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German Pages 1030 [1028] Year 2023
Grundzüge einer deutschen Grammatik
Akademie der Wissenschaften der DDR Zentralinstitut für Sprachwissenschaft
Grundzüge einer deutschen Grammatik Von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Karl Erich Heidolph, Walter Flattrig und Wolfgang Mötsch
Akademie-Verlag • Berlin 1981
Autoren: Walter Flämig, Brigitta Haftka, Karl Erich Heidolph, Horst Isenberg, Fritz Jüttner, John Pheby, Renate Steinitz, Wolfgang Ullrich Wurzel Redaktionsschluß Kap. lt-6: 1976
Erschienen im Akademie-Verlag, 1080 Berlin, Leipziger Str. 3 - 4 Lektor: Anneliese Funke © Akademie-Verlag Berlin 1980 Lizenznummer: 202 • 100/168/80 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 4450 Gräfenhainichen * 5461 Gestaltung: Rolf Kunze, Großpösna Bestellnummer: 753 125 5 (6302) • LSV 0815 Printed in GDR DDR 4 8 , - M
Vorwort
Die »Grundzüge« sind ein Versuch, einen Überblick über den Aufbau des Systems der gegenwärtigen deutschen Literatursprache mit der Darstellung der internen Zusammenhänge dieses Systems zu verbinden. Deshalb werden alle Teilbereiche der Grammatik (einschließlich der segmentalen Phonologie und der Intonation) mehr oder weniger ausführlich behandelt. An ein Buch mit diesem Ziel werden gewichtige Anforderungen gestellt: — Die Teilbereiche des Sprachsystems sind auf der Grundlage eines möglichst einheitlichen Modells darzustellen. Auch bei der Beschreibung grammatischer Details dürfen diese nicht als isolierte Tatsachen behandelt werden, sondern sind in übergreifende Zusammenhänge zu stellen. — Das Sprachsystem selbst darf nicht als isolierter Beschreibungsgegenstanderscheinen. Es ist deshalb wichtig, ausgehend von einem marxistisch-leninistischen Gesamtkonzept der menschlichen Sprache, einen sprachtheoretischen Bezugsrahmen zumindest anzudeuten. I n diesem Bezugsrahmen kann das Sprachsystem in seinen Beziehungen zu anderen Aspekten der Sprache betrachtet werden. — Die Darstellung soll nicht nur Forschungsresultate vermitteln, sie hat auch die Motive für die jeweiligen Entscheidungen zu verdeutlichen und mögliche Alternativlösungen aufzuzeigen, so daß in unklaren Fällen dogmatische Festlegungen vermieden Werden. Angestrebt war somit nicht eine reine Resultatsgrammatik, sondern eine problemorientierte Darstellung grammatischer Regelmäßigkeiten der deutschen Gegenwartssprache. Daher setzt das Buch, obwohl nicht allein für Grammatikspezialisten bestimmt, doch Leser voraus, die bereits linguistische Kenntnisse besitzen. Andernfalls ist eine hochschulpädagogische Umsetzung erforderlich. Die »Grundzüge« können u. a. Hochschullehrern im In- und Ausland, die Vorlesungen und Übungen zur deutschen Grammatik für Germanistikstudenten vorbereiten, als fachliches Hilfsmittel dienen, sie können jedoch auch Lehrern und fortgeschrittenen Studenten sprachwissenschaftlicher Disziplinen zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Gegenstand verhelfen. Darüber hinaus kann das Buch Sprachwissenschaftlern eine grammatische Grundlage für kommunikationstheoretische, textlinguistische, stilistische, soziolinguistische oder psycholinguistische Untersuchungen geben. Auch für Vergleiche des Deutschen mit anderen Sprachen kann es herangezogen werden. I n bestimmtem Maße eignet
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Vorwort
es sich (neben den üblichen Materialien) als Hilfsmittel für die Vorbereitung des Fremdsprachenunterrichtes oder des Deutschunterrichts für Ausländer. Schließlich können sich Vertreter anderer Wissenschaftszweige, in deren Problematik Sprache eine Rolle spielt, vor allem anhand des Kapitels 1, einen ersten Einblick in den Aufbau von Sprachsystemen und in die Probleme ihrer linguistischen Darstellung verschaffen. Trotz unbestreitbarer Erfolge der Sprachwissenschaft gerade auf dem Gebiet der Grammatik ist jeder Versuch, das System einer Sprache genauer zu erfassen, noch immer ein mit erheblichen Unsicherheiten und zahlreichen Schwierigkeiten verbundenes Unternehmen. Die gegenwärtige Situation kann weder in empirischer noch in theoretischer Hinsicht als stabil bezeichnet werden. Auch Spezialisten sind sich nicht immer bewußt, wie groß — neben der beträchtlichen Menge bereits erkannter Regelmäßigkeiten — die Lücken in der Kenntnis des Systems der betreffenden Sprache sind. Eher grundsätzlichen Chirakter haben hingegen die Schwierigkeiten auf theoretischem Gebiet. So sind gegenwärtig selbst einige zentrale Fragen ungeklärt, wie z. B . die folgenden: — Welche Schichten in der Struktur von Äußerungen sind anzunehmen ? — Welche Rolle spielt das Lexikon im Sprachsystem? — Welche pragmatischen Faktoren sind in der Grammatik zu berücksichtigen, und in welcher Form muß das geschehen? Hinzu kommt, daß der Erkenntnisprozeß auf theoretischem Gebiet maßgeblich durch mehrere konkurrierende Konzeptionen bestimmt wird, die meist auf sehr unterschiedlichen Ansprüchen an wissenschaftstheoretische Voraussetzungen beruhen. Einen systematischen Vergleich von Grammatik-Positionen, der es ermöglichen würde, tatsächlich verschiedene theoretische Standpunkte von bloßen Verbalisierungsdifferenzen abzuheben, gibt es nur in Ansätzen und jedenfalls nicht als ein Wissen, das allgemeine Anerkennung findet. Da die Analyse sprachlichen Materials, die Darstellung und Interpretation von Fakten, in einem erheblichen Maße von theoretischen Voraussetzungen abhängt, entbindet auch eine Konzentration des Interesses auf die sprachlichen Tatsachen nicht von der Verpflichtung, die theoretischen Grundlagen anzugeben, von denen aus die Grammatik einer Sprache geschrieben werden soll. Die Autoren der »Grundzüge« waren bemüht, theoriebewußt. vorzugehen, ohne die Darstellung selbst zu stark mit technischen Mitteln zu belasten. Sie setzen deshalb bei ihren Beschreibungen ein den Zwecken angepaßtes Modell voraus. Die Wahl eines Modella für die Darstellung des Systemaspekts einer Sprache ist mit mehreuen grundsätzlichen Entscheidungen verbunden, die bis zu den methodologischen und erkenntnistheoretischen Voraussetzungen reichen. Bei der theoretischen Begründung des in den »Grundzügen« vorausgesetzten Grammatikmodells wurde versucht, wesentliche Zusammenhänge zwischen linguistischen und philosophischen Aspekten eines umfassenden Sprachkonzepts aufzuzeigen und zugleich zu verdeutlichen, daß die marxistisch-leninistische Philosophie in der Lage ist, einen systematischen Bezug der für die Beschreibung und Erklärung grundlegenden Eigenschaften natürlicher Sprachen herzustellen. Was den Systemaspekt der Sprache angeht, so stützen sich die »Grundzüge« auf
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Vorwort
•ein Modell, das Erkenntnisse der Grammatikforschung verschiedener Richtungen berücksichtigt. Dieses Modell ist nicht als ein Beitrag zur Grammatiktheorie gemeint, sondern als eine Basis für die in den einzelnen Kapiteln vorzunehmenden Beschreibungen gedacht. Daraus leiten sich einige Unbestimmtheiten ab, die der Zweck des Buches zuläßt. So ist der Aufbau der kommunikativ-pragmatischen Komponente und ihr Zusammenspiel mit anderen Komponenten noch weitgehend ungeklärt. Es schien den Autoren jedoch wichtiggerade die mit dieser Komponente verbundenen Tatsachen und Problemstellungen aufzuzeigen, da es sich hier um ein Gebiet des Sprachsystems handelt, das für das Verständnis dieses Systems Wesentlich ist und dessen genauere theoretische Erfassung eine zentrale Aufgabe der gegenwärtigen Grammatikforschung ist. Auch der Begriff der Abwandlung ist — so Wie er in den »Grundzügen« verwendet wird — in gewissem Maße ungenau, da seine theoretischen Voraussetzungen und Konsequenzen — insbesondere auch sein Verhältnis zum Begriff der Transformation in einem Erzeugungssystem — nicht in allen Einzelheiten angebbar ist. Dennoch gestattet dieser Begriff nach Meinung der Autoren, die mit ihm beschriebenen grammatischen Beziehungen in einer anschaulichen Weise darzustellen. Das Manuskript wurde mit dem Wissen um einige Schwächen abgeschlossen, Die einzelnen Kapitel lassen noch an vielen Stellen Züge der separaten Erarbeitung erkennen. Eine größere Vereinheitlichung sowie der Ausgleich von. Disproportionen und Lücken wäre denkbar gewesen, hätte jedoch erhebliche Zeit beansprucht. Grundsätzlich war es von Vorteil, daß die »Grundzüge« auf der unter Leitung von Walter Flämig erarbeiteten »Skizze der deutschen Grammatik« aufbauen konnten, die 1972 einem kleinen Kreis von Fachkollegen zu Diskussionszwecken zugänglich gemacht wurde. Einige darin getroffene Festlegungen erwiesen sich später allerdings als ungünstig. Die Autoren glauben aber, daß das große Interesse, das bereits die »Skizze« im Hochschulunterricht gefunden hat, es rechtfertigt, die »Grundzüge« in der vorliegenden Form herauszugeben. Sie gehen davon aus, daß ihre Arbeit der Information dient, aber auch die Diskussion grammatischer Fragen fördern kann. Die Autoren sind bzw. waren Mitarbeiter des Zentralinstituts für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR. Im einzelnen sind mit den folgenden Kapiteln bzw. Abschnitten beteiligt: Karl Erich Heidolph Renate Steinitz Walter Flämig Horst Isenberg Brigitta Haftka Fritz Jüttner John Pheby Wolfgang Ullrich Wurzel :
1.1., 1.2., 1.3., 1.4., 1.7., 2.2., 2.3.1. 1.5., 2.1., 2.3.2., 2.3.3. 3.0., 3.1., 3.2., 3.3., 3.4.1., 3.5. 3.4.2., 3.4.3. 4. 5. 6.
1.6., 7.
Karl Erich Heidolph hat in Diskussionen mit anderen Mitarbeitern die Konzeption des Buchs ausgearbeitet und in Kapitel 1 formuliert. An der Konzeption und Diskussion von Vorstufen anderer Kapitel hat er z. T. erheblichen Anteil. Die Gesamtverantwortung für Kapitel 3 hatte Walter Flämig. Die Gesamtre-
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Vorwort
daktion lag in den Händen von Wolfgang Mötsch, der insbesondere Kapitel 5 stärker bearbeitet hat. An der Diskussion des Manuskripts beteiligte sich eine große Zahl von Kollegen, die z. T. umfangreiche Gutachten zu den einzelnen Kapiteln verfaßten und den Autoren wertvolle Hinweise gaben. Wir danken an dieser Stelle Manfred Bierwisch, Wilhelm Bondzio, Gerhard Heibig, Jürgen Kunze, Ewald Lang, Ronald Lötzsch, Werner Neumann, Rudolf Rüiiöka, Thea Schippan, Hartmut Schmidt, Karl-Ernst Sommerfeldt, Günter Starke, Peter Suchsland, Dieter Viehweger und Ilse Zimmermann. Unser besonderer Dank gilt Gisela Krause, Dorothea Duckwitz, Renate Sobolewski, Brita Unger und Renate Eickhoff für die große Einsatzbereitschaft bei der Manuskriptherstellung und unseren beiden neuen Kolleginnen Edda Oehme und Edeltraut Winkler, die die mühevolle Korrekturarbeit mit uns teilten. Karl Erich Heidolph Walter Flämig Wolfgang Mötsch
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen 19 Zeichen index 23 1.
Grundlagen 27
1.1.
Sprachsystem, Äußerungsstruktur, Grammatik 27
1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. 1.2.4.
Zur semantischen Komponente des Sprachsystems 46 Vorbemerkungen über Voraussetzungen und Bedingungen der Beschreibung 46 Bemerkungen zum Verhältnis von Sprache, Bewußtsein und Wirklichkeit 51 Semantische Eigenschaften von Äußerungen 62 Zum Aufbau semantischer Strukturen 70
1.3. 1.3.0. 1.3.1. 1.3.2.
Die kommunikativ-pragmatische Komponente 84 Zum Charakter der kommunikativ-pragmatischen Komponente 84 Orientierung auf die Bedingungen der Kommunikationssituation 91 Intention der Äußerung: Die Festlegung der Verwendungsweise der mit der Äußerung verbundenen Sachverhaltsbeschreibung 93 Bewertung der Geltung der Äußerung 96 Bewertung und Gliederung der in der Äußerung enthaltenen Information nach ihrer Bekanntheit 101 Zur grammatischen Darstellung der kommunikativ-pragmatischen Struktur 105
1.3.3. 1.3.4. 1.3.5. 1.4.
Zum Begriff des Inhalts und zum Zeichenverhältnis bei morphologischen Kategorien 107
1.5. 1.5.0. 1.5.1. 1.5.2. 1.5.3. 1.5.4. 1.5.5. 1.5.6. 1.5.7.
Die syntaktische Komponente 112 Die syntaktische Komponente im Sprachsystem und in der Grammatik 112 Reihenfolgebeziehungen 114 Hierarchische Beziehungen 116 Grundbegriffe der Konstituentenstruktur 119 Valenzbeziehungen 124 Wortgruppen und syntaktische Funktionen 129 Zwei-Teilung der syntaktischen Komponente 130 Syntaktische Grundstruktur und abgewandelte Strukturen 135
1.6. 1.6.0.
Die phonologische Komponente 145 Die phonologische Komponente im Sprachsystem und in der Grammatik 145
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Inhaltsverzeichnis
1.6.1. 1.6.2. 1.6.3.
Phonologische und phonetische Ebene 146 Phonologische Einheiten 148 Phonologische Regularitäten 150
1.7. 1.7.0. 1.7.1. 1.7.2. 1.7.3. 1.7.3.1. 1.7.3.2. 1.7.3.3. 1.7.3.4. 1.7.4.
Die Beziehungen zwischen den Schichten der Äußerungsstruktur 152 Einleitung 152 Der Satz als zentrale Einheit in der Struktur von Äußerungen 154 Sätze und Satzfolgen und ihre Beziehungen zum Äußerungsinhalt 156 Das Wort als Vermittlungseinheit zwischen semantischer und syntaktischer Struktur 159 Wortketten 159 Semantische Valenz 163 Syntaktische Valenz 168 Semantische Rollen und syntaktische Funktionen 172 Weitere Teilaspekte der Beziehungen zwischen den Strukturschichten 175
2.
Struktur der Wortgruppen 176
2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3.
Grundlagen 176 Wortgruppen 176 Satzglieder 179 Die übrigen syntaktischen Konstituenten, ihre Funktionen 183
2.2. 2.2.0. 2.2.1. 2.2.1.1. 2.2.1.2. 2.2.1.3. 2.2.1.4. 2.2.1.5. 2.2.2. 2.2.2.1. 2.2.2.2. 2.2.2.3. 2.2.2.4. 2.2.3. 2.2.4.
Einfunktionale Wortgruppen 185 Einführung 185 Die Satzbasis (SB) 187 Allgemeine Charakteristik von SB 187 Der Aufbau von SB 193 Obligatorische Konstituenten von SB: Das Subjekt 202 Fakultative Konstituenten von SB: Adverbialbestimmungenin 207 Fakultative Konstituenten von SB: Negation 220 Die Prädikatsgruppe (PG) 224 Allgemeine Charakteristik von PG 224 Der Aufbau von PG 226 Fakultative Konstituenten von PG: Adverbialbestimmungenn 230 Fakultative Konstituenten von PG: Objekte 232 Die engere Prädikatsgruppe (ePG) 238 Das Prädikat (P) 247
2.3. 2.3.1. 2.3.1.0. 2.3.1.1. 2.3.1.2. 2.3.1.3. 2.3.1.4. 2.3.1.5. 2.3.1.6.
Mehrfunktionale Wortgruppen 254 Die Substantivgruppen (SbG) 254 Einleitung und Übersicht 254 Die Grundstruktur: Völle SbG 262 Grundstruktur: Pronominale SbG 280 Abgewandelte syntaktische Struktur von SbG: Attributive Erweiterungen 287 Hauptfunktionen von SbG: Subjekt 315 Hauptfunktionen von SbG: Objekt (Einziges Objekt) 331 Hauptfunktionen von SbG: Objekt (Mehrere Objekte) 354
Inhaltsverzeichnis
11
2.3.1.7. 2.3.2. 2.3.2.0. 2.3.2.1. 2.3.2.2. 2.3.2.2.1. 2.3.2.2.2. 2.3.2.2.3. 2.3.2.3. 2.3.2.3.1. 2.3.2.3.2. 2.3.2.3.3. 2.3.2.4. 2.3.2.4.1. 2.3.2.4.2. 2.3.2.4.3. 2.3.2.5. 2.3.2.6. 2.3.2.7. 2.3.2.8. 2.3.3. 2.3.3.0. 2.3.3.1. 2.3.3.1.1. 2.3.3.1.2. 2.3.3.1.3. 2.3.3.2.
Nebenfunktionen von SbG: SbG als Adverbialbestimmungen 367 Präpositionalgruppe (PräpG) 370 Funktionen und interne Struktur 370 Adverbialbestimmung — Hauptfunktion von PräpG 372 Adverbialbestimmung des Typs Advbj 378 Räumliche Einordnung 380 Lokalbestimmung 384 Richtungsbestimmung 387 Adverbialbestimmung des Typs Advb n 388 Artangabe 389 Maßangabe 392 Instrumentalbestimmung 397 Adverbialbestimmung des Typs Advb n i 402 Eigentliche Temporale 404 Zeitdauerangaben (Durative) 411 Frequentative 419 „Valenznotwendigkeit" sonst nicht-notwendiger Adverbial-Klassen 425 PräpG als Präpositionalobjekt 427 PräpG als Prädikativ 431 PräpG als Abwandlungsresultat 442 Adverbgruppe (AdvG) und Adjektivgruppe (AdjG) 444 Interne Struktur 444 Adverbialbestimmung — Hauptfunktion von AdvG 446 Pro-Formen 446 Relationale Adverbien 450 „Autonome" Adverbien 455 Adverbialbestimmung und Prädikativ als Nebenfunktionen von AdjG bzw. AdvG 456
3.
Wortklassen und Wortstrukturen 458
3.0. 3.0.1. 3.0.1.1. 3.0.1.2. 3.0.2. 3.0.2.1. 3.0.2.1.1. 3.0.2.1.2. 3.0.2.1.3. 3.0.2.2. 3.0.2.2.1. 3.0.2.2.2. 3.0.2.2.3. 3.0.2.2.4. 3.0.2.2.5. 3.0.2.3.
Das Wort 458 Das Wort als sprachliche Grundeinheit 458 Definition des Wortes 458 Zur Problematik der Definition des Wortes 462 Grammatische Merkmale des Wortes 464 Die Morphemstruktur des Wortes 464 Morpheme und Morpheminventare 464 Distribution und Hierarchie 467 Problematisches 469 Semantischer Aspekt 469 Die Bedeutung des Wortes 469 Zur Bedeutungsstruktur 471 Bédeutungsbeziehungen zwischen Wörtern / Wortformen 474 Bedeutungsunterschiede 474 Bedeutungsvereinbarkeit 478 Kommunikativ-pragmatischer Aspekt 480
12
Inhaltsverzeichnis
3.0.2.4. 3.0.2.5. 3.0.2.5.1. 3.0.2.5.2. 3.0.3. 3.0.3.1. 3.0.3.1.1. 3.0.3.1.2. 3.0.3.1.3. 3.0.3.2. 3.0.3.2.1. 3.0.3.2.2. 3.0.3.2.3.
Syntaktischer Aspekt 482 Morphologischer Aspekt 483 Allgemeines 48S Die Flexion' 483 Die grammatische Klassifizierung des Wortbestandes 487 Die grammatischen Wortklassen 487 Allgemeines, Klassifizierungsgrundsätze 487 Wortklassen, Merkmale 490 Gesamtcharakteristik 492 Klassifizierungsfragen 493 Zur Heterogenität, Schichtung der Wortklassen 493 Handhabbarkeit und Widerspruchsfreiheit 494 Übergreifende Gesichtspunkte, Querschnittsbetrachtung 495
3.1. 3.1.1. 3.1.1.1. 3.1.1.2. 3.1.2. 3.1.2.1. 3.1.2.1.1.
3.1.2.2. 3.1.2.2.1. 3.1.2.2.2.
Verben 497 Allgemeines 497 Wortklassencharakteristik 497 Subklassifizierung 499 Struktur des Verbs 500 Semantisch-syntaktischer Aspekt 500 Kategoriale Merkmale der Verbstämme Zur Bedeutung 500 Kategoriale Merkmale der Verbstämme Aktionsart 501 Kategoriale Merkmale der Verbstämme Valenz 505 Kategoriale Merkmale der grammatischen Morpheme Tempus/Modus 507 Kategoriale Merkmale der grammatischen Morpheme Person/Numerus 539 Kategoriale Merkmale der grammatischen Morphem© Genus des Verbs 540 Morphologischer Aspekt 560 Formativstruktur 560 Konjugation 561
3.2. 3.2.1. 3.2.1.1. 3.2.1.2. 3.2.2. 3.2.2.1. 3.2.2.1.1. 3.2.2.1.2. 3.2.2.1.3. 3.2.2.1.4. 3.2.2.2.
Substantive 568 Allgemeines 568 Wortklassencharakteristik 568 Subklassifizierung 570 Struktur des Substantivs 571 Syntaktisch-semantischer Aspekt 571 Genus des Substantivs 571 Numerus 576 Kasus 579 Der Artikel 591 Morphologischer Aspekt 595
3.1.2.1.2. 3.1.2.1.3. 3.1.2.1.4. 3.1.2.1.5. 3.1.2.1.6.
Inhaltsverzeichnis
13
3.3.2.3. 3.3.2.3.1. 3.3.2.3.2. 3.3.3.
Adjektive 601 Allgemeines 601 Wortklassencharakteristik 601 Subklassifizierung 603 Abgrenzungsfragen 606 Struktur des Adjektivs 608 Semantischer Aspekt 608 Kategoriale Merkmale der Adjektivstämme Allgemeines 608 Kategoriale Merkmale der Adjektivstämme Semantische Valenzbeziehungen 610 Kategoriale Merkmale der grammatischen Morpheme Komparation 612 Kategoriale Merkmale der grammatischen Morpheme Genus, Numerus, Kasus 615 Syntaktischer Aspekt 615 Das Adjektiv im syntaktischen Bereich des Verbs Satzgliedfunktionen 616 Das Adjektiv im syntaktischen Bereich des Verbs Syntaktische Valenz 618 Das Adjektiv im syntaktischen Bereich des Verbs Zur Adjektiv-Adverb-Problematik 621 Das Adjektiv im syntaktischen Bereich des Substantivs / Adjektivs Gliedteilfunktionen 623 Das Adjektiv im syntaktischen Bereich des Substantivs / Syntaktische Kongruenz 625 Morphologischer Aspekt 627 Komparationsformen 627 Deklinationsformen 628 Adjektivische Funktionen von Partizipien 630
3.4. 3.4.1. 3.4.1.1. 3.4.1.2. 3.4.2. 3.4.2.1. 3.4.2.2. 3.4.3. 3.4.3.1. 3.4.3.2. 3.4.3.3. 3.4.3.4. 3.4.3.5. 3.4.3.6. 3.4.3.7.
Pronomen 632 Allgemeines 632 Wortklassencharakteristik 632 Definitionsfragen 635 Subklassen von Pronomen 636 Semantische Subklassen 636 Syntaktische Subklassen 639 Charakteristik der einzelnen Pronomen 644 Stellvertreter-Pronomen 644 Deiktische Personalpronomen 649 Interrogativpronomen 657 Negationspronomen 661 Kollektiv- und Distributivpronomen 663 Definitpronomen 669 Indefinitpronomen 678
3.3. 3.3.1. 3.3.1.1. 3.3.1.2. 3.3.1.3. 3.3.2. 3.3.2.1. 3.3.2.1.1. 3.3.2.1.2. 3.3.2.1.3. 3.3.2.1.4. 3.3.2.2. 3.3.2.2.1. 3.3.2.2.2. 3.3.2.2.3. 3.3.2.2.4. 3.3.2.2.5.
14
Inhaltsverzeichnis
3.5. 3.5.0. 3.5.1. 3.5.1.1. 3.5.1.2. 3.5.1.3. 3.5.1.4. 3.5.2. 3.5.2.1. 3.5.2.2. 3.5.2.3. 3.5.3. 3.5.3.1. 3.5.3.2. 3.5.3.3.
Unflektierbare 682 Allgemeine Charakteristik 682 Adverbien 684 Allgemeine Charakteristik 684 Struktur des Adverbs 686 Abgrenzungskriterien 691 Exemplarische Übersicht zur Subklassifizierung 692 Präpositionen 695 Allgemeine Charakteristik 695 Struktur der Präpositionen 695 Subklassifizierung der Präpositionen 697 Konjunktionen 698 Allgemeine Charakteristik 698 Struktur der Konjunktionen 699 Subklassifizierung der Konjunktionen 701
4.
Reihenfolgebeziehungen im Satz (Topologie) 702
4.0.
Grundlagen 702
4.1. 4.1.1. 4.1.2. 4.1.2.1. 4.1.2.2.
Die Grundreihenfolge der Stellungsglieder 703 Die Zweitstellung des finiten Verbs in der Grundreihenfolge 703 Die Anordnung der nichtfiniten Stellungsglieder in der Grundreihenfolge 706 Die Anordnung der nichtfiniten Stellungsglieder der Prädikatsgruppe 707 Die Grundposition der Stellungsglieder der Satzbasis (AdverbialbestimmungnI und Subjekt) 713
4.2. 4.2.1. 4.2.1.1. 4.2.1.2. 4.2.2. 4.2.3. 4.2.4. 4.2.4.0. 4.2.4.1. 4.2.4.2. 4.2.4.3. 4.2.4.4. 4.2.4.5. 4.2.5.
Umordnungen der Grundreihenfolge 715 Umordnungen des finiten Verbs, die den Stellungstyp beeinflussen 715 Die Endstellung 717 Die Spitzenstellung 719 Umordnungen innerhalb umfangreicher Verbgruppen 723 Umordnungsmöglichkeiten und -beschränkungen für ePG-Stellungsglieder 725 Kontextuell bedingte Umordnungen der Stellungsglieder 726 Grundlagen 726 Themabereich und Thematisierung 728 Die Reihenfolge nicht neuer thematischer Einheiten im Hauptfeld 732 Rhemabereich und Rhematisierung 738 Einige automatische Rhematisierungsregeln für Aktivsätze 741 Rhematisierungsbedingungen in Passivkonstruktionen 748 Spezielle kommunikativ-pragmatische Funktionen der Thema-Rhema-Gliederung 751 Spezielle kommunikativ-pragmatische Punktionen der Rhematisierung 751 Spezielle kommunikativ-pragmatische Funktionen der Thematisierung 755 Die Extraposition von Stellungsgliedern 759 Voranstellungen und Parenthesen 759 Nachträge 760
4.2.5.1. 4.2.5.2. 4.2.6. 4.2.6.1. 4.2.6.2.
Inhaltsverzeichnis
15
5,
Zur Systematisierung der Abwandlungen 765
5.1.
Allgemeines 765
5.2. 5.2.1. 5.2.2. 5.2.3. 5.2.4. 5.2.5. 5.2.6. 5.2.7. 5.2.8. 5.2.9.
Abwandlungen in einfachen Sätzen 766 Allgemeines 766 Aussagesätze 768 Fragesätze 768 Ausrufesätze 771 Wunschsätze 772 Aufforderungssätze 772 Kontextbedingte Zuordnungen der Grundreihenfolge 774 Passivsätze 774 Unvollständige Sätze 777
5.3. 5.3.1. 5.3.2. 5.3.3. 5.3.3.1. 5.3.3.2. 5.3.3.2.1. 5.3.3.2.2. 5.3.3.3. 5.3.3.3.1. 5.3.3.3.2. 5.3.3.3.3. 5.3.3.3.4. 5.3.3.4. 5.3.3.4.1.
Abwandlungen in zusammengesetzten Sätzen 777 Allgemeines 777 Darstellung allgemeinster Beziehungen von Sachverhalten 780 Darstellung einer ausgezeichneten Relation zwischen Sachverhalten 785 Allgemeines 785 Temporalverhältnisse 788 Gleichzeitigkeit von Sachverhalten 788 Zeitliche Aufeinanderfolge 791 Sachverhaltsrelationen auf der Grundlage von Konditionalverhältnissen 794 Konditionalverhältnisse 794 Kausalverhältnisse 799 Die Finalrelation 804 Die Konzessivrelation 806 Modalverhältnisse 810 Nähere Charakterisierung des Sachverhalts p durch den Sachverhalt q (Modalverhältnisse im engeren Sinne) 811 Determination einer Modalität des Sachverhalts p durch eine Modalität des Sachverhalts q (Vergleichsrelation) 813 Charakterisierung eines Sachverhalts in seiner Gesamtheit 816 Hervorhebung des Themas eines Satzes durch einen Satz (Exponierung) 817 Darstellung von Sachverhalten als Bestandteile von Sachverhalten 818 Allgemeines 818 Prädikatsausdrücke mit Subjektsätzen 820 Prädikatsausdrücke mit Objektsätzen 822 Prädikatsausdrücke mit Subjekt- und Objektsätzen 824 Kennzeichnung von Individuen durch einen Sachverhalt 826 Allgemeines 826 Determinierende Attribution 828 Allgemeines 828 Einschränkende oder erläuternde Determination durch Attribution 830 Explikation 833 Reduktionsformen von Attributsätzen 835
5.3.3.4.2. 5.3.3.4.3. 5.3.3.5. 5.3.4. 5.3.4.1. 5.3.4.2. 5.3.4.3. 5.3.4.4. 5.3.5. 5.3.5.1. 5.3.5.2. 5.3.5.2.1. 5.3.5.2.2. 5.3.5.3. 5.3.5.4.
16
Inhaltsverzeichnis
6.
Phoßologie: Intonation 839
6.1. 6.1.0. 6.1.1. 6.1.1.1. 6.1.1.2. 6.1.1.3. 6.1.2. 6.1.2.1. 6.1.2.2. 6.1.3. 6.1.3.1. 6.1.3.2. 6.1.4. 6.1.4.1. 6.1.4.2. 6.1.5.
Phonetisch-phonologische Grundlagen 840 Allgemeines 840 Hebung und Senkung der Stimme 842 Phonetisches: Die Tonhöhenbewegung 842 Phonologisches: Das Tonmuster 843 Nähere Beschreibung der Tonmuster 844 Gliederung 848 Phonetisches: Die artikulatorische Gliederung der Äußerung 848 Phonologisches: Die Tongruppe 849 Rhythmus 850 Phonetisches: Die rhythmische Struktur der Äußerung 850 Phonologisches: Der Takt 852 Betonung 854 Phonetisches: Prominenz 854 Phonologisches: Die Tonsilbe 855 Nähere Charakterisierung der Tongruppe: Das phonologische System der Intonation 856
6.2. 6.2.0. 6.2.1. 6.2.2. 6.2.2.1. 6.2.2.2. 6.2.2.3. 6.2.3. 6.2.3.1. 6.2.3.2. 6.2.4. 6.2.4.1. 6.2.4.2. 6.2.4.3. 6.2.4.4.
Die Beziehimg der Intonation zur Syntax 857 Allgemeines 857 Funktionen der Tongruppe: Kongruenz 859 Bestimmung der Kongruenz 861 Bestimmung der Satzgliedkongruenz 862 Bestimmung der Satzkongruenz 863 Die Funktion der Kongruenz: Informationsverteilung 864 Die Funktion der Tonsilbe: Die Stellung der Informationssohwerpunkte 866 Die unmarkierte Schwerpunktstellung 866 Die markierte Schwerpunktstellung 873 Funktionen der Tonmusterselektion: Differenzierung 874 Unterscheidung zwischen Satzarten 874 Unterscheidungen innerhalb der Satzarten 874 Tonmusterselektion und Informationsverteilung 876 Reihenfolge der Informationseinheiten 877
6.3. 6.3.0. 6.3.1. 6.3.1.1. 6.3.1.2. 6.3.2. 6.3.2.1. 6.3.2.2. 6.3.3. 6.3.3.1. 6.3.3.2.
Spezifische syntaktische Funktionen der Intonation 879 Allgemeines 879 Die Intonation im Aussagesatz 881 Die Intonation im kongruenten Aussagesatz 881 Die Intonation im inkongruenten Aussagesatz 883 Die Intonation im Fragesatz 885 Die Intonation im kongruenten Fragesatz 885 Die Intonation im inkongruenten Fragesatz 888 Die Intonation bei koordinativer Verknüpfung 889 Konjunktive Verknüpfung (und) 890 Adversative Verknüpfung {aber) 891
Inhaltsverzeichnis
17
6.3.3.3.
Disjunktive Verknüpfung (oder) 892
6.3.4.
Die Intonation bei subordinativer Verknüpfung 893
7.
Phonologie: Segmentale Struktur 898
7.0.
Allgemeines 898
7.1.
Phonologische Merkmale 899
7.2.
Hauptklassen von Segmenten 901
7.3. 7.3.1. 7.3.2.
Der Vokalismus 904 Qualitative Klassifizierung der deutschen Vokale 904 Quantitative Klassifizierung der deutschen Vokale: Länge, Gespanntheit und Zentralisierung 907 Länge und Gespanntheit der Vokale in nativen Wörtern. Lange und kurze Vokalphoneme 910 Länge und Gespanntheit der Vokale in nichtnativen Wörtern. Die kurzen nichtzentralisierten Vokalphoneme 914 Die Diphthonge 920 Vokalische Alternationen 921 Der unbetonte Zentralvokal [a] („Schwa") 922 Quantitative Alternation in nichtnativen Wörtern. Halblänge 928 Zum Umlaut 932
7.3.2.1. 7.3.2.2. 7.3.3. 7.3.4. 7.3.4.1. 7.3.4.2. 7.3.4.3. 7.4. 7.4.1. 7.4.2. 7.4.2.1. 7.4.2.2. 7.4.2.3. 7.4.2.4. 7.4.2.5.
Der Konsonantismus 937 Die Problematik der deutschen Affrikaten 937 Die Klassifizierung der Konsonanten 940 Das Vorkommen der konsonantischen Laute 940 Allgemeine Prinzipien der Klassifizierung. Obstruenten und Sonoranten, stimmhafte und stimmlose Konsonanten 943 Artikulationsstelle und artikulierendes Organ 944 Artikulationsart 947 Zusammenfassung: Die phonologischen Merkmale der deutschen Konsonanten 949
7.4.3. 7.4.3.1. 7.4.3.2. 7.4.3.3. 7.4.3.4. 7.4.3.5. 7.4.4. 7.5.
Konsonantische Alternationen 949 Die „Auslautverhärtung" und die GeminatenVereinfachung 951 Die Alternation zwischen[ § 1) betrachtet wird. „Mit der Übernahme semiotischer Modelle und Begriffe ist auch die Diskussion um ein uni- oder bilaterales Zeichenmodell neu belebt worden, ob also zum Zeichen nur der Zeichenkörper gehört oder auch der Zeicheninhalt. Der für die Sprachwissenschaft entscheidende Punkt liegt nun aber nicht so sehr darin, daß beides zusammenhängt — das wird niemand bestreiten —, als vielmehr darin, daß gerade die Kompliziertheit dieses Zusammenhangs zweier Seiten zu den wesentlichen Untersuchungsbereichen der Sprachwissenschaft gehört. Der Sprachwissenschaftler verwendet deshalb in der Regel ein bilaterales Modell. Das heißt aber nicht, daß dieses Interesse des Sprachwissenschaftlers das einzig mögliche ist und daß es keine Gesichtspunkte gibt, denen ein unilaterales Modell vielleicht besser gerecht wird. Folglich ist weder das eine noch das andere Modell an sich marxistisch oder unmarxistisch. Wichtig ist, in welchem Zusammenhang es verwendet wird." — H Ä U T U N G (1974), S. 74f.
Sprache
als
Zeichensystem
33
Die »Grundzüge« betrachten die Zweiseitigkeit des sprachlichen Zeichens als grundsätzlichen theoretischen und methodischen Ausgangspunkt der Grammatik. Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß sie auch den folgenden Auffassungen zustimmen müßten: a) Die Sprache ist ein Zeichensystem; b) alle Einheiten des Sprachsystems (s. o. § 2) sind Zeichen, d. h. Komplexe aus Lautform und Bedeutung; alle Beziehungen der Einheiten innerhalb der Äußerungen sind Beziehungen zwischen Zeichen; c) die als Beziehung zwischen Lautform und Bedeutung definierte (sprachliche) Zeichenbeziehung ist die einzige Art semiotischer Beziehung, die in den Äußerungen auftritt; d) die Charakterisierung des Äußerungstyps als einer Einheit von Lautform und Bedeutung schöpft seine für die Grammatik wesentlichen Merkmale aus. Die Charakterisierung der Sprache als Zeichensystem hat zwei schwache Punkte» Der erste besteht in der Gefahr der Verabsolutierung. Die Sprache ist eine gesellschaftliche Erscheinung, die viele Seiten hat. Eine dieser Seiten ist ihr Systemaspekt bzw. — in der Vergegenständlichung — das Sprachsystem. Diese Seite hängt mit anderen (Sprache als Gesamtheit von Kommunikationsereignissen, Sprache als sich historisch entwickelndes Gefüge von Existenzformen usw.) objektiv zusammen. Jede drückt bestimmte Wesensmerkmale der Sprache aus, aber keine ist für sich allein die Sprache. Es ist deshalb unzulässig, die Sprache ohne die Angabe des Abstraktionsgesichtspunktes (oder: ohne Einschränkung) mit einer dieser Seiten zu identifizieren (s. a. W . M Ö T S C H (1975), S. 4ff.). Der zweite schwache Punkt besteht darin, daß die Charakterisierung der Sprache als Zeichensystem häufig mit einer Einengung der Betrachtung des Sprachsystems verbunden ist. Das ist dann der Fall, wenn der Begriff „Zeichensystem" unter der Hand durch den Begriff „System von Zeichen" ersetzt wird. In dieser Einengung beschränkt sich die Grammatik entweder auf die Beschreibung bestimmter Seiten des Wortbestandes (System der Wortklassen, Struktur des Wortes, System der Wortformen), was in manchen historischen Grammatiken des 19. Jahrhunderts tatsächlich geschieht, oder sie überträgt die Form der Zeichenbeziehung, wie sie sich im isolierten Wort, in der isolierten Wortform realisiert, als Grundform auf die Untersuchung des gesamten Sprachsystems. Diese Einengung hat zwei Quellen. Die eine ist die sehr weit in die Geschichte der Sprachwissenschaft zurückreichende Auffassung, daß alle syntaktischen Fakten eigentlich außersprachlicher (logischer oder psychologischer) Natur seien. Vgl. z. B. die »Deutsche Grammatik« von H . PATJX, die Begriffe wie „Subjekt", „Objekt" usw. ohne jede Erklärung voraussetzt oder bei der Behandlung der Reihenfolge der Satzglieder lediglich die Abweichungen von der Normalstellung berücksichtigt, diese selbst aber weder charakterisiert noch erklärt; auch bei F. DE SAUSSURE gehört die Syntagmatik (der Aufbau von Verbindungen aus Einheiten der „langue", 3 Deutsche Gramm.
1.1. Sprachsystem,
Äußerungsstruktur,
Grammatik
des Sprachsystems) zur Ebene der „parole", der aktuellen Verwendung der Einheiten der „langue".
Die zweite Quelle dürfte in der undifferenzierten Übernahme semiotischer Begriffsbildungen in die Theorie des Sprachsystems bestehen: Die Semiotik r die sich mit den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten von Zeichensystemen befaßt und für die das System einer natürlichen Sprache nur ein Sonderfall ist, kann die für sie relevanten Begriffe am einfachsten anhand von Systemen entwickeln, bei denen die Gliederung des Zeichenkörpers (in der natürlichen Sprache: der Lautform) mit der des Zeicheninhalts genau korrespondiert (s. dazu auch W . MÖTSCH (1974), S. 4 5 u n d S. 6 5 - 7 0 ) .
Die Auffassung, daß alle Einheiten des Sprachsystems sprachliche Zeichen seien, wäre eine direkte Konsequenz aus der Gleichsetzung von „Zeichensystem" und „System von Zeichen". Sie ist angesichts der Tatsache, daß es Einheiten wie phonologische Merkmale, Phoneme, Silben usw. gibt, die keine Zeichen sind, nicht streng durchführbar. Sie kann jedoch auch als eine Tendenz, die Eigenorganisation der Lautstruktur zu übersehen, wirksam sein. Ganz offenkundig ist, daß eine rigorose Durchführung dieser Auffassung die Untersuchung der Bedeutungsseite sprachlicher Zeichen behindern würde, da es Einheiten der Bedeutung gibt, die selbst nicht u n m i t t e l b a r mit einer Einheit der Lautform verbunden sind. Umgekehrt verleitet die mehr oder weniger bewußt getroffene Voraussetzung, das Sprachsystem sei ausschließlich eine Menge bilateraler Zeicheneinheiten, dazu, die tatsächlichen Beziehungen zwischen Lautformen und Bedeutungen selbst wieder als Zeichen, d. h. als Einheiten von (Laut-)Form und Bedeutung aufzufassen. Demzufolge werden nicht selten syntaktische Erscheinungen wie z. B. bestimmte Konstruktionsweisen, bestimmte Wortreihenfolgen usw. nicht als Vermittlungsglieder zwischen Lautform und Bedeutung betrachtet, sondern selbst als Träger von Bedeutungen angesehen. Im einzelnen Wort oder Morphem ist die Beziehung zwischen Lautform u n d Bedeutung, die das sprachliche Zeichen begründet, abstrakt und unanschaulich. I n der Struktur der Gesamtäußerung aber (wo die Zeichenbeziehung weder relativ beständig noch relativ unabhängig von der Art des widergespiegelten Sachverhalts ist) wird die Zeichenbeziehung selbst in Gestalt der syntaktischen Struktur für die grammatische Beschreibung faßbar. Die sprachliche Zeichenbeziehung ist vor allem eine Beziehung zwischen einem ideellen Abbild der außerhalb der sprachlichen Äußerung und außerhalb des Kommunikationsvorganges selbst liegenden Wirklichkeit und der Lautform der Äußerung. Diese Zeichenbeziehung ist wesentlich für Existenz und Funktionieren der Sprache. Es besteht jedoch kein Grund zu der Annahme, daß alle Beziehungen zwischen Zeichenkörper und Bezeichnetem, die in sprachlichen Äußerungen auftreten, automatisch auch solche wesentlichen Zeichenbeziehungen wären. Es ist vielmehr, eben wegen des komplizierten Charakters der sprachlichen Äußerungen, mit Vermittlungen, „Delegierungen", des grundlegenden, eigentlichen sprachlichen Zeichenverhältnisses (über verschiedene Stufen hinweg) zu rechnen. Zweifellos unterscheiden z . B . die phonologischen Merkmale Wörter voneinander; es besteht eine gewisse Analogie zwischen der distinktiven Rolle von phonologischen
Komponenten
des Systems! Teile der
Grammatik
35
Merkmalen und der distinktiven Rolle, die die Lautformen der Wörter gegenüber den Wortbedeutungen spielen. Trotzdem besteht ein wesentlicher Unterschied, denn die Bedeutungen v o n Wörtern sind mit der ideellen Widerspiegelung v o n Außersprachlich-Wirklichem verbunden, zwischen dem Lautkörper des Wortes und seiner Bedeutung besteht eine für die Sprache wesentliche Beziehung. Der Unterschied zwischen phonologischen Merkmalen identifiziert jedoch stets nur innersprachliche Unterschiede. Ähnliches gilt z. B. für die Flexionsendungen. Eine Endung -(e)n z. B. in (den Tag-)ea, (den Becherusw. b e d e u t e t nicht in derselben Weise etwas, wie die Wörter Tag, Becher usw. etwas in der Wirklichkeit Vorhandenes bedeuten. Die Endung s i g n a l i s i e r t vielmehr, daß Tag und Becher usw. mit den Morphemen Plural und D a t i v verbunden sind. D a s Morphem Plural hat eine Bedeutung: E s besagt, daß es sich bei dem Gemeinten u m etwas Vielzahliges handelt. Das Morphem Dativ jedoch i d e n t i f i z i e r t lediglich eine syntaktische Funktion des betreffenden Wortes.
