10,25) für einen Elefanten, der nicht zum Schmusen, sondern zum Spielen ist, treten mit zwei Jahren jetzt häufiger selbstgebildete Komposita auf wie Autopuzzle (2;0,8) für ein bestimmtes Puzzle mit Abbildungen von Autos, Kerzeneier (2,1,20) zu eiförmigen Kerzen oder Kinderenten (2;2,19) zu Küken. Die Komposita demonstrieren, daß mit zwei Jahren zielsprachliche Regularität aktiv realisiert werden kann. Wenn die Entwicklung auch der folgenden Jahre betrachtet wird, zeigt es sich, daß die Bildungen dazu dienen, teilweise individuelle lexikalische Lücken zu füllen, dabei Unterschiede zwischen verwandten Dingen zu benennen (vgl. Clark 1993) und Dinge dadurch näher zu spezifizieren (vgl. Panagl 1977), wie auch in der Erwachsenensprache. Der Spielerelefant (1;10,25) ist eben nicht der Elefant zum Schmusen, sondern zum Spielen. Das Autopuzzle (2;0,8) ist das Puzzle mit den Autos, nicht mit dem Obst. Die Tropfen, die nicht vom Himmel fallen, sondern beim Weinen erscheinen, heißen Weinetropfen 2; 11,18 (vs. Regentropfen). Häufig handelt es sich dabei um Analogiebil-

1 2

vgl. auch Beispiele wie fußbar, Musapfel, Manneier. Schuhwander in Gipper (1985: 144, 215). Wolfgaiig Schindler bemerkt hierzu, daß auch hier das Prinzip 'das Wichtigste zuerst' wirken könnte und streckenweise über die zielsprachlichen Reihenfolgeverhältnisse dominiert.

173 düngen.' Wenn die Füße in einem Fußbad warm werden, so geschieht das gleiche mit den Händen in einem Handbad (5; 11,3). Die Frau vom Papagei heißt Mamagei (1; 11,12). Häufig stehen A.s Bildungen für nicht existierende Wörter (Gipspulli - für einen Pullover, dessen Ärmel aufgetrennt ist, damit der eingegipste Arm durchpaßt (5,9,9), Pospitze - für den äußersten Teil des Pos, der aus dem Badewasser herausragt (6;0,14), Fischkorn - Sand aus einem Förmchen in Fischform (2;3,4)). Für andere Formen hatte A. offenbar das gängige Lexem nicht griffbereit (Gansmann 'Gänserich' (5;11,23)). A. bildet Untergruppen (.Blätterbaum (2;9,15) vs. Tannenzapfenbaum, Stichbaum (2;9,15) statt Laub- und Nadelbaum, entsprechend Rafaels Beerenbaum (Neugebauer-Kostenblut 1914)). Manche Komposita entstehen, wenn ein lautlich ähnliches oder inhaltlich verwandtes Wort ersetzt wird CNackerpott (2;10,27) statt Nackerfrosch, Pillerjunge (2;3,10) statt Pillermann 'Penis', Mamatag (3;3,11) statt Muttertag). Weiterhin weisen Stern & Stern ( 4 1928 / 1965: 402) auf wiederkehrende oder besonders auffällige Assoziationen zwischen zwei Vorstellungen hin. Eine weitere Möglichkeit erwähnt Gipper (1985), wenn er vermutet, daß manche Neubildungen entstehen, weil das Kind nicht weiß, was es sagen soll: Jungmutter, Jungenmädchen zu menschlichen Knetfiguren (Gipper 1985: 144). Die meisten Komposita bestehen wie auch in der Zielsprache aus zwei Nomen. Seltener sind Zusammensetzungen mit Adjektiv- oder Verb-Konstituenten (Weinetropfen (2; 11,18) 'Tränen', Weißemann (1;9,9) 'Schneemann') oder längere Fügungen, die später auftreten (vgl. auch Asbach-Schnitker 1987) (Zehnmonatesbaby, 'ein Baby, das zehn Monate alt ist' (5;9,29)). Adjektiv- und Verbalkomposita treten später auf und sind selten (vgl. auch Asbach-Schnitker 1987) (schlechthörig (5; 10,27) wohl analog gebildet zu schwerhörig; glockenspielen (6;9,29) wahrscheinlich analog gebildet zu klavierspielen, kopfhören (7;1,17) vielleicht zu kopfrechnen, übersaufen 'zuviel Flüssigkeit in den Mund schütten' (5;9,9), wohl analog zu überfressen). Auch in der Erwachsenensprache gibt es Komposita, die okkasionell gebraucht werden, um lexikalische Lücken zu füllen. Manche etablieren sich im Laufe der Zeit und werden zu einem festen Bestandteil des deutschen Wortschatzes (Geisterfahrer) oder Teil einer Fachsprache (Schrumpfriß, Buntprospekt, vgl. Ickler 1997: 110f.). Andere Bildungen entstehen poetisch-sprachschöpferisch, spielerisch oder zu Werbezwecken (u.a. Betten 1987, Lipka 1987, Ulrich 1993). A. macht sich die Möglichkeit, zusammengesetzte Wörter zu formen, früh zu Nutze, um ihr Kommunikationsbedürfnis zu befriedigen. Während vieler Monate bis etwa zur Mitte des dritten Lebensjahres beherrscht sie allerdings die Reihenfolgebeziehungen nicht ganz, was ihrem Mitteilungswillen keinen Abbruch tut. Die Komposita bedeuten eine kurze, einfache Möglichkeit, Dinge teilweise situationsabhängig präzis zu benennen. Bei kooperativer Haltung der Zuhörerlnnen werden sie auch verstanden. 3

vgl. auch Meibauer (1995a: 143) Eisenföhrer 'Eisenbahn-filhrer' als Beispiel für eine Zusammenbildung wohl analog zu Lokführer; Hilde Stem: Liestisch zu Schreibtisch, Günther Stem: Gabelfreude vs. Teefreude ('Freude über - '), Geburtstagsbaum zu Weihnachtsbaum, G. Lindners Tochter: Ofenwehweh vs. Messerwehweh vs. Glaswehweh vs. Hundewehweh vs Katzenwehweh (jeweils für eine Verletzung durch entsprechende Objekte), G. Lindners Sohn: eisheiß zu eiskalt, Franziska Schneider: Birnenmus zu Apfelmus (alle aus Stern & Stern 41928 / 1965), Schneeberge vs Felsenberge vs. Wollberge (Clark 1993), Streifen-, Staub-, Körndel-, Flügelmaschine zu verschiedenen, teilweise landwirtschaftlichen Maschinen (Neugebauer-Kostenblut 1914); Kochmann analog zu Gasmann, Hundemutter, Hundepapa, Hundekinder zu den Mitgliedern einer Hundefamilie (Gipper 1985: 144,211). Zu Analogie vgl. auch Panagl (1977).

174 Insgesamt ähneln A.s Daten denen der anderen Kinder. Im Gegensatz allerdings zu Clark (1993), die keine synthetischen Verb-Nomen-Komposita fand, in denen das Nomen das Objekt bezeichnet, sind hierfür Beispiele bei A. notiert: Schiebewagen 2;0,24 .... , Weinetropfen 'Tränen' 2; 11,18. Allerdings mag hier das -e zwischen den Stämmen nicht morphologisch, sondern rhythmisch begründet werden.

7.2. Derivation Die Derivation ist neben der Komposition die wichtigste Wortbildungsart des Deutschen. Für Nomen ist eines der verbreitetsten Suffixe -er. Es bildet zumeist denominale und deverbale Nomina Agentis und Nomina Instrumenti. Nomina Acti sind seltener. Die Endung -e für Substantive aus Verben und Adjektiven ist auch häufig zu finden. Daß A. bereits mit 1;8 - seltener vorher - verbale und nominale Stämme erkannte, wurde im fünften Kapitel über die Bildung von Übergeneralisierungen der Partizipien und Substantivplurale wie -fall-t, -nehm-t, Baum-e, Kruk-e deutlich. Dabei traten aktiv verwendete Verbalstämme kurz vor den Nominalstämmen auf. Diese Stämme sind für Derivate als Basis von Bedeutung. Sie sind die Bausteine, mit denen die Kinder häufig per Analogie (Stern & Stern "1928 / 1965: 413) neue Ableitungen bilden. Bei A. sind Derivate vor 2;0 selten: Schläfer (1; 10,29) zu schlafendem Mensch, fetschen (1;10,2) 'flitsch/fetsch machen', scheren (1;10,29) 'schneiden'. Mit zwei Jahren nehmen vor allem die er-Derivate zu: Trinker (2;0,3) 'Getränk', Schlafer (2;0,6) wahrscheinlich 'Bett', Tanker (2;0,8) 'tankender Mensch', aber auch Spüle (2;0,11) 'Spülknopf der Toilette', Piepe (2;1,25) 'Küken'. Bildungen mit Verbalstämmen überwiegen bei erund e-Ableitungen. Verben werden aus Nomen oder nonienartigen Wörtern (flitsch/fetsch, tock) gebildet (vgl. auch Clark 1993: 206f.; zu onomatopoetisch gebildeten Verben vgl. Neugebauer-Kostenblut 1914). Bei den Derivaten ist das häufigste Muster die er-Ableitung in den Aufzeichnungen. Sie bildet mit Verben oder Nomen Bezeichnungen für Personen, die eine Tätigkeit ausüben, (Tanker, Schläfer s.o.) oder für Werkzeuge oder Vorgänge (Klapper 'Spielzeug mit Metallzunge, die auf Druck klackendes Geräusch erzeugt' 2;3,8). Später und wesentlich seltener, dabei auch seltener in der Inputsprache gehört, benutzt A. diese Endung für Nomina Acti wie in ein Genuger 'Einer, der genug ist, aufhören soll' 2;11,14 oder Beweger 'Bewegung' 6; 1,12. A.s Daten ähneln denen von Meibauer (1995a), der bei seinem Sohn auch zunächst Nomen mit agentis- und instrumenti-Lesart fand und erst später Nomina Acti. Wie Gustav Meibauer begann A. mit deverbalen Formen. Allerdings machten diese im Gegensatz zu Gustavs Ergebnissen von Anfang an die Mehrheit aus. Frühe Nomina Agentis und Instrumenti bzw. deverbale Formen entsprechen jeweils dem höheren Vorkommen in der Zielsprache. Auch Substantive aus Verben und Adjektiven mit -e sind bei A. recht häufig, wie die deverbalen Beispiele Spüle 'Spülknopf der Toilette' 2;0,11, Piepe 'Küken' 2; 1,25, Schiebe 'Bräter' 6;9,14 und Schwitze 'Schweiß' 7;11,9 zeigen. In Clarks Korpus der jüngeren Kinder waren neben der Komposition die meisten Nomen, die die Kinder selbst bildeten, ebenfalls Derivate auf -er und -e. Allerdings fand Clark bei den er-Ableitungen mehr

175 Beispiele mit agentis- als mit instrumenti-Lesart (Clark 1993: 154). Genau wie die Kinder in Clark (1993) bezeichnete A. mit e-Ableitungen meist Gegenstände bzw. Werkzeuge. Wie von Clark (1993) vermutet, finden wir bei A. für die zielsprachlich produktiveren nicht unbedingt häufigeren - Muster wie die er- und e-Ableitungen für Nomen und die Infinitivendung für Verben (fetschen, 1;10,2, scheren 1; 10,29, räuschen 'ein Geräusch machen' 2; 1,28) deutlich mehr und früher Beispiele als für weniger produktive (Haßling 'etwas Verhaßtes' 7;3,16). Allerdings wären dann auch mehr ««^-Ableitungen zu erwarten gewesen (Startung 'Start' 5; 11,8), da dies neben -er eine der produktivsten substantivbildenden Endungen ist (Fleischer 1982: 164). Wahrscheinlich auf geschlechtsbezogenes Sprechen der Mutter zurückzufuhren sind A.s Femininbildungen 4 wie Vergesserin 2;10,19, Klauerin 2;10,19, Würschtline (zu Würschtli) 2;4,19, Finkeline (zu Fink) 3;6,11. Die für die Adjektive häufigste Endung -ig wird auch von A. oft verwendet. Wie in der Zielsprache hauptsächlich für denominale Ableitungen gebraucht (zu 83%, Duden 5 1995: 529), benutzt sie es meist in Verbindung mit Nomen, aber auch mit Verben und Adjektiven: schampig 'voller Schampo' 2; 10,11, ungutig 'schlecht' 3; 11,18, kindig 'wie ein Kind, jung' 5;10,13,y«% 'wie Julia' 6;8,28, blendig zu blendendem Licht 7; 10,12, kostig 'teuer' 6;9,19. Gerade das letzte Beispiel zeigt, daß A.s Drang zu reden alles überwiegt. Sie nimmt sich nicht einmal die Zeit, um sich das Wort teuer, das sie seit langem beherrscht, zu überlegen. Dies dürfte aus dem Situationszusammenhang, dem Spiel Monopoly, zu erklären sein, in dem das Wort kosten wiederholt auftaucht, denn kostig bezieht sich auf eine teure Straße. In A.s Sprachentwicklung markiert das Ende des zweiten bzw. der Anfang des dritten Lebensjahres den Beginn der produktiven Wortbildung. Wie auch für die Syntax ist dies offenbar ein Zeitpunkt, zu dem vermehrt zielsprachliche Regularitäten berücksichtigt werden können. Aufgrund der begrenzten Datenmenge können wir für A.s Wortbildung nur Tendenzen festhalten. Tendenziell also spiegeln A.s Erwerbsreihenfolge und Häufigkeitsverteilung bei den Neubildungen die Häufigkeitsverteilung bzw. Produktivität5 der Zielsprache wider. Entsprechend der Freiheit in der Zielsprache sind die Bildungen Schwankungen unterworfen (Tanker bei A. 'tankender Mensch', bei Gustav Meibauer 'Tanks beim Güterbahnh o f ) . Trotzdem finden sich Gemeinsamkeiten, die auch uns Erwachsenen leicht auf der Zunge liegen: Klauerl Klauerin bei A. und Gustav 'Dieb/in', Kleber bei A. und Gustav 'Aufklebebild', killen bei A. und Hilde Stern 'kitzeln', geräuscht bzw. räuschen zu Geräusch bei A. und in Gipper (1985: 143), klavieren bei A., Hilde, Günther Stern und bei Clemens Panagl 'Klavier spielen'. A.s Wortbildungen sind Beispiele dafür, wie ein komplexer Gedanke statt mit einem Satz mit einem Wort ausgedrückt werden kann, wohl aus Ökonomiegründen bei gleichzeitigem Mitteilungsbedürfnis (vgl. das Beispiel Gipspulli) (complexity / fluency trade o f f ) . Ihre Entwicklung steht nicht im Einklang mit den Arbeitshypothesen 1 - 8. Die zugrundeliegenden Muster müssen in der Zielsprache erkannt und reproduziert werden. Wie schon bei den syntaktischen Bildungen ist auch das Auftreten der Komposition und 4 5

Im Gegensatz zu Meibauers Beispielen Polizisten», Chineserin etc. sind A.s Bildungen alles mögliche Formen des Deutschen. vgl. die Problematisierung von Vorkommensfrequenz und Produktivität in Clark (1993).

176 Derivation stärker ab dem dritten Lebensjahr verzeichnet. Es handelt sich hier um einen Zeitpunkt, zu dem das Kind also in der Lage ist, erwachsensprachliche Struktur vermehrt zu realisieren. Sie ist allerdings noch nicht immer zielsprachlich unauffällig. Das zeigen Abweichungen in der Reihenfolge der Kompositakonstituenten oder Fehlanwendung der Fugenelemente (Baumapfel neben Apfelbaum während 2;3, Nastropfen neben Nasentropfen von 1;9 bis 2;1). Dabei richtet sich die Erwerbsreihenfolge bei A. zum großen Teil nach den von Clark (1993) genannten Kriterien, vor allem der Häufigkeitsverteilung in der Zielsprache (vs. Arbeitshypothese 7). A. gleicht den anderen hier betrachteten Kindern. Wie für die Syntax gilt ein langsames Hineinwachsen in die Regularitäten der Zielsprache (vs. Arbeitshypothesen 3 und 6) mit Schwankungen zwischen den Formen (!Tannenzapfenbaum oder Stichbaum für Nadelbäume 2;9,15, Nas- neben Nasentropfen, Apfelbaum neben Baumapfel, s. o.), sowie mit Einflüssen aus anderen Bereichen (erste Derivate nur isoliert, in Schemata oder in kurzen Sätzen) (vs. Arbeitshypothesen 2, 5, 6). Die Bildungen sind mehr oder weniger gut (Kleber 'Klebebild' vs. Schlafer 'Bett') (vs. Arbeitshypothese 4). Die Formen selbst entstehen teilweise aus dem Spieltrieb heraus (vgl. auch Anhang H). Sie resultieren aber meist aus dem Bedürfnis, sich mitzuteilen (vs. Arbeitshypothesen 1 und 8) und verbalisieren Gedanken, die nicht im Sprachsystem als Wort verfügbar sind oder Formen, die das Kind momentan nicht abrufen kann. (205) Mama, wann bist du wieder unsauer? 10;9,9

EIN FUNKTIONALISTISCH-KOGNITIVER ANSATZ

8. Prinzipien einer funktionalistisch-kognitiven Grammatik 8.1. Signalkooperation und Schemata Die zu Beginn der Arbeit aufgestellten Arbeitshypothesen, die aus den Forderungen der generativen Modelle gefolgert wurden, haben sich nicht anhand der Daten zu A.s sprachlicher Entwicklung sowie anderen Daten aus der Literatur und Computersimulationen verifizieren lassen. Stattdessen wurden die Daten funktionalistisch-kognitiv interpretiert. Es sollte in der Untersuchung deutlich geworden sein, daß Oberflächeninformationen eine wichtige Rolle bei den ersten Äußerungen spielen. Viele Konstruktionen können mithilfe des Schema-Begriffs erklärt werden. Ein Schema wird als Übergangslösung oder Alternative zum üblichen Regelbegriff aufgefaßt, wobei eine Regel auch als besonders häufig wirkendes Schema bzw. als Generalisierung zu betrachten ist. Die Regel ist nicht etwa ein Spezialfall eines Schemas, sondern das Ende eines Kontinuums unterschiedlicher Grade der Abstraktion und Generalisierung. So sind gleichzeitiges Auftreten und fließende Übergänge zwischen kurzen analytischen Bildungen, Analogien aufgrund eines Musters, Schemata und schließlich Regeln verständlich. Ein Schema ist ein Nebenprodukt der informationsverarbeitenden Fähigkeiten des menschlichen Gehirns, das bei der Suche nach Kompromißlösungen entsteht, und keine eigenständige Strategie. Schemata sind daher auch umgangssprachlich und im Sprachwandel zu finden, vgl. z.B. die Arbeit von Feilke (1996) zu Idiomen, Routineformeln, Phraseologismen und syntaktisch vorgeprägten Konstruktionen in der Erwachsenensprache, die unter dem Aspekt von 'Sprache als soziale Gestalt' pragmatisch untersucht werden. Sie sind in Abhängigkeit von Sprecherinnen, Sprechsituation und kognitiven Fähigkeiten zu sehen. Gleiches gilt für die verwandte Erscheinung der Analogiebildung (vgl. u.a. Ronneberger-Sibold 1980, Hopper 1987, Becker 1990, Köpcke 1993). Auch sie entsteht aufgrund von Abstraktion und produktiver Generalisierung. Am hier wiederholten Beispiel der wo-Fragen erweist sich, daß sowohl analytische Bildungen als auch Schemata und holistische Einheiten vom Kind gebraucht werden. Der Input liefert beim Versteckspiel die wichtige Vorgabe (Kuckuck /Hallo), wo bist du (A.)?. In anderen Situationen des Suchens hört A. Wo 's die A. ?, Wo 's der Elefant? - ein von dem Kind sehr geliebtes Stofftier. Die sprachliche Umgebung stellt dem Kind also wiederholt Frageformen mit wo zur Verfugung. In der kurzen Version wo 's + Artikel + Nomen ist der Artikel in der Mitte der Äußerung stets unbetont. A. merkt sich den Beginn wo, dann wo 's, erfährt das Ende der Äußerung als variabel und kann es situationsgemäß mit dem gesuchten Gegenstand besetzen. So entstehen die ersten Kombinationen aus wo + Nomen zu einer Zeit, in der ähnliche Muster wie u.a. groß + N, mehr + N, wo + N (neben N + lieb, N + weg, ...) frequent sind. Der Input liefert dem Kind in einer häufig wiederholten Spielsituation aber noch eine weitere Vorgabe (Kuckuck / Hallo), wo bist du (A )?. Hier ist das Fragepronomen unbetont. Es ist daher verständlich, daß A. den betonten Anfang und das betonte Ende hallo bisdu? wiederholt. Sucht sie etwas, bleibt von der Frage der

178 am stärksten betonte Endteil übrig und wird mit dem Wort für den gesuchten Gegenstand kombiniert bisdu Katze?. Denn A. kann nur eine begrenzte Menge an Wörtern in einer Äußerung produzieren. Die wo-Fragen treten zunächst in Zweiwortsätzen im Laufe 1;5 auf. (206)

[vo gai?] wo gai, 1;5,9 'wo ist der kleine Ballon?'

Wo steht vor dem erfragtem Gegenstand Mitte / Ende 1;5. Daß die Veraibeitungskapazitäten die Produktionen noch stark einschränken, zeigen die nächsten Fragen: (207) a. b. c. d. e.

[bis dui kat§e?] bisdu Katze? 1;6,1 [vo 'auito?] wo Auto? 1;6,5 [haio bistCQ?] hallo bisdu? 1;6,7 [vo dift?] wo Stift? 1;6,8 [vo 7ai?] wo Eil 1;6,9

Offenbar sind zu dieser Zeit bei Fragen nur Zweiwortproduktionen möglich. Das Kind wählt zwischen dem Amalgam bisdu und gesuchtem Objekt bzw. dem Fragepronomen und gesuchtem Objekt bzw. hallo und bisdu. Es handelt sich hier um teils analytische, teils mit Amalgamen (bisdu) gebildete und durch Chunks beeinflußte Äußerungen. Kurz darauf erweitert das Kind das Schema auf wo 's X (208 a - c), schließlich wo 's der X (208 d, e). (208) a. b. c. d. e.

[vöz nena?] wo 's Nerta? 1;6,11 [vöz fant?] wo 's Elefant? 1 ;6,11 [vös göfilt?] wo 's Garfield? 1;6,19 [vösta fant?] wo 's der Elefant? 1 ;6,20 [vöz d» papa?] wo 's der Papa? 1,6,25

Daneben existieren analytische Bildungen mit oder ohne Amalgame, die aus den Zielsätzen (Kuckuck/Hallo), wo bist du (A.)? variabel eine begrenzte Menge an Wörtern - meist drei - wählen: (209) a. b.

[vö bistui papa?] wo bisdu Papa? 1;6,21 [oft] [kuikuik - bistui nena?] Kuckuck - bisdu Nena? 1;6,21

Andere Beispiele, einmal wo + Artikel + Nomen? mit dem häufig gehörten und produzierten de Papa, und zweimal wo + N + ist zeigen, daß A. jetzt von ihren Schemata auch abweichen kann. Gerade die letzten zwei Beispiele (210 c, d) weisen auf ihre Fähigkeit hin, analytische Dreiwortsätze auch für wo-Fragen zu bilden. (210 a) enthält wieder ein Amalgam (isser).

179 (210) a. b. c. d.

[vo isa?] wo isser? oft 1;9 [vö da papa?] wo de Papa? 1;9,3 [vö dekal 'is?] wo Deckel is? 1;9,4 [vö bffix ?is?] wo Buch ist? 1;9,8

Mittlerweile sind vier Wörter in analytischen Sätzen möglich. (211) a. b. c.

[vö ta/a Kaindüin mama?] wo Tasche reintun, Mama? 1;9,5 [vö 'aina gelba 'ij?] wo eine gelbe [Spielfigur] is? 1;9,17 fana Gips 7a muiöip] andere Schippe auch schmutzig 1;9,18

Mit 1;9 sind mehr analytische Bildungen verzeichnet, oft mit Verbletztstellung. In Schemata ist die Verbstellung korrekt, da sie Bestandteil der Formel ist. Für analytische Ausdrücke ist anzunehmen, daß A. an das wo die Nominalphrase hängt, an diese dann das is (211 b). Ohne zugrundeliegende Regeln anzusetzen ist die Bildimg der Sätze interpretierbar über Aufiullen von Schemata, Kombination von Gestaltausdrücken mit Wörtern bzw. Linearisierung von Wörtern oder größeren Einheiten. Im Alter von 1; 10 tritt auch das Schema, jetzt komplexer, wieder auf: wo 's der X hin?. Mit 1; 11 wird wo 's der/da X variabler gefüllt. Das Schema wird jetzt freizügiger gehandhabt. Das gesuchte Objekt wird ans Ende der Äußerung gehängt:

(212) a. b. c. d. e. f. g. h. i. j.

Wo's die hin, Bohne ? 1; 11,4 Wo 's der Spritze? 1;11,7 Wo 's der Tennisschläger? 1; 11,10 Wo 's da meine Tasche? 1; 11,12 Wo's die da hin, A lice ? 1; 11,13 Wo 's der Handtuch? 1;11,13 Wo die hin? 1; 11,13 Wo's dasA.sBrettchen? 1;11,15 Wo noch einer? 1; 11,19 Wo's das Töpschen? 1; 11,19 [Töpfchen]

Dies ist das Ergebnis von der linearen, nicht hierarchischen Sprachveraibeitung bei der Produktion. Die mittlerweile längeren Schemata sind noch nicht 'geknackt'. Das Kind hat noch nicht die Regularität erkannt, daß mehrere Artikel in Abhängigkeit der Folgenomen existieren und daß das Nomen auf den Artikel direkt folgen muß. So entstehen abweichende Bildungen wie (212 b, f) als Ergebnis einer Verkettung von Frageschema + gesuchtem Gegenstand. Erwachsene Sprecherinnen greifen ebenfalls auf lineare Sprachverarbeitung zurück, wenn sie Information 'nachschieben' wie im Falle der Nachfeldbesetzung, vgl. Wo bist du denn gewesen die letzte Woche?, Was hast du denn gemacht gestern? oder Was hast du denn gemacht gestern da drüben?. Lineare Sprachverarbeitung fand auch Elman (1991 ff.) bei seinen Simulationen zum Syntaxerwerb. Aus Information zu Reihenfolge- und Kombinationsregularitäten entstan-

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den erst mit der Zeit hierarchische Strukturen. Wie bei der Verarbeitung von morphologischer Information ist die Generalisierung komplexer, hierarchischer Struktur auf der Grundlage von wiederholten, zunächst linear verarbeiteten Mustern mit allgemeinen Verarbeitungsmechanismen möglich. Es ist daher anzunehmen, daß auch beim kindlichen Spracherwerb zunächst Verkettung von Einheiten vorliegt (vgl. zu Satzketten auch Stern & Stern 41928 / 1965: 202ff„ Kaltenbacher 1990, Tomasello 1992). Bei einer bestimmten Menge an verfügbarem sprachlichen Material können dann Strukturen analysiert und Hierarchien gebildet werden. Erkenntnisse zu Stellungs- und Kombinationsregularitäten gewinnt das Kind mit der Zeit. Gleichzeitig aber werden auch memorierte Einheiten verarbeitet (auch bei Simulationen, vgl. Elman 1990). Sie werden erst später analysiert, geben aber die nichtlineare hierarchische Zielstruktur wieder. Darum ist die Analyse des kindlichen Output schwierig, wenn nicht durch eine breite Datenbasis die Unterscheidung von holistischen und analytischen Ausdrücken möglich ist. Bei wenig Daten könnten frühe Sätze wie wo 's der Elefant als Beispiele für den Erwerb der V2-Regel fehlinterpretiert werden. Unter der Annahme, daß der kindliche Spracherwerb prinzipiell so wie in den Computersimulationen verläuft, ist aber ein Schwanken zwischen bzw. Nebeneinander von 'richtigen' V2-Sätzen (in Gestaltausdrücken) und 'falschen' VL-Sätzen (bei analytischen Bildungen) verständlich, sogar zu erwarten. Das heißt, Variationen und Transitionen ergeben sich automatisch. Unwahrscheinlich wäre ein plötzliches, durchgängig korrektes Auftreten einer neuen Struktur (Variation und Emergenz vs. Arbeitshypothesen 3, 4, 5, 6). Ein weiteres Beispiel für den Einfluß der Schemata sind die für Zweiwortsätze gefundenen Schemata 1 und 2 (Kap. 6.2.2). Noch mit 1;7 tendiert A. deutlich zu den beiden Schemata Subjekt + finites Vollverb und finites Modalveib + Objekt / infinites Vollveib oder Objekt + infinites Vollverb. Dabei ist die Reihenfolge zielsprachlich. Die Auswahl ist durch Verarbeitungsbeschränkungen (nur zwei Wörter) und pragmatische Gesichtspunkte (die wichtigsten Wörter) beeinflußt. Oberflächensyntaktisch fehlt häufig das Subjekt. Verben sind oft infinit. Bei den Sätzen mit Subjekt kongruiert meist das Veib. In der Regel handelt es sich bei den Sätzen ohne Subjekt um den gleichen Satz, bei dem das Verb infinit ist. Die Sätze, die durch die Schemata 1 und 2 entstehen, zeigen, daß der Gebrauch von Stellung und Flexion als Ergebnis des Relevanzprinzips und des complexity /fluency trade off des noch kleinen Kindes zu verstehen ist. Bei realisierter Modalität ist der Träger der Handlung weniger wichtig als das 'Objekt' oder die intendierte Tätigkeit, die durch das Vollverb ausgedrückt wird. Besonders 'unwichtig' ist das Kind selbst als Handlungsträger, was als Selbstverständlichkeit nicht verbalisiert werden muß. Bei inhärenter Behauptung ist das 'Subjekt' verbalisierbar. Bei Bitten wird das Modalverb flektiert und das Vollverb wie von der Zielsprache vorgegeben nicht. Wenn die Sätze mit 1;8 länger werden, kann mehr Information kodiert werden. Es sieht so aus, als ob die Prinzipien der beiden Schemata 1 und 2 auch in längeren Sätzen weiterwirken. Dann können allerdings mehr Wörter verbalisiert werden, also auch Subjekte und/oder neben Modalverben auch Vollverben. Subjekt und finites Verb sind darüberhinaus oft zusammen in Chunks, Schemata oder Amalgamen memoriert wie wie heißt du?, X ist das, kann man, nehmen wir und bilden daher Quasi-Einheiten. Sie fallen leicht gemeinsam fort bzw. treten gemeinsam auf. Pragmatische Faktoren (was kodiert wird), verarbeitungstechnisch bedingte Faktoren (wieviel kodiert wird) und Inputfaktoren (in welcher Form bzw. Reihenfolge kodiert wird) wirken noch immer zusammen.