Es mag von einem allgemein-semiotischen Standpunkt aus als denkbar erscheinen, Bedeutung, Identifizierung, Signalisierung (und eventuelle andere Verhältnisse zwischen Zeichenkörper und Bezeichnetem) miteinander gleichzusetzen. Vom Standpunkt der Grammatik aus, die die Spezifik der Zeichenbeziehung in natürlichen Sprachen herauszuarbeiten hat, erscheint strikte Unterscheidung geboten. In der Sprache bilden, wie in § 1 ausgeführt, Bewußtsein und Lautäußerung eine Einheit. Sie vermittelt die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen und organisiert ihre Bewußtseinsprozesse. Diese Einheit von Bewußtsein und Lautäußerung muß regulär funktionieren, sie muß sich zugleich allen gesellschaftlichen Erfordernissen und Bedingungen anpassen, und sie muß von allen Mitgliedern der Gesellschaft bewußt und schöpferisch gehandhabt werden können. Die beiden hauptsächlichen Komponenten der Sprache sind aber tatsächlich sehr verschiedener Natur. Die Bewußtseinstätigkeit und die Lautäußerung unterliegen ganz verschiedenartigen Gesetzmäßigkeiten, sie basieren auf verschiedenen Organen sowie auf ganz unterschiedlichen physiologischen und psychologischen Mechanismen. Die Einheit, die sie in der Sprache bilden, verändert sie zwar und macht sie zu Komponenten einer qualitativ neuen Erscheinung, sie hebt jedoch ihre grundsätzliche Eigenständigkeit und Eigenorganisation nicht auf, sondern stützt sich auf sie. Hieraus ergeben sich die in §4 andeutungsweise dargestellten Probleme der sprachlichen Zeichenbeziehung. Aus der Eigengesetzlichkeit der in der Sprache vereinigten Tätigkeiten auf der einen Seite und den Notwendigkeiten des zugleich regulären und flexiblen, zugleich stabilen und schöpferisch veränderbaren Funktionierens auf der anderen Seite, erklärt es sich, daß die Einheit beider Ebenen selbst eine reiche Struktur von eigener Qualität entwickelt. Im Sprachsystem als der Gesamtheit von Regeln, die die Einheit von Wirklichkeitsabbildung und lautlicher Form in den Äußerungen der Sprache begründen, drückt sich das widersprüchliche und auf komplizierte Weise vermittelte Verhältnis der beiden Seiten in besonderer Weise aus: Das Sprachsystem gliedert sich in mehrere Komponenten auf. Die Komponenten sind mit3*
1.1. Sprachsystem,
Äußerungsstruktur,
Grammatik
einander verbunden. Aber jede von ihnen ist ein besonderes Teilsystem, ein besonderer Komplex von Regeln mit eigenen Einheiten und Beziehungen (s. dazu die folgenden Paragraphen). Die Komponenten, die hier vorläufig aufgezählt, im folgenden aber eingehender behandelt werden, sind: — die semantische (s. 1.2.), — die syntaktische (s. 1.5.) und — die phonologische Komponente (s. 1.6.). Mit diesen drei Komponenten als dem Kern des Systems ist — die kommunikativ-pragmatische Komponente (s. 1.3.) verbunden. In der Existenz der semantischen und der phonologischen Komponente als besonderer Teilsysteme innerhalb des sprachlichen Systems als Ganzem drückt sich die relative Eigengesetzlichkeit und Eigenorganisation aus, die sowohl das Bewußtsein als auch die Lautäußerung innerhalb der Sprache besitzen. Die Regeln beider Komponenten sind jedoch verzahnt mit denen, die die syntaktische Komponente bilden. Die Einheiten und Beziehungen der syntaktischen Komponente vermitteln die Beziehung zwischen Lautform und Bedeutung in komplexen sprachlichen Zeichen (s. o. §4). Im Zusammenhang von Lautformen und Bedeutungen in den sprachlichen Äußerungen kommt das eigentliche Wesen des Sprachsystems als einer besonderen Seite der Sprache zum Ausdruck (s. o. § 1). Daher werden die semantische, die syntaktische und die phonologische Komponente hier als „Kern" des Sprachsystems bezeichnet. Auf die Frage, ob in den Systemen von Sprachen, die auch schriftliche Kommunikation besitzen, neben der phonologischen Komponente auch eine besondere graphische Komponente existiert oder ob die entsprechenden Regeln lediglich eine Art Anhängsel der phonologischen Komponente bilden, kann hier nur hingewiesen werden. Vgl. zu diesem Problem N E R I U S / S C H A R N H O R S T ( 1 9 7 5 ) .
So wie die Grammatik als die Beschreibung des Sprachsystems vom Sprachsystem selbst zu unterscheiden ist, so sind auch die einzelnen Teile der Grammatik von den Komponenten des Systems zu unterscheiden: Die Semantik beschreibt die semantische, die Syntax die syntaktische und die Phonologie die phonologische Komponente des Sprach systems. Ebenso ist die kommunikativ-pragmatische Komponente des Systems von dem Teil der Grammatik zu unterscheiden, der sie beschreibt. Zur Frage einer besonderen morphologischen Komponente nimmt § 9 Stellung. Dort ist auch die Frage der Stellung der Lexik zu erörtern.
Das Sprachsystem determiniert die Äußerungsstruktur insgesamt. Die einzelnen Komponenten des Sprachsystems determinieren jeweils eine besondere Schicht in der Äußerungsstruktur; und entsprechend müssen auch Grammatiken eingerichtet sein, wenn sie das Sprachsystem in angemessener Weise beschreiben sollen. Eine Äußerung wie z. B. Vor dem Hause war ein kleiner Vorgarten kann gram-
Grammatische
Analyse
37
matisch analysiert werden. Eine grammatische Analyse besteht aus Feststellungen wie z. B. den folgenden: a) Die Äußerung stellt einen Sachverhalt dar. Sie beschreibt einen Sachverhalt als eine Beziehung zwischen bestimmten einzelnen Gegenständen. Die Äußerung ist eine Aussage. Sie gibt den dargestellten Sachverhalt als eine Tatsache wieder. Die Äußerung ist ein Satz. Sie enthält mehrere Wörter, diese gehören zu verschiedenen Klassen. Die Äußerung ist eine Folge von Silben. ' Auf der vorletzten Silbe der Äußerung sinkt der Ton ab. usw. usf. Jede dieser Feststellungen sagt etwas über die Struktur der Äußerung aus: über ihre Bedeutung, über ihr Verhältnis zu den Bedingungen der Kommunikationssituation, über die Beziehung zwischen Bedeutung und Lautform und über die Lautform selbst. Dabei gibt es eine natürliche, im Objekt selbst begründete Beziehung zwischen den Feststellungen über die Eigenschaften der Äußerung und die Strukturtatsachen, die ihnen zugrunde liegen. So muß die Feststellung b) mit den beiden ersten Aussagen von a) verbunden werden, und diese selbst müssen entsprechend modifiziert werden: b) Die Äußerung stellt einen komplexen Sachverhalt dar. Sie beschreibt einen der Teilsachverhalte als eine Beziehung zwischen bestimmten einzelnen Gegenständen. Sie beschreibt den anderen Teilsachverhalt als das Zutreffen einer Eigenschaft für einen der Gegenstände ( = ,der Vorgarten war klein'). Die Feststellung c) müßte entsprechend vor den beiden letzten Aussagen von a) eingeschoben werden: c) Die Äußerung besteht aus einer einzigen Tongruppe. Es ist leicht zu sehen, daß sich bei Veränderungen in der Reihenfolge der einzelnen Aussagen eine konfuse Beschreibung der Struktur der Äußerung ergäbe. Sie würde den Beziehungen zwischen den Eigenschaften der Äußerung nicht gerecht. Dasselbe gilt für Aussagen wie d): d) * Die Äußerung Vor dem Haus war ein kleiner Vorgarten ist eine Aussage mit neun Silben. * Die Äußerung beschreibt einen Sachverhalt mit mehreren Wörtern. * Auf der vorletzten Silbe der Beschreibung einer Beziehung sinkt der Ton ab. usw. Angaben dieser Art bringen Eigenschaften der Laut-Bedeutungs-Zuordnung in einen falschen gegenseitigen Zusammenhang: Der Aussage-Charakter einer Äußerung hat mit ihrer Silbengliederung nichts zu tun; die Art und die Anzahl der Wörter hat keine direkte Beziehung dazu, daß die Äußerung einen Sachverhalt beschreibt; die Art des beschriebenen Sachverhalts hängt mit dem Tonverlauf der Äußerung nicht zusammen.
1.1. Sprachsystem, Äußerungsstruktur,
Grammatik
Die Aussagen über die Eigenschaften der Äußerung müssen der Gliederung der Äußerungsstruktur, ihrem Aufbau aus mehreren Schichten entsprechen. Die Eigenschaften der Äußerung sind mit den verschiedenen Schichten der Äußerungsstruktur verbunden: Die Eigenschaften der Bedeutung gehören zur semantischen Struktur; die Eigenschaften, die die Beziehung der Äußerung zu den Bedingungen des Kommunikationsvorgangs betreffen, gehören zur kommunikativ-pragmatischen Struktur; diejenigen Eigenschaften, die die Beziehung zwischen der Bedeutung und der Lautform betreffen, gehören zur syntaktischen Struktur; die lautlichen Eigenschaften der Äußerung gehören zu ihrer phonologischen Struktur. Wenn eine Grammatik vollständig ist, so liefert sie für jede in der gegebenen Sprache mögliche Äußerung eine vollständige grammatische Analyse. Diese besteht aus Feststellungen über alle Eigenschaften der Äußerung, die die LautBedeutungs-Zuordnung betreffen. Die einzelnen Teile der Grammatik (s. o. § 5), die je eine besondere Komponente des Sprachsystems beschreiben, liefern die Feststellungen über die entsprechende Schicht in der Struktur der Äußerungen. Die Analysen der Äußerungsstrukturen, die die Grammatik ermöglicht, bilden somit die miteinander zusammenhängenden Eigenschaften der Äußerungen auch in ihrem gegenseitigen Zusammenhang ab. Durch die Aufdeckung der verschiedenen Schichten der Äußerungsstruktur beschreibt die grammatische Analyse die jeweilige Äußerung als ein komplexes sprachliches Zeichen (,s. o. § 4). Der grundsätzliche Aufbau der Komponenten des Sprachsystems und deren Zusammenwirken bildet den zentralen Gegenstand einer allgemeinen Theorie der Grammatik. Eine eingehende Behandlung der Probleme und Lösungsvorschläge, die gegenwärtig zur Diskussion stehen, ist hier nicht möglich. Genauere Ausführungen über den Aufbau der in den »Grundzügen« angenommenen Komponenten des Sprachsystems folgen in den Abschnitten 1.2. —1.6. Jede Komponente ist ein Teilsystem von spezifischen Regeln und Einheiten, die jeweils eine besondere Schicht in der Struktur der Äußerungen bestimmen (vgl. § 5 und § 6; Regeln sind — vgl. § 3 — allgemeine Zusammenhänge in den Strukturen der Äußerungen). Die Regeln unterscheiden sich nach der Art der Zusammenhänge. Bestimmte Regeltypen gibt es in mehreren Komponenten; so z. B.Regeln, die festlegen, wie sich in der gegebenen Schicht der Äußerungsstrukturen größere, komplexere Einheiten aus kleineren, weniger komplexen aufbauen. Die Beziehungen zwischen den Einheiten, die solche Regeln festlegen, sind im Prinzip immer dieselben: Einheiten der Klasse A bauen sich auf aus (bestehen aus, sind gebildet aus usw.) Einheiten der Klassen B, G usw. Die Einheiten der Klassen B, C usw. sind innerhalb der umfassenderen Einheit miteinander verbunden. (Weiteres zu dieser Art von Regeln s. unten.) Derartige Regeln verschiedener Komponenten unterscheiden sich also im Prinzip nur durch die Einheiten, auf die sie sich beziehen. Eine phonologische Regel, die festlegt, wie Tongruppen aus kleineren Einheiten aufgebaut sind, unterscheidet sich i n d i e s e r H i n s i c h t nur durch die Einheiten, auf die sie sich bezieht, von einer Regel der semantischen Komponente, die festlegt,
Regeln und
Einheiten
39
wie Propositionen (Einheiten, die Sachverhaltsabbildern entsprechen) aufgebaut sind usw. I n jeder Komponente des Sprachsystems gibt es kleinste Einheiten für den Aufbau der betreffenden Schicht in der Struktur der Äußerungen. Die Regeln, die den Auf bau der Strukturschicht bestimmen, beziehen sich auf sie nur einseitig: Sie legen die größeren Komplexe fest, in die solche Einheiten eingehen können. E s gibt innerhalb der Komponente keine Regeln, die sich auf ihren inneren Aufbau beziehen. Von dieser Art sind z. B. semantische Einheiten wie „semantisches Argument" oder „semantisches P r ä d i k a t " ; in der syntaktischen Struktur liegen die Verhältnisse komplizierter (s. u. 1.5.6., „Zweiteilung der syntaktischen Komponente"). Hier .gibt es eine Teilgruppe von Kegeln, die sich auf die Struktur des Satzes und der Wortgruppen beziehen. F ü r sie sind die Wortklassen Substantiv, Adjektiv, Präposition usw. die kleinsten Einheiten. F ü r die Regeln, die die Wortstruktur bestimmen, •sind die kleinsten Einheiten die verschiedenen Klassen von Basismorphemen, von Wortbildungs- oder Flexionsmorphemen. F ü r die syntaktische Struktur insgesamt k a n n man jedoch die Morpheme als die kleinsten Einheiten betrachten. J5s gibt also für jede Komponente des Sprachsystems spezifische Einheiten verschiedener Art, deren Auftreten und gegenseitige Beziehung in den Strukturschichten der Äußerungen durch die Regeln der Komponente bestimmt werden. Die Ausschnitte aus einer grammatischen Analyse, die in § 6 unter a), b), c) vorgef ü h r t wurden, bezogen sich auf bestimmte Einheiten wie z. B. „Darstellung eines Sachverhalts", „Satz", „Wort", „Wortklasse", „Silbe", „Tongruppe", „Aussage" u. a. m., die in der Struktur der Äußerung auftraten. Die Beispiele von unangemessenen Aussagen über die Äußerungsstruktur in § 6, d) zeigen, daß die Einheiten jeweils f ü r bestimmte Strukturschichten spezifisch sind. Der Aufbau einer komplexen Einheit kann statt durch eine einzige Regel auch durch eine Gruppe alternativer Regeln bestimmt sein. Solche Alternativen .können von zweierlei Art sein: a) A = B und C oder D oder . . . Eine Einheit der .Klasse A besteht entweder aus je einer Einheit der Klassen B u n d C oder aus je einer Einheit der Klassen B oder D usw. J e mehr alternierende Regeln f ü r den Aufbau von A bestehen, desto größer ist die Varianz innerhalb der Klasse von Teilstrukturen, die durch A bezeichnet ist. b) A = B oder B und C Eine Einheit der Klasse A besteht entweder aus je einer Einheit der Klassen B u n d G oder aus einer Einheit der Klasse B allein. D a n n fungieren die Einheiten der Klasse B auf doppelte Weise, sie haben a n zwei verschiedenen allgemeinen Strukturzusammenhängen teil. Das Resultat ist ebenfalls eine Teilklassenbildung innerhalb der Klasse von Teilstrukturen, die durch A bezeichnet ist. I n der syntaktischen Komponente sind meist beide Arten von alternativen Regelgruppen miteinander verbunden, vgl. z. B. die Regeln, die den Aufbau von Substantivgruppen.betreffen (2.3.1.1., §8).
1.1. Sprachsystem,
Äußerungsstruktur,
Grammatik
Auf die kleinsten Einheiten — und zwar fast ausschließlich auf sie — beziehen sich Regeln einer anderen Art. In diesen Regeln erscheinen diese Einheiten als Klassen, denen die bestimmten einzelnen Einheiten, über die die betreffende Komponente des Sprachsystems verfügt, als Elemente zugeordnet werden. So bezieht sich z. B. auf die Einheit „semantisches Prädikat" eine Gruppe alternativer Regeln, die die verschiedenen semantischen Prädikate, über die die Sprache verfügt, dieser Einheit zuordnet. Auf die Einheit „Substantiv" oder „Präposition" beziehen sich Regeln, die festlegen, welche Wörter zu diesen Klassen gehören usw. Dasselbe gilt z. B. auch für die Einheit „Äußerungsintention" der kommunikativpragmatischen Struktur (s. 1.3.2.), die durch die bestimmten Einheiten „Aussage", „Frage", „Aufforderung" spezifiziert wird, für die Einheit „Tempus" in der Flexion des Verbs, die als Präsens, Präteritum oder Futur festgelegt werden kann usw.
Zur Determination jeder Schicht der Äußerungsstruktur ist also außer den Regeln, die den Aufbau der Strukturschicht bestimmen, immer noch eine andere Art von Regeln nötig: Solche Regeln nämlich, die festlegen, welche bestimmten einzelnen Einheiten als Teile in die Strukturen eingehen können. Es gibt sogenannte „abstrakte Einheiten". Das sind Einheiten, die nur im Rahmen einer Abwandlungsbeziehung durch bestimmte einzelne Einheiten spezifiziert werden können. S. dazu die Behandlung der Abwandlungsbeziehungen in 1.5.7. und vgl. insbesondere § 87.
Die Regeln, die Klassen von Einheiten spezifizieren, bilden alternative Gruppen. Die Alternation kann durch besondere Bedingungen eingeschränkt sein: a) Relationale semantische Prädikate können nur auftreten, wenn mehrere Argumente zu der Proposition gehören. Semantische Prädikate, die Eigenschaften beschreiben, sind auf Propositionen mit einem Argument beschränkt. Verben und adjektivische Prädikatsnomina sind an die An- oder Abwesenheit von Objekten und / oder engen Adverbialbestimmungen gebunden (s. 1.5. und Kap. 2.1.). In diesen Fällen ist es die An- oder Abwesenheit von Einheiten bestimmter Klassen, die das Auftreten der einzelnen semantischen Prädikate, der einzelnen Verben usw. beschränkt. Mit Einschränkungen dieser Art ist die Bildung bestimmter Subklassen innerhalb der jeweiligen Klasse von Einheiten verbunden. b) Das Auftreten von bestimmten einzelnen Einheiten einer Klasse ist daran gebunden, daß Einheiten einer anderen Klasse, die in derselben Struktur auftreten, bestimmte Eigenschaften haben (d. h.: bestimmten Subklassen angehören). Diese Art v o n Beschränkungen alternativer Regeln ist am besten für die syntaktische Komponente untersucht. Es sei hier nur erinnert an Verben, die nur bei vielzahligem Subjekt oder Objekt auftreten können (sich oder jemand versammeln usw.). I m übrigen sei verwiesen auf Abschnitt 1.5.4. und Kap. 2.3.1.1., § 10, e). Zusammenhänge dieser Art spielen eine Rolle bei der Auswahl des Tempus und des Modus des Verbs. Welches Tempus und welcher Modus in einer gegebenen Struktur auftreten können, hängt u. a. von den Eigenschaften der Satzintention ab; s. dazu 1.3.5.
Beziehungen zwischen den
Komponenten
41
Aber auch innerhalb der kommunikativ-pragmatischen Komponente selbst gibt es derartige Beschränkungen: Die Charakterisierung der Äußerung als Aufforderung hängt z. B. davon ab, daß der gesamte Sachverhalt als nachzeitig gegenüber dem Sprechakt festgelegt ist und daß einer der Teilnehmer des Sachverhalts als der Angesprochene identifiziert ist (vgl. 1.3.2.).
Zum Teil gehören die Beschränkungen, die unter b) anzuführen wären, bereits zu den Erscheinungen des Ineinandergreifens der verschiedenen Komponenten, die im nächsten Paragraphen zu behandeln sind. Eine weitere Art von Regeln bestimmt Entsprechungsverhältnisse zwischen verschiedenartigen Strukturen. Solche Regeln existieren in der semantischen und in der syntaktischen Komponente des Systems. Unter Entsprechung ist Entsprechung hinsichtlich einer bestimmten Schicht der Struktur zu verstehen. Das schließt nicht notwendigerweise Äquivalenz hinsichtlich anderer Schichten der Struktur ein.
In der semantischen Komponente muß es Regeln geben, die Quantitätsverhältnisse begründen. Solche Verhältnisse bestehen logisch zwischen All- und doppelt verneinten partikulären Aussagen sowie zwischen partikulären Aussagen und doppelt verneinten Allaussagen: Alle Metalle leiten Elektrizität — Kein Metall leitet Elektrizität nicht; Einige Metalle oxydieren — Nicht alle Metalle oxydieren nicht. Wenn, was anzunehmen ist, beide logischen Quantoren zum Bestand der semantischen Komponente gehören, dann muß diese auch eine Regel enthalten, die die Äquivalenzbeziehungen zwischen den entsprechenden Klassen von semantischen Strukturen festlegt. Von besonderer Bedeutung sind Entsprechungsbeziehungen zwischen Klassen von syntaktischen Strukturen. Entsprechende Regeln gehören zum Bestand der syntaktischen Komponente. Die verschiedenen Typen syntaktischer Abwandlungsbeziehungen (Transformationen) und bestimmte Bedingungen, denen ihre Geltung unterliegt, werden in 1.5.7. behandelt. Die einzelnen Komponenten des Sprachsystems besitzen jeweils eigene Regeln. Bei der Determination der Äußerungsstrukturen wirkt das System jedoch als Gesamtheit seiner Komponenten. Die verschiedenen Schichten in der Struktur der Äußerungen sind miteinander verbunden. Das verleiht den Äußerungen den Charakter komplexer sprachlicher Zeichen (s. dazu § 4). Die Komponenten des Sprachsystems sind auf zweierlei Weise miteinander verbunden: a) Einheiten der einen Komponente können Interpretationen in bezug auf Einheiten anderer Komponenten besitzen; b) Regeln der einen Komponente können an Bedingungen gebunden sein, die von Regeln anderer Komponenten bestimmt sind, d. h. einer anderen als der von ihnen determinierten Schicht der Struktur angehören. Zu den Einheiten des Sprachsystems, die für mehrere Komponenten zugleich von Belang sind, gehören vor allem die Wörter bzw. ihre Basismorpheme. Sie haben mit ihrer Bedeutung Anteil an der semantischen und mit ihrer Laut-
1.1. Sprachsystem,
Äußerungsstruktur,
Grammatik
form Anteil an der phonologischen Komponente. Außerdem unterliegen sie den Regeln der syntaktischen Komponente: Sie gehören zu bestimmten Wortklassen wie Verb, Substantiv, Adjektiv, Präposition usw. Dadurch ist festgelegt, in welcher Weise sie in die übergeordneten syntaktischen Strukturen eingehen können. Bei den Verben z. B. gibt es aber noch weitere syntaktische Charakteristika : Sie gehören zu verschiedenen Subklassen, je nachdem, ob sie Objekte oder verschiedene Arten von Adverbialgruppen bei sich haben können oder nicht. Bei Verben und Präpositionen gibt es Unterschiede hinsichtlich der Rektion (d. h. der Kasus der Substantivgruppen, mit denen sie syntaktisch verbunden sind). Innerhalb der Wortstruktur wirkt sich die Wortklassenzugehörigkeit vor allem auf die Verbindung mit Flexionsmorphemen aus. Substantive, Adjektive und Verben sind außerdem in verschiedene Flexionsklassen eingeteilt, je nachdem, wie die verschiedenen Wortformen gebildet sind. Manche Wörter, wie z. B. ich, du, jetzt, hier u. a. sind überdies auch noch kommunikativ-pragmatisch charakterisiert. Sie beziehen sich auf bestimmte Bedingungen der Kommunikationssituation. Trotzdem ist es nicht zulässig, Wörter als Einheiten zu betrachten, die mehreren Komponenten des Systems zugleich angehören. Die Wörter bzw. ihre Basismorpheme sind Einheiten der syntaktischen Komponente. Sie besitzen eine Interpretation hinsichtlich der Einheiten der semantischen Komponente als •auch hinsichtlich der phonologischen Komponente. Sie sind aber nicht Einheiten •dieser Komponenten. Die kleinsten Einheiten der semantischen Komponente sind semantische Prädikate („semantische Merkmale", „Seme") und bestimmte semantische Argumejite {s. o. § 7; s. 1.2.). Die übergeordnete, komplexere Einheit ist die Proposition. Auf diese Einheiten beziehen sich die Regeln der semantischen Komponente. Die Wortbedeutungen sind Komplexe von semantischen Prädikaten (s. 1.2.). Keine der semantischen Regeln bezieht sich auf Wortbedeutungen als eine besondere Einheit. Im Aufbau der semantischen Strukturen gibt es keine besonders ausgezeichnete Stufe der Komplexbildung, die man als die Stufe der Wortbedeutungen (etwa gegenüber einer Stufe der Morphembedeutungen auf der •einen und einer Stufe der Wortgruppenbedeutungen auf der anderen Seite) identifizieren könnte. D a s heißt nicht, daß es kein Morphem geben könnte, das nicht genau einer elementaren semantischen Einheit (einem semantischen Merkmal oder Sem) entspräche, •oder daß es prinzipiell kein Wort geben könnte, dessen Bedeutung allein einen ganzen Sachverhalt erfaßte. Es heißt aber, daß es keine automatische Parallele zwischen •den komplexen Einheiten verschiedener Komponenten gibt. S. dazu auch PASCH • H)), das zur Veränderung der Wirklichkeit führt (R ->- R'). Die Klammern umschließen die subjektiven Glieder in der Beziehung.
Die sprachliche Kommunikation, die Erkenntnisse über die objektive Realität vermittelt, kann dadurch das Handeln verschiedener Individuen koordinieren:
Erklärungen wie zu (2a) und (2b).
Tatsächlich vermittelt die Kommunikation Beziehungen mit weit komplexerem Charakter als die in (2c) veranschaulichte einfache Koordination. Das ist dann der Fall, wenn die Kommunikation selbst eine besondere Art des Handelns ist, was in ähnlich vereinfachter Weise in (2d) dargestellt ist:
R
»- H|)
>(E;
Hz)
R'
In einer solchen Beziehung wirkt der Sprecher (E t —H4) kommunikativ auf den Hörer ein (H1-+E2). Seine Einwirkung auf die objektive Realität (Hj) ist durch den Hörer vermittelt, sie umfaßt die Glieder Hj=> (E2->-H2). Dieses vermittelte Handeln kann sich auch über mehrere Zwischenglieder erstrecken. Es könnten auch mehrere Hörer gleichzeitig erfaßt werden usw. Für den Hörer ((E 2 -»H 2 ))
1.2. Semantische
Komponente
ist die Erkenntnis der objektiven Realität durch den Sprecher und sein kommunikatives Verhalten vermittelt: E 2 umfaßt die K e t t e ( E j - » H t ) =>E2. Auch hier sind analoge, beliebig komplexe Erweiterungen möglich. Auch mit den ins Auge gefaßten Erweiterungen ist (2d) ein äußerst einfaches Schema. Trotzdem zeigt es den Zusammenhang v o n praktischem Handeln, Erkenntnis und Kommunikation. Es wird dem Umstand gerecht, daß sich die Notwendigkeit, Erkenntnisse über objektive Realität durch sprachliche Äußerungen mitzuteilen, aus dem gesellschaftlichen Prozeß selbst ergibt, in dem die Menschen miteinander verbunden sind (s. u. § 16).
Die in (2b) veranschaulichte K e t t e Objektive Realität — Erkenntnis - Handeln Veränderte Realität ist auf das Individuum bezogen ein Ausnahmefall. I n die Erkenntnis geht immer auch die kommunikativ vermittelte Erkenntnis anderer Individuen ein; das Handeln, das zur Veränderung der Realität führt, ist fast stets ein Teilvorgang in umfassenderen sozialen Vorgängen. Ebenso stellen Verhältnisse wie sie (2c) zeigt, die einfache Koordination des Handelns verschiedener Individuen, nur einen Spezialfall innerhalb eines gesamten Netzes dar, dessen Grundeinheit in (2d) angedeutet ist. Das Gesamtnetz schließt Glieder ein, die von der praktischen Einwirkung auf die materielle außergesellschaftliche Wirklichkeit durch viele andere getrennt sind, ebenso enthält es Einheiten, bei denen die Beziehung zur Erkenntnisquelle durch viele kommunikative Zwischenglieder vermittelt ist. Insgesamt jedoch, für das gesamte Netz, für die gesamte Gesellschaft, gilt die Beziehung Objektive Realität — Erkenntnis — Handeln — Veränderung der Realität. Die Kommunikation als soziale Erscheinung ist in dieser Hinsicht geistige Tätigkeit, sie vermittelt zwischen Erkenntnis und praktischem Handeln. Die Orientierung der Kommunikation auf die objektive Wirklichkeit schließt in einem solchen Gesamtnetz nicht aus, daß sich Teile des Netzes auf Ideelles, auf die Bewußtseinsinhalte der kommunizierenden Individuen beziehen. Kommunikation über Ideelles ergibt sich daraus, daß zur objektiven Realität, die erkannt und aktiv verändernder Einwirkung unterworfen wird, auch die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen selbst gehören. Bei der Regelung ihrer gegenseitigen Beziehungen sind ihre BeWußtseinszustände, die das Handeln und darüber hinaus große Teile des gesamten Verhaltens unmittelbar bestimmen, selbst Objekt der Erkenntnis und damit auch Bezugsobjekt sprachlicher Äußerungen. Aus dem in § 13—§ 15 entwickelten Gesamtverständnis der Beziehungen zwischen Erkenntnis, Kommunikation und praktischer Veränderung der objektiven Wirklichkeit als gesellschaftlichen Prozessen, die sich in den individuellen Vorgängen und Beziehungen verwirklichen, ergeben sich noch einige weitere Schlußfolgerungen für das Verhältnis von Sprache und Bewußtsein. a) Für den Handelnden gehören alle Vermittlungen zwischen ihm und Erkenntnisquelle (s. E 2 in (2d)) zu seinem Erkenntnisbereich. E s ist f ü r Handeln oft nur von sekundärer Bedeutung, ob die Erkenntnisse, auf die es stützt, vom Handelnden selbst originär gewonnen sind oder ob es sich um anderen erarbeitetes, kommunikativ weitergegebenes Wissen handelt.
der das sich von
Sprache, Bewußtsein und Wirklichheit
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Für den Erkennenden aber gehört im Prinzip alles, was zwischen seiner Erkenntnis und dem zu verändernden Bereich der objektiven Wirklichkeit liegt, zum Bereich seines Handelns, er mag dabei selbst unmittelbar materiell tätig sein oder die materielle Tätigkeit anderer durch sein kommunikatives Handeln beeinflussen (s. Hj in (2d)). Tatsächlich ergeben sich für die zweite Beziehung erhebliche Einschränkungen. Die Trennung von Erkenntnis und praktischer Anwendung erschwert die Korrektur des Erkannten anhand der praktischen Erfahrung bei seiner Anwendimg. Die Arbeitsteilung in der Gesellschaft führt dazu, daß Erkenntnisse „auf Vorrat" gewonnen werden, deren Anwendungsmöglichkeiten der Erkennende nur zum Teil überblicken kann, usw.
Aus der Verschränkung des Erkenntnisbereichs und des Bereichs des Handelns im einzelnen Subjekt erklärt es sich, daß das Denken des Einzelnen als innersubjektiv fortgesetzte sprachliche Kommunikation auftreten kann, daß es zumindest auf einem gewissen Niveau an die „innere Sprache" („innere Rede") gebunden ist. Andererseits aber erklärt sich aus dieser Verschränkung beider Sphären auch, daß das Denken als ideelles Operieren an einem ideellen „inneren Modell" des jeweiligen Bereichs der Wirklichkeit auftritt, als eine Art des Operierens, dessen Resultate die Ergebnisse möglichen praktischen Handelns vorwegnehmen. b) F B I E D R I C H E N G E L S hat in seiner Studie über den „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen" (MEW, Bd. 20 (1962); vgl. auch A. A. L E O N T J E W (1975i)) gezeigt, daß die Sprache wie das menschliche Bewußtsein ein Produkt der Entstehung der Arbeit und. damit der Entstehung der gesellschaftlichen Lebensweise des Menschen ist. Sie ist die Voraussetzung dafür, daß sich der Lebensprozeß der Gesellschaft als bewußte Veränderung der Natur aus seinem Anfangsstadium weiterentwickeln konnte, und dafür, daß dieser Prozeß in Gang bleibt. Die sprachliche Kommunikation schließt die Kette zwischen objektiver Realität, Erkenntnis, Organisation des Handelns und Veränderung der Wirklichkeit. Sie ermöglicht erst das Zusammenspiel dieser Faktoren in einem von den einzelnen Individuen getragenen gesellschaftlichen Prozeß. Die Sprache ist in diesem Sinne in der Formulierung der »Deutschen Ideologie« (MEW, Bd. 3 (1969), S. 30): „ . . . das praktische, auch für andere Menschen existierende, also auch für mich selbst erst existierende wirkliche Bewußtsein. . . " . M A R X und und E N G E L S heben an dieser Stelle hervor, daß die Sprache zusammen mit dem Bewußtsein entstanden ist und daß dieses ohne die Sprache nicht existieren kann. Das gilt natürlich nicht nur für die Erkenntnis, die nur eine (Wenngleich die grundlegende) Funktion des Bewußtseins ist. Was für die Funktionen des Bewußtseins gilt, gilt auch für seine Formen. Die Sprache bildet eine untrennbare Einheit mit dem Bewußtsein insgesamt. Arbeit und gesellschaftliche Lebensweise setzen ein bestimmtes Niveau in der Entwicklung der psychischen Widerspiegelung der objektiven Realität voraus. Die Einheit der Sprache mit dem Bewußtsein kommt auf der Basis der höchstentwickelten Form (oder Vorform) des Bewußtseins zustande. Für spätere Entwicklungsphasen bedeutet das, daß die Sprache mit dem Bewußtsein in seiner höchsten, d. h. in seiner rationalen Form verbunden ist, in der Form, die den
1.2. Semantische Komponente
Erfordernissen der Entwicklung der Gesellschaft am meisten entspricht. Genauso jedoch, wie die rationale Form des Bewußtseins mit seinen sinnlichen Formen zusammen-ein einheitliches System bildet, ist die Sprache auch mit den Vorstellungen, den Wahrnehmungen und den Empfindungen verbunden. c) In § 13—§ 15 Wurde die Beziehung der sprachlichen Äußerungen auf die Wirklichkeit dargestellt, die ihre grundlegende semantische Eigenschaft ist. Es ist nun zu klären, welche Form der Bezug der Äußerungen auf die Wirklichkeit hat., Es ist zu fragen, wie die Abbilder beschaffen sind, die die Wirklichkeit widerspiegeln, und wie sich ihre Struktur zur Struktur des Abgebildeten selbst verhält. Diese Fragen sind nicht beantwortbar, ohne — die individuelle Existenzweise des Bewußtseins und — die Existenz des Bewußtseins als System der verschiedenen Formen der Widerspiegelung der objektiven Realität in die Betrachtung einzubeziehen. Dabei geht es allerdings nicht darum, im einzelnen darzustellen, wie das Individuum auf Grund seiner Erkenntniswerkzeuge — der Sinnesorgane und des Hirns — in den Stufen der Empfindung, der Wahrnehmung, der Vorstellung und des Denkens zu einer adäquaten Widerspiegelung der Wirklichkeit gelangt. Wir gehen vielmehr von der rationalen Form der Widerspiegelung als der für die gesamte gesellschaftliche Lebensweise des Menschen bestimmenden Form der Erkenntnis aus (vgl. b)) und fragen, wie sie mit den sinnlichen Formen der Erkenntnis, von denen sie letztlich abhängt, verbunden ist, und welche Konsequenzen sich daraus für das Verhältnis von Sprache und Bewußtsein, speziell für die semantischen Eigenschaften der Sprache, ergeben.
I n ihrer rationalen Form ist die Erkenntnis — um zunächst die grundlegende Funktion des Bewußtseins zu betrachten — auf die Erfassung des Allgemeinen, Wesentlichen und Notwendigen in der objektiven Realität gerichtet. Sie setzt dabei die Ergebnisse der sinnlichen Formen der Erkenntnis — die Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen — voraus und verarbeitet sie, indem sie auf ihrer Grundlage ideelle Abbilder in der Form von Begriffen, Aussagen und Aussagenverbindungen schafft. Der Ausdruck „Aussage" ist zu speziell, da er nur für bestimmte, die Erkenntnisfunktion des Bewußtseins betreffende Abbildformen gilt. Er wird im folgenden durch den Ausdruck „Sachverhaltsabbild" ersetzt (§ 18 und 19).
Die Verarbeitung von Waihrnehmungsergebnissen ist keine einfache Zusammenfassung und Kondensation. Sie deckt vielmehr auch die der sinnlichen Erkenntnis nicht oder nicht direkt zugänglichen Eigenschaften und Zusammenhänge der objektiven Welt auf. Sowohl die sinnlichen Formen der Erkenntnis als auch die rationale Verarbeitung ihrer Ergebnisse sind in vielen Fällen an den tätigen Umgang mit den Erkenntnisobjekten gebunden. So lassen sich Eigenschaften wie z. B. Elastizität, Härte u. U. nur durch physische Einwirkung auf Gegenstände ermitteln, und der Prozeß der rationalen Verarbeitung von Beobachtungsdaten wird häufig durch Experimente gelenkt.
Sprache,
Bewußtsein
und
Wirklichkeit
57
E s liegen auch nicht jedem einzelnen Begriff oder jeder einzelnen Aussage unmittelbar sinnliche Abbilder der Wirklichkeit zugrunde. Das Bewußtsein gewinnt vielmehr neue Begriffe, Aussagen und Aussagensysteme aus solchen, über die es bereits verfügt. Die sprachlichen Äußerungen sind mit der rationalen Form des Bewußtseins verbunden (§16). Das schließt aber die Beziehungen zu den anderen Formen des Bewußtseins nicht aus, vermittelt sie vielmehr in bestimmter Weise. So gehören Inhalte Wie „Gesetz", „Wert", „Verfahren", „Erfolg", „Zweck" usw., die keine direkte Grundlage in der sinnlichen Erkenntnis haben und nur auf Grund ihrer Bindung an die lautlichen und syntaktischen Formen der Sprache existieren, der rationalen Form des Bewußtseins an. Diese beschränkt sich aber nicht auf derartige Inhalte, sondern schließt auch solche ein, die durchaus eine sinnlich-anschauliche Grundlage haben wie z. B. „Holz", „Baum", „Wasser", „Welle," „Auge" usw. E s scheint, daß für die Zugehörigkeit eines Abbildes zur rationalen Stufe des Bewußtseins weniger das Vorhandensein oder Fehlen einer sinnlich-anschaulichen Grundlage eine Rolle spielt, als vielmehr die Funktionsweise des Abbildes in den unterschiedlichen Operationen des Bewußtseins, in abstrahierenden und verallgemeinernden Vorgängen verschiedener Art, bei der Gewinnung von Schlüssen usw. Nicht annehmbar erscheint uns die Auffassung, daß zur rationalen Form des Bewußtseins nur diejenigen Begriffe gehören, die ausschließlich sprachgebunden existieren. Hier scheint uns eine Verabsolutierung einer bestimmten Stufe der rationalen F o r m des Bewußtseins vorzuliegen. Unannehmbar erscheint uns aber auch die Ansicht, daß alle Begriffe grundsätzlich auf Grund von Definitionen auf Komplexe von sinnlich-anschaulichen Grundeinheiten reduzierbar sein müßten. Wir sehen darin eine Verkennung der qualitativen Unterschiede, die zwischen sinnlicher und rationaler Form des Bewußtseins bestehen.
Die im Erkenntnisprozeß gewonnenen Abbilder der Wirklichkeit, über die das Individuum verfügt, und die es ideell reproduzieren kann, bilden sein Wissen. Dieses Wissen ist, wenn es dem rationalen Bewußtsein angehört, an Begriffe als eine besondere Abbildform gebunden. Die Grundform unseres rationalen Wissens von der Wirklichkeit sind aber nicht Begriffe oder Begriffssysteme, sondern Aussagen oder Verbindungen von Aussagen. Unser Wissen bezieht sich darauf, daß diese Gegenstände diese Eigenschaften haben, daß jene Gegenstände durch bestimmte Beziehungen miteinander verbunden sind, daß zwischen dem Auftreten bestimmter Eigenschaften oder Beziehungen und dem Auftreten anderer ein Zusammenhang einer bestimmten Art besteht usw. Zum Verhältnis von Ding (Gegenstand), Eigenschaft und Beziehimg (Relation) s. u. § 19.
Die Begriffe haben an der Abbildung der Wirklichkeit insofern Anteil, als sie, allein oder zu Begriffskomplexen verbunden, in Aussagen eingehen und in diesen auf das Abzubildende bezogen werden. Von den Aussagen isoliert, für sich betrachtet, haben sie den Charakter potentieller Aussagen. Tatsächlich liegen Abbilder von objektiv in der Wirklichkeit Gegebenem vor. Was ganzen Klassen solcher Abbilder gemeinsam ist (und zugleich auch Gemeinsamkeiten des jeweils Abgebildeten entspricht) wird in Begriffen erfaßt und kann bei der Gewinnung neuer Abbilder der Wirklichkeit eingesetzt werden.
1.2. Semantische
Komponente
Die Aussagen unterscheiden sich von den Begriffen noch durch eine weitere Eigenschaft. Aussagen sind entweder wahr oder falsch, d. h., sie stimmen mit der Wirklichkeit, die sie abbilden, überein oder nicht. Begriffe können für sich genommen nicht wahr oder falsch sein. Somit unterliegen nur Aussagen der Überprüfung ihrer Wahrheit oder Falschheit, d. h. nur solche Abbilder, die zum Wissen gehören oder in das Wissen aufgenommen Werden sollen. Als Bestandteile des Wissens dienen sie als Grundlage für die Regulierung des Verhaltens des Individuums, insbesondere der Planung und Kontrolle seines Handelns. Das praktische Verhalten vermittelt die Gegenüberstellung von Abbild und Abgebildetem und damit die Probe auf die Richtigkeit oder Falschheit eines Abbildes. Tatsächlich ergibt sich die Richtigkeit oder Falschheit gerade der für die Menschen bedeutsamsten Erkenntnisse nicht im Handeln isolierter Individuen, sondern in der gesamten gesellschaftlichen Praxis. Vgl. auch § 14—§16. Die Überprüfung der Abbilder erfolgt auch nicht unmittelbar sofort an der Wirklichkeit. Gewonnene Abbilder werden zunächst mit den bereits vorhandenen verglichen. Ihre Übereinstimmung mit vorhandenem Wissen festigt dessen Geltung (vgl. 1.3.3.), Nichtübereinstimmung kann zu Korrekturen, neuen Erklärungsversuchen, weiteren Untersuchungen usw. Anlaß geben. Richtigkeit oder Falschheit von zum Wissen gehörigen Abbildern ergibt sich auch nicht immittelbar aus Erfolg oder Mißerfolg v o n Handlungen, in deren Planung das entsprechende Wissen eingeht. Die Beziehungen sind weitaus komplizierter. Der Erfolg oder Mißerfolg kann z. B. auch von der Art und Weise abhängen, in der v o n dem Wissen im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel Gebrauch gemacht wird.
Abbilder der Wirklichkeit, die nicht zum Wissen gehören, sondern am vorhandenen Wissen oder auf andere Weise überprüft werden sollen, oder Abbilder, die das Ziel bewußten Handelns fixieren usw., haben einen anderen Status als die Aussagen. Sie erfüllen andere Funktionen innerhalb des Bewußtseins. Gleichwohl handelt es sich bei ihnen nicht um bloße Begriffe oder Begriffskomplexe, nicht um potentielle Aussagen, sondern um Abbilder, die mit einer bestimmten Beziehung auf die Wirklichkeit und mit einer bestimmten Intention aktuell hervorgebracht werden. Die Abbildform, die je nach der Rolle, die sie in der Tätigkeit des Bewußtseins spielt, als Aussage, als zu überprüfende Basis einer Aussage, als Abbild eines Handlungsziels o. dgl. dient, und die, zum Unterschied von den Begriffen und Begriffskomplexen, die in sie eingehen, ein aktuelles, auf die Wirklichkeit bezogenes Abbild darstellt, wird im folgenden Sachverhaltsabbild genannt (s. a. §19)Vgl. die Ausführungen zu den Funktionen v o n Fragen und Aufforderungen in 1.3.2. Hier sei angemerkt, daß das Sachverhaltsabbild, das mit einer Aufforderung, einem Wunsch oder einer Frage verbunden ist, nur deren Bedeutung bildet, nicht aber ihren gesamten Inhalt ausmacht. G-egen die Anwendung der Bezeichnung „Abbild" für die als Fragen, Wünsche, Aufforderungen o. dgl. ausgeprägten Bewußtseinsinhalte (d. h. auf Nicht-Aussagen) spricht, daß solchen Bewußtseinsinhalten kein unabhängig v o m Bewußtsein gegebenes wirkliches Abgebildetes entspricht. Ebenso wären auch Aussagen über Künftiges keine Abbilder. Es ist jedoch auszugehen v o m Widerspiegelungscharakter, der
Sprache, Bewußtsein und Wirklichkeit
59
dem Bewußtsein insgesamt, nicht allein seiner Erkenntnisfunktion und nicht allein dem Wissen, zukommt. Der Abbildcharakter geht von originären, die objektive Realität direkt widerspiegelnden „eigentlichen" Abbildern auf die Gebilde über, die das Bewußtsein durch analytische und synthetische Operationen verschiedener Art aus ihnen gewinnt, gleich welche Funktion diese Gebilde innerhalb des Bewußtseins erfüllen.
Mit dem Verhältnis zwischen der Struktur der Wirklichkeit und der Struktur ihrer Abbilder im Bewußtsein sind zahlreiche komplizierte Prägen verbunden. Zu einigen von ihnen nehmen wir im folgenden Stellung, wobei allerdings viele Vereinfachungen in Kauf zu nehmen sind. a) Die einzelnen Abbilder, in denen das Bewußtsein die objektive Wirklichkeit widerspiegelt, richten sich jeweils auf einen Teilbereich, auf einen bestimmten Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Das Abbild hebt bestimmte Momente, bestimmte Seiten an ihm hervor und löst ihn damit zugleich aus seinem Zusammenhang mit anderen Erscheinungen heraus. Ein solcher, in einem rationalen Abbild erfaßter Ausschnitt aus der Wirklichkeit, ist ein Sachverhalt. In dem rationalen Abbild wird der Sachverhalt ideell aufgelöst. Er wird als das Auftreten einer bestimmten Eigenschaft an einem bestimmten Gegenstand oder als das Auftreten einer bestimmten Beziehung in einer Menge von Gegenständen widergespiegelt. Dies ist eine stark vereinfachte Darstellung. Tatsächlich wird nicht nur jeweils eine einzelne Eigenschaft oder eine einzelne Beziehung ideell erfaßt. Das ist vor allem dann der Fall, wenn das Abbild unmittelbar auf der Grundlage von Sinneswahrnehmungen gewonnen wird. Einige der damit zusammenhängenden Probleme werden in § 22 berührt.