181 Variation wie bei den Zweiwortsätzen kann durch unterschiedliche Signalberücksichtigung entstehen, hervorgerufen durch das complexity / fluency trade off des noch nicht ausgebildeten Verarbeitungssystems (vgl. auch cues im competition model). Muß sich das Kind bei der Kombination von Einheiten in längeren Bildungen, seien es Laute in Wörtern oder Sätzen oder Wörter in Sätzen, für eine begrenzte Auswahl entscheiden, so kann es in anderen Fällen iür die Auswahl einer Einheit auch nur eine begrenzte Menge an Information verwenden. Gerade bei den Nebensätzen wurde immer wieder deutlich, daß in einer Übergangsphase Konjunktionen und Relativpronomen in längeren Sätzen fehlten, während sie in Kurzäußerungen realisiert wurden. Während semantisch-pragmatisch wichtige Fragewörter wie wo erschienen, konnten weniger wichtige wie was eher fehlen. Über Signalkooperation wird auch die allmähliche Schwerpunktverlagerung entscheidender Kriterien für die Auswahl einer bestimmten Form verständlich. Dies wurde in Kap. 5.2 am Beispiel der Substantivplurale beschrieben. Die lange Transitionsphase zwischen rein pragmatisch bedingten Äußerungen und syntaktisch regelhaften Bildungen ist darum so schwierig zu verstehen, weil kommunikative und formale Aspekte parallel Einfluß auf die kindlichen Produktionen ausüben und Chunks etc. nur den Anschein erwecken, das Kind habe eine bestimmte Konstruktion aktiv gebildet. Verständlich wird dieser Übergang allerdings, wenn Syntaxerwerb als langsames Wachsen in zielsprachliche Struktur gesehen wird. Dabei lassen die Verarbeitungsfähigkeiten zunächst nur kurze Sätze zu, die dann nach pragmatischen Gesichtspunkten konstruiert werden, oder längere holistische Äußerungen, die Quasi-Einheiten bilden, weil sie salienten und/oder hochfrequenten Input wiedergeben. Daraus kann das Kind Schemata ableiten. In allen sprachlichen und sonstigen kognitiven Bereichen ist die Fähigkeit vorhanden, aus dem Input frequenz- und salienzbedingt wiederkehrende Muster zu erkennen, zu abstrahieren, analogisch neu anzuwenden und Schemata, schließlich Regeln - starke Generalisierungen - entstehen zu lassen. Diese Blickweise erlaubt langsame Übergänge, individuelle Schwankungen, prototypisch-probabilistische, situationsbedingte Verteilung von 'richtig' und 'falsch', synchrone Variation und Flexibilität bei Sprachwandelprozessen. Wichtig jedoch ist, daß wir ohne die Annahme angeborener Regeln auskommen. Dem Input und der Gesprächssituation erkennen wir einen eigenen Stellenwert an. Wir lassen Einflüsse zwischen verschiedenen sprachlichen Bereichen zu und sehen Sprache als kognitive Fähigkeit. Dadurch wird der von uns vorgeschlagene Ansatz biologisch-evolutionärsgeschichtlich sehr plausibel.

8.2. Die zentrale Rolle des Lexikons Bevor wir uns die Einheit 'Wort' näher betrachten, sollen einige Bemerkungen zu gedanklichen Konzepten vorangeschickt werden. Über den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken gibt es verschiedene Auffassungen (vgl. den Überblick in Rice & Kemper 1984). Für Vertreter des Behaviorismus bilden Sprache und Denken eine Einheit. Konträr dazu ist es möglich, von zwei völlig verschiedenen Vorgängen auszugehen. Heute werden jedoch in der Regel Wechselwirkungen angenommen. Überlegungen zum Zusammenhang von Sprache und Denken wurden wesentlich von Jean Piaget beeinflußt, für den Denken zunächst unabhängig von Sprache geschieht. Er vertrat die Meinung, „daß es eine Logik der Handlungskoordinationen gibt, die weit grundlegender als die sprachbedingte Logik

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ist und den 'Aussagen' im eigentlichen Sinne weit vorausgeht" (Piaget 1993: 93). Trotz gelegentlicher Wechselwirkungen bleibt Sprache für das Denken sekundär. Im Gegensatz zu Piagets Auffassung einer egozentrischen Sprache im frühen Kindesalter ist sie für Lew S. Wygotski von Anfang an sozial und hat kommunikative Funktion. „Die Entwicklung des kindlichen Denkens verläuft nicht vom Individuellen zum Sozialisierten, sondern vom Sozialen zum Individuellen" (Wygotski 1986: XX). Wygotski glaubt, daß Sprache und Denken genetisch verschiedene Wurzeln haben und daß die Beziehungen untereinander sowohl phylo- wie auch ontogenetisch sich wandeln (ibd.: 74). Will ein Kind die Sprache entdecken, muß es denken. Sprache und Denken verlaufen zunächst unabhängig voneinander, bis sich beide schneiden und sich umstrukturieren. Dann wird Denken sprachlich und die Sprache wird intellektuell (ibd.: 90). „Wenn sich das Denken in Sprechen verwandelt, strukturiert es sich um und verändert sich. Das Denken wird im Wort nicht ausgedrückt, sondern erfolgt im Wort" (ibd.: 303). Piaget weist Zusammenhänge zwischen Sprache und Intelligenz zurück. Für Wygotski ist die Sprache ein grundlegender Faktor bei der Entwicklung der kindlichen Intelligenz. Sprache und Denken weisen enge Wechselbezüge auf. Auch wir gehen davon aus, daß Denken der produktiven Sprache vorausgeht, daß beides sich dann aber in enger Beziehung zueinander weiterentwickelt und sich wechselseitig fördert. Schließlich kann Denken und kognitives Wachstum weitergehen, wenn es längst keine Worte mehr gibt.1 Da es in der vorliegenden Arbeit um die Entstehung sprachlicher Struktur geht, kann auf die Bedeutungsentwicklung nur am Rande eingegangen werden. Es sei hier auf die umfangreichen Studien von Gipper (1985) verwiesen, der sich primär mit der inhaltlichen Seite des Spracherwerbs beschäftigt und dazu eine Fülle an deutschsprachigem Material liefert. Er verfolgt das Erlernen von Wörtern und Sätzen unter funktionalen und semantischen Aspekten. Seine Beobachtungen machen deutlich, „wie sich das angeborene kindliche Denkvermögen gleichsam an der Sprache, die das Kind erlernt, emporrankt [...] [und] daß neuerlernte Begriffe und Aussagemöglichkeiten das Denken erheblich verbessern" (Gipper 1985: 55f.). Gipper zeigt, daß die bereits verfügbaren Sprachmittel und die Lebensumstände des Kindes auf die Sprachentwicklung mit einwirken (ibd.: 78). Und auch Bruner (1987) betont die Relevanz der Situationszusammenhänge, speziell des Dialogs, für die Bedeutungsentwicklung. Die Formate stellen den Rahmen für den Übergang von vorsprachlichem Kommunizieren zur Sprache der Erwachsenen dar. Der Bewältigung der Gesprächsregeln mißt Bruner einen ebensogroßen Stellenwert für die Meisterung des Bedeutens zu wie den individuellen Fähigkeiten, Wahrnehmung und Lautimg mit inneren kognitiven Repräsentationen zu verbinden (Bruner 1987: 75). An dieser Stelle wird wieder deutlich, wie stark die unterschiedlichen sprachlichen Bereiche, sonstige kognitive Fähigkeiten und der außersprachliche Kontext beim Spracherwerb zusammenwirken. Wie genau Bedeutungen erworben werden, ist nicht geklärt. Verschiedene Untersuchungen lassen vermuten, daß Kinder bereits einige Konzepte gebildet haben, bevor sie ihr erstes Wort produzieren. Alles deutet darauf hin, daß sie in ihren ersten zwei Lebensjahren einige Konzepte zu Dingen der unmittelbaren Umgebung formen (vgl. Clark 1983: 1

und zwar in der kognitiv-spirituellen Entwicklung, wie sie in verschiedenen philosophischen Ansätzen beschrieben ist, vgl. die Schriften von Laotse und Buddha, aufgearbeitet und wissenschaftlich anaysiert von z.B. Wilber (1977,1980), Wilber, Engler & Brown (1986).

183 793, Huttenlocher & Smiley 1987), beispielsweise zu Personen, Tieren, Nahrung und Spielzeug. Die Kinder entdecken ihre Umwelt, bevor sie sich sprachlich äußern können (Gipper 1985: 174). Mit neun Monaten sind offenbar einige Konzepte zu Gegenständen ausgebildet (Clark 1983: 793). Bei den ersten Wörtern dürften die Kinder also schon über die entsprechenden Inhalte verfugen. Die Leistung des Kindes besteht darin, die Kategorien an die der Erwachsenen anzupassen. Das wird dadurch erleichtert, daß der kindliche Hypothesenspielraum offenbar durch gewisse Grundannahmen eingeschränkt wird (Markman 1989). Beispielsweise dürften Kinder davon ausgehen, daß Wörter für kohärente Kategorien von Objekten stehen (taxonomic assumption, Markman 1989, Clark 1993). Sie ordnen also nicht Schuhe mit Steinen und Pferden zusammen. Wörter stehen bei der Benennimg für ganze Objekte und nicht für Teilbereiche (whole object assumption, Markman 1989). Das heißt, daß Kinder die Benennung eines Babys auf die gesamte Person beziehen, nicht nur auf einen Arm oder auf die Windel des Babys. Außerdem konzentrieren sich Kinder auf die eigentlichen Dinge und nicht auf Bündel von Eigenschaften (Nelson 1974, Markman 1998: 63). Ein Gegenstand kann nicht mit mehreren Wörtern bezeichnet werden und Unterschiede in der Bezeichnung implizieren Unterschiede in der Bedeutung (mutual exclusivity, Markman 1989; principle of contrast, Clark 1993). Das fuhrt Kinder in einer frühen Phase des Lexikerwerbs zu der irrigen Annahme, Dackel können keine Hunde sein und eine Puppe kein Spielzeug, bewahrt sie aber in Zweifelsfällen vor Doppelbenennung. Die zusätzliche Bezeichnung von Enten durch Vogel wird zwar strikt verweigert, aber in der Regel ist das Prinzip, für ein Ding oder eine Gruppe von Dingen immer das gleiche Wort zu verwenden, äußerst hilfreich. Diese Grundannahmen werden nach und nach aufgegeben. Wie auch für den Strukturerwerb ist anzunehmen, daß beim Erlernen und Ausfeilen der Konzepte eingeschränkte Verarbeitungsfähigkeiten von Vorteil sind, da die Anzahl der Hypothesen durch die Grundannahmen niedrig gehalten wird. Denn Annahmen, die erst gar nicht gemacht werden, müssen auch nicht getestet und wieder verworfen werden. Das erinnert an die Ergebnisse von Elmans (1993) Untersuchungen zur Syntaxentwicklung (Kap. 1:3). Zu Beginn des Erwerbs waren - durch Verarbeitungsfilter oder inputbedingt - Daten von niedriger Komplexität nötig, um den Hypothesenspielraum gering zu halten. Es wäre sicherlich äußerst vielversprechend zu untersuchen, inwiefern es sich hierbei um ein generelles Prinzip der kindlichen Informationsverarbeitung handelt und inwiefern selektive Reizverabeitung und gefiltertes Angebot interagieren. Formale Kriterien wie strukturelle Einfachheit, Durchsichtigkeit der Bedeutimg, Produktivität (bei Neubildungen) und strukturelle bzw. die Häufigkeit betreffende Faktoren der Zielsprache beeinflussen den Erwerb früher Wörter. Clark (1993) untersuchte Konversion, Komposition und Derivation in Spracherwerbsdaten verschiedener Sprachen und zeigte, daß die Kinder deutlich sensibel gegenüber der Inputsprache sind. Je einfacher, transparenter und produktiver eine Bildungsweise in der Muttersprache ist, desto eher wird sie beim Erwerb aktiv verwendet (vgl. Kap. 7). Die Problematik bei der Untersuchung des Lexikerwerbs liegt zum Großteil darin, daß Konzept- und Worterwerb zu trennen sein sollten, aber kaum trennbar sind, sondern kombiniert geschehen und wohl voneinander abhängen. Wir gehen von der Annahme aus, daß vor der Produktion des ersten Wortes ein Kind über gewisse Bedeutungskonzepte verfügt, die nicht unbedingt mit denen der Erwachsenen übereinstimmen. Normsprachliche und kindersprachliche Lexeme sind in ihren Inhalten eher nicht deckungsgleich

184 (vgl. Gipper 1985: 131, Füssenich 1997: 91). Im weiteren Erwerbsverlauf werden über kontextuelle und syntaktische Informationen (z.B. Nomen begleitet von einem Artikel) die Konzepte genauer ausgebildet. Dabei dürften sie durch Nachbarkonzepte zu ihrem eigentlichen Bedeutungsumfang hin eingeschränkt werden (Barrett 1982, Elsen 1995c). In Elsen (1995c) wurde am Beispiel verschiedener Wortfelder gezeigt, wie Wörter nicht in Isolation, sondern im Zusammenhang mit sinnverwandten Wörtern unter Einfluß von kognitiven, phonologischen und pragmatischen Faktoren erworben werden. Zum Erwerb der ersten Wörter gibt es unterschiedliche Auffassungen. Clark (1973) geht davon aus, daß Kinder anfänglich nicht die gesamte Bedeutung eines Wortes kennen, wenn sie es benutzen. Bedeutungen von Wörtern können zunächst durch wenige semantische Merkmale repräsentiert werden. Ein Wort wird für alle Objekte benutzt, die diese Merkmale aufweisen. Clark glaubt, daß die allgemeinsten, auf perzeptuellen Eigenschaften beruhenden Merkmale zuerst erworben werden (z.B. VIERBEINIG bei Tieren). Mit der Zeit erkennt das Kind mehr Mermale, die die Bedeutung eines Wortes von anderen unterscheiden, und kann dann allmählich die in der Zielsprache akzeptierten Referenten den Wörtern zuordnen. Nelson (1974) geht von einer flexiblen kognitiven Organisation von Informationen zu Gegenständen und Sachverhalten als Basis aus. Für sie stehen intensionale, nicht wie bei Clark extensionale Aspekte von Wortbedeutung im Vordergrund. Kognitives Wissen entwickelt sich zunächst unabhängig von Sprache. Das Kind beginnt mit einem konzeptuellen Ganzen und analysiert es aufgrund der Beziehung zu anderen Konzepten. Dem gedanklichen Konzept wird zunächst ein Gegenstand auf der Grundlage dynamischer, funktionaler Eigenschaften zugeordnet (z.B. ROLLT bei Bällen). Nach funktionalen Eigenschaften erkennt das Kind perzeptuelle Merkmale und ordnet schließlich dem Konzept eine Wortform zu. Nelson betont, daß Gegenstände als Ganze unterschieden werden, nicht als Bündel von Merkmalen. Ein Konzept kann auf der Grundlage eines einzelnen Objekts gebildet werden. Das sind Annahmen, auf die auch die folgende Theorie aufbaut. Bowerman (1978) kritisiert die entweder perzeptuelle oder funktionale Ähnlichkeit als Grundlage kindlicher Klassifizierung, da das die Ansätze zu sehr in ihrem Anwendungsbereich einschränkt. Sie stellt fest, daß ein Kind zunächst Wörter meist in Zusammenhang mit einem einzelnen oder einer kleinen Gruppe sich stark ähnelnder Gegenstände hört und verbindet (immer dieselbe gelbe Spielzeugente in der Badewanne ist Ente). Die Produktion der ersten Wörter geschieht zunächst nur im Zusammenhang mit diesen prototypischen Gegenständen. Später wendet das Kind diese Wörter auch auf neue, regelmäßig ähnliche Dinge an, die ein oder mehrere Eigenschaften mit dem Prototypen gemeinsam haben, wobei es sich nicht um ausschlaggebende Merkmale handeln muß. Barrett (1982) versucht, die Vorstellung kontrastbildender Merkmale mit der Idee der Prototypen zu verbinden und will bisher vernachlässigte systematische Veränderungen in Wortfeldern erklären. Er glaubt, daß das Kind zunächst die Bedeutung eines Gegenstandes in Form eines prototypischen Referenten erwirbt. Dann erkennt das Kind einige der wichtigeren Merkmale des Prototypen. Die Bedeutung wird in Form von Prototyp und Basismerkmalen gespeichert. Das Kind gruppiert das Wort mit anderen Wörtern, die es bereits gelernt hat und deren prototypische Referenten ähnliche Attribute besitzen. Diese gemeinsamen Eigenschaften dienen als definierende Merkmale des Wortfeldes, zu dem das Wort nun gerechnet wird. Bei jedem Neuerwerb im Feld werden immer mehr kontrastierende Merkmale erkannt. Es ergeben sich Verschiebungen, denn Fehlanwendungen

185 können korrigiert werden. Ein Schaf heißt nur solange Hund, bis das Wort Schaf erworben ist. Die Betrachtung von A.s Tierbegriffen in Elsen (1995c) ergab, daß neben semantischen Faktoren und kognitiven Erkenntnisprozessen die Entwicklung der Wortfelder nicht ausschließlich als kontinuierliche Reorganisation mithilfe neu erkannter und dadurch einschränkender Merkmale erklärbar ist. Vielmehr wirken sich auch das kindliche Mitteilungsbedürfnis sowie artikulatorische Beschränkungen auf die Entwicklung der Wörter in einem Wortfeld aus, wenn Bezeichnungen für Dinge erfunden oder wenn die Wörter vermieden werden, weil die Aussprache zu schwierig ist. Zusammen mit der Untersuchung von A.s Nahrungsmittelbegriffen wie Ei, Kartoffel oder Tomate ergibt sich, daß die in den vorgestellten Ansätzen vertretene Auffassung, erst den prototypischen Kernbereich eines Ausdrucks zu erfassen, der durch wenige Merkmale gekennzeichnet ist und dann nach und nach durch Kontrastbildung spezifiziert wird, wenn verwandte Wörter im Lexikon erscheinen, um zwei Gedanken erweitert werden muß. Erstens ist der Gebrauch und Erwerb der Wörter im Wortfeld kognitiv, phonologisch und kommunikativ bedingt. Zweitens findet beim Erwerb eines Wortes nicht nur eine Reorganisation des Wortfeldes statt und damit eine Spezifizierung der einzelnen Bedeutungen aufgrund der Einschränkung durch Nachbarlexeme. Es kommt auch zu einer Erweiterung auf weniger typische Randbereiche. Das geschieht in Auseinandersetzung mit der Realität, wenn die Mutter neben ganzen auch zerteilte Kartoffeln benennt, die häufig als Mittagessen dienen. Das Kind kann sich bei Bedarf von der ursprünglichen Definition entfernen. Ein Bereich der kennzeichnenden Merkmale ist offenbar mal mehr, mal weniger relevant - verfaulte Kartoffeln sind nicht eßbar, Kartoffeln in Kirschgröße oder Pommes Frites sind auch Kartoffeln. Die herangezogenen Merkmale müssen also flexibel sein. Innerhalb eines Wortfeldes kann zusätzlich bei mangelndem Wissen Teilinformation geliefert werden. Ebenso können andere sprachliche Ebenen bei Defiziten ausgleichend wirken. Füssenich (1997) vermutet für frühe Wörter: „Selbst wenn das Wort eine exakte Gegenstandsbezogenheit zu haben scheint, bewahrt es in Wirklichkeit den engen Zusammenhang mit der praktischen Handlung und bezeichnet weiterhin noch nicht den Gegenstand, sondern irgendein Merkmal desselben" (Füssenich 1997: 91). Durch den Einbezug situativer Information wird mangelndes semantisches Wissen kompensiert. Das Kind, das einen schlechten oder falschen Prototypen wählt und damit eigentlich irrelevante Eigenschaften verbindet, kann in einem dynamischen Modell aufgrund der re/?a/>-Funktion der an das Kind gerichteten Sprache diese Fehlannahme korrigieren. In einem Netzwerkmodell ist es möglich, von der Aktivierung eines bestimmten Knotenmusters beispielsweise für 'Hund' auszugehen, das zunächst einmal bei einem bestimmten Hund - dem Prototypen - aktiviert wird, und noch nicht die Bedeutung des zielsprachlichen Begriffs reflektiert. Verwendet das Kind das Wort bei Tieren wie Katzen und Lämmern, so kann von einer Bedeutung wie 'Tier, vier Beine, weiches Fell, bestimmte Größe, etc.' ausgegangen werden. Nun spaltet sich bei einem neuen Lexem Katze das Aktivierungsmuster zumindest in einem Bereich auf, so daß verschiedene Repräsentationen für Hund (!) und Katze entstehen. Bei jedem neuen Tierlexem erfährt das sich entwikkelnde Wortfeld eine Reorganisation (Barrett 1983, Elsen 1995c). Der ursprünglich aktivierte Knotenkomplex differenziert sich. Auch bei der Untersuchung biologischer neuronaler Systeme wird vermutet, daß auf eine Gestaltverarbeitung die Differenzierung der Merkmale folgt (Pribram 1991, Brown 1996). Nach einiger Zeit sind regelmäßig aktivierte

186 Muster von Konzept zu Konzept zu erkennen. Merkmale in Form von wiederkehrenden Aktivierungsbereichen bilden sich aus. So wird zunächst eine Einheit auf der Konzeptebene verarbeitet, die durch wiederholte Aktivierung und ähnlichen, verwandten Input differenzierter verarbeitet wird und sich aufspaltet, bis Einheiten in Form von einzelnen Aktivierungsmustern entstehen, die Merkmalscharakter besitzen. Ein Konzept besteht dann aus einer spezifischen Struktur bestimmter Merkmalseinheiten als Aktivierungsmuster, das relativ stabil wiederholt werden kann. Insofern besitzt ein Konzept den Charakter einer Bedeutungseinheit mit Möglichkeit zur Dekomposition in bedeutungstragende bzw. -unterscheidende Merkmale. Gleichzeitig steht ein typisches, im Kernbereich stets auftretendes Aktivierungsmuster zur Verfügung, das einem Prototypen entspricht. Somit ist die doppelte Repräsentation gegeben von Prototyp und strukturiertem Merkmalskomplex, der gleichzeitig flexibel ist, um Veränderungen zuzulassen wie in Elsen (1995c) postuliert. In unserem Netzwerkmodell muß nun noch die semantische Ebene integriert werden:

Abbildung 8: endgültiges Netzwerkmodell Es ist zu beachten, daß nur einige wenige Verbindungen eingetragen sind, weitere gibt es etwa zwischen Phonologie und Phonetik, Pragmatik und Syntax etc. Skizzenhaft angedeutet ist, daß Laute und Lexeme zu größeren Einheiten aneinandergereiht werden. Wo immer Information fehlt, wird dies durch die Aktivierung der übrigen Bereiche kompensiert, da alle Gebiete miteinander in Verbindung stehen und Gruppen von Einheiten bei der Repräsentation verschiedener Konzepte beteiligt sein können (distribuierter Konnektionismus). So kann das Wissen pro Lexem individuell einmal von der lautlichen und einmal von der pragmatischen Seite her aufgebaut werden. Parallel zu der Entwicklung der Bedeutungsebene vollzieht sich die der Formebene. Recht früh bildet sich ein Unterschied zwischen Konsonanten und Vokalen aus. Dies ist auf anatomisch-artikulatorischer Basis zu verstehen als 'Auf-und-Zu' des Mundes bzw. 'Mit-und-ohne Hindernis' im Artikulationsrohr. Dafür stehen dem Kind für den Lautbe-

187 reich zwei erste Knotenbereiche zur Verfügung. Diese werden im Laufe des Lauterwerbs allmählich differenziert. Das Knotenmuster für 'Konsonant' spaltet sich in 'vorne/hinten', 'nasal/plosiv' etc., wie bereits von Jakobson (1944/1969) angenommen und wie es auch die Entwicklung bei A. vermuten läßt. Mit der Zeit entstehen auf diese Weise verschiedene Aktivierungsmuster, die phonetischen Merkmalen entsprechen. Für die Aktivierung eines Lautes werden sie in eigenen Kombinationen immer wieder aktiviert, so daß die Laute im phonologischen Bereich langsam den Status von Quasi-Einheiten erlangen und auf einer abstrakten Ebene als Phoneme bezeichnet werden können. Für die Produktion eines Wortes müssen die Laute in eine bestimmte Abfolge gebracht werden. Dabei ist nicht klar, wo die Reihenfolgeinformation im Netzwerk repräsentiert ist - auf der lexikalischen oder eher auf der Lautebene (zum Problem der Kodierung von Reihenfolgeinformation vgl. u.a. Berg in Vorb.). Schließlich wiederholt sich die Aktivierung mehrerer Laute, so daß für den Lautkomplex eine gewisse Selbständigkeit entsteht. Die Aktivierung wird ohne bewußte Steuerung und ohne Aufwand vorgenommen. Sie ist automatisiert und die Aufmerksamkeit kann anderen Prozessen gewidmet werden (zum Begriff der Automatisierung vgl. Stemberger 1985a). Gleichzeitig müssen bestimmte Aktivierungsmuster auf der formellen Seite mit solchen von der Bedeutungsseite gekoppelt werden (mapping). Das heißt, das für ein Lexem notwendige Aktivierungsmuster wird sehr komplex, da es über ein Knotengeflecht von der semantischen Ebene hin zur phonetischen Ebene reicht. Dabei werden auch die pragmatischen und prosodischen Bereiche aktiviert. Alle Seiten entwickeln sich nicht getrennt, sondern werden schon früh gemeinsam aktiviert, ohne daß das aktivierte Muster sehr nahe an die zielsprachliche Repräsentation reicht. Sowohl die phonetische als auch die inhaltliche Komponente eines Wortes entwickelt sich häufig über einen längeren Zeitraum hinweg. Beides wird um prosodische und pragmatische Information ergänzt, jeweils wieder als Erweiterung des Aktivierungsmusters. Das Kind kann ein Wort verarbeiten, auch wenn in einem Bereich kein Wissen zur Verfügung steht, wie wir am Beispiel Berg für fehlende inhaltliche und im Fall von Hubschrauber, Käfer etc. für fehlende oder stark unzureichende phonetisch-phonologische Information zeigten. Da Ebenen bei der Verarbeitung nicht 'übersprungen' werden, wurde daher keine hierarchische Anordnung der Bereiche gewählt. Ein Wort wird schließlich durch ein immer wiederkehrendes komplexes Aktivierungsmuster repräsentiert, das Informationen aus verschiedenen Bereichen beinhaltet und den Status einer Quasi-Einheit erlangt, was Stemberger (1985a) ähnlich beschreibt als Automatisierung eines „frequent word and its attendant mies as a higher-level Schema, thereby simplifying the production task" (Stemberger 1985a: 123). In einer frühen Phase des Erwerbs erlangen auch längere Strukturen Quasi-Einheiten-Status wie Amalgame oder Gestaltausdrücke. Für Schemata in unserem Sinne ist eine Verselbständigung der Rahmenstruktur anzunehmen, die teils flexibel füllbar, teils fest ist. Solche automatisierten bzw. teilautomatisierten Spracheinheiten setzen Verarbeitungsenergie in anderen Bereichen frei (gleichzeitiger Streit mit Geschwistern). Oder sie werden bei Müdigkeit, emotionaler Anspannung etc. als Ersatzformen, das heißt momentane Kompromißlösungen wegen reduziert zur Verfügung stehender Energie gebraucht. Wenn der Wortschatz anwächst, formieren sich Gruppen mit morphosyntaktischen (Wortarten / Kategorien) bzw. inhaltlichen und lautlichen Gemeinsamkeiten und Überschneidungen wie Plurale oder Partizipien. Ab einer bestimmten Gruppengröße kann ein Affix als semantisch-formeller Komplex erkannt und aufgrund bestimmter Umge-

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bungsinformationen einem bestimmten Wort zugeordnet werden. Es wurde wiederholt hervorgehoben, daß Regeln nicht unabhängig von sprachlichen Formen (vs. Stemberger 1985a: 109f.) und als abstrakte Symbole existieren (vs. Generative Grammatik). Vielmehr sind sie zu verstehen als Generalisierungen regelmäßig wiederholter sprachlicher Einheiten in Form von Aktivierungsmustern, seien es Lexeme, Morpheme oder sonstige Informationskombinationen. Auch Morpheme erhalten mit der Zeit den Status einer QuasiEinheit. Stemberger (1985a) hat in seinem Versprecherkorpus des Englischen gefunden, daß Affixfehler sich von anderen Fehlern mit Silben ohne eigene Bedeutung unterscheiden, „prefixes are 'chunked' into a unit that is separate from that of the base of the word, and can be retrieved as a unit" (Stemberger 1985a: 153). Dies galt auch für Suffixe. Der Zugriff auf ein Wort kann grundsätzlich über einen der vier im Modell dargestellten Außenbereiche erfolgen, von denen aus Verbindungen zu visuell-akustischen etc. und motorischen Bereichen existieren neben vielen Verbindungen zwischen verschiedenen Bereichen. Unser Modell ist neutral bezüglich der Verarbeitungsrichtung. Wir nehmen an, daß es sich prinzipiell stets um das gleiche Aktivierungsmuster handelt, ob ein Wort erst gehört wird und von der Formseite her aktiviert wird oder ob es erst gedacht und über die inhaltliche Ebene aktiviert wird. Allerdings kann ein nicht produziertes, sondern nur gehörtes Wort zu Beginn des Spracherwerbs über eine wenig ausgebildete formale Ebene verfügen. Manche rein imitierten Wörter weisen nicht die komplett aktivierte inhaltliche Information auf. Der Aufbau von Satzstruktur ist ebenfalls mit der Netzwerkvorstellung vereinbar. Bei der Verarbeitung von Sätzen können über Kombinations- und Serialisierungsbeschränkungen und Intonationsmarkierungen die Lexeme und Phrasen ermittelt und Wortstellungsregularitäten generiert werden, wie u.a. von Elman (1990 ff.) für Netzwerkmodelle gezeigt. Die verschiedenen sprachlichen Bereiche des Modells werden bei der Informationsverarbeitung nicht nacheinander behandelt. Die Aktivierung fließt gleichzeitig in allen Richtungen und Ebenen, so daß alle Einheiten immer teilweise mitaktiviert werden, sobald das System Informationen erhält. Es steht somit immer Information aus allen Bereichen zur Verfügung, die damit die Interaktion aller Bereiche möglich macht. Durch Feedback und netzwerkartige Verbindungen wird der Fluß der Aktivierungsenergie sehr komplex. Darum ist es derzeit noch nicht möglich, ein solches Modell in seiner Gesamtheit zu implementieren. Noch schwieriger wären Simulationen, die auch die Entstehung neuer Informationsbereiche nachvollziehen wollten. Darum wird nochmals betont, daß es in dieser Arbeit um die prinzipiellen Wirkungsweisen eines solchen Systems geht. In Kombination mit funktionalistischen Annahmen bilden sie die Grundlage unseres Ansatzes, der es ermöglicht, die vorgefundenen Daten in ihrer gesamten Komplexität zu erklären.

8.3. Flexibilität und Veränderung Die Parallelen zwischen Spracherwerb, synchroner Variation, Sprachwandel, Sprachkontakt und Sprachuniversalien sind teilweise so deutlich, daß ihnen ein eigener Band gewidmet sein sollte. Darum werden hier nur einige Beispiele aufgeführt, damit auch für sie die Vereinbarkeit mit unserem Ansatz skizziert werden kann.

189 Im Einvernehmen mit Hopper & Traugott (1993) vertreten wir die Ansicht, daß „children and adults do not contribute to change in fundamentally different ways" (Hopper & Traugott 1993: 209). Für beide gelten prinzipiell die gleichen Verarbeitungsprinzipien. Allerdings sind die Beschränkungen durch die sich erst entwickelnden Verarbeitungskapazitäten bei Kindern größer. In der Literatur gibt es einige vergleichende Untersuchungen zum Thema Sprachveränderung und Universalien, etwa die Arbeiten zur Natürlichkeitstheorie (z.B. Mayerthaler 1981, Wurzel 1984, Dressler 1987). Gemeinsamkeiten zwischen der Entwicklung der Grammatiken in den Sprachen der Welt und im Spracherwerb diskutiert Stephany (1992). Transitionen von synchroner Variation zum diachronen Wandel aus kommunikativer Sicht erörtert Ronneberger-Sibold (z. B. 1980, 1990). Die Entstehung syntaktischer Struktur aus dem Diskurs beschreibt Givon (1979a) anhand von Parallelen in diachronen, ontogenetischen, Pidgin/Kreol- und formellen/informellen Sprachveränderungsprozessen in verschiedenen Sprachen. Viele syntaktische Regularitäten der gesprochenen deutschen Sprache, die auch in mittelhochdeutschen Texten zu finden sind, stellt Sandig (1973) vor. Auf Parallelen zwischen Kindersprache und Diachronie bei der Wortbildung geht kurz Panagl (1977) ein. Locke (1983) vergleicht die Lautentwicklung verschiedener Kinder aus verschiedenen Sprachen mit Lautuniversalien.

8.3.1. Sprachwandel Für Rudi Keller (21994) ist Sprachwandel die notwendige Folge davon, wie wir unsere Sprache gebrauchen. Sprache ist „entstanden ohne Plan und Entstehungsabsicht aus den natürlichen Verhaltensweisen des Menschen" (ibd. 208). Insofern ist Sprachwandel ein Sonderfall soziokulturellen Wandels. Kellers Hypermaxime unserer Kommunikation lautet „Rede so, daß Du sozial erfolgreich bist, bei möglichst geringen Kosten" (Keller21994: 142). Wenden wir diese Maxime an, ergeben sich bestimmte Strategien. Dabei sind Erfolg und Mißerfolg wichtig sowie „Hypothesen über Partner-, Ziel- und Situationsadäquatheit" (ibd. 208). Wir kommunizieren, um die anderen zu beeinflussen. Weil wir uns dabei nur so viel wie nötig anstrengen wollen, werden die Sätze und Wörter eher kürzer. Mehrere Wörter, die häufig als benachbarte Einheiten vorkommen, verschmelzen. Selbstverständlich existiert auch ein lexikalischer Ausgleich für die Verständnissicherung, wenn eine Form so klein geworden ist, daß der Kommunikationserfolg gefährdet wird. Dann kommt es zu lexikalischen Anreicherungen und der Lautverlust wird lexikalisch-syntaktisch kompensiert (teilweise nach Lüdtke, ibd.: 149). Die widerstreitenden Bedürfnisse der Sprecherinnen und Hörerinnen fuhren zu Konflikten, die unterschiedlich gelöst werden und einen Grund für Sprachveränderung bedeuten. Ronneberger-Sibold als Vertreterin des Sprachökonomie-Ansatzes z.B. sieht als Motiv der Sprachbenutzer für Sprachwandel „das Streben nach einem Sprachsystem, das eine unter den gegebenen Umständen optimale Verteilung der Belastungen auf die verschiedenen Performanzbedürfhisse herbeiführt" (Ronneberger-Sibold 1980: 236). Ein verändernder Faktor sind gegenläufige Optimierungsausrichtungen der verschiedenen sprachlichen Ebenen, in der Natürlichkeitstheorie Natürlichkeitskonflikte genannt (z.B. Wurzel 1984). Natürlichkeitskonflikte äußern sich beispielsweise durch Varianten, die je nach Kommunikationssituation eher phonologisch oder eher morphologisch besser sind.

190 Eine solche Konstellation tritt im Deutschen bei den «»-Formen bestimmter Verben, so auch solcher des Typs leben und legen, auf. Nach der von den Aussprachewörterbüchern favorisierten Norm werden leben und legen als [le:ban] bzw. [le:gan] ausgesprochen. Doch der völlig unbetonte Vokal [a] tendiert zum Abbau. Dadurch ergeben sich die Formen [le:bn] bzw. [le:gij] mit einem silbischen n in der Endsilbe. Diese Formen sind - wie selbstredend auch die .vollen' Formen - morphologisch natürlich. Sie sind konstruktioneil durchsichtig, denn Basismorphem und Flexiv folgen aufeinander, und die Grenze zwischen den Morphemen ist ohne Schwierigkeiten auszumachen. Beide Morpheme bleiben voll intakt. Doch [le:bn] und [le:gn] sind nahezu unaussprechbar durch die in ihnen auftretende Kombination von labialem bzw. velarem Verschlußlaut und dentalem Nasal. So hat die Tilgimg des [a] die fast automatische Konsequenz, daß der Nasal in der Artikulationsstelle an den vorangehenden Verschlußlaut assimiliert wird. Es resultieren die Ausspracheformen [le:brp] und [le:gp], die phonologisch wesentlich natürlicher sind als die Varianten mit dem dentalen Nasal. Auch in ihnen sind Basismorphem und Flexiv noch deutlich voneinander abgehoben, die konstruktioneile Durchsichtigkeit bleibt. Die morphologische Natürlichkeit wird aber dadurch eingeschränkt, daß die Uniformität des Flexivs /n/ in der Verbalflexion beseitigt ist. Es erscheint lautlich nicht mehr nur als [n], sondern auch als [m] und [g]. Auch die Formen [le:brp] und [le:grj] [sie!] sind der Wirkung eines weiteren artikulatorisch bedingten phonologischen Prozesses unterworfen, durch den die orale Verschlußbildung in den Lautfolgen [bm] bzw. [gn] und damit der orale Verschlußlaut [b] bzw. [g] beseitigt wird. Infolgedessen entstehen die im Vergleich zu den .Vollformen' [le:ban] und [le:gan] maximal natürlichen Lautfolgen [le:m] und [le:g] mit [sJ-Tilgung, Nasalassimilation und Verschlußlauttilgung. Doch die Formen [le:m] und [le:g] zeigen zugleich ein Maximum an morphologischer Markiertheit, d.h. Unnattlrlichkeit. Es gibt keine konstruktionelle Durchsichtigkeit mehr, Basismorphem und Flexiv erscheinen gleichsam ineinandergeschoben. Des weiteren ist die Uniformität des Flexivs beseitigt. Es kommt dazu, daß auch die formale Einheitlichkeit des Basismorphems im Paradigma nicht mehr gegeben ist. Neben den Formen [le:b-] und [le:g-] (vor stimmlosen Konsonanten auch modifiziert zu [le:p-] und [le:k-]) erscheinen auch [le:(m)j und [le:(g)], vgl. ich [le:bs] — er [le:pt] — wir [le:m]. Den Sprechern des Deutschen stehen also jeweils vier verschiedene Varianten der Verbformen zur Verfügung, die sie in Abhängigkeit davon, ob die kommunikative Situation phonologisch natürlichere Formen erlaubt oder morphologisch natürlichere Formen erfordert, verwenden können. Ein Optimum an phonologischer und morphologischer Natürlichkeit zugleich ist jedoch nicht zu realisieren. (Wurzel 1984: 32f.). Die unterschiedlichen Bedürfnisse der Sprachbenutzerinnen - insofern ist Otmar Werners Prinzip des Bedürfniskonflikts aus der Sprachökonomie (z.B. Werner 1978, 1991) treffender die verschiedenen situativen Anforderungen und die divergierenden Natürlichkeitsprinzipien der sprachlichen Ebenen ergeben ständige Konflikte, die ein Ausbalancieren nötig machen und zu unterschiedlichen Lösungen führen. Dabei kann verlorengegangene Information der einen Ebene auf einer anderen wiedergegeben werden. Beispielsweise gleicht Verbmarkierung den Verlust der Substantivplurale aus. Fehlende formale Dativ/Akkusativ-Unterscheidung kann sich stattdessen in Stellung oder Präpositionen ausdrücken (Wurzel 1984: 179). Dieses Zusammenwirken und Einanderbedingen der sprachlichen Bereiche in Abhängigkeit von den Sprecher-Hörer-Bedürfnissen und den pragmatischen Rahmenbedingungen führt zu Variation und Sprachwandel. Ähnlich wird der Kommunikationsvorgang in der Sprachökonomie beschrieben „als das Zusammenspiel verschiedener psychischer und physischer Tätigkeiten mit verschiedenen, teilweise übereinstimmenden, teilweise einander widerstrebenden Anforderungen an die Sprachstruktur" (Ronneberger-Sibold 1980: 33). Das erinnert natürlich an unsere Idee der verteilten Information und an die ständigen Kompromißlösungen infolge des complexity / fluency trade o f f . Eine weitere grundlegende Annahme, die die Natürlichkeitstheore und unser Ansatz gemeinsam haben, ist die Vorstellung von graduellen Übergängen zwischen Kate-

191 gorien, die als Prototypen verstanden sein sollen (Mayerthaler 1987) sowie die Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes von Sprachuniversalien und historischem Wandel auf Veränderungen in der Kindersprache, Sprachkontakt und synchroner Variation etc. Durch diese Ausweitung und die Berücksichtigung von phonologie- und morphologieexternen Datenquellen wird versucht, den Begriff Natürlichkeit (Unmarkiertheit, Optimalität, etc.) zu stützen und zu begründen. An der Stelle bloßer Strukturbeschreibung soll ihre Erklärung gesetzt werden (Wurzel 1984: 195ff.). Aber es ist fraglich, ob dieses Ziel erreicht wird (vgl. auch Keller 21994: 155ff.). Der Begriff 'Erklärung' wird in der Bedeutung 'Voraussagbarkeit' gebraucht. In der Linguistik wird 'Erklärung' sehr häufig fehlinterpretiert. „While linguists do not shy away from the term 'explanation', they often use it either as a mere paraphrase of description or in a rather superficial sense" (Berg 1994: 1; zum Problem 'Beschreibung' vs. 'Erklärung' vgl. auch Ronneberger-Sibold 1980). Der Begriff 'Natürlichkeit' wird nicht deutlich definiert. Die Argumentation verläuft im Kreis - x ist natürlicher/besser als y, weil es weiter verbreitet ist, weil es leichter ist, weil es früher erworben wird, häufiger durch Wandel entsteht, relativ resistent gegenüber Veränderungen ist. Dann ist es auch weiter verbreitet. Früher Erwerb bzw. häufiges Auftreten resultieren aller Wahrscheinlichkeit nach aus den gleichen Bedingungen, die die artikulatorischen, neuronalen und kommunikativen Tatsachen schaffen. Was 'leichter' ist, ist durch motorisch-neurologische Untersuchungen feststellbar, mit psycholinguistischen Experimenten - oder mit Computersimulationen. Und das mag eine Erklärung liefern. Die Natürlichkeitstheorie kann nicht den Einzelfall erklären ('voraussagen'), wohl aber, so Keller (21994), den Trend. Nichtsdestoweniger wird hier betont, daß sich viele unserer Grundannahmen mit denen der Natürlichkeitstheorie decken. Zahlreiche Arbeiten zum Sprachwandel unter dem Aspekt der Natürlichkeit haben universelle Tendenzen aufgedeckt, die mit unseren Vorstellungen vereinbar sind. Auch das Modell der Grammatikalisierung betont pragmatisch-soziale Einflüsse und das Zusammenwirken der verschiedenen sprachlichen Bereiche und legt Arbeitsteilungslösungen wiederholt für diachrone Entwicklung offen. Wandel wird als ganz allmählicher Prozeß verstanden, bei dem verschiedene sprachliche Ebenen zusammenarbeiten. Sprache existiert im Diskurs. Dieser Ansatz betont das Zusammenspiel von Gebrauch und Struktur und die Nicht-Diskretheit vieler sprachlicher Eigenschaften (Hopper & Traugott 1993: xv). We define grammaticalization as the process whereby lexical items and constructions come in certain linguistic contexts to serve grammatical functions, and, once grammaticalized, continué to develop new grammatical functions (ibd.: xv, Hervorhebungen H. E.).

Dabei geht der Wandel häufig von der Umgangssprache aus. Lehmann (1991) gibt zahlreiche Beispiele für systematische umgangssprachliche Phänomene im Deutschen, die 'sprachwandelverdächtig' sind. In der Vergangenheit wurden vier Stadien für die evolutionäre Entwicklung grammatischer Formen vorgeschlagen (vgl. schon Humboldt und Meillet in Hopper & Traugott 1993: 19). Zunächst werden nur Dinge benannt ohne funktionales Verhältnis zueinander. Dann wiederholen sich bestimmte Reihenfolgeregularitäten, wobei einige Wörter bereits zwischen eher konkreter und eher formaler Bedeutung schwanken. Daraus entstehen Funktionswörter, die sich dann erst locker an Inhaltswörter binden ähnlich den Klitika. Aus solchen agglutinativ verbundenen Teilen entstehen synthetische Wörter. Einige

192 Funktionswörter werden selbständig. In diesem Prozeß geht sowohl formale als auch inhaltliche Information verloren. Wenn wir davon ausgehen, daß Information immer auf mehreren sprachlichen Ebenen gleichzeitig wiedergegeben wird, die sich ergänzen und bei Störungen kompensieren, ist verständlich, daß es auch zu dauerhaften Verschiebungen von Ebene zu Ebene kommen kann, wenn sich die Bedingungen dafür wiederholen. Es kann sein, daß bei diachronem Wandel strukturelle Information durch segmentale ersetzt wird (Lehmann 1995: 6ff.). Häufig ist eine Veränderung der Bedeutung in ganz bestimmten Zusammenhängen beobachtbar, beispielsweise engl, let 'erlauben' im Imperativ > let's 'laß(t) uns' > lets 'herablassende Ermutigung durch den Sprecher'. Die Bedeutung wurde allgemeiner in einem bestimmten Kontext (Hopper & Traugott 1993: 1 lf.). Die Sprachwandelerscheinungen, die unter dem Grammatikalisierungsansatz aufgeführt sind, stellen häufig eine Automatisierung in einem Bereich dar, der für die Hörerinnen mit dem Verlust von Information einhergeht, die wiederum durch das System bzw. durch den kontextuellen Zusammenhang verfügbar ist. Die Enstehung von (grammatischer) Struktur aus dem Diskurs im Spracherwerb hat Parallelen im Sprachwandel. Dies soll im Folgenden am Beispiel syntaktischer Regularitäten und der Entstehung grammatischer Wörter (function words) und neuer Formen illustriert werden. Ein Beispiel für die Entstehung von Flexionsendungen ist die der 2. Person Singular im Deutschen. Im Ahd. wird eine der drei Endungen für die 2. Person Singular, das s-Flexiv, zu -st. „Ausgangspunkt dafür dürfte das enklitisch angefügte Pronomen thu/du sein: lisistu, suachistu." (Wolf 1981: 202). Eine Parallele hierzu bilden umgangssprachliche Formen wie haste 'hast du', biste 'bist du', kannste 'kannst du', die in der Kindersprache auch sehr verbreitet sind und dort oft wie ein Wort verwendet werden, vgl. de Bommel haste de Bommelmütze, 1;9,21. Im Bairischen sind solche klitischen Pronomen bereits als Affixe interpretierbar (Altmann 1984). Die gegenläufige Entwicklung, bei der Information der Flexive von Funktionswörtern übernommen wird, finden wir ebenfalls in der Geschichte des Deutschen. In der Natürlichkeitstheorie wird wiederholt das Zusammenwirken oder besser gesagt Gegeneinanderwirken unterschiedlicher Optimierungsziele bei Sprachveränderungen gezeigt. Sehr häufig kommt es, wohl nach einiger Zeit der Variation, zum Verlust phonetischer Substanz. Verlorengegangene Information wird dann über eine andere sprachliche Ebene wiedergegeben. Wurzeis Beispiel der synchronen Variation zwischen morphologisch durchsichtigem [lebsn] und phonetisch kurzem [lern] hat noch zu keinen Konsequenzen im gegenwärtigen Flexionssystem des Deutschen geführt. Sprachgeschichtlich aber zog der Endungsverfall, hervorgerufen durch den Wechsel von einem freien idg. Wortakzent zum Initialakzent im Germanischen, den Verlust morphologischer Information nach sich sowie eine Verschiebung im Stellenwert des Umlautes - zunächst nur eine umgebungsbedingte Variante der nichtumgelauteten Phoneme übernahm er schließlich morphologische Funktion und markiert heute häufig allein den Plural. Der Umlaut und der Endsilbenverfall führten zu sehr komplexen Umstrukturierungen im Flexionssystem des Deutschen. Wir stellen nun kurz die Abschwächung der Nebensilbenvokale im Ahd. und einige damit zusammenhängende Entwicklungen dar, beispielsweise die Grammatikalisierung des

193

Umlauts und den Ausbau des Artikel- und Pronomengebrauchs (vgl. ausführlich Wolf 1981). Im Vorahd. fand bereits die Entwicklung *gast/gasti > ahd. gast/gesti 'Gast/Gäste' statt. Durch das /i/ in der Folgesilbe entstand assimilatorisch das Id. Im Ahd. gab es noch Vollvokale in den Flexionsendungen (Formen nach Paul et al. 241998, Braune & Eggers I4 1987, Wolf 1981, Krähe & Meid 1969), vgl. die starke Maskulinflexion wurm, wurmes, wurme, wurm(i)u ('Wurm' im sg. - Nom./Akk., Gen., Dat., Instr.) und wurmi, wurmß)o, wurmim ('Würmer' - Nom./Akk., Gen., Dat.). Wahrscheinlich wurde im Ahd. in schwachtoniger Position zuerst die Opposition zwischen /i/ und /e/ bzw. zwischen /u/ und /o/ zugunsten des zentraleren /e/ bzw. /o/ aufgegeben. Dann folgten weitere Neutralisierungen zu hl (Wolf 1981: 60). Im Mhd. lautete die Deklination wurm, wurmes, wurme, ('Wurm' im sg. - Nom./Akk., Gen., Dat., -) und würme, würme, würmen ('Würmer' Nom./Akk., Gen., Dat.). Der umlautauslösende Vokal der Endsilben ist zu h l abgeschwächt. Der Umlaut bleibt und erhält Phonemstatus, da die umlautauslösende Umgebung nicht mehr als solche erkannt werden kann. Ursprünglich distinktive Formen fallen zusammen, denn im Mhd. gibt es nur noch das hl in den Endungen. Die Kasusmarkierung ist nicht mehr eindeutig, vgl. auch die schwachen Feminina im Ahd. zungün, zunzöno, zum dm ('Zungen' - Nom./Akk., Gen., Dat.) mit mhd. die zungen der zungen, den zungen. Kasusunterschiede werden nun durch Artikel ausgedrückt. Schließlich ist Umlaut in vielen Fällen das einzige Pluralsignal, vgl. nhd. Vater/Väter, Mutter/Mütter. Die ehemalige Lautvariante hat heute den Status eines Morphems. Phonemisierung und Morphologisierung hängen eng zusammen. Entweder führten das Wegfallen der umlautmarkierenden Umgebung und die Grammatikalisierung des Umlautes zu seiner Phonematisierung, oder der Umlaut hatte bereits vorher Phonemstatus erreicht (z.B. RonnebergerSibold 1990; zur Entwicklung des Plurals vgl. auch Werner 1969). Bei den starken Verben entstehen im Konjunktiv/Optativ ebenfalls soweit möglich umgelautete Formen, vgl. ahd. wurfi, wurfls(t), wurfi, würfln, wurflt, wurflt, mhd. würfe, würfest, würfe, würfen würfet, würfen ('werfen', Opt./Konj. Prät.) Durch die Schwächung der Endsilben fallen die Endungen zusammen, vgl. die mhd. Formen im Ind. und Konj. Prät. im Plural, ahd. warf, wurfi, warf, wurfum, wurfut, wurfun, mhd. warf, würfe, warf, würfen, würfet, würfen ('werfen', Ind. Prät.). Bei den schwachen Verben kommt es nicht zu umgelauteten Formen. Ind. und Konj. Prät. unterscheiden sich nicht mehr im Mhd. Auch im Präsens findet die Abschwächung der Flexive statt. Der Endsilbenverfall führt zu Verlusten im Formenbestand, vgl. ahd. suochis 'du suchst', suochä 'du suchest, mögest suchen' (Opt./Konj. Präs.), suochtös 'du suchtest', suochtä 'du würdest suchen' (Opt./Konj. Prät.), die im Mhd. zu suoches (Präs.) bzw. suochtes (Prät.) werden. Heute tritt der Konjunktiv II häufig als Ersatz für Konjunktiv I auf und wird in wenigen Fällen durch Vokalwechsel ausgedrückt (ich komme / ich käme). Wesentlich häufiger aber ist die Umschreibung mit würde (ich komme / ich würde kommen). Pronomen markieren Person und Numerus (zur Ind./Konj.-Entwicklung vgl. auch Werner 1965). Bei der Entstehung der Endung für die 2. Person Singular wird im Ahd. aus einem Funktionswort ein Flexiv. Die wegen des Akzentverlustes erfolgte Reduktion bzw. Tilgung der idg. Flexionsendungen bewirtete, daß die grammatische Leistung der meisten Flexive heute durch Vokalwechsel sowie Pronomen, Artikel und andere analytische Bildungen übernommen wird. Dabei dürften Kausalzusammenhänge wechselseitig gewirkt haben. Wolf (1981) vermutet, daß der Gebrauch der Artikel und (Subjekt)Pronomen aus textsyn-

194 taktischen Gründen forciert wurde und die Endsilbenabschwächung begünstigte (Wolf 1981: Kap. 3.2). Er sieht die Veränderungen im Ahd. in einem größeren, (sprach)historischen Zusammenhang, indem er zu bedenken gibt, daß „die Auseinandersetzung mit einer neuen, differenzierteren Umgebung auch neue, differenziertere Ausdrucksmöglichkeiten notwendig macht. Und hier bieten sich analytische Formen geradezu an" (ibd.: 86). Wir sehen, daß die verschiedenen sprachlichen Aspekte - Phonologie, Morphologie, textueller Zusammenhang - interagieren und sich gegenseitig ausgleichen können, falls Information in einem Bereich verlorengeht. Bei der Besprechung der Kinderäußerungen haben wir bereits gezeigt, wie situativpragmatische Information nach und nach versprachlicht wurde. Subjekt-bezogenes Sprechen löste langsam Thema-bezogenes ab. Viele Beispiele der Kindersprachdaten zeigen Varianten, die teils eher morphosyntaktische, teils eher phonologische Information wiedergeben, vgl. (204 a, b vs c, d). (204) a. b. c. d.

[bäpaisW'o], 1;3,12 [bäpaiz"5iz"'dä], 1;3,18 [nainbapa], 1;3,16 [päpa da näin], 1;3,25

Das Alternieren entsteht nicht durch gegensätzliche Optimierungsdrifts, die situationsabhängig zu verschiedenen Lösungen führen, sondern durch die Notwendigkeit, wegen Verarbeitungsbeschränkungen nicht alle Information kodieren zu können und daher wählen zu müssen. Kinderäußerungen zeigen auch, daß noch nicht kodierte Information (im Gegensatz zu nicht mehr kodierter Information wegen lautlicher Verluste bei Erwachsenen) deutlicher morphologisch oder durch zusätzliche Lexeme wiedergegeben wird, vgl. Besitzanzeige durch Verbalisierung von Besitzer und Besitz in (205 a, b) und durch zusätzliches haben in (205 c, d), oder Aufforderungen im Infinitv oder durch Imperativ (206 a, b vs. c, d, e). (205) a. b. c. d.

[moni da9a] Moni/s Tasche, 1;6,17 [papa bt:pa] Papa/s Bücher, 1;6,20 [mikimauis hat binia] Micky Maus hat Brille, 1; 10,0 [hata Juia haia häzs] hatter Schuhe hatter Hase, 1; 10,18

(206) a. b. c. d. e.