Die Gegenstände der Wirklichkeit sind Komplexe von Eigenschaften, sie sind Gefüge von Teilgegenständen, die untereinander in bestimmter Weise verbunden sind (s. u. b)). Das Sachverhaltsabbild hebt jeweils eine dieser Eigenschaften oder eine dieser Beziehungen hervor gegenüber dem in dem gegebenen Abbild nicht weiter analysierten, nicht weiter aufgegliederten „Rest". Das Abbild eines Sachverhaltes setzt sich zusammen aus dem Abbild des Gegenstandes (der jeweiligen Gegenstandsmenge) und dem Abbild der jeweils hervorgehobenen Eigenschaft oder Beziehung. Das Abbild des Sachverhaltes bezieht diese Teilabbilder aufeinander. Welche der Eigenschaften oder Beziehungen, die in einem Ausschnitt der Wirklichkeit auftreten, vom Bewußtsein erfaßt werden (d. h. welche der objektiv bestehenden Sachverhalte widergespiegelt werden), hängt vom jeweiligen Individuum und seinem gesamten Verhältnis zu diesem Wirklichkeitsausschnitt ab, z. B . von seinen Kenntnissen und Interessen usw., vor allem aber auch von der Art der Tätigkeit, in der das Individuum jeweils begriffen ist.
b) „Gegenstand", „Eigenschaft", „Beziehung" sind Kategorien der Wirklichkeit im allgemeinen, des Seins, nicht nur Kategorien der objektiven Wirklichkeit (s. dazu U J O M O V (1965), S. 27). Dasselbe gilt für „Sachverhalt". Sie sind grundlegend für die gesamte Wirklichkeit. Die Frage nach diesen Kategorien darf daher auch nicht mit der Grundfrage der Philosophie, der nach dem Ver-
1.2. Semantische
Komponente
hältnis von Materie und Bewußtsein, vermengt werden (UJOMOV ( 1 9 6 5 ) , S. VIII). Die genannten Kategorien sind korrelativ, das bedeutet, daß sie nur in wechselseitiger Abhängigkeit definiert werden können. Gegenstände sind Systeme von Eigenschaften, eine Eigenschaft ist dasjenige, was allen Gegenständen einer Klasse gemeinsam ist, Relationen sind das, was aus gegebenen Elementen einen Gegenstand bildet (s. UJOMOV (1965), S. 17 bzw. S. 34 bzw. S. 47f.). Relationen können jedoch auch aufgefaßt werden als Eigenschaften, die nicht von einem Gegenstand, sondern von Paaren, Tripeln usw. von Gegenständen gelten. Eine Relation ist dann dasjenige, was allen Paaren, Tripeln usw. einer Klasse gemeinsam ist. Der Begriff der Eigenschaft umfaßt neben stabilen, zeitlich dauernden Eigenschaften auch zeitweilige. Unter den Eigenschaften eines Gegenstandes gibt es ferner wesentliche und unwesentliche, wobei wesentliche Eigenschaften diejenigen sind, deren Veränderung die Identität des Gegenstandes aufhebt.
Es kann Weder Gegenstände ohne Eigenschaften oder Beziehungen zu anderen Gegenständem geben, noch gibt es Eigenschaften, die nicht solche von Gegenständen sind oder Beziehungen, die nicht zwischen Gegenständen bestehen. Weiter ist zu bemerken, daß die verschiedenen Kategorien ineinander übergehen können, daß die Unterschiede zwischen ihnen relativ sind. Das Verhältnis von Gegenstand und Eigenschaft z. B. schließt zwei entgegengesetzte Momente ein: Jede Eigenschaft kann Eigenschaft unzählig vieler Gegenstände sein, jeder individuelle Gegenstand ist ein Komplex von zahllosen Eigenschaften und unterscheidet sich von allen anderen Gegenständen. Alle Gegenstände mit einer gemeinsamen Eigenschaft bilden eine Klasse, sie sind der Klasse gegenüber Exemplare (vgl. dazu »Phil. Wb.« (1974), Bd. 1, S. 622). Analoges gilt für das Verhältnis von Gegenständen und Relationen. Jede Relation kann in unzählig vielen verschiedenen Paaren bzw. Tripeln usw. von Gegenständen bestehen. Jeder Gegenstand ist durch unzählig viele Beziehungen mit anderen verbunden. Paare, Tripel usw. von Gegenständen, zwischen denen jeweils dieselbe Beziehung besteht, bilden eine Klasse („eine Relation"); die einzelnen Paare, Tripel usw. können als Instanzen der Relation bezeichnet Werden. c) Wie in § 18 festgestellt, sind Abbilder von Sachverhalten Gebilde, in denen Begriffe oder Begriffskomplexe aktualisiert, auf die Wirklichkeit bezogen Werden. Ihrer Struktur nach sind die Abbilder von Sachverhalten Verbindungen aus Abbildern von Gegenständen und aus Abbildern von Eigenschaften oder Beziehungen, die den Gegenständen im entsprechenden Sachverhalt der Wirklichkeit zukommen (s. o. a)). Die Begriffe oder Begriffskomplexe spiegeln die Eigenschaften oder Beziehungen wider, sie widerspiegeln das jeweils Gemeinsame einer Klasse von Gegenständen (einer Klasse von Paaren, Tripeln usw. von Gegenständen — s. o. b)). Das Allgemeine, das ein Begriff widerspiegelt, ist aber das Allgemeine in bestimmten einzelnen Gegenständen. I n der Wirklichkeit treten Eigenschaften immer nur als Eigenschaften von Gegenständen auf. Isoliert, d. h. nicht auf einen Gegenstand bezogen, hat der Begriff daher den Charakter eines potentiellen Sachverhaltsabbildes (§ 18).
Sprache, Bewußtsein und Wirklichkeit
61
I n der Wirklichkeit ist jeder Gegenstand eine Einheit v o n Einzelnem und Allgemeinem (vgl. LENIN, Bd. 38, S. 338—344). Der Gegenstand ist Träger unendlich vieler Eigenschaften, daraus ergibt sich seine Individualität. Aber jede dieser Eigenschaften ist zugleich Eigenschaft einer beliebig großen Klasse anderer Gegenstände. Die Struktur des Sachverhaltsabbildes formt diese Einheit analytisch nach. Sie zerlegt diese Einheit in zwei Glieder, deren eines den Gegenstand als Einzelnes, deren zweites ihn als Träger des Allgemeinen, d. h. als Exemplar einer Klasse v o n Gegenständen, abbildet. Die Begriffe besitzen selbst eine innere Struktur. Sie erfassen nicht einzelne Eigenschaften, sondern solche Konstellationen v o n gleichzeitig auftretenden Eigenschaften, durch die die Gegenstände der Wirklichkeit für die menschliche Praxis bedeuts a m werden. Jeder Begriff bildet damit eigentlich eine Überschneidung verschiedener Klassen v o n Gegenständen ab. Der in einem Sachverhaltsabbild begrifflich eingeordnete einzelne Gegenstand wird zugleich als Träger der gleichzeitig auftretenden Eigenschaften (als Exemplar der umfassenderen, sich überschneidenden Klassen) und als Träger des gesamten Eigepschaftskomplexes (als Exemplar des Überschneidungsbereichs) abgebildet. Der Begriff selbst spiegelt damit eine Einheit v o n Besonderem und Allgemeinem wider. Der Aufdeckung dieser Beziehungen entsprechen Abbilder, die das Verhältnis wiederum analytisch darstellen: ,Wale sind Säugetiere', .Metalle leiten elektrische Ströme' usw.
Die im Wissen enthaltenen Abbilder sowohl von Gegenständen als auch von Eigenschaften (Gegenstandsklassen) oder Relationen (Klassen von Paaren, Tripeln usw. von Gegenständen) gehen jeweils in viele einzelne Sachverhaltsabbilder ein. Wir lernen neue Eigenschaften oder Beziehungen bekannter Gegenstände oder neue Exemplare bereits bekannter Klassen kennen. Das Bewußtsein leitet außerdem, indem es sich a n den Strukturen der bereits vorhandenen Abbilder orientiert, aus diesen neue Strukturen ab, die gleichfalls die Eigenschaften von Abbildern der Wirklichkeit haben (s. o., § 18). d) Die Kategorien „Sachverhalt", „Gegenstand", „Eigenschaft", „Relation" •sind relativ. Sachverhalte sind untereinander durch Beziehungen verbunden und haben Eigenschaften. Sie sind also selbst zugleich auch Gegenstände. Gegenstände sind Systeme von Eigenschaften. Als Träger von Beziehungen zu den übrigen Eigenschaften des Gegenstandes sind diese selbst Gegenstände, das Bestehen der Beziehung stellt einen Sachverhalt dar usw. Das Bewußtsein von der Wirklichkeit schließt dementsprechend komplexe Sachverhaltsabbilder ein, vgl. die Bedeutungen von Äußerungen wie z. B. Die Erdumdrehung bewirkt den Wechsel von Tag und Nacht — Daß sich die Erde dreht, bewirkt, daß Tag und Nacht wechseln. Die Äußerung ist mit einem Sachverhaltsabbild verbunden, das eine Beziehung zwischen zwei Sachverhalten widerspiegelt. Das geschieht •dadurch, daß das Abbild einer Beziehung (,bewirken') mit den Abbildern zweier Sachverhalte (,Erdumdrehung' und ,Wechsel von Tag und Nacht') verbunden ist. Der komplexen Struktur des abgebildeten Sachverhalts entspricht die komplexe Struktur des Abbildes. •e) Zur Struktur von Sachverhaltsabbildern d ü r f t e als ein Weiterer Bestandteil eine zeitliche Einordnung des abgebildeten Sachverhalts gehören. Das ist mindestens dann der Fall, Wenn einzelne Ereignisse (d. h. das Auftreten zeitlich instabiler Eigenschaften oder Beziehungen von Gegenständen) widergespiegelt
62
1.2. Semantische Komponente
•werden. Dabei kann der objektive zeitliche Ablauf der Ereignisse der Wirklichkeit als das gegenseitige zeitliche Verhältnis der Ereignisse (Ereignis A vor, gleichzeitig mit oder nach Ereignis B) widergespiegelt werden. In diesem Fall kann zeitliche Stabilität eines Sachverhalts als Gleichzeitigkeit mit allen Ereignissen verstanden werden (zur Zeiteinordnung von Sachverhalten s. Kap. 2.3.2.).
1.2.3.
Semantische Eigenschaften von Äußerungen
§ 20
Die semantischen Eigenschaften der Äußerung bestimmen ihr Verhältnis zur Wirklichkeit. Sie fixieren bestimmte Seiten des ideellen Abbildes, das mit der Äußerung verbunden ist und einen Sachverhalt der Realität widerspiegelt (s. L2.2.). E s gibt absolute und relative semantische Eigenschatten. Die absoluten semantischen Eigenschaften bestimmen das Verhältnis der Äußerung zur Wirklichkeit direkt über das mit der Äußerung selbst verbundene ideelle Abbild (s. § 21—§ 22). Die relativen semantischen Eigenschaften schalten in die Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit andere im Bewußtsein vorhandene Abbilder der Wirklichkeit ein. Bei den absoluten semantischen Eigenschaften, die den direkten Bezug der Äußerung auf die Wirklichkeit bestimmen, ist zu unterscheiden zwischen — dem Gegenstandsbezug (s. § 21); — der Charakterisierung (s. § 22); zu besonderen Arten des Gegenstandsbezugs und der Charakterisierung s. § 23.
§ 21
Äußerungen, die zu demselben Typ gehören, können sich auf verschiedene Gegenstände beziehen. Äußerungen wie Der Zug fuhr langsam an; Auf dem Abhang weideten Kühe; Auf dem Schreibtisch liegt ein Brief usw. können sich auf beliebig viele verschiedene Gegenstände — Züge, Kühe, Abhänge, Schreibtische, Briefe usw. — in ganz unterschiedlichen Sachverhalten der objektiven Wirklichkeit beziehen. Dabei wird aber jedesmal von den am Sachverhalt beteiligten Gegenständen dasselbe ausgesagt. Die Äußerungen unterscheiden sich durch ihren verschiedenen Gegenstandsbezug („Referenz"); sie referieren verschieden. Nur Wenn Eigennamen auftreten, sind die Äußerungen auf jeweils dieselben Gegenstände festgelegt: Dresden liegt an der Elbe; Karl Marx und Friedrich Engels haben das „Kommunistische Manifest" verfaßt. Das Sprachsystem legt im Prinzip nur die verschiedenen Arten der Referenz, nicht die einzelnen Referenten fest. In bestimmten Fällen jedoch, wo die Klasse nur eine begrenzte Anzahl von Exemplaren oder nur ein Exemplar aufweist, dürften die Referenten selbst zugleich mit der Charakterisierung, die die Eigenschaften der Klasse widerspiegelt, festgelegt sein; vgl. der Mond, die Sonne, die Natur, der Äquator usw.; s. Kap. 2.3.1.1. Bei Eigennamen werden innerhalb einer Klasse die einzelnen Individuen benannt; Dresden z. B . ist die Benennung eines bestimmten Exemplars der Klasse der Städte. In den USA gibt es auch ein Dresden bedeutet ,In den USA gibt es auch eine Stadt, die „Dresden" heißt'. Der Unterschied zwischen Eigennamen und Appellativum
Semantische
Eigenschaften
63
wird deutlich bei Die Stadt ist ein kleines Dresden ( = ,Die Stadt hat in einem gewissen Maß die für die Stadt Dresden charakteristischen Eigenschaften').
Neben den Unterschieden in der Referenz gibt es Unterschiede darin, wie der Sachverhalt erfaßt wird, auf den die Äußerung Bezug nimmt. Faktisch haben die beteiligten Gegenstände vielfältige Eigenschaften und sind durch vielfaltige Beziehungen miteinander verbunden. Mindestens dann, wenn ein Sachverhalt der objektiven Realität im Bewußtsein primär, das heißt auf Grund der sinnlichen Widerspiegelung der Wirklichkeit (und nicht auf Grund anderer Abbilder), erfaßt wird, werden zu gleicher Zeit sehr viele unterschiedliche Eigenschaften und Beziehungen der beteiligten Gegenstände erfaßt. Die semantischen Eigenschaften einer Äußerung, die sich auf den Sachverhalt bezieht, fixieren aber jeweils bestimmte Eigenschaften und Beziehungen und heben sie gegenüber den anderen hervor, von denen abstrahiert wird. I n der Richtung und in dem Grad der Abstraktion, die dabei stattfindet, sind beträchtliche Unterschiede möglich: Mit ihnen ist immer auch ein verallgemeinerter Zusammenhang gegeben, in dem der ideell widergespiegelte und in der Äußerung sprachlich charakterisierte Sachverhalt betrachtet Wird. Demzufolge bestimmen die semantischen Eigenschaften, als was der Sachverhalt der Wirklichkeit erfaßt wird, auf den die Äußerung Bezug nimmt. Sie beschreiben (charakterisieren) ihn in unterschiedlicher Weise. Gleicher Gegenstandsbezug kann in verschiedenen Äußerungen mit unterschiedlichen Charakterisierungen verbunden sein. Dabei gibt es Fälle, in denen die unterschiedliche Charakterisierung den Bezug auf denselben Sachverhalt zuläßt und solche, wo sie ihn ausschließt. a) Eine der Äußerungen erfaßt speziellere Eigenschaften oder Beziehungen der beteiligten Gegenstände, eine andere erfaßt die allgemeineren. Dabei sind vielfach Abstufungen möglich, die aber hier übergangen werden. Vgl.: (3a)
Für die Kinder gab es Pfirsiche und Aprikosen / gab es Obst Der Frachter entfernte sich immer mehr / Das Schiff entfernte sich immer mehr Der Drahtzaun hält Rehe und Wildschweine fem / hält Wild fem
Derartige Beziehungen sind aber, wie (3b) zeigt, nicht an die Bezeichnungen von Gegenständen gebunden: (3b)
Er hatte die Briefe verbrannt / vernichtet Wir haben der Schule einen Brief über diesen Vorfall geschrieben / Wir haben der Schule diesen Vorfall schriftlich mitgeteilt / Wir haben die Schule von diesem Vorfall verständigt
Wenn für einen Sachverhalt der objektiven Realität die speziellere Beschreibung zutrifft, ist auch die allgemeinere möglich, natürlich aber nicht immer umgekehrt (zum Obst gehören auch andere Früchte als Aprikosen und Pfirsiche, die Vernichtung kann auch anders als durch Verbrennen vor sich gehen usw.). Das Verhältnis zwischen allgemeinerer und speziellerer Charakterisierung ist jedoch, wie bereits oben bemerkt, nicht einfach ein Unterschied im Abstraktionsgrad. Sonst müßten die folgenden Sätze (Beispiele aus: »Probleme der semantischen Analyse«) korrekt sein:
1.2. Semantische
(3c)
Komponente
(Der junge Mann schwamm über den Fluß/)*Das Individuum, schwamm über den Fluß (Peter führte einen Hund an der Leinet)*Peter führte ein Säugetier an der Leine
Die Charakterisierung eines Gegenstandes als (menschliches) Individuum oder als Säugetier usw. hebt jeweils Merkmale hervor, denen auch bestimmte allgemeine Zusammenhänge mit anderen Arten von Gegenständen entsprechen, nicht aber relativ spezielle, wie in den angeführten defekten Äußerungen.
b) I n anderen Fällen ist nicht der Abstraktionsgrad, spndern die Richtung der Abstraktion verschieden. Es ist nicht möglich, automatisch von der Zulässigkeit der einen Charakterisierung auf die der anderen zu schließen: (4)
Das Land exportiert Konsumgüter / Fertigwaren Im zweiten Saal hängen zwei sehr schöne Aquarelle / Landschaften Der Betrieb stellt Elektrogeräte / Heizgeräte her
Für jeweils einige Sachverhalte der objektiven Realität können beide Charakteristiken zutreffen. Es ist jedoch nicht garantiert, daß der jeweils gegebene Fall dazugehört (a. u. § 24, a)). c) Äußerungen können Sachverhalte der objektiven Realität so charakterisieren, daß sie sich auf keinen Fall auf denselben Sachverhalt beziehen können. Auf denselben Sachverhalt bezogen widersprechen sie einander: Der Pförtner begrüßte die junge Frau freundlich / Der Pförtner nickte dem Kollegen kurz zu. Man vergleiche auch widersprüchliche Charakterisierungen innerhalb derselben Äußerung wie z. B. im Scherzgedicht: Drinnen saßen stehend Damen, schweigend ins Gespräch vertieft... Diese Äußerungen haben semantische Eigenschaften, die sich gegenseitig ausschließen. Treten widersprüchliche Charakterisierungen auf, so kann — wie z. B. bei verheirateter Junggeselle — eine Interpretation hergestellt werden, die den Widerspruch aufhebt (z. B. ,x ist zwar verheiratet, lebt aber wie ein Junggeselle').
Bei bestimmten Arten von Äußerungen gibt es besondere Formen des Gegenstandsbezugs und / oder der Beschreibung. a) Bezug auf Klassen: Äußerungen wie (5)
Kwpfer leitet elektrischen Strom Quecksilber ist giftig Delphine sind Säugetiere
beziehen sich weder auf einzelne Gegenstände noch beschreiben sie einzelne Fälle des Zusammentreffens von bestimmten Eigenschaften oder Beziehungen bei einzelnen Gegenständen. Sie sind mit Abbildern verbunden, die allgemeine, mehr oder weniger Wesentliche Zusammenhänge widerspiegeln. Sie bilden z. B. nicht die Tatsache ab, daß ein einzelner Gegenstand zugleich aus Kupfer ist und Strom leitet. Sie drücken den Zusammenhang aus, daß mit der Kupferqualität stets, bei beliebigen Gegenständen, Leitfähigkeit verbunden ist, usw. Den Eigenschaften (oder Beziehungen) entsprechen Klassen von Gegenständen
Semantische Eigenschaften
65
(oder Paaren, Tripeln usw. von Gegenständen). Äußerungen wie die von (5) beziehen sich also auf Klassen von Gegenständen und charakterisieren die Beziehungen zwischen den Eigenschaften, die diese Klassen konstituieren. Ein direkter Bezug auf einzelne Gegenstande ist bei Äußerungen dieser Art nicht möglich. Bezogen auf Klassen besagt z. B. Kupfer leitet elektrischen Strom, daß die Klasse der kupfernen Gegenstände eine Teilklasse der Gegenstände ist, die leiten. Eine Äußerung wie Dieses (Stück) Kupfer leitet elektrischen Strom würde aber eben nur das Zusammentreffen der beiden Eigenschäften in einem Einzelfall erfassen, einen Sachverhalt, der nur einen Sonderfall im Verhältnis der beiden Klassen darstellt, nämlich den, wo die Kupfer-Eigenschaften gegeben sind. Die hauptsächliche Funktion von Abbildern, die die Beziehungen zwischen Klassen •darstellen, besteht darin, daß sie es erlauben, von den festgestellten Eigenschaften einzelner Gegenstände auf die nicht direkt festgestellten Eigenschaften zu schließen: Vgl. „Kupferne Gegenstände sind Leiter. Dieser Gegenstand ist aus Kupfer: Dieser Gegenstand leitet elektrischen Strom."
b) Bezug auf erschlossene Gegenstände: In Äußerungen wie: Dazu müssen Sie doch eine Meinung haben; fleh glaube,) es war jemand hier, während wir im Garten waren; Vielleicht ist der Eingang auf der Rückseite? usw. wird auf Gegenstände Bezug genommen, von denen lediglich ihre Klassenzugehörigkeit und ihre Teilnahme an der beschriebenen Beziehung bekannt ist. Diese Beziehung gilt aber keineswegs für die Gesamtheit der Gegenstände der betreffenden Klasse. , Die Gegenstände, auf die referiert wird, sind auf Grund einer verallgemeinerten Abbildung der jeweiligen Beziehung erschlossen. In Wo Bauch ist, ist Feuer; Affen leben auf Bäumen usw. bezieht sich Feuer bzw. Bäume auf Gegenstände, die eine Teilklasse der Feuer bzw. Bäume ausmachen. Alle Eigenschaften dieser Gegenstände, die über die typischen Merkmale der jeweiligen Klasse hinausgehen, sind für den Zusammenhang, den die Äußerungen abbilden, unerheblich. Verallgemeinerte Abbilder der Art, wie sie mit diesen Äußerungen verbunden sind, sind dadurch bildbar, daß jede Klasse im Prinzip beliebig viele Gegenstände umfaßt. Unter Voraussetzung dieser Eigenschaft der Klasse kann die Existenz der einzelnen Gegenstände angenommen werden. Wenn verallgemeinerte Abbilder dieser Art auf einzelne Sachverhalte bezogen Werden (vgl. die eingangs von b) genannten Beispiele), dann bildet ein bestimmter Gegenstand den Ausgangspunkt. Durch seine Zugehörigkeit zu der Klasse, für die die Beziehung verallgemeinert ist, wird die Beziehung auf ihn selbst übertragen („Alle Raucherscheinungen sind mit Feuer verbunden. Hier ist eine Raucherscheinung. Also gibt es ein Feuer, das mit ihr verbunden ist"). Die Beziehung selbst und die übrigen Glieder der Beziehung brauchen nicht direkt erkannt zu sein. Es wird ein einzelner Sachverhalt erschlossen und mit ihm die Existenz eines bestimmten Gegenstandes. Diesen Gegenstand (den Eingang eines Hauses, die Quelle einer Störung, die Lösung einer Gleichung usw.) herauszufinden, kann ein Glied in der Lösung praktischer oder theoretischer Probleme sein. Ist ein solcher Gegenstand nicht auffindbar oder gehört er zu einer anderen Klasse als der angenommenen, so muß das verallgemeinerte Abbild der Beziehung, das den Ausgangspunkt bildete, revidiert werden. 5 Deutsche Gramm.
1.2. Semantische
Komponente
c) Wirklichkeitsbezug in negierten Äußerungen: Eine besondere Art des Wirklichkeitsbezuges liegt bei Äußerungen vor, die eine Negation enthalten (s. HEIDOLPH ( 1 9 7 0 ) ) .
Unter den im einzelnen sehr vielfältigen Möglichkeiten sei eine zur Betrachtung ausgewählt. Die Frage War der Kohlenhändler dal kann z. B. wie folgt beantwortet werden: (6a) (6b)
(Ja,) er hat (auch) Holz gebracht (Ja, aber) er hat kein Holz gebracht
Die Äußerung (6a) beschreibt einen Sachverhalt der Wirklichkeit, sie referiert auf bestimmte Gegenstände (er, Holz) und beschreibt die Beziehung zwischen ihnen; (6b) nimmt nur auf einen dieser Gegenstände (er) Bezug. Die Charakterisierung ist negiert: (Er) hat kein Holz gebracht = (Er-f-) Nicht + hat Holz gebracht. In (6c)
(Ja, aber) er hat das Holz nicht mitgebracht (das wir bestellt hatten)
hätte auch das Holz einen bestimmten Referenten: .dasjenige, das wir bestellt haben'; (kein) Holz in (6b) aber bezieht sich nicht auf einen bestimmten Gegenstand, ebensowenig ist nicht mitbringen die Beschreibung einer wirklichen Beziehung zwischen Gegenständen. Daraus ergibt sich, daß (6b) und (6c) zwar mit Abbildern verbunden sind, die die Form von Sachverhaltsabbildern haben, daß sie aber keine Sachverhalte der Wirklichkeit charakterisieren. Die beiden Äußerungen besagen nichts darüber, was der Kohlenhändler getan hat. Das wäre zu erfahren, aus positiven Fortsetzungen wie z. B.: (6d) . . . er hatte (nur) Kohlen auf dem Wagen (6e) . . . er wollte (nur) kassieren
Äußerungen wie (6b) und (6c) sind mit Abbildern jeweils ganz bestimmter möglicher Sachverhalte verbunden und negieren zugleich deren Wirklichkeit. In (6b) und (6c) wird unter den möglichen Sachverhalten genau derjenige ausgeschlossen, der mit der positiven Äußerung ((6a)) beschrieben wäre. Eine negative Äußerung tritt dann auf, Wenn (nach Meinung des Sprechers) Bedingungen bestehen, die es erlauben, aus vorhandenen Abbildern der Realität ein Abbild abzuleiten, das nicht mit der Realität übereinstimmt. Der negierte Teilbereich der Äußerung benennt die unrichtige Schlußfolgerung und blockiert sie mittels der Negation. Die ausdrückliche sprachliche Formulierung des Nichtvorhandenseins eines Sachverhalts hat in jedem Falle eine besondere kommunikative Funktion. Im einzelnen können verschiedenartige Anlässe vorliegen. Der Sprecher kann z. B. davon ausgehen, daß der Hörer den durch die Negation ausdrücklich ausgeschlossenen Sachverhalt besonders gewünscht hat, und er will ihn durch rechtzeitige Information vor Enttäuschung bewahren. Er kann aber z. B. auch den Zweck verfolgen, ihn auf einen Mißstand aufmerksam zu machen usw. Daraus, daß der negierte Teilbereich der Äußerung einer Schlußfolgerung entspricht, erklärt sich auch der Status solcher Einheiten wie (kein) Holz in (6b). Es handelt sich um erschlossene Gegenstände, wie sie in b) behandelt werden. Negierte Äußerungen beziehen sich also nicht unmitelbar, sondern nur im Kähmen
Semantische Eigenschaften
67
einer ganzen Gruppe miteinander verbundener Abbilder auf die Wirklichkeit. Die negierten Äußerungen haben Korrekturfunktion. Sie beschreiben selbst nicht Sachverhalte der Wirklichkeit, sondern sind sprachlich realisierte Glieder innerhalb des Abbildungsprozesses. Ihrem Charakter nach gehören sie zu den in § 24 zu behandelnden Erscheinungen. Sie wurden in § 23 behandelt wegen ihrer engen Beziehung zu den in a) und b) beschriebenen Fällen des Wirklichkeitsbezugs. Weiteres s. § 24, b).
Die in a) — c) behandelten Sonderformen des Wirklichkeitsbezuges sind mit besonderen Formen der Operation auf Abbildstrukturen verbunden. Diese Formen sind a) die Generalisierung, b) die Individualisierung und c) die Negation. Relative semantische Eigenschaften einer Äußerung ergeben sich aus der Beziehung zwischen dem Sachverhaltsabbild bzw. den Sachverhaltsabbildern, die in der Äußerung als Bestandteil ihrer Struktur enthalten sind, und anderen Sachverhaltsabbildern, die im Bewußtsein vorhanden, in der Äußerungsstruktur jedoch nicht direkt repräsentiert sind. In den relativen semantischen Eigenschaften der Äußerungen drückt sich die Tatsache aus, daß das Bewußtsein ein zusammenhängendes Ganzes bildet, in dem die einzelnen Abbilder von Sachverhalten der Wirklichkeit miteinander verbunden sind. Zugleich drückt sich darin aus, daß das Bewußtsein tätigen Charakter hat, nicht nur in dem Sinn, daß es die verschiedenen einzelnen Abbilder zu Abbildkomplexen zusammenfaßt, sondern auch darin, daß es von einem Abbild zum anderen übergeht, daß es neue Abbilder aus bereits vorhandenen gewinnt (s. dazu auch § 23, b) und c)). Im folgenden werden einige der Abbildzusetmmenhänge betrachtet, die sich auf die semantischen Eigenschaften von Äußerungen auswirken (vgl. dazu LANG (1976) und (1977)).
a) In den folgenden Beispielen scheinen sich — ähnlich 'wie in den Beispielen von § 22, a) — speziellere und allgemeinere, anschaulichere und stärker auf wesentlichere Zusammenhänge gerichtete Charakterisierungen gegenüberzustehen: (7)
Das Kupferblech färbte sich grün / Das Kupferblech oxydierte; Werner M. versetzte Klaus B. einen Stoß vor die Brust / Der Spieler M. griff den Spieler B. tätlich an / Der Spieler M. beging gegenüber Spieler B. einen Begelverstoß. Genauere Überlegung zeigt, daß der Übergang vom Anschaulichen zum weniger Anschaulichen, Wesentlicheren jeweils einer bestimmten Vermittlung bedarf, z. B. in der folgenden Form: „Wenn sich Kupfer grün färbt, oxydiert es"; „Beim Fußball sind Stöße gegen den Mitspieler tätliche Angriffe", „Tätliche Angriffe verstoßen gegen die Regeln" o. ä. Diese Zwischenstufen gewährleisten, daß die Beziehung auf denselben Sachverhalt der Wirklickeit gewahrt bleibt. Es zeigt sich nämlich, daß sich die jeweils verglichenen Äußerungen nicht durch speziellere und allgemeinere Charakterisierung unterscheiden. E s handelt sich vielmehr um Charakterisierungen unterschiedlicher Sachverhalte, die in einem Realitätsausschnitt zusammentreffen: Grünfärbung ist kein Spezialfall von Oxydation; Stöße sind nur in manchen Fällen auch tätliche Angriffe, und tätliche Angriffe sind nur im Sonderfall zugleich Verstöße gegen sportliche Regeln. Tatsächlich liegen also Fälle wie in § 22, b) vor. Das Verhältnis von speziellerer und allgemeinerer Charakterisierung des Sach5*
1.2. Semantische
Komponente
Verhalts ergibt sich erst daraus, daß zwischen beiden ein Abbild eines allgemeinen Zusammenhangs in dem entsprechenden Bereich der Wirklichkeit steht. Dieses schränkt die Interpretation der relativ anschaulichen Abbilder und damit den Geltungsbereich der semantischen Charakterisierungen ein. Analoge Verhältnisse bestehen bei gegenseitigem Ausschluß von Charakterisierungen. Eine Äußerung Das Holz brannte lichterloh und eine Äußerung Das Holz war sehr feucht können kaum auf denselben Sachverhalt bezogen werden, weil feuchtes Holz im allgemeinen nicht brennt. Dieser Zusammenhang muß aber als Abbild verfügbar sein, wenn beide Charakterisierungen — der Wirklichkeit gemäß — als unvereinbar gelten sollen. Eine Charakterisierung Das feuchte Holz brannte lichterloh ist in sich widersprüchlich n i c h t auf Grund der absoluten semantischen Eigenschaften der Bestandteile der Äußerung, sondern n u r auf Grund ihrer Beziehung auf den allgemeinen Zusammenhang, der das Miteinandervorkommen beider Eigenschaften ausschließt.
b) Daß Äußerungen, die eine Negation enthalten, nicht direkt, auf Grund des mit ihnen verbundenen Abbilds, auf die Wirklichkeit bezogen werden können, sondern nur relativ zu einer ganzen Gruppe von Abbildern, wurde bereits in §23, c) herausgearbeitet. Dort wurde aber nicht diskutiert, weshalb negierte Äußerungen auf ganz verschiedene Weise verstanden werden können. Die Äußerung (6a) kann einmal so verstanden werden, daß zwar kein Holz, aber etwas anderes (Kohlen z . B . ) geliefert worden ist; sie kann auch so verstanden werden, daß der Kohlenhändler gar nichts gebracht hat. Die Interpretation hängt ab von den Voraussetzungen, die die Kommunikationspartner machen. Bei diesen Voraussetzungen aber handelt es sich um Abbilder wirklicher oder möglicher Sachverhalte in ihrem Bewußtsein. I m ersten Fall lautet die Voraussetzung etwa: „Wir haben Kohlen und Holz bestellt. Der Kohlenhändler war da. Er wird also etwas geliefert haben, wenn nicht das Holz, dann die Kohlen", im zweiten Fall wäre die Voraussetzung gewesen: „Wir haben nur Holz bestellt. Wenn er das nicht geliefert hat, dann hat er gar nichts geliefert". Eine sinngemäße Antwort auf die erste Interpretation wäre z. B . : Und wann wird er es liefern? Auf die zweite Interpretation könnte die Frage folgen: Was wollte er denn?; sie wäre, auf die erste Interpretation bezogen, sinnlos.
Äußerungen, die eine Negation enthalten, beziehen sich nur durch Vermittlung anderer, mit ihnen nicht unmittelbar verbundener Abbilder und auf Grund bestimmter Operationen auf diesen Abbildern auf die Wirklichkeit. Ihre Interpretation hängt in jedem Fall davon ab, was als Voraussetzung angenommen wird. Dies gilt generell für Äußerungen, die eine Negation enthalten. c) Die im Bewußtsein verfügbaren Abbilder von Sachverhalten sind in erster Linie dadurch miteinander verbunden, daß jeweils dieselben Gegenstände mit unterschiedlichen Eigenschaften oder in unterschiedlichen Beziehungen zu anderen Gegenständen abgebildet sind. Diese Eigenschaften und Beziehungen können konstant oder an bestimmte Zeitpunkte oder -abschnitte gebunden sein (s. § 19, e)). Die entsprechenden Abbilder können nach der zeitliehen Abfolge der Sachverhalte geordnet und aufeinander bezogen werden. Im besonderen Fall hängt das Auftreten einer Eigenschaft oder Beziehung vom Auftreten anderer Eigenschaften oder Beziehungen ab. Es ergibt sich auf diese Weise eine
Semantische Eigenschaften
69
„Geschichte" eines Gegenstandes oder einer Reihe miteinander verbundener Gegenstände. So wie die einzelnen Teiläußerungen zusätzliche Interpretationen aus anderen Gliedern erhalten (Parallele oder Gegensatz, Ursache-WirkungsZusammenhang u. dgl.), so wird auch das Ganze nicht als eine bloße Folge verstanden, die in beliebiger Weise verlängert oder verkürzt werden könnte, sondern als ein relativ abgeschlossenes komplexes Abbild eines möglichen Hergangs, einer möglichen Verkettung von Ereignissen und Umständen. Das ist auch dann der Fall, wenn der Vergleich mit anderen derartigen Hergängen oder eine abschließende Bewertung oder begriffliche Einordnung nicht erfolgt. Eine andere Form solch loser aber doch relativ integrierter und dadurch mit zusätzlichen Abbildqualitäten versehener Verknüpfung von Sachverhaltsabbildern liegt bei einfachen Schilderungen vor. Die Situation erscheint als ein Komplex zeitlich und räumlich miteinander verbundener Sachverhalte. Vgl. etwa: Die Sonne war hinter dem, Wald verschwunden. Über dem See lag ein leichter Dunst. Das Fährboot hatte schon Lichter gesetzt. Auch bei Schilderungen kann eine explizite zusammenfassende begriffliche Einordnung der Einzelsachverhalte fehlen. Sie mag latent in der Auswahl der Einzelsachverhalte gegeben sein. Im allgemeinen wird sie als eine Art gemeinsamer Nenner („Gemeinsame Einordnungsinstanz", s. LANG ( 1 9 7 7 ) , S. 66ff.) verstanden. Dieser wird vorausgesetzt und beim Verständnis der Äußerung rekonstruiert. Vgl. etwa: Brigitte zeichnet, Thomas liest, (und) Klaus macht sich eine Angel zurecht („Was tun die Kinder?"). Unter der „gemeinsamen Einordnungsinstanz'' ist eine gemeinsame Eigenschaft der in der Äußerung charakterisierten Sachverhalte oder eine ihnen gemeinsame Beziehung zu einem anderen Gegenstand zu verstehen. Eigenschaft oder Beziehung und ihr Zutreffen für die in der Äußerung charakterisierten Sachverhalte müssen ideell repräsentiert sein. Bei der konjunktiven (durch und ausdrückbaren) Verbindung von Sachverhaltsabbildern in der semantischen Struktur einer Äußerung findet also vor der synthetischen Operation (eben der Verknüpfung) stets eine analytische Operation statt. Sie arbeitet den Verknüpfungsgesichtspunkt heraus. Diese Verbindung analytischer und synthetischer Operationen, die zum Aufbau übergreifender Abbildkomplexe führt, ist auch die Voraussetzung für die Herausarbeitung von Parallelen oder von Gegensätzen in Erzählungen und Schilderungen, in Formen der Verknüpfung also, die für sich genommen eine einfachere Struktur haben. d) Auch beim Verständnis der folgenden Äußerungen werden relative semantische Eigenschaften wirksam. Die absoluten semantischen Eigenschaften reichen aus, um die Beziehung auf einzelne Sachverhalte der Wirklichkeit herzustellen. Sie reichen jedoch nicht aus, ein Gesamtverständnis zu begründen. Dazu müssen die mit der Äußerung verbundenen Sachverhaltsabbilder mit anderen Abbildern in Beziehung gesetzt werden: (7a) (7b)
Klaus hat nicht angerufen. Ihm ist etwas zugestoßen Es liegt Schnee und der Himmel ist klar. Heute nacht wird es kalt
Für (7a) gibt es zwei mögliche Interpretationen: Klaus' Unfall ist eine Tatsache. Sie ist dem Sprecher bekannt. Er setzt voraus,
70
1.2. Semantische
Komponente
daß Unfälle der gegebenen Art Anrufe ausschließen. E r setzt ferner voraus, daß Klaus den Anruf nicht aus anderen Ursachen (z. B. aus Bequemlichkeit) unterlassen hat. Dann ist der eine der beiden in der Äußerung beschriebenen Sachverhalte die Folge des anderen Sachverhalts. Der Sprecher vermutet, daß Klaus etwas zugestoßen ist. Er wählt unter einigen möglichen Ursachen für das Ausbleiben des Anrufs eine bestimmte aus. Sie dient als hypothetische Erklärung. I n beiden Fällen kommt eine Interpretation der Äußerung nur durch Rekonstruktion der Voraussetzungen zustande, die der Sprecher macht. Diese Voraussetzungen schließen allgemeine Aussagen über mögliche Gründe dafür ein, daß der Anruf unterblieben ist. Eine der Operationen besteht darin, diese allgemeinen Aussagen auf den einzelnen Fall zu beziehen. Zu (7b): Es wird das Absinken der Temperatur vorausgesagt. Als Grund für die Annahme wird der Sachverhalt herangezogen, daß der Himmel nicht bewölkt ist. Vorausgesetzt wird, daß unter bestimmten Bedingungen klarer Himmel bewirkt, daß starker Frost eintritt. Daraus, daß ein Sachverhalt ermittelt ist, der als Ursache in Frage kommt, und daraus, daß die sonstigen Bedingungen gegeben sind, wird auf das Eintreten der Wirkung geschlossen. Während in der zweiten Interpretation von (7a) auf die Ursache zurückgeschlossen wird, wird hier auf die Wirkung geschlossen. I m ersten Fall liegt eine hypothetische Erklärung vor, im zweiten Fall eine hypothetische Voraussage. I n beiden Fällen liegt der Vermutung eine allgemeine Regel zugrunde. Diese „allgemeine Regel" ist im ersten Fall eine einfache Verallgemeinerung der alltäglichen Erfahrung. Das ist auch bei (7b) möglich. Wenn bei (7b) aber eine auf Einsicht in meteorologische Gesetzmäßigkeiten begründete Voraussage vorliegt, dann sind weitere vermittelnde Ableitungsschritte nötig. Aber auch dann, wenn die kausale Verknüpfung der Sachverhalte in der Äußerung selbst mitbeschrieben "wird und nicht erst, wie in (7a) und (7b), auf Grund der Äußerung rekonstruiert Werden muß, ist ein solcher Bezug auf ein verallgemeinertes Abbild des betreffenden Zusammenhangs die Voraussetzung für das volle Verständnis, vgl.: (7c) (7d)
Klaus hat nicht angerufen, denn es ist ihm etwas zugestoßen Es liegt Schnee, und éter Himmel ist klar, also wird es heute nacht sehr kalt
1.2.4.
Zum Aufbau semantischer Strukturen
§ 25
Die Semantik als ein Teil der Grammatik gibt die Regeln und die Einheiten an, die den Aufbau der semantischen Strukturen bestimmen. Die Regeln und Einheiten der semantischen Komponente bewirken zweierlei: a) Sie legen fest, in welcher Weise rationale Abbilder der Wirklichkeit Bestandteile von Äußerungsstrukturen sind. b) Sie bestimmen die semantischen Eigenschaften der Äußerungen und damit ihre Beziehungen zur Wirklichkeit. Die Regeln und Einheiten der semantischen Komponente sind jedoch bisher
Semantische Strukturen
71
nur in einem bestimmten Ausschnitt theoretisch erfaßt. Systematisch beschreibbar ist deshalb vorerst auch nur dieser Ausschnitt. Er bildet mit seinen Einheiten und Regeln einen gewissen Grandapparat innerhalb der semantischen Komponente. Er umfaßt etwa den Bereich, der für die absoluten semantischen Eigenschaften der Äußerungen bestimmend ist (s. § 22 und 23), und einen Teil der Mechanismen, die relative semantische Eigenschaften (s. § 24) determinieren. Damit deckt dieser Grundapparat auch nur einen Teil dessen ab, was man im vollen Sinne des Wortes als die semantische Struktur der Äußerungen bezeichnen kann, d. h. grob genommen die Gesamtheit der sozial normierten Abbildbeziehungen, die mit ihr verbunden sind. Da es im folgenden darum geht, diesen Grundapparat und die Verfahren zu seinei Beschreibung zu skizzieren, schränken wir den Begriff der semantischen Struktur ein: Wir beschränken ihn auf den Teilkomplex innerhalb der Gesamtstruktur, der durch diesen Grundapparat determiniert wird. Die Einheiten der semantischen ¡Struktur entsprechen Einheiten, in denen die rationale Abbildung der Wirklichkeit vor sich geht — den Gegenstandsabbildern, den Abbildern von Eigenschaften und Beziehungen, den Sachverhaltsabbildern und ihren Verbindungen. Es besteht jedoch keine völlige Identität. Die semantischen Strukturen entsprechen vor allem bestimmten formalen Eigenschaften rationaler Abbilder, Das ergibt sich daraus, daß zwischen der Einheit „Begriff" auf der einen Seite und der Einheit „semantisches Prädikat" (s. u. § 27) auf der -anderen Seite keine einfache Übereinstimmung besteht. Die Begriffe bilden nur im Grenzfall e i n z e l n e Eigenschaften oder Beziehungen von Gegenständen der Wirklichkeit ab, im Prinzip jedoch widerspiegeln sie jeweils solche Kombinationen von Eigenschaften oder Beziehungen, die für die Erkenntnis bestimmter .Zusammenhänge des jeweiligen Wirklichkeitsbereichs von Bedeutung sind. Die sprachliche Entsprechung dieser Seite der Begriffe bilden die semantischen Strukturen der Wörter, d. h. der Komplexe aus semantischer, syntaktischmorphologischer, phonologischer und z. T. auch kommunikativ-pragmatischer Charakteristik, die einen gesellschaftlich geprägten und verfügbaren Grundbestand sprachlicher Zeicheneinheiten darstellen und die — s. u. 1.7. — für das Funktionieren des Sprachsystems eine wichtige Rolle spielen. Eine Diskrepanz zwischen der semantischen Struktur und der Abbildstruktur insgesamt ergibt sich daraus, daß Wortbedeutungen als solche keine primären ZEinheiten der semantischen Komponente sind. Den Wortbedeutungen entsprechen in den semantischen Strukturen die semantischen Prädikate jeweils zusammenhängender Propositionen (s. u. § 26 und 27). Die semantischen Prädikate entsprechen nicht einfach den Begriffen, sondern ihren Merkmalen. Die Verallgemeinerung, die sich in der Zusammenfassung verschiedener Eigenschaften und Beziehungen von Gegenständen in den Begriffen ausdrückt, wird durch die semantischen Strukturen nicht unmittelbar wiedergegeben. Sie drückt sich aus in dem Verhältnis der semantischen Struktur der Äußerung zu ihrer Lexikalisierung, d. h. zu ihrer Aufgliederung in bestimmte Zeicheneinheiten. Auch in einer anderen Hinsicht drückt die semantische Struktur nur einen Teil der Eigenschaften der Bewußtseinsabbilder aus. Die semantischen Prädikate füngieren in den Äußerungen gleich, obwohl sie ihrem Erkenntnisinhalt nach sehr verschiedener Natur sind.