[zirpn, mama zigan ] singen, Mama singen, 1;6,21 [die Mutter soll singen] [ötäxan] suchen, 1;7,30 [Mutter soll neue Öltücher holen] [tük, gip hant!] Tag, gib Hand, 1;9,12 [mal nox bot] mal noch Boot, 1;9,21 [gip mi" öipa!] gib mir Schippe, 1;9,21

Verlust von phonologischer Information und damit Flexionsendungen führte in der Geschichte des Deutschen zu Morphologisierung des Umlautes und Entstehung freier gram-

195 matischer Elemente und weiterer analytischer Bildungen. In anderen Fällen kann es stattdessen auch zu syntaktischen Veränderungen kommen. Syntaktische Regularitäten wiederum können auch pragmatische Information ersetzen. Hopper & Traugott (1993: 19) vermuten, daß bei der Entstehung syntaktischer Struktur zunächst die Beziehungen zwischen den versprachlichten Gegenständen von den Hörerinnen aus dem Gesprächszusammenhang geschlossen wurden, bevor die Wortstellung langsam fest wurde. Der Beginn dieser Entwicklung erinnert an die frühe Phase des Erstspracherwerbs, in der Wörter ohne Reihenfolgebeschränkungen aneinandergereiht werden und der Zusammenhang zwischen den Wörtern und dem Kontext von den Müttern oder anderen Bezugspersonen ergänzt werden muß. Auch für Sätze gilt beim Erwerb, daß parataktische Verbindungen eher indirekt zusammenhängen. Bei Erwachsenen kommen in informeller Rede kaum Strukturen vor, die spät erworben werden. Also ist Subordination deutlich seltener als in formeller Rede, für das Englische 7% gegenüber 20% (Ochs 1979). Zusammenhänge zwischen Sätzen werden in informeller Rede aus dem Kontext abgeleitet. Sandig (1973) hebt die Häufigkeit kurzer nebengeordneter Sätze mit inhaltlicher Zusammengehörigkeit in spontaner Sprechsprache des Deutschen hervor. Sie begründet das mit einer Entlastung des Kurzzeitgedächtnisses von Sprechern und Hörern (Sandig 1973: 49). Dies kann aber auch damit erklärt werden, daß die natürlichen Einheiten gesprochener Sprache intonatorische sind. Die meisten dieser intonatorischen Einheiten sind komplette Einzelsätze, die übrigen zumeist Satzfragmente (für das Englische Chafe 1988: 3, 24). Parataxe im Gegensatz zu Hypotaxe ist also aus sprechpraktischen Gründen vorzuziehen. Lehmann (1988) faßt die wichtigsten Aspekte für die Entstehung komplexer Sätze in den Sprachen der Welt zusammen. Ausgangsbasis ist also der Diskurs, ob für syntaktische Strukturen (Matthiessen & Thompson 1988, Hopper 1987, Givon 1979a, b, Sankoff & Brown 1976), Kategorien wie Nomen und Verb (Hopper & Thompson 1984) oder speziell für Subjekt aus Topik/Thema (Givon 1979a, Mithun 1991). Zunächst werden nur Einzelsätze geäußert, deren Zusammenhang aus dem Kontext erschlossen wird. Dies wiederholt sich und ermöglicht Automatisierung. Gleichzeitig muß das Verständnis gesichert werden. Darum wird trotz größerer Anstrengung beim Sprechen der logische Zusammenhang morphosyntaktisch verbalisiert. Dies automatisiert sich und schlägt sich in Reihenfolgetendenzen nieder, die bei wenig Flexion zu Regularitäten werden. Es bleibt Verarbeitungsenergie übrig, um pragmatisch-intentionale Information anders auszudrücken, die Sätze noch komplexer werden zu lassen (oder faul zu werden). In seinem Aufsatz von 1974 beschäftigt sich Vennemann mit Wortstellungsveränderungen von Verbletzt- zu Veibzweitstrukturen und schlägt folgende Kausalkette vor. Die ursprüngliche SXV-Reihenfoge (Subjekt - Verbkomplemente - finites Verb) hat zwei Vorzüge gegenüber anderen Serialisierungsmöglichkeiten. Erstens steht der bevorzugte Kasus für Topik/Thema, das Subjekt, satzinitial. Zweitens ist das Verb am Satzrand, „where its Position is defined relative to the beginning or end of the sentence rather than relative to a dependent element" (Vennemann 1974: 13). Informationen zu Tempus, Aspekt oder Modalität können an das Verb gehängt werden, ohne die Proposition, die durch SXV ausgedrückt wird, zu unterbrechen. Beide Vorteile vereinigen sich in SXV-Strukturen. Die bevorzugte Kodierung von Thematizität ist die Initialstellung. Bei Verbletztstrukturen sind aber topikalisierte (also initiale) Nominalphrasen ambig hinsichtlich Subjektbzw. Objektstatus. Um die beiden zu unterscheiden ist folglich Kasusmarkierung erforder-

196 lieh. Wenn in solch einer Sprache durch (phonologischen) Wandel die morphologische Markierung geschwächt wird und nicht mehr distinktiv ist oder sogar ganz verlorengeht und kein neues Kasussystem entsteht, muß die Wortstellung geändert werden, so daß Subjekt und Objekt unterschieden werden können. Vennemann meint, daß dann eine SXV-Sprache zunächst eine TVX-Sprache wird, (T bedeutet Topik, unser Thema). Dabei trennt das finite Verb das Topik/Thema deutlich vom Rest des Satzes ab. Im nächsten Schritt spezialisiert sich das Topik/Thema auf den bevorzugten Kasus, das Subjekt. Wir haben eine SVX-Sprache. Falls zwischenzeitlich ein neues Kasussystem entstehen sollte, entwickelt sich die Sprache wieder zurück zu einer SXV-Sprache. Die Enstehung von SVX-Strukturen fand in der Geschichte verschiedener westlicher idg. Sprachen statt (vgl. dazu und zu anderen Sprachen, für die die Entwicklung wohl noch nicht abgeschlossen ist, Vennemann 1974: 16f.). Die Spracherwerbsdaten zeigen zunächst den Zustand des noch sehr unreifen Kindes, das erst nur einzelne Wörter produzieren kann und damit das für das Kind Wichtigste verbalisiert. Es folgen Zweiwortsätze, in denen teilweise über Schemata die zielsprachliche Reihenfolge wiedergegeben wird. In analytischen Sätzen folgt auf das Wichtigste das Nächstwichtigste. Wenn die Produktionslänge wächst, geht das Kind dazu über, das Thema zu verbalisieren und anschließend den Kommentar zu ergänzen. Das ist in etwa der Zustand, der sich mit Vennemanns TXV-Stellung vergleichen läßt, bei A. eher T(X)V, vgl. (207). (207) a. b. c. d. e. f. g

Puppe weint, 1;6,14 Kind sitzt, 1;6,5 Papa auch trinken, 1;7,5 André auch weint, 1;7,5 das der Oma geben, 1;10,6 das da Frau geb, 1; 10,25 ['das da geb ich der Frau'] Gurke A. Mund stecken, 1; 10,28 [sie steckt sich ein Stück Gurke in den Mund]

Nach und nach löst sich das Kind von pragmatisch motivierter Stellung und übernimmt formale Kriterien zur Kennzeichnung des Subjekts. Ab 1;9 ist das Subjekt zu 50% satzinitial zu finden, ein paar Wochen später zu etwa 60%, was der Zielsprache entspricht. Fehler bei der Subjekt/Verb-Kongruenz sind sehr selten (vgl. Kap. 6.3.1). Es zeigt sich, daß wachsende Produktionskapazitäten im Anschluß an Zweiwortsätze schließlich die Kodierung von Kongruenz ermöglichen, so daß eine rein pragmatische Serialisierung von der zielsprachlichen Reihenfolge abgelöst werden kann und Subjekt-orientiertes Sprechen an die Stelle von Thema-orientiertem Sprechen tritt. Durch den Gebrauch morphologischer Information können sich die Kinder von unmittelbaren Kontextzusammenhängen lösen. Beim Sprachwandel muß bei Verlust der Morphologie wieder pragmatisches Wissen berücksichtigt werden, bevor neue Morphologie oder die Wortstellung die Unterscheidung Thema-Kommentar bzw. SX übernimmt. Die sprachgeschichtliche und die kindersprachliche Entwicklung zeigen, wie Information entweder pragmatisch, morphologisch oder syntaktisch markiert werden kann. Durch Abnützung (Verlust der Endungen) bzw. unterschiedliche Optimierungsdrifts (vgl. die Natürlichkeitstheorie) kommt es sprachgeschichtlich zu Wandel. Bei den Kindern bewir-

197 ken zunehmende Verarbeitungskapazitäten Veränderungen und eine Verlagerung der Kodierung von der pragmatischen auf die formale Ebene. Ein weiteres Beispiel von Wandel ist die Entstehung von Funktionswörtern aus selbständigen lexikalischen Elementen, hier anhand der Präpositionen illustriert. Präpositionen sind nicht flektierbar, nicht satzgliedfähig und bestimmen den Kasus ihrer Bezugswörter. In der Literatur ist vielfach die Einordnung der Präpositionen als geschlossene Klasse zu finden. Das geschieht aufgrund folgender drei Eigenschaften. Zum einen sind sie Funktions-, Struktur- bzw. grammatische Wörter. Sie kennzeichnen also grammatische Beziehungen im Satz. Zum anderen haben sie geringe oder keine lexikalische Bedeutung. Drittens ist ihre Menge begrenzt und zeigt in einer Sprache kaum diachrone Veränderungen. Zwar haben Präpositionen strukturelle Eigenschaften, indem sie nämlich syntagmatische Beziehungen kennzeichnen. Sie verfügen aber auch über Bedeutung, da sie räumliche, zeitliche usw. Verhältnisse ausdrücken oder übertragen gebraucht sind. Daß es sich aber bei den Präpositionen um eine begrenzte Menge an Wörtern handelt, soll hier infrage gestellt sein (vgl. auch Rauh 1990: 34). Einige Grammatiken geben die Menge der deutschen Präpositionen zwischen 27 und etwa 200 an (z.B. Zifonun, Hoffmann, & Strecker 1997: 2075ff.). Schon dies läßt von der Vorstellung, es handle sich bei den Präpositionen um eine geschlossene Klasse, Abstand nehmen. Die Gruppe der Präpositionen ist im Laufe der Sprachgeschichte stets durch Partizipien und Nomen wie während, dank oder anhand erweitert wordea Daneben gab es auch immer Entlehnungen wie pro, a, vis a vis. Einige der ursprünglichen Adverbien werden mittlerweile nur präpositional gebraucht (bei, hinter, zu). Beispiele wie an, bis, über, außerhalb, entlang, ausgenommen fungieren vorwiegend, wieder andere gelegentlich als Präposition, z.B. links, nördlich, seitab. Ansonsten werden sie adverbial gebraucht (Benes 1974: 33, Dudengrammatik s1995: 375). Neue Präpositionen werden gerade heute aus Präpositionalphrasen gebildet. Nach Benes (1974, kritisch diskutiert in Lindqvist 1994) können Präpositionalphrasen zu Präpositionen uminterpretiert werden, wenn es das Nomen nur in dieser festen Fügung gibt (in Anbetracht vs. * der Anbetracht) oder wenn sich das Nomen durch eine veränderte, allgemeinere Bedeutung auszeichnet (an Hand 'mit Hilfe' vs. an der Hand halten). Ein weiteres Kriterium ist, daß das Nomen nicht durch ein Attribut, Possessivpronomen oder einen vorangestellten Genitiv erweitert werden kann (im Laufe der Zeit vs. *im schnellen Laufe der Zeit). Die Konstruktion wird regelmäßig und stabil zur Bezeichnung einer Beziehung verwendet (mit Hilfe des Buches / des Freundes / des Hinweises) und ist nicht selbständig am Sinnaufbau des Satzes beteiligt, sondern nur zusammen mit dem regierten Nomen, das damit nicht mehr als Attribut einzuordnen ist (im Hinblick auf die inhaltliche Nuancierung ( = Adverbialbestimmung) vs. auf Wunsch des Publikums ( = Adverbialbestimmung + Attribut)). Ferner sollte die Präpositionalphrase bedeutungsgleich mit einer einfachen Präposition sein (im Vergleich zu früher - gegenüber früher). Laut Lindqvist (1994) sind all diese Kriterien für eine saubere Trennung zwischen Präpositionen und Nicht-Präpositionen nicht ausreichend, da es stets zu Zwischengruppierungen kommt. Präpositionen lassen sich nicht ohne weiteres von solchen Ausdrücken abgrenzen, die keine Präpositionen sind. Schon Behaghel (1924: 23) verweist darauf, daß eine völlig strenge Scheidung zwischen Präposition und Adverb nicht durchzufuhren sei. Lindqvist schlägt daher statt

198 einer klassifizierenden Ordnung eine Skala vor, die das graduelle Verhältnis der sprachlichen Zeichen zum Ausdruck bringt. Zwei häufig in der Literatur zu findende Kriterien, das Nomen müsse klein (von seifen, zu seiteri) oder die ganze Fügung müsse zusammengeschrieben werden (infolge, zufolge, inmitten), sind eher als soziolinguistische Informationstests zu verstehen. Denn die Rechtschreibung kann als Indiz dienen für die Bewertung einer Wortgruppe als Präposition von seiten der Sprachbenutzer (Benes 1974: 34). Den fließenden Übergang zwischen Nicht-Präposition und Präposition können wir zur Zeit selbst in Texten geschriebener Sprache beobachten. Verschiedene Grammatiken, Wörterbücher und Fachaufsätze beispielsweise zeigen ein uneinheitliches Bild in der Behandlung und Schreibung von Präpositionen bzw. präpositionsartigen Gruppen. An Hand ist für Benes (1974), Burger, Buhofer & Sialm (1982) und die Dudengrammatik ( 5 1995) eine präpositionsartige Fügung, für Eisenberg (21989) und Engel ( 2 1991) eine Präposition. Teilweise werden mehrere Schreibungen akzeptiert wie bei Benes (1974) anhand, an Hand. Teilweise wird eine Einheit mehrfach klassifiziert wie in der Dudengrammatik anstelle. Häufig scheinen sich die Entscheidungen nach der Schreibung zu richten, wenn Beispiele, die zusammengeschrieben werden, als Präpositionen klassifiziert sind, bei Getrenntschreibung als präpositionsartige Fügungen (Meibauer 1995b, Schröder 1986). Das ist aber nicht immer so. Zufolge ist für Benes (1974) präpositionsartig, mit Hilfe, auf Grund sind für Engel (21991) Präpositionen. Ohne Stellung beziehen zu wollen wird doch deutlich, daß die Sprachbenutzer unterschiedliche Grade der Univerbierung empfinden und in der Schrift ausdrücken. Einige Beispiele haben bereits eine selbständige Bedeutung wie aufgrund 'wegen' oder anstelle 'statt'. Andere geben noch die Bedeutung der eigentlichen Präpositionalphrase wieder, z.B. zulasten. Die Einordung der Bildungen als bereits Präposition oder noch Halbpräposition erfolgt nicht einheitlich. Es handelt sich nicht um eine geschlossene Klasse (Rauh 1990, Meibauer 1995b, Lindqvist 1994). Auch die einzelnen Schritte sind von Konstruktion zu Konstruktion unterschiedlich. So haben wir bei auf Grund und mit Hilfe den direkten Übergang zur Zusammenschreibung. Bei in bezug oder von seiten stellen wir den Zwischenschritt der Kleinschreibung des Substantivs bei Getrenntschreibung fest. Die Schwankungen in der Klassifikation und in der (alten) Rechtschreibung zeigen an, daß wir es hier mit einem Wandel zu tun haben, der gerade im Moment stattfindet und bei dem aus Präpositionalphrasen Ausdrücke mit selbständiger Bedeutung entstehen, die entsprechend zu neuen Wörtern zusammenwachsen. Nun stellt sich die Frage, wie es zu dieser Entwicklung kommen kann. Zunächst einmal ist ein gewisses kommunikatives Bedürfnis wahrscheinlich, die bereits vorhandenen Ausdrucksmöglichkeiten noch zu verfeinern und die Bezeichnung von Beziehungen zu differenzieren (Zifonun et al. 1997: 2076). Weiterhin sind für neue Formen ihre übertragene Bedeutung und ein gemeinsames formales Muster typisch (Lehmann 1991). Die kontextuellen Beschränkungen neuer Präpositionen wurden wiederholt betont (vgl. Wellmann 1985, Schröder 1986, Lehmann 1991). Präpositionalphrasen sind als Präpositionen weniger fest als die eigentlichen Präpositionen in das Gesamtsystem integriert. Das zeigt sich beispielsweise daran, daß sie weniger oft auftreten und häufig stilistischen Beschränkungen unterliegen. Die Bedeutung des Nomens sowie der Präposition schwingen in bestimmten Gebrauchsweisen mit. Zwar dienen solche Präpositionalphrasen der Verdeutlichung der Relationen. Sie wirken aber oft umständlicher als die alten Präpositionen. Präpositio-

199 nalphrasen als Präpositionen werden häufiger dort verwendet, wo es auf spezifische Bedeutungseigenheiten ankommt wie im juristischen und Verwaltungsbereich (Schröder 1996: 250). Die besonderen semantischen Eigenschaften solcher Fügungen ermöglichen eine „intensivere Kondensierung der Sprachinhalte" (Benes 1974: 45). Mit den Präpositionalphrasen kann man statt der alltagssprachlichen verbalen Prädikation die nominale Ausdrucksweise verwenden, die inhaltlich komprimierter und für bestimmte Textsorten erforderlich ist (Benes 1974: 45). Da Neuprägungen zunächst nur im Zusammenhang mit der Äußerungssituation verständlich sind, breiten sie sich anfangs von diesen eng begrenzten Kontexten erst allmählich zu allgemeineren Gebrauchssituationen hin aus. Ein klarer, eingeschränkter Kontext ist zunächst nötig, um eine neue übertragene Bedeutung zu erschließen. Erst mit der Zeit kann sich dann die neue Bedeutung etablieren, und die Verwendungssituationen werden flexibler. Hier interagieren Bedeutungsveränderungen, kognitive Strategien und pragmatisches Wissen. Schließlich kann es zu formalen Reduktionen kommen. Ein weiterer Gesichtspunkt, der bei der Bildung der neuen Präpositionen eine Rolle zu spielen scheint, ist die Analogie. Formale Kriterien wie Silbenanzahl und Akzentstruktur sind spontan und leicht zugänglich. Zusammen mit dem gleichen oder stark ähnlichen Kontext erleichtern sie das Erinnern, die Wiederholung sowie die Nachahmung der Konstruktion. Mehrere Konstruktionen werden nach demselben Muster gebildet und es entstehen Paradigmen (im Laufe /Falle /Lichte /Sinne + (G); vgl. Lindqvist 1994: 298). Formale Information verstärkt also die Reihenbildung. Dann werden aus den nichtfesten Syntagmen Präpositionen durch Bedeutungsverschiebung und / oder -Verallgemeinerung. Der Vergleich mit den Kindersprachdaten zeigt nun folgendes. Wie bei neuen Präpositionen sind auch viele neue Wörter des Kindes zunächst auf feste Situationskontexte beschränkt. Ein Kind kann nämlich ein Wort benutzen, wenn es Aussprache und Verwendungsweise kennt, ohne die Bedeutung zu wissen wie im Fall von Berg. A. produzierte, wie bereits mehrfach erwähnt, die ersten Formen von Berg nur in einem festen Kontext (Kap. 6.1). Wie auch die neuen Präpositionen in der Erwachsenensprache löste sich das Wort erst mit der Zeit von der Situation. Das zweite Kriterium für die Bildung der Präpositionen ist das der Analogie. Formale Merkmale wie Silbenanzahl und Akzentstruktur fordern die Reihenbildung. Ein kindersprachliches Muster ist z.B., die Anzahl der zielsprachlichen Silben und die Position des Wortakzents beizubehalten mithilfe von Globalsilben. Das Kind war in einem frühen Stadium des Spracherwerbs noch nicht fähig, andere als Zweisilbler mit Erstbetonung zu bilden. Als Übergang zu der Phase der Dreisilbler produzierte es dreisilbige Wörter, die auf der ersten Silbe betont sind, indem es die erste Silbe zielsprachenähnlich aussprach und daran die Globalsilben [aja(i)] anhängte (vgl. Kap. 4.3 und Elsen 1996a), beispielsweise [metaja] Schmetterling, [buiGaja] Hubschrauber, [benajai] Benjamin, [mi9ajai] Michael. Auch hier verstärkt formale Information die Reihenbildung. Die entscheidende Beobachtung bei der Entstehung der Präpositionen aber ist die Univerbierung. Mehrere Wörter werden als ein einziges Lexem aufgefaßt. Bei den erwachsenen Sprechern geht die Wortgrenze verloren, bei den Kindern ist sie noch nicht erkannt. Die Tendenz zur Bildung von Amalgamen und Schemata findet sich bei allen Kindern in unterschiedlicher Stärke und ließ sich im vorliegenden Korpus u.a. an folgenden Beispielen belegen (vgl. Kap. 6.2.2, 6.3.1, 8.1):

200 (208) a. b. c. d.

[buitamat] kaputtgemacht-, ab 1,6 kaputt gemacht Papa, 1,6,2 [Der Vater hat es kaputt gemacht. ] kaputt gemacht Lippe, 1 ;7,28 [Die Lippe blutet.] Auge kaputt gemacht, 1;7,28

(209) a. b. d.

Wo 's der Stock hin? 1; 10,2 Wo 's der Stift hin? 1; 10,4 Wo 's der komm hin ? 1; 10,20 [Wo" s der hingekommen?]

(210) a. b. c. d. e.

Was macht Was macht Was macht Was macht Was macht

die hier? 1; 11,11 die Papa? 1; 11,14 die beide? 1; 11,23 die Frau? 2;0,1 die da alle die Zwerge? 2;2,26

Wiederholte, dann feste Redewendungen sind häufig der Beginn eines neuen Wortes im Sprachwandel. In den erwähnten Fällen wird auf mindestens einer Ebene Verarbeitungsenergie eingespart. Ein wiederholter Situationskontext macht mehr oder weniger redundante inhaltliche Information überflüssig oder ermöglicht die Etablierung neuer Bedeutungsaspekte. Bei der Reihenbildung beeinflußt eine bereits geübte Struktur eine intendierte Äußerung. Der Verarbeitungsaufwand der intendierten Struktur wird verringert. Dies mag vor allem bei emotioneller Anspannung, Müdigkeit oder oberflächlicher Redeweise auftreten, wenn die Konzentrationsfähigkeit niedrig ist. Und auch Verschmelzungen sind unter anderem auf reduzierten artikulatorischen Aufwand zurückzuführen. Der Trend, Einheiten, die wiederholt zusammen gehört und produziert werden, zu einer neuen Einheit zusammenzufügen, die dann eventuell eine eigene Bedeutung erhält, ist der Grund, warum es sprachgeschichtlich immer wieder zu neuen Wörtern und Endungen kommen kann. Die Ursachen dafür dürften in dem Versuch begründet liegen, mit wenig Aufwand in kurzer Zeit möglichst viel Information zu vermitteln bzw. das kommunikative Ziel mit möglichst wenig Aufwand zu erreichen (vgl. den Begriff der Sprachökonomie von Otmar Werner, Elke Ronneberger-Sibold u. a.; Ronneberger-Sibold 1980, 1997). Das fuhrt zwangsläufig zu Einsparungen an verschiedenen Stellen. Bei wiederholten Situationszusammenhängen beispielsweise kann semantischer Gehalt und schließlich phonologisch-morphologische Substanz eingespart werden. Die Erwachsenen wollen möglichst viel sparen, um die übriggebliebene Energie anderweitig zu nutzen, und wenn es um das parallele Verarbeiten eines Fußballspieles geht. Oft spielt auch reduzierte Konzentrationsfähigkeit eine Rolle. Da gleichzeitig aber das Ausdrucksbedürfnis bestehen bleibt, um das Verständnis zu sichern und/oder um Inhalte statt in Sätzen kürzer in Lexemkombinationen nuanciert wiederzugeben, können die neu zusammengewachsenen Ausdrücke Bedeutungsnischen einnehmen. Das Kind führt ökonomisierungen wegen begrenztem Verarbeitungspotential durch. Erwachsene Sprecher fühlen sich durch verschiedene Beschränkungen gezwungen, mit der Verarbeitungsenergie hauszuhalten. Für beide dürften gemeinsame Ursachen in unterschiedlichen Gewichtungen wirken. Neben

201 formalen Eigenschaften der grammatikalisierten Elemente spielen kognitive und kommunikativ-sprechökonomische Strategien für die Grammatikalisierungsprozesse eine Rolle. Der Vergleich mit Kindersprachdaten zeigt, daß das Wechselspiel von verarbeitungstechnisch bedingten und funktionalen Faktoren beim Sprachwandel zwar ein anderes als beim Erwerb ist. Beide Faktoren sind jedoch grundsätzlich da und wirken sich in unterschiedlichem Maße in unterschiedlichen Korrelationen auf die verschiedenen Sprachveränderungsformen aus. Durch die in unserem Modell verteilte, aber stets gleichzeitig verfügbare Information ist die Allmählichkeit von Übergängen und die Flexibilität verständlich, die bei synchroner Variation und diachronem Wandel zu finden ist. Diese Flexibilität ermöglicht Sprechen und Verstehen auch, wenn Information fehlt. Sie dient als Grundlage für Veränderungen. Gleichzeitig wirkt die Beschränkung eines informationsverarbeitenden Systems, das situations- und/oder reifungsbedingt unzureichende Aktivierungsenergie für das Gelingen der Kommunikation kompensieren muß. Die daraus resultierenden Kompromißlösungen wie Gestaltausdrücke sind in den verschiedenen Sprachveränderungsdomänen zu finden. Ein kleines Kind konzentriert sich einmal eher auf die Morphologie, dann auf die Syntax oder die genaue Aussprache. Erwachsene in einem legeren Gespräch benutzen Versatzstücke (sagen wir mal, echt wahr,... (auch Hopper 1987)) und lassen manche Ausdrücke wie das Subjekt fort, wenn es vorerwähnt ist. Im diachronen Wandel wird bei lautlich bedingtem Flexionsverlust morphologisch kodierte Information auf dem Umweg über pragmatisch bevorzugte Wortfolgen durch Reihenfolgeregularitäten wiedergegeben oder durch analytische Bildungen. Im Deutschen haben wir beispielsweise ich nähme > ich würde nehmen. Sprachwandelerscheinungen stellen häufig eine Automatisierung in einem Bereich dar, der für die Hörerinnen mit dem Verlust von Information einhergeht, die wiederum durch das System bzw. durch den kontextuellen Zusammenhang verfügbar ist. Dies erinnert an situationsabhängige Variation in der Kindersprache und ist nicht mit den Arbeitshypothesen 2, 5 und 8 vereinbar. Für die Sprecherinnen bedeutet dies, daß Verarbeitungsenergie übrig bleibt, die beispielsweise für die Planung des weiteren Gesprächs verwendet wird oder bequemlichkeitshalber ungenutzt bleibt, was wiederum nicht den Arbeitshypothesen 2 und 8 entspricht. Dabei betreffen Veränderungen sowohl die formale als auch die inhaltliche Seite einer Äußerung (Meillet 1912/1921, Lehmann 1995). Sprachwandel resultiert aus Interaktion zwischen Sprecherinnen und Hörerinnen, die bestimmte kommunikative Strategien verfolgen, dabei auf allgemeine kognitive Prozesse zurückgreifen (Hopper & Traugott 1993: 66f) und Natürlichkeits- bzw. Bedürfniskonflikte entstehen lassen. Die Sprecherinnen wollen ihr kommunikatives Ziel erreichen und dabei so wenig wie möglich tun bzw. reden. Sie möchten also gleichzeitig kurz und effizient sein, zumindest in den Situationen, in denen Gespräche nicht als Kontakterhaltung dienen oder in denen nicht jemand mangels Körpergröße eigentlich einen Stuhl braucht, um hoch ans Regal zu reichen,und, statt den Stuhl zu holen, einen längeren Zeitgenossen solange beredet, bis der dann das gewünschte aus dem Regal holt - ohne Stuhl. Die parallele Berücksichtigung von Intentionen und sprachlicher Kodierung paßt nicht zu der Arbeitshypothese 8, denn beim Sprechen wird neben einer Mitteilung auch eine Absicht übermittelt. Neben der oberflächlichen Ebene der Botschaftsübermittlung gibt es gleichzeitig auch die Handlungsebene. „The competing motivations of expressivity [...] and routinization, toge-

202 ther with the mechanisms of reanalysis and analogy [...] motivate the unidirectionality of grammaticalization" (ibd.: 87). Die Sprachwandelerscheinungen, die in dem Grammatikalisierungsansatz untersucht werden, gehen immer in die gleiche Richtung, nämlich von pragmatischer zu weniger flexibler morphologischer Information bis auch zum Verlust, unidirectionality results not from cognitive strategies alone but also from discourse production strategies in which speakers and hearers negotiate communication. A production model which refers to communicative purpose can account for the fact that over time certain linguistic properties may simply not be felt to serve communicative purposes any more and can therefore be consciously or unconsciously eliminated (ibd.: 207).

In der Kindersprache bleibt dann Verarbeitungsenergie übrig für die Kodierung anderer Information. Was zunächst aus dem (sprachlichen) Zusammenhang inferiert wurde, bekommt Form und (lexikalische) Bedeutung. Pragmatische Intensivierung (strengthening) hingegen ist immer von Verlust semantischer Information begleitet oder schlägt sich in der Struktur der Äußerung nieder, „the grammaticalization of lexical items or constructions is enabled by pragmatic factors; indeed, much of grammaticalization in its early stages is the conventionalizing in certain local contexts of conversational inferences as morphosyntactic reanalysis occurs" (ibd.: 207). Die Veränderungen vollziehen sich langsam, alte und neue Bildungen existieren nebeneinander (ich arbeitete > ich habe gearbeitet). Statt aufgegebene oder beinahe aufgegebene Unterscheidungen zu ersetzen, konkurrieren neue mit alten Formen, weil sie als ausdrucksstärker empfunden werden. Schließlich gehen dabei die alten Formen oft verloren (ibd.: 123). Eine langsame, graduelle Entwicklung steht im Widerspruch zu den Arbeitshypothesen 3, 4, 6 und 7. Die vielen Verbindungen und wechselseitigen Einflüsse zwischen verschiedenen sprachlichen und nichtsprachlichen Bereichen sind nicht vereinbar mit den Arbeitshypothesen 1 und 2. Unterschiedliche Lösungen aus Gründen von Ökonomie und/oder Kompromißbedürfnis aufgrund des complexity / fluency trade off passen nicht zu den Arbeitshypothesen 4 und 5. Wandel geschieht im Diskurs. Dies steht nicht im Einklang mit der Arbeitshypothese 8. Dieses Kapitel sollte die Komplexität der Sprachwandelerscheinungen hervorheben. Sie dürfen nicht als isolierte Veränderungen dargestellt werden, sondern in einem historischen, soziokulturellen, textuell-situativen Zusammenhang unter Berücksichtigung aller sprachlichen Aspekte. Dieses Zusammenwirken ist in einem netzwerkartigen Informationssystem, das durch den in einer Kultur aktiv handelnden Menschen beeinflußt wird, leichter vorstellbar als in autonom- und modularorientierten Modellen. Für die Theorie der Natürlichkeit und der Grammatikalisierung sowie die hier skizzierten Sprachwandelerscheinungen sind zwei Aspekte wiederholt in den Vordergrund getreten. Zum einen wird Information über einen oder mehrere andere sprachliche Bereiche kodiert (netzwerkmetaphorisch: Verschiebung der Aktivierung), zum anderen geht Material bzw. Information beim Prozeß der Automatisierung verloren oder durch das Überwiegen eines Optimierungsdrifts. Dies wird teils durch Bequemlichkeit, teils durch Ausdrucksbedürfnis der Sprecherinnen sowie den Wunsch der Hörerinnen zu verstehen motiviert. Wegen hoher Gebrauchshäufigkeit automatisierte Ausdrücke sind leichter, aber ausdrucksloser. Toll ist irgendwann nicht mehr so toll, darum gebrauchen wir stark, krass, cool, geil, endgeil, endzeitgeil, maximal etc. Andererseits ist das Essen war toll, der Urlaub war toll etc. schneller gesagt, als sich die jeweiligen herausragenden Eigenschaften zu überlegen und zu verbalisieren. Verschieben und Automatisieren wirken häufig ge-

203 meinsam. Beispielsweise kann Informationsvermittlung von der pragmatischen zur strukturellen Ebene verlagert werden, um das Verständnis zu sichern. Dabei automatisieren sich die strukturellen Aspekte bis hin zur festen Wortstellung. Vielleicht wird hier auch klar, wieso die im Grammatikalisierungsansatz behandelten Sprachwandelerscheinungen Unidirektionalität aufweisen: pragmatische Information ist weit weniger greifbar und läßt sich kaum so systematisieren wie gerade formale Information. Veränderungen gehen meist von der Umgangssprache aus. Was sich davon durchsetzt und zu diachronem Wandel fuhrt und was nur kurzfristig in Erscheinung tritt, kann im Einzelnen nicht vorausgesagt werden.

8.3.2. Pidgin-und Kreolsprachen Als Sonderfall von Sprachkontakt wird die Entstehung von Kreol- aus Pidginsprachen betrachtet. Hopper & Traugott (1993) verstehen unter Pidgin a non-native contact language which develops typically in a social situation characterized by major class distinctions and by numerical disparities between these classes [... ]. Often several mutually unintelligible languages are involved, with one language being used as the socially and politically prestigious standard (ibd.: 210).

Pidginsprachen sind keine Muttersprachen. Sie befinden sich in verschiedenen Stadien zwischen instabilen, minimalen Kommunikationshilfen, stabileren und weiträumiger verwendeten Varianten bis hin zu eigentlichen Sprachen (vgl. Foley 1988 in Hopper & Traugott 1993: 211). In einem ersten Stadium, das in auffälliger Weise an die frühe Kindersprache erinnert, weisen Pidginsprachen (minimal pidgins) noch keine Grammatik im eigentlichen Sinne auf. Wie die frühe Kindersprache und viele historisch alte Sprachstadien2 verfugen Pidgins über keine feste Syntax, allerdings über eine Topik(Thema)-Kommentar-Struktur (Givon 1979a: 224). Hopper & Traugott (1993: 213) nennen als einige der typischen Charakteristika eine begrenzte Menge an Wortarten, gewöhnlich Nomen und Verben, fehlende Wortbildungsregularitäten, Periphrasen, Zeitangaben in Form von Adverbien oder Partikeln, fehlende Flexion, keine feste Wortstellung, fehlende Einbettungen (embedding) und keine stilistische Variation. Such pidgins are characterized by slow speech and exhibit only minimal morphology. Both may be associated with speakers' unfamiliarity with the language, and with speakers' tendency to use minimal effort, especially in situations where discourse is limited to basic practical affairs (ibd.. 213).

Pidgin entsteht aus dem Bedürfnis nach Kommunikation und wird entsprechend stark von pragmatischen Faktoren beeinflußt (vs. Arbeitshypothese 8). Im Prozeß der Stabilisierung wird gewöhnlich die Morphologie ausgearbeitet, vor allem Prädikat- und Objektbezeichnung. Partikeln dienen der Aspektmarkierung. Außerdem treten einige eingebettete Strukturen auf (ibd.: 213). Hopper & Traugott fuhren das auf gesteigertes Ausdrucksbewußtsein 2

Givon (1979a) gibt in seinem Kapitel 5.2. Beispiele aus Sprachen wie Kimbudu, Indonesisch, Hethitisch, Arabisch usw., um die Entstehung verschiedener Syntaktisierungsaspekte aus dem Diskurs zu verdeutlichen.

204 (iattention) (oder Ausdrucksfähigkeit, weil durch Automatisierung mehr Energie übrig ist, H. E.) zurück zusammen mit mehr Bedürfnis nach Klarheit von Seiten der Zuhörerlnnen. In der frühen Phase des Pidgin herrschen pragmatisch-semantische Eigenschaften vor und strukturelle Aspekte sind stark eingeschränkt ausgebildet. So beschreiben Sankoff & Brown (1976) die Entstehimg von Relativsätzen in Tok Pisin (Neu Guinea) aus der Diskursstruktur. Dabei kommt einem ursprünglichen Lokaladverb engl, here' erst deiktische, dann Klammerfunktion fur die Markierung von Anfang und/oder Ende eines Relativsatzes zu. Die Entwicklung zu späteren Stufen ist geprägt durch das Bedürfnis der Sprecherinnen zu ökonomisieren. Sie verwenden die gleichen lexikalischen Mittel für verschiedene syntaktische Funktionen wie auch fur Periphrasen (vgl. Mühlhäusler 1986 in Hopper & Traugott 1993: 214), was in morphosyntaktische Regularitaten mündet. Dies ist nicht vereinbar mit der Arbeitshypothese 8 und läßt sich wohl auf das complexity/fluency trade off zurückfuhren. Kreolsprachen werden in der Regel als Muttersprachen aufgefaßt mit Merkmalen wie Artikeln, Tempus-Modularität-Aspekt-Systemen, der Unterscheidung von Realis und Irrealis, mehrfacher Negation, abhängigen Nebensätzen - vor allem Relativsätzen - und linksversetzten Elementen (Hopper & Traugott 1993: 215f.). Flexion und grammatische Wörter entstehen aus lexikalischen Elementen wie im diachronen Wandel (vgl. Meillet 1912/1921 fur französische Beispiele aus dem Lateinischen, Lehmann 1991 und Duden 5 1995: 376 für die jetzt stattfindende Entstehung der deutschen komplexen Präpositionen). Beispielsweise wird im Tok Pisin baimbai 'bye and bye' zu bai 'später / Zukunft' (Hopper & Traugott 1993: 211). Englisch just wird zur Aspektmarkierung des/tes im Bislama (Hopper & Traugott 1993: 219). Portugiesisch para 'fur' entwickelt sich zur Markierung des Dativ/Gebenden -ps im Sri Lanka Kreolischen (Hopper & Traugott 1993: 220).

Pidgin- und Kreolsprachen entstehen, weil die Sprecherinnen der unterprivilegierten Sprachen die Kommunikation miteinander erleichtern wollen, da sie sich gegenseitig nicht verstehen (vgl. Whinnom 1971 in Hopper & Traugott 1993: 217). What we can most plausibly say regarding the emergence of a pidgin is that a restricted system is innovated based on the lexicon of the lexifier language, and some principles, probably universal, of minimal grammatical organization. This is basically an abductive process. The process of pidgin stabilization is a process of complexification of morphosyntactic organization as well as of the lexicon. The process of creolization is a significantly more extensive process of complexification (Hopper & Traugott 1993: 217).

Laut Hopper & Traugott wird bei der Entstehung von Kreolsprachen der Einfluß der beteiligten unterprivilegierten Sprachen für die Entwicklung von Struktur unterschätzt, da dieser teilweise stärker ausfallen kann als der Einfluß der Strukturen der Gebersprache. Auf jeden Fall sind „highly localized constructions and recurrent constructions or formulae [...] the key loci of grammaticalization" (ibd.: 219f.). Solche Schemata wurden wiederholt auch in der Kindersprache als vorläufige Lösungen auf dem Weg zu komplexer Struktur gefunden. Die Prinzipien, nach denen die Sprecherinnen die Wörter ihres rudimentären Lexikons auswählen und anordnen, führen mit der Zeit zu immer wiederkehrenden Mustern, zu Veränderungen und zu vermehrt systematisierter Struktur. Wiederho-

3

aber vgl. Bates & MacWhinney (1982), die ein ursprüngliches hear! annehmen.

205 lungen ergeben Automatisierung. Dabei wird Energie frei für Informationen auf einer anderem sprachlichen Ebene. Diese werden ebenfalls automatisiert und systematisiert. Das Lexikon wächst, die Strukturen gewinnen an Regularität. Die Verarbeitungsprinzipien sind die gleichen wie für andere Sprachwandelprozesse. Die Lebens- und Kommunikationsbedingungen von Pidgin- und Kreolsprechern aber sind anders. Für jeden Sprachveränderungsbereich gibt es einen eigenen Situationskontext. Darum sind die Parallelen zwischen Spracherweib, synchroner Variation, diachronem Wandel und Sprachkontakt auch nur prinzipieller Natur. Gemeinsam sind Tendenzen, diese aber weisen systematischen Charakter auf.

9. Spracherwerb aus funktionalistisch-kognitiver Sicht Das nun folgende Kapitel erläutert kurz noch einmal die Grundgedanken, die für unseren Ansatz wichtig sind, und faßt die Ergebnisse dieser Arbeit zusammen. Abschließend stellen wir die eigenen Hypothesen vor. Die anfangs formulierten Arbeitshypothesen sind wiederholt zurückgewiesen worden, da sie nicht im Einklang mit den Daten stehen. Im Gegensatz zu Arbeitshypothese 1 ist in unserem Ansatz daher die Vorstellung von großer Wichtigkeit, daß Spracherwerb Teil der allgemeinen kognitiven Entwicklung ist. Dies bietet die Erklärungsmöglichkeit für die verschiedenen aufgeführten Beobachtungen, die mit traditionellen generativen Ansätzen nicht vereinbar sind. Unserer Ansicht nach ist es nicht nötig, ein angeborenes autonomes Modul wie die language faculty anzunehmen. Diese Ansicht ist auch verträglich mit den in dieser Arbeit behandelten Beispielen. Aus biologisch-evolutionärer Sicht sind angeborene, voneinander unabhängige und deutlich gegeneinander abgegrenzte Bereiche im Gehirn nicht wahrscheinlich. Unsere anatomisch-neurologische Ausstattung ist das Ergebnis eines Evolutionsprozesses. Unser Gehirn besteht aus übergreifenden und interagierenden Bereichen. Überall wirken prinzipiell ähnliche Prozesse. Die für den Spracherwerb verantwortlichen Verarbeitungsmechanismen sollten daher generelle kognitive Prinzipien sein. Aufbau und Arbeitsweise des Netzwerkmodells, wie wir es für unseren Ansatz vorgeschlagen haben, sind darum biologischen Gegebenheiten nachempfunden. Aufgabenspezifische Bereiche sind nicht streng voneinander abgegrenzt und jeweils unabhängig aufzufassen. Da überall prinzipiell ähnliche Verarbeitungsmechanismen wirken, gibt es Übergangsbereiche und Interaktionen (vs. Arbeitshypothese 2). Die Bereiche sind nicht angeboren, sondern entstehen mit der Zeit durch ständige Informationsverarbeitung (vs. Arbeitshypothese 3). Es ist nicht nötig, angeborene aufgabenspezifische obligatorische Regeln oder Strukturen anzunehmen. Was angeboren ist, sind generell wirksame Verarbeitungsprinzipien wie etwa das Erkennen von Mustern, deren Analyse, Abstraktion und Generalisierung. Dabei entstehen langsam Kategorien und Strukturen, wobei Schwankungen auftreten (vs. Arbeitshypothesen 5, 6). Beispielsweise kann das Kind, nachdem es eine gewisse Anzahl an Infinitiven und Partizipien gehört hat, ein wiederkehrendes lautliches Muster und korrelierende Kontexte erkennen. Mit der Zeit wird in den Formen eine Struktur erkannt, die auch auf neuerworbene Verben übertragen werden kann, so daß zu einem neuen Infinitiv ein Partizip aktiv gebildet wird. Was oberflächlich aussieht wie die Anwendung einer Regel, kann als Generalisierung eines Musters interpretiert werden. In unserem funktionalistisch-kognitiven Ansatz sind obligatorische Regeln symbolischer Art nicht nötig. Stattdessen gibt es mehr oder weniger starke Generalisierungen. Eine Regel ist keine symbolische diskrete Repräsentation mit kategorischer Anwendung, sondern eine mehr oder weniger strikte Regularität als Ergebnis von Informationsverarbeitung über einen gewisssen Zeitraum hinweg (vs. Arbeitshypothese 4). Dies ist wichtig. Der Erwerb von Struktur ist als Ergebnis von aktiver Informationsverarbeitung aufzufassen. Der sprachlichen Umgebung und der Handlungssituation wird ein direkter und häufig entscheidender Einfluß auf den Spracherwerbsprozeß zuerkannt (vs. Arbeitshypothese 7). Die kindlichen Abweichungen sind echte 'Fehler': die Kinder wollen so sprechen wie die Erwachsenen, können es aber (noch) nicht. Dies zeigen Fehlversuche bei

208 der Aussprache verschiedener Wörter, Vermeidungen und Schwierigkeiten bei komplexen Sätzen. Funktionale Faktoren können ebenfalls einige Erwerbsregularitäten erklären (vs. Arbeitshypothese 8), aber nicht alle. Daher müssen weitere Determinanten angenommen werden. Wir haben vorgeschlagen, daß die Arbeitsweise des Systems selbst viele Phänomene der (sprachlichen) Entwicklung begründen kann: Variationen, Interaktionen und Transitionen neben sprunghafter Entwicklung. Dabei sind für die Wahl zwischen zwei alternativen Lösungsmöglichkeiten oft pragmatische Einflüsse entscheidend. Grundlegend für unseren Ansatz ist die Idee der netzwerkartigen Informationsverarbeitung. Solch eine konnektionistische Vorstellung versteht kognitive Entwicklung systemintern, resultierend aus der gegebenen und sich durch ständige Informationsverarbeitung immerfort weiterentwickelnden Netzwerkarchitektur und der systemspezifischen Arbeitsweise. Externe Einflüsse sind stets gegeben. Im Netzwerk ist Wissen in Einheiten und Verbindungen zwischen Einheiten kodiert. Die Knoten sind selbst als Repräsentation von distributiver Information aufzufassen. Die Verbindungen können unterschiedlich stark sein. Eine unaktivierte Einheit verfügt über eine Grundaktivierung, die das Ergebnis vorausgehender Aktivierung ist. Je höher dieses Aktivierungsniveau, desto schneller und sicherer ist der Zugriff auf diese Einheit. Je häufiger auf eine Einheit zugegriffen wird, desto höher ist die Grundaktivierung. Wenn Information verarbeitet wird, fließt der Aktivierungsstrom kaskadenartig durch das System, wobei Nachbareinheiten aktivierter Knoten immer teilweise mitaktiviert werden und damit gleichzeitig verfugbar sind. Je geringer die Grundaktivierung des 'richtigen' Knotens ist und je höher die des konkurrierenden Knotens, desto eher wird ein konkurrierender Knoten falschlich aktiviert. Häufige Anwendung erhöht die Grundaktivierung und vermindert die Fehleranfälligkeit. Aber auch die Stärke der Verbindungen zwischen Knoten wächst mit der Zeit und wirkt sich auf den Zugriff aus. Einheiten sind in Aufgabenbereichen bzw. Ebenen organisiert, die miteinander in Verbindung stehen (vgl. Abb. 8). In den meisten Modellen wird eine hierarchische Anordung angenommen (u.a. Stemberger 1985a, b, 1992, Berg 1992, 1995). Dabei werden die Bereiche nicht unbedingt strikt getrennt gesehen, sondern dem konnektionistischen Gedanken gemäß ineinander übergehend. Da die Aktivierung aller Ebenen gleichzeitig erfolgt, ist stets Interaktion möglich. Die Trennung der Ebenen erfolgt nur zur besseren Darstellung auf dem Papier. Diese hierarchische Anordnung wird hier aufgegeben, da für die Aktivierung einer zentralen Einheit 'Lexem' nicht alle Ebenen aktiviert sein müssen, wie Beispiele wie Berg oder Hubschrauber (Kap. 4.3, 6.1) zeigten. Im pragmatischen Bereich (vgl. Abb. 8) sind Informationen über Redesituation, Kontext, Sprecherintention, indirekte Sprechakte etc. kodiert. Auf der semantischen Ebene ist visuell-konzeptuelle Information angesiedelt, auch auditive, olfaktorische oder taktile Informationen für die Begriffsbildung. Auf der phonetischen Ebene ist phonetische Information kodiert. Der prosodische Bereich liefert Angaben zur Wortgestalt (Länge (Silbenanzahl), Akzentstruktur, Intonationsverläufen etc.).1 Den Lexemen kommt eine

' Im Gegensatz zu den Sprachlauten, die im Artikulationsapparat gebildet werden, wird über die Prosodie (z.B. Variation von Grundfrequenz, Modulation, Dauer) direkt emotionale, affektbezogene Information übermittelt. Für die Produktion von Lautung und Prosodie sind unterschiedliche neuronale Strukturen im Gehirn verantwortlich (vgl. Lieberman 1996).

209 zentrale Rolle zu (vgl. auch Stemberger 1985a). Denn im zentral geschalteten Bereich des Lexikons fließen diese Informationen zusammen und bilden mit der Zeit relativ feste Aktivierungsmuster, die aus Informationen aller Bereiche bestehen. Phoneme und Wörter als mentale Einheiten sind als komplexe Aktivierungsmuster zu verstehen, die mit der Zeit Selbständigkeit erlangen. Morphosyntaktische Struktur entsteht über Kombinations- und Reihenfolgeregularitäten der Aktivierungsmuster auf der lexikalischen Ebene bzw. deren Patteraregularitäten sowie Zusatzinformationen aus den verschiedenen Bereichen.2 Das Lernen in solch einem System geschieht zunächst graduell. Wenn beispielsweise eine lexikalische Einheit wiederholt verarbeitet wird, werden die entsprechenden Knoten über ihre Verbindungen immer häufiger in der angestrebten 'richtigen' Kombination aktiviert, so daß sich mit der Zeit ein eigener Aktivierungspfad, ein bestimmtes Aktivierungsmuster, herausbildet. Abweichende konkurrierende Muster werden seltener aktiviert und werden schließlich schwächer, bis sie beinahe aussterben. Darum ist die Verarbeitungsfrequenz einer Einheit ein wichtiger Faktor. Aber auch qualitative Aspekte spielen eine Rolle: etwas Interessantes, Auffälliges wird schneller gelernt als etwas Uninteressantes - das Aktivierungsmuster ist sofort sehr stark. Wiederkehrende Verbindungen in komplexen Einheiten wie Stamm + Endung werden mit der Zeit transparent, so daß das System das Muster erkennt, analysiert und schließlich auch auf Neuerwerbungen generalisierend anwendet. Das relativ plötzliche Auftreten von beispielsweise regulärer Flexionsmorphologie in Computersimulationen ist eine Folge der netzwerkinternen Veränderungen, die aus der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Information resultieren. Es ist nicht nötig, dies als Anwendung einer erlernten / getriggerten Regel zu verstehen. Tatsächlich wird immer deutlicher, daß prinzipiell keine angeborenen, symbolischen Regeln und Kategorien nötig sind, um regelhaftes Verhalten wie die Bildung flektierter Verbformen zu erhalten (Kap. 5.1). Innerhalb eines konnektionistischen Rahmens ist die Interaktion zwischen sprachlichen Bereichen von grundlegender Bedeutung. In einem Netzwerkmodell hängt der Erwerb bestimmter sprachlicher Kenntnisse wie Verbmorphologie ab von einer bestimmten Menge an zur Verfügung stehender Information aus einem anderen sprachlichen Bereich, hier das (Verb-)Lexikon. Andererseits ist klar, daß der Aufbau des Lexikons von formalen und inhaltlich-kognitiven Informationen bestimmt wird. Tatsächlich ist eine Kombination von prosodischen, phonetischen, inhaltlichen, pragmatischen und morphosyntaktischen Informationen für den Erwerb lexikalischer Einheiten verantwortlich. Solch ein Informationskonglomerat (vgl. auch competition model) kann auch dann die Verarbeitung einer Einheit gewährleisten, wenn Teile davon ausfallen bzw. nicht zur Verfügung stehen. Es kommt durchaus vor, daß ein Kind oberflächlich wortsemantisch unauffällig ist, tatsächlich aber noch nicht alle Bedeutungen beherrscht, wenn das Kind ein Wort benutzt, ohne die Bedeutung zu wissen. Das zeigt, daß Kinder durchaus situationsadäquat reden können, ohne zu verstehen, was sie tatsächlich sagen. Hier fragt es sich, inwiefern dies auch bei anderen Untersuchungmethoden wie Experimentaldatenerhebungen der Fall sein kann, wenn sich die Kinder kooperativ verhalten und vielleicht oft den tatsächlichen Inhalt einiger Wörter nicht kennen. Dies muß grundsätzlich bei Spracherweibsuntersuchungen be-

2

Zum Problem der sequentiellen Anordnung vgl. z.B. Stemberger (1985 a, b), Elman (1990, 1991), Berg (in Vorb ).

210 dacht werden. Aber auch in erwachsensprachlicher Kommunikation ist für manche Ausdrücke mit inhaltlichen Defiziten zu rechnen, die oft unerkannt bleiben. Für A. bestand eine weitere Möglichkeit darin, ein Wort zu benutzen, ohne die richtige Aussprache zu beherrschen nur mithilfe prosodischer und inhaltlicher Information, wie es anfangs für viele ihrer komplexen Wörter der Fall war, die jeweils Akzentstruktur und Silbenzahl, aber nicht alle zielsprachlichen Laute enthielten (vgl. Elsen 1996b und Kap. 4.3), z.B. Hubschrauber [buiGaja], Apfelsine fabidija], Käfer [bi9a], Badewanne [manimani]. So gesehen ist Interaktion zwischen sprachlichen Bereichen keine zufällige Begleiterscheinung, sondern eine notwendige Voraussetzung für erfolgreiche Sprachverarbeitung und Kommunikation. Auch wenn Information teilweise fehlt (wie hier inhaltliche bzw. lautliche), kann das System mit dem restlichen zu Verfügung stehenden Wissen in anderen sprachlichen Bereichen das Defizit kompensieren und trotzdem ein Wort verarbeiten und dabei das Gelingen der Kommunikation verbessern. Entsprechendes gilt für die in den Daten gefundene Variation. Neues sprachliches Wissen wird nicht unbedingt plötzlich und zuverlässig erworben, wie das die Vorstellung des Parametersetzens suggeriert. Vielmehr benötigt das System einige Zeit, um einen bestimmten Aktivierungspfad, über den die Verarbeitung einer sprachlichen Einheit geschieht, schließlich zu etablieren. Dabei werden verschiedene alternative Pfade aktiviert, die das Ergebnis miteinander im Wettstreit liegender alternativer Möglichkeiten der Aktivierung sind. Die Abweichung zum intendierten Pfad kann so groß sein, daß ein 'Fehler' entsteht. Pro Aktivierung kann nur ein Muster 'gewinnen', bis das System sich schließlich auf einen Pfad festlegt. Aber selbst dann sind gelegentliche Abweichungen (Versprecher) möglich. Variation ist eine logische Folge aus dieser Art der Informationsverarbeitung. Mit der Zeit entstehen mehr oder weniger deutlich ausgeprägte Regularitäten, die probabilistisch-prototypischen Charakter haben. Damit sind Flexibilität, die Möglichkeit des Wandels und der Einflüsse von außen gewährleistet. So wird auch verständlich, daß Häufigkeitseffekte und damit Inputfaktoren ein integraler Bestandteil des Systems sind. Es gibt noch einige weitere Beobachtungen, die unter der Vorstellung, Spracherwerb geschieht netzwerkartig, verständlich werden. Kinder produzieren häufig neue Laute in bewährter Struktur und neue phonotaktische Bildungen mit bereits erworbenen Lauten (u.a. Waterson 1987: 105f., Elsen 1991: 65). Ein kleines Kind verfügt über ein begrenztes Verarbeitungspotential, so daß es 'haushalten' muß. Dies kann durch Kompromißlösungen erreicht werden. Es wird entweder eine lange komplexe Äußerung mit vereinfachter Struktur und schlechter Aussprache produziert oder eine kurze, gut artikulierte Äußerung oder eine neue Konstruktion immer mit den gleichen Elementen an einer Stelle. Verschiedene Lösungen können alternieren. Sie sind das Ergebnis eines complexity /fluency trade off und erscheinen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen, für Wörter genauso wie für Sätze, wenn analytische Bildungen und Gestaltausdrücke oder Mehrwortäußerungen mit wenig Morphologie sich mit kurzen, aber morphologisch komplexen Sätzen abwechseln. Schließlich erlaubt die Vorstellung, Kategorien und Strukturen bestehen aus mehrfacher, verteilter Information, die für Sprachwandel allgemein nötige Flexibilität. Wie von Bates und MacWhinney wiederholt vorgebracht, kann der Begriff des grammatischen Subjekts als eine Kombination von definierenden Merkmalen betrachtet werden, die aus formalen und funktionalen Informationen bestehen: Initialstellung, Nominativ, Verbkongruenz, Agens und Topik. In verschiedenen Sprachen, zu verschiedenen Zeipunkten

211 diachroner Entwicklung und in unterschiedlichen Phasen des Erwerbs bestimmen die verschiedenen Faktoren das Subjekt in unterschiedlicher Verteilung und Gewichtung. Auch die vorgelegten Daten zeigten, daß der Subjektbegriff des Deutschen primär über morphosyntaktisches Wissen bestimmbar ist, peripher über Zuordnung zu Agens bzw. Thema. Die in vielen Untersuchungen gefundene Einordnung in die Klasse Subjekt für Nomen in frühen Kindersätzen beruht in der Regel auf Kriterien wie Handlungsträger, denn Flexion gibt es noch nicht. Erst mit der Zeit kommen strukturelle Faktoren für die Bestimmung in Frage. Wir konzentrieren uns in unserer Darstellung auf strukturelle Faktoren und sprechen erst von einem Subjekt im Deutschen, wenn das entsprechende strukturelle Wissen kodiert werden kann. Vorher und im fließenden Übergang dazu gibt es keine Subjekte in Kindersätzen, sondern Fokus oder Thema. Entsprechend ist das für die Verarbeitung von Wörtern nötige Wissen auf verschiedenen Ebenen verteilt und kann sich bei lokalen Lücken kompensieren. Mithilfe der netzwerkartigen Verteilung und Verarbeitung menschlichen Wissens können graduelle Veränderungen und Variationen erklärt werden wie die Schwerpunktverlagerung der entscheidenden Auswahlkriterien für die Pluralzuweisung, aber auch Sprachwandelerscheinungen und Korrekturen beim Erwerb von z.B. Wortbedeutungen. Nichtsprachliche Einflüsse auf die Sprachentwicklung sind möglich, beispielsweise kognitive Veränderungen auf die Aufnahme neuer Wörter ins Lexikon. Dem Lexikon kommt eine zentrale Rolle zu, da hier Wissen aus allen Bereichen zusammenläuft. Auch rein verarbeitungstechnisch bedingte Faktoren dürften Auswirkungen zeigen, da bei kontinuierlicher Auseinandersetzung mit Information bereits nichtlineare Entwicklungsverläufe zu erwarten sind. Für den Erwerb von Wörtern müssen Formen und Inhalte assoziiert werden. Dies geschieht zunächst zögernd und versuchsweise. Mit der Zeit und ab einer bestimmten Menge an Form-Funktions-Assoziationen ist das mapping dann sehr einfach, und es werden plötzlich viele neue Wörter erworben. Da im Gegensatz zu Computersimulationen der Spracherwerb bei Kindern gleichzeitig verschiedene sprachliche Aspekte umfaßt neben zusätzlicher nichtsprachlicher Entwicklung, sind entsprechend gegenseitige Einflüsse mit sicher auch hindernder Wirkung zu erwarten, wie dies für eingeschränkte Phonologie auf den Erwerb des Lexikons anzunehmen ist. Die verschiedenen in dieser Arbeit vorgestellten Beobachtungen geben Anlaß dazu, die Tatsache, daß unterschiedliche sprachliche und nichtsprachliche Bereiche beim Spracherwerb zusammenwirken, nicht als Randerscheinung, sondern als grundlegenden Faktor aufzufassen. Wir haben einen funktionalistisch-kognitiven Ansatz skizziert, der Variation und Interaktion zwischen sprachlichen Ebenen zuläßt und Sprache als einen Teilbereich menschlicher Kognition auffaßt. Unsere Sicht ist holistisch in dem Sinne, daß sprachliche und nichtsprachliche Entwicklung sich mit den gleichen Verarbeitungsmechanismen vollzieht und dabei Einheiten sukzessive zu immer höheren Einheiten zusammengesetzt werden.3 Die vorgestellten Arbeitshypothesen wurden anhand des Korpus überprüft. Sie erwiesen sich als nicht vereinbar mit den Daten. Stattdessen hat sich wiederholt gezeigt, daß Spracherwerb als Teil der allgemeinen kognitiven Entwicklung zu verstehen ist. Kategorien, Strukturen, Regularitäten und aufgabenspezifische Bereiche entstehen und sind nicht diskreter, sondern prototypischer Natur. Verschiedene sprachliche und nichtsprachliche 3

Zu Holismus im philosphischen und biologisch-evolutionären Sinn vgl. z.B. Wilber (1977,21996).

212 Informationen wirken zusammen und Üben Einfluß aufeinander aus. Es folgen nun unsere eigenen Grundannahmen in Form von Hypothesen. Sie sind in der einen oder anderen Fassung bereits in der Literatur vorhanden, aber im Zusammenhang mit unseren Daten und im Hinblick auf unseren Ansatz neu formuliert und zusammengestellt. Sie ergeben sich aüs der Zurückweisung der Arbeitshypothesen und sind vereinbar mit unserer Vorstellung von funktionalistisch-kognitiver Grammatik. Die erste Hypothese wird durch die Annahme einer netzwerkartigen Informationsverarbeitung gestützt, die biologischen neuronalen Gegebenheiten nachempfunden ist. 1)

Die Hypothese der evolutionären Plausibilität Sprache ist das Ergebnis einer evolutionären Entwicklung und damit Teil allgemeiner kognitiver Fähigkeiten.

Auch in biologischen Systemen entstehen mit der Zeit Verbindungen und spezifizierte Zentren, ohne voneinander unabhängig zu sein. Wenn die Hypothese der evolutionären Plausibilität stimmt, müßten vergleichbare Verarbeitungsmechanismen in allen kognitiven Bereichen wirken. Das scheint sich durch Computersimulationen zu bestätigen. Das System ist Ergebnis evolutionärer Entwicklung. Diese Sicht der Informationsverarbeitung stützt die Hypothesen 2 bis 6. 2)

Die Hypothese der Interaktivität a Inputdaten, kognitive Prozesse und kommunikativ bedingte Faktoren interagieren. b Die verschiedenen sprachlichen Ebenen interagieren.