1.2. Semantische Komponente
Einige von ihnen entsprechen zweifellos bestimmten Arten von Perzeptionsergebnissen, an denen sich unter anderem das unmittelbare praktische Handeln orientiert und die die Grundlage für die rationalen Tormén der Wirklichkeitsabbildung sind. Andere, gleichfalls zu einer solchen Grundschicht gehörigen semantischen Prädikate betreffen elementare biologische und soziale Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens: Geschlechts-und Altersunterschiede, bestimmte einfache soziale Beziehungen in und zwischen Gruppen usw. Eine weitere Schicht bilden solche semantischen Prädikate, die allgemeine Zusammenhänge der Wirklichkeit widerspiegeln: Verhältnisse zwischen Klasse und Exemplar, zwischen Menge und Element, Verhältnisse zwischen Klassen und Teilklassen, Anzahlen von Mengen, elementare zeitliche und räumliche Beziehungen, kausale Beziehungen usw., s. u. § 30. Der Inhalt der Abbilder entspricht dem Stand der Entwicklung, den die jeweilige Gesellschaft erreicht hat; daher gibt es außer den genannten semantischen Prädikaten auch noch andere. Ihr Inhalt ergibt sich nicht unmittelbar aus der Perzeption oder aus elementaren Verallgemeinerungen natürlicher und sozialer Zusammenhänge. Ihr Inhalt ist mit den vielfältigen aufeinander aufbauenden Formen der praktischen und geistigen Tätigkeit der Gesellschaft, der Arbeit, der Erkenntnis und der sozialen Organisation verbunden. Wie die semantischen Prädikate der zuerst genannten Arten differenzieren sie Bedeutungen von Wörtern oder Äußerungen, sie fungieren in denselben umfassenderen Einheiten. Ihre Existenz ist jedoch abhängig von dem gesamten Bestand an begrifflichen Kategorien zur Widerspiegelung der Wirklichkeit, über den die Gesellschaft auf einer gegebenen Stufe ihrer Entwicklung in Gestalt der Wortbedeutungen verfügt. Bei ihrer Anwendung wird im Rahmen der formalen Strukturen ständig Bezug genommen auf die materiell- und ideell-praktischen Zusammenhänge, in denen die betreffenden Gegenstände, Eigenschaften und Beziehungen eine Rolle spielen. Diese Zusammenhänge reichen über die semantischen Strukturen der Äußerungen in dem hier festgelegten engeren Sinn hinaus. Das Bewußtsein widerspiegelt in einzelnen Abbildern Sachverhalte der Wirklichkeit. Die Struktur von Sachverhaltsabbildern ist allgemein beschreibbar als Verbindung des Abbilds einer Beziehung oder einer Eigenschaft mit Abbildern von Gegenständen oder Gegenstandsmengen; für bestimmte Eigenschaften oder Beziehungen kommt als weiterer Bestandteil eine zeitliche Einordnung in Frage (vgl. § 19, e)). Diese Abbildstruktur ist verallgemeinert. Sie tritt auch bei Bewußtseinsinhalten auf, die selbst nicht unmittelbar die Wirklichkeit abbilden, sondern als sekundäre, möglicherweise gültige Abbilder der Wirklichkeit aus anderen abgeleitet sind. Diese Struktur haben ferner auch Gebilde, die nicht selbst Abbilder sind, sondern lediglich unselbständige Zwischenstufen bei Gewinnung neuer Abbilder darstellen (vgl. z. B. Abbilder oder Teilabbilder, die der Negation unterliegen — s. o. § 23, c) und 24, b)). Den Sachverhaltsabbildern entsprechen in der semantischen Struktur der Äußerungen Propositionen. Jede semantische Struktur enthält mindestens eine solche Proposition. Tatsächlich aber treten in den semantischen Strukturen
Semantische
Strukturen
7a
stets Komplexe von Propositionen auf. Diese Komplexe sind entweder integriert (vgl. dazu § 27, c)) oder nicht integriert. In jedem Fall jedoch ist die Proposition als die Entsprechung eines Sachverhaltsabbildes (oder einer strukturell gleichen ideellen Einheit) die kleinstmögliche Funktionseinheit der semantischen Struktur. Die Proposition baut sich aus verschiedenen Teilen auf: Sie enthält ein semantisches Prädikat (s. u. § 27, § 30) und, je nach Beschaffenheit des Prädikats, ein oder mehrere semantische Argumente (s. u. § 29). I n integrierten komplexen Propositionen treten andere Propositionen als Argumente auf (s. u. § 27,c)). Die zeitliche Einordnung mancher Propositionen ist als ein selbständiger Bestandteil zu betrachten. Vgl. die folgenden allgemeinen Schemata : Proposition
(8a) Prädihaf
(8b)
Prädikat
Argument,
Argument
n
n» 1
proposition
Argument,
...
-Argument n
zeitliche Einordnung
n>1
Über die Form der Zeiteinordnung und ihres Bezugs auf die jeweilige Proposition ist durch die schematische Darstellung in (8b) noch nichts ausgemacht. E i n e ausführliche Untersuchung der semantischen Grundlagen der temporalen Adverbialien enthält Kap. 2.3.2. Semantische Strukturen sind ideelle Gebilde. Sie haben also keine Reihenfolge. Eine Reihenfolge ihrer Teile muß erst bestimmt werden, wenn sie lautlich oder graphisch dargestellt werden. Über die Reihenfolge der Teile muß bei solchen Darstellungen willkürlich entschieden werden, die einmal getroffene Entscheidung muß aber beibehalten werden. E s liegt im Prinzip nichts daran, ob in der graphischen Darstellung, wie z. B . in (8a), die Prädikate vor den Argumenten stehen oder umgekehrt. Das Problem ist hier einfach, weil zwischen Argumenten und Prädikaten leicht unterschieden werden kann. Schwierig ist die Frage der Reihenfolge der Argumente bei Prädikaten wie ,größer als'. In ,a größer als b' und ,b größer als al ist wie bei ,b kleiner als a' und ,a kleiner als b' keine konsistente Regelung für die Reihenfolge der Argumente zu treffen, wenn nicht auf dem Wege, daß zwischen .den Rollen der Argumente in der Relation unterschieden wird. Erst wenn diese Unterscheidung, die unabhängig von der Reihenfolge in der graphischen oder sonstigen anschaulichen Repräsentation zu erfolgen hat, getroffen ist, kann eine diesbezügliche Konvention für die Darstellung getroffen werden. Wenn also festgelegt wird, daß in a ist größer als b ,b' die Bezeichnung der Bezugsgröße sein soll und daß die Bezugsgröße an zweiter Stelle zu stehen hat, dann erst wird die Repräsentation .(Größer) a, b' gegenüber .(Größer) b, o' eindeutig. Das heißt, daß die semantische Struktur der Äußerung a ist größer als b eine Proposition enthalten muß» die besagt, daß ,b' die Bezugsgröße darstellt. Dann ist die Grundlage gegeben, auf die sich eine Konvention anwenden läßt, die die Stellung der Argumente regelt, d. h. die z. B . besagt, daß die Bezugsgröße in der graphischen oder sonstigen Repräsentation der semantischen Strukturen stets an zweiter Stelle stehen soll. Dasselbe gilt sinn-
1.2. Semantische Komponente gemäß für die syntaktische Realisierung semantischer Strukturen in den sprachlichen Äußerungen. Daraus ergibt sich, daß die semantische Struktur der Äußerung a ist größer als 6 mindestens zwei Propositionen enthalten muß.
Wenn sich zwei Äußerungen in ihren semantischen Eigenschaften unterscheiden, so müssen entweder ihre semantischen Strukturen in mindestens einer Proposition verschieden sein, oder es muß in ihren Voraussetzungen einen Unterschied in mindestens einer Proposition geben.-Das heißt, daß sowohl bei Unterschieden in den absoluten wie in den relativen semantischen Eigenschaften (s. o. § 24) propositionale Unterschiede bestehen. Eine Ausnahme machen Fälle, in denen semantische Äquivalenz verschiedener Strukturen besteht (s. u. § 29, d)). Die semantische Komponente des Sprachsystems schreibt die Proposition als Strukturform vor. Zusätzliche Interpretationen zur semantischen Struktur von Äußerungen (in dem in § 25 umschriebenen engeren Sinn), die aus dem Wissens- und Überzeugungsbestand der Sprecher und Hörer stammen, müssen in propositionaler Form verfügbar sein. Die semantische Komponente des Systems enthält nicht die einzelnen Propositionen, wohl aber legt sie die Art und Weise fest, wie diese mit den semantischen Strukturen verbunden werden, die den absoluten semantischen Eigenschaften entsprechen. Derartige zusätzliche Informationen ermöglichen z . B . eine situationsgerechte volle Interpretation von negierten Äußerungen (s. o. § 24, b)) oder erlauben es, die jeweils angemessene „gemeinsame Einordnungsinstanz" aufzufinden (s. § 24, c)) usw. Semantische Prädikate (auch „Seme", „Noeme" oder — in Analogie zu den Begriffsmerkmalen der Logik — „semantische Merkmale") sind notwendige Bestandteile von Propositionen. Es gibt keine Propositionen ohne semantische Prädikate. Ob es in semantischen Strukturen Prädikate geben kann, die nicht Bestandteil von Propositionen sind, ist eine Frage, die weiter unten besonders •erörtert wird (s. u. a)). Die semantischen Prädikate bilden Eigenschaften von Gegenständen oder Beziehungen zwischen Gegenständen ab. Sie haben stets entsprechende Leerstellen, in die bei der Bildung von Propositionen entsprechende GegenstandsAbbilder eingehen. Dabei ist zu beachten, daß der Begriff des Gegenstandes relativ ist, d. h. z. B., daß eine Eigenschaft im Verhältnis zu einer ihrer Eigenschaften ein Gegenstand ist oder daß ein Sachverhalt selbst als Träger einer Beziehung zu einem anderen Sachverhalt einen Gegenstand darstellt, usw. Die Charakterisierung (die „Beschreibung") von Sachverhalten der Wirklichkeit, die in den Äußerungen stattfindet, hängt von den semantischen Prädikaten ab, die in die Struktur eingehen. Sie bestimmen einen wesentlichen Teil der semantischen Eigenschaften der Äußerungen (s. o. § 20). Die semantischen Prädikate sind elementare Einheiten der semantischen Komponente des Sprachsystems. Ihr Gesamtbestand bildet als „semantisches Lexikon" einen notwendigen Bestandteil dieser Komponente. Die Eigenschaften der semantischen Prädikate machen den Inhalt dieses Paragraphen aus. Sie lassen sich jedoch nicht darstellen ohne teilweise erhebliche Vorgriffe auf den Inhalt der folgenden Paragraphen, die die übrigen Bestandteile seman-
Semantische
75
Strukturen
tischer Strukturen behandeln. Da sich in einigen Fällen durch Verweise allein nicht die notwendige Verständnisgrundlage ergibt, müssen gewisse Wiederholungen in Kauf genommen werden.
a) Die semantischen Prädikate bilden jeweils einzelne Eigenschaften oder einzelne Beziehungen von Gegenständen ab, nicht aber Kombinationen von solchen Eigenschaften oder Beziehungen. Dies unterscheidet sie von den Begriffen, die im allgemeinen solche Kombinationen von Eigenschaften oder Beziehungen widerspiegeln. Die semantischen Prädikate entsprechen daher den einzelnen Merkmalen von Begriffen. Da nun mit den Äußerungen Abbilder von Sachverhalten der Wirklichkeit verbunden sind, Gebilde also, die Begriffe und Gegenstandsabbilder vereinigen (s. o. § 19, c)), treten in der semantischen Struktur von Äußerungen zumeist mehrere semantische Prädikate und somit auch mehrere Propositionen auf. Unter bestimmten Bedingungen, von denen im folgenden einige genannt werden, können sie als Komplexe aus mehreren miteinander verbundenen semantischen Prädikaten im Rahmen einer Proposition betrachtet werden. So löst sich die semantische Struktur von Das ist ein Hund in eine Reihe von miteinander verbundenen Propositionen auf, in denen, entsprechend dem Aufbau des Begriffs „Hund" aus einzelnen Merkmalen, dem abgebildeten Gegenstand einzelne semantische Prädikate zugeschrieben werden. Im Falle von „Hund" treten Merkmale wie „zahm", „einheimisch", „Fleischfresser" zusammen mit einer ganzen Gruppe von Merkmalen auf, -die den Gegenstand als „Tier" widerspiegeln. In der semantischen Struktur von Das ist ein Hund hätten wir zu rechnen mit einer Reihe von Propositionen ,a ist ein Tier, und a ist ein Fleischfresser, und a ist einheimisch, und a ist z a h m . . wobei dem Glied ,a ist ein Tier' wiederum eine ganze Kette solcher Propositionen entspricht. Die allgemeine Form einer solchen Kette zeigt (9a): (9a)
(f1)flA(f2)«A...A(i'm)a
Sie wird im folgenden vereinfacht wiedergegeben durch (9b): (9b)
(FiAF2A . . .
AFJa
oder, auf das Beispiel Das ist ein Hund bezogen, durch ,a ist ein Tier und ein Fleischfresser und einheimisch und zahm . . .'. Wenn man für die semantischen Prädikate F l t . . . , F m die Interpretation ,Tier', .Fleischfresser' usw. annimmt, dann kann man die semantische Struktur von Wörtern wie Hund charakterisieren durch ,(F t AF 2 A . . . Fm) x', wobei für .x' in den einzelnen Äußerungen jeweils bestimmte Gegenstandsabbilder eintreten. In der beschriebenen Weise können nur Propositionen zusammengefaßt werden, deren semantische Prädikate sich jeweils auf dieselben Gegenstände beziehen. Das betrifft jedoch nicht (oder jedenfalls nur bedingt) die zeitliche Einordnung, die mit manchen semantischen Prädikaten verbunden ist. Solche Prädikate können zusammen mit anderen, die zeitlich nicht gebunden sind, in einem Komplex auftreten. Die zuerst genannte Beschränkung gilt auch für Wortbedeutungen, die Komplexe von semantischen Prädikaten sind: eine Konjunktion der Prädikate (oder Prädikatskomplexe) ,ohne feste Kontur' und ,weich' ist (zum Beispiel in schwammig) möglich, aber nur wenn die verbundenen Prädikate
1.2. Semantische Komponente
von demselben Gegenstand gelten. Eine Wortbedeutung, die ,(dünn) x und (lang) y' besagt, wäre nicht möglich. Verschiedene Zeiteinordnungen von Prädikaten innerhalb derselben Wortbedeutung dürften jedoch möglich sein. Nicht zeitlich gebunden sind Prädikate, die Gegenstände als Lebewesen, als Menschen, als männlich oder weiblich usw. charakterisieren. Sie bilden zeitlich stabile Eigenschaften ab." In den Bedeutungen von Wörtern wie Schüler(in), Student(in), Vorsitzende(r) usw. sind sie jedoch mit semantischen Prädikaten verbunden, die nicht-ständige Eigenschaften betreffen. Diese können oder müssen beim Eintritt solcher Wörter in Äußerungsstrukturen zeitlich gebunden werden. Dann geht die zeitliche Bindung u. U. von den einzelnen Propositionen auf den Gesamtkomplex über. Vgl. eine frühere Schülerin dieser Schule, die künftigen Studenten dieser Hochschule, aber nicht: *ein ehemaliger Mensch. b) Innerhalb des Gesamtbestandes an semantischen Prädikaten gibt es mehrere Klassen, die sich durch die Stellenzahl der Prädikate voneinander unterscheiden: Einstellige Prädikate nehmen in den Propositionen nur ein Argument an, mehrstellige Prädikate hingegen mehrere. Einstellige Prädikate entsprechen Eigenschaften von Gegenständen. So dürften z. B. die semantischen Prädikate, die in den Bedeutungen von Wörtern wie grün, blond, husten, schlafen, Hund, Stein usw. enthalten sind, einstellig sein. Die semantischen Prädikate, die in den Bedeutungen von husten oder schlafen enthalten sind, geben zeitlich instabile Eigenschaften von Gegenständen (hier: von Lebewesen) wieder, derartige Eigenschaften kommen jedoch keineswegs nur in verbalen Wortbedeutungen vor, was z. B. Adjektiva wie ruhig zeigen (Beispiele für Substantive in a)). Umgekehrt gibt es auch Verben, die ständige Eigenschaften von Gegenständen bezeichnen oder bezeichnen können wie z. B. schillern, schielen usw. Nur syntaktisch bedingt ist die Mehrstelligkeit solcher Verben wie (das) legt (sich) / gibt (sich) = ,das vergeht', (er) räuspert (sich) usw. Mehrstellige semantische Prädikate bilden Beziehungen zwischen Gegenständen ab. I n den Bedeutungen von Wörtern wie z. B. ähnlich, tragen, verkaufen, vor, Bruder usw. gibt es jeweils mindestens ein mehrstelliges semantisches Prädikat (,x ist y ähnlich in bezug auf z', ,x trägt y', ,x verkauft y an z', ,x ist vor y', ,x ist der Bruder von y'). Trotzdem können die Bedeutungen solcher Wörter auch einstellige semantische Prädikate enthalten. In der Bedeutung von Bruder z. B. ist eine Gruppe von Prädikaten enthalten, die x, d. h. eins der Argumente, als männliches menschliches Lebewesen beschreibt, und eine, die y als (männliches oder weibliches) menschliches Lebewesen beschreibt. Die Stellenzahl der Prädikate, die in die semantische Struktur von Wörtern eingehen, bildet die Grundlage für die Valenz des entsprechenden Wortes (s. 1.5.4. u. 1.7.3.2.), sie ist aber mit ihr nicht identisch. Insbesondere kann man nicht aus der Anzahl valenznotwendiger syntaktischer Satzglieder auf die Stellenzahl der in der Bedeutung des Verbs auftretenden semantischen Prädikate schließen. Der Wortbedeutung von geben entspricht z. B. ein Komplex semantischer Prädikate, der insgesamt etwa besagt ,x macht, daß y z hat'. Das heißt, daß die Satzglieder X, Y und Z in X gibt Y Z nicht durch ein dreistelliges semantisches
Semantische Strukturen
77
Prädikat miteinander verbunden sind, sondern durch eine besondere Verbindung mindestens zweier Propositionen mit jeweils zwei Argumenten: (10a)
Proposition
.Argument
(10a) erscheint jedoch als:
'bewirken'
'hoben'
x
y
z
"wenn man die syntaktische Struktur auf die semantische projiziert, vgl. dazu 1.7.3. In zahlreichen Fällen werden semantisch vorhandene Argumente syntaktisch nicht realisiert. So enthalten die semantischen Strukturen von sägen, feilen usw. eine Stelle für einen Gegenstand, der als Instrument dient; analog gibt es bei einatmen oder ausatmen einen latenten Bezug auf einen Gegenstand, auf die «in- oder ausgeatmete Luft. Die entsprechenden semantischen Argumente werden nur dann syntaktisch realisiert, wenn zusätzliche Beschreibungen hinzukommen; vgl .Er sägte mit einem Fuchsschwanz an einem Brett, Sie atmeten gierig die frische Luft ein. Das Umgekehrte, die (semantisch gesehen) redundante Bildung von Argumenten liegt z. B. vor bei manchen Umschreibungen einfacher Verben (schreien!ein Geschrei machen, über etwas verfügen!etwas zur Verfügung haben usw.; vgl. auch den Abschnitt über Streckformen in Kap. 2.3.2.7.). In Substantiva wie z. B. Bruder, Freund usw. oder Teil, Kopf, Dach, Eclce, Band u. a. m. bildet eine Argumentsstelle eines zweistelligen semantischen Prädikats bzw. eines Komplexes solcher Prädikate die Grundlage der Wortbedeutung. Das zweite Argument kann als Attribut in Gruppen wie Peters Bruder, ein Teil der Maschine, der Band des Tellers usw. auftreten (vgl. Kap. 2.3.1.1., § 9). In den Bedeutungen solcher Substantiva wie Schmied, Dieb usw. ist das zweite Argument latent; es referiert nur in Sonderfällen (der Schmied dieses kunstvollen Gitters, der Dieb dieses Gemäldes). In anderen Fällen, wie z. B. Pirat, Koch usw. kann es syntaktisch nicht realisiert werden. Es erscheint grundsätzlich als zweifelhaft, ob es neben zweistelligen Prädikaten auch semantische Prädikate mit drei oder mehr Stellen gibt. Alle entsprechenden Bedeutungen lassen sich als Gefüge von Propositionen mit maximal zwei Argumenten und entsprechenden zweistelligen Prädikaten auffassen.
1.2. Semantische
Komponente
Einige zweistellige semantische Prädikate, die für den Aufbau der semantischen Strukturen grundlegend sind, werden in § 30 behandelt.
c) Prädikate verschiedener Stufen: Die semantischen Prädikate bilden verschiedene Klassen nach der Art ihrer Argumente. Bei den Prädikaten der einen Klasse können die Argumentsstellen nur mit Gegenstandsabbildern besetzt werden. Bei den Prädikaten einer anderen Klasse werden die Argumentsstellen durch Abbilder von Sachverhalten besetzt. Die Argumente haben selbst eine propositionale Struktur. Andere semantische Prädikate haben Argumente der einen u n d der anderen Art. In der Bedeutung von Wörtern wie glauben, wissen, sich ärgern über, behaupten, bestreiten, versprechen usw. gibt es jeweils mindestens ein semantisches Prädikat, das ein Sachverhaltsabbild als Argument verlangt: Brigitte glaubt, daß sie den Schlüssel verloren hat; Wir wissen, daß die Aufführung abgesagt ist; Ich ärgere mich darüber, daß der Bus zu spät kommt usw. usf. Es gibt Unterschiede im kommunikativ-pragmatischen Charakter des semantischen Komplexes, der als Argument auftritt. Bei wissen hat das Argument den Charakter einer Aussage; vgl. Brigitte weiß / hat erfahren, daß die Aufführung abgesagt ist, nicht so bei Brigitte ist überzeugt / glaubt / bestreitet, daß . . . Mindestens ein semantisch komplexes Argument haben alle Prädikate, die psychische Vorgänge abbilden. Sachverhaltsabbilder treten auch bei semantischen Prädikaten, die materielle Zusammenhänge abbilden, als Argumente auf. Sie sind z. B. enthalten in den Bedeutungen solcher Verben wie verursachen, bewirken, bedingen, hervorrufen, abhängen von usw. (s. a. § 30, c)). d) Ein kompliziertes Problem entsteht bei Prädikaten von Prädikaten. Sie bilden nicht Eigenschaften von Sachverhalten oder Beziehungen zwischen Sachverhalten ab, sondern Eigenschaften von Eigenschaften oder Beziehungen. In der semantischen Struktur von rennen gibt es gegenüber der von gehen ein semantisches Prädikat, das die Schnelligkeit der Bewegung kennzeichnet; in der semantischen Struktur von Das Haus ist sehr hoch tritt eiü semantisches Prädikat auf, das den Grad wiedergibt, in dem die Eigenschaft „hoch" auf den Gegenstand zutrifft. Nicht der Sachverhalt, daß x geht, ist schnell, sondern das Gehen von x, nicht der Sachverhalt, daß x hoch ist, trifft in hohem Grad zu, sondern die Höhe von x ist relativ groß. Eine Darstellung der Prädikate von Prädikaten als besondere Strukturen, die nicht den Charakter von Propositionen haben (etwa in der Form (10c)) (10c)
Proposition Argument
Prädikat Prädikat
Argument
Prädikat sehr'
'hoch'
x
Semantische
Strukturen
79
ist ein Notbehelf. Sie verlangt als Erklärung eine genaue Untersuchung der Graduierung von Eigenschaften. Einen (10c) entsprechenden Ausdruck ,((sehr) hoch) x' müßte man verstehen als: ,„Sehr' gilt von ,hoch' und ,sehr hoch' gilt von x". Dies aber wäre die Abkürzung eines komplizierteren Ausdrucks, den man so umschreiben könnte: „Hoch1 ist eine Teilklasse von Hoch, und von dieser Teilklasse gilt ,sehr' und x gehört zu der Teilklasse Hochj". Bei einer solchen Betrachtung müßten die semantischen Prädikate auch als: Klassen (nicht nur als Eigenschaften) interpretiert werden können. Eine andere Lösung besteht darin, die Bedeutungen von schnell, hoch, breit, lang usw. als zweistellig anzusehen. Ihre zweite Stelle wird dann grundsätzlich durch einen Wert auf einer Skala (oder durch einen Vergleich) besetzt; zu diesen Lösungen s. BIERWISCH ( 1 9 6 9 ) bzw. ( 1 9 7 2 ) . Gegenseitiger Ausschluß oder gegenseitige Verträglichkeit semantischer Prädikate: Semantische Prädikate haben bestimmte gegenseitige Beziehungen. Diese regeln ihr Auftreten in den semantischen Strukturen. Zwei semantische Prädikate schließen sich gegenseitig aus, wenn sie in derselben semantischen Struktur nicht auf denselben Gegenstand bezogen werden können. So schließen sich z. B. die Prädikate gegenseitig aus, die einen Gegenstand als etwas Materielles (z. B. als Körper) bzw. als etwas Ideelles (z. B. als etwas Gedachtes oder als etwas Erlebtes) charakterisieren. Ebenso schließen sich bei Charakterisierungen von Lebewesen die Prädikate ,männlich' und .weiblich' gegenseitig aus. Zwei semantische Prädikate sind miteinander verträglich, wenn sie sich in derselben semantischen Struktur auf denselben Gegenstand beziehen können. Die Verträglichkeit von Prädikaten kann in dreierlei Formen auftreten: Gegenseitige Toleranz, Voraussetzung eines Prädikats durch das andere, gegenseitige Voraussetzung. Im Fall von gegenseitiger Voraussetzung können zwei semantische Prädikate nur dann in der semantischen Struktur einer Äußerung auftreten, wenn das jeweils andere ebenfalls auftritt; so kann z. B. das semantische Prädikat, das einem Gegenstand Ausdehnung zuschreibt, nicht auftreten, wenn nicht zugleich auch das Prädikat erscheint, das dem Gegenstand Gewicht zuschreibt. Einseitige Voraussetzung besteht zwischen anderen semantischen Prädikaten: Ein Gegenstand, der durch Prädikate wie z.B.; ,organisch', ,belebt' usw. als Körper charakterisiert ist, muß auch als materielles Objekt charakterisiert sein. Ein (abstrakter) Gegenstand, der als Handlung charakterisiert ist, mußzugleich als etwas charakterisiert sein, dessen Urheber aktiv ist. Daraus ergibt sich, daß das „semantische Lexikon" strukturiert ist und daß das Auftreten bestimmter semantischer Prädikate in den Äußerungsstrukturen bestimmten Regeln unterliegt. Die Beziehungen der gegenseitigen Verträglichkeit oder des gegenseitigen Ausschlusses liegen den Erscheintingen zugrunde, die als semantische Vereinbarkeit von Wörtern (innerhalb von Wortgruppen} bezeichnet werden und vielfach zur Valenz gerechnet werden. Die genannten Beziehungen gelten jedoch namentlich auch für den Aufbau von Wortbedeutungen. Semantische Unvereinbarkeit, die auf relativen semantischen Eigenschaften beruht, dürfte vorliegen in den Beispielen von § 22, (3c). Mit den Wörtern als Ganzem*
1.2. Semantische
Komponente
nicht mit den in ihren Bedeutungen auftretenden semantischen Prädikaten sind spezifische, mit bestimmten Arten der gesellschaftlichen Tätigkeit, mit bestimmten Wertungs- und Verhaltensweisen verbundene Ebenen der Verallgemeinerung verbunden, in denen der jeweilige Begriff eine bestimmte Bolle spielt. Solche Beziehungen gehören zur relativen semantischen Struktur der Äußerungen. Daher können Wörter unvereinbar sein, die sich ihren absoluten semantischen Eigenschaften nach durchaus nicht ausschließen. Vgl. außerdem auch Fälle wie Der Löwe ist großmütig und gelb, wo der Unterschied der Bezugsebenen (psychische Eigenschaften / physische Eigenschaften) die Konstruktion einer „gemeinsamen Einordnungsinstanz" verhindert (s. o. § 24, c)). Aber auch bei anderen Wortgruppen ergeben sich ähnliche Probleme; vgl. z. B. Ein schlanker Dialektiker usw. (Vgl. WIESE (1973), S. 86.)
Semantische Argumente können von unterschiedlicher Art sein. Während die Anzahl der Klassen, in die erkannte, ideell abgebildete Gegenstände eingeordnet werden, zwar flexibel aber im Prinzip begrenzt ist, ist die Anzahl der Gegenstände, die das Individuum kennenlernt, d. h. in diese Klassen einordnet, in den erarbeiteten Begriffen erfaßt, naturgemäß nach oben nicht abgeschlossen. a) Das Individuum kennt die einzelnen Gegenstände seiner Umgebung durch die Wahrnehmung. Eigenschaften, die nicht unmittelbar wahrnehmbar sind, und Beziehungen zu jeweils anderen Gegenständen decken sich im manuell-praktischen Umgang mit ihnen auf. Ihre Identität prägt sich in der Wahrnehmung ein. Diese ist begrifflich analysierbar, aber nicht ausschöpfbar. Die Begriffe erfassen nur bestimmte wesentliche Eigenschaften, in die im Bewußtsein reproduzierbaren Erscheinungsbilder geht aber auch das Zufällige und Unwesentliche ein. Gegenstände, die durch sinnlichen oder sinnlich-operativen Kontakt bekannt werden, werden begrifflich eingeordnet. Mit den Begriffen, über die das Individuum verfügt, ist auch die Gesamtheit der erinnerbaren, in sie einordenbaren Gegenstandsabbilder verbunden. I n dieser Verbindung ergeben sich die Abbilder von Sachverhalten, die eine Grundschicht im Kenntnisbestand der Individuen bilden. I n seiner Eigenschaft als Bestand an Kenntnissen schließt das Bewußtsein auch ein Inventar von Gegenstandsabbildern ein. Nicht so die semantische Komponente des Sprachsystems. In den von ihr determinierten semantischen Strukturen wird jedoch u. a. auf bekannte Gegenstände Bezug genommen (s. 1.3.4.). Die semantische Komponente sieht nicht den Bestand an Gegenstandsabbildern vor, sondern die Art und Weise, in der diese in die semantischen Strukturen eingehen. Ausnahme: Die Referenten von allgemeinbekannten Gegenständen wie Sonne, Mond usw. I n die semantischen Systeme jeweils unterschiedlicher Gruppen von Sprechern mögen auch z . B . die Referenten von bestimmten Personennamen gehören. b) Neben diesen durch unmittelbaren sinnlichen Kontakt bekannten Objekten gibt es solche, die nicht weniger fest zum Bestand unserer Kenntnisse von der Wirklichkeit gehören, die wir aber nur aus der Kommunikation mit anderen kennen. Aus den Mitteilungen eines anderen Menschen, der als belebter Gegenstand usw. im Kenntnisbestand repräsentiert und begrifflich eingeordnet ist; entnimmt man z. B., daß er einen Bruder hat, daß er ein Haus in einem Vorort besitzt, etc.
Semantische
Strukturen
81
Gegenstände, die in den Mitteilungen anderer figurieren, werden sowohl auf Grund ihrer Klassenzugehörigkeit als auch auf Grund ihrer Relation zu einem anderen bekannten Gegenstand (dem Sprecher) als bekannte Gegenstände abgebildet. Ihre Identität als Gegenstand ist der anschaulichen Grundlage nach nicht erfüllt, ihre Identität ist begrifflich-rational gesichert. Wenn sich erweist, daß ein Gegenstand, auf dessen Bekanntheit sich die anderer Gegenstände stützt, nur imaginär ist, so wird auch seiner Identität die Grundlage entzogen. So ist z. B. „die Hauptstadt von Atlantis" von dem Augenblick an ein Nicht-Gegenstand, in dem das Individuum aufhört, „Atlantis" als einen existenten Gegenstand zu betrachten. Umgekehrt kann niemand an die Existenz eines Objekts „Atlantis" glauben, ohne zugleich zu glauben, daß es z. B. einen höchsten Berg, eine mittlere Jahrestemperatur usw. von Atlantis als ebenso wirkliche Gegenstände gibt.
c) Über erschlossene Gegenstände s. o. § 23, b). d) Propositionen können sich auf Klassen von Gegenständen beziehen. I n Fällen wie z. B. Die Käfer gehören zu den Insekten werden Beziehungen zwischen Klassen als Teil-Ganzes-Beziehungen erfaßt. Die Klasse ist selbst als ein Gesamtgegenstand fixiert. Die Anzahl der möglichen semantischen Prädikate ist sehr begrenzt (s. § 30, b)). In anderen Fällen wird der Bezug auf beliebige einzelne Exemplare durch eine Operation verallgemeinert: Marienkäfer fressen Blattläuse = ,Für jeden Gegenstand, der zu der Klasse M. gehört, gilt, daß er sich unter bestimmten Bedingungen zu beliebigen Gegenständen der Klasse B. so verhält, daß er sie frißt.' Die Generalisierung hat eine Form, die in der Schreibweise der formalen Logik mit dem „Alloperator" wiedergegeben wird: V(x) (P(x) — Q(x)) bedeutet ,Für jeden Gegenstand x gilt, wenn die Eigenschaft P gilt, auch die Eigenschaft Q' oder:, Alle P sind Q'; eine andere Interpretation lautet: ,Die Klasse P ist entweder identisch mit der Klasse Q oder eine Teilklasse von Q'. Der operationeile Sinn solcher Ausdrücke besteht darin, daß für einen gegebenen Gegenstand a mit seiner Einordnung in die Klasse P automatisch auch die Einordnung in die Klasse Q vollzogen wird. Aus P(a) folgt automatisch Q(a). Verallgemeinerte Abbilder dieser Art drücken notwendige Zusammenhänge zwischen dem Auftreten bestimmter Eigenschaften in den Gegenständen der Wirklichkeit aus. Zugleich sind sie, einmal ausgearbeitet, die Grundlage für mächtige und weitreichende Vereinfachungen und Zusammenfassungen im Wissensbestand, über den das Individuum verfügt. Die entgegengesetzte Beziehung, daß nämlich für eine bestimmte Klasse behauptet wird, daß sie nicht völlig in einer anderen Klasse enthalten bzw. mit ihr identisch ist, entspricht ein Ausdruck mit Existenzoperator und negierter Proposition: Nicht alle Fische atmen durch Kiemen = Einige Fische atmen nicht durch Kiemen. Auch in dem zuletzt genannten Ausdruck wird auf beliebige einzelne Exemplare der Klasse „Fische" Bezug genommen, der operationeile Sinn der Ausdrücke dieser Art besteht darin, Generalisierungen einzuschränken: Es soll nicht für jeden einzelnen Gegenstand, der bekannt wird oder bereits bekannt ist, aus der Zugehörigkeit zur Klasse der Fische gefolgert werden, daß auf ihn auch die Eigenschaft „durch Kiemen atmen" zutrifft. Die entsprechende S Deutsche Gramm.
1.2. Semantische Komponente
komplementäre Teilklasse von „Fisch" (d. h. z. B. die Teilklasse der Fische, die durch Lungen atmen) wird offengehalten, sie wird als nichtleer reklamiert. Die gegenseitige Abhängigkeit der beiden Operatoren kommt in der Dualität der entsprechenden negierten Formen zum Ausdruck (Beispiele s. o. 1.1., § 7). Die Frage ist, ob tatsächlich beide komplementären Operatoren zur semantischen Komponente der Sprache gehören oder ob nicht vielmehr nur einer (nach einem Vorschlag von M C C A W L E Y : der Existenzoperator) und die Negation zur Sprache gehören. Die beiden Ausdrucksweisen sind zwar logisch äquivalent, sie sind aber nicht operationell gleichwertig. Die Negation ist eine Blockierungsoperation (s. o. § 23 u. 24). Die Verallgemeinerungen, die dem Alloperator entsprechen, dürften kaum auf dem Weg einer doppelten Blockierung Zustandekommen. Die Konsequenz ist, daß zur semantischen Komponente des Sprachsystems neben den beiden Operatoren auch eine Regel gehört, die die Äquivalenz der entsprechenden Strukturen festlegt. Mit dem Problem der Bezugsgegenstände der semantischen Prädikate ist das der semantischen Struktur von Substantivgruppen eng verbunden. Gruppen mit individuativem Substantiv (Stuhl, Hund, Baum usw.J beziehen sich nicht unmittelbar auf einzelne Gegenstände, sondern auf Gegenstandsmengen (im Grenzfall: auf eine Einermenge); drei Stühle besagt etwa ,eine Dreiermenge von Gegenständen, von denen jeder ein Stuhl ist' — die semantischen Prädikate der Substantivbedeutung müssen also in der semantischen Struktur jedem einzelnen der Gegenstände zugeschrieben werden. Die Bedeutungen von kontinuativen Substantiven (Mehl, Milch, Unkraut, Getier usw.) werden auf Gegenstände bezogen, die als Teile eines einheitlichen Gesamtgegenstandes „Mehl", „Milch" usw. erfaßt werden (vgl. dazu Kap. 2.3.1.1.). Im vorliegenden Abschnitt sind die Beziehungen stark vereinfacht dargestellt. Eine Reihe von semantischen Prädikaten hat einen gewissen Sonderstatus. Sie entsprechen bestimmten für die rationale Widerspiegelung der Wirklichkeit grundlegenden Begriffen (oder Begriffselementen). Ohne sie ist eine Widerspiegelung des Wesentlichen, Allgemeinen und Notwendigen in den Dingen und Erscheinungen der Wirklichkeit nicht möglich. Wir geben keine vollständige Übersicht über die semantischen Prädikate, die solchen Grundkategorien der rationalen Widerspiegelung der Realität entsprechen, sondern beschränken uns auf einige Beispiele. Dabei ist erkennbar, daß es sich vor allem um relationale Prädikate handelt, teils um solche, die Propositionen als Argument haben, teils um solche, die sich auf Gegenstände oder Klassen von Gegenständen beziehen. Ihnen ist gemeinsam, daß sie in die Bedeutung vieler Wörter als Bestandteile eingehen. a) Eine Reihe von solchen Prädikaten könnte man als „logische" bezeichnen. Sie charakterisieren Beziehungen zwischen Gegenständen und Klassen und dienen dazu, deren ideelle Widerspiegelung in Gestalt von Gegenstandsabbildern bzw. Eigenschafts- oder Relationsbegriffen in angemessener Weise aufeinander zu beziehen. Eins dieser Prädikate ist das der Identität. Es tritt auf in Äußerungen wie: Es ist Klaus, der das gesagt hat = ,Jemand hat das gesagt. Derjenige ist Klaus'.
Semantische
Strukturen
83
Das heißt: Ein aus dem Bestehen der Relation erschlossener Gegenstand wird als ein bereits bekannter („Klaus") identifiziert: Eine logische Variable wird durch eine Konstante ersetzt. In ähnlicher Weise können auch Prädikate identifiziert werden: Das ist einfach frech, wie er sich da benommen hat; Was ich tun würde, wäre den Eltern Bescheid sagen usw. Damit nicht zu verwechseln ist die Identifizierung zweier jeweils als bekannt geltender Gegenstände: Klaus ist Peters Stiefbruder; Ankara ist die Hauptstadt der Türkei. Eine Identifizierung von Klassen findet statt in D-Züge sind Züge, die bevorzugt abgefertigt werden und die nur an bestimmten Stationen halten. In einer besonderen Verwendungsweise, wenn nämlich das eine der beiden Relate durch eine einzelne lexikalische Einheit realisiert wird, fungieren solche Äußerungen als Definitionen. Ein anderes semantisches Prädikat beschreibt die Zugehörigkeit eines Gegenstandes zu einer Klasse: Dresden ist eine Großstadt, Klaus ist ein Grobian. Es handelt sich darum, daß die Beziehung ,a£K', ,der Gegenstand a ist ein Element der Klasse K' selbst explizit beschrieben wird; faktisch kommt dieses Verhältnis immer vor, wenn eine Zuordnung zwischen einer Eigenschaftsbezeichnung und einem Gegenstand stattfindet. Dem entsprechen Einordnungen von Teilklassen in Klassen: Tannen sind Nadelbäume, Wellen sind Maschinenelemente VLSW. ( , L c M ' , ,Die Klasse L ist eine Teilklasse von M'). b) Eine Reihe von anderen Prädikaten bezieht sich auf die Struktur der Gegenstände und Erscheinungen und auf ihren gegenseitigen Zusammenhang. Hierher gehören Prädikate, die die Zugehörigkeit eines Gegenstandes zu einer Gesamtheit und — bei höherer Form der Integration — die Beziehung von Form und Material (,z besteht aus y') usw. abbilden. Diese semantischen Prädikate realisieren sich keineswegs nur in Verben oder Präpositionen. Sie treten auch in den Bedeutungen anderer Einheiten auf (vgl. Glas = ,Gefäß, das aus Glas besteht' oder vgl. das Verhältnis von Brett und Planke: Planke bezeichnet ein Brett als Bestandteil einer Holzkonstruktion, während Brett einen Gegenstand nicht als Teil eines Ganzen charakterisiert). c) Von fundamentaler Bedeutung für die gesamte Erkenntnis ist die Widerspiegelung der Kausalbeziehungen zwischen Ereignissen. Ein entsprechendes semantisches Prädikat ist nicht nur Bestandteil der Bedeutungen von Verben wie verursachen, hervorrufen, bewirken usw. und von bestimmten Präpositionen,, sondern auch Teil der Bedeutung sehr vieler anderer Wörter (vgl. z. B. das Nebeneinander von Vorgangs- und Eigenschaftsbezeichnungen und entsprechenden Kausativa oder Faktitiva: fallen / fällen-, erschrocken / erschreckt-, gehangen / gehängt, ferner: bleich / bleichen-, tot / töten usw. Das semantische Prädikat ist aber außerdem in allen Verben, die die Informationsweitergabe oder die Weitergabe von Gegenständen bezeichnen, enthalten (s. Kap. 2.3.1.6.). d) In einer symmetrischen Beziehung wie z. B. in ,a ist b benachbart' oder ,a ist b ähnlich (in bezug auf c)' haben die Gegenstände a und b jeweils dieselbe Stellung. In anderen Beziehungen, wie z. B. in ,a ist der Platz von b', ,a gehört zu b', ,a besteht aus b', ,a verursacht b' usw. haben die beteiligten Gegenstände Verschiedene Bollen, sie sind nicht in derselben Weise' an der Relation beteiligt. Es scheint, daß bei der Abbildung entsprechender Sachverhalte zugleich andere 6«
84
1.3. Kommunikativ-pragmatische
Komponente
Abbilder beteiligt sind, die die Rolle der Gegenstände innerhalb der Beziehung festlegen. Bei der Ortsbeziehung z. B. erscheint als der Ort entweder das Unbewegliche gegenüber dem Beweglichen oder das Größere gegenüber dem Kleineren, vgl. Der Wagen stand neben einem Busch / *Der Busch stand neben einem, Wagen; Der Busch wuchs neben einem Baum / *Der Baum wuchs neben einem Busch. Bei der Zugehörigkeitsbeziehung und bei der Beziehung „a besteht aus b" scheint ein Unterschied in der Organisiertheit, der Komplexität zwischen den beteiligten Gegenständen mit der Rollenverteilung verbunden zu sein. Bei der Beziehung von Ursache und Wirkung spielt außer dem zeitlichen Verhältnis (Wirkung nicht vor der Ursache) auch die Richtung einer eventuellen Energieübertragung eine Rolle. Wenn entsprechende semantische Prädikate in der semantischen Struktur einer Äußerung auftreten, so werden solche die Rollenverteilung in der Relation begründenden Abbilder mindestens als Hintergrund vorausgesetzt. Auf keinen Fall aber dürfen die in der semantischen Struktur auftretenden Propositionen diesen Voraussetzungen widersprechen. Besonders wichtig ist die Aufdeckung solcher Abhängigkeiten innerhalb der semantischen Struktur (oder zwischen semantischer Struktur und in die Äußerung nicht einbezogenen Voraussetzungen) für die Analyse von semantisch-syntaktischen Rollen oder „Tiefenkasus" wie z. B. Agens, Patiens, Ursache, Träger des Geschehens, Adressat, Ziel, Instrument usw., bei denen es sich keineswegs um elementare semantische Einheiten handelt; vgl. dazu auch 1.7.3.
1.3.
Die kommunikativ-pragmatische Komponente
1.3.0.
Z u m Charakter der kommunikativ-pragmatischen Komponente
§ 31
Die semantische Struktur bezieht die Äußerung auf die Wirklichkeit. Sie beschreibt Sachverhalte materieller oder ideeller Art, sie bezieht sich aber weder auf die Äußerung selbst noch auf die kommunikativen Bedingungen, in denen die Äußerung erfolgt. In den Äußerungen drücken sich jedoch bestimmte (wenngleich nicht alle) Bedingungen der Kommunikationssituation aus. Das sind gleichfalls inhaltliehe Eigenschaften, wenn auch nicht semantische Eigenschaften im Sinne von Kap. 1.2. Diese inhaltlichen-Eigenschaften sind, wie 1.3.1. —1.3.4. zeigen, ihrer Art nach nicht einheitlich. Da sie jedoch in der syntaktischen und phonologischen Struktur zum Ausdruck kommen und eine von der Bedeutung verschiedene Funktion haben, werden sie als eine besondere Schicht in der Struktur der Äußerung betrachtet, die von einer entsprechenden Komponente des Sprachsystems determiniert wird (s. 1.1., § 2 und § 5—6). Im folgenden wird ein Versuch gemacht, die funktionale Grundlage der kommunikativ-pragmatischen Eigenschaften darzustellen. Die Überlegungen sind diskussionsbedürftig und in sich keineswegs abgeschlossen. Es zeigt sich (s. § 34—36), daß es keine einfache Aufgabe ist, die kommunikativ-pragmatische Komponente des Sprachsystems gegenüber anderen Aspekten der Sprache als Gesamterscheinung
Charakter der Komponente
85
abzugrenzen und die Stellung der kommunikativ-pragmatischen Komponente gegenüber den anderen Komponenten innerhalb des Systems zu bestimmen. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß unsere Überlegungen vor allem von kommunikativ-pragmatischen Besonderheiten in Sätzen des Deutschen ausgehen. Eine umfassende theoretische Analyse müßte übereinzelsprachliche Eigenschaften der kommunikativ-pragmatischen Komponente aufzeigen. Die hier entwickelten Gedankengänge sollten als ein Vorschlag betrachtet werden.
In den sprachliehen Äußerungen übermitteln die Individuen in der Regel Darstellungen von Sachverhalten an andere Individuen. Auch wenn eine Äußerung keine Aussage, sondern eine Frage oder eine Aufforderung ist — s. u. 1.3.2. —, enthält sie als einen Teil ihres Inhalts doch die Zuordnung von Gegenstandsabbildern und Abbildern von Eigenschaften und Beziehungen.
Das ist ein notwendiger Teilprozeß im gesellschaftlichen Zusammenleben. Die Menschen kommunizieren untereinander nicht spontan und in beliebiger Weise, sondern im Rahmen und im Vollzug ihrer gegenseitigen sozialen Beziehungen (vgl. H Ä R T U N G (1974t), S. 3f. u. H Ä R T U N G (19742), S. 96f.). Die sozialen Beziehungen und Tätigkeiten der Individuen bedingen sich gegenseitig; sie schließen die Bewußtseinsprozesse der Individuen und die Weitergabe ihrer Ergebnisse als eine ihrer Komponenten in sich ein. Das Individuum muß sich in die Tätigkeiten, die seinen sozialen Beziehungen entsprechen, eingliedern. Es muß sein eigenes Handeln in das Handeln anderer einbeziehen und das Handeln der anderen in der Planung seines eigenen Verhaltens berücksichtigen. Diese Koordination des Handelns (die das Bestehen sozialer Gegensätze keineswegs ausschließt) wird durch die sprachliche Kommunikation vermittelt. Unter „Handeln" wird hier das bewußt gelenkte und organisierte Verhalten des Individuums verstanden. Die soziale Tätigkeit, in der die Individuen gemäß ihren sozialen Beziehungen miteinander verbunden sind, ergibt sich aus dem koordinierten individuellen Handeln. Die F o r m der Koordination hängt aber durchaus von den bestehenden sozialen Beziehungen ab (sie ist z. B. bei Beziehungen, die auf Unterdrückung und Ausbeutung beruhen, anders als bei Beziehungen, die auf sozialer Gleichheit und Übereinstimmung der Interessen beruhen).
Die sprachlichen Äußerungen haben daher zwei eng miteinander verbundene Funktionen: Sie machen die Ergebnisse der individuellen Bewußtseinsprozesse als Informationen über Sachverhalte der Wirklichkeit (der materiellen und ideellen) auch für andere Individuen verfügbar, und sie vermitteln, indem sie das Handeln der Individuen koordinieren, die sozialen Beziehungen und die ihnen entsprechenden Formen der sozialen Tätigkeit im unmittelbaren gegenseitigen Verhältnis der Individuen. Die Bildung und das Verstehen sprachlicher Äußerungen sind unter den in § 31 beschriebenen Bedingungen mehr als die bloße Aktualisierung im Sprachsystem angelegter Möglichkeiten, ideelle Abbilder der Wirklichkeit mit Lautäußerungen zu verbinden. Sie sind vielmehr ein Teilausschnitt aus einer viel komplexeren Verhaltensweise. Diese, das kommunikative Verhalten, ist nicht nur mit dem Handeln verbunden, es hat auch selbst den Charakter des Handelns. Das heißt:
1.3. Kommunikativ-pragmatische
Komponente
es ist bewußtes, zielgerichtetes Verhalten. Die bewußte Lenkung des kommunikativen Verhaltens im Sinne der beiden oben (s. § 31) genannten Funktionen muß sich auf ein inneres Abbild des Kommunikationsvorgangs beim Sprecher und beim Hörer stützen, so wie sich jedes Handeln auf ein inneres Abbild der Handlungssituation, der Ziele des Ablaufs sowie der Mittel und Verfahrensweisen stützen muß. Diese Abbildung erfolgt in bestimmten Kategorien, die die wesentlichen Merkmale und Bedingungen kommunikativen Handelns erfassen. Sie ergeben zusammen ein ideelles Modell des Kommunikationsvorganges, in dem das Handlungsergebnis ideell vorweggenommen werden kann und in dem geeignete, dem Ziel und den Bedingungen entsprechende Handlungsweisen ausgewählt werden können (vgl. dazu etwa HOPFEE (1974)). Das Modell ermöglicht es den Kommunikationsteilnehmern, die kommunikative Handlung zu kontrollieren. Die Handlung selbst vollzieht sich in Teiloperationen. Eine davon ist das Bilden bzw. das Verstehen der Äußerung in dem eingangs dieses Paragraphen beschriebenen engeren Sinn. Die Teiloperationen sind teilweise automatisiert, d. h. sie nehmen nur dann bewußten Charakter an, wenn besondere Probleme auftreten: z. B. Störungen bei der Hervorbringung oder Wahrnehmung der Äußerung, Kompliziertheit der darzustellenden Sachverhalte, Probleme in der persönlichen Beziehung von Sprecher und Hörer, Neuheit bestimmter sozialer Funktionen, zu deren Ausfüllung die Kommunikationshandlung gehört, u. a. m.
Damit sowohl der Sprecher als auch der Hörer den Kommunikationsablauf kontrollieren und nach ihren Zielen und Absichten lenken können, darf die Äußerung selbst nicht nur ein bestimmtes Abbild der Wirklichkeit übermitteln. Sie muß auch dessen Aufnahme und Verarbeitung organisieren sowie den Zweck und den sozialen Zusammenhang charakterisieren, für die ein solches Abbild mitgeteilt wird. Sie muß also auch Informationen über bestimmte Seiten des inneren Modells des Kommunikationsvorgangs selbst übermitteln, nach dem der Sprecher handelt. Dadurch ist der Hörer in der Lage, das Mitgeteilte geordnet aufzunehmen, den sozialen Funktionen gemäß sinnvoll auszuwerten und, falls notwendig, regulierend in-den Ablauf einzugreifen. Wenn man von begleitenden Äußerungsweisen (wie z. B. Mimik und Gestik bei mündlicher Sprache) absieht, die nicht immer in Funktion treten können, dann können Informationen über Voraussetzungen und Bedingungen der Äußerung nur in der Äußerung selbst vermittelt werden. Das heißt, sie müssen z. T. an der Form der Äußerung ablesbar sein. Das wiederum setzt die Existenz von Regeln voraus, die die genannten, den Kategorien des inneren Modells des Kommunikationsvorganges entsprechenden Informationen mit bestimmten Formeigenschaften der Äußerung verbinden. In dem Maß, wie solche Informationen durch syntaktische, morphologische und phonologische Eigenschaften der Äußerung vermittelt werden, müssen auch die Regeln des Sprachsystems, die solche Formeigenschaften bestimmen, auf Kategorien des inneren Modells der Kommunikationssituation Bezug nehmen. Für die Äußerungen heißt das, daß zu ihrem Inhalt außer der Bedeutung (den semantischen Eigenschaften) auch noch andere Eigenschaften gehören, solche nämlich, die sich auf die Bedingungen und Voraussetzungen ihres Zustandekommens beziehen.
Charakter der Komponente
87
Kommunikativ-pragmatische Eigenschaften heißen die inhaltlichen Eigenschaft e n der Äußerung, die a) die Äußerung auf Voraussetzungen u n d Bedingungen des Kommunikationsvorgangs beziehen u n d zugleich b) in syntaktischen, morphologischen u n d phonologischen Eigenschaften der Äußerung ausgedrückt sind. Sie bilden zusammen die kommunikativ-pragmatische Struktur der Äußerung u n d werden von der entsprechenden Komponente des Sprachsystems determiniert. F ü r die G r a m m a t i k bedeutet das, d a ß sie die allgemeinen Eigenschaften des A u f b a u s von Bedeutungen u n d L a u t f o r m e n u n d deren gegenseitige Beziehungen, ihren Gegenstand also, nicht beschreiben k a n n , ohne a u c h b e s t i m m t e Kategorien des inneren Modells des Kommunikationsvorganges in die Beschreibung einzubeziehen (s. MÖTSCH ( 1 9 7 5 ) ) . D a s erste Problem einer Beschreibung der k o m m u n i k a t i v - p r a g m a t i s c h e n K o m p o n e n t e des Sprachsystems ist d a s ihrer Begrenzung. E s ist zu fragen, welche Kategorien des inneren Modells des Kommunikationsvorganges in die genannte K o m p o n e n t e eingehen. E s ist offensichtlich, d a ß es sich n u r u m einen Teil dieser Kategorien h a n d e l t . Sie entsprechen einem Ausschnitt a u s dem inneren Modell des K o m m u n i k a t i o n s vorgangs, der n u r einige Wesenszüge des Kommunikationsvorgangs widerspiegelt u n d infolgedessen auch n u r einige Seiten des Vorgangs steuern k a n n . Wir nehmen an, d a ß die f ü r das Sprachsystem relevanten Kategorien ein s t a r k reduziertes Modell des Kommunikationsvorganges bilden, u n d d a ß es sich bei diesen Kategorien u m solche von sehr elementarer Art handelt. ( „ E l e m e n t a r " bedeutet, d a ß diese Kategorien bzw. der ihnen entsprechende Modellausschnitt — in jedem beliebigen Kommunikationsvorgang wirksam sind, u n d d a ß sie eben d a r u m auch nicht die Spezifik der einzelnen unterschiedlichen Klassen von Kommunikationsvorgängen ausdrücken können.) Nicht zur kommunikativ-pragmatischen Komponente gehören, wenn man dieser Annahme folgt, die Kategorien, die solche Teilhandlungen lenken, wie die differenzierte Erfassung der sozialen Bedingungen und der Persönlichkeit der Kommunikationsteilnehmer, die Bestimmung des Ziels der Kommunikationshandlung, die Auswahl der Nachricht (vgl. HOPFER (1974), S. 54F.) und die Festlegung des Kommunikationsverfahrens (s. SCHMIDT/HABNISCH (1974)). Ausgeschlossen bleiben auch die Kategorien, die den Textaufbau der Nachricht festlegen. Kategorien, die diese Seiten des Kommunikationsvorganges betreffen, gehören nach der hier vertretenen Auffassung nicht zum Sprachsystem, sie gehören zu anderen Seiten der Sprache und sind infolgedessen auch nicht Gegenstand der Grammatik, sondern anderer Theorien. Bei genauerer B e t r a c h t u n g zeigt sich auch, d a ß die k o m m u n i k a t i v - p r a g m a tischen Eigenschaften vor allem zwei Momente des K o m m u n i k a t i o n s v o r g a n g s b e t r e f f e n : a) V e r k n ü p f u n g des sozialen u n d gegenständlichen Bezugssystems der Sachverhaltsdarstellung mit d e m sozialen u n d gegenständlichen Bezugssystem der Kommunikationssituation, b) elementare Vorgänge der Einordnung und Verarbeitung der in den Äußerungen dargebotenen Informationen über Sachverhalte der Wirklichkeit (wobei die Einschätzung des Tatsachengehalts der Informationen eingeschlossen ist).
1.3. Kommunikativ-pragmatische Komponente Die Frage des Umfangs der kommunikativ-pragmatischen Komponente ist eng verbunden mit der Frage nach dem Gegenstand der Grammatik und seiner Abgrenzung gegenüber dem Gegenstand anderer Theorien, die sich in unterschiedlicher Weise mit der Kommunikation mittels der Sprache befassen. Die Gesetzmäßigkeiten, denen das Sprachsystem unterliegt, lassen sich nur zum Teil aus seiner Funktion als Mittel der Kommunikation ableiten. Umgekehrt weist die Kommunikation Gesetzmäßigkeiten auf, die sich nicht aus denen des verwendeten Mittels erklären (vgl. z. B. das Verhältnis von gesellschaftlichen Beziehungen und kommunikativen Beziehungen, wie es bei HÄRTUNG (1974J), S. 17f., dargestellt ist). Die einfache Ausdehnung der Beschreibung des Sprachsystems auf alle Kategorien, die für das sprachlich-kommunikative Handeln bestimmend sind, würde der Spezifik der damit äußerlich abgedeckten Bereiche nicht gerecht werden. Die kommunikativen Beziehungen erschienen als etwas gegenüber den sozialen Beziehungen Selbständiges oder sogar Primäres. Ein kritischer Fall ist in diesem Zusammenhang die Theorie der Sprechakttypen, die (vgl. SEARLE (1969)) bestimmte Arten des kommunikativen Handelns (z. B.: Behauptung, Frage, Aufforderung, Versprechen, Warnung, Ratschlag usw.) klassifiziert und sowohl in Hinblick auf ihre soziologischen und psychologischen Voraussetzungen und Wirkungen als auch in Hinblick auf die jeweils eingesetzten sprachlichen Mittel untersucht. Ihr Einschluß in die Grammatik, der zugleich die Theorie des Sprachsystems aus einer gewissen Einseitigkeit herausführt, ist jedoch nur unter Berücksichtigung der im folgenden dargestellten Probleme möglich: Das Wesen einer sprachlichen Handlung ergibt sich aus der Beziehung zwischen dem jeweils bestehenden Sprecher-Hörer-Verhältnis und der durch die Äußerung vermittelten Sachverhaltsdarstellung (des „Inhalts der Nachricht" — H O P F E E ( 1 9 7 4 ) , S. 5 4 ) . Das Problem spitzt sich zu in zwei Punkten: a) In bezug auf die Rolle der sogenannten performativen Verben (oder umschreibender Konstruktionen) wie z. B. behaupten, fragen, auffordern, warnen, bitten, versprechen, einen Verweis erteilen usw. Die Bedeutung solcher Wörter und Gruppen muß in der semantischen Komponente des Sprachsystems beschrieben werden. Es handelt sich dabei um Verben, deren Bedeutungsbereich bestimmte Kategorien der sprachlichen Kommunikation sind. Außerdem haben sie, vom Sprecher selbst in bezug auf die eigene Äußerung gebraucht (ich verspreche dir, daß ich deine Beschwerde sofort uberprüfe usw.), die Eigenschaft, die Geltung der Äußerung selbst festzulegen. Dieser p e r f o r m a t i v e Gebrauch bestimmter Verben oder äquivalenter sprachlicher Ausdrücke bildet die Grundlage für eine besondere Klasse sprachlicher Ausdrücke, zu denen Formeln gehören wie: Ich verspreche dir, daß -f Satz, Ich befehle dir + Infinitivkonstruktion, Ich gratuliere dir zu + Substantivgruppe, Ich behaupte, daß + Satz u. a. m. Neben syntaktischen weisen Ausdrücke dieser Art auch inhaltliche Besonderheiten auf. Sie beschreiben nicht nur Sachverhalte, sondern charakterisieren auch die kommunikative Funktion der Gesamtäußerung. Der damit verbundene gedankliche Gehaltist anderer Art als die Bedeutung in dem in Abschnitt 1.2. ausgeführten Sinne. Dabei ist zu beachten, daß die spezielle p e r f o r m a t i v e Funktion eine Eigenschaft der Ausdrücke und nicht der Verben ist. Diese können in Kontexten wie
Charakter der Komponente
89
Peter hat mir Hilfe versprochen usw. auch in b e s c h r e i b e n d e r Funktion auftreten. ' b) Es gibt besondere syntaktische und j oder phonologische Mittel, um Aussagen, Fragen und Aufforderungen voneinander zu unterscheiden. Ihnen entsprechen jeweils auch bestimmte performative Verben; Komm mit\ und Ich fordere dich auf, mitzukommen! scheinen äquivalent zu sein, weil beide dem Hörer eine Handlung abverlangen. Als Beispiel sei hier djer Typ „Versprechen" diskutiert. Versprechen sind zunächst einmal Aussagen. Allerdings spielen Aussagen des Sprechers über sein eigenes künftiges Verhalten in der sozialen Kooperation eine besondere Rolle, weil sie es dem Partner ermöglichen, sein Verhalten entsprechend einzurichten. Unter besonderen Bedingungen, die SEABLE (1969), S . 57f., genauer beschrieben hat, haben solche Aussagen über eigenes künftiges Verhalten des Sprechers den Charakter eines Versprechens. Was die Aussage zu einem Versprechen macht, ist das Element gemeinsamer, den bestehenden sozialen Bedingungen entsprechender Planung des Verhaltens, das sie enthält. Daraus ergibt sich auch die Verbindlichkeit eines Versprechens (s. dazu auch § 48). Wenn man die Bedingungen, unter denen die Äußerung Ich werde Klaus sofort schreiben ein Versprechen ist, als gegeben annimmt, so wäre eine Äußerung Ich verspreche dir, daß ich Klaus sofort schreiben werde weitschweifig. Die Verwendung einer Performativformel ist sogar in den meisten Fällen nicht notwendig. Das gilt nicht nur für Versprechen. Wird sie dennoch gewählt, so bedeutet das eine besondere Betonung des Handlungstyps, was z. B. dann wichtig sein kann, wenn die soziale Situation, in der die Äußerung getan wird, völlige Eindeutigkeit verlangt. (Der Sprecher will z. B. ausdrücklich hervorheben, daß er die mit einem Versprechen verbundene Verpflichtung sehr ernst nimmt.) Die Tatsache, daß der Handlungstyp einer Äußerung nicht ausdrücklich in der Äußerungsstruktur in Erscheinung treten muß, ändert natürlich nichts daran, daß jede Äußerung eine Handlung eines bestimmten Typs darstellt und daß Sprecher und Hörer über entsprechende gemeinsame Kenntnisse verfügen müssen. Die Frage besteht nun darin, ob die Charakterisierung des Handlungstyps einer Äußerung als Aufgabe der Grammatik zu verstehen ist oder als Aufgabe einer selbständigen Theorie der Sprechhandlungen, die in einem noch näher zu bestimmenden Verhältnis zur Grammatiktheorie steht. Da performative Formeln möglich sind und als Bestandteile von Äußerungen auftreten, ihre inhaltlichen Eigenschaften aber nicht durch die Semantik (in dem von uns festgelegten Sinne) beschrieben werden, ist es gleichwohl nötig, die Charakterisierung des Sprechhandlungstyps einer Äußerung als Aufgabe der Grammatik zu betrachten. Die minimale Überschneidung zwischen Grammatik und Theorie der Sprechhandlungstypen ist durch die Existenz besonderer Strukturtypen von Sätzen bestimmt, die, ohne daß die Zuordnung eindeutig sein müßte, für jeweils bestimmte Sprechhandlungstypen charakteristisch sind. I m Deutschen sind es Aussage, Frage und Aufforderung (und evtJ. — s. § 40 — auch der Wunsch), denen in Gestalt besonderer syntaktischer, syntaktisch-morphologischer und phonologischer Eigenschaften besondere Strukturtypen zugeordnet sind.
90
1.3. Kommunikativ-pragmatische
Komponente
Für die Verfahrensweise der »Grundzüge« ist maßgebend, daß a) die Grammatik die Funktion der betreffenden Strukturtypen zumindest grob kennzeichnen muß, obwohl eine befriedigende Erklärung nur im Gesamtzusammenhang einer Theorie der Sprechhandlungen möglich ist (vgl. MÖTSCH (1975), S. 33f.); b) die inhaltlichen Charakteristika einer Äußerung, die einem bestimmten Sprechakttyp entsprechen, der Äußerung auch dann zuschreibbar sein müssen, wenn sie statt des jeweils bevorzugten Strukturtyps einen anderen Strukturtyp realisiert. § 36
Eine weitere Frage, die sowohl mit der Bestimmung des Umfangs als auch mit der des Inhalts der kommunikativ-pragmatischen Komponente verbunden ist, ist die Frage nach ihrem Verhältnis zur semantischen Komponente des Sprachsystems. In vielen Fällen verleihen die kommunikativ-pragmatischen Kategorien bestimmten Einheiten der semantischen Struktur der Äußerung zusätzliche Interpretationen (so ist z. B. der Referent von ich semantisch als ,Lebewesen', ,Person', .Mensch', ,Einzelgegenstand' u. dgl. charakterisiert, kommunikativpragmatisch aber als .Sprecher dieser Äußerung'). Ganz allgemein könnte man den Inhalt der kommunikativ-pragmatischen Komponente in der folgenden Weise charakterisieren: Zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem bestimmten Ort und unter bestimmten sozialen Bedingungen will der Sprecher, daß der Hörer eine bestimmte semantische Struktur in einer bestimmten Weise verarbeitet. Dabei bewertet er Teilausschnitte der semantischen Struktur hinsichtlich ihres Tatsachengehalts. Außerdem setzt er voraus, daß dem Hörer bestimmte Teilausschnitte der semantischen Struktur in unterschiedlicher Weise bekannt sind. Es ist jedoch zu beachten: a) Der so charakterisierte Ausschnitt aus dem inneren Modell des Kommunikationsvorganges bildet insofern eine Einheit als eben die genannten Kategorien in jeweils unterschiedlichen Spezifikationen als ein nicht zur Bedeutung (im Sinne von i.2.) gehöriger Teilkomplex in den Inhalt der Äußerungen eingehen und durch syntaktische, morphologische und / oder phonologische Eigenschaften der Äußerungen ausgedrückt werden. Vom gesamten inneren Modell des Kommunikationsvorgangs aus betrachtet, erscheint ihre Einheit als fraglich. Die angeführten Kategorien dürften zu unterschiedlichen Teilkomponenten innerhalb dieses Modellsund dementsprechend auch zum Gegenstand unterschiedlicher Teiltheorien gehören. Die Beschreibung der kommunikativ-pragmatischen Komponente innerhalb einer Grammatik ist daher nicht ein in die Grammatik verlegter Teil einer Theorie des inneren Modells des Kommunikationsvorgangs. b) Die hier verwendeten Ausdrücke wie „Zeitpunkt", „Ort", „soziale Bedingungen", „in bestimmter Weise verarbeiten", „Teilausschnitt aus der semantischen Struktur" usw. sind Benennungen für Kategorien, deren eigentlicher Charakter zum Teil noch ungenügend erkannt ist. Die Bezeichnungen sind deshalb nicht ohne die Kenntnis der Abschnitte 1.3.1. —1.3.4. zu interpretieren, in denen die entsprechenden kommunikativ-pragmatischen Eigenschaften von Äußerungen behandelt werden.
Bedingungen der Kommunikationssituation
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1.3.1.
Orientierung auf die Bedingungen der Kommunikationssituation
•§ 37
Der Sachverhalt, der in der semantischen Struktur der Äußerung beschrieben wird, wird auf die Kommunikationssituation bezogen. Entweder werden die Gegenstände, auf die die Äußerung referiert, mit den sachlichen und persönlichen Bedingungen der Kommunikation identifiziert, oder sie werden zu ihnen in ein bestimmtes Verhältnis gesetzt. Zur kommunikativ-pragmatischen Struktur gehört aber auch die Spezifikation bestimmter Bedingungen der Kommunikationssituation, ohne daß dabei der Gegenstandsbezug der Äußerung berührt wird. Die Einheiten, die zu diesem Teilkomplex der kommunikativ-pragmatischen Komponente gehören, spezifizieren also: — das Verhältnis von Sprecher und Hörer — deren Verhältnis zum dargestellten Sachverhalt — die Identität (oder Nichtidentität) von Bezugsgegenständen der Äußerung mit dem Sprecher und dem Hörer oder mit anderen in der Kommunikationssituation gegebenen Gegenständen — die Beziehung des Sachverhalts oder der an ihm beteiligten Gegenstände zum Ort des Sprechakts (des Sprechers) — die Beziehung des Sachverhalts zu der Zeit des Sprechakts.
§ 38
Sprecher und Hörer und ihr Verhältnis zu dem Sachverhalt, auf den sich die Äußerung bezieht: a) der Sprecher ist in der Kommunikationssituation dem Hörer sozial übergeordnet, gleichgestellt oder untergeordnet; Sprecher und Hörer haben bestimmte soziale Rollen inne; b) der Sprecher und der Hörer sind miteinander vertraut oder einander fremd; c) der Sachverhalt, auf den sich die Äußerung bezieht, ist für beide wichtig, für beide unwichtig oder für jeweils einen von ihnen wichtig. Die Unterscheidungen a) — c) stehen für eine Vielzahl weiterer Differenzierungen. Auf ihrer Grundlage ergeben sich (unter anderem) die folgenden Möglichkeiten f ü r konkrete Sprechsituationen: ~ — Der Sprecher ist sozial untergeordnet, ist aber mit dem Hörer vertraut. Auch wenn der Sachverhalt nur für den Hörer wichtig ist, ermöglicht es die Vertrautheit, daß der Sprecher eine umgangssprachnahe Form der Äußerung wählt. — Sprecher und Hörer sind' gleichgestellt und miteinander vertraut. I n diesem Fall ist bei einem Sachverhalt beliebiger Wichtigkeit Du die normale Anrede. Wenn der Sprecher zur Ä'e-Form greift, müssen besondere Bedingungen vorliegen — z. B. Verstimmung oder Mißbilligung des Verhaltens des Hörers, oder aber der Wechsel ist mit einem Wechsel im Rollenverhältnis (z. B. Übergang zu einem betont dienstlichen) verbunden. — Wenn der Sprecher gegenüber einem ihm fremden Hörer irt einer für
1.3. Kommunikativ-pragmatische
Komponente
diesen wichtigen Angelegenheit statt der „höflichen Frage" die neutrale anwendet (vgl. Kap. 6.3.4.), kann das als ein Anspruch auf soziale Überordnung verstanden werden. Spezielle Bedingungen ergeben sich im Zusammenhang mit der Festlegung der Verwendungsweise der semantischen Struktur (s. u. § 40ff.), insbesondere wenn eine Aufforderung vorliegt. d) Die Äußerung kann sich auf einen Sachverhalt beziehen, an dem der Sprecher und j oder Hörer selbst beteiligt ist. Dann werden die entsprechenden Argumente der semantischen Struktur als 1. Person bzw. 2. Person gekennzeichnet. Alle übrigen Argumente gehören demgegenüber zur 3. Person. Zur Kategorie der 1. Person gehören auch Personengruppen, zu denen der Sprecher gehört. Die 1. Person kann in diesem Fall auch den Angesprochenen einschließen („inklusives Wir"). Bei Nichtvertrautheit und sozialem Unterschied muß die 2. Person normalerweise mit Sie bezeichnet werden. Eine Aufforderung (s. u. § 42) setzt voraus, daß der Angesprochene am beschriebenen Sachverhalt beteiligt ist. In der Sachverhaltsbeschreibung können Argumente auftreten, die zur Kategorie der 3. Person gehören, sich aber auf Gegenstände beziehen, die in der Kommunikationssituation unmittelbar anwesend sind. Sie können als für den Hörer bekannt "behandelt werden, obwohl sie weder etwas allgemein Bekanntes sind noch in einer vorangehenden Äußerung bereits erwähnt wurden. Sie gelten als durch die Situation bekannt (vgl .Gehört das ¡dieses Geld Ihnen?; Das / Den Zettel / Diesen Zettel zeigen Sie bitte beim Pförtner vor usw.; vgl. 1.3.4., § 51 f.).
a) Eine Orientierung auf den Ort des Kommunikationsakts findet automatisch statt, wenn sich die Äußerung auf einen einzelnen Sachverhalt bezieht, der nicht ausdrücklich einem anderen Ort zugewiesen wird. Findet eine lokale Zuordnung zu einem Gegenstand (u. U. zu einem räumlichen Bereich) statt, der „durch die Situation bekannt" ist (s. o. § 38, d)), so können als Bezeichnungen die Adverbien dort, da, hier auftreten; dabei ist hier auf den Ort des Sprechers fixiert, während dort den Ort des Sprechers ausschließt. Eine räumliche Orientierung auf die Kommunikationssituation zeigen auch die Richtungsadverbien her und hin an. b) Der Sachverhalt, auf den sich die Äußerung bezieht, wird zur Zeit des Kommunikationsakts in Beziehung gesetzt. Der Sachverhalt wird als gleichzeitig mit dem Kommunikationsakt, als ihm zeitlich vorhergehend oder folgend eingeordnet. Der Bezeichnung für diese Zeitverhältnisse dient außer den Tempora des Verbs eine Anzahl von Adverbien wie z. B. jetzt. Wenn beim Bezug auf einen einzelnen Sachverhalt keine Zeit festgelegt ist, gilt automatisch als Zeit die des Kommunikationsakts: Es regnet draußen = ,Es regnet jetzt draußen'. Es gelten jedoch zahlreiche Sonderbedingungen, auf die hier nur verwiesen werden kann. Wenn die Äußerung auf Klassen referiert oder wenn ein einzelner Sachverhalt gemeint ist, der zu allen Zeitpunkten zutrifft (z.'B. „ 2 + 2 = 4 " ) , so gilt Neutralität gegenüber der Zeit des Sprechakts.
Intention der Äußerung
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Bei der Beschreibung komplexer Sachverhalte kann für untergeordnete Propositionen die Zeitorientierung durch die übergeordneten vermittelt sein. Zur zeitlichen Einordnung von Sachverhalten s. u. Kap. 2.3.2. und Kap. 3.1. (Verbtempus).
1.3.2.
Intention der Ä u ß e r u n g : D i e Festlegung der V e r w e n d u n g s w e i s e der m i t der Ä u ß e r u n g verbundenen S a c h v e r h a l t s b e s c h r e i b u n g
§40
Die kommunikativ-pragmatischen Kategorien Aussage (Behauptung), Aufforderung und Frage legen jeweils spezifische Verwendungsweisen der mit einer Äußerung verbundenen Sachverhaltsbeschreibung fest. Wenn man von Anrufen (He!; Hallo, Sie da!; Sie, junger Mann! usw.) absieht, die Signalcharakter haben und lediglich die Aufmerksamkeit des Angerufenen wecken sollen, gehören im Prinzip alle sprachlichen Äußerungen zu einer der drei genannten Gattungen. Jede Äußerung ist daher in ihrer kommunikativ-pragmatischen Struktur nach ihrer Zugehörigkeit zu einer dieser Gattungen spezifiziert. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es neben Aussage, Frage und Aufforderung als eine besondere vierte Kategorie die kommunikative Intention „Wunsch" gibt. Sie ist mit Äußerungen verbunden, die einen Sachverhalt darstellen, dessen Verwirklichung der Sprecher als etwas für sich Günstiges, Positives bewertet. Bedingungen solcher Äußerungen sind sowohl die Irrealität des dargestellten Sachverhaltes (vgl. § 46) als auch seine positive Bewertung. Negatives Gegenstück des Wunsches dürfte die Befürchtung sein (vgl. Äußerungen wie Werdet mir bloß nicht krank!). E s scheint charakteristisch für Wunsch-Äußerungen zu sein, daß sie sich eher auf Sachverhalte richten, die Bedingungen für den vom Sprecher angestrebten Zustand der Befriedigung darstellen, als auf diesen Zustand selbst. Äußerungen wie z. B. !Wäre ich doch glücklich / zufrieden!; 'Wenn ich doch froh wäre! o. ä. müssen jedenfalls mindestens als zweifelhaft gelten. Daraus ergibt es sich, daß die Wunschsätze den irrealen Bedingungssätzen nahestehen (s. § 46, vgl. aber auch Kap. 5.2., § 13). Andererseits bestehen auch Beziehungen zwischen Wünschen und Aufforderungen (s. § 42). Man könnte Aufforderungen als eine spezielle Unterart der Wünsche betrachten und den Aufforderungen die Wünsche im engeren Sinne gegenüberstellen, als Wünsche nämlich, die im Gegensatz zu den Aufforderungen nicht unmittelbar an die Aktivität des Hörers appellieren. Es gibt jedoch auch Äußerungen, die, wie z. B. Bleib mir gesund!; Werde glücklich! u. dergl. eine Zwischenstellung einzunehmen scheinen (s. dazu auch Kap. 2.3.1., §31, c)). Es sind diese und andere Unklarheiten, die eine endgültige Entscheidung als verfrüht erscheinen lassen. Zu dem kommunikativ spezialisierten syntaktischen Satzt y p „Wunschsatz" s. Kap. 5.2., § 13.
§41
Die Spezifikation einer Äußerung als Aussage entspricht der Operation, ein gegebenes Abbild der Wirklichkeit „zur Kenntnis zu nehmen", d. h. als relativ bestätigtes, relativ verläßliches, der Wirklichkeit entsprechendes Wissen aufzubewahren. Wenn eine Aussage vorliegt, will der Sprecher, daß der Hörer den dargestellten Sachverhalt glaubt (s. HOPFER ( 1 9 7 4 ) , S. 6 2 ) . I m allgemeinen sind mit Aussagen selbstverständlich weiterreichende Ziele verbunden; letztlich zielen Aussagen auf Beeinflussung des Verhaltens des Hörers ab, wobei die Aussage
1.3. Kommunikativ-pragmatische
Komponente
ihm als eine Grundlage für die Ableitung weiteren Wissens, für die Entwicklung^ von Einstellungen und Bewertungen oder für die Entwicklung von Handlungsplänen dient. (Vgl. dazu auch A. A. L E O N T J E W (19752).) Es hängt von den Beziehungen zwischen Sprecher und Hörer, vom eigenen Kenntnisbestand des Hörers usw. ab, ob und in welchem Grad sich der Hörer auf das Ausgesagte verläßt. Tatsächlich stammt ein erheblicher Teil des Wissens, über das Individuen verfügen, aus den Aussagen anderer (vgl. auch § 47).
Auf dem Hintergrund, daß Aussagen zu übernehmendes Wissen sind und daßsie damit als Grundlage für die Planung des Verhaltens des Hörers dienen können und sollen, erhalten Aussagen über eigenes künftiges Verhalten des Sprechern besondere Funktionen. J e nach den sozialen Beziehungen von Sprecher und Hörer, je nach der Bedeutung, die der angekündigte Sachverhalt für den Hörer besitzt usw., können solche Aussagen zum Beispiel die Funktion von Versprechungen oder von Drohungen erhalten; s. dazu § 35. Eine ähnliche Wirkung haben Aussagen über das künftige Verhalten des Hörers, besonders dann, wenn der Hörer als Handelnder beschrieben wird. Wenn solche Äußerungen nicht z. B. als Befürchtungen oder Warnungen zu verstehen sind (Du fällst noch hin!), nehmen sie die Funktion von Aufforderungen an (Sie kommen nachher zu mir!): Der Sprecher ist seiner Autorität so gewiß, daß er die Möglichkeit, daß der Hörer anders entscheidet, gar nicht einkalkuliert. Zu einer speziellen emotionalen Variante s. Kap. 5.2., § 12 (Ausrufesätze).
Wenn eine Äußerung als Aufforderung spezifiziert ist, so entspricht dies der Operation, ein Sachverhaltsabbild als Plan oder als allgemeine Maxime für die Lenkung des Handelns in Kraft zu setzen. Ein solches Abbild muß auf den Handelnden referieren, und es muß ihm eine Handlungsweise vorschreiben, diein seinem Vermögen steht. Bei der internen Handlungsplanung muß sich dasIndividuum selbst als Handelnden abbilden. Mit einer Aufforderung muß ein Sachverhaltsabbild verbunden sein, das eine künftige Handlung des Hörers zum Inhalt hat. Sie setzt voraus, daß die Handlung subjektiv und objektiv möglich ist. Sozial entspricht ihr die Kompetenz des Sprechers, in die Handlungsplanung des Hörers einzugreifen. Die Bitte oder der Vorschlag gibt das Handlungsschema vor, überläßt aber, mindestens formell, die Inkraftsetzung dem Hörer. Der Befehl schreibt außer dem Handlungsschema auch die Entscheidung vor. Es gibt Aufforderungen, in denen die Person des Aufgeforderten generalisiert ist ; vgl. Man beachte die Anmerkungen! usw. (s. Kap. 3.1., § 70). Aufforderungen, deren Erfüllung nicht in der Macht der Aufgeforderten liegt, können den Charakter (zum Teil irrealer) Bedingungen annehmen; vgl. Kommt mal in mein Alter, dann wundert euch das nicht mehr!; Gebt mir einen Fixpunkt im Weltall, und ich hebe die Welt aus ihren Angeln! Negierte Aufforderungen können den Charakter von Verboten haben: Beiß die Blumen nicht ah! Die Spezifikation einer Äußerung als Frage entspricht der Operation, den Kenntnisbestand nach überprüften Abbildern abzusuchen, die das vorliegende Saehverhaltsabbild entweder bestätigen oder widerlegen oder das vorliegende
Intention der
Äußerung
95
Abbild zu komplettieren erlauben. I n Gestalt der Frage wird diese Operation dem Hörer übertragen. Die Antwort ist lediglich der Abschluß der Operation. Fragen, deren Antwort bereits feststeht, nehmen den Charakter besonders nachdrücklicher Behauptungen an: Rhetorische Ja-Nein-Fragen machen aus der Bestätigung der Behauptung_durch den Hörer einen besonderen Akt, sie heben ihre Anerkennung besonders hervor. Analog verhält es sich mit rhetorischen Ergänzungsfragen. Eine Konstante, ein bereits identifizierter bekannter Gegenstand, muß in einer besonderen Operation für eine scheinbare Variable eingesetzt werden (Und wer hat euch das vorausgesagt? — Ich, dem ihr nicht glauben wolltet!). Damit wird unterstrichen, daß die Aussage auf diesen Gegenstand tatsächlich zutrifft. Als Aufforderungen können Fragen fungieren, wenn sie sich auf ein mögliches künftiges Verhalten des Hörers beziehen; vgl. z. B. (IIa)
Wer von euch MIß den Schreibtisch hinübertragen?
Die Frage unterstellt bereits, daß jemand von den Angeredeten helfen wird. Sie enthält bereits die Aufforderung in latenter Form: Jemand von euch wird helfen... Derjenige unter den Anwesenden, der die offene Variable dadurch ersetzt, daß er die Bezeichnung seiner Person dafür einsetzt Ich, (werde helfen . . . ) , macht sich diese latente Aufforderung zu eigen. Seine Antwort auf die Ergänzungsfrage ist zugleich eine Aussage über eigenes künftiges Handeln; damit übernimmt er eine Verpflichtung. (IIb)
Besuchen Sie uns einmal?
Die Frage betrifft die Pläne des Angesprochenen. Es wird fingiert, er könne die Handlung bereits geplant haben, die ihm in Wirklichkeit erst vorgeschlagen wird. Die Antwort Ja! ist nicht nur eine Antwort auf die Frage (,Es trifft zu, daß ich geplant habe, Sie zu besuchen'); als eine Aussage über eigenes zukünftiges Verhalten hat sie die Funktion eines Versprechens. Ja! steht für positive Antworten auf Entscheidungsfragen, für Zustimmung zu Aussagen oder zu Aufforderungen. Die Zustimmung zu einer Aufforderung wäre eine Aussage in der Form Ich tue (/Wir tun) das!, d. h. eine Aussage über eigenes künftiges Verhalten. Nein! steht entsprechend für negative Antworten auf Entscheidungsfragen, für die Zurückweisung von Aussagen und die Ablehnung von Aufforderungen. Ja und Nein begleiten entsprechende Äußerungen oder vertreten sie. Ja! als Zustimmung zu einer Aussage kommt einer Wiederholung dieser Aussage durch den Hörer gleich („Er sagt es selbst auch"). Ja und Nein treten aber auch mit „Frageintonation" auf. Dann beziehen "sie sich auf Äußerungen (und zwar auf Aussagen) des Sprechers: Sie entsprechen der Wiederholung dieser Äußerungen mit einer fragenden Intonation. Der Sinn dieser Äußerungen besteht darin, dem Sprecher seine eigenen Äußerungen noch einmal zur ausdrücklichen Bestätigung oder Präzisierung vorzulegen. Indem der Hörer die Äußerung des Sprechers mit Ja! / Ja? / Nein! / Nein? unterbricht, wirkt er steuernd auf den weiteren Ablauf der Äußerung ein.
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1.3. Kommunikativ-pragmatische
Komponente
1.3.3.
Bewertung der Geltung der Äußerung
§ 45
Das Individuum unterscheidet zwischen Abbildern, die bereits auf die eine oder andere Weise bestätigt sind, und solchen, die nur möglicherweise richtig sind. Es unterscheidet zwischen Tatsachen und Termutungen. Dabei ist nicht nur entscheidend, ob die betreffenden Abbilder aus eigener Wahrnehmung stammen oder nicht, ob sie zwingend abgeleitet sind oder nicht, u. dgl. In die Unterscheidung gehen auch mancherlei subjektive Momente ein. So wird beispielsweise die Neigung, einem Abbild Tatsachengeltung zuzuschreiben, abnehmen, wenn es durch eine vielstufige schwer überschaubare Operation gewonnen ist. Abbilder, die mit bereits vorhandenen übereinstimmen, werden meist höher bewertet als andere, die vom Gewohnten abweichen oder ihm widersprechen; usw. Die Unterscheidung zwischen Tatsachen und Vermutungen, zwischen Gewissem und (relativ) Ungewissem hängt also von sehr verschiedenartigen Faktoren ab. Vgl. dazu auch § 48.
§46
Ein prinzipiell abgrenzbarer Faktor in der Einschätzung der Gewißheit eines Abbildes ist die Bewertung seiner Wahrscheinlichkeit. (Dabei handelt es sich hier natürlich um die „subjektive Wahrscheinlichkeit"; vgl. »Phil. Wb.« (1974), Bd. 2, S. 1277.) Überhaupt ist zu beachten, daß die objektive Möglichkeit eines Sachverhalts sich ideell in verschiedener Weise widerspiegeln kann. In der einen Form wird das abgeleitete Abbild als gewiß, als relativ gewiß oder als ungewiß eingeschätzt, weil seine Richtigkeit (nicht) bestätigt ist. Die Bewertung betrifft die Verläßlichkeit des Abbilds. In der anderen Form wird der abgebildete Sachverhalt — nicht sein Abbild — selbst auf seine Existenzbedingungen bezogen, d. h. als ein Glied mehr oder weniger umfassender und allgemeiner Zusammenhänge betrachtet. Er wird danach in einem komplexen Sachverhaltsabbild als objektiv möglich oder unmöglich charakterisiert. Beide Formen schließen sich jedoch nicht aus: Die Konstatierung der objektiven Möglichkeit eines Sachverhalts stützt die Bewertung eines entsprechenden Sachverhaltsabbildes. In einer Äußerung wie Der Zug kann Verspätung haben trifft beides zusammen. Auf Grund der Kenntnis der Bedingungen wird die Verspätung des Zuges als etwas objektiv Mögliches charakterisiert. Das Abbild (,Der Zug hat Verspätung') kann deshalb als etwas eingeschätzt werden, das weder ganz gewiß noch völlig ungewiß ist. Auch die Abbildung der objektiven Möglichkeit selbst kann wieder als etwas Gewisses oder als etwas Ungewisses bewertet werden; vgl. Der Zug kann vielleicht (auch) Verspätung haben; die Äußerung zielt darauf ab, die objektive Möglichkeit, daß der Zug Verspätung hat (und nicht etwa verunglückt ist), bei der Beurteilung der Situation nicht auszuschließen. Wichtig ist, daß Ungewißheit nicht mit Unmöglichkeit zusammenfällt: Der Zug kann keine Verspätung haben besagt, daß es objektiv unmöglich ist, daß der Zug Verspätung hat, darüber besteht Gewißheit; Der Zug kann wohl gar keine Verspätung haben besagt zwar ebenfalls objektive Unmöglichkeit, drückt aber Ungewißheit darüber aus.
Geltung der
Äußerung
97
Weiter ist zu unterscheiden zwischen der Realität und der Irrealität abgebildeter Sachverhalte. Irreal ist (in dem in der Sprachwissenschaft seit langem üblichen Sinn des Terminus) sowohl das Unmögliche als auch das Mögliche, das nicht verwirklicht ist. Dabei muß man berücksichtigen, daß Möglichkeit immer an bestimmte Bedingungen gebunden ist. Es scheint, daß die Unterscheidung von Realem und Irrealem gerade immer dann getroffen wird, wenn diese Art der Bedingtheit (oder ihr Fehlen) herausgearbeitet werden soll. Daher sind zu den folgenden Äußerungen auch jeweils Fortsetzungen mit weil und wenn denkbar, wobei die erfüllten, die Möglichkeit begründenden Bedingungen in der wei'Z-Fortsetzung, die nicht erfüllten, fehlenden, irrealen Bedingungen in der weww-Fortsetzung benannt werden; vgl. (12)
Die Novemberrevolution von 1918 hätte zum Sturz des führen können . . . Der Zug könnte pünktlich eintreffen .. . Peter könnte ein guter Schuler sein.. . Die Rohstoffimporte könnten gesenkt werden . . .