Diese Hypothese kann verifiziert werden durch Übereinstimmungen zwischen Realsprachdaten und Computersimulationen, die ergeben, daß beispielsweise Flexion von einer bestimmten Menge an Inputdaten im lexikalischen Bereich abhängig ist. Ohne Interaktion müßte in Realsprachkorpora und Simulationen auch Flexion mit rudimentärem Verbvokabular auftreten - dies ist nicht der Fall. Weiterhin wurde wiederholt gezeigt, daß die verschiedenen sprachlichen Bereiche zusammenhängen. Verbesserungen in einem sprachlichen Gebiet ziehen oft Einbußen in einem anderen nach sich, wenn beispielsweise neue Derivate nur in kurzen Sätzen erscheinen, während das Kind sonst zu längeren Ausdrükken fähig ist, wenn Wörter in Isolation deutlicher ausgesprochen werden als in komplexen Sätzen, wenn in kurzen Hypotaxen Konjunktionen realisiert werden, in langen jedoch nicht, und wenn das Kind wegen Müdigkeit oder unter kommunikativem Druck auf Gestaltausdrücke zurückgreift. Außerdem wirkt sich immer wieder die Häufigkeitsverteilung in der Zielsprache auf die Erwerbsreihenfolge aus. Grundlage für die Interaktion zwischen den Bereichen ist das Wirken vergleichbarer Verarbeitungsmechanismen für das gesamte Verarbeitungssystem, wie hier angenommen (vgl. die Hypothese der biologischen Plausibilität). 3)

Die Hypothese der Emergenz Strukturen und Kategorien entstehen. Strukturen und Kategorien sind als Resultat idealisiert. Auf die Annahme angeborener symbolischer Regeln und Kategorien kann verzichtet werden. Zur Erklärung genügen angeborene allgemeine Verarbeitungsstra-

213 tegien, die aus Inputinformationen Wissen abstrahieren, analysieren und generalisieren. - Natura non facit saltuni. Falls die Annahme von Emergenz falsch wäre, müßten die meisten Strukturen und Kategorien angeboren sein und plötzlich und sicher erworben werden. Daß die kindersprachlichen Konstruktionen erst mit der Zeit zielsprachliche Regularität aufweisen, wurde wiederholt demonstriert. So bereiten eher komplexe Sätze wie Passiv- oder Infinitivkonstruktionen dem Kind lange Schwierigkeiten und schwanken zwischen verschiedenen Arten der Abweichung wie Fehlen von grammatischen Wörtern, Verben oder Serialisierungsfehlern. Auch Begriffe wie Subjekt sind nicht von Anfang an vorhanden. Daß prinzipiell keine angeborenen Regeln angenommen werden müssen, zeigen Computersimulationen zum Erwerb von Syntax, Kategorien und Flexion. Dabei decken sich die Voraussagen speziell zum Erwerb der Verbflexion mit unseren Daten. 4)

Die Hypothese der Variabilität Variabilität existiert für einzelne Sprecherinnen, zwischen Sprecherinnen, situativ und auch zeitlich/sprachgeschichtlich.

Es gibt Parallelen zwischen Spracherwerb, Sprachwandel, synchroner Variation und Universalien. Dies ist erklärbar aus der Flexibilität, die durch die zugrundeliegenden kognitiven Strategien und durch das netzwerkartige System entsteht. Wenn Variabilität erlaubt ist, kann Wandel erklärt werden. In generativen Ansätzen gibt es für Variation keine Erklärung. Sie darf jedenfalls nicht in einem größeren Maße auftreten. Neuerwerbungen sollten infolge des Setzens eines Parameters relativ schnell, präzise und irreversibel auftreten. Inwiefern jedoch A. schwankt zwischen 'richtigen' und 'falschen' Bildungen und zwischen verschiedenen Arten der Abweichung, wurde für phonologische, morphologische und syntaktische Strukturen gezeigt. Ähnlichkeiten wurden auch für andere Sprachveränderungsprozesse gefunden (Kap. 8.3). Verwandt mit der Hypothese der Emergenz ist die Hypothese 5. 5) Die Hypothese der Prototypizität a Es gibt keine absolut definierten Einheiten / Kategorien. Eine Kategorie kann durch prototypische oder weniger prototypische Vertreter repräsentiert sein. Dies ist teilweise situativ bedingt. b Es gibt keine absolut festgelegten Regeln. Der Regelbegriff ist im prototypischen Sinne zu verstehen, nicht wie der generativen Auffassung nach absolut verpflichtend. Die Möglichkeit, über die Sprecherintuition Akzeptabilitätsurteile von richtiger und falscher Regelanwendung abgeben zu können, bleibt bestehen. Je nach Bedarf, das heißt in Abhängigkeit von Sprecherintention und Redesituation, werden die Regeln mehr oder weniger präzise eingehalten. Begrenzt werden Abweichungen durch u.a. Verständlichkeit oder das Konventionalitätsbedürfnis der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft. Die Hypothese der Prototypizität wird dadurch gestützt, daß 'richtige' Strukturen als 'typische' mit der Zeit häufiger werden und auch in der Erwachsenensprache häufiger

214 sind. Es treten aber immer auch weniger typische, untypische bzw. 'falsche' Strukturen auf. Mit einem Prototypenmodell lassen sich auch die sogenannten 'Ausnahmen' explanativ integrieren, die in anderen Modellen ausgeschlossen bleiben. Im Zusammenhang zu sehen mit der Hypothese 2 (Interaktivität) ist Hypothese 6. 6)

Die Hypothese der Kompromißbereitschaft Es gibt einschränkende Faktoren wie begrenzte Verarbeitungskapazität und kompensierende Strategien dazu (Ersetzungen oder Gestaltausdrücke u.a.).

Die Kompromißlösungen entstehen durch ungenügende Potentiale in einem System, das alle Bereiche verbindet und darum Verarbeitungsenergie in verschiedenen Gebieten konzentrieren kann. Um kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen, muß dann auf Ersatzstrategien zurückgegriffen werden. Die Hypothesen der Interaktivität und der Kompromißbereitschaft erklären die tatsächlich vorgefundenen Schwankungen und Phänomene wie holistische Äußerungen, die in anderen Erklärungsansätzen ausgeschlossen werden. Eine wichtige Grundannahme für unseren Grammatikbegriff ist, daß der Gesprächssituation und dem Willen zu sprechen eine tragende Rolle zukommt. 7)

Die Hypothese der Funktionalität Sprache ist funktional motiviert und durch Sprechsituation und Sprachbenutzer beeinflußt. Gründe für Variabilität sind im Diskurs zu suchen. Sprache existiert auch zu Informationszwecken mit nur hypothetischem Hörer und wird entsprechend abgewandelt.

Damit hängt die Hypothese 8 zusammen. 8)

Die Hypothese der doppelten Repräsentation Ein 'Satz' kann auf zwei Ebenen beschrieben werden: der funktionalen und der formalen Ebene. Die funktionale Ebene ist psychologisch-pragmatisch bedingt. Die Basiskomponenten sind Illokution (das, was wir tun, wenn wir sprechen), Fokus (das, was wichtig ist, worüber wir sprechen vs. Thema, das, was gegeben ist, worüber wir sprechen) und Kommentar (das, was wir an Zusatzinformation geben). Auf der formalen Ebene haben wir beispielsweise Subjekte. Die Ebenen gehen ineinander über.

Die Sprecherinnen wollen bei der Kommunikation neben der eigentlichen Botschaft auch ihre Intention übermitteln. Daher sollten stets formale und pragmatische Aspekte bei der Analyse von Sätzen berücksichtigt werden. Am Beispiel der Anordnung der Wörter in Äußerungen wurde demonstriert, wie zunächst pragmatische Wortstellung überwog und erst langsam zugunsten struktureller Vorgaben aus der Zielsprache aufgegeben wurde aber nie zu 100%, wie die wiederholt aufgeführten 'Ausnahmen' der erwachsensprachlichen Sätze zeigen. Die Entscheidung für eine bestimmte Anordnung der Wörter im Satz oder für eine bestimmte Konstruktion ist häufig pragmatisch motiviert. Dabei wirken formale und funktionale Aspekte immer gleichzeitig. Ohne den Einfluß pragmatischer Faktoren anzuerkennen, würden Sprachwandelprozesse und Variation nicht verständlich sowie systematische umgangssprachliche Ausnahmen von der sogenannten standardsprachlichen Norm.

215 In einem fiinktionalistisch-kognitiven Ansatz sind Parallelen in verschiedenen kognitiven Bereichen und gegenseitige Einflüsse Grundlage für die Verarbeitung von Information. Damit ist die Flexibilität des Sprachsystems gewährleistet. Ein Ansatz, der der Einflußnahme durch nichtsprachliche Faktoren einen eigenen Stellenwert einräumt, der die Informationsverarbeitung netzwerkartig versteht und der Spracherwerb systemintern und kommunikativ-funktional begründet, sollte darüberhinaus auch Phänomene des Sprachwandels und synchrone Variation erklären können und für die weitere Forschung neue Erklärungsansätze ermöglichen. In diesem Sinne ist der in dieser Arbeit entwickelte Ansatz als ein Vorschlag zu sehen - die Zukunft wird zeigen, welch andere und bessere es noch gibt.

Nachwort

Die dargestellte funktionalistisch-kognitive Entwicklung sprachlicher Struktur von ersten Lauten bis hin zu früher Hypotaxe sollte als Vorschlag gesehen werden, Entstehung und Gebrauch von Regularität ohne angeborene, sprachspezifische symbolische Kategorien und Prinzipien zu verstehen. Natürlich lassen sich einzelne Sätze auch mit anderen grammatischen Modellen beschreiben. Das Problem jedoch ist, alle Sätze eines Kindes in ihrer Gesamtheit, alle Äußerungen aller Kinder aller Sprachen mit einem einheitlichen Konzept zu erklären, das darüberhinaus auch noch für alle Äußerungen der Erwachsenen, geschriebenen wie gesprochenen, damals und jetzt, gelten soll. Je mehr Beispiele herangezogen werden, desto mehr Variation wird deutlich. Entwicklung muß als tendenziell akzeptiert und mit prototypisch orientierten Maßstäben gemessen werden. Weiterhin ist Sprache als ein Aspekt menschlicher Entwicklung im soziokulturellen und biologischevolutionären Rahmen zu sehen. Sonst ist es nicht möglich, Veränderung und Fortschritt zu verstehen. Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch, von einem holistischen Weltbild aus sprachliche Strukturwerdung zu begreifen und ein Appell, nach weiteren Zusammenhängen zu suchen. When I [Talmy 'Tom' Givon] marveled at the seeming fact that some of my ontological conclusions seemed to find support from modem physics, Joe [Goguen] suggested that perhaps the shoe was on the other foot. That is, he said, if the structure of the universe as we are ever to know it is nothing but the structure of cognition itself, then Physics as a mode of obtaining knowledge about the universe seems like a curiously roundabout methodology, especially when a more direct route is available to us, namely the investigation into Üie modes of consciousness. Touche (Givon 1979a: 352).

Am Ende ist die Blickrichtung egal, denn alles hängt zusammen. Es bleibt zu hoffen, daß die hier formulierten Grundgedanken fiir die weitere Forschung als Anregung dienen können und zu einem umfassenden Grammatikmodell weiterentwickelt werden.

Anhang Um die im Haupttext dargelegte Entwicklung zu ergänzen, werden im Anhang die ersten Verben und Nomen und die jeweiligen Übergeneralisierungen aufgeführt. Außerdem sind Spontanschöpfungen bei der Wortbildung aufgelistet, für den Haupttext weniger wichtige Bereiche wie die Entwicklung von zusammengesetzten Zeiten, Wortarten und Funktionen (Modalpartikeln, Satzadveibiale,Tags) sowie Nonsenssätze und -ausdrücke.

A Die ersten 30 Verben Nr.

Alter

Veib

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Anfang 0;11 0 11,18 1 2,30 1 3,5 1 3,8 1 3,13 1 3,15 1 3,16 1 3,22 1 3,25 1 3,28 1 4,4 1 4,8 1 4,8 1 4,9 1 4,11 1 4,28 1 5,2 1 5,3 1 5,11 1 5,16 1 5,16 1 5,18 1 5,24 1 5,25 1 5,26 1 5,26 1 5,26 1 5,26 1 5,27

essen trinken kleckern anziehen stehen gucken wickeln wischen singen rutschen ausziehen schlafen aufmachen sitzen aufräumen putzen klingeln drücken gehen drehen tanzen sehen haben finden kaputtmachen regnen warten helfen fallen geben

220 B Übergeneralisierungen der Partizipien

Alter*

Übergeneralisierung

Zielform

1,5,30 i;6,2 E 1;6 1;7,24 1;8,21 1;9,3 1;9,23 1;9,26 2;0 2;0,10 2;0,14 2;0,15 2;0,16 2;0,17 2;0/2;l 2;1 2;1 2; 1,3 2;1,4 2;1,5 2; 1,9 2; 1,15

defallt [dsfalt] lont* [lönt] mitgenehmt* [mitanemt] west* [vest] runterfallt» [xuintafalt] gehaut* trunkt wehgetant getrinkt eingereiht* [ainaKaipt] abgebeißt fapabais t] annesongt fanaöogt] reinetunt genehmt geschmeißt wehgetunt weggetunt weggenimmt abbesunkt fapazugkt] hinneschmeißt* weggenehmt gelauft geschlaft gegeht ausesiehnt faus f 3s f int] gekommt weggetant gehelft geziehten gekannt

gefallen verloren mitgenommen gewesen runtergefallen gehauen+ getrunken wehgetan getrunken eingerieben abgebissen angezogen reingetan genommen geschmissen wehgetan weggetan weggenommen abgezogen hingeschmissen weggenommen gelaufen geschlafen gegangen ausgezogen gekommen weggetan geholfen gezogen gekonnt

2; 1,22 2,2,14 2;3,21 2;3,25 2;3,28 2;4,19 2;5,0

* Tag des ersten Auftretens * die ersten Partizipformen waren bereits übergeneralisiert + für dieses Verb gibt es auch reguläre Partizipformen (allerdings nicht von Mutter gebraucht)

221 C Erste Nomen Für die Aufnahme in die Liste gelten die Kriterien 1 - 3 . 1. Keine Eigennamen Eigennamen von Individuen werden nicht aufgenommen (z.B. André, Felizitas, Bäckers, München, Kieferngarten) Verwandtschaftsbezeichnungen wie Mama oder Opa, auch wenn sie als Anrede gebraucht werden, werden berücksichtigt. Nur als Anrede gebrauchte Verwandtschaftsbezeichnungen mit Namencharakter wie Thekla-Oma wurden ausgeschlossen. Namen von Individuen, die auch als Gattungsbezeichnung verwendet werden (können), was von der Häufigkeit und Formvielfalt des Referenten abhängig ist, werden berücksichtigt, Zweifelsfalle sind mit ? gekennzeichnet (z.B. Garfield?, HL?, Bonbell, Brie, Micky Maus, aber nicht Raupe Nimmersatt, Snoopy, Lurchi, Alf, Obi, Ikea). 2. Formale Aspekte Der Tag der ersten erwachsensprachlich-nahen Aussprache ist ausschlaggebend (z.B. Auto nicht Anfang 0;11 [bm], sondern Anfang 1;2 [ato]). Auch bei nicht oder nur ähnlich erwachsensprachlicher Verwendung wird ein Lexem akzeptiert (z.B. Tee 1;0,3 zur Teepackung, Kreisel 2;4,11 zu Kreis). Synonyme zählen als jeweils eigene Einträge (z.B. Lok, Lokomotive). 3. Spontaneität der Produktion Imitationen werden nicht berücksichtigt (z.B. Tee (imitiert ab Mitte 0;11) erst ab 1;0,3 spontan im Lexikon).

Alter

Lexem

0;8,25 A* 0;9 M0;9

Mama Papa Ei

0;10,13 0;10,16 0;10,28

Teddy Buch Baum

0;11,3 0;11,8 0;11,11 0;11,15 0; 11,27 0;11,30 E 0;11

Bild Mann Ball Banane Bauch Baby Ente

222 Alter

Lexem

1;0,3 1;0,6 1;0,11 1;0,13 1,0,16 1,0,18 1,0,25 1,0,26

Tee Zeh Blume Schuh Lampe Brille Ohr, Uhr Auge, Frau

i;i,i I ; 1,6 i;i,8 i;i,9 i;i,i3 1 ; 1,21 1; 1,22 1; 1,23 1; 1,28

Nase Rohr, Kamel Lappen Schlüssel Deckel Gurke Öl Tüte Topf

1;2,0 A 1;2 1;2,2 1,2,4 1;2,7 1;2,14 1;2,22 1;2,23 1;2,24 1;2,25 1;2,26 1;2,28 1;2,29 1;2,30

Opa Auto Eule Oma Katze Tag Tasse Kind Mütze Mund, Wasser Affe, Käse Vogel Windel, Hose, Nacht Papier, Bett, Elefant

i;3,o A 1;3 i;3,i 1;3,2 1;3,3 1;3,4 1;3,5 1;3,6 1;3,7

Brot, Socke Puppe Stein Teller Luftballon Keks, Apfelsine, Mehl Haare, Hase Tomate, Gummi Apfel, Mädchen

223 Alter

Lexem

1;3,8 1;3,10 1;3,11 1 ;3,14 1;3,18 i;3,2i 1;3,22 1;3,25

Finger, Flasche, Kissen Bürste, Maus Reh Fuß, Löffel Zettel Lätzchen, Brei Kuchen Fisch

i;4,o i;4,i A 1;4 1:4,2 1,4,3 1;4,5 1;4,6 1;4,7 1;4,8 i;4,9 1;4,10 1;4,13 1;4,16 M 1;4 1;4,17 1;4,20 1;4,23 1;4,24 1;4,25 1;4,27 1;4,29

Bulli Stift, Lineal Stuhl Hund, Schirm Butter Fuchs, Licht Zähne Käfer, Schnecke, Hamster, (Sanostol ?) Hunger Schmetterling Creme Loch Schüppe ['Schaufel'] Hubschrauber Junge Biene Schiff, Jacke, Eimer, Mauer Zug Stock, Blatt, Pulli, Kartoffel, Strumpfhose, Motorrad Gießkanne Fliege, Garfield?

A 1;5 i;5,i 1,5,3 i;5,4 1;5,5 1;5,6 1;5,7 1;5,8 1;5,9 1;5,11 1;5,12 1;5,13

Fahrrad, Krach Bein Dose Kerze Milch, Löwe Küßchen Eis, Kopf Kaiton, Dreck Haus, Bagger, Sonne Gras, Kuh, Saft Musik, Taube Hähnchen

224 Alter

Lexem

M 1;5 1;5,18 1 ;5,19 1;5,20 1;5,22 E 1;5 1;5,23 1;5,24 1;5,25 1;5,26 1 ;5,27 1;5,28 1;5,29

Tasche, Morgen, Klammer, Schaukel, Knöpfe, Schraube Joghurt Daumen Möhre Durst Abfall, Klötze Fleisch Kaba Glas Buggy Hand, Arm, Müll, Geld, Schwein Toilette, Pferde Küche

1;6,0 A 1 ;6 1;6,1 1;6,2 1;6,3 1 ;6,4 1;6,5 1 ;6,6 1 ;6,7 1;6,8 1;6,9 1 ;6,10 1;6.11 1 ;6,12 1 ;6,13 1 ;6,14 1 ;6,16 1 ;6,17 1;6,20 1 ;6,24 1;6,25 1;6,26 1;6,27 1 ;6,28 1;6,29

Krug Seife, Tuch Schinken, Schnuller, S-Bahn Wind, Beeren Hut, Hemd Taschentuch Pott, Mäuslein Schnupfen Pampers, Zwieback Knie, Fenster, Honig Zimmer, Bändl, Frühstück, Tabletten Schaufel, Micky Maus, Leute Ziege, Po Traube, Gürtel, Wurst, Ferkel, Brennesseln Bank, Wetter, Kirsche Angst, Soße Storch, Reis, Tropfen Wolke, Wurschtl Flugzeug, Cola, Krümel, T-Shirt, Mitte Schnauze Tür Nudeln Wäsche, Unfall Ameisen, Giraffe, Mittag Treppe, Donald Duck, Strümpfe

1 ;7,1 1;7,3 1:7,5

Badewanne, Schluck Brötchen, Sachen, Ruhe Rabe

225 Alter

Lexem

1;7,7 1;7,11 1;7,12 1;7,13 1;7,14 1;7,15 1;7,16 1;7,17 1,7,18 1;7,19 1;7,20 1,7,21 1;7,22 1;7,23 1;7,24 1;7,26 1;7,27 1 ;7,28 1;7,29 1;7,30

Kinderwagen, Reifen Spiegel, Schluß, Hilfe, Planierraupe, Löffelbagger Nilpferd Huhn, Männchen, Aas Trecker, Idee, Eisbär, Koalabär Hexe Rolle Fön, Gabel, Koffer Stück, Krokodil Wald Stinker Kröte Appetit, Sandmännchen Burg, Stinki Teppich, Fußball, Kaffeebohne, Bohne Haut, Pumuckl? Tiere Besen, Schwan, Öltücher, Brust, Tennisschläger, Flocken, Schläger Ballon, Blümchen, Weiher Stadt

1;8,0 A 1;8 1;8,2 1;8,3 1;8,4 1,8,5 1;8,6 1;8,8 1;8,10 1,8,11 1;8,12 1 ;8,14 M 1;8 1 ;8,15 1;8,16 1;8,17 1,8,18 1:8,19 1;8,20 1:8,21 1;8,22 1;8,23

Griff, Fliesen, Knödel, Eisenbahn Schere, Birne Trompeter, Stroh, Pimpf, Kreuz, Karte Locken, Feder, Würfel, Schaukelstuhl, Brezel, Spinat, Pflaster Fahrstuhl, Korb Ketchup Rad, Flusen Stiefel, Broccoli Mond, Boot, Fingernägel Gummistiefel, Suppe, Bier Bohrmaschine, Erde, Hals, Klopapier, Maschine, Handschuhe Raupe, Kiwi, Ziege, Bahnhof Punkt, Sumpf Körnchen, Schule, Zucchini Wagen, Porsche, Staubsauger, Rücken, Mülleimer Sauerei Spaghetti Mensch, Spielplatz, Sieb, Briefkasten, Weste, Zunge Pflaume, Spritze, Spielzeug, Weintrauben, Büroklammer Traubenzucker, Zäpfchen Seehund, Sahne, Wiese, Becher Brosche, Gesundheit

226 Alter

Lexem

1;8,24 1:8,25 1;8,26 1;8,27 1;8,28 1;8,29

Tower, Schildkröte Laterne, Zappelpeter, Lumpi? Mohnkapsel Mandarine, Herz Gänseblümchen Leberwurst, Telefon

A 1 ;9 1;9,2 1;9,3 1;9,4 1,9,5 1;9,7 1 ;9,8 1;9,10 1;9,11 1;9,12 1 ;9,13 1 ;9,14 M 1;9 1;9,15 1 ;9,16 1;9,17 1;9,18 1; 9,19 1;9,20 1;9,21 1;9,22 1;9,23 1;9,24 E 1;9 1;9,25 1;9,26 1;9,27 1;9,28 1;9,29 1,9,30

Lebkuchen, Schlafzimmer, Kammer, Uni Baustein, Zitrone, Blumenkohl, Eichhörnchen, Zahnbürste Messer, Schal, Schüssel, Hirse, Nasentropfen, Mietzekatze, Tinte, Lego Radio, Zucker, Tor Mark, Zwerg, Wäscheklammer, Löwenbaby, Förmchen, Schneemann Stern, Schlafanzug, Bauchnabel, Seifenblasen Anorak, Fußnagel, Entschuldigung, Heizung, Stufe, Kochlöffel Dach, Wohnzimmer Schlange, Oval, Clown, Augenarzt Jeans, Kaffee, Apotheke, Ärztin, ABC, Pullover Eiweiß Grießbrei, Weste, Wolf, Kirche Brett Schachtel, Purzelbaum, Lokomotive, Strom, Jogginghose, Pfennig Stirn, Kiste, Kuchenteig Hampelmann, Salz, Strich Schale, Reißverschluß Nüsse, Rosinen Jeanshose, Stäbchen Bommelmütze, Kühlschrank, Buchstabe, Gesicht Schlitten, Rechteck, Bonbon, Stecker, Küken, Kohlrabi Lederstiefel, Weihnachtsmann, Kran, Wirsing Schublade, Strohhalm Haken Schampoo, Glühbirne, Tannenbaum, Wasserschwimmer, Pampelmuse Spielsachen, Engel, Nagel Preis, Batterie Medizin, Grube, Regenschirm Karteikarte, Lied, Waggons, U-Bahn, Meßlöffel Knoblauch, Glocke, Blödsinn

1;10,0 A 1; 10 1; 10,1 1;10,3 1; 10,5

Briefmarken Kern, Bart, Kipper, Kino, Bär Kirchturm, Schreibtisch, Zeitung, Sack Schmutz Nikolaus

227 Alter

Lexem

1;10,6 1; 10,7 1;10,8 1;10,9 1; 10,10 1; 10,11 1; 10,12 1; 10,13 1;10,14 1,10,15 1;10,16 1;10,17 1,10,18 1; 10,19 1; 10,20 1; 10,21 1; 10,22 1; 10,23 1; 10,24 1; 10,25 1; 10,26 1; 10,27 1; 10,28 1; 10,29 1; 10,30

Überraschung, Oropax, Knoten, Gummibärchen, Hälfte Kette, Null, Trommel Wurm, Ellenbogen Kitzelkind, Brief, Schnur Ohrenschützer, Steckdose Fell, Bad, Zwiebel, Mais, Photo (Arobon ?) Computer, Schneebesen, Käferauto Spange, Halswickel Schatz Unterhemd Lautsprecher Marmelade Drucker, Bussi Anhänger Tannenzapfen, Rassel Gewürz, Putzlappen Leiter, Bahnsteig, Faden, Olympiaturm Papagei, Schwanz, Geschirr, Bushaltestelle Schild Kasper, Badezimmer, Spielelefant, Zebra Fahne, Esel, Straßenlaterne, Steinchen, Krümelchen, Lichtturm Fotoapparat, Pappe Baguette, Ampel, Strumpf, Joghurtbecher, Tablettchen, Kiefernzapfen Blüte, Hülle, Lutscher, Schläfer, Goldtaler, Stachel Schwester, Richtung

1; 11,0

Marke, Mücke, Lus

A 1; 11 1; 11,1 1; 11,2 1; 11,3 1; 11,4 1;11,5 1,11,6 1,11,8 1; 11,10 1; 11,11 1;11,12 1; 11,13 1;11,14 1; 11,15 M 1; 11

Hamburger, Neger, Kaktus, Kram, Kerl, Sommer, Mädele Dotter, Rolltreppe, Unterhose Rakete, Ahnung, B Kasse, Fahrkarte, Nußknacker, Hopseball Waschpulver, Specht, Polster, Kinn Schloß, Plus E Zahlen Hahn, Madam, Sauger Pfanne, Apfelsaft, Bratpfanne, Kokosnuß Orangensaft Zaun, Ding Absatz Gruß Pfütze

228 Alter

Lexem

1; 11,16 1; 11,19 1; 11,20 1; 11,21 1; 11,22 1; 11,23 E 1; 11 1; 11,24 1; 11,25 1; 11,26 1; 11,27 1; 11,28 1,11,29

Figur, Note, Häppchen, Trägerhose, Maske, Frühling Hirsch, Fasan Fläschchen, Nachmittag, Ski Hupe,Waschmaschine, Geburtstag, Säge, Menge, Spieluhr Heft, Wildschwein, Frisur Zeppelin, Umweg, Masse, Toilettenpapier, Buntstifte Pfeffer Rock, Meßbecher Puzzle, Marmorkuchen Mutter Schneestiefel, Matratze Salzstreuer Krake, Würstchen, Kugel, Pfeil

2;0,0 2;0,1 A 2;0 2;0,2 2;0,3 2;0,4 2;0,5 2;0,6 2;0,7 2;0,8 2;0,9 2;0,10 2;0,11 2;0,12 2;0.14 M 2;0 2;0,15 2;0,16 2;0,17 2;0,18 2,0,19 2;0,20 2;0,21 2;0,22 2;0,23 2;0,24 2;0,25 2;0,26 2;0,27

Wand, Wickelunterlage Senf, Rucksack Schoß, Post, Klee, Kleber, HL? Schnupfennase Salbe Tunnel, Amsel, Nicki, Keller Pipi Streichhölzer, Uropa Schritt, Geschäft Monchhichi, Auto-Puzzle, Tanker, Bürgersteig Zigarette, Pommes frites, Steak, Schokoladeneis Erdbeere Feuer, Ofen, Vergißmeinnicht, Lutscher, Spüle Uroma, Sandkasten, Wachsmalstifte, Puzzle-Teil Turnhose, Mondgesicht, Niveacreme Brücke Kuß Mandel, Goofy, Schlauch, Ärmchen Krapfen, Schaffner Maulwurf Kindermusik Balkon Höhle, Schneider, Heu, Backpulver Bäckerladen, Kontrabaß Geschenk Kaugummi, Sahneflasche, Schiebewagen, Boxer Karussell, Bernhardiner, Muschel, Krebs, Fett Hocker Matsche

229 Alter

Lexem

2;0,29

Pflanze, Stab

A 2; 1 2; 1,1 2; 1,2 2; 1,3 2; 1,4 2; 1,5 2; 1,6 2; 1,7 2; 1,10 2; 1,11 2; 1,12 2; 1.13 2; 1,14 2,1,15 2; 1,16 2; 1,17 2; 1,18 2; 1,19 2; 1,20 2;1,21 2; 1,22 2; 1,22 2; 1,24 2,1,25 2; 1,26 2; 1,27 2; 1,28 2; 1,29

Kleid, Kraft, Guti (bair.) Harke, Rollschuhe, Büchlein, Flieger Teufel Klaps, Flaschenwagen, Kinderschiebewagen Slalom, Zeit Zwillinge, Windrad, Wohnung, Muldenkipper, Schubkarre Luftblasen, Händchen Keim, Milchschnitte, Becherchen, Osterei, Rollschuhe Rezept, Leffi (bair.), Ravioli, Gitarre Platte Schniefnase, Kribbelwasser Schokoladenkekse, Puppenwagen Ypsilon, Helm Träne, Brettchen, Musikanten Lutschbonbon, Bleistift, Dummheiten Leitung, Tröpfchen, Malventee Ärmel, Urlaub, Regenwurm Pinguin Schopf, Marienkäfer, Bettzeug, Hundedreck, Krähe Zopf, Bauchschmerzen, Osterhase, Kerzeneier Schnabel, Pickel Gummischlange, Aufkleber, Kante Zeiger Camembert Traktor, Küken Schallplatte, Piepser-Telefon, Piepse-Vögelchen Sandale, Hosentasche Plastik

2;2,0 A 2;2 2,2,2 2;2,3 2;2,4 2;2,6 2;2,8 2;2,9 2;2,11 2,2,12 2;2,13 2;2,14

Hörer Spatz, Apparat, Korn, Ohrringe, Kopfschmerzen, Schalter Böhnchen Spinne Walkman, Fahrer Dreieck, Anfang, Schlückchen Mops Spargel Autobahn, Pfeffermühle, Schmusekissen Stöpsel Wulle-Wulle-Gänschen Mützelein, Beule

230 Alter

Lexem

2;2,15 2;2,16 2;2,17 2;2,20 2;2,22 2;2,23 2;2,24 E 2;2 2;2,25 2,2,26 2;2,27 2;2.28 2;2,29

Aufnahme, Rechnung, Leerdanier, Besuch Taxi Magen, Pfefferminz Postkarte Schnute Schwimmbad Walroß Muster Rest Zudecke Baustelle Chips Wimper

2;3,0 A 2;3 2;3,1 2;3,2 2;3,4 2;3.5 2:3.6 2:3,7 2;3,8 2:3,9 2:3.10 2;3.11 2;3,12 2,3,13 2;3,14 2:3,15 2,3,16 2;3,17 2;3,18 2:3,19 2:3,20 2:3,21 2:3.22 2;3.23 2:3,25 2;3,26 2:3,27 2;3,28 2:3,29

Dings, Schmiere Scheibe, Treppenhaus, Hosenträger, Dummheiten Lolli, Straßenschuhe Alarmknopf, Waschlappen Wurzel, Flügel, Kräuterbutter, Paradies, Pulver, Fischkorn, Laune Kokon, Nordwind, Krankenhaus Mundharmonika, Handfläche Karo-Kaifee, Puder, Imker, Pfefferminztee Schlingel. Allergie, Klapper, Hausschuhe. Autospiel Muskel, Kirschjoghurt König, Apfelbaum Cevapcici (kroat.), Schuhband Entenküken, Bauernhof, Bienchen Polizei, Pfau, Hintern Rückenschmerzen, Musikhörer Klappe Träger, Donnerstag, Sonntag Woche, Blitz Holztür Blütenblätter, Becken Tempo, Gepackträger, Fahrradtour, Mausepuzzle Brustwarze Liederbuch Rüssel, Spitze Dinosaurier Schreck, Tengelmann?, Kinderärztin, Rasenmäher, Federball Nashorn, Biergarten, Zigarettenstummel Kraut, Ringfinger Saurier

231 Alter

Lexem

2;4,0 2;4,1 B 2;4 2;4,2 2;4,3 2;4,4 2;4,6 2;4,7 2;4,8 2;4,10 2;4,11 2,4,13 2;4,14 2;4,17 2;4,18 2;4,19 2;4,20 2;4,22 2;4,23 2;4,26 2;4,27 2;4.29 2;4,30

U, Brie, Fledermaus, Zahnärztin, Steinbutt Torte, Kuchenförmchen Netz, Königin, Schädel Lasagne Schäferhund 0 , Musikschachtel, Rand Rattemaus. Stiel Hütte Radi (bair.) Sonnenstrahlen Kreisel Stadtplan Tulpen, Windhund, Bratwurst, Kniescheibe, Schneckenwurm Magenschmerzen Spinnweben, Brunnen, Eingang Friseur, Glasscheibe, Weg, Wippe, Würstline, Äffchen, Spiegelei Cowboy, Doppelknoten Hase-Schere Laberkopp, Weile, Rennauto Ober Käsesorte Notbrille, Recorder Geige, Grizzly-Bär

2;5,0 2;5,1 2;5,2 2;5,3

Handstand, Mohnblume, Bonbell, Busfahrer, Quatsch, Zelt Glasscherben Bierdeckel Johannisbeeren, Eiermann

* A = Anfang, die ersten zehn Tage eines Monats (x;y,0 - x;y,9) M = Mitte, die zweiten zehn Tage eines Monats (x;y,10 - x;y,19) E = Ende, die restlichen neun bis elf Tage eines Monats

232 D Übergeneralisierungen der Plurale (mit Mehrfachnennungen) Alter

Übergeneralisierung

Bedeutung/Kommentar

1;2,29

bama

'Bäume'

1;3,0

VUIS3

'Füße' (nicht sicher, ob PI. gemeint)

1;5,5 1;5,8

Büche zwei Bulli

'Bücher' 'VW-Busse'

viele Miau viele [mctalai] viele Apfel

'Schmetterlinge'

6,16

6,21 6,25

7,1 Baume 7,18 zwei Auge 7,24/25 viele Sande 7,27 Leutes

verbessert sich zu Bäume 'Dünen' auch 1;9, 1;10 - E 1; 10; E 1;10 korrekt

A 1;8 1;8,0 1;8,0 1;8,3 1;8,6 1;8,7 1;8,9

Kindern Knöpfen Leutes Vögels [denan, denen] Legosteinen Lochen

1,9,8 1,9,12 1;9,19

auch 1;9,8, E 1;9,1;10 Haaren Krug, viele Kruke Balongse noch Nüsse nachdem sie die Singularform hörte viele Mannis, Männer, Männis Tüchern Büchern, Büchern, überall Büchern diese Pluralform bleibt vorläufig, erst 2;0/2; 1 korrekt Eiern Bälla Äpfeln zwei Tuchen Männern Keksen keine Tüchen drin Baggern

1;9,23

9,24 9,25 9,28 9,29 9,30 10,0

'Zähne'

233 Alter

Übergeneralisierung

i;io,i 1;10,2 1;10,7

Bäums Füßen Bildern 1;10,10 Sternen

i;io,n

Stocke Zwergen Philipp hat auch Haaren Ringa beiden Papan viele Marken eine Hut, viele Hutsis

1;10,13 1; 10,20 1;10,25 1; 10,29 1:10,30

Haaren 1:10 1; 10/1; 11 Zehn, Zehnen 1;11,7 1;11,13 1;11,16 1:11,18 1;11,19 1;11,20 1,11,21

1;11,22 1:11,24 1:11,27 l; 11

2;0,3 2:0,14 2:0,16 2;0,20 2:0,21 2:0,21 2:0,21 2:0,24 2;0,25 2:0

nich aiife Krümels schau mal, aua, alle auas ein Buch, viele Buchen zwei Bulli Negern viele Mannen, viele Männer viele Strichen Kämmer Fischen Keksen viele Topfen erst die Stiften aufräumen eins zwei drei Milche wo's die Tellern? Tüchern Stiften die Stiften gut nich malen Köpfen welchen Bällen Liedern Blättern Zaune Zaune noch welche Ballen, siehst du da Spielzeugen

Bedeutung/Kommentar

Balongse

'Eltern' Markstücke

'Zehen'

oft 'Kämme'

oft oft

234 Alter

Übergeneralisierung

2; 1,1 2; 1,3 2; 1,4 2; 1,7 2; 1,8 2; 1,11

viele Locke 'viele Locken' viele Posten 'viele Briefe' viele Amsels welchen große Sacke meine Klebe, meine Klebens 'Klebebilder' viel Spangs beiden noch mehrs viele Feite 'Felder' viele (Scho)kolades Gummibärchens viele Alfens Klötzen da is noch ein Fenster, viele Fensters viele Wursts viele Vogels komm noch rnehrs viele Regenwurme hab ich sehn die kleinen Klotzen, wo sind die hin? Balle Ballo/rj/e, Ballo/g/s zwei Huhnern viele Sternen Colen 'Colaflaschen' da noch mehrn Bergen wo's die Jungsen? Didin bair.'Schnuller', pl.

2:1,13

2; 1,14 2; 1,15 2; 1,16 2; 1,17 2; 1,18 2; 1.19 2:1,21 2;1,23 2.1.25 2;1,26 2:1,29 2,2.0 2:2.1 2:2,6 2:2,18 2:2,22 2;2,24 2;2,27 2:3,0 2:3,5 2:3,9 2:3,11 2:3,13 2;3,15

Ringen Fußen Dreiräden Zwergen mehr Pinguins viele Häppchens Pinguins viele Mause Gläsern Fuße viele Käfern viele Schritten (2x) Pilzen viele Glase

Bedeutung/Kommentar

235 Alter

Übergeneralisierung

2;3,15 2;3,16 2;3,20

Äpfeln viele Opans Lexikone Punkten zwei Gummien Stuhle Ohrens Pomm-Fritzen Leuten Pizzan viele Ue Lüften Maul würfe viele Käfern zwei vier Juttan viele Hünde beiden hat sich wehgetan Schwane Zwieben welchen blauen Gummien Auton Fischen

2;3,25 2;3,26 2,3,21

2;4 2;4,3 2;4,4 2;4,6 2;4,14 2;4,17 2;4,19 2;4,20 2;4,22 2;4,25 2;4,27 2;4,28

Bedeutung/Kommentar

'Pommes frites' nachdem sie die Singularform hörte Plural des Buchstaben U

'Zwiebeln'

236 E Spontanschöpfungen

Da hierfür die Beispiele erst in der späteren Entwicklung zunehmen, sind Spontanschöpfungen bis zum Alter von 8 Jahren aufgeführt. Der Tag des ersten Auftretens ist genannt. Es ist zu beachten, daß für das Alter von vier Jahren keine Spontanschöpfungen notiert wurden und daß danach nur vereinzelt mitgeschrieben wurde. Mitberücksichtigt sind auch okkasionell gebrauchte Formen. I Komposita Alter

Lexem

1;6,11 Bodenlappen 1;9,9 Weißemann 1;10,9 Kitzelkind 1; 10,25 Spielerelefant 1; 10,26 Lichtturm 1;11,12 Mamagei 1; 11,28 Salzbecher 2;0,8 Autopuzzle 2;0,24 Sahneflasche 2;0,24 Schiebewagen 2 ; 1,1 Schieberkinderwagen 2; 1,2 Flaschenwagen 2; 1,3 Kinderschiebewagen 2; 1,5 Wickelzeug 2; 1,14 Vatervogel Kerzeneier 2; 1,20 2; 1,27 Piepsevögelchen 2; 1,27 Piepsertelefon 2;2,3 Hefeschlange 2;2,19 Kinderenten 2;3,4 Fischkorn 2;3,8 Autospiel 2; 3,10 Pilleijunge 2;3,14 Musikhörer 2;3,14 Spielrolle 2;3,20 fertiggerufen 2;3,20 2;3,26 2;3,28 2;4,0

Mausepuzzle Tengelmama Briekäse Beppihundoma

Kommentar 'Putzlappen' (für den Boden, nicht für Geschirr) 'Schneemann' wahrscheinlich 'Kind, das kitzelt oder gekitzelt wird' 'Elefant zum Spielen' (nicht zum Schmusen) wahrscheinlich 'beleuchteter Turm, Leuchtturm' 'Salzstreuer' meint Schampooflasche* 'Wagen zum Schieben (für Kinder)' 'Wagen für Kinder, der geschoben wird' 'Wagen zum Transport von Flaschen' 'Wagen zum Schieben für Kinder' Gegenstände, die zum Wickeln gebraucht werden 'eiförmige Kerzen' • (aus Hefekuchen und Gummischlange) 'Küken' 'Sand aus Förmchen in Fischform' statt Pillermann 'Penis' 'Kopfhörer' 'großes rollenformiges Kissen zum Spielen' als sie „Mama" schreit und die Mutter sofort kommt, beschwert sie sich, daß sie noch gar nicht fertig war mit Rufen statt Tengelmann (Supermarktkette) 'Butterkäse'* diejenige der Omas, bei der der Hund Beppi wohnt

237 Alter

Lexem

Kommentar

2;4,4 2;4,6 2;4,14 2;4,22 2;5,28 2;8,20

Musikschachtel Rattemaus Schneckenwurm Haseschere Boxerhund Donnerplatz

'Mundharmonikaschachtel'

2;9,15

Stichbaum

2;9,15 2;9,15 2;9,25

Tannenzapfenbaum Blätterbaum Gürtelhose

2; 10,7 2; 10,27 2; 11,18 3;3,11 3;3,12 3;10,16 5:7.23

Hilkunskind Nackerpott Weinetropfen Mamatag Kühlwasser Ohrschmerzen Hochzeitskleid

5;9,9

Gipspulli

5;9,9 5;9,9

Lehnenkissen übersaufen

5;9,19

Buntbuntstift

5;9,29 5; 10,27

Zehnmonatesbaby schlechthörig

5;11,3

Handbad

5;11,8 5:11,23 6:0,14

Sicherheitsgürtel Gansmann Pospitze

6;9,21 6:9,29

Oberkörper glockengespielt

7:1,17

kopfhören

'Schere in Form eines Hasen' 'Boxer' (Tier) zu Donnersbergerbrücke, Marienplatz, SBahnstationen, „Donnerplatz, alle aussteigen bitte!"* 'Nadelbaum', auch Tannenzapfenbaum, vs. Blätterbaum 'Nadelbaum', auch Stichbaum, vs. Blätterbaum 'Laubbaum' vs. Tannenzapfen-ZStichbaum 'Hose mit Gürtel' vs. Trägerhose (fam.) mit Hosenträgern zu Menschenskind 'unbekleidete Person', zu Nackerfrosch (süddt.) 'Tränen' 'Muttertag' 'kühlende Creme für Brennesselwunde' 'Schmerzen, die ein Ohr verursacht' 'ein neues Kleid, das für eine Hochzeit gekauft wurde' 'Pulli, dessen Ärmel wegen des eingegipsten Armes aufgetrennt ist' 'Polster', „das Kissen von der Lehne" 'zuviel in den Mund schütten', „Wenn ich zuviel [in den Hals] reinschütt', dann übersauf' ich mich." 'Buntstift mit mehrfarbiger Mine', (zweite Silbe betont) 'zehn Monate altes Kind' 'schwerhörig', „Du bist vielleicht schlechthörig!" (als sie nicht verstanden wird) zu Fußbad, sie möchte ihre kalten Hände in warmem Wasser aufwärmen 'Sicherheitsgurt' 'Gänserich' 'äußerster Teil vom Po' (der Po guckt teilweise aus dem Badewasser heraus) 'oberstes Daumenglied' 'auf Glockenspiel spielen', „Ich hab' ganz schön glockengespielt." 'mit dem Kopfhörer hören', „Ich höre köpf."

238 Alter

Lexem

Kommentar

7;5,2 7;11,10 8;1,6 8;5,3 8;5,3 8;5,3 8;5,3 8;8,19

Kopfloch Zirkuswiese Buchspitzer kurzbeinig kurzarmig nacktbeinig nacktarmig Käseschokolade

'Ausgang im T-Shirt für den Kopf 'Wiese, auf der Zirkusse gastieren' 'Spitzer in Buchform' sie hat freie Arme und Beine sie hat freie Arme und Beine

"Kontamination

'weiße Lufitschokolade (mit Löchern)'

239 II Derivate Alter

Lexem

Kommentar

1;5,26 1;9,15 1;10,2 1; 10,29 1; 10,29 1;11,28 1;11,19 2;0 2;0,1

piesel piesel hoppeln fetschen scheren Schläfer druck druck tropfein Kleber fetz fetz

2;0,3 2;0,6 2;0,8 2;0,11 2;0,18

Trinker Schlafer Tanker Spüle renn renn

2;0,29 2; 1,5 2;1,6 2; 1,11 2; 1,17 2;1,24 2;1,25 2;1,25 2;1,28 2;2 2;3,7 2;3,8

Stäb gedongt gebäh-acht Klebe, Klebens schrei schrei tockt, tocken Piepe kück kück räuschen piller piller (ge)hickst Klapper

2;3,10 2;3,12 2;3,20 2;4,17 2;4,19

seifen tüten killen (ge)tockert Würschtline

2;5,3

(ich) eier

2;6,13

zusammenstreuden

2;7,21 2;8,28 2;8,29

der Schraub ein Mück abgesägt

zupieseln 'urinieren', süddt. Umgangssprache wahrscheinlich 'hüpfen' zu fetsch (flitsch), 'ein Gummi flitschen lassen' 'mit der Schere schneiden' 'Mensch, der schläft' Geräusch des Druckers, „es druckt, druck druck" statt tröpfeln, wohl zu tropfen Aufklebebild (oft) zu fetzen 'schnell laufen', Beschreibung der Tätigkeit 'Getränk' meint wahrscheinlich Bett 'Mensch, der tankt' 'Spülknopf der Toilette' zu Rennwagen, Rennauto, „Rennwagen macht renn renn 'Strohhalm' zu Stäbchen 'dong gemacht' 'bäh gemacht' Aufklebebilder zu schreien, „Macht die da? - schrei schrei." zu tocktock, 'hämmern, klopfen' 'Küken', wahrscheinlich von piep piep machen zu Küken, „macht kück kück" zu Geräusch, 'ein Geräusch machen' zu pillern 'urinieren', norddt. Umgangssprache 'hicks gemacht' 'Spielzeug mit Metallzunge, die auf Druck klackendes Geräusch erzeugt' 'einseifen', 'Seife nehmen' zu tüüt, 'tüüt machen' 'killern', zu kille kille 'gehämmert, geklopft' zu Wilrschtli, Kosewort, verbessert das an sie gerichtete „Du Würschtli" 'ich mache ungleichmäßige Schaukelbewegungen' (mit der Schaukel) 'die Haare mit einer Spange zusammenbinden', wahrscheinlich zu streuen wahrscheinlich 'Schraube' 'Mücke' 'Bart rasiert'

240 Alter

Lexem

Kommentar

2; 9,10 2; 10,0

ausgelernt angewaschen

2; 10,11 2;10,19 2; 10,19 2; 10,21

schampig Klauerin Vergesserin zeigern

2; 10,29 2; 11,14

Selberes ein Genuger [-k»]

3;0,2

Überlegung

3:2.1 3;2,3

Verbindungen Königan

3;2,28

angeschmissen

3;3,4 3;5,29

wegger ungefahr/ungefair

3;6,11 3; 11,18 5;8,28

Finkeline ungutig Bilderisches

5;9.10

Putz

5;9,11

Krempel

5; 9,17

beretten

5; 10,13

kindig

5; 11,8

Startung

6;0,13

Einbildiger

'verlernt', „Kann ich nicht mehr, schon ausgelernt" 'mit nasser Hand angefaßt und etwas gewaschen', „Ich hab' dich angewaschen." 'voller Schampoo' 'weibliche Person, die etwas klaut' 'weibliche Person, die etwas vergißt' 'Tätigkeit des Uhrenzeigers' „Wenn der Zeiger kaputt ist? Was ist dann? Dann kann er nicht mehr zeigern." 'Eigenes', „Nein, ich hab' ein Selberes." 'Einer, der genug ist, aufhören soll' (Sie hat genug Schnupfen gehabt und findet, es reicht: ,,Is' doch ein Genuger." 'Gedanke, Ergebnis des Nachdenkens' „Ich hab' mir überlegt, ob ich dir helfen soll oder nich' 'nein' hat die Überlegung gesagt." 'Verbände' 'König', „Ich bin die Königin und der Papa is' der Königan." („Kommst du angelaufen oder angekrochen?) Sie wirft uns Socken zu. „Ich komm' angeschmissen." 'mehr weg', „Warum has du die noch wekker getan?' 'frech, unverschämt, o. ä.', „Papa, sei nich' so ungefähr!" zu Fink, Antwort auf „Du Fink!" 'schlecht' 'etwas mit Bildern' „Nichts mit Schreiben, nur mit Bildern, was Bilderisches." Sie hat ein Bild ohne Text gemalt. 'Einheit des Putzens', „Dachtest du, ich hätt' nur einen Putz gemacht?' (nicht lang genug Zähne geputzt) 'Einheit des Krempelns, einmaliges Umkrempeln', „ein Krempel zu groß" (die Hose ist zu lang, wenn sie einmal umgekrempelt wird, paßt sie) 'erretten', „Und sie wollten sie vom Tod beretten." (erzählt Märchen) 'jung, kindlich', „Mit der Mütze siehst du viel kindiger aus als sonst." (zur Mutter) 'Start', „Sicherheitsgürtel anziehn - Startung - und los!" (hüpft vom Turngerät) 'Eingebildeter'

241 Alter

Lexem

6; 1,12

'Bewegung', „Wenn ich den kleinsten Beweger mach'..." (Dann tun ihre Windpocken weh.) Würschtler, Wurstler 'Metzger', „Vielleicht hat der Würschtler die Wurst falsch gemacht." (- „Der Würstler?' - ) „Oder der Wurstler, kann man auch sagen." Mißmißmißverständnis 'mehrfaches Mißverständnis auf beiden Seiten, dabei im Ergebnis aufgehoben' „Da entsteht, daß du mit ihm ein Kampf entsticht." entsticht 'aussehen wie Julia' Die Mutter sieht julig aus, weil julig sie eine ähnliche Frisur hat wie Julia, 'sich auftürmen, wölben', „Es bergt sich auf' zu sich auibergen gewölbter Oberfläche der flüssigen Medizin auf dem Löffel 'Schieber' (Hilfsmittel zum Kochen) eine Schiebe 'teuer' zu teurer Straße bei Monopoly kostig 'Verständnis', „Der Papa hat gar kein Verstand von Verstand Kinder." 'Zackenmuster mit der Zackenschere geschnitten' reingezackelt 'Hosenbein wieder auf rechts ziehen', das Anziehen rumbatzeln der Kleidung dauert so lang, weil sie rumbatzeln muß; eigentlich bair. für 'schmieren' 'Einheit des Schaukeins, eine Schaukelbewegung', Schaukel „Wart", ich muß noch ein Schaukel machen." (einmal schwingen) Haßling 'etwas Verhaßtes', „Mann, warum machst du mir immer so ein Salat? Du weißt, daß der mir ein Haßling is." 'Klavier spielen', „Ich hab' ganz schön klaviert." klavieren 'blendend', „Das is' so blendig." (Licht blendet sie) blendig 'TÜV abgenommen', „Der hat vor Neujahr nicht getüvt getüvt." (Der TÜV hat vor Neujahr keine Autos kontrolliert.) 'Schweiß' Schwitze normaler Kuchen statt Marmorkuchen; „is so einschmeckig eintönig, irgendwie so einschmeckig." dingsen 'Dings machen'

6; 1,12

6;6,16 6;8,26 6;8,28 6;9,8

6;9,14 6,9,19 6;10,1 7;0/7;l 7;1,15

7; 1,20

7;3,16

7;8,20 7; 10,12 7,11,6

7;11,9 8;1,27 8;5,5

Beweger

Kommentar

242

F Zusammengesetzte Tempora Für die zusammengesetzten Tempora sind im folgenden eine Reihe Beispiele aufgeführt, die anfangs um Modalverbkomplexe ergänzt werden, um die begrenzten Produktionsmöglichkeiten zu veranschaulichen. Die Liste ist keineswegs komplett. Ab 1;9 haben wir aufgrund der Menge an Beispielssätzen eine andere Notationsweise gewählt. Zu Beginn, wenn nur Kurzäußerungen möglich sind, fehlen meist Subjekt/Agens und das Hilfsverb (a - d). Entsprechend fehlen in Modalverbkomplexen (e) Modalverb und Subjekt/Agens. Etwas später erscheint statt Objekt auch Subjekt/Agens (f, g). In (i) haben wir bereits Dreiwortsätze, die in einer Transitionsphase aus da und Zweiwortsätzen entstanden sind. In (k, m) finden wir das Subjekt/Agens als Teil des Amalgams kann man, ebenfalls als Übergangslösung zu längeren Sätzen. Verbkomplexe mit Modalverben sind Ende 1;6 häufig und zeigen, daß meist nur Zweiwortäußerungen möglich sind. Das bedeutet, daß es kaum zu zusammengesetzten Zeiten kommen kann, da hierfür schwachtonige Hilfsverben nötig sind und Partizipien statt Infinitive. a. b. c. d. e. f. gh. i. jk. 1. m. n. 0. P q

[zoka fon] Socke gefunden, 1;5,24 [dekj dafiü] Deckel gefunden, 1;5,24 [buit ma] kaputt gemacht, 1;5,25 [buitamats] kaputt gemacht, 1,5,26 [dekl ham] Deckel haben, 1;5,27 [puitamat papa] kaputt gemacht Papa, 1;6,2 [gekat marha] gekleckert Mama, 1;6,2 ['—ga sess] [im] Gras gesessen, 1;6,4 [aus Bilderbuchtext, oft gehört] [da bom maxt, da pik maxt] da bomm gemacht, da piek gemacht, 1;6,5 [als sie nachts aufwachte, hatte etwas bomm/piek gemacht] [9aba-?-mat] sauber gemacht, 1;6,5 [mit unverständlicher Silbe] [kaman öitöan] [hier] kann man sitzen, 1;6,25 [vil lofa] will schlafen, 1;6,25 [kaman öffixen] kann man suchen, 1,6,21 [maxe guiksn] [ich] mag gucken, 1;6,28 [make helfan] [ich] mag helfen, 1;6,28 [vDlt(a) öiöan] wollte sitzen, 1;6,29 ['ich will sitzen'] [las ligan] laß liegen, 1;9,3

Deutlich später, ab Ende 1;9, realisiert A. auch Hilfsverb + Vollverb (z.B. 1;9,24, 1;9,27, 1;10,7, 1;10,8, 1;10,9, 1; 10,19 a, b), aber nicht immer (z.B. 1;10,7, 1;11,1). Die Probleme für die Bildung des Perfekts liegen einmal im Bereich der Partizipien, die als Infinitiv/Stamm (z.B. 1; 10,20), ohne ge-Präfix (vgl. 1;10,7, 1;10,19 b, 1;11,1, 1;11,3 a), mit falschem Stamm (z.B. 1;11,10, 2;0,15 a, 2;5,0 a, b) oder mit falscher bzw. doppelter Endung (z.B. 1;11,7, 1;11,10, 1;11,29 a, b, 2;1,6 a, 2;1,15 d) verwendet werden. Diese Abweichungen von der Zielsprache treten auch kombiniert auf. Ende 2;1 wird Vergangenheit allgemein durch gestern, auch eben und vorhin ausgedrückt. Zukunft ist allgemein morgen, auch bald und nachher.

243 Häufig fehlt in längeren Sätzen noch das Hilfsverb (z.B. 2,1,16 a, d, 2;1,26 a, 2;1,29). Später werden sein und haben vertauscht (z.B. 2;3,21 b, 2;3,25 a, 2;3,27, 2;6,2 a, 2;6,4, 2;9,7 a, b). Außerdem ist die Stellung der Glieder häufig nicht korrekt (z.B. 2;1,15 b, 2;3,17 c, e, 2;4,1, 2;6,21 a, b), oder das ge-Präfix wird falsch zugeordnet (z.B. 2;1,15 e, 2;3,8). Einige Beispiele zeigen, daß A. sich ihrer abweichenden Produktion bewußt ist, den Fehler aber nicht lokalisieren kann und eine neue Formulierung wählt (vgl. 2;9,12 b). In einigen Fällen verbessert sie sich erfolgreich selbst (z.B. 2;0,17 b, 2;7,30, 3;0,8) oder nicht erfolgreich (z.B. 2;6,6). Noch mit fünf, sechs und sieben Jahren gibt es Stellungsfehler des ge-Präfix und Fehlbildungen bei Partizipien (vgl. 5;10,30, 5;11,1, 5;11,4, 5;11,24, 5;11,25, 6;0,3, 7;2,27, 7;4,8). Das Plusquamperfekt ist selten (z.B. 2;2,4 a, 2;3,7, 2;6,3, 2;9,7 a, 3;0,23). Die Vor-Vorvergangenheit tritt kaum auf (z.B. 5; 10,28). Für Futur wird meist, wie zielsprachlich üblich, Präsens gewählt, wenn die Situation oder der Satzzusammenhang, meist Adverbien, die fiiturische Bedeutung sicherstellen (vgl. 2;1,7 a, 2;1,11 a, 2;1,25 d, 2;3,4 b). Werden erscheint ab Ende 1;11 (z.B. 1;11,29 d, 2;0,24, 2;0,25, 2;0,27 a, 2;1,5 a, 2; 1,9 a). Konjunktivformen treten Mitte des dritten Lebensjahres auf (z.B. 2;5,28 a, 2;8,1, 2;8,21, 2;9,29, 3;3,12, 3;6,0, 3;6,1). Im Laufe 3;7 verwendet A. öfter korrekt Konjunktive in Verbindung mit Modalverben oder Partizipien. 1;9,24 1;9,27 1; 10,7 1; 10,8

[filtan väs das, habazen] Schlitten war das, habe gesehn da [xän] da rüber, happesehn Kran [sie hat da drüben einen Kran gesehn] wo's die da hingangen ? sauma hamma gessen anner Stuhl ['schau mal, wir haben den anderen Stuhl vergessen zu holen'] 1;10,9 Vansgicka happegessen Burscht ['bei Franziska habe ich Wurst gegessen'] l;10,19a happesehn Cornflaksch ['ich habe die Cornflakes gesehen'] b Weihnamann hat au sungen ['beim Weihnachtsmann / als der Weihnachtsmann da war, haben die Kinder / A. auch gesungen'] 1; 10,20 wo 's der komm hin? ['wo ist der hingekommen?'] 1; 10,27 Tiger, runterfallen Tiger Laster [der Tiger ist vom Laster runtergefallen] 1; 11,1 A nita - Uli gangen. 1; 11,2a Joghurt hamma vergessen. b Elefant hamma [verbessert. 1; 11,3a Wo 's der hingangen? b Nein is nich kaputt gerissen, is heile. 1; 11,4 A's Bauch, eingepackt. 1; 11,5 Bagger haben, hamma [ver\gessen Schlafzimmer. 1; 11,7 Wehgetanen am Fuß. 1;11,8 Is aberissen, oh Manno! 1; 11,10 Hat schon trinkt. 1; 11,11 Der Stifi runterfallen. 1; 11,13 a Wo's des doofe Tuch- weggeräumt!