Kapitalismus
Gewißheit ergibt sich in solchen Fällen, wenn der Zusammenhang zwischen den Bedingungen und dem als möglich charakterisierten irrealen Sachverhalt einleuchtend ist und wenn die Bedingungen selbst als eindeutig real oder eindeutig irreal erfaßt werden können. Das zeigt sich besonders bei solchen als objektiv möglich zu betrachtenden Sachverhalten, die irreal ( = nicht verwirklicht) sind, weil sie in der Zukunft liegen. Als relativ gewiß mag erscheinen: (13a)
Der Ast bricht bald ab / wird bald abbrechen. (Er ist schon morsch) Der Grundwasserspiegel wird steigen. (Es hat extrem viel geregnet) Wo sich aber die Bedingungen nicht abschätzen lassen, unter denen die objektive Möglichkeit realisiert werden kann, sinkt die Gewißheit: {13b)
Im nächsten Jahrhundert wird die Menschheit ihren Energiebedarf durch gelenkte Kernfusion decken
Ein entsprechendes Sachverhaltsabbild ist eindeutig eine Vermutung. Wünsche und Aulforderungen setzen Irrealität des Gewünschten oder des andern Aufgetragenen voraus. Sie nehmen dabei aber die Stelle einer Bedingung ein, von der die Verwirklichung eines anderen Sachverhaltes abhängt; s. (14a), {14b), s. jedoch auch Kap. 5.2., § 13. (14a)
Wenn doch nur ein Taxi käme (dann wäre ich bald zu Hause)! Wenn ihn doch der Teufel holte (dann hätten wir Buhe)! Bring bitte den Brief zur Post (dann kommt er schneller an)! Bäumen Sie bitte die Kreuzung (dann ist der Weg für die anderen Fahrzeuge frei)!
Daraus erklärt sich z. B. der Übergang zwischen Bedingungssätzen und Aufforderungen : (14b)
Wenn ihr mir helft, habe ich nachher Zeit für euch Helft mir, dann habe ich Zeit für euch!
usw. 7
Deutsche Gramm.
1.3. Kommunikativ-pragmatische
Komponente
Für die Unterscheidung zwischen Tatsachen und Vermutungen ist noch ein. weiterer Faktor maßgebend, der bisher nur in § 41 erwähnt wurde. Das Wissen, die Überzeugungen und die Bewertungsweisen, über die das Individuum verfügt, sind sozial vermittelt. Sie sind zu einem erheblichen Teil von anderen Menschen übernommen. Aber auch der Teil des Wissens, der aus der unmittelbaren Wirklichkeitserfahrung stammt, wird durch seine Verarbeitung und seine Eingliederung in das Gesamtsystem diesem qualitativ angeglichen. Die Übernahme und die Weitergabe solcher Bewußtseinsinhalte geht zwischen den Individuen im Rahmen der sozialen Beziehungen vor sich, die zwischen ihnen bestehen. Das Individuum bestimmt den Rang des Übernommenen nach der Bedeutsamkeit der Beziehung für sich selbst, für seine soziale Gruppe und für die Gesellschaft. Es bewertet das Übernommene auch nach dem Charakter der Beziehung selbst, je nachdem, ob sie auf Interessengemeinschaft oder -gegensatz, auf Gleichberechtigung oder Unter- bzw. Überordnung usw. beruht. Hinzu kommen, teilweise in Abhängigkeit von den bereits genannten, Bedingungen wie Vertrautheit oder Fremdheit, Sympathie oder Antipathie, Respekt oder Verachtung usw. zwischen den Individuen. Diese Bedingungen bestimmen weitgehend, ob das Individuum übernommenesWissen als tatsächlich gültig oder als bedingt gültig, ob es übernommene Normen als unbedingt oder als nur teilweise verbindlich ansieht. Wir sind z. B. geneigt, Abbilder der Wirklichkeit als Tatsachen zu übernehmen, wenn sie uns von Personen vermittelt werden, die wir persönlich respektieren, an deren Sachkenntnis wir glauben und deren Interessen den unseren nicht widersprechen. Andernfalls sinkt die Geltung einer Sachverhaltsdarstellung. Soziale Überordnung des Sprechers kann die Geltung der Mitteilung erhöhen, wenn die Mitteilung den Kompetenzbereich des Sprechers betrifft und das betreffende soziale Verhältnis mit unseren klassen- und gruppenbedingten Interessen in Einklang steht.
Damit ergibt sich eine gewisse, bisher aber nur schwer zu fixierende Abhängigkeit zwischen der Bewertung der Tatsachengeltung der Äußerung und den in § 38 skizzierten sozialen Bedingungen. Das Verhältnis zwischen Einschätzung der Quelle und Bewertung der übernommenen Sachverhaltsabbilder hinsichtlich ihrer Gewißheit oder Ungewißheit ist Sprechern und Hörern mehr oder weniger bewußt. Die Individuen sind sich auch bewußt, daß sie mit den Aussagen, in denen sie im Rahmen ihrer sozialen Beziehungen Sachverhaltsabbildungen an andere Individuen weitergeben, deren Verhalten beeinflussen. Damit wird die mindestens im Prinzip in nichtantagonistischen sozialen Beziehungen gegebene gegenseitige Verantwortlichkeit der Beteiligten auch auf die Kommunikation übertragen. J e größer die Bereitschaft eines Individuums ist, den Aussagen eines Partners auf Grund bestehenden persönlichen Vertrauens und / oder bestehender Rollenbeziehungen von vornherein Tatsachengeltung beizumessen, desto größer ist die Verantwortlichkeit des Partners für die Gültigkeit der Mitteilung. (Der in § 35 diskutierte Fall des Versprechens ist hierbei nur ein Sonderfall.) Umgekehrt ist dem Sprecher auch bewußt, daß sein Ansehen bei den Hörern und in der Folge auch
Geltung der Äußerung
99
ihre Bereitschaft zur Kooperation u. a. davon abhängen, in welchem Grad seine Mitteilungen wirklichkeitsgerecht und für die Partner nützlich sind. Es ist daher für den Ablauf der Kommunikation wichtig, daß die Teilnehmer nicht nur Beschreibungen von Sachverhalten und die darauf bezogenen Intentionen (s. o. Abschnitt 1.3.2.) untereinander austauschen, sondern auch ihre Einschätzung der Abbilder bzw. der abgebildeten Sachverhalte. Daher ist es u. U. wichtig, Sachverhaltsabbilder als Vermutungen oder Tatsachen, als ungewiß oder als gewiß, abgebildete Sachverhalte als irreal oder alsreal zu signalisieren. Für die Signalisierung solcher Unterscheidungen stehen unterschiedliche Ausdrucksweisen zur Verfügung. Neben modalen Adverbialien und entsprechenden Adverbien gibt es das Modussystem des Verbs und bestimmte Konjunktionen für komplexe Sätze (über andere Arten der Signalisierung s. den folgenden. Paragraphen). Neben der Notwendigkeit, fehlende Gewißheit, geringe Wahrscheinlichkeit, Irrealit ä t u. dgl. zu signalisieren, kann auch ein Bedürfnis bestehen, die Gewißheit, di& hohe Wahrscheinlichkeit oder die Realität des Mitgeteilten hervorzuheben (Er war bestimmt hier; Ich habe das wirklich nicht gewußt usw.). Solche Beteuerungen, haben besondere Bedeutung, wenn die subjektiven Momente, auf die sich die Bewertung der Geltung eines mitgeteilten Sachverhalts stützt, gegenüber den objektiven Momenten (Augenschein, bisherige Kenntnis usw.) durchgesetzt werden Sollen.
Der Sprecher kann seine Verantwortlichkeit für Ergebnisse und Folgen des Kommunikationsakts dadurch beeinflussen, daß er in der Äußerung signalisiert, wie er den beschriebenen Sachverhalt einschätzt. Das kann durch eine Bekräftigung der Tatsachengeltung geschehen, es kann aber auch — und das ist der durch besondere Signalisierungsmittel markierte Fall — dadurch geschehen, daß er die Tatsachengeltung abschwächt. Er kann seine Verantwortung aber auch noch in anderer Weise vermindern. Das Mittel besteht darin, daß er zwischen sich als dem Sprecher und der eigentlichen Quelle der Mitteilung unterscheidet. Er selbst kennzeichnet sich damit als bloßen Yermittler. Wenn sich der Sprecher auf eine Quelle beruft, die beim Hörer besonderes Ansehen genießt, so verstärkt er damit die Geltung des Mitteilungsinhalts. Wenn er sich auf indifferente oder wenig angesehene Quellen beruft, so kann die Geltung abgeschwächt werden. Hier trifft zu, was in § 47 über die Einschätzung von Gewißheit oder Ungewißheit von Aussagen auf Grund der Quelle gesagt wurde. Übermittelte Aufforderungen können hinsichtlich ihrer Dringlichkeit variiert werden.
Jedenfalls wird bei der Unterscheidung von Informationsquelle und Vermittler die Verantwortung ganz oder zum Teil auf die Quelle übertragen. Der Mechanismus, der dabei verwendet wird, entspricht dem zur Beschreibung von Handlungen. Wenn der Initiator der Handlung (der, der sie plant und veranlaßt) mit dem Ausführenden nicht identisch ist, so werden beide angegeben: (15a)
Brigitte will, daß Klaus das Zimmer aufräumt / Brigitte läßt Klaus das Zimmer aufräumen
100
1.3. Kommunikativ-pragmatische
Komponente
Wenn der Initiator nicht genannt werden kann oder soll, tritt das Modalverb soll ein: (15b)
Klaus soll das Zimmer
aufräumen
Soll wird auch verwendet, wenn der Sprecher Aufforderungen weitergibt, ohne daß er sich mit der Aufforderungsintention identifiziert; vgl. (15c)
Du sollst das Zimmer aufräumen! / Bäum das Zimmer auf! Du sollst Klaus anrufen! / Ruf Klaus an!
Auf dieselbe Weise können Aussagen weitergegeben werden. Der Sprecher reduziert seine Rolle auf die des Vermittlers, er identifiziert sich nicht mit der Aussage-Intention (s. o. § 41: Der Hörer soll den Sachverhalt zur Kenntnis nehmen). Ist die Quelle nicht genannt, erscheint soll: (16a)
Es soll Streit gegeben haben Klaus soll den Unfall gesehen haben Der Motorradfahrer soll zu schnell gefahren sein
Wenn die Quelle genannt wird, kann statt soll will eintreten: (16b)
Klaus will den Unfall beobachtet haben Der Motorradfahrer will scharf gebremst haben
Das geht nur, wenn Träger der Handlung, von der berichtet wird, und Quelle des Berichts übereinstimmen: (16c)
Klaus sagt, daß er ( = Klaus) das Zimmer aufgeräumt hat Klaus will das Zimmer aufgeräumt haben
Andernfalls muß der Vorgang der Äußerung selbst beschrieben werden: (16d)
Klaus sagt, daß der Motorradfahrer zu schnell gefahren ist
Hier kann soll nicht auftreten, weil die Quelle genannt ist. D i e Äußerung Klaus sagt, daß der Motorradfahrer zu schnell gefahren sein soll ist entweder ein Bericht von Klaus über einen Bericht aus unbekannter Quelle, oder sie ist falsch gebildet.
Hingegen kann es heißen: (16e)
Klaus sagt, er habe den Unfall beobachtet Klaus behauptet, der Motorradfahrer sei zu schnell gefahren
Nicht möglich ist jedoch: *Es sei dort sehr kalt statt Es soll dort sehr kalt sein-, der Konjunktiv kann nur eintreten, wenn die Quelle genannt ist und der Vorgang der Äußerung selbst beschrieben ist durch sagen, behaupten o. dgl.: Das Gemeinsame von soll und von sagen, behaupten usw. + Konjunktiv I besteht in der Distanzierung von der Intention, die mit der weitervermittelten Sachverhaltsdarstellung verbunden ist. Zum Konjunktiv I, dessen Verwendungsbereich hiermit nicht erschöpft ist, vergleiche Kap. 3.1.
Bewertung und Gliederung der
Information
101
1.3.4.
Bewertung und Gliederung der in der Äußerung enthaltenen Information nach ihrer Bekanntheit
§ 50
Die Äußerungen beschreiben Sachverhalte oder Komplexe von Sachverhalten. Damit vermitteln sie dem Hörer Informationen über die betreffenden Bereiche der materiellen oder ideellen Wirklichkeit, die dieser auswertet. Dabei unterliegt er Bedingungen von zweierlei Art: Die einen betreffen die Aufnahme und Eingliederung neuer Kenntnisse überhaupt. Dazu gehört u . a., daß sich derartige Vorgänge immer im R a h m e n des aktuellen Bewußtseins von der jeweils bestehenden Situation vollziehen. Eine andere Art von Bedingungen betrifft die sprachliche Vermittlung. Hier sind vor allem drei Faktoren zu nennen: a) Die sprachlichen Äußerungen können bestimmte einzelne Gegenstände, auf die sie sich beziehen, immer nur durch Angabe der Eigenschaften und Beziehungen dieser Gegenstände charakterisieren. Der Hörer muß die Gegenstände ermitteln, auf die die Äußerung referiert; b) aus Gründen, die mindestens teilweise mit der Herstellung der Referenz zusammenhängen, enthalten die sprachlichen Äußerungen redundante Beschreibungen, Informationen, über die der Hörer bereits verfügt. Er m u ß sie von den tatsächlich relevanten, neuen Informationen trennen; c) die Abbilder von Sachverhalten u n d Komplexen von Sachverhalten, die in den Äußerungen beschrieben werden, sind nicht linear organisiert. Mit der sprachlichen Fixierung unterliegen sie aber einer linearen, an die Zeitfolge gebundenen Organisation. Der Hörer muß den inneren Zusammenhang der verschiedenen Glieder eines Abbildkomplexes aus der linearen Form der Äußerung wieder entwickeln. Dabei muß er Teile der Information in einem „Zwischengedächtnis" aufbewahren, bis die Äußerung beendet ist. Den genannten Bedingungen entsprechen bestimmte Verfahrensweisen des Hörers. Dieser stützt sich dabei auf seinen Kenntnisbestand, insbesondere aber auf seine Analyse der aktuellen Situation, und orientiert sich an bestimmten lexikalischen, syntaktischen und phonologischen Eigenschaften der Äußerung. Der Sprecher muß der Äußerung diese Form geben. Dabei muß er von Mutmaßungen über den Kenntnisbestand des Hörers und über dessen Abbild der Situation ausgehen. Die Kategorien, in denen das geschieht, drücken sich in einer besonderen Teilstruktur der kommunikativ-pragmatischen Struktur der Äußerung aus. Einiges über diese Teilstruktur und die Kategorien, die sie bestimmen, kann man aus den Bedingungen erschließen, unter denen Äußerungen mit bestimmten lexikalischen, syntaktischen u n d phonologischen Eigenschaften verwendet werden. Von diesen Eigenschaften und den Bedingungen ihres Auftretens geht die folgende Darstellung aus.
§ 51
Die syntaktischen und phonologischen Fakten, die den Ausgangspunkt bilden, lassen sich in drei Gruppen einteilen; sie betreffen: a) Das Auftreten oder Fehlen des Artikels oder eines artikelartigen Pronomens in Substantivgruppen bzw. die analogen Unterschiede zwischen substantivi-
102
1.3. Kommunikativ-pragmatische
Komponente
sehen Pronomina, die die Substantivgruppe realisieren; s. dazu Kap. 2.3.1.1. u. 2.3.1.2. (17)
Ich erwarte eine Nachricht / .. . die (/diese) Nachricht; Ich erwarte etwas / ... das (/es) Man hat im ganzen Haus nach einem Kollegen gesucht / ... dem (/diesem) Kollegen gesucht; Man hat im ganzen Haus nach jemand gesucht / .. . nach dir gesucht TJm 4.58 Uhr geht die Sonne auf / *. .. geht eine Sonne auf / * ... geht diese Sonne auf
b) Die Reihenfolge der Satzglieder hält eine bestimmte Normalstellung ein oder sie weicht von ihr ab; vgl. dazu Kap. 4; (18)
Die Tür befand sich an der Längsseite / An der Längsseite befand sich eine Tür Man hat den Zeugen Photographien vorgelegt / Man hat die Photographien Zeugen vorgelegt
usw. c) Die Reihenfolge der Satzglieder und die Form des Artikels sind in komplizierter Weise mit der intonatorischen Gliederung des Satzes und mit der Lage der Hauptbetonung des Satzes verbunden. So kann z. B. das erste Satzglied als das Thema des Satzes entweder mit dem darauffolgenden Teil des Satzes eine intonatorische Einheit bilden, oder es kann Träger einer selbständigen Tongruppe sein; vgl. dazu Kap. 6; (19a)
//Die Fassade ist in zwei Geschosse gegliedert// — //Die Fassade//ist in zwei Geschosse gegliedert// Ebenso kann die Hauptbetonung innerhalb des Satzes verschiedene Stellungen einnehmen: (19b) Das Telegramm ist heute angekommen / Das Telegramm ist heute angekommen § 52
Substantivgruppen enthalten den Artikel oder ein artikelartiges Pronomen, wenn sie sich aui etwas beziehen, das dem Hörer nach Auffassung des Sprechers bekannt ist. Als „bekannt" kann gelten, was in der Kenntnis des Sprechers bzw. des Hörers als eine in sich abgeschlossene Einheit gegenüber anderen Einheiten identifizierbar ist.
Bekannt können zunächst die Klassen von Gegenständen sein, die. in der Kenntnis unterschieden werden, dann nämlich, wenn sie als abgeschlossene Gesamtheiten betrachtet w'erden; vgl. Der Mensch hat Werkzeuge geschaffen / Die Menschen haben Werkzeuge geschaffen. Das Problem der Abgeschlossenheit stellt sich nicht bei solchen Klassen, bei denen die Anzahl der Exemplare, d. h. der zu ihnen gehörigen Einzelgegenstände, festliegt; vgl.: Die Sonne, der Mond, der Himmel, die Planeten, die Pole. Einzelne Gegenstände sind bekannt und voneinander unterscheidbar auf Grund ihrer Eigenschaften und ihrer Beziehungen zu anderen Gegenständen. Das gilt
Bewertung und Gliederung der Information
103
besonders für materielle Gegenstände, die auf Grund ihrer sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften im Bewußtsein als besondere Einheiten abgebildet werden. Wenn sie begrifflich eingeordnet, d. h. als Exemplare bestimmter Klassen abgebildet werden, sichert das vorhandene, sinnliche Abbild ihre Identität gegenüber anderen Gegenständen, die als Exemplare derselben Klassen abgebildet sind. Daher können alle direkt in der Kommunikationssituation gegebenen, von den Kommunikationsteilnehmern wahrnehmbaren Gegenstände als bekannt gelten; vgl. Oib das doch bitte mal her! / Gib mir doch bitte mal den Kasten mit den Schrauben! Selbstverständlich gilt das auch für Pronomina und für Adverbien, die den Bezug auf die Kommunikationssituation herstellen, wie z. B. ich, du, hier, dort usw. (s. o.
1.3.1.).
I n Substantivgruppen, die sich auf Gegenstände beziehen, die durch die Situation bekannt sind, kann anstelle des Artikels auch ein Demonstrativpronomen auftreten: Hast du diesen Brief (/den Brief) schon gelesen?; jedoch nicht: *Dieser Mond geht heute um 6 Uhr unter.
Die Bekanntheit von Gegenständen kann auch auf andere Weise als durch sinnliche Wahrnehmung der Gegenstände begründet sein. Von den verschiedenen Möglichkeiten hierzu soll im folgenden jedoch nur eine betrachtet werden. Die Bekanntheit von einzelnen Gegenständen kann durch sprachliche Mitteilungen begründet sein, die sich auf diese Gegenstände beziehen. Auf Grund der Erwähnung eines solchen Gegenstandes durch den Sprecher „glaubt" der Hörer, daß es diesen Gegenstand gibt (s. u.). Substantivgruppen, die derartige Informationen vermitteln, enthalten weder den Artikel noch ein artikelartiges Pronomen. Aus der Substantivgruppe eine Statue in Bei dieser Ausgrabung wurde eine Statue gefunden ergibt sich die Information, daß an dem Sachverhalt, den der Satz beschreibt, ein bestimmter einzelner Gegenstand beteiligt war, der als Statue charakterisiert ist. Durch die Beteiligung an diesem Sachverhalt ist er innerhalb der Klasse „Statue" als bestimmtes einzelnes Exemplar identifiziert. Ein Satz Die Statue wurde um das Jahr 170 aus Bronze gegossen wäre für sich allein genommen nur interpretierbar, wenn ein als Statue charakterisierbarer Gegenstand in der Situation anwesend wäre. Nimmt man jedoch an, daß die beiden Sätze in einer Äußerung aufeinanderfolgen ( . . . Bei dieser Ausgrabung wurde eine Statue gefunden. Die Statue wurde um das Jahr 170 aus Bronze gegossen ...), dann ist der mit die Statue charakterisierte Gegenstand durch eine Statue im vorangehenden Satz eingeführt. Die Bekanntheit ergibt sich aus der (relativ) eindeutigen Identifizierung desselben Gegenstandes im vorangehenden Satz. Bekanntheit eines Gegenstandes kann sich mithin aus dessen vorangehender Einführung im Kontext ergeben. Der Kontext spielt in diesem Fall die Rolle, die im Fall von situativer Bekanntheit die materielle Umgebung spielt. Gemeinsam ist beiden Fällen auch die Anwendbarkeit von dies- anstelle des Artikels. Bei der Bezeichnung situativ bekannter Gegenstände ermöglicht das Substantiv dem Hörer, den gemeinten Gegenstand unter anderen in der Situation anwesenden
104
1.3. Kommunikativ-pragmatische
Komponente
Gegenständen herauszufinden. I n Substantivgruppen, die sich auf vorher erwähnte Gegenstände beziehen, sichert das Substantiv lediglich das Weiterbestehen des Gegenstandsbezuges : Sowohl der Gegenstand, auf den sich die Gruppe bezieht, als auch seine Klassifizierung sind durch die vorangehende artikellose Substantivgruppe bestimmt. I n diesen Fällen tritt statt der Substantivgruppe auch der / die / das / die oder das Personalpronomen der 3. Person auf. Die anaphorische (zurückverweisende) Beziehung solcher Substantivgruppen zu der Substantivgruppe, die den Bezugsgegenstand in den Äußerungsverlauf einführt, wird vielfach auch T e x t r e f e r e n z genannt.
§ 53
Das zuletzt in § 52 angeführte Beispiel weist auf einen anderen Faktenkomplex hin : Die Kontrolle des Gegenstandsbezugs der Äußerung während ihres ganzen Ablaufs und bei der Verarbeitung der in ihr enthaltenen Information. Die Äußerungen beschreiben Sachverhaltskomplexe, bei denen einzelne Gegenstände in ganz unterschiedliche Teilsachverhalte einbezogen sein können. Der oben (§ 50) erwähnte Gegensatz von linearer Organisation der Äußerung und nichtlinearer Organisation des durch sie vermittelten Abbildkomplexes führt dazu, daß zusammengehörige Informationen in ganz verschiedenen zeitlichen Abschnitten der Äußerung vermittelt werden. Daher kann der Vergleich zwischen der Information, die die Äußerung enthält, mit der Kenntnis, über die der Hörer bereits verfügt, und die eventuelle Aufnahme der Information in den Kenntnisbestand nicht sukzessiv, Abschnitt für Abschnitt, Teilsachverhalt für Teilsachverhalt, vor sich gehen. Der Hörer versucht vielmehr zunächst, die in der Äußerung enthaltene Information, wenn nicht als Ganzes, so doch in mehr oder weniger großen Teilkomplexen zu verarbeiten; diese erst werden auf den Kenntnisbestand bezogen. Zu diesem „Gesamtverständnis" der Äußerung gehört auch die simultane Übersicht über die in den Teilsachverhalten figurierenden Gegenstände samt ihren im Äußerungsverlauf nach und nach auftretenden Charakteristika (vgl. dazu »Aspekte« (1971), S. 145). Diese zeitweilige „Zwischenspeicherung" mindestens einiger Aspekte des Informationsgehalts der Äußerung hat ihr Korrelat in der Planung der Äußerung beim Sprecher. Der Aufbau eines solchen Komplexes wird durch eine kommunikativ-pragmatische Unterscheidung erleichtert, die sich mit der Unterscheidung von Bekanntheit und Nichtbekanntheit des Bezugsgegenstandes teilweise überschneidet. Es wird zwischen solchen Bezugsgegenständen unterschieden, die neu in der Äußerung sind, und solchen, die nicht neu sind. Beim ersten Auftreten in der syntaktisch vermittelten linearen Organisation der Äußerung ist jeder Gegenstand, auf den sich eine Substantivgruppe bezieht, in diesem Sinne neu. Bei jedem weiteren Auftreten ist er nicht neu. Diese Charakterisierung geht auf die Substantivgruppe über und beeinflußt die syntaktische und die phonologische Struktur des Satzes. Das Verhältnis von Neuheit und Bekanntheit läßt sich wie folgt darstellen : a) Bekanntheit durch Vorerwähnung und Neuheit schließen sich aus. Ebenso schließen sich Nichtbekanntheit (artikellose Substantivgruppen) und Nichtneuheit aus. b) Bekanntheit durch die Situation oder durch Bezug auf eine begrenzte
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Darstellung in der Grammatik
105
oder nicht begrenzte Klasse ist sowohl mit Neuheit als auch mit Nichtneuheit vereinbar. c) Eine Ausnahme machen die Substantivgruppen, die sich auf den Sprecher oder Hörer selbst beziehen. Sie gelten immer als nicht neu, da sie zu den Voraussetzungen der Äußerung selbst gehören. § 54
Innerhalb des Satzes bilden sich auf der Grundlage dieser Unterscheidungen zwei Bereiche, die sich überschneiden. Der erste Bereich ist der thematische Bereich (Themabereich). Zu ihm gehören alle Satzglieder, die sich auf eine Einheit beziehen (auf eine Klasse oder einen Gegenstand), die bekannt ist. Dabei spielt die Neuheit oder Nichtneuheit keine Rolle. Zum zweiten Teilbereich, dem rhematischen Bereich, gehören alle Glieder, die sich auf etwas in der Äußerung Neues beziehen. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um etwas Bekanntes oder um etwas Nichtbekanntes handelt. Der Themabereich umfaßt alle die Glieder, die als Thema in Frage kommen, der Rhemabereich diejenigen, die als Rhema erscheinen können. Thema bzw. Rhema eines Satzes werden nach bestimmten Regeln ausgewählt. Vgl. dazu die ausführlichen Darstellungen in Kap. 4.2.4. und Kap. 6.
1.3.5.
Z u r grammatischen Darstellung der kommunikativpragmatischen Struktur
§ 55
In den »Grundzügen« wird weder die semantische noch die kommunikativ-pragmatische Komponente des Systems der deutschen Sprache vollständig und in sich zusammenhängend beschrieben. Das Kap. 1.2. ergibt den Hintergrund, auf dem die semantischen Kommentare und Einzelangaben zur syntaktischen und morphologischen Beschreibung der verschiedenen Faktenbereiche zu verstehen sind. Eine analoge Funktion hat das vorliegende Kap. 1.3. Es soll die Verständnisgrundlage für Ausführungen über die kommunikativ-pragmatischen Fakten und Zusammenhänge herstellen, die in die syntaktische, morphologische und phonologische Beschreibung eingegliedert sind. Der Unterschied zwischen dem Verfahren, das hinsichtlich der Beschreibung semantischer und dem, das zur Beschreibung kommunikativ-pragmatischer Eigenschaften angewendet wird, ergibt sich zum Teil daraus, daß die theoretische Erkenntnis der semantischen Strukturen weiter fortgeschritten ist als die der kommunikativ-pragmatischen. Hauptsächlich ergibt er sich aus einem sachlichen Grund: Die semantischen Eigenschaften der Äußerungen sind mit der syntaktischen Struktur (der Wortgruppen und der Wortstruktur) in einer zusammenhängenden Weise verbunden. Die syntaktischen Grundstrukturen (s. u. 1.5.7.) sind zwar keine direkte „Übersetzung" der semantischen Struktur, in der je eine syntaktische oder morphologische Eigenschaft einer semantischen entspräche. Die Satzbasis (s. u. 1.5.6. und Kap. 2.2.1.) ist aber als Ganzes auf die Wiedergabe der semantischen Struktur hin angelegt. Die kommunikativ-
106
1.3. Kommunikativ-pragmatische
Komponente
pragmatischen Eigenschaften manifestieren sich hingegen In höchst unterschiedlichen Teilstrukturen, sowohl syntaktischen als auch phonologischen, und in ganz unterschiedlicher Weise. Die kommunikativ-pragmatische Struktur hat keinen ähnlich geschlossenen Ausdruck in der Form der Äußerung, wie die semantische. Dies ist einer der Gründe, weshalb die sogenannte Satzintention als ein syntaktischer Repräsentant der kommunikativ-pragmatischen Struktur eingeführt wird. Diese formale Lösung erlaubt es, nicht nur bestimmte Unterschiede in komplexen syntaktischen Strukturen (in denen mehrere Satzbasen auftreten) zu erklären, sie ergibt auch einen ständigen formalen Bezugspunkt für die kommunikativ-pragmatische Beschreibung innerhalb der syntaktischen, morphologischen und phonologischen Beschreibung. In einem Vorgriff auf die Beschreibung der syntaktischen Struktur (s. u. Kap. 2) stellen wir im folgenden den Aufbau der Satzintention dar. § 56
Die syntaktische Form, in der die kommunikativ-pragmatische Struktur repräsentiert ist, ist die sogenannte Satzintention. Die Satzintention ist eine direkte Konstituente des Satzes. Diese Konstituente kann in unterschiedlicher Weise besetzt sein, je nach der kommunikativ-pragmatischen Struktur, die der Satz hat. Von der Besetzung der Satzintention hängen das Auftreten bestimmter Konstituenten (z. B. bestimmter Modaladverbialien) und bestimmter morphologischer Kategorien (z. B. Tempus und Modus) sowie der Eintritt bestimmter syntaktischer Abwandlungen (vgl. z. B. Kap. 4.2.) ab. Außerdem beeinflußt sie die intonatorischen Merkmale des Satzes. Die Unterschiede in der Besetzung dieser Konstituente ergeben sich aber daraus, daß für eine bestimmte Anzahl von Kategorien, die für jeden Satz gelten, jeweils unterschiedliche Werte eintreten. Deshalb hat die Satzintention die allgemeine Form einer Matrix, in der den einzelnen Kategorien jeweils eine Zeile oder eine Folge von Zeilen entspricht. Den Werten, die eingesetzt werden können, entsprechen entweder Kategorien der kommunikativ-pragmatischen Komponente (wie z. B. „Frage") oder Hinweise auf die syntaktischen Repräsentanten von Elementen der semantischen Struktur des Satzes. Die Besetzung der einzelnen Kategorien kann von der Besetzung anderer abhängig sein. Die Matrix hält zunächst die persönlichen und gegenständlichen Bedingungen der Kommunikationssituation fest. Sie hält fest, ob der Sprecher und / oder der Hörer mit einem der Referenten in der semantischen Struktur des Satzes identisch ist. Dabei gilt die Bedingung, daß die semantische Struktur aussagt, daß es sich um Personen handelt. I n die entsprechenden Plätze der Matrix gehen also die Bezeichnungen derjenigen Satzglieder ein, die den entsprechenden Referenten syntaktisch vertreten.
Unabhängig davon, ob Sprecher und Hörer selbst in der semantischen Struktur als etwas Beschriebenes erscheinen, wird ihre gegenseitige soziale Beziehung festgelegt (näheres dazu in 1.3.1.). Sodann ist die zeitliche und räumliche Beziehung zwischen dem in der seman-
Inhalt von Äußerungen
und
Zeicheninhalt
107
tischen Struktur beschriebenen Sachverhalt und der Kommunikationssituation anzugeben. .Für die zeitliche Einordnung ist das Verhältnis zur Zeit des Sprechakts maßgebend {Gleichzeitigkeit, Vorzeitigkeit, Nachzeitigkeit oder Neutralität). Falls im Satz mehrere zeitabhängige Strukturen vereinigt sind, muß jede v o n ihnen in dieser Weise bewertet werden. Analoges gilt für die räumliche Einordnung. Vgl. hierzu 1.3.1.
Ein weiterer Teilkomplex der Satzintention hängt mit der Art der Verarbeitung der Satzbedeutung zusammen, die der Sprecher intendiert („kommunikative Intention"). Der Satz kann in allen Fällen als Aussage spezifiziert sein. Er kann ferner als Frage spezifiziert sein und zwar als Entscheidungsfrage oder als Ergänzungsfrage. Die Spezifikation als Ergänzungsfrage ist aber nur möglich, wenn entweder ein semantisches Argument unspezifiziert geblieben ist {wer?, was?, welcher?, wo?, wie?, wann? usw.) oder ein semantisches Prädikat variabel ist (was für ein?). Die Kategorie „Ergänzungsfrage" kann also nicht einfach positiv entschieden werden. Sie muß, falls sie nicht verneint ist, durch die Angabe des Elements des Satzes besetzt werden, das zu ergänzen ist. Eine weitere Bedingung, die für Frage und Aufforderung gilt, besteht darin, daß in d e m Satz keine neuen spezifischen Referenten eingeführt werden können (vgl. dazu Kap. 2.3.1.1., § 11).
Für den im Satz dargestellten Sachverhalt muß angegeben sein, ob ihn der Sprecher für tatsächlich gegeben hält, oder ob er ihn nur vermutet. Bei den Vermutungen kann größere oder geringere Gewißheit markiert sein. Es ist außerdem anzugeben, ob der Sprecher den Sachverhalt für real oder für irreal hält. Zur Stellungnahme gegenüber dem dargestellten Sachverhalt gehört noch die Identifizierung mit der Aussage oder die Distanzierung von ihr (s. o. 1.3.3.). In einem weiteren Komplex von Festlegungen müssen die in der Satzbedeutung auftretenden Referenten nach ihrer (mutmaßlichen) Bekanntheit oder Nichtbekanntheit für den Hörer, sowie nach ihrer Neuheit oder Nicht-Neuheit in der Äußerung spezifiziert werden. Entsprechend den dabei gegebenen Bedingungen werden der Themabereich und der Rhemabereich des Satzes festgelegt (s. o. 1.3.4.). Z u m Begriff des Inhalts und z u m Zeichenverhältnis bei morphologischen Kategorien Die semantischen Eigenschaften (die Bedeutung) der Äußerung und die kommunikativ-pragmatischen Eigenschaften, die sie aufweist, bilden zusammen den Inhalt der Äußerung. Bei diesen Eigenschaften handelt es sich um Eigenschaften des Bewußtseinsinhalts, der mit der Äußerung verbunden ist. Er geht mit einem Teil seiner Eigenschaften in die Äußerung ein (s. dazu 1.2., § 1), so daß der Inhalt der Äußerung eine Verbindung darstellt aus a) einem rationalen, nach Aufbau und Bestandteilen gesellschaftlich normierten Abbild eines Sachverhalts (oder Komplexes von Sachverhalten) der Wirklichkeit und b) einer gleichfalls nor-
1.4. Inhalt der Äußerung und Zeichenirihalt mierten u n d auf bestimmte Kategorien eingeschränkten Widerspiegelung t o n Voraussetzungen und Bedingungen des Kommunikationsvorganges. Die inhaltlichen Eigenschaften der Äußerungen u n d die Strukturschichten der Äußerung, auf denen sie jeweils beruhen, sind durch die semantische bzw. die kommunikativpragmatische K o m p o n e n t e des Sprachsystems determiniert. Diese K o m p o n e n t e n geben die Regeln u n d Einheiten vor, aus denen sich die entsprechenden Schichten in der S t r u k t u r der Äußerung ergeben. Die Besonderheiten der kommunikativ-pragmatischen Struktur gegenüber der semantischen bestehen in folgendem: a) Die kommunikativ-pragmatische S t r u k t u r setzt die Existenz der s e m a n tischen voraus. b) W ä h r e n d die semantischen S t r u k t u r e n über eine sehr große Vielfalt a n Charakterisierungsmöglichkeiten verfügen u n d daher von Äußerungstyp zu Äußerungstyp völlig verschieden sein können, sind die Möglichkeiten der k o m munikativ-pragmatischen Charakterisierung auf relativ wenige Rollen u n d Beziehungen eingeschränkt, die die Bezugsgegenstände im R a h m e n eines vorgegebenen Ausschnitts aus dem inneren Modell des Kommunikationsvorgangs innehaben können. c) W ä h r e n d die P r ä d i k a t e der semantischen S t r u k t u r — entsprechend dem Zweck, die Realität widerzuspiegeln — relativ frei anwendbar u n d kombinierbar sind (zu Einschränkungen s. 1.2., § 28), müssen die Kategorien der k o m m u n i k a t i v pragmatischen K o m p o n e n t e obligatorisch angewendet werden u n d können n u r in ihrer Spezifikation variieren. Sie bilden strikt begrenzte Paradigmen — vgl. §60. d) Die Kategorien, die in den kommunikativ-pragmatischen S t r u k t u r e n auf" treten, beziehen sich auf die Äußerung selbst oder auf ihre semantische S t r u k t u r . Die semantische S t r u k t u r bezieht sich hingegen auf die Wirklichkeit außerhalb der Äußerung. Der I n h a l t der Äußerungen ergibt sich daraus, d a ß die Argumente oder bestimmte Teilstrukturen oder die semantische Struktur insgesamt mit den Kategorien verbunden werden, die in der kommunikativ-pragmatischen Struktur realisiert sind. Das k a n n dadurch geschehen, daß die kommunikativ-pragmatischen K a t e gorien direkt in bestimmte Teilstrukturen der semantischen K o m p o n e n t e eingehen: F ü r jedes Argument innerhalb der semantischen S t r u k t u r wird die Redeperson festgelegt. W e n n der betreffende Referent mit einer Person identisch ist, auf die die Kategorien .Sprecher' bzw.,Angesprochener' der kommunikativ-pragmatischen S t r u k t u r referieren, d a n n erhält d a s betreffende Argument zusätzlich zu seinen semantischen P r ä d i k a t e n das P r ä d i k a t , Sprecher der Äußerung' bzw. ,Angesprochener'. Alle übrigen Argumente erhalten das P r ä d i k a t ,besprochen'.
Zeichenverhältnis
in der Äußerungsstruktur
109
Trotzdem gehört auch, in Fällen, wo kein einziges der Argumente der semantischen Struktur als Sprecher oder Angesprochener] ausgezeichnet wird, die Spezifikation des Sprechers und des Angesprochenen sowie ihrer gegenseitigen Beziehungen zum Inhalt der Äußerung. Ähnlich verhält es sich im Fall der~~Zeiteinordnung. Als zeitlicher Bezugspunkt t eines in einer Proposition dargestellten Sachverhalts dient ein anderes Ereignis (ein anderer Sachverhalt) oder ein Zeitabschnitt einer normierten Zeitskala. Als ein solches Ereignis kann auch die Äußerung U selbst figurieren. D a s ist der Fall, wenn für eine Proposition oder einen Komplex v o n Propositionen t nicht spezifiziert ist. Wenn t spezifiziert ist, ergeben sich jeweils zusätzliche Zeitbeziehungen gegenüber U: t liegt vor oder nach U oder fällt mit U zusammen.
Mindestens Teilstrukturen (in manchen Fällen auch die gesamte semantische Struktur) wer'den zum Argument kommunikativ-pragmatischer Kategorien, die die Glaubhaftigkeit oder die Gewißheit von Sachverhalten bewerten. Dasselbe gilt für die Auszeichnung durch kommunikativ-pragmatische Intentionen wie ,Aussage', ,Frage' oder ,Aufforderung'. Sie h a t als Argument die gesamte semantische Struktur (Es regnet / Regnet es?) oder zumindest Teilkomplexe von ihr. Die semantische Struktur kann als der Inhalt der Nachricht, als Ganzes bezüglich ihrer Funktion in den Beziehungen zwischen Sprecher u n d Angesprochenem bewertet werden. Eine Aussage z. B. kann als vertrauliche Mitteilung oder als offizielle Bekanntgabe ausgezeichnet sein. Eine Aufforderung kann in den kollegialen Beziehungen zwischen Sprecher und Angesprochenem begründet sein (Rück doch mal ein Stück zur Seite!), oder sie kann auf der Ebene der dienstlich-offiziellen Beziehungen (als Anweisung oder als Anordnung) fungieren. Eine solche mit der gesamten semantischen Struktur verbundene Auszeichnung hat in vielen Fällen Auswirkungen auf die lexikalischen, syntaktischen und phonologischen Eigenschaften der Äußerungen. Sie gehört zum Inhalt der Äußerung. Die Regeln des Sprachsystems bestimmen auch, wie die beiden zum Bereich des Inhalts gehörigen Schichten der Äußerungsstruktur mit der syntaktischen und der phonologischen Struktur verbunden sind. Die inhaltlichen Strukturen fallen keineswegs mit der lautlichen und syntaktischen Gliederung der Äußerungen zusammen, und zwischen den Unterschieden in den syntaktischen u n d phonologischen Strukturen der Äußerungen einerseits und den inhaltlichen Unterschieden, die zwischen den Äußerungen bestehen, gibt es keinen eindeutigen Zusammenhang. Trotzdem bilden die syntaktische und die phonologische Struktur zusammen gegenüber dem Inhalt so etwas wie einen komplexen, auf sehr vielfältige Weise organisierten Zeichenkörper, und es ist ihre Funktion, den Inhalt fixierbar und f ü r andere verfügbar zu machen. Die semantischen und die kommunikativ-pragmatischen Eigenschatten bilden einen sehr fest verbundenen Komplex z. B. in der Determination des Substantivs bzw. der Substantivgruppe (vgl. K a p . 2.3.1.1.), wo die verschiedenen semantischen Klassen von Referenten und die kommunikativ-pragmatische K a t e gorisierung nach Bekanntheit und / oder Neuheit an denselben Apparat von Bezeichnungsmitteln (Artikel, andere artikelartige Pronomina, Zahladjektive
110
1.4. Inhalt der Äußerung und Zeicheninhalt
und -pronomina u. dgl.) gebunden sind. Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Schichten der Struktur der Äußerungen zeigt sich — wenn auch in einfacherer Weise und keineswegs in allen Aspekten — in den zum Lexikon der Sprache gehörigen Einheiten, den Wörtern und Morphemen. Das ist offenkundig bei solchen Einheiten wie du, ich, Sie, hier, dort, jetzt usw., und z. B. auch bei den Konjunktivmorphemen des Verbs. Bei diesen Einheiten sind jeweils semantische und kommunikativ-pragmatische Charakteristik mit einer syntaktischmorphologischen und einer phonologischen verbunden. Es gilt aber auch, wenn auch in weniger offenkundiger Weise, bei Wörtern wie z. B. Schreiben (gegenüber Brief), Gattin (gegenüber (Ehe-)Frau), weilen (gegenüber sich aufhalten), die außer den semantischen auch besondere kommunikativ-pragmatische Eigenschaften haben. Der Begriff des Inhalts ermöglicht es, verschiedenartige, mit der Verbindung von Sprache und Bewußtsein zusammenhängende Eigenschaften von Äußerungen und bestimmten Teilen von Äußerungen zusammenzufassen, zugleich aber die notwendige Unterscheidung von semantischen und kommunikativ-pragmatischen Eigenschaften aufrechtzuerhalten. §60
a) Im Tempus-Modus-System des Verbs, im Numerus und (z. T. auch) im Genus der Substantiva und der substantivischen Pronomina, in den Personen der Personalpronomina und in anderen Fällen treten Flexionsmorpheme oder Wortformell auf, die jeweils untereinander Paradigmen bilden. Paradigmen sind Klassen von Einheiten, die alternativ an jeweils einem bestimmten Platz der Struktur auftreten. Es gibt inhaltliche, syntaktische, morphologische und phonologische Paradigmen.
In den genannten Fällen stehen sich Morpheme, Zeicheneinheiten also, gegenüber. Zu den komplizierten Verhältnissen, in denen sich die Glieder der verschiedenen Paradigmen von Plexionsmorphemen auf die Wortformen und ihre Flexionsendungen verteüen, vgl. die entsprechenden Abschnitte von Kap. 3.
Die Koppelungen der unterschiedlichen Einheiten der verschiedenen Paradigmen mit den Basismorphemen ergeben die'unterschiedlichen Wortformen (vgl. z. B. den Nominativ singularis von Haus, den Dativ pluralis des Personalpronomens der 1. Person (uns), den Konjunktiv I des Perfekts von gehen (sei gegangen) usw. usf.). Die Morpheme (bzw. die mit ihnen gebildeten Wortformen) sind mit inhaltlichen Einheiten verbunden, die ihrerseits Paradigmen bilden (die semantischen Unterschiede zwischen Singular und Plural, die kommunikativpragmatischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Redepersonen usw.). b) Die Morpheme (bzw. die Wortformen) der jeweiligen Paradigmen stehen zueinander in Opposition, d. h. sie teilen die Einheiten des mit ihnen verbundenen inhaltliehen Paradigmas in spezifischer Weise unter sich auf. .Ein wichtiger Sonderfall ist der der privativen Opposition. Sie besteht z. B. zwischen den Einheiten des Numerus-Paradigmas, zwischen Konjunktiv und Indikativ des Verbs, zwischen Präteritum und Präsens und in vielen anderen Fällen. In einer privativen Opposition ist eins der Glieder merkmalhaft, das heißt auf eine be-
Zeichenverhältnis bei morphologischen Kategorien
111
stimmte Einheit des inhaltlichen Paradigmas fixiert: Substantiva im Plural bezeichnen (in einer Variante) etwas Vielzahliges; Verben im Konjunktiv I I besagen, daß es sich bei dem im Satz beschriebenen Sachverhalt um etwas Gedachtes, nur bedingt Wirkliches handelt; Verben im Präteritum besagen, daß der beschriebene Sachverhalt in die Zeit vor dem Kommunikationsvorgang fällt, usw. Das merkmallose Glied eines solchen privativ-oppositiven Paradigmas ist demgegenüber nicht spezialisiert. Der Singular des Substantivs bezeichnet etwas einzahlig o d e r etwas vielzahlig Vorhandenes, der Indikativ des Verbs bezieht sich auf uneingeschränkt Wirkliches oder auf Gedachtes, nur bedingt Wirkliches, das Präsens bezeichnet Nicht-Vergangenes o d e r Vergangenes. (20a)
(Singular für Vielzahl:) Ein solcher Fall / Jeder solche Fall gehört vor die Konfliktkommission ( = Solche Fälle gehören ...)
(20b)
(Indikativ für Gedachtes, nur bedingt Wirkliches:) Er hat das Examen bestanden, aber zuletzt hat er beinahe (= zuletzt hätte er beinahe aufgegeben)
(20c)
aufgegeben
(Präsens für Vergangenes:) Im Frühjahr 1525 erheben sich im ganzen mittleren und oberen Deutsch. land die Bauern (= ... erhoben sich . . . die Bauern)
c) Diese und viele ähnliche Beziehungen in Paradigmen werden oft als „Bedeutungsoppositionen" bezeichnet. Bereits die wenigen hier angeführten Beispiele zeigen jedoch, daß sich das Oppositionsverhältnis keineswegs nur auf semantische, sondern auch auf kommunikativ-pragmatische inhaltliche Einheiten bezieht, so daß der Ausdruck „Bedeutungsoppositionen" als allgemeiner Terminus nicht berechtigt ist. Es zeigt sich jedoch, daß auch der Ausdruck „inhaltliche Oppositionen" noch zu eng ist, um alle oppositiven Zeichenverhältnisse zu erfassen. Im Kasusparadigma des Deutschen bestehen z. B. Oppositionsverhältnisse zwischen Einheiten, die weder Eigenschaften von Gegenständen und Erscheinungen der Wirklichkeit beschreiben noch derartige Beschreibungen mit Kategorien des inneren Modells des Kommunikationsvorgangs in Beziehung setzen. Die Kasus teilen im Rahmen eines mehrstufigen Oppositionsverhältnisses die Identifizierung der syntaktischen Funktionen von Substantivgruppen unter sich auf (s. dazu Kap. 3.2.). Die Zeichenbeziehung, die hier vorliegt, gehört zu denjenigen, die im Rahmen des Gesamtmechanismus der für die natürlichen Sprachen charakteristischen Zeichenbeziehung eine untergeordnete, „technische" Funktion haben (s. dazu 1.1., §4). Die einander oppositiv gegenüberstehenden Einheiten des Kasusparadigmas haben also keine Bedeutung und keinen Inhalt in dem in den Abschnitten 1.2. — 1.4. entwickelten Sinne. Ähnlich wie mit dem Ausdruck „Bedeutungsopposition" verhält es sich mit Ausdrücken wie „grammatische Bedeutungen", „Bedeutung grammatischer Einheiten" usw. Sie setzen gleichfalls einen erheblich weiteren, alle m ö g l i c h e n
1.5. Syntaktische
Komponente
A b s t u f u n g e n des sprachlichen Zeichenverhältnisses einschließenden Bedeutungsbegriff voraus. d) Das Faktum, daß sich in den Paradigmen (besonders der morphologischen Einheiten der Wortstruktur) jeweils im Anwendungsbereich spezialisierte und im Anwendungsbereich nicht-spezialisierte Formen gegenüberstehen, ist nicht zu leugnen. Es gibt jedoch z. T. sehr unterschiedliche Deutungen der Fakten und dementsprechend verschiedene Auffassungen des Oppositionsverhältnisses. Näheres dazu ist dem Kap. 3.0. zu entnehmen.
Die syntaktische Komponente Die syntaktische Komponente im Sprachsystem und in der Grammatik Als Bestandteil des Sprachsystems betrachtet, umfaßt die syntaktische Komponente die Gesamtheit der Regelmäßigkeiten, die die Zuordnung von Lautstrukturen und Bedeutungsstrukturen innerhalb des Satzes bestimmen. (Über „Satz" / „Text" vgl. 1.5.6.) Auf der Ebene der Grammatik, d. h. auf der Ebene der wissenschaftlichen Beschreibung des Sprachsystems, werden diese Regelmäßigkeiten in der syntaktischen Komponente der Grammatik sowie durch die Beziehungen dieser Komponente zu anderen Komponenten der Grammatik dargestellt. Die Beschreibung syntaktischer Eigenschaften von Äußerungen ist unterschiedlich je nach den vorausgesetzten Grundannahmen über Form und Aufgaben der Grammatik und je nach Kenntnisstand der Autoren. Die im folgenden vorgeschlagene Auffassung über den Aufbau und die Funktionsweise der syntaktischen Komponente ist somit eine unter mehreren möglichen Varianten. Welche Angaben muß eine Beschreibung der syntaktischen Struktur von Äußerungen enthalten? Die Antwort auf diese Frage muß die in 1.1. allgemein formulierte Feststellung, die Struktur der einzelnen Äußerung werde bestimmt durch die Gesamtheit der Einteilungs-, Verknüpfungs- und Zuordnungsweisen, die das Sprachsystem ausmachen, präzisieren. Diese Aussage wird nun in Hinblick auf die Syntax in eine Reihe spezieller Aussagen zerlegt. Eine vollständige Beschreibung der syntaktischen Struktur einer Äußerung besteht dann aus einer Menge von Aussagen, die die syntaktischen Eigenschaften der Äußerung in die sie bestimmenden Systemzusammenhänge einordnet. Wenn wir die Einheiten „Wort" und „Satz" zunächst als gegeben betrachten (in 1.5.6. folgen einige Präzisierungen und Modifizierungen dieser Begriffe), dann kann man die syntaktische Komponente in erster Näherung charakterisieren als die Gesamtheit der Regeln, die festlegen, wie die Wörter innerhalb der Sätze verknüpft sind, so daß der Aufbau von Satzbedeutungen aus verknüpften Wortbedeutungen auf der syntaktischen Seite eine Entsprechung hat. Die einzelnen Gesichtspunkte, nach denen ein Satz syntaktisch charakterisiert werden muß, sollen anhand von Beispielen verdeutlicht werden. I n vielen
Syntaktische Komponente im System und in der Grammatik
113
Grammatiken werden zwei grundsätzlich .verschiedene .Klassen von Begriffen für die Beschreibung der Syntax benutzt: Wortarten: Satzglieder:
Substantiv, Verb, A d j e k t i v , . . . Subjekt, Objekt, P r ä d i k a t i v , . . .
Durch diese beiden Klassen von Begriffen werden syntaktische Aspekte erfaßt, auf die keine Beschreibung verzichten kann. Wir werden die Unterscheidung von Wortart (oder Wortklasse) und Satzglied ebenfalls benutzen; die Untergliederung der beiden Klassen syntaktischer Begriffe wird in Kap. 2 und 3 beschrieben. Was aber in vielen Grammatiken fehlt, ist der für die Syntax zentrale Aspekt des Z u s a m m e n h a n g s zwischen Wortart und Satzglied in der Gliederung des Satzes. Die Kennzeichnung von Wortart und Satzglied ist zwar notwendig, aber nicht hinreichend für eine Beschreibung der Regeln, nach denen die Wörter in den Sätzen kombiniert sind. Die Begriffe „Wortart" und „Satzglied" sind zu ergänzen durch einen weiteren Begriff: Syntaktische Konstituenten Eine Beschreibung, die innerhalb eines Satzes die Wörter in verschiedene syntaktische Kategorien (Wortklassen) einordnet, bestimmte G r u p p e n von Wörtern aber nach ihrer syntaktischen Funktion- als Satzglieder bestimmt, wird den Tatsachen in zweierlei Hinsicht nicht gerecht: „Wortklasse" und „Satzglied" sind Begriffe unterschiedlichen Typs, und zwischen einem Element einer bestimmten Wortklasse und einem Satzglied besteht keine einfache und direkte Zuordnung. Der Zusammenhang zwischen ihnen ist ein mittelbarer, er wird hergestellt über die Charakteristik von Satzabschnitten als syntaktische Konstituenten. Im einzelnen wird das in 1.5.5. und in Kap. 2.1. begründet. Im folgenden wird der Begriff „syntaktische Konstituente" erläuternd eingeführt. Von Anfang an ist zu beachten, daß Konstituenz kein einfaches Merkmal eines Satzabschnittes ist, sondern daß der Begriff „Konstituente" mehrere, im Sinne der Kombinationsprinzipien grundlegende Eigenschaften, wie Reihenfolge und Hierarchie umfaßt. Wir nehmen vorläufig an, daß Wörter Grundelemente der syntaktischen Komponente sind, Elemente, die in unterschiedlicher Weise kombiniert werden können. Es sei auch vorgegeben, daß die syntaktischen Elemente linear geordnet sind. Wir bringen einige für unsere Zwecke zusammengestellte Wörter in verschiedene Anordnungen und wählen unter ihnen die syntaktisch korrekten aus. „Syntaktisch korrekt" sind diejenigen Sätze, die keine Abweichungen von den gültigen syntaktischen Regeln des Deutschen aufweisen. Da diese Regeln nicht einfach vorausgesetzt werden können, sondern zum Teil erst zu ermitteln sind, ist es notwendig, an die Sprachfähigkeit deutscher Sprecher zu appellieren, die das Erkennen von Abweichungen einschließt. Systematische Veränderungen von Wortketten, wie Umstellungen, Ersetzungen, Weglassungen u. a. m., sind geeignet, syntaktische Regelmäßigkeiten zu erschließen. Wenn die Materialgrundlage hinlänglich erweitert wird, gelangt man zu Annahmen über das System der syntaktischen Regeln einer Sprache.
8 Deutsche Gramm.
114
1.5. Syntaktische Komponente
1.5.1.
Reihenfolgebeziehungen
§ 63
Gegeben sei folgende Liste von Wörtern: (21)
auf, dem, die, gern, Katze, schläft, Sofa
Wir nehmen unsere Kenntnis als Sprecher des Deutschen in Anspruch, wenn wir sagen, daß in (22)
Die Katze schläft gern auf dem Sofa
die Wörter in einer syntaktisch zulässigen Weise geordnet sind und einen syntaktisch korrekten Satz ergeben. Andere Anordnungen der gleichen Wörter haben unterschiedliche Wirkungen, das können wir an den folgenden Umstellproben beobachten: (23a) (23b)
Auf dem Sofa schläft die Katze gern Gern schläft auf dem Sofa die Katze
Die Umstellungen in (23) ergeben wieder korrekte Sätze, die Bedeutung von Satz (22) wird nicht verändert. Die Sätze in (23) sind mithin synonym mit (22), d. h. sie sind Paraphrasen von (22). (24)
Die Katze auf dem Sofa schläft gern
Auch diese Abfolge von Wörtern ist zulässig, ergibt aber einen Satz mit einer von (22) verschiedenen Bedeutung. (25)
Gern schläft die Katze auf dem Sofa
Die gleichermaßen zulässige Wortfolge in (25) ist mehrdeutig, sie ist in einer Bedeutung synonym mit (22) und in einer zweiten mit (24). Es können weiterhin Abfolgen entstehen, die bedingt zulässig sind, wenn sie in spezifischer Weise interpretiert werden können, z. B. als IVagesatz oder als Nebensatz: (26a) (26b) (27a) (27b) (27c)
Schläft die Katze gern auf dem Sofa (?) (Wenn) die Katze gern auf dem Sofa schläft (behalten wir es) lScMäft gern die Katze auf dem Sofa? **Sofa gern Katze dem, schläft auf die **Schläß auf die Katze gern dem Sofa?
Die Abfolgen in (27) sind unzulässig und ergeben (in unterschiedlichem Grade) abweichende Sätze. Es zeigt sich, daß es Teilfolgen von Wörtern gibt, die unter keinen Umständen auseinandergenommen oder umgeordnet werden dürfen (in unserem Beispielsatz sind das die Katze und auf dem Sofa). Jede Veränderung ergibt hier unsinnige Wortreihen, wie in (27b) und (27c) (mit ** gekennzeichnet). Wir können festhalten: — Nicht jede beliebige Reihenfolge von Wörtern ergibt einen korrekten Satz (vgl. (27)). — Ein und dieselbe Bedeutung kann durch verschiedene Wortfolgen ausgedrückt werden (vgl. (22) und (23)). — Ein und dieselbe Wortfolge kann verschiedene Bedeutungen ausdrücken (vgl. (25)).
j
Reihenfolgebeziehungen
115
— Das Verb schläft hat eine Sonderstellung inne: Jede erlaubte Umstellung dieses Wortes verändert die Satzart (vgl. (22) und (26)). — Einige Teilfolgen dürfen unter keinen Umständen in ihrer Anordnung verändert werden. Die Bestandteile solcher Teilfolgen gehören offenbar enger zusammen als die Teilfolgen untereinander. — Die Wörter müssen also unterschiedliche Eigenschaften haben. Auf Grund dieser Eigenschaften, die syntaktischer, semantischer und morphologischer Natur sein können, sind sie in verschiedene Wortklassen einzuordnen. Für den vorliegenden Zweck müssen wir von den fünf vorkommenden Wortklassen die Klassen Substantiv, Verb, Adverb und Präposition nicht rechtfertigen — das geschieht in Kap. 3 — und bezüglich der Einordnung der Wörter der Liste (21) in diese Klassen herrscht allgemeine Übereinstimmung. Anders steht es um die Lexeme die und dem. Bis zu einer ausführlichen Argumentation in Kap. 2 und 3, weshalb sie in die Klasse der Pronomina einzuordnen sind, gebrauchen wir die übliche Bezeichnung „Artikel". Man kann nun annehmen, daß z. B. die syntaktisch korrekten Aussagesätze in den Beispielen hinreichend durch ein Schema beschrieben werden können, das die engere Zusammengehörigkeit durch Klammerung kennzeichnet und statt der Wörter nur deren entsprechende Wortklassenkennzeichnung enthält. Für die Wortklassennamen benutzen wir folgende Symbole: Substantiv: Sb Verb: V Adverb: Adv
Artikel: Präposition:
Art Präp
Das Schema hat die folgende Form: Für (22): Die, (a) (Art Für (24): Die (Art (b) Fin- (25): Gern Adv ie)
Katze Sb)
schläft V
gern Adv
Katze Sb)
auf (Präp
dem Art
schläft V
die (Art
Katze Sb)
auf (Präp Sofa Sb)
dem Art schläft V
auf (Präp
Sofa Sb) gern Adv dem Art
Sofa Sb)
Die Abb. 1 stellt einen ersten wichtigen Verallgemeinerungsschritt dar: Die Symbole stehen nicht nur für die Wörter der Liste (21), sondern für jedes Element der durch die Symbole bezeichneten Wortklassen. Auf diese Weise sind auch andere passende Elemente aus jeder Wortklasse der Abb. 1 einsetzbar, für (a) etwa: (28)
Die Mäuse piepsten in der Nacht
Abb. 1 repräsentiert somit nicht nur die Sätze (22), (24) und (25), sondern eine Klasse von Sätzen mit den gleichen Eigenschaften. Abb. 1 trägt durch die Klam8*
116
1.5. Syntaktische
Komponente
merung außerdem ansatzweise der Tatsache Rechnung, daß es neben der linearen Abfolge von Wörtern ( = Reihenfolgebeziehungen) auch Beziehungen gibt) durch die Wörter zu Gruppen und diese wiederum zu komplexeren Gruppen zusammengefaßt werden ( = hierarchische Beziehungen). 1.5.2.
Hierarchische Beziehungen
§ 65
Abb. 1 ist aber eine aus mehreren Gründen ungenügende Darstellung der syntaktischen Struktur von Sätzen. Sie kann wichtige, schon bei den Umstellproben gewonnene Erkenntnisse über syntaktische Eigenschaften nicht erfassen. So ist aus Abb. 1 nicht erkennbar, daß eine Wortfolge unterschiedliche Bedeutungen hat, die sich in der unterschiedlichen syntaktischen Gruppierung der Teilfolgen zeigen. Dem kann durch eine weitere Klammerung abgeholfen werden, so daß (25) zwei Beschreibungen und (24) eine um eine Klammerung bereicherte Beschreibung bekommt: Für (24): Die
Sb)
Oern Adv Adv
schläft V V
(b'j Für (25) : (c) (C)
Katze
((Art
auf (Präp die (Art ((Art
dem
Sofa
schläft
Art
Sb))
V
Katze Sb) Sb)
auf (Präp (Präp
dem Art Art
gern Adv Sofa Sb) Sb))
Die Berechtigung dieser zusätzlichen Klammer kann wieder durch einige Proben nachgewiesen werden. Ersatzprobe: Eine durch Klammerung zusammengefügte Teilfolge kann als Ganzes durch ein einziges Wort (ein Pronomen oder Pro-Adverb) ersetzt werden. Unter bestimmten Kontextbedingungen ist der Satz (29)
Sie schläft gern
synonym mit (24), die Teilfolge die Katze auf dem Sofa in (24) ist somit als zusammengehörig verstanden. Ebenso kann im Hinblick auf die zwei Bedeutungen von (25) die Folge Gern schläft sie nur auf die Satzbedeutung gemäß der Beschreibung (c'), nicht aber der Beschreibung (c) in Abb. 2 bezogen werden. Die Weglaßprobe bestätigt die Zusammengehörigkeit. Vgl. die Sätze: (22) (24) (30)
Die Katze schläft gern auf dem Sofa Die Katze auf dem Sofa schläft gern Die Katze schläft gern
Wenn (30) Reduktionsresultat von (24) ist, dann kann (30) auch wie (24) verstanden werden, da (30) aus (24) logisch folgt (vgl. dazu 1.2.). Ist (30) hingegen Reduktionsresultat von (22), dann bestehen keinerlei Bedeutungsabhängigkeiten zwischen (22) und (30), (30) kann also (22) nicht ersetzen. Daraus folgt, daß die Katze und auf dem Sofa in (24) enger zusammengehören als in (22). Sie bilden zusammen eine Konstituente.
{
Hierarchische
§ 66
117
Beziehungen
Zuletzt wollen wir ein Beispiel anführen, das zeigt, wie der Hauptschnitt in einem Satz begründet werden kann, wie die schon gewonnenen Konstituenten durch Klammerung zu noch komplexeren Konstituenten zusammengefaßt werden bis hin zu „Satz". Es geht speziell darum, mit welcher Konstituente das Verb zusammengefaßt werden soll. Am Beispiel (31)
Die Katze entdeckt die Maus
soll ermittelt werden, welche der beiden möglichen Klammerungen die Struktur des Satzes angemessen beschreibt: Abb. 3
(a) (b)
(Art Sb) ((Art Sb)
(V V)
(Art (Art
Sb)) Sb)
E s gibt theoretisch eine weitere Möglichkeit der Klammerung, nämlich (Art Sb) (V) (Art Sb). Sie ist aber insofern von geringem Interesse als sie einfach die lineare Anordnung der gewonnenen Konstituenten wiedergibt, nicht aber eine Strukturierung, auf die das Verhalten der Konstituenten bei verschiedenen Proben doch hinweist.
Bei (a) der Abb. 3 ergibt die Probe auf Ersatz (Substitution) der das Verb enthaltenden Klammer (die andere bleibt konstant) durch größere oder kleinere Wortfolgen korrekte Sätze, z. B . : (32)
(Die (" (" (" ("
Katze) " ) " ) " ) " )
(entdeckt die Maus) (joQt die Maus) (schläft gern auf dem, Sofa) (kommt geschlichen) (gähnt)
Anders bei (b) von Abb. 3: (33)
(Die Katze entdeckt) ( Sie jagt) *(Die Katze schläft) (gern auf dem Sofa) *(Die Katze kommt) (geschlichen) *( Sie gähnt)
4
(die (die (die (die (die
Maus) Maus) Maus) Maus) Maus)
Es zeigt sich, daß die Wahl der dem Verb folgenden Konstituenten von der Subklasse des Verbs abhängt und entsprechend variiert, während für die Wahl der dem Verb vorangegangenen nur ein Konstituententyp in Frage kommt (die Katze und sie gehören in diesem Sinne demselben Typ an). Die Klammerung (b) gibt nicht die dafür angemessene Beschreibung, (a) hingegen gibt den Tatbestand wieder, daß die dem Verb folgenden Konstituenten enger mit ihm verbunden sind und von ihm abhängen (vgl. auch 1.5.4.). Für eine engere Verbindung von Verb und den folgenden Konstituenten sprechen auch die folgenden Sätze, wo in entspechender Umgebung und unter einigen Veränderungen Verb und Folgekonstituenten allein vorkommen können: (34)
(Peter befahl der Katze), (Peter sah die Katze) (Die Katze sprang aufs Sofa),
die MaUs zu jagen angeschlichen kommen um dort zu schlafen
118
1.5. Syntaktische Komponente
§ 67
Konstituenten sind, verallgemeinernd gesagt, solche Satzabschnitte, die auf Grund von Verfahren wie Weglaß-, Ersatz-, Umstellproben u. dgl. als jeweils relative Ganzheiten ermittelt werden. Die ermittelten Zusammenfassungen von Konstituenten zu immer komplexeren reichen bis zur Einheit „Satz". Entsprechend systematisch angewandt liefern solche Verfahren dann umgekehrt eine Klassifikation begründeter Zerlegungsmöglichkeiten eines Satzes. Wir werden fortan den Satz in Konstituenten zerlegen und diese mit Kategoriennamen versehen. Weiter zerlegbare Konstituenten nennen wir Wortgruppen. Die Klammer, die beispielsweise die Konstituente die Katze in (22) umschließt, wird durch SbG (Abkürzung für Substantivgruppe) am Anfang und am Ende indiziert, die Klammer, die auf dem Sofa umschließt, wird durch PräpG (Abkürzung für Präpositionalgruppe) indiziert. Das ergibt für die Teilfolge die Katze auf dem Sofa nach allem die Repräsentation
Abb. 4
sba(sbG(Art
Sk) SbGEräpG (Präp Art Sb) PräpG ) sbG
Damit ist gesagt, daß der Ausdruck in Abb. 4 den gleichen Kategorienstatus wie die Repräsentation der einfachen SbG die Katze hat, nur eine andere interne Struktur. Diese Darstellungsform, die wir nur an einem Teilabschnitt eines Satzes demonstriert haben, heißt indizierte Klammerung. Eine der indizierten Klammerung äquivalente Form der Darstellung ist die des Baumdiagramms (oder Stammbaums). Eine andere, in Kap. 4 benutzte, ebenfalls äquivalente Darstellungsform ist die eines sog. Kastendiagramms. Ein Klammerausdruck wird im Baumdiagramm gleichsam teleskopisch gestreckt, wobei eine zweidimensionale Darstellung entsteht, in der Klammerhäufungen auf Verzweigungen im Baum abgebildet werden.
Für Satz (22) sieht ein Baumdiagramm folgendermaßen aus:
Auf die drei Ebenen (A), (B) und (G) im Baumdiagramm kommen wir in den folgenden Ausführungen zurück. Die Symbole der Ebene (B) haben wir schon
Grundbegriffe der Konstituentenstruktur
119
erläutert, die der Ebene (A) nur zum Teil; zusammengefaßt stehen diese für folgende Wortgruppen: S SbG PG PräpG
bezeichnet bezeichnet bezeichnet bezeichnet
den gesamten zu analysierenden Satz die Kategorie Substantivgruppe die Kategorie Prädikatsgruppe die Kategorie Präpositionalgruppe
§ 68
Das Verhältnis t o n Hierarchie und Reihenfolge: Die Abb. 5 verdeutlicht, daß mit einer bestimmten syntaktischen Struktur eines Satzes auch eine bestimmte Reihenfolge seiner Konstituenten gegeben ist. Die abstraktere semantische Struktur eines Satzes kann demgegenüber von der linearen Anordnung der Einheiten absehen, denn erst über die syntaktische Struktur ist sie auf linear geordnete Einheiten der Lautstruktur bezogen. Die syntaktische Struktur spiegelt die syntaktische Zusammengehörigkeit von Konstituenten wider. Aber die Zusammengehörigkeit kann die Konstituentenabfolge mit Hilfe der Konstituentenstruktur nicht vollständig determinieren. Sie kann z. B. die lineare Anordnung von Nachbarkonstituenten nicht vorbestimmen. Daß die Anordnungen der Mann, im Hause, gute Gründe im Deutschen korrekt sind gegenüber Mann der, Hause im, Gründe gute, ist nicht syntaktisch motiviert. Das gleiche gilt für die Folge Der Mann ist im Hause gegenüber Ist im Harne der Mann. Die Regelungen über solche Konstituentenabfolgen sind weitgehend einzelsprachlich, sie müssen aber in irgendeiner Form in der syntaktischen Struktur zum Ausdruck kommen. Etwas anderes ist es, wenn die Konstituentenabfolge gemäß der syntaktischen Hierarchie in Widerspruch steht zur Anordnung gemäß der realisierten lautlichen Abfolge. Das kann ein Indiz dafür sein, daß letztere erst durch Umordnung einiger Konstituenten, also sekundär zustande gekommen ist. I n 1.5.7. werden unter dem Begriffspaar „Grundstruktur / abgewandelte Struktur" die Bedingungen für die Übereinstimmung von Konstituentenhierarchie und -abfolge dargelegt.
1.5.3.
Grundbegriffe der Konstituentenstruktur
§ 69
Wir haben den Begriff „Konstituente" am Beispiel einiger Abschnitte des Satzes Die Katze schläft gern auf dem Sofa erläuternd eingeführt. Die übrigen Konstituenten des Baumdiagramms in Abb. 5 — und sämtliche für eine vollständige syntaktische Beschreibung deutscher Sätze nötigen Konstituenten — sind durch ähnliche Verfahren zu ermitteln. Die Konstituenten und ihre Plazierung im Baumdiagramm werden im einzelnen in Kap. 2 begründet. Die Darstellung von Abb. 5 wird dabei einige Veränderungen erfahren. Grundlage aller weiteren Erörterungen sind jetzt Baumdiagramme, verstanden als standardisierte Darstellungsform. Deshalb sollen anhand des Diagramms in Abb. 5 einige Grundbegriffe in ihrem Gebrauch festgelegt werden. Wir beschränken uns zunächst auf die beiden Ebenen (A) und (B); zwischen den Ebenen (B) und (C) bestehen
120
1.5. Syntaktische
Komponente
besondere, duroh die gestrichelten Linien gekennzeichnete Beziehungen, auf die wir in Abschnitt 1.5.6. zurückkommen. Beginnend mit dem obersten Knoten S (für „Satz") enthält der Baum in der Ebene (A) sich verzweigende Knoten, die in nicht-verzweigende Knoten der Ebene (B) münden. Die Knotenbenennungen symbolisieren Konstitaenten, die Zweige (die Verbindungen zwischen den Knoten), die hierarchischen Beziehungen zwischen ihnen. Am Teilbaum PräpG aus Abb. 5 sei nun gezeigt, welche für die Beschreibung wichtigen Konstituentenbeziehungen aus einem Baumdiagramm ablesbar sind. Diese Beziehungen werden auf der Grundlage bestimmter Konfigurationen aus Knoten und Zweigen fixiert und mit eigenen Namen versehen. So etwa gilt für die Konstituente PräpG: a)
Art Sb SbG Präp
Hingegen: Art Sb
ist ist ist ist
direkte direkte direkte direkte
Konstitaente yon Konstituente von Konstituente von Konstituente von
SbG SbG PräpG PräpG
ist indirekte Konstitaente von PräpG ist indirekte Konstituente von PräpG
Also sind Präp, SbG, Art und Sb Konstituenten von PräpG Es gilt aber nicht: Adv ist Konstituente von PräpG Wir sagen: Die Folge Präp + SbG repräsentiert PräpG Die Folge Art + Sb repräsentiert SbG In der Blickrichtung unterer Knoten / oberer Knoten gibt jeder Zweig zwischen zwei Knoten die Beziehimg „ . . . ist direkte Konstituente von . . . " wieder. Die Beziehung ist von Stufe zu Stufe übertragbar, bis hin zum obersten Knoten S. Der Einschluß von mindestens einem Zwischenknoten ergibt die Beziehung „ . . . ist (indirekte) Konstituente von . . . " . Daraus folgt, daß alle übrigen Kategorien zu S in der Beziehung „ . . . ist Konstituente von S" stehen. b) In der umgekehrten Blickrichtung gilt: PräpG dominiert direkt Präp, dominiert indirekt Art Sb PräpG dominiert direkt SbG SbG dominiert direkt Art SbG dominiert direkt Sb Zusammengefaßt: PräpG dominiert Präp, SbG, Art und Sb Die gleiche Beziehung „ . . . d o m i n i e r t . . . " geben die ebenfalls verwendeten Varianten „ . . . wird zerlegt in . . u n d „.>.. besteht aus . . . " wieder.
Grundbegriffe der
Konstituentenatruktur
121
c) Es gilt außerdem die Beziehung: Art ist Nachbarfeonstituente von Sb und umgekehrt Präp ist Nachbarkonstituente von SbG und umgekehrt Aber nicht: Präp ist Nachbarkonstituente von Art Werden zwei oder mehr Konstituenten von ein und demselben Knoten direkt dominiert, so sind sie Nachbarkonstituenten voneinander. Auf dieser Basis können auoh Reihenfolgebeziehungen erfaßt werden, sie sind notwendiger Bestandteil der gesamten Konstituentenstruktur. d) Verallgemeinert gilt: Die Gesamtheit der unter a) bis c) exemplifizierten Beziehungen zwischen den Konstituenten eines Satzes macht seine Konstitaentenstruktur aus. Auf dieser Basis können weitere nützliche Charakterisierungen verabredet werden. So etwa die folgende Unterteilung: e) Komplexe / elementare syntaktische Einheiten: Kategorien, denen im Baum verzweigende Knoten zugeordnet sind, sind komplexe syntaktische Einheiten oder Wortgruppen. Es sind dies z. B. in Abb. 5: S, SbG, PG, PräpG. Kategorien, denen im Baum nicht-verzweigende Knoten zugeordnet sind, sind elementare syntaktische Einheiten oder Wörter. Es sind in Abb. 5: Art, Sb, V, Adv, Präp. Die Ebene (A) umfaßt somit die komplexen, die Ebene (B) die elementaren Einheiten. So wie die Symbole nicht für einzelne Satzabschnitte, sondern für Klassen von Satzabschnitten, für syntaktische Kategorien, stehen, so repräsentiert auch das ganze Diagramm in Abb. 5 nicht einen einzelnen Satz, sondern eine Klasse strukturgleicher Sätze, für die (22) ein Beispiel ist. Andere Beispiele sind: (35)
Peter schlief nie am Tage Der Junge spielt oft im Garten Der Hund rannte versehentlich gegen den Baum
Dagegen liefert (36) Beispiele für Sätze, die in ihrer Struktur zwar denen von (35) und (22) ähneln, aber nicht durch das Diagramm in Abb. 5 beschrieben werden: (36a) (36b)
Die Katze jagt die Maus Die Katze gähnt
In Analogie zu Abb. 5 können diese Sätze durch je ein Baumdiagramm wie in den folgenden Abbildungen beschrieben werden:
122
1.5. Syntaktische Komponente
Für (36a):
Die
-Abb. 6
s
Katze
jagt
die
Maus
Ein Vergleich der Diagramme in Abb. 5 bis 7 zeigt, daß sie in einigen Teilbäumen übereinstimmen, daß die interne Struktur der Konstituente PG jedoch in allen drei Fällen variiert. Die Prädikatsgruppe (PG) wird jedesmal in andere Konstituenten zerlegt: (37)
PG wird zerlegt in V + Adv + PräpG: PG wird zerlegt in V + SbG : PG wird zerlegt in V :
im Diagramm von Abb. 5 im Diagramm von Abb. 6 im Diagramm von Abb. 7
(37) ist eine Aussage über die Zerlegungsmöglichfeeiten der Konstituente PG. Derartige Aussagen ließen sich mit anderen Beispielen auch für weitere Konstituenten machen. § 70
Aussagen wie (37) können, in einen systematischen Zusammenhang mit Aussagen gleicher Art gebracht, verstanden werden als ein bestimmter Typ von Regeln, Regeln, die in ihrer Gesamtheit alle Zerlegungsmöglichkeiten von Baumdiagrammen erfassen und so die Strükturbeschreibung sämtlicher syntaktisch korrekter Sätze ergeben sollen. An unserem Beispiel illustriert: Die möglichen Konstituentenzerlegungen der Diagramme in Abb. 5, 6 und 7 werden durch den folgenden Regelblock zusammengefaßt. Wir benutzen dabei die standardisierte Darstellungsform, in der „ — " die Beziehung „ . . . wird zerlegt i n . . . " symbolisiert, „ + " die lineare Verkettung der Konstituenten und „ { } " die alternativen Zerlegungsmöglichkeiten von Konstituenten kennzeichnet. (38)
S PG
-
SbG + PG fV + Adv + PräpGY { v + SbG J
PräpG SbG
-
Präp + SbG Art + Sb
Grundbegriffe der
Konstituentenstruktur
123
Damit ist eine weitere Verallgemeinerungsstufe der syntaktischen Beschreibung erreicht: Die Beschreibung führt — von der Zerlegung eines einzelnen Satzes (Schritt 1) — über die Repräsentation einer Klasse zulässiger Sätze in Baumdiagrammen (Schritt 2) — bis zur Aufzählung einer Klasse zulässiger Baumdiagramme durch Regeln (Schritt 3). In den »Grundzügen« werden viele Aussagen gemacht, die zwar nicht als Regeln dieser Form formuliert sind, aber doch in solche überführt werden können. Die neu hinzugekommenen Diagramme in Abb. 6 und 7 machen deutlich, daß einige der bisherigen Festlegungen a) bis e) in § 69 modifiziert werden und neue hinzukommen müssen: PG ist laut Festlegung in e) eine komplexe Einheit, verzweigt aber in Abb. 7 nicht. Das ist ein zu berücksichtigender Grenzfall. Wenn wir von einzelnen Baumdiagrammen zu zulässigen Diagrammen übergehen, so heißt jetzt e) verändert: e') Kategorien, die in mindestens einer ihrer zulässigen Zerlegungen in einem Baum durch verzweigende Knoten erscheinen, sind komplexe syntaktische Einheiten. Neu hinzu kommt: f) Verb ist eine obligatorische Konstituente von PG, denn es kommt bei jeder zulässigen Zerlegung von PG vor. PräpG, Adv und SbG sind fakultative Konstituenten von PG, denn es gibt zulässige Zerlegungen von PG, in denen Adv, PräpG und / oder SbG nicht vorkommen. Wenn V einzige Konstituente von PG ist, so repräsentiert V allein die ganze PG. Die oberste Kategorie S hat als minimale Zerlegungsmöglichkeit die in SbG und PG. PG wiederum kann allein durch V repräsentiert werden. Das zeigen die folgenden Weglaßproben: (39)
Die Katze schläft gern Die Katze schläft *Die Katze 0 gern * 0 schläft gern
SbG und PG sind also die beiden obligatorischen unmittelbaren Konstituenten von S. Ein einschränkender Zusatz ist erforderlich, um solche Sätze wie Komm! oder Peter nicht, als Gegenbeispiele auszuschließen: Die Behauptung bezieht sich auf Grundstrukturen von Sätzen, die scheinbaren Gegenbeispiele sind Realisierungen abgewandelter Strukturen. Zu diesem Begriffspaar kommen wir in 1.5.7. In Kap. 2.3. werden auch die sog. subjektlosen Sätze auf eine Grundstruktur mit Subjekts-SbG zurückgeführt. SbG hat genauso wie PG mehrere Zerlegungsmöglichkeiten. Im Grenzfall repräsentiert auch hier eine elementare Einheit die ganze SbG: Substantiv (z. B. Peter) oder Pronomen (sie statt die Katze). Somit sind Sb / Pron + V,
124
1.5. Syntaktische
Komponente
dominiert von SbG + PG, die nicht zu unterschreitende Minimalausstattung eines Satzes. Das ist n i c h t gleichbedeutend mit der Behauptung, jeder Satz könne auf Sb / Pron + V reduziert werden. Die folgende Gegenüberstellung zeigt, daß die schematische Reduktion von PG auf V zu ungrammatischen Sätzen führen kann: (40)
Die *Die Die *Die
Katze ist / befindet sich Katze ist / befindet sich Katze entdeckt die Maus Katze entdeckt
gerade auf dem Sofa
Die aus (37) als fakultativ abzulesenden Konstituenten PiräpG und SbG können in Sätzen wie z. B . (40) notwendig sein. Die Bedingungen dafür, wann diese fakultativen Konstituenten notwendig sind und wann nicht, beruhen offensichtlich auf bestimmten Eigenschaften des Verbs: sich befinden / sein entdecken schlafen
fordert eine Ergänzung durch eine PräpG in der Funktion eines Lokaladverbials; fordert eine Ergänzung durch eine SbG in der Funktion eines Objekts; dagegen fordert keine Ergänzung.
Der Begriff „Funktion" wird in Abschnitt 1.5.5. auf der Basis der bisher festgesetzten Begriffe eingeführt. Die verallgemeinerten Aussagen darüber, welche Konstituenten mit welchen anderen Konstituenten zusammen jeweils komplexere Einheiten bilden müssen, nicht können oder können, werden durch Begriffe aus der Yalenz-Theorie formuliert, die dem von uns verwendeten Grundmodell angepaßt werden.
1.5.4. § 72
Valenzbeziehungen Die Einschränkungen, denen die Kombination syntaktischer Einheiten unterliegt, müssen in jeder Grammatik in möglichst genauer Form dargestellt werden. In der generativen Grammatik geschieht dies durch strikte Subkategorisierung und Selektion (vgl. CHOMSKY . ( 1 9 6 5 ) und zu speziellen Problemen der Subkategorisierung HEIDOLPH ( 1 9 6 7 ) und STEXNITZ ( 1 9 6 7 ) ) . Wir wollen die entsprechenden Tatsachen mit Begriffen der Valenztheorie behandeln, wie sie z. B. in HELBIG / SCHENKEL ( 1 9 7 5 S ) begründet wird. In Abschnitt 1.7. werden einige Veränderungen dieser Konzeption erläutert und der letztlich auf semantischen Beziehungen fußende Begriff „Valenz" im Hinblick auf syntaktische und andere Auswirkungen dargestellt. Für den Aufbau der syntaktischen Komponente sind an dieser Stelle folgende Feststellungen von Wichtigkeit: ' Syntaktische Valenz ist eine Abhängigkeitsbeziehung zwischen dem Verb eines Satzes — dem Yalenz-Träger — und anderen Konstituenten, die „Valenz-Partner", „Mitspieler" oder „Aktanten", bei Adverbialbestimmungen auch „Um-
j
Valenzbeziehungen
125
stände" genannt werden. In Kopulasätzen übernimmt das Prädikativ die Funktion des Valenz-Trägers, während die Kopula lediglich die morphologischen Verbkategorien (Tempus, Modus, Person, Numerus) bezeichnet (vgl. Peter ähnelt dem Vater : Peter ist dem Vater ähnlich). Die durch die Valenz zum Ausdruck gebrachte Abhängigkeit betrifft aber zweierlei: 1. Das Verb eröffnet Leerstellen für hinsichtlich seiner Valenz notwendige Konstituenten. Es bestimmt dabei die notwendige Anzahl der Valenzpartner und die syntaktische Funktion, die diese Valenzpartner zu erfüllen haben. Es wird also nicht der Wortgrüppen- sondern der Satzglied-Typ der Partner vom Verb festgelegt (vgl. den folgenden Abschnitt). Dieser Teil der Valenz hat seine Entsprechung in der Strikten Subkategorisierung der generativen Grammatik. Im Unterschied zur generativen Grammatik gehört aber in der Valenz-Theorie Subjekt zu den Valenz-Partnern des Verbs und ist nicht nur obligatorische Konstituente jedes Satzes in der Grundstruktur. Eine Wortgruppe in bestimmter Satzgliedfunktion ist bezüglich eines Verbs valenznotwendig, wenn sie als Verbkontext insofern gefordert wird, als das Verb eine Leerstelle hat, die in die semantische Interpretation des Satzes eingeht und die in der Regel auch syntaktisch realisiert wird, vgl. aber § 74. (Die Wortgruppe gehört in den Bereich der Strikten Subkategorisierung.) Beispiele: (41)
Peter wohnt in Berlin Anna besuchte ihn Sie wartet auf jemanden Die Katze frißt etwas
Entsprechend ist eine Wortgruppe valenzunmöglich, wenn sie als Verbkontert ausgeschlossen ist, wie z. B. eine Substantivgruppe in Objektfunktion im Kontext von gähnen, z. B. *Die Katze gähnt die Maus. Nicht-valenznotwendig ist eine Wortgruppe, wenn sie als Verbkontext weder ausgeschlossen noch gefordert wird. (Die Wortgruppe gehört nicht in den Bereich der Strikten Subkategorisierung des Verbs.) Das gilt für die eingeklammerten Ausdrücke in den folgenden Beispielen: (42)
Die Katze spielt (in der Ecke) Anna strickt (mir) einen Pullover Ich arbeite (lieber abends) Er öffnete das Glas (mit dem Büchsenöffner)
2. Das Verb bestimmt aber nicht nur, wie viele und welche Wortgruppen mit bestimmter Satzgliedfunktion in seinem Kontext vorkommen müssen. Es legt auch fest, welcher Subklasse eine valenznotwendige Wortgruppe bzw. deren Wortklassenrepräsentant angehört. Das Verb besuchen z. B. eröffnet nicht nur Leerstellen für Subjekt und Objekt, es wählt auch die Subklassen der Subjekts-
126
1.5. /Syntaktische Komponente
und Objektssubstantive aus, es selektiert z. B. für ersteres die Subklasse, die Menschliches bezeichnet. Wohnen selektiert als adverbiale Subklasse ein Lokaladverbial. Vgl.: (43) Anna besuchte Peter i.Die Katze besuchte Peter *Das Auto besuchte Peter Peter wohnt in Berlin * Peter wohnt am Abend *Peter wohnt nach Berlin Diese Art von Valenzbeziehungen wird selektive Yalenzbeziehang genannt, Valenz-Träger und -Partner werden auch als semantisch vereinbar bezeichnet. Die selektive Valenzbeziehung steht der semantischen Valenz nahe, sie ist aber mit dieser nicht gleichzusetzen. Semantische Valenz beruht nicht auf Wortbedeutungen, sondern auf Teilen von Wortbedeutungen, auf semantischen Merkmalen oder semantischen Prädikaten vgl. 1.7.). Selektive Valenzbeziehungen bestehen in der Syntax, wo semantische Prädikate, in verschiedener Weise gebündelt, als Wörter bzw. Morpheme erscheinen. (In der generativen Grammatik entsprechen dieser zweiten Art von Valenzbeziehungen die Selektionsbeziehungen zwischen den Konstituenten.) Die selektiven Valenzbeziehungen greifen auf den Bereich der nicht-valenznotwendigen Konstituenten des Satzes über und schränken die Wahlmöglichkeiten bestimmter Subklassen auch dort ein. Spielen hat außer dem Subjekt keine Valenzpartner, es läßt aber z. B. Lokal- oder Temporaladverbiale im Kontext zu, im Kontext von wissen dagegen ist nur die Wahl eines Temporaladverbials möglich, nicht die eines Lokaladverbials, vgl.: (44)
Peter spielte (in der Ecke) Peter spielte (den ganzen Tag) Peter weiß das (jetzt) * Peter weiß das (zu Hause)
Nicht-valenznotwendige Konstituenten, die für beliebige Verben als Kontext zulässig sind, werden auch valenzunabhängige genannt. Unter den Adverbialen sind das z. B. Temporal- und Kausaladverbiale. Demgegenüber werden Konstituenten mit größeren selektiven Beschränkungen valenzmöglich genannt. Ein Beispiel dafür sind die Lokaladverbiale. Im einzelnen verweisen wir auf die Darlegungen in 2.3.2.2. Modifizierungen werden bei den freien Dativobjekten nötig, vgl. 2.3.1. Auch innerhalb der valenznotwendigen Satzglieder ist eine Differenzierung nötig. Es gibt Verben, die zwar für einen Valenzpartner eine Leerstelle eröffnet haben, der in der semantischen Struktur und auch in der Grundstruktur eines Satzes berücksichtigt wird, bei der Abwandlung aber fehlen kann, ohne daß der Satz unkorrekt würde. Einen solchen Partner nennen wir tilgbar (HELBIG: fakultativer Mitspieler). In anderen Fällen bewirkt das Fehlen eines valenznotwendigen Partners, daß der Satz grammatisch unkorrekt wird, dieser
Valenzbeziehungen
127
Partner ist nicht-tilgbar (HELBIG: obligatorischer Mitspieler). (45a) enthält tilgbare, (45b) enthält nicht-tilgbare valenznotwendige Wortgruppen: (45a)
(45b)
Anna wartet auf jemanden Anna wartet Die Katze frißt etwas Die Katze frißt Peter wohnt in Berlin * Peter wohnt Anna besuchte ihn *Anna besuchte
In Abschnitt 1.5.7. gehen wir auf diesen Typ der Tilgung und seine Voraussetzungen etwas näher ein, verweisen im übrigen auf die Kap. 2. und 5. Wenn die zusätzlichen Differenzierungen berücksichtigt werden, unterscheiden, wir folgende Arten von Konstituenten bezüglich der Valenz: 1. Valenznotwendige Konstituenten (Valenz-Partner) a) nicht-tilgbare Valenz-Partner b) tilgbare Valenz-Partner 2. Nicht-valenznotwendige Konstituenten a) valenzmögliche Konstituenten b) valenzunabhängige Konstituenten Der Unterschied zwischen Konstituenten vom Typ lb) und solchen vom Typ 2.„ der beim Vergleich der jeweiligen Beispielsätze einleuchtend erscheint, kann erst beschrieben werden, wenn die Begriffe „Grundstruktur" und „Abwandlung" in 1.5.7. eingeführt sind. Das Fehlen einer nicht-valenznotwendigen Konstituente in einem Satz bedeutet dann: Sie ist in der Grundstruktur dieses Satze» nicht vorhanden. Das Fehlen einer tilgbaren valenznotwendigen Konstituente eines Satzes bedeutet dagegen: Sie ist in seiner Grundstruktur vorhanden u n d erst in einer möglichen Abwandlung davon getilgt. Rektion. Eine mittelbar auf der Valenz beruhende Abhängigkeitsbeziehung ist. die Rektion. Sie ist eine syntaktische Erscheinung mit morphologischem Effekt. Vorkommen und Ausmaß variieren einzelsprachlich. Dies im Unterschied zu den oben beschriebenen Valenzbeziehungen, die auf semantischen Gegebenheiten aufbauen und daher allgemeinerer Natur sind. Die Rektion besteht darin, daß in bestimmten Fällen der Valenz-Träger diemorphologische Form des Valenz-Partners bestimmt, d. h. sie regiert. Im Deutschen betrifft die Rektion vor allem Festlegungen der einzelnen Präpositionen (z. B. bei Präpositionalobjekten) und Kasusformen. Wenn beispielsweise das Verb glauben valenznotwendig ein Objekt als Ergänzung hat, dann kommen folgende Rektionsangaben hinzu: glauben regiert den. „reinen" Kasus Dativ beim Objekts-Substantiv, vgl.: (46)
Peter glaubte seinem Freund
1.5. Syntaktische Komponente
oder: glauben regiert die Präposition des Präpositionalobjekts: an, und die Präposition an ihrerseits regiert den Kasus des zugehörigen Substantivs, in diesem Kontext: Akkusativ. Vgl.: (47)
Peter glaubte an seinen Freund
Da Rektionsangaben einzelsprachlich sind, gehören sie zur Charakterisierung der lexikalischen Einheiten im Lexikon (vgl. 1.5.6.). Zum Abschnitt „Valenzbeziehungen" sei abschließend gesagt, daß sie sich auf die beiden Ebenen (A) und (B) im Baumdiagramm von Abb. 5 § 67 verteilen. 1. In (A) erfolgt die strukturelle Beschreibung durch Zerlegung einer Kategorie in Konstituenten (hier werden auch die valenznotwendigen Konstituenten eingeführt); in (B) erfolgt sie durch Subklassifizierung innerhalb einer Kategorie nach semantischen, aber syntaktisch relevanten Gesichtspunkten (das ist auch die Domäne der selektiven Valenzbeziehungen). So treten etwa in den gegebenen Beispielen für die Kategorie Sb Subklassen auf, die Bezeichnungen sind für: — Konkretes — Belebtes — Menschliches — Abstraktes
(Auto, Sofa, Berlin, Katze, Peter, Anna) (Katze, Peter, Anna) (Peter, Anna) (Abend)
2. Die unterschiedlichen Eigenschaften der Konstituenten der Ebenen (A) und (B), die an mehreren Stellen der Ausführungen zutage treten, rechtfertigen eine sie unterscheidende Benennung: — Für die Konstituenten der Ebene (B) haben wir schon einen Sammelnamen benutzt: Wortklasse. Die einzelnen vorkommenden Wortklassen, wie Substantiv (Sb), Verb (V), Artikel (Art), Präposition (Präp) entsprechen der traditionellen Einteilung. Abweichungen im Detail werden in Kap. 2 und 3 begründet (vgl. besonders die Artikelformen, die unter den Pronomen abgehandelt werden). — Die Konstituenten der Ebene (A), die die Vermittlung zwischen den Wortklassen und den — in der Darlegung noch ausstehenden — Satzgliedern übernehmen, sind die Wortgruppen. Es kamen bis jetzt die Wortgruppen-Typen Substantivgruppe (SbG), Prädikatsgruppe (PG) und Präpositionalgruppe (PräpG) vor. Weitere Wortgruppen-Typen werden in Kapitel 2 eingeführt. Damit sind die wichtigsten Eigenschaften der Konstituenten der Ebenen (A) und (B) aus dem Baumdiagramm in Abb. 5 abgehandelt. Bei der Beschreibung der Ebene (C) und der besonderen, durch gestrichelte Linien gekennzeichneten Beziehungen der Konstituenten der Ebene (B) zu den Ausdrücken der Ebene (G) sind einige Ergänzungen nötig (vgl. Abschnitt 1.5.6.).