244 b 1; 11,15a b 1; 11,18 1; 11,20 1; 11,21 1; 11,26 1; 11,29a b c d 2;0,0 2;0,7 2;0,15a b c 2 ;0,17a b c 2;0,18 a b 2;0,20 2;0,22 2;0,24 2;0,25 2;0,26 2;0,27a b 2;0,29 2; 1, la b c 2; 1,4 a b c 2; 1,5a b 2; 1,6a b c d e 2; 1,7a

Hat schönetrinkt. S Telefant hamma vergessen. [Elefant] Papa auch spazieren gegangen. Gestern n Döpschnemacht. [Zeitangabe korrekt, 'Gestern hab ich ins Töpfchen gemacht'] Wo's das Tasche, weggeräumt! Wo's deine Tasche? Auto legt [hingestellt], Schau mal, das da, Papa \\QT]gessen. Turnen, turnen, Mama gangen. Hat schönetrinkt. Hat schonnelafl. ['geschlafen'] Keine Messer gehabt. Bauch [va/et] kalt, [wird] Oh, ganze Sachen weggeräumt. Ich [xap] noch eine gefunden. [Ich hab -] Und dann, da reinetut. Oh, kuck mal, Felizitasemacht. Der Patrizia hört das, ein [gos]egeben. [ - Kuß gegeben] Uhr genehmt. Auch naß worden, - nasseworden. Papa auch da reinetunt. Felizitas [ge]spielt, und Patrizia hatsespielt. Und nochmal geweint. Die freut sich, schau mal, [von] Moni Vansgika kriegt. [Franziska] Schau mal [ver\loren, hat se [ver\loren. Das Auto [vet] auch schmutzig, [wird] DieAngie [vet] krank, [wird] Die Franziska plums gemacht. Die weint, die; die weint noch mehr; die Puppe die wird naß; Der Puppe was [zu] trinken geben, has [2. Pers.] Durst, komm! Siehst du das, der Puppe was trinken gegeben. P e ] is gefallen. P a s haben] alle die Vögel abflückt. Hat gemalt, schau mal. Was trinken, nachher was trinken. Habedacht Auto, ['ans Auto gedacht'] Sind die Hunde übelaufen; vonner anner Seite, schau ma, hat michesehn. De is gefallen. Der Elefant wird böse. Wo 's der jung [?], is arbeiten gangen, da isser, Fahrstuhl drin isser, habesehn. Des reinetunt. Rolle hab ich sehn. Die weint schon, wehgetan hat. Die Tomate is zugedeckt [unter Käse], Eine Schaufel gegeben. A. geht schlafen, eine Mücke machen nachher.

245 b c d e 2; 1,8 2; 1,9a b 2; 1,10 2; 1,1 la b 2; 1,12 2; 1,13 2; 1,14 2; 1,15a b c d e f 2;l,16a b c d e 2;1,17 2;l,18a b 2; 1,20a b 2; 1,2 la b 2; 1,22 2; 1,23 2; 1,25a b c d 2; 1,26a b c d 2; 1,28

Gleich runterfällen. Bohrter nich mehr, aufehört. Tür zumemacht. Wo's [Frau] Wolf gangen? Da hineschmeißt. Schau, da hinestellt. Die Beate wird krank. Lego geschmeißt hat, dann is sie traurig, Beate. Die hat sich wehgetan. Da gehma gleich hin. Papa hat gekrümelt, hija hija ho [mit Melodie von „Old McDonald had ..."]. Der Fuß reinesteckt hat. Da sind sie reingegangen. Da war ein Vater- Vogel hat gefressen. A. hat gebadet, weißt du das? Elefant Papa mitenehmt. [Papa ist Subj./Agens] Hat geschlaft, aufe, aufm Küche. Was getrunkt. Hat schonerichtig die A nemacht. [mit Partizipialpräfix vor richtig] Da isse rausegangen. Weggeräumt der Papi [dieLöffel], Lego spielt, eine Lauer hatemacht. [= Mauer, von „auf der Mauer, auf der Lauer"] Heute auseschlafen habt, dann könn wir zu Alice gehn. Noch nicht ferti[$]ebaut. Der hat die Brille neu macht, der Optiker. Der andere Oppiker war nich da, oder?- nö! Der andere spazieren gegangen. Der Papa hat die Legosteine apebaut. Viele Regenwurme hab ich sehn. Böse wird die A. Ja, hapeschonesehn. Is aufelassen. Heute A. auseschlafen hat, dann holn wir Pakete. Auseschlafen hat, dann könn wi zu Felizitas. Hat schon[g\ Schippe kriegt. Des ein Kuchen wird, ein Kuchen, ein großer Kuchen. Die Mama hat wasesehn. Und Mund gewaschen wollte nicht die A. [wollte nicht, daß ihr der Mund gewaschen wird], Die Fraus mitekommen. S das da [was] der Papa funnen hat? Einmal schlafen, [dann] gehn wir zu Essen. Die Mama gestern gebadet. [Zeitangabe korrekt] Der Osterhase hatebracht. Der 's dreckig wird gestern. Hab ich da reinetut. Wenn du Frühstück gegessen hast, die A., kaman das essen [meint sich selbst].

246 2; 1,29 2;2,0 2;2,2a b c d e 2;2,3a b 2;2,4a b 2;2,5a b c d 2,2,6 2;2,9a b 2;2,10a b 2;2,11 2;2,18a b 2;2,20a b 2;2,21a b c 2,2,22 2;2,25 2;2,28a b 2;3,0 2;3,2a b c 2; 3,4a b c 2;3,6a b 2;3,7 2;3,8 2;3,9a b

Der Dustin aufe Schnecken getreten. Morgen könn wa was kaufen. A. hat da gesserngeweint. [Zeitangabe korrekt] A. is kleiner, wird ein Jahre. A. hat da gestern geweint, die Bohrmaschine war da. [meint 'gerade eben'] Wenn er aufregt, dann wird er [Pause, Nachfrage] - krank. A. hat nur ein Tröpchenemacht. Der Bauch hateblubbert. Wo's der Papa hingegangen? Gestern war ein Kind gewesen. Macht da der da anner Wand? Die Kleine hat geweint, du! Der Papa hat geträumt. Wenn er kaputt is, dann kriegst noch ein Ball. A. hat gesterneweint. Heut morgen hama die Schwergenesehen. [Zwerge] Wenn das kaputt is, dann kriegt A. neues. Viel hat A. nichesehn, die war schon weg. A.sgestern Treppe runnerfallen, A hateweint, die Oma aber nich. Da hab ich d' hinnelegt. Anita fahrma auch bald hin. Gestern hatA. gekleckert. Die Franziska darf das nich Mund nehmen, hat die Moni weggeräumt. Hab ich so hinnelegt. Wo 's die Blüten, die ham die mitgenommen. Wenn der Zeiger oben is, dann kriegt dieA. noch eins. Das kann die A. nich schaffen; wenn die A. größer is, dann kann die das. Da hab ich Platzemacht, da kannste sitzen. Jetz hatters mir weggenommen. Ausm Mundenehmt. Kuck, die hat die Brille apesetzt. Die arme Mia hat sich wehgetan. Taube gesehen und Amsel. Das hat die Mama emalt. Was hat die Mama da emacht? Von deiner Mutter gekriegt. Er hat gestern geweint. Ich will Pudding nachher essen, Hat schlechte Laune habt. Der is traurig, weil er das Paket weggenehmt hat. Was hat der Papa aufm Stuhl gemacht? DieA. war umekippt. Ich hab auch gesterneweint, weil der Junge mich schubstehat Das rutscht weg, das will nich auferäumt werd [= die Bücher wollen nicht aufgeräumt werden], Die wollen turnen mit; die wollen nich mitturnen, die ham neinesagt

247 2;3,10 2;3,11 2;3,15 2;3,17a b c d e f g h 2;3,18a b 2;3,19a b 2;3,20 2;3,2 la b 2;3,23a b 2;3,25a b c 2;3,26 2;3,27 2;3,28 2;4,1 2;4,2 2;4,3 2;4,5 2;4,6a b c d 2;4,7 2;4,11 2;4,14a b 2;4,15 2;4,16 2;4,17 2;4,19a

A. gehtnich zu Felizitas. [- „warum?"] - weil A. viel geweint hat. Warum hat der Papa michehaun? Gestern ha i [= hat die] A. gekleckert, ein bißchen. Ich kratz ja nich, hab nur estreichelt [soll ihre Haut nicht aufkratzen]. Mei, hab der Katze ein Kuß gegeben; hat mir ein Kuß gegeben, du liebe Katze. Der Papa vonner Franziska hat auch gegessen Kuchen. Du hasekrümelt - die hatekriimelt, das hat die Katze nichemocht. Die haben mir erzählt was. Hat der Papa mir esagt? Wenn da eine Gummischlange is, dann wird sie mal fliegen. 'Nich zudecken' hat die Mama mir gesagt. Ich hab nichts esagt, hab nur 'hä'gemacht. Hab auch welche Teller gefunden. Ein kleinen hat die Mama mir gekauft und noch ein großen [Selbstgespräch], Da 's was rausn[ü]men. [genommen]. Brötchen gekauft hat da der? Der Trecker is schwereworden. Ich hab da drinekommt. Ich hab die Felizitaseschubst un der Dustin hat 'micheschubst. Die Felizitas hat den Bauchekuckt. Hab ich runterfallt [= ich bin umgekippt], Happe auch wehgetant. Das hat der Papa mir extaekauft. Jetz hab ich das richtig ordentlichemacht. Der Michael hat nichekommt. Is schon wieder engeworden. Alleine das hab ich macht, da hab ich Tschuldigung gesagt. Die Felizitas weint jetz, hab ich was abegeben [am Vortag gab A. ihr einen Eimer ab, als F. weinte]. Nich umkippen, da werd ich bös. Die sin böse wesen. Jetz hab ich den Eimer zurückgegeben. Nich böse werden, [hat ins Bett gemacht] Der Kevin is auch noch gekommen. Jetz hab ich viele hingelogen [= gelegt]. Jetz hab ich nich ge-/waschen lassen [sie hat Wasser ausgeleert und die Mutter konnte sie nicht mehr waschen], Da hat jemand was hinnestellt. Will auch mal anziehn werden, die Puppe. Wo hat der seine Schuhe hingelassen, der Papa? Ich habehelfen. Gestern, Krankenhaus, die Arztin hat michespritzen und - dann hat die A. geweint und die kleine Frau hat gesagt [Pause] 'och, arme A.', hat die gesagt. War das da eben da tockert ['was hat da eben getockert / was war das, das da eben getockert hat?']. Oh, der hat aua kriegt ['sich weh getan'].

248 b c d 2;4,23 2;4,25 2;5,0a b 2;5,23a b 2;5,24a b 2;5,25 2;5,27 2;5,28a b 2;5,29 2;6,0a b 2.6.1 2;6,2a b 2;6,3 2;6,4 2,6,6 2;6,12a b 2;6,13a b 2.6.2 la b c 2;6,28a b 2;7,11 2;7,20a b 2,1,21 2;7,30 2;8,1 2;8,3

Hat schonetrinkt. Oh, der hat Angst, die Puppe, der hat sich wehgetan, beiden hat sich wehgetan [redet von zwei Puppen], Hab richtig geziehten ['gezogen']. Vier Stück hab ichegessen. Hab was Feinesegessen. Bin auch Krankenhaus wesen. Hapichekannt [' gekonnt']. Hapich dasgeschmockt. ['geschmeckt'] Das Licht 's anneworden. Jetz hab ich die Oma aussesperrt. Hab auseschlafen, das Licht is annegangen. Und dann hab ich mich verschrocken. War aufn Tisch gegangen, gestern. Jetz geh ich nich aufri Tisch. Has du ein Schröck gekriegt? Das hama noch vergessen, da rein zu tun. [Sie soll nicht mit den Füßen auf die kalten Fliesen] - dann werd ich krank Als ich ein Baby war, da hab ich das gesagt. Wenn ich kleiner wär, dann -. Sind kleiner worden. Hab ich ein Buch drinwesen ['gehabt']. Hab ich nur pillern müssen, ['urinieren'] Irgendwas hat geknallt, hab irgendwasehört. Und dann harn die einfach das Licht ausemacht. Is das große Kind auch da? - [„Welches?'] - das da reinsteigt hat [= eingestiegen ist], Hast du das bei der Arbeit nichelassen? [Sie soll nicht nur Ovomaltinepulver essen, sondern auch Müsli. „Da war ja gar kein Müsli dabei."] - da war schön Müsli dabeiewesen. Hapm bischn zur Seite geht. Bin ich aufestunden, aufestunken. Hamma wohl sowas hinneschmeißt. Ist die nich aufn Klo mittegangen? Und als ich im Bett war, dann, dann is das dunkel war [= gewesen], Ich wollte ein Eis kaufen, jetz hab ich kein Eisekaufi. Der Mann hatebeißt mir. Ich hab ihrespielt mit. Ich hab da nur reineschaut, ob da eine Fliege drin is. Der wollte nich da hinnestelltn werden, jetz hab ich ihneträgt; jetz hab ich ihn zurückgetragt. Wo sind die Jungs gestanden ? Der hat nich gewolltet laufen, darum isser hingefallen. Der war auf der Treppe gelogen. Schau ma, was das jetz wird. Hast du auch mal gekleckert, als du klein warst? Du hast mich nich telefonieren laßt - lassen Beinah wär ich runtergefallen, Mama [hier intonatorisch Satzende, dann intonatorisch Satzbeginn], weil ich mich nich festgehalten hab. Mit vollem Mund hat der Axel geredet.

249

2;8,4 2;8,12a b 2;8,19 2;8,21 2;8,22 2;8,26 2;8,27 2;8,28 2;8,29

Nein, ich hab dich nich gemeint, ich hab mich gemeint. Da isser traurigeworden. Ich wollte hoch und das ging nicht. Darf ich noch was anderes haben als was ich gegessen hab? Wenn ich kein Baby wär, dann hab ich so [Fratze] gemacht. Ich hab bei der Oma auch Geburtstag gehabt. Warum hat das nicht gegangt? Die Felizitas hat den Wagen geläßt, ['gelassen'! Warum will das nich gegingt? Bis du nich gegangt? Ich hab immer tele-telefogiert und du warst nich da, ich hab immer telefiert und es war immer besetzt. 2;9,7a Es war doch gegeht. b Jetz hab ich beinah reinefällt. 2;9,9 Der Wolf hat das Baby gebissen, da hab ich ihm eine Watschn auf den Po geklipst - die Mutter hat ihm gesagt, er soll doch das Baby nich beißen. 2;9,12a Papa hat mich einfach draußen gestehn gelassen. Mich hat der Papa einfach draußen stehn gelassen. b Ein hamwa nich gefind - einer war nich da. 2; 9,19 Hab ich klettern gekonnt. 2,9,29 Wenn man das Kleid mit rausgelassen hätte? 2; 10,0a Warum ist der hingelegen ? b Bin falschrum gelogen ['gelegen']. c Ich hab dich angewaschen [mit nasser Hand angefaßt und etwas gewaschen]. 2; 10,19 Doch!, in der Stadt is ein Wolf der hat ein Mädchen gebissen, da hat die geschrien 'der Wolf kommt'.. 2; 10,22 Da warn die Tiere ge - hongen ['gehangen']. 2; 10,26 Hat die dir wieder gehauen? 2; 11,0 'Hallo Li Iii' hat die Felizitas zu mich gesagt. 2; 11,15 Das hamwa vergessen ihr zu wiedergeben. 2; 11,20 Ich hab fertig spaziert 2; 11,26 Magst du ein Lied vorgesungen haben? 2; 11,29a Die Felizitas hat gesacht, das wär vom Knall ['von einem Knaller', Knall imitiert], b Der Oli hat mir das nich ausepackt lassen. 3;0,1 3;0,2 3;0,8 3,0,9 3;0,19 3;0,23 3,0,21

Aber als die Sonne aufging, da war's nich hell - da hab ich noch kein Licht gehabt. Ich hab mir überlegt, ob ich dir helfen soll oder nich - 'nein' hat die Überlegung gesacht. Da hab ich immer hinterhergelaufl ich [dann verbessert zu bin], Und da war der Kevin da dabei, um die S-Bahn zu kaputt machen. Ich hab gesehn, daßer den Ellenbogen da drauf gemacht hat. ['auf den Tisch gestützt'] Und dawarst du gekamt. Ich hab gesehn, daß die Hexe einen Besen gehabt hat, interessant fiöa 'sant]...

250 3;2,27

Grad wollt ich ein Buch lesen, aber da hab ich keine Zeit gehabt, weil ich mußte [= auf die Toilette]. 3;2,28 Schauma, was ich da gemalt hab, ganz viele Kinder und einer hat ein Bein verloren - [„warum?"] - weil er ein Auto gegen die Wand gestürzt hat. Ein Kissen hat sich verlaufen und is in die Werkstatt und hat wieder zurückgefunden und eine Blume hat ihr geholfen ... Ich wollte nich weitererzählen, weil ich müde war. 3;3,4 Warum has du die noch weggergetan? ['mehr weg'] 3 ;3,6 Ich hab mal einen großen Mann in der Ecke sitzen gesehen, der war aber nich arm [meint Bettler], 3;3,12 Du hättest [ca. 5x] - ein Kühlwasser drangetan. [= kühlende Creme an Brennesselwunde tun können], Anf. 3;4 Ich hab nich ins Bett gemacht, ich hab stark geschwitzt. 3;4,22 Obwohl ich die Felizitas an den Haaren gezogen hab, hat die zu Jutta gesagt, ich hab sie geschubst. 3;5,23 Auf mein 'n Fuß is es allerdings gefallen [vorwurfsvoll], 3;6,0 Wenn du zwei hättest, dann hast du mich rausschmeißen können. 3 ;6,1 Ich hätte euch das sagen können. 3;6,2 Wenn wir beide gewinnen? - [„Das geht nicht! Es kann nur einer gewinnen"] Wenn wir zu zweit gewonnen haben? 3;6,5 Ihr hättet auch nich essen dürfen - wenn du soviel Bauchweh has. 3;6,6 Du hättest das lieber nich machen können ['sollen']. Ich hab das abgemacht, weil ich soviel brauchte. 3 ,6,23 3 ;7,4 Das is so gesagt worden. 3; 11,14 Ich hab was ausprobiert, ob das, wenn die Vorhänge zu sind, mehr Licht gibt [experimentiert mit Lampe] 5;9,10 5;9,21 5; 10,4 5; 10,28 5; 10,30 5; 11,1 5; 11,2 5; 11,4 5; 11,24 5; 11,25

Dachtest du, ich hätt nur einen Putz gemacht ['zu kurz Zähne geputzt'] Stimmt's, der hat Tricke gemacht vielleicht! [= Tricks] Stimmt 's, das wär schön, immer wenn es weh tute. [„Hast du sie schon ausgemacht? Du sollst sie doch vörher ausmachen"] - Hab ich ausgemacht gehabt [sie hatte die Cassette bereits vorher ausgemacht] Ich hab fei gepfeifen - gepfiffen! Das hab ich nicht gedürft. Der benimmt sich so, als ob er nichts weißen ['wissen'] würde. Das hat aber schöneklingn, nich? [Die Puppe sagt] Ich hab meinen Arm gebrocht! Der Balu hat zum Mogli immer angewortet [... Lied ...]

6;0,3 6; 10,1

Die zwei haben immer solche Nachthemden getrogen. (stimmt das, daß der St. Martin ein Säckchen Gold für einen Mann, der seine Töchter -) wo der die verkaufen fast hätte müssen, [der arme Vater hätte fast die Töchter verkaufen müssen]

1,2,21

Beinah wär ich hätt ich draufgebißt. Habt ihr schon untergeschrieben [= unterschrieben]?

7;4,8

251 G Kurzüberblick über die Entwicklung verschiedener Wortarten I Tags Tags erscheinen vereinzelt gegen Ende des zweiten Lebensjahres und variieren meist zwischen ja, gut und oder. a. b. c. d. e. f. g. h. i. j. k. 1. m. n. o. p. q. r. s. t. u.

All lesen, ja? \\6,24 A. steht da, siehste! 1;11,3 Das is eine Tasche, oder? 1; 11,16 Finger [k]aputtis, ja? 2;0,12 Pulli kleckert, ja? 2;0,12 Weißt du, Patrizia macht bong, weißt du? 2;0,18 Noch einmal, ja, dann 's Schluß. 2;0,21 [Ich] hol die Puppe, gut? 2;1,17 Nich Mund waschen, gut? 2; 1,17 P a s ist] meine, okay? 2;2,28 Kaman nich aufmachen, gell? 2;3,12 Ich geh da rein, oder? 2;3,14 Nehma auch mit, oder? 2;4,3 Schon wieder kaputt Auto, ganz lange kaputt, weißt du? 2;2,4 Nehm ich mit, oder? 2;4,10 Jetz gehma bazieren, oder? 2;4,13 Oh, ich helfe, helfmit, gut? 2;4,13 Nächstes Mal paß auf, oder? 2;4,20 Oh, is zu eng? Zumachen? Oh, ausziehn, is zu eng für die Puppe, is Sand drin, gell? 2;4,23 Da drin stink 's, weißt du? 2;4,23 Ich laß die Tür auf, bis du rauskomms, ja? 2;5,30

252 II Satzadverbien Satzadverbien bzw. Adverbien in der Funktion der Sartadverbiale sind wenig notiert, da sie relativ spät auftreten. Bestimmt erscheint mit 2;7. Wahrscheinlich tritt Ende 2;7 auf. a. b. c. d. e. f. g. h. i. j. k.

Mama 's krank, [natürlich. 1; 11,11 [Natürlich Papa 's nich krank. 1; 11,11 Lieber ein neues holen, s kaputt. 2;2,20 Vielleicht geht das, das geht vielleicht. 2;2,20 Sicher nicht. 2;2,27 Gehma lieber weg. 2;2,30 'Affe' heißt die bestimmt, 'Stella' heißt die vielleicht, ja, 'Stella' heißt die. 2;3,8 [meint die Katze namens Stella] Natürlich nich mit. 2;4,12 Nein, du kanns das v[iel\leicht. 2;4,13 Machst du die da ¿ndlich an? 2;4,23 Wir nehmen zufällig die Jacke mit - [Absichtlich!] - nein, nich absichtlich. 3;6,20

253 III Modalpartikeln Modalpartikeln zur Kennzeichnung eigener Sprechereinstellung und subjektiver Tönung erscheinen vereinzelt bis 1; 10. Mit 1; 11 treten sie häufiger auf. Dabei ist Gebrauch und Stellung hin und wieder abweichend. a. b. c. d. e. f. g. h. i. j. k. 1. m. n. o. p. q. r. s. t. u. v. w. x. y. z. ä. ö. ü. ß. a'. b'. c'. d'. e'. d'. e'. f'.

Is denn los. 1;8,20 [von was ist denn los?] A. kann das doch. 1;10,3 A. -weint doch. 1;10,11 [vorwurfsvoll] Mensch, aber ruhig. 1; 10,12 [von Mensch, hier ist es aber ruhig] Das 's aber Garfield. 1; 10,24 [nachdem sie ihn länger gesucht hat und andere Katzen irrtümlich für ihn gehalten hat; aber eventuell Adveib] S' aber nich schnell. 1; 10,27 Doch paßt, schon! 1; 10,27 [Antwort auf 'das paßt nicht'] Zeig ma den da Fuß her. 1; 11,1 Schau mal, eßt Cornflakes. 1; 11,2 [meint 'die essen'] Wes machter denn? 1; 11,2 Es geht nicht, warte mal auf Wurst kommt. 1; 11,2 Es geht nicht, warte mal auf die Burst. 1; 11,5 [Wurst] Eis, kann man essen, schon! 1;11,10 Da Buch nehma schon! 1; 11,10 Laß ruhig schlafen [den] Papa. 1; 11,27 Wo 's dennoch ein Bussi-Bär? 1; 11,29 Ein Ei schön is. 1;11,29 ['is schon ein Ei'] Die Kinder kennst du doch. 2,1,1 Was warn [denn] das? 2; 1,6 Darf schon mitspielen. 2; 1,6 Isn [denn] das. 2; 1,6 [oft] Wo 's die Spritzen, zeig mal. 2; 1,6 [Das is] aber nich lieb! 2;1,9 Sing mal ein Lied vor. 2; 1,9 Wo 's der Mann, wo 's der hin, der anner Mann, weißt du doch. 2,1,11 Das weint, mal trösten, das Baby, so arm. 2; 1,14 Meine Mama Schreibtisch, soll die aber nicht. 2; 1,15 [verteidigt den Schreibtisch ihrer Mutter gegen ein neugieriges Kind] Hat schonerichtig [mit Partizipialpräfix] die A nemach. 2; 1,15 [... gemacht] Schwarndas. 2;1,15 [was war denn das], Snas? 2; 1,15 Sndas da - oh, s eine Hexe, wie lustig. 2;1,18 [is denn das ... ] Schon wieder die Moni. 2; 1,18 Die soll nich aber. 2; 1,18 Der Vogelfeift doch. 2;1,20 Der muß noch weiter. 2; 1,21 Möcht auch ein eigentlich. 2; 1,23 Komm ruhig raus. 2; 1,25 Die Mutter, komm ruhich rein. 2; 1,26

254 g'. h'. i'. j'. k'. F. m'. n\ o'. p'. q'. r\ s\ t'. u'. v'. w'. x'. y'. z'. ä\ ö'. ü'. a". b". c". d". e". f ". g". h". i". j". k". 1". m". n".

S aber ärgerlich. 2; 1,29 Felizitas runterpfallen. Das tut aber weh. 2; 1,29 S aber Alenas Kinderwagen, s darf die schon haben. 2;2,1. Darf mal durch. 2;2,2 Muß doch da sitzen. 2;2,3 Jetzplärrt der, mal trösten. 2;2,11 Hol sie mal 2;2,15 Die sucht da mal den Schuh, die hält so lange [die Puppe fest]. 2;2,15 [meint sich selbst] Die Puppe mal füttern. 2;2,17 Sag mal aah, so! 2;2,18 Das kennst du aber. 2,2,19 Das deins aber, das geb ich dir. 2;2,19 Halt abwischen. 2,2,20 Der da halt abräumen, 2,2,20 Mach mal das fertig, Papi. 2,2,23 Da war doch noch eins, Blatt. 2;2,24 Das hört da doch dazu. 2,2,26 Die 's doch gut, die Creme, die kaman nehmen. 2,2,26 Einfach schneller beeilen. 2;2,27 Dann klingel halt! 2;2,28 [Wartet darauf, daß sich die Tür öffnet. ] He, jetz gibste mal die Schaufel, danke. 2;3,4 Mal da oben hinlegen, daß nichts passiert. 2;3,4 Hasn [denn] du drin? 2;3,4 [Bitte mach!] - Ich mach ja. 2;3,7 Ich will ma kucken. 2;3,8 Die kenn ich aber nich. 2;3,9 Hab ich schon noch Zeit. 2;3,14 Ich kratz ja nich, hab nurestreichelt. 2;3,17 [soll ihre Haut nicht aufkratzen] Wo's der Zirkus hin bloß? 2;3,17 Nein, bloß nicht. 2;3,17 Oh, ich hab noch was schönes dabei. 2;3,20 [Ich will] keine Orange, [du kannst] ruhig alles nehmen. 2;3,22 Heißt das eigentlich? 2,4,10 Wo hört das hin halt? 2;4,10 [etwa 'Sag halt, wo das hingehört.'] [Sch\meckt eigentlich nich gut. 2;4,23 Der soll das eigentlich nich. 2;4,24 Hab ich da drin eigentlich? 2;4,28

255

H Nonsenssätze und -ausdrücke Mit 2;7 / 2;8 äußert A. häufiger formal korrekte Sätze, die aber inhaltlich verworren sind, daneben Nonsensfullsel wie (a)popo und Phantasiewörter und schließlich eine selbstkreierte Redewendung (ä.).

a.

y. z.

Großen Lüften mit Himmel [ge]habt, mit großen Jungen, mit großen Schaukel, die war da oben, und die Schaukel war da runterschlossen [??]. 2;4,4 Beim Winter, klippklapp, der Müller steht im Wald. 2;5,2 Da s der Hahback, und das is der Kakaku. 2;6,1 [hübak], [kakaku] Wo 's der Kicherdichi? 2;6,1 Muß ich was trinken vorher - [d6\her. 2;6,10 Ich muß die zusammenstreuden. 2;6,13 [die Haare mit Spange zs.fassen] Wenn man den Klaus sieht, wird das ein Bögen sein. 2,7,18 Du bist gestern auf den Sand gefallen, mit Klopklapklier, das s aber traubik. Was stinkt denn hier so?, puh, Klopklapklier! 2;8,18 [blödelt] Du bist krank, weil du eine Hexe aufgestoßen hast. 2;8,19 Papipo macht Kinder froh und er eben wachsn so. Haribo macht kakiko. 2;8,20 [Reklamelied für Haribo-Konfekt] Is kein Luftballon, is ein Krähi. 2;8,21 Kasperla-vista. 2;8,24 Da kaman sich turnen lassen. 2;8,25 Wenn ich irgendwo was lustig seh, dann lach ich immer. Wenn ich immer was Schönes seh, dann sag ich immer aböng. 2;9,8 Der Wolf hat das Baby gebissen, da hab ich ihm eine Watschn auf den Po geklipst -. 2;9,9 Kommt dieAtebe mit? 2;9,12 'Benimm dich doch' hat der Papagei gesagt, und das Mädchen und der Hund hat nicht gewünscht. 2;9,13 Ich hab mich vertani. 2;9,14 Happy birsday tuel kuelj. 2;9,15 Es war so kinskaunkaußen kitakalt. 2,9,17 [ von Hänsel-und-Gretel-Lied] Niemand is ein Ohräbi, ein alter Mann is ein Ohräbi. 2;9,21 Als der Bär geraten war, war das ein Puph. 2;10,4. [ wif, sai'hai, sa'hipi,... ] 2; 10,19 [liest vor] Pommeda, pommedooooch. 2; 10,25 Hat mich geswiept 2; 10,27 [geziept, gezwickt] f oltugeabil-vil-wi] 2; 10,28 [enthält zum Teil all together now] [ tfipkal kYtsa] is auch eine Babysprache. 2; 11,28 Zu langsang. 2; 11,28

ä.

Bei dir tropft wohl der Hahn. 6;9,16 ['du spinnst wohl']

b. c. d. e. f. g. h. i. j. k. I. m. n. o. p. q. r. s. t. u. v. w. x.

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