Wortgruppen und syntaktische Funktionen
129
Wortgruppen und syntaktische Funktionen Die in 1.5.1.ff. eingeführte und erläuterte Konstituentenstruktur bietet die Möglichkeit, die Zuordnimg von Wortklasse und Satzglied nunmehr in einsichtiger und eindeutiger Weise vorzunehmen. Die durch die Konstituentenstruktur gegebene Charakteristik eines Satzes vermittelt zwischen Wortklasse und Satzglied. Die Wortklasseneinordnung der Wörter eines Satzes (Wortebene (B) im Baumdiagramm von Abb. 5 oben) geht ein in die Konstituentenstruktur des ganzen Satzes (Wortgruppenebene (A)). Jede im Satz vertretene Wortklasse ist damit auch Teil (oder auch alleiniger Repräsentant) einer komplexen Konstituente. Diese wiederum hat im Rahmen der gesamten Konstituentenstruktur eine syntaktische Funktion, durch die gegebenenfalls der Satzgliedstatus der Konstituente bestimmt ist. Diese Bestimmung stellt sich im einzelnen so dar: Jede Wortgruppe unterliegt Strukturbedingungen: Bed. 1: Sie ist regulär gegliedert. Es ist festgelegt, wie ihre interne Struktur beschaffen sein kann, d. h. welche Zerlegungsmöglichkeiten von Konstituenten es gibt. Bed. 2.: Sie ist in systematischer Weise auf andere Wortgruppen bezogen. Es ist festgelegt, welche Wortgruppe die sie unmittelbar dominierende Konstituente sein kann und welche Nachbar-Konstituenten sie haben kann. Jede Wortgruppe hat also einen festen Platz in der Konstituentenstruktur. Auf Grund ihres so fixierten Platzes in der Konstituentenstruktur hat jede Konstituente in bezug auf andere Konstituenten eine syntaktische Funktion. Innerhalb der Gesamtheit der auf diese Weise definierten syntaktischen Funktionen von Konstituenten gibt es eine Teilmenge, die die Bestimmung der Satzglieder mit Begriffen der Konstituentenstruktur gestattet. Daß beispielsweise in dem Satz Die Katze jagt die Maus die SbG die Katze Subjekt des Satzes und die SbG die Maus Objekt ist, manifestiert sich darin, daß in der Konstituentenstruktur die SbG, realisiert durch die Katze, unmittelbar von S dominiert ist, die zweite SbG, realisiert durch die Maus, dagegen von der Prädikatsgruppe (PG); vgl. Abb. 6, § 69. Anders gesagt, in der Beziehung SbG : S bzw. SbG : PG ist SbG Träger der Funktion: „Subjekt" bzw. „Objekt". Damit wird zugleich der relationale Charakter der Satzglieder wie Subjekt oder Objekt verdeutlicht. Auf die gleiche Weise können die übrigen Satzglieder reformuliert werden. Hervorzuheben ist, daß hierdurch nur ein, wenngleich wesentliches, Bestimmungsstück des Satzgliedbegriffs erfaßt wird. Eine Charakterisierung wie „Subjekt" enthält darüber hinaus eine Reihe semantischer und kommunikativpragmatischer Momente, die sich in verschiedenen Hinsichten auswirken (z. B. Subjekt als Agens-Träger; die syntaktischen Funktionen der Wortgruppen stehen in regulären Beziehungen zu Begriffen wie Agens, Patiens, fallen 9 Deutsche Gramm.
130
1.5. Syntaktische
Komponente
mit diesen aber nicht zusammen, vgl. dazu auch 1.7. Oder Subjekt als unmarkierter Thema-Träger, vgl. Kap. 4 und 6). Die Aufstellung und Begründung der verwendeten Satzglieder wird in Kap. 2 vorgenommen. Im Prinzip werden die Satzgliedarten auf der Basis von Grundstrukturen definiert. Abgeleitete Satzgliedarten wie prädikatives Attribut gehören abgewandelten Strukturen an, können aber auf Satzglieder der Grundstruktur bezogen werden (was sich z. T. schon in der Benennung ausdrückt). Zur Notation: Bei Bedarf wird der Satzglied-Status einer Konstituente, der in der soeben erläuterten Weise durch ihre Konstituentenbeziehungen definiert ist, in ein Baumdiagramm zusätzlich zur Konstituenten-Bezeichnung eingetragen. Der Satzgliedname wird in beabsichtigtem Kontrast zum Wortgruppennamen in Klammern gesetzt. Satzgliednamen wie „Subjekt" (Subj), „Objekt" (Obj), „Adverbialbestimmung" (Advb) sind somit Symbole für bestimmte syntaktische Funktionell. Dies im Unterschied zu den bisher gebrauchten Symbolen wie SbG, PräpG, AdvG, Sb, Art, die syntaktische Kategorien (Wortgruppen, Wortklassen) bezeichnen. Diese Differenz darf nicht übersehen werden. Die Aufnahme von Satzgliedern in die Konstituentenstruktur von Sätzen verwischt in einer Hinsicht diese Differenz, weil Satzglieder dadurch den Anschein eines kategoriellen Status bekommen. (Auf der Nichtbeachtung dieses Unterschieds beruhen gerade einige Unschärfen und Fehler der traditionellen Grammatik, so z. B. bei der Beschreibung von Adverbien und ihrer Abgrenzung von Adjektiven.) Nun hängt aber die Beschreibung einer Beihe von Stellungsund Betonungsregelmäßigkeiten von Konstituenten gerade von der Keimzeichnung ihres Satzglied-Status ab. Daher ist eine praktische Handhabbarkeit des Satzgliedbegriffs für unsere Zwecke wichtig genug, daß wir uns für diese Notation entscheiden. Wir verweisen auf detailliertere Ausführungen in Kap. 2.1.
1.5.6.
Zwei-Teilung der syntaktischen Komponente
§79
Bis jetzt haben wir mit den klassischen Analyseeinheiten „Satz" und „Wort" als den Grenzbegriffen oberste (größte) und unterste (elementare) Einheit operiert. Wir werden auch weiterhin innerhalb der Beschreibungsdomäne „Satz" bleiben und nur gelegentlich auf Erscheinungen, die über die Satzgrenzen hinausgehen (so etwa bei den Pro-Formen), verweisen. Das ist keine rein technische oder behelfsmäßige Entscheidung, denn auch in einer theoretisch genauen Darstellung des Begriffs „Text" wird „nach wie vor der Einheit ,Satz' eine zentrale Stellung zukommen. . . . Der ,Satz' stellt die Domäne für die Distributionsund Kombinationsregeln der Einheiten des Sprachsystems dar. Der Satz hat seine Entsprechung im kognitiven Elementarvorgang des Prädizierens, dessen Manifestation eben sprachlich als (minimaler) ,Satz' erscheint. Die Logik hat davon die Grundeinheit ,Proposition' abstrahiert. Und in klarer Übereinstimmung damit, daß der ,Satz' diejenige Einheit ist, mit Hilfe derer sich die Kon-
Zwei-Teilung
der syntaktischen
Komponente
131
stitution und Verbalisierung von Sachverhalten zuträgt (Prädikation!), spielt die Struktureinheit ,Satz' im Prozeß der Spracherlernung die primäre Rolle." (LANG (1973), S. 2 8 6 ) . Aus anderen Komponenten der Grammatik kommen nur bestätigende Faktoren hinzu; so etwa aus der kommunikativ-pragmatischen der Tatbestand, daß innerhalb des Satzes in der Regel kein Sprecherwechsel stattfindet, oder aus der phonologischen Komponente, daß sowohl Intonationsmuster wie Verteilung des Hauptakzentes sich auf die Domäne „Satz" beziehen. Damit ist die syntaktische Abgrenzung nach o b e n durch S genügend abgesichert. Unter Verweis auf die kommunikativ-pragmatische Komponente, die in 1.3. beschrieben wird, müssen wir eine Korrektur der verwendeten Symbole anbringen: S wird fortan als Dach-Terminus verwendet, der die Satz-Intention (SI) des Satzes mit der Satzbasis (SB) verbindet, die jetzt statt S die größte Wortgruppe ist. Über die Beziehungen zwischen SI und SB vgl. die Ausführungen in Kap. 2.2. Die Abgrenzung nach u n t e n wirft Probleme anderer Art auf. Sie betrifft den Status der Einheit „Wort" und damit den Charakter der bisher nicht behandelten Beziehung zwischen den Ebenen (B) und (C) im Baumdiagramm von Abb. 5, § 67. Wir werden in die syntaktische Komponente einen Komplex von Erscheinungen aufnehmen, der in der traditionellen Grammatik von der Syntax völlig getrennt ist: es handelt sich um einen großen Teil der grammatischen Fakten, die in „Formenlehre" und „Wortbildung" beschrieben werden und die interne Struktur des Wortes zum Gegenstand haben. Die Begründung für die Aufnahme in die syntaktische Komponente ist folgende: — Das Wort ist n i c h t die elementarste Einheit bei der Vermittlung von Laut- und Bedeutungsstruktur; — grundlegende Beziehungen, wie die hierarchischen und die Reihenfolgebeziehungen, sind nicht nur in Einheiten, die mehrere Wörter umfassen, also innerhalb von Wortgruppen wirksam, sondern auch innerhalb der Wörter selbst; d . h . , auch Wörter haben eine interne Struktur; — Abwandlungen, auf die wir als spezielle Art von Beziehungen noch zu sprechen kominen, greifen nicht nur in die Struktur von Wortgruppen ein, sondern auch in die der Wörter. Daß wir dem „Wort" trotzdem eine gewisse Autonomie einräumen, geschieht zum einen aus der Erwägung, daß „Wort" wie „Satz" zu den Grundbegriffen im Sprachunterricht gehören und auch bei jeder nicht-wissenschaftlichen Beschäftigung mit Sprache vorkommen: Wörter sind die zentralen Einheiten bei der Spracherlernung und im Sprachgebrauch. Schon deshalb muß „Wort" genauso wie „Satz' 1 einen zentralen Platz in der Grammatik einnehmen. Zum anderen knüpft ein gewichtiger Teil der morphologischen Analyse an diese Einheit „Wort" an. 9*
132
1.5. Syntaktische
Komponente
Eine Lösung, die beiden Aspekten gerecht zu werden versucht, kann folgendermaßen erreicht werden: Die syntaktische Komponente wird in zwei Teil-Komponenten zerlegt, die jedoch übergreifende Beziehungen zueinander haben: a) Wortgruppen-Komponente (Gegenstand von Kap. 2: „Struktur der Wortgruppen "), b) Wort-Komponente (Gegenstand Wortstrukturen").
von Kap. 3: „Wortklassen und
Die allgemeine Annahme, daß Komponenten durch spezifische Einheiten und Kombinationsprinzipien bestimmt sind, gilt auch für diese beiden Teil-Komponenten. Jedoch gibt es bezüglich der Einheit Wort einen Überschneidungsbereich. Zum einen erscheint das Wort in Gestalt von Wortklassensymbolen als elementare Konstituente der Wortgruppen-Komponente, elementar insofern, als die Wortklassensymbole die untersten syntaktischen Konstituenten angeben. Diese sind innerhalb dieser Komponente nicht weiter zerlegbar. Zum anderen erscheint das Wort in Gestalt von Wortklassensymbolen als komplexe Einheit der Wort-Komponente, komplex insofern, als die Wortklassensymbole hier die Domäne morphologischer Kennzeichnungen angeben. Die weitere Zerlegung der Einheit Wort in morphologische Einheiten, Morpheme, ist eins der Spezifika dieser Teil-Komponente. § 81
Grundeinheiten der Wort-Komponente Die elementaren Einheiten der Wortstruktur sind die Morpheme. Dabei ist von Bedeutung, daß an der internen Struktur eines Wortes Morpheme unterschiedlichen Typs beteiligt sind: Basismorphem Dieses Morphem bezeichnet den konzeptuellen Gehalt, die lexikalische Bedeutung des Wortes: es ist Träger des lexikalisch-begrifflichen Kerns des Wortes (Kap. 3). Wortbildangs- und Flexionsmorpheme Diese Morpheme tragen sowohl zur Charakterisierung der syntaktisch-semantischen Zusammenhänge zwischen Konstituenten eines Satzes bei (z. B. die grammatischen Kategorien Numerus, Genus, Kasus mit ihren KongruenzBedingungen), wie zur Charakteristik von Wortklassen (z. B. -Jceit, -ung, -schaß sind substantivische Wortbildungsmorpheme gegenüber den adjektivischen -ig, -isch, -bar).
Das Basismorphem bildet allein oder zusammen mit Wortbildungsmorphemen den Wortstamm. Beispiele: Basismorphem = Wortstamm: bald, gern, freund, kind, arbeit,... Basismorphem + Wortbildungsmorphem = Wortstamm: bald-ig, freund-lich, Freundschaft,
Arbeit-er,
...
Zwei-Teilung der syntaktischen
Komponente
133
Der Wortstamm bildet allein oder zusammen mit Flexionsmorphemen das Wort. Beispiele: Wortstamm = Wort: bald, gern, (der) Freund, (das) Kind, baldig, freundlich, (die) Freundschaft, Arbeiter,... Wortstamm + Flexionsmorphem = Wort: Freund-e, Kind-er,baldig-e, freundlich-e, Freundschaft-en,... (Plural-Morphem aus der grammatischen Kategorie des Numerus) Die Morphologie ist in der hier verfolgten Konzeption weder eine besondere Komponente neben der syntaktischen, noch eine ihrer Teilkomponenten. Sie ist vielmehr eine komplexe Betrachtungsweise bestimmter syntaktischer Teilsysteme innerhalb der Wort-Komponente, die syntaktische, logisch-semantische, kommunikativ-pragmatische und phonologische Gegebenheiten einbezieht und deren Zusammenwirken zu erfassen sucht. Die Morphologie ist Ausgangspunkt spezieller Begriffsbildungen wie Paradigma, Opposition, Flexions- und Wortbildungsmuster usw. Diese werden innerhalb des Kap. 3 „Wortklassen und Wortstrukturen" eingeführt und. abgehandelt. Die Wortkomponente ist jedoch nicht einfach die direkte Fortsetzung der Wortgruppen-Komponente „nach unten". Der Zusammenhang beider Komponenten kann am günstigsten so verdeutlicht werden, daß man sich vorstellt, daß beide ihre jeweils spezifischen Struktürbeschreibungen auf die lexikalische Realisierung der Wortklassen projizieren. Dieser Zusammenhang kann durch ein Schema veranschaulicht werden, s. u., Abb. 8. Die lexikalische Realisierung selber ist eine Operation besonderer Art, eine Operation, die die kategorialen Symbole der Wortgruppen-Struktur auf der Ebene (B), die elementaren Konstituenten also, mit lexikalischen Einheiten belegt, gemäß den Bedingungen, die durch Wortklassensymbol, Satzgliedangabe und Valenzcharakteristik gegeben werden (Ebene (A) und (B)) und gemäß der analysierten Wortstruktur der Ebene (B')> Im Vollzug dieser Operation werden die lexikalischen Einheiten einem Inventar entnommen, in dem der lexikalische Bestand der Sprache in geeigneter, abrufbarer Form gespeichert ist. Dieses Inventar, das Lexikon, ist keinesfalls als bloße Listensammlung zu verstehen, sondern als ein System eigener Art, in dem sich komplizierte wortschatzinterne Zusammenhänge manifestieren. Dazu gehören einerseits Gesetzmäßigkeiten der Struktur des Wortschatzes sowie seiner Entwicklung und Schichtung, zum anderen die weit verzweigten Bedingungsgefüge, denen die Einsetzung einer lexikalischen Einheit in syntaktische Strukturen unterworfen ist (Realisierungsbedingungen). t)ie Eintragung einer lexikalischen Einheit in diesem Lexikon enthält Angaben über ihre syntaktischen, lexikalisch-semantischen, morphologischen und phonologischen Eigenschaften. In der vorhegenden Grammatik tritt das Lexikon nicht eigenständig in Erscheinung. Auch die gerade erwähnte Operation der lexikalischen Realisierung syntaktischer Strukturen wird nicht dargestellt. Daher bleibt eine Lücke zwischen Wortgruppen- und Wort-Komponente. Ein großer Teil derjenigen Angaben, die für das Lexikon benötigt werden, wird jedoch in Kap. 3 in anderer Anordnung, u. a. in Form von Beispiellisten für verschiedene Subklassen, darge-
134
1.5, Syntaktische Komponente stellt. Im übrigen umfaßt Kap. 3 weit mehr an Fakten als ein Lexikon der skizzierten Art.
Erklärung der Symbole auf der Ebene der Wortstruktur: SbBt, Vst Substantivstamm, Verbstamm B Basismorphem Flex Flexionsmorpheme Wb Wortbildungsmorphem
Qrundstruktur
und abgewandelte
Struktur
135
1.5.7.
Syntaktische Grundstruktur und abgewandelte Strukturen
§ 82
Anhand des Beispiels (22) Die Katze schläft gern auf dem Sofa haben wir schrittweise Begriffe eingeführt und erläutert, die zur Beschreibung der Konstituentenstruktur (einschließlich der Wortstruktur) von Sätzen benötigt werden. Mit dem Baumdiagramm in Abb. 5, § 67, und dem Regelblock (38) im § 70, konnte nicht nur der Satz (22), sondern die syntaktische Beschreibung für eine ganze Klasse von Sätzen angegeben werden. Damit ist die Grundlage für die Erfassung wichtiger syntaktischer Eigenschaften von Satzabschnitten und Sätzen mit Begriffen der Konstituentenstruktur gelegt. Andere, nicht weniger wichtige syntaktische Eigenschaften sind jedoch bislang nur konstatiert worden. Mit dem bisher exemplifizierten Modell können Tatbestände wie die folgenden nicht beschrieben werden: — Mehrere Sätze mit unterschiedlicher Konstituentenabfolge haben die gleiche Bedeutung. — Mehrere Sätze mit auch sonst unterschiedlicher syntaktischer Struktur haben die gleiche Bedeutung (strukturelle Synonymie). — Ein Satz hat verschiedene Bedeutungen, die sich nicht durch die Mehrdeutigkeit eines oder mehrerer seiner Morpheme erklären lassen (strukturelle Homonymie). Um solche Tatsachen darstellen zu können, erweitern wir das Modell um das Begriffspaar „Grundstruktur : abgewandelte Struktur". Im ganzen vorangegangenen Teil von 1.5. wurden Grundstrukturen von Sätzen charakterisiert, ohne daß diese differenzierende Benennung benötigt worden wäre. Die Differenzierung wird jedoch wichtig, wenn es nicht mehr nur um die interne Struktur eines Satzes geht, sondern um Beziehungen zwischen verschiedenen Satzstrukturen. Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Satzstrukturen können darin bestehen, daß ein Satz als direkte Realisierung einer Grundstruktur erscheint und andere Sätze als Realisierungen von Abwandlungen dieser Grundstruktur.
§83
Zwei in ihrer syntaktischen Konstituentenstruktur unterschiedliche Sätze A und B können in einer Abwandlungsbeziehung zueinander stehen, wenn sie (Bed. 1:) dieselbe semantische Struktur haben, und wenn sie (Bed.2:) keinen unterschiedlichen Bestand an Basismorphemen der vier Hauptwortklassen (Substantiv, Verb, Adjektiv, Adverb) aufweisen, oder wenn eine Pro-Form die Einheit vertritt. Wir gehen davon aus, daß die semantische Struktur eines Satzes d i r e k t mit seiner syntaktischen Grundstruktur verbunden ist, genauer mit der Satzbasis (SB) der Grundstruktur : SB G . Die Satzintention (SI) ist zwar im Baumdiagramm verankert und beeinflußt zum einen die interne Struktur von SB G und zum anderen die Wahl möglicher Abwandlungen (vgl. 1.3.), sie gehört aber nur formell zur Grundstruktur. Da die Abwandlungen im wesentlichen SB betreffen, wird auch die Grundstruktur auf SB definiert.
136
1.5. Syntaktische Komponente Die semantische Struktur ist nur über die syntaktische Grundstruktur mit den abgewandelten Strukturen verbunden. Für die Erschließung der Bedeutung von Sätzen mit abgewandelter Struktur besagt dies, daß die Form derjenigen Struktur zu ermitteln ist, die mit der Bedeutung des Satzes direkt verbunden ist, eben die Grundstruktur. Damit haben wir die Tatsache erfaßt, daß es gleichbedeutende Sätze in mehreren syntaktischen Variationen gibt, und daß eine grammatisch relevante Teilmenge dieser Varianten durch reguläre syntaktische Beziehungen definiert ist, die in dem Begriff „Abwandlungsbeziehungen" zusammengefaßt sind. Was die Bedingungen 1 und 2 für das Bestehen einer Abwandlungsbeziehung zwischen einem Satz A und einem Satz B betrifft, so folgt aus ihnen unter anderem: Bed. 1 läßt Unterschiede in der Satzintention SI von zwei Sätzen zu, soweit sie nicht die Charakterisierung von Konstituenten der Grundstruktur betreffen. Das kommunikativ-pragmatische Merkmal ,Frage' etwa kann die Permutation der finiten Verbform in die Spitzenposition bewirken, ist also eine Art „Kontextbedingung" für eine Abwandlung. Die Grundstruktur wird von dem Merkmal ,Frage' nicht betroffen, die beiden Satzarten „Aussage-" und „Fragesatz" haben also dieselbe Grundstruktur und stehen zueinander in einer Abwandlungsbeziehung. Dagegen bestimmt u. a. das Merkmal ,neu' die Charakterisierung der Substantivgruppe als determiniert oder undeterminiert. Strukturen mit Unterschieden dieser Art innerhalb von SI stellen verschiedene Grundstrukturen dar (vgl, dazu Kap. 2.2.). Demnach realisieren im folgenden Beispiel die Sätze (48a) dieselbe Grundstruktur, (48b) dagegen verschiedene Grundstrukturen: (48a) (48b)
Peter kommt heute Kommt Peter heute? Ein Mann kam auf uns zu Der Mann kam auf uns zu
Bed. 2 läßt in zwei Sätzen einen unterschiedlichen Bestand an Funktionswörtern (vgl. Kap. 3.0.) zu. Die Sätze(49)
Peter küßt Anna Anna wird von Peter geküßt
stehen deshalb trotz eines unterschiedlichen Morphembestandes in einem Abwandlungsverhältnis zueinander. Bed. 2 schränkt also den Geltungsbereich von Abwandlungsbeziehungen dadurch ein, daß a) lexikalische Synonyme, wie etwa (Vogd)käfig unverheirateter Mann und
: (Vogel)bcmer oder Junggeselle:
b) Satzpaare mit konversen Terben oder antonymen Adjektiven wie (50)
Kollege Meier erfuhr die Nachricht vom Direktor Der Direktor teilte die Nachricht Kollegen Meier mit Peter ist älter als Anna Anna ist jünger als Peter
Chrundstruletur und abgewandelte
Struktur
137
aus diesem Bereich ausgeschlossen werden; sie stehen in keinem Abwandlungsverhältnis zueinander. Wenn zwei Sätze A und B nach den genannten Bedingungen in einem Abwandlungsverhältnis stehen, dann muß entschieden werden, welcher der beiden Sätze die Grundstruktur direkt realisiert bzw. ihr näher steht. Anhand von 5 typischen Fällen wollen wir einige Anhaltspunkte für das Erkennen der Abwandlmi gsrichtung formulieren. 1. Grundstruktur und Reihenfolge Es gibt Sätze, die sowohl in der Bedeutung, im lexikalischen Bestand ihrer Konstituenten wie in deren syntaktischer Funktion übereinstimmen, und sich lediglich in der Konstituentenabfolge unterscheiden. Das trifft z. B . auf die Sätze (22) und (23) in 1.5.1. zu: (22) (23)
Die Katze schläft gern auf dem Sofa Auf dem Sofa schläft die Katze gern Gern schläft auf dem Sofa die Katze
Eine Grammatik, die für jede der möglichen Konstituentenabfolgen eine andere Konstituentenstruktur vorsähe, die dann mit der semantischen Struktur de» Satzes verbunden sein müßte, wäre nicht nur äußerst umständlich, sie würdevor allem die im Grunde unveränderte syntaktische Zusammengehörigkeit der Konstituenten auflösen und die tatsächliche Verwandtschaft zwischen den Sätzen nicht erklären können. In den vorangegangenen Abschnitten ist die syntaktische Zusammengehörigkeit der einzelnen Konstituenten — die sich ja in (23) von (22) nicht unterscheidet — begründet worden. Wenn nun eine der Abfolgen als die grundlegende zu bestimmen ist, so fällt wegen der Zusammengehörigkeitserwägungen die Wahl auf (22). Dies zeigt der Vergleich der Baumdiagramme, für (22) der Baum (a)> für (23) die Bäume (b) und (c):
Damit in einem Baumdiagramm Hierarchie und Reihenfolgebeziehungen der Konstituenten eines Satzes in einfachster Weise wiedergegeben werden können, gilt als allgemeine Bedingung: In einem Baumdiagramm dürfen sich die Äste nicht überschneiden. Die Diagramme (b) und (c) in Abb. 9 widersprechen dieser Bedingung, (a) erfüllt sie. Deshalb steht Satz (22) der Grundstruktur am nächsten, die Sätze unter (23) realisieren Abwandlungen der Grundstruktur, die durch einfache Umstellung von Konstituenten Zustandekommen.
138
1.5. Syntaktische
§ 85
Für diese Entscheidung spricht ein weiteres Argument. Die Konstituentenabfolge in (22) ist in kommunikativ-pragmatischer Hinsicht neutral gegenüber den Abfolgen in (23), deren Vorkommen an speziellere Bedingungen gebunden ist. Die erste der Abfolgen in (23) wird z. B. erst infolge einer Kontrastsituation als wirklich korrekt empfunden, etwa Auf dem Sofa schläft die Katze gern, ihr Körbchen eiber verschmäht sie. Eine Übereinstimmung von normaler, d. h. neutraler Reihenfolge und Hierarchie wird stets erreicht, wenn die substantivischen Konstituenten undeterminiert sind (vgl. dazu Kap. 4 im Detail). Vgl. die Sätze: (51)
Komponente
Ein Junge fand einen Schlüssel *Einen Schlüssel fand ein Junge Der Junge fand einen Schlüssel Den Schlüssel fand ein Junge
Die Reihenfolge Objekt-Subjekt ist nur normal, wenn das Objekt thematisiert ist, dagegen ist die Abfolge Subjekt-Objekt mit und ohne spezielle Thematisierungskennzeichen normal, kommunikativ-pragmatisch also weniger spezifisch. Da die Reihenfolge Subjekt-Objekt auch der Konstituentenstruktur von Sätzen im Deutschen entspricht, wird sie als Grundstrukturabfolge bestimmt. Sobald wir jedoch auf kompliziertere Sätze stoßen, die eine differenziertere Analyse verlangen, wird deutlich, daß auch die Abfolge im Diagramm (a) der Abb. 9 nicht die günstigste für die Darstellung der Zusammengehörigkeit von Konstituenten ist. 2. Diskontinuierliche Konstituenten § 86
Konstituenten sind diskontinuierlich, wenn sie zur gleichen Wortgruppe gehören (bzw. zusammen ein Wort ausmachen), in der linearen Abfolge aber getrennt stehen. Das klassische Beispiel einer diskontinuierlichen Konstituente ist die finite Yerbiorm in den zusammengesetzten Zeiten, die — außer in der Endstellung des Nebensatzes — im Deutschen von syntaktisch mit ihr zusammengehörigen Konstituenten getrennt wird: a) Die finite Verbform wird von den infiniten Formen getrennt und damit aus der internen Struktur des Verbs herausgelöst, vgl. (52)
Peter hat mit mir spielen
wollen
b) Sie wird vom Verbzusatz getrennt und damit aus ihrer Bindung in der Wortgruppe Prädikat herausgelöst, vgl. (53)
Er gibt das Buch nicht ab
c) Sie wird von den eng zum Verb gehörenden, z. T. valenznotwendigen Satzgliedern getrennt, vgl. (54)
Der Weg führte früher zu einer
Waldschenke
Mit der steigenden Anzahl der Satzglieder wird der Widerspruch zwischen Enge der Zusammengehörigkeit von Konstituenten mit dem Verb und der
Orundatruktur
und abgewandelte
Struktur
139
Konstituentenabfolge im Hauptsatz noch deutlicher. In Kap. 2 wird unter anderem beschrieben, wie sich die einzelnen Satzglieder durch das Maß ihrer Bindung zum Verb unterscheiden. In dem Satz (55)
Peter warf vorhin den Ball ins Tor
gehört das Richtungsadverbial enger zum Verb als das Objekt und dieses wiederum ist dem Temporaladverbial gegenüber enger mit dem Verb verbunden.' Bei Zweit-Stellung des finiten Verbs, die aus kommunikativ-pragmatischer Sicht zweifellos zur neutralen Konstituentenabfolge gehört, kann aber gerade diese Zusammengehörigkeitsbeziehung der Konstituenten nicht wiedergegeben werden, vgl. das Baumdiagramm (57) für Satz (55) und denselben Satz mit zusammengesetzter Tempusform, (56)
Peter hat vorhin den Ball ins Tor geworfen
Zur Erklärung der verbhaltigen Kategorien PG, ePG und P vgl. Kap. 2.2. Bei der Bestimmung der für die syntaktische Beschreibung günstigsten Konstitaentenabfolge der Grundstruktur gilt als Kriterium: — Darstellbarkeit der syntaktischen Zusammengehörigkeit der Konstituenten eines Satzes. Ist gesichert, daß die Zusammengehörigkeit wiedergegeben wird — und das kann für mehrere Abfolgen zutreffen —, dann kommt für die Wahl einer Abfolge als weiteres, aber anders geartetes Kriterium hinzu: — minimale kommunikativ-pragmatische Spezialisierung, die die Anwendungsmöglichkeiten eines Satzes einschränkt. Im Deutschen kann das erste, wesentliche Kriterium nur bei Endstellung des finiten Verbs erfüllt werden, die Nichterfüllung des zweiten, untergeordneten Kriteriums muß in Kauf genommen werden. Für die nichtverbalen Satzglieder sind mit der Abfolge, wie sie z. B. in (55) vorliegt, beide Kriterien erfüllt: Die unterschiedlich enge Zusammengehörigkeit mit dem .Verb kann dargestellt
1.5. Syntaktische
Komponente
werden, wie das folgende Baumdiagramm zeigt; gleichzeitig ist diese Abfolge in kommunikativ-pragmatischer Hinsicht neutral im oben genannten Sinne. (58)
SbG fSubj) • i
MvG (Aävbm )
i i
11
SbG fObj) ii
PräpG (Advb )
Peter
vorhin
den
Bali
ins
Peter
vorhin
den
Bali
ins
i I i
Tor Tor
v. , i inf i i
geworfen
v,. i fin i i hat.
warf.
Wir unterscheiden jetzt die Konstituentenabfolge in der Grundstruktur, bei der das finite Verb am Satzende steht, von der topologischen Grundposition, in der das finite Verb die Zweitstellung einnimmt. Diese Grundposition beruht aber auf einer Abwandlung, einer Permutation des finiten Verbs. Nur im Spezialfall, bei subordinierten Sätzen, kann die Verb-Endstellung der Grundstruktur bestehen bleiben. Die Konsequenz einer solchen syntaktischen Beschreibung von Sätzen wie (55) ist die, daß ihre Grundstruktur als nicht direkt realisiert betrachtet wird. Das heißt, die Grundstruktur ist demnach abstrakter als zuerst angenommen wurde. 3. Strukturelle Synonymie Von struktureller Synonymie spricht man dann, wenn die Unterschiede zwischen bedeutungsgleichen Sätzen weder durch synonyme Wörter (z. B. anfangen : beginnen) noch durch veränderte Konstituentenabfolgen (wie im vorangegangenen Abschnitt behandelt) Zustandekommen, sondern wenn Unterschiede in der Konstituentenstruktur von Sätzen vorliegen. Strukturelle Synonymie besteht beispielsweise zwischen einem Aktivsatz und seinem passivischen Pendant oder zwischen Satzgefügen und ihnen entsprechenden Kondensationsformen. Die Möglichkeit systematischer Paraphrasebeziehungen zwischen Sätzen ist eines der entscheidenden Argumente für die Unterscheidung von Grundstruktur und abgewandelter Struktur. Zwei Beispielgruppen mögen die Existenz von Abwandlungsbeziehungen zwischen einem Satzgefüge und einem einfachen Satz, der als dessen „Kondensationsform" gelten kann, illustrieren: a) Zwischen einem Satz, der einen Relativsatz (Attributsatz) enthält, und einem Satz mit einfachem Attribut besteht eine Abwandlungsbeziehung, vgl.: (59)
Elefanten, die weiß sind, sind teuer Weiße Elefanten sind teuer
Grundstruktur und abgewandelte Struktur
141
Wenn die Grammatik die Bedeutungsgleichheit durah Zuordnung beider Sätze zu einer gemeinsamen Grundstruktur syntaktisch wiedergibt, vereinfacht sie die Darstellung und stellt gleichzeitig eine wichtige syntaktische Eigenschaft •des Sprachsystems dar, nämlich die Beziehungen zwischen Attribut und Relativsatz. b) Zwischen Sätzen, die einen Adverbial-Satz oder eine adverbiale Präpositionalgruppe (evtl. Substantivgruppe) oder ein Adverb enthalten, bestehen Ab"wandlungsbeziehungen, vgl.: •(60a) -(60b) {60c)
Peter mußte, weil er krank war, die Premiere versäumen Peter mußte wegen seiner Krankheit die Premiere versäumen Peter mußte deswegen die Premiere versäumen
Ungeachtet der syntaktisch unterschiedlichen internen Struktur der gekennzeichneten Ausdrücke in (60) haben diese ein und dieselbe syntaktische Funktion: kausale Adverbialbestimmung. Unter speziellen Kontextbedingungen, .nämlich der Vorerwähnung des Grundes etwa durch den vorangehenden Satz Peter war krank, ist der Satz (60c) mit den beiden übrigen bedeutungsgleich, kommunikativ-pragmatisch ist er wie alle Sätze mit Pro-Formen durch die eben genannte Bedingung spezieller, weniger neutral. Die systematischen Beziehungen zwischen den drei Sätzen äußern sich in den Beziehungen von Satz : Substantivierung des Satzes : Pro-Form und in der Entsprechung von Konjunktion und Präposition. In der Grammatik werden sie so beschrieben, daß sie unterschiedliche Realisierungen einer Grundstruktur sind. Dadurch erübrigt sich unter anderem die in traditionellen Grammatiken durchaus übliche Wieder-holung adverbialer Subklassifizierung bei reinen Adverbien, bei adverbialen Präpositionalgruppen und womöglich auch noch bei den adverbialen Neben-sätzen, wegen ihrer äußerlichen Verschiedenheit werden sie üblicherweise an .ganz unterschiedlichen Stellen behandelt. Bei der Entscheidung, welche der Varianten in (59) und (60) der Grundstruktur am nächsten kommen, müssen, da andere Tatsachen als bei der Konstituentenabfolge vorliegen, auch andere Argumente angeführt werden. Diese werden in Kap. 2.3.2. und Kap. 5 ausführlicher formuliert; hier können wir nur das folgende Kriterium als eine Art Faustregel angeben: — Gibt es zwischen einem Satzgefüge und einem einfachen Satz eine Paraphraserelation, d. h. haben sie dieselbe Bedeutung, dann steht das Satzgefüge der Grundstruktur näher, der einfache Satz realisiert eine davon abgewandelte Struktur. Dem Nebensatz des Satzgefüges entspricht im einfachen Satz eine einfache Konstituente ohne Satzwert, die syntaktische Funktion aber (Satzglied oder Satzgliedteil) bleibt erhalten. Die Entsprechung Satz : Satzkonstituente kann -auf verschiedene Weise Zustandekommen, etwa: — durch Substantivierung des Satzes (weil er krank war -.wegen seiner Krankheit), — durch Tilgung bzw. Umformung einzelner Funktionswörter (Elefanten, die weiß sind : weiße Elefanten; die Katze, die auf dem Sofa liegt : die Katze auf dem Sofa),
1.5. Syntaktische
Komponente
— durch Ersetzung des Satzes durch eine Pro-Form (weil er Jcranh war : deswegen). Wir werden im Prinzip davon ausgehen, daß zusammengesetzte Sätze — also auch Satzgefüge — als Verknüpfungen von Grundstrukturen und damit als Abwandlungen zu beschreiben sind. Zu diesem Prinzip gibt es aber motivierte Ausnahmen, zu denen auch unsere Beispiele zählen. Wenn spezielle Nebensätze, wie es die Adverbialsätze sind, erst als Resultat einer Verknüpfung von Grundstrukturen zustande kämen, müßten wichtige syntaktische Eigenschaften unberücksichtigt bleiben, wie z. B. die Tatsache, daß Adverbialsätze durch einen festen Platz in der Konstituentenstruktur in ihrer Satzgliedfunktion bestimmt werden, gerade so wie es für Präpositionalgruppen geschieht. Dieser Platz muß also „gehalten" werden, falls eine Konstituente mit Satzstatus die Funktion ausfüllt. Um dies berücksichtigen zu können, werden in der Grundstruktur alle Einheiten mit der Funktion Adverbialbestimmung durch den Wortgruppentyp PräpG (Präpositionalgruppe) repräsentiert. PräpG, die an sich die kategoriale Form einer Wortgruppe bezeichnet, markiert hier die Stelle, die eine syntaktische Struktur anderen kategorialen Typs aber mit gleicher Funktion im gegebenen Satz alternativ einnehmen kann. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang tatsächlich die Funktion und nicht die Kategorie. Da Grundstrukturen aber mit kategorialen Begriffen definiert werden und Funktionen erst auf dieser Basis bestimmt werden können, woller wir für unsere Zwecke annehmen, daß PräpG auch ein Platzhalter für einen Satz, einen substantivierten Satz oder ein Pronominaladverb sein kann. Im Baumdiagramm (61) wird dies durch das Zeichen „ A " ausgedrückt. Für ¿\ kann dann stehen: weil er krank war wegen seiner Krankheit deshalb
4. Tilgung von Konstituenten
Abwandlungsbeziehungen bestehen zwischen zwei Sätzen A und B auch dann, wenn über den gemeinsamen Morphembestand hinaus A bestimmte Hauptwortklassen enthält, die in B fehlen, ohne daß sich daraus ein semantischer Unterschied ergibt. Der Zusammenhang zwischen A und B läßt sich dadurch
Grundstruktur und abgewandelte Struktur
143
am besten wiedergeben, daß die im Vergleich zu A in B fehlenden Konstituenten als getilgt gelten, womit zugleich die Rekonstruierbarkeit dieser Konstituenten gesichert ist. Durch die Tilgung wird der Satz B zwar syntaktisch unvollständig, er behält aber seinen Satzstatus virtuell bei im Unterschied zu der oben behandelten „Kondensation" eines Satzes zu einer einfachen Satzkonstituente. Wir unterscheiden drei Typen von Tilgung: a) Elliptische Tilgung b) Tilgung undeterminierter Satzglied-Konstituenten (Eliminierung) c) Tilgung bei identischen Konstituenten (Reduktion) Wir illustrieren diese drei Typen lediglich mit Beispielen (die tilgbaren Ausdrücke werden jeweils in Klammern gesetzt): a) Elliptische Tilgung Verkürzte Ausdrücke, denen solche mit vollspezifizierter Konstituentenstruktur entsprechen, werden traditionsgemäß Ellipsen genannt, z. B.: (62)
(Da kommt) ein Flugzeug! (Gib) den Meißel (her)! (Das ist) schade!
Für Ellipsen dieser Art ist kennzeichnend, daß immer dasjenige Satzglied erhalten bleibt, das im vollständigen Satz Rhema ist. Die Berechtigung, Ellipsen auf vollständige Sätze zu beziehen und beide Sätze als bedeutungsgleich anzusehen, ergibt sich daraus, daß Ellipsen unter entsprechenden Situations- oder Kontextbedingungen denselben Inhalt vermitteln wie vollständige Sätze. Andere Typen von Ellipsen liegen vor in: (63)
Der Fisch riecht zwar (schlecht), aber er schmeckt (gut) Benimm dich (anständig)! Er benimmt sich mal wieder (ganz unmöglich)!
(64)
Es ist schon spät. Wir gehen jetzt (weg). Ihr könnt ja (hier) bleiben. • Komm doch (her)!
Die Kontextabhängigkeit der Rekonstruktion getilgter Konstituenten kann verschieden stark sein. Ellipsen wie die in (62) sind weitgehend kontextabhängig, die in (63) und (64) nur in geringem Maße. Gründe dafür können z. B. sein, daß die Ausdrücke idiomatisiert sind, wie in (63), oder daß die Bedeutung getilgter Konstituenten aus der Bedeutung der übrigen voll erschließbar ist, wie in (64). b) Tilgung undeterminierter Satzgliedkonstituenten (Eliminierung) (65)
Peter ißt (etwas) Itamona ist glücklich, denn sie liebt (jemanden) Klaus hat (jemandem etwas) gestohlen Die Soldaten zielten (auf etwas)
Tilgungen dieser Art betreifen valenznotwendige Konstituenten, die semantisch nicht voll spezifiziert sind und daher als Indefinitpronomen realisiert werden können. Da einerseits jedes der Verben zusätzlich zum Subjekt einen oder zwei
144
1.5. Syntaktische Komponente Valenz-Partner fordert und da andererseits die Leerstelle für diesen ValenzPartner semantisch nicht aufgefüllt ist, ist garantiert, daß der vollständige und der unvollständige Satz bedeutungsgleich sind (vgl. auch die Beispiele (45) in § 74). Andere Arten von Eliminierung werden in Kap. 2 abgehandelt,
§ 91
e) Tilgung bei identischen Konstituenten (Reduktion) Diese Art der Tilgung kommt bei Satzreihen und Satzgefügen vor. Wenn in zwei verknüpften Sätzen identische Teilausdrücke auftreten, so kann einer dieser Teilausdrücke getilgt werden. Die Bedingungen für die Tilgung sind in den folgenden Beispielen unterschiedlich, aber für jede Gruppe ganz regulär: Konjunktionsreduktion: (66)
Peter fand eine Mark und (er) gab sie gleich aus Peter fand (eine Marie) und (er) verlor eine Mark Peter fand eine Mark und (er) verlor eine (Mark) Peter fand eine Mark und (er fand) einen Knopf Peter fand eine Mark und Paul (fand) zwei (Mark)
Reduktion bei Komparation